Förderverein Rammelsberger Bergbaumuseum / e.V.

Stollen des Rammelsberges

Jahresgabe 2007/2008 für die Fördervereinsmitglieder Titelbild: Mundloch des Röderstollens im heutigen Zustand (Foto und Bearbeitung: Stefanie Kammer, 2007)

Diese Jahresgabe wurde herausgegeben im Eigenverlag der Fördervereins. Goslar, November 2007

Druck: Papierflieger Clausthal-Zellerfeld Layout: Ulrich Kammer Verfasser: Peter Eichhorn Stollen des Rammelsberges Jahresgabe des Fördervereins Rammelsberger Bergbaumuseum Goslar/Harz e.V.

Blick in den Röderstollen. Foto Stefanie Kammer

Beim Schreiben dieses Heftes haben viele Mitglieder und Freunde unseres För- dervereins geholfen. Ganz besonders möchte ich Frau Dr. Sybille Jegodzinski und den Herren Heinrich Stöcker und Stefan Dützer, Volkmar Scholz, Holger Lausch und Jens Kugler für die fachliche Beratung und die Fotografien danken.

Goslar 2007

Peter Eichhorn, 1. Vorsitzender

1 Inhaltsverzeichnis

Vorwort 1. Einleitung 2. Allgemeines über Stollen 3. Aufgaben, Formen und Bauarten von Stollen 4. Ansatzpunkte und Verlauf von Stollen 5. Geschichte der Rammelsberger Stollen im Überblick 5.1. Erkundungsstollen 5.2. Förder- und Transportstollen 5.2.1. Erzförderstollen 5.2.2. Stollen für den Erzkonzentrattransport 5.2.3. Stollen für den Versatz- und Materialtransport 5.3. Stollen für die Mannschaftsfahrung 5.4. Wasserstollen 5.4.1. Wasserhaltungsstollen 5.4.2. Wasserläufe 5.4.3. Wasserfassung und -sammlung 5.5. Wetterstollen 5.6. Sonstige Stollen 6. Daten, Beschreibungen und Lebensläufe der einzelnen Stollen in alphabetischer Reihenfolge Abgedeckte Alter Wasserableitungsstollen Altes Suchort am Deutschen Wetterschacht Ascheabzugsstollen Kanekuhler Schacht Bergdorfstollen Bergeschachtstrecke Gabelstrecke

2 Inhaltsverzeichnis

Gelenbeeker Stollen Haus Schulenburger Suchort Herzberger Suchort Kabelstollen Karbidstollen Kinderthaler Ort Konzentratverladung Luftschutzstollen am unteren Ende der Rammelsberger Straße Oberer Hängebankstollen Pferdetränke (Stollen zum Flachen Schacht) Rathstiefster Stollen Revisionsstollen im bzw. am Damm des Herzberger Teichs Röderstollen allgemein Röderstollen, Erster Wasserlauf Röderstollen, Ältester Wasserlauf Röderstollen, Unterer Wasserlauf Sandersystem Röderstollen, Oberer Wasserlauf Sandersystem Tagesförderstrecke Tiefer Julius Fortunatusstollen Tiefer Okerstollen Turbinenschachtstollen Umspannwerk 2 Wasserreservoir am Herzberger Teich Weißer Hirsch Wettersonderkreis Altes Lager, Stollen neben der Tagesförderstrecke Winkler Wetterstollen und Stollen am nordöstlichen Schachtvorplatz Zugangsstollen zu Rolllöchern der Aufbereitung

3 4 Vorwort

Vorwort dieses Jahr hat sich unser Verein wieder aktiv eingebracht für die Unterstützung Liebe Fördervereinsmitglieder, unseres Museums. Viele Projekte wur- den verwirklicht oder weitergeführt. der Vereinsvorstand möchte die Unser Verein ist im Aufsichtsrat und Gelegenheit nutzen, allen Mitgliedern in der Gesellschafterversammlung der unseres Fördervereins zum Jahresende Museums-GmbH mit Sitz und Stimme als Dank für die Mitarbeit und Unter- vertreten und hat dort konstruktiv an stützung eine Jahresgabe zu überrei- der Lösung von Problemen unseres chen, verbunden mit Guten Wünschen Museums und am Museumskonzept zum Jahreswechsel und für das Neue mitgearbeitet. Jahr. Vereinsmitglieder haben bei Veran- staltungen des Museums mit geholfen und damit die Attraktivität für die Besu- cher deutlich erhöht (s. Abb. 1 und 2).

Die ehemalige Holztränke ist weiter als Werkstatt des Vereins ausgebaut worden und der Holzplatz nimmt mit kräftiger Unterstützung durch unseren Verein nach und nach als präsentabler Teil der Museumsanlagen Gestalt an. Besonders engagiert haben sich unsere Vereinsmitglieder für die Sicherung und Sanierung von Fahrzeugen des Museumsbestandes und von untertä- gigen Stollenbereichen (s. Abb. 5).

Abb.1: Welterbetag 2007. Andreas Faulwasser (rechts), Julian Kirchner (2.v.r.) und Stefanie Kammer (4.v.r.) auf der vereinseigen Diesellok. Foto Ulrich Kammer Abb. 2: Welterbetag 2007. Norbert Glä- sener (rechts) und Dr. Ullrich Kammer 2007 war für unseren Verein ein inter- (zweiter von rechts) vor dem Blei-Ofen. essantes und erfolgreiches Jahr. Auch Foto Stefanie Kammer 5 Einleitung

Deshalb sollen dieses Mal die Stollen Kilometer langen Rathstiefsten Stol- des Rammelsbergs im Mittelpunkt der len präsentiert unser Museum seinen Jahresgabe stehen, nachdem es Besuchern einen der ältesten erhalten gebliebenen Stollen Mittel- und Nord- - 2004 die Rammelsberger Loks und europas, der überdies heute noch voll- besonders die vereinseigene G42Z, ständig funktioniert (s. Abb. 3). - 2005 die Rammelsberger LHD- Technik und - 2006 die Schächte des Rammels­ bergs

gewesen waren.

Die diesjährige Jahresgabe ist wie auch in den Jahren zuvor nicht als wis- senschaftliche Abhandlung zu betrach- ten, sondern eher als unterhaltsame Lektüre. Auf Zitat- und Quellenver- weise hat der Verfasser deshalb ver- zichtet.

Die Forschungen über den einen oder anderen Stollen sind noch nicht bis ins letzte Detail abgeschlossen. Die Kenntnisse des Verfassers über manche Stollen sind nicht immer vollständig. Deshalb treten in den Beschreibungen Abb. 3: Rathstiefster Stollen. Volkmar noch Unschärfen und Lücken auf. Die Scholz im versinterten Teil des Stollens. Ausführungen sollen aber anregen, die Foto Jens Kugler 2006 fehlenden Daten und die notwendigen Korrekturen zusammenzutragen, so Viele Rammelsberger Stollen haben dass zum Thema Stollen des Rammels- Vorgänger und Nachfolger, sind Teil bergs demnächst eine wissenschaft- einer historischen Entwicklungskette liche Beschreibung entstehen kann. und haben untereinander technische Verbindungen. Trotzdem waren die Stollen des Rammelsbergs bislang 1. Einleitung noch nicht Thema einer eigenständi- gen Beschreibung. Das hiermit vorge- Stollen, besonders der Röderstollen legte Heft soll diese Lücke schließen. und die Grubenbahnfahrt in der Tages- förderstrecke, sind für unser Muse- Stollen haben für den Rammels- um die beiden wichtigsten Besucher- berger Erzbergbau immer eine ent- bereiche. Und mit dem etwa einen scheidende Rolle gespielt. Ihnen galt 6 Allgemeines über Stollen deshalb das besondere Interesse der und im Goldbergbau auf dem Balkan. Bergwerksbetreiber. Sogar Fürsten, Der Bergbau in China, Ägypten und internationale Unternehmer, die Lan- Persien hatte bereits vor Jahrtausenden desregierung und der Rat der Stadt Stollen mit großen Längen. In Mittel- Goslar haben sich intensiv mit dem und Nordeuropa begann eine solche Bau und dem Betrieb von Rammels- Bergbauentwicklung aber erst bedeu- berger Stollen beschäftigt. tend später. Noch im Spätmittelalter gab es bei uns kaum Bergbau. Des- Heute sind mehr als dreißig Ram- halb sind hier nur sehr wenige Stollen melsberger Stollen bekannt. Ihre Län- bekannt, die älter als 600 Jahre sind. ge beträgt zum Teil mehrere Kilome- Die älteren erhalten gebliebenen Stol- ter. Die Auffahrung war dementspre- len Mittel- und Nordeuropas stammen chend teuer und aufwändig. Die Bau- gewöhnlich aus der frühen Neuzeit. zeit mancher Rammelsberger Stollen dauerte Jahrzehnte, wie zum Beispiel beim Tiefen Julius Fortunatusstollen 2. Allgemeines über Stollen (s. Abb. 4), und ihre Betriebszeit, wie im Falle des Rathstiefsten Stollens, Für alle Nicht-Fachleute soll ein- über 800 Jahre. Besonders die älteren gangs erklärt werden, was es mit Stol- von ihnen haben einen weltweiten len auf sich hat und was unter Stollen Ruf. zu verstehen ist. Landläufig herrscht eine gewisse sprachliche Unsicher- Bergbaustollen mit mehreren heit, wenn es um die Abgrenzung der hundert Metern Länge gab es zwar Begriffe Stollen und Schächte geht, bereits in der Antike, wie zum Bei- denn beides sind längliche Gruben- spiel im griechischen Silberbergbau, hohlräume. Stollen sind waagerechte im römisch-spanischen Goldbergbau oder leicht geneigte Grubenhohlräu-

Abb. 4: Tiefer Julius Fortunatusstollen. Stadtansicht Goslar von Zacharias Koch aus dem Jahre 1606

7 Allgemeines über Stollen

me. In Stollen können Fahrzeuge mit betrieb mit Haspelantrieb installiert. eigenem Antrieb fahren. Schächte sind Heutzutage befinden sich in Rampen dagegen senkrecht oder fast senkrecht. häufig Gurtbandförderer. In Schächten laufen gewöhnlich För- dergefäße und -körbe, die an Seilen Stollen sind aber nicht die einzigen hängen. länglichen horizontalen Grubenhohl- räume. Strecken und Tunnel sind es Beide, Stollen und Schächte, dienen ebenfalls. Zu den Stollen werden die- im Bergbau in der Regel als Zugän- jenigen gezählt, die nur auf einer Sei- ge zu untertägigen Bergwerksanlagen. te mit Tagesöffnungen versehen sind. Selten, zum Beispiel am Anfang der Tunnel haben dagegen an ihren bei- Lagerstättenerkundung, sind Stollen den Enden Tagesöffnungen, Strecken die (vorerst) einzigen untertägigen dagegen keine. Dessen ungeachtet sol- Hohlräume des betreffenden Berg- len hier die historisch gewachsenen werks. Rammelsberger Bezeichnungen beibe- halten werden, wie zum Beispiel für die Tagesförderstrecke und die Berge- schachtstrecke, die eigentlich Stollen sind oder für den Gelenbeeker Stollen, der eigentlich ein Tunnel ist.

Klar definiert ist damit, was ein Stollen ist und wo er beginnt: an seiner Tagesöffnung, dem Mundloch. Schwieriger ist zu entscheiden, wo das Ende eines Stollens ist. Manche Stol- len enden an einem Schacht, wie der Obere Hängebankstollen. Hier ist die Abb. 5: Tagesförderstrecke. Wolfgang Sache einfach. Viele münden jedoch Kotzanek bei der Mauerwerksanierung in eine Strecke und haben damit eine im Mundlochbereich 2006, Aufnahme Fortsetzung, wie der Rathstiefste Stol- des Verfassers len in die Bergesfahrt oder der Tiefe Julius Fortunatusstollen in die Tros- Neben Stollen und Schächten gibt es tesfahrt. In diesen Fällen ist es schwer eine dritte Gruppe von Zugangsbau- zu entscheiden, wo ein Stollen aufhört werken für untertägige Bergwerksan- und wo die Strecke beginnt. Der Ein- lagen, die Rampen, auch Bremsberge fachheit halber werden hier ebenfalls genannt. Ihre Neigung ist größer als die historisch gewachsenen Zugehö- die von Stollen aber geringer als die rigkeiten übernommen. von Schächten. Diese Neigung bedingt, dass manche Rampen nicht mehr mit Am hat eine komplette Fahrzeugen befahren werden können. Sohle den Namen „Stollensohle“ erhal- In steilen Rampen war oft ein Gleis- ten. Zu ihr zählen alle Grubenhohl- 8 Aufgaben, Formen und Bauarten räume, die sich auf dem Höhenniveau - die Wetterführung mit und ohne des Tiefen Julius Fortunatusstollens Wetterlutten (s. Kap. „Wetter- befinden. stollen“), - die Unterbringung von elektrotech- nischen Anlagen, 3. Aufgaben, Formen und - die Aufnahme von Leitungen und Bauarten von Stollen Rohren, für die Datenübertragung, Elektroenergie, Diesel, Druckluft, Blas- und Spülversatz usw., Stollen haben ganz unterschiedliche - der Luftschutz für die Belegschaft und häufig gleichzeitig mehrere Aufga- und die Bevölkerung (s. Kap. „Sons- ben. Manche Stollen wurden eigens für tige Stollen“) und die Lagerstättenerkundung angelegt. - die Lagerung von gefährlichen oder Andere hatten eigentlich andere Auf- gefährdeten Stoffen und Gegenstän- gaben, sollten aber bei ihrer Auffah- den (s. Kap. „Sonstige Stollen“). rung auch neue Erkenntnisse über die Lagerstätte bringen. Immer jedoch sind Stollen interessante Studienobjekte für Geologen.

Typische Stollen-Aufgaben sind vor allem

- die Suche und Erkundung neuer Lagerstätten und Lagerstättenteile (s. Kap. „Erkundungsstollen“), - die Erzförderung und der Erzkon- zentrat-, Versatz-, Material- und Gerätetransport (s. Kap. „Förder- und Transportstollen“), - die Mannschaftsfahrung und als Fluchtweg (s. Kap. „Stollen für die Mannschaftsfahrung“), - die Wasserleitung, insbesondere die Grubenwasserableitung (s. Abb. 6), die Wasserver- und -entsorgung für untertägige Wasserräder und -turbi- nen, die Trinkwassergewinnung und Abb. 6: Tiefer Julius Fortunatusstollen. -leitung nach übertage, die Aufnah- Blick vom Mundloch in den Stollen. me von Rohren für die Leitung von Foto Jens Kugler 2006 Druck-, Brauch- und Trinkwasser in die Grube hinein (s. Kap. „Wasser- Unabhängig von ihren Aufgaben sind stollen“), Stollen gewöhnlich leicht in den Berg 9 Aufgaben, Formen und Bauarten

und die Wassersaige ausreichend groß dimensioniert sein, um die anfallenden Wassermengen prob­lemlos ableiten zu können.

Die Stollenquerschnitte haben ganz unterschiedliche Formen (s. Abb. 8). Beim Stollenvortrieb mit Feuersetzen entstanden nahezu runde Stollenquer- schnitte mit etwa 1,5 m Durchmesser, wie sie noch im Suchort des Rathstiefsten Stollens zu sehen sind (s. Abb. 7). Diese Vortriebstechnik war allerdings sehr sel- ten und im Rammelsberg beschränkt auf die mittelalterlichen Stollen, und dann auch nur auf diejenigen, die in festen Gebirgsbereichen angelegt worden sind. Gezähe mit großer Härte und Zähigkeit Abb. 7: Rathstiefster Stollen. Jens Kug- war damals noch nicht üblich. Erst in der ler im feuergesetzten Teil eines Suchor- Frühen Neuzeit wurde widerstandsfähi- tes. Foto Holger Lausch 1998 geres Gezähe besser verfügbar. Dement- sprechend nahm beim Stollenvortrieb hinein ansteigend angelegt, damit das der Anteil der Schlägel- und Eisenarbeit im Stollen anfallende Wasser und im zu und der Anteil feuergesetzter Stollen Falle von Wasserableitungsstollen das ab. Nur in der Gewinnung besonders Grubenwasser von allein aus dem Berg harter Erze verwendete man das Feu- heraus laufen kann. Dieses Gefälle war ersetzen noch über das 16. Jahrhundert auch für die Förderung vorteilhaft. In hinaus, im Rammelsberg sogar bis in die Richtung des Gefälles rollten die erz- 1860er Jahre. gefüllten Förderwagen relativ leicht. Eine Ausnahme bildeten die Stollen, Gewöhnlich waren die Stollenquer- die Antriebswasser für die Wasserräder schnitte bei geschlägelten Stollen nahe- drucklos nach untertage leiten sollten. zu rechteckig bis trapezförmig, schmal Sie hatten ein geringes Gefälle in den Berg hinein.

Die Größe und Form der Stollen- querschnitte hing von den Aufgaben der Stollen ab. Beispielsweise mussten die in den Stollen eingesetzten För- derfahrzeuge genügend Platz haben. Abb. 8: Stollenquerschnitte, von link: Außerdem sollte der Wetterstrom feuergesetzt, geschlägelt, für gleisgebun- möglichst wenig behindert werden dene Förderung, für Frontschaufellader 10 Aufgaben, Formen und Bauarten

Stollenquerschnitt kommt sowohl der Druckverteilung im Gebirge als auch dem Einsatz einfacher Ausbauele- mente, wie Stempel und Kappen aus Holz oder Profilstahl entgegen.

Moderne Stollen haben eher flache Rechteckquerschnitte, um der Form der Frontschaufellader, die in den Stollen fahren, nahe zu kommen (s. Abb. 10). Nur in außerordentlich druckhaften Gebirgsbereichen ist von der sonst typischen Rechteckform abgegangen worden zugunsten widerstandsfähige- rer Querschnittsformen.

Abb. 9: Rathstiefster Stollen. Jens Kug- ler im geschlägelten Teil eines Suchor- tes. Foto Holger Lausch 1998 und hoch und zuweilen mit leicht ton- nenförmigen Wänden (s. Abb. 9). In Abb. 10: Bergeschachtstrecke. Recht- diesen Zeiten erfolgte die Förderung eckiger Stollenquerschnitt für große vorrangig manuell. Die Stollenquer- Frontschaufellader. Foto Holger Lausch schnitte waren deshalb an die Maße 1998 eines aufrecht stehenden Menschen angepasst. Diese Form ermöglicht eine Ausgebaut wurden die Stollen nur gute Ausnutzung der Querschnittsflä- in gebrächen und druckhaften Berei- che aber auch eine gute Anpassung an chen oder in besonders zu sichernden die Druckverteilung im umgebenden Bereichen. Im anstehenden Festge- Gebirge. Diese Stollen kamen deshalb stein brauchten sie im Rammelsberg vielfach ohne jeglichen Ausbau aus. nur selten ausgebaut werden und dort meist nur in Kreuzungsbereichen und Später, vor allem nach Einführung Stollenabschnitten größerer Firstspann­ des gleisgebundenen Förderns, wurden weiten. Frühestes Ausbaumaterial die Stollenquerschnitte eher quadra- waren Holzstempel und Holzkappen. tisch, so dass ein Förderwagen im Stol- Im 18. Jahrhundert kam Werkstein- len ausreichend Platz fand. Der dabei mauerwerk dazu, im 19. Jahrhundert meist verwendete leicht trapezförmige Ziegelmauerwerk und Profilstahl und 11 Ansatzpunkte und Verlauf

im 20. Jahrhundert Beton. Alle Mate- Manche Bergwerke, die nicht all- rialien wurden für Ausbau verwendet, zu tief liegende Lagerstätten abbauen der sich im Inneren der Stollen befand und die als Stollenansatzpunkt einen und von dort die Stollenwände und Hang nutzen können, kommen dage- -firsten unterstützt. gen gänzlich ohne Schächte und Ram- pen aus. Drei Goslarer Beispiele dafür Im letzten Drittel des 20. Jahrhun- sind die Gruben Weißer Hirsch und derts kam der Ankerausbau dazu, der Haus Schulenburg (beide befinden keinen oder nur sehr wenig Platz im sich im Herzberg und hatten keine Inneren des Stollens benötigt. Die- Schächte) und die Grube Nordberg, se Anker sind Stahlstäbe, die in der die lange Zeit ohne Schacht ausge- Art von Dübeln benutzt werden. Die kommen ist. Derartige Stollenberg- Ankerstäbe haben Längen von einem werke sind jedoch Ausnahmen. In der bis zu mehreren Metern und ragen Regel müssen Schächte oder Rampen nur wenige Zentimeter in den Stollen angelegt werden, um die Lagerstätte hinein. Dort sitzen auf den Ankerstä- zu erreichen. Die Stollen können dann ben Platten, die gegen die Stollenfirste als Verbindung von der Tagesoberflä- bzw. -wand drücken und den Ankerstab che zu den Schächten dienen. Das ist damit verspannen. Diese Platten hal- auch im Rammelsberg der Fall. ten gleichzeitig ein Maschendrahtnetz, das verhindern soll, dass kleinstückiges Die Lage der Mundlöcher wird vor loses Haufwerk in den Stollen fällt. allem so gewählt, dass die Stollen ihre Häufig haben längere Stollen zur besse- Funktionen gut erfüllen können. Mund- ren Wetterführung Lichtlöcher, das sind löcher von Wasserableitungs­stollen kleine Tagesschächte, erhalten. sollen einen möglichst tief gelegenen Standort haben, um möglichst große Gebirgsbereiche entwässern und das 4. Ansatzpunkte und Verlauf abgeleitete Wasser unmittelbar in einen von Stollen Bach, Graben oder eine andere Vorflut leiten zu können. Allerdings sollen die Stollen auch bei Hochwasser funkti- Die Eigenart der Stollen, von über- onsfähig bleiben. Deshalb mussten die tage horizontal oder nahezu horizontal Stollenmundlöcher eine gewisse Höhe in den Berg hinein zu verlaufen, macht über der Vorflut haben. für ihren Bau eine gewisse Hanglage notwendig. Stollen sind deshalb nur Für Förderstollen ist gewöhnlich bei mehr oder minder stark geneigter ihre Anbindung an übertägige Trans- Geländeoberfläche sinnvoll. Bergwerke portwege, wie Straßen oder Gleise in Gebieten mit flacher Erdoberfläche wichtig. Die Mundlöcher von Stol- oder mit tief unter der Tagesoberfläche len können unauffällig und scheinbar liegenden Lagerstätten haben Schächte versteckt sein, zum Beispiel wenn oder Rampen, um ihre Lagerstätten zu sie nur Wasser aus dem Berg ableiten erschließen. sollen. Öfter, wie im Falle der Förder- 12 Ansatzpunkte und Verlauf stollen, stehen sie jedoch im Mittel- benden Gebirges. Das liegt daran, dass punkt des betrieblichen Geschehens die oberflächennahen Gebirgsbereiche und sind dementsprechend architek- häufig stark verwittert und wenig tonisch gestaltet. Die Form der Ram- standfest sind. Sie neigen deshalb melsberger Stollenmundlöcher ist eher dazu, in den Stollen nachzurutschen. zurückhaltend, funktional und anderen Dort ist dann ein haltbarer und dichter architektonischen Elementen unterge- Ausbau notwendig, bis der Stollen ordnet. Einzig das ehemalige Vorhaus weiter im Bergesinneren tragfähigeres der Tagesförderstrecke machte davon unverwittertes Gebirge erreicht. eine Ausnahme (s. Abb. 11 und Kap. „Tagesförderstrecke“). Ein anderes Problem ist der Frost. Bei einziehenden Stollen kann der bergfeuchte Ausbau im Mundloch- bereich und in den ersten Metern des Stollens zerfrieren. In manchen Jahren waren Rammelsberger Stol- lenmundlöcher so stark vereist, dass sie frei gehackt werden mussten. Der Frostgefahr sollte begegnet werden, indem Tore vor den Mundlöchern den Wetterstrom ausreichend stark dros- selten. Stollentore hatten daneben die Aufgabe, Unbefugte vom Betreten der Abb. 11: Tagesförderstrecke. Vorhaus Stollen abzuhalten. vor 1906. Foto aus der Sammlung Hein- rich Stöcker Der Verlauf von Stollen wurde nicht immer so gewählt, dass er eine Bautechnisch interessant sind Stol- möglichst direkte Verbindung zweier lenmundlöcher besonders deshalb, Punkte darstellte, zum Beispiel zwi- weil jede Böschung für das Anlegen schen Mundloch und Schacht. Gera- von Stollen sicherheitliche Probleme de ältere Stollen sind häufig recht birgt. Steil über dem Mundloch aufra- kurvenreich. Sie folgen weicheren gende Böschungen müssen gesichert Gebirgspartien, denn die Vortriebsge- werden, damit kein Böschungsmate- schwindigkeit stellte noch bis in das rial nachrutscht und das Stollenmund- 19. Jahrhundert hinein einen überaus loch verschüttet oder herab fallendes wichtigen wirtschaftlichen Faktor dar. Material Menschen, Fahrzeuge und Traf ein Stollenvortrieb auf erzhöf- Anlagen gefährdet (s. Abb. 144). figes Gebirge, dann konnte es sein, dass seine Richtung zur Erkundung Stollen, die in flachen Böschungen korrigiert wurde. In kreuzenden erz- angesetzt worden sind, haben höffigen Gängen wurden oft abzwei- typischer Weise ebenfalls Probleme gende Flügelörter angelegt (s. Abb. 55 mit der Standsicherheit des umge- und 60). 13 Geschichte

5. Geschichte der Rammels- des 19. Jahrhunderts die Berginspek- berger Stollen im Überblick tion und seit den 1920er Jahren die Preussag beteiligt.

5.1. Erkundungsstollen Für die Suche und Erkundung wur- den von den Grubenhohlräumen aus- Das Rammelsberger Alte Lager ist gehend Such- und Erkundungsstrecken ein recht kompakter Erzkörper, der vorgetrieben, aber auch von übertage ursprünglich großflächig nach übertage aus Such- und Erkundungsschäch- ausbiss. Abgebaut wurde er anfangs te und -stollen angelegt. Besonders von mehreren separaten Gruben. Die ins Hangende des Alten Lagers sind Lagerstättenerkundung erfolgte vom aus den Gruben heraus mehrere Such­ unmittelbaren Vorfeld der Gruben. strecken aufgefahren worden.

Die Ausbeutung der ehemaligen Erz- Die flache Form des Alten Lagers lagerstätte Rammelsberg war außeror- und sein Einfallen von etwa 50° legte dentlich lukrativ. Aber die eng umris- die Vermutung nahe, dass eine Lager- senen bekannten Teile lagen in festen stättenfortsetzung im Streichen oder Händen. Deshalb wurde immer wieder Fallen des Erzkörpers zu finden sein versucht, in der Umgebung des Alten müsse (s. Abb. 13). Lagers weitere Erzlagerstätten zu fin- den. Lange Zeit war nicht geklärt, wie die Rammelsberger Erze entstanden An den Such- und Erkundungsar- waren. Dementsprechend schwer war beiten waren unter anderem der Lan- es, zu erkennen, dass das Alten Lager desfürst, die Stadt Goslar und einzelne aus Lagererz besteht und nicht aus Privatpersonen und später die Commu- Gangerz, wie im Kinderthaler und Wei- nion-Bergverwaltung, seit der Mitte ße Hirscher Gang. Heute ist bekannt, dass das Lagererz viel älter als das Gangerz ist und dass seine Bildung nicht mit der des Gangerzes zusammen hängt.

Der Kinderthaler und der Weiße Hirscher Erzgang kreuzen das Alte Lager im spitzen Winkel, so dass Lagererz und Gangerz fälschlich als gemeinsamer Gang betrachtet wurden. Der Weiße Hirscher Gang, der in süd- Abb. 12: Herzberger Suchort. Peter westlicher Richtung zum Gegental- Mühr und Michael Schadler im nördli- -Ecksberger Gangzug wird, chen Flügelort auf dem Weiße Hirscher ist im Rammelsberg und im benach- Gang, Foto Peter Mühr 2007 barten Herzberg in mehrere paralle- 14 Geschichte

Suchort und die Stollen der Gruben St. Anna (späterer Grubenname Weißer Hirsch, s. Kap. „Weißer Hirsch“) und Haus Schulenburg (zeitweise Gruben- name Brauner Hirsch, s. Kap. „Haus Schulenburg“). Untertage wurden Such­ strecken vom Rathstiefsten Stollen (s. Kap. „Rathstiefster Stollen“), von der Grube Feuergezähe sowie von der 7. und 9. Sohle aufgefahren.

Im Bereich des nordöstlichen Endes des Alten Lagers, das heißt nordöstlich des Winkler Wetterschachtes, entstan- den keine Suchstollen, sondern nur Suchstrecken. Sie wurden vor allem vom Tiefen Julius Fortunatusstollen am Finkenfluchter Schacht (8. Lichtloch Abb. 13: Bereiche, in denen die Erzsu- des Tiefen Julius Fortunatusstollens, che und Erkundung gezielt mit Stollen Lichtlochhalde, heute Halde „Blauer betrieben worden war, rot: Bereich Haufen“ mitten auf der Landewiese Herzberger Suchort, Gruben Weißer der Gleitschirmflieger gelegen) aufge- Hirsch und Haus Schulenburg, violett: fahren oder, wie im Falle des Schurfer Bereich südwestlicher Tiefer Julius For- Suchortes, etwas weiter in Richtung tunatusstollen und Alter Schurfschacht, der Gruben unmittelbar vom Tiefen grün: Bereich Altes Suchort und Kin- Julius Fortunatusstollen. Im letzten derthaler Ort Drittel des 19. Jahrhunderts gelang es, im Schurfer Suchort das Neue Lager le Gänge aufgesplittert (s. Abb. 12). zu finden. Allen gemeinsam ist, dass sie nur sehr unregelmäßig ausgebildet und auch nur Von übertage erfolgten Sucharbeiten stellenweise vererzt sind. im Nordosten des Alten Lagers nur in Form des Schurfer Schachtes. Er hatte Vom späten 15. bis zur Mitte des seinen Schachtansatzpunkt etwa auf 19. Jahrhunderts sind immer wie- dem Höhenniveau des Winkler Wet- der Suchstollen im Herzberg aufge- terschachtes und lag etwas nordöstlich fahren worden. Gesucht wurde vor von ihm. Auf dem gleichen Höhenni- allem das vermeintliche Streichen des veau wurde im Bereich des südwestli- Alten Lagers von seinem südwestli- chen Endes des Alten Lagers der später chen Ende nach Westen und damit Altes Suchort (s. Kap. „Altes Suchort“) entlang des Verlaufs des Feuergezäher genannte Stollen und das Kinderthaler bzw. Weiße Hirscher Erzgangs. Von (Such-) Ort (s. Kap. „Kinderthaler übertage entstanden das Herzberger Ort“) angesetzt. 15 Geschichte

Die Such- und Erkundungsarbeiten Rammelsberger Wasserableitungsstol- des 20. Jahrhunderts nutzten keine Stol- len. Der Erztransport im Rammelsberg len mehr, sondern die zeitgemäßeren war bis zum Bau der Tagesförderstrecke (Tief-) Bohrungen, die vor allem von Aufgabe jedes einzelnen Grubeneigen- übertage aber auch von untertage nie- tümers geblieben. Jede Grube hatte bis dergebracht wurden und Suchstrecken, dahin ihre eigenen Erzförderschächte. die von tieferen Sohlen ausgingen und Das war zwar energietechnisch ungüns- ihrerseits Ausgangspunkte für waage- tiger, als es ein horizontaler Förder- rechte, geneigte und senkrechte Such- stollen zum Wintertal oder zur Ortslage bohrungen waren. Goslar gewesen wäre. Das Erz musste in der Regel erst durch die Schächte 5.2. Förder- und Transport- zum Höhenniveau des Maltermeister- stollen turms aufgefördert werden, um dann übertage bergab nach Goslar transpor- Jeder Stollen hat mehr oder minder tiert zu werden. Dafür gab es aber meh- mit der Förderung und dem Transport rere Gründe. zu tun, denn bei seiner Auffahrung muss das im Vortrieb hereingewon- Einerseits existierte noch bis ins nene Haufwerk aus dem Stollen her- 19. Jahrhundert hinein eine ganze Rei- aus gebracht werden. Nach vollendeter he von Gruben mit unterschiedlichen Auffahrung wird nur ein Teil der Stol- Eigentümern. Sie hätten sich unterein- len für die Förderung und den Trans- ander in der Art der Regelungen für port verwendet. Das liegt einerseits Wasserhaltungsstollen einigen müssen, daran, dass viele Stollennutzungsarten um eine zentralisierte Erzförderung nicht mit diesem Einsatz vereinbar gemeinsam zu finanzieren und zu betrei- sind und andererseits daran, dass die ben. Das war jedoch viel zu kompliziert Grubenbetriebsleitung immer bestrebt und zu konfliktträchtig. Der juristische, ist, die Förderung und den Transport zu wirtschaftliche und technische Auf- konzentrieren. wand wäre beträchtlich gewesen. Und ein gesetzliches Regelwerk, wie es für 5.2.1. Erzförderstollen die Wasserhaltung bestand, gab es für Förderstollen nicht. Zwei Stollen des Erzbergwerks Ram- melsberg waren hauptsächlich für die Andererseits war der Bau eines Erzförderung angelegt worden: die gemeinsamen Förderstollens nicht so Tagesförderstrecke (s. Kap. „Tages- lebenswichtig für die Gruben, wie eine förderstrecke“) und der Obere Hän- zentrale Wasserhaltung. Es bestand gebankstollen (s. Kap. „Oberer Hän- damit kein dringender Handlungsbedarf. gebankstollen“). Diese Förderstollen Bis in das 19. Jahrhundert hinein gab es stammen aus der Zeit des Übergangs auch noch keine betriebswirtschaftliche vom 18. zum 19. Jahrhundert bzw. aus Notwendigkeit für eine Umstellung. dem mittleren 20. Jahrhundert, waren Illustriert wird diese Aussage durch eine also wesentlich jünger als die ersten Anregung des Berghauptmanns von 16 Geschichte

bzw. zum Bereich des heutigen Mal- termeisterturms gehoben, dort vermes- sen, auf Fuhrwerke verladen und damit hinab nach Goslar gefahren wurden. Die einmal eingerichteten Umschlag- punkte an den Schachtvorplätzen waren Mittelpunkte eines eingespielten und bewährten Systems. Und derartige Sys- teme besitzen ein erstaunliches Behar- rungsvermögen gegenüber neuen, bes- Abb. 14: Vereinfachung der Erzförde- seren Systemen. rung durch Auffahrung des Stollens Tagesförderstrecke. Schnitt-Skizze, Und auch innerhalb der Gruben rot: Förderung durch die Schächte brauchte bis zum Ende des 19. Jahr- nach übertage. Beispiel Kanekuhler hunderts noch niemand eine effektivere Schacht, grün: vereinfachte Förderung Erzförderung mit eigens dafür ange- durch die Tagesförderstrecke legten Stollenbauwerken. Dafür reich- ten noch die vorhandenen kleinen und Reden, der 1791 berechnen ließ, was engen Förderstrecken, in denen erzge- der Umbau des Tiefen Julius Fortuna- füllte Körbe von Förderleuten getragen tusstollens vom reinen Wasserhaltungs- wurden. stollen zum Förderstollen kosten würde. Oberbergmeister Röder ermittelte dafür Am Übergang vom 18. zum 19. Jahr- die stattliche Summe von 16.607 Gul- hundert hatte sich das Eigentum an den den. Die Einsparung durch verkürzte Rammelsberger Gruben weitgehend in Förderwege wäre dagegen nach seinen der Hand der Landesfürsten konzent- Berechnungen nur sehr gering gewesen, riert. Andere Grubeneigentümer gab es so dass die Amortisierung viel zu lange praktisch nicht mehr. Nun ließ sich der gedauert hätte. Der Umbau des Tiefen gesamte Grubenbetrieb unter energie- Julius Fortunatus­stollens unterblieb dar- technischen Gesichtspunkten neu orga- aufhin. nisieren und eine Reform einschließlich einer Zentralisierung der Erzförderung Dieses zum Schluss anachronistische durchführen. Fördersystem erklärt sich auch durch seine historische Entwicklung: Anfangs Vor allem mussten die Wasserhal- war das Erz am Hang des Rammelsber- tungs- und Erzförderschächte moder- ges im Tagebaubetrieb gewonnen und nisiert werden. Das Herzstück des neu- von dort abwärts zur Ortslage Goslar en Förderschemas waren deshalb zwei transportiert worden. Auch nach dem Schächte, der Neue Kanekuhler Schacht Übergang zum untertage-Bergbau blieb und der Neue Serenissimorum Tiefste es dabei, dass die Erze erst einmal Schacht („Neu“, weil es schon vorher zu den Umschlagplätzen im Höhen- Schächte mit diesen Namen gab). Beide niveau des ehemaligen Erzausbisses wurden durch die Tagesförderstrecke 17 Geschichte

an die neu errichteten Tagesanlagen chenen Richtschacht. Der Obere Hän- im Wintertal angeschlossen (s. Abb. 14 gebankstollen blieb bis zur Einstellung und Kap. „Tagesförderstrecke“). Diese der Erzförderung in Verbindung mit Tagesförderstrecke blieb bis weit in dem Richtschacht der Reserveweg für das 20. Jahrhundert hinein der einzige die Erzförderung. Dieser zweite große namhafte Erzförderstollen des Ram- Förderstollen des Rammelsbergs hat melsbergs. An ihn wurden auch alle jedoch nie eine größere Bedeutung für später geteuften Erzförderschächte die Erzförderung erlangt (s. Kap. „Obe- angeschlossen, zum Beispiel 1905/06 rer Hängebankstollen“). Eine ebenfalls der Richtschacht und 1937/38 der Ram- nur untergeordnete Rolle hat er für den melsbergschacht (s. Abb. 103). Versatztransport gespielt (s. Kap. „Stol- len für den Versatz- und Materialtrans- Erst Ende der 1930er Jahre wurde der port“). Der Obere Hängebankstollen Hauptförderweg Richtschacht-Tages- verlief wie die Richtschachtstrecke über förderstrecke abgelöst durch den unmit- den wenig standfesten Altbergbauberei- telbar in der oberen Etage der neuen chen des Alten Lagers. Und auch der Erzaufbereitungsanlage endenden Ram- Obere Hängebankstollen war im Laufe melsbergschacht. Er brauchte damit kei- der Zeit immer wieder von Senkungen nen Stollen als Verbindung nach über- von insgesamt mehreren Metern betrof- tage. Das Niveau der oberen Etage der fen. Er ließ sich nur mit außerordentlich Erzaufbereitung lag etwa 45 m höher kräftigem Ausbau und viel Wartungs- als das der Tagesförderstrecke. aufwand fahrbar halten. 2007 ist er verbrochen. Für außergewöhnlich lange Still- standszeiten des neuen Hauptförder- Die Richtschachtstrecke ist dagegen wegs Rammelsbergschacht-Erzaufbe- noch in vollem (Museums-)Betrieb. Ihr reitungsanlage war vorgesehen, das Erz Bereich zwischen Mundloch und Richt- wie zuvor im Richtschacht bis auf die schacht bildet den Besucherbereich Tagesförderstrecke zu heben und nach „Grubenbahn“ und damit neben dem übertage auf die Werkstraße zu brin- Röderstollen den wichtigsten untertä- gen. Seitlich am Erzaufbereitungsge- gigen Teil des Museums. Die anderen bäude befindet sich ein Schrägaufzug. Teile der Tagesförderstrecke sind eben- Er sollte das Erz von der Werkstraße falls noch weitgehend zugänglich und bis hinauf in die Erzaufbereitung heben ermöglichen zukünftig Erweiterungen (s. Abb. 77 und Kap. „Oberer Hänge- der untertägigen Besucherbereiche bankstollen“). Das wurde allerdings nur (s. Kap. „Tagesförderstrecke“). recht selten praktiziert. 5.2.2. Stollen für den Erzkon- Stattdessen wurde Anfang der 1940er zentrattransport Jahre der Obere Hängebankstollen angelegt. Er verband die obere Etage Das Erzbergwerk Rammelsberg der neuen Erzaufbereitungsanlage und bereitete die abgebauten Erze vor dem den eigens dafür weiter hoch gebro- Transport zu den Hüttenbetrieben auf. 18 Geschichte

Besonders im 20. Jahrhundert entstan- Für Wartungszwecke an den Band­ den dafür große Aufbereitungsgebäu- erzrolllöchern war ein kurzer Stollen de. Um 1910 ging eine Brech- und aufgefahren worden. Siebanlage in Betrieb, die etwa im Bereich der heutigen Lampenstube am Der Gelenbeeker Stollen und der U- Hang des Rammelsbergs stand. Sie ist Bahnhof sind, nachdem sie dem Muse- heute nicht mehr vorhanden und ihr um zur Verfügung gestellt werden, ehemaliger Standort nur noch schwer wichtige Erweiterungsmöglichkeiten im Gelände zu erkennen. Die aufbe- des untertägigen Besucherbereichs reiteten Erze gelangten ab Anfang der unseres Museums. 1920er Jahre durch einen etwa 2,3 km langen Tunnel, den Gelenbeeker Stol- 5.2.3. Stollen für den Versatz- len vom Unteren Werks(bahn)hof des und Materialtransport Bergwerksgeländes zur anderen Seite des Rammelsbergs und von dort über- Der Transport von Holz, Mauer- tägig weiter zu den Hüttenbetrieben in und Natursteinen, Versatzmaterial und (s. Kap. „Gelenbeeker Stollen“). anderem Material von übertage in die Rammelsberger Grube(n) lief Jahrhun- Die Ende der 1930er Jahre entstan- derte lang durch die Erzförderschächte. dene Aufbereitungsanlage, die heu- Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts te im Mittelpunkt der übertägigen konzentrierte sich der Versatztransport Werksanlagen steht, nutzte ebenfalls vor allem auf den Kanekuhler Schacht den Gelenbeeker Stollen für den und seit dem Ende des 19. Jahrhun- Erz(konzentrat)transport zu den Hüt- derts auf den Flachen Schacht und den tenbetrieben in Oker. Dafür hatte sie in Winkler Wetterschacht. Der 1873 fertig ihrer untersten Etage einen ringförmig gestellte Flache Schacht hatte einen angelegten Stollen, der auch U-Bahn- kurzen Stollen, durch den das Versatz- hof genannt wurde. Dort wurden die material zum Schacht gebracht wurde. Konzentrate in spezielle Transportwa- Das Mundloch dieses Stollens wird gen verladen (s. Kap. „Konzentratver- heute Pferdetränke genannt (s. Kap. ladung“). „Pferdetränke“).

Banderz wurde nicht in dieser Auf- Anfang des 20. Jahrhunderts reichten bereitungsanlage zu verhüttbaren diese Schächte jedoch nicht mehr für Konzentraten verarbeitet, sondern nur den Versatztransport, am Rammelsberg vorzerkleinert. Nach den Vorbrechern auch Bergetransport genannt, aus. Die gelangte es durch Rolllöcher zum Bergwerksverwaltung ließ daraufhin U-Bahnhof und von dort durch den Anfang der 1920er Jahre eigens für den Gelenbeeker Stollen zu einer zweiten, Versatztransport einen Schacht teufen Anfang der 1950er Jahre am ande- und einen Stollen auffahren, den Ber- ren Ende des Gelenbeeker Stollens geschacht und die Bergeschachtstrecke erbauten Aufbereitungsanlage. (s. Kap. „Bergeschachtstrecke“).

19 Geschichte

Die Bergeschachtstrecke führt von fermühle nach untertage. Sie lösten der Werkstraße zum Bergeschacht, damit die Rolllöcher ab, die von der der als Blindschacht keine eigene Schiefermühle zur Bergeschachtstre- Tagesöffnung hat. Der Stollen und der cke geführt hatten. Radlader brachten Schacht bildeten zusammen mit meh- nun den Schiefer aus der Schiefermüh- reren neu eingerichteten übertägigen le in die Bergeschachtstrecke. Von dort Versatzgewinnungspunkten, die später gelangte der Schiefer durch Rolllöcher zum Tagebau Schiefermühle erweitert zu den tieferen Sohlen. wurden, ein völlig neues Versatztrans- portsystem. Anfangs führten Rolllöcher Die Bergeschachtstrecke erfüllte von den vorerst noch recht flachen und noch bis wenige Jahre nach Einstel- kleinen Schiefergewinnungspunkten lung der Erzförderung die Aufgabe hinab zur Bergeschachtstrecke. Dort als einziger Versatzstollen und auch wurden Versatztransportwagen mit dem einziger übrig gebliebener Versatzför- Schiefer beladen. Eine Oberleitungslok derweg des Rammelsbergs überhaupt. zog den Versatzzug zum Bahnhof am Sie hat heute noch eine nutzbare Länge Bergeschacht. Die Versatztransportwa- von etwa tausend Metern. Ihr Stollen- gen wurden einzeln auf den Förderkorb querschnitt ist relativ groß. Der Bereich des Bergeschachtes geschoben und im Bergeschachtstrecke stellt deshalb für Schacht abwärts zu den einzelnen Soh- unser Museum den wichtigsten Bereich len gebracht. für spätere Präsentationen der diesel- betriebenen Gewinnungs- und Förder- Die Bergeschachtstrecke hatte einen technik dar. Gleisanschluss an das Gleis auf der Werkstraße. Durch das Mundloch an 5.3. Stollen für die der Werkstraße konnten die Loks und Mannschaftsfahrung Wagen von übertage bis zum Ber- geschacht fahren. Bergeschachtstre- Zu Zeiten, als der Erzabbau am Ram- cke und Tagesförderstrecke waren melsberg noch als Tagebau lief, war die schon in den 1920er Jahren durch die Mannschaftsfahrung kein Problem, das Gabelstrecke untereinander verbunden besonderer Stollen bedurft hätte. Nach worden, so dass Züge untertage vom dem Übergang zum Tiefbau werden vor Richtschacht zum Bergeschacht fahren allem die noch recht kurzen Schächte konnten. für die Mannschaftsfahrung genutzt worden sein. Schächte blieben aber In den 1960er Jahren durchtrennte auch bis zum Ende der Erzgewinnung die tiefer gewordene Schiefermühle die wichtigsten Wege der Mannschafts- die Bergeschachtstrecke und ihre große fahrung. Stollen waren besonders dann Zugwendeschleife unter der Schiefer- dafür ungeeignet, wenn tiefere Gruben- mühle. Dadurch entstanden mehrere bereiche erreicht werden sollten. Das neue Mundlöcher. Durch sie lief in blieb speziellen Fahrschächten vorbe- den 1970er Jahren die Schieferförde- halten. Die meisten mittelalterlichen rung aus der tiefsten Sohle der Schie- und frühneuzeitlichen Förderschächte 20 Geschichte waren für eine gemischte Nutzung als zogen, konnten auch spezielle Mann- Erzförder- und Fahrschächte viel zu schaftwagen anhängen und damit die eng. Zeit für die Mannschaftsfahrung zum Schacht deutlich verkürzen (s. Kap. Neben den Schächten war bis zum „Tagesförderstrecke“). Ende des 18. Jahrhunderts nur ein Stol- len für die Mannschaftsfahrung benutzt In den 1920er Jahren kam der Berge- worden: Der Obere Wasserlauf mit sei- schacht als wichtiger Seilfahrtschacht nem eigens dafür verwendeten kleinen hinzu und damit die Bergeschachtstre- Fahrschacht, der Einfahrkäh und dem cke als Stollen für die Mannschafts- darauf stehenden Einfahrhaus. Das fahrung zum Bergeschacht (s. Kap. Einfahrhaus existiert übrigens noch „Bergeschachtstrecke“). Sie erhielt mit heute. Es steht dem Museum allerdings der Gabelstrecke eine untertägige Ver- nicht mehr als potentieller Besucher- bindung zur Richtschachtstrecke und weg zur Verfügung, sondern wird vom wie die Gabel- und die Richtschacht- Harzclub als Vereinsheim genutzt. Das strecke Gleise und Oberleitungen, so Mundloch des Oberen Wasserlaufs ist dass die Mannschaftsfahrung von der verbrochen und nicht mehr im Gelände an der Gabelstrecke gelegenen Mann- zu erkennen. schaftskaue zu den beiden Schächten deutlich beschleunigt wurde (s. Kap. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts „Gabelstrecke“). übernahm die neu gebaute Tagesför- derstrecke weitgehend die Funktion Der Ende der 1930er Jahre geteuf- als Einfahrstollen. Die Belegschaft te Rammelsbergschacht ergänzte die der südlichen Gruben benutzte zwar Möglichkeiten der Mannschaftsfah- weiterhin den Oberen Wasserlauf und rung. Von der Mannschaftskaue zum die Einfahrkäh (s. Kap. „Röderstollen, Rammelsbergschacht war der Weg Oberer Wasserlauf“). Besonders die relativ kurz, so dass die Bergleute ohne Belegschaft des zentralen und nordöst- erheblichen Zeitbedarf zu Fuß durch lichen Grubenbereichs fuhr aber durch das Mundloch zum Füllort Rammels- die Tagesförderstrecke. Das verstärkte bergschacht gelangen konnten. Er lös- sich noch, als Mitte der 1870er Jah- te die Mannschaftsfahrung des Richt- re eine dampfbetriebene Fahrkunst im schachtes jedoch nicht ab. Kanekuhler Schacht eingebaut wor- den war und 1910 der neue Richt- Heute ist die Richtschachtstrecke schacht mit Seilfahranlage in Betrieb der Stollen, durch den die Gruben- ging. Durch den Richtschacht fuhr nun bahn für die Museumsbesucher zum die gesamte Belegschaft der tieferen Richtschacht fährt. Eine Befahrungs- Reviere. Der Abschnitt der Tagesför- möglichkeit für Besucher im Bereich derstrecke zwischen Mundloch und Bergeschachtstrecke ist, nachdem sie Richtschacht wurde mit Oberleitungen nicht mehr für bergbauliche Aufgaben ausgestattet. Die Oberleitungsloks, benötigt wird, eine interessante Chan- die normaler Weise die Förderwagen ce, den untertägigen Museumsteil um 21 Geschichte

einen überaus attraktiven Bereich ehe- nicht mehr einen Betriebsumfang wie maliger Mannschaftsfahrung zu erwei- bis dahin. Bei abgesoffenen und des- tern (s. Kap. „Bergeschachtstrecke“). halb nicht mehr befahrbaren Gruben passiert es jedoch leicht, dass sie in 5.4. Wasserstollen Bereichen mit pflegebedürftigem Aus- bau zusammenbrechen. Zusammen- Wasser hatte am Rammelsberg eine brüche wiederum ermöglichten durch Reihe von Aufgaben. Es war eine Ener- die dabei im Deckgebirge entstehenden giequelle für den Antrieb von Wasserrä- Klüfte vermehrte Wasserzuflüsse. dern und Turbinen, wurde als Brauch- wasser für die Erzaufbereitung, als Ebenso können Grubenzusammen- Kühlwasser für Maschinen aber auch brüche, die durch gefährliche Abbau- als Trink- und Waschwasser benutzt. führung entstanden waren, die Ursa- che für nicht mehr zu bewältigende Wasser hat aber im Bergbau allge- Wasserzuflüsse gewesen sein und mein und besonders im Rammelsberger damit zur Einstellung des Bergbaus Erzbergbau große Probleme erzeugt. geführt haben. Oder es war einfach die Sie entstanden überall dort, wo Wasser schlechte wirtschaftliche Gesamtsitua- unerwünscht in die Grubenhohlräume tion Mitteleuropas, die den Rammels- eindrang und den Grubenbetrieb behin- berger Bergbau und insbesondere seine derte. Beispielsweise kam es aufgrund teure und aufwändige Wasserhaltung unbeherrschbarer Wasserzuflüsse im nicht mehr bezahlbar werden gelassen 14. und 15. Jahrhundert zu einer lan- hatte. gen Phase, in der der Bergbau im Rammelsberg nahezu eingestellt wer- Ende des 15. Jahrhunderts ging es den musste. Die tiefer liegenden Gru- mit der wirtschaftlichen Entwicklung benbereiche, in denen die wesentlichen Mitteleuropas bergauf. Damit wuchs Erzreserven lagen, waren abgesoffen auch das Interesse, den Rammelsber- und ließen sich vorerst nicht wieder ger Bergbau wieder in Gang zu brin- sümpfen. gen. Wichtigste Aufgabe war dabei, die Wasserhaltung zu ertüchtigen und die Fraglich ist heute, was dabei Ursa- abgesoffenen tieferen Grubenbereiche che und was Wirkung gewesen waren. zu sümpfen. Das gelang nicht sofort, Höchstwahrscheinlich spielten mehre- sondern in mehreren Schritten und re Faktoren eine Rolle. Pestepedemien brauchte etwa einhundert Jahre. Eine dezimierten die Belegschaft und damit Reihe von nacheinander beauftragten die Leistungsfähigkeit des Wasserhal- Unternehmern schaffte es schließlich, tungsbetriebes. Die Pest beeinträchtig­ das Wasserproblem in den Griff zu te auch das gesamte Wirtschaftsleben bekommen (s. Kap. „Tiefer Julius For- Mitteleuropas, so dass der Absatz der tunatusstollen“). produzierten Metalle nachließ. Verrin- gerte Einnahmen aus dem Metallver- Die Höhendifferenzen der Gelände- kauf ermöglichten im Rammelsberg oberfläche am Rammelsberg ermög- 22 Geschichte lichte es, mit dem Wasser des Bachs im Wintertal Wasserräder und später Turbinen anzutreiben (s. Kap. „Röder- stollen“). Daneben erlangte das Was- ser als Trinkwasser (s. Kap. „Bergdorf­ stollen“, Kap. „Kinderthaler Ort“ und Kap. „Wasserreservoir“), als Kühlwas- ser für die Dampfmaschinen und Kom- pressoren sowie als Brauchwasser für die Aufbereitungsanlagen eine große Bedeutung (s. Kap. „Turbinenschacht- stollen“).

Stollen waren beim Umgang mit Wasser Jahrhunderte lang die wichtigs- ten Grubenbauwerke des Rammelsber- ges. Erst mit der Anfang des 20. Jahr- hunderts vollzogenen Umstellung der Energieversorgung des Rammelsbergs und seiner Förder- und Wasserhaltungs- einrichtungen endete die Geschichte der Wasserversorgungsstollen. Rohr- leitungen vom Herzberger Teich zu den übertägigen Werksanlagen über- nahmen nun diese Aufgaben. Übrig blieben die bis heute funktionierenden Wasserableitungsstollen.

5.4.1. Wasserhaltungsstollen Abb. 15: Möglicher Weg der Wasserab- leitung aus dem ursprünglichen Tage- Die ersten Rammelsberger Stollen bau. Riss- und Schnittskizze dienten vor allem der Wasserablei- tung. Der Erzabbau war anfangs im Wahrscheinlich wird das Regenwas- Tagebau in der Art eines Steinbruchs ser anfangs in einem offenen Graben betrieben worden. Die Hanglage des aus dem unteren, südwestlichen Teil Erzausbisses wird das Ableiten des des Tagebaus ins Wintertal geleitet wor- Regenwassers einfach gemacht haben, den sein (s. Abb. 15). Ein Graben kann bis der Tagebau eine gewisse Teufe als immer tiefer werdender Einschnitt erreicht hatte. Und die Eigenart des eine gewisse Zeit seine Aufgabe erfüllt Rammelsberger Erzlagers, mit etwa haben. Möglicherweise ist das Wasser 50° gegen den Hang einzufallen, wird auch zeitweise durch Wasserträger aus den Tagebaubetrieb schnell tiefer wer- den tiefsten Bereichen der Grube zum den gelassen haben. Wasserhaltungsgraben gehoben worden. 23 Geschichte

Ziel der Bergleute ist es aber immer, haben. Das könnte mit Eimern oder den Aufwand für die Wasserhaltung Handpumpen geschehen sein. Beides möglichst gering zu halten. Es ist des- ist bereits in der Antike bekannt gewe- halb durchaus denkbar, dass bereits in sen. der letzten und damit tiefsten Tage- bauphase ein Tunnel aus dem Tagebau Die Bereiche, die mit dem ältesten ins Wintertal angelegt worden war, um Wasserhaltungsstollen trocken gehal- des Regenwassers und des Wassers aus ten worden sind, waren jedoch recht dem umgebenden Gebirge Herr zu wer- schnell ausgeerzt. Der Erzabbau war den. Die technischen Möglichkeiten deshalb weiter in die Teufe vorgedrun- für einen Tunnelvortrieb bestanden zu gen und die Wasserhaltung mit der dieser Zeit durchaus und ein Tunnel Zeit immer teuerer geworden. Schließ- hätte hier nur wenige Zehnermeter lang lich muss es wirtschaftlicher gewesen sein müssen. sein, einen neuen, tieferen Wasserablei- tungsstollen anzulegen. Dieser Stollen Spätestens mit Übergang vom Tage- existiert noch heute. Er wird seit Mit- bau zum Tiefbaubetrieb muss es dann te des 16. Jahrhunderts Rathstiefster aber dringend geworden sein, das Stollen genannt (s. Kap. „Rathstiefster Problem der Grubenwasserhaltung zu Stollen“). lösen. Die überlieferten Akten erwäh- nen zwar keinen Stollen dieser Art, Sein Mundloch liegt auf dem Grund- aber die alten Risse zeigen so genannte stück des heutigen Theresienhofes, also Lorkschächte und eine Strecke, die die- etwa einen Kilometer weiter unten im se Lorkschächte verbunden hat. Lorke Tal der Abzucht als das Mundloch ist ein heute nicht mehr übliches Wort seines Vorgängerstollens (s. Abb. 83). für Abwasser. Die Verbindungsstre- Trotzdem hat der dadurch gewonnene cke war nach Südwesten geneigt und Tiefengewinn gegenüber seinem Vor- könnte identisch sein mit der Strecke, gänger nur etwa 25 m betragen. die im Firstbereich des Feuergezäher Gewölbes zu sehen ist. Das wäre auch Die Länge des Rathstiefsten Stol- das Niveau, das ein Wasserableitungs- lens beträgt 1,6 km, wenn man seine stollen gehabt haben musste, wenn auf dem gleichen Höhenniveau durch er von dort auf kürzestem Wege zur das Alte Lager führende Fortsetzung Abzucht geführt haben sollte (s. Kap. dazu rechnet, die so genannte Berges- „Alter Wasserableitungsstollen“). fahrt. Seine Bauzeit lässt sich bislang noch nicht exakt bestimmen. Sicher Ein Wasserableitungsstollen die- ist, dass er bereits im 13. Jahrhundert ser Art hätte die Grubenbereiche ent- existiert haben muss. Wahrscheinlich wässern können, die oberhalb seines ist er jedoch wesentlich älter, denn Höhenniveaus lagen. Tiefer liegende im 14. Jahrhundert gehörte zum Was- Grubenbereiche mussten von Wasser- serhaltungssystem des Rathstiefsten trägern ausgeschöpft werden, die das Stollens bereits eine Wasserhaltungs- Wasser bis zum Stollenniveau gehoben maschine. Sie arbeitete in der heu- 24 Geschichte te Feuergezäher Gewölbe genannten Betreiber der Hauptwasserhaltung „der Kammer und hob das Grubenwasser Neunte“. aus dem darunter angelegten Feuerge- zäher Schacht auf das Höhenniveau des Mit dieser Regelung wurde nicht nur Rathstiefsten Stollens. Bis zum Ende der teuere und aufwändige Bau eines des 16. Jahrhunderts war er der tiefste Wasserableitungsstollens lukrativ, son- Wasser ableitende Stollen des gesam- dern auch das Anlegen eines noch ten Rammelsberger Erzbergbaus. Alle tieferen Stollens, um damit das Recht in diesem Zeitraum modernisierten zur Erhebung des Neunten zu über- oder neu gebauten Wasserhaltungsan- nehmen, den älteren Stollen zu „enter- lagen hoben das Wasser aus den tiefer ben“. Nachfolger für den Rathstiefsten gelegenen Grubenbereichen bis zum Stollen war der Meißner Stollen, der Rathstiefsten Stollen. später in Tiefer Julius Fortunatusstol- len umbenannt wurde (s. Kap. „Tiefer Überall im Bergbau war es schon Julius Fortunatusstollen“). recht früh üblich geworden, die Was- serhaltung bei mehreren Gruben und Begonnen wurde er Ende der 1480er verschiedenen Grubeneigentümern in Jahre durch eine Investorengruppe um ein und demselben Wasserhaltungsbe- Johann Thurzo. Der Stollen lag etwa reich als eine Gemeinschaftsaufgabe 40 m tiefer als der Rathstiefste Stollen. zu zentralisieren. Denn sonst hät- Die Topographie des Rammelsbergs te der Eigentümer der tiefsten Gru- und seiner Umgebung erforderte dafür be die Wasserhebung für die anderen eine Stollenlänge von etwa 2,5 km. Das mit übernehmen müssen. Der jeweils Stollenmundloch konnte nicht mehr tiefste Wasserableitungsstollen eines wie das des Rathstiefsten Stollens im Grubenreviers wurde im deutschspra- Tal zwischen Rammelsberg und Herz- chigen Raum Schlüssel- oder Erb- berg liegen. Es musste unterhalb der stollen genannt. Stadt Goslar in der Nähe des Breiten Tors angelegt werden (s. Abb. 108, 110 Diese Zentralisierung war jedoch und 112). Finanzielle und juristische ganz und gar nicht so einfach, wie es Probleme bewogen die Investorengrup- scheint. Erst ein ausgefeiltes gesetz- pe bereits nach wenigen Jahren zur liches Regelwerk einschließlich einer Aufgabe des Projektes und auch in eigens dafür eingerichteten Abgaben- den nächsten vierzig Jahren wagte sich ordnung machte die Finanzierung von niemand mehr an den weiteren Vortrieb Bau, Betrieb und Erhaltung eines Erb- dieses Stollens. stollens möglich. Üblich wurde, dass jeder Grubeneigentümer den neunten Zwischenzeitlich war klar geworden, Teil seiner Erzförderung an den Eigen- dass der Stollen eigentlich zu hoch tümer des Erbstollens bezahlen muss- liegen würde, um den bereits wesent- te. In Anlehnung an den „Zehnten“, lich tiefer umgehenden Erzabbau des einer Abgabe der Grubenbetreiber an Rammelsbergs ohne zwischengeschal- den Staat, hießen die Abgaben an den tete Pumpen trocken zu halten. Und 25 Geschichte

Pumpen waren teuer. Deshalb stellte aber dafür höher gelegenen Meißner der Rat der Stadt Goslar Anfang des Stollens mit Wasserhaltungsmaschi- 16. Jahrhunderts Überlegungen an, nen, die das Grubenwasser der tieferen statt des Meißner Stollens einen noch Sohlen zum Stollen heben, erwies sich tieferen aufzufahren. Nach ausführ- auch langfristig als günstiger. lichen Planungen und geodätischen Untersuchungen fiel die Wahl auf ein Deshalb wurde nun der Vortrieb im Stollenniveau, das etwa 100 m unter Meißner Stollen wieder aufgenommen. dem des Rathstiefsten Stollens und Der Landesfürst hatte begonnen, sich etwa 55 m tiefer als das des Meißner allgemein stärker für den Harzer Erz- Stollens lag. Sein Mundloch wurde bergbau und speziell für den Rammels- in der Nähe der Brücke angelegt, die berg einzusetzen. Ein wesentlicher Teil in Oker in Verlängerung der Wolfen- seines Engagements sollte die Voll- büttler Straße über die Oker führt. Die endung des Meißner Stollens sein. Er geplante Länge vom Mundloch bis starb jedoch bereits vorher, so dass es zu den Gruben betrug fünf Kilome- seinem Nachfolger vorbehalten blieb, ter. Sein Name war Tiefer Okerstollen den Stollen fertig stellen zu lassen. (s. Kap. „Tiefer Okerstollen“). Nach der Inbetriebnahme des Meiß- Die Stadt Goslar ließ die Vortriebsar- ner Stollens Ende des 16. Jahrhunderts beiten im Tiefen Okerstollen gemeinsam enterbte er den Rathstiefsten Stollen. mit einem Finanzier, dem Bischof aus Der Landesfürst erhielt nun den Neun- Verden, aufnehmen. Der Stollenvortrieb ten von den Gruben. Der Meißner musste aber schon 15 Jahre später wie- Stollen erhielt den Namen Tiefer Julius der eingestellt werden, weil zwischen Fortunatusstollen und der Rathstiefste der Stadt Goslar und dem Landesfürs- Stollen den Namen Oberer Julius For- ten militärische Auseinandersetzungen tunatusstollen. Letzterer Name setzte ausgebrochen waren. Besonders hin- sich jedoch langfristig nicht durch. Der derlich war, dass der Landesfürst den Tiefe Julius Fortunatusstollen blieb als Bereich in Oker besetzt hielt, auf dem Wasserableitungsstollen über 400 Jahre das Mundloch lag. Damit sperrte er für in Betrieb. Diese Aufgabe erfüllte er die Stadt und ihre Bergleute jeglichen sogar noch bis Ende der 1990er Jahre. Zugang zum Stollen. Erst dann ist er durch einen Damm verschlossen worden (s. Kap. „Tiefer Als sich der Landesfürst Mitte des Julius Fortunatusstollen“). 16. Jahrhunderts gewaltsam die Berg- baurechte von der Stadt Goslar zurück- Der Rathstiefste Stollen ist dagegen geholt hatte, ließ er Kalkulationen nie außer Betrieb gegangen. Jahrhun- anstellen, wie am vorteilhaftesten mit derte lang behielt er die Aufgabe, das dem Stollenbau weiter zu verfahren Wasser von den Wasserrädern und spä- sei. Sie hatten allerdings ergeben, dass ter das von den Wasserturbinen nach der Tiefe Okerstollen zu teuer werden übertage zu leiten. Und sogar heute würde. Eine Kombination des kürzeren fließt durch ihn das Wasser ab, das 26 Geschichte durch Niederschläge in den Stollen 5.4.2. Wasserläufe sickert. Heute finden in Teilen des Rathstiefsten Stollens und seines Quer- Das Wasser war im Rammelsberg bis schlages zum Herzberg Abenteuerfüh- ins Hochmittelalter wie das Erz von rungen für unsere Museumsbesucher Hand oder mit Handhaspelanlagen in statt (s. Kap. „Rathstiefster Stollen“). den Schächten gehoben worden. Für die Erzförderung wurden Körbe verwendet Die Geschichte der Rammelsber- und für die Wasserhaltung Eimer oder ger Wasserableitungsstollen ist jedoch ähnliche Behälter. Kräftige Niederschlä- noch nicht zu Ende, denn nach wie ge, tiefer werdende Schächte, Risse im vor dringen Niederschlagswässer in Deckgebirge und damit zunehmende die untertägigen Anlagen des ehema- Wasserzuflüsse haben diese Wasser- ligen Erzbergwerks. Normalerweise haltung schnell überlastet. Einerseits böte sich der Rathstiefste Stollen als war der große Bedarf an Wasserträgern Abflussmöglichkeit an. Sein Höhen- und Bedienern von Handpumpen sehr niveau ist allerdings zu hoch, so dass teuer und andererseits werden bei der das etwas tiefer gelegene Denkmal großen Zahl von Wasserträgern tech- Feuergezäher Gewölbe teilweise unter nisch-organisatorische Schwierigkeiten Wasser stehen würde. Zurzeit wird entstanden sein. deshalb das Grubenwasser mit Pumpen tiefer gehalten als das Höhenniveau des Das hat die Grubenbetreiber bereits Rathstiefsten Stollens. Langfristig ist im 12. oder 13. Jahrhundert, spätes- das jedoch recht teuer. tens aber im 14. Jahrhundert bewogen, den Rathstiefsten Stollen untertage mit Deshalb ist begonnen worden, einen einer zentralen mechanisierten Was- neuen Stollen vom Nordosthang des serhaltungsanlage auszurüsten. Sie Rammelsbergs bis zum Grubenge- hob das Wasser aus den tieferen Gru- bäude des ehemaligen Erzbergwerks benbereichen zum Höhenniveau des vorzutreiben. Sein Mundloch wird in Rathstiefsten Stollens. Diese Haupt- der Nähe der Erzaufbereitungsanla- wasserhaltungsanlage war in einem ge Bollrich liegen. Dort befindet sich Blindschacht installiert, dem Feuerge- die Neutralisationsanlage, die bereits zäher Schacht. An seinem oberen Ende heute das Rammelsberger Grubenwas- befindet sich noch heute eine Kammer, ser soweit aufbereitet, dass es in die das Feuergezäher Gewölbe, in dem der Vorflut abgegeben werden kann. Das Pumpenantrieb arbeitete. geplante Höhenniveau dieses Stollens liegt nur wenige Meter tiefer als das Über die Art des Pumpenantriebs des Rathstiefsten Stollens. Das Gruben- lassen sich heute keine Angaben mehr wasser würde damit fast ohne Betriebs- machen. Es könnte ursprünglich ein und Wartungsaufwand aus dem Berg Tretrad gewesen sein, wie es seit der fließen können und das Denkmal Feu- Antike zum Heben von Lasten, zum ergezäher Gewölbe bliebe ohne Pum- Beispiel beim Bau größerer Gebäude, pen langfristig bewahrt. verwendet wurde. Auch ein Wasserrad 27 Geschichte

aus erhalten haben. Ein solcher Stollen wird mit großer Wahrscheinlichkeit auf kürzestem Wege vom Wintertal zum Feuergezäher Gewölbe geführt haben (s. Kap. „Röderstollen, Ältester Wasserlauf“). Das Aufschlagwasser könnte aber auch über die so genannten Lorkschächte im Bereich der späteren Schächte der Richtschachter Grube zum Feuergezäher Gewölbe geleitet worden sein.

Christoph Sander (seit 1563 in der Position des Zehntners am Rammels- berg) holte 1564 einen Fachmann aus dem sächsischen Erzgebirge zum Rammelsberg: Heinrich Eschenbach. Dieser Bergbauspezialist kannte die damals hochmoderne „Stangenkunst mit dem Krummen Zapfen“, wie sie beispielsweise 1550 in St. Joachims­ thal/Böhmen und 1554 in Schnee- berg/Sachsen verwendet worden war. Darunter wurden Hubkolbenpumpen verstanden, deren Kolbenstangen über ein langes Gestänge von einem Wasserrad angetrieben wurden. Das technisch Neue war der zwischen- geschaltete Kurbeltrieb, der Krumme Zapfen. Eschenbach sollte eine Was- serhaltungsmaschine dieser Bauart im Rammelsberg installieren. Abb. 16: Sander- und Rödersystem, Prinzipskizze. Es bedeuten: 1.WL: Nach der Zeit Sanders wurden zwei Erster Wasserlauf Rödersystem, weitere Wasserräder am Bulgenschacht Ob.WL: Oberer Wasserlauf Sander- eingebaut, die ebenfalls Hubkolben- und später Rödersystem, Unt.WL: pumpen im mittlerweile tiefer gewor- Unterer Wasserlauf Sandersystem denen Bulgenschacht antrieben. Das gesamte System der Wasserläufe und könnte als Energiequelle genutzt wor- der untertage angeordneten Wasserrä- den sein. Letzteres könnte sein Auf- der wird in neuerer Zeit nach Chris- schlagwasser über einen Wasserlauf, toph Sander benannt. Zum Sandersys- also über einen Stollen von übertage tem zählen: 28 Geschichte

- der Untere und Obere Wasserlauf, - das Obere, Mittlere und Untere Was- serrad und - die Verbindungsstrecken zwischen den Radstuben und zum Bulgen- schacht (s. Kap. „Röderstollen“).

Die Grubenwässer mussten nach Fertigstellung des Tiefen Julius For- tunatusstollens nicht mehr bis zum Rathstiefsten Stollen gehoben werden.

Das Nachfolgesystem, das Röder- stollensystem, hatte zwei Wasserräder (Kunsträder) für die Wasserpumpen im Serenissimorum Tiefsten Schacht und zwei weitere Wasserräder (Kehrräder) für den Antrieb der Fördermaschinen des Serrenissmorum Tiefsten und des Kanekuhler Schachtes (s. Abb. 16). Sein Abb. 17: Rödersystem. Volkmar Scholz Erster Wasserlauf ist der Stollen, der im 4. Wasserlauf. Foto H. Lausch 1998 heute als Eingang für die (Museums-) Besucher des Röderstollens benutzt mehr die oberen beiden (Förderma- wird (s. Kap. „Röderstollen. Erster schinen-)Wasserräder, aber wenigstens Wasserlauf“). Die Verbindungsstrecken noch die unteren beiden Wasserräder zwischen den übereinander angeord- für die Wasserhaltungspumpen (s. Kap. neten Rädern werden am Rammels- „Röderstollen, Oberer Wasserlauf“). berg ebenfalls Wasserläufe genannt, obwohl es sich in diesem Falle nicht um Nach Einstellung der wasserradge- Stollen, sondern um Strecken handelt triebenen Fördermaschinen und Was- (s. Abb. 17). serpumpen wurde das Energiepoten- tial des Herzberger Teichs bzw. die Den (Sanderschen) Oberen Wasser- Höhendifferenz zwischen dem Was- lauf nutzte Röder nach, indem er zwi- serspiegelniveau des Teichs und des schen dem Sander- und dem Röder- Rathstiefsten Stollens trotzdem weiter stollensystem eine Verbindungsstrecke genutzt. Eigens dafür waren Anfang bauen ließ. Durch sie hindurch konnte des 20. Jahrhunderts zwei Wassertur- das Wasser aus dem unteren Ablass- binen angeschafft und im Höhenniveau Striegel des Herzberger Teichs durch des Rathstiefsten Stollens untertage den Sanderschen Oberen Wasserlauf zu installiert worden. Über der Turbinen- den Pumpenantrieben des Rödersystems kammer wurde ein Schacht gebaut, geleitet werden. In Zeiten mit zuwenig der Turbinenschacht. Er hat eine Teufe Wasser im Teich liefen dann zwar nicht von etwa 35 m und endet übertage 29 Geschichte

im Gebäude der Energiezentrale. Eine südlich der Altstadt Goslars, vor mehr Rohrleitung brachte das Teichwasser als 600 Jahren Wasser aus dem ober- bis zum Turbinenschacht. Eine neu von halb der Ortslage gelegenen Gebirgs- der Turbinenkammer zum Rathstiefs- bereich erschloss. ten Stollen aufgefahrene Strecke führte das verbrauchte Turbinenwasser ab. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde Wasser aus den ehemaligen Gruben Der Turbinenschacht hat zusätzlich des Herzbergs als Trinkwasser genutzt einen nur wenige Meter lange Stollen, (s. Kap. „Weißer Hirsch“ und Kap. der vom Schacht unter der Werkstraße „Haus Schulenburg“). Die Qualität des zum Unteren Werksbahnhof führt. Er Wassers aus der Grube Weißer Hirsch wird als Fluchtweg oder Fluchtstollen ist allerdings nicht immer ausreichend Turbinenschacht bezeichnet (s. Kap. gewesen, so dass es in den letzten „Turbinenschachtstollen“). Jahren nicht mehr verwendet werden konnte. 5.4.3. Wasserfassung und -sammlung Die Grube Haus Schulenburg diente ebenfalls der Trinkwassergewinnung. Grundwasser steht in Goslar nicht Ihr Mundloch ist zwar verbrochen aber oberflächennah an. Deshalb wird Trink- das Wasser aus diesem Stollen erfassen und Brauchwasser zum größten Teil aus zwei seitlich davon angeordnete Ein- den Fließgewässern, zum Beispiel aus laufbauwerke (s. Abb. 18). dem Bachlauf der entnommen und weniger aus Brunnen. Die Wasser- menge in den Oberflächenfließgewäs- sern schwankt jedoch jahreszeit- und witterungsbedingt recht stark, so dass immer ein Interesse bestand, zusätz- lich auch das Wasser aus den bergbau- lichen Hohlräumen zu nutzen. Noch heute dient beispielsweise der Schlüssel­ stollen der ehemaligen Metallerzgru- be Großfürstin Alexandra, die einige Kilometer südlich von Goslar an der Straße nach Clausthal-Zellerfeld liegt, Abb. 18: Haus Schulenburger Suchort. der Trinkwassergewinnung Goslars. Zwei Wasserfassungen im Bereich des ehemaligen Mundlochs, heutiger Eine erste Wasserfassung des Ram- Zustand, Aufnahme des Verfassers melsbergs scheint der Bergdorfstollen gewesen zu sein (s. Kap. „Bergdorf­ Auch das Kinderthaler Ort, ein stollen“). Vermutet wird, dass er für das im Süden der Rammelsberger Gru- ehemalige Bergdorf, eine heute nicht ben befindlicher ehemaliger Stollen mehr existierende Siedlung unmittelbar zur Suche nach Erzen, ist Anfang des 30 Geschichte

20. Jahrhunderts zur Trinkwasserge- feucht-warmen ausziehenden Wettern winnung umgenutzt worden (s. Kap. ausgesetzt werden sollten. Sie wären „Kinderthaler Ort“). Es versorgte das sonst zu schnell verrottet. ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg bis in die 1990er Jahre mit Trinkwas- Ein erster ausschließlich für die Wet- ser. Eigens zur Zwischenspeicherung terführung angelegter Stollen befand von zeitweise überschüssigem Wasser, sich am Winkler Wetterschacht. Wegen ist Anfang der 1920er Jahre ein untertä- seiner Form wurde er auch Wetterhals giges Speicherbauwerk etwa gegenüber genannt. Er zweigte wenige Meter unter vom Eingang zum Herzberger Freibad der Tagesöffnung des Winkler Wet- angelegt worden. terschachtes ab und führte die Wetter separat nach übertage (s. Kap. „Winkler 5.5. Wetterstollen Wetterschacht“). Damit sollte verhindert werden, dass die warm-feuchten auszie- Regelrechte Wetterstollen sind bis henden Wetter in das auf dem Schacht zum 20. Jahrhundert im Rammelsberg stehende Haus gelangen. Außerdem nicht angelegt worden. Die Wetterfüh- musste am Winkler Wetterschacht ein rung stützte sich hier bis zum Ende Gebläse installiert werden, das die Wet- des 19. Jahrhunderts vor allem auf den ter aus dem Schacht saugt. Ein Gebläse kräftigen Auftrieb der Grubenwetter, passte aber nicht in das Gebäude direkt den das Feuersetzen, das zum Herein- über dem Schacht und musste deshalb gewinnen der Erze verwendet wurde, daneben angeordnet werden. Dieser erzeugte. Die Wasserhaltungs- und Erz- Wetterhals war nur wenige Meter lang förderstollen und die Wasserläufe boten und hatte sein Mundloch unmittelbar sich als einziehende Bauwerke an, weil neben dem Schachthaus. Der Wetter- ihre Mundlöcher gegenüber denen der hals ist wie die obere Schachtsäule Schächte eine geringere geodätische heute mit Schotter verfüllt. Höhe hatten. Die Wetter wurden im Berg durch das Feuersetzen erwärmt, In den 1950er Jahren wurde ein zwei- dehnten sich dadurch aus, wurden ter Wetterstollen notwendig. Es war ein leichter und strömten somit von allein ausziehender Stollen vom Wetterüber- zu den höher gelegenen Schächten. hauen des Alten Lagers nach übertage Die Schornsteinwirkung in den auszie- (s. Kap. „Wettersonderkreis“). Das henden Wetterschächten erzeugte einen Wetterüberhauen ist Mitte der 1990er Sog, der durch geschickte Anordnung Jahre mit einer langen Stahlgitterrost- von Wetterleiteinrichtungen frische Treppe ausgestattet worden und liegt Wetter durch die einziehenden Schäch- heute am Ende des Besucherrundgangs te in die Grube brachte. Als einzie- Röderstollen. Am Ende des Wetterstol- hende Schächte wurden besonders die lens befand sich am Hang hinter der Förderschächte benutzt. Das wurde Lampenstube ein kleiner Schacht von so eingerichtet, weil die Stollen dafür nur wenigen Metern Höhe, so dass es nicht ausreichten und weil Anlagen- sich hierbei gemäß Definition eigent- teile in den Förderschächten nicht den lich nicht um einen Wetterstollen, son- 31 Geschichte

dern um eine Wetterstrecke gehandelt hat.

5.6. Sonstige Stollen

Bergwerke müssen bestimmte über- tägige Gebäude aus technischen und organisatorischen Gründen möglichst nahe an der Lagerstätte errichten. Dazu gehören Fördergerüste, Bahn- und Auf- bereitungsanlagen, Werkstätten, Mann- schaftskauen und vieles andere mehr. Das kann zu Platzproblemen führen, besonders wenn die Tagesoberfläche über der Lagerstätte nicht eben, son- dern ein Tal ist.

Wenn darüber hinaus Räumlichkeiten Abb. 19: Garagen hinter der Lampen- benötigt werden – zum Beispiel für stube. Riss-Skizze Garagen, Lager oder Transformatoren – können mit relativ geringem Aufwand schnell und wirtschaftlich Stollen auf- gefahren werden. Gewöhnlich sind die dafür notwendigen Ausrüstungen und Maschinen vorhanden und die Belegschaft ist mit dieser Tätigkeit vertraut.

Beispiele dafür sind:

- mehrere Garagen (s. Abb. 19 und 20), - einen Wasserspeicher (s. Kap. „Was- serreservoir“), - ein Karbidlager (s. Kap. „Karbid­ stollen“), - eine Transformatorenstation (s. Kap. Abb. 20: Garagen hinter der Lampen- „Trafostollen“) und stube. Zwei davon sind als braune Holz- - ein Umspannwerk (s. Kap. tore hinter dem Zaun zu erkennen. Heu- „Umspannwerk 2“). tiger Zustand, Aufnahme des Verfassers

Ähnlich verhält es sich mit Zugängen Die relativ leichte Verfügbarkeit von zu tagesnahen Grubengebäudeteilen. Stollenvortriebstechnik und -beleg- 32 Geschichte

- der Zugangsstollen zu den Banderz- rollen des Aufbereitungsgebäudes (s. Kap. „Zugangsstollen…“), - der Fluchtwegstollen zum Turbinen- schacht (s. Kap. „Turbinenschacht- stollen“), - der Stollen zum Flachen Schacht (s. Kap. „Pferdetränke“), - diverse Zugänge von der Schie- fermühle zur Bergeschachtstrecke (s. Kap. „Bergeschachtstrecke“), Abb. 21: Obere Sohle. Von der nordöstli- - die kurzen Stollen vom Oberen Hän- chen Böschung der Schiefermühle ange- gebankstollen zur Schiefermühle schnittene Strecke, heutiger Zustand, und zum Wagenumlauf des Ram- Aufnahme des Verfassers melsbergschachtes (s. Kap. „Oberer Hängebankstollen“) und - der Ascheabzugsstollen des Kessel- hauses der Dampfmaschinenanlage des Kanekuhler Schachtes (s. Kap. „Ascheabzugsstollen“).

Stollen können auch entstehen, wenn oberflächennah verlaufende Strecken durch einen Steinbruch oder Tagebau überfahren werden. Im Falle des Ram- melsbergs hat die Ostböschung der Schiefermühle unter anderem zwei Strecken der Oberen Sohle angeschnit- ten. Eins der beiden auf diese Art entstandenen Mundlöcher befindet sich fast genau unter dem Maltermeis- ter Turm (s. Abb. 22) und das zweite nördlich davon (s. Abb. 21). In der Abb. 22: Obere Sohle. Östliche Oberen Sohle, die höher als die Tages- Böschung der Schiefermühle mit unter- förderstrecke liegt, ist noch bis in die halb des Maltermeister Turms ange- 1960er Jahre in geringem Umfang ein schnittener Strecke, heutiger Zustand, Nachlesebergbau auf Erze des Alten Aufnahme des Verfassers Lagers umgegangen. schaft machte es der Werksleitung des Rammelsbergs leicht, mehrere kurze Zugangsstollen auffahren zu lassen. Dazu gehören 33 Abgedeckte Abzucht

6. Daten, Beschreibungen und Lebensläufe der einzelnen Stollen

Abgedeckte Abzucht

Eigentlich handelt es sich hierbei weder um einen Stollen noch um eine Strecke, sondern höchstens um einen sehr einfachen Tunnel. Das Einlauf-

Abb. 24: Abzucht, abgedeckter Bach- lauf. Riss-Skizze

und das Auslaufbauwerk des abgedeck- ten Teils der Abzucht sind aber in der Art von Stollenmundlöchern ausgeführt (s. Abb. 25 und 26). Das könnte zu der Frage führen, ob sich hier ein Ram- melsberger Stollen befindet. Deshalb soll der abgedeckte Teil des Bachlaufs der Abzucht trotzdem hier beschrieben werden.

Mitte der 1930er Jahre war der Bach- lauf der Abzucht bei den Bauarbeiten Abb. 23: Abzucht, abgedeckter Bach- zur Errichtung der neuen Tagesanlagen lauf. Riss- und Schnittskizze und der Straße davor hinderlich und

34 Alter Wasserableitungsstollen

Teil der Abzucht an die Stadt Goslar ab. Zuvor sind Gipsmarken an gerissenen Stellen der Ausbauplatten angebracht worden, um eventuell zu befürchtende Bewegungen im Ausbau zu erkennen, was jedoch nicht der Fall war.

Alter Wasserableitungsstollen

Die Lage der ersten untertägigen Erz- abbauorte lässt sich heute recht genau Abb. 25: Einlaufbauwerk der abgedeck- ten Abzucht, heutiger Zustand, Aufnah- me des Verfassers wurde deshalb abgedeckt (s. Abb. 23 und 24). Zur Herstellung der Abde- ckung erhielt der Bachlauf senkrechte und waagerechte Ausbauplatten aus Beton, wie sie im Bergbau üblich sind. Anschließend wurde die Überdeckung mit Haufwerk zugeschüttet. Als Kon- trollöffnungen wurden vier Lichtlöcher angelegt. Die Länge der Abdeckung beträgt etwa 300 m.

Abb. 26: Auslaufbauwerk der abgedeck- ten Abzucht, heutiger Zustand, Aufnah- me des Verfassers Abb. 27: Mögliche Lage des ältesten In den 1970er Jahren gab das Erzberg- Wasserableitungsstollens. Riss- und werk Rammelsberg den abgedeckten Schnittskizze 35 Alter Wasserableitungsstollen

gebaute Verwaltungsgebäude gefunden worden. 1982 brach die Tagesoberflä- che auf der heute mit Gras bewach- senen Fläche südlich des Kauenge- bäudes ein (s. Abb. 28 und 29). Der Einsturztrichter lag unter dem heute dort stehenden großen Museumsschild im Bereich der Böschungsschulter.

Dort befindet sich aber nur der Rathstiefste Stollen, allerdings viel tiefer als der Stollen, der im Tiefsten des Einsturztrichters nur wenige Meter unter der Tagesoberfläche zum Vor- schein gekommen war. Die Lage des dort eingestürzten Stollens spricht dafür, dass es sich um einen frühen Wasserab- leitungsstollen der Rammelsberger Gru- ben gehandelt hat. Er war mit Holztür- stöcken ausgebaut und hatte eine lichte Höhe von etwa 1,2 m, oben eine lichte Weite von etwa 0,6 m und unten eine lichte Weite von etwa 0,8 m. Es kann jedoch sein, dass sich sein Querschnitt schon zusammengedrückt hatte. Das ließ sich 1982 auf Grund des schlechten Abb. 28: Ältester Wasserableitungsstol- Erhaltungszustandes des Ausbauholzes len, Lage des Tagebruchs. nicht mehr exakt bestimmen. Riss-Skizze

rekonstruieren: sie werden wahrschein- lich am westlichen Ende des Alten Lagers gelegen haben (s. Abb. 27). Von dort wäre der kürzeste Weg für einen Wasserableitungsstollen recht- winklig zu den Höhenlinien gewesen. Und dieser Stollen hätte sein Mundloch etwas über dem Bach im Wintertal (Abzucht) haben müssen. Abb. 29: Ältester Wasserableitungsstol- Vermutlich ist der ehemalige Stollen len, Heinrich Stöcker 1978 während der Anfang des 20. Jahrhunderts beim Aus- Befahrung des Tagebruchs. Foto aus der heben der Baugrube für das 1901/02 Sammlung Heinrich Stöcker 36 Altes Suchort

Altes Suchort am Deutschen Wetterschacht

Auf dem Plateau unterhalb der Halde vom Communion Steinbruch befanden sich bis zum Anfang des 20. Jahr- hunderts die wichtigsten Schächte und Tagesanlagen des Erzbergwerks Rammelsberg. Im Südwesten dieses Plateaus lag das Mundloch des Alten Suchortes (s. Abb. 30 und 32). Dieser Stollen hatte eine Länge von etwa Abb. 31: Altes Suchort, verbrochener einhundert Metern erreicht und sollte Mundlochbereich, heutiger Zustand, die Fortsetzung des Erzvorkommens Aufnahme des Verfassers untersuchen, das auch im Communion Steinbruch zu Tage tritt. Es handelt sich um ein flaches flözartiges Vor- kommen, das aber nirgends in bauwür- diger Qualität und Mächtigkeit ange- troffen wurde.

Abb. 32: Altes Suchort am Deutschen Wetterschacht. Riss-Skizze. Es bedeuten: Dt.Wet.scht.: Deutscher Wetterschacht, Kanek.Scht.: Kanekuhler Schacht, Voigt. Scht.: Voigtscher Schacht, Hohw.Scht.; Hohe Warter Schacht, Lüd.Scht.: Lüder- Abb. 30: Altes Suchort am Deutschen süller Schacht, Malterm.Turm: Malter- Wetterschacht, Lage des Stollens. Riss- meister Turm, WWS: Winkler Wetter- Skizze. Es bedeuten: AL: Altes Lager, schacht, Schurfs.: Alter Schurfschacht, NL: Neues Lager Fl.Scht.: Flacher Schacht

37 Ascheabzugsstollen

Zum Mundloch dieses Stollens, der etwa vier Meter höher liegt als das Plateau, führt am Hang ein mit fla- chen Trockenmauern befestigter Weg. Das Mundloch des Suchstollens ist verbrochen und kann heute kaum noch von der Böschung unterschieden werden. Der Zugang ist nur noch an den kleinen Mauern zu erkennen, die den Böschungsfuß entlang des Weges sichern und am Stollenzugang in Rich- tung des ehemaligen Mundlochs abbie- gen (s. Abb. 31).

Ascheabzugsstollen Kanekuhler Schacht

Der Kanekuhler Schacht ist einer der ältesten Rammelsberger Schächte. Bei seiner letzten großen Modernisierung erhielt er 1874/75 drei Dampfmaschi- nen für die Wasserhaltungspumpen, die Drucklufterzeugung und die Erz- förderung (s. Abb. 37). Die zugehörige Dampfkesselanlage hatte einen Stollen,

Abb. 34: Ascheabzugsstollen vom Kes- selhaus des Kanekuhler Schachtes. Riss- und Schnittskizze

der unter den Kesseln begann und zum nahe gelegenen Hang über der heutigen Schiefermühle führte (s. Abb. 33 bis 36). Die Asche, die bei der Verbren- nung der verwendeten Braunkohlen- briketts entstand, wurde mit Wasser Abb. 33: Ascheabzugsstollen vom Kes- abgelöscht und durch diesen Stollen selhaus des Kanekuhler Schachtes, auf eine kleine Aschenhalde gespült, heutiger Zustand des Mundlochs, Auf- die unmittelbar vor dem Stollenmund- nahme des Verfassers loch liegt. 38 Bergdorfstollen

Abb. 37: Kanekuhler Schacht, Tagesan- Abb. 35: Ascheabzugsstollen vom Kes- lagen um 1900. Foto aus der Sammlung selhaus des Kanekuhler Schachtes, Heinrich Stöcker Forststraße über dem Stollen mit quer verlaufender Mauerung zur Firstsiche- Bergdorfstollen rung, heutiger Zustand, Aufnahme des Verfassers Die Funktion und die Baugeschichte des am unteren Nordhang des Rammels- bergs gelegenen und heute als Berg- dorfstollens bezeichneten Stollens sind bislang noch nicht abschließend geklärt. Gebaut wurde er vermutlich bereits im Mittelalter. Seitdem ist allerdings nur wenig über ihn bekannt geworden.

Lediglich im Zusammenhang mit dem Tiefen Julius Fortunatusstollen erlangte der Bergdorfstollen noch einmal eine gewisse Bedeutung. Beide Stollen kreuzten sich mit einem Höhenunter- schied von etwa 37 m. Dort wurden sie mit einem Hochbruch verbunden, um dem Tiefen Julius Fortunatusstol- len über den Bergdorfstollen zusätzlich Wetter zuzuführen.

Abb. 36: Ascheabzugsstollens vom Der kleine Querschlag des Tiefen Kesselhaus des Kanekuhler Schachtes. Julius Fortunatusstollens, von dem das Riss-Skizze Überhauen angesetzt worden war, hieß Ochsenort.

Das Mundloch vom Bergdorfstollen lag wahrscheinlich im Bereich der 39 Bergdorfstollen

der Stollen ursprünglich in den Berg geführt hatte.

Der Bergdorfstollen verlief ungefähr Nordost-Südwest. In Verlängerung die- ser Richtung hätte er die Rammels- berger Gruben getroffen, und zwar den Bereich westlich des Alten Lagers (s. Abb. 38). Fraglich ist, ob es sich um einen Such- und Erkundungsstollen oder einen unvollendeten Wasserab- leitungsstollen gehandelt hat. Wahr- scheinlich hat er überhaupt nicht berg- baulichen Zwecken gedient, sondern der Wasserfassung und -versorgung für das Bergdorf.

Etwa 15 m neben der vermutlichen Lage des ehemaligen Stollenmund- lochs wurde ein alter etwa quadra- tischer Tagesschacht, gefunden. Er hatte Kantenlängen von 4 bis 5 m und nur eine geringe Teufe. Vielleicht han- delte es dabei um ein Absetzbecken für Schwebstoffe des Stollenwassers.

Nahe am vermutlichen Mundloch- bereich befindet sich das so genannte Abb. 38: Bergdorfstollen, mögliche Stollenhaus, ein altes Fachwerkhaus Lage. Riss- und Schnittskizze der ehemaligen Bergverwaltung. Der Name „Stollenhaus“ und der Straßen- 1914 erbauten Rammelsbergkaserne, name „Am Stollen“ gehen möglicher- der Kaserne der damaligen Goslarer weise auf den Bergdorfstollen zurück. Jäger, die sich ebenfalls am unteren Nordhang des Rammelsbergs befin- Bergeschachtstrecke det. Wieder entdeckt worden ist der Bergdorfstollen bei Bauarbeiten für die Anfang der 1920er Jahre zeichnete Garagen der Kaserne. Der Stollen hatte sich ab, dass neue Abbaustellen für dort nur wenig Überdeckung, was auf Versatzmassen und zusätzliche Wege ein nahe gelegenes Mundloch schließen für den Versatztransport gefunden wer- lässt. Befahrbar war der Stollen 1914 den mussten. Die neuen Versatzgewin- auf einer Länge von 70 m. Danach war nungspunkte waren flache Tagebaue er verbrochen. Es ist unklar, wie weit im Bereich der späteren Schiefermüh- 40 Bergeschachtstrecke

eine Strecke, die die Bezeichnung Ber- geschachtstrecke erhielt (s. Abb. 39 und 40). Sie war mit einem 600-mm- Gleis ausgestattet und Rolllöchern, die zu den Gewinnungspunkten hoch gebrochen worden waren. An den Roll- lochschnauzen wurden spezielle Ver- satztransportwagen mit dem Schiefer beladen. Oberleitungsloks zogen die Versatzzügen zum Bergeschacht, durch den die Versatzzüge zu den tieferen Sohlen gebracht wurden.

An diesem Schema änderte sich im Prinzip auch dann nichts, als aus den

Abb. 39: Bergeschachtstrecke Mitte der 1920er Jahre. Riss- und Schnittskizze. Es bedeutet TFS: Tagesförderstrecke le. Der dort gewonnene Schiefer eig- nete sich zwar für die neue Versatz- Abb. 40: Bergeschachtstrecke Mitte der technik, rutschte aber nur schlecht im 1920er Jahre. Riss-Skizze. Es bedeuten bis dahin für den Versatztransport nach AL: Altes Lager, Bergescht.: Berge- untertage genutzten Flachen Schacht. schacht, Fl.Scht.: Flacher Schacht, Deshalb wurde ein neuer, dieses Mal Gabelstr.: Gabelstrecke, Kan.scht.: nicht geneigt, sondern senkrecht ange- Kanekuhler Schacht, Rbg.: Rammels- legter Versatztransportschacht, der Ber- berg, Richtscht.: Richtschacht, Ser. geschacht, geteuft. Er ist ein Blind- scht.: Serenissimorum Tiefster Schacht, schacht und bekam als Verbindung zu TJF: Tiefer Julius Fortunatusstollen, den neuen Schiefergewinnungspunkten WWS: Winkler Wetterschacht 41 Bergeschachtstrecke

bruchsohlen auf die maximale Kanten- länge zerkleinerte, die für den Transport durch die Rolllöcher geeignet war.

Nach übertage hatte die Berge- schachtstrecke eine Verbindung über die alte Tagesförderstrecke, die auf ihrem Abschnitt zwischen Kanekuhler Schacht und Neuem Lager von der Ber- geschachtstrecke geschnitten wurde.

Die Bergeschachtstrecke läuft dicht am Winkler Wetterschacht vorbei, so dass nun auch dieser Schacht über die Bergeschachtstrecke besser an den Material- und Versatztransport ange- bunden werden konnte. Durch die Tagesförderstrecke hatte die Berge- schachtstrecke einen Zugang zum Fla- chen Schacht. Damit waren alle drei Versatzschächte an die Bergeschacht- strecke angeschlossen.

1925/26 erhielt die Bergeschachtstre- cke ein Mundloch und wurde damit zu einem regelrechten Stollen. Dafür wur- Abb. 41: Bergeschachtstrecke westlicher de die Bergeschachtstrecke um etwa Teil Mitte der 1970er Jahre. Riss-Skizze 200 m nach Westen verlängert. Das

Rolllöchern große zylindrische Ver- satzbunker wurden, aus diesen Bun- kern trichterförmige Steinbrüche und zuletzt ein großer Strossentagebau, die so genannte Schiefermühle. Aber auch von den Strossen der Schiefermühle führten nach wie vor Rolllöcher zur Bergeschachtstrecke.

In der Bergeschachtstrecke wurde in den 1920er Jahren im Bereich unter der Schiefermühle eine Brecheranlage Abb. 42: Bergeschachtstrecke, Mund- gebaut, die den teilweise recht grob- loch, heutiger Zustand, Aufnahme des stückigen Schiefer der tieferen Stein- Verfassers 42 Bergeschachtstrecke

Mundloch befindet sich zwischen dem zu Bruch gesprengt und unattraktiv Gebäude der Schlosserei und der Holz- gemacht wurden. Von den Einlage- werkstatt (s. Abb. 41 und 42). rungen durften nur drei Mann aus der Belegschaft wissen. 1929 plante die Betriebsleitung, den Bergeschacht zu einem der bei- Der Braunschweiger Löwe erhielt den Hauptseilfahrschächte umzurüsten. dagegen zuerst in der Tagesförderstre- Die alte Tagesförderstrecke durchquer- cke im Bereich unter dem ehemaligen te aber auf ihrem Wege von der Ber- Hebeschacht sein neues Domizil. Das geschachtstrecke nach übertage das umgebende Gebirge war dort allerdings Alte Lager und gab deshalb Anlass recht brüchig und die Überdeckung nur zu Befürchtungen hinsichtlich ihrer wenige Meter mächtig. Man befürch- Standsicherheit. Als zweite witterungs- tete deshalb, dass der Raum gegen geschützte untertägige Verbindung des Bombenangriffe nicht ausreichend ist. Bergeschachtes mit dem Richtschacht Eigens für den Braunschweiger Löwen wurde deshalb eine neue Strecke auf- wurde daraufhin in der Bergeschacht- gefahren, die so genannte Gabelstrecke. strecke wenige Meter vom Mundloch Sie verlief parallel zu der Kabel- und entfernt auf der südlichen Seite eine Rohrstrecke bzw. zur Werkstraße und Kammer aufgefahren. traf die Bergeschachtstrecke westlich der Schiefermühle. Mit dieser Stre- Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ckenführung umging man das stand- ließ die Betriebsleitung auch den sicherheitsgefährdete Gebiet des Alten Abschnitt des Bergeschachtstrecken- Lagers. systems elektrifizieren, der zum Fla- chen Schacht führte. Durch die Berge- Bergeschacht- und Gabelstrecke schachtstrecke wurden noch bis zum erhielten eine Oberleitung, so dass Fahr- Ende der 1960er Jahre Versatzmassen drahtloks mit Personen- oder Material- von der Schiefermühle zum Flachen zügen durchgängig vom Bergeschacht Schacht gefahren. Danach übernahmen bis zum Richtschacht fahren konnten. ausschließlich Rolllöcher, die von der In der Bergeschachtstrecke verkehrten Bergeschachtstrecke nach unten führ- seit 1938 außerdem Dieselloks. ten, die Aufgabe des Abwärtstransports von Schiefer. In den letzten Monaten des Zwei- ten Weltkrieges sollten wertvolle Die Schiefermühle hatte sich bis in Bücher, größere Mengen Edelmetall die 1970er Jahre weiter in die Tiefe und der so genannte Braunschweiger entwickelt und damit die Bergeschacht- Löwe, eine Bronzeplastik, als Schutz strecke freigelegt. An den Schnittstel- vor Kriegseinwirkungen untertage len von Steinbruch und Stollen ent- im Rammelsberg eingelagert werden. standen auf diese Art und Weise in der Dafür wurden Strecken in der 1. und tiefsten Steinbruchsohle neue Stollen- 3. Sohle verwendet, die anschließend mundlöcher (s. Abb. 43). Sie wurden an die Einlagerung an ihren Zugängen einerseits dafür genutzt, direkt aus der 43 Bergeschachtstrecke

Abb. 43: Bergeschachtstrecke Mitte der 1980er Jahre. Riss-Skizze

Schiefermühle mit Dieselfahrzeugen in andererseits um Wasser aus der Schie- die Bergeschachtstrecke zu fahren, und fermühle abzuleiten. 44 Bergeschachtstrecke

Wand heraus und stürzten auf die Stein- bruchsohle vor dem Mundloch. Eine Konstruktion aus groß dimensionierten Stahlträgern konnte die Situation eini- ge Monate stabilisieren. Ein übergroßes Gesteinsstück zertrümmerte dann jedoch den Mundlochbereich, so dass sich die Grubenleitung entschloss, ein neues Mundloch etwa 30 m daneben anlegen zu lassen. Es wurde einschließ- Abb. 44: Bergeschachtstrecke, Mund- lich des zugehörigen neuen Stollen- loch auf der unteren Sohle der Schie- abschnitts so groß dimensioniert, dass fermühle (heute verfüllt). Foto Gerhard die größten der damals neu im Ram- Müller 1987 melsberg eingeführten Radlader dort eingesetzt werden konnten. In den 1970er Jahren löste die die- selgetriebene Radladertechnik (LHD- Ein weiteres Mundloch befindet sich Technik) den gleisgebundenen Versatz- auf der vorletzten Sohle der Schie- transport in der Bergeschachtstrecke fermühle. Es ist an seinem Stangen- ab. Sie erhielt Querschläge und von rost erkennbar (s. Abb. 45). In dieses dort abwärts führende Versatz-Rolllö- Mundloch wurde von übertage Schie- cher. Von der Schiefermühle brachten ferhaufwerk geschüttet. Unter dem Radlader die Versatzmassen dorthin Mundloch befindet sich eine untertägig (s. Abb. 44). Der Bergeschacht verlor in der Bergeschachtstrecke installierte daraufhin weitgehend seine Versatz- Siebmaschine. Sie siebte Schieferstü- transportaufgaben. cke ab, die für die Rolllöcher zu groß waren. Hinter ihr nahmen Radlader das Bereits bei der Annäherung der abgesiebte Haufwerk wieder auf und Steinbruchsohle an die Bergeschacht- strecke war die Standsicherheit des Stollens nicht mehr gegeben. Deshalb wurde eine Umfahrung angelegt. Sie hat schon das große Stollenprofil für den Radladerbetrieb (s. Abb. 43 und 10).

Das Mundloch der Bergeschachtstre- cke in der westlichen Steinbruchwand bereitete Ende der 1970er Jahre große Probleme, weil das umgebende Gebir- ge sehr brüchig und die Steinbruch- Abb. 45: Bergeschachtstrecke, Mund- wand recht steil war. Immer wieder loch zur Siebmaschine, 2007, Aufnahme brachen große Schieferbrocken aus der des Verfassers 45 Bergeschachtstrecke

brachten es zu den in der Bergeschacht- ßen Abmessungen und die vielfältigen strecke beginnenden Rolllöchern. ehemaligen Funktionen dieses auch langfristig nicht absaufenden Gru- Im Kreuzungsbereich Bergeschacht- bengebäudebereichs bieten sehr gute strecke/Tagesförderstrecke befinden Möglichkeiten, die bislang noch nicht sich Räume die mit Mauern und Türen präsentierte neuere Bergbaugeschichte ausgestattet sind. Hier fanden untertä- darzustellen. gige Grubenwehrübungen statt. Diese Räume sind Anfang der 1970er Jahre Insbesondere lassen sich in den noch weiter als Grubenwehrübungsräu- Bereichen mit großen Stollenbreiten me ausgebaut worden. und -höhen Situationen nachstellen, wie sie im Kammer-Pfeilerbau mit der Auch Wasserhaltungsaufgaben hatte seit den 1970er Jahren eingesetzten die Bergeschachtstrecke bekommen. LHD-Technik üblich waren. Außerdem Dicht neben der Schiefermühle ist eine können in diesem Bereich der große Wassersammelstelle angelegt worden, Hauptgrubenlüfter gezeigt werden, der die noch heute benutzt wird. Pumpensumpf der Schiefermühle, die Siebmaschine, der Haspel des Berge- Anfang der 1980er Jahre wurde das schachts, schöne Tropfsteinbildungen Sprengstofflager, das sich bis dahin im und alte Erzabbauorte im Alten Lager. Kreuzungsbereich Tagesförderstrecke/ Verbunden mit einer größeren Gru- Bergeschachtstrecke befunden hatte, benbahnanlage als sie zurzeit für die in den kleinen Querschlag in Mund- Museumsbesucher angeboten wird, lochnähe verlegt, in dem der Braun- kann das Rammelsberger Bergbau- schweiger Löwe die letzten Monate des museum damit die Attraktivität seiner 2. Weltkrieges untergebracht gewesen untertägigen Führungsbereiche deut- war. lich steigern.

In den 1990er Jahren wurde im Gabelstrecke Bereich der Bergeschachtstrecke noch einmal ein Querschlag neu aufge- Die Gabelstrecke diente der Mann- fahren. Er verbindet die Umfahrung schaftsfahrung zum Richtschacht und des Schiefermühlenbereichs mit dem zum Bergeschacht (s. Abb. 46). Die Gelenbeeker Stollen und ermöglicht Belegschaft der Grube zog sich ab den die Ableitung von Grubenwässern von 1910er Jahren im Zechenhaus, einer der Bergeschachtstrecke durch den neuen Mannschaftskaue, um. Dieses Gelenbeeker Stollen zur Neutralisati- Gebäude stand unmittelbar nördlich onsanlage am Bollrich. vom Vorhaus der Tagesförderstrecke (s. Abb. 47). Das Kauengebäude war Die Bergeschachtstrecke ist zukünf- in die Böschung hinein gebaut worden tig die wichtigste Möglichkeit für und verdeckte ein Mundloch, das heute unser Bergbaumuseum, das untertä- weitgehend in Vergessenheit geraten gige Angebot zu erweitern. Die gro­ ist: das Mundloch zur Gabelstrecke, 46 Gabelstrecke

Mannschaftsfahrung ein, die diesen Zeitbedarf deutlich verringern sollte. Dafür wurde die Gabelstrecke 1929 mit einem 600 mm-Gleis und einer Oberleitung ausgestattet.

Die Mannschaftswagen, die von Oberleitungsloks gezogen wurden, waren in der Art gebaut, wie sie auch sonst in jener Zeit üblich war. Sie bestanden aus zwei Drehgestellen und einem Reitbalken, auf dem die Berg- leute rittlings saßen. Links und rechts waren Längsträger angebracht, auf denen sie ihre Füße abstellen konnten.

Abb. 46: Gabelstrecke 1910. Riss-Skizze durch das die Bergleute über wenige Treppenstufen direkt aus dem Kauen- gebäude nach untertage in die Gabel- strecke gelangten, ohne zwischenzeit- lich ins Freie zu müssen.

Ab Mitte der 1920er Jahre wurde auch der Bergeschacht ein wichtiger Seilfahrtschacht. Von der Werkstraße zum Bergeschacht gab es noch keine direkte Verbindung, denn der Durch- schlag von der Bergeschachtstrecke nach übertage, das spätere Mund- loch an der Werkstraße zwischen der Schlosserei und der Holzwerkstatt, wurde erst 1925/26 gebaut (s. Kap. „Bergeschachtstrecke“). Zu Fuß, so rechnete die Werkleitung, würde die Anfahrdauer durch die alte Tages- förderstrecke und die Bergeschacht- strecke zu lang werden. Sie ließ des- halb die Gabelstrecke auffahren und richtete darin eine gleisgebundene Abb. 47: Gabelstrecke 1935. Riss-Skizze 47 Gabelstrecke

schaffen. Die Mannschaftsfahrung des Bergeschachts wurde fast völlig ein- gestellt. Die Belegschaft fuhr nun vor allem durch den Richtschacht ein.

Mitte der 1930er Jahre durchtrennte das neue Erzaufbereitungsgebäude die Gabelstrecke, so dass von ihr nur ein nördlicher und ein südlicher Strecken- stummel übrig blieben (s. Abb. 48 und 49). 1935 wurde die alte Mannschafts- kaue abgerissen und durch die neue ersetzt, die heute für die Museumsbe- sucher als Veranstaltungs- und Sonder- ausstellungsgebäude genutzt wird. Als Verbindung zwischen Richtschacht und Bergeschacht dienten nun ausschließ- lich das Gleis auf der Werkstraße und das neue Mundloch der Bergeschacht- strecke.

Abb. 48: Gabelstrecke heute. Riss-Skizze

Ein Dach dient als Kopfschutz. Die- se Wagen ähnelten den im Oberharz üblichen Mannschaftswagen, die heute in Clausthal-Zellerfeld für Besucher des Ottiliae-Schachtes verwendet wer- den.

Die für die 1920er Jahre geplante zahlenmäßige Entwicklung der Mann- schaftsfahrung zum Bergeschacht trat jedoch nicht ein. Die Weltwirt- schaftskrise und die langsame und nur Abb. 49: Gabelstrecke Reste der Aus- schwache wirtschaftliche Erholung baumauerung in der Eindickerebene der Anfang der 1930er Jahre machte auch Aufbereitungsanlage. Foto Peter Mühr dem Erzbergwerk Rammelsberg zu 2007 48 Gelenbeeker Stollen

Eine besondere Bedeutung erlangte die Gabelstrecke noch einmal 1939, als ihr nördlicher Teil als Luftschutz- bunker umgebaut wurde (s. Abb. 48). Der Abzweig von der Bergeschacht- in die Gabelstrecke liegt nur weni- ge Meter hinter dem Mundloch der Bergeschachtstrecke, so dass der Luft- schutzbunker schnell von übertage aus erreichbar war. Bis heute sind die Luft- schutztüren und andere Betoneinbauten erhalten geblieben.

Auch nach dem Krieg diente die Gabelstrecke noch einmal Luftschutz- zwecken. Sie erhielt im Zusammenhang Abb. 50: Gelenbeeker Stollen. Riss- und mit der Eskalation des Kalten Krieges Schnittskizze Anfang der 1970er Jahre in ihrem süd- lichen Bereich eine Luftschutzwarn- Pferdefuhrwerken durchgeführt wor- stelle. Mit dem dort installierten Emp- den. Der kriegsbedingte Pferdemangel fänger konnte der Kontakt zu den Luft- bewog die Werksleitung, die Erzbeliefe- warnzentralen aufrechterhalten werden, rung der Hüttenbetriebe auf einen gleis- auch wenn das sonst wegen Kriegsein- gebunden Transport mit Loks und Erz- wirkungen oder zu hoher Radioaktivität transportwagen umzustellen. Die eigens der Außenluft nicht mehr möglich sein dafür 1916/17 vom Werksbahnhof des sollte. Empfangen werden sollten für Rammelsbergs nach Oker neu gebaute die Leute im Luftschutzbunker Anga- Gleis-Trasse war allerdings teilweise ben über die radioaktive Verseuchung recht steil geraten und bereitete deshalb der Tagesoberfläche. Dieser Raum ist erhebliche Schwierigkeiten. einschließlich seiner Ausrüstung erhal- ten geblieben. Der Zugang von der 1919 bis 1927 entstand deshalb als Tagesförderstrecke in die nördliche Ersatz des steilsten Trassenabschnitts Gabelstrecke ist mit einer Stahltür ver- ein Tunnel zwischen dem Werksbahn- schlossen. hof und dem Bollrich, der etwa 2,3 km lange Gelenbeeker Stollen (s. Abb. 50). Gelenbeeker Stollen Benannt ist er nach dem Bach, der im (ursprünglich Gelmketalstollen, später östlich an den Rammelsberg anschlie- auch Gelenbecker, oder Gelenbeker ßenden Gelmketal fließt, dem - Stollen) bach. Dieser Bach wurde früher auch als Gelenbeek bezeichnet. Der Transport der gewonnenen Erze vom Rammelsberg zu den Hüttenbetrie- Die Auffahrung des Gelenbeeker ben war bis zum Ersten Weltkrieg mit Stollens bereitete im östlichen Bereich 49 Gelenbeeker Stollen

Der Gelenbeeker Stollen hatte ursprünglich zwei Lichtlöcher, ein 24 m hohes, 190 m vom Stollenmundloch Bollrich entfernt und ein 15 m hohes, das sich 90 m vom Mundloch Ram- melsberg befand. Letzteres ist jedoch nach der Einstellung des Dampflokbe- triebes verfüllt worden.

Rund 1,1 km vom Stollenmund- loch Rammelsberg entfernt zweigt ein Querschlag vom Gelenbeeker Stollen ab und verbindet ihn mit den darunter liegenden Sohlen der Bergesfahrt und des Tiefen Julius Fortunatusstollens.

Das westliche Mundloch des Gelen- beeker Stollens liegt unmittelbar am Unteren Werkshof (s. Abb. 50). Dort befand sich bis zur Mitte der 1930er Jahre ein großes Erzfreilager (s. Abb. 98). Auf hölzerne Rampen gebaute Gleise führten aus der 1910 in Betrieb gegangenen Sieb- und Klas- sieranlage vom Oberen zum Unteren Werkshof. Eine Seilzugvorrichtung zog Abb. 51: Gelenbeeker Stollen. Riss-Skizze die erzgefüllten Förderwagen auf die Rampen des Unteren Werkshofs, von große Probleme, weil das Gebirge dort denen das Erz abgekippt werden konn- ungewöhnlich stark gestört und des- te. Ursprünglich wurde dort das Erz auf halb gebräch ist. Pferdefuhrwerke verladen, seit 1917 aber auf Waggons, die von Benzolloks Der Gelenbeeker Stollen ist eigent- und später von Dampfloks nach Oker lich kein Stollen, sondern ein Tunnel, zu den Hüttenbetrieben gebracht wur- denn er hat an seinen beiden Endpunk- den (vgl. Kap. „Tagesförderstrecke“). ten jeweils ein Mundloch (s. Abb. 52 und 53). Trotzdem soll er hier wei- Die im Gelenbeeker Stollen einge- terhin als Stollen bezeichnet werden. setzten Dampfloks verursachten dort Seine Neigung beträgt 1:200. Das ent- ein Wetterproblem. Sie durften des- spricht einer Höhendifferenz von fast halb während der Fahrt nicht gefeuert 12 m. Die Abkürzung der Wegstrecke werden. Damit sollte verhindert wer- gegenüber der übertägigen Bahntrasse den, dass die Rauchschwaden zu stark beträgt 600 m. und der Sauerstoffgehalt der Wetter zu 50 Gelenbeeker Stollen

den Hüttenbetrieben. Ab 1938 war auch eine Diesellok im Gelenbeeker Stollen eingesetzt, vor allem als Reserve für den Fall, dass die Oberleitungslok nicht fahrbereit oder die Oberleitung defekt ist.

Anfangs waren die Waggons noch nicht wie später üblich mit Bremsen versehen, die von der Lok aus gesteuert werden konnten. Die Bremsen der Lok Abb. 52: Gelenbeeker Stollen, Mund- schafften es jedoch auf dem abschüs- loch am Werksbahnhof Rammelsberg, sigen Trassenabschnitt vom Bollrich heutiger Zustand, Aufnahme des Ver- nach Oker nicht, den gesamten Zug fassers genügend stark zu bremsen. Deshalb fuhren auf den Waggons Bremser mit, gering werden. Die Luftzufuhrklap- die von Hand die Waggonbremsen pen der Kesselfeuerung mussten dafür bedienten. Im Gelenbeeker Stollen wur- geschlossen werden. Nicht so einfach den sie nicht gebraucht und fuhren des- zu beherrschen war der entstehende halb vom Werksbahnhof Rammelsberg Abdampf. Die Loks hatten keinen Kon- bis zum Bollrich in einem geschlos- densator, der ihn hätte niederschla- senen Waggon mit. Erst dort stiegen sie gen können. Im Stollen bildete sich auf die Plattformen der Wagen um. deshalb bei jeder Fahrt eine dichte Dampfwolke, die erst wieder abziehen Der große Umbau der Rammelsber- musste, bevor eine erneute Durchfahrt ger Tagesanlagen, der Ende der 1930er möglich war. Bergamtlich war der zeit- Jahre stattgefunden hatte, berührte den liche Abstand mit mindestens einer Gelenbeeker Stollen kaum. Transpor- halben Stunde vorgeschrieben. Eine Durchfahrt mit der Dampflok dauerte 18 Minuten.

Bereits 1929 erfolgte die Umrüstung des Gelenbeeker Stollens auf einen Betrieb mit elektrischen Fahrdrahtloks. Die dafür benötigte Oberleitung führt vom Werksbahnhof bis zum Bahn- hof Bollrich. Am östlichen Mundloch endete die Oberleitung hinter dem übertägigen Bahnhof. Dort übernah- men Dampfloks und ab der zweiten Abb. 53: Gelenbeeker Stollen, Mund- Hälfte des 20. Jahrhunderts Dieselloks loch am Werksbahnhof Bollrich, heuti- die Konzentratzüge und brachten sie zu ger Zustand, Aufnahme des Verfassers 51 Haus Schulenburger Suchort

tiert wurden jetzt allerdings nicht mehr dungsstrecke von der Bergeschacht- nur sortierte Erze, sondern fein gemah- strecke zum Gelenbeeker Stollen. lene Erzkonzentrate aus der Flotation. Nach seiner Außerdienststellung wird Die Konzentrattransportwagen hat- er zusammen mit dem Werksbahnhof ten eine bis dahin für den Rammelsberg und der Konzentratverladung eine untypische Form: abnehmbare Mulden, wichtige untertägige Erweiterungsmög- die in der Verladehalle am Bollrich lichkeit unseres Museums sein. mit einer speziellen Vorrichtung vom 600 mm-Schmalspur-Wagenchassis Haus Schulenburger Suchort gehoben und auf Bundesbahn-Normal- (Grube Brauner Hirsch) spur-Chassis gesetzt werden konnten. Die Wagen waren im Gegensatz zu Das Haus Schulenburger Suchort ist ihren Vorgängermodellen mit Bremsen eine Grube, die zur Erkundung des Wei- ausgestattet, die sich von der Lok aus ße Hirscher Erzgangs angelegt worden steuern ließen.

Auch die ab 1951 zusätzlich zur Förderung von Lagererzen begon- nene umfangreiche Banderzförderung brachte für den Gelenbeeker Stollen keine wesentlichen baulichen Verände- rungen. Unmittelbar vor seinem Boll- rich-Mundloch war jedoch ein neuer Gebäudekomplex errichtet worden, ausschließlich für die Aufbereitung von Banderzen, die nun in speziellen Band­ erzwagen transportiert wurden.

Mit der Einstellung der Erzförderung im Jahre 1988 endeten auch die Trans- portaufgaben des Gelenbeeker Stol- lens. Heute dient er der Grubenwasser- leitung zur Neutralisationsanlage am Bollrich. Eine Rohrleitung führt von den Pumpen im Turbinenschacht durch zwei eigens dafür angelegte parallele Bohrlöcher zur Gabelstrecke und von dort zur Bergeschachtstrecke. Zusam- men mit der Wasserleitung von der untertägigen Wassersammelstelle der Schiefermühle führt sie durch die Mitte Abb. 54: Haus Schulenburger Suchort. der 1990er Jahre aufgefahrene Verbin- Riss- und Schnittskizze 52 Herzberger Suchort

würdige Erze anzutreffen, erfüllte sich jedoch nicht. 1715 wurde der Vortrieb in diesem Querschlag eingestellt.

Gleichzeitig war mit dem Stollen ein weiterer kleiner Erzgang angetroffen worden. Dieser Gang wurde mit einem zweiten Querschlag untersucht, wie- derum erfolglos. 1717 waren nur noch Abb. 55: Haus Schulenburger Suchort. vier Bergleute im Haus Schulenburger Riss-Skizze Suchort beschäftigt und 1723 wurde es endgültig eingestellt. Es hatte eine war. Diese Grube besteht aus einem Gesamtlänge von etwa 352 m erreicht etwa 300 m langen Stollen mit Stollen- halde und zwei Querschlägen von etwa Herzberger Suchort 35 und 100 m Länge, die im hinteren Stollenabschnitt von der Stollenachse Das Herzberger Suchort wurde 1685 abzweigen (s. Abb. 54 und 55). Das am südwestlichen Dammfuß des Herz- Mundloch befand sich am Nordhang berger Teichdamms unmittelbar neben des Herzbergs, etwa auf halber Ber- der Ausflut angesetzt (s. Abb. 56 und geshöhe. Es ist heute verbrochen und 57). Es hatte das Ziel, den Weiße kaum noch im Gelände erkennbar. Nur Hirscher Erzgang zu verfolgen und zwei rechteckig gemauerte Wasserfas- möglichst für einen Abbau auszurich- sungen mit Stahldeckel erinnern noch ten (s. Abb. 58). Im Jahre 1688 ist an die ungefähre Lage (s. Abb. 18). versucht worden, die großen Wetter- probleme mit Blasebälgen zu beheben. Begonnen wurde der Stollenvortrieb Im Jahre 1700 war der Stollen 140 m 1696 mit zwei Gedingnehmern. Eigen- lang. 1706 hatte er eine Länge von tümer der Grube war eine Investoren- 200 m erreicht und ein nach rechts gruppe. 1709 arbeiteten zwei Mann abzweigendes Flügelort eine Länge an der Ortsbrust und zwei Mann nah- von 30 m (s. Abb. 60). men die Sohle nach. Pro Woche ver- brauchten sie für das „Sohle-Nach- Bis 1712 waren insgesamt 306 m schießen“ sechs Pfund Sprengpulver. Stollen aufgefahren, jedoch ohne bau- Ihr Gedinge betrug pro Quartal bis zu würdige Erze gefunden zu haben. Der 9,5 m. 1712 wurde in einem kleinen Stollenvortrieb wurde im Jahre 1712 Gang ein wenig Kupfer- und Silber- vorerst eingestellt (s. Abb. 59) und erst erz gefunden und die Belegschaftszahl 1733 wieder aufgenommen, um dann da­raufhin auf sechs Mann erhöht. aber bei einer Gesamtlänge von 415 m endgültig aufgegeben zu werden. 1714 war der Stollen bereits über 250 m lang und der erste Querschlag Die Stollenhöhe beträgt etwa zwei über 40 m. Die Hoffnung, hier bau- Meter und die Stollenbreite einen Meter. 53 Herzberger Suchort

Abb. 58: Herzberger Suchort, Flügel­ ort, Neigung entspricht dem Einfallen des Weiße HirscherGangs. Foto Peter Mühr 2007

Abb. 56: Herzberger Suchort. Riss- und Schnittskizze

Abb. 59: Herzberger Suchort, Inschrift im Stollen, unten mit Hervorhebung durch den Verfasser. Foto Peter Mühr 2007

Das Herzberger Suchort ist heute kurz Abb. 57: Herzberger Suchort, Mund- hinter seinem Mundloch mit einer Mau- loch, heute, Aufnahme des Verfassers er verschlossen. Dahinter hatte sich in 54 Kabelstollen, Karbidstollen

bereitungsanlage, besonders aber das heute als Besuchereingang benutzte Eindickergebäude, schnitten diesen Stollen ab. Übrig geblieben ist von ihm nur noch ein kurzer Stummel, der von der Tagesförderstrecke unmittelbar hinter ihrem Mundloch zum so genann- ten Zementbunker abzweigt.

Abb. 60: Herzberger Suchort. Riss- Skizze den vergangenen Jahren Wasser bis zur Maueroberkante angestaut.

Das Herzberger Suchort bietet kaum attraktive Möglichkeiten für eine muse- ale Nutzung. Es hat auch keine Verbin- Abb. 61: Kabelstollen. Riss-Skizze dung zu anderen Grubenräumen, so dass es nicht über den für einen Besu- Karbidstollen cherbetrieb geforderten zweiten Aus- gang verfügt und zudem Probleme mit In der ersten Hälfte des 20. Jahr- der Wetterführung entstehen würden. hunderts war die Karbidlampe das typische Geleucht der Rammelsberger Kabelstollen Bergleute. Dementsprechend hoch war der Karbidverbrauch. Die Karbidfässer Der Kabelstollen, ursprünglich auch wurden ursprünglich in der Lampen- Kabelstrecke oder Kabel- und Rohr- stube gelagert, die heute die Muse- strecke genannt, hatte die Aufgabe, umsausstellung zum bergmännischen die Elektrokabel und Druckluftleitung Geleucht beherbergt. sicher vom Keller der 1905 errichteten Energiezentrale zur Tagesförderstrecke Ende der 1930er Jahre wurde vom zu führen (s. Abb. 61). Die Mitte bis Bergamt auf die Gefährlichkeit dieser Ende der 1930er Jahre gebaute Erzauf- Lagerhaltung hingewiesen und auf eine 55 Karbidstollen

aufgrund ihrer geringen Attraktivität keinen besonderen Schutz vor Dieb- stahl erfordern.

Abb. 63: Karbidstollen, Mundloch, heutiger Zustand, Aufnahme des Ver- fassers

Kinderthaler Ort Abb. 62: Karbidstollen. Riss-Skizze Die Gangerzvorkommen des Gegen- sicherere Unterbringung der Karbid- tal-Wittenberg-Ecksberger Gangzuges vorräte gedrängt. Die Betriebsleitung sind im Rammelsberg und seiner ließ daraufhin am nördlichen Ende der Umgebung aufgesplittert in mehrere Werkstraße den Karbidstollen auffah- parallele Erzgänge. Besonders bekannt ren (s. Abb. 62 und 63). Die Vortriebs- geworden sind davon der Weiße arbeiten verrichteten Berglehrlinge. Hirscher Gang und der Kinderthaler Gang. Letzterer ist ab 1841 näher durch Anfang der 1960er Jahre erhielten einen Stollen untersucht worden, der alle Rammelsberger Bergleute elek- als Kinderthaler Ort bezeichnet wird trische Kopflampen, so dass kaum noch (s. Abb. 64, 65 und 66). Er hat eine Karbid benötigt wurde. Der Karbid­ Länge von 193 m erreicht, wovon stollen verlor damit seine ursprüng- heute die hinteren 80 m nicht mehr liche Funktion. Heute wird der Kar- befahrbar sind. Die Stollenhöhe beträgt bidstollen vom Museum als Lagerraum zwei Meter und die Stollenbreite einen für derbe und schwere Erze genutzt, die Meter. 56 Kinderthaler Ort

Abb. 66: Kinderthaler Ort. Riss-Skizze

Bauwürdige Erze sind nicht ange- troffen worden. Dafür hat sich die Menge und Qualität des zulaufenden Wassers als sehr gut für die Trinkwas- serversorgung nutzbar erwiesen. Das Abb. 64: Kinderthaler Ort. Riss- und Kinderthaler Ort ist deshalb mit einer Schnittskizze kleinen im Stollen gebauten Mau- er und einer Rohrleitung versehen worden, durch die das Wasser durch das Gefälle selbständig zum weiter abwärts im Tal gelegenen Vorratsbe- hälter gelangt (s. Kap. „Wasserreser- voir“). Mit Trinkwasser versorgt wur- den nicht nur das Bergwerk, sondern auch die Wohnhäuser an der oberen Rammelsberger Straße. Erst Mitte der 1990er Jahre erhielten diese Wohn- häuser und das Bergbaumuseum einen Anschluss an das städtische Trinkwas- sernetz. Abb. 65: Kinderthaler Ort, Mundloch, heutiger Zustand, Aufnahme des Ver- fassers

57 Konzentratverladung

Konzentratverladung ermöglichte einen deutlich größeren (in den Akten auch Verladebahnhof, Gleisbogenradius. Untergrundbahnhof oder U-Bahnhof )

Das Erzaufbereitungsgebäude, das in den 1930er Jahren erbaut worden war, wurde von den aufzubereitenden Erzen von oben nach unten durch- laufen. Herzstück dieser Aufbereitung war eine Flotationsanlage. Der letzte Aufbereitungsschritt, das Trocknen der Erzkonzentrate mittels Vakuumtrom- melfiltern, erfolgte auf dem Höhenni- veau der Werkstraße. Die getrockneten Konzentrate fielen von den Filtern auf Schurren, die diese abwärts in die Kon- zentratverladung, die auch U-Bahnhof genannt wurde, leiteten.

In der Konzentratverladung sind Gleise mit 600 mm Spurweite und schwerem Schienenprofil verlegt. Sie führen auf den Unteren Werksbahnhof. Die beiden Stollenmundlöcher befin- den sich am Unteren Werksbahnhof (s. Abb. 67, 68 und 69).

Das südliche Mundloch ist das ursprüngliche. Sein auf den Werks- bahnhof führender Gleisbogen hatte einen relativ kleinen Radius. Das laute Quietschen der Wagen beim Durchfah- ren der Kurve belästigte die Anwohner erheblich. Versuche mit einer Gleis- befeuchtungsanlage blieben erfolg- los. Deshalb wurde 1954 ein neues Mundloch wenige Meter nördlich vom ursprünglichen Mundloch angelegt. Es

Abb. 67: Konzentratverladung/Unter- grundbahnhof unter dem Erzaufberei- tungsgebäude. Riss- und Schnittskizze heutiger Zustand

58 Konzentratverladung

als Meliert­erzstrecke bezeichnet, weil im hinteren Bereich Rolllöcher ende- ten, durch die ursprünglich Melierterz unterhalb der Vorbrecher und Lese- bänder abgezogen werden konnte. Ab 1951 wurde die Rolllöcher umgenutzt für die Banderzverladung.­ Melierterze­ sind besonders kupferreiche Erze und Banderze Wechsellagerungen von Schiefer und Erz.

Die beiden Rolllöcher begannen in der von oben gerechnet zweiten Etage des Aufbereitungsgebäudes, der Bre- cher-Ebene (vgl. Kap. „Zugangsstollen zu den Banderzrollen“). Die Melier- terze bzw. später die Banderze durch- liefen nicht alle Aufbereitungsschritte. Die Meliert­erze wurden bis 1941 nach der Vorzerkleinerung auf Lesebändern manuell aussortiert und in die Roll- löcher gegeben. Aus den in der Kon- zentratverladung endenden Abzugsvor- richtungen der Rolllöcher konnten die Kupfererze in Transportwagen gefüllt werden. In den ersten Jahren nach Inbe- Abb. 68: Konzentratverladung/Unter- triebnahme der Aufbereitung durchlie- grundbahnhof unter dem Erzaufberei- fen nur die Blei-Zink-Erze die weiteren tungsgebäude. Riss-Skizze Aufbereitungsschritte Mahlung und Flotation. Erst ab 1941 war es mög- Unter dem Eingang des Erzaufberei- lich, auch Kupfererzkonzentrate durch tungsgebäudes, durch den man seitlich Flotation herzustellen und die Hand- vom Schrägaufzug zu den Vakuum- klaubung der Kupfererze einzustellen. trommelfiltern gehen kann, führt eine Band­erze lieferte der Grubenbetrieb ab Treppe vom Werkstraßenniveau hinab 1951 getrennt von den anderen Erzen zur Konzentratverladung. in die Aufbereitung.

Die eigentliche Konzentratverla- Insgesamt hat der U-Bahnhof eine dung befindet sich im westlichen Teil Länge von 360 m und endet wieder des Stollens. Dieser Stollenabschnitt an der Verzweigung. Auf diese Art ist 90 m lang und bildet eine Seite wäre es eigentlich möglich, Züge ohne des fast quadratischen Stollengrund- Rangierarbeiten in der Konzentratver- risses. Die anderen drei Seiten wurden ladung im Kreise zu fahren, dabei zu 59 Konzentratverladung

Dampf- bzw. ab den 1960er Jahren Dieselloks übernahmen die Normal- spurzüge dort und brachten sie zu den Hütten in Oker.

Der Konzentratverladung ist im vor- deren Bereich in der Art eines Indust­ riegebäude-Kellergeschosses gebaut. Im weiteren Verlauf der Melierterzstre- cke steht der Stollen im recht stand- festen Schiefer. Dort ist der Stollen Abb. 69: Konzentratverladung unter bergmännisch aufgefahren worden. dem Erzaufbereitungsgebäude. Heuti- ger Zustand, Aufnahme des Verfassers. Aus dem hinteren Teil der Meliert­ Links: großes Tor des neuen Mund- erzstrecke, der parallel zur eigent- lochs. Rechts: kleinere Tür. Dort lag lichen Konzentratverladung liegt, führt etwa das ursprüngliche Mundloch. eine Treppe hinauf zum Füllort des Rammelsbergschachtes, Höhenniveau beladen und ohne Umspannen der Lok Tagesförderstrecke/Werkstraße. auch wieder aus der Konzentratverla- dung heraus zu fahren. Die Bauhöhe Heute befindet sich im Bereich der Loks war dafür allerdings zu groß der ehemaligen Konzentratverladung bzw. die lichte Durchfahrhöhe unter das so genannte Technikum, in dem den Beladeeinrichtungen zu klein. bis vor wenigen Jahren Versuche zur Außerdem waren die Oberleitungsloks hydraulischen Förderung durchgeführt für mittig angeordnete Oberleitungen worden sind. Diese Versuche betrafen ausgelegt. Das ließ sich aber nicht mit Messungen des hydraulischen Trans- der von oben erfolgenden Wagenbela- ports von Pumpversatz in Rohrlei- dung vereinbaren. So musste im Verla- tungen. Es ist dadurch nicht zu grö- debereich mit Dieselloks und Druck- ßeren baulichen Veränderungen des lufthaspeln rangiert werden. ursprünglichen Bauzustandes gekom- men. Die Diesel- und später Akkuloks zogen die Konzentratzüge aus der Nach Übergabe dieses Stollens an Konzentratverladung nach übertage unser Museum wird die Konzentrat­ auf den Unteren Werksbahnhof. Ober- verladung einschließlich des Wagen­ leitungsloks zogen die dort zusam- umlaufs für museale Nutzungen men gestellten Konzentratzüge durch interessant, zum Beispiel für einen den Gelenbeeker Stollen zum Boll- erweiterten Besucherbahnbetrieb in rich. Dort wurden die Mulden der Zusammenhang mit dem übertägigen Konzentratwagen von den 600mm- Werksbahnhof, dem Gelenbeeker Stol- Schmalspur-Unterwagen auf Bundes- len und vielleicht sogar der Berge- bahn-Normalspur-Unterwagen gesetzt. schachtstrecke. 60 Luftschutzstollen

Luftschutzstollen am unteren Ende der Rammelsberger Straße

1943/44 entstanden am südwestli- chen Stadtrand der Goslarer Altstadt drei Luftschutzstollen. Einer davon befindet sich am Fuße des Rammels- bergs (s. Abb. 70 und 71). Tatsächlich genutzt werden musste er glücklicher

Abb. 71: Luftschutzstollen am unte- ren Ende der Rammelsberger Straße, Mundloch, heutiger Zustand, Aufnahme des Verfassers

Weise nicht. Goslar blieb von Luftan- griffen fast völlig verschont.

Als Zugänge hatte der Stollen ein Mundloch und einen kleinen Schacht. Komplettiert wurde der Stollen durch ein übertage auf dem Schacht stehen- des stählernes Gerüst, das den Blick auf Goslar ermöglichte (s. Abb. 72). Im Stollen war im Bedarfsfall die Kreisstelle des Luftschutzes unterge- bracht.

Anfang der 1970er Jahre wurden die westdeutschen Luftschutzstollen wegen der Eskalation des Kalten Abb. 70: Luftschutzstollen am unteren Krieges reaktiviert. Damals ist auch Ende der Rammelsberger Straße. Riss- der Luftschutzstollen an der Ram- und Schnittskizze melsberger Straße überholt worden. 61 Luftschutzstollen

Oberer Hängebankstollen

Ein Teil des heute zum Oberen Hän- gebankstollen gezählten Bereichs, die so genannte Schiefermühlenstrecke, entstand bereits Ende der 1930er Jahre im Zusammenhang mit dem Bau der Erzaufbereitungsanlage. Dieser heute nur noch recht kurze Tunnel verbindet den Wagenumlauf der Hängebank vom Rammelsbergschacht mit der Schie- Abb. 72: Luftschutzstollen am unte- fermühle (s. Abb. 73 und 74). Damit ren Ende der Rammelsberger Straße. war es möglich, auch den Rammels- Südwestlich vom Mundloch ein kleiner bergschacht für den Schiefertransport Schacht. Riss-Skizze aus dem Streckenvortrieb der tieferen Sohlen zu nutzen und den Schiefer in Ende der 1980er Jahre befasste sich die Schiefermühle zu verstürzen. eine Schülerarbeit mit der Idee, aus diesem Stollen ein Parkhaus für Besu- cher der Altstadt zu entwickeln. Das dabei anfallende Haufwerk sollte zur böschungsstabilisierenden Verfüllung des Tagebaus Schiefermühle verwen- det werden.

Diese Idee bekam durch die Eröff- nung des Rammelsberger Bergbau- museums eine neue Perspektive, denn eine untertägige Verbindung eines Parkhauses mit dem Grubengebäu- Abb. 73: Oberer Hängebankstollen, de des ehemaligen Erzbergwerks lag Mundloch Schiefermühlenstrecke, heu- nahe. Dann wäre nicht nur die Park- tiger Zustand, Aufnahme des Verfassers platzsituation des Museums verbes- sert worden, sondern eine überaus Das bergseitige Mundloch des Tun- attraktive Zugangssituation für die nels liegt in der oberen Sohle der Schie- Museumsbesucher entstanden. Das fermühle (s. Abb. 73). Davor wurde Projekt fand jedoch nicht die dafür eine Kippstelle für Versatztransportwa- notwendige Unterstützung und Finan- gen eingerichtet, so dass der Schiefer zierungsmöglichkeit. von dort zur Versatzgewinnung auf den tieferen Steinbruchsohlen abgekippt 1979 ist der gesamte Stollen durch werden konnte. Mit der Aufweitung die Firma Feldhaus und Söhne mit des Tagebaus Schiefermühle wurde die Beton verfüllt worden. Schiefermühlenstrecke immer kürzer. 62 Oberer Hängebankstollen

„Rammelsberg-(schacht)-projekt“ ein „Richtschachtprojekt“ folgen zu las- sen, bei dem der Richtschacht Mitte bis Ende der 1940er Jahre bis zur 15. Sohle weiter geteuft und dann als Hauptför- derschacht genutzt wird.

Der 1910 in Betrieb genommene Richtschacht ist ein Blindschacht. Er hatte nur im Höhenniveau Tagesförder- strecke eine Verbindung nach übertage und zwar zur 1910 erbauten Erzauf- bereitungsanlage und zur Werkstraße (s. Kap. „Tagesförderstrecke“). Die in den 1930er Jahren erbaute Erzaufbe- Abb. 74: Oberer Hängebankstollen mit reitungsanlage bekam zwar ihren eige- Schiefermühlenstrecke und Mundloch nen neuen Hauptförderschacht, den Schiefermühle. Riss-Skizze Rammelsbergschacht, sollte aber in späteren Jahren hauptsächlich durch Das heutige Mundloch stammt des- den Richtschacht mit Erz beliefert halb nicht aus der Zeit der Auffahrung werden. Vorerst gab es jedoch nur der Schiefermühlenstrecke, sondern ist die Möglichkeit, die Erze vom Richt- etwa dreißig Jahre jünger. schacht durch die Tagesförderstrecke bis auf die Werkstraße zu fördern und Der Einkürzung der Schiefermüh- von dort über den Schrägaufzug des lenstrecke fiel 1966 auch der Loklade- Erzaufbereitungsgebäudes zum Wagen­ raum zum Opfer, der sich seitlich an umlauf bzw. zur Brechereinlaufebene der Schiefermühlenstrecke befunden hatte. Der Lokladeraum wurde deshalb in den Bereich des talseitigen Mund- lochs der Schiefermühlenstrecke in den Wagenumlauf verlegt (s. Abb. 75).

Der eigentliche Obere Hängebank- stollen wurde 1941 bis 1944 aufge- fahren. Seine Aufgabe war die direkte Verbindung zwischen dem Richt- schacht und der oberen Etage der damals neuen Erzaufbereitungsanlage. Abb. 75: Oberer Hängebankstollen, Dem Richtschacht war ursprünglich Schiefermühlenstrecke, Mundloch im eine zentrale Rolle in der Erzförde- Wagenumlaufgebäude Rammelsberg- rung des gesamten Grubengebäudes schacht. Links: Umfahrung um den zugedacht gewesen. Geplant war, dem Schacht. Foto Peter Mühr 2007 63 Oberer Hängebankstollen

Anfang der 1940er Jahre war zwar noch nicht absehbar, wie weit sich die Erzkörper nach der Teufe erstrecken. Trotzdem sollten aber schon mit dem Bau des Oberen Hängebankstollens die Vorbereitungen des Richtschachtpro- jektes begonnen werden. Der Ansatz- punkt des Oberen Hängebankstollens liegt am südwestlichen Mundloch der Schiefermühlenstrecke. Die Förderwa- gen des Stollenvortriebs wurden bis zu einer gewissen Stollenlänge mit einem

Abb. 76: Oberer Hängebankstollen. Riss- und Schnittskizze

der Erzaufbereitung. Das war aber zu kompliziert und zu aufwändig (s. Abb. 77). Deshalb musste eine ein- fachere Verbindung vom Richtschacht zum Erzaufbereitungsgebäude herge- stellt werden. Dafür wurde der Richt- schacht Anfang der 1940er Jahre weiter hoch gebrochen bis zum Höhenniveau o. g. Brechereinläufe des neuen Auf- bereitungsgebäudes. Dort befand sich nun seine „Obere Hängebank“. Und die wurde vom Oberen Hängebank- Abb. 77: Oberer Hängebankstollen, stollen mit dem neuen Erzaufberei- Förderung vom Richtschacht durch die tungsgebäude verbunden (s. Abb. 76 Richtschachtstrecke in die neue Aufbe- und 78). reitungsanlage bis 1945. Riss-Skizze 64 Oberer Hängebankstollen

Haspel nach übertage gezogen. Der Förderweg hatte dann allerdings bereits eine zu große Länge erreicht. 1941 wurde der Haspel deshalb abgewor- fen. An den Einsatz von Förderleuten zum Schieben der Förderwagen war aufgrund des kriegsbedingten Arbeits- kräftemangels nicht zu denken. Die Förderung übernahm eine Diesellok. Die Stollenbewetterung erfolgte durch eine Luttenleitung.

Die alte Richtschacht-Fördermaschi- Abb. 78: Oberen Hängebankstollen, ne, die sich im Höhenniveau der Tages- Mundloch im Wagenumlaufgebäude förderstrecke befunden hatte, wurde Rammelsbergschacht. Foto Peter Mühr nach Fertigstellung der neuen auf dem 2007 Höhenniveau des Oberen Hängebank- stollens eingebauten Fördermaschine halten. Das Bestreben ging dahin, abgeworfen. wenigstens einen Stollenquerschnitt zu erhalten, der den Transport der sper- Im Oberen Hängebankstollen hat rigen Ersatzteile für die Richtschacht- jedoch nie eine Erzförderung größe- Fördermaschine ermöglichte. Regel- ren Umfangs stattgefunden. Unter der mäßig wurde deshalb der verbliebene 12. Sohle gab es kaum noch Erze. Stollenquerschnitt mit einer eigens Das Richtschachtprojekt ist deshalb dafür angefertigten Schablone gemes- nur teilweise umgesetzt worden und sen und gegebenenfalls die notwendige der Richtschacht hat nicht die Rolle des lichte Weite wieder hergestellt. Hauptförderschachtes übernommen. In den 1960er Jahren wurde die Aus- Außerdem hatte der Obere Hänge- und Vorrichtung für den Abbau der bankstollen wie die Tagesförder­strecke tieferen Sohlen des Neuen Lagers ver- große Standsicherheitsprobleme. Auch stärkt betrieben. Der dabei anfallende er befand sich über den Altbergbau- Schiefer konnte durch den Richtschacht bereichen des Alten Lagers. Und die und den Oberen Hängebankstollen zur machten sich auch beim Oberen Hän- Schiefermühle transportiert werden. gebankstollen in Form erheblicher Aber auch diese Möglichkeit wurde Setzungen bemerkbar. Der mittlere kaum genutzt. Stollenbereich senkte sich im Laufe der Jahre um etwa zwei Meter. Der 2007 ist der Obere Hängebankstollen Gebirgsdruck, der auf dem Stollenaus- verbrochen. Er soll jedoch wieder für bau lastete, wurde dadurch sehr stark. den Richtschacht als Wetterweg und als Trotz großen Aufwands ließ sich der zweiter Fluchtweg aufgewältigt wer- Obere Hängebankstollen kaum offen den. 65 Pferdetränke

Pferdetränke (Stollen zum Flachen Schacht)

Südwestlich vom oberen Ende der heutigen Gleitschirmflieger-Lande- wiese befindet sich in der scharfen Kurve der Straße zum Maltermeis- terturm ein Autoparkplatz. Er war ursprünglich ein flacher Steinbruch. Der dort abgebaute Schiefer fand untertage als Versatzmaterial Ver- wendung. Nur wenige Meter entfernt Abb. 80: Pferdetränke, Mundloch, heuti- auf der anderen Seite der heutigen ger Zustand, Aufnahme des Verfassers Straße liegt der Flache Schacht, in den der Schiefer gestürzt wurde. Der Das Stollenmundloch liegt in der Schiefer gelangte durch einen kurzen südöstlichen Böschung des Schiefer- Stollen vom Schiefersteinbruch zum bruchs. Die Böschungshöhe beträgt Flachen Schacht (s. Abb. 79 und Kap. dort nur etwa vier Meter und ist im „Stollen für den Versatz- und Mate- restlichen Steinbruch noch geringer. rialtransport“). Das Mundloch dieses Über den Stollen hinweg ist die Straße Stollens wird heute als Pferdetränke zum Maltermeisterturm gelegt wor- bezeichnet. Das deutet darauf hin, den. Die Überdeckung beträgt nur zwei dass das Wasser, das aus diesem Stol- Meter. Der Stollen ist kurz hinter dem len gelaufen war, zum Tränken der Mundloch abgemauert und dahinter Pferde benutzt worden war, die bis mit Haufwerk verfüllt worden, ver- zum Ersten Weltkrieg die Erzfuhr- mutlich bei einer Straßensanierung aus werke gezogen hatten (s. Abb. 80). Gründen der Stabilität der Straße. Auf eine ehemalige Wasserfassung deutet heute nichts mehr hin. Das Mundloch hat keine erkennbare Wasserrösche und ist weitgehend trocken.

Rathstiefster Stollen (zwischenzeitlich „Oberer Julius For- tunatusstollen“ oder „Oberer Stollen“ genannt)

Der Rathstiefste Stollen ist neben dem Röderstollen der berühmteste Stollen des Rammelsbergs. Er vereint auf sich mehrere Superlative. Der wichtigste ist, dass er der älteste noch funktionie- Abb. 79: Pferdetränke. Riss-Skizze rende Schlüsselstollen solcher Länge in 66 Rathstiefster Stollen

1271 als „agetucht de ut deme Ram- mesberge vlut“ erwähnt. Er könnte aber durchaus auch älter sein. Ältere schriftliche Hinweise sind allerdings bislang nicht bekannt. Auch aus der Form des Stollenquerschnitts ist sein Alter nicht bestimmbar. Der Ausbau ist immer wieder erneuert worden, wenn er baufällig wurde. Der Stollenquer- schnitt ist nur so breit, dass er für Kontrollbefahrungen durch den Stollen­ steiger und seine Bergleute ausreichte (s. Abb. 3).

Abb. 81: Rathstiefster Stollen. Riss- und Schnittskizze

Europa ist und möglicherweise sogar darüber hinaus. Deshalb ist er schon seit Jahrhunderten immer wieder Ziel von Besuchern des Rammelsbergs und seit einigen Jahren auch Teil eines speziellen Besucherrundgangs unseres Museums.

Das tatsächliche Alter des Rathstiefs- ten Stollens lässt sich heute nicht mehr Abb. 82: Rathstiefster Stollen. Riss- ermitteln. In den Akten ist er bereits Skizze 67 Rathstiefster Stollen

Die ältesten über die Belegschafts- stärke des Rathstiefsten Stollen Aus- kunft gebenden Bergamtsakten stam- men aus dem 17. Jahrhundert. Damals war es üblich, dass ein Kunststeiger die Aufsicht über eine von der Gru- benbelegschaft gesonderte Stollenbe- legschaft führte. Sie bestand aus einem Knecht und ein oder zwei Jungen. Zu ihren Aufgaben gehörte vor allem, die Wasserhaltungsmaschinen und alle zu- und ablaufenden Wasserläufe zu beauf- Abb. 83: Rathstiefster Stollen, Mund- sichtigen, zu warten und zu reparieren. loch, heutiger Zustand, Aufnahme des Unter Jungen sind Auszubildende zu Verfassers verstehen und unter Knechten Berg- leute, die ihre Lehrzeit hinter sich hat- Stollen verläuft geradlinig unter der ten. Bei größeren Reparaturen und zu Abzucht nach Süden. Insgesamt ist er Zeiten regelmäßiger Erzgewinnung in etwa einen Kilometer lang. An seinem der Weite des Flügelortes wurden dem südlichen Ende befindet sich das Feu- Kunststeiger weitere Leute zugeteilt. ergezäher Gewölbe, das heute etwas tiefer liegt als die Stollensohle, vermut- Seiner Funktion entsprechend hat lich in Folge von Setzungen. der Rathstiefste Stollen eine relativ groß dimensionierte Wassersaige, auch Gegenüber seinem Vorgänger-Was- Rösche genannt, von etwa 50 cm Breite serhaltungsstollen war der Rathstiefste und etwa 30 cm Höhe. Die Saige war Stollen etwa 25 m tiefer. Im unter dem mit Brettern abgedeckt, um zu ver- Feuergezäher Gewölbe beginnenden hindern, dass Haufwerk in die Saige Schacht arbeitete eine Pumpenanlage, fällt. Über der Wassersaige befindet sich die das Wasser aus den tiefer liegenden ein hölzernes Tretwerk für Kontrollbe- Gruben bis zum Rathstiefsten Stollen fahrungen und Reparaturarbeiten. Es hob. besteht aus quer angeordneten Rundhöl- zern, die gegen die Stollenwände gekeilt Der Rathstiefste Stollen hat insge- sind und längs darüber gelegten Lauf- samt 13 Lichtlöcher. Nummeriert sind bohlen (s. Abb. 3). Das Tretwerk ist wie sie jedoch nur bis zwölf. Das dreizehn- das Ausbauholz regelmäßig gewechselt te Lichtloch befindet sich zwischen worden, so dass es heute keine Hinwei- dem neunten und zehnten Lichtloch se auf das Stollenalter geben kann. und scheint jüngeren Datums zu sein.

Das Mundloch befindet sich auf Abstand vom Mundloch/Teufe dem Grundstück des heutigen There- - 1. Lichtloch 45 m/6 m sienhofes auf der geodätischen Höhe - 2. Lichtloch 99 m/6 m +293 m NN (s. Abb. 81 und 83). Der - 3. Lichtloch 139 m/7 m 68 Rathstiefster Stollen

- 4. Lichtloch 165 m/7 m fahrt. Sie ist eine Strecke, deren Achse - 5. Lichtloch 208 m/8 m nicht mehr wie der Stollen von Norden - 6. Lichtloch 229 m/8 m nach Süden, sondern etwa Südwest- - 7. Lichtloch 291 m/10 m Nordost in der Streichlinie des Alten - 8. Lichtloch 352 m/12 m Lagers verläuft. An die Bergesfahrt - 9. Lichtloch 467 m/14 m waren die einzelnen Gruben mit Quer- - Lichtloch ohne Nummer schlägen angeschlossen aber auch viele 616 m/19 m der wichtigsten Schächte. Einer davon - 10. Lichtloch 699 m/20 m war der Bulgenschacht, der Mitte bis - 11. Lichtloch 812 m/25 m Ende des 15. Jahrhunderts angelegt - 12. Lichtloch 893 m/31 m oder aus einem bereits bestehenden - Rathstiefster Schacht 975 m/56 m Schacht entwickelt worden war. In ihm (saigere Teufe des Füllorts unter liefen wie im Feuergezäher Schacht Geländeoberfläche) Pumpen für die Grubenwasserhaltung. Sie sind Anfang des 15. Jahrhunderts Seit seiner Fertigstellung war der neu oder als Ersatz einer bereits beste- Rathstiefste Stollen der Schlüsselstollen henden Anlage gebaut worden und des Rammelsbergs. Seine Eigentümer hoben ebenfalls das Grubenwasser auf konnten die Kosten für den Stollen von das Höhenniveau des Rathstiefsten den Grubenbetreibern einfordern. Fest- Stollens bzw. ab Ende des 16. Jahrhun- gehalten ist das im Goslarer Bergrecht derts nur noch bis zum Tiefen Julius Artikel 148. Bezahlt wurde in Form Fortunatusstollen (s. Abb. 16). der so genannten Wasserpfennige. Das Goslarer Bergrecht wurde bereits im Das Antriebswasser der Wasserräder 14. Jahrhundert niedergeschrieben und floss aber auch nach Fertigstellung des lässt vermuten, dass schon einige Jahr- Tiefen Julius Fortunatusstollens durch zehnte zuvor eine derartige Regelung den Rathstiefsten Stollen ab. Bis zum bestanden haben wird. Anfang des 19. Jahrhunderts sind die Wasserräder und Wasserpumpen des Wenige Meter vor dem Feuergezä- Bulgenschachtes immer wieder erneu- her Gewölbe verläuft der Rathstiefste ert und erweitert worden, um dann Stollen dicht am Rathstiefsten Schacht schließlich Anfang des 19. Jahrhun- vorbei, von dem heute jedoch nur ein derts durch die Wasserräder des Röder- Teil des Füllortes zu sehen ist, weil die systems und die Pumpen im Serenis- Schachtröhre im Firstniveau durch eine simorum Tiefsten Schacht abgelöst zu durchgehende Holzbühne verschlossen werden. ist. Dieser Schacht ist einer der ältes- ten erhalten gebliebenen Schächte des Wenige Meter vor dem Rathstiefs- Rammelsbergs und wahrscheinlich ten Schacht zweigt vom Rathstiefsten über 800 Jahre alt. Stollen eine Strecke nach Westen ab, das so genannte Herzberger Flügelort Am Schacht beginnt in Verlängerung (s. Abb. 9). Es handelt sich dabei um des Rathstiefsten Stollens die Berges- ein Suchort, das das Altlager West und 69 Rathstiefster Stollen

den Weiße Hirscher Gang untersuchen gebaut worden war. Das Heizungsrohr sollte. Später entstand im hinteren Teil begann östlich von der Rammelsberger dieses Suchorts eine Weitung für den Straße auf dem Betriebsgelände im Erzabbau im Altlager West und das Kesselhaus und führte von dort durch Suchort wurde somit zu einer Förder- den Turbinenschacht und die Turbinen- strecke. In seinem Verlauf schneidet es schachtstrecke zum Rathstiefsten Stol- eine feuergesetzte Strecke, die offen- len. Vom Rathstiefsten Stollen beginnt sichtlich aus einer älteren Zeit stammt ein Graben, in dem das Rohr bis zum (s. Abb. 7). Hinter der Abbauweitung Verwaltungsgebäude verläuft. Mit die- folgt ein kleiner Schacht mit einer ser Trassenführung ließ sich die Ram- Hornstatt, dessen Handhaspel aller- melsberger Straße auf relativ einfache dings nicht mehr erhalten geblieben Art und Weise unterqueren. ist. Der Schacht führt hinab zum heute abgesoffenen Feuergezäher Suchort. Seit der Verdämmung des Tiefen Julius Fortunatusstollens in den Jah- Auf etwa halber Entfernung zwischen ren 1997/98 ist der Rathstiefste Stollen Mundloch und Rathstiefstem Schacht wieder die tiefste selbsttätige Abfluss- zweigt vom Rathstiefsten Stollen eine möglichkeit für die Grubenwässer Strecke nach Osten ab, die Turbinen- geworden. Das etwas tiefer liegende schachtstrecke (s. Kap. „Turbinen- Feuergezäher Gewölbe wäre allerdings schachtstollen“). Durch diese Strecke ohne künstliches Niedrighalten des Gru- floss das Wasser der im Turbinenschacht benwasserspiegels teilweise abgesof- arbeitenden Turbinen zum Rathstiefsten fen. Deshalb wurden Pumpen in einen Stollen. Die Turbinen nutzten das Was- vergrößerten und vertieften Sumpf des sergefälle zwischen dem Herzberger Turbinenschachtes gehängt, der das Teich und dem Rathstiefsten Stollen und Wasser über eine eigens dafür vom hatten damit ab 1910 die Wasserräder Rammelsbergschacht zum Turbinen- des Rödersystems abgelöst. schachtsumpf angelegte Strecke erhält. Von dort gelangt das Wasser in einer 1934 war der Rathstiefste Stollen Rohrleitung zum Bollrich. Der Weg der etwa in seiner Mitte auf einer Länge Rohrleitung führt durch zwei Bohrlö- von etwa 45 m zusammen gebrochen. cher zur ehemaligen Gabelstrecke und Statt einer Wiederaufwältigung des von dort durch die Bergeschachtstrecke, Bruchs entschied sich die Betriebslei- eine kurze Verbindungsstrecke und den tung, eine Umfahrung anzulegen. Gelenbeeker Stollen.

Der Rathstiefste Stollen diente auf Heute steht der Rathstiefste Stollen dem Teilstück von der Einmündung der nach wie vor als Wasserableitungsstol- Turbinenschachtstrecke abwärts bis fast len zur Verfügung. zu seinem Mundloch als Heizleitungs- Trasse für die Heizung des Verwal- Endgültig abgelöst wird er erst, wenn tungsgebäudes, das 1959/60 am unteren der gerade in der Auffahrungsphase Ende der Rammelsberger Straße neu befindliche Stollen vom Bollrich in das 70 Revisionsstollen

Grubengebäude trifft und das Wasser über diesen Stollen selbsttätig zum Bollrich abfließen kann (s. Kap. „Was- serhaltungsstollen“).

Museumsbesucher können im Rah- men der so genannten Abenteuerfüh- rung das Suchort und den Stollenab- schnitt zwischen Rathstiefstem Schacht und Turbinenschachtstrecke besichti- gen. Dort ist der Rathstiefste Stollen durch seine intensiv blau gefärbte Sin- terungen an Firste, Wänden und Lauf- bohlen besonders attraktiv (s. Abb. 3). Die Sinterungen haben ihre blaue Far- be in den 1920er und 1930er Jah- ren von kupfersulfathaltigen Sicker- wässern bekommen, die aus kleinen Abb. 84: Revisionsstollen im bzw. am über dem Stollen übertage befindlichen Herzberger Teichdamm. Riss-Skizze Absetzbecken stammten, in denen in dieser Zeit Prozesswässer der groß- technischen Aufbereitungsversuche gesammelt worden waren.

Revisionsstollen im bzw. am Damm des Herzberger Teichs

Der Herzberger Teichdamm hatte ursprünglich einen Grundstriegel, durch den das gesamte Teichwasser abgelas- sen werden konnte. Ein Grundstriegel ist jedoch wartungsintensiv und häufig zu reparieren. Deshalb entschloss sich die Betriebsleitung des Rammelsbergs Mitte des 20. Jahrhunderts zur Still- legung und stattdessen eine Heber- Abb. 85: Revisionsstollen im bzw. leitung anzulegen. Damit konnte das am Herzberger Teichdamm, heutiger Teichwasser über den Damm gehoben Zustand, Aufnahme des Verfassers. Oben und der Grundstiegel umgangen wer- (Nähe Teichdammkrone): Zugang zur den. Notwendig war dafür, am obersten Entlüftungsanlage der Heberleitung. Punkt der Heberleitung eine Entlüf- Mitte: Zugang zum Wasserschloss der tungsmöglichkeit mit Vakuumpumpe Heberleitung. unten (unterhalb des zu installieren und etwa auf halber Teichdammfußes): der Brauck 71 Röderstollen allgemein

Dammhöhe ein so genanntes Wasser- schloss, das für den Fall spontanen Abnahmestillstands bis zum gezielten Schließen der Heberleitung etwa zehn Kubikmeter Wasser fassen konnte. Am Fuße des Teichdamms befindet sich der so genannte Brauck, ein Zugang zu den Schiebern der Trinkwasserleitung vom Wasserreservoir am Eingang des Wald- seebades und der Brauchwasserleitung vom Grandsumpf (s. Abb. 84 und 85 und Kap. „Wasserreservoir“).

Röderstollen allgemein

Der Röderstollen ist seit der Grün- dung des Rammelsberger Bergbau- museums dessen Herzstück. Unter der Bezeichnung Röderstollen wird heute der eine der drei untertägigen Bereiche verstanden, durch die Muse- umsbesucher geführt werden. Der Röderstollen ist 1947 bis 1950 von Berglehrlingen des ehemaligen Erz- bergwerks Rammelsberg für Besucher hergerichtet worden und seitdem Ziel Abb. 86: Röderstollen. Riss- und Schnitt- von etwa einer Million Besuchern skizze; gewesen. 1960 wurde eigens für Besu- es bedeuten: TJF: Tiefer Julius Fortu- cherführungen durch den Röderstollen natusstollen. TFS: Tagesförderstrecke. ein Meisterhauer (Lehrlingsausbilder) Ob.WL: Oberer Wasserlauf. Unt.WL: abgestellt. Seit den 1960er Jahren hat Unterer Wasserlauf. Rbg.Scht.: Ram- sich besonders der Steiger und spätere melsbergschacht Grubenbetriebsführer Heinrich Stö- cker um die Erhaltung des Röderstol- - Teile der zugehörigen Stollen und lens und seiner Wasserräder verdient Strecken und gemacht. - zur besseren Zugänglichkeit auch neuere Strecken und Überhauen. Der Röderstollen umfasst Stollen im Sinne der Definition sind - die Grubenbereiche, in denen bis dabei der Erste, der Obere und der 1910 Wasserräder für die Schacht- Untere Wasserlauf sowie die Tagesför- förderung und für die Wasserhaltung derstrecke und der Rathstiefste Stollen arbeiteten, (s. Abb. 86, 87 und 88). 72 Röderstollen allgemein

Unter dem Begriff Wasserläufe wer- den im Oberharz und auch in anderen deutschsprachigen Bergbaurevieren Tunnel verstanden, durch die Wasser durch den Berg hindurch fließen kann. Am Rammelsberg werden auch Stol- len als Wasserläufe bezeichnet, die Aufschlagwasser zu den untertägigen Wasserrädern in den Berg hinein leiten und Strecken, durch die Wasser von einem höher zu einem tieferen gele- genen Wasserrad gelangen kann.

Bei den vier hintereinander geschal- teten Wasserrädern des Röderstollens gibt es vier Wasserläufe, die von Eins bis Vier nummeriert sind (s. Abb. 17). Durch den Ersten Wasserlauf floss das Aufschlagwasser von übertage in den Abb. 87: Röderstollen. Riss-Skizze. Rammelsberg hinein bis zum obersten Es bedeuten 1.WL: Erster Wasserlauf, Wasserrad, dem Kanekuhler Kehrrad. Ob.WL: Oberer Wasserlauf, Unt.WL: Hierbei handelt es sich um das Wasser- Unterer Wasserlauf, TFS: Tagesförder- rad, das durch das Engagement unseres strecke, Rbg.Scht.: Rammelsbergschacht Fördervereins 1996 originalgetreu

Abb. 88: Röderstollen, perspektivische Skizze. (Obere G.: Obere Gestängestrecke)

73 Röderstollen, Erster Wasserlauf

rekonstruiert worden ist und sich seit- hatte Ende des 18. Jahrhunderts die dem wieder durch Wasser angetrieben später nach ihm benannte Förderma- für seine Besucher dreht. schinen- und Wasserhaltungsanlage vorgeschlagen und um die Jahrhundert- Der Zweite, Dritte und Vierte Was- wende vom 18. zum 19. Jahrhundert serlauf des Rödersystems sind Stre- den Bau sehr engagiert geleitet. cken, die die Radstuben miteinander verbinden. Vom vierten Wasserrad, Durch das Mundloch des Ersten dem Unteren Kunstrad, floss das Was- Wasserlaufs floss Wasser des Herz- ser durch den Rathstiefsten Stollen berger Teichs zum ersten Wasserrad nach übertage ab (s. Kap. „Rathstiefs- des Röderstollens, dem Kanekuhler ter Stollen“). Kehrrad (s. Abb. 88 und 89). War das Wasserspiegelniveau des Herzberger Röderstollen, Teichs nicht hoch genug, kam das Auf- Erster Wasserlauf schlagwasser über einen Graben, bis das Teichwasserspiegelniveau wieder Das Mundloch des Ersten Wasser- hoch genug war. Dieser Graben begann laufs liegt an der östlichen Seite des an einem Wehr oberhalb des Herzber- Herzberger Teichdamms. Es hat 1891 ger Teichs und führte östlich um ihn ein architektonisch gestaltetes Portal herum. erhalten, das mit einer Tafel auf den damaligen Oberbergmeister Röder hin- Der Herzberger Teich war ein Was- weist (s. Abb. 90 und Titelblatt). Er serreservoir für niederschlagsarme

Abb. 89: Röderstollen, Erster Wasserlauf, Schnittskizze. gelb: Rödersystem. grün: Sandersystem

74 Röderstollen, Erster Wasserlauf

wittert, weil die Überdeckung nicht sehr groß ist und das eindringende Oberflächenwasser den Gebirgsver- band mürbe gemacht hat. Der Holzaus- bau dieses Raums war Mitte der 1990er Jahre morsch geworden und musste deshalb gewechselt werden. Ende der 1990er Jahre ist er trotzdem wieder zusammengegangen und wurde darauf- hin nicht mehr wieder hergestellt.

Abb. 90: Röderstollen, Mundloch , heuti- Im mittleren Bereich gabelt sich der ger Zustand, Aufnahme des Verfassers Erste Wasserlauf in einen südlichen und einen nördlichen Stollen. Süd- Zeiten. Das Teichwasser reichte dann lich verläuft der ursprüngliche Stollen allerdings nicht aus, um alle vier Was- durch ältere Abbaubereiche des Alten serräder anzutreiben. Bei zu geringem Lagers. Dadurch konnten bereits beste- Teichwasserspiegelniveau wurde das hende Strecken und Abbauorte nachge- Wasser aus dem Grundablassstriegel nutzt und Baukosten gespart werden. des Teiches entnommen und durch Es entstanden aber auch Standsicher- den Oberen Wasserlauf auf die bei- heitsprobleme und viele Kurven in der den unteren Wasserräder geleitet, die Stollenführung. Die Wichtigkeit des die Wasserhaltungspumpen im Sere- Ersten Wasserlaufs und der schwierige nissimorum Tiefsten Schacht antrieben Transport der sperrigen Wasserradteile (s. Abb. 88 und 16). bewogen die Grubendirektion, eine recht geradlinige nördliche Umfahrung Der Erste Wasserlauf hat in sei- anlegen zu lassen, die diesen Altberg- nen ersten zweihundert Metern einen baubereich umgeht und deshalb stand- bogenförmigen Ausbau aus Sudmer- sicherer ist. Die Umfahrung trifft den berg-Sandstein, der im Communion ursprünglichen Ersten Wasserlauf kurz Steinbruch oberhalb der Rammelsber- vor dessen Ende, der Radstube des ger Tagesanlagen gewonnen worden Kanekuhler Kehrrades. war. Im weiteren Verlauf des Stollens wird das Gebirge standfester, so dass Im Bereich der vorderen Stollen- der Stollen ohne Ausbau auskommt. gabelung schneidet der Stollen die südwestliche Spitze des Alten Lagers. Wenige Meter nach dem Mundloch Die Oberfläche des Erzes ist dort zweigt ein kleiner Querschlag vom allerdings so stark verwittert, dass Ersten Wasserlauf nach Süden ab. Die- es kaum vom umgebenden Schiefer ser Querschlag ist in den 1960er Jahren zu unterscheiden ist und deshalb von entstanden und diente als Vortragsraum den Besuchern nicht erkannt wird. für Besucher des Röderstollens. Das Unser Förderverein plant, dort für die umgebende Gebirge ist hier stark ver- Besucher das Rammelsberger Erz in 75 Röderstollen, Ältester Wasserlauf

seiner natürlichen Umgebung sichtbar Grubenteilen auf das Höhenniveau zu machen. Im weiteren Verlauf des des Rathstiefsten Stollens gehoben Ersten Wasserlaufs könnten den Besu- haben, durch den es dann nach über- chern Such- und Abbauorte gezeigt tage abfließen konnte. Sollten es werden, wofür jedoch noch erheb- Wasserräder gewesen sein, dann wird liche Vorbereitungsarbeiten notwen- ein Wasserlauf zur Heranführung des dig wären. Aufschlagwassers notwendig gewe- sen sein. Röderstollen, Ältester Wasserlauf Spätestens im 16. Jahrhundert hatte eine der Pumpen des Bulgenschachtes Im Rammelsberg gab es mehrere einen Wasserradantrieb. Das Wasser- Vorgängeranlagen des Röderschen rad stand untertage unmittelbar an Wasserhaltungssystems. Nach heu- diesem Schacht. Die Sohle der Rad- tigem Kenntnisstand ist nicht sicher, stube befand sich auf dem Sohlenni- ob die ersten bekannt gebliebenen veau des Rathstiefsten Stollens. zentralen Wasserhaltungspumpen, die Pumpanlage des Feuergezäher Gewöl- Das Aufschlagwasser kam mit bes und die des Bulgenschachtes, von großer Wahrscheinlichkeit von über- Anfang an mit Wasserrädern ange- tage durch einen Wasserlauf zum trieben wurden oder ob es anfangs Wasserrad, denn die Stollenlänge und Treträder gewesen sind. Sicher ist der Bauaufwand für einen Stollen dagegen, dass diese Pumpen das Gru- wären gering gewesen. Der Name, benwasser aus den tiefer liegenden die Gestalt und die Lage dieses Ältes- ten Wasserlaufs sind heute allerdings nicht mehr bekannt (s. Abb. 91). Möglicherweise konnte ein bereits bestehender Wasserlauf des Feuer- gezäher Gewölbes und der ältesten Pumpanlage des Bulgenschachtes nachgenutzt werden.

Das Mundloch hatte wahrschein- lich ein Höhenniveau, das es erlaubt hat, das Wasser aus dem Bach des Wintertals in den Rammelsberg zu leiten. Und es wird etwas höher gele- gen haben als ein Wasserraddurch- messer über dem Höhenniveau des Rathstiefsten Stollens. Abb. 91: Röderstollen, Ältester Wasser- lauf. Anfang 16. Jahrhundert. Schnitt- Nach dem Bau des Herzberger skizze Teiches, der ausschließlich als Was- 76 Röderstollen, Unterer Wasserlauf serreservoir für die Rammelsberger Pumpenantriebe angelegt worden war, und des zweiten, später als Mittleres bezeichneten Wasserrades, verlor der Älteste Wasserlauf seine Funktion für die Anlagen des Bulgenschachtes, denn er lag nun zu tief. Möglicher- weise versorgte er noch eine gewisse Zeit das Feuergezäher Gewölbe.

Röderstollen, Unterer Wasserlauf Sandersystem

Die Pumpen der im 16. Jahrhun- dert zu den Wasserhaltungsanlagen des Feuergezäher Gewölbes und des Abb. 92: Röderstollen, Unterer Wasser- Bulgenschachtes hinzu gekommenen lauf Sandersystem. Ende 16. Jahrhun- weiteren Anlage waren ebenfalls dert. Schnittskizze im Bulgenschacht installiert. Das zugehörige später „Mittleres Rad“ len (+299 m NN) reichte zwar dafür genannte Wasserrad stand etwas aus, beide Räder übereinander zu höher als das Untere Wasserrad, und bauen. Den Bergamtsakten ist jedoch nicht unmittelbar am Schacht, son- zu entnehmen, dass das vom neue- dern einige Meter davon entfernt. ren etwas höher gelegenen Wasser- Die Wasserzuführung übernahm der rad genutzte Wasser nicht anschlie- eigens dafür vorgetriebene Wasser- ßend auf das tiefere ältere Wasserrad lauf, der heute als Unterer Wasserlauf geleitet werden konnte. Nur bei aus- bezeichnet wird (s. Abb. 92). reichend vorhandener Wassermenge konnten beide Räder parallel arbei- Das Mundlochs vom Unteren Was- ten. Bei geringerer zur Verfügung serlauf und der Grundablassstriegel stehender Wassermenge konnte nur des Herzberger Teichdamms lagen wahlweise das eine oder das andere etwa auf dem gleichen Höhenniveau. Rad arbeiten. Damit konnte das Wasser aus dem Herzberger Teich fast vollständig für Der Stollenverlauf des Unteren die angeschlossenen Pumpenantriebe Wasserlaufs ist stark gewunden, was genutzt werden. typisch für jene Bauzeit ist und ver- muten lässt, dass sich seine Gestalt Beide Wasserräder wurden nun aus seit seiner Erbauung nicht wesentlich dem Unteren Wasserlauf mit Auf- verändert hat. Heute ist sein Mundloch schlagwasser versorgt. Die Höhendif- nicht mehr im Gelände zu erkennen ferenz zwischen Unterem Wasserlauf und der Stollen ist auch von untertage (+327 m NN) und Rathstiefstem Stol- nur wenige Meter zugänglich. 77 Röderstollen, Oberer Wasserlauf

Röderstollen, Oberer sohle lag. In Zeiten geringer Wasser- Wasserlauf Sandersystem höhe des Herzberger Teiches konnte dieses Obere Wasserrad allerdings des- Mitte des 17. Jahrhunderts reichte die halb nicht mit Aufschlagwasser versorgt Kapazität der beiden Wasseräder des werden. Bulgenschachtes nicht mehr für den Pumpenantrieb aus. Die Untere Rad- Nach der Inbetriebnahme des Röder- stube hatte überdies Standsicherheits- stollens diente der Obere Wasserlauf in probleme. Deshalb wurden bis 1652 Zeiten geringen Wasserzulaufs aus dem eine weitere Radstube und der Obere Wintertal weiterhin als Einlaufbauwerk Wasserlauf gebaut (s. Abb. 93). Die für das Wasser aus dem Herzberger Radstube lag etwas weiter vom Bulgen- Teich. Dafür wurde vom Oberen Was- schacht entfernt und so hoch, dass das serlauf kurz vor der Oberen Radstube Wasser, nachdem es dieses neue Rad des Sandersystems eine Strecke auf- angetrieben hatte, wahlweise zum Mitt- gefahren, die zum oberen der beiden leren oder Unteren Rad geleitet werden Kunsträder des Rödersystems führt. So konnte. konnten die Wasserhaltungspumpen weiterlaufen, auch wenn das Wasser Das Mundloch des Oberen Wasser- bereits nicht mehr für den Antrieb der laufs lag etwa vier Meter höher als das Fördermaschinen ausreichte (s. Abb. 94 des Unteren Wasserlaufs. Der Herzber- und 95). ger Teichdamm erhielt für die Speisung des Oberen Wasserlaufs einen eigenen Diese Querverbindungsstrecke ist heu- Ablassstriegel, der über der Teichdamm- te noch zugänglich. Dadurch ist der Obe- re Wasserlauf noch befahrbar, obwohl sein Mundloch längst verbrochen ist. Es ist wie das Mundloch des Unteren Wasserlaufs nicht mehr im Gelän- de erkennbar. Die Obere Radstube ist befahrbar, jedoch zum größten Teil mit Schiefer verstürzt. Dort konnten Anfang des 20. Jahrhunderts Berglehrlinge ein Abbauverfahren üben, das damals für den Erzabbau genutzt wurde.

Der Stollenverlauf des Oberen Was- serlaufs ist wie der des Unteren Was- serlaufs stark gewunden, was vermuten lässt, dass sich auch seine Gestalt nicht wesentlich verändert hat. Abb. 93: Röderstollen, Oberer Wasser- lauf Sandersystem. Mitte 17. Jahrhun- Spätestens seit dem 17. Jahrhun- dert. Schnittskizze dert diente der Obere Wasserlauf auch 78 Röderstollen, Oberer Wasserlauf

Abb. 94: Röderstollen, Oberer Wasserlauf Sandersystem/Röderstollen. Schnittskizze. gelb: Rödersystem. grün: Sandersystem

der Mannschaftsfahrung. Die Berg- leute fuhren jedoch nicht durch das Mundloch dieses Stollens ein und aus, sondern über die Einfahrkäh, einen kleinen Schacht unter dem heutigen Harzclubhaus am Museumsbuspark- platz. Vermutlich sollte das Mundloch des Oberen Wasserlaufes vor allem im Winter nicht geöffnet werden, um es vor dem Frost und den damit verbun- denen Standsicherheitsproblemen zu bewahren.

Vom Oberen Wasserlauf führten kleine Fahrschächte weiter hinab. Der Obere Wasserlauf behielt die Funktion als Einfahrstollen auch noch, nach- dem er seine ursprüngliche Aufgabe Abb. 95: Röderstollen, Ronald Sym- als Wasserlauf für das Sandersystem mangk in der pilzüberwucherten Gestän- längst verloren hatte. Heute können gestrecke vom Oberen Röderschen die Museumsbesucher im Rahmen der Kunstrad zum Serenissimorum Tiefsten Abenteuerführung die Obere Radstube Schacht, Foto Volkmar Scholz 1990 befahren. 79 Tagesförderstrecke

Der Bereich der Mittleren Radstu- be steht für Museumsbesucher noch nicht zur Verfügung, da diese Rad- stube noch nicht wieder aufgewältigt ist. Der Einfahrschacht ist teilweise verfüllt und das Einfahrhaus gehört dem Harzclub.

Tagesförderstrecke (der Abschnitt vom Mundloch zum Richtschacht wird auch Richtschacht- strecke genannt)

Wenn auch nicht von außerordentlich hohem Alter, so ist doch die Tagesför- derstrecke einer der interessantesten Stollen des ehemaligen Erzbergwerks Rammelsberg. Durch ihn ging 135 Jah- re fast die gesamte Erzförderung des Rammelsbergs. Erst der Rammelsberg­ schacht, der direkt im Erzaufberei- tungsgebäude endet, löste 1939 die Erzförderung durch den Richtschacht und die Tagesförderstrecke ab.

Die Aufgaben der Tagesförderstrecke beschränkten sich aber nicht auf die bloße Anbindung des Richtschachtes an die Werkstraße. Die Tagesförder- Abb. 96: Tagesförderstrecke (TFS) um strecke, die heute vom Museum für die 1800. Riss- und Schnittskizze. Es bedeu- Besucherbahnfahrt genutzt wird, wurde ten AL: Altes Lager, K.scht.: Kanekuhler im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach Schacht, S.scht.: Serenissimorum Tiefster umgebaut, angepasst und erweitert. Im Schacht Laufe der Zeit wurden alle Erzförder- und Wasserhaltungsschächte des Ram- Die Ursprünge der Tagesförder- melsbergs an die Tagesförderstrecke strecke liegen bereits im 18. Jahrhun- angeschlossen, sogar die etwas abseits dert. Um die Jahrhundertwende zum im Ostnordosten liegenden Schächte 19. Jahrhundert wurde die Lagerstätte Winkler Wetterschacht, Flacher Schacht mit dem Kahnekuhler und dem Sere- und Bergeschacht. Und auch der Ram- nissimorum Tiefsten Schacht völlig melsbergschacht hat ein Füllort, das an neu ausgerichtet. Aus den vielen bis die Tagesförderstrecke angeschlossen dahin separat ausgerichteten Einzel- ist (s. Abb. 103). gruben war dadurch eine große orga- 80 Tagesförderstrecke

förderstrecke fördertechnisch an den ersten Abschnitt angebunden, und zwar vom Bereich Füllort Serenissimorum Tiefster Schacht.

Das Höhenniveau der Tagesförder- strecke ist so gelegt worden, dass ihr Mundloch wenige Meter über dem Talgrund zwischen Rammelsberg und Herzberg liegt. Auf diese Art ließen sich die Erze vor dem Mundloch auf Abb. 97: Tagesförderstrecke um 1800. ein Erzfreilager kippen, von dem aus Riss-Skizze der Erztransport mit Pferdefuhrwerken mit leichtem Gefälle bis zur Ortslage nisatorische und fördertechnische Ein- Goslar und von dort zu den Hütten heit geworden. Beide Schächte wurden erfolgen konnte (s. Abb. 98). an die eigens dafür neu aufgefahrene Tagesförderstrecke angeschlossen (s. Abb. 96 und 97).

1792 hatte der damalige Oberberg- meister Röder den Berghauptmann- schaften seine Pläne für die Neugestal- tung des gesamten Grubenbetriebs vor- gelegt. Er beabsichtigte dabei bereits, die Tagesförderstrecke anzulegen, auch um die energietechnisch ungünstige Abb. 98: Erzfreilager auf dem unteren Aufwärtsförderung der Erze bis zu Werkshof. Im Hintergrund mit Türm- den recht hoch gelegenen Tagesöff- chen das Vorhaus der Tagesförderstre- nungen der Schächte zu vermeiden cke. Foto Behme um 1890 (s. Kap. „Erzförderstrecken“). 1804 ist in den Bergamtsakten die Vollendung Das Vorhaus stand vor dem ursprüng- der Anlage beschrieben. lichen Stollenmundloch der Tagesför- derstrecke. Im Vorhaus waren sowohl Die Tagesförderstrecke war von Büros als auch Lagerräume unter- Röder so projektiert worden, dass die gebracht. Das Obergeschoss war als Tagesoberfläche durch diesen Stollen Wohnung ausgebaut (s. Abb. 96 bis vom Serenissimorum Tiefsten Schacht 102). auf kürzestem Wege erreicht werden konnte. Im Laufe der Zeit hatte sich allerdings herausgestellt, dass es für die Förderung Der Kanekuhler Schacht wurde mit und den Materialtransport hinderlich einem zweiten Abschnitt der Tages- war und es entstand südlich und nörd- 81 Tagesförderstrecke

der Tagesförderstrecke in Betrieb. Die anderen beiden enden seit den 1930er Jahren in den Garagen hinter der Lam- penstube (s. Abb. 19 und 20).

Die technische Ausstattung der Tagesförderstrecke beschränkte sich anfangs auf Laufbohlen als Fahrbahn- befestigung. Auf diesen Laufbohlen wurden so genannte Ungarische Hunte von Hand geschoben. Ungarische oder Spurnagel-Hunte hatten vier Räder. Zwischen den Vorderrädern befand sich der Namen gebende Spurnagel. Er Abb. 99: Tagesförderstrecke, Vorhaus, ragte in eine Längsfuge der Laufbohlen Ausschnitt aus einem Riss aus dem Jahre 1909

lich vom Vorhaus jeweils ein weiteres Stollenmundloch. Das südliche diente vor allem dem Materialtransport vom dort befindlichen Holzlager nach unter- tage. Durch das nördliche Stollenmund- loch lief ab 1909 die Erzförderung zum Erzfreilager. Es hatte daneben einen Anschluss an das Gleis, das auf der Werkstraße zu den Werkstätten führte. Abb. 101: Tagesförderstrecke, Tagesanla- Letzteres ist heute noch als Mundloch gen des Rammelsbergs mit dem unteren Werkshof. Mitte-rechts mit Türmchen das Vorhaus der Tagesförderstrecke. Foto Behme um 1890

und hielt den Hunt während der Fahrt in der Spur, ohne dass der Förder- mann besondere Obacht auf das Ein- halten der Fahrtrichtung legen musste. Das war zwar gegenüber Schubkarren eine große Arbeitserleichterung. Die Arbeit war aber trotzdem noch ziem- lich schwer, weil die Reibung des Spurnagels in der Holzfuge und die Abb. 100: Tagesförderstrecke. Vorhaus. Rollreibung der Räder auf den Holz- Skizze bohlen recht groß waren. 82 Tagesförderstrecke

Erst der vom Clausthaler Maschinen- inspektor Jordan 1835 gemachte Vor- schlag, Schienen aus geschmiedetem Flacheisen in der Tagesförderstrecke zu verwenden, wurde genehmigt. Die Bau- ausführung erfolgte 1836. Die Breite der Flacheisen hat 5,1 cm betragen, die Dicke 1,27 cm und das Gewicht 10 kg/m. Jordan hatte ausdrücklich nicht die seit 1828 im Oberharz verwendeten etwa 75 cm langen gusseisernen Schienen

Abb. 102: Tagesförderstrecke, Erzfrei- lager auf dem unteren Werkshof. Skizze der Situation 1906/07

Bereits 1807 wurde deshalb erwo- gen, Schienen in die Tagesförderstre- cke zu legen. Die Ungarischen Hun- te sollten in diesem Zusammenhang durch Förderwagen abgelöst werden, wie sie im englischen Bergbau bereits einige Jahrzehnte verwendet wurden. Der Rammelsberg wäre damit eines der ersten deutschen Bergwerke gewe- sen, in dem solche Schienen verwen- det worden wären. Geplant war, dafür die Laufbohlen mit eisernen Platten zu versehen. Die Kosten wären aller- dings zu hoch geworden, so dass das Projekt nicht realisiert werden konnte.

1827 wurden für die Tagesförder- strecke erneut Schienen vorgeschla- gen. Es sollten so genannte Englische Schiebewege werden, aber wieder wurde diese Idee aus Kostengründen Abb. 103: Tagesförderstrecke (TFS) und verworfen. Die Gleise für die etwa Richtschachtstrecke nach 1972. Riss- und 308 m lange Strecke zum Kanekuhler Schnittskizze. Es bedeuten Rbg.scht.: Schacht hätten 4700 Thaler gekostet Rammelsbergschacht, Fl.scht.. Flacher und die etwa 206 m zum Serenissimo- Schacht, Bergescht.: Bergeschacht, rum Tiefsten Schacht 2800 Thaler. WWS: Winkler Wetterschacht 83 Tagesförderstrecke

der bis dahin verwendeten Ungarischen Hunte durch Englische Förderwagen wurden in erheblichem Maße Löhne für die Förderleute eingespart, so dass sich diese Investition in kurzer Zeit amortisierte.

Anfang des 20. Jahrhunderts reich- ten der Kahnekuhler und der Serenis- simorum Tiefste Schacht nicht mehr für die gestiegene Förderleistung des Erzbergwerks Rammelsberg aus. Sie ließen sich auch nicht modernisieren und wurden deshalb durch einen neu- en Richtschacht ersetzt, der auch tat- sächlich „Richtschacht“ genannt wurde. Die Tagesförderstrecke wurde bis zum Füllort Richtschacht verlängert und der Stollenquerschnitt für den Einsatz von Loks vergrößert (s. Abb. 105). Die Gleisbögen mussten dafür ebenfalls vergrößert werden. Äußeres Zeichen für diese Modernisierung war das neue, 1910 in Betrieb gegangene Erzaufberei- tungsgebäude, auch Sieberei genannt. Ihr hatte das Vorhaus der Tagesförder- Abb. 104: Tagesförderstrecke (TFS) und strecke weichen müssen. Richtschachtstrecke nach 1972. Riss- Skizze In der oberen Etage der 1909/10 erbauten Sieberei endete der so genann- („Hammelpfoten“) empfohlen, sondern te Hebeschacht, in dem die erzgefüllten geschmiedeten Schienen. Er reagier- Förderwagen von der Richtschachtstre- te damit auf die Klagen wegen des cke in die Sieberei gehoben wurden. zu hohen Gewichtes der gusseisernen Der Hebeschacht stand etwa in der Schienen von etwa 17 kg/m. Fluchtlinie der Richtschachtstrecke. Deshalb entstand nur wenige Meter Die schmiedeeisernen Jordanschen nordnordöstlich vom alten Mundloch Schienen bewährten sich so gut, dass neben der Sieberei das neue Mund- die Genehmigung zum Bau solcher loch. Es hatte auch den Vorteil, dass Schienenwege kurz darauf auch auf das Gleis aus der Richtschachtstrecke die Rammelsberger Haldenbahnen und mit einem größeren Radius auf die die Feldortstrecke in der 5. Sohle aus- Werkstraße mündete. Nach wie vor lief gedehnt wurde. Durch die Ablösung die Erzförderung ausschließlich durch 84 Tagesförderstrecke die Richtschachtstrecke, nur dass sie nun erheblich leistungsfähiger gewor- den war.

Zusätzlich zu der Aufgabe der Erz- förderung übernahm die Richtschacht- strecke ab 1910 auch Wasserhaltungs- aufgaben. Der Richtschacht war nicht nur zentraler Förderschacht, sondern auch der Hauptwasserhaltungsschacht. Abb. 105: Tagesförderstrecke/Richt- Bedarfsweise konnte das Grubenwasser schachtstrecke. Bahnhof am Richt- zum Tiefen Julius Fortunatusstollen oder schacht. Foto Stefan Dützer 1998 in niederschlagsarmen Zeiten durch die Richtschachtstrecke nach übertage zum zum Richtschacht durch die Setzungen Herzberger Teich gepumpt werden. zu Problemen kam. Zudem rissen des Dieses Wasserrohr ist noch heute in der Öfteren die Stromabnehmer der Ober- Richtschachtstrecke zu sehen. leitungsloks ab.

Für die Erzförderung in der Richt- 1961 wurde deshalb parallel zu die- schachtstrecke wurde seit 1911 eine sem Stollenabschnitt die Innere Umfah- Dampfspeicherlok eingesetzt. Der anfal- rung aufgefahren. Aber auch diese lende Wasserdampf machte sich jedoch senkte sich um etwa 3,5 m. 1973 ließ nachteilig bemerkbar. 1927 erhielt die die Bergwerksverwaltung deshalb die Richtschachtstrecke deshalb eine Ober- Äußere Umfahrung auffahren, dieses leitung für den Betrieb von elektrischen Mal so weit vom setzungsgefährdeten Fahrdrahtloks. Seit 1938 wurden auch Altbergbaubereich entfernt, dass sich Dieselloks in der Richtschachtstrecke dort keine wesentlichen Setzungen eingesetzt. mehr bemerkbar machten (s. Abb. 103 und 104). Die Lage des Richtschachtes war zwar optimal gewählt, denn er lag im Der ursprüngliche mittlere Bereich Zentrum zwischen dem Alten und dem der Richtschachtstrecke ließ sich auf Neuen Lager, ohne dass er Erzreserven Dauer nicht erhalten. Er ging zu Bruch. blockierte. Allerdings verlief die Richt- Mundlochseitig davon hat das Muse- schachtstrecke über einen Altbergbau- um im verbliebenen standsicheren Stre- bereich des Alten Lagers, der sich ckenstummel einen Raum für gesellige im Laufe der Zeit um mehrere Meter Zusammenkünfte eingerichtet, den so setzte. Die Richtschachtstrecke musste genannten Tzscherperstollen. Der richt- dort mit kräftigem Ausbau versehen schachtseitige Streckenstummel dient werden. Besonders nachteilig wirkte dem Museum heute als Lagerraum. sich aus, dass es bei der großen Rohrlei- tung der Richtschacht-Hauptwasserhal- Die Innere Umfahrung ist trotz ihrer tung und bei der Hauptdruckluftleitung erheblichen Senkung bis heute erhal- 85 Tagesförderstrecke

bogenausbau versehen. Gleichzeitig wurde das Gleis ertüchtigt, letzteres mit großem persönlichen Engagement der Museumsmitarbeiter.

In den letzten Jahren zeigte der im Mundlochbereich bogenförmig gemauerte Stollenausbau Risse. Das Gebirge ist dort gebräch und stark durchfeuchtet. Unser Förderverein hat 2006 erfolgreich die Sicherung und Abb. 106: Tagesförderstrecke, Mund- Sanierung der betreffenden Mauer- loch mit Besuchergruppe 2007 werksabschnitte übernommen. Dabei sind fehlende Mauersteine ersetzt und ten worden. Anfangs diente sie der offene Fugen mit einem Spezialmörtel Mannschaftsfahrung. Mitte der 1990er ausgefüllt worden. Geplant ist, auch Jahre erlangte sie für unser Museum zukünftig die immer wieder auftre- eine große Bedeutung. Sie wurde dem tenden Schäden auf diese Art zu behe- Museum 1994 vom Erzbergwerk Ram- ben und damit den Denkmalzustand zu melsberg zur Nutzung übergeben, die erhalten (s. Abb. 107). Äußere Umfahrung dagegen erst 1996. In der Zwischenzeit begann in der Inne- Die Richtschachtstrecke hat noch ein ren Umfahrung der Grubenbahn-Besu- wichtiges Potential für die Erweite- cherbetrieb zum Bereich Richtschacht rung des Museumsangebots. Besonders (s. Abb. 106). Den besonders gefähr- im Bereich des Richtschacht-Bahn- deten Bereich der Inneren Umfahrung hofs (s. Abb. 105) stehen noch das ließ der Verfasser mit dem sonst in komplett erhaltene Füllort, der alte der Richtschachtstrecke nicht üblichen Fördermaschinenraum, der Strecken- aber extrem widerstandsfähigen Stahl- stummel hinter dem Richtschacht, diverse Nebenräume, die alte Seiltrift, der Schachtabschnitt zur Förderma- schine des Oberen Hängebankstollens und diese Fördermaschine selber als Attraktionen zur Verfügung.

Tiefer Julius Fortunatusstollen (vormals Meißner Stollen)

Der Bergbau im Rammelsberg war im 14. Jahrhundert zum Erliegen gekom- Abb. 107: Tagesförderstrecke, Sanie- men. Es ist allerdings nicht mehr nach- rungsarbeiten am Mundloch-Mauer- prüfbar, ob noch in geringem Maße ein werk durch Wolfgang Kotzanek 2006 Nachlesebergbau in den oberen trocken 86 Tiefer Julius Fortunatusstollen

die abgesoffenen Gruben zu sümp- fen, schlugen fehl, obwohl seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts nachein- ander mehrere auswärtige Spezialisten dafür unter Vertrag genommen worden waren.

Einer von ihnen war Johann Thurzo aus Krakau. Eigentlich mehr Kauf- mann und Hüttenmann war er doch vertraut mit ähnlich dimensionierten Wasserlösungsstollen und Wasserhal- tungsmaschinen anderer mitteleuropä- ischer Bergwerke. Mit seinem Montan- unternehmen schloss die Stadt Goslar 1486 einen Vertrag, der ihn unter ande- rem zum Anlegen und Betreiben eines Wasserlösungsstollens berechtigte. Offensichtlich hat Thurzo den Stollen, der später Julius Fortunatus Tiefster Stollen genannt werden sollte, auch tatsächlich 1486 beginnen lassen, vor- erst allerdings unter der Bezeichnung Meißner Stollen. Ein oder zwei Jahre später ist der Vertrag jedoch bereits wieder gelöst und der Stollenvortrieb eingestellt worden, obwohl der Stollen Abb. 108: Tiefer Julius Fortunatusstol- bereits eine Länge von etwa 500 m len. Riss- und Schnittskizze erreicht hatte. gebliebenen Sohlen weitergelaufen ist Die Jahresvortriebsleistung scheint oder ob die Erzförderung völlig auf- sehr hoch, wird aber erklärlich, wenn hörte. Ebenso wenig lässt sich heu- man bedenkt, dass dieser erste Stol- te die Ursache dafür feststellen. Aber lenabschnitt weitgehend als Graben offensichtlich konnte die Hauptwas- hergestellt und dann abgedeckt werden serhaltung das Absaufen der tieferen konnte. Das erleichterte die Arbeiten noch über gute Erzvorräte verfügenden wesentlich. Und auch danach werden Gruben nicht mehr verhindern (s. Kap. anfangs verwitterte Gebirgsbereiche zu „Wasserhaltungsstollen“). Der Landes- durchfahren gewesen sein, die relativ herr hatte deshalb das Interesse am leicht hereinzugewinnen waren. Rammelsberg verloren. Die Stadt Gos- lar versuchte dagegen die Erzförderung Der Vertrag zwischen Thurzo und der wieder aufzunehmen. Erste Versuche, Stadt Goslar scheint weniger aus berg- 87 Tiefer Julius Fortunatusstollen

bautechnischen als aus finanziellen und 1545 wurde der Stollenvortrieb wie- juristischen Gründen aufgehoben wor- der aufgenommen. Der Stollen hatte den zu sein. Nach der Einstellung des bis dahin eine Länge von etwa 650 m. Stollenvortriebs wagte sich die Stadt In den Jahren 1545 bis 1548 kamen Goslar nicht mehr an dieses Projekt, weitere etwa 350 m hinzu. Dann trat intervenierte aber 1527 gegen einen aufgrund militärischer Auseinanderset- Versuch des Herzogs. Der Goslarer zungen zwischen Herzog und Stadt Scharfrichter verjagte kurzerhand die wieder eine Pause ein. 1552 zwang der Belegschaft des Herzogs. Herzog die Stadt, auf fast alle Rechts- ansprüche am Rammelsberger Bergbau 1537 bis 1539 arbeiteten aber wie- zu verzichten. Aber auch unter herzog- der zwölf Bergleute und ein Steiger licher Leitung ging der Stollenvortrieb im Stollenvortrieb. Sie waren vom nur recht schleppend voran. Einerseits Zwangsverwalter des Rammelsbergs wurde das Gebirge fester und anderer- beauftragt, der für die Zeit ungeklärter seits ließ der Wille des Herzogs nach, Ansprüche zwischen Stadt und Herzog mit einem derartigen Projekt viel Geld die oberste Betriebsleitung übertragen in die Zukunft seines Nachfolgers zu bekommen hatte. investieren. Erst 1568, also nach dem Tode des Herzogs, begann ein konti- nuierlicher Stollenvortrieb. 17 Jahre später waren die bis dahin verbliebe- nen 1,3 km vollendet und der Stollen durchschlägig.

In der letzten Phase erfolgte der Stollenvortrieb von zwei Orten aus, die sich aufeinander zu bewegten, vom Dedelebischen Schacht nach Nordos- ten und im Gegenort vom Lichtloch Finkenflucht nach Südwesten. Der Durchschlagpunkt liegt nur wenige Meter entfernt vom Winkler Wetter- schacht. Am 7. Lichtloch wurde anläss- lich der Stolleneinweihung eine Lin- de gepflanzt, die heute noch existiert (s. Abb. 109).

Das Gefälle des Stollens war sehr ungleichmäßig. Vom Mundloch aus Abb. 109: Tiefer Julius Fortunatus- gesehen ist die Neigung der ersten stollen, Jens Pfeiffer und der Verfasser 720 m mit 1:355 verhältnismäßig an der Stollenlinde auf der Halde des groß, während die danach folgenden 7. Lichtloches. Foto Jens Kugler 2006 1,5 km nur eine Neigung von 1:1250 88 Tiefer Julius Fortunatusstollen haben. Zwischen beiden Stollenab- besonders die Wetterführung zu schaf- schnitten war 1545 bis 1548 durch fen. Trotzdem die Stollenhöhe mit bis Fehlmessung beim Gegenortsbe- zu vier Metern recht hoch gewählt trieb ein Höhensprung von 2,88 m und horizontal ein Wetterscheider ein- aufgetreten, der erst 1906 bis 1908 gebaut worden war, müssen die Wet- durch Auffahrung einer 155 m langen terverhältnisse vor Ort sehr schlecht Umfahrungsstrecke ausgeglichen wur- gewesen sein. de (s. Abb. 108). Das Hereingewinnen des Gesteins im Der Gegenortsbetrieb ist bei der Stollenvortrieb geschah ausschließlich Auffahrung des Tiefen Julius Fortuna- in Schlägel- und Eisenarbeit. Spreng- tusstollens in vielen seiner Abschnitte stoff war erst deutlich später im Berg- benutzt worden, um einerseits die Wet- bau allgemein eingesetzt worden. Die terführung zu verbessern und ande- Vortriebsgeschwindigkeit schwankte rerseits die Fahr- und Förderwege zu beträchtlich und hing besonders von verkürzen. Dafür hatte der Stollen in der Gewinnbarkeit des anstehenden seinem unteren Bereich in verhältnis- Gesteins ab. In den letzten 17 Jahren mäßig geringen Abständen Lichtlöcher betrug die jährliche Vortriebsleistung erhalten. Das war dort wegen der noch 48 m, was bei jährlich 300 Arbeitsta- geringen Überdeckung relativ einfach, gen 16 cm pro Tag entsprochen hätte. wurde aber im weiteren Verlauf des Stollens schwieriger, je näher der Stol- len den Gruben kam bzw. je mächtiger die Überdeckung wurde.

Lichtloch Abstand vom Mundloch/ Teufe

- 1. Lichtloch 48 m/4 m - 2. Lichtloch 106 m/6 m - 3. Lichtloch 160 m/9 m Abb. 110: Tiefer Julius Fortunatusstol- - 4. Lichtloch 228 m/12 m len, Blick von oben auf die Stahlleiter, - 5. Lichtloch 432 m/13 m die hinab führt in den Graben vor dem - 6. Lichtloch 568 m/20 m Mundloch und zum Stahltor des Mund- - 7. Lichtloch (Nasser Herbst) loches. Foto Jens Kugler 2006 806 m/31 m - 8. Lichtloch (Finkenflucht) Der Tiefe Julius Fortunatusstollen 1350 m/93 m hatte von seinem Mundloch bis zum - ehem. Dedelebischer Schacht Bulgenschacht eine Gesamtlänge von 2240 m/195 m (s. Abb. 108) fast 2,6 km und dabei nur eine Höhen- differenz von 7,15 m. Die im Bulgen- Bei großen Entfernungen vom nächs- schacht arbeitenden Pumpen mussten ten Lichtloch machte den Bergleuten nun das Grubenwasser nicht mehr bis 89 Tiefer Julius Fortunatusstollen

Der Höhenunterschied zwischen Rathstiefstem und Tiefem Julius For- tunatusstollen weckte immer wieder das Interesse, ein weiteres Wasser- rad mit diesem Wassergefälle zu bau- en, mit dem dieses Energiepotential genutzt wird. Bereits 1617 scheint die herzogliche Verwaltung ein Projekt dieser Art verfolgt zu haben. Jeden- falls reagierte die Stadt Goslar mit einer Klage dagegen. Dies begründete sie damit, dass das Antriebswasser dann nicht mehr oberhalb Goslars in die Abzucht gelangen würde, sondern unterhalb der Stadt. Und die städ- tischen Wassermühlen würden dann nicht mehr genügend Aufschlagwasser bekommen. Abb. 111: Tiefer Julius Fortunatusstol- len, Graben vor dem Mundloch, im Dieses Argument verhinderte bis zur Hintergrund das Mundloch. Foto Jens Einstellung der Erzförderung die Nut- Kugler 2006 zung der vergrößerten Wassergefälle- höhe als Antriebsmöglichkeit. Es blieb zum Höhenniveau des Rathstiefsten dabei, dass das Wasser aus dem Herz- Stollens heben, sondern nur noch bis berger Teich nur bis zum Höhenniveau zum Tiefen Julius Fortunatusstollen. des Rathstieften Stollens genutzt wer- Das entsprach einer Höheneinsparung den konnte, das gehobene Grubenwas- von etwa 45 m (s. Abb. 16). ser dagegen durch den Tiefen Julius Fortunatusstollen abfloss. Unmittelbar neben dem Mundloch des Stollens befindet sich heute eine Schie- fertafel mit Informationen über den Stollen (s. Abb. 112). Aus dem Mund- loch fließt das Wasser nicht unmittelbar in die Abzucht, sondern zuerst durch einen Graben, der am Mundloch etwa 2,5 m tief ist (s. Abb. 111). Langsam flacher werdend endet er in kleinen Absetzteichen, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts der Gewinnung des im Grubenwasser enthaltenen Ocker- Abb. 112: Tiefer Julius Fortunatusstol- schlamms dienten. Sie existieren noch len, Schiefertafel seitlich am Mundloch. heute. Foto Jens Kugler 2006 90 Tiefer Julius Fortunatusstollen

Auch die Idee, zusätzlich zu den Dabei kam schnell und unbürokra- bestehenden drei Wasserrädern ein tisch Hilfe von der Königlich-Hanno- weiteres Wasserrad auf dem Tiefen verschen und der Herzöglich-Braun- Julius Fortunatusstollen zu bauen und schweigischen Berg- und Eisenbahnver- dafür Aufschlagwasser vom Bereich waltung. Beide schickten Arbeitskräfte des Kinderbrunnens zuzuführen, konn- und Material. Bei schönem Wetter und te wegen zu erwartender Klagen der nach Auskunft der Betriebsberichte Stadt nicht verwirklicht werden. „mit hoch motivierter Mannschaft“ wurde Die Wasserpumpen, die vom Tiefen Julius Fortunatusstollen weiter nach - im Bruchtrichter über der Stollen- oben führten, sind bald nach seiner achse ein tiefer Graben gezogen, Fertigstellung abgeworfen worden. - in diesem Graben hinter dem Bruch Deswegen war sein Zusammenbruch ein Schacht geteuft und im Jahre 1595 besonders schwerwie- - begonnen, die Stollensohle auf der gend. Ein Tagebruch, der den Stollen Mundlochseite des Bruchs zu ent- plötzlich völlig abgeschlossen hatte, schlammen. ließ den Grubenwässern keine Abfluss- möglichkeit. Das Wasser staute sich Aber bereits nach 3,25 m machte ein schnell zurück und die tieferen Gru- zu starker Wasserzustrom das Weiter- benbereiche soffen ab. Für die Zeit der teufen des Schachtes mit den vorhan- Stollenaufwältigung mussten die alten denen Mitteln unmöglich. Nur unter Pumpen reaktiviert werden, um das Zuhilfenahme von zwei Feuerwehr- Grubenwasser wieder zum Rathstiefs- spritzenpumpen und einer Lokomo- ten Stollen zu heben. bilenpumpe konnte das Wasserspie- gelniveau ausreichend tief gehalten Fast an derselben Stelle ereignete sich werden. Bei 5,75 m Teufe und 75 cm 270 Jahre später wiederum ein Zusam- Abstand zur ehemaligen Stollenfirs- menbruch des Stollens. Im April 1865 te wurden gusseisernen Rohre in das fiel ein Tagebruch zwischen dem fünf- Schachttiefste gerammt und daran eine ten und sechsten Lichtloch. Erhebliche Heberleitung mit etwa 15 cm Durch- Niederschläge hatten in einer kleinen messer angeschlossen. Die Leitung Senke über dem Stollen einen kleinen arbeitete jedoch nicht wie vorgesehen. Teich entstehen lassen, der nach unten Der Zulauf war immer wieder ver- zum Stollen durchgebrochen war. Wie- schlammt und dadurch zugesetzt. der war die Abflussmöglichkeit des Stollens unterbrochen und das Wasser Man erkannte, dass sich der Wasser- staute sich zurück. Im Serenissimo- spiegel im Stollen auf diese Art und rum Tiefsten Schacht stand das Wasser Weise nicht absenken ließ. Deshalb 76 m höher als normal. Und wieder wurde vom Graben etwa 50 cm unter soffen die tieferen Grubenbereiche ab. dem Wasserspiegel eine stark geneigte Die vollständige Trockenlegung aller Rampe in Richtung zum 6. Lichtloch Grubenbereiche dauerte neun Monate. aufgefahren, um damit genügend Was- 91 Tiefer Julius Fortunatusstollen

ser zu erschroten, aber wiederum ver- Bulgenschacht und übernahm dort die geblich. Grubenwässer der Pumpanlagen, die das Wasser aus dem 32 m tiefer befind- Das Entschlammen des Stollens war lichen Schachtsumpf hoben. Von dort zwischenzeitlich vom fünften Lichtloch begann später die Kunststrecke, die mit 36 m in Richtung Bruch vorangekom- dem Neuen Kunstschacht Wasser aus men. Anderthalb Tage später war ein tieferen Grubenbereichen zum Bulgen- weiterer kleiner Schacht von der Gra- schacht brachte. bensohle abgeteuft und die Grabensohle zwischen den beiden Schächten bis zur Vom Tiefen Julius Fortunatusstollen Stollenfirste tiefer gelegt. Kurz darauf, wurde eine ganze Reihe von Quer- am 22. April 1865 funktionierte der schlägen für die Suche und Erkundung Stollenabfluss wieder (s. Abb. 113). angelegt, zum Beispiel

Die Anbindung des Tiefen Julius - im Jahre 1700 vom Lichtloch Fin- Fortunatusstollens an die Gruben des kenflucht zwei Querschläge, die Rammelsbergs erfolgte nur in weni- nach 80 bzw. 176 m Länge als gen Fällen direkt mit Querschlägen. erfolglos eingestellt wurden Die Gruben waren untereinander im - in den 1730er Jahren etwa 220 m Höhenniveau des Stollens durch die östlich vom Maltermeisterturm im Trostefahrt verbunden, einer Strecke, Streichen des Alten Lagers; trotz die etwa sechs Meter höher als der Stol- Aufschluss von dünnen „Kupfer- len lag und vor allem der Mannschafts- schnüren“ (Kniest) wegen zuviel fahrung diente. Der Stollen endete am Wasserzufluß eingestellt

Abb. 113: Tiefer Julius Fortunatusstollen, Schnitt durch den Tagebruch des Jahres 1865. Sammlung Heinrich Stöcker

92 Tiefer Julius Fortunatusstollen

- im Jahre 1739 etwa 130 m vom ehe- Neben seiner Funktion als tiefster maligen Durchschlagpunkt des Stol- Wasserableitungsstollen hat der Tiefe lens rechtwinklig vom streichenden Julius Fortunatusstollen auch immer Suchort ein weiteres Suchort ins eine wichtige Rolle für die Erzförde- Hangende, das Schurfer Suchort rung gehabt. Nach ihm ist die „Stol- genannt wurde. lensohle“, benannt, die oberhalb der 1. (Tiefbau-) Sohle liegt. Hier fand Das Schurfer Suchort wurde bereits sowohl Erzabbau statt als auch eine 1749 wieder eingestellt, weil es schon ausgedehnte Erzförderung. Die Stol- etwa 20 m weiter vorgetrieben worden lensohle war allerdings kein Betriebs- war, als ein weiteres Erzlager vermutet schwerpunkt. Sie erhielt aber bereits wurde: in der flächigen Verlängerung Mitte des 19. Jahrhunderts Gleise. In des Alten Lagers. Niemand der damals den 1950er Jahren fuhren dort Züge Verantwortlichen scheint geahnt zu mit kleineren Dieselloks. haben, dass sich ein weiteres ebenso großes Erzlager wie das Alte Lager Der Tiefe Julius Fortunatusstollen in etwa 10 m Entfernung befand. Es wurde Ende des Zweiten Weltkriegs in lag aber nicht in der gleichen Ebene seinem Abschnitt unter dem 6. Licht- wie das Alte Lager, sondern etwas loch zum Luftschutzbunker ausgebaut. parallel versetzt. Es ist erst 110 Jahre Das 6. Lichtloch erhielt dafür eine später gefunden worden, als das Schur- Stahl-Wendeltreppe. fer Suchort wieder weiter vorgetrieben worden war. Nach Einstellung der Erzförderung im Jahre 1988 wurde die Grube für das Die Wichtigkeit des Tiefen Julius Absaufenlassen vorbereitet. 1991/92 Fortunatusstollens für den gesamten soffen planmäßig alle Grubenbereiche Rammelsberg ließ es geraten sein, unterhalb der neunten Sohle ab. 1995 eigens für die Kontrolle, Wartung und wurde auch die Wasserhaltung in der Reparatur des Stollens einen Steiger mit neunten Sohle abgeworfen. Das Wasser eigener Belegschaft zu beschäftigen. stieg daraufhin bis zum Höhenniveau In den Bergamtsakten sind detaillierte des Tiefen Julius Fortunatusstollens Informationen über die Belegschafts- und floss durch diesen Stollen nach stärke des Tiefen Julius Fortunatusstol- übertage. Damit blieben aber immer lens enthalten und wie sie sich seit Mit- noch große Teile der Grube trocken. te des 17. Jahrhunderts entwickelt hat. Durchsickerndes Wasser, Luft und lie- Demzufolge hatte der Steiger in der gen gelassene Erzreste sind aber die Regel einen Knecht und ein oder zwei Lebensgrundlage für Bakterien, die Jungen. Der Steiger arbeitete selber saures Wasser produzieren. Dem sollte mit. In Zeiten vorzutreibender Suchör- entgegen gewirkt werden, indem wei- ter erhielt der Stollensteiger zusätzliche tere Grubenteile geflutet werden. Dafür Bergleute zugeteilt. Der Stollensteiger wurde 1997 der Tiefe Julius Fortuna- wohnte in unmittelbarer Nähe des 7. tusstollen mit einem Damm unmittelbar Lichtlochs. östlich des Neuen Lagers verschlossen. 93 Tiefer Okerstollen

Er hat damit seine Funktion als Was- Schlüsselstollen, der Rathstiefste Stol- serableitungsstollen der Rammelsber- len, reichten dafür nicht aus. Ein tie­ ger Gruben verloren. Das Wasser, das ferer Stollen sollte Abhilfe schaffen. heute aus dem Stollenmundloch fließt, stammt aus dem Gebirgsbereich über Der bereits begonnene Meißner Stol- dem noch offenen Stollenabschnitt len, der spätere Tiefe Julius Fortuna- unterhalb des Dichtungsdamms. tusstollen, erschien nicht ausreichend tief zu werden. Die Gruben lagen in Eine zukünftige museale Nutzung deutlich größeren Teufen, als der Meiß- des Tiefen Julius Fortunatusstollens ist ner Stollen. Die verbleibende Höhen- bislang nicht vorgesehen. Aus denkmal- differenz müsste mit Pumpen über- pflegerischen Gründen wäre es wichtig, wunden werden und Pumpen waren den Stollen regelmäßig zu befahren, teuer. Langfristig wäre, so wurde über- um Schäden rechtzeitig beheben zu legt, möglicherweise ein noch tieferer können. Die etwa 20 m hohe Stahl- Stollen günstiger. Deshalb plante die wendeltreppe des 6. Lichtlochs ist stark Stadt Goslar Anfang des 16. Jahrhun- verrostet und müsste dringend erneuert derts, einen Stollen anzulegen, der so werden. Im unteren Stollenabschnitt tief war, wie technisch vertretbar bzw. haben die Baumwurzeln den Stollen finanzierbar. erreicht. Sie machen Befahrungen fast unmöglich. Zu Betriebszeiten wurden Beginnen sollte der Stollen in der die Wurzeln in längeren Abständen Nähe des Bachlaufs der Oker etwa entfernt. Das erforderte jeweils meh- an der Einmündung der Abzucht in rere Leute, die mehrere Wochen damit die Oker. Dort befand sich auch die beschäftigt waren. In den 1990er Jahren Okerbrücke mit dem Okerturm. Dieser ist das jedoch nicht mehr geschehen. Turm diente der Bewachung der Oker- brücke. An fast derselben Stelle befin- Tiefer Okerstollen det sich auch heute noch eine Brücke, allerdings in neuer Form. Eine nahe Anfang des 16. Jahrhunderts hatte liegende Straße ist noch heute nach die Stadt Goslar den Rammelsberger dem Okerturm benannt. Der Stollen Bergbau wieder zu einem prospe- erhielt den Namen Tiefer Okerstollen rierenden Betrieb entwickelt. Offen- (s. Abb. 114). sichtlich herrschte eine gewisse Eupho- rie, was die zukünftigen wirtschaft- Die geodätische Höhe des Mund- lichen Möglichkeiten und Aussichten loches war +195 m NN. Das hätte bei für den Rammelsberger Erzbergbau dem damals möglichen Gefälle von betraf. Besonders der Bau eines neuen Wasserlösungsstollen etwa 100 m Tie- tieferen Wasserlösungsstollens scheint fengewinn gegenüber dem bis dahin die Gemüter erhitzt zu haben. Die tiefsten Stollen, dem Rathstiefsten Stol- tiefsten und erzreichsten Gruben waren len, eingebracht. Im Verhältnis zum immer noch nicht vollständig gesümpft. Meißner Stollen lag der Tiefe Oker- Die Pumpenanlage und der vorhandene stollen 55 m tiefer. Der gravierende 94 Tiefer Okerstollen

Abb. 114: Tiefer Okerstollen um 1550. Riss- und Schnittskizze

Nachteil dieses Projektes bestand in der zum Stollenbaubeginn investierte Länge des geplanten Stollens von etwa zum Beispiel der Goslarer Bürger fünf Kilometern. Einen Stollen solcher H. Mechthusen 1513 den stattlichen Länge zu bauen, ist selbst für heutige Betrag von 500 Goslarschen Mark. Verhältnisse ein großes Stollenbaupro- Auch der Bischof von Verden, ein jekt und wäre mit den damals zur Ver- offensichtlich recht wohlhabender fügung stehenden technischen Mitteln Mann, wollte sich beteiligen. Er bot nahezu undurchführbar gewesen. an, die Hälfte der Stollenbaukosten zu übernehmen. Selbstlos war dieses Trotzdem herrschte Zuversicht. Engagement allerdings nicht. Dem Nach dem Goslarer Ratsbeschluss Bischof wurde eine verzinste Rück- 95 Tiefer Okerstollen

zahlung seiner Investition aus den Oker, denn das nur schwach anstei- Abgaben zugesagt, die von den Gru- gende Gelände konnte auf den ersten beneigentümern an die Stadt zu ent- 650 m durch einen Graben überwun- richten waren. den werden. Und ein Graben war deutlich billiger anzulegen und ließ 1513 begannen die Arbeiten am Tie- sich auch einfacher warten als ein fen Okerstollen. Bis 1525 sind durch- Stollen. Dieser Graben begann im schnittlich 550 Goslarsche Mark pro Garten des Okerturms. Das Stollen- Jahr an Stollenbaukosten angefallen, mundloch lag auf dem Gelände, auf was auf einen beachtlichen Baube- dem heute die Werksanlagen der Fir- trieb schließen lässt. ma H.C.Stark stehen.

Dann änderten sich jedoch die poli- Nach 1528 ist der Tiefe Okerstollen tischen Verhältnisse so dramatisch, nicht mehr weiter gebaut worden. Das dass der Stollenbau dadurch gestoppt wechselnde Kriegsgeschehen nahm wurde. Bereits ab 1525 wurden die der Stadt Goslar die dafür notwendige Arbeiten stark behindert. Der Lan- Handlungsfähigkeit. Den Finanziers desherr Herzog Heinrich der Jüngere wird wohl auch die Amortisation der versuchte mit militärischen Mitteln, großen Investition fraglich erschie- seine Forderung nach Rückgabe der nen sein. Der zwischenzeitlich in den Rechte am Rammelsberger Bergbau Jahren der Auseinandersetzungen gegenüber der Stadt Goslar durch- zwischen Stadt und Landesherr als zusetzen. Er marschierte mit seinen Verwalter der Rammelsberger Gruben Truppen vor Goslar auf und besetz- eingesetzte Kurfürst von Sachsen ließ te in der Goslarer Umgebung alle den Stollenvortrieb ebenfalls ruhen. militärisch wichtigen Punkte. Dazu gehörten auch die Okerbrücke und der Nachdem sich der Landesherr 1552 Okerturm. Den städtischen Bergleu- gegen die Stadt durchgesetzt hatte, ten war damit der Zugang zum Tiefen beauftragte er Fachleute aus dem Okerstollen verwehrt. Der Stollen- sächsischen Bergbau mit einem Gut- vortrieb war deshalb 1528 vollstän- achten. Sie sollten klären, welches dig zum Erliegen gekommen, nach- Stollenprojekt vorteilhafter wäre. dem 1526 und 1527 bereits nur noch Die Entscheidung fiel zu Gunsten Stollenbaukosten in Höhe von etwa des Meißner Stollens und gegen den 50 bzw. 150 Goslarsche Mark abge- Tiefen Okerstollen. Der Landesherr rechneten worden waren. folgte den Empfehlungen des Gutach- tens und ließ den Vortrieb im Meißner Bis 1528 hatte der Stollen zwischen Stollen wieder aufnehmen. seinem Mundloch und der Ortsbrust eine Länge von etwa 240 m erreicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts ent­ Von dort war ein zweites Lichtloch sann man sich wieder des Tiefen Oker- angelegt worden. Das Stollenmund- stollens. Es wurden Überlegungen loch lag nicht unmittelbar an der angestellt, ihn als Förderstollen zu 96 Trafo-Raum vollenden. Die Erze hätten dann vom Trafo-Raum am unteren Ende Rammelsberg bis zu den Hüttenbe- der Rammelsberger Straße trieben in Oker nahezu in einem Zuge untertage transportiert werden kön- nen. Die Baukosten wären jedoch zu hoch und nicht durch Einsparungen bei den bis dahin üblichen übertä- gigen Transportsystemen bezahlbar gewesen.

Ein vorerst letztes Mal machte der Tiefe Okerstollen von sich reden, als vor wenigen Jahren an der Wolfen- büttler Straße Tagebrüche über dem Verlauf des offensichtlich schlecht verfüllten Grabens aufgetreten sind (s. Abb. 115).

Abb. 116: Trafo-Raum am ehemaligen Verwaltungsgebäude der Preussag, Rammelsberger Straße unten. Riss- und Schnittskizze

Anfang der 1960er Jahre baute das Erzbergwerk Rammelsberg am unteren Abb. 115: Tiefer Okerstollen, Verkehrs- Ende der Rammelsberger Straße ein schild an der Wolfenbütteler Straße in neues Verwaltungsgebäude. Es erhielt Oker, heutiger Zustand, Aufnahme des auf der gegenüberliegenden Straßen- Verfassers seite einen kurzen Stollen, in dem seine 97 Turbinenschachtstollen

Stromversorgung untergebracht wurde (s. Abb. 116 und 117).

Abb. 117: Trafo-Raum am ehemaligen Verwaltungsgebäude der Preussag, Rammelsberger Straße unten. Foto Stefanie Kammer 2007

Turbinenschachtstollen (Fluchtweg Turbinenschacht)

1910 gingen die Wasserräder des Rödersystems außer Betrieb. Die potentielle Energie des Wassers aus dem Herzberger Teich nutzten nun zwei Turbinen, die im Tiefsten des eigens dafür unter dem Gebäude der Abb. 118: Turbinenschachtstollen. Riss- Energiezentrale bis zum Höhenniveau Skizze des Rathstiefsten Stollens geteuften Turbinenschachtes standen. Sie erhiel- auf den Turbinenschacht trifft. Auf ten ihr Aufschlagwasser durch eine diese Art und Weise reichte es aus, Rohrleitung vom Herzberger Teich. für den Bedarfsfall eine transportable Vom Turbinenschachttiefsten wurde Haspelmaschine über den Schacht zu eine Strecke zum Rathstiefsten Stollen installieren und ihn ansonsten abzu- vorgetrieben, durch die das Wasser decken. Die Schachtabdeckung diente von den Turbinen abfließen konnte dann als Fußboden des Gebäudes. (s. Abb. 118 und 119). Durch den Turbinenschachtstollen konnten Kontroll- und Revisionsbe- Zur Einsparung eines über dem fahrungen vorgenommen und gegebe- Schacht zu errichtenden Fördergerüs- nenfalls Ersatzteile für die Turbinen tes wurde ein Stollen angelegt, der und ihre Rohrleitungen transportiert sechs Meter unter Werkstraßenniveau werden. 98 Umspannwerk 2

Nach der Außer-Dienst-Stellung der Turbinen und dem Neubau der Aufbe- reitungsanlagen verloren der Turbinen- schacht und sein Stollen ihre ursprüng- liche Funktion. Sie dienten seitdem nur noch als Fluchtweg. Der Stollen wird deshalb noch heute als Fluchtstollen bezeichnet. Das Mundloch des Stol- lens befand sich am damaligen unteren Werkhof und liegt heute etwas ver- steckt hinter dem Eindicker am Werks- bahnhof (s. Abb. 120).

Abb. 120: Turbinenschachtstollen, Mundloch, heutiger Zustand, Aufnah- me des Verfassers. Links: Wand des Eindickers. rechts: Wand unterhalb der Werkstraße

Umspannwerk 2

In der ersten Jahren des 20. Jahrhun- derts wurden am Rammelsberg ver- stärkt größere Elektromotoren einge- Abb. 119: Turbinenschachtstollen. Riss- setzt. Sie trieben die neu installierten und Schnittskizze Fördermaschinen und Wasserpumpen 99 Umspannwerk 2

Abb. 121: Umspannwerk 2. Riss-Skizze

des Richtschachtes und des Serenissi- morum Tiefsten Schachtes, den neuen Hauptgrubenlüfter und die größeren Aufbereitungsmaschinen des 1909/10 erbauten Aufbereitungsgebäudes an. Die Elektromotoren lösten die Wasser- räder ab, die untertage für die Wasser- haltung und die Förderung installiert waren. Vorerst gab es jedoch in Goslar noch kein überbetriebliches Stromver- sorgungsnetz, an das der Rammelsberg hätte angeschlossen werden können. Deshalb entstand 1905/06 die Energie- zentrale, in der Elektrogeneratoren lie- Abb. 122: Umspannwerk 2. Riss- und fen, anfangs angetrieben von Sauggas- Schnittskizze 100 Umspannwerk 2

Deshalb wurde 1935 das Umspann- werk 2 gebaut, das aus Platzgründen untertage angelegt werden musste. Als Standort wurde der Bereich unmit- telbar neben der am Hang zu bau- enden Erzaufbereitung ausgewählt (s. Abb. 121 und 122). Das hatte den Vorteil, dass die Wege vom Umspann- werk 2 zu den großen Aufbereitungs- maschinen, besonders zu den Mühlen und Brechern, aber auch zur Förder- maschine des Rammelsbergschachtes relativ kurz waren.

Das Umspannwerk 2 hat im Grund- riss die Form eines großen H. Es erhielt drei Zugangsstollen. Der größte Abb. 123: Umspannwerk 2. Hauptzu- ist waagerecht, etwa 20 m lang und gangsstollen nördlich vom Schrägauf- hat sein Mundloch hinter der Ener- zug hinter der Energiezentrale, heutiger giezentrale, unmittelbar neben dem Zustand, Aufnahme des Verfassers Schrägaufzug (s. Abb. 123). Durch diesen Stollen wurden die großen und motoren und ab 1909/10 von Dampf- schweren Transformatoren auf einem maschinen, die die schlecht geeigneten Gleis in das Umspannwerk gefahren. Sauggasmotoren ersetzten. Das Mundloch ist deshalb mit seinen vier Metern Höhe und drei Metern 1927/28 entstand von Oker, dessen Breite recht groß. Hüttenbetriebe bereits an ein überre- gionales Stromversorgungsnetz ange- schlossen waren, eine 15 kV-Hoch- spannungsleitung zum Rammelsberg. Die Hochspannung wurde in einem eigens dafür hinter der Energiezentra- le erbauten kleineren Betongebäude, dem Umspannwerk 1 auf die betrieb- lichen Spannungen 3 kV für größere bzw. 500 V für kleinere Motoren her- unter transformiert. Dieses Gebäude war bereits 1935 zu klein geworden, um alle Transformatoren aufnehmen Abb. 124: Umspannwerk 2. Oberer zu können, die für die neu zu errich­ Zugangsstollen südlich vom Schrägauf- tende Erzaufbereitung notwendig wur- zug, heutiger Zustand, Aufnahme des den. Verfassers 101 Umspannwerk 2

rung von Gegenständen genutzt, die durch Kriegseinwirkungen gefährdet schienen. Im Umspannwerk 2 wurden wertvolle Bücher und Papiere gelagert, darunter auch das Goslarer Evangeliar. Kurz nach Kriegsende ist im Umspann- werk 2 ein Brand ausgebrochen. Nicht geklärt ist, ob es Brandstiftung war oder ein außer Kontrolle geratenes Feuer. Das Goslarer Evangeliar konnte beim Löschen glücklicherweise geret- tet werden.

Wasserreservoir am Herzberger Teich

Etwas südlich vom Eingang zum Waldseebad Herzberger Teich befindet Abb. 125: Umspannwerk 2, Zugangsstol- sich in der Böschung oberhalb der len von der Mühlenbühne des Aufberei- Straße vom Röderstollen zur Gaststätte tungsgebäudes. Foto Peter Mühr 2007 Kinderbrunnen ein stattliches Stollen- portal. Verschlossen ist das Mundloch Der zweite Zugangsstollen ist etwa 15 m lang, geneigt angelegt und hat sein Mundloch unmittelbar südlich vom Schrägaufzug. Es liegt etwa auf halber Höhe des Schrägaufzuges (s. Abb. 124). Dieser Zugangsstollen ist mit seine Höhe und Breite von jeweils etwa zwei Metern wesentlich kleiner als der erste Zugangsstollen und diente nur der Ableitung verbrauchter Wetter aus dem Umspannwerk 2.

Der dritte Zugangsstollen ist eben- falls geneigt. Durch ihn führt eine Treppe zur Mühlenbühne des Aufberei- tungsgebäudes (s. Abb. 125).

Ende des Zweiten Weltkrieges wur- de das Umspannwerk 2 wie auch die Bergeschachtstrecke und die ers- Abb. 126: Wasserreservoir am Herzber- te und dritte Sohle für die Einlage- ger Teich. Riss-Skizze 102 Wasserreservoir

dem Bachlauf entnommen worden. Eigens dafür befand sich oberhalb des Einlaufs in den Herzberger Teich ein Grandsumpf, in dem sich Schwebstof- fe absetzen konnten (s. Abb. 128). In diesem Betonbauwerk befanden sich zusätzlich Kies- und Kohlefilter. Eine Rohrleitung führte das Brauchwasser vom Grandsumpf im Osten um den Herzberger Teich herum.

Die Trinkwasser- und die Brauch- wasserleitung haben unterhalb des Teichdamms einen gemeinsamen Kon- trollschacht, den so genannten Brauck (s. Abb. 84 und 85 und Kap. „Kinder- thaler Ort“). Von dort aus laufen sie Abb. 127: Wasserreservoir am Herzber- parallel zum Betriebsgelände. ger Teich, Mundloch, heutiger Zustand, Aufnahme des Verfassers Das Trinkwasseraufkommen reichte fast immer für die Versorgung des mit einem Stahltor. Über dem Tor sind Bergwerks und der Wohnhäuser aus. Schlägel und Eisen und die Jahres- Nur selten musste Wasser aus der Was- zahl 1925 zu sehen (s. Abb. 126 und 127). Es handelt sich jedoch nicht um ein Stollenmundloch, sondern um den Zugang zu zwei untertägigen Trink- wasservorratsbecken mit einhundert Kubikmetern Fassungsvermögen. In diesen Becken wurde das Wasser aus dem Kinderthaler Ort gesammelt, um Schwankungen der Wasserabnahme ausgleichen zu können.

Von hier wurden sowohl das ehe- malige Erzbergwerk Rammelsberg als Abb. 128: Brauchwasserversorgung, auch die Wohnhäuser der oberen Hälfte Grandsumpf oberhalb des Einlaufs in der Rammelsberger Straße mit Trink- den Herzberger Teich (links oben), heuti- wasser versorgt. ger Zustand, Aufnahme des Verfassers

Das Brauchwasser für das Bergwerk, serfassung der Ascharre/Herzberg dazu besonders aber für die Erzaufberei- genommen werden. Die Qualität dieses tungsanlage war dagegen direkt aus Wassers war aber nicht so gut, wie die 103 Weißer Hirsch

des Wassers aus dem Kinderthaler Ort. Deshalb ist in den letzten Jahren bei Bedarf zusätzliches Wasser von den Goslarer Stadtwerken mit Hilfe von Feuerwehrtankfahrzeugen in den Vor- ratsbehälter gepumpt worden.

Mitte der 1990er Jahre stellte sich heraus, dass eine Trinkwasserversor- gung aus dem Kinderthaler Ort für das Museum nicht zulässig ist. Trotz jah- relanger akribischer Wasserqualitäts- kontrolle und immer außerordentlich guter Werte musste das Museum an das Trinkwassernetz der Stadt Goslar angeschlossen werden.

Weißer Hirsch (1681 und 1682 Grubenname „St. Abb. 130: Grube Weißer, Jahreszahl Annen am Herzberge“, 1731 im Schlussstein über dem Mund- ab 1691 „Weißer Hirsch“) loch vom Tiefsten Stollen der Grube. Foto Peter Mühr 2007

Im Herzberg befindet sich nur eine bekannt gewordene bauwürdige Ver- erzung. Die Grube, in der dieses Erz abgebaut wurde, hieß ursprünglich St. Annen am Herzberge, wurde aber bereits vor dem Dreißgjährigen Krieg aufgegeben. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts versuchte eine neue Investorengruppe vergeblich, die Gru- be mit wirtschaftlichem Erfolg zu betreiben. Nach ihrem Rückzug im Jahre 1682 und einer Neugründung im Jahre 1691 erhielt die Grube den Namen Weißer Hirsch. Bislang ist noch nicht eindeutig geklärt, ob der Erzgang für die Grube namengebend war oder Abb. 129: Weißer Hirsch, Mundloch umgekehrt. Tiefster Stollen der Grube, heutiger Zustand, Die Grube Weißer Hirsch hatte kei- Aufnahme des Verfassers nen Tageschacht. Sie war stattdessen 104 Weißer Hirsch

Abstand zwischen den Stollen beträgt etwa zwölf Meter. Der Abbauhohlraum ist entsprechend der Gangform flä- chig mit einer Neigung von etwa 60°. Der Erzgang erreichte eine bankrechte Mächtigkeit von bis zu einem Meter. Die streichende Länge des Abbaus beträgt zweimal jeweils dreißig Meter. Nachdem 1691 noch verheißungsvolle Förderleistungen erreicht worden waren begannen 1692 Absatzprobleme wegen der schlechten Erzqualität und geringer werdenden Gangmächtig- keiten. Versuche, den Erzgang nach der Teufe zu verfolgen, scheiterten 1694 an Wasserhaltungsproblemen. 1695 stellten die Grubeneigentümer den Betrieb ein.

1731 hatten sich neue Grubeneigen- tümer gefunden, die die Grube mit grö- ßerem Aufwand vorrichten wollten. Sie planten, die Grube durch einen Stollen zu unterfahren. Zwischen der Grube und diesem Stollen sollte ein Blind- Abb. 131: Grube Weißer Hirsch. Riss- schacht geteuft werden. Damit wäre die und Schnittskizze. Es bedeuten: Ob.Sto.: Wasserhaltung auch für später aufzu- Oberer Stollen. Unt.Sto.: Unterer Stollen. fahrende tiefere Sohlen ohne Pumpen Mndl.W.Sto.: Mundloch des unvollen- gesichert gewesen. Der Schacht ist deten Wasserableitungsstollens. projek- zwar begonnen, jedoch nicht fertig tierter Wasserableitungsstollen: Verlauf gestellt worden. Er lässt sich als abge- des ursprünglich geplanten Wasserablei- soffenes Gesenk vom Unteren Stol- tungsstollen len aus erkennen. Der Stollen ist in der Böschung hinter dem letzten Haus durch zwei Stollen, den Unteren und vor dem Herzberger Teich angesetzt den Oberen Weiße Hirscher Stollen und offensichtlich ebenfalls nicht voll- erschlossen. Der Obere Stollen hatte endet worden. Heute ist er wenige 1682 bereits eine Länge von etwa 65 m Meter nach dem Mundloch abgemauert erreicht und der Untere Stollen scheint (s. Abb. 129 und 130). ebenso lang gewesen zu sein. Der Erzabbau der Grube Weißer Hirsch Mitte des 19. Jahrhunderts scheint fand zwischen den beiden Stollen statt noch einmal die Auffahrung eines Stol- (s. Abb. 130 und 131). Der senkrechte lens geplant gewesen zu sein. Das 105 Weißer Hirsch

Abb. 132: Grube Weißer Hirsch. Riss-Skizze

Mundloch hätte etwas weiter nördlich Höhe zwischen dem Höhenniveau des gelegen. Herzberger Teiches und dem höchsten Punkt des Herzbergs (s. Abb. 131 und Die Stollenmundlöcher des Oberen 132). Dort zieht sich ein flaches Tal den und Unteren Stollens befinden sich auf Berg hinauf, die so genannte Ascharre, der dem Rammelsberg zugewandten früher St.-Annen-Tal genannt. Seite des Herzberges auf etwa halber Der Untere Stollen hatte sein Mund- loch unmittelbar in der Ascharre. Vor diesem Stollen befinden sich seine Stollenhalde und ein Zufahrtsweg, der heute ein wichtiger Forstweg ist. Er wurde erst vor wenigen Jahren noch einmal verbreitert und ausgebaut. In diesem Zusammenhang wurde die Kur- ve dieses Wegs in der Ascharre etwas begradigt. Dieser Baumaßnahme ist das ursprüngliche Mundloch des Unteren Abb. 133: Grube Weißer Hirsch, Beton- Stollens zum Opfer gefallen. röhre zum Mundloch des Unteren Stol- lens, heutiger Zustand. Aufnahme des Die Zugänglichkeit des Unteren Stol- Verfassers lens sollte aber als Fledermausdomizil, 106 Wettersonderkreis

Meter und eine Länge von etwa zehn Metern. Der Bereich um die Betonröh- re herum wurde mit Haufwerk aufge- füllt und der Forstweg darüber gelegt. Das vordere Ende der Betonröhre hat ein neues Mundloch mit Stahlgittertür erhalten (s. Abb. 134).

Der Obere Weiße Hirscher Stollen ist im Bereich seines ehemaligen Mund- lochs abgemauert worden und nur noch Abb. 134: Grube Weißer Hirsch, Neues von innen befahrbar. Das Mundloch Mundloch vor der Betonröhre zum Unte- lässt sich heute besonders im Winter ren Stollen, heutiger Zustand. Aufnahme erkennen, weil die dort ausziehenden des Verfassers Wetter oft den Schnee schmelzen las- sen. Vor das Mundloch ist Haufwerk zur Wasserableitung aus der Grube und geschüttet worden, um Unbefugten den für eine eventuell vorzusehende Was- Zugang zu verwehren (s. Abb. 135). sergewinnung erhalten bleiben. Deshalb wurde das ehemalige Mundloch mit Wettersonderkreis Altes einer starken Betonmauer sowie einer Lager, Stollen neben der kleinen widerstandsfähigen Stahlblech- Tagesförderstrecke tür verschlossen und vom ehemaligen Mundloch beginnend eine Betonröhre Anfang der 1950er Jahre wur- verlegt, wie sie für Straßenkanalbau- de die Wetterführung des Erzberg- werke üblich ist (s. Abb. 133). Sie hat werks Rammelsberg umgestellt. Als einen Durchmesser von etwa einem ein wesentliches Bauwerk entstand dafür das Wetterüberhauen, das von den tieferen­ Sohlen bis zur Tagesför- derstrecke führte und heute von den Besuchern des Röderstollens benutzt wird, um von der vierten Radstube zur Tagesförderstrecke zu gelangen. Durch das Wetterüberhauen zogen die verbrauchten Wetter aus den Gruben- teilen des Alten Lagers nach übertage. Diese Wetter durften sich jedoch nicht mit den frischen Wettern vermischen, die durch die Tagesförderstrecke in die Abb. 135: Grube Weißer Hirsch, Mund- Grubenteile des Neuen Lagers geführt loch Oberer Stollen (im Hintergrund das wurden. Deshalb erhielt das Wetter- Mundloch, davor Haufwerk), heutiger überhauen einen eigenen Stollen, der Zustand. Aufnahme des Verfassers etwa parallel zur Tagesförderstrecke 107 Wettersonderkreis

terstrom, der für die vor allem im Neuen Lager neu eingeführten Diesel- fahrzeuge notwendig wurde, sehr viel größer sein musste, als er bis dahin war. Die Beimengung der Abwetter aus dem Alten Lager in den Frischwet- terstrom der Tagesförderstrecke fielen jetzt kaum noch ins Gewicht. Der kleine Schacht wurde daraufhin mit Haufwerk verfüllt. Der Stollenstummel zwischen diesem ehemaligen kleinen Schacht und der Äußeren Umfahrung existiert noch, ist aber an der Äußeren Umfahrung abgemauert.

Abb. 136: Wettersonderkreis Altes Lager, Stollen neben der Tagesförderstrecke. Riss-Skizze

nach übertage führte (s. Abb. 136 und 137).

Dieser Wetterstollen hatte kein regel- rechtes Stollenmundloch, sondern zur besseren Ableitung der Wetter ins Freie einen kurzen senkrechten Schacht mit Schachtöffnung am Hang hinter der Lampenstube.

Anfang der 1970er Jahre musste der Wetterstollen abgeworfen werden, Abb. 137: Wettersonderkreis Altes Lager, denn er war von der neu aufgefahrenen Stollen neben der Tagesförderstrecke. Äußeren Umfahrung der Tagesför- Riss-Skizze derstrecke durchtrennt worden. Der Abwettervolumenstrom, der aus dem Mitte der 1990er Jahre ließ der Ver- Alten Lager durch das Wetterüberhau- fasser den Wetterstollen mit einem en kam, wurde nun durch einen kurzen groß dimensionierten Stahltürstöcken Querschlag in den Frischwetterstrom ausbauen und als Besucherweg des der Tagesförderstrecke geleitet. Das Röderstollens vom Wetterüberhauen war akzeptabel, weil der Frischwet- zur Äußeren Umfahrung herrichten. 108 Winkler-Wetterschacht-Stollen

Winkler Wetterstollen und kurz über dem Füllort Bergeschachtstre- Stollen am nordöstlichen cke eingebaut worden ist. Der darunter Schachtvorplatz befindliche Schachtabschnitt ist dadurch als Flucht- und Wetterführungsweg für Der Winkler Wetterschacht war schon die Bergesfahrt erhalten geblieben. Er vor 1910 ein Wetterschacht, wurde aber ist in diesem Zusammenhang mit neuen 1910 aufwändig erneuert und erhielt Fahrten und Ruhebühnen ausgerüstet dafür auch den ersten elektrischen Haupt- worden. grubenlüfter des Rammelsbergs. Die Wetter wurden über einen kurzen Stol- len, den so genannten Wetterhals, kurz unter der Tagesoberfläche vom Schacht abgezweigt und zum neben dem Schacht stehenden saugenden Rateau-Gebläse geführt (s. Abb. 139). Das Gebläse ist nach der Inbetriebnahme des neuen auf der Bergeschachtstrecke installierten Hauptgrubenlüfters verschrottet worden.

Abb. 139: Winkler Wetterschacht, nord- östlicher Vorplatz mit vier Stollenmund- löchern. Riss-Skizze

Die beiden vom unteren Vorplatz des Winkler Wetterschachtes nach Nordosten führenden abgemauerten Stollen könnten Stollenmundlöcher gewesen sein bzw. sehr kurze Stollen, die dem Transport des Sandsteins aus dem Communion Stein- Abb. 138: Winkler Wetterschacht, nord- bruch gedient haben (s. Abb. 138 bis östlicher Vorplatz Riss-Skizze 141). Der Communion Steinbruch hatte in den 1920er Jahren die Produktion Der Wetterhals war noch bis Mitte auf Werksteine („Chaussee-Steine“) für der 1990er Jahre offen und wurde dann werksfremde Abnehmer umgestellt und zusammen mit der Schachtröhre verfüllt. dafür Anfang des 20. Jahrhunderts einen Die Füllsäule besteht aus Schotter und Bremsberg hinunter zum nordöstlichen reicht von der Tagesoberfläche hinab bis Vorplatz des Winkler Wetterschachtes zu einer Bühne aus Beton und Stahlträ- erhalten. Auf ihm fuhren Transportwa- gern, die auf Betreiben des Verfassers gen mit Werksteinen bis zum unteren 109 Winkler-Wetterschacht-Stollen

korn aus dem Communion Steinbruch wurde bereits wenige Meter höher vom Bremsberg abgekippt und gelangte durch eine Schurre und das kleinere Mundloch auf den Vorplatz.

Die beiden vom unteren Vorplatz des Winkler Wetterschachtes nach Süden füh- renden abgemauerten Stollen haben zum Schacht geführt (s. Abb. 139 und 142). Das östlichere, mit einer Blechplatte ver- Abb. 140: Winkler Wetterschacht, abge- schlossene Mundloch hat ausschließlich mauerte Mundlöcher am nordöstlichen dem Abtransport des Haufwerks gedient, Vorplatz des Winkler Wetterschachtes, das bis 1909 beim Schachtweiterteufen Nordostseite. Links oben in der Mauer: angefallen war. Das kleinere und etwas hohes schmales Mundloch, oben an der tiefer liegende gemauerte Mundloch bogenförmig gemauerten Natursteinfirste zu erkennen. Rechts unten in der Mauer: niedriges Mundloch mit gebogener Stahl- schiene in der Firste, heutiger Zustand. Aufnahme des Verfassers

Ende hinab und dort durch das größere der beiden Mundlöcher zum Abladen der Werksteine auf den Vorplatz. Das Unter-

Abb. 142: Winkler Wetterschacht, Mundlöcher am nordöstlichen Vorplatz des Winkler Wetterschachtes Südseite. Links: Rolllochschnauze mit Stahlplatte verschlossen. Rechts: niedriges Mund- loch mit gewölbter Natursteinausmaue- rung. Rechts oben im Bild: Tagesanlagen des Winkler Wetterschachtes, heutiger Zustand. Aufnahme des Verfassers Abb. 141: Winkler Wetterschacht, klei- neres der beiden Mundlöcher vom nord- rechts daneben war ein Hängebanks- östlichen Vorplatz des Winkler Wetter- tollen, auf dem Material, Gerätschaf- schachtes Nordseite mit gebogener Stahl- ten und zeitweise Versatzmassen zum schiene in der Firste, heutiger Zustand. Schacht gebracht und dort in den Schacht Aufnahme des Verfassers eingehängt wurden. 110 Zugangsstollen zu Rolllöchern

Zugangsstollen zu Rolllöchern der Aufbereitung

Auf der südlichen Seite des Erzauf- bereitungsgebäudes auf dem Höhen- niveau der Mühlenbühne befindet sich ein Stollenmundloch, durch das man zu den beiden Banderz-Rolllöchern gelan-

Abb. 144: Zugangsstollen zu den Roll- löchern der Aufbereitung. Foto Peter Mühr 2007

gen kann, die von der Brecherebene des Aufbereitungsgebäudes zur Kon- zentratverladung führen (s. Abb. 143 und 144). Dieser nur wenige Meter lange Stollen ermöglichte es, Arbei- ten an den Rolllöchern durchzuführen, zum Beispiel bei Verstopfungen, bei Revisionen oder Reparaturen.

Das Stollenmundloch ist weder aus- gebaut noch übertägig befestigt wor- den. Das hat im verwitterten Schiefer zu einem großen Ausbruch geführt. Auch im weiteren Stollenverlauf ist kein Ausbau verwendet worden. Hier besteht zukünftig Handlungsbedarf zur Sicherung des Mundloches.

Abb. 143: Zugangsstollen zu den Roll- löchern der Aufbereitung. Riss- und Schnittskizze es bedeuten: Bhf.: Werksbahnhof, BSS: Bergeschachtstrecke, E-Zentrale: Ener- giezentrale, Ob.Hgbk.Sto.: Oberer Hän- gebanstollen, Raths.Sto.: Rathstiefster Stollen, Rbg.scht: Rammelsbergschacht, TFS: Tagesförderstrecke, Turb.scht.str.: Turbinenschachtstrecke, U-Bhf.: Ubahn- hof, Werkstr.: Werkstraße

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