<<

Plenarprotokoll 14/50

Deutscher

Stenographischer Bericht

50. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

I n h a l t :

Festlegung der Zahl und Zusammensetzung Zusatztagesordnungspunkt 5: der zur Mitwirkung an den Sitzungen des Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu- brachten Entwurfs eines Dreiunddreißig- ropäischen Union berechtigten Mitglieder des sten Gesetzes zur Änderung des La- Europäischen Parlaments...... 4321 A stenausgleichsgesetzes Erweiterung der Tagesordnung...... 4321 B (Drucksache 14/866)...... 4322 C Begrüßung der Oberbürgermeisterin von , Frau Bärbel Dieckmann, sowie des Altbundes- Tagesordnungspunkt 12: präsidenten Richard von Weizsäcker, der ehemaligen Präsidenten des Deutschen Bun- Vereinbarte Debatte destages und Richard „50 Jahre Demokratie – Dank an Bonn“ Stücklen, der ehemaligen Vizepräsidenten des SPD...... 4322 D Deutschen Bundestages Helmuth Becker, Dieter-Julius Cronenberg, Lieselotte Funcke Dr. CDU/CSU...... 4325 B und Dr. , des früheren polni- Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schen Außenministers ProfessorWladyslaw NEN...... 4332 A Bartuszewski, des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Professor Dr. Karl Dr. F.D.P...... 4334 C Lehmann, des Metropoliten von Deutschland Dr. PDS ...... 4336 B Augoustinos Labardakis, des früheren Frak- tions- und Parteivorsitzenden der SPDDr. Wolfgang Clement, Ministerpräsident (Nord- Hans-Jochen Vogel und des ehemaligen Ober- rhein-Westfalen) ...... 4337 C bürgermeisters von Bonn, Dr. ...... 4325 A, CDU/CSU ...... 4340 A ...... 4344 C, 4348 D, 4349 D, 4352 D, (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Tagesordnungspunkt 14: GRÜNEN ...... 4342 B e) Zweite und dritte Beratung des von der Dr. F.D.P...... 4344 D Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Angela Marquardt PDS ...... 4346 B eines Überweisungsgesetzes (Drucksachen 14/745, 14/1067, 14/1301) .. 4321 D Iris Gleicke SPD ...... 4347 B Wolfgang Gehrcke PDS ...... 4349 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Hans-Ulrich Klose SPD...... 4349 D a – h) Beschlußempfehlungen des Petitions- ausschusses , Regierender Bürgermeister Sammelübersichten 59, 60, 61, 62, 63, () ...... 4352 D 64, 65, 66 zu Petitionen (Drucksachen 14/1320, 14/1321, 14/1322, Nächste Sitzung ...... 4354 C 14/1323, 14/1324, 14/1325, 14/1326, 14/1327) ...... 4322 A Berichtigung ...... 4354 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Anlage 1 zu den Anträgen zur Errichtung eines Mahn- mals oder Denkmals für die ermordeten Juden Liste der entschuldigten Abgeordneten...... 4355 A in Europa ...... 4355 C

Anlage 3 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Willfried Erklärung des Abgeordneten Hartmut Ko- Penner (SPD) zur namentlichen Schlußab- schyk (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über Abschnitt II der Be- stimmung über den Änderungsantrag der schlußempfehlung des Ausschusses für Kultur Abgeordneten , Dirk und Medien (Gestaltungsentwurf II), Druck- Fischer (Hamburg) und weiterer Abgeor- sache 14/1238 ...... 4355 D dneter, Drucksache 14/1269, zu Abschnitt II der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien (Drucksache 14/ Anlage 4 1238) Amtliche Mitteilungen...... 4355 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4321

(A) (C)

50. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin : Guten Morgen, liebe g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Sammelübersicht 65 zu Petitionen – Drucksache 14/1326 – Ich eröffne die letzte Sitzung des Deutschen Bundesta- h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ges in Bonn – es ist die 50. Sitzung des Deutschen Bun- Sammelübersicht 66 zu Petitionen – Drucksache 14/1327 – destages – und begrüße Sie alle sehr herzlich. ZP5 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dreiunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich Lastenausgleichsgesetzes (33. ÄndGLAG) – Drucksache folgendes bekannt: Gemäß § 93a Abs. 6 unserer Ge- 14/866 – schäftsordnung können Mitglieder des Europäischen Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi- Parlaments an den Sitzungen des Ausschusses für die derspruch. Dann ist das so beschlossen. Angelegenheiten der Europäischen Union teilnehmen. Zahl und Zusammensetzung sind in der Geschäftsord- Bevor wir die Debatte „50 Jahre Demokratie – Dank nung nicht vorgesehen und müssen daher vom Plenum an Bonn“ führen, müssen wir noch einige Abstimmun- festgestellt werden. gen und Überweisungen vornehmen. Ich rufe deshalb (B) zunächst den Tagesordnungspunkt 14 e auf: (D) Die Fraktionen haben sich auf Grund der Zusammen- setzung des Europäischen Parlamentes nach der letzten Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Wahl darauf verständigt, die Zahl auf insgesamt 14 mit- regierung eingebrachten Entwurfs einesÜber- wirkungsberechtigte Mitglieder des Europäischen Par- weisungsgesetzes (ÜG) laments festzulegen. Davon entfallen auf die CDU/CSU sieben, auf die SPD fünf Mitglieder sowie auf Bünd- – Drucksachen 14/745, 14/1067 – nis 90/Die Grünen und die PDS jeweils ein Mitglied. (Erste Beratung 35. Sitzung) Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuß) Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- gesordnung um weitere Punkte, die Ihnen in der Zu- – Drucksache 14/1301 – satzpunktliste vorliegen, zu erweitern: Berichterstattung: ZP3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Abgeordnete gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT zu den Ant- worten der Bundesregierung auf die Dringlichkeitsfragen 1 bis 4 in Drucksache 14/1298 zur Entwicklung des Nettorenten- niveaus (in der 49. Sitzung bereits erledigt) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen ZP4 a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses gleich zur Abstimmung über den von der Bundesre- Sammelübersicht 59 zu Petitionen – Drucksache 14/1320 – gierung eingebrachten Entwurf eines Überweisungs- b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses gesetzes, Drucksachen 14/745, 14/1067 und 14/1301. Sammelübersicht 60 zu Petitionen – Drucksache 14/1321 – Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Sammelübersicht 61 zu Petitionen – Drucksache 14/1322 – chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange- d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses nommen. Sammelübersicht 62 zu Petitionen – Drucksache 14/1323 – e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Dritte Beratung Sammelübersicht 63 zu Petitionen – Drucksache 14/1324 – und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sammelübersicht 64 zu Petitionen – Drucksache 14/1325 – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Präsi- 4322 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) dium hat keinen Zweifel an der Mehrheit. Der Gesetz- Sammelübersicht 63 auf Drucksache 14/1324: Wer(C) entwurf ist damit angenommen. stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch die Sammelübersicht 63 ist angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf: Sammelübersicht 64 auf Drucksache 14/1325: Wer a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält ausschusses (2. Ausschuß) sich? – Auch die Sammelübersicht 64 ist angenommen. Sammelübersicht 59 zu Petitionen Sammelübersicht 65 auf Drucksache 14/1326: Wer – Drucksache 14/1320 – stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- sich? – Damit ist auch diese Sammelübersicht ange- ausschusses (2. Ausschuß) nommen. Sammelübersicht 60 zu Petitionen Wir kommen zur Sammelübersicht 66 auf Drucksa- – Drucksache 14/1321 – che 14/1327: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? c) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- – Wer enthält sich? – Damit ist auch die Sammelüber- ausschusses (2. Ausschuß) sicht 66 angenommen. Sammelübersicht 61 zu Petitionen Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: – Drucksache 14/1322 – Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten d) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- Entwurfs eines Dreiunddreißigsten Gesetzes ausschusses (2. Ausschuß) zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes Sammelübersicht 62 zu Petitionen (33. ÄndGLAG) – Drucksache 14/1323 – – Drucksache 14/866 – e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- Überweisungsvorschlag: ausschusses (2. Ausschuß) Innenausschuß (federführend) Finanzausschuß Sammelübersicht 63 zu Petitionen – Drucksache 14/1324 – Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent- wurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- schüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – ausschusses (2. Ausschuß) Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung Sammelübersicht 64 zu Petitionen so beschlossen. (B) – Drucksache 14/1325 – (D) g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- Nun, Kolleginnen und Kollegen, rufe ich Tagesord- ausschusses (2. Ausschuß) nungspunkt 12 auf: Sammelübersicht 65 zu Petitionen Vereinbarte Debatte – Drucksache 14/1326 – „50 Jahre Demokratie – Dank an Bonn“ h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitions- Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Thierse. ausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 66 zu Petitionen Wolfgang Thierse (SPD): Frau Präsidentin! Liebe – Drucksache 14/1327 – Kolleginnen und Kollegen! Dies ist unser letzter Tag in diesem schönen Hause, einem Haus, das in seiner Trans- Sammelübersicht 59 auf Drucksache 14/1320: Wer parenz, in seiner Helligkeit eine gute Heimstatt für unser stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Die Sammel- Parlament war und das in seiner architektonischen Ge- übersicht 59 ist angenommen. stalt ein überzeugendes Symbol der deutschen parla- Sammelübersicht 60 auf Drucksache 14/1321: Wer mentarischen Demokratie geworden ist. stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält (Beifall im ganzen Hause) sich? – Die Sammelübersicht 60 ist damit angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun- Sammelübersicht 61 auf Drucksache 14/1322: Wer destag verläßt Bonn zu einem der glücklichsten Zeit- stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältpunkte der deutschen Geschichte. Wir blicken zurück sich? – Auch diese Sammelübersicht ist angenommen. auf 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, auf 50 Jahre auf dem Fundament einer stabilen Verfassung, des Bon- Sammelübersicht 62 auf Drucksache 14/1323: Wer ner Grundgesetzes, auf 50 Jahre Frieden in Deutsch- stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältland, auf zehn Jahre Mauerfall und neun Jahre deutsche sich? – Auch die Sammelübersicht 62 ist angenommen. Einheit. Der heutige Tag ist Anlaß, daran zu erinnern, daß all dies niemals selbstverständlich gewesen war und Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ist. ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/1329. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Bei allem Streit, bei allen noch zu bewältigenden Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- Schwierigkeiten und großen Problemen der Gegenwart, ßungsantrag ist abgelehnt. die Probleme der deutschen Einigung eingeschlossen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4323

Wolfgang Thierse (A) habe ich – wenn ich das so persönlich sagen darf – im- den neuen Institutionen der parlamentarischen, plurali-(C) mer noch ein Grundgefühl des Glücks, ein Gefühl, daß stischen, sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie. deutsche Geschichte endlich einmal gut ausgehenNach der nationalsozialistischen Herrschaft wußten vie- könnte. le, daß diese Demütigung der Menschenwürde, diese Verbrechen nie wieder geschehen dürften. Demokraten Dieses Gefühl verbindet sich auch mit den Jahren in waren sie damit immer noch nicht. Es war eine große Bonn. Die 50jährige Entwicklung Deutschlands nachLeistung der Demokraten der ersten Stunde, hier in dem zweiten Weltkrieg bleibt ohne jeden Zweifel vorBonn Neugier und Interesse zu wecken. Die erste parla- allem auch mit dem Namen dieser Stadt verbunden. Der mentarische Debatte verfolgten Millionen von Bürgerin- Umzug des Deutschen Bundestags darf deshalb weder nen und Bürgern am Radio. Damit steht Bonn dauerhaft Abkehr von der Politik noch Absage an die Politik be- für demokratischen, hoffnungsvollen Neuanfang. deuten, die in Bonn gemacht worden ist. Es hat von den Anfängen bis heutevorbildliche De- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE batten in Bonn gegeben. Ich erinnere an einige Stern- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) stunden: die Debatten über die Westbindung der Bun- Es geht doch nicht um Bonn gegen Berlin oder Bon- desrepublik, über die Aufnahme diplomatischer Bezie- ner Politik gegen Berliner Politik. Es ist auch keinehungen zu Israel, über die Todesstrafe, über die Nicht- Wanderung zwischen einer angeblich alten Republikverjährung von NS-Verbrechen, über die paritätische und einem neuen Deutschland, zwischen Föderalismus Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Montanindu- und Zentralismus oder zwischen Souveränität und Son- strie, über die Neuregelung des Gesetzes zum Schwan- derweg. Die Grundkoordinaten deutscher Politik ver- gerschaftsabbruch im vereinten Deutschland und natür- ändern sich durch den Ortswechsel nicht. lich auch über den zukünftigen Sitz des Deutschen Bun- destages und der Bundesregierung. Die in Bonn entwickelten demokratischen und föde- ralen Strukturen werden in Berlin fortleben, solange un- Zu diesen Sternstunden trugen vor allem diepoliti- ser, der Demokraten aller Parteien und Fraktionen politi- schen Hauptakteure der ersten Bonner Jahre bei: Kon- scher Wille und das Engagement der Bürger immer wie- rad Adenauer, , Carlo Schmid, Theo- der neu die Voraussetzungen dafür schaffen. Dafür tre- dor Heuss, , , ten wir ein. Franz Josef Strauß, und . Ihre Persönlichkeiten trugen dazu bei, das deutsche Parla- 200 zu 176 Stimmen – dies war vor 50 Jahren diement ins Zentrum des politischen Geschehens, der poli- Entscheidung des Deutschen Bundestags zugunstentischen Aufmerksamkeit zu rücken. Ihre Lebenserfah- Bonns als provisorischer Bundeshauptstadt, wie es da- rungen prägten die gemeinsame klare und eindeutige mals ausdrücklich hieß. Bei aller Kritik an Bonn in den (B) Absage an Extremisten und immer wieder auftauchende (D) darauffolgenden Jahren – sie begann beim Klima undideologische Rattenfänger. Sie haben eineKontinuität gipfelte im Pflichthaß auf Bonn, das ist bei Heinrichbegründet, von der unsere gemeinsame Republik bis Böll nachzulesen – sage ich: Bonn war die richtige Stadt heute auch lebt und an der wir weiterzuarbeiten haben. zum richtigen Zeitpunkt. Schon als kleiner Junge – erlauben Sie mir diese per- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sönliche Bemerkung – habe ich – gewiß zunächst eher GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. so- unfreiwillig, weil mein Vater darauf bestand – die Reden wie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) aus dem Deutschen Bundestag am Radio über den Sen- Sicherlich mag Bonn als die sprichwörtlich geworde- der RIAS verfolgt. Sie wissen, er war in der DDR immer ne „kleine Stadt am Rhein“ provinziell und ziemlich un- gestört; also hatte eisige Ruhe zu herrschen. Aber ge- bekannt gewesen sein. Schließlich wurde erst zu Beginn nauso wie mein Vater und ich – wie gesagt, zunächst un- der 50er Jahre die erste Ampel in Bonn aufgestellt. Die freiwillig – haben viele andereBürgerinnen und Bür- meisten Auslandskorrespondenten suchten ihren neuen ger aus der DDR die Chance genutzt, wenigstens mit- Dienstort zuerst einmal auf der Landkarte. Aber Bonn telbar die parlamentarische Arbeit in Westdeutschland war eben auch überschaubar und freundlich und ver-zu erleben. Das galt für viele Menschen im Osten zichtete gelassen auf grandiose Gesten und Kulissen, auf Deutschlands. Aus Bonn – aus Bonn! – fand das demo- Pathos und Protzerei. kratische Deutschland, fand die Alternative zu ideologi- scher Enge und Kleingeisterei zu uns in den anderen Nach der Nazidiktatur hat diese Stadt – so wie siedeutschen Staat. Bonn war für uns, für viele Ostdeutsche war – geholfen, das Vertrauen in deutsche Politik im ein Symbol, ein Sehnsuchtsort für unsere Hoffnungen In- und Ausland wiederherzustellen. Sie war bescheiden auf demokratische Freiheit. Das wird unvergessen und und ruhig. Sie war ein Ort, um sich auf den richtigenmit Bonn dauerhaft verbunden bleiben. Weg zu besinnen – geschichtlich eher unbelastet, kultu- rell und wissenschaftlich pluralistisch: Karl Marx hat (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE hier studiert, Gottfried Benn hat hier gelehrt. Bonn er- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) wies sich als die beste Wiege für die parlamentarische Demokratie eines Landes, das nach Ende des zweiten Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute können wir Weltkrieges neu aufgebaut werden mußte. nicht ohne Stolz behaupten, Deutschland hat zunächst und lange allein im Westen Deutschlands die Chance Nur Schritt für Schritt – daran können sich Älteredes demokratischen Neuanfangs genutzt. Vielleicht steht noch erinnern – öffneten sich die Deutschen gegenüber nun heute im Vordergrund, daß Demokratie auch sehr 4324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Wolfgang Thierse (A) mühsam sein kann. Entscheidungen zu treffen, zwischen Außenpolitik, die von Bonn aus betrieben worden ist(C) miteinander konkurrierenden Zielen abzuwägen, denund die wir selbstverständlich in Berlin fortzusetzen ha- Konsens zwischen streitigen Positionen zu suchen – all ben. dies ist leichter gesagt als getan. Manchmal unbefriedigt, Dies gilt auch für die deutsche Einheit. Ohne Bonn aber mindestens ebenso oft erleichtert erkennt man, daß kein Berlin. Bonn und seine Deutschlandpolitik, die als es in der Demokratie eben nicht die eine, endgültige europäische Aussöhnungs- und Friedenspolitik ausge- Wahrheit gibt. richtet war, hat den Weg für das geeinte Deutschland Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in dergeebnet. Mag es auch über die Jahre hinweg Streit im Erinnerung an die Erfolgsgeschichte der westdeutschen einzelnen gegeben haben, die Grundorientierung auf Demokratie, die mit den Namen Bonns verbunden ist,eine Politik der Wiedervereinigung, die in eine europäi- sollte eine Tatsache nicht vergessen werden: Die Zu-sche Aussöhnungs- und Friedenspolitik eingebettet ist, stimmung zur Demokratie im Westen Deutschlands ist hat gegolten von Adenauer über bis zu erst mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik Helmut Kohl. Das die gesamte Zeit über niemals offen ganz allmählich gewachsen. Wenn jetzt mit dem Finger in Frage gestellte Selbstverständnis Bonns, ein Proviso- auf die Ostdeutschen gezeigt wird, weil dort – erst oder rium, eine provisorische Hauptstadt zu sein, hat die Tür nur noch – ein Fünftel der Bürger die Demokratie für die zur Einheit Deutschlands stets offengehalten. beste Staatsform hält, frage ich, warum den Ostdeut- Die Entscheidung für Berlin bedeutet Abschied von schen nicht auch die Zeit des Suchens und der Überzeu- Bonn. Das läßt sich nicht beschönigen. Aber diese Ent- gung gegönnt wird, die Menschen offensichtlich brau- scheidung enthält nicht eine Spur von Undank gegen- chen. Die Erfahrungen der Ostdeutschen mit derüber Bonn oder von Ablehnung dieser Stadt oder ihrer Demokratie sind in den 90er Jahren fundamental anders Menschen. Im Gegenteil: In Berlin müssen wir erst noch als die Erfahrungen der Westdeutschen damals. Das Ja beweisen, daß wir den letzten, den besten 50 Jahren zur Demokratie muß heute erbracht werden angesichts deutscher Geschichte weitere gute 50 Jahre, dieses Mal großer und schwer zu verkraftender Veränderungen, an- für ganz Deutschland, hinzufügen können. gesichts sozialer, wirtschaftlicher, kultureller Umbau- probleme, zäher Arbeitslosigkeit, sozialer Verunsiche- Wir Parlamentarier werden immer wieder Grund ha- rung und eines Gefühls der Benachteiligung. Ob dies zu ben, an eine gute Zeit in Bonn, an den Ort und die Art Recht besteht oder nicht, ist dabei nicht ganz so wichtig. des Erwachsenwerdens der deutschen Demokratie zu Ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Demokratie stellt denken, auch – das sage ich als Berliner – an den im be- sich da nicht von selbst ein. Die Mühen der Ebenesten Sinne des Wortes gutbürgerlichen Stil ohne Pomp, scheinen unüberwindbar. Freiheit erscheint als Wider- ohne Protz, ohne falsches Pathos. Wir sollten uns in spruch zur Sicherheit. Berlin an diesen Stil erinnern, falls wir je Anfällen von (B) Wilhelminismus und ähnlichen Gefährdungen unterlie- (D) Wir haben als Parlament – diese Verpflichtung er-gen sollten. Ich glaube es zwar nicht. Aber die Erinne- wächst aus der Erinnerung an 50 Jahre in Bonn – dierung an Bonn könnte immer hilfreich sein. Bringschuld einer Politik, die es erlaubt, Freiheit und Gerechtigkeit als untrennbar miteinander verbunden zu (Beifall im ganzen Hause) begreifen. Die Politiker und die Menschen, die im unmittelbaren (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜND- und mittelbaren Umfeld gearbeitet haben, sind dank der NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) rheinischen Mentalität herzlich aufgenommen worden. Ich erinnere mich jedenfalls mit großem Vergnügen und Wenn wir uns von der Bundeshauptstadt Bonn verab- mit wirklicher Dankbarkeit an meine ersten Tage und schieden, nehmen wir das als Auftrag und Herausforde- Monate in Bonn vor neun Jahren. Es ist nicht selbstver- rung mit nach Berlin. Denn auch die andere wesentliche ständlich, daß man so empfangen wird. Grundorientierung der deutschen Politik ist mit dem Namen Bonn verbunden: diesoziale Marktwirtschaft, Manch ein Bonner hat uns vorgelebt, was Geduld, die andere, Ausländer zumal, nicht umsonst „rheini-Gelassenheit und rheinischer Humor wert sind, gerade schen Kapitalismus“ nennen. auch unter den Mitarbeitern des Bundestages und der Fraktionen, denen wir zu Dank verpflichtet sind, auch Meine Damen und Herren, deutsche Politik ist vonfür diese Haltung. Bonn aus weltweit wieder anerkannt worden, vor allem (Beifall im ganzen Hause) auch, weil sie in Bonn europäisch geworden ist. Die ent- scheidenden außenpolitischen Schritte, dieEuropa Ihnen, Frau Oberbürgermeisterin Dieckmann, möchte weitestgehend Frieden und Stabilität garantiert haben,ich stellvertretend für alle Menschen in dieser Stadt wurden von hier aus mit initiiert. Als erstes nenne ichheute versichern: Wir haben uns in Bonn und im Rhein- die Aussöhnung mit Frankreich, dann den Erfolg desland sehr wohlgefühlt.Bonn bleibt Bundesstadt mit Atlantischen Bündnisses, die Entspannungspolitik nach einer wohl einmaligen Vergangenheit und mit viel Zu- Osten, die Auflösung der alten Feindbilder und den ge- kunft. samteuropäischen Friedensprozeß auf der Grundlage der (Beifall im ganzen Hause) KSZE-Schlußakte von Helsinki – all dies über die ge- samte Zeit verbunden mit kontinuierlichen Schritten Ich bin mir bewußt, daß der Deutsche Bundestag zu europäischer Integration. Das sind Leistungen nicht nur dieser Zukunft einen Beitrag leisten kann, nämlich in- der Nachbarn in Europa, sondern auch der deutschendem er die Zusagen einhält, die der Stadt gemacht wor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4325

Wolfgang Thierse (A) den sind. Ich sage ausdrücklich: Dank soll keine leerevor allem aber ein Tag der Dankbarkeit, daß uns das so(C) Formel bleiben, sondern wir stehen zu unseren Ver-geschenkt wurde. pflichtungen. Herzlichen Dank an Bonn! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- (Lebhafter Beifall im ganzen Hause) NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Wir nehmen heute als Parlament Abschied von Bonn. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Auf der Besuchertri- Das bedeutet aber in keiner Weise eine Abkehr von den büne haben einige Gäste Platz genommen, die ich herz- Werten und den Grundentscheidungen unserer Verfas- lich begrüßen möchte, an der Spitze die Frau Oberbür- sungsordnung. Zu dieser Grundentscheidung bekennt germeisterin Bärbel Dieckmann. sich die Mehrheit der Menschen – im Westen wie im Osten unseres Vaterlandes. Deshalb – und es ist wichtig, (Beifall) das auszusprechen – ist dieRückkehr von Parlament Frau Oberbürgermeisterin, dies ist Ihr Tag: Dank an und Regierung nach Berlin auch in gar keiner Weise Bonn. Wir grüßen mit Ihnen alle Bonnerinnen und Bon- eine Restauration von etwas Vergangenem. Sie ist viel- ner und wünschen Ihnen für die neuen Herausforderun- mehr die Krönung des jahrzehntelangen Strebens der gen alles Gute. Wir werden Bonn vermissen. Deutschen nach Einigkeit und Recht und Freiheit. (Beifall) Herr Präsident, meine Damen und Herren, nur noch wenige können sich persönlich an die Zeit erinnern, als Wir freuen uns darüber, daß Altbundespräsidentganz Deutschland von Berlin aus demokratisch regiert Richard von Weizsäcker unter uns ist. Herzlich will-wurde. Das ist bald 70 Jahre her. In den Jahrzehnten seit kommen! 1933 hat unser Land, hat Europa, hat die Welt beispiel- (Beifall) lose Tiefen und Höhen durchlebt. Unter der nationalso- zialistischen Gewaltherrschaft gingen Kriege und Völ- Ich begrüße viele Kolleginnen und Kollegen deskermord von Deutschland aus. Unter dem Terror des Bundestages. Stellvertretend für alle nenne ich die Vize- Stalinismus mußten ungezählte Menschen leiden und präsidenten Herrn Stücklen, Herrn Becker und Herrnsterben. Die Brutalität und Aggressivität totalitärer Dik- Cronenberg. Herzlich willkommen! taturen kostete Millionen unschuldiger Opfer Leben, (Beifall – Michael Glos [CDU/CSU]: Bun- Gesundheit, Heimat und Habe. Bis vor zehn Jahren destagspräsident war er!) wurde den Völkern Mittel- und Osteuropas das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung vorenthalten. – Auch. Wahr ist aber auch, daß wir Triumphe von Freiheit, (B) Nun erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr.Menschenrechten und Selbstbestimmung erlebt haben – (D) Helmut Kohl, CDU/CSU-Fraktion. friedliche Siege der Freiheit über die Diktatur, die viele nicht für möglich gehalten hatten. Dr. Helmut Kohl (CDU/CSU) (von der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- und der F.D.P. mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle spü- ren es in dieser Stunde: Es ist ein tiefer Einschnitt für Vor zehn Jahren, zu Beginn des Sommers jenes Jah- unser Land und auch für viele von uns in diesem Saal, res, rechneten nur wenige damit, daß schon einige Mo- für viele, die uns zuschauen und hier in den letzten Jahr- nate später die Mauer fallen würde. Wer genau hinhörte zehnten gearbeitet haben. Es gibt viele persönliche Erin- und hinsah, konnte die Vorboten eines politischen Erd- nerungen. Es sind Erinnerungen im Guten und im weni- bebens wahrnehmen: Das sowjetische Imperium bekam ger Guten. Aber es ist ein Stück der Geschichte unseres immer größere Risse. Aber das, was dann in dieser so Volkes. Jeder kann dies spüren. kurzen Zeit tatsächlich geschah, hat so niemand voraus- gesehen, auch wenn es jetzt gelegentlich Zeitgenossen Vor wenigen Wochen haben wir das50jährige Ju- gibt, die es im nachhinein genau wußten. biläum unseres Grundgesetzes gefeiert. In wenigen Monaten begehen wir den zehnten Jahrestag des Falls Damals – auch das gehört zur Geschichte – hatten der Mauer. Beide Daten, der 23. Mai wie der 9. No-nicht wenige in Deutschland und im Westen überhaupt vember, stehen in einem sehr engen Zusammenhang mit den Gedanken an diedeutsche Einheit aufgegeben. dem heutigen Tag. Nicht wenige haben ihn als unrealistisch abgeschrieben, als störend und ärgerlich für das internationale Gleich- Das Parlament und die Bundesregierung kehren ingewicht verworfen. Auch daran muß heute erinnert wer- das wiedervereinte Berlin zurück. Beide Daten, so denke den, zumal es eine wichtige und glückliche Erfahrung ich, symbolisieren in einer herausragenden Weise dieist, daß sich Pessimisten und Defätisten leicht irren kön- Stationen des Weges unserer Nation von der erzwunge- nen. nen Teilung bis zur Einheit in Frieden und Freiheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Meine Damen und Herren, dieser Weg ist Teil unse- wie bei Abgeordneten der SPD und des rer gemeinsamen deutschen Geschichte. Bei all dem, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) was unsere Biographien im einzelnen auch zu trennen vermag, ist heute ein Tag des Rückblicks und des Aus- Geirrt haben sich auch jene, die das Ziel der europäi- blicks, für mich – und ich denke, auch für viele andere – schen Einigung in all diesen Jahren immer wieder als 4326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Helmut Kohl (A) ein Hirngespinst abtaten. Nicht sie, sondern Visionäre mehr die gleichen wie vor 70 Jahren. Krieg und Nach-(C) wie Robert Schuman, Winston Churchill, Alcide dekriegszeit haben gerade unser Land tiefgreifend verän- Gasperi, Paul-Henri Spaak und haben dert. Das sollten auch jene begreifen, die heute in einer sich als die wahren Realisten erwiesen. Der Bau desdümmlichen Weise von „Bonner Republik“ reden. Hauses Europa war die wichtigste Konsequenz, die wir, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P) die Deutschen, aber auch wir, die Europäer, nach der Barbarei der Nazizeit, nach 1945 aus dem Scheitern na- Bewußt oder unbewußt erwecken sie damit den Ein- tionalstaatlicher Machtpolitik des 19. und 20. Jahrhun- druck, als sei der Staat des Grundgesetzes eine abge- derts ziehen konnten. schlossene Episode, sozusagen eine Art kurzer histori- scher Ausnahmezustand, der jetzt zu Ende geht. Diese Wir dürfen nicht vergessen, daß ohne den Weg nach Sicht ist falsch. Wir gehen nach Berlin, aber nicht in Europa, daß ohne die europäische Integration die Wie- eine neue Republik. derherstellung eines deutschen Nationalstaats im Herzen des Kontinents den meisten unserer Nachbarn schwer (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- oder gar unerträglich erschienen wäre. Wir hätten sie NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) wahrscheinlich gar nicht erreicht; denn deutsche Einheit und europäische Einigung – dieser Gedanke Adenauers Schon deshalb sollten wir darauf verzichten, von „Berli- bleibt nicht nur in Erinnerung, sondern hat Gewicht für ner Republik“ zu reden. die Zukunft – sind und bleiben die beiden Seiten einer Die Bundesrepublik Deutschland hat sich von Anfang Medaille. an nicht als westdeutscher Separatstaat betrachtet. Vor (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- allem Ihre Kritiker am rechten und linken Rand des wie bei Abgeordneten der SPD und des politischen Spektrums haben dies zwar immer wieder BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) behauptet. Aber in Wahrheit handelten die Väter und Mütter unserer Verfassung – so schrieben sie es in die Entscheidend für Frieden und Freiheit auf unseremPräambel – auch für jene Deutschen, „denen mitzuwir- Kontinent ist und bleibt auch in Zukunft die enge trans- ken versagt war“. Und gleich im ersten Artikel des atlantische Partnerschaft. Es waren neben unserenGrundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist europäischen Freunden und Verbündeten vor allem die unantastbar.“ Dieses Bekenntnis zur Würde jedes ein- Vereinigten Staaten von Amerika, die im kalten Krieg zelnen ist der Schlüssel zu allen anderen Werten unserer die Freiheit der Bundesrepublik und des Westteils von Verfassung. Es stellt die unveräußerlichen Rechte jedes Berlin garantierten. Es waren – was heute viele nichteinzelnen über alle politischen und ideologischen mehr wissen und manche auch nicht wissen wollen – die Machtansprüche. Das Grundgesetz hat sie von Anfang Amerikaner, die mit ihrem Marshallplan den besiegten an für alle Deutschen eingefordert. (B) Deutschen zu Hilfe kamen und damit der europäischen (D) Integration in einer ganz eigenen Weise wesentliche Im- In späteren Jahren ist dann dergesamtdeutsche An- pulse gaben. spruch des Grundgesetzes immer häufiger als eine Art Anmaßung des Westens gegenüber dem Osten kritisiert (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- worden. Ich frage: Was wäre gewesen, wenn die Deut- NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) schen in der sowjetisch besetzten Zone 1948/1949 hätten mitwirken können? Ich habe nicht den geringsten Zwei- Am Ende dieses Jahrhunderts gehen wir jetzt daran, fel, daß unsere Verfassung dann nicht wesentlich anders auch unsere östlichen Nachbarn in das europäische ausgesehen hätte; denn nach den Erfahrungen der Nazi- Einigungswerk einzubeziehen. Wir alle wissen, daß der barbarei wollten die Deutschen nie wieder unter einer Europäischen Union auf diesem Feld noch große Her- totalitären Diktatur leben. Sie lehnten die Gewaltherr- ausforderungen bevorstehen. Ich möchte uns allen aber schaft des Nationalsozialismus ebenso ab wie das sagen: Lassen wir uns durch die Größe der Aufgabe Zwangssystem des Kommunismus, das sich in jener Zeit nicht entmutigen! Es gibt keine Alternative zu dieser in der Sowjetischen Besatzungszone verfestigte. Politik. Wir Deutschen hatten die bittere Lektion gelernt, daß (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- Tyrannei in letzter Konsequenz Krieg bedeutet. Zu- NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) nächst richtet sich die Gewalt im Innern gegen eigene Die Erfahrungen im Kosovo in diesen Wochen und Mo- Bürger, und später – auch das zeigt die Erfahrung – naten haben das jedem deutlich gemacht. Wenn wir jetzt wendet sie sich oft nach außen, gegen die Nachbarvöl- nach Berlin umziehen, wollen wir in keinem Augenblick ker. Wir haben erfahren müssen, daß es ohne Freiheit vergessen, daß es vom Reichstag zur polnischen Grenze keine Gerechtigkeit und ohne Gerechtigkeit keinen Frie- gerade 80 Kilometer sind und daß der Beitritt Polens zur den geben kann. NATO und zur Europäischen Union nicht nur im Inter- (Beifall im ganzen Hause) esse der polnischen Nation, sondern zutiefst auch im Interesse der Deutschen liegt. Nach der politischen und moralischen Katastrophe der Nazizeit verlangte unser Volk nach einer Ordnung (Beifall im ganzen Hause) der Freiheit, wie sie nur der demokratische Rechtsstaat Wir kehren – wenn ich das so sagen darf – mit vielen garantieren kann. Nach schlimmen Erfahrungen mit der historischen Erfahrungen nach Berlin zurück. Deutsch- Kriegswirtschaft wollten die Menschen eine Wirt- land, Europa und die Welt sind selbstverständlich nicht schafts- und Gesellschaftsordnung, die Wettbewerb und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4327

Dr. Helmut Kohl (A) sozialen Ausgleich miteinander verband. Dies ist dieVerantwortung bewußt sind. Aber es gibt auch andere,(C) Grundidee der sozialen Marktwirtschaft und unseresdie starren vor allem auf den Aktienkurs. Es gibt wie- freiheitlichen Rechtsstaats. Sie hat ihren Siegeszug von derum andere, die vergessen gelegentlich die Interessen hier aus weit in die Welt angetreten. der wirklich Arbeitsuchenden. Auch das gehört zu dem, was wir hier gestalten müssen. Angesichts der schlimmen Auswüchse des Zentralis- mus wünschten die Menschen die Rückkehr zur Tradi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- tion des Bundesstaates . Er entspricht am besten der wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ historisch gewachsenen kulturellen Vielfalt unseres DIE GRÜNEN) Landes. Er ist im übrigen – bei all dem, was unbequem Die Westintegration unseres Landes, für die wie im Alltag sein mag – eine wirksame Schranke gegen kein anderer Konrad Adenauer steht, führte das demo- Machtmonopole und Machtmißbrauch. Ich bin sicher kratische Deutschland in die europäisch-atlantische – das ist meine Erfahrung, die ich in einem langen poli- Wertegemeinschaft. Sie bedeutete eine radikale Abkehr tischen Leben gemacht habe –, daß das Ja zur föderalen von der damaligen „Schaukelpolitik“ zwischen Ost und Ordnung ein Glücksfall für die Entwicklung unseres West und von außenpolitischen Vorstellungen, wie sie Landes war und ist. sich in Deutschland immer wieder entwickelt hatten, (Beifall im ganzen Hause) von Vorstellungen, die allesamt gescheitert sind. Dies alles waren Maßstäbe, die den Weg unserer Bei fast allen im Bundestag vertretenen Parteien gilt Bundesrepublik bis heute prägten und auch in Zukunft das Bündnis westlicher Demokratien mittlerweile als prägen müssen. Auf diesem Fundament entstand eine„Kernpunkt deutscher Staatsräson“, wie ich es in meiner lebendige und stabile Demokratie, die in den KöpfenRegierungserklärung 1982 formulieren durfte. Damals, und Herzen ihrer Bürger fest verankert ist und die sich auf dem Höhepunkt der Debatte über die Stationierung ihrer Feinde zu erwehren weiß. Stellvertretend für viele, amerikanischer Mittelstreckenraketen, wurde dieser die den Grundstein zu diesem großen Werk gelegt ha-Hinweis auf die Staatsräson heftig attackiert. Sie verste- ben, sollten wir gerade in dieser Stunde an Konrad Ade- hen, daß ich mich in diesen Tagen daran erinnere. Ich nauer, Kurt Schumacher und denken. Sie freue mich, daß inzwischen so viele, die einmal anders haben die Brücke vom kaiserlichen Deutschland in die dachten, heute genauso denken. Das tut mir wohl. Nachkriegszeit geschlagen. Ihre Spuren in der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schichte haben unser Land tief geprägt. Es entspricht auch einer guten Bonner Tradition – die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- wir mitnehmen wollen –, daß die demokratischen Par- NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) teien nach kürzeren oder längeren Perioden leiden- (B) (D) Unsere Verfassung ist aus gutem Grund nach derschaftlicher Diskussionen über Grundfragen der Repu- Wiedervereinigung nicht zur Disposition gestellt wor- blik immer wieder zu einem Konsens gefunden haben. den, sondern behutsam angepaßt worden. Das Grundge- Das galt ganz besonders in Augenblicken der Bewäh- setz hat sich auf überzeugende Weise als tragfähige Ba- rung. Gerade an dieser Stelle möchte ich mit Respekt sis unseres staatlichen Zusammenlebens bewährt. Was hervorheben. Vor gut 20 Jahren de- viele vergessen: Es zeichnet sich durch eine bemer-monstrierte er durch besonnenes und mutiges Verhalten, kenswerte Offenheit aus, die es ermöglicht, neuen Ent- daß sich unser Rechtsstaat durch Terroristen nicht ein- wicklungen Rechnung zu tragen. schüchtern und nicht erpressen läßt. Das war eine wich- tige Erfahrung, die wir auch in der Zukunft nicht verges- Untrennbar verknüpft mit der Entwicklung jener Zeit sen dürfen. ist der Name Ludwig Erhards, des Schöpfers dersozia- len Marktwirtschaft. Freiheit und Verantwortung, Lei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der stung und Solidarität, Erfolg und Mitmenschlichkeit sind F.D.P.) in der sozialen Marktwirtschaft eine ganz neuartige Ver- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vieles, bindung eingegangen. was zunächst heftig umstritten war, wurde dann zur ge- Im Blick auf die Diskussionen über Globalisierungmeinsamen Überzeugung. Das gilt für die soziale Markt- und gesellschaftlichen Wandel ist heute wieder einmal wirtschaft, für die NATO-Mitgliedschaft, für die Wie- auf der Suche nach der Zukunft von einem dritten Weg derbewaffnung in den 50er Jahren, für die Ostpolitik der in der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Rede. Dabei70er Jahre und die Deutschlandpolitik in den 80er Jah- liegt die Lösung so nahe: Sie besteht in einer schöpferi- ren. Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen, der schen Übertragung der Prinzipien Ludwig Erhards auf Programme und der Personen. Sie lebt aber nicht zuletzt die Erfordernisse unserer Zeit. Das ist im übrigen dievon der Fähigkeit der Bürger und Parteien, sich auf das Mitte, die manche vergeblich suchen werden. Gemeinsame, auf das Wohl des Landes zu verständigen. Konsensfähigkeit im Innern ist ja immer auch Voraus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) setzung für Verständigungsfähigkeit nach außen. Das hat sich auch und gerade an unserem Verhältnis zu unse- Dazu sollte immer auch eine kluge politische Füh- ren östlichen Nachbarn gezeigt. rung kommen, verantwortungsbewußte Unternehmer und verantwortungsbewußte Gewerkschafter. Wir wis- Nach ersten Ansätzen zu einer neuenOst- und sen: Es gibt beides. Es gibt Männer und Frauen in den Deutschlandpolitik unter Erhard und Kiesinger leitete Gewerkschaften und in den Betrieben, die sich ihrerWilly Brandt mit den Verträgen von Moskau und War- 4328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Helmut Kohl (A) schau ein neues und wichtiges Kapitel in unseren Bezie- In diesen Tagen der schlimmen Auseinandersetzungen (C) hungen zur Sowjetunion und zu Polen ein. Der Grund- im Kosovo kann man diese Haltung nur mit Bewunde- lagenvertrag mit der DDR gab den innerdeutschen Be- rung betrachten. ziehungen einen neuen Rahmen. Dieser Schritt war (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- richtig und notwendig, wenn auch in jenen Tagen sehr wie bei Abgeordneten der SPD) umstritten. Die Vertriebenen – das forderte Kurt Schumacher (Beifall im ganzen Hause) 1949 vor der Bundestagswahl – müßten „Bestandteile Das Bild wäre aber nicht vollständig, wenn nicht hinzu- der deutschen Parteien und des politischen Lebens“ gefügt würde – ich tue das gerne –: Notwendig war auch werden. Daß dies so gut gelang, verdanken wir nicht die Forderung der damaligen Opposition – ich nennezuletzt hervorragenden Führungspersönlichkeiten in den hier und Franz Josef Strauß –, alles zuVertriebenenverbänden. Es waren oft kantige, nicht im- unterlassen, was eine endgültige Anerkennung der deut- mer einfache, fast immer unbequeme Persönlichkeiten. schen Teilung bedeutet hätte. Die Entscheidung desSie haben die Arbeit und das Erscheinungsbild des Bundesverfassungsgerichts war hier von großer Bedeu- Deutschen Bundestages – auch das muß in dieser Stunde tung. erwähnt werden – ganz wesentlich mitgeprägt. Ich nenne hier stellvertretend unsere früheren Bundestags- (Beifall bei der CDU/CSU) kollegen und . Bis auf den heutigen Tag erleben wir Vertreibung und (Beifall bei der CDU/CSU) Flüchtlingselend. In den Ereignissen auf dem Balkan Über 40 Jahre lang hat das Grundgesetz in seiner Prä- zeigt sich in aller Grausamkeit, in welche Abgründe Un- ambel „das gesamte Deutsche Volk … aufgefordert, in versöhnlichkeit zwischen Volksgruppen und Völkernfreier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit führen kann. So werden die Opfer von gestern zu Tätern Deutschlands zu vollenden“. Als bei der Volkskammer- von heute. Vor dem Hintergrund der jetzigen Erfahrun- wahl am 18. März 1990 die Wählerinnen und Wähler in gen gehört in unsere Erinnerung die Integration vonder damaligen DDR zum erstenmal frei über die Zu- 12 Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, sammensetzung ihres Parlaments bestimmen durften, eine der größten Leistungen der Deutschen in diesemgaben sie ein Votum mit einer beeindruckenden Klarheit Jahrhundert, die viel zuwenig gewürdigt wird. ab: Vier Fünftel stimmten für jene Parteien, die einen baldigen Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des (Beifall im ganzen Hause) Grundgesetzes befürworteten. Dieses Ergebnis wider- Ausgezehrt, oftmals verhungert und verzweifelt kamen legte all jene im In- und im Ausland, die bis dahin (B) sie in einem Trümmerhaufen, ihrer späteren neuen Hei- geglaubt hatten, sie könnten den Wiedervereinigungs-(D) mat, an. prozeß verlangsamen oder gar stoppen. Die deutsche Einheit wurde dann am 3. Oktober 1990 Stalin äußerte damals in Jalta die Hoffnung, die erreicht – in Frieden, ohne Gewalt und Blutvergießen Angst vor dem deutschen Revanchismus werde die Län- und mit Zustimmung all unserer Nachbarn. Dies ge- der Mittel- und Osteuropas auf lange Sicht zu einem fe- schah vor allem auch mit Unterstützung der damaligen sten Block mit der Sowjetunion zusammenzwingen. Vor Sowjetunion unter der Führung von Michail Gorba- allem setzte er darauf, daß die vielen Heimatvertriebe- tschow und der Vereinigten Staaten von Amerika unter nen und Flüchtlinge einen sozialen Sprengstoff bilden der Führung von George Bush, die beide hier genannt würden, der die damals gerade entstandene neue Bun- werden müssen. desrepublik politisch destabilisieren und auf Dauer dem Sog der in Europa übermächtigen Sowjetunion auslie- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der fern müßte. Diese zynische Rechnung ging nicht auf. F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- Daran hatten die Heimatvertriebenen einen entscheiden- NISSES 90/DIE GRÜNEN) den Anteil. An diesem Werk – ich sage dies mit Dankbarkeit – Schon im Jahre 1950 verabschiedeten sie ihre Stutt- hatten bei uns vor allem auch Hans-Dietrich Genscher, garter Charta. Mit diesem großartigen Dokument schu- , Wolfgang Schäuble und Lothar de Mai- fen sie eine wesentliche Voraussetzung für das friedliche zière ganz wesentlichen Anteil. Miteinander Deutschlands mit seinen östlichen Nach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- barn. Sie wiesen feierlich jeden Gedanken an Vergel- wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ tung für millionenfach erlittenes Unrecht von sich – ich DIE GRÜNEN) zitiere –: 40 Jahre war Deutschland in zwei Staaten geteilt – Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Geden- doch die Einheit und die Zusammengehörigkeit der ken an das unendliche Leid, welches im besonderen Nation blieb gewahrt. Immer wieder zeigte sich, daß die das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht Mehrheit der Menschen in Ost und West nicht bereit hat. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften war, die Trennung als endgültiges Urteil der Geschichte unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten hinzunehmen. Ich erinnere an den Volksaufstand vom Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne17. Juni 1953 gegen Willkür und Unterdrückung. Die Furcht und Zwang leben können. Deutschen, die damals gegen das SED-Regime aufbe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4329

Dr. Helmut Kohl (A) gehrten und von Panzern niedergewalzt wurden, forder- geschichte unserer Nation geschrieben. Darauf können(C) ten Freiheit und die Einheit des Vaterlandes. wir stolz sein. Ich nenne den Bau der Berliner Mauer am 13. August (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- 1961, der die politische Bankrotterklärung der SED NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) war. So stehen wir in einer großen Traditionslinie, zu der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- das Hambacher Fest von 1832 ebenso gehört wie die wie bei Abgeordneten der SPD und des Frankfurter Paulskirchen-Versammlung von 1848/49, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des die Nationalversammlung in Weimar 1919, der deutsche Abg. Dr. [PDS]) Widerstand gegen die Nazidiktatur und später der Neu- beginn mit dem Parlamentarischen Rat in Bonn 1948/49. Nur durch eine brutale Grenzbefestigung konnten die Machthaber in Ostberlin die Menschen an ihrem selbst- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir ha- verständlichen Recht hindern, von Deutschland nachben heute allen Grund, an diesem Tag der Stadt und der Deutschland zu reisen. Region Bonn für diesen Dienst an unserer Nation zu danken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen von uns sind (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem noch die bewegenden Bilder vor Augen, als Willy BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Brandt im März 1970 Erfurt besuchte. Er wurde dort sowie bei Abgeordneten der PDS) von der Bevölkerung mit überwältigender Herzlichkeit und mit großen Zeichen der Hoffnung empfangen. ImIn der deutschen Geschichte hat es viele politische Zen- September 1987, also 17 Jahre später, geriet der Aufent- tren gegeben. Bonn wird künftigen Generationen als halt von SED-Generalsekretär Honecker in der Bundes- Wiege der zweiten deutschen Demokratie, des freiheit- republik – entgegen den Absichten des Besuchers – zu lichsten, humansten und sozialsten Staatswesens, das es einer großen Demonstration des ungebrochenen Zu-auf deutschem Boden je gegeben hat, in Erinnerung sammenhalts aller Deutschen. bleiben. Die Bonnerinnen und Bonner können sicher sein, daß der Beitrag ihrer Stadt zur Fortentwicklung un- Ich konnte damals im Beisein von ,seres Landes auch in Zukunft gebraucht wird. Sie kön- erstmals vom Fernsehen in beiden Teilen Deutschlands nen sich darauf verlassen – das gehört für uns alle in direkt übertragen, vor Millionen Fernsehzuschauern das diese Stunde –, daß wir, die Abgeordneten des Deut- Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes noch ein- schen Bundestages, zu unseren Zusagen gegenüber der mal deutlich hervorheben und sagen: früheren Bundeshauptstadt stehen. Ich sehe mich auch Die Menschen in Deutschland leiden unter derpersönlich in der Pflicht, und ich hoffe, das gilt für Sie (B) Trennung. Sie leiden an einer Mauer, die ihnenalle, auch für die geschätzten Mitglieder des Bundesra-(D) buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt.tes, wenn ich das in diesem Zusammenhang sagen darf. Wenn wir abbauen, was Menschen trennt, tragen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- wir dem unüberhörbaren Verlangen der Deutschen NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Rechnung: Sie wollen zueinanderkommen können, weil sie zusammengehören. In Bonn schlug fünf Jahrzehnte das Herz demokra- tischer Politik für Deutschland. Gemeinsam mit Berlin Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Damit begann war Bonn Schauplatz zahlreicher Entscheidungen, die unser gemeinsamer Weg zur deutschen Einheit. den Weg unseres Landes maßgeblich bestimmt haben. Das sind wenige Daten, aber sie raffen eine großeDer Genius loci dieser Stadt hat einen gewichtigen An- Epoche unserer Geschichte zusammen. Sie erzählen die teil daran, daß unsere Bundesrepublik stabil und erfolg- Geschichte eines Triumphes der Freiheit. Sie würdigen reich werden konnte. Er bildete den idealen Nährboden aber ganz gewiß nicht hinreichend die innere Kraft und für eine politische Kultur, die in hohem Maße dazu bei- den Mut der Menschen, die diesen Triumph überhaupt getragen hat, unserem Land Vertrauen, Ansehen und erst möglich gemacht haben. Dazu gehören die Hun-nicht zuletzt Sympathie in der Welt zurückzugewinnen. derttausende, die bei den machtvollen Manifestationen Dazu gehören das gelassene Selbstbewußtsein dieser in , Ostberlin und anderswo im Gebiet der da-traditionsreichen Stadt, die geistig-kulturelle Offenheit maligen DDR der SED-Diktatur selbstbewußt erst „Wir der Universitätsstadt, die fröhliche Herzlichkeit der sind das Volk“ und dann „Wir sind ein Volk“ entgegen- Bonnerinnen und Bonner – dies sage ich bewußt – und gerufen haben. Sie haben sich nicht durch Gewaltandro- nicht zuletzt die charakteristische Atmosphäre von Bür- hung einschüchtern lassen, sondern friedlich demon-gersinn und Toleranz, einer kräftigen Dosis Selbstironie striert, bis die Mauer fiel. und der Abneigung gegen hohles Pathos. Das hat uns in den Bonner Jahren viel geholfen. Und – auch das gehört in diese Stunde – wir erinnern uns ebenso an jene Deutschen, die der kommunistischen (Beifall im ganzen Hause) Diktatur versteckten, aber auch offenen Widerstand ent- Als deutscher und europäischer Strom symbolisiert der gegengesetzt haben und dafür bitter bezahlen mußten: Rhein Offenheit für neue Horizonte in Europa und der mit Tod, mit Haft, mit Ausbürgerung, mit Ausgrenzung. Welt und nicht, wie manche meinen, Provinzialität und All diese Männer und Frauen haben zwischen 1945 und Enge. 1989 mit ihrem Eintreten für die Achtung der Men- schenrechte einige der besten Kapitel in der Freiheits- (V o r s i t z : Präsident Wolfgang Thierse) 4330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Helmut Kohl (A) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren – – Zweifeln an der demokratischen Reife unserer Nation(C) müssen wir, nachdem die Ordnung des Grundgesetzes (Heiterkeit) schon ein halbes Jahrhundert Bestand hat, durchaus – Herr Präsident, ich entschuldige mich ausdrücklich für selbstbewußt entgegentreten. Vergessen wir aber bitte diese Verwechslung. nicht, daß wir auch künftig das Vertrauen unserer Part- (Beifall im ganzen Hause) ner in besonderer Weise brauchen! Wir sind das Land mit den meisten Grenzen und Nachbarn. Wir sind zudem Herr Präsident, meine Damen und Herren, die deut- ein Land mit einer schwierigen Geschichte, um es schen Bundesländer verfügen heute über ein stark aus- freundlich auszudrücken. geprägtes föderales Selbstbewußtsein. Auch daran hat Bonn wesentlichen Anteil. Es ließ den Ländern und Im Bewußtsein dieser Tatsache sollten wir den klei- ihren Hauptstädten den notwendigen Freiraum zur Ent- nen Nachbarländern den gleichen Respekt erweisen wie faltung. Von hier ging zu keinem Zeitpunkt eine zentra- den großen. listische Wirkung aus, die den blühenden Föderalismus (Beifall im ganzen Hause) beeinträchtigt hätte. Das ist gut so. Das wollen wir so beibehalten. Ich füge hinzu: Dies soll in Zukunft nicht Das ist nicht nur eine Frage des guten Stils, sondern eine mehr, aber auch nicht weniger sein. Frage der Klugheit. Bonn symbolisierte die politische Hinwendung zum (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sehr gut!) Westen auf glaubwürdige Weise. In seinem bewußt be- scheidenen Auftreten war es die überzeugende Verkör- Widerstehen wir vor allem der Versuchung, unseren perung eines Deutschlands, das jedem nationalistischen gewachsenen Einfluß, von dem alle wissen, selbstgefäl- Wahn, jedem imperialen Gehabe und jedem Strebenlig zur Schau zu stellen! nach Vorherrschaft ein für allemal abgeschworen hatte. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Im wiedervereinten Deutschland und im zusammen- wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- wachsenden Europa müssen Parlament und Regierung NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) ihren Sitz dort haben, wo ihr geschichtlicher Standort Zweitens. Bewahren wir uns denGeist demokrati- war, wo einst die Trennlinie zwischen Ost und West,scher Gemeinsamkeit! Dies bedeutet ein klares Ja zur zwischen freiheitlicher Ordnung und kommunistischer leidenschaftlichen Debatte über den richtigen Weg für Diktatur verlief, wo die Wunde der Teilung mitten inunser Land – und ein ebenso klares Nein zum barbari- Deutschland und Europa schmerzte. Dies war, ist undschen Freund-Feind-Denken. bleibt meine Überzeugung. Deswegen habe ich mit vie- len Kolleginnen und Kollegen 1991 für denUmzug (Beifall im ganzen Hause) (B) (D) nach Berlin gestimmt. Demokratische Gemeinsamkeit verlangt die entschiede- Im 21. Jahrhundert wird das wiedervereintene Absage an jegliche Zusammenarbeit mit Radikalen Deutschland neuen Herausforderungen begegnen undvon rechts und links. neuen Anforderungen genügen müssen, so zum Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- im Blick auf seine Wettbewerbsfähigkeit oder seinen wie bei Abgeordneten der SPD und des Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jeder, der künftig von Berlin aus regiert, ist gut bera- ten, sich in die Kontinuität des in Bonn Geschaffenen Zugleich fordert sie uns auf, die Wähler solcher Grup- zu stellen. Es ist ein wahrlich kostbares Erbe, das Bonn pierungen, insbesondere wenn es sich um junge Leute an Berlin weitergibt, ein Erbe mit Zukunft. Es zu pfle- handelt, für die demokratischen Parteien zurückzuge- gen ist uns allen aufgegeben. Auch in der Welt vonwinnen. morgen sind die freiheitliche Demokratie und die soziale Extremisten haben nur Unglück über unser Land ge- Marktwirtschaft Grundlagen unseres Erfolgs für unsere bracht. Sie haben in der Bundesrepublik auch künftig gemeinsame Zukunft. keine Chance, wenn Demokraten sich standhaft weigern, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen heutegemeinsame Sache mit ihnen zu machen. nicht nur vor dem Umzug von Parlament und Regierung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der nach Berlin, sondern auch vor dem Beginn eines neues F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- Jahrhunderts. Für mich und für viele von uns ist dies NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Grund zur Dankbarkeit mit Blick zurück auf die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts. In den vergangenen 50 Jah- Drittens. Vergessen wir bei aller Notwendigkeit des ren ist unser Land aufgeblüht und hat sich fest in dieSparens nicht, daß Deutschland nur dann eine Zukunft Gemeinschaft der freiheitlichen Demokratien eingefügt. hat, wenn es sich immer auch alsKulturstaat begreift! Nach meiner festen Überzeugung haben dies einige poli- Wirtschaftliche und soziale Fragen – wir wissen es alle – tische Handlungsmaximen bewirkt, die ich von mir aus sind von überragender Bedeutung; das versteht sich von als Wünsche an uns, an die Politik der künftig von Ber- selbst. Wir dürfen aber auf keinen Fall die geistig- lin aus regierten Bundesrepublik weitergeben möchte: kulturelle Dimension der Zukunftssicherung vergessen. Erstens. Bewahren wir uns denGeist der Beschei- Deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, daß der denheit und der Hilfsbereitschaft. Kulturstaat Deutschland weiter ausgebaut wird. Die (Beifall im ganzen Hause) Kultur ist ein Feld des Wettbewerbs der Nationen, wo Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4331

Dr. Helmut Kohl (A) sich jeder Einsatz lohnt. Es gehört zum Kulturstaat, daß auch künftig keinen wesentlichen Fortschritt im europäi- (C) der Staat eine offene Debatte über die großen Fragen un- schen Einigungsprozeß geben. serer nationalen Identität ermöglicht, ohne die Bürger (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der auf ein bestimmtes Geschichtsbild festlegen zu wollen. F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Beide Nachbarländer sind „dazu geschaffen, einander zu wie bei Abgeordneten der SPD und des ergänzen“ – so hat es Charles de Gaulle angesichts der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gräber von Verdun ausgedrückt. Setzen wir diese Das heißt für mich, daß Bund, Länder und Gemein- Freundschaft nicht aufs Spiel! Meinungsverschieden- den die Pflege unseres reichen kulturellen Erbes nichtheiten in Einzelfragen sind wirklich das Normale, im einfach an den Markt delegieren dürfen. Private Stiftun- privaten Leben wie im Leben der Völker. Aber sie dür- gen und privates Mäzenatentum sind im höchsten Maße fen nie ein Grund sein, die Fundamente unseres Mitein- wünschenswert und förderungswürdig, und sie stehenanders in Frage zu stellen. einer Gemeinschaft freier Bürger gut an. Auch das kann man nicht oft genug sagen: Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und deutsch-französische Freundschaft schließt überhaupt der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer niemanden aus; sie ist gegen niemanden gerichtet. Las- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sen wir uns auch von niemandem einreden – wie das immer wieder versucht wird und auch in Zukunft ver- Die Verantwortung des Staates werden sie jedoch niesucht werden wird –, daß wir Deutsche zwischen Paris ganz ersetzen können. Das dürfen wir nicht vergessen. und Washington oder zwischen Paris und London zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- wählen hätten. Dies ist eine Politik des Gestern und wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- niemals unsere Politik heute und morgen. NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- Viertens. Bewahren wir uns das einzigartigeVer- NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) hältnis von Staat und Kirche, wie es sich in den letzten Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie Jahrzehnten in der Bundesrepublik entwickelt hat! Auch mich an diesem für unser Land so wichtigen Tag zum ein zunehmend säkularisiertes Land kann auf das öf-Schluß auch ein persönliches Wort gerade an die Jungen fentliche Wort und das mitmenschliche Engagement der richten. Sie, die Jungen unter uns, gehen in einneues Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht verzichten. Jahrhundert. Es wird ihr Jahrhundert sein. Es zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- stalten ist ihrer Generation aufgegeben. Wir, die Älteren, haben versucht, mit unseren Möglichkeiten Mittel dafür (B) wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- (D) NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) zu erarbeiten, daß dieses neue Jahrhundert ein Jahrhun- dert des Friedens und der Freiheit wird, ein Jahrhundert Zu Recht ist immer wieder gesagt worden, daß derder Zusammenarbeit und der Freundschaft zwischen den freiheitliche Verfassungsstaat von Voraussetzungen lebt, Völkern. Helfen Sie, die Jungen, mit, daß es so bleibt! die er selbst nicht garantieren kann. Dieser Grundkon- Denn was immer Sie aufbauen: Es wird nur Bestand sens ist nicht gegen die Vielfalt moderner Gesellschaften haben auf der Grundlage vonFrieden und Freiheit. gerichtet. Es ist genau umgekehrt: Er macht Pluralismus Beides muß immer wieder neu erarbeitet und neu gesi- erst möglich und lebensfähig. chert werden. Ich wünsche mir deshalb, daß sich die Kirchen trotz Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns mancher Schwierigkeiten die Kraft erhalten, Orientie- allen, daß wir uns in Berlin beim Übergang in ein neues rung zu geben und Werte zu vermitteln. Und ich wün- Jahrhundert den Geist eines freiheitlichen Patriotismus sche mir, daß sich Christen und Juden in Deutschlandbewahren, der Vaterlandsliebe, europäische Gesinnung auch in den kommenden Jahren verstärkt dem Dialogund Weltbürgertum miteinander verbindet. Tun wir ganz mit unseren Mitbürgern muslimischen Glaubens wid-einfach unsere Pflicht! Stehen wir zu unseren Überzeu- men. gungen, und behalten wir Augenmaß, auch in schwieri- gen, turbulenten und unruhigen Zeiten. Seien wir gute (Beifall im ganzen Hause) Nachbarn und verläßliche Partner. Bleiben wir deutsche Fünftens. Bewahren wir uns die einzigartige Freund- Europäer und europäische Deutsche. Dann haben wir schaft mit unseren französischen Nachbarn. eine gute Aussicht auf eine Zukunft in Frieden und Frei- heit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der sowie bei Abgeordneten der PDS) CDU/CSU und der F.D.P. – Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Sie ist in Wahrheit eines der kostbaren „Geschenke“ der der PDS – Abgeordnete der CDU/CSU und Geschichte der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. der F.D.P. sowie Abg. [Leip- (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) zig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] erheben sich von ihren Plätzen – Bundeskanzler Ger- Deutschland und Frankreich bilden eine Schicksalsge- hard Schröder gratuliert seinem Amtsvorgän- meinschaft. Ohne ihr enges Zusammenwirken wird es ger) 4332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jede Verfassung gibt Auskunft darüber, welche Ge- (C) Kollegin Antje Vollmer. fahren sie auf die Gesellschaft zukommen sieht. Um einen Vergleich zu wählen: Die Zehn Gebote sahen fol- gende Bedrohung des menschlichen Gemeinwesens vor- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): aus: daß man falschen Göttern dient, daß die Bürger Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrteruntereinander in Streit geraten durch Lügen, Stehlen, Herr Bundeskanzler Helmut Kohl, ich möchte mich bei Eifersucht, daß die Alten nicht geachtet werden und daß Ihnen für Ihre Rede bedanken, die ja so etwas wie einEigentum nicht geschützt wird. Mordverbot und die Manifest war. Ich möchte Ihnen sagen, daß Sie für uns Heiligstellung des Gastrechtes sollten die Blutrache un- – in allem, aber insbesondere in der liberalen, föderalen, terbinden. Das war damals die ganze Gefahrenanalyse. europäischen Ausrichtung – immer so etwas waren wie Sie hielt jahrtausendelang menschliche Gemeinwesen im eine Verkörperung der Bonner Republik. Deswegeninneren Gleichgewicht. haben wir Sie ja auch so genau studiert und Ihnen so Die Gefahrenanalyse des Grundgesetzes kennt dies genau zugeschaut. Das gilt auch für die, die jetzt an der alles ebenfalls. Aber nach ihr ist die Hauptgefahr der Regierung sind. totalitäre Staat, der den einzelnen nicht schützt und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nicht seine Würde verteidigt. Der Vorrang derFreiheit SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei und der Menschenwürde war die Hauptlehre aus der der CDU/CSU) Zeit der vergangenen Gewaltherrschaft. An dieser Grun- didee ist in der Folgezeit der Bonner Republik festge- 50 Jahre Demokratie in Deutschland, das ist einehalten worden. Aber es wurde auch viel nachgebessert. atemberaubende Erfolgs- und Glücksgeschichte, ja,Die meisten Korrekturen erfolgten im Sinne derGleich- manchmal geradezu ein Exportschlager, der in vielenheit. Daß Männer und Frauen gleich sind, dafür hatten neuen Demokratien als Modell angefordert wird. Wiesich schon die berühmten „vier Mütter des Grundgeset- macht man das, aus einem völlig zerstörten Land, das in zes“ mit aller List und Energie sehr tapfer geschlagen. der ganzen Welt verachtet wurde, wieder ein blühendes Aber der Aspekt, daß nicht nur die Freiheit gegenüber Gemeinwesen zu schaffen? Und wie baut man so dicht dem Staat zu verteidigen sei, sondern daß dieser Staat an der Erfahrung äußerster Gewalt in Deutschland eine selbst immer stärker Gleichheit unter den Menschen der glücklichsten und längsten Epochen eines stabilen herzustellen hat, der beschäftigte ganze Generationen Friedens auf? von Sozialpolitikern und ist heute übrigens eine der Beginnen wir mit dem Grundgesetz, dem glücklich- Wurzeln immer komplizierterer Gesetzgebungsverfah- sten Geschenk an der Wiege dieser Republik. Welches ren. Das hat den Staat gelegentlich auch überfordert und Bild vom Bürger hatten die Väter und Mütter die des soziale Kompetenz der Zivilgesellschaft meines Er- (B) (D) Grundgesetzes, als sie die riesige Chance bekamen, ein achtens unterschätzt. ganzes Land und seine innere Ordnung noch einmal neu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf einem weißen Blatt Papier zu entwerfen? Die Essenz sowie bei Abgeordneten der SPD) des Grundgesetzes war ja nicht etwa eine Kopie des real existierenden Bewußtseins der Menschen jener Jahre; Die zweite Gefahrenanalyse des Grundgesetzes be- das Grundgesetz wurde gerade nicht dem halb- und vor- zieht sich auf den Krieg. Das Grundgesetz ist gegen den demokratischen Bürger, dem traumatisierten Kriegs-Krieg, gegen den großen Zerstörer, mit jenem empha- heimkehrer, dem ehemaligen Untertan der Diktatur auf tischen „Nie wieder“ des politischen Widerstands und den Leib geschrieben. Nein, es wurde ein geradezuder Überlebenden formuliert. großartiges Licht hinter diesen real existierenden Bürger Daß es aber auch Bedrohungen des Menschen durch jener Jahre gestellt. seine eigenen kreativen Fähigkeiten, durch die Erfin- Die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren frei dungen seines Geistes oder durch die Praxis seiner Wirt- genug, sich von dem Bild von freien Bürgern in einerschaftsform gibt, konnte damals noch nicht gesehen freien Gesellschaft verführen zu lassen. Das war ein ge- werden. Daß auch der Frieden, die Industriegesellschaft waltiges Vertrauen darein, was aus Menschen einmalund der Wohlstand ihre Gefahren haben, gehört zu den werden kann, wenn sie glückliche Umstände haben. Un- neuen Erkenntnissen, die wir gerade der Bonner Repu- gefähr eine solche Verfassung müßte man in Jugosla-blik verdanken. wien jetzt schreiben und den Menschen anbieten, die aus (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem Chaos und dem Trauma des Bürgerkriegs, der Ver- treibungen und der Bombennächte auftauchen. Das war die europäische Geburtsstunde desökologi- schen Gedankens. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Übrigens, auch die überzeugende Leit- und Lockidee des Marshallplans war gerade nicht das Geld, sondern Die dritte Gefahrenanalyse entsprang dem Entsetzen eben dieses Zutrauen, daß sich aus ehemaligen National- darüber, daß die Weimarer Republik nicht genügend sozialisten und ihren Mitläufern wieder DemokratenDemokraten zu ihrer Verteidigung gefunden hatte. Dar- entwickeln können. Dieses Vertrauen, daß Menschenum ist das Grundgesetz sehr vorsichtig und geradezu wieder zu Demokraten werden können, ist unglaublich skeptisch gegenüber Massenstimmungen und allen Ele- mobilisierend. menten direkter Demokratie. Diese Ängstlichkeit hat Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4333

Dr. Antje Vollmer (A) sich bis heute gehalten. Hierüber sollen und müssen wir 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene mit dem Be-(C) – nicht zuletzt nach dem Votum des letzten Bundesprä- sten, was man Menschen anbieten kann, die Trauma- sidenten – auf dem Weg nach Berlin nachdenken. tisches erlebt haben, nämlich mit Freiheit und Zukunfts- chancen. Das hat allen genützt, und alle haben davon (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- profitiert. Die Vertriebenen haben daraus eine glück- SES 90/DIE GRÜNEN) liche Zukunft gemacht, und dieses Land hat davon sehr Eine bürgerliche Demokratie muß auch Zutrauen zur gewonnen. Substanz der bürgerlichen Kultur haben und darauf ver- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- trauen, daß sie hält. Spätestens seit den Errungenschaf- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie ten der Bürgerrechtler aus der DDR steht die Forderung, des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]) die Bürger in Sachfragen mit Plebisziten entscheiden zu lassen, auf der Tagesordnung. Sie integrierte – auch das war sehr schwer – zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zweiten ein ganzes Heer von schuldbeladenen und sowie bei Abgeordneten der SPD und der schuldverhafteten Trägern und Mittätern des totalitären NS-Regimes. PDS) Genau genommen haben wir in diesem Land zwei Experimente mit der Integration von belaste- Allerdings – das wissen wir wohl – kann man diese ten Mitbürgern gemacht und machen sie noch: zum Forderung unter den Bedingungen der Mediendemokra- einen, indem 20 Jahre lang fast gar nicht nach ihren Ta- tie, die auch etwas Neues ist, nicht naiv und romantisch ten gefragt wurde, zum anderen, indem wir nach der aufstellen. Sie setzt voraus, daß bei Wählern wie Ge-Wende sehr genau über die begangenen Verbrechen und wählten der Demokrat im Bürger den Populisten imdie Mechanismen der Diktatur informiert haben. Was Bürger dauerhaft besiegen kann. wirklich stabilere Demokraten schafft, können wir heute noch nicht deutlich entscheiden; ich melde da auch 50 Jahre Demokratie in Bonn hieß im Inneren Frei- Zweifel an. Das bleibt eine Frage, die vor allem in den sein von Angst und im Äußeren wachsendes Vertrauen neuen Ländern zu beantworten ist. in das Land. So sehr wir uns auch im Outfit geändert haben – einmal ehrlich, welche parlamentarische Demo- Die dritte Integrationsleistung ist die Wiedereinglie- kratie kann es sich denn leisten, in einer Politikergene- derung der starken außerparlamentarischen Opposi- ration vier Parlamentsgebäude zu besitzen und zu nut- tion in den 60er Jahren und später in den Bogen der zen? –, hing doch das Vertrauen mit den handeln-parlamentarischen Demokratie. Entstanden aus einem den Personen zusammen. DaßKonrad Adenauer die dramatischen Generationenriß und einer Aufkündigung Kriegsgefangenen nach Hause brachte, die Versöhnung des gesellschaftlichen Konsenses war die 68er Bewe- mit den Franzosen zu seiner Lebensaufgabe machte, (B) gung am Ende bis hin zu den Grünen so etwas wie eine (D) Deutschland in die Westintegration führte und trotzdem „Resozialisierung“ einer ganzen Generation für den noch Zeit für seine Rosen fand, schaffte demokratisches parlamentarischen Weg. Dafür stehen wir. Auch das ist Urvertrauen. eine Aufgabe, die uns bei der „verlorenen Generation“ in den neuen Ländern, die es auch gibt, noch bevorsteht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- und die in Berlin zu leisten sein wird. SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der F.D.P. sowie bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Willy Brandt, kniend vor dem Warschauer Getto, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der das gehört zu den großen wichtigen Bildern dieses Jahr- CDU/CSU) hunderts Die vierte Integration ist die von Millionen ausländi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.Ich bin sehr und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der froh, daß wir nun endlich – Gott sei Dank noch in CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) Bonn – die als Gleiche akzeptieren, die längst Bürger dieses Landes waren. ebenso wie das von Richard von Weizsäcker mit seiner großen Rede zum 8. Mai, wie das vonHans-Dietrich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft und und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Helmut Kohl tapfer die Nationalhymne gegen das Pfei- F.D.P.) fen vor dem Schöneberger Rathaus ansingend am Tag, Die fünfte Integration ist die derneuen Länder in als die Mauer fiel. Die Tonlage war nicht ganz richtig, unser Gemeinwesen. Wir wissen alle, daß es eine enor- aber die Haltung stimmte. me, ungeheuer effiziente Leistung der Verwaltungen ge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- geben hat, die weitgehend gelungen ist. Die politische, SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU/ mentale, seelische Integration müssen wir in Berlin end- CSU und der F.D.P.) gültig schaffen. Dazu gehören auch und Heinrich Böll in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mutlangen. Die Erinnerung daran wird bleiben. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Die Geschichte der Bonner Republik ist vor allen Dingen die Geschichte einer ganz großenIntegrations- Willy Brandt, der über sein Leben den Satz „Man hat leistung. Sie integrierte – das ist schon gesagt worden – sich bemüht“ setzen ließ, hat in einer Rede fast verwun- 4334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Antje Vollmer (A) dert gesagt: Uns ist doch Erstaunliches gelungen, wirkönnen. Die Demokratie in Deutschland ist kein weißes (C) können auch gelegentlich auf manches stolz sein. – Stolz Blatt Papier mehr. bin ich auf die langsam und unaufhaltsam wachsende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Beteiligung der Frauen auch an den führenden Positio- der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) nen in Staat und Gesellschaft, obwohl da unsere Phanta- sie noch nicht am Ende ist. Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollege Wolfgang Gerhardt. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident! Stolz bin ich darauf, daß wir am Ende einer langen und Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol- sehr scharfen ideologischen und gesellschaftlichenlegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen in den letzten Tagen Spaltung in Links und Rechts, während der nichts mehr ergangen ist. Ich jedenfalls habe mich mehrmals dabei ging über diese Spaltung hinaus, heute von einer dialog- ertappt, daß ich länger und nachdrücklicher aus meinem fähigen Reformmehrheit in der Mitte der Gesell-Büro auf den vorbeifließenden Rhein gesehen habe, schaft reden können, die auch in der Lage ist, schwieri- Eindrücke von vorbeifahrenden Schiffen, abends mit ge Reformen zu tragen. Stolz bin ich auch auf den Fuß- Positionslichtern, verfestigen wollte und mich gefragt ball der 80er Jahre, die Musik, Boris und Steffi und die habe, ob man in Berlin aus der ganz natürlichen Ar- charakterliche Spannung zwischen ihnen sowie die neue beitshaltung heraus wieder ein solches atmosphärisches Heiterkeit des gesellschaftlichen Lebens. Stolz bin ich Bild gewinnen kann. Ich bin auch ganz anders um den auf unsere europäische Identität. Stolz bin ich darauf,Bundestag herumgegangen und habe ganz anders Be- daß nichteheliche Kinder nicht mehr wissen, was dieser gegnungen mit Besuchergruppen vor dem Plenarsaal ge- Begriff eigentlich sagen soll. Stolz bin ich darauf – das sucht. Ich bin sehr bewußt an einige Orte inBonn ge- sage ich auch zu unseren und allen anderen „jungengangen, die gewohnterweise Orte der Begegnungen un- Wilden“, besonders denen in den Feuilletons –, daß ich ter uns gewesen sind – manchmal zuviel unter uns und weiß, daß '68 zwar wichtig, aber doch nur eine Episode weniger mit anderen –, ich war in der Innenstadt, ob- war. Die zweite Gründung dieser Republik war ebenwohl ich dort schon mehrmals war, nicht 1968, sondern 1989. Das hat die Geschichte und auch die Proportionen richtiggerückt. (Heiterkeit) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei und habe versucht, noch einmal Dinge aufzunehmen und der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) mir darüber klarzuwerden, was die Stadt für mich ganz (B) persönlich eigentlich war. (D) Froh bin ich darüber, daß es uns nach Jahren des Ter- Von ihrer Größenordnung her kann man übertragen, rors und des Deutschen Herbstes, in denen Politik nur was sie für uns war: Sie war ein Stück schattenspenden- unter unglaublicher Sicherheitsbewachung und damit verengt stattfinden konnte, doch gelungen ist, daß unsere de Institution in der Nachkriegsgeschichte, und sie war die Verkörperung eines Maßes. Mit „Maß“ meine ich Politiker wieder frei in Fußgängerzonen flanieren kön- nicht nur ein persönliches Maß, sondern auch ein zu- nen. Froh bin ich über den Gewaltverzicht der Terrori- sten sowie darüber, daß es Begnadigungen gegeben hat. tiefst menschliches und ein politisches Maß. Ich habe mich in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß Froh bin ich darüber, daß selbst in Zeiten des Krieges Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat gesagt hat, diese Gesellschaft den Krieg nicht will, daß sie ihn nicht vorbereitet und daß sie seine moralische und religiösedaß dieses für die deutsche Politik nun sehr wichtig sei. Er hat das in einigen Punkten zum Ausdruck gebracht: Überhöhung in Politikerreden nicht erträgt. Keine Überdehnung der Freiheit im Namen der Freiheit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beendigung der Politik der nationalen Selbstvergewisse- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der rung, dem deutschen Volk den billigen Nationalismus CDU/CSU und der F.D.P.) abgewöhnen. Wir haben auch viel Skurriles erlebt, auf das ich jetzt Außerdem hat er einige Sätze geprägt, die für mich nicht im einzelnen eingehen kann. Ich denke zum Bei- ganz entscheidend sind und die beim Umzug nicht ver- spiel daran, daß ein ganzes Parlament wegen einerlorengehen dürfen. Beim Umzug geht manchmal etwas Buschhaus-Affäre aus den Ferien gerufen wurde, daßverloren, wie Sie aus Ihrem privatem Leben wissen. Bei aus einem Parlament wie diesem eine junge Abgeord- diesem Umzug darf die Substanz nicht verlorengehen. nete wegen eines Hosenanzuges und ein späterer Mi-Theodor Heuss hat formuliert: Bonn steht für das Ver- nister wegen eines unziemlichen Ausdrucks getadelttrautwerden der politischen Eliten über die alten Res- wurden. Das alles erspare ich mir jetzt. sentiments hinweg mit den wirklichen parlamentari- schen Systemen des Westens. Wir sind in Bonn hoffentlich endlich zu den Citoyens (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- geworden, um die wir die Franzosen, die Engländer und wie bei Abgeordneten der SPD) die Amerikaner immer beneidet haben. Die Politik die- ses Landes hat alle Voraussetzungen, in Berlin mit dem Wenn ich von „politischer Elite“ und von „Ressen- richtigen Maß und mit der gebührenden Verantwortung, timents“ spreche, klingt das heute, im nachhinein be- aber auch mit gelegentlicher Ironie neu anfangen zutrachtet, so geschichtlich. Aber er hat das im Parla- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4335

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) mentarischen Rat, der hier getagt hat, so formuliert,cher Privatheit, zwischen wirklichen Individualrechten(C) weil er das Scheitern der Weimarer Republik erlebtund Staat. Die Teilung zwischen Staat und Privat muß hatte und die Ursachen und Gründe genau kannte. Ich immer neu bestimmt werden. Sie stimmt auch so noch wiederhole es: das Vertrautwerden der politischennicht. Eliten mit den wirklichen parlamentarischen Systemen des Westens. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Nach 1945 war eine erhebliche Integrationsleistung zu vollbringen, es war viel Kraft erforderlich, um sich Es gibt eine überwiegende deutsche politische Kul- über die eigenen Biographien der vergangenen zwölftur, die auf Staat setzt, die mit staatlichen Lösungen Jahre klarzuwerden. Erlauben Sie mir deshalb noch die kommt und in staatlichen Kategorien denkt. Dieses Bemerkung – ich bin dankbar, daß Bundestagspräsident Land muß immer noch sein inneres Gleichgewicht fin- Thierse heute morgen bereits darauf hingewiesen hat –: den zwischen Freiheit und Verantwortung, zwischen Uns in der alten Bundesrepublik Deutschland hat dabei Staat und Privat. die positive wirtschaftliche Entwicklung, die mit dem (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Namen Ludwig Erhards konzeptionell verbunden ist, ten der CDU/CSU) erheblich geholfen. Die Festigung der Demokratie ist ohne Festigung der Lebensperspektiven für Menschen Mit dem Namen Bonn verbunden sind auch Ge- schwierig. Das, was wir heute alsWirtschaftswunder schichten – ohne jetzt Namen zu nennen –, die dann zu bezeichnen, hat einen außerordentlich hohen Anteil auch großen Skandalen aufliefen. Da hat sich gezeigt, daß der an der Festigung der Demokratie gehabt. Deshalb muß Name Bonn, jedenfalls dieser Abschnitt der Geschichte, es eindeutig in unserem Interesse liegen, dieses Festi-auch dafür steht, daß sich in Deutschland einekritische gungswerk mit wirtschaftlichem Erfolg und Lebenszu- Öffentlichkeit herausgebildet hat, und zwar nicht nur in versicht für die Menschen auch in den neuen Ländern zu bezug auf das, was wir hier kontrovers debattieren; erhalten. Das ist keine Frage des Transfers. Das ist eine vielmehr hat sich auch außerhalb dieses Raumes die Fä- Haltung, die wir einbringen müssen. higkeit herausgebildet zu einer kritischen Beobachtung von Politik, zu einer kritischen Begleitung, im entschei- (Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/ denden Bereich sogar zu einer Medienlandschaft in CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland, die fähig ist, ein Wächteramt mit anderen Deshalb gibt es so einen Ersatz für die alte Deutsch- zu übernehmen. landpolitik, mit der wir uns immer auch kontrovers in Das gehört zu Geschichten in diesem Jahrhundert, die der alten Bundesrepublik Deutschland auseinanderge- mit dem Namen Bonn verbunden sind und die in einer setzt haben. Ich glaube, daß wir dazu kommen sollten, Demokratie eben auch wichtig sind. (B) über Parteigrenzen hinweg dieses Thema der Festigung (D) und des ökonomischen Erfolges in den neuen Ländern Bei dem bevorstehenden Umzug müssen wir darauf wirklich zu einer Frage der inneren Haltung zu machen. achten, daß diese Grundachse nicht verschoben wird, die Für mich ist das der moderne Kern der alten Deutsch-dieses Land so erfolgreich gemacht hat. Das ist der Kern landpolitik meiner Partei. Früher war sie durch einedes Auftrags. Grenze gehindert. Heute müssen wir anderes überwin- den. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU und der SPD) Bonn ist eigentlich ein bescheidener Name, wenn man auf die Geburtsstunden freiheitlicher Ordnungen Deshalb hat der ehemalige Bundeskanzler Kohl völ- blickt. Es gibt gewaltige Geburtsstunden freiheitlicher lig recht. Ich stimme ihm voll zu. Es darf und kann für Ordnungen, in denen sich diese berühmten Charms of uns keine Bonner Republik geben, und es kann auch Liberty großartig entfalten. Nehmen Sie die amerikani- keine Berliner Republik geben. Es gibt eine Republik, sche Unabhängigkeitserklärung. Nehmen Sie die Ent-die der gelungene zweite Versuch der Deutschen in wicklungen, von denen Sie in Geschichtsbüchern lesen diesem Jahrhundert ist, Demokratie dauerhaft zu ver- können, am Vorabend der Französischen Revolution. Ja, ankern. Das muß in Berlin fortgesetzt werden. Ich die Paulskirchenverfassungsdebatte hat für uns durch- glaube sogar, daß dieStadt Berlin, die wir in ihrer aus ein Stück vergleichbarer Atmosphäre. dynamischen Entwicklung so sehen und zu der wir uns mit Spannung hinbegeben, diese Chance selbst sehen Ich weiß nicht, ob man die parlamentarischen Bera- muß. tungen bis zum Grundgesetz so einordnen kann. Aber in ihrer Nachhaltigkeit, in ihrer Wirkung und in ihrer Fe- Vorhin ist den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt stigung in einem Land, das in diesem Jahrhundert in sei- Bonn zu Recht gedankt worden. Es ist auf ihr Naturell ner Geschichte nach allem anderen gesucht hat und mit hingewiesen worden, das für mich – ich komme aus vielen politischen Kräften gesegnet war, die wirklichOberhessen – zu einer großen Bereicherung des Lebens nicht das gesucht haben, was das Grundgesetz geworden be- ist. schreibt, ist das eine gewaltige Leistung. Ich sage aber auch für Berlin: Hauptstadt ist man Gerade dafür steht Bonn, eben auch in der Ausprä-nicht nur durch Beschluß des Bundestages oder weil das gung der Individualrechte. Dieses Land hat sich in den verfassungsmäßig so sein sollte. Hauptstadt muß man 50 Jahren Geschichte schwergetan. Es hat bis heute im- sein wollen, und Hauptstadt muß man auch gemeinsam mer noch nicht die Balance gefunden zwischen wirkli- dort leben. 4336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Ich freue mich auf Berlin. Wir haben die inneregehöre ich einer Generation an, die den größeren Teil(C) Spannung dieser Stadt schon bei den vielen Besuchen in des Lebens in einem anderen politischen System ver- den letzten Jahren erfahren. Wir trauen ihr eine ganz dy- bracht und dort natürlich auch Prägungen erfahren hat. namische Entwicklung zu. Wir wissen auch, daß unsere Aber auch diese Generation hat jetzt nur noch dieses europäischen Nachbarn Berlin viel zutrauen. Sie schät- eine Land. Daher möchte ich an einem Tage wie dem zen Berlin als eine der großen europäischen Metropolen heutigen wünschen, daß fortan weniger der Streit um – wenn nicht sogar als die große Metropole – der Zu-unsere getrennte Vergangenheit als vielmehr das Nach- kunft ein. Sie erwarten von uns allerdings auch, daßdenken über eine gemeinsame Zukunft im Mittelpunkt Berlin mit dem Umzug ein Stück Akzentsetzung und ein steht. Stück prägende Kraft gewinnt. Ich glaube, daß in Berlin die Chancen größer als jedes Risiko sind. Wir sollten (Beifall bei der PDS) unsere Nachbarn und die Erwartungen an uns nicht ent- Unterschiedliche Erfahrungen von Menschen in Ost und täuschen. Daß wir diese Chance haben, daß wir in Berlin West begreife ich als Reichtum, ja als eine Chance. In diese demokratische Substanz leben und praktizierendiesem Land haben wir etwas in Europa Einmaliges, mit können und daß wir dort – in dieser Stadt, in der man- dem wir Signale für das Zusammenwirken von Ost und ches auch schon gescheitert ist – dieses Stück demokra- West aussenden können. tische Stabilität haben, daran hat Bonn, diese Stadt am Rhein, ganz entscheidende Anteile. Aus diesem Grund Als Wissenschaftlerin bin ich im Herbst 1989 für gilt unser Dank dieser Stadt. mich selbst überraschend – mir hat das niemand an der Wiege gesungen – auf die politische Bühne gekommen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- und habe in der Modrow-Regierung Verantwortung ge- wie bei Abgeordneten der SPD) tragen. Aus dieser Zeit resultiert meine unmittelbare Be- Meine Damen und Herren, wir müssen sehen, daßkanntschaft mit der Bonner Republik und mit vielen Parlament, Verfassung, unabhängige Institutionen, die ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten. Wenn ich Debatten, die wir führen, das Bundesverfassungsgericht, mich richtig erinnere, waren die Gespräche damals un- die Bundesbank oder jetzt auch schon die Europäische verkrampft; sie waren offen und von gegenseitiger Zentralbank und der föderative Staatsaufbau – also all Achtung geprägt. Ich glaube, es ist eines Nachdenkens das, was wir als „balance of power“ brauchen, damitdarüber wert, weshalb das in den vergangenen Jahren Macht geteilt wird und sich keine Allmacht entwickelt –, leider nicht mehr so war. nicht alles sein kann. Das ist ein Gerüst. Zusätzlich (Beifall bei der PDS) brauchen wir aber Bürgerinnen und Bürger, die die Mitte, das Maß, Toleranz und Weitsicht sowie die Fä- Wie viele meiner langjährigen Wissenschaftlerkolle- (B) higkeit, andere anders sein zu lassen, als sie selbst sind, ginnen und -kollegen und – so glaube ich – wie (D) die haben. Institutionen und Verfassungen leben nicht, wenn Mehrheit meiner ostdeutschen Landsleute schätze ich die mentale Verfassung der Gesellschaft nicht fähig ist, die Vorzüge von Demokratie und von Rechtsstaatlich- sie zu leben. Deshalb ist eine geschriebene Verfassung keit. Daher hatte und habe ich keine Schwierigkeiten, nicht ausreichend. mich zum Grundgesetz zu bekennen Bonn ist mit der geschriebenen Verfassung verbun- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) den. Für ihre Dauerhaftigkeit brauchen wir aber die ste- tige Verankerung einer demokratischen mentalen Ver- und ausdrücklich zu seinem Friedensgebot sowie zu sei- fassung der Gesellschaft und der Politik der Bundesre- ner von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes vor- publik Deutschland. Das ist eine Aufgabe, die weiterge- gesehenen offenen Wirtschaftsverfassung. führt werden muß, die nie enden wird, die große Sub- Übrigens sind besonders im Hinblick auf die Demo- stanz hat und die vielleicht auch Berlin die Chance gibt, kratisierung der Gesellschaft nicht erst mit der deutschen nach vielen Rückschlägen in diesem Jahrhundert jetztEinheit, sondern schon zu Wendezeiten einige wichtige endlich eine deutsche Hauptstadt zu sein, von der fürsubstantielle Veränderungen auf den Weg gebracht wor- unsere Nachbarn Verläßlichkeit, für unsere Bürgerden. Ich nenne als Stichworte nur die Streichung der Sicherheit, für unser Land demokratische Stabilität und führenden Rolle der Einheitspartei aus der Verfassung, für alle Welt Weltoffenheit und freundschaftliche Be-die Abschaffung der Zensur, die Vorbereitung demokra- ziehungen ausgehen. Darauf darf sich Berlin mit unstischer Wahlen unter Beteiligung der Opposition und die freuen. Wir wollen das Beste dafür tun, daß das gelingt. Arbeit des Runden Tisches. Ich glaube, es ist ein Gebot Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. historischer Wahrheit, dieses Endjahr der DDR differen- zierter zu betrachten, als das bis heute häufig geschieht; (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der PDS) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn es waren Kräfte aus allen politischen Parteien und Organisationen daran beteiligt. Das sollte nicht verges- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun sen werden. Kollegin Christa Luft. Das Bekenntnis zum Grundgesetz schließt jedoch nicht aus, sondern schließt ein, einige Entwicklungen in Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Liebe Kol- diesem Lande nicht ohne Sorge zu verfolgen. Zum einen leginnen und Kollegen! Aus Ostdeutschland kommend – das nehmen vermutlich die ostdeutschen Mitbürgerin- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4337

Dr. Christa Luft (A) nen und Mitbürger besonders sensibel wahr – gibt esrante Menschen begegnet – Eigenschaften, die für die(C) eine nicht zu übersehende Kluft zwischen dem Verfas- Pflege der Demokratie unverzichtbar sind. Ich bin über- sungsanspruch und der Alltagsrealität in der Bundes-zeugt, daß auch die Berlinerinnen und Berliner solche republik Deutschland. Diese Kluft zu schließen ist Auf- Eigenschaften schätzen. gabe aller politischen Kräfte, damit Demokratie und Ich danke Ihnen. Rechtsstaatlichkeit nicht beschädigt werden. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE der SPD) GRÜNEN) Zum anderen haben Forderungen besonders aus der politischen Wendezeit nach Aufnahmeplebiszitärer Elemente in das Grundgesetz bislang kein Gehör gefun- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun den. Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches ist in der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, dieser und manch anderer Beziehung bisher leider Ma- Wolfgang Clement. kulatur geblieben. Es macht keinen Sinn, die Forderung nach Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundge- Wolfgang Clement, Ministerpräsident (Nordrhein- setz als eine extremistische Forderung zu bezeichnen.Westfalen): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Ich meine, daß uns der heute scheidende Bundespräsi- Damen und Herren! Für mich ist es relativ leicht, an die dent und die Präsidentin des Bundesverfassungsgerich- Adresse der Bonnerinnen und Bonner sowie aller anderen tes mit ihren häufigen Aussagen zur Wichtigkeit plebis- Menschen in dieser Region zu sagen: Wir bleiben hier. zitärer Elemente im Grundgesetz einen wichtigen Hin- weis darauf gegeben haben, was dieses Parlament noch (Heiterkeit bei der SPD) zu leisten hat. Ich bitte Sie, das nicht nur wörtlich – das ist für uns (Beifall bei der PDS) Nordrhein-Westfälinger selbstverständlich –, sondern auch politisch zu verstehen. Wir bleiben wirklich hier. Für mich leitet sich daraus ab: Auch die Demokratie ist Deshalb will ich der Stadt und den hier lebenden Men- nicht ein für allemal ein fertiges System; sie muß sichschen gleich zu Anfang ein Kompliment machen, näm- Lernfähigkeit bewahren. lich daß sie alles mit rheinischer Fröhlichkeit und Gelas- Es bedeutet keine Geringschätzung von Freiheit und senheit ertragen, auch all die Abschiede, die es in diesen Demokratie, wenn laut Umfragen die Neubundesbürger Tagen zu feiern gilt. unter allen gesellschaftlichen Werten Gleichheit und Was war der Reiz von Bonn? Der Reiz von Bonn war soziale Gerechtigkeit am meisten schätzen. Gleichheit (B) und ist für die Politik, daß von ihr für nichts und nie-(D) heißt für sie nicht Gleichmacherei. Worum es geht, ist manden eine Bedrohung ausgegangen ist. Diese Stadt Chancengleichheit, ist Abbau von Ungleichbehandlung, hat niemanden bedroht. Leistung soll anerkannt werden. Da bleibt noch viel zu tun. Auch das darf in einer Stunde wie der heutigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht vergessen werden. der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Das Jubiläum, das wir begehen, darf bei aller Feier- lichkeit nicht über die Gefährdungen der Demokra-Das ist das Bild, das von dieser Stadt ausgegangen ist. tie hinweggehen: Anhaltende MassenarbeitslosigkeitDeshalb war diese Stadt auch die beste Garantin der und Perspektivlosigkeit ganzer Gruppen junger Leuteföderalen Vielfalt, die wir in der Bundesrepublik schränken für viele die Möglichkeiten kraß ein, demo- Deutschland entwickelt haben. Diese Vielfalt war eine kratische Freiheitsrechte überhaupt wahrzunehmen.der wichtigsten Voraussetzungen auch für den ökonomi- Gefahrenpotentiale für die Demokratie liegen auch inschen Erfolg der Bundesrepublik Deutschland. der Konzentration wirtschaftlicher Macht, in der Mono- polisierung der Medien und im Lobbyismus. Bonn, das steht für 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, die von sozialer Marktwirtschaft geprägt (Beifall bei Abgeordneten der PDS) waren. Wir haben das in rheinischen Kapitalismus über- setzt. Das bedeutet alles in allem 50 Jahre politische, Es gibt Probleme genug, die in Berlin verstärkt ange- wirtschaftliche und soziale Stabilität. Ich möchte dies gangen gehören. auch zum Anlaß nehmen, um von Bonn aus, von Nord- Die Bonner Republik ist hier schon ausgiebig gewür- rhein-Westfalen aus sowohl diesem Parlament, den Vor- digt worden. Ich möchte zum Abschluß den Bonnerinnen gängerregierungen als auch all denen Dank zu sagen, die und Bonnern im Namen meiner ganzen Fraktion Respekt dazu beigetragen haben, daß wir eine aus deutscher entgegenbringen, insbesondere jenen, die uns hier bei der Sicht fast unglaubliche Phase politischer, wirtschaft- parlamentarischen Arbeit beigestanden haben. licher und sozialer Stabilität erleben durften. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE NEN und der F.D.P.) GRÜNEN und der F.D.P.) Uns sind die ehemaligen Bundeshauptstädter als aufge- Diese gesellschaftliche Stabilität ist von Bonn aus zu schlossene, als weltoffene, als optimistische und als tole- einem Markenzeichen der Bundesrepublik Deutschland 4338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Ministerpräsident Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) (A) geworden, ein Markenzeichen, das diese Republik deut- Wenn ich weitere Regierungsmitglieder brauche, dann (C) lich und überaus positiv von all ihren Vorgängerinnen finde ich sie immer. Ich habe sie auch in der Vergan- abhebt. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man sagt: Diegenheit immer gefunden. vergangenen 50 Jahre waren die bisher besten 50 Jahre (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutschlands, jedenfalls aus der Sicht des Westens der Bundesrepublik. Ich danke der alten und der neuen Bundesregierung. Ich tue das in dem Bewußtsein, daß es bei allem Bemü- Die vergangenen 50 Jahre waren auch – so hat eshen um Fairneß mit der alten Bundesregierung nicht der Historiker Fritz Stern kürzlich formuliert – eineimmer leicht war. Das sage ich beispielsweise im Blick Zeit der klar begrenzten Möglichkeiten, die man trotz auf Herrn Kollegen Waigel. vieler Versäumnisse gut ausgenützt hat. Soweit diese Begrenzungen außenpolitischer Art waren – sie gab es (Michael Glos [CDU/CSU]: Nehmen Sie das ja –, sind sie inzwischen weitgehend entfallen. Bonn, zurück!) das steht jetzt auch für die Rückkehr in die volle inter- nationale Verantwortung. Mit Blick auf das aktuelleWenn Herr Kollege Eichel hier wäre, dann würde ich Reformpaket der Bundesregierung sage ich erst recht: auch ihm sagen, daß es mit der neuen Bundesregierung Bonn steht auch überzeugend für eine – so hat es Fritz nicht einfacher geworden ist. Aber wir verlassen uns auf Stern ebenfalls formuliert – reformbereite deutschedie Zuverlässigkeit aller Beteiligten. Republik. Die Entwicklung seit 1991 gibt uns in dem einge- schlagenen Kurs recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Zuruf des Abg. Dr. Theodor Waigel GRÜNEN) [CDU/CSU]) Nirgendwo besser als in dieser Stadt und in der – das – Sie haben doch bisher nur Gutes erfahren. Ab und zu muß man auch in Bonn wagen zu sagen – Regioneinen kleinen Hinweis, daß auch Sie, Herr Kollege Wai- Köln/Bonn konnte man in den letzten acht Jahren beob- gel, recht kniepig waren, können Sie doch wirklich ver- achten, wie Vergangenheit und Zukunft miteinander in tragen. Sie haben doch bei der Vereinbarung mit der Einklang gebracht werden können, wenn der politische Stadt Bonn ebenfalls Ihre Probleme gehabt, genauso wie Wille vorhanden ist, die gestellten Aufgaben – auch die der heutige Bundesfinanzminister. Aufgaben von morgen – tatsächlich anzupacken. Dennoch gibt uns die Entwicklung seit 1991 in dem Der Beschluß des Deutschen Bundestages vor achteingeschlagenen Kurs recht. In dieser Region Bonn sind Jahren war für uns hier, für die Menschen in dieser Re- seit 1991 beinahe auf Heller und Pfennig 16 000 zusätz- (B) gion, ein Schock. Das ist angesichts der Leistungen, die liche Arbeitsplätze entstanden, weit überwiegend im(D) hier seither vollbracht worden sind, vielleicht nicht mehr privaten Sektor. Das alles ist ein handfester, ein ganz allen so vor Augen; aber damals, am 20. Juli 1991,konkreter Beweis dafür, daß der Strukturwandel hier auf herrschte durchaus so etwas wie Weltuntergangsstim-einem sehr guten Weg ist. Die Bundesstadt Bonn hatte mung in der Region Bonn. 1997 mit 143 000 sozialversicherungspflichtig Beschäf- tigten einen neuen Rekord. Kurz gesagt, Bonn hat sich Das ist heute vorbei; es ist überwunden. Die ganzzu einem Wachstumszentrum entwickelt, wie es weni- überwältigende Mehrheit der Menschen in Bonn, imge Wachstumszentren in der Bundesrepublik Deutsch- Rhein/Sieg-Kreis, in der Region Köln/Bonn hat überaus land gibt. positive Zukunftserwartungen. Die Menschen in dieser Region haben allen Grund dazu. Die Menschen in der In meinen Augen ist die Entwicklung in dieser Stadt Region haben vor Augen, daß der Strukturwandel, den und in dieser Region der beste Beweis für einen gelun- wir hier beginnen mußten, tatsächlich greift und daß die genen Strukturwandel. Allerdings hat der Struktur- Ausgleichsvereinbarung von 1994 nicht Papier geblie- wandel von Beginn an auf höchstem Niveau stattgefun- ben ist, sondern konsequent und verläßlich umgesetztden und nicht, wie im Ruhrgebiet oder erst recht in Ost- wurde und wird. deutschland, auf sehr viel niedrigerem, schwierigerem Tableau. Der Strukturwandel ist auf hohem Niveau ge- Dafür möchte ich gern allen danken, die daran betei- lungen. Es ist sogar gelungen, das ökonomische Niveau ligt waren und die daran weiter mitarbeiten. in der Stadt und in der Region noch zu steigern. (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) Ich sage für das Land Nordrhein-Westfalen und für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Die weit Herr Dr. Kohl, dafür danke ich ausdrücklich der alten über eine Milliarde DM, mit der das Land den Ausbau Bundesregierung. Dafür danke ich der neuen Bundesre- der Bundesstadt Bonn und der Region Köln/Bonn zu gierung. einem Verkehrszentrum, zu einem Zentrum der Wissen- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die ist aber nicht schaft und Forschung, zu einem Zentrum der internatio- da!) nalen Begegnung unterstützt ist aus unserer Sicht gut angelegtes Geld. – Da sitzt der Kollege Verheugen. Herr Kollege, verlas- sen Sie sich darauf: Er ist mir wert genug. Wenn ich heute eine positive Zwischenbilanz für den Ausgleich ziehe, dann sage ich in aller Deutlichkeit: Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ist nicht von allein gekommen, das ist ein Ergebnis har- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4339

Ministerpräsident Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) (A) ter Verhandlungen, die zu führen waren. Aber es istSachsen jeweils mit deren Nachbarn jenseits der Gren-(C) auch das Ergebnis des Willens zu unbürokratischer und zen nehmen. Es bildet sich hier bei uns über bisherige zielgerichteter Zusammenarbeit. Es gab in all den Jahren Grenzen hinaus eine nordwesteuropäische Region her- und es gibt bis auf den heutigen Tag eine Zusammenar- aus, in der 44 Millionen Menschen leben, die ein Brut- beit über die Grenzen der Parteien in dieser gesamtentoinlandsprodukt von fast 2 000 Milliarden DM erwirt- Region hinweg, eine Zusammenarbeit zwischen denschaften und damit 15 Prozent zur Wirtschaftsleistung Ländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union beisteuern. Eine Wirtschafts- den Städten und Gemeinden in dieser Region. Diese Zu- region hat sich hier herausgebildet, die sich viel rascher sammenarbeit ist überaus gut gelungen. Wir haben ein und viel intensiver verflochten hat, als vielen von uns überaus gutes Beispiel für andere gegeben. bewußt ist. Es gibt hier beispielsweise Vorläufer ge- meinsamer Tarifgebiete, die sich bald herausbilden kön- (Beifall bei der SPD) nen. Das ist das konkrete und das tatsächliche Europa. Für die Landesregierung von Nordrhein-WestfalenAuch in dieser Kooperation zwischen den Regionen will ich ebenso klar hinzufügen: Wir werden auf diesem über die bisherigen Grenzen hinaus liegen die Potentiale Weg, Frau Oberbürgermeisterin, weitergehen. Wir sehen für ein Deutschland, das die Strukturen der Industriege- uns in der Pflicht für Bonn und für die Region. Wir wer- sellschaft hinter sich läßt und in die Wissensgesellschaft den an der Höhe der Mittel, die wir bisher für die Regi- des 21. Jahrhunderts hineinwächst. on und für die Stadt zur Verfügung gestellt haben, erst Europas stärkster Trumpf sind seine gesellschaftliche, recht in der Phase des Umbruchs festhalten. Wir wollen, seine kulturelle und seine politische Vielfalt, seine daß die Stadt und die Region auch in Zukunft zu den er- Werte der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. sten Adressen in Deutschland und in Europa gehören.Wenn wir diese Trümpfe im nächsten Jahrhundert voll Ich gehe ganz klar davon aus, daß diese Bereitschaft bei ausspielen wollen, brauchen wir nicht mehr Zentralis- allen Beteiligten vorhanden ist und daß vor allen Dingen mus, sondern mehr Verantwortung vor Ort und starke Abmachungen und Gesetze, gerade auch Abmachungen, föderale Strukturen. Ich bin absolut sicher: Wir werden die in Gesetzen festgehalten wurden, wie beispielsweise sie bekommen. das Berlin/Bonn-Gesetz, eingehalten werden. Ich halte das für selbstverständlich: pacta sunt servanda – das gilt Meine Damen und Herren, deshalb wird die Politik natürlich auch hier. von Berlin aus ihren Einfluß sehr viel mehr mit dem, was in Brüssel gestaltet wird, teilen müssen. Über (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 50 Prozent der Entscheidungen, die die Bürgerinnen und der F.D.P. und der PDS) Bürger sowie die Unternehmen in unserem Lande be- Sie tun gut daran, meine Damen und Herren, jetzt in treffen, fallen heute in Brüssel. In manchen Sektoren (B) Berlin die Erfahrungen der ersten 50 Jahre nicht hinter – von der Agrarwirtschaft ganz zu schweigen – liegt die- (D) sich zu lassen, sondern konstruktiv weiterzuentwickeln. ser Anteil in der Nähe von 100 Prozent. Das ist die Manche befürchten, die Bundesrepublik könnte zentrali- europäische Realität, in der wir leben. Von diesen Rea- stischer werden. Ich will die Diskussionen von einstlitäten geht auch ein Land wie Nordrhein-Westfalen aus: nicht wieder aufnehmen. Auch für mich begründete die- Es richtet den Blick sowohl nach Berlin als auch nach se Sorge mein Eintreten für Bonn. Wenn aber die deut- Brüssel, auf Europa und auf unsere unmittelbaren Nach- sche Verfassung und der Staatsaufbau bei uns das nach- barregionen jenseits der Grenzen. Das ist das Potential vollziehen sollen, was uns die wirtschaftliche Entwick- dieses Landes. lung, die Europäisierung und die Globalisierung tat- Bonn ist ein Gewinn für die Bundesrepublik sächlich vorgeben, dann wird der BundesrepublikDeutschland. Ich bin so überzeugt wie Sie – ich habe Deutschland gar nichts anderes übrigbleiben, als föderal das aus all Ihren Reden herausgehört –: Einen solchen zu bleiben, Herr Dr. Kohl, bzw. aus meiner Sicht eherGewinn verspielt man nicht. Diesen Schatz müssen wir noch föderaler zu werden, als sie heute ist. Dabei denke gemeinsam hüten und bewahren. Um dieser Aussage ich besonders an die mit höchstem Tempo wachsenden mehr Gestalt zu geben, möchte ich sagen, daß dies na- europäischen Verflechtungen, die das wirkliche Leben türlich auch für das – wie ich es empfinde – wunder- der Menschen und der Unternehmen bei uns viel tiefer bare, sehr leichte und transparente Parlamentsgebäude prägen, als vielen von uns bewußt ist. gilt. Das gilt für das alte und neue Bundeshaus, für das Der Umzug von Teilen der Bundesregierung nachWasserwerk und das gesamte Parlamentsviertel. Die- Berlin mag die Tonlage und den Blickwinkel der politi- sen vorhandenen Schatz müssen wir bewahren. Daraus schen Diskussionen verändern. Ich bin überzeugt, daß er sollten wir in der Verantwortung des Bundes gemein- sie verändern wird. Das ändert aber nichts daran, daßsam etwas Unveräußerliches und Unnachahmliches wir in einem außerordentlich dynamischen Prozeß der machen. Europäisierung leben und versuchen müssen, ihn mitzu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gestalten. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (V o r s i t z : Vizepräsident ) F.D.P.) Nehmen Sie, meine Damen und Herren, unser Land Was in Ihrer Verantwortung hier geschaffen wurde, gibt Nordrhein-Westfalen mit seinen Nachbarn, den Nieder- es sonst nirgendwo auf der Welt. Ich bin davon über- landen, Belgien und Luxemburg, als ein Beispiel. Siezeugt, daß wir diese Verantwortung weiter tragen wer- könnten auch Baden-Württemberg, Brandenburg oder den. 4340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Ministerpräsident Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) (A) Wie die Diskussion zwischen den Parteien zeigt, gibt Es hat der Bundesrepublik Deutschland gutgetan, daß (C) es in der Politik Erblasten. Aber es gibt auch das kostba- in ihren Anfängen politische Entscheidungen nicht in re Erbe. Was hier in der Stadt Bonn entstanden ist, istder unruhigen Atmosphäre einer Metropole gereift sind, ein kostbares Erbe. Ich möchte Ihnen ans Herz legen,sondern in dieser schönen Stadt am Rhein. Bescheiden- daß wir dieses Erbe gemeinsam wahren und weiter-heit, Offenheit, Toleranz und rheinische Liberalität geben. zeichnen Bonn bis zum heutigen Tag aus. Ich bin sicher, dies wird auch so sein, wenn der Bundestag und die Ich möchte von hier aus Dank sagen an die Bonne-Regierung hier weggezogen sind. rinnen und Bonner, an die Stadt Bonn und an die, die den bisherigen Regierungen und Abgeordneten über (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) viele Jahre Heimat gegeben haben. Für die langjährige Gastfreundschaft sind wir der Ich möchte aber auch einen Gruß nach Berlin senden. Stadt Bonn sowie allen Bonnerinnen und Bonnern dau- Wir wünschen von hier aus Berlin alles Gute. Wir geben erhaft zu Dank verpflichtet. Deswegen sage ich im Ge- den Staffelstab weiter und hoffen auf den gemeinsamen gensatz zu anderen: Ich weine der Stadt Bonn schon Erfolg, der in Zukunft von Berlin aus mit all seiner Viel- Tränen nach. Mir tut es schon auch leid, daß wir nach falt für die gesamte Bundesrepublik Deutschland und für Berlin umziehen müssen. Aber wenn der liebe Gott ge- das gemeinsame Europa geschaffen wird. wollt hätte, daß wir nach hinten schauen, hätte er uns hinten Augen wachsen lassen. Ich sehe genauso zuver- Alles Gute für Berlin! Ein herzliches Glück auf! sichtlich nach vorne, nach Berlin. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Bayern und hier insbesondere die CSU haben Vizepräsident Rudolf Seiters: Als nächster Redner sich in Bonn immer wohl gefühlt. Das mag sicher auch spricht nunmehr für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege von historischen Bezugspunkten herrühren, dieBayern Michael Glos. und das Rheinland miteinander verbinden. In Bonn ha- ben die Bayern schon immer eine besondere Rolle ge- spielt. Als einst ein Kurfürst in Köln vom katholischen Michael Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ins protestantische Lager gewechselt ist, nahmen ihm sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuvor-die Wittelsbacher dies übel derst dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, dem wir es verdanken, daß Berlin wieder deutsche Hauptstadt und (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Daran wol- Sitz des Parlamentes sein kann, für eine große Rede len wir aber nicht erinnert werden!) (B) danken. und zum Anlaß, die Godesburg zu stürmen und zurück- (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zuerobern, Herr Westerwelle. Das sollten Sie wissen. Wir nehmen heute Abschied von Bonn und ziehen in Aber ich möchte Sie an etwas anderes erinnern, näm- den Reichstag nach Berlin. Bonn und Berlin sind Sym- lich daran, daß man im Rheinland in Erinnerung an die- bole der jüngeren deutschen Geschichte. Bonn steht für se Herrschaft lange gesagt hat: „Bei Kurfürst Clemens den demokratischen Wiederaufbau und für die Rückkehr August trug man blau und weiß und lebte wie im Para- der Deutschen in die Wertegemeinschaft des Westens. deis.“ Berlin, sowohl West-Berlin als auch der Ostteil, stehen (Heiterkeit bei der F.D.P.) für den ungebrochenen Willen der Deutschen zur Ein- heit in Frieden und Freiheit. Ich will mir jetzt ersparen, alle bayerischen Bezie- hungen zu Berlin aufzuzählen. Jedoch auch an der Spree (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- waren die Bayern. Es war ja Kaiser Ludwig der Bayer, wie bei Abgeordneten der SPD) der über die Mark Brandenburg geherrscht hat. Das ging Fünf Jahrzehnte Politik aus Bonn waren alles in allerdings nicht allzu lange gut. allem 50 gute Jahre für unser Vaterland. Mit dem Na- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) men Bonn verbindet sich der längste von Frieden und Freiheit geprägte Zeitabschnitt in der jüngeren deut-Das neue Herrschergeschlecht in der Mark Brandenburg schen Geschichte. Bismarcks Reich war lediglich einwaren dann später die Nürnberger Burggrafen aus dem Lebensalter von 43 Jahren beschieden. Die WeimarerHause Hohenzollern. Inzwischen sind die Bayern so Republik brachte es auf 14 Jahre. Das Tausendjährige liberal, daß sie die Franken voll dazurechnen. Bayern Reich ist nach 12 Jahren in Schutt und Asche gefallen. hat dadurch den Vorteil, Brandenburg über uns Franken Die mit dem Namen Bonn verknüpfte Bundesrepublik reklamieren zu können. Insofern ziehen wir wieder auf Deutschland konnte dagegen ihren 50. Geburtstag invertrautes Gelände. Frieden, Freiheit, Wohlstand und in sozialer Sicherheit Die CSU-Landesgruppe hat stets versucht, für die feiern. Politik in Deutschland eine konstruktive Rolle zu spie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- len. wie bei Abgeordneten der SPD) ( [CDU/CSU]: Das ist gelun- Unsere Aufgabe ist, diese Werte auch nach dem Umzug gen! – Zuruf von der SPD: Sie hat es ver- vom Rhein an die Spree für die Zukunft sicherzustellen. sucht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4341

Michael Glos (A) Wir haben unsere Möglichkeiten in Bayern für bürgerli- wir dieses Modell mit nach Europa nehmen und (C) ein che Mehrheiten voll ausgeschöpft. Wenn wir dies nicht föderalistisches Europa schaffen. getan hätten, wären manche Regierungen, die zum Se- Unser Respekt, unsere Sympathie und unsere Zunei- gen unseres Landes gewirkt haben, nicht möglich gewe- gung für das, was hier in Bonn in Jahrzehnten geschaf- sen. fen worden ist, was wir in Jahrzehnten erfahren haben, Historisch richtig war auch – wir werden dies in Zu- werden erhalten bleiben. Hierfür möchte ich den Bon- kunft fortsetzen –, mit der CDU eine Fraktionsgemein- nern im Namen aller Bayern ein herzliches „Vergelt's schaft zu gründen, um die getrennt gewonnenen Kräfte Gott“ zurufen. gemeinsam in die deutsche Politik einzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der SPD und der F.D.P.) Daß die CSU sehr zum Gelingen der deutschen Politik Ich möchte an dieser Stelle auch einmal ganz herzlich beigetragen hat, war von Anfang an Fakt; inzwischen ist allen dienstbaren Geistern danken, all denen, die bei uns das historisch unbestritten. Franz Josef Strauß und diegearbeitet, die uns in unserer Arbeit unterstützt haben, CSU haben bei den Rhöndorfer Gesprächen die Voraus- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der setzung für die kleine Koalition und damit für die Ein- F.D.P. und der PDS) führung der sozialen Marktwirtschaft durch den fränki- schen Bayern geschaffen. Gleiches gilt und zwar – stellvertretend für viele andere – den Mitar- für die Westbindung Deutschlands sowie den Beitritt zur beiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und der nordatlantischen Allianz und zur Europäischen Gemein- Abgeordneten, den Pförtnern, den Fahrern und den schaft. Boten. Sie alle haben eine großartige Arbeit geleistet. Franz Josef Strauß und Fritz Schäffer haben die Jahre Zur Bonner Demokratie gehört das Bekenntnis zu des Wiederaufbaus an entscheidender Stelle politischEuropa. An unserer Verpflichtung zur Fortsetzung des mitgestaltet. Später konnten politische Persönlichkeiten, europäischen Einigungsprozesses darf sich auch nach wie , Hermann Höcherl, Richard Stück- dem Umzug, nach einer weiteren räumlichen Entfernung len, , Fritz Zimmermann, Theo Waigel von Brüssel nichts ändern. und Wolfgang Bötsch, um nur ein paar Namen zu nen- nen, dieses Werk fortsetzen. Alle haben sie in der politi- Ich möchte an dieser Stelle insbesondere die großar- schen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland die tige Leistung von Theo Waigel erwähnen, der als einer unverkennbare wie auch unverwechselbare Handschrift der Väter des Euro dafür gesorgt hat, daß in Europa der bayerischen CSU hinterlassen. nicht zu verändernde Tatsachen geschaffen worden sind, (B) die dieses Europa festigen und zusammenschweißen. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Diese Handschrift ist ebenfalls im Stadtbild Bonns hin- ordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE terlassen worden. Auch im Stadtbild Berlin ist sie schon GRÜNEN und der F.D.P.) zu sehen. Der Föderalismus steht für eine Dezentralisierung Ich möchte an dieser Stelle unseren Freund Oscarpolitischer Entscheidungsprozesse, für eine breite Ver- Schneider erwähnen, der sein Engagement im Bereich teilung der Macht und für eine bürgerliche und vor allen der Kunst, letztendlich auch durch die Mitgestaltung der Dingen bürgernahe Politik. Deshalb wäre es kontrapro- Kunsthalle in Bonn, sehr stark manifestiert hat. Herrduktiv, würde man in Deutschland einen Schritt zurück Bundeskanzler Kohl hat ihn immer zu Rate gezogen.in Richtung Zentralstaat machen. Wir werden auch in Angesichts dessen, daß wir nach Berlin ziehen und sich Berlin dafür kämpfen, daß dies in Zukunft nicht gesche- auf dem Reichstag eine Kuppel befindet, auf die der Ar- hen wird. chitekt, der sie eigentlich verhindern wollte, ganz be- sonders stolz ist, muß man auch noch einmal den Namen Bonn ist eine sehr liebenswerte Stadt, in der ich Oscar Schneider 23 Jahre lang ausgesprochen gerne meine Arbeit als Ab- geordneter meines unterfränkischen Wahlkreises getan (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- habe. – Wir Unterfranken sind sowieso ein Stück weit ordneten der SPD und der F.D.P.) Brücke zwischen Bayern und dem übrigen Deutsch- und den Kampf der CSU-Landesgruppe innerhalb und land. – Der Rhein und der Petersberg, das Beethoven- außerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwähnen, Haus und – nicht zu vergessen – die Bayerische Vertre- durch den der Bau dieser Kuppel letztendlich ermöglicht tung mit ihrem legendären Bierkeller, der rheinische worden ist. Insofern haben wir nicht nur politische, son- Frohsinn und die Liberalität der Menschen sind mir sehr dern auch optische Spuren hinterlassen, und tun diesans Herz gewachsen. auch in Zukunft. Aus dem Provisorium Bonn ist in diesen 50 Jahren Bonn war nie ein Name für einen zentralistischenein Symbol demokratischer Tradition entstanden, das Machtanspruch. Herr Bundeskanzler Kohl hat dies vor- weltweit Anerkennung und Bewunderung hervorgerufen hin schon erwähnt. Bonn wurde zur Wiege desFödera- hat. Bonn steht für das, was unsere Nachbarn und Part- lismus. Dieser Föderalismus hat ganz entscheidend zum ner heute an Positivem mit der Bundesrepublik Aufstieg unseres Landes und zum Aufstieg der Demo- Deutschland verbinden: historische Verantwortung, mo- kratie in Deutschland beigetragen. Deswegen müssenralische Rückbesinnung auf christliche Grundsätze, 4342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Michael Glos (A) Fleiß und Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortungtionalsozialismus: Unantastbarkeit der Menschenwürde (C) und Solidarität der Menschen, vor allen Dingen das un- – nicht der Deutschenwürde –, freie Entfaltung der Per- verbrüchliche Bekenntnis zu parlamentarischer Demo- sönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens-, Ge- kratie, freiheitlichem Rechtsstaat und sozialer Markt-wissens- und Meinungsfreiheit, Schutz von Ehe und wirtschaft sowie die Garantie für internationale Verläß- Familie vor staatlichen Eingriffen. Nach den zwölf Jah- lichkeit und Bündnistreue. ren des NS-Regimes waren dies damals wahrlich revo- lutionäre Grundsätze. Auch wenn wir heute vor neuen Aufgaben und Her- ausforderungen stehen und wenn wir heute neue Ant- Doch seien wir ehrlich zu uns: Mit der Verkündung worten und Perspektiven aufzeigen müssen: Es darfdes Grundgesetzes waren seine Verheißungen keines- keine Berliner Republik geben – genausowenig wie es wegs automatisch durchgesetzt. Auch heute sind sie eine Bonner Republik gegeben hat. Unser Land muß die noch längst nicht vollständig erfüllt. Bei vielen Frei- Bundesrepublik Deutschland bleiben, wie wir sie gebaut heitsrechten und demokratischen Beteiligungsmöglich- haben und auch für die Zukunft bewahren wollen. keiten haben es die Menschen erst nach und nach ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wagt, sich diese überhaupt anzueignen. Man kann fast ordneten der SPD und der F.D.P.) sagen: 1949 war der Schuh für die gesellschaftliche Wirklichkeit noch viel zu groß geschustert. Aber im Mit bewundernswerter Gelassenheit haben die Men- Laufe der Jahre sind die Deutschen langsam in das schen in dieser Region den sehr knappen Mehrheitsbe- Grundgesetz hineingewachsen. schluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 respektiert. Es ist bereits gesagt worden: Bonn braucht Die äußeren Formen der Demokratie haben sich 1949 Verläßlichkeit. Das sind wir dieser Stadt und diesenschnell etabliert, nach innen aber herrschten weiterhin Menschen schuldig. Ein herzliches Wort des Dankes für autoritäre Handlungsmuster vor. Die Politik hat das per- 50 Jahre gute Gastfreundschaft! sönliche Leben der Menschen in einer Weise reglemen- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. tiert, wie man es sich heute kaum noch vorstellen kann: sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS]) Vordemokratische Auffassungen von richtigen Lebens- weisen, Sitte und Moral haben zwei Jahrzehnte lang die Freiheitsversprechen des Grundgesetzes für viele Bürger Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe dem Kol- und Bürgerinnen praktisch außer Kraft gesetzt. Denken legen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Sie nur daran, daß laut BGB der Mann das Letztent- scheidungsrecht in allen Familienfragen hatte, selbst Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): über das Vermögen der Frau! Denken Sie nur an das Sittenstrafrecht vor 1969: Die sogenannte Kuppelei und (B) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in (D) Bonn 50 Jahre lang unter dem Grundgesetz eine stabile der Ehebruch wurden strafrechtlich verfolgt. Die nichte- Demokratie erlebt. Den Verfassungsvätern und -müttern heliche Lebensgemeinschaft galt als Konkubinat. ist 1949 ein großer Wurf gelungen. Sie haben den Rah- Homosexuelle hat das Grundgesetz 20 Jahre lang nicht men gesteckt, in dem sich in fünf Jahrzehnten ein wirk- vor menschenrechtswidriger staatlicher Strafverfolgung lich freiheitliches demokratisches Gemeinwesen ent-bewahrt. wickelt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zu unserem Glück gezwungen haben uns damals die sowie bei Abgeordneten der PDS) Alliierten. Auch ihnen sei hier und heute ausdrücklich gedankt. Meine Damen und Herren, es ist ein großer Schön- heitsfleck auf unserer Demokratie, daß solche staat- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lichen Eingriffe in das Privatleben damals möglich wa- sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ ren, gebilligt vom Gesetzgeber, teilweise sogar mit dem CSU und der F.D.P.) ausdrücklichen Segen des Bundesverfassungsgerichts Auf ihre Veranlassung trat der Parlamentarische Rat versehen. Es ist ein großer Erfolg unserer Demokratie, zusammen, kam es zu einer liberalen und demokrati-daß eine solche Politik heute einfach nicht mehr denkbar schen Verfassung. Die Alliierten haben sozusagen fürist. Die Menschen würden es sich schlichtweg nicht ge- die Implementierung der Demokratie gesorgt, und das fallen lassen; die ehemals so obrigkeitstreuen Deutschen mit großem Erfolg. Es ist geradezu ein Gütesiegel fürhaben nämlich den Genuß der Freiheit zu schätzen ge- unsere Demokratie, daß es seit 1949 keine rechtsextreme lernt. Partei mehr geschafft hat, in den Bundestag gewählt zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden. Bei den Bundestagswahlen haben die Bürger sowie bei Abgeordneten der SPD und der und Bürgerinnen den Ideologen der Ungleichheit, der F.D.P.) Demokratiefeindlichkeit und des offenen Rassismus re- gelmäßig eine Abfuhr erteilt – etwas, worauf wir stolz Zu dieser Zivilisierung, zur wachsenden Gelassenheit sein können. in Fragen der Sitte und Moral hat sicher auch die Kul- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN turgeographie beigetragen, die Lage des Dauerproviso- sowie bei Abgeordneten der SPD) riums Bonn. Nehmen wir nur die rheinischen Lebens- weisen „Lewe ond lewe losse“ und „Jeder Jeck ist an- Das Grundgesetz als Fundament unserer Demokratie ders“. Auch das hat, glaube ich, seine Auswirkungen auf ist das klare und radikale Kontrastprogramm zum Na- die Politik gehabt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4343

Volker Beck (Köln) (A) hat es einmal so ausgedrückt, daß freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Kampf-(C) die Demokratie an ihrem Umgang mit ihren Minderhei- begriff zur Ausgrenzung mißliebiger Kritiker. Anstatt ten gemessen werden müsse. Gleichheit vor dem Gesetz, Menschen für die Demokratie zu begeistern, haben die Diskriminierungs- und Willkürverbot – all das ist inAdjektive „freiheitlich“ und „demokratisch“ bei vielen Art. 3 des Grundgesetzes geregelt. Dieser Art. 3 gehört jungen Leuten seinerzeit Angst und Schrecken erzeugt. wahrlich zu den Preziosen unserer Verfassung. Deshalb Das war ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen darf. will ich bei diesem Kernstück der Demokratie kurz ver- Man hat damit große Teile der kritischen Jugend für weilen. lange Jahre eben dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung von Grund auf entfremdet. Verfassungs- Meine Damen und Herren, die Menschen sind nicht treue kann man nicht mit dem Holzhammer erreichen, gleich; sie sind sehr verschieden. Sie haben ganz unter- sondern nur durch Diskussion und Überzeugungskraft. schiedliche Eigenschaften, unterschiedliche Weltan- schauungen, Lebensentwürfe und Vorstellungen von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihrem ganz persönlichen Glück. Gerade deshalb ist es so sowie bei Abgeordneten der SPD und der wichtig, daß unsere Verfassung die Gleichheit vor dem PDS) Gesetz als Norm gesetzt hat. Das ist von entscheidender Nun, unsere Demokratie hat auch diese Fehlent- Bedeutung für ein friedliches Zusammenleben. Wir er- wicklungen überlebt und schließlich überwunden, eben- leben es auch heute noch: Jedes Merkmal, das den einen so wie die „Spiegel“-Affäre, die Flick-Affäre und vieles vom anderen unterscheidet, kann zu Anfeindung und mehr. Ausgrenzung führen. Wie kaum ein anderer ist dieser Art. 3 als Antwort auf die Verbrechen der Nazis formu- Ein wichtiger Garant unserer Freiheitsrechte und liert worden. Er ist gleichsam ein verfassungsrechtliches Wächter der Demokratie war und ist dasBundesverfas- „Nie wieder!“. sungsgericht. In vielen Fällen schützte es den Bürger vor Übergriffen des Gesetzgebers auf die Freiheitsrech- Unsere Verfassung leitet von der Verschiedenheit der te. Es wahrte ebenso die Rechte des Parlaments gegen- Menschen Gleichheit in den Rechten ab, und nicht Un- über der Exekutive und der parlamentarischen Minder- terschiedlichkeit. Diese Gleichheit ist das Gegenteil von heit gegenüber der Mehrheit. Gleichmacherei; sie ist Ausdruck des Respektes vor der Würde jedes einzelnen Menschen. Der Verfassungsauf- Dennoch verdient auch das Verhältnis von Politik trag, die Gleichheit vor dem Gesetz auch in Rechtswirk- und Rechtsprechung eine kritische Betrachtung. Wir lichkeit umzusetzen, gilt auch heute unvermindert fort. müssen uns als Abgeordnete fragen: Soll bei jedem Um diesem Auftrag gerecht zu werden, haben wir uns Streitfall, bei dem man im Parlament unterlegen ist, das für diese Wahlperiode noch einiges vorgenommen: ein Verfassungsgericht angerufen werden? Dürfen wir uns (B) Gleichstellungsgesetz für Frauen, ein Antidiskriminie- über das immer feinmaschigere Netz der Vorgaben vom (D) rungsgesetz, die eingetragene Partnerschaft. höchsten deutschen Gericht wundern, wenn wir uns selbst nicht recht mäßigen können beim Gang nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Karlsruhe? Unsere Demokratie funktioniert nach dem Mehrheits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN prinzip. Gerade deshalb ist der Schutz von Minderheiten und bei der SPD) ein bleibender Auftrag für den Gesetzgeber. Meine Damen und Herren, nochmals ein Blick zu- Meine Damen und Herren, Demokratie lebt vom rück. Der kalte Krieg hat lange Zeit auch innenpolitisch Wandel, nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei der Vereisungen bewirkt. Der Kabarettist Georg Kreisler hat Verarbeitung gesellschaftlicher wie politischer Prozesse. das in den 50er Jahren so auf den Punkt gebracht: Demokratie bedarf der stetigen Fortentwicklung. Not- wendig scheint mir deshalb auch eine Debatte über das In der Bundeshauptstadt Bonn am Rhein fürchtet Bund-Länder-Verhältnis. In den letzten 50 Jahren sich der Kommunist. Sollte man etwas weiter öst- wurden die Länder als Gesetzgeber immer schwächer, lich sein, fürchtet sich, wer keiner ist. während das Bundesorgan Bundesrat mehr und mehr Gewicht bekam. Der Bundesrat ist aber ein Organ der Leider hatte die Bundesrepublik nicht immer die Größe, Landesexekutiven, nicht der gewählten Volksvertretun- der Diktatur in der DDR durch ein klares Bekenntnis zu gen. Oft genug hat sich der Bund – auch mit Zustim- immer mehr Demokratie den Spiegel vorzuhalten. Man mung der Landesregierungen – Zuständigkeiten auf griff beim Kampf der Systeme leider auch gelegentlich Kosten der Länder gesichert, aber dem Bundesrat im zu so untauglichen Mitteln wie Parteienverboten und Gegenzug die Zustimmungspflicht zugestanden. Diese Gesinnungsschnüffelei. Oder denken Sie an die Grund- Entwicklung sollten wir hier im Hause einmal kritisch rechtseinschränkungen durch die sogenannten Not- bilanzieren. standsgesetze. Die Notstandsgesetze haben in den 60er Jahren die Gesellschaft heftig und tief gespalten – und Denn Demokratie braucht Transparenz und Verant- zwar ohne jede Not. wortlichkeit, die der Bürger auch zuordnen kann. Wenn der Abgeordnete den Wählerinnen und Wählern im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlkreis nicht mehr deutlich machen kann, wer für ein sowie des Abg. Horst Kubatschka [SPD]) bestimmtes Gesetz, für eine bestimmte politische Ent- Ich erinnere auch an den unseligen sogenannten Radi- scheidung eigentlich die Verantwortung trägt, dann ver- kalenerlaß. In den 70er Jahren diente die Formel von der liert die repräsentative Demokratie ihre Akzeptanz bei 4344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Volker Beck (Köln) (A) den Bürgerinnen und Bürgern. Die Erneuerung der De- gelegentlich an das zoologischeMuseum König in (C) mokratie, die Notwendigkeit, Menschen immer wieder Bonn denken. Dort hat unsere zweite deutsche Demo- dafür zu begeistern, die Schaffung weiterer Beteili-kratie ihren Ausgang genommen, dort hat 1949 der Par- gungsmöglichkeiten – all das nehmen wir als Aufgabe lamentarische Rat zwischen ausgestopften Zebras und mit nach Berlin. Giraffen unsere Verfassung entworfen. Trotz aller Poli- tikverdrossenheit: Auch nach 50 Jahren gibt es noch In Bonn feiern wir 50 Jahre Demokratie. In den neuen eine ganze Menge junger Leute, die unser Bonner Ländern hat das Grundgesetz erst vor neun Jahren Gel- Grundgesetz und unsere Demokratie einfach tierisch gut tung erlangt. Den Menschen inOstdeutschland wurde finden. die Demokratie nicht geschenkt, sie haben sie sich er- kämpft. Ich bedauere es nach wie vor, daß so wenige Vielen Dank. Gedanken aus der Demokratiebewegung der DDR in die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gesamtdeutsche Verfassung eingeflossen sind. bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neten der CDU/CSU und der F.D.P.) und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Rudolf Seiters: Meine Damen und Wir haben eine Chance verpaßt: die LebenserfahrungHerren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, der Bürger im Osten für einen gemeinsamen Verfas-daß ich nunmehr auf der Tribüne des Deutschen Bun- sungsdiskurs besser zu nutzen. Das ist vielleicht auchdestages die ehemalige Präsidentin des Parlaments, ein Grund dafür, daß – zumindest laut Meinungsumfra- Annemarie Renger, herzlich begrüßen darf. gen – viele Menschen im Osten immer noch eine gewis- se Fremdheit gegenüber den Werten der Demokratie und (Beifall im ganzen Hause) Institutionen unseres Staates zeigen. Nachdem bereits der Bundestagsvizepräsident Ri- Diese Fehler dürfen wir uns bei der notwendigenchard Stücklen begrüßt wurde, darf ich nunmehr auch Diskussion um die Stärkung der Demokratie in derden Bundestagspräsidenten Richard Stücklen hier auf Europäischen Union nicht noch einmal erlauben.der Tribüne begrüßen. Schon die niedrige Wahlbeteiligung bei der Europawahl (Beifall im ganzen Hause) zeigt uns, daß wir uns sehr anstrengen müssen, die Bür- gerinnen und Bürger wieder für Europa und für die de- Das Wort hat nunmehr der Kollege Dr. Guido mokratische Auseinandersetzung zu gewinnen. WirWesterwelle für die F.D.P.-Fraktion. brauchen eine europäische Grundrechtscharta und eine (B) Stärkung des Europäischen Parlaments. Bei diesen Dis- Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Präsident! (D) kussionen müssen wir die Bürgerinnen und Bürger breit Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte beteiligen. Es geht darum, wie wir ein demokratisches mich als Bonner Abgeordneter bei Ihnen, beim Haus Zusammenleben in Europa gestalten wollen. Deutsch- und beim Präsidium, sehr herzlich dafür bedanken, daß lands Zukunft liegt in Europa, Europas Zukunft liegt in Sie uns mit diesem Tag, auch mit der Vereidigung des mehr Demokratie. neuen Bundespräsidenten hier in Bonn, gewissermaßen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Abschiedsgeschenk machen. Ich habe gelesen, daß und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der das vom Regierenden Bürgermeister von Berlin sogleich PDS) ein wenig neidisch beäugt wurde. Wir Rheinländer sagen dazu: Man muß auch gönnen können. Deswegen Meine Damen und Herren, zum Schluß ein Wort als mein ganz herzlicher Dank als Bonner an Sie, daß Sie Wahlrheinländer. Wir brechen jetzt unsere Zelte inuns diese Ehre geben. Bonn ab. Mir als Kölner blutet das Herz. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) (Beifall der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Bonner waren in den letzten 50 Jahren sehr gerne Gastgeber für Mich erfüllt am heutigen Tage Wehmut. Denn Bonn die Bundespolitik. Wir bleiben das auch weiterhin gerne. war eine gute Wiege für die zweite deutsche Demokratie Was nämlich vergessen wird, ist: Wir sind auch in und ist einfach auch eine sympathische Stadt. Zukunft Gastgeber für die Bundespolitik, wenn auch in einem kleineren Rahmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Ich bin als Bonner sehr dankbar dafür, daß meine CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) Heimatstadt für mehr als 50 Jahre das Gesicht des de- mokratischen Deutschlands mit prägen durfte. Wenn der Ich hoffe, wir nehmen etwas mit von der rheinischen Gastgeber ein gutes Verhältnis zu seinen Gästen hat, Gelassenheit und Leichtigkeit in das preußische Berlin. fällt natürlich auch der Abschied schwer. Berlin ist eine neue Herausforderung an dieses Parla- ment und an uns Abgeordnete. Darauf bin ich trotz aller (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Wehmut auch sehr gespannt. Deswegen gebe ich ganz offen zu, es schwingt viel Aber wenn wir demnächst häufig am Bahnhof Zoopersönliche Melancholie mit. Ich weiß auch von vielen, aus dem Zug aussteigen werden, dann sollten wir doch die hier ihre zweite Heimat gehabt haben, daß sie am Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4345

Dr. Guido Westerwelle (A) heutigen Tag durchaus melancholisch sind. Man sieht Das Deutschland, das mit Bonn verbunden wird, ist(C) die Umzugskartons, fast an jeder Straße stehen Um-das europäisch eingebundene, regional gegliederte und zugswagen, und man sieht viele leergeräumte Gebäude. demokratische Deutschland. Das sind die Charakteristi- Bei aller Freude, die mancher im Hinblick auf das neue ka für die deutsche Politik in den letzten 50 Jahren ge- Großstadtleben haben mag, werden Sie verstehen: Wir wesen, und das sollten sie auch in den nächsten 50 Jah- sind natürlich heute auch ein wenig melancholisch. ren bleiben. Wer die Berliner Republik ausruft, stellt die Grundkoordinaten, die sich in Bonn bewährt haben, in (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) Frage. Das ist ein Fehler. Deswegen sage ich ganz offen: Ich fand die Rede des Altbundeskanzlers Helmut Kohl nicht nur im Hinblick (Beifall bei der F.D.P. – Iris Gleicke [SPD]: auf das, was er an Historischem gesagt hat, sehr bewe- Wer macht das denn?) gend, ich bin ihm auch dafür richtig dankbar, daß er die – Das ist nicht nur an diejenigen adressiert, die das in passenden Dankesworte an Bonn gefunden hat. Ichder Politik tun. Sehr viele Intellektuelle tun dies, sehr wünschte mir, auch der neue Bundeskanzler würde inviele Feuilletonisten schreiben so etwas. Ich möchte dieser Debatte das Wort ergreifen. nicht, daß sich diese Gedankenwelt in unserem täglichen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sprachgebrauch ausdrückt. Das gehört sich so. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Man mag sich in dieser oder einer anderen Stadt Unsere Verfassung und unsere Republik bleiben die wohler fühlen, aber ich glaube, es ist nicht so toll – das gleichen. Neue Fragen werden mit unserer Verfassung, werden Sie mir nachsehen müssen –, daß an einem sol- dem bewährten Grundgesetz, beantwortet werden müs- chen Tag, bei einer solchen Debatte vom ganzen Kabi- sen. Das gilt für vieles gerade in Zeiten der Globalisie- nett nur ein Minister anwesend ist. Bei allem Respektrung. vor den Staatssekretären – es sind alles großartige Per- In Berlin ist alles größer, manchmal geradezu pom- sönlichkeiten –: Die Bundesregierung hätte an diesem pös. Die Sprache spricht Bände. Bonn war stets die Tag wirklich stärker präsent sein können. Bundeshauptstadt. Berlin dagegen wird kurzHaupt- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU stadt genannt. Das ist mehr als Semantik. Es ist zugleich sowie bei Abgeordneten der SPD) auch föderatives Selbstverständnis. Für mich ist Berlin immer noch die Bundeshauptstadt, meine sehr geehrten Das Umfeld, in dem Politik gemacht wird, bleibt nie Damen und Herren. ohne Einfluß auf die Entscheidungen der Politik. Die Bescheidenheit Bonns, das freiheitliche Klima unserer (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (B) Universitätsstadt und eine gewisse Portionrheinischen ten der CDU/CSU) (D) Frohsinns haben auf die Bonner Politik im Positiven abgefärbt. Bonn hat nie den Rest der Republik zur Provinz werden lassen. Auch Berlin darf nicht die anderen Teile Bonn hat sich weit über ein Provisorium hinaus ent- Deutschlands zur Provinz werden lassen. wickelt. Es hat der deutschen Politik meiner Einschät- zung nach stets gutgetan, daß in Bonn nicht Politik (Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/ sozusagen aus dem Wartesaal betrieben wurde. Bonn hat CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in diesen fünf Jahrzehnten – 40 Jahre davon zu ZeitenDieses kleine Bonn ist nicht provinziell. Maßvoll ist der deutschen Teilung und nunmehr beinahe zehn Jahre nicht mäßig und erst recht nicht mittelmäßig. Im Ge- seit dem Fall der Mauer – selbst ein Gewicht in dieser genteil, es ist eine Tugend. Republik bekommen. Ich habe in dieser Woche einen von mir sehr ge- Wenn nun die Bezeichnung„Bonner Republik“ schätzten Intellektuellen, einen Buchautoren, im Fernse- verwendet wird, so ist dies für die Bonner nur sehr vor- hen gehört, der den Umzug mit den Worten kommen- dergründig schmeichelhaft; denn im Grunde genommen tierte, jetzt ziehe der Bundestag zum Volk. Waren wir in soll mit diesem Begriff eine Tradition abgelegt und die Bonn nicht beim Volk? sogenannte Berliner Republik eingeläutet werden. Das ist sehr gefährlich. Das ist weit mehr als Sprache. Das ist (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Nein!) Inhalt. Das ist Botschaft: gewissermaßen von der Wei- Kann man so tun, als bestünde das deutsche Volk nur marer Republik kommend über die Bonner Republik in aus Großstädtern? Wer als Parlamentarier in Bonn das der Berliner Republik ankommend, als hätte Geschichte Volk nicht treffen wollte, der wird es auch in Berlin einen Endpunkt, als sei die Bonner Republik so unterge- nicht finden. gangen, wie die Weimarer Republik untergegangen ist. Als ein überzeugter Demokrat sage ich Ihnen: Ich hoffe, (Beifall bei der F.D.P., der SPD und der daß uns allen gemeinsam bewußt ist: Die Bonner Repu- CDU/CSU sowie der Abg. Angela Marquardt blik – das unterscheidet sie von der Weimarer Republik [PDS]) – ist nicht untergegangen und gescheitert. Sie wird nicht Die Fußläufigkeit des Regierungssitzes in Bonn ist abgelegt. Im Gegenteil, es wird darum gehen, das Beste oft belächelt und bespöttelt worden. Sie wird uns noch dieser Bonner Zeit nach Berlin mitzunehmen. fehlen: nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil die tat- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- sächliche Nähe auch konfliktreduzierend gewirkt hat. wie bei Abgeordneten der SPD) Man konnte sich in Bonn niemals lange aus dem Wege 4346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Dr. Guido Westerwelle (A) gehen. Das zwang auch nach heftigem Streit zur rheini- dankbarkeit handelt als darum, daß diese in anderer(C) schen Lösung von manchem Problem. Form und an anderer Stelle – wahrscheinlich in der Stadt – ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – Hans- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der PDS) NEN]: Ich empfehle das Fahrrad!) Wie Sie wissen, hatte ich keine Möglichkeit, 50 Jahre Kurz gesagt: Ich hoffe, daß wir uns auch in Berlin die Bundesrepublik und damit Demokratie live zu erleben. rheinischen Tugenden, den Pragmatismus und die aus- Dafür bin ich zu jung. Aus dem Osten komme ich auch geprägte Toleranzkultur, bewahren werden und daß wir noch. Die BRD überkam mich erst 1989 mit der Wende. uns nicht nur in der „Ständigen Vertretung“ bei rheini- Vielleicht überrascht es einige, aber ich habe den schen Köstlichkeiten treffen werden. Die deutsche Poli- Mauerfall und das Ende der DDR als ein sehr positives tik muß auch in Berlin durch Bescheidenheit geziertEreignis empfunden. Gerade für mich bedeutete das Ab- werden. Klaus Bölling hat wunderbar dazu geschrieben: danken des Politbüros einen enormen Zugewinn an per- Bonn hat der Welt Vertrauen eingeflößt. In Bonn sönlicher Freiheit und auch einen Zugewinn an Demo- hatte die „Wir sind wieder wer“-Mentalität niemals kratie. eine Chance. Sie darf auch in Berlin keine bekom- Wenn Sie mich heute fragen, was ich mit Bonn ver- men. binde, dann ist es vor allem die große Demonstration (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- gegen die faktischeAbschaffung des Asylrechts im ten der SPD) Jahre 1993. Wir Bonner werden unsere Zukunft meistern und un- (Beifall bei der PDS) sere Chancen nutzen. Die Bonner sind dem Bundestag Fast 350 000 Menschen waren auf der Straße und nah- für 50 gute Jahre dankbar. Auch der Bundestag zeigt men ihr Recht in Anspruch, laut nein zu sagen. Doch heute seine Dankbarkeit, aber bitte nicht nur an diesem was nutzte es? Eine übergroße Koalition strich, davon Tag. Am überzeugendsten kann dieser Dank nun durch unbeeindruckt, ein wesentliches Grundrecht aus der Ver- die Sicherstellung von Planungssicherheit für die Bon- fassung. nerinnen und Bonner in Stadt und Umland gezeigt wer- den. Dieselbe Einmütigkeit, mit der wir in dieser De- Wenn wir heute 50 Jahre Demokratie feiern, dann batte Bonn danken, ist auch nach dem Umzug bei dersage ich Ihnen: Dies waren und sind auch 50 Jahre der Einhaltung der Bonn/Berlin-Vereinbarungen nötig. Nichtachtung von außerparlamentarischer Opposition Wir hoffen nicht, daß der Bundestag nach dem Umzug und damit von einem wichtigen demokratischen Enga- gewissermaßen nach der Devise handelt: Aus den Au- (B) gement der Bürgerinnen und Bürger. (D) gen, aus dem Sinn. Erinnern Sie sich an Bonn, auch in Berlin, und erinnern Sie sich in Berlin auch Ihrer Ver- (Beifall bei der PDS) antwortung gegenüber Bonn, meine sehr geehrten Da- Um so erstaunlicher ist es für mich, daß CDU/CSU ge- men und Herren, Kolleginnen und Kollegen! rade jetzt außerparlamentarischen Widerspruch pflegen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ja fast schon plebiszitäre Elemente zumindest praktisch ten der SPD) einführen. Denn Helmut Kohl war es, der als Kanzler sagte: „Die demonstrieren, wir regieren.“ Jede Form von Wenn uns in Berlin gelingt, was in Bonn gelang,Arroganz der Macht läßt bei Engagierten Zweifel am bleibt Deutschland auf einem guten Weg. Bonn wird Sie Sinn demokratischer Freiheiten wie dem Demonstra- vermissen, und ich bin sicher, Sie werden manches Mal tionsrecht aufkommen. Gerade dieses ist natürlich den- noch Bonn vermissen. noch besonders schützenswert. (Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die Bundesrepublik reden, dann reden wir über sowie bei Abgeordneten der PDS) einen Staat, in dem es Menschen mit unterschiedlichen Rechten gibt: Menschen, die wählen dürfen, und sol- Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die Fraktion der chen, denen dies untersagt ist, Menschen, die hier leben PDS spricht nun die Abgeordnete Angela Marquardt. dürfen, und solchen, die an der Grenze zurückgewiesen bzw. abgeschoben werden, und das nur, weil sie einen falschen Paß haben. Wachsender Rechtsextremismus, Angela Marquardt (PDS): Herr Präsident! Liebewachsender Rassismus in der Gesellschaft, die un- Kolleginnen und Kollegen! Kollege Westerwelle, so be- menschliche Flüchtlingspolitik und eine oft schweigende rechtigt Ihre Kritik an der Bundesregierung gewesen ist, Mehrheit, die rassistischen Pogromen wie zum Beispiel so kann ich, Frau Oberbürgermeisterin Dieckmann,in Rostock zuschaut – das alles ist wenig ermutigend. wenn ich mir den gesamten Saal ansehe, Dennoch will ich meine Hoffnung zum Ausdruck brin- gen, daß – nach 50 Jahren und mit dem Beginn der so- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist wohl genannten Berliner Republik – die kommenden Jahre wahr!) der rechtlichen undfaktischen Gleichstellung aller hoffentlich davon ausgehen, daß es sich bei der Abwe- Menschen gehören werden, so wie es in unserem senheit von Kolleginnen und Kollegen weniger um Un- Grundgesetz vorgesehen ist. Das wäre für mich konse- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4347

Angela Marquardt (A) quenter als ein billiger Kompromiß zur doppeltenOstdeutsche Bonn auch in den Jahrzehnten vor dem Fall (C) Staatsbürgerschaft. der Mauer ein Begriff. Bonn, das war für uns ein anderer Name für die westdeutsche Demokratie und für die (Beifall bei der PDS) westdeutsche Gesellschaft. Das Westfernsehen brachte Aber zur Freiheit gehören auch soziale Gerechtigkeit den „Bericht aus Bonn“ in die gute Stube, und nach je- und Perspektiven fürJugendliche. Jeder Jugendliche der Wahl gab es die „Bonner Runde“. ohne Berufsausbildung, jeder Mensch ohne Arbeit kann Alles das, was da in der westdeutschen Hauptstadt nur begrenzt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. passierte, war für die meisten der DDR-Bürger sehr nah. Deshalb ist die gesellschaftliche Realität nicht nur unso- Trotzdem war es ganz weit weg und unerreichbar; denn zial, sondern faktisch auch undemokratisch. Nicht nur es gab ja eine unüberwindbare Grenze. zwischen den materiellen Möglichkeiten der Kinder von Bundestagsabgeordneten und der Kinder alleinerziehen- Wir hatten unsere eigene Hauptstadt. Sie lag in unse- der Sozialhilfeempfängerinnen liegen mehr als tausend rem eigenen Teil Deutschlands. Im Westen wurde sie Welten, sondern auch zwischen ihren realen Chancen, Ost-Berlin genannt. Auf den Schildern an den Tran- an den gesellschaftlichen und damit an den demokrati- sitstrecken stand: Berlin, Hauptstadt der DDR. schen Mitgestaltungsmöglichkeiten teilzuhaben. Bonn, das war damals für uns das andere, das Frem- (Beifall bei der PDS) de. Es lag vor allem für die Jüngeren in einem unbe- kannten Land. Von diesem anderen Deutschland hatten Gerade auch aus diesem Grunde möchte ich zum wir im Osten viele richtige, aber auch viele falsche Vor- Schluß die Gelegenheit nutzen, einmal nicht den Politi- stellungen. Umgekehrt gab es auch hier im Westen viele kerinnen und Politikern zu danken, sondern all denen, richtige und viele falsche Vorstellungen über das Land, die draußen auf der Straße oder einfach mitten in der in dem wir gelebt haben. Gesellschaft immer wieder den Mut und die Kraft fin- den, nein zu sagen, wenn es nein zu sagen gilt, denen, Durch eine glückliche Wendung der Geschichte und die sich gegen Intoleranz und Krieg, gegen soziale Un- aus eigener Kraft haben wir Ostdeutschen die Diktatur gerechtigkeit und Sexismus engagieren. abgeschüttelt. Die Mauer ist gefallen. Die DDR gibt es nicht mehr. Geblieben ist für uns alle die gemeinsame Ich möchte den Menschen danken, die sich vergebens Aufgabe, uns von unseren deutsch-deutschen Vorurtei- auf Demonstrationen die Füße wundgelaufen haben, sich len zu lösen. Erst wenn uns das gelungen ist – davon bin in Bürgerinitiativen, in Antifa-Gruppen oder in gewerk- ich überzeugt –, können und werden wir nicht mehr in schaftlichen Initiativen engagieren, allen, die sich nicht den Kategorien von Ost und West denken, fühlen und damit begnügen wollen, alle vier Jahre wählen zu gehen. handeln. Das geht nicht von gestern auf heute und nicht Ohne diese Menschen, ohne dieseaußerparlamentari- (B) von heute auf morgen. Das ist ein andauernder Prozeß. (D) sche Opposition wäre dieses Land und wäre die Demo- kratie ärmer. Ich schließe nicht aus, daß es unseren Kindern und Kindeskindern vorbehalten bleibt, die vielzitierte Mauer Ob in Bonn oder in Berlin, wir Parlamentarierinnen in den Köpfen und damit die deutsche Teilung wahrhaf- und Parlamentarier müssen uns bewußt sein, daß Demo- tig zu überwinden. Aber daß es diese Perspektive gibt, kratie Mitbestimmung heißt. Das sollte in allen gesell- daß wir uns dieser Herausforderung gemeinsam stellen schaftlichen Bereichen gelten. dürfen, dazu hat diese kleine Stadt am Rhein einen gro- Danke. ßen, ihren eigenen Beitrag geleistet. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der GRÜNEN) CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. An- gela Marquardt [PDS])

Vizepräsident Rudolf Seiters: Als nächste Red- Auch für mich ganz persönlich hat die Stadt Bonn nerin spricht für die SPD-Fraktion die Kollegin Iriseine wichtige, eine große Rolle bei der alltäglichen Gleicke. Überwindung der Teilung Deutschlands gespielt. So sehr wir Politiker uns auch abrackern: Der Politik wird man vorwerfen, daß ihr etwas Abstraktes anhaftet. Men- Iris Gleicke (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- schen hingegen und ihre Beziehungen zueinander sind nen und Kollegen! Liebe Oberbürgermeisterin Bärbelimmer sehr konkret. Dieckmann! Liebe Bonnerinnen und Bonner! Wir alle Diese Einsicht habe ich für mich gewonnen, als ich haben Bonn dafür zu danken, daß es in den letzten im Dezember 1990 als sehr junge Abgeordnete nach 50 Jahren das Parlament und damit das Herzstück der Bonn kam und die Stadt und ihre Menschen kennenzu- deutschen Demokratie beherbergt hat. lernen begann. Ich war damals gerade 26 Jahre alt und Aus meiner Perspektive, aus der Perspektive einerhabe mich hier ziemlich fremd, manchmal auch etwas ostdeutschen Abgeordneten, die dem Bundestag seit verloren gefühlt. Das ist nicht lange so geblieben, denn 1990 angehört, möchte ich es persönlicher formulieren: ich habe in Bonn Hilfsbereitschaft, Wärme und Freund- Ich bin froh und dankbar dafür, daß ich hier in Bonn in lichkeit gefunden: zunächst bei den Kolleginnen und den vergangenen neun Jahren bei der Gestaltung derKollegen – übrigens über die Parteigrenzen hinweg –, Demokratie mitwirken durfte. Sicherlich war für unssehr bald auch bei den Menschen, die in dieser Stadt 4348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Iris Gleicke (A) leben und arbeiten. Ich habe dasRheinland schätzen montagszug! Mehr als einmal habe ich an der Straße(C) gelernt, und zwar nicht nur die rheinische Frohnatur,gestanden, gemeinsam mit den anderen Jecken nach sondern auch die Leichtigkeit und freundliche Weltof- Kammelle gerufen und das Prinzenpaar bejubelt. Wenn fenheit, den Charme und die fast südländisch anmutende ich dabei aus lauter Übermut statt „Bonn alaaf!“ „Slusia Lebensweise. helau!“ gerufen habe, weil das in meiner Heimatstadt Schleusingen nun einmal so heißt und weil wir in Thü- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ringen auch Karneval feiern, dann hat mir das niemand der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS – Dr. übelgenommen. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Laßt uns hier- bleiben!) (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das stimmt aber nicht! – Heiterkeit) In Bonn stellen die Gastwirte die Tische und Stühle auf die Straßen und Plätze, sobald die Sonne anfängt zuDas will durchaus etwas heißen in einer Stadt, für die scheinen. der Karneval ein großes und wichtiges Ereignis und da- (Dr. [F.D.P.]: Leider nur mit auch eine ernste Angelegenheit ist. Herr Wester- bis 10 Uhr!) welle, zumindest bin ich nicht verprügelt worden! Man hat bisweilen vom „Raumschiff Bonn“ gespro- Hier im Rheinland habe ich von den Bonnerinnen und chen, in dem den Politikerinnen und Politikern jeder Be- Bonnern gelernt, was „Leben und leben lassen!“ heißt. zug zum realen Leben abhanden zu kommen droht. Da Et kütt wie et kütt, und et hätt noch immer jootjejange! mag ein bißchen dran sein, aber ich habe Bonn als Stadt (Beifall im ganzen Hause) so nicht erlebt. Es fällt mir nicht ganz leicht, zu be- schreiben, warum mir diese Stadt in den vergangenenWohl auch deshalb konnte sich das politische Leben in neun Jahren so ans Herz gewachsen ist. Es gibt so viele Bonn weitgehend unverkrampft entfalten. Wohl auch Erinnerungen und Begegnungen, aus denen sich mein deshalb hat Bonn dieser Demokratie so gutgetan. Ich bin Bonn zusammensetzt. Ich lasse in Bonn viel mehr zu-froh darüber, daß ich das parlamentarische Handwerk in rück als nur einen leeren Sessel in diesem Plenarsaal.dieser Atmosphäre von Toleranz und Lebensfreude Ich denke an die Freundschaften, die ich geschlossenerlernen durfte. Ich weiß von vielen Kolleginnen und habe und die mir lieb und teuer sind. Ich denke daran,Kollegen, die ganz ähnliche Erfahrungen mit dieser daß mein Sohn einen Teil seiner Kindheit in Bonn erlebt Stadt gemacht haben und denen es ähnlich geht wie mir. hat. Ich denke an unsere gemeinsamen SpaziergängeAuch in ihrem Namen möchte ich der Stadt danken für von unserer Wohnung in der Nordstadt bis zum Grau-die schöne Zeit, die wir in ihr verbringen durften. Wir rheindorfer Hafen. Ich erinnere mich an lange Abende in werden Bonn vermissen. (B) gemütlichen Kneipen und Weinstuben, wo ich mit Leu- (D) ten ins Gespräch gekommen bin, die mir unverblümt ih- (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei re Meinung gesagt haben und mit denen ich mich nach Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS) Herzenslust streiten konnte. Dabei ist es keineswegs In diesem Frühjahr sind mir die blühenden Bäume in immer nur um Politik gegangen. Bisweilen waren diese der Rheinaue besonders aufgefallen – und ganz beson- Abende so lang, daß es nicht immer ganz leicht war, am ders die wunderschönen roten Kastanien. nächsten Morgen pünktlich in der Arbeitsgruppe oder im Plenum zu sein. (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. ) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Nor- bert Blüm [CDU/CSU]) Ich habe beschlossen: Eine solche Kastanie will ich mir zu Hause in meinen Garten pflanzen; sie soll in mir die Unvergeßlich ist für mich meine erste Begegnung mit Sehnsucht an eine kleine große Stadt in Deutschland Willy Brandt, den ich hier in Bonn kennenlernen durf- wachhalten, die ein Teil meines Lebens und meiner te. Unvergeßlich sind die ersten Begegnungen mit ande- Heimat geworden ist. ren großen Politikerinnen und Politikern aus der Bonner Bühne. Aber ebenso nachdrücklich bleiben mir die vie- Schönen Dank. len kleinen freundlichen Begegnungen im Alltag mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt in Erinnerung. (Beifall im ganzen Hause) Ein unvergeßliches Erlebnis war meine nächtliche Rundfahrt auf einem großen Löschwagen der freiwilli- gen Feuerwehr, von der ich bis heute nicht genau weiß, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich ob sie so ganz legal war. Deshalb verrate ich auch nicht, möchte die Gelegenheit nutzen, den ehemaligen Ober- in welchem Bonner Ortsteil sie stattgefunden hat. bürgermeister von Bonn, Hans Daniels, (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das wird (Beifall) hier nicht verfolgt! – Hans-Ulrich Klose sowie den früheren Vizepräsidenten des Deutschen [SPD]: Das gehört hier dazu!) Bundestages, Dr. Burkhard Hirsch, zu begrüßen. Hochwasserkatastrophen, Auch die beiden die ich (Beifall) miterlebt habe, werde ich so schnell nicht vergessen. Seitdem lege ich gesteigerten Wert auf ein Büro, das Als nächster Redner hat der Kollege Wolfgang nicht im Erdgeschoß liegt. Oder derBonner Rosen- Gehrcke von der PDS-Fraktion das Wort. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4349

(A) Wolfgang Gehrcke (PDS): Herr Präsident! Liebe für mich war der Widerstand gegen den Vietnamkrieg,(C) Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Sichtwei- also der Sommer 1968. Die 68er waren mehr als nur der se, die eines Sozialisten aus der Altbundesrepublik, der Teil, der den langen Marsch durch die Institutionen an- sich diese Republik aus der linken Opposition in Wider- trat, um dann dort anzukommen, wo die Vorgänger be- stand und in Gegensatz, in Ablehnung und Rebellionreits saßen. Liebe Antje Vollmer, die Geschehnisse des angeeignet hat – also auf ganz andere Art und Weise –, Jahres 1968 sind nicht eine Episode; das Jahr 1968 hat neben Ihre Äußerungen stellen. Ich sage bewußt „ne-dieses Land so tief verändert und so demokratisiert, daß ben“ und nicht „an die Stelle“: Aneignung ist möglichAltbundeskanzler Kohl 16 Jahre seiner geistig-mora- von oben, als Teil des Mainstream, der Mehrheit, die das lischen Wende brauchte, um das korrigieren zu wollen. Land durch Gesetze, Entscheidungen und Verträge (Beifall bei der PDS) prägt. Sie ist aber auch möglich – das ist mir wertvoll – durch Widerspruch und Widerstand. Viele Menschen haben die 50 JahreDemokratie im Alltag mitgeprägt, sie sind aus der Zuschauerrolle her- (Beifall bei der PDS) ausgetreten und haben sich eingemischt. Immer gab es Herrschaft und Opposition, Mehrheit und MinderheitAlternativen, auch wenn sie sich nicht durchgesetzt sind – ob Sie es wollen oder nicht – miteinander im und haben; das heißt aber dennoch nicht, daß diese Alterna- durch den Widerspruch verbunden. Sich darauf bewußt tiven falsch waren. einzulassen, den Widerspruch und die andere Seite zu All diese Personen und Ereignisse haben Bonn be- wollen und nicht als notwendiges Übel hinzunehmen – rührt, hier im Parlament und im Widerspruch zu seinen davon ist unsere Demokratie und sind wir alle noch weit Mehrheiten auf vielen großen Kundgebungen im Bonner entfernt. Hofgarten. Die Bonner haben daran nicht Schaden ge- (Beifall bei der PDS) nommen. Sie haben es getragen, manchmal wohl auch eher ertragen. Ihnen ist zu danken. Ich will zu den Namen, die hier genannt worden sind, drei weitere Namen hinzufügen, die ebenfalls zu 50 Jah- (Beifall bei der PDS) ren Demokratie gehören: Heinz Renner, Bundestagsab- Ich komme zum Schluß. UnserGrundgesetz hat am geordneter der KPD und ehemaliger Oberbürgermeister Widerstand und am Widerspruch auch keinen Schaden der Stadt Essen. Er, Herbert Wehner und Konrad Ade- genommen, im Gegenteil: Seine Forderungen und Mög- nauer waren als Kontrahenten in diesem ersten Parla- lichkeiten für alle Menschen, nicht nur für alle Deut- ment in einer Art und Weise verbunden, daß sie Parla- schen – Eigentum verpflichtet; politisch Verfolgte er- mentsgeschichte geschrieben haben. Ferner will ich halten Asyl; Unverletzlichkeit der Wohnung; Freiheit nennen Klara Maria Faßbinder, die Unermüdliche der der Presse; seine Weisheit, keine bestimmte Wirt- (B) Friedensbewegung, und Rudi Dutschke, den rebellischen (D) schaftsordnung, auch nicht die kapitalistische, auch Geist der APO. nicht die der rheinischen Art, festzuschreiben und ein (Beifall bei der PDS) Friedensgebot zu erlassen –, bleiben für mich Wesens- gehalt von 50 Jahren Demokratie und Herausforderung Für mich und viele meiner Generation waren diezugleich. Verdrängung des und dasSchweigen über den Fa- schismus und den Krieg das, was zum Aufbegehren Schönen Dank. provozierte. Es ist nach wie vor eine offene Wunde, daß (Beifall bei der PDS) sich dieses Land so schwer damit getan hat und tut, sich damit auseinanderzusetzen. Ich möchte den heutigen Tag bewußt dazu nutzen, an Sie zu appellieren, den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bevor heute noch lebenden Häftlingen der Konzentrationslager ich dem früheren Vizepräsidenten dieses Hauses, Hans- und Zuchthäuser, den Widerstandskämpferinnen undUlrich Klose, das Wort gebe, möchte ich auch die ehe- Widerstandskämpfern zu sagen: Wir danken euch fürmalige Vizepräsidentin Lieselotte Funcke herzlich be- eure wichtige Haltung und Leistung. grüßen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Beifall) der SPD) Bitte schön, Herr Klose. Unser Dank darf kein Opfer ausschließen, auch nicht die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Ich bitte Sie – ich betone das Wort „bitte“ –, den noch lebenden Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Präsident! Meine Zwangsarbeitern endlich eine Regelung zukommen zu sehr geehrten Damen und Herren! Heute abend wird lassen, die nicht neue Demütigung und Aufrechnung mit – wenn das Wetter mitspielt – auf dem Bonner Markt- sich bringt. platz das Bonner Konzert erklingen, ein Geschenk des (Beifall bei der PDS) Bundestages an die Stadt Bonn. Es handelt sich um eine Komposition von York Höller, Professor an der Musik- Ich will an die großenAuseinandersetzungen der hochschule in Köln, der sein Werk am vergangenen letzten 50 Jahre um die Wiederbewaffnung, um dieSonntag in einem kleinen Kreis vorgestellt hat. Der Titel NATO-Mitgliedschaft, um den NATO-Doppelbeschluß, des Werkes lautet: Aufbruch. Das klingt optimistisch um die Ostverträge und um die Berufsverbote sowie an und dynamisch. So wollte es der Autor, der aber bei der die Bewegung „Kampf dem Atomtod“ erinnern. Prägend Vorstellung seines Werkes doch zugeben mußte, daß 4350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Hans-Ulrich Klose (A) sich in seine Wahrnehmung des Umzugs von Parlament Daran sollten wir uns erinnern, wenn Verbindendes(C) und Regierung von Bonn nach Berlin starke melancho- klein- und Trennendes großgeredet wird, also heute. lische Töne mischten; denn, so meinte er wörtlich, in Die Deutschen im Osten haben Grund, auf das, was Bonn sei doch über 50 Jahre gute Politik gemacht wor- sie für uns alle erreicht haben, stolz zu sein. Aber auch den. die Menschen im Westen haben viel erreicht, was viel- Das bringt es, wie ich finde, auf den Punkt: „guteleicht nur derjenige richtig ermessen kann, der den Krieg Politik“ nicht in dem Sinne, daß alles, was hier gesagt, und die unmittelbare Nachkriegszeit miterlebt hat. Die entschieden und getan wurde, immer gut und angemes- Menschen im Westen haben mit materieller Hilfe der sen war. Streit gab es genug, auch Fehler und Nieder-Vereinigten Staaten von Amerika – wir sollten das nie lagen, auch – ich rede jetzt von mir – persönliche Fehler vergessen – ein Staatswesen geschaffen, das uns Deut- und Niederlagen. Gleichwohl bleibt richtig: Der zweite schen die Rückkehr in den Kreis der Völker ebnete: de- demokratische Versuch auf deutschem Boden, der mit mokratisch stabil, wirtschaftlich stark, nach innen liberal dem Namen Bonn verbunden ist, hat sich zur Erfolgs-und solidarisch, nach außen friedlich, verläßlich und be- geschichte entwickelt. rechenbar für Freunde und Partner. Dieser Staat, seine Verfassung und die grundsätzliche Orientierung der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Politik haben in der eigenen Bevölkerung und bei den GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Nachbarn der Deutschen, ohne deren Zustimmung und Es waren 50 gute Jahre, wahrscheinlich die bisher besten ohne deren Mitwirkung die deutsche Einheit nicht mög- Jahre für die Deutschen: für die im Westen, die mehrlich gewesen wäre – ich rede nicht nur von den großen Glück hatten, aber auch für die im Osten, die lange ge- Nachbarn der Deutschen –, Vertrauen geschaffen. trennt von uns und unter weniger glücklichen Verhält- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nissen gelebt haben, bei denen aber das Wissen stärker der CDU/CSU und der F.D.P.) ausgeprägt war als bei uns Westdeutschen, daß wir ein Volk sind und ein Volk sein wollten. Mit Konrad Adenauer hat es angefangen. Er veran- kerte die junge Bundesrepublik in der westlichen Staa- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE tengemeinschaft. Deutschland sollte Teil Westeuropas GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) sein – nicht Osteuropa und auch nicht Mitteleuropa. Die potentielle Schaukellage der Deutschen, die in der Ver- Die Wiedervereinigung des geteilten Landes wargangenheit zu oft böse Konsequenzen hatte, sollte und ganz sicher der politisch glücklichste Tag der Bundes- mußte ein für allemal geklärt werden. Adenauers West- republik. Diese Überzeugung lasse ich mir von nieman- politik war, wie wir uns erinnern, umstritten; aber sie dem kaputtreden, weder von westdeutschen Mies-war konsequent und hat sich als historisch richtig erwie- (B) machern sen. Sozialdemokraten haben das – etwas verspätet – an- (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der erkannt. F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- Willy Brandt muß genannt werden, der – auf der Ba- NISSES 90/DIE GRÜNEN) sis einer festen Verankerung im westlichen Bündnis – noch von ostdeutschen DDR-Nostalgikern. eine Politik des Ausgleichs auch mit den osteuropäi- schen Nachbarn realisierte und dort nicht nur Vertrauen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schuf, sondern in der Konsequenz zur Auflösung des F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- Ost-West-Gegensatzes und zum Verfall der kommuni- NISSES 90/DIE GRÜNEN) stischen Herrschaft beitrug. Die Wiedervereinigung war, so hat es Helmut Schmidt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten formuliert, ein Glücksfall der deutschen Geschichte. Sie, der F.D.P.) Herr Dr. Kohl, können für sich in Anspruch nehmen, die Auch die Ostpolitik war umstritten. Aber auch sie hat Chance für solches Glück gesehen und ergriffen zu ha- sich in der geschichtlichen Praxis für uns Deutsche und ben. Das ist Ihre große Leistung, für die wir Ihnen zu für ganz Europa bewährt. Die Union hat das – etwas danken haben, heute und in Zukunft. verspätet – anerkannt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der Natürlich war die Einheit nicht Ihr Werk allein, das CDU/CSU und der F.D.P.) Werk eines Mannes. Viele Menschen haben dazu beige- Das alles ist hier in Bonn bedacht, debattiert und ent- tragen. Ich denke vor allem und zuerst an die vielen mu- schieden worden – und vieles mehr: soziale Marktwirt- tigen Menschen in Osteuropa, in Polen, in Ungarn, inschaft, Lastenausgleich, Gründung der Bundeswehr, der Tschechoslowakei, und auch an die Menschen inNotstandsgesetze, Asylfragen, Nachrüstung und die Ostdeutschland, die das SED-Regime in einer unbluti- neue Rolle der Bundesrepublik nach der Wiedervereini- gen Revolution abschüttelten – ein Ruhmesblatt in der gung. europäischen und deutschen Geschichte. An Ludwig Erhard muß erinnert werden, der die (Beifall im ganzen Hause) Wirtschaftsordnung der jungen Republik prägte, und an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4351

Hans-Ulrich Klose (A) Herbert Wehner, den wortgewaltigen – die Betonung Fundamentalisten vom Maghreb bis zum Nahen(C) liegt auf dem zweiten Teil –, Osten überwunden werden … Die eigentliche Auf- gabe der Politik, auch deutscher Außenpolitik, (Heiterkeit) scheint mir immer weniger in dem Anspruch zu be- der uns immer wieder ermahnte, die junge Bundesrepu- stehen, die Dinge zu ordnen und zu organisieren, blik wie unseren Augapfel zu hüten. sondern darin, sich auf intelligente und sensible Weise auf eine Situation einzurichten, die durch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten notorische Instabilität gekennzeichnet bleibt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) Das ist, wie ich finde, eine sehr kluge und beach- tenswerte Einschätzung unserer Lage und Möglichkei- An Helmut Schmidt muß erinnert werden, ohne den ten. Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Europa nicht so weit wäre, wie es ist. Und Hans- an Dietrich Genscher, den Unermüdlichen, muß erinnert (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der werden, von dem es heißt, daß er sich auf dem Wege F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- über den Atlantik gelegentlich selber begegnete. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei An der europäischen Ausrichtung unserer Außen- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE politik sollten wir unbedingt festhalten. Sie hat uns bis- GRÜNEN und der F.D.P.) her ganz überwiegend Vorteile gebracht. Die werden Es ist nicht möglich, allen, die dabei waren, gerecht nicht immer ganz so deutlich wahrgenommen, weil alle zu werden. Wir sind vielleicht noch zu nahe dran, umEU-Regierungen dazu tendieren, schmerzhafte finan- die ersten 50 Jahre, die Bonner Jahre, abschließend be- zielle Einschnitte in ihre nationalen Haushalte mit Euro- urteilen zu können. pa zu begründen, was – vorsichtig formuliert – nicht immer zutreffend ist. Der Effekt ist aber unübersehbar: Auch kritische Stimmen hat es immer gegeben: gegen Die Europabegeisterung der Menschen hat abgenom- die – ich zitiere – „restaurative“ Politik der Adenauer- men, was ich bedaure, denn ich sehe keine Alternative Zeit – von links; gegen die Dialog- und Annäherungs- zu einer betont europäischen Politik. politik meiner Partei, der SPD – von rechts; gegen das System – von extrem rechts und extrem links, wie üblich (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ gemeinsam; gegen zuviel und zuwenig soziale Politik – DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der ein Streitthema, das uns, vor allem Sozialdemokraten F.D.P.) und Liberale, bis in diese Tage verfolgt und, da bin ich In dieser Einschätzung waren wir uns in diesem Hause (B) sicher, weiter verfolgen wird. In Zeiten knapper Kassen – von der PDS abgesehen – auch immer einig, und das(D) und globaler Standortwettbewerbe ist das ganz unver-war und ist gut so. In Grundsatzfragen der außenpoliti- meidlich. schen Orientierung muß es nicht ein Mindestmaß, son- Das alles und der tägliche normale Streit der Parteien dern ein Höchstmaß an Konsens geben. untereinander und innerhalb der Parteien darf uns aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten niemals den Blick verstellen für das, was wesentlich ist: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der festzuhalten an der verfassungsmäßigen Ordnung und an CDU/CSU und der F.D.P.) der Grundorientierung deutscher Politik. Verläßlichkeit und Verantwortung – das sind die Stichworte. Noch eine Bemerkung zur Außenpolitik: Manchmal hat man bei Reden zur Außenpolitik hier und anderswo (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der den Eindruck, es gehe den Deutschen in erster Linie um F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND- das Wohl der ganzen Menschheit und nicht auch und in NISSES 90/DIE GRÜNEN) erster Linie um die Wahrnehmung deutscher Interessen. Wir haben gelernt, daß wir nach der Wiedervereini- Ich verstehe das, füge aber hinzu: Es ist normal, Interes- gung international stärker gefordert sind als früher. Die- sen zu haben und zu verfolgen, auch für Deutschland. sen Forderungen können und wollen wir uns nicht ent- Sie zu definieren und durchzusetzen, wenn möglich, ist ziehen. Aber wir sollten uns auch nicht überheben.nicht unanständig, sondern wird geradezu erwartet. Klaus Kinkels Wort von einerPolitik der Zurückhal- (Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!) tung ist so schlecht nicht. Ich habe ihn gelegentlich zi- tiert, wie ich auch den Publizisten Klaus Segbers immer Daß wir aber, um unsere Ziele zu erreichen, mit anderen wieder zitiere, der 1995 folgendes notiert hat: kooperieren müssen, ist selbstverständlich. Wir können es nur mit ihnen und unter Beachtung auch ihrer Interes- Nicht alle Probleme dieser Welt, die einer Lösung sen schaffen, weil wir zu klein sind, um mit der Robust- bedürfen, harren deutscher Einmischung. heit der Vereinigten Staaten zu operieren, und zu groß, (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) als daß man uns bei solchen Versuchen einfach gewäh- ren ließe. Den kooperativen Stil der deutschen Außen- Viele, auch mißliche, Zustände lassen sich ohnehin politik sollten wir deshalb beibehalten. nicht oder kaum beeinflussen. Die Gefahr der Selbstüberforderung ist groß … Weder können die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Transformationsprozesse in Osteuropa von hier aus DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der über den Berg gebracht werden, noch die neuen F.D.P.) 4352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Hans-Ulrich Klose (A) Worauf ich mit diesen drei Bemerkungen zur Außen- kennzeichnet – das alles wird mir fehlen. Aus dem Ur- (C) politik hinaus will, ist klar. Ich gehe davon aus, daß der laub zurückzukommen und nicht mehr mit dem Fahrrad Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nachzum Langen Eugen zu radeln, nicht mehr in mein Büro Berlin eben nicht mit einem Paradigmenwechsel derin den 28. Stock hinaufzufahren – mit einem Fahr- deutschen Politik, vor allem der Außenpolitik, einher- stuhl, an dessen Bummelzugqualität man sich gewöhnt geht. Ich plädiere entschieden für Kontinuität. hatte –: Natürlich wird es Akzentverschiebungen geben.Ber- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei lin ist anders als Bonn, liegt im Osten der Republik, ist Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) viel größer. Den Problemen der Zeit und der Wirklich- Noch kann ich es mir nicht richtig vorstellen. Von ande- keit begegnet man in einer solchen Stadt auf Schritt und ren Kolleginnen und Kollegen weiß ich, daß es ihnen Tritt, während wir hier in Bonn, im Regierungs- und ebenso geht. Parlamentsviertel – zugegebenermaßen – in einer etwas abstrakten Welt gearbeitet haben: wir hier drinnen und Da muß man durch. Auch die Bonner müssen da die Menschen draußen. Das wird sich in Berlin hoffent- durch. Sie schaffen das auch: aus eigener Kraft, unter lich ändern, und es wird die Politik verändern, aber nicht tatkräftiger Führung und mit unserer Hilfe, so wie wir es im Grundsatz. Der ersten so erfolgreichen Bonner Etap- versprochen haben. Daß wir uns an diese Versprechen pe unseres demokratischen Wiederaufbaus wird – davon halten, zumindest das schulden wir der Stadt Bonn, die bin ich überzeugt – eine ebenso erfolgreiche in Berlinuns so gastfreundlich und hilfreich aufgenommen hat, in folgen. Das politische Klima in Berlin wird anders sein, der es sich so angenehm lebt, in der ich gern lebe. aber es bleibt die gleiche Republik: nicht die Bonner Republik, keine Berliner Republik, sondern die Bundes- (Beifall im ganzen Hause) republik Deutschland, unser aller gemeinsamer Staat. Dank, liebe Bärbel Dieckmann, an Bonn! Glück auf, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Herr Kollege Diepgen, für Berlin! DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall im ganzen Hause) sowie bei Abgeordneten der PDS)

Bleibt auch der Bonner Stil? Gab es so etwas wie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich freue einen Bonner Stil? Ich glaube, schon. Bonn ist eine klei- mich, daß wir an diesem historischen Tag so viele her- ne Stadt und mit Berlin nicht vergleichbar. Das Flairausragende Persönlichkeiten als Besucher bei uns haben. einer Weltstadt kann Bonn nicht bieten. Aber diese hei- Deswegen möchte ich es nicht versäumen, noch den frü- tere, eher bescheidene rheinische Stadt bietet etwas, was heren polnischen Außenminister, Herrn Professor Wla- für uns alle, die wir hier gearbeitet haben, wichtig war: dyslaw Bartoszewski, (B) Nähe. Hier in Bonn war alles nah beieinander. Man (D) konnte sich schnell zusammenfinden, begegnete sich (Beifall) laufend, lernte sich schneller – nicht nur politisch, son- den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dern auch persönlich – kennen. Wer an Wochenenden Herrn Professor Dr. Karl Lehmann, hier blieb und auf den Bonner Markt ging, konnte sicher sein, mindestens ein halbes Dutzend bekannter Gesichter (Beifall) – Politiker, Journalisten und Verbandsvertreter – zu tref- den Metropoliten von Deutschland, Herrn Augoustinos fen. Da die gastronomischen Möglichkeiten nicht unbe- Labardakis, grenzt waren und sind, traf man sich in Bonn auch au- ßerhalb der Politik immer wieder. (Beifall) Manch einem war das bisweilen ein bißchen zuviel. und nicht zuletzt den früheren Fraktions- und Parteivor- Alles in allem hat es uns aber geholfen, freundlich und sitzenden der SPD, Herrn Hans-Jochen Vogel, zu begrü- kollegial miteinander umzugehen. Das soll niemand ge- ßen. ringachten. (Beifall) (Beifall im ganzen Hause) Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt Man mag den Bonner Stil belächeln oder auch provinzi- gebe ich jetzt das Wort dem Regierenden Bürgermeister ell nennen: Er förderte die persönliche, sogar freund-von Berlin, Eberhard Diepgen. schaftliche Nähe quer durch die Parteien. Das hat der Politik gutgetan; Bonn hat uns gutgetan. (Beifall im ganzen Hause) Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister (Berlin): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr ver- Eben deshalb ist eine solche Rede, von der ich weiß, ehrten Damen und Herren! Herr Kollege Klose hat eben daß sie meine letzte Parlamentsrede hier an diesem Pult die Gefühlswelt, die für einenUmzug ganz typisch ist, ist, eine zwiespältige Sache. Berlin wird spannend – ge- in treffender Weise beschrieben. Immer dann, wenn man wiß. Ich freue mich auf Berlin. Aber – ich gebe es zu – sich auf den Weg macht, die Möbel einzupacken und die es mischt sich viel Melancholie in diese Freude. DasBücher für eine neues Regal zu sortieren, blickt man ein Bonner Regierungsviertel, der alte Plenarsaal, unser ge- Stück zurück, und das ist immer mit Melancholie ver- liebtes Wasserwerk, dieser wunderbare neue Plenarsaal, bunden. Die Liebe zu dem Ort und zu dem Geschehen der, wie ich finde, viel von dem ausdrückt, was Bonnkommt einem immer wieder in den Sinn. Gleichzeitig ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4353

Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (Berlin) (A) Umzug auch mit Aufbruch, mit der Frage nach demKlose hat soeben formuliert: Es war eine der glücklich- (C) Neuen verbunden. Es ist also eine Verknüpfung vonsten Phasen der deutschen Geschichte – und der glück- Rückblick und Ausblick. lichste Tag in seinem politischen Leben, wie er gesagt hat –, als wir die Wiedervereinigung erreichen konnten. In dieser Debatte möchte ich auch und gerade fürSie ist erreicht worden durch die Politik, die von Bonn Berlin sowie für die Berlinerinnen und Berliner sehraus betrieben wurde. Das ist es, was hervorzuheben ist. deutlich machen: Heute ist zunächst der Tag des Dan- Ich schließe mich dem ausdrücklich an. kes. Ich danke der Bundesstadt Bonn, daß sie den freien Teil Deutschlands in den Jahren der deutschen Spaltung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) würdig repräsentiert hat. Sicherlich haben viele von Ihnen Verständnis für (Beifall im ganzen Hause) einen zweiten Tag, den ich neben vielen glücklichen Tagen, die ich im persönlichen Leben natürlich anders Ich danke der Bonner Politik und auch der Stadt Bonn, definieren würde, erlebt habe: Für mich ist der glück- daß sie in der Zeit der Spaltung viele Zeichen der Soli- lichste Tag der Tag der Wiedervereinigung. Ein weite- darität gesetzt hat. rer sehr glücklicher Tag ist der Tag, an dem im Deut- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der schen Bundestag entschieden wurde: Die Verfassungs- F.D.P.) organe der Bundesrepublik Deutschland ziehen wieder nach Berlin. Ich stelle ausdrücklich fest: Ohne diese Zeichen der So- lidarität hätte der Westteil der Stadt Berlin nicht in Frei- Wenn nun der Bundestag und die Bundesregierung heit und sozialer Sicherheit überlebt. Ich bedanke mich ihren Sitz in der ungeteilten deutschen Hauptstadt neh- dafür. men, dann ist das ein sichtbares Symbol für die Wieder- vereinigung. Berlin war während der Jahrzehnte der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Teilung ein Fokus für die deutsche Teilung. Seit zehn F.D.P.) Jahren ist es jetzt ein besonderes Symbol für die Auf- gaben der Vereinigung, die Werkstatt. Für die Menschen Ich will ebenso ausdrücklich hervorheben: Die Stadt aus den neuen Bundesländern ist der Umzug von Parla- Bonn hat mit ihrem, wie hier immer formuliert wurde, ment und Regierung sicherlich auch ein Schritt in Rich- rheinischen Charme – ich würde sagen: mit Charme und tung auf die Menschen in den neuen Ländern. Auch das Frohsinn –, aber auch mit ihrer Ernsthaftigkeit dazu bei- gehört dazu. getragen, daß wir Deutsche in den letzten Jahrzehnten viele Freunde bei unseren Nachbarn und in der ganzen Ich sage das deswegen, Frau Kollegin Dieckmann, Welt gewonnen haben. weil im Verständnis der deutschen Politik liegt und lie- (B) gen muß: Es geht bei dieser Frage um den gemeinsamen (D) In dieser Debatte ist herausgestellt worden, wasAufbruch und die gemeinsame Verantwortung für die auch in den letzten Tagen immer wieder formuliertZukunft. worden ist: Bonn steht für eine der glücklichsten Epo- chen in der deutschen Geschichte. Ich gestehe Ihnen: Wir wissen – das ist hier sehr deutlich geworden –: Im ersten Augenblick habe ich bei dieser Formulierung Die Entscheidung über den Parlaments- und Regie- ein wenig gestockt. Was heißt „glücklichste Epocherungssitz ist vielen schwergefallen. Ich habe dafür Ver- der deutschen Geschichte“? Was ist die deutsche Ge- ständnis. Allerdings gehört es zur Geschichte der Bun- schichte? Die 50 Jahre? Es sind 50 Jahre, die wir sehr desrepublik Deutschland, daß der Weg nach Berlin genau definieren müssen, nämlich als 40 Jahre dereigentlich vorgegeben war. Aber wir wollen nicht zu- Teilung und 10 Jahre des Zusammenwachsens. Zu den rückblicken. 40 Jahren der Teilung gehört auch das Zuchthaus von Brandenburg. Zu den 40 Jahren der Teilung gehört all Ich möchte Ihnen, Frau Kollegin Dieckmann, und mit das, was damals im Osten Deutschlands – zunächst in Ihnen den Bürgerinnen und Bürgern von Bonn danken, der sowjetisch besetzten Zone, dann in der DDR – an daß der Beschluß über den Umzug der Verfassungsor- Unrecht geschehen ist. Aber – deswegen sage ich das gane mit wachsender Gelassenheit, mit wachsendem hier – auch diese 40 Jahre deutsche Geschichte derSelbstbewußtsein und mit wachsender Bereitschaft zur beiden Staaten in Deutschland sind deutsche Ge-Zusammenarbeit zwischen den Städten jetzt in die schichte und gemeinsame Geschichte, Wirklichkeit umgesetzt wird. Bei Ihnen persönlich möchte ich mich dafür bedanken, daß Sie in Ihrer Amts- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zeit mit Gelassenheit und in konstruktiver Form daran mitgewirkt haben und daß damit jedenfalls ich eine gute mit all ihren Unterscheidungen, die man dabei definie- Zukunft der Region Bonn verbinde, die ich mir, Ihnen ren muß. und uns allen wünsche. Vor allen Dingen wünsche ich Herr Kollege Clement hat in seinem Redebeitrag dar- uns eine dauerhafte und lebendige Verbundenheit zwi- auf hingewiesen: Vorsicht bei den Formulierungen,schen beiden Städten. nicht nur durch die Brille des Westens schauen. Den- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und noch – deswegen greife ich das auf –: Wenn ich defi- der SPD) niere, die Stadt Bonn stehe für eine der glücklichsten Epochen der deutschen Geschichte, dann steht natürlich Der Umzug – das ist hier herausgestellt worden – ist am Ende auch das, was erreicht wurde. Herr Kollegekein Richtungswechsel in der Politik.In den letzten 4354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (Berlin) (A) 50 Jahren ist hier in Bonn eine gute demokratische Tra- viel von dem aufnehmen wird, was beim Umzug nicht(C) dition gewachsen. Die werden wir alle gemeinsam inverlorengehen darf. Berlin fortsetzen. Die Stadt Berlin wird die Blicke der Vielen Dank. Bundesrepublik und der Politik allerdings auch auf neue Fragen und neue Probleme richten. Insofern besteht also (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der kein Richtungswechsel, aber es ist auch nicht nur ein F.D.P.) Ortswechsel. Denn der Umzug ist mit neuen Formen der politischen Verantwortung verbunden. Ich weise nur auf Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich die Ausführungen von Helmut Kohl hin, der klar her-schließe die Aussprache. ausgestellt hat, was es bedeutet, wenn 80 Kilometer vom Reichstag, vom Deutschen Bundestag entfernt die polni- Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. sche Grenze liegt. Das schärft den Blick in den Osten Nachdem der Deutsche Bundestag am 25. November und auch in den Ostseeraum. 1997 beschlossen hat, nach der Sommerpause 1999 seine parlamentarische Arbeit in Berlin aufzunehmen, Berlin wird auch mit einem Aufbruch verbunden sein. und nachdem der Umbau des Reichstagsgebäudes abge- Das ist die Veränderung. Ich hoffe, daß die Verbindung schlossen ist und ab Juli 1999 mit den Büros in den zwischen den Traditionen der Westbindung, der Öff-Übergangsliegenschaften mit Bonn vergleichbare Raum- nung nach Osten und der Modernisierung unseres Staa- verhältnisse hergestellt worden sind, kann ich das Ein- tes auch nach dem Umzug nach Berlin erhalten bleibt. vernehmen des Hauses feststellen, daß die Vorausset- Berlin möchte dabei eine dienende Hauptstadt sein, die zungen für die Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundes- die Nation zusammenführt und die Kräfte des Landes zu tages in Berlin, Platz der Republik, mit Wirkung zum gemeinsamem Nutzen bündelt. Wir wollen, daß sich1. September 1999 gegeben sind. Berlin, Bundesregierung und Bundestag an den neuen Wirkungsstätten zu Tatkraft und unverbrauchten Ideen Die gemeinsame Sitzung des Deutschen Bundestages verbinden, die dem Land dann Schwungkraft verleihen. und des Bundesrates gemäß Art. 56 des Grundgesetzes Wir wollen der deutschen Politik in Berlin genausoviel für die Bundesrepublik Deutschland zur Vereidigung geben, wie wir empfangen haben und zu empfangen hof- des Bundespräsidenten findet um 13 Uhr statt. fen. Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages berufe ich ein auf Mittwoch, den 8. September 1999, Ich danke Bonn für das, was von dieser Stadt ausge- 10.45 Uhr in Berlin im Reichstagsgebäude. gangen ist. Zwischen Kiez und Kosmos werden Sie vie- les von dem wiederfinden, was in Bonn gegenwärtig Die Sitzung ist geschlossen. war. Ich sage: Willkommen in Berlin, in einer Stadt, die (Schluß: 12.37 Uhr) (B) (D)

Berichtigung 49. Sitzung, Seite 4259 B, vorletzter Absatz: In der vor- letzten Zeile ist das Wort „Inflationsrate“ durch das Wort „Lohnsteigerung“ zu ersetzen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999 4355

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU)

entschuldigt bis zur namentlichen Abstimmung über den Ände- Abgeordnete(r) einschließlich rungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Schulhoff, Dirk Fischer (Hamburg), und weite- Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 1.7.99 rer Abgeordneter, Drucksache 14/1269, zu Ab- DIE GRÜNEN schnitt II der Beschlußempfehlung des Aus- schusses für Kultur und Medien (Drucksache Bleser, Peter CDU/CSU 1.7.99 14/1238) Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 1.7.99 zu den Anträgen zur Errichtung eines Mahn- mals oder Denkmals für die ermordeten Juden Friedhoff, Paul K. F.D.P. 1.7.99 in Europa (48. Sitzung, Seite 4129 D ff) Friedrich (Altenburg), SPD 1.7.99 Ich habe an der namentlichen Abstimmung zum Än- Peter derungsantrag auf Drucksache 14/1269 während der 48. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Juni Gebhardt, Fred PDS 1.7.99 1999 teilgenommen und mit Ja gestimmt, womit ich den Gilges, Konrad SPD 1.7.99 Antrag auf Drucksache 14/1269, der sich für den soge- nannten Richard-Schröder-Entwurf für das geplante Hartenbach, Alfred SPD 1.7.99 Holocaust-Mahnmal in Berlin ausgesprochen hat, unter- stützt habe. Hovermann, Eike SPD 1.7.99 Hübner, Carsten PDS 1.7.99 Ibrügger, Lothar SPD 1.7.99 Anlage 3

Irmer, Ulrich F.D.P. 1.7.99 Erklärung des Abgeordneten Dr. Willfried Penner (SPD) Klinkert, Ulrich CDU/CSU 1.7.99 (B) zur namentlichen Schlußabstimmung über Ab- (D) Koschyk, Hartmut CDU/CSU 1.7.99 schnitt II der Beschlußempfehlung des Aus- Lensing, Werner CDU/CSU 1.7.99 schusses für Kultur und Medien (Gestaltungs- entwurf II), Drucksache 14/1238 (48. Sitzung, Ostrowski, Christine PDS 1.7.99 Seite 4135 A) Reiche, Katherina CDU/CSU 1.7.99 Im Protokoll des Deutschen Bundestages für o. a. Sit- zung ist für die letzte namentliche Abstimmung Roos, Gudrun SPD 1.7.99 (Schlußabstimmung) mein Abstimmungsverhalten mit ungültig vermerkt. Rübenkönig, Gerhard SPD 1.7.99 Hiermit erkläre ich, daß ich in der letzten namentli- Scheffler, Siegfried SPD 1.7.99 chen Abstimmung (Schlußabstimmung über den Ge- Schindler, Norbert CDU/CSU 1.7.99 staltungsentwurf II) mit Nein gestimmt habe. Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P. 1.7.99 Edzard Anlage 4 Schöler, Walter SPD 1.7.99 Schuhmann (Delitzsch), SPD 1.7.99 Amtliche Mitteilungen Richard Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Schulz (Everswinkel), SPD 1.7.99 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der Reinhard nachstehenden Vorlage absieht: Schurer, Ewald SPD 1.7.99 Innenausschuß Sothmann, Bärbel CDU/CSU 1.7.99 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bun- Steiger, Wolfgang CDU/CSU 1.7.99 destag gemäß § 5 Abs. 3 Bundesstatistikgesetz (BStatG) für die Jahre 1997 und 1998 Uldall, Gunnar CDU/CSU 1.7.99 – Drucksachen 14/732, 14/829 Nr. 3 – 4356 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 50. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Juli 1999

(A) Haushaltsausschuß Drucksache 14/488 Nr. 2.23 (C) Drucksache 14/671 Nr. 2.6. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/671 Nr. 2.11 Haushaltsführung 1997 Drucksache 14/671 Nr. 2.16 Drucksache 14/671 Nr. 2.33 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im ersten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1997 Drucksache 14/839 Nr. 1.2 Drucksache 14/839 Nr. 2.1 – Drucksachen 13/8299, 14/272 Nr. 73 – Drucksache 14/839 Nr. 2.4 Drucksache 14/839 Nr. 2.5 Drucksache 14/839 Nr. 2.6 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/839 Nr. 2.7 Haushaltsführung 1997 Drucksache 14/839 Nr. 2.8 Drucksache 14/839 Nr. 2.9 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im zweiten Drucksache 14/1016 Nr. 2.3 Vierteljahr des Haushaltsjahres 1997 Drucksache 14/1016 Nr. 2.4 – Drucksachen 13/8408, 14/272 Nr. 74 – Drucksache 14/1016 Nr. 2.6 Drucksache 14/1016 Nr. 2.8 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/1016 Nr. 2.13 Drucksache 14/1016 Nr. 2.15 Haushaltsführung 1997 Drucksache 14/1016 Nr. 2.17 Drucksache 14/1016 Nr. 2.21 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im dritten Vierteljahr des Haushaltsjahres 1997 Drucksache 14/1016 Nr. 2.22 – Drucksachen 13/9264, 14/272 Nr. 75 – Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/272 Nr. 112 Drucksache 14/309 Nr. 2.9 Haushaltsführung 1997 Drucksache 14/309 Nr. 2.19 Über- und außerplanmäßige Ausgaben im vierten Drucksache 14/309 Nr. 2.24 Vierteljahr des Haushaltsjahres 1997 Drucksache 14/342 Nr. 1.9 Drucksache 14/342 Nr. 2.25 – Drucksachen 13/9984, 14/272 Nr. 76 – Drucksache 14/342 Nr. 2.41 Drucksache 14/488 Nr. 2.13 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 14/272 Nr. 145 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Drucksache 14/272 Nr. 148 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Drucksache 14/309 Nr. 1.4 Drucksache 14/488 Nr. 1.3 Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Be- Drucksache 14/488 Nr. 2.40 ratung abgesehen hat. Drucksache 14/488 Nr. 2.45 Drucksache 14/671 Nr. 2.7 Drucksache 14/671 Nr. 2.13 (B) Auswärtiger Ausschuß (D) Drucksache 14/488 Nr. 2.47 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Innenausschuß Drucksache 14/74 Nr. 1.20 Drucksache 14/74 Nr. 2.97 Drucksache 14/671 Nr. 2.1 Drucksache 14/342 Nr. 2.42 Drucksache 14/671 Nr. 1.4 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 14/671 Nr. 2.17 Drucksache 14/1016 Nr. 2.20 Drucksache 14/488 Nr. 2.4 Drucksache 14/488 Nr. 2.5 Drucksache 14/488 Nr. 2.6 Ausschuß für Bildung, Forschung und Drucksache 14/488 Nr. 2.7 Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/488 Nr. 2.10 Drucksache 14/488 Nr. 2.11 Drucksache 14/839 Nr. 2.10 Drucksache 14/488 Nr. 2.12 Drucksache 14/839 Nr. 2.13 Drucksache 14/488 Nr. 2.18 Drucksache 14/839 Nr. 2.16 Drucksache 14/488 Nr. 2.21 Drucksache 14/1016 Nr. 2.14

Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7980