Projektbericht »Strahlen«
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Projektbericht »Strahlen« Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle - Fiktion oder Realität Bernd Eisenfeld, Thomas Auerbach, Gudrun Weber, Dr. Sebastian Pflugbeil Faksimilierter Nachdruck Bitte zitieren Sie diese Online-Publikation wie folgt: Bernd Eisenfeld, Thomas Auerbach, Gudrun Weber, Dr. Sebastian Pflugbeil: Projektbericht »Strahlen«. Einsatz von Röntgenstrahlen und radioaktiven Stoffen durch das MfS gegen Oppositionelle - Fiktion oder Realität? Hg. BStU. Berlin 2002. http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421308513 Mehr Informationen zur Nutzung von URNs erhalten Sie unter http://www.persistent-identifier.de einem Portal der Deutschen Nationalbibliothek. Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Abteilung Bildung und Forschung 10106 Berlin E-Mail: [email protected] Die Meinungen, die in dieser Schriftenreihe geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassungen der Autoren wieder. Abdruck und publizistische Nutzung sind nur mit Angabe des Verfassers und der Quelle sowie unter Beachtung des Urheberrechtsgesetzes gestattet. 2., überarbeitete Auflage, Berlin 2002 Schutzgebühr für diese Lieferung: 1,00 € ISBN 978-3-942130-85-1 Eine PDF-Version dieser Publikation ist unter der folgenden URN kostenlos abrufbar: urn:nbn:de:0292-97839421308513 3 Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 4 2 Methodisches Vorgehen und Quellenlage 7 3 Untersuchungsergebnisse 9 3.1 Zu einigen rechtlichen Fragen des Umgangs des MfS mit Röntgengeräten und radioaktiven Substanzen 9 3.2 Der Einsatz von Röntgengeräten im Rahmen der Untersuchungshaft 12 3.2.1 Ausstattung 15 3.2.2 Umgang 16 3.3 Berichte von Untersuchungshäftlingen des MfS 17 3.4 Beschaffung und Anwendung radioaktiver Substanzen zu operativen Zwecken 20 3.4.1 Beschaffung/Transport 20 3.4.2 Einsatz und Umgang 22 3.5 Strahlenquellen im Schrankenbetrieb bzw. im Grenzverkehr 25 3.6 Strahlenrisiken bei radioaktiven Markierungen 27 3.6.1 MfS-eigene Bemessungsgrundlagen 27 3.6.2 Fallbeispiele radioaktiver Markierungen im Zusammenhang mit Personen 33 3.7 Der konspirative Auftrag als Rechtfertigung zur Umgehung von Strahlenschutzbestimmungen 40 4 Erkenntnisse und offene Fragen 42 5 Weiterführende Schlußfolgerungen 44 Dokumentenanhang 48 1 Grundsatzdokumente 2 Dokumente zur Zusammenarbeit des MfS mit dem Staatlichen Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) der DDR 3 Zusammenarbeit des MfS mit dem Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf (ZfK) 4 Radioaktive Markierungen 5 Auszug aus Dokumenten über Markierungspläne des MfS im Zusammenhang mit der operativen »Bearbeitung« von Jürgen Fuchs 6 Dokumente, die auf die konspirative Umgehung der Strahlenschutzbestimmungen der DDR durch das MfS und auf defekte Röntgengeräte hinweisen Abkürzungsverzeichnis 4 1 Ausgangslage Nachdem 1997 mit Rudolf Bahro und 1998 mit Gerulf Pannach zwei prominente Oppositionelle der DDR an einem Krebsleiden starben und 1999 Jürgen Fuchs folg te, wurden mehr und mehr Stimmen laut, die meinten, daß »menschliche Hände« im Spiel gewesen sein müssen. Es verstärkte sich der Verdacht, daß das MfS durch Röntgenstrahlen eine zielgerichtete gesundheitliche Schädigung inhaftierter DDR- Oppositioneller betrieben habe. Erinnert wurde in diesem Zusammenhang an das Ende 1989 vom Geraer Bürgerkomitee in der MfS-Untersuchungshaftanstalt der Be zirksverwaltung Gera aufgefundene Röntgengerät. Ort (Fotoraum) und Zustand des Gerätes (Hinweis auf Veränderungen) ließen den Verdacht aufkommen, daß das MfS im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung von politischen Häftlingen in den Fotoräumen ihrer Untersuchungshaftanstalten Strahlengeräte mißbräuchlich ge gen politische Häftlinge eingesetzt habe. Hinweise, die auf den Einsatz von Rönt gengeräten in den MfS-Untersuchungshaftanstalten Berlin-Hohenschönhausen, Schwerin und Magdeburg hindeuteten, schienen diesen Verdacht zu untermauern. Infolge der öffentlichen Diskussion meldeten sich auch Angehörige von ehe maligen Häftlingen, die an Krebs verstorben waren. Darunter befinden sich Fälle aus den fünfziger und sechziger Jahren. So stellte man bei einem Häftling nach vierjähri ger Haftzeit im Jahre 1955 Blutarmut fest, die zu einer unheilbaren Leukämie und 1963 schließlich zum Tod führte. Im anderen Fall brach die Krankheit (Plasmozy tom) erst acht Jahre nach einer über siebenjährigen Haftzeit (Dezember 1957 bis Au gust 1964) im Jahre 1972 aus. Sie führte 1987 zum Tod. Die bekanntgewordenen persönlichen Schicksale wurden mit einer Reihe wei terer Erkenntnisse in einen Zusammenhang gestellt: Eine vom Bundesbeauftragten 1999 vorgelegte Studie brachte den Nachweis, daß sich Mitarbeiter der Arbeitsgrup pe des Ministers/Sonderaufgaben (AGM/S) des MfS mit Terroranschlägen in der Bundesrepublik und Westberlin befaßten, die eine physische Vernichtung von Men schen mittels verschiedenster Methoden einschloß.1 Zudem war schon seit längerer Zeit die sogenannte TOXDAT-Studie bekanntgeworden, die im Auftrag des MfS vom Offizier im besonderen Einsatz (OibE), Dr. Walter Katzung, im Bereich Foren sische Chemie der Sektion Kriminalistik an der Humboldt-Universität zu Berlin zu- sammengestellt worden war.2 Diese Studie befaßt sich unter anderem mit der »Schä- 1 Vgl. Auerbach, Thomas: Einsatzkommando an der unsichtbaren Front. Berlin 1999. 2 Vgl. Katzung, Walter: Abschlußbericht zum Forschungsthema: Untersuchungen zu chemischen Substanzen mit besonderer kriminalistischer Relevanz; BStU, ZA, Arbeitsbereich Neiber 250, Bd. 1, Bl. 1 f. 5 digung durch Beibringung radioaktiver Stoffe«.3 Sie liefert Hinweise zur kriminali stischen Problematik von Radionukliden, die sich dadurch auszeichnen, daß sie nicht durch Sinnesorgane wahrgenommen werden können. Ihr Einsatz löst irreversible Schäden aus, noch bevor eine Erkrankung feststellbar ist. Zudem besitzen sie ein hohes Verschleierungspotential, weil die ersten Erkrankungssymptome sehr unspezi fisch sind und erst lange nach der Strahlenbelastung auftreten. Wenn kein substan tieller Verdacht auf Strahlenschädigung vorliege - so die TOXDAT-Studie - habe man kaum eine Chance, die Ursache zu ermitteln. Insofern seien die Radionuklide als Terrorgifte besonders geeignet. Mehrere der von Katzung genannten Radionukli de befanden sich nachweislich in den Händen des MfS. Alle diese Nachrichten und Informationen nährten die Vermutung, daß das MfS der Versuchung erlegen gewesen sein könnte, mit derartigen Mitteln Oppositio nelle kaltzustellen. Dieser Verdacht wurde durch Überläufer östlicher Geheimdienste gestützt, die entweder von solchen Angriffen selbst betroffen gewesen waren oder über den Einsatz radioaktiver Substanzen zur physischen Vernichtung politischer Gegner berichtet hatten. 1957 stellten Ärzte eines US-Militärhospitals fest, daß der 1954 aus der Sowjetunion in die USA übergelaufene Geheimagent Nikolai Khokhlov mit radioaktiven Thallium vergiftet worden war.4 Der .1978. übergelaufene rumäni sche General Pacepa berichtet in seinen Memoiren,5 daß Radioaktivität zum todbrin genden Arsenal der Securitate gehörte. Im Frühjahr 1970 nahm die Abteilung K, eine kleine Abteilung der Spionageabwehr innerhalb der Securitate, vom KGB beschaffte radioaktive Substanzen in ihr Arsenal zur Feindbekämpfung auf. In einer Aktion »Radu« schaltete Staatschef Ceauşescu (mit derartigen Mitteln) den inhaftierten Au- ßenminister Kiraly aus. Der Vorgänger Ceauşescus, Gheorghe Gheorghiu-Dej, starb 1965 kurz nach einem Besuch in Moskau an einer schnell voranschreitenden Krebs erkrankung. So erging es auch drei Direktoren der Rumänienabteilung des Senders Radio Free Europe, die 1983, 1984 und 1988 starben. Pacepa verwies auf ein per sönliches Gespräch mit Ceauşescu, in dessen Verlauf ihn der Diktator aufforderte, »Radu« im Büro eines Direktors der Rumänienabteilung einzusetzen. In Rumänien kamen darüber hinaus Gerüchte auf, daß eine Reihe von Häftlingen kurze Zeit nach ihrer vorzeitigen Entlassung aus der Haft schwer erkrankten und schließlich verstar- ben. Auch um den Tod von Alexander Dubcek rankten sich eine Reihe derartiger Verdachtsmomente. Bereits 1969 kamen Vermutungen auf, daß der Zwangsaufent- 3 Ebenda, Bl. 44 f. 4 Khokhlov, N.: In the Name o f Conscience. Frederick Muller, London 1959. 5 Pacepa, Jon Mihai: Red Horizons, Chronicles of a Communist Spy Chiech, Regenery Gateway, Washington DC., 1987; Niedersächsische Staats- und Universitäts-Bibliothek 90A17387. 6 halt Dubčeks im August 1968 in Moskau vom KGB genutzt worden sein könnte, um den hartnäckigen Kontrahenten auf solche Weise auszuschalten.6 Um einen vorüber gehenden Krankenhausaufenthalt Dubčeks rankten sich ebenfalls Gerüchte, die auf eine Krebserkrankung hindeuteten. Vor diesem Hintergrund verwies eine 1969 in den USA veröffentlichte Studie,7 in der es um Strahlenerkrankungen oder Strahlen tod durch zerstörerischen Einsatz von ionisierender Strahlung gegen einzelne Bürger geht, auf zwei nur schwer nachweisbare Grenzfälle. Der eine betrifft extrem hohe Dosen, die zu einem schnellen Tod durch Schädigung des Zentralen Nervensystems führen. Der andere bezieht sich auf niedrige Dosen, die irgendwann zu einer Krebs- erkrankung führen können, ohne daß Gewißheit über eine ganz bestimmte Ursache zu erlangen ist. Der Verdacht eines Mißbrauchs oder zumindest einer sorglosen Anwendung von Strahlern durch das MfS fand zusätzlich Nahrung in bekanntgewordenen Be richten über das Grenzüberwachungssystem, wonach das MfS in und um Berlin so wie an den Autobahnkontrollpu nkten zur