Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts R geschichte g

Rechtsgeschichte

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http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg2 Rg 2 2003 231 – 234 Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 2 (2003) http://dx.doi.org/10.12946/rg02/231-234

Iring Fetscher Deckname Z.

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Deckname Z. *

Das »Office for Strategic Studies« (OSS) hochrangigen Kriegsgefangenen und Kommu- wurde erst 1942, ein Jahr nach Kriegseintritt nisten bestehenden »Nationalkomitees Freies der USA geschaffen, es war ein Vorläufer des Deutschland« in den USA unter deutschen Emig- CIA. Seine Aufgaben bestanden nicht allein in ranten und in der Öffentlichkeit gemacht hatte. der Beschaffung von Informationen über den Bemühungen, ein ähnlich glaubwürdig demo- Zustand der feindlichen Streitkräfte in Europa kratisches Manifest zustande zu bringen, schei- und Asien, sondern unter anderem auch in der terten schließlich daran, dass sich Entwicklung von Möglichkeiten und Vorstel- im letzten Augenblick der Mitarbeit entzog. lungen für die – nach erfolgreicher Beendigung Erika Mann veröffentlichte zur gleichen Zeit der Kämpfe – einsetzende Aufbauarbeit in den einen Artikel in der Exilzeitung »Aufbau«, in zu besetzenden Ländern. Dieser Aufgabe diente dem sie den samt und sonders nazistisch ge- auch die Beauftragung Carl Zuckmayers mit wordenen Deutschen so gut wie alles Recht auf einem informativen Bericht über die politische eine ersprießliche Zukunft absprach. Auf diesen und moralische Zuverlässigkeit, oder wenigstens Artikel antwortete Zuckmayer in einem »offe- »Brauchbarkeit« von Angehörigen der künstle- nen Brief« im gleichen Blatt und verteidigte die rischen Elite, soweit sie im Deutschen Reich Notwendigkeit, zwischen verantwortlichen und geblieben war; brauchbar nämlich für Betei- schuldigen Nazis auf der einen Seite und anderen ligung am kulturellen Leben in einem neuen, Deutschen zu unterscheiden. Dem gleichen demokratischen Deutschland. An dieser Aufgabe Zweck dienen auch seine Aufzeichnungen, zu arbeiteten in der Zentrale des OSS unter anderen denen ihn Emmy Radó vom OSS aufforderte. Herbert Marcuse und Franz Neumann, die beide Umgehend schickte Zuckmayer daraufhin eine dem nach den USA ausgewanderten Frankfurter einfache Liste, die im Faksimile dieser Ausgabe Institut für Sozialforschung angehört hatten. des »Geheimreports« beiliegt. Diese Liste und Diese linken Wissenschaftler legten in ihren Ar- Gespräche mit dem Autor beeindruckten Emmy beiten für das OSS mehr Wert auf die Entmach- Radó, und Zuckmayer erhielt einen – mit vier tung der in Nazideutschland einflussreichen und mal 150 Dollar honorierten – Auftrag. So gering besitzenden Eliten und auf eine von den Alliier- auch dieses Honorar war, für Zuckmayer, der ten zu initiierende »re-education«. Im Unter- mühevoll eine Farm in Vermont betrieb, um schied dazu dienen die Berichte Zuckmayers seine Familie zu erhalten, war es ein nicht un- lediglich der differenzierten Beurteilung von Au- willkommener Zuschuss. toren, Regisseuren und vor allem Schauspielern, Sinnvollerweise lässt Zuckmayer die Cha- die in Deutschland geblieben waren und sich rakterisierung der allgemein bekannten führen- –mehroderweniger–demRegimeangepasst den Naziideologen und »Sänger« wie Goebbels hatten. und Baldur von Schirach ganz weg. Über sie Anstoß zu dieser Arbeit dürfte unter ande- braucht nicht mehr viel gesagt zu werden, sie rem zumindest der Eindruck gewesen sein, den gehörten denn auch – soweit sie sich nicht durch die in Moskau vorgestellte Erklärung des aus Suizid einem Urteil entzogen hatten – zu den

* , Geheimreport, hg. von Günther Nickel und Johanna Schrön,Göttingen: Wallstein Verlag 2002, 537 S., ISBN 3-89244-599-0 Marginalien Iring Fetscher 232

Angeklagten des Nürnberger Prozesses. Zuck- schen Königs« amüsiert zu haben. Da ich den mayer stützt sich bei seinen »Porträts« meist auf Nazi-Reimann nicht zur Kenntnis genommen persönliche Kenntnisse und leugnet nicht, dass habe, mich aber an die »Geenich«-Witze mit seine Urteile oft auch höchst subjektiv sein dürf- Vergnügen erinnere und in ihnen keinerlei Häme ten. Über seine eigenen unmittelbaren Erinne- fand, urteilt Zuckmayer wohl von vorn herein rungen hinaus zieht er Berichte von Dritten und mit einer dezidierten Abneigung über diesen Publikationen heran, die jedenfalls bis 1941 Autor. Dazu trug letzten Endes noch bei, dass auch in den USA eingesehen werden konnten. ihm Reimann bei einem Besuch des Autors in Dennoch kann von einer systematischen Sich- den Vorschlag machte, ein populäres anti- tung aller (z. B. auch über die neutralen Staaten) semitisches und nazistisches Stück zu schreiben, beschaffbaren Quellen keine Rede sein. Die Be- fürdasReimannihmdenStoffliefernwollte. richte beruhen zuweilen auf bloßen, zufällig Angesichts von Zuckmayers offener Verachtung erlangten Gerüchten. bricht Reimann zusammen und bezeichnet sich Bei einem Überblick über die Porträts von selbst als Schwein, wobei er »hysterisch weint«. höchst unterschiedlicher Länge und Genauigkeit Einem Schauspieler wie Werner Krauß,der fällt auf, dass Zuckmayer den meisten Schau- sich nicht weniger deutlich den Nazis angepasst spielern – manchmal unter Verweis auf deren hatte, nimmt Zuckmayer die Anpassung kaum intellektuelle Unbedarftheit – sehr viel mehr ver- übel. Er habe zwar in der österreichischen Presse zeiht als Schriftstellern. In einem umfangreichen hanebüchene Äußerungen antisemitischer Art Anhang zu dieser Publikation korrigieren die veröffentlicht, aber man könne ja nie wissen, Herausgeber Günther Nickel und Johanna wie viel von solchen Äußerungen Prominenter SchrönmancheIrrtümer und durch die unzu- von den Naziredakteuren gefälscht worden sei. längliche Informiertheit entstandenen Verzeich- Im übrigen könne man die Judenfeindschaft von nungen. Krauß auf dessen Hassliebe zu Max Reinhardt Mit negativen Vorurteilen begegnet Zuck- zurückführen. Mit solchen Argumenten und der mayer begreiflicherweise vor allem Personen, die Erinnerung an eine großartige Szene unter einer 1933 ihr Mäntelchen allzu rasch und radikal Maske, die Krauß Zuckmayer daheim vorge- nach dem »neuen Wind« gehängt hatten. Beson- führt hatte, wird dessen Mitwirkung am Film ders schlecht kommt daher z. B. der sächsische »Jud Süß« bagatellisiert. Humorist und Kabarettist Hans Reimann weg, Einen kleinen Entlastungsbonus gibt Zuck- der an seiner Kleinkunstbühne in Leipzig noch mayer auch Personen, die, wie der Dichter und kurz vor der »Machtergreifung« Jugenderzieher Martin Luserke, aus der Jugend- und andere Linke zu Wort kommen ließ, danach bewegung gekommen sind. Sein Landschulheim aber eine vollständige Kehrtwendung vornahm. auf habe »auf dem deutschen Höchstniveau »Hans Reimann ist von allen Nazi-Kreaturen die Hitlerjugendzüge« gehabt. Von der Hitlerjugend übelste Erscheinung« (57) heißtes,unddann mache man sich »hierzulande« (in den USA) eine wirft ihm Zuckmayer auch die »verhonepippe- »falsche Vorstellung«,denndieHitlerjugend lung alles Traditionellen, des ›Bourgeois‹ und habe »neben ihrer militärischen und aggressiven insbesondere der bürgerlichen Familie« vor, aber Tendenz die Elemente aller freien Jugendbewe- auch, sich »auf Kosten des abgesetzten sächsi- gungen Deutschlands in sich aufgesogen und

»Leni Riefenstahl – die ›Reichs- Filmhonorare zu beziehen und sich gletscherspalte‹ – auch im Ausland mit Antinazis für alle Fälle zu bekannt geworden durch Berg- stellen. – Als Hitler ihr für ihre und Skifilme – schwer hysterische Inszenierung des Olympiade- und Person – maßlos ehrgeizig. Ihr ist eines Nürnberger-Parteitag-Films zu gute zu halten daß sie keine persönlich das Goldene Ehrenab- Renegatin ist, sondern immer an zeichen oder sowas überreichte, Hitler glaubte als an den Erlöser. fiel sie auf der Bühne vor Aufre- Ihrer Karriere ist aber die Erlö- gung in die Freissen (in Ohn- sung gut bekommen – nachdem macht), wobei es ihr mißlang dem vorher ihre Gesinnung sie nicht Führer in die Arme zu sinken – sie gehindert hat beim ›Juden‹ saftige sank ihm zu Füßen und er mußte, Rg2/2003 Deckname Z. 233 verarbeitet, und für heranwachsende Kinder eine beurteilen als Renegaten von ganz links, die nach faszinierende und fanatisierende ›revolutionäre‹, ganz rechts gegangen sind (z. B. Bernhard von ›anti-bürgerliche‹ Haltung« gehabt. Mit solchen Brentano). Mit seiner Beobachtung, dass ehe- Hinweisen sucht Zuckmayer geschickt allzu ein- mals deutschnationale Konservative charakter- fache Naziklischees zu korrigieren. Seine noch lich eher standhaft geblieben sind als linke und bis in die Anfangsmonate der Nazizeit reichen- liberale Autoren, stimmen zwei Erinnerungen den eigenen Sympathien dürftenzudieserwohl- überein, die ich als Schüler an die Jahre zwischen meinenden Beurteilung beigetragen haben. 1933 und 1938 habe. Zwei, drei linke Lehrer, Gleich zu Beginn heißteszuWernerKrauß zum Beispiel ein Studienrat, der uns »Kunster- »die deutsche Bühne darf diesen Schauspieler ziehung« beibrachte, wandelten sich im Laufe nie verlieren so lang er lebt«. der Jahre 1933 und 1934 rasch zu linientreuen Ganz anders fällt Zuckmayers Urteil über Nazis, während Konservative sich eher treu blie- Heinrich George aus. Ihm hält er –ähnlich wie ben. Ähnliche Erfahrungen machten meine El- Max Reimann – vor, dass er »jänglings von tern mit den Tageszeitungen Dresdens. Bis 1933 einem Tag auf den anderen seine wildkom- bezogen sie regelmäßig die »Dresdner Neuste munistische revolutionäre Gesinnung in ebenso Nachrichten«, die eher linksliberal orientiert raserischen Nationalsozialismus« gewechselt ha- war; nach dem Sieg der Nazis und vollends nach be. Werner Krauß genoss dem gegenüber den der Verabschiedung des »Ermächtigungsgeset- Vorzug, schon von Haus aus antisemitische Nei- zes« am 24.3.1933 wechselte die Redaktion die- gungen zu haben und jedenfalls kein Kommu- ser Zeitung (ich weiß nicht, ob mit neuen oder nistenfreund gewesen zu sein, so dass er sich alten Redakteuren) so eindeutig, dass mein Vater charakterlich weniger verbiegen und weniger beschloss, statt der »Dresdner Neusten« die fanatisch gebärden musste. Immerhin zeigen altmodisch konservativen »Dresdner Nachrich- diese Beispiele schon, wie stark die Beurteilungen ten« zu abonnieren, die wenigstens einigermaßen Zuckmayers von seinen subjektiven Empfindun- »sich treu geblieben« waren. Ein vermutlich gen beeinflusst sind. Darin kann man eine deutschnationaler Geschichtslehrer begann eine Schwäche dieser Informationen sehen, die aber Vorlesungsreihe über »Sozialpolitik« mit aus- durch Zuckmayers wiederholte Hinweise auf die führlichen Darstellungen der sozialpolitischen eigene Perspektive gemildert wird. Errungenschaften des Kaiserreichs –übersprang Einen erheblichen Vorteil bedeutet anderer- dann zwar die Weimarer Republik –,zählte aber seits für das OSS Zuckmayers intime Kenntnis erst am Ende die weit weniger eindrucksvollen, namentlich der Bühnen Deutschlands, der Regis- propagandistisch aufgemachten »Leistungen« seure (sehr gut über Gründgens) und Schauspie- der »NS Volkswohlfahrt«,des»KdF« usw. auf. ler, der Schriftsteller freilich nicht im gleichen Durch die bloße Gewichtung wurde uns be- Maße; sehr kenntnisreich aber auch die Urteile wusst, wie wenig vom »sozialen Charakter« über Verleger wie Suhrkamp. Die Tatsache, dass der »NS Volksgemeinschaft« zu halten war. Zuckmayer, der womöglichnurdurchseine Trotz vieler durchaus kritischer Darstellun- jüdische Frau zum Emigranten wurde, stärker gen einzelner Personen (u. a. auch Leni Riefen- im konservativen mainstream zu Hause war, stahls) sind die meisten Porträts in Zuckmayers lässt ihn Mitläufer aus diesem Umfeld besser »Geheimreport« weit verständnisvoller und

sichtlich angewidert, über sie Es würde ihren Fall nicht verfei- wegsteigen um abzugehen. Dieses nern.SollauchmitHitlerge- spielte sich im Berliner Ufapalast schlafen haben was Verf. aber ab und wurde auch von Newsreels nicht glaubt. (Beiderseitige Impo- verfilmt – aber natürlich nicht öf- tenz anzunehmen).« 93f. fentlich vorgeführt. Der später zu Carl Zuckmayer behandelnde Filmregisseur Willy Forst hat den Streifen gesehen und dem Verf. die Szene unvergeßlich komisch vorgespielt. – Leni R. soll angeblich jüdischer Abstammung sein. Schon möglich. Marginalien Iring Fetscher 234

freundlicher als z. B. die Eindrücke, die man in mayers Tätigkeit als Informant des OSS anlangt, dem Band »Lügendetektor«** gewinnt, der Ver- so kann gegen diese kaum etwas eingewandt nehmungen enthält, die der New Yorker Politik- werden. Ein aus Nazideutschland geflohener wissenschaftler Saul Padover – unmittelbar hin- Autor versucht durch Insiderinformationen den ter der vorrückenden Front der Amerikaner – Gegnern des totalitären Regimes, vor dem er von Deutschen aller sozialen und politischen fliehen musste, bei ihren Bemühungen, nach Gruppierungen vorgenommen hat. Hier herrscht dem Ende des Krieges in Deutschland ein demo- schieres Entsetzen vor allem über die häufig an- kratisches Kulturleben aufzubauen, behilflich zu getroffene Verbohrtheit von Angehörigen des sein. besseren Bürgertums, die noch im März 1945 In Kommentar und Nachwort gehen die an den kommenden Sieg glaubten und über die Herausgeber ausführlich auf die Entstehungs- Unterwürfigkeit selbst bei eindeutigen politi- bedingungen des »Geheimreports« ein, nicht schen Gegnern der Nazis. Nebenbei erfährt jedoch auf dessen Schicksal in der Nachkriegs- manaucheinigesüber die Naivität militärischer zeit. Haben die Alliierten sich auf Zuckmayers Machthaber der Army, die nicht nur einmal sich Informationen gestützt? Haben sie sie durch von Schmeichelworten ehemaliger führender andere Berichte ergänzt und korrigiert? Sind sie Nazis beeinflussen ließen und sachkundige In- – wie die Verhöre von Saul Padover – oft unge- formationen von Saul Padover ignorierten. nützt geblieben? Für Historiker ist hier noch ein Nimmt man das kleine Buch Saul Padovers interessantes Forschungsfeld, zu dem auch die hinzu, gewinnt man jedenfalls ein weit realisti- Untersuchung des Einflusses der »Frankfurter« scheres – aber auch widerspruchsvolleres – Bild beim OSS gehören würde. als das von Zuckmayer allein gelieferte. Was schließlich die juristische Beurteilung von Zuck- Iring Fetscher

** Saul K. Padover,Lügendetektor. Vernehmung im besiegten Deutschland 1944–1945, Berlin 1999. Rg2/2003 Deckname Z.