Basel, 21. bis 29. August 2015 Programmbuch Festtage Alte Musik Basel

Vom Barock zur Klassik

www.festtage-basel.ch Titel: Inhaltsverzeichnis Johann Georg Platzer (1704–1761), Das Konzert Dr. Guy Morin, © Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt Zum Geleit 17 Renato-D. Pessi-Gsell Grusswort des Präsidenten 20 Peter Reidemeister Vom Barock zur Klassik – das Programm dieser Festtage 22

1 Eröffnungskonzert «Tempora mutantur» – von Bach zu 30 Peter Rummenhöller «Aus der Seele muss man spielen ...» Vom Barock zur Klassik in der Musik 38

2 Aus Lucas Sarasins Musiksammlung – Mannheimer und Mailänder Triosonaten Abdruck mit Quellenangabe erwünscht als Wegbereiter der Klassik 42 Zur Sammlung Lucas Sarasin 44 © 2015 Verein zur Förderung Basler Absolventen Christian Friedrich Daniel Schubart auf dem Gebiet der Alten Musik Die Pfalzbayerische Schule 49 Dornacherstrasse 161 A, CH-4053 Basel Christoph Riedo Telefon +41 (0)61 361 03 54 Der Musikliebhaber Lucas Sarasin und das Musizieren im protestantischen Basel 51 CH17 0840 1016 1968 0160 3 Die CD zu den Festtagen: [email protected] «Zu Gast im Blauen Haus» 58 www.festtage-basel.ch 3 Vortrag 1 Prof. Dr. Martin Staehelin, Göttingen Aus dem Basler Musikleben des späteren Redaktion: Jörg Fiedler, Peter Reidemeister 18. Jahrhunderts 62 Satz, Gestaltung: Buser, Kommunikation GmbH, Basel Druck: Gremper AG, Basel Thomas Drescher Jakob Christoph Kachel, eine markante Persönlichkeit im Festtage Basel Basler Musikleben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 66 Geschäftsleitung: Renato D. Pessi Künstlerische Leitung: Peter Reidemeister 4 Suiten und Concerti von G. Ph. Telemann, J. S. Bach, J. Fr. Fasch, J. D. Zelenka 69

Preis: 10 Franken 5 Johann Adolf Hasse, Messe in d (1751) 81

4 5 6 Stadtführung mit Mitarbeitern der Kantonalen 13 Bläsersextette von Danzi bis Mozart 173 Denkmalpflege Basel-Stadt 86 14 Violinsonaten von Gaspard Fritz (Genf) Martin Möhle und seinen Zeitgenossen 179 Basler Baukunst im 18. Jahrhundert 87 Ein Basler über Gaspard Fritz 188 7 Tafel und «Tafelmusik» in historischem Ambiente – Telemann, Händel und Apéro riche 92 15 Vortrag 2 Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen Bach, Händel und die Wiener Klassiker: Paul Henry Boerlin Kontinuität oder Neuentdeckung? 191 Jeremias Wildt, der Bauherr des Wildt’schen Hauses in Basel, als Musikfreund 98 16 Georg Benda, «Ariadne auf Naxos» – Carsten Lange, Magdeburg Ein berühmtes Melodram 194 «Er ist ein Moderner …» 106 Silke Leopold Schauspiel mit Musik oder Oper ohne Gesang? 8 Zwischen deutschem und französischem Orgelbau – Die kurze Blüte des Melodrams 204 Johann Andreas Silbermann in Basel 114 Thomas Leininger Jörg-Andreas Bötticher Prolog und Epilog zu «Ariadne auf Naxos» Die Silbermann-Orgel der Predigerkirche Basel 116 oder: Aus der Komponistenwerkstatt 211 Jean (Johann) Schobert, «Sonates en trio pour 9 17 Die Mara – Lebensbild und Favoritarien Clavecin ou Pianoforte, 2 Violons et Violoncelle» 119 der Primadonna Friedrichs des Grossen 214 10 Domenico Cimarosa, «L’impresario in angustie» – Felix Wörner eine unbekannte buffa 129 Kulturelle Zentren – kultureller Transfer 220

11 «Concert zum täglichen Plaisir» – 18 Streichquartette von F. X. Richter, Konzerte und Kammermusik für Harfe 144 Streichquintette von L. Boccherini 223

12 «Freye Fantasie» und Poesie für die Seele – 19 «Organo concertato» – von Händel bis Haydn 230 Hommage an das intimste Instruments des Sturm und Jean-Claude Zehnder Drang 150 Die Familie Silbermann 235 Über das Clavichord 156 Paul Henry Boerlin Charles Burney Silbermann-Cembali bei Jeremias Wildt 238 Besuch bei Carl Philipp Emanuel Bach in 158 «Lieder zum Clavier zu singen» 245 Carl Philipp Emanuel Bach: «Von der freyen Fantasie» 159 20 Johann Gottfried Müthel Christian Friedrich Daniel Schubart Vorbericht an die Freunde und Liebhaber Vom Flügel oder dem Klaviere 163 der Musik 252 Sally Fortino «Gefährtin meiner Einsamkeit» – Sehnsucht nach dem Clavichord 165

6 7 21 Vortrag 3 Dr. Martin Kirnbauer, Basel 255 Freitag, 21. August 2015 Blicke in Basler «Musiqstuben» – Über Bilder und 20.15 Uhr, Martinskirche Musikinstrumente des 18. Jahrhunderts 255 Eröffnungskonzert Veronika Gutmann «Tempora mutantur» – von Bach zu Haydn Musik in Basel um 1750 – Die Familie Emanuel Ryhiner- Leissler auf zwei Gemälden von Joseph Esperlin, 1757 258 Werke von J. S. Bach, C. Ph. E. Bach, J. Haydn Ensembles Café Zimmermann und Ripieni Festivi 22 Quartetti fugati – Streichquartette mit Schlussfugen aus der Wiener Frühklassik und Klassik 265 Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 30

23 Divertimento a tre – Samstag, 22. August 2015 Kammermusik zwischen Hof und Bürgertum 274 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Andreas Küng Jeremias Schlegel 283 Aus Lucas Sarasins Musiksammlung – Mannheimer und Mailänder Triosonaten als 24 Basler «Musiqstuben» im Museum für Musik 290 Wegbereiter der Klassik 25 Schlusskonzert Werke von J. und C. Stamitz, A. Filtz, , «Die Schöpfung» 292 G. B. Sammartini, G. Conti, J. Chr. Bach Georg August Griesinger Ensemble Der musikalische Garten Originalität 300 Eintritt frei, Kollekte Seite 42 Albert Christoph Dies «Die Schöpfung» 302 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, Augustinergasse Vortrag 1 Aus dem Basler Musikleben des späteren 18. Jahrhunderts Prof. Dr. Martin Staehelin, Göttingen Eintritt frei Seite 62

20.15 Uhr, Martinskirche Suiten und Concerti von G. Ph. Telemann, J. S. Bach, J. Fr. Fasch, J. D. Zelenka Freiburger Barockorchester Andreas Staier, Cembalo Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 69

8 9 Sonntag, 23. August 2015 18 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal 10 Uhr, Münster zu Basel Jean (Johann) Schobert, «Sonates en trio pour Gottesdienst mit Abendmahl Clavecin ou Pianoforte, 2 Violons et Violoncelle» Johann Adolf Hasse, Messe in d (1751) Edoardo Torbianelli, Anaïs Chen, Eva Saladin, Fernando Ensembles Cantori Festivi, Café Zimmermann, Caida Greco Ripieni Festivi Eintritt: 25 CHF Seite 119 Eintritt frei Seite 81 20.15 Uhr, Martinskirche 15 Uhr und 17 Uhr, Besammlung vor dem Blauen Haus, Domenico Cimarosa, «L’impresario in angustie» – Rheinsprung 16 eine unbekannte Opera buffa Stadtführung mit Mitarbeitern der Kantonalen Ensemble Musica Fiorita Denkmalpflege Basel-Stadt Moderation: Hans-Dieter Jendreyko Dr. Thomas Lutz, Dr. Martin Möhle Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 129 Eintritt frei Seite 86 Dienstag, 25. August 2015 19 Uhr, Wildt’sches Haus, Petersplatz 12.15 Uhr, Peterskirche Tafel und «Tafelmusik» in historischem «Concert zum täglichen Plaisir» – Ambiente – Telemann, Händel und Apéro riche Konzerte und Kammermusik für Harfe Ensemble L’Ornamento Giovanna Pessi, Ensemble Ripieni Festivi Benefizveranstaltung zugunsten des Vereins zur Eintritt frei, Kollekte Seite 144 Förderung von Basler Absolventen auf dem Gebiet der Alten Musik 18 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Eintritt: 300 CHF Seite 92 «Freye Fantasie» und Poesie für die Seele – Hommage an das intimste Instrument Montag, 24. August 2015 des Sturm und Drang 12.15 Uhr, Predigerkirche Dirk Börner, Clavichord Zwischen deutschem und französischem Roswita Schilling, Rezitation Orgelbau – Johann Andreas Silbermann Eintritt: CHF 25 Seite 150 in Basel Demonstration der Silbermann-Orgel in der Predigerkirche durch Jörg-Andreas Bötticher Eintritt frei, Kollekte Seite 114

10 11 20.15 Uhr, Martinskirche Bläsersextette von Danzi bis Mozart Donnerstag, 27. August 2015 Ensemble Winds Unlimited 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 173 Die Mara – Lebensbild und Favoritarien der Primadonna Friedrichs des Grossen Mittwoch, 26. August. 2015 Gunhild Lang-Alsvik, Sopran 12.15 Uhr, Peterskirche Edoardo Torbianelli, Fortepiano Violinsonaten von Gaspard Fritz (Genf) Roswita Schilling, Markus Jans, Rezitation und seinen Zeitgenossen Eintritt frei, Kollekte Seite 214 Plamena Nikitassova, Violine Jörg-Andreas Bötticher, Cembalo 18 Uhr, Martinskirche Maya Amrein, Violoncello Streichquartette von F. X. Richter, Eintritt frei, Kollekte Seite 179 Streichquintette von L. Boccherini Quartetto Rincontro 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, mit Christophe Coin, Violoncello Augustinergasse Eintritt: 25 CHF Seite 223 Vortrag 2 Bach, Händel und die Wiener 20.15 Uhr, Predigerkirche Klassiker: Kontinuität oder Neuentdeckung? «Organo concertato» – Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen, Zürich von Händel bis Haydn Eintritt frei Seite 191 Jörg-Andreas Bötticher an der Silbermann-Orgel, Ensemble Ripieni Festivi 20.15 Uhr, Martinskirche Eintritt: 35 CHF Seite 230 Georg Benda, «Ariadne auf Naxos» – Ein berühmtes Melodram Kompositionsauftrag für Prolog und Epilog: Thomas Leininger Ensemble Der musikalische Garten mit Gottfried von der Goltz, Violine Regie: Sigrid T’Hooft Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 194

12 13 Freitag, 28. August 2015 Samstag, 29. August 2015 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal «Lieder, zum Clavier zu singen» «Divertimento a tre» – Werke von C. Fr. Zelter, J. G. Müthel, Kammermusik zwischen Hof und Bürgertum Fr. W. Rust, J. Fr. Reichardt Werke von J. Chr. Bach, Fr. Devienne, und F. Schubert u. a. C. Stamitz, J. Myslive ek, W. A. Mozart Ulrich Messthaler, Gesang und Fortepiano Karel Valter, Flöte Eintritt frei, Kollekte Seite 245 Katharina Heutjer, Violine Jonathan Pešek,Violoncello 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, Eintritt frei, Kollekte Seite 274 Augustinergasse Vortrag 3 15 Uhr, HMB – Museum für Musik, Im Lohnhof 9 Blicke in Basler «Musiqstuben» Basler «Musiqstuben» im Museum Über Bilder und Musikinstrumente für Musik des 18. Jahrhunderts Besuch im Museum für Musik Dr. Martin Kirnbauer, Basel mit Dr. Martin Kirnbauer Siehe auch Führung durch das Museum für Eintritt frei Seite 290 Musik am Samstag, 29. August 2015, 15 Uhr Eintritt frei Seite 255 19.15 Uhr, Martinskirche Schlusskonzert 20.15 Uhr, Martinskirche Joseph Haydn, «Die Schöpfung» «Quartetti fugati» – Streichquartette mit Sophie Karthauser, Sopran Schlussfugen aus der Wiener Frühklassik und Maximilian Schmitt, Tenor Klassik Johannes Weisse, Bass-Bariton Werke von M. G. Monn, J. G. Albrechtsberger, Collegium Vocale Gent G. J. Werner und J. Haydn Baroque Orchestra B‘Rock Gent Quatuor Mosaïques Leitung: René Jacobs Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Seite 265 Eintritt frei, Kollekte Seite 292

14 15 Preise Dr. Guy Morin, Vorträge, Führungen und Orgeldemonstration, Mittagskonzerte Musik- Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt Akademie, Schlusskonzert: Eintritt frei Musik-Akademie Basel, Grosser Saal, 18-Uhr-Konzert, freie Platzwahl: Zum Geleit 25 CHF Martinskirche, 18-Uhr-Konzert, freie Platzwahl: 25 CHF Mit grosser Freude kann Predigerkirche, 20.15-Uhr-Konzert, freie Platzwahl: 35 CHF ich den Festtagen Alte Martinskirche, 20.15-Uhr-Konzerte, nummerierte Plätze: Musik Basel meine bes- Kat. A: 50 CHF Kat. B: 40 CHF Kat. C: 30 CHF ten Wünsche zur Aus- Abendkasse 1 Stunde vor Konzertbeginn gabe 2015 aussprechen. Wildt‘sches Haus: 300 CHF, beschränkte Anzahl Plätze Das Festival setzt in Basel Anmeldung: [email protected] einen bedeutenden Ak- zent im Bereich der Alten Ermässigungen für AHV/IV-Bezüger: 5 CHF Rabatt Musik, mit der unsere für Schüler, Studenten und Lehrlinge: 18-Uhr-Konzerte und Stadt bekanntlich seit Abendkonzerte Kat. C: 15 CHF, gegen Vorlage eines gültigen Ausweises über achtzig Jahren mehr als namhaft verbunden Festtagepass für 7 Abendkonzerte und 3 18-Uhr-Konzerte, ohne wird, sowohl durch ihre Benefizveranstaltung vom 23. August 2015 ausgezeichneten Ausbil- Kat. A: 325 CHF Kat. B: 280 CHF dungsstätten sowie dank den Veranstaltern im Türöffnung 20 Minuten vor Konzertbeginn Gebiet der Alten Musik und der Musikforschung. Die gelungene Verbindung der musikalischen Talente von Vorverkauf berühmten Meistern der Vergangenheit und von Basler Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Absolventen der Gegenwart wird die Festtage einmal Aeschenvorstadt 2, Basel, Tel: 061 206 99 96 und mehr für sämtliche Gäste aus dem In- und Ausland zu an allen üblichen Vorverkaufsstellen einem anregenden musikalischen Vergnügen machen. «Jeder ist, was er geworden ist», sagt ein Sprichwort, Onlineverkauf: www.biderundtanner.ch und man kann es nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Städte beziehen. In Basel begegnet man auf Schritt und Tritt einer langen und stolzen Geschichte, die das Lebensgefühl hier wesentlich mitbestimmt.

16 17 Die musikalische Geschichte Basels in die Programme len Künstlern, Zuhörern und Interessenten in freudiger der Festtage einzubeziehen, war seit deren Gründung Erwartung von wunderbar klangvollen Musikstunden das Anliegen und ist auch heute noch eine glückliche und begegnungsreichen Festivaltagen. Entscheidung. Dieses Jahr steht der Epochenwechsel vom Barock zur Klassik und zum Klassizismus an. Ver- schiedene Basler Phänomene, die das Leben noch heute mitbestimmen, wie Lucas Sarasin und das Blaue Haus, Jeremias Wildt und das Wildt’sche Haus, der Orgel- bauer Johann Andreas Silbermann oder das Collegium musicum, in dem die musizierenden Bürger zusam- menkamen und von dem zahlreiche Initiativen ausgin- gen, werden im Programm aufgegriffen. Aber auch die musikalischen Leckerbissen der deutschen, österreichi- schen, italienischen und französischen Musik jener Zeit werden in die Festtage einfliessen. Natürlich ist es für die Festtage sehr glanzvoll, nam- hafte internationale Musiker und Ensembles vor Ort erleben zu können. Nicht weniger glanzvoll ist aber das zentrale Anliegen der Nachwuchsförderung, das der Verein zur Förderung Basler Absolventen auf dem Gebiet der Alten Musik verfolgt. Denn die Begabten, die in Basel ihre Ausbildung absolvieren und danach ihr berufliches Leben beginnen, müssen auf dem Weg ins Musikleben mit verschiedenen Engagements und Aufnahmen unterstützt werden. Beispielhaft steht da- für dieses Jahr das Ensemble Der musikalische Garten, das in Zusammenarbeit mit Radio SRF 2 Kultur die CD zu den Festtagen mit Musik aus der Sammlung Sarasin aufnehmen und präsentieren wird. Dass Alte Musik jung und frisch sein kann und be- zaubernd in allen Belangen, das zu erleben wünsche ich den Initiatoren der Festtage Alte Musik Basel, al-

18 19 Renato-D. Pessi-Gsell Es sind jedoch nicht nur alle die begnadeten Künstlerin- nen und Künstler, welche die Festtage Alte Musik Basel Grusswort des Präsidenten möglich machen. Die Festtage sind ohne die grosszügi- ge finanzielle Hilfe namhafter Institutionen, Stiftungen, Geschätzte Musikfreundinnen und -freunde Gönner und Sponsoren nicht denkbar. Ihnen allen ge- bührt unser Dank! Ich heisse Sie willkom- Mein Dank geht auch an die Hochschule für Alte men zu den dritten Fest- Musik FHNW, Schola Cantorum Basiliensis, für die tagen Alte Musik. Ein freundliche Unterstützung in Sachen Instrumente, Pro- derart grosses Unterfan- be- und Aufführungsräume. gen wie diese Festtage Der Verein zur Förderung Basler Absolventen im sind nur möglich und Bereich Alte Musik ist der Träger der Festtage Basel. erfolgreich dank der in- Stärken Sie ihn durch Ihre Mitgliedschaft! tensiven Zusammenar- Ich wünsche Ihnen viel Freude und Genuss an unse- beit mit unserer künst- ren dritten Festtagen Alte Musik Basel. lerischen Leitung in der Person von Dr. Peter Reidemeister. Mit ihm haben die Festtage einen Garanten für ein interessantes und an- spruchsvolles Programm. Seine ausgezeichneten Kon- takte zur Welt der Alten Musik und zu Absolventin- nen und Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis, Hochschule für Alte Musik, der Musikakademie Basel, die mittlerweile zur musikalischen Spitzenklasse gehö- ren, sind äusserst wertvoll und unersetzlich. Sie bieten Gewähr, dass die Studierenden ihre Vorbilder live in Basel erleben können. Unser Verein hat die Aufgabe, eben diesen Absol- ventinnen und Absolventen Konzerte zu ermöglichen. Dies geschieht nun auch im Rahmen unserer Festtage. Die jungen Musikerinnen und Musiker können sich so mit arrivierten Grössen messen. Sie sollen keinesfalls ihr Licht unter den Scheffel stellen!

20 21 Peter Reidemeister widmet sein, ausgeführt von einem jungen, erfolgrei- chen Ensemble, dessen Mitglieder ihre Ausbildung in Vom Barock zur Klassik – das Programm dieser Basel erhalten haben. Das Konzert wird gleichzeitig die Festtage «CD-Taufe» sein. Die Orgeln des Johann Andreas Silbermann Aus der Fülle der Er- in diversen Kirchen Basels stammen alle aus je- scheinungen, die das nem Zeitraum, den das Thema der Festtage be- Musikleben zwischen leuchtet. Diesem grossen Instrumentenbauer gel- ca. 1740 und 1780 präg- ten ein Programm an der Silbermann-Orgel der ten und die für die wei- Predigerkirche mit Orgelkonzerten aus der Zeit von tere Entwicklung der Händel bis Haydn sowie eine Orgeldemonstration. Musik von Bedeutung In diesem Programmbuch scheint der Name Silber- waren, werden im Pro- mann immer wieder auf (vgl. die Beiträge von J.-C. gramm dieser Festtage Zehnder, P. H. Boerlin u.a.). die wesentlichen Aspek- Für das Eröffnungskonzert der Festtage und für die te herausgegriffen – das Problem des Weglassens war Messe im Rahmen des Gottesdienstes im Münster zu wesentlich schwerer zu lösen als das der Auswahl. Basel wird das profilierte französische Ensemble Café Zwei Schwerpunkte sind eng mit Basel verbunden: Zimmermann eng mit einer 12-köpfigen Gruppe aus Die berühmte Sammlung Sarasin in der Universi- Basler Absolventen (Ripieni Festivi) zusammenarbei- tätsbibliothek Basel ist weit über die Grenzen der Stadt ten, die extra für diese Festtage zusammengestellt wird. hinaus von grosser musikgeschichtlicher Relevanz. Der Diese Gruppe übernimmt auch die Begleitung der Or- Geschäftsmann Lucas Sarasin ist der Erbauer des Blau- gelkonzerte sowie, in einem weiteren Programm, der en Hauses am Rheinsprung, er wirkte als begeisterter Harfenkonzerte. Das Konzept der Festtage, nämlich Musikdilettant auch selber in seiner Hauskapelle mit, Aufführungen durch namhafte Meister einerseits, an- und er legte eine Musikaliensammlung an, von der dererseits durch junge Nachwuchstalente aus Basel, etwa ein Drittel noch erhalten ist. Von diesen Stücken die unser Verein satzungsgemäss fördert, hat sich als wissen wir definitiv, dass sie seinerzeit in Basel aufge- «Gesicht» der Festtage Alte Musik in Basel bewährt und führt worden sind. Die CD zum Festival, produziert wird fortgesetzt, symbolisiert durch die Integration der in Zusammenarbeit mit Radio SRF 2 Kultur, wird be- begabten Alumni in das namhafte Ensemble. deutenden Werken der Mannheimer Schule (die man Der Titel des Eröffnungskonzerts geht zurück auf den zu den Wegbereitern der Klassik zählen kann) und von Namen der Sinfonie Nr. 64 von Joseph Haydn «Tempo- Mailänder Komponisten aus der Sarasin-Sammlung ge- ra mutantur», die zum Abschluss dieses Abends erklingt

22 23 – ein passenderes Motto für einen Epochenwandel ist Melodram von Georg Benda, das 1775 für Furore sorg- kaum vorstellbar: «Die Zeiten ändern sich (und wir uns te (auch Mozart äusserte sich begeistert darüber) und in ihnen).» Die Messe, die im Münster zur Aufführung das heute im Musikleben quasi vergessen ist, belebt die kommt, stammt von einem der bedeutendsten Kom- Diskussion über die Beziehung von Dichtung und Mu- ponisten der Zeit, den man in der Regel mit der Oper sik aufs Neue. Zwar sieht die Originalbesetzung von in Verbindung bringt und dessen geistliche Musik eher Bendas «Ariadne auf Naxos» ein grosses, frühklassi- unbekannt ist: Johann Adolf Hasse. Er schrieb die Messe sches Orchester vor, aber der Komponist fertigte selber, in d-Moll für die Einweihung der katholischen Hofkir- neben einem Klavierauszug, auch eine Reduktion für che in Dresden 1751. Das Vokalensemble (Solisten und Streichquartett an, die in unserem Konzert erklingt. Die Chor) besteht aus jungen Absolventen der Schola Can- Einstudierung der Schauspieler durch Sigrid T’Hooft, torum (Cantori Festivi, ebenfalls extra für diese Festtage die namhafte Tanz- und Gestikspezialistin, erfolgt gebildet), das dieses Werk unter der Leitung von Gerd nach historischen Quellen und Vorbildern. Ein Kompo- Türk einstudiert. Musiziert wird ohne Dirigent. sitionsauftrag an den jungen Basler Thomas Leininger Zu einem besonderen Wiedersehen kommt es mit ergänzt das Benda’sche Melodram. zwei ehemaligen Schola-Dozenten, die tiefe Spuren im Nicht nur die Entwicklung der Sinfonie fällt in die Basler Musikleben hinterlassen haben: Andreas Staier Epoche, die diese Festtage fokussieren, sondern auch und René Jacobs. Staier wird als Solist mit dem Frei- die des Streichquartetts. Deshalb ist mit dem internati- burger Barockorchester Cembalokonzerte von Johann onal renommiertem Quatuor Mosaïques und dem jün- Sebastian Bach spielen und auch einen «Ausflug» zu geren Quartetto Rincontro, bestehend aus den Stimm- Carl Philipp Emanuel Bach unternehmen. Jacobs diri- führern des Ensembles Café Zimmermann, die Gattung giert das Schlusskonzert mit belgischen Ensembles und des Streichquartetts im Festprogramm prominent ver- bekannten Solisten: Haydns «Schöpfung» stellt eine treten. Die «Meister» (nämlich das Quatuor Mosaïques) schöne und überaus passende Abrundung des Weges werden spätbarocke und frühklassische Musik aus «vom Barock zur Klassik» dar. Wien zum Klingen bringen, die Jüngeren konzentrieren Zwei weitere Akzente sind szenischer Art: Süd-ita- sich auf Mannheimer und italienische Werke, wobei lienische Sängerinnen und Sänger sowie das Ensemble auch Quintette von Luigi Boccherini einbezogen wer- Musica Fiorita lenken mit einem unbekannten, aber sei- den, zu deren Aufführung sich Christophe Coin dem nerzeit höchst erfolgreichen «Intermezzo» von Dome- jungen Ensemble zugesellt. nico Cimarosa die Aufmerksamkeit auf die Geschich- Das Gegengewicht zu diesen Streicher-«Highlights» te der Opera buffa, wobei Hans-Dieter Jendreyko als wird ein Konzert mit Bläsersextetten sein – eine Beset- Moderator die oft seitenlangen Rezitative kürzen und zung, die damals ausserordentlich beliebt war und bis die theaterüblichen Obertitel vermeiden hilft; und ein heute durch die zahlreichen Bearbeitungen von Opern

24 25 für Harmoniemusik bekannt ist. Die je zwei Klarinet- Damit nicht nur die Ebene der Komposition im Mittel- tisten, Hornisten und Fagottisten des Ensembles Winds punkt steht, sondern auch einmal diejenige der Auffüh- Unlimited gehören zu den «rising stars» im heutigen rung, soll in einem kommentierten Konzert das Leben Konzertleben. der berühmten Sängerin Gertrud Elisabeth Schmeh- Am Sponsoren- und Benefizanlass der Festtage soll ling («Die Mara») nacherzählt werden. Das Publikum u.a. Telemanns «Tafelmusik» zum Zuge kommen. Georg­ begleitet anhand ihrer eigenen Lebensbeschreibung Philipp Telemann († 1767) als «Proto-Avantgardist» darf und anhand jener Arien, die sie am liebsten gesungen im Gesamtprogramm nicht fehlen, denn in vielen sei- hat – aus Werken von Händel, Graun, Hasse bis hin ner Wesenszüge war er in hohem Mass «seiner Zeit zu Haydns «Schöpfung», was eine schöne Querverbin- voraus». Musik und geselliges Miteinander finden im dung zum Schlusskonzert ergibt – das wechselvolle Wildt’schen Haus am Petersplatz statt, einem Bauwerk Schicksal dieser berühmten Virtuosin. Die Mara war aus den 1760er-Jahren, das historisch und stilistisch zum die früheste Primadonna des 18. Jahrhunderts, die kei- musikalischen Repertoire der Festtage glänzend passt. ne Italienerin war. Friedrich der Grosse engagierte sie Jeremias Wildt war, wie Lucas Sarasin, ein passionierter als erste Sängerin an seinem Hof, beeindruckt von der Musikamateur in Basel, der neben diversen Streichinst- Stärke und der Koloraturfähigkeit ihrer Stimme. rumenten unter anderem zwei Cembali aus der Werk- Aber nicht nur das Aufführen von Werken prägte statt von Johann Andreas Silbermann besass. Auch sei- damals das Musizieren, sondern auch das Improvisie- nem Namen begegnet man in diesem Programmbuch ren im intimen häuslichen Rahmen, wobei das Clavi- öfter (vgl. u.a. den Beitrag von P. H. Boerlin). chord allen anderen Instrumenten vorgezogen wur- Unterschiedliche Kammermusikformationen wer- de. Mit ­einem Programm, das aus komponierten und den verschiedene Akzente setzen: in Violinsonaten hauptsächlich improvisierten Fantasien, Variationen von Gaspard Fritz, einem wenig bekannten, qualitativ und Rondos besteht, soll diese Seite der Musik und hochstehenden Komponisten, der in Genf gelebt und des privaten Musizierens in den Festtagen vertreten gearbeitet hat, sodann in Fortepiano- und Streichermu- sein; Roswita Schilling wird dazu aus den zahlreichen sik von Jean Schobert, der im Gesamtprogramm für die Hommagegedichten der Zeit auf das Clavichord einige Vertretung der französischen Musik sorgt, in Konzer- der schönsten Beispiele lesen. Der englische Musik­ ten und Kammermusik für Harfe, ein Instrument, das schriftsteller Charles Burney berichtet eingehend von damals am Beginn seiner glänzenden Geschichte als Carl Philipp Emanuel Bachs Improvisationen am Clavi- Soloinstrument stand, sowie in der seinerzeit überaus chord. Das vokale Pendant in puncto kleine, ja kleinste beliebten Besetzung Flöte-Violine-Violoncello, für die (Ein-Mann-) Besetzung sind die «Lieder, zum Clavier zahlreiche Perlen von Hausmusik geschrieben worden zu singen», wie die Titel der Liedpublikationen damals sind, ganz speziell in der Zeit der Frühklassik. so oft lauteten: Die Musizierenden haben gesungen

26 27 und sich selber am Klavier begleitet, daheim, für sich, ke der Zeit zwischen dem Ende des Barock und dem den Texten und Melodien hingegeben. Einer der ganz Beginn der Klassik – eine einzigartige Möglichkeit für wenigen Heutigen, die diese Doppelfunktion im Kon- das Basler Publikum und Musikinteressenten von aus­ zert wagen, ist Ulrich Messthaler. Das Einfache, Inti- serhalb, tiefer in eine sehr besondere und vielgestaltige me, ja Volkstümliche ist im Gesamtbild des damaligen Zeit einzudringen, die man sehr treffend auch «Epoche Musiklebens neben den grossen Formen Sinfonie, Oper zwischen den Epochen» genannt hat. und Oratorium eminent wichtig und charakteristisch gewesen. Die drei Vorträge im Rahmen der Festtage werden vom Basler Martin Staehelin (Göttingen), Hans-Joa- chim Hinrichsen (Universität Zürich) und Martin Kirn- bauer (Leiter des Basler Museums für Musik) bestritten. Sie werden die verschiedenen Facetten des Basler und Schweizer Musiklebens in der 2. Hälfte des 18. Jahr- hunderts zum Thema haben: Laien- und berufliches Musizieren, Collegia musica, Musiksammlungen, Ins- trumentensammlungen, Analyse von Bilddokumenten und vieles andere mehr. Eine Führung im Museum für Musik im Lohnhof rundet diese Seite des Programms ab. Gespannt darf man auch wieder auf die Stadtfüh- rung durch die Mitarbeiter der Kantonalen Denkmal- pflege Basel-Stadt sein, die schon 2011 und 2013 Ar- chitektur- und Musikgeschichte Basels anschaulich und erfolgreich miteinander verbunden haben. Aus der Zeit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts sind die Baudenk- mäler in Basel zahlreicher und vielfältiger als aus den Epochen der beiden früheren Festivals. Der Reigen der 25 Veranstaltungen dieser Festtage stellt Musik unterschiedlichster Charaktere und Beset- zungen ins Zentrum: Traditionelles und Neues, Expan- sives und Intimes, Musik in Basel und epochale Wer-

28 29 Joanna Bilger, Sonoko Asabuki – Viola 1 Daniel Rosin – Violoncello Bret Simner – Kontrabass Freitag, 21. August 2015 Karel Valter, Regina Gleim – Flöte 20.15 Uhr, Martinskirche Shai Kribus, Philipp Wagner – Oboe

Eröffnungskonzert Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert «Tempora mutantur» – von Bach zu Haydn Werke von J. S. Bach, C. Ph. E. Bach, J. Haydn Programm

Petr Skalka – Violoncello Johann Sebastian Bach (1685–1750) Erstes Brandenburgisches Konzert F-Dur, Ensemble Café Zimmermann BWV 1046 (ohne Bez.) – Adagio – Allegro – Menuetto – Trio I – Pablo Valetti – Konzertmeister Menuetto – Polacca – Menuetto – Trio II – Menuetto Mauro Lopes Ferreira, David Plantier, Andoni Mercero, Timoti Fregni – Violine Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) Patricia Gagnon – Viola Konzert für Violoncello und Orchester A-Dur, Petr Skalka – Violoncello Wq 172 Ludek Brany – Kontrabass Allegro – Largo, con sordini mesto – Allegro assai Céline Frisch – Cembalo Emmanuel Laporte, Katharina Andres, Carl Philipp Emanuel Bach Laura Duthuillé – Oboe Symphonie Es-Dur, Wq 179 Carlès Cristobal – Fagott Prestissimo – Larghetto – Presto Thomas Müller, Raul Diaz – Horn Hannes Rux, Almut Rux – Trompete Joseph Haydn (1732–1809) Daniel Schaebe – Timpani Symphonie Nr. 64 A-Dur, «Tempora mutantur», Hob I:64 Ensemble Ripieni Festivi Allegro con spirito – Largo – Allegretto – Presto

Leila Schayegh, Anaïs Chen, Sara Bagnati, Eva Saladin, Katia Viel, Katya Polin – Violine

30 31 Zum Programm bung des Ensembles, die einer Suite Lullys entstammen könnte. Die vom italienischen Concerto grosso ererbte Schreibweise für ein Solisten-Ensemble (hier Hörner, «Die Zeiten ändern sich – und wir uns mit ihnen» Oboen, Fagott und Violino piccolo) zeigt, wie kritisch und sensibel für stilistische Nuancen das musikalische Das lateinische Dictum, Leben von 1721 war. dem Haydn den Titel Entstanden nur drei Jahre nach dem Tod des Va- seiner Sinfonie Nr. 64 ters, zeigt das Cellokonzert A-Dur von Carl Philipp entlehnt, beschreibt ein ­Emanuel Bach, dem zweiten Sohn des Thomaskantors, halbes Jahrhundert nach bereits einen deutlichen Wandel im musikalischen Zu- Bachs Brandenburgi- griff. Auch wenn die rhetorische Anlage der Gliederung schen Konzerten poin- weitgehend fortbesteht, so hat doch die Melodie nicht tiert die musikalische mehr ohne Weiteres ihre Entsprechung in der Sprache, Landschaft des post- sie sucht einen wortlosen Ausdruck menschlicher Emp- aufklärerischen 18. Jahr- findungen. Dies ist das Charakteristikum der Zeitströ- hunderts. Vom überfei- mung der Empfindsamkeit, zu deren gefeiertsten Re- nerten Nationalstil zum präsentanten Carl Philipp Emanuel Bach zählt. klanglichen Internatio- Umrahmt von der Heiterkeit des ersten Satzes und nalismus, von der Klang- Thomas Hardy, Joseph Haydn, dem Fieber des Finales, zeigt der herzzerreissende rede zum musikalischen London 1791 Schmerz des Largo das ganze Ausmass der eben be- Gefühl – die Geschichte gonnenen musikalischen Revolution. der Musik parallelisiert Indem sie den Bereich der Metapher zugunsten die Geschichte des Denkens in dem Umsturz, den die eines direkteren Zuganges zu den Geheimnissen des Französische Revolution markierte. Gefühls aufgibt, lebt die Empfindsamkeit weiter in der Als Eröffnungsstück des dem Markgrafen Ludwig Epoche des Sturm und Drang, die das aufgeregte, ge- von Brandenburg gewidmeten Zyklus repräsentiert das walttätige und unfassbare Wesen des Gefühls erforscht erste der Brandenburgischen Konzerte eine Musik, die – zum Nachteil einer rationalen Fassung der Sinnes­ gleichermassen der musikalischen Umgangssprache eindrücke. wie nationalen Eigenheiten verpflichtet ist. Während Wenn auch eine stilistische Grenze schwer zu zie- die drei kontrastierenden ersten Sätze ihre Motivik hen ist, so beweist doch die Sinfonie Es-Dur von 1757 eher aus rhetorischen Quellen schöpfen, so zeigt der nachdrücklich den Primat des Gefühls über den Ver- letzte Satz unmissverständlich die französische Fär- stand. Die Attitüde des Musikers bezeugt hier eine

32 33 innerliche und damit allgemeinmenschliche Vision, die jenseits aller nationalen Eigenheiten angesiedelt ist: ein Schritt hin zu einem aufgeklärten Europa, das seine symbolischen Systeme abstreift zugunsten der Rechte des Individuums. Geschrieben 1773, entstand Haydns Sinfonie Nr. 64 mit dem Untertitel «Tempora mutantur» an einem Wendepunkt seines Schaffens, an dem er mehr und mehr die Errungenschaften des Sturm und Drang hinter sich lässt zugunsten von etwas, das der Zuhörer wohl als absolute Musik bezeichnen könnte: eine Musik, die Zum Ensemble sich auf ihre eigentliche Expressivität besinnt, und in der vom gesprochenen Wort, sonst Garant der Verbin- Seit seiner Gründung 1999 hat sich Café Zimmermann dung zwischen Sinn und Welt, nicht viel mehr bleibt in der vordersten Reihe der Barockensembles Frank- als das dialektische Prinzip kontrastierender Themen. reichs und des übrigen Europa positioniert. Unter der Vom ersten Satz an stehen die reinen Klangeffekte Leitung des Geigers Pablo Valetti und der Cembalis- – dynamische Kontraste, Färbungen der musikalischen tin Céline Frisch vereint das Ensemble Solisten, die Textur – für nichts als sich selbst, und der Atem des sich zur Aufgabe gemacht haben, den musikalischen Largo scheint dem logischen Zeitablauf, in dem er ge- Wettstreit wiederzubeleben, den das Etablissement schieht, Hohn zu sprechen. In der Tat, die Zeiten haben Gottfried Zimmermanns im Leipzig des 18. Jahrhun- sich geändert, und die menschliche Seele wird eins mit derts bot. Café Zimmermann arbeitete zusammen mit der Schwingung der Welt. Künstlern wie Gustav Leonhardt, Sophie Karthäuser, Text: Luca Dupont, Student am Conservatoire de Paris Roberta Invernizzi, Dominique Visse oder dem Chor Coordination éditoriale: Johann Elart, Université de Rouen Les Eléments et Accentus. Übersetzung: Jörg Fiedler Seit 2011 residiert Café Zimmermann im Grand Théâtre de Provence. Das Ensemble spielt in den re- nommiertesten Konzertsälen und bei den wichtigsten «… Freiheit, Weitergehn ist in der Kunstwelt, Festivals, wie Cité de la Musique Paris, Festival Inns- wie in der ganzen grossen Schöpfung, Zweck…» bruck, Bachfest Leipzig, Library of Congress in Wa- Ludwig van Beethoven in einem Brief an Erzherzog Rudolf shington, Théâtre des Champs-Elysées. Sein Bestreben vom 29. Juli 1819 ist dabei, die Musik des 18. Jahrhunderts einem grösse-

34 35 ren Publikum näherzubringen. Café Zimmermann un- deutschen Musik des 17. Jahrhunderts. Gleichermassen ternimmt regelmässig grössere internationale Tourneen erkundet sie mit Begeisterung die Musik des 20. Jahr- in die USA, nach Japan, China oder Südamerika. hunderts und das zeitgenössische Musikschaffen. Das Ensemble Café Zimmermann wird unterstützt Ihre Einspielungen erhielten hohe Auszeichnungen, vom Ministère de la Culture et de la Communication – darunter den Diapason d’or, den Choc de Classica und Direction régionale des affaires culturelles de Provence- den Grand Prix de l’Académie Charles Cros. Alpes-Côte d’Azur, von der Communauté du Pays d’Aix und der Région Provence-Alpes-Côte d’Azur. Es Pablo Valetti, Violine und künstlerische Leitung ist Mitglied von FEVIS und PROFEDIM. Ausgebildet an der Schola Cantorum Basiliensis, kon- Seit 2012 ist Mécénat Musical Société Générale zertierte er regelmässig als Solist oder Konzertmeister Hauptsponsor von Café Zimmermann. mit den wichtigsten Ensembles und Barockorchestern der internationalen Sze- Céline Frisch, Cembalo und künstlerische Leitung ne wie Les Arts Floris- In Marseille geboren, studierte Céline Frisch Cemba- sants, Le Concert des lo am Conservatoire d’Aix-en-Provence, was ihr in Nations, Concerto Köln, der Folge die Tore der Hespèrion XX etc., be- prestigeträchtigen Scho- vor er 1999 das Ensem- la Cantorum Basiliensis ble Café Zimmermann öffnete. gründete. Sie war Lauréate Seine CD-Einspielung des Juventus-Festivals der Sonaten für Violine (1969), erste Cemba- und obligates Cembalo listin, die ausgewählt (zusammen mit Céline wurde für die Victoires Frisch) erhielt den Choc du Monde de la Musique so- de la Musique Clas- wie den Coup de Cœur des Magazins ResMusica. sique (2002), und wurde Abgesehen von seinen solistischen Aktivitäten ist er zum Chevalier des Arts regelmässig eingeladen als Dirigent des Orquesta Bar- et Lettres (2009). Ihre Bach-Interpretationen erhielten roca von Sevilla. Er unterrichtet an der Escola Superior begeisterte Besprechungen in der internationalen Fach- de Música de Catalunya in Barcelona und am Conser- presse. Abgesehen von diesem Repertoire befasst sie vatoire de Nice. sich intensiv mit der französischen Musik aus der Zeit Pablo Valetti spielt eine Violine von Giovanni Battis- von Louis XIV, den englischen Virginalisten und der ta Guadagnini von 1758.

36 37 Peter Rummenhöller kein Altern. Die Mannheimer Johann Stamitz mit seinen Söhnen, Franz Xaver Richter, Christian Cannabich u.a. ver- «Aus der Seele muss man spielen ...» wandeln die bunten generalbassgestützten Barockensembles Vom Barock zur Klassik in der Musik (siehe Bachs Brandenburgische Konzerte) in das moderne Symphonieorchester, das durch gemeinsames Crescendo und ein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Catarakt, Decrescendo, die «Mannheimer Rakete» bzw. «Walze», das sein Diminuendo – ein in die Ferne hin plätschern- Publikum verblüfft und enthusiasmiert. Mozart ist davon so Sder Krystallfluß, sein Piano ein Frühlingshauch.» So fasziniert, dass sein Vater ihn vor dem «vermanirirten mann- schwärmerisch beschreibt Christian Friedrich Daniel Schu- heimer gout» warnen muss. bart seinen Eindruck vom Spiel des berühmten Mannheimer Einer der grossen Theoretiker und Praktiker des neuen Hoforchesters, und Carl Philipp Emanuel Bach, in seinem Zeitalters, man würde ihn heute wohl einen «Chefideologen» «Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen», befin- nennen, war der zweite Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel det: «Aus der Seele muß man spielen, und nicht wie ein ab- (1714–1788). Der berühmte Komponist und Klavierspieler gerichteter Vogel» – und: «Wie denn ein Musicus nicht anders (Klopstock zum Tode Emanuels: «Der tiefsinnige Harmonist / rühren kann, er sey denn selbst gerührt ...» Vereinte die Neuheit mit der Schönheit») war Vorbild für die, Das sind ganz neue Töne, Fanale eines Aufbruchs in eine die wir heute die Wiener Klassiker nennen. Haydn sagte von neue Zeit. Musik als Ausdruck der Seele, der Rührung des Philipp Emanuel, er sei sein einziger Lehrer gewesen, obwohl Gemüts und Gefühls, der Klang des Orchesters als Natu- er ihm nie persönlich begegnet ist, Mozarts unverbürgter Aus- rereignis: Es kündigt sich eine ästhetische Revolution an, spruch «Er ist der Vater, wir sind die Buben. Wer was Rechtes wir treten ins Zeitalter des SturmundDrang und der Emp- gelernt hat, hat es von ihm gelernt» zeugt von dem allgemei- findsamkeit ein, eine grandiose Epoche der Musik bricht an nen Respekt, auch Beethoven unterrichtete seinen Schüler (für die wir heute leider nur die etwas schwächlichen Begriffe Carl Czerny, wie dieser in seiner Autobiographie glaubhaft Vor- oder Frühklassik haben) und mit ihr die Zeit der «Ori- macht, nach Emanuels Lehrbuch, und auch 1812 verlangt ginalgenies», der Neuerungen und des Fortschrittglaubens in Beethoven von seinem Verleger alle Werke von Emanuel («Sie der Musik. vermodern Ihnen ja doch!»). Der englische Musikreisende Charles Burney, 1770 beim Aber über der überragenden Gestalt Emanuel Bach sei der Flöten spielenden Friedrich dem Grossen in Potsdam zu Gast, Jüngste aus der Bach-Familie, Johann Christian, der «Londo- urteilte über die Kompositionen von Johann Joachim Quantz, ner» Bach, nicht vergessen. Der eleganteste jener «Sendboten dem Flötenlehrer des Königs, dass sie «nach gerade alt und der alten Zeit an die neue» war von so grossem Einfluss auf gemein werden», und vergleicht sie mit «Weinen, die mit der den jungen Mozart, dass dessen Klaviersonaten noch lange Zeit schaal und flach werden, man mag sie so gut verwah- wie Christian Bach klingen sollen (und nicht umgekehrt!). ren, wie man will». Die neue Zeit, die «Geniezeit», duldet Der gegenüber seinen Kollegen so kritische Mozart hat dem

38 39 jüngsten Bach-Sohn immer ein ehrendes Andenken bewahrt. In den Zentren Europas reagierte man unterschiedlich auf Johann Christian war es auch, der mit dem Gambisten Carl die neue Zeit. Friedrich Abel die ersten Abonnementskonzerte im heutigen Während in Paris vor allem der ideologische Streit um die Sinne in London (am Square) einrichtete, in denen er Vorherrschaft des Nationalfranzösischen gegen das weltläu- sich übrigens zum ersten Mal auf einem Hammerflügel hören fig Italienische tobte (der «Buffonisten-Streit» und der Streit liess. zwischen den «Gluckisten» und den «Piccinisten»), hielt Fried- Das bringt uns auf die Instrumentenfrage der Zeit, die rich der Grosse; in Berlin und Potsdam konservativ am Ideal auch in dieser Hinsicht eine Zeit der Neuerungen und des seiner Jugend, dem sein Hofkomponist Carl Heinrich Graun Umbruchs war. Zwar beherrschte bei den Tasteninstrumenten genau entsprechen musste, fest. In Wien bereiteten zugleich das feudale Cembalo (der Flügel, le clavecin, the harpsichord) Haydn und Mozart den Stil vor, den wir heute die Wiener die Szene, übrigens länger, als man heute für gewöhnlich Klassik nennen. liest, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Aber das Hammer- Erst als Beethoven 1803 befand: «Ich bin nur wenig zufrie- klavier (in Flügelform und als Tafelklavier) tritt nun seinen den mit meinen bisherigen Arbeiten. Von heute an will ich ei- Siegeszug an. Mozart lässt sich 1782 vom Wiener Klavier- nen neuen Weg einschlagen», ging die Epoche des Umbruchs bauer Anton Walter einen Hammerflügel bauen, an dem er und des Aufruhrs in die historische Phase über, die Beethoven bis an sein Lebensende als Virtuose auftritt. Daneben erlebt mit seinem «neuen Weg» einleitete und für das grosse 19. das Clavichord, von jeher das Instrument, an dem unterrichtet Jahrhundert verpflichtend machte. Erst jetzt hatte die soge- und komponiert wurde, das dem Organisten als Übungsin- nannte Vorklassik ihre historische Schuldigkeit getan. Ihr sei strument (mit Pedal!) diente und die Musiker auf Reisen be- noch heute Dank dafür! gleitete, eine letzte Blüte. Sein einfacher Mechanismus, der die Beeinflussung des Tones nach dem Anschlag zulässt («Be- bung»), machte das «Clavier» (so wurde das meist genannt) zum idealen Instrument der Empfindsamkeit. (Man lese die einschlägigen Stellen in Goethes «Werther» nach, dem Ma- nifest der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang: Lotte am Clavier!) Aber nicht nur die Tasteninstrumente, auch für zwei Bl- asinstrumente begann eine neue Karriere: Die Mannheimer führten die Klarinette ins Orchester ein, ab da unverzicht- barer Klang im Bläsersatz des Symphonieorchesters, und die Hörner gaben von nun an dem Orchesterklang die üppige Fülle.

40 41 2 Programm Johann Wenzel Anton Stamitz (1717–1757) Samstag, 22. August 2015 Trio à Violino Primo, Secondo et Basso A-Dur 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Allegro assai – Andante, poco adagio – Menuetto / Trio – Prestissimo Aus Lucas Sarasins Musiksammlung – Mannheimer und Mailänder Triosonaten Giovanni Battista Sammartini (1700/1701–1775) als Wegbereiter der Klassik Sonata à Trè A-Dur Werke von J. und C. Stamitz, A. Filtz, G. B. Sammartini, Larghetto – Minuetto allegrissimo / Trio G. Pugnani, G. Conti, J. Chr. Bach Carl Philipp Stamitz (1745–1801) Ensemble Der musikalische Garten Sonata à Trè G-Dur Allegro – Andante – Menuetto / Trio primo / Trio secondo German Echeverri Chamorro – Violine (vgl. Abbildungen S. 61/62) Karoline Echeverri Klemm – Violine Annekatrin Beller – Violoncello Giacomo Conti (1754–1805) Daniela Niedhammer – Cembalo und Fortepiano Trio g-moll Adagio – Allegro Eintritt frei, Kollekte Gaetano Pugnani (1731–1798) Sonata à Trè Es-Dur Adagio – Allegro – Grazioso

Johann Christian Bach (1735–1782) Sonata Notturna à Trè D-Dur Allegro assai – Minué, allegrino grazioso

Anton Fils (1733–1760) Trio à Violino Primo, Secondo et Basso D-Dur Allegro moderato – Andante molto – Menuetto / Trio – Presto

42 43 Zur Sammlung Lucas Sarasin Werk seiner Musikbibliothek gehörte dieser Gattung an und so lässt uns ein Querschnitt durch dieses Reper- Lucas Sarasin (1730–1802), Sohn des Basler Seiden- toire einen besonders zuverlässigen Eindruck von der bandfabrikanten Hans Franz Sarasin (1695–1746), wur- Klangwelt im Basler Patrizierhaus erhaschen. de nach einer Lehre zum Seidenbandfärber Teilhaber Sarasin schaffte sich Kompositionen aus sämtlichen der väterlichen Fabrik und übernahm diese wenig spä- seinerzeit tonangebenden Musikzentren Europas an. ter zusammen mit seinem Bruder Jakob (1742–1802). Ab den 1740er-Jahren bildete sich am kurpfälzischen Die zu Reichtum gelangten Kaufleute liessen sich in Hof in Mannheim ein illustrer Musikerkreis, dessen den 1760er-Jahren das Blaue und das Weisse Haus am geistiges Haupt der aus Böhmen stammende Johann Rheinsprung bauen. Beide Patrizierhäuser gehören heu- Stamitz (1717–1757) war. Von Johann Stamitz, aber te zu den prächtigsten Barockbauten Basels. Während auch von seinem ältesten Sohn Carl Philipp (1745– in dem von Jakob Sarasin bewohnten Weissen Haus li- 1801) und dem aus Oberbayern stammenden Anton terarische Kreise verkehrten und Jakob 1777 mit Isaak Filtz (1733–1760), der mit 21 Jahren der Mannheimer Iselin die Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Hofkapelle beitrat, besass Sarasin zahlreiche Triosona- Basel gründete, begeisterte sich Lucas vor allem für die ten. Dem früh verstorbenen Filtz wäre gemäss Christi- Musik. Im rechten Trakt seines Blauen Hauses liess er an Friedrich Daniel Schubart (1739–1791) eine grosse einen grossen Musiksaal mitsamt einer Orgel einrich- Karriere beschieden gewesen, denn er bezeichnete ihn ten. Lucas, der selber Geige und Kontrabass gespielt als «den besten Symphonienschreiber, der jemals gelebt haben soll, traf sich hier regelmässig mit wohlsituierten hat». Die Triosonaten von Johann Stamitz und Anton Stadtbürgern und Berufsmusikern zum gemeinsamen Filtz zeichnen sich durch die viersätzige Folge Schnell Musizieren. – Langsam – Menuett mit Trio – Schnell aus, wodurch Bereits in jungen Jahren begann Sarasin eine Samm- die Orientierung an der Mannheimer Symphonie be- lung von Musikalien anzulegen. Über seine anwach- sonders deutlich wird. sende Musiksammlung wurde fein säuberlich Buch Neben Musik, die am kurpfälzischen Hof entstan- geführt, wobei das Bestandsverzeichnis glücklicher- den war, erklangen im Blauen Haus auch Werke an- weise bis heute erhalten geblieben ist. Aufgrund dieser derer Provenienz, vornehmlich von norditalienischen Aufzeichnungen sind wir detailliert über die damals im Komponisten. Mailand spielte im Stilumbruch der Ins- Blauen Haus verfügbaren Kompositionen unterrichtet trumentalmusik im 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle. und können auch gesicherte Schlüsse über das musi- Daher überrascht es nicht, dass Vertonungen von Gio- kalische Geschehen im Basler Patrizierhaus ziehen. vanni Battista Sammartini (1700/1701–1775), in des- Triosonaten in der Besetzung für zwei Violinen und sen Mailänder Umkreis um 1730 die Konzertsinfonie Bass besass Lucas Sarasin besonders viele; jedes sechste entstanden war, in Sarasins Sammlung vorliegen. Von

44 45 Johann Christian Bach (1735–1782), dem jüngsten Sohn Zum Ensemble Johann Sebastian Bachs, sind in Basel ausschliesslich Kompositionen aus dessen ab den späten 1750er-Jah- ren beginnender Mailänder Schaffensphase vorhanden. Gaetano Pugnani (1731–1798) wurde in Turin geboren und starb ebendort. Längere Konzertreisen führten ihn durch Deutschland, nach Paris, London sowie nach Bern und Genf. Der in Mailand geborene Giacomo Conti (1754–1805) konzertierte nachweislich 1786 in Zürich, bevor er seine Karriere in Wien fortsetzte. Die Manuskripte der Sammlung Sarasin sind un- terschiedlicher Provenienz. Etliche bezog der Basler Kaufmann wohl direkt aus Mailand, andere wieder- um scheinen in Basel abgeschrieben worden zu sein. Letztlich umfasst seine Musikbibliothek Werke, die praktisch alle musikalischen Strömungen der Zeit re- flektieren, die zur Epoche der Klassik führten. Christoph Riedo

Einen «feinen Garten» voll «natürlicher und frischer Spielhaltung» (Bayerischer Rundfunk) legt das Ensemb- le Der musikalische Garten für den Zuhörer mit seiner Musik an. Und ähnlich wie es in einem Garten unter- schiedliche Pfade und ungewöhnliche Blumen zu ent- decken gibt, erschliessen auch die vier Musiker des En- sembles immer wieder neue musikalische Wege. Einer dieser Wege führte Karoline Echeverri Klemm, German Echeverri Chamorro, Annekatrin Beller und Daniela Niedhammer zu der Musikaliensammlung des Basler Kaufmannes Lucas Sarasin. 2014 erschien die erste gemeinsame CD mit dem Titel «à 2 Violin. Verstimbt» und stellte mit der reizvol-

46 47 len und ungewöhnlichen Klangwelt der Skordatur das Christian Friedrich Daniel Schubart Kernrepertoire des Ensembles vor. Mit seiner zweiten CD-Produktion zu Sarasins Musiksammlung nutzt Der Die Pfalzbayerische Schule musikalische Garten diesmal einen Heimvorteil. Alle vier Musiker studierten zusammen an der Schola Can- ieser Churfürst [Carl Theodor von der Pfalz] spiel- torum Basiliensis historische Aufführungspraxis, somit te die Flöte und war ein enthusiastischer Verehrer war der Weg zu der Sammlung Sarasins nicht weit. Dder Tonkunst. Er zog nicht nur die ersten Virtuosen Fünfmal war das Ensemble im Jahr 2013 Preisträger der Welt an seinen Hof, errichtete musikalische Schulen, liess bei internationalen Wettbewerben. Es gewann jeweils Landeskinder von Genie reisen, sondern verschrieb auch noch den ersten Preis beim Internationalen H. I. F. Biber mit vielen Kosten die trefflichen Stücke aller Art aus ganz Wettbewerb (St. Florian, AT), beim 1. Internationalen Europa und liess sie durch seine Tonmeister aufführen. Da- Berliner Bach-Wettbewerb (DE), beim 6. Internationa- durch unterschied sich gar bald die Mannheimer Schule von len Wettbewerb um den Gebrüder-Graun-Preis (Bad allen andern: In Neapel, Berlin, Wien, Dresden war der Ge- Liebenwerda, DE) und den Förderpreis Alte Musik schmack bisher immer einseitig geblieben. So wie ein gross- 2013 des Saarländischen Rundfunks (DE). Daneben er Meister den Ton angab, so hallte er fort – bis wieder ein wurde Der musikalische Garten beim York Early Music anderer auftrat, der Geisteskraft genug besass, den vorigen International Young Artists Competition (UK) mit dem zu verdrängen. Wenn sich Neapel durch Pracht, Berlin durch First EUBO Development Trust Prize für das vielver- kritische Genauigkeit, Dresden durch Grazie, Wien durch sprechendste Ensemble ausgezeichnet. das Komischtragische auszeichneten, so erregte Mannheim www.dermusikalischegarten.com die Bewunderung der Welt durch Mannigfaltigkeit. Das The- ater des Churfürsten und sein Concertsaal waren gleichsam ein Odeum, wo man die Meisterwerke aller Künstler charak- terisirte. [...] Jomelli, Hasse, Graun, Traetta, Georg Benda, Sales, Agricola, der «Londoner» Bach, Gluck, Schweizer – wechselten da Jahr aus Jahr ein mit den Componisten seiner eignen Meister ab, so dass es keinen Ort in der Welt gab, wo man seinen musikalischen Geschmack in einer Schnelle so sicher bilden konnte, als Mannheim. Wenn der Churfürst in Schwetzingen war, und ihm sein vortreffliches Orchester dahin folgte; so glaubte man in eine Zauberinsel versetzt zu seyn, wo alles klang und sang. Aus dem Badehause seines Hesperiden-Gartens ertönte Abends die wollüstigste Musik;

48 49 ja aus allen Winkeln und Hütten des kleinen Dorfs hörte man Christoph Riedo die magischen Töne seiner Virtuosen. Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Der Musikliebhaber Lucas Sarasin und das Mannheimer zuvorgetan. Sein Forte ist ein Donner sein Cre- Musizieren im protestantischen Basel scendo ein Katarakt, sein Diminuendo – ein in die Ferne hin plätschernder Kristallfluss, sein Piano ein Frühlingshauch. as musikalische Leben in der Alten Eidgenossen- Die blasenden Instrumente sind alle so angebracht, wie sie schaft war stark von den konfessionellen Gegeben- angebracht sein sollen: Sie heben und tragen oder füllen und Dheiten geprägt. Während in den grösseren katholi- beseelen den Sturm der Geigen. schen Kirchen der Gottesdienst mit einer Sängergruppe und Auch in der Singkunst hat sich diese Schule rühmlichst einem kleinen Instrumentalensemble musikalisch ausgestaltet ausgezeichnet, obgleich das Chor der Sänger und Sängerin- wurde, sah die Situation in den protestantischen Gebieten der nen hier nie so glänzend war als in Berlin und Wien. Deut- Schweiz anders aus. Da im reformierten Gottesdienst dem sche und welsche Sänger haben sich in dieser grossen Schule Gesang zunächst keine liturgi- gebildet – und sind hernach der Stolz anderer Musikchöre sche Bedeutung zukam, entfal- geworden [...] Alle Arten der Tonkunst werden daselbst mit tete sich die Musik in den refor- äusserster Genauigkeit kultiviert. Die Kirchenstücke sind tief mierten Kantonen ausserhalb und gründlich gesetzt; der Opernstil ist reich und mannigfal- der Kirche. Um das Singen von tig; die Pantomime des Tänzers wird durch die passendste Psalmen und Andachtsliedern Melodie belebt; die Kammermusik hat Feuer, Grösse, Stärke, dennoch zu pflegen und zu för- Abwechslung von vielen der besten Virtuosen; auch Abwechs- dern, wurden in den protestan- lung des musikalischen Stils – und in der Sinfonie strömt alles tischen Gebieten sogenannte in ein unaussprechlich schönes Ganzes zusammen.» Collegia musica gegründet. Aus: Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Diese Musikgesellschaften Lucas Sarasin, Medaillon des Ästhetik der Tonkunst, Reclam-Verlag, Leipzig 1977, entstanden seit dem frühen 17. 18. Jahrhunderts, Staatsarchiv Basel S. 121–123 Jahrhundert in fast allen refor- mierten Städten der Deutschschweiz. In Basel wurde 1692 ein Collegium musicum ins Leben gerufen. Die Statuten berichten, dass keinesfalls alle Bewerber aufgenommen werden sollten, sondern nur diejenigen, die den hohen musikalischen Anforde- rungen genügten. Um musikalischen Nachwuchs heranzuzie- hen, sollten gemäss den Satzungen aus den unteren Klassen des Gymnasiums die Fähigsten ausgesucht und täglich eine

50 51 Stunde in der Instrumental- und Vokalmusik unterrichtet wer- In den 1760er-Jahren errichteten die zu Reichtum gelang- den. In den Augen der Musikgesellschaft hätte also ein vor- ten Kaufleute am Rheinsprung zwei prächtige, von Samuel bildlicher Anwärter bereits im Gymnasium täglich eine Stunde Werenfels gebaute Patrizierhäuser. Im rechten Flügel seines Musikunterricht genossen. Blauen Hauses liess Lucas Sarasin einen Musiksaal mitsamt Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahmen das Psalmsingen Orgel einrichten. Hier sollen auch zahlreiche andere Instru- und das Singen religiöser Lieder einen immer geringeren Platz mente zur Verfügung gestanden haben. Dies zumindest be- in den Collegia musica ein. Gleichzeitig stieg die Bedeutung richtet eine anonyme französische Quelle: «J’y vis une salle der Instrumentalmusik. Zudem traten die Musikgesellschaf- consacrée à faire de la musique; tous les instruments néces- ten nun vermehrt auch in der Öffentlichkeit auf, wobei sich saires à un grand orchestre y sont déposés et appartiennent au die Basler Collegianten zunächst schwer damit taten. Die propriétaire.» Ausserdem stand im Gang seines Anwesens ein Mitglieder des Basler Collegiums forderten nämlich, dass die hohes Barometer, und im anderen Flügel waren ein Laborato- Musikerbühne «möchte mit einer Wand oder Umbhang zu- rium für physikalische und optische Versuche sowie ein Ma- geschloßen werden». Ein Vorhang sollte demnach den nicht rionettentheater und eine Geisterbühne mit Phantasmagorien immer versierten Dilettanten die Anonymität gewähren und untergebracht. Ob der Musikliebhaber Lucas Sarasin schon sie vor den Blicken kritischer Zuhörer bewahren. Ein solcher während seiner Schulzeit täglich in den Genuss eines einstün- Behang verhüllte übrigens seinerzeit auch die Musiker des digen Musikunterrichts kam, so wie es das Basler Collegium Berner Collegiums. Weil die Berner in einer Kirche auftraten und Frauen das Singen im Gotteshaus verboten war, gelang es dank des Vorhangs hier auch den singenden Patrizierinnen, in der Öffentlichkeit aufzutreten und dabei unerkannt zu bleiben. Wie in der ganzen Deutschschweiz rekrutierten sich auch in Basel die Mitglieder der Collegia musica aus dem städti- schen Bürgertum sowie aus der Studentenschaft. Als 19-Jäh- riger war auch der Basler Lucas Sarasin (1730–1802) dem Collegium musicum beigetreten. Der Sprössling einer lothrin- gischen Hugenottenfamilie, der bevorzugt einen scharlachro- ten Rock mit schwarzer Weste, schwarzen Hosen und Strümpfen aus Seide trug, absolvierte 1745–1748 eine Lehre als Seidenfärber in Zürich. Zurück in seiner Heimatstadt, wurde er 1751 Teilhaber der väterlichen Seidenbandfabrik und übernahm diese drei Jahre später zusammen mit seinem jüngeren Bruder Jakob (1742–1802). Eine Seite aus dem Katalog der Sammlung Sarasin, Universitätsbibliothek Basel

52 53 Jahrzehnte zuvor anempfohlen hatte, ist denkbar, aber nicht belegt. Zumindest wird Sarasin in den Quellen abwechselnd als Geiger oder Kontrabassist bezeichnet. Es ist durchaus möglich, dass der Musikliebhaber sogar beide Streichinstru- mente beherrschte. Lucas Sarasin leistete sich nun einen Luxus, der seines- gleichen suchte in der Alten Eidgenossenschaft. Mit Jacob Christoph Kachel (1728–1795) hielt der Kaufmann einen Hauskapellmeister und Hauskomponisten, der seinen Gön- ner auf der Geige zu unterhalten hatte und ihn zu freudigen sowie traurigen Familienereignissen mit Gelegenheitskom- positionen versorgen sollte. So komponierte Kachel im Jahre 1791 die Ode «Woh flieh ich hin» auf den Tod der Gattin seines Bruders Jakob. Überhaupt wusste Sarasin mit Kachel, der zeitweise auch das Collegium musicum leitete, den seiner- Blaues Haus, Zeichnung Samuel Werenfels, 1762. zeit anerkanntesten Berufsmusiker Basels in seinen Diensten. Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt PLA W 2/64,13 Jacob Christoph Kachel war in Basel geboren. Sein Vater auch eine beachtliche Musikbibliothek vorweisen. Glückli- Jsaak Jacob jedoch, ein Organist und Orgelbauer, stammte cherweise ist bis heute ein Bestandsverzeichnis erhalten ge- aus Sachsen-Gotha und heiratete in Basel eine Stähelin. Das blieben, das die in Sarasins Besitz befindlichen Musikalien geigerische Talent des jungen Jacob fiel bereits früh auf. Kein aufführt und diese nach Gattungen ordnet. Aufgrund dieses Geringerer als der junge Prinz Wilhelm Ludwig von Baden- thematischen Katalogs sind wir detailliert über die damals Durlach (1732–1788) nahm ihn 1743 auf eine Italienreise verfügbaren Kompositionen unterrichtet und können auch gesi- mit. Der 15-jährige Kachel kam dabei bis nach Neapel, und cherte Schlüsse über das musikalische Geschehen im Blauen während des Österreichischen Erbfolgekriegs verbrachte er Haus ziehen. Unter der Leitung Kachels und mit seiner musi- sogar eineinhalb Jahre in einem Regiment auf Sardinien. Der kalischen Beteiligung sind vor allem Violinsonaten, Trios, Zufall wollte es, dass der bedeutendste Schweizer Komponist Quartette, Quintette, Violinkonzerte und Sinfonien erklungen. des 18. Jahrhunderts, der Luzerner Franz Joseph Leonti Mey- Die Vokalmusik hingegen nimmt im thematischen Katalog eine er von Schauensee (1720–1789), zur gleichen Zeit Offizier in marginale Stellung ein. Lediglich sporadisch dürften auch Ari- einem Luzerner Regiment in Sardinien-Piemont war. Daher en, Duette und Terzette aufgeführt worden sein. Nur sehr we- ist es sogar wahrscheinlich, dass sich die beiden Eidgenossen nige der im Katalog aufgeführten Komponisten waren vor in Italien begegnet sind. 1700 geboren. Instrumentalwerke von Locatelli, Mascitti, Se- Nebst einer Instrumentensammlung konnte Lucas Sarasin naillé und Boccherini befanden sich ebenso in Sarasins Musik-

54 55 bibliothek wie solche von Holzbauer, Vanhal, Haydn und Mo- besondere Vorliebe für die Musik hatte. Sein prunkvolles zart. Dabei treffen wir zumeist die gleichen Komponisten an Spätbarockhaus mit dem Musiksaal und der umfangreichen wie sie auch aus den privaten Aufzeichnungen von Jeremias Instrumentensammlung bekunden aber, dass der langjährige Wildt-Socin (1705–1790), einem anderen Basler Seidenband- Direktor der Basler Kaufmannschaft seinen Reichtum und sei- fabrikanten, Collegianten und Musikliebhaber, hervorgehen. nen sozialen Status sehr gerne zur Schau trug. Die erlesene Allerdings erweist sich die Musiksammlung Sarasins als noch und umfassende Musikbibliothek mit über 1200 Werken un- etwas umfangreicher und umfasst zusätzlich auch im französi- terstreicht seine ehrgeizigen Ambitionen. Im 18. Jahrhundert schen Kulturkreis entstandene Vertonungen. wird Sarasin womöglich der einzige Eidgenosse gewesen sein, Doch nicht alleine der fein säuberlich geführte Katalog be- der sich einen Hausmusiker leistete – und mit dem Geiger Ka- richtet vom Musizieren im Blauen Haus. Von den insgesamt chel hielt er sogar einen Musiker, der früher zur markgräflichen 1241 aufgelisteten Kompositionen sind nämlich bis heute sogar Entourage gehörte. deren 473 Musikalien erhalten geblieben. Diese Handschriften Als, nach Sarasins Tod, im Jahre 1814 nachweislich Kaiser offenbaren weitere Aspekte von Sarasins Sammelleidenschaft: Franz I. im Blauen Haus musizierte, war nun für einen kurzen So fällt auf, dass die Mailänder Komponisten besonders pro- Augenblick auch tatsächlich adeliger Geist am Rheinsprung minent vertreten sind (G. B. Sammartini, J. Chr. Bach, F. eingekehrt. Galimberti, M. Chiesa, G. Piazza, C. Monza, P. Valle usw.). Dabei frappiert, dass deren in Basel erhaltene Kompositionen meistens in der Handschrift von Mailänder Kopisten vorliegen. Lucas Sarasin befriedigte sein Verlangen nach Mailänder In- strumentalmusik offensichtlich, indem er diese Vertonungen direkt aus Norditalien bezog. Vielleicht hatte Jakob Sarasin, als er 1761 in Italien weilte, aus der Lombardei einige Musi- kalien für seinen Bruder mitgebracht. Noch wahrscheinlicher scheint jedoch, dass Sarasins Hausmusiker Kachel seit seinem Italienaufenthalt enge Beziehungen zur Mailänder Musikwelt unterhielt und sich über diese Kontakte für seinen Gönner mit den neuesten Kompositionen aus Norditalien versorgte. Gege- benenfalls kamen diese Verbindungen sogar über den Luzerner Meyer von Schauensee zustande, der in den 1740er-Jahren bei Ferdinando Galimberti in Mailand studiert hatte. Lucas Sarasin mag lediglich ein nicht adeliger, aber sehr wohlhabender Basler Kaufmann gewesen sein, der eine

56 57 Zu den Festtagen erscheint beim Label ARS Produktion eine CD mit dem Titel

Zu Gast im Blauen Haus – Triosonaten aus der Sammlung Sarasin, Basel Werke von J. und C. Stamitz, A. Filtz, G. B. Sammartini, G. Conti, V. Roeser und J. Chr. Bach Eine Koproduktion mit Radio SRF 2 Kultur

Ensemble Der musikalische Garten

German Echeverri Chamorro – Violine Karoline Echeverri Klemm – Violine Annekatrin Beller – Violoncello Daniela Niedhammer – Cembalo und Fortepiano

Diese CD zum Festival ist eine Hommage an Lucas Sa- rasin, den passionierten Musik-Liebhaber im Basel des 18. Jahrhunderts, den Sammler von Musikalien und In- strumenten, den Erbauer des Blauen Hauses am Rhein- sprung (heute Wirtschaftsdepartement des Kantons dass so viele Barockkomponisten Cembalisten und Basel-Stadt). Organisten waren, Stamitz aber Geiger und Filtz Cel- Mit den «Mannheimern» bzw. ihrem Gründer und list. Sowohl von Mannheim wie von Italien her weht Oberhaupt, dem böhmischen Geiger Johann Stamitz, der «neue Wind» in Richtung Klassik, wobei es interes- kommen eine neue Satztechnik und ein neuer «Ton- sant ist, zu beobachten, welche Elemente in diesen bei- fall» in die Musik – belebt, tänzerisch, «handelnd» in den musikalischen Regionen und Traditionen ähnlich den schnellen, singend, «rührend» in den langsamen und welche unterschiedlich sind. Das Programm lädt Sätzen – die Musik wird harmonisch und melodisch zum Vergleichen ein und macht den Weg «vom Barock klarer, eleganter als im Barock. Der Generalbass be- zur Klassik» zum Erlebnis. ginnt, an struktureller Bedeutung zu verlieren, die Die vier jungen Musiker/-innen des Ensembles Der Oberstimmen werden dominanter – kein Wunder, musikalische Garten haben während ihres Fortbil-

58 59 dungsstudiums an der Schola Cantorum Basiliensis zu- sammengefunden und nach ihrem Diplom durch viele Erfolge den Namen Basels in die Musikwelt getragen. Allein 2013 war das 2011 gegründete Ensemble fünfmal Preisträger bei internationalen Wettbewerben. Die CD hat die doppelte Aufgabe, einerseits Ohren und Herzen auf die Musik dieser Festtage vorzuberei- ten (bzw., umgekehrt, einen bleibenden «klingenden Rückblick» auf die Musik zwischen 1740 und 1780 zu gewähren, der diese Festtage gewidmet sind), anderer- seits dem jungen erfolgreichen Ensemble mit dieser Do- kumentation eine weitere «Visitenkarte» zu bieten auf seinem Weg ins Musikleben. Gerade dies ist ja das Ziel des Vereins zur Förderung Basler Absolventen auf dem Konzert des Collegium musicum, Tuschezeichnung von Emanuel Burckhardt, Gebiet der Alten Musik, der nach 2011 und 2013 zum Basel um 1792 (HMB Inv. 1999.127.); Foto P. Portner dritten Mal als Veranstalter der Festtage fungiert. Allen Besucherinnen und Besuchern der Festtage, schaftlichen Hobbymusiker im Blauen Haus am Rhein- allen Freunden der Alten Musik und allen Förderern sprung. Selbstverständlich steht bei den Exponaten der des talentierten musikalischen Nachwuchses sei des- Zusammenhang mit dem Programm der CD und des halb diese CD zum Vorzugspreis von CHF 25.– aufs Konzerts vom 22. August 2015 im Vordergrund. Auf Herzlichste empfohlen. diese Weise kann die erklingende Musik direkt mit www.dermusikalischegarten.com denjenigen Notenhandschriften verglichen werden, aus denen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Basel Hinweis musiziert worden ist. Das Historische Museum Basel hat im Untergeschoss Der Universitätsbibliothek und dem Historischen der Barfüsserkirche eine Ausstellungsvitrine eingerich- Museum Basel danken wir herzlich für die Zusammen- tet, deren Inhalt den Festtagen Alte Musik Basel 2015 arbeit! und ganz besonders der Sammlung Sarasin gewidmet ist. Zusammengestellt von Frau Marion Fahrenkämper, finden sich dort ausgewählte Originale der Sammlung aus der Universitätsbibliothek Basel und weitere Do- kumente zu Lucas Sarasin, dem Sammler und leiden-

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Samstag, 22. August 2015 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, Augustinergasse

Vortrag 1 Aus dem Basler Musikleben des späteren 18. Jahrhunderts

Prof. Dr. Martin Staehelin, Göttingen

Eintritt frei

Das Quellenmaterial zum Musikleben der Stadt Basel und ihrer Einwohner im 18. Jahrhundert bezeugt eine ganze Zahl von Orten, an denen Musik erklungen ist, und von Personen, welche diese Musik ausgeübt ha- ben. Die Voraussetzungen, unter denen dabei musi- ziert wurde, waren allerdings meist verschieden: So kann der Vortrag kein Gesamtbild nachzeichnen; er wird versuchen, anhand von einzelnen Beispielen aus der baslerischen Musizierpraxis der Zeit wesentliche Eindrücke zu vermitteln; auch einige klingende Proben sind vorgesehen.

Folgende Seiten: Carl Stamitz: Trio G-Dur aus der Sammlung Sarasin, 1. Satz mit drei verschiedenen Taktvorzeichnungen, Universitätsbibliothek Basel, Sammlung Sarasin

62 63 Martin Staehelin, gebürtiger Basler, studierte in Basel zunächst Alte Spra- chen, Geschichte, Schulmusik sowie Flöte. 1967 wurde er dann im Hauptfach Musikwissenschaft und den Ne- benfächern der Alten Sprachen promoviert. Nach seiner Zürcher Habilitation über den Kompo- nisten Heinrich Isaac wurde Staehelin zunächst Direk- tor des Beethoven-Archivs und des Beethoven-Hauses in Bonn, bevor er 1983 als Professor auf den musikwis- senschaftlichen Lehrstuhl der Universität Göttingen berufen wurde. Seit 1987 ist er Or- dentliches Mitglied der Philologisch-Histori- schen Klasse der Akade- mie der Wissenschaften zu Göttingen. Dort hielt er 2013 die Laudatio zur Verleihung der Lichten- berg-Medaille an Joshua Rifkin. 1993 wurde er zum ehrenamtlichen Di- rektor des Johann-Sebastian-Bach-Instituts Göttingen ernannt. Seit demselben Jahr ist er Mitglied der Acade- mia Europea London und seit 1998 Mitglied des Beirats der Stiftung Preussischer Kulturbesitz Berlin.

64 65 Thomas Drescher Protokollen des Basler Collegium musicum erstmals auf und wird bereits 1752 als Geiger in der höchsten Besoldungsklas- Jakob Christoph Kachel, eine markante se geführt. In vielen Konzerten trug er Soli auf der Violine Persönlichkeit im Basler Musikleben der zweiten vor, manche davon sicher aus der eigenen Feder. Daneben Hälfte des 18. Jahrhunderts hat er sich auch ausgiebig als Kopist des Orchesters betätigt und musste sogar die Singschüler bei ihrer Aufnahme exami- ohann Christoph Kachel ist ein Kind der Stadt Basel, nieren. In den Protokollen des Collegium musicum lässt sich wo er am 9. Dezember 1728 geboren wurde und am Kachels ständiger Kleinkrieg mit dem Direktorium um eine J24. März 1795 auch verstarb. Sein Wirken machte ihn bessere Bezahlung verfolgen, denn er fühlte sich offensicht- zum wohl einflussreichsten Musiker der Stadt in der zweiten lich nicht seinen Verdiensten und Talenten gemäss entlohnt. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Er war der Sohn des Organis- Dies liess er den Verein spüren, indem er beispielsweise zu ten und Orgelbauers Isaac Jacob Kachel aus Sachsen-Gotha, Konzerten einfach nicht erschienen ist und andere Musiker der sich 1735 in Basel niederliess, nachdem er durch seine an seiner Statt die Soli spielen liess. Natürlich waren seine Frau Margareth Stähelin schon verwandtschaftliche Bezie- Eigenheiten bei der Leitung des Collegium musicum nicht gern hungen in die Stadt besass. Jakob Christoph muss schon als gesehen, doch beugte man sich wohl der allgemeinen Beliebt- Kind musikalisches Ta- heit Kachels beim Basler Publikum. lent gezeigt haben, das Eine besondere Auszeichnung erfuhr er 1760 mit dem Auf- dem Prinzen Wilhelm von trag, für das 300-Jahr-Jubiläum der Universität die Festkan- Baden-Durlach bei einer tate von Professor J. J. Spreng in Musik zu setzen. Darüber Durchreise aufgefallen ist, hinaus steuerte er auch die übrigen Musiken zu dieser Feier sodass er den Knaben in bei und leitete die Aufführungen, für die ihm ein Orchester seine Dienste nahm. 1743 von etwa 60 Musikern zur Verfügung stand. Nicht zuletzt gelangte er auf diese Weise wegen dieses repräsentativen öffentlichen Auftritts wurde Ka- nach Italien und verbrachte chel schliesslich 1762 in die Basler Bürgerschaft aufgenom- eineinhalb Jahre in einem men. sardischen Regiment, das Ein wichtiges Betätigungsfeld fand er als Hauskapellmeis- dem Prinzen unterstand. ter und Komponist beim reichen Fabrikanten Lucas Sarasin, Während dieser Zeit soll Direktor des Postwesens, im Blauen Haus (Reichenstei­ner­hof) er auch Neapel besucht am Rheinsprung. Sarasin hielt sich als aktiver Musikliebha- haben, eine blühende Mu- ber – er selbst spielte Violine – eine eigene Kapelle mit vollem sikstadt. 1750 schliesslich Instrumentarium. Durch ein Inventar ist der reiche Notenbe- taucht Kachel dann in den Konzertmeister Kachel, Bild Privatbesitz stand für dieses Ensemble gut dokumentiert, doch hat sich nur

66 67 etwa ein Drittel davon in der Basler Universitätsbibliothek erhalten. Unter den Verlusten befinden sich leider auch die 4 Instrumentalkompositionen Kachels. Da das gleiche für die Bestände des Collegium musicum gilt, können wir uns heute Samstag, 22. August 2015 keinen Eindruck mehr von seinen Fähigkeiten machen. Das 20.15 Uhr, Martinskirche einzige schriftliche Zeugnis seiner Tätigkeiten ist ein ori- ginelles musikhistorisches Traktat von 1792 mit dem Titel Suiten und Concerti von G. Ph. Telemann, «Kurtzer historisch critischer Versuch über die Alte, Mittlere J. S. Bach, J. Fr. Fasch, J. D. Zelenka und Neue Music ...» (UB Basel, kr IV 387). Ein Aquarell von 1780 aus der Hand von Franz Feyerabend gibt ausser- Andreas Staier – Cembalo dem eine Vorstellung von seiner Erscheinung. Es zeigt einen Susanne Regel – Oboe grossen, hageren Mann mit Haarzopf im dunklen Gehrock, Freiburger Barockorchester auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Als Insignien sei- Petra Müllejans – Violine und Leitung nes Berufes trägt er unter dem linken Arm ein Konvolut von Papieren und hält in der rechten Hand eine ziemlich verzerrt Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert wiedergegebene Violine samt Bogen. Kachel scheint jedoch auch mit vielen anderen Instrumenten vertraut gewesen zu sein. So regte er 1771 beispielsweise an, eine Bläserschule für Programm das Collegium musicum einzurichten, in der die Schüler auf Waldhörnern, Trompeten, Oboen und Fagotten ausgebildet Georg Philipp Telemann (1681–1767) werden sollten, wobei er sich selbst als Lehrer anerbot. Der Ouverture B-Dur, TWV 55:B1 und Conclusion Plan wurde zwar nicht realisiert, wirft aber ein bezeichnendes B-Dur, TWV 50:10 Licht auf Kachels Vielseitigkeit, mit der er die musikalische aus «Musique de Table», III. Production Kultur Basels in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf für 2 Oboen, Streicher und Basso continuo vielen Ebenen anregte. Ouverture: Lentement – Bergerie – Allegresse, vite – Postillons – Flaterie – Badinage – Menuet – Furioso

Johann Sebastian Bach (1685–1750) Konzert f-moll, BWV 1056 für Cembalo solo, Streicher und Basso continuo [ohne Bezeichnung] – Largo – Presto

68 69 Johann Friedrich Fasch (1688–1758) Zum Programm Concerto d-moll, FWV L: d 4 für Violine und Oboe solo, Streicher und Basso continuo Dieses Programm soll – am Abend nach dem Eröff- Allegro – Largo – Allegro nungskonzert – den Weg «vom Barock zur Klassik», den das Festtagemotto verheisst, recht eigentlich be- ∑ ginnen; enden wird er mit Haydns «Schöpfung» im Schlusskonzert: Während dort der klassische Stil voll Jan Dismas Zelenka (1679–1745) in Blüte stehen wird, ist im heutigen Konzert der Aus- «Hipocondrie» à 7 Concertanti A-Dur, ZWV 187 gangspunkt des Weges geprägt von der Generation der für 2 Oboen, Fagott, Streicher und Basso continuo um 1680 Geborenen (1679 Zelenka, 1681 Telemann, [ohne Bezeichnung] – Allegro 1685 Bach, 1688 Fasch), d.h. der Musik des Hochbarock in den wichtigsten norddeutschen Musikzentren: Dres- Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) den (Zelenka), Hamburg (Telemann), Leipzig (Bach) Sonate Nr. 3, e-moll, Wq 49/3, H33, aus den und Zerbst (Fasch). «Württembergischen Sonaten» Zwei musikalische Gattungen stehen sich in dieser für Cembalo allein Zeit gegenüber, deren Namen bereits ihre Herkunft Allegro – Adagio – Vivace und ihren Charakter verraten (französisch der eine, italienisch der andere): die «Suite» und das «Concerto». Johann Sebastian Bach Zwischen den beiden Nationalstilen, denen diese Gen- Konzert A-Dur, BWV 1055 res angehören, pendelt die deutsche Musik des 18. Jahr- für Cembalo solo, Streicher und Basso continuo hunderts und findet erst recht spät zu sich selber. Allegro – Larghetto – Allegro ma non tanto Typisch für den jungen Autodidakten aus Magde- burg, Georg Philipp Telemann, war seine nimmersatte Neugierde auf Neues, Fremdes, Herausforderndes, das er sich im Sinne eines «learning by doing» bienenflei- ssig zu eigen machte. Mit Elan griff er französische, italienische, ja polnische Stileigentümlichkeiten auf und wollte den «Muttersprachlern» beweisen, dass er ihre musikalische Sprache mindestens genau so «ak- zentfrei» beherrschte wie sie selber. Dass ihm das auch gelungen ist, zeigt z.B. der ungeheure Erfolg, den er während seines Aufenthalts in Frankreich (1737/1738)

70 71 mit seinen Kompositionen hatte, unter ihnen die «Pa- heutigen Programms hingegen fehlt eine Vorlage. Man riser Quartette». Schon 1733 hatte er in Hamburg sei- hat als Urgestalt des f-moll-Konzerts BWV 1056 eine g- ne «Musique de Table, partagée en Trois Productions» moll-Fassung für Violine angenommen; und unter den (nomen est omen!) im Eigenverlag herausgebracht, de- modernen (Rück-)Bearbeitungen des A-Dur-Konzerts ren «Ouverture» B-Dur aus dem 3. Teil das Programm BWV 1055 ist auch eine mit Oboe d’amore als Soloin- eröffnet. Unter den 206 Subskribenten der Sammlung strument. Dass Johann Sebastian Bach einerseits von befanden sich Komponisten wie «Hendel», Blavet, He- der Musikwissenschaft häufig als «Schöpfer des Kla- benstreit, Quantz und Pisendel. Zwei Dinge mögen ihn vierkonzerts» bezeichnet wird, andererseits aber seine an der französischen Musik gereizt haben: 1. die Kunst Concerti durch Umarbeitung eigener (Violin-)Konzerte der Charakterisierung, die häufig auch Lautmalerei und schuf, ist ein gewisses Kuriosum. Programmmusik einschloss (es kommen in unserer Zwischen den Werken des Vaters einen Blick auf B-Dur-Suite Satzüberschriften wie «Bergerie», «Postil- das Neue im Stil des Sohnes (Carl Philipp Emanuel) zu lons» und «Flaterie» vor); 2. die Tänze, d.h. die Bewe- werfen, ermöglicht verblüffende Vergleiche: Obwohl gungstypen, den Abwechslungsreichtum der Tempi. es in Carl Philipps Autobiographie heisst, dass er nie Beides war in der durch Lully geschaffenen Gattung der einen anderen Lehrer gehabt hätte als seinen Vater, und Ouverturensuite bestens anzuwenden. obwohl die «Württembergischen Sonaten» des 30-Jäh- Auf der anderen Seite steht das italienische Concer- rigen noch zu Lebzeiten des Vaters, wohl 1742/1743, to, an dessen Stil die deutschen Komponisten vermut- komponiert worden sind (gedruckt 1744), liegen Wel- lich das Vitale, das dramatische Element, der Kontrast ten zwischen den künstlerischen Richtungen dieser zwischen Soloinstrument und «Ripieno» anzogen. Für zwei: Die Musik des Jüngeren ist gekennzeichnet durch diese Aspekte stand in der von Vivaldi geschaffenen einen diskontinuierlichen, zerklüfteten Verlauf, rasche Concerto-Form ein weites Experimentierfeld zur Ver- Affektwechsel und harmonische Überraschungen – fügung. Auch Bach war in diesem Genre überaus aktiv man versuchte, ihrem Wesen mit den Begriffen der und erfinderisch. Das Cembalokonzert mit Streicher- «Empfindsamkeit» und des «Sturm und Drang» gerecht begleitung war damals durchaus ein Novum, denn zu werden. Interessieren würde uns, was der Vater und vorher gab es an Soloinstrumenten die Trompete, die Lehrer im tiefsten Herzen von der neuen Richtung der Oboe und natürlich die Violine, aber nicht das Cem- jungen Generation gehalten hat … balo, dessen Funktion auf den Generalbass fixiert war. Jan Dismas Zelenka’s «Hipocondrie» (die Bedeu- Und so sind denn auch die sieben Cembalokonzerte tung des Titels bleibt im Dunkeln) scheint, gemäss BWV 1052–1058 durchwegs Bearbeitungen von prä- der Besetzungsangabe «à 7 Concertanti», auf den ers- existenten Versionen für ein anderes Soloinstrument, ten Blick eher auf die Concerto-Seite zu gehören, ist vor allem die Violine. Von den beiden Konzerten des in Wirklichkeit aber der aus langsamer Eröffnung und

72 73 nachfolgender Fuge bestehende «Ouverturen»-Teil ei- ner Suite, deren Tanzsätze allerdings fehlen – geschickt durchsetzt mit solistischen Passagen, harmonisch ori- ginell, im «Ton» unkonventionell, wie man es von die- sem böhmischen Komponisten in sächsischen Diens- ten kennt. Fasch dagegen, hoch geschätzt von seinen Kollegen, ist in diesem Programm mit einem typischen dreisätzigen Concerto im Vivaldi’schen Stil vertreten, allerdings für zwei Soloinstrumente, die auch meistens zusammen, quasi im Verbund, agieren – abgesehen von einem 16-taktigen Violinsolo im letzten Satz. Auch er hatte aber, gemäss seinen eigenen Lebenserinnerungen, Freiburger Barockorchester als Thomasschüler in Leipzig ab 1701 unter Johann Das Freiburger Barockorchester (FBO) blickt auf eine Kuhnau die französische Ouverture studiert und sich über fünfundzwanzigjährige musikalische Erfolgsge- als Muster die Werke Telemanns gewählt, «von dessen schichte zurück: Aus studentischen Anfängen im Jahr schönen Arbeiten damals meist alles erlernete». 1987 entstand innerhalb weniger Jahre ein internatio- Suite – Concerto, französisch-italienisch: Mit wie nal gefragter Klangkörper, der inzwischen regelmässig viel Erfindungsreichtum die «nördlichen» Komponisten in den bedeutendsten Konzert- und Opernhäusern gas- zwischen diesen beiden Positionen ihren eigenen Weg tiert. Neben der Vielfalt des Repertoires vom Frühba- bahnten, zeigt dieses Programm. rock bis in die Gegenwart wird vor allem die besondere P. R. Klangkultur des auf historischen Instrumenten spielen- den FBO gerühmt. Seit Mai 2012 verfügt das Orchester gemeinsam mit den Kollegen vom ensemble recherche über ein international einzigartiges Domizil: das En- semblehaus Freiburg, eine musikalische Werkstatt und Ideenschmiede für zwei Spitzenensembles der Alten und Neuen Musik unter einem Dach. Das FBO arbeitet mit bedeutenden Künstlern wie René Jacobs, Andreas Staier, Jean-Guihen Queyras, Isa- belle Faust, Kristian Bezuidenhout, Christian Gerhaher und Pablo Heras-Casado zusammen und ist in einer engen Kooperation mit dem französischen Label har-

74 75 monia mundi France verbunden. Der künstlerische Er- rockConsort, der Kammermusikformation des FBO, folg dieser musikalischen Partnerschaften äussert sich die sich auf solistisch besetzte Musik des 17. und frü- in zahlreichen CD-Produktionen und der Verleihung hen 18. Jahrhunderts spezialisiert hat. prominenter Auszeichnungen wie zuletzt dem ECHO Petra Müllejans’ Zugang zur Musik des Barocks und Klassik Deutscher Musikpreis 2014 und 2013, Edison der Klassik ist geprägt von der ständigen Suche nach Classical Music Award 2013, ECHO Klassik Deutscher einer erzählenden Mu- Musikpreis 2012, Gramophone Award 2012, Edison sizierweise, die sich Classical Music Award 2012, Gramophone Award für sie am besten in der 2011, ECHO Klassik Deutscher Musikpreis 2011 und von ihr geliebten Arbeit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik im Orchester, der Zu- 2009. sammenarbeit mit Hille Unter der künstlerischen Leitung seiner beiden Kon- Perl und Lee Santana zertmeister Gottfried von der Goltz und Petra Mülle- im Ensemble The age of jans sowie unter der Stabführung ausgewählter Diri- passions und mit ihrer genten präsentiert sich das FBO mit rund einhundert Klezmergruppe Hot and Auftritten pro Jahr in unterschiedlichen Besetzungen Cool realisieren lässt. vom Kammer- bis zum Opernorchester: ein selbst- Im Laufe ihres musikali- verwaltetes Ensemble mit eigenen Konzertreihen im schen Lebenswegs ist sie Freiburger Konzerthaus, in der Stuttgarter Liederhalle ruhiger und gelassener und der Berliner Philharmonie und mit Tourneen in der geworden (worüber sie ganzen Welt. sehr glücklich ist), sie ist eine leidenschaftliche Lehrerin, der die Arbeit mit ihren Petra Müllejans, Violine Studenten am Herzen liegt. Die Geigerin Petra Müllejans ist eine vielseitige Musi- Petra Müllejans ist Professorin für Barockvioline an kerin, die nahezu jede Art von Musik liebt und mit Lei- der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in denschaft spielt. Am liebsten tut sie dies in einem ver- Frankfurt am Main und unterrichtet ausserdem an der trauten Umfeld mit ihr auch persönlich nahestehenden, Hochschule Luzern. musikalischen Partnern. Seit vielen Jahren ist sie Mit- glied und Gesellschafterin im Freiburger Barockorches- Susanne Regel, Oboe ter (FBO), das sie als Konzertmeisterin leitet und mit Die gebürtige Freiburgerin startete ihre Konzerttätig- dem sie auch als Solistin regelmässig auftritt. Ausser- keit im Alter von 20 Jahren als Solooboistin des renom- dem gehört sie zum festen Stamm des Freiburger Ba- mierten Ensembles Musica Antiqua Köln unter der Lei-

76 77 tung von Reinhard Goebel, wechselte später aber auch mel, Field) und mit kreativen Konzepten («Delight in in andere Ensembles wie das Freiburger Barockorches- Disorder», «Hamburg 1734») überzeugt. ter, mit denen sie als Solistin wie Orchestermusikerin Als Kammermusiker arbeitet Staier zusammen mit ein gern gesehener Gast in den besten Konzertsälen der Künstlern wie Anne Sofie von Otter, Pedro Memels- Welt war. Als junge Solistin trat sie bereits in der dorff, Alexej Lubimov, Christine Schornsheim; ein fes- Tschaikovsky Concert Hall, Moskau, der Philharmonie tes Klaviertrio etablierte er mit Daniel Sepec und Jean- von St. Petersburg, in Tokyo und vielen weiteren, be- Guihen Queyras. Mit dem Tenor Christoph Prégardien kannten Konzertsälen der internationalen Musikwelt verbindet den Pianisten auf. eine langjährige musi- Zusätzlich zu ihrer kalische Partnerschaft, Konzerttätigkeit und in der CDs mit Liedern eigener musikwissen- von u.a. Schubert, Schu- schaftlicher Forschung mann, Mendelssohn, entwickelt Susanne Re- Beethoven und Brahms gel neue Konzertpro- entstanden. In Brahms’ gramme für unterschied- Liederzyklus «Die Schö- lichste Besetzungen, von ne Magelone» arbeitete exquisiter Kammermu- ­Staier zudem mit Senta Berger und Vanessa Redgrave sik bis zu Projekten für grosses Orchester. Dabei scheut als Sprecherinnen zusammen. sie auch nicht davor zurück, spartenübergreifend zu Als Solist gibt Andreas Staier regelmässig Konzerte arbeiten. mit Concerto Köln, dem Freiburger Barockorchester, der Akademie für Alte Musik Berlin, dem Orchestre des Andreas Staier, Cembalo Champs-Elysées, Paris, u.a. Er gastiert bei den grossen Andreas Staier, 1955 in Göttingen geboren, studierte internationalen Musikfestivals (Festival de La Roque Klavier und Cembalo in Hannover und Amsterdam d’Anthéron, Festival de Saintes, Festival de Montreux, und war drei Jahre lang Cembalist des Ensembles Mu- Styriarte Graz, Schubertiade Schwarzenberg, Schles- sica Antiqua Köln. 1986 begann er seine Solistenkarrie- wig-Holstein Musik Festival, Bach-Fest Leipzig, Bach- re als Cembalist und Pianofortespieler. Er profilierte Tage Berlin, Bachwoche Ansbach, Kissinger Sommer sich als einer der einflussreichsten Interpreten seines u.a.) und auf den international renommierten Konzert- Fachs, der Komponisten von Haydn bis Schumann in- podien von Berlin bis Tokyo. tellektuell wie emotional neu beleuchtet, zugleich gros­ Andreas Staier hat rund 50 CD-Einspielungen vorge- se Literatur jenseits des Repertoires erschliesst (Hum- legt, die grösstenteils mit internationalen Schallplatten-

78 79 preisen ausgezeichnet wurden. Bis 1995 stand Andreas Staier bei BMG/Harmonia mundi Deutschland unter 5 Vertrag. Mit Teldec verband ihn bis 2002 ein Exklusiv- vertrag, seit 2003 arbeitet Staier mit harmonia mundi Sonntag, 23. August 2015 France zusammen. Zuletzt erschien hier «Frühwerke», 10 Uhr, Münster zu Basel, Eintritt frei Musik des jungen J. S. Bach, eingespielt auf einem Cembalo von H. A. Hass, dem grössten, das im 18. Gottesdienst mit Abendmahl Jahrhundert gebaut wurde. Für den Fortepianospieler Johann Adolf Hasse, Messe in d (1751) Andreas Staier komponierte der Franzose Brice Pauset seine «Kontra-Sonate», die der Musiker 2001 zur Urauf- Ensembles Cantori Festivi, Café Zimmermann, Ripieni führung brachte. Festivi Von 1987 bis 1997 war Andreas Staier Alicia Amo – Sopran Hauptfachdozent für Dina Koenig – Alt Cembalo und Ensemble Michael Feyfar – Tenor an der Schola Cantorum Ismael Arroniz – Bass Basiliensis. Vokalensemble Cantori Festivi Alicia Amo, Alice Borciani, Stefanie Steger, Dina Koenig, Ana M. Fonseca, Stefan Kahle, Michael Feyfar, Ivo Haun, Dan Dunkelblum, Ismael Arroniz, Jean-Chr. Groffe, Jedediah Allen

Gerd Türk – Einstudierung

Ensemble Café Zimmermann (siehe auch S. 35), Das kleine Orchester als Zizenhauser ergänzt vom Ensemble Ripieni Festivi, Tonfiguren, nach einer Vorlage von Franz Feyerabend, Zizenhausen bei Stockach um 1800 (HMB Inv. Pablo Valetti – Konzertmeister 1921.188.); Foto P. Portner

80 81 Programm und Alessandro Scarlatti Komposition studierte. Kyrie eleison I (Chor) In der Folge wurde er Christe eleison (Soli und Chor) durch die Zusammenar- Kyrie eleison II (Chor) beit mit Pietro Metasta- sio und den modernen, Gloria in excelsis Deo (Chor und Soli) «Rokoko»-haften Ton Domine Deus (Arie) seiner Musik als «caro Qui tollis (Solo und Chor) Sassone» («lieber Sach- Quoniam tu solus sanctus (Chor) se») zu einem der belieb- Cum sancto spiritu (Chor) testen und bekanntesten Opernkomponisten sei- Credo in unum Deum (Chor) ner Epoche. Et incarnatus est / Crucifixus (Soli und Chor) 1730 heiratete er die damals schon berühmte Sänge- Et resurrexit (Chor) rin Faustina Bordoni. Seit 1731 datiert die Verbindung beider «Stars» zum Sächsischen Hof in Dresden, wo Jo- Sanctus (Chor) hann Sebastian Bach mit seinem ältesten Sohn Wilhelm Benedictus (Duett) Friedemann der Uraufführung der Hasse-Oper «Cleofi- Hosanna (Chor) de» beiwohnte. Unter König August III. begann 1733 eine lange, sich über 30 Jahre erstreckende erfolgreiche Agnus Dei / Dona nobis pacem (Arie und Chor) Wirkungszeit Hasses in der sächsischen Hauptstadt. Mit den europaweit berühmten Sängern und dem Zum Programm nicht minder bewunderten, ca. 40-köpfigen Orchester, die er zur Aufführung seiner Opern herangebildet hatte Johann Adolph Hasse ist vom Sänger zum Komponis- (Konzertmeister war Johann Georg Pisendel), wird ten geworden und als Komponist immer Sänger ge- 1751 auch die Uraufführung der «Messe in d» erfolgt blieben. In Hamburg studierte er Gesang und wurde sein.1 Der seit der Reformation protestantische sächsi- im Alter von 19 Jahren als Tenor an der Oper am Gän- 1 «Zur Zeit des Kapellmeisters Hasse gab man grosse Kirchenmusiken mit semarkt engagiert. Mit 22 komponierte er seine erste 16 Vokalstimmen (acht Kastraten- und Männerstimmen, acht Kapellknaben), Oper, in deren Braunschweiger Aufführung er selber 2 × 6 oder 2 × 8 Violinen, 4 Bratschen, starkem Generalbass in wechselnder Zusammensetzung und den jeweils benötigten Bläsern.» (Ortrun Landmann, die Titelrolle sang. Seine musikalische Prägung erhielt 1983). Eines dieser Roeser-Trios ist im Programm der «CD zum Festival», er 1722 bis 1725 in Neapel, wo er bei Nicola Porpora ausgeführt vom Ensemble «Der musikalische Garten»

82 83 sche König war 1697 zum Katholizismus konvertiert, als ihm die polnische Krone übertragen wurde, und so war es nötig, einen neuen Kirchenraum zu schaffen, wo – neben dem weiterhin zentralen Protestantismus – die katholischen Gottesdienste abgehalten werden konnten: Die Hofkirche­ wurde erbaut (Architekt: Ga- etano Chiaveri) und der Hofkomponist Hasse mit der Komposition der Eröffnungsmesse beauftragt. Am 29. Juni 1751 («Peter und Paul») erfolgte die Einweihung der noch nicht restlos vollendeten Kirche mit dieser Messe. Neben den zahlreichen Opern und (alle Gattungen der Kirchenmusik umfassenden) geistlichen Werken Hofkirche Dresden, Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Dresden, vom linken hat Hasse auch mehrere Messen geschrieben, etliche Elbufer oberhalb des Altstädter Brückenkopfs (1748), Gemäldegalerie Alte Meister, Staatl. Kunstsammlung Dresden, Foto: Hans-Peter Klut davon in seinen späten Jahren in Venedig, aber auch neun, deren hand- Verflechtung von Sprache und Musik, einer gekonnten schriftliches Notenmate- Instrumentierung und einer kompositorischen Sprache, rial in der Sächsischen in der er ebenso weit über Händel und Porpora hinaus- Landesbibliothek Dres- ging, wie er später vom jungen Mozart übertroffen den aufbewahrt wird. wurde: Hasse ist einer der typischsten und bedeutends- Die Messe von 1751 ist ten Komponisten der Zeit zwischen Barock und Klas- gekennzeichnet von sei- sik. ner im Operngenre ge- P. R. wonnenen «Schreibart»: der ungeheuer kenntnis- reich und sensibel be- handelten Singstimme, seinem untrüglichen Ge- fühl für musikalische Hasse: Titelblatt zum Gloria der Wirkung, der expressi- autographen Partitur ven Melodik, der engen

84 85 6 Martin Möhle Basler Baukunst im 18. Jahrhundert Sonntag, 23. August 2015 15 Uhr und 17 Uhr, Besammlung vor dem Blauen ucas Sarasin, der Bauherr und Eigentümer des Blauen Haus, Rheinsprung 16 Hauses am Rheinsprung, wandte sich im September L1761 mit einem besonderen Anliegen an die Universi- Stadtführung mit Mitarbeitern der Kantonalen tät. Er habe die Absicht, seine Häuser neu bauen zu lassen, Denkmalpflege Basel-Stadt und dabei sei ihm das alte Gebäude der Universität, das seit 1460 am Steilufer des Flusses balanciert, im Weg. Er bot an, Dr. Thomas Lutz, Dr. Martin Möhle die Dächer des alten Hauses auf seine Kosten «in eine gera- de symmetrische Gleichheit» zu bringen, wodurch sie zwar Eintritt frei in der Höhe verlieren, aber vom Rhein aus «weit schöner und Zum Alltag der Kantonalen Denkmalpflege gehört die artiger» aussehen würden. Seine wahre Absicht nennt er am Beschäftigung mit Städtebau und Architektur, Kultur- Schluss des Briefs: «Ich aber würde insonderheit in den dem und Kunstgeschichte, Politik und Kommunikation. Die Collegium gegenüber zu stehen kommenden Gebäuden auf im Denkmalverzeichnis eingetragenen Denkmäler und den obersten Etages eine angenehmere Aussicht erhalten.» baulichen Ensembles geniessen gesetzlichen Schutz. Die Denkmalpflege engagiert sich für die Erhaltung wichtiger Bauten, die das Stadtbild prägen. Sie er- forscht und dokumentiert die Entstehung und Verände- rung der Bauwerke und trägt so zu ihrem Verständnis bei. Sie berät Bauherren und Architekten, um die Zu- kunft wertvoller Bauten zu sichern. Sie vermittelt ihr Wissen über Basels Baudenkmäler, erklärt deren Bedeu- tung und fördert das Werteverständnis. http://www.denkmalpflege.bs.ch

Blaues Haus am Rheinsprung, Basel

86 87 Vor allem aber wandte man sich stets nach innen, sich selbst zu. An der Stelle des Blauen Hauses befand sich schon zuvor ein grosser Hof im Besitz der Adelsfamilie­ von Reichenstein. Seine Hauptfassade war jedoch nicht dem Rhein, sondern der Martinsgasse auf der anderen Seite zugewandt. Die Häuser an der «Rheinhalde» zeigten den Fischern und Schiffleuten ihre Rückseiten mit angehängten hölzernen Vorbauten. Merian war zwar nicht der Erste, der die gesamte Stadt darstellte, jedoch beginnt mit ihm verstärkt die Wahrnehmung der Stadt als eines Bildes, das sich auch nach aussen präsentiert. Entsprechendes Gewicht gewann das Rheinpanorama und die freie Aussicht aus den Fenstern der dortigen Gebäude. Sehen und gesehen werden, auch aus der Ferne, wurde ein wichtiger Aspekt in der Architektur des 18. Jahrhunderts. Er hatte Folgen, nicht nur für die Fassadengestaltung, sondern auch für die Einteilung und Der grosse Saal im 1771–1775 durch das Direktorium der Kaufmannschaft Ausstattung im Inneren der Häuser. erbauten Posthaus (heute Stadthaus) gehört zu den stilistisch ausgereiften Werken Es dauerte nach Merian freilich noch mehrere Jahrzehnte, des Barock im Übergang zum Louis-XVI-Stil. Foto: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Erik Schmidt, 2011 bis die veränderte Sichtweise auch in der Architektur manifest wurde. Der Anstoss kam schliesslich von aussen: Der Mark- graf von Baden liess ab 1698 in der Neuen Vorstadt (heute An dieser Bitte, der übrigens nicht entsprochen wurde, lässt Hebelstrasse) ein riesiges Palais errichten, das die gesamte sich ein Selbstbewusstsein und ein gestalterischer Wille der rei- Strassenseite prägte und mit der überkommenen kleinteiligen chen Bürger ablesen, die kennzeichnend für das 18. Jahrhun- Bauweise aufräumte. Grundlage waren Pläne des französi- dert sind. Die Stadtansicht Basels von Matthäus Merian aus schen Architekten Charles Augustin D’Aviler, die als Stichwerk dem Jahr 1615 zeigt die Stadt noch in ihren mittelalterlichen wenige Jahre zuvor im Druck erschienen waren. Zusammen Befestigungen, die während und nach dem Dreissigjährigen mit dem namentlich nicht bekannten Baumeister des Mark- Krieg eher verstärkt als abgebaut wurden. Auch das Stra- gräflerhofs kamen damals eine grössere Anzahl von Steinmet- ssennetz und die Parzellengliederung sind noch auf demselben zen, Schreinern, Stuckateuren und anderen Meistern aus Bau- Stand, den sie nach dem grossen Erdbeben von 1356 bis zum berufen nach Basel oder waren zumindest mit ihren Werken Ende des 14. Jahrhunderts erreicht hatten. Die Strassenbrei- präsent. te hat Merian erheblich übertrieben. In Wirklichkeit muss die Bereitwillig griff das reiche Bürgertum, das sich im Laufe Verkehrssituation in den engen Gassen chaotisch gewesen sein. des 17. Jahrhunderts neben der zünftisch organisierten Hand-

88 89 werkerschaft herausgebildet hatte, die neuen Grundriss- und lerischen «Sommerhäuser») mit Treppenanlagen an zentraler Aufrissformen nach französischen und deutschen Vorbildern Stelle, über ihnen die stuckierten Repräsentationssäle an der auf. Die reichen Bauherren wünschten eine grössere Prachtent- Strassenseite. Für die Bauherren besassen der exaltierte ar- faltung und eine Abkehr vom «Altbaslerischen». Die immense chitektonische Ausdruck oder die überbordendene Prachtent- Wertschöpfung des prosperierenden internationalen Handels faltung keine Priorität. Ihnen ging es um die Bildung einer erlaubte besonders den Seidenbandfabrikanten und Bankiers gesellschaftlichen Gruppe, innerhalb derer Konsens über For- das Ausleben ihrer «Bauwut». Erstmals kam es in grösserem men der Repräsentation und des Austauschs herrschte. Nur so Umfang in der Innenstadt zu Häuserabbrüchen und Neubau- ist zu erklären, dass die besten Künstler und Lieferanten von ten, die mehrere Parzellen übergriffen. Gerade dieses Bestre- Bauherr zu Bauherr weitergereicht wurden. Überliefert ist, ben, der mittelalterlichen Stadt ein neues «Gesicht» zu geben, dass sich der Eigentümer des Wildt’schen Hauses am Peters- scheint kennzeichnend für die Epoche zu sein. Zum Rhein hin platz derselben Ofenentwürfe bediente, die für das Blaue und prägten Johann Carl Hemelings Ramsteinerhof und die Zwil- das Weisse Haus vorgesehen gewesen waren. Bei geselligen lingsanlage des von Samuel Werenfels entworfenen Blauen Zusammenkünften – zu denen auch etwa die musikalischen Hauses und des Weissen Hauses das Grossbasler Panorama Abende bei Lucas Sarasin im Blauen Haus gehörten – konnten neu. Am Rand und vor den Toren der Stadt liessen sich be- die Basler sich bei Freunden, Geschäftspartnern und Konkur- güterte Handelsherren ihre Sommersitze errichten, unter denen renten heimisch fühlen und mit dezentem Selbstbewusstsein die «Sandgrube» und das Wildt’sche Haus am Petersplatz als Gastgeber von Reisenden und Fremden auftreten. Dies zwei charakteristische Beispiele sind. Am Blumenrain wurde kulminierte im Jahr 1813, als anlässlich des Durchmarsches gleichzeitig die Strasse verbreitert: Hier entstand um 1788 der der alliierten Armeen gegen Napoleon drei gekrönte Häupter Segerhof, dessen Ausstattung heute einen wesentlichen Teil des in Basel Quartier nahmen und in drei gleichermas­ ­sen präch- Wohnmuseums im Haus zum Kirschgarten ausmacht. Das Di- tigen Palais unterkamen: Kaiser Franz im Blauen Haus, Zar rektorium der Kaufmannschaft, eine ausserhalb der Zünfte be- Alexander im Segerhof und König Friedrich Wilhelm von stehende Vereinigung, setzte sich schliesslich mit dem heute als Preussen im Deutschen Haus an der Rittergasse 35. Stadthaus bekannten Gebäude in der Nähe des Marktplatzes ein eigenes Denkmal. Bei allen Neuerungen gebärdeten sich die Bauherrn und Architekten kaum avantgardistisch. Ihre Bauwerke schufen sehr bald schon ein gängiges Repertoire dessen, was unter den Auftraggebern als angemessen und anerkannt galt. An den meisten Bauten ist das Muster der breit gelagerten, durch Risalite symmetrisch gegliederten Fassaden zu bemerken. Im Inneren befanden sich die grossen Eingangshallen (die bas-

90 91 7 Programm Georg Friedrich Händel (1685–1759) Sonntag, 23. August 2015 Ouverture zu «Rinaldo», HWV 7a 19 Uhr, Wildt’sches Haus, Petersplatz Georg Philipp Telemann (1681–1767) Tafel und «Tafelmusik» in historischem «Musique de table», Sonate A-Dur, TWV 41:A4 Ambiente – Telemann, Händel und Apéro riche für Violine und Basso continuo Andante – Vivace – Cantabile – Allegro Ensemble l’Ornamento ∑ Juliane Heutjer – Blockflöte Katharina Heutjer – Violine Marin Marais (1656–1728) Jonathan Pešek – Violoncello aus: Suite Nr. 3 D-Dur («Pieces en trio...», Paris Sebastian Wienand – Cembalo 1692) Prelude Benefizveranstaltung zugunsten des Vereins zur Förde- rung von Basler Absolventen auf dem Gebiet der Alten Christoph Graupner (1683–1735) Musik aus: Entrata per la Musica di Tavola Allegro Eintritt: 300 CHF Michel Richard Delalande (1657–1726) aus: Symphonies pour les Soupers du Roy Suite in D

Jean-Baptiste Lully (1632–1687) aus: Les plaisirs de l’île enchantée Rondeau pour les violons et flûtes allant à la table du Roi ∑

92 93 Giovanni Battista Bononcini (1670–1747) hohen höfischen Anspruch, dem eine Musik genügen Divertimento VIII, G-Dur für Blockflöte und musste, um Louis XIV bei einem viergängigen Souper Basso continuo nicht den Appetit zu verderben. Im Mai 1664 liess der Affettuoso – Allegro – Lento Sonnenkönig in Versailles ein riesiges einwöchiges Fest ausrichten, für das Jean-Baptiste Lully eigens Bühnen- Georg Philipp Telemann und Instrumentalmusik komponierte, teilweise in Zu- Triosonate für Blockflöte, Violine und Basso sammenarbeit mit Molière. Die Bewegungsart des Ron- continuo, a-moll, TWV 42:a4 deaus aus Lullys instrumentaler Sammlung zu diesen Largo – Vivace – Affetuoso – Allegro Feierlichkeiten mit dem Titel «Les plaisirs de l’île en- chantée» lässt den elegant schreitenden Gang der Musi- ∑ ker zum Tisch des Königs erahnen. Die 1722 in London erschienenen Divertimenti von Giovanni Battista Bo- Tafelmusik – Musique de table – noncini könnte man auf den ersten Blick unbedacht als Musica da tavola leichte Kost abtun. Was dem Zielpublikum der geübten Dilettanten mit dieser Musik allerdings an Virtuosität Ein jahrhundertealter Brauch, zu Tische Musiker auf- abverlangt wurde, ist beachtlich, und darüber hinaus spielen zu lassen, wird mit diesem Konzert wieder auf- ist es auch immer erlaubt, mit einigen geschmackvollen gegriffen. Und passend zum Apéro riche soll die Musik Verzierungen kunstvoll etwas nachzuwürzen. keinesfalls aus der Konserve serviert, sondern vor den Um, wie einem guten Wein, dem Programm eine ge- Ohren ihrer Zuhörer zubereitet, gepfeffert und ange- lungene Balance aus Frucht und Säure zu verschaffen, richtet werden. stehen an Anfang und Ende des Programms Werke, die Die Tafelmusik zu Banketten und Festen hat eine bei einem Bankett des 18. Jahrhunderts wohl eher nicht bis auf die alten Ägypter und antiken Römer und Grie- zu Gehör gebracht worden wären: Die Ouverture von chen zurückgehende Tradition und erfuhr im 17. und Georg Friedrich Händels «Rinaldo», die freilich etwas 18. Jahrhundert eine besondere Blütezeit, in welcher zweckentfremdet ist und das Anheben der Servierglo- sich mit ihr gar ein eigenes Kompositionsgenre heraus- cke statt des Theatervorhangs nach sich zieht. Und Te- bildete. Namhafte Komponisten steuerten Werke zu lemanns Trio in a-Moll, das wie eine gute Nachspeise dieser Gattung bei, unter ihnen als wohl bekanntestes zwiespältige Gefühle hervorruft – Melancholie ob des Beispiel Georg Philipp Telemann, dessen 1733 erschie- nahenden Endes, aber gleichzeitig zügelloses Vergnü- nene Sammlung der «Musique de table» abwechslungs- gen am letzten Bissen. reiche Stücke in den verschiedensten Besetzungen ent- Guten Appetit! hält. Von Michel Richard Delalande erfahren wir den Sebastian Wienand

94 95 Zum Ensemble Im Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens von l’Ornamento steht die Musik für Blockflöte, Violine «L’Ornamento» – die Verzierung, der Schmuck – Aus- und Basso continuo des 17. und 18. Jahrhunderts, doch druck des Wunsches nach Schönheit in der Kunst und erweitert das Ensemble sein Repertoire mit eigenen Be- zugleich Sinnbild der Suche nach dem Neuen, dem Un- arbeitungen und lädt regelmässig andere Künstler aus gewöhnlichen. der Alten Musik zu gemeinsamen Projekten ein. In der Barockmusik waren Komponist und ausfüh- Die vier Musiker verbindet ein gemeinsamer kam- render Musiker unzertrennliche Partner im kreativen mermusikalischer Weg vom klassischen und romanti- Prozess und die Verzierungskunst zentrales Mittel der schen Repertoire bis hin zur Alten Musik und ein in Interpretation. Angetrie- langjähriger Zusammenarbeit geschmiedeter gemein- ben von der Neugierde samer Klang, der dieses Ensemble so unverwechselbar und der Lust am Experi- macht. mentieren verstehen die Bei den zahlreichen Auftritten von l’Ornamento in Gründer von l’Orna­ Deutschland und der Europäischen Union bei Konzer- mento ihren Namen als treihen und Festivals, in Radio und Fernsehen stiess Herausforderung: Aus die Mischung aus perfektem Zusammenspiel und un- dem papiernen Noten- ermüdlicher Spielfreude beim Publikum auf Begeiste- text «nach allen Regeln rung. Beim Wettbewerb Musica Antiqua Brügge ge- der Kunst» neue und un- wann l’Ornamento im Jahr 2003 den ersten Preis und verwechselbare Inter- wurde zudem mit dem Preis des Publikums geehrt. pretationen zu schaffen. Mit diesem Ziel taten sich die vier jungen Mu- siker Juliane und Katha- rina Heutjer, Sebastian Wienand und Jonathan Foto: Holger Jacoby Pešek im Jahr 2001 zum Ensemble l’Ornamento zusammen und studierten ge- meinsam historische Aufführungspraxis an der Schola Cantorum Basiliensis. Wichtige Impulse erhielten sie dabei von Chiara Banchini, Christophe Coin, Jörg-An- dreas Bötticher, Jesper Christensen u.a.

96 97 Paul Henry Boerlin nur begrenzten Anteil: Er war Mitglied des Grossen Rates und von 1756 bis 1770 Rechenrat, das heisst einer der drei Vertreter des Rates im obersten Finanzorgan der Stadt. Wohnsitz von Jeremias Wildt war das Haus zum Gyren- garten an der Hebelstrasse (Nr. 7), dessen Garten sich bis zum Petersplatz hinaufzog. Hier oben liess Wildt 1762–1764 (Dekoration bis 1770) das neue Palais erbauen. Er selbst hat es allerdings nie bewohnt. Es war eigentlich fur seinen Sohn Jeremias (1753–1760) bestimmt, doch starb dieser zwei Jahre vor Baubeginn. So wurde die repräsentative Liegenschaft zur Mitgift fur die Tochter Margarethe (1755–1810; 1778 ver- heiratet mit Daniel Burckhardt, 1752–1819). Kaum bekannt ist, dass Jeremias Wildt ein eifriger, aktiver Das Wildt’sche Haus am Petersplatz, Basel Musikfreund gewesen ist. Tatsächlich finden sich in seinen «Nota Buchlein», das heisst in jenen Rechnungsheften, die fur Jeremias Wildt, der Bauherr des Wildt’schen die Jahre 1764–1766, 1770–1775 und 1783–1787 erhalten Hauses in Basel, als Musikfreund sind, nicht nur bunt gemischt Angaben uber Privates und Ge- schäftliches – von Geld- und Bankgeschäften uber Ausgaben ohl der bedeutendste Barockbau in Basel ist das fur Bettsocken bis zu Haus- und Kuchenrezepten –, sondern Wildt’sche Haus am Petersplatz (Nr. 13), und auch zahlreiche Notizen zu seiner musikalischen Tätigkeit … Wzwar hinsichtlich seiner erlesenen Durchformung und des Reichtums seiner Dekoration wie auch in seiner ar- 1. Wo hat Jeremias Wildt musiziert? chitektonischen Gesamtdisposition mit dem monumentalen, Im Wildt’schen Haus findet sich im 1. Stock, gegen den Peters- symmetrisch angelegten Treppenhaus in der Mittelachse des platz, westlich des Mittelsalons (von aussen gesehen links), ein Baues – einer Anlage nach dem Vorbild deutscher Barock- grosses Zimmer, in welchem die Mitte der beiden Längswände schlösser. Architekt dieses Bauwerks war der Basler Ingeni- vergoldete Konsoltische mit hohen Spiegeln einnehmen. Die eur-Architekt Johann Jakob Fechter (1717–1797); erbaut hat Dessus-de-glaces sind vergoldete Holzreliefs aus der Berner er es für Jeremias Wildt-Socin (1705–1790). Werkstatt Funk, welche Musikinstrumente zeigen: beim einen Jeremias Wildt galt als einer der reichsten Basler seiner Spiegel Laute, Tambourin, Oboe, dazu Notenhefte, beim an- Zeit. Er war Seidenfabrikant, besass umfangreichen, einträg- deren Spiegel Trompete, Trommel, Pfeifen sowie Fahnen und lichen Grundbesitz in Basel und in Baselland und tätigte vor allerhand Kriegsgerät, also Elemente kriegerischer Musik. allem auch Bankgeschäfte. An der Politik der Stadt nahm er Man hat daher diesen Raum als Musikzimmer bezeichnet.

98 99 Jeremias Wildt selbst spricht in seinen «Nota Buchlein» ein- Unwillen des Gremiums erregt, weil die beiden sich nicht an mal von Noten «In der Musiq Stuben auf dem Tisch neben den Unkosten beteiligen wollten. dem Offen». Manchmal liess Wildt sich auch Auswahlsendungen mit Wo aber war diese «Musiq stube»: im Wildt’schen Haus Noten kommen: In den Akten sind gelegentlich Einträge zu am Petersplatz oder im Haus zum Gyrengarten an der He- finden mit zwei Kolonnen «Zuruckgesandt» — «behalten», so belstrasse? Der erwähnte Raum im Haus am Petersplatz war etwa unter dem 22. März 1771. vermutlich vom Baukonzept her sehr wohl als Musikzimmer Was Jeremias Wildt erwarb, waren naturlich meist ge- fur die potenziellen kunftigen Bewohner gedacht. Aber da ja druckte Ausgaben. Indessen tauchen z.B. auch «6 Duo ge- Jeremias Wildt seinen Wohnsitz im Haus zum Gyrengarten schriben von Roeser L 6’’ – pro 2 Violini» auf (Valentin Roeser, an der Hebelstrasse beibehalten hatte, durfte auch sein Mu- um 1735 bis nach 1782).1 Damit sind Manuskripte gemeint. sizieren dort stattgefunden haben. Denkbar wäre höchstens, Allerdings sicher nicht Autographen, sondern Abschriften. Um dass vielleicht bei einem Repräsentationsanlass im Haus am 1773 erwähnt Wildt zwar «die Viele getruckte Musicalien», Petersplatz das Musikzimmer dort als solches benutzt worden daneben aber auch «die Viele geschribene Musicalien, seindt in wäre. Doch daruber ist weiter nichts bekannt. Alte und Neuwe zu Erleßen; davon viele Zimblich Rar seindt». Gewisse Werke hat Wildt auch selbst abschreiben lassen. 2. Welche Musik wurde im Hause Wildt gespielt? Am 30. März 1772 sandte Herr Sarasin,«umb abcopieren zu Jeremias Wildt besass eine grosse Notensammlung. Über sei- laßen 2 Sinfonies à 4 von Heyden auß C.thon». Und am 9. ne Anschaffungen fuhrte er sorgfältig Buch, sodass wir sehr Juli 1772 hat Wildt «an H[errn] L Sarasin durch den Hein- gut informiert sind. Er liess sich regelmässig Noten kommen, rich die zwey geliehenen quatri von Heyden wider zuruck wobei seit 1770 sein Hauptgewährsmann Emanuel Brändlin gesandt». Der Kontrahent ist hier also Lucas Sarasin (1730– war. Doch bediente er sich bisweilen auch anderer Lieferan- 1802), der Erbauer des Blauen Hauses am Rheinsprung, der ten. So hat er am 3. Oktober 1766 einem «Pariser zu Rebleu- grosse Musikfreund des 18. Jahrhunderts in Basel, der einen ten bezahlt pro Musicalien [folgt eine längere Liste] L 34.4». eigenen Musiksaal besass, ein eigenes Orchester und einen Unter dem Titel «Bey Ihme bestelt von Paris komen zu lassen» eigenen Kapellmeister, zahlreiche Instrumente und eine riesi- erscheint eine weitere Liste. Am Schluss steht allerdings die ge Notensammlung. Bemerkung «ist Nichts darauß worden». Fragt man nun nach den Komponisten, von denen Werke Im November 1766 [?] wird «H Stickelberger Ersucht Von in Wildt’s Sammlung vorhanden waren, so lassen sich von Lion komen zu lassen ...». Hier handelt es sich zweifellos um 1765 bis 1775 mindestens 65 Namen zählen. Da in den Emanuel Stickelberger-Zwinger (1708–1782), einen erfolg- «Nota Buchlein» praktisch keine Vornamen genannt sind, reichen Basler Seidenbandfabrikanten, der eine Fabrik in kann die Identifizierung bisweilen schwierig werden, doch

Lyon besass. Er spielte ebenfalls im Collegium musicum und 1 Eines dieser Roeser-Trios ist im Programm der CD zum ­Festival, ausge- hatte 1748 laut Protokoll zusammen mit Jeremias Wildt den führt vom Ensemble Der musikalische Garten.

100 101 finden sich zahlreiche beruhmte und allgemein bekannte –– Antonin Kammel, geb. 1730 in Böhmen. Geiger, Schuler Meister, wie z.B. von Tartini, Komponist. Studierte an der Prager –– Geminiani, Francesco (1687–1762) Universität Philosophie und Jurisprudenz. Seit ca. –– Tartini, Giuseppe (1692–1770) 1764 in London im Kreis um Johann Christian Bach. –– Galuppi, Baldassare (1706–1785) Schrieb Instrumentalmusik, die in London und Paris –– Martini, Padre Giambattista (1706–1784) publiziert wurde. Gestorben in London um 1787. –– Holzbauer, Ignaz (1711–1783) –– Franz Asplmayr, geb. 1728 in Linz. Österreicher. Geiger –– Benda (welcher[?]: Franz, 1709–1786; Johann, 1713– und Komponist. Mitglied der kaiserlichen Hofkapel- 1752; Georg,1722–1795; Joseph, 1724–1804) le. Schrieb Kammermusik und Ballette. Gestorben in –– Gassmann, Florian Leopold (1729–1774) Wien 1786. –– Haydn (wohl Joseph, 1732–1809, nicht sein jungerer Bru- –– Dominik Stalder, geb. 1725. Luzerner. Von ihm gibt es der Michael, 1737–1806) gedruckte Sinfonien. Gestorben 1765. –– Gossec, François-Joseph (1734–1829) –– Gaspard Fritz, geb. in Genf 1716. Als Geiger in Italien –– Bach (mit grösster Wahrscheinlichkeit Johann Sebastian ausgebildet. Seit 1736/1737 in Genf niedergelas- Bachs jungster Sohn Johann Christian, 1735–1782, sen. Unterrichtete dort die jeunesse dorée. Zu seinen der «italienische» oder «Londoner» Bach) Schulern zählte auch Christoph Kachel (1755– –– Vanhal, Johann Baptist (1739–1813) 1783), ein Sohn von Jacob Christoph Kachel (1728– –– Grétry, André-Ernest-Modeste (1741–1813) 1795), dem zeitweiligen Leiter des Basler Collegium –– Boccherini, Luigi (1743–1805) musicum. Fritz darf als der beste Schweizer Kom- –– Stamitz (welcher[?]: Johann, 1717–1757; oder einer seiner ponist des 18. Jahrhunderts bezeichnet werden. Er Söhne, Carl, 1745–1801; oder Anton, 1750–1796. schrieb Kammermusik, Sinfonien und einige Instru- Explizit erwähnt ist einmal Carl Stamitz, von dem mentalkonzerte. Gestorben 1783. Von ihm erwarb Wildt 1775 «3 geschribene quatri» erwarb). Wildt am 25. September 1772 sechs Trios. Es erscheinen aber auch viele heute vergessene oder ganz un- Gelegentlich kommt unter Wildt’s Musikalienankäufen auch bekannte Komponisten. Hier wiederum eine Auswahl: ganz Anonymes vor: So im Dezember 1771 neben Quartet- –– Friedrich Schwindl, geb. etwa 1740 in Holland. Geiger, ten von Haydn und Boccherini ein Trio «von unbekandten» fur Cembalist, Flötist, Komponist. Zog umher. Kam L 1" und am 11. Januar 1772 ein weiteres Trio «von Einem 1770 nach Zurich und Genf. Fuhrte am 16. März unbekandten» fur L 1". 1775 in Genf eine seiner Sinfonien auf. Am 4. Juni 1775 begutachtete er in Basel bei Jeremias Wildt eine 3. Ein Überblick Violine als «Ein Veritable Stainer geigen». Gestorben Die 65 in den hier verarbeiteten Quellen vorkommenden 1786. Komponistennamen lassen erkennen, dass vor allem die

102 103 Generation der zwischen 1730 und 1740 Geborenen ver- Beck (1734–1809), Ignaz Fränzl (1736–1811, gastierte treten ist. Die Quellen umfassen die Jahre von 1765 bis 1787 im Basler Collegium musicum), Johann Baptist Wend- 1775, jenen Zeitraum, als Jeremias Wildt 60–70 Jahre alt ling (1723–1797). war. Demgegenuber waren die Komponisten 25–45-jährig, Die dritte markante Gruppe bilden Wiener Komponisten, also 25–35 Jahre junger als Wildt. Wenige nur sind wesent- darunter Franz Asplmayer (1728–1786), Florian Gassmann lich älter, das heisst genaue Zeitgenossen von Wildt: Padre (1729–1774), Leopold Hofmann (1738–1793, Hoforga- Giambattista Martini (1706–1784), Baldassare Galuppi nist und Geiger), Johann Baptist Vanhal (1739–1813, aus (1706–1785) und Alessandro Besozzi (1702–1793). Und Böhmen, schrieb Sinfonien, Streichquartette, Streichtrios und nur zwei sind noch im 17. Jahrhundert geboren: Giuseppe Klavierkompositionen, von ihm hat Wildt zahlreiche Werke Tartini (1692–1770; von ihm befanden sich 18 Sonaten bei erworben). Vor allem aber hat Wildt sich immer wieder Werke Wildt), und Francesco Geminiani (1687–1762; Concerti von von Joseph Haydn (1732–1809) beschafft. Er besass ca. 25 ihm erwarb Wildt 1772). Quartette, 8 Trios, 19 Sinfonien, 12 Menuette. Mit anderen Worten: Was Jeremias Wildt erworben und Dass Jeremias Wildt offenbar gerne das Aktuellste ge- gepflegt hat, war fast ausschliesslich die gerade aktuelle Mu- sucht hat, belegt eine Notiz gerade bei Haydn: Am 25. Au- sik, wobei vielleicht noch mitgespielt haben mag, dass diese gust 1772 zahlte Wildt «an H. Brändtlein pro 6 quatro von Literatur leicht zugänglich war. Heyden das Neuweste opus L 9 4’’-». Diese Werke lassen Der Überblick uber Wildt’s Musikaliensammlung ermög- sich identifizieren. 1772 schrieb J. Haydn sechs Quartette, licht auch, eine Vorstellung von seinen stilistischen Präferen- die «Sonnenquartette», op. 20 (Hoboken-Verzeichnis Nr. 31– zen innerhalb der Musik seiner Zeit zu gewinnen. Eine deut- 36). Diese Quartettserie kann es aber nicht sein, da sie erst liche Vorliebe hat er offensichtlich fur die italienische Musik 1775 gedruckt wurde. Dagegen hatte Haydn 1771 ebenfalls gehabt. Franzosen dagegen finden sich nur wenige. sechs Quartette komponiert (E, F, Es, c, G, D), und diese sind Seine ganz besondere Neigung scheint aber der Mann- tatsächlich 1772 im Druck erschienen: op. 17, Hoboken Nr. heimer Schule gegolten zu haben. Bekanntlich hat Kurfurst 25–30. Wildt verschaffte sich also wirklich «das Neuste». Carl Theodor von der Pfalz (1724–1799) in Mannheim, Aus: wo er 1743–1777 residierte, ein bald beruhmtes Orchester Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. gegrundet, aus dem die Mannheimer Schule entstand, die 101, 2001: S. 51–77 (Historische und Antiquarische Gesell- in der Folge eine entscheidende Rolle in der Musikgeschich- schaft zu Basel), mit freundlicher Genehmigung te spielen sollte. Die meisten Komponisten der Mannhei- mer Schule waren bei Wildt vertreten, so Ignaz Holzbauer ­(1711–1783), die Familie Stamitz (Johann, 1717–1757 [?]; Carl, 1745–1801; Anton, 1750–1796 [?]). Toëschi (wohl Carl Joseph, 1731–1788), Anton Filtz (1733–1760), Franz

104 105 Carsten Lange, Magdeburg

«Er ist ein Moderner …»

eorg Philipp Telemann (1681–1767) ist im Rahmen eines Musikfestes, welches den Bogen vom Barock Gzur Klassik spannt, sehr gut aufgehoben. Das ver- deutlicht schon seine Lebenszeit: Heinrich Schütz (1585– 1672) war erst wenige Jahre tot, als Telemann das Licht der Welt erblickte, und Mozarts «Wunderkind»-Erfolge in Paris und London lagen schon drei Jahre zurück, als Telemann starb. Grosse stilistische Veränderungen in der Mu- sik vollzogen sich in diesem Zeitraum, und einer, der sie vor dem Hintergrund ge- sellschaftlicher Wand- lungsprozesse aktiv und bewusst mitgestaltete, war Georg Philipp Telemann. Davon zeugen seine Kom- positionen, zahlreiche über- lieferte Schriftdokumente (z.B. Briefe, Vorworte, Au- Georg Lichtensteger (1700–1781): tobiographien) sowie Hin- Georg Philipp Telemann weise seiner Zeitgenossen. Und selbstbewusst lässt er sich um 1744 porträtieren: als Künstlerpersönlichkeit, mit offenem Hemd, stolz auf sein jüngstes Werk zeigend, einen gedruckten Jahrgang mit Kir- chenkantaten. Telemann, in dessen Kopf – wie er 1718 verschmitzt schrieb – schon in jungen Jahren «muntrere Töngens spukten»,

106 107 als er sie im Unterricht vernahm, ist mit seiner Aufgeschlos- ist überall zur Genüge bekannt. Erst war es der Polnische, senheit und Neugierde, mit seiner Unvoreingenommenheit dem folgete der Frantzösische, Kirchen= Cammer= und Unbekanntem oder Andersartigem gegenüber und seinem Opern=Styl, und was sich nach dem ltaliänischen nennet, mit spürbaren Drang nach Universalität ganz vom aufkläreri- welchem er denn jetzo das mehreste zu thun hat.» schen Denken seiner Zeit durchdrungen. Sein Erschliessen Jedes der angesprochenen Themenfelder prägte Telemann neuer Bereiche für die Tonkunst steht vollkommen im Ein- zukunftsorientiert. So ist seine Ausformung der Kirchenkan- klang mit dem Bestreben des wissenschaftlichen Entdeckens tate neuen Stils zu nennen in der als ideal geltenden Abfol- der Welt im 18. Jahrhundert – man denke z.B. an die Reisen ge: Bibelspruch – freier Wechsel von Rezitativen und Arien des James Cook (1728–1779), die 1748 beginnenden Aus- – Choral. 1710/1711 legte er erstmals diesen Aufbau einem grabungen von Pompeji oder die Begründung der modernen Jahrgang von Kantaten für alle Sonn- und Festtage des Kir- Archäologie und Kunstgeschichte durch Johann Joachim Win- chenjahres zugrunde, der als Modell für die barocke Kirchen- ckelmann (1717–1768). kantate schnell Nachahmer fand, unter ihnen J. S. Bach. Auf seiner «Musikalischen Reise ins Land der Vergangen- Vorbildhaft wirkten auf Zeitgenossen auch die «edle Stärke» heit» (1919) macht der französische Historiker und Schrift- des Ausdrucks sowie der leichte und natürliche Tonfall der steller Romain Rolland auch bei Telemann «Station» und kon- Melodien nicht nur in Telemanns kirchenmusikalischen Wer- statiert: «In dem großen Streit der Alten und der Neuen ist ken. Seine Melodik trägt den Text und ebnet ihm Wirkungs- er ein Moderner, und er glaubt an den Fortschritt.» In dieser möglichkeiten im Hinblick auf eine Entfaltung von Gefühlen prägnanten Einschätzung der historischen Rolle Telemanns und Empfindungen. Glauben wir Telemann, so hat er die zeigen sich erste Früchte der 1907 beginnenden jüngeren «Kirchen-Music am meisten werth geschätzet» (AB 1718). Telemann-Rezeption. Telemanns Zeitgenossen urteilten ähn- Zu Recht wird der Blick auf Telemanns Instrumen- lich. Sie kennzeichneten ihn – wie in einem 1767 anonym tal- und Kammermusik gelenkt mit ihrem unverkennbaren veröffentlichten Nachruf – als einen «Mann von seltenen Personalstil, der im Blick auf Erfindungsgabe, Eleganz und [= einzigartigen] Verdiensten um die Music» und in einem Ausdrucksreichtum die Stilentwicklung im 18. Jahrhundert Kondolenzschreiben an Telemanns Enkel ist zu lesen, dass prägte. Kern ist eine gegenseitige Durchdringung der vor- Telemann der Musik in Deutschland «neuen Schwung gege- handenen Gattungs- und Nationalstile und die Verbindung ben» und «die musicalische Welt […] ihren Vater der Music» von Elementen der Volks-, Tanz- und Kunstmusik. Natio- verloren habe. nalstilistische Grenzen überwand er im Vermischen von Itali- Erfolgreich beschäftigte sich Telemann mit allen musi- enischem, Französischem und Polnischem und im Durchwe- kalischen Gattungen seiner Zeit, wie sich 1732 in knapper ben der französisch geprägten Ouverture mit Elementen des Form im Musikalischen Lexikon von Johann Walther nachle- italienischen Konzerts – und umgekehrt. Markant ist dabei sen lässt. Unter Rückgriff auf einen Brief Telemanns hielt er auch Telemanns virtuoses Kombinieren der zu seiner Zeit ge- merksatzähnlich fest: «Was er in den stylis der Music gethan, bräuchlichen Instrumente (darunter früh die bemerkenswerte

108 109 Verbindung von Block- und Traversflöte, von altem und neu- einem gewissen Sendungsbewusstsein durchdrungen – ver- em Modeinstrument). anlasst, die Ergebnisse seiner «Entdeckungsfahrt in musikali- Und es klingt die Wertschätzung seiner Opern an, die auf sches Neuland» (Wolfgang Hirschmann, 2007) theoretisch zu Spielplänen über Leipzig und Hamburg hinaus standen und begründen und legte dazu die für reichlich Diskussionsstoff in ihrer Mischung von venezianischen Traditionslinien und sorgende Schrift «Neues musicalisches System» (1743) vor. französischen Elementen und wohl auch durch die besonde- Musiktheoretische Überlegungen und eine eigene Intervall- re Gabe Telemanns, einzelne Charaktere, Situationen und und Akkordlehre beschäftigten ihn noch im letzten Lebens- Ereignisse mit entsprechender Melodik, Motivik und Instru- jahr. Im Grunde genommen ist Telemann mit seinem Ausloten mentation musikalisch stark zu zeichnen, künstlerisch über- neuer Tonbereiche und Klangwelten all jenen Komponisten zeugten und zugleich den Geschmack des Publikums trafen. im Geiste verbunden, die sich bis heute mit einem vorhande- Dieses dürfte dabei auch angetan gewesen sein von spielfreu- nen Tonvorrat zur musikalischen Umsetzung ihrer Ideen nicht digen Opernszenen in einem Buffo-Ton, wie ihn vor Tele- begnügen wollen. mann kein anderer deutschsprachiger Komponist beherrschte. Telemanns Offenheit Neuem gegenüber tritt auch in sei- Telemanns vom Grundsatz «Singen ist das Fundament nem Umgang mit unterschiedlichen nationalen Idiomen zu- zur Music in allen Dingen» (Telemann, 1718) intendierte tage. Daraus resultiert eines der wohl am nachhaltigsten Musiksprache ist erfindungsreich und anmutig, seine Text- wirkenden Verdienste Telemanns, wie die Schrift eines fran- deklamation ist deutlich, und seine Experimentierfreude lässt zösischen Autors und insbesondere natürlich die in Deutsch- ihn neue Klangfarben und tonmalerische Effekte erschliessen. land ablaufende Stildiskussion belegen. Gewürdigt wird sein Insbesondere seine programmatischen Tonmalereien fanden wegweisendes Integrieren von Elementen des französischen, zu Lebzeiten starke Fürsprecher und lieferten zugleich den italienischen und polnischen Stils, ohne dabei seine eigene Kritikern nach seinem Tod reichlich Angriffsfläche. kompositorische Handschrift und Herkunft zu verleugnen. Mit seinen Melodien und Tonmalereien ging es Telemann Schliesslich kommt der Berliner Komponist und Flötenlehrer nicht allein um Effekte, wie ihm später mitunter vorgewor- Friedrich Johann Joachim Quantz mit Blick auf Telemann zu fen wurde. Vielmehr glaubte er an die Weiterentwicklung der folgendem Schluss: «Wenn man aus verschiedener Völcker Musik und war selbst beständig auf der Suche nach neu- ihrem Geschmacke in der Musik, mit gehöriger Beurtheilung, en Möglichkeiten. Das umreisst 1751 eine Äusserung Te- das Beste zu wählen weis: so fließt daraus ein vermischter lemanns in einem Brief an den Berliner Komponisten Carl Geschmack, welchen man, ohne die Gränzen der Bescheiden- Heinrich Graun: «Ist in der Melodie nichts Neues mehr zu heit zu überschreiten, nunmehr sehr wohl: den deutschen Ge- finden, so muss man es in der Harmonie suchen.» Telemann schmack nennen könnte.» (1752) Was Quantz für Deutsch- dürfte hier Bezug nehmen auf kühne, expressive, ja extreme land reklamiert, hat aufgrund der Ingredienzien europäischen Akkordfortschreitungen und Intervallkombinationen, die in Zuschnitt. Und tatsächlich fanden Telemanns Werke eine einigen seiner Werke zu beobachten sind. Er sah sich – von Verbreitung von Skandinavien bis Italien, von Russland bis

110 111 Spanien. Aus dieser Quelle schöpften Nachfolgende reichlich, sich besser Telemanns vernetztes Denken kennzeichnen, das ist doch das Allgemeingültige eine der Besonderheiten des Musikleben auf sehr moderne Weise mit anspruchsvoller und klassischen Stils. So hätte auch Telemann – einen Ausspruch mustergebender Literatur zu befruchten. Dass er auch we- von Haydn gegenüber Mozart vorwegnehmend – von seiner sentliche Beiträge zur Etablierung des öffentlichen Konzertle- Musik sagen können, dass man sie «durch die ganze Welt» bens lieferte und als Veranstalter beispielhaft voranschritt, sei (freilich die europäische) verstehe. wenigstens am Rande erwähnt und möge am Schluss dieses Die im diesjährigen Programm einbezogene Komposition schlaglichtartigen Blickes auf einen «Modernen unter den Al- aus Telemanns berühmter und quasi einem Kompendium in- ten» und seine «seltenen Verdienste um die Music» stehen. strumentalmusikalischer Formen und nationaler Stile gleich- kommender Sammlung «Musique de table» (1733) vermittelt Einblicke in diese Klangwelt. Die Sammlung lenkt den Blick aber auch auf Telemanns Engagement bei der Verbreitung seiner Werke. Ganz erfüllt von dem Gedanken: «Wer vie- len nutzen kann, thut besser, als wer nur für wenige was schreibet» (1718), der sich nicht nur auf seine Kompositionen auswirkte, gab Telemann über zwei Jahrzehnte hinweg ihm wichtige Werke im Selbstverlag heraus, oftmals die Noten ei- genhändig stechend. Dabei nutzte er ab 1728 als einer der Ersten in Deutschland eine Druckplattenlegierung, die erst kurz zuvor in England erfunden worden war. Und dass auch die 1733 publizierte «Musique de table» zur Risikominimie- rung auf Pränumerationsbasis vertrieben wurde, vermittelt einen weiteren Einblick in das fortschrittliche unternehmeri- sche Denken Telemanns. Die Liste der Subskribenten druckte er (werbewirksam) auf den ersten Seiten mit ab. Daraus ist zu ersehen, dass 185 Besteller in Vorkasse gingen und 206 Exemplare dieser prachtvollen Sammlung erwarben. Ein gro- sses Vertrauen, was Angehörige aus Adelskreisen und ebenso musikalische Laien wie Berufsmusiker aus Deutschland, Hol- land, Frankreich, England, Spanien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und dem Baltikum Telemann da entgegenbrach- ten in der Gewissheit, Besonderes zu erwerben. Wie liesse

112 113 auch die Frage nach dem Klangstil dieser Epoche und 8 dieser Orgel thematisieren und die besondere Position des grossen Orgelbauers Johann Andreas Silbermann Montag, 24. August 2015 umreissen, der aus der deutschen Tradition bzw. einer 12.15 Uhr, Predigerkirche sächsischen Familie stammte und sein berufliches Le- ben in Strassburg geführt hat: Welche Einflüsse aus Zwischen deutschem und französischem französischer und deutscher Ästhetik prägten diesen Orgelbau – Johann Andreas Silbermann in Basel berühmten Handwerkerkünstler und seine Instrumen- te, die so zahlreich in und um Basel bestellt und gebaut Demonstration der Silbermann-Orgel in der worden sind? Predigerkirche durch Jörg-Andreas Bötticher Neben Antworten auf all diese Fragen wird es auch ei- nige schöne Musik geben – passend sowohl zum The- Eintritt frei, Kollekte ma «Vom Barock zur Klassik» wie auch zu dieser wun- derschönen Orgel. Jeder kennt das pracht- Niemand kennt dieses volle Äussere der «Kö- Instrument besser und nigin der Instrumente», ist für diese Demonst- jeder bewundert das ration geeigneter als der «volle Werk» in einer Organist dieser Kirche, schön überakustischen Jörg-Andreas Bötticher, Kirche, jeder geniesst die der sich weit über Basels Grösse einer Bach’schen Grenzen hinweg auch Orgelfuge. Aber wer hat als Cembalist, Ensem- schon einen Blick «hin- bleleiter, Schola-Dozent ter die Kulissen» und in und Spiritus Rector der eine offene Orgel getan? Abendmusiken in der Wer weiss, was eine Predigerkirche in hohem Windlade ist, was die Mass profiliert hat. Jörg-Andreas Bötticher wunderbare Vielfalt des Orgelklanges bestimmt, wie das alles funktioniert? Die Demonstration ist aber weit mehr als eine Ein- führung in die Geheimnisse des Orgelbaus. Sie soll

114 115 Jörg-Andreas Bötticher hunderts unbeschadet überstanden. Mit der Orgelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs das Bewusstsein, den Die Silbermann-Orgel der Predigerkirche Basel historischen Kern der Silbermann-Orgeln als ein unschätz- bares Erbe der Barockzeit verantwortungsvoll bewahren bzw. ie Stadt Basel hatte im 18. Jahrhundert die grösste wiederherstellen zu wollen. Die Silbermann-Orgel im Dom Dichte an Orgeln der französischen Silbermann-Li- zu Arlesheim, bei der ausser grossen Teilen des Gehäuses Dnie um Andreas (1678–1734) und Johann Andreas noch ca. 70% der Pfeifen auf Silbermann zurückgehen, wur- Silbermann (1712–1783). Deren Instrumente befanden sich de in diesem Sinne schon 1958–1962 von Metzler vorbildlich im Münster, in St. Peter, St. Leonhard und in der Predigerkir- restauriert. Inzwischen wurde sie mit neueren Erkenntnissen che. Diese Orgeldynastie ist besonders interessant, weil sich über die Windversorgung und Intonation bereits wieder re- hier Verbindungen zwi- vidiert (Gaston Kern 2005). Ihr folgten die Rekonstruktion schen französischem, elsäs- bzw. der Neubau einer Orgel im Silbermann-Gehäuse in der sischem und deutschem Peterskirche (1968) und der Leonhardskirche (1969). Orgelbau ergeben. Hörend Der christkatholische Schulmusiker, Organist und Chor- lässt sich auch heute noch leiter Hans Bieli erkannte schon früh die Bedeutung des In- nachvollziehen, was Jo- strumentes in der Predigerkirche. Im Frühjahr 1965 wurde hann Andreas Silbermann der Orgelexperte Heinz Kobel mit einer Expertise beauftragt. beispielsweise bei seinem Er empfahl einen Neubau im alten Gehäuse, jedoch keine Onkel Gottfried (1683– Rekonstruktion, «da die Musikgeschichte seit Silbermann 1753) in Freiberg in Sach- immerhin um 200 Jahre weitergeschritten» sei. Darauf wur- sen gelernt und welche Ele- den verschiedene Orgelbauer angefragt. Auch ein Verkauf mente dessen Orgelstils er des Gehäuses wurde geprüft. Im August 1968 entschied sich nach Strassburg und Basel der Gemeinderat für eine «neue Orgel nach Bauweise Silber- mitgebracht hat. Die Orgel Pfeifen im Prospekt des Rückpositivs, mann» und vergab den Auftrag an die Firma Metzler. Dabei in der Predigerkirche wurde Foto: Franz-Josef Stiele Werdermann wurde auch festgehalten: «Kunsthistorisch darf die jetzige «ex liberalitate civium» (so Orgel nicht von Basel abwandern, weil Basel in Europa der das Emblem über der Orgel) als 35. Instrument Johann And- Platz mit den meisten Silbermann-Orgeln ist.» (Aktennotiz reas Silbermanns – nach längerer Planung und Vorarbeit – vom 14.8.1968) 1767 in nur 27 Tagen aufgestellt, intoniert und gestimmt und In die Rekonstruktion der Orgel 1978 durch die Firma 1769 durch ein Rückpositiv ergänzt. Metzler in Zusammenarbeit mit Bernhard Edskes und Marc Leider hat keine der Orgeln in Basel und der Region die Schaefer flossen die bisherigen Erfahrungen des noch jungen ästhe­tischen und bautechnischen Veränderungen des 19. Jahr- historisierenden Orgelbaus in der Schweiz und im nahen

116 117 Elsass ein wie auch die Forderungen der in Basel lehrenden Orgelprofessoren Eduard Müller und später Jean-Claude 9 Zehnder an neue Barockorgeln. Besonders letzterer beschäf- tigte sich intensiv mit spieltechnischen und klanglichen Kom- Montag, 24. August 2015 ponenten des Orgelspiels, wie sie aus dem Studium der histo- 18 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal rischen Quellen erwachsen. Wenn die Predigerkirche auch nur sehr wenig originale Jean (Johann) Schobert, «Sonates en trio pour Pfeifen aus der Zeit von Silbermann enthält, darf das Er- Clavecin ou Pianoforte, 2 Violons et Violoncelle» gebnis der Rekonstruktion von 1978 als äusserst gelungen bezeichnet werden. Die Spielanlage ist zu 100% nach Sil- Edoardo Torbianelli, Anaïs Chen, Eva Saladin, bermann rekonstruiert, die Register kommen einzeln und Fernando Caida Greco in ihren verschiedenen Mischungen den besten erhaltenen Silbermann-Orgeln in der Region sehr nahe (Marmoutier, Eintritt: 25 CHF Ebersmünster, Arlesheim). Es ist zudem ein Glücksfall, dass die Orgelklasse der Schola Cantorum Basiliensis, der Lehr- und Forschungsinstitut für Alte Musik, auf der neu erbauten Programm Orgel Gastrecht bekam. Dadurch kamen in den letzten über 30 Jahren Hunderte von Orgelstudenten aus aller Welt in Johann Schobert (1735–1767) Kontakt mit diesem wunderbaren Instrument. Sonate en quatuor Op. VII, Nr. 1 («Avril») Es-Dur Der Organist der Predigerkirche, Jörg-Andreas Bötticher, Allegro moderato – Minuetto/Trio – Allegro assai führt in die Geschichte dieser Orgel ein, erläutert die Regis- ter und zeigt die Besonderheiten der typischen elsässischen Sonate pour le clavecin avec l’accompagnement Klangmischungen der spätbarocken Zeit. du violon Op. I, Nr. 2 C-Dur Allegro assai – Andante Polonoise – Allegro assai e scherzando

Sonate en quatuor Op. VII, Nr. 2 («May») f-moll/F-Dur Andante – Minuetto/Trio – Allegro

118 119 Sonate pour le clavecin avec violon et basse Zum Programm Op. XVI, Nr. 1 B-Dur Andante – Menuetto/Trio – Presto In der «Correspondance Littéraire» vom September 1767 berichtet der Baron Grimm eingehend über das Sonate en quatuor Op. VII, Nr. 3 («Juin») tragische Schicksal, das wenige Tage vorher Johann g-moll/G-Dur Schobert, «einen der besten Cembalisten von Paris», Andante – Tempo di minuetto / Trio und seine ganze Familie das Leben gekostet hatte: eine Wanderung im Wald mit Pilzsammlung, der Versuch, in zwei unterschiedlichen Wirtshäusern am Waldesrand­ die Pilze kochen zu lassen, jedes Mal vom Küchen- meister und Oberkellner abgelehnt unter Hinweis auf die Giftigkeit der Pilze, das sture Beharren eines be- freundeten Arztes in der Familiengruppe, der von der Essbarkeit der Pilze überzeugt war, schlussendlich ein fatales selbst zubereitetes Abendessen zu Hause, die Unmöglichkeit, Hilfe zu rufen, da alle Beteiligten von der Vergiftung betroffen waren, die Entdeckung der auf dem Boden liegenden Vergifteten erst am nächsten Morgen, in mehreren Fällen tagelange Todeskämpfe, Beginn des Cembaloparts der Sonate en quatuor Op. VII, Nr. 3 («Juin») kein Überlebender. Im selben Nachruf äussert sich Baron Grimm über die Eigenschaften von Schobert als Klavierspieler und Quellen: Komponist: grosses Talent, brillanter und zauberhafter Sonates pour le clavecin qui peuvent se jouer avec l’accompagnement du violon. Vortrag, unvergleichbar leichter Anschlag und überaus par Mr. Schobert, Clavessiniste de S. A. Ser. Mgr. Le Prince de Conti. Opera I. (1761) fantasievolle Verzierungsweise. Sein Genie sei nicht so gross wie jenes von Eckard, aber seine Musik würde Sonates en quatuor pour le clavecin avec accompagnement de deux Violons et Basse ad Libitum. Dédiées à Monsieur le Comte de Brancas Ancien Colonel die Leute mehr ansprechen, zwar mit weniger guten d’Infanterie par Mr. Schobert, Claveciniste de S.A.S. Monseigneur Le Prince de Ideen als sein Konkurrent, aber dafür mit entzückender Conti. Opera VII. (1764) Leichtigkeit und guten harmonischen Effekten. IV Sonates pour le clavecin avec l’accompagnement d’un Violon et Basse. Die Gegenüberstellung mit der Musik des strenge- Opera XVI (posth) ren und gesuchteren Johann Gottfried Eckard findet sich auch in einem Brief von Leopold Mozart von

120 121 seiner Reise mit seinen Kindern in Paris an Madame plexeres und facettenreicheres Phänomen als man glau- Hagenauer im Februar 1764. Hier wird Schobert so- ben würde und bisher angenommen hat. Die Sonate gar als ein ganz unaufrichtiger und falscher Charakter für ein Klavierinstrument (Cembalo o Pianoforte) mit beschrieben, neidisch und eifersüchtig auf den guten (Ad-libitum-)Begleitung eines (oder mehrerer) Streich- Vortrag der schwereren Werke von Eckard durch die instrumente ist in dieser Zeit eine häufig gepflegte junge Tochter Mozarts (Nannerl). Die wichtigsten Kla- Gattung, die auch ganz besondere Konnotationen auf- vierkomponisten von Paris hatten die Wunderkinder weist. Im sozialen Sinne ist sie unter anderem ein Ort Mozart besucht und mit dem Geschenk ihrer Werke der Begegnung zwischen Mann (an der Geige) und Frau bedacht. (am Klavier), wobei die Interaktion der beiden Instru- Das Gefällige, der einfachere Stil der Schobert’schen mente sogar bis zu erotischer Symbolik gehen kann. Musik, der die genuinen, glänzenden Klaviereffekte Musikdidaktisch ist sie die Gattung, in der ein voll- und schön verbundenen Harmonien ausnutzt und auf kommener Musiker durch sein Geigen- (oder häufig einem perlenden und abgerundeten Vortrag beruht, fin- auch Flöten-)Spiel dem/-r jüngeren, auszubildenden det berechtigten Platz in der Geschichte der sich ent- Klavierspieler/-in den schönen Ausdruck, vor allem wickelnden Pianofortemusik für den Gebrauch einer aber den richtigen «Aplomb» lehrt und ihn/sie mit sei- galanten Gesellschaft, die u.a. die neuen Ausdrucks- nen musikalischen «Kommentaren» in der Bahn hält. möglichkeiten des «Hammercembalos» zu schätzen «Aplomb», ein Wort, dessen musikalische Bedeutung weiss. In Paris wird der Gebrauch des Pianofortes nur partiell durch «Taktfestigkeit» übersetzt werden schnell zunehmen, obwohl die Koexistenz mit dem kann, ist in jener Zeit in Frankreich ein wichtiger Be- traditionsreichen Cembalo noch lange Jahre dauern griff in der Musik, der eine äusserst genaue, aber orga- wird. Schobert wird zum Inbegriff eines neuen Stils nische und nicht allzu «metronomische» Haltung des in der Musik für Tasteninstrumente. Nach ihm wird in Tempos bezeichnet, die sich mit Eleganz, Charme und Paris um die Jahrhundertwende eine grosse Reihe von Selbstsicherheit verbindet. Häufig vom Meister «hinter Klavierkomponisten, nicht selten von deutscher oder dem Pult» der Jüngeren am Klavier improvisiert, wer- böhmischer Herkunft (Schobert war vermutlich Schle- den dann diese Begleitungen, wenn notiert, zu einem sier), den Grundstein für eine wichtige pianistische Tra- wichtigen integrierenden Bestandteil der Komposition, dition legen. Darunter befinden sich Namen wie Dus- der einem häufig schon selbständigen Musikstück neu- sek, Hüllmandel, Edelmann, Hélène de Montgéroult, en Reiz und Fülle hinzufügt. die Gebrüder Jadin, Louis Adam und andere. Das erklärt den grossen Erfolg und die hohen Ver- Charakteristisch für Schobert und die Generation kaufszahlen der Schobert’schen Werke in Paris. Ihre nach ihm wird auch eine gewisse neue Kombination Drucklegung wurde sehr wahrscheinlich vom Kompo- des Klavierinstruments mit den Streichern – ein kom- nisten selber bezahlt und organisiert und nur dank der

122 123 vornehmen Patronage des Prinzen Conti ermöglicht, Seine zahlreichen CD-Produktionen (harmonia des adligen Mäzens, dessen Kammercembalist Scho- mundi, Pan Classics, Glossa, Phaedra, Gramola ...) sind bert war. von der Presse immer mit Lob und Preis geschätzt (u.a. Bei den Sonaten «en quatuor» entwickelt sich Scho- 2-mal Diapason d’or und ein Ehrendiplom der ungari- berts Schreibweise fast in Richtung einer konzertie- schen Liszt-Studiengesellschaft in Rahmen des «Grand renden Struktur. Im dritten Quartett werden in der Prix du Disque 2012»). Klavierpartie Solostellen gegenüber Tutti-Eintritten Unter seinen Spielpartnern befinden sich u.a. Tho- ausdrücklich angedeutet. Charmant sind die Monats- mas Albertus Irnberger, Pierre-André Taillard, Lyn- bezeichnungen, von denen wir «Avril», «May» und don Watts, Sergio Azzolini, Amandine Beyer, Leila «Juin» ins Programm aufnehmen. Schayegh, Chiara Banchini, Cristoph Coin, Maria Edoardo Torbianelli Christina Kiehr, Gerd Türk. An der Schola Cantorum Basiliensis und an der Edoardo Torbianelli, Hochschule für Künste Bern (HKB) ist er seit 1998 resp. Fortepiano 2008 Dozent für Hammerklavier, Kammermusik und Nach dem Klavier- und historische Aufführungspraxis. Cembalodiplom in Tries- 2010 war er in der Forschungsabteilung der HKB Lei- te (I) studierte er u.a. an ter eines Projekt über Ästethik, Technik und Didaktik der Hochschule Antwer- des Klavierspiels zwischen 1800 und 1850. pen (B) und an jener von Er ist auch Gastdozent an mehreren Institutionen in Tillburg (NL). Schon mit Europa (worunter das Forschungszentrum für Musik in 20 Jahren interessierte Royaumont), an der Universität von Bogotà (Kolumbi- er sich für historische en) und er ist seit September 2014 an der Universität Auf­führungspraxis und La Sorbonne in Paris für den instrumentalen Teil des erforschte mit schriftlichen Quellen und Tondokumen- neuen Masters Musikologie/Fortepiano angestellt. ten die Technik und Ästhetik des klassischen und ro- mantischen Klavierspiels. Anaïs Chen, Violine Er spielte für berühmte Konzertreihen in ganz Euro- Anaïs Chen hat in Zurich und Detmold moderne Vi- pa und in Kolumbien, machte Aufnahmen für mehrere oline studiert und sich in Berlin und Basel auf Barock- Rundfunkstationen und bespielte historische Hammer- violine spezialisiert, wo sie jeweils mit Auszeichnung klaviere aus den wichtigsten Instrumentensammlun- abschloss. gen Europas. Sie ist Preistragerin mehrerer internationaler Wett- bewerbe (u.a. Premio Bonporti mit dem Ensemble Dai-

124 125 monion, Telemann-Wettbewerb Magdeburg, H. I. F. Geige bei Kees Koelmans und Barockgeige bei Lucy van Biber Wettbewerb St. Florian, Concorso di Musica anti- Dael am Konservatorium Amsterdam. ca Genova Nervi). Sie war Mitglied der Schweizeri- Danach studierte sie Barockgeige bei Leila Schayegh schen Studienstiftung und erhielt einen Werkjahres- und David Plantier an der Schola Cantorum Basiliensis preis der Dienemann-Stiftung Luzern. und schloss das Studium 2013 mit Auszeichnung ab. 2010 bis 2012 kam sie Auch beschäftigte sie einer Lehrtatigkeit als sich intensiv mit histo- Dozentin fur Barockvi- rischer Improvisation in oline an der Hochschu- der Klasse von Rudolf le fur Musik Karlsruhe Lutz. nach. Sie experimentiert Im Rahmen einer in- mit den verschiedenen ternationalen Tatigkeit überlieferten Spielsti- als Solistin, Kammer- len und -techniken und musikerin und Konzert- erforscht die Entwick- meisterin wird sie von lungsgeschichte der Edi- Ensembles wie La Fenice tion von Violinliteratur. (Jean Tubéry), La Cetra, Freitagsakademie Bern, Gli An- Regelmässige Zusammenarbeit mit La Cetra Ba- geli Genève, Il Profondo, Kesselberg Ensemble, Il con- rockorchester Basel, Il Profondo (CH), Profeti della certo delle viole und weiteren eingeladen. Quinta (IS/CH), De Nieuwe Philharmonie Utrecht Sie widmet sich dem von ihr und der Cembalistin (NL), Ensemble Odyssee (NL), Stile Galante (IT). Sie María González gegründeten Ensemble ­Daimonion machte mehrere CD-Aufnahmen und spielte an Fes- (www.ensembledaimonion.com) und dem Duo tivals und in Konzertreihen wie Oude Muziek Serie L’Istante (www.listante.com) mit dem Cembalisten Jo- Nederland, Grachtenfestival Amsterdam, Freunde alter hannes Keller, mit welchen sie zu zahlreichen Festivals Musik Basel, Festival de l’Abbaye Saint-Michel en Thi- und Konzertreihen eingeladen wird. érache, La Folia Rougemont, Alte Musik Tage Berlin.

Eva Saladin, Violine Fernando Caida Greco, Violoncello Eva Saladin (Niederlande/Schweiz, 1987) erlernte das Der Cellist Fernando Caida Greco legte nach Studien Geigenspiel in Arnhem (NL) bei Anna Wiersum und Ai- bei Jorge Schultis sein Diplom summa cum laude am mée Broeders. Von 2005 bis 2011 studierte sie Bachelor Conservatorio Santa Cecilia in Rom ab. Er führte seine (Diplom mit Auszeichnung) und Master auf moderner Studien fort bei Amedeo Baldovino und schliesslich an

126 127 der Musik-Akademie Basel, wo er ebenfalls mit Erfolg das Lehr- wie das Solistendiplom ablegte. Nach einer 10 Weiterbildung bei Ivan Monighetti und Rocco Filippini legte er das Kammermusikdiplom der Accademia Nazi- Montag, 24. August 2015 onale di Santa Cecilia ab. 20.15 Uhr, Martinskirche Er gewann namhafte internationale Wettbe- Domenico Cimarosa, «L’impresario in angustie» – werbe, 2002 erhielt er eine unbekannte Opera buffa den 1. Preis des interna- Libretto von Giuseppe Maria Diodati (aktiv 1786–1798), tionalen Wettbewerbs Uraufführung: Neapel, Teatro Nuovo, 1786 V. Bucchi (Rom). Er un- terrichtet beim Meis- Pietro Naviglio – Bass Don Cristobolo, Impresario terkurs der Accademia Giuseppe Naviglio – Bass Don Perizonio, Librettist Musicale Pescarese so- Sara Bino – Sopran Fiordispina, prima buffa wie am Conservatorio Cristina Grifoni – Sopran Merlina, prima donna di Pescara. giocosa Paola Leoci – Sopran Doralba, prima donna seria Makoto Sakurada Gelindo, Komponist Alberto Comes Strabinio

Hans-Dieter Jendreyko Sprecher Daniel Tuzzato Kostüme Raphael Zehnder Beleuchtung

Ensemble Musica Fiorita

Priska Comploi, Katharina Andres – Oboe Katharina Heutjer, German Echeverri Chamorro – Violine Salome Janner, Lola Fernandez – Viola Jonathan Pešek – Violoncello Hiram Santos – Fagott Olivier Picon, Ella Vala Ármansdóttir – Horn

128 129 Marco Lo Cicero – Violone komische «farsa per musica» (musikalische Farce/Pos- Juan Sebastian Lima – Theorbe se) «L’impresario in angustie» ironisiert die Eitelkeit Rafael Bonavita – Barockgitarre der Primadonnen, die Ignoranz der Librettisten und Daniela Dolci – Cembalo und Leitung die Unehrlichkeit der Impresarios. Charakteristisch für die Gattung der «farsa» sind der freche Humor und die Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert derbe, dialektale Sprache, die so manche Figur als ein- faches Gemüt entlarvt. Uraufgeführt wurde das Stück des neapolitanischen Zum Programm Komponisten Domenico Cimarosa (1749–1801) im Jahr 1786 im Teatro Nuovo in Neapel. Bis zur Jahrhun- In einem Theater in der dertwende wurde es von Lissabon bis Kopenhagen in Nähe von Neapel wird ganz Europa gespielt. 1787 wohnte Johann Wolfgang gerade eine neue Opern- von Goethe einer Aufführung in Rom bei und war so produktion vorbereitet. begeistert, dass er das Stück auf Deutsch übersetzte Die drei Primadonnen und es ab 1791 als «Die theatralischen Abenteuer» in Fiordispina, Merlina und Weimar aufführte, indem er zwei eigene Lieder – «Die Doralba verlangen vom Spröde» und «Die Bekehrte» – und später auch Teile Librettisten und vom aus Mozarts «Der Schauspieldirektor» hinzufügte. Eine Komponisten Rollen neuerliche Bearbeitung von «Die theatralischen Aben- und Arien, die jede von teuer» durch Christian August Vulpius wurde noch bis ihnen glänzen lassen, 1810 in Weimar gespielt. Ein weiterer berühmter Meis- und fordern auch dem ter, der Gefallen an Cimarosas «farsa» fand, war Joseph frustrierten Impresario Haydn, der «L’impresario in angustie» leicht verändert Don Cristobolo einiges 1790 im Schloss Eszterháza aufführte. ab. Wird er es schaffen, Werke wie dieses verhalfen Domenico Cimarosa zu alle zufriedenzustellen Domenico Cimarosa, Stich von Giovanni europaweitem Ruhm. Als Sohn von Arbeitern studierte und die Oper aufzufüh- Battista Sasso nach Antonio Bramati er am Conservatorio di S. Maria di Loreto in Neapel. ren? 1772, kurz nach Ende seiner Ausbildung, komponierte Der Opernbetrieb er seine erste Oper und war bald in seiner Heimatstadt und insbesondere die Figur des profitgierigen Impre- und ganz Italien berühmt. Zehn Jahre später wurde er sario sind in vielen satirischen Bühnenwerken des Lehrer an den venezianischen Ospedaletti, und sein späten 18. Jahrhunderts beliebte Themen. Auch die wachsender Erfolg führte zu seiner Berufung nach

130 131 St. Petersburg durch Katharina die Grosse. 1791 ver- liess er Russland und wurde Kapellmeister in Wien, wo er seine bedeutendste Oper, «Il matrimonio segreto», uraufführte. Kurze Zeit später kehrte er zurück in seine Heimat, wo er Kapellmeister der Königlichen Kapelle des Hofes von Neapel wurde. Cimarosa starb 1801 in Venedig während der Vorbereitungen einer Opernpro- duktion zur Karnevalszeit. Seit 25 Jahren bringt das Ensemble Musica Fio- rita unter der Leitung von Daniela Dolci Werke der Spätrenaissance und des Barock auf die Bühne. Das Ensemble reflektiert den neuesten Stand historischer Aufführungspraxis und ist einerseits der Werktreue, andererseits der Lebendigkeit verpflichtet. Zum Ensemble

Repertoire, Instrumentarium und Generalbasspraxis von Musica Fiorita berücksichtigen die aktuellsten Strö- mungen in der Alten Musik. Die Klangfarben des in je- ner Zeit beliebtesten Instruments, des Cornetto (Zink), eine vielfältig besetzte Generalbassgruppe (Laute, The- orbe, Viola da Gamba, Psalterio, Cembalo und Orgel) sowie die stilgerechte, reich verzierte Art des Gesangs charakterisieren das Klangbild des Ensembles Musica Fiorita (der altitalienische Ausdruck für Verzierung war «fioriturn»!). Mit instrumentaler und vokaler Virtuosität und einer improvisatorisch wirkenden Interpretation kommt Musica Fiorita einer Spielweise nahe, die man «erfrischend authentisch» nennen könnte. In ihren his- torischen Kontext eingebettet, entwickeln sich auch jahrhundertelang vergessene Partituren zu fühlbarer Lebensnähe. Darüber hinaus ermöglicht Musica Fiorita den Nachvollzug des ganzen Spektrums leidenschaftli-

132 133 cher Affekte – dies ganz im Sinne des Barockzeitalters – ter anderem indem es Werke von Schweizer Barock- und ist damit heute aktueller denn je. komponisten im Ausland aufführt. Dank reger Kon- In der ausgewogenen Mischung vokaler und instru- zerttätigkeit und pädagogischer Arbeit in vielen Teilen mentaler Musik und im Kontrast zwischen geistlichen der Welt (siehe unten) sowie enger Zusammenarbeit und weltlichen Werken verwirklicht Musica Fiorita in mit diversen musikwissenschaftlichen Institutionen ihren Konzertprogrammen das abwechslungsreiche und Bibliotheken konnte ein Kontaktnetzwerk ge- Konzept des Früh- und Hochbarock. Die Aufführungen knüpft werden, wodurch es auch jetzt wieder mehrere ausgewählter Kammermusik werden – wie einst – als Projekteinladungen für die kommenden Jahre erreicht gesellschaftliches Ereignis inszeniert; die Kirchenmusik haben, beispielsweise für das Jahr 2015 eine Opernpro- lebt dagegen von Einfachheit, Poesie und Tiefe. duktion für ein Festival in Italien, für das Jahr 2016 eine Die Besonderheit dieses Ensembles besteht darin, weitere Opernproduktion in Südamerika (in Zusam- dass seine Mitglieder zwar aus vielen Teilen der Welt menarbeit mit Universitäten in Kolumbien und Chile) stammen, dass sie jedoch alle dasselbe Klangbild an- und für das Jahr 2017 wiederum eine Opernproduktion streben und dieselbe «musikalische Sprache» sprechen für die Wiedereröffnung des Markgräflichen Opern- dank ihres Studiums an der Schola Cantorum Basilien- hauses in Bayreuth (UNESCO-Weltkulturerbe). sis, dem Lehr- und Forschungsinstitut für Alte Musik an der Musik-Akademie der Stadt Basel, das nicht nur Daniela Dolci, Leitung die künstlerische Kompetenz seiner Absolventen ge- Die Cembalistin und prägt hat, sondern auch ihre Lust am Forschen, Suchen, Leiterin des Ensembles Entdecken von Neuem, an Horizonterweiterung und Musica Fiorita, Daniela Weiterentwicklung. Dolci (geboren in Sizili- Sowohl hinsichtlich der Konsensfindung – bei aller en), studierte Alte Musik Vielfalt – als auch bezüglich Repertoire, Instrumenta- mit Hauptfach Histori- rium und historischer Musizierpraxis ist das Ensemble sche Tasteninstrumente Musica Fiorita darauf ausgerichtet, Brücken zu schla- an der Schola Cantorum gen und die Alte Musik in aktuelle Zusammenhänge Basiliensis in Basel. In zu stellen. der Folge arbeitete sie Das Ensemble veranstaltet seit vielen Jahren eine im Sinne eines Fortbildungsstudiums mit Gustav Leon- eigene Konzertreihe mit dem Ziel, neu entdeckte Alte hardt in Amsterdam. Schwerpunkt ihres Interesses ist, Musik in den passenden historischen Räumlichkeiten inspiriert durch die Arbeit mit Jesper B. Christensen, in Basel und der Region erklingen zu lassen. Doch auch die originale Generalbasspraxis nach Quellen des 17. international ist das Ensemble Musica Fiorita tätig, un- und 18. Jahrhunderts.

134 135 Ihre mannigfaltige Tätigkeit umfasst Konzerte, Pietro Naviglio, Bass Oper­aufführungen, Fernseh- und Rundfunkaufnahmen begann sein Gesangsstu- mit ihrem und mit anderen Ensembles (René Jacobs – dium bei Gino Lorusso Bach-Tage Berlin, Hans-Martin Linde – Moskauer Kam- Toma, ein Aufbaustudi- mermusikfestival; mit ihrem Ensemble Musica Fiorita in um schloss sich an bei Tallin und Riga, St. Petersburg, Oude Muziek Utrecht; Rina Filippini Del Mona- Händel-Festspiele in Göttingen, Tage der Alten Musik co und Paride Venturi. Herne, Innsbrucker Festwochen der Alten Musik; Tour- Er gewann den Ge- neen in Japan, Polen, Italien, Deutschland, Argentinien, sangswettbewerb Mat- Bolivien, Uruguay; Tanzprojekte in Zusammenarbeit tia Battistini in Rieti und debütierte mit «I Masnadieri», mit Barocktanzgruppen; Musikwissenschaftliche Sym- «Rigoletto», «Il Trovatore», «Don Carlos», «La Travia- posien u. a. m.). Verfügbar sind CD-Einspielungen mit ta», «Lucia di Lammermoor», «La Sonnambula» und «Il den Ensembles Dulzaina und Concerto di Viole sowie Barbiere di Siviglia». mit Ivan Monighetti. Als Solist bei der Oper der Stadt in Bonn trat er in Den pädagogischen Aspekt gewichtet Daniela Dolci «Salomè» von Richard Strauss, «La Fanciulla del West» gleichermassen. Sie hält Vorträge über Komponistinnen und «Tosca», «Gianni Schicchi», «Il Tabarro», «Werther», und Aufführungspraxis in der Alten Musik und gibt Ge- «Manon Lescaut», «Les Contes d’Hoffmann», «Car- neralbass- und Ensemble-Meisterkurse (Leipzig, Riga, men», «Il Guarany» und «Il Barbiere di Siviglia» auf. Moskau, St. Petersburg, Puerto Madryn und Mendoza Seine Konzerttätigkeit führt ihn regelmässig ins Aus- [Argentinien], Santa Cruz [Bolivien], Universität von land (Wiener Konzerthaus, Palau de la Música Catala- Potenza, Matera und Bologna). Inzwischen dirigiert sie na in Barcelona, Berliner Philharmonie, Barockfestival auch moderne Formationen, die ihre Kenntnisse der Al- in Oporto, Montpellier, Parigi, Malta, Salonicco, Sâo ten Musik vertiefen wollen. ­Paulo in Brasilien, Barcelona) mit einem breit gefächer- Im Jahre 2006 erhielt sie eine Würdigung als Frie- ten Repertoire (Aida, Traviata, Nabucco, Un ballo in densbotschafterin durch die Musik von den Ehrenbür- maschera, Ariadne auf Naxos, Carmen, Attila, Tosca, gern Chiquitos, Bolivien. Im Jahre 2008 erhielt sie von Le nozze di Figaro etc.). der Italienischen Republik die Ehrung des Cavaliere dell’Ordine della Stella della Solidarietà Italiana zur Giuseppe Naviglio, Bass Anerkennung ihrer Bemühungen um die italienische wurde in Bari geboren. Er absolvierte zunächst ein Lite- Kultur im Ausland. 2010 erhielt sie den Hans Roth Preis raturwissenschaftsstudium. Zwischen 1992 und 1996 aus Bolivien. war er am Theater in Bonn als Solist engagiert. Ab 1996 arbeitete er mit dem Barockmusiksensemble La

136 137 Cappella della Pietà de’ Turchini in Neapel mit und war Theatertätigkeit als Solistin. Sie trat in verschiedenen bei einigen der angesehensten Theater der Welt zu Rollen in Barockopern wie in «La Calisto» von Francesco Gast (Konzerthaus in Wien, Teatro Colon in Buenos Cavalli (Dirigent A. Marcon), in «Ifigenia in Tauride» Aires, Zarzuela in Madrid, Palau de la Música in Barce- von B. Galuppi (Dirigent F. M. Bessan) und in den Mo- lona, Théâtre des Champs-Elysées in Paris, Teatro zart-Opern «Idomeneo», «La Clemenza di Tito», «Le Olimpico und Accademia Filarmonica in Rom, Teatro nozze di Figaro» (als Susanna) und in «Don Giovanni» di San Carlo in Neapel usw.). Sein Repertoire reicht von (als Zerlina) auf. Alter Musik bis zur zeitgenössischen und symphoni- In Italien und im schen Musik, Opern- und Kammermusik. Er nahm 24 Ausland nahm sie an CDs auf, einige davon erhielten angesehene Auszeich- berühmten Musikfesti- nungen der internationalen Kritik (Timbre de platine, vals unter der Leitung Diapason d’or usw.). Zudem ist er als Dozent im Fach weltbekannter Dirigen- Gesang tätig. ten wie Riccardo Muti, Bei renommierten In- S. Montanari, A. Marcon stitutionen hielt er Kurse u.a. teil. Zu ihren weite- (Centro di musica anti- ren Tätigkeiten gehören ca in Neapel, Fondation Rundfunk- und CD-Aufnahmen mit Werken von Vival- musicale Royaumont in di, Pergolesi, Monteverdi und Caldara, die Teilnahme Paris) und wirkte an Auf- an dem Dokumentarfilm «Musica Nascosta» über An- nahmen für niederländi- tonio Vivaldi sowie die Mitwirkung, dank ihrer starken sche, spanische, israeli­ ­ Bühnenpräsenz, an Theateraufführungen mit Werken sche, österreichische, von H. Purcell, Händel und Hindemith. französische Radiosen- In den letzten Jahren sang sie in der «Juditha Trium- der mit sowie für den deutsch-franzosischen TV-Sender phans» von Vivaldi und in der «Fairy Queen» von Pur- Arte, BBC und Rai. Er war Dozent für Barockgesang am cell sowie als Solistin in der Cappella Marciana in Vene- Konservatorium Niccolò Piccinni in Bari. dig. Das französische Repertoire mit «Le Petit Concert Baroque» führte sie durch ganz Europa. Zurzeit ist sie Sara Bino, Sopran mit der CD-Aufnahme des Requiems von Rubino und in Venedig geboren, absolvierte ihr Gesangstudium am des «Te deum» von G. B. Lully beschäftigt. Conservatorio Benedetto Marcello in Venedig und setzte ihre musikalische Ausbildung an der Schola Can- torum Basiliensis fort. 2003 begann ihre Konzert- und

138 139 Cristina Grifoni, Sopran Paola Leoci, Sopran hat ihre Abschlussprüfung in Gesang mit Auszeich- 1990 in Monopoli (Bari) nung im Jahr 2008 am Konservatorium S. Pietro a Ma- geboren, begann Paola jella in Neapel abgelegt. Bereits im Jahr 2006 begann Leoci das Violinstudium sie, mit mehreren neapolitanischen Chören und Or- an der Musikhochschu- chestern zusammenzuarbeiten. Sie trat mit dem Chor le ihrer Heimatstadt bei Mysterium Vocis in Neapel, Frankreich und Finnland Professorin Rita Paglio- auf. Mit dem neuen Orchester Alessandro Scarlatti nico. Als Sopranistin de- sang sie als Solistin in vielen Konzerten im Auditorium bütierte sie in der Rolle Parco della Musica in Rom, im Auditorium Rai in Nea- der Bastiana in «Bastien und Bastienne» von Wolfgang pel und im Prinzregententheater in München. Amadeus Mozart. Ausserdem war sie bereits in folgen- Im Jahr 2011 spezialisierte sie sich in Kammermu- den Rollen zu hören: Adele in «Die Fledermaus» und sik mit Maestro Antonio Florio und sang bei Festivals Pepi in «Wiener Blut» von Johann Strauss sowie Norina wie Pavia Barocca, Actus in «Don Pasquale» von Gaetano Donizetti. Paola Leoci Humanus, Danzig, Festi- hat an mehreren internationalen Gesangswettbewer- val Bach in Lausanne. Im ben teilgenommen. Sie gibt regelmässig als Sängerin gleichen Jahr gewann sie und Violinistin Konzerte in Italien und Frankreich. den ersten Preis beim Premio Nazionale delle Makoto Sakurada, Tenor Arti mit dem Ensemble Der japanische Tenor für Alte Musik Scarlatti Makoto Sakurada ist seit Lab. 2009 Solist des Chors Im Jahr 2012 gewann der J. S. Bach-Stiftung. sie den internationalen Wettbewerb für Kirchenmusik Sein Schwerpunkt liegt Beata Paola Montaldi. Gegenwärtig arbeitet sie mit im barocken Repertoire. dem Ensemble Turchini di Antonio Florio, mit dem sie Sein Gesangsstudium an vielen internationalen Festivals teilnahm. absolvierte er bei Tada- Im Jahr 2013 nahm sie zusammen mit den Turchini hiko Hirano in Tokyo und Gianni Fabbrini in Bologna. di Antonio Florio die CD «La Santissima Trinità – Ora- Gegenwärtig ist er vorrangig als Solist in Oratorienauf- torio di Gaetano Veneziano» für das Label Glossa auf. führungen zu hören. Er arbeitet mit verschiedenen En- sembles und Orchestern wie der Accademia Bizantina, der Capella della Pietà de Turchini, Europa Galante, Il

140 141 Giardino Armonico oder dem Orchestra Barocca di Ve- H.-Dieter Jendreyko, Sprecher nezia zusammen. hat als Schauspieler und Regisseur u.a. in Bremen, Er arbeitete zusammen mit Dirigenten wie Otta- München, Zürich, Basel, Hamburg, Düsseldorf, Frank- vio Dantone, Antonio Florio, Fabio Biondi, Giovanni furt etc. gearbeitet, bevor er 1986 Antonini, , Sergio Balestracci, Claudio in Basel das Od-theater gründe- Cavina, Philippe Herreweghe, Sigiswald Kuijken und te und in freien Produktionen Ton Koopman. Zusätzlich ist er auch immer wieder (mehrheitlich kantonal und von auf der Opernbühne zu hören, so unter anderem in Stiftungen gefördert) literarisch Monteverdis «Orfeo», «Il ritorno d’Ulisse in patria» und anspruchsvolle Stoffe zu vielen «L´incoronazione di Poppea». Aufführungen brachte. Seit 1995 arbeitet Makoto Sakurada regelmässig mit 2002 erhielt H.-Dieter Jendrey- Masaaki Suzuki und dem Bach Collegium Japan. Tour- ko den Baselbieter Kulturpreis. neen u.a. durch Europa, die USA, Israel und Australien. 1994 begründete er mit Gertrud Er ist Preisträger des Alte-Musik-Wettbewerbes in Antonia Jendreyko «Lyrik im Od-theater». Brügge (2002).

Alberto Comes studierte Gesang bei Bagus Ken- tus Norontako und Professor M. G. Pani am Conservatorio Nino Rota seiner Heimatstadt Monopoli (BA). Er gewann mehrere interna- tionale Wettbewerbe. Sein Debut gab er 2012 in der Rolle des Co- las in Mozarts «Bastien und Bas- tienne»; im gleichen Jahr nahm er an einer Produktion von Strauss’ «Fledermaus» in der Rolle des Ivan teil. Im Jahr 2013 sang er unter anderem den Publio in Mo- zarts «La Clemenza di Tito», 2014 in «Wiener Blut» von Strauss und in «Don Pasquale» von Donizetti. Alberto Comes tritt ausserdem auch an Solist in Kammer- und Kirchenkonzerten auf.

142 143 Johann Wilhelm Hertel (1727–1789) 11 Trio Nr. 2, F-Dur für Harfe, Violine und Violoncello Dienstag, 25. August 2015 Allegro – Largo – Allegro 12.15 Uhr, Peterskirche Johann Wilhelm Hertel «Concert zum täglichen Plaisir» – Konzert F-Dur für Harfe und Streicher Konzerte und Kammermusik für Harfe Allegro con Brio – Adagio – Tempo di Minuetto

Giovanna Pessi – Harfe Anaïs Chen – Violine Zum Programm Daniel Rosin – Violoncello Marc Meisel – Cembalo Johann Wilhelm Hertel Ensemble Ripieni Festivi war ausgebildeter Cem- balist und Geiger. Er Eintritt frei, Kollekte ­leitete die Hofkapelle von Mecklenburg-Stre- litz und war später am Programm Hof von Schwerin als Komponist und Cemba- Georg Christoph Wagenseil (1715–1777) list angestellt. Zu seinen Konzert G-Dur für Harfe und Streicher (1761) Lehrern gehörten Carl Allegro – Andante – Vivace Philipp Emanuel Bach und Franz Benda. Johann Baptist Krumpholtz (ca. 1745–1790) In seiner Autobio- Präludium Nr. 6, g-moll für Harfe graphie erwähnt Hertel Moderato – Lento – Andante siciliano die Harfe erstmals 1748 Marie Antoinette spielt Harfe, nachdem er eine Auf- Gouache von Jean-Baptiste André Gautier Dagoty, Paris 1777 Johann Baptist Krumpholtz führung von Grauns Sonate in B-Dur für Harfe, arrangiert für Harfe «L’Europa galante» ge- und Cembalo von Philip Seybold (18. Jh.) hört hat. Die Aufführung gefiel im ausserordentlich gut, Allegretto – Romanza – Rondo besonders hebt er die Arien des Kontratenors Pasquale

144 145 Bruscolino hervor: «Gemeiniglich begleiteten seine Ari- Harfenistin in Strelitz, wo sie den Forstsekretär und en eine obligate Harfe mit zwo Flöten; welches eine Hofcellisten Johann Samuel Coghow heiratete. Dort überaus gute Wirkung machte.» konzertierte sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahre Während des Siebenjährigen Krieges nahm Hertel die 1800. Stelle als Musikdirektor an der Hauptkirche Strahlsund Georg Christoph Wagenseil wurde als Sohn eines an. Dorthin lud er die junge Harfenistin Marie-Therese Augsburger Kaufmannsgeschlechts in Wien geboren Petrini (1736–1824) zu der Konzertreihe «Concerte zum und vom Hofkapellmeister Johann Joseph Fux ausge- täglichen Plaisir» ein. bildet. Wagenseil komponierte von 1739 bis zu seinem Marie-Therese Petrini, für die Hertel möglicherwei- Ableben für den Kaiserhof. Er war zeitweilig auch als se seine Werke für Harfe komponierte, kam aus einer Organist und Cembalospieler angestellt. Er brachte Harfenistenfamilie. Ihr Vater war der berühmte Petri- Marie Antoinette, die später in Paris vor allem Harfe ni, Harfenist der königlichen Kapelle. Ihre erste Aus- gespielt hat, das Klavierspiel bei. bildung im Harfenspiel und im Gesang erhielt Marie- Johann Baptist Krumpholtz wuchs in Böhmen auf Therese durch ihren Vater. Auch der vier Jahre jüngere und folgte als junger Mann seinem Vater, der als Mu- Bruder Franz wurde durch den Vater ausgebildet, spä- siker Anstellung in Frankreich fand. Krumpholtz führte ter machte er sich ebenfalls einen Namen als Virtuose ein bewegtes Leben, er reiste bereits als junger Mann und Lehrer für Harfe in Berlin. viel und spielte neben der Harfe Oboe, Geige, Bratsche 1740 zog die Rheinsberger Kapelle mit dem jungen und Horn und verdiente zwischenzeitlich sein Geld als König nach Berlin. Hier übernahm Marie-Therese Petri- Verkäufer im Laden des Vaters. Seinen eigenen Anga- ni im Jahr 1750 nach dem Tod ihres Vaters dessen Stelle ben zufolge waren die Harfe und die Komposition sei- als Harfenistin. Nun wurde sie von Johann Friedrich ne grössten Leidenschaften. Er wurde der gefragteste Agricola im Gesang und Generalbassspiel unterrichtet. Harfenlehrer in Paris, konzertierte und schrieb zahlrei- Marie-Therese war sowohl eine ausgezeichnete Harfe- che Kompositionen für sein Instrument. nistin als auch eine sehr gute Sängerin. Eine wichtige Station in seinem Leben spielte Öster- Im Jahre 1754 nahm sie eine Anstellung als Har- reich. Er erhielt Kompositionsunterricht von Wagenseil fenistin in der Kapelle des Markgrafen Karl Albrecht und wurde nach einem gelungenen Konzert am Hof Es- von Brandenburg-Schwedt in Berlin an. Sie trat auch terházy von Joseph Haydn für die Hofkapelle engagiert. als Sängerin in Erscheinung. So sang sie am 27. März Während seiner Zeit als Mitglied des Esterházy’schen 1755 die zweite Sopranpartie in der Uraufführung von Orchesters (1773–1776) soll er auch Kontrapunktlekti- Carl Heinrich Grauns «Tod Jesu». Petrini unternahm onen bei Joseph Haydn genommen haben. Ein beson- auch kleine Konzertreisen. Später erhielt Marie-The- deres Verhältnis verband ihn mit Jan Ladislav Dusík: rese Petrini eine Anstellung als Kammersängerin und Vor dessen Flucht aus Frankreich nach London verliess

146 147 seine Frau, die Harfenistin Anne-Marie Krumpholtz Als Solistin und Kammermusikerin spielt Giovanna (1755–1824), ihren Mann, um mit dem Komponisten Pessi mit zahlreichen Grössen des Fachs wie zum Bei- in die britische Hauptstadt zu gehen. Aus Kummer da- spiel mit Eduardo Egüez, Rolf Lislevand und dessen En- rüber ertränkte sich Krumpholtz 1790 in der Seine. Als semble Kapsberger oder mit Philippe Pierlot und dem Ironie des Schicksals kann es wohl bezeichnet werden, Ricercar Consort. Zahlreich sind auch die CD-Aufnah- dass Anne-Marie später selbst von Dusík für dessen men, an denen sie mitgewirkt hat, hervorzuheben sind zweite Frau Sophie Corri verlassen wurde. dabei zum Beispiel die Einspielung des Händel-Harfen- konzertes mit dem Ricercar Consort im Jahr 2006 oder Giovanna Pessi, Harfe das Album «Diminuito» von Rolf Lislevand, das 2009 in Basel geboren und aufgewachsen, erhielt sie den beim Münchner Label ECM erschienen ist. ersten Harfenunterricht im Alter von sieben Jahren. Giovanna Pessi hat bisher bei vielen Opernproduk- Von 1995 bis 2000 studierte sie historische Harfe und tionen mitgewirkt und hat dabei mit Dirigenten wie Aufführungspraxis an der Schola Cantorum Basiliensis Konrad Junghänel, Philippe Pierlot, Harry Bicket, Niko- bei Heidrun Rosenzweig und in Den Haag bei Edward laus Harnoncourt und zusammenge- Witsenburg. arbeitet. Von 2000 bis 2002 ergänzte sie ihre Ausbildung mit Von 2004 bis 2010 beschäftigte sich Giovanna Pessi einem Studium bei Rolf Lislevand an der Staatlichen als festes Mitglied der norwegischen Formation Chris- Hochschule für Musik Trossingen. tian Wallumrød Ensemble intensiv mit zeitgenössischer Musik auf der Barockharfe. Im Herbst 2010 hat Gio- vanna Pessi mit ihrem Ensemble ein eigenes Projekt für das Label ECM Records mit Songs von Henry Purcell, Leonard Cohen, Nick Drake und Susanna Wallumrød eingespielt, das Album ist im Oktober 2011 erschienen. www.giovannapessi.com

148 149 Ouverture c-moll 12 (Improvisation)

Dienstag, 25. August 2015 Gotthold Ephraim Lessing: «Für wen ich singe», 18 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Strophe 2, 4, 7, 8 (Rezitation und Improvisationen zwischen den Strophen) «Freye Fantasie» und Poesie für die Seele – Hommage an das intimste Instruments des Carl Philipp Emanuel Bach: Rondo c-moll, Wq Sturm und Drang 59/2, H268)

Dirk Börner – Clavichord ∑ Roswita Schilling – Rezitation Moses Mendelssohn: «Auf dem dunklen Pfad» Eintritt: 25 CHF (Rezitation)

Carl Philipp Emanuel Bach, «Freye Fantasie fürs Programm Clavier» fis-moll, Wq 67, H300

Freye Fantasie Es-Dur ∑ (Improvisation) Carl Philipp Emanuel Bach: Sonate A-Dur, Wq «Sei mir gegrüsset, schmeichelndes Clavier» 55/4 (aus: «Clavier-Sonaten für Kenner und (Rezitation J. T. Hermes) Liebhaber», 1. Sammlung, 1779) Allegro assai – Poco adagio – Allegro Variationen über das Thema eines Clavierstücks von G. D. Türk (1750–1813) ∑ (Improvisationen zwischen den Strophen) Christian Friedrich Daniel Schubart: «Serafina an ∑ ihr Clavier» (Strophe 1, 2, 3, 6, 9) (Rezitation und Improvisation gleichzeitig, im Stil eines Melodrams)

150 151 Zum Programm Carl Philipp Emanuel Bachs Rondo in c-moll liefert hierzu eine musikalische Entsprechung. «Sei mir gegrüsset, schmeichelndes Clavier» Der grosse jüdische Philosoph der Aufklärung, Mo- Gemeint ist das Clavichord, Lieblingsinstrument der ses Mendelssohn, dem Lessing in «Nathan der Weise» Empfindsamkeit, welches auf ideale Weise die feins- ein Denkmal setzte, führt uns in die Gefielde des Grü- ten Schattierungen der Seele zu widerspiegeln vermag. belns, Zweifelns und tiefen Nachsinnens: Dem Improvisator liefert es hierzu einen unbegrenzten Auf dem dunklen Pfad, auf dem ein Mensch Vorrat an Klangfarben und verfeinerten Möglichkeiten hier auf Erden gehen muss, gibt es gerade so viel des «touché», wie es Charles Burney, zu Besuch bei Carl Licht, wie er braucht, um den nächsten Schritt zu Philipp Emanuel Bach, aufs Anschaulichste darstellt: tun. Mehr würde ihn nur blenden. ...Wenn er in langsamen und pathetischen Sätzen Die berühmte fis-Moll-Fantasie Carl Philipp Emanu- eine lange Note auszudrücken hat, weiss er mit el Bachs mit ihren enharmonischen Verwechslungen, grosser Kunst einen beweglichen Ton des Schmer- überraschenden Wendungen und ihrem nichtdesto- zens und der Klagen aus seinem Instrument zu trotz doch klaren Aufbau (den man allerdings erst am ziehen, der nur auf dem Clavichord und vielleicht Ende versteht!) zeichnet dieses Grübeln und Zweifeln nur allein ihm möglich ist hervorzubringen ... musikalisch nach. Bekannt ist Carl Philipp Emanuel Bachs Vorliebe für Die unbekümmert-virtuose A-Dur-Sonate entspricht dieses besondere Instrument. Ihn aber auf die solcher- dagegen eher einem Kant’schen Optimismus: Die aus massen beschriebene, nach innen gerichtete Klage zu ihrer – selbst verschuldeten – Unmündigkeit befreite reduzieren, hiesse, seine Nähe zu Sturm und Drang Menschheit strebt ihrer Vervollkommnung entgegen! und zur Aufklärung zu ignorieren. Gotthold Ephraim (Moses Mendelssohn war da wesentlich skeptischer ...) Lessing, mit dem er in den 1740er-Jahren in Berlin be- Sanftes Clavier! freundet war, spottet hierüber in «Nathan der Weise»: Welche Entzückung schaffst du mir. Begreifst du aber, wie viel andächtig Schwär- Christian Friedrich Daniel Schubarts Gedicht, darge- men leichter als Gut handeln ist? Wie gern der boten in Form eines improvisierten Melodrams, führt schlaffste Mensch andächtig schwärmt, um nur uns zurück an unseren Ausgangspunkt: Clavichordim- – ist er zu Zeiten – sich schon der Absicht deut- provisationen und Gedichtrezitati­onen, sich gegensei- lich nicht bewusst – um nur gut handeln nicht tig inspirierend, um Sie, liebes Publikum, anzuregen zu dürfen? zum gemeinsamen Nach-innen-Hören .... In seinem Gedicht «Für wen ich singe», kommt ne- Dirk Börner bem dem Spott auch das Bedürfnis nach stolzer Unab- hängigkeit des Künstlers zum Ausdruck.

152 153 Dirk Börner, Clavichord Interaktion von Tanz und Musik in der französischen Nach seinem Klavier- Barockmusik untersuchte. studium am Conserva- Ein Ergänzungsstudium bei Rudolf Lutz an der Scho- toire national régional in la Cantorum (Basiliensis) im Fach Improvisation absol- Strassburg wendete sich vierte Dirk Börner 2010 bis 2012. Seitdem ist er Mit- Dirk Börner der Alten glied der Forschungsgruppe Basel Improvisation. Musik zu. An der Scho- Dirk Börner ist Dozent für Cembalo, Generalbass, la Cantorum Basiliensis Kammermusik und historische Aufführungspraxis an studierte er Cembalo der Hochschule der Künste Bern und lehrt Generalbass bei Andreas Staier und und Improvisation am Conservatoire national supéri- Jesper Christensen und eur Musique et danse de Lyon. schloss mit dem Solis- Seit dem Wintersemester 2014 unterrichtet Dirk tenaufbaudiplom ab. Börner historische Improvisation an der Schola Canto- Rege Konzerttätigkeit führte ihn durch ganz Euro- rum Basiliensis. pa, Süd- und Nordamerika. Dirk Börner tritt regel­mäs­ sig mit folgenden Ensembles auf: Stylus Phantasticus Roswita Schilling, Rezitation (Pablo Valetti – Violine, Friederike Heumann – Viola da Nach Engagements an gamba), The Rare Fruits Council (Manfredo Kraemer deutschen und schwei- – Violine), Café Zimmermann (Céline Frisch – Cemba- zer Theatern arbeitete lo) und Aux Pieds du Roy. Zahlreichen Einspielungen sie als Sprecherin und als (C. P. E. Bach, J. Mattheson, D. Buxtehude, J. M. Hotte- Sprechausbilderin bei Ra- terre, J. P. Erlebach, A. Reincken, J. S. Bach, F. Mancini) dio SRF. Sie unterrichtet sind bei Alpha, harmonia mundi France, Pan Classics, an Hochschulen und bei Carpe Diem, Astrée Naïve, K 617, Accent und Raum- den Landeskirchen und klang erschienen. Darüber hinaus liegen Rundfunkauf- seit einigen Jahren in ih- nahmen bei Radio de la Suisse Romande, bei Radio rem Atelier für Stimme classique (Paris), France Musique, bei BBC, bei ORF, und Sprache in Arlesheim. beim Bayerischen sowie beim Norddeutschen Rund- Sie erfindet und gestaltet funk vor. literarische und musikalische Abende. Begeistert arbei- Zusammen mit Michael Form leitete Dirk Börner ein tet sie mit alten und neuen Texten aus Literatur, Philoso- vom Schweizerischen Nationalfonds unterstütztes For- phie und Naturwissenschaften. Und sie liebt Psalmen, schungsprojekt («La plasticité du rythme»), welches die Barock, Hölderlin, Dada und viele Gedichte von heute.

154 155 Über das Clavichord Entstehung, und noch viel zu plump, als daß sie ihm hätten Genüge thun können. Er hielt daher das Clavichord für das n seinem Buch «Versuch über die wahre Art, das Kla- beste Instrument zum Studiren, so wie überhaupt zur musi- vier zu spielen» von 1753 bzw. 1762 hat C. Ph. E. Bach kalischen Privatunterhaltung. Er fand es zum Vortrag seiner Ifestgehalten, ein gutes Clavichord, «ausgenommen daß feinsten Gedanken am bequemsten, und glaubte nicht, daß es einen schwächern Ton hat», vereine alle Schönheiten der auf irgend einem Flügel oder Pianoforte eine solche Mannig- Klavierinstrumente in sich, es habe einen «nachsingenden, faltigkeit in den Schattirungen des Tons hervor gebracht wer- schmeichelnden Ton», verfüge über «die Bebung und das Tra- den könne, als auf diesem zwar Ton-armen, aber im Kleinen gen der Töne», könne «alle Arten des forte und piano reine und außerordentlich biegsamen Instrument.» deutlich herausbringen», weil man es «sowohl ziemlich an- Durch all diese Eigenschaften war das Clavichord vom 16. greifen als schmeicheln kann», es unterstütze «am besten eine bis zum 18. Jahrhundert (besonders im Norden Europas) das Ausführung, wo die größten Feinigkeiten des Geschmackes Studieninstrument schlechthin, – es war leiser, kleiner, preis- vorkommen», und es sei «also das Instrument, worauf man werter und transportabler als ein Cembalo, und es war we- einen Clavieristen aufs genaueste zu beurtheilen fähig ist». niger anfällig hinsichtlich Bekielungs- und Stimmungsproble- Tatsächlich hat man durch die Tangenten, die bei dieser men. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Viel üblicher Mechanik den Klang erzeugen, über die dynamischen Schat- als man heute denkt waren wohl damals auch zweimanualige tierungsmöglichkeiten hinaus den direktesten Kontakt mit Pedalclavichorde, auf denen man die gesamte Orgelliteratur der Saite, und man kann den Klang auch noch nach dessen spielen konnte und die als Üb-, Improvisations- und Kompo- Beginn beeinflussen (z.B. durch die berühmte «Bebung», ein sitionsinstrumente einen veritablen Ersatz für die grosse Orgel Hin- und Herwiegen des Fingers, das eine Art Vibrato zur darstellten in Zeiten, als die Kirchen ungeheizt und ausser- Folge hat), man kann ihn modifizieren und «schmeicheln»: dem zum Betätigen der Bälge stets Kalkanten nötig waren. «Wer mit einer guten Art auf dem Clavichorde spielen kann, Ziemlich sicher verfügten die Clavichorde-«Manuale» damals wird solches auch auf dem Flügel [s.v.w. Cembalo] zuwege schon über einen Umfang von 5 Oktaven (F–f). bringen können, aber nicht umgekehrt», meint der «Ham- P. R. burger» Bach. Zu Ehren des «Leipziger» Bach muss man al- lerdings anmerken, dass dieser nicht nur in der Kunst des Improvisierens, sondern auch in seiner Vorliebe für das Cla- vichord bereits vorausgegangen ist. Forkel berichtet darüber 1802: «Am liebsten spielte er auf dem Clavichord. Die soge- nannten Flügel, obgleich auch auf ihnen ein gar verschiedener Vortrag statt findet, waren ihm doch zu seelenlos, und die Pi- anoforte waren bey seinem Leben noch zu sehr in ihrer ersten

156 157 Charles Burney bräunliche Gesichtsfarbe, eine sehr beseelte Miene und ist dabei munter und lebhaft von Gemüt. Besuch bei Carl Philipp Emanuel Bach in Sein heutiges Spiel bestärkte meine Meinung, die ich Hamburg von ihm aus seinen Werken gefasst hatte, dass er nämlich nicht nur der grösste Komponist für Klavierinstrumente ist, achdem ich solche [mehr als 150 Bildnisse von gros­ der jemals gelebt hat, sondern auch im Punkte des Ausdrucks sen Tonkünstlern, teils gemalt, teils in Kupfer gesto- der beste Spieler. Denn andere können vielleicht eine ebenso Nchen] besehen hatte, war Herr Bach so verbindlich, schnelle Fertigkeit haben. Indessen ist er in jedem Stile ein sich an sein Lieblingsinstrument, ein Silbermannisches Cla- Meister, ob er sich gleich hauptsächlich dem Ausdrucksvollen vier, zu setzen, auf welchem er drei oder vier von seinen besten widmet. Er ist, glaub’ ich, gelehrter als selbst sein Vater, sooft und schweresten Kompositions mit der Delikatesse, mit der er will, und lässt ihn in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Präcision und mit dem Feuer spielte, wegen welcher er unter Modulation weit hinter sich zurück. Seine Fugen sind allemal seinen Landsleuten mit Recht so berühmt ist. Wenn er in lang- über neue und sinnreiche Subjekte, und er bearbeitet solche samen und pathetischen Sätzen eine lange Note auszudrü- mit ebenso viel Kunst als Genie. cken hat, weiss er mit grosser Kunst einen beweglichen Ton Aus: des Schmerzens und der Klagen aus seinem Instrumente zu Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise ziehen, der nur auf dem Clavichord und vielleicht nur allein (1770–1772), dt. Übersetzung Wilhelmshaven 1980, ihm möglich ist vervorzubringen. S. 457–458 Nach der Mahlzeit, welche mit Geschmack bereitet und mit heiterem Vergnügen verzehrt wurde, erhielt ich’s von ihm, Carl Philipp Emanuel Bach: «Von der freyen dass er sich abermals ans Clavier setzte; und er spielte, ohne Fantasie» dass er lange dazwischen aufhörte, fast bis um eilf Uhr des Abends. Während dieser Zeit geriet er dergestalt in Feuer §1 Eine Fantasie nennet man frey, wenn sie keine abgemes- und wahre Begeisterung, dass er nicht nur spielte, sondern sene Tacteintheilung enthält, und in mehrere Tonarten aus- die Miene eines ausser sich Entzückten bekam. Seine Au- weichet, als bei andern Stücken zu geschehen pfleget, welche gen stunden unbeweglich, seine Unterlippe senkte sich nieder, nach einer Tacteintheilung gesetzet sind, oder aus dem Steg- und seine Seele schien sich um ihren Gefährten nicht weiter reif erfunden werden. zu bekümmern als nur, soweit er ihr zur Befriedigung ihrer §2 In diesen letztern Stücken wird eine Wissenschaft des gan- Leidenschaft behülflich war. Er sagte hernach, wenn er auf zen Umfanges der Composition erfordert: bey jener hingegen diese Weise öfter in Arbeit gesetzt würde, so würde er wieder sind blos gründliche Einsichten in die Harmonie, und eini- jung werden. Er ist itzt neunundfunfzig Jahr alt, ist eher kurz ge Regeln über die Einrichtung derselben hinlänglich. Beyde als lang von Wuchs, hat schwarze Haare und Augen, eine verlangen natürliche Fähigkeiten, besonders die Fantasien

158 159 überhaupt. Es kann einer die Composition mit gutem Erfolg die nöhige Behutsamkeit wegen des Nachklingens anzuwen- gelernet haben, und gute Proben mit der Feder ablegen, und den weiss, das reizendste zum Fantasiren. dem ohngeachtet schlecht fantasiren. Hingegen glaube ich, §5 Es giebet Gelegenheiten, wo ein Accompagnist nothwendig dass man einem im fantasiren glücklichen Kopfe allezeit mit vor der Aufführung eines Stückes etwas aus dem Kopfe spielen Gewissheit einen guten Fortgang in der Composition prophe- muss. Bey dieser Art der freyen Fantasie, weil sie als ein Vor- zeyen kann, wenn er nicht zu spät anfänget, und wenn er spiel angesehen wird, welches die Zuhörer zu dem Inhalt des viel schreibet. aufzuführenden Stückes vorbereiten soll, ist man schon mehr §3 Eine freye Fantasie bestehet aus abwechselnden harmo- eingeschränkt, als bey einer Fantasie, wo man, ohne weitere nischen Sätzen, welche in allerhand Figuren und Zergliede- Absicht, blos die Geschicklichkeit eines Clavierspielers zu hö- rungen ausgeführet werden können. Man muss hierbei eine ren verlanget. Die Einrichtung von jener wird durch die Be- Tonart festsetzen, mit welcher man anfänget und endiget. schaffenheit des aufzuführenden Stückes bestimmt. Der Inhalt Ohngeachtet in solchen Fantasien keine Tacteintheilung Statt oder Affect dieses letztern muss der Stoff des Vorspielers seyn: findet, so verlanget dennoch das Ohr, wie wir weiter unten bey einer Fantasie hingegen, ohne weitere Absicht, hat der Cla- hören werden, ein gewisses Verhältnis in der Abwechselung vierist alle mögliche Freyheit. und Dauer der Harmonien unter sich, und das Auge ein Ver- §6 Wenn man nicht viele Zeit hat, seine Künste im Vorspielen hältnis in der Geltung der Noten, damit man seine Gedan- zu zeigen, so darf man sich nicht zu weit in andere Tonarten ken aufschreiben könne. Es pfleget alsdenn gemeiniglich der versteigen, weil man bald wieder aufhören muss, und den- Vierviertheiltact diesen Fantasien vorgesetzet zu werden, und noch im Spielen die Haupttonart im Anfange nicht zu bald man erkennet die Beschaffenheit der Zeitmaasse aus den im verlassen, und am Ende nicht zu spät wieder ergreifen darf. Anfange darüber geschriebenen Wörtern. Wir sind bereits aus Am Anfange muss die Haupttonart eine ganze Weile herr- dem ersten Theile dieses Versuchs, in dem letzten Hauptstücke schen, damit man gewiss höre, woraus gespielt wird; man desselben, von der guten Wirkung der Fantasien belehret wor- muss sich aber auch vor dem Schlusse wider lange darinnen den, wohin ich meine Leser verwiese. aufhalten, damit die Zuhörer zu dem Ende der Fantasie vor- §4 Der Flügel oder die Orgel erfordern bey einer Fantasie eine bereitet werden, und die Haupttonart zuletzt dem Gedächt- besondere Vorsicht; jener, damit man nicht leicht in einerley nisse eingepräget werde. Farbe spiele, diese, damit man gut und fleissig binde, und sich §7 Die kürzeste und natürlichste Art, deren sich auch allen- in den chromatischen Sätzen mässige; wenigstens muss man falls Clavierspieler von wenigen Fähigkeiten bey dem Vor- diese letztern nicht wohl kettenweise vorbringen, weil die Or- spielen bedienen können, ist diese: dass man die auf- und geln selten gut temperirt sind. Das Clavichord und das Fortepi- absteigende Tonleiter der Tonart, woraus gespielet werden ano sind zu unserer Fantasie die bequemsten Instrumente. Bey- soll, mit allerhand Bezifferungen und einigen eingeschalteten de können und müssen rein gestimmt seyn. Das ungedämpfte halben Tönen in und ausser der Ordnung mit einer gewissen Register des Fortepiano ist das angenehmste, und, wenn man Vorsicht, zum Grunde leget, und die dabey vorkommenden

160 161 Aufgaben gebrochen, oder ausgehalten in einem beliebigen Christian Friedrich Daniel Schubart Tempo vorträget. Die Orgelpuncte über der Prime sind be- quem, die erwählte Tonart bey dem Anfange und Ende fest- Vom Flügel oder dem Klaviere zusetzen. Vor dem Schlusse können auch sehr wohl Orgel- puncte über der Dominante angebracht werden. lavichord, dieses einsame, melancholische, unaus- §8 Bey Fantasien, wo man Zeit genug hat, sich hören zu sprechlich süsse Instrument, wenn es von einem lassen, weichet man in andere Tonarten weitläuftiger aus. CMeister verfertiget ist, hat Vorzüge vor dem Flügel Hierzu werden nicht eben förmliche Schlusscadenzen allezeit und dem Fortepiano. Durch den Druck der Finger, durch das erfordert; diese letztern finden am Ende, und allenfalls ein- Schwingen und Beben der Saiten, durch die starke oder lei- mal in der Mitte Statt. Es ist genug, wenn die grosse Sep- sere Berühung der Faust, können nicht nur die musikalischen time derjenigen Tonart, worin man gehet, im Basse, oder in Localfarben, sondern auch die Mitteltinten, das Schwellen einer andern Stimme da ist. Dieses Intervall ist der Schlüssel und Sterben der Töne, der hinschmelzende, unter den Fin- zu allen natürlichen Ausweichungen, und das Kennzeichen gern verathmende Triller, das Portamento oder der Träger, davon. Wenn es in der Grundstimme lieget, so hat der Sep- mit einem Wort, alle Züge bestimmt werden, aus welchen timen-, Sexten- oder Sextquintenaccord darüber Statt: aus­ das Gefühl zusammengesetzt ist. Wer nicht gerne poltert, serdem aber findet man es bey solchen Aufgaben, welche rast, und stürmt; wessen Herz sich oft und gern in süssen durch die Verkehrung jener Accorde entstehen. Es ist bey dem Empfindungen ergiesst, – der geht am Flügel und Fortepia- Fantasiren eine Schönheit, wenn man sich stellet, durch eine no vorüber, und wählt ein Clavicord von Fritz, Spath, oder förmliche Schlusscadenz in eine andere Tonart auszuweichen, Stein. – Daher gibt es sehr viele Flügel- und Fortepianospie- und hernach eine andere Wendung nimmt. Diese, und andere ler; aber äusserst wenige Claviristen.» vernünftige Betrügereyen machen eine Fantasie gut: allein sie [...] müssen nicht immer vorkommen, damit das Natürliche nicht «Kannst zwar nicht Concerte mit starker Hand spielen, ganz und gar darbey verstecket werde. denn es hagelt und wettert nicht wie’s Fortepiano, kannst Aus: auch nicht umflutet von vielen Hörern damit rasen und ihr Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen Bravogekreisch, dem Wellengemurmel gleich, somit über- (Berlin 1753 und 1762), zweiter Teil, schreiben. Aber wo das Clavier (ich will sagen Clavichord) Kapitel «Von der freyen Fantasie» Steins oder Fritzens oder Silbermanns oder Spaths gemäch- tig ist, weich und für jeden Hauch der Seele empfänglich, so findest du hier deines Herzens Resonanzboden. Wer am Clavichorde nach dem Flügel schmachtet, hat kein Herz, ist ein Stümper, steht am Rheinstrom und sehnt sich – nach einem Krebsbach. Süs­se Schwermut, schmachtende Liebe,

162 163 Abschiedswehen, Seelengelispel mit Gott, schwühle Ahnung, Sally Fortino Blicke ins Paradies durch jäh zerrissenes Gewölke, süsses Tränengeriesel – und dann die Verzierungen der Kunst im «Gefährtin meiner Einsamkeit» – doppelten und dem unter dem Finger hin sterbenden Triller, Sehnsucht nach dem Clavichord in den schmeichelnden Vorschlägen, im wollüstigen Hin- schmachten der Mitteltinte, in Bund und Schwebung, im Doris ans Clavier Tragen und Beben, in der halben und ganzen Berührung, Gefährtin meiner Einsamkeit! im Pizzicato und Vibrato dieser überraschenden Saiten und Vergnügendes Klavier, leisen Tastenbestreifung. Schau, Spieler oder Spielerin, all Ein frohes Lied voll Dankbarkeit dieses liegt im Clavichorde. Drum sehne dich nicht, wenn du Singt deine Freundin dir. allein vom Monde beschienen phantasierst oder dich kühlst in der Sommernacht oder Frühlingsabende feierst. Ach, da sehne Wie oft labt mich mein Saitenspiel dich nicht nach dem Flügelgetöse. Sieh, dein Clavichord atmet Mit Freuden sanfter Art. ja so sanft wie dein Herz.» Macht den Geschmack, macht das Gefühl Aus: Für jeden Reiz so zart. Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, ca.1784/1785 Verfolgt von ieder Stutzer Schwarm, Flieh ich an mein Klavier. Gleich fast [sic!] mein Damon mich beym Arm, Und singt und spielt mit mir.

Dem Scherz, dem zärtlichen Gesang Will ich mein Leben weihn! Es stimme mit der Saiten Klang, Sey Harmonie, sey rein!

ieses Gedicht (von Loder; ob Mann oder Frau ist un- klar) ist eines von mindestens 43 deutschen Gedich- Dten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in denen das «sanfte Clavier» gepriesen wird. Diese Verse wur- den auch vertont und 1783 in einer Liedersammlung in Leip- zig veröffentlicht. Der Titel der Sammlung lautet «Lieder,

164 165 beim Klavier zu singen»; der Komponist war Christian Gott- hilf Tag (1753–1811), ein Kantor und Lehrer in Hohenstein- Erstthal und Freund Johann Gottlieb Naumanns (1741– 1801).Tags Vertonung scheint die einzige zu diesem Text zu sein, aber es gibt eine grosse Anzahl anderer Liedkompositio- nen zu ähnlichen Claviergedichten. Gemeint ist mit «Clavier» stets das Clavichord, das während der Zeit der Empfindsam- keit wegen seiner starken Ausdrucksmöglichkeiten zum Lieb- lingsinstrument sowohl von Kennern als auch Liebhabern wurde. Um die Eigenschaften des Clavichords in empfindsa- mer und für diese Zeit typischer Weise zu schildern, benutzen die Dichter Ausdrücke wie «süssertönend», «sanft», «schmei- chelnd», «lieblich», «zärtlich», «sanfttröstend», «sanftklagend», «vertrautest», «bestes kleines», «silbertönend», «vergnügend», «sympathetischer Freund», «getreues Saytenspiel» usw. In den meisten Fällen wird dieses Clavichord als eine «Gefährtin der Einsamkeit» idealisiert (wie wir schon gelesen haben) oder als Hilfsmittel für trostsuchende Seelen sogar direkt angespro- Gesang zum Clavichord, aus: Johann Wilhelm Häßler, Clavier- und Singstücke, chen. Die Gedichte sind ein Beweis für die Beliebtheit des Erfurt 1782 Clavichords im späteren 18. Jahrhundert und zeigen deutlich, welche Eigenschaften des Instruments am meisten geschätzt verborgenes Bekenntnis und intimes Vertrauen erlauben. Aus wurden. dieser poetischen Welt erhebt sich das Clavichord und nimmt Die übliche Haupthandlung dieser Dichtung stellt einen die Eigenart einer atmenden, fühlenden, sprechenden und Leidenden (oder eine Leidende) dar, der (oder die) einen sen- hörenden Gestalt an. Der Leidende darf in seinem Kummer siblen, mitleidsvollen Gesprächspartner (nämlich das Clavier) schwelgen. sucht, einen, der als Vermittler dient oder sogar eine Genesung Betrachten wir nun einige Beispiele dieser Poesie. Ver- fördert. Oft wird dem Clavichord gedankt. Häufig bittet die schiedene Dichter/Dichterinnen zollen dem Erfinder des Cla- melancholische Seele das Clavier um Linderung der Schmer- vichords Tribut, wie z.B. in der dritten Strophe des berühmten zen, oder ein Liebhaber ersucht Fürsprache vom Clavier. Gedichts «An das Clavier» aus Sophiens Reise von Memel Die sehr private Beschaffenheit der Schmerzen des Dich- nach Sachsen, dem Roman von Johann Timotheus Hermes, ters (bzw. des Sängers oder Spielers) und die ruhige Ästhetik wo auch der Clavier- und Fortepianobauer Johann Andreas des Clavichords bilden eine nahezu perfekte Paarung, die Stein erwähnt wird:

166 167 Und Heil sey ihm, Vertrauter meiner Brust, Bin ich allein, bin ich allein, Heil sey dem Mann, der dich erfand! Hauch’ ich dir meine Empfindungen ein, Hat ihn, der Schmerz und Lust Himmlisch und rein. An deine Saiten band, Kein Stein genannt? In den meisten Oden zum Clavier werden zwei Aspekte des Instruments offenbart: seine klanglichen Eigenschaften Das Clavichord besass die Kraft, betrübte Herzen zu und seine gefühlsmässige Wirkung. Die sanften Merkma- beruhigen, wie die folgenden Verse von Phi­lip­pine Gatterer le des Clavichords werden besonders betont, wie wir in den («An das Clavier») zeigen: nachstehenden Beispielen lesen können. Solche Eigenschafts- Mit stillem Kummer in der Brust, wörter wie «lieblich», «zärtlich», «sanft», «schmeichelnd», «sil- Schleich ich mich jetzt zu dir. bern» und «harmonisch» grenzen natürlich auch an das Ge- Bring Harmonie in mich, und Lust; fühlsmässige. Der empfindsame Klang des Instruments und Du liebliches Clavier. die Gefühle, die aus den Interpreten bzw. aus dem Zuhörer hervorgeholt werden, sind manchmal schwer zu unterschei- In deine Saiten sing ich’s oft, den. Bestürmt ein Leiden mich. Die Thräne rollt – und unverhoft [sic!] Sanftes Clavier, sanftes Clavier! Geniess ich Ruh durch dich. Welche Entzückungen schaffest du mir! Wenn sich die Schönen tändelnd verwöhnen, Ein Clavierinstrument als Begleitung des Sologesangs Weih’ ich mich dir, liebes Clavier! wurde im 18. Jahrhundert immer in Betracht gezogen. Lieder (Christian Friedrich Daniel Schubart, «An mein sollten Komponist, Dichter, Sänger, Spieler und Instrument Clavier») vereinigen. Die Gefühle der Dichter werden von den Komponisten Die sanften Clavichordklänge können sogar symbolisch übernommen und weiter auf die Sängerin und Clavierspiele- für die gesellschaftlichen Bedürfnisse stehen. Lesen Sie, wie rin übertragen, die zusammen die Emotionen an die Zuhörer, Gottlob Wilhelm Bormann in seinem Gedicht «An mein Cla- soweit vorhanden, übermitteln. Öfters ist die Sängerin in ei- vier» schreibt: nem persönlichen Zwiegespräch mit dem Clavichord wie im Gedicht «An mein Clavier» von Christian Friedrich Daniel O mein zärtliches Clavier, Schubart: Haus und Hof und Weib sey mir! Dein harmonischer Accord Jage meine Grillen fort.

168 169 Was die Ausdrucksmöglichkeiten des Claviers betrifft – Nicht die Menschen, du allein die charakteristische Eigenschaft, die dem Instrument am Webst an meinem Lebensfaden, häufigsten zugeschrieben wurde, ist die Fähigkeit, mensch- Schmeichelst mich in Sonnenschein liche Launen und Gefühlslagen zu spiegeln und auszudrü- Wenn die Wange Thränen baden. cken. Eines der beliebtesten Claviergedichte ist betitelt: «Du (Karoline Luise von Klenke, «An das Clavier») Echo meiner Klagen» (Justus Friedrich Wilhelm Zachariae). Das Clavichord kann Freude, Trauer oder Frömmigkeit Neben dem Spiegeln der Launen des Dichters (Sängers ausdrücken, je nach Stimmung des Sängers oder Spielers: oder Spielers) und dem Überwinden von Trauer oder Einsam- keit, kann das Clavichord sogar Gefühle und Stimmungen Scherz ich, so ertönet mir erschaffen: Ein scherzhaftes Lied von dir; Will ich aber traurig seyn, Unermüdlich will ich hören! Klagend stimmst du mir mit ein; Spiele glückliches Bethören! Heb’ ich fromme Lieder an, Spiele Lust und Traurigkeit! Wie erhaben klingst du dann! Ich will zweifelhaftig scheinen; (Christian Felix Weisse, «Das Clavier») Ich will lächeln; ich will weinen, Wie es dein Clavier gebeut. Emotionen können durch das Clavichord auch besiegt wer- (Gottlieb Fuchs, «Das Clavier») den, indem z.B. Schwermut verschwindet: In einem sehr bekannten Gedicht von Christian Felix Freund! Wie mächtig kannst du siegen! Weisse, «Das Clavier» (die 2. Strophe wurde schon zitiert), Welch ein Schöpfer von Vergnügen für Kinder geschrieben und in mindestens vier Kinderlieder- Ist dein zauberndes Clavier! sammlungen aufgenommen, finden wir, über die Gefühle und Bändiger der finstern Klagen! Launen hinaus, die das Clavichord verkörpert, auch eine mo- Allen Gram kannst du verjagen! ralische Anweisung an den Jugendlichen: Alle Sorgen fliehn vor dir! (Gottlieb Fuchs, «Das Clavier») Du bist, was ich selber will, Bald Erweckung und bald Spiel. Manchmal steht das Clavier vertretend für einen Men- schen und spendet einem Einsamen Trost, wenn menschliche Und einige Zeilen weiter: Gesellschaft fehlt – eine echte «Gefährtin der Einsamkeit»: Meine Freuden müssen rein, So wie deine Saiten seyn.

170 171 Und mein ganzes Leben nie Ohne süsse Harmonie. 13

Dieser Artikel ist die gekürzte Fassung eines Aufsatzes Dienstag, 25. August 2015 der Verfasserin in: Christian und Gregor Klinke (2001): 20.15 Uhr, Martinskirche Fundament aller Clavirten Instrumenten – Das Clavichord. Symposium im Rahmen der 26. Tage Alter Musik in Herne Bläsersextette von Danzi bis Mozart 2001. Musikverlag Katzbichler, München. Ensemble Winds Unlimited

Chen Halevi, Michal Lewkowicz – Klarinetten Lisa Goldberg, Giulia Genini – Fagotte Bart Aerbeydt, Denis Dafflon – Hörner

Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert

Kupferstich von J. Punt nach P. v. Cuyck (1752), ehemals Sammlung Ernst W. Buser, Binningen

172 173 Programm führen der kostbarsten Kleider und des Schmucks, dem Angeben und hochnäsigen Geplänkel, den politischen Johann Christian Bach (1732–1782) und künstlerischen Debatten, das waren musikalische Bläsersinfonie Nr. 4 B-Dur für 2 Klarinetten, Lustbarkeiten bei Hofe, in Privathäusern und auf offener 2 Hörner und Fagott (1782) Strasse. Allegro – Largo – Marche – Cotillion: Allegro Dazu ein Schnipsel mit einer speziellen Beobachtung aus dem «Wiener Theateralmanach»: Franz Danzi (1763–1826) «... In den Sommermonaten trifft man fast täg- Sextett Es-Dur für 2 Klarinetten, 2 Hörner und lich, wenn schönes Wetter ist, Ständchen auf den 2 Fagotte Op.10 Strassen,­ und ebenfalls zu allen Stunden, manch- Allegro – Andante – Allegretto mahl um ein Uhr, und noch später. Man ist gewis- sermassen gezwungen, die Ständchen sehr spät Joseph Haydn (1732–1809) zu halten, da das Gerassel der Wagen, die von Parthia Nr. 4 B-Dur für 2 Klarinetten, 2 Hörner den Soupers immerfort, selbst in abgelegeneren und 2 Fagotte (1761) Strassen,­ immer auf und ab rollen, erst sehr spät Allegro – Andante arioso – Menuetto – Scherzo – Allegro ein Ende nimmt. Diese Ständchen bestehen aber nicht, wie in Italien, oder Spanien in dem simplen ∑ Accompagnement einer Guitarre, Mandore, oder eines ähnlichen Instruments zu einer Vocalstimme, (1756–1791) denn man giebt die Ständchen hier nicht, um seine Serenade Nr. 11 Es-Dur, KV 375, Seufzer in die Luft zu schicken, oder seine Liebe für Bläsersextett (1781) zu erklären, wozu sich hier tausend bequemere Allegro maestoso – Menuetto – Adagio – Menuetto – Gelegenheiten finden, sondern diese Nachtmusi- Finale: Allegro ken bestehen in Terzetten, Quartetten, meistens aus Opern, aus mehreren Singstimmen, aus bla- senden Instrumenten, oft aus einem ganzen Or- Zum Programm chester, und man führt die grössten Symphonien auf. [...] Gerade bei diesen nächtlichen Musiken, Was wäre wohl das Pendant zur Jukebox im 18. Jahr- zeigt sich auch die Allgemeinheit und Grösse der hundert? Etwas Populäres müsste es sein, in dem sich Liebe zur Musik sehr deutlich; denn, sie mögen die sozialen Bedürfnisse jener Tage spiegeln. Und diese noch so spät in der Nacht gegeben werden, zu Bedürfnisse – abgesehen vom üblichen Flirten, dem Vor- Stunden, in denen alles gewöhnlich nach Hause

174 175 eilt, so bemerkt man doch bald Leute in den Fens- schätzte ihn hoch, von Zeit zu Zeit machten die beiden tern, und die Musik ist in wenigen Minuten von Kammermusik miteinander, und stets wusste er in der einem Haufen Zuhörer umgeben, die Beyfall zu- Öffentlichkeit Lobendes über den jungen Kollegen zu klatschen, öfters wie im Theater die Wiederholung sagen. So schmerzte es ihn, als Europas berühmtesten eines Stückes verlangen und sich selten entfernen, Komponisten seiner Zeit, mitansehen zu müssen, wie bis das Ständchen geendigt ist [...]» (Wiener The- Mozart nicht die Anerkennung erfuhr, die ihm gebührt ater-Almanach auf das Jahr 1794) hätte. Ein Grund für den Erfolg derartiger Gruppen – we- Unser Schlussstück ist Mozarts Serenade Nr. 11 Es- nigstens im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts – Dur, KV 375, die zunächst als Sextett geschrieben, später war ihr sehr gebräuchlicher Einsatz als Tafelmusik, den – unter Hinzufügung zweier Oboenparts – zum Oktett die wohlhabende Mittelschicht und der niedere Adel in erweitert wurde. Mozart ist das verbindende Element Anlehnung an den Kaiser Joseph II. pflegte. Der Kaiser zu den übrigen Komponisten unseres Programms: er hatte ein Bläseroktett als Hauskapelle, für die Musik für kannte sie alle, betrachtete Haydn als Freund, Lehrer Freiluftkonzerte in der Tradition der Serenade geschrie- und Mentor. Die starken thematischen Einheiten Johann ben wurde. Christian Bachs erinnern an Mozart, ebenso wie der auf- Die Werke Johann Christian Bachs sind dem galan- regende Gebrauch des Crescendo, den das Mannheimer ten Stil zuzurechnen mit einer Betonung des Gefühls- Orchester vorgemacht hatte, das Danzi so gut kannte. ausdrucks und instrumentaler Virtuosität. Sein Œuvre, das unter anderem Opern, Kammermusik und allein 90 Sinfonien umfasst, ist von enormem Umfang. Franz Danzi war mit seinem sehr differenzierten Ver- ständnis der Eigenheiten und Bedürfnisse von Blasinst- rumenten ein wichtiger Wegbereiter einer idiomatischen Schreibweise für diese Instrumentengruppe. Was Intelligenz und Eleganz angeht, die wir von Haydns Sinfonien gewohnt sind, so bildet die Partita hier keine Ausnahme. Dieser Komponist, der schon al- lein im Hinblick auf seinen musikalischen «Output» alle Zeitgenossen in den Schatten stellt, erhielt sich seine na- türliche Neugier und seinen Witz. Immer wieder kann man an unerwarteten Stellen auf raffinierte Wendungen und Überraschungen stossen. Er kannte Mozart und

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Mittwoch, 26. August 2015 12.15 Uhr, Peterskirche

Violinsonaten von Gaspard Fritz (Genf) und seinen Zeitgenossen

Plamena Nikitassova – Violine Jörg-Andreas Bötticher – Cembalo Maya Amrein – Violoncello Zum Ensemble Eintritt frei, Kollekte Winds Unlimited ist ein einzigartiges Holzbläsersex- tett, welches Chen Halevi, der durch seine glänzende Karriere einen herausragenden Ruf auf internationaler Programm Ebene geniesst, gründete und damit hervorragende Musiker aus aller Welt um sich versammelte. Alle Mit- Johann Antonin Stamitz (1717–1757) glieder des Ensembles spielen auf Nachbauten histo- Sonata I G-Dur rischer Instrumente des 17. und 18. Jahrhunderts. Mit Adagio – Allegro – Minuetto (Sei Sonate da Camera a ihren vereinten musikalischen Kenntnissen und ihren Violino Solo col Basso, op. VI, Paris [1759]) jahrelangen Erfahrungen als Solisten, Kammer- und Or- chestermusiker vereinen sie Authentizität und Fantasie. Gaspard Fritz (1716–1783) Winds Unlimited möchte nicht nur die Meisterwer- Sonata III C-Dur ke grosser Komponisten wie Haydn, Mozart und Beet- Allegro – Largo – Allegro (Sei Sonate a Violino solo e Basso, hoven zur Aufführung bringen, sondern auch weniger Genève 1756) bekannten Perlen der Klassik, etwa Werken von Johann Christian Bach, Hoffmeister, Krommer, Castil-Blaze Armand Louis Couperin (1727–1789) u.a. zu neuem Glanz verhelfen. Sonata III F-Dur Allegro – Andante – Minuetto (Sonates en pièces de clavecin, avec accompagnement de violon ad libitum, Paris 1765)

178 179 Gaspard Fritz perfekt ausbalancierten kompositorischen Lösungen zu Sonata III B-Dur trennen und Neues zu entwickeln. Dennoch gab es Allegro – Largo – Allegro (Sei Sonate a Violino solo e Basso, auch andere Ansätze, die sich nicht unmittelbar auf Genève 1756) Corelli zurückführen lassen und nicht nur neue galante Aspekte ins Spiel bringen, sondern auch bisher unbe- Armand Louis Couperin kannte Bogentechniken und neue Verzierungsarten L’Arlequin ou La Adam [sic] – Rondeau G-Dur – verlangen. La Blanchet G-Dur Der Genfer Komponist Gaspard Fritz studierte in (Pièces de clavecin, Paris 1751) ­Turin und war Schüler von Giovanni Battista Somis. Zu- rück in Genf, war er er- Giuseppe Tartini (1692–1770) folgreich als Violin- und Sonate «le Trille du Diable d’après le Rêve du Musiklehrer tätig und Maitre, qui disait avoir vû le diable au pied de son fand trotz einem Um- lit executant le trille ecrit dans le morceau final de feld enger calvinistischer cette Sonate» Moral in Zirkeln auslän- Larghetto affettuoso –Tempo giusto della Scuola Tartinista – discher Gesandter und Sogni dell’autore andante – Allegro assai – Trillo del diavolo Reisender einen grossen al piede del letto – Andante – Allegro assai – Trillo del Freiraum. Die diversen diavolo – Andante – Allegro assai – Adagio internationalen Wid- mungen seiner Werke lassen die Unterstützung Zum Programm durch viele ausländische Gaspard Fritz, zeitgenössischer Gönner erahnen. So sind Wie könnte man nach Arcangelo Corellis bahnbrechen- Scherenschnitt die im Geburtsjahr Mo- dem Opus V (Rom 1700) noch für Geige und Basso con- zarts komponierten Vio- tinuo komponieren, wo doch die musikalische Sprache linsonaten op. 3 John Penn, dem späteren Gouverneur in diesem Werk eine scheinbar ewig gültige und damit Pennsylvaniens, zugeeignet. Während der Stil seiner So- geradezu klassisch zu nennende Form und Ausprägung naten durchaus vermischt ist und sowohl norditalieni- erhalten hat? In der Tat haben sich die Schüler Corellis sche, französische als auch englische Elemente vereint, leichter damit getan, die Werke des Meisters unendlich scheut Fritz bisweilen weder vor einfachen harmoni- zu variieren und auszuschmücken, anstatt sich von sei- schen Strukturen noch vor höchst virtuosen und extro- nen sowohl formal als auch melodisch und harmonisch vertierten Verzierungen zurück. Gerade die Verbindung

180 181 von schlichten Bassführungen und unerwarteten violi- 1798 erschien unter dem Titel «L’art du violon» in nistischen Eskapaden – immer mit einem humorvollen Paris eine umfangreiche Schule des Geigers Jean-Bap- Augenzwinkern – deutet auf einen gesellschaftlichen tiste Cartier für das Pariser Conservatoire, enthaltend Aufführungskontext, der musikalisches Amusement 140 Stücke der berühmtesten Komponisten des 18. mit distinguierter Konversation, noble Etikette mit ech- Jahrhunderts. Darin unterschied er drei nationale Schu- ter Kennerschaft verbindet. So bewunderte beispiels- len des Geigenspiels, Corelli und Tartini, Stamitz und weise der englische Musikgelehrte Charles Burney Mozart, Leclair und Gavinies, wobei Tartini in seiner nicht nur Fritz’ Leichtigkeit bei der Bewältigung techni- Darstellung einen Ehrenplatz einnimmt. Folgt man den scher Schwierigkeiten, sondern auch seinen Bogenstrich biographischen Angaben, so scheint dieser sich nach sowie seine Ausdrucksfähigkeit im Violinspiel. intensivem Fechttraining in jungen Jahren auf der Gei- Drei Jahre nach Fritz’ op. 3 erschienen die Violinso- ge vor allem autodidaktisch gebildet zu haben. Prägend naten des aus Böhmen stammenden Johann Anton Sta- dürften die drei Jahre im Kloster San Francesco in Assisi mitz. Ab 1741 zunächst als Geiger am Mannheimer Hof­ gewesen sein und die anschliessende Begegnung mit orchester tätig, arbeitete er sich kontinierlich an dessen Veracini 1716, der ihm neue Impulse für eine veränder- Spitze (1750 Hof- und Instrumentalmusikdirektor) und te Bogentechnik gegeben haben soll. Die wohl schon wurde durch die Entwicklung neuer virtuoser und klang- 1749 entstandene «Teufelssonate» war als Manuskript malerischer Elemente zum Begründer der Mannheimer zunächst im Besitz von Giovanni Battista Viotti und Schule. Für einige Jahre weilte er in Paris und hatte dort wurde erst 1799 von Cartier im Druck veröffentlicht. die Leitung des Orchesters von Alexandre Jean Joseph Le Die dazugehörende Geschichte offenbarte Tartini we- Riche de La Pouplinière inne. Es liegt nahe, dass Stamitz nige Jahre vor seinem Tod dem französischen Astrono- in Paris auch in Kontakt kam mit Armand-Louis Cou- men Jerome Lalande (1769): perin, der als Organist an verschiedenen Pariser Haupt- «Eines Nachts träumte mir, ich hätte einen Pakt kirchen amtete und als Cembalist in engsten höfischen mit dem Teufel um meine Seele geschlossen. Al- Kreisen wirkte. Die beiden Cembalostücke aus dessen les ging nach meinem Kommando, mein neuer Madame Victoire de France gewidmeten Pièces de cla- Diener erkannte im Voraus all meine Wünsche. vecin (1751) sind nette Charakterstücke, die sich durch Da kam mir der Gedanke, ihm meine Fiedel zu ihre Verspieltheit selbst zu karikieren scheinen und in überlassen und zu sehen, was er damit anfangen der Luftigkeit der Schreibweise schon das Schwebende würde. Wie groß war mein Erstaunen, als ich ihn des Rokokostils vorwegnehmen. La Blanchet dürfte eine mit vollendetem Geschick eine Sonate von der- Hommage an Elisabeth Antoinette sein, die Tochter des art erlesener Schönheit spielen hörte, dass meine Orgelbauers François-Etienne Blanchet, die er ein Jahr kühnsten Erwartungen übertroffen wurden. Ich später ehelichte. war verzückt, hingerissen und bezaubert; mir

182 183 stockte der Atem, und ich erwachte. Dann griff zunächst intensiver Konzerttätigkeit in der Welt des ro- ich zu meiner Violine und versuchte die Klänge mantischen und zeitgenössischen Repertoires, bevor sie nachzuvollziehen. Doch vergebens. Das Stück, den Weg zur Alten Musik einschlug. Durch das anschlie- das ich daraufhin geschrieben habe, mag das ssende Studium an der Schola Cantorum Basiliensis bei Beste sein, das ich je komponiert habe, doch es Chiara Banchini mit dem Hauptfach Barockvioline spe- bleibt weit hinter dem zurück, was ich im Traum zialisierte sie sich in den Stilrichtungen und Epochen von gehört habe.» der Renaissance bis hin zur Klassik. Die der Geigerin hier zugemuteten teuflischen spiel- Als Duopartnerin konzertiert sie regelmässig mit dem technischen Schwierigkeiten beispielsweise der Dop- Cembalisten und Organisten Jörg-Andreas Bötticher und peltriller des letzten Satzes, durch die diese Sonate dem Pianisten und Dirigenten Rudolf Lutz zusammen. ihren Namen erhielt, sind aber nur ein Aspekt dieses Ihre CD-Einspielungen «Violinsonaten von C. Zuccari», Stückes. Aus der heutigen Perspektive scheint die Fra- Panclassics 2012 (Diapason d’or découverte), «Violinso- ge nicht weniger interessant, ob wir wie Tartini bereit naten von Gaspard Fritz 1747», Panclassics 2014, sowie sind, solche Begegnungen mit dem Unbewussten zuzu- «Violinsonaten von L. v. Beethoven, M. Ravel, C. Debus- lassen und die Macht der Träume als Entwicklungspo- sy», Gallus Media 2014, fanden höchstes Lob bei Publi- tenzial zu nutzen ... kum und Presse. Die Schwerpunkte des Repertoires von Jörg-Andreas Bötticher Plamena Nikitassova liegen bei Werken des Frühbarocks bis zur romantischen Musik. Zum Ensemble Seit 2013 ist sie als Konzertmeisterin des Orchesters der J. S. Bach-Stiftung, St. Gallen, tätig. Sie spielt auf ei- Plamena Nikitassova, ner Geige von Sebastien Klotz, (Mittenwald 1720–1750). Violine Die 1975 in Varna (Bul- Maya Amrein, garien) geborene Geige- Violoncelloe rin Plamena Nikitassova wuchs in Zug auf und begann ihre musikalisch- erlangte in Winterthur berufliche Laufbahn mit und Bern Lehrdiplom dem Studium der mo- und Konzertreife. Da- dernen Violine an der nach studierte sie an der Musikhoch­ schule­ Genf bei M. Karafilova Piguet. Nach- Schola Cantorum Basi- dem sie dort im Jahre 1999 ihr Solistendiplom «Erster liensis bei Christophe Preis mit Auszeichnung» abschloss, widmete sie sich Coin. Meisterkurse besuchte sie bei Jaap ter Linden und

184 185 John Holloway. Vielfältige Konzerttätigkeit im In- und der Predigerkirche Basel und Mitinitiator der dortigen Ausland unter anderem bei Le Concert des Nations Gesamtauffuhrung der Bach-Kantaten (2004–2012) (), Cantus Coelln (Konrad Junghänel), Frei- sowie der «Abendmusiken in der Predigerkirche» (ab burger Barockorchester, Orchester der Ludwigsburger 2013). Er publizierte zu den Themen Generalbass, Schlossfestspiele, La Cetra Basel, Bachstiftung Trogen Musikasthetik und zum Kantatenœuvre Bachs. Ver- (Rudolf Lutz). Intensive Kammermusiktätigkeit mit Les schiedene CD-Aufnahmen dokumentieren sein Faible Plaisirs du Parnasse. Verschiedenste Aufnahmen für di- fur unbekanntere Komponisten. verse Labels. Unterrichtstätigkeit an mehreren Musikschulen.

Jorg-Andreas Botticher, Cembalo wurde in Berlin geboren, studierte Alte Musik in Basel. Einem Diplom fur Orgel bei Jean-Claude Zehnder und fur Cembalo bei Andreas Staier schlossen sich Studi- en bei Jesper B. Christensen und Gustav Leonhardt an. Er konzertiert als Solist, im Duo oder Trio mit Plamena Nikitassova, Maya Amrein u.a. so- wie mit verschiedenen Ensembles (u.a. La Ce- tra, Akademie fur Alte Musik, Die Freitagsaka- demie). 2013/2014 wirk- te er bei Auffuhrungen der Matthaus-Passion mit den Berliner Philharmoni- kern unter Simon Rattle mit. Botticher ist Professor fur Cembalo, Orgel und Generalbass an der Schola Can- torum Basiliensis. An der Musikhochschule Basel un- terrichtet er Auffuhrungspraxis alterer Musik. Kurse und Vortrage fuhrten ihn an verschiedene europaische Musikhochschulen und nach Bogota. Er ist Organist an

186 187 Martin Staehelin l’ordinaire sont le Sieur Fritz pour le Violon et le Sieur Baridon pour le Violoncello. Je trouve Le Ein Basler über Gaspard Fritz prèmier fort pour les difficultès et la grande exac- titude dans les tons, mais je ne lui trouve pas de m Jahr 1758 verliess der damals noch nicht verheiratete gout; il orne et charge tellement ce qu’il joue que Achilles Ryhiner seine Vaterstadt (Basel), um auf einer souvantefois cela lui fait perdre la mèsure; il est Igrösseren Reise über Bern und Genf nach Oberitalien, malheureux dans le choix de sa musique, et dann über Rom und Neapel nach Sizilien und Malta und entêtè come un Ane, car s’il trouve beau un mor- schliesslich auch nach Frankreich zu gelangen; erst 1760 ceau, tout le monde auroit beau lui dire qu’il ne kehrte er nach Basel zurück. Die auf dieser Reise genomme- vaut rien; il ne changera pas de Sentiment pour nen, in französischer (!) Sprache gehaltenen Tagebuchnotizen cela. Il lui arrive assès souvant que les morceaux (…) formte Ryhiner seit 1765 zu einer inhaltlich überarbeite- de de sa composition dont il n’est pas satisfait, ten, wohlpräsentierten Darstellung um. (…) Als Geiger wa- sont fort aplaudis, tendis que d’autres dont il se ren ihm natürlich Violinspieler und deren Leistungen wichtig, promet mont et merveilles ne le sont que parce und so berichtet er etwa über Pugnani oder ausführlich über que c’est lui qui les èxecute; car à dire vrais, les seine freundschaftlichen Gespräche mit Tartini. Wir lesen von Genevois ne jurent que par fritz: ils s’imaginent Opernbesuchen, aber oft auch von miterlebten privaten Kon- zerten der «besten» Kreise; in diese fand der offensichtlich sehr auf sich haltende und wohl gar etwas eitle junge Herr auch in fremden Landen leichten Eingang. Ein solcher Anlass ver- schaffte ihm in Genf am 2. Februar 1758 die Bekanntschaft mit Gaspard Fritz; doch lassen wir ihn nun selber sprechen: «L’apres midi je fus introduis chez M. Pitt chèz lequel il y avoit grand Concert. Il est anglois et demeure ici depuis quelques Annèes avec ses deux filles… Il a Concert chèz lui règulièrement une fois la Semaine; tout le beau monde s’y trouve,­ rarement l’on y voit des femmes. Les anglois qui se trouvent à Genêve s’y rendent ordinairement. Come Mr. Pitt est fort prèvenu pour le gout de son païs, l’on y entend beaucoup de Musique angloi- Achilles Ryhiner spielt die Violine. Ölgemälde von Joseph Esperlin (1757), se. Les meilleurs sujets qui s’y trouvent à Museum für Musik Basel

188 189 qu’il n’y a pas son semblable; il conviennent ce- pendant que, hors son violon, il est un grand Ani- 15 mal: milles grimaces qu’il fait en jouant ne don- nent guere de rèlief à son jeu; pour devenir son Mittwoch, 26. August 2015 Ami l’on n’a qu’à lui acheter de sa musique: il 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, l’ofre le prèmier jour que l’on a fait sa connois- Augustinergasse sance come une chose dont un Amateur ne peut se passer. Mess:rs les Genevois l’ont rendu si vain Vortrag 2 qu’un jour il lui prit envie d’aller à Paris ou il Bach, Händel und die Wiener Klassiker: debuta par se faire sifler; à Paris l’on ne veut pas Kontinuität oder Neuentdeckung? seulement un Virtuose, mais de plus un homme traitable, polis et complaisant; sans ces qualités Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen, Zürich la l’on est sur d’y èchouer, quand du reste l’on auroit un talent superieur. Mons. Fritz prit le Eintritt frei parti de s’en retourner tout de suite à Geneve ou il fera bien de demeurer. Baridon est l’oposè de Lange Zeit hat vor allem die deutsche Musikgeschichts- fritz: c’est un homme doux, polis & complaisant; schreibung sehr gern die beiden Barockmeister Bach und s’il ne vaut pas l’autre pour sa force de son jeu, il Händel mit den drei Meistern der Wiener Klassik in eine le surpasse pour le gout… Mr. Pitt joue mèdio- glatte Kontinuitätslinie gestellt. So ergab sich eine un- crement de la flute, et Mad:lle sa fille ainèe tou- gebrochene Höhenkammlinie qualitativ hochstehender che passablement du Clavecin.» (Die Schreib- deutscher Musik mit gemeinsamen Merkmalen. In jün- weise entspricht dem Original.) gerer Zeit ist jedoch klar geworden, dass hinter diesem Diese Sicht wird freilich das Urteil nicht verändern kön- Musikgeschichtsbild eher ein Wunschdenken als ein nen, das sich aus der Betrachtung und aus dem klingenden Bündel wirklich belastbarer Fakten steht. So einfach, wie Eindruck seines musikalischen Werkes ergibt und das Gas- früher gern angenommen, ist das Bild nicht. pard Fritz zu einem der ersten Meister macht, die im Laufe Bach und Händel sind auf sehr verschiedenen Wegen des 18. Jahrhunderts auf «Schweizer» Boden gewirkt haben. und in sehr unterschiedlichen Traditionslinien rezipiert Aus: Martin Staehelin, worden, und auch die drei Wiener Klassiker haben an Gaspard Fritz im Urteil eines Zeitgenossen, die beiden Barockkomponisten in sehr unterschiedlicher in: Schweizerische Musikzeitung 1968, S. 239–242 Weise, in sehr unterschiedlichen Phasen und mit sehr unterschiedlicher Zielsetzung angeknüpft. Es wird Auf- gabe des Vortrags sein, in diese in Wirklichkeit recht

190 191 komplexe Situation ein wenig Ordnung zu bringen: Hans-Joachim Hinrichsen Dann wird sich zeigen, dass die Anknüpfung der Wiener Geboren 1952, studierte er Germanistik und Geschichte, Klassik an Bach und Händel, soweit sie denn wirklich später Musikwissenschaft an der Freien Universität Berlin stattgefunden hat, zwar alles andere als ein bruchloser (Promotion und Habilitation). Seit 1999 ist er Ordinarius Vorgang, alles in allem aber ein überaus spannender kre- für Musik­wis­sen­schaft ativer Prozess auf der Grundlage einer interessanten und an der Uni­­versität Zürich. beredten Selektion gewesen ist. Insofern zeigt die Über- Er ist Mitherausgeber schrift die Extreme an, zwischen denen sich diese Re- der Zeitschriften «Archiv zeption abgespielt hat. für Musikwissenschaft», «Schubert: Perspektiven» und «wagnerspectrum». Seit 2008 Mitglied der Academia Europaea, seit 2009 korrespondierendes Mitglied der Österreichi- schen Akademie der Wissenschaften. Zahlreiche Publi- kationen zur Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhun- derts, zur Musikästhetik und zur Interpretations- wie Rezeptionsgeschichte. Jüngste Bücher: Bruckner-Handbuch (als Herausge- ber), Stuttgart/Kassel 2010; Franz Schubert, München 2011; Beethoven. Die Klaviersonaten, Kassel u.a. 2013

Johann Sebastian Bach in der Mitte der Komponistensonne, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Leipzig 1801

192 193 Thomas Leininger (*1981) 16 Prolog für Streichquartett, Uraufführung

Mittwoch, 26. August 2015 1. Schilderung der Liebe und Zuneigung des Paares 20.15 Uhr, Martinskirche Andante quasi Allegretto

Georg Benda, «Ariadne auf Naxos» – 2. Das Labyrinth des Minotaurus Ein berühmtes Melodram Adagio e maestoso –– Ingressus oder der furchterregende Anblick des Thomas Leininger, Kompositionsauftrag Labyrinthes für Prolog und Epilog –– Die Furcht und Verzagtheit des Theseus –– Wie Ariadne seine Furcht lindert und ihm Mut ein- Franziska Ernst – Ariadne flösst Meinhardt Möbius – Teseus –– Seine wiederholte Bangigkeit und wie sie von Ari- adne besänftigt wird Ensemble Der musikalische Garten –– Medium oder wie Theseus den Eingang durch- schreitet Gottfried von der Goltz (als Gast) – 1. Violine –– Der Weg durch das Labyrinth Karoline Echeverri Klemm – 2. Violine –– Centrum oder der Kampf mit dem Minotaurus German Echeverri Chamorro – Viola –– Wie Theseus sich Ariadnes erinnert Annekatrin Beller – Violoncello –– Wie ihm die Erinnerung und der Faden den Weg weisen Sigrid T’Hooft – Regie –– Wie Theseus allmählich das Licht der Sonne wie- dererlangt Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert –– Exitus oder das Wiedersehen des jungen Paares –– Die Erinnerung an die vergangenen Schrecken so- wie die Tröstungen und Liebkosungen Ariadnes

3. Die Fahrt über das Meer nach der Insel Naxos Allegro di molto

194 195 ∑ diert. 1779 folgten dann noch «Pygmalion» und «Al- mansor und Nadine». Die Begeisterung über diese neue, Georg Anton Benda (1722–1795) für die Zeit der Aufklärung charakteristische Form der «Ariadne auf Naxos» Verbindung von Text und Musik – nämlich gesprochener ∑ Prosatext und interpolierte Musik-«Einwürfe» nach Art eines «Recitativo accompagnato» – wurde sogar von Thomas Leininger Wolfgang Amadeus Mozart geteilt, der in einem Brief aus Epilog für Streichquartett, Uraufführung Mannheim an seinen Vater schrieb: «Ich liebe diese zweÿ Moderato e dolce – Recitativo – Cantabile wercke so, daß ich sie beÿ mir führe.» (Siehe unten.) Benda stammt aus einer weit verzweigten böhmi- schen Musikerfamilie und war 1742 als 20-Jähriger sei- nem um 13 Jahre älteren Bruder Franz, der bereits eine wichtige Position unter Friedrichs des Grossen Musikern Zum Programm einnahm, nach Berlin in die Königliche Kapelle nachge- reist, wo er nach dem Vorbild des Königs Protestant und Das Melodram (oder «Monodram» oder «Duodram», wie Freimaurer wurde. Einige Jahre später übersiedelte er in es in zeitgenössischen Quellen auch oft heisst) hat in der das kleinere, aber kulturell interessante Gotha,­ wo er Musikgeschichte eine kurze, aber intensive Blüte erlebt. Hofkapellmeister und später Hofmusikdirektor wurde. Jean Jaques Rousseau war der Anreger gewesen («Pygma- lion», 1762), und Georg Benda wird – obwohl auch einige andere Komponisten sich in diesem Genre versucht ha- ben – für immer als der früheste und bedeutendste Ver- treter dieser Gattung in Erinnerung bleiben. 1775 hat er während eines Jahres seine beiden wichtigsten und be- rühmtesten Stücke geschrieben und in Gotha, dem Ort seiner Tätigkeit als Hofkomponist, auf die Bühne ge- bracht: «Ariadne auf Naxos» und «Medea» – und auf An- hieb einen durchschlagenden Erfolg mit ihnen gehabt, wie etwa das Erscheinen einer Streichquartettreduktion und eines Klavierauszugs noch zu Lebzeiten des Kompo- nisten bezeugt – beides für Aufführungen in kleineren Schauspielergesellschaften oder privaten Theatern inten- Angelika Kauffmann, Die von Theseus verlassene Ariadne, 1774

196 197 Die Geschichte seiner ersten Komposition eines sze- abendfüllende Form hat halten bzw. durchsetzen kön- nischen Melodrams – unserer «Ariadne» – ist etwas ku- nen. Immerhin sind Elemente davon in grossen Werken rios: Der Text des Litera- der Folgezeit erkennbar: Mozart, «Zaide»-Fragment; ten Johann Christian Beethoven, «Fidelio», Kerkerszene; Weber, «Freischütz», Brandes (1735–1799), für Wolfsschluchtszene; Smetana, «Zwei Witwen»; Berg, seine Frau Charlotte «Lulu»). Brandes, eine ausge- «Abendfüllend» ist auch die Dauer des Melodrams zeichnete Schauspiele- nicht. Das ist der Grund dafür, dass die Festtage einen rin, verfasst, war ur- Kompositionsauftrag an den jungen Cembalisten, Or- sprünglich dem grössten ganisten und Komponisten Thomas Leininger, Absol- Konkurrenten Bendas, vent der Schola Cantorum Basiliensis und bereits mit Anton Schweitzer, zur einem umfangreichen Œuvre an Kompositionen im Komposition übergeben alten Stil hervorgetreten, erteilt haben zur «Komplettie- worden. Dieser kam rung» der Partitur durch Prolog und Epilog. aber nicht dazu, und so Die jüngste Tochter von Georgs Bruder Franz Ben- gelangte der Text zu da, Juliane, heiratete den Berliner Hofkapellmeister Benda. Am 27. Januar Johann Friedrich Reichardt; sie beschrieb Georg Benda 1775 fand die Auffüh- als «Vereinigung höchster Talente». Reichardt selber rung im Schlosstheater rühmte Bendas «treffenden Witz», gab aber auch Bei- in Gotha statt. Zu dem Anton Graff: Rollenporträt Esther spiele für Bendas offensichtlich leicht kauziges Wesen. grossen Erfolg soll auch Charlotte Brandes (1742–1786) als Als Schöpfer des deutsch textierten Melodrams ist er «Ariadne» im gleichnamigen Stück die Kostümierung der (Benda/Brandes), 18./19. Jahrhundert, gleichwohl in die Geschichte eingegangen. Brandes beigetragen ha- Öl auf Leinwand, 124 × 94 cm Inv.­ P. R. Nr. 31781 (Sammlung Niessen) ben – ein klassizistisches Theaterwissenschaftliche Sammlung der griechisches Gewand. Universität zu Köln, Schloss Wahn Das Stück erlebte in der Zum Ensemble Folge eine enorme An- zahl Aufführungen in ganz Deutschland und eine le- Franziska Ernst, Rezitation, bendige Diskussion in Fachkreisen. Tatsächlich ist die geboren in Dresden, ist sie ausgebildete Logopädin und «Ariadne» von der Stringenz und Frische eines neuen doziert an der IB Berufsfachschule für Logopädie in Leip- theatralischen Genres geprägt, auch wenn sich dieses zig. 2010 begann sie ihr Bachelorstudium an der Hoch- in der weiteren Geschichte nicht als selbstständige, schule für Musik und Theater (HMT) Leipzig Felix Men-

198 199 delssohn-Bartholdy im Fach Historischer Gesang bei Der junge Bassbariton war mehrfach Preisträger Marek Rzepka. Im Rahmen ihres Studiums wirkte sie beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert. Erste Er- bereits an einigen Produktionen der Fachrichtung Alte fahrungen im Musiktheater konnte er bei Produktionen Musik mit, zuletzt als Ariadne in dem Melodram «Ariad- der Kinder- und Jugendoper Dresden und von szene12 ne auf Naxos» von Georg Anton Benda und als Galatea in sammeln, und er be- Händels Serenata «Aci, schäftigte sich auch mit Galatea e Polifemo» so- historischer Gestik und wie beim Bachfest Leip- Deklamation. In zahlrei- zig mit Werken von Bach, chen Engagements konn- Kuhnau und Knüpfer. Ihr te er sich bereits ein brei- Bachelorstudium schloss tes Repertoire im Bereich sie 2014 erfolgreich ab Konzert und Oratorium und befindet sich seitdem erarbeiten, wie z.B. die im Masterstudium an der Matthäus-Passion und HMT Leipzig. 2012 das Weihnachtsoratori- nahm sie an Meisterkur- um von Johann Sebastian Bach, die Marienvesper von sen der Sopranistin sowie des englischen , das Fauré-Requiem und Mozarts Lautenisten Bill Carter teil. In diesen Meisterkursen erar- Grosse Messe in c-Moll. beitete sie sich unter anderem englischsprachiges Reper- toire der Komponisten Händel, Daniel und Dowland. In Sigrid T’Hooft, Regie, der Zeit von 2006 bis 2010 war sie Mitwirkende verschie- studierte klassischen dener Inszenierungen am Dresdner Schauspielhaus. Tanz und erhielt ein Diplom in Musikwis- Meinhardt Möbius, Rezitation, senschaft der Université geboren 1988, erhielt seine erste musikalische Ausbil- de Louvain. Bereits wäh- dung bei den Dresdner Kapellknaben und am Heinrich- rend ihrer Ausbildung Schütz-Konservatorium Dresden. 2008 begann er ein begann sie mit vertieften Studium der Musikwissenschaft und Geschichte an Studien zu historischen der Technischen Universität Dresden, welches er 2011 Tänzen, der Commedia abschloss. Seit September 2011 studiert er Gesang an dell’Arte und histori- der Hochschule für Musik und Theater Leipzig bei KS schen Interpretationstechniken. Sigrid T’Hooft erlangte Professor Jürgen Kurth. internationales Renommée nicht allein als Tänzerin und

200 201 Forscherin, sondern ebenso als Choreographin und Re- ruhe erteilten Auftrag zur Ergänzung unvollständig über- gisseurin. Im Laufe der Jahre konnte sie viel Erfahrung lieferter Orchestersätze und Arien der Oper «Almira» sammeln mit historischen Aufführungspraktiken, heute von Georg Friedrich Händel folgten 2006–2009 Aufträge ist sie sehr gefragt sowohl für Inszenierungen als auch des Festivals Winter in Schwetzingen zur Rekonstrukti- als Choreographin. on und Neukomposition verlorener Teile von Antonio Sie brachte Werke von Blow, Purcell, Caldara, Cac- Vivaldis Opern «Il Motezuma» und «Il Bajazet». Rezitati- cini, Keiser, Schmelzer, Lanciani, Vivaldi, Hasse, Bach, ve und Ensemblesätze zu Haendel, Jommelli und anderen auf die Bühne in Städ- Galuppis Oper «Arcifan- ten wie Prag, Den Haag, Brüssel, Karlsruhe und anderen. fano» wurden 2008 im Sigrid T’Hooft unterrichtet barocke Gestik und his- historischen Stil ergänzt torische Bühnenpraxis am Konservartorium von Den und im Ekhof-Theater Haag, an der Hochschule für Musik und Theater Felix Gotha sowie in Basel zur Mendelssohn Bartholdy in Leipzig sowie an der Hän- Aufführung gebracht. del-Akademie in Karlsruhe. Darüber hinaus inszeniert 2012 erlebte die Kinder­ sie historische Opern und choreographiert mit Corpo oper «Dino und die Ar- Barocco und gibt Kurse. che» am Staatstheater Sigrid T’Hooft hatte die Gelegenheit, mit grossen Karlsruhe ihre Urauffüh- Musikern zusammenzuarbeiten wie etwa Peter Van rung. Heyghen, Nigel North, Roel Dieltiens, Christoph Ham- Das Schaffen für die Bühne wird begleitet von zahl- mer oder Sigiswald Kuijken. Sie war regelmässig Gast reichen Kompositionsaufträgen kirchlicher Institutio- wichtiger Festivals für Alte Musik in Brügge, Antwer- nen. An geistlicher Musik ist neben Vespern, Messen pen, Prag, Nantes, Utrecht etc. und Kantaten zuletzt ein Weihnachtsoratorium für Kin- Sie ist Mitbegründerin und Mitglied des Verwal- der in deutscher Sprache entstanden. Thomas Leininger tungsrates der International Opera Foundation Eszter- verfolgt eine internationale Konzerttätigkeit als Spezia- háza. list für historische Aufführungspraxis, die sich auch auf diversen CD-Einspielungen dokumentiert. Unterricht Thomas Leininger und schriftliche Publikationen wie zuletzt im Händel- studierte Cembalo, Orgel, Generalbass und historische Lexikon ergänzen seine Arbeit. Improvisation an der Schola Cantorum Basiliensis. 2003 wurde seine zweite Oper mit Unterstützung der Ernst von Siemens Musikstiftung uraufgeführt. Dem 2005 im Rahmen der Händel-Festspiele vom Staatstheater Karls-

202 203 Silke Leopold er zwischen dieser musikalischen Deklamation und virtuosen Gesangsnummern unterschied und so den Grundstein für jene Schauspiel mit Musik oder Oper ohne Gesang? Unterscheidung in Rezitativ (= Handlungsdialog) und Arie (= Die kurze Blüte des Melodrams Affektdarstellung) legte, die fortan die Opernkomposition be- herrschen sollte. Ein Jahr nach «Orfeo» komponierte er dann «wissen sie was meine Meinung wäre? – man eine grosse dramatische Szene, die Klage der verlassenen Ari- solle die meisten Recitativ auf solche art in der adne auf Naxos als Herzstück seiner Oper «L’Arianna», die opera tractiren – und nur bisweilen, wenn die als «Lamento d’Arianna» zum Vorbild aller derartigen Klage- wörter gut in der Musick auszudrücken sind, das szenen in der Oper werden sollte. Anders als die hochvirtuo- Recitativ singen» se, für einen Sänger konzipierte Partie des Orpheus schrieb Monteverdi die Rolle der Arianna einer Schauspielerin auf er dies schrieb, war kein Geringerer als Wolfgang den Leib, die nicht so sehr die Gesangskunst, dafür aber umso Amadeus Mozart, als er auf der Rückreise von Paris mehr den dramatischen Ausdruck, die pathetische Geste be- Din Mannheim Station machte und auf einen Kom- herrschte. positionsauftrag für ein Duodrama nach Art Georg Bendas Der Siegeszug der italienischen Oper durch ganz Europa hoffte, der ihm «unter den lutherischen kapellmeistern» der schrieb diese zwei Kulturen des dramatischen Gesangs für liebste war. In dem Brief an seinen Vater vom 12. Novem- Jahrhunderte fest. Lediglich in England und Frankreich regte ber 1778 schwärmte Mozart von der wunderbaren Wirkung sich Widerstand gegen die Oper mit ihren gesungenen Di- jener Kombination von gesprochenem Text und instrumen- alogen: in England, weil dort Singen als Zeichen fehlender taler Begleitung, die das Melodram auszeichnete, seit Jean- Vernunft und überschiessender Gefühle galt, in Frankreich, Jacques Rousseau es mit «Pygmalion» 1762 aus der Taufe weil das florierende Sprechtheater dem Musiktheater andere gehoben hatte. «Pygmalion» war eine neue Antwort auf die Aufgaben zuwies, als den dramatischen Dialog zu singen. alte Frage, wie sich dramatischer Dialog und Musik zu einer In beiden Ländern mischte man gesprochene Handlung mit glaubwürdigen, plausiblen Handlung in einer Welt verbin- gesungenen Arien, in England in Gestalt der «semi-opera», in den konnte, in der Menschen nun einmal nicht singen, wenn Frankreich als «opéra comique» (Schauspiel-Oper) oder «co- sie miteinander kommunizieren. Diese Frage hatte schon die médie mélée d’ariette» (Schauspiel mit Gesang). Rous­seaus Entstehung der Oper um 1600 begleitet, und die Antwort des Erfindung des Melodrams war zunächst einmal nichts an- ersten Opernkomponisten Jacopo Peri hatte darin bestanden, deres als eine weitere Variante, das grundsätzliche Dilemma den Gesang ganz auf das zu beschränken, was er selbst als der mangelnden Wahrscheinlichkeit dessen, was auf der Büh- ein «Mittelding zwischen Singen und Sprechen» bezeichnete. ne geschah, im musikalischen Drama abzumildern. Hinter Claudio Monteverdi gab in seinem «Orfeo» (1607) nur weni- Rousseaus «Pygmalion» stand aber auch eine philosophische ge Jahre später der Musik ihre eigene Würde zurück, indem Idee – die Annahme, dass der Ursprung der Sprache in der

204 205 Musik zu finden sei, dass aber der Gesang im Laufe der Zi- die Belcanto-Virtuosität der Oper. Und die Instrumentalbe- vilisation insbesondere in Frankreich degeneriert sei und dass gleitung musste so konzipiert sein, dass sie auf ein Minimum es gelte, eine neue Art des dramatischen Ausdrucks zu finden. reduziert werden konnte, wenn an diesem oder jenem Ort Dazu gehörte ganz zentral das Gebärdenspiel des Darstel- kein Geld oder kein Platz für ein Orchester war. Zu den er- lers, die stumme Aktion zu einer instrumentalen Musik, also folgreichsten Schauspieltruppen gehörte die Schauspiel-Ge- eine Art «Körpermusik», verbunden mit einer Deklamation, sellschaft des aus Liestal in der Schweiz gebürtigen Hambur- die irgendwo zwischen Singen und Sprechen angesiedelt war. gers Abel Seyler, der überall dort spielte, wo man sich für Wie das zu realisieren sei, wusste auch Rousseau nicht so ge- deutschsprachiges Theater interessierte – in Hamburg und nau; «Pygmalion» wurde erst 1770 unter Mitarbeit eines an- Mannheim, aber vor allem deren Komponisten in Lyon fertiggestellt, fand aber dann rasch in den kleinen mitteldeut- seinen Weg nach Paris und von dort auch in den deutschspra- schen Residenzstädten, wo chigen Raum. Zahlreiche Komponisten vertonten den Text die Herrschenden ihren neu, in Wien, in Weimar und in Gotha. Und er regte diese fehlenden politischen Ein- Komponisten an, eigene Melodramen zu verfassen. Dass die- fluss durch engagierte Kul- se Kunstform vor allem in Mitteldeutschland, an den Höfen turförderung wettzumachen Weimars und Gothas blühte, hatte seinen besonderen Grund. versuchten. 1772 hatte die Die kurze Blüte des Melodrams fällt in eine Zeit, in der Seyler’sche Truppe Rousse- sich in Mittel- und Norddeutschland ein neues Interesse an aus «Pygmalion» mit der einer deutschsprachigen Oper entwickelte, Singspiel genannt Musik Anton Schweitzers und in der Machart der französischen «opéra comique» nach- in Weimar aufgeführt, und empfunden. Es war die bürgerliche Antwort auf die überall in der Erfolg war so gross, Georg Anton Benda, Kupferstich von Europa vorherrschende italienische «opera seria», eine höfi- dass Seyler mehr von dieser Geyser nach Mechau sche Gattung, für die man virtuose (und teure) Sänger benö- neuen Art des Musikthea- tigte. Bevor Mozart mit seiner «Entführung aus dem Se- ters wollte, das sich für seine Schauspieler so gut eignete, weil rail»(1782) auch dem Singspiel eine musikalische Grösse sie hier nicht als Sänger mit vokalen Defiziten auftreten muss- verlieh, wie sie der «opera seria» eigen war, beschränkte sich ten, sondern ihre ganze eigene Darstellungskunst vorführen die Musik der Singspiele auf einfache Arietten und eher sim- konnten. Die Musik dazu erklang im Orchester, sie agierte ple Orchesterbegleitung. Es waren die fahrenden Schauspiel- als Handlungsplattform einerseits, indem sie die Bühnensitu- truppen, die auch Singspiele im Repertoire hatten, und die ation lautmalerisch skizzierte, und als Seelendolmetscher an- musikalische Ausgestaltung richtete sich nach den Möglich- dererseits, indem sie die Gefühle der sprechenden Person mit keiten, die ihnen zur Verfügung standen. Zwar gehörte das musikalischen Mitteln untermauerte, intensivierte oder über- Singen zur Ausbildung eines jeden Schauspielers, aber nicht haupt erst hörbar machte.

206 207 Eher zufällig wurde Georg Benda die Aufgabe zuteil, ein selbst geschaffenen Frauenplastik und der Hilfe der Göttin weiteres Melodram im Geiste Rousseaus für die Seyler’sche Venus gelungen war. Truppe zu schreiben. Seine «Ariadne auf Naxos», 1775 in So schnell, wie das Melodram am Theaterhimmel erschie- Gotha uraufgeführt, wurde dann aber, nicht zuletzt durch die nen war, so jäh verschwand es auch wieder von der Bühne. Darstellung der Schauspielerin Charlotte Brandes, für die War es nun Schauspiel mit Musik oder Oper ohne Gesang? dieses Melodram geschrieben wurde, ein derart überwältigen- Darüber konnten sich die zahlreichen ästhetischen Schriften, der Erfolg, dass Benda nur wenige Monate später ein weiteres die gegen Ende des 18. Jahrhunderts (jenes «tintenklecksen- mit dem Titel «Medea» folgen liess, diesmal von Sophie Seyler den Säkulums», vor dem es Karl von Moor in Schillers «Die in Auftrag gegeben, der Frau des Prinzipals. Was aus dem Räuber» so ekelte) verfasst wurden, nicht einigen. Der Phi- Konkurrenzgerangel eifersüchtiger Schauspielerinnen hervor- losoph Johann August Eberhard brachte die Kritik in seinem ging, entwickelte sich rasch zu einer neuen Mode: Christian Artikel «Über das Melodram» 1788 auf den Punkt, als er von Gottlob Neefe, Beethovens Lehrer, folgte schon 1776 mit sei- der «Mißhelligkeit» sprach, die aus der Verbindung von «un- ner «Sophonisbe», Johann Friedrich Reichardt steuerte gleich musikalischer Deklamation» und «musikalischer Begleitung» drei Werke zu der neuen Gattung bei, und Goethe selbst ver- entstehe. Bald auch schienen die Stoffe aufgebraucht, die sich fasste ein Melodram und führte es 1779 in Weimar auf. für eine melodramatische Darstellung anboten. Doch das Warum aber Ariadne auf Naxos? Sicher, die Kla- Melodram hatte, auch wenn es als eigenständige Theaterform ge der verlassenen Frau hatte seit Monteverdis «Lamento bestenfalls eine Generation Bestand hatte, seine Eignung als d’Arianna» ihren festen Platz in der Musikgeschichte. Der eine mögliche Antwort auf die Frage bewiesen, wie man Dra- Siegeszug des Melodrams, in dem zunächst fast ausschliess­ ­ ma und Musik verbinden konnte: Noch in den 1770er-Jahren lich Szenen aus der antiken Mythologie verarbeitet wurden, wanderte es als ein neuer Szenentypus in die Oper, wo es speiste sich aber noch aus einer anderen Quelle. 1755 hatte sich neben Rezitativ und Arie als eine weitere musikalische Johann Joachim Winckelmann sein epochemachendes Werk Möglichkeit etablierte, dramatische Spannung zu erzeugen. «Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke Und auch wenn sich Mozarts Plan zerschlug, ein Duodrama in der Malerey und Bildhauerkunst» veröffentlicht, das zur für Mannheim zu schreiben, so brachte er den «Melolog», wie Gründungsschrift des deutschen Klassizismus, namentlich er es nun nannte, dann doch kurz darauf in seiner Fragment der Weimarer Klassik, werden sollte. Es ist deshalb wohl gebliebenen Oper «Zaide» (1779/1780) unter. kein Zufall, dass die Idee, die Antike nicht nur durch die bildende Kunst, sondern auch auf der Theaterbühne nach- zuahmen, gerade in Weimar aufkam. Ariadne und Medea sind gleichsam in Bewegung versetzte Skulpturen der anti- ken Bildhauerkunst, Statuen, die zu Fleisch und Blut wer- den, wie es dem Bildhauer Pygmalion einst mit der von ihm

208 209 12.11.1778 – Wolfgang Amadeus Mozart Thomas Leininger an Leopold Mozart: Prolog und Epilog zu «Ariadne auf Naxos» «[...] Dallberg ist Director davon; – dieser läst oder: Aus der Komponistenwerkstatt mich nicht fort, bis ich ihm nicht ein Duodrama componirt habe, und in der that habe ich mich gar ls mich der Auftrag erreichte, zu Bendas «Ariadne nicht lange besonnen; – denn, diese art Drama zu auf Naxos» ergänzende Musik für Streichquartett zu schreiben habe ich mir immer gewunschen; – ich Aschreiben, war ein bestimmtes Ziel mit diesem Auf- weis nicht, habe ich ihnen, wie ich das erstemahl trag verbunden: Die neu komponierte Musik sollte sich mit hier war, etwas von dieser art stücke geschrieben? Bendas Original zu einem schlüssigen, thematisch einheitli- – ich habe damals hier ein solch stück 2 mahl mit chen Ganzen verbinden – und sie sollte die Dauer des Melo- den grösten vergnügen aufführen gesehen! – in der drams auf die heute übliche Länge eines Konzerts erweitern. that – mich hat noch niemal etwas so surprenirt! Die beiden neuen Stücke Prolog und Epilog mussten also – denn, ich bildete mir immer ein so was würde mehrsätzig und recht eigenständig ausfallen. keinen Effect machen! – sie wissen wohl, daß da Für den Prolog lag es nahe, die Vorgeschichte zu Ariadnes nicht gesungen, sondern Declamirt wird – und die Aufenthalt auf der Insel Naxos zu erzählen. Das 18. Jahr- Musique wie ein obligirtes Recitativ ist – bisweilen hundert kannte bereits eine reiche Tradition der rein in­ wird auch unter der Musique gesprochen, welches strumentalen Programmmusik (man denke an Kuhnaus «Bi- alsdann die herrlichste wirckung thut; – was ich blische Sonaten», Vivaldis «Vier Jahreszeiten» u.a.m.), und gesehen war Medea von Benda – er hat noch eine auch zu Bendas Zeit experimentierte man fleissig weiter. So gemacht, Ariadne auf Naxos, beÿde wahrhaft – erzählen die drei Sätze dieses ersten Streichquartettes von der fürtreflich; sie wissen, das Benda unter den luthe- ersten Begegnung und Liebe des jungen Paares, von Theseus’ rischen kapellmeistern immer mein liebling war; Kampf im Labyrinth des Minotaurus sowie von der Schiff- ich liebe diese zweÿ wercke so, daß ich sie beÿ fahrt nach Naxos. mir führe; Nun stellen sie sich meine freüde vor, Die Verbindung zu Bendas Melodram wird dabei vor daß ich das, was ich mir gewunschen zu machen, allem auf motivischer Ebene hergestellt. Während die mu- habe! – wissen sie was meine Meÿnung wäre? – sikalischen Abschnitte des Melodrams zwangsläufig meist man solle die meisten Recitativ auf solche art in sehr knapp ausfallen, bot sich in den Streichquartetten die der opera tractiren – und nur bisweilen, wenn die Gelegenheit, einige von Bendas Gedanken aufzugreifen und wörter gut in der Musick auszudrücken sind, das detaillierter auszuführen. So hören wir zu Beginn des ersten Recitativ singen; [...] Satzes ein Benda’sches Motiv in der Bratsche erklingen. Die Bratsche mag man dabei der Stimme der Ariadne zuordnen.

210 211 Im folgenden, frei erfundenen Thema des Cellos können wir ne Rezitative ohne komponierte Melodie gehört, so hören wir Theseus hören. Formal bot sich für diesen, mit den zwei Stim- nun, wo es nichts mehr zu sagen gibt, das rein instrumentale men der Protagonisten arbeitenden Satz eine «klassische» So- Rezitieren ohne Text. Das 18. Jahrhundert kannte beides. natenhauptsatzform an. An die beiden Hauptthemen schliesst Die Disposition der Tonarten von Prolog und Epilog ist sich jedoch noch ein weiteres kleines Thema an: ein Wechsel- nicht in sich geschlossen, sondern nur in Bezug auf Bendas notenmotiv, das in diesem Satz zunächst nur als «Nukleus» Melodram als Kernstück zu verstehen – Bendas eigene Dis- hervortritt, im Verlauf der weiteren Sätze bis zum Epilog al- position stellt ein prächtiges Es-Dur an den Beginn und ein lerdings zu einem eigenen, wiederkehrenden Thema wächst. schreckliches d-Moll an den Schluss seines Werkes. Die neu Es steht am ehesten für die Sehnsucht – für die Sehnsucht komponierten Sätze bewegen sich innerhalb dieses vorgege- zweier Liebender zueinander, später aber auch für die Weh- benen tonalen Spannungsfelds. mut, die wir empfinden, wenn alles zu einem Ende gekommen ist. Weitere «originale» Benda-Motive sind in der Durchfüh- rung dieses ersten Satzes zu hören. Der zweite Satz – das Labyrinth – ist vor allem vom ton- malerischen Prinzip inspiriert. Ein markanter, punktierter Rhythmus bezieht sich auf den Beginn von Bendas Melo- dram, melodisch motivische Bezüge zum vorangegangenen Satz und auch schon zum Epilog werden allerdings ebenfalls entwickelt. Im abschliessenden Quartett, dem Epilog, wird die Idee der schildernden Programmmusik aufgegeben. Was bleibt nach dem Ende einer grossen Liebe, was bleibt nach dem Tod? Hier eine Handlung vorschreiben zu wollen, wäre ge- nauso plump wie vermessen. Die kompositorische Aufgabe mag vielmehr darin bestehen, einen gewissen «Affect» zur Verfügung zu stellen, der jedem Hörer genügend Raum lässt, seinen eigenen Empfindungen nachzuspüren, das Geschehe- ne nachklingen zu lassen und zu verarbeiten. Titelblatt der Version für Streichquartett, Leipzig o. J. Das im zweiten Satz des Prologs vorkommende instru- mentale Rezitativ hält dem Prinzip «Melodram» gleichsam einen Spiegel vor – haben wir im Melodram zuvor gesproche-

212 213 17 Zum Programm In diesem Programm Donnerstag, 27. August 2015 stehen für einmal nicht 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Komponisten oder Wer- ke im Zentrum, sondern Die Mara – Lebensbild und Favoritarien der eine Sängerin – aller- Primadonna Friedrichs des Grossen dings eine sehr besonde- re, die erste nicht-italie- Gunhild Lang-Alsvik – Sopran nische Primadonna des Edoardo Torbianelli – Fortepiano 18. Jahrhunderts, die Roswita Schilling, Markus Jans – Rezitation eine «pan-europäische» Karriere machte. Ger- Eintritt frei, Kollekte trud Elisabeth Schmeh- ling, wegen ihrer Heirat mit einem italienischen Anton Graff: Gertrud Elisabeth Mara Programm Cellisten «die Mara» ge- (1775) nannt, war gerade ein- G. F. Händel mal 22 Jahre alt, als sie in Potsdam dem preussischen Ich weiss, dass mein Erlöser lebt (aus «Der Messias») König Friedrich dem Grossen vorsang. Wie diese «Au- dition» ablief und was aus ihr folgte, beschreibt sie in J. A. Hasse (1699–1783) einer Autobiographie, die sie im Alter von ca. 70 Jahren Raggio di luce (aus «Sant’ Elena al Calvario») begann und die ein hoch interessantes Licht auf das da- malige Musikleben wirft. Erst 1876 wurde sie gefunden C. H. Graun (1704–1759) und veröffentlicht – eine Fundgrube von Einblicken in Mi paventi (aus «Britannico») ein Künstlerleben, das sich von einer kränklichen Ju- gend zum höchstbezahlten Opernstar entwickelte: Chr. W. Gluck (1714–1787) 3000 Taler erhielt sie an der Berliner Hofoper als Jahres- Divinités du Styx (aus «Alceste») gehalt, wohingegen der erste Cembalist im Hoforches- ter mit 300 auskommen musste – und das war niemand J. Haydn (1732–1809) Geringeres als Carl Philipp Emanuel Bach! Das Ganze Nun beut die Flur (aus «Die Schöpfung») ist doppelt bemerkenswert dadurch,dass Friedrich der

214 215 Grosse stets die Meinung vertreten hatte, lieber lasse er Carl-Heinrich Graun. Bejubelt wurden ihre Stimme, sich eine Arie von seinem Pferd vorwiehern, als dass er ihre Verzierungskunst, ihre Mühelosigkeit – «alles eine Deutsche als Prima- klang leicht, ungezwungen, ohne Anstrengung». Der donna in seiner Oper en- berühmte Berliner Maler Anton Graff malte ihr Porträt. gagieren würde – die Ihre Lebensdaten sind nahezu die gleichen wie diejeni- Dominanz des italieni- gen Goethes. Goethe hatte die Mara bereits im Jüng- schen Gesangs und des lingsalter in Weimar gehört und widmete ihr noch zum Kastratenwesens auf der 82. Geburtstag ein wunderschönes Gedicht, in dem er Opernbühne war bis da- an die Jugendeindrücke anknüpfte. Die Mara schrieb in hin ungebrochen. Aber ihrem Dankesbrief: «Mit angenehmen Gefühlen geden- was über die Stimme der ke ich der Zeit, wo es mir vergönnt war, viele Men- Mara in zeitgenössi- schen durch meinen Gesang zu erfreuen, und mit dank- schen Quellen berichtet barem Herzen erkenne ich es an, dass mich das wird, macht diese histo- Wohlwollen der Edelsten bis an das Ende begleitet. rische Zäsur verständ- Möchten Sie, Hochverehrter, den segnenden Gruss, Friedrich der Grosse, Ölskizze von lich. In einer Biographie den Sie mir sandten, ebenso erfreut von mir annehmen, Johann Georg Ziesenis, 1763 des Berliner Operndirek- als ich ihn froh gerührt empfing …» tors Johann Friedrich In dieser Veranstaltung werden Ausschnitte aus ihrer Reichardt von Hans-Michael Schletterer aus dem Jahre Selbstbiographie (mit Schwerpunkt auf ihrer Berliner 1865 heisst es z.B.: «Ihre Stimme – vollkommen gleich, Zeit) mit denjenigen Arien aus Opern und Oratorien stark oder schwach, in gehaltenen, laufenden oder abwechseln, denen die Mara ihren Ruhm zu verdanken springenden Noten, hatte in dieser Zeit den Umfang hatte. von f bis e’’’ und war so kraftvoll, dass sie den stärksten P. R Chor zusammt dem Orchester mit seinen Trompeten und Pauken übertönen konnte, und von dieser Stärke wusste sie durch alle Grade allmählig bis zu dem leises- ten, zartesten und doch deutlichsten Pianissimo herab- zusteigen; in Bezug auf Kehlfertigkeit übertraf sie keine der lebenden Sängerinnen.» Die junge Sängerin trat zu- erst (und mit riesigem Erfolg) in Hasses «Piramo e Tis- be» auf, zusammen mit dem Kastraten des Ensembles Concialini sowie in der Karnevalsoper «Britannico» von

216 217 Zum Ensemble Fortepiano: Eduardo Torbianelli (siehe Seite 124)

Gunhild Lang-Alsvik, Sopran Gunhild Lang-Alsvik begann ihre musikalische Ausbil- Roswita Schilling, Rezitation (siehe Seite 155) dung in ihrem Heimatort Trondheim. Nach der Matura begann sie ihr Studium (Hauptfach Gesang) an Markus Jans Rezitation, der Musikhochschule in ist Professor emeritus der Schola Cantorum Basiliensis Oslo, wo ihre Professo- (Hochschule für Alte Musik, Basel), wo er das Fach His- ren Barbro Marklund- torische Satzlehre (1972–2009) mitentwickelte und un- Petersone und Håkan terrichtete. An der Hochschule für Musik Basel unter- Hagegård waren. Im richtete er Geschichte der Musiktheorie (1979–2010). Mai 2005 erhielt Gun- Er veröffentliche Publikationen in verschiedenen Perio- hild Lang-Alsvik den dika zu Fragestellungen von Komposition, Theorie und Bachelor of voice perfor- Analyse im historischen Kontext. mance. Danach ging sie für weitere Studien an die Schola Cantorum Basiliensis, wo sie sich der Auf- führungspraxis Alter Musik widmete. Hier studierte sie bei Evelyn Tubb. Obwohl sich ihr sängerisches Haupt- gebiet in Barock und Klassik befindet, pflegt sie ebenso gerne das Repertoire der Romantik und gelegentlich auch der zeitgenössischen Musik. Gunhild Lang-Alsvik ist bereits eine gefragte Solistin und gibt Konzerte in ganz Europa. In den vergange- nen zwei Jahren trat sie u.a. in der Zürcher Tonhalle, dem Herkulessaal in Wien und bei den Festspielen des Fränkischen Sommers sowie in der Jeunesse-Reihe in Österreich auf. Zuletzt war sie im Konzerthaus Wien (H. Schütz, «Sinfoniae sacrae» u.a.) und im Konzert- haus Berlin (J. S. Bach, Weihnachtsoratorium) zu hören. Die Mara als Armida, Kupferstich des 18. Jh.

218 219 Felix Wörner lerische Produktion einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat. Die heute wohl bekannteste reisende Musikerpersönlichkeit Kulturelle Zentren – kultureller Transfer der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Wolfgang Ama- deus Mozart, der seine erste grosse europäische Reise noch on Basel im Südwesten bis Königsberg im Nordosten, als Kind zwischen 1763 und 1766 unternahm. Von von Emden im Nordwesten bis Wien im Südosten fin- führte die Route über München und Ludwigsburg rheinauf- Vden sich in der frühen Neuzeit im gesamten deutsch- wärts über Mannheim bis Köln, anschliessend durch die Be- sprachigen Raum Residenzstädte wie Stuttgart, München, neluxländer zuerst nach Paris und dann nach London. Von Dresden, Berlin oder Rudolstadt, freie Reichsstädte wie Ham- dort aus bereisten die Mozarts die Niederlande und an­schlies­ burg, Universitätsstädte wie Prag, Heidelberg oder Tübingen send wieder über Paris nach Lyon, um schliesslich über die und Erzbistümer wie Köln, die mit vielen weiteren ein dichtes Schweiz (Genf, Bern, Zürich und Wintertur) nach Salzburg Netz kultureller Zentren über einen politisch, wirtschaftlich zurückzukehren. Mit seiner ersten Italienreise 1770, die bis und religiös pluralistischen zentraleuropäischen Raum span- nach Neapel führte, hatte Mozart früh die wichtigsten zeit- nen. Trotz räumlicher Distanzen – im 18. Jahrhundert noch genössischen Stile und Geschmacksrichtungen kennengelernt. ein erhebliches Hindernis für schnelle Kommunikation – exis- Während der junge Mozart stilistische Einflüsse noch un- tierten diese Zentren nicht voneinander isoliert, sondern ent- bewusst aufnahm, zeigen seine späteren Briefe, wie genau falteten in der Regel eine grosse überregionale Ausstrahlung Komponisten neue Entwicklungen beobachteten und sich in- wie auch Anziehungskraft. Mit ihrer von weltlicher wie kirch- spirieren liessen. Am 12. November 1778 berichtet Mozart licher Macht geschätzten Repräsentationsfunktion kam der aus Mannheim seinem Vater, er habe zwei Werke von Georg Musik dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Oper diente Benda, «Medea» und «Ariadne auf Naxos», gesehen, die er an den Höfen der Inszenierung eigener politischer Macht wie so liebe, «daß ich sie bey mir führe», und die intensive Tonma- moralischer Legitimität, an einigen Bischofssitzen wurde Kir- lerei des Benda’schen Melodrams findet in Mozarts für Kur- chenmusik aus vergleichbaren Gründen hoch geschätzt. Mit fürst Carl Theodor komponierten Oper «Idomeneo» deutlichen dem Stilwandel zwischen 1730 bis 1780 trat auch die Ins- Niederschlag. Die Fähigkeit, eine breite Palette zeitgenössi- trumentalmusik allmählich aus dem privaten Raum heraus scher stilistischer Möglichkeiten kompositorisch umzusetzen, und eroberte insbesondere in den Metropolen langsam eine versetzte Komponisten darüber hinaus in die Lage, sich dem wichtige Stellung im entstehenden öffentlichen Konzertwesen. Geschmack des jeweiligen Publikums anzupassen. So teilte Ortswechsel von häufig nur befristet verpflichteten Musi­ Mozart mit gewissem Stolz am 26. September 1781 seinem kern, das Zirkulieren von Repertoires in handschriftlichen Ko- Vater mit, Disposition und Gestaltung der «Entführung aus pien und Drucken, die Berichte von Diplomaten, aber auch dem Serail» sei «ganz für die Wiener geschrieben». die Reisetätigkeit von Musikern führten zu einem stetigen Zu den wahren und am höchsten honorierten «Stars» des Austausch zwischen kulturellen Zentren, der auf die künst- Musikbetriebs avancierten im 18. Jahrhundert jedoch Sän-

220 221 gerinnen und Sänger, die – wenn überhaupt – nur durch enorme Honorare an einen Ort zu binden waren. Die wohl 18 berühmteste deutsche Sängerin war die 1749 in Kassel ge- borene Gertrud Elisabeth Mara, deren technische Souverani- Donnerstag, 27. August 2015 tät, Stimmumfang und Ausdruckvermögen legendär wurden. 18 Uhr, Martinskirche Konzerte in Leipzig und ihr Operndebüt in Dresden ebneten der Mara in den späten 1760er-Jahren den Weg an den Hof Streichquartette von F. X. Richter, Friedrich II., der sie nur gegen die Zusicherung, dauerhaft an Streichquintette von L. Boccherini seinem Hof zu bleiben, als Primadonna engagierte. Doch die ebenso brilliante wie exzentrische Sängerin verliess Potsdam Quartetto Rincontro Ende der 1770er-Jahre und eroberte auf ihren ausgedehnten europäischen Konzertreisen u.a. die Herzen des Publikums in Pablo Valetti – Violine Paris und London. In der britischen Hauptstadt feierte sie in Mauro Lopes Ferreira – Violine verschiedenen Rollen in italienischen Opern ihre grössten Tri- Patricia Gagnon – Viola umphe. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereiste die Sängerin Petr Skalka – Violoncello trotz allmählich abnehmender stimmlicher Möglichkeiten er- neut Deutschland, trat in Wien auf und lebte nach 1804 in Christophe Coin (als Gast) – Violoncello St. Petersburg, Moskau und später in Estland, wo sie 1833 verarmt starb. Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Eintritt: CHF 25 Goethe widmete der Mara zum 82. Geburtstag ein Gedicht, das mit den Zeilen beginnt: «Sangreich war Dein Ehrenweg, Jede Brust erweiternd …» Neben der Originalität der Kom- Programm ponisten und herausragenden Interpretenpersönlichkeiten verdankt sich das facettenreiche musikalische Panorama des Franz Xaver Richter (1709–1789) 18. Jahrhunderts auch den überraschenden und anregenden Quartett I C-Dur, Opus V «Begegnungen» zwischen eigenen und fremden Stilen, Gat- Allegro con brio – Andante poco – Rincontro tungen und kompositorischen Ideen, die auch durch die Reisen von Musikern gefördert wurden. Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Drei Fugen, KV 405 (aus «Das Wohltemperierte Clavier» von J. S. Bach in der Bearbeitung von W. A. Mozart für Streichquartett) Fuga Es-Dur – Fuga c-moll – Fuga G-Dur

222 223 Luigi Boccherini (1743–1805) Kommentaren, Variationen – bei prinzipieller «demo- Quintett a-moll, G320 kratischer» Gleichberechtigung der musikalischen Ge- Allegro – Minuetto sprächspartner. «Man hört vier vernünftige Leute sich unterein- Luigi Boccherini ander unterhalten, glaubt ihren Diskursen et- Quintett A-Dur, G316 was abzugewinnen und die Eigentümlichkeit Allegro moderato – Minuetto – Largo cantabile – der Instrumente zu lernen.» ( J. W. Goethe, Brief Presto, il ballo tedesco an Zelter) Natürlich war auch Wolfgang Amadeus Mozart häufiger Gast dieser Salons – wo er neben vielfältigen Zum Programm musikalischen Eindrücken auch Kontakt bekam zum damaligen Hofbibliothekspräfekten Baron Gottfried Der Umbruch zur Epoche der musikalischen Klassik ist van Swieten. Der wiederum eröffnete dem jungen untrennbar verbunden mit dem Aufstieg einer neuen Komponisten den Zugang zum Œuvre von Komponis- Kammermusikgattung: des Streichquartetts (und mit ten wie Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian ihm des Streichquintetts). Es formt eine geradezu ar- chetypische soziale Situation: eine im Geist der Gleich- heit und Brüderlichkeit musizierend kommunizierende Gruppe von Menschen (einschliesslich der die Musik mitvollziehenden Hörer), vereint unter dem Vorzei- chen von Geist und Botschaft des Komponisten. Das heutige Programm vereint einige derartiger mu- sikalischer «Conversationen». Die musikalische Form der Fuge war seit Anbeginn der mehrstimmigen Musik ein fundamentaler Bestand- teil nicht nur der Ausbildung, sondern auch des forma- len Repertoires der Komponisten aller Epochen. Ihre satztechnischen, quasi-rhetorischen Eigenheiten schie- nen wie geschaffen für das geistige und politische Kli- ma der musikalisch-literarisch-philosophischen Salons des ausgehenden 18. Jahrhuderts: die Vertiefung eines «in Rede stehenden» Themas mittels Wiederholungen,

224 225 Bach. Es mutet also nur konsequent an, wenn Mozart intensiv mit dem Streichquartett auseinanderzusetzen, in der Tradition von Haydn selber Fugen komponierte sie zu «studieren und ausführen zu lernen» – was das oder Bach’sche Fugen für Streichquartett (bzw. -trio) Verstehenlernen naturgemäss mit einschliesst. arrangierte. Es ist diese Haltung des Studierens und Suchens, die Franz Xaver Richter, «Mannheimer» mit böhmischen uns «Rincontristen» seit den Studientagen an der Scho- Wurzeln, wurde rasch bekannt durch seine in London la Cantorum Basiliensis antreibt. Bei Christophe Coin, 1768 publizierten «Quartettos for two Violins, Tenor Mitglied des Quatuors Mosaïques, erhielten wir vor 15 and VIOLONCELLO» (sic). Ihre neuartige Satztechnik Jahren unseren ersten Streichquartettunterricht, der bis lotet in mannigfaltiger Weise die Möglichkeiten des heute in vielem nachwirkt. Insofern ist es ein «Rincon- musikalischen Miteinanders der vier Partner aus. Es fin- tro» besonderer Art, wenn wir heute musikalisch mit den sich Duo- wie Triopassagen, fugierte Abschnitte, ihm «zusammentreffen». Solos mit Begleitung, dialogisierende Hauptstimmen, die sich doch stets wieder zusammenfinden – «Rincon- tro». Fast ahnt man hier Haydns etwa 15 Jahre später er- schienenes und «auf gantz neue besondere art» kompo- niertes op. 33 voraus ... Welcher Art die Einflüsse auf Luigi Boccherinis Wer- degang waren, ist auch heute noch schwer zu sagen. Unstreitig jedoch zählt er mit seinem riesigen Œuvre zu den wichtigsten Namen des späten 18. Jahrhun- derts. Wenn Haydn der Vater des Streichquartetts ist, so ist Boccherini der Vater des Streichquintetts. Der ful- minante Cellist schuf eine Musik, die hochemotional und schattierungsreich, gleichzeitig aber liebenswür- dig und tief empfunden ist. Und, was Wunder, sie ist mit ihrer Spielfreude den Streichinstrumenten «auf den Leib geschneidert». Giuseppe Cambini, Altersgenosse Wolfgang Ama- deus Mozarts und Mitglied in einer der ersten Streich- quartettformationen (zusammen mit Nardini, Manfre- di und Boccherini), riet den angehenden Musikern, sich

226 227 Zum Ensemble die Geschichte des Streichquartetts, wobei für einmal genau jene vergessenen Komponis- ten im Fokus stehen sol- len, die es uns erlauben, Umfeld, Einflüsse und Folgen zu verstehen, die ihre Musik mit den berühmtesten Werken ihrer Epoche verbindet.

Christophe Coin

Die Mitglieder des Quartetto Rincontro

Das Rincontro-Quartett entstand aus der langjähri- gen Freundschaft der Gründer des Ensembles Café Zimmermann, die das Repertoire auf die Epoche der Klassik, genauer gesagt, das Streichquartett, ausdehnen wollten. Wie bei Café Zimmermann, so stehen auch hier die Beachtung des historischen Kontextes und die Aufführungspraxis im Vordergrund. Das Ensem- ble widmet sich nicht allein den Meisterwerken des Genres, sondern auch den Werken, die jene berühmten Meister inspirierten. Die Evolution des Streichquartetts ist alles andere als eine gerade, störungs- und überschneidungsfreie Linie von Haydn und Mozart hin zu Beethoven. Das Rincon- tro-Quartett lädt ein zu einer Erkundungsreise durch

228 229 Justin Heinrich Knecht (1752–1817) 19 Variationen F-Dur für Geübtere (aus: Vollständige Orgelschule, Leipzig 1795–1798) Donnerstag, 27. August 2015 20.15 Uhr, Predigerkirche Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Sonate da chiesa für Organo obligato, 2 Violinen «Organo concertato» – von Händel bis Haydn und Bassi Allegro C-Dur, KV 328 (Salzburg 1779) – Adagio G-Dur, Jörg-Andreas Bötticher an der Silbermann-Orgel, aus KV 7 für Violine+Orgel (Clavier) (Paris 1764) – Ensemble Ripieni Festivi Allegro C-Dur, KV 336 (Salzburg 1780)

Eintritt: CHF 35 Justin Heinrich Knecht Toccata c-moll, Moderato (Neue vollständige Sammlung [...], Mainz o. J.) Programm Cantabile c-moll für Geübtere (aus: Vollständige Orgelschule, Leipzig 1795–1798) Georg Friedrich Händel (1685–1759) Orgelkonzert op. 4, Nr. 1 g-moll Joseph Haydn (1732–1809) Larghetto, e staccato – Allegro – Adagio – Andante Konzert für Orgel und Orchester C-Dur Hob XVIII:1 (1756) John Bennett (ca. 1735–1784) Moderato – Largo – Allegro molto Voluntary 4 c-moll (aus: Ten voluntaries for the organ or harpsichord, London 1758)

Philip Hayes (1738–1797) Organ Concerto Nr. 5 B-Dur (aus: Six Concertos, with accompaniments, for the organ, harpsichord or fortepiano, London [1769]) Allegro – Affettuoso – Minuetto

230 231 Zum Programm scheint durch diese Zusammenführung des galanten italienischen Konzertstils mit der Orgel als Soloinstru- «Organo concertato» – ment den Zeitgeist getroffen zu haben. Für eine Ohren- vom Pausenfüller zum Solokonzert zeugin waren diese Konzerte sogar «the finest thing I Der Siegeszug des italienischen Concertos zu Beginn ever heard in my life». Das Programm dieses Abends des 18. Jahrhunderts ergoss sich wie eine klingende schlägt eine Brücke von englischen Orgelkonzerten aus Lawine über ganz Europa. Kaum ein Komponist, der der Mitte des 18. Jahrhunderts zu entsprechenden Wer- diese Form des Wettstreits zwischen kurzen Orches- ken Mozarts und Haydns. territornellen und längeren solistischen Abschnitten Händels Orgelkonzerte op. 4 erschienen 1738 im nicht für sich entdeckte, und kaum ein Instrument, Druck, kursierten aber bereits vorher in Abschrif- das von diesem immer wieder faszinierenden Dialog ten und Raubdrucken. Das aus dem Jahre 1735/1736 ausgenommen wurde. Doch mit Ausnahme einzelner stammende Concerto in g-mol, op. 4 Nr. 1, wendet Kantatensätze mit obligater Orgel eines bis dato an- sich nach einer melancholisch-dunklen Eröffnung be- sonsten relativ unbekannten Leipziger Kantors musste reits im zweiten Satz in ein heiteres G-Dur, gibt dem die Königin der Instrumente erstaunlich lange warten, Organisten im darauffolgenden Adagio viel Platz für bis sie in mehrsätzigen Concerto-Kompositionen als Adlibitum-Improvisationen und schliesst mit einem Soloinstrument auftreten durfte. Dies ist zunächst mit pastoralen Menuett. einem rein praktischen Grund erklärbar: Orchester- Die 1758 erschienenen Voluntaries sind das einzi- musik wurde im bürgerlichen Zeitalter in der Regel an ge Werk des an der St. Dionis Backchurch in London Orten aufgeführt, an denen keine Orgel zur Verfügung amtenden Organisten John Bennett. Ob der zu dieser stand, sei es im Zimmermann’schen Kaffeehaus in Zeit schon völlig erblindete Händel, der mit Boyce und Leipzig, in Stadthäusern in Hamburg oder im Burgthe- Stanley zu den 244 Subskribenten der Sammlung Ben- ater in Wien. Anders die Situation in London, wo sich netts zählte, das Werk noch gehört oder selbst gespielt in einzelnen Theaterräumen bereits «chamber organs» hat, enzieht sich unserer Kenntnis. befanden und auf Initiative von Händel zu Beginn der Philip Hayes war nicht nur Sänger, Dirigent und 1730er-Jahre ein neues Modell einer grösseren «theater ­Organist, sondern auch Musikprofessor in Oxford, des- organ» entwickelt wurde. Nicht zuletzt um mit Starso- sen Vorlesungen aus Oden und Oratorien bestanden, die listen wie Farinelli konkurrenzieren zu können, fügte an der Oxford Music School aufgeführt wurden. Ihm ge- er in seine Oratorienaufführungen gewissermassen als bührte die Ehre, dem musikalischen Empfang für Joseph Pausenmusik Orgelkonzerte ein; so entstand ein neu- Haydn vorzustehen, als dieser 1791 in Oxford eintraf. es Genre, das zeitgenössischen Berichten zufolge mit Die Variationen und Einzelsätze des in Biberach grosser Begeisterung aufgenommen wurde. Händel wirkenden Organisten, Musikdirektors und Musikpä-

232 233 dagogen Justin Heinrich Knecht zeigen etwas von dem Jean-Claude Zehnder Orgelrepertoire, das im späten 18. Jahrhundert abseits der grossen Hauptstädte gespielt worden sein mag: Die Familie Silbermann lieblich-verspielte, experimentelle und klangmalerische Stücke, die deutlich auf eine kirchenmusikalische Pra- er Name Silbermann hat einen guten Klang: Auch wer xis zugeschnitten sind, als Anregung für den grossen sich nur von ferne für die Orgel interessiert, meint sich Bedarf an Stücken und Improvisationen der Organisten Dzu erinnern, solche «silberhellen» Klänge schon einmal im katholischen oder evangelischen Dienst. gehört zu haben ... Wolfgang Amadeus Mozarts Kirchensonaten ent- Die Familie Silbermann stammt aus Sachsen; in Kleinbo- stammen einer speziellen Salzburger Tradition, bei der britzsch, unweit von Freiberg im Erzgebirge, kann man noch es üblich war, zum Offertorium in einer kleinen Beset- heute das Geburtshaus der beiden Brüder Andreas und Gott- zung mit zwei Geigen, Cello und Orgel zu musizieren. fried Silbermann besuchen. Warum Andreas, der ältere, seine In diesem Rahmen konnte auch die Orgel solistisch Schritte ins Elsass lenkte, um dort das Orgelbauhandwerk zu hervortreten. Auch Joseph Haydn widmete sich der erlernen, wissen wir nicht. Sein erster Lehrmeister war Friedrich Gattung des Solokonzerts und schuf deren ca. 24 für Ring in Strassburg, aber auch in Paris hat er sich weitergebildet verschiedenste Instrumente, darunter das 1756 entstan- und dabei viele Eigenheiten des französischen Orgelstils über- dene, opulente Concerto per l’organo in C-Dur, das in nommen. seiner Motivik und Formensprache bereits frühklassi- schen Duft verströmt. In Haydns Entwurfkatalog wird es wahlweise auch «per il clavicembalo» genannt. J.-A. Bötticher (zum Curriculum vitae von Jörg-Andreas Bötticher siehe S. 186)

Der Christkatholischen Kirche Basel-Stadt danken wir herzlich für ihr Entgegenkommen bei den Mietkosten für die Predigerkirche.

Blick ins Rückpositivgehäuse, Dom zu Arlesheim Foto: Franz-Josef Stiele-Werdermann

234 235 Nebenbei: Auch der jüngere Bruder, Gottfried, kam ins Elsass, lernte bei seinem Bruder, ging aber später nach Sach- sen zurück. Das ist der Grund, warum sowohl im Elsass, in Südbaden und in der Schweiz als auch in Sachsen Sil- bermann-Orgeln zu bewundern sind. Der Klang der beiden Silbermann-Zweige ist freilich recht verschieden. In Arlesheim haben wir es mit der zweiten Generation zu tun: Der Sohn des Andreas, Johann Andreas oder Jean André (1712–1783), führte den Elsässer Zweig weiter. Seine Per- sönlichkeit ist nicht nur durch zahlreiche erhaltene bzw. teil- weise erhaltene Orgeln dokumentiert, er ist auch der Autor einer Geschichte der Stadt Strassburg. Zudem gibt es über 1000 Seiten Notizen über Orgeln der Familie Silbermann und anderer Orgelbauer und dazu ein Tagebuch zu seiner eigenen Tätigkeit (Silbermann-Archiv). Auf dem Titelblatt der Geschichte Strassburgs nennt er sich «Orgelbauer und Alter­ Orgel, Dom zu Arlesheim thums Forscher»; Johann Andreas war ein perfekter Hand- Foto: Franz-Josef Stiele-Werdermann werker, ein genialer Klangtechniker und ein universell gebil- deter Geist des ausgehenden Barockzeitalters. Verfügung stand. Etwas später können wir die musikalische Tradition in unserer Region wieder genauer fassen: Martin Die musikalische Bedeutung der Silbermann-Orgel Vogt (1781–1854), der einige Jahre als Organist in Arles- In der Zeit um 1760 gab es im Raum Elsass/Schweiz nur we- heim gewirkt hat, ist als Komponist und Verleger mit einem nig eigentliche Orgelmusik. Wahrscheinlich spielten viele Or- umfangreichen Werk an die Öffentlichkeit getreten. Auch ganisten Musik à la mode: Menuette und andere Tanzsätze wenn die Musikgeschichte diesen populären, nachklassischen und Sonaten des Klavierrepertoires. Und nicht zu vergessen: Stil wenig würdigt, finden Vogts Orgelstücke und Messen ein Häufig wurde und wird auf der Orgel improvisiert; aus alter dankbares Publikum. Tradition ist das Spiel aus dem Stegreif auf diesem Instru- Aus: ment zu Hause. Wenn wir uns heute an den französischen Die Silbermannorgel im Dom zu Arlesheim, Farben (Nazard, Tierce, Cromorne) mit Musik von Coupe- Verlag Schnell & Steiner GmbH, Regensburg 2007 rin, Clérambault oder de Grigny erfreuen, so ist dies streng Fotos: Franz-Josef Stiele-Werdermann, Konstanz historisch betrachtet ein Anachronismus; es ist unwahrschein- lich, dass den Basler Organisten von 1760 diese Musik zur

236 237 Paul Henry Boerlin Meine Instrumenten betreffendt 1. Das grosse Clavecin [=Cembalo] ist ein Silbermann-Cembali bei Jeremias Wildt Meisterstuck von dem alten SilberMan so das beste ist daß sich Hier befindtet wegen dessen us Jeremias Wildts Rechnungsheften, die er «Nota Egalitet Im discant et Basse auch wegen dessen Buchlein» nannte,1 ist ersichtlich, dass er ein eifriger Lieblichkeit.» AAmateurgeiger war und dass er nicht nur zeitweise im Basler Collegium musicum mitspielte, sondern vor allem auch Nota Buchlein, A 2, p. 11 regelmässig und intensiv Hausmusik betrieb. 1770 Diese musikalischen Zusammenkunfte fanden mindestens «laut HaußHaltungs Conto an H [erru] Döme- einmal pro Woche, am Samstag, manchmal aber auch öfters lein Jgr [den Jungeren] wegen dem Neuwen Spi- statt und dauerten im Allgemeinen je vier Stunden. Mitmusi- netlein und wegen reparation des Clavecins pro zierende waren neben einzelnen Mitgliedern der Basler Gesell- discretion geben 4 NtH [Neutaler]» schaft in erster Linie Berufsmusiker, die Wildt engagierte und «11 do August ... honorierte. Ca. umb Pffingsten [?] dem H[errn] Silberman Sodann liess er sich von den professionellen Musikern neu andreas von publizierte Kompositionen besorgen, sodass allmählich eine be- Stbg [Strassburg] das große Clavier Zu Leimen achtliche Notenbibliothek zusammenkam. Es ware Schliesslich hat Wildt im Verlauf von 40 Jahren «fur Mein Ein Spalt aufdem Resonantzboden 2 NtH [Neu- freud»1 auch Instrumente gesammelt und sie in den «Nota taler] seinem Buchlein» in vier Verzeichnissen erfasst.2 Dabei handelte es sich gesellen Trinkgelt 1/2 NtH.»1 – da Wildt ja Geiger war – fast ausschliesslich um Streichinst- Nota Buchlein, A 3, p. 18 (Verzeichnis B) rumente. So waren im Jahre 1774 (Verzeichnis D) offenbar 12 «1773 / Meine beste Musiq Instrumenten seindt Violinen und eine Bratsche vorhanden. Nun gibt es aber zwei No. 0. NB. das große 3 Registrische Clavier von Ausnahmen. Ihnen gelten diese Ausfuhrungen. Die einschlägigen Stellen in den «Nota Buchlein» lauten 1 Da Wildts Eintragungen nicht immer streng chronologisch, sondern bis- folgendermassen: weilen auch nach Massgabe des verfugbaren Platzes angeordnet sind, ist das Nota Buchlein, A 1, fol. 2 r° (Verzeichnis A) Augustdatum von 1770 äusserst fraglich. Zutreffender scheint die Angabe, Silbermann sei «umb Pffingsten» zu Wildt gekommen: 1770 war Pfingsten am «1766. 10. 8b. [Oktober] 3. Juni, und nach seinen eigenen Angaben fuhr Johann Andreas Silbermann tatsächlich am 23. Juni mit der Diligence von Basel nach Strassburg. Siehe 1 Die «Nota Buchlein» befinden sich im Staatsarchiv des Kantons Basel- Marc Schaefer (Hrg., 1994): Das Silbermann-Archiv. Der handschriftliche Stadt, Privatarchiv 865, A 1–6. Nachlass des Orgelmachers Johann Andreas Silbermann (1712–1783). 2 Nota Buchlein, A 3, S. 93 (im Verzeichnis D). Winterthur, S. 295.

238 239 dem alten H [errn] Silberman kostete incirca 20 bauern und Herstellern von Tasteninstrumenten. Ihre Vorfah- NLdor [Neue Louis d’or].» ren waren in Böhmen Bildschnitzer gewesen und möglicher- Jeremias Wildt besass also nicht nur eine Reihe von Violi- weise durch die Arbeit an Orgelgehäusen mit dem Orgelbau nen, sondern auch ein grosses Cembalo1 aus einer beruhmten in Kontakt gekommen. Im Folgenden hat sich ein Zweig in Werkstatt, sowie ein Spinett. Obwohl seine Angaben nur Sachsen und ein anderer im Elsass niedergelassen. Der wich- knapp sind, lässt sich doch eine Vorstellung von diesem Cem- tigste sächsische Silbermann ist Gottfried (1683–1753), Or- balo gewinnen. Es wird als «3 Registrisch» bezeichnet, das gelbauer in Freiberg, der mit Johann Sebastian Bach bekannt heisst, es verfugte uber drei Register und besass demnach mit war. Sein älterer Bruder Andreas (1678–1734) hatte seine Sicherheit die in jener Zeit fur solche Instrumente (namentlich Werkstatt in Strassburg und verfugte uber gute Beziehungen in der französischen Tradition) ubliche Disposition: 2 Manu- zu Basel. Hier baute er die Orgeln im Munster (1709–1711), ale; auf dem unteren Manual ein 8-Fuss- und ein 4-Fuss-Re- zu St. Peter (1711–1712) und zu St. Leonhard (1718–1719). gister, auf dem oberen Manual ein zweites 8-Fuss-Register; Von seinem Sohn Johann Andreas (1712–1783) stammten Manualkoppel; möglicherweise Lautenzug fur den oberen die Orgeln in der Predigerkirche («Französische Kirche», 8-Fuss. Der Manualumfang durfte – wie damals ebenfalls 1766, Ruckpositiv 1769), in der Theodorskirche (1770) und beliebt – funf Oktaven, F’–f’’, gewesen sein, bei einer Länge das Ruckpositiv (1770–1771) in der Leonhardskirche sowie des Instrumentes von ca. 240 cm. die Orgel im Dom zu Arlesheim (1759–1762). In seinem Instrumentenverzeichnis von 1766 (A) setz- Fur Juli [?] 1770 hatte Wildt eine Zahlung an «H [errn] te Wildt dieses Cembalo an die Spitze, nannte es ein Dömelein Jgr wegen dem Neuwen Spinetlein und wegen re- Meisterstuck und lobte seine klanglichen Eigenschaften. Auch paration des Clavecins» notiert, und im gleichen Jahr, vermut- im Verzeichnis von 1773 (B) fuhrte er es an erster Stelle und lich um Pfingsten, kam «H [err] Silberman andreas von Stbg erwähnte, es habe an die 20 Neue Louis d’or gekostet. Mit ei- [Strassburg]» mit einem Gesellen, um beim grossen Cembalo nem so hohen Betrag figuriert im Verzeichnis D nur noch eine einen Riss im Resonanzboden zu leimen. «alte Veritable Amati»-Geige, die Wildt einst als Geschenk Johann Rudolf Dömmelin (1730–1785) war in Basel Or- erhalten hatte; alle anderen Streichinstrumente hat er nur auf ganist an der Predigerkirche (der «Französischen Kirche»), seit einen Bruchteil dieser Summe geschätzt. 1761 Leiter des Collegium musicum und seit 1762 Inspektor Wie Wildt schreibt, stammt das Cembalo «von dem alten aller Orgeln der Stadt. Ob die von ihm vorgenommene «repa- Silber-Man». Die Familie Silbermann war bekanntlich im ration des Clavecins» ebenfalls den Riss im Resonanzboden 18. Jahrhundert eine der beruhmtesten Familien von Orgel- betraf wie die Reparatur durch Silbermann, ist nicht auszu- 1 Dass Wildt für «Cembalo» nicht nur die französische Bezeichnung machen. «Clavecin» verwendet, sondern auch «Clavier», will nichts besagen, da gerade «[H] err Silberman andreas von Stbg [Strassburg]» kann im 18. Jahrhundert «Clavier» Verschiedenes bedeuten konnte: Manual/Klavi- atur, Clavichord, und auch als Sammelbegriff fur besaitete Tasteninstrumente naturlich nur Johann Andreas Silbermann (1712–1783), verwendet wurde. sein, denn sein Vater Andreas, geboren 1678, war schon

240 241 1734 gestorben. War aber der Sohn Johann Andreas auch der Cembali, Spinette, Clavichorde und Hammerklaviere. Vor Erbauer dieses Instrumentes? Jeremias Wildt nennt in seinem allem seine ausgezeichneten, grossen, funfoktavigen Spinette Verzeichnis von 1766 (A) das Cembalo «Ein Meisterstuck von mussen äusserst beliebt und verbreitet gewesen sein, haben dem Alten SilberMan». Ist nun mit «alt» das Lebensalter oder sich doch von diesem Typus nicht weniger als neun Instru- die Generation gemeint? Da beide Silbermann, Vater und mente erhalten, davon zwei in Basel: eines in Privatbesitz Sohn, in Basel Orgeln gebaut haben, ist anzunehmen, dass (aus dem Kunsthandel), eines aber im Historischen Museum den Musikinteressierten auch beide bekannt gewesen sind. als Geschenk (1878) von Stadtrat Friedrich Hagenbach-Me- Und da Johann Andreas Silbermann, geboren 1712, sieben rian (1804–1900).1 Jahre junger war als Wildt (geboren 1705), Vater Andreas Verlockend wäre es, anzunehmen, dass dies das «Spi- Silbermann, geboren 1678, aber 27 Jahre älter, durfte Wildt netlein» von Jeremias Wildt gewesen sei. Bedenkt man die mit «der alte Silbermann» in der Tat den Angehörigen der vor- vielen Kontakte von Andreas Silbermann und seinen Söh- hergehenden Generation, Andreas Silbermann, gemeint ha- nen mit Basel und auch mit Wildt, der als Rechenrat z.B. ben. Sein Cembalo ist also ohne Zweifel ein «Meisterstuck» 1770 dem Johann Andreas Silbermann, als dieser in Basel von Andreas Silbermann gewesen. seine Theodorsorgel fertigstellte, die Revision und Stimmung Von der Familie Silbermann haben sich angeblich nur vier der drei Basler Orgeln seines Vaters (Munster, St. Peter, Cembali erhalten: Eines von Gottfried Silbermann, dem Bru- St. Leonhard) antrug – und bedenkt man, wie hoch Wildt der von Andreas, in Sachsen; zwei von Andreas selbst, davon sein Silbermann-Cembalo schätzte, dann scheint eine solche eines in Barcelona, eines in Paris; eines in Lourdes von Johann Möglichkeit nicht so abwegig. Allerdings war bisher nicht Heinrich Silbermann, einem jungeren Bruder von Johann An- nachweisbar, dass irgendein familiärer Erbgang von Jeremias dreas in Strassburg. Wildt bzw. von seinem Schwiegersohn Daniel Burckhardt- Das Instrument des Andreas in Paris entspricht durchaus Wildt her den Stadtrat Friedrich Hagenbach-Merian in den der fur das Wildt’sche Instrument vermuteten Gestalt – mit Besitz von Wildts «Spinetlein» gebracht hätte. einer Ausnahme: Der Manualumfang reicht nur von C bis Ausser dem Cembalo bei Jeremias Wildt sind in Basel e’’’ (bei den anderen drei Instrumenten dagegen von F’ bis f’’). im 18. Jahrhundert aber noch andere Silbermann-Cembali Über Jeremias Wildts «Neuwes Spinetlein» wird nichts archivalisch nachgewiesen. Bei den Erben der Familie Sil- weiter mitgeteilt. Es kommt nur an dieser einen Stelle vor, und bermann hat sich ein umfangreicher Bestand an Archivalien uber seinen Hersteller ist nichts zu erfahren. erhalten, das sogenannte «Silbermann-Archiv», zusammen- Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang die Familie getragen von Johann Andreas Silbermann. Er behandelt Silbermann nicht ganz aus dem Auge zu verlieren. Johann Heinrich Silbermann (1727–1799), Mitglied der Strassbur- 1 Historisches Museum Basel, Inv. Nr. 1878.9. Siehe Veronika Gutmann, (1996): Die Bestände der Musikinstrumenten-Sammlung des Historischen ger Werkstatt seines älteren Bruders Johann Andreas, hatte Museums Basel, Die besaiteten Tasteninstrumente, II. Tangentenklaviere und sich auf besaitete Tasteninstrumente spezialisiert. Er baute Kielklaviere. In: Historisches Museum Basel, Jahresbericht, S.14.

242 243 elsässische und auswärtige Orgeln, beschreibt die Orgeln seines Vaters und viele seiner eigenen, erwähnt die Arbeits- 20 weise anderer Orgelbauer, zitiert Korrespondenzen und hält allerhand merkwurdige Begebenheiten fest. Der Strassburger Freitag, 28. August 2015 Musikwissenschaftler, Organist und Orgeldenkmalpfleger 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Prof. Marc Schaefer hat dieses Archiv 1994 mustergultig herausgegeben. Es handelt sich um eine Fundgrube, in der «Lieder zum Clavier zu singen» sich auch Belege dafur finden, dass zwei weitere Silbermann- Werke von L. Zinck, C. Fr. Zelter, J. G. Müthel, Cembali in Basler Besitz gewesen sind. Fr. W. Rust, J. Fr. Reichardt und Fr. Schubert u. a. Aus: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 101, 2001, S. 51–77 Ulrich Messthaler – Gesang und Fortepiano

Eintritt frei, Kollekte

Programm

Friedrich Wilhelm Rust (1739–1796) An die Laute (Johann Friedrich Freiherr von Croneck)

Johann Abraham Peter Schulz (1747–1800 Liebeszauber (Gottfried August Bürger)

Johann Gottlieb Karl Spazier (1761–1805) Die Nacht (Justus Friedrich Wilhelm Zachariae)

Johann Abraham Peter Schulz Der Freier (Johann Heinrich Voss)

Carl Friedrich Zelter (1758–1832) Um Mitternacht (Johann Wolfgang von Goethe)

244 245 Franz Schubert (1797–1828) Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) Der König von Thule (Johann Wolfgang von Goethe) Die schöne Nacht (Johann Wolfgang von Goethe)

Ludwig van Beethoven (1770–1827) Franz Schubert «Aus Goethe’s Faust» (Johann Wolfgang von Goethe) Der Schiffer (Johann Baptist Mayerhofer)

Ludwig van Beethoven Marmotte (Johann Wolfgang von Goethe) Zum Programm

Franz Schubert Das deutsche Lied zwischen 1750 und 1800 hat unter Liebhaber in allen Gestalten (Johann Wolfgang von Musikliebhabern häufig noch den Ruf des Unfertigen, Goethe) ja auch Minderwertigen inne. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass diese Werke nahezu nie in heutigen Carl Friedrich Zelter Konzertprogrammen auftauchen. Die Musikwelt hat Todes Wiegenlied (Georg Philip Schmidt von Lübeck) in den letzten Jahrzehnten gelernt, Werke von Mon- teverdi, Händel, Schumann oder selbst Mussorgski als Daniel Gottlieb Türk (1750–1813) in sich schlüssige, absolute Zeugnisse einer Epoche, Was ist Lieb? (Johann Martin Miller) welche diese gleichzeitig transzendieren. Sie wer- den also nicht mehr mit der Brille des musikalischen Johann Gottfried Müthel (1728–1788) Fortschritts betrachtet, die spätere Komponistengene- An das Clavier (Dichter unbekannt) rationen auf der Stufenleiter der musikalischen Wer- tigkeit dank einer fragwürdigen Fortschrittsästhetik Franz Schubert höher ansiedelt. Dem Lied vor Schubert ist dagegen Totengräbers Heimweh (Johann Nicolaus nur die Rolle des noch nicht vollendeten Vorbereiters Reichsfreiherr von Craigher de Jachuletta) zugewiesen. In meinem Programm wollte ich bewusst diese Friedrich Wilhelm Rust «Vorbereiter» und den «Vollender» nebeneinanderstel- Todtenkranz für ein Kind (Friedrich von Mathisson) len, damit, so hoffe ich, ersichtlich und erhörbar wird, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Johann Philip Sack (1722–1763) Sicher, Max Friedländer macht in seiner ungemein Klagen eines unglücklichen Liebhabers, Ode I verdienstvollen Publikation «Das deutsche Lied im (Justus Friedrich Wilhelm Zachariae) 18. Jahrhundert» (1902) mit süffisant-trockener Kritik

246 247 deutlich, dass viele dieser Liedkompositionen besser auch viele Lieder, die gleich einer Monade in sich selbst hätten nicht gedruckt werden sollen, aber es gibt eben so zusammengesetzt sind, als ob sie anders gar nicht hätten geschrieben werden können: eben authentische, sprich nicht beliebige, sondern wirklich gute Musik. Werke von Johann Philip Sack (1722–1763) in ihrer Neuartigkeit (langes Instrumentalvorspiel, Aufteilung in verschiedene, sehr unterschiedliche Abschnitte, No- tierung in drei Notensystemen), Spazier oder beson- ders Friedrich Wilhelm Rust (1739–1796) sind von einer erstaunlichen Qualität, die keiner weiteren Rechtferti- gung bedarf. Wenn wir uns diesen Lieder nähern wollen, kom- men wir nicht an den Textdichtern, fast immer Zeitge- nossen der Komponisten, vorbei. Sie spiegeln in ihren Gedichten ihre Zeit und deren Umwälzungen mehr oder weniger direkt wider. Allen voran Gottfried Au- gust Bürger (1747–1794), der in der vorrevolutionären Zeit eine sehr klare antifeudalistische Position bezog und immer wieder mit seinen Publikationen die herr- schende Klasse («Adelsbrut», «Pfaffengeschmeiss») pro- vozierte. Wie dürfen nicht vergessen: In Sachsen war bis 1790 die Leibeigenschaft noch nicht verboten! Auch bei dem Komponisten Harnack Otto Conrad Zink bro- delte es heftig, als er zur Entstehung seiner sechsten Sonate (mit einer gesungenen Ode als letztem Satz [!]) ausführte: «Ich war (weiss nicht mehr, worüber) är- gerlich und verdriesslich, und kam so bis ans Clavier, um darauf meine Bosheit auszulassen, und polterte da- her …» (Hamburg 1783). Auf der anderen Seite gab es die psychologisch in J. G. Müthel, Beginn des Liedes «Freund! Wie mächtig kannst du Zeiten grosser Veränderungen verständliche Reaktion siegen!» siehe Quellenangaben „Aus:“ auf Seite 254 des häuslichen Zurückziehens, die ja letztlich später ein

248 249 Aspekt des Biedermeier wurde. Dazu ein Zitat aus dem und Monteverdis «Orfeo» unter Joshua Rifkin folgten. Er Gedicht «An die Laute» von Croneck (1731–1758): sang ebenfalls in Opernproduktionen in Brüssel, Ham- burg oder Monte Carlo, wobei er so unterschiedliche «So sei mein Leben still beglückt, Rollen wie den Caronte und den Escamillo in Bizets Sanft aber unbekannt, «Carmen» verkörperte. Mit stillen Tugenden geschmückt, Bald wurde Ulrich Messthaler an bedeutende Musik­ Im sichern Mittelstand.» zentren wie z.B. Tonhalle Zürich, Musikverein Wien, Herkulessaal in München, Berliner Philharmonie, Die Komponisten dieser Epoche hatten also ein wei- Kölner Philharmonie, Palais Garnier und Théatre des tes Spektrum sehr unterschiedlicher dichterischer Vor- Champs-Elysées in Paris oder Suntory Hall in Tokio lagen zur Verfügung, welches durch das Erscheinen der eingeladen, ebenfalls zu den Festivals in Rastatt, Urach, ersten Gedichtbände Goethes nochmals erweitert wur- Ambronay, Piccardie, Lyon, Beaune, Arles, Fribourg, de und in den 1790er-Jahren eine wahre Flut an neuen Innsbruck, der namhaften Konzertreihe «St. Maurizio» Kompositionen auslöste. in Mailand oder «Printemps des Arts» in Monte Carlo. Ulrich Messthaler Ulrich Messthalers Konzerttätigkeit zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Immer häufiger führt er, Ulrich Messthaler sich selbst vorzugsweise am Hammerflüge begleitend, studierte zuerst Klavier und Philosophie in München, Lieder des späten 18. Jahrhunderts oder die Liederzy- anschliessend Gesang klen von Schubert auf. Aber auch Werke von Loewe, in Augsburg, Basel und Schumann, Brahms, Liszt und Jensen gehören zu sei- New York. Sein erstes nem bevorzugten Repertoire. Ein anderer Aspekt sind Engagement hatte er seine Interpretationen der französischen «mélodie» mit am Theater Basel, wo Werken von Fauré, Chausson, Hahn, Debussy, Ravel, er mit Anne-Sofie von Ibert und Poulenc. Otter in «Ariadne auf Seine CD-Einspielungen mit über 30 Titeln erstre- Naxos» debütierte, dem cken sich von Werken Palestrinas über Opern von bald Produktionen wie Monteverdi und Händel bis zu Werken von Ravel. «Idomeneo» unter Ar- Ulrich Messthaler unterrichtet an der Schola Canto- min Jordan, «Die lustigen rum Basiliensis und ist künsterischer Leiter des Festival Weiber von Windsor», des Cordes Sensibles in Südfrankreich. aber auch «Orontea» von Cesti unter René Jacobs

250 251 Johann Gottfried Müthel denen Stellen einiger Freyheit bedienet, die, wie ich glaube, bey itzigen aufgeklärten Zeiten, da man Melodien dieser Art Vorbericht an die Freunde und Liebhaber nicht nach verworfenen pedantischen Regeln misst, vollkom- der Musik men erlaubt sind. Überdem ist bekannt, so wie ein wohlge- sitteter Mann im Umgange, so muss ein Scribent oder Com- a meine vor einigen Jahren herausgegebene Sonaten ponist im Schreiben oft kleine Fehler begehen, um grössere und Variationes für das Clavier das Glück gehabt, zu vermeiden. Hätte man bey Oden und Liedern nicht viele Dden Beyfall verschiedener Kenner und Liebhaber zu Verse: so würde man den Ausdruck der Worte viel genauer erlangen: so wage ich es um so viel dreister, diese Geburten des und lebhafter in die Melodie setzen können. Da man aber Scherzes, des sanften Vergnügens und der Freude öffentlich zu nur auf den Hauptaffect und gewisse vorzügliche schöne Stel- zeigen. Zwar weiss ich sehr wohl, dass die Freunde der Mu- len sehen darf: so ist es kein Wunder, dass die Melodie bey sik keinen Mangel an Stücken dieser Art haben; ob aber ein allen Versen nicht gleiche Wirkung thut. Man wird mir auch Überfluss an wohlgerathenen darunter ist, will ich Kennern vielleicht vorwerfen, dass die Melodien zu sorgfältig poliret zur Beurtheilung überlassen. Es ist nicht so sehr leicht, als viele und geputzt wären; dass ein geschickter Hals, eine geschickte wohl glauben, dergleichen Poesien so in die Musik zu bringen, Hand, alles dieses von selbst wisse; dass ich mir im Unerwar- dass Kenner und Liebhaber davon zufrieden seyn können. teten, so wie im Affect, sehr viele Freyheit nähme; dass ich Es gehöret eine genaue Kunstrichtigkeit dazu; eine besondere bey verschiedenen Stellen hätte einförmiger denken können; fliessende Melodie; ein Überfluss an schönen Einfällen; eine und dergleichen. Ich halte es theils zu weitläuftig, theils für scharfe Musterung und kluge Wahl der Einfälle, um den Af- unnöthig, mich itzo über diese und dergleichen Puncte ein- fect der Poesie auf das natürlichste und lebhafteste auszudrü- zulassen. Ich will für diesmal zu meiner etwanigen Verthei- cken: unerwartete, und doch ungezwungene, feine, zärtliche digung folgende schöne Worte eines berühmten Schriftstellers Züge müssen bey Arbeiten dieser Art sich vorzüglich zeigen, anwenden: «In einer Composition, worinnen weder Ebbe noch wo man nicht in das Matte und Schlechte gerathen will. Fluth, worinnen eine regelmässige Kälte, eine gelehrte Kraft- Ich würde mich einer übertriebenen Eigenliebe schuldig losigkeit herrschet, welche, um nicht zu fehlen, bey einerley geben müssen, wenn ich verlangte, dass Eigenschaften gleich ruhigem Tone bleibt, finden wir wohl nichts zu tadeln; aber gut sollten gerathen seyn. Diess wäre zu stolz und verwegen wir möchten darüber einschlafen.» gedacht. Doch bin ich ehrgeizig genug, zu wünschen, dass Die Poesien sind nicht alle von mir gesammlet. Ich habe der grösste Theil davon den Freunden der Musik so wenig verschiedene von guten Freunden und Freundinnen geschrie- misfallen möge, als sie hie und da einzeln das Glück gehabt, ben erhalten, und kann ich also für die gänzliche Richtigkeit zu gefallen. derselben nicht stehen. Die Namen der Poeten würde ich gern Ehe ich schliesse, finde ich noch ein paar Worte der Melo- beygesetzt haben; weil aber die mehresten Poesien ohne Na- dien und Poesien wegen zu sagen. Ich habe mich an verschie- men erschienen, und die von dem Herrn von Hagedorn, dem

252 253 Herrn Professor Gellert, dem Herrn Lessing und aus den Be- lustigungen und Beyträgen bekannt genug sind: so habe es 21 deswegen unterlassen. Mein Vorbericht ist unvermerkter Weise fast grösser ge- Freitag, 28. August 2015 worden, als ich es haben wollte. Ich finde itzo nichts weiter 18 Uhr, Aula des Naturhistorischen Museums, zu sagen, als dass ich mich den Freunden und Liebhabern Augustinergasse der Musik zum geneigten und gütigen Andenken empfehle. Geschrieben in Riga Vortrag 3 Blicke in Basler «Musiqstuben» – Über Bilder und Aus: Musikinstrumente des 18. Jahrhunderts Auserlesene Oden und Lieder von verschiedenen Dichtern, zum musikalischen Vergnügen in die Musik gesetzt von Dr. Martin Kirnbauer, Basel Johann Gottfried Müthel, Hamburg 1759 (Siehe hierzu: Besuch im Museum für Musik mit Dr. Martin Kirnbauer am Samstag, 29. August 2015, 15 Uhr, S. 290)

Eintritt frei

Musik als ephemere Kunstform erklingt bekanntlich nur im Moment des Musizierens – und verschwindet buch- stäblich mit ihrem Nachklang. Vor der Erfindung des Phonographen Jahre 1877 durch Edison war dieses Ver- schwinden unwiderruflich (und über die sinnliche Qua- lität der in der Folge mittels Klangaufzeichnungsgeräten bewahrten Musik lässt sich bis heute trefflich streiten). Über einst erklungene Musik geben in erster Linie nur die einer Aufführung zugrundeliegenden Noten und die dabei verwendeten Musikinstrumente Auskunft, wei- tere Informationen liefern etwa Traktate über das Spiel der Instrumente oder das Lesen der Noten. Zusätzlich können archivalische Dokumente wie Abrechnungen für Konzerte oder Tagebucheinträge mit Konzertein­ ­

254 255 drücken interessante Informationen liefern. Eine weitere schaftlichen Institut der Universität Basel, betraut u.a. ganz wichtige Quelle stellen schliesslich Bilder dar, die mit der Leitung des umfangreichen Mikrofilmarchives, musikalische Situationen darstellen oder bei denen Mu- und Lehrbeauftragter für Ältere Musikgeschichte. Nach sikinstrumente eine Rolle spielen. der Habilitation 2007 bis Ende 2010 Vertretung des Lehr- Um solche Bildquellen aus dem 18. Jahrhundert, von stuhls für Ältere Musikgeschichte. denen sich glücklicherweise in Basel eine ganze Reihe Seit Mai 2004 ist er Leiter des Musikmuseums in Ba- erhalten haben, soll es in dem Vortrag gehen. Sie gewäh- sel und Kurator für die Sammlung alter Musikinstrumen- ren etwa Einblicke in Basler «Musiqstuben», wie sie ein te des Historischen Museums Basel sowie Privatdozent Zeitgenosse nannte, oder zeigen den Stellenwert von für Musikwissenschaft an der Universität Basel. Musik und Musikinstrumenten in der damaligen Ge- sellschaft. Dabei wird aber deutlich, dass Bilder nie un- schuldig eine reale Situation spiegeln, sondern eine ganz eigene und ideale Wirklichkeit schaffen, die durch ein sorgfältiges «Lesen» dieser Bilder erst zu dekonstruieren ist.

Martin Kirnbauer (geboren 1963 in Köln) war nach einer Ausbildung zum Holzblasinstrumentenmacher und Musikstudien zu- nächst Restaurator für historische Musikinstrumente im Germanischen National- museum in Nürnberg. Er absolvierte ein Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Mittel- alterlichen Geschichte an den Universitäten Er- langen und Basel (Pro- motion 1998). Zwischen 1994 und 2004 war er wissenschaftlicher Assis- tent am Musikwissen-

256 257 Veronika Gutmann Das Unterfangen war von unterschiedlichem Erfolg ge- krönt. 1708 wurden zu den Dilettanten Berufsmusiker zuge- Musik in Basel um 1750 – Die Familie Emanuel zogen, um die Qualität anzuheben. Jeden Mittwoch traf man Ryhiner-Leissler auf zwei Gemälden von Joseph sich von vier bis sieben Uhr zur gemeinsamen Übung. Erst Esperlin, 1757 Jahre später, nach 1717, wurden Zuhörer zugelassen, was einen grossen Erfolg brachte. Neue Unstimmigkeiten entstan- Es waren die bürgerlichen Kreise, die in Basel die Hausmusik den durch die Verpflichtung der mitwirkenden Berufsmusiker, pflegten und sich in den Konzerten des Collegium musicum an 13 Sonntagen im Jahr ohne Honorar in den sogenannten zusammenfanden. Das Collegium musicum wurde 1692 «Solennen Musiken» in einigen Basler Kirchen aufzutreten. gegründet, zunächst aus dem Wunsch heraus, den mehr- Sie blieben den Kirchenkonzerten häufig fern; der dadurch stimmigen kirchlichen Gesang auch ausserhalb der Schule entstandene Schaden, die fehlende professionelle Unterstüt- zu pflegen und die Freude am gemeinsamen Musizieren zu zung der Dilettanten, schlug sich in einer sich verbreitenden fördern. Hier bestanden im Unterschied zu den bereits früher Nachlässigkeit der übrigen Musiker nieder, was das Publi- gegründeten Collegia musica in anderen Schweizer Städten kum fernbleiben liess.1 Verbindungen zur Kirche und zum Gymnasium sowie ein Ab Ende der 1740er-Jahre erfuhr das darbende Collegi- direkter Bezug zur Universität, wo seit dem 16. Jahrhundert um musicum eine neuerliche Förderung; durch Zuwendun- Musik auch praktisch gelehrt wurde. gen neuer Musikfreunde erhielt es neuen Aufschwung. Ab 1749 hiessen die Veranstaltungen «Concerte» und nicht mehr Musikabend­ oder Musiktag.2 Gleichzeitig bemühte man sich um einen grösseren Raum, den man 1751 im sogenann- ten «Prytaneum» im «Oberen Collegium» der Universität an der Augustinergasse (heute Museumsbau von Melchior Berri von 1849) fand. Der gegen 400 Personen fassende Raum konnte dank eines Kredits der Universität von 2500 Pfund (Laufzeit 30 Jahre, Zins 3%) umgebaut und 1752 einge- weiht werden. Um regelmässige Einkünfte für die Musiker­ honorare und die Unkosten zu sichern, wurden jährlich zu bezahlende «Abonnementsconcerte» eingeführt, die zwar 1 Wölfflin, Eduard (1860): Das Collegium musicum und die Concerte in Basel. In: Beiträge zur vaterländischen Geschichte, Bd. 7, S. 337–388 und S. 344 ff., Basel; Martin Staehelin (1963), Basels Musik­leben im 18. Jh. In: Schweizerisches Jahrbuch «Die Ernte». S. 122–126. Musikabend im Blauen Haus, Karikatur von Franz Feyerabend (1755–1800) 2 E. Wölfflin, a.a.O., S. 344–346.

258 259 nicht öffentlich waren, aber doch einem breiteren Publikum ausführlichen Kommentar publizierte.1 Darin berichtet ein offenstanden. Adelbodner Pfarrer im Ruhestand unvoreingenommen und Die Konzerte fanden jeweils am Mittwoch, «praecis um in allen Einzelheiten über eine Reise nach Basel und die da- 5 Uhr», statt. 1752 wurde zudem ein fester Programmablauf mit verbundene Einladung zu dem genannten Konzert. Dem bestimmt, wonach sich das Konzert im Allgemeinen in drei satirischen Charakter der Schrift entspricht gewissermassen Teile gliederte, die je durch eine halbstündige Pause unter- auch eine wesentlich später (um 1790) entstandene Karikatur brochen waren. «Der erste Actus beginnt mit einer starken eines Konzerts des Collegium musicum, die der junge Ema- Sinfonie mit Waldhorn etc. (sofern Leute, die es spielen, vor- nuel Burckhardt-Sarasin mit Tusche gezeichnet hatte (siehe handen). Nach derselben eine Arie [...] und von H. Kachel ein Abbildung Seite 61). Solo auf der Violin».1 Die darauf folgende Pause sollte «denen Aus dem Bericht ist unter anderem auch zu entnehmen, Auditoribus, insbesonderheit weiblichen Geschlechtes nach dass in den Konzerten des Collegium musicum jeweils ak- einer so grossen Fatigue der Musik stillschweigend zuzuhö- tuelle Musik, nicht älter als zehn Jahre, gespielt wurde: «Es ren, eine Rastzeit von ½ Stund lang erlaube[n], damit sie sich regiert eine gewisse Pedanterey unter den Musikanten, dass durch das liebe Geschwätz wiederum erholen.» Zu Beginn sie verachten, was alt ist; wäre es noch so schön, so finden des 2. Teils eine «starke Sinfonie ohne Waldhorn», dann eine sie es nicht so, wann es über zehen Jahre hat.»2 Dazu ge- Arie und ein Flöten- oder Oboenkonzert. «Der dritte Actus hörten um 1757, dem Entstehungsjahr der beiden Gemälde wird mit einer starken Ouverture mit Waldhornen etc. an- von Esperlin, vor allem Komponisten der Mannheimer Schule gefangen, und darauf mit einem Duetto zu 2 Stimmen oder sowie italienische und österreichische Tonsetzer; französische mehreren, auch vollstimmigerem Choro beschlossen werden.» waren in der Minderheit. Wesentlich war, dass die Werke 1752 waren es mit dem Direktor 18 bezahlte Musiker als Druck erworben werden konnten, um daraus für die Auf- und kaum weniger Dilettanten, die vor allem bei den Strei- führung die einzelnen Stimmen von Hand zu kopieren. Eine chern zu finden waren.2 Die Qualität konnte sich jedoch nicht ähnliche Praxis galt wohl auch für das Musizieren in den kontinuierlich halten, und die Jahre ab 1755 zeigten ein be- privaten Kreisen. wegtes Auf und Ab sowie verschiedene «Rettungsversuche». An dieser Stelle scheint es angebracht, sich einige Namen Dass bei diesen Anlässen der gesellschaftliche Aspekt oft und Daten von Komponisten, Kompositionen und Publikati- wichtiger war als der künstlerische, zeigt uns ein von Ema- 1 Martin Staehelin (1999): Der Basler Schultheiss Emanuel Wolleb und nuel Wolleb, dem Basler Aufklärer und Freund Isaac Ise- seine satirische Schrift «Die Reise nach dem Konzerte». In: Neujahrsblatt der lins, verfassten satirisch-kritischen Bericht zu einem Konzert Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige, Basel. 2 In Wollebs Schrift S. 17 bzw. M. Staehelin, a.a.O., S. 117. – Die im vom 9. Januar 1755, den Martin Staehelin 1999 mit einem Collegium musicum aufgeführten Werke sind nur zum Teil durch indirekte Beschreibungen und erhaltene Musikalien bekannt, vgl. dazu die Publikation 1 Hier und im Folgenden zitiert nach E. Wölfflin, a.a.O., S. 349; dazu von Edgar Refardt (1957): Thematischer Katalog der Instrumentalmusik des auch Martin Staehelin: Basels Musikleben im 18. Jahrhundert. a.a.O. S. 128 18. Jahrhunderts in den Handschriften der Universität Basel. Publikationen f. der schweizerischen musikforschenden Gesellschaft. Serie II, Bd. 6. 2 E. Wölfflin, a.a.O., S. 350.

260 261 onen um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen und Kammermusik des angesehenen, in Mailand wirkenden und sie gegebenenfalls mit dem überlieferten Repertoire des Komponisten und Kapellmeisters Giovanni Battista Sam- Collegium musicum in Zusammenhang zu bringen. martini (1700/1701–1775). Dieser traf mit dem jüngsten Mit dem Umzug der Residenz von Heidelberg nach Sohn von Johann Sebastian Bach, Johann Christian (1735– Mannheim im Jahre 1720 wurden von Kurfürst Carl Philipp 1782) zusammen, der von um 1754 bis 1762 in Mailand von der Pfalz die Voraussetzungen für die nachhaltige musi- weilte, und machte die Bekanntschaft mit Mozart, der 1770 kalische Entwicklung von Mannheim geschaffen. Sein Nach- in Mailand konzertierte. Mozart wurde am 27. Januar 1756 folger Carl Theodor (ab 1742), der auch selbst verschiedene in Salzburg geboren, im selben Jahr, in dem sein Vater Leo- Instrumente spielte, förderte die Künste intensiv und vermoch- pold (1719–1787) den Versuch einer gründlichen Violinschu- te damit, begabte Musiker und Komponisten in die Stadt zu le, ein in dieser Zeit wegweisendes Werk für das Violinspiel, holen. 1747 waren es 61 Sänger und Instrumentalisten und publizierte. im Jahre 1778, als der Hof nach München übersiedelte, 90 In den Listen der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Musiker. Mozart weilte insgesamt viermal in Mannheim, Musikalien in Basel finden sich im Weiteren auch verschiede- zum ersten Mal, als er 1763, siebenjährig, im benachbarten ne Namen, die mit Wien verbunden sind. Ende der 1750er- Schwetzingen im Konzert auftrat. Jahre erreichte Joseph Haydn (1731–1809) in Wien endlich Etwa zur selben Zeit wie Carl Theodor sein Amt über- grössere Beachtung und erhielt erstmals eine bezahlte Stelle. nahm, kam der in Böhmen geborene Johann Wenzel Anton Der aus Böhmen stammende und durch seine Opern bekannt Stamitz (1717–1757) als Violinvirtuose nach Mannheim. Er gewordene Florian Gassmann (1729–1774) kam über Vene- wurde später Konzertmeister und ab 1750 Hofkapellmeis- dig nach Wien, während Georg Christoph Wagenseil (1715– ter. Nach seinem frühen Tode übernahm der in Mannheim 1777) in Wien geboren war. geborene und an verschiedenen Orten ausgebildete Christian Im Jahre 1750 starb Johann Sebastian Bach 65-jährig Cannabich (1731–1798) seinen Posten. Beide komponierten in Leipzig. Seine Werke fanden allerdings erst im 19. Jahr- vor allem Sinfonien und Kammermusik für ihr Hoforchester. hundert zaghaft Eingang in Basels Konzertprogramme. Von Sinfonien von Vater und Sohn Carl Stamitz (1745–1801) seinem älteren Sohn Carl Philipp Emanuel (1714–1788) er- sowie von Cannabich gehörten auch in Basel zu den in den schien 1753 in Berlin das für das Spiel historischer Tastenin- Konzerten des Collegium musicum aufgeführten Werken. strumente unverzichtbare Lehrbuch «Versuch über die wahre Aus Italien sind verschiedene Namen überliefert, deren Art das Clavier zu spielen», dies nur ein Jahr später als das Kompositionen nachweislich in Basel erklungen sind, allen entsprechende Werk für die Querflöte «Versuch einer Anwei- voran Antonio Vivaldi (1678–1741), dessen Violinkonzert sung die Flöte traversiere zu spielen» von Johann Joachim «La primavera» in dem oben genannten Konzert vom 9. Ja- Quantz (1752). Auch Bachs Zeitgenosse Georg Friedrich nuar 1755 zu hören war. In den Beständen der Universi- Händel, der 1759 in London im Alter von 74 Jahren starb, tätsbibliothek finden sich zudem Sinfonien, Violinkonzerte blieb in Basel in dieser Zeit unbeachtet.

262 263 Schliesslich sei der in Belgien geborene und in Paris wir- kende Musiker François-Joseph Gossec (1734–1829) er- 22 wähnt. Er kam 1751 nach Paris und war bis 1762 Violinist im Privatorchester von Le Riche de La Pouplinières. Zwischen Freitag, 28. August 2015 1756 und 1762 veröffentlichte er 24 Sinfonien, von denen 20.15 Uhr, Martinskirche sich manche im Basler Verzeichnis feststellen lassen. Eintritt: 50/40/30 CHF, nummeriert Aus: Basler Kostbarkeiten 24, Historisches Museum Basel, Basel 2003, S. 26–31 Quartetti fugati – Streichquartette mit Schlussfugen aus der Wiener Frühklassik und Klassik Werke von M. G. Monn, J. G. Albrechtsberger, Gr. J. Werner und J. Haydn

Quatuor Mosaïques

Erich Höbarth – Violine Andrea Bischof – Violine Anita Mitterer – Viola Christophe Coin – Violoncello

Programm

Matthias Georg Monn (1717–1750) Quartett Nr. 5 g-moll Andante – Allegro moderato – Adagio – Allegro

Johann Georg Albrechtsberger (1736–1809) Sonata Nr. 1 c-moll per Violino, Viola, Violoncello Un poco andante – Allegretto

264 265 Gregor Joseph Werner (1693–1766) Sonnenquartette Zwei Fugen mit Einleitungen (Bearbeitung für «Von dieser Nummer an erscheint Haydn in sei- Streichquartett von J. Haydn) ner ganzen Größe als Quartetten-Komponist» (E. L. Gerber [Lexikograph], 1812) Joseph Haydn Keine musikalische Idee hat Joseph Haydns Streich- Quartett op. 20 Nr. 2 C-Dur, Hob. III, 32 quartette op. 20 zu ihrem Namen «Sonnenquartette» Moderato – Capriccio (Adagio) – Menuet (Allegretto) – verholfen, sondern schlicht die Umschlagsgestaltung des Fuga a quattro Soggetti (Allegro) Verlegers J. J. Hummel, die ein Sonnenmotiv ziert. Musikalisch markieren diese Werke einen deutlichen ∑ Schritt in Haydns Entwicklung. Sie brechen die noch hier und da erkennbare Klangwelt der Baritontrios auf Ludwig van Beethoven (1770–1827) mit kontraststarken, bisweilen schockierenden oder bi- Streichquartett cis-moll, op. 131 zarren Einfällen (wie etwa in vielen Menuetten), aber Adagio ma non troppo e molto espressivo – Allegro molto auch liebevollen langsamen Sätzen. Für die Schlusssätze vivace – Allegro moderato – Andante ma non troppo e molto greift Haydn gleich dreimal auf die eigentlich etwas aus cantabile – Presto – Adagio quasi un poco andante – Allegro der Mode gekommene Form der Fuge zurück. Für die Geschichte des Streichquartetts kann dieses op. 20 ohne Übertreibung als einer der zentralen Bezugs- Zum Programm punkte gelten. Dass es wiederum Haydn ist, der zehn Jahre später «... es ist bekannt, dass die Veränderung des Ge- mit seinen Quartetten op. 33 den Gang der Entwick- schmacks auf die Fuge sehr wenig Einfluss hat. lung definiert, macht ihn zur wohl zentralen Gestalt in Schon aus diesem Grunde haben die Liebhaber der Geschichte des Streichquartetts. Ohne das Wirken der Quartettmusik nicht zu befürchten, in diesen Haydns wäre die Geschichte dieser Gattung mit Sicher- [...] Kunstprodukten etwas zu finden, was dem heit gänzlich anders verlaufen – wenn es sie denn in der Geschmacke unserer Zeit geradezu anstößig sei heute gewohnten Form überhaupt gäbe. [...] eben weil sie mit Geist geschrieben sind, der Es ist die grosse Vielschichtigkeit (nicht zuletzt das ja nie veraltet ...» (Allgemeine Musikalische Zei- Erbe Haydns), die die Beschäftigung mit dem Streich- tung 1808) quartett für den Musiker zu einer Lebensaufgabe wer- den lässt, eine unendliche Entdeckungs- und Entwick- lungsreise – mit der Gewissheit, niemals die einzig gültige und endgültige Interpretation zu finden.

266 267 Quartetti fugati gen: Immerhin ist sie eine Form, die die beteiligten Stim- So fortschrittlich der österreichische Kaiser Joseph II. men weitgehend ausbalanciert – fast möchte man von (1741–1790) in sozialer und politischer Hinsicht auftrat, einer «demokratischen Form» reden. so konservativ war sein musikalischer Geschmack, der noch ganz in der Formenwelt des Barock zu Hause war. Gregor Joseph Werner (1693–1766) Insbesondere die Fuge hatte es ihm angetan. Als Haydn 1761 zum Fürsten Paul Anton Esterházy Dieser kaiserliche Anachronismus blieb nicht ohne (1711–1762) als «Vice-Capel-Meister» nach Eisenstadt Rückwirkung auf das musikalische Leben jener Tage. berufen wurde, war sein unmittelbarer Vorgesetzter So war es nicht verwunderlich, dass Streichquartette kontrapunktische Passagen oder gar vollständige Sätze in Fugenform enthielten. Der Katalog der Hofbibliothek führte sogar «Quartetti fugati» und «Quintetti fugati» in eigenen Rubriken auf. Im Gefolge der eher politisch motivierten Anleh- nung an historische Modelle wuchs aber auch ein tie- fer gehendes Interesse an Alter Musik. Es ist in erster Linie der Hofbibliothekspräfekt Gottfried van Swieten (1733–1803), der aus seinen Jahren als junger Diplomat in Berlin Kenntnis und Interesse an den Kompositionen des «alten» Bach mit nach Wien brachte. Van Swieten hatte nicht allein intensiven und freundschaftlichen Kontakt mit den Wiener Komponisten, er arbeitete auch selber mit an den Texten zu Haydns Oratorien. Beetho- ven widmete ihm seine erste Sinfonie, Johann Nicolaus Forkel sein Buch über Johann Sebastian Bach, die erste Bach-Biographie. So ist die Tatsache, dass Mozart die Fugen des «Wohl- temperierten Claviers» für Streichquartett arrangierte und Händels «Messiah» bearbeitete, letztlich dem Kon- takt zu van Swieten zu verdanken. Ihrer inneren Natur nach kommt die Fuge jedoch von vornherein den Bedürfnissen des Streichquartetts entge- Carl Johann Arnold, Quartettabend bei Bettine von Arnim, ca. 1854/1856

268 269 der bereits 30 Jahre im Hofdienst stehende Gregor Johann Georg Albrechtsberger (1736–1809) ­Joseph Werner. Das Verhältnis der beiden Musiker ge- «Ich habe kein Verdienst dabei, daß ich gute Fugen staltete sich alles andere als unproblematisch: Werner mache, denn mir fällt kein Gedanke ein, der sich nicht beklagte sich beim Dienstherren Fürst Nikolaus bitter zum doppelten Contrapunkt brauchen läßt», so soll über Nachlässigkeiten des von ihm wenig geschätzten der 1736 in Klosterneuburg geborene spätere Wiener Kollegen – trotz getrennter Arbeitsbereiche (Haydn Domkapellmeister über sich selbst gescherzt haben. In betreute die Kammermusik und die Oper, während der Tat zeigt er sich sowohl in Kammermusikwerken ­Werner die Pflege der Kirchenmusik oblag). als auch in grösseren Besetzungen als höchst virtuoser Von Werner sind mehr als 50 Messen und deutsche «Contrapunctist». Bekannt geworden ist auch seine Oratorien erhalten. An weltlicher Musik sind u.a. be- Fuge über das Thema «B-A-C-H» – ein weiterer Beleg kannt: sechs Präludien und Fugen für Streichquartett, für die bereits angesprochene Beschäftigung mit alter ein «Neuer und sehr curios-Musikalischer Instrumen- Musik. tal-Calender» sowie «Der Wienerische Tandlmarkt». Albrechtsberger war mit Joseph Haydn befreundet, Haydn, aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, der junge Wolfgang Amadeus Mozart schätzte den ver- war anfangs auf Hilfe von Bekannten und Freunden sierten Komponisten ausserordentlich, zu dessen Ver- angewiesen. Es passt zum Bild vom Gutmenschen öffentlichung auch eine «Gründliche Anweisung zur «», dass er solche Unterstützung nicht un- Composition» (1790) zählte. Ludwig van Beethoven vergolten liess, als seine Verhältnisse dies zuliessen. schliesslich nahm bei Albrechtsberger Unterricht – of- So holte er die Tochter eines Chorsängers, der ihn eine fenbar mit wenig Fortüne, wenn man dem Urteil des Weile beherbergt hatte, als Sängerin an den Fürsten- Meisters Glauben schenken will: Beethoven werde «nie hof. Der Enkelin eines Freundes, der ihm mit einem was Ordentliches machen» .... zinslosen Darlehen ausgeholfen hatte, hinterliess er gar testamentarisch stattliche 100 fl. Ludwig van Beethoven (1770–1827) Auch Werner trug er offenbar dessen wenig kol- Beethovens Streichquartett Nr. 14 ist auf besondere legiales Verhalten nicht nach. Er beförderte 1804 die Weise mit der Form der Fuge verbunden: Die Skizzen- «VI Fugen in Quartetten» des ehemaligen Vorgesetz- bücher Beethovens zeigen, dass seine einleitende Fuge ten mit folgender Anmerkung zum Druck: «Aus be- wohl unmittelbar nach der Arbeit an der sogenannten sonderer Achtung gegen diesen berühmten Meister «Grossen Fuge» op. 133 B-Dur entstand, die ursprüng- nun herausge­ ­geben von dessen Nachfolger J. Haydn, lich den Schluss des 13. Quartetts bildete. Wien.» Auf den ersten Blick springt die quasi durchkompo- nierte Anlage des Werkes ins Auge, die die traditionelle viersätzige Konzeption mit eingeschobenen «Überlei-

270 271 tungs-Sätzen» von teilweise nur 11 Takten abwandelt. Dies veranlasste Karl Holz, der in dem Beethoven nahe­ stehenden Schuppanzigh-Quartett die zweite Violine spielte, zu der bangen Frage an Beethoven: «Muss es ohne aufzuhören durchgespielt werden? – Aber dann können wir nichts wiederholen! – Wann sollen wir stimmen?» Beethoven bestand darauf, dass bis ein- schliesslich des mit «Presto» übertitelten Teiles keine Unterbrechung zu dulden sei … Auch wenn Beethoven zunächst eine Aufführung des Werkes ablehnte (vielleicht eine Reaktion auf den Zum Ensemble Misserfolg der besagten «Grossen Fuge»), so scheint ihm das Werk doch persönlich sehr am Herzen gelegen Das Quatuor Mosaïques wurde 1989 in Wien von den zu haben: «[...] Später erklärte er doch für sein grösstes, Stimmführern des Concentus Musicus Wien (Nikolaus das cis-Moll-Quartett», teilt Karl Holz mit. Harnoncourt) gegründet. Es widmet sich der histori- schen Aufführungspraxis auf Originalinstrumenten. Ein Schwerpunkt sind dabei neben der klassischen Quartettliteratur insbesondere Werke der Wiener Klas- sik, aber auch Wiederentdeckungen von unbekannten Meisterwerken aus Klassik und früher Romantik (z.B. von Louis-Emmanuel Jadin, Luigi Boccherini). Das Quartett erhielt zahlreiche Schallplattenpreise, unter anderem den Gramophone Award für die Ein- spielungen von Quartetten von Haydn (1993 und 1996).

272 273 Josef Myslive ek (1737–1781) 23 Sonata Nr. 4 B-Dur, Op. 1, für Flöte, Violine und Violoncello Samstag, 29. August 2015 Vivace – Andante – Menuetto 12.15 Uhr, Musik-Akademie, Grosser Saal Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Divertimento a tre – Trio C-Dur für Flöte, Violine und Violoncello Kammermusik zwischen Hof und Bürgertum (basiert auf KV Anhang 229 (KV 439b), diese Fassung Werke von J. Chr. Bach, Fr. Devienne, C. Stamitz, erschien bei Artaria, Wien, 1804, Pl.-Nr. 1656) J. Myslive ek, W. A. Mozart Allegro – Adagio – Menuetto – Rondo. Allegro

Karel Valter – Traversflöte Die in diesem Konzert gespielte Traversflöte ist extra Katharina Heutjer – Violine für die Festtage Alte Musik Basel 2015 gefertigt wor- Jonathan Pešek – Violoncello den. Sie ist die Replik eines Instruments von Jeremias Schlegel («Schlegel à Bâle») von ca. 1770–1780 aus dem Eintritt frei, Kollekte Museum für Musik Basel, gebaut von Giovanni Tardi- no, BauArt Basel. Programm Wir danken Herrn Tardino aufs Herzlichste!

Johann Christian Bach (1735–1782) Trio in C-Dur für Flöte, Violine und Violoncello Zum Programm Allegretto – Adagio – Allegro Im Zuge der sozialen und politischen Entwicklungen in François Devienne (1759–1803) der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts übernahm das wohl- Trio g-moll Op. 66 Nr. 2 für Flöte, Violine und habende Bürgertum in immer grösserem Masse die Violoncello Lebensweise und den Luxus, der vordem den adligen Allegro poco agitato – Adagio – Rondeau, Presto Höfen vorbehaltem war. Damit entstand eine völlig neue musikalische Infrastruktur, die auch neue Formen Carl Stamitz (1745–1801) zur Folge hatte. Sonata III F-Dur aus: 6 Trios à une Flûtte ou Eine dieser Formen ist das Trio für Flöte, Violine und deux Violons et Violoncelle Op. 14 Violoncello, eine neue «Standardbesetzung», deren be- Andantino – Rondo. Allegro kannteste Beispiele wohl Joseph Haydns «Divertimenti»­

274 275 aus dem Jahr 1784 sein dürften. Die Verwendung der Es erschienen in der Folge Werke in allen Schwierig- unter Musikliebhabern so populären Flöte – ein Novum keitsgraden, von einfacher Hausmusik bis hin zu Vir- in Haydns Kammermusik – war dabei vermutlich ein tuosenstücken, die der betreffende Komponist (etwa ausdrücklicher Wunsch des englischen Verlegers Fors- Devienne) sich «in die Finger» schrieb. ter: So war eine grosse Nachfrage und damit ein vorteil- Eine wichtige Funktion dieser Werke war die Wie- haftes Geschäft gesichert. dergabe und Verbreitung bekannter Melodien. Bereits Joseph Haydn hat in seinen «Divertimenti» sechs Mal Themen aus seiner im Jahre 1777 komponierten Oper «Il mondo della luna» wiederverwendet. Für das Trio von Wolfgang Amadeus Mozart in unserem Programm sieht das nicht anders aus. Wir haben allerdings in unserem Programm auf die «Standardwerke» Haydns verzichtet, um Raum zu las- sen für andere Beispiele dieser Gattung. Das Trio C-Dur von Johann Christian Bach steht noch ganz in der Tradition der barocken Triosonate mit Basso continuo, wie die von den Oberstimmen unabhängige Führung der Cellostimme erkennen lässt, die noch ganz in der Tradition von Carl Philipp Emanu- el und Wilhelm Friedemann Bach steht. Das hat dazu geführt, dass dieses Werk im 20. Jahrhundert mit aus- gesetzter Klavierstimme herausgegeben wurde – entge- gen der klaren Angabe der (im Übrigen unbezifferten) Originalausgaben, die «Violoncello» und nicht «Basso continuo» verlangen. Die sehr späte Erstveröffentli- chung im Jahre 1800, also lange nach Johann Christian Bachs Tod 1782, erklärt sich daraus, dass diese Ausgabe mit Erlaubnis des Widmungsträgers Earl of Abingdon erfolgte. Der bekannte französische Flötist und Komponist François Devienne lernte bereits früh die Werke Joseph Haydns kennen. Er war Mitglied der Société Olym-

276 277 pique, für die Joseph Haydn 1784–1786 seine Pariser der gefeierte Tenor Anton Raaf, den der junge Mozart Symphonien komponierte. Devienne trat auch als hier kennenlernte und für den er später in «Idomeneo» Flötenpädagoge hervor, so dass man annehmen kann, die bekannten Arien schrieb. Zwischen Myslive ek und dass er seine Kammermusik auch im Hinblick auf seine dem erst 12-jährigen Mozart entstand in diesen Jahren Schüler schrieb. Deviennes Methode von 1800 wurde eine enge Freundschaft. noch Mitte des 19. Jahrhunderts auf andere Instru- Mozarts Trio C-Dur basiert auf dem ersten der «5 mente übertragen. Er wirkte an der Ecole gratuite de Divertimenti», KV Anhang 229 (439b) für 3 Bassetthör- musique de la Garde nationale, einer kostenfreien Mu- ner, die Mozart nach dem Jahr 1783 für seinen Freund sikschule für die Kinder der Nationalgardisten, welche Anton Stadler schrieb. Der unbekannte Bearbeiter (Ed. 1795 in Conservatoire de musique umbenannt wurde. Artaria & Co. Wien, 1804) kürzte die traditionell 5 Sät- Auch die Trios von Carl Philipp Stamitz verdanken ze auf 4, indem er aus dem jeweiligen A- und B-Teil des ihre Existenz der französischen und englischen Vorlie- ersten und zweiten Menuetts einen neuen Satz kom- be für die Flöte, seine Trios wurden sämtliche in Lon- binierte. So konnten gleichzeitig die typischen «Klari- don veröffentlicht. Sein Op. 14 entstand 1770–1772 in nettentriolen» vermieden werden, die auf der Violine Paris, Stamitz war zu dieser Zeit Hofkomponist des keine besondere Wirkung hätten. Herzogs Louis de Noailles. Diese Form der Bearbeitung kann als typisch gelten Als gebürtiger Mannheimer wuchs Stamitz in der für den Musikalienmarkt am Ende des 19. Jahrhun- Umgebung der Mannheimer Hofkapelle auf, in der derts mit seinem Bedürfnis, grosse Namen in klingende sein tschechisch-stämmiger Vater ab 1743 zu Ruhm Münze umzusetzen. Bezeichnenderweise entstehen in gekommen war. Diese Einflüsse der frühen klassischen diesen Jahren die ersten Grundzüge eines eigentlichen Sinfonien sind in dem von uns gespielten Trio F-Dur Urheberrechtes – wozu die Firma Artaria mit ihrem unüberhörbar. berühmten Prozess gegen Beethoven nicht unerheblich In gänzlich anderem Umfeld begann der künstleri- beigetragen hat. sche Weg von Josef Myslive ek. Als Sohn eines Prager Karel Valter Müllers konnte er sich erst 1761, im Alter von 24 Jahren, endgültig für den musikalischen Berufsweg entscheiden. 1763 ging er nach Italien, wo er rasch reüssierte und Zum Ensemble bald zu einem der höchstbezahlten Opernkomponis- ten wurde. 1766 entstanden 4 Trios für Flöte, Violine Karel Valter, Traversflöte und Violoncello – im gleichen Jahr, in dem er mit der studierte zunächst in seiner Heimatstadt Prag am Kon- Oper «Il Bellerofonte» seinen endgültigen Durchbruch servatorium Querflöte und Dirigieren. 2006 schloss er erzielte. Nicht unbeteiligt an dem Erfolg war sicherlich sein Studium im Fach Traversflöte an der Schola Canto-

278 279 rum Basiliensis ab, ein Jahr später diplomierte er im Katharina Heutjer, Violine Fach Dirigieren an der Musikhochschule Luzern. Er erhielt als Vierjährige ihren ersten Blockflötenunter- vertiefte sein Wissen über historische Aufführungspra- richt. Ein Jahr später begann sie mit dem Violinspiel. xis in Meisterkursen bei Entscheidend beeinflusst wurde Katharina Heutjer von Ashley Solomon und ihrer Lehrerin Chiara Banchini, in deren Violinklasse sie Barthold Kuijken. Seit an der Schola Cantorum Basiliensis im Oktober 2003 2005 wirkt er als Flötist das Studium aufnahm und im Dezember 2007 das So- des Barockorchesters lodiplom summa cum laude erlangte. Weitere künstle- Capriccio und spielt re- rische Anregungen erhielt sie von Musikerpersönlich- gelmässig auch im Ba- keiten wie Jesper Christensen, Jörg-Andreas Bötticher rockorchester La Cetra und John Holloway. Basel und dem Venice Seit ihrem sechsten Lebensjahr nahm sie regelmä- Baroque Orchestra. Mit ssig bei Jugend musiziert und dem Deutschen Ton- den Barockorchestern Capriccio und La Cetra trat Ka- künstlerwettbewerb teil und ging mehrfach als 1. rel auch solistisch auf wie ebenfalls mit dem Barockor- Preisträgerin hervor. Als Solistin konzertierte Kathari- chester La Stagione Frankfurt. Karel Valter ist Finalist na Heutjer in der Lieder- des Internationalen Telemann-Wettbewerbs 2009 in halle Stuttgart, im Ge- Magdeburg. Im gleichen Jahr hat er in York (UK) mit wandhaus Leipzig und dem Ensemble Meridiana den Wettbewerb Early Mu- mit dem Kurpfälzischen sic Network International Young Artists gewonnen. Kammerorchester im Auf dem Gebiet der Kammermusik tritt er im Duo mit Schwetzinger Schloss. Gitarre in alter Mensur und in verschiedensten Kam- Sie trat darüber hinaus merformationen auf. Seine Auftritte wurden von vie- in Belgien, Kolumbien, len europäischen Rundfunkgesellschaften mitgeschnit- Portugal und Tsche- ten, auf CD hat er für die Labels Tudor (Schweiz), chien auf und wurde von Ensembles wie Collegium Deutsche Grammophon und Ars Produktion (Deutsch- Vocale Gent, La Fenice, Ensemble Baroque des Limo- land) aufgenommen. Karel wird auch als Dirigent von ges, Ensemble Akadêmia, Le Poème Harmonique, Les verschiedenen Orchestern und Opernhäusern ange- Agrémens, Les Cornets Noirs und Daedalus engagiert fragt (La Cetra Barockorchester, Orquesta de Ciudad und spielte unter Dirigenten wie Konrad Junghänel Granada, Theater Basel) und arbeitet ebenfalls als frei- und Gerd Albrecht. er CD-Produzent für diverse Orchester, Ensembles Als Stipendiatin der Deutschen Stiftung Musikleben und Labels. spielt Katharina Heutjer seit November 2008 eine Ba-

280 281 rockvioline von Sebastian Kloz, Mittenwald, 1760, aus Andreas Küng dem Deutschen Musikinstrumentenfonds. Seit September 2008 ist sie als Konzertmeisterin von Jeremias Schlegel La Cetra Basel tätig. eremias Schlegel wur- Jonathan Pešek, Violoncello de laut Taufregister von erlernte das Cellospiel bei dem Cellisten und Dirigen- JSt. Peter am 12. Januar ten Klaus-Peter Hahn sowie bei Mario De Secondi an 1730 in Basel zu St. Peter der Hochschule Trossingen. getauft. Seine Jugend ver- An der Schola Cantorum Basiliensis studierte er Vi- brachte er in Basel, wurde oloncello in alter Mensur bei Christophe Coin und ist hier von seinen Eltern in 1. Cellist beim La Cetra der reformierten Religion Barockorchester Basel. aufgezogen und von seinem Er ist Mitbegründer und Vater in die Kunst des In- 1. Cellist des Ensembles strumentenbaus eingeführt. L’Ornamen­ to,­ der Ba- Wie er in einer Bittschrift im rockorchester Orchestre November 1763 schreibt, Jeremias Schlegel Porträt im Museum Atlante, Il Gusto Baroc- ist er beständig in Basel für Musik, Basel co, und des Continuo- geblieben. Eine Lehrzeit im ensembles Il Profondo, Ausland war ihm nicht vergönnt. Der Grund dafür dürfte wohl Mitglied bei Musica Fiorita, sowie 1. Cellist des En- der Umstand gewesen sein, dass sein Vater früh starb. Jere- sembles Inégal, Prag. Jonathan Pešek spielt ebenfalls mias war zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt. Ohne Eltern Viola da Gamba und Basse de Violon. musste er von nun an für seinen Lebensunterhalt selber besorgt Sein aktuelles Forschungsprojekt ist die akkordische sein. Dies gelang ihm offenbar recht gut, denn schon fünf Jahre Generalbass- und Rezitativbegleitung nach histori- später reichte er ein Gesuch ein, um als «civis academicus» auf- schen Quellen des 18. und 19. Jahrhunderts. genommen zu werden. 1752 schenkte Jeremias Schlegel dem Collegium musicum ein Fagott, um auf diesem in den Konzerten mitzuspielen. Die- ses Geschenk war sicher ein wohldurchdachter Zug von Jere- mias, denn nun wurde er als «musicus» endgültig aufgenom- men und gleichzeitig von Waltz, dem wohl universalsten Basler Musiker dieser Zeit, als Musiker und Mitspieler empfohlen.

282 283 Vom Jahr 1753 an erscheint der Name Jeremias Schlegel Aufgeführt sind nicht nur die bezogenen Salarien, sondern regelmässig in den Jahresrechnungen des Kollegiums. auch Entlöhnungen für verkaufte oder reparierte Instrumente Um 1750, also in sehr jungen Jahren, verheiratet sich Jere- sowie für das Abschreiben von Musikstücken. (Da oft nur mias zum ersten Mal, nämlich mit der Baslerin A. Margreth eine Partitur der im Konzert gespielten Stücke vorhanden Staehelin, des «küeffers» Tochter. Aus dieser Ehe stammen die war, mussten die Stimmen von den Musikern selber, meist beiden Söhne Abraham, getauft am 1. Oktober 1752, und gegen Bezahlung, abgeschrieben werden.) 1753 erhielt er als Rudolf, getauft am 17. Januar 1754. Sie hatten beide mit «musicus dritter Claß» den bescheidenen Lohn von 6 Pfund Musik nichts zu tun. Rudolf wird als Gürtler, später als Kaf- (gegenüber 16 Pfund der zweiten Klasse und 30 Pfund der feewirt in den Akten genannt, während Abraham um 1790 ersten!). Ein Jahr später sind es bereits 9 Pfund 36 Schilling, total verschuldet gewesen zu sein scheint und sein Haus, das und 1756 erhielt er den Lohn der 2. Klasse von 18 Pfund er von seinem Vater übernommen hatte, versteigert wurde. 24 Schilling. Für Reparaturen am Waldhorn («Aufsätze und Die Mutter dieser beiden Söhne wurde bereits im Jahr 1756, Sourdinen») bezieht er im gleichen Jahr 2 Pfund 18 Schilling. am 24. Mai, zu St. Peter begraben. Sie wurde nur 29 Jahre Ab 1759 bezieht Schlegel einen Lohn von 24 Pfund und ab und 2 Monate alt. 1766 den der ersten Klasse von 34 Pfund 48 Schilling. Dieses Bald nach dem Tod seiner ersten Frau verheiratete sich Gehalt bleibt bis zu seiner Kündigung im Jahr 1772 konstant. Schlegel zum zweiten Mal. Wiederum war es eine Basler Interessant ist auch der Vermerk, wonach ihm 1772 für Bürgerstochter, nämlich Maria Barbara Hess, die er 1758 «zwey octavflötlein» 8 Pfund bezahlt wurden. Ob es sich hier- zum Altar führte. Aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorge- bei um Blockflöten handelte, ist ungewiss, da vermutlich im gangen. Maria B. Hess wurde am 28. April 1772 zu Grabe Orchester des Kollegiums Querflöten gebraucht wurden. Laut getragen. Einen Monat zuvor hatte Jeremias Schlegel seinen einem Eintrag im Archiv der Allgemeinen Musikgesellschaft Kontrakt mit dem Musikkollegium gekündigt. Die Begrün- Basel (AMG) aus dem Jahr 1764 war Schlegel nicht nur als dung, für Frau und Kinder sorgen zu müssen, ist in Anbe- Fagottist tätig, sondern vor allem als Flötist anerkannt. Auch tracht der Umstände verständlich. Jeremias Schlegel selbst hierbei handelt es sich wohl um ein Entgegenkommen gegen- wird am 6. Februar 1792 begraben. über Schlegel, um ihm eine höhere Besoldungsklasse zukom- Wie oben erwähnt, erhielt Jeremias Schlegel 1752 als men lassen zu können. «musicus» die Würde eines «civis academicus». Zu diesem Dass er die Flöten selbst gebaut hat, ist anzunehmen. Ne- Zeitpunkt muss seine Kunst so weit fortgeschritten gewesen ben der Tätigkeit als ausübender Musiker hatte Schlegel sein, dass er es wagen konnte, dem Kollegium ein Fagott zu gros­sen Erfolg mit dem Instrumentenbau. Das beweist nicht verehren. Über die wahrscheinlich recht erfolgreiche und viel- nur die recht grosse Zahl der heute noch erhaltenen Instru- seitige Tätigkeit Schlegels geben die Jahresrechnungen des mente. Einige Stellen in den Akten zeigen, dass Schlegel Kollegiums Auskunft. Während zwanzig Jahren, von 1753 ziemlich berühmt gewesen sein muss. In den Bittschriften um bis 1773, ist er Jahr für Jahr in den Akten desselben erwähnt. Bürgeraufnahme weist er darauf hin, dass durch Versendung

284 285 seiner Instrumente sowohl das Postamt wie das Kaufhaus, 1765 erscheint in den «Nürnberger Frag- und Anzeige- und somit die Stadt, ihren Verdienst an ihm habe. Er schreibt nachrichten» eine Verkaufsanzeige, nach der Querflöten der unter anderem: «Meine arbeit gehet meistens in die ferne und «berühmten Meister» Schlegel aus Basel und H. C. Holke zu der Verdienst fallet in die Statt.» verkaufen seien. Vermutlich hat Schlegel etliche Beziehungen mit dem Ausland unterhalten, sicher vor allem mit Deutsch- land und Frankreich. Darüber eingehender zu forschen, wür- de sich wahrscheinlich als lohnend erweisen. Nach eigener Aussage ist Jeremias Schlegel Verfertiger von «Fagots, Hautbois, fleutes travers und à becq, Clarinettes, Chalumeaux, flacholettes, harffen (etc) ...» und treibt diesen Beruf mit «guthem Success». Die Tatsache, dass Blockflöten noch nach 1750 gebaut wurden, ist durch obige Instrumentenaufzählung bewiesen. So sind wohl auch die Elfenbeinblockflöten Jeremias Schlegels um oder nach 1750 zu datieren. Jeremias Schlegel unterhielt seine Tätigkeit als Orchester- musiker, wie oben erwähnt, bis 1772. Offenbar wurde ihm die Arbeit im Kollegium dann zu anstrengend und er zog es vor, sich ganz seinen Instrumenten zu widmen. Ein Brief an Lucas Sarasin – vermutlich einer der damaligen Direktoren des Kollegiums – gibt darüber Auskunft. Die letzten zwan- zig Jahre im Leben von Jeremias Schlegel liegen im Dunkeln. Aus­ser mehrfacher Erwähnung seines Namens im Histori- schen Grundbuch (Staatsarchiv Basel) war über diese Zeit nichts zu finden. Verschiedene Hinweise auf Schlegels Ma- lereikenntnisse und sein Bilderkabinett deuten jedoch darauf hin, dass er sich in dieser Zeit mit der bildenden Kunst befasst hat. Zugleich sind sie ein Hinweis auf die recht beachtlichen Vermögensverhältnisse. Die Vermutung liegt nahe, dass Je- remias Schlegel bis zu seinem Tode gearbeitet und mit seinen Jeremias Schlegel, Kupferstich des 18. Jahrhunderts (Sammlung Giovanni Tardino) Instrumenten gehandelt hat.

286 287 Der Brief mich ausser der Music im stande, denselbigen zu sonsten Etwass gefellig zu sein, so Erwardte de- Herren renselben u eines Jedens befehle, wo ich alsdenn Herren Lucas Sarasin – Graf(?) zeigen wird dass ich mir jederzeit Ein wahres Bey Hauss verniegen [sic] darauss machen wirdt mich dem- selben gefellig zu machen. der ich ohnehin mit Basel aller achtung behaare 19 Merz 1772 Jeremias Schlegel dero dienstschuldiger diener In Sonders Hochgeachter Herr! J. Schlegel Aus: Dieselben, alss Ein vernimpfftiger Herr; werten Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis, hrsg. von Peter wissen, dass Eines Ehrlichens Manns seine Erste Reidemeister (1988), Band XI (1987), Winterthur 1988 (mit pflicht ist, fir seine frau und kinder zu sorgen; u freundlicher Genehmigung) dises kann bey mir, auff keine bessere arth ge- schehen alss wen ich meine gesundheit conservie- re damit ich, solang ich noch leben werte meine arbeit mit gehörigem fleiss und achtsamkeit ver- fertigen kann, mithin bin ich gezwungen meine brust, (um meine Instrumenten zu examinieren) in guthem stand zu erhalten u diselbe nicht län- ger anzustrengen wie ich schont [sic] einige Jahr gethan, Mein Zweck wahr; mich jedermann ge- fellig zu machen alein die volgen daran [?}, ver- bieten mir solches länger zu thun, ich finde aus oben angefierten grund, dass Es die höchste zeit ist, die Music zu quittieren. Hoffe also dieselben werten mir meine Resignation nicht ybel deiten. u nicht glauben, wie sie von einer falschen zungen beredet wordten; dass solches auss b