Horst Mohr, Erinnern
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Horst Mohr Erinnern – Mahnen – Wachhalten Aufarbeitung der NS-Verbrechen bleibt wichtiger Auftrag Dieser Beitrag knüpft mit Ergänzungen und Korrekturen zu- sene von den Leuten des Hinrichtungskommandos vom nächst an „Das Standgericht in Nordhalben“ (Jahrbuch 28- Baum am Fichterasteig den Hang hoch zum Lkw getragen 2016 S. 177 ff.) an und setzt sich auch mit anderen Themen der wurde, Angaben über eine Art Vorverhandlung gegen Fri- Jahre 1934 bis 1945 im Landkreis auseinander. schmann gegenüber der ehemaligen Gastwirtschaft Düx, da gibt es Erinnerungen an die Einquartierung einiger ie Aufarbeitung der Hinrichtung des österreichischen dieser Soldaten nahe der ehemaligen Dreschhalle und an D Deserteurs Willibald Frischmann am 10. April 1945 deren Aussagen nach der Hinrichtung: sie fürchteten näm- in Nordhalben soll auch ein Gedenken an den Friedensak- lich, für ihre Tat einmal zur Rechenschaft gezogen zu wer- tivisten Ludwig Baumann darstellen, welcher am 5. Juli den. Weiter Erinnerungen, beim Verscharren des Leich- 2018 mit 96 Jahren in Bremen verstarb: Baumann war nams zugesehen zu haben, und Berichte, wonach eine wohl der älteste Überlebende von etwa 30.000 von deut- Schulklasse das spätere Grab gepflegt habe. Womöglich schen Militärgerichten zum Tode Verurteilten. wären weitere Einzelheiten noch abrufbar, auch zu den Umständen der Verhaftung – Ort und Zeitpunkt – und zur Deserteur Willibald Frischmann „Gerichtsverhandlung“. Auch existiert anscheinend keine Der in Nordhalbener Chroniken und Biographien von Dokumentation der Umbettung (Pfarrer, Totengräber).1 1954 über 1995, 2004, 2008 und 2010 bis ins Kronacher Der aufgrund falscher „Helm-Hinweise“ am 28. 4. 2015 Jahrbuch 2015 hinein angeblich unbekannte deutsche eingeleitete Überprüfungsvorgang zur Einleitung eines Er- bzw. österreichische Soldat Frischmann war den Zuständi- mittlungsverfahrens bei der Zentralen Stelle der Landes- gen schon sehr viel früher bekannt: So liegt beim Erzbi- justizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer schöflichen Archiv in Bamberg die Postkarte von Frisch- Verbrechen in Ludwigsburg gegen Mitglieder des jahrzehn- manns Ehefrau Antonia vom 5. 8. 1946 an das katholische telang als Täter betrachteten Standgerichts Helm (Az. 110 Pfarramt Nordhalben vor. Und auch im „Neuen Volksblatt“ AR 102/15) wurde eingestellt, nachdem sich ergeben hatte, vom 22. 11. 1952 war unter der Überschrift „Nach dem dass Tatbeteiligte inzwischen verstorben waren. Gegen Kronacher Mord wütete Helm in Nordhalben“ zu lesen: „… den letztendlich für die Erschießung Frischmanns Verant- ein junger Gefreiter der Infanterie namens Willibald wortlichen, den ehemaligen österreichischen Ober- Frisch mann aus Wien …“ Weiter heißt es darin, dass Helm feldrichter Dr. Karl Eglseer,2 wurde dann in Österreich ein „junge Arbeitsdienstler als Zuschauer“ einbestellt habe – Verfahren wegen Verbrechens der Denunziation nach § 7 die jahrzehntelang dokumentierte Unkenntnis verliert da- Abs. 1 und 3 des Kriegsverbrechergesetzes eingeleitet; der durch jedenfalls vollends ihre Grundlage. Besonders be- umfangreiche Strafakt 12 Vr 1306/53 liegt zur Einsicht- merkenswert ist, dass der zeitlich am nähesten verfasste nahme beim Tiroler Staatsarchiv. Der Mord an Frischmann Bericht über Frischmanns Hinrichtung – Georg Wunders bleibt wohl ebenso ungesühnt wie viele dieser von NS-Jus- Autobiografie von 1967/69 – über dieses Geschehen relativ allgemein und ohne nähere Details schreibt, jedoch im- 1 Was diese Umbettung – vermutlich auf US-Anweisung – betrifft, so läuft im- merhin von einem „Zwanzigjährigen“ weiß. mer noch eine Anfrage nach den „Morning reports“ jener Tage beim National- archiv in Washington D.C., zumal Namen und Quartier der damals in Nord- Leider blieb ein Inserat am 2. 6. 2016 im Nordhalbener halben eingesetzten Einheit bekannt sind. Auch ließe sich der Zeitpunkt wohl „Blättla“ mit der Bitte um weitere Hinweise ohne Reaktion näher eingrenzen. Es dürfte Anfang Juli gewesen sein. Auch Bernd Graf schreibt im Jahrbuch 28-2016 auf S. 191 von einer Exhumierung bei Seelach – und leider sind 2017 und 2018 mehrere Zeitzeugen ver- am 6. 7. 1945. Und die Gemeinde Kleintettau antwortete auf eine Frage nach storben, von denen zwar teilweise schriftliche Unterlagen Opfern der Todesmärsche, dass dort im Juli 1945 zwei Erschossene „auf Veran- lassung des Landratsamts“ umgebettet worden seien. über das damalige Geschehen vorliegen, welche aber nun 2 Kurz vor der Drucklegung dieses Jahrbuchs nahm ein österreichischer Theolo- nicht mehr weiter befragt werden können. Da gibt es z. B. ge und entfernter Verwandter des Kriegsrichters Eglseer mit dem Verfasser auf- grund von dessen im Internet zugänglichen Recherchen Kontakt auf und über- Hinweise auf einen längeren Aufenthalt Frischmanns im mittelte ihm weitere Hinweise auf vorhandene Dokumente zu Eglseers Vor- und Ort, die genaue Beschreibung eines Augenzeugen über die Nachkriegskarriere – darunter auch zu seiner „Tätigkeit“ als Oberkriegsge- richtsrat im von den Nazis überfallenen Belgien. Diese Historie muss einer zusammengeknüpften Zeltplanen, mit denen der Erschos- gesonderten Veröffentlichung vorbehalten werden. Heimatkundliches Jahrbuch des Landkreises Kronach 29 (2019) 121 tiz und -militär zu verantwortenden Endphaseverbrechen. KZ-Häftlinge durch Kronach. Aus Unterrodach und Zeyern Immerhin: Zur Aufarbeitung in Österreich gibt es eine ak- liegen keine Meldungen vor, jedoch zumindest die Erinne- tuelle Studie aus 2018 (Thomas Geldmacher/Magnus rung einer Augenzeugin aus Unterrodach. Dafür aber mel- Koch: Österreichische Wehrmachtrichter im Zweiten Welt- dete Wallenfels drei „Transporte“ aus Richtung Kronach krieg). Und was die Nordhalbener Erinnerungsstätte(n) und weiter Richtung Schwarzenbach. Ein Dokument des zum „Fall Frischmann“ betrifft, sei an bereits öffentlich be- Landratsamts Naila vom 7. 8. 1947 für den „Trading Of- nannte Optimierungsvorschläge erinnert, gerade um dem ficer“ in Bayreuth besagt: „1500 Gefangene durch das Höl- Anspruch gerecht werden zu können, dass auch die junge lental Richtung Helmbrechts“, „400 Personen (Frauen und Generation sich mit den einstigen Geschehnissen ange- Kinder) von Wallenfels in Richtung Helmbrechts“, und messen auseinandersetzen kann. „eine kleine Gruppe aus Wallenfels in Richtung Nordhal- ben“. Dort hat es laut Bürgermeister zwar keine aussagefä- Zwangsarbeit und Todesmarsch higen Augenzeugen gegeben – es liegen hingegen zwei do- durch den Frankenwald kumentierte Erinnerungen vor –, aber immerhin ist ver- „Mit Bestürzung und Entsetzen reagierte die Bevölkerung, merkt, es seien 150 bis 200 „vermutlich Juden“ gewesen. In als ein Zug abgemagerter KZ-Insassen von finster blicken- Nordhalben endeten dann die ITS-Angaben aus dem Land- den Wachmannschaften durch den Ort getrieben wurde.“ kreis über den Zug aus Sonneberg, welcher ja zunächst von Diese Feststellung aus der Nordhalbener Chronik verur- Sonneberg nach Lehesten, dann wieder zurück und da- sacht zahlreiche Fragen nach dem Woher und Wohin und nach erst gen Kronach ging. Den weiteren Verlauf über nicht zuletzt nach dem Schicksal dieser häufig dem Tod Saalburg Richtung Sachsen und dann nach Karlsbad hat Geweihten, welche meist von SS-Bewachern durch das die vorgenannte Christine Schmidt an Hand einer Ge- Land getrieben wurden. Schätzungen über Ermordete oder richtsakte des Landgerichts Marburg aus 1970 dokumen- vor Erschöpfung Verstorbene reichen bis zu 200.000 Toten tieren können. unter den zuletzt registrierten rund 700.000 KZ-Häftlin- Es irritiert, dass es angesichts der andernorts zahlrei- gen. chen, auch von Gerhard Stier dokumentierten Toten und Im April 2014 referierte der Historiker Ulrich Fritz in Gedenkstellen gleich hinter Sonneberg für den Landkreis der Kronacher Synagoge über „Todesmärsche in der Hei- Kronach mit Ausnahme der Toten bei Tettau und Kleintet- mat“. Demnach sollen solche beispielsweise auch im Ro- tau keine Hinweise auf Erschossene gibt – wohl ein Erinne- dachtal gesehen worden sein. Ein Jahr später konnte Franz rungs-Versäumnis jener Tage diesseits der damaligen Zo- Kluge aus Tettau konkret an vier unbekannte Opfer eines nengrenze. Und auch was das Gedenken an das Gesche- Todesmarsches erinnern, die auf dem Rennsteig erschos- hen jener Tage betrifft, so scheint es im Landkreis weitge- sen aufgefunden worden waren (vgl. dazu seinen Beitrag hend vergessen, während es in den thüringischen und hier im Jahrbuch). Inzwischen liegen einige Arbeiten zur sächsischen Gemeinden zahlreiche Gedenkstätten und Thematik vor, so von Isolde Kalter über den „Evakuie- weiterhin jährliche Gedenkveranstaltungen gibt. Aber rungsmarsch“ aus dem Buchenwald-Außenlager in Neu- nicht nur in Sonneberg oder Neustadt/Coburg gab es stadt/Coburg oder von Christine Schmidt aus dem Erzge- Zwangsarbeit – schließlich „musste“ ja die Arbeitskraft der birge, und mit dem aufgefundenen Manuskript von Ger- einheimischen Soldaten, welche halb Europa mit Krieg hard Stier „Zwangsarbeit in Sonneberg“ können mitt- überzogen, durch Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene er- lerweile zwei Märsche durch den Landkreis Kronach setzt werden – ob in Fabriken oder in der Landwirtschaft. relativ präzise beschrieben werden. Dazu kommen die Do- Stier meldet z. B. für den Kreis Sonneberg im Jahr 1944 kumente des International Tracing Service (ITS): Dort sind über 4000 Zwangsarbeiter. Allein für Nordhalben liegen die Antworten der Landkreisgemeinden auf den Fragebo- zahlreiche Dokumente über Zwangsarbeiter und Lager gen des Landratsamts (Rundschreiben 1956 L II vom vor.3 28. 3.