Musik Der Trauer Und Der Verzweiflung in Oper Und Kirche
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Lindauer Psychotherapiewochen www.Lptw.de Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen – Musik der Trauer und der Verzweiflung in Oper und Kirche Prof.Dr. Silke Leopold Abendvortrag, 23. April 2008, im Rahmen der 58. Lindauer Psychotherapiewochen 2008 (www.Lptw.de) Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, Angst und Not Sind der Christen Tränenbrot, Die das Zeichen Jesu tragen. Mit diesem Chor eröffnete Johann Sebastian Bach am 22. April 1714 seine Kantate für den Gottesdienst in der Weimarer Schlosskapelle. Es war ein traditioneller und dennoch außerge- wöhnlicher Satz, mit dem Bach die Worte Salomon Francks umgab. Grundlage war ein ostinater Bass, eine Melodie, die im Umfang einer Quart in chromatischen Halbtonschritten abwärts schritt. Darüber stießen die einzelnen Stimmen des Chores ebenfalls abwärts weisende Melodiebruchstücke heraus, die das Weinen und Klagen so recht in Musik umsetzten – gleichsam schluchzend, zu keinem zusammenhängenden Satz fähig, vereinzelt, allein und mutlos. Die Tonart f-moll, die den Zeitgenossen als die düsterste überhaupt galt, verstärkte den Eindruck der Ausweglosigkeit noch, und der langsame Sarabandenrhythmus mit seinen stockenden, wie tränenerstickten Pausen trug das Seine zu der Wirkung der Musik bei: In diesem Chorsatz versammelte Bach alle musikalischen Chiffren der Trauer, die die Tradition bereitstellte, türmte sie gleichsam übereinander. Kein Zuhörer seiner Zeit konnte sich den Botschaften dieser Musik entziehen. Und es verwundert nicht, dass Bach diesen Chorsatz später noch einmal verwenden sollte, und zwar für den traurigsten Moment im Leben eines Christenmenschen überhaupt: die Kreuzigung Christi. Für das „Crucifixus“ seiner h- Moll-Messe griff er rund drei Jahrzehnte später in seinem letzten Lebensjahrzehnt just auf diesen Chor zurück. Seite -1- S. Leopold „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen - Musik der Trauer und der Verzweiflung in Oper und Kirche“ Vortrag im Rahmen der 58. Lindauer Psychotherapiewochen 2008 (www.Lptw.de) Beispiel: Weinen Klagen Sorgen Zagen Szenenwechsel. Mourn, all ye muses! Weep, all ye swains! Tune, tune your reeds to doleful strains! Growns, cries and howlings fill the neighb’ring shore: Ah the gentle Acis is no more. (Traur’t, all ihr Musen! Wein, Schäfervolk! Stimm auf der Flöte den Grabgesang an. Ächzt, klagt und heulet, dass das Ufer hall: Ach, der schöne Acis ist nicht mehr!) Acis and Galatea, eine Masque auf den Text von John Gay, die Georg Friedrich Händel im Jahre 1718 für den Earl of Carnavon, den späteren Duke of Chandos auf seinem Landsitz Schloss Cannons in Middlesex komponierte, war bereits seine zweite Beschäftigung mit der Geschichte des schönen Hirten Acis, der Nereide Galatea und des Zyklopen Polyphemos, wie sie Ovid in seinen Metamorphosen erzählt hatte: Dort wurde die Liebe zwischen Acis und Galatea von dem rasend eifersüchtigen Polyphemus zerstört, der Acis mit einem Felsbrocken erschlug. Nur die Verwandlung des Acis in einen Fluß, in dessen Fluten Galatea fürderhin leben würde, gleichsam auf immer und ewig umspült von ihrem Geliebten, konnte die Verzweiflung der zarten Wassernymphe mildern. In seiner ersten Version, der Serenata Aci, Galatea e Polifemo für Neapel im Jahre 1708 hatte Händel dem sterbenden Aci eine lange Arie in den Mund gelegt; dieser folgte ein kurzes Rezitativ der Galatea und darauf eine triumphierende Arie des Polifemo. In der englischen Masque standen Händel andere dramaturgische Möglichkeiten zu Gebote. Zwischen Acis Sterben und einer feierlichen, gleichsam öffentlichen und deshalb von Affektkontrolle eher als von Verzweiflung geprägten Totenklage der Galatea platzierte er einen Klagegesang des Chores, der trauriger und verzagter kaum hätte sein können, und der in vielen seiner musikalischen Botschaften Bachs „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ gleicht: Beispiel: Mourn all ye muses Händel bediente sich derselben musikalischen Chiffren wie Bach, die sich in dem Hörer zu einer einzigen umfassenden Botschaft fügten: Dass die ganze Welt den Tod des Acis beweint. die Tonart f-moll, der Rhythmus der Sarabande und jene absteigende Chromatik, die seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in der Musik als „passus duriusculus“, als harter, schwerer Gang bezeichnet wird – musikalische Formeln der Trauer, die den Text verdeutlichten, die aber dem zeitgenössischen Hörer auch ohne Text unmittelbar verständlich waren. Die Emotionen waren zu allen Zeiten eine Angelegenheit der Musik. Und seit dem späteren 15. Jahrhundert, seit der neuerlichen Beschäftigung mit der antiken Philosophie, wurde der Idee, dass Musik Einfluss auf die Befindlichkeiten des Menschen nehmen konnte, weil sie selber Befindlichkeiten darzustellen in der Lage war, immer größerer Raum in der musiktheoretischen Diskussion wie in der praktischen Umsetzung, der Komposition und der Aufführung von Musik, gegönnt. „Affectus exprimere“, „esprimere gli affetti“, die Affekte ausdrücken: Seit der Mitte des Seite -2- S. Leopold „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen - Musik der Trauer und der Verzweiflung in Oper und Kirche“ Vortrag im Rahmen der 58. Lindauer Psychotherapiewochen 2008 (www.Lptw.de) 16. Jahrhunderts beherrscht dieser Begriff immer deutlicher das musiktheoretische Schrifttum. Die Musik sollte die Gefühle, die Affekte, die Befindlichkeiten zur Unterstützung des Textes mit ihren eigenen Mittel verdeutlichen. Darüber herrschte über die Jahrhunderte hinweg Einigkeit. Und auch die musikalischen Mittel erweisen sich als über die Jahrhunderte hinweg auffällig konstant. Dennoch gab es Unterschiede nicht nur im Verlauf der Epochen und im Wechsel der musikalischen Gattungen, sondern auch von Komponist zu Komponist in der Art und Weise, diese Grundannahme umzusetzen, den Text zu verstehen und mit ihm kompositorisch umzugehen. Uneinigkeit herrschte etwa bis weit in das 18., ja eigentlich in das 19. Jahrhundert hinein hinsichtlich der Frage, ob nur die Vokalmusik Gefühle ausdrücken könne oder ebenso die Instrumentalmusik. War man noch im 16. Jahrhundert der unbestrittenen Überzeugung, dass nur die Vokalmusik, d.h. die Verbindung der Musik mit einem Text, in der Lage war, Gefühle zu vermitteln, so traten die Komponisten des 17. Jahrhunderts an, der Instrumentalmusik ebenfalls eine Seele zuzugestehen. Der Titel von Biagio Marinis Instrumentalmusikpublikation aus dem Jahre 1617 Affetti musicali markierte so etwas wie eine kleine Revolution, denn er implizierte, dass auch die textlose, die nur gespielte, nicht gesungene Musik in der Lage war, Gefühle zu transportieren, dass eine Violine nicht weniger Gefühle zu vermitteln und auszulösen in der Lage war als die menschliche Stimme. „Sonate, que me veu tu“ fragte noch im Jahre 1737 der französische Universalgelehrte Fontenelle und brachte damit zum Ausdruck, dass die reine Instrumentalmusik ohne Text, ohne einen Inhalt, den sie vermitteln konnte, im doppelten Sinn bedeutungslos war. Unter den Emotionen ist es vor allem die Trauer, das Weinen, für das sich die Musik in besonderer Weise zuständig fühlt. Nänien und Trauermärsche, Elegien und musikalische Epitaphien, teilweise als eigene musikalische Gattung „Tombeau“ genannt, füllen über Jahrhunderte hinweg die Partituren. Totenklagen und Trauermusiken durchziehen die Musikgeschichte wie ein roter Faden: persönliche und kollektive, private und öffentliche Trauer ließ sich gleichermaßen in Musik setzen. Schon im frühen Mittelalter entwickelte sich eine besondere Form des gesungenen „Planctus“, des Klagegesangs, der sich von dem gesprochenen bzw. gelesenen „Planctus“ durch eine rhythmisch fixierte Dichtung unterschied – eine Dichtung, die selbst bei Abwesenheit einer musikalischen Überlieferung auf gesungenen Vortrag hindeutet. Guillaume Dufay komponierte mehrere Klagegesänge auf den Fall von Konstantinopel im Jahre 1453 – eine davon ist erhalten, die Lamentatio Sanctae Matris Ecclesiae Constantinopolitanae, die Klage der heiligen Mutter Kirche von Konstantinopel; sie kombiniert einen Text aus den Klageliedern Jeremiae mit einem französischen, auf den Anlaß bezogenen Text. Eher privater, persönlicher Schmerz äußert sich in Klagemotetten wie Nymphes des Bois, in der Josquin Desprez seinem Schmerz über den Tod seines Lehrers Johannes Ockeghem musikalischen Ausdruck gibt. Ein besonderes Faible für Klagegesänge hatte Margarethe von Österreich, die Tochter Kaiser Maximilians I., Statthalterin der Niederlande, bis zu Ihrem Tod 1530, Erzieherin ihres Neffen, Kaiser Karls V., als Ehefrau einmal verstoßen und zweimal früh verwitwet – sie hatte allen Grund, ihre Liebe zur Musik mit ihrem Hang zur Melancholie zu verbinden: In einem für sie geschriebenen Prachtmanuskript von 1523 häufen sich die Trauergesänge, und neben so aktuellen wie einer von ihr selbst gedichteten Klage über den Tod ihres Bruders Philipps des Schönen und einer über die letzten Worte der Dido „Dulces exuviae“ steht auch die Totenklage für ihren dahingeschiedenen Lieblingspapagei. Solche Trauergesänge über verstorbene Haustiere hatten eine bis in die römische Antike, genauer: bis zu Catull zurückreichende Tradition, und Margarethes Lieblingspapagei, der „Amant vert“ war nur der erste in einer langen Reihe von toten Vögeln und anderen Haustieren, die in empfindsamer, aber auch in grotesker Weise besungen wurden. Ich erwähne die Trauer=Music eines kunsterfahrenen Kanarienvogels von Seite -3- S. Leopold „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen - Musik der Trauer und der Verzweiflung in Oper und Kirche“ Vortrag im Rahmen der 58. Lindauer Psychotherapiewochen 2008 (www.Lptw.de) Georg Philipp Telemann – „O große Not. Mein Kanarie ist tot“, oder die Elegie auf den Tod eines Pudels,