MARTIN MOLL

Vom österreichischen Gendarmerie-Offizier zum Höheren SS- und Polizeiführer Serbien, 1942-1944 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Einleitung

Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die sogenannte neuere Täterfor- schung mit jenen Männern (und wenigen Frauen), die als direkte oder indi- rekte Täter, mithin als Planer und/oder Ausführende in die nationalsozialis- tischen Mordaktionen gegen Juden, Slawen, Sinti und Roma sowie sonstige als rassische oder politische Gegner apostrophierte Gruppen involviert wa- ren.1 Gefragt wird hierbei nach den sozialen, generationellen, konfessio- nellen, bildungs- und herkunftsmäßigen sowie nicht zuletzt ideologischen Prägungen der Tätergruppen. Dabei fällt zugleich eine Konzentration des Forschungsinteresses auf die die eigentlichen Taten ausführenden Appara- te und deren Personal, insbesondere aus dem weit gespannten SS-Komplex, auf. Als Resultat dieser intensiven Forschungen sind zahlreiche Einzel- und Gruppenbiographien der wie auch immer definierten Täter erschienen, da- neben auch diverse Studien, die sich mit den situativen Rahmenbedingun- gen des Handelns der Täter vor Ort beschäftigen, meist im deutsch besetzten Ost- und Südosteuropa.2 Diese zuletzt intensiv betriebene Forschung hat bisher einen Mann aus dem engsten Kreis der Täter nicht einbezogen, der dies zweifellos verdient hätte, und sei es nur wegen seiner Funktion als Höherer SS- und Polizeifüh- rer (HSSPF) für das deutsch besetzte (Rumpf-) Serbien von Januar 1942 bis

1 Vgl. etwa, mit einleitenden methodischen Überlegungen, GERHARD PAUL (Hrsg.), Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Göttingen 2002; HELGARD KRAMER (Hrsg.), NS-Täter aus interdisziplinärer Perspek- tive, München 2006; GEORGE C. BROWDER, Perpetrator Character and Motivation: An emerging Consensus?, in: Holocaust and Genocide Studies 17, 2003, S. 480-497. 2 MICHAEL WILDT, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssi- cherheitshauptamtes, Hamburg 2002.

DANUBIANA CARPATHICA 5 (52) (2011), S. 239-308 239 Martin Moll

März 1944: August (Edler von) Meyszner (1886-1947).3 Der steirische Gendar- merie-Offizier und spätere HSSPF im Generalsrang (SS-Gruppenführer und der Polizei) taucht in der Literatur entweder nur als promi- nentes Mitglied des Steirischen Heimatschutzes, einer NS-Vorläuferorgani- sation im Österreich der 1920er und 1930er Jahre, oder in Form von kurso- rischen Erwähnungen in Darstellungen zur deutschen Besatzungspolitik in Serbien während des Zweiten Weltkrieges auf. Eine seiner Person gewidme- te, monographische Darstellung wurde diesem hochrangigen Vertreter des SS- und Polizeikomplexes bis heute nicht zuteil. So erstaunlich dieser Um- stand angesichts der Ausdifferenzierung der NS-Täterforschung sein mag, so gibt es hierfür doch gute Gründe, welche die Vernachlässigung Meyszners erklären: Im Steirischen Heimatschutz, einer präfaschistischen und in den 1930er Jahren sukzessive in die NSDAP übergeleiteten, paramilitärischen Formation der Rechten, gehörte Meyszner wohl jahrelang zum Führungszir- kel. Dennoch stand er im Schatten von dessen Führer Walter Pfrimer (1881- 1968), der durch den Putschversuch von 1931 Geschichte geschrieben hat, den er angeführt hatte und der nach ihm benannt wurde. Standen die Jahre zwischen Meyszners Engagement für Pfrimer bis zu seinem Amtsantritt in Serbien (Januar 1942) naturgemäß weniger im Fokus der Forschung, so schien sich seine Tätigkeit in Serbien ungeachtet seiner hohen Position durch zwei Umstände zu relativieren: Als Meyszner in Bel- grad eintraf, war die physische Vernichtung der dort ansässigen Juden als Teil der Vergeltungsmaßnahmen gegen Partisanenanschläge bereits weitge- hend abgeschlossen. Meyszner hatte somit kaum Gelegenheit, das zu tun, was seinen Amtskollegen in anderen deutsch besetzten Gebieten gerade ab 1942 oblag, nämlich die Deportation der Juden in die Vernichtungslager oder deren Liquidierung vor Ort zu organisieren. Folgerichtig findet Meyszner in Walther Manoscheks gründlicher Studie über den Holocaust in Serbien nur am Rande Erwähnung.4 Zum zweiten: Obwohl die Bekämpfung der serbi-

3 Ein tabellarischer Lebenslauf bei ANDREAS SCHULZ, DIETER ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang, Band 3: LA-PL, Bissendorf 2008, S. 185-198; vgl. auch NIKOLAUS VON PRERADOVICH, Österreichs höhere SS-Führer, Berg am See 1987, insbesondere S. 115-122. 4 WALTER MANOSCHEK, „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1993; CHRISTOPHER R. BROWNING, Reprisal Policy and the Mass Murder of in Serbia, in: Militärge-

240 August Meyszner: Stationen einer Karriere schen Partisanenbewegungen zu den vordringlichen Aufgaben gehörte, die Meyszner durch Führer-Erlass übertragen worden waren, spielte seine Dienststelle hierbei schon mangels verfügbarer SS- und Polizeikräfte nur eine nachgeordnete Rolle. Die Aufstandsbekämpfung war und blieb eine ge- nuin militärische Aufgabe, weil nur die Wehrmacht die dafür erforderlichen kampfkräftigen Verbände bereitstellen konnte, und weil Serbien bis zur Räu- mung des Landes Operationsgebiet unter Militärverwaltung blieb. Immerhin erschien August Meyszner nach Kriegsende den Jugoslawen, auf deren Territorium sich sein zeitgeschichtlich relevantes Wirken haupt- sächlich abgespielt hatte, als prominent genug, um ihn vor Gericht zu stellen und Ende 1946 zum Tode zu verurteilen. Nach Vollstreckung der Todesstra- fe im Januar 1947 scheint sich Meyszners Spur in der Historiographie weit- gehend zu verlieren und das Interesse an ihm erloschen zu sein.5 Seinem Lebensweg nachzuspüren und dabei seine bemerkenswerte Karriere vom österreichischen Gendarmerie-Offizier in der steirischen Provinz zum Re- präsentanten des Reichsführer-SS als HSSPF in Serbien zu verfolgen, ist die Intention der nachfolgenden Ausführungen. Diese stehen zugleich unter der bis heute kontrovers diskutierten Fragestellung, welche Rolle die aus Öster- reich stammenden, zahlreichen Repräsentanten der NS-Besatzungsverwal- tungen auf dem Balkan während der Jahre 1941 bis 1945 spielten.6 Da neben Meyszner noch zwei weitere, spätere HSSPF ihre politischen Gehversuche im Rahmen des Steirischen Heimatschutzes absolviert hatten, soll drittens

schichtliche Mitteilungen 33 (1983), S. 31-47; DERS., Germans and . The Emer- gence of Nazi Antipartisan Policies in 1941, in: MICHAEL BERENBAUM (Hrsg.), A Mo- saic of Victims. Non-Jews persecuted and murdered by the Nazis, New York-Lon- don 1990, S. 64-73. 5 Vgl. etwa KARL-HEINZ SCHLARP, Wirtschaft und Besatzung in Serbien 1941-1944. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik in Südosteuropa, Stutt- gart 1986, der auf über 400 Seiten Text Meyszner an einer einzigen Stelle en passant erwähnt. Eine geraffte Darstellung bietet RUTH BETTINA BIRN, Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten, Düssel- dorf 1986, S. 238-249. 6 Zuletzt BERTRAND PERZ, Der österreichische Anteil an den NS-Verbrechen. An- merkungen zur Debatte, in: HELMUT KRAMER, KARIN LIEBHART, FRIEDRICH STADLER (Hrsg.), Österreichische Nation – Kultur – Exil und Widerstand. In memoriam Felix Kreissler, Münster 2006, S. 223-234; OLIVER RATHKOLB, Die paradoxe Republik. Ös- terreich 1945 bis 2005, Wien 2005, Kapitel 9.

241 Martin Moll nach den Bedingungen der Sozialisation in diesem rechtsextremen Wehrver- band gefragt werden.

Kindheit und Jugend

August Meyszner wurde am 3. August 1886 als August Edler von Meyszner in Graz, der Hauptstadt des Kronlandes Steiermark, geboren. Den Adelstitel, mit dem sein Vater Rudolf Meyszner 1884 geadelt worden war, verlor er mit dem Untergang der Habsburgermonarchie Ende 1918, als kurz darauf der österreichische Adel per Gesetz abgeschafft wurde.7 Meyszner entstammte einem gehobenen, soliden familiären Umfeld: Sein Vater brachte es in der österreichisch-ungarischen Armee bis zum Oberstleutnant, sein Onkel Fer- dinand von Meyszner sogar bis zum Feldmarschallleutnant. Aus der Fami- liengeschichte bemerkenswert ist ferner eine mit August Meyszners älterem Bruder Rudolf Ferdinand (1882-1963) zusammenhängende Episode: Dieser heiratete 1929 die Jüdin Alice Strauß (1875-1945), die in ihrer zweiten von ins- gesamt vier Ehen mit dem Walzerkönig Johann Strauß (1825-1899) verehe- licht gewesen war. August Meyszner trat zunächst ins k. u. k. Heer ein und wurde 1908 22-jährig als ausgemustert. Wenige Wochen vor Ausbruch des Ers- ten Weltkriegs trat er mit dem Rang eines endgültig zur Gen- darmerie über, der er auf eigene Bitte hin bereits im Mai 1913 dienstzuge- teilt geworden war; warum Meyszner aus dem Heeresdienst auszuscheiden wünschte, erwähnt er in seinen Lebensläufen nicht.8 Weitere Beförderungen zum Rittmeister und folgten 1916 und 1921. Wenige Tage nach Kriegs-

7 Das NS-Regime machte die Abschaffung des österreichischen Adels durch die Republik nach dem „“ 1938 nicht rückgängig, weshalb österreichische Adelsprädikate im Gegensatz zu altreichsdeutschen im „Dritten Reich“ offiziell nicht geführt werden durften. Anders als die meisten aus der Alpenrepublik stam- menden SS-Führer hielt sich Meyszner daran, was man als geringes Interesse an seinem Adelstitel deuten könnte. PRERADOVICH, Österreichs höhere SS-Führer, S. 340-341. 8 Lebenslauf Meyszners, 12. Februar 1935, Bundesarchiv Berlin (im Folgenden: BAB), SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 1291. Ergänzend Akten des Gaupersonal- amts, Nr. 13.465 (August Meyszner). Österreichisches Staatsarchiv Wien, Archiv der Republik. Zur Jugend Meyszners und zu dessen Kriegseinsatz 1914-1918 auch PRERADOVICH, Österreichs höhere SS-Führer, S. 115-116.

242 August Meyszner: Stationen einer Karriere beginn ehelichte Meyszner die gleichaltrige, aus dem untersteirischen Mar- burg an der Drau (Maribor) stammende Pia Gostischa (1886-?). Der Ehe ent- stammen eine Tochter und ein Sohn. Am Ersten Weltkrieg nahm Meyszner in einer Vielzahl unterschiedlicher Verwendungen teil, darunter als Kompa- nie- und Abschnittskommandant an der Italienfront. Im August 1917 wurde er zum Landesgendarmeriekommando (LGK) Nr. 7 (Triest) zurückberufen und von dort in den Tagen des Zusammenbruchs zum LGK Steiermark nach Graz versetzt – seiner Wirkungsstätte für die nächsten 15 Jahre.

Meyszners Tätigkeit in der Republik Österreich in der Zwischenkriegszeit

Der Übergang zum Frieden war für Meyszner vorerst nur ein scheinbarer, denn als Kommandant der Grenzgendarmerie an der neuen österreichisch- jugoslawischen Grenze war er erneut an Kampfhandlungen beteiligt, etwa bei der Rückeroberung des jugoslawisch besetzten, südoststeirischen Rad- kersburg im Verband des Untersteirischen Bauernkommandos. Erst Ende 1919 begannen für Meyszner etwas ruhigere Zeiten, nachdem er zum Füh- rer der Gendarmerieabteilung im obersteirischen Judenburg ernannt wor- den war. Hier versah er für die folgenden neun Jahre seinen Dienst. Unter- brochen wurde diese Tätigkeit durch einen Einsatz als Kommandant eines Gendarmeriedetachments bei der Inbesitznahme des Burgenlandes, das von Ungarn an Österreich abgetreten worden war. Dabei wurde Meyszner durch einen Schuss in den Oberschenkel verwundet; eine erste Verwundung hatte er bereits im Weltkrieg erlitten. Auch in Judenburg blieb es nicht lange ruhig: 1922 musste Meyszners Gendarmerie dort Arbeiterunruhen und im Juli 1927, im Gefolge des Wiener Justizpalastbrandes, einen „roten Generalstreik“ nie- derschlagen. Es ist daher keinesfalls übertrieben festzustellen, dass Meyszner – vielfach auf eigenen Wunsch – im Weltkrieg und in den Wirren der Nach- kriegszeit stets an den Brennpunkten bewaffneter Konflikte eingesetzt wur- de.9 In seinen später für die SS verfassten Lebensläufen hatte Meyszner Ge-

9 Lebenslauf Meyszners, 12. Februar 1935, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 1291. Hier erwähnt Meyszner, dass er nach der Kriegserklärung Italiens Ende Mai 1915 freiwillig eine Gendarmeriekompanie gebildet habe und mit dieser an die Front abgerückt sei. Dort auch Hinweise zu weiteren, auf Initiative Meysz- ners aufgestellten Verbänden.

243 Martin Moll legenheit, seine Meriten als „Alter Kämpfer“ herauszustreichen. So beschrieb er etwa die Judenburger Unruhen von 1922 unter Verweis auf den Rückhalt, den er und die Gendarmerie beim Heimatschutz genossen, und bramarba- sierte, er habe „bei Nacht alle roten Führer der Gegend ausgehoben, verhaf- tet und nach Graz eingeliefert […], worauf das ganze rote Murtal alarmiert wurde. Der Aufstand wurde niedergeschlagen.“10 Für einen österreichischen Gendarmen durchaus ungewöhnlich,11 fand Meyszner schon früh den Weg zur deutschnationalen Rechten und damit in die Politik. Bereits 1919 war er Funktionär des Deutsch-Völkischen Turnver- eins in Judenburg und Führer im Steirischen Heimatschutz. Anders als seine Heimatschutz- und späteren HSSPF-Kameraden Hanns Albin Rauter (1895- 1949) und Konstantin Kammerhofer (1899-1958), die erst in den 1930er Jah- ren den Weg zur NSDAP fanden, trat Meyszner bereits im September 1925 in die österreichische NSDAP ein. Er hatte die Mitgliedsnummer 10.617. Aus unbekannten Gründen muss diese Mitgliedschaft allerdings später erlo- schen sein; zumindest erfolgte 1938 keine Übernahme in die reichsdeutsche NSDAP. Auf die hieraus resultierenden Kalamitäten wird zurückzukommen sein. Aus seinem politischen Engagement für die extreme Rechte machte Meyszner wenig Hehl. Im Mai 1927 wurde er zusammen mit seinen Heimat- schutz-Kameraden Pfrimer und Rauter sogar von Hitler im bayerischen Frei- lassing zu einer Unterredung empfangen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1929 wurde Meyszner „wegen meiner politischen Tätigkeit“ (so heißt es in seinem SS-Lebenslauf vom Februar 193512) von Judenburg in die Landeshauptstadt Graz als Kommandant der dortigen Gendarmerieabteilung versetzt. Dies bremste seinen politischen Enthusiasmus freilich nicht, sondern eröffnete ihm im Gegenteil neue Möglichkeiten. Erst kurz in Graz, nahm Meyszner am „Wiener Neustädter Aufmarsch“ rechter Wehrverbände teil. Über das Ge- schehen schrieb später Meyszners SS-Kamerad Rauter in einem in Deutsch- land verfassten Lebenslauf vom Februar 1935: „Mit dem Gend. Major v. Meyszner verschleppten wir an die 20.000 Gewehre und 400 MG aus staat-

10 Ebenda, frame 1293. 11 Ebenda erwähnt Meyszner: „Trotz Dienstverbot arbeitete ich im Heimatschutz weiter […].“ 12 Ebenda.

244 August Meyszner: Stationen einer Karriere lichen Kasernen und bewaffneten den Steirischen Heimatschutz.“13 Selbst wenn man Rauters notorischen Hang zu Übertreibungen in Rechnung stellt, kann man konstatieren, dass Meyszner seine hohe Position bei der Gendar- merie ungeniert missbrauchte, um die ihm nahestehenden rechten Wehrfor- mationen mit Waffen zu versorgen. Bei solchen Verdiensten war Meyszners Aufstieg in der (Partei-)Poli- tik nur konsequent, sobald die Heimwehrbewegung begonnen hatte, nicht nur als paramilitärischer Verband, sondern als politische Kraft aufzutreten. Schon Hitlers Zusammentreffen mit der Führungstroika des Steirischen Heimatschutzes 1927, unter ihnen Meyszner, hatte dessen Stellung deutlich markiert. Bei den Ende 1930 abgehaltenen Wahlen zum Steiermärkischen Landtag kandidierte Meyszner auf der Liste des Heimatblocks. Der Bezirk Judenburg, Meyszners dienstbedingte Heimat, war zu dieser Zeit tiefrot: Bei den gleichzeitigen Nationalratswahlen entfielen dort von knapp 36.000 gül- tigen Stimmen rund 16.200 auf die Sozialdemokraten (aber nur 287 auf die Kommunisten!), 7.400 auf die Christlich-Sozialen, 3.200 auf den Nationalen Wirtschaftsblock und Landbund, 6.400 auf den Heimatblock und spärliche 2.300 auf die NSDAP/Hitlerbewegung.14 Rechnet man die Voten für das na- tionale Lager zusammen, stellte es allerdings einen beachtlichen Faktor dar. Meyszner wurde nicht nur in den Landtag gewählt, sondern trat am 4. De- zember 1930 als Landesrat – eine einem deutschen Landesminister entspre- chende Position – in die Landesregierung des Bundeslandes Steiermark ein. Im Landtag mit seinen 48 Sitzen entfielen auf die Christlich-Sozialen und die Sozialdemokraten je 17, auf den Nationalen Wirtschaftsblock sowie Landbund acht und auf den Heimatblock sechs Abgeordnete. Nach dem für die Zusammensetzung der Landesregierung gültigen Proporzsystem durfte der Heimatblock, obwohl die kleinste Landtagsfraktion, ein Regierungsmit- glied nominieren. Die Wahl fiel auf Meyszner, was sowohl seine prominente

13 Lebenslauf Rauters, 15. Februar 1935, Bl. 3, Institut für Zeitgeschichte (im Folgen- den: IfZ) München, Fa 74/80 (RAUTER HANNS); zitiert auch bei PRERADOVICH, Öster- reichs höhere SS-Führer S. 75. 14 Statistische Nachrichten. Sonderheft: Die Nationalratswahlen vom 9. November 1930, o. O. 1931, S. 124-125. Zum Hintergrund vgl. KURT BAUER, „Steiermark ist einmal gründlich verseucht…“ Regionale Unterschiede bei der Affinität zum Na- tionalsozialismus in der Phase des Durchbruchs zur Massenbewegung. Mögliche Ursachen und Erklärungsansätze, in: Österreich in Geschichte und Literatur 43 (1999), S. 295-316.

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Stellung im Heimatschutz unterstreicht, als auch mit seiner Verwaltungser- fahrung sowie damit zusammenhängt, dass er als öffentlich Bediensteter – anders als der in der Obersteiermark als Rechtsanwalt tätige Pfrimer – für einen politischen Vollzeitposten leicht abkömmlich war. Laut Sitzungsproto- kollen des Landtags war Meyszner immer präsent und aktiv: Von Ende 1930 bis Mitte 1934 ist er dreiundzwanzig Mal als Erstunterzeichner bei Anträgen, Anfragen und ähnlichem seiner kleinen Fraktion verzeichnet.15 Seine Aufgaben an der Spitze der Landesverwaltung hinderten Meys- zner nicht, sich wenige Monate nach Amtsantritt an dem Pfrimer-Putsch zu beteiligen, der nach dem Führer des Steirischen Heimatschutzes benannt wurde.16 Anders als Pfrimer und dessen Stabsleiter Konstantin Kammerhofer hielt sich Meyszner bei dem vergleichsweise unblutigen und schon im An- satz zum Scheitern verurteilten Operetten-Putsch im Hintergrund.17 Hierbei sei er, so schreibt er in einem 1935 für die SS verfassten Lebenslauf kryptisch, „mittätig“ gewesen; auch entging er angeblich „nur nach schweren Kämp- fen im Landtage und in der Landesregierung, durch meine Immunität der Verhaftung.“18 Diese Beschwörung einer angeblich drohenden Gefahr er- scheint als reichlich übertrieben. Wohl richteten die Sozialdemokraten am 20. November 1931, als der Landtag erstmals nach dem Putsch wieder zu- sammentrat, eine dringliche Anfrage an Landeshauptmann Anton Rintelen (1876-1946), die sich aber überwiegend mit dessen zwielichtiger Rolle im

15 Stenographische Protokolle über die Verhandlungen des Steiermärkischen Land- tages, 4. Periode: 4. Dezember 1930 bis 12. Juli 1934, Graz 1934, Inhaltsverzeich- nis, S. 8-9, 15 und 18 (im Folgenden: StenProt LT). Zur Wahl des christlich-sozialen Juraprofessors Anton Rintelen zum Landeshauptmann und zur Wahl Meyszners zum Landesrat vgl. Ebenda, Sitzung vom 4. Dezember 1930, S. 7-8. Welche Fraktio- nen Meyszner, dessen politische Radikalität bekannt war, gewählt hatten, geht aus dem Protokoll nicht hervor; verzeichnet ist lediglich seine Wahl „mit erforderlicher Mehrheit“. 16 Grundlegend hierzu, leider ohne Personenverzeichnis, nach wie vor JOSEF HOF- MANN, Der Pfrimer-Putsch. Der steirische Heimwehrprozeß des Jahres 1931, Wien- Graz 1965. 17 Die Opferbilanz des Putsches verzeichnet drei Tote und fünf Verwundete. HEL- MUT GEBHARDT, Die Gendarmerie in der Steiermark von 1850 bis heute, Graz 1997, S. 250. 18 Lebenslauf Meyszners, 12. Februar 1935, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 1293; vage Hinweise bei HANS SCHAFRANEK, Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934, Wien 2006, S. 47-48. Die bei HOFMANN, S. 109ff. abgedruckte Anklageschrift führt Meyszner nicht auf.

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Vorfeld und während des Putsches beschäftigte. Rintelen mit seiner gegen- über der äußersten Rechten – gelinde gesagt – undurchsichtigen Haltung bil- dete für die Sozialdemokraten das Feindbild Nr. 1; Meyszner und seine klei- ne Heimatblock-Fraktion spielten bestenfalls die zweite Geige, wenngleich die Landtagssitzung, wie eine Lektüre des Protokolls mit den zahllosen ver- zeichneten Zwischenrufen ausweist, durch hitzige Wortgefechte gekenn- zeichnet war. Meyszner behauptete unverfroren, von den Putschplänen nichts gewusst zu haben, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er die Ziele der Putschisten, insbesondere die Errichtung einer Rechtsdiktatur, aus gan- zem Herzen billigte.19 Während Pfrimer, Kammerhofer und andere prominente Putschisten untertauchten oder ins Ausland flüchteten (nur um nach ihrer Rückkehr in einem Hochverratsprozess freigesprochen zu werden), blieb Meyszner nicht bloß im Land, sondern in Amt und Würden. Provisorisch übernahm er un- mittelbar nach dem Putsch die vakante Führung des Heimatschutzes, gab diese jedoch bald wieder ab und zog sich auf die Stellvertreter-Position zu- rück. Spätestens jetzt dürfte Meyszner klar geworden sein, dass diesem po- litisch diskreditierten Wehrverband keine Zukunft beschieden war. Zwei Monate nach dem fehlgeschlagenen Putsch suchten er und Rauter daher die Zusammenarbeit mit der aufstrebenden österreichischen NSDAP. Dies fand – neben Meyszners Ausfällen gegen die legitimistische Richtung der Heim- wehr-Bewegung – einen ersten Niederschlag in Gesprächen des steirischen Duos mit dem von Hitler aus dem Reich entsandten Landesgeschäftsführer der österreichischen NSDAP, Theo Habicht (1898-1944).20 Verabredet wurde eine enge Kampfgemeinschaft zwischen Heimatschutz und NSDAP, wobei ersterer dem Ende 1933 abgeschlossenen Venediger Abkommen zufolge in die NSDAP überführt werden sollte. Meyszner war vollständig auf die NS-Li- nie eingeschwenkt; dies äußerte sich etwa in seiner im April 1933 im Landtag gehaltenen Brandrede gegen die angebliche jüdische Überflutung Wiens.21

19 StenProt LT, Sitzung vom 20. November 1931, S. 302ff., insbesondere S. 306 und S. 316-319. 20 BRUCE F. PAULEY, Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918-1934, Wien-München-Zürich 1972, S. 131, 133, 144. Meyszner wird in diesem Werk erstmals nach dem geschei- terten Pfrimer-Putsch erwähnt. 21 StenProt LT, Sitzung vom 7. April 1933, S. 769-770; zum Venediger Abkommen siehe SCHAFRANEK, Sommerfest mit Preisschießen, S. 13-32.

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Fürs erste jedoch sollte Meyszners Nähe zu den Putschisten Pfrimers wie auch zu der sich radikalisierenden NSDAP seine politische Karriere ab- rupt beenden. Nach der faktischen Ausschaltung des Parlaments Anfang März 1933 reagierte die nun autoritär herrschende christlich-soziale Regie- rung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß (1892-1934) auf eine Serie nati- onalsozialistischer Sprengstoffanschläge im Frühjahr 1933 mit einem am 19. Juni 1933 verabschiedeten Verbot der österreichischen NSDAP, das den Steirischen Heimatschutz einbezog. Wenige Tage vorher war bereits die Zu- gehörigkeit von Bundesbediensteten zu der als staatsfeindlich eingestuften NSDAP verboten worden.22 Obwohl auf der Liste des Heimatblocks in den Landtag gewählt, wurde Meyszner auf Grundlage dieses pseudo-legalen Gesetzes sein Mandat aberkannt; er musste aus der Landesregierung aus- scheiden und wurde Ende September 1933 – „wegen meiner politischen Betätigung“, wie er später bemerkte – als Major der Gendarmerie (zwangs-) pensioniert. Der Rentner war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 47 Jahre alt. Überflüssig zu sagen, dass er weder geläutert noch in seinem politischen Tatendrang gebremst war. Auf Meyszner warteten nun neue Aufgaben, denn entsprechend dem Venediger Abkommen wurde er Stellvertreter des Führers der SA-Brigade Mittelsteiermark. Nach eigenem Bekunden will Meyszner damals zahlreiche Versammlungen abgehalten haben, die ihn „weit über die Steiermark hin- aus persönlich bekannt machten.“23 Darüber hinaus fuhr Meyszner, seinem SS-Lebenslauf zufolge, laufend zu „Führerbesprechungen“ nach Ungarn und Jugoslawien, was ihm Anfang Februar 1934 eine Verhaftung und einen mehrmonatigen Aufenthalt im österreichischen Internierungslager Wöllers- dorf bei Wiener Neustadt eintrug. Nach einem Hungerstreik und einer Art Häftlingsrevolte wurde Meyszner, ohne dem verhassten christlich-sozialen Staat ein Ehrenwort abzugeben, wie er betonte, aus der Haft entlassen.

22 StenProt LT, Sitzung vom 7. April 1933, S. 769-770; Bundespolizeidirektion Graz an Bundeskanzleramt, Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, 6. Juli 1933, ÖStA, AdR, Bundeskanzleramt (Staatsamt und Bundesministerium für Inneres), 22 Stmk. 04 AdR 1933, Karton 5135. In diesem sowie in Karton 5134 zahlreiche Berichte über die Aktivitäten des Heimatschutzes, unter anderem über die Rednerauftritte Meyszners. Zum Venediger Abkommen siehe SCHAFRANEK, Sommerfest mit Preis- schießen, S. 13-32. 23 Lebenslauf Meyszners, 12. Februar 1935, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 1294. Hiernach das Folgende.

248 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Kurz danach wurde der Führer der SA-Brigade Mittelsteiermark verhaf- tet, und Meyszner rückte in dessen vakante Position auf – eine Stellung, die er auch während des NS-Putsches am 25. Juli 1934 und in den Tagen danach innehatte. Da die Polizei über Meyszners SA-Funktion im Bilde war, wurde er bereits am 25. Juli verhaftet. Beim Juli-Putsch scheint er nicht an promi- nenter Stelle in Erscheinung getreten zu sein und sein 1935 in Deutschland verfasster Lebenslauf weist auch nicht auf dergleichen hin. Meyszner wur- de zwar später bescheinigt, aktiv an den Putschvorbereitungen teilgenom- men zu haben; auffällig ist jedenfalls, wie schon Pauley Anfang der 1970er Jahre bemerkt hat, dass nach dem „Anschluss“ verfasste NS-Hagiographien des Putsches die Rolle des Steirischen Heimatschutzes im Allgemeinen und Meyszners im Besonderen mit keinem Wort erwähnen.24 Dem Polizeige- wahrsam entkommen, flüchtete er am 27. Juli, wie so viele andere Putschis- ten, nach Jugoslawien. Dort scheint er nicht in führender Position in Erschei- nung getreten zu sein, auch wenn Meyszner 1935 angab, in Jugoslawien als Lagerleiter und Vortragsredner agiert zu haben – eine unbestätigte Beobach- tung, die österreichische Polizeidienststellen schon im August 1934 gemacht hatten.25

Meyszners Weg nach Deutschland und seine Karriere nach dem „Anschluss“ Österreichs

In der zweiten Hälfte des Jahres 1934 befand sich Meyszner, eigenem (ohne weiteres glaubwürdigem) Bekunden zufolge, in einer schwierigen persönli- chen und familiären Situation: Die Republik Österreich hatte ihn nach sei-

24 PAULEY, Hahnenschwanz und Hakenkreuz, S. 188, 191. Kein Hinweis auf Meyszner bei Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934. Akten der Historischen Kommission des Reichsführers-SS, Wien-München-Zürich 1984; GER- HARD JAGSCHITZ, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz 1976; marginale Hinweise bei SCHAFRANEK, Sommerfest mit Preisschießen, S. 125-155. 25 Keine Erwähnung bei DUŠAN NEĆAK, Die österreichische Legion II. Nationalsozi- alistische Flüchtlinge in Jugoslawien nach dem mißlungenen Putsch vom 25. Juli 1934, Wien-Köln-Weimar 1996; vgl. aber KURT BAUER, Elementar-Ereignis. Die ös- terreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934, Wien 2003, S. 108. Bau- er zitiert einen Bericht der Polizeiexpositur Spielfeld vom 19. August 1934, dem zufolge der fälschlich als Oberstleutnant bezeichnete Meyszner Kommandant des NS-Flüchtlingslagers Varaždin in Kroatien sei.

249 Martin Moll ner Flucht nach Jugoslawien ausgebürgert und ihm seine Pensionsansprüche aus 27 Dienstjahren aberkannt. Zu dieser Zeit war Meyszner nach eigenen Angaben ohne Vermögen. Kein Wunder, dass er sich, nachdem er im No- vember 1934 per Schiff von Jugoslawien nach Deutschland als wohl einzi- ger langfristiger Zufluchtsstätte gereist war, den SS-Dienststellen andiente. Meyszner hatte für seine Schicksalsgenossen den vorbereitenden Schriftver- kehr mit der Kanzlei des jugoslawischen Monarchen geführt und bedankte sich artig beim Regenten für die „liebenswürdige Aufnahme“,26 die er den Emigranten gewährt hatte. Er verwies auf seine langjährigen Erfahrungen unter anderem als Truppenoffizier des Ersten Weltkriegs und als Gebirgs- ausbilder der österreichischen Gendarmerie sowie auf seine Verwaltungspra- xis, die er in der steiermärkischen Landesregierung erworben hatte. In sei- nem Lebenslauf, den er im Zuge seiner Übernahme in die reichsdeutsche SS Mitte Februar 1935 verfasst hatte, verwies Meyszner auch auf seine reichen Erfahrungen als Versammlungsredner und -organisator. Eine künftige rein militärische Aufgabe, so schloss er diesen Lebenslauf, würde ihn nicht voll ausschöpfen, weshalb „ich eine Betätigung anstrebe, wo ich meine reichen Erfahrungen, vor allem zum Nutzen und Frommen meiner Heimat zu ver- werten vermag.“ Aufgrund der politischen Verhältnisse – Deutschland musste nach dem fehlgeschlagenen NS-Putsch vom Juli 1934 vorerst zurückstecken und die Unabhängigkeit Österreichs anerkennen – fand Meyszner in Deutschland fürs erste kein Betätigungsfeld, das unmittelbar mit seiner österreichischen Heimat verknüpft war –, sieht man von einer kurzen Tätigkeit in der Betreu- ung der NS-Flüchtlinge aus der Alpenrepublik ab. Danach übernahm ihn die deutsche Schutzpolizei mit seinem alten Dienstgrad als Major, den er seit 1921 innehatte. Nach ehrenhafter Entlassung aus der SA kurzzeitig in die reichsdeutsche SS übernommen, schied er dort im Oktober 1935 wieder aus, weil damals noch seine Zugehörigkeit zur Polizei mit einer Mitgliedschaft in der SS unvereinbar war.27 Aber schon im Oktober 1937 wurde Meyszner wieder in die SS, nun mit dem Dienstgrad eines Oberführers () mit Patent vom Februar 1935, aufgenommen und zugleich zum SS-Führer beim

26 ARNOLD SUPPAN, Jugoslawien und Österreich 1918-1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld, Wien-München 1996, S. 431 und 433. 27 Himmler an Meyszner, 11. Oktober 1935, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 337.

250 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Stab des SS-Abschnitts III ernannt.28 Bei der Schutzpolizei wurde er im Juni 1937 zum Oberstleutnant und schon im März des folgenden Jahres zum Oberst befördert. Im Dezember 1941 erreichte er mit der Ernennung zum Generalleutnant der Polizei und, wenige Tage danach, zum SS-Gruppenfüh- rer den Gipfel seiner Laufbahn. Dies war eine rasante Karriere, wenn man bedenkt, dass er bei der österreichischen Gendarmerie zwischen 1921 und seinem Ausscheiden 1933 kein einziges Mal befördert worden war. Außer- dem erhielt Meyszner im Mai 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft, die es ihm ermöglichte, ab 1937 als ehrenamtlicher Richter des Volksgerichtshofes zu wirken; Ende 1941 wurde die ursprünglich befristete Ernennung verlän- gert.29 Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Reich im März 1938 wurde Meyszner bei der Reichstagswahl vom 10. April zum Abgeordneten gewählt. Das Mandat hatte er bis Kriegsende.30 Wie unschwer zu erkennen ist, war Meyszners reichsdeutsche NS-Kar- riere eine unmittelbare Folge des fehlgeschlagenen NS-Putsches. Zunächst nach Jugoslawien ausgewichen, landete er – wie viele andere Putschisten auch – über Umwege im Reich. Dort versuchte man, den früheren Dienst- stellungen der Exilanten Rechnung zu tragen. Meyszner kam folgerichtig zur deutschen Schutzpolizei, in die er mit seinem österreichischen Rang über- nommen wurde. Es folgten diverse Lehrgänge und unterschiedliche Ver- wendungen bei der Schutz-, zeitweilig auch bei der Sicherheitspolizei. An der Spitze der Marschgruppe I der Ordnungspolizei sollte Meyszner am 12. März 1938 in seine Heimat zurückkehren und an deren „Anschluss“ mitwir-

28 Reichsführer-SS, gez. Schmitt, an Meyszner, 11. Oktober 1937; Ebenda, frame 417. 29 Martin Bormann (Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP) an Hans-Heinrich Lam- mers (Reichsminister und Chef der Reichskanzlei), 26. September 1941. INSTITUT FÜR ZEITGESCHICHTE MÜNCHEN (Hrsg.), Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Re- konstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Sammlung der in anderen Pro- venienzen überlieferten Korrespondenzen, Niederschriften von Besprechungen usw. mit dem Stellvertreter des Führers und seinem Stab beziehungsweise der Par- teikanzlei, ihren Ämtern, Referaten und Unterabteilungen sowie mit Heß und Bor- mann persönlich, München 1983ff., 101 27116-27117, im Folgenden: Akten der PK. 30 Hierzu JOACHIM LILLA, MARTIN DÖRING, ANDREAS SCHULZ, Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945. Ein biographisches Handbuch unter Ein- beziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten vor 1933, Düsseldorf 2004; JOACHIM LILLA, Die Vertretung Österreichs im Großdeut- schen Reichstag, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 48 (2000), S. 229-327, insbesondere S. 309-310.

251 Martin Moll ken. Im ersten Monat der Zugehörigkeit der Alpenrepublik zum Reich war Meyszner kommissarischer Inspekteur der Ordnungspolizei (IdO) für ganz Österreich mit Dienstsitz in Wien. Von Mitte April 1938 bis Mitte Juni 1939 war er IdO beim Staatssekretär für das Sicherheitswesen der Landesregie- rung Österreich, Ernst Kaltenbrunner (1903-1946).31 Es sollte nicht lange dauern, bis Meyszner in einen ebenso schweren wie bizarren Konflikt mit Kaltenbrunner geriet. Mitte April 1938 gab Meyszner ein Organisationsschema der Polizeidienststellen in Österreich, das ihm der Chef der Ordnungspolizei übersandt hatte, an seine Unterbehörden weiter, was Kaltenbrunner als Verrat von Staatsgeheimnissen auslegte. Zusätzlich warf er Meyszner die Verwendung von falschen Titulaturen vor. Dies war Grund genug, den IdO durch einen Kriminalbeamten hochnotpeinlich ver- nehmen zu lassen! Meyszner witterte einen Anschlag auf seine Kompeten- zen und verfasste ein wütendes Rechtfertigungsschreiben an den Chef der Ordnungspolizei, Kurt Daluege (1897-1946).32 Obwohl die im Grunde lächer- liche Angelegenheit beigelegt wurde, waren Meyszners Tage in Wien ge- zählt. Nach der Annexion des Sudetenlandes wurde er Anfang Oktober 1938 als Abschnittskommandeur der Ordnungspolizei dorthin und ab Juni 1939 dann als IdO zum Oberpräsidium der preußischen Provinz Hessen-Nas- sau nach Kassel versetzt. Aus dem ehemaligen Österreich entfernt, erfuhr Meyszner nun eine wohlwollende Beurteilung durch seinen einstigen Vor- gesetzten Kaltenbrunner, der ihn wenige Tage vor Kriegsausbruch in einem Dienstzeugnis als „einen ausgezeichneten SS-Führer und […] Vorbild eines hohen Offiziers der Deutschen Polizei“ charakterisierte.33 Meyszner wurden nun zunehmend verantwortungsvolle Aufgaben übertragen, darunter die Vertretung des HSSPF Fulda-Werra, die ihm im

31 Zu den Aufgaben der Inspekteure und zur Polizeiorganisation im angeschlossenen Österreich GEBHARDT, S. 300ff., zu Meyszner S. 302-303; FRANZ HESZTERA, Die Be- fehlshierarchie der OPol in Österreich während der Zeit des „Anschlusses“, in: Il- lustrierte Rundschau der Gendarmerie 7 (1991), S. 31-37. 32 Meyszner an Daluege, 24. April 1938, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frames 461-462. 33 Dienstleistungszeugnis, gez. Kaltenbrunner, 21. August 1939, ebenda, frame 306; vgl. SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 192; KURT MEH- NER (Hrsg.), Die Waffen-SS und Polizei 1939-1945. Führung und Truppe, Nor- derstedt 1995, S. 318. Meyszner amtierte als Befehlshaber der Ordnungspolizei im Wehrkreis IX (Kassel) vom 1. September 1939 bis 7. September 1940.

252 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Frühjahr 1940 eingeräumte wurde und wohl eine Vorbereitung für die Über- nahme höchster Funktionen darstellte. Doch schon wenig später ernann- te der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei, (1900-1945), Meyszner zum Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) beim HSSPF im kurz zuvor okkupierten Norwegen.34 Meyszner blieb bis Ende 1941 in Norwegen, ohne dort, wie es scheint, nennenswert in Erscheinung getreten zu sein.35 Ende 1941 geriet die deutsche Kriegsführung mit dem Scheitern des Blitzkriegkonzepts im russischen Winter und mit dem Eintritt der USA in den Krieg erstmals in eine ernste Krise. Um die Jahreswende 1941/1942 wur- de Meyszner von Himmler aus Norwegen zurück ins Reich gerufen. Er wur- de nun für würdig befunden, Mitte Januar 1942 an einer Strategiekonferenz der SS-Spitze in Himmlers Feldquartier Hegewaldheim nahe Hitlers Wolfs- schanze in Ostpreußen teilzunehmen. Soweit bekannt, wurden unter ande- rem der Zwangsarbeitereinsatz, die anlaufende „Endlösung der Judenfrage“ sowie Himmlers Lieblingsprojekt, die Ostsiedlung, besprochen. Bei dieser Gelegenheit, so steht zu vermuten, kam auch Meyszners bevorstehender Einsatz in Serbien zur Sprache.36

34 Ebenda, S. 319; Himmler an Meyszner, 12. September 1940, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 326. 35 Keine Erwähnung Meyszners in ROBERT BOHN, Reichskommissariat Norwegen. „Nationalsozialistische Neuordnung“ und Kriegswirtschaft, München 2000; HANS FREDRIK DAHL, GURI HJELTNES, BERIT NØKLEBY, NILS JOHAN RINGDAL, ØYSTEIN S ØRENSEN (Hrsg.), Norsk Krigsleksikon 1940-1945, Oslo 1995. 36 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Im Auftrag der Forschungsstel- le für Zeitgeschichte in Hamburg bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von PE- TER WITTE, MICHAEL WILDT, MARTINA VOIGT, DIETER POHL, PETER KLEIN, CHRISTIAN GERLACH, CHRISTOPH DIECKMANN, ANDREJ ANGRICK. Mit einem Vorwort von UWE LOHALM und WOLFGANG SCHEFFLER, Hamburg 1999, S. 316-318, 14. und 15. Janu- ar 1942. Anwesend waren fast sämtliche Chefs der SS-Hauptämter; Meyszner stach in dieser illustren Runde wegen seiner vergleichsweise niedrigen Stellung hervor. Vgl. auch JAN ERIK SCHULTE, Zwangsarbeit und Vernichtung: Das Wirtschaftsim- perium der SS. Oswald Pohl und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt 1933- 1945, Paderborn 2001, S. 357.

253 Martin Moll

Höherer SS- und Polizeiführer in Serbien

In dem unter Militärverwaltung stehenden, im April 1941 eroberten Rumpf- Serbien mit einer Fläche von ca. 51.000 km2 und 3,8 Millionen Einwohnern war es in der zweiten Jahreshälfte 1941 drunter und drüber gegangen. Nach Eröffnung des Russlandfeldzuges am 22. Juni 1941 hatte die Kommunisti- sche Partei Jugoslawiens unter Josip Broz, genannt Tito (1892-1980), einen bewaffneten Aufstand entfacht, der die schwachen deutschen Sicherungs- verbände zeitweilig in arge Bedrängnis brachte. Ende des Jahres war zwar der Aufstand teils durch den Winter, teils durch brutale deutsche Gegen- maßnahmen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen, doch musste für das kommende Frühjahr erneut mit dem Schlimmsten gerechnet werden.37 In dieser Einschätzung war sich das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) ausnahmsweise mit den Wehrmachtsdienststellen vor Ort einig.38 Unzufrie- den mit der bisherigen Bilanz der Militärverwaltung in Serbien, entschloss sich Hitler, diese zwar nicht aufzulösen, wohl aber – nach dem in anderen okkupierten Territorien bereits erprobten Modell – einen für Sicherheitsbe- lange zuständigen HSSPF für Serbien einzusetzen. Serbien unterschied sich somit von anderen besetzten Gebieten, für die ein HSSPF von Anfang an eingeplant und teilweise schon an den der Besetzung vorausgehenden, krie-

37 MARTIN SECKENDORF unter Mitarbeit von GÜNTER KEBER, JUTTA KOMOROWSKI, HORST MUDER, HERBERT STÖCKING, KARL ÜBEL (Bearb.), Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn (1941-1945). Europa unterm Hakenkreuz, Band 6, Berlin-Heidelberg 1992, S. 190, Nr. 74. Fernschreiben Chef OKW an Wehrmachtbefehlshaber Südost, 1. Fe- bruar 1942. Keine Hoffnung, „daß nicht im Frühjahr die Aufstände im großen Um- fang wieder beginnen […]. Sicher ist nur das eine, daß es bisher nicht gelungen ist, den Aufständischen durch drastische Maßnahmen das Rückgrat zu brechen und daß militärische Operationen allein dazu auch nicht in der Lage sind. Das wirk- samste Mittel ist, durch ein weitverzweigtes Spitzelsystem, durch brutale polizei- liche und geheimpolizeiliche Maßnahmen die Bildung von Aufständischen schon im Entstehen zu erkennen und auszubrennen. Diese Methoden müssen nach der Einsetzung eines Höheren SS- und Polizeiführers im größten Umfang Platz grei- fen.“ 38 Bevollmächtigter und Kommandierender General in Serbien an Wehrmachtbe- fehlshaber Südost, 13. Februar 1942, ebenda, S. 191, Nr. 76. Es sei allen vorliegen- den Feindnachrichten zufolge im Frühjahr 1942 mit dem verstärkten Aufleben der Aufstandsbewegung in Serbien zu rechnen.

254 August Meyszner: Stationen einer Karriere gerischen Handlungen beteiligt gewesen war. Für Serbien war ein HSSPF zunächst nicht vorgesehen und bei der Wehrmacht vermutlich auch nicht erwünscht gewesen.

ORSCHUNGSAMT F ILITÄRGESCHICHTLICHES deutschen Machtbereichs. Erster Halbband, Stuttgart 1999, nach S. 66. Abbildung 1: Aufteilung Jugoslawiens, April 1941, in: M (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 5: Organisation Mobilisierung des

255 Martin Moll

Abbildung 2: Serbien unter deutscher Besatzung, in: MANOSCHEK, „Serbien ist judenfrei“, S. 10.

256 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Die Wahl fiel auf den vielseitig erfahrenen Meyszner, was insofern be- merkenswert ist, als nur ganz wenige HSSPF aus der Ordnungspolizei her- vorgingen. Ob dabei dessen österreichische Herkunft eine Rolle spielte, lässt sich nicht definitiv entscheiden. Die oft aufgestellte Behauptung, Hitler habe bewusst den Serbenhass seiner Landsleute als ein gemeinsames Erbe der Habsburgerzeit ausnützen wollen, lässt sich weder beweisen noch widerle- gen.39 Zweifel sind angebracht, hatte Meyszner den Ersten Weltkrieg doch an der Italienfront mitgemacht, während sein damals auf dem Balkan einge- setzter Kamerad Rauter als HSSPF nicht nach Südosteuropa, sondern in die Niederlande entsandt wurde. Als Meyszner Ende Januar 1942 in Belgrad eintraf, herrschten dort nicht nur angespannte politische Verhältnisse (die Ruhe vor dem neuerlichen Sturm), sondern auch chaotische Kompetenzverhältnisse, die selbst inner- halb der notorischen NS-Polykratie ihresgleichen suchten.40 Formal stand Serbien unter Militärverwaltung, was klare Befehlswege hätte erwarten las- sen, aber schon die militärische Kommandostruktur war ausgesprochen verwirrend: Von Hitler und dem OKW ausgehend, verlief die Befehlskette zum Wehrmachtbefehlshaber Südost und von diesem zum Militärbefehls- haber Serbien, dem zeitweilig noch ein Bevollmächtigter Kommandierender General in Serbien übergeordnet war. Das Auswärtige Amt (AA) unterhielt in Belgrad einen umtriebigen, laut Führer-Erlass „für die Behandlung aller in Serbien auftauchenden Fragen außenpolitischen Charakters“ zuständi- gen Vertreter,41 und für Wirtschaftsbelange hatte Reichsmarschall Hermann

39 Vgl. WALTER MANOSCHEK, Opfer, Helden, Kriegsverbrecher? Österreichische Wehr- machtsgeneräle auf dem Balkan, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswis- senschaften 5 (1994), S. 54-77; ERIKA WEINZIERL, Nationalsozialistische Besatzungs- politik in Europa: Einige Bemerkungen zur Rolle von Österreichern, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 44 (1996), S. 593-607; abwägend RUTH BETTINA BIRN, Austrian Higher SS and Police Leaders and their Participation in the Holocaust in the , in: Holocaust and Genocide Studies 6 (1991), S. 351-372. 40 NORMAN RICH, Hitler’s War Aims. Volume II: The Establishment of the New Order, New York 1974, S. 283. 41 Erlass des Führers betr. Bestellung eines Bevollmächtigten des Auswärtigen Amts beim Militärbefehlshaber in Serbien, 28. April 1941, gedruckt bei MARTIN MOLL (Be- arb.), „Führer-Erlasse“ 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichs- gesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, Stuttgart 1997, S. 171.

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Göring einen seiner Vertrauten dorthin entsandt. Hinzu kam die serbische Kollaborationsregierung unter dem General und früheren jugoslawischen Kriegsminister Milan Nedić (1877-1946).42 Das Neben-, ja Gegeneinanderar- beiten all dieser Dienststellen war in Serbien, wie schon die Zeitgenossen be- merkten, noch viel ausgeprägter als anderswo in Hitlers Europa.43 Die ohnedies verworrene Lage wurde weiter kompliziert, als mit der Ernennung eines HSSPF die gesamten Polizei- und Sicherheitsbelange einer neuen Dienststelle zugewiesen wurden, die zwar die formale Oberhoheit des Militärbefehlshabers anerkennen musste, de facto jedoch, wie auch in den übrigen besetzten Gebieten, wo es HSSPF gab, ihre Befehle ausschließ- lich von Himmler und gelegentlich von Hitler bekommen würde. Bis zu Meyszners Eintreffen war der Verwaltungsstab des Militärbefehlshabers für Polizeibelange zuständig gewesen; nun betrat ein weiterer Akteur die Büh- ne. Im Vorfeld seiner Ernennung hatte sich insbesondere die Notwendigkeit herausgestellt, die Politik gegenüber den volksdeutschen Minderheiten in Serbien besser zu koordinieren, zumal Ende 1941 umfangreiche Rekrutierun- gen unter der deutschen Volksgruppe geplant waren.44 Diese bildeten den

42 Wissenschaftliche Literatur über den 1946 in Titos Jugoslawien unter ungeklärten Umständen im Gefängnis, möglicherweise durch Selbstmord, verstorbenen Nedić ist nach wie vor schmal. Vgl. ALEKSANDAR VECANSKI, General Milan D. Nedić als serbischer Ministerpräsident (1941-1944), Magisterarbeit Universität München 1996; MILAN RISTOVIĆ, General M. Nedić – Diktatur, Kollaboration und die patriarchali- sche Gesellschaft Serbiens 1941-1944, in: ERWIN OBERLÄNDER (Hrsg.), Autoritäre Re- gime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1944, Paderborn u. a. 2001, S. 633-687. 43 Vgl. als Überblicke HOLM SUNDHAUSSEN, Okkupation, Kollaboration und Wider- stand in den Ländern Jugoslawiens 1941-1945, in: WERNER RÖHR (Hrsg.), Okkupa- tion und Kollaboration. Beiträge zu Konzepten und Praxis der Kollaboration in der deutschen Okkupationspolitik. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938-1945), Ergänzungsband 1, Berlin-Heidelberg 1994, S. 349-365; DERS., Improvi- sierte Ausbeutung – der Balkan unter deutscher Okkupation, in: GERHARD OTTO, JOHANNES HOUWINK TEN CATE (Hrsg.), Das organisierte Chaos. „Ämterdarwinis- mus“ und „Gesinnungsethik“: Determinanten nationalsozialistischer Besatzungs- herrschaft, Berlin 1999, S. 55-75; JOSEF RAUSCH, Widerstand und Kollaboration in Jugoslawien 1941-1945 im Kontext von Jugoslawismus und partikulären Nationa- lismen, in: Österreichische Osthefte 37 (1995), S. 195-219. 44 Vgl. JOHANN BÖHM, Die deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941: Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung, Frankfurt am Main u. a. 2009; HANS-ULRICH WEH- LER, „Reichsfestung Belgrad“. Nationalsozialistische „Raumordnung“ in Südosteu- ropa, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 11 (1963), S. 72-84.

258 August Meyszner: Stationen einer Karriere (Hrsg.), Okkupation und Kollaboration, S. 601. ÖHR in: R Abbildung 3: Organigramm der deutschen Besatzungsbehörden in Serbien, 1941-1944,

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Aufhänger, als Himmler in einer Unterredung mit Hitler am 1. Januar 1942 dessen Zustimmung zur Einsetzung eines HSSPF erlangte; auch die Person Meyszners stand an diesem Tag bereits fest.45 Die von Hitler zwei Tage zuvor genehmigte Aufstellung einer SS-Division aus Volksdeutschen im Banat hat- te Himmler den passenden Vorwand geliefert.46 Meyszner dachte umso weniger daran, sich auf rein polizeiliche Aufga- ben zu beschränken, als schon der seine Einsetzung und Befugnisse regelnde Führer-Erlass weitere Tätigkeitsfelder des HSSPF benannt hatte.47 Zunächst wurde er dem militärischen Befehlshaber (lediglich) „persönlich und un- mittelbar unterstellt“; wie man aus den in anderen Besatzungsgebieten ge- wonnenen Erfahrungen zur Genüge wusste, bedeutete dies nicht die Ein- bindung der Dienststelle des HSSPF in den militärischen Apparat.48 Sodann hatte Meyszner sämtliche Aufgaben wahrzunehmen, die im Reich Himmler als Reichsführer-SS, Chef der Deutschen Polizei und Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums (RKF) oblagen; hierfür wurde ihm gegenüber den „serbischen Behörden und Polizeikräften Weisungs- und Aufsichtsrecht“ eingeräumt. „Insbesondere obliegen ihm Aufsicht, Aufbau und Einsatz der serbischen Polizeikräfte.“ Als Himmlers Vertreter erhielt Meyszner seine Weisungen auf dem soeben umschriebenen Gebiet aus- schließlich vom Reichsführer-SS. Allein „für die militärische Sicherung des Landes und für alle militärischen Operationen“ durfte der Befehlshaber dem HSSPF Order erteilen. Deutlich über den polizeilichen Bereich hinaus ausgeweitet wurden Meyszners Befugnisse durch eine weitere Bestimmung des Führer-Erlasses, wonach er beauftragt war, „aus den dort vorhandenen Volksdeutschen Freiwilligenverbände der Waffen-SS aufzustellen“. Ferner

45 Dienstkalender Himmlers, S. 305, 1. Januar 1942; vgl. auch ebenda, S. 306, 2. Januar 1942. Weisung Himmlers an Kurt Daluege (Chef der Ordnungspolizei), Meyszner aus Norwegen abzuberufen. 46 Erlass Chef OKW, 30. Dezember 1941, BAB, NS 19/1464; BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 239-240. 47 Befehl des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, betr. Einsetzung eines HSSPF im Bereich des Befehlshabers in Serbien, 22. Januar 1942, gedruckt bei MOLL, „Führer-Erlasse“, S. 228-229. 48 Eine Änderung der Unterstellungsverhältnisse wurde Mitte 1943 kurzzeitig erwo- gen, aber nicht durchgeführt. Fernschreiben Adjutant Reichsführer-SS an Meysz- ner, 25. August 1943, IfZ München, MA-322, frames 642396-642397.

260 August Meyszner: Stationen einer Karriere hatte sich Meyszner um die „Festigung und Nutzbarmachung des deutschen Volkstums in Serbien“ zu kümmern. Himmler ernannte Meyszner postwendend zu seinem Beauftragten in seiner Eigenschaft als RKF, was den Betreffenden in unmittelbare Berührung mit der volksdeutschen Bevölkerung Serbiens brachte. Kaum in Belgrad ein- getroffen, teilte Meyszner seinen Amtsantritt mit49 und traf sich kurz danach mit SS-Obergruppenführer (1891-1974), Leiter der Volksdeut- schen Mittelstelle, mit dem Führer der deutschen Volksgruppe im Banat, SS- Obersturmführer Dr. Sepp Janko (1905-2001) sowie mit dem SS-General Artur Phleps (1881-1944), mit denen er die geplante Rekrutierung einer volksdeut- schen Freiwilligen-Division der Waffen-SS auf serbischem Gebiet besprach.50 Aus diesem Projekt ging bald darauf die 7. SS-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“ hervor.51 Noch weiter reichende Pläne, eine allgemeine Wehrpflicht für die in Serbien lebenden Volksdeutschen einzuführen, fanden höheren Ortes kei- ne Zustimmung, da sie mit der auf dem Papier noch existenten serbischen Staatlichkeit ebenso kollidierten wie mit dem nach wie vor ungeklärten Sta- tus der Volksdeutschen, die ja unverändert serbische Staatsbürger waren. Obwohl Meyszner mit den verworrenen Verhältnissen in seinem neu- en Wirkungsbereich überhaupt nicht vertraut war, begab er sich vom ersten Tag an auf das glatte Parkett der Politik. Damit kam er kurioserweise einem zweiten in Belgrad tätigen SS-General in die Quere, nämlich dem aus Hessen stammenden SS-Gruppenführer (1891-1947), Chef des Ver- waltungsstabs des Militärbefehlshabers und damit zuständig für innenpo-

49 Meyszner an Befehlshaber der Sicherheits- und der Ordnungspolizei, Belgrad, so- wie an Volksgruppenführer im Banat, Sepp Janko, 30. Januar 1942, IfZ München, MA-1038, frames 001170-001171; auch in Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg im Breisgau (im Folgenden: BA-MA), RW 40/79. 50 Janko leitete zwischen 1939 und April 1941 den Schwäbisch-Deutschen Kultur- bund der Jugoslawiendeutschen, bis Oktober 1944 war er Führer der deutschen Volksgruppe im Banat. In dieser Eigenschaft strebte er einen quasi-autonomen Sta- tus des Banats innerhalb Serbiens an. Phleps wurde erster Kommandeur der Divi- sion „Prinz Eugen“. 51 SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 194; THOMAS CASA- GRANDE, Die volksdeutsche SS-Division „Prinz Eugen“. Die Banater Schwaben und die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen, Frankfurt am Main-New York 2003. Weitere Angaben zu den Rekrutierungen bei PETER LONGERICH, Heinrich Himm- ler. Biographie, Berlin 2008, S. 631. Dies ist die einzige Erwähnung Meyszners in dem rund 1.000 Seiten starken Werk.

261 Martin Moll litische Angelegenheiten sowie für die Zusammenarbeit mit der Regierung Nedić. Meyszner lehnte von Beginn an und bis zum Ende seiner Dienstzeit in Belgrad jede echte, das heißt jede über rein taktisch motivierte Indienst- nahmen kollaborationsbereiter Serben hinausgehende Kooperation mit Nedić ab. Der HSSPF vertrat hier seine eigene, höchstpersönliche Meinung und keineswegs die der SS, wie man vermuten könnte. Wenige Tage nach Meyszners Ankunft in Belgrad stellte der Chef der Sicherheitspolizei und des SD in einem langen Memorandum zur „Lage im Südostraum“ Nedić sowie einigen seiner Minister das beste Zeugnis aus: Für eine zwiespältige Haltung dieser Männer gäbe es keine Anhaltspunkte, vielmehr hätten sie stets loyal und aufrichtig mit dem Reich zusammengearbeitet, dies alles unbedankt und bei starkem Gegenwind, der ihnen entgegen blies.52 Meyszner vertrat eine diametral entgegengesetzte Auffassung. Der sich anbahnende Konflikt der beiden gleichrangigen SS-Führer wurde dadurch verschärft, dass Meyszner bestrebt war, sämtliche Polizeiauf- gaben inklusive der Aufsicht über die serbischen Polizeiorgane aus Turners Bereich herauszulösen und sich selbst zu unterstellen. Turner, dessen Ver- waltungsstab ebenfalls durch einen Führer-Befehl eingerichtet worden war, beharrte verbissen auf seinen Rechten, was zu einer Serie erbitterter Kom- petenzkonflikte zwischen den beiden SS-Generälen führte und die Militär- verwaltung fast das gesamte Jahr 1942 hindurch schwer belastete. Turner verwahrte sich entschieden gegen jede Beschneidung seiner Kompetenzen, während Meyszner danach trachtete, ohne Rücksicht auf eine geordne- te Verwaltung die ihm übertragene Sicherung von Ruhe und Ordnung im Land allein mittels brutaler Polizeimethoden zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, mussten seiner Meinung nach selbst die bescheidensten nationa-

52 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, IV D 4, an Reichsführer-SS (Abschrift), 17. Februar 1942, Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, Serie E, Göttingen 1969ff., Band I (im Folgenden: ADAP E I, II usw.), S. 515-520, Nr. 277. Ebenso po- sitiv zu Nedić die Aufzeichnung des Sonderbeauftragten des Auswärtigen Amtes (AA), Edmund Veesenmayer, 27. April 1942, ADAP E II, S. 280-286, Nr. 170, Zitat S. 284: „Das Experiment Nedić darf noch mehr als bisher als geglückt angesehen wer- den.“ Ebenda hieß es auch, der neue HSSPF sei „ein großer Gewinn“. Positiv über die Minister der Regierung Nedić auch Turner an Bevollmächtigten Kommandie- renden General in Serbien, 16. Oktober 1941, Österreichisches Staatsarchiv Wien, Kriegsarchiv. B/556 (Nachlaß Franz Böhme), Karton 50; zu Meyszners ablehnender Haltung BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 242.

262 August Meyszner: Stationen einer Karriere len Aspirationen der Serben unterdrückt sowie die Befugnisse der Kollabo- rationsregierung Nedić gegenüber ihrer Polizei weiter beschnitten werden. Eine völlig entgegengesetzte Linie vertrat Turner: Er plädierte dafür, die oberste deutsche Autorität in Serbien auf eine politische, auf eine Aufsichts- funktion beschränkte Instanz zu verlagern und damit vom Militärbefehlsha- ber unabhängig zu machen. Letzterer sollte sich nach Turner auf rein mili- tärische Belange konzentrieren. Nicht gerade bescheiden schlug Turner für sich die Stellung eines Reichskommissars analog zu den Modellen in den Niederlanden und in Norwegen vor.53

Abbildung 4: General Milan Nedić (1878-1946), Ministerpräsident der serbischen Marionettenregierung 1941-1944, http://sh.wikipedia.org/wiki/Datoteka:Milan_Nedic.jpg (8. Juli 2012)

Der Verwaltungsjurist und preußische Staatsrat Turner hatte schon vor Meyszners Eintreffen manchen Strauß mit den ihm vorgesetzten Wehr- machtsgenerälen ausgefochten; in deren Augen war Turner ein „eitler, recht- haberischer, autokratischer Mann“.54 Kein Wunder, dass es unabhängig von den Umtrieben Meyszners Bestrebungen gab, Turners selbständige Position zu beschneiden, indem sein Verwaltungsstab zu einer bloßen Verwaltungs- abteilung herabgestuft und in den Stab des Befehlshabers eingegliedert wer- den sollte. Diese Absicht konnte der erboste Turner vorerst durch eine Inter-

53 CHRISTOPHER R. BROWNING, Harald Turner und die Militärverwaltung in Serbi- en 1941-1942, in: DIETER REBENTISCH, KARL TEPPE (Hrsg.), Verwaltung contra Men- schenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göt- tingen 1986, S. 351-373, hier S. 367-368. 54 Ebenda, S. 357.

263 Martin Moll vention bei (1900-1984), Chef von Himmlers persönlichem Stab, vereiteln.55 Gleichwohl hatte es sich der SS-Gruppenführer, der standhaft dagegen wetterte, zu einer „Kreatur“ des Militärbefehlshabers degradiert zu werden, mit der Wehrmacht nachhaltig verscherzt.56 Im Hintergrund stand Turners Weigerung, die aufgrund des serbischen Volksaufstands von 1941 veränderte Lage in Rechnung zu stellen; stattdessen wollte er „business as usual“ betreiben. Die Wehrmachtsstellen hielten ihm prompt entgegen, sei- ne Vergleiche der deutschen Verwaltungsbefugnisse in Serbien mit jenen in Frankreich, wo ebenfalls ein Verwaltungsstab beim dortigen Militärbe- fehlshaber amtierte, gingen vollkommen ins Leere: In Frankreich sei es ver- gleichsweise ruhig, Serbien hingegen sei durch den Aufstand Kampfzone der Wehrmacht, wo die Verwaltung zurückstecken und eine Straffung der sich überschneidenden und daher ineffizienten Stäbe hinnehmen müsse.57

Abbildung 5: SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Karl Wolff (1900-1984), Chef des Persönlichen Stabes Reichsführer-SS, http://commons.wikimedia.org/wiki/File: Bundesarchiv_Bild_146-1969-171-29,_Karl_Wolff.jpg (8. Juli 2012), Bundesarchiv, Inventarnummer: Bild 146-1969-171-29

55 Ebenda, S. 364-365. 56 Turner an Hermann Foertsch (Chef des Stabes beim Wehrmachtbe- fehlshaber Südost), 21. Januar 1942, BAB, NS 19/1730. 57 Foertsch an Turner, 2. Februar 1942, ebenda.

264 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Diese Einschätzung war communis opinio, denn als SS-Gruppenführer Wer- ner Best (1903-1989), Militärverwaltungschef in Frankreich, im Herbst 1941 eine vergleichende, evaluierende Studie sämtlicher deutschen Aufsichtsver- waltungen vorlegte, fehlte darin Serbien, weil sich die deutsche Verwaltung dort nicht auf reine Aufsicht beschränkte beziehungsweise beschränken konnte.58 Turner war – hiermit allein auf weiter Flur – gegenteiliger Ansicht und wurde nicht müde, sie zu propagieren. Wie er sich die deutsche Herrschaft in Serbien, solange der Krieg andauerte, vorstellte, soll kurz umrissen wer- den, da sich so der diametrale Gegensatz zu Meyszners Konzept erschließt. Mitte 1942 startete der Staatssekretär des Reichsinnenministeriums, Dr. Wil- helm Stuckart (1902-1953, ein weiterer SS-Gruppenführer), eine Umfrage zur Beurteilung der unterschiedlichen Modelle deutscher Besatzungsverwaltun- gen quer durch Europa. In seiner Stellungnahme behauptete Turner im Ge- gensatz zu Best, in Serbien gäbe es eine deutsche Aufsichtsverwaltung:

„Die serbische Regierung wird nach meiner Weisung – ebenso wie die Kreis- und Bezirksvorsteher – so wenig wie möglich und für die Bevölke- rung nicht erkennbar von den deutschen Dienststellen beaufsichtigt. Nur dann, wenn deutsche Interessen auf dem Spiel stehen, wird mit Befehlen eingegriffen. […] Diese Methode bewährt sich von Tag zu Tag mehr.“

Vollends funktionieren werde das im Prinzip schon jetzt genügende Auf- sichtsmodell, sobald einerseits der Wirrwarr an deutschen Dienststellen be- seitigt und andererseits die Subordination der Verwaltung unter den mili- tärischen Befehlshaber aufgehoben sei. Die oberste Zivilgewalt solle einem Reichskommissar zukommen, dem der HSSPF zu unterstellen sei.59 Wie

58 WERNER BEST, Die deutschen Aufsichtsverwaltungen in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Dänemark und im Protektorat Böhmen und Mähren. Vergleichende Übersicht, IfZ München, ED 3; vgl. ULRICH HERBERT, Best. Biogra- phische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996. 59 Turner an Stuckart, 8. Juli 1942, IfZ München, MA-1038, frames 001261-68, Zitate 001263; auch in BA-MA, RW 40/102. Noch im November 1942 ergab ein Bericht des von Hitler zur Menscheneinsparung eingesetzten Sonderbeauftragten, General Walther von Unruh, ein Reichskommissar Serbien sei eine Möglichkeit, das Ver- waltungschaos zu beheben. Fernschreiben Staatssekretär Ernst von Weizsäcker (AA) an Reichaußenminister, 18. November 1942, ADAP E IV, S. 340-341, Nr. 197.

265 Martin Moll kaum anders zu erwarten, stießen Turners nicht erst bei dieser Gelegenheit formulierte Ansichten auf wenig Gegenliebe.60 Kein Wunder, dass Turner Unterstützung suchte, wo immer er diese finden mochte. Gegen Ende seines Streits mit Meyszner hielt er fest, er habe sich anfangs über die Anwesenheit eines zweiten SS-Generals in Serbien ge- freut und von diesem Rückendeckung für seine Konflikte mit den Militärs erwartet.61 Sofern dies nicht eine Ex-Post-Behauptung war, sondern Turners wahre Hoffnungen widerspiegelte, sollte er bitter enttäuscht werden. Theo- retisch betrachtet, waren Turners Erwartungen nicht unbegründet. Seine Kritik an den politischen Fehlern des Militärbefehlshabers, die den Aufstand erst ausgelöst, wenn nicht verursacht hätten, sowie seine Behauptung, die Niederschlagung der Revolte sei primär ein Verdienst der von Turner auf- gebauten und dirigierten serbischen Polizei und bestenfalls sekundär den Wehrmachtsverbänden zuzuschreiben, deckten sich mit Himmlers Linie, seine Kompetenzen im „Bandenkampf“ – auch und gerade im Operations- gebiet der Wehrmacht – mit Verweis auf die Ineffizienz des militärischen Vorgehens zu legitimieren und in der Folge auszuweiten.62 Als sich Himm- ler am 24. Februar 1942, dem Parteigründungstag der NSDAP, mit Meyszner und Turner in München traf, schien zwischen dem Trio noch eitel Wonne zu herrschen, denn Turner hatte bei jener Zusammenkunft reichlich Gele- genheit, seine Generalabrechnung mit den Fehlern der Militärverwaltung vorzutragen und deren Zurückdrängung auf rein militärische Aufgaben zu propagieren.63

60 Vgl. aber Telegramm Benzlers an AA, 7. April 1942, ADAP E II, S. 199-200, Nr. 117. Wenn die Wehrmacht nicht im Stande sei, durch einen landeskundigen, erfahre- nen und mit den nötigen Vollmachten ausgestatteten Militärbefehlshaber das „Ne- ben- und Durcheinanderregieren der verschiedenen deutschen Stellen in Serbien“ zu beenden und eine klare politische Linie durchzusetzen, dann werde „die Situ- ation allmählich reif für einen Reichskommissar werden“. Ebenda auch die Klage, der Militärbefehlshaber General Bader – der fünfte Befehlshaber binnen eines Jah- res – sei wegen einer „Bandenkampfaktion“ in Bosnien ab 7. April 1942 „für Wo- chen, vielleicht Monate abwesend“. Vgl. auch Vermerk der Reichskanzlei über die Einrichtung einer Zivilverwaltung in Serbien, 24. September 1942, BAB, R 43 II/680. 61 Turner an Meyszner (Abschrift für Himmler), 29. August 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 10-16. 62 BROWNING, Harald Turner und die Militärverwaltung, S. 363-364. 63 Ebenda, S. 364; Dienstkalender Himmlers, S. 360-362, 23. und 24. Februar 1942; Tur- ner, Gesamtsituationsbericht an den Reichsführer SS. Betr.: Entwicklung der Lage

266 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Wenig später stellten sich die ersten Misstöne ein. Im April 1942 rede- ten sich die beiden Gruppenführer zwar noch mit „Lieber Meyszner“ bezie- hungsweise „Lieber Turner“ an, doch drehte sich ihr Schriftverkehr bereits um allerhand Unstimmigkeiten und gegenseitige Vorwürfe; Turner fragte seinen Kontrahenten am 26. April: „Warum wollen gerade Sie mir das Leben […] schwer machen?“64 Meyszner erwiderte patzig, dass er dies weder tue noch zu tun beabsichtige, und belehrte Turner: „Suchen Sie daher nicht die Ursache bei mir oder bei den Serben, sondern, wenn ich Ihnen raten darf, in Ihrem Haus.“65 Strittig war und blieb die Frage, wer das führungslose politische Feld künftig bestimmen würde: Im Raum stand, ob es unter den in Serbien An- fang 1942 herrschenden, nur an der Oberfläche ruhigen Verhältnissen jemals wieder eine Politik geben würde, die auf eine Kollaboration mit loyalen Ser- ben vom Schlage Nedićs vertraute. Im OKW als der dem Militärbefehlshaber übergeordneten Instanz vertrat man klar die Meinung, trotz der im Herbst 1941 erfolgten, in die Zehntausende gehenden Exekutionen von Geiseln und Repressalgefangenen, darunter die Mehrzahl der serbischen Juden, seien die „blutigen Verluste der Aufständischen und auch die Zahl der Liquidierten“ viel zu gering und die Zahl der Gefangenen viel zu groß. Vom neuen HSSPF, dessen Einsetzung Anfang Dezember 1941 bereits im Raum stand, erwarte- te das OKW, „durch brutale […] polizeiliche Maßnahmen die Bildung von Aufständischen schon im Entstehen zu erkennen und auszubrennen.“66 Meyszner vernahm die Botschaft und ließ es sich nicht zweimal sagen, so- fern es bei seiner bekannten „serbische(n) Phobie“ noch einer Ermunterung bedurft hätte.67 Das unbekümmerte Agieren des HSSPF in polizeilichen und in Volks- tumsangelegenheiten sowie sein bewusstes Unterlassen jeglicher Abstim-

in Serbien, 16. Februar 1942, BAB, NS 19/1730, Bl. 123-136. Turner übergab das Do- kument Himmler anlässlich des Münchener Treffens. 64 Turner an Meyszner, 26. April 1942, IfZ München, MA-1038, frames 001087-91, Zitat 001091. 65 Meyszner an Turner, 28. April 1942, ebenda, frames 001092-94, Zitat 001094. 66 OKW an Wehrmachtbefehlshaber Südost, 8. Dezember 1941 (Abschrift), BAB, NS 19/1730. Nahezu wörtlich wiederholt im Fernschreiben Chef OKW an Wehrmacht- befehlshaber Südost, 1. Februar 1942, Druck bei SECKENDORF, Die Okkupationspo- litik des deutschen Faschismus, S. 190, Nr. 74. 67 BROWNING, Harald Turner und die Militärverwaltung, S. 366.

267 Martin Moll mung mit dem Verwaltungsstab führten über anfängliche kleine Reibereien schnell zu einem grundsätzlichen Konflikt zwischen den beiden SS-Grup- penführern. Sie brachen bald jeden persönlichen Verkehr miteinander ab und gingen dazu über, sich in schneller Folge immer längere Beschwerde- briefe zu schicken. Diese gingen in Abschrift auch an Himmler, obwohl der Reichsführer-SS stets an der generellen Linie festhielt, seine SS-Führer soll- ten Meinungsverschiedenheiten durch eine persönliche Aussprache bereini- gen, anstatt lange Traktate zu verfassen.68 Analysiert man den überlieferten Schriftverkehr zwischen Meyszner und Turner, so ging es darin sowohl um sachliche Differenzen (vor allem den Umgang mit den serbischen Instanzen) als auch um gehässige, persönliche Anfeindungen und Eitelkeiten. Auf der sachlichen Ebene kristallisierte sich die Auseinandersetzung vor allem um die Verfügungsgewalt über die einheimische Polizei heraus, um deren Auf- bau zu einer im deutschen Sinn verlässlichen Truppe sich Turner schon seit Beginn der Okkupation bemüht hatte.69 Er hatte ferner die serbische Lokal- verwaltung an die 14 deutschen Kreiskommandanturen angepasst und die Kreisvorsteher – seiner Ansicht nach den Besatzern gegenüber loyale Serben – mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet.70 Obwohl Turner, wie dargelegt, sich über die Einsetzung eines HSSPF gefreut haben will, erkannte er sofort, wie prekär seine Stellung durch die- sen unvermeidlichen Konkurrenten geworden war. Er will daher schon im Januar 1942, als Meyszners Ernennung bekannt wurde, Himmler um seine Ablösung als Militärverwaltungschef sowie um eine andere Verwendung ge- beten haben.71 Himmler habe dies jedoch abgelehnt und Turners Bedenken mit dem Hinweis zerstreut, Meyszner sei sowohl durch den Führer-Erlass als auch seitens der gesamten SS-Spitze (Himmler, Heydrich und Daluege) auf gute Zusammenarbeit mit Turner „nach den Erfordernissen der SS-Kame- radschaft“ verpflichtet worden. Denn Turner, so wurde dieser nicht müde herauszustreichen, sei „im Interesse der SS“ auf seinem Außenseiterposten verblieben, weil kein anderer SS-Führer höheren Ranges in der Beamtenkar-

68 Fernschreiben Himmler an Meyszner, 24. August 1942, IfZ München, MA-1038, frame 001064. 69 Tätigkeitsbericht Turners, 26. Mai 1941, BA-MA, RW 40/183. 70 BROWNING, Harald Turner und die Militärverwaltung, S. 360-361. 71 Turner an Meyszner (Abschrift für Himmler), 29. August 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 10-16. Hiernach das Folgende.

268 August Meyszner: Stationen einer Karriere riere in Serbien gestanden sei.72 Genau gegen diese Vorgaben und Festlegun- gen, so Turner, habe sein vermeintlicher Kamerad Meyszner schnöde ver- stoßen. Er habe damit praktisch die Geschäfte der Wehrmacht besorgt, die ihn, Turner, stets bekämpft habe, „weil ich SS-Gruppenführer bin und im- mer meine SS-Zugehörigkeit trotz der anderen Uniform in den Vordergrund stellte.“ Meyszners Agieren sei nicht nur von den Militärs mit Schadenfreu- de beobachtet worden, sondern jener habe ferner „die Serben zu Zeugen deutscher Differenzen“ gemacht. Der letztgenannte Vorwurf stützte sich auf Meyszners Bestreben, den serbischen Polizeidienststellen selbst auf mittlerer und unterer Ebene direkte Anweisungen zu geben. Turner berief sich dar- auf, der Führer-Erlass vom 22. Januar 1942 habe Meyszners Kompetenzen spiegelbildlich zu jenen Himmlers im Reich und in Anlehnung an den Ge- schäftsverteilungsplan des Reichsministeriums des Innern geregelt. Dieser Plan sehe jedoch die Regierungspräsidenten und Landräte als Landespoli- zeibehörden vor, denen in Serbien die militärischen, dem Verwaltungsstab unterstellten Feld- und Kreiskommandanturen entsprächen. Abgesehen da- von, dass Meyszners Weisungsrecht in Hitlers Order ausgesprochen war, entsprach Turners Schilderung der Rechtslage im Reich 1942 keineswegs mehr den realen Verhältnissen. Wie selbstherrlich Meyszner inzwischen agierte, lässt sich aus Turners Vorwurf ablesen, der HSSPF habe mehrfach die Verhaftung serbischer Be- amter angeordnet, ohne vorher den Verwaltungsstab als deren Aufsichtsin- stanz zu informieren. Eine entsprechende Bitte habe der HSSPF als „Eingriff in polizeiliche Rechte“ zurückgewiesen. Darin zeigt sich Meyszners Bestre- ben, die von ihm stets misstrauisch beäugten serbischen Kollaborateure, wenn er sie schon nicht politisch entmachten konnte, durch polizeiliche Exekutivmaßnahmen faktisch auszuschalten. Über die unter der Ägide Tur- ners ins Leben gerufenen Kollaborationsgremien, beispielsweise einen serbi- schen Sportausschuss und einen Nationalen Aufbaudienst, beschwerte sich der HSSPF hinter dem Rücken seines SS-Kameraden bei der Wehrmacht, die er auf die angeblich von diesen und ähnlichen Vereinen ausgehenden Sicherheitsrisiken hinwies.73 Hier offenbart sich nicht etwa Meyszners sach-

72 Turner an Meyszner, 26. April 1942; Meyszner an Turner, 28. April 1942; beide BA- MA, RW 40/79. 73 Meyszner an Kommandierenden General und Befehlshaber in Serbien (Abschrift), 17. August 1942, IfZ München, MA-1038, frames 001170-001171. Bitte, die Verord-

269 Martin Moll lich untermauerte Opposition gegen einen bestimmten Verein, sondern eine grundsätzliche Haltung: Als die Militärverwaltung im Herbst 1942 die Belgrader Universität wieder eröffnen wollte, intervenierte der HSSPF post- wendend bei Himmler, denn Universitäten stellten „in unklaren politischen Verhältnissen stets [den, M. M.] Hort von Widerstandsbewegungen“ dar; sie lieferten dem Slawentum „die aus solchen Anstalten hervorgegangenen Rechtsanwälte, Pfaffen und Lehrer“ als „das radikale Führertum“. Nie und nimmer könne es im deutschen Interesse liegen, „unter deutscher Aufsicht feindliche slawische Intelligenz zu züchten“.74 Im Gegensatz zu Turner, der den serbischen Betätigungsdrang in harmlose und deutsch kontrollierte Bahnen gelenkt sehen wollte, erblickte Meyszner in derartigen Verbänden, Bildungseinrichtungen und Ähnlichem ein Sammelbecken für den sich formierenden serbischen Widerstand. In der Tat hatte sich Meyszner Mitte August 1942 direkt beim Kommandierenden General sogar über die Bildung des Aufbaudienstes beschwert. Diese Orga- nisation stellte für ihn den Versuch dar, „nationalsozialistisches Gedanken- gut auf Serbenhaufen zu übertragen“ und würde lediglich dazu beitragen, den notwendigen harten „Kampf gegen Serbenhorden“ weiter zu erschwe- ren.75 Der Gegensatz der politischen Konzepte der beiden SS-Gruppenführer hätte kaum schärfer sein können. Meyszners Berichte schürten unablässig Himmlers latentes Misstrauen gegen die Stärke, wenn nicht gar die Existenz der serbischen Wehrformationen. Von der rund 16.000 Mann starken Ser- bischen Staatswache meinte Himmler, sie zu bewaffnen sei „wahnsinnig“, denn ihre Loyalität gelte nicht der Besatzungsmacht oder der Regierung Nedić, sondern den königstreuen Mihailović-Partisanen.76 Ein weiterer, bizarrer Streitpunkt soll nicht unerwähnt bleiben: Nach- dem die „Endlösung der Judenfrage“ in Serbien während der ersten Jah- reshälfte 1942 weitgehend abgeschlossen war, hatte Turner aus den hierbei konfiszierten „Judengeldern“ einen größeren Betrag der SS-Division „Prinz

nung über die Zulassung des Sportausschusses sofort außer Kraft zu setzen, da sie dem organisierten Widerstand Tür und Tor öffne. 74 Meyszner an Himmler, 29. Oktober 1942, Druck bei SECKENDORF, Die Okkupations- politik des deutschen Faschismus, S. 213, Nr. 105. 75 Meyszner an Kommandierenden General und Befehlshaber in Serbien, 16. August 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 22-23., Zitate Bl. 23. 76 Himmler an Meyszner, 17. Juli 1942, IfZ München, MA-342, frames 668303.

270 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Eugen“ übermittelt. Angeblich um die ausstehende Endabrechnung dieser Gelder nicht zu gefährden, ließ Meyszner den Betrag durch einen rangnied- rigen SS-Führer an Turner rückstellen, worüber sich dieser aus sachlichen wie aus formalen Gründen empörte.77 Nichts charakterisiert das Verhältnis zwischen den beiden Gruppenführern treffender als der Umstand, dass sie sich nicht einmal über die Verwendung der geraubten „Judengelder“ eini- gen konnten. Ein halbes Jahr nach Meyszners Eintreffen in Belgrad waren seine Beziehungen zum Chef des Verwaltungsstabs derart frostig geworden, dass dieser ihm die fehlende „Tiefe des SS-Gedankens“, Illoyalität sowie be- wusste Falschmeldungen an die Militärs und an Himmler zum Vorwurf machte. Ende August 1942 war Meyszner für Turner nur mehr ein „Gegner aus den eigenen Reihen“. Es versteht sich, dass Meyszner die Anklagen Turners, die abschriftlich an Himmler gingen, nicht unbeantwortet lassen würde. Am 4. September 1942 adressierte der HSSPF seine Erwiderung direkt an den Reichsführer- SS. Turners vorheriger Brief sei „vielfach unrichtig, unlogisch, unsachlich und beleidigend. Ich kann den ganzen Brief nur als den Ausbruch eines ins Toben geratenen Mannes werten, der nicht mehr weiß, was er zu Pa- pier bringt.“ Kein Wunder, dass dieser undiplomatische Rundumschlag als „Geheime Reichssache“ deklariert war.78 Meyszner stellte Turners Kampf um Selbstständigkeit gegen die Militärverwaltung nicht generell in Abre- de, interpretierte diesen jedoch als Turners „persönliche Prestigefrage, die mit der SS-Zugehörigkeit nichts zu tuen hatte“. Der Militärverwaltungschef habe versucht, „sich unbefugt als Reichskommissar zu gebärden“ und sich die Dienststellen des HSSPF und hier in erster Linie die neu errichteten Po- lizeikommandanturen in den Landkreisen faktisch, wenn nicht sogar recht- lich zu unterstellen. Die SS-Kameradschaft habe Turner nur vorgeschoben, um seine Machtambitionen zu tarnen. Gut auf Himmlers Psyche und dessen Herrschaftsstreben abgestellt war die Behauptung, Turner versuche egois- tisch, „die Polizei unter militärische Dienststellen zu bringen“. An dieser Behauptung ist nur so viel richtig, dass die Wehrmacht die Hauptaufgabe der in Serbien stationierten Polizeikräfte in der „Bandenbe-

77 Turner an Meyszner (Abschrift für Himmler), 29. August 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 10-16. 78 Meyszner an Himmler, 4. September 1942, ebenda, Bl. 36-40, Zitate Bl. 36. Hiernach das Folgende.

271 Martin Moll kämpfung“ erblickte, die wiederum, da Serbien seit April 1941 unverändert als Operationsgebiet eingestuft war,79 der Wehrmacht oblag; der HSSPF hatte sie hierbei mit seinen Kräften zu unterstützen. Da aber die räumliche Gliederung der von Meyszner eingerichteten Polizei-Gebietskommandantu- ren und -Kreisstellen von der Gebietseinteilung der militärischen Feld- und Kreiskommandanturen abwich, konstatierte sogar das OKW eine „Erschwe- rung der Zusammenarbeit“ und bat darum, die Polizeistrukturen in die mi- litärischen „einzubauen“.80 Turner unterstützte lediglich diesen naheliegen- den, sachlich berechtigten Gedanken. Die Klimax seines Schreibens erreichte Meyszner bei der Erörterung der von seinem Kontrahenten kritisierten eigenmächtigen Verhaftung serbischer Beamter: Turner habe die Gepflogenheit, „für bekannt verbrecherische Ele- mente zu intervenieren“ und neige obendrein dazu, „Staatsgeheimnisse in Gasthausgesprächen preiszugeben“, weshalb der HSSPF genötigt gewesen sei, entsprechend vorsichtig und geheimnisumwittert vorzugehen. Himmler hatte, nebenbei bemerkt, in einem Fall sogar Hitler von der Verhaftung ei- nes „bandenverdächtigen“, von Turner protegierten serbischen Kreisvorste- hers in Kenntnis gesetzt.81 In einem gesonderten Schreiben an Himmler vom selben Tag erstattete der HSSPF verklausuliert „die dienstliche Meldung“, die faktisch eine Strafanzeige gegen Turner wegen § 90e StGB (Verrat von Staatsgeheimnissen) darstellt.82 Nach diesem starken Tobak fügte Meyszner hin, die ihm von Himmler aufgetragene „mehrstündige“ Aussprache mit sei- nem Gegenspieler halte er für zwecklos; stattdessen möge ein SS-gerichtli- ches Verfahren, um dessen Einleitung er zugleich bat, die im Raum stehen- den Vorwürfe klären. Abschließend bescheinigte er Turner nochmals, bei jeder Gelegenheit mit den zwielichtigen Serben zu paktieren, im Gegenzug die Volksdeutschen in Serbien ständig zu brüskieren, den Aufbau des „Prinz Eugen“-Verbandes zu sabotieren und nicht zuletzt ihm, Meyszner, bei sei-

79 WALTHER HUBATSCH (Bearb.), Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939-1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht, Koblenz 21983, S. 122-125; Wei- sung Nr. 31, 9. Juni 1941; bekräftigt mit Weisung Nr. 47, 28. Dezember 1942, eben- da, S. 209-214. 80 OKW/Wehrmachtführungsstab/Operationsabteilung, Vortragsnotiz, 4. Oktober 1942, IfZ München, MA-342, frames 668175-77, Zitate 668176. 81 Himmler an Hitler, 9. Oktober 1942, Meldungen an den Führer über Bandenbe- kämpfung, Meldung Nr. 24. Ebenda, 668181. 82 Meyszner an Himmler, 4. September 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 43-44, Zitat Bl. 44.

272 August Meyszner: Stationen einer Karriere nem undankbaren Kampf gegen den Widerstand in den Arm zu fallen, was „das Gelächter aller Räuberbanden Serbiens erregt“. Himmler hatte schon im Vorfeld dieser Korrespondenz unmissver- ständlich für Meyszner und dessen – wenn man es so nennen will – politi- sches Konzept Partei ergriffen. Er hielt Turner dazu an, dem Vorbild Rein- hard Heydrichs (1904-1942) im Protektorat Böhmen und Mähren folgend alles zu tun, „um die Konsolidierung und Stärkung der dortigen Regierung zu vermeiden“. Turner hingegen sei bestrebt, die Regierung Nedić zu stär- ken, was jedoch gänzlich verfehlt sei, denn:

„Wollen Sie nie vergessen, daß Serbe Serbe bleibt und daß das serbische Volk ein im Aufstand seit Jahrhunderten geübtes und ausgebildetes Volk ist, und daß wir nichts zu tun haben, um außer den dringendsten Notwen- digkeiten, die wir im Augenblick gerade für unsere Stärke haben müssen, alles, was irgendwie die serbische Regierung und damit das serbische Volk stärken würde, zu unterlassen.“83

Wenige Tage später schob Himmler ein weiteres Schreiben nach, in dem er Turner unverblümt anwies, sich künftig nicht mehr in die Belange der deut- schen Volksgruppe im Banat einzumischen – drastischer hätte der Freibrief für Meyszner kaum ausfallen können.84 Zähneknirschend musste Turner wenige Tage danach auf Weisung des Befehlshabers, der damit einer Forderung Meyszners entsprach, eine Anord- nung an die Feldkommandanturen herausgeben, wonach ab 15. September 1942 die Behandlung „des Sachgebietes Polizei einschließlich der Polizei- verwaltungsaufgaben des materiellen Rechts“ auf den HSSPF und dessen örtliche Dienststellen übergehe. Die lange Liste der betroffenen Materien umfasste neben genuinen Polizeiaufgaben (Ausstellung von Waffenpässen, Gaststätten-, Theater- und Lichtspielpolizei und weiteres mehr) auch rein verwaltungsmäßige und hochpolitische Agenden, wie beispielsweise die Genehmigung von Veranstaltungen, Ausstellungen, Glücksspielen, das Ver- eins- und Versammlungsrecht sowie die Wirtschaftsüberwachung.85

83 Himmler an Turner, 23. August 1942, IfZ München, MA-1038, frames 001196- 001197, Zitate 001197. 84 Himmler an Turner, 27. August 1942, BAB, NS 19/1730. 85 Fernschreiben Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien, Verwal- tungsstab (gez. Turner), an Feldkommandanturen, 14. September 1942, IfZ Mün- chen, MA-1038, frames 001189-001190, Zitate 001189. Meyszners Forderung an den

273 Martin Moll

Im Herbst 1942 war der Streit so weit eskaliert, dass nur mehr eine Schlichtung von außen in Frage kam. In der Tat entsandte das SS-Personal- hauptamt einen Obergruppenführer nach Serbien, der den Sachverhalt er- heben und Lösungsvorschläge unterbreiten sollte. Als sein Bericht Mitte Oktober vorlag, waren die Würfel bereits zu Ungunsten Turners gefallen; dennoch ist diese Quelle als SS-interne Charakterisierung Meyszners von In- teresse.86 In diesem Schreiben wird, nachdem das Verhalten beider Gruppen- führer als „beschämend“ beschrieben und die Unmöglichkeit des Weiterver- bleibs beider Männer in Serbien konstatiert worden war, festgehalten, dass es der Anfang 1942 neu nach Serbien gekommene Meyszner an der erforder- lichen Verbindungsaufnahme mit dem dienstrangälteren Turner habe fehlen lassen. Letzteren kenne der Berichterstatter seit Jahren „nicht als taktlos“, doch sei ihm Meyszner „schon von Wien her als außerordentlich starrköpfig und rechthaberisch“ in schlechter Erinnerung. Diese wenig schmeichelhafte Beschreibung sollte sich vorerst nicht zu Ungunsten Meyszners auswirken. Trotz seines polterhaften Auftretens hatte er es verstanden, bei Himmler den rechten Ton zu treffen und dessen an- ti-serbische Aversionen geschickt anzusprechen. Dieses Erfolgs konnte sich der HSSPF schon kurz nach seinem Amtsantritt sicher sein, hatte ihm doch Himmler auf einen seiner ersten Berichte aus Belgrad hin nahegelegt, „sich mit den schlauen Serben niemals – so wie es, glaube ich, neulich unserem guten Turner passierte – in ein Gespräch verwickeln zu lassen“. Zwar ging es in diesem Zusammenhang um serbische Kritik an den ebenfalls als Besat- zungsmacht auf dem Balkan tätigen italienischen Verbündeten, doch lässt sich die Aussage mühelos verallgemeinern, denn Himmler setzte fort: „Sei- en Sie überzeugt, daß die Serben bei den Italienern in gleicher Weise gegen uns schimpfen.“ Meyszner möge, so riet ihm Himmler, seine aus dem Ersten Weltkrieg stammenden, anti-italienischen Reminiszenzen völlig vergessen.87 Nach Ende des Konflikts mit Turner erhielt Meyszner daher nur einen vergleichsweise milden Rüffel Himmlers, weil er es an der kameradschaftli-

Befehlshaber (unter Verweis auf dessen Anordnung vom 9. Mai 1942, der Über- gang solle erfolgen, sobald die Polizeidienststellen arbeitsfähig seien), 14. August 1942, ebenda, frame 001174. 86 Der Chef des SS-Personalhauptamtes an Himmler, 12. Oktober 1942, BAB, NS 19/1672, Bl. 49-50. 87 Himmler an Meyszner, 9. Mai 1942, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 453.

274 August Meyszner: Stationen einer Karriere chen Verbindung habe fehlen lassen; Meyszner möge ab sofort die richtige politische Linie (was immer das heißen mochte) befolgen und die „mensch- lich anständige Verbindung zu allen Dienststellen, insbesondere aber zu Ih- ren SS-Kameraden“ halten. Sollten künftig weitere Fehler dieser Art passie- ren, „so sähe ich mich trotz allem gezwungen Sie abzuberufen“. Diese mehr den Stil als die Sache selbst betreffenden Vorwürfe wurden freilich mehr als aufgewogen durch den ersten Punkt in Himmlers Schreiben: „Die von Ihnen eingeschlagene politische Linie billige ich voll und ganz.“88 Wenige Tage zu- vor, am 17. Oktober, war Himmler persönlich mit Meyszner im serbischen Kraljewo zusammengetroffen, wobei man die neue SS-Gebirgsdivision inspi- zierte, von der sich Himmler beeindruckt zeigte.89 Ausschlaggebend für Meyszners Triumph über Turner war wohl, dass eine Abberufung des erst einige Monate zuvor eingesetzten HSSPF und da- mit das Eingeständnis, dass das parallele Agieren der beiden SS-Gruppen- führer von Haus aus fehlkonzipiert war, für Himmler eine viel schwerere Blamage dargestellt hätte als die Entlassung Turners, die formal in die Zu- ständigkeit der Wehrmacht fiel und Himmlers Ansehen nicht direkt belas- tete.90 Meyszner kam ferner zugute, dass sich inmitten des immer größer werdenden Befehlswirrwarrs in Serbien Entscheidungen der Berliner Zent- rale kaum mehr vor Ort auswirkten. Hierzu nur ein Beispiel: Im Spätsom- mer und Herbst 1942 hatte die Kollaborationsregierung Nedić, gestützt unter anderem auf Meyszners eigenmächtige Eingriffe in die ihr bisher zugebil- ligten Aufgabenfelder, ihren Rücktritt angekündigt.91 Ein solch drastischer,

88 Himmler an Meyszner, 25. Oktober 1942, ebenda, frame 364. Die Toleranz Himm- lers gegenüber Meyszner wird evident in einem Fernschreiben des Reichsführer- SS an den HSSPF Serbien vom 10. Mai 1943, das Letzteren rügt, weil er über ein wichtiges Vorkommnis zwar Himmler, nicht aber das Reichssicherheitshauptamt unterrichtet hatte. „Dies muss Ihr letzter Fehler auf diesem Gebiet sein. Ich wün- sche keine Wiederholungen mehr.“ Ebenda, frame 448. 89 Dienstkalender Himmlers, S. 589, Fußnote 55, 17. Oktober 1942. 90 Turner wurde am 7. November 1942 abberufen und später zum Stellvertreter des Chefs des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes ernannt. SCHLARP, Wirtschaft und Besatzung in Serbien, S. 125. 91 Vgl. hierzu den Aktenvermerk Felix Benzlers, 30. August 1942, Druck bei SECKEN- DORF, Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus, S. 205-206, Nr. 97. Benzler konstatierte eine Zuspitzung der Lage wegen Verfolgung von Serben im benach- barten Kroatien, der Verschlechterung der Ernährungslage sowie der Zwangsme- thoden bei der Ernteerfassung. Zur Regierungskrise im September 1942, unter an-

275 Martin Moll vor der Öffentlichkeit unmöglich zu verbergender Schritt konnte keinesfalls im deutschen Interesse liegen.92 Um den drohenden Schaden abzuwenden, wurde der Belgrader Vertreter des Auswärtigen Amtes, Felix Benzler, ins Führerhauptquartier zitiert, von wo er mit einer Vollmacht zurückkehrte, der zufolge in Serbien keine Maßnahme ohne seine Zustimmung ergehen dürfe; Benzler solle auf Nedić einwirken, um dessen Verbleib im Amt sicher- zustellen und dies als den ausdrücklichen Wunsch der Reichsregierung prä- sentieren, was Benzler erfolgreich tat.93 Damit hatte Hitler, wie Turners Adju- tant Himmlers Adlatus Wolff wissen ließ, „eine Entscheidung gefällt, die der Politik des Höh. SS- und Polizeiführers völlig widerspricht, die dahin ging, eine serbische Regierung überhaupt verschwinden zu lassen.“94 Hitler hielt übrigens an dieser Linie fest, indem er Nedić im September 1943 zu einem Besuch in sein Hauptquartier Wolfsschanze einlud – eine deutliche Aufwer- tung des Prestiges des serbischen Regierungschefs.95

derem wegen Meyszners Eingriffen, vgl. Telegramm Benzlers an AA, 16. Septem- ber 1942, ADAP E III, S. 497-500, Nr. 292. Nedić drohte immer wieder und aus un- terschiedlichen Gründen mit seiner Demission, erstmals anscheinend Ende 1941; vgl. Telegramm Botschafter Ritter (AA) an Benzler, 4. Januar 1942, ADAP E I, S. 165- 166, Nr. 88. Benzler wurde angewiesen, Nedić seine Rücktrittspläne auszureden; andernfalls werde die bisherige Langmut des Reiches ein Ende haben. 92 Telegramm Benzlers an AA, 19. September 1942, ADAP E III, S. 508-511, Nr. 296. Benzler hielt Nedićs Verbleiben im Amt für unbedingt notwendig, ihm sollten Konzessionen gemacht und seine Regierung als die einzig legale anerkannt wer- den. 93 Telegramm von Ribbentrops an AA zur Weitergabe an Benzler, 9. Oktober 1942, ADAP E IV, S. 54-56, Nr. 27. Nedićs Verbleib im Amt sei der Reichsregierung er- wünscht, weitere Beschränkungen der Kompetenzen seiner Regierung seien eben- so wenig geplant, wie deren Erweiterung; das deutsche Aufsichts- und Weisungs- recht müsse erhalten bleiben; gegen eine Erklärung über den legalen Status der Re- gierung Nedić spräche nichts. 94 SS-Sturmbannführer Georg Kiessel an Wolff, 13. Oktober 1942, BAB, NS 19/1728, Bl. 57-59, Zitat Bl. 58. 95 ANDREAS HILLGRUBER (Bearb.), Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler. Vertrau- liche Aufzeichnungen über Unterredungen mit Vertretern des Auslandes, Teil II: 1942-1944, Frankfurt a. M. 1970, S. 29 verzeichnet eine Unterredung Hitlers mit Nedić am 18. September 1943 in der Wolfsschanze, von der keine Niederschrift er- halten ist. Vgl. aber die Aufzeichnung des Generalkonsuls Kronholz über die Unter- redung des Reichsaußenministers von Ribbentrop mit Nedić am 18. September 1943, 19. September 1943, ADAP E VI, S. 556-559, Nr. 328. Nedić forderte mehr Au- tonomie für seine Regierung und vor allem deren Befehlsgewalt über sämtliche serbischen Freiwilligenverbände. Meyszner wird in dem Protokoll nicht erwähnt.

276 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Meyszner ließ sich davon wenig beeindrucken. Mitte März 1943 legte er Himmler einen „Zwischenbericht“ vor, den er damit einleitete, Benzlers „Politik der weichen Linie gegenüber der serbischen Regierung […] ist wie- der einmal restlos daneben gegangen“. Aus den mit Nedić gemachten Erfah- rungen habe man nichts gelernt und seiner Regierung erneut Aufgaben wie die Ernteerfassung übertragen, an denen sie schon in der Vergangenheit ge- scheitert war. In Serbien würden nach wie vor sämtliche politischen Kräfte gegeneinander kämpfen, geeint durch das „Bestreben, dem Okkupator über Weisung der Feindmächte Schaden zuzufügen“. Damit hatte Meyszner si- cherlich nicht unrecht, doch ging es ihm vor allem darum, die desaströse Si- cherheitslage in einem rosigeren Licht erscheinen zu lassen:

„Es können daher die im Lande vorkommenden Terrorakte, in ihrer Sum- me genommen, nicht den Maßstab für den vorhandenen Widerstand ge- ben, weil ein Gutteil davon auf den [innerserbischen, M. M.] Kampf um die Vorherrschaft zu buchen ist.“

Die Lage werde sich nicht so schnell bessern, denn: „Mit einer achsenfreund- lichen Politik ist in diesem Land erst dann zu rechnen, wenn auch dem Dümmsten der deutsche Sieg bewußt wird.“ Meyszner hielt es daher für un- verantwortlich, dass Benzler und die Militärverwaltung der Regierung Nedić die Aufstellung eines Serbischen Freiwilligen-Korps mit mehreren geschlos- senen Bataillonen bewilligt hatten, denn das Korps mache bereits emsig Pro- paganda für die ins englische Exil gegangene serbische Königsdynastie.96 Mehr als ein Jahr nach seinem Eintreffen in Belgrad hatte Meyszner seine kompromisslose, jegliche Kollaboration ablehnende und allein auf Repression setzende Politik beibehalten, ja sogar noch verschärft. Es ist be- zeichnend für seinen verengten Blickwinkel, dass er zwar unablässig die sicherlich gravierenden Defizite der Regierung Nedić herausstrich, jedoch keinen Gedanken an die für die Reichsspitze wichtigeren, außenpolitischen Gesichtspunkte im Sinne der Aufrechterhaltung eines Anscheins von ser- bischer Reststaatlichkeit und Souveränität verschwendete. Alternativen zu Nedić hatte Meyszner erst recht nicht anzubieten. Nach Turners Weggang hatte Meyszner freie, durch die Militärverwaltung nur mehr wenig gehemm-

96 Meyszner an Himmler, 15. März 1943, IfZ München, MA-303, frames 590053- 590058.

277 Martin Moll te Bahn, seinen vielfältigen Neigungen zur Umgestaltung der deutschen Po- litik in Serbien nachzugehen. Auf dem Feld der Rekrutierung volksdeutscher SS-Freiwilliger im Banat war Ende 1942 die Aufstellung der „Prinz Eugen“ abgeschlossen, doch musste nunmehr der HSSPF gegenüber Himmler ein- gestehen, dass durch die umstandslose Rekrutierung sämtlicher wehrfähiger Volksdeutscher „sowohl der Verwaltungs- als auch der Wirtschaftsapparat über das erträgliche Maß hinaus geschwächt“ wurden; Meyszner bat folge- richtig um Entlassung der über 40-Jährigen aus der Division.97 Dies ist ein gutes Beispiel für seine häufig zu beobachtende, undurchdachte Politik, die zwar vorderhand ein Problem löste, dafür aber ein neues und meist gravie- renderes in die Welt setzte. Meyszner ließ sich freilich nicht so schnell ent- mutigen, galt für ihn das Banat doch als „Domäne“ der SS, die das alleinige Recht zu Rekrutierungen in diesem Raum haben sollte. Das Wehrpotential der rund 122.000 dort ansässigen Volksdeutschen war durch die Aufstellung der „Prinz Eugen“ nahezu restlos ausgeschöpft, so dass sich Meyszners Au- genmerk nun auf die im Banat lebenden Ungarn, Rumänen und Slowaken richtete. Deren geringe Begeisterung für einen Dienst in der Waffen-SS ins Kalkül ziehend, plädierte er – erfolglos – für die Einführung einer allgemei- nen Dienstpflicht.98 Die überaus komplizierte ethnische Struktur des Banats, zusammen mit den Versuchen der deutschen Volksgruppenführung unter Sepp Janko, eine Quasi-Autonomie zu erlangen, sollten Meyszner auch in den folgenden Monaten immer wieder Schwierigkeiten bereiten.99 Ungefähr zeitgleich beschäftigte die höchsten Reichsstellen ein unter anderem mit Meyszners Mitgliedschaft in der NSDAP zusammenhängen- des, zweifellos alles andere als kriegswichtiges Problem: Anfang Januar 1943 teilte der Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reichsleiter Martin Bormann (1900-1945), Himmler mit, Hitler werde anlässlich des 10. Jahrestages der „Machtergreifung“ am 30. Januar eine streng begrenzte Anzahl Goldener Parteiabzeichen der NSDAP verleihen, und Himmler möge hierfür verdiente

97 Meyszner an Himmler (Abschrift), 2. Januar 1943, BAB, NS 19/3798, Bl. 60-61, Zitat Bl. 60. 98 Meyszner an Persönlichen Stab Reichsführer-SS, 12. März 1943, IfZ München, Fd 33/IV, Bl. 471-472. 99 Reichsführer-SS, Adjutantur, an SS-Obergruppenführer Werner Lorenz (Chef der Volksdeutschen Mittelstelle), 5. Juli 1943, IfZ München, MA-303, frames 590034- 590036. Darin die Wiedergabe eines Beschwerdebriefes von Janko sowie die Wei- sung Himmlers an Lorenz, die Angelegenheit mit Meyszner zu besprechen.

278 August Meyszner: Stationen einer Karriere

„Alte Kämpfer“ vorschlagen.100 Das SS-Personalhauptamt bearbeitete darauf- hin die Personalien der von Himmler Auserwählten, unter ihnen die beiden aus Österreich stammenden HSSPF, Meyszner und Rauter.101 Dabei stellte sich heraus, dass deren „Parteiverhältnis noch nicht geregelt“ war, sie also der NSDAP gar nicht angehörten.102 Rauter, Meyszner und andere ehemali- ge Mitglieder des Steirischen Heimatschutzes hatten stets darauf bestanden, sie wären schon Anfang der 1930er Jahre gemäß Venediger Abkommen in die NSDAP überführt worden. Daher stünde ihnen eine entsprechend nied- rige (prestigeträchtige) Mitgliedsnummer zu. Der für das Mitgliederwesen zuständige Reichsschatzmeister der NSDAP erkannte jedoch diesen Stand- punkt nicht an. Er stimmte der Aufnahme der Betroffenen in die NSDAP zu, aber mit einer hohen, jenseits der 6.000.000 angesiedelten Mitgliedsnummer, was prominente ehemalige Heimatschützer (unter ihnen Meyszner) nicht akzeptieren wollten. Der Disput zog sich über viele Jahre hin und war auch Anfang 1943 nicht gelöst. Himmler schrieb persönlich an Bormann und bat ihn um eine großzügige Regelung, „denn letzten Endes war der steirische Heimatschutz sehr anständig und ordentlich.“103 Meyszner gab – anders als Rauter – schließlich klein bei und wurde rückwirkend zum 1. Juni 1938 mit der Nummer 6.119.650 in die NSDAP aufgenommen.104 Die Episode ist be- merkenswert nicht nur wegen der bizarren Beschäftigung mit drittrangigen Details mitten im Krieg, sondern auch, weil Meyszner zu den nur fünf von Himmler für das Goldene Parteiabzeichen für würdig Befundenen zählte. Wie gestaltete sich Meyszners Verhältnis zu den Wehrmachtsdienststel- len in Serbien, nachdem mit Turner deren zeitweilig einflussreichster und ehrgeizigster Vertreter entfernt worden war? Generell kann man sagen, dass Meyszner die oberste Autorität des Kommandierenden Generals weder direkt noch indirekt in Frage stellte, wie eine Auswertung der im Gegensatz zu den

100 Bormann an Himmler, 8. Januar 1943, Akten der PK 102 01637-01638. 101 Persönlicher Stab Reichsführer-SS an SS-Brigadeführer von Herff, 12. Januar 1943, ebenda, 102 01639. 102 Entwurf von Herffs für ein Schreiben Himmlers an Bormann, 12. Januar 1943, ebenda, 102 01641-01643, Zitat 102 01643. 103 Himmler an Bormann, 12. Januar 1943, ebenda, 107 00160. 104 Dienstaltersliste der der NSDAP. SS-Oberst-Gruppenführer – SS- Standartenführer, Stand vom 9. November 1944, Berlin 1944, S. 9 (Rauter, Nr. 61), S. 11 (Meyszner, Nr. 114); SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Po- lizei, S. 194.

279 Martin Moll

Akten des HSSPF relativ vollständigen Überlieferung dieser militärischen In- stanz zeigt. Eine Konsequenz des Beharrens der Wehrmacht darauf, Serbien gelte als Operationsgebiet, war beispielsweise, dass Meyszner selbst einzelne Polizeikompanien nur mit Zustimmung des Befehlshabers verlegen durfte; er ersuchte in jedem Fall höflich um die Erlaubnis hierzu.105 Ungeachtet sei- nes unstillbaren Ehrgeizes dürfte Meyszner klar gewesen sein, dass es sich unter den gegebenen Umständen nicht empfahl, die Verantwortung für die „Bandenbekämpfung“ zu übernehmen, selbst wenn dies durchsetzbar ge- wesen wäre. Denn weder die im Schnitt eher drittklassigen Wehrmachtsver- bände und schon gar nicht die schwachen Polizeikräfte des HSSPF waren im Stande, der ständig wachsenden Partisanenbewegungen unterschiedlichster politischer Couleur Herr zu werden.106 Als Meyszner Ende August 1942 die hohe Ehre zuteil wurde, dem neu ernannten Oberbefehlshaber Südost, sei- nem österreichischen Landsmann Generaloberst Alexander Löhr (1885-1947), über die Lage in Serbien vorzutragen, gab er an, bei seinem Eintreffen in Bel- grad Anfang des Jahres habe er dort lediglich eine kleine SD-Dienststelle, ein deutsches Polizeibataillon sowie 2.000 Mann der serbischen Polizei vorgefun- den. Mittlerweile seien zwei deutsche Polizeikompanien zugeführt worden; er bemühe sich aber darum, insgesamt sechs Bataillone zu erhalten.107 Meyszners Eindruck auf Löhr dürfte sich in Grenzen gehalten haben, denn als Letzterer Mitte September 1942 zu Besprechungen mit dem Chef des Wehrmachtführungsstabes und dessen Stellvertreter im Führerhaupt- quartier weilte, klagte er nicht nur ein weiteres Mal über das Fehlen einer einheitlichen Führung in Serbien, woran auch die Eigenmächtigkeiten Tur- ners schuld seien, sondern er bemerkte, dass diverse Dienststellen,

„vor allem aber der Höhere SS- und Polizeiführer sowohl die militärische wie die zivile Verwaltungsführung beanspruchen. Dieser habe den Antrag

105 Beispielsweise Meyszner an Kommandierenden General und Befehlshaber in Ser- bien, 31. August, 24. September und 6. Oktober 1942, IfZ München, MA-687, frames 000136, 121 und 108. 106 Zusammenfassung des Forschungsstandes bei MANFRED MESSERSCHMIDT, Partisa- nenkrieg auf dem Balkan. Ziele, Methoden, „Rechtfertigung“, in: LOUKIA DROULIA, HAGEN FLEISCHER (Hrsg.), Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungs- terror. Studien zur Repressalienpraxis im Zweiten Weltkrieg, Berlin 1999, S. 65-91. 107 Vortrag des HSSPF vor OB Südost, 29. August 1942, IfZ München, MA-685, frames 000586-593.

280 August Meyszner: Stationen einer Karriere

gestellt, ihm die gesamte Zivilverwaltung zu übertragen, und sei im Begriff, eine eigene Verwaltung durch Einrichtung von Polizeibezirken aufzuziehen.“

Ferner mische er sich ständig in die Erteilung von Einsatzbefehlen an die „Prinz Eugen“ ein.108 Nennenswerte Verstärkungen erhielt Meyszner vorerst nicht. Noch im September 1943 ließ der HSSPF daher Himmler wissen, im be- nachbarten Kroatien stünden 14 deutsche oder deutsch geführte Divisionen, ferner 21.000 Mann deutsch geführte Polizei, während sich zeitgleich in Ser- bien befänden:

„1 Wehrmachtsreserveregiment, bestehend aus Rekruten, 4 bulg. [bulgari- sche, M. M.] Reservedivisionen, die nach Angabe des Militärbefehlshabers und aus eigener Erfahrung möglichst nur das tun, was ihnen paßt, dann 3 Regimenter Russischer Werkschutz, 1 SS-Pol. Regiment, ohne 1 Kompanie, die sich in Griechenland befindet und 7 Hilfspolizei-Bataillone verschiede- ner Volkszugehörigkeit, die eine Blitzausbildung von 4-5 Wochen haben, da ich sie notgedrungen einsetzen mußte und pausenlos im Einsatz stehen.“109

Vor diesem Hintergrund konnte es Meyszner nur recht sein, dass ihm, wie er Himmler berichtete, die Wehrmacht dauernd zu verstehen gab, dass der „Bandenkampf“ in Serbien als einem Operationsgebiet ihre Aufgabe sei. Er habe sich aber immerhin die von ihm so bezeichneten Kleinunternehmun- gen nicht wegnehmen lassen; diese seien ohnedies erfolgreicher als die meist durch Verrat ins Leere laufenden Großoperationen der Wehrmacht. In der Tat, Meyszner war inzwischen im „Bandenkampf“ recht kleinlaut geworden, zumal, wie er betonte, die früher 30 bis 50 Mann starken Partisanengruppen mittlerweile in Verbänden mit einer Stärke zwischen 500 und 1.000 Mann mit modernster Bewaffnung operierten; man könne daher ohne weiteres

108 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab) 1940-1945. Geführt von Helmut Greiner und Percy Ernst Schramm. Hrsg. von P ERCY ERNST SCHRAMM (im Folgenden: KTB/OKW). Band II: 1. Januar 1942-31. De- zember 1942. Zusammengestellt und erläutert von ANDREAS HILLGRUBER, Teilband I, Herrsching 1982, S. 734-735. Aufzeichnung Greiners zum 17. September 1942 über die Besprechung Löhrs mit Jodl und Warlimont. 109 Meyszner an Himmler, 18. September 1943, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frames 436-438, Zitat frame 437. Hiernach das Folgende. Zur Stärke Ende 1943 (16 Hilfspolizeibataillone, ein motorisiertes Polizeibataillon und eine Polizei-Reiter- schwadron) siehe BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 245.

281 Martin Moll feststellen, dass sie das Land kontrollierten und sich ganz Serbien im Auf- stand befinde.110 Die Aufständischen konnten nicht nur bei Verfolgung in benachbarte, nichtserbische Gebiete ausweichen, ihnen stand in Serbien selbst ein bunt zusammengewürfeltes Aufgebot der Besatzungsmacht gegenüber, von des- sen Kampfkraft ein militärisch erfahrener Mann wie Meyszner keine Illu- sionen haben konnte. Ein zur Verteilung an deutsche Soldaten bestimmtes Merkblatt des Kommandierenden Generals listete im Mai 1943 diesen bun- ten Haufen auf: Die Masse der im „Bandenkampf“ eingesetzten Truppen stellten nicht die Deutschen, sondern neben den ebenfalls als Besatzer täti- gen Bulgaren die Serben selbst: Dem Befehlshaber unterstand das Serbische Freiwilligen-Korps und darüber hinaus ein Russisches Schutzkorps Serbien, gebildet aus russischen Emigranten. Der HSSPF hingegen gebot über seine eigenen, über das Land verteilten, aber schwach besetzten Dienststellen so- wie – numerisch am bedeutsamsten – die über ganz Serbien dislozierte Serbi- sche Staatswache. Für die Militärs galt sie nicht als gänzlich verlässlich.111 Mit diesem disparaten, ethnisch gemischten, schlecht bewaffneten und einer zersplitterten Befehlsgebung unterstehenden Aufgebot waren gegen die Partisanen keine Lorbeeren zu gewinnen. Deshalb konnte es Meyszner nicht unangenehm sein, dass die Verantwortung für die permanent wach- sende Partisanenbedrohung nicht ihm selbst anzulasten war. Bemerkens- wert ist, dass sich bei ihm ein ansonsten häufig gebrauchtes Erklärungsmus- ter für die „Bandenlage“ in Serbien nicht oder bestenfalls am Rande findet: Der Hinweis auf die von der Ustaša im benachbarten Kroatien am laufen- den Band begangenen Massaker an Serben, die jene erstens zur Flucht nach Serbien veranlassten und zweitens den Partisanen zutrieben. Ein Bericht der Sicherheitspolizei und des SD, also einer Meyszner fachlich vorgesetzten SS- Instanz, hatte im Februar 1942 unmissverständlich konstatiert:

110 Zur Effizienz der Partisanen vgl. die Zusammenfassung bei UROŠ SVETE, DAMI- JAN GUŠTIN, Jugoslawische Partisanen unter Tito 1941-1944. Zwischen einheitlicher Grundlage und dezentralisierter Aufstandsführung, in: SEBASTIAN BUCIAK (Hrsg.), Asymmetrische Konflikte im Spiegel der Zeit, Berlin 2008, S. 375-392. 111 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien, Merkblatt für den ser- bischen Raum, Mai 1943, IfZ München, MA-687, frames 000010-000013. Meyszner verteidigte Mitte 1942 die Staatswache gegen Himmlers Wunsch, sie als unzuver- lässig aufzulösen und durch volksdeutsche Hilfspolizeiformationen zu ersetzen. BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 245.

282 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Abbildung 6: Bildbericht der deutschen Propaganda-Zeitschrift „Signal“ über das russische Schutzkorps in Serbien, in: Signal (1943) 24, S. 7 (= Sonderheft Ost)

283 Martin Moll

„Als wichtigste Ursache für das Aufflammen der Bandentätigkeit müssen die Greueltaten bezeichnet werden, die von den Ustaša-Verbänden im kro- atischen Raum gegenüber den Prawoslawen verübt wurden.“

Diese Massaker würden „insbesondere auch an wehrlosen Greisen, Frauen und Kindern in der bestialischsten Weise begangen“.112 Meyszner machte sich dieses Argument nicht zu eigen – ob aus Sympathie für die „Serbenpolitik“ der Ustaše oder aus anderen Gründen, lässt sich nicht definitiv entscheiden. In der grundsätzlichen, misstrauischen bis ablehnenden Haltung gegen- über allem Serbischen war sich der HSSPF mit dem Befehlshaber einig.113 Das Kriegstagebuch des Kommandierenden Generals, das für eine Reihe nur teilweise zusammenhängender Monate erhalten ist, belegt die häufigen Vorsprachen Meyszners bei ihm beziehungsweise ihre regelmäßigen Zu- sammentreffen spätestens ab Juni 1942. Hierbei wurde der Einsatz der Po- lizeiverbände im Rahmen der Partisanenbekämpfung besprochen und im Einvernehmen festgelegt, jedenfalls nicht von den Militärs einseitig angeord- net.114 Die neu aufgestellte Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“ betreffend hat- te sich Meyszner ausbedungen, an sie gehende Einsatzbefehle über ihn zu leiten.115 Ihm übertrug die Wehrmacht nur zu gern diverse Sicherungsaufga- ben, um die Belastung ihrer eigenen schwachen Kräfte zu mindern.116 Man gewinnt den Eindruck, dass der HSSPF beim Stab des Kommandierenden Generals als Sicherheitsexperte ernst genommen wurde. Nicht mit ihm gab es – vor und nach dem Abgang Turners – Schwierigkeiten, vielmehr erga- ben sich ständig widrige Probleme aus den verworrenen Besatzungsverhält-

112 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, IV D 4, (Abschrift) an Reichsführer-SS, Bericht: Lage im Südostraum, 17. Februar 1942, ADAP E I, S. 515-520, Nr. 277, Zitate S. 516. 113 „Gegenüber der serbischen Bevölkerung ist äusserstes Misstrauen am Platze. Der Serbe ist von Natur Nationalist und denkt stets an die Befreiung seines Vaterlandes, […].“ Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien, Merkblatt für den serbischen Raum, Mai 1943, IfZ München, MA-687, frame 000011. 114 Kriegstagebuch (im Folgenden: KTB) des Kommandierenden Generals und Befehls- habers in Serbien samt Anlagen, Mai-Juni 1942, August 1942, Januar-Februar 1943, IfZ München, MA-685; siehe exemplarisch die Eintragungen vom 22. Juni, 25. Juni, 5. August, 14. August 1942 und andere. Hiernach das Folgende. 115 Eintragung vom 6. August 1942. Ebenda, frame 000379. 116 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien, Befehl betr. Unterstel- lungsverhältnisse der anerkannten serbischen Waffenträger, 3. August 1942, eben- da, frames 000052-000054.

284 August Meyszner: Stationen einer Karriere nissen, die keiner der beiden aufzulösen vermochte. So scheiterte etwa Mitte 1942 ein von den beiden mit Ministerpräsident Nedić besprochener Einsatz loyaler serbischer Verbände gegen Partisanen daran, dass die Bulgaren in dem von ihnen besetzten Landesteil dies nicht dulden wollten.117 Die anscheinend relativ harmonische Zusammenarbeit setzte sich 1943 fort. Wiederholt führte Meyszner die ihm vom Befehlshaber aufgetragene Verlegung von Polizeieinheiten anstandslos durch, und erneut traf man sich regelmäßig zur Besprechung allerlei anstehender Fragen.118 Der Eindruck be- stätigt sich, dass Meyszners Wünsche und Vorschläge jedenfalls vorerst auf keine erkennbare Kritik stießen. Der HSSPF war mit von der Partie, als der Stabschef des Befehlshabers Ende Mai 1943 zu einer Serie von Besprechun- gen mit hochrangigen Vertretern der Wehrmacht sowie des AA nach Ber- lin reiste.119 Als die Wehrmacht im Frühjahr personelle Probleme hatte, die wichtige Maisernte zu überwachen, war sie dankbar, dass Meyszners Polizei in die Bresche sprang.120 Naturgemäß ließ sich dieser die Gelegenheit nicht entgehen, seine eigenen Verdienste in dieser Sache herauszustreichen und zugleich die serbische Regierung wegen angeblicher oder wirklicher Ver- säumnisse zu kritisieren.121 Gleichwohl begann sich 1943, vorerst langsam, der Himmel zu verdun- keln. Die nun ausbrechenden Meinungsverschiedenheiten entzündeten sich anfangs an vergleichsweise zweitrangigen Einzelfällen, zum Beispiel an wenn nicht eigenmächtigen, so doch (wie sich herausstellte) unnötigen Ver- haftungen von Sühnegefangenen. In zumindest einem aktenkundigen Fall hielt der Befehlshaber eine solche Maßnahme des HSSPF für unbegründet,122 in einem anderen hatten Meyszners Leute ein Mitglied des dem Militär un-

117 KTB, Eintragung vom 25. Juni 1942, ebenda, frames 000207-000208. 118 KTB des Kommandierenden Generals und Befehlshabers in Serbien samt Anlagen, März-Juni 1943, IfZ München, MA-512. 119 Eintragung vom 29. Mai 1943, ebenda, frames 000387. 120 Befehl des Kommandierenden Generals und Befehlshabers in Serbien, 12. April 1943, ebenda, frame 000253. 121 Aktenvermerk über die am 18. Juni 1943 stattgefundene Besprechung betreffend Erfassung der Weizen- und Maisernte 1943, o. D., ebenda, frames 000647-000653. Vgl. hierzu auch den Befehl des Kommandierenden Generals und Befehlshabers in Serbien zur Maiserfassung, 9. März 1943, Druck bei SECKENDORF, Die Okkupations- politik des deutschen Faschismus, S. 226, Nr. 126. 122 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an HSSPF, 4. März 1943, IfZ München, MA-512, frame 000053.

285 Martin Moll terstehenden Serbischen Freiwilligen-Korps verhaftet,123 und schließlich wurde der HSSPF aus gegebenem Anlass angewiesen, serbische Behörden- vertreter künftig nur mehr bei Gefahr im Verzug ohne vorherige Genehmi- gung zu verhaften.124 Darum hatte Turner vergeblich gekämpft. Die Wehr- macht empörte sich darüber, dass ein von ihr wegen Diebstahls mit Schimpf und Schande aus dem Freiwilligen-Korps entlassener Serbe wenig später „von einer deutschen Polizeidienststelle in Dienst genommen und bewaffnet wurde.“125 Dies alles soll nicht als Mäßigung der Militärverwaltung missverstanden werden: Hielt sie Repressalien nach Partisanenanschlägen für erforderlich, zögerte sie nicht, sie anzuordnen und Meyszner mit deren Durchführung und anschließender Veröffentlichung mittels Plakatanschlag zu betrauen. Ei- ner von vielen solchen Fällen ereignete sich Ende Juni 1943, als auf Befehl des Kommandierenden Generals zur Vergeltung für acht getötete und sie- ben verwundete deutsche Hilfspolizisten 575 Sühnegefangene exekutiert wurden.126 Seckendorfs Edition verzeichnet eine größere Zahl einschlägiger Befehle, aus denen die subalterne Rolle des Polizei- und SS-Apparates her- vorgeht.127 Im Tenor weitgehend deckungsgleich, liefen diese Direktiven des Kommandierenden Generals darauf hinaus, dass er selbst alle Einzelheiten der Erschießungen bestimmte. Aber: „Mit der Durchführung der Exekution wird der Höhere SS- und Polizeiführer beauftragt.“128 Nach dem Krieg sollte Meyszner derlei ihm übertragene Schmutzarbeit den Kopf kosten.

123 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an HSSPF, 1. April 1943, ebenda, frame 000087. 124 KTB, Eintragung vom 7. Mai 1943, ebenda, frame 000368. Erneut angeordnet mit Befehl des Kommandierenden Generals und Befehlshabers in Serbien (u.a.) an HSSPF, 21. Mai 1943, ebenda, frame 000505. 125 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an HSSPF, 5. Mai 1943, ebenda, frame 000420. 126 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an HSSPF, 24. Juni 1943, ebenda, frame 000686. 127 Vgl. SECKENDORF, Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus, S. 237, Nr. 142; S. 239, Nr. 147; S. 243-244, Nr. 153; S. 245, Nr. 155; S. 251, Nr. 165 und Nr. 166; S. 271, Nr. 192. 128 Befehl des Kommandierenden Generals und Befehlshabers in Serbien an Meyszner, 23. Oktober 1943, Druck ebenda, S. 274, Nr. 198. Angeordnet wurde die Erschießung von 500 Sühnegefangenen für insgesamt elf getötete und 25 verwundete Deutsche oder in deutschen Diensten Stehende.

286 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Abbildung 7: Bekanntmachung des Kommandierenden Generals und Befehls- habers in Serbien über die Erschießung von 30 Geiseln als Repressalmaßnah- me, Dezember 1942, in: SECKENDORF, Abbildung 10, ohne Seitenangabe.

287 Martin Moll

Es ging aber um viel Grundsätzlicheres. Je stärker die Partisanengefahr anwuchs, desto mehr steigerte sich die Kritik an den mangelnden Erfolgen bei deren Bekämpfung. Der Rolle eines Sündenbocks überdrüssig, reagierte der Befehlshaber in der ersten Jahreshälfte 1943 mit lautstark erhobenen For- derungen nach einer Straffung der Befehlsverhältnisse. Nur die Unterstel- lung sämtlicher deutscher Dienststellen in Serbien, einschließlich jener des HSSPF, lasse eine Besserung erwarten.129 Dies erschien umso dringlicher, da 1943 jederzeit mit einer anglo-amerikanischen Landung im Südostraum zu rechnen war. Die dann mit der Invasionsabwehr beschäftigten, schwachen deutschen Kräfte könnten mit der Gefahr in ihrem Rücken noch weniger als vorher fertig werden. Obendrein wurde bemerkt, dass die serbische Regie- rung und Verwaltung „ohne eigene Initiative nur nach Weisungen der Be- satzungsmacht“ handelten und Teile der Verwaltung „bereits den Anord- nungen der Aufständischen“ folgten; auch wachse „die Bereitschaft weiter Kreise der Bevölkerung zum Aufstand.“130 Da keine Änderung der ursäch- lichen Übel erreichbar war, ärgerte sich die Wehrmacht umso mehr, als ihr dämmerte, dass Meyszner laufend und hinter ihrem Rücken wenig schmei- chelhafte Berichte ins Reich sandte, während er sich vor Ort als loyaler Ka- merad gerierte. Noch das Harmloseste war hierbei Meyszners Neigung, in seinen Rapporten und Statistiken über die „Bandenbekämpfung“ eigene Erfolge und Einsätze selbst bescheidenen Umfangs herauszustreichen, grö- ßere Unternehmungen der Wehrmacht hingegen unter den Tisch fallen zu lassen.131 Auf Basis solch fragwürdiger Unterlagen fabrizierte Himmler seine gefärbten Meldungen an Hitler. Meyszner muss aber noch einen Schritt weiter gegangen sein, indem er extrem negative Berichte über den physischen und moralischen Zustand der von den Militärs aufgestellten und geführten serbischen Milizen nach oben sandte, darunter auch das erwähnte Freiwilligen-Korps. Diesem hatte Meys- zner ja bereits zu Turners Zeiten vorgeworfen, verkappte Königspropagan- da zu betreiben und in Bausch und Bogen unzuverlässig zu sein. Auf erste

129 Aufzeichnung (vermutlich vom Chef des Stabes des Befehlshabers) über eine Sit- zung am 31. Mai 1943 in Berlin, IfZ München, MA-512, frames 000539-000540. 130 Lagebeurteilung Oberbefehlshaber Südost, 27. Juni 1943, Druck bei SECKENDORF, Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus, S. 235-236, Nr. 140, Zitate S. 236. 131 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an HSSPF, 25. Juni 1943, IfZ München, MA-512, frame 000690.

288 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Verdachtsmomente hin befragt, erwiderte der HSSPF, der ihm unterstellte (SD) „müsse alles weitermelden, ohne Rücksicht darauf, ob Meldung richtig oder unrichtig […].“132 Dies ließ Schlimmes erahnen. Den- noch staunte der Kommandierende General nicht schlecht, als er wenige Tage darauf einen Anruf aus dem OKW erhielt. Der Anrufer hielt ihm nicht nur die Zustände beim Freiwilligen-Korps vor, sondern auch, dass er von den einschlägigen Meldungen keine Kenntnis hatte. Nun platzte General Paul Bader (1883-1971) der Kragen. In einem geharnischten Schreiben an den Wehrmachtführungsstab und den Oberbefehlshaber Südost beklagte er sich erneut über die unbefriedigende „Organisation der Befehlsverhältnisse hier“ im Allgemeinen und im Besonderen über Meyszners „Sonderdienstweg“ zu Himmler,

„an den er unmittelbar alles – ohne meine Kenntnis – berichten kann. Noch nie ist meines Wissens ein Bericht des Höh. SS- u. Pol. Führers an den Reichsführer SS zu meiner Kenntnis gekommen. Es besteht also in Serbien der für mich unmögliche und für einen Soldaten unwürdige Zustand, dass meine im Interesse der Sicherung des Landes getroffenen Anordnungen von einem Untergebenen auf dem Polizeidienstwege angegriffen werden können, ohne dass ich etwas davon erfahre. Die Verantwortung für alles was hier vorgeht, habe ich aber zu tragen. Nur restlose Unterstellung und ein Dienstweg kann hier Abhilfe schaffen.“133

Die Klagen über Strukturprobleme der deutschen Besatzungsorganisation in Serbien waren ebenso wenig neu, wie sie zu einer Änderung der Verhält- nisse führen sollten. Hitler bekräftigte wohl Ende Juli 1943, dass die überra- gende Bedeutung Serbiens eine Zusammenfassung aller dortigen deutschen Dienststellen erfordere, weshalb die nichtmilitärischen Instanzen dem Mi- litärbefehlshaber Südost unterstellt und sogar in seinen Stab eingegliedert werden sollten, doch war mehr oder minder Gleiches auch schon 1941 und 1942 angeordnet worden, ohne jemals Realität zu werden.134 Neu war je- doch Baders scharfer Ton − ein sicheres Indiz dafür, dass der vorhergehen-

132 KTB, Eintragung vom 20. April 1943, ebenda, frame 000186. 133 Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien an Wehrmachtführungs- stab und OB Südost, 29. April 1943, ebenda, frames 000351-000352, Zitate 000352. Unterstreichungen im Original. 134 Weisung Nr. 48 für die Befehlsführung und Verteidigung des Südostraums, 26. Juli 1943, Druck bei HUBATSCH, Hitlers Weisungen, S. 218-223.

289 Martin Moll de „Honeymoon“ zwischen ihm und Meyszner wegen dessen ans Tageslicht gekommener Illoyalität unwiderruflich zu Ende war. Dies würde den HSSPF nicht sofort zu Fall, aber seine Machtstellung doch deutlich ins Wanken brin- gen, sobald Konflikte mit weiteren Kontrahenten hinzutraten. Bei Meyszners querulantenhaftem Naturell war dies nur eine Frage der Zeit.

Abbildung 8: General der Artillerie Paul Bader (1883-1971), Kommandierender General und Befehlshaber in Serbien 1942-1943, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_ Bild_146-1973-139-24,_Paul_Bader.jpg (8. Juli 2012), Bundesarchiv, Inventarnummer: Bild 146-1973-139-24

Vorerst sollte es jedoch anders kommen: Ende November 1943 wurden Meyszners Befugnisse in territorialer Hinsicht nicht unerheblich ausgewei- tet. Unter Beibehaltung seiner Stellung als HSSPF in Serbien ernannte ihn Himmler in Personalunion zum Beauftragten des Reichsführers-SS beim Sonderbevollmächtigten des Deutschen Reiches für das Gebiet von Monte- negro.135 Wie sich bald herausstellte, sollten die Kalamitäten Meyszners da- durch nicht geringer werden. Im Winter 1943/1944 zeichnete sich in der deutschen Partisanenbe- kämpfung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien insofern ein Kurs- wechsel ab, als die militärischen Besatzungsinstanzen die bisher zeitwei-

135 Himmler an Meyszner, 29. November 1943, IfZ, MA-325, frame 649355.

290 August Meyszner: Stationen einer Karriere se kollaborierenden, königstreuen Četnik-Partisanen unter ihrem Führer Draža Mihailović (1893-1946, in deutschen Quellen stets als DM bezeichnet) abzuschreiben begannen.136 Seit 1941 hatte, in unterschiedlicher Intensität, die Hoffnung bestanden, Mihailovićs erbitterte Konflikte mit der zweiten, kommunistischen Partisanenbewegung unter Tito ließen sich für deutsche Zwecke ausnutzen, indem die Einen gegen die Anderen ausgespielt und Mihailović für seinen Kampf gegen die Kommunisten sogar deutsche Waffen ausgehändigt wurden. Im Wesentlichen war diese Strategie über temporä- re Waffenstillstände mit den Četniks nicht hinausgekommen. Der Četnik- Führer konnte sich ganz einfach nicht hundertprozentig auf die Seite der Okkupanten schlagen, ohne seinen Rückhalt im Lager des Widerstandes einzubüßen. Die Wehrmacht hatte daher gegenüber den Četniks längere Zeit hindurch einen Zick-Zack-Kurs verfolgt: Phasen enger Kooperation mit Draža Mihailović wurden abgelöst durch Perioden erbitterten Kampfes, un- ter anderem verdeutlicht durch Aussetzung einer Kopfprämie auf ihn und Tito im Sommer 1943.137 Spätestens im Februar 1944 war der Militärbefehls- haber Südost entschlossen, dem jahrelangen Hin und Her rund um den nie definitiv geklärten Status der Četnik-Verbände ein Ende zu machen:

„Der Versuch, die DM-Bewegung zu einer gemeinsamen Bekämpfung der Kommunisten zu gewinnen, ist als gescheitert anzusehen, weil die DM- Bewegung die Gelegenheit dazu benutzte, ihre Organisation zu verstärken, um dann den Kampf gegen die Besatzungsmacht umso tatkräftiger aufneh- men zu können.“138

136 Vgl. hierzu KTB/OKW, Band IV: 1. Januar 1944 bis 22. Mai 1945. Eingeleitet und erläutert von PERCY ERNST SCHRAMM, Teilband I, Herrsching 1982, S. 601-631. Die Entwicklung im Südosten vom 1. Januar bis 31. März 1944. Grundlegend zur Lage in Serbien in der zweiten Kriegshälfte MILITÄRGESCHICHTLICHES FORSCHUNGSAMT (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 5: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Zweiter Halbband: Kriegsverwal- tung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45, Stuttgart 1999, S. 31-35. 137 Telegramm Benzlers an AA, 19. Juli 1943, ADAP E VI, S. 263, Nr. 158. Auf Weisung des Wehrmachtbefehlshabers Südost, Generaloberst Löhr, zurückgehend auf ei- nen Befehl des OKW, sollten ab 21. Juli 1943 Flugblätter eine Kopfprämie von je 100.000 Goldmark für die Ergreifung Titos und DMs verkünden. Benzler sprach sich gegen die Kopfprämie für DM aus, da „hierdurch nur unnötige Reklame für ihn gemacht wird“. 138 Militärbefehlshaber Südost an HSSPF, 11. Februar 1944, Anlage 34 zum KTB des Militärbefehlshabers Südost für Februar 1944 (im Folgenden: KTB), IfZ München, MA-513, frame 000054. Unterstreichung im Original.

291 Martin Moll

Abbildung 9: Steckbrief für Draža Mihailović mit einer auf ihn ausgesetz- ten Belohnung von 100.000 Reichsmark, http://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Cetnik-3.jpg (8. Juli 2012):

292 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Daher sei es erforderlich, die Brücken zu Draža Mihailović abzubrechen und alle sonstigen legalen serbischen Verbände in eine Front gegen ihn einzurei- hen. Dieser Kurswechsel sollte sowohl die von den Militärs als auch die vom HSSPF beaufsichtigten serbischen Milizen betreffen. Damit rannte er bei Meyszner offene Türen ein, hatte dieser doch, wie gezeigt, schon die serbischen Milizen stets misstrauisch beäugt; umso ableh- nender war er gegen jegliche, wie auch immer begrenzte Zusammenarbeit mit vormaligen oder potenziellen Aufständischen eingestellt. Mit Blick auf trat Meyszner ebenfalls dagegen ein, die dortigen Četniks zu bewaffnen.139 Er glaubte, mit seinen eigenen Kräften – in Montenegro zwei aus „Muselmanen“ bestehende Bataillone in einer Gesamtstärke von 800 Mann – auskommen zu können.140 Folglich bat der HSSPF um Klarstellung, „ob nun endgültig mit allen DM-Banden Kampfzustand besteht.“141 Er sah die Wehrmacht spät, aber doch auf die von ihm seit längerem verfochtene Linie eingeschwenkt und regte Ende Februar 1944 beim Militärbefehlshaber an, mit dem er sich nun nahezu täglich traf, dieser möge nochmals nach Ber- lin melden, „dass die Versuche, DM einzuspannen, als gescheitert anzuse- hen sind.“142 Ungeachtet der weitgehend parallelen Einschätzung der Četnik-Bewe- gung durch Wehrmacht und HSSPF wurde deren Umsetzung in die Praxis, wie von Meyszner laufend urgiert, von politischer Seite gehemmt. Hitler hat- te nämlich Ende August 1943 den früheren Wiener Bürgermeister Hermann Neubacher (1893-1960), einen „Alten Kämpfer“ der österreichischen NSDAP, als „Sonderbevollmächtigten des Auswärtigen Amts für den Südosten“ mit Dienstsitz in Belgrad eingesetzt.143 Fürs Erste beschränkte sich dessen Auf- trag auf die Übermittlung außenpolitischer „Absichten und Maßnahmen sowie über die Weisungen des Auswärtigen Amts, die für die militärische

139 KTB, Eintragung vom 26. Februar 1944, ebenda, frame 000018. 140 KTB, Anlage 63, Protokoll über Besprechung Militärbefehlshaber Südost mit Meyszner, 21. Februar 1944, ebenda, frames 000089-000090. 141 KTB, Anlage 78, Protokoll über Besprechung Militärbefehlshaber Südost mit Meyszner, 24. Februar 1944, ebenda, frame 000128. 142 KTB, Anlage 87, Protokoll über Besprechung Militärbefehlshaber Südost mit Meyszner, 28. Februar 1944, ebenda, frames 000144-000146, Zitat 000144. 143 Vgl. hierzu dessen Erinnerungen: HERMANN NEUBACHER, Sonderauftrag Südost 1940-1945. Bericht eines fliegenden Diplomaten, Göttingen-Berlin-Frankfurt am Main 1958.

293 Martin Moll

Führung oder Verwaltung im Südosten von Belang sind“. Mehr als eine ge- genseitige Unterrichtung war zunächst nicht geplant; vom SS- und Polizei- apparat war (noch) keine Rede.144 Zwei Monate darauf wurde Neubachers Mission erheblich ausgeweitet und zugleich präzisiert. Neubacher sollte mit politischen Mitteln jene Be- friedung herbeiführen, an der Wehrmacht und HSSPF mit ihren militärisch- polizeilichen Methoden bislang gescheitert waren. Ohne die erst Ende Juli festgelegte Federführung der Wehrmacht zu beachten, der bekanntlich alle nichtmilitärischen Dienststellen in Serbien eingegliedert werden sollten, er- hielt Neubacher von Hitler den Auftrag, die „politische Führung“ einer an- tikommunistischen „Gegenaktion“ zu übernehmen. Mit dem Oberbefehls- haber sowie dem Militärbefehlshaber Südost hatte er hierbei wohl engstens zusammenzuarbeiten; von einer Unterstellung war jedoch keine Rede mehr, zumal Neubacher seine Weisungen entweder von Hitler direkt oder vom Reichsaußenminister erhalten sollte. Der Sonderbevollmächtigte war ange- halten,

„in den einzelnen Ländern des Südostens die nationalen antikommunisti- schen Kräfte politisch zu organisieren und ihren Einsatz im Kampf gegen die kommunistischen Banden politisch zu lenken. Er allein ist befugt, Ver- handlungen mit Bandenführern zu führen, zu genehmigen oder abzuleh- nen.“

Mit solchen (ihm ferner für die Wirtschaft zugeteilten) Vollmachten war die Prärogative der Wehrmacht in Serbien ausgehöhlt, wenn nicht obsolet. Was Meyszner angeht, so muss ihn eine weitere Regelung – die erste Änderung seiner Kompetenzen seit Anfang 1942 – geradezu schockiert haben:

„Die Höheren SS- und Polizeiführer [im gesamten Südostraum, M. M.] so- wie die sonst vom Reichsführer-SS entsandten SS- und Polizeiorgane sind unbeschadet ihrer sonstigen Unterstellung die Berater des Sonderbevoll- mächtigten in polizeilichen Fragen und erhalten ihre Weisungen auf politi- schem Gebiet von diesem.“ Auch die „Handhabung der Sühnemaßnahmen ist mit dem Sonderbevollmächtigten abzustimmen.“145

144 Anordnung des Führers betreffend Einsetzung des Gesandten Neubacher als Son- derbevollmächtigter des Auswärtigen Amts für den Südosten, 24. August 1943, ge- druckt bei MOLL, „Führer-Erlasse“, S. 350-351, Zitat S. 351. 145 Anordnung des Führers betreffend die einheitliche Führung des Kampfes gegen den Kommunismus im Südosten, 29. Oktober 1943, gedruckt in ebenda, S. 368-369.

294 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Abbildung 10: Hermann Neubacher (1893-1960), 1943-1945 Hitlers Sonder- bevollmächtigter für den Südosten, in: SECKENDORF, Die Okkupationspoli- tik des deutschen Faschismus, Abbildung 28, ohne Seitenangabe

Dem Bevollmächtigten blieb, wollte er überhaupt eine Erfolgschance haben, nichts anderes übrig, als mit jenen Kräften zu verhandeln, die sich dafür im serbischen Raum anboten: Neben der Regierung Nedić war dies in erster Li- nie Draža Mihailović; andere Optionen gab es nicht. Die antikommunistische Ausrichtung des Letzteren wurde zwar von der Wehrmacht und vom HSSPF bestritten beziehungsweise als bloß oberflächliche Tarnung abgetan, ließ sich aber plausibel behaupten. Ähnliches galt für Nedić, den Neubacher gestärkt sehen wollte. Wenn, so ließ jener am 1. Oktober 1943 verlauten, die Reichs- politik dahin gehe,

„aus einem 5prozentigen Ministerpräsidenten […] einen 30prozentigen Mi- nisterpräsidenten zu machen, so ist dies eben nur in der Weise möglich, daß die fehlenden 25 Prozent bisherigen anderen Kompetenzen zur Stärkung der Regierung Nedić abgenommen werden.“

Folglich müssten sämtliche deutschen Dienststellen in Serbien zurücktreten und ihr „Hineinregieren in Kleinigkeiten“ abstellen. Neben der Wirtschaft

295 Martin Moll betreffe dies vor allem eine „Neuformulierung“ des HSSPF als Kontrollin- stanz über die serbischen Milizen.146 Gedeckt von Göring und Reichsaußenminister (1893-1946), ließ der umtriebige, zwischen seinen diversen Dienstsitzen auf dem Balkan hin- und herfliegende Neubacher daher nichts unversucht, um in Serbien die sich für eine Zusammenarbeit scheinbar oder real anbietenden Kräfte zu stärken. Neubacher vertrat, vereinfacht gesagt, jenes Konzept, mit dem Turner 1942 gescheitert war. Die von den Militärs und Meyszner um die Jahreswende 1943/1944 favorisierte Kriegserklärung an Draža Mihailović kam daher nicht nur Neubachers politischer Linie in die Quere, sie wider- sprach auch dem Führer-Auftrag, wonach er allein über Aufnahme und Abbruch der Verhandlungen mit „Bandenführern“ zu entscheiden hatte. Sobald der gewiefte Neubacher die Kräfteverhältnisse vor Ort sondiert hat- te, strebte er danach, die hinsichtlich Draža Mihailović noch schwankenden Wehrmachtsdienststellen und den weitaus konsequenteren und radikaleren Meyszner zu trennen.147 Dies konnte nicht allzu schwer fallen, klagte doch die Wehrmacht über die laufenden, scharfmacherischen Einmischungen Meyszners und dessen Einschaltung Himmlers.148 In einem „Bandenkampfgebiet“ wie Serbien war selbstredend die Wehr- macht nicht gänzlich auszuschalten; wohl aber schien es machbar, den aus früheren Streitigkeiten geschwächten HSSPF zu eliminieren. Es ging aber keineswegs nur um die Haltung gegenüber Draža Mihailović, sondern als zweite, mindestens ebenso wichtige Aufgabe darum, eine weitere Kompro- mittierung der ohnehin notorisch schwächelnden Regierung Nedić zu ver- meiden. Der Ministerpräsident hatte sich am 10. November 1943 bei von

146 Telegramm Neubachers an AA, 1. Oktober 1943, ADAP E VII, S. 9-11, Nr. 5, Zitate S. 10. 147 In diesem Sinne etwa KTB, Eintragung vom 3. März 1944, IfZ München, MA-513, frame 000179. In einer Unterredung des Militärbefehlshabers Südost mit Neuba- cher sprach sich Letzterer für eine Stärkung der Regierung Nedić sowie dafür aus, dessen Wunsch auf Verstärkung der Serbischen Staatswache auf 17.000 Mann statt- zugeben. Dies lehnte der Militärbefehlshaber allerdings ab. Vgl. ferner KTB, Anla- ge 14, Besprechungspunkte für Rücksprache mit Gesandten Neubacher am 4. März 1944, ebenda, frame 000218. Zur Sprache kamen Gerüchte um den (unerwünsch- ten) Rücktritt Nedićs sowie Meyszners Befürchtung, für das Verhalten gegenüber DM könnten Lücken offen geblieben sein; Meyszner trat – anders als Neubacher – erneut für „grundsätzliche Feindschaft“ gegenüber DM ein. 148 Militärbefehlshaber Südost an HSSPF, 27. Oktober 1943, BA-MA, RW 40/81.

296 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Ribbentrop unter anderem über Strafexpeditionen und eigenmächtige Ver- haftungen durch Wehrmacht und Gestapo beschwert, den für ihn damit ver- bundenen Ansehensverlust herausgestrichen und den Schluss gezogen, „daß gewisse Gruppen und die deutsche Sicherheitspolizei nicht mehr mit den Bestrebungen der allerhöchsten Stelle“ koordiniert seien.149 Im Klartext hieß dies: Nedić warf explizit die Frage auf, inwieweit die von Neubacher reprä- sentierte Politik des Reiches vom Apparat des HSSPF konterkariert wurde. Es kann nicht überraschen, dass hierbei Repressalmaßnahmen im Fokus des Interesses standen. In seinen Memoiren zeigte Neubacher Verständnis dafür, dass die Ka- meraden getöteter und häufig auch verstümmelter Deutscher nach Vergel- tung riefen; er „sei jedoch ein kompromißloser Gegner der Anwendung des Prinzips der kollektiven Verantwortung durch die Tötung von Menschen“ gewesen, da dieses Prinzip stets nur Unschuldige treffe. Weitere Geiseler- schießungen in Serbien wären ein schlechtes Omen für Neubachers Mission gewesen und hätten obendrein Nedićs Prestige weiter untergraben. Anders als es die zeitgenössische Aktenlage nahelegt, behauptete Neubacher 1958, der inzwischen längst hingerichtete Meyszner habe ständig bei den zögern- den Militärs die Exekution von Sühnegefangenen nach dem gültigen Schlüs- sel von 1:50 verlangt.150 Dabei soll es um etliche hundert Geiseln gegangen sein. Bei allem Verständnis für Meyszners Erbitterung über getötete Polizis- ten und obwohl ihm die formale Befehlslage recht gab, habe Neubacher mit diversen Tricks beim Militärbefehlshaber die Aussetzung weiterer Hinrich- tungen erreicht. „Meissner (sic!) ging, was ich verstehe, in grollende Oppo- sition gegen diese neue Politik, stellte aber keinen Antrag mehr, Geiseln zu erschießen.“151 In der Rückschau anderthalb Jahrzehnte später war der Memoiren- schreiber Neubacher gegenüber Meyszner, mit dem zusammen er nach dem Krieg in Jugoslawien inhaftiert gewesen war, milde gestimmt; er beschei- nigte dem HSSPF, ehrlich an die Richtigkeit seiner harten Linie geglaubt zu haben und überzeugt gewesen zu sein, die weiche Linie würde die Sicher-

149 Telegramm Gesandtschaftsrat I. Klasse Ringelmann (Belgrad) an AA (mit wörtli- cher Wiedergabe eines Schreibens Nedićs an von Ribbentrop), 10. November 1943, ADAP E VII, S. 173-174, Nr. 84, Zitate S. 173. 150 NEUBACHER, Sonderauftrag Südost, S. 136-137. 151 Ebenda, S. 139.

297 Martin Moll heit im serbischen Okkupationsgebiet gefährden. Zu Unrecht gelte jener bei den Serben als Bluthund, denn die maßgeblichen Befehle in der Geiselfrage stammten nicht von ihm.152 Zum Zeitpunkt der Ereignisse nahm Neubacher jedoch eine weniger versöhnliche Haltung ein, obwohl ihn der Reichsaußen- minister Ende Januar 1944 erneut darüber belehrt hatte, Kooperationen mit Draža Mihailović kämen bestenfalls temporär und aus reinen Zweckmäßig- keitsgründen in Frage. „Er und seine Leute aber bleiben letzten Endes weiter unsere Feinde.“ Ein gleich gelagerter Opportunismus sei gegenüber Nedić angebracht, „aber auch ihm gegenüber ist Wachsamkeit am Platze“. Neuba- cher ließ sich von solchen, mit Meyszners Ansichten weitgehend überein- stimmenden Warnungen, „den großserbischen Gedanken wieder wach wer- den zu lassen“, keinen Moment beirren und sägte unverdrossen am Sessel des HSSPF.153 Schon am 12. Januar 1944 wandte er sich brieflich an den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, seinen österreichischen Duz-Freund, SS-Ober- gruppenführer und General der Polizei, Ernst Kaltenbrunner.154 Seit seiner Ernennung zum Sonderbevollmächtigten sei Meyszner zu ihm, Neubacher, in ständige Opposition getreten, obwohl er die vom Führer befohlene Linie umzusetzen versuche. Meyszner vertrage anscheinend keine Einschränkung seiner Machtposition und sei zu einer politischen Beurteilung der Lage voll- kommen unfähig, da derlei Erwägungen eine „Störung seiner völlig primiti- ven Ausrottungsthese“ bedeuteten. Meyszner habe ihn laufend schikaniert und durch illoyale Berichte versucht, sein politisches Konzept in Misskredit zu bringen. Als Zeugen berief sich der Gesandte sogar auf Meyszners Be-

152 Ebenda, S. 144-145. Übereinstimmend damit MARTIN ZÖLLER, KASIMIERZ LESZCZYŃ- SKI (Hrsg.), Fall 7. Das Urteil im Geiselmordprozeß, gefällt am 19. Februar 1948 vom Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin-Ost 1965, S. 141. Die Beweisaufnahme im Verfahren gegen die Südostgenerale (Fall 7 der Nürnber- ger Nachfolgeprozesse) ergab, dass sich der dort nicht angeklagte General Bader alle Befehle betreffend Geiselverhaftungen und Sühnemaßnahmen selbst vorbe- halten hatte. Den Eindruck der Präponderanz der Wehrmacht verstärkt WALTER MANOSCHEK, Serbien. Partisanenkrieg 1941, in: HAMBURGER INSTITUT FÜR SOZIAL- FORSCHUNG (Hrsg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944. Ausstellungskatalog, Hamburg 1996, S. 20-61. 153 Telegramm von Ribbentrops an Neubacher, 29. Januar 1944, ADAP E VIII, S. 374- 375, Nr. 191, Zitate S. 374. 154 Neubacher an Kaltenbrunner (Abschrift), 12. Januar 1944, BAB, SSO/SS-Führer, Le- sefilm 315 A, frames 352-354. Hiernach das Folgende.

298 August Meyszner: Stationen einer Karriere fehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Oberführer Dr. Emanuel Schaefer (1900-1974), der mit seinem Chef ebenfalls nicht mehr klarkomme, wie in Serbien jedermann wisse.155 Eine Zusammenarbeit mit dem HSSPF sei nach diversen gescheiterten Gesprächsversuchen unmöglich, weshalb Kal- tenbrunner gebeten wurde, Meyszners Abberufung herbeizuführen. Für die- sen Fall sollte ihm ferner der strikte Befehl erteilt werden, sich künftig jeder politischen Kritik an serbischen Angelegenheiten zu enthalten. Kaltenbrunner sprach zweifellos mit Himmler über die neuerlichen Verwicklungen auf dem Balkan, denn Anfang März 1944 teilte er dem SS- Personalhauptamt mit, der Reichsführer-SS habe im Sinne einer Abberufung Meyszners entschieden. Verstimmt war Himmler laut Kaltenbrunner keines- wegs, denn es ergab sich gerade eine günstige Gelegenheit, den HSSPF Bel- grad auf einen hochrangigen Posten im Reich wegzuloben: Meyszner sollte Himmlers Willen zufolge „Generalinspekteur der Gendarmerie und Schutz- polizei der Gemeinden“ im Reich werden und zugleich den Aufbau einer europäischen Gendarmerie vorantreiben.156 Es hatte Meyszner anscheinend einigen Nutzen eingebracht, dass er anlässlich der berüchtigten Tagung der SS-Gruppenführer in Posen am 4. Oktober 1943 Zeuge von Himmlers unver- hüllten Ausführungen über den Judenmord gewesen war.157 Im April 1944 meldete Meyszner an das SS-Personalhauptamt, Himmler habe ihn mit Er- lass vom 15. März 1944 „unter Enthebung von meiner Dienststellung als Hö- herer SS- und Polizeiführer Serbien zum Generalinspekteur der Gendarme- rie“ mit Dienstsitz Berlin ernannt.158 Mit Meyszners Nachfolger als HSSPF Serbien, SS-Brigadeführer (ab 1. August 1944: SS-Gruppenführer) (1907-1948), bis dahin bei der Volksdeutschen Mittelstelle tätig, hatte Neubacher anscheinend we- niger Schwierigkeiten als mit dessen Vorgänger; jedenfalls wurde Mitte Ap-

155 Dr. Emanuel Schaefer, Oberst der Polizei und SS-Oberführer seit 21. Juni 1943, Be- fehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Serbien; Vgl. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der NSDAP, S. 29, Nr. 650; kurzer Lebenslauf bei SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 195, Fußnote 42. 156 Kaltenbrunner an SS-Gruppenführer von Herff (Chef SS-Personalhauptamt), 8. März 1944, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frames 350-351; MEHNER, Die Waf- fen-SS und Polizei, S. 311. 157 SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 195. 158 Meyszner an SS-Personalhauptamt, 25. April 1944, BAB, SSO/SS-Führer, Lesefilm 315 A, frame 1284.

299 Martin Moll ril 1944 in Belgrad ein weiteres Mal darüber diskutiert, ob nicht doch wieder Verhandlungen mit Draža Mihailović aufgenommen werden sollten. Wie schwach die Position der Wehrmacht vis-à-vis des Sonderbevollmächtigten inzwischen geworden war, mag daraus erhellen, dass der Militärbefehlsha- ber in derselben Besprechung den Zivilisten Neubacher bitten musste, sich bei seinem nächsten Besuch im OKW für die vermehrte Zufuhr von Waffen und Ausrüstung nach Serbien einzusetzen.159 Neubacher hatte sich mit sei- ner auf Stärkung der Regierung Nedić abzielenden Politik durchgesetzt; die Wehrmacht befürwortete im April 1944 Neubachers Vorschläge und wollte Nedić sogar territoriale Konzessionen in Gestalt einer Föderation Serbiens, und des Sandschaks machen, sowie die Militärverwaltung auf wirtschaftlichem Gebiet auflockern.160 Dies alles wäre nicht so glatt, wenn auch letzten Endes folgenlos über die Bühne gegangen, wäre Meyszner noch in Belgrad gewesen. Inzwischen durfte sich dieser in Berlin, als Abschluss seiner frontnahen Karriere, über einen weiteren Ordenssegen freuen: Nachdem ihm schon 1941 das Kriegs- verdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern, 1942 das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse mit Schwertern und Ende 1943 das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen worden waren, erhielt er Mitte Mai 1944, als nachträgliche Anerkennung seiner Verdienste im „Bandenkampf“ in Serbien, noch das Eiserne Kreuz I. Klasse.161

159 KTB, Anlage 75: Besprechung OB mit Gesandten Neubacher, 11. April 1944, IfZ München, MA-513, frames 000458-000459; zu Behrends vgl. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der NSDAP, S. 13, Nr. 180. 160 Telegramm (Abschrift) des Chefs des Generalstabs des Oberbefehlshabers Südost an OKW/Wehrmachtführungsstab, 12. April 1944, ADAP E VIII, S. 623-624, Nr. 329; vgl. schon KTB/OKW Band III: 1. Januar 1943 bis 31. Dezember 1943, zusammenge- stellt und erläutert von WALTHER HUBATSCH, Herrsching 1982, S. 1289, Eintragung zum 17. November 1943. Hier werden nicht nur Vorschläge für lokale Abmachun- gen mit der DM-Bewegung festgehalten, sondern auch die Absicht, Montenegro an Serbien anzuschließen und der „serbischen Regierung dadurch einen neuen Auftrieb zu geben“. 161 SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 186.

300 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Angeklagter in Jugoslawien

Im Frühjahr 1944 fand Meyszners NS-Karriere ihren Abschluss; von seiner Tätigkeit als Generalinspekteur der Gendarmerie ist nichts Relevantes be- kannt. Bei Kriegsende geriet Meyszner in westalliierte Gefangenschaft. Sein hoher SS-Dienstgrad garantierte das Interesse amerikanischer Ermittler an ihm, so dass er Ende Juni 1945 durch das Office of the U.S. Chief of Coun- sel for the Prosecution of Axis Criminality verhört, aber schon kurz danach an Jugoslawien ausgeliefert wurde. In Belgrad, Meyszners einstiger Wir- kungsstätte als HSSPF, ließ man keine Zeit verstreichen, um ihm den Prozess machen zu können.162 Relativ eindeutig lag Meyszners Rolle bei der Partisa- nenbekämpfung sowie bei den in deren Zug verhängten Sühnemaßnahmen zu Tage. Seine Dienststellen hatten, ungeachtet der oben aufgezeigten Prä- rogative der Wehrmacht, in vielen Fällen die Ausführung der Geiselerschie- ßungen übernommen, und Meyszners Name zierte die unzähligen Bekannt- machungen, mit denen die serbische Zivilbevölkerung hierüber informiert worden war. Wie nicht anders zu erwarten, berief sich der einstige HSSPF vor seinen jugoslawischen Richtern auf die ihm erteilten Befehle sowie auf den Umstand, dass die zeitgenössische Völkerrechtswissenschaft Geiseler- schießungen als Repressalmaßnahme gegen Widerstandsakte von Zivilisten in einem okkupierten Territorium nicht grundsätzlich ablehnte. Etliche auf dem Balkan eingesetzte Militärs, die das Glück hatten, vor amerikanischen Richtern in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse zu stehen, hatten mit dieser Exkulpationsstrategie Erfolg.163 Abgesehen davon, dass die bei den Exekutionen angewandte Quote von 1:50 oder sogar 1:100 jede Verhältnis- mäßigkeit vermissen ließ, verfingen Meyszners Einlassungen vor einem ju- goslawischen Gericht freilich nicht. Weniger eindeutig – und bis heute nicht restlos geklärt – ist Meyszners Rolle bei der Ausrottung der bei seiner Ankunft im Januar 1942 noch verblie-

162 Ebenda, S. 196. 163 Hierzu jüngst VALERIE GENEVIÈVE HÉBERT, Hitler’s Generals on Trial. The Last War Crimes Tribunal at Nuremberg, Lawrence, Kansas 2010; CHRISTOPH U. SCHMINCK- GUSTAVUS, Völkerrecht und Kriegsverbrechen: „Case seven“ – Streiflichter zum Nürnberger Prozess gegen die „Südost-Generäle“ 1947-48, Hamburg 2004; ZÖLLER, LESZCZYŃSKI. Fall 7.

301 Martin Moll benen jüdischen Bevölkerung Serbiens. Wie eingangs dargelegt, hatte die Wehrmacht die Mehrzahl der männlichen serbischen Juden im Herbst 1941 im Zuge ihrer Sühnemaßnahmen gegen Partisanenaktivitäten liquidiert. Meyszners Gegenspieler Turner brüstete sich sogar im Oktober 1941 wegen seiner angeblich oder wirklich federführenden Rolle hierbei.164 Die jüdischen Frauen und Kinder, etwa 6.000 an der Zahl, waren zunächst in ein Lager bei Semlin (Zemun) unweit von Belgrad verbracht worden. Um auch sie mög- lichst effizient töten zu können, traf kurz nach Meyszners Amtsantritt in Ser- bien ein von Berlin aus entsandter Gaswagen ein – eine mobile Tötungsstät- te, in welcher in weiterer Folge die Lagerinsassen bis auf wenige Ausnahmen vergast wurden. Auch für die Anforderung dieses Wagens beanspruchte Turner das Urheberrecht für sich; in einem Brief an Karl Wolff, Chef des Per- sönlichen Stabes Reichsführer-SS, berichtete er hierüber im April 1942 voll Stolz.165 Ob Turner seine Rolle angemessen oder aufbauschend beschrieb, ist in der Historiographie strittig. In dem erwähnten Brief an Wolff führte Turner aus, die „Räumung“ des Judenlagers sei nach Meyszners Eintreffen von diesem weitergeführt worden. Bei seiner Vernehmung vor dem jugoslawischen Militärgericht im September 1946 bestritt Meyszner allerdings jede direkte Verantwortung für den Judenmord. Zuständig sei sein Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Dr. Schaefer, gewesen, der hierfür direkte Anordnungen aus Berlin erhalten und ihn, Meyszner, nur in groben Zügen unterrichtet habe. Ihm sei allerdings klar gewesen, wozu der Gaswagen diente. Walter Manoschek, der sich am intensivsten mit dem Geschehen befasst hat, hält diese Behauptung für zutreffend. Er stützt seine Argumente darauf, dass Schaefer, der bei sei- nem Nachkriegsprozess allen Grund gehabt hätte, seine Verantwortung auf den toten Meyszner abzuschieben, dessen Ausführungen über den Befehls- weg bestätigte. Er habe, so Schaefer, in Belgrad eine selbstständige Dienst- stelle mit nur loser Anbindung an den HSSPF unterhalten und alle seine

164 Turner an SS-Gruppenführer Richard Hildebrandt (HSSPF Danzig-Westpreußen), 17. Oktober 1941, Druck bei SECKENDORF, Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus, S. 175, Nr. 50. 165 MANOSCHEK, Serbien ist judenfrei, S. 169-170.

302 August Meyszner: Stationen einer Karriere

Weisungen, auch jene in der Judenfrage, vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin empfangen.166 Es mag daher durchaus stimmen, dass Meyszner hinsichtlich der Juden- vernichtung nur ein Rädchen im Getriebe war und die wesentlichen Wei- chenstellungen bereits vor seinem Eintreffen in Belgrad Ende Januar 1942 vorgenommen worden waren. Gleichwohl war seine Schuld überwältigend: Das nicht nur für Juden bestimmte Konzentrationslager Semlin stand unter seiner formalen Leitung, seine Organe waren für die Verschleppung von etwa 70.000 Personen zur Zwangsarbeit im Reich verantwortlich (ca. 4.000 Serben wurden sogar nach Nordnorwegen deportiert), er hatte den Mili- tärbefehlshaber laufend zu harten Repressalmaßnahmen gedrängt und als Gerichtsherr der SS-Division „Prinz Eugen“ war er kein einziges Mal gegen deren blutigen Terror gegenüber der serbischen Zivilbevölkerung einge- schritten.167 Der Holocaust in Serbien spielte in dem Prozess vor dem Obers- ten Militärgericht in Belgrad vom 9. bis 22. Dezember 1946 nur eine Ne- benrolle. Am letzten Prozesstag verurteilte ihn das Gericht, ebenso wie die Mehrzahl der 20 Mitangeklagten, allesamt führende Mitarbeiter der Dienst- stelle des HSSPF, zum Tode. Ob es ein Berufungs- oder Gnadenverfahren gab, ist nicht genau bekannt. Am 24. Januar 1947 wurde August Meyszner in Belgrad jedenfalls durch den Strang hingerichtet.168 So wenig Zweifel es an seiner Schuld geben kann, so ist doch ebenso klar, dass Jugoslawien in den ersten Jahren nach Kriegsende solche abgehaltenen oder nur angestrebten Kriegsverbrecherprozesse politisch instrumentalisierte, um unter Verweis auf die zahlreichen Österreicher an führenden Stellen des NS-Besatzungs- apparats auf dem Balkan Gebietsforderungen gegen Kärnten und in gerin- gerem Umfang auch gegen die Steiermark zu legitimieren.169 Erstaunlich ist, dass ein entsprechendes jugoslawisches Memorandum an die Siegermächte

166 Ebenda, S. 173-174; vgl. zum Thema auch CHRISTOPHER R. BROWNING, The Final So- lution in Serbia. The Semlin Judenlager. A Case Study, in: Yad Vashem Studies 15 (1983), S. 55-90. 167 BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 247 mit reichhaltigen Quellennachweisen. 168 SCHULZ, ZINKE, Die Generale der Waffen-SS und der Polizei, S. 197; BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 341 erwähnt ein Gnadengesuch Meyszners. 169 Hierzu jüngst WOLFGANG GÖDERLE, Die jugoslawischen Gebietsforderungen ge- genüber Österreich im Kontext des frühen Kalten Krieges, in: Journal for Intelli- gence, Propaganda and Security Studies 4 (2010) 1, S. 141-157.

303 Martin Moll vom Januar 1947, als Meyszner bereits auf seine Hinrichtung wartete, dessen Auslieferung nach Jugoslawien forderte.170

Zusammenfassung

Spielten Meyszners österreichische Herkunft und Sozialisation irgendeine erkennbare Rolle für seine NS-Karriere? Ohne dass es darauf direkte Hin- weise gibt, drängt sich zunächst die Vermutung auf, dass Meyszner als An- gehöriger des deutsch-österreichischen Bürgertums schon während der letz- ten Jahre der Habsburgermonarchie mit einer radikalen Variante des dort in Nischen virulenten, völkischen Nationalismus in Berührung kam – wenn- gleich dies für einen Staatsdiener nicht unbedingt typisch war und keine Belege einer politischen Betätigung vor 1918 existieren. Zu den charakteris- tischen Bestandteilen dieser auch bei Hitler anzutreffenden Ideologie gehör- ten ein rassistischer Nationalismus, Slawophobie und Antisemitismus. Wei- ter radikalisiert wurde dieses Gemisch durch den illegalen, terroristischen Kampf der österreichischen Nationalsozialisten gegen die Regierungen Doll- fuß und Schuschnigg. Deren durchaus nicht zimperliche Abwehrmaßnah- men bedeuteten für die NSDAP-Anhänger häufig lange, vielfältige und dras- tische persönliche Nachteile, von der Beendigung beruflicher Karrieren (wie im Fall Meyszners) bis hin zu längeren Internierungen und Verhaftungen, wie sie die reichsdeutschen Nationalsozialisten während der Weimarer Re- publik nur ausnahmsweise zu erdulden hatten. Hinzu kommt die Tatsache, dass die NSDAP in der Alpenrepublik fünf Jahre länger auf ihre Machtüber- nahme warten musste. Persönliche Frustrationen und gescheiterte Karrieren, wie sie so häufig bei späteren NS-Tätern begegnen, sind bei Meyszner vor 1933/1934 rar. Aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt, geriet er nicht aus der beruflichen Bahn,

170 ALFRED ELSTE, MICHAEL KOSCHAT, HANZI FILIPIČ, NS-Österreich auf der Anklage- bank. Anatomie eines politischen Schauprozesses im kommunistischen Slowenien, Klagenfurt-Ljubljana-Wien 2000, S. 39 und 45. Als österreichische Kriegsverbrecher wurden neben Meyszner unter anderem genannt: Löhr, Neubacher, Glaise von Horstenau und Kammerhofer. Vgl. auch THE YUGOSLAV WAR CRIMES COMMISSION, Report on the Crimes of and the Austrians against Yugoslavia and her Peo- ples, Belgrade 1947.

304 August Meyszner: Stationen einer Karriere sondern setzte seine Gendarmerielaufbahn ungebrochen fort; auch sein po- litischer Aufstieg zum steirischen Landesrat stellte ein Erfolgserlebnis dar. Sieht man von den zeittypischen, schleppenden Beförderungen ab, so be- kam Meyszner die Folgen seines Engagements für die extreme Rechte erst ab 1933 am eigenen Leib zu spüren, als ihn der christlich-sozial geführte Staat aus dem Gendarmeriedienst entließ und sein Landtagsmandat kassierte. Sei- ne Teilnahme am Pfrimer-Putsch vom September 1931 hatte er hingegen, wenngleich mit einiger Mühe, heil überstanden. Was Meyszner in den Augen des NS-Regimes wertvoll machte, war nicht in erster Linie seine österreichische Herkunft per se, sondern seine ab den frühen 1920er Jahren bewiesene, unbedingte Loyalität gegenüber der nationalen Sache sowie seine reiche Erfahrung als vielseitig verwendbarer, obendrein frontbewährter Gendarmerie-Offizier. Bei einem solchen Hin- tergrund fiel es dem Regime leichter als in anderen Fällen, Dankbarkeit für vergangenes NS-Engagement der Exilanten im Reich durch konkrete Hilfs- maßnahmen zu beweisen.171 Es gab durchaus Beispiele für eine regionale Kumpanei, die sich im Übrigen keineswegs auf österreichische Nationalso- zialisten beschränkte. Bedeutsamer waren Meyszners bewiesene ideologi- sche Zuverlässigkeit, das taktische Geschick und seine fachliche Befähigung, in einem Staat, dessen Personalbedarf im Zuge des Ausbaus der Wehrmacht wie der Polizei ab 1933 und erst recht nach Beginn der Expansion im Herbst 1939 unstillbar war. Kaum etwas deutet darauf hin, dass Hitler und erst recht Himmler oder Bormann Österreicher nur wegen ihrer Herkunft protegier- ten. Wenn überhaupt, so spielten Meyszners Geburtsland und Werdegang eine Rolle bei der Ausprägung seiner ideologischen Zuverlässigkeit, die wie- derum eine der Vorbedingungen seiner Karriere im „Dritten Reich“ darstell- te.172 Diese Qualifikation wog anscheinend auch Meyszners vergleichsweise fortgeschrittenes Lebensalter bei seiner Berufung nach Belgrad 1942 auf: Er war der Einzige unter insgesamt 47 HSSPF, der vor 1890 geboren worden war; die beiden jüngsten HSSPF gehörten dem Jahrgang 1907 an und wa-

171 Vgl. hierzu die Ausführungen bei PRERADOVICH, Österreichs höhere SS-Führer, S. 111-112. 172 Ähnliche Gedanken mit Blick auf Meyszners Landsmann Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamtes ab 1943, vertritt PETER BLACK, Ernst Kaltenbrunner. Vasall Himmlers: Eine SS-Karriere, Paderborn u. a. 1991, S. 309-310.

305 Martin Moll ren damit mehr als 20 Jahre jünger als Meyszner.173 Sein Beispiel warnt folg- lich davor, Regimetreue und ideologischen Fanatismus allzu exklusiv an die zwischen 1900 und 1910 geborene „Generation des Unbedingten“ (Michael Wildt) zu koppeln. Darüber, ob Österreicher als Besatzer in ehemals habsburgischen oder benachbarten Gebieten auf dem Balkan besonders effizient agierten, wurde sich das NS-Regime bis Kriegsende intern niemals einig. Die einen verwiesen auf die reichen Erfahrungen zumindest der älteren österreichischen Natio- nalsozialisten (für die um 1900 oder danach Geborenen konnte dies selbst- redend keine Rolle mehr spielen), während etliche Altreichsdeutsche auf die Gefahr der Voreingenommenheit dieser Österreicher pochten. Hitlers mit- stenografierten militärischen Lagebesprechungen verzeichnen noch für den 17. September 1944, als die Räumung des Balkans bereits im vollen Gange war, einen interessanten Dialog, der nach Kenntnis des Verfassers bisher übersehen wurde und hier erstmals ausgewertet wird. Generaloberst Alfred Jodl (1890-1946) referierte zunächst die Meinung des deutschen Gesandten in Kroatien, eines Altreichsdeutschen, man solle keine Kenner der Verhält- nisse auf den Balkan schicken: „Niemals dürfe ein ehemaliger Österreicher dorthin.“ Der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Führerhauptquartier, der aus Österreich stammende Gesandte Franz von Sonnleithner (1905-1981),174 fasste dann die konträren Ansichten zusammen:

„Er [der Gesandte in Kroatien, M. M.] meint, daß die [Österreicher, M. M.] voreingenommen sind. Das ist der eine Standpunkt. Aber andererseits kann man sich in die Mentalität dieser Schlawiner nicht hereinfühlen, wenn man sie nicht kennt.“

Hitler erwiderte: „Also das habe ich ja immer gesagt!“, legte im Widerspruch dazu anschließend jedoch seine Meinungsverschiedenheiten mit seinem Landsmann Neubacher dar und schloss: „Das kann aber nicht damit zusam- menhängen, daß die Leute das von früher her kennen“, vielmehr habe die Tätigkeit im diplomatischen Dienst den früher „noch ganz normal(en)“ Neu-

173 BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 350. 174 Vgl. FRANZ VON SONNLEITHNER, Als Diplomat im „Führerhauptquartier“. Aus dem Nachlaß, München u. a. 1989.

306 August Meyszner: Stationen einer Karriere bacher verdorben.175 Konfuser konnten die Auffassungen über die Eignung von Österreichern für Balkaneinsätze kaum formuliert werden. Isoliert betrachtet, verkörpert das Österreichertum daher keine analy- tisch sinnvolle Erklärungskategorie, selbst bei Berücksichtigung der vielen auf prominenten Posten innerhalb der diversen Besatzungsverwaltungen tätigen „Ostmärker“; allein unter den 47 HSSPF befanden sich neun von ihnen.176 Noch weniger vermag diese Kategorie die von Österreichern kon- kret praktizierte Besatzungspolitik interpretieren zu helfen, was sich schon daraus ergibt, dass Meyszners anti-serbisches Konzept bei den dortigen (alt- reichsdeutschen) Militärs cum grano salis auf Zustimmung stieß, während er mit seinem Landsmann Neubacher hierüber in schärfste Konflikte geriet. Umgekehrt lagen sich Altreichsdeutsche wie Turner und die örtlichen hohen Militärs ständig in den Haaren. Der Amtsantritt des Österreichers Alexander Löhr als Wehrmachtbefehlshaber Südost im Sommer 1942 zeitigte hierauf keine erkennbare Einwirkung. Ähnliche, quer zu den Herkunftsverhältnis- sen der Protagonisten gelagerte Dispute über den rechten Umgang mit den Unterworfenen und den dortigen Kollaborateuren offenbarten sich im be- nachbarten Kroatien oder in den Niederlanden, wo sich Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) und sein HSSPF Rauter, beide „Ostmärker“, gegenüberstanden. Der Deutsche Bevollmächtigte General in Kroatien, der wie Hitler in Braunau am Inn geborene altösterreichische Offizier Edmund Glaise von Horstenau (1882-1946), sprach noch in seinen Erinnerungen von dem „weniger braven [im Vergleich zu General Bader, M. M.], sehr blöden Meyszner.“177

175 KTB/OKW. Band IV: 1. Januar 1944-22. Mai 1945. Eingeleitet und erläutert von P ERCY ERNST SCHRAMM, Teilband II, Herrsching 1982, S. 1638-1639. Stenogramm von Hitlers Lagebesprechung, 17. September 1944. 176 BIRN, SS- und Polizeiführer, S. 351. Birn liefert hierfür eine ebenso simple wie ein- leuchtende Erklärung: Das Hilfswerk, das die ab 1933 ins Reich geflüchteten öster- reichischen Nationalsozialisten betreute, stand unter Leitung eines SS-Gruppen- führers, was die Integration der Exilanten in Himmlers Orden erleichterte. 177 PETER BROUCEK (Hrsg.), Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glai- ses von Horstenau, Band 3: Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien und Zeuge des Untergangs des „Tausendjährigen Reiches“, Wien-Köln-Graz 1988, S. 346. Interessant die Erwähnung ebenda, ein Rundfunksender der Tito-Partisanen habe Glaise und Meyszner Anfang 1944 als jene Kriegsverbrecher bezeichnet, de- ren Bestrafung bevorstehe.

307 Martin Moll

Von einer Einheitsfront der Österreicher konnte also nirgendwo die Rede sein. Nicht überzeugen kann folglich das oftmals vorgetragene Argu- ment, die auf dem Balkan tätigen Deutsch-Österreicher hätten Serbien für seinen Anteil am Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie bestrafen wollen.178 An diesem Zerfall waren erstens nicht nur Serben beteiligt gewe- sen und zweitens, spätestens seit dem Belgrader anti-deutschen Putsch von Ende März 1941, der den deutschen Einmarsch wenige Tage danach ausge- löst hatte, standen auch die Altreichsdeutschen in einem denkbar schlechten Ruf. Hier eröffnet sich für vergleichende Forschungen noch ein weites Feld.

178 Zum Beispiel vertreten von RISTOVIĆ, General M. Nedić, S. 637.

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