Zeitschrift für junge Religionswissenschaft

12 | 2017 Jahresausgabe 2017 Annual Issue Numéro annuel

Electronic version URL: http://journals.openedition.org/zjr/694 DOI: 10.4000/zjr.694 ISSN: 1862-5886

Publisher Deutsche Vereinigung für Religionswissenschaft

Electronic reference Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017, « Jahresausgabe 2017 » [Online], Online erschienen am: 10 Januar 2017, abgerufen am 24 September 2020. URL : http:// journals.openedition.org/zjr/694 ; DOI : https://doi.org/10.4000/zjr.694

This text was automatically generated on 24 septembre 2020.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz. 1

TABLE OF CONTENTS

Editorial Anne Beutter, Moritz Klenk and Stefan Schröder

Kryptozoologie als Legitimationsstrategie im Kreationismus Fabian Thunig

Émile Durkheims Religionsverständnis Kernelemente, Kritik, Rezeption und Aktualisierbarkeit für die junge kritische Religionswissenschaft Matthias Olk

#WhatBritishMuslimsReallyThink Negotiating Religious and National Identity on Twitter Mirjam Aeschbach

Rezensionen

Thomas Höffgen, Goethes Walpurgisnacht-Trilogie Peter Lang, Frankfurt/M. u.a., 2015, 332 Seiten Nicole Hausmann

Detlef Pollack, Religion und gesellschaftliche Differenzierung Mohr Siebeck, Tübingen, 2016, 383 Seiten Martin Tulaszewski

Steffen Führding, Jenseits von Religion? Transcript, Bielefeld 2015, 267 Seiten. Tobias Wolfrum

Lucia Traut und Annette Wilke (Hrsg.), Religion – Imagination – Ästhetik Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2015, 555 Seiten. Manuel Stadler

Tagungsberichte

Religion erzählen Tagungsbericht zu »Fiktion – Imagination – Phantastik«, Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft (SGR). Abgehalten an der Universität Basel, Schweiz, 17. – 18. November 2016. Johann Falk

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 2

Editorial

Anne Beutter, Moritz Klenk and Stefan Schröder

1 Liebe Leserin, lieber Leser, in Ihren (virtuellen) Händen halten Sie die Jahresausgabe 2017 der Zeitschrift für junge Religionswissenschaft (ZjR)! Wir freuen uns außerordentlich, Ihnen auch in diesem Jahr wieder Artikel, Rezensionen und Tagungsberichte der Religionswissenschaft von Morgen vorstellen zu können. Sie geben Einblick in empirische, theoretische und methodologische Fragen, die die neue Generation der deutschsprachigen Religionswissenschaft bewegen.

2 Unter den Forschungsartikeln finden sich in diesem Jahr unterschiedlich ausgerichtete Beiträge, die auf ihre je eigene Weise zentrale Fragen der jungen Religionswissenschaft aufgreifen. Fabian Thunig erläutert in seinem explorativen Beitrag »Kreationismus und Kryptozoologie« strukturelle Zusammenhänge zweier Phänomene, über die sich ein kritischer Blick auf aktuelle Positionsbestimmungen im Spannungsfeld von Wissenschaft und Religion entwickeln und historisch verorten lässt. Matthias Olk diskutiert im Zusammenhang des Erscheinens der deutschsprachigen Neuauflage von »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« Émile Durkheims Ruf als Gründervater der Religionswissenschaft und widmet sich der Frage, ob diese Zuschreibung angesichts postkolonialer und machtkritischer Entwicklungstendenzen der »jungen« Religionswissenschaft noch zeitgemäß und gerechtfertigt ist. Schließlich untersucht Mirjam Aeschbach in ihrer Studie zum Twitter Hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink, wie Mitglieder der digitalen britisch-muslimischen Gemeinschaft auf jener Plattform sowohl ihre kollektive Identität konstruieren und verfestigen als auch diskursive Strategien nutzen, um britische Identität und ihre nationale Zugehörigkeit angesichts islamophober, exkludierender politischer Rhetorik auszuhandeln.

3 Darüber hinaus finden sich vier Rezensionen zu aktuellen religionswissenschaftlichen Neuerscheinungen und ein Bericht zur Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft 2017 in dieser Jahresausgabe.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 3

4 Auch in diesem Jahr möchten wir dieses Editorial wieder für einige Berichte und Mitteilungen zur Entwicklung und zum Geschehen hinter den Kulissen des ZjR-Betriebs nutzen.

5 Der Umzug unserer Website auf die Plattform revues.org von Open Edition ist mittlerweile vollständig abgeschlossen. In diesem Zusammenhang haben wir von der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft (DVRW) Anfang des Jahres nochmals eine finanzielle Unterstützung erhalten, um mit Ellen Fritsche aus Bayreuth eine studentische Hilfskraft anstellen zu können, die den Umzug technisch umgesetzt hat. Konkret ging es um das Setzen der fast vierzig Rezensionen, die zwischen 2006 und 2011 in der ZjR erschienen sind. Wir danken der DVRW für ihre großzügige Unterstützung und Ellen Fritsche für ihre hervorragende Arbeit! Dank des erfolgten Umzuges kann unsere alte Website zeitnah abgeschaltet werden. Sie finden alle alten und neuen Beiträge der ZjR ab sofort exklusiv auf https://journals.openedition.org/ zjr/.

6 Außerdem wird es im kommenden Jahr Veränderungen im Herausgeberteam geben: Moritz Klenk (Bern) und Stefan Schröder (Bayreuth) gehen in den ZjR-»Ruhestand«, dafür stoßen Benedikt Erb (Bayreuth) und Annelie Schramm (Leipzig) neu hinzu, während Anne Beutter (Luzern) für die nötige Kontinuität sorgt. Stefan und Moritz waren seit 2011 bzw. 2012 im Herausgeberteam der ZjR tätig. Damit die ZjR eine Plattform des religionswissenschaftlichen Nachwuchses bleibt, ist es an der Zeit, den Stab der Verantwortung an eine nachfolgende Generation weiterzureichen. Wir möchten uns bei allen Autor*innen, Teammitgliedern, Lektor*innen, dem wissenschaftlichen Beirat und dem OpenEdition-Team für die gute und immer konstruktive Zusammenarbeit während der vergangenen sechs Jahre bedanken. Es war uns stets eine Ehre und reich an Erfahrungen und Eindrücken. Vor allem aber freuen wir uns, dass die ZjR auch in Zukunft von einem kompetenten und engagierten Team getragen wird!

7 Enden möchten wir deshalb mit unserem alljährlichen Aufruf an alle noch nicht promovierten Religionswissenschaftler*innen, deutsch- oder englischsprachige Artikel, Tagungsberichte oder Rezensionen zu relevanten Fachpublikationen einzureichen. Wer selbst gerade kein passendes Manuskript zur Hand hat oder bereits mit akademischen Ehren aus dem Autor*innenkreis der ZjR ausgeschieden ist, sei herzlich eingeladen, anderen vom ZjR-Projekt zu erzählen. Informationen zu inhaltlichen und formalen Vorgaben finden sich wie immer auf unserer Website.

8 Wir wünschen eine anregende Lektüre und spannende Diskussionen!

9 Die Herausgeber*innen Anne Beutter Moritz Klenk Stefan Schröder

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 4

Kryptozoologie als Legitimationsstrategie im Kreationismus

Fabian Thunig

Einleitung

»Of course, the very idea of any dinosaurs still being alive sounds crazy to those who believe the theory. They have been told that dinosaurs died out › millions of years ago‹ and that ›no man has ever seen a dinosaur‹. However, because thousands of dinosaur-like creatures have been reported from remote places throughout the world, there must be something out there! To the Bible believing Christian, the idea of dinosaurs living with man in the past, or even some still living today, is scientifically possible. Christians know that God made all the animals, including dinosaurs, about 6000 years ago.« (Gibbons und Hovind 1999, 34)

1 Dieses Zitat findet sich in Claws, Jaws, and Dinosaurs, dem ersten Buch, das Kreationismus und Kryptozoologie kombiniert.1 Es steht exemplarisch für den Schnittbereich der beiden Fächer: Berichte über mysteriöse Tiere, besonders überlebender Dinosaurier, sollen die junge Schöpfung der Erde beweisen und angebliche Dogmen der Evolutionstheorie ›wissenschaftlich‹ widerlegen. Durch diese Strategie kann der Kreationismus (hier verstanden als der Glaube an die göttliche Schöpfung der Welt in ihrer heutigen Form, vgl. Kaden 2012, 3) die sozio-kulturelle Autorität der Wissenschaft in Anspruch nehmen und gleichzeitig versuchen, konträre Positionen als ideologisch gebunden zu delegitimieren. Da die Kryptozoologie (hier im weitesten Sinne verstanden als die Suche nach nur anekdotisch bekannten Tieren) selbst nicht wissenschaftlich anerkannt ist, schaffen die Akteure hier eine eigenwillige Neuinterpretation der Felder von Wissenschaft und Religion und ihrer Beziehung zueinander.

2 Kreationistische Kryptozoologen sind ein kaum bekanntes und wenig erforschtes Phänomen der religiösen Gegenwartskultur. Kritische Analysen fanden bisher fast ausschließlich in Sachbüchern aus dem Bereich der Skeptikerbewegung statt.2 Die

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 5

einzige um Neutralität bemühte Beschäftigung mit dem Thema stellen die eher populärwissenschaftlichen Onlineartikel des US-amerikanischen Religionswissenschaftlers Joseph Laycock dar (vgl. Laycock 2010; 2014). Der vorliegende Artikel soll erstmals einen empirischen Überblick zur Thematik erarbeiten. Argumentationsweise und Wissenschaftsverständnis kreationistischer Kryptozoologen sollen untersucht werden, um zu klären, wie sie ihr wörtliches Bibelverständnis gegenüber dem naturwissenschaftlichen Weltbild zu legitimieren versuchen. Die Forschungsfrage lautet: Warum und wie betreiben Kreationisten Kryptozoologie? Zum Verständnis des Kontextes werden zunächst einige Konzepte der beiden Fächer vorgestellt. Im Hauptteil werden ausgewählte Schriften kreationistischer Kryptozoologen eingehend vorgestellt und als religiöse Quellentexte interpretiert (vgl. Tanaseanu-Döbler und Döbler 2011). Für das Sample wurden repräsentativ vier Autoren ausgewählt, die für sich in Anspruch nehmen, beide Disziplinen zu kombinieren und ihre Argumente in Buchlänge veröffentlicht haben.3 Die analysierten Texte werden anschließend miteinander verglichen. Dabei zeigt sich, dass aus den großen Ähnlichkeiten eine über den jeweiligen Einzelfall hinausweisende kreationistisch- kryptozoologische Position rekonstruiert werden kann.

Kreationismus und Kryptozoologie

3 Bis ins 19. Jahrhundert galt die biblische Schöpfungsgeschichte als historischer Bericht über die Entstehung der Welt und des Lebens: Die Erde sei von Gott geschaffen und im Laufe der Jahrtausende durch die Sintflut und andere Katastrophen geformt worden. In den 1830er Jahren stellte Charles Lyell (1797-1875) diesem Katastrophismus einen geologischen Aktualismus (engl. uniformitarianism) entgegen (vgl. Ferngren 2012, 63; Wilson 2000). Er hatte erkannt, dass die Erdoberfläche in der Vergangenheit durch die gleichen Kräfte geformt wurde, die sich auch gegenwärtig noch beobachten lassen. Entsprechend müsse die Welt tatsächlich viele Millionen Jahre alt sein. Das hohe Alter der Erde war eine Voraussetzung für Charles Darwins (1809-1882) 1859 veröffentlichte Evolutionstheorie. Unter Wissenschaftlern setzten sich Alte Erde und biologische Evolution bald allgemein durch, letzterem hielten viele Christen aber heilsgeschichtliche und moralische Argumente entgegen. Während die meisten intellektuellen Antievolutionisten kein Problem mit dem hohen Erdalter hatten (›Alte- Erde-Kreationismus‹), bestand nur eine Minderheit auf einen ›Junge-Erde- Kreationismus‹.4 Diese Richtung bezog sich meist auf die von George McCready Price (1870-1963) 1923 propagierte , der zufolge die Verteilung von Gesteinsschichten und Fossilien Ergebnis der Sintflut sei. Eine sehr populäre Variante der Flutgeologie entwickelten John C. Whitcomb (*1924) und Henry M. Morris (1918-2006) in den 1960er Jahren. Diese als bzw. scientific bezeichnete Richtung sieht sich als wissenschaftliche Alternative zu Aktualismus sowie Evolution, und bezeichnet letztere häufig als pseudowissenschaftliche Legitimation des Atheismus (vgl. Kaden 2015, 13-15, 22). Für viele Kreationisten stellt Wissenschaft eine wichtige Autorität dar, nur wird die Wahrheit wissenschaftlicher Erkenntnisse an ihrer Vereinbarkeit mit der Offenbarung beurteilt (vgl. Harrold et al. 2004, 72).

4 In den 1950er und 60er Jahren veröffentlichten die studierten Zoologen Bernard Heuvelmans (1916-2001) und Ivan T. Sanderson (1911-1973) eine Reihe von Büchern, in denen sie Berichte über mysteriöse Tiere zusammentragen.5 Bald sammelte sich eine

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 6

Gruppe von Wissenschaftlern und Amateuren, die Seeschlangen, Affenmenschen, überlebende Dinosauerier und andere Kryptide aufspüren wollten. Um auf dieser Grundlage ein neues Fach wissenschaftlich zu etablieren, wurde 1982 die International Society of (ISC) gegründet. Die mittlerweile inaktive ISC gab bis 1998 Cryptozoology heraus, eine Zeitschrift mit Peer-Review-Verfahren. Die Szene ist heute stark fragmentiert und gilt in der Öffentlichkeit häufig als ›Pseudowissenschaft der Monsterjäger‹. Führende Kryptozoologen wie Loren Coleman (*1947) und (*1959) folgen weiterhin dem Vorbild Heuvelmans, distanzieren sich von übernatürlichen Erklärungen und begreifen ihre Arbeit als Zweig der wissenschaftlichen Zoologie. Ich möchte diese Richtung im Folgenden als ›klassische Kryptozoologie‹ bezeichnen. Die wichtigste Datengrundlage der Kryptozoologie sind Augenzeugenberichte, dazu kommen Fotos, Fußspuren und andere Arten indirekter Hinweise. Zentral ist dabei das Prinzip der cumulative evidence, also die Vorstellung, dass eine Anhäufung von Hinweisen zu einem Beweis wird. Der »statistische[n] Methodik« folgend bilden Kryptozoologen anhand der meistgenannten Eigenschaften ein Phantombild des Tieres (Magin 1995, 80). Bei Erzählungen nicht-westlicher Informanten versuchen Kryptozoologen zudem häufig Elemente auszusortieren, die ihnen ›abergläubisch‹ erscheinen (vgl. Meurger 1990). Aus diesem Katalog wird schließlich auf eine neue Art geschlossen. Dabei folgen Kryptozoologen meist dem prehistoric survivor paradigm, also der Tendenz, in Kryptiden lange ausgestorbene Arten zu erkennen (vgl. Hill 2014).

Kreationistische Kryptozoologen

William J. Gibbons

5 Der wohl produktivste Autor im Schnittbereich von Kreationismus und Kryptozoologie ist William J. Gibbons (*1958). Bekannt ist Gibbons vor allem für seine sechs Expeditionen auf der Suche nach Mokele-Mbembe, einer angeblich in den Sümpfen Zentralafrikas verbreiteten Art von Sauropoden. Auf den Spuren von Roy Mackal (1925-2013) begann er seine Karriere zunächst rein kryptozoologisch motiviert und organisierte 1985 seine erste Expedition nach Afrika (vgl. Gibbons 2010, 58-82). In der Republik Kongo trafen er und seine Begleiter mit einem amerikanischen Missionar zusammen, der schon dem klassischen Kryptozoologen Mackal half, nach rezenten Dinosauriern zu suchen. Gibbons sprach mit ihm über die spirituelle Krise, in der er sich befand. Wenig später machte er eine Albtraum-Erfahrung. Gibbons befreite sich durch die Anrufung Jesu und konvertierte anschließend zum Christentum (vgl. ebd., 63-66). Die zahlreichen Augenzeugenberichte, die er zwischen November 1985 und Mai 1986 sammelte, überzeugten ihn davon, dass es in Zentralafrika weiterhin Dinosaurier gebe. 1992 brach er zu seiner zweiten Expedition auf (vgl. ebd., 85-102), verfolgte diesmal neben dem kryptozoologischen auch ein missionarisches Ziel und nahm aktiv an der Bekehrung der Einheimischen teil (vgl. ebd., 96).

6 (*1953), Gründer von Creation Science Evangelism, nahm 1999 Kontakt zu Gibbons auf. Zusammen verfassten sie das wohl erste Buch, in dem Kreationismus und Kryptozoologie kombiniert werden (vgl. ebd., 105f). Claws, Jaws, and Dinosaurs ist ein reich bebildertes Büchlein, mit dem Kindern ein kreationismuskonformer Einblick in

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 7

die Kryptozoologie gegeben werden soll. Die »author's note« gibt schon zu Beginn den Ton vor: »In this book, we have attempted to introduce you to the wonderful world of cryptozoology, the science of hidden animals. From the Loch Ness Monster to the Dodo of Mauritius, there is a whole world of mysteries to enjoy. It is our hope and prayer that there will come a new generation of Godly, Christian explorers, who will endeavor to venture forth to find and present these amazing mysteries of Creation to an unbelieving world.« (Gibbons und Hovind 1999, 3)

7 Hovinds Einführung erklärt anschließend, dass Kryptozoologen zwar gute Forschungsarbeit leisteten, aufgrund ihrer Evolutionsideologie aber zu falschen Ergebnissen kämen: »Nearly all of the authors who write on the cryptozoology topic do great research on living dinosaurs. […] I believe these authors are right to say some dinosaurs may still be alive, but this does not prove they survived for millions of years. These authors seem to be blinded by the theory of evolution. The theory of evolution, which is actually a religion, not a scientific theory, has been a great hindrance to scientific research in many fields, including cryptozoology. […] The Bible teaches that God made the world fully formed and fully functioning about 6000 years ago. […] About 1650 years later, Noah built the ark and took some of each kind of animal on board, including the dinosaurs. He probably took babies or young ones in order to save space, weight and food. After the great flood, most dinosaurs died off due to climate changes and man’s hunting.« (ebd., 6)

8 Der Unterschied zwischen ›christlicher Wissenschaft‹ und ›evolutionärer Pseudowissenschaft‹ wird im Laufe des Buchs noch mehrmals betont.6 Die Evolutionstheorie gilt den Autoren als Schöpfung Satans (ebd., 56). Dass lebende Dinosaurier die Evolutionstheorie widerlegen, gilt in der Szene als offensichtlich. Es ist wichtig zu verstehen, dass Kreationisten sich unter ›Evolution‹ nicht unbedingt die synthetische Evolutionstheorie der aktuellen Biologie vorstellen. Viele Passagen des Buches sind nur verständlich, wenn man weiß, wie die Autoren im Konflikt mit ihren Kontrahenten argumentieren. So wird etwa die These vertreten, die Entdeckung des russischen würde die menschliche Evolution widerlegen (vgl. ebd., 48). Zu Anfang und Ende des Werks wird der Leser darauf hingewiesen, dass alle Menschen sündig sind und nur Jesus vor der Hölle retten kann. Von der religiösen Botschaft abgesehen ist das Buch eine typische Einführung in die Kryptozoologie: Die gängigsten Kryptide werden mit ihren bekanntesten Augenzeugenberichten vorgestellt. Indirekte Hinweise gelten als ausreichender Beweis, Kritik an der Methode wird als übertrieben dargestellt.

9 2000 unternahm Gibbons seine dritte Expedition, diesmal nach Kamerun (vgl. Gibbons 2010, 109-127). Im folgenden Jahr brach er mit einem Kamerateam des Discovery Channels erneut nach Kamerun auf (vgl. ebd., 127-147). Mittlerweile war seine Suche nach Mokele-Mbembe stark religiös motiviert: Während das Team der ersten Expedition noch aus Atheisten und Agnostikern bestand, wählte Gibbons nun nur solche Kryptozoologen aus, die auch überzeugte Christen waren (vgl. ebd., 66, 127f). Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er einen Beitrag in Acts & Facts, dem Newsletter des von Henry Morris gegründeten Institute for Creation Research (Gibbons 2002). Der Text ist kreationistisch gerahmt, beschreibt Gibbons bisherige Expeditionen und reiht sie in die Unternehmungen früherer Mokele-Mbembe-Forscher ein.7 Im Oktober desselben Jahres brach er zu seiner fünften Expedition auf. Diesmal war er in Kamerun

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 8

auch offiziell als Missionar unterwegs und half neue Gemeinden zu gründen (vgl. Gibbons 2010, 155, 165).

10 Mit Missionaries and Monsters veröffentlichte Gibbons 2006 sein zweites Buch. In der Einleitung heißt es: »As my research into the study of mysterious or unknown animals continued, I discovered that missionaries have made many of the most fascinating monster reports on record. This should not be surprising, as they continue to journey deep into remote jungles of the world to introduce the gospel of Jesus Christ to unreached tribes. It is perhaps significant that many of the monsters encountered by missionaries closely match the descriptions of different species of dinosaurs. As a Christian and a young-earth creationist, I find that such reports make perfect sense with the Biblical account of creation.« (Gibbons 2006, 9)

11 Die hier beschriebene Prämisse wird im Folgenden nicht wirklich eingehalten. Das Buch stellt vor allem die üblichen Sichtungen bekannter Kryptide vor, nur eine Minderheit der Augenzeugen sind dabei Missionare oder Geistliche. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf Dinosauriern. Ihre zentrale Stellung wird deutlich in der Einleitung zum Kapitel »Dragons and Dinosaurs«: »According to the theory of evolution, dinosaurs became extinct around 65 million years ago […]. The theory further postulates, that as human beings did not evolve from a primitive ape-like ancestor until around 4.5 million years ago, no human could possibly have seen a living dinosaur. How true is this widely held belief? Today, we have available evidence which tells a remarkably different story on the question of man-dinosaur cohabitation, and of a time when dinosaurs were raised by humans, served as transport (possibly), as work animals, and were even hunted down for food. Early translations of the Holy Bible mention dragons throughout the Old Testament.« (ebd., 49)

12 Missionaries and Monsters ist weniger religiös gefärbt als die vorherige Kooperation mit Hovind und im direkten Vergleich auch vorsichtiger und sachlicher geschrieben. 2009 brach Gibbons zu seiner bisher letzten Expedition auf (vgl. Gibbons 2010, 191-203). Im Rahmen der Fernsehserie Monsterquest besuchte er noch einmal Kamerun. Im darauf folgenden Jahr veröffentlichte er sein umfangreichstes Buch. In Mokele-Mbembe: Mystery Beast of the Congo Basin stellt er seine eigenen und die Expeditionen anderer Kryptozoologen vor. Dabei erfahren wir interessante Details: So sehen Gibbons und seine Begleiter zwei Mal ein UFO und mehrere seiner Gefährten berichten von Wahrträumen (vgl. ebd., 139, 179, 201). Hier sind seine kreationistischen Ansichten im Hintergrund zwar immer präsent, es geht ihm aber vor allem um die Kryptozoologie. In Richtung Evolutionstheorie gibt es nur ein paar abfällige Bemerkungen, er wirft ihr etwa Rassismus und Gehirnwäsche vor (vgl. ebd., 70, 85). Seine argumentativen Gegner bezeichnet er dabei als »Lehnstuhlskeptiker«: »I am constantly amused by the armchair skeptic who in all probability has never set foot in Africa, yet remains steadfast in his opinion that mokele-mbembe is a mere myth. Either countless tribal groups spread over a vast geographical area, […] had collective nightmares about exactly the same kind of ›mythical‹ animal, or mokele- mbembe is [a] living creature.« (ebd., 205)

13 Hier zeigt sich auch wieder das absolute Vertrauen in Augenzeugenberichte. An einer Stelle gibt Gibbons zwar zu, dass Mokele-Mbembe wie eine veraltete Rekonstruktion von Sauropoden beschrieben wird. Nach seiner Einschätzung sind die Sichtungsberichte aber höher zu gewichten als das, was Paläontologen aus Fossilien ableiten (vgl. ebd., 219).

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 9

Jonathan David Whitcomb

14 Zu den einflussreichsten Akteuren im hier thematisierten Feld gehört auch der Amerikaner Jonathan David Whitcomb. Geboren 1949, konvertierte er im Alter von 22 Jahren zum Mormonentum. In den 1990er Jahren wurde seine Augenkrankheit eigenen Aussagen zufolge durch Handauflegen geheilt. Als Mormone und Alte-Erde-Kreationist steht er in Kontrast zu den anderen Autoren im Feld, hat mit dem über 350-seitigen Searching for Ropens and Finding God aber das wohl umfangreichste Buch zur kreationistischen Kryptozoologie verfasst. Ähnlich wie Gibbons hat sich auch Whitcomb auf ein Kryptid spezialisiert: Lebende Flugsaurier, speziell den Ropen aus Melanesien. Der Ropen gilt dabei als biolumineszenter Flugsaurier mit einer Flügespannweite von ca. 15 Metern. Diese Wesen waren schon vor Whitcomb von kreationistischem Interesse: Zwischen 1994 und 2002 organisierte Carl Baugh (*1936), Direktor des Creation Evidence Museum of Texas, drei Expeditionen auf die zu Neuguinea gehörende Insel Umboi (vgl. Gibbons 2006, 76-78; Whitcomb 2014, 5). Whitcomb setzte sich mit dieser Junge-Erde Gruppe in Verbindung und bereiste die Insel selbst von Mitte September bis Mitte Oktober 2004. Seitdem sammelt er Augenzeugenberichte von Flugsauriern aus aller Welt und veröffentlicht seine Erkenntnisse in Büchern und auf Webseiten. Auf das 2006 erschienene Searching for Ropens folgten Live Pterosaurs in America (2009) und Live Pterosaurs in Australia and in Papua New Guinea (2012). Ich konzentriere mich im Folgenden auf das Hauptwerk Searching for Ropens, da Whitcomb darin seine Theorien entwickelt.

15 Whitcomb gibt an, sein Buch aus zwei Gründen geschrieben zu haben (vgl. Whitcomb 2014, 44): Erstens, um die wörtliche Wahrheit der Bibel zu beweisen. Lebende Flugsaurier würden dabei nicht nur das evolutionäre Weltbild durcheinanderbringen, sondern wären auch identisch mit den in der Bibel und dem Buch Mormon erwähnten »fiery flying serpents«. Zweitens, um depressive Menschen vom Suizid abzuhalten. Ropen zu finden sei seine große Hoffnung ; wenn ihm dies gelänge, könnten auch andere wieder Hoffnung finden. Inhaltlich bietet das Buch eine umfangreiche Sammlung von Augenzeugenberichten und verteidigt Whitcombs Theorien gegen Kritiker. Über seine eigene Expedition erfahren wir, wie Gott ihm einen Führer sendet und er den Einheimischen predigt (vgl. ebd., 51, 58). Die religiöse Motivation seiner kryptozoologischen Arbeit macht er von Anfang an deutlich: »Expect to find references to the Biblical fiery flying Serpent and the Flood of Noah. I added ›finding God‹ to the title of this third edition to avoid offending those wanting only cryptozoology, readers who would be offended to discover they had purchased a book that promoted religion. Yet this is not mainly about religion, not in the usual sense. It’s less likely to take you to church than into the lives of ordinary persons who have encountered extraordinary flying creatures, and into the lives of Christians who have risked their health, even their lives, in search for living pterosaurs. Our disbelief in the General Theory of Evolution has freed us to search far and near, and for years, with a firm belief that God’s purpose will prevail. « (ebd., 8)

16 Der Hinweis ist gerechtfertigt, schließlich distanzieren sich klassische Kryptozoologen häufig deutlich von Kreationisten.8 Das Thema ›Vorurteile‹ zieht sich durch das gesamte Buch. Immer wieder bittet der Autor darum, seine Theorien nicht abzulehnen, nur weil sie von einem Kreationisten stammen. Insbesondere ruft er die Wissenschaft dazu auf, sich von westlichen Beschränkungen frei zu machen:

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 10

»And why should we doubt natives? Human experience lives at the foundation of all human societies and at the foundation of science; why single out experiences of those of another society as unreliable? […] Since Westerners had been so confident that all those creatures had long ago become extinct, native accounts could be ascribed to superstition or misidentification, notwhithstanding the universal extinction of all species of pterosaurs is a Western assumption, not a scientific fact. […] Automatic dismissal of an eyewitness report of a live pterosaur – that usually comes from dogmatically protecting ones philosophy or the universal-extinction assumption of our culture; it does not come from protecting science, at least with what I consider any reasonable definition of ›science‹. I censure nobody, however, for simply doubting such creatures still fly, for it defies an entranched Western belief: It defies generations of extinction indoctrination.« (ebd., 9f)

17 Dieses Argument wiederholt sich immer wieder. Die qualitative und quantitative Auswertung von Sichtungsberichten ist dann auch Whitcombs Hauptmethode (vgl. ebd., 104), ergänzt durch Gedankenexperimente. Als ehemaliger legal videographer vertraut Whitcomb zudem auf seine Fähigkeit, Interviews auszuwerten. Der anekdotische Gehalt seiner Quellen ist ihm dabei bewusst, werde durch das Prinzip der cumulative evidence aber ausgeglichen: »The evidences for living pterosaurs are cumulative. In court, it’s natural for evidences to accumulate on at least one side; the jury decides the case based on all the evidence. This appears to have escaped the notice of skeptics and those critics who ridicule persons who promote living-pterosaur investigation. What do objective readers think when they encounter the testimony of [eyewitness] Duane Hodgkinson? The strangeness of the description of a giant pterosaur-like creature might raise eyebrows (their doubt is caused by a lifetime of indoctrination into standard models). Yet they begin to believe when they begin to encounter similar reports. The number of more-credible sightings makes the case.« (ebd., 334f)

18 Nach Auswertung aller ihm bekannten Berichte kommt Whitcomb schließlich zu dem Schluss, dass heute noch mehrere Arten von Flugsauriern auf der ganzen Welt verteilt leben, auch in Europa und den USA. Gesehen würden sie so selten, da sie nachtaktiv seien. Offiziell entdeckt wurde die Art noch nicht, da Gott die Menschen testen wolle: »God has blessed us with much success in learning from eyewitnesses. So why has no modern pterosaur been officially discovered after many years of searching and prayer? I have found, over the past ten years, a deeper purpose: God has been testing us, allowing all of us to discover the truth in eyewitness testimonies. Loving our neighbor includes listening to our neighbor, and how dearly we need friendships whith those who appear different on the surface!« (ebd., 318)

David Woetzel

19 Der amerikanische Unternehmer David ›Dino Dave‹ Woetzel begleitete Gibbons 2000 nach Kamerun und reiste 2004 kurz nach Whitcomb nach Umboi. Schon 1999 gründete er die Webseite genesispark.com, auf der er seinen Junge-Erde-Kreationismus beweisen möchte, indem er Hinweise auf die Koexistenz von Menschen und Dinosauriern zusammenträgt. Er unterteilt dabei in scriptural, historical, paleontological und cryptozoological evidence. In einem seiner Webartikel stellt er Vermutungen darüber an, was Kryptozoologie für Kreationisten anziehend macht: »Creationists have been strongly represented in the cryptozoologist ranks, particularly in the serious search for a dinosaurian creature. The reason for this, I believe, is twofold. First, biblical creationists are more inclined than their counterparts in the mainstream scientific community to believe that such creatures still exist. It is more plausible to envision dinosaurs existing in remote regions if

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 11

one believes they co-existed with man just a few thousand years ago […]. Secondly, are quite interested in finding an extant dinosaurian creature because of the value that such a find would have in the origins debate.« (Woetzel 2014)

20 2013 verfasste Woetzel Chronicles of Dinosauria. Dinosaurs & Man from Creation to Cryptozoology, ein hochwertig produziertes Kinderbuch, in dem er die Positionen seiner Webseite zusammenfasst. Er erzählt eine christliche Geschichte der Dinosaurier: Von der Schöpfung über die Sintflut bis heute, gestützt auf die oben genannten Quellen. Er beginnt das Buch mit der Feststellung, dass Ansichten über den Ursprung der Welt das gesamte Weltbild bestimmen. Danach erläutert Woetzel, warum er gerade Dinosauriern eine solche Bedeutung zuschreibt: »[T]he Bible indicates that God approves of our contemplation of the mighty beasts He created. In Job 40:15, God commanded his servant to such consideration: ›Behold now behemoth …‹ Shortly thereafter the Lord explained His reason for commending this. Job 41:10 states: ›None is so fierce that dare stir him up: who then is able to stand before me?‹ The mighty dinosaurs should draw our attention to the Almighty Creator unto whom we will all give account. […] But evolutionists have co- opted the public attraction toward the great reptiles to sell their theories of origin. […] As a young man I was distressed with such evolutionary propaganda when I attended a local museum of science. Always the dinosaurs are portrayed as having died out millions of years before man evolved. […] One of the goals of my life became to reclaim the terrible lizards to the glory of our incredible creator. […] Perhaps one day soon God will allow us to capture one of these magnificent creatures, forcing even the most ardent sceptic of the Genesis account to concede that man has coexisted with dinosaurs, just as the Bible has said all along.« (Woetzel 2013, 6-7)

21 Woetzel bezieht sich hier auf die zweite Gottesrede im Hiobsbuch: Hiob hadert mit Gott, dieser spricht direkt zu Hiob und zeigt ihm mit Behemoth und Leviathan zwei gewaltige Ungeheuer. Als Schöpfer der Welt sei Gott selbst noch viel gewaltiger. Auch andere Autoren sehen in diesen ›Fabeltieren‹ Dinosaurier, aber nur Woetzel sagt ausdrücklich, dass die Kryptozoologie einen hiobsgleichen Beweis für Gottes Schöpfungsmacht ermöglicht. Entsprechend ist es für ihn auch unerträglich, wenn evolutionsbiologische und erdgeschichtliche Theorien am Beispiel von Dinosauriern popularisiert werden. Kryptozoologie ist für ihn ein Weg, um die wörtliche Wahrheit der Bibel zu untermauern: »For the Bible-believing Christian, the authoritative Old Testament record settles the matter of dinosaurs coexisting with man. But it is gratifying to find extensive fossil, historical, artistic and cryptozoological evidence as well. Merely believing that dinosaurs were created as Genesis claims, however, falls short of the core message of God’s Word. One must go beyond the account of creation to find the message of God’s redemption of a world that fell into sin and judgement. […] My challenge for Christians is to employ dinosaurs as God did in the Book of Job. Let us use contemporary society’s natural attraction to these imposing reptiles to point friends and relatives to our magnificent, loving and powerful Creator!« (ebd., 78)

22 Für Woetzel steht also von vorneherein fest, dass die absolute Wahrheit nur in der Bibel zu finden ist. Die Erkenntnisse der Wissenschaft müssen an ihr gemessen werden: »We can learn much about dinosaurs by studying their fossiles […]. By piecing together the evidence like a detective, paleontologists can accurately reassemble the skeletons of these awe-inspiring creatures and give us a glimps into how they lived thousands of years ago, filling in details not given to us in God’s revealed Word. There are still many things that we don’t know about the dinosaurs – puzzles awaiting further scientific discoveries. […] Some scientific theories and speculations

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 12

directly contradict God’s Word and cannot be true. For example, evolutionists tell stories about dinosaurs existing millions of years before man ›evolved‹. Further, they invent theories regarding certain dinosaurs evolving into birds.« (ebd., 14)

23 Das Buch vertritt einen Umgang mit Dinosauriern, wie er unter Kreationisten klassisch ist: Historische Darstellungen von Drachen werden als prähistorische Reptilien interpretiert und sollen so etablierte Ansichten über das Alter der Welt und der Arten widerlegen (vgl. Senter und Cole 2011; Senter 2013; Siebert 2013). Woetzel erweitert das Repertoire, indem er die Kryptozoologie hinzuzieht und sogar lebende Dinosaurier in greifbare Nähe rückt: »But the World is a big place and there are plenty of remote locations that have not been thoroughly explored. The area of scientific research that investigates reports and rumors of undiscovered animals is called cryptozoology. Until a living or recently deceased specimen is validated, we can’t speak definitively to any of the great reptiles existing today. We live in the cryptozoological age of dinosaurs.« (ebd., 58)

24 2015 veröffentlichte Woetzel den Artikel »Cryptozoology & Creation Apologetics« in der Zeitschrift Creation Matters. Hier erklärt er einem kreationistischen Publikum, warum es lohnend ist, Kryptozoologie zu betreiben. Es handelt sich wohl um die systematischste Argumentation zur Verbindung beider Fächer: »Some creationists also naively believe finding a dinosaur would be the silver bullet to slay the wolf of evolution. Unfortunately, the history of Darwinian theories suggests that all such evidence would quickly be assimilated into evolutionary theory. I believe that few, if any, committed evolutionists would change their minds when confronted with such a find. […] History has shown that the plasticity of evolutionary theory permits it to accommodate nearly any scenario, making it unfalsifiable. […] Seeing Darwinists do a 180-degree turn on dinosaurs would be a very public embarrassment, resulting in a significantly greater credibility problem. They would shift from a posture that dinosaurs were so unfit that they could not survive, to claiming that some were so fit that they survived till the present virtually unchanged! […] Natural history museums, national parks, and the many magazine articles and books that prominently display dinosaurs would require modification because they currently state that men never co-existed with the great reptiles. […] Finding a living, breathing, dinosaurian creature similar to the specimens in the fossil record would bring into question the reliability of other Darwinian stories. If evolutionists can’t get something as simple as men and dinosaurs being separated by tens of millions of years correct, how can one trust them that men and mold share a common ancestor? […] Indeed, the evidence we do have suggests that any extant dinosaurians are smaller, and arguably less fit than were their fossilized ancestors. This points to degeneration, rather than evolution.« (Woetzel 2015)

25 Lebende Dinosaurier würden also nicht nur die Evolution widerlegen, sondern auch für eine Degeneration seit dem Sündenfall sprechen. Der Artikel endet mit einer Liste erfolgversprechender Suchen nach Kryptiden.

Dale Stuckwish

26 Der Amerikaner Dale Stuckwish (*1955) veröffentlichte 2009 sein Buch Biblical Cryptozoology: Revealed Cryptids of the Bible. Verglichen mit den bisherigen Autoren hat Dale Stuckwish geringeren Einfluss, seine Veröffentlichung wird in der Szene wenig rezipiert. Dazu kommt, dass sich nur etwa die Hälfte des dünnen und wenig

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 13

lektorierten Büchleins mit Kryptozoologie beschäftigt. Andererseits findet der Autor für sein Vorgehen einen speziellen Begriff: Biblische Kryptozoologie. »Cryptids are creatures presumed extinct, hypothetical species or creatures known from anecdotal evidence or evidence insufficient to prove their existence. Cryptozoology is not considered a true science by mainstream biologists and zoologists because of the nature of the study. But there is a truth to cryptozoology that needs revealed [sic]. It is called Biblical Cryptozoology. It is God’s view of who or what these creatures are and where they came from. Because He created them.« (Stuckwish 2009, 7)

27 Sowohl Kryptozoologen als auch Kreationisten sind fasziniert von der Wiederentdeckung des Quastenflossers, für Autoren wie Stuckwish ist dieses ›lebende Fossil‹ also gleich doppelt interessant: »First point to ponder, evolutionary scientists say the coelacanth first appeard in the fossil record […] about 410 million years ago and became extinct about 65 million years ago with the so called dismise [sic] of the dinosaurs. But the fossil they found of it and the specimens they caught of it have the same skeletal characterization. […] Surely after millions upon millions of years there should have been a change. Could it be that they only been around for thousands of years. Could it be the evidence from the coelacanth is good evidence for creation. […] Second point to ponder, we can give God the glory for creating such a creature that survived the worldwide Noahic flood and we are able to see this creature today. My hope in writing this book is to glorify my Lord and Saviour Jesus Christ and give Him the thanks for creating these creatures that are found in the Bible.« (ebd., 10)

28 Was genau mit biblischer Kryptozoologie gemeint ist, erklärt der Autor nicht. Es kann aber aus seinem Vorgehen erschlossen werden. Es handelt sich um einen Dreischritt: Stuckwish wählt zuerst ein biblisches Fabelwesen aus, identifiziert es dann mit einem ausgestorbenen Tier und zeigt schließlich, wo dieses Wesen heute noch als Kryptid zu finden sei. So sei der Behemoth ein Sauropode und lebe als Mokele-Mbembe in Afrika. Hier das Beispiel Leviathan: »The leviathan according to scripture was […]. Some sea creatures that fit the description are the ancient plesiosaurs, mosasaurs, and pliosaurs. These creatures have been seen recently in lakes and oceans around our world. The most famous creature that comes to mind that has been seen by countless witnesses is the Loch Ness Monster or Nessie for short. […] Other famous creatures that are believed to inhabit North American Lakes are Champ of Lake Champlain, USA, Ogopogo of Lake Okanagan, Canada and Manipogo of Lake Manitoba, Canada. There is also some famous laviathans that inhabit the coastal waters of North America, such as Caddy […] of the Pacific coast and Chessie in the Chesapeake bay off the Atlantic coast are but a few of these creatures.« (ebd., 19f)

29 Etwas aus dem Rahmen fällt das Kapitel über Satyrn. Hier springt der Autor direkt zu Bigfoot und Yeti, und spekuliert erst anschließend, worum es sich genau handeln könnte (ebd., 32f). Er schließt auch nicht auf prähistorische Tiere, sondern hält Geister und Außerirdische für wahrscheinlichere Kandidaten. Das Buch schließt mit einigen Bemerkungen zum Thema Glauben (ebd., 81): Kryptozoologen und Paläontologen machten sich beide auf die Suche, weil sie an die Existenz ihres Gegenstandes glauben. Biblische Kryptozoologen litten unter einer doppelten gesellschaftlichen Ablehung, weil sie sowohl an die Bibel als auch an Kryptide glaubten.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 14

Synopsis

30 Ein Vergleich der vorgestellten Autoren zeigt sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Außer dem Mormonen und Alte-Erde-Kreationisten Whitcomb stellt keiner der Autoren eine denominationale Zugehörigkeit heraus. Die Junge-Erde- Kreationisten verbinden ihren biblischen Literalismus mit einer Betonung von individueller Frömmigkeit, Konversionserlebnis (›born again‹) und Missionsstreben. Sie fallen damit in die Sammelkategorie des Evangelikalismus (vgl. Balmer 2010; Queen II 2009). Wichtiger als das Alter der Erde ist allen die Entstehung der Arten, vor allem des Menschen. Die Evolutionstheorie gilt ihnen als materialistische Philosophie und Grundlage des Atheismus. Sie müsse aufgrund ihrer antichristlichen und amoralischen Effekte bekämpft werden. Die Autoren fordern zwar eine Trennung von Wissenschaft und Religion; da sich die letzte Wahrheit aber nur in der Bibel finde, könne echte Wissenschaft gar nicht zu unbiblischen Ergebnissen gelangen. Die Evolutionsbiologie sei daher eine Pseudowissenschaft und könne mit den Erkenntnissen der Kryptozoologie widerlegt werden. Wie klassische Kryptozoologen und creation scientists kämpfen die Autoren also nicht allgemein gegen Wissenschaft, sondern wollen zeigen, dass sie die eigentlich korrekte Wissenschaft vertreten.

31 Die Autoren konzentrieren sich dabei auf die Suche nach kryptiden Dinosauriern und anderen urzeitlichen Tieren. Deren Entdeckung würde wissenschaftlich etablierte Ansichten über die Entstehung der Arten und das Alter der Erde widerlegen. Dass rezente (Nichtvogel-)Dinosaurier ein herber Schlag für die Evolutionsforschung seien, gilt für die Autoren als selbstverständlich: Das evolutionäre Paradigma gilt ihnen als dogmatisch. Könne man einen vermeintlichen Glaubenssatz wie ›Dinosaurier starben aus, bevor die Menschen entstanden‹ widerlegen, würde die gesamte Evolutionstheorie zusammenbrechen. Alle Autoren rationalisieren biblische Fabelwesen als urzeitliche Reptilien und folgen damit der kryptozoologischen Neigung, symbolische Erzählungen zu naturalisieren (vgl. Meurger und Gagnon 1988, 11ff). Lebende Dinosaurier würden demnach die Bibel bestätigen. Die Suche nach ihnen gewinnt somit heilsgeschichtliche Relevanz. In jedem Fall gelten Dinosaurier allen Autoren als beeindruckender Beweis für Gottes Schöpfungsmacht.

32 Bei ihrer Arbeit stützen sich die untersuchten Autoren im Wesentlichen auf Augenzeugenberichte und Expeditionen. Die Sichtungsberichte werden gesammelt und von dem befreit, was die Autoren für ›Aberglauben‹ halten. Aus den so angepassten Erzählungen wird schließlich geschlossen, um welches prähistorische Wesen es sich handeln müsse. Eine bestimmte Menge an Berichten von ›vertrauenswürdigen‹ Informanten gilt dabei quasi als Beweis für die Existenz der Kryptide. Die meisten Autoren unternahmen auch selbst Expeditionen. Dabei nahmen sie teilweise schwere Strapazen auf sich (Gibbons erkrankte etwa an Malaria und wurde von bewaffneten Einheimischen bedroht). Mitunter wurden solche Expeditionen durch missionarisches Engagement ergänzt.

33 Die religiöse Motivation ist nicht bei allen Autoren gleich ausgeprägt. Gibbons stellt sich vor allem als Kryptozoologe dar, dessen Arbeit perfekt mit seinen religiösen Ansichten harmoniere. Für den Kreationisten Woetzel hingegen ist Kryptozoologie nur ein Mittel von mehreren im Kampf gegen die Evolutionstheorie. Vielleicht wäre es angemessen, zwischen kreationistischen Kryptozoologen und kryptozoologischen Kreationisten zu unterscheiden, je nachdem, wo auf der Skala ihr Schwerpunkt liegt.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 15

Die Autoren bezeichnen sich selbst als ›christian cryptozoologists‹, ›bible believing cryptozoologists‹ u.ä. Es existiert keine gemeinsame Selbstbezeichnung. Auffällig ist auch, dass die Autoren kaum Bezug aufeinander nehmen. Das muss nicht unbedingt für Abgrenzungsversuche sprechen. In der kryptozoologischen Literatur wird nur selten mit konkreten Quellenangaben gearbeitet. Viele der Texte sind Kinderbücher oder zumindest auch für junge Leser verständlich – wie schon im herkömmlichen Kreationismus die Schulen umkämpft sind, um Einfluss auf die Erziehung zu nehmen.

Fazit

34 Nach Analyse und Vergleich der Positionen ausgewählter Autoren können einige generelle Aussagen über das Zusammenspiel von Kreationismus und Kryptozoologie getroffen werden. Die eingangs gestellten Forschungsfragen lassen sich nun beantworten.

35 Warum kombinieren einige Akteure die beiden Disziplinen? Kreationistische Kryptozoologen vertreten eine wörtliche Auslegung der Bibel und sehen die Evolutionstheorie als Angriff auf das Christentum. Ihnen ist es wichtig, dass die kreationistische Position nicht nur biblisch offenbart, sondern auch wissenschaftlich bewiesen ist. Evolutionsbiologie und geologischer Aktualismus, aus ihrer Sicht pseudowissenschaftliche Grundlage von Materialismus und Atheismus, sollen durch die Kryptozoologie ›wissenschaftlich‹ widerlegt werden. Wissenschaft darf ihnen zufolge nicht durch religiöse Ansichten beeinflusst werden. Da für sie aber von vornherein feststeht, dass die Bibel eine exakte Beschreibung der Weltgeschichte liefert, könne korrekte Wissenschaft gar keine unbiblischen Erkenntnisse liefern. Besonders lebende Dinosaurier wären ein eindrucksvoller Beweis für die Schöpfungsmacht Gottes. Ihre kryptozoologische Arbeit gewinnt für die Autoren so große religiöse Bedeutung.

36 Wie werden die beiden Disziplinen kombiniert? Die Kryptozoologie ist eine kaum institutionalisierte Grenzwissenschaft, kann also auch an umstrittene Positionen anknüpfen und gegen das wissenschaftliche Establishment ausgespielt werden (vgl. Laycock 2010). Kreationisten schließen an das prehistoric survivor paradigm an und suchen nach rezenten Populationen prähistorischer Arten. Als lange ausgestorben geltende Arten zu entdecken, sei ein schwerer Schlag gegen die Theorie der biologischen Evolution und einer alten Erde. Die Methodologie der Autoren ist klassisch kryptozoologisch: Augenzeugenberichte und andere anekdotische Hinweise werden gesammelt und nach dem Prinzip der cummulative evidence zu einem Beweis angehäuft. Die dabei vorgenommene Naturalisierung wird auch auf die Bibel angewendet und Fabelwesen wie Behemoth und Leviathan als Dinosaurier rationalisiert. Durch die kryptozoologische Hermeneutik (vgl. Laycock 2014) wird die Bibel also einerseits plausibler. Andererseits machen diese Fabeltiere moderne Kryptide glaubhafter. Biblizismus und Kryptozoologie stützen sich also gegenseitig. Für die Suche nach kreationistisch relevanten Kryptiden unternehmen einige Autoren Expeditionen. Dabei werden zum Teil wissenschaftliches und missionarisches Engagement verknüpft.

37 Der vorliegende Beitrag konnte zeigen, wie einige religiöse Akteure versuchen, ihren biblischen Literalismus mit der sozio-kulturellen Autorität der Wissenschaft zu legitimieren. Durch die In- und Exklusion bestimmter Disziplinen in das bzw. aus dem Feld der Wissenschaft soll diese nicht mehr biologische Evolution, sondern göttliche Schöpfung stützen. Indem sie Theorien und Methoden der Kryptozoologie

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 16

übernehmen, stellen die untersuchten Autoren ihre Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie nicht als Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft dar, sondern als Kampf zwischen ›Wissenschaft‹ und ›Pseudowissenschaft‹. Diese Strategie bringt die kreationistischen Kryptozoologen bzw. kryptozoologischen Kreationisten in Spannung sowohl zur etablierten Wissenschaftsgemeinde als auch zu den klassischen Kryptozoologen.

38 Diese erste Exploration konnte nur einen qualitativen Einblick in das Feld bieten. Einige Fragen müssen vorerst offen bleiben – etwa nach der quantitativen Verbreitung kreationistisch-kryptozoologischer Ideen, gerade beim Zielpublikum der Kinder und Jugendlichen. Zukünftige Forschung könnte versuchen, die Gegenstimmen miteinzubeziehen und in einen breiteren Diskurs von Kreationismus, Kryptozoologie, Skeptikerbewegung und Anti-Kreationismus einzuordnen.

BIBLIOGRAPHY

Balmer, Randall. 2010. »Evangelicals: Twentieth Century«. In Encyclopedia of Religion in America. Volume 2. Hrsg. von Charles H. Lippy, und Peter W. Williams, 804-810. Washington D.C.: CQ Press.

Ferngren, Gary. 2012. » and Science«. In The Routledge Companion to Religion and Science. Hrsg. von James W. Haag, Gregory R. Peterson, und Michael L. Spezio, 58-68. London; New York: Routledge.

Gibbons, William J., und Kent Hovind. 1999. Claws, Jaws & Dinosaurs. Pensacola, Florida: CSE Publications.

Gibbons, William J. 2002. »In Search Of the Congo Dinosaur.« Acts & Facts 31 (7) [Impact #349]. Letzter Zugriff: 22. Januar 2017. http://www.icr.org/article/search-congo-dinosaur

Gibbons, William J. 2006. Missionaries and Monsters. 2. Aufl. Landisville, Pennsylvania: Coachwhip Publications.

Gibbons, William J. 2010. Mokele-Mbembe. Mystery Beast of the Congo Basin. Landisville, Pennsylvania: Coachwhip Publications.

Harrold, Francis, Eve, Raymond, und John Taylor. 2004. »Creationism, American-Style. Ideology, Tactics and Rhetoric in a Social Movement.« In The Cultures of Creationism. Anti-Evolutionism in the English-Speaking Countries. Hrsg. von Simon Coleman, und Leslie Carlin, 67-84. Bodmin: Routledge.

Hill, Sharon. 2014. »Prehistoric survivors? They are Really Most Sincerely Dead.« Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. http://www.csicop.org/specialarticles/show/ prehistoric_survivors_they_are_really_most_sincerely_dead

Kaden, Tom. 2012. »Rationalisierung religiöser Überzeugung im amerikanischen Kreationismus. Kent Hovinds Theorie der Sintflut.« Arbeitstitel. Forum für Leipziger Promovierende 4 (1): 1-11.

Kaden, Tom. 2015. Kreationismus und Antikreationismus in den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine konfliktsoziologische Untersuchung. Wiesbaden: Harrassowitz.

o.A. 2009. »Kurze Nachlese zum Kryptozoologie-Seminar Berlin 2009«. Der Fährtenleser 6: 24-25.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 17

Lack, Caleb, und Jacques Rousseau. 2016. Critical Thinking, Science, and Pseudoscience: Why We Can't Trust Our Brains. New York: Springer Publishing.

Laycock, Joe [Joseph]. 2010. »The Religious Struggle over Cryptozoology.« Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. http://www.scienceandreligiontoday.com/2010/02/18/the-religious-struggle- over-cryptozoology/

Laycock, Joseph. 2014. »Creationism, cryptozoology, & the cultural authority of noah's monsters. « Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. http://www.floodofnoah.com/cryptozoology-creation--noah

Loxton, Daniel, und Donald R. Prothero. 2013. Abominable science!: Origins of the Yeti, Nessie, and other famous cryptids. New York: Columbia University Press.

Magin, Ulrich. 1995. »Kryptozoologie.« In Kleines Lexikon der Parawissenschaften. Hrsg. von Gerald L. Eberlein, 79-84. München: C. H. Beck.

Meurger, Michel, und Claude Gagnon. 1988. Lake Monster Traditions. A cross-cultural analysis. London: Fortean Tomes.

Meurger, Michel. 1990. »Three-headed Trolls have gone right out of fashion.« Fortean Times 54: 48-49.

Newton, Michael. 2005. Encyclopedia of Cryptozoology. A Global Guide to Hidden Animals and Their Pursuers. Jefferson, North Carolina: Mcfarland.

Numbers, Ronald. 2010. »Scientific creationism and intelligent design.« In The Cambridge Companion to Science and Religion. Hrsg. von Peter Harrison, 127-147. Cambridge: Cambridge University Press.

Queen II, Edward L. 2009. »Evangelicalism.« In Encyclopedia of American Religiouse History. Third Edition. Volume I. Hrsg. von Ders., Stephen R. Prothero, und Gardiner H. Shttuck, Jr., 386-388. New York: Facts On File.

Radford, Benjamin. 2011. Tracking the Chupacabra. The vampire beast in fact, fiction, and folklore. Albuquerque, New Mexico: University of New Mexico Press.

Regal, Brian. 2008. »Amateur versus professional: the search for Bigfoot.« Endeavor 32 (2): 53-57.

Regal, Brian. 2011. »Cryptozoology.« In Folklore. An Encyclopedia of Beliefs, Customs, Tales, Music, and Art. Volume 1. Hrsg. von Charlie T. McCormick, und Kim Kennedy White, 326-328. Santa Barbara: ABC-CLIO.

Regal, Brian. 2012. »Richard Owen and the sea-serpent.« Endeavor 36 (2): 65-68.

Rossi, Lorenzo. 2016. »A Review of Cryptozoology: Towards a Scientific Approach to the Study of › Hidden Animals‹.« In Problematic Wildlife. A Cross-Disciplinary Approach. Hrsg. von Francesco M. Angelici, 573-588. Cham: Springer.

Senter, Phil, und Sally Cole. 2011. »›Dinosaur‹ petroglyphs at Kachina Bridge site, Natural Bridges National Monument, southeastern Utah: not dinosaurs after all.« Palaeontologia Electronica 14 (1). Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. http://palaeo-electronica.org/2011_1/236/index.html

Senter, Phil. 2013. »Dinosaurs and pterosaurs in Greek and Roman art and literature? An investigation of young-earth creationist claims.« Palaeontologia Electronica 16 (3). Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. http://palaeo-electronica.org/content/2013/541-dinosaurs-in-greco-roman-art

Siebert, Eve. 2012. »Creationism + Cryptozoology = Crapgasm.« Letzter Zugriff: 02. Februar 2017. https://skepticalhumanities.com/2012/02/14/creationism-cryptozoology-craptasm/

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 18

Siebert, Eve. 2013. »Monsters and Dragons and Dinosaurs, Oh My: Creationist Interpretations of Beowulf.« Letzter Zugriff: 29. Januar 2017. http://www.csicop.org/si/show/ monsters_and_dragons_and_dinosaurs_oh_my_creationist_interpretations_of_beo

Stuckwish, Dale. 2009. Biblical Cryptozoology: Revealed Cryptids of the Bible. Bloomington, Indiana: Xlibris.

Tanaseanu-Döbler, Ilinca, und Marvin Döbler. 2011. »Interpretation religiöser Quellentexte. Die Natur zwischen Gott und Menschen in der Schrift De planctu naturae des Alanus ab Insulis.« In Religionen erforschen. Kulturwissenschaftliche Methoden in der Religionswissenschaft. Hrsg. von Stefan Kurth, und Karsten Lehmann, 21-41. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Whitcomb, Jonathan D. 2014. Searching for Ropens and Finding God. 3. Aufl. Wrocław: CreateSpace Independent Publishing Platform.

Wilson, Leonard. 2000. »Uniformitarianism and Actualism«. In The History of Science and Religion in the Western Tradition. An Encyclopedia. Hrsg. von Gary Ferngren, 409-413. New York & London: Garland Publishing.

Woetzel, Dave. 2013. Chronicles of Dinosauria. Dinosaurs & Man from Creation to Cryptozoology. o.O.: Genesis Park Press.

Woetzel, Dave. 2014. »Cryptozoology and Creationism.« Letzter Zugriff: 26. Januar 2017. http:// www.genesispark.com/blog/2014/10/cryptozoology-and-creationism/

Woetzel, Dave. 2015. »Cryptozoology & Creation Apologetics.« Creation Matters 20 (4). Letzter Zugriff 02. Feburar 2017. http://www.genesispark.com/essays/cryptozoology-creation/

NOTES

1. Der vorliegende Artikel stellt einen überarbeiteten Ausschnitt meiner Bachelorarbeit dar. Eine Anmerkung zur Wortwahl: Für organisierte Formen von Kreationismus und Kryptozoologie verwende ich die wertneutralen Bezeichnungen ›Disziplin‹ und ›Fach‹. Englisch ›science‹ entspricht meist nur dem deutschen ›Naturwissenschaft‹, im Kontext dieser Arbeit halte ich es aber für vertretbar, den Begriff einfachheitshalber mit ›Wissenschaft‹ zu übersetzen. 2. Vgl. Lack und Rousseau 2016, 66f; Loxton und Prothero 2013, 216f, 292-295; Radford 2011, 53-55. Die Verbindung dieser beiden ›Pseudowissenschaften‹ war für Skeptiker eine große Provokation. Eve Siebert (2012) brachte ihr Entsetzen auf die einfache Formel: »Creationism + Cryptozoology = Crapgasm«. 3. Auch aus Platzgründen konnte nicht auf den Blogger Tony Breeden (www.siriusknotts.wordpress.com/creationevolution/creation-cryptids/, letzter Zugriff: 18. Januar 2017) oder die Online-Enzyklopädie CreationWiki (www.creationwiki.org/Cryptozoology, letzter Zugriff : 18. Januar 2017) eingegangen werden. Kreationismus und Kryptozoologie sind vor allem Phänomene des englischen Sprachraums. Auf einer 2009 gehaltenen Versammlung deutscher Kryptozoologen führte ein Vortrag über beide Fächer »zu einer hitzigen Debatte« (o.A. 2009, 24). 4. Zur Geschichte des scientific creationism vgl. Harrold et al. 2004; Numbers 2010. 5. Zur Geschichte der Kryptozoologie vgl. Magin 1995; Regal 2008; 2011; Rossi 2016. Das Fach ist dabei keineswegs aus dem Nichts entstanden, sondern greift ältere wissenschaftliche Debatten auf (vgl. Regal 2012). 6. Zum Beispiel: »People tend to maintain that modern man knows all there is to know about this world. This type of proud and haughty attitude is ungodly and unhealthy. God made a great and beautiful world full of marvels and surprises. Science is the study of God’s creation and should

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 19

draw us closer to the Creator. Until a Bigfoot is captured and closely examined, the creatures will continue to be one of the Creator’s mysteries.« (ebd., 49.) 7. Hierzu die Einleitung von Gibbons 2002: »Perhaps the most exciting prospect for the world of creation science is the possibility that dinosaurs may still be living in the remote jungles of the world. Evolution and its accompanying necessity of long ages of evolutionary development would be hard pressed to accommodate a living dinosaur. Such is the story of Mokele-Mbembe, a creature that some scientists believe could be a surviving sauropod dinosaur. The one area today that would favor living dinosaurs is the vast and unexplored swamps of equatorial Africa.« 8. Etwa Newton 2005, 401: »It is tempting to dismiss the Ropen out of hand, based on the sources cited thus far, since Gibbons openly promotes living [dinosaur] reports as ›proof‹ of a religious ›young earth‹ doctrine […]. Second-hand reports from anonymous clergymen, frankly, to [sic] not inspire confidence. […] Karl Shuker has also investigated the ropen, producing another source with no sectarian agenda.«

ABSTRACTS

Kreationisten betonen in der öffentlichen Auseinandersetzung häufig, ihre Ansichten seien nicht nur biblisch offenbart, sondern auch wissenschaftlich bewiesen. Im Kampf gegen ein als dogmatisch empfundenes wissenschaftliches Establishment greifen einige Kreationisten dabei auf Theorien und Methoden der ebenfalls marginalisierten Kryptozoologie zurück. Vor allem die Suche nach lebenden Dinosauriern gilt ihnen als aussichtsreiche Strategie, um wissenschaftlich etablierte Positionen über Entstehung der Arten und Alter der Erde zu widerlegen. Die Szene der kreationistischen Kryptozoologen ist wenig bekannt und bisher kaum untersucht worden. Dieser Artikel möchte eine Forschungslücke schließen, indem er Publikationen wichtiger Akteure dieses Feldes vorstellt. Dazu werden ihre Schriften zuerst als religiöse Quellentexte interpretiert, bevor versucht wird, die gemeinsame Position der Autoren zu rekonstruieren. Es stellt sich heraus, dass die Autoren die sozio-kulturelle Autorität der Wissenschaft für die Wissensproduktion zwar anerkennen, wissenschaftliche Theorien aber immer an ihrer Vereinbarkeit mit einer wörtlichen Bibelinterpretation messen.

In the public dispute over creationism, its proponents often insist upon their position being not only scripturally revealed, but also scientifically proven. In their struggle against an alledgedly dogmatic scientific establishment, some creationists employ the methods and theories of the similarly marginalized field of cryptozoology. Especially the search for living dinosaurs is considered a promising strategy to disprove the established view of the origin of species and the age of the earth. Creationist cryptozoologists are a little known and underresearched phenomenon. This article wants to fill this gap by presenting publications of some important actors in the field. Primarily, their works will be interpreted as religious texts. The article then tries to reconstruct the authors‘ common position. As it turns out, the authors do recognise the sociocultural authority of science for the production of knowledge, but always judge scientific theories on the basis of a literal reading of the bible.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 20

INDEX

Keywords: Creationism, Cryptozoology, Contemporary Religious Cultures, Legitimization, Production of Knowledge Schlüsselwörter: Kreationismus, Kryptozoologie, Religiöse Gegenwartskultur, Legitimation, Wissensproduktion

AUTHOR

FABIAN THUNIG Fabian Thunig schloss den Bachelorstudiengang »Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Religion« an der Universität Bayreuth ab und studiert seit April 2017 den Masterstudiengang »Religionswissenschaft« an der Universität Heidelberg. Kontakt: [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 21

Émile Durkheims Religionsverständnis Kernelemente, Kritik, Rezeption und Aktualisierbarkeit für die junge kritische Religionswissenschaft

Matthias Olk

Einleitung

1 Émile Durkheim (1858–1917) gilt als Klassiker der Religionswissenschaft. Sein 1912 erschienenes religionsphilosophisches Werk »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« wurde 2014 in deutscher Sprache neu aufgelegt und sein Religionsverständnis bildet ein Grundgerüst für zahlreiche zeitgenössische religionswissenschaftliche Forschung. Neben dieser bejahenden Annahme und Weiterführung des Durkheimschen Religionsverständnisses musste und muss sich dieses jedoch auch weitreichender Kritik stellen. Wie im zweiten Teil dieses Artikels dargestellt, wird Durkheims Menschen- und Gesellschaftsbild – und sein daraus resultierendes Religionsverständnis – besonders aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Richtung stark kritisiert. Am drastischsten übt diese Kritik Theodor W. Adorno, der Durkheims Gesellschaftstheorie eine Nähe zum faschistischen Kollektivismus vorwirft. Nun stellt sich die Frage, ob Durkheims Religionstheorie einer jungen Religionswissenschaft noch dienlich sein kann. Bevor ich auf mein Vorgehen und die Struktur dieses Artikels eingehe, möchte ich einige Grundsätze formulieren, die diese junge Religionswissenschaft in meinem Verständnis ausmachen.

2 Erstens ist die junge Religionswissenschaft sich dessen bewusst, dass über die vorherrschende ausschließende Vorstellung von Religion epistemische Gewalt ausgeübt wird und dass sich folglich die Kategorie »Religion« für das Individuum als genauso diskriminierend erweisen kann wie die identitären Vorstellungen zu den Kategorien Gender, Ethnizität, Sexualität und Behinderung. Zugleich weiß die junge Religionswissenschaft zweitens um die Gefahr der Intersektionalität dieser Kategorien und sieht es als ihre Aufgabe, dem diskriminierenden Potenzial der Kategorisierung über die Religion (und auch dem der anderen Kategorien) entgegenzuwirken. Aus

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 22

diesem Wissen heraus ist sich die junge Religionswissenschaft drittens über die kolonialen und eurozentrischen Perspektiven ihrer Ursprünge bewusst und reflektiert stetig, ob sie nicht selbst immer noch das Unbekannte im Sinne Edward Saids als das »Fremde« und hierarchisch Untergeordnete essenzialisiert (Said 1978). Viertens geht die junge Religionswissenschaft nicht davon aus, dass Religion statisch, homogen und an nationalstaatliche Grenzen gebunden ist, sondern dass sie und die ihr zugeordneten Phänomene fluide sind und unter ständigem Einfluss von anderen gesellschaftlichen und transkulturellen Phänomenen stehen. Diese Grundsätze liegen auch dem vorliegenden Artikel zu Grunde.

3 Im ersten Teil wende ich mich den Kernelementen des Religionsverständnisses Durkheims zu, wie wir sie in seiner Studie »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« (2014 [1912]) vorfinden. Im zweiten Teil der Arbeit soll es um die Anschlussfähigkeit respektive Aktualität des Durkheimschen Religionsverständnisses gehen. Hierzu untersuche ich Kritiken an der Studie sowie eine aktuelle Rezeptionslinie. Um, des Weiteren, deren Aktualität zu diskutieren, betrachte ich daraufhin die Theorie aus einer poststrukturalistischen Perspektive. Schließlich bewerte ich im Fazit, ob Durkheims Religionsverständnis für die Betrachtung von Religion und Religiosität in der spätkapitalistischen Gesellschaft aus kritischer Perspektive dienlich ist.

Die elementaren Formen des religiösen Lebens

Hintergrund und Ziele der Studie

4 Die Person Émile Durkheims greifbar zu machen, ist schwer. »He has at one time or another been dubbed a socialist, a syndicalist, a radical, a liberal, a conservative, and even a proto-Fascist« (Parkin 1992, 3). Um Durkheim gerecht zu werden, sollten wir nach dem Ziel seiner Arbeit fragen: Dieses besteht offensichtlich darin, zu ergründen, was Gesellschaft ist und welchen Regeln sie unterliegt.

5 In seinem letzten großen Werk »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« aus dem Jahr 1912 nähert Durkheim sich dieser Frage über den Versuch an, die Religion zu erklären. Religion sei, so schreibt er bereits 1897 an Marcel Mauss, die »Matrix« des sozialen Lebens (Durkheim 1998, 71). Anders als Karl Marx, der aus der Perspektive seines historischen Materialismus argumentiert, geht Durkheim davon aus, dass der religiöse Faktor die Menschheitsgeschichte deutlich stärker beeinflusst habe als der ökonomische. In Antwort auf Labriola schreibt Durkheim ebenfalls 1897: »More generally, it is indisputable that at the outset, the economic factor is rudimentary, while religious life is by contrast, luxuriant and all-pervading« (zitiert nach Giddens 1972, 161).

6 Heike Delitz (2013, 150ff) zu Folge lassen sich vier Ziele eruieren, die Durkheim mit seiner Studie zum Religiösen verfolgt. Erstens gehe es ihm offensichtlich um die Erklärung des Religiösen. Hierbei umgehe der Atheist Durkheim jede Frage nach einem Gottesbeweis und betrachte Religion rein funktionalistisch auf gesellschaftlicher Ebene. Ein sekundäres Ziel bestehe darin, das menschliche Denken zu erklären. Davon ausgehend, dass ein Religionssystem auch stets eine Kosmologie sei, ermögliche das soziologische Verstehen des Religiösen und besonders seiner Ursprünge das Verstehen der Entstehung der menschengemachten Ordnungssysteme und Denkkategorien Zeit,

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 23

Ort, Qualität, Quantität etc. Drittens, und dies werde erst bei genauerer Auseinandersetzung mit dem Autor und seiner Zeit deutlich, suche Durkheim als Moralwissenschaftler nach dem »sozialen Band« (Seyfert 2011, 186), das die Gesellschaft zusammenhält. Als viertes Ziel lässt sich nach Delitz der Anspruch erkennen, zu beweisen, dass Gesellschaft Gesetzen unterworfen sei, was eine Grundthese Durkheims und seiner Soziologie darstelle. Dieser Beweis würde wiederum die allgemeine Soziologie als Wissenschaft legitimieren.

Durkheims Methode

7 Die Studie »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« gliedert sich in drei Bücher plus Einleitung und Fazit. Dreh- und Angelpunkt von Durkheims Überlegungen ist seine Betrachtung des Totemismus der Arunta, ein Stamm der australischen Aborigines. Verstehe man die Natur und die Ursprünge dieses »nicht-modernen« religiösen Systems, könne man eindeutige Rückschlüsse auf moderne Religionen und deren Funktionsweisen ziehen (vgl. Durkheim 2014, 21). Auch wenn Durkheim Australien nie selbst bereist hat, geht er davon aus, einen weitreichenden und zielführend analysierbaren Datensatz1 gefunden zu haben, der allen seinen Anforderungen genügt.

8 Da die dokumentierten Riten und Mythen der Arunta in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben seien, ist Durkheim zu Folge das Verstehen dieser und das Erkennen ihrer Funktion unverfälscht möglich. Diesen Funktionalismus könne man dann auf die modernen (europäischen) Religionssysteme anwenden und diese erklären bzw. ihre Gesetzmäßigkeiten erkennen. Hierbei müsse man mit ethnographischer Genauigkeit arbeiten (vgl. ebd., 18).

9 Ohne zu stark auf die Rezeptionsgeschichte und die Kritik an Durkheims Werk eingehen zu wollen, da dies an anderer Stelle des Artikels erfolgen soll, muss die Frage beantwortet werden, warum man für ein Verstehen moderner (europäischer) Religion – bzw. im engeren Sinne: des Christentums – nicht nach dessen Ursprüngen sucht: Laut Durkheim seien diese durch die Transformationsprozesse, die das Christentum durch die Jahrhunderte hindurch erlebt habe, nicht mehr oder nur noch verfälscht aufspürbar und unauflösbar überlagert von neueren Theologien, Mythen und Riten (vgl. Jones 1986, 117).

Zum ersten Buch – Religion soziologisch betrachtet

10 Es mag zunächst paradox erscheinen, dass Durkheim dem ethnographischen Teil seiner Arbeit, der der Erklärung des Wesens und der Funktion des Religiösen dienen soll, ein erstes Buch voranstellt, das den Titel »Einleitende Fragen« trägt und bereits eine Religionsdefinition enthält. Durkheim widmet sich in diesem ersten Buch der Frage, was Religion, soziologisch betrachtet, ausmacht. Und bei genauerer Betrachtung wird deutlich, warum die Beantwortung dieser Frage dem ethnographischen Teil der Arbeit vorangestellt werden musste: Erstens war es für seine Zeit nicht selbstverständlich, eine religionssoziologische Perspektive einzunehmen; folglich musste diese erst detailliert dargestellt werden. Zweitens dient dieser erste Teil der Begründung der These, dass eine vergleichende Analyse von »nicht-modernen« nicht-christlichen Religionen mit modernen christlichen Religionen möglich sei, da beide unter die Religionsdefinition der Durkheimschen Soziologie fallen (Durkheim 2014, 77). Drittens

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 24

begründet Durkheim sein Interesse am Totemismus der Arunta als ursprüngliche Form des Religiösen. Diese erste, eher hermeneutisch gebildete, Religionsdefinition möchte ich im Folgenden vorstellen.

11 Durkheim bemüht sich um eine Religionsdefinition, die nicht christozentrisch ist. Generell sei das Wesen der Religion nicht über Götter, Geister oder sonstige übernatürliche Wesen zu definieren, sondern über »Elementarphänomene« auf menschlicher Ebene (ebd., 60), wie Mythen, Dogmen, Riten und Zeremonien. In allen Glaubensvorstellungen existiere die dichotome Teilung der Dinge in profane und heilige, wobei jedes Ding heilig sein oder werden könne, unabhängig von seinem Wesen und seiner Beschaffenheit. Zwischen der Welt der profanen Dinge und der Welt der heiligen Dinge klaffe eine schier unüberwindbare Lücke. Diese werde durch Riten, bei denen es zu einer »Verwandlung totius substantiae [Hervorhebung Durkheim, Anm. MO]« (ebd., 65) komme, überwunden. Bevor Durkheim im zweiten Teil des ersten Buches auf die Frage eingeht, wo diese Vorstellung von getrennten Welten und die Einteilungswut des Menschen herrühren, grenzt er Religion von Magie ab. Der fundamentale Unterschied bestehe darin, dass Religion eine Kirche besitze, also eine Solidargemeinschaft von Gläubigen, die alle einem Religionssystem folgten, während Magie diese nicht besitze, sondern einem Individualglauben gleichzusetzten sei (vgl. ebd., 72ff). Aus diesen Überlegungen kommt Durkheim zu einer ersten Definition von Religion: »Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d.h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereint, die ihr angehören.« (ebd., 76)

12 Legt man diese Definition zu Grunde, können sowohl das Christentum als auch das Religionssystem der Arunta als »Religion« definiert werden.

13 Bevor die vergleichende Analyse beginnt, klärt Durkheim noch die o.g. Frage nach dem Ursprung der Trennungsvorstellung von heiliger und profaner Welt. Grundsätzlich müsse man zwischen zwei Religionssystemen unterscheiden: Das erste – der Naturismus – wende sich an Dinge der Natur. Dinge, die leben, Gezeiten, Phänomen des Wetters etc. stünden im Fokus des naturistischen Religionssystems. Im Gegensatz dazu stehe im Fokus des zweiten Religionssystems – des Animismus – der Glaube an unsichtbare übernatürliche Wesen wie Gottheiten, Teufel, Seelen etc. (vgl. ebd., 78f). Doch weder in dem einen noch in dem anderen Religionssystem findet Durkheim den Ursprung der menschlichen Denkkategorie, die zwischen profan und heilig als fast unüberwindbar unterscheide. Der Naturismus könne nicht den Ursprung liefern, denn wie solle etwas so Profanes wie die Natur zum Heiligen erhoben worden sein? Und auch der Animismus könne nicht der Ursprung des religiösen Grunddenkens des Menschen sein, da bekannt sei, dass dieses Religionssystem auf Illusionen beruhe, denen die Einteilung in profan und heilig bereits vorangegangen sein müsse. Durkheim schlussfolgert: Es muss »einen anderen fundamentalen und primitiveren Kult geben, von dem die beiden [Religionssysteme] nur abgeleitete Formen [...] sind [...]. [D]ie Ethnographen haben ihm den Namen Totemismus gegeben« (ebd., 134). Somit versucht Durkheim bereits erkenntnistheoretisch zu belegen, dass sein Vorgehen sinnvoll ist und eine Untersuchung des Totemismus, wie man ihn bei den Arunta findet, den Ursprung des Religiösen auffindbar macht.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 25

Zum zweiten Buch – Der Totemismus aus funktionalistischer Perspektive

14 Im zweiten Buch mit dem Titel »Die elementaren Glaubensvorstellungen« beschreibt Durkheim zunächst die totemistischen Vorstellungen der Arunta und ihre gesellschaftliche Funktion. Er stellt des Weiteren Bezüge zwischen Totemismus und moderner Religion her. Dies geschieht allerdings eher anekdotisch und nicht in der zu erwartenden Präzision. Durkheim scheint sich phasenweise in der exotischen Welt der australischen UreinwohnerInnen zu verlieren und seine eigene Lebenswelt zu vergessen.

15 Zunächst stellt Durkheim die nominalistische These auf, dass ein Totem bei den Arunta als Kollektivbezeichnung diene, die Verwandtschaftsverhältnisse beschreibe (vgl. ebd., 153). Die Arunta lebten in Klanstrukturen. Jedem Klan sei ein Totem zugeordnet. Mehrere Klans schlössen sich zu einer Phratrie zusammen, wobei jeder Stamm aus zwei Phratrien bestünde. Diesen sei jeweils ein weiteres Totem zugeordnet (vgl. ebd., 160).

16 Das Totem kann laut Durkheim seine Heiligkeit weitergeben und die Dinge, die mit ihr infiziert seien, könnten sie ebenfalls weitertragen. Durkheim vermutet: »Die Totemdarstellungen haben also eine größere Wirkung als das Totem selbst« (ebd., 198). Somit geht er selbst über die anfängliche nominalistische These der Funktion des Totems hinaus und spricht ihm eine religiös-sakrale Funktion zu.

17 Nun stellt sich die Frage nach der Position und der Rolle des Menschen in diesem Totemsystem. Hierzu muss man Durkheim zu Folge nachvollziehen, dass durch Mythen eine genealogische Beziehung zwischen Mensch und Tier hergestellt wird (vgl. ebd., 199f). Das Tier sei Freund und Verwandter des Menschen. Es sei ebenfalls Mitglied des Klans, der seinen Namen trägt. So entstünde ein solidarisches System zwischen Mensch und Tier (vgl. ebd., 200f).

18 Der Totemismus sei auch ein kosmologisches System, das der Einteilung der Welt diene. Alle Dinge würden dem Klansystem zugeordnet und keines sei in dieser Ordnung bei zwei oder mehreren Klans auffindbar, sondern unüberwindbar einem Klan – im Sinne einer Klasse – zugeordnet. Die soziale Einteilung der Gesellschaft sei somit Vorbild für die Ordnung der Dinge (vgl. ebd., 210f).

19 Laut Durkheim sind im Totemsystem das Totemtier (selten auch die Totempflanze), dessen/deren Bild und der Mensch – auf Grund der Genealogie zwischen Tier und Mensch – heilig. Durkheim versucht zu ergründen, wo diese Heiligkeit ihren Ursprung hat und entwickelt das »Totemprinzip«, das auf einer »anonyme[n] und unpersönliche[n] Kraft [beruht], die sich in jedem dieser [o.g.] Wesen befinde, ohne mit einem von ihnen zusammenzufallen. Keiner besitzt sie ganz, aber alle sind daran beteiligt« (ebd., 281). Kern der Religion der Arunta – und das lasse sich auf alle anderen Religionen übertragen – sei eine unpersönliche Kraft, eine Energie, die durch die Totemtiere symbolisiert und greifbar werde. Andererseits symbolisiere das Tier wie o.g. den Klan. Diese beiden Beobachtungen bringen Durkheim zu der These, dass der Klan selbst die unpersönliche Kraft ist, die die Gesellschaftsmitglieder in das Göttliche, Heilige oder Übernatürliche projizieren. »Der Gott des Clans, das Totemprinzip, kann also nichts anderes als der Clan selbst sein, allerdings vergegenständlicht und geistig vorgestellt unter der sinnhaften Form von Pflanzen- oder Tiergattungen, die als Totem dienen.« (ebd., 307)

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 26

20 Es komme also zu einer »Vergottung« (ebd.) der Gesellschaft. Das führt Durkheim zu der Frage, wie es zu dieser gekommen sei. Er findet die Antwort in der Ritualpraxis der Religionen. Bevor er diese für die Arunta detailliert im dritten Buch beschreibt, äußert er einige allgemeine Grundannahmen zum Zusammenhang von Ritualpraxis und Selbstprojektion der Gesellschaft auf das Göttliche. Er prägt den Begriff der kollektiven »Erregung« (ebd., 324). Zu dieser komme es in rituellen Kollektivhandlungen (zum Beispiel beim Ritual corrobbori, zu dem sich der gesamte Stamm versammelt) (vgl. ebd., 319). Diese rituellen Feste würden sich in der Wahrnehmung des beteiligten Individuums stark vom alltäglichen Leben abgrenzen. Es komme zu Ekstase, Überreizung und Erschöpfung sowie Affekten. Die Affekte würden als überweltlich wahrgenommen und seien so intensiv, dass das Kollektiv, in dem diese Wahrnehmung passiert, selbst geheiligt werde (vgl. ebd., 325).

21 Wenn die Rituale von so großer Wichtigkeit sind, könnte man fragen, warum Durkheim zuvor die Totems als heilige Symbole in den Vordergrund gestellt hat. Ihren Zweck betont er nochmals in Zusammenhang mit der vorangegangenen Theorie der kollektiven Erregung im Sinne einer Symboltheorie. Die kollektiven Gefühle würden im Moment der Empfindung auf ein Ding übertragen, das zum Totem werde. Dieses Ding drücke anschließend als Symbol das kollektive Gefühl aus, löse es aber auch aus. Da diese Gefühle nach Durkheim das konstituierende Element der Gesellschaft darstellen, würde ohne die Weitergabe dieser in Symbolform die Gesellschaft nicht als solche funktionieren (vgl. ebd., 325ff).

Zum dritten Buch – Die totemistischen Riten aus funktionalistischer Perspektive

22 Im letzten Buch »Die wichtigsten Ritualhaltungen« führt Durkheim die oben erwähnte funktionalistische Bedeutung der Rituale weiter aus und klassifiziert sie. Es müsse angemerkt werden, dass totemistische Vorstellungen und totemistische Rituale selbstredend miteinander verbunden seien. »Die Glaubensauffassungen fassen dieses [religiöse] Leben in Vorstellungen; die Riten organisieren es und regeln seinen Verlauf« (ebd., 607).

23 Durkheim unterscheidet fünf Klassen von Ritualen. Die erste Klasse lasse sich einem negativen Kult zuordnen. Explizit seien dies Verbote, die zu einer Separation von Heiligem und Profanem führten und so erst dem Heiligen seine exklusive Heiligkeit verliehen. Berührungsverbote, Verhaltensregeln für heilige Orte etc. fielen in diese Klasse. Grundlegend sei hierbei die oben angeführte Annahme, dass die Heiligkeit des Heiligen ansteckend sei. Ohne zum Beispiel Regeln im Umgang mit heiligen Dingen würde sich diese Heiligkeit willkürlich verbreiten. Ebenfalls eher zu den negativen Kulten ließen sich Initiationsrituale zählen. Durch diese werde der Charakter der/des Initiierten (im Falle der Arunta handelt es sich nur um die männlichen Stammesmitglieder) durch das Ritual in einen neuen Charakter überführt, der in die Gemeinschaft passe (vgl. ebd., 440ff). Durkheim widerspricht damit der These, dass das Ritual als Prüfung zu verstehen sei, und dass nur das Individuum, das bereits den passenden Charakter besitzt, das Ritual überstehen und somit Teil der Gemeinschaft werden könne. Durkheim betont, dass durch das oft schmerzhafte Ritual der Charakter erst passend gemacht werde (vgl. ebd., 460f). Neben den negativen existierten auch positive Kulte. Hierunter fielen Imitations-, Darstellungs-/Gedenk- und Sühne-/

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 27

Trauerriten (vgl. ebd., 481f). Bei Imitationsriten werde – im Falle der Arunta beim Fest intichiuma (vgl. ebd., 482) – das Totemtier nachgeahmt. Durch Imitation der Bewegungen und Laute des Tieres mache sich die/der Ritualteilnehmende mit dem Tier identisch. Dies passiere in kollektiven Riten und trüge die Funktion in sich, das Kollektivbewusstsein zu stärken und zu reproduzieren. Die Ritualteilnehmenden erinnerten sich an ihre Einheit untereinander und an die Verwandtschaftsbeziehung zu dem Totemtier. Schließlich geht Durkheim auf Sühne- und Trauerriten ein, wobei er für sein Beispiel der australischen Stämme keine Sühneriten im engeren Sinne ausmachen kann, was er nicht weiter ausführt (vgl. ebd., 594).2 Man könne davon ausgehen, dass negative Affekte, wie die Trauer, dem Kollektiv schaden könnten, doch gerade das kollektive Bekennen dieser Gefühle manifestiere die Wichtigkeit des Kollektivs. Die »kollektiven Manifestationen [...] geben der Gruppe die Energie wieder, die die Ereignisse ihr zu nehmen drohten« (ebd., 552).

Ergebnisse der Studie in Hinblick auf die Moderne

24 Was lässt sich nun aus Durkheims Beobachtungen und der Analyse der »nicht- modernen« Religion der Arunta für die Moderne ableiten? Er selbst stellt diesen Bezug in seinen Ausführungen eher sporadisch und verstreut her. Unter der Prämisse der eingangs formulierten Ziele der Studie lassen sich drei Ergebnisse in Hinblick auf die Moderne herausarbeiten.

25 Ein erstes religionssoziologisches Ergebnis ist Durkheims Antwort auf die Frage, wie sich die moderne Religion in Bezug auf ihre Funktion erklären lässt. Folgt man Durkheims These, dass die bei der Arunta-Gesellschaft zu Tage tretenden Erkenntnisse zur Funktion der Religion genauso auf komplexere moderne Religionen übertragen werden können, liegt die Funktion der modernen Religion ebenfalls in der von Durkheim beschriebenen Selbstvergottung der Gesellschaft. Dieses Prinzip fasst Gianfranco Poggi zusammen. »Religion necessarily becomes its [gemeint ist die Gesellschaft, Anm. MO] mirror, the source of its identity, the sole adequate expression of its greatness and might, the chief medium and propellant of individuals’ continuous enactment and reenactment of society itself.« (Poggi 2000, 155f)

26 Poggi führt weiter in Bezug auf das Christentum aus, dass dieses – wie kaum eine andere Religion – das Individuum zum religiösen und sakralen Subjekt gemacht habe (vgl. ebd., 167). Die Sakralität des christlichen Individuums gelte somit gesamtgesellschaftlich für jede/n Einzelne/n und binde wiederum das Individuum an seine eigene Sakralität und somit an die Gesellschaft. Wie bei den Arunta werde auch in modernen Gesellschaften die Vorstellung dieser durch das Religiöse dargestellt und symbolisiert, wobei das Religiöse wiederum die Vorstellungen von Gesellschaft reproduziere.

27 Ein weiteres wissenssoziologisches Ergebnis ergibt sich mit Blick auf die Frage nach dem Ursprung des modernen menschlichen Denkens. Das logische Denken ist nach Durkheim sozialen Ursprungs und gleichzeitig eine Notwendigkeit für die Existenz der Gesellschaft. Die Individuen der Gesellschaft bedürften einer gemeinsamen Logik, um gemeinsam handeln zu können (vgl. Durkheim 2014, 24). Aus diesem gemeinsamen Handeln entstünden eine Reproduktion dieser Logik und die Bildung eines kollektiven Gedächtnisses. Das Denken sei folglich in erster Linie innerhalb einer Gesellschaft

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 28

logisch und strukturell nicht zwangsläufig auf andere Gesellschaften übertragbar (vgl. ebd., 24).

28 Was für die Arunta festgestellt wurde, könne also auch auf das Denken in der Moderne bezogen werden. Das moderne Denken sei demnach sozialen Ursprungs und notwendig zum Erhalt der Gesellschaft. Innerhalb dieser sei es logisch und objektiv. Andere Gesellschaften würden das Denken der einen jedoch nicht notwendigerweise nachvollziehen können. Da nach Durkheim das Religiöse die Gesellschaft abbildet und andererseits die Gesellschaft sich selbst in das Religiöse projiziert, kann man die These des sozialen Ursprungs des Denkens so weiterführen, dass die Kategorien des Denkens im Religiösen gefunden werden können und umgekehrt dieses prägen. Erinnern wir uns an die anfängliche hermeneutisch gebildete Religionsdefinition Durkheims, unter die sowohl die Religion der Arunta als auch das Christentum fielen, kann man die These aufstellen, dass die Kategorien und die Logik des Denkens der Arunta und des modernen (christlich geprägten) Menschen durchaus ähnlich sind.

29 Drittens kann ein moralsoziologisches Ergebnis konstatiert werden. Durkheims Erkenntnis, dass das Funktionieren einer Gesellschaft durch Religion und gemeinsames kollektives Handeln gesichert werden könne, bringt ihn zu diesem. Er beobachtet den in seiner Zeit aufkommenden Individualismus als ein in Widerspruch stehendes Phänomen zu gesellschaftlicher Vergemeinschaftung. »[...] Durkheim is implying that modern persons are more egoistic and narcissistic than primitive persons« (Mestrovic 1992, 131). Eine Abnahme kollektiver (religiöser) Rituale sieht Durkheim als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der Gesellschaft. »Only the intensively experienced, transporting presence of others and participation with others supplies the individual with, so to speak, a sky-hook for the feat« (Poggi 2000, 165). Trotz seiner Befürchtungen geht Durkheim davon aus, dass eine neue Form des Religiösen diese Gefahren bannen werde, auch wenn diese zu seinen Lebzeiten noch nicht absehbar sei. Sie könne durchaus säkularisiert und humanistisch sein, und habe trotzdem die gleiche, ihr innewohnende Kraft wie die spirituelle Form des Religiösen. Dieser humanistische Optimismus scheint retrospektiv – im Wissen um die in den nächsten Jahrzehnten folgenden gesellschaftlichen Umbrüche und die durch europäische Gesellschaften ausgelösten menschheitsgeschichtlichen Katastrophen – tragisch.

30 Zusammenfassend ist das Religionsverständnis Durkheims geprägt von der Annahme, dass Religion sozialen Ursprungs sei und gesellschaftliche Funktionen erfülle. Sie selbst präge die Gemeinschaft, in der sie durch kollektive Riten kraftvoll lebendig werde. Die Religion sei zeitgleich der Ursprung der allgemeinen Denkkategorien der Individuen einer Gesellschaft. Die Weitergabe und der Statuserhalt der Religion erfolgten in symbolischen und rituellen Äußerungen.

Aktualität des Durkheimschen Religionsverständnisses

Kritik – Positivismusstreit und ethnologische Bedenken

31 Um nun die Frage nach der Aktualität des Durkheimschen Religionsverständnisses für eine junge Religionswissenschaft, die sich den einleitend genannten Grundsätzen

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 29

verpflichtet fühlt, zu beantworten, möchte ich mich zunächst anhand einiger Beispiele mit der Kritik an diesem Religionsverständnis auseinandersetzen.

32 Auch wenn diese Kritik schon zu Durkheims Lebzeiten laut wurde, erreichte sie ihren Höhepunkt mit dem sogenannten Positivismusstreit der 1960er-Jahre, in dessen Kontext Theodor W. Adorno Durkheim scharf kritisierte. In der von ihm verfassten Einleitung zur Aufsatzsammlung »Emile Durkheim. Soziologie und Philosophie« (Adorno 1967) macht Adorno seine Ablehnung des Durkheimschen Soziologieverständnisses deutlich. In Hinblick auf die Thematik der Religion wirft er ihm ein reaktionär-bourgeoises Verhältnis zu dieser vor. »Seine soziologische These, daß, mit Übertreibung gesprochen, in der Religion die Gesellschaft sich selbst anbete, büßt bei dem späten Bürger den aufklärerischen Oberton ein, den dergleichen Gedankengänge im achtzehnten Jahrhundert und dann bei Feuerbach besaß. Nicht wird Religion als gesellschaftliche Projektion entzaubert, sondern Durkheims Wissenschaft attestiert der Gesellschaft noch einmal jene Göttlichkeit, die sie ihm zufolge in der Religion nach ihrem Bild erschuf.« (ebd., 14)

33 Adorno spricht dem Religionsverständnis Durkheims jede Möglichkeit der kritischen Auseinandersetzung mit diesem und zur Aufdeckung autoritärer Strukturen ab. Dieses – seiner Meinung nach falsche – Verständnis habe seinen Ursprung in Durkheims grundsätzlich falscher Betrachtungsweise der Gesellschaft. Laut Adorno betont Durkheim in seinem gesamten Werk, dass man sich an »faits sociaux« halten müsse, gesellschaftliche Dinge, die einer unüberwindbaren Regelhaftigkeit und einem strengen, alternativlosen Funktionalismus unterworfen seien. Diese gelte es als »schlechthin Gegebenes« (ebd., 9) zu akzeptieren, was jegliche Kritik oder gar die Möglichkeit der Veränderung gesellschaftlicher Zustände ausschließe. Es sei durchaus wahr, dass Durkheim aufzeige, dass die Gesellschaft »naturbefangen den Kampf ums Dasein fortsetzt« (ebd., 13), aber das Erkennen, dass es kapitalistische Machtstrukturen seien, die auf das Individuum einwirken, vermisst Adorno bei Durkheim schmerzlich. Seine Kritik geht so weit, dass er Durkheims Gesellschaftstheorie vorwirft, eine Nähe zu faschistischen Ideologien, die nach Durkheims Ableben an schrecklicher Relevanz gewannen, zu besitzen, und diese vielleicht sogar gefördert zu haben. Der von Durkheim – in Adornos Augen positivistisch – herausgearbeitete Kollektivismusgedanke sei ganz im Sinne dieser Ideologien (vgl. ebd., 15). Adorno bezeichnet Durkheim als »Pedant« (ebd., 33ff) und wirft ihm vor, »den eigenen Zwangscharakter auf die Welt als Surrogat ihres abwesenden Sinnes« zu übertragen (ebd., 35).

34 Lothar Peter bezweifelt, dass Adornos Kritik an Durkheim wirklich ernst zu nehmen sei. Er findet deutliche Parallelen in den Sozialtheorien der beiden Soziologen. »Obwohl er [gemeint ist Adorno, Anm. MO] gerne die politische Ökonomie beschwört, nimmt auch bei ihm das Gesellschaftliche spezifische Züge an, die sich nicht in den Folgen ökonomischer Faktoren erschöpfen [...]. So unterscheiden sich ›Kollektivbewusstsein‹ [Durkheims] und ›Gesellschaft‹ [Adornos] in ihrem theoretischen Status nicht prinzipiell.« (Peter 2013, 88)

35 Bei aller Kritik an seinem Werk spricht Adorno Durkheim schließlich doch zu, dass er sich – vergleichbar mit Max Weber – um die Etablierung des Fachs Soziologie wie kaum ein anderer verdient gemacht habe (Adorno 1967, 18). Fast milde fasst Adorno am Ende seiner Einleitung zusammen, Durkheims Soziologie sei »[w]eder wahr noch bloß

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 30

unwahr« (ebd., 44). Sie sei in sich nachvollziehbar, beruhe aber auf einem falschen Verständnis des Gesellschaftlichen.

36 Ein weiterer Kritiker Durkheims, wenn auch deutlich weniger scharfzüngig, ist der Ethnologe Radcliffe-Brown. In »Structure and Function in Primitive Society« (Radcliffe- Brown 1952) betont er zunächst, dass Durkheims Untersuchung zum Religiösen wichtig sei und den Weg für die funktionalistische Betrachtung des Totemismus bereitet habe (vgl. ebd., 123). Der Ethnologe stimmt Durkheim in den Grundsätzen seiner Theorie zum Totemismus zu, allerdings sei diese unvollständig (vgl. ebd., 125). Zwei wesentliche Weiterführungen des Durkheimschen Totemismusverständnisses seien notwendig: Erstens stellt Radcliffe-Brown die These in Frage, dass die Totems in erster Linie die Funktion hätten, die Solidarität innerhalb des Klans zu sichern und zu reproduzieren. Ein viel wichtigerer Zweck des Totems sei die Einordnung des Klans in die Stammesgesellschaft und die Bewusstmachung der Klanzugehörigkeit des Individuums innerhalb des Stammes (vgl. ebd., 128).

37 Zweitens gibt sich Radcliffe-Brown mit Durkheims Begründung dafür, warum es sich bei den Totems immer um Tiere und Pflanzen handele, nicht zufrieden. Durkheim impliziere, dass die Totemwesen durch die Zuschreibung zu Klanen geheiligt würden. Radcliffe-Brown hingegen geht davon aus, dass die Tiere und Pflanzen, die zu Totems werden, bereits aus anderen sozialen Zusammenhängen heraus ihre Heiligkeit erworben haben, und erst danach und aus diesem Grund zu Namensgebern würden (vgl. ebd., 129). So gebe es unter den australischen Stämmen beispielsweise zahlreiche Rituale, in denen klanübergreifend Naturphänomene personifiziert als Heiliges angesprochen oder verehrt würden. Daraufhin könnten sie auch als namensgebendes Totem verwendet werden, da sie in der sozialen Ordnung des Klans bereits eine exponierte symbolische Stellung eingenommen hätten (vgl. ebd., 131). Das Natürliche werde also nicht erst durch seine Funktion als namensgebendes und kollektivstiftendes Totem zum Heiligen, sondern könne dies bereits zuvor sein.

38 Was in Radcliffe-Browns Kritik bereits mitschwingt, ist die ethnologische Kritik an Durkheim, dass die in der Studie »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« untersuchten Daten nicht valide oder verkürzt dargestellt und folglich fehlinterpretiert seien. Durkheim selbst hatte Australien nie bereist und betrieb keine eigene Feldforschung. Bei aller Wertschätzung seines Werkes gibt der Ethnologe Claude Lévi- Strauss zu bedenken, dass man sich aus heutiger Perspektive die Frage stellen müsse, ob die Schlüssigkeit der Durkheimschen Theorie und seine scheinbar spielerische Präsentation der Rückführbarkeit des Funktionalismus der modernen Gesellschaft auf den einfacher zu ergründenden Funktionalismus der »nicht-modernen« Gesellschaft »durch die relative Vereinfachung zu erklären ist, die jede Erkenntnisweise bestimmt, wenn sie sich auf einen sehr fernen Gegenstand bezieht« (Lévi-Strauss 1975, 60).

Rezeption und Aktualisierbarkeit

Die Sakralität der Person – Genese und Legitimität der Menschenrechte

39 Trotz dieser Kritiken wurde und wird Durkheims Religionsverständnis von etablierten ReligionsforscherInnen weiter rezipiert. Eine aktuelle Rezeptionslinie des Durkheimschen Religionsverständnisses, welche ich darstellen möchte, eröffnet Hans Joas. Dem Soziologen und Sozialphilosophen ist Durkheims Theorie des Religiösen und der Rolle des Individuums innerhalb dessen dienlich, um die Genese und die

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 31

fortlaufende Legitimität der Menschenrechte aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass in ihrem Rahmen nicht klassisch philosophisch auf die Menschenrechte geblickt, sondern eine »spezifische Weise der Verknüpfung von Begründungsargumenten und historischer Reflexion« (Joas 2011, 12) genutzt werde. Auf diese Weise könne die »Kluft zwischen Philosophie einerseits und Geschichte andererseits« (ebd., 13) überwunden werden. Joas konstatiert, er »glaube nicht an die Möglichkeit einer rein rationalen Begründung letzter Werte« (ebd.) und nimmt bereits mit dem reminiszenzhaften Titel seines Werkes »Die Sakralität der Person« einen Bezug auf Durkheim. Joas stellt darin u.a. die Frage nach der Entstehung der Menschenrechte. Er erkennt einen wesentlichen »kulturellen Transformationsprozeß« (ebd., 63) im Europa des 18. Jahrhunderts; Strafjustiz und - praxis hätten sich grundlegend verändert. Dieser Prozess gipfele schließlich in der Formulierung der Menschenrechte. Die beachtenswerteste Konsequenz dieser sei es, dass nun erstmals auch StraftäterInnen und sogar den abstoßendsten unter ihnen ihre Menschlichkeit zugesprochen werde. Das Antasten dieser Menschlichkeit werde nun als verwerflicher erachtet als die Kapitalverbrechen, die die TäterInnen selbst begangen hätten. Joas schlussfolgert: »[Als] schlimmstes Verbrechen in der Geschichte des Strafrechts galt [...] meistens das, was sich gegen den sakralen Kern eines Gemeinwesens richtete, so daß es naheliegt, die Veränderungen im Strafrecht auf Veränderungen im Verständnis des Sakralen zurückzuführen. Die vorgeschlagene alternative Deutung steht deshalb unter der Überschrift ›Die Sakralisierung der Person‹.« (ebd., 81)

40 Im 18. Jahrhundert sei also »die menschliche Person selbst zum heiligen Objekt« (ebd., 81f) geworden. Durkheim sei einer der ersten DenkerInnen gewesen, der/die diesen Gedanken geteilt habe. Joas gibt somit zu erkennen, dass er Durkheims Gesellschaftstheorie nahesteht. »Durkheim artikuliert [...] den Glauben an Menschenrechte und Menschenwürde als Ausdruck eines Prozesses der Sakralisierung der Person« (ebd., 86). Für ihn sei dieser Glaube die »Religion der Moderne« (ebd., 82) geworden. Joas stellt im weiteren Verlauf Durkheims Argumentation für diese These dar und stellt Bezüge zu Kant her: Durkheim unterscheide zwischen zwei Formen des Individualismus. Erstens habe er zu seinen Lebzeiten einen »destruktiven, anarchistischen Individualismus« erkannt, der von »egoistischem Lustgewinn« (ebd., 83) geprägt gewesen sei. Diesen verurteile Durkheim aus moralphilosophischer Perspektive scharf und beschreibe ihn als schädlich für das Gemeinwohl. Klar von diesem ersten Verständnis abzugrenzen sei zweitens eine gegenteilige Form des Individualismus. »Individualisten in diesem zweiten Sinn überlassen sich nicht den Anwandlungen ihrer vorgefundenen Natur, sondern sind an einem anspruchsvollen Ideal orientiert – nämlich dem, so zu handeln, daß alle Menschen ihrer Handlung zustimmen könnten bzw. die Maxime ihres Handeln universalisierbar ist.« (ebd., 84)

41 In diesem Individualismus, den sich Durkheim als gesellschaftliches Ideal wünsche, werde die Person zum sakralen Objekt. Joas illustriert diese Vorstellung, indem er behauptet, die »Sakralität« der Person sei mit dem gängigeren, Kantschen Begriff der »Würde« des Menschen gleichzusetzten, also dem, »was keinen Preis hat und haben kann« (ebd.). Diese zweite Form des Individualismus sei nach Durkheim die richtige und wahre Form. Auch Joas sieht in dieser den Ursprung der Genese der Menschenrechte.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 32

42 Joas kritisiert, dass Durkheim der Idee, dass die Menschenrechte in der Tradition des Christentums stünden, keinen Raum gebe. Grund dafür sei sein militanter Atheismus (vgl. ebd., 87). Dieser sei es auch, der Durkheim zu der Behauptung führe, die Sakralität der Person sei die einzige Religion, die in der modernen Welt noch ihre Berechtigung besitze, die Rolle einer moralischen Instanz erfüllen und gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern könne (vgl. ebd., 88). Um dieser These auf den Grund zu gehen, setzt sich Joas zunächst mit Durkheims Religionsverständnis in »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« auseinander. Das zentral Neue dieses Religionsverständnisses sei, dass nicht die Gottheit oder das Pantheon den Kern der Religion ausmachen, sondern das Heilige als Gegenstück zum Profanen (vgl. ebd., 91f). Joas betont besonders zwei Elemente dieses Religionsverständnisses: Erstens sei das Heilige nach Durkheim konstitutiv für die Religion und werde nicht aus dieser abgeleitet. Zweitens könne umgekehrt aus dem Heiligen Religion werden, wenn der Glaube sozial organisiert wird (vgl. ebd., 94). Beziehe man nun Durkheims Religionsverständnis auf die Menschenrechte und die Würde des Menschen und setze diese als Religion der Moderne ein, werde ein Paradox deutlich. »Wenn wir [...] von der Sakralisierung der Person ausgehen, erkennen wir den unauflöslichen Widerspruch zwischen dem Bedürfnis, jeden Verstoß gegen die Sakralität der Person zu sanktionieren, und eben dem Verstoß gegen dieselbe, der im Akt des Strafens selbst liegt.« (ebd., 98)

43 Diese strafpraktische Problematik werde durch die Bevorzugung von Freiheits- gegenüber Todesstrafen und das Verbot der Folter gelöst.

44 Zusammenfassend kann Joas’ Überlegung in Anschluss an Durkheims Gesellschafts- und Religionsverständnis so gedeutet werden, dass der altruistische Individualismus, der im 18. Jahrhundert aufgekommen sei, zu einem neuen Menschenbild geführt habe, das jedem Menschen eine heilige Würde zuspreche. Diese Idee sei zur Religion geworden, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichere. Diese Religion wiederum habe zu einer Transformation der Strafjustiz und -praxis geführt, die nun der Idee der uneingeschränkten Menschenwürde unterstehe und somit wieder zur Sakralisierung der Person beitrage. Aus dieser Perspektive kann also nicht eine Religion oder eine einzige Ideologie die Entwicklung der Menschenrechte für sich beanspruchen. Joas gibt die Möglichkeit, nach einem interkulturellen Ursprung für die Entstehung und Begründung der Menschenrechte in unserer Zeit zu suchen. Trotzdem kommt Susanne Moser in Bezug auf Joas zu dem Schluss: »Letztlich nimmt Joas Zuflucht bei der Unsterblichkeit der Seele und der Gottesebenbildlichkeit mit der Bemerkung, dass wer diesen Glauben nicht teile, zeigen müsse, wie er mit seinen denkerischen Mitteln die Idee der Unverfügbarkeit rechtfertigen und motivierend machen könne. [...] Hier zeigt sich die ganze Problematik dieses Buches: [...] Seine Skepsis gegenüber philosophischen Begründungsversuchen und seine Ablehnung einer rein rationalen Begründung letzter Werte führen Joas zuletzt zu einer religiösen, und zwar christlichen Begründung der Menschenrechte.« (Moser 2013, 133)

45 Dieser Vorwurf der subtilen Theologie erscheint hinsichtlich der Joasschen Durkheimrezeption ungerechtfertigt. Im Gegenteil dient die Perspektive auf die Menschenrechte aus dem Sakralisierungskonzept heraus der kritischen Auseinandersetzung mit einer Gefährdung der Rechte durch Ideologien, Religionen und äußere Einflussnahmen. Im 20. Jahrhundert sei es beispielsweise der europäische Faschismus gewesen, der es geschafft habe, einen Kollektivismus herzustellen, für den es keine Sakralisierung der Person und der Heiligung der Würde jedes Menschen

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 33

bedurft habe. Ganz im Gegenteil sei der Faschismus durch eine Ablehnung und bewusste Desakralisierung der Würde der Menschen bestimmter Gruppen mächtig geworden (vgl. Joas 2011, 101f). Um der Wiederholung einer solchen Machtübernahme durch eine entmenschlichende Ideologie vorzubeugen, empfiehlt Joas, stets zu reflektieren, dass die Begründung und Legitimation der Menschenrechte in dem Zuspruch der Würde jedes/jeder Einzelnen liege. Folglich müsse die Unantastbarkeit der Würde des Menschen – respektive die Sakralität der Person – in Fragen des Strafens und der Rechtsprechung immer die oberste Prämisse bleiben, und die Gesellschaft müsse sich dem o.g. Widerspruch zwischen Strafe und Würde des Menschen immer bewusst sein. Sei sie dies nicht und spreche man Einzelnen die menschliche Würde ab, gehe auch die Sakralität der Person verloren und die Menschenrechte stünden in Gefahr, ihre Begründung zu verlieren.

Überlegungen aus der Perspektive der poststrukturalistischen Machtkritik

46 Am Beispiel Joas zeigt sich eindrücklich, dass Durkheims Religionsverständnis – bei aller berechtigten Kritik an diesem – produktiv weitergeführt werden kann. Joas als Vertreter einer eher konservativen Religionsphilosophie erfüllt mit seiner Weiterführung allerdings nur bedingt die Ansprüche einer jungen Religionswissenschaft. Dies kann durch eine Transformation der Durkheimschen Thesen aus Perspektive der poststrukturalistischen Machtkritik gelingen. Ein solcher Versuch erscheint zunächst paradox, denn wie oben angeführt, spricht Adorno dem Religionsverständnis Durkheims eine kritische Perspektive ab. Ich möchte dem widersprechen und stelle die These auf, dass Durkheims Religionsverständnis ein deutliches Potenzial zur Machtkritik aus poststrukturalistischer Perspektive aufweist, das nicht nur auf das Christentum beschränkt ist, sondern es ermöglicht, deutlich subtilere Machtstrukturen aufzudecken und sich diesen eventuell zu widersetzen.

47 Einer der bekanntesten und schärfsten Kritiker bestehender Machtverhältnisse war der Poststrukturalist Michel Foucault. Auch er setzte sich mit dem Phänomen der Religion auseinander. So äußert er, dass der moderne Mensch zum »Geständnistier« (Foucault 1977, 77) geworden sei, das sich ständig zu seinem Denken und Handeln bekenne und sich somit selbst den Zwängen der Selbstregierung unterwerfe. Diese Geständniskultur habe ihren Ursprung in diversen Transformationsprozessen, die innerhalb des Christentums stattgefunden hätten. »Tatsächlich ist die verbale Ausgestaltung der Beichte, des Geständnisakts in der Form, die wir seit Ende des Mittelalters kennen, nur das Ergebnis – und in gewisser Weise das sichtbarste und oberflächlichste Ergebnis – von sehr viel komplexeren, sehr viel zahlreicheren, sehr viel reicheren Verfahren, mittels derer das Christentum die Individuen an die Pflicht gebunden hat, ihre Wahrheit zu manifestieren, und zwar ihre individuelle Wahrheit.« (Foucault 2014, 146)

48 Diese Verfahren hätten sich durch die Jahrhunderte säkularisiert, und der moderne Mensch des Okzidents stelle nicht mehr in Frage, warum er Autoritäten akzeptieren und diesen in allem Rechenschaft ablegen muss und warum er sich zu ständiger Selbstkontrolle verpflichtet. Die Geständnisse seien stets davon geprägt, dass man sich zwischen den Polen »schuldig« und »unschuldig« bzw. »richtig« und »falsch« verorten müsse. Dies habe das allgemeine Weltbild des Menschen geprägt, der in Dichotomien wie »gut« und »böse«, »normal« und »pathologisch«, »männlich« und »weiblich« denke (vgl. Auga 2013, 67). All das, was jeweils nicht eindeutig einem der Pole zugeordnet werden kann, werde nicht gedacht und nicht gesehen. Diese Theorie

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 34

erklärt beispielsweise in den Gender Studies, warum es einen binären Einteilungszwang des Geschlechts gibt und Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau definieren können oder möchten, diskriminiert oder gar bestraft werden. Das Denken des Menschen ist geprägt von dem Willen, in klaren Dichotomien zu denken. Was nicht »Mann« oder »Frau« ist, wird nicht gesehen, oder ihm schlägt Ablehnung entgegen. Mit Foucault lassen sich solche Formen der Diskriminierung also aufdecken und erklären. Er liefert jedoch keine Antwort auf die Frage, was man gegen diese tun könne bzw. welche Prozesse es aufzudecken und auszuschalten gelte, um die Reproduktion dieser Diskriminierung zu verhindern.

49 Hier möchte ich mit Durkheims Religionsverständnis ansetzen. Auch er geht davon aus, dass die ursprünglich religiöse Einteilung der Welt in zwei Pole das logische Denken des Menschen beeinflusst habe. Mit dieser These zeigt sich, dass Durkheim und Foucault, trotz unterschiedlicher Denkrichtungen, in ihrem Religionsverständnis weniger weit voneinander entfernt sind als erwartet. Durkheim geht aber noch einen Schritt weiter als Foucault und spricht allen Denkgebäuden, in denen zwischen heilig und profan unterschieden wird, den Status einer Religion zu. Tun wir dies für das o.g. Beispiel, kann die klare Geschlechtszuschreibung als das Heilige und alles Abweichende als das Profane definiert werden. Folglich ist die geschlechtliche Kategorisierung von Menschen – mit der daraus resultierenden Diskriminierung – per definitionem eine Religion. Nun muss es im Sinne der Durkheimschen Theorie Rituale und Symbole geben, die diese Ungleichbehandlung konstituieren und reproduzieren. Zudem muss eine kollektive Kraft vorhanden sein, die das Fortbestehen dieser »Religion« verselbstständigt.

50 Es ließe sich kritisch anmerken, dass aus dieser Perspektive hervorgehe, dass grundsätzlich alle Dichotomien unter die Religionsdefinition Durkheims fallen. Doch das wäre ein Trugschluss, denn die Dichotomie »Mann« und »Frau« ist eben nicht nur eine benennende, die stark gesellschaftlich verankert ist, sondern eine, die – wie die Religion in Durkheims Verständnis – das Selbstbild der Gesellschaft und des Individuums konstituiert. Diese These verdeutlicht sich in der Betrachtung der Kritik derer, die Begriffe wie »Genderwahn« gebrauchen. Auch wenn diese KritikerInnen selbst in ihrem individuellen Sein nicht von etwaigen Neuerungen im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit benachteiligend betroffen sind, wehren sie sich gegen das bloße Nachdenken über die Überwindung der geschlechtlichen Kategorisierung. Sie sehen ihr Selbst, ihre Identität und ihre Gesellschaftsordnung bedroht. Die Teilung in »Mann« und »Frau« ohne Zwischenkategorien ist nicht eine rein benennende Dichotomie, sie ist eine kultische. Deckt man nun die Rituale, Symbole und die kollektive Kraft dieses Kultes, dieser neuen Religion, auf, bestünde die Möglichkeit, den beschriebenen Zwang zur Geschlechtszuschreibung mit seinen diskriminierenden Konsequenzen offenzulegen und ihm kritisch zu begegnen.

51 Diese angerissenen Gedanken verdeutlichen, dass die Theorie Durkheims durchaus das Potenzial zum machtkritischen Denken aufweist. Neben dem Potenzial für die Kritik an traditionellen, kanonisierten Religionen besitzt Durkheims Theorie dieses in besonderem Maße auch für Phänomene, die nicht auf den ersten Blick die Charakteristika einer Religion besitzen, jedoch auf den gleichen Funktionsweisen wie diese beruhen.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 35

Abschließende Bewertung der Aktualisierbarkeit

»In its sharpest formulation, Durkheim’s main thesis about religion is ›God is society‹. The parts of Formes [Hervorhebung Poggi, Anm. MO] which seek to substantiate this thesis do so chiefly by developing the obverse one: ›Society is God‹.« (Poggi 2000, 155)

52 Was bei Poggi so einfach zusammengefasst daherkommt, fächert sich in dem 600- seitigen Werk Émile Durkheims »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« als komplexe Religions- und Gesellschaftstheorie auf. Diese und Durkheims Religionsverständnis müssen differenziert betrachtet werden.

53 Die Kritiken, die zu Durkheims Lebzeiten und in den Folgejahren, zum Beispiel im Kontext des Positivismusstreits, laut wurden, besitzen bis heute Gültigkeit. Seine moralphilosophischen Absichten aufzuzeigen, dass die moderne Gesellschaft eines Kollektivismus mit eigener Kraft bedürfe, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt herstellt, lassen den/die moderne/n Rezipierende/n erschaudern. Auch ist die Methodologie seiner Studie im empirischen Teil aus heutiger Perspektive nicht repräsentativ, sondern scheint assoziativ und subjektiv vom Reiz des Exotischen geprägt.

54 Trotzdem wurde »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« 100 Jahre nach der Erstveröffentlich neu in deutscher Sprache aufgelegt, und in den letzten Jahren wurden neue Ansätze der Durkheimrezeption präsentiert (vgl. Bogusz und Delitz 2013). Wo liegen also die Stärken des Durkheimschen Religionsverständnisses? Durkheim liefert als eine/r der Ersten ein Religionsverständnis, das es ermöglicht, sich aus funktionalistischer soziologischer Perspektive der Thematik Religion zu nähern. Er befreit den Religionsbegriff von mystischen Aufladungen und ermöglicht so rein rationale Anschlussmöglichkeiten der modernen Religionssoziologie. Dabei raubt er dem Phänomen trotzdem nicht seine besonderen Eigenarten im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Phänomenen. Die Theorie ermöglicht es zudem, in einer Welt, in der Religion scheinbar in den Hintergrund des Lebens gerückt ist, Phänomene zu erkennen und zu untersuchen, die eben nicht offensichtlich als Religion bezeichnet werden, aber auf ähnliche Weise funktionalistisch erklärt werden können. »[…] Durkheim’s later work contains a program which must be revived. […][I]t can revitalize the practice of sociology today« (Alexander 1988, 15).

55 Folglich sollte auch die junge Religionswissenschaft, die sich den eingangs formulierten Grundsätzen verpflichtet sieht, ein Interesse daran haben, Durkheims Religionsverständnis für ihre Zwecke wiederzubeleben. Es konnte gezeigt werden, dass Durkheims Denkgerüst durch leichte Transformationen einem zeitgenössischen Denken über geschlechtliche Diskriminierung dienen kann und vermutlich zu zur Subversion der Zustände hilfreicheren Ergebnissen kommt als etablierte Theorien, die den Begriff des Religiösen und der Religion zwanghaft verbannt haben. Um Durkheims Religionsverständnis wieder in den Diskurs einzuführen, muss die junge Religionswissenschaft mit äußerster Präzision und Transparenz bei der Transformation und Aktualisierung der klassischen Theorie vorgehen. Der Bezug auf einen Religionssoziologen, der der Religion grundsätzlich nicht feindlich gegenüberstand, um wiederum das Diskriminierende in religiösen und religiös-konnotierten Phänomenen zu erkennen und zu erklären, wird besonders außerhalb des religionswissenschaftlichen Diskurses auf Kritik stoßen. Dieser entgegnet man am

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 36

zielführendsten über ein klares Reflektieren der Absichten und der Person Durkheims. Der nachvollziehbare Vorwurf des Positivismus darf nie vergessen und muss stetig reflektiert werden, will man Durkheim für die junge Religionswissenschaft rezipierbar machen. Bei der Weiterführung seiner Theorie muss betont werden, dass dabei niemals das Ziel ist, zu einem neuen nationalen Streben nach Kollektivismus und gesellschaftlicher Homogenität aufzurufen. Des Weiteren muss der Eurozentrismus Durkheims reflektiert werden. Unabhängig davon, ob dieser aus einem bewussten kulturellem Hegemonieanspruch heraus oder unbewusst entstand, ist er in Durkheims Schrift wahrnehmbar und entspricht dem Denken seiner Zeit. Bei der Transformation der Theorie Durkheims muss dieser Eurozentrismus herausgefiltert werden. Dies gelingt, indem man die ethnographischen Beispiele Durkheims in den Hintergrund stellt und sich auf den von ihm dargestellten allgemeingültigen Funktionalismus konzentriert. Diesen wiederum muss man mit aktuellen und kulturübergreifenden Beispielen empirisch begründen. Die von Durkheim geprägten Begriffe werden so in einen neuen Kontext gestellt und können für diesen fruchtbar gemacht werden.

56 Durkheim muss stets als Klassiker der Religionssoziologie gelesen werden. Um sein Religionsverständnis dann anknüpfbar für aktuelle junge Forschung zu machen, muss es transformiert und durch neue Theorie und Empirie aktualisiert werden. Diese Aktualisierbarkeit ist zweifelsohne vorhanden.

BIBLIOGRAPHY

Adorno, Theodor W. 1967. »Einleitung«. In Emile Durkheim. Soziologie und Philosophie. 2. Auflage, 7-44. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Alexander, Jeffrey. 1988. »Introduction. Durkheimian sociology and cultural studies today«. In Durkheimian sociology: cultural studies. Hrsg. von Jeffrey Alexander, 1-21. Cambridge: CUP.

Auga, Ulrike. 2013. »Geschlecht und Religion als interdependente Kategorien des Wissens. Intersektionalitätsdebatte, Dekonstruktion, Diskursanalyse und die Kritik antiker Texte«. In Doing Gender – Doing Religion. Hrsg. von Ute E. Eisen, Christine Gerber, Angelika Standhartinger, 37-74. Tübingen: Mohr Siebeck.

Bogusz, Tanja, und Heike Delitz (Hrsg.). 2013. Émile Durkheim. Soziologie – Ethnologie – Philosophie. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Delitz, Heike. 2013. Émile Durkheim zur Einführung. Hamburg: Junius.

Durkheim, Émile. 1998. Lettres à Marcel Mauss. Présentées par Philippe Besnard et Marcel Fournier. Paris: PUF.

Durkheim, Émile. 2014 [1912]. Die elementaren Formen des religiösen Lebens. 3. Auflage. Berlin: Verlag der Weltreligionen.

Foucault, Michel. 1977. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 37

Foucault, Michel. 2014. Die Regierung der Lebenden. Vorlesung am Collège de France 1979-1980. Berlin: Suhrkamp.

Giddens, Anthony. 1972. Emile Durkheim. Selected Writings. Cambridge: CUP.

Joas, Hans. 2011. Die Sakralität der Person. Berlin: Suhrkamp.

Jones, Robert A. 1986. Emile Durkheim. An Introduction to Four Major Works. London: Sage Publications.

Lévi-Strauss, Claude. 1975. Strukturale Anthropologie II. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Mestrovic, Stjepan G. 1992. Durkheim and Postmodern Culture. New York: Aldine de Gruyter.

Moser, Susanne. 2013. »Die Menschenrechte – eine Sakralisierung der Person.« Polylog 30: 130 -134.

Parkin, Frank. 1992. Durkheim. Oxford, New York: OUP.

Peter, Lothar. 2013. »Dialektik der Gesellschaft versus ›Conscience Collective‹? Zur Kritik Theodor W. Adornos an Émile Durkheim«. In Émile Durkheim. Soziologie – Ethnologie – Philosophie. Hrsg. von Tanja Bogusz, und Heike Delitz, 73-94. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Poggi, Gianfranco. 2000. Durkheim. Oxford: OUP.

Radcliffe-Brown, Alfred. 1952. Structure and Function in Primitive Society. London: Collier Macmillan Publishers.

Said, Edward. 1978. Orientalism. New York: Pantheon.

Seyfert, Robert. 2011. Das Leben der Institutionen. Aspekte einer Allgemeinen Theorie der Institutionalisierung. Weilerwist: Velbrück.

NOTES

1. Durkheim findet den Großteil seiner Daten zum Totemismus in den Werken der Ethnologen Walter Baldwin Spencer (1899) und Francis James Gillen (1904). 2. Michel Foucault stellt beispielsweise die These auf, dass die rituelle Sühne- und Bußpraxis erst in den ersten Jahrhunderten des Christentums zu einer kollektiven Angelegenheit wurde (vgl. Foucault 2014, 123).

ABSTRACTS

Émile Durkheims (1858–1917) religionsphilosophisches Werk »Die elementaren Formen des religiösen Lebens« aus dem Jahr 1912 gilt als Klassiker der Religionswissenschaft. Das darin entwickelte Religionsverständnis bildet ein Grundgerüst für zahlreiche etablierte Forschung. Auch die deutschsprachige Neuauflage des Werks im Jahr 2014 suggeriert die Aktualität des Durkheimschen Religionsverständnisses. Über die Betrachtung der Kernelemente des Werks, dessen Kritik (u.a. durch Adorno), ein Beispiel seiner Rezeption (Joas) und Überlegungen aus einer poststrukturalistischen Perspektive möchte der Artikel die Frage beantworten, ob dieser

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 38

Aktualitätsanspruch auch aus der Perspektive der jungen Religionswissenschaft erhoben werden kann, die sich aus einer kritischen Perspektive ihrem Forschungsgegenstand annähert, und welche Aktualisierungspotenziale in der Theorie gefunden werden können.

The 1912 religio-philosophical study »The Elementary Forms of Religious Life« by Émile Durkheim (1858–1917) is considered a classic in religious studies, and established a framework for understanding religion that inspired numerous later works. The new German translation of this groundbreaking text, published in 2014, confirms the continued germaneness of Durkheim in modern times. Through a discussion of critiques (i.e. Adorno), an example of its reception by the scholarly community (i.e. Joas), and an analysis of its core arguments from a poststructuralist perspective, this essay seeks to establish the enduring relevance of Durkheim’s signature work and its application to other social phenomena.

INDEX

Schlüsselwörter: Durkheim, Religionssoziologie, Religionstheorie, Totemismus, Poststrukturalismus Keywords: Durkheim, Sociology of Religion, Theory of Religion, Totemism, Post-Structuralism

AUTHOR

MATTHIAS OLK Matthias Olk studierte Grundschullehramt an der Justus-Liebig-Universität Gießen mit den Fächern Mathematik, Deutsch und Ethik. Seit dem Wintersemester 2016/17 studiert er im Masterprogramm »Religion und Kultur« an der Humboldt-Universität zu Berlin. Kontakt: [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 39

#WhatBritishMuslimsReallyThink Negotiating Religious and National Identity on Twitter

Mirjam Aeschbach

Introduction

1 Online discourses and social media interactions have only recently emerged as a topic of interest when analyzing the ways social identity is negotiated and communicated digitally (cf. Barbu-Kleitsch 2016, 160). While religious scholars such as Lövheim (2013) have focused on the construction and negotiation of »religious« identity online and on social media platforms, there is of yet little research on religious identity formation on Twitter in particular. In this paper, my aim is to contribute to research concerned with the discursive construction of collective identity online, particularly of religious and national identity. In the face of growing global mobility of people migrating, vigorous discourses of belonging are emerging, in which national belonging may be denied to certain groups on the basis of their religiosity (cf. Yuval-Davis 2011, 39–41). Such discourses highlight the contested nature of national identity formations. The negotiation of Muslim identity and its intersection with specific national identity categories is of particular interest in today’s Europe, in which the boundaries of individual nations are at times secured by applying a logic characteristic of Islamophobia1 and cultural racism (cf. Weedon 2004, 157).

2 Twitter activity can potentially reach beyond Twitter itself and be taken up by other media entities (cf. Pfaffenberger 2016, 14). Used in such ways, Twitter becomes a means of »talking back« and has been used to contest social discrimination and marginalization (Konnelly 2015, 1). As the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink was launched as a response to a rhetoric aimed at excluding Muslims from the British national body, I argue that reading the gathered Twitter data as a discourse of resistance can possibly identify the specific strategies that are employed to negotiate and contest negative identification. At the same time, Twitter may also provide marginalized members of society with a space for positive identification and unification (cf. Wills and Fecteau 2016). Therefore, the data gathered was further examined in order to analyze how Twitter users employ the hashtag to identify and

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 40

unify as members of the digital British Muslim community and hence construct and reinforce their collective identity.

3 In the following sections, the background knowledge necessary for understanding the case study as well as the specific approach used for the analysis are outlined. First, Twitter is conceptualized as a field of research and as a specific communicative space. Next, I will discuss the theoretical considerations on which the analysis is based. Here, theories on the discursive construction of identity in general and national identity in particular are of interest. In the next section, the data gathered and the methodological approach for its analysis will be outlined. Finally, the results of the analysis will be discussed. In this discussion, I wish to illustrate the contents and strategies of identification used in the tweets and hence outline along what lines British national and British Muslim identity are constructed in the data. Thereby, the ways in which the hashtag discourse and its constructions can be seen as resisting negative identifications of British Muslims that aim at excluding them from the British nation are discussed.

Twitter as a Communicative Space

4 With over 250 million active users each day, Twitter is one of the most influential social media platforms worldwide (cf. Kumar, Morstatter, and Liu 2015, 21). Although there is no comprehensive demographic data on the entirety of Twitter users, studies suggest that the platform is used most frequently by young people, with percentages varying from 66% up to more than 93% of users aged 35 and younger (cf. Sloan et al. 2015, 14). Content on Twitter is user-generated in form of micro-posts (tweets) of 140 characters or less (cf. Zappavigna 2012, 2). In addition to being a tool for everyday communication (cf. Bruns 2011, 1), Twitter is also used as a backchannel for on-going discussions of (real-time) events, which are commented on and evaluated, reflecting »what Twitter thinks« (Bruns and Stieglitz 2012, 802).

5 In order to organize communication about a certain event or issue, Twitter users can use hashtags, which are textual markers consisting of keywords preceded by the hash symbol ‘#’. If such a hashtag is included anywhere in the tweet, it marks the tweet »as being relevant to a specific topic and make[s] it more easily discoverable to other users« (Bruns and Moe 2014, 17). This can be interpreted as signaling »a wish to take part in a wider communicative process, potentially with anyone interested in the same topic« (Bruns and Moe 2014, 17). In this way, ad hoc publics or hashtag communities form around topical hashtags »used to bundle together tweets on a unified, common topic« (Bruns and Burgess 2011, 5). It is this principle of affiliation in terms of »an emergent bonding around searchable topics« (Zappavigna 2012, 191) that Zappavigna sees at the heart of community building on Twitter. In this way, hashtags are understood as devices that allow Twitter users to communicate and (re)-assure their mutually shared affiliation and identity position (cf. Konnelly 2015, 11).

Hashtag Discourse: #WhatBritishMuslimsReallyThink

6 In this study, communication around the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink is analyzed. The hashtag was launched on April 10th, 2016 as a response to the magazine cover of the Sunday Times magazine with the headline »What do British Muslims really think?« and the respective article, called »An Inconvenient Truth«, written by political

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 41

and public figure Trevor Phillips (2016). The primary argument in the article is that British Muslims fundamentally differ from British people in general. Starting with a suggestive »they seemed no different from the rest of us« (Phillips 2016, 1), this argument is introduced and followed by excurses in which the internal boundaries of the British nation are drawn.

7 In this way, the article can be seen as part of a wider discourse on national identity within Europe in general and Britain in particular. In this discourse, religious identity, especially with regard to Islam, is instrumentalized in order to secure national boundaries and exclude Muslims from the national body. Scholars argue that, since the 1980s, and frequently in relation to immigration, Europe has increasingly experienced the appearance of what has been called »new racisms« (Stoler 1995, 24). Thereby, national identities are no longer overtly conceptualized in terms of blood and origin but more often with regard to cultural terminology (cf. Fassin 2010, 508–510). Such argumentation, hand in hand with the instrumentalization of sexuality and gender politics, are reality in many political discourses concerned with immigration (cf. Fassin 2010, 515). Indeed, scholars have argued that with references to gender equality and sexual liberation it is possible to provide »a modern justification to anti-immigration politics that could otherwise appear merely as reactionary xenophobia« (Fassin 2010, 2012. Based on a long history of depicting Islam as the inferior, barbaric and savage »other« to »the West« (cf. Weedon 2004, 142), Muslims living in the West must, as Asad argues, expect to »at the very least be regarded with suspicion« (1997, 186). This dualism is reinforced by limited and often stereotypical images of Muslims and Muslim society that deny complexity (cf. Weedon 2004, 143–144). Hence, the rising Islamophobia observable in contemporary Europe and »the West« is based on a long history of »othering« Muslims dating back to the Crusades (cf. Weedon 2004, 145). This complicates and impedes the »process of identifying with and belonging to mainstream Western societies« (Weedon 2004, 157) for Muslims.

8 Overall, within the tendency to conceptualize belonging no longer on origin and race but rather on the idea of clearly identifiable cultures with different value systems, Islam is represented as a cultural entity at odds with »Western« values, an incompatibility often comprehended in terms of attitudes towards gender and sexuality. In Britain, such a representation is observable not only in political projects of belonging (cf.Yuval-Davis 2011, 23–26), but also in British media and popular culture discourses (cf. Moore, Mason, and Lewis 2008, Weedon 2004). Thereby, stories most commonly highlight differences between British Muslims and other British people and are based on religious and cultural issues, such as freedom of speech, Sharia Law, forced marriages, or the veil (cf. Moore, Mason, and Lewis 2008, 10). As an expression of this overall discourse, the article »An Inconvenient Truth« draws a distinction between »us«, British people, and »them«, (British) Muslims and thereby exclude Muslims from the British Nation. The article specifically refers to issues such as the notion of »shared values«, especially with regard to attitudes towards women, homosexuality and sexual, as well as non-sexual violence (Phillips 2016), in order to distinguish between the two. In response to this article, the hashtag #WhatBritish-MuslimsReallyThink was introduced. This particular hashtag was intended to be used by members of the British Muslim online community to share their version of »what British Muslims really think« and thereby contest the negative portrayal within the article. The following theoretical

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 42

considerations are crucial for the analysis of the way British Muslim identity is negotiated in the hashtag discourse.

Theoretical Considerations

9 The concepts of identity and discourse are central to the analysis of the way collective identity is negotiated in the hashtag discourse in question. On the one hand, scholarly interest in the study of identity has increased in anthropology and sociology, especially in sociocultural linguistics, as well as in humanities and the social sciences in general (cf. Bucholtz and Hall 2003, 373). Today, essentialist notions of identity categories as fixed and naturalized entities have been rebutted and there is, what Diaz-Bone calls, »a constructivist consensus« (2006, 255 my translation) in scholarship on identity. Hence, the social is seen as »constructed« and identity no longer as inevitable and natural, but rather as fluid and constructed in discourse (cf. Bucholtz and Hall 2003, 374). On the other hand, the term »discourse« has been used in a myriad of ways. In this paper, the term discourse is applied in its Foucaultian meaning of »a group of statements which provide a language for talking about – a way of representing the knowledge about – a particular topic at a particular historical moment« (Hall 2001, 72). This provision of »a language for talking about« determines what can be meaningfully said, as, although things and actions exist outside discourse, they only ever become meaningful within (cf. Diaz-Bone 2006, 252, Hall 2001, 73). As such, discourses define and at the same time produce the objects of knowledge (cf. Hall 2001, 72) and are thus termed productive (cf. Diaz-Bone 2006, 252, Hall 2001, 73). For the approach chosen to analyze the Twitter discourse around the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink, three theoretical considerations are central.

Identity as social process

10 First, identity is viewed as an on-going process situated in discourse. Thereby, discursive practices are always historically and locally specific and can never be understood without their specific context (cf. Hall 2001, 74). Indeed, what can be deemed as »true« is meaningful only within a definite discursive formation (cf. Hall 2001, 74).2 This is further valid with regard to the range of subject-positions that are available for individuals to identify with within a specific local and historically embedded discourse (cf. Hall 2001, 80). It is this identification with particular subject- positions, this process of positioning, that shapes identity (cf. Bucholtz and Hall 2005, 591). Discursive formations always consist of competing discourses that, although related to one another through hierarchical power relations, potentially allow for resistance and subversion (cf. Weedon 2004, 18). In this paper, both the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink and the article it responds to can be seen as discursive events that share the same object of reference (cf. Hall 2011, 73). Therefore, they are both analyzed as part of the same discursive formation.

Discursive Construction of Identity: Strategies of Identification

11 Second, both national and religious identity is understood as social constructs. With regard to national identity, Anderson prominently conceptualized nations as imagined

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 43

communities that are always constructed as limited, within »finite, if elastic, boundaries, beyond which lie other nations« (Anderson 2006 (1983), 7). Scholars have further emphasized the importance of such boundaries in the construction of national identity, or of any identity for that matter. In this view, identities are always relational and exclusive, as well as inclusive (cf. Yuval-Davis 2011, 17), as the construction of identities depends not only on the construction of an essence of what one is but also on what one is not, on what is left outside (cf.Wodak et al. 2009, 7–8, Wodak and Meyer 2009, 3–4). The process of boundary making that operates within national identities has even been termed »the key element of the process of identification, […] ways of delineating who and who does not belong to the nation, for battles over exclusion and inclusion are always on-going« (Edensor 2002, 25). It is important to notice that elements that determine inclusion or exclusion into belonging vary greatly depending on the specific context and perspective boundaries are drawn in (cf. Edensor 2002, 25, Yuval-Davis 2011, 20–21).

12 In addition to specific elements and contents important in demarcating certain identity categories, scholars have described strategies of identification that are central to identity formation. In this paper, the strategies identified by De Cillia, Reisigl, and Wodak (1999), and Wodak et al. (2009), who are interested in the construction of national identity conceived as specific forms of social identities, and Bucholtz and Hall (2003, 2005), who are concerned with identity in general, are taken into consideration. They outline that the strategies most frequently used to construct and establish identities »by promoting unification, identification and solidarity, as well as differentiation« (Wodak et al. 2009, 33) are the strategies of adequation and distinction. Thereby, the term adequation refers to »the pursuit of socially recognized sameness« (Bucholtz and Hall 2003, 383), thus, to strategies that downplay inter-group differences and emphasize what is viewed as salient similarities for a group to be a understood as a cohesive entity (Bucholtz and Hall 2005, 599–600). The counterpart of the strategy of adequation, distinction, refers to the identity relation of differentiation, which emphasizes and constructs rather than erases difference (Bucholtz and Hall 2005, 600, 2003, 384). Frequently, distinction works by »establishing dichotomy between social identities constructed as oppositional [and] has a tendency to reduce complex social variability to a single dimension: us versus them« (Bucholtz and Hall 2003, 384). In addition to the strategies of adequation and distinction, there are strategies that do not construct but dismantle and destruct identity categories and their elements. Bucholtz and Hall identify two such strategies, namely the strategy of illegitimation, which aims at delegitimizing aspects of identity constructions by questioning their validity or the authority of their source, and the strategy of denaturalization, in which given identity constructions are shown to be falsely based on assumptions of homogeneity and generalization (cf. Bucholtz and Hall 2005, 602–605). In this study, the way such strategies have been used by Twitter users in response to the dichotomy between Muslims and Britain established in the article will be analyzed.

Banal Nationalism

13 The third theoretical consideration is concerned with the way collective identities are discursively constructed not only in ideological and elite discourses but also in ordinary settings. Especially theories of nationalism and national identity have been criticized to have solely focused on the level of top-down, elitist discourses in the

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 44

reproduction of national identity (cf. Özkirimli 2000, 195). In his influential work called Banal Nationalism (1995), Billig argues that far from only being constructed in spectacular displays or in dominant discourses during crises, national identity is produced and reproduced in »everyday life« (cf. Edensor 2002, 11, Skey 2009, 334). Indeed, it has even been argued that it is in mundane and routine reproduction that assumptions of belonging are grounded (cf. Edensor 2002, 11). According to Antonsich, the everyday practices are crucial in the construction of shared identity, as »it is the mundane choreographies of ordinary people queuing at the bus stop, getting stuck in traffic jams on holiday trips to popular destinations, or sitting in front of the TV for the evening news which produce a common spatial-temporal matrix« (2016, 38). Therefore, it is important to take the discursive actions of ordinary people in everyday settings and mundane reference points into account in order to comprehend any construction of identity as a contested and multifaceted construct.

Data and Method

14 In order to understand how national and religious identity was negotiated and constructed in the hashtag discourse, tweets were gathered by means of the web-based tool TAGS (Twitter Archiving Google Spreadsheet) that accesses Twitter’s REST API and allows for both the compilation of the tweets as well as a number of statistical operations (cf. Gaffney and Puschmann 2014, 56). This method enables the researcher to gather individual tweets that contain a certain keyword or, in this case, hashtag. In order to obtain a data set as complete as possible, all data gathered was published no more than 48 hours prior to the data collection requests.3 Furthermore, given the yet unsolved question of how representative Twitter users are of the overall population, especially if their probable youth is taken into account, no such generalization will be attempted in this paper. All tweets containing the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink have been tracked and extracted from Twitter after the emergence of the hashtag on the 10th of April, 2016. In order to ensure the integrity and the inclusion of all intra-conversation references necessary to understand any given tweet, the first 24 hours after the emergence of the hashtag have been chosen as a sample. This distinction of the data sample via a given time period (cf. Krippendorff 2004, 109) can, however, not account for possible changes in the Twitter discourse in terms of its participants and overall meaning over time. A total of 480 original tweets were included in the analysis4.

15 The compiled data was analyzed using a mixed method content analysis approach conceptualized on the basis of category development as a qualitative-interpretive act, following content-analytical rules expressed by scholars such as Mayring (2000, 2014). His model of Qualitative Content Analysis combines the qualitative step of assigning categories to text with the quantitative step of »working through many text passages and analyzi[ng] frequencies of categories« (2014, 10). In order to investigate the specific contents mentioned in the data, an inductive category development was applied, a process that lies at the basis of the grounded theory approach (cf. Mayring 2014, 79). Thereby, a close reading of each tweet was conducted and the tweet was coded for one (presence of the subject category) or zero (absence of the subject category). A single tweet may be coded for more than one content category. Overall, 10 main content categories were referred to in the 480 tweets (see table 1).

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 45

Table 1. Frequency of Main Content Categories

Content Category Number of Tweets

Everyday Life 202

Religions and Islam 105

Discrimination 99

Popular Culture 85

Media 65

Politics 44

Twitter 27

British Nation 21

Shared Values 20

Race and Ethnicity 9

16 In a second step, the material at hand was examined with regard to the discursive strategies applied. Tweets were deductively coded for strategies of identification outlined above. In order to ensure the validity of the developed coding guideline, an inter-coder reliability test was conducted (cf. Mayring 2014, 111), whereby 50 tweets were independently coded by the researcher and an additional coder5. Thereby, acceptable agreement was determined according to Landis and Koch (1977, 165) at a Cohen’s Kappa result of 0.61 and above. The results of the inter-rater reliability test indicate the agreement between the two coders to be sufficient for all variables possible to calculate (Cohen’s Kappa ≥ 0.61). Finally, the correlation between content categories and the strategies was calculated according to Spearman using SPSS Statistics in order to identify the elements along which the boundaries of the identity categories were constructed.

#WhatBritishMuslimsReallyThink: Hashtag Community

17 Hashtags do not only mark the topic of the tweet but may also serve as the target of appraisal and identification (cf. Zappavigna 2011, 799). Hence, in the case of #WhatBritishMuslimsReallyThink, the identity category of »British Muslims« is not only the topic discussed but further intended to serve as a possible marker of identification for Twitter users. In this way, the hashtag can be seen as creating »a space for the construction of the Muslim community« (Wills 2016, 2), in which British Muslims can communicate and share their experiences. Moreover, there are tweets in which the unification of British Muslims around the hashtag is made explicit. This is

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 46

done by establishing a »we«-group via personal pronouns that imply one’s own identity position and simultaneously make presuppositions with regard to that of others (cf. Bucholtz and Hall 2005, 594). Tweets with statements such as »When will we stop having to prove our humanity? #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T259) imply that the author of the tweet and the other participants in this particular hashtag discourse are part of a »we« attributed to the identity category of »British Muslim«. Indeed, in the data analysed, all Twitter users that refer to a »we«-group around this hashtag identify with the category of »British Muslims«. In this way, the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink is established as a shared social space intended for people that identify as British Muslim to participate, share their experiences and contest the portrayal of British Muslims evident in the Sunday Times Magazine article.

Strategies of identification

18 In the tweets analyzed, the category of British Muslims was negotiated and constructed in several ways: On the one hand, shared identity was established by »promoting unification, identification and solidarity, as well as differentiation« (Wodak et al. 2009, 33). Thereby, a shared identity is emphasized along the lines of shared sorrows, problems and worries, as well as common interests and activities. In the Twitter data gathered in this study, two similar but distinct strategies of constructing the identity of British Muslims were observed; 1) Intra-national adequation: the portrayal of British Muslims as a unified group with the intent to adequate and portray sameness between British Muslims and British people 2) intra-group adequation: the identification of British Muslims as a unified group with tweets that serve to unify and self-identify as British Muslims. On the other hand, the negative portrayal of British Muslim identity in the article was deconstructed and dismantled through strategies of 3) illegitimation and 4) denaturalization. While tweets that construct British Muslim identity can be seen as indirectly responding to the article and its exclusionary representation of British Muslims, the latter two strategies respond to the argumentation of the article in a more direct manner. The four strategies identified in the Twitter data analyzed are outlined and exemplified in the following sections.

Intra-national Adequation

19 The first approach, which was included in 202 tweets (42%), pursues to portray sameness between British Muslims and British people in general. Thereby, an individual tweet identifies an aspect of British Muslim identity and explicitly or implicitly attributes it to the British identity in general, or vice versa. In this way, the construction of Muslims as different from British people, or even incompatible with » Western«, here British, values, is indirectly contested. In most tweets, such an alignment is implicit, however, there are instances where it is made explicit, as for example in the following tweet: »Living according to the stated 'British Values' is pretty easy as in many ways Islam requires the same of us #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T334)

20 In this example, the content category referred to in order to pursue sameness was » shared values«.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 47

21 Overall, sameness is constructed mostly along the lines of shared interests, activities, and reference points in terms of everyday worries as well as political issues of concern. Two content categories significantly correlate with the strategy of intra-national adequation: The first category the strategy of intra-national adequation correlates with is »Popular Culture« (r=378, p=0.000), which includes references to the entertainment industry, music, TV-series, movies or sports: »#WhatBritishMuslimsReallyThink I must reread @jk_rowling's Harry Potter series and @AuthorDanBrown's books again. The best. #bibliophile« (T439) »Leicester will win the League #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T449)

22 In examples, such as the tweets above, similarity is emphasized in terms of same interests in popular culture, here in the Harry Potter book series. Moreover, references to British sports teams, such as to Leicester (tweet T449), can further be read in terms of emotional investment in the British nation. Indeed, interest in national sports team has been interpreted as a sign of belonging and emotional attachment to the British nation in nationalist projects, as for instance in the Cricket test introduced during Thatcher’s government (cf. Yuval-Davis 2011, 22–23). In this test, migrated people were to watch a Cricket match between Britain and a team from the country of their origin and only if they cheered for Britain could they possibly »belong« to the British nation (cf. Yuval- Davis 2011, 22). The second content category that correlates with the strategy of intra-national adequation is »Everyday Life« (r=0.256, p=0.000). Here references to food, such as in »Nothing is complete without a good cuppa’ tea #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T428), or the weather, as in »It’s raining again! British weather is so unpredictable #WhatBrishMuslimsReallyThink« (T373), and other everyday issues are included. In this way, both the more or less explicit Britishness as well as the ordinary character of the tweeting British Muslims is indicated. These correlations indicate that unity and sameness are constructed along the lines of a shared everyday worries and popular interests.

Intra-group Adequation

23 In the 144 tweets (30%) included in this category, the identity of British Muslims is constructed via a combination of both the strategy of adequation and distinction. Firstly, shared characteristics, sorrows, interests, or activities that are mentioned in the tweet. Secondly, those mentioned entities are either explicitly or implicitly portrayed as particular to British Muslims. Overall, a distinct British Muslim identity is constructed mostly along the lines of shared interest in or worries related to Islam. Indeed, the strategy of intra-group adequation has been found to correlate strongly with the content category of ‘Religion and Islam’ (r=0.488, p=0.000). This subject category includes references to language, concepts, rituals, or clothes connected to Islam. This can be seen in the following tweet, where an interest in the fasting month Ramadan is expressed: »y does Ramadan have to come in June when the weather is peng? #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T66)

24 In this way, the hashtag is used to share distinct experiences with regard to religious activities, concepts, or religious dress. Some of those tweets are coded both for the subject category of »everyday life« as well as »Religion and Islam«, for example in the tweets »Is Pizza Express Chicken really halal?« (T348) or »Does my hijab match my

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 48

dress?« (T155). This explains the weak yet significant correlation of the strategy of intra-group adequation with the content category of everyday life (r=0.179, p=0.000).

25 Another content category used in the strategy of intra-group adequation was » discrimination«. Here, shared worries about discrimination experienced by British Muslims are shared by Twitter users, as for instance in the following two tweets: »Am I going to get harassed because of my hijab? #WhatBritishMuslimsReallyThink « (T88) »#WhatBritishMuslimsReallyThink I hope some racist doesn’t get me kicked off @easyJet for flying while Muslim in a couple of weeks.« (T223)

26 However, the correlation with the content category of »discrimination« is significant to a lesser extend (p=0.041) and very weak (r=0.093): This indicates that the unification of the identity group of British Muslims might be attempted more via everyday life and religious interests and activities than by referring to a shared worry with regard to being discriminated. Hence, the construction of British Muslims as a distinct »we«- group around the hashtag can be seen as offering Twitter users the possibility for positive identification.

Illegitimation

27 In tweets coded for the strategy of illegitimation, negative portrayals and images of British Muslims are contested by questioning their validity or source of authority. With regard to the hasthag #WhatBritishMuslimsReallyThink, the primary source of exclusionary portrayal of British Muslims that is contested is the article »An Inconvenient Truth«, its author, Trevor Phillips, and the media institutions connected to it, such as the Sunday Times. In total, a substantial number of tweets (115) delegitimized one or more of the mentioned sources of authority and their methods. They were devalued and delegitimized primarily by using evaluative language, as can be seen in the following two tweets: »After ruining the Equality Human Rights Comm[issio]n, what an Islamophobic wazzock Trevor Phillips turned out to be. #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T68) »Trevor Phillips, The Sunday Times and Channel 4 (home of Benefits Street) Toxic mix. #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T279)

28 In addition to directly devaluing media sources, the scientific rigor of the poll presented in the article is questioned. In this way, the claimed scientific integrity of the results is delegitimized.

29 Overall, the strategy of illegitimation has been used most frequently in the data analyzed when Twitter users contest negative identity constructions they see as false and as being forced upon them. Thereby, the strategy of illegitimation strongly correlates with the content category of »Discrimination« (r=0.558, p=0.000). Such a correlation may be expected, as the accentuation of behaviors as discriminating can in itself already be seen as a delegitimizing judgment of said behavior. Similarly, a weak but significant correlation with the content category of »Race and Ethnicity« (r=0.102, p=0.025) could be shown. Thereby, most references to the content category of »Race and Ethnicity« were references to racism and overlapped with the content category of »Discrimination«. The weak correlation with regard to »Race and Ethnicity« might be due to the small sample size of the category. Furthermore, the correlation between the strategy of illegitimation and the content category of »Media« is significant and medium in strength (r=0.334, p=0,000). Hence, the statistical calculations support the

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 49

suggestion that a significant part of tweets that aimed to delegitimize negative identity constructions of British Muslims realized this by delegitimizing media entities, both those directly connected to the article and other media institutions.

Denaturalization

30 The second strategy that serves to dismantle negative identity constructions of British Muslims is denaturalization. In 40 tweets this strategy is applied. The aim is to subvert and dismantle homogenizing and essentializing portrayals of British Muslim identity (cf. Bucholtz and Hall 2005, 602). This is achieved by emphasizing the problematic, fragmented, and socially constructed nature of the identity constructed. In the following tweets, for instance, the argumentation of the article and similar rhetoric are portrayed as false, as the religious identity category is itself deconstructed: »Ask 3 Muslims a Question get 4 answers (aka we R not a monolith & we disagree all the time) #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T296) »Do people really know everything about what I think just by asking about my religion? Because I don't #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T388)

31 While in the first tweet the identity group of British Muslims is portrayed as diverse and fragmented, the second tweet questions the reliance on the identity category of »religion« in order to make generalizable statements about people. In addition to denaturalizing identity categories per se, some tweets explicitly questioned the representativeness of the poll sample in terms of the authenticity of the people questioned or otherwise denaturalize the portrayal of British Muslims in the article.

32 Last but not least, there are tweets in which the denaturalization of negative identity constructions of British Muslims is achieved implicitly by violating certain expectations, for example: »›I'm the one that's oppressed, I have to ask my wife for permission to go play football‹ my friend yesterday #WhatBritishMuslimsReallyThink« (T327)

33 Overall, Twitter users applied the strategy of denaturalization, same as illegitimation, mostly with reference to the content category of »Discrimination« (r=0.499, p=0.000) as well as to the content category of the »Media« (r=0.092, p=0.043) in order to contest and dismantle identifications of British Muslims by »others«.

#WhatBritishMuslimsReallyThink: A Contested Space

34 While most tweets construct a positive identity position for British Muslims and negate negative portrayals, hashtags can be contested and disrupted by users that do not share the view of the overall »we«-group constructed in the hashtag discourse (cf. Wills 2016, 4). Those tweets aim at goals that are contrary to the ones of the majority of tweets in the hashtag conversation. In the sample analyzed, a minority of 25 tweets (5%) disrupted the overall intention of the hashtag. With regard to the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink, disrupting tweets challenge the possibility for positive identification with (British) Muslim identity and re-affirm negative and exclusionary portrayals of British Muslims. In this way, the tweets are in line with the argumentation evident in the article »An Inconvenient Truth«, which reproduced the British national identity as necessarily distinct from Muslim identity. In such tweets, Muslim and British identity is actively differentiated and Islam and Muslimness are devaluated and vilified. Moreover, there are tweets that directly delegitimize the use of

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 50

the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink in order to deny the possibility of assimilation present in the tweets and to counter the critique voiced in the hashtag discourse.

Conclusion

35 In the data analyzed for this thesis, a contested and multifaceted portrayal of British national identity as well as British Muslim identity can be witnessed. Both identity categories are constructed and negotiated in relation to each other and via a variety of different elements that determine inclusion or exclusion from either group.

36 Overall, the »othering« experienced by British Muslims is disputed. This allows for a positive identification with both the British nation as well as with the distinct »we«- group of British Muslims that was built around the hashtag. Hence, the hashtag discourse can be seen not only as a way to contest and refuse negative portrayals but also as a space for unification and affirmative self-identification for British Muslims. Both the ability to »talk back« and have a voice as well as the process of identifying with an available subject-position are »a necessary condition for any notion of agency and subjectivity to exist« (Yuval-Davis 2011, 14). In this way, such a performative discourse enables marginalized people to negotiate existing and create novel identity positions (cf. Weedon 2004, 154). In conclusion, the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink has enabled British Muslims to negotiate and resist negative and stereotypical identifications of themselves and was used as an instrument to appropriate and identify with the subject-position of British Muslims.

37 In today’s discourses on belonging, especially since 9/11 and other attacks that have been represented in a similar light, national identity and belonging is grasped in increasingly conditional terms (cf. Yuval-Davis 2011, 40). Particularly with regard to the way religious and national identities are interrelated in many contemporary nationalist discourses and the rising Islamophobia Muslims in »Western« countries are faced with, such a conditionality and precariousness of belonging may aggravate the experienced disassociation and marginalization. Therefore, it is crucial to investigate discourses that negotiate national and religious belonging and to include not only institutionalized and elite discourses but also everyday constructions of identity and explore the integrative potential of such constructions in future research. This study illuminates the specific ways in which Twitter can be appropriated by socially marginalized people as an opportunity to resist exclusion and to employ strategies of identification that allow for a sense of belonging. Therefore, further investigation of Twitter as a site of religious and national identity construction may shed light on the contested nature of mediated discourses of belonging.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 51

BIBLIOGRAPHY

Anderson, Benedict. 2006 (1983). Imagined Communities. London: Verso.

Antonsich, Marco. 2016. "The ‘Everyday’ of Nanal Nationalism–Ordinary People's Views on Italy and Italian." Political Geography 54 (2):32-42.

Barbu-Kleitsch, Oana. 2016. »Elements of National Identity in Nowadays Social Media.« In Recent Ideas and Research in Social Sciences, 158-166. London: European Center for Science Education and Research.

Billig, Michael. 1995. Banal Nationalism. London: Sage.

Bruns, A. 2011. »New Methodologies for Researching News discussion on Twitter.« The Future of Journalism (unpublished work).

Bruns, Axel, and Hallvard Moe. 2014. »Structural Layers of Communication on Twitter.« In Twitter and Society, edited by Katrin Weller, Axel Bruns, Jean Burgess, Merja Mahrt and Cornelius Puschmann, 15-28. New York: Peter Lang.

Bruns, Axel, and Stefan Stieglitz. 2012. »Quantitative Approaches to Comparing Communication Patterns on Twitter.« Journal of Technology in Human Services 30 (3/4): 160-185.

Bucholtz, Mary, and Kira Hall. 2003. »Language and Identity.« In A Companion to Linguistic Anthropology, edited by Alessandro Duranti, 369-394. Oxford: Blackwell.

Bucholtz, Mary, and Kira Hall. 2005. »Identity and Interaction: A Sociocultural Linguistic Approach.« Discourse Studies 7 (4-5): 585-614.

Diaz-Bone, Rainer. 2006. »Zur Methodologisierung der Foucaultschen Diskursanalyse.« Historical Social Research/Historische Sozialforschung: 243-274.

Edensor, Tim. 2002. National Identity, Popular Culture and Everyday Life. Oxford: Berg.

Fassin, Éric. 2010. "National identities and transnational intimacies: Sexual democracy and the politics of immigration in Europe." Public culture 22 (3):507-529.

Fassin, Éric. 2012. "Sexual Democracy and the New Racialization of Europe." Journal of Civil Society 8 (3):285-288.

Gaffney, Devin, and Cornelius Puschmann. 2014. »Data Collection on Twitter.« In Twitter and Society, edited by Katrin Weller, Axel Bruns, Jean Burgess, Merja Mahrt and Cornelius Puschmann, 55-67. New York: Peter Lang.

Hall, Stuart. 2001. »Foucault: Power, Knowledge and Discourse.« In Discourse Theory and Practice: A Reader, edited by Margaret Wetherell, Stephanie Taylor and Simeon Yates, 72-81. London: Sage.

Konnelly, Alexah. 2015. »# Activism: Identity, Affiliation, and Political Discourse-Making on Twitter.« The Arbutus Review 6 (1): 1-16.

Krippendorff, Klaus. 2004. Content analysis: An introduction to its methodology. Los Angeles: Sage.

Kumar, Samath, Fred Morstatter, and Huan Liu. 2015. »Analyzing Twitter Data.« In Twitter: A Digital Socioscope, edited by Yelena Mejova, Ingmar Weber and Michael Macy, 21-51. New York: Cambridge University Press.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 52

Landis, J Richard, and Gary G Koch. 1977. »The Measurement of Observer Agreement for Categorical Data.« Biometrics 33: 159-174.

Lövheim, Mia. 2013. »Identity.« In Digital Religion: Understanding Religious Practice in New Media Worlds, edited by Heidi Campbell, 41-57. London and New York: Routledge.

Mayring, Philipp. 2000. »Qualitative Content Analysis.« Forum: Qualitative Social Research 1 (2): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0002204.

Mayring, Philipp. 2014. Qualitative Content Analysis: Theoretical Foundation, Basic Procedures and Software Solution. Klagenfurt: Institute of Psychology and Center for Evaluation and Research.

Moore, Kerry, Paul Mason, and Justin Matthew Wren Lewis. 2008. Images of Islam in the UK: The Representation of British Muslims in the National Print News Media 2000-2008. Cardiff: Cardiff University.

Özkirimli, Umut. 2000. Theories of Nationalism: A Critical Introduction. New York: St. Martin's Press.

Pfaffenberger, Fabian. 2016. Twitter als Basis wissenschaftlicher Studien : Eine Bewertung gängiger Erhebungs- und Analysemethoden der Twitter-Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Phillips, Trevor. 2016. »An Inconvenient Truth.« The Sunday Times Magazine, 1-8., accessed 25.04.16. http://www.thesundaytimes.co.uk/sto/Magazine/Features/article1685107.ece.

Skey, Michael. 2009. »The National in Everyday Life: A Critical Engagement with Michael Billig's Thesis of Banal Nationalism.« The Sociological Review 57 (2):331-346.

Sloan, L., J. Morgan, P. Burnap, and M. Williams. 2015. »Who Tweets? Deriving the Demographic Characteristics of Age, Occupation and Social Class from Twitter User Meta-data.« PLoS ONE 10 (3): e0115545.

Stoler, Ann Laura. 1995. Race and the Education of Desire: Foucault's History of Sexuality and the Colonial Order of Things. Durham and London: Duke University Press.

Weedon, Chris. 2004. Identity And Culture: Narratives of Difference And Belonging. Edited by Allan Stuart, Cultural and Media Studies. Maidenhead (UK): Open University Press.

Wodak, Ruth, Rudolf De Cillia, Martin Reisigl, and Karin Liebhart. 2009. The Discursive Construction of National Identity. Edingburgh: Edinburgh University Press.

Wodak, Ruth, and Michael Meyer. 2009. »Critical Discourse Analysis: History, Agenda, Theory, and Methodology.« In Methods for Critical Discourse Analysis, edited by Ruth Wodak and Michael Meyer, 1-33. Los Angeles and London: Sage.

Yuval-Davis, Nira. 2011. The Politics of Belonging: Intersectional Contestations. London: Sage.

Zappavigna, Michele. 2012. Discourse of Twitter and Social Media: How we Use Language to Create Affiliation on the Web. Edited by Ken Hyland, Continuum Discourse Series. New York and London: Continuum International Publishing Group.

NOTES

1. The term Islamophobia refers to unfounded hostility towards Islam. It also refers to the practical consequences of such hostility in discrimination against Muslim individuals and communities, and to the exclusion of Muslims from mainstream political and social affairs (cf. Weedon 2004, 145).

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 53

2. According to Foucault, discursive formations are constituted by various discursive events, or rather individual representations or utterances that make up a meaningful unit, which, at the very least, share the same object of reference (cf. Hall 2011, 73). 3. The ephemeral nature of Twitter does not guarantee completeness when data is gathered in hindsight, as »data loosely falls off of the search system within a week of being posted« (Gaffney and Puschmann 2014, 56). 4. On account of the ethical concerns in using Twitter data for research purposes (cf. Pfaffenberger 2016, 117–118), the data used for this study is anonymized. The tweets quoted in this paper are all taken from the set of 480 original tweets (T1-T480). For further insight into the data please contact the author. 5. I thank Yuvviki Dioh for her work as an inter-rater coder in this project.

ABSTRACTS

In the discursive construction of intra-national sameness, religious identity is often a key criterion for inclusion or exclusion from the imagined national community. In today’s Europe, the boundaries of individual nations are increasingly secured by applying a logic characteristic of Islamophobia and cultural racism. Therefore, the negotiation of Muslim identity and its intersection with the respective national identity category is of particular interest. In this study, the Twitter hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink was examined in order to analyze how members of the British Muslim digital community both construct and reinforce their collective identity as well as employ discursive strategies to negotiate British national identity and their national belonging in the face of exclusionary political rhetoric. Drawing on a corpus of 480 tweets containing the hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink, a mixed-method content analysis approach was employed to analyze the topics and strategies present in the hashtag discourse. Thereby, the issues addressed and the strategies of belonging employed in the Twitter conversation are embedded in a larger public discourse on British national identity and intra- national boundary making. This research investigates Twitter as a site of national and religious identity construction and sheds light on the contested nature of such identity categories.

In der diskursiven Konstruktion intranationaler Gleichheit spielt religiöse Identität oftmals eine entscheidende Rolle für den Einbezug in oder den Ausschluss aus einer imaginierten nationalen Gemeinschaft. Im heutigen Europa werden die ideellen Grenzen von Nationen zunehmend durch eine islamophobe Logik und kulturellen Rassismus gesichert. Daher ist insbesondere die Aushandlung muslimischer Identität und deren Überschneidung mit den jeweiligen nationalen Identitätsvorstellungen von Interesse. In dieser Studie wird der Twitter-Hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink daraufhin untersucht, wie die Mitglieder der digitalen britisch- muslimischen Gemeinschaft sowohl ihre kollektive Identität konstruieren und verfestigen als auch diskursive Strategien nutzen, um britische Identität und ihre nationale Zugehörigkeit angesichts ausschließender politischer Rhetorik auszuhandeln. Basierend auf einem Korpus von 480 Tweets mit dem Hashtag #WhatBritishMuslimsReallyThink wurde eine gemischt- methodische inhaltsanalytische Herangehensweise gewählt, um die Themen und Strategien im Hashtag-Diskurs zu analysieren. Dabei werden die in der Twitter-Diskussion angesprochenen Themen und angewendeten Zugehörigkeitsstrategien in einen breiteren öffentlichen Diskurs um britische Nationalidentität und intranationale Grenzziehung eingebettet. Die Studie untersucht

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 54

somit Twitter als Plattform für nationale und religiöse Identitätskonstruktion und gibt Aufschluss über den umkämpften Charakter solcher Identitätskategorien.

INDEX

Schlüsselwörter: Nationale Identität, Soziale Medien, Digitale Religion, Muslimische Identität, Diskurs Keywords: National Identity, Social Media, Digital Religion, Muslim Identity, Discourse

AUTHOR

MIRJAM AESCHBACH Mirjam Aeschbach received her Master’s Degree in the Study of Religion and Gender Studies at the University of Zurich in 2017. During her study, she took part in the Erasmus program, visiting the University of Utrecht for one semester. Since January 2017, she is a Research and Teaching Assistant at the Department for the Study of Religions at the University of Zurich. Contact: [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 55

Rezensionen Book reviews Comptes rendus

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 56

Thomas Höffgen, Goethes Walpurgisnacht-Trilogie Peter Lang, Frankfurt/M. u.a., 2015, 332 Seiten

Nicole Hausmann

REFERENCES

Thomas Höffgen. 2015. Goethes Walpurgisnacht-Trilogie: Heidentum, Teufeltum, Dichtertum. Bochumer Schriften zur deutschen Literatur. Neue Folge. Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang Verlag. 332 Seiten, 64,95 €. ISBN: 978-3631665039

1 Die Dissertation von Thomas Höffgen, Goethes Walpurgisnacht-Trilogie. Heidentum, Teufeltum, Dichtertum, ist eine literaturwissenschaftliche Untersuchung, die auch für die Religionswissenschaft beachtenswert ist.

2 Höffgen liest die Ballade Die Erste Walpurgisnacht (1799), die Walpurgisnacht-Szene des Faust I (1808) und die Klassische Walpurgisnacht des Faust II (1832) als eine von Johann Wolfgang Goethe ideengeschichtlich konzipierte und geschlossene Trilogie. Dabei sei in der Ballade, die von der Faust-Forschung bisweilen wenig Beachtung fand (vgl. 11), das »Grundkonzept« (13) eines Spannungsfeldes von Pantheismus und Kirchenkritik verankert, welches sich in den Faust-Walpurgisnächten dialektisch fortführe und eine »poetische Ideengeschichte« (316) bilde: »Vom heidnischen Walpurgisnacht-Archetyp (Erste Walpurgisnacht) der Mittelzeit über das christliche Walpurgisnacht-Stereotyp der Frühneuzeit (Faust I- Walpurgisnacht) hin zu einem pantheistischen Walpurgisnacht-Neotyp der Goethezeit (Klassische Walpurgisnacht)« (ebd.).

3 Die Gliederung der Arbeit in drei Teile und ein Intermezzo zum zeitgenössischen Mythendiskurs ist methodisch einleuchtend und führt den Leser chronologisch durch die Goetheschen Walpurgisnächte, wobei die goethezeitlichen Diskurse zur Dichtungstheorie und Religiosität, wie auch mythologische und religionshistorische Referenzen und Kontexte von der Antike bis zur Frühneuzeit, sorgfältig einbezogen werden.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 57

4 Die in der Ersten Walpurgisnacht vereinte Polarität von Pantheismus und Kirchenkritik inszeniere Goethe, so Höffgen, durch eine sogenannte »Heiden-Hälfte« pantheistischen Charakters und einen »Teufel-Teil« kirchenkritischen Charakters; formal untermalt werde das Spannungsfeld durch eine dialektische Sprachrhythmik, die zwischen jambischer »Heiden-Hälfte« und trochäischem »Teufel-Teil« variiert (54). In Anlehnung an J. M. Coopers Studie über die von F. Mendelssohn Bartholdy vertonte Ballade1 deutet Höffgen die Erste Walpurgisnacht als Referenz auf den religionsgeschichtlichen »Paradigmenwechsel« von »Heidentum« zu »Christentum«. Die Ballade erscheine als Archetyp, die den »historischen Ursprung [der Walpurgisnacht] in der Mittelzeit« (36) verarbeite. Die Motive und Figuren der Ersten Walpurgisnacht werden von Höffgen auf die Zeit der Christianisierung germanischer Stämme übertragen. Dafür zieht er den Quellenkorpus der Missionsberichte heran, lässt Quellen zur germanischen Mythologie einfließen und will diese in Anlehnung an J. Grimms frühgermanistische Forschungen2 naturallegorisch bzw. pantheistisch zu verstehen wissen. Die aufgezeigten Parallelen zwischen Goethes Ballade und der germanischen Religiosität als »Art Pantheismus« (34) auf der einen Seite und den Missionierungsprozessen auf der anderen Seite sind nachvollziehbar. Nichtsdestoweniger, und auch dies versäumt Höffgen nicht zu erwähnen, gibt es keine Quellen zu germanischen Walpurgisnachtsfesten (vgl. 69f.), weshalb er sich für die Deutung als vorchristliches Maifest den »suggestiven« (70) Worten Grimms anschließen muss: »An diesem tag loderten, wer möchte es leugnen? heidnische opfer«.3 Für das Hauptaugenmerk auf das Spannungsfeld ist dies aber weniger von Relevanz, da Höffgen die »Heiden-Hälfte« paradigmatisch für Goethes eigenen Pantheismus, der ein dynamisierter Pantheismus sei, deutet. Der »Teufel-Teil« hingegen sei, bezugnehmend auf die Christianisierungsprozesse, als Goethes satirische Kirchenkritik konzipiert: »Die Erste Walpurgisnacht ist ein Spottgedicht auf die Vorstellungswelt der missionierenden Kirche und die geistig-sittliche Unfreiheit der Missionare« (102).

5 Dass die für den »Teufel-Teil« der Ballade repräsentativen Aspekte der Verteufelung und der satirischen Kirchenkritik in der Walpurgisnacht-Szene des Faust I wiederaufkeimen, will Höffgen wie folgt belegen: Anhand frühneuzeitlicher Quellen zum volkstümlichen Hexenglauben und zur Hexenverfolgung erläutert Höffgen die stereotype Vorstellung des frühneuzeitlichen Hexensabbats samt Teufelspakt, deren vermeintliche Liturgie er anschaulich präsentiert und die weitestgehend in der Faust I- Walpurgisnacht poetisiert übernommen wird: A. Schönes populäre, auf die weibliche Hauptfigur des Dramas bezogene »Gretchen als Hexe«-Theorie4 spielt dabei für Höffgen eine zentrale Rolle, da sich gerade »[i]n der Konzeption von Gretchen […] die Geschichte der Verteufelung« (147) spiegele. Durch Höffgens Ausflug in die historischen Ereignisse der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung werden religionshistorische Kongruenzen zu den Verteufelungsprozessen der Christianisierungszeit hervorgehoben.

6 Interessant ist Höffgens topographische Analyse der Faust I-Szene, bei der er einen bedeutsamen Bruch zur stereotypen Hexen- und Teufelsliturgie aufzeigt, der den Aspekt der Verteufelung satirisch wie kirchenkritisch inszeniere bzw. nicht-inszeniere: Unter Einbezug der Paralipomena zum Faust, die unveröffentlichte »Satansszenen« enthalten, zeigt Höffgen auf, dass Goethe den Teufelspakt, und damit das »Hauptmotiv des frühneuzeitlichen Hexensabbats« (170), in der Endfassung des Faust nicht hat stattfinden lassen. Diesen ausgesparten Raum bewertet Höffgen als einen von Goethe

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 58

bewusst gesetzten »liturgischen Bruch« (175), der die spöttischen Ambitionen der Dichtung und ihres Dichters offenbare: Denn wo der Teufel nur fabuliert wird, kann kein leibhaftiger Satan walten. Stilistisch sei zudem der Walpurgisnachtstraum, den Höffgen, im Sinne der Trilogie, zur vorangegangenen Walpurgisnacht-Szene zählt, »geradezu überfrachtet mit zeitsatirischen und gesellschaftskritischen Anspielungen, die sich nicht selten auf den theologischen Konflikt zwischen Heidentum und Christentum beziehen« (188).

7 Bedingt durch das Intermezzo, welches in die Mythenkritik des 18. Jahrhunderts einführt, unterliegt auch Höffgens Arbeit einem »liturgischen Bruch«. Im Fokus steht die frühromantische Dichtungsprogrammatik der progressiven, konstruierenden »Neuen Mythologie«, die um 1800 diskutiert wurde und für die ideengeschichtliche Konzeption der Klassischen Walpurgisnacht als dichterischer Neotyp elementar sei. In der Klassischen Walpurgisnacht werde die romantisch-pantheistische »Heiden-Hälfte« der Ballade in Form eines »Neuen Mythos« fortgesetzt, wobei Goethe die Idee eines dynamischen Pantheismus mythopoetisch umsetze. Damit gelangt der Autor zu einem Befund, der dem Titel der Szene selbst scheinbar widerspricht: Nämlich »dass [sich] die Klassische Walpurgisnacht […] an den Kriterien der frühromantischen mythologischen Schule orientiert« (298). Höffgens topographische Abhandlung griechischer Mysterienkulte anhand »Fausts Weg nach Eleusis« und seine Deutung der Figur als »zweite Pythia« und »zweiter Orpheus« führen zu der Überlegung, dass Goethe diese Konzeption bewusst im Sinne einer Neuen Mythologie nach F. Schlegel5 angelegt hat, deren Kern das Mysterium bildet. Vor allem die Homunkulus-Figur erfülle das progressive Prinzip der Neuen Mythologie in Gestalt eines strebenden Dämons und könne paradigmatisch für Goethes eigene Neue Mythologie und seinen eigenen Pantheismus gelesen werden.

8 Höffgens literaturwissenschaftliche Darlegung und Heuristik von Goethes Walpurgisnächten stellt für die Goetheforschung interessante Lesarten der Faust-Szenen vor und macht die übergeordnete Gesamtschau als synthetische und ideengeschichtlich konzipierte Trilogie plausibel. Aber die Untersuchung hat auch für die Religionswissenschaft ihren Reiz: Höffgen dehnt das Forschungsfeld der Literaturwissenschaft sehr weit aus und schließt bewusst kultur- und religionsgeschichtliche Bereiche ein, was freilich auch dem Gegenstand »Walpurgisnacht« geschuldet ist. Seine Dissertation zeigt dabei eine fruchtbare Schnittstelle von Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft und Religionswissenschaft auf: Insbesondere Fragen nach dem Verhältnis von neuerer Dichtung und Religion, der künstlerischen Rezeption von Religion, die über die griechisch-römische und christliche Tradition hinausgeht sowie dem Phänomen der »Dichter und Denker« selbst, die, wie etwa Goethe, dazu geneigt waren, ein individuelles religiöses Weltbild zu erschaffen.

9 Mit dem Vergleich von (früh-)mittelalterlicher Missionierungszeit und frühneuzeitlicher Hexenverfolgung legt Höffgen, fast beiläufig, eine interessante Herangehensweise an den Walpurgisnacht-Mythos vor, die in gewissen Zügen an C. Ginzburgs Methode6 erinnert: Indem er ihn vom Mantel der Verteufelung entkleidet, macht er die Walpurgisnacht zu einem deskriptiven Symbolbegriff, der pars pro toto für pagane Ritualität, ihre Tradierung und schließlich Marginalisierung steht. Freilich liegt in dieser Beiläufigkeit aus religionswissenschaftlicher Perspektive zugleich der Schwachpunkt, schon allein, weil Höffgen keine Anstalten unternimmt, spezifische Terminologien, wie etwa »heidnisch«, oder Mythentheorien, wie etwa die der

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 59

naturallegorischen Interpretation, kritisch einzuordnen, wohingegen die literaturwissenschaftlichen Kernbegriffe ausführlich erläutert und kontextualisiert werden. Jedoch entstehen gerade durch die religionswissenschaftliche Fachfremdheit erfrischende Denkansätze: Höffgen lässt das – freilich nicht unerforschte,7 wohl aber in den Hintergrund geratene – Forschungsfeld »Walpurgisnacht« immer wieder neu erscheinen. So vollzieht er einen weiteren Vergleich zwischen dem vermeintlichen Hexensabbat der Frühneuzeit und den Dionysien der Antike, wobei wieder bemerkenswerte Korrespondenzen aufgezeigt werden, die die Überlegung einer Art vorchristlichen Walpurgisnacht-Variante im Sinne eines Mysterienkultes erneut in den Raum wirft.

10 Man kann Höffgens freie, aber konsequente Art der Untersuchung mögen oder nicht, für manchen lässt er vielleicht zu wenig Spielraum für Gegendeutungen. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass Höffgens literaturwissenschaftliche Dissertation über Goethes Walpurgisnacht-Trilogie eine beachtenswerte Untersuchung darstellt, die immer wieder bewusst religionshistorische Felder und Forschungen aufgreift. Die künstlerische Rezeption antiker Mythenstoffe seitens der »Dichter und Denker« als Teil der Religionsgeschichte selbst aufzufassen, ist eine innovative Darstellung, die, wie die Dissertation zeigt, neue Blickfelder eröffnet.

NOTES

1. Vgl. Cooper, John Michael. 2007. Mendelssohn, Goethe and the Walpurgis Night. The Heathen Muse in European Culture, 1700-1850. Eastman studies in music 43. Rochester: University of Rochester Press. 2. Vgl. Grimm, Jacob. 1875-78. Deutsche Mythologie. Nachdruck der 4. Ausgabe. 3 Bde. Wiesbaden: Drei Lilien Verlag 1992. 3. Ebd., Bd. 1, 511. 4. Vgl. Schöne, Albrecht. 1982. Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult. Neue Einblicke in alte Goethetexte. 3., ergänzte Aufl. München: Beck 1993, 175-189. 5. Vgl. Schlegel, Friedrich. 1800. Rede über die Mythologie. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner, 1. Abt., Bd. 2, 311-329. München; Paderborn; Wien: Schöningh 1967. 6. Vgl. Ginzburg, Carlo. 1989. Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2005. 7. Vgl. etwa Rost, Alexander. 2015. Hexenversammlung und Walpurgisnacht in der deutschen Dichtung. Frankfurt a.M.: Peter Lang Verlag; Dülmen, Richard van. 1987. Imaginationen des Teuflischen. Nächtliche Zusammenkünfte, Hexentänze, Teufelssabbate. In: Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.-20. Jahrhundert, hg. von Richard van Dülmen, 94-130. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag; Ginzburg, Carlo. 1984. The Witches’ Sabbat. Popular Cult or Inquisitorial Stereotype? In: Understanding Popular Culture. Europe from the Middle Ages to the Nineteenth Century, hg. von Steven Laurence Kaplan, 39-51. Berlin; New York; Amsterdam: Mouton.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 60

AUTHORS

NICOLE HAUSMANN Julius-Maximilians Universität Würzburg ; FernUniversität Hagen [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 61

Detlef Pollack, Religion und gesellschaftliche Differenzierung Mohr Siebeck, Tübingen, 2016, 383 Seiten

Martin Tulaszewski

REFERENCES

Detlef Pollack. 2016. Religion und gesellschaftliche Differenzierung: Studien zum religiösen Wandel in Europa und den USA III. Tübingen: Mohr Siebeck. 383 Seiten, 39.00 €, ISBN: 978-3-16-154283-1.

1 Im letzten Jahr legte der Religionssoziologe Detlef Pollack seinen dritten Studienband »Religion und gesellschaftliche Differenzierung« zum religiösen Wandel vor.1 Der Band ist gekennzeichnet durch eine umfassende methodische und wissenschaftshistorische Einführung und wird im zweiten Teil durch Studien unterschiedlicher Epochen und geographischer Felder ergänzt.

2 Pollack verortet sich selbst als Vertreter der umstrittenen Säkularisierungstheorie, weist jedoch in seinen Ausführungen auch immer wieder auf deren Schwachstellen hin. Zwei Schwierigkeiten kommen in seinen Ausführungen dabei zum Tragen. Zum einen macht er ein forschungspolitisches Klima, welches die Säkularisierungsthese zurückweist, für die Schwierigkeiten in der umstrittenen Säkularisierungstheorie verantwortlich. Pollack diagnostiziert – bedingt durch den postmodernistischen Zeitgeist – eine ausgeprägte Skepsis gegenüber aufklärerischen Fortschrittserzählungen. Aus diesem Grund stoße die Säkularisierungsthese als Meistererzählung auf Ablehnung. Zum anderen sei die unzureichende empirische Unterfütterung der These eine Schwachstelle.

3 Dabei hat er die Bruchlinie innerhalb der Forschung deutlich im Blick, die seiner Meinung nach zwischen den quantitativ arbeitenden Sozialwissenschaftlern und einer qualitativ angelegten Forschung verläuft. Daraus schlussfolgert er:

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 62

4 »Nur wenn es gelingt, in der Analyse makro- und mikrosoziologische Ebene miteinander zu verzahnen, kann die Säkularisierungsthese von der Deskription in einen explanatorischen Ansatz überführt werden.« (98)

5 In dem aktuellen Band macht der Autor – wie schon dem Titel zu entnehmen ist – deshalb auch die Differenzierungsthese zu seinem Ausgangspunkt. Pollack beschreibt die Differenzierungstheorie unter Bezugnahme auf Niklas Luhmann folgendermaßen:

6 »Die Differenzierungstheorie […] geht davon aus, dass im Übergang von vormodernen zu modernen Gesellschaften die primäre Differenzierungsform von Stratifikation auf funktionale Differenzierung umgestellt wird.« (115)

7 Diese differenzierungstheoretischen Annahmen bringt Pollack dann auch in seinen historischen Fallanalysen, dem zweiten Teil des Buches, zur Anwendung. Die Differenzierung von Religion und Politik im Mittelalter und den religiösen Umbruch im ausgehenden 18. Jahrhundert veranschaulicht er von einem überzeugenden Blickpunkt aus. In historischer Perspektive sehr lesenswert ist dabei die Darstellung des Protestantismus in der DDR. Dort arbeitet Pollack die Wechselwirkung von politischem System und theologischen Antworten darauf eingängig heraus.

8 In den Gegenwartsperspektiven verlieren seine Vorstellungen der Differenzierungstheorie jedoch an Zugkraft und er wendet sich unter Zuhilfenahme der Individualisierungstheorie wieder der Säkularisierungsthese zu.

9 Charakteristisch ist im Band »Religion und gesellschaftliche Differenzierung« die Diskussionsfähigkeit des Autors. Es ist eine Stärke, dass Pollack in seinen einführenden religionssoziologischen Reflexionen die Entwicklung der Säkularisierungsthese unter Bezugnahme auf Einwände und Bedenken skizziert.

10 Dies ist grundlegend im gesamten Band wiederzufinden. Insbesondere in seinen Schlussfolgerungen der einzelnen Fallstudien werden jeweils die differenten Ausprägungen und Kritiken der Säkularisierungsthese benannt und diskutiert.

11 Für Studierende, die sich einen ersten Überblick über religionssoziologische Fragestellungen verschaffen wollen, kann der erste Teil des Buches sehr anregend sein. Pollack zeigt aber auch, dass quantitative Religionsforschung nicht ausschließlich aus trockenen Statistiken besteht. In seinen Fallbeispielen unterfüttert er die Auswertung der Diagramme und Tabellen mit anschaulichen Beispielen, die den Band zu einem gut lesbaren Buch machen.

NOTES

1. Die Reihe besteht aus den folgenden Monographien: Pollack, Detlef. 2016. Religion und gesellschaftliche Differenzierung – Studien zum religiösen Wandel in Europa und den USA III. Tübingen: Mohr Siebeck; Ders. 2009. Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und in Europa II. Tübingen: Mohr Siebeck; Ders. 2003. Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen: Mohr Siebeck.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 63

AUTHORS

MARTIN TULASZEWSKI Universität Rostock Kontakt: [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 64

Steffen Führding, Jenseits von Religion? Transcript, Bielefeld 2015, 267 Seiten.

Tobias Wolfrum

REFERENCES

Steffen Führding. 2015. Jenseits von Religion? Zur sozio-rhetorischen »Wende« in der Religionswissenschaft. Bielefeld: transcript-Verlag. 267 Seiten, 34,99€. Print-ISBN: 978-3-8376-3138-8

1 Dr. phil. Steffen Führding widmet sich in seinem Buch der Bedeutung von so bezeichneten sozio-rhetorischen Ansätzen der Religionswissenschaft und widmet sich der Aufgabe zu zeigen, in welcher Art und Weise diese positiv zu Identität und Vorgehen innerhalb des Faches beitragen können.

2 Der erste Teil des Buches besteht im Wesentlichen aus Führdings Dissertationsarbeit, während der zweite eine Zusammenstellung einiger seiner bereits anderswo veröffentlichten Aufsätze enthält.

Inhalt

3 Er beginnt mit der Identität der akademischen Religionswissenschaft, für die seit ihrer Entstehung sowohl die Frage nach ihrem eigentlichen Gegenstand, als auch nach den verwendeten Methoden entscheidend ist. Als weitgehenden Konsens innerhalb der Disziplin sieht Führding einzig deren empirische und humanwissenschaftliche Ausrichtung. Seit den 1990er Jahren gibt es vor allem zwei Strömungen der Religionswissenschaft, die großes Aufsehen erregen. Davon umfasst eine jene Ansätze, die sich vor allem im amerikanisch-englischsprachigen Raum großer Beliebtheit erfreuen und unter dem Begriff »sozio-rhetorisch« zusammengefasst werden. Diesen gilt Führdings Forschungsinteresse.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 65

4 Der Begriff »sozio-rhetorisch« entstammt einer Methode zur Interpretation biblischer Texte aus den 1980er Jahren, die jedoch aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich heraus erweitert wurde. Zentral ist dabei die Idee, dass Texte und Sprache nicht als einheitliche Gebilde, sondern nur in ihrem jeweiligen Kontext verstanden werden können. Für den kanadischen Religionswissenschaftler Russel T. McCutcheon und andere Autoren des sozio-rhetorischen Ansatzes entsteht Bedeutung also durch Prozesse innerhalb von Diskursen. Führding benennt zeitgenössische Religionswissenschaftler, denen »es um die kritische Untersuchung des Aktes des Klassifizierens [geht], also des Vorgangs, der aus ‚etwas‘ erst ‚etwas Bestimmtes‘ und damit Wahrnehmbares macht. Dieser Klassifizierungsakt wird von den Vertretern des ‚sozio-rhetorischen Ansatzes‘ sowohl als ein zutiefst sozialer als auch ein deutlich politischer Vorgang betrachtet.« (17)

5 Führding spricht hier von einem Perspektivwechsel, weil die Aufgabe von Religionswissenschaft nicht mehr die Untersuchung von Religionen oder das Erarbeiten einer Definition von Religion ist, »sondern die Frage, was und aus welchem Grund als religiös oder Religion angesehen wird.« (29)

6 Führding widmet sich nun verschiedenen Positionen innerhalb des sozio-rhetorischen Ansatzes und zeigt damit, dass es sich trotz geteilter Vorstellungen keineswegs um eine einheitliche Bewegung handelt. Zentral ist vor allem die Frage nach den Konsequenzen, die Forschende aus der Erkenntnis ziehen, dass ihr Untersuchungsgegenstand konstruiert ist.

7 Besondere Bedeutung wird hier den Ansätzen von Russel T. McCutcheon und Timothy Fitzgerald eingeräumt. Beide sehen in dem Begriff Religion kein taugliches Werkzeug der wissenschaftlichen Analyse, da es vor allem durch materielles Interesse der Wissenschaftler geschaffen wurde, die aus der Konstruktion von Religion als Gegenstand eigener Art vor allem die Notwendigkeit ihres eigenen Faches am Leben erhalten wollen. Vor allem Fitzgerald fordert eine Überführung der Religionswissenschaft in ein neues Fach »cultural studies«, in dem Religion als Teil von Kultur untersucht werden kann. (vgl. 63-65)

8 Im Fortgang gibt Führding einen Überblick über gängige Vorwürfe und Kritik am sozio- rhetorischen Ansatz. Beispielsweise sehen manche in der Infragestellung der wissenschaftlichen Objektivität des Faches die Gefahr, dass nicht mehr zwischen theologischen und wissenschaftlichen Inhalten unterschieden werden kann und damit die Existenz der Religionswissenschaft riskiert wird.

9 Es folgt eine Beschreibung der Fachgeschichte mit wichtigen Ereignissen und Strömungen sowohl in Europa, als auch auf dem nordamerikanischen Kontinent. Besonders der Religionsphänomenologie und ihrer jeweiligen Entwicklung wird hier eine besondere Bedeutung für die unterschiedliche Ausrichtung des Faches auf den beiden Kontinenten zugeschrieben. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich nach Führding verstehen, warum sich der sozio-rhetorische Ansatz gerade im amerikanischen Kontext großer Beliebtheit erfreut und zudem seine Berechtigung hat.

10 Im zweiten großen Teil des Buches widmet sich Führding der Identität der Religionswissenschaft als akademischer Disziplin und diskutiert wie diese durch eine empirische Ausrichtung im Rahmen des sozio-rhetorischen Ansatzes gestärkt werden kann. Er sieht die Religionswissenschaft weniger durch einen Gegenstand, als durch

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 66

ihre Existenz als Diskursgemeinschaft bestimmt, innerhalb derer ständige Prozesse der »disziplinären Grenzarbeit« (166) entscheidend zu ihrer Identität beitragen.

11 Führding beschreibt in einem Exkurs anhand der Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau die Entstehung der binären Einteilung der europäischen Welt in die Kategorien öffentlich/privat oder Staat/Kirche. Diese diskursive Konstruktion von Religion war demzufolge eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung moderner Staaten, in denen Religion als individueller Glaube in den Bereich des Privaten verdrängt wird.

12 Anschließend zeigt er, dass der Diskurs um Religion sich seit dieser Aufteilung auch im 20. und 21. Jahrhundert stets in den Begriffen Säkularität und Säkularisierung manifestiert. Letztendlich ergeben diese Bereiche nicht aus sich selbst heraus Sinn, sondern immer nur in Bezug und Abgrenzung zu Religion.

13 In der Erforschung eben jener diskursiven Schaffung von Religion und ihrer jeweiligen Bestimmung durch die beteiligten Akteure sieht Führding eine lohnende Aufgabe der Religionswissenschaft. Als methodisches Vorgehen führt er als Beispiel die Diskursanalyse nach Siegfried Jäger an, um aufzuzeigen, wie eine durchaus empirische Ausrichtung des Fachs gelingen kann.

14 Führding schließt mit einem Plädoyer für die Stärke des sozio-rhetorischen Ansatzes, nämlich einer diskurstheoretischen Betrachtung von Religion. Diese Betrachtung bietet den Vorteil, sich dem Gegenstand empirisch zu nähern, ohne diesen essentialistisch zu bestimmen.

Persönliche Überlegungen und Einschätzung

15 Auch wenn meine Zusammenfassung des Inhaltes manche Aspekte nicht, oder nur ansatzweise behandeln konnte, so wurde hoffentlich trotzdem deutlich, dass Führding einen dichten Überblick über Fragen und Themen gibt, die für die Disziplin Religionswissenschaft und ihr Identitätsverständnis nach meiner Einschätzung von entscheidender Bedeutung sind.

16 Doch bevor ich auf den Inhalt noch etwas genauer eingehe, seien noch einige Bemerkungen zu dem formalen Aufbau und dem Vorgehen des Autors gemacht. Der Text ist durchwegs sehr sinnvoll gegliedert mit flüssig lesbaren Textabschnitten und nachvollziehbarer Argumentation und guten, orientierenden Überleitungen. Sprachlich gelingt es Führding mit erfreulich einfachen Worten auch kompliziertere Sachverhalte und Konzepte wiederzugeben und diese an passender Stelle auch noch einmal in kürzerer „soll heißen“-Form zusammenzufassen. Positiv fiel auch das Zwischenfazit auf, mit dem er mehrere in der Gliederung getrennte Abschnitte in einen Gesamtkontext stellt. Durch die genannten Aspekte der Verständlichkeit und des handhabbaren Umfangs lässt sich das Buch nach meinem Eindruck sehr gut von Studierenden und zum Teil auch fachfremden Personen lesen, ohne den Eindruck von Oberflächlichkeit zu hinterlassen.

17 Führding listet in der Einleitung vier Ziele auf, die er mit seinem Werk verfolgt: »Erstens soll der [sozio-rhetorische] Ansatz zunächst differenziert vorgestellt und zum besseren Verständnis in der Disziplingeschichte verortet werden. Zweitens geht es darum, den ‚sozio-rhetorischen Ansatz‘ deutlicher in die religionswissenschaftliche Debatte in Deutschland einzubringen und seine Stärken für die Religionswissenschaft aufzuzeigen. Drittens wird ein Vorschlag vorgelegt,

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 67

wie der Ansatz eindeutiger empirisch ausgerichtet werden kann. Als zentrales Anliegen wird viertens gezeigt, dass der Ansatz nicht zur Abschaffung der Religionswissenschaft führen muss, sondern sie im Gegenteil stärken kann.« (22)

18 Das erste Ziel wurde, wie vielleicht schon aus meinen Ausführungen zu den Formalitäten klar wurde, sehr gut erreicht. Durch eine geschichtliche Einordnung der Herkunft des Begriffs »sozio-rhetorisch« selbst und die Darstellung verschiedener Positionen entstand ein Bewusstsein für das Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten und daraus folgenden Konsequenzen für die Religionswissenschaft. Der einordnende Teil zu den historischen Unterschieden und Umständen der Religionswissenschaften in Europa und Nordamerika, die als Erklärung für etwaige Missverständnisse zwischen Befürwortern und Kritikern des sozio-rhetorischen Ansatzes gedacht sind, wirken plausibel und werden von Führding nachvollziehbar dargelegt. Ähnlich dem ersten, sehe ich auch das dritte Ziel, eine empirische Ausrichtung des sozio-rhetorischen Ansatzes aufzuzeigen, als erfüllt. Für mich erschließt sich zwar spontan nicht die scheinbare Gegensätzlichkeit aus Theorie und Empirie, weshalb ich auch die Kritik der Distanz zur Empirie als nicht einleuchtend erachte, aber Führding argumentiert auch hier sehr klar und zeigt anhand von Beispielen, dass sich ein diskursanalytisches Vorgehen der Religionswissenschaft gut mit einer sozio-rhetorischen Betrachtungsweise vereinbaren lässt. Die Ziele zwei und vier widmen sich dem sozio- rhetorischen Ansatz und seinem stärkenden Einfluss auf die Religionswissenschaft. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Führding diesen vor allem in der Möglichkeit sieht, eine gemeinsame Fachidentität zu schaffen und somit den institutionellen Fortbestand zu sichern. Diese Identität richtet sich nach seinem Verständnis vor allem an fünf Punkten aus, die er am Beginn des zweiten Teils des Buchs zum Kapitel »Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft« (153ff.) aufzählt und erläutert. Ein wichtiger Punkt ist für ihn dabei das Potential der Religionswissenschaft als Metawissenschaft, die die rhetorische Konstruktion des Gegenstandes Religion und damit auch sich selbst zum Gegenstand der Betrachtung macht. Diese Aufhebung einer klaren Trennung des forschenden Subjekts vom beforschten Objekt mag als notwendig für wissenschaftliche Reflexivität gesehen werden. Allerdings kann ebenso die Frage nach der Legitimation bzw. der Kompetenz der Religionswissenschaft gestellt werden, wenn es darum geht, die eigene Rolle im Diskurs zu reflektieren oder eigene Interessen kritisch zu dekonstruieren. Damit zusammenhängend kann der von Führding vorgestellte »Theologie-/Ideologie-Vorwurf« (87) gesehen werden, der kritisiert, dass kein Unterscheid mehr zwischen wissenschaftlichem und anderem Wissen gemacht werde und dass damit eine »Infragestellung des ‚säkularen Raums‘ als Ort des ‚Faktischen‘, ‚Objektiven‘ und ‚Neutralen‘« (ebd.) einhergehe.

19 Diese Infragestellung mag einigen nicht als stärkend für dasFach Religionswissenschaft erscheinen und stellt das produktive Potenzial des sozio-rhetorischen Ansatzes eher in Frage. Führding selbst weist dies als eine mögliche, aber nicht zwingende Interpretation von Fitzgeralds Aussagen zu dem reflektierenden Umgang mit wissenschaftlichen Axiomen zurück. »Als alternatives Interpretationsangebot wären diese Zeilen so zu verstehen, dass zum einen keine Wissenschaft frei von Axiomen ist und dass es zum anderen keine außerhalb der Diskurse liegende feste und objektive Perspektive […] gibt und man daher die eigenen […] Positionen, auf deren man Aussagen über die Wirklichkeit trifft, offenlegen und mit bedenken muss. Diese Interpretation würde nicht dazu führen, dass man Aussagen nicht mehr unterscheiden könnte und jede gleich legitim wäre.« (88)

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 68

20 Mir persönlich erscheint die Annahme, dass Wissenschaft selbst erst durch voraussetzungsvolle Axiome möglich ist, durchaus als eine fundamentale Infragestellung von wissenschaftlicher Faktizität und Neutralität. Im Weitern erschließt sich mir deshalb nicht ganz Führdings Aussage, dass trotzdem weiterhin die Legitimität von Positionen unterschieden werden könne. Welche sollten die Kriterien sein, nach denen Legitimität beurteilt werden kann? Und mit welcher Legitimität wiederum sollten diese Beurteilungen durch wen erfolgen?

21 Sollte die Legitimität von Religionswissenschaft also tatsächlich durch eine sozio- rhetorische Perspektive infrage gestellt werden, würde Führding dann weiterhin von einer Stärkung des Fachs sprechen?

22 Zwar meint Führding, dass diese Infragestellung nur als beschränkt Konsequenzen hat, doch wurde mir nicht klar, wie diese Beschränkungen letztendlich zu rechtfertigen sind. Stünde die Beschäftigung mit dem sozio-rhetorischen Ansatz unter der unbedingten Vorgabe einer Stärkung der Religionswissenschaft als wissenschaftlicher Institution, so wäre die Erklärung naheliegend und einer Art ideologischer Zielsetzung geschuldet. Ob das der Fall ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Und selbst wenn es so wäre, stünde die Frage aus, ob das überhaupt ein zu kritisierender Missstand sei. In jedem Fall bleibt mir nur die Einschätzung, dass der sozio-rhetorische Ansatz nicht unbedingt als stärkender Einfluss für die Religionswissenschaft geeignet ist. Dies hängt, vermutlich ganz im Sinne des sozio-rhetorischen Ansatzes, von dem jeweiligen Blickwinkel und den dahinterstehenden Interessen und Annahmen ab. Diese mögen im Falle Führdings zu einer positiven Antwort führen, letztlich wird sich jedoch in der Diskursgemeinschaft Religionswissenschaft entscheiden, was aufgrund welcher Kriterien als stärkend oder schwächend gilt.

23 Die Lektüre des Buches lohnt sich in jedem Fall für alle, die Interesse an grundsätzlichen Überlegungen zu der Identität des Fachs Religionswissenschaft oder seines Gegenstandes haben. Auch bekommt der Lesende hier einen sehr knappen, aber gehaltvollen, Überblick über die Geschichte dieses Faches im amerikanischen und europäischen Kontext mit Blick auf sich daraus ergebende Konsequenzen. Wie bereits angeführt, lässt sich das Buch auch ohne Vorkenntnisse gut lesen und ist damit auch als Einführungswerk geeignet.

AUTHORS

TOBIAS WOLFRUM Universität Bayreuth [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 69

Lucia Traut und Annette Wilke (Hrsg.), Religion – Imagination – Ästhetik Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2015, 555 Seiten.

Manuel Stadler

REFERENCES

Lucia Traut und Annette Wilke (Hrsg.). 2015. Religion – Imagination – Ästhetik: Vorstellungs- und Sinneswelten in Religion und Kultur. Critical Studies in Religion/ Religionswissenschaft (CSRRW) 7. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 555 Seiten, 130,00 €. ISBN: 978-3-525-54031-2

Allgemeine Einleitung

1 Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis des im Jahr 2007 in München innerhalb der DVRW formierten »Arbeitskreises Religionsästhetik«, der an das 1988 von Hubert Cancik und Hubert Mohr formulierte, doch bis Anfang der 2000er kaum beachtete Programm der Religionsästhetik anschließt. (10-11 u. 11, Anm. 2) Die Initialzündung für die Publikation erfolgte am fünften Arbeitstreffen 2011 in Münster vor allem durch den Impuls von Lucia Traut, die in ihrer Magisterarbeit die Kernthese formuliert hatte: »Kein Ritual ohne Imagination [...]«. (12) Damit gebühre ihr das Verdienst, eine Leerstelle sowohl in der Ritualtheorie als auch in der Religionsforschung insgesamt aufgedeckt zu haben. (12) Ziel der versammelten Beiträge ist es, »Imagination als religiöse Schlüsselkategorie herauszuarbeiten und darüber hinaus als analytischen critical term in der Religionswissenschaft zu etablieren.« (13) Die Hauptthese lautet: »Keine Religion ohne Imagination.« (9 u. 487) Imagination wird definiert »[...] als Akt des Repräsentierens, Verknüpfens und kognitiven Überblendens […], worin eben diese Vorstellungswelten und Anschauungen mit sinnlicher Wahrnehmung und

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 70

vorfindlicher Welt zusammenfließen, sodass etwas Neues entsteht.« (490) Es konnten 13 deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vorwiegend aus der Religionswissenschaft, aber mit Katrin Meissner auch eine Ärztin und mit Jens Kreinath ein Kulturanthropologe gewonnen werden, die sich aus teils unterschiedlichen, teils sich ergänzenden Perspektiven der Pluralität der Wirkmacht von Imagination widmen. Das Forschungsdesign verfolgt einen offenen multidisziplinären und multikulturellen Ansatz mit kulturwissenschaftlicher sowie kulturanthropologischer Ausrichtung. (58) Die Ziele des Autorenkollektivs sind keine geringen als die religionswissenschaftliche Forschung im Anschluss an Peter Bräunlein zurück »zu Körper und Sinnen« und »zurück zu den Sachen« (21) zu führen und Imagination, die keineswegs auf Wahn oder bloße wirkungslose Phantasie zu reduzieren ist, als wissenschaftliche Kategorie für die Religionswissenschaft zu rehabilitieren. (9)

Aufbau des Bandes

2 Der Hauptteil des Bandes gliedert sich in (I) Imaginationstechniken, (II) Imaginationsräume, (III) Imaginationspolitiken und (IV) Imaginationsgeschichte als thematisch übergeordnete Rubriken.1 Jedem der vier Abschnitte ist gesondert eine von den jeweils darin vertretenen Autorinnen und Autoren gemeinsam verfasste Einleitung vorangestellt, die zweierlei Ansprüche erhebt. Zum einen soll darin das theoretische Fundament der jeweiligen Abschnitte skizziert werden, zum anderen sollen die systematischen Verbindungslinien zu den übrigen Teilen gezogen werden. (63-64) Die von den Herausgeberinnen gemeinsam verfasste Einleitung (17-69) sowie die aus der Feder Annette Wilkes stammenden Schlussreflexionen (487-509) umklammern den Hauptteil. Dem Kernteil vorangestellt findet sich eine Liste mit weiterführender Literatur (71-73), die zuerst eine Auswahl grundlegender Werke zu Imagination aufführt, um dann jeweils entsprechend der Gliederung der vier Rubriken die jeweils wichtigsten theoretischen Impulse für die Religionswissenschaft, vorwiegend aus den Bereichen der Kulturwissenschaft, -philosophie und -soziologie, zu nennen. Diese Übersicht hilft dem Leser, einen Überblick über die grundlegende Literatur zu gewinnen, um sich selbst in die Materie zu vertiefen. Um der anvisierten Einbettung der Imagination in die Felder der material religion (63) auch in praktischer Hinsicht für die Rezeption gerecht zu werden, wird die Textlastigkeit durch die in einem separaten Anhang vereinten, kommentierten Farbtafeln (511-520) abgerundet. Abgeschlossen wird der Sammelband durch einen ausführlichen Index (527-555), der eine zügige Orientierung erlaubt.

Inhaltliche Besprechung

3 In der Einleitung findet der Leser eine zwar komprimierte, vorwiegend auf Europa fokussierte, aber dennoch faktenreiche Abhandlung der Geschichte der Imagination von Aristoteles bis hin zur postkolonialen Theoriebildung. Daran schließt ein Abriss über die grundlegenden psychologischen und kulturwissenschaftlichen Theorien an (32-43), bevor eine Einführung in »Imagination und systematische Themen der Religionsästhetik« folgt. Der Imaginationsbegriff wird hier weit über die Grenzen der visuellen Wahrnehmung auf Klang-, Bewegungs- und Geschmacksbilder ausgeweitet, die als zusammenspielende Sinnesmodi im Vollzug religiöser Rituale erkannt werden.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 71

(52-53) Auf diese wesentliche Erkenntnis, dass religiöse Imagination nicht auf eine Wahrnehmungsebene beschränkt ist, wird abermals in den Schlussreflexionen hingewiesen (487-509), die die grundlegenden Erkenntnisse des Bandes für die kulturwissenschaftliche und diskursive Religionswissenschaft sowie für religionsgeschichtliche Vergleiche zusammenfassen.

4 Im ersten Kapitel, »Imaginationstechniken«, wird dieser Begriff als sozial antrainierte Methoden und Lenkungsverfahren definiert, die es erlauben, »kollektiv geteilte Imaginationen auf[zu]rufen, [zu] verkörpern und [zu] inszenieren« (75), um »sie in bestimmte Bahnen [zu] lenken«. (ebd.) Sie sind die Grundlage dafür, im Alltag nicht präsente Räume zu erschließen, die Realität zu rekonfigurieren, dadurch zuweilen gar in Opposition zur politische Sphäre zu treten sowie »neue« Werte und Normen zu verkörpern. (76) Der menschliche Körper als Instrument der Imagination bildet die Basis für die Gestaltung und Transformation des religiösen Raumes. Er ist sowohl ein Instrumentarium ideologischer Disziplinierung, als auch ein Vehikel zur Überschreitung immanenter Ordnungen.

5 Der theoretische Rahmen des zweiten Kapitels »Imaginationsräume« wird über die Auffassung gezogen, dass Räume physikalisch begrenzte Entfaltungen sind, die sozial konstruiert werden. (191-196) Der spatial turn habe eine Perspektive eröffnet, die es erlaubt, Raum nicht nur in seiner Natürlichkeit zu begreifen, sondern zu analysieren, wie unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Kulturen darin Ordnungen und Sinnsysteme ausformen, die selbst mit an das Wahrnehmungssystem der in ihnen praktizierenden Menschen gekoppelt sind. Durch den Einsatz von Medien entfalten sich, wie die Beiträge veranschaulichen, Imaginationsräume.

6 Dem dritten Kapitel, »Imaginationspolitiken«, liegt ein Politikverständnis zugrunde, das weniger staatliche Institutionen in den Blick nimmt, »sondern den Prozess der (mehr oder weniger explizit) strategischen Gestaltung des Zusammenlebens in allen gesellschaftlichen Teilbereichen [...]«. (271) Im Fokus stehen sowohl Disziplinierungs-, Strukturierungs-, Transformations- als auch Abgrenzungsprozesse. Im Hinblick auf die Herausformung einer moralischen Gemeinschaft kommt »der Imagination als normierender Faktor eine große Bedeutung zu [...]«. (272) Hierbei werden nicht nur die Ordnungsstrukturen in den Blick genommen, sondern auch die Prozesse des Aufkommens alternativer Imaginationen. (273)

7 Im vierten Kapitel, »Imaginationsgeschichte«, wird die Perspektive betont, dass »Körperlichkeit und Sinnlichkeit religiöser Praxis nicht losgelöst gesehen wird von ihrer geschichtlichen Entstehung«. (384) Der religionsästhetische Ansatz verbindet hier den Körper und die Sinne im Vollzug religiöser Praxis zum Untersuchungsgegenstand im historischen Werden. Erneut liegt die Betonung darauf, »Imaginationsgeschichte nicht als ein Feld von Spekulationen und Phantasie zu betrachten, sondern an Repräsentationsformen, Argumentationslinien und Diskursereignisse zu binden«. (385) Angedeutet wird auch eine Dialektik des Imaginären der Geschichte und der Geschichte des Imaginären, in der religiöse Systeme eine entscheidende Rolle spielen. (386)

8 Der empirische Rahmen der Einzelbeiträge umfasst ein breites Spektrum aktueller sowie historischer Fallbeispiele. Die Studien von Brigitte Luchesi (81-105), Katharina Wilkens (107-129), Anne Koch und Karin Meissner (131-154), Isabel Laack (196-212) sowie Sebastian Schüler (213-234) gründen allesamt auf Material, das im Zuge rezenter empirischer Forschungen von den Autorinnen und Autoren in Indien, Ostafrika, Deutschland und England gewonnen wurde. Annette Wilke (155-192), Adrian Hermann

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 72

(235-269), Lucia Traut (275-313), Katja Rieck (315-350) sowie Katja Triplett (351-381) hingegen widmen sich in ihren Einzelbeiträgen historischen Quellen. Dabei behandeln sie ein indisches tantrisches Ritualhandbuch aus dem 16. Jh., die westlichen Vermittlungsmedien und ihr Einfluss auf den Wandel kosmo-geographischer Vorstellungen in Thailand, Sri Lanka und Japan im 19. Jh., die Imaginationstechniken der Exerzitien von Ignatius von Loyola aus dem 16. Jh. sowie darüber hinaus den Diskurs um die Fortschrittlichkeit der indigenen Traditionen als Abgrenzungsstrategie und Identitätsfaktor gegenüber der britischen Kolonialmacht in Indien zwischen 1870 und 1930 und schließlich eine narrative Bildrolle aus dem Japan des 14. Jh., die Episoden aus dem Leben Honens zeigt. Jens Kugele ( 387-405), Jens Kreinath unter Mitarbeit von Kathrin Baumstark (407-449) und Alexandra Grieser (451-485) legen in ihren Beiträgen den Fokus auf Gegenstände, die nicht zum »klassischen« Repertoire der Religionswissenschaft zu gehören scheinen: Ein Vergleich zwischen dem Hexen- imaginaire im Europa des 17. Jh. und dem Hexenbild im Disney-Spielfilm Schneewittchen aus dem Jahre 1937, der Einfluss der Photographie auf die Herausbildung der wissenschaftlichen Kategorie des zentralaustralischen Aborigines sowie die Übernahme des Konzeptes von »sakralem Licht« der romantischen Malerei des 19. Jh. in die Bildbearbeitung der Hubble Space Imagery.

9 Dem Fokus Helmut Renders´ Rezension folgend, lässt sich der übergeordnete theoretische Rahmen des Sammelbandes an dem gemeinsamen Grundsatz der Autorinnen und Autoren festmachen, dass »Wahrnehmung und Imagination nicht als reine Alternativen oder entgegengesetzte Handlungen, sondern als untrennbar betrachtet werden, weil das menschliche Wesen auf der Grundlage dessen imaginiert, was wir sehen, hören, riechen und tasten.«2 Auch die Herausgeberinnen betonen, dass sich »[a]us der religionsästhetischen Perspektive dieses Bandes ergibt [...], dass Imagination in ihrem Zusammenhang mit der sinnlichen Wahrnehmung im Mittelpunkt steht.« (21) Trotz dieses übergreifenden theoretischen Leitfadens machen die einzelnen Autorinnen und Autoren in ihren Einzelbeiträgen Anleihen bei jeweils unterschiedlichen Theoretikern. So bedienen sich Anne Koch und Karin Meissner in ihrem Beitrag dem Suggestionsverständnis der Hypnotherapie, um zu erklären, wie Heilerinnen der White Eagle Lodge über die Konstruktion einer (alternativen) therapeutischen Landschaft auf das Körperbefinden ihrer Klientinnen und Klienten einwirken. (136-139) Sebastian Schüler rekurriert sowohl auf die Metapherntheorien George Lakoffs und Mark Johnsons sowie Gilles Fauconniers und Mark Turners (220-223) als auch auf die Theorie moralischer Imagination von Mark Johnson (224-226), um die Rolle herauszustellen, die »Imaginationen für soziales, ethisches und moralisches Handeln spielen«. (220) Katja Rieck greift sowohl Benedict Andersons Konzept der Imagined Communities als auch Dipesh Chakrabartys Kritik daran auf (315-317) und erweitert beide Theorien am Beispiel kolonialismuskritischer Diskurse in Indien dahingehend, »dass die politische Wirkmächtigkeit der Imagination bei einer voreiligen Verengung des Blicks auf den Nationalstaat als ihrem Endergebnis nicht ausreichend erfasst wird«. (317)

Kritik

10 Der Sammelband liefert ein eindrückliches Kaleidoskop der Vielfalt an Themen und Gegenständen, die Objekte religionswissenschaftlicher Studien werden können. Sowohl

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 73

der kulturelle als auch der zeitliche Rahmen sind sehr weit ausgedehnt und bieten sowohl den interessierten Laien, den fortgeschrittenen Studierenden als auch den Expertinnen ein getreues Abbild der Faszination religionswissenschaftlichen Arbeitens.

11 Dennoch kommt der Verfasser der Rezension nicht umhin, auf zwei schwerwiegende Mängel hinzuweisen: Imagination wurde im Vorwort als eine Leerstelle in Ritualtheorien ausgelotet (12) und die Kernthese »Keine Religion ohne Imagination« bildete gerade die Initialzündung für den Sammelband. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass an keiner Stelle des Bandes explizit eine Ritualdefinition formuliert wurde. Dieser Umstand lässt sich nur schwerlich durch das offene Forschungsdesign verzeihen. Zwar wird der Gegenstand Religion in den Einzelbeiträgen nicht nur an rituellen Phänomenen festgemacht, sondern religiöse Sinn(es)produktion auch im Film (398-402) und in modernen Bildgebungsverfahren (453-455) ausgelotet, aber Rituale sind gerade die bevorzugten sozialen Manifestationen, in denen Körperposition/Gesten, Sprache/Text, Klänge, Landschaft und Architektur (503-504) eng mit dem religiösen Erleben, der Trance, den Visionen und den Träumen (492) verbunden sind. Die Herausgeberinnen verweisen auch darauf, dass im Vollzug religiöser Rituale über die Verwendung von Medien für die religiösen Vorstellungen eine Aura der Faktizität erzeugt wird (52-54), wodurch diesem Begriff [=Ritual] eine bedeutende Funktion zugeschrieben wird. Termini sind im wissenschaftlichen Sprachgebrauch aber keineswegs selbstevident, sondern bedürfen einer Definition. Wenn im Vollzug von Ritualen eine Aura der Faktizität erzeugt wird, wäre eine klare Begriffsbestimmung unabdingbar, um diesen Prozess der Naturalisierung angemessen beschreiben zu können. Des Weiteren ist die implizit formulierte substantialistische Religionsdefinition zu überdenken: »Religionen beschreiben Gottheiten oder andere transzendente Wesen, sie wissen von Welten jenseits ›dieser‹ Welt, statten Handlungen mit besonderer Bedeutung aus und sakralisieren ›alltägliche‹ Gegebenheiten.« (60)

12 Diese Bestimmung schließt streng genommen nicht nur die Erweiterung der Fragestellung auf Imagination in säkularen Ordnungen aus und damit bereits etablierte Zweige religionswissenschaftlicher Forschung,3 sondern lässt darüber hinaus fragen, wie sich beispielsweise der Gegenstand von Alexandra Griesers Beitrag über die »Imagination des Nichtwissens« in den Bildern des Hubble Space Teleskops damit in Einklang bringen lässt.

13 Was den sehr weit gehaltenen theoretischen Rahmen des Sammelbandes betrifft, so ist dieser zwar durchaus zu begrüßen, da jede wissenschaftliche Disziplin nicht ungeprüft von vornherein bestimmte Ansätze ausschließen sollte, doch wäre eine fundierte Diskussion der Kompatibilität der theoretischen Zugänge untereinander im Sinne Hubert Seiwerts4 zumindest in den Schlussreflexionen wünschenswert gewesen. Wie nämlich ist der entwicklungspsychologische Ansatz von Paul Harris (33-34), demzufolge Imagination dem Menschen immer schon dabei geholfen habe, »prophylaktisch Entscheidungen für Stress-Situationen zu treffen«, weswegen sie eine sinnvolle kognitive Fähigkeit ist, deren evolutionäres Nebenprodukt »[d]ie menschliche Faszination an Kunst und Theater ist« (34) mit den empirischen Fakten in Einklang zu bringen, die Annette Wilke, Katja Triplett und Jens Kugele zusammengetragen haben? Die drei zeigen nämlich eindrücklich auf, dass die Imagination durchaus auch vernichtende Wirkung haben kann. (501) Gerade unter diesem Aspekt ist Helmut Renders zuzustimmen, der betonte, dass »[d]ie Beziehung zwischen Imagination und

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 74

Gewalt, die an einigen Stellen des Werkes aufscheint […] durch Studien über die Beziehung zwischen Bild und Gewalt auf Grundlage der Konzepte von Ikonolatrie und Ikonoklasmus angereichert werden könnten […].«5 Das entworfene religionsästhetische Programm habe, so Annette Wilke, die Dichotomie von Natur- und Geisteswissenschaft überbrückt. (492) wobei unklar bleibt, welche Ansätze konkret einem der beiden Bereiche zugeordnet wurden. Zwar wird in der Einleitung auch auf kognitions- und neurowissenschaftliche Forschungen eingegangen (33) und mit Katrin Meissner wirkte auch eine Ärztin unter den Autoren und Autorinnen mit, doch verfolgt der Band dezidiert eine kulturwissenschaftliche sowie kulturanthropologische Ausrichtung. (58) Um überhaupt von einer Überbrückung der Dichotomie zwischen Natur- und Geisteswissenschaft sprechen zu können, wäre es zuerst notwendig, die Prinzipien darzulegen, auf denen die beiden Wissenschaftsverständnisse gründen und nach ihrer Kompatibilität sowie nach möglichen Schnittpunkten hin zu befragen.

14 Die Beiträge von Jens Kreinath über den Einfluss der Photographie auf die religionsästhetische Konstruktion der Kategorie des zentralaustralischen Aborigines (409) sowie von Alexandra Grieser erfüllen in Ansätzen eine Forderung, die Helmut Renders in seiner Rezension stellte: Die Wirkung der neuen Medien auf die Imagination zu untersuchen.6 Es sei unbestritten, dass die Analyse älterer Werke unter neuen methodischen Ansätzen im Sinne Kreinaths fruchtbare Erkenntnisse zu Tage fördert, doch sollten innovative Zugänge nicht über die Relevanz einer sorgfältigen Behandlung der religionswissenschaftlichen Wissenschaftsgeschichte hinwegtäuschen. Was nämlich die Rezeption der Werke von Spencer und Gillen anbelangt, so hatten sich Durkheim und Mauss die Arbeit an der Rezension zu den Native Tribes geteilt. Durkheim widmete sich der Darstellung der Familien- und Sozialstruktur, Mauss den religiösen Fakten, vor allem dem Totemismus und den Initiationszeremonien.7 Kreinaths Postulat, demzufolge »[d]ie Religionstheorie von Durkheim […] als paradigmatisch angesehen werden [kann], insofern er in seiner religionswissenschaftlichen Arbeit die Fotografien von Spencer und Gillen als empirische Beweise nutzte und diese zur Grundlage seines Ritualbegriffs machte, ohne direkt auf sie Bezug zu nehmen« (442), ist zu kurz gegriffen und vernachlässigt den Beitrag von Marcel Mauss.8

15 Etwas unglücklich erscheint zuletzt im Index der wechselseitige Verweis von Mythos zu Märchen. Hierdurch wird der Eindruck erweckt, als würde der Mythos entgegen der Imagination abgewertet werden, obgleich zumindest in der französischsprachigen Religionssoziologie der Begriff Mythos zu weiten Teilen jene Bereiche abdeckt, die hier als Imagination gefasst werden.9

16 Diese Kritik soll die Leistungen der Beitragenden keineswegs untergraben und es sei betont, dass sie diese Publikation selbst als »eine[n] erste[n] Schritt zur Etablierung der ›Imagination‹ als critical term« verstehen. (509) Demzufolge kann ihr größtes Verdienst als Kollektiv darin ausgemacht werden, Religionen als einen dynamischen und vielseitigen ›Gegenstand‹ wahrnehmbar gemacht zu haben, der maßgeblich durch Imagination die Sinneswahrnehmungen formt und verändert. Diese Dynamiken werden in Veränderungen der Symbolstrukturen wahrnehmbar und dadurch objektiven wissenschaftlichen Analysen zugänglich. Trotz einiger Mängel erachtet der Rezensent das Resultat des vorliegenden Sammelbandes sowie seine Programmatik als das Zeugnis aktueller und relevanter religionswissenschaftlicher Forschung. Die Fokussierung auf die verwendeten Medien sowie die durch diese ausgelösten sinnlichen Wahrnehmungsprozesse im Kontext religiöser Imagination münden als

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 75

Gesamtergebnis in einem Forschungsdesign, das es erlaubt, die Eigenständigkeit des religionswissenschaftlichen Verständnisses über ihren Gegenstand sowie den Zugang zu eben diesem noch deutlicher von der Theologie abzugrenzen. Jenseits des Verdienstes, die Konturen des eigenen Faches zu schärfen, kann der Mehrwert des Bandes für die Religionswissenschaft, wie Peter Bräunlein darlegte, darin bestimmt werden, dass der religionsästhetische Zugang als ein konnektives Konzept dazu beitragen könnte, methodologische Problemstellungen in den Griff zu bekommen, die jüngst durch nicht-anthropozentrische Zugänge aufgeworfen wurden.10 Dem Anspruch, Imagination als eine religiöse Schlüsselkategorie herauszuarbeiten, sind die Autorinnen und Autoren mehr als gerecht geworden.

NOTES

1. Es sei darauf hingewiesen, dass die Kategorie Zeit vernachlässigt wurde. Dabei wäre unter anderem an Kalendersysteme und Zeitrechnungen zu denken. Eine Reflexion darüber, inwiefern das Feld der »Imaginationszeiten« der »Imaginationsgeschichte« unterzuordnen wäre oder es sich umgekehrt verhalten soll, scheint lohnend, um die Perspektive des Bandes zu erweitern. Die unterschiedlichen Strömungen von Kreationisten und ihre Deutungen des Alters der Erde oder selbst die Ausweitung der »wissenschaftlichen« Ausdehnungen des Alters der Erde im Verlaufe des 19. Jh. seien als zwei Beispiele genannt. Salvador, Juan. 2006. Critique de la déraison évolutionniste. Paris: L'Harmattan, 207-210. 2. Renders, Helmut. 2016. »Resenha do livro de estudo alemão ›Religião – Imaginação – Estética: Mundos de imaginação e sensos/sentidos em religião e cultura‹, editado por Lucia Traut e Annette Wilke«, Estudos de Religião, 30 (1) : 211-224, 214. Die in der vorliegenden Rezension aus Renders entnommenen Passagen wurden vom Verfasser aus dem Portugiesischen ins Deutsche übersetzt. 3. Zu einem theoretischen Zugang, der es erlaubt, über die Terminologie der Sakralisierung auch säkulare Ordnungen zum Gegenstand religionswissenschaftlicher Analysen zu machen, siehe: Seiwert, Hubert. 1995. »Religion in der Geschichte der Moderne« Zeitschrift für Religionswissenschaft, 3 (1): 91-102. 4. Seiwert, Hubert. 2014. Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionswissenschaften. In: Religionswissenschaft zwischen Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaften und Kognitionsforschung: Ein Autoren-Workshop mit Hubert Seiwert, Hg. Von . Edith Franke und Verena Maske, 15-32. Marburg: Marburg Online Books 2. 5. Renders a.a.O., 224. 6. Ebd. 7. Fournier, Marcel. 1994. Marcel Mauss. Paris: Fayard, 249. 8. Es kann an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen werden, dass Durkheims Hauptwerk Die elementaren Formen des religiösen Lebens die Synthese einer kollektiven Forschung darstellt. Die Tendenz, die Ergebnisse einer langjährigen Zusammenarbeit kollektiven Charakters auf eine individuelle Autorenschaft zu reduzieren, kommt auch in der jüngst publizierten deutschsprachigen Übersetzung von Mauss´ La Nation zum Ausdruck. Die Übersetzerin Christine Pries hat zuweilen Stellen, wo Mauss dezidiert von „nous“, also „wir“ spricht, mit „ich“

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 76

übersetzt. Vgl.: Mauss, Marcel. 2017. Die Nation oder der Sinn fürs Soziale. Frankfurt am Main; New York: Campus Verlag, 75-76 u. Mauss, Marcel. 2013. La nation. Édition et présentaiton de Marcel Fournier et Jean Terrier. Paris: PUF, 73-74. In der deutschsprachigen Fassung wurde das im französischen Original auf den Seiten XI-XV enthaltene Vorwort von Florence Weber getilgt, in dem sie das Arbeiten in der Gruppe als fundamental für das Verständnis der Arbeitsweise der Durkheim-Schule betont hatte. Wie derlei filigrane »Übersetzungsfehler« das wissenschaftliche Imaginär hinsichtlich der Rezeption beeinflussen wäre ein Forschungsdesiderat. 9. Zu einer theoretischen Aufarbeitung der Mythosdefinition unter anderem im Collège de Sociologie, die es auch erlauben, moderne Nationalismen mit unter der Perspektive von Imaginationstheorien in den Blick zu nehmen, siehe: Marroquin, Carlos. 2005. Die Religionstheorie des Collège de Sociologie. Berlin: Parerga-Verlag. 10. Bräunlein, Peter. 2016. »Thinking Religion through Things: Reflections on the Material Turn in the Scientific Study of Religion/s.« Method & Theory in the Study of Religion 28: 365 – 399, 390 u. 392.

AUTHORS

MANUEL STADLER Universität Leipzig [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 77

Tagungsberichte Conference Reports Comptes-rendus de conférences

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 78

Religion erzählen Tagungsbericht zu »Fiktion – Imagination – Phantastik«, Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft (SGR). Abgehalten an der Universität Basel, Schweiz, 17. – 18. November 2016.

Johann Falk

1 Die Begrüßungsworte der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft (SGR) im November 2016 zum Thema »Fiktion – Imagination – Phantastik« wurden von Jürgen Mohn, dem Ordinarius des Religionswissenschaftlichen Instituts der Universität Basel gesprochen. Er betonte unter anderem die Bedeutung der Imagination für die religionsästhetische Forschung. Nicht nur Religionen, sondern auch die Wissenschaft erzeuge beim Erzählen von Religion Imaginationen. Er unterstrich dabei die Rolle der Imagination durch ein Zitat von Traut und Wilke. Demnach ist sie »ein hervorragendes Instrument der Sinngebung und Transformation, indem sie Sinneswelten in Sinnsysteme überführt und Sinnsysteme in Sinneswelten übersetzt.«1 Damit war ein einleitender Rahmen gegeben, in dem die Referenten und Referentinnen aus der Schweiz, Deutschland und Norwegen ihre Beiträge verorten konnten.

2 Die Teilnehmenden der Tagung durften sich auf eine interdisziplinäre Annäherung an das Thema der Imagination in Literatur, Religion und Kunst und ebenso auf eine umfassende Betrachtung des Gegenstandes freuen, der sich durch sämtliche Erfahrungswelten menschlicher Kognition zieht. Besonders die Frage, inwiefern Imagination als Kategorie zur Erfassung religiöser Referenzen in Kunst, Wirtschaft, Politik etc. dienen kann, stand auf dieser Tagung im Vordergrund. Anschließend an die Einleitung übergab Jürgen Mohn das Wort an den ersten Redner.

3 Marco Frenschkowski sprach über »Kategorien des Mythos und Kategorien des Phantastischen«. In seinem Vortrag ging Frenschkowski zuerst auf das Unterscheiden und Vergleichen von Mythos und Phantastik ein, wobei er die Phantastik gegenüber der Fiktion als gesteigerte Form des imaginativen Erzählens beschrieb. Zudem sieht Frenschkowski in ihr den Einbruch eines »archaisierend Sakralen« in eine dem Gottesglauben fremd gewordene Welt und stellte dies zur Diskussion.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 79

4 Thomas Grob hielt einen Vortrag über die phantastische Literatur Russlands. Er besprach in seinem Beitrag zunächst die Frage nach der Phantastik als säkularisierter Religionsdiskurs. Besonders charakteristisch sei in der späteren russischen und sowjetischen Science-Fiction die Tendenz zur Kybernetik, welche hier durch technische Steuerung eines unüberschaubaren Systems die Rolle des Sakralen übernehme.

5 Unter der Rubrik »Mythos und Imagination« begann Anton Bierl mit seinem Vortrag über phantastische Szenen rituellen Charakters im griechischen Roman. Die beschriebenen fiktiven Opferungen bildeten dabei die »Energiezentren« der Erzählungen, wobei das narrative Potential des religiösen Stoffs voll ausgeschöpft werde. Als diese Textgattung entstand, habe jedoch niemand mehr an diese Geschichten geglaubt, was den Vergleich zum modernen Genre der Phantastik zuließe.

6 Francesca Prescendi sprach über geschlechtsspezifische Imaginationen im römischen Roman. Im Zentrum ihrer Ausführungen stand der römische Kult der mater matuta und seine Beschreibung bei Ovid und Plutarch. Laut Prescendi enthielten die Schilderungen ein Bild der Rolle der Frau, das die enge Verzahnung von Mythos, Erzählung und Imagination in Bezug auf ein normatives Verhalten innerhalb der römischen Gesellschaft dokumentiere.

7 Das dritte Panel »Narration und Kunst« begann mit einem Vortrag von Almut-Barbara Renger. Sie sprach über Simeon Stylites und fragte, wie dessen Bild von Beharrlichkeit und Stehvermögen die Kunst im christlichen Raum bis zur Moderne und Gegenwart prägte. Als Beispiel für moderne Säulenheilige, die die Ideale unserer Gesellschaft verkörperten, besprach sie das Projekt »Säulenheilige« von Christoph Pögeler.2

8 Michael Hampe ging in seinem Vortrag auf die »Engführung von Kunst und Religion bei Wittgenstein und Santayana« ein. Religion, so Hampe, gehe über die Poesie hinaus, da das Nachspielen religiöser Texte im Ritual zur Intensivierung des Lebens führe. Zudem sei es die Unterscheidung zwischen behauptender und zeigender Rede, die Religion von Poesie differenziere. Demnach sei »unsere Religion die Poesie, an die wir glauben.«3

9 Während eines apèro riche trafen sich die Nachwuchswissenschaftler*Innen beidseitig des »Röschtigrabens«4, um über eine bessere Zusammenarbeit zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz zu beraten. Die Teilnehmenden beschlossen, künftig mehr zweisprachige Annoncen innerhalb der SGR zu machen und eine verstärkte bilinguale Ausrichtung der Jahrestagung in den Blick zu nehmen.

10 Zum Abschluss des ersten Tages fand eine Lesung des Schriftstellers Thomas Lehr mit anschließender Diskussion statt, die Michael Hampe und Jens Schlieter begleiteten. Durch ausgewählte Beispiele des eigenen Werkes näherte sich der Schriftsteller mit den Teilnehmenden der Narration des Transzendenten in der Poesie an. Das angeregte Gespräch ermöglichte einen erfrischenden Blick über die Grenzen des Faches hinaus und vermittelte eine private Atmosphäre, die Thomas Lehr durch Einblicke in den persönlichen Prozess des Schreibens schuf.

11 Das vierte Panel »Imagination« begann am Freitagmorgen Daria Pezzoli-Olgiati mit ihrem Vortrag über »Religion im kulturellen Imaginären«. Dieser wohl am nächsten am Puls der Zeit gelegene Vortrag behandelte die Rolle der Religion in modernen Medien. Neben Beispielen aus der Werbung besprach die Vortragende auch die Filminstallation »Casting Jesus« von Christian Jankowski.5 Ihr Beitrag veranschaulichte das komplexe Feld moderner religiöser Imaginationen im säkularen Medium und stellte methodische Ansätze zu dessen Untersuchung vor. Da an dieser Stelle nicht weiter inhaltlich auf die

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 80

Arbeit von Pezzoli-Olgiati eingegangen werden kann, ihr Ansatz zur methodischen Untersuchung des kulturell Imaginären jedoch sehr vielversprechend erscheint, sei an dieser Stelle auf den Sammelband »Religion in Cultural Imaginary«6 verwiesen.

12 Caroline Widmer präsentierte in ihrem Vortrag eine Sammlung von Radha- und Krishnadarstellungen aus dem 18. Jahrhundert. Diese kunstvoll gearbeiteten Darstellungen versinnbildlichten das lustvolle Spiel der beiden Götter und seien durch ihre Ästhetik selbst Teil der religiösen Praxis.

13 Hubert Mohr stellte in seinem Beitrag über die »Mysteriöse Schweiz« eine Fernsehserie des SRF vor, die mit »neopagane[n] Imaginationen« arbeitet, um den Zuschauern das Bild einer sagenumwobenen Schweiz zu vermitteln. Er machte dabei deutlich, wie durch den Einsatz von Imaginationen in den einschlägigen Medien eine kulturelle Identifikation neu aufgebaut werden soll, indem durch mystisch anmutende Landschaftsaufnahmen und den Bezug auf »religiöse Experten« eine Rückbesinnung zu den vermeintlichen kulturellen Wurzeln der Schweiz hergestellt wird.

14 Die beiden letzten Panel »Narrationen« und »Fiktion« wurden zusammengelegt und begannen mit dem Vortrag von David Atwood, der die Imaginationen religiöser Schwellenerzählungen und deren ordnende Funktion für Historien in den Fokus stellte. Es wurde dabei deutlich, wie auch politische Religionen notwendigerweise Mythen hervorrufen, um das eigene Handeln zu legitimieren.

15 Anja Kirsch sprach zum Thema »Fiktion« und fragte nach dem Unterschied von säkularen und religiösen Erzählungen: Ist es der Grad der Fiktionalität, der religiöse Aufklärungscharakter oder die Glaubwürdigkeit, die fiktionale von religiösen Erzählungen unterscheidet? Das Fazit ihrer Ausführungen lautete, dass die strikte metasprachliche Trennung zwischen »säkularen« und »religiösen« Texten im Zusammenhang mit ihrem imaginären Gehalt für deren Untersuchung möglicherweise nicht zielführend sei.

16 Pierre Bühler übernahm das Wort und besprach fiktionale Erzählungen religiöser Stoffe bei Friedrich Dürrenmatt, der sich als Pfarrerssohn in seinem Werk an Religion, Glaube und Zweifel dramaturgisch abarbeite. Zuletzt komme Dürrenmatt zu der Ansicht, dass religiöse Texte zu den fiktionalen Erzählungen zu zählen seien, und bekenne sich zum Atheismus.

17 Den letzten Vortrag der Tagung hielt Dirk Johannson über die »Entstehung der Phantastik aus dem Geist der Religionskritik« in Skandinavien. An den Beispielen von Arne Garborg und Georg Brandes machte er deutlich, wie sich naturalistische und phantastische Literatur in Norwegen und Dänemark entwickelten und welche Wechselwirkungen es mit den geistigen Strömungen ihrer Zeit gab.

18 In der Abschlussdiskussion wurde die Frage der Religionsdefinition vor dem Hintergrund der Tagung besprochen. Das Problem sei, angelehnt an die Ausführungen Michael Hampes, dass oft davon ausgegangen werde, die Aussagen der Religionswissenschaft hätten selbstbehauptenden Charakter bezüglich Religion. Die »zeigende Rede« der Wissenschaft könne diese Forderung jedoch nicht erfüllen. Weiterhin wurde eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit angeregt, um die Thematik der Tagung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Besonders das sich neu eröffnende Feld der Imagination im Internet verlange eine eingehendere und fachübergreifende Betrachtung.

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017 81

19 Alles in allem war die SGR-Tagung sehr gelungen. Sie gab vor allem Nachwuchswissenschaftler*Innen einen Einblick, welche Felder sich im Rahmen einer religionsästhetischen Herangehensweise eröffnen können. Mitunter wirkte es jedoch, als fehle es an gemeinsamen Begriffen und einer einheitlich strukturierten Methodik, mit denen sich das überaus komplexe Feld des religiös Imaginären beschreiben und analysieren ließe. Zukünftig wird sich zeigen müssen, ob sich aus diesem Ansatz eine ganzheitliche Betrachtung für die religionswissenschaftliche Forschung ergeben kann.

NOTES

1. Traut, Lucia, und Anette Wilke. 2015. »Einleitung«. In: Religion – Imagination – Ästhetik. Vorstellungs- und Sinneswelten in Religion und Kultur. Hrsg. von Lucia Traut und Annette Wilke. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S.18. 2. vgl. Pögeler, Christoph. 2001. »Säulenheilige«. Letzter Zugriff: 02. Februar 2016. http:// www.christoph-poeggeler.de/skulptur/saulenheilige 3. Santayana, George. 1900. Interpretations of Poetry and Religion. New York: Charles Scribner's Sons, S. 26. 4. Der Begriff »Röschtigraben« bezieht sich auf die sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz. Bei einem »Röschti« handelt es sich um ein Kartoffelgericht der deutschschweizerischen Küche. Die vermeintliche kulturelle Trennung der beiden Sprachgruppen, die der Begriff impliziert, ist jedoch umstritten. 5. vgl. Jankowski, Christian. 2015. »Casting Jesus«. Letzter Zugriff: 02. Februar 2016. http:// www.gagosian.com/now/theories-on-forgetting-casting-jesus 6. Pezzoli-Olgiati, Daria, Hrsg. 2015. Religion in Cultural Imaginary – Explorations in Visual and Material Practices. Zürich: TVZ-Theologischer Verlag. Weiterhin sei auch verwiesen auf das Forschungsprojekt »Medien und Religion«. o.J. Letzter Zugriff: 02. Februar 2016. http://media- religion.org

AUTHOR

JOHANN FALK Universität Basel, Schweiz Kontakt: [email protected]

Zeitschrift für junge Religionswissenschaft, 12 | 2017