12.10.2018

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 12.10.2018

Geschäftszahl W254 2104666-1

Spruch W254 2104666-1/10E

W254 2115448-1/8E

W254 2153524-1/9E

W254 2192540-1/7E

W254 2110879-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 12.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerden der 1) XXXX , geb. XXXX 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia und vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) 06.03.2015, Zl. XXXX , 2) 27.08.2015 Zl. XXXX , 3) 08.03.2017 Zl. XXXX , 4) 06.03.2018 Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2015, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, beschlossen:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin XXXX (BF1) stellte am 04.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab sie an, Probleme mit ihrer Familie wegen ihrer traditionellen Ehe zu haben. Am 17.02.2015 wurde sie vom BFA niederschriftlich einvernommen. Zusammengefasst gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Stamm der Ashraf von der Familie des Mannes, in den sie verliebt war und der sie heiraten wollte, bedroht und verletzt wurde. Ihre Mutter hat ihr daraufhin die Flucht aus Somalia ermöglicht, um im Iran zu studieren. Aufgrund von Schwierigkeiten im Studium reiste sie weiter und lernte in der Türkei XXXX kennen.

Das BFA wies mit Bescheid vom 06.03.2015 den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.).

Die Beschwerdeführerin erhob dagegen fristgerecht Beschwerde.

Am XXXX wurde ihr Sohn XXXX (BF3) geboren, am XXXX ihr Sohn XXXX (BF4) und am XXXX ihr Sohn XXXX (BF5) geboren. XXXX , der BF2 ist der Vater der drei Söhne. BF3, BF4 und BF5 wurde mit Bescheid ebenfalls subsidiärer Schutz im Familienverfahren gewährt.

Der Beschwerdeführer XXXX (BF2) stellte am 18.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. In der Erstbefragung gab er an, dass es in seiner Stadt Konflikte zwischen Al Shabaab und der Regierung gegeben habe. Sein Freund wurde von der AL Shabaab erschossen. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab er an, dass er einerseits aufgrund eines Familienstreites verfolgt werde und andererseits aufgrund seiner in Mogadischu angefangenen Ausbildung zum Journalisten. Das BFA wies mit Bescheid vom 29.05.2015 den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.). Der BF2 erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.10.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch eine mündliche Verhandlung durch, in welcher die Verfahren von allen Beschwerdeführern (BF1 bis BF5) gemäß § 39 Abs. 2 AVG auf Grund der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Kostenersparnis zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. In dieser Verhandlung zog der BF2, XXXX seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheids zurück. Am 23.10.2018 stellten die BF1, BF3, BF4 und BF5 fristgerecht einen Antrag auf Ausfertigung des am 12.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zu BF1:

Die BF1 ist somalische Staatsangehörige und führt den Namen XXXX . Sie ist 1993 in XXXX in Nordsomalia geboren. Das im Spruch angegebene Datum des XXXX dient lediglich zur Identifizierung der Person der Beschwerdeführerin. Es konnte nicht festgestellt werden, an welchem Tag in welchem Monat die Beschwerdeführerin geboren wurde; das genaue Datum ist für dieses Verfahren nicht relevant. Sie hat den BF2 in der Türkei kennen gelernt und in Österreich nach islamischer Tradition geheiratet. Die BF3, BF4 und BF5 sind ihre gemeinsamen Kinder.

Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 dem Clan der Ashraf angehört.

Zu den Fluchtgründen der BF1:

Die BF1 war in ihrem Herkunftsstaat Somalia verliebt in einen Mann namens XXXX . Dieser liebte die BF1 ebenfalls und wollte sie heiraten. Seine Familie war jedoch gegen eine Verbindung von BF1 und XXXX . Hr. XXXX berichtete der BF1 von der Ablehnung seiner Familie bezüglich einer Heirat der BF1 und legte BF1 nahe, auf sich aufzupassen. Die Familie des Hr. XXXX bedrohten in Folge die BF1 mit dem Tod und fügten ihr Verletzungen zu. Sie verlangten, dass die BF1 Hr. XXXX in Ruhe lässt. BF1 hat sich am 15.12.2010 von Hr. XXXX getrennt.

www.ris.bka.gv.at Seite 2 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Es kann nicht festgestellt werden, dass Hr. XXXX mehr als 4 Jahre später die BF1 in Österreich angerufen hat und sie mit dem Tod bedroht hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Hr. XXXX droht.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 im Falle der Rückkehr nach Somalia mehr als 7 Jahre nach den geschilderten Ereignissen Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Familie des XXXX oder durch andere Personen drohen würde.

Zu BF2:

Der BF2 ist somalischer Staatsbürger und führt den Namen XXXX . Er hat in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 12.10.2018 nach Rücksprache mit seiner Rechtsberaterin seine Beschwerde zurückgezogen.

Zu BF3, BF4 und BF5:

BF3 führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren, BF4 führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren und BF5 führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. BF3, BF4 und BF5 sind die leiblichen Kinder von BF1 und BF2. Es wurden für BF3, BF4 und BF5 keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Zur maßgeblichen Situation in Somalia (nachfolgend sind Auszüge aus dem LIB der Staatendokumentation vom 12.1.2018 mit letzter Aktualisierung vom 2.5.2018 wiedergegeben):

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) , ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017). www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance. Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018 als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

[...]

Puntland

Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.1.2017). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).

Im Jänner 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.1.2017). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.1.2017). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).

Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 3.3.2017), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).

Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.1.2017).

Minderheiten und Clans (Clan-Schutz siehe Abschnitt 4)

Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.1.2017). Allerdings waren Regierung und Parlament für lange Zeit entlang der sogenannten "4.5 Lösung" organisiert, welche bedeutet, dass die Vertreter der großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam die Hälfte dieser Sitze zustehen (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018 bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir- und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren. Insgesamt hat sie bisher weder zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bedingten Gleichberechtigung beigetragen, noch hatte sie positive Auswirkungen auf das Miteinander auf Gemeindeebene (ÖB 9.2016). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017).

Die Minderheiten sind im somalischen Parlament und der somalischen Regierung vertreten, ihre Stimme hat aber wenig Gewicht. Weder das traditionelle Recht xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. (SEM 31.5.2017). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 3.3.2017). Einzelne Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Gabooye) leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.1.2017). Minderheitengemeinden sind überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 3.3.2017).

Gruppen wie die Rahanweyn, die Bantu oder die Madhiban können nur in geringerem Ausmaß auf Rücküberweisungen durch Angehörige in der Diaspora zählen, da sich in der Diaspora verhältnismäßig wenige Rahanweyn und Bantu finden (SEMG 8.11.2017).

Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).

[...]

Bevölkerungsstruktur

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4.2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).

Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:

• Die Darod sind gegliedert in die drei Hauptgruppen Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während die Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Jubba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

• Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss. www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

• Die Dir leben im Westen sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und , außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind die Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

• Die Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

• Die Rahanweyn bzw. Digil/Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen. Sie gelten als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale (SEM 31.5.2017; vgl. AA 4.2017a).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4.2017a).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

[...]

Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation

Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Es gibt keine zuverlässigen Angaben über ihre Anzahl. Schätzungen bewegen sich im Bereich zwischen 6% und einem Drittel der Bevölkerung Somalias. Die wichtigsten ethnischen Minderheiten sind (SEM 31.5.2017):

• Die Bantu: Sie sind die größte Minderheit in Somalia. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Jubba und Shabelle. Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt (SEM 31.5.2017).

• Die Benadiri: "Benadiri" ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben wie z.B. in Mogadischu, Merka oder Baraawe. Die Benadiri-Gruppen beschäftigen sich traditionell mit Handel. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien (Oman), Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos (SEM 31.5.2017).

• Die Bajuni: Sie sind eine kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017).

Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Die Benadiri sind gemeinhin als Händler respektiert (SEM 31.5.2017). Die Existenz einer dynamischen Wirtschaftsgemeinde der Benadiri ist erwiesen (UKUT 5.11.2015). Ihnen ist es gelungen, Positionen in der Verwaltung zu besetzen. Außerdem sind die meisten in Mogadischu verbliebenen Benadiri-Kaufleute verhältnismäßig wohlhabend und können sich Schutz zukaufen (EASO 8.2014). Benadiri können sich auf der Suche nach einem Lebensunterhalt an diese Gemeinde wenden (UKUT 5.11.2015).

Auf die sesshaften Bantu hingegen, die teils einst als Sklaven ins Land gekommen waren, blicken die meisten Somali herab (SEM 31.5.2017). Die Bantu werden aufgrund ihrer Ethnie diskriminiert (UNHRC 28.10.2015). Es gibt aber auch höherrangige Bantu, z.B. Brigadegeneral Mohamud Haji Ahmed Ali "Shegow" (SEMG 8.11.2017).

www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Der Konflikt zwischen der Bantu-Gruppe der Shiidle und den Hawiye/Abgal hat in der Vergangenheit immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt. Im November 2013 wurden dabei etwa 5.000 Shiidle aus zwanzig Dörfern nordöstlich von Jowhar (Middle Shabelle) vertrieben (SEMG 8.11.2017; vgl. AA 1.1.2017). Im April 2017 kam es nach Kämpfen zwischen Milizen der Hawiye/Abgal/Wacbudan/Eli und der Jareer/Shiidle/Bare erneut zur Vertreibung von mehr als 5.000 Jareer aus drei Dörfern in der Nähe von Balcad. Verantwortlich dafür waren Abgal-Milizen und einige unterstützend wirkende Elemente der somalischen Armee. Es gibt kaum Berichte über physischen Schaden an Zivilisten; allerdings wurden die Dörfer geplündert und zum Teil niedergebrannt. Die meisten Menschen flüchteten in die Nähe des AMISOM-Stützpunktes in Balcad (SEMG 8.11.2017).

Im August 2017 wurde eine neue Bezirksverwaltung für Balcad ernannt; nunmehr sind lokale Clans besser repräsentiert. Die neue Verwaltung hat harte Maßnahmen gegen die Konfliktparteien angekündigt, falls weitere Gewalttaten erfolgen sollten; bislang scheint die Drohung zu wirken (SEMG 8.11.2017).

Da sich ethnische Minderheiten durch die auf der Basis von Clans arrangierte Machtteilung in der Regierung benachteiligt sehen, versucht al Shabaab dies für die eigenen Zwecke auszunutzen und dort um Unterstützung zu werben (UNSOM 18.9.2017).

In Gegenden, aus welchen sich al Shabaab zurückgezogen hat, könnte es zu Repressalien gegen einzelne Minderheitenangehörige kommen, wenn diese al Shabaab unterstützt hatten (SEM 31.5.2017; vgl. EASO 8.2014).

[...]

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich Abstammung, Sprache und Kultur nicht von der Mehrheitsbevölkerung. Anders als die "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Die berufsständischen Gruppen stehen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie der somalischen Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten (SEM 31.5.2017). Madhiban sind in ganz Somalia zu finden, speziell aber im Norden des Landes (SEMG 8.11.2017). Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017).

Dabei sind Madhiban teils schwerer Diskriminierung ausgesetzt. Ein Beispiel der Benachteiligung zeigt sich im Konflikt um Galkacyo, wo die Madhiban durch humanitäre Organisationen benachteiligt wurden. Da den Madhiban in IDP-Lagern dort die Aufnahme verweigert wurde, haben sie mit Hilfe einiger Angehöriger in der Diaspora den Kauf eines geeigneten Grundstücks in Galkacyo organisiert, um dort Madhiban-IDPs unterzubringen. Im August 2017 taten es die Tumal den Madhiban gleich (SEMG 8.11.2017).

Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffen oder Misshandlungen hinsichtlich der Gabooye (SEM 31.5.2017).

Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Mischehen kommen äußerst selten vor - insbesondere die zuletzt genannte Konstellation. Es bestehen aber offenbar regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017).

Kommt eine Mischehe zustande, dann kommt es häufig zur Verstoßung der betroffenen Person durch die eigenen Familienangehörigen (des Mehrheits-Clans). Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). www.ris.bka.gv.at Seite 8 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Insgesamt ist aber die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel weniger gut organisiert sind und eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. die Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum benachteiligt Minderheitenangehörige bei der Arbeitssuche, bei der ohnehin auch oft schon die Clanzugehörigkeit zu Diskriminierung führen kann. Da sie über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren Angehörige berufsständischer Gruppen zudem in geringerem Ausmaß von Auslandüberweisungen als die Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige der berufsständischen Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Sie stellen zwar nach wie vor die ärmste Bevölkerungsschicht; trotzdem gibt es Minderheitenangehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft. (SEM 31.5.2017).

Angehörige anderer Clans in der Position als Minderheit (Biyomaal siehe Abschnitt 3.1.2)

Auch Angehörige "starker" Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. So sehen sich beispielsweise die Biyomaal als exponierter Dir-Clan in Südsomalia manchmal in dieser Rolle. Generell gilt, dass eine Einzelperson immer dann in der "Minderheiten"-Rolle ist, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Sie gilt als "Gast" in dem Territorium, was sie in eine schwächere Position bringt als die "Gastgeber". In diesem System von "hosts and guests" sind also Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. In Mogadischu gelten etwa Angehörige der Isaaq, Rahanweyn und Darod als "Gäste". Dieses System gilt auch für IDPs (SEM 31.5.2017). Dabei sind IDPs, die einem Minderheitenclan angehören, doppelt benachteiligt. Da sie oftmals nicht auf verwertbare Clanverbindungen oder auf den Schutz eines Clans zurückgreifen können sind sie Diskriminierung ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS 3.3.2017). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung im Lichte der jeweiligen Clan- bzw. Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung beispielsweise im Rahmen staatlicher Vergabeverfahren, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA 1.1.2017), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder um Gerichtsverfahren handeln (USDOS 3.3.2017). Angehörige eines (Sub-)Clans können in Gebieten, die von einem anderen (Sub-)Clan dominiert werden, darüber hinaus auch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 1.1.2017).

Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014).

Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).

[...] Zur maßgeblichen Situation in Somaliland (nachfolgend sind Auszüge aus dem LIB Somaliland der Staatendokumentation vom 12.1.2018 wiedergegeben):

Länderspezifische Anmerkungen

Völkerrechtlich gehört die Republik Somaliland zu Somalia. Aufgrund der stark ausgeprägten de-facto- Eigenstaatlichkeit ist aus länderkundlicher Sicht ein Hinzuziehen der LIB Somalia jedoch nur bei den mit "siehe SOMA_LIB" bzw. "siehe auch SOMA_LIB" erkenntlichen Abschnitten erforderlich.

Politische Lage

www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Anstehende Wahlen wurden wiederholt verschoben (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017). Diese erneute Verschiebung der Parlamentswahlen wirft einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland. Das Oberhaus, die Guurti, geht in das zwölfte Amtsjahr, ohne wiedergewählt zu sein (AA 1.1.2017).

Die Präsidentenwahlen wurden im März 2017 erneut verschoben (UNSC 9.5.2017). Allerdings war diese Verschiebung angesichts der Dürresituation u.a. auch von den Oppositionsparteien gefordert worden (FT 29.6.2017; vgl. BFA 3./4.2017). Im November 2017 wurden die Wahlen schließlich abgehalten. Gewonnen hat der Kandidat der regierenden Kulmiye-Partei, Muse Bihi Abdi. Er gewann die Wahl mit 55% und ist damit der fünfte Präsident seit der Ausrufung der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Nach den Wahlen war es zu Demonstrationen gekommen, da der unterlegene Kandidat der Wadani-Partei das Ergebnis zuerst nicht anerkennen wollte. Die Situation beruhigte sich bald. Internationale Wahlbeobachter erklärten, dass die Wahlen internationalen Standards entsprochen haben (VOA 21.11.2017). Es kam zu keinen signifikanten Irregularitäten (ISS 10.1.2018).

Das Gebiet der früheren Kolonie Britisch-Somaliland im Nordwesten Somalias hat sich 1991 für unabhängig erklärt, wird aber von keinem Staat anerkannt. Allerdings bemühen sich die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit. Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit mehrere allgemeine Wahlen erlebt (AA 1.1.2017). Im Westen und in den zentralen Teilen von Somaliland ist es gelungen, einfache Regierungsstrukturen zu etablieren. Da die Regierung aber nur wenig externe Unterstützung erhält, wird nur eine minimalistische Verwaltung geboten; dabei konzentriert man sich auf die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit (BS 2016). Es ist mit internationaler Hilfe gelungen, Bezirksverwaltungen und Bezirksräte zu etablieren (BFA 8.2017).

Somaliland hat beachtliche demokratische Erfolge erzielt (UNDP 10.12.2017). Somaliland gilt als Vorbildstaat am Horn von Afrika. Obwohl es kaum internationale Unterstützung erhielt, klappt die Demokratie ebenso wie Bildung und Frieden (SZ 13.2.2017). Somaliland ist es gelungen, eine Wahldemokratie aufzubauen. Das Land ist dabei, diese Staatsform zu konsolidieren. Wahlen wurden bisher von Beobachtern als halbwegs frei und fair beschrieben. Die demokratischen Institutionen Somalilands arbeiten recht gut, ihre Arbeit wird aber durch einen Mangel an Ressourcen und geringe Kapazitäten des öffentlichen Dienstes erschwert. Außerdem kommt es zu Bevorzugungen auf Basis des Clans. Trotzdem haben die gewählten politischen Repräsentanten seit den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 2002 an Legitimität und Macht gewonnen. V.a. die Bevölkerung in den westlichen und zentralen Teilen Somalilands akzeptiert die bestehenden Regierungsinstitutionen - allerdings nicht exklusiv. Auch traditionelle Normen und Institutionen bestehen fort. Während Somaliland also bei der Wiederherstellung staatlicher Strukturen und demokratischer Reformen erfolgreich war, kämpft das Land mit massiven strukturellen Restriktionen. Der Staatsapparat bleibt schwach und unterfinanziert und das Land ist von einem inakzeptablen Maß an Armut geprägt (BS 2016).

Gemäß der 2001 angenommenen Verfassung durften politische Parteien gegründet werden und an den Kommunalwahlen 2002 teilnehmen. Allerdings durften nur die drei in diesen Kommunalwahlen stärksten Parteien dauerhaft etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Damit soll eine Zersplitterung der Parteienlandschaft entlang von Clans verhindert werden. Zunächst erhielten die UDUB (Ururka Dimuqraadiga Ummadda Bahawday, Union der Demokraten) sowie Kulmiye (Solidarität) und UCID (Ururka Caddaalada iyo Daryeelka, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) die dauerhafte Zulassung (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Bei Gemeindewahlen sind alle registrierten politischen Vereinigungen zugelassen; und die Gemeindewahlen entscheiden darüber, welche drei Parteien für die nächsten Wahlen auf nationaler Ebene zugelassen werden. Bei den Gemeindewahlen im November 2012 entschied sich die Bevölkerung für Kulmiye, UCID und als nationale Parteien (BS 2016). Die UDUB verlor die Zulassung, stattdessen wurde die Waddani-Partei im Rahmen eines festgelegten Verfahrens zugelassen. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Gegebenenfalls werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 1.1.2017).

Das Innenministerium hat 2.700 Sultane registriert. Diese erhalten für ihre Beteiligung an den Lokalverwaltungen auch ein Gehalt (UNHRC 6.9.2017).

Somaliland definiert seine Grenzen gemäß der kolonialen Grenzziehung; Puntland hingegen definiert seine Grenzen genealogisch entlang der Siedlungsgebiete des Clans der Darod. Insgesamt ist die Ostgrenze Somalilands zu Puntland nicht demarkiert, und die Grenze bleibt umstritten (EASO 2.2016). Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland und dem Rest des Landes ist problematisch (AA 4.2017a).

Das nicht-anerkannte Somaliland ist vom Großteil externer (finanzieller) Unterstützung abgeschnitten. Dies hat dazu geführt, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt zwischen Regierung und Bürgern ungewöhnlich stark ist. Die Demokratie hat sich aus einer Reihe großer Clankonferenzen entwickelt und ist damit mit einem hohen Maß an Legitimität versehen (ECO 13.11.2017). www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

[...]

Rechtsschutz/Justizwesen (zur Bedeutung des xeer siehe auch SOMA_LIB)

In Somaliland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere. Richter sind einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, BS 2016). In Gerichtsverfahren ist politische Einflussnahme durch staatliche Amtsträger weit verbreitet - speziell bei Verfahren gegen Journalisten (USDOS 3.3.2017).

In Somaliland gibt es zwar funktionierende Gerichte, allerdings gibt es gleichzeitig Kapazitätsprobleme (USDOS 3.3.2017; vgl. BS 2016, ÖB 9.2016). Es fehlt an ausgebildeten

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 20 von 42

Richtern und Juristen sowie an einer nachvollziehbaren Rechtsdokumentation (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016). UNODC und andere UN-Agenturen unterstützen Somaliland dabei, das Justizsystem und die Haftbedingungen zu verbessern (ÖB 9.2016). Mit internationaler Hilfe ist aber in die Gerichte investiert worden. Die sogenannten mobile courts funktionieren relativ gut und haben den Zugang der Bürger zur formellen Justiz verbessert (BFA 8.2017).

Das Justizsystem in Somaliland ist eine Mischung aus traditionellem Recht (xeer), Scharia und formellem Recht (BS 2016; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Die Scharia wird in erster Linie in Familienangelegenheiten herangezogen. Das formelle Recht wird oft dem traditionellen Recht untergeordnet, da die Kapazitäten ordentlicher Gerichte eingeschränkt sind (BS 2016).

Zwar sind die drei Rechtsformen nicht gut integriert (USDOS 3.3.2017). Doch selbst wenn sich das formelle Recht und das traditionelle Recht in manchen Punkten widersprechen, so werden die Rechtssysteme nicht als konkurrierend sondern vielmehr als komplementär erachtet. Generell können sich die Menschen aussuchen, ob sie sich an formelle, traditionelle oder religiöse Institutionen wenden (BS 2016). Allerdings richtet sich der Bürger im Fall des Falles zuerst an seinen Clan. Auch wenn ein Mord passiert, wird vorerst im traditionellen System Blutgeld verhandelt. Kommt man zu keiner Lösung, richtet man sich an die Gerichte (BFA 8.2017). In Somaliland kommt das traditionelle Recht einer Angabe von 2006 zufolge bei 80% der Rechtsstreitigkeiten zur Anwendung. Gerichte anerkennen xeer-Entscheide (traditionelles Recht) (SEM 31.5.2017).

In Somaliland sind ansatzweise rechtsstaatliche Grundsätze im Strafrecht zu beobachten. Dazu gehört das Bemühen, eine diskriminierende Strafverfolgung und -zumessung möglichst zu vermeiden (AA 1.1.2017). Auch Bürgerrechte sind in Somaliland formell garantiert. Eine grundlegende Rechtstaatlichkeit konnte etabliert werden. Die Polizei und andere Regierungsinstitutionen arbeiten ausreichend gut. In entlegenen Gebieten vertreten allerdings lokale Behörden und Älteste die Rechtsordnung. Dort sind Frauen- und Minderheitenrechte nur unzureichend geschützt (BS 2016).

Auch das Verwaltungssystem reicht nicht bis in alle entlegenen Gebiete. Die Politik muss im Hinterland mit lokalen traditionellen und religiösen Autoritäten kooperieren, um die Verwaltung gewährleisten zu können (BS 2016). In den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten werden Urteile häufig nach traditionellem Recht von Clan-Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur den relativ eng begrenzten Bereich eines bestimmten Clans. Bei Sachverhalten, die mehrere Clans betreffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden ("Sippenhaft") spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 1.1.2017).

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 21 von 42

Das vorhandene Maß an Schutz für Privateigentum wird - wie der Rechtsschutz generell - durch die Schwäche des Justizsystems, durch Korruption und Clan-Einfluss eingeschränkt (BS 2016).

Vor somaliländischen Gerichten gilt generell die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren und das Recht auf rechtliche Vertretung. Verteidiger dürfen Zeugen befragen und einberufen. Für Angeklagte, die einer schweren Straftat bezichtigt werden, gibt es eine kostenlose Rechtsvertretung. Außerdem gibt es im Land eine funktionierende Legal Aid Clinic (USDOS 3.3.2017). Es gibt zwar einen Instanzenzug, allerdings

www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018 werden manchmal Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend beigebracht. Insgesamt werden die Verfahrensrechte in Somaliland aber eher eingehalten, als in anderen Landesteilen (AA 1.1.2017).

[...]

Minderheiten/Clans (siehe auch SOMA_LIB)

Mehrheitsclans in Somaliland: In der Region Awdal wohnen v.a. Angehörige der Dir/Gadabursi und Dir/Issa. In den Regionen Woqooyi Galbeed und Togdheer wohnen v.a. Angehörige der Isaaq/Habr Jeelo, Isaaq/Habr Yonis, Isaaq/Idagala und Isaaq/. In der Region Sool wohnen v.a. Angehörige der Darod/Dulbahante (Taleex, Xudun, Laascaanood), Isaaq/Habr Yonis (Xudun, Laascaanood) und Isaaq/Habr Jeelo (Caynabo). In der Region Sanaag wohnen v.a. Angehörige der Darod/Warsangeli (Laasqoray, Ceerigaabo), Isaaq/Habr Yonis (Ceerigaabo) und Isaaq/Habr Jeelo (Ceel Afweyn) (EASO 2.2016). Die Minderheiten der Berufskasten in Somaliland werden unter dem Begriff "Gabooye" zusammengefasst (Musa Dheriyo, Tumal, Madhiban, Yibir) (UNHRC 28.10.2015).

Wie in den restlichen Landesteilen bekennt sich die Verfassung zum Gebot der Nichtdiskriminierung. Clan- Zugehörigkeit spielt jedoch eine große Rolle (AA 1.1.2017), Minderheitenschutz besteht offiziell nicht. Das bedeutet, dass Angehörige v.a. der Gabooye weiterhin marginalisiert bleiben (ÖB 9.2016). Auch weiterhin berichten Minderheitenvertreter über die Schwierigkeiten, welchen ihre Gruppen bei der Integration in die somaliländische Gesellschaft ausgesetzt sind (UNHRC 6.9.2017). Eine aktive Verfolgung findet allerdings nicht statt. Die Gabooye leiden unter sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung und werden am Arbeitsmarkt diskriminiert (ÖB 9.2016). Dabei kommt es zu keiner systematischen Benachteiligung durch Polizei und Gerichte, wiewohl es vorkommt, dass Vergehen gegenüber Minderheiten-Angehörigen seitens der Polizei nicht nachgegangen wird (SEM 31.5.2017).

Die offizielle Anerkennung von Gabooye-Suldaans hat zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Ihr gesellschaftlicher Ruf hat sich dadurch generell verbessert. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Die Gabooye haben im xeer (traditionelles Recht) ihre Rechte. Zusätzlich sind Verfahren im xeer meist nicht korrumpierbar und fairer. Auch von den somaliländischen Gerichten werden die Minderheiten in den letzten Jahren mehrheitlich fair behandelt (SEM 31.5.2017).

Weiterhin kommt es zur Tabuisierung von Mischehen (UNHRC 6.9.2017). In Somaliland lehnen die Clanfamilien Isaaq und Darod Mischehen vehement ab, während sie die Dir eher akzeptieren (SEM 31.5.2017). In einem Fall wurde ein Paar, das geheiratet hatte, von Angehörigen des Mehrheitsclans (zu welchem die Frau gehörte) entdeckt und geschlagen (UNHRC 6.9.2017).

In Somaliland sind die Clan-Ältesten der Minderheiten gleich wie jene der Mehrheitsclans offiziell anerkannt, und die Minderheiten sind in den politischen Parteien vertreten. Einige Älteste (Suldaan) der Gabooye sind im Oberhaus des Parlaments (Guurti) vertreten. In der Regierung und dem Repräsentantenhaus hingegen sind sie nicht vertreten, ebensowenig in vielen lokalen Räten (SEM 31.5.2017). Der stellvertretende Vorsitzende der Somaliland Human Rights Commission gehört einer Minderheit an, außerdem hat der Präsident einen eigenen Berater für Minderheitenprobleme. Im August 2016 wurde zudem ein Angehöriger der Dulbahante zum Innenminister ernannt. Dieser soll sich auch um Beschwerden der Bewohner von Sool und Sanaag kümmern, wonach ihre Regionen vernachlässigt würden (USDOS 3.3.2017).

In Somaliland gibt es einige Nichtregierungsorganisationen, die sich explizit (auch) um die Minderheiten - hier speziell um berufsständische Gruppen - kümmern. Dazu gehören: Daami Youth Development Organization (DYDO), Somaliland National Youth Organization (SONYO Umbrella), Ubax Social and Welfare Organization (USWO), Voices of Somaliland Minority Women Organization (VOSOMWO) (SEM 31.5.2017);

Insgesamt kommt es nur sporadisch zum Aufflammen bewaffneter Clan-Auseinandersetzungen. Zwar kommt es manchmal zu Zusammenstößen, diese sind aber meist nur kleine Schusswechsel. Die Regierung ruft meist die Ältesten auf, die Kämpfe zu beenden. Eskaliert ein Clan-Konflikt, dann schreiten die Sicherheitskräfte ein. Dann versucht die Regierung, das Problem zu lösen. Dieser Ansatz ist nicht immer erfolgreich: Manchmal schießen die Sicherheitskräfte auf beide Seiten, wodurch die Situation weiter verschlimmert wird (BFA 8.2017).

Relevanter und von größerer Auswirkung ist das System der Blutrache. Hier können selbst Personen betroffen sein, die nach Jahren in der Diaspora nach Hause zurückkehren. Während Sicherheitskräfte in größere Clankonflikte eingreifen tun sie dies bei Blutfehden nur selten bzw. ist ein Eingreifen nicht möglich. Gleichzeitig sind Polizisten selbst Angehörige eines Clans, was die Sache erschwert (BFA 8.2017).

www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

[...]

Nachfolgend sind Auszüge aus FOCUS Somalia, Clans und Minderheiten vom Schweizer Staatssekretariat für Migration vom 31. Mai 2017, wiedergegeben:

Einführung in das Clansystem der Somali

(S. 8) Die somalische Nation ist in Sub-Gruppen aufgeteilt. In der Literatur werden diese meist als "Clans" bezeichnet, teils auch als "Stämme". Auf Somalisch gibt es dafür zwei Ausdrücke: Qoolo sowie das aus dem Arabischen übernommene Qabiil. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. [...]

Ethnische Minderheiten

(S. 14) Teilweise werden auch die Ashraf und die Sheikal (Sheikash) zu den ethnischen Minderheiten gezählt. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind sie aber schwerer von der somalischen Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen haben sie einen speziellen religiösen Status (u.a. Durchführung von Riten) und spielen traditionell eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Beide Gruppen unterhalten Sheegad-Verhältnisse (siehe Kapitel 5.1.1) mit verschiedenen Mehrheits- und Minderheitsclans, abhängig von ihrer Region. Manche Sheikhal-Gruppen sind so gut in die Hawiye-Clanfamilie integriert, dass sie Hawiye-Sitze im somalischen Parlament einnehmen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurden erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme der BF1 und BF2 in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Beilagen ./I bis ./IV.

2.1. Zu den Feststellungen zu den Personen BF1, BF2, BF3, BF4 und BF 5:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer BF2, BF3, BF4 und BF 5 ergeben sich aus ihren bzw. durch ihre gesetzlichen Vertreter getätigten dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Ebenso die Feststellungen zu BF1 außer zum genauen Tag und Monat ihrer Geburt. Da zwei verschieden Geburtsdaten aus dem Akt hervorgehen, nämlich der XXXX und der XXXX konnte der genaue Tag und das genaue Monat der BF1 nicht festgestellt werden; es ist für das Verfahren aber auch nicht relevant. Die getroffenen Feststellungen zu Namen und Geburtsdaten der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

2.2. Zur Clanzugehörigkeit und zu den Fluchtgründen der BF1:

Aufgabe eines Asylwerbers ist es, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25. 3. 1999, 98/20/0559).

Die Nicht-Feststellung der BF1 zum Clan der Ashraf beruht vor allem auf den Aussagen der BF1 in der mündlichen Verhandlung und im erstinstanzlichen Verfahren vor dem BFA. Ihr Wissen über ihren eigenen Clan ist sehr oberflächlich und vage. Auf Nachfragen der Richterin antwortet sie ausweichend bzw. erklärt ihre Unwissenheit damit, dass sie im Norden Somalias aufgewachsen sei.

Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12.10:

R: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an? Welchem Clan gehören Sie an?

BF1: Ashraf.

R: Was sind die besonderen Eigenschaften/Besonderheiten dieses Clans?

www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

BF1: Sie verbreiten die Religion, sie sind Lehrer in der Koranschule. Und dass sie friedliche Menschen sind und an Kampfhandlungen nicht teilnehmen.

R: Können Sie mir noch etwas über Ihren Clan sagen?

BF1: Mehr weiß ich nicht. Ich bin im Norden von Somalia aufgewachsen und dort gibt es keine Ashraf.

R: Aus den Länderberichten ergibt sich, dass der Clan wie die Identität eines Somaliers ist, da erwarte ich mir, dass man etwas mehr über seinen Clan erzählen kann.

BF1: Ich komme aus XXXX und dort kennt man nicht die Clanzugehörigkeit. Man fragt sich nicht, welchem Clan man angehört. Erst wenn Probleme passieren, dann merkt man, dass man eine Minderheit ist. Weil man geht zur Polizei und es wird trotzdem nichts gemacht.

R: Was sind die typischen Berufe, die von diesen Clanmitgliedern ausgeübt werden?

BF1: Es gibt keinen typischen Beruf, den nur sie machen. Sie machen Berufe, die alle Somalier machen.

R: Wie werden Angehörige der Ashraf von der somalischen Gesellschaft wahrgenommen?

BF1: Sie werden ein bisschen besser als die Gabooye gesehen.

R: Sind sie hoch angesehen?

BF1: Nein, in Somalia nennt man sie 4.5, dass bedeutet halb so viel wie die anderen.

Auch auf den Vorhalt der Richterin, dass die Zugehörigkeit zum Clan wie die Identität eines Somaliers ist, gibt die BF1 keine plausible Antwort. Insgesamt erweckt sie den Eindruck, dass sie angibt, dem Clan der Ashraf anzugehören, um damit eine asylrelevante Verfolgung vorzubringen. Aus den Länderberichten ergibt sich, wie auch der BF1 vorgehalten wurde, dass die Clanzugehörigkeit der identitätsstiftende Faktor für Somalis ist. Die Antworten der BF1 sind aber zu vage um die Angehörigkeit bejahen zu können. Es wird nicht verkannt, dass das BFA im erstinstanzlichen Verfahren die Clanzugehörigkeit der BF1 zu den Ashraf festgestellt hat. Auf Nachfrage in der niederschriftlichen Einvernahme blieb die BF1 aber ebenfalls vage und konnte keine konkreten Angaben zu ihrem Clan machen. BF1 konnte auch keinen Subclan der Ashraf namhaft machen (vgl. S 9 des bekämpften Bescheides). Das BFA begründet auch in keiner Weise die Annahme des Clans der Ashraf; in der Beweiswürdigung wird nicht erläutert, weshalb die Clanzugehörigkeit festgestellt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht kann aufgrund des mangelnden Wissens der BF1 über ihren eigenen Clan (vgl. weiter oben) die behauptete Clanzugehörigkeit zum Clan der Ashraf daher nicht feststellen.

Die Feststellungen, dass der Kern der Fluchtgeschichte, nämlich die Liebe zu Hr. XXXX , die geplante Hochzeit und die darauffolgende Bedrohung und der Übergriff auf BF1 durch die Familie des Hr. XXXX , als wahr anzusehen ist, beruhen auf den zum großen Teil gleichbleibenden Aussagen in den verschiedenen Einvernahmen und vor allem auf den Aussagen der BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die BF1 schilderte die Erlebnisse detailliert, meist gleichbleibend, lebensnah und emotionsreich.

Im Gegensatz dazu, konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1 mehr als 4 Jahre später von dem Mann, der sie - nach ihren Erzählungen sehr glaubhaft geschildert - geliebt hat und sie aufgefordert hat, auf sich aufzupassen, mit dem Tod bedroht wurde.

Die BF1 verantwortet sich in der mündlichen Verhandlung Folgendermaßen (S. 7 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung):

R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF1: Der Mann hat mich von Somalia hier in Österreich angerufen. Und er sagte, dass ich ihn verraten habe, dass ich ihn im Stich gelassen habe, ich sollte nicht einen anderen Mann heiraten. Er hat gedroht mich zu verbrennen. Er sagte, er wird mich nicht auf eine einfache Art töten, sondern er wird mich quälen.

R: Wie hieß der Mann, der Sie angerufen hat?

www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

BF1: Das ist der Mann, mit dem ich befreundet war und einmal verliebt war. Er heißt Mohammed XXXX .

R: Wann hat Sie XXXX angerufen?

BF1: Im Mai 2015.

R: Und danach nie wieder?

BF1: Nein, ich habe meine Simkarte vernichtet und dann hat er mich nicht mehr angerufen.

R: Woher hatte er Ihre österreichische Telefonnummer?

BF1: Weiß nicht, vielleicht hat er sie von anderen, die hier in Österreich wohnen.

R: Kennen Sie hier in Österreich Freunde von Ihrem ehemaligen Freund Herrn XXXX ?

BF1: Ich weiß es nicht. Ich kenne viele Leute, ob sie ihn auch kennen, weiß ich nicht.

R: Wann haben Sie sich von Herrn XXXX getrennt?

BF1: Am 15.12.2010. Nachdem mich seine Familie angegriffen hat. Sie waren gegen unsere Heirat, weil ich eine Ashraf bin.

R: Finden Sie es nicht eigenartig, dass er nach 5 Jahren in Österreich Sie anruft, um Ihnen zu sagen, dass er Sie quälen wird?

BF1: Er wusste damals nicht, dass ich ausgereist bin. Zuletzt hat er mich angerufen, er sagte mir, dass die Familie gegen die Ehe ist und dass er eingesperrt wurde und ich soll auf mich selbst aufpassen.

R: Wann war dieser Anruf, von dem Sie jetzt sprechen?

BF1: Am 15.12.2010.

R: Jemand der Ihnen sagt, dass Sie auf sich selbst aufpassen sollen und Sie geliebt hat, ruft Sie 5 Jahre später an und sagt Ihnen, dass er Sie quälen wird?

BF: Weil ich mich nicht an unser Versprechen gehalten habe. Selbst 10 Jahre später sollte ich auf ihn warten, sagte er mir im Telefonat 2015.

BFV: Keine Fragen.

Es ist nicht plausibel, dass der Mann der sie geliebt hat und den sie auch nicht aus freiwilligen Stücken verlassen hat, sondern aufgrund des Widerstands seiner Familie und den Bedrohungen durch seine Familie, sie mehr als vier Jahre später in Österreich anruft, um die BF1 zu bedrohen. Zudem wäre ja auch Hr. XXXX bewusst, dass seine Familie nach wie vor gegen eine Verbindung zu BF1 ist, so wäre es aufgrund des Widerstands seiner Familie gar nicht möglich, dass die BF1 zu ihm zurückkehrt. Aus diesen Gründen ist es auch nicht wahrscheinlich, dass der BF1 ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit durch Hr. XXXX droht. Auch der Umstand, dass Hr. XXXX nach vier Jahren ihre österreichische Nummer ausfindig macht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Auf Nachfrage, wie Hr. XXXX die Nummer der BF1 erlangt habe, bleibt die BF1 ebenso vage. Sie wurde auch die letzten drei Jahre nicht mehr kontaktiert.

Ebenfalls konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1 im Falle der Rückkehr nach Somalia Lebensgefahr oder Eingriff in die körperliche Integrität durch die Familie des Hr. XXXX drohe. Die BF1 hat keinen Kontakt mehr zu Hr. XXXX ; sie ist nunmehr mit einer anderen Person zusammen und hat mit ihr bereits drei Kinder. Der Grund für die im Jahr 2010 geschehenen Bedrohungen lag darin, dass die Familie gegen eine Verbindung war. Es ist nicht ersichtlich, dass die BF1 daher zum jetzigen Zeitpunkt Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat drohen sollte.

www.ris.bka.gv.at Seite 15 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Die Feststellung, dass BF2 seine Beschwerde zurückgezogen hat gründet sich auf seiner eindeutigen und widerspruchsfreien Aussage in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, seine Beschwerde zurückzuziehen. Diese Aussage wurde entsprechend protokolliert, wobei der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift die Richtigkeit der Verhandlungsniederschrift bestätigte. Auch die BFV teilt nach Rücksprache mit dem BF2 mit, dass die Beschwerde vom BF2 zurückgezogen wird (vgl. OZ 8, S 23)

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I betreffend BF1, BF3, BF4 und BF5:

Zu A)

3.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Zu BF1:

Die Beschwerdeführerin konnte ihr Fluchtvorbringen zwar großteils glaubhaft darlegen, auch wenn sich an mehreren Stellen kleine Widersprüche ergaben. Die in der Verhandlung vorgebrachte Bedrohung durch ihren Exfreund, viele Jahre nach ihrer Flucht aus Somalia, war jedoch nicht glaubwürdig. Es ist sehr zweifelhaft, dass der Mann, den sie geliebt hat und der sie geliebt hat und ihr auch noch mitgeteilt hat, dass sie auf sich aufpassen soll, sie später mit dem Tode bedroht, vor allem vor dem Hintergrund, dass seine Familie die Hochzeit verhindert hat und gegen die Verbindung mit BF1 war. Darüber hinaus ist offen geblieben, woher der Ex Freund ihre österreichische Telefonnummer hat.

Auch wenn man ihrer Hauptfluchtgeschichte - nämlich die Bedrohung durch die Familie ihres Ex-Mannes - Glauben schenkt, so fehlt es jedenfalls an einer aktuellen Verfolgungsgefahr, liegen diese Geschehnisse doch viele Jahre (nämlich im Jahre 2010) zurück. Auch der angebliche letzte Anruf ihres Mannes geschah im Jahr 2015.

Die BF1 behauptet eine Verfolgung, weil sie eine frühere Beziehung in Somalia heiraten wollte. Sie hat aber keinen Kontakt mehr zu dieser Person, seither sind viele Jahre vergangen und nunmehr ist sie mit einer anderen Person zusammen, mit der sie 3 Kinder hat. Es ist nicht ersichtlich weshalb ihr daher aufgrund ihrer ursprünglich angegebenen Verfolgungsgefahr immer noch Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Abgesehen davon ist es auch fraglich, ob in den Übergriffen der Familie von Hr. XXXX überhaupt eine asylrelevante Bedrohung zu sehen ist. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1 dem Clan der Ashraf angehört; die Verfolgung durch die Familie des Hr. XXXX stellt daher - abgesehen von der mangelnden Aktualität der Verfolgungsgefahr - wohl eher eine kriminelle Handlung dar und ist daher keinem Konventionsgrund zuordenbar, sondern eine rein kriminelle Bedrohung (vgl. zum Spannungsverhältnis kriminelle Verfolgung und asylrelevante Verfolgung, VwGH 28.08.2009, 2008/19/0127).

Dem Vorbringen der BF1 kommt daher zusammenfassend zum Teil keine Glaubwürdigkeit zu bzw. ist ein asylrelevanter Grund überhaupt nicht ersichtlich, da es an einer aktuellen Verfolgungsgefahr fehlt. Der Beschwerdeführerin ist es deshalb insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Personen gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 17 Bundesverwaltungsgericht 12.10.2018

Die BF3, BF4 und BF5 stützen ihre Vorbringen auf die Fluchtgründe der Eltern und brachten keine eigenen Fluchtgründe vor.

Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide von BF1, BF3, BF4 und BF5 waren daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu den Spruchteilen wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Zum Spruchpunkt II. und BF2:

Der Beschwerdeführer zog in der mündlichen Verhandlung am 12.10.2018 seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl explizit zurück.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch die beschwerdeführende Partei ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Partei weggefallen, womit einer Sachentscheidung die Grundlage entzogen und die Einstellung des betreffenden Verfahrens - in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang - auszusprechen ist (vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG, Rz 20; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, § 7 VwGVG, K 5 ff.).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offenlässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zu Berufungen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 63, Rz 75 mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Eine solche Erklärung liegt im vorliegenden Fall vor, weil der Beschwerdeführer die Zurückziehung seiner Beschwerde in der mündlichen Verhandlung aus freien Stücken klar zum Ausdruck gebracht hat; einer Sachentscheidung durch das Gericht ist damit die Grundlage entzogen.

Das Beschwerdeverfahren ist daher mit Beschluss einzustellen (vgl. dazu VwGH 29.04.2015, 2014/20/0047, wonach aus den Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG hervorgeht, dass eine bloß formlose Beendigung [etwa durch Einstellung mittels Aktenvermerkes] eines nach dem VwGVG vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens nicht in Betracht kommt).

Zu B)

Dass bei einer Beschwerdezurückziehung keine Sachentscheidung durch das Gericht mehr getroffen werden kann, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2018:W254.2104666.1.00

www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 17