Plenarprotokoll 17/44

Deutscher

Stenografischer Bericht

44. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Inhalt:

Begrüßung des neuen Abgeordneten Holger b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Krestel ...... 4407 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der geänderten Ban- Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- kenrichtlinie und der geänderten nung ...... 4407 B Kapitaladäquanzrichtlinie (Drucksachen 17/1720, 17/1803) ...... 4412 D Zur Geschäftsordnung c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Umsetzung der neu ge- Dr. (DIE LINKE) ...... 4407 B fassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie (CDU/CSU) ...... 4408 B (Drucksache 16/13741) ...... 4412 D (SPD) ...... 4409 D Dr. (CDU/CSU) ...... 4413 A Jörg van Essen (FDP) ...... 4411 A Nicolette Kressl (SPD) ...... 4415 C (Köln) (BÜNDNIS 90/ (FDP) ...... 4417 A DIE GRÜNEN) ...... 4411 B Dr. (DIE LINKE) ...... 4419 B Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 4421 A Zusatztagesordnungspunkt 13: (BÜNDNIS 90/ Zweite und dritte Beratung des von den Frak- DIE GRÜNEN) ...... 4422 D tionen der CDU/CSU und der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Über- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister nahme von Gewährleistungen im Rahmen BMF ...... 4424 D eines europäischen Stabilisierungsmecha- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ nismus DIE GRÜNEN) ...... 4425 B (Drucksachen 17/1685, 17/1740, 17/1741) . . 4412 C Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 4427 B in Verbindung mit (SPD) ...... 4429 A Dr. , Bundesminister Tagesordnungspunkt 27: AA ...... 4434 A a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DIE GRÜNEN) ...... 4436 D Stabilisierung des Finanzsektors – Ei- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister genkapitalvorschriften für Banken an- AA ...... 4437 C gemessen überarbeiten (Drucksache 17/1756) ...... 4412 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) ...... 4438 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. (BÜNDNIS 90/ Dr. (SPD) ...... 4463 D DIE GRÜNEN) ...... 4438 D Dr. Birgit Reinemund (FDP) ...... 4465 D Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 4439 D Dr. (DIE LINKE) ...... 4466 D Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 4441 A (CDU/CSU) ...... 4467 D Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 4442 A (CDU/CSU) ...... 4468 D Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 4442 C

Tagesordnungspunkt 29: Namentliche Abstimmungen ...... 4442 . . . . D, 4443 A a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Steuerhinterziehung wirksam Ergebnisse ...... 4443 . . . . C, 4451 D und zielgenau bekämpfen 4454 C, 4456 D (Drucksache 17/1755) ...... 4471 A Zusatztagesordnungspunkt 11: b) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Haßelmann, weiterer Abgeordneter und Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: NEN: Steuerhinterziehung wirksam be- Wiederherstellung der Handlungsfähig- kämpfen keit von Städten, Gemeinden und Land- (Drucksache 17/1765) ...... 4471 A kreisen (Drucksache 17/1744) ...... 4446 A Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 4471 B (BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN) ...... 4473 A (SPD) ...... 4473 D Zusatztagesordnungspunkt 12: Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 4474 C Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Dr. (FDP) ...... 4475 B , Dr. Gerhard Schick, weiterer Ab- Martin Gerster (SPD) ...... 4476 A geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gewerbesteuer stabilisieren – Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 4476 D nicht abschaffen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 17/1764) ...... 4446 A DIE GRÜNEN) ...... 4477 C in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 30: a) Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Tagesordnungspunkt 28: , Elke Ferner, weiterer Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- Das Risiko von Altersarmut durch ver- neten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, änderte rentenrechtliche Bewertungen Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit der Fraktion DIE LINKE: Für eine Versteti- und der Niedriglohn-Beschäftigung be- gung der Kommunalfinanzen – Die Gewer- kämpfen besteuer zur Gemeindewirtschaftsteuer (Drucksache 17/1747) ...... 4478 C weiterentwickeln b) Antrag der Abgeordneten Matthias W. (Drucksachen 17/783, 17/1783) ...... 4446 B Birkwald, , Dr. Martina Katrin Kunert (DIE LINKE) ...... 4446 B Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutz bei Er- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) ...... 4447 C werbsminderung umfassend verbes- Bernd Scheelen (SPD) ...... 4449 A sern – Risiken der Altersarmut verrin- gern Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . 4449 D (Drucksache 17/1116) ...... 4478 D Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 4459 A c) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ Bunge, weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN) ...... 4460 D Fraktion DIE LINKE: Risiken der Al- (CDU/CSU) ...... 4462 B tersarmut verringern – Rentenbeiträge Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 III

für Langzeiterwerbslose erhöhen Alexander Funk (CDU/CSU) ...... 4493 C (Drucksache 17/1735) ...... 4478 D Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 4494 B (SPD) ...... 4479 A Dr. Lutz Knopek (FDP) ...... 4494 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 4480 A Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) ...... 4495 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 4481 D Dr. (CDU/CSU) ...... 4495 B Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 4482 D (CDU/CSU) ...... 4495 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 4496 A NIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 4484 A Frank Schäffler (FDP) ...... 4496 C Paul Lehrieder (CDU/CSU) ...... 4485 B Dr. (FDP) ...... 4497 A Anton Schaaf (SPD) ...... 4486 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 4498 B Tagesordnungspunkt 31: Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) ...... 4499 A Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE Anlage 3 GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wein- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten gesetzes und Dr. Barbara Höll (Drucksache 17/1749) ...... 4488 C (beide DIE LINKE) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Tagesordnungspunkt 32: Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- mechanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) 4499 C a) Antrag der Abgeordneten , , Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 4 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Lehre an allen Hochschulen garantie- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten ren – Eine dritte Säule im Hochschul- Dr. Valerie Wilms und pakt verankern und einen Wettbewerb (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur na- für herausragende Lehre auflegen mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- (Drucksache 17/1588) ...... 4488 C nes Gesetzes zur Übernahme von Gewährleis- tungen im Rahmen eines europäischen b) Antrag der Abgeordneten , Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- Dr. , , weiterer nungspunkt 13) ...... 4500 A Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung Anlage 5 und Lehre sichern (Drucksache 17/1737) ...... 4488 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. , Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch (alle CDU/CSU) zur Nächste Sitzung ...... 4489 C namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewähr- leistungen im Rahmen eines europäischen Anlage 1 Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4491 A nungspunkt 13) ...... 4500 B

Anlage 2 Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Abstimmung über den Entwurf eines Geset- des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än- zes zur Übernahme von Gewährleistungen im derung des Weingesetzes (Tagesordnungs- Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- punkt 31) mechanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) (SPD) ...... 4501 B (CDU/CSU) ...... 4491 C Dr. Erik Schweickert (FDP) ...... 4502 A Thomas Dörflinger (CDU/CSU) ...... 4493 B Alexander Süßmair (DIE LINKE) ...... 4503 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Monika Grütters (CDU/CSU) ...... 4505 C DIE GRÜNEN) ...... 4503 D Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin (CDU/CSU) ...... 4507 A BMELV ...... 4504 C (Spandau) (SPD) ...... 4508 C

Dr. (Lausitz) Anlage 7 (FDP) ...... 4509 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Nicole Gohlke (DIE LINKE) ...... 4510 D

– Gute Lehre an allen Hochschulen garan- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ tieren – Eine dritte Säule im Hochschul- DIE GRÜNEN) ...... 4511 D pakt verankern und einen Wettbewerb für herausragende Lehre auflegen – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Einheit von Forschung und Lehre sichern Anlage 8 (Tagesordnungspunkt 32 a und b) Amtliche Mitteilungen ...... 4512 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4407

(A) (C) Redetext

44. Sitzung

Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie haben in dieser Woche in einem Schnellverfahren Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. über die Vergabe von über 100 Milliarden Euro entschie- den. Das Parlament wird erneut zu einer Abstimmungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich teile Ihnen mit, maschinerie degradiert. Die Linke sagt: Damit muss dass der Kollege Hellmut Königshaus aufgrund seiner endlich Schluss sein. Ernennung und gestrigen Vereidigung zum Wehrbeauf- tragten auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag (Beifall bei der LINKEN) verzichtet hat. Als Nachfolger begrüße ich den Kollegen Holger Krestel. Wir teilen ausdrücklich Ihre Kritik, Herr Präsident, an diesem Verfahren, am Umgang der Regierung mit dem (Beifall) Parlament. Wir, das Parlament, sind nicht das Marionet- Herzlich willkommen und gute Zusammenarbeit! tentheater der Regierung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak- Im Übrigen will ich die Fraktionsvorsitzenden daran tionen der CDU/CSU und FDP haben fristgerecht bean- erinnern, dass die Kanzlerin im Gespräch mit ihnen ver- tragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte sprochen hat, dass die abschließende Lesung hier im Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme Bundestag erst stattfindet, wenn der europäische Vertrag von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen vorliegt. Der Vertrag liegt bis heute nicht vor. Stabilisierungsmechanismus zu erweitern. Die Vorlage soll heute als Zusatzpunkt 13 in Verbindung mit Tages- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ordnungspunkt 27 als erster Punkt mit einer auf zwei NIS 90/DIE GRÜNEN) Stunden verlängerten Debattenzeit beraten werden. Dazu Sie, meine Damen und Herren, geben sich jetzt mit Eck- gibt es kein Einvernehmen. Deswegen wollen wir da- punkten zufrieden. Wie diese Eckpunkte im Vertrag tat- rüber in einer Geschäftsordnungsrunde diskutieren und sächlich geregelt werden, ist bis heute völlig offen. Es ist dann über diesen Antrag befinden. also die Frage, inwieweit die nationalen Parlamente be- Gegen diesen Aufsetzungsantrag hat sich die Kolle- teiligt werden, inwieweit eine Kontrolle erfolgt. Das al- gin Dagmar Enkelmann zu Wort gemeldet, der ich hier- les sind Fragen, die bis heute offen sind. Sie meinen mit das Wort erteile. möglicherweise, das sei unwichtig. Die Linke sagt: Das ist wichtig für die Entscheidung in diesem Hohen Hause. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Wir wollen nicht die Katze im Sack kaufen. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Die Fraktion Die Linke stimmt der Aufsetzung des Das ist auch nicht durch Ihren im Ausschuss vorge- genannten Gesetzentwurfes auf die Tagesordnung nicht legten Änderungsantrag geheilt, in dem Sie sagen: Na zu. Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Verantwortung, gut, wenn der Vertrag nächste Woche da ist, dann wer- die wir für Europa zu übernehmen haben! den wir mal den Haushaltsausschuss informieren. – Hier entscheidet heute dieses Parlament, der gesamte Bundes- ( [CDU/CSU]: Nein! – Peter tag, nicht der Haushaltsausschuss, der irgendwann mal Altmaier [CDU/CSU]: Genau damit kommen informiert wird. wir Ihnen!) Es wäre durchaus möglich, zum Beispiel eine Sonder- Das Verfahren in dieser Woche ist verantwortungslos. sitzung einzuberufen, wenn der Vertrag da ist. Das hätten (Beifall bei der LINKEN) wir diskutieren können. Das haben Sie abgelehnt. Sie 4408 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Dagmar Enkelmann (A) wollen dieses Schnellverfahren innerhalb von einer Wo- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) che. Nein, von einem seriösen Verfahren kann hier keine NEN]: Plus Wortbruch der Kanzlerin!) Rede sein. Darum geht es Ihnen ja auch nicht, Frau Enkelmann. Es war keine Zeit, wirklich über Alternativen zu bera- Tun Sie nicht so! Führen Sie die Leute nicht hinter die ten. Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung völ- Fichte, indem Sie irgendwelche Quisquilien und techni- lig zu Recht festgestellt: Die Regierung behauptet, die- schen Argumente anführen! ses Milliardenpaket sei alternativlos, und wir glauben Ich will Ihnen etwas vorlesen: Vertrag von das alles. – Das heißt: Die Regierung stellt das Parla- Maastricht, 1992: CDU/CSU, SPD, FDP: ja, Linke: ment de facto kalt, und das Parlament oder, sagen wir nein. Vertrag von Amsterdam, 1997: CDU/CSU, SPD, mal so, eine Mehrheit in diesem Parlament lässt sich FDP: ja, Linke: nein. auch noch kaltstellen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es war auch keine Zeit, die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes zu prüfen. Die ersten Verfassungsklagen Vertrag von Nizza: CDU/CSU, SPD, FDP: ja, Linke: sind angekündigt. nein. Es war auch keine Zeit, die Folgen oder die langfristi- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gen Auswirkungen des heute vorliegenden Gesetzent- Verfassungsvertrag – da hatten Sie keinen Fraktionssta- wurfes zu prüfen, unter anderem zu prüfen, welche Be- tus, es waren nur zwei MdBs vertreten –: Stimmverhal- lastungen künftig auf die Bürgerinnen und Bürger ten: nein. Vertrag von Lissabon: ebenfalls nein. zukommen. Es wird noch schlimmer! Schauen Sie sich den Gesetzentwurf einmal an! Darin steht nämlich: (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die mittelbaren finanziellen Auswirkungen sind Heute reden wir über ein weiteres europäisches Vorha- nicht bezifferbar. ben ersten Ranges, und Sie sagen wieder Nein. Das hätten wir als Linke mal in einem Antrag formulie- Sehr geehrter Herr Gysi, sehr geehrte Frau ren sollen! Das hätten Sie uns um die Ohren gehauen! Enkelmann, wir haben eine Partei vor uns, die zutiefst Die Regierung darf das ungestraft tun. antieuropäisch empfindet und sich destruktiv verhält. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nein, meine Damen und Herren, ein so unsolides, un- Solange Sie diese Haltung nicht ändern, werden wir Sie seriöses Gesetzgebungsverfahren ist mit der Linken im parlamentarischen Verfahren nicht als Partner akzep- (B) nicht zu machen. Da wächst kein Vertrauen in die Stabi- tieren. (D) lisierung des Euro, und da wächst auch kein Vertrauen in diese Regierung. Das haben Sie längst verspielt. Ich (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der finde, Sie können einpacken. FDP) (Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident, meine Damen und Herren, soweit ich weiß, wird sich Bündnis 90/Die Grünen heute Morgen dem Antrag der Linkspartei anschließen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Peter (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Altmaier das Wort. NEN]: Weil wir der Kanzlerin geglaubt ha- ben!) Peter Altmaier (CDU/CSU): Ich will hier in aller Deutlichkeit sagen, Herr Trittin: Im Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Gegensatz zur Linkspartei ist die europäische Überzeu- Herren! Wir beraten und entscheiden heute über eines gung von Bündnis 90/Die Grünen über jeden Zweifel er- der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben der letzten haben. Jahre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN]: Was?) NEN) Gerade weil dies so ist, sollten wir im Interesse der Legi- Das haben Sie in den letzten Jahren in diesem Parlament timation und der Legitimität dieses Parlaments gemein- wiederholt bewiesen, zuletzt bei der Verabschiedung des sam das zum Ausdruck bringen, was über jeden Zweifel Griechenland-Paketes. Das ist auch ein Beweis für de- erhaben ist: dass das Gesetzgebungsverfahren zwar zü- mokratische Reife. gig, aber in Punkt und Komma in Übereinstimmung mit (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den gesetzlichen Vorschriften und den Vorgaben der Ge- schäftsordnung durchgeführt worden ist. Nur, Herr Trittin, ich habe nicht verstanden, wie Sie bei der Frage des Griechenland-Paketes ein mutiges Si- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gnal Ihrer europäischen und demokratischen Reife geben Wir haben es mit einem ganz normalen, regulären Ge- konnten und jetzt, 14 Tage später, so tun können, als hät- setzgebungsvorhaben zu tun, wie es in der Geschichte ten Sie mit all dem nichts zu schaffen, und dies unter Be- dieses Parlaments schon häufig vorgekommen ist. rufung auf zugegebenermaßen wichtige, aber technische Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4409

Peter Altmaier (A) Fragen im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungs- Wir – CDU/CSU und FDP gemeinsam – sind Ihnen in (C) vorhaben. dieser Frage mit einer klaren Aussage entgegengekom- men. Die Märkte haben das realisiert. In ganz Europa (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird die Bundesrepublik Deutschland als Vorkämpferin NEN]: Technisch?) für eine bessere Regulierung und eine vernünftige Ein- Wir haben im Haushaltsausschuss mit Ihrer Unterstüt- dämmung der Spekulationen angesehen. zung die Beteiligungsrechte des Parlamentes verschärft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Die Bundesregierung ist ihrer Verpflichtung nachgekom- chen bei der SPD, der LINKEN und dem men. Wir haben Ihnen die Eckpunkte der Zweckgesell- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaft vorgelegt. Wir haben darauf hingewiesen, dass es in der Sache keine Änderungen und keine Regelungen Nur Sie wollen das nicht wahrhaben, weil Sie glauben, geben wird, die dem Parlament nicht vorher mitgeteilt dass Sie damit die eine oder andere Stimme gewinnen werden. können. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist nicht entscheidend! – Volker Beck [Köln] ist Pfingsten, nicht Karneval!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parla- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ent- ment ist mehr als ein Haushaltsausschuss!) scheiden heute über sehr viel Geld. Es ist eines der wich- Ich kann Ihnen sagen, was seit der Entscheidung zu tigsten Gesetzgebungsvorhaben, nicht nur, weil es um Griechenland geschehen ist: Die SPD hat sich damals in Geld geht, sondern weil es im Kern um die Frage geht, die Büsche geschlagen, und nun hoppeln Sie in die ob wir es schaffen, unser Modell der sozialen Marktwirt- Büsche hinterher. Nur – das sieht man in Nordrhein- schaft in einer globalen Welt zu verteidigen. Dazu sind Westfalen – ist die SPD schon längst einen Busch weiter. wir bereit, und dafür möchte ich Sie noch einmal um Ihre Unterstützung bitten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. NEN]: Darüber müssen Sie ja selber lachen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb sage ich Ihnen: Sie sollten sich an Ihrem Alt- meister Joschka Fischer orientieren. Ich bin davon über- Präsident Dr. Norbert Lammert: zeugt, dass Joschka Fischer, wenn er in dieser Situation Der Kollege Thomas Oppermann erhält nun für die Vorsitzender der Grünenfraktion wäre, sagen würde: Wir SPD-Fraktion das Wort. (B) können doch in einer politischen Gestaltungsfrage ersten (D) Ranges nicht über eine haushaltsrechtliche Einzelfrage (Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND- den Kurs der Grünen bestimmen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die SPD aus dem Busch, um Herrn Altmaier zu zitie- (Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- ren!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn er heute Morgen vor dem Fernsehschirm sitzt, Thomas Oppermann (SPD): wird er Ihnen – wahrscheinlich nicht der Fraktion, aber Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber den beiden Fraktionsvorsitzenden – vermutlich seinen Herr Altmaier, natürlich ist das Verfahren nicht irregulär. Lieblingsspruch zurufen: Avanti Dilettanti! Sie halten die Fristen ein, und Sie haben das Recht, die- sen Punkt heute auf die Tagesordnung zu setzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. [CDU/CSU]: Sie Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Herr enthalten sich!) Steinmeier ist nicht da, Herr Gabriel ist nicht da. Wir werden dem nicht widersprechen. Wenn die Regie- (Thomas Oppermann [SPD]: Der ist da! Er ist rungsmehrheit heute über diese Frage entscheiden will, hinten!) dann sollen Sie darüber nach unserer Überzeugung auch entscheiden dürfen. – Wunderbar. – Ich will am Ende noch einmal einen Ap- pell an die sozialdemokratische Partei in diesem Hause (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist der richten. Wir haben seit den 50er-Jahren alle grundlegen- Vorsprung der Kanzlerin!) den Fragen der europäischen Integration bei vielerlei Aber das ist noch lange kein angemessener Umgang mit Unterschieden im Detail gemeinsam diskutiert und ge- diesem Parlament. meinsam entschieden. Sie haben sich bei der Griechen- land-Frage für Enthaltung entschieden. Sie haben ge- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sagt: Wir wollen ein klares Signal, dass die Märkte und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Banken an den Kosten der Krise beteiligt werden. Das war auch unser Anliegen. Wir sollen heute über Bürgschaften in Höhe von 148 Milliarden Euro entscheiden, aber wir kennen noch (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des nicht die vertraglichen Grundlagen, nach denen diese BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kredite bzw. Bürgschaften vergeben werden. Ich finde, 4410 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Thomas Oppermann (A) das ist für jeden Abgeordneten in diesem Haus eine Zu- scheidung war das sogenannte Wachstumsbeschleuni- (C) mutung. gungsgesetz, mit dem 1 Milliarde Euro für die Hotelket- ten bewilligt wurde; das war die Mövenpick-Milliarde. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- Wir sollen schnell entscheiden. Ich frage Sie, Frau Bun- spruch bei der FDP) deskanzlerin: Warum haben Sie denn nicht gemeinsam Die zweite gravierende Entscheidung war der Haus- mit den Regierungen in Europa schneller gearbeitet? halt 2010. Wir haben einen Haushalt mit einer Nettokre- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ditaufnahme in Höhe von 80 Milliarden Euro verabschie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke det, der höchsten Nettokreditaufnahme in der Geschichte [FDP]: Das geht nicht noch schneller! – Zu- der Bundesrepublik. rufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) ( [CDU/CSU]: Steinbrück Ist es denn unzumutbar, dass die Regierungen zwei Wo- wollte 86 Milliarden! – Otto Fricke [FDP]: Ihr chen lang Zeit haben, eine vertragliche Regelung herbei- wolltet doch fast 90 Milliarden! – Dr. Hans- zuführen, damit die Parlamente entscheiden können? Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Das ist im- Das ist doch das Selbstverständlichste von der Welt. mer noch weniger, als in Ihrem Etatentwurf geplant war!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Ganz ruhig. Nur weil Sie eine Tu-nichts-Regierung Es fällt auf, dass ohnehin mit sehr unterschiedlichen sind, sind wir noch lange kein Abnickparlament. Geschwindigkeiten gearbeitet wird, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Iris Gleicke [SPD]: So ist es!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der je nachdem, welcher Gegenstand betroffen ist. Heute sol- LINKEN) len wir innerhalb einer Woche entscheiden. Aber in Ihrer Bei der dritten gravierenden Entscheidung ging es um Vorhabenplanung, Frau Bundeskanzlerin, steht: Umset- die 22 Milliarden Euro, die wir vorvergangene Woche zung der Bankenrichtlinie: geplant für September 2010; für Griechenland bewilligt haben. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auch da habt NEN]: Aha! 2010, nicht 2011! – Zurufe von ihr euch enthalten!) der SPD: Oh!) Gesetz zur Verstärkung des Anlegerschutzes: geplant für Heute geht es um 148 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen: (B) (D) Februar 2011; Über insgesamt mehr als 250 Milliarden Euro haben Sie in den ersten sechs Monaten dieser Wahlperiode zusätz- (Zurufe von der SPD: Oh!) lich entschieden. Bankenabgabe: Verabschiedung geplant für Februar 2011. (Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Wollen Sie (Joachim Poß [SPD]: Vorkämpfer!) etwa die Kurzarbeit abschaffen?) Es fällt, wie gesagt, auf, dass mit verschiedenen Ge- Das ist eine Viertelbillion Euro, Frau Bundeskanzlerin. schwindigkeiten gearbeitet wird, je nachdem, ob es da- Damit sind Sie schon heute die Schuldenregierung, die rum geht, Banken zu retten oder nervöse Finanzmärkte Regierung, die in der Geschichte der Bundesrepublik zu beruhigen, oder ob es darum geht, die Bürgerinnen Deutschland die meisten Schulden gemacht hat. und Bürger durch Finanzmarktregulierungen vor diesen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Finanzmärkten zu schützen. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist eine Frechheit!) Ich sage Ihnen, Frau Bundeskanzlerin: Wir werden es Ich bitte Sie: Machen Sie jetzt endlich Ihre Hausauf- nicht hinnehmen, dass Sie aus dem Deutschen Bundes- gaben, damit Sie nicht schon bald das nächste Rettungs- tag ein Parlament der zwei Geschwindigkeiten machen. paket schnüren müssen. Sie haben Ihr Konto maßlos überzogen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN) der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist typisch SPD! Ihr findet einfach keine Glauben Sie nicht, dass den Bürgerinnen und Bürgern Haltung!) nicht auffällt, dass das eine ganz schnell geht und das an- dere unendlich lange dauert?! Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist in der Tat so: Wir haben heute eine der schwie- Das Wort erhält nun der Kollege Jörg van Essen für rigsten Entscheidungen zu treffen, die der Deutsche die FDP-Fraktion. Bundestag jemals treffen musste. Dies ist die vierte gra- vierende Entscheidung in dieser Wahlperiode. Ich muss (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ihnen das einmal in Erinnerung rufen: Die erste Ent- der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4411

(A) Jörg van Essen (FDP): (Jörg van Essen [FDP]: Ihr habt doch den (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Antrag selbst eingebracht!) haben heute eine schwere Entscheidung zu treffen. Wir Es gibt bereits einen Abgeordneten von der Union, der alle sind in der Verpflichtung, auch in der Diskussion angekündigt hat, gegen das Gesetz zu klagen. Was be- dieser besonderen Situation gerecht zu werden. wirkt es für die Stabilisierung der Finanzmärkte, wenn (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Abgeordnete am Ende zu Recht die Verletzung sei- der CDU/CSU) ner Organrechte vom Bundesverfassungsgericht bestä- tigt bekommt und Ihnen das Ganze um die Ohren fliegt? Ich werbe nachdrücklich dafür, dass wir das auch nach Dann haben Sie mit Zitronen gehandelt und ein Desaster außen hin deutlich machen. für die Europäische Union angerichtet. Es ist doch schon erstaunlich: Über Wochen wirft die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Opposition der Regierung vor, dass sie nicht schnell ge- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten nug entscheidet, dass sie bestimmte Entscheidungen der SPD) nicht schnell genug herbeigeführt hat. Jetzt geht auf ein- mal alles viel zu schnell. Das Gesetzgebungsverfahren hat schon auf der Ebene der Europäischen Union mit einem ersten Verfassungs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bruch begonnen: Am 7. Mai wurden Sie darüber unter- Gerade in schwierigen Zeiten ist es gut, wenn man dem richtet, dass man dringend einen solchen Mechanismus Rat folgt, den jemand gibt, der insgesamt großes Ansehen schaffen muss. Frau Bundeskanzlerin, haben Sie den genießt, und zwar berechtigt. In dieser Woche – ein Kol- Deutschen Bundestag unverzüglich darüber unterrichtet? lege hat es mitgeschrieben – ist in der Anhörung des Nein. Am 9. Mai waren nämlich Wahlen in Nordrhein- Haushaltsausschusses vorgetragen worden: „Es ist unab- Westfalen. Sie haben abgewartet; Sie haben dieser Ver- dingbar, am Freitag“ – am heutigen Tage also – „das Ge- ordnung zugestimmt, ohne dem Bundestag das Recht zur setzgebungsverfahren abzuschließen. Es ist unabdingbar. Stellungnahme zu geben. Man muss daher ohne Wenn und Aber in dieser Woche zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ende kommen, um weitere Skepsis und weitere Verunsi- bei der SPD und der LINKEN) cherungen zu vermeiden.“ – Das war die Empfehlung des Präsidenten der Bundesbank. Damit haben Sie die Rechte dieses Parlamentes verletzt. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Heute wollen Sie eine Blankovollmacht für die weite- NEN]: Können Sie das auf Französisch sagen, ren Verhandlungen. Warum sollte die Opposition Ihnen Herr van Essen?) eine Blankovollmacht ausstellen? Sie sind uns am Anfang (B) (D) Wir sollten genau dieser Empfehlung folgen. der Woche entgegengekommen und haben gesagt, dass am Freitag die Grundlagen vorliegen; sie liegen nicht vor. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie haben versucht, uns mit der Zusage zu locken, eine Fi- der CDU/CSU) nanzmarktsteuer einzuführen. Hinterher haben Sie uns dann gesagt: Das könnte die Finanzaktivitätsteuer, die Fi- Damit werden wir der Verpflichtung unseres Parlaments nanztransaktionsteuer oder eine Kombination aus beidem gerecht. sein. Sie sind nicht entscheidungsfähig. Sie sind die Vielen Dank. Bremse in Europa, wenn notwendige Maßnahmen recht- zeitig verabschiedet werden müssen. Das war bei der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Griechenland-Hilfe so, das ist bei der Finanzmarktsteue- rung so. Warum sollten wir Ihnen hier einen Blanko- Präsident Dr. Norbert Lammert: scheck ausstellen? Der Kollege Volker Beck hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, zahlreiche Fragen, die sich Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere im Zusammenhang mit dem geplanten Mechanismus Fraktion widerspricht der Aufsetzung des Gesetzentwur- stellen, sind in dieser Woche nicht geklärt worden. Die fes auf die Tagesordnung am heutigen Freitag, und zwar Kommission handelt hier – auf Wunsch der Bundesre- nicht, weil wir gegen den geplanten Stabilisierungsme- gierung – außerhalb des EU-Vertrages und offenbar im chanismus wären, sondern weil wir ihn sorgfältig bera- Sinne der Unterstützung der Nationalstaaten. Wer kon- ten und in Kenntnis aller Unterlagen und Grundlagen be- trolliert die Europäische Kommission bei dieser Tätig- schließen wollen. Diese Grundlagen liegen nicht vor. keit? Wenn wir Ihnen heute hinsichtlich dieser Fragen Was uns vorliegt, ist ein kleiner Zettel mit ein paar Krite- einen Blankoscheck ausstellen, haben wir unsere Rechte rien für den Vertrag über die Zweckgesellschaft. abgegeben; das Europäische Parlament ist nicht zustän- dig. Herr van Essen, Sie verlangen heute von uns – und das ohne Not –, dass wir unsere Rechte auf Mitwirkung Zu der zwischenstaatlichen Vereinbarung zur Errich- in der Europäischen Union und unser Budgetrecht aufge- tung einer Zweckgesellschaft – wir kennen sie nicht, und ben und an die Regierung delegieren. Das ist hochge- auf dem Zettel steht dazu nichts – stellen sich einige Fra- fährlich. gen: Soll dies eine zivilrechtliche Vereinbarung nach lu- 4412 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Volker Beck (Köln) (A) xemburgischem Recht sein, bei der die Bundesregierung Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) den Bundestag nicht konsultieren muss? Oder ist nicht Wir kommen nun zur Abstimmung über den Aufset- doch eine völkerrechtliche Vereinbarung nötig und vor- zungsantrag. Wer für den Aufsetzungsantrag der Fraktio- gesehen? Dann muss sie hier im Deutschen Bundestag nen der CDU/CSU und der FDP stimmt, den bitte ich um beraten werden. All diese Fragen haben Sie nicht ge- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält klärt, und Sie wollen die Klärung an die Bundesregie- sich? – Damit ist der Aufsetzungsantrag mit der Mehr- rung delegieren. Das ist fahrlässig und entspricht nicht heit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von der Seriosität dieses Parlamentes. Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Wir schlagen vor, den Gesetzentwurf heute von der (Nicolette Kressl [SPD]: Für Überheblichkeit Tagesordnung abzusetzen und den Bundestagspräsiden- ist eigentlich kein Platz mehr!) ten zu bitten, dann, wenn die Grundlagen hierfür vorlie- gen, unverzüglich den Deutschen Bundestag, auch in der Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 13 Pfingstpause, einzuberufen, damit wir die notwendigen sowie die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 c auf: Entscheidungen treffen. Andere Länder wie Frankreich ZP 13 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- haben in dieser Woche auch nicht entschieden. Sie wis- nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten sen doch: Der Mechanismus greift erst, wenn alle ent- Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme von schieden haben, die Vereinbarungen stehen und die Sat- Gewährleistungen im Rahmen eines europäi- zung für die Zweckgesellschaft vorliegt. Vorher kann schen Stabilisierungsmechanismus nichts greifen. – Drucksache 17/1685 - (Jörg van Essen [FDP]: Ganz ruhig!) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- ausschusses (8. Ausschuss) Bis dahin ist bereits eine Regelung in Kraft: 60 Mil- liarden Euro der Europäischen Union stehen für notwen- – Drucksache 17/1740, 17/1741 – dige Maßnahmen unmittelbar zur Verfügung. Deshalb Berichterstattung: droht, wenn wir die heutige Entscheidung vertagen, Abgeordnete Norbert Barthle keine Unsicherheit für die Finanzmärkte, es droht insbe- (Erfurt) sondere keine verfassungsrechtliche Krise bei der Verab- Otto Fricke schiedung dieses Paketes, und wir, der Deutsche Bun- destag, können diese Frage seriös in Verantwortung gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern sowie den 27 a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, (B) Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern beraten und ent- (D) SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN scheiden und die Verantwortung für diese schwierige Entscheidung dann gemeinsam tragen. Stabilisierung des Finanzsektors – Eigenkapi- talvorschriften für Banken angemessen über- Sie wollen die Opposition daran hindern, hier mitzu- arbeiten machen. Aber darum geht es Ihnen gar nicht; das haben – Drucksache 17/1756 – wir am Mittwoch erlebt. Die FDP-Fraktion sagt uns ja: Es ist uns egal, ob die Opposition dafürstimmt oder da- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) gegenstimmt, Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (Nicolette Kressl [SPD]: Ja!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hauptsache, wir bekommen das durch. – Dies liegt nur b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- an einem: Sie glauben, dass Sie Ihre Mehrheiten in der gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- nächsten oder übernächsten Woche womöglich gar nicht zung der geänderten Bankenrichtlinie und der mehr zusammenbekommen; denn das Misstrauen Ihrer geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie Fraktionen gegenüber der eigenen Regierung in diesen – Drucksachen 17/1720, 17/1803 – Fragen ist ja sinnfällig; das hören wir aus Ihren Frak- Überweisungsvorschlag: tionssitzungen. Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Verbraucherschutz KEN) c) Unterrichtung durch die Bundesregierung Deshalb, aus Angst davor, dass Ihnen der Laden ausein- Bericht über die Umsetzung der neu gefassten anderläuft, drücken Sie das Ganze hier mit aller Gewalt Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapi- und gegen die Rechte des Deutschen Bundestages durch. taladäquanzrichtlinie – Drucksache 16/13741 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Michael Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Meister [CDU/CSU]: In der Schule würde Rechtsausschuss man sagen: Setzen, sechs!) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4413

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU Zweitens. Wir brauchen eine Stärkung der Leistungs- (C) und der FDP liegen zwei Entschließungsanträge der fähigkeit der Volkswirtschaften in der Euro-Gruppe. SPD-Fraktion sowie je ein Entschließungsantrag der An dieser Stelle müssen wir eine Debatte nach dem Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Motto „Alle müssen stärker werden“ führen. Wir dürfen Grünen vor. keine Debatte nach dem Motto „Wie kann der Stärkere schwach werden?“ führen. Wir müssen gemeinsam un- Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir sere wirtschaftliche Leistungskraft steigern. In diesem am Schluss dieser Debatte insgesamt vier namentliche Sinne müssen wir die Debatte bestreiten. Abstimmungen durchführen werden, zunächst über den Gesetzentwurf, dann über die beiden Entschließungsan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) träge der SPD-Fraktion und schließlich über den Ent- Das ist nicht ganz einfach, weil nicht alle dieselbe Philo- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. sophie haben. Deshalb sagen wir Ja zu mehr Koordina- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für tion in der Wirtschaftspolitik, aber in richtig verstandenem die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre Sinne. Wir müssen auch in Zukunft wettbewerbsfähig dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. sein, nicht nur in, sondern auch über Europa hinaus, also gegenüber China, Indien und den USA. Deshalb müssen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst wir gemeinsam unsere wirtschaftliche Leistungskraft der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU- stärken. Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) neten der FDP) Drittens. Wir haben es gesehen: Wenn jemand Dr. Michael Meister (CDU/CSU): schwach ist, wird das von den Kapitalmärkten entdeckt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als Sie versuchen, Schwächen auszunutzen. Mit Blick auf christlich-liberale Koalition wollen ein lebendiges und die Finanzkrise, die wir erlebt haben, und mit Blick auf funktionierendes Europa, und wir stehen für einen stabi- die Schuldenkrise, die wir gegenwärtig erleben, müssen len Euro. Diese Verantwortung werden wir heute früh im wir deshalb für eine bessere Regulierung der Kapital- Deutschen Bundestag wahrnehmen. Ich würde mich märkte sorgen. freuen, wenn auch die Kollegen der Opposition bereit Für diese drei Aufgaben brauchen wir zeitnahe Lö- wären, Verantwortung für Deutschland und unsere ge- sungen. Heute wird es keine Lösungen geben, aber wir meinsame Währung zu übernehmen, und nicht davon- müssen darum ringen, dass sie möglichst schnell kom- (B) laufen würden. men. Damit wir die Zeit haben, Lösungen auf den drei (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Problemfeldern zu erreichen, brauchen wir das Nothilfe- neten der FDP) paket, das heute auf dem Tisch liegt. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, dieses Paket zu unterstützen, damit wir Herr Oppermann, Sie sollten sich die Frage stellen, die Zeit haben, die richtigen Weichenstellungen in Eu- wie Ihre Absicht, sich zu enthalten, von Ihren Kollegen ropa treffen zu können. im Europäischen Parlament und von den Regierungen, die von mit Ihnen befreundeten Parteien in anderen euro- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- päischen Ländern gestellt werden, wahrgenommen wird. neten der FDP) Ich glaube, Sie geben ein Bild ab, das als schwer erträg- Die Schuldenkrise in Europa hat aus meiner Sicht lich empfunden wird. zwei Ursachen. Eine Ursache ist die Finanz- und Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schaftskrise, in der die Staaten zum einen durch die Ret- neten der FDP) tung der Finanzinstitute und zum anderen durch die Sta- bilisierung der Konjunktur mittels staatlich finanzierter Wenn wir einen stabilen Euro haben wollen, dann Programme versucht haben, diese Krise abzumildern. müssen wir aus meiner Sicht drei Maßnahmen ergreifen: Die zweite Ursache liegt allerdings in der Struktur. Über viele Jahre hinweg wurde in fast allen europäischen Erstens. Wir müssen den Euro wetterfest machen. Wir Staaten mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Des- haben festgestellt, dass die Regelungen, die der Vertrag halb müssen wir eine Veränderung des Verhaltens her- von Maastricht enthält, zwar auf dem Papier stehen, beiführen. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht auf an- aber bedauerlicherweise nicht eingehalten werden. Des- dere schauen, sondern wir sollten bei uns beginnen. Wir halb brauchen wir eine Stärkung des Maastrichter Ver- sollten ein Vorbild sein, eine positive Rolle spielen und trages. Dazu hat gestern Bundesfinanzminister Wolfgang versuchen, unser Budgetdefizit strukturell auszuglei- Schäuble seinen Kollegen in der Euro-Gruppe Vor- chen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. schläge gemacht. Heute Nachmittag wird damit begon- nen, über Änderungen am Vertrag zu sprechen. Wir als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Fraktion wünschen ausdrücklich, dass diese Dinge ener- neten der FDP) gisch und zeitnah vorangetrieben werden, damit wir in Ich bin sehr einverstanden mit unserer Position, die Zukunft ein festeres Fundament für den Euro gewähr- die Frau Bundeskanzlerin vor zwei Tagen hier vorgetra- leisten können. gen hat. Wir sprechen heute über die Frage: Sind wir mit (Beifall bei der CDU/CSU) anderen Ländern in der EU solidarisch, die möglicher- 4414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Michael Meister (A) weise noch nicht vollständig das realisiert haben, was wendung kommt, den genauen Text. Es ist eine Ausrede, (C) wir ab 2005 getan haben? Wir haben in Deutschland ab wenn einige von Ihnen, meine Damen und Herren, sich 2005 unseren Haushalt konsolidiert und dadurch dafür auf diesen Punkt stützend versuchen, Ihre Nichtzustim- gesorgt, dass wir heute in der Lage sind, Antworten auf mung oder Enthaltung zu rechtfertigen. Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise geben zu kön- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen. Wenn wir diese Konsolidierungsleistung nicht er- bracht hätten, könnten wir diese Antwort heute nicht ge- Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Dabei ben. geht es um die Frage, inwieweit das Ausräumen von Vorbehalten des Haushaltsausschusses des Deutschen Andere Länder haben diese Anstrengungen nicht Bundestages zur Bedingung dafür gemacht wird, dass ganz in dem Umfang wie wir unternommen. Deshalb Zahlungen geleistet werden. Bei dieser Fragestellung muss man jetzt an dieser Stelle sagen: Solidarität mit an- geht es zunächst einmal darum, ob denn nun das Paket, deren, ja, aber notwendigerweise verbunden mit der For- das wir heute beschließen, für diejenigen, für die es ge- derung nach Solidität, damit das Ganze nicht zu einer dacht ist, glaubwürdig ist; das heißt, die Kapitalmärkte bedingungslosen Hilfsaktion wird, die dann letzten En- müssen überzeugt werden, nicht weiter gegen den Euro des dazu führt, dass wir alle nicht mehr leistungsfähig zu spekulieren. Deshalb sollten wir aufhören, zu viele sind. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die jetzt Konditionalitäten zu setzen. Sonst legen wir schon in geleistete Solidarität dazu führt, dass alle miteinander dem Gesetz dessen eigenes Scheitern an. die Chance haben, leistungsfähiger zu werden. Zum Zweiten ist es natürlich berechtigt – ich bin (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- überzeugter Parlamentarier –, zu sagen: Wir können über neten der FDP) solche Summen nicht entscheiden, wenn sie in Form von Nun haben einige Kollegen kritisiert, dass eine we- Blankoschecks ausgereicht werden sollen. Ich glaube sentliche Vereinbarung bezüglich dessen, worüber wir jedoch, es ist den Haushältern bei ihren Beratungen in heute entscheiden, nicht vorliegt. Ich will zum einen sehr kluger Weise gelungen, eine gute Formulierung zu festhalten, dass es eine hervorragende Leistung von finden: Man hat sich dabei nämlich an den Mitwir- Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble und der Bun- kungsrechten des Deutschen Bundestages bei europa- deskanzlerin war, klare Eckpunkte dazu aufzustellen, politischen Fragen orientiert und eine Formulierung ge- wie diese Zweckgesellschaft ausgestaltet werden soll. funden, die auch im Zusammenhang mit dem Lissabon- Vertrag und seiner Umsetzung hier gewählt worden ist. (Nicolette Kressl [SPD]: Seit heute!) Das ist aus meiner Sicht eine optimale Konstellation; Es ist wichtig, dass der deutsche Wunsch nach Stabilität denn jetzt werden die Mitwirkungsrechte des Parlaments (B) in diesen Eckpunkten deutlich zum Ausdruck gebracht gegen die eigentliche Zielsetzung dieses Gesetzes gewo- (D) wird. So gibt es keine gesamtschuldnerische Haftung. gen, nämlich eine glaubwürdige Antwort zu geben und Die Nothilfen werden zeitlich befristet und eben nicht damit Spekulation zu beenden. als ein dauerhaftes Instrument eingerichtet. Die Auszah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lung der Tranchen muss jeweils einstimmig erfolgen. neten der FDP) Schließlich wird sie an Konsolidierungsauflagen für die betroffenen Länder gebunden. Ein entscheidender Punkt Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen: Es wird jetzt aus meiner Sicht ist auch, dass wir den Internationalen die Mär erzeugt, als müssten wir in Deutschland ob der Währungsfonds für die operationelle Umsetzung mit Griechenland-Hilfe und ob des Gesetzes, das wir heute eingebunden haben. beschließen wollen, nun anfangen, zu sparen. Nein, wir geben hier zunächst einmal Garantien. Diese sind nicht Zum anderen sind die Auflagen in dem Gesetzent- der Grund, warum wir sparen müssen. Umgekehrt wird wurf, den wir heute debattieren, strenger als in dem Ge- ein Schuh daraus: Wir müssen sparen, damit wir nicht ir- setz, das wir vor 14 Tagen mit Blick auf Griechenland gendwann selbst in die Lage kommen, von anderen Soli- beschlossen haben. darität und Nothilfe einfordern zu müssen, damit wir (Zurufe von der LINKEN) selbst als Staat handlungsfähig bleiben und damit künfti- gen Generationen noch ein finanzieller Handlungsspiel- Im vorliegenden Gesetzentwurf steht drin, dass eine un- raum verbleibt. Deshalb müssen wir in Deutschland spa- verschuldete Notlage eingetreten sein muss. Bei Grie- ren und nicht, weil wir hier Rettungspakete beschließen. chenland stellte sich die Lage ja anders dar. Hier haben Es geht hier um unser Eigeninteresse und um ein eigenes wir also eine strengere Formulierung als bei dem, was Ziel. So sollten wir das auch begründen. vor zwei Wochen in diesem Hohen Hause beraten wor- den ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das sind die Eckpunkte. Jetzt kann man natürlich for- Einige haben es noch nicht begriffen!) dern: Wir wollen den genauen Text sehen. – Zu dieser Forderung will ich klar und deutlich sagen: In dem Ge- Meine Damen und Herren, ich habe darauf hingewie- setzentwurf, den wir heute beraten, steht drin, dass es sen, dass das vorliegende Gesetzespaket auch das Thema nicht zu einer Auszahlung kommen wird und keine Ga- Finanzmarktreform beinhaltet. Es ist richtig – wir rantien gegeben werden, bevor nicht der Vertragstext müssen diesen Punkt ernst nehmen –, dass wir bezüglich dem Deutschen Bundestag bekannt ist. Das ist doch eine des Themas Finanzmarktreform technisch und adminis- klare Zusage. Wir kennen also, bevor das Gesetz zur An- trativ keine einfachen Antworten finden werden. Denn Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4415

Dr. Michael Meister (A) es ist ein hochkomplexes Thema, und es ist ungeheuer (Beifall bei der SPD) (C) schwer, es so zu kommunizieren, dass das, was richtig und notwendig ist, von den Menschen draußen verstan- Nicolette Kressl (SPD): den wird. Aber wir sollten uns dieser Aufgabe stellen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und versuchen, klarzumachen, was wir tun. Kollegen! Ausdrücklich begrüße ich auch den Minister- In diesen Tagen ist doch auf der Finanzmarktkonfe- präsidenten von Rheinland-Pfalz. Wir finden es gut, dass renz, die Mitte dieser Woche im Bundesfinanzministe- er dieses Thema für so wichtig hält, hier anwesend zu rium in Vorbereitung auf den G-20-Gipfel im Juni statt- sein. fand, deutlich geworden, dass die Bundesregierung an dieser Stelle das Thema inhaltlich nach vorne treiben (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ will. Durch die Verabschiedung der AIFM-Richtlinie, CSU) nach der jetzt auch Hedgefonds in Europa beaufsichtigt Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist notwendig, werden, ist deutlich geworden, dass Deutschland die eine Brandmauer gegen einen bewusst gewollten oder in Entwicklung vorantreibt. Kauf genommenen Zusammenbruch der Euro-Zone auf- Wir sollten allerdings beachten, dass nicht alle die- zustellen. Und es ist richtig, diese oder ähnliche Instru- selbe Sichtweise auf diese Themen haben. Hier erinnere mente dafür zu beschließen. Es ist richtig, durch die Be- ich zum Beispiel an die Stellungnahme des kanadischen reitstellung von Krediten allen, die gegen Europa Vertreters auf der Konferenz im Bundesfinanzministe- spekulieren, deutlich zu machen: Wir werden uns ent- rium, die gezeigt hat, dass Kanada eine ganz andere schieden wehren. Aber: Allein dieses dürre Skelett einer Sichtweise hat. Es löst doch nicht unsere Probleme, Kreditermächtigung, allein dieses technokratische In- wenn wir als Besserwisser auftreten, sondern wir müs- strument ist eben nicht im Geringsten ausreichend, um sen versuchen, mit Argumenten zu überzeugen und klar- das Vertrauen der Menschen in Europa zu sichern. Auch zumachen, dass wir in Europa und weltweit eine bessere darum muss es heute gehen. Regulierung brauchen. Dafür müssen wir entsprechend (Beifall bei der SPD) streiten. Sie sind in der Verantwortung, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Kollegen von den Regierungsfraktionen und in der Re- Jörg van Essen [FDP]) gierung, den Menschen ein Gesamtkonzept vorzulegen, Wenn unsere Freunde von der Sozialdemokratie im- in dem klare Führung deutlich wird. Es braucht Initiati- mer darauf hinweisen, ven, die sicherstellen, dass die Menschen und nicht die Märkte in Europa Vorrang haben. (B) (Zurufe von der SPD: Oh! – Joachim Poß (D) [SPD]: Das ist gefährlich!) (Beifall bei der SPD) wie wichtig es ist, zu entsprechenden Steuern und besse- Dass Sie dies immer wieder betonen, hilft uns allen ren Regulierungen zu kommen, dann mache ich darauf nicht, weil Sie es nicht mit entsprechenden Taten unter- aufmerksam, dass es die Labour-Regierung in Großbri- legen. Als die Kanzlerin in der letzten Debatte zu diesem tannien und auch die sozialistische Regierung in Spanien Thema am Mittwoch gesagt hat, wir müssten den Worten waren, die am stärksten die Umsetzung dieser Maßnah- endlich auch Taten folgen lassen, mussten Sie, die bei- men behindert haben. Sprechen Sie also nicht mit uns! den Regierungsfraktionen, zum Applaus aufgefordert Wir sind doch nicht das Hindernis! Wir wollen die Dinge werden. Das ist typisch für die Debatte, wie sie im Mo- beschleunigen. Sprechen Sie mit Ihren eigenen Partei- ment läuft. freunden in der Sozialistischen Internationale, damit die Regulierung der Finanzmärkte endlich vorangeht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa braucht Sören Bartol [SPD]: Abenteuerlich!) doch beides: Europa braucht ein aktuelles Krisenpaket, aber eben auch eine gradlinige, klar erkennbare Ent- Liebe Freunde, zum Abschluss rufe ich Sie dazu auf: schlossenheit, alles dafür zu tun, dass die Länder der Bedenken Sie Ihre Verantwortung für den Euro und für Euro-Zone nicht Gefahr laufen, von einer Krise in die die Menschen in Deutschland. Stimmen Sie deshalb die- andere zu schlingern. Das ist die Sorge, die wir hören, sem Nothilfepaket zu, damit die Möglichkeit besteht, wenn wir mit den Menschen reden. Bei diesem zweiten strukturelle Maßnahmen, Stärkung des Euro-Vertrages, Teil des Konzepts für den von Ihnen so oft zitierten Vor- bessere Finanzmarktregulierung und Maßnahmen für rang der Politik vor den Märkten versagen Sie völlig. eine bessere Wirtschaftskraft in der Euro-Zone durchzu- Heute liegt kein Gesamtkonzept vor. setzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will Ihnen einmal deutlich machen, warum Sie die Grundlagen für Vertrauen in Ihre Politik in den letzten Präsident Dr. Norbert Lammert: Tagen und Wochen fahrlässig verspielt haben. Fataler- Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette weise haben Sie das Vertrauen gleichzeitig bei den euro- Kressl für die SPD-Fraktion. päischen Partnern, bei den Bürgerinnen und Bürgern und 4416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Nicolette Kressl (A) hier im Parlament verspielt. In wenigen Tagen haben Sie nicht gemeinsam schriftlich zu fixieren? Haben Sie (C) in dem Bereich alles kaputt gemacht. eventuell vor, sich in zwei oder drei Tagen von diesem Bekenntnis wieder zu verabschieden? Wir haben ja be- (Beifall bei der SPD) reits genügend Kehrtwenden erlebt. Die Regierung, vor allem die Bundeskanzlerin, hat es nicht vermocht, von Anfang an mit ruhiger, klarer Ent- (Beifall bei der SPD) schiedenheit zu sagen: Ja, wir wollen diesen Nothilfe- Zur Verlässlichkeit gehört auch, nicht verbale Nebel- plan, aber wir setzen uns auch mit aller Kraft dafür ein, kerzen zu werfen, indem Sie – ich zitiere die Süddeut- die Kosten nicht allein den Bürgern aufzubürden. Am sche Zeitung – irgendeine „Finanzdingsbumssteuer“ in Anfang wollten Sie die Verursacher – in der Hoffnung, die Diskussion bringen. Es gehört eine eindeutige inhalt- dass niemand merkt, dass es nur Symbolpolitik ist – mit liche Klarheit in der Analyse dazu. Die von Ihnen immer einer Alibi-Bankenabgabe beruhigen. Das hat Ihnen nie- wieder ins Spiel gebrachte Finanzaktivitätsteuer setzt mand geglaubt. nicht daran an, dass Billionen Euro am Tag durch Speku- (Beifall bei der SPD) lationen umgesetzt werden, sondern sie setzt an der Lohnsumme an. Es ist also eine Lohnsummensteuer. Dann haben Sie – das war die Krönung – diesen lä- cherlichen freiwilligen Beitrag der Banken als den gro- (Otto Fricke [FDP]: Sie wollen es doch selbst! – ßen Durchbruch gefeiert. Auch das hat Ihnen niemand Weiterer Zuruf von der FDP) geglaubt. Soll diese Finanzaktivitätsteuer, die an der Lohnsumme (Beifall bei der SPD) ansetzt, wirklich das richtige Instrument für unser deut- sches Bankensystem sein, in dem viele Mitarbeiter be- Ich will Ihnen sagen: Wir Sozialdemokraten wollen, schäftigt sind? Darüber sollten Sie noch einmal ernsthaft dass auf jedes spekulative Geschäft eine Steuer erhoben nachdenken. wird, nämlich die Finanztransaktionsteuer. Dazu hät- ten Sie sich von Anfang an klar bekennen können. Sie verweisen auf unseren Antrag. Darin ist ausdrück- (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ lich die Prüfung dieser Möglichkeit enthalten, weil wir CSU]: Ihr Junktim ist unverantwortlich!) wissen, dass die Finanztransaktionsteuer bei den Speku- lationen ansetzt. Alles andere müsste sehr genau an die Stattdessen haben Sie Ihre Kraft damit vergeudet, hier deutschen Verhältnisse angepasst werden. Dazu sind Sie Ihren Eiertanz aufs Parkett zu legen. Vor ganz langer offensichtlich nicht in der Lage. Sie werfen nur mit Vo- Zeit nannte die Bundeskanzlerin die Spekulationsbesteu- kabeln um sich. (B) erung eine charmante Idee. Dann – ich habe es schon ge- (D) sagt – hofften Sie, dass die Menschen nicht erkennen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass diese Alibi-Bankenabgabe keine Lösung ist. Noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) am Wochenende hat die Bundeskanzlerin auf, wie ich Weil Ihnen dieser inhaltliche Kompass fehlt und weil finde, schon fast herablassende Art den Gewerkschaften Ihnen im Übrigen offensichtlich auch der ehrliche Wille gesagt: Sorgt ihr doch einmal auf internationaler Ebene fehlt, die Opposition davon zu überzeugen, bei Ihrem dafür, dass es durchgesetzt wird. Dann machen wir es Vorgehen mitzumachen, ist Folgendes passiert: Am mit. – Was ist das für eine Führung? Mittwoch letzter Woche hat Sie unser Fraktionsvorsit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zender, Frank-Walter Steinmeier, gefragt: Wollen Sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn, dass die Opposition mitmacht? – Da es in diesem Moment zufälligerweise ruhig war, konnte man aus der Dann wurden Sie von der eigenen Fraktion zur Unter- FDP ein trotziges Nein hören. stützung dieser Finanztransaktionsteuer gedrängt. Jetzt, in der Angst vor dem Koalitionspartner, trauen Sie sich (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wieder nicht, es hier gemeinsam zu Papier zu bringen. NEN]: Das war Fricke!) Was soll das eigentlich? Sie haben das Vertrauen ver- spielt. Das ist peinlich für die Regierung. Es wäre für die Regierung ein Leichtes gewesen, deut- lich zu machen, dass dies eine Einzelmeinung ist. Aber (Beifall bei der SPD) noch nicht einmal dazu hat Ihre Führungskraft gereicht. Auf diese Weise kann kein Vertrauen in Führung und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Geradlinigkeit entstehen. Wer das Hin und Her in dieser der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Woche beobachten konnte, dem ist klar geworden: Der GRÜNEN) Ursprung des momentanen Bekenntnisses der Bundes- kanzlerin zur Finanztransaktionsteuer beruht nicht auf Lassen Sie mich zusammenfassen: Die SPD war und einer tiefen inhaltlichen Überzeugung, sondern nur auf ist offen dafür, sich an Maßnahmen zu beteiligen, damit den äußeren Umständen. Sie laviert so, wie es gerade er- die Menschen wieder mehr Zuversicht in das große und forderlich ist. Deshalb können wir Ihrem Wort, Frau wichtige Projekt Europa aufbringen können. Aber dafür Bundeskanzlerin, allein nicht mehr vertrauen. Deshalb müssen Sie ein klares Signal geben, dass Sie den Men- erwarten wir, dass gemeinsam schriftlich fixiert wird, schen wirklich Vorrang vor den Märkten geben wollen, dass Sie sich zur Finanztransaktionsteuer bekennen. Ich dass sie nicht für die entstandenen Kosten aufkommen frage Sie: Welchen Grund sollte es dafür geben, dies hier müssen und dass die Wirtschaft in Zukunft durch einen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4417

Nicolette Kressl (A) Rahmen zu einem vernünftigeren Wirtschaften gezwun- (Joachim Poß [SPD]: Wem sagen Sie das! – (C) gen werden kann. Das können wir nicht erkennen. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das sagen wir schon seit Monaten!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kein Vertrauen, kein Gesamtkonzept, keine Linie, Dazu dient dieses Gesetz. keine Führungskraft – dazu können Sie unsere Zustim- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mung nicht ernsthaft einfordern. der CDU/CSU) Vielen Dank. Die zweite Frage, die oft von Bürgern gestellt wird, (Beifall bei der SPD) will ich ebenfalls gerne beantworten: Wie konnte es denn sein, dass Märkte so viel Macht hatten und haben? Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie bemühen dann immer Verschwörungstheorien. Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das Wort hat FDP-Fraktion. keiner benutzt!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich sage Ihnen nur eines: Verschwörungstheorien kön- der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – nen Sie nicht als Basis für politisches Handeln nehmen, Thomas Oppermann [SPD]: Das ist aber mu- sondern Sie müssen Folgendes sehen: Ein Staat, eine tig!) Europäische Union, eine Euro-Zone, die sich mit unge- heuren Summen bei den Märkten verschuldet, begibt Otto Fricke (FDP): sich in die Hände dieser Märkte. Es gilt, zu unterbinden, Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- dass wir uns selber durch Verschuldung in die Hände men und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- derjenigen begeben, von denen wir uns das Geld auslei- gen von der Opposition! Versuchen wir es doch heute hen müssen. Die Verschuldung ist die Ursache für das einmal mit Zuhören. Vielleicht klappt das ja. Übel. Dieses Übel gilt es abzustellen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Man muss den Bürgern sagen, dass dieser Weg, den Ich will auch deutlich sagen: Es sind die Verschul- wir heute beschreiten werden, schwer ist und dass die dung und vor allen Dingen auch die Aufweichung des Zustimmung zu diesem Schritt keinem leichtfallen wird. Stabilitätspaktes, die diese Schwäche noch verstärkt (B) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und erst erkennbar gemacht haben. Es ist dieses Aufwei- (D) NEN]: Das stimmt! Wir müssen uns eine Rede chen der Grundeinstellung, dass Sparen etwas Richtiges von Ihnen anhören!) und Gutes ist. Schließlich sagen viele: Was soll’s! In schlechten Zeiten gebe ich ein bisschen mehr Geld aus Aber wir wissen genau, dass alle anderen Alternativen und hoffe darauf, dass in guten Zeiten gespart werden – insofern muss man aufhören, zu sagen, dass dieser kann. – Das funktioniert nicht. Wer sparen will, der muss Schritt alternativlos sei – wie Verschieben und Abwar- das konsequent tun, und zwar ohne jegliche Möglichkeit, ten, was mit den Ländern passiert, um ein Vielfaches dem auszuweichen. schwerer durchzuführen wären. Wir sind uns sicher, dass alles andere um ein Vielfaches schlimmer wäre: für un- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen sere Währung, für den Kleinsparer, für die Wirtschaft, bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- für mittelständische Familienunternehmen, für Arbeits- NISSES 90/DIE GRÜNEN) plätze, für unsere Sozialsysteme und damit letztlich für Wir müssen deswegen zwei Dinge tun. Erstens. Wir unser Land. müssen die Verschuldung abbauen. Das wird schwierig (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten werden und nicht einfach sein. Aber wir müssen das der CDU/CSU) Sparen, das wir begonnen haben, weiter fortsetzen. In den Briefen, die wir bekommen, und in den Ge- (Joachim Poß [SPD]: Begonnen?) sprächen, die wir mit den Bürgern führen, ist eine Sorge groß: Haben denn die Märkte jetzt mehr Macht als die Ich darf ausdrücklich sagen, Herr Finanzminister: Ich Politik? begrüße das Schreiben Ihres Staatssekretärs, in einem ersten Schritt bei allen Ressorts an die flexiblen Ausga- (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ja, klar!) ben heranzugehen. Weitere Schritte werden dem folgen Bei dem, was wir in den vergangenen Wochen und Mo- müssen, um all das zu erreichen, was wir gemäß Verfas- naten erlebt haben, könnte man dieses Gefühl haben. sung erreichen müssen. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es ist so!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie wollten Wenn man der Meinung ist, dass das so ist, geschätzte doch Steuern senken!) Opposition, dann muss man doch alles tun, um der Poli- tik in einer Demokratie und damit dem Bürger die Macht Zweitens müssen wir dem Finanzmarkt klare Grenzen zurückzugeben. aufzeigen. 4418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Otto Fricke (A) (Beifall bei der FDP – Lachen und Beifall bei gen: Der Vorwurf, alles sei geheim, stimmt nicht. Herr (C) der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Trittin, Herr Oppermann, fragen Sie einmal Ihre Haus- NEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE hälter, was sie alles bekommen haben. Dann werden Sie GRÜNEN]: Die nehmen Sie nicht ernst!) das schon erkennen. – Wenn Sie lachen, zeigt das nur, dass Sie das nicht ernst (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nehmen. Es stimmt: Sie haben diese Frage elf Jahre lang NEN]: Fragen Sie doch einmal die Bundes- einfach nicht ernst genommen, auch Ihre Finanzminister kanzlerin, warum sie ihr Wort gebrochen hat! nicht. Sie haben elf Jahre lang nichts getan, gar nichts. Das ist doch eine interessante Frage!) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD Dennoch will ich den Grünen eines nicht ersparen: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Trittin, Sie haben gesagt, wir sollten froh sein, dass Rot-Grün den Stabilitätspakt damals aufgeweicht hat, Ich will das für die Bürger draußen an einem Beispiel weil wir sonst Ärger mit Brüssel bekommen hätten. aus dem Bereich des Fußballs veranschaulichen – die Frauen waren gestern übrigens mal wieder erfolgreich –: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie! Mit Ihren Hotel-Milliarden!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Herr Trittin, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich hätte lieber Es kann doch nicht sein, dass wir auf nationaler Ebene Ärger mit Brüssel bekommen als diese Finanzkrise, die mit Schiedsrichtern spielen, es auf europäischer Ebene wir jetzt haben. Das ist der eigentliche Grund. nur noch einen Schiedsrichter gibt und wir auf interna- tionaler Ebene keine Schiedsrichter haben. Es wird die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Aufgabe sein, das auf internationaler Ebene hinzukrie- der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND- gen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: 80 Milliarden Neu- verschuldung! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr Fricke, DIE GRÜNEN]: Sie halten doch den Stabili- wir legen Ihnen einmal Ihre Anträge vor, die tätspakt nicht ein! Ist es diese Regierung, die Sie gestellt haben! – Joachim Poß [SPD]: den Stabilitätspakt nicht einhält, oder wer?) Noch mehr Deregulierung haben Sie gefor- dert!) Ich finde die Widersprüchlichkeit der Grünen sehr schade. Im Haushaltsausschuss sind sie konstruktiv, hier Das ist die Verantwortung, die alle Regierungen, alle Na- aber destruktiv. Vorher sagten sie: „Oh, das, was die tionen dieser Welt haben, weil sie nur dann auf Dauer Bundeskanzlerin da gemacht hat, hat alles viel zu lange mit dem Finanzmarkt klarkommen werden. (B) gedauert“, aber jetzt sagen sie auf einmal: „Nein, so (D) (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: schnell wollen wir das auch nicht machen.“ Das sind Weniger Steuern! Weniger Deregulierung! doch Krokodilstränen, Herr Trittin. Nichts anderes haben Sie hier gebetet!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Als Opposition Verantwortung zu übernehmen, hieß Warum sind es Krokodilstränen? Nicht nur, weil Kroko- für die FDP immer, dass man auch in schwierigen Zei- dile grün sind, sondern auch, weil Sie das grundsätzlich ten, wie bei der Frage des Finanzmarktstabilisierungsge- nicht wollen. Sie wollen Ihre Verantwortung an dieser setzes, bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wir ha- Stelle nicht wahrnehmen. ben damals zugestimmt und im Rahmen der Beteiligung des Parlamentes gegenüber der Großen Koalition noch Ich komme zum Schluss. Der Kollegin Kressl will ich einiges erreicht. ausdrücklich Folgendes sagen – Frau Kollegin Kressl, nicht nur Sie haben das noch einmal angesprochen, son- Ich sage das jetzt bewusst an die Adresse der Grünen: dern auch Herr Steinmeier und der Kollege Schneider Ich lobe ausdrücklich den Einsatz der Haushälter für versuchen immer wieder, das Thema hochzuziehen –: mehr Beteiligung und insbesondere für die Aufnahme der Pflicht der Bundesregierung zur Vorlage des umstrit- Erstens. Bei der Griechenland-Hilfe bleibt es bei tenen Vertrages beim Haushaltsausschuss. Dafür haben 22,4 Milliarden Euro. Das wissen wir. Das Gesetz ist be- sich die Grünen effektiv eingesetzt und haben den An- schlossen. trag mitgezeichnet. Ich begrüße das ausdrücklich; denn es ist essenziell, dass wir diese Vorlagepflicht bekom- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: men und eine starke Beteiligung des Haushaltsausschus- Abwarten!) ses haben. Versuchen Sie nicht, hier irgendwelche … Ich sage es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lieber nicht. der CDU/CSU) Zweitens, und das ist mein letzter Satz. Ich bin mir sicher, dass der Finanzminister uns jeder- zeit, so, wie er es in den vergangenen Wochen und Tagen Präsident Dr. Norbert Lammert: getan hat, Unterlagen vorlegen wird, die Aufschluss über Herr Kollege Fricke, Sie wollten zum Schluss kom- den Zwischenstand geben. Das war ein sehr transparen- men. Das wird durch den Beginn einer Aufzählung von tes Verfahren. Die englischen Vorlagen erhielten wir offenkundig zahlreichen, vorbereiteten Punkten nicht schon vor der Übersetzung. Ich muss ausdrücklich sa- sonderlich plausibel. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4419

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und ich darf Sie daran erinnern, dass heute, wieder inner- (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen halb einer Woche, dieser Bundestag eine Euro-Rettung im Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Umfang von 750 Milliarden Euro mit einem deutschen Präsident spickt nämlich!) Beitrag von 148 Milliarden Euro beschließen will. – Frau Bundeskanzlerin, Sie lesen meine Rede nachher sowieso Otto Fricke (FDP): heimlich; hören Sie doch lieber gleich zu. Herr Präsident, da haben Sie vollkommen recht. Des- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- wegen gibt es ja auch nur noch einen Punkt. Brömer [CDU/CSU]: Einbildung ist auch eine Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie Bildung!) Ihre Verantwortung wahr, Einmal abgesehen davon würde ich Ihnen gerne eines (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sagen: Wenn wir hier im Bundestag einmal um 1 Million DIE GRÜNEN: Oh! – Joachim Poß [SPD]: Euro für einen sozialen oder einen kulturellen Zweck Dieses falsche Pathos!) kämpfen, dann dauert es neun Monate, bis wir das „Nein“ hören. Wenn es aber um zig Milliarden Euro und zwar nicht, weil eine andere Fraktion das will – das geht, dann wird in diesem Bundestag alles innerhalb ei- wäre ein falsches Verständnis von Demokratie –, son- ner Woche entschieden. Das müssen Sie der Bevölke- dern weil Sie zu der Erkenntnis gekommen sind, dass rung einmal erklären. das, was wir machen, heute richtig ist. Auf dieser Ent- haltung kann man kein europäisches Haus bauen. (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Übertreibungen!) Herzlichen Dank. In diesen Wochen wurde zwar immer über viel Geld (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten entschieden, aber es wurde nie entschieden, endlich eine der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Regulierung der Finanzmärkte einzuführen. Die Leer- DIE GRÜNEN], an die SPD gewandt: Würden verkäufe, die spekulativen Kreditausfallversicherungen, Sie von diesem Mann ein Derivat kaufen?) die Hedgefonds: Alles lief weiter wie vorher auch. Da- mit haben Sie die Spekulanten und Banker doch ani- Präsident Dr. Norbert Lammert: miert, auf erhöhte Staatsschulden zu wetten. Die gegen- Der Kollege Gregor Gysi ist der nächste Redner für wärtige Krise ist die logische Konsequenz aus der die Fraktion Die Linke. Finanzkrise vom Oktober 2008 und Ihrer falschen Be- wältigung, weil Sie eine riesige Staatsverschuldung or- (Beifall bei der LINKEN) ganisiert haben, die jetzt von den Spekulanten und den (B) (D) Bankern wieder genutzt wird. Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr (Beifall bei der LINKEN) Altmaier, ich habe Ihnen sehr genau zugehört und war Das erste Opfer in der EU war übrigens gar nicht einigermaßen erstaunt. Wenn ich das richtig verstehe, ist Griechenland, sondern die ersten Opfer waren Ungarn, man Ihrer Meinung nach proeuropäisch, wenn man für Rumänien und Lettland. Sie waren am Ende, und dann Aufrüstung, für Sozialabbau und für eine falsche Ver- gab es Milliarden vom Internationalen Währungsfonds schuldung ist, und antieuropäisch, wenn man für Frie- und von der EU. den, Abrüstung und jeden Verzicht auf Sozialabbau ist. Ich kann dem nicht folgen, überhaupt nicht. Lettland hat daraufhin genau den Kurs beschritten, den Sie jetzt auch Griechenland, Spanien und Portugal (Beifall bei der LINKEN) vorschreiben. Dort wurden die Löhne um 25 Prozent ge- Wir sind für die europäische Integration, aber für eine kürzt – in der Privatwirtschaft sogar um 30 Prozent –, vernünftige. die Mehrwertsteuer erhöht und die Zuschüsse für Kran- kenhäuser um 43 Prozent gesenkt. Die Folge ist ein (Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE Rückgang der Nachfrage im Einzelhandel um 30 Pro- LINKE]) zent, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 22 Prozent Wahr ist, dass wir heute über eine Schicksalsfrage – das ist der höchste Stand in der EU – und ein Schrump- entscheiden, und zwar für unsere Gesellschaft und für fen der Wirtschaftsleistung. Europa. Hier stellt sich die Frage – man muss sie der Bevölke- Ich darf Sie daran erinnern, dass dieser Bundestag bei rung einmal beantworten –, warum wir uns hier trotzdem der Finanzkrise innerhalb einer Woche entschieden hat, nicht mit Ungarn, Rumänien und Lettland beschäftigt einen Rettungsschirm für Banken und Versicherungen haben. Das geschah aus einem Grund nicht: Sie haben im Umfang von 480 Milliarden Euro aufzuspannen, ich keinen Euro und konnten ihre Währungen uns gegenüber darf Sie daran erinnern, dass dieser Bundestag innerhalb abwerten. – Das funktioniert bei Griechenland, Spanien einer Woche beschlossen hat, einen Rettungsschirm für und Portugal nicht; denn wir haben eine Binnenwährung Griechenland im Umfang von 110 Milliarden Euro mit gemeinsam mit ihnen. einem deutschen Anteil von über 22 Milliarden Euro Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass wir hier aufzustellen, Schilder mit der Aufschrift „Euro – so nicht“ hochgehal- ( [SPD]: Keinen Cent mehr!) ten haben. Wir haben niemals „Euro – nein“ gesagt. Wir 4420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi (A) haben „Euro – so nicht“ gesagt, weil wir vorher eine kulationsgewinne entstehen. Genau das muss passieren, (C) Steuerharmonisierung und eine Harmonisierung der so- und das fordern wir ein. zialen und ökologischen Standards sowie der Löhne ge- fordert haben. Sie alle waren aber schlauer und haben (Beifall bei der LINKEN) gesagt: Das alles brauchen wir nicht. Wir führen den Denn alles andere bedeutete, dass die Mittel, die wir Euro gleich ein. – Jetzt bekommen wir die Quittung da- heute beschließen, wieder nur zugunsten der Banken und für. Sagen Sie hier doch einmal ehrlich: Die Linken hat- Spekulanten fließen. Genau das können wir nicht zulas- ten recht, und wir hatten unrecht. – Das müssten Sie ein- sen. mal über Ihre Lippen bringen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen doch merken, dass [CDU/CSU]: Wenn es einmal so wäre, dann Sie am Nasenring durch die Manege geführt werden. würde ich es sagen!) Man muss sich das klarmachen: Die EU-Finanzminister Jetzt verlangen Sie von Griechenland, Portugal und müssen bis zu einer bestimmten Uhrzeit eine Entschei- Spanien – das habe ich ja schon gesagt –, dass sie den dung treffen, weil dann die Tokioter Börse öffnet. Mer- Weg gehen, den Lettland schon falsch gegangen ist. Wis- ken Sie denn nicht, dass das die Demokratie beschnei- sen Sie, wie das Ganze aussieht? – Ein Beispiel: Ein Bä- det? ckermeister, der fast pleite ist, bittet um einen Kredit. Sie (Beifall bei der LINKEN) sagen: Ja, du bekommst den Kredit, aber unter zwei Be- dingungen: Erstens musst du deine beiden Verkäuferin- Warum sind wir von einer Börse abhängig? Warum nen entlassen, und zweitens musst du von deinen zwei können wir nicht wieder die Herrschaft der Politik Backöfen einen verkaufen. – Hinterher ist er dann noch über die Finanzwelt begründen? mehr pleite als vorher. Das ist die Art von Politik, die Sie (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die Linke betreiben, und das kann nicht gut gehen; denn der So- hätte die Öffnungszeiten verschoben!) zialabbau ist nicht nur ungerecht, sondern dadurch wird auch die Wirtschaft gedrosselt. – Nein, die Linke hätte Regulierungsmaßnahmen be- schlossen, die uns längst aus der Situation herausge- Was ist denn, wenn sich ein Land immer stärker ver- bracht hätten. schuldet? – Man braucht dann doch Wachstum, um die Schulden zurückbezahlen zu können. Wenn Sie die (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Genau!) Wirtschaft aber drosseln, dann heißt das, dass Sie gar Im Unterschied zur FDP hätten wir darauf geachtet, (B) nicht in der Lage sind, die Schulden zurückzubezahlen, durch ein Primat der Politik über die Wirtschaft und Fi- (D) es sei denn, Sie nehmen neue Schulden auf. Wenn Sie nanzwelt die Demokratie wiederherzustellen. dann neue Schulden aufnehmen, dann wird die Verschul- dung immer größer, und die Spekulanten und Banken (Beifall bei der LINKEN) wetten und zocken dann gegen dieses Land, wie wir es Ich komme aber noch auf die Alternativen zurück. jetzt erleben. Wir kennen das auch aus Mexiko und aus anderen Ländern. FDP und Union haben in einem Punkt recht: Die Hedgefonds, die Leerverkäufe und die gesamte Deregu- Was passiert dann? – Dann wird der Weg beschritten, lierung des Finanzmarktes sind von SPD und Grünen die Schulden teilweise zu erlassen. Das ist auch interes- eingeführt worden. sant: Darüber sprechen ja nur Josef Ackermann, Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, und wir, (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) die Linken. – Es ist auch interessant, warum das so ist. Die ehemalige Staatssekretärin Hendricks hat uns dafür Ich kann Ihnen den Grund dafür erzählen: Das geschieht, kritisiert, dass wir das sagen, ohne hinzuzufügen, dass weil schon durch die öffentliche Debatte darüber eine die Hedgefonds in Deutschland besonders reguliert sind, neue Spekulationswelle ausgelöst werden kann und während das in Großbritannien nicht der Fall ist. Liebe weil Ackermann und andere durchaus daran interessiert Frau Hendricks, dazu muss ich Ihnen sagen, dass Ihr da- sind, dass es eine neue Spekulationswelle gibt. maliger Parteivorsitzender Müntefering hinsichtlich der Warum? Wenn die Staatsverschuldung sozusagen ge- deutschen Hedgefonds darauf hingewiesen hat, dass strichen wird, dann bekommen sie ihre Verluste voll diese wie Heuschrecken wirken. Die Kritik kam gar erstattet, weil sie Kreditausfallversicherungen abge- nicht von uns. So toll war Ihre Regulierung keineswegs. schlossen haben. Selbst wenn sie keine Kreditausfallver- (Beifall bei der LINKEN – Joachim Poß [SPD]: sicherung haben, haben sie etwas davon, weil sie zusam- Reden Sie hier nicht so einen Stuss!) men mit anderen bei den Staatsanleihen darauf gewettet haben, dass Griechenland und andere Länder nicht Sie sind noch einen anderen falschen Weg gegangen. pünktlich zurückzahlen. Auch dann kriegen sie ihre Sie sind nämlich den Weg der Staatsverschuldung durch Marge. In beiden Fällen nutzt es ihnen, aber nur ihnen. falsche Steuersenkungen gegangen. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie die Körperschaftsteuer von 45 auf Insofern kann ein Schuldenerlass zwar sinnvoll sein, 25 Prozent gesenkt haben. Sie haben den Spitzensteuer- aber nur unter der Bedingung, dass wir vorher eine Re- satz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent ge- gulierung vornehmen, die ausschließt, dass solche Spe- senkt. Sie haben keine Börsenumsatzsteuer eingeführt, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4421

Dr. Gregor Gysi (A) und Sie haben auf die Vermögensteuer verzichtet. Das nun am Ende der Europäischen Union beim Steuerauf- (C) alles hat zu einer gigantischen Verschuldung geführt. kommen. Hätten wir nur Steuereinnahmen im EU- Durchschnitt, hätten wir 120 Milliarden Euro jährlich Die Große Koalition von Union und SPD ist diesen mehr. Dann kamen die Milliardenbeschlüsse für Banken Weg weitergegangen. Sie haben die Körperschaftsteuer und Versicherungen. Diese haben dann eine gigantische von 25 auf 15 Prozent gesenkt. Staatsverschuldung ausgelöst, auf die nun Banker und (Joachim Poß [SPD]: Machen Sie mal eine Spekulanten setzen. Pause!) Nun gibt es eine neue neoliberale These. Frau Bun- Nun macht Ihre Koalition das Wachstumsbeschleuni- deskanzlerin, Frau Bundeskanzlerin! Sie sagen im Ernst, gungsgesetz und schenkt den Hotels und Unternehmen Jahrzehnte hätten wir über unsere Verhältnisse gelebt, weitere 2,4 Milliarden Euro. Genau so haben Sie die und erklären den Satz gar nicht. Was meinen Sie eigent- Staatsverschuldung verursacht. lich? Was glauben Sie, wie ein solcher Satz auf Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer, auf Renterinnen und (Beifall bei der LINKEN) Rentner, auf Arbeitslose, auf Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger wirkt? Wen meinen Sie denn: Präsident Dr. Norbert Lammert: die Rentnerinnen und Rentner, die in den letzten fünf Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage Jahren real über 8,5 Prozent an Rente verloren haben? der Kollegin Hendricks? Meinen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den letzten zehn Jahren real 11,3 Prozent an Löh- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): nen verloren haben? Meinen Sie die Beschäftigten in Ja, selbstverständlich. prekären Beschäftigungsverhältnissen, also die Leihar- beiterinnen und Leiharbeiter, die befristet Beschäftigten, die Teilzeitbeschäftigten, die Aufstockerinnen und Auf- Dr. Barbara Hendricks (SPD): stocker oder die Minilohnbeschäftigten? Meinen Sie die Das, was Sie gerade zu den Steuersenkungen im Ho- 1-Euro-Jobberinnen und -Jobber, oder meinen Sie die telgewerbe gesagt haben, ist völlig richtig. Darin stimme 7 Millionen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV- ich Ihnen vollständig zu. Empfänger? Ich finde es einen Skandal, diesen Men- (Beifall bei der LINKEN) schen zu erklären, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Ich darf Ihnen aber trotzdem einen kleinen Hinweis geben: Die Finanzmarktsituation ist vielfältig und kaum (Beifall bei der LINKEN) (B) durchschaubar. Deswegen will ich Sie darauf hinweisen, Was mich wirklich ärgert, Frau Bundeskanzlerin, ist, (D) dass sich der Begriff Heuschrecken, der in diesem Zu- dass Sie nicht einmal sagen: Die Bestverdienenden, die sammenhang von Franz Müntefering geprägt wurde und Vermögenden, die Banker und die Spekulanten haben der sich völlig zu Recht durchgesetzt hat, nicht auf über ihre Verhältnisse gelebt. Das ist doch unser Pro- Hedgefonds, sondern auf Private Equity Fonds bezogen blem und nichts anderes. hat. Franz Müntefering hat darauf hingewiesen, dass die Private Equity Fonds kommen, die mittelständischen (Beifall bei der LINKEN) Unternehmen aussaugen, um sie dann fallenzulassen und Wir brauchen bei uns – genauso wie in der gesamten weiterzuziehen. Das sind nicht die Hedgefonds, sondern EU – Steuergerechtigkeit. Es gibt heute nicht nur mehr die Private Equity Fonds. Armut. Auch der Reichtum ist angewachsen. Wer be- zahlt das Ganze? Die durchschnittlich Verdienenden tra- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): gen die Hauptlast. Das sind die Arbeitnehmerinnen und Schönen Dank für Ihren Hinweis. Aber die Hedge- Arbeitnehmer. Das sind die Handwerksbetriebe. Das fonds betreiben genau dasselbe. Auch dass die Situation sind kleine und mittelständische Unternehmen. Ich unübersichtlich ist, verdanken wir übrigens Ihnen. Ihr nenne nur den Steuerbauch als Beispiel. Unsere Einkom- damaliger Bundesfinanzminister hat mir gegenüber ge- mensteuerbelastung verläuft nicht geradlinig, sondern sagt sie hat einen Bauch. Die durchschnittlich Verdienenden müssen mehr zahlen, weil Sie den Spitzensteuersatz ge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senkt haben. Genau das ist nicht hinnehmbar. Lassen Sie NEN]: Immer, wenn du nicht durchblickst, uns den Steuerbauch überwinden! Aber dann müssen wir sind andere schuld!) den Spitzensteuersatz erhöhen, weil es sich anders über- – ich bin gleich fertig mit der Antwort –, dass es bei der haupt nicht rechnet. Zulassung von Hedgefonds und Leerverkäufen nur um (Beifall bei der LINKEN) die Frage ging, ob wir Kreisklasse bleiben oder Welt- klasse werden. Nun sind wir in einer Weltklassekrise. Jetzt haben Sie ungedeckte Leerverkäufe verboten. Dazu habe ich eine Frage. Die ungedeckten Leerver- (Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin käufe sind zuerst von Rot-Grün erlaubt worden. Dann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber deine waren sie verboten. Dann, lieber Herr Bundesfinanzmi- Rede ist nicht mal Kreisklasse!) nister, waren sie ab Januar aus mir unerklärlichen Grün- Ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb: den wieder erlaubt. Jetzt haben Sie sie wieder verboten, Deutschland wurde zu einem Niedrigsteuerland und liegt aber befristet. Warum denn nicht endgültig? Sagen Sie 4422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi (A) doch endlich: Schluss, wir wollen diese Art der Spekula- Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es nur (C) tion nicht; sie ist für immer verboten. zwei Möglichkeiten gibt: Entweder lässt sich die Bun- desregierung weiterhin von den Bankern und Spekulan- (Beifall bei der LINKEN) ten treiben, oder sie begründet endlich wieder eine poli- Nun wird über eine Finanztransaktionsteuer gere- tische Herrschaft über die Finanzwelt, das heißt, die det; das ist wirklich spannend. Zuerst haben nur wir sie Demokratie wird gestärkt. Entweder Sie haben endlich vorgeschlagen. Inzwischen sind alle für eine Finanz- den Mut, die Banken, die großen Unternehmen, die transaktionsteuer. Bestverdienenden und die Vermögenden gerecht zu be- steuern, oder Sie sorgen dafür, dass auch in Deutschland (Widerspruch bei der SPD) eine Politik des sozialen Kahlschlags betrieben wird, – Ja, ich weiß, Attac hat einen Teil vorgeschlagen. Ich eine Politik, die nicht nur grob ungerecht ist, sondern freue mich für Attac. Aber die SPD stand bei dieser auch die Nachfrage so zurückgehen lässt, dass die Bin- Frage ganz hinten, um das hier ganz offen zu sagen. nenwirtschaft unermessliche Schäden erleidet. (Beifall bei der LINKEN) Die Folgen für die Gesellschaft sind überhaupt nicht absehbar. Nur wenn Sie die Finanzmärkte regulierten Ich möchte aber von der Bundeskanzlerin wissen: Ist und garantierten, weder die Mehrwertsteuer zu erhöhen das nur Gerede, oder kommt diese Steuer tatsächlich? noch Sozialabbau zu betreiben, könnte man über eine Wenn sie tatsächlich kommt: Kommt dann die Variante Zustimmung zu Ihren verschiedenen Paketen nachden- der FDP? Eine reine Gewinnsteuer können Sie doch ver- ken. Solange es aber dabei bleibt, dass nicht Sie, sondern gessen. Da wird doch dann geschummelt, was das Zeug die Banker und Spekulanten regieren, solange Sie sich hält. Oder erheben wir endlich eine Steuer auf alle natio- weder trauen, gerechte Steuern zu erheben, noch So- nalen und internationalen Finanzgeschäfte? Dann sind zialabbau auszuschließen, kann es von uns nur ein Nein auch die Börsenumsatzsteuer und die Tobin-Steuer ein- geben. bezogen. Dann haben wir eine sehr vernünftige Finanz- transaktionsteuer, die nicht nur hohe Einnahmen bringt, (Beifall bei der LINKEN) die wir dringend benötigen, sondern auch die Spekula- tion endlich begrenzt. Das muss unser Ziel sein. Wie gesagt: Es geht heute um eine Schicksalsfrage für unsere Gesellschaft und für Europa. Sie entscheiden (Beifall bei der LINKEN) heute mit darüber, ob es wieder eine Herrschaft der Poli- Nun kommt das bekannte Gegenargument, das gehe tik gibt, ob wieder Demokratie herrscht oder ob es bei nur, wenn es weltweit oder zumindest in ganz Europa der Herrschaft der Spekulanten und Banken bleibt, so- geschehe. Der österreichische Bundeskanzler Faymann dass es kaum Demokratie gibt. Das ist die Frage, um die (B) (D) hat dazu Folgendes gesagt – ich darf zitieren, Herr Präsi- es heute hier geht. dent –: Danke. Aber man soll die internationale Ebene nicht als (Beifall bei der LINKEN) Ausrede verwenden, nur weil man verschleiern will, dass man nichts aus der Krise gelernt hat und Präsident Dr. Norbert Lammert: Spekulanten verschonen will. Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bünd- Recht hat der österreichische Bundeskanzler in dieser nis 90/Die Grünen. Frage! Recht hat er! (Beifall bei der LINKEN) Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Ich werde Ihnen auch begründen, warum. Die Fi- Kollegen! Wenn man Politik – wie wir Grünen – euro- nanzwelt kann weder die Börse in New York noch die in päisch ausrichtet, dann muss man feststellen, dass dieser Tokio noch die in London noch die in Frankfurt am Main Krisenfonds ein wichtiger Schritt zur Abwehr der Spe- ignorieren. Bekanntlich verlässt die internationale Fi- kulationen und zur Verteidigung Europas ist. Dieser Kri- nanzwelt auch nicht die Schweiz; darin werden Sie mir senfonds ist ein richtiger Schritt in Richtung eines Euro- sicherlich recht geben. Ich nenne Ihnen zwei Länder, die päischen Währungsfonds. Auch wenn dies ein Fonds der eine Börsenumsatzsteuer eingeführt haben: Großbritan- nationalen Regierungen ist, gilt: So kann man Spekula- nien und die Schweiz. Das Gerede, dass deshalb die Fi- tionen abwehren. Aus diesem Grund unterstützen wir im nanzwelt verschwindet, ist einfach albern; es stimmt Grundsatz, dass dieser Fonds jetzt eingerichtet wird. nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es kommt noch etwas hinzu: Wenn eine Bank mit der FDP) Euro handeln will, dann braucht sie eine Lizenz der Das bisherige Verfahren ist gründlich schiefgelaufen. Europäischen Zentralbank. Wenn Banken Europa also Wir finden gut – das möchte ich ausdrücklich feststellen –, Richtung Japan und USA verlassen sollten, dann entzie- dass im Haushaltsausschuss die reine Unterrichtungs- hen wir ihnen einfach die Lizenz. Was glauben Sie, wie pflicht in eine Einvernehmensbemühung verwandelt schnell sie zurück sind! Das ist ganz einfach. worden ist; deswegen haben wir dabei mitgewirkt. An- (Beifall bei der LINKEN) sonsten hat die Regierung bei der Vorlage dieses Gesetz- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4423

Fritz Kuhn (A) entwurfs und im parlamentarischen Verfahren grobe (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Fehler gemacht, die ein Parlament einfach nicht hinneh- NEN]: Wo ist sie?) men kann: – wenn ich sehe, wie sie da hinten steht und hektisch te- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lefoniert, habe ich Angst, dass das nächste Krisenpaket heranrollt –, in einem demokratischen Verfahren nicht Erstens. Die Bundeskanzlerin hat einen Verfassungs- angemessen. Richten Sie ihr das aus, wenn sie das bruch begangen. Sie hat am vorletzten Wochenende nächste Mal per Telefon eine Bürgersprechstunde oder Art. 23 Grundgesetz eindeutig verletzt. Sie hätte dem eine Abgeordnetensprechstunde durchführt. Bundestag die Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, ehe sie an einem Rechtsetzungsakt der Europäi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schen Union mitwirkt. Dies hat sie nicht gemacht. bei der SPD und der LINKEN) Zweitens. Sie hat den Fraktionsvorsitzenden am da- Frau Merkel ist die Regierungschefin. Deswegen rauffolgenden Montag versprochen, den Vertrag über die kann sie sich an einem Tag wie heute der Kritik nicht Zweckgesellschaft vor der zweiten Lesung vorzulegen. entziehen. Ich will drei Punkte ansprechen: Erstens. Sie hat zu lange gezögert, als die Finanz- Herr Altmaier, ich sage Ihnen klar und deutlich – man marktkrise auf uns zugerollt ist. Sie hat die Probleme kann nicht darüber streiten, ob es sich um Formfehler verdrängt. Dies kostet die Steuerzahler viele Milliarden oder um technische Fragen handelt; Sie haben sich ent- Euro. sprechend geäußert –: In einer Demokratie sind das korrekte Verfahren, der korrekte Umgang mit der Verfas- Zweitens – ein ganz wichtiger Punkt –: Es fehlt ihr sung, die Frage, ob man sich auf das Wort der Bundes- die elementare europäische Grundüberzeugung, die kanzlerin verlassen kann, Überzeugung von der europäischen Idee. (Peter Altmaier [CDU/CSU]: Das können (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wir!) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) keine technischen Petitessen, sondern elementare Ange- legenheiten. Wer etwas von Europa will, liebe Kolleginnen und Kol- legen, der muss für Europa auch etwas tun. Die Haltung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bundeskanzlerin ist eher: Deutsche Interessen sind und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der verwirklicht, wenn man Deutschland vor Europa LINKEN) schützt; so hat sie in den letzten Wochen agiert. Wir ha- (B) ben die Haltung: Europa liegt im deutschen Interesse. (D) Trotz inhaltlicher Akzeptanz und sogar Zustimmung Das ist ein fundamentaler Unterschied zu der Ängstlich- zu dem Krisenfonds kommen die grünen Parlamentarier keit und Zögerlichkeit der Bundeskanzlerin. zu der Auffassung, dass für sie eine Enthaltung das Beste ist. Das ist keine Drückebergerenthaltung; viel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr wird dadurch darauf reagiert, dass die Bundes- sowie bei Abgeordneten der SPD) regierung im Verfahren mit diesem Parlament schäbig Die Bundeskanzlerin lässt sich gerne als Physikerin, umgeht. So etwas habe ich eigentlich noch nicht erlebt. als analytisch, vom Ende her denkende Frau darstellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In diesem Fall muss man klar feststellen: Sie hat die sowie bei Abgeordneten der SPD) Dinge nicht vom Ende her durchdacht. Zum Beispiel hat sie das Ansinnen, einen Europäischen Währungsfonds Dazu gehört, wie wenig sich die Bundeskanzlerin in einzurichten – die Einrichtung eines solchen Fonds hat Reden wie ihrer Regierungserklärung tatsächlich um die der Finanzminister früh vorgeschlagen –, zunächst abge- Zustimmung des Parlaments bemüht hat. Ich meine die- wehrt. Deswegen war sie in der Brüsseler Sitzung unvor- ses nicht in dem Sinn: „Mutti, sei nett zu uns Kindern; bereitet, als es um den Europäischen Währungsfonds dann werden wir schon zustimmen“, sondern in einem ging und dieser, zumindest im Kern, entstanden ist. Die politischen Sinn: Wer von diesem Parlament heute eine Bundeskanzlerin hat sich auf diese Situation nicht vorbe- Ermächtigung für Bürgschaften im Umfang von 148 Mil- reitet. Das war ein schwerer Fehler, den man ihr an die- liarden Euro bekommen und mit diesen Risiken die Poli- ser Stelle vorhalten muss. tik zukünftiger Generationen einschränken will – wir re- den ja nicht über kleine Beträge –, der muss in einer Drittens. Wer in Europa etwas erreichen will, muss anderen Weise, als die Kanzlerin es getan hat, um die seinen eigenen Laden im Griff haben. Dies richtet sich Zustimmung des Parlaments werben. an die Koalitionsfraktionen: Wer sich getrieben sieht von Koch auf der einen Seite und von Seehofer auf der ande- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren Seite – sowie bei Abgeordneten der SPD) ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Da die Kanzlerin schon wieder nicht auf der Regie- GRÜNEN]: Und von Mappus! – Otto Fricke rungsbank sitzt, sondern herumrennt, will ich an dieser [FDP]: Aber nicht von den Grünen!) Stelle sagen: In dieser Debatte, die Herr Altmaier und – doch, von den Grünen auch –, andere als die wichtigste seit vielen Jahren beschrieben haben, ist ein solcher Umgang mit dem Parlament (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) 4424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Fritz Kuhn (A) wer sich im Umgang mit der FDP vor den Wahlen einge- richtigen Stellen, sonst machen wir haushaltspolitisch ei- (C) grenzt sieht, der hat keine Möglichkeit, in Europa nen Stich, aber wirtschaftspolitisch verlieren wir und vernünftig und richtig zu agieren. Ich nenne Ihnen ein vergrößern die Arbeitslosigkeit. Ich finde, dass wir über Beispiel: Ihren Umgang mit der Finanzmarkttrans- Konzeptionen und darüber, dass die Politik das Primat aktionsteuer. Wie wollen Sie nach dem Herumgeeiere der über die Märkte bekommt, jetzt hier reden müssen, aber Kanzlerin in Europa – ich rede jetzt nicht von der Runde nicht unverbindlich, Herr Kauder, sondern mit dem kla- der G 20 – eine Finanzmarkttransaktionsteuer durchset- ren Willen, der Bevölkerung zu sagen: Die Politik macht zen, wenn Ihre Regierung nicht einmal in Deutschland in sich daran, wieder die Hoheit über die Finanzmärkte der Lage ist, eine klare Konzeption zu entwickeln? zu bekommen. Dazu sind das, was Sie vorgelegt haben, und die Diskussion der letzten Wochen nicht geeignet. Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses vom Aber wir werden Sie nicht in Ruhe lassen. 18. Mai hat Herr Kauder vorgetragen – ich zitiere –: Eine allerletzte Bemerkung: Ich habe mir gestern Wir haben im Koalitionsausschuss vereinbart, die Abend noch einmal Ihren Koalitionsvertrag durchgele- Bundesregierung aufzufordern, sich über die Bankenab- sen. gabe hinaus für eine europäische, globale Beteiligung der Finanzmärkte einzusetzen, das heißt, für Finanz- (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – transaktionsteuer oder Finance Activities Tax. – Wie Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jeden Tag! – wollen Sie, wenn Sie hier einen Katalog ganz unter- Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann haben wir schiedlicher Steuerarten vorlegen, damit in Europa ir- noch Hoffnung bei Ihnen!) gendeine Durchschlagskraft entfalten, Herr Kauder? – Freuen Sie sich nicht zu früh. – Ich kann Ihnen nur sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen: Dieses Ding ist acht Monate alt. Aber wenn Sie es sowie bei Abgeordneten der SPD) auf die heutigen Probleme beziehen, dann kommen Ih- Die Botschaft dieses Textes und Ihrer Redeweise in den nen die Tränen, wenn Sie sehen, welche Ignoranz dieser letzten Wochen ist: Sie wissen nicht, was Sie wollen; Vertrag gegenüber den heutigen Problemen offenbart. aber Sie wollen es in Europa durchsetzen. Damit machen Sie sollten eine ganz andere Geschäftsgrundlage wählen. Sie sich lächerlich und schwächen Ihre Glaubwürdig- Ich danke Ihnen. keit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Kauder, Sie schütteln den Kopf. Die Leute drau- Präsident Dr. Norbert Lammert: (B) (D) ßen im Land fragen: Wann kommt der nächste Finanz- Für die Bundesregierung erhält nun der Bundes- marktrettungsschirm? Wie geht es eigentlich weiter? finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble das Wort. Habt ihr die Dinge noch im Griff? – Sie verlangen zu Recht von der Regierung, dass sie endlich Maßnahmen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ergreift, damit dieser Spekulationswahnsinn aufhört und Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist jetzt ge- nicht die kleinen Leute die Zeche für den Unsinn, den nau die richtige Antwort auf den Kuhn!) Sie angerichtet haben, bezahlen. Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen: und bei der SPD) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werbe Da können Sie nicht mit Sätzen wie „Ich weiß nicht ge- dafür, dass wir angesichts der Bedeutung, der Tragweite nau, wie meine Steuer heißen soll“ kommen. Da wird und der Schwierigkeiten dieser Entscheidung nicht den entschlossene, inhaltlich klare Politik gefragt sein, die Eindruck erwecken, als seien die taktischen Finessen das Sie in den Tagen, die wir hinter uns haben, nicht geliefert eigentlich Dominierende. Herr Kollege Kuhn, wenn Sie haben. so überzeugend sagen, dass dieses Programm und diese Maßnahmen im Grunde richtig sind, dann würde ich Eine Bemerkung zum Abschluss: Es geht wirklich um doch dafür werben, dass Sie überlegen, ob Sie nicht die Frage, ob wir von den Märkten getrieben werden mehr der Substanz als den taktischen Argumenten, die oder ob wir klare Rahmenbedingungen für die Finanz- ich verstehen kann, Rechnung tragen. märkte setzen können, damit diese wiederum ihre Auf- gabe, nämlich der wirtschaftlichen Investition zu dienen, Ich will gleichwohl Ihre Hauptargumente, warum Sie wahrnehmen können. trotz Ihrer Zustimmung in der Sache glauben, heute nicht zustimmen zu können, aufgreifen, so gut ich kann. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Eine breite Der erste Punkt ist: Sie sagen, die Bundesregierung habe Zustimmung wäre dafür notwendig!) der Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament Dazu ist es jetzt notwendig, dass wir uns auf einen lan- nicht ausreichend Rechnung getragen. Ich will Sie auf gen Weg machen und eine vernünftige, langfristige Poli- Folgendes aufmerksam machen: Sie wissen, wie die Ent- tik betreiben. Das heißt auch Sparpolitik, aber wenn scheidungsfindung von Freitag bis Sonntagnacht und ganz Europa jetzt spart – das ist wichtig –, dann gehen Montagmorgen abgelaufen ist. Am Freitag haben wir wir wirtschaftlich in die Knie. Wir haben die Botschaft: über das Griechenland-Paket diskutiert, anschließend Wir müssen sparen und investieren, und zwar an den gab es Telefonkonferenzen der G-7-Finanzminister. Wir Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4425

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) waren mit einer Situation konfrontiert, dass es beim – Vor der zweiten Lesung, Frau Bundeskanzlerin. – Das (C) Treffen der Staats- und Regierungschefs am Freitag- heißt, das war das Verfahren, und dieses Verfahren ist abend schon gar nicht mehr in erster Linie um die Finali- von dieser Bundesregierung nicht eingehalten worden. sierung und die abschließende Inkraftsetzung des Das heißt, die Bundeskanzlerin hat ihre Zusage gegen- Griechenland-Pakets ging, weil es inzwischen äußerst über den Fraktionsvorsitzenden nicht eingehalten. deutliche Signale gab, dass unmittelbar eine weltweite Krise der Finanzmärkte droht. Deswegen war rasches (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Handeln über das Wochenende unausweichlich. Das ist doch etwas völlig anderes, Herr Trittin!) Die formelle Entscheidung über die Rechtsverord- nung des Rates – sie bezieht sich auf die 60 Milliarden Wollen Sie bitte zweitens zur Kenntnis nehmen, dass Euro, nicht auf die 440 Miliarden Euro; das muss man nach dem Grundgesetz – Sie waren mal Verfassungsmi- auch einmal sagen – ist am Dienstag in einem Europäi- nister – und nach einfachgesetzlichen Regelungen die schen Rat getroffen worden. Am Montag sind die Frak- wichtige und richtige Unterrichtung der Fraktionsvorsit- tionsvorsitzenden durch die Bundesregierung unterrich- zenden – für die bin ich auch dankbar; das habe ich der tet worden. Bundeskanzlerin sogar geschrieben – eine Beteiligung des Deutschen Bundestages nicht ersetzt? Das ist die (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verfassungsrechtliche Realität in diesem Lande. NEN]: Erstens sind wir nicht der Bundestag, und zweitens haben Sie nicht gesagt, dass erst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, am nächsten Tag entschieden wird! – Gegen- bei der SPD und der LINKEN) ruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt seien Sie mal ruhig! – Widerspruch bei der Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zen: – Frau Kollegin Künast, der Kollege Thomas de Herr Kollege Trittin, Sie machen jetzt wieder den Maizière, der mich dankenswerterweise in diesen Tagen Trick, dass Sie zwei Dinge verwechseln, vermischen. vertreten hat, hat mir eben noch einmal bestätigt, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – bei der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden am Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Was heißt hier Montag in keinster Weise irgendeine Einwendung gegen „Trick“? Das ist eine Unterstellung!) die Prozedur erhoben worden sei. – Entschuldigung! Ich erkläre es Ihnen. – Der Vorwurf (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Verfassungsverstoßes kann sich nur auf die Rechts- NEN]: Oh, oh, oh! – Renate Künast [BÜND- (B) verordnung des Europäischen Rates bezüglich der euro- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, nee, nee!) päischen Fazilität in Höhe von 60 Milliarden Euro bezie- Ich bin nicht dabei gewesen; Sie können das untereinan- hen. Sie reden jetzt von den 440 Milliarden Euro der ausmachen. Das ist ein nachgeschobenes Argument. Kreditermächtigung bzw. Gewährleistungsermächtigung. Sie müssen das gegen sich gelten lassen. Das sind zwei verschiedene Dinge. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nehmen Sie den Vorwurf des Verfassungsverstoßes zurück, Präsident Dr. Norbert Lammert: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des NEN]: Nein!) Kollegen Trittin? dann können wir darüber reden, ob die Bundeskanzlerin, ob wir aus welchen Gründen – – Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- zen: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bitte, ja. NEN]: Er ist ja schon zugegeben worden von der Kanzlerin!) Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – Nein, er ist nicht zugegeben worden; ich habe ihn ge- Herr Kollege Schäuble, ich will Ihnen zugutehalten, rade widerlegt, dass Sie an dem Termin ja nicht teilnehmen konnten. Ich will Sie deswegen davon unterrichten – und Sie fragen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ob Ihnen das niemand gesagt hat –, dass auf die Frage, wie weil ich Ihnen gesagt habe, dass die Unterrichtung vor wir verfahren, ich die Bundeskanzlerin gefragt habe: Wer- der Beschlussfassung im Europäischen Rat stattgefun- den wir vor der Beschlussempfehlung das Vertragswerk den hat. über die Zweckgesellschaft vorgelegt bekommen? – Die Bundeskanzlerin hat dies in Anwesenheit von mir und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den anderen Fraktionsvorsitzenden ausdrücklich zuge- NEN]: Nein, nicht des Bundestages! Frak- sagt. Bevor Sie hier unterstellen, dass wir – – tionsvorsitzende sind etwas anderes!) (Zurufe von der Regierungsbank – Renate Jetzt kommt der zweite Punkt, den ich Ihnen in der Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor Sache sagen wollte. Ich bin wirklich dafür, dass wir die der zweiten Lesung!) Dinge in der Sache so gut wie möglich klären, damit 4426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Klarheit auch bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbür- In der Sache ist klar, was zur Entscheidung ansteht. (C) gern herrscht. Natürlich ist dieser Gesellschaftsvertrag noch nicht ab- schließend formuliert. Wir haben die Eckpunkte Montag- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nacht in der Euro-Gruppe genau vorgegeben. Das muss neten der FDP) politisch entschieden werden. Wir haben den Auftrag er- teilt. Wir werden heute Mittag am Rande unseres Tref- Sie sagen: Wir wissen nicht wirklich, worüber wir fens in der Van-Rompuy-Gruppe sehen, wie weit man entscheiden. – Das ist doch vorgeschoben, mit Verlaub. dort gekommen ist. Ich habe zugesagt, dass ich zu jedem Es ist in dem Beschluss doch klar angelegt, dass wir Standpunkt jede mir zugängliche Information auch allen – zunächst einmal – auf der Grundlage von Art. 122 Fraktionen des Bundestags zur Verfügung stelle. Aber Abs. 2 des europäischen Vertrags 60 Milliarden Euro zur Sie haben keine Ausrede, um in der Sache eine Entschei- Verfügung stellen, unter den Voraussetzungen, die genau dung zu verweigern; das haben Sie nicht. definiert worden sind. Die europarechtliche und verfas- sungsrechtliche Begründung dieser Maßnahme ist ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wandfrei: weil sich durch das Überschwappen der Wir- Nun will ich eine dritte Bemerkung machen. Es wird kungen aus der Griechenland-Krise auf andere Länder gesagt: Warum machen wir das so schnell? Ja, wir sind eine von den einzelnen Mitgliedsländern im Sinne von dieses Mal das erste Land, das, soweit parlamentarische Art. 122 Abs. 2 des Vertrages nicht verschuldete Situa- Entscheidungen notwendig sind – die sind nicht in allen tion ergeben hat. Deswegen befinden wir uns bei diesen Ländern notwendig; in Deutschland sind sie notwendig –, 60 Milliarden Euro auf einer einwandfreien rechtlichen entscheidet. Aber es ist nun einmal so: Wir haben ja ge- Grundlage. Das ist der Beschluss des Europäischen Rats. sehen – bei Griechenland, aber auch nach der Entschei- Darüber hinaus haben die Mitgliedsländer der Euro- dung des Europäischen Rats –, dass zwar am Montag die Gruppe verabredet – – Das muss man rechtlich unter- Märkte ein wenig reagiert haben; aber seit Dienstag ha- scheiden; das ist für die Bevölkerung vielleicht nicht ben wir wieder eine Entwicklung gehabt, dass der Euro ganz so wichtig, aber wenn Sie so argumentieren, will rückläufig gewesen ist. Deswegen ist eben entscheidend, ich das doch ganz korrekt darlegen, damit klar ist: Im dass wir zwei Dinge machen: Verfahren ist es so korrekt, wie es in der Sache notwen- dig ist, was wir heute entscheiden. Erstens müssen wir wirklich dafür sorgen, dass die Ursachen der Spekulationen bekämpft werden, das heißt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Reduzierung der Defizite durch alle Länder der Euro-Zone. Also, zu dieser Maßnahme haben sich die Euro-Länder intergouvernemental verabredet: bis zu 440 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (D) Euro Finanzfazilitäten für notleidende Länder zur Verfü- Dafür haben Spanien, Portugal und andere Länder Maß- gung zu stellen, unter den Voraussetzungen, die in dem nahmen beschlossen, und auch wir werden unseren Teil Beschluss sehr genau definiert sind und die im Übrigen dazu beizutragen haben. Die Debatten darüber, wie sich in unserem Gesetzentwurf, den wir jetzt verabschieden die Schuldenbremse des Grundgesetzes im Haushalt wollen, wofür wir um Ihre Zustimmung bitten, genau 2011 und im mittelfristigen Finanzplan auswirkt, stehen enthalten sind, und zwar in § 1. uns bevor. Wir müssen unseren Beitrag leisten. Alle sind Voraussetzungen: Es muss erstens festgestellt werden, dazu entschlossen. dass ein Land der Euro-Zone notleidend ist; an diesem Zweitens. Wir müssen das Instrumentarium des Stabi- Beschluss wirkt dieses Land nicht mit. Es muss zweitens litäts- und Wachstumspakts schärfen. Dazu sind Vor- klargestellt sein, dass die Mittel aus der Europäischen schläge gemacht auf Anstoß der Bundesregierung. Ich Kommission, also die 60 Milliarden Euro, nicht ausrei- habe Vorschläge veröffentlicht. Die Bundeskanzlerin hat chen. Es müssen drittens Konditionalitäten wie bei Grie- im Europäischen Rat am 25. März durchgesetzt, dass die chenland vereinbart sein. Es müssen viertens EU-Kom- Arbeitsgruppe der Finanzminister unter dem Vorsitz des mission, EZB und IWF genauso beteiligt sein wie bei Ratspräsidenten eingesetzt wird. Das hat den Sinn, dass Griechenland. wir nicht nur innerhalb der europäischen Verträge reden können, sondern dass wir in der Van-Rompuy-Gruppe Unter diesen Voraussetzungen stellen die Euro-Län- auch über Vertragsänderungen sprechen können. Da- der über eine zu gründende Gesellschaft – die hat aber rüber haben wir noch keinen Konsens mit allen Mit- nur den Auftrag der technischen Durchführung und kei- gliedstaaten; das ist wahr. Aber heute Mittag um 14 Uhr nen Auftrag der materiellen Gestaltung – Kreditfazilitä- fangen wir an. Wir haben Vorschläge gemacht. Die ten in einer Höhe von bis zu 440 Milliarden Euro zur Kommission hat Vorschläge gemacht – die wir lange Verfügung, die pro rata bei den einzelnen Anleihen eingefordert hatten –, wie man das Instrument des Stabi- durch die Mitgliedstaaten garantiert werden. Das ist der litäts- und Wachstumspaktes schärft. Das ist der eine Regelungsgehalt. Dafür haben Sie alle genauen Eck- Punkt. punkte zur Verfügung gestellt bekommen, durch mich persönlich übermittelt. Wir haben auch unmittelbar nach Der andere Punkt ist: Wir müssen in Kraft setzen, was meiner Rückkehr aus Brüssel am Dienstag miteinander wir im Europäischen Rat verabredet haben. Denn die telefoniert; ich glaube, sogar schon auf der Fahrt zum Märkte vertrauen erst, wenn das tatsächlich in Kraft ist. Flughafen in Brüssel. Deswegen sollten Sie die Dinge Es ist eine Realität, dass die Märkte stärker auf Deutsch- nicht falsch darstellen. land schauen als auf Zypern oder Malta, die auch Mit- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4427

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) glied der Euro-Zone sind. Deswegen ist es richtig – um Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (C) Vertrauen auf den Märkten zu gewinnen, damit die Maß- zen: nahmen wirken –, dass wir so schnell entscheiden, wie Herr Kollege Wieland, es ist genau gegenteilig. Ich wir es uns vorgenommen, wie wir es verabredet haben. habe mich in der Sitzung der Euro-Gruppe dafür einge- setzt, dass wir dieses Instrument so gestalten, dass es auf (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ja! Das haben den Finanzmärkten seine Wirkung erzielt. Was dazu er- alle Sachverständigen so dargestellt!) forderlich ist, hat Bundesbankpräsident Weber – Herr Deswegen ist das nicht Taktik oder irgendetwas anderes, van Essen hat es zitiert – in der Anhörung des Finanz- sondern es ist in der Sache geboten, wenn wir das errei- ausschusses gesagt. Sie könnten Herrn Trichet fragen, chen wollen, was Sie ja im Prinzip als richtig erklärt ha- Sie könnten Herrn Strauss-Kahn fragen, wen immer Sie ben, nämlich das Paket zur Stabilisierung der europäi- wollen. Die werden Ihnen alle das Gleiche sagen. schen Währung. Nehmen Sie das also nicht als Die Wahrheit ist umgekehrt. Als ich von Bemühun- Argument, um nicht zuzustimmen, sondern stimmen Sie gen, die ich sehr respektiere, gehört habe, jede einzelne zu. Entscheidung von der Zustimmung des Parlaments ab- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hängig zu machen, habe ich sehr darum gebeten, dass wir diesen Weg nicht gehen. Das hat uns ein paar zusätz- Übrigens will ich Ihnen in diesem Zusammenhang sa- liche Gespräche eingebracht; das ist immer gut. Jetzt ha- gen: Wir hatten gestern im Finanzministerium eine Fi- ben wir uns auf eine Regelung verständigt – sie steht in nanzmarktkonferenz, um einen Beitrag zur Vorbereitung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses –, des G-20-Gipfels im kommenden Monat in Kanada zu der Ihre Fraktion im Haushaltsausschuss zugestimmt leisten. Das hat insofern gut gepasst, als wir von allen hat: anwesenden G-20-Staaten gehört haben, dass auch Asien (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) mit großer Besorgnis darauf schaut, dass es gelingt, die Krise um den Euro zu stabilisieren, weil die Gefahr von dass wir genau die Regelung übernehmen, die wir in Folgewirkungen auf das gesamte Weltwährungs- und -fi- dem Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen der nanzsystem bestanden hätte. Deswegen haben wir diese Bundesregierung und dem Bundestag in europäischen große Verantwortung. Fragen am 25. September 2009 festgelegt haben. Besser kann man es gar nicht machen, meine Damen und Her- Präsident Dr. Norbert Lammert: ren. Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) legen Wieland zu? (D) Ich würde gerne noch eine Bemerkung zu dem Thema „Besteuerung des Finanzsektors“ machen. Ich finde, Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- wenn wir ehrlich mit unseren Mitbürgerinnen und Mit- zen: bürgern umgehen, dann können wir erstens zugeben, Bitte, Herr Wieland. dass es unterschiedliche Meinungen über die Wirkungs- weise und Wirkungskraft einer Finanztransaktion- steuer gibt. Die gibt es in der Welt, die gibt es immer. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Bundesminister, da Sie uns ja vorgeworfen ha- (Joachim Poß [SPD]: Die Anhörung war ziem- ben bzw. an uns appelliert haben, nicht wegen taktischer lich eindeutig!) Mätzchen das Ja zu verweigern, frage ich Sie: Stimmt es, – Ja, einverstanden. dass Sie in Brüssel dafür geworben haben – sich bei Ih- ren Kolleginnen und Kollegen aber nicht durchgesetzt Wir können zweitens sagen, dass es jedenfalls eine haben –, dass der Bundestag vor der Übernahme einer Übereinstimmung gibt. Die Bundeskanzlerin hatte mich jeden Garantie ein Veto bekommt, und können Sie es mit im Übrigen beauftragt. Hören Sie sich doch einmal bei Ihrem Verständnis des Parlamentes vereinbaren, dass das Ihren Kollegen in der Euro-Gruppe, im Ecofin, um, wie Parlament sein Budgetrecht so weit auf die Exekutive sie diese Fragen beurteilen. Die Antwort habe ich auch überträgt, dass nur noch eine Bemühenszusage der Bun- im Haushaltsausschuss sehr präzise gegeben und dort desregierung herausgekommen ist? berichtet. Es gibt niemanden, der in Europa national eine Finanztransaktionsteuer einführen will – kein Land. Ich frage jetzt ganz zugespitzt, gerade weil der Kol- lege van Essen vorhin den Bundesbankpräsidenten zi- ( [FDP]: Nur die SPD!) tiert hat: Sollen die Finanzmärkte dann auch noch die Demokratie bestimmen? Sollen sie auch noch über unser – Nein, kein Land, kein Staat, kein Mitgliedstaat der Eu- Budgetrecht bestimmen? Ist ein Parlament noch ein Par- ropäischen Union – das ist meine Antwort auf den Un- lament, wenn es sich insoweit seines vornehmsten Rech- terrichtungsauftrag der Bundeskanzlerin –, weil sie alle tes entäußert? sagen: Das macht keinen Sinn. Alle sagen mehr oder minder: Ja, wenn es global geht, ist das gut. Das ist übri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gens seit langem die Position der Christlich-Demokrati- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- schen Union, insbesondere auch ihrer Vorsitzenden, der KEN) Bundeskanzlerin . Wenn es global geht: 4428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Ja. Die Frage: „Geht es global?“, wird von vielen sehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) skeptisch beurteilt; das wissen auch Sie. Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt könnt ihr ja zustimmen!) (Joachim Poß [SPD]: Wir doch auch!) Nachdem dies alles geklärt ist, verehrte Kolleginnen – Ja, das wissen wir auch. Ich gehe gerade Schritt für und Kollegen, können wir doch jetzt zur Sache zurück- Schritt vor. Seien Sie ganz geduldig! So wie ich im kehren. Haushaltsausschuss präzise war, will ich es auch hier sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) SPD wie Grüne sagen: Eigentlich ist es richtig; eigent- Die Staats- und Regierungschefs haben im G-20-Pro- lich ist jede andere Alternative – die gibt es immer – viel zess in Pittsburgh verabredet: Bis zum nächsten Gipfel schlechter und viel gefährlicher, also müssen wir es ma- im Juni 2010 – er findet demnächst in Kanada statt – chen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wollen wir geklärt haben: Gibt es eine Chance, die Sie uns wieder gemeinsam unseren Mitbürgerinnen und Steuer weltweit einzuführen? Wenn es diese Chance Mitbürgern sagen, warum wir dies tun. Wir tun dies eben gibt, wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen. nicht aus Großzügigkeit gegenüber anderen, sondern wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tun es in unserem besten, wohlverstandenen nationalen Thomas Oppermann [SPD]: Wenn es die Interesse. Dieses nationale Interesse heißt: eingebunden Chance gibt?) bleiben in das weiter zusammenwachsende Europa. Wenn nach dem G-20-Gipfel in Kanada im Juni fest- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) steht, dass es diese Chance auf absehbare Zeit nicht gibt, Die gemeinsame europäische Währung und die Wirt- dann – und nur dann – besteht eine reale Chance, in Eu- schaftsgemeinschaft sind für Deutschland von ganz ropa eine Antwort von den anderen Staaten zu bekom- überragendem Vorteil. Man muss sich einmal die Zahlen men: Gibt es eine Chance auf eine europäische Finanz- anschauen: Wenn man Exporte und Importe zusammen- markttransaktionsteuer? Die Bundesregierung wird sich rechnet, dann erkennt man, dass der Anteil unserer Ver- dafür einsetzen. flechtung in den globalisierten Welthandel doppelt so groß ist wie beim nächsten großen Welthandelsland Ja- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- pan; so stark sind wir davon abhängig. Fast zwei Drittel neten der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: unserer Exporte gehen in die Mitgliedsländer der Euro- Ohne Wenn und Aber?) päischen Währungsunion. Hätten wir keine gemeinsame So ist es gesagt, und so ist es geklärt. Währung, hätten wir eine viel geringere wirtschaftliche (B) Leistungskraft, weniger Wohlstand und weniger soziale (D) Damit Sie nicht hinterher sagen, das hätten wir nicht Sicherheit. Deswegen ist die Verteidigung des Euro, der gesagt, sage ich Ihnen eines vorher. Es wird dann in Eu- Stabilität unserer europäischen Währung, ein Akt unse- ropa eine ganz zentrale Frage sein: Geht eine solche rer eigenen Verantwortung für unser gemeinsames Eu- Steuer nur unter Einschluss des größten Finanzplatzes, ropa. London, oder geht sie notfalls, wenn es europaweit kein Einvernehmen gibt, auch ohne ihn? Die Haltung des (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vereinigten Königreichs – es hat eine ganz neue Regie- Im Übrigen: Wenn wir Defizite reduzieren, dann ist rung; dort gab es vor kurzem Wahlen – ist in der Frage das nicht etwas, was uns Brüssel auferlegt, sondern es ist nicht völlig klar. Besser wäre eine Regelung für ganz im Interesse der Nachhaltigkeit unvermeidlich. Deswe- Europa. Aber wenn eine Regelung für ganz Europa nicht gen fangen manche Mitgliedstaaten an, darüber nachzu- möglich ist, werden wir über die Frage zu entscheiden denken, ob die deutsche Schuldenbremse im Grundge- haben: Gibt es eine Chance, das im Euro-Bereich einzu- setz nicht auch deswegen klug ist. Natürlich kann man führen? Auch dafür werden wir uns einsetzen; den Stabilitätspakt auch so ausgestalten, dass er eine eu- ropäische Schuldenbremse ist. Aber die nationale Veran- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kerung in der nationalen Verfassung hat den Sinn, der aber ob wir dafür eine Mehrheit im Euro-Bereich be- Bevölkerung klarzumachen: Wir tun das nicht für an- kommen, kann ich Ihnen heute nicht versprechen. Das dere; wir tun es für uns selbst, im Interesse künftiger Ge- ist die Haltung der Bundesregierung; so ist es präzise. nerationen, im Interesse der Nachhaltigkeit unserer Fi- nanzpolitik. Auch dies muss man sehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: So klar (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) war Frau Merkel nicht in den letzten Tagen!) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das, was wir entscheiden, ist keine Kleinigkeit. – Im Übrigen ge- – Entschuldigung! Um diese Frage so klar zu beantwor- ben wir nicht Steuergelder aus, sondern wir ermächtigen ten, hat sie ihren Finanzminister beauftragt, das erst ein- für die Garantie von Krediten. Das ist schon ein Unter- mal zu klären; schied. Die Haushaltsprobleme für den Haushalt 2011, (Joachim Poß [SPD]: Ah!) für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung und für die Einhaltung der Schuldenbremse bestehen er gibt Ihnen jetzt die Antwort. Das können Sie nicht der völlig unabhängig von dem, was wir heute zu entschei- Bundeskanzlerin vorwerfen. den haben, und sie sind groß genug. Das will ich nicht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4429

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) kleinreden. Wir sollten das nicht vergessen. – Es ist richtig bekomme ich Ihre 180-Grad-Wendung mit die- (C) keine Kleinigkeit. Aber das ist die Konsequenz einer sem Zitat nicht zur Deckung; das muss ich offen sagen. Entscheidung, mit der wir sagen: Wir setzen auf ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf handlungsfähiges, starkes Europa, und wir setzen auf die von der CDU/CSU: Scheinheilig!) Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung. Dafür sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen. So ist das, wenn man die Bergpredigt ins Parlament ein- Ich hoffe, das gilt nicht nur für die Koalition, sondern führt: Irgendwann schlägt sie zurück. auch für alle anderen, die sich in diesem Hause für euro- päische Politik einsetzen. (Zuruf von der FDP: Es geht um den Euro!) Herzlichen Dank. Also, Herr Kollege Schäuble, mich würde wirklich interessieren: Was ist denn nun eigentlich die Position (Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ der Regierung und der Koalitionsfraktionen, und warum CSU – anhaltender Beifall bei der FDP) beschließen wir die Steuer heute nicht? Ich kann ja ver- stehen, dass inzwischen selbst in Ihren eigenen Reihen Präsident Dr. Norbert Lammert: große Zweifel – übrigens auch an Ihrer persönlichen Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für Glaubwürdigkeit, Herr Schäuble – existieren. die SPD-Fraktion. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: (Beifall bei der SPD – Abg. Sigmar Gabriel Unverschämtheit!) [SPD] begibt sich humpelnd zum Rednerpult – – Sie sagen „Unverschämtheit“. Das müssen Sie Herrn Volker Kauder [CDU/CSU]: Die SPD ist ange- Seehofer sagen. Er sagt das heute in der Süddeutschen schlagen! – Gegenruf des Abg. Thomas Zeitung. Oppermann [SPD]: Das hättet ihr gerne!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sigmar Gabriel (SPD): Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch un- Das müssen Sie doch verstehen; die rechte Seite ist verschämt!) ein bisschen angeschlagen. Damit kennen Sie sich doch aus, oder nicht? – Das sagen wir doch nicht. Wenn Sie danach rufen, dann zitiere ich ihn. Es ist doch Ihr Ministerpräsident. Er (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bei Ihnen, in- fragt heute in der Süddeutschen Zeitung, warum Finanz- nerhalb Ihrer Fraktion!) minister Schäuble die Finanztransaktionsteuer infrage (B) Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Meine Damen stellt, obwohl die Koalition sie doch will. Seehofer: (D) und Herren! Wenn der Koalitionsausschuss sagt, die Steuer (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Gute kommt, und der Finanzminister gleichzeitig sagt, Besserung! sie kommt nicht, dann fühlt sich doch die Bevölke- rung verhöhnt. … Ich muss mich – Herr Westerwelle wünscht mir gute Besserung; poli- tisch wünsche ich Ihnen das auch. – so Seehofer – (Heiterkeit bei der SPD – Dr. h. c. Hans schon manchmal sehr zurückhalten, um nicht aus Michelbach [CDU/CSU]: Das entspricht nicht der Haut zu fahren. dem Ernst der Lage!) Das geht uns auch so, meine Damen und Herren. Das geht uns ganz genauso. Aber im Ernst, Herr Schäuble: Was sollen wir Ihnen denn nun eigentlich glauben? Sie sagen im März: Es gibt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine Chance zur Einführung einer Finanztransak- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE tionsteuer. Am 18. Mai im Deutschlandfunk machen Sie GRÜNEN) die Einführung noch völlig davon abhängig, dass sie weltweit erfolgt, weil sonst die Gefahr einer Abwande- Ein paar von Ihnen haben eben dazwischengerufen: rung in die USA und nach Asien bestehe, und heute er- die Haltung der SPD zum Euro. Jetzt sage ich Ihnen mal klären Sie nun, Sie seien – ich habe genau zugehört – so- eins: Ein Teil Ihrer eigenen Koalition klagt gegen Ihre gar bereit, es nur im Euro-Raum zu versuchen. Gesetze vor dem Verfassungsgericht und ein anderer er- klärt, Sie seien führungsschwach und wüssten nicht, wie Meine Frage an Sie ist: Wenn dies ein ernsthafter das Ganze zusammengehen soll. Sie haben ein Problem Meinungswandel bei Ihnen ist, warum, Herr Kollege in der europäischen Debatte, nicht wir! Schäuble, beschließen wir es dann nicht einfach heute hier im Deutschen Bundestag? Warum? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber so geht das ja nun schon seit Monaten. Vor ge- nau zwei Wochen berieten wir im Deutschen Bundestag Sie haben vor zwei Wochen hier im Haus der SPD ein nach wochenlangen Dementis von Wolfgang Schäuble, Zitat aus der Bergpredigt entgegengehalten: „Euer Ja sei Angela Merkel und vielen anderen Koalitionären über ein Ja, euer Nein ein Nein.“ Herr Kollege Schäuble, so 22,4 Milliarden Euro Garantierahmen für Griechen- 4430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Sigmar Gabriel (A) land – und keinen Cent mehr, so der Parlamentarische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Geschäftsführer der FDP, Herr Fricke. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Otto Fricke [FDP]: Für Griechenland!) Die Staats- und Regierungschefs wollten den Euro nicht – Darauf habe ich gewartet, Herr Kollege Fricke. Ich ein zweites Mal aufs Spiel setzen, nur um Ihren takti- will nicht sagen: dümmere – – Aber es wird Ihrer intel- schen Winkelzügen in der Innenpolitik folgen zu müs- lektuellen Fähigkeit nicht gerecht, sich mit der Ausrede sen. Sie hatten es satt. Das ist der Grund, warum sie Sie zufriedenzugeben. vor vollendete Tatsachen gestellt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Joachim Poß [SPD]: Die hat er doch gar nicht!) Frau Bundeskanzlerin, seit Konrad Adenauer ist nie ein deutscher Bundeskanzler in Europa so vorgeführt wor- Wir haben hier im Deutschen Bundestag und in der Öf- den. Seit Konrad Adenauer hat noch niemand die fentlichkeit die Frage diskutiert: Kann das eigentlich deutsch-französische Achse so grundlegend ruiniert, wie Folgewirkungen in anderen Ländern haben? Wann kom- Sie das in den letzten Monaten getan haben. men die Nächsten? Da haben Sie gesagt: Keinen Cent mehr, und zwar ohne die Einschränkung zu Griechen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ land. Das ist Ihre Position, die Sie hier eingenommen ha- DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ ben. CSU – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Niemand genießt höheren Respekt in Europa als unsere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundeskanzlerin!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Fricke, Sie sollten sich nicht davon distanzieren. Nun kommen Sie in den Deutschen Bundestag und Sie sind, jedenfalls nach Ihrer Auffassung, in guter Ge- fordern all das, was Sie vor der Blamage in Brüssel hier sellschaft; denn Herr Brüderle hat am 5. März auf ntv be- im Parlament und in der Öffentlichkeit noch vehement reits verkündet: Wir haben nicht die Absicht, Griechen- abgelehnt haben. Ich frage Sie nur mal eins: Wer soll ei- land einen Cent zu geben. – Am gleichen Tag, als wir gentlich der immer schnelleren Folge Ihrer Regierungs- hier entschieden haben, als Herr Fricke für keinen Cent erklärungen noch Glauben schenken? Das machen doch weitere Zugeständnisse machen wollte, flog Frau Merkel offensichtlich, siehe Seehofer, nicht einmal Ihre eigenen nach Brüssel, um über 123 Milliarden Euro – Herr Leute. Aber ich will ja von Herrn Schäuble und anderen Fricke, das sind 12,3 Billionen Cent – mehr zu verhan- nicht mehr Überzeugungsfähigkeit erwarten, als ihrer ei- (B) (D) deln. genen Kanzlerin zur Verfügung steht. Von daher waren meine Erwartungen an die heutige Debatte nicht allzu (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem groß. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ist das ein ernsthaftes Aber was Sie sich am letzten Sonntag, Frau Bundes- Argument?) kanzlerin, beim DGB-Bundeskongress erlaubt haben, ist schon einmalig. Es war Ihnen offensichtlich nicht ein- Jetzt gibt es zwei Rückschlüsse. Entweder die Regie- mal peinlich, den DGB-Vorsitzenden bei der Debatte, rung hat am Freitagmorgen vor 14 Tagen dem Parlament wie man die Kapitalmärkte endlich zur Kasse bittet, da- gegenüber nicht die ganze Wahrheit gesagt, oder – und mit die Kosten bezahlt werden, die dort angerichtet wur- das ist vermutlich die weitaus schlimmere Nachricht und den, aufzufordern, er möge doch dafür sorgen, dass alle Wahrheit – sie hat wirklich nicht gewusst, was auf sie in 20 Gewerkschaftsbünde der G-20-Industriestaaten ihre Brüssel zukommt. Die Kanzlerin der größten Volkswirt- Staats- und Regierungschefs dazu bringen, die Forde- schaft Europas, die Regierungschefin eines der wichtigs- rung nach einer Finanztransaktionsteuer zu unterstützen. ten Motoren der Europäischen Union, kommt auf einen EU-Gipfel und wird von Frankreich und allen anderen (Joachim Poß [SPD]: Ja, das ist politische Mitgliedstaaten Führung!) (Joachim Poß [SPD]: Italien! Berlusconi!) Dann seien auch Sie dafür und würden die Steuer for- vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist die Realität, dern. Frau Dr. Merkel, Sie haben wirklich ein seltsames die Sie uns heute hier versuchen, zu erklären. Rollenverständnis: Sie müssen kämpfen, nicht andere. Sie müssen vorgehen, nicht andere. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorsicht, wenn Sie das bestreiten! Dann bleibt nur die DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Alternative, dass Sie es wussten, uns es aber nicht gesagt LINKEN) haben. Sie sind doch nicht Deutschlands oberste politische Ani- Das hatte einen anderen Grund – das muss man ein- mateurin, die andere auffordert. Sie selber müssen doch mal aussprechen –: Die anderen EU-Staaten hatten die führen und handeln. Aber genau hier liegt der Unter- Nase gestrichen voll von Ihrer Taktiererei, Frau Bundes- schied zwischen Ihnen und anderen Regierungschefs in kanzlerin. der Europäischen Union. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4431

Sigmar Gabriel (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Es geht nicht um einen Luxemburger, es geht um den (C) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vorsitzenden der Finanzminister des Euro-Rates. Schein- LINKEN) bar scheint Ihnen der nichts wert zu sein. Wenn Sie das jetzt kurz nach dem DGB-Kongress (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: wirklich ernst meinen und für die Finanztrans- Das ist eine schlechte Rede, Herr Gabriel, sehr aktionsteuer kämpfen wollen, wenn Sie für diese Steuer schlecht!) auf einmal sogar – ich zitiere Sie noch einmal – „Rabatz machen“ wollen, wie Sie vorgestern erklärt haben, dann – Wir sollten die Zwischenrufe, die hier ja aufgezeichnet frage ich Sie: Warum beschließen wir das nicht heute werden, einmal den Kollegen in Europa zuschicken. Mal hier im Parlament? sehen, wie die darauf reagieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sie in der Umwelt- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) politik als mutig erlebt. Sie sind ja nicht einmal bereit, dem sehr knapp gefassten (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen, der in gro- GRÜNEN]: Na ja!) ßen Teilen wörtlich Ihrer Regierungserklärung vom Mitt- Glauben Sie wirklich, dass es den Emissionshandel in woch – für den Fall, dass Sie sich daran nicht mehr erin- Europa gäbe, wenn Deutschland dazu nicht Ja gesagt nern – entnommen ist. In ihm wird ohne große Schnörkel hätte, wenn wir nicht gegen die Lobbyisten im eigenen gefordert – Herr Schäuble, hören Sie genau zu –: Zuerst Land, gegen die Zauderer und Zögerer während unserer soll die Bundesregierung bei G 20 für die Beteiligung EU-Ratspräsidentschaft Druck gemacht und den Emis- der Kapitalmärkte kämpfen und, wenn die nicht mitzie- sionshandel verschärft hätten? Ich sage Ihnen: Nichts an- hen, es in Europa alleine machen. Das hatten Sie doch deres erwarten wir auch von Ihnen. Wir müssen mutiger eben hier versprochen. sein und in Europa vorangehen. Aber Sie waren wohl (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nur so lange eine mutige Kanzlerin, solange Sie von So- zialdemokraten bewacht wurden. Das ist doch das Versprechen der Bundeskanzlerin. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ Warum wehren Sie sich eigentlich so heftig, dass das CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/ deutsche Parlament dieses beschließt und Ihnen damit CSU]: Da haut es einem die Brille von der den Rücken stärkt? Warum sind Sie eigentlich dagegen? Nase!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Man kann sich auf Ihre Zwischenrufe verlassen. (B) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (D) LINKEN) In den letzten zwei Regierungserklärungen, Frau Die Antwort ist einfach: weil Sie in Wahrheit nichts als Bundeskanzlerin, haben Sie sich ins Pathos geflüchtet. einen faulen Formelkompromiss mit Ihrem Wunschpart- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo leben Sie ner FDP hinbekommen haben, ohne substanziellen Wil- denn?) len der gesamten Bundesregierung, auch wirklich dafür einzutreten. Herr Westerwelle ist als Außenminister auch Aber wie sieht eigentlich die Realität aus? Was haben bei diesem Kampf für eine angemessene Beteiligung der Sie eigentlich in den letzten sieben, acht Monaten bei der Kapitalmärkte ein Totalausfall für Deutschland und Finanzmarktregulierung getan? Europa. (Zuruf von der SPD: Gar nichts!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vor lauter internem Streit und Taktieren vor der Land- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tagswahl in NRW hat Ihre schwarz-gelbe Wunschkoali- LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ha- tion in den sieben, acht Monaten genau drei Vorhaben ben Sie nicht zugehört?) auf den Weg gebracht, die sich mit dem Thema Finanz- Da lobe ich mir wahrhaft standhafte Konservative wie marktregulierung befassen. Alle drei beschränken sich Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. Er sagt öffent- auf die Umsetzung von EU-Recht, und, übrigens, keines lich: Ja, er ist bereit, wenn zum Beispiel die Briten nicht dieser Verfahren ist abgeschlossen. Nur zum Vergleich: mitmachen, es dann alleine in der Euro-Zone zu machen. Zwischen Ende 2008 und Sommer 2009 hat der sozial- Der hat Mumm. Der kuscht nicht vor ein paar Drohun- demokratische Finanzminister Peer Steinbrück – übri- gen dieser Nieten in Nadelstreifen, gens meistens gegen energische Widerstände aus der Union – ein Gesetz zur Regulierung der Vorstandsvergü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tung, zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, zur bi- denen immer ein neues Argument einfällt, wenn es da- lanziellen Aufdeckung der Zweckgesellschaften, zur rum geht, sich selbst davor zu schützen, dass sie die Verschärfung der Haftung der Manager, zur Erhöhung Kosten tragen, die sie selber zu verantworten haben. der Transparenz bei Unternehmensbeteiligungen sowie Maßnahmen zur Begrenzung der Vergütung in der Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nanzbranche durchgesetzt und dazu zahlreiche Maßnah- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – men auf EU-Ebene vorangebracht, Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Luxemburg ist ja auch furchtbar groß!) (Beifall bei der SPD) 4432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Sigmar Gabriel (A) übrigens immer gegen den erbitterten Widerstand der letzten Jahres führen Sie Tag für Tag neue Koalitionsver- (C) FDP. Das, Frau Bundeskanzlerin, ist die Bilanz, wenn handlungen. Seit Jahresbeginn eilen Sie der Realität an man wirklich handelt. Was haben Sie in Ihrer Regie- den Märkten hinterher. Sie sind längst zur Getriebenen rungserklärung gesagt? – „Es ist Zeit zum Handeln.“ geworden, zur Getriebenen der Märkte, der europäischen Das finden wir auch. Wir haben es getan. Wann tun Sie Partner, Ihres liberalen Wunschpartners, inzwischen so- das endlich, anstatt immer nur Ankündigungen zu ver- gar Ihrer eigenen Fraktion und am Ende notfalls durch breiten? die Medien. Sie haben keine Linie, Sie haben kein Ziel, und Sie wissen nicht, wohin mit diesem Land und mit (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ Europa. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung nach sieben CSU) bis acht Monaten in diesem Land. – Ich weiß gar nicht, was die Zwischenrufe sollen. Sie (Beifall bei der SPD) sind doch selber stolz auf die Zeit, als Sie mit uns regiert haben. Sie haben in dieser Woche die Broschüre Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vorgestern unzäh- „Deutschland gestärkt aus der Krise führen – Jahresbe- lige Male eine neue Stabilitätskultur in Europa richt der Bundesregierung“ an die Abgeordneten ver- angemahnt, offenbar ein neues Lieblingswort Ihrer Re- schickt. denschreiber. Wir haben gar nichts gegen eine neue Sta- bilitätskultur, aber uns würde es schon reichen, wenn Sie (Abg. Sigmar Gabriel [SPD] zeigt ein Papier) diese zunächst in Ihrer eigenen Koalition einführen wür- Schlagen wir sie auf. Wer ist zu sehen? – Angela Merkel den. und Frank-Walter Steinmeier. Nur am Rande: Sie tun jetzt öffentlich so, als ob das (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Taktieren, das Abwarten keine Folgen hätte. Sie erklären BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von sogar mokant, Langsamkeit sei eine Tugend. Das liegt der CDU/CSU: So ist die Regierung! So ist die natürlich daran, dass Sie die Kosten dieser Langsamkeit Bundeskanzlerin!) nicht zu bezahlen haben. Sie kündigen ja schon ein eiser- nes Sparprogramm an. Für wie dumm halten Sie die Frau Merkel sagt gerade, das waren noch schöne Zeiten. Menschen eigentlich? Erst versprechen Sie monatelang Da haben Sie recht, Frau Merkel. Ich verstehe, dass Ih- gemeinsam mit der FDP Milliardensteuergeschenke bei nen der Kollege zur Rechten inzwischen auf den Geist gleichzeitiger Entschuldung des Landes, und kaum ist geht, aber dann lösen Sie sich irgendwann von ihm! Das die Landtagswahl in NRW am 9. Mai vorbei, da kassie- verstehe ich ja alles. ren Sie alle Steuersenkungsvorhaben und kündigen statt- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) dessen entschiedene Sparprogramme an. Mich würde es (B) übrigens nicht wundern, wenn das Versprechen eines (D) Herr Westerwelle, angesichts des Fotos würde ich mir milliardenschweren Steuersenkungsprogramms kurz vor ernsthafte Sorgen machen. der nächsten Bundestagswahl wieder als Hauptforderung (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: von Union und FDP das Licht der Welt erblickt. Ich sage Mache ich!) Ihnen: Zweimal die gleiche Wahllüge, das geht mit Si- cherheit schief. Darauf können Sie sich verlassen, Frau Im Ernst: Wir haben eine Menge geleistet, und jetzt Bundeskanzlerin. wird nur angekündigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Bundeskanzlerin, einen Tag vor der ersten Le- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE sung des Gesetzentwurfs – ein Schelm, wer Böses dabei GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: denkt – erklären Sie, dass die BaFin angewiesen worden Wie war das mit der Mehrwertsteuer?) sei, die Leerverkäufe zu verbieten. Ich frage Sie genau wie der Kollege Gysi und andere: Warum haben Sie ei- Dann versuchen Sie auch noch dreist, die Verantwor- gentlich Leerverkäufe, deren Verbot Peer Steinbrück tung zu verschieben. Auf dem Kirchentag sagten Sie, schon durchgesetzt hatte, überhaupt erst wieder erlaubt? die Deutschen würden über ihre Verhältnisse leben, man Offensichtlich brauchen Sie immer öffentlichen Druck lebe auf Pump. Ich weiß nicht, in welchem Land Sie und den Druck der Opposition, damit Sie überhaupt leben. Meinen Sie mit denen, die laut Ihnen über ihre irgendetwas machen. Alleine bringt diese Regierung Verhältnisse leben, die Bevölkerung Ihres Landes? In nichts zustande. Deutschland gibt es 5 Millionen Menschen, die für weni- ger als 8 Euro in der Stunde arbeiten. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie viele Frau Bundeskanzlerin, bis heute haben Sie von sich Kredite haben wir aufgenommen?) aus kein Konzept für die Überwindung der Krise vorge- legt. Stattdessen passen Sie sich immer den neuen Stim- 1,3 Millionen Menschen gehen nach der Arbeit zum So- mungen in der Koalition an, anstatt klar Stellung zu zialamt. Wenn Sie über Kredite und Schulden reden, beziehen und verbindliche Vorstellungen über Ihr beab- möchte ich Ihnen einmal sagen, wer hier Schulden sichtigtes Engagement im Parlament vorzulegen und be- macht. Das sind zum Beispiel die Studenten, deren El- schließen zu lassen. So jedenfalls kann man kein Land tern nicht genug Geld haben, die durch Ihre Studienge- regieren, und so führt man auch kein Land aus der Krise bühren 20 000 oder 30 000 Euro Schulden machen müs- heraus, sondern immer tiefer hinein. Stattdessen erleben sen und nach dem Studium keinen Job bekommen. Das wir Sie und Ihr Kabinett in Zeitlupe. Seit September sind die, die in Deutschland auf Pump leben müssen, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4433

Sigmar Gabriel (A) weil Sie die Politik so gestalten. Das ist der eigentliche wicklung und übrigens auch einen Sprengsatz in unsere (C) Hintergrund dessen, was hier passiert. Gesellschaft. Das ist die Wahrheit, die sich hinter Ihrem unsinnigen Satz verbirgt, wir alle müssten sparen, wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lebten auf Pump und über unsere Verhältnisse. Das, was der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Sie da vorhaben, geht schief. GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bil- liger geht es nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir in diesem Land sitzen nicht alle in einem Boot. Das Gegenteil wäre richtig: Wir brauchen endlich wie- Es gibt einige, denen steht das Wasser bis zum Hals, und der eine angemessene Lohnentwicklung orientiert an der ein paar wenige sind mit der Luxusyacht unterwegs. Das Produktivitätsentwicklung unseres Landes. Der Wettbe- ist die Realität, die Sie verdrängen wollen. Hier haben werb um niedrige Steuern, niedrige Löhne zwingt die nur ganz wenige über ihre Verhältnisse gelebt. Das sind anderen Länder geradezu, mitzumachen, wenn sie über- die, die permanent öffentlich erklären: „Privat vor Staat“ haupt eine Chance haben wollen. Im Ergebnis versuchen und sich hemmungslos mit Ihrer Hilfe weiter bedienen sie dann, sich über Verschuldung den Wohlstand zu kau- dürfen. Das sind die, die hier über ihre Verhältnisse ge- fen, den wir ihnen nicht ermöglichen, weil wir perma- lebt haben. nent den Druck auf die Löhne in Europa erhöhen. Das müssen wir ändern. Darum geht es in Wahrheit in der (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Auseinandersetzung. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wissen Sie, Ihre Forderung, wir müssten den Gürtel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten enger schnallen, und Ihr Nichtstun gegenüber den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzmärkten sind ja nicht nur ungerecht, sondern vor allen Dingen politisch falsch. Denn eine der zentralen Vizepräsidentin : Ursachen für die gegenwärtige Krise ist, dass wir die Kollege Gabriel, achten Sie bitte auf das Signal. Geburtsfehler der Währungsunion, nämlich das Fehlen einer echten Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Sigmar Gabriel (SPD): Finanzpolitik, nicht endlich beseitigen. Ja. – Wenn wir über die Finanzmarkttransaktionsteuer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) streiten, dann streiten wir nicht über ein Instrument, son- dern über die Frage, in welche Richtung wir Europa füh- Man stelle sich einmal vor, die damals existierenden ren möchten. Wir wollen ein gemeinsames und soziales Bundesländer hätten 1948, als in Westdeutschland die Europa, ein Europa, das mehr ist als der Binnenmarkt. Währungsreform durchgeführt wurde, komplett auf eine (B) Deshalb brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. (D) gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik ver- Wir sind nicht gegen das Rettungspaket, schon deshalb zichtet. So verrückt ist damals niemand gewesen. Jetzt nicht, weil es nicht Ihre Idee ist. Es ist ja gegen Sie haben wir die Chance, diesen Geburtsfehler zu korrigie- durchgesetzt worden. Aber weil der Rest Ihrer Politik ren. Aber Sie, Frau Kanzlerin, sind die Erste, die wieder nicht verlässlich ist, weil sie unklar ist und aus Ankündi- einmal „Madame No“ gespielt hat, als der spanische Mi- gungen besteht, weil Ihre ganze Richtung weiterhin nisterpräsident Zapatero zu Beginn seiner EU-Ratspräsi- falsch ist, können wir Ihnen heute nicht zustimmen. Des- dentschaft genau diese Koordinierung gefordert hat. halb, Herr Kollege Schäuble, geht es bei unserer Nicht- (Beifall bei der SPD) zustimmung zu Ihrem Gesetzespaket nicht um Taktik und auch nicht um Verfahrensfehler. Dafür, dass Sie das nicht wollen, gibt es einen Grund. Denn wenn man über diese Koordinierung reden würde, (Lachen bei Abgeordneten der FDP) würde natürlich auch der deutsche Anteil an der Krise – Nein, taktiert haben Sie vor der Nordrhein-Westfalen- deutlich werden. Darüber müssen wir hier offen reden. Wahl. Das hat Ihnen jeder in Deutschland bestätigt. Der deutsche Anteil besteht darin, dass wir in Deutsch- land eben nicht über unsere Verhältnisse leben. Das Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genteil ist der Fall: Wir leben seit Jahren wirtschaftspoli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tisch unter unseren Verhältnissen. Uns geht es darum, dass wir endlich in der Europapolitik (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und in der deutschen Wirtschaftspolitik eine andere Richtung einschlagen. Dafür streiten wir. Das ist ein lan- Seit Jahren hält die Lohnentwicklung in Deutschland ger Weg. Er ist schwierig. Aber wir sind bereit, ihn zu nicht Schritt mit der Produktivitätsentwicklung. 10 Pro- gehen. Wir wollen jedoch nicht den Weg gehen, der an zent der Bevölkerung besitzen weit mehr als 60 Prozent seinem Ende zu sozialen Kürzungsmaßnahmen quer des Vermögens, und 27 Prozent unserer Bevölkerung be- durchs Land führt, weil Sie sich nicht trauen, die wahr- sitzt gar kein Vermögen. So hat sich Ludwig Erhard die lich Schuldigen in Deutschland endlich zur Kasse zu bit- soziale Marktwirtschaft nicht vorgestellt. ten. Wer wie CDU/CSU und FDP auf Mindestlöhne ver- Viele Dank. zichtet, Leih- und Zeitarbeit zu Armutslöhnen weiter ausbauen möchte und jetzt auch noch bei Bildung, So- (Anhaltender Beifall bei der SPD – zialausgaben und Investitionen sparen will, der, Frau Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Billig! Ganz Bundeskanzlerin, bringt einen Treibsatz in diese Ent- billige Nummer!) 4434 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich möchte auf eine Sache eingehen, nämlich auf die (C) Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Frage des Verfahrens selber. Ich habe die letzten elf Dr. Guido Westerwelle. Jahre hier als Abgeordneter im Deutschen Bundestag die ehrenwerte Aufgabe der Opposition wahrnehmen dür- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) fen, denn zu jeder Demokratie gehört beides. Beide Auf- gaben, Regierung und Opposition, sollte man ernst neh- Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- men. wärtigen: (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Herr Kollege Gabriel, noch einmal NEN]: Sind Sie in einer anderen Art von Op- in aller Form: Gute Besserung! Das ist an den Menschen position? Seit wann regieren Sie denn?) adressiert. Da Sie frisch operiert sind, dürfen Sie das kol- legial hinnehmen, ohne gleich so zu reagieren, als wäre Ich kann Ihnen aber sagen: Ich habe hier in mehreren in diesem Hohen Hause alles politisch gemeint. Situationen erlebt, dass eine Regierung schnell handeln musste. Ich erinnere mich beispielsweise auch daran (Sigmar Gabriel [SPD]: Ich war nicht sicher, – ich bin damals Vorsitzender der FDP-Fraktion in der wie das gemeint war!) Opposition gewesen –, Herr Kollege Gabriel, Ihre heutige Rede war für die (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Motivlage Ihrer Entscheidungsfindung sehr erhellend, NEN]: Ich denke, Sie sind immer noch in der und zwar für alle hier im Hause und für alle, die uns zu- Opposition!) schauen. wie im Bundestag am 15. Oktober 2008 über das große (Beifall bei der FDP) Bankenrettungspaket verhandelt worden ist. Sie haben hier eine innenpolitische Generalabrechnung (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Eine Woche!) mit der Bundesregierung gemacht. Das ist Ihr Recht als Opposition. Das ist auch Ihre Pflicht als Opposition. – Ja, es ist richtig: Eine Woche ging das Verfahren; Herr Aber es geht doch heute nicht darum, ob Sie die Regie- Kollege Gysi erinnert sich auch. Es war genauso wie rung gut finden. Es geht darum: Wie stehen Sie zu Eu- heute. Wir haben gemerkt: Das ist eine unglaublich ropa? Darüber wird heute entschieden. ernste Situation. Wir haben in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai, morgens um halb drei die letzte Telefonkonfe- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) renz gemacht, weil wir schnell entscheiden mussten. Wir haben unverzüglich, am nächsten Tag, nachmittags, die Sie haben hier wunderbare Argumente eingeführt, Partei- und Fraktionsvorsitzenden eingeladen und sie un- (B) etwa dass im Jahresbericht der Regierung 2009 das Foto (D) terrichtet. Wenn Sie behaupten, Sie seien nicht infor- von Herrn Steinmeier und nicht meines zu sehen ist. Ich miert worden, ist das nichts anderes als eine Täuschung hätte Sie einmal sehen und hören wollen, wenn im Jah- der Öffentlichkeit. resbericht 2009 mein Foto zu sehen gewesen wäre. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Herr Kollege Trittin, damals ist genau das verteilt worden. Dann hätten Sie uns Steuergeldverschwendung vorge- worfen. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister, zeigt ein Papier) (Sigmar Gabriel [SPD]: Das gilt auch für 2010!) Vier von Ihren Repräsentanten saßen damals da, zwei Parteivorsitzende und zwei Fraktionsvorsitzende. Zu Herrgott noch mal! Ich kann Sie aber trösten: All das viert sind Sie angefahren. Jeder von Ihnen hat dieses sind doch Lappalien. komplette Heft mit den Unterlagen bekommen. Zwei Er- Dann haben Sie Bilanz gezogen. Sie haben gesagt: klärungen sind abgegeben worden. Staatssekretär Das Land ist in Armut, die Löhne sinken, die Spaltung Asmussen hat auf die Frage: „Können Sie sicherstellen, der Gesellschaft wird immer größer. – Entschuldigen Sie dass die Verträge über die sogenannte Zweckgesellschaft bitte, Herr Kollege Gabriel. Was ist das für eine entsetz- dann schon schriftlich vorliegen?“ gesagt: Das kann ich liche Bilanz für den Vorsitzenden einer Partei, die nicht sicherstellen, weil die Verhandlung mit allen Staa- Deutschland elf Jahre lang regiert hat! ten geführt werden muss. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Zitieren Sie doch einmal die Kanzlerin, Ich sitze seit ein paar Monaten auf der Regierungsbank bevor Sie irgendwelche Staatssekretäre nen- und soll für Ihre elf Jahre Regierungszeit haften. Das nen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ geht zu weit. DIE GRÜNEN]: Was hat die Kanzlerin ge- sagt?) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Sigmar Gabriel [SPD] – Jürgen Bezüglich der Richtlinie ist die Frage gestellt worden: Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Haben Sie das? Daraufhin ist das verteilt worden. Es ist arme Guido!) verteilt worden. Wenn Sie sagen, die Verfassung sei ver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4435

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) letzt worden, dann ist das nichts anderes als die Suche dern einen Gefallen tun. Es geht darum, dass wir unsere (C) nach einem innenpolitischen Grund, weil Sie heute keine Währung schützen, dass wir unser Land schützen, dass Verantwortung übernehmen wollen. Das ist in Wahrheit wir Europa als große Friedens- und auch Wohlstandsre- der eigentliche Grund. gion schützen. Darum geht es. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es ist so oft die Rede von den Ländern in der Welt, aber wer weiß denn eigentlich, dass der Wirtschaftsaus- Ich möchte einmal das zitieren, was der damalige Fi- tausch mit den Niederlanden ein größeres Volumen als nanzminister als Vertreter der Regierung gesagt hat. Ich der mit ganz China hat? war damals ebenso wie die Kollegen von den Grünen und von der Linkspartei in der Opposition. CDU/CSU (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und SPD hatten eine riesige Mehrheit im Deutschen NEN]: Wir wissen es! Schön, dass Sie es auch Bundestag. Wir haben das damals verstanden. Wir haben endlich merken!) dem Bankenpaket zugestimmt. Wir haben gesagt: Wir Der Wohlstand in Europa hängt auch von unserer Ent- wissen, dass das notwendig ist. Auch wir waren damals scheidung heute ab. Der Wohlstand der Deutschen hängt mit Ihrer Regierungspolitik nicht einverstanden, aber wir an einer klaren europäischen Stabilität, und um die gilt haben gewusst: Es geht um Deutschland; jetzt muss man es heute zu ringen. stehen. Enthaltung ist aber kein Stehen. Das ist wankel- mütig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Guten Morgen, Herr Westerwelle!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie müssen sich entscheiden. Suchen Sie nicht nach Zu den Abläufen hat der damalige Finanzminister ge- Gründen, warum Sie Nein sagen, sondern bekennen Sie sagt: sich endlich zu einer Haltung. Wir erwarten von Ihnen (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wollten keine nicht, dass Sie die Regierung unterstützen, aber Europa innenpolitische Debatte!) müssen Sie heute beispringen. Das ist das Einzige, wo- rum es geht. Ich weiß, das ist eine Zumutung; aber in ungewöhn- lichen Zeiten, in denen wir sind, und bei dem Pro- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) blemdruck, unter dem wir stehen, sind ungewöhnli- Europa liegt im deutschen Interesse, und es geht auch che Verfahren erforderlich. um die Arbeitsplätze in unserem Land. Ja, wir wissen, das ist auch für das Parlament eine ganz Von Herrn Kollegen Schäuble und auch von anderen schwere Belastung. Deshalb hat der Haushaltsausschuss Rednern ist das, wie ich finde, sehr gut auf den Punkt ge- (B) gemeinsam entsprechende Regeln verabschiedet. Sie su- (D) chen aber nach Ausflüchten, weil Sie in Wahrheit innen- bracht worden: Natürlich gibt es Exzesse auf den Märk- ten, und natürlich müssen wir sie gemeinsam bekämp- politisch mit der Regierung abrechnen wollen. Dies ist fen. Wir wollen aber eines nicht vergessen: Die aber nicht die Stunde, um uns zu sagen: Frau Merkel ist furchtbar, Herr Schäuble ist furchtbar, ich bin furchtbar! Hauptursache dafür, dass diese Spekulationswelle über- haupt greifen konnte, ist, dass zu viele Staaten in Europa (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sönke in zu kurzer Zeit zu viele Schulden gemacht haben. Die Rix [SPD]: Doch!) Spekulationswelle konnte überhaupt nur deshalb verfan- gen, weil die Fundamente durch zu viel Schulden sandig Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum: Finden geworden sind. Sie, dass Europa stehen soll, oder finden Sie, dass es fal- len soll? Darum geht es heute. Deswegen haben wir zwei Aufgaben, um aus dieser Krise zu lernen: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Aufgabe Nummer 1. Wir müssen in ganz Europa zu In welche Gesellschaft haben Sie sich begeben? einer stabilen Haushaltspolitik zurückkehren. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufgabe Nummer 2. Wir müssen die Finanzmärkte Blasen Sie sich doch nicht so auf!) regeln und für entsprechende Regeln sorgen. In ganz Europa gibt es in allen Parlamenten Gruppen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- die das Vorgehen im Augenblick ablehnen, Linkspopu- ruf von der SPD: Sie haben die Steuersenkung listen und Rechtspopulisten. Das ist Ihre Gesellschaft. vergessen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nicht wären, hätten wir nicht so viel Zeit verloren!) Das ist eine traurige Entwicklung. Sie sind in ganz Eu- ropa isoliert, und Sie wissen das auch. Die anderen Ich komme jetzt noch einmal zur Aufgabe Nummer 1. kämpfen für Europa, während Sie es heute fallen lassen. Da Sie damit angefangen haben, will ich das hier noch einmal ganz klar sagen: Wir haben in Europa zu viele (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Staaten, die zu viel Schulden gemacht haben. Dadurch In Ihren gestrigen Reden hörte man noch, zum Bei- sind sie zu wackelig geworden. Eines wollen wir hier spiel zu KFOR, wie wichtig Europa für den Frieden und aber festhalten: Das ist nicht nur das Ergebnis von eini- den Wohlstand ist. Das, worüber wir hier reden, ist kein gen Ländern, die unsolide gewirtschaftet haben, sondern Altruismus. Es geht nicht darum, dass wir anderen Län- dafür trägt auch Deutschland eine Verantwortung. Das 4436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) kann man ganz einfach sagen: Die Aufweichung des Es lief zum 31. Dezember 2009 aus. Wir haben in dieser (C) Stabilitätspaktes, die unter der rot-grünen Bundesregie- Regierung – auch der Finanzminister – mit Unterstüt- rung beschlossen worden ist, war ein historischer Fehler. zung der gesamten Koalition dafür gesorgt, dass dieses Dass Sie sich heute weigern, die Folgen dieses Fehlers Verbot der ungedeckten Leerverkäufe jetzt wieder einge- mit zu beheben, wiegt aber doppelt schwer. führt worden ist. Wir haben gehandelt und den Schaden beseitigt, den Sie angerichtet haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wir haben in Europa – das können wir gar nicht im Thomas Oppermann [SPD]: Ein halbes Jahr Alleingang – selbstverständlich auch Maßnahmen ergrif- später!) fen. Deswegen ist es die richtige Entscheidung der Bun- desregierung gewesen, dass wir nicht einfach einen Ich komme zum Schluss. Herr Kollege Gabriel, das Scheck ausgestellt und gesagt haben, wir lösen die Pro- ist heute eine Entscheidung von einer wahrscheinlich bleme mit Geld, sondern dass wir gesagt haben: Wer un- historischen Dimension, ter den Schutzschirm will, der muss auch bereit sein, seine Hausaufgaben zu erledigen und zu einer soliden ( [Essen] [SPD]: Das merkt man an Haushaltspolitik zurückzukehren. Ihrer Rede!) Sie waren diejenigen, die uns vor ein paar Wochen und zwar weniger in der Frage des Geldes und der Ga- gefragt haben, warum wir Griechenland nicht gleich rantien als vielmehr in der Frage: Was ist uns Europa Geld gegeben haben. Das wäre ein Fehler gewesen. Man wert? Und: Ist unsere Generation, die den Krieg nicht gibt jemandem, der sich überschuldet hat, kein Geld, mehr erlebt hat, bereit, Europa auch in schweren Zeiten wenn man nicht gleichzeitig von ihm verlangt, die Ursa- zu verteidigen? Das wird die eigentliche Bewährungs- chen seiner Misere zu beseitigen. probe von Europa und für Europa sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben jedes Mal in den letzten zehn Tagen einen Schritt auf Sie zugemacht. Sie sind jedes Mal einen Bei der Regulierung hat doch diese Regierung Tempo Schritt zurückgegangen. gemacht. (Zurufe von der SPD: Was?) (Lachen des Abg. Sigmar Gabriel [SPD]) Das war am Freitag, dem 7. Mai, so. Es war in dieser Ich muss dazu einmal festhalten, was gerade auch von Woche so, und es ist auch heute noch einmal durch die Frau Hendricks und auch von anderen noch einmal ein- Rede des Bundesfinanzministers deutlich geworden. Wir (B) geführt worden ist: Die Hedgefonds, die in Ihren Augen gehen jedes Mal einen Schritt auf Sie zu. Sie wollen sich (D) ja kein Problem sind – das wollen wir hier doch bitte- heute nicht entscheiden, weil Sie wissen, dass es zu schön einmal festhalten –, Hause wegen der verantwortungsvollen Entscheidung (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die in Deutschland Ärger geben könnte. regulierten Hedgefonds!) (Lachen bei der SPD) sind unter Ihrer Regierungszeit, meine sehr geehrten Da- Aber in solchen Stunden geht es darum, dass man da- men und Herren von der Opposition, zugelassen worden, rauf achtet, was für Deutschland und Europa richtig ist, und zwar unreguliert. statt darauf, ob man zu Hause ein paar Stimmenvorteile (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Nein! Lüge!) kriegen kann. Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass (Thomas Oppermann [SPD]: Das musst du es jetzt eine europäische Richtlinie gibt. gerade sagen!) (Sigmar Gabriel [SPD]: Sie sagen die Unwahr- Innenpolitik ist Ihr Motiv, aber nicht die Verantwor- heit! – Nicolette Kressl [SPD]: Lüge!) tung für unser Land. Innerhalb von wenigen Monaten ist eine Regulierung ge- (Lang anhaltender Beifall bei der FDP und der lungen, die Ihnen in elf Jahren nicht ein einziges Mal ge- CDU/CSU) lungen ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr Bundes- Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jürgen außenminister, Sie sagen bewusst die Unwahr- Trittin das Wort. heit! Sie lügen!) (Jörg van Essen [FDP]: Schlechter Verlierer!) Auch über das Verbot der ungedeckten Leerverkäufe muss klar gesprochen werden. Das Verbot, das ausge- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sprochen worden ist – hier können Sie einmal auf Herrn Gysi hören; Sie hören mittlerweile ja sowieso immer Frau Präsidentin! Lieber Herr Westerwelle, Sie hätten mehr auf ihn –, war ein von Ihnen befristetes Verbot. gar nicht so laut sprechen müssen. Es ist aber das erste Mal, dass Sie öffentlich wahrnehmbar etwas zu dieser (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Krise sagen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4437

Jürgen Trittin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der bei der SPD und der LINKEN) LINKEN – Lachen bei der FDP) Letzte Bemerkung. Wer wie Sie von der FDP in einer Sie sind der erste Bundesaußenminister, der es fertigge- Situation, in der wir schon im Januar die Maastricht-Kri- bracht hat, im Angesicht der historischen Bedrohung des terien verletzt hatten, eine Steuersenkung mit einem Euro – da zitiere ich Ihre Kanzlerin – über Wochen hin- Umfang von 8,6 Milliarden Euro zugunsten von Besser- weg sprachlos gewesen zu sein. verdienenden durchsetzt, von dem lassen wir uns über Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik nicht beleh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren. Das ist, als ob der Blinde von der Farbe spricht. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie haben bei den antieuropäischen Ausfällen Ihres Stellvertreters Pinkwart geschwiegen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollege Westerwelle, Sie haben gleich das Wort. Ich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der verrate Ihnen aber schon: Es gibt eine weitere Kurzinter- LINKEN) vention, und zwar der Kollegin Hendricks, nur damit Sie Sie haben geschwiegen, als Ihr ehemaliger finanzpoliti- sich darauf einstellen können. scher Obmann als Ratschlag zur Behebung der Grie- Bitte schön. chenland-Krise erklärt hat, dann sollten doch die Grie- chen ihre Inseln verkaufen. Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wärtigen: sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Vielen Dank. – Herr Kollege, zuerst zur Tonalität: Sie KEN) haben gesagt, ich sei Ihnen in meiner Rede zu laut gewe- Zu all dem war der bekennende Europäer Guido sen. Ich glaube, wir beide haben gerade feststellen kön- Westerwelle nicht zu hören, zu keinem Zeitpunkt. nen: Wenn wir engagiert sind, sind wir beide möglicher- weise etwas lauter, als es vielleicht im normalen Ich habe mich aber deshalb zu Wort gemeldet, weil Gespräch der Fall ist. Ich ahne, dass Sie mir das nach Ih- Sie mir etwas unterstellen, was ich mir nicht gerne unter- rer Kurzintervention nie wieder vorwerfen werden. stellen lasse. (B) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei (D) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Warum Abgeordneten der CDU/CSU) schreien Sie jetzt so? – Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Warum schreien Sie eigentlich so?) Meine zweite Bemerkung betrifft die Fachfrage. Sie haben gesagt, ich hätte als Außenminister zur Politik ge- Ich habe bei der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzen- schwiegen. Es ist Ihr gutes Recht, das zu sagen. Das ent- den durch die Bundeskanzlerin nicht Herrn Asmussen, spricht aber nicht den Tatsachen. Ich habe in beiden drit- sondern die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik ten Lesungen hier – am Freitag, dem 7. Mai, und heute – Deutschland, Dr. Angela Merkel, gefragt: Ist das so, dass gesprochen. Ich habe in der letzten Woche in der Sen- wir vor der zweiten Lesung die Verträge bekommen? Sie dung Was nun? beim ZDF Rede und Antwort gestanden. hat gesagt: Ja. Genauso werde ich es weitermachen, nämlich dort zu re- den, wohin es gehört. Ich glaube, solche Debatten gehö- Das, was Sie mit lautem Getöse zu verstecken versu- ren in den Deutschen Bundestag. Deswegen ist es rich- chen, ist der Wortbruch der Kanzlerin. Das kann man tig, dass ich hier als Außenminister das Wort ergreife. nicht mit Lautstärke überdecken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben geredet, LINKEN) aber nichts gesagt, Herr Westerwelle! Das ist Sie müssen aufpassen bei den Vorwürfen, die Sie an- das Problem!) deren gegenüber erheben. Ich will das nur an einem Bei- Herr Kollege Trittin, ich möchte Sie übrigens gar spiel deutlich machen. Sie haben hier die Opposition be- nicht von mir überzeugen. zichtigt, wir würden uns vor Europa verstecken, (Sigmar Gabriel [SPD]: Das ist schlechter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dings unmöglich!) weil wir mit dem Argument, es lägen nicht alle Fakten Ich möchte Sie davon überzeugen, heute zuzustimmen, auf dem Tisch, nicht beschließen wollten. Schauen Sie nicht weil es um mich, Frau Merkel, Herrn Schäuble doch einmal auf das Europäische Parlament. Dort haben oder die Regierungskoalition geht, sondern weil es um die Liberalen zusammen mit den Konservativen gerade die Frage geht: Stehen Sie heute zu Europa? Um nichts eine Beschlussfassung genau aus diesem Grund abge- anderes geht es. setzt. Sind auch Ihre liberalen Parteifreunde in Europa Antieuropäer? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 4438 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bundesminister Dr. Guido Westerwelle (A) Letzte Bemerkung zu den Abläufen. An der angespro- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) chenen Sitzung hat der Kollege Schäuble nicht teilge- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nommen. Aber die Frau Bundeskanzlerin, Herr de GRÜNEN) Maizière, meine Person und andere haben daran teilge- Ich darf im Übrigen daran erinnern, dass Bundeskanz- nommen. ler Gerhard Schröder auf dem Weltwirtschaftsgipfel in (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gleneagles im Jahre 2005 die Regulierung der Finanz- märkte angemahnt hat und dass unsere angelsächsischen – Absolut. – Herr Asmussen hat dort ausdrücklich als Freunde – damals hatten die Briten den Vorsitz – noch Staatssekretär auf Bitten der Bundeskanzlerin die Frage nicht einmal bereit waren, über dieses Thema auch nur beantwortet – das ist wichtig für alle Abgeordneten im zu reden. Da wir im Jahre 2007 den Vorsitz der G 7/G 8 Umgang miteinander; das ist keine Kleinigkeit; für die hatten, hat Bundesfinanzminister Steinbrück in den bei- Bürger draußen ist es vielleicht nur eine Randnotiz; aber den vorbereitenden Treffen mit den Finanzministern in für die Abgeordneten und das Parlamentsverständnis ist Potsdam und in Essen die Weichen dahin gehend ge- das eine wichtige Erklärung –: Können wir sicherstellen, stellt, dass bei der Zusammenkunft der Staats- und Re- dass das in dieser Woche auch schriftlich vorliegt? Er hat gierungschefs der G 7/G 8 in Heiligendamm – Frau Bun- gesagt: Es handelt sich hier um einen Vertrag zwischen deskanzlerin Merkel, Sie erinnern sich an den mehreren nationalen Regierungen; ich kann das nicht si- wunderbaren Strandkorb – über die Regulierung der Fi- cherstellen. nanzmärkte zumindest gesprochen wurde; schließlich hatte Deutschland die Hoheit über die Tagesordnung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber es wurden gleichwohl noch keine wirklich binden- NEN]: Das war nicht diese Woche! Das war den Beschlüsse gefasst – unsere angelsächsischen letzte Woche! Das bezog sich auf die letzte Freunde waren nämlich immer noch nicht so weit –, son- Woche!) dern es wurden Prüfungsaufträge an das Financial Sta- Genauso ist es geschehen, und genauso ist es dort gesagt bility Forum, das mittlerweile in „Financial Stability worden. Vielleicht haben Sie das Ihren Leuten gesagt, Board“ umbenannt worden ist, erteilt. Dieses Gremium hat mittlerweile in der Tat etwas mehr Einflussmöglich- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- keiten. Die sind noch dabei bedauerlicherweise, interna- NEN]: Nein! Das bezog sich auf die letzte Wo- tional voranzukommen. che!) Der Präsident der Bundesbank, Herr Professor Weber, damit sie sich heute ihrer Stimme enthalten und nicht hat noch in dieser Woche öffentlich gesagt, Ende dieses Jahres werde man Vorschläge machen können und er (B) wie beim letzten Mal mit Ja stimmen. Aber mit der (D) Wahrheit hat das nichts zu tun; darauf lege ich hier Wert. hoffe, das 2012 implementieren zu können. Das beruht in der Tat auf den Vorarbeiten der Großen Koalition und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der ihr vorausgegangenen rot-grünen Koalition. So lange dauert es. Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Bundesaußenminister in Ihrer Eigenschaft als Zu einer Kurzintervention hat das Wort die Kollegin FDP-Vorsitzender, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Barbara Hendricks. Ihrer Fraktion in all den Jahren jedes Finanzmarktgesetz nicht liberal genug war. Was Ihre Fraktion stets wollte, war die bloße Deregulierung. Dr. Barbara Hendricks (SPD): In der Tat, Herr Bundesaußenminister, Ihre Rede war (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht nur engagiert, sondern auch laut. Sie hat dadurch DIE GRÜNEN – Franz Thönnes [SPD]: aber nicht an Wahrheitsgehalt gewonnen. Westerwelle tut nichts, weiß nichts, kann nichts!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte Vizepräsidentin Petra Pau: ich auf das, was Sie gesagt haben, eingehen. Selbstver- Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die ständlich sind im Jahre 2004 in Deutschland Hedge- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. fonds per Gesetz zugelassen worden; das bestreitet nie- mand. Wären die Hedgefonds in der Welt und in Europa Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- so reguliert, wie sie es in Deutschland von Anfang an NEN): waren, dann hätten wir jetzt kein Problem mit Hedge- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist fonds. Das, was die europäischen Finanzminister in die- richtig, dass der Bundesaußenminister heute gesprochen ser Woche zur Regulierung der in Europa ansässigen hat. Aber was hat er denn zu Europa gesagt? Hedgefonds auf den Weg gebracht haben, bleibt im Re- (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE gelungsgehalt hinter dem zurück, was in Deutschland GRÜNEN]: Nichts!) schon immer gegolten hat. Ich weiß, Sie sind kein Fi- nanzpolitiker; Sie müssen das nicht unbedingt wissen. Was hat er denn dazu gesagt, was die heutige Entschei- Aber wenn Sie es nicht wissen, behaupten Sie nicht ein- dung für die Zukunft Europas bedeutet? Schließlich wis- fach das Gegenteil. sen wir, dass es Vertragsänderungen brauchen wird und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4439

Dr. Gerhard Schick (A) dass jetzt eine Frist von drei Jahren beginnt, in der Eu- steht die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Ba- (C) ropa das bereitgestellte Zeitfenster nutzen muss, um end- sel auf der Bremse. Nicht nur die Schulden der Staaten lich stabile Strukturen zu schaffen. Was haben wir von müssen kontrolliert werden, sondern auch die Über- Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dazu gehört? Nichts schuldung im Bereich der Finanzmärkte, die uns diese haben wir dazu gehört, obwohl es Ihre Aufgabe gewesen Krise eingebrockt hat. Ich fordere Sie auf: Machen Sie wäre, dazu heute Stellung zu nehmen. endlich den Weg frei für eine klare Schuldenbremse für die Banken! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist doch müßig, dass Sie jetzt als Parteivorsitzen- Ich möchte ein Letztes sagen, zum Verfahren. Wissen der hier die Schlachten der Vergangenheit schlagen. Wir Sie, es ist ja nicht so, dass die Finanzmärkte nicht wüss- brauchen jetzt einen Bundesaußenminister, der die Re- ten, was eine stabile Regelung ist und was nicht. Die gelsetzung für die Finanzmärkte in Europa vorantreibt. Frage ist doch: Wann steht die Zweckgesellschaft? So- Tun Sie das? Nein, Sie tun es nicht! Wie können Sie an- lange die Zweckgesellschaft nicht steht, können Sie uns gesichts der Beschlusslage Ihrer Partei jetzt für das, was nicht vorwerfen, wenn wir sagen: Das müssen wir uns Mehrheitsmeinung in diesem Hause und in der Bevölke- erst anschauen. – Es kommt nun einmal darauf an, wie rung ist, nämlich für eine Finanztransaktionsteuer, ein- die Regel wirklich aussieht. Solange das nicht klar ist, treten? Sie treten dafür nicht ein. gibt es keinen Druck für den Bundestag, zu entscheiden. Sie tun so, als seien Sie jetzt für eine bessere Regel- Sie instrumentalisieren die Finanzmärkte, um Ihre Frak- setzung in Europa. Die Fakten sprechen gegen diese tionen zu disziplinieren. Das ist eine ganz schofelige Ge- Bundesregierung und gegen diesen Bundesaußenminis- schichte. ter. Nehmen Sie das zur Kenntnis! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bei der Regulierung von Hedgefonds hat sich der sowie bei Abgeordneten der SPD) Rat diese Woche verständigt; aber er hat sich – unter Eines geht auch nicht – das muss man auch einmal Mitwirkung dieser Bundesregierung – auf etwas verstän- ganz klar sagen –: Sie tun hier so, als sei das mit dem digt, was weiter zulässt, dass Hedgefonds von den Vertrag eine Petitesse. Darum möchte ich für meine Cayman Islands aus hier in Europa ohne Regeln ihre Ge- Fraktion deutlich sagen: Es geht nicht an, dass Sie einer- schäfte machen können und dass Hedgefonds aus Eu- seits schimpfen, dass die Banker Produkte gekauft ha- ropa im Ausland in unregulierte Konstrukte investieren ben, die sie nicht kannten, und Zweckgesellschaften in können. Sie setzen gerade nicht die Regeln, die wir brau- Irland gegründet haben, die sie nicht im Griff hatten, an- (B) chen. Wenn Sie dies tun wollten, müssten Sie sagen: Die dererseits aber von uns verlangen, der Errichtung einer (D) Bundesregierung unterstützt die Position des Europäi- Zweckgesellschaft in Luxemburg zuzustimmen, deren schen Parlaments. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ich Vertragswerk wir nicht kennen. So etwas geht nach un- fordere Sie auf, im jetzt stattfindenden Trilog in Europa serer Meinung mit diesem Bundestag nicht. die Position des Europäischen Parlaments zu stützen und sich von der bisherigen Position der Bundesregierung zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verabschieden: Legen Sie die Hedgefonds endlich an die sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Leine! KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Vizepräsidentin Petra Pau: KEN) Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb für die Unionsfraktion. Wo ist diese Bundesregierung, wenn es darum geht, die Finanzmärkte, die Hedgefonds an die Kette zu legen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bessere Regeln zu setzen? Wo ist diese Bundesregierung, der FDP) wenn es darum geht, eine europäische Finanzaufsicht zu schaffen, die in der Lage ist, grenzüberschreitende Insti- tute zu regulieren? Der entscheidende Blockierer in die- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): ser Frage ist diese Bundesregierung. Machen Sie den Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Menschen nicht vor, Sie seien für eine Regulierung der Herren! Zuallererst möchte ich meine größte Hochach- Finanzmärkte! In Brüssel tun Sie immer das Gegenteil. tung für die Leistung zum Ausdruck bringen, die Bun- desfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble in einer ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sundheitlich schwierigen Situation im Dienste unseres sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Landes erbracht hat. KEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir diskutieren hier auch über neue Regeln für die der FDP sowie der Abg. Petra Merkel [Berlin] Banken; diesen Punkt haben wir sozusagen mit auf der [SPD] und Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Tagesordnung. Sie reden immer davon, dass wir eine Schuldenbremse für die Staaten brauchen. Genauso Wir verbinden damit alle guten Wünsche für die Ge- brauchen wir eine Schuldenbremse für die Banken. sundheit und wünschen viel Kraft für alles, was in Doch auch im Hinblick auf neue Regeln für die Banken nächster Zeit zu bewältigen sein wird. 4440 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bartholomäus Kalb (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist be- währleistungen sind, Vorsorge dafür getroffen wird, dass (C) reits von vielen Rednern gesagt worden: Wir befinden dieser Schirm hält und dass diese Risiken für die Mit- uns wieder in einer Situation, in der wir sehr schnell ent- gliedstaaten und Gewährleistungsgeber nicht schlagend scheiden müssen und sehr weitreichende Entscheidun- werden. Deswegen ist es auch so wichtig, dass der Inter- gen zu treffen haben, ähnlich wie vor zwei Wochen und nationale Währungsfonds eingebunden ist, dass die ähnlich wie im Jahre 2008, als wir in kürzester Zeit mit Maßnahmen konditioniert sind und dass die Mitglied- intensivsten Beratungen das Finanzmarktstabilisierungs- staaten selber bereit sind, einen Stabilitäts- und Konsoli- gesetz auf den Weg gebracht haben. Das sind weitrei- dierungskurs einzuschlagen. Ich freue mich über die chende Entscheidungen. Meldung, die ich eben bekommen habe, dass auch Spa- nien gerade ein sehr strammes Sparpaket im Parlament (Joachim Poß [SPD]: Sagen Sie mal was zu verabschiedet hat. Natürlich müssen die Maßnahmen Seehofer!) streng überwacht werden und weitere Leistungen an die Auch die dramatische Entwicklung vor 14 Tagen hat Fortschritte gekoppelt werden. Wir kommen nicht um- dieses schnelle Handeln erforderlich gemacht. Trotz die- hin, dass alle europäischen Mitgliedstaaten, aber beson- ser schwierigen Situation müssen wir gründlich arbeiten. ders die von der Krise betroffenen Staaten, wieder zu ei- Wir dürfen nicht die Grundpfeiler der europäischen nem überzeugenden Stabilitäts- und Wachstumskurs Währungsunion infrage stellen. zurückkommen. Dann sind wir insgesamt weniger an- greifbar. Das ist das Erste. (Joachim Poß [SPD]: Was sagen Sie zu Seehofer?) Das Zweite ist: Es ist nicht zu leugnen, dass es diese Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten gab und Deswegen ist es wichtig, dass es dabei bleibt, dass jedes dass viele Akteure, die sehr weit weg waren, mit sehr Mitgliedsland die Verantwortung für seine eigene finan- viel Geld unser System infrage gestellt haben. Dem ist zielle Situation übernimmt. Es ist wichtig, dass wir daran Einhalt zu gebieten. Einer der Experten hat in den Anhö- festhalten, dass es zu keiner Transferunion kommt. Es rungen von einem Angriffskrieg gegen den Euro gespro- ist auch wichtig, dass der Europäischen Union oder der chen. Diesen Mitteln und Methoden und diesen Akteu- Europäischen Kommission keine Verschuldungskompe- ren muss Einhalt geboten werden. Die Bundesregierung tenz eingeräumt wird. Darüber hinaus – darauf legen wir hat dazu sehr viel auf den Weg gebracht, im Gegensatz ganz besonderen Wert – darf nicht in geringster Weise an zu dem, was Herr Oppermann vorhin gesagt hat, und der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ge- zwar auf der europäischen Ebene und auf der Ebene der zweifelt werden. G 20. Wenn Herr Gabriel den Eindruck erweckt, wir hät- (Joachim Poß [SPD]: Was sagt denn Seehofer ten seinerzeit das Verbot der Leerverkäufe aufgehoben, (B) dazu?) so muss ich ihn berichtigen. Die seinerzeitige Allge- (D) meinverfügung, von der BaFin unter dem damaligen Ich denke, jedes Mitglied dieses Hauses macht sich diese Bundesfinanzminister Peer Steinbrück erlassen, war Entscheidungen nicht leicht, unabhängig davon, welche zeitlich befristet. Entscheidung letztlich getroffen wird. Es ist auch nicht leicht, den Bürgern diese Entscheidung zu erklären. Wir (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!) müssen aber deutlich machen, so wie es vorhin auch der Ich gebe zu, dass auch er sich an Recht und Gesetz, näm- Bundesaußenminister getan hat: Es geht um unser Land, lich das Wertpapierhandelsgesetz, halten musste. Man es geht um unsere Währung, es geht um die Währung sollte aber nicht den Eindruck erwecken, diese Bundes- unserer Bürger und damit auch um den Schutz all des- regierung hätte das frühere Verbot aufgehoben. Ganz im sen, was die Menschen in unserem Lande geleistet ha- Gegenteil: Jetzt gab es wieder Anlass, eine neue Allge- ben, was sie erarbeitet und gespart haben. meinverfügung zu erlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, des Abg. Jörg van Essen [FDP]) wir haben heute eine schwierige Entscheidung zu tref- Alle Fachleute haben uns in der Anhörung bestätigt, fen, aber wir haben keine wirklich bessere Alternative, dass es um nicht mehr und nicht weniger als darum geht weil nach meiner festen Überzeugung das Scheitern und – lieber Kollege Barthle, so hat es Professor Weber zum der Zerfall des Euro und damit in weiten Teilen auch der Ausdruck gebracht –, den Bestand und die Stabilität der Zerfall des geeinten Europas keine Alternative ist, die Währung zu sichern. Alle haben uns geraten, so zu han- man mit Blick auf die Interessen der Menschen und vor deln, wie es vorgesehen ist, und schnell zu handeln, also dem Hintergrund der europäischen Geschichte verant- heute zum Abschluss zu kommen. worten könnte. (Beifall des Abg. Norbert Barthle [CDU/ Ich danke Ihnen. CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es muss noch einmal erklärt werden, dass wir, auch neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was sagt wenn große Summen im Spiel sind, keine Zahlungen aus Seehofer dazu?) diesem 480-Milliarden-Programm leisten, sondern dass wir eine Gewährleistung geben, also einen Rettungs- Vizepräsidentin Petra Pau: schirm aufspannen. Wir hoffen, dass durch die Maßnah- Das Wort hat der Kollege Bernhard Schulte- men, die Grundlage für die Inanspruchnahme dieser Ge- Drüggelte für die Unionsfraktion. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4441

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir müssen auch einmal ganz klar sagen, dass (C) neten der FDP) Deutschland vom Euro enorm profitiert hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Ich will kurz an die Geschichte erinnern. Vor zehn Jah- legen! Ich möchte das Ziel dieses Gesetzes noch einmal ren waren wir fast das Schlusslicht in Europa, und jetzt deutlich beschreiben. Das Ziel des Gesetzes ist, die Sta- stehen wir im Vergleich ganz oben. Ich will auch sagen, bilität der Währungsunion zu sichern. Eine wichtige Vo- welche Leistungen dafür maßgeblich waren: Es waren raussetzung ist, dass ein betroffener Mitgliedstaat zu- die Leistungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- sammen mit dem IWF, der EU-Kommission und der mern, aber auch von tüchtigen Unternehmern, weitsich- EZB ein Konsolidierungsprogramm erarbeitet. Das Ziel tigen Gewerkschaften und – ich will das überhaupt nicht dieses Programms ist, dass das betroffene Land wieder abstreiten – der Politik. Aus der Mitte des Parlaments kapitalmarktfähig wird. Das ist das Ziel, das wir in die- heraus hat sich in zehn Jahren Deutschland stark verän- ser Zeit haben. dert. Die Relationen zwischen den Volkswirtschaften ha- ben sich verändert. Diese Veränderung hat natürlich Das ist auch die Chance dieser Krise. Ich will es deut- auch zu Spannungen geführt; das hat Herr Trittin übri- lich sagen: Die Chance dieser Krise ist, dass durch gens auch in einem Redebeitrag bei der ersten Lesung strikte Maßnahmen finanz- und wirtschaftspolitischer deutlich gemacht. Als führendes Land in Europa haben Natur die Staaten wieder zu einer soliden Haushalts- wir, auch im nationalen Interesse, Verantwortung für an- politik zurückkehren können. dere. Aber dann müssen auch Fragen beantwortet wer- den: Erstens. Gibt es in den Demokratien Europas eine Ich will auch noch eine andere Bedingung nennen, die Kultur der Stabilität? Zweitens. Gibt es eine Nachhaltig- ich wichtig finde. Wichtig ist für mich, dass das Pro- keit bei der Finanzierung der Staaten? Drittens. Gibt es gramm zeitlich befristet ist und dass wir nicht gesamt- – das müssen wir auch für uns beantworten – eine Ver- schuldnerisch handeln und haften. Ich weiß nicht, wer antwortung gegenüber nachfolgenden Generationen? – von Ihnen das Motto der Musketiere noch in Erinnerung Diese Fragen müssen wir uns stellen. hat. Es gilt nur zur Hälfte. „Alle für einen oder für zwei oder drei“, das mag noch angehen, aber nicht – das will (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ich ganz deutlich sagen – „einer für alle“. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Vor gut zwei Wochen haben wir in einem ersten Schritt Kreditgarantien ausgesprochen, um das Konsoli- (B) Es geht nicht nur um einzelne Länder, es geht auch (D) dierungsprogramm in Griechenland zu unterstützen. Das nicht nur um Innenpolitik – das hat hier nämlich gerade war dringend geboten. Heute soll in einem zweiten stattgefunden –, sondern es geht auch um die Zukunft Schritt ein Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen Europas. Die Ursachen sind angesprochen worden. Ich verabschiedet werden. Das hat folgenden Grund: Es soll will es noch einmal sagen. Es geht darum, die Staatsver- eine unkontrollierte Eigendynamik verhindert werden, schuldung aller Länder in Europa zu verringern, konse- die die Stabilität der Währungsunion insgesamt ge- quent Gegenmaßnahmen einzuleiten und konsequent zu fährdet. Das nämlich hätte erhebliche Konsequenzen für konsolidieren. die gesamte Weltwirtschaft. So kam es in der Stellung- (Beifall bei der CDU/CSU) nahme der Bundesbank bei der Anhörung im Haushalts- ausschuss am vergangenen Mittwoch zum Ausdruck. Aber Europa braucht auch Solidarität, eine Solidari- Das ist die Lage, in der wir entscheiden müssen. Wir tät, die nicht nur auf Rechten, sondern auch auf Pflichten müssen auch respektieren, dass viele Menschen Angst fußt. Man muss es noch einmal sagen: Europa ist keine haben, dass sie sich zu Recht Sorgen machen um die Sta- Schönwettergemeinschaft. Ich will an ein Wort unseres bilität der Währung, die Stabilität und Solidität der Bundespräsidenten Köhler erinnern: Um den Teufels- Staatsfinanzen. Aber ich will auch eines sagen, an uns kreis immer größerer Finanzkrisen zu durchbrechen, und ebenso an die Opposition gerichtet: Die Parlamente braucht man in bestimmten Fragen mehr Europa und sind dafür verantwortlich; sie haben die Pflicht, die nicht weniger. Währung zu schützen. Ich will bekennen, dass wir uns hier in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- aber auch an unsere eigene Nase fassen müssen. Wenn neten der FDP) Vertrauen der Grundstock für die Märkte ist, dann hat al- lein schon die Vorstellung, die Währungsunion könne Allen Unkenrufen zum Trotz sage ich ganz deutlich: Der zerbrechen, zu Verunsicherung geführt. Deshalb wäre es Euro ist stark, und das soll auch so bleiben. Ein stabiler auch gerade nach der vergangenen Diskussion ein star- Euro ist in unserem nationalen Interesse. kes Signal für Europa, wenn das vorliegende Gesetz mit einer großen Mehrheit verabschiedet werden könnte und Ich will im Rahmen dieser Debatte im Deutschen die Ausreden wegfallen. Bundestag den früheren italienischen Botschafter in Ber- lin, Antonio Puri Purini, zitieren, der am 12. Mai dieses (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jahres in der Zeit Folgendes geschrieben hat – damit be- neten der FDP) kommen wir eine andere Sicht auf die Dinge –: 4442 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) … ich denke, dass Ihr Deutschen noch immer bereit und wir wissen nicht einmal, auf welcher vertraglichen (C) seid, an ein gemeinsames europäisches Ziel zu Grundlage. glauben. Ich denke auch, dass Ihr mehr als andere in der Lage seid, Gefühl und Verstand zu vereinen: (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das stimmt doch Europa braucht beides … gar nicht! Lesen Sie doch mal den Text!) Ich hoffe, dass das noch für dieses ganze Haus gilt. Jetzt Deshalb sind das keine Ausreden, sondern gewichtige ist die Zeit, gemeinsam verantwortlich zu handeln, ent- Argumente. schlossen und – das möchte ich hinzufügen – zuversicht- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lich. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN) neten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung Herr Schulte-Drüggelte, bitte. Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Gregor Gysi. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bedanke mich. – Ich freue mich, dass Sie einiger- maßen gut zugehört haben. Aber das, was Sie behaupten, Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass Sie sich vor Herr Kollege Schulte-Drüggelte, ich habe eine Sache einer Sache drücken wollen. Vor einer wichtigen Frage, satt, die auch Sie wiederholt haben, obwohl Sie gar nicht die ganz Europa betrifft, wollen Sie sich mit formalen dabei waren; deshalb will ich das einmal richtigstellen. Argumenten drücken. Sie werfen der Opposition hier faule Ausreden beim Ab- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und stimmungsverhalten vor. Da ich an der Beratung mit der der FDP) Bundeskanzlerin teilgenommen habe, will ich Ihnen drei Dinge sagen: Das machen wir nicht mit, und das werden wir Ihnen im- Der erste Punkt. Damals wurde uns gesagt, es sei mer vorhalten. nicht so eilig. Es war nie die Rede davon, dass innerhalb Das Zweite. Als Mitglied des Haushaltausschusses einer Woche alles entschieden wird. Es hieß: die erste sage ich Ihnen: Wir haben intensiv beraten, und es ist da- (B) Lesung in der Woche, und dann sehen wir einmal weiter, für gesorgt worden, dass das Parlament bei allen Verfah- (D) wann die zweite Lesung stattfindet. – So war die Atmo- ren eingebunden ist. Dabei werden die Vorgaben des sphäre. Bundesverfassungsgerichtes, wie das Parlament mit der Das Zweite war, dass nicht nur der Kollege Trittin, Regierung in europäischen Fragen zusammenzuarbeiten sondern alle Fraktionsvorsitzenden, übrigens auch Sie, hat, beachtet. Herr Kauder, und auch Frau Homburger, darauf bestan- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE den haben, dass wir den Vertrag zur Gründung der GRÜNEN]: Nein!) Zweckgesellschaft zu lesen bekommen, bevor in zweiter Lesung entschieden wird. So ist die Lage. Da können Sie nicht erzählen, dass das (Beifall bei der LINKEN – Hans-Christian nicht der Fall ist. Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Hört! Hört!) Damals, Herr Kauder – erinnern Sie sich! –, wollten Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: das auch, und auch Frau Homburger wollte das. Warum Ich schließe die Aussprache. Sie sich jetzt haben umstimmen lassen, ist mir völlig schleierhaft; das muss ich hier einmal sagen. Ich finde, Wir kommen zur Abstimmung über den von den wir haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, auf wel- Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten cher vertraglichen Grundlage das Ganze läuft. Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleis- tungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- mechanismus. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN seiner Beschlussempfehlung, Drucksachen 17/1740 und und des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) 17/1741, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/ Zum dritten Punkt. Mit diesem Gesetz geben wir der CSU und FDP auf Drucksache 17/1685 in der Aus- Bundesregierung das Recht, ohne Befragung des Parla- schussfassung anzunehmen. ments, nur mit nachträglicher Information über 120 Milliarden Euro zu entscheiden – das ist doch keine Zunächst kommen wir zur einfachen Abstimmung. Kleinigkeit! –, Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- stimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. – Wer (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Blanker stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Unsinn!) wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4443

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dritte Beratung che 17/1810. Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die (C) Stimmkarten einzuwerfen. und Schlussabstimmung. Es ist beantragt, dass dazu eine namentliche Abstimmung stattfindet. Sind an allen Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- Wahlurnen Schriftführer platziert? – Das scheint der Fall karte eingeworfen? – Das scheint der Fall zu sein. Ich zu sein. Ich eröffne die Abstimmung und bitte Sie, Ihre schließe die Abstimmung und bitte, auszuzählen.3) Stimmkarten in die Wahlurnen zu werfen. Als Nächstes kommen wir zur Abstimmung mit Handzeichen über den Entschließungsantrag der Frak- Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- tion Die Linke auf Drucksache 17/1811. Wer für diesen ten eingeworfen? – Das ist offenkundig der Fall. Dann Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um sein schließe ich den Wahlgang und bitte, auszuzählen. Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ich muss nachtragen, dass eine Reihe von persönli- Entschließungsantrag ist eindeutig abgelehnt. chen Erklärungen nach § 31 GO vorliegen, die wir zu Wir kommen jetzt zur vierten namentlichen Abstim- Protokoll nehmen.1) mung, und zwar über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Es handelt sich um Wir kommen nun zur Abstimmung über vier Ent- den Entschließungsantrag auf Drucksache 17/1808. Ich schließungsanträge, wobei über drei Entschließungs- eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten ein- anträge namentlich abgestimmt werden soll. zuwerfen. Als Erstes kommen wir zur namentlichen Abstim- Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- mung über den Entschließungsantrag der Fraktion der ten eingeworfen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann SPD auf Drucksache 17/1809. – Ich sehe, die Plätze an schließe ich den Wahlgang und bitte, auszuzählen. Die den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ih- nen später bekannt gegeben.4) Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- karte eingeworfen? – Das scheint der Fall zu sein. Dann Ich kann Ihnen schon das von den Schriftführerinnen schließe ich die Abstimmung und bitte, auszuzählen.2) und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament- lichen Abstimmung zum Gesetzentwurf bekannt geben: Wir stimmen nun über einen weiteren Entschlie- abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 319, ßungsantrag der Fraktion der SPD namentlich ab. Es mit Nein haben gestimmt 73, Enthaltungen 195. Der Ge- handelt sich um den Entschließungsantrag auf Drucksa- setzentwurf ist angenommen. (B) (D) 1) Anlagen 2 bis 5 3) Ergebnis Seite 4454 C 2) Ergebnis Seite 4451 D 4) Ergebnis Seite 4456 D

Endgültiges Ergebnis Dr. Maria Böhmer Holger Haibach Abgegebene Stimmen: 587; Wolfgang Börnsen Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. davon (Bönstrup) (Hof) Jürgen Hardt ja: 319 Klaus Brähmig Erich G. Fritz Dr. nein: 73 Michael Brand Dr. Michael Fuchs enthalten: 195 Dr. Hans-Joachim Fuchtel Ursula Heinen-Esser Ingo Gädechens Ja Dr. Dr. Dr. CDU/CSU Jürgen Herrmann Peter Altmaier Ernst Hinsken Peter Aumer Peter Götz Dorothee Bär Dr. Wolfgang Götzer Thomas Bareiß Thomas Dörflinger Robert Hochbaum Norbert Barthle Marie-Luise Dött Günter Baumann Dr. Hermann Gröhe Franz-Josef Holzenkamp Ernst-Reinhard Beck Michael Grosse-Brömer Joachim Hörster (Reutlingen) Ingrid Fischbach Markus Grübel Anette Hübinger (Börde) Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Dirk Fischer (Hamburg) Monika Grütters Dieter Jasper Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Land) Guttenberg (Konstanz) Dr. Dr. Egon Jüttner Klaus-Peter Flosbach Bartholomäus Kalb 4444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Hans-Werner Kammer Sibylle Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Petra Müller (Aachen) (C) Steffen Kampeter Elisabeth Winkelmeier- Burkhardt Müller-Sönksen Becker Dr. Martin Neumann Bernhard Kaster Christoph Poland Dagmar Wöhrl (Lausitz) Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Schwenningen) Wolfgang Zöller Hans-Joachim Otto Volker Kauder Lucia Puttrich Willi Zylajew (Frankfurt) Dr. Stefan Kaufmann Daniela Raab FDP Gisela Piltz Dr. Dr. Christiane Ratjen- Damerau Vo l km a r K l e i n (Potsdam) Dr. Birgit Reinemund Jürgen Klimke Christine Aschenberg- Dr. Peter Röhlinger Dugnus Julia Klöckner Dr. (Münster) Björn Sänger Johannes Röring Florian Bernschneider Christoph Schnurr Dr. Kristina Schröder Dr. Norbert Röttgen Sebastian Blumenthal (Wiesbaden) Dr. Christian Ruck Claudia Bögel Dr. Erwin Rüddel Nicole Bracht-Bendt Dr. Erik Schweickert Hartmut Koschyk (Weiden) Klaus Breil Werner Simmling Thomas Kossendey Anita Schäfer (Saalstadt) Rainer Brüderle Dr. Wolfgang Schäuble Joachim Spatz Dr. Dr. Dr. Günter Krings Dr. Torsten Staffeldt Rüdiger Kruse Karl Schiewerling Sylvia Canel Dr. Rainer Stinner Norbert Schindler Helga Daub Dr. Hermann Kues Tankred Schipanski Reiner Deutschmann Günter Lach Georg Schirmbeck Dr. Bijan Djir-Sarai Serkan Tören Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) Patrick Döring Johannes Vogel (Heidelberg) Mechthild Dyckmans (Lüdenscheid) Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Schockenhoff Rainer Erdel Dr. Daniel Volk Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Jörg van Essen Dr. Guido Westerwelle Bernhard Schulte-Drüggelte Ulrike Flach Dr. Claudia Winterstein Ulrich Lange Otto Fricke Dr. Volker Wissing Dr. Max Lehmer (Weil am Paul K. Friedhoff Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Edmund Peter Geisen (B) Paul Lehrieder Rhein) (D) Dr. Dr. Heinz Golombeck Nein Matthias Lietz Miriam Gruß Dr. Dr. Joachim Günther (Plauen) CDU/CSU Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Funk Dr. Jan-Marco Luczak Heinz-Peter Haustein Dr. Peter Gauweiler Dr. Michael Luther Manuel Höferlin Manfred Kolbe Carola Stauche Klaus-Peter Willsch Dr. Thomas de Maizière Dr. Birgit Homburger Hans-Georg von der Marwitz Dr. SPD Andreas Mattfeldt Christian Freiherr von Stetten Heiner Kamp (Altötting) Wolfgang Gunkel Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Dr. Heinrich L. Kolb FDP Gudrun Kopp Dr. Lutz Knopek Dr. h. c. Dr. h. c. Jürgen Koppelin Frank Schäffler Dr. Mathias Middelberg (Heilbronn) Sebastian Körber Philipp Mißfelder Lena Strothmann Holger Krestel DIE LINKE Michael Stübgen Patrick Kurth (Kyffhäuser) Dr. Heinz Lanfermann Jan van Aken Dr. Gerd Müller Antje Tillmann Agnes Alpers Stefan Müller (Erlangen) Dr. Hans-Peter Uhl Harald Leibrecht Nadine Müller (St. Wendel) Sabine Leutheusser- Matthias W. Birkwald Dr. (Kleinsaara) Schnarrenberger Steffen Bockhahn () Stefanie Vogelsang Lars Lindemann Eva Bulling-Schröter Andrea Astrid Voßhoff Christian Lindner Dr. Dr. Georg Nüßlein Dr. Dr. Martin Lindner (Berlin) Roland Claus Franz Obermeier Michael Link (Heilbronn) Sevim Dağdelen Dr. Erwin Lotter Dr. (Hamburg) Heidrun Dittrich Dr. Michael Paul Peter Weiß (Emmendingen) Horst Meierhofer Werner Dreibus Rita Pawelski Sabine Weiss (Wesel I) Patrick Meinhardt Dr. Dagmar Enkelmann Ulrich Petzold Gabi Molitor Klaus Ernst Dr. Peter Wichtel Jan Mücke Nicole Gohlke Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4445

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Diana Golze Sören Bartol Gabriele Lösekrug-Möller BÜNDNIS 90/DIE (C) Bärbel Bas Kirsten Lühmann GRÜNEN Dr. Gregor Gysi Sabine Bätzing-Lichtenthäler Heike Hänsel (Bremen) Dr. Petra Merkel (Berlin) Volker Beck (Köln) Dr. Barbara Höll Klaus Brandner Ullrich Meßmer Andrej Konstantin Hunko Dr. Alexander Bonde Franz Müntefering Viola von Cramon-Taubadel Dr. Lukrezia Jochimsen (Hildesheim) Dr. Rolf Mützenich Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Koch Marco Bülow Manfred Nink Hans-Josef Fell Ulla Burchardt Thomas Oppermann Dr. Thomas Gambke Holger Ortel Kai Gehring Katrin Kunert Petra Crone Aydan Özoğuz Katrin Göring-Eckardt Dr. Joachim Poß Britta Haßelmann Martin Dörmann Dr. Wilhelm Priesmeier Bettina Herlitzius Elvira Drobinski-Weiß Florian Pronold Dr. Priska Hinz (Herborn) Ulrike Höfken Ulla Lötzer Siegmund Ehrmann Dr. Carola Reimann Dr. Dr. Gesine Lötzsch Dr. h. c. Sönke Rix Bärbel Höhn Petra Ernstberger René Röspel Thilo Hoppe Ulrich Maurer Karin Evers-Meyer Dr. Dorothée Menzner Elke Ferner Karin Roth (Esslingen) Cornelia Möhring Marlene Rupprecht Memet Kilic Kornelia Möller Dr. (Tuchenbach) Sven-Christian Kindler Anton Schaaf Maria Klein-Schmeink Wolfgang Nešković Sigmar Gabriel Axel Schäfer (Bochum) Ute Koczy Bernd Scheelen Tom Koenigs Petra Pau Martin Gerster Dr. Sylvia Kotting-Uhl Richard Pitterle Iris Gleicke (Schwandorf) Angelika Graf (Rosenheim) Werner Schieder (Weiden) Fritz Kuhn Paul Schäfer (Köln) Michael Groß (Aachen) Renate Künast Michael Schlecht Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt) Markus Kurth (B) Dr. Herbert Schui (D) Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Ilja Seifert Klaus Hagemann Kathrin Senger-Schäfer Michael Hartmann Swen Schulz (Spandau) Nicole Maisch Raju Sharma (Wackernheim) Agnes Malczak Dr. Petra Sitte (Peine) Jerzy Montag Sabine Stüber Rolf Hempelmann Kerstin Müller (Köln) Alexander Süßmair Dr. Barbara Hendricks Beate Müller-Gemmeke Dr. Dr. Carsten Sieling Gustav Herzog Frank Tempel Gabriele Hiller-Ohm Dr. Dr. Axel Troost Peer Steinbrück Petra Hinz (Essen) Dr. Frank-Walter Steinmeier Frank Hofmann (Volkach) Dr. Hermann Ott Christoph Strässer Dr. Eva Högl Elisabeth Paus Josip Juratovic Brigitte Pothmer Dr. h. c. Franz Thönnes Tabea Rößner Johannes Kahrs Claudia Roth (Augsburg) Sabine Zimmermann Dr. h. c. Susanne Kastner Rüdiger Veit Krista Sager Enthalten Dr. Marlies Volkmer Elisabeth Scharfenberg Hans-Ulrich Klose Andrea Wicklein Christine Scheel Dr. Bärbel Kofler CDU/CSU Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Gerhard Schick (Leipzig) Dr. Veronika Bellmann Dr. Dieter Wiefelspütz Fritz Rudolf Körper Dorothea Steiner Josef Göppel Waltraud Wolff Anette Kramme Dr. Wolfgang Strengmann- Karl-Georg Wellmann (Wolmirstedt) Nicolette Kressl Kuhn Angelika Krüger-Leißner Hans-Christian Ströbele SPD Ute Kumpf Dr. Harald Terpe Manfred Zöllmer Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang) Jürgen Trittin Dr. FDP Dr. Hans-Peter Bartels Steffen-Claudio Lemme Wolfgang Wieland Dr. Hermann Otto Solms Dr. Valerie Wilms 4446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stadt Geld. In der Gemeinde Niederzimmern in Thürin- (C) gen werden über 250 Schlaglöcher verkauft, damit die Tagesordnungspunkt 27 a bis 27 c. Interfraktionell Straßen saniert werden können. wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1756, 17/1720, 17/1803 und 16/13741 an die in der (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Lassen Sie Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Thüringen aus dem Spiel!) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen. Die Stadt Remscheid hat bei einem Verwaltungshaushalt mit einem Volumen von 320 Millionen Euro ein aufge- Ich rufe die Zusatzpunkte 11 und 12 sowie den Tages- laufenes Defizit von 100 Millionen Euro. Selbst wenn ordnungspunkt 28 auf: die Stadt ihr ganzes Personal entließe, würde sie auf ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin 10 Millionen Euro Schulden sitzen bleiben. Darüber hi- Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, wei- naus hat man der Stadt verboten, auszubilden, da das terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE eine freiwillige Leistung sei. Die Stadt Köln hat im März dieses Jahres eine Bettensteuer beschlossen, um den Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit von Haushalt etwas aufzumöbeln. Sie rechnet mit jährlichen Städten, Gemeinden und Landkreisen Zusatzeinnahmen in Höhe von 21 Millionen Euro. – Nun könnten einige ganz Schlaue sagen: Na, seht mal, die – Drucksache 17/1744 – Kommunen lassen sich ja etwas einfallen und sind sehr Überweisungsvorschlag: kreativ beim Finden von rechtlich zulässigen Steuern. Finanzausschuss (f) Haushaltsausschuss Diese Beispiele belegen jedoch die blanke Finanznot der Kommunen. Hier müssen wir endlich tätig werden. ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Lisa Paus, Dr. Gerhard Schick, wei- (Beifall bei der LINKEN) terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Milliarden zur Rettung von Banken, zur Rettung von NIS 90/DIE GRÜNEN Griechenland und zur Rettung von ganz Europa werden Gewerbesteuer stabilisieren – nicht abschaffen ganz schnell und ohne ausreichende Maßnahmen zur Re- gulierung der Finanzmärkte beschlossen. Städten, Ge- – Drucksache 17/1764 – meinden und Landkreisen wird ständig vorgeschrieben, Überweisungsvorschlag: was sie zu tun und zu lassen haben. Von kommunaler Finanzausschuss (f) Selbstverwaltung kann überhaupt nicht mehr die Rede Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss sein. 480 Milliarden Euro für die Banken, 22 Milliarden (B) Euro für Griechenland und jetzt über 140 Milliarden (D) 28 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Euro für die Rettung Europas: Den Bürgerinnen und richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Bürgern vor Ort und den kommunalen Mandatsträgern dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, ist es überhaupt nicht mehr zu vermitteln, warum lebens- Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab- notwendige Dienstleistungen für die Leute vor Ort wie geordneter und der Fraktion DIE LINKE zum Beispiel der öffentliche Personennahverkehr nicht Für eine Verstetigung der Kommunalfinanzen – mehr finanzierbar sind. Die Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaft- Bisher haben Sie, meine Damen und Herren, hier im- steuer weiterentwickeln mer eine sehr abstrakte Debatte über die Kommunal- – Drucksachen 17/783, 17/1783 – finanzen geführt. Erinnern möchte ich nur an Ihre Einspa- rungsrhetorik bei den Kosten der Unterkunft. Sie haben Berichterstattung: immer gesagt: Die Kommunen werden um 2,5 Milliarden Abgeordnete Antje Tillmann Euro entlastet. Das Defizit in Höhe von 15 Milliarden Dr. Birgit Reinemund Euro in diesem Jahr spricht eine eigene Sprache. Zur Ent- Dr. Axel Troost lastung ist es nie gekommen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Bisher stehen die Kommunen in der Finanzierungs- die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibt kette in Deutschland ganz hinten. Aber müssten nicht die es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so Kommunen der eigentliche Ausgangspunkt im Finanzge- beschlossen. füge sein? Die Kommunen sind keine Behörde an sich; Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- sie sind vielmehr die einzige staatliche Ebene, wo Le- nerin der Kollegin Katrin Kunert von der Fraktion Die bensqualität für die Bürgerinnen und Bürger entsteht. Da- Linke das Wort. für sind Sie hier verantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) In den Städten und in den Gemeinden gehen die Kinder Katrin Kunert (DIE LINKE): in die Kindertagesstätten, sie lernen in den Schulen, sie Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lernen Schwimmen, sie lernen Kultur und Sport selbst bedauere, dass die Situation in den Kommunen nicht kennen. Außerdem gibt es ein Netz von vielfältigen Be- mindestens genauso wichtig ist wie die Rettung des Eu- ratungsangeboten. Was aber, wenn Schwimmbäder ge- ros. In Quickborn leihen Bürgerinnen und Bürger ihrer schlossen werden, Bibliotheken oder Musikschulen ihre Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4447

Katrin Kunert (A) Preise erhöhen? Die Aufgaben der öffentlichen Da- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) seinsvorsorge müssen der Ausgangspunkt für eine so- Das Wort hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg für lide und auskömmliche Finanzausstattung der Kommu- die Unionsfraktion. nen sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich will auf zwei Aspekte eingehen. Zum einen haben neten der FDP) sich das Tempo und die Dynamik der Sozialausgaben in den Kommunen rasant entwickelt. Während zwischen 1992 und 2002 die Sozialausgaben 6 Milliarden Euro be- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): trugen, lagen sie im Zeitraum von 2003 bis 2009 schon Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die bei 10 Milliarden Euro, also fast eine Verdopplung der Kommunen sind – das ist unbestreitbar – tatsächlich in Kosten in nahezu der Hälfte der Zeit. Hier müssen wir einer sehr ernsten Lage, aber die Schnellschüsse, die Sie endlich einmal wach werden. uns heute auf den Tisch gelegt haben, sind kein Beitrag zur Lösung dieser kritischen Lage. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür tragen alle bisherigen Regierungskoalitionen in diesem Hause die Verantwortung. Im Grunde handelt es sich um nichts anderes als um ein schlichtes Steuererhöhungspaket. Es werden neue Ich will ein Zweites sagen: Die Dramatik besteht da- Steuern für die gesamten Freiberufler in dieser Republik rin, dass die Kommunen, die schon mit wirtschaftlichen erfunden. Darüber hinaus fordern Sie Steuererhöhungen Problemen zu kämpfen haben, auch die meisten Sozial- zulasten des Mittelstands, vieler kleiner und mittlerer ausgaben schultern müssen. Die Kommunen sind daran Unternehmen und damit letzten Endes auch zulasten der nicht schuld. Man muss auch hier sagen, dass die bishe- Arbeitsplätze in diesem Land. rigen Regierungskoalitionen daran die Schuld tragen und noch nicht einmal im Ansatz den Versuch unternommen Sie schreiben in Ihren Anträgen, dass Sie durch Er- haben, die Finanzierung wieder geradezurücken. weiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbe- steuer und durch verschiedene Hinzurechnungen die Si- Wir schlagen Ihnen fünf konkrete Maßnahmen vor, die tuation der Kommunen verbessern würden. Das mag sofort umgesetzt werden können. Erstens: Rücknahme der sogar kurzfristig der Fall sein. Auf längere Sicht wird beschlossenen Unternehmensteuersenkungen und Verzicht das jedoch viele Unternehmen erdrosseln. Denn letzten auf weitere Steuersenkungen. An die FDP gerichtet, Endes wollen Sie Kostenpositionen, Mieten, Pachten, sage ich: Sie haben doch auf Ihrem Bundesparteitag einen Zinsen und anderes, stärker besteuern. Dann kommen (B) Antrag auf Senkung der Mitgliedsbeiträge mit der Be- wir in eine Situation, in der Betriebe Steuern zahlen (D) gründung abgelehnt, dass sich durch Senkung des Mit- müssen, obwohl sie gar keine Gewinne machen. Das gliedsbeitrages das Problem der Parteifinanzkrise nicht müssen Sie einmal unseren Zuschauern hier heute erklä- lösen ließe. Sehen Sie also bitte auch in Zukunft von wei- ren, wie das funktionieren soll, dass Unternehmen, die teren Steuersenkungen einfach ab. unter dem Strich keine Gewinne machen, trotzdem zur (Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth Zahlung der Gewerbesteuer herangezogen werden. Hier [Kyffhäuser] [FDP]: Was ist denn das für eine entstünde sogar die abstruse Situation, dass die Unter- abenteuerliche Argumentation?) nehmer, die an zwei verschiedenen Betriebsstandorten tätig sind, im Hinblick auf die Gewerbesteuer noch nicht Zweitens. Wir sind für die Entschuldung der hochver- einmal ihre Verluste und Gewinne miteinander verrech- schuldeten Kommunen. nen könnten, weil die Gewerbesteuer ja eine Realsteuer ist, die eben am Ort erhoben wird. Ein kleiner Hand- Drittens sind wir für die Entwicklung der Gewerbe- werksbetrieb würde dann unter dem Strich Verluste ma- steuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. chen, weil er an dem einen Standort bei null und an dem Viertens wollen wir, dass der Anteil des Bundes an anderen Standort unter der Wasserlinie arbeitet. Dieser den Kosten der Unterkunft, der Grundsicherung im Alter würde nach Ihrem Modell unter dem Strich Gewerbe- und auch bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf ei- steuer zahlen. nen Kita-Platz für Kinder unter drei Jahren erhöht wird. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wer kommu- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nale Infrastruktur nutzt, muss sie auch mit be- zahlen! – Manfred Zöllmer [SPD]: Der zahlt Fünftens wollen wir ein verbindliches und einklagba- keine Gewerbesteuer! – Weitere Zurufe von res Mitwirkungsrecht für die Kommunen bei der Ge- der SPD) setzgebung des Bundes. – Sie können ja gleich darauf eingehen, Herr Sieling. Ich wünsche mir wirklich, dass Sie sich genauso emo- tional und verantwortungsbewusst, wie Sie hier für Eu- Wenn Gewinne und Verluste an verschiedenen Stand- ropa gesprochen haben, für die Kommunen einsetzen; orten also bei der Gewerbesteuer nicht miteinander ver- denn hier findet das Leben statt. Hier ist auch die Demo- rechnet werden könnten, entstehen solche abstrusen Si- kratie in Gefahr. tuationen. Gerade in dieser wirtschaftlich angespannten Situation – deshalb haben wir ja über das Wachstumsbe- (Beifall bei der LINKEN) schleunigungsgesetz gegengesteuert – würden Sie damit 4448 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Mathias Middelberg (A) viele Unternehmen in den Ruin treiben und massiv Ar- Daran wollen wir – wir haben ja heute mehrfach von (C) beitsplätze vernichten. verschiedener Seite Aufforderungen zur Ehrlichkeit be- kommen – der Ehrlichkeit halber erinnern. Die Kommu- (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Selbstrecht- nen sind in einer kritischen ökonomischen Situation. fertigung eines Fehlers!) Dazu haben auch Bundesgesetze beigetragen; das dürfen Schon alleine deswegen können wir Ihren Anträgen hier wir nicht in Abrede stellen. Auch das Bürgerentlastungs- und heute nicht zustimmen. Unternehmen, die pleite gesetz hat dazu beigetragen, dass sich die Situation in sind, kommen nämlich auf Dauer für Gewerbesteuerzah- den Kommunen verschärft hat. lungen nicht mehr in Betracht. Sie hätten dann die Steu- Die Gewerbesteuer ist ein weiteres Element. Auch die erbasis zerstört. konjunkturelle Situation hat dazu beigetragen. Das ist Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsge- die andere Seite der Medaille, die im Moment für unge- setz – das haben Sie gerade kritisch angemerkt, Frau fähr 50 Prozent des Wegfalls der Einnahmen bei den Kunert – dem Mittelstand in dieser kritischen Situation Kommunen verantwortlich ist. Die Einnahmen durch die Liquidität verschafft. Das hat viele mittelständische Un- Gewerbesteuer sind in den verschiedenen Kommunen ternehmen vor dem Exitus gerettet. Dies wird auf Dauer um 30, zum Teil auch um 50 Prozent eingebrochen. Es die kommunale Steuerbasis nicht schwächen, sondern ist wichtig, jetzt nicht nur kosmetische Lösungen zu fin- stärken. Deswegen wird das Wachstumsbeschleuni- den, sondern eine Lösung aus einem Guss. Wir brauchen gungsgesetz die kommunale Steuerbasis auf Dauer stär- eine strukturelle Veränderung. ken und erhärten. Es ist richtig, jetzt nicht den Weg über Ihre Schnell- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – schüsse zu gehen, sondern über die Kommission, die der Manfred Zöllmer [SPD]: Märchen!) Bundesfinanzminister eingerichtet hat und an der die Länder und die kommunalen Spitzenverbände richtiger- Ungefähr die Hälfte des Volumens des Wachstumsbe- weise beteiligt sind. Wenn man nach dauerhaften stabi- schleunigungsgesetzes betrifft Kindergeld und Kinder- len Einnahmen für die Kommunen sucht, sollte man freibeträge, davon der ganz große Teil Kindergeld. auch sehr ernsthaft dem Vorschlag nachgehen, die Ge- Auch das ist ein Beitrag, um die Kommunen zu entlas- werbesteuer durch einen Anteil der Kommunen an der ten. Denn gerade kinderreiche Familien sind gefährdet, Umsatzsteuer in die Grundsicherung abzudriften. Das verhindern wir auch durch die Zahlung des erhöhten Kindergeldes. In- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Was soll denn sofern entlastet das viele Kommunen. da rauskommen?) (B) Sie haben ja zu Recht erwähnt, dass die Sozialausga- und durch einen Zuschlag auf Einkommen- und Körper- (D) ben für die Kommunen ein zunehmend größeres Pro- schaftsteuer mit eigenem Hebesatzrecht zu ersetzen. Das blem darstellen. Die Leistungen zur Grundsicherung ma- sollten wir ernsthaft und sorgfältig prüfen. chen mittlerweile 24 Prozent der sozialen Ausgaben der Diese Kommission hat einen weiteren Vorteil. Kommunen aus. Vor diesem Hintergrund ist die Erhö- hung des Kindergeldes ein ganz konkreter Beitrag, um (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Die arbeitet die Kommunen zu entlasten. nicht so schnell!) Die weiteren Beiträge sind – das haben wir gerade ge- Sie nimmt auch die Kostenseite in den Blick. Das haben macht – die Einigung bezüglich der Jobcenter, an der Sie Sie hier noch nicht erwähnt. mitgewirkt haben, (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Standard- (Manfred Zöllmer [SPD]: Was heißt absenkung!) „mitgewirkt“?) Es ist mir aber sehr wichtig, dass wir auch über die Kos- und die Verlängerung der Zahlung des Kurzarbeitergel- ten, also über das Sparen, reden. Wir dürfen nicht nur des. Die Kollegen von der SPD werden sicherlich gleich darüber reden, wo man zusätzliche Einnahmen generie- sehr selbstgefällig gute Ratschläge geben, wie wir das ren kann, wie man womöglich die Bürger zusätzlich be- schon heute Morgen erlebt haben. lasten kann, sondern wir müssen auch darüber reden, wo gespart werden kann. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Aber das war jetzt nicht selbstgefällig?) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Kinder- betreuungsquote absenken!) Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur daran, dass Sie es unter Rot-Grün waren, die die Gewerbesteuerum- Deswegen ist es wichtig, dass sich die Kommission auch lage, die ja jetzt abgeschafft werden soll, erhöht haben. mit den Ausstattungsstandards befasst. Das ist der rich- Darüber hinaus erinnere ich daran, dass Sie 2005 hier tige Weg, um zu einer nachhaltigen strukturellen Verbes- den Antrag eingebracht haben, den Bundesanteil an den serung zu kommen. Wir unterstützen die Kommission Kosten der Unterkunft rückwirkend auf Null zu setzen. des Bundesfinanzministers und werden über die Vor- schläge, die sie vorlegen wird, sachlich und entspannt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – diskutieren. Ihre Schnellschüsse von heute lehnen wir Bernd Scheelen [SPD]: Das war nur ein Platz- ab. halter! Das wissen Sie ganz genau! So ein Schwachsinn!) Danke. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4449

Dr. Mathias Middelberg (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karte gezeigt, und die schwarz-gelben Steuersenker sind (C) Katrin Kunert [DIE LINKE]: Aber Milliarden vom Platz geschickt worden. Das ist gut und richtig so. innerhalb einer Woche beschließen!) (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wie viel haben Sie verloren?) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Bernd Scheelen für die Die Menschen haben gemerkt, was Ihre Steuersenkungs- SPD-Fraktion. fantasien vor Ort anrichten. Dass wir über die Schlie- ßung von Theatern, von Schwimmbädern, von Büche- (Beifall bei der SPD) reien und Ähnlichem reden müssen, dass, wie ich gerade hörte, eine kleine Gemeinde im Münsterland – bisher Bernd Scheelen (SPD): ging man davon aus, dass es denen noch gut geht – da- rüber nachdenkt, in der nächsten Ratssitzung eine Erhö- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und hung der Grundsteuer um 50 Prozent beschließen zu Herren! Wir beschäftigen uns heute, wie wir es eigent- müssen, zeigt die Dramatik der Situation vor Ort. Daher lich in jeder Sitzungswoche tun, mit der Situation der ist eine Diskussion über die Haupteinnahmequelle der Gemeinden. Ich finde es gut, dass das so ist. Im Finanz- Kommunen eine Gelegenheit, die man nutzen sollte. ausschuss haben einige das bemängelt. Sie meinen, man müsse ja nicht jede Woche darüber reden. Ich glaube, die (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das hätten Sie Lage der Kommunen ist so dramatisch, dass es sich elf Jahre lang machen können!) lohnt, jede Woche hier im Hohen Hause darüber zu spre- Ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit einen Hinweis chen. auf eine kleine Broschüre geben. Diese hat uns allen vor (Zuruf von der FDP: Handeln!) zwei Tagen der Städtetag zukommen lassen. Sie heißt: „Sozialleistungen der Städte in Not“. Das ist doppel- Wir haben das auch in der letzten Sitzungswoche, also deutig, weil sich das „in Not“ sowohl auf Sozialleistun- vor zwei Wochen, getan. Das war der Freitag vor der gen wie auch auf Städte beziehen kann. Ich glaube, das NRW-Wahl. Ich habe an diesem Pult gestanden und Ih- ist auch so gedacht. Es soll sich auf beides beziehen. Es nen am Ende meiner Rede ein Zitat über die Steuer- soll deutlich machen, dass die Städte in Not sind und senkungspartei FDP vorgelesen. Leider reichte meine dass mit Städten in Not die Sozialleistungen nicht mehr Redezeit nicht ganz aus, um das Zitat bis zum Ende vor- gewährt werden können. zutragen. Deswegen nutze ich jetzt die Gelegenheit, das nachzuholen. In der Broschüre wird sehr deutlich darauf hingewie- sen, dass die Soziallasten der Kommunen in den letzten (B) (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Jahren dramatisch angestiegen sind. Sie betragen mitt- (D) Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- lerweile über 40 Milliarden Euro, und zwar bei sinken- gie: Ärmlich!) den Einnahmen. Das ist das Problem. Bis vor zwei Jah- Ich erspare Ihnen den Anfang. Aber es ist schon ganz ren liefen die Steigerungen der Ausgaben mit denen der wichtig, zu wissen, was der Kommentator der Süddeut- Einnahmen in etwa parallel. schen Zeitung vor zwei Wochen zu der Steuersenkungs- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Gilt das partei FDP geschrieben hat. Er hat geschrieben: auch für die Jahre 2000 bis 2008?) Die Partei des Guido Westerwelle verspricht Steu- In den Jahren 2007 und 2008 hatten die Kommunen in ersenkungen, wenn es dem Staat gut geht, weil Deutschland unterm Strich, alle zusammengenommen, dann genug Geld dafür da sei. „Bürger am Auf- Überschüsse von knapp 8 Milliarden Euro. Im letzten schwung beteiligen“, heißt das dann. Und sie ver- Jahr hatten die Städte ein Defizit zu verzeichnen. spricht Steuersenkungen, wenn es dem Staat schlecht geht, weil das angeblich die Wirtschaft (Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU] massiv ankurbele. meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Wie ich sehe, möchte der Kollege Middelberg eine Bis dahin war ich gekommen. Jetzt kommt der Teil, Zwischenfrage stellen. der noch gefehlt hat. Den finde ich auch wichtig:

Einen Grund, gegen Steuersenkungen zu sein, gibt Vizepräsidentin Petra Pau: es für die FDP nicht. Wenn es darauf ankäme, Wenn Sie gestatten, dann hat der Kollege Middelberg würde sie mit Steuersenkungen auch den internatio- jetzt das Wort. nalen Terrorismus oder isländische Vulkane be- kämpfen. Bernd Scheelen (SPD): Ich finde, der Kommentator hat völlig recht. Ja, gerne, Herr Kollege Middelberg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): [FDP]: Die Antwort der SPD ist Mindestlohn!) Vielen Dank, Herr Kollege Scheelen. – Sie listen ei- nige Fakten auf, die teilweise gar nicht bestreitbar sind Das habe ich hier zwei Tage vor der NRW-Wahl vor- und die wirklich einen dramatischen Zustand kennzeich- getragen. Jetzt wurde Ihnen bei der NRW-Wahl die rote nen. Aber was uns natürlich interessiert, ist, was Sie 4450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Mathias Middelberg (A) bzw. Ihre Fraktion – Sie haben schließlich in diesem Ich erwarte, dass Sie das, was wir gemeinsam sinnvoller- (C) Hause elf Jahre lang den Finanzminister gestellt – kon- weise beschlossen haben, hier verteidigen und dazu ste- kret dazu beigetragen haben, um die Finanzsituation der hen. Kommunen zu verbessern, oder was Sie vielleicht auch (Beifall bei der SPD – Dr. Carsten Sieling beigetragen haben, um diese dramatische Situation, die [SPD]: Nur Mut!) Sie eben beschrieben haben, mitzuerzeugen. Ich denke hier an die Sozialausgaben und die zusätzlichen Lasten In dieser Broschüre wird darauf hingewiesen, dass die der Kommunen. Soziallasten auf mittlerweile über 40 Milliarden Euro mit einer kräftigen Dynamik in vielen Bereichen ange- stiegen sind. Ich will kurz vier Bereiche ansprechen, die Bernd Scheelen (SPD): eine ganz besondere Dynamik aufweisen. Herr Kollege Middelberg, Sie selber haben in Ihrer Rede auf Dinge hingewiesen, die in den elf Jahren der Der erste Bereich sind die auch von Ihnen erwähnten Regierungsbeteiligung der SPD beschlossen wurden. Ich Kosten der Unterkunft. Ich glaube, dabei sind wir noch will Ihnen sagen, dass wir in den elf Jahren eine ganze nicht am Ende der Diskussion. Das ist eine relativ neue Menge für die Kommunen getan haben. Geschichte. Wir haben diese Regelung vor fünf Jahren eingeführt. Wir haben den Bund an den Kosten der Un- (Beifall des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD] – terkunft beteiligt. In diesem Jahr zeigt sich, dass die Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das habe ich Krise dazu führt, dass die Zuschüsse des Bundes für die aber nicht gemerkt!) Kosten der Unterkunft sinken werden, während gleich- zeitig die Lasten für die Kommunen steigen. Wir haben die Gewerbesteuer erhalten und ausgebaut, und zwar mit Ihnen gemeinsam. Wir haben zum Beispiel Deswegen haben wir am 23. März dieses Jahres den die Elemente eingeführt, die Sie hier beklagen. Antrag „Rettungsschirm für Kommunen“ in dieses Hohe Haus eingebracht. Er enthält die von uns vorgeschlage- (Beifall bei der SPD) nen Maßnahmen, nämlich Zurücknahme Ihres Beschlusses, also der Absenkung des Kostenbeitrages um 400 Mil- Sie haben sich eben hier hingestellt und gesagt, man lionen Euro. Diesen Beschluss sollten wir als Erstes zu- müsse den Leuten erklären, wieso man auf eine Miete rücknehmen, um den Kommunen die Gelegenheit zu ge- eine Steuer zahlen solle. Das Argument kenne ich. Das ben, über die Krise hinwegzukommen, weil diese Min- klingt plausibel, aber man muss wissen, warum das so dereinnahmen der Krise geschuldet sind. Dem haben Sie ist. Das will ich Ihnen gerne ganz kurz erklären. leider nicht zugestimmt. (B) Wenn sich ein Unternehmen in eine Betriebs- und Die zweite dynamische Ausgabenposition ist die (D) eine Besitzgesellschaft aufteilt und die Betriebsgesell- Grundsicherung im Alter. Sie ist in den letzten fünf schaft an die Besitzgesellschaft Miete bezahlt, dann be- Jahren um 170 Prozent gestiegen. Das können wir nicht zahlt sie sie aus ihren Gewinnen. einfach abtun, sondern das müssen wir zur Kenntnis (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Beantworten nehmen, um die Situation der Kommunen beurteilen und Sie die Frage!) daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Der dritte Bereich ist die Eingliederungshilfe für Sie zahlt sich sozusagen ihren eigenen Gewinn als Miete Behinderte. Das ist eine sinnvolle Maßnahme. Es geht in die eigene Tasche. Auf Mieten – das wissen Sie – wer- beispielsweise darum, Integrationshelfer in Schulen zu den keine Gewerbesteuern erhoben. Das heißt, das sind finanzieren. Die Frage ist nur, ob die Kommunen das be- Steuersparmodelle, von denen in den letzten Jahren und zahlen müssen. Ist das nicht möglicherweise eine Län- Jahrzehnten massiv Gebrauch gemacht wurde. Dem ha- deraufgabe? Das ist ein Posten, der 11 Milliarden Euro ben wir einen Riegel vorgeschoben. Das ist bei den ausmacht und dramatische Steigerungsraten aufweist. Kommunen sehr gut angekommen. Deswegen ist es ih- Auch da sind Antworten gefragt. nen bis 2007/2008 sehr gut gegangen. Das ist Folge von rot-grüner, aber auch von schwarz-roter Politik. Dasselbe gilt – viertens – auch für die Erziehungs- hilfe für Kinder und Jugendliche, die ebenfalls eine (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordne- dramatische Steigerungsrate – 35 Prozent – aufweist. ten der CDU/CSU – Ingbert Liebing [CDU/ CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Das heißt, die Schere zwischen steigenden Lasten und sinkenden Einnahmen geht immer weiter auseinander. – Liebe Kollegen von der Union, ich darf auf Folgendes Ihre Antwort darauf ist, eine Kommission einzusetzen. hinweisen: Wir standen vier Jahre gemeinsam in der Gegen das Einsetzen einer Kommission kann man zu- Verantwortung. Ich höre jetzt immer von der FDP, dass nächst einmal nichts sagen. Das kann ja durchaus sinn- die SPD an allem schuld ist, was in den letzten vier Jah- voll sein. Wenn der Auftrag der Kommission aber so ren passiert ist. Dabei vermisse ich, dass Sie sich zu lautet, wie er in der Koalitionsvereinbarung niedergelegt Wort melden. Im Grunde werden auch Sie kritisiert, aber ist – Ersatz für die Gewerbesteuer prüfen –, dann ha- Sie trauen sich nicht, etwas dagegen zu sagen, weil Sie ben wir große Bedenken und befürchten, dass dabei am die Koalition nicht gefährden wollen. Aber die Kritik der Ende nichts Sinnvolles und Richtiges herauskommen FDP richtet sich genauso gegen Sie. kann. Bisher gibt es kein überzeugendes Modell, mit dem die Gewerbesteuer ersetzt werden könnte. Nach au- (Zurufe von der FDP: Nein, nein!) ßen erwecken Sie den Eindruck, dass es Modelle gibt, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4451

Bernd Scheelen (A) die man überprüfen muss. Die Modelle sind alle nicht schoss. Sie sind das Fundament. Wenn das Fundament (C) neu. Sie sind alle seit 10 oder 15 Jahren auf dem Markt. eines Hauses brüchig ist, dann ist es um das Haus über Sie sind alle schon mehrfach überprüft worden, unter an- kurz oder lang nicht gut bestellt. derem von der Kommission, die Hans Eichel 2002/2003 einberufen hat. Diese Kommission hat all das schon (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das Dach überprüft, was Sie jetzt noch einmal überprüfen wollen. ist entscheidend beim Haus!) Sie ist zu dem Ergebnis gekommen: Trotz aller Mängel, Deswegen sind wir gut beraten, zu gewährleisten, dass die die Gewerbesteuer hat, gibt es keine bessere Mög- die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können. Zu rot- lichkeit zur Finanzausstattung der Kommunen. Sie hat grüner Zeit hatten wir diese Diskussion schon einmal. nämlich viele Vorteile, die die anderen Modelle nicht ha- Ich darf daran erinnern, da Sie, Kollege Middelberg, da ben. noch nicht hier waren. Damals hatten wir durchaus Ich will einen Hauptkritikpunkt an den Modellen, ernstzunehmende Kräfte in der Regierung, die die Ge- die Sie prüfen wollen, kurz ansprechen. Jedes Modell, werbesteuer auch abschaffen wollten. Wer schon länger das die Last der Gewerbesteuerzahlung von der Wirt- hier im Hohen Hause ist, weiß, dass Rot-Grün, die Frak- schaft wegnimmt und auf Verbraucherinnen und Ver- tionen, die Kraft gefunden hat, der eigenen Regierung braucher sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Stoppschild vorzuhalten und zu sagen: So nicht. Wir verteilt, wird unsere Zustimmung nicht finden. Es ist mit haben die Gewerbesteuer gerettet und gemeinsam mit Sozialdemokraten nicht zu machen, dass die Wirtschaft der CDU/CSU weiter ausgebaut. entlastet wird und die Bürgerinnen und Bürger im Ge- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Aber nicht genzug als Verbraucherinnen und Verbraucher oder Ar- verbessert!) beitnehmerinnen und Arbeitnehmer belastet werden. Das geht mit uns auf gar keinen Fall. Warum Sie das alles jetzt über Bord werfen wollen, kann ich nicht verstehen. Mein Appell an Sie lautet: Haben (Beifall bei der SPD) Sie den Mut, den Rot-Grün damals hatte. Ein weiteres Problem wird sein, dass diese Modelle Vielen Dank. zu Verschiebungen bezüglich des Steueraufkommens in Deutschland führen. Die Verlierer werden eindeutig (Beifall bei der SPD) die Kernstädte, die hohe Soziallasten zu tragen haben, sein, aber auch der ländliche Raum; das haben die Unter- Vizepräsidentin Petra Pau: suchungen 2003 schon gezeigt. Das heißt, wir werden Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmun- innerhalb der Bundesrepublik Deutschland den verfas- gen und gebe das von den Schriftführerinnen und sungsmäßigen Auftrag der Herstellung gleichwertiger (B) Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen (D) Lebensverhältnisse mit diesen neuen Modellen nicht er- Abstimmungen bekannt. füllen können. Ich komme zuerst zum ersten Entschließungsantrag Die Kommunen sind das Fundament der Demokra- der SPD-Fraktion zum Entwurf eines Gesetzes zur Über- tie. nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäi- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wohl wahr!) schen Stabilisierungsmechanismus, Drucksache 17/1809: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben 131, mit Nein Einige glauben, sie seien das Kellergeschoss. In das Kel- haben 328 gestimmt. Enthalten haben sich 128 Kollegin- lergeschoss geht man nicht so gerne, weil es dort muffig, nen und Kollegen. Der Entschließungsantrag ist abge- kalt und feucht ist. Nein, sie sind nicht das Kellerge- lehnt.

Endgültiges Ergebnis Dr. Hans-Peter Bartels Elvira Drobinski-Weiß Wolfgang Gunkel Abgegebene Stimmen: 587; Klaus Barthel Garrelt Duin Hans-Joachim Hacker davon Sören Bartol Sebastian Edathy Bettina Hagedorn Bärbel Bas Siegmund Ehrmann Klaus Hagemann ja: 131 Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dr. h. c. Gernot Erler Michael Hartmann nein: 328 Dirk Becker Petra Ernstberger (Wackernheim) enthalten: 128 Uwe Beckmeyer Karin Evers-Meyer Hubertus Heil (Peine) Klaus Brandner Elke Ferner Rolf Hempelmann Ja Willi Brase Gabriele Fograscher Dr. Barbara Hendricks Bernhard Brinkmann Dr. Edgar Franke Gustav Herzog CDU/CSU (Hildesheim) Dagmar Freitag Gabriele Hiller-Ohm Edelgard Bulmahn Sigmar Gabriel Petra Hinz (Essen) Josef Göppel Marco Bülow Michael Gerdes Frank Hofmann (Volkach) Ulla Burchardt Martin Gerster Dr. Eva Högl SPD Martin Burkert Iris Gleicke Josip Juratovic Ingrid Arndt-Brauer Petra Crone Ulrike Gottschalck Oliver Kaczmarek Rainer Arnold Dr. Peter Danckert Angelika Graf (Rosenheim) Johannes Kahrs Doris Barnett Martin Dörmann Michael Groß Dr. h. c. Susanne Kastner 4452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer Norbert Geis Bettina Kudla (C) Lars Klingbeil Andrea Wicklein Alois Gerig Dr. Hermann Kues Hans-Ulrich Klose Heidemarie Wieczorek-Zeul Eberhard Gienger Günter Lach Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz Michael Glos Dr. Karl A. Lamers Daniela Kolbe (Leipzig) Waltraud Wolff Peter Götz (Heidelberg) Fritz Rudolf Körper (Wolmirstedt) Dr. Wolfgang Götzer Andreas G. Lämmel Anette Kramme Uta Zapf Ute Granold Dr. Norbert Lammert Nicolette Kressl Dagmar Ziegler Reinhard Grindel Katharina Landgraf Angelika Krüger-Leißner Manfred Zöllmer Hermann Gröhe Ulrich Lange Ute Kumpf Brigitte Zypries Michael Grosse-Brömer Dr. Max Lehmer Christine Lambrecht Markus Grübel Paul Lehrieder Christian Lange (Backnang) Nein Manfred Grund Dr. Ursula von der Leyen Dr. Karl Lauterbach Monika Grütters Ingbert Liebing Steffen-Claudio Lemme CDU/CSU Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Matthias Lietz Burkhard Lischka Guttenberg Dr. Carsten Linnemann Gabriele Lösekrug-Möller Ilse Aigner Olav Gutting Patricia Lips Kirsten Lühmann Peter Altmaier Florian Hahn Dr. Jan-Marco Luczak Caren Marks Peter Aumer Holger Haibach Dr. Michael Luther Katja Mast Dorothee Bär Dr. Stephan Harbarth Karin Maag Petra Merkel (Berlin) Thomas Bareiß Jürgen Hardt Dr. Thomas de Maizière Ullrich Meßmer Norbert Barthle Gerda Hasselfeldt Hans-Georg von der Marwitz Dr. Matthias Miersch Günter Baumann Dr. Matthias Heider Andreas Mattfeldt Franz Müntefering Ernst-Reinhard Beck Mechthild Heil Stephan Mayer (Altötting) Dr. Rolf Mützenich (Reutlingen) Ursula Heinen-Esser Dr. Michael Meister Andrea Nahles Manfred Behrens (Börde) Frank Heinrich Dr. Angela Merkel Manfred Nink Veronika Bellmann Rudolf Henke Maria Michalk Thomas Oppermann Dr. Christoph Bergner Michael Hennrich Dr. h. c. Hans Michelbach Holger Ortel Peter Beyer Jürgen Herrmann Dr. Mathias Middelberg Aydan Özoğuz Steffen Bilger Ansgar Heveling Philipp Mißfelder Joachim Poß Clemens Binninger Ernst Hinsken Dietrich Monstadt Dr. Wilhelm Priesmeier Peter Bleser Peter Hintze Marlene Mortler Florian Pronold Dr. Maria Böhmer Christian Hirte Dr. Gerd Müller Dr. Sascha Raabe Wolfgang Börnsen Robert Hochbaum Stefan Müller (Erlangen) Mechthild Rawert (Bönstrup) Karl Holmeier Nadine Müller (St. Wendel) (B) Dr. Carola Reimann Norbert Brackmann Franz-Josef Holzenkamp Dr. Philipp Murmann (D) Sönke Rix Klaus Brähmig Joachim Hörster Bernd Neumann (Bremen) René Röspel Michael Brand Anette Hübinger Michaela Noll Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Reinhard Brandl Thomas Jarzombek Dr. Georg Nüßlein Karin Roth (Esslingen) Helmut Brandt Dieter Jasper Franz Obermeier Marlene Rupprecht Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Franz Josef Jung Eduard Oswald (Tuchenbach) Dr. Helge Braun Andreas Jung (Konstanz) Henning Otte Anton Schaaf Heike Brehmer Dr. Egon Jüttner Dr. Michael Paul Axel Schäfer (Bochum) Ralph Brinkhaus Bartholomäus Kalb Rita Pawelski Bernd Scheelen Gitta Connemann Hans-Werner Kammer Ulrich Petzold Dr. Hermann Scheer Leo Dautzenberg Steffen Kampeter Dr. Joachim Pfeiffer Marianne Schieder Alexander Dobrindt Alois Karl Sibylle Pfeiffer (Schwandorf) Thomas Dörflinger Bernhard Kaster Beatrix Philipp Werner Schieder (Weiden) Marie-Luise Dött Siegfried Kauder (Villingen- Ronald Pofalla Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Thomas Feist Schwenningen) Christoph Poland Carsten Schneider (Erfurt) Enak Ferlemann Volker Kauder Ruprecht Polenz Olaf Scholz Ingrid Fischbach Dr. Stefan Kaufmann Eckhard Pols Ottmar Schreiner Hartwig Fischer (Göttingen) Roderich Kiesewetter Lucia Puttrich Swen Schulz (Spandau) Dirk Fischer (Hamburg) Eckart von Klaeden Daniela Raab Ewald Schurer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Ewa Klamt Thomas Rachel Frank Schwabe Land) Dr. Peter Ramsauer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Maria Flachsbarth Jürgen Klimke Eckhardt Rehberg Stefan Schwartze Klaus-Peter Flosbach Julia Klöckner Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Carsten Sieling Herbert Frankenhauser Axel Knoerig Lothar Riebsamen Sonja Steffen Dr. Hans-Peter Friedrich Jens Koeppen Josef Rief Peer Steinbrück (Hof) Dr. Kristina Schröder Klaus Riegert Dr. Frank-Walter Steinmeier Michael Frieser Manfred Kolbe Johannes Röring Christoph Strässer Erich G. Fritz Dr. Rolf Koschorrek Dr. Norbert Röttgen Kerstin Tack Dr. Michael Fuchs Hartmut Koschyk Dr. Christian Ruck Dr. h. c. Wolfgang Thierse Hans-Joachim Fuchtel Thomas Kossendey Erwin Rüddel Franz Thönnes Alexander Funk Michael Kretschmer Albert Rupprecht (Weiden) Wolfgang Tiefensee Ingo Gädechens Gunther Krichbaum Anita Schäfer (Saalstadt) Rüdiger Veit Dr. Peter Gauweiler Dr. Günter Krings Dr. Annette Schavan Ute Vogt Dr. Thomas Gebhart Rüdiger Kruse Dr. Andreas Scheuer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4453

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Karl Schiewerling Angelika Brunkhorst Marina Schuster Dorothée Menzner (C) Norbert Schindler Ernst Burgbacher Dr. Erik Schweickert Cornelia Möhring Tankred Schipanski Marco Buschmann Werner Simmling Kornelia Möller Georg Schirmbeck Sylvia Canel Judith Skudelny Niema Movassat Christian Schmidt (Fürth) Helga Daub Dr. Hermann Otto Solms Wolfgang Nešković Patrick Schnieder Reiner Deutschmann Joachim Spatz Thomas Nord Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Max Stadler Petra Pau Dr. Ole Schröder Patrick Döring Torsten Staffeldt Richard Pitterle Bernhard Schulte-Drüggelte Mechthild Dyckmans Dr. Rainer Stinner Yvonne Ploetz Uwe Schummer Rainer Erdel Stephan Thomae Ingrid Remmers Armin Schuster (Weil am Jörg van Essen Florian Toncar Paul Schäfer (Köln) Rhein) Ulrike Flach Serkan Tören Michael Schlecht Detlef Seif Otto Fricke Johannes Vogel Dr. Herbert Schui Johannes Selle Paul K. Friedhoff (Lüdenscheid) Dr. Ilja Seifert Reinhold Sendker Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Daniel Volk Kathrin Senger-Schäfer Dr. Patrick Sensburg Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Guido Westerwelle Raju Sharma Thomas Silberhorn Heinz Golombeck Dr. Claudia Winterstein Dr. Petra Sitte Johannes Singhammer Miriam Gruß Dr. Volker Wissing Sabine Stüber Jens Spahn Joachim Günther (Plauen) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Alexander Süßmair Carola Stauche Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Dr. Frank Steffel Heinz-Peter Haustein DIE LINKE Frank Tempel Manuel Höferlin Erika Steinbach Sevim Dağdelen Dr. Axel Troost Elke Hoff Christian Freiherr von Stetten Heike Hänsel Alexander Ulrich Dieter Stier Birgit Homburger Kathrin Vogler Gero Storjohann Dr. Werner Hoyer Sahra Wagenknecht Stephan Stracke Heiner Kamp Enthalten Halina Wawzyniak Max Straubinger Michael Kauch Katrin Werner Karin Strenz Dr. Lutz Knopek CDU/CSU Sabine Zimmermann Thomas Strobl (Heilbronn) Pascal Kober Karl-Georg Wellmann Lena Strothmann Dr. Heinrich L. Kolb BÜNDNIS 90/DIE Michael Stübgen Gudrun Kopp DIE LINKE GRÜNEN Dr. Peter Tauber Dr. h. c. Jürgen Koppelin Kerstin Andreae Antje Tillmann Sebastian Körber Jan van Aken Marieluise Beck (Bremen) Dr. Hans-Peter Uhl Holger Krestel Agnes Alpers Volker Beck (Köln) Arnold Vaatz Patrick Kurth (Kyffhäuser) Herbert Behrens (B) Cornelia Behm (D) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Heinz Lanfermann Matthias W. Birkwald Alexander Bonde Stefanie Vogelsang Sibylle Laurischk Steffen Bockhahn Viola von Cramon-Taubadel Andrea Astrid Voßhoff Harald Leibrecht Eva Bulling-Schröter Ekin Deligöz Dr. Johann Wadephul Sabine Leutheusser- Dr. Martina Bunge Katja Dörner Marco Wanderwitz Schnarrenberger Roland Claus Hans-Josef Fell Kai Wegner Lars Lindemann Dr. Diether Dehm Dr. Thomas Gambke Marcus Weinberg (Hamburg) Christian Lindner Heidrun Dittrich Kai Gehring Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Martin Lindner (Berlin) Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Katrin Göring-Eckardt Sabine Weiss (Wesel I) Michael Link (Heilbronn) Klaus Ernst Britta Haßelmann Ingo Wellenreuther Dr. Erwin Lotter Nicole Gohlke Bettina Herlitzius Peter Wichtel Oliver Luksic Diana Golze Winfried Hermann Annette Widmann-Mauz Horst Meierhofer Annette Groth Priska Hinz (Herborn) Klaus-Peter Willsch Patrick Meinhardt Dr. Gregor Gysi Ulrike Höfken Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Molitor Dr. Rosemarie Hein Dr. Anton Hofreiter Becker Jan Mücke Dr. Barbara Höll Bärbel Höhn Dagmar Wöhrl Petra Müller (Aachen) Andrej Konstantin Hunko Thilo Hoppe Dr. Matthias Zimmer Burkhardt Müller-Sönksen Ulla Jelpke Uwe Kekeritz Wolfgang Zöller Dr. Martin Neumann Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Keul Willi Zylajew (Lausitz) Dirk Niebel Katja Kipping Memet Kilic Harald Koch Sven-Christian Kindler FDP Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Jan Korte Maria Klein-Schmeink Jens Ackermann Cornelia Pieper Jutta Krellmann Ute Koczy Christian Ahrendt Gisela Piltz Katrin Kunert Tom Koenigs Christine Aschenberg- Dr. Christiane Ratjen- Caren Lay Sylvia Kotting-Uhl Dugnus Damerau Sabine Leidig Oliver Krischer Daniel Bahr (Münster) Dr. Birgit Reinemund Ralph Lenkert Agnes Krumwiede Florian Bernschneider Dr. Peter Röhlinger Michael Leutert Fritz Kuhn Sebastian Blumenthal Dr. Stefan Ruppert Stefan Liebich Renate Künast Claudia Bögel Björn Sänger Ulla Lötzer Markus Kurth Nicole Bracht-Bendt Frank Schäffler Dr. Gesine Lötzsch Undine Kurth (Quedlinburg) Klaus Breil Christoph Schnurr Thomas Lutze Monika Lazar Rainer Brüderle Jimmy Schulz Ulrich Maurer Nicole Maisch 4454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Agnes Malczak Dr. Hermann Ott Elisabeth Scharfenberg Hans-Christian Ströbele (C) Jerzy Montag Lisa Paus Christine Scheel Dr. Harald Terpe Kerstin Müller (Köln) Brigitte Pothmer Dr. Gerhard Schick Markus Tressel Beate Müller-Gemmeke Tabea Rößner Dr. Frithjof Schmidt Jürgen Trittin Ingrid Nestle Claudia Roth (Augsburg) Dorothea Steiner Daniela Wagner Dr. Konstantin von Notz Krista Sager Dr. Wolfgang Strengmann- Wolfgang Wieland Friedrich Ostendorff Manuel Sarrazin Kuhn Dr. Valerie Wilms

Zweiter Entschließungsantrag der SPD-Fraktion zum men 582. Mit Ja haben gestimmt 128, mit Nein haben Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleis- gestimmt 330, und 124 Kolleginnen und Kollegen haben tungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- sich enthalten. mechanismus, Drucksache 17/1810: abgegebene Stim-

Endgültiges Ergebnis Wolfgang Gunkel Sönke Rix Dorothee Bär Abgegebene Stimmen: 582; Hans-Joachim Hacker René Röspel Thomas Bareiß davon Bettina Hagedorn Dr. Ernst Dieter Rossmann Norbert Barthle Klaus Hagemann Karin Roth (Esslingen) Günter Baumann ja: 128 Michael Hartmann Marlene Rupprecht Ernst-Reinhard Beck nein: 330 (Wackernheim) (Tuchenbach) (Reutlingen) enthalten: 124 Hubertus Heil (Peine) Anton Schaaf Manfred Behrens (Börde) Rolf Hempelmann Axel Schäfer (Bochum) Veronika Bellmann Gustav Herzog Bernd Scheelen Dr. Christoph Bergner Ja Gabriele Hiller-Ohm Dr. Hermann Scheer Peter Beyer Petra Hinz (Essen) Marianne Schieder Steffen Bilger SPD Frank Hofmann (Volkach) (Schwandorf) Clemens Binninger Ingrid Arndt-Brauer Dr. Eva Högl Werner Schieder (Weiden) Peter Bleser Rainer Arnold Josip Juratovic Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Maria Böhmer Doris Barnett Oliver Kaczmarek Carsten Schneider (Erfurt) Wolfgang Börnsen Dr. Hans-Peter Bartels Johannes Kahrs Olaf Scholz (Bönstrup) (B) Klaus Barthel Dr. h. c. Susanne Kastner Ottmar Schreiner Norbert Brackmann (D) Sören Bartol Ulrich Kelber Swen Schulz (Spandau) Klaus Brähmig Bärbel Bas Lars Klingbeil Ewald Schurer Michael Brand Sabine Bätzing-Lichtenthäler Hans-Ulrich Klose Frank Schwabe Dr. Reinhard Brandl Dirk Becker Dr. Bärbel Kofler Dr. Angelica Schwall-Düren Helmut Brandt Uwe Beckmeyer Daniela Kolbe (Leipzig) Stefan Schwartze Dr. Ralf Brauksiepe Klaus Brandner Fritz Rudolf Körper Dr. Carsten Sieling Dr. Helge Braun Willi Brase Anette Kramme Sonja Steffen Heike Brehmer Bernhard Brinkmann Nicolette Kressl Peer Steinbrück Ralph Brinkhaus (Hildesheim) Angelika Krüger-Leißner Dr. Frank-Walter Steinmeier Gitta Connemann Edelgard Bulmahn Ute Kumpf Christoph Strässer Leo Dautzenberg Marco Bülow Christine Lambrecht Kerstin Tack Alexander Dobrindt Ulla Burchardt Christian Lange (Backnang) Dr. h. c. Wolfgang Thierse Thomas Dörflinger Martin Burkert Dr. Karl Lauterbach Franz Thönnes Marie-Luise Dött Petra Crone Steffen-Claudio Lemme Wolfgang Tiefensee Dr. Thomas Feist Dr. Peter Danckert Burkhard Lischka Rüdiger Veit Enak Ferlemann Martin Dörmann Gabriele Lösekrug-Möller Ute Vogt Ingrid Fischbach Elvira Drobinski-Weiß Kirsten Lühmann Dr. Marlies Volkmer Hartwig Fischer (Göttingen) Garrelt Duin Caren Marks Andrea Wicklein Dirk Fischer (Hamburg) Sebastian Edathy Katja Mast Heidemarie Wieczorek-Zeul Axel E. Fischer (Karlsruhe- Siegmund Ehrmann Petra Merkel (Berlin) Dr. Dieter Wiefelspütz Land) Dr. h. c. Gernot Erler Ullrich Meßmer Waltraud Wolff Dr. Maria Flachsbarth Petra Ernstberger Dr. Matthias Miersch (Wolmirstedt) Klaus-Peter Flosbach Karin Evers-Meyer Franz Müntefering Uta Zapf Herbert Frankenhauser Elke Ferner Dr. Rolf Mützenich Dagmar Ziegler Dr. Hans-Peter Friedrich Gabriele Fograscher Andrea Nahles Manfred Zöllmer (Hof) Dr. Edgar Franke Manfred Nink Brigitte Zypries Michael Frieser Dagmar Freitag Thomas Oppermann Erich G. Fritz Sigmar Gabriel Holger Ortel Nein Dr. Michael Fuchs Michael Gerdes Aydan Özoğuz Hans-Joachim Fuchtel Martin Gerster Joachim Poß Alexander Funk CDU/CSU Iris Gleicke Dr. Wilhelm Priesmeier Ingo Gädechens Ulrike Gottschalck Dr. Sascha Raabe Ilse Aigner Dr. Peter Gauweiler Angelika Graf (Rosenheim) Mechthild Rawert Peter Altmaier Dr. Thomas Gebhart Michael Groß Dr. Carola Reimann Peter Aumer Norbert Geis Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4455

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Alois Gerig Günter Lach Patrick Schnieder Patrick Döring (C) Eberhard Gienger Dr. Karl A. Lamers Dr. Andreas Schockenhoff Mechthild Dyckmans Michael Glos (Heidelberg) Dr. Ole Schröder Rainer Erdel Josef Göppel Andreas G. Lämmel Bernhard Schulte-Drüggelte Jörg van Essen Peter Götz Dr. Norbert Lammert Uwe Schummer Ulrike Flach Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Armin Schuster (Weil am Otto Fricke Ute Granold Ulrich Lange Rhein) Paul K. Friedhoff Reinhard Grindel Dr. Max Lehmer Detlef Seif Dr. Edmund Peter Geisen Hermann Gröhe Paul Lehrieder Johannes Selle Dr. Wolfgang Gerhardt Michael Grosse-Brömer Dr. Ursula von der Leyen Reinhold Sendker Heinz Golombeck Markus Grübel Ingbert Liebing Dr. Patrick Sensburg Miriam Gruß Manfred Grund Matthias Lietz Thomas Silberhorn Joachim Günther (Plauen) Monika Grütters Dr. Carsten Linnemann Johannes Singhammer Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Patricia Lips Jens Spahn Heinz-Peter Haustein Guttenberg Dr. Jan-Marco Luczak Carola Stauche Manuel Höferlin Olav Gutting Dr. Michael Luther Dr. Frank Steffel Elke Hoff Florian Hahn Karin Maag Erika Steinbach Birgit Homburger Holger Haibach Dr. Thomas de Maizière Christian Freiherr von Stetten Dr. Werner Hoyer Dr. Stephan Harbarth Hans-Georg von der Marwitz Dieter Stier Heiner Kamp Jürgen Hardt Andreas Mattfeldt Gero Storjohann Michael Kauch Gerda Hasselfeldt Stephan Mayer (Altötting) Stephan Stracke Dr. Lutz Knopek Dr. Matthias Heider Dr. Michael Meister Max Straubinger Pascal Kober Mechthild Heil Dr. Angela Merkel Karin Strenz Dr. Heinrich L. Kolb Ursula Heinen-Esser Maria Michalk Thomas Strobl (Heilbronn) Gudrun Kopp Frank Heinrich Dr. h. c. Hans Michelbach Lena Strothmann Dr. h. c. Jürgen Koppelin Rudolf Henke Dr. Mathias Middelberg Michael Stübgen Sebastian Körber Michael Hennrich Philipp Mißfelder Dr. Peter Tauber Holger Krestel Jürgen Herrmann Dietrich Monstadt Antje Tillmann Patrick Kurth (Kyffhäuser) Ansgar Heveling Marlene Mortler Dr. Hans-Peter Uhl Heinz Lanfermann Ernst Hinsken Dr. Gerd Müller Arnold Vaatz Sibylle Laurischk Peter Hintze Stefan Müller (Erlangen) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Harald Leibrecht Christian Hirte Nadine Müller (St. Wendel) Stefanie Vogelsang Sabine Leutheusser- Robert Hochbaum Dr. Philipp Murmann Andrea Astrid Voßhoff Schnarrenberger Karl Holmeier Bernd Neumann (Bremen) Dr. Johann Wadephul Lars Lindemann Franz-Josef Holzenkamp Michaela Noll Marco Wanderwitz Christian Lindner Joachim Hörster Dr. Georg Nüßlein Kai Wegner Dr. Martin Lindner (Berlin) (B) Anette Hübinger Franz Obermeier Marcus Weinberg (Hamburg) Michael Link (Heilbronn) (D) Thomas Jarzombek Eduard Oswald Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Erwin Lotter Dieter Jasper Henning Otte Sabine Weiss (Wesel I) Oliver Luksic Dr. Franz Josef Jung Dr. Michael Paul Ingo Wellenreuther Horst Meierhofer Andreas Jung (Konstanz) Rita Pawelski Karl-Georg Wellmann Patrick Meinhardt Dr. Egon Jüttner Ulrich Petzold Peter Wichtel Gabriele Molitor Bartholomäus Kalb Dr. Joachim Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Jan Mücke Hans-Werner Kammer Sibylle Pfeiffer Klaus-Peter Willsch Petra Müller (Aachen) Steffen Kampeter Beatrix Philipp Elisabeth Winkelmeier- Burkhardt Müller-Sönksen Alois Karl Ronald Pofalla Becker Dr. Martin Neumann Bernhard Kaster Christoph Poland Dagmar Wöhrl (Lausitz) Siegfried Kauder (Villingen- Ruprecht Polenz Dr. Matthias Zimmer Dirk Niebel Schwenningen) Eckhard Pols Wolfgang Zöller Hans-Joachim Otto Volker Kauder Lucia Puttrich Willi Zylajew (Frankfurt) Dr. Stefan Kaufmann Daniela Raab Cornelia Pieper Roderich Kiesewetter Thomas Rachel FDP Gisela Piltz Eckart von Klaeden Dr. Peter Ramsauer Dr. Christiane Ratjen- Ewa Klamt Eckhardt Rehberg Jens Ackermann Damerau Vo l km a r K l e i n Katherina Reiche (Potsdam) Christian Ahrendt Dr. Birgit Reinemund Jürgen Klimke Lothar Riebsamen Christine Aschenberg- Dr. Peter Röhlinger Julia Klöckner Josef Rief Dugnus Dr. Stefan Ruppert Axel Knoerig Klaus Riegert Daniel Bahr (Münster) Björn Sänger Jens Koeppen Johannes Röring Florian Bernschneider Frank Schäffler Dr. Kristina Dr. Norbert Röttgen Sebastian Blumenthal Christoph Schnurr Schröder(Wiesbaden) Dr. Christian Ruck Claudia Bögel Jimmy Schulz Manfred Kolbe Erwin Josef Rüddel Nicole Bracht-Bendt Marina Schuster Dr. Rolf Koschorrek Albert Rupprecht (Weiden) Klaus Breil Dr. Erik Schweickert Hartmut Koschyk Anita Schäfer (Saalstadt) Rainer Brüderle Werner Simmling Thomas Kossendey Dr. Annette Schavan Angelika Brunkhorst Judith Skudelny Michael Kretschmer Dr. Andreas Scheuer Ernst Burgbacher Dr. Hermann Otto Solms Gunther Krichbaum Karl Schiewerling Marco Buschmann Joachim Spatz Dr. Günter Krings Norbert Schindler Sylvia Canel Dr. Max Stadler Rüdiger Kruse Tankred Schipanski Helga Daub Torsten Staffeldt Bettina Kudla Georg Schirmbeck Reiner Deutschmann Dr. Rainer Stinner Dr. Hermann Kues Christian Schmidt (Fürth) Dr. Bijan Djir-Sarai Stephan Thomae 4456 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Florian Toncar Dr. Barbara Höll Frank Tempel Oliver Krischer (C) Serkan Tören Andrej Konstantin Hunko Dr. Axel Troost Agnes Krumwiede Johannes Vogel Ulla Jelpke Alexander Ulrich Fritz Kuhn (Lüdenscheid) Dr. Lukrezia Jochimsen Kathrin Vogler Renate Künast Dr. Daniel Volk Katja Kipping Sahra Wagenknecht Markus Kurth Dr. Guido Westerwelle Harald Koch Halina Wawzyniak Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Claudia Winterstein Jan Korte Katrin Werner Monika Lazar Dr. Volker Wissing Jutta Krellmann Sabine Zimmermann Nicole Maisch Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Katrin Kunert Agnes Malczak Caren Lay BÜNDNIS 90/DIE Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE Sabine Leidig GRÜNEN Kerstin Müller (Köln) GRÜNEN Ralph Lenkert Kerstin Andreae Beate Müller-Gemmeke Alexander Bonde Michael Leutert Marieluise Beck (Bremen) Ingrid Nestle Priska Hinz (Herborn) Stefan Liebich Volker Beck (Köln) Dr. Konstantin von Notz Ulla Lötzer Cornelia Behm Friedrich Ostendorff Dr. Gesine Lötzsch Viola von Cramon-Taubadel Dr. Hermann Ott Enthalten Thomas Lutze Ekin Deligöz Lisa Paus Ulrich Maurer DIE LINKE Katja Dörner Brigitte Pothmer Dorothée Menzner Hans-Josef Fell Cornelia Möhring Tabea Rößner Jan van Aken Dr. Thomas Gambke Claudia Roth (Augsburg) Agnes Alpers Kornelia Möller Kai Gehring Niema Movassat Krista Sager Herbert Behrens Katrin Göring-Eckardt Manuel Sarrazin Steffen Bockhahn Wolfgang Nešković Britta Haßelmann Elisabeth Scharfenberg Eva Bulling-Schröter Thomas Nord Bettina Herlitzius Christine Scheel Dr. Martina Bunge Petra Pau Winfried Hermann Roland Claus Richard Pitterle Ulrike Höfken Dr. Gerhard Schick Sevim Dağdelen Yvonne Ploetz Dr. Anton Hofreiter Dr. Frithjof Schmidt Dr. Diether Dehm Ingrid Remmers Bärbel Höhn Dorothea Steiner Heidrun Dittrich Paul Schäfer (Köln) Thilo Hoppe Dr. Wolfgang Strengmann- Werner Dreibus Dr. Herbert Schui Uwe Kekeritz Kuhn Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ilja Seifert Katja Keul Hans-Christian Ströbele Nicole Gohlke Kathrin Senger-Schäfer Memet Kilic Dr. Harald Terpe Diana Golze Raju Sharma Sven-Christian Kindler Markus Tressel Annette Groth Dr. Petra Sitte Maria Klein-Schmeink Jürgen Trittin Dr. Gregor Gysi Sabine Stüber Ute Koczy Daniela Wagner (B) Heike Hänsel Alexander Süßmair Tom Koenigs Wolfgang Wieland (D) Dr. Rosemarie Hein Dr. Kirsten Tackmann Sylvia Kotting-Uhl Dr. Valerie Wilms

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 59, Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur mit Nein 393. 131 Kolleginnen und Kollegen haben sich Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines euro- enthalten. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. päischen Stabilisierungsmechanismus, Drucksache 17/1808:

Endgültiges Ergebnis Hans-Josef Fell Agnes Krumwiede Christine Scheel Abgegebene Stimmen: 582; Dr. Thomas Gambke Fritz Kuhn Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt davon Kai Gehring Renate Künast Katrin Göring-Eckardt Markus Kurth Dorothea Steiner ja: 59 Britta Haßelmann Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Wolfgang Strengmann- nein: 392 Bettina Herlitzius Monika Lazar Kuhn enthalten: 131 Winfried Hermann Nicole Maisch Hans-Christian Ströbele Ulrike Höfken Agnes Malczak Dr. Harald Terpe Markus Tressel Ja Dr. Anton Hofreiter Jerzy Montag Bärbel Höhn Kerstin Müller (Köln) Jürgen Trittin Thilo Hoppe Beate Müller-Gemmeke Daniela Wagner BÜNDNIS 90/DIE Wolfgang Wieland Uwe Kekeritz Ingrid Nestle GRÜNEN Dr. Valerie Wilms Katja Keul Dr. Konstantin von Notz Kerstin Andreae Memet Kilic Friedrich Ostendorff Marieluise Beck (Bremen) Sven-Christian Kindler Dr. Hermann Ott Nein Volker Beck (Köln) Maria Klein-Schmeink Elisabeth Paus Cornelia Behm Ute Koczy Brigitte Pothmer CDU/CSU Viola von Cramon-Taubadel Tom Koenigs Tabea Rößner Ilse Aigner Ekin Deligöz Sylvia Kotting-Uhl Claudia Roth (Augsburg) Peter Altmaier Katja Dörner Oliver Krischer Elisabeth Scharfenberg Peter Aumer Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4457

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dorothee Bär Dr. Matthias Heider Dr. Angela Merkel Karin Strenz (C) Thomas Bareiß Mechthild Heil Maria Michalk Thomas Strobl (Heilbronn) Norbert Barthle Ursula Heinen-Esser Dr. h. c. Hans Michelbach Lena Strothmann Günter Baumann Frank Heinrich Dr. Mathias Middelberg Michael Stübgen Ernst-Reinhard Beck Rudolf Henke Philipp Mißfelder Dr. Peter Tauber (Reutlingen) Michael Hennrich Dietrich Monstadt Antje Tillmann Manfred Behrens (Börde) Jürgen Herrmann Marlene Mortler Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Christoph Bergner Ansgar Heveling Dr. Gerd Müller Arnold Vaatz Peter Beyer Ernst Hinsken Stefan Müller (Erlangen) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Steffen Bilger Peter Hintze Nadine Müller (St. Wendel) Stefanie Vogelsang Clemens Binninger Christian Hirte Dr. Philipp Murmann Andrea Astrid Voßhoff Peter Bleser Robert Hochbaum Bernd Neumann (Bremen) Dr. Johann Wadephul Dr. Maria Böhmer Karl Holmeier Michaela Noll Marco Wanderwitz Wolfgang Börnsen Franz-Josef Holzenkamp Dr. Georg Nüßlein Kai Wegner (Bönstrup) Joachim Hörster Franz Obermeier Marcus Weinberg (Hamburg) Norbert Brackmann Anette Hübinger Eduard Oswald Peter Weiß (Emmendingen) Klaus Brähmig Thomas Jarzombek Henning Otte Sabine Weiss (Wesel I) Michael Brand Dieter Jasper Dr. Michael Paul Ingo Wellenreuther Dr. Reinhard Brandl Dr. Franz Josef Jung Rita Pawelski Karl-Georg Wellmann Helmut Brandt Andreas Jung (Konstanz) Ulrich Petzold Peter Wichtel Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Egon Jüttner Dr. Joachim Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Dr. Helge Braun Bartholomäus Kalb Sibylle Pfeiffer Klaus-Peter Willsch Heike Brehmer Hans-Werner Kammer Beatrix Philipp Elisabeth Winkelmeier- Ralph Brinkhaus Steffen Kampeter Ronald Pofalla Becker Gitta Connemann Alois Karl Christoph Poland Dagmar Wöhrl Leo Dautzenberg Bernhard Kaster Ruprecht Polenz Dr. Matthias Zimmer Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Eckhard Pols Wolfgang Zöller Thomas Dörflinger Schwenningen) Lucia Puttrich Willi Zylajew Marie-Luise Dött Volker Kauder Daniela Raab Dr. Thomas Feist Dr. Stefan Kaufmann Thomas Rachel FDP Enak Ferlemann Roderich Kiesewetter Dr. Peter Ramsauer Ingrid Fischbach Eckart von Klaeden Eckhardt Rehberg Jens Ackermann Hartwig Fischer (Göttingen) Ewa Klamt Katherina Reiche (Potsdam) Christian Ahrendt Dirk Fischer (Hamburg) Volkmar Klein Lothar Riebsamen Christine Aschenberg- Axel E. Fischer (Karlsruhe- Jürgen Klimke Josef Rief Dugnus Land) Julia Klöckner Klaus Riegert Daniel Bahr (Münster) (B) Dr. Maria Flachsbarth Axel Knoerig Johannes Röring Florian Bernschneider (D) Klaus-Peter Flosbach Jens Koeppen Dr. Norbert Röttgen Sebastian Blumenthal Herbert Frankenhauser Dr. Kristina Schröder Dr. Christian Ruck Claudia Bögel Dr. Hans-Peter Friedrich (Wiesbaden) Erwin Rüddel Nicole Bracht-Bendt (Hof) Manfred Kolbe Albert Rupprecht (Weiden) Klaus Breil Michael Frieser Dr. Rolf Koschorrek Anita Schäfer (Saalstadt) Rainer Brüderle Erich G. Fritz Hartmut Koschyk Dr. Annette Schavan Angelika Brunkhorst Dr. Michael Fuchs Thomas Kossendey Dr. Andreas Scheuer Ernst Burgbacher Hans-Joachim Fuchtel Michael Kretschmer Karl Schiewerling Marco Buschmann Alexander Funk Gunther Krichbaum Norbert Schindler Sylvia Canel Ingo Gädechens Dr. Günter Krings Tankred Schipanski Helga Daub Dr. Peter Gauweiler Rüdiger Kruse Georg Schirmbeck Reiner Deutschmann Dr. Thomas Gebhart Bettina Kudla Christian Schmidt (Fürth) Dr. Bijan Djir-Sarai Norbert Geis Dr. Hermann Kues Patrick Schnieder Patrick Döring Alois Gerig Günter Lach Dr. Andreas Schockenhoff Mechthild Dyckmans Eberhard Gienger Dr. Karl A. Lamers Dr. Ole Schröder Rainer Erdel Michael Glos (Heidelberg) Bernhard Schulte-Drüggelte Jörg van Essen Josef Göppel Andreas G. Lämmel Uwe Schummer Ulrike Flach Peter Götz Dr. Norbert Lammert Armin Schuster (Weil am Otto Fricke Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Rhein) Paul K. Friedhoff Ute Granold Dr. Max Lehmer Detlef Seif Dr. Edmund Peter Geisen Reinhard Grindel Paul Lehrieder Johannes Selle Dr. Wolfgang Gerhardt Hermann Gröhe Dr. Ursula von der Leyen Reinhold Sendker Heinz Golombeck Michael Grosse-Brömer Ingbert Liebing Dr. Patrick Sensburg Miriam Gruß Markus Grübel Matthias Lietz Thomas Silberhorn Joachim Günther (Plauen) Manfred Grund Dr. Carsten Linnemann Johannes Singhammer Dr. Christel Happach-Kasan Monika Grütters Patricia Lips Jens Spahn Heinz-Peter Haustein Dr. Karl-TheodorFreiherr zu Dr. Jan-Marco Luczak Carola Stauche Manuel Höferlin Guttenberg Dr. Michael Luther Dr. Frank Steffel Elke Hoff Olav Gutting Karin Maag Erika Steinbach Birgit Homburger Florian Hahn Dr. Thomas de Maizière Christian Freiherr von Stetten Dr. Werner Hoyer Holger Haibach Hans-Georg von der Marwitz Dieter Stier Heiner Kamp Dr. Stephan Harbarth Andreas Mattfeldt Gero Storjohann Michael Kauch Jürgen Hardt Stephan Mayer (Altötting) Stephan Stracke Dr. Lutz Knopek Gerda Hasselfeldt Dr. Michael Meister Max Straubinger Pascal Kober 4458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Heinrich L. Kolb Sevim Dağdelen Doris Barnett Burkhard Lischka (C) Gudrun Kopp Dr. Diether Dehm Dr. Hans-Peter Bartels Gabriele Lösekrug-Möller Dr. h. c. Jürgen Koppelin Heidrun Dittrich Klaus Barthel Kirsten Lühmann Sebastian Körber Werner Dreibus Sören Bartol Caren Marks Holger Krestel Dr. Dagmar Enkelmann Bärbel Bas Katja Mast Patrick Kurth (Kyffhäuser) Klaus Ernst Sabine Bätzing-Lichtenthäler Petra Merkel (Berlin) Heinz Lanfermann Nicole Gohlke Dirk Becker Ullrich Meßmer Sibylle Laurischk Diana Golze Uwe Beckmeyer Dr. Matthias Miersch Harald Leibrecht Annette Groth Klaus Brandner Franz Müntefering Sabine Leutheusser- Dr. Gregor Gysi Willi Brase Dr. Rolf Mützenich Schnarrenberger Heike Hänsel Bernhard Brinkmann Andrea Nahles Lars Lindemann Dr. Rosemarie Hein (Hildesheim) Manfred Nink Christian Lindner Dr. Barbara Höll Edelgard Bulmahn Thomas Oppermann Dr. Martin Lindner (Berlin) Andrej Konstantin Hunko Marco Bülow Holger Ortel Michael Link (Heilbronn) Ulla Jelpke Ulla Burchardt Aydan Özoğuz Dr. Erwin Lotter Dr. Lukrezia Jochimsen Martin Burkert Joachim Poß Oliver Luksic Katja Kipping Petra Crone Dr. Wilhelm Priesmeier Horst Meierhofer Harald Koch Dr. Peter Danckert Florian Pronold Patrick Meinhardt Jan Korte Martin Dörmann Dr. Sascha Raabe Gabi Molitor Jutta Krellmann Elvira Drobinski-Weiß Mechthild Rawert Jan Mücke Katrin Kunert Garrelt Duin Dr. Carola Reimann Petra Müller (Aachen) Caren Lay Sebastian Edathy Sönke Rix Burkhardt Müller-Sönksen Sabine Leidig Siegmund Ehrmann René Röspel Dr. Martin Neumann Ralph Lenkert Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Ernst Dieter Rossmann (Lausitz) Michael Leutert Petra Ernstberger Karin Roth (Esslingen) Dirk Niebel Stefan Liebich Karin Evers-Meyer Marlene Rupprecht Hans-Joachim Otto Ulla Lötzer Elke Ferner (Tuchenbach) (Frankfurt) Dr. Gesine Lötzsch Gabriele Fograscher Anton Schaaf Cornelia Pieper Thomas Lutze Dr. Edgar Franke Axel Schäfer (Bochum) Gisela Piltz Ulrich Maurer Dagmar Freitag Bernd Scheelen Dr. Christiane Ratjen- Dorothée Menzner Michael Gerdes Dr. Hermann Scheer Damerau Cornelia Möhring Martin Gerster Marianne Schieder Dr. Birgit Reinemund Kornelia Möller Iris Gleicke (Schwandorf) Dr. Peter Röhlinger Niema Movassat Ulrike Gottschalck Werner Schieder (Weiden) Dr. Stefan Ruppert Ulla Schmidt (Aachen) (B) Wolfgang Nešković Angelika Graf (Rosenheim) (D) Björn Sänger Thomas Nord Michael Groß Carsten Schneider (Erfurt) Frank Schäffler Petra Pau Wolfgang Gunkel Olaf Scholz Christoph Schnurr Richard Pitterle Hans-Joachim Hacker Ottmar Schreiner Jimmy Schulz Yvonne Ploetz Bettina Hagedorn Swen Schulz (Spandau) Marina Schuster Ingrid Remmers Klaus Hagemann Ewald Schurer Dr. Erik Schweickert Paul Schäfer (Köln) Michael Hartmann Frank Schwabe Werner Simmling Michael Schlecht (Wackernheim) Dr. Angelica Schwall-Düren Judith Skudelny Dr. Herbert Schui Hubertus Heil (Peine) Stefan Schwartze Dr. Hermann Otto Solms Dr. Ilja Seifert Rolf Hempelmann Dr. Carsten Sieling Joachim Spatz Kathrin Senger-Schäfer Dr. Barbara Hendricks Sonja Steffen Dr. Max Stadler Raju Sharma Gustav Herzog Peer Steinbrück Torsten Staffeldt Dr. Petra Sitte Gabriele Hiller-Ohm Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Rainer Stinner Sabine Stüber Petra Hinz (Essen) Christoph Strässer Stephan Thomae Alexander Süßmair Frank Hofmann (Volkach) Kerstin Tack Florian Toncar Dr. Kirsten Tackmann Dr. Eva Högl Dr. h. c. Wolfgang Thierse Serkan Tören Frank Tempel Josip Juratovic Franz Thönnes Johannes Vogel Dr. Axel Troost Oliver Kaczmarek Wolfgang Tiefensee (Lüdenscheid) Alexander Ulrich Johannes Kahrs Rüdiger Veit Dr. Daniel Volk Kathrin Vogler Dr. h. c. Susanne Kastner Ute Vogt Dr. Guido Westerwelle Sahra Wagenknecht Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer Dr. Claudia Winterstein Halina Wawzyniak Lars Klingbeil Andrea Wicklein Dr. Volker Wissing Katrin Werner Hans-Ulrich Klose Heidemarie Wieczorek-Zeul Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Sabine Zimmermann Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz Daniela Kolbe (Leipzig) Waltraud Wolff DIE LINKE Fritz Rudolf Körper (Wolmirstedt) Enthalten Uta Zapf Jan van Aken Anette Kramme Dagmar Ziegler Agnes Alpers CDU/CSU Nicolette Kressl Manfred Zöllmer Herbert Behrens Angelika Krüger-Leißner Veronika Bellmann Brigitte Zypries Matthias W. Birkwald Ute Kumpf Steffen Bockhahn Christine Lambrecht SPD BÜNDNIS 90/DIE Eva Bulling-Schröter Christian Lange (Backnang) GRÜNEN Dr. Martina Bunge Ingrid Arndt-Brauer Dr. Karl Lauterbach Roland Claus Rainer Arnold Steffen-Claudio Lemme Alexander Bonde Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4459

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol- Manche haben sehr schwere und manche haben sogar (C) lege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. massive Einbrüche zu verzeichnen. Es gibt auch Kom- munen, wie München und Frankfurt, die weniger starke (Beifall bei der FDP) Probleme haben. Deswegen ist es auch gar nicht so klug, dass, wenn es um die Reform der Kommunalfinanzen Dr. Volker Wissing (FDP): geht, die Wortführer immer aus diesen Kommunen kom- Besten Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen men. Wenn man sehr satt ist, dann ist man kein guter An- und Kollegen! Nachdem wir uns heute Morgen schon führer der Hungrigen. sehr intensiv mit finanzpolitischen Problemen in Europa beschäftigt haben, ist es gut, dass wir heute auch einen (Beifall bei der FDP) Blick auf die finanzpolitischen Probleme unserer Kom- munen werfen. Insofern begrüße ich diese Debatte. Was Vizepräsidentin Petra Pau: ich nicht begrüße, sind die Anträge, die Sie vorgelegt ha- Kollege Wissing, gestatten Sie eine Zwischenfrage ben. Aber dazu komme ich gleich noch. des Kollegen Sieling? Herr Kollege Scheelen, Sie haben sich hier hingestellt und ernsthaft gesagt: Jetzt sehen Sie, was Sie mit Ihrer Dr. Volker Wissing (FDP): Steuerpolitik unter der christlich-liberalen Koalition bei Nein, das brauchen wir jetzt nicht. den Kommunen angerichtet haben. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Weil Sie sie nicht (Bernd Scheelen [SPD]: Die Hälfte des Defi- beantworten können!) zits geht auf Ihre Steuersenkung zurück!) – Nein, wir können das nachher machen, Herr Sieling; Sie müssen erkennen, wie abwegig und falsch dieser denn sonst wird diese falsche Darstellung der SPD nie Satz ist. richtiggestellt. (Bernd Scheelen [SPD]: Überhaupt nicht! Der (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ihre falsche Städtetag belegt das!) Darstellung!) Er ist so abwegig, dass noch nicht einmal Sie selber ihn Deswegen möchte ich Ihnen das einmal klar sagen. glauben. (Bernd Scheelen [SPD]: Das wollte er ja (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gerade machen!) der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Das Einzelne Kommunen erlitten durch die Finanzpolitik, hätten Sie gerne!) (B) die Sie, Herr Scheelen, mit hinterlassen haben, einen (D) Von 2008 bis 2010 sind die Einnahmen der Kommu- Einnahmeeinbruch von teilweise 60 Prozent. nen aus der Gewerbesteuer unter Verantwortung sozial- (Bernd Scheelen [SPD]: Mit den Brüdern demokratischer Finanzminister und Schwestern der schwarzen Seite zusam- (Bernd Scheelen [SPD]: 2009!) men!) um 14 Prozent gesunken; das war der Einbruch. 2008 Was sind die Ursachen dafür? – Ich unterstelle Ihnen hatten wir noch Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von noch nicht einmal, dass Sie den Kommunen etwas Böses 41 Milliarden Euro, und Ende 2009 betrugen die Gewer- wollten. Die Ursachen sind, dass die Gewerbesteuerein- besteuereinnahmen nur noch 35 Milliarden Euro. nahmen in konjunkturellen Schwächephasen stark sin- ken, die Ausgaben der Kommunen aber latent eher stei- Es wäre doch anständig, zu sagen: Wir haben es nicht gen. geschafft, mit der Gewerbesteuer die Einnahmen der Kommunen zu stabilisieren. (Bernd Scheelen [SPD]: Deswegen müssen sie ja stabilisiert werden!) (Beifall bei der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: 35 Milliarden Euro sind nichts?) Deswegen ist die Gewerbesteuer als Jo-Jo-Steuer keine sichere Einnahmequelle für die Kommunen. Das erzäh- Das wäre doch anständig gewesen; das wäre auch die len wir Ihnen schon seit Jahren, Sie wollen es aber nicht Wahrheit und richtig gewesen. Stattdessen lassen Sie glauben. sich zu diesem Satz darüber herab, was wir mit unserer Finanzpolitik angerichtet haben sollen. Es gibt über- Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, sie müsse haupt keinen Zusammenhang zwischen der Finanzpoli- durch gewinnunabhängige Elemente verstetigt werden. tik dieser Bundesregierung und der Situation der Kom- (Bernd Scheelen [SPD]: Ja! Das ist auch munen. richtig!) (Beifall bei der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: Das ist Ihre Lösung; sie wurde schon angesprochen. Die Das ist ja lächerlich!) Kosten der Unternehmen haben Sie dabei in der Bemes- Es gibt einzelne Kommunen, die massive Probleme sungsgrundlage berücksichtigt. Die Unternehmen müs- haben. sen jetzt für ihre Ausgaben Gewerbesteuer bezahlen. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Einzelne? 50 Prozent (Bernd Scheelen [SPD]: Das sind getarnte der Städte und Gemeinden!) Gewinne!) 4460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Volker Wissing (A) Das war eine schlechte Lösung; das haben wir Ihnen von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Anfang an gesagt. der CDU/CSU) (Bernd Scheelen [SPD]: Das war eine gute Herr Scheelen, lassen Sie uns dieses Thema ernst neh- Lösung!) men. Wirken Sie bei den anstehenden Beratungen kon- struktiv mit! Wir wollen in dieser Legislaturperiode eine Als sich die Krise zugespitzt hat, haben Sie selbst ge- Reform der Kommunalfinanzen ins Bundesgesetzblatt merkt, was Sie angerichtet haben. Sie haben nämlich In- schreiben. solvenzbeschleuniger geschaffen. Dabei sollten Sie doch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sie fordern immer wieder, mit den Steuerreformen vertreten. aufzuhören. Im Bereich der Gemeindefinanzen wird deutlich, wie notwendig Steuerreformen in der Bundes- (Beifall bei der FDP) republik Deutschland sind. Deswegen sind Sie mit Ihrem Konzept dafür, wie man (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber den Jo-Jo-Effekt der Gewerbesteuer abmildert, geschei- keine Steuersenkungen zulasten der Kommu- tert. Setzen, sechs! nen!) (Beifall bei der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: Wir haben eine Regierungskommission eingesetzt, die Das darf nur Frau Piltz sagen! – Dr. Carsten ernsthafte Alternativvorschläge erarbeiten wird, die Sie Sieling [SPD]: 6 Prozent ist Ihre Zahl!) nicht haben. Mit Ihrer Lösung sind Sie gescheitert. Zu Jetzt stellt sich die Frage, welche andere Lösung es allem anderen sagen Sie nur Nein. dafür gibt, stabile Kommunalfinanzen zu schaffen, nachdem der sozialdemokratische Weg nachweislich ge- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das ist die kom- scheitert ist. Herr Scheelen, Sie haben sich hier hinge- munalpolitische Kompetenz der FDP!) stellt und gesagt, was alles nicht gehe. Deswegen – das Wenn uns ein Alternativvorschlag vorliegt, dann kann muss ich Ihnen leider sagen – sind die Kommunen, wenn den Kommunen geholfen werden. Ich hoffe, dass die es um ihre finanziellen Interessen geht, bei den Sozialde- Kommission unter Leitung des Bundesfinanzministers mokraten in schlechten Händen. zügig vorankommt und gute Ergebnisse erzielt, sodass (Beifall bei der FDP) wir dann das dringende Problem der Gemeindefinanzen, das Sie nie in den Griff bekommen haben, in dieser Le- In dieser christlich-liberalen Koalition sind sie in guten gislaturperiode bald lösen können. Das sind wir all den Händen. Menschen schuldig, die vor Ort mit den Problemen kon- (B) frontiert sind. (D) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Gerade bei Ihnen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Denn wir haben gesagt, dass mit diesem Jo-Jo-Effekt, den wir nicht abmildern können, Schluss sein muss. Wir Vizepräsidentin Petra Pau: brauchen eine solide Einnahmequelle. Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deswegen haben wir eine Kommission eingesetzt, die sehr intensiv an einer Alternative zur Gewerbesteuer arbeitet. Hier sind schon gute Vorschläge genannt wor- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den. Es gibt Alternativvorschläge wie eine stärkere Be- Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen teiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer oder He- und Kollegen! Herr Wissing, ich möchte zunächst an Ih- besatzrechte bei der Einkommensteuer und der ren Beitrag anknüpfen. Wenn man in der Analyse davon Körperschaftsteuer. Dabei geht es nicht, wie Sie gleich ausgeht, dass es sich bei einer strukturellen Unter- wieder unterstellen, um eine Verlagerung der Steuerlast finanzierung der Kommunen um ein Problem einzel- von den Unternehmen hin zu den Bürgerinnen und Bür- ner Kommunen handelt, dann hat man das Problem nicht gern. verstanden. (Bernd Scheelen [SPD]: Wie denn sonst? Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist genau der Effekt!) bei der SPD und der LINKEN) – Darum geht es nicht, Herr Scheelen. Das hat auch nie Ich versuche, das ganz sachlich zu sagen, obwohl ich jemand gefordert. Hören Sie auf, ein völlig falsches Bild fast betroffen bin, dass Sie das als Vorsitzender des Fi- darzustellen! Sie sind doch selbst in der Kommunalpoli- nanzausschusses so analysieren. tik aktiv und wissen, wie wichtig die Situation für die Kommunen ist. In Nordrhein-Westfalen hat ein Drittel aller Kommu- nen Nothaushalte aufgestellt. Die Kassenkredite betra- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sie leider scheinbar gen mittlerweile 36 Milliarden Euro bei steigender Ten- nicht! Das ist Ihr Problem!) denz. Davon entfallen allein 15,9 Milliarden Euro auf NRW. – Ihre Vorschläge, Frau Kollegin, mit Mitgliedsbeiträgen der Parteien Kommunalfinanzierung zu betreiben, sind Ich werde in dieser Debatte versuchen, die Frage zu wirklich eine bemerkenswerte Expertise. vermeiden, wer in den letzten fünf Jahren in NRW mitre- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4461

Britta Haßelmann (A) giert hat und gerade wegen seiner kommunenfeindlichen Es tut mit leid, aber ich kann Ihnen das nicht ersparen. (C) Politik abgewählt worden ist. Das war nämlich die FDP. So zu tun, als wäre das Wachstumsbeschleunigungsge- setz der Beschleuniger für Geldvermehrung in den Kom- (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Die Kom- munen gewesen, grenzt an Hohn. munen haben mehr Geld bekommen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, – Die Kommunen haben nicht mehr Geld bekommen, bei der SPD und der LINKEN) Herr Flosbach. Wir können das gerne diskutieren. Beim Landesverfassungsgericht sind mehrere Konnexitätskla- Allein die Kommunen haben Mindereinnahmen in Höhe gen anhängig. Auch das wissen Sie. Deshalb bitte ich Sie von 1,6 Milliarden Euro durch die Beschlüsse zum an dieser Stelle, die Debatte etwas ernsthafter zu führen Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu verzeichnen. und aufzuhören, so zu tun, als hätte die Situation der (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: In den Kommunen mit der „Farbenlehre“ der letzten ein oder letzten zwei Monaten, oder was?) zwei Jahre zu tun. Das sage nicht nur ich Ihnen. Das zeigen auch die Zah- Widmen wir uns einmal einer ausgewiesenen Ana- len des Bundesfinanzministeriums. Schauen Sie sich die lyse. Es geht den Kommunen doch nicht deswegen Zahlen doch einfach an! Die Zahlen stammen nicht von schlecht, weil wir, die Grünen, die SPD und auch die mir, sondern aus dem Bundesfinanzministerium. Wenn Linken eine Verstetigung der Gewerbesteuer fordern, die man die finanziellen Auswirkungen Ihrer Beschlüsse zu gerade einbricht. Mein Gott, auf welchem Niveau disku- Steuergesetzgebung, Bürgerentlastung und anderen Be- tieren wir hier? reichen berechnet, dann stellt man fest, dass die Kom- Wir haben zurzeit die Situation, dass bei den Kommu- munen allein in den letzten zwei Jahren ein Minus in nen drei Faktoren kumulieren. Das ist die dramatische Höhe von 6,5 Milliarden Euro durch Steuersenkungsbe- Situation aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise, die schlüsse zu verzeichnen hatten. Ich bin heilfroh, dass die die Kommunen voll erfasst. Sie erfasst auch die Gewer- Kanzlerin und Herr Schäuble mittlerweile erklärt haben, besteuer. Das ist doch völlig klar. Der Rückgang der Ge- es werde mit der Union keine Steuersenkungen – obwohl werbesteuereinnahmen fällt zwar unterschiedlich aus das der einzige Programmpunkt der FDP auf Bundes- – bei manchen Kommunen sind es 60 Prozent, bei ande- ebene ist – mehr geben. ren vielleicht nur 10 Prozent –, aber der Bundesdurch- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sprechen schnitt liegt bei 19 Prozent. Das ist dramatisch; das wis- Sie doch mal zum Thema!) sen wir. Aber daraus abzuleiten, dass wir uns für die Abschaffung der Gewerbesteuer einsetzen sollten, ist ein Hoffen wir, dass sich die Union an dieser Stelle durch- (B) völliger Trugschluss. setzt und es zu keinen weiteren Steuersenkungen mehr (D) kommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Klaus-Peter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flosbach [CDU/CSU]: Ersatz!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN) Es gibt einen zweiten Faktor, der ganz erheblich zu einer strukturellen Unterfinanzierung der Städte und Ge- Nun zu Ihrem Vorschlag. Ich bin gespannt, wie Sie meinden beigetragen hat, und zwar nicht nur in Nord- die Quadratur des Kreises durchhalten wollen. Wir brau- rhein-Westfalen, sondern in der ganzen Republik: Das chen – darin weiß ich mich mit vielen in diesem Hause sind die steigenden und nicht gegenfinanzierten Sozial- einig – eine Verstetigung der Gewerbesteuereinnahmen. ausgaben. Schauen Sie sich an, was Sie allein in den Herr Middelberg, über die Einbeziehung der Freiberufler letzten Jahren veranlasst haben. Wie wir wissen, sind die wird mittlerweile selbst in der Wirtschaft offensiv disku- Kosten der Unterkunft gestiegen. Gleichzeitig haben Sie tiert. Niemand kann heute mehr erklären, warum es Aus- den Bundesanteil gesenkt, und zwar mit Hinweis darauf, nahmen gibt und gerade Anwaltskanzleien, Steuerbera- dass wir irgendwann einmal unter Rot-Grün einen be- tungsbüros und viele Freiberufler keinen Beitrag zur stimmten Verteilungsschlüssel für die Kosten der Unter- Daseinsvorsorge des Gemeinwesens über die Gewerbe- kunft in den Hartz-IV-Gesetzen beschlossen haben. Nun steuer leisten. Das ist nicht vermittelbar; das wissen Sie will niemand mehr über den Verteilungsschlüssel reden. auch. Darüber wird längst in der Wirtschaft diskutiert. Wer sagt Ihnen denn, Sie dürften über den Verteilungs- Wir sind für eine Verstetigung der Gewerbesteuerein- schlüssel nicht reden? Wir sagen seit vier Jahren im Par- nahmen und nicht für eine Abschaffung der Gewerbe- lament: Lassen Sie uns den Verteilungsschlüssel ändern. steuer. Er ist nicht adäquat und führt nicht zu einer tatsächlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Übernahme der Kosten. Das ist ein Grund, das zu än- bei der SPD und der LINKEN) dern. Aber Sie tun so, als ginge das nicht. Nun zu der vielgelobten Kommission und ihrem Auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, trag. Es gibt wieder eine Kommission, und alles soll neu bei der SPD und der LINKEN) erfunden werden. Wieder einmal wird über die Abschaf- Einen weiteren Faktor stellen die Auswirkungen der fung der Gewerbesteuer diskutiert. Es geht um einen Steuersenkungsgesetzgebung dar. aufkommensneutralen Ersatz der Gewerbesteuer. Das heißt, es geht nicht um eine wundersame Geldvermeh- (Dr. Volker Wissing [FDP]: Welche denn?) rung und auch nicht darum, dass der Bund den Ländern 4462 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Britta Haßelmann (A) oder den Kommunen mehr Geld zur Verfügung stellen öffentlichen Haushalte befinden sich in einer schwieri- (C) will. Hören Sie mit dieser Mär auf! Das müssen auch die gen Situation; wer wollte das bestreiten. Durch die Städte und Gemeinden wissen. Der aufkommensneutrale schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg Ersatz der Gewerbesteuer soll durch Anteile an den Ein- und die damit verbundenen Einnahmeausfälle bei den nahmen aus der Umsatzsteuer und Zuschläge auf die Steuern stehen alle – ich betone: alle – öffentlichen Körperschaft- und Einkommensteuer erreicht werden. Haushalte vor besonderen Herausforderungen. Dabei Sie verweisen immer darauf, dass die Einnahmen aus der trägt der Bund die Hauptlast der Krise. Das lässt sich am Gewerbesteuer so konjunkturanfällig seien. Deshalb vor kurzem verabschiedeten Haushalt 2010 ablesen. wollen Sie sie durch die Körperschaftsteuer ersetzen. Als verantwortlicher Bürgermeister war mir bereits Aber bei den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer sind Ende 2008 klar, dass diese Krise auch an den Kommu- in der jetzigen Krisensituation Einbrüche in Höhe von nen nicht spurlos vorübergehen wird. Bereits den über 50 Prozent zu verzeichnen. Angesichts dessen kön- Gemeindehaushalt 2009 habe ich – wie viele andere nen Sie die Gewerbesteuer nicht abschaffen mit der Be- Kollegen – mit erheblichen Einnahmeverlusten und Un- gründung, die Einnahmen brächen ein und bestimmte sicherheiten aufstellen müssen. Ich darf sagen: Wieder Kommunen seien besonders betroffen, und durch die Kör- einmal bedeutete diese Zeit für uns kommunale Vertreter perschaftsteuer ersetzen, deren Einnahmen um 50 Prozent nichts Neues. Denn bereits die Jahre 2002 bis 2005 wa- gesunken sind. ren an finanziellen Grausamkeiten nicht zu überbieten – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auch ohne Weltwirtschaftskrise, Herr Scheelen. bei der SPD und der LINKEN) (Bernd Scheelen [SPD]: Was war mit der Sie wollen die Körperschaftsteuer von 15 auf 25 Pro- geplatzten Internetblase 2001?) zent erhöhen. Das bringt maximal 13 Milliarden Euro. Die finanzielle Situation in diesen Jahren unter rot-grü- Wenn Sie die Gewerbesteuer ersetzen wollen, sind aber ner Regierung war im Übrigen nicht nur für meine Ge- 29 Milliarden Euro erforderlich. Woher kommen die meinde, sondern auch für viele andere weitaus schwerer fehlenden 16 Milliarden Euro, etwa aus Anteilen an den als das Jahr 2009. Einnahmen aus der Umsatzsteuer? Das Ganze soll doch aufkommensneutral erfolgen. Die Anteile müssten von Noch etwas darf ich Ihnen mit auf den Weg geben: 2,2 auf 19 Prozent steigen, um diesen Fehlbetrag auszu- Mit starken Argumenten wurde 2002 von den Spitzen- gleichen. Wem in den Städten und Gemeinden wollen verbänden, auch von mir ganz persönlich als Kreisvor- sitzenden eines Spitzenverbandes, an Ihre damalige Sie das eigentlich erklären? Ich verstehe das nicht. Regierung und auch an meinen damaligen Ministerpräsi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) denten Gabriel appelliert, die Kommunen nicht ausblu- (B) ten zu lassen. Ich weiß, Frau Haßelmann, Sie hören das (D) Im Raum steht auch ein kommunaler Zuschlag auf die jetzt nicht gerne: Ich habe seinerzeit von Rot-Grün noch Einkommensteuer mit eigenem Hebesatz. Dadurch würde nicht einmal eine Antwort bekommen. An die Kollegen der Wettbewerb der Kommunen doch nur angeheizt! Er- der SPD gerichtet, sage ich: Wenn ich heute Ihren Partei- klären Sie einmal den Kommunen, die Nothaushalte ver- vorsitzenden Gabriel als selbsternannten Retter der abschiedet haben, in dieser schwierigen Situation, wie sie Kommunen zu diesem Thema sprechen höre, dann mit kommunalen Hebesätzen ihre Wettbewerbsposition macht mir das Angst. Das Ganze ist einfach nur peinlich. verteidigen sollen. Wissen Sie, was die Städte im Bergi- Denn dieser Mann hat mich, zumindest in meiner dama- schen Land und im Ruhrgebiet schon heute sagen? Sie ligen Funktion – ich war damals Bürgermeister –, noch sagen: Wir sind durch die Hebesätze für die Gewerbe- nicht einmal wahrgenommen, noch nicht einmal ange- steuer und die Grundsteuer am Ende der Fahnenstange; hört. Wenn man sich seine heutigen Worte anhört, dann der kommunale Wettbewerb darf nicht noch angeheizt wirkt das fast schon heuchlerisch. werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Mit diesem Modell treiben Sie die Kommunen noch neten der FDP) mehr in den Ruin. Deshalb sollten Sie überlegen, was Sie da tun. Notwendig ist, dass in dieser Angelegenheit Heute sieht es zum Glück anders aus. Zum ersten Mal sachlich diskutiert wird. finden die Kommunen in einer schweren Krise Gehör. Mit der Einberufung der Gemeindefinanzkommission (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unter Führung von Bundesfinanzminister Schäuble wird bei der SPD und der LINKEN) heute mit den und nicht über die Kommunen gespro- chen. Dabei spielt deren Einnahme- und Ausgabensitua- Vizepräsidentin Petra Pau: tion eine genauso wichtige Rolle wie mögliche Einspa- rungen durch Veränderungen von Verwaltungsverfahren. Das Wort hat der Kollege Andreas Mattfeldt für die Denkverbote in die eine oder andere Richtung führen Unionsfraktion. uns dabei überhaupt nicht weiter. Deshalb ist es unred- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lich, Frau Kollegin Haßelmann, hier zu suggerieren, die neten der FDP) Kommunen würden durch den Ersatz der Gewerbesteuer Einnahmeverluste erleiden. Noch einmal: Wir als Union Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): sprechen vom Ersatz, von der Veränderung der Gewer- besteuer und nicht von einem Ausfall der Einnahmen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4463

Andreas Mattfeldt (A) Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass das derzeit (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Die den Kom- (C) bei vielen Kommunen häufig erheblich schwankende munen vorher entzogen worden sind!) Gewerbesteueraufkommen für deren Finanzsituation nicht nur nicht hilfreich, sondern vielfach langfristig so- Zahlreiche Sanierungsmaßnahmen, die mit Sicherheit gar schädlich sein kann. erst in späteren Jahren oder gar nicht hätten umgesetzt werden können, wurden so realisiert. Hierdurch wurden Meine Damen und Herren, wenn wir über die Finanz- nicht nur Arbeitsplätze gesichert, es wurden sogar Ar- situation der Gemeinden sprechen, gehört es zur Wahr- beitsplätze geschaffen. Wichtig ist vor allem, dass dieses heit, darauf hinzuweisen, dass die Einnahmen im Jahr Paket erhebliche Einsparungen im energetischen Bereich 2008 so hoch wie nie zuvor seit Bestehen der Bundes- ermöglicht. Dies hat den Kommunen dauerhaft finan- republik waren. zielle Spielräume verschafft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bernd Meine Damen und Herren, jetzt, vor Abschluss der Scheelen [SPD]: Dank Rot-Grün!) Arbeit der Gemeindefinanzkommission, einzelne Maß- nahmen zu beschließen, wäre töricht; denn eine positive In den Jahren 2005 bis 2008 konnte die Verschuldung Veränderung der Finanzsituation der Kommunen sollte sogar zurückgeführt werden. Ich denke, auch das sollte auch – ich betone das noch einmal – durch eine Vereinfa- einmal erwähnt werden. chung der Verwaltungsverfahren und der Aufgaben- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wahrnehmung erfolgen. Dafür braucht es aber ein Ge- Bernd Scheelen [SPD]: Da haben wir ja auch samtpaket. Deshalb möchte ich Sie ermuntern, in den noch regiert!) kommenden Monaten gemeinsam mit uns, den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden mit guten und Ich gebe zu: Die Kommunen hätten weitere Jahre zur pragmatischen Ideen die Situation der Kommunen zu Gesundung brauchen können. verbessern. (Bernd Scheelen [SPD]: Ja!) Lassen Sie die Kommunen nicht zum Spielball der ta- Nötig ist aber auch eine gewisse Selbstkritik der Kom- gespolitischen Auseinandersetzungen werden! Strengen munen. Ich finde es bemerkenswert, dass ausgerechnet wir uns an, kluge Lösungen zur Überwindung der kom- die Bürgermeisterkollegen, die im Supereinnahmejahr munalen Probleme zu finden! 2008 ihre Haushalte nicht ausgleichen konnten, heute Herzlichen Dank. versuchen, alle Schuld, auch die für eigenes Versagen und mangelnde Ausgabendisziplin, auf Bund und Län- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (B) der abzuwälzen. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Petra Pau: der FDP) Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die Auch wenn das nicht gerne gehört wird: Wer seinen SPD-Fraktion. Haushalt schon 2008 nicht ausgleichen konnte, hat grundlegendere Probleme als die, die sich aus der derzeit (Beifall bei der SPD) zugegebenermaßen schwierigen Finanzsituation erge- ben. Meistens ist ein Ausgabenproblem der Grund. Zur Dr. Carsten Sieling (SPD): Politik gehört – das predige ich seit Jahren –, häufiger Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ehrlich zu sagen, warum wir nicht alle Wünsche – und Ich knüpfe an das Ende der Rede des Kollegen Mattfeldt seien sie noch so berechtigt – erfüllen können. In der an. Den Appell, die Kommunen nicht zum Spielball der Politik muss häufiger Nein gesagt werden. Der Weg weg Politik zu machen, haben Sie offensichtlich an die ei- von investiven Ausgaben hin zu immer mehr konsumti- gene Koalition gerichtet. Ich kann das nur unterstützen. ven Ausgaben ist ein Irrweg und kann nicht gutgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ich bin dankbar, dass sowohl die alte Regierung als BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch die christlich-liberale Koalition Wenn Sie das durchsetzen wollen, müssen Sie allerdings (Bernd Scheelen [SPD]: Sie meinen Schwarz- viele Dinge und viele Pläne, die Sie haben, ändern. Gelb!) Ich möchte Ihnen – dies richtet sich besonders an die die richtigen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise er- Koalitionsfraktionen – zwei Zitate vortragen. Das erste griffen haben. Diese richtigen Entscheidungen haben Zitat lautet: sich positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt und wirken sich immer noch positiv aus. Ich denke, wir sind uns alle Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, einig: Es hätte vor allem am Arbeitsmarkt vieles schlim- alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft mer kommen können. im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. … Die Gewährleistung der Selbstverwal- Als langjähriger Bürgermeister möchte ich der Bun- tung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen desregierung danken, dass sie den Kommunen im Rah- Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört men des Konjunkturpakets mit über 10 Milliarden Euro eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende unter die Arme gegriffen hat. wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. 4464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Carsten Sieling (A) Das zweite Zitat ist etwas kürzer. Es lautet schlicht: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) DIE GRÜNEN) Wir werden … den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und ei- Sie wurde auch deshalb zu einer Stabilitätssteuer, weil nen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- die Maßnahmen, die von Rot-Grün angegangen worden und Körperschaftsteuer … prüfen. sind, von Schwarz-Rot fortgesetzt wurden. Mit politi- schen Maßnahmen ist dafür gesorgt worden, dass diese Sie haben wahrscheinlich erkannt, woher die Zitate Stabilität erreicht wurde. Natürlich war es richtig, dass stammen. Das erste Zitat ist aus dem Grundgesetz, 2008 hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, Art. 28, das zweite Zitat findet sich auf Seite 14 des Ko- die Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten und Leasing- alitionsvertrages dieser Regierungskoalition. Wer die raten hinzuzurechnen. Damit wurde die Verstetigung der beiden Zitate nebeneinanderlegt, der sieht, dass mit der Gewerbesteuer erreicht. Ich würde mich freuen, wenn Passage des Koalitionsvertrags das Grundgesetz zumin- ich heute einen Redner oder eine Rednerin der CDU/ dest verdreht wird, wenn sie nicht sogar im Widerspruch CSU hören würde, der bzw. die sagt: Wir sind stolz da- zum Grundgesetz steht. Denn wenn Sie an die Gewerbe- rauf. Das war eine richtige Entscheidung, weil das dazu steuer herangehen, werden Sie diese wirtschaftskraftbe- führt, dass die Kommunen wenigstens etwas Stabilität zogene Steuerquelle mit eigenem Hebesatz angreifen. haben. Das geht nicht. Auch dieser Aspekt muss in die Diskus- sion eingeführt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Was hören wir stattdessen? Wir hören, dass Sie mit Ihren Plänen nicht nur die Einnahmeseite ins Auge fas- Ich will die Frage der Bedeutung der Gewerbesteuer sen, sondern jetzt auch die Ausgabenseite. Kollege aufgreifen. Darauf will ich mich konzentrieren, weil das Middelberg sprach davon, dass auch die Kosten ins der Kern Ihres Vorhabens ist. Sie wollen schon lange an Auge gefasst werden. Vielleicht diskutieren Sie das ein- die Gewerbesteuer, und jetzt glauben Sie, dass Sie die mal mit dem Kollegen Mattfeldt. Er verfügt als ehemali- Chance haben. Kollege Wissing hat mir vorhin leider ger Bürgermeister über Kenntnisse auf diesem Gebiet. nicht erlaubt, mit einer Zwischenfrage auf sein falsches Sein Nachfolger ist wieder ein Sozialdemokrat, was Argument hinzuweisen. Die Einnahmen aus der Erhebung mich persönlich sehr freut. Er ist, so glaube ich, noch der Gewerbesteuer sind – Frau Kollegin Haßelmann hat besser. Herr Mattfeldt ist im Bundestag gut unterge- das schon angesprochen – laut Steuerschätzung in der bracht. Erklären Sie bitte dem Kollegen Middelberg – in Tat gewaltig weggebrochen – um 8 Milliarden Euro –, Ihrer Rede haben Sie das angesprochen –, wie eng die und zwar als Folge der Krise, aber auch als Folge von Handlungsspielräume der Kommunen sind. Wer hier an (B) Steueränderungen. Man muss die Zahlen einmal neben- die Ausgabenseite herangehen will, der will weitere (D) einanderstellen: Schon die Einnahmen aus der Gewerbe- Schwimmbäder und Bibliotheken schließen, der will steuer sind kräftig eingebrochen, und zwar um Theater schließen und kein Geld mehr für Jugendarbeit 19 Prozent; das ist überhaupt keine Frage. Sie sind von und Kindergärten ausgeben. Wollen Sie das? Wollen Sie 41 Milliarden Euro auf 33 Milliarden Euro gesunken. die Linie Ihres Herrn Koch auch in der Kommunalpolitik Die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer sind aber um einführen? Ich bitte Sie: Lassen Sie die Finger von sol- exakt 55 Prozent eingebrochen; Kollegin Haßelmann hat chen Überlegungen und Plänen! das schon gesagt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: Ich möchte in der verbleibenden Zeit auf das einge- 2001 waren sie bei null!) hen, was Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung konzeptio- – So ist es. – Sie sehen also, welche gewaltigen Unter- nell ins Auge fassen und was Sie angehen wollen. Es schiede es gibt. Kollege Wissing, genau diesen Punkt ha- sind unterschiedliche Modelle in der Diskussion. Ich ben Sie nicht benannt. Sie haben über den Einbruch bei will an dieser Stelle vorwegnehmen, dass das Modell des der Gewerbesteuer in Höhe von 19 Prozent gesprochen, BDI und des VCI schon unter Rot-Grün geprüft worden aber die Körperschaftsteuer nicht erwähnt. Das geht ist. nicht. So kann man nicht argumentieren. Kollege Mattfeldt, wenn Sie sagen, diesmal würden die Kommunen beteiligt, will ich zumindest darauf hin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ weisen, dass natürlich auch damals die Kommunen an DIE GRÜNEN) der Kommission beteiligt worden sind. Es bestand sogar Wir diskutieren zurzeit viel über die Finanzmärkte. ein wesentlicher Unterschied. Es gab nämlich die politi- Ich will einen gängigen Begriff aus dieser Diskussion sche Festlegung in dieser Kommission: keine Entschei- aufnehmen: Die Volatilität, also die Schwankungen, auf dung gegen die Kommunen. Das erwarte ich auch dies- den Finanzmärkten wollen wir abschwächen. Bei den mal: keine Entscheidung gegen die Kommunen. Einnahmen aus der Gewerbesteuer ist diese Volatilität (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta erheblich geringer als bei den Einnahmen aus der Kör- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- perschaftsteuer. Wir richten unsere Politik darauf aus, NEN]) die Volatilität möglichst gering zu halten. Ich sage deut- lich: Die Gewerbesteuer ist eine Stabilitätssteuer im Ver- Setzen Sie das durch! Das wäre ein richtiger und wichti- hältnis zur Körperschaftsteuer. ger Schritt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4465

Dr. Carsten Sieling (A) Schon damals ist dieses eine Modell gescheitert und gibt sogar schon große Städte, die schuldenfrei (C) als nicht vernünftig beurteilt worden. Natürlich ist auch sind!) damals richtig gerechnet worden. Der Herr Staatssekre- Ich will Sie als Zweites auf Folgendes hinweisen: tär hat im Finanzausschuss vorgetragen, jetzt würde end- Wenn Sie das so machen und von diesen Prinzipien ab- lich mal richtig gerechnet. gehen, wird es sich für keine Kommune mehr lohnen, (Nicolette Kressl [SPD]: Behauptet!) aktive wirtschaftspolitische Standortpolitik zu machen. Sie haben nämlich keinen Anreiz mehr, Gewerbe anzu- – Behauptet oder vorgetragen. Ich habe den Zettel gese- siedeln. hen. Es ist vorgetragen worden, dass dies so sei. Wie gesagt, natürlich ist auch damals gerechnet und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mit viel wissenschaftlichem Sachverstand diskutiert Herr Kollege Sieling, bitte. worden. Das Modell trägt sich nicht. Es wäre ein schwe- rer Fehler, wenn die Steuerpflicht – das ist ein Element Dr. Carsten Sieling (SPD): der Vorschläge – vom Ort der Betriebsstätte zum Wohn- Wenn dieser Anreiz fehlt, wird das dazu führen, dass sitz der jeweiligen Gesellschafter eines Unternehmens die wirtschaftliche Entwicklung abgeschwächt wird. verlagert würde. Das wäre eine gefährliche Strukturver- Deshalb: Lassen Sie das sein! zerrung. Die Gewerbesteuer ist eine stabile Steuer. Sie ist für (Beifall bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: die Kommunen erprobt und sicher. Eine Zeitbombe!) Das alles sind Detailpunkte und wichtige Elemente, die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie an der Stelle sehen müssen. Herr Kollege Sieling, Ihre Redezeit ist lange abgelau- fen. Bitte kommen Sie zum Schluss. Die Kollegin Haßelmann hat schon auf einige Punkte hingewiesen. Sie wissen doch, was Sie an Erhöhungen und Aufschlägen bei den Hebesätzen durchsetzen müss- Dr. Carsten Sieling (SPD): ten, wenn Sie das alles aufkommensneutral gestalten Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihre Geduld und wollen. Ich verstehe das nicht. Da weiß wieder die rechte sage: Lassen Sie uns die Gewerbesteuer in Deutschland Hand nicht, was die linke Hand tut. Wenn Sie das so ma- erhalten! chen, wie Sie es jetzt planen, müssen Sie die Mehrwert- (Beifall bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Ein steuer deutlich erhöhen, auf bis zu 25 Prozent. Das hat Bremer SPDler erklärt die Finanzpolitik!) (B) Herr Zimmermann vom DIW gerade vorgeschlagen. (D) Herr Kampeter, Staatssekretär im Finanzministerium, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hat dazu gesagt: Nicht mit uns! – Recht hat er, der Herr Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund von Kampeter. Wenn das so ist, dann lassen Sie bitte die Fin- der FDP-Fraktion. ger von diesem Unsinn und schlagen Sie nicht vor, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu erhöhen! Das wäre für (Beifall bei der FDP) die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Deutschland schädlich. Das wäre nicht solide. Das müssen wir lassen. Dr. Birgit Reinemund (FDP): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Oppo- DIE GRÜNEN) sitionsfraktionen beschäftigen uns Woche für Woche mit mehr oder weniger gleichlautenden Anträgen zur Situa- Ihre Vorschläge – ich finde, wir müssen früh darüber tion der Gemeindefinanzen. Natürlich werden wir die- diskutieren – haben nicht nur negative quantitative Ef- selben Anträge immer wieder gerne debattieren. Die fekte auf der Einnahmeseite, sondern auch Strukturef- Lage der Kommunen ist katastrophal. Genau deshalb ha- fekte, und zwar äußerst gefährliche. Ich will zwei davon ben wir die Gemeindefinanzreform als dringlich auf die ansprechen. Tagesordnung gesetzt. Dazu hatten Sie jahrelang Zeit. Erstens. Der Wechsel vom Betriebsstätten- zum Die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen Wohnsitzprinzip wird dazu führen, dass die großen wird am 8. Juli dieses Jahres ihren Zwischenbericht vor- Städte weitere Einbußen bei ihren Einnahmen aus der legen. Ich erwarte, dass die Kommissionsmitglieder vor- Erhebung der Gewerbesteuer erleiden. Die großen Städte urteilsfrei ihre Aufgabe erfüllen. werden Probleme haben, höhere Hebesätze gegen die Kommunen in eher ländlichen oder kleinstädtischen Be- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Ganz vorurteils- reichen drumherum durchzusetzen. Weil die großen frei!) Städte aber höhere Lasten haben und Infrastrukturleis- Alle heute vorgebrachten Argumente sind bedenkens- tungen für die gesamte Region erbringen, ist das eine wert und nicht von vornherein falsch. Wir werden sie in- Verzerrung. Frau Roth, CDU, Frankfurt, hat dies schon tensiv beraten, sobald das Konzept vorliegt. Vorfestle- deutlich gesagt. Das ist ein negativer Struktureffekt und gungen, wie Sie sie jetzt wieder fordern, werden wir nicht vertretbar. auch heute nicht zustimmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Es der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: 4466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Birgit Reinemund (A) Sie sind doch Stadträtin! Wie ist denn die Si- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) tuation bei Ihnen im Stadtrat?) der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hält keiner Ana- – Ich bin Stadträtin in Mannheim. Da ist die Situation lyse stand!) ganz klar: Seit 2005 sind wir nah an der Zwangsverwal- tung. Damit provozieren Sie, dass Unternehmen ohne Ge- winn steuerpflichtig werden. Sie schwächen das Eigen- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Also die bes- kapital und verschlechtern die Kreditwürdigkeit. Sie ten Jahre schon! – Dr. Carsten Sieling [SPD]: verhindern Investitionen und gefährden den Wirtschafts- Bei Ihnen wären wir nach zwei Jahren schon aufschwung und Arbeitsplätze, und zwar Arbeitsplätze so weit gewesen!) vor Ort, in den Kommunen. Alle vorliegenden Anträge setzen auf den alleinigen Glauben Sie, so die Finanzlage der Kommunen ver- Ausbau ausgerechnet der extrem konjunkturanfälligen bessern zu können? Die Gefahr ist groß, dass eher Steuer- Gewerbesteuer. Das löst aber nicht die strukturellen Pro- ausfälle aufgrund von Insolvenzen und damit weniger bleme. Diese Achterbahnsteuer ist, neben den rapide Sozialversicherungsbeiträge und höhere Kosten bei den wachsenden Ausgaben, gerade das Hauptproblem der Sozialausgaben verursacht werden. Gemeinden. (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Gehen Sie mal (Manfred Zöllmer [SPD]: Gucken Sie sich von der Stadt Mannheim aus!) doch mal die Zahlen an!) Die Kuh, die man melken will, sollte man nicht schlach- Wir sind uns doch alle in einem einig: Die Kommu- ten. Das weiß jeder Bauer. nen brauchen eine verlässlichere Einnahmequelle, als es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Gewerbesteuer in den letzten Jahrzehnten war. Übri- der CDU/CSU) gens zahlen nur 38,8 Prozent aller Gewerbesteuerpflich- tigen überhaupt Gewerbesteuer; Wer die Gemeindefinanzen zukunftsfest gestalten will, muss offen in die Diskussion der vorgeschlagenen (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wohl wahr!) Modelle gehen. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die übrigen 61,2 Prozent erwirtschaften keinen Gewinn die Modellrechnungen der Stiftung Marktwirtschaft hin. oder fallen schon heute unter die Freibetragsgrenze. Ge- Entgegen aller Erwartungen hätte ein Ersatz der Gewer- rade einmal 0,1 Prozent dieser Gewerbesteuerzahler ge- besteuer zum Beispiel für die Großstadt Stuttgart keine nerieren über 50 Prozent des Gewerbesteueraufkom- negativen Auswirkungen. Stuttgart hätte nach diesem Modell im Jahr 2002 sogar 255 Millionen Euro mehr zur (B) mens. (D) Verfügung gehabt. Andere Kommunen haben in diesem Mit einer erweiterten Bemessungsgrundlage und Modell schlechter abgeschnitten; auch das will ich nicht gleichzeitiger Erhöhung der Freibeträge würde dieses verschweigen. Hier muss ein Ausgleich geschaffen wer- Missverhältnis nicht kleiner. Viele Kommunen sind be- den. Das zeigt doch klar: Wir brauchen eine differen- reits heute von einzelnen großen Gewerbesteuerzahlern zierte Betrachtung der Gemeindetypen und eine für alle abhängig und damit vom Wohl und Wehe einzelner tragbare Lösung. Festgefahrene Denkmuster verschlei- Branchen. Ich nenne nur die VW-Stadt Wolfsburg, SAP ern den Blick in die Zukunft. Denkverbote darf es nicht in Walldorf und BASF in Ludwigshafen. Das erhöht geben. nicht gerade die Planbarkeit kommunaler Einnahmen. Vielen Dank. Die Vorschläge von den Fraktionen der Linken und der Grünen kennen nur zwei Stoßrichtungen: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Erstens. Wir lassen alles beim Alten und fordern ein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: fach mehr Geld von Bund und Land. – Das funktioniert Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Axel Troost von nicht. Vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Alle Ebe- der Fraktion Die Linke. nen kämpfen mit Haushaltsdefiziten. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Wir gehen immer stärker in die Substanz- besteuerung, also Hinzurechnung von Kreditzinsen, Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Mieten, Leasingraten usw. – Sie besteuern damit Ausga- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ben und nicht Erlöse. Dies widerspricht einem Funda- Wenn im Hinblick auf die vorliegenden Anträge von mentalprinzip der deutschen Besteuerung: dem Prinzip Schnellschüssen die Rede ist, ist diese Aussage sehr der Leistungsfähigkeit. Jeder sollte nach Maßgabe seiner stark zu relativieren. Die Diskussion über die Gewerbe- individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit zur Fi- steuer ist sehr alt. Der Wissenschaftliche Beirat beim nanzierung staatlicher Leistungen beitragen. Das erfolgt Bundesfinanzministerium hat 1980 ein Gutachten vorge- durch die Besteuerung von Unternehmensgewinnen, legt, in dem er empfohlen hat, die Gewerbesteuer zu ei- aber doch bitte nicht durch die Besteuerung von Ausga- ner Wertschöpfungsteuer weiterzuentwickeln, also im ben und Verlusten. Sie wollten vielleicht die Konzerne Prinzip in die Richtung, über die wir seither diskutieren. treffen, Herr Scheelen; getroffen haben Sie aber den Mit- telstand, den großflächigen Einzelhandel, innovative Um was geht es? Es ist eine neue Koalition gebildet Unternehmen, die auf Fremdmittel angewiesen sind. worden. Die FDP, die schon immer strikt für die Ab- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4467

Dr. Axel Troost (A) schaffung der Gewerbesteuer war, ist Teil dieser Koali- Ich möchte betonen: In der Finanzwissenschaft gab es, (C) tion. zumindest zu meinen Studienzeiten, nicht nur das Prinzip der Leistungsfähigkeit, sondern es gab im Kommunalbe- (Dr. Daniel Volk [FDP]: Für die Ersetzung!) reich auch ein zweites Prinzip: das Prinzip der Äquiva- lenz. Unternehmen nutzen öffentliche Leistungen, zum – Sie wollen sie abschaffen und durch etwas anderes er- Beispiel Straßen, und dafür müssen sie als Äquivalent ei- setzen; das ist klar. Darauf komme ich gleich zu spre- nen steuerlichen Beitrag leisten. Ich glaube, dass unser chen. Aber zunächst einmal wollen Sie die Abschaffung Antrag in genau die richtige Richtung zielt. Wir wollen der Gewerbesteuer. – Diese Forderung konnte man na- alle unternehmerisch Tätigen, einschließlich freier Be- türlich nicht in dieser Form in den Koalitionsvertrag auf- rufe wie Ärzte, Anwälte und vieler anderer, in die Steuer- nehmen, weil es dagegen auch Widerstände gab. Also pflicht einbeziehen, natürlich mit steuerlichen Freigren- hat man gesagt: Wir setzen eine Kommission ein. Dort zen; das ist völlig klar. darf es keine Denkverbote geben. Alle Vorschläge müs- sen geprüft werden. Am Schluss müssen wir entschei- Für den Einzelnen hat das übrigens nur eine bedingte den, was zu tun ist. Mehrbelastung zur Folge, weil die steuerlichen Beiträge, die in Form der Gewerbesteuer bzw. der Gemeindewirt- Es sind schon einige Zahlen genannt worden. Herr schaftsteuer geleistet werden, mit der Einkommensteuer Schaidinger, Ihr Kollege von der CSU, der Oberbürger- verrechnet werden. Die zusätzliche Belastung ist also meister von Regensburg und gleichzeitig Präsident des gar nicht so hoch. Ich glaube, dass die Weiterentwick- Bayerischen Städtetages ist, hat einmal ausgerechnet, lung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaft- was es Regensburg kosten würde, den Verlust seiner Ge- steuer der einzige Weg ist, zu einer wirklichen Stabilisie- werbesteuereinnahmen zu kompensieren. Er kam zu rung der Kommunalfinanzen beizutragen. dem Ergebnis, dass die Stadt Regensburg die gleichen Einnahmen wie bisher nur dann erzielen würde, wenn (Beifall bei der LINKEN) der Mehrwertsteuersatz nicht mehr 19 Prozent, sondern Über den letzten Punkt, den ich ansprechen möchte, 24,3 Prozent betragen würde. Als er dieses Ergebnis auf wurde im Finanzausschuss besonders kritisch diskutiert: die Einnahmen aus der Einkommensteuer übertragen Er hat dazu geführt, dass sich Grüne und SPD enthalten hat, kam er zu dem Ergebnis, dass je Einkommensteuer- haben. Die Antwort auf die Frage, was der Bund ganz zahlerin und -zahler im Durchschnitt 2 000 Euro mehr kurzfristig tun kann, um die katastrophale Finanzlage im Jahr aufzubringen wären. Das sind die Größenord- der Kommunen zu verbessern, kann aus unserer Sicht nungen, über die wir reden. nur lauten: Wir müssen die Aussetzung der Gewerbe- (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Genau! So ist es!) steuerumlage an den Bund beschließen. Das ist kurzfris- (B) tig zu beschließen. Das bedeutet, dass sofort mehr Geld (D) Weil das dem einen oder anderen vielleicht noch nicht bei den Kommunen bleibt. schlimm genug erscheint, möchte ich erwähnen: In ir- gendeiner Konstellation wird man sicherlich auch wie- (Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt der an die Einkommensteuer herangehen und den [CDU/CSU]: Vorschlag für die Gegenfinanzie- Waigel-Buckel abschaffen. Wir wissen, dass dies mit rung auf Bundesebene?) Rieseneinnahmeverlusten verbunden wäre. Das würde Man muss das vielleicht nicht auf Dauer machen; aber in die Kommunen, wenn sie ausschließlich von den Ein- der jetzigen Situation würde es erst einmal die katastro- nahmen aus der Einkommensteuer abhängig wären, phale Lage der Kommunen wenigstens ein bisschen ver- massiv treffen. Insofern darf man in allen Berechnungen, bessern. die man anstellt, nicht nur vom Istzustand ausgehen, sondern muss auch fragen: Was wird im Einkommen- Danke schön. steuerrecht zukünftig passieren, und welche Konsequen- (Beifall bei der LINKEN) zen hat das für die Einnahmen der Kommunen? Mit unserem Antrag orientieren wir uns im Wesentli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen an den Vorstellungen des Deutschen Städtetages. Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Aumer von der Es geht wohlgemerkt nicht – das ist ja der Witz – um den CDU/CSU-Fraktion. Erhalt der Gewerbesteuer, weil wir wissen, wie schwach sie ist, (Beifall bei der CDU/CSU)

(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Richtig!) Peter Aumer (CDU/CSU): sondern es geht um eine Weiterentwicklung der Gewer- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- besteuer. Wir wollen gewährleisten, dass die Einnahmen ren! Ich denke, wir alle haben das gleiche Ziel. aus der Gewerbesteuer nicht mehr so konjunkturabhän- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Das glaube ich gig sind und dass man nicht von einzelnen Betrieben ab- nicht!) hängig ist. Im Prinzip geht es um die Ausweitung der Bemessungsgrundlage und um die Einbeziehung aller – Sie glauben es nicht. – Das Ziel ist das Wohlergehen un- unternehmerisch Tätigen in der Bevölkerung. serer Kommunen. Wenn Sie von den Linken das ideolo- gisch sehen, dann kommen wir nie zu einer guten Lösung (Beifall bei der LINKEN) zusammen. Wir ringen in der Regierungskommission da- 4468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Peter Aumer (A) rum, eine tragfähige, zukunftsfähige Lösung zu finden. Des- Zum einen müssen die Einnahmen der Kommunen (C) wegen hilft Populismus in solchen Diskussionen nichts. unabhängiger von der konjunkturellen Entwicklung ge- macht werden als bisher. Die Gewerbesteuereinnahmen (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Ist der Regensbur- sind für die kommunalen Haushalte nicht immer planbar ger Oberbürgermeister Populist?) und verlässlich. Deswegen müssen wir eine beständige – Ich komme aus Regensburg. und verlässliche Grundlage schaffen. Zum anderen dürfen aber Kapital und Liquidität der Ich rede über die Anträge, die Sie gestellt haben. Das Unternehmen in Verlustjahren nicht zusätzlich belastet Bundeskabinett hat am 24. Februar eine Regierungs- werden. Deswegen werden in der Kommission auch kommission eingesetzt. Wir arbeiten daran, dass wir bis Maßnahmen zur Aufkommensstabilisierung unter Fort- zum Sommer zukunftsfähige Vorschläge auf den Weg bestand der Gewerbesteuer geprüft und erarbeitet, die bringen. Sie kommen aber mit Vorschlägen, die nicht nicht zugleich die Attraktivität unseres Standorts beein- durchgerechnet und nicht durchdacht sind. Ich denke, trächtigen. damit legen Sie ein Stück weit Populismus an den Tag. In der Kommission werden alle Vorschläge auf ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Realisierbarkeit hin geprüft, und sie müssen gemeinsam mit den Kommunen mit Blick auf die Umsetzbarkeit be- Auf der Tagesordnung der eingesetzten Kommission raten werden. Wir, die CSU, haben uns festgelegt: Gegen findet man – anders als in Ihren Anträgen – nicht nur den Willen der Kommunen wird eine Neuordnung der punktuelle Ad-hoc-Lösungen: Die Kommission kümmert Kommunalfinanzen nicht Gesetz werden. sich im Gesamtzusammenhang um unsere Kommunen. Sie will – das ist ihr grundsätzlicher Ansatz – die Grund- (Beifall des Abg. Dr. Carsten Sieling [SPD]) lagen der kommunalen Finanzen stärken, und zwar gleich Dies halte ich für unseren Auftrag. in mehrfacher Hinsicht. Es geht in diesem Zusammen- hang um die kommunalen Finanzquellen, um größere Ge- Zuvor hat Herr Scheelen über das Fundament gespro- staltungs- und Entscheidungsspielräume bei der Erfül- chen, das die Kommunen bilden. Ich habe vorhin im lung der kommunalen Aufgaben sowie um größere Kürschner nachgeschaut, wie viele Kommunalpolitiker Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung. Genau in unserer Fraktion tätig sind. Ich halte es für unser aller das brauchen unsere Kommunen. Entsprechende Vor- Anliegen, geordnete Verhältnisse der kommunalen Haus- schläge zu entwickeln, ist der Auftrag dieser Kommis- halte gewährleisten zu können. Deswegen ist diese Art sion. des Populismus, des Aufeinandereindreschens und des Streits, wer denn da die besseren Lösungen findet, nicht (B) Für die Kommunalfinanzen gilt: Viele Probleme sind der richtige Weg. Wir sollten um die besten Lösungen (D) eine Folge der tiefgreifenden Finanz- und Wirtschafts- streiten. Dafür sind wir gewählt worden; dazu werden die krise; wir haben aber auch ein strukturelles Problem, das Kommission und auch wir einen Beitrag leisten. Ich sich über eine längere Zeit entwickelt hat. Gerade des- hoffe, dass wir dabei konstruktiv zusammenarbeiten und wegen ist es wichtig und richtig, dass die Aufarbeitung die besten Lösungen finden können. dieser Probleme und die Erarbeitung von Lösungsvor- schlägen gemeinsam mit Vertretern der Länder und Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommunen sowie der kommunalen Spitzenverbände er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – folgen; das ist das Ziel. Herr Dr. Troost, die kommuna- Dr. Carsten Sieling [SPD]: Machen Sie doch len Spitzenverbände sind daher dabei. Die Einwände des Bürokratieabbau! Lassen Sie die Kommission Regensburger Oberbürgermeisters sind berechtigt und ganz sein!) richtig. Wir müssen eine gute Reform auf den Weg brin- gen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es ist die Stärke der Gemeindefinanzkommission, Abschließend hat die Kollegin Antje Tillmann von dass die Sachnähe und Kompetenz der Kommunen und der CDU/CSU-Fraktion das Wort. der kommunalen Spitzenverbände genutzt werden. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gemeindefinanzkommission hat ihre Arbeit mit hoher Dringlichkeit aufgenommen. Schon im Sommer sollen erste Ergebnisse zur Neuordnung der Kommunalfinan- Antje Tillmann (CDU/CSU): zen vorgelegt werden. Schnelligkeit darf aber nicht vor Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sachlichkeit und Sorgfalt gehen. Verehrte Zuhörer! Herr Kollege Troost, Frau Kollegin Kunert! Jetzt hätte ich gern noch den Kollegen Scheelen Ziel der Arbeit der Gemeindefinanzkommission ist angesprochen; der hat aber anscheinend keine Lust es, zum einen für die Kommunen stabile und planbare mehr, über Kommunalfinanzen zu sprechen. Insgesamt Einnahmen zu schaffen. Zum anderen soll und muss das fällt auf, dass die SPD prozentual bei dieser Debatte am kommunale Selbstverwaltungsrecht erhalten bleiben. schlechtesten vertreten ist. Bei der ganzen Debatte um die Kommunalfinanzen ist es (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Peinlich! aber auch wichtig, dass die lokale Bindung zwischen Sehr beschämend!) Wirtschaft und Kommunen – Herr Dr. Troost, Sie haben das Äquivalenzprinzip angesprochen – erhalten bleibt. Das zeigt ein bisschen, wie Ihr Interesse an den Kommu- Dabei müssen zwei Anforderungen erfüllt werden: nalfinanzen ist. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4469

Antje Tillmann (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den der Bund die arbeitsmarktliche Verantwortung trägt. (C) Wir sind zuständig für den Anteil, der sich an den Be- Lieber Kollege Troost, ist Ihnen eigentlich aufgefal- darfsgemeinschaften orientiert. Aber Sie wissen auch, len, dass Ihrem Titel „Abgeordneter“ das Wort „Bundes- dass das Thema noch nicht gegessen ist. Im Vermitt- tag“ – Sie sind Bundestagsabgeordneter – vorangestellt lungsverfahren werden wir selbstverständlich auch über ist? Sie sind vorrangig Abgeordneter des Bundestages, die Verteilung dieser Kosten noch einmal reden müssen. und das sage ich nicht deshalb, weil ich Ihnen vorwerfen will, dass Sie sich für Kommunen engagieren. Nein, das Sie erwähnen als zweiten Punkt Soforthilfen für Kom- ist gut und richtig, das tun unsere Kolleginnen und Kol- munen. Sie nennen aber keine Summe. Ich nehme einfach legen auch. Ich selber bin über lange Jahre Kommunal- einmal den Betrag aus dem Konjunkturprogramm, den politikerin gewesen. wir den Kommunen als Soforthilfe zur Verfügung gestellt haben. Die Kommunen haben im letzten Jahr 10 Milliar- Es ist absolut richtig, auf die Situation der Kommu- den Euro aus diesem Programm bekommen; diese Mittel nen hinzuweisen. Ein Schuldenstand von 110 Milliar- wurden um den Anteil der Länder, 3 Milliarden Euro, er- den Euro bei den Kommunen ist bedrohlich. Es ist in gänzt. Sollten wir das erneut tun, würden wir unsere Ver- vielen Reden darauf hingewiesen worden, wie die finan- schuldung von 80 auf 90 Milliarden erhöhen. Das ergäbe zielle Situation ist. Ihr Engagement werfe ich Ihnen einen Anteil von 0,3 Prozent, den wir noch hinzurechnen nicht vor. Allerdings halte ich es für bedenklich, dass Sie müssten. Dies bedeutete ein Scheitern bei der Schulden- die Situation des Bundes in Ihrem Antrag mit keinem begrenzung, die wir zugesagt haben und wofür wir in der einzigen Wort erwähnen. Ihr Antrag tut so, als könne der Europäischen Union auch in der Verpflichtung stehen. Bund aus seinem großen Füllhorn von Einnahmen alle Probleme der Kommunen ohne weiteres lösen, was aber Ich bin auch sicher, dass es den Kommunen darauf allein daran scheitere, dass wir böswillig die Kommunen gar nicht ankommt. Die Kommunen wollen keine Zu- schlecht dastehen lassen wollen. satzprogramme des Bundes, bei denen wir im Deutschen Bundestag festlegen, was sie mit diesen Mitteln tun müs- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir haben sen. auch andere Anträge mit anderen Steuervor- schlägen! – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Wir (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Richtig!) könnten ja die Millionärssteuer einführen, zum Beispiel!) Selbstverständlich sind wir uns mit den kommunalen Vertretern auch einig geworden, dass der Schwerpunkt – Über das alles können wir gerne diskutieren; auch das auf kindliche Bildung und Infrastruktur sinnvoll ist. können wir in dieser Kommission gern bereden. In Ih- Aber tatsächlich wollen die Kommunen gerne selbst ent- (B) rem Antrag steht das alles aber nicht. In Ihrem Antrag scheiden – das können sie auch, weil sie näher an den (D) steht in fünf Punkten, was Sie dem Bund zumuten wol- Menschen sind –, was sie mit ihren Einnahmen machen. len, damit die Situation der Kommunen verbessert wird. Sie brauchen eine Einnahmequelle, die nicht mit Pro- Genau da werden wir uns nicht einig, Frau Kollegin grammen verbunden ist. So können sie vor Ort selber Kunert. Sie wissen doch selbst, dass der Bund bei einem verantwortlich reagieren. Defizit von 5 Prozent in diesem Jahr und bei einem Ge- samtschuldenstand von 73 Prozent in einer noch sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) viel schlechteren Situation ist als die Kommunen. Ein weiterer Punkt ist die Altschuldenhilfe. Welch in- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Bei der Be- tensive Mühe Sie sich bei der Erarbeitung Ihres Antrags steuerung wundert mich das nicht!) gegeben haben, kann man auch in diesem Punkt erken- nen; denn es wird keine Zahl genannt. Sie schreiben mit Daher meine ich: So einfach, wie Sie es in Ihrem Antrag keinem Wort, wie Sie sich die Umsetzung vorstellen. Sie schreiben, ist es eben nicht. schreiben nicht, ob es eine Zinshilfe oder eine Entschul- dung sein soll. Soll der Bund nach Ihrer Auffassung die Ich hätte dem Kollegen Scheelen auf seine Frage, ob Schulden der Kommunen in Höhe von 110 Milliarden wir auf irgendetwas aus der Zeit der Großen Koalition Euro übernehmen? In diesem Jahr hätten wir damit ein stolz sind, gern noch geantwortet: Ja, das bin ich. Dass Defizit von 200 Milliarden Euro und ein prozentuales wir die Schuldenbremse zusammen beschlossen haben, Defizit in Höhe von 9 Prozent, gemessen am BIP. Da ist halte ich für eine gute Entscheidung. Aber die Schulden- Griechenland nicht mehr weit. bremse ist bisher nur Papier, und Sie müssen natürlich mit uns gemeinsam diesem Papier auch Taten folgen las- Zu den völlig unüberlegten Vorschlägen, die Sie in Ih- sen. Wir werden mit dem Haushalt 2011 in die Schul- rem Antrag machen, gehört auch die Abschaffung der denbremse einsteigen. Ich hoffe sehr, dass Sie sich noch Gewerbesteuerumlage von den Gemeinden an die Län- daran erinnern, dass wir das gemeinsam geschafft haben, der. Das ist der vierte Vorschlag in Ihrem Antrag. Ihnen und dass Sie dann auch bei den Taten entsprechende Be- ist entgangen, dass der Deutsche Bundestag nicht auf schlüsse folgen lassen. Einnahmen der Länder verzichten kann. Es geht also schon rein rechtlich nicht, was Sie da verlangen. Der Antrag der Linken steht jedenfalls unter dem Motto „Der Bund wird es schon richten“. Das beginnt Ich würde gerne Ihren Blick auf das Jahr 1970 lenken. bei den Kosten der Unterkunft, bei denen Sie behaupten, Im Jahr 1970 ist die Gewerbesteuerumlage nämlich nicht der Bund ziehe sich aus der Verantwortung. Tatsächlich auf Antrag des Bundes eingeführt worden, sondern auf zahlen wir 26 Prozent der Kosten. Das ist der Anteil, für Antrag der Kommunen, die schon damals festgestellt ha- 4470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Antje Tillmann (A) ben, dass die Gewerbesteuer sehr schwankungsanfällig hingewiesen –, dass eine Anrechnung auf die Einkom- (C) ist. Damals haben die Kommunen darum gebeten, einen mensteuer erfolgt. Mir als Steuerberaterin tut das nicht Anteil an der Einkommensteuer zu bekommen, die weit- weh, mich kostet die Gewerbesteuer keinen Cent. Ich aus weniger schwankungsgefährdet ist. kann das bei der Einkommensteuer wieder abziehen. Es kommen also auch in dieser Hinsicht erhebliche Minder- Wenn wir die Gewerbesteuerumlage abschaffen woll- einnahmen bei der Einkommensteuer auf uns zu. ten, dann müssten wir nicht nur sagen, wie die Minder- einnahmen in Höhe von 2 Milliarden Euro kompensiert Wir sollten das diskutieren. Dafür haben wir diese werden sollen, sondern wir müssten auch gleichzeitig Kommission auf Bundesebene eingesetzt. Zum Ergebnis die Kommunen darüber informieren, dass ihr Anteil an habe ich noch keine Meinung. Ich glaube, die Gewerbe- der Einkommensteuer mit dieser Vereinbarung obsolet steuer auch nach sieben Jahren zum fünften oder sechs- ist. ten Mal zu diskutieren, ist richtig. Falls wir mit den Kommunen zu keinem gemeinsamen Ergebnis kommen Ich nenne Ihnen ein praktisches Beispiel für die Fol- – das steht bereits im Kommissionsbericht –, wird keine gen einer Abschaffung der Gewerbesteuerumlage. Da sie Veränderung vorgenommen. Ich halte es für schwierig, prozentual aus den Einnahmen bestritten wird, sind na- für die Gewerbesteuer einzutreten, aber immer dann, türlich jene Städte besonders bevorzugt, die am wenigs- wenn es Probleme gibt, den Bund aufzufordern, etwas ten Probleme mit der Gewerbesteuer haben. Wer die Geld nachzuschießen; denn das ist meist dann der Fall, höchsten Gewerbesteuereinnahmen hat, zahlt auch die wenn dem Bund das Wasser ähnlich bis zum Halse steht. höchste Gewerbesteuerumlage. Ein kleiner Vergleich: Die Stadt Coburg hat ein Gewerbesteueraufkommen von Ich kann sehr gelassen den Bericht abwarten, der hof- 2 668 Euro pro Einwohner und die Stadt Weimar von fentlich noch vor der Sommerpause als Zwischenbericht 191 Euro. Ich sehe nicht, dass die Stadt Weimar weniger veröffentlicht wird. Die Kommission hat gegenüber der finanzielle Probleme hat als Coburg. Sie wollen mit der Debatte in diesem Haus den großen Vorteil, dass die Ge- Abschaffung der Gewerbesteuerumlage nur den reichen meinden mitreden können. Hier reden wir über die Ge- Städten Geld zurückgeben. Das ist keine Lösung des meinden und nicht mit den Gemeinden. Ich würde sehr Problems. gerne mit der Kommission und den Kommunen über die Probleme reden. Ich glaube, wir sollten den Bericht ab- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost warten. Wir werden die Vorschläge sehr intensiv disku- [DIE LINKE]: Sie wollen gar nichts tun! Das tieren und feststellen, ob nicht der eine oder andere Vor- ist der Unterschied! – Andreas Mattfeldt schlag aus Ihrem Antrag, Frau Haßelmann, umzusetzen [CDU/CSU]: Sehr gutes Argument!) ist, aber jeweils unter Berücksichtigung der Auswirkung (B) Mein letzter Punkt sind die Hinzurechnungen. Ich auf den Bundeshaushalt. Dazu gehört ehrlicherweise, (D) hätte auch da gerne den Kollegen Scheelen angespro- dass wir dann bei den Beratungen für den Haushalt 2011 chen, weil bei den Hinzurechnungen nicht das Problem für diese 3 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt weg- der Steuertrickserei und auch nicht das Problem der Ge- fallen, eine Gegenfinanzierung finden müssen, damit wir staltungsmodelle existieren. Ein Ladenlokal, das vo- die Schuldenbremse, die bisher ja nur auf dem Papier rübergehend Umsatzeinbrüche zu verzeichnen hat, aber steht, auch tatsächlich mit Leben erfüllen. Ich glaube, trotzdem die Mieten und Pachten zahlen muss, zahlt die dass uns hier das Ergebnis der Kommission die richtige Gewerbesteuer aus der Substanz. Wenn man kein Geld Richtung weist. mehr nachschießen kann, dann ist die einfachste Lösung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Entlassung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Deshalb bin ich beim Vorschlag, die Substanzbesteue- rung auszudehnen, sehr vorsichtig. Ich will nicht verheh- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: len, dass es kurzfristig ein Erfolg sein kann, aber lang- Ich schließe die Aussprache. fristig sollten wir Unternehmen nur dann mit Steuern belasten, wenn Gewinne tatsächlich eingefahren werden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1744 und 17/1764 an die in der Ta- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Aus meiner Sicht ist Ihr Antrag keiner, den man aus Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Sicht eines Bundestagsabgeordneten verantwortlich dis- sind die Überweisungen so beschlossen. kutieren kann. Das ist anders beim Antrag der Grünen. – Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Frau Haßelmann hört gar nicht, dass ich ihren Antrag ge- Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel: „Für eine rade lobe. Verstetigung der Kommunalfinanzen – Die Gewerbe- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- steuer zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln“. NEN]: Doch! Das habe ich gehört!) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1783, den Antrag der Fraktion Die – Gut. – Im Antrag der Grünen gibt es selbstverständlich Linke auf Drucksache 17/783 abzulehnen. Wer stimmt Punkte, denen ich zustimmen kann. Ja, die Körperschaft- für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – steuer ist ähnlich schwankungsanfällig wie die Gewerbe- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den steuer. Ich kann sehr gut damit leben, dass wir überprü- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen fen, ob Freiberufler in die Gewerbesteuer aufzunehmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von SPD und sind. Aber das Problem ist – Herr Troost hat eben darauf Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4471

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: bei der bandenmäßigen Hinterziehung von Umsatz- und (C) Verbrauchsteuern. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikations- überwachung nimmt erstmals diesen qualifizierten Tat- Steuerhinterziehung wirksam und zielgenau bestand in den Katalog des § 100 a Strafprozessordnung bekämpfen auf, womit ohne Wissen der Betroffenen eine Telekom- – Drucksache 17/1755 – munikationsüberwachung und -aufzeichnung ermöglicht wird. Damit haben wir erstmals im Steuerstrafrecht die Überweisungsvorschlag: Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung für Finanzausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss besonders schwere Steuerhinterziehungstatbestände. Das Rechtsausschuss hat es vorher nicht gegeben. Wir haben die Verjährungs- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie frist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterzie- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hung auf zehn Jahre erhöht. Haushaltsausschuss Neben dem Gesetzgeber war auch die Steuerfahndung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten in Deutschland erfolgreich. Jahr für Jahr haben wir rund Dr. Gerhard Schick, Dr. Thomas Gambke, Britta 40 000 Verfahren, davon 17 000 Strafverfahren, und Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Mehreinnahmen in Milliardenhöhe. tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch die Rechtsprechung bekämpft die Steuerhinter- Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen ziehung energisch. Der Bundesgerichtshof hat jetzt die Strafzumessungsregelungen bei der Steuerhinterziehung – Drucksache 17/1765 – präzisiert. Der Strafrahmen von zehn Jahren ist nach An- Überweisungsvorschlag: sicht unserer Fraktion ausreichend; aber bei dem einen Finanzausschuss (f) oder anderen Urteil empfindet man mitunter dessen Aus- Rechtsausschuss schöpfung als etwas unzureichend. Der Bundesgerichts- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die hof hat deshalb jetzt entschieden, dass Freiheitsstrafen be- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi- reits ab Hinterziehungssummen von 50 000 Euro möglich derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das sind, ab Hinterziehungssummen von 100 000 Euro uner- so beschlossen. lässlich sind, allerdings beim Ersttäter noch zur Be- währung ausgesetzt werden. Bei Hinterziehungen in Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen Manfred Millionenhöhe schließt der Bundesgerichtshof künftig Kolbe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung (B) aus. Wer also Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, sitzt (D) (Beifall bei der CDU/CSU) tatsächlich.

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Steuerhinterziehung findet nicht nur im nationalen Bereich, sondern auch im internationalen Bereich statt, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten weil grenzüberschreitend steuerliche Sachverhalte natür- Damen und Herren! Taxes are what we pay for a civi- lich schwieriger zu erfassen sind und sogenannte Steuer- lized society – Steuern sind unser Beitrag für eine zivi- oasen dies bisher durch eine Verweigerung der Zusam- lisierte Gesellschaft. Das steht über dem Eingang der menarbeit begünstigt haben. amerikanischen Steuerbehörde IRS. Meines Erachtens könnte diese Aussage auch über jedem deutschen Zentrales Ziel aller Bundesregierungen war es deshalb, Finanzamt stehen: Steuern sind die finanzielle Grund- den sogenannten OECD-Standard möglichst weitgehend lage unseres Gemeinwesens. durchzusetzen, wonach für die Besteuerung relevante In- formationen auf Ersuchen ausländischer Steuerbehörden (Ute Kumpf [SPD]: Das sieht der Herr Solms zur Verfügung gestellt werden müssen. Zwar akzeptierte aber nicht so!) die Mehrzahl der Steueroasen den OECD-Standard, ver- weigerte dann jedoch dessen Umsetzung. Das heißt auch: Eine zivilisierte Gesellschaft muss sich gegen diejenigen wehren, die sie ausnutzen und schädi- Hier haben wir auf dem G-20-Gipfel im April 2009 ei- gen, sowohl durch Steuerhinterziehung auf der Einnah- nen Durchbruch erzielt. Durch die Androhung „schwar- menseite als auch durch Leistungsbetrug auf der Ausga- zer“ bzw. „grauer“ Listen haben sich jetzt alle bedeuten- benseite. den internationalen Finanzzentren bereit erklärt, diesen OECD-Standard anzuerkennen. So weit unser Tätigwer- Die unionsgeführte Große Koalition und die jetzt re- den auf internationaler Ebene. gierende christlich-liberale Koalition haben deshalb zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämp- Ich sage Ihnen auch, was wir auf internationaler fung der Steuerhinterziehung auf den Weg gebracht, Ebene im Gegensatz zum vorherigen Finanzminister deutlich mehr als die rot-grünen Vorgängerregierungen nicht tun werden. Wir werden nicht mehr völlig Un- von 1998 bis 2005. schuldige und an Steuerhinterziehung völlig Unbetei- ligte wie etwa die Indianer oder die Republik Burkina (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Faso mit ihrer Hauptstadt Ouagadougou beleidigen. Das ist – das sagen wir ganz deutlich – nicht unsere Politik. Wir haben durch den neuen § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 Abgabenordnung endlich eine wirksame Strafverfolgung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 4472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Manfred Kolbe (A) Suaviter in modo, fortiter in re – maßvoll im Ton, hart in (Nicolette Kressl [SPD]: Anders als Sie lernen (C) der Sache: So ist die Politik der christlich-liberalen Bun- wir dazu!) desregierung. Auch Herr Schick sollte hier einmal zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Gerade in jüngster Zeit haben die Bundeskanzlerin GRÜNEN]: Ich höre Ihnen stets zu!) und auch der Bundesfinanzminister beim Ankauf der Das war eine Maßnahme der rot-grünen Regierung. Da- Steuersünder-CD sofort energisch gehandelt. Sofort mals wollte man Steuerhinterziehern bei einer straf- nachdem dies bekannt geworden ist, hat die Bundes- befreienden Erklärung einen ermäßigten Steuersatz von kanzlerin am 1. Februar gesagt – ich zitiere –: 25 bzw. 35 Prozent einräumen. Wenn wir das jetzt vor- Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant schlagen würden, würden Sie uns in der Luft zerreißen. sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünf- Das war rot-grüne Steuerhinterziehungsbekämpfungs- tige Mensch weiß, dass Steuerziehung geahndet politik. werden muss. Meine Fraktion geht seit jeher den richtigen Mittel- So weit das Zitat der Bundeskanzlerin. Hier wurde also weg. nicht moderiert, meine Damen und Herren von den So- (Lachen bei der SPD – Dr. Gerhard Schick zialdemokraten, sondern Führungsstärke bewiesen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Egal, wo die Der Ankauf dieser CD ist natürlich nicht ganz unpro- Mitte ist!) blematisch. Die Frage, ob fehlerhaft gewonnene Be- Wir treten einerseits für die grundsätzliche Beibehaltung weise, hier ein rechtswidrig gewonnenes Beweisstück, der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 Abga- prozessual verwertet werden dürfen oder ob wir zu ei- benordnung ein, möchten aber andererseits dort, wo die nem sogenannten Beweisverwertungsverbot kommen, Selbstanzeige mit krimineller Energie von Anfang an be- ist natürlich eine schwierig zu beantwortende Frage des reits Teil einer Hinterziehungsstrategie ist, engere Strafrechts und des Strafprozessrechts. Aber wir haben Schranken setzen. diese Frage entschieden, und zwar richtig. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist der verfassungs- Mittlerweile werden die deutschen Finanzämter auf- rechtlich anerkannte Weg zurück in die Steuerehrlich- grund dieser ersten CD sowie weiterer angebotener CDs keit. Die Regelungen des § 371 Abgabenordnung beru- mit Selbstanzeigen geradezu überflutet. Seit Jahresbe- hen sowohl auf fiskalpolitischen als auch auf ginn sind knapp 20 000 Selbstanzeigen eingegangen. kriminalpolitischen Zielsetzungen. Fiskalpolitisch wol- (B) Diese sollen bisher zu Mehreinnahmen von rund 4 Mil- len wir damit bisher verheimlichte Steuerquellen er- (D) liarden Euro geführt haben. Nur rund 15 Prozent dieser schließen, die auch eine verstärkte Finanzverwaltung Selbstanzeigen stehen im direkten Zusammenhang zu nicht aufspüren könnte. Kriminalpolitisch wird damit den angekauften CDs. 85 Prozent sind reine Folgewir- dem Prinzip der tätigen Reue Rechnung getragen. Wer kungen aufgrund der Möglichkeit der strafbefreienden die Wirkung einer Tat rückgängig macht, wird milder Selbstanzeige. behandelt. Die strafbefreiende Selbstanzeige ist kein deutsches Sonderrecht, sondern es gibt sie in ähnlicher Damit ergibt sich unserer Ansicht nach auch ganz klar Form auch in den meisten anderen europäischen Staaten die Antwort auf die Frage, wie wir mit dem Gesetzent- und den USA. So weit zur grundsätzlichen Bejahung des wurf der SPD verfahren sollen, der ja die strafbefreiende § 371 Abgabenordnung. Selbstanzeige nach § 371 Abgabenordnung ersatzlos ab- schaffen will. Dies lehnen wir ab. Wir meinen, der Ge- Wir sagen aber auch: Die Flut der Selbstanzeigen setzentwurf ist etwas schlicht. Man muss sich Gedanken – gerade nach dem Ankauf der CD mit Daten über Steu- machen ersünder – zeigt, dass nicht immer, um es vorsichtig zu sagen, nur ehrliche Reue der ausschlaggebende Grund (Manfred Zöllmer [SPD]: Aber die richtigen! – für die Steuerehrlichkeit war. Vielmehr war es oft die Ute Kumpf [SPD]: Und nicht zu lange, Herr Angst vor Entdeckung oder das Nichtaufgehen einer Kollege!) kühl kalkulierten Hinterziehungsstrategie. Wir wollen über die strafbefreiende Selbstanzeige, über die krimi- die Erkenntnisse aus den letzten Monaten dazu nutzen, nalpolitischen Zielsetzungen einerseits und die fiskal- das Institut der strafbefreienden Selbstanzeige zu über- politischen Zielsetzungen andererseits. Diese stehen prüfen. Wir wollen dieses Institut erhalten, aber es darf – das sei zugegeben – zum Teil im Widerspruch. Aber nicht mehr als Mittel einer Hinterziehungsstrategie miss- einfach zu sagen „Weg damit!“, damit machen Sie es braucht werden. Deshalb haben wir in unserem Antrag sich etwas zu einfach. Das ist nicht unser Weg. einige Prüfwünsche und mögliche Änderungen aufge- zeigt. Wir bitten die Bundesregierung, diese Vorschläge (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit ihrem Sachverstand, sicherlich gemeinsam mit den Ländern, zu prüfen. Ich möchte kurz an die Historie erinnern – Frau Kressl, Sie werden es noch wissen –: Als Rot-Grün noch Erstens. Wir wollen die Teilselbstanzeige ausschlie- regierte, wurde ein völlig anderer Weg gegangen. Ich er- ßen. Wer Selbstanzeige erstattet, muss sich vollständig innere an die Brücke in die Steuerehrlichkeit. Das war offenbaren. Er darf nicht scheibchenweise nur die Taten die Amnestie aus dem Jahre 2003. nennen, deren Entdeckung er möglicherweise befürchtet, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4473

Manfred Kolbe (A) sich beispielsweise, wenn das Land A gerade besonders stattfand, ist zu entscheiden, ob die Strafbefreiung ein- (C) im Fokus ist, nur für das dort deponierte Geld erklären, tritt oder nicht –, oder reicht der Zugang der Betriebsprü- das Geld in Land B und C aber weiterhin verheimlichen. fungsanordnung aus? Drittens. Wir denken auch über einen Zuschlag zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Hinterziehungszinsen nach, Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag, Herr Kolbe? (Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Manfred Kolbe (CDU/CSU): damit derjenige, der hinterzieht, nicht besser als derje- Jawohl. nige behandelt wird, der zwar deklariert, aber aus ir- gendwelchen Gründen nicht zahlt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das ist eine Reihe von Prüfaufträgen an das BMF, die Herr Kolbe lässt die Zwischenfrage zu. – Bitte. uns in den nächsten Monaten beschäftigen wird, aber die eine gute Lösung dieses Problems in Aussicht stellt. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lassen Sie mich abschließend sagen, dass natürlich Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege, ich habe über trotz internationaler Finanzkrise ein einfaches, niedriges Ihre Idee mit Interesse gelesen. Da Sie sie jetzt wieder- und gerechtes Steuersystem ein Beitrag zur Bekämpfung holen, habe ich sie nun auch mit Interesse gehört. Ich der Steuerhinterziehung ist. wollte Sie fragen, wie sich Ihre Fraktion die Lösung die- ser Problematik vorstellt. Ich nenne eine ganz klare Kon- (Beifall bei der FDP) stellation: Jemand hat Steuern hinterzogen, indem er Geldbeträge in zwei ausländischen Staaten deponiert hat. Ich zitiere den deutschen Nationalökonomen Hans-Karl Jetzt macht er eine Selbstanzeige und zeigt den Sachver- Schneider, der einmal gesagt hat: halt A an. Von dem Sachverhalt B weiß niemand. Er er- Wer mehr als die Hälfte seines Einkommens an das klärt, dass es eine vollständige und richtige Anzeige ist. Finanzamt abführen muss, ist mehr darauf bedacht, Dann wird er so behandelt, als habe er eine vollständige Steuern zu sparen, als darauf, Geld zu verdienen. umfängliche Selbstanzeige gemacht. Wie wollen Sie si- cherstellen, dass die Strafbefreiung in einer solchen Auch daran ist etwas Wahres. Konstellation nicht gewährt wird, wenn der zweite Sach- Zu einer Bekämpfung der Steuerhinterziehung gehört verhalt weder den Ermittlungsbehörden noch den Fi- deshalb auch ein Steuersystem, das von den Bürgerinnen (B) nanzbehörden noch sonst jemandem bekannt ist? und Bürgern akzeptiert wird, in dem sie zwar nicht gerne (D) ihre Steuern zahlen – das wäre vielleicht zu viel verlangt –, Manfred Kolbe (CDU/CSU): in dem sie aber den Sinn und Zweck einsehen, nämlich Herr Kollege, erstens tun Sie mir und meiner Fraktion die finanzielle Grundlage unseres Gemeinwesens zu zu viel der Ehre an, wenn Sie sagen, das sei unsere Idee. schaffen. Hierbei handelt es sich um eine in der Literatur heftig In diesem Sinne werden wir unseren Antrag beraten umstrittene Frage. Wir wollen überprüfen, ob dies helfen und hoffen auf eine möglichst breite Zustimmung. kann, Hinterziehungsstrategien einzugrenzen. Denn es ist ganz klar kein Fall von tätiger Reue, wenn jemand Danke. Schwarzgelder in den Ländern A, B und C hat, A erklärt, aber B und C für sich behält. Wie weit das im Einzelnen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) geht und ob wir da eventuell Probleme mit der Rechts- kraft bekommen, soll im Rahmen des Prüfauftrags de- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tailliert geprüft werden. Wir legen heute keinen abschlie- Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der ßenden Gesetzentwurf vor. Wir zeigen Wege auf, wie SPD-Fraktion. man zu einem sachgerechten Mittelweg kommt, also Er- haltung des Instituts, aber Verhinderung des Miss- (Beifall bei der SPD) brauchs. – Danke für die Frage. Martin Gerster (SPD): (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- NEN]: Gern geschehen!) gen! Wenn man dem Kollegen Kolbe zuhört, dann ge- Zweitens. Wir wollen über den Zeitpunkt der Tatent- winnt man den Eindruck, dass die schwarz-gelbe Koali- deckung nachdenken. Wann ist eine Tat entdeckt? Ist tionszusammenarbeit eine neue Speerspitze im Kampf dazu die vollkommene Ausermittlung des Sachverhaltes gegen Steuerhinterziehung ist. erforderlich, wie es derzeit die Rechtsprechung fordert, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist nicht nur ein oder reicht dazu ein tatsachengestützter Anfangsver- Eindruck!) dacht? Ein anderer Fall ist die Betriebsprüfung. Muss der Betriebsprüfer erst erscheinen – dazu gibt es nette Aber wenn man nicht nur kurz hinschaut, sondern auch Klausurfälle, denn manchmal wird ihm am Gartentor die ein bisschen am Lack kratzt, also sich die vorliegenden entsprechende Selbstanzeige übergeben und je nach Anträge genauer ansieht, dann stellt man fest: große Er- dem, ob die Selbstanzeige vor oder hinter dem Gartentor wartungen, große Ziele. Aber was steckt dahinter? 4474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Martin Gerster (A) In der Gemengelage der parlamentarischen Initiativen ben. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Sie schmücken (C) sehen wir: Die SPD-Fraktion legt einen Gesetzentwurf sich in diesem Antrag mit fremden Federn. Es wäre vor, in dem ganz konkret etwas gefordert wird. Von den schön gewesen, wenn Sie gesagt hätten, wer bei dieser anderen Fraktionen gibt es Anträge. Die Fraktion Die Entwicklung Motor und wer Bremser war. Linke hat ihren Antrag mit den Worten überschrieben: „Den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht dem Zu- Herr Kolbe, wenn man schaut, was konkret in Ihrem fall überlassen“. Wie in einem Überbietungswettbewerb Antrag steht, dann wird es wirklich dünn. heißt es als Überschrift in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Steuerhinterziehung wirksam Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bekämpfen“. Sie von der Koalition setzen noch eins Herr Gerster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des drauf und titeln in Ihrem Antrag: „Steuerhinterziehung Kollegen Kolbe? wirksam und zielgenau bekämpfen“. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Genau!) Martin Gerster (SPD): Ja, gerne. Wenn man sich aber Ihren Antrag anschaut, dann wird sehr schnell deutlich, dass die Wunschehe von Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Union und FDP zerrüttet ist. Es gibt kein Thema, bei Bitte schön. dem das so deutlich wird wie beim Thema Steuern und Steuerhinterziehungsbekämpfung. Manfred Kolbe (CDU/CSU): (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das Herr Gerster, Sie haben zugegeben, dass wir eine ist Unsinn!) lange Liste mit dem füllen können, was unionsgeführte Deswegen sage ich: Das, was Sie hier machen, ist Bundesregierungen seit 2005 zur Bekämpfung der Steu- Schaumschlägerei. erhinterziehung unternommen haben. Können Sie aus dem Stegreif eine ebenso lange Liste mit den Maßnah- Herr Kolbe, Sie selber haben das Thema Steuer-CD men anfüllen, die Rot-Grün in der Regierungszeit von angesprochen. Das, was in Baden-Württemberg veran- 1998 bis 2005 zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung staltet wird, ist wirklich nicht toll. Zuerst sagt die Lan- ergriffen hat? desregierung: Wir wollen die Steuer-CD erwerben. Dann erklärt der FDP-Justizminister Goll: Das wollen wir Martin Gerster (SPD): doch nicht machen. Bis heute ist noch nicht geklärt, was mit der angebotenen Steuer-CD und den darauf befindli- Da ist ebenfalls einiges passiert, Herr Kolbe. (B) chen Daten von Steuerhinterziehern passieren soll. Auf (Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Dann schießen (D) die Frage, ob sie nun erworben wird oder nicht, sind Sie Sie mal los!) die Antwort schuldig geblieben. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Im Rahmen der Großen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Koalition kamen die Initiativen von Herrn Steinbrück DIE GRÜNEN) und von der SPD-Fraktion. Sagen Sie doch einmal, wel- che Initiative in der Zeit der Großen Koalition aus der Konkret zu Ihrem Antrag „Steuerhinterziehung wirk- Feder des Wirtschaftsministers gekommen ist. Von dort sam und zielgenau bekämpfen“ sage ich: Je ambitionier- habe ich Initiativen vermisst. Von dort ist gar nichts ge- ter die Überschrift, desto weniger Inhalt. Zwar ist Ihr kommen. Antrag umfangreich und umfasst viele Seiten, Herr Kolbe, aber eigentlich ist das ein Nichtantrag. Viel von (Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Die Frage ha- dem Wenigen, das Sie darin formulieren, kennen wir aus ben Sie nicht beantwortet!) der letzten Legislaturperiode. Motor war dabei aber nicht die Unionsfraktion, sondern die SPD-Fraktion mit – In der Anhörung, die ja noch ansteht, können wir gerne Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. noch einmal darüber beraten. Da gibt es einiges, das ich Ihnen dann sicherlich mitteilen kann. (Beifall bei der SPD) (Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Da müssen Sie Sie von der Union waren die Bremser, und die FDP- erst scharf nachdenken!) Fraktion hat immer dagegen gestimmt. Insofern verstehe ich gar nicht, wie Sie sich überhaupt darauf einigen Schauen wir doch einmal konkret in Ihren Antrag. Er konnten, dies als Pluspunkte in Ihren Antrag zu schrei- ist Beratungsgegenstand und nicht die Vergangenheits- ben. bewältigung. Das, was Sie da vorschlagen, ist wirklich dünn. Ich halte es für abenteuerlich, wenn Sie im Antrag In der Tat ist es so, dass Bundesfinanzminister Peer behaupten, dass Steuersenkungen als Maßnahme gegen Steinbrück und die SPD-Fraktion einiges Gute auf den Steuerhinterziehungen gelten können. Es ist ja wirklich Weg gebracht haben. Ich denke an das Steuerhinterzie- unglaublich, dass hier das sogenannte Wachstumsbe- hungsbekämpfungsgesetz, an die Durchsetzung der schleunigungsgesetz aufgeführt wird und ganz gezielt OECD-Standards und die Austrocknung der Steueroa- darauf verwiesen wird, dass es als Maßnahme gegen sen, aber auch an die Veränderung der Fristen für die Steuerhinterziehung gelten soll. Ich frage mich, ob die Verjährung in Bezug auf die Verfolgung, die wir im Rah- Zusatzsubventionen für Hoteliers die Steuerehrlichkeit men des Jahressteuergesetzes 2009 vorgenommen ha- in Deutschland fördern können. Wie soll denn das funk- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4475

Martin Gerster (A) tionieren? Das steht in Ihrem Antrag. Das ist doch ein (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) zusätzlicher Aufbau von Steuerbürokratie und lädt gera- NEN]: Dann muss man Steuern senken!) dezu dazu ein, keine richtigen Angaben zu machen. In- dann haben die Bürgerinnen und Bürger ein Recht da- sofern sage ich: Das, was Sie in Ihren Antrag geschrie- rauf, dass unser Steuerrecht stringent vollzogen wird. ben haben, ist lachhaft. Weil hier im politischen Raum immer wieder die Be- Ansonsten enthält der Antrag eine Reihe von Prüfauf- hauptung laut wird, dass Steuerhinterziehung nicht be- trägen. Herr Kolbe, Sie haben darauf hingewiesen, dass kämpft und viel Populismus mit diesem Thema betrie- die SPD-Fraktion einen Gesetzentwurf zur Abschaffung ben wird, der Straffreiheit bei Selbstanzeige bei Steuerhinterzie- hung eingebracht hat. Ich bin überrascht, dass Sie das (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht aufgreifen; denn noch im Februar hieß es in der NEN]: Ach ja!) Augsburger Allgemeinen Zeitung wie folgt: haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag vorgelegt, Die momentane Entwicklung der Selbstanzeigen damit die Bürgerinnen und Bürger auch einmal sehen, „pervertiere den Sinn des Gesetzes“ … was dieser Staat in der Vergangenheit alles getan hat, um Steuerhinterziehung stringent zu verfolgen; denn das – so Ihr Fraktionskollege Michelbach wörtlich – sind wir den ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzah- Sie zeige, dass Selbstanzeigen nicht aus Reue, son- lern schuldig. dern aus Angst vor Entdeckung vorgenommen wür- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den. Michelbach forderte daher die Abschaffung der Regelung. Gleichwohl gibt es das Instrument der strafbefreien- den Selbstanzeige, und viele verstehen nicht, warum es Ehrlich gesagt vermisse ich das in Ihrem Antrag. das gibt. Wir verzeichnen 18 000 Selbstanzeigen, mit de- Schade, dass Sie die Anregung vom Kollegen nen Steuermehreinnahmen in Höhe von 1,25 Milliarden Michelbach nicht aufgenommen haben. In der Anhörung Euro verbunden sind. Das spricht eine klare Sprache. werden wir die Experten, beispielsweise von der Deut- Deswegen kann man sagen, dass sich die Möglichkeit schen Steuer-Gewerkschaft, hören. Sie werden uns sa- der strafbefreienden Selbstanzeige im deutschen Steuer- gen, wie wir an dieser Stelle vorgehen sollen. recht bewährt hat. Deswegen wollen wir daran festhal- (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Die fordern das ten. auch nicht mehr!) Wir wollen die Verfolgung von Steuersündern nicht erschweren, sondern wir wollen sie vereinfachen. Kaum Wir von der SPD-Fraktion stehen dazu: Wir wollen dass Sie jetzt in der Opposition sind, stellen Sie sich, (B) die Straffreiheit bei Selbstanzeige abschaffen. Wir wol- (D) nachdem Sie die strafbefreiende Selbstanzeige elf Jahre len die Steuerfahndung ausbauen. Letztendlich wollen lang, als Sie die Regierungsverantwortung hatten, aus wir – ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang wich- guten Gründen nicht abgeschafft haben, hier hin und tig – den Verfolgungsdruck auf diejenigen erhöhen, die schreien laut: Das muss weg. systematisch und mit krimineller Energie Steuern hinter- ziehen. Das ist unser Auftrag. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so wie mit Ihrem Steuer- Deswegen sage ich: Wir von der SPD-Fraktion sind konzept!) mit unserem Gesetzentwurf aus meiner Sicht auf dem richtigen Weg. Ihr Antrag besteht aus vielen Prüfaufträ- Herr Kollege Gerster, in unserem Steuerrecht wird auf gen – aus einem bunten Kessel –, und eigentlich ist nicht Kooperation gesetzt. Das ist ein sehr kompliziertes Steuer- wirklich etwas dabei, was man greifen kann. recht. Das ist etwas, was man an anderer Stelle diskutie- ren muss. Es setzt auf Kooperation, die nicht nur freiwil- Aber es gibt ja noch die Anhörung Ende Juni. Dort lig ist. Die Steuerbürger müssen den Steuerbehörden alle werden wir ein paar Stunden lang beraten und die Sach- Informationen mitteilen, auch wenn sie in der Vergan- verständigen hinzuziehen. Ich freue mich auf diese Dis- genheit falsche Angaben gemacht haben. kussion und natürlich auch auf die Diskussion im Fi- nanzausschuss. Wir haben ein Strafrecht, das besagt, dass sich nie- mand selbst belasten muss. Wenn Sie jetzt die strafbe- Herzlichen Dank. freiende Selbstanzeige abschaffen und die Kooperations- (Beifall bei der SPD) pflicht im Steuerrecht beibehalten, dann frage ich: Können Sie mir einmal sagen, wie das gehen soll? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing der CDU/CSU) von der FDP-Fraktion. Deswegen gibt es nicht nur Gründe der Vereinfa- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) chung und fiskalpolitische Gründe dafür, dass die straf- befreiende Selbstanzeige richtig und wichtig ist. Es gibt auch verfassungsrechtliche Gründe dafür, warum wir sie Dr. Volker Wissing (FDP): brauchen. Deswegen wollen wir sie auch nicht infrage Ich danke Ihnen. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen stellen. und Kollegen! Wenn man eine so angespannte Haus- haltslage hat, wie wir sie gegenwärtig haben, Jetzt sind Sie also doppelt des Populismus entlarvt. 4476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: minister in Rheinland-Pfalz, Carsten Kühl, und er hat (C) Herr Kollege Wissing, erlauben Sie eine Zwischen- recht. frage des Kollegen Gerster? Aus diesem Grund haben auch die Bundesfinanzmi- nister der SPD diesem Mann nie widersprochen, sondern Dr. Volker Wissing (FDP): sie haben genau dasselbe getan wie der Finanzminister Ja. in Rheinland-Pfalz, nämlich sich für den Erhalt der straf- befreienden Selbstanzeige eingesetzt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Also bleibt festzuhalten: Die Sozialdemokraten haben Bitte schön, Herr Gerster. elf Jahre lang an dem Instrument festgehalten. Die so- zialdemokratischen Finanzminister halten an diesem In- Martin Gerster (SPD): strument fest. Es passt in unsere Rechtsordnung, und Herr Kollege Wissing, ich bin jetzt doch etwas über- deswegen hält auch diese Koalition an diesem Instru- rascht, dass Sie die strafbefreiende Selbstanzeige als be- ment fest. währtes Instrument bezeichnen. Mir liegt hier ein Artikel aus dem manager magazin vom 19. Februar 2010 vor. Das heißt noch lange nicht, dass man nicht die Dis- Darin war zu lesen: kussionen verfolgt, die sich um die Anwendung dieses Rechtsinstruments drehen. Der Kollege Kolbe hat be- Auch der Vorsitzende des Bundestags-Finanzaus- reits darauf hingewiesen, dass darüber diskutiert wird, schusses, Volker Wissing (FDP), stellt … das In- ob es im Einzelfall ausreicht, die strafbefreiende Selbst- strument der Selbstanzeige infrage. Wissing beklagt anzeige an der Gartentür abzugeben, oder ob man das demnach, das Gesetz werde noch an der Wohnungstür machen kann bzw. ob der Vor- – so wörtlich – garten oder der Pfad zwischen Vorgarten und Haustür die entscheidende Schwelle ist, und dass überlegt wird, „oft missbraucht“, es bestehe eine „krasse Gerech- diese Situation abzuschaffen, weil sie unwürdig ist. tigkeitslücke“. Denn hinter der strafbefreienden Selbstanzeige verbirgt Können Sie mir Ihre Rolle rückwärts in diesem Punkt sich auch eine gewisse Großzügigkeit. erklären? Wir wollen nicht, dass jemand eine strafbefreiende (Manfred Zöllmer [SPD]: Das war vor der Selbstanzeige neben der Haustür liegen hat, um sie Wahl!) schnell zu holen, wenn er erwischt wird, und sich Straf- freiheit zu verschaffen; einstweilen genießt man die Vor- – Das war vor der NRW-Wahl. (B) teile der Steuerhinterziehung. Das wollen wir nicht, weil (D) wir immer dafür eingetreten sind, die Steuergesetze Dr. Volker Wissing (FDP): stringent zu vollziehen und weil es für uns eine zentrale Das kann ich Ihnen erklären, und das hätte ich jetzt Frage für die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft ist. auch noch weiter ausgeführt. Im Übrigen können Sie das auch dem Antrag entnehmen, in dem ganz klar steht Aber man muss eine kluge und sinnvolle Regelung – das steht auch in dem Artikel, den Sie zitiert haben; finden, die auch rechtsstaatlich in Ordnung ist und die wenn sie ihn vollständig zitiert hätten, dann hätten Sie fiskalpolitischen Interessen des Staates wahren muss. das auch vorgelesen –, dass ich das Instrument der straf- Das macht diese Koalition. befreienden Selbstanzeige nicht aufgeben möchte. Wir Wenn Sie regieren würden, dann hätten Sie einen sol- sind es den Menschen aber schuldig, kontinuierlich zu chen Antrag niemals vorgelegt. überprüfen, ob es einen Reformbedarf, einen Verbesse- rungsbedarf oder einen Präzisierungsbedarf gibt, weil es Vielen Dank. immer das Ziel sein muss, die Einhaltung der Steuerge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) setze stringent zu beachten und diejenigen, die sie nicht beachten, stringent zu verfolgen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nichts anderes habe ich in der Öffentlichkeit gesagt, Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle von der und nichts anderes sage ich heute an diesem Mikrofon. Fraktion Die Linke. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU) Herr Kollege Gerster, Sie sind in doppelter Hinsicht Richard Pitterle (DIE LINKE): des Populismus entlarvt: zum einen, weil Sie in elf Jah- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- ren Regierungsverantwortung nicht umgesetzt haben, nen und Kollegen! „Nur zwei Dinge auf Erden sind uns was Sie heute fordern, und zum anderen, weil es nicht ganz sicher: der Tod und die Steuer“, sagte einst der sinnvoll ist. Deswegen sagen auch die noch verbliebenen amerikanische Präsident Benjamin Franklin. Mit dem SPD-Finanzminister in den Ländern – es gibt ja nicht ersten Punkt hatte er recht. Beim zweiten konnte er sich mehr viele –, dass erst die Straffreiheit Steuersündern ei- offensichtlich nicht vorstellen, dass es Zeitgenossen ge- nen Anreiz bietet, auf den Pfad der Tugend zurückzu- ben würde, die eine ungeheure Fantasie und Energie ent- kehren. Durch die Straffreiheit eröffnet sich für den Staat falten, ihrer staatsbürgerlichen Verpflichtung zur Zah- die Chance, Einnahmen zu erzielen. Das sagt Ihr Finanz- lung der Steuer zu entgehen. Diese handeln nach dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4477

Richard Pitterle (A) Motto „Steuern zahlen nur die Dummen“ und hoffen da- Zum Thema der strafbefreienden Selbstanzeige. Kaum (C) rauf, dass man zu dumm ist, um ihnen auf die Schliche hatte eine Oppositionsfraktion hier im Haus den Antrag zu kommen. Meistens haben sie leider recht. gestellt, diese abzuschaffen, kommt die Regierungskoali- tion mit ihrem Prüfauftrag an die Regierung, wie die An- Die Ausmaße der Steuerhinterziehung sind im Zuge forderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige ver- der Affäre um den Ankauf der Steuer-CD aus der schärft werden könnten. Das kennen wir schon aus der Schweiz mehr als deutlich geworden. Laut Medien- Märchenwelt: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann berichten haben sich bis jetzt mehr als 18 000 Steuer- prüfen sie noch heute. kriminelle selbst angezeigt und dem Fiskus 1,25 Mil- liarden Euro zurückgezahlt. Dabei ist die Schweiz auch (Beifall bei der LINKEN) nur eine der sogenannten Steueroasen auf dieser Welt. Damit Sie mich nicht missverstehen: Aus meiner juristi- Wir müssen endlich alle Steueroasen austrocknen, wenn schen Sicht und Praxis sind vernünftige Vorschläge da- wir mehr Steuergerechtigkeit erreichen wollen. bei. Aber warum soll geprüft und nicht sofort umgesetzt (Beifall bei der LINKEN) werden? Sie selber haben doch auf die vielen Vorschläge in der juristischen Literatur hingewiesen. Ich habe kein In Anbetracht dieser immensen Summen aus der Vertrauen, dass Sie das zügig umsetzen. Auch die Men- Steuerhinterziehung und der dramatischen Situation der schen im Land glauben Ihnen nicht. öffentlichen Haushalte – wir haben heute schon über die Kommunalfinanzen diskutiert – begrüßen wir grundsätz- Es gäbe noch viel zu diesem Thema zu sagen. Aber lich alle Initiativen, die das Ziel haben, Steuerhinterzie- ich sehe, dass meine Zeit abgelaufen ist – die Zeit der hung effektiv zu bekämpfen. Bei der Regierungskoali- Steuerhinterzieher hoffentlich auch bald. tion bleibt die Frage, warum sie nicht schon früher mehr (Beifall bei der LINKEN) unternommen hat und ob tatsächlich mehr herauskommt als vollmundige Ankündigungen. Denn es reicht nicht, immer nur den Mund zu spitzen. Wer den Mund spitzt, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: muss auch pfeifen. Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick von (Beifall bei der LINKEN) Bündnis 90/Die Grünen. Hellhörig werde ich, wenn im Antrag der Regierungs- koalition davon die Rede ist, dass zur Umsetzung der Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- OECD-Standards bestehende Doppelbesteuerungsabkom- NEN): men nicht angepasst werden müssten. Die bestehenden Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) Regelungen zum Informationsaustausch seien ausrei- Uns liegen heute zwei Anträge – einer von den Koali- (D) chend, heißt es in Ihrem Antrag, soweit der Abkommens- tionsfraktionen und einer von Bündnis 90/Die Grünen – partner in Bezug auf den Zugang zu Bankinformationen vor. Der Gesetzentwurf der SPD steht heute nicht zur keinen Beschränkungen aufgrund seines nationalen Diskussion. Über ihn werden wir demnächst im Aus- Rechts unterliege. Das Problem dabei ist jedoch, dass die schuss diskutieren. Bestimmungen im OECD-Musterabkommen zum Infor- Was den Antrag der Koalitionsfraktionen betrifft: Sie mationsaustausch nicht geeignet sind, unserer Steuerver- waren sehr fleißig und haben auf zehn Seiten eine um- waltung die notwendigen Informationen über die Geld- fassende Zusammenschau gemacht. Ich wünschte mir, anlagen der Steuerkriminellen zu verschaffen. Da liegt dass auch Kleine Anfragen so ausführlich beantwortet doch der Hund begraben. Die Länder, die als Steuer- würden. Aber Sie schreiben eigentlich nichts Entschei- oasen genutzt werden, können nämlich OECD-Standards dendes zu dem, was die Bundesregierung auf nationaler akzeptieren und gerade so weitermachen wie bisher; Ebene vorhat. Dort, wo es um nationale Angelegen- denn sie können sich darauf berufen, dass ihre Verwal- heiten geht, schreiben Sie plötzlich etwas über Umsatz- tungen gar keine Informationen von den Banken erheben steuerbetrug. Das hat mit Einkommensteuerhinterzie- und sie durch Art. 26 Abs. 3 des OECD-Standards expli- hung überhaupt nichts zu tun. Im Endeffekt handelt es zit davon enthoben sind, ihre Verwaltungspraxis ändern sich bei Ihrem Antrag um eine Fleißaufgabe mit ange- zu müssen. Das wissen Sie doch ganz genau. Sie wollen hängtem Prüfauftrag. Das ist für Regierungsfraktionen uns und den Menschen im Land Sand in die Augen schwach. streuen. Das ist doch ein Skandal. Ihr Antrag geht aber auch inhaltlich an der Sache vor- (Beifall bei der LINKEN) bei. Die strafbefreiende Selbstanzeige hat sich in der Die Linke fordert, die betreffenden Staaten nicht nur vorhandenen Form doch nicht bewährt. Sie hat vielmehr zur Umsetzung der OECD-Standards zu verpflichten, falsche Anreize gesetzt und dazu geführt, im Zweifels- sondern mit ihnen zu vereinbaren, funktionierende in- fall zuzuwarten. Bevor der Ermittler vor der Tür steht, nerstaatliche Mechanismen zu schaffen, die zur Erlan- erhalten die Betreffenden häufig Hinweise von den ge- gung der von unserer Steuerverwaltung angefragten In- prüften Kreditinstituten oder – wie bei den Steuer-CDs – formationen unerlässlich sind. Kommt der betreffende aus der Öffentlichkeit. Die Möglichkeit, Reue zu zeigen, Staat dieser Vereinbarung nicht nach, so ist das Abkom- wird häufig instrumentalisiert, um noch besser Steuern men mit ihm zu kündigen, dieses Land als nicht koope- zu hinterziehen. An dieser Stelle besteht Korrekturbe- rativer Staat zu definieren und die Verordnung zur darf. Als wir vor kurzem eine Kleine Anfrage gestellt Steuerhinterziehungsbekämpfung anzuwenden. haben, war noch nicht die Rede davon, dass Sie korrigie- 4478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Gerhard Schick (A) ren wollen. Nun wollen Sie das prüfen. Ich sage an die in großem Umfang der Beteiligung an unserem Gemein- (C) Adresse der Bundesregierung: Es ist notwendig, hier wesen. sehr genau zu präzisieren. Es reicht nicht aus, wie Herr (Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist schon Wissing zu argumentieren, dass es ein gewisses Auf- übertrieben!) kommen durch die strafbefreiende Selbstanzeige gibt. Vielmehr muss man schauen, wo die strafbefreiende Es passiert das Gegenteil dessen, was Sie, Herr Kolbe, Selbstanzeige vielleicht dem guten Anreiz entgegen- gesagt haben. Häufig schreien manche Personen, auch steht, steuerehrlich zu sein. Diese beiden Sachverhalte aus Ihren Fraktionen und Parteien. Sie sind zwar hart im sind gegeneinander abzuwägen. Wir jedenfalls sehen er- Ton, aber leider sehr moderat in der Sache. Wir wollen heblichen Korrekturbedarf. das ändern und in der Sache klar vorankommen. In unserem Antrag geht es allerdings nicht nur darum. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir schlagen darüber hinaus eine ganze Reihe von Maß- nahmen vor, von denen bei Ihnen nicht die Rede ist, ob- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wohl an den entsprechenden Stellen dringend etwas ge- Ich schließe die Aussprache. tan werden müsste. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Erstens. Das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz den Drucksachen 17/1755 und 17/1765 an die in der Ta- ist immer noch ein stumpfes Schwert, ein Schwert, das gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. nicht wirkt, weil Sie es nicht anwenden. Das muss korri- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann giert werden. sind die Überweisungen so beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 c auf: Zweitens. Was die Bundessteuerverwaltung angeht, a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anton ist es nicht so, wie Sie es schreiben: dass steuerlich rele- Schaaf, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer vante Informationen ohne Mithilfe der Beteiligten nicht Abgeordneter und der Fraktion der SPD aufgeklärt werden können. Die Frage ist, ob wir unsere Verwaltungen in die Lage versetzen, Aufklärung zu be- Das Risiko von Altersarmut durch veränderte treiben. Die Vorkommnisse in Hessen zeigen uns, wie rentenrechtliche Bewertungen von Zeiten der CDU/FDP-Regierungen manchmal mit denjenigen um- Langzeitarbeitslosigkeit und der Niedriglohn- gehen, die Aufklärung leisten wollen. Beschäftigung bekämpfen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie – Drucksache 17/1747 – (B) des Abg. Steffen Bockhahn [DIE LINKE]) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Auch die CDU/FDP-Regierung in Baden-Württemberg Ausschuss für Wirtschaft und Technologie will Möglichkeiten, eine Sache ohne die Mithilfe der Be- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend troffenen aufzuklären, anscheinend gar nicht nutzen, Haushaltsausschuss weil es nicht in ihrem politischen Interesse ist. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Ich will noch auf einen anderen Punkt eingehen. Alle weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE schweigen zu der Rolle deutscher Banken in dieser LINKE Frage. Wir Grüne tun es nicht. Ich glaube, es täte uns in der Diskussion mit unseren Nachbarstaaten gut, einmal Schutz bei Erwerbsminderung umfassend ver- zu sagen, dass deutsche Banken mit ihren Tochtergesell- bessern – Risiken der Altersarmut verringern schaften auf diesem Gebiet ebenfalls aktiv sind. Dann – Drucksache 17/1116 – wäre man ehrlich, und dann müsste man in Deutschland beim Kreditwesengesetz ansetzen. Man sollte dafür sor- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gen, dass es sowohl bei uns als auch in anderen Staaten Ausschuss für Wirtschaft und Technologie unmöglich ist, mithilfe unserer Kreditinstitute Steuern Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu hinterziehen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Ausschuss für Gesundheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias sowie bei Abgeordneten der LINKEN) W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Auch an dieser Stelle zeigt sich, ob man dem Sachver- LINKE halt ernsthaft gegenübertritt oder ob es nur darum geht, der Aufregung in der Bevölkerung und sinkenden Um- Risiken der Altersarmut verringern – Renten- fragewerten kurzfristig etwas entgegenzusetzen. beiträge für Langzeiterwerbslose erhöhen In unserem Antrag werden weitere Vorschläge ge- – Drucksache 17/1735 – macht. Der Ausschuss wird eine Anhörung zu dem Ge- Überweisungsvorschlag: samtkomplex durchführen. Ich glaube, das ist nötig. Ich Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) fordere Sie auf, ehrlich der Frage nachzugehen, was in Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unserem Land eigentlich passiert. Gerade die Eliten, ge- Ausschuss für Gesundheit rade die Leistungsträger entziehen sich häufig über Jahre Haushaltsausschuss Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4479

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die armut von morgen zu vermeiden. Das bedeutet, dass wir (C) Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es rückwirkend Änderungen bei der Rentenberechnung Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so brauchen. beschlossen. Erstens müssen Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- besser bewertet werden, und zwar unabhängig davon, ob ner das Wort dem Kollegen Juratovic von der SPD-Frak- Leistungen nach dem SGB II bezogen wurden. Wer auf- tion. grund des Einkommens des Partners keine Leistungen (Beifall bei der SPD) der Grundsicherung für Arbeitsuchende erhält, darf bei der Rente nicht bestraft werden. Konkret fordern wir, dass Zeiten nach dem 1. Januar 2000, in denen Arbeits- Josip Juratovic (SPD): losenhilfe oder Grundsicherung bezogen wurde, in der Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten gesetzlichen Rentenversicherung als beitragsgeminderte Kolleginnen und Kollegen! Heute hat der Deutsche Bun- Zeiten gewertet werden. destag Maßnahmen zur Sicherung des Euro und der Fi- nanzwelt beschlossen. Es wird behauptet, dass die Fi- Zweitens wollen wir, dass die Rentenansprüche von nanzkrise alle Staaten des Euro-Raums verursacht haben, Arbeitnehmern, deren Einkommen unter 75 Prozent des weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben. Für Staaten Durchschnittsverdienstes liegt, angehoben werden, wie mag dies zutreffen, aber für alle Bürger auf keinen Fall. es für Beitragszeiten von vor 1992 gilt. Konkret soll da- Wir dürfen eines nicht vergessen: Die globale Finanz- für die Regelung über die Mindestentgeltpunkte bei ge- und Wirtschaftskrise war möglich, weil Spekulanten im ringem Arbeitsentgelt bis zum Ende dieses Jahres ver- internationalen Finanzkasino Geld verjubelten, das von längert werden. Arbeitnehmern unter größten Anstrengungen erwirt- Diese Änderungen werden nicht für umsonst zu ha- schaftet worden war. ben sein. (Anton Schaaf [SPD]: So ist das!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das würde mich Immer mehr Menschen arbeiten in Deutschland für interessieren: Was kostet das, und wie soll das Hungerlöhne, während ihr Arbeitsleben immer stärker finanziert werden? – Matthias W. Birkwald gekennzeichnet ist durch Leistungsverdichtung, Stress [DIE LINKE]: Geld ist genug da, Herr Kolb!) und Lohnzurückhaltung. Andere Menschen wiederum haben ihren Arbeitsplatz verloren, weil Heuschrecken Es geht dabei jedoch nicht nur um den Schutz von Ein- ihr Unternehmen aufkauften und große Rendite mach- zelschicksalen, sondern auch um die Bewahrung des so- (B) ten, indem sie Massenentlassungen vornahmen. Wir ste- zialen Friedens. Ist es den Menschen in unserem Land zu (D) hen nicht nur in der Verantwortung, dass wir künftig luf- vermitteln, dass Bankenmanager trotz Finanzkrise wie- tige Finanzspekulationen unterbinden, sondern auch, der Millionengehälter einstreichen, während der recht- dass wir den Menschen Sicherheit geben, die für den schaffene Arbeitnehmer immer mehr leisten muss und Wohlstand hier in Deutschland hart arbeiten oder die dennoch den Gürtel immer enger schnallen soll? Ist es trotz größter Anstrengungen und Weiterbildungen für gerecht, dass immer mehr Menschen zu Dumpinglöhnen mehrere Jahre keinen Job finden. beschäftigt werden oder unverschuldet arbeitslos sind und einer Armutsrente entgegensehen? (Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Nein, werte Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen Das bedeutet einerseits, dass wir für mehr Fairness auf gegensteuern: Wir müssen die Arbeitswelt humanisieren. dem Arbeitsmarkt sorgen müssen. Um prekären Löhnen Dazu gehören gute Löhne und eine gute Altersabsiche- einen Riegel vorzuschieben, brauchen wir so schnell wie rung. Dazu gehören auch bessere und gesündere Arbeits- möglich einen flächendeckenden Mindestlohn. bedingungen. Meine Kollegen am Fließband können un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ter den heutigen Umständen nicht bis 67 arbeiten, häufig der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE auch nicht bis 65 und oft auch nicht bis 60. GRÜNEN) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die SPD hat Das bedeutet andererseits, dass wir die Menschen, die doch die Rente mit 67 beschlossen! – Steffen von prekärer Beschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit Bockhahn [DIE LINKE]: Da hat er recht, der betroffen sind, vor unwürdiger Altersarmut bewahren Herr Kolb!) müssen. Deshalb werden wir Sozialdemokraten dieses Jahr ganz Die Erwerbsbiografien sind heute anders als vor 20 Jah- genau hinschauen, wenn die Bundesregierung aufgrund ren: Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Arbeitneh- der Überprüfungsklausel über die Rente ab 67 berichtet. mer von der Lehre bis zur Rente im selben Betrieb arbei- Wir werden es nicht hinnehmen, wenn aus der Anhe- ten. Es wird für die Arbeitnehmer zu einer allgemeinen bung des Renteneintrittsalters eine indirekte Rentenkür- Erfahrung, dass man im Erwerbsleben auch Zeiten der zung wird. Wir stehen für eine solidarische Gesellschaft, Arbeitslosigkeit und Zeiten prekärer Beschäftigung hat. die jedem Menschen ein würdiges Leben – während der Deswegen muss der Staat eingreifen. Beschäftigung wie während der Rente – gewährleistet. Wir Sozialdemokraten fordern in unserem Antrag, dass Werte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitions- die Bundesregierung Maßnahmen ergreift, um die Alters- fraktionen, bekennen Sie Farbe! Unterstützen Sie unse- 4480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Josip Juratovic (A) ren Antrag, um nicht nur ein leistungsstarkes, sondern Altersarmut muss auch für künftige Generationen wei- (C) auch ein sozial gerechtes Deutschland zu ermöglichen. testgehend ein Fremdwort bleiben. Das ist das Ziel unse- rer Alterssicherungspolitik. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der SPD) Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Um nun eine zielgerichtete und bedarfsgerechte Lö- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sung zu finden, bedarf es aber nicht der Umsetzung vieler Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Weiß von der Einzelanträge, wie sie uns jetzt vorliegen, sondern eines CDU/CSU-Fraktion. Gesamtkonzepts. Deshalb haben wir vereinbart, dass wir dazu eine Regierungskommission einsetzen, auch mit (Beifall bei der CDU/CSU) wissenschaftlicher Unterstützung. Wir sind mit Frau Bundesministerin Ursula von der Leyen übereingekom- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): men, dass diese Kommission zu Beginn des Jahres 2011 eingesetzt wird, sodass wir im kommenden Jahr aufgrund Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! eines konkreten, wissenschaftlich fundiert erarbeiteten Ich denke, zuerst muss man etwas feststellen, was auch Vorschlags ein Gesamtkonzept zur Sicherung gegen Al- im SPD-Antrag erfreulicherweise ganz vorne steht: Es tersarmut hier im Parlament beraten und beschließen kön- ist eine großartige Leistung unseres deutschen Renten- nen. systems, dass heute nur 2,3 Prozent der Rentnerinnen und Rentner wegen zu geringer Alterseinkünfte auf zu- Das braucht einen gewissen Vorlauf, und man braucht sätzliche staatliche Unterstützung angewiesen sind. dafür, wie man neudeutsch sagt, Manpower. Deshalb möchte ich mich bei Frau Ministerin Ursula von der (Beifall bei der CDU/CSU – Anton Schaaf Leyen ausdrücklich dafür bedanken, dass sie bereits im [SPD]: Das stimmt!) Frühjahr dieses Jahres in ihrem Haus ein neues Referat mit dem Titel „Bekämpfung von Altersarmut“ eingerich- Zur Erinnerung: Vor dem Jahr 1957, in dem – eine der tet hat. Das zeigt wieder einmal: Die Regierung ist etwas großen Leistungen Konrad Adenauers – die dynamische schneller, als die Opposition erlaubt. Rente eingeführt worden ist, waren in Deutschland über 70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner auf Sozialhilfe (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Tosender angewiesen, weil sie zu wenig zum Leben hatten. Es ist Beifall! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das eine erstaunliche Entwicklung, die wir in den Jahrzehn- war auch für uns zu schnell! – Beifall bei der ten seitdem hinbekommen haben, auf die wir Deutsche CDU/CSU – Anton Schaaf [SPD]: Die Minis- (B) (D) zu Recht stolz sein können. terin hat gesagt, sie kann in diesem Jahr nur noch SGB II machen! Sie ist ausgelastet!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte ausdrücklich für die Kommission sagen, Aber richtig ist auch: Wenn wir diese großartige Leis- dass wir selbstverständlich all die Vorschläge, die jetzt in tung unseres Sozialstaats für die Zukunft erhalten wollen, Oppositionsanträgen als Wünsche an die Regierung he- dann müssen wir auch die Gefahren sehen, die uns dro- rangetragen werden, damit sie in die Gesetzgebung ein- hen. Sie drohen uns deswegen, weil die Langzeitarbeits- fließen, unvoreingenommen prüfen werden. Aber der losigkeit zunimmt, weil zu wenig in der Rentenkasse an- wichtigste Punkt – er wird durch die Vorschläge leider gespart wird, weil nicht gesicherte Selbstständigkeit nicht erfasst – ist, wie wir wirklich zielgenau und be- zunimmt und weil unterbrochene Erwerbsbiografien zu- darfsgerecht helfen. Zum Beispiel: Natürlich ist die nehmen, und das bei einem sinkenden Niveau der gesetz- Rente nach Mindesteinkommen mit einer Höherwertung lichen Rente. Deshalb haben wir, CDU, CSU und FDP, in von Entgeltpunkten etwas, mit dem man dem einen oder unserem Koalitionsvertrag für die neue Bundesregierung anderen Arbeitnehmer hilft, über das Grundsicherungsni- festgeschrieben – ich zitiere –: veau hinauszukommen; aber einige bleiben trotzdem zu- rück. Natürlich ist die Zahlung eines höheren Beitrags für Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch Langzeitarbeitslose in die Rentenkasse eine Möglichkeit, veränderte wirtschaftliche und demographische die dem einen oder anderen hilft, über das Grundsiche- Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden rungsniveau hinauszukommen; aber viele andere bleiben Altersarmut besteht. Deshalb wollen wir, dass sich dahinter zurück, sie müssen trotzdem Grundsicherung im die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Alter beantragen. Deshalb sollten wir genau prüfen, wie Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein wir wirklich sicherstellen können, dass jemand, der sein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ganzes Leben fleißig gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung sicher sein kann, dass er am Schluss, wenn er in Rente erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert geht – das ist der wichtige Punkt –, von diesem Altersein- ist. kommen, das er insgesamt hat, leben kann und nicht Ich halte das für das zentrale und wichtigste rentenpo- Grundsicherung beziehen muss. Das ist unser Ziel. litische Vorhaben dieser Koalition, das wir zum Erfolg (Beifall bei der CDU/CSU) führen wollen. Diese Zielsetzung darf sich aber nicht allein auf die (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzliche Rente beschränken; denn, verehrte Kollegin- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4481

Peter Weiß (Emmendingen) (A) nen und Kollegen vor allen Dingen von der SPD und den Alter angewiesen ist. Die Rente desjenigen, der aus an- (C) Grünen, in Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie deren Versorgungssystemen schon genug oder ausrei- massiv die Veränderung des deutschen Alterssicherungs- chend hat, brauchen wir nicht noch zusätzlich aufzuwer- systems hin zu einem Dreisäulensystem vorangetrieben. ten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Kapitalgedeckte (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!) Alterssicherung!) Genau dies wird in den Oppositionsanträgen leider nicht Dazu gehört, dass in Zukunft die Alterssicherung nicht bedacht. Wir wollen eine bedarfsgerechte und damit allein aus der gesetzlichen Rente, sondern genauso aus zielgenaue Sicherung gegen Altersarmut. Das ist die der betrieblichen Altersvorsorge und der privaten, kapi- Aufgabenstellung. talgedeckten Altersvorsorge erfolgen soll. Deshalb müs- sen wir in ein Gesamtsystem auch die Leistungsfähigkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der betrieblichen und der privaten, kapitalgedeckten Al- Anton Schaaf [SPD]: Das ist doch Quatsch! tersvorsorge einbeziehen. Diese beiden Säulen müssen Was wir vorhaben, ist zielgerichtet – genau für ebenfalls einen Beitrag zur Verhinderung von Alters- diesen Personenkreis!) armut leisten. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, um es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zusammenzufassen: Wir werden die Vorschläge, die ge- neten der FDP) macht worden sind, in der Kommission, die wir nächstes Jahr einsetzen werden, allesamt aufgreifen. Wir von der Das gilt auch für den Antrag, der zur Erwerbsminde- christlich-liberalen Koalition wollen – das ist ein zentra- rungsrente vorgelegt wird. Selbstverständlich, wir müs- les Anliegen unserer Rentenpolitik – das deutsche Al- sen etwas tun, damit jemand, der erwerbsgemindert ist, terssicherungssystem mit einer zusätzlichen Sicherung angesichts des sinkenden Rentenniveaus nicht automa- gegen Altersarmut versehen. Das ist notwendig und rich- tisch in die Grundsicherung – früher nannte man das tig. Das wird eine der großen Aufgaben dieser Koalition „Sozialhilfe“ – für Ältere fällt. Aber dazu müssen auch werden, und ihr werden wir uns stellen. die private, kapitalgedeckte und die betriebliche Alters- vorsorge eine zusätzliche Leistung erbringen. Das gehört So darf ich heute zum Schluss Ihnen allen ein frohes in ein Gesamtkonzept, das wir einführen wollen. und gesegnetes Pfingstfest wünschen. Noch ein Tipp: Weichen Sie dem Heiligen Geist nicht aus! Ein solches Gesamtkonzept rät uns letztlich auch der Präsident der Deutschen Rentenversicherung. Ich darf Vielen Dank. aus einem Aufsatz von Herrn Dr. Herbert Rische vom (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) Beginn dieses Jahres zitieren: (D) Die Zahlen verdeutlichen, dass die Lebensstandard- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sicherung bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung Das Wort hat jetzt der Kollege von – ebenso wie bei der Altersrente – vor dem Hinter- der Fraktion Die Linke. grund der Entwicklung des Rentenniveaus künftig im Regelfall nicht mehr allein durch die Leistungen (Beifall bei der LINKEN) der gesetzlichen RV gewährleistet werden kann, auch wenn die gesetzliche RV die stärkste Säule der Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sicherung bei Alter und Erwerbsminderung bleiben Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten wird. Damen und Herren! Gute Arbeit, gute Löhne, gute Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Rente – das ist der Dreiklang, an dem wir Linken unsere Ansatz bei den Minirenten, deren Zahl in der Tat zu- Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ausrichten. nimmt, führt uns nicht in die richtige Richtung; denn Altersarmut ist – leider – wieder in der Mitte der Ge- Minirenten entstehen nicht nur, weil jemand sein ganzes sellschaft angekommen: als Mangel an Einkommen und Leben lang wenig in die Rentenkasse eingezahlt hat, als Angst um die Zukunft. Schon heute sind die Men- sondern Minirenten entstehen in zunehmendem Maße schen im Osten stärker von Armut betroffen als die im auch dadurch, dass Menschen ihre Beschäftigungsver- Westen, und das wird auch künftig so bleiben, wenn wir hältnisse verändern, nach einigen Jahren als Angestellte nicht gegensteuern. Ob in der Kindheit, im Erwerbsleben oder Arbeiter selbstständig werden und sich dort eine oder im Alter: Armut zu vermeiden, muss für eine demo- gute Altersversorgung aufbauen oder nach einigen Jah- kratische Sozialpolitik selbstverständlich sein, und dafür ren in ein Beamtenverhältnis wechseln oder vielleicht kämpft die Linke. auch aus einem Beamtenverhältnis ausscheiden. Deshalb ist die entscheidende Frage nicht: „Ist bei der Deutschen (Beifall bei der LINKEN) Rentenversicherung nur eine Minirente notiert?“, son- dern: Hat jemand außer dieser Minirente keine andere Der Schlachtruf, mit dem die neue Sozialdemokratie Form von Altersversorgung? ihren Angriff auf den Sozialstaat ritt, war – ich zitiere –: „Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit.“ Der sozialde- „Bedarfsgerecht“ heißt für mich: Demjenigen, der im mokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder hier in Alter tatsächlich zu wenig hat, wollen wir zielgerichtet Deutschland und Tony Blair in Großbritannien wollten helfen, damit er möglichst nicht auf Grundsicherung im Ende der 90er-Jahre einen dritten Weg, und sie ebneten 4482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Matthias W. Birkwald (A) die Fläche für Niedrigstlöhne. Sie behaupteten fälschli- nicht die Suppe auslöffeln, die ihnen Ihre verfehlte Poli- (C) cherweise – ich zitiere –: tik eingebrockt hat! Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser Den Lebensstandard sichern und Armut vermeiden, als gar keine Arbeit, denn sie erleichtern den Über- das muss selbstverständlich für alle gelten. Das gilt auch gang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung. für all die, die aus gesundheitlichen Gründen nicht oder Das heißt, die Hungerpeitsche treibt die Menschen in nicht mehr arbeiten können. Gegen das Schicksal der Er- mies bezahlte und darüber hinaus sinnentleerte Arbeit. werbsminderung abzusichern, war schon immer eine Wer Minijobs sät, wird Altersarmut ernten. Dieser Weg Hauptaufgabe der Rentenversicherung. Rot-Grün hat ist eine Sackgasse. hier ebenfalls die Lage der Betroffenen auf eine Weise verschlechtert, die gegen jegliches Gerechtigkeitsemp- (Beifall bei der LINKEN) finden verstößt. Wer aus gesundheitlichen Gründen vor dem 63. Lebensjahr nicht mehr arbeiten kann, wird mit An ihrem Ende stehen unwürdige Jobs und Altersarmut. Rentenkürzungen bis zu 11 Prozent bestraft. Das ist Ich sage Ihnen: Arbeit darf nicht arm machen. Von Ar- falsch und nicht zu rechtfertigen. Das ist schlicht unge- beit muss man leben können – jetzt und im Alter. recht. Ändern wir das! (Beifall bei der LINKEN) Damit Sie sich hier nicht einfach schön zurücklehnen, Wir Linken wollen eine Rente, die den Lebensstandard meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der sichert und die vor Altersarmut schützt. FDP: Sie haben das im Bundesrat alles mitbeschlossen; Liebe Kolleginnen und Kollegen in der SPD, Armut also stecken Sie genauso mit drin wie Rot-Grün. und Rentenklau sind nicht das Ergebnis von Naturgewal- Diese Irrwege müssen wir verlassen. Nur einzelne ten, sondern das Ergebnis politischer Irrwege. Die kön- Schlaglöcher auszubessern, reicht nicht. Der ganze Weg nen und müssen wir schleunigst verlassen. ist falsch. Die Richtung müssen wir ändern. Links he- (Beifall bei der LINKEN) rum, bitte! Wir Linken fordern deutlich höhere Rentenansprüche (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der für Langzeiterwerbslose. Noch Mitte der 90er-Jahre CDU/CSU: Bloß nicht! – Das hättet ihr wohl wurden in der Arbeitslosenhilfe pro Kopf durchschnitt- gerne!) lich 236 Euro an die Rentenkasse gezahlt. Heute, unter Hartz IV, sind es klägliche 40 Euro. Nach einem Jahr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Hartz IV ergibt das einen Rentenanspruch von 2,09 Euro. Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von (B) Hier wird ein gesellschaftliches Problem schamlos auf der FDP-Fraktion. (D) die Betroffenen abgewälzt. Das ist höchst unanständig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU) Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund fordern wir, für Langzeiterwerbslose statt 40 Euro künf- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): tig 250 Euro in die Rentenkasse zu zahlen. Das ergibt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dann nach aktuellen Rentenwerten 13,60 Euro im Wes- Linksverkehr, Herr Birkwald, ist gefährlich, wenn er ten und 12,10 Euro im Osten Deutschlands. Das ist übri- nicht koordiniert stattfindet. gens ein weiterer Grund, endlich die Rentenwerte Ost auf Westniveau anzuheben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Machen wir koordiniert!) (Beifall bei der LINKEN) Dann gibt es nämlich Frontalzusammenstöße in großer Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns Zahl. Deswegen, meine ich, sollten wir vorerst bei den nichts vor: Höhere Beiträge für Langzeiterwerbslose bestehenden Verkehrsregeln bleiben; die sind so schlecht sind nur ein Baustein für einen neuen, sozial gerechten nicht. Weg in der Alterssicherung. Niedrige Einkommen müs- sen aufgewertet werden. Geringe Einkommen müssen Ich werte die Anträge, die von der gesamten Opposi- nach unten begrenzt werden. Der Gewerkschaftsvorsit- tion heute hier vorliegen, so, dass das Thema Alters- zende Klaus Wiesehügel von der IG BAU hat den richti- armut jetzt auch von der aktuellen Opposition bearbeitet gen Weg gewiesen. wird, nachdem die Koalition sich dieses Thema in ihrem Koalitionsvertrag angenommen hat. (Anton Schaaf [SPD]: Guter Mann!) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Er fordert einen flächendeckenden gesetzlichen Min- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Passiert ist aber noch destlohn von 10 Euro. Folgen Sie einem Mann, der weiß, nichts!) wovon er spricht! Ich will auch darauf hinweisen, dass die FDP-Bundes- (Beifall bei der LINKEN) tagsfraktion als erste Fraktion in diesem Haus in der letz- 10 Euro Mindestlohn sind ein durch nichts zu erset- ten Legislaturperiode schon sehr intensiv an diesem zender Baustein, um Altersarmut wirklich und wirksam Thema gearbeitet und auch Anträge dazu eingebracht zu vermeiden. Lassen Sie die Rentnerinnen und Rentner hat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4483

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Wenn wir jetzt diesen Diskussionsprozess anfangen, mögens in der Lage ist, sein Auskommen zu gestalten, (C) sollten wir uns noch einmal vor Augen führen, was Ar- vom Staat eine ergänzende Hilfe bekommt. mut eigentlich bedeutet. Wir haben zum einen den Be- griff der absoluten Armut. Absolute Armut im Alter Ich glaube, wir können durchaus sagen: Die Gefahr wird mit der Grundsicherung – das war ja damals auch der Altersarmut lässt sich auf bestimmte Personengrup- der Ansatz von Rot-Grün – in Höhe von etwa 660 Euro pen typisierend eingrenzen. Vor allen Dingen sind es al- im Monat vermieden. Zum anderen haben wir eine Ar- leinerziehende Frauen, Soloselbstständige, Menschen, mutsrisikogrenze; diese liegt höher, und zwar bei die in ihrer Erwerbsbiografie Phasen der Langzeit- 60 Prozent des bedarfsgewichteten Medianeinkom- arbeitslosigkeit hatten, und Menschen, die von Erwerbs- mens, also bei 880 Euro. unfähigkeit betroffen sind. Wir müssen jeden Einzelfall sehr differenziert betrachten. Das vermisse ich bei Ihnen. Ich glaube, wenn wir darüber reden, wie Altersarmut zu vermeiden ist, dann geht es darum, die Lücke zwi- Was beispielsweise die Soloselbstständigen angeht, schen absoluter Armut und Armutsrisikogrenze mög- so glaube ich nicht, dass man das Problem lösen kann, lichst zu schließen und dafür zu sorgen, dass das Ge- indem man einem Menschen, der selbstständig erwerbs- samtalterseinkommen der Menschen über dieser Grenze tätig sein will, vorschreibt, wie er für sein Alter vorsor- liegt. Es darf gerne auch mehr sein; das will ich ganz gen soll; ich bin also nicht für eine Versicherungspflicht deutlich sagen. Aber die Aufgabe des Staates kann nur in der Rentenversicherung. Aber es muss eine Pflicht zur sein, das Risiko der Armut im Alter und natürlich auch Versicherung geben. In jedem Jahr, in dem jemand arbei- während der Erwerbsphase zu vermeiden. Ich denke, es tet, muss er einen Teil seines Einkommens für seine Al- ist wichtig, dies vorab sehr deutlich zu sagen. tersvorsorge verwenden, damit er am Ende seines Er- werbslebens nicht der Gesellschaft zur Last fällt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Wir können feststellen – das ist ein Erfolg unseres Sozialstaates –, dass Altersarmut heute kein verbreitetes Meine Damen und Herren, den jungen Menschen Phänomen ist. Im Gegenteil, das Armutsrisiko für Ältere müssen wir das Signal geben: Eigene Vorsorge muss ist zwischen 1984 und 2003 sogar deutlich zurückge- sich lohnen. Das heißt, jedem, der heute mit 16 oder gangen. Der Anteil der Menschen im Alter von 17 Jahren in einen Betrieb kommt und sich fragt: „Soll 65 Jahren und darüber, der auf Leistungen der Grund- ich einen Riester-Vertrag abschließen: ja oder nein? Soll sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewie- ich in eigener Anstrengung etwas für meine Altersvor- sen ist, beträgt 2,3 Prozent; das sind, in absoluten Zah- sorge tun?“, muss man sagen: Tu das auf jeden Fall. (B) (D) len, 371 000 Menschen. Jeder Einzelfall ist relevant und Denn erstens ist die gesetzliche Rentenversicherung muss uns sorgen. Wir müssen diese Armut ernst nehmen. keine Lebensstandardsicherung mehr, sondern sie sichert Weil der Kollege Birkwald gesagt hat, Altersarmut sei das Existenzminimum. Zweitens wird es sich auf jeden in der Mitte der Gesellschaft angekommen, will ich da- Fall für dich lohnen, selbst dann, wenn du in deinem rauf hinweisen: Ich glaube, dass die Altersarmut zu- weiteren Erwerbsleben Schwierigkeiten haben solltest. nehmen wird, und zwar aus den Gründen, die bereits Wir von der FDP haben Vorschläge vorgelegt, was zu genannt worden sind; dazu gehören beispielsweise ge- tun ist, damit sich die Altersvorsorge lohnt. Wir wollen brochene Erwerbsbiografien insbesondere in den neuen sagen: Auf jeden Fall wirst du von dem, was du an eige- Bundesländern. Aber ich glaube auch, wir können glück- ner Vorsorge geleistet hast, einen höheren Betrag behal- licherweise davon ausgehen, dass die Mehrzahl der ten dürfen. – Wir wollen einen Freibetrag in Höhe von Menschen in unserer Gesellschaft künftig ein ausrei- 100 Euro und darüber hinaus nur eine Teilanrechnung chendes Alterseinkommen hat. dessen, was jemand aus privater und betrieblicher Vor- Es ist wichtig, dass wir in dieser Diskussion nicht nur sorge zur Verfügung hat. Das ist ein Element, mit dem auf die Alterseinkommen abstellen. An dieser Stelle ist die Lücke, von der ich am Anfang gesprochen habe, ge- das richtig, was der Kollege Weiß gesagt hat: Nicht je- schlossen werden kann. der, der eine niedrige Rente hat, hat im Alter auch ein niedriges Gesamteinkommen, sondern viele Menschen Herr Kollege Schaaf – Sie werden noch nach mir haben nur deshalb relativ geringe Anwartschaften in der sprechen –, ich glaube, dass die Vorschläge, die die Op- Rentenversicherung, weil sie im Laufe ihres Arbeits- position hier heute auf den Tisch gelegt hat, nicht wirk- lebens in andere Alterssicherungsformen gewechselt lich zielführend sind, weil sie nicht ausreichend differen- sind, beispielsweise in berufsständische Versorgungs- zieren. Die Anträge sind ein Stück weit Ausdruck Ihres werke. schlechten Gewissens. Ich finde es interessant, dass Sie heute die Anwartschaften von Langzeitarbeitslosen ver- Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen: Das Einkom- bessern wollen, nachdem Sie die Beiträge für Langzeit- men im Alter sollte nicht losgelöst von dem Vermögen, arbeitslose in Zeiten der rot-grünen Koalition halbiert das Menschen im Alter aufgebaut, das sie geerbt und das haben, mit dem Ergebnis – Herr Birkwald hat das gesagt sie anderweitig zur Verfügung haben, betrachtet werden. –, dass ein Langzeitarbeitsloser aktuell für ein Jahr der Deswegen ist es wichtig, zielgenau anzusetzen und ziel- Langzeitarbeitslosigkeit 2,09 Euro Rente erhält. Übri- orientiert zu handeln, sodass nur derjenige, der ein nie- gens, Herr Kollege Birkwald, lagen Sie an einer Stelle driges Einkommen hat und nicht aufgrund eigenen Ver- falsch: Für Sozialhilfeempfänger wurden nach meiner 4484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Kenntnis nie Rentenversicherungsbeiträge gezahlt; das men, die unter Altersarmut leiden. Dann ist man nicht (C) muss man an dieser Stelle deutlich machen. mehr bei 300 000, sondern bei 1 Million betroffenen Menschen. Wenn man die Einkommensarmutsgrenze be- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das rücksichtigt, kommt man auf anderthalb bis 2 Millionen habe ich nie gesagt!) Menschen. Das ist keine kleine Gruppe; man müsste ei- Herr Kollege Schaaf, ich glaube, Sie werden ein gentlich schon jetzt etwas für sie tun. Man muss es beto- Stück weit von Ihrem schlechten Gewissen getrieben. nen: Die Altersarmut ist schon da. Man muss Ihrem Ansatz an einer Stelle widersprechen. Die Altersarmut wird ansteigen – das wurde von allen Sie wollen einen nachsorgenden, kompensatorischen Rednern gesagt –, wenn wir jetzt nicht gegensteuern. Die Ansatz zur Vermeidung der Altersarmut; wir wollen ei- Rente ist ein langsam treibendes Schiff. Das heißt, wir nen präventiven, vorsorgenden Ansatz. Mit der Rente müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, um die Altersarmut, nach Mindestentgelt wollen Sie hier am Ende nichts an- die wahrscheinlich in zehn bis 15 Jahren besonders stark deres als einen Reparaturbetrieb einführen. Das kann ansteigen wird, einzudämmen. man aber nicht wirklich und tatsächlich der Rentenver- sicherung auferlegen. Die Rentenversicherung ist mit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ guten Gründen eine beitragsfinanzierte, äquivalenzori- DIE GRÜNEN und der LINKEN) entierte Leistung. Das, was Sie wollen, ist Umverteilung in einem beitragsfinanzierten System. Das kann nicht Es geht aber um noch mehr – ich sehe hier diverse funktionieren. Sie organisieren prozentuale oder auch junge Leute –: Es geht um das Vertrauen in die Alters- absolute Erhöhungen. Dabei läuft man aber immer Ge- sicherung insgesamt. Wir müssen da unbedingt herange- fahr, dass im System Überholprozesse stattfinden. Das hen. Viele Menschen glauben nicht mehr, dass sie im Al- heißt, die Umsetzung der Vorschläge, die Sie auf den ter eine armutsfeste Rente erhalten werden. Hier müssen Tisch gelegt haben, könnte immer wieder zu neuen Un- wir ansetzen: Wir brauchen eine Rente, die erstens ar- gerechtigkeiten führen. mutsfest ist, zweitens auf einfachen Regeln basiert – wir wollen keine undurchschaubaren Regelungen, wie es sie Ich glaube deswegen, dass die Anträge, die Sie von jetzt teilweise gibt – und drittens mit einer entsprechen- der Opposition hier heute eingebracht haben, nicht der den Finanzierung unterlegt ist. Das sind die drei wesent- Weisheit letzter Schluss sind. Sie sind gut beraten, auf lichen Punkte, die wir bei der Rente erreichen müssen, das zu warten, was Herr Weiß schon angekündigt hat: um Altersarmut zu vermeiden; das sind für uns Grüne die Ergebnisse der Arbeit der Regierungskommission. die wesentlichen Kriterien. Das wird uns endlich voranbringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (D) Wenn ich mir die Anträge anschaue, die von SPD und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Linken vorgelegt werden, erkenne ich, dass sie diese Kriterien – ich muss das sagen – leider nicht erfüllen. Ich Vizepräsidentin Petra Pau: mache das einmal am Beispiel der Rente mit Min- Das Wort hat der Kollege Dr. Strengmann-Kuhn für desteinkommen deutlich, die in beiden Anträgen vor- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. kommt und die meines Erachtens zu Recht ein Auslauf- modell ist. Es ist nicht armutsfest; es beschränkt sich auf eine Gruppe, die 35 Jahre eingezahlt hat. Bei ihnen wer- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ den eben Rentenansprüche aufgestockt, wenn sie im DIE GRÜNEN): Durchschnitt unterhalb von 0,75 Entgeltpunkten liegen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer mit offenen Augen durch das Land, durch die Groß- Rechnet man dies um, bedeutet es, dass auch Leute, städte geht, der sieht, dass die Altersarmut schon da ist; die länger als 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt ha- sie ist nicht nur ein Problem der Zukunft. Man sieht ben und dann eine Aufstockung erhalten, nicht unbe- schon jetzt zunehmend ältere Menschen, die in Altglas- dingt eine armutsfeste Rente bekommen, denn 75 Pro- containern und Mülleimern herumstochern. Wir haben zent von einem Entgeltpunkt mal 35 Jahre ist gerade schon jetzt eine zum Teil extreme Altersarmut. Die Zahl eben existenzsichernd, wenn man an die Grundsicherung der Grundsicherungsbezieher im Alter ist tatsächlich herangeht. Herr Kolb hat gesagt, eigentlich müsste man noch nicht sehr hoch; aber sie ist in den letzten Jahren für Armutsfestigkeit noch höher gehen. Wenn man nach kontinuierlich angestiegen. den Maßstäben der Linken geht, müsste man noch deut- lich höher gehen. Das ist nur die Spitze des Eisbergs: Trotz der Verbes- serungen, die wir unter Rot-Grün in diesem Bereich her- Die Rente mit Mindesteinkommen ist also auch nicht beigeführt haben, ist der Anteil der verdeckten Armut im unbedingt armutsfest. Das ist relativ kompliziert zu be- Alter immer noch hoch. In dieser Altersgruppe ist die rechnen – wer weniger als 0,75 Entgeltpunkte kriegt, be- Spanne zwischen der Quote der relativen Einkommens- kommt auf die eigenen Entgeltpunkte die Hälfte noch armut und der Quote der Grundsicherungsbezieher – das einmal drauf – und für die meisten Leute nicht wirklich kann man im Antrag der SPD nachlesen – sehr groß. durchschaubar. Es ist also meines Erachtens nicht der Schätzungen gehen davon aus, dass auf eine Person, die richtige Weg. Außerdem ist es beitragsfinanziert; auch im Alter Grundsicherung bezieht, immer noch – früher das halte ich nicht für vernünftig, weil die Umverteilung waren es mehr – zwei bis drei weitere Personen kom- zur Sicherung vor Altersarmut steuerfinanziert sein Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4485

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) sollte. Das ist auch die Maßgabe bei unseren Vorschlä- hier zumindest von der Linken ein absoluter Systemwan- (C) gen. del gewünscht wird: Träger der Grundsicherung nach dem SGB II übernehmen für die Zeiten des Arbeitslo- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: sengeld-II-Bezugs die Beiträge nach der Hälfte des Richtig!) Durchschnittsentgeltes. Das heißt, diejenigen, die die Die Rente mit Mindesteinkommen wirkt dabei also nicht Grundsicherung bezahlen müssen, müssen in Zukunft unbedingt. auch die Rentenbeiträge bezahlen. Damit wenden Sie sich vom Äquivalenzprinzip ab – darauf hat der Kollege Bei den Vorschlägen, die Sie hinsichtlich der Lang- Kolb von unserem Koalitionspartner bereits hingewiesen – zeitarbeitslosen machen, ist es ähnlich. 0,5 Entgelt- und wollen jetzt schon in die steuerfinanzierte Rente ein- punkte sind noch weniger als 0,75; da brauchte man steigen, unbeschadet der Tatsache, dass wir jetzt – auch 60 Jahre, um eine existenzsichernde Rente zu bekom- das ist für die Zuschauer interessant zu wissen –, also men. Das hilft den Langzeitarbeitslosen natürlich ein auch heuer, bereits über 80 Milliarden Euro als Zu- bisschen – wir wollen das durchaus auch anheben –, ist schüsse aus steuerfinanzierten Mitteln in die Renten- aber nicht armutsfest. Finanzierungsvorschläge machen kasse geben müssen. Sie hierzu auch nicht. Wir halten von einem Systemwandel letztendlich Da ich jetzt nur noch eine Dreiviertelminute habe, nichts. Deshalb werden wir Ihre Anträge selbstverständ- ganz kurz unsere Vorschläge zur Erwerbsminderungs- lich ablehnen, was Sie nicht völlig überraschen dürfte. rente; das müssen wir dann im Ausschuss diskutieren. Unsere Vorschläge entsprechen diesen Maßstäben: Wir Die Linke will nicht anerkennen, dass die Zusammen- brauchen eine Rente, die armutsfest ist. Wir wollen jetzt führung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zumin- mit Leuten anfangen, die langjährig versichert sind, und dest erfolgreich war. Sie reden das System immer wieder zwar 30 Jahre. Da sollte der Maßstab eine Rente sein, schlecht; Sie sagen nicht, was anstelle der Sozialhilfe die höher ist als die Grundsicherung, also in der Größen- kommen soll. Der Kollege Weiß hat schon darauf hinge- ordnung von etwa 30 Entgeltpunkten, und es sollte steu- wiesen, dass die Sozialhilfeempfänger vor der Zusam- erfinanziert sein. Wir nennen das Garantierente. Das ist menlegung in dem SGB-II-Bereich keine Arbeitsangebote der erste Punkt, der wichtig ist, um eine armutsfeste und keine Einbeziehung in die Vermittlungsmöglichkei- Rente zu erzeugen. Das kostet knapp 5 Milliarden Euro ten hatten. Das würden Sie dann konsequenterweise wie- Steuermittel. Das halte ich für machbar. der abschaffen wollen. Zweiter Punkt: Bei den Langzeiterwerbslosen wollen Bis 2004 hatten wir 2,95 Millionen Menschen in So- (B) wir zu der Situation vor der Halbierung zurückkommen. zialhilfe. Sie haben überhaupt nicht in die Rentenversi- (D) Das heißt, wir wollen Langzeitarbeitslose mit Menschen cherung und oft auch nicht in die Krankenversicherung gleichstellen, die 400 Euro Einkommen beziehen. Das eingezahlt. Es wäre also der völlig falsche Weg, das Sys- ist übrigens auch ein Punkt, der bei beiden Vorschlägen, tem, das wir gemeinsam mit der SPD in der Großen Ko- bei SPD und Linken, noch nicht berücksichtigt ist. Wenn alition in den letzten vier Jahren fortentwickelt haben, man für die Langzeitarbeitslosen auf 0,5 Entgeltpunkte wieder abzuschaffen; dies gäbe den Menschen Steine hochgeht, muss man natürlich überlegen: Was ist denn statt Brot. mit Erwerbstätigen, die weniger als 0,5 Entgeltpunkte haben? An dieser Stelle empfinde ich Ihre Vorschläge als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einfach noch nicht zu Ende gedacht. Es ist nicht wirklich neten der FDP) armutsfest, es ist zu kompliziert, und die Finanzierung Auch die private Vorsorge zu diskreditieren, ist ab- ist auch nicht geklärt. Deswegen werden wir dazu noch surd. Es mag den Fall geben – vor einigen Monaten unsere eigenen Vorschläge vorlegen, die besser als die wurde in der Presse groß darüber berichtet –, dass der von SPD und Linken geeignet sind, Armut im Alter zu eine oder andere von seiner Riester-Rente, nachdem sie bekämpfen. im Alter verrechnet werden soll, keinen nennenswerten Herzlichen Dank. Erlös zu erwarten hat. Was haben wir daraufhin mit un- serem sozial orientierten, liberalen Koalitionspartner ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) macht? (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Vizepräsidentin Petra Pau: Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sag doch einfach Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die FDP!) Unionsfraktion. – Das ist der Vorgriff auf Pfingsten. Bei uns ist der Hei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lige Geist schon angekommen. – Wir haben das Schon- vermögen verdreifacht, von 250 auf 750 Euro pro Le- Paul Lehrieder (CDU/CSU): bensjahr, das heißt, ein 50-Jähriger hat jetzt schon in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! einer der Riester-Rente ähnlichen Anlageform die Mög- Liebe Kollegen! Es wurde schon einiges zu den Anträ- lichkeit, gut 37 000 Euro für das Alter zurückzuhalten. gen der Linkspartei und auch der SPD gesagt. Ich stelle Auch das ist eine Möglichkeit, alterssichere Renten zu fest, nachdem ich die Anträge durchgeschaut habe, dass gewährleisten, um Armut im Alter zu vermeiden. 4486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Paul Lehrieder (A) (Anton Schaaf [SPD]: Wie viele profitieren (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch, (C) davon?) ab 9,47 Euro!) Das halten wir für wichtiger und effizienter, als jetzt – Langsam. durch einen Etikettenschwindel, durch großes Um- Ich bin gespannt – der Kollege Schaaf spricht nach schichten von der einen öffentlichen Kasse in die andere mir –, wie hoch Mindestlöhne Ihrer Vorstellung nach öffentliche Kasse, so zu tun, als ob eine geringer wer- sein sollten. Mittlerweile haben wir einen Überbietungs- dende Schicht unserer Bevölkerung in wenigen Jahren wettbewerb. Der DGB hat sie von 7,50 Euro auf 8,50 Euro locker die anstehenden Renten überhaupt bedienen kann. angehoben. Nächste Woche sind wir bei 9,50 Euro. Ich (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war warte darauf, dass Sie 11 Euro vorschlagen. Wir sind doch in der Vergangenheit auch so!) nicht auf dem persischen Markt, nach dem Motto „Wer bietet mehr?“, „Wer hat höhere Ansprüche?“. Durch die demografische Entwicklung haben wir mittlerweile mehr Ältere und weniger Jüngere. Das ist (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Man der Grund, warum wir den Nachhaltigkeitsfaktor und muss davon leben können!) den Riester-Faktor in den letzten Jahren ein Stück weit in die Rentenberechnungen einbeziehen mussten. Wir Wir wollen keinen Staatsdirigismus, wie ihn die SED, haben weniger junge Menschen, die in Zukunft noch Entschuldigung Linkspartei – beinahe hätte ich PDS ge- mehr die Lasten der alten Menschen tragen müssen. Das sagt –, will, sondern wir wollen das Prinzip der sozialen kann auf Dauer nicht funktionieren. Marktwirtschaft möglichst auch in diesem Bereich fort- entwickeln. Sozial ist, was wir in den nächsten Jahren Lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen machen. auf den Weg bringen wollen. In den letzten Jahren haben Wir haben, wie in unserem Koalitionsvertrag festge- wir einiges auf den Weg gebracht, das in die richtige schrieben, vor, einen wesentlichen Ausgabenposten für Richtung ging, lieber Kollege Schaaf. Wir haben, Herr das Alter umfassend zu reformieren, und zwar ist das die Kollege Kolb, in den letzten Monaten schon einiges auf eigengenutzte Immobilie. Wenn ein junger Mensch mit den richtigen Weg gebracht. 20, 30 Jahren halbwegs vernünftig verdient, sich eine Ei- gentumswohnung kauft oder ein Häuschen baut, Schul- Ich gehe davon aus, dass hoffentlich alle Parteien in den hat und sie im Laufe von 20 Jahren abzahlt, kann er diesem Haus in den nächsten Tagen, zu Pfingsten, den dieses Häuschen, unbeschadet der Größe, auch im Alter vom Kollegen Peter Weiß gewünschten Heiligen Geist behalten. Das heißt, wir werden ihm in Zukunft auch in in ausreichendem Umfang erwarten dürfen, damit wir diesem Bereich des Ausgabenblocks, der das Alter be- uns mit den richtigen Entscheidungen nach den Pfingst- (B) trifft, die entsprechende Zeit belassen. Wenn ein Mensch ferien wiedersehen. (D) das Pech hat, mit 40, 50 Jahren für längere Zeit arbeits- Herzlichen Dank. los zu sein, muss er als Langzeitarbeitsloser sein Häus- chen nicht verbraten, um Hartz IV zu bekommen. Auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dafür haben wir gesorgt. Wir wollen aber auch für die jungen Leute Anreize Vizepräsidentin Petra Pau: schaffen. Wir haben vor wenigen Wochen gemeinsam Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD- mit der SPD-Fraktion – lieber Anton Schaaf, das habt ihr Fraktion. gut gemacht, Katja Mast hat darauf beharrt – die Hinzu- (Beifall bei der SPD) verdienstmöglichkeiten von Kindern in Hartz IV verbes- sert. Anton Schaaf (SPD): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendlichen!) Lieber Peter Weiß, in der Tat ist es so, dass die Ge- Man muss sehen: Es lohnt sich, etwas zurückzulegen. Es schichte der gesetzlichen Rentenversicherung eine Er- lohnt sich, 1 200 Euro in vier Wochen Ferien anzuspa- folgsgeschichte ist, insbesondere bei der Frage der Ar- ren. Das verhindert zwar noch nicht die Altersarmut, mutsbekämpfung. Da sind wir uns völlig einig, und das aber es ist auf jeden Fall ein Anreiz: Der Staat sorgt mit ist völlig klar. steuerfinanzierten Mitteln dafür, dass du nicht verhun- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!) gerst, dass es dir nicht schlecht geht. Der Staat lässt dir das Geld, wenn du dich entsprechend anstrengst. Die Opposition zielt mit ihren Anträgen darauf ab – so habe ich sie jedenfalls verstanden –, dass das auch so Fordern und Fördern ist das Prinzip von Hartz IV. bleibt. Das ist genau der entscheidende Punkt. Kollege Peter Weiß hat darauf hingewiesen: Wir werden die Auswirkungen auf das Rentensystem im Blick behal- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) ten müssen. Da gebe ich Ihnen recht. Wir müssen auf- Allen Anträgen gemeinsam ist die Absicht, dafür zu sor- passen, wie sich das entwickelt. Ich bin nicht der Auffas- gen, dass das so bleibt. sung, Herr Kollege Birkwald, wie Sie das ausgeführt haben, dass die Hungerpeitsche zu Niedriglöhnen treibt. Absehbar ist doch – das ist doch Ihnen allen be- 10 Euro Mindestlohn sind nicht das probate Mittel, eine kannt –, dass es eine massive Zunahme von Altersarmut existenzsichernde Rente zu bekommen. vor dem Hintergrund des Istzustandes geben wird, also Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4487

Anton Schaaf (A) nicht vor dem Hintergrund dessen, was irgendwann in Kollege Birkwald, ich weiß ja, dass einige Ihrer Frak- (C) Zukunft passieren wird, sondern vor dem Hintergrund tionskollegen sich im Wesentlichen in Abgrenzung zur des Istzustandes. Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre SPD verstehen. Das ist auch in Ordnung. Wo Kritik be- Beschäftigung tragen zum Beispiel dazu bei – um sie rechtigt ist, nehme ich die auch hin. Sicherlich ist ein geht es in den Diskussionen ja im Wesentlichen –, dass Teil der Gesetze, die wir gemacht haben, mitverantwort- Menschen in Zukunft im Alter arm sein werden. Sie ant- lich dafür, dass der Niedriglohnbereich gewachsen ist. worten, bisher zumindest, in keiner Weise darauf, wie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Okay!) Sie damit umgehen wollen. Man muss sich aber genau anschauen, warum. Nehmen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: wir einmal das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Im Ge- Richtig!) setz steht: gleiches Geld für gleiche Arbeit vom ersten Da macht sich dann die Opposition in diesem Hause Tag an. Dann haben wir im guten Glauben und in Ab- trotz aller Differenzen, die es hier gibt, Gedanken da- sprache mit den Gewerkschaften eine tarifliche Öff- rüber, wie man die Situation, die da absehbar ist, für die nungsklausel in das Gesetz aufgenommen. Die hat uns in Betroffenen zumindest ein Stück weit verhindern kann. diesem Bereich das Genick gebrochen. Das gebe ich ja Darum geht es bei dieser Geschichte. zu. Das hat aber niemand von den Akteuren, die damals daran beteiligt waren, in irgendeiner Form gewollt. Der Verweis darauf, es gebe eine Kommission und man rede da miteinander, irgendwann werde schon et- In Kombination mit den Zumutbarkeitskriterien im was kommen – – SGB II wurde das natürlich zu einem echten Problem. Im Gesetzentwurf der damaligen rot-grünen Regierung (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, wir haben stand allerdings drin: Zumutbar ist Arbeit, die tariflich Anträge in der letzten Legislaturperiode einge- oder ortsüblich entlohnt wird. Erst die unionsgeführten bracht!) Länder im Bundesrat haben aus „tariflich oder ortsüb- – Ja, ja, das habe ich Ihnen, Herr Kolb, ja bei der Debatte lich“ „sittenwidrig“ gemacht. Sonst hätten wir damals über die Angleichung von Ost- und Westrenten, die ges- die Arbeitsmarktreform gar nicht umsetzen können. tern stattgefunden hat, schon gesagt, wie es sich verhält: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie sagen, wir müssen in diesem Jahr loslegen, Ihre Mi- DIE GRÜNEN) nisterin aber sagt, in diesem Jahr machen wir gar nichts, weil wir mit dem SGB II so viel zu tun haben. In dieser Kombination ist der Niedriglohnbereich zum Problem geworden. Das müssen wir konstatieren. Ich befürchte, Sie werden in dieser Legislaturperiode (B) bei der Frage der Vermeidung von Altersarmut auch Jetzt stehen wir hier und bieten Lösungen an, damit (D) nichts zustande bringen, zumal, Peter Weiß, die Unter- die Menschen, die sich in solch prekären Beschäfti- schiede in der Koalition ja offensichtlich sind: Die einen gungsverhältnissen befinden, nicht im Alter arm sind. setzen auf gnadenlose Privatisierung und Individualisie- Das kann man uns nicht zum Vorwurf machen. Vielmehr rung der Risiken. Das macht die Union dagegen in wei- könnte man uns zugestehen, dass wir aus den Folgen ten Teilen nicht – Gott sei Dank. dessen, was da passiert ist, gelernt haben und daraus die Konsequenzen ziehen. Sich immer in Abgrenzung zu (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir können die verstehen, ist ein ziemlich einfacher Politikstil. Das Riester-Rente nicht einführen, sie ist schon wollte ich Ihnen einmal gesagt haben. da!) Die Frage nach einem schlechten Gewissen, Herr Es besteht aber eine unvorstellbar große Differenz Kolb, stellt sich mir an dieser Stelle gar nicht. Vielmehr zwischen den beiden Koalitionsfraktionen in der Frage, stelle ich fest, dass der derzeitige Zustand dazu führen wie es zukünftig mit der Alterssicherung weitergehen wird, dass viele der Soloselbstständigen von Altersarmut soll. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man hier zu betroffen sein werden, wenn wir nicht damit umgehen. schlüssigen Konzepten kommen wird. Ich befürchte eher, das werden wieder Wischiwaschikonzepte. Ich Ich stelle fest, dass es im Osten der Republik Löhne habe nämlich schon erkannt, worauf das hinauslaufen gibt, die bestimmt kein vernünftiges Rentenniveau ga- kann. Peter Weiß stellt sich hier hin und sagt: Wer le- rantieren werden, wenn wir damit nicht in irgendeiner benslang Vollzeit gearbeitet hat, muss ein Alterseinkom- Form umgehen. men erhalten, das zumindest oberhalb der Grundsiche- Ich stelle auch fest, dass wir immer noch 3,5 Millio- rung liegt. – Wer ein Leben lang, 40, 45, 50 Jahre lang, nen Arbeitslose haben, die auch von Altersarmut betrof- gearbeitet hat, dessen Renteneinkommen sollte nicht fen sein werden, wenn wir nicht damit umgehen. knapp oberhalb der Grundsicherung liegen. Vielmehr sollte er ein vernünftiges Auskommen, und zwar nur All das stelle ich schlichtweg fest. Vor diesem Hinter- über die Rente, haben. Darum geht es, grund machen wir Vorschläge. Da brauche ich gar kein schlechtes Gewissen zu haben. Vielmehr führt uns die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Betrachtung des Istzustandes zu der Forderung, jetzt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) endlich zu handeln. und damit zusammen hängen die Fragen nach dem Leis- Vor dem Hintergrund eines höheren Renteneintrittsal- tungsniveau. ters – das ist uns völlig klar – müssen wir uns noch ein- 4488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

Anton Schaaf (A) mal genau anschauen, ob wir die Regelungen zur Er- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf. (C) werbsminderungsrente – das wird in unserem Antrag ja Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/ nur angedeutet – so lassen können, wie sie sind. Im euro- CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- päischen Vergleich stellen wir fest, dass die Möglichkeit NEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge- des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente in Deutsch- setzes zur Änderung des Weingesetzes land ein Flaschenhals ist. In allen anderen Ländern ist der Zugang zur Erwerbsminderungsrente besser und ein- – Drucksache 17/1749 – facher. Das müssen wir schlichtweg konstatieren. Damit Überweisungsvorschlag: muss man umgehen. Ich bin vorsichtig, ob man alles Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und gleichzeitig regeln sollte: die Abschlagsregelung in Verbraucherschutz Höhe von maximal 10,8 Prozent, wenn man früher als Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu mit 63 Jahren in Rente geht, die Zurechnungszeiten und diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. die Zugangsmöglichkeiten. Bezüglich der Erwerbsmin- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Es han- derungsrente ist es so, dass das Zugangsalter bei durch- delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: Gustav schnittlich deutlich unter 50 Jahren liegt. Da zieht die Herzog für die SPD, Dr. Erik Schweickert für die FDP, Zurechnungszeit bis 60 Jahre, die wir genau dafür einge- Alexander Süßmair für die Linke, Ulrike Höfken für führt haben, dass die Menschen im Alter ein brauchbares Bündnis 90/Die Grünen und die Parlamentarische Auskommen haben. Dass das im Einzelfall nicht immer Staatssekretärin Julia Klöckner für die Bundesregie- passt, ist völlig klar. Deshalb müssen wir darüber reden, rung.1) wie wir die Erwerbsminderungsrente vor dem Hinter- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- grund des höheren Renteneintrittalters stabiler, besser wurfs auf Drucksache 17/1749 an die in der Tagesord- und verträglicher für die Menschen machen. Deswegen nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie steht es auch in unserem Antrag. damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Gespannt sind wir darauf – dazu gibt es ja auch eine Überweisung so beschlossen. Kleine Anfrage –, wie es mit der Überprüfungsklausel Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf. bezüglich der Rente mit 67 aussehen wird. Welche Krite- rien legt die Bundesregierung an? a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn), (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- haben wir schon einmal gefragt!) NIS 90/DIE GRÜNEN (B) – Ja, darauf sind wir sehr gespannt. – Man muss den Ist- Gute Lehre an allen Hochschulen garan- (D) zustand konstatieren. Wir haben eine massive Wirt- tieren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt schafts- und Finanzkrise, die Auswirkungen auf den Ar- verankern und einen Wettbewerb für heraus- beitsmarkt hat. Hier haben wir gemeinsam verhindert, ragende Lehre auflegen dass da alles wegbricht. Aber die Langzeitfolgen sind – Drucksache 17/1588 – noch nicht absehbar. Deswegen müssen wir uns das noch Überweisungsvorschlag: einmal genau anschauen, wie sich die arbeitsmarkt- und Ausschuss für Bildung, Forschung und sozialpolitische Situation der Älteren, insbesondere der Technikfolgenabschätzung (f) Älteren mit Handicap, mit Erwerbsminderungshinter- Ausschuss für Arbeit und Soziales grund oder Ähnlichem, darstellt. Vor diesem Hinter- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend grund müssen wir dann entscheiden, wie wir mit der Haushaltsausschuss Rente mit 67 umgehen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, weiterer Ich freue mich auf die Ausschussberatungen zu den Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anträgen und warte gespannt auf die Vorschläge der Re- gierung. Ich wünsche Ihnen ein schönes Pfingstwochen- Qualitätsoffensive für die Lehre starten – Ein- ende, ganz besonders Ihnen, Herr Kolb. Wenn man vor heit von Forschung und Lehre sichern dem Hintergrund dessen, was man real tut, bezüglich der – Drucksache 17/1737 – politischen Stimmung bei 3 Prozent liegt, dann hat man Überweisungsvorschlag: allen Grund, am Wochenende einmal über sich selbst Ausschuss für Bildung, Forschung und nachzudenken. Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Petra Pau: Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1747, geben. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es han- 17/1116 und 17/1735 an die in der Tagesordnung aufge- delt sich um folgende Kolleginnen und Kollegen: führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Monika Grütters und Tankred Schipanski für die verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei- sungen so beschlossen. 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4489

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Unionsfraktion, Swen Schulz für die SPD, Dr. Martin Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- (C) Neumann für die FDP, Nicole Gohlke für die Fraktion ordnung. Die Linke und Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.1) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 9. Juni 2010, 13 Uhr, ein. Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 17/1588 und 17/1737 an Ich wünsche Ihnen erholsame Feiertage und allen, die die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu es nötig haben, gute Genesung. überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der (Heiterkeit und Beifall – Petra Ernstberger Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. [SPD]: Danke, gleichfalls!) Die Sitzung ist geschlossen.

1) Anlage 7 (Schluss: 15.24 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4491

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 21.05.2010 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ 21.05.2010 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Binder, Karin DIE LINKE 21.05.2010 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 21.05.2010

Binding (Heidelberg), SPD 21.05.2010 Lothar Anlage 2 Bollmann, Gerd SPD 21.05.2010 Erklärungen nach § 31 GO Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 21.05.2010 zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Buchholz, Christine DIE LINKE 21.05.2010 wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- währleistungen im Rahmen eines europäischen Gloser, Günter SPD 21.05.2010 Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- nungspunkt 13) Goldmann, Hans- FDP 21.05.2010 Michael Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem vor- Groschek, Michael SPD 21.05.2010 liegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Dem Grie- chenland-Paket habe ich nur zugestimmt, weil die Zeit Höger, Inge DIE LINKE 21.05.2010 für die Erarbeitung einer in den EU-Verträgen fehlenden (B) Rechtsgrundlage für ein geordnetes Restrukturierungs- (D) Hönlinger, Ingrid BÜNDNIS 90/ 21.05.2010 verfahren für Griechenland gefehlt hat. So wurde zumin- DIE GRÜNEN dest argumentiert. Nun muss ich aber sehen, dass für die Erarbeitung einer viel weitreichenderen Rechtsgrund- Humme, Christel SPD 21.05.2010 lage offenbar zehn Tage vollkommen ausreichend wa- ren. Ich fühle mich dadurch im Nachhinein gewisserma- Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ 21.05.2010 ßen getäuscht. DIE GRÜNEN Man beachte, dass allein der Finanz- und Garantie- Nietan, Dietmar SPD 21.05.2010 umfang des Griechenland-Pakets für Deutschland bei 22 Milliarden Euro zuzüglich Zinsrisiken liegt, der des Petermann, Jens DIE LINKE 21.05.2010 Gewährleistungsgesetzes bei 147 Milliarden Euro ein- schließlich einer zusätzlichen Garantieermächtigung. Pflug, Johannes SPD 21.05.2010 Der Zeitfaktor gilt auch noch für einen anderen Fakt, al- lerdings in ganz anderer Hinsicht. Die Konstruktion der Reichenbach, Gerold SPD 21.05.2010 noch zu gründenden milliardenschweren Zweckgemein- schaft – 440 Milliarden Euro – liegt nur in groben Zügen Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 21.05.2010 vor. Die vertraglichen Grundlagen sind nicht hinrei- chend bestimmt, sodass es für Parlamentarier schwierig Roth, Michael SPD 21.05.2010 ist, verantwortlich zu entscheiden. Den acht in der Ab- stimmungserklärung der Abgeordneten Klaus-Peter Schmidt (Eisleben), SPD 21.05.2010 Willsch und Manfred Kolbe genannten Punkten stimme Silvia ich vollinhaltlich zu. Dr. Schwanholz, Martin SPD 21.05.2010 Alles in allem hoffe ich dennoch, dass trotz aller Be- schwernisse meinerseits meine Vermutungen im Hin- Schwanitz, Rolf SPD 21.05.2010 blick auf die Entwicklung der EU nicht eintreffen mö- gen, nach denen es eine EU mit Stabilitäts- und Steinbach, Erika CDU/CSU 21.05.2010 Wachstumskriterien und einer Leitwährung deutscher Prägung im Sinne eines Staatenbundes nicht mehr geben Weinberg, Harald DIE LINKE 21.05.2010 wird, stattdessen der Weg in einen europäischen Bundes- staat als Transferunion auf Grundlage einer Durch- 4492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) schnittswahrung durch das Gewährleistungsgesetz vor- Die Teilnahme des IWF im vorliegenden Maßnahme- (C) programmiert ist. paket ist im Unterschied zum Griechenland-Paket keine Bedingung. Der IWF stellt lediglich Zahlungsunfähig- Rechtliche Bedenken: Das vorgesehene Hilfssystem keit fest und muss das Sparprogramm billigen. Damit verstößt gegen geltendes EU-Recht. Das gilt sowohl für fehlen ein notwendiges Korrektiv und ein Mitfinanzie- die Finanzierung durch EU-Anleihen als auch für die rer. Abgabe von bilateralen Garantien durch Mitgliedstaaten. Es ist auch kein singuläres Ereignis im Sinne des Die beabsichtigte Zweckgesellschaft ist mit einem eu- Art. 122 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der Eu- ropäischen Währungsfonds vergleichbar. Im Übrigen ropäischen Union –, da die Lage hilfebedürftiger Mit- teile ich nicht die Hoffnung, dass deren Existenz ledig- gliedstaaten zu großen Teilen von ihnen selbst ver- lich drei Jahre plus vielleicht noch einmal soviel für die ursacht wurde Diese liegt in der Situation der Abwicklung betragen wird. Europäische Realitäten ha- Staatshaushalte begründet. Das Budgetrecht obliegt den ben uns gezeigt, dass sich einmal eingerichtete Instituti- jeweiligen Parlamenten. Ferner hat gemäß Stabilitäts- onen selten an Befristungen halten. Für problematisch pakt die EU ebenfalls eine Überwachungsfunktion. Inso- erachte ich, dass die EU-Kommission die Möglichkeit fern ist die Bestimmung des Art. 122, dass die Union erhalt, im eigenen Namen Kredite aufzunehmen. Beistand gewähren kann, wenn einem „Mitgliedsstaat Ich bleibe bei meiner Überzeugung, die ich bereits im aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnli- Zuge der Verabschiedung des Griechenland-Pakets ge- chen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen ...“, äußert habe, dass die Banken viel zu wenig am Rettungs- nicht anwendbar. Auf ein singuläres Ereignis, das sich paket beteiligt wurden. Es bleibt abzuwarten, welchen der eigenen Kontrolle entzieht, kann man sich nicht be- Grad der Verbindlichkeit deren angebotene freiwillige rufen, wenn auf Staatspapiere, die man aus einem Ge- Hilfen erreichen. Die unisono erfolgte Befürwortung der winnmotiv heraus gekauft hat, Abschreibungsverluste Banken zum Rettungspaket ist ein deutliches Zeichen drohen. Die Unabhängigkeit der EZB wird infrage ge- dafür, dass das Gewährleistungsgesetz eigentlich ein stellt, da sie sich an dem Beistand im Rahmen des Hilfs- Bankenpaket ist, das bei Androhung der Systemrelevanz systems beteiligt. Der Erwerb von Staatsanleihen am of- die Gewähr bietet, auch weiterhin Gewinne privatisieren fenen Markt ist ein direkter Verstoß gegen Art. 123 und Verluste sozialisieren zu können. AEUV. Hinter der auffälligen Überaktivität einiger EU-Mit- Die in Art. 125 – Haftungsausschlüsse – Abs. 2 dem gliedstaaten, insbesondere Frankreichs, das schon im Rat zugeteilte Ermächtigung in Art. 123 – Verbot von Falle Griechenlands eine Restrukturierung unbedingt Kreditfaszilitäten für öffentliche Einrichtungen – verhindern wollte, steht offenbar das Interesse, die Kapi- (B) Art. 124 – Verbot zu berechtigtem Zugang von Finanzin- talanleger vor Schuldenmoratorien und nachrangiger (D) stituten für öffentliche Einrichtungen – und Art. 125 be- Positionierung ihrer Ansprüche hinter denen des IWF inhaltet lediglich, die Definition der Anwendung vor- und damit vor Neubewertung der Risiken zu schützen. gesehener Verbote näher zu bestimmen. Sie erlaubt nicht Das hätte zu Schwierigkeiten der französischen Banken die gänzliche Aufhebung dieser Verbote. Durch das Ge- geführt. Deutsche Banken hätten unter das Dach der währleistungsgesetz wird aber ein echtes Gemein- SoFFin schlüpfen müssen. Das hätte zwar Kapitalhilfe, schaftsinstrument geschaffen. Das heißt, die in vorge- aber auch staatlichen Einfluss und Kontrolle bedeutet, nannten Artikeln verankerten Verbote werden was keines dieser Kreditinstitute will. aufgehoben. Das halte ich für rechtswidrig. Wenn ein angemessener Forderungsverzicht der Grundsätzliche Bedenken: Ich stimme der Aussage Gläubiger realisiert wird, bevor internationale Hilfe ein- des Bundesbankpräsidenten Axel Weber ausdrücklich setzt, können sogar die Märkte als Instrument zum Errei- zu, wenn er sagt, dass die Beschlüsse die Fundamente chen von Schuldendisziplin wirken. Leider hat der IWF der Wahrungsunion in ganz erheblicher Weise strapazie- einen solchen, für ihn sonst üblichen Forderungsver- ren. Die Vorstellung, die prekäre finanzielle Situation zicht, weder im Falle von Griechenland noch für den einzelner Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe könnte mit EU-Gewährleistungsmechanismus gefordert. Auch des- Milliardengarantien und Krediten abgewendet und da- halb wird das vorliegende Gesetz nicht zur notwendigen durch der Euro gestärkt werden, halte ich für illusorisch. Schuldendisziplin in den Ländern führen. Auch das riesige Hilfspaket saniert deren Staatsfinanzen nicht; es schwächt vielmehr. Selbst die kurzfristige Ab- Durch den Wegfall von Wechselkursmechanismen bei schwächung der Spekulations- und Nervositätsdynamik Einführung der einheitlichen Währung für den Euro- an den Finanzmärkten kann nicht darüber hinwegtäu- Raum, gibt es nur noch wenige Instrumente, auf Wettbe- schen, dass durch eine derartige Ad-hoc-Politik langfris- werbsfähigkeit, Bonität, Schuldendisziplin der Mitglied- tig mehr Vertrauen zerstört wird und keine echte Stabili- staaten zu reagieren. Wenn die Preisstabilität erhalten sierung erzielt werden kann. bleiben soll, so bleibt da nur noch die unterschiedliche Zinsbewertung. Zinssteigerung infolge unsolider Haus- Der Euro droht von einer Leitwährung zu einer haltpolitik kann sehr disziplinierend wirken. Durch das Durchschnitts- bzw. Weichwährung zu werden, die Sta- Gewährleistungsgesetz wird auch dieser Bewertungsme- bilitätsgemeinschaft der Euro-Zone zu einer Schulden-, chanismus ausgehebelt, praktisch Zinskonvergenz her- Haftungs- und Transfergemeinschaft zu verkommen. gestellt. Deutschland, das die Hauptlast der Gewährleis- Das ist ein weiterer Grund, dass sich an den Märkten tung zu tragen hat, hilft seinen Konkurrenten am kaum Vertrauen herstellen lassen wird. Kapitalmarkt, sich wieder billiger zu verschulden. Das Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4493

(A) ist meines Erachtens falsch verstandene Solidarität. Die Alexander Funk (CDU/CSU): Hiermit teile ich mit, (C) europäische Schuldenblase wird weiter aufgeblasen. Das dass ich mich dem Mehrheitsvotum der Regierungsko- beflügelt Abwertungserwartungen für den Euro. Die Sta- alition zum Stabilisierungsgesetz bei der Abstimmung bilisierung des Euro-Kurses ist nicht zu erwarten, was im Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010 nicht an- schon dessen nur kurzer Aufwärtstrend nach Ankündi- schließen werde. Ich habe diese Entscheidung nach reif- gung des Rettungspaketes an den Börsen deutlich lichem Überlegen, intensiver Prüfung aller mir zugängli- machte. Was ohne das Gewährleistungsgesetz nur zur chen Informationen und in der Konsequenz meiner Abwertung der Staatsschuldentitel einzelner Euro-Län- massiven Bedenken gegen den eingeschlagenen finanz- der geführt hätte, kann nun zur Abwertung der ganzen und europapolitischen Weg getroffen. Währung führen. Das wiederum bedeutet einen allge- Bereits anlässlich der Abstimmung über das Gesetz meinen Anstieg des Zinsniveaus auch für Deutschland zum Erhalt der Währungsunion vom 7. Mai 2010 habe sowie ein erhöhtes Inflationsrisiko. Damit wird das Ge- ich meine Befürchtung kundgetan, dass mit der Über- währleistungsgesetz auch noch zur Wachstumsbremse nahme von Kreditbürgschaften für Griechenland nicht für Deutschland. nur formalrechtlich, sondern auch inhaltlich gegen zen- Sonstige Bewertungen: Anzuerkennen ist, dass sich trale Regularien der einschlägigen europäischen Gesetze die Bundesregierung bemüht, dem Gewährleistungspa- verstoßen und der Weg zu einer mit unkalkulierbaren Ri- ket eine grundlegende Reform des Stabilitäts- und siken verbundenen Uminterpretation der Europäischen Wachstumspaktes an die Seite zu stellen. Diese Reform Union zu einer Transferunion eröffnet wird. einstimmig in der Union von 27 Staaten, bei denen ei- Bedauerlicherweise muss ich feststellen, dass sich, nige die Vertragsänderungen per Referendum ratifizieren wenige Tage nach der Beschlussfassung des Deutschen lassen müssen, und in einem wegen der Dringlichkeit Bundestages in Sachen Griechenland, meine Befürch- der Haushaltkonsolidierung und der daraus resultieren- tungen und Bedenken in jeglicher Form bestätigt haben. den Finanzausstattung nahen Zeithorizont umzusetzen, Die besonders betonte Singularität der Hilfsmaßnahmen halte ich allerdings für illusorisch. für Griechenland wird durch die beabsichtigte, exorbi- Anzuerkennen ist ferner, dass endlich notwendige tante Garantiesumme von mindestens 123 Milliarden Maßnahmen der Finanzmarktregulierung in Angriff Euro zum Dauerrisiko für den Haushalt der Bundesrepu- genommen wurden, wobei ich hoffe, dass die jetzige Dy- blik. namik in diesem Prozess anhält und nicht nur dem Der vorgelegte Gesetzesentwurf sieht einen potenziel- Leidensdruck, die notwendige Zustimmung zum vorlie- len Beistand der Union für Mitgliedstaaten vor, die genden Gesetz zu bekommen, geschuldet ist. Die Unter- „durch außergewöhnliche Ereignisse, die sich ihrer Kon- (B) stützung für die Finanztransaktionsteuer ist mir aber ein- trolle entziehen, von gravierenden Schwierigkeiten (D) deutig zu halbherzig. Außerdem fehlt mir die unbedingt ernstlich bedroht sind.“ Unter dieser Maßgabe werden in erforderliche Trennung des klassischen Bankgeschäftes unüberschaubarer Größenordnung finanzpolitische Miss- vom risikoreichen Investmentbanking und dessen Unter- wirtschaft, Haushaltsdefizite sowie das Unterlaufen des legung mit Eigenkapital. Stabilitätspaktes zu einer höheren Gewalt, die sich dem Einfluss der Staaten entzöge, uminterpretiert und nach- Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Dem von den träglich legitimiert. Eine tatsächliche ökonomische Ge- Koalitionsfraktionen vorgelegten und heute nach 2. und fährdung des Euro kann meines Erachtens gewiss nicht 3. Lesung zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf zur durch die potenziellen Abschreibungsverluste der Inha- Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines ber von Staatsanleihen begründet und zu einem „außer- europäischen Stabilisierungsmechanismus werde ich gewöhnlichen Ereignis“ stilisiert werden, das die Kap- meine Zustimmung erteilen. Ich stelle für diese Zustim- pung der No-bail-out-Klausel unerlässlich mache. mung folgende Bedenken zurück: Ich hege erhebliche Zweifel an der vorgebrachten Erstens. Ich hege Zweifel, ob einerseits die bisher aus Einschätzung, dass durch die implementierten Kontroll- guten Gründen völlig unabhängige Rolle der Europäi- mechanismen ein nachhaltiger Konsolidierungserfolg schen Zentralbank, EZB,) angesichts ihrer Absicht, beim der etwaig betroffenen Länder erreicht werden kann, Ankauf von Staatsanleihen aktiv zu werden, nicht min- ebenso bezweifele ich die Dauerhaftigkeit der intendier- destens temporär beeinträchtigt wird, und andererseits ten marktberuhigenden Effekte des Stabilisierungsgeset- diese Praxis ohne Auswirkung auf die Geldwertstabilität zes. Im Gegenteil sind meines Erachtens ein weiterer in der Euro-Zone bleibt. Kursverfall des Euros, eine stetig steigende Inflationsge- fahr sowie mittelfristig zu erwartende Zinserhöhungen Zweitens. Die von der Europäischen Union, EU, be- direkte wirtschaftliche Effekte der jetzigen Maßnahmen reitgestellten 60 Milliarden Euro dürfen weder als Ein- und insbesondere die Degradierung der Europäischen fallstor für eine zusätzliche Steuerfinanzierung für die Zentralbank zu einem Instrumentarium tagespolitischen EU begriffen werden, noch darf dies als Einstieg in eine Opportunismus'. Kreditfinanzierung der EU führen. Ich bedauere ausdrücklich, dass die vielfältigen und Drittens. Angesichts der Höhe der bereitzustellenden wissenschaftlich renommierten Kritiker dieses einge- Bürgschaften wäre nicht nur ein Mitwirkungsrecht, son- schlagenen Weges bisher keine Gelegenheit erhalten ha- dern ein Zustimmungsvorbehalt des Haushaltsausschus- ben, mit uns über Alternativstrategien fachlich fundiert ses des Deutschen Bundestages angezeigt. zu beraten. Andere und gangbare Wege der Krisenbe- 4494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) wältigung sind indes in den Wirtschaftsteilen der seriö- stärkt, dass eine Umsetzung der Finanztransaktionsteuer (C) sen Tages- und Fachpresse für jeden Bürger nachlesbar in der Euro-Zone möglich ist. und meines Erachtens mindestens bedenkenswert und diskussionsfähig. Auch aus diesem Grunde hege ich Die Bankenkrise des Jahres 2008 wurde mit den Steu- massive Zweifel an der immer wieder monierten Alter- ermitteln aller Bürger eingegrenzt. Ohne die damit ver- nativlosigkeit des Programmes und warne mit Nach- bundene Kreditaufnahme hätte Deutschland im Jahr druck vor den Konsequenzen dieser Ausblendung von 2010 einen Haushalt ohne Neuverschuldung erreicht. Exit-Strategien. Nach dem Löschen des spekulativen Flächenbrands im Bankensektor wurde international zu wenig für die Be- Mitunter wird der berechtigten Kritik an der Außer- kämpfung der Ursachen getan. Eine erneute Belastung kraftsetzung aller finanzpolitischen Grundüberzeugun- der Steuerzahler ohne Einbeziehung des Finanzsektors gen unserer CDU und insbesondere der Väter der Wäh- kann ich nicht mittragen. Dem Entschließungsantrag mit rungsunion inzwischen unterstellt, einen aktiven Beitrag der Drucksachennummer 17/1809 zur Einführung einer an der zu erwartenden ausbleibenden Marktberuhigung Finanztransaktionsteuer stimme ich zu. zu leisten. Ich verwehre mich in aller Schärfe gegen diese Argumentationsführung. Das berechtigte und von den Bürgerinnen und Bürgern auch erwartete Ringen um Dr. Lutz Knopek (FDP): Bevor wir heute über einen den besten Weg in einer für uns alle entscheidenden Gesetzentwurf mit so weitreichenden Folgen entschei- Situation gehört zur guten Tradition der christlichen den, mache ich von meinem Recht Gebrauch, mein Ab- Unionsparteien. Unsere Partei war immer der Garant für stimmungsverhalten zu begründen. fiskal- und finanzpolitische Vernunft und Seriosität und Ungleiche wirtschaftliche Entwicklungen in unter- nicht zuletzt deshalb der entscheidende bundespolitische schiedlichen Staaten erfordern eine Anpassung des re- Akteur der Europäischen Integration. alen Wechselkurses. In einem gemeinsamen Währungs- Ich versichere Ihnen, dass ich mich nach Kräften für raum sind die Handlungsspielräume einzelner Staaten, die Menschen in unserem Land und für eine starke und kurzfristig auf länderspezifische Entwicklungen zu re- erfolgreiche Arbeit unserer CDU einsetzen werde. agieren, jedoch beschränkt, da der nominale Wechsel- kurs als Anpassungsinstrument nicht mehr zur Verfügung Überdies schließe ich mich der vorgelegten Erklärung steht. Verschiedene Sprachen und kulturelle Unter- meiner Fraktionskollegen Klaus-Peter Willsch und schiede schränken die Faktormobilität ein, sodass ein Manfred Kolbe ausdrücklich an. Ausgleich über eine Zu- oder Abwanderung von Kapital und Arbeitskräften nur eingeschränkt infrage kommt. (B) Dem vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung Die anhaltenden Proteste in Griechenland zeigen, dass (D) kann ich daher am 21. Mai 2010 nicht zustimmen. die Faktorpreisflexibilität ebenfalls erheblich einge- schränkt ist. Keine demokratisch gewählte Regierung Josef Göppel (CDU/CSU): Eine dauerhafte Siche- wird in kurzer Zeit die zur Herstellung der Wettbewerbs- rung unserer gemeinsamen Währung Euro kann nur ge- fähigkeit erforderlichen drastischen Lohnsenkungen lingen, wenn Haushaltskonsolidierung der Euro-Staaten durchsetzen können. Als letztes Mittel – wird der Weg in und Regulierung der Finanzmärkte gemeinsam angegan- die geordnete Insolvenz ausgeschlossen – verbleibt da- gen werden. Dabei müssen die Finanzmärkte an den her nur noch die Möglichkeit, eine reale Ungleichge- Kosten der Bankenkrise und der Sanierung der Staats- wichtssituation im Rahmen umfassender interstaatlicher haushalte angemessen beteiligt werden. Mit dem Gesetz Transfers abzubauen. Ein solches Finanzausgleichssys- zum europäischen Stabilisierungsmechanismus über- tem in einer Währungsunion politisch selbstständiger nimmt Deutschland konkrete finanzielle Verpflichtun- Staaten gefährdet aufgrund fehlender Anreize zur finan- gen, doch die Beteiligung der Finanzmärkte bleibt weiter ziellen Solidität nicht nur die Anpassungsfunktion über unbestimmt. die Märkte, es macht auch eine glaubhafte Gelddisziplin schwierig. Bereits 1990 hat die Europäische Kommis- Nur eine Finanztransaktionsteuer bringt einen nen- sion in ihrem vorbereitenden Bericht zur Europäischen nenswerten Ertrag und dämmt gleichzeitig kurzfristige Währungsunion mit dem Titel „One Market, One Mo- Spekulation ohne Bezug zur Realwirtschaft wirkungs- ney“ dazu Folgendes festgestellt: voll ein. Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die sich in ihrem Geschäftsmodell auf die Finanzierung von Die Schaffung der Währungsunion setzt die lang- Unternehmensinvestitionen konzentrieren, haben in der fristige Vereinbarkeit zwischen der gemeinsamen Bundestagsanhörung vom 17. Mai 2010 der Finanztrans- Geldpolitik und der Haushaltspolitik in den einzel- aktionsteuer den Vorzug vor Bankenabgabe und Finanz- nen Mitgliedstaaten voraus. Untragbare Haushalts- aktivitätsteuer gegeben. Investmentbanken und Hedge- situationen in einem Mitgliedstaat würden die mo- fonds würden hingegen aufgrund des schnellen Umschlags netäre Stabilität in der Gemeinschaft insgesamt ihres Vermögens durch eine Finanztransaktionsteuer in ernsthaft bedrohen. Durch hohe und wachsende ihren krisenverstärkenden Aktivitäten gebremst. Die seit Schuldenquoten würde Druck auf die Gemeinschaft 1986 existierende britische Börsenumsatzsteuer beweist, ausgeübt, finanzielle Hilfestellung zu leisten. Da dass bei geringen Steuersätzen auf Transaktionen keine Geld- und Haushaltspolitik langfristig interdepen- Schwächung des Finanzplatzes eintritt. Durch die Anhö- dent sind, führt dies letztlich zu einer Inflationsfi- rung des Finanzausschusses sehe ich mich darin be- nanzierung der Staatsschuld. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4495

(A) Mit der heutigen Entscheidung tritt Deutschland da- meinsamen Bemühungen für unabsehbar und daher un- (C) her den unweigerlichen Weg in eine europäische Trans- vertretbar halte. ferunion an. Damit übernimmt Deutschland de facto die Gewährleistung der Schulden derjenigen europäischen Für meine Zustimmung sind die gesetzliche Bindung Staaten, die über einen langen Zeitraum unsolide gewirt- der Finanzierungsmaßnahmen an ein zwischen dem be- schaftet haben. Verantwortungslosigkeit wird somit be- troffenen Mitgliedstaat mit dem Internationalen Wäh- lohnt. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, rungsfonds, der Europäischen Kommission und der Eu- erstmals Staatsanleihen aufzukaufen – wenn auch zu- ropäischen Zentralbank vereinbartes und von allen nächst einmal geldmengenneutral – lässt an der Unab- Staaten des Euro-Raumes gebilligtes wirtschafts- und fi- hängigkeit der EZB erhebliche Zweifel aufkommen. nanzpolitisches Programm sowie die nun endlich ein- Langfristig wird mit der heutigen Entscheidung die geleiteten Regulierungen spekulativer Finanzgeschäfte Geldwertstabilität des Euro wesentlich gefährdet. wesentlich. Dagegen bedaure ich, dass das Gesetz keine Regelungen für die zu gründende Zweckgesellschaft zur Diese Entscheidung kann ich daher nicht mittragen. Gewährung von Krediten enthält, sondern der Deutsche Ich stimme gegen diesen Gesetzentwurf. Bundestag sich mit der Vorlage der für diese Zweck- gesellschaft noch in Vorbereitung befindlichen Vertrags- Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die zahlreiche gestaltung begnügt, die nach meiner Überzeugung seiner Kritik an dem Gesetz muss von der Bundesregierung in Zustimmung unbedingt bedurft hätte. erheblichem Maße ernst genommen werden. Auch ich kann zahlreiche Details des Gesetzes nicht nachvollzie- Paul Lehrieder (CDU/CSU): Bei der Abstimmung hen oder bin bei Einzelfragen dagegen. in der Fraktion am 20. Mai 2010 hatte ich dem Gesetzes- vorhaben meine Zustimmung verweigert. In der Hauptsache lehne ich die Finanzmarkttrans- aktionsteuer ab. Sie kann nur global eingefühlt wirken, Nach Überprüfung aller Beweggründe für und wider ansonsten bleibt sie wirkungslos. Zumal lehne ich es ab, das Gesetzesvorhaben in materieller und formeller Hin- dass vor allem Kleinsparer belastet werden. sicht habe ich nunmehr trotz fortbestehender Bedenken am Freitag, den 21. Mai 2010, dem Gesetz zur Über- Fragen bleiben bestehen: Was passiert, wenn Defizit- nahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäi- staaten gegen Auflagen verstoßen? Was folgt, wenn der schen Stabilisierungsmechanismus meine Zustimmung IWF abzieht? Die genaue Garantie dazu bleibt fraglich. erteilt. Der Eindruck bleibt, dass Schulden mit Schulden be- kämpft werden. Immer mehr Bürger dieses Landes fragen sich, ob es (B) denn richtig sei, quasi in jeder Sitzungswoche neue mil- (D) Trotz dieser bestehenden Einzelfragen und nicht liardenschwerer Rettungspakete – Rettung der Länder, nachvollziehbaren Details stimme ich diesem Gesetz zu. des Euro und der EU, der Banken – auf den Weg zu brin- Letztlich muss ich mich allerdings auf die Richtigkeit gen. Der Politik kommt gerade in Anbetracht dieser fi- der Maßnahme verlassen, die von Experten und der Bun- nanziellen Dimensionen eine besondere Verantwortung desregierung vorgeschlagen werden. zu, Zusammenhänge und Entscheidungsprozesse nach- Für mich ist dabei aber entscheidend: Mit dem heuti- vollziehbar und transparent zu gestalten. Deshalb muss gen Tag wird ausdrücklich nicht ein Vorgang abge- das Parlament genau wissen, worüber es abstimmt. schlossen. Nein! Aus meiner Sicht haben wir die Lösung Durch die Eilbedürftigkeit des Verfahrens hat die eines Problems nur verschoben und ein wenig Zeit ge- Bundesregierung den Bundestag nicht so umfassend be- wonnen. Die Uhr läuft zur Lösung des Problems rück- teiligt, wie es angesichts der Bedeutung des Gesetzes wärts. Deshalb muss der heutige Beschluss der Start notwendig gewesen wäre. Grundlegende Informationen einer intensiven europäischen Politik zur Rettung des über Organisationsstrukturen, Verfahren und Techniken Euro. Jetzt muss die Bundesregierung Führungsverant- des geplanten finanziellen Beistands für Mitgliedstaaten wortung übernehmen und insbesondere eine Politik des der Euro-Zone wurden den Volksvertretern nur unzurei- Schuldenabbaus und ordentlicher Haushalte in der Euro- chend und unter Zeitdruck zugeleitet. Die vertraglichen Zone und bei den Mitgliedstaaten einfordern. Grundlagen müssen aber klar sein – eine Blankovoll- Drastische Maßnahmen stehen an, für die der Bundes- macht darf keinesfalls erteilt werden. tag und die Bundesregierung bei der deutschen Bevölke- Im Vertrauen auf den Finanzminister und die Bundes- rung und die europäischen Mitgliedstaaten intensiv wer- regierung stimme ich dem Gesetzentwurf trotz der ge- ben müssen. Mit anderen Worten: Wenn die gewonnene nannten Bedenken zu. Grund ist der Ernst der Lage: Der Zeit nicht für drastische Reformen in der Euro-Zone ge- Vertrauensverlust der Finanzmärkte in die Solvenz von nutzt wird, ist der Euro in Gefahr. Euro-Ländern ist nicht auf Griechenland beschränkt ge- blieben. Erste Ansteckungseffekte auf andere Euro-Län- Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Dem Gesetz zur der waren zu verzeichnen. Wäre es zum Verlust des Ver- Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines trauens in die Zahlungsfähigkeit mehrerer Euro-Länder europäischen Stabilisierungsmechanismus stimme ich gekommen, hätte das den Anfang vom Ende der Wäh- zu, weil ich auch unter Berücksichtigung ernst zu neh- rungsunion bedeuten können, mit unverantwortbaren mender Zweifel an Art und Umfang der vorgesehenen volkswirtschaftlichen und sozialen Kosten für Deutsch- Maßnahmen die Risiken einer Verweigerung dieser ge- land und Europa. 4496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wer dem heute zu Bundesstaat, keine gemeinsame, französisch dominierte (C) beschließenden Gesetz nicht zustimmt, müsste in der Wirtschaftsregierung will, der tut in den nächsten Wo- Lage sein, die Alternativen zu skizzieren – Alternativen, chen und Monaten gut daran, unsere Regierung in diesen deren Konsequenzen überschaubar und beherrschbar Fragen eng zu begleiten. sein müssten. Ich gebe freimütig zu, dass ich mich dazu außerstande sehe. Deshalb werde ich dem Gesetz zu- Frank Schäffler (FDP): Wir entscheiden gleich über stimmen müssen. das sogenannte Euro-Stabilisierungsgesetz. Dieses Gesetz Allerdings will ich hier nochmals deutlich zu Proto- ist einmalig in der deutschen Geschichte. Diese Einma- koll geben, dass ich das grundsätzliche Vorgehen aus- ligkeit veranlasst mich, von meinem parlamentarischen drücklich nicht billige. Das Fehlen der Vertragsgrundla- Recht Gebrauch zu machen, mein Abstimmungsverhal- gen für die zu gründende Zweckgesellschaft ist zu ten vor dem Deutschen Bundestag zu begründen. bemängeln. Ich erwarte hier die Umsetzung der Verspre- Ich werde dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu- chen, insbesondere dass diese Einrichtung befristet be- stimmen. Denn dieses Gesetz ist kein Rettungspaket für steht. den Euro und Europa. Für unangemessen halte ich auch die Beschneidung Das vereinte Europa ist von seinen Gründungsvätern des Haushalts- und Mitspracherechtes des Parlamentes. Die Handlungsfähigkeit der Regierung und das Ver- Konrad Adenauer, Robert Schumann, Jean Monnet, trauen der Märkte wären meines Erachtens durch die Alcide de Gasperi und anderen als ein Hort der Freiheit Ausnahmeregelung, sprich den Verweis auf die – freilich gegen alle Formen von Diktatur, Unfreiheit und Plan- dann darzulegenden – zwingenden Gründe für eine erst wirtschaft erträumt worden. Das heutige Europa ist auf nachträgliche Einbindung des Haushaltsausschusses, in dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politi- jedem Fall gesichert. Ich halte es für ausgesprochen we- schen Zentralismus. nig souverän, dass die Formulierungen im Gesetz quasi Die Gründungsväter Europas wollten ein Europa des lauten sollen: Erstens. Der Haushaltsausschuss muss Rechts und der Rechtsstaatlichkeit. Die heutigen Regie- nicht unbedingt zustimmen. Zweitens. Im Ausnahmefall rungen des Euro-Raums, die EU-Kommission und die muss er gar nicht zustimmen. – Mag sein, dass das über- EZB verabreden sich hingegen zum kollektiven Rechts- spitzt formuliert ist. Mag sein, dass die CSU gegenüber bruch, obwohl die EU-Kommission als Hüterin der Ver- der bloßen „Unterrichtung des Haushaltsausschusses“ träge und die nationalen Regierungen zum Schutz des hier Entscheidendes verbessert hat. Aber: Europapolitik Rechts verpflichtet sind. muss künftig parlamentarisch kontrolliert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht diese Kontrolle Es gibt Alternativen zum derzeitigen planwirtschaftli- (B) (D) als Ergänzung zum Lissabon-Vertrag verlangt, und ich chen und rechtswidrigen Handeln der europäischen Re- habe zuvor mit Verweis auf diesen Mangel wohlüberlegt gierungen und der EU-Kommission. Planwirtschaft und nicht zugestimmt. Dass wir heute die auf bloßes Bemü- Rechtsbruch sind nicht alternativlos. Wir müssen uns je- hen reduzierte Formulierung aus dem Begleitgesetz doch trauen, die Alternativen zu bedenken, zu wählen übernehmen, ist die Fortschreibung eines Fehlers, den und anschließend mutig umzusetzen. Vor allem müssen wir bewusst begangen haben. Ich empfehle einen Ver- wir anfangen, die heute wieder vielfach geschürte Angst gleich unserer Forderungen zu Oppositionszeiten, darge- vor der Freiheit zu bekämpfen. Dieser Kampf beginnt legt in Drucksache 15/4716 vom 25. Januar 2005, und mit einem freien Denken: Wir müssen uns trauen, die dessen, was wir uns dann selbst zugebilligt haben, wohl- Ursachen unserer Finanz- und Überschuldungskrise zu gemerkt nachdem uns das Verfassungsgericht zur Wah- benennen. rung unserer eigenen parlamentarischen Rechte gezwun- gen hat. Die Hauptursache der Finanz- und Überschuldungs- krise von Staaten und Banken liegt in der Geld- und Kre- Mir stellt sich die Frage, wie lange wir eine Europa- ditschöpfung aus dem Nichts und der Möglichkeit, staat- politik machen wollen, die auf Messers Schneide an der liches ungedecktes Zwangspapiergeld unbegrenzt zu Verfassungswidrigkeit entlangbalanciert, bei der sich das vermehren. Ohne diese Alchemie des Geldes hätte kein nationale Parlament in bemerkenswerter Gleichmütig- weltweites Schneeballsystem aus ungedeckten zukünfti- keit selbst kastriert, bei der am Ende die Exekutive De- gen Zahlungsverpflichtungen entstehen können. mokratie und Gewaltenteilung ersetzt, bei der Verant- wortung und Kompetenz extrem auseinanderfallen. Es Dieses Schneeballsystem ist nur möglich, weil der kann ja sein, dass eine Notfallsituation wie die vorlie- Staat aus Gründen der leichteren Finanzierung von gende nicht Raum für eine so grundsätzliche Diskussion Staatsausgaben den Banken Privilegien verliehen hat, lässt. Ein Weiter-so kann es aber auch nicht geben. Die die gegen die Grundprinzipien jeder marktwirtschaftli- Beratung durch das Parlament war im Rahmen der Krise chen Ordnung verstoßen. hilfreich. Ohne uns hätte es die notwendige Beteiligung Zum einen handelt es sich um das Teilreserveprivileg, des IWF nicht gegeben, und ohne sie bliebe nicht die mit dem die Geschäftspraktik der Geld- und Kredit- kleine Chance, dass die mit deutschen Garantien gewon- schöpfung legalisiert worden ist. nene Zeit genutzt wird, um endlich auf einen europäi- schen Stabilitätskurs zu kommen. Stattdessen hätten wir Zum anderen wurde durch die Gründung von Zentralban- einen europäischen Währungsfonds und eine Transfer- ken der Zusammenhang von Haftung und Entscheidung für union bekommen. Wer wie ich keinen europäischen den Bankensektor außer Kraft gesetzt. Zentralbanken wird Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4497

(A) die Hauptaufgabe zugewiesen, als Kreditgeber letzter Die Europäische Union hat mit dem vereinbarten Ret- (C) Hand die Insolvenz von Banken zu verhindern. Eine tungsschirm das Tor zur Transferunion aufgestoßen. An- Marktwirtschaft ohne Insolvenzrichter ist jedoch keine ders als bei der zuvor beschlossenen Griechenland-Hilfe Marktwirtschaft. Zudem zerstören Zentralbanken durch wird mit der Verordnung zur Aufnahme von Gemein- ihre Zinspolitik das Preissystem von Gesellschaften. Des- schaftsanleihen, dem Aufkauf schlecht besicherter halb wird diese Art der Marktwirtschaft ständig von Kri- Staatsanleihen durch die EZB und dem vorliegenden Ge- sen – boom and bust – heimgesucht. Die marktwirtschaft- währleistungsgesetz die Übernahme von Risiken institu- lichen Selbstreinigungs- und Lenkungskräfte sind durch tionalisiert. Der sogenannte Rettungsschirm organisiert staatlichen Zwang im höchst wichtigen Finanzbereich und besiegelt die Mitverantwortung aller europäischen weitgehend außer Kraft gesetzt. Partnerländer für die unsolide Finanzpolitik Einzelner. Die Tatsache, dass die Haftung formal nur „pro rata“ or- Die Vorschläge über neue Finanzmarktsteuern sind ganisiert wird und zumindest die Zweckgesellschaft zeit- deshalb ein Ablenkungsmanöver, das vom eigentlichen lich befristet ist, ändert nichts an diesem grundlegenden Problem unserer Geldordnung ablenken soll. Befund. Indem wir die wirtschaftspolitischen Probleme Darüber hinaus führt dieses Geldsystem fast zwangs- einzelner Länder zulasten der Steuerzahler der Übrigen läufig zur Überschuldung von Staaten und Banken, die sozialisieren, verändern wir den Charakter der Wäh- sich in diesem Prozess gegenseitig decken, stützen und rungsunion grundlegend. Wir begeben uns auf einen erpressen. Die Erpressung lautet: Werden die Zahlungen Weg, der langfristig zu einer erheblichen Destabilisie- für uns eingestellt, fällt das gesamte Finanzsystem zu- rung der Währungsordnung führen kann und die Wachs- sammen. tumsperspektiven Deutschlands deutlich verschlechtert. Ich stimme dem vorliegenden Gesetz nicht zu. Wer ein stabiles Europa und einen stabilen Euro ha- ben will, darf nicht allein auf die Bindekraft politischer Dieses Gesetz verstößt gegen europäisches Recht. Die Willensbekundungen vertrauen. Der Stabilitäts- und Institutionen, die zum Schutz des Rechts verpflichtet Wachstumspakt war für Deutschland die unabdingbare sind, erfüllen ihre Aufgabe nicht. Voraussetzung für die Zustimmung zur Einführung des Zweitens wird durch diesen Rechtsbruch nicht der Euro. Er setzte auf eine doppelte Absicherung, eine poli- Euro gerettet, sondern zerstört. tische und eine marktwirtschaftliche – mittels der Maastricht-Kriterien durch politische Selbstbindung ei- Und drittens wird die Überschuldungskrise von Staa- nerseits und mittels der No-Bail-out-Bestimmung durch ten und Banken durch dieses sogenannte Rettungspaket die disziplinierende Kraft der Märkte und die Vermei- nicht entschärft, sondern verschärft. dung von Moral-Hazard-Effekten andererseits. Die poli- (B) tische Selbstbindung wurde bereits 2005 von der Regie- (D) Durch diese Maßnahmen lösen wir unsere derzeitigen rung Schröder aufgeweicht. Jetzt wird auch die zweite Probleme nicht. Was wir zur Lösung unser derzeitigen Absicherungslinie, das marktwirtschaftliche Korrektiv Probleme in Europa brauchen, ist eine neue Geldord- der Währungsunion, außer Kraft gesetzt. nung, eine marktwirtschaftliche Geldordnung und nicht Planwirtschaft. Deshalb sage ich: Nein! Der Ausschluss einer gegenseitigen Haftung der EU- Länder sorgt dafür, dass Kapitalanleger einen permanen- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Die Stabilität des ten Anreiz haben, Risiken realistisch einzuschätzen, die europäischen Banken- und Finanzsystems ist von über- fiskalische Entwicklung der Länder genau zu beobach- ragender volkswirtschaftlicher Bedeutung. Wenn akute ten und Risikovorsorge zu treffen. Das schlägt sich Gefahr im Verzuge ist, muss gehandelt werden. Die Be- zwangsläufig nieder in einer divergierenden Zinsent- mühungen der Bundesregierung, Zeit zu gewinnen, um wicklung je nach Bonität der Staaten. Mit der jetzt in die größeren Schaden abzuwenden, verdienen unsere Unter- Wege geleiteten Aushebelung der No-Bail-out-Klausel stützung. Das war bei der Abstimmung zur Griechen- wird die Zinsdifferenz eingeebnet, der Kauf einer Staats- land-Hilfe am 7. Mai der Fall. Deswegen konnte man ihr anleihe für die Anleger zu einem risikofreien Geschäft noch zustimmen. Dazu verweise ich auf meine schriftli- und die Ausweitung der Staatsverschuldung den hoch- che Erklärung zur Abstimmung. verschuldeten Ländern ökonomisch erleichtert. Das be- deutet nicht nur eine erhebliche potenzielle Belastung Der jetzt in Europa ausgehandelte Rettungsschirm der garantiegebenden Länder und deren Steuerzahler, setzt dagegen nicht allein auf Zeitgewinn. Er verändert sondern die Gefahr einer Fehlallokation und der Ver- gleichzeitig die Architektur der Europäischen Wäh- schwendung von Kapital. Die fiskalische Disziplin des rungsunion fundamental. Die Einhaltung des ohnehin Systems wird gelockert, die Fliehkräfte der Währungs- aufgeweichten Stabilitäts- und Wachstumspaktes wird union nehmen zu. für die Zukunft allein in die Verantwortung der Politik gelegt. Statt die disziplinierende Kraft der Märkte in Zu- Wer hohe Risiken eingeht, muss dafür auch haften. kunft klüger zu nutzen, müssen wir Europäer mehr denn Die No-Bail-out-Bestimmung war Ausdruck dieses Prin- je darauf vertrauen, dass die Politik die Kraft aufbringen zips. Der mit dem Rettungsschirm institutionalisierte wird, allein durch politischen Druck, durch Pflichten und Ausstieg der europäischen Finanzpolitik aus dem No- Vorschriften die Schuldensünder zu disziplinieren. Dass Bail-out-Prinzip ist ein grundlegender Fehler. In dem dieses Vertrauen die Politik überfordert, hat aber die Ver- Moment, wo dieses Prinzip nicht mehr gilt, kommt es zu gangenheit gezeigt. einer dauerhaften Asymmetrie der Risiken. Entgegen 4498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) fundamentalen marktwirtschaftlichen Prinzipien haften nach dem Gesetzentwurf einzurichtende Zweckgesell- (C) die Staaten Europas dann für die Risiken der privaten schaft zur europäischen Finanzstabilisierung aussehen Marktteilnehmer. Das bedeutet, dass letztlich systema- soll. Ein Entwurf für die rechtliche und inhaltliche Ge- tisch die Steuerzahler für die Fehlinvestitionen von Ban- staltung liegt bis heute nicht vor. Eine Zustimmung des ken, Versicherungen und anderen privaten Marktteilneh- Deutschen Bundestages vor der Übernahme von konkre- mern geradestehen. ten Garantien für einzelne Länder ist nicht vorgesehen. Das Haushaltsrecht des Parlaments wird damit verletzt. Die ökonomischen Grundprobleme der gegenwärti- Eine bloße Unterrichtung allein des Haushaltsausschus- gen Verwerfungen werden durch den Rettungsschirm ses kann das Budgetrecht des ganzen Parlaments nicht nicht gelöst. Anders als bei der Griechenland-Hilfe geht ersetzen, auch nicht Bemühungen zum Einvernehmen der notwendige Gewinn an Zeit einher mit einer massi- mit diesem Ausschuss. Mir wird damit ein fundamenta- ven Veränderung des Charakters der Währungsunion. les parlamentarisches Recht genommen, denn jeder Ab- Der Zusammenhang zwischen Marktreaktionen und na- geordnete hat das Recht zur Mitentscheidung über Haus- tionalen Stabilitätsbemühungen wird weiter gelockert. haltstitel von existentieller Größe. Die Stabilität der Währung wird in Zukunft in erster Li- nie von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen Aber auch inhaltlich habe ich durchgreifende Beden- und den vermeintlichen politischen Notwendigkeiten ab- ken gegen den Gesetzentwurf. Falsch und unverantwort- hängig sein. Die ökonomische Institutionalisierung einer lich ist wiederum, dass es keine Vorsorge dagegen gibt, Stabilitätsordnung gerät dagegen ins Abseits. Die insti- dass die Garantien aus Steuermitteln nicht den privaten tutionellen Veränderungen bedeuten einen irreversiblen großen Gläubigerbanken zugute kommen. Diese werden Schritt hin zur Transferunion, bei der die Steuerzahler in erster Linie Nutznießer der Garantien sein, denn ihre der stabilitätsorientierten Länder automatisch für die Risiken werden übernommen und Renditen sowie Spe- Disziplinlosigkeit und Verschwendungssucht der ande- kulationsgewinne garantiert. Staatliche Garantien dürf- ren haften. Deshalb wäre es gerade Aufgabe der Bundes- ten meines Erachtens deshalb nur gegeben werden, wenn regierung, die deutschen Steuerzahler vor diesen Gefah- sie im Rang vor den Krediten der Großbanken und priva- ren zu bewahren. ten Gläubiger bedient werden. Alle Kredite, die aus Angesichts dieser nicht nur von mir, sondern auch staatlichen Mitteln garantiert werden, nebst Zinsen, soll- von vielen namhaften Experten aus Wissenschaft und ten also zurückgezahlt sein, bevor die privaten Gläubiger Praxis genannten Einwände, kann ich dem Gesetzent- Geld erhalten. wurf nicht zustimmen. Wegen der gebotenen Solidarität Auf meine parlamentarische Anfrage hat die Bundes- mit meiner Fraktion werde ich mich, statt abzulehnen, regierung am 19. Mai 2010 geantwortet, dass jedes Dar- der Stimme enthalten. (B) lehen an notleidende Staaten (D)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- … gleichgestellt [ist] mit allen anderen gegenwärti- NEN): Dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen gen und zukünftigen ungedeckten und nicht nach- stimme ich nicht zu. Ich stimme mit Enthaltung. rangigen Darlehen und Verbindlichkeiten des Dar- lehensnehmers … Lediglich die Darlehen des Ich halte es für richtig, dass die europäischen Länder Internationalen Währungsfonds haben eine vorran- gemeinsam vorsorgen. Nach Griechenland drohen nun gige Sicherung. Dies entspricht dem seit Gründung auch andere europäische Länder, zahlungsunfähig zu des Internationalen Währungsfonds weltweit übli- werden. Die Schuldenentwicklung und die unverant- chen Verfahren bei ähnlichen Unterstützungen wortlichen Spekulationen haben zu einer unerträglichen durch den Internationalen Währungsfonds. Dieser Situation geführt. Die Entwicklung der Finanzmärkte bevorrechtigte Gläubigerstatus wird Einzelstaaten und die rasanten Währungsschwankungen waren und oder einer Gruppe von Einzelstaaten in der bisheri- sind alarmierend. Die bekannt gewordene Finanzlage gen Rechts- und Kreditpraxis globaler Finanzierun- und Verschuldung mehrerer europäischer Länder lässt gen nicht zugesprochen. Schlimmes befürchten. Die Bereitstellung von staatli- chen Garantien für Kredite an notleidende Länder kann Eine solche Bevorzugung des IWF ist nicht gerecht- ein Weg sein, um Zeit zu gewinnen und den Ländern so fertigt. Ein Vorrang der Tilgung von Krediten, die aus die Möglichkeit zu verschaffen, mit internationaler Hilfe Steuermitteln der europäischen Länder garantiert wer- ihre Wirtschaft zu konsolidieren und ihre Finanzen in den, ist genauso notwendig, richtig und gerechtfertigt Ordnung zu bringen. Aber der vorgelegte Gesetzentwurf wie bei Krediten des IWF. Bisherigen privaten Groß- ist ungenügend und verstößt gegen das Grundgesetz. Die gläubigern dagegen ist zuzumuten, dass sie das Risiko Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages nach weiter tragen, das sie sehenden Auges bei Hingabe der Art. 23 Abs. 2 und 3 sind nicht gewahrt. Kredite eingegangen sind. Sie lassen sich das erhöhte Risiko ja auch durch hohe Zinsen bezahlen. Ohne die Der Gesetzentwurf enthält eine Generalermächtigung staatlichen Kredite hätten die bisherigen privaten Groß- für die Bundesregierung, Garantien in unfassbarer Höhe gläubiger das eingesetzte Kapital ja schließlich ganz aus Finanzen des Bundes sollen zur Verfügung gestellt oder zum großen Teil verloren. werden, ohne dass ausreichend klar und bestimmt ist, zu- gunsten welchen Staates unter welchen Bedingungen so- Außerdem dürften meines Erachtens Garantien in wie durch wen und wie kontrolliert die Garantien gege- Milliardenhöhe aus Steuermitteln nur gegeben werden, ben werden dürfen. So bleibt völlig unklar, wie eine wenn die privaten Großbanken zur Kasse gebeten und an Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4499

(A) der Bezahlung der Hilfen echt beteiligt werden. Dazu dass dem Marktgeschehen offenbar kein Ordnungsrah- (C) muss der Bankensektor reguliert und eine Finanztransak- men gesetzt werden konnte. Angesichts der Personalaus- tionsteuer eingeführt werden. Eine vage Absichtserklä- stattung der Bundesbank ist dies offensichtlich kein rung der Bundesregierung für dahingehende Bemühun- quantitatives Problem. Deshalb sind Maßnahmen zur gen auf internationaler Ebene reicht nicht aus. Konkrete qualitativen Stärkung der Aufsichtsbehörden vordring- Vorschläge müssten jetzt vorgelegt werden. lich. Auch für mich ist das Bekenntnis zur Europäischen Fünftens. Ich halte ein Zustimmungserfordernis des Union und zum Prinzip der innereuropäischen Solidari- Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages für tät zentral wichtig. Auch ich halte es für notwendig, dass notwendig. Eine solche Konditionierung würde nach die EU-Länder sich gegenseitig helfen, wenn ein Land in meiner Auffassung das Vertrauen der Finanzmärkte in Not gerät. Auch ich will der Bevölkerung notleidender den Euro stärken, weil es die Befürchtung entkräften Mitgliedstaaten in einer jetzigen Finanzkrise beistehen. kann, die Europäische Kommission könnte von den jetzt Staatlich garantierte deutsche Kredite können ein Mittel geschaffenen Instrumenten im Übermaß Gebrauch ma- sein, um der Finanznot dieser Staaten entgegenzuwirken chen. und sollten dann vor allem eingesetzt werden, um dort den sozial Benachteiligten zu helfen. Anlage 3 Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Ich kann dem Gesetz unter anderem aus folgenden Gründen nicht zu- Erklärung nach § 31 GO stimmen: der Abgeordneten Steffen Bockhahn und Erstens. Mit dem Gesetz wird faktisch eine Garantie Dr. Barbara Höll (beide DIE LINKE) zur nament- für Haushaltsdefizite von Mitgliedstaaten gegeben, bei lichen Abstimmung über den Entwurf eines Ge- denen gegenwärtig zweifelhaft ist, ob sie die volkswirt- setzes zur Übernahme von Gewährleistungen schaftlichen Voraussetzungen erfüllen, gleichberechtigt im Rahmen eines europäischen Stabilisierungs- an der Währungsgemeinschaft teilzuhaben. Dieses kann mechanismus (Zusatztagesordnungspunkt 13) sowohl zu einer Schwächung des Euro insgesamt als Wir stimmen dem Antrag nicht zu, weil wir eine Fest- auch zu einer Verschlechterung des deutschen Ratings legung auf eine Entschuldung oder Teilentschuldung und damit zu einer Erhöhung der Zinslasten in einem europäischer Länder zum jetzigen Zeitpunkt nicht für (B) zweistelligen Milliardenbereich führen. richtig halten. Weder sind Modalitäten dieser Entschul- (D) Zweitens. Mit den gegenwärtigen Stützungsaktionen dung im abgestimmten Antrag geklärt, noch kann ausge- erreichen wir nur einen begrenzten Zeitgewinn. Dies schlossen werden, dass ein solches Vorgehen zu unkal- machte nur Sinn, wenn es in einem überschaubaren Zeit- kulierbaren Risiken führt. Die Botschaft, dass Schulden raum zu einer Umstrukturierung des Mechanismus zur nicht werthaltig sind, wäre ein fatales Signal, weil sie Überwachung und Verhinderung von Haushaltsdefizi- den Schluss zulassen könnte, dass verliehenes Geld ten in Mitgliedstaaten käme, wenn die zu stützenden wertlos würde. Ein solches Vorgehen wäre geeignet, Volkswirtschaften die Kraft zu drastischen Restrukturie- Vertrauen in die europäische Gemeinschaftswährung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der Europäi- rungsmaßnahmen fänden und es gleichzeitig zu einem schen Union sowie in die Liquidität der betroffenen nachhaltigen Abbau der Haushaltsdefizite in allen Mit- Staaten ernsthaft zu gefährden. gliedsländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland, käme. Ich habe Zweifel, ob alle betroffenen Staaten die Zudem wäre bei einer sofortigen Entschuldung offen, Kraft für ein solches Vorgehen finden werden. ob nicht Geldinstitute und Finanzinvestoren durch die Nutzung von Kreditausfallversicherungen erneut erheb- Drittens. Ich bin der Auffassung, dass die Instrumente liche Gewinne zulasten der Staaten und von Kleinanle- zur Überwachung der Finanzmärkte nachhaltig ausge- gern machen würden. Vielmehr entsteht die Gefahr, dass baut werden müssen. Erforderlich wäre eine Entkoppe- es attraktiv wird, sich mit Staatsanleihen und Kreditaus- lung des Spiel- und Wettsystems internationaler Finanz- fallversicherungen spekulativ auf eine Entschuldung jongleure von der Realwirtschaft. Seit der Bankenkrise vorzubereiten, um dann zu profitieren. Eine solche Ent- 2008 wird die Notwendigkeit solcher Maßnahmen her- wicklung lehnen wir strikt ab. vorgehoben. Die aktuellen Erscheinungen auf den Fi- nanzmärkten zeigen aber, dass wirksame Maßnahmen Möglichkeiten zur teilweisen oder vollständigen Ent- bisher nicht eingeleitet wurden. Ich bin skeptisch, ob die schuldung von Staaten, beispielsweise durch ein Insol- internationale Gemeinschaft diesbezüglich in absehbarer venzrecht für Staaten, müssen seriös und sorgfältig ge- Zeit zu koordinierten Maßnahmen finden wird. prüft werden. Erst in Kenntnis dieser Untersuchungen könnte begründet eine solche Forderung erhoben wer- Viertens. Die deutschen Institutionen der Finanzauf- den. sicht, BaFin und Bundesbank, sind nach eigener Darstel- lung von den Ereignissen überrascht worden. Diese Tat- Aus den oben genannten Gründen haben wir uns zum sache ist ebenso besorgniserregend wie der Umstand, Antrag enthalten. 4500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Anlage 4 Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- (C) nungspunkt 13) Erklärung nach § 31 GO Erstens. Der bereits mit dem „Griechenland-Hilfege- der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms und Bettina setz“ eingeschlagene Irrweg einer Bekämpfung der zu Herlitzius (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hohen Staatsverschuldung durch eine noch höhere zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Staatsverschuldung wird mit diesem Gesetz mit großem wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- Tempo und drastisch erhöhtem Risiko für die deutschen währleistungen im Rahmen eines europäischen Steuerzahler weitergegangen. Nach der Übernahme ei- Stabilisierungsmechanismus (Zusatztagesord- nes Haftungsrisikos in Höhe von 22,4 Milliarden Euro nungspunkt 13) für Haushaltsfehlbeträge Griechenlands wird nunmehr Als überzeugte Europäerinnen und Europäer befür- den Deutschen ein zusätzliches Haftungsrisiko in Höhe worten wir die Grundidee eines Euro-Stabilitätspaktes. von bis zu 150 Milliarden Euro für die Unterstützung Er ist ein Signal zu stärkerer europäischer Integration. Er weiterer Länder mit Haushaltsschwierigkeiten im Euro- gibt den Finanzmärkten eine von mehreren notwendigen Raum aufgebürdet. Antworten auf die ungehemmten Spekulationen der letz- ten Jahre, die zum Zusammenbruch großer Banken und Zweitens. Die europäische Einigung ist eine großar- Volkswirtschaften geführt haben und deren Kosten auf tige Leistung der Politik im Europa der Zeit nach dem die Allgemeinheit abgewälzt wurden. Der Stabilitätspakt Zweiten Weltkrieg. Die Währungsunion ist politisches kann ein Aufbruch zu nachhaltiger Haushaltsführung Symbol der höchsten Ausprägungsstufe dieses Prozes- und verstärkter Sparsamkeit sein. ses. Für uns Deutsche war es wichtig, die Erfolgsge- schichte der Deutschen Bundesbank durch die Unabhän- In den letzten Tagen kam es innerhalb der Regierung gigkeit der Europäischen Zentralbank auf den gesamten und Koalition zu einem Meinungswechsel, der endlich Euro-Raum zu übertragen. Durch Errichtung des Stabili- auch die Notwendigkeit stärkerer Regulierungen am Fi- tätspaktes hofften wir, Vorsorge dafür zu treffen, den ge- nanzmarkt anerkennt. Nun sollen auch endlich Maßnah- samten Euro-Raum auf das Ziel der nachhaltigen Haus- men wie die Transaktionsteuer, das Verbot von Leerver- haltspolitik und der Preiswertstabilität zu verpflichten. käufen und Kreditausfallversicherungen, sofern sie nicht In den europäischen Verträgen ist hierzu festgelegt, dass der Absicherung eigener Risiken dienen, sowie die im Euro-Raum kein Staat für die Schulden des anderen strenge Regulierung von Hedgefonds erfolgen. aufkommen muss, ja nicht einmal darf – Bail-out-Ver- bot. Dies ist der Kern des Vertrauens in den Euro ange- Angesichts dieser Schritte der Regierungskoalition sichts der sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften in hin zu den von meiner Fraktion schon lange geforderten diesem gemeinsamen Währungsraum. Schon die vorge- (B) Maßnahmen bleibt es absolut unverständlich, wieso sie (D) sehene Hilfe für Griechenland, erst recht aber die neu dem Parlament keinen Vorschlag für einen interfraktio- aufgerufene Summe verstößt offenbar gegen die Buch- nellen Beschluss unterbreitet. Eine breite Mehrheit wäre staben, in jedem Falle aber gegen den Geist der gültigen möglich gewesen. Wir hätten klarmachen können, dass europäischen Verträge. So wird die langfristige Stabilität wir als verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker des Euro nicht gesichert, sondern nachhaltig gefährdet. das Allgemeingut schützen und die ungebremste Größe eines völlig überdimensionierten und bislang weitestge- Drittens. Der Weg ist auch ökonomisch falsch. Man hend unregulierten Finanzmarktes beschränken wollen. wirft dem schlechten Geld kein gutes hinterher. Der rich- Die Koalition hatte ganz offensichtlich kein Interesse, tige Weg zur Lösung der griechischen Finanzkrise wäre dieses starke und gegenüber allen Akteuren auch not- ein Schuldenmoratorium und ein Teilverzicht der Gläubi- wendige Signal zu setzen. Damit werden die Bürgerin- ger auf ihre Forderungen. Dadurch trügen einerseits die- nen und Bürger Europas und Deutschlands weiter im jenigen Anleihengläubiger zur Sanierung Griechenlands Unklaren gelassen, ob den Ankündigungen zu stärkerer bei, die teilweise spekulativ griechische Anleihen mit ho- Regulierung auch Taten folgen. Diese Regierung unter- hen Zinsen gekauft haben und deren erhöhtes Risiko sich gräbt damit ihre Glaubwürdigkeit – und die Glaubwür- jetzt realisierte. Andererseits hätte Griechenland alleine digkeit der Politik insgesamt. Eine Zustimmung zum bei einer Teilentschuldung eine echte Chance, da die vorgelegten – und in vielen Punkten noch unklaren – Ge- derzeitige über dem jährlichen Bruttosozialprodukt von setzentwurf ist uns daher nicht möglich. Deswegen wer- 240 Milliarden Euro liegende Staatsschuld von über den wir uns der Stimme enthalten. 300 Milliarden Euro nach Ansicht fast aller Experten nicht zu bewältigen ist. Viertens. Am Sonntag, dem 9. Mai 2010, hat der Eu- ropäische Rat für Wirtschaft und Finanzen unter der Be- Anlage 5 teiligung Deutschlands die Errichtung eines Finanzstabi- Erklärung nach § 31 GO lisierungsmechanismus mit einem Finanzvolumen von 60 Milliarden Euro beschlossen. Dies hätte nach deut- der Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler, Manfred schem Recht nicht ohne vorherige Befassung des Deut- Kolbe und Klaus-Peter Willsch (alle CDU/CSU) schen Bundestages erfolgen dürfen. Die Einrichtung die- zur namentlichen Abstimmung über den Ent- ses Finanzstabilisierungsmechanismus verstößt gegen wurf eines Gesetzes zur Übernahme von Ge- das Bail-out-Verbot der europäischen Verträge. Hier ist währleistungen im Rahmen eines europäischen geregelt, dass weder die Gemeinschaft noch einzelne Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4501

(A) Mitgliedstaaten für Haushaltsdefizite anderer Länder mentarier zu streiten, bis der beste – der richtige Weg ge- (C) einstehen dürfen. Da für die Verwendung dieser Mittel funden ist. Die Schwierigkeit der aktuellen Themen nicht einmal der Einstimmigkeitszwang besteht, sondern bringt die zum Teil doch sehr deutlichen Unterschiede mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird, kann eine unserer Parteien zutage, tatsächliche oder auch nur rein Mehrheit von Haushaltsdefizitstaaten über die Verwen- taktisch motivierte. dung dieser Mittel entscheiden. Jetzt beraten wir aber ein angenehmes Thema. Auch Fünftens. Nun soll durch Veränderung der europäi- wenn der Gesetzestext recht trocken wirkt, so geht es schen Verträge erreicht werden, dass Defizitsünder unter letztendlich dann doch um die Qualität im Glase. Mit der den Euro-Ländern durch Stimmrechtsentzug und Aus- letzten Weingesetzänderung haben wir insbesondere die schluss aus der Währungsunion bestraft werden können. Reform der europäischen Weinmarktordnung in nationa- Wer sich des langen Verfahrens für die endgültige Ratifi- les Recht umgesetzt und uns gleichzeitig Zeit verschafft, zierung des heute gültigen Vertrages von Lissabon erin- die verhandelten Spielräume zu nutzen. So werden wir nert, wird zumindest einräumen, dass dies ein unabseh- das komplizierte Bezeichnungsrecht so gestalten, dass bar langer Weg sein wird, mit vielfältigen Risiken des wir sowohl Bewährtes erhalten als auch die neuen Chan- Scheiterns; alle 27 Staaten müssen nach ihren Regeln zu- cen ergreifen können. Deshalb zitiere ich den VDP- stimmen, unter anderem Volksabstimmungserfordernis Präsidenten Steffen Christmann, der sagte, dass „der in mehreren Mitgliedsländern der EU. Systemwechsel von der Oechsle-Pyramide hin zur Her- kunfts-Pyramide den richtigen Weg weise“. Verbrauche- Sechstens. Weiterhin möchte man die Defizitsünder rinnen und Verbraucher kennen und vertrauen in den zukünftig in ihrem Haushaltsgebaren kontrollieren. Dazu Zusammenhang zwischen Herkunft und Qualität der ist nur anzumerken, dass wir als Deutscher Bundestag uns Weine. Über zweieinhalb Tausend Einzellagen in verbitten würden, dass die EU-Kommission in unser Deutschland sind ein Garant für die Vielfältigkeit und Budgetrecht eingreift. Wie können wir realistischerweise einzigartige Charaktere der Deutschen Weine. von den nationalen Parlamenten der „Defizitsünder“ er- warten, dass diese sich das gefallen lassen, wenn sie es Um dies zu erhalten, haben wir uns bei der Wein- mit einem einfachen Nein verhindern können? Nichts dis- marktreform und der nationalen Umsetzung eingesetzt. zipliniert Haushaltssünder mehr als die Furcht vor Zins- Dabei waren und sind wir erfolgreich, hier im Hohen steigerungen infolge unsolider Haushaltspolitik. Genau Haus als auch im Schulterschluss mit den Weinbau trei- dieses Instrument wird durch das vorgesehene Gesetz benden Bundesländern und der Weinwirtschaft. Bei allen ausgehebelt. Differenzen in anderen Bereichen, beim Wein kommen wir zusammen, nicht nur nach getaner Arbeit sondern Siebtens. Wir können in der derzeitigen Situation der auch hier bei der heute beratenen Weingesetzänderung. (B) deutschen Staatsfinanzen dem Steuerzahler keine weite- (D) ren Belastungen in diesem Ausmaß zumuten, ohne die Gemeinsamkeit und Erfolg gehören zusammen, wie Einhaltung der gerade in das Grundgesetz aufgenomme- wir im Bereich Weinpolitik mittlerweile aus persönlicher nen Schuldenbremse zu gefährden. Auch werden künftig Erfahrung sagen können. Das 2003 gegründete Parla- notwendige Einsparungen in Deutschland kaum noch mentarische Weinforum ist unsere überfraktionelle Platt- politisch zu vermitteln sein, wenn wir hier Garantien für form. In guter Zusammenarbeit mit der Weinwirtschaft ganz Europa in dreistelliger Milliardenhöhe übernom- kommen wir als Berichterstatter dort im Vorfeld zu der men haben. Lösung, die dem Zweck dient, die Weinbaukultur und die Qualität der Weine zu erhalten und auszubauen, re- Achtens. Der Euro-Raum wird durch den Haftungs- gionale und nachhaltige Kreisläufe zu stärken, den Be- verbund für Haushaltsdefizite anderer Mitgliedstaaten trieben ein gesichertes Einkommen zu bieten und den zur dauerhaften Transferunion umgebaut. Das ist das Ge- Tourismus zu stärken. Wir stehen vor großen Herausfor- genteil von dem, was Bundeskanzler Kohl, Finanzminis- derungen, die es zu meistern gilt. Der Klimawandel birgt ter Waigel und die gesamte CDU/CSU den Deutschen bei nicht absehbare Risiken, der Weg zur Agrarreform 2013 Aufgabe der D-Mark und Übergang zum Euro verspro- ist noch nicht geebnet, dem Trend zum Billigkonsum chen haben. Das ist das Gegenteil von unserer Überzeu- und der Geiz-ist-geil-Mentalität auch beim Wein ist un- gung, dass Leistung sich lohnen muss. Dem können wir bedingt entschieden entgegenzutreten. Hier macht nicht uns nicht anschließen. nur das zentrale Weinmarketing eine gute Arbeit, auch Deshalb können wir diesen Weg nicht mitgehen. sonst haben wir beste Voraussetzungen. Wir haben quali- fizierte Winzerinnen und Winzer – das beste Fundament für die Herstellung und den Vertrieb hervorragender Anlage 6 Weine. Wir haben beste Lagen, gutes Klima und großes Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Unser Zu Protokoll gegebene Reden Weinrecht ist auf Qualität ausgerichtet und es sorgt für faire Wettbewerbsbedingungen unter den Weinbaube- zur Beratung des Entwurfs eines Sechsten Ge- trieben. In letzter Zeit hat sich allerdings ein Verfahren setzes zur Änderung des Weingesetzes (Tages- verbreitet, das mir ernste Sorgen bereitet. In „Koopera- ordnungspunkt 31) tion“ von Traubenerzeugern und Traubenverarbeitern wird die Hektarertragsregelung umgangen. Somit ent- Gustav Herzog (SPD): Wir haben eine Zeit der gro- steht ein zwar legaler, aber unfairer und daher uner- ßen Entscheidungen. Wir sind gefordert, uns als Parla- wünschter Wettbewerbsvorteil! 4502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Bereits in der letzten Legislatur, bei der fünften Ge- An die alte Hektarertragsregelung sind neben den rei- (C) setzesänderung haben wir darauf hingewiesen, dass dem nen Traubenerzeugern – also Weinbaubetriebe, die Reb- Treiben ein Ende zu setzen ist. Sinn der Hektarertragsre- flächen bewirtschaften und die Trauben nicht selbst ver- gelung ist, die Menge pro Hektar im Dienste der Qualität arbeiten – auch Trauben-, Most- und Weinerzeuger und der Preisstabilität zu begrenzen. Mit dem vorliegen- – Weinbaubetriebe, die Trauben aus selbst bewirtschaf- den Gesetzentwurf, der in enger Abstimmung aller Be- teten Rebflächen verarbeiten und in der Regel als Most teiligten erarbeitet wurde, sorgen wir für klare Verhält- oder Wein vermarkten – gebunden. nisse. Den Vorwurf, dass wir damit die Bürokratie aufbauen, lasse ich nicht gelten, insbesondere nicht von Zwischenverarbeiter, zum Beispiel Kelterstationen, denen, die von der derzeitigen Rechtslage einseitig pro- die die Trauben kaufen, keltern und weiterverkaufen, un- fitieren. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf sorgfältig im terliegen dieser Regelung bislang nicht. Sie müssen mit Ausschuss beraten und schnell eine gute Lösung für den theoretischen Umrechnungsfaktoren rechnen. Genauso deutschen Wein beschließen. verhält es sich bei reinen Weinerzeugern – Betrieben ohne Rebflächen –, die Trauben, Most und Wein kaufen und weiterverarbeiten. So kommt es, dass diejenigen, die Dr. Erik Schweickert (FDP): Heute geht es um ein nicht an die Hektarertragsregelung gebunden sind, mehr Thema, mit welchem ich nicht nur in der Funktion des Wein in den Verkehr bringen dürfen als ein Erzeuger Berichterstatters für Weinbaupolitik der FDP-Bundes- oder eine Erzeugergemeinschaft, wenn diese aus der tagsfraktion zu tun habe, sondern es betrifft mich auch gleichen Menge Trauben oder Most selbst Wein herstel- als Professor für Internationale Weinwirtschaft am Cam- len. pus Geisenheim. Hierdurch werden die abnehmenden Betriebe gegen- Und deshalb freue ich mich gar nicht darüber, heute über den Erzeugerbetrieben oder Erzeugergemeinschaf- und hier dieses Gesetz beraten zu müssen. Warum? Ich ten, die selbst Wein herstellen und vermarkten, bevor- habe nämlich den Anspruch an mich – wie sicherlich teilt. Und aus dieser Situation heraus werden die neuen viele von Ihnen hier auch –, die Ursachen eines Pro- Geschäftsmodelle gegründet, um hieraus einen Vorteil blems erst zu analysieren und dieses Problem im An- zu haben. Wenn nun ein oder zwei Unternehmen hier schluss daran zu beseitigen. eine Regelungslücke entdeckt hätten, die sich durch Gründung einer „speziellen Unternehmensstruktur“, Und da bin ich es nicht gewohnt, nur an den Sympto- man könnte aber auch Scheinfirma sagen, positiv nutzen men herumzudoktern. Das Problem, das wir haben, be- lässt, kann man das noch als „cleverer als der Gesetzge- steht darin, dass diese Symptome schon lange augenfäl- ber“ abtun. Wenn es aber die ersten Anzeichen gibt, dass lig sind. Ich war damals noch gar nicht Mitglied dieses (B) es hier in einigen b.A.-Gebieten zu einer Art Massenbe- (D) Hohen Hauses, als meine Fraktion in der 16. Wahl- wegung kommt, müssen wir hier als Gesetzgeber reagie- periode am 17. Juni 2009 einen Entschließungsantrag ren. Wir müssen als Mitgliedsstaat der EU dafür Sorge zur Änderung des Weingesetzes im Ausschuss für Er- tragen, dass in Deutschland die Regelungen nicht um- nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einge- gangen werden. bracht hat. Wir dürfen aber auch nicht vergessen: Wir befinden Das damals schon zu beobachtende Problemfeld war uns in der Weinwirtschaft in einem sehr stark regulierten ein sprunghafter Anstieg von Betriebsgründungen in der Bereich. Der Staat schreibt vor, auf welcher Fläche der Weinwirtschaft. Nun heißen wir es ja in aller Regel gut, Winzer seinen Wein anbauen darf; der Staat schreibt vor, wenn jemand ein Unternehmen gründet, weil damit welche Rebsorten angebaut werden dürfen. Und der Wirtschaftswachstum, Dynamik und Arbeitsplätze ver- Staat schreibt vor, wie viel vom Traubenertrag der Win- bunden sind. Allerdings zeigte sich bei der Analyse zer ernten und vermarkten darf – um ihm dann auch dieser Betriebe und Geschäftsmodelle, dass sie nur des- noch zu sagen, wie der Wein schmecken und welche halb gegründet wurden, um – ich nenne es mal – staatlichen Regelungen er beim Marketing beachten „schlitzohrig“ die bestehenden rechtlichen Rahmenbe- muss. Freie Entfaltungsmöglichkeiten für einen Unter- dingungen zum Hektarhöchstertrag „clever zu gestal- nehmer sehen anders aus! Als Liberalen sind mir das ten“. deutlich zu viele Staatseingriffe. Aber die werden wir heute und an dieser Stelle nicht modifizieren können, Dies sieht folgendermaßen aus: Nach gegenwärtiger sondern wir werden nur dafür sorgen können, dass in ei- Gesetzeslage erfolgt die Quotierung des Weines nur im nem – sagen wir mal – „suboptimal“ regulierten Markt ersten Produktionsprozess, also bei der Traubenerzeu- durch eine weitere Regulierung das Suboptimale etwas gung, wo das Traubengewicht maßgeblich ist. Bemes- abgeschwächt wird. sungsgrundlage ist bislang nur die im Betrieb erzeugte Weinmenge, die den quotierten Gesamthektarertrag ei- Aber diese notwendige Verbesserung an der einen nes Betriebes nicht übersteigen darf. Für die Hektar- Stelle darf nicht dazu führen, dass wir an einer anderen ertragsreglung ist bislang also nur der Traubenerzeuger Stelle einen Wirtschaftszweig über Gebühr belasten. Da- verantwortlich. Mehrerträge einzelner Weinlagen oder mit meine ich die Weinkellereien und Weinhandelskelle- Rebsorten können mit Mindermengen anderer Lagen reien, die sich aufgrund ihrer Orientierung an der soge- und Sorten innerhalb des Betriebes ausgeglichen wer- nannten „Wine-Chain“, also der Versorgungskette für den. Dies ist die Einbetriebsregelung, die für uns Libe- Wein vom Erzeuger bis zum Endkunden, arbeitsteilig rale so wichtig ist. spezialisiert haben. Weil sich diese Unternehmen im sehr Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4503

(A) preisaggressiven internationalen Weinmarkt bewegen, kaufen, ohne selber Weinreben zu bewirtschaften. Hier (C) brauchen sie Effizienz – auch, um an die freien Trauben- war eine den Markt zunehmend verzerrend wirkende Re- erzeuger ordentliche Traubengelder zahlen zu können. gelungslücke entstanden, die geschlossen werden muss, wenn alle in der Logik der Weinmarktordnung bleiben Diese Weinkellereien sind sicherlich alles andere als wollen. Dass die LINKE an der Einbringung des Geset- Scheinfirmen und werden trotzdem durch diese Rege- zesvorschlags nicht beteiligt wird, liegt allein an dem lung negativ getroffen. Deshalb war es wichtig und not- undemokratischen Gehabe der Koalition, insbesondere wendig, hier Spielräume zu eröffnen. Mit der Möglich- der CDU/CSU-Fraktion. Dafür kann die Linke nichts. keit der nachträglichen Herabstufung bis zum 15. Januar Sie unterstützt den Gesetzesentwurf trotzdem. des Erntefolgejahres sollte hier ein Instrumentarium ge- schaffen werden, um gewisse wirtschaftliche Härten zu Aber zurück zum Thema: Uns allen ist klar, dass die entschärfen. Allerdings muss hier ein Verfahren gefun- gemeinsame Marktordnung planwirtschaftliche Elemente den werden, das tatsächlich auch ohne viel Bürokratie beinhaltet. Dem folgt das Weingesetz. Diese sechste Än- von den Betrieben in der Praxis umsetzbar ist. derung des Weingesetzes ergibt sich aus Sicht der Lin- ken zwingend aus der fünften Änderung. Geht es doch Auch aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen in schließlich um verlässliche Qualität für die Verbraucher diesem Bereich gehe ich davon aus, dass wir hier, wenn und verlässliche Preise für Verbraucher und Erzeuger. wir an die Ursache des Problems gehen wollen, deshalb Deutscher Wein darf nicht durch Menge, er muss durch an die Umrechungsfaktoren ran müssen. Diese sind his- Qualität punkten! torisch tradiert und längst durch den tatsächlichen tech- nischen Fortschritt in der Weinwirtschaft obsolet. Die Durch Werbung für diese Qualität kann die Weinwirt- Grundlage des Wiegens ist heute, unter anderem durch schaft versuchen, die gesunkene Nachfrage, bei gleich- den Einsatz des Vollernters, entrapptes Lesegut. zeitig gestiegener Produktion, wieder zu erhöhen. Wir Deshalb habe ich schon bei der ersten Runde zu die- schlagen allerdings einen anderen Weg vor: Wir wollen sem Thema in diesem Jahr vom BMELV gefordert, dass regionale Wertschöpfungsketten fördern und ökologisch die durchschnittlichen tatsächlichen Auspressquoten der unsinnige Transporte verteuern. Denn es ist nicht einzu- letzten Jahre erhoben werden. Diese Ergebnisse liegen sehen, warum Wein, der mehrere 10 000 Kilometer ent- anscheinend leider bisher noch nicht vor. Ich habe aber fernt industriell von prekär Beschäftigten hergestellt eine gewisse Vorstellung, wie das Ergebnis aussehen wurde, nur ein Drittel des hier bei uns sozial und ökolo- wird – bei bis zu 80 Prozent inklusive Anreicherung. gisch nachhaltig produzierten Weins kostet. Hier müssen wir ansetzen, um die europäische und deutsche Wein- Aus diesem Grund bleibt uns, unter der Prämisse, die wirtschaft zu stärken. (B) Entwicklungen bei den Firmenkonstrukten für den (D) Herbst diesen Jahres nicht noch weiter anzufeuern, nur Die Frage ist auch, inwieweit die bisherigen Änderun- die Möglichkeit, jetzt in die erste Lesung zu gehen, so- gen des Weinrechts zielführend waren. War es richtig, dass das Gesetz noch rechtzeitig vor der Ernte 2010 die Differenzierung zwischen den Rebsorten bei der rechtskräftig werden kann. Hektarertragsregelung zu streichen? Oder hat diese Streichung die Entwicklung, die nun mit der sechsten Änderung eingedämmt werden soll, erst begünstigt? Alexander Süßmair (DIE LINKE): Das erste Wun- der Jesus, von dem Johannes berichtet, ist die Geschichte Allgemeiner gesprochen: Erschwert nicht die Intrans- von einem Freudenfest, einer Hochzeit. Allerdings ist parenz des Weinrechts, seine Zerstückelung durch zahl- die Freude getrübt; denn beizeiten geht der Wein aus. reiche Verordnungen auf regionaler, nationaler und euro- Jesus schafft Abhilfe und verwandelt Wasser in Wein – päischer Ebene seine faktische Umsetzung? Und ist das, und nicht zu knapp, sondern wohl um die 600 Liter. Den was hier beschlossen werden soll, nicht Flickschusterei antiken Hörern dieser Geschichte war die Handlung ver- auf dem Rücken von Erzeugern und Verbrauchern? Er- traut; denn auch dem griechischen Gott Dionysos wur- zeuger und Verbraucher benötigen Sicherheit. Mein den Weinwunder nachgesagt. Wunsch wäre ein mit Weitblick verfasstes neues Wein- recht. Aber das käme wohl schon einem Weinwunder Heutige Weinwunder sehen allerdings anders aus. gleich. Erst einmal haben wir in Deutschland und Europa nicht mehr das Problem, dass uns der Wein ausgeht wie in der Bibel beschrieben, sondern genau das Gegenteil. Zu viel Ulricke Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wein im Angebot führt zu sinkenden Preisen und zu ne- Qualität ist die Grundlage für den Erfolg unseres Wein- gativen Auswirkungen auf das Einkommen der Winzer. baus. Deshalb ist es auch richtig, gegen eine Aufwei- Die Gegensteuerung über die Hektarertragsregelung bei chung der Hektarertragsregelung durch vermehrte Aus- den Winzern, also die Beschränkung der Menge an pressung vorzugehen. Wir würden uns allerdings Wein, die pro Hektar erzeugt werden darf, ist dabei rich- manchmal wünschen, dass die Bundesregierung auch in tig. Sie fördert die Qualität des Weines und wirkt redu- anderen Produktbereichen so engagiert für Mengenbe- zierend auf das Weinangebot. grenzungen eintritt wie beim Weinbau, ich nenne hier nur das Stichwort Milch. Die jetzt vorgeschlagene Gesetzesänderung ist folge- richtig, da nicht nur die Winzer an die Ertragsregelung Aber zurück zum Wein: Die Gefahr von Umgehungs- gebunden werden, sondern auch die Verarbeitungsbe- möglichkeiten, Betriebsteilungen und daraus resultieren- triebe, also die, die die Trauben von den Winzern auf- den Wettbewerbsverzerrungen muss gebannt werden. 4504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) Deswegen ist die vorliegende Regelung vernünftig – brückenprojekts sofort circa 400 Millionen Euro einspa- (C) auch wenn dies vielleicht schon früher hätte geschehen ren. Und bei solchen sinnvollen Initiativen dürfen Sie sollen. Die Kritik der Kellereien und der Fassweinanbie- natürlich gerne mit unserer interfraktionellen Unterstüt- ter ist zwar verständlich, aber angesichts der anstehen- zung rechnen. den Probleme ist es gut, dass wir mit der vorliegenden Änderung des Weingesetzes eine Regelungslücke schlie- Julia Klöckner, Parl. Staatssekretärin bei der Bun- ßen. desministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- Ansprechen möchte ich aber noch weitere Herausfor- braucherschutz: Unter deutschen Winzerinnen und Win- derungen im Weinbau: zern machen sich zunehmend Unmut und Verärgerung breit. Aber auch der eine oder andere Weinliebhaber Thema unseres letzten, von Professor Schweickert macht sich inzwischen so seine Gedanken. Und das nicht organisierten Parlamentarischen Weinforums war der ganz zu Unrecht. Denn aus einigen deutschen Weinan- Klimawandel. Seit Jahren verzeichnen die Winzer deut- baugebieten kommt vermehrt Wein auf den Markt, der liche Veränderungen bei Vegetationsphasen, Reifedau- nicht von der Hektarertragsregelung erfasst wird. Wir ge- ern und -terminen oder Lesebeginn. Untersuchungen der hen davon aus, dass es sich dabei in einigen Anbaugebie- Forschungsanstalt Geisenheim belegen, dass die Tem- ten inzwischen um rund 5 bis 7 Prozent des vermarkteten peraturänderungen der letzten 50 Jahre bereits zu Verän- Weins handelt. Bezogen auf einzelne Rebsorten – wie derungen im Rebsortenspektrum verschiedener Anbau- zum Beispiel der Rotweinsorte Dornfelder – dürfte dieser regionen geführt haben, die sich bei ungebremster Anteil teilweise regional sogar schon bis zu 10 Prozent Erderwärmung noch ausweiten werden. In Rheinhessen betragen. wird heute Cabernet Sauvignon kultiviert, was noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Gleichzeitig wer- Was ist der Grund für die Aufregung? Die Hektarer- den im Rheingau mit deutschen Rebsorten wie Müller- tragsregelung ist ein wesentliches Element zur Siche- Thurgau immer seltener gute Ergebnisse erzielt. Mel- rung der hohen Qualität deutschen Weins. Damit trägt dungen, die man vor kurzem als Scherz abgetan hätte, sie zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähig- werden plötzlich erschreckend real: Weinimporteure keit des deutschen Weinbaus bei. Dieses Ziel gerät in sprechen offen über die mittelfristige Aufgabe des Wein- Gefahr, wenn die Regelung nicht mehr richtig greifen baus in Australien und eine „Verlagerung“ nach Indien, kann, weil sie gewisse Lücken aufweist. Was aber viel- britische Medien berichten irritiert von Rekorderträgen leicht noch viel gravierender zu Buche schlägt: Die Ent- der Winzer in Südengland. Wein ist ein Indikator, der wicklung führt zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen uns eindrücklich vor Augen führt, welche wirtschaftli- den einzelnen Weinerzeugergruppen. (B) chen, ökologischen, aber auch kulturellen Folgen uns (D) drohen, wenn wir dem Klimawandel nicht entschieden Worin liegen die Ursachen? Grundsätzlich gilt die begegnen. Die Ablehnung des von uns in der letzten Sit- Hektarertragsregelung für alle Betriebe, die Weintrauben zungswoche eingebrachten Klimaschutzgesetzes und die erzeugen. Die Betonung liegt dabei auf „Trauben erzeu- unsägliche Diskussion über neue Kohlekraftwerke oder gen“. Die Regelung setzt also beim Traubenerzeuger an. die Verlängerung von Laufzeiten der Atomkraftwerke ist Begrenzt wird allerdings nicht unmittelbar die Trauben- deshalb ebenso verantwortungslos wie die von FDP und erzeugung, sondern die Vermarktung des hieraus erzeug- CDU/CSU beschossenen Kahlschläge bei der Solarför- ten Weins. Die Ertragsbegrenzung ist demnach in Litern derung und die Sperre des Marktanreizprogramms für Wein festgelegt. Das hat im Vergleich zu einer Begren- Pelletheizungen, Solarthermie etc. Das ist ein Schlag zung der Traubenerzeugung den Vorteil, dass wir – bezo- nicht nur gegen den Klimaschutz, sondern vor allem ge- gen auf das Enderzeugnis Wein – eine höhere Zielgenau- gen Mittelstand, Handwerk, Landwirtschaft, Garten- und igkeit erreichen und die Regelung dennoch mit einem eben auch Weinbaubetriebe. vertretbaren Aufwand zu verwalten ist. Solange die Win- zer – wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – Auch die faktische Schließung des Julius-Kühn-Insti- ihre Trauben selbst zu Wein verarbeiten und vermarkten tuts für Pflanzenschutz im Obst- und Weinbau in Bern- oder an eine Genossenschaft angeschlossen sind, ist dies kastel durch die Bundesregierung ist angesichts des mas- alles unproblematisch, weil die Betriebe genau wissen, siven Forschungsbedarfs speziell auch zu Klimaschutz, wie viel Wein sie sozusagen im Keller liegen haben. Steillagen und Biowein ein Skandal. Genau dort soll Folglich geben diese Betriebe bei der Ermittlung ihres stattdessen mit dem „Hochmoselübergang“ ein giganti- Hektarertrags die von ihnen erzeugte Weinmenge an. sches Monster-Straßenbauprojekt realisiert werden, dass die Zerstörung der besten Rieslinglagen der Welt bedeu- Ein Winzer, der seine Trauben vielleicht noch über ei- ten könnte. Wir fordern die Bundesregierung auf, sofort nen Kommissionär oder Zwischenhändler an eine Kelle- einen umfassenden Baustopp zu veranlassen! Solche rei oder einen anderen Traubenverarbeiter abgibt, weiß Projekte sind im wahrsten Sinne ein Angriff auf die dagegen nicht, wie viel Wein aus seinen Trauben erzeugt Wurzeln unserer Weinkultur – da hilft auch keine konse- wird. Deswegen muss er zur Ermittlung seines Hektarer- quentere Umsetzung bei Umrechnungsfaktoren mehr. trags die abgegebenen Trauben in eine fiktive Wein- menge umrechnen. Dafür verwendet er bundeseinheitlich In diesen Tagen diskutieren wir viel über Einsparun- festgesetzte Umrechnungsfaktoren, die den durchschnitt- gen in den öffentlichen Haushalten. Unser Vorschlag lichen Ausbeutesatz von Trauben widerspiegeln. Oder dazu: statt bei Kitas und Bildung zu kürzen, könnten Sie anders ausgedrückt: Die Faktoren geben an, wie viel allein durch den Stopp des unsinnigen Hochmosel- Wein aus 1 Kilogramm Trauben im Normalfall hergestellt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4505

(A) wird. Während also für einen selbst vermarktenden Wein- Was erreichen wir mit der Neuregelung? Erstens. Wir (C) baubetrieb oder eine Winzergenossenschaft die tatsäch- schließen bestehende Lücken in der Hektarertragsrege- lich erzeugte Weinmenge zur Feststellung des Hektarer- lung und sorgen damit für mehr Wettbewerbsgerechtig- trags maßgebend ist, ist es beim reinen Traubenerzeuger keit. Das heißt, Betriebe, die von der jetzigen Situation nur eine rechnerisch ermittelte Größe. Auf dieses Um- in besonderem Maße profitieren, werden diesen Vorteil rechnungssystem hatte man sich bei der Einführung der in Zukunft nicht mehr haben. Umgekehrt wird die große Hektarertragsregelung aus Gründen der Verwaltungsver- Mehrheit selbst vermarktender Weinbaubetriebe, Win- einfachung verständigt, weil man davon ausging, dass es zergenossenschaften und Trauben abgebender Winzer, in der Praxis zu keinen großen Abweichungen von den deren Abnehmer schon in der Vergangenheit die Um- Faktoren kommen würde. rechnungsfaktoren eingehalten haben, im Wettbewerb gestärkt. Lange Zeit war dies auch der Fall. Doch gerade in den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass aus 1 Kilo- Zweitens. Wenn die Trauben weniger stark ausge- gramm Trauben teilweise deutlich mehr Wein erzeugt presst werden, kommt dies der Weinqualität zugute. Das worden ist, als den Umrechnungsfaktoren entspricht. ist auch im Interesse des Verbrauchers. Und drittens trägt Diese Mehrmengen waren so auffällig, dass man nicht die Maßnahme zur Marktstabilisierung bei. Denn die mehr von natürlichen Schwankungen sprechen konnte. Trauben verarbeitenden Betriebe müssen künftig je nach Vielmehr werden diese Mehrmengen inzwischen syste- Rebsorte zwischen 5 und 10 Prozent – teilweise sogar matisch erzeugt. Ermöglicht wird dies zum einen durch 15 Prozent – mehr Trauben als bisher verarbeiten, wenn ein stärkeres Auspressen der Trauben, zum anderen aber sie die Weinerzeugung auf gleichem Niveau aufrechter- auch durch moderne Ernte- und Verarbeitungsverfahren halten wollen. Eine höhere Nachfrage könnte dann allen und den Anbau ausbeutereicher Rebsorten. Das Ganze Winzerinnen und Winzern zugutekommen. ist wirtschaftlich deshalb so interessant, weil für die Ich bitte Sie daher um Unterstützung des Vorhabens. Mehrmengen der gleiche Preis am Markt erzielt werden kann wie für Wein aus normal ausgepressten Trauben. Den Nutzen haben sowohl die verarbeitenden Betriebe Anlage 7 als auch die abgebenden Traubenerzeuger, weil sie sich die zusätzlichen Erlöse untereinander aufteilen. Die an Zu Protokoll gegebene Reden sich unter Qualitätsgesichtspunkten sinnvollen Trauben- ablieferungen werden dadurch infrage gestellt oder sogar zur Beratung der Anträge: ad absurdum geführt. – Gute Lehre an allen Hochschulen garantie- ren – Eine dritte Säule im Hochschulpakt (B) (D) Der wirtschaftliche Vorteil ist offensichtlich so groß, verankern und einen Wettbewerb für he- dass inzwischen immer mehr Weinbaubetriebe dazu über- rausragende Lehre auflegen gehen, die Traubenerzeugung von der Weinerzeugung zu trennen, indem sie eigens zu diesem Zweck Tochterunter- – Qualitätsoffensive für die Lehre starten – nehmen gründen. Wenn sich also – nur um ein Beispiel zu Einheit von Forschung und Lehre sichern nennen – in einem bestimmten Anbaugebiet ein Fami- lienbetrieb mit 10 Hektar Rebfläche formal in zwei Ein- (Tagesordnungspunkt 32 a und b) heiten teilt, sodass etwa der Vater die Trauben und der Sohn den Wein erzeugt, können beide in dieser Konstel- Monika Grütters (CDU/CSU): Rituale sind ja etwas lation bei einer unterstellten Weinausbeute von 85 Pro- Schönes, es gibt sie, weil die Menschen sich einrichten zent insgesamt 119 000 Liter Qualitätswein vermarkten. wollen in Bewährtem, in Erprobtem, in lieb gewordene Dies wären 14 000 Liter oder umgerechnet über 13 Pro- Gewohnheiten. So ist das manchmal auch in der Politik. zent mehr Wein, als dieser Betrieb ohne Teilung vermark- Und so ist das ganz offensichtlich vor allem bei Ihnen, ten dürfte. Und dies alles ganz legal! Eine derartige den Grünen, den grünen Bildungspolitikern, dem verehr- Diskrepanz ist nicht nur mit den Prinzipien der Wettbe- ten Kollegen Gehring. Denn langsam, aber sicher wird werbsgerechtigkeit unvereinbar, sondern auch unter Qua- das Reden hier mit Ihnen über die Verbesserung der litätsgesichtspunkten kaum zu vermitteln. Denn wir för- Lehre ja zum richtigen Plenarritual: Alle zwei Jahre neh- dern – oder klar gesagt: Wir provozieren geradezu – mit men Sie Ihren alten Antrag, verändern heimlich ein paar dieser Regelung ein zu starkes Auspressen der Trauben. Formulierungen, alle zwei Jahre stellen wir uns alle dann am Ende einer langen Sitzungswoche zu guter Letzt Wie wollen wir dieses Problem nun lösen? Ganz ein- noch einmal hier in den Plenarsaal und sagen uns die fach: Wir verpflichten alle Betriebe, die Trauben abneh- gleichen Sätze wie ehedem – und alle zwei Jahre haben men und zu Wein verarbeiten, die vorgegebenen Umrech- Sie vor allem deshalb einen Anlass, Ihren alten Antrag nungsfaktoren einzuhalten. Zwar ist die Neuregelung mit mal wieder aufzumöbeln, weil wir, die Regierungspar- einem zusätzlichen Verwaltungs- und Kontrollaufwand teien und die Ministerin Schavan, einmal mehr gehan- verbunden, weil nun wirklich alle Weinerzeuger von der delt haben. Und auch hier ist die Reaktion fast gebets- Hektarertragsregelung erfasst werden. Aber das Ziel, mühlenartig dieselbe, also auch schon ritualverdächtig: nämlich eine hohe Weinqualität bei zugleich fairem Wett- Die Opposition merkt, dass sich mal wieder etwas getan bewerb, rechtfertigt diesen zusätzlichen Aufwand. Und hat in der Bildungs-, in der Hochschulpolitik, zur Ver- das sehen auch die größten Weinbau treibenden Länder in besserung der Lehre in diesem Fall. Und dann wärmt Deutschland so. diese Opposition ihre alten Sachen auf und ruft: Regie- 4506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) rung tut was, die CDU unterstützt die Studierenden (das net werden. Für die Finanzierung sind 10 Millionen Euro (C) ist aber doch eigentlich unsere Domäne, was fällt denen für drei Jahre vorgesehen, je zur Hälfte vom Stifterver- ein???), also schnell noch den Zusatz angehängt: Aber band und dem jeweiligen Sitzland finanziert. Der Wett- was die Regierung tut, das ist noch nicht genug. Könnt bewerb wird zunächst einmalig durchgeführt, soll aber Ihr nicht noch mehr Geld geben? bei positiver Evaluierung fortgesetzt werden. Ein solcher Wettbewerb ist ein erster Schritt, der die Länder – nicht So, genau so, klingt das auch jetzt schon wieder – und den Bund – aber nicht von der Notwendigkeit weiterer kommt uns sehr, sehr bekannt vor. Zuletzt haben Sie die- Maßnahmen entbindet, um auch in der Breite gute Be- ses Ritual am 7. März 2008 abgefeiert, davor war es am dingungen für exzellente Lehre zu schaffen. 16. Februar 2006. Auch damals haben wir hier gestanden und mit Ihnen um „mehr Qualität für die Hochschulen“ Außerdem haben die Hochschulen in den letzten Jah- gerungen. Lieber Herr Gehring, bei allem Respekt vor ren in hohem Umfang damit begonnen, Lehrpreise ein- der Bedeutung der Hochschulen, bei aller Einsicht in die zuführen. Darüber hinaus gibt es mehrere hochschul- schwierigen Situationen da, bei allem Engagement vor übergreifende Ansätze zur Etablierung von Lehrpreisen, allem für die Lehre – ich erinnere daran: Wir sind es ja, wie zum Beispiel den seit 2006 von HRK und Stifter- die hier mal wieder handeln! Wir haben verstanden! – verband gemeinsam vergebenen „ars-legendi-Preis für Manche Rituale ermüden. exzellente Hochschullehre“ (Preisgeld: 50 000 Euro), der im jährlichen Rhythmus alternierend für eine be- Nun könnte man sagen: Prächtige Grüne, die lassen stimmte Disziplin ausgelobt wird (2008: Wirtschaftswis- einfach nicht locker. – Ich erlaube mir nur, Sie einmal senschaften); den „Exzellenz-in-der-Lehre-Preis“ des mehr darauf aufmerksam zu machen, dass Sie aber auch hessischen Wissenschaftsministeriums, der 2007 zum jetzt mal wieder nur hinterherhinken. Sie wissen ja, dass ersten Mal vergeben wurde und mit einem Preisgeld von Bundesbildungsministerin Annette Schavan gerade in 250 000 Euro (plus 125 000 Euro der Hertie-Stiftung) der vergangenen Woche einen Qualitätspakt für die nach eigenen Angaben die höchste staatliche Ehrung Lehre verkündet hat: 2 Milliarden Euro will der Bund in dieser Art in Deutschland ist; den Medidaprix (Preisgeld den kommenden zehn Jahren für mehr Personal, bessere 100 000 Euro), der speziell für mediendidaktisch heraus- Qualifizierung und Betreuung ausgeben, also 200 Mil- ragende Ansätze der Hochschullehre abwechselnd vom lionen Euro jährlich für die Hochschulen, für die be- BMBF und dem österreichischen Wissenschaftsministe- kanntlich die Länder zuständig sind! „Zu wenig“, sagen rium finanziert wird. Solche Lehrpreise sind eine schöne die Studierenden und die Grünen, „ein Anfang“, sagen Komponente in den Bemühungen um eine Aufwertung die Rektoren. der Hochschullehre. Ihren Wirkungsgrad sollte man mit Ja, ein Anfang – genau das ist es, und genau so ist die- Blick auf die angemahnte Verbesserung der Hochschul- (B) ser Qualitätspakt gemeint. Auch wir wissen, dass der lehre in der Breite aber auch nicht überschätzen. (D) Wissenschaftsrat eine ganz andere Dimension nennt. Und selbst die schwerfällige KMK hat ja erkannt, Aber auch Sie, die Opposition, die SPD, die Grünen, die dass die Länder sich des Themas Hochschullehre anneh- Linken, die meinen, auch eben noch schnell einen An- men sollten, und hat im Juni 2007 die Amtschef-Kom- trag zusammenschustern zu müssen, Sie alle wissen ge- mission „Qualitätssicherung in Hochschulen“ beauf- nauso gut wie wir, dass die Bundesländer zuständig sind tragt, unter Einbeziehung des Stifterverbands eben auch für die Unis, für die Studis, für die Lehre dort. Und Sie ein Konzept für eine Qualitätsoffensive in der Lehre zu wissen ebenfalls, dass dieses Paket in Zeiten, in denen entwickeln. Die Rektoren haben dann auch zur aktuellen wir ganz andere Aufgaben mit ganz anderen Summen zu Initiative der Bundesbildungsministerin gesagt, das sei bewältigen haben, für den Bildungsbereich geradezu ein ein guter Anfang – auch sie lernen also dazu. Meilenstein für die Verbesserung der Lehre ist. Wenn Sie alle, auch Herr Gehring, tatsächlich an der Sache und Nehmen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von nicht nur am ritualisierten Geschrei interessiert wären, der Opposition, sich daran mal ein Beispiel. dann würden Sie auch mal mithelfen, derartige Quali- tätsoffensiven, derartige Haushaltsentscheidungen, derar- Wir halten am Ende doch noch einmal fest, auch das tige Initiativen der Regierung für die deutschen Hoch- nicht zum ersten, sondern zum wiederholten Mal – Ri- schulen – in allen Ihren Bundesländern und Wahlkreisen – tuale haben ja auch etwas Verbindendes –, dass wir uns zu unterstützen! alle darin einig sind, wie wichtig die Hochschulen für unser Land sind, dass sie für die Studierenden da sind Herr Gehring, noch kurz zu Ihrer Forderung, der und wir eben dies nie aus dem Blick verlieren dürfen, Bund solle einen Wettbewerb für herausragende Lehre dass deren Situation schwierig genug ist, dass zwar die auflegen: Auch das ist natürlich nicht Sache des Bundes, Länder zuständig sind, wir aber über Mittel verfügen, die sondern originäre Aufgabe der Länder oder auch mal der genau dafür zur Verfügung gestellt werden sollten, und Hochschulen. Es bleibt ihnen ja unbenommen, die Gel- dass wir eben das genau deshalb tun. 200 Millionen im der des Bundes für die Verbesserung der Lehrqualität ge- Jahr vom Bund für die Verbesserung der Lehre an den nau dafür zu verwenden. Im Übrigen darf ich daran erin- Hochschulen in den Ländern, 2 Milliarden in diesen Zei- nern, dass die KMK – wie Sie wissen – eine gemeinsame ten für diesen Zweck – das ist ein notwendiges, ein Initiative mit dem Stifterverband für einen „Wettbewerb wichtiges, ein gutes Signal. exzellente Lehre“ gestartet hat. Im Rahmen des Wettbe- werbs sollen Konzepte von Hochschulen zur Strategie- Es wäre aber ein föderales Missverständnis, zu glau- entwicklung im Bereich Studium und Lehre ausgezeich- ben, der Bund habe die Rolle eines Wächters darüber Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4507

(A) inne, wie die Länder dann zu Hause ihre – ja noch viel Überzeugung, dass Ihre Forderung nach speziellen Lehr- (C) weitergehenden – Aufgaben erfüllen. professuren sowie Lehrjuniorprofessuren falsch ist. Dies widerspricht unserem Humboldt’schen Ansatz von Ein- Tankred Schipanski (CDU/CSU): Liest man die heit von Forschung und Lehre. Unserer Überzeugung Überschriften zu den heute zu debattierenden Anträgen, nach kann nur jemand eine gute Lehre machen, der auch so kann wohl jede Fraktion der Forderung nach guter in der Forschung stark ist. Denn genau darin besteht ja Lehre zustimmen. Die fraktionellen Unterschiede ste- das Ziel unserer Hochschulausbildung: Wir möchten cken wie immer im Detail. Auch sind unsere Vorstellun- Studierende so früh wie möglich mit der aktuellen For- gen, was eine gute Lehre ausmacht, doch ein ganzes schung in Kontakt bringen und ihr Interesse und ihre Be- Stück weit entfernt von dem, was wir in den Anträgen geisterung dafür wecken. von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen präsentiert Deshalb sollte nach unserer Überzeugung bei den Be- bekommen. rufungen von Professoren und der Einstellung von wis- Die Linken singen wieder das Lied von mehr Geld für senschaftlichem Personal der Aspekt der „guten Lehre“ alles; wenig Leistung um Abschlüsse zu erreichen; man- stärker in den Mittelpunkt rücken. Ich selbst habe in Be- gelnde Mitbestimmungsrechte – anscheinend bestimmen rufungskommissionen mitgewirkt und weiß aus der Pra- nun die „bösen“ Hochschulräte auch noch die Lehrin- xis, dass die Lehrleistung der Bewerber in der Gesamt- halte; und man höre und staune: Mit der Forderung nach bewertung viel zu wenig ins Gewicht fällt. Hier ist der Abschaffung des Präsenzstudiums wollen sie die jedoch der Landesgesetzgeber gefordert, klare Kriterien Studierenden gar aus den Hörsälen und Seminarräumen für Berufungsverfahren aufzustellen, insbesondere die treiben, rätselhaft, wofür sie dann noch eine gute Lehre Lehrleistung von Bewerbern viel stärker zu berücksichti- benötigen. Für die Linken behindern Abgabe- und Mel- gen. Die bisher übliche Praxis, vorrangig nach dem defristen für Bachelor- und Masterarbeiten sowie Prü- Publikationsverzeichnis und der Drittmittelquote einer fungstermine den Verlauf des Studiums. Sie wollen am Bewerberin oder eines Bewerbers zu schauen, ist jeden- liebsten – ich zitiere aus dem Antrag: mit „unabhängigen falls nur bedingt zielführend, wenn wir eine Qualitäts- Lerngruppen“ – ein „selbstbestimmtes Projektstudium“, verbesserung in der Lehre erreichen wollen. Neben die- das heißt, wir treffen uns alle unter einem Baum, sitzen sen durchaus wichtigen Kriterien muss stärker ins im Kreis, rauchen ein bisschen und lassen unseren fach- Gewicht fallen, ob die Bewerberin oder der Bewerber lichen Gedanken freien Lauf. Die Ergebnisse dieser Vor- über didaktische Kompetenzen verfügt und in der Lage stellung von Lehre, verbunden mit ideologischer Ver- ist, Studieninhalte anschaulich und nachvollziehbar zu blendung, haben wir auf dem Bologna-Gipfel gesehen. vermitteln. Die sozialistischen Studentengruppen verließen die Kon- (B) Unsere Exzellenzinitiative darf nicht dazu führen, (D) ferenz, sie sind und waren nicht in der Lage, an einer dass sich Spitzenforscher aus der Lehre „freikaufen“. Diskussion teilzunehmen. Ihnen ging es nicht darum, mit Richtig ist, dass wir bei der Exzellenzinitiative auch den beteiligten Bildungspartnern über konkrete Maßnah- Lehrleistungen berücksichtigen müssen, denn eine Spit- men zur Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses zu zenuniversität macht nicht nur eine gute Forschung, son- diskutieren. Für sie stellte der Gipfel offenbar nur eine dern eben auch eine gute Lehre aus. Plattform für ihre Provokationen dar. Das zeigt wieder einmal mehr: Die Linken sind nicht dialogfähig und le- Nun zu ihrer aus der US-amerikanischen Hochschul- ben scheinbar in einer eigenen, entrückten Welt. landschaft stammenden Idee, Juniorprofessuren für Lehre obligatorisch mit einer „Tenure Track“-Option zu verse- Die Vorschläge der Linken führen nicht zu einer „gu- hen. Eine gute Lehre wird dadurch meines Erachtens ten Lehre“! Sie verstehen nicht, was das Prinzip der Wis- nicht automatisch befördert. Auch hier gilt: Gute Lehre senschaftsfreiheit mit „Einheit von Forschung und geht nicht ohne gute Forschung. Und die „Tenure Track“- Lehre“ sowie „Freiheit von Forschung und Lehre“ Option sollte das bleiben, was sie ist: ein Anreizsystem, meint. Es ist für uns erschreckend, was sich hinter der um die besten und geeignetsten Wissenschaftler an den bürgerlich wirkenden Überschrift des Antrags der Lin- Hochschulen zu halten. Diese nur für die Juniorprofessu- ken versteckt. Sie sind und bleiben als Nachfolger der ren in der Lehre obligatorisch einzuführen, setzt eindeu- SED der Wolf im Schafspelz! Insofern beziehe ich tig die falschen Signale. meine folgenden Ausführungen auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Wir müssen die Antragssteller von einem Irrglauben Wir wissen, wie auch der Antrag von Bündnis 90/Die abbringen: Gute Lehre kann man nicht allein mit Geld Grünen richtig erkennt, dass die Lehre eine wichtige kaufen! Die christlich-liberale Koalition investiert im Leistung in unserer Hochschulausbildung ist, die es an- Rahmen des Qualitätspakts Lehre in den nächsten zehn zuerkennen und zu stärken gilt. Wir wissen, dass ein per- Jahren pro Jahr 200 Millionen Euro, also insgesamt rund sönlicher Kontakt mit dem Lehrenden, das Erleben einer 2 Milliarden Euro in die Förderung der Lehre. Das Geld Vorlesung oder eines Seminars, der Aufbau eines sozia- wird direkt für Personal, für vorgezogene Berufungen, len Umfeldes elementare Bestandteile von studentischer für Einstellungen im Mittelbau, Tutorenprogramme und und universitärer Kultur sind. Weiterbildungsangebote zur Verfügung stehen. Dabei werden wir aber auch den Gedanken der Exzellenz nicht Doch, verehrte Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die außen vor lassen. Wissenschaftler und Hochschulen sol- Grünen, sind wir uns auch mit Ihnen über den Weg hin len ihre Konzepte vorlegen und aus diesen sollen dann zu einer guten Lehre nicht vollends einig. Ich bin der – ebenso wie das bei der Bewerbung um Drittmittel üb- 4508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) lich ist – die besten Konzepte ausgewählt und gefördert Da ich ja direkt von einer Universität komme, lassen (C) werden. Sie mich abschließend noch ein Beispiel von meiner Heimatuniversität, der TU Ilmenau, aufzeigen: Dort Auch die immer wieder beschworenen Betreuungs- wird bereits innovative und gute Lehre gelebt. Gegen- schlüssel für Studierende pro Hochschullehrer können wärtig wird dort ein spannendes E-Learning-Projekt ge- nicht das Allheilmittel sein. Bei der klassischen Lehr- testet. Die Entwicklung kreativer Lernsoftware ist zwi- methode des Frontalunterrichts sowie einer guten Vor- schenzeitlich so weit, dass sich Studenten auf ihr und Nachbereitung einer Lehrveranstaltung konnten wir Mobiltelefon Lernmaterialen laden und bearbeiten kön- die Erfahrung machen, dass der Notendurchschnitt bei nen. Doch – und lassen Sie mich dies abschließend noch einer Klausur völlig identisch ist, egal ob in einer Semi- einmal betonen – ersetzt dies nicht den persönlichen nargruppe 15 oder 80 Studierende saßen. Sie sehen: Die Kontakt zwischen Lehrkräften und Studierenden. Denn besten Lehren für die Zukunft ziehen wir aus der eigenen es ist schließlich im ureigenen Interesse des Lehrenden, Erfahrung. frühestmöglich in den Kontakt mit engagierten und mo- Gute Lehre kann man auch nicht gesetzlich verord- tivierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen- nen! Das Einzige, was wir machen können, ist, gute schaftlern zu kommen und einen Austausch zu ent- Rahmenbedingungen zu schaffen. Viele Ihrer Forderun- wickeln, von dem beide Seiten profitieren: Lehrkräfte gen aus dem Antrag werden völlig freiwillig bereits ebenso wie die Studierenden. praktiziert. Viele Hochschulen loben selbst Lehrpreise aus, evaluieren ihre Lehre, stehen im ständigen Dialog Swen Schulz (Spandau) (SPD): Die Anträge der mit den Studierenden. Auch bundesweite oder lokale Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke zur Hochschulzeitschriften wählen die besten Lehrenden Verbesserung der Hochschullehre enthalten viele Über- aus. Jedoch wird ein begabter Rhetoriker immer einen legungen und Forderungen, die auch wir von der SPD in Hörsaal voller Studenten in seinen Bann ziehen können, unserem bereits im Dezember letzten Jahres vorgelegten er wird seine Vorlesung immer mit Scherzen würzen und Antrag „Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt den Dialog mit den Studierenden suchen. Den Wissen- durchsetzen“ formuliert haben. Es gibt die eine oder an- schaftlern, die keine Lehrerfahrung haben, geben wir be- dere unterschiedliche Akzentsetzung in den Anträgen – reits viele Hilfestellungen an die Hand. Dem wissen- das ist gut so; denn das gibt Stoff für anregende und wei- schaftlichen Personal werden umfangreiche Angebote terführende Diskussionen in den Ausschüssen. So legen für didaktische Weiterbildungen gemacht. Als Beispiele etwa Bündnis 90/Die Grünen schon im Titel ihres Antra- verweise ich hier auf das vielfältige Veranstaltungsange- ges einen stärkeren Akzent auf die Ausrufung eines bot des Hochschuldidaktikzentrums Baden-Württem- neuen Wettbewerbes für herausragende Lehre. Wir ha- (B) berg oder auf die Hochschuldidaktik-Initiative Thürin- ben im Grundsatz nichts gegen dieses Instrument einzu- (D) gen. Gemeinsam mit den Ländern wird der Bund wenden. Doch ein Wettbewerb sollte nur eine Ergänzung nunmehr Zentren für Studium und Lehre einrichten, die sein für die viel wichtigere Verbesserung der Grund- neue Impulse zur Professionalisierung und Qualitätssi- finanzierung aller Hochschulen gleichermaßen. Die cherung der Lehre geben. Zudem wird es eine Akademie Hochschulen sollten sich endlich mehr mit den Studie- für Lehre geben, die die neusten Erkenntnisse in der renden befassen als mit aufwendigen Antragsverfahren. Lehrforschung aufbereitet und an die Hochschulen ver- mittelt. Somit ergänzt der Qualitätspakt Lehre die vor- Doch insgesamt – ich betone das ausdrücklich – ge- handenen Strukturen und Programme. Zu wenig Fortbil- hen die Anträge in die richtige Richtung. Das politische dungszentren, wie von der Opposition behauptet, haben Problem ist vielmehr, dass es der Regierungskoalition wir diesbezüglich in keinem Fall! aus CDU/CSU und FDP entgegen allen öffentlichen Be- teuerungen am entschiedenen Willen zu einer starken Didaktische Schulungen, Beamer, Power-Point-Prä- sentationen, Mikrofone, Kopien können aber die wich- Initiative zugunsten der Hochschullehre fehlt. Die groß tigsten Bausteine „guter Lehre“ nicht ersetzen: Engage- angekündigte Bologna-Konferenz, zu der Bundesminis- ment des Lehrenden in Vorlesungen bzw. Seminaren und terin Schavan eingeladen hat, ist der vorläufige Höhe- Lernmotivation aufseiten der Studierenden. Engagement punkt einer Reihe von Scheinaktivitäten. Die propagierte und Motivation sind die Schlüsselkompetenzen guter Beteiligung der Studierenden ist letztlich nur der Form Lehre. Und wir müssen gemeinsam nach Wegen suchen, nach erfolgt. Ihre zentralen Forderungen wurden igno- diese Kompetenzen bei unseren Hochschullehrern, dem riert. Das Abschlusskommuniqué ist an Belanglosigkeit akademischen Mittelbau und unseren Studierenden wie- nicht zu überbieten. Vor allem aber: Die Ansage der der zu stärken. Bundesministerin, 2 Milliarden Euro für verbesserte Lehre ausgeben zu wollen, hört sich zunächst gewaltig Tauglich sind die Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/ an. Doch bei näherem Hinsehen wird klar, dass damit Die Grünen bezüglich der Bewertung „guter Lehre“. Wir nicht ernsthaft Probleme gelöst werden können. Denn brauchen, ich zitiere aus dem Antrag, „einen Methoden- die 2 Milliarden Euro sollen auf zehn Jahre gestreckt mix, der die Bewertung von Lehrveranstaltungen durch werden, macht also nur noch 200 Millionen jährlich. Das Studierende, Peer-Review-Verfahren sowie Absolven- macht auf den einzelnen Studierenden, pro Semester ten- und Abbrecherbefragungen umfasst“. Wir suchen umgerechnet, gerade einmal 45 Euro. Dabei wären in je- also einen Dialog zwischen Studierenden und Lehren- dem einzelnen Jahr 1,1 Milliarden Euro nötig, wie der den. Dieser muss aber nicht verordnet werden, sondern Wissenschaftsrat den Verantwortlichen in Bund und dieser wächst an einer guten Hochschule! Ländern unlängst ins Stammbuch geschrieben hat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4509

(A) Leider ist zu befürchten, dass selbst die unzureichen- fel waren ja mehr Maulwurfshügel. Jetzt verwenden die (C) den Planungen der Frau Schavan sich letztlich als Sei- Finanzer von Bund und Ländern alle Kraft darauf, das fenblase entpuppen werden – wenn die Herren Koch und Finanzierungsdefizit in Bildung und Forschung herun- Schäuble den Haushalt zurechtgestutzt haben. Jetzt rächt terzurechnen. Und das Chaos, das die Bundesregierung sich die verantwortungslose Steuer- und Haushaltspoli- mit dem Haushalt angerichtet hat, macht ein gutes Er- tik der Regierungskoalition. In der Tat stehen wir vor ei- gebnis des Bildungsgipfels leider umso unwahrscheinli- ner gewaltigen Herausforderung: Die Krisen im Banken- cher. und Finanzbereich belasten den Bundeshaushalt enorm. Aber anstatt vorzusorgen und klug zu investieren, wur- Erst gestern haben die Bundesländer klargemacht, den Milliarden für Steuergeschenke an Hoteliers und Er- was sie von Investitionen in die Bildungspolitik halten. ben herausgeschleudert. Ich habe bereits vor Monaten Auf Initiative von Bayern und Hessen haben die Finanz- im Deutschen Bundestag Frau Schavan aufgefordert, minister der Länder mit Mehrheit die vom Bund ge- endlich denen in der Regierungskoalition die Zähne zu plante Erhöhung des BAföG abgelehnt. Was kommt als zeigen, die mit einer unseriösen Haushalts- und Finanz- Nächstes dran? politik den Bildungsinvestitionen in den Kommunen, in Die SPD-Fraktion setzt sich für die ordentliche Finan- den Ländern und im Bund die Beine weghauen. Doch zierung besserer Lehre ein. Wir wollen, dass das auf dem die Bundesbildungsministerin hat es geschehen lassen. Bildungsgipfel vereinbart wird, und wir sagen auch, wo- Dann war zu lesen, dass Frau Schavan in einem Inter- her wir das Geld nehmen wollen, nämlich durch einen view sagte: „Jetzt zucke ich, wenn ich immer wieder das Bildungssoli, den wir von Spitzenverdienern durch die Thema Steuersenkung höre“. Ja meine Güte, Frau Minis- Erhöhung des Spitzensteuersatzes erzielen. Die Regie- terin zuckt vor lauter Schreck. Wie das Kaninchen vor rungskoalition ist leider weit davon entfernt, diesen rich- der Schlange erstarrt sie und hofft, dass alles gutgehen tigen Weg einzuschlagen. Die Folgen tragen die Studie- möge. Wann endlich sehen wir, sehen die Bürgerinnen renden und in der Konsequenz die ganze Gesellschaft. und Bürger eine Bildungsministerin, die kämpft? Statt- dessen tingelt sie seit Wochen durch die Gegend mit ih- Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Bologna se- rer neu gewonnenen Überzeugung, dass das Koopera- hen wir als einen Prozess, der mittlerweile bereits weit tionsverbot von Bund und Ländern bei der Bildung vorangeschritten ist, aber noch lange nicht als abge- aufgehoben werden sollte. Wir freuen uns über diesen schlossen bezeichnet werden kann. Nicht zuletzt die Sinneswandel. Doch auch hier: Wo bleibt die konkrete erste nationale Bologna-Konferenz am vergangen Aktivität? Wann kommt Frau Schavan aus ihrem Wol- Montag – aus meiner Sicht eine erfolgreiche Veranstal- kenkuckucksheim herunter und macht mal etwas Kon- tung – hat deutlich gemacht, dass Anpassungen zum (B) kretes? Wohle der Studierenden erforderlich sind. Deshalb ha- (D) ben wir uns bereits im Koalitionsvertrag mit der Union Ich habe Frau Schavan vor längerem im Bundestag darauf verständigt, gemeinsam mit den Ländern ein „Bo- eine gemeinsame, überparteiliche Initiative im Deut- logna-Qualitäts- und Mobilitätspaket“ zu schnüren, in schen Bundestag angeboten. Ich habe ihr danach noch- welchem ein Kernelement die Verbesserung der Lehre mal geschrieben und konkrete Vorschläge gemacht. Die sein wird. Reaktion war: Ein Schreiben mit lapidaren Äußerungen und schönen Worten. So schreibt Sie am 20. Mai 2010: Es wird Sie nicht verwundern – dies sage ich insbe- sondere mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen aus Bund und Länder sind sich der Verantwortung und den Fraktionen der SPD und der Grünen –, wenn ich an der Bedeutung dieser gesamtstaatlichen Aufgabe dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen muss, dass sehr bewusst. Die Bundeskanzlerin, die Regierung- die in den Anträgen der Fraktionen Die Linke und schefin und die Regierungschefs der Länder haben Bündnis 90/Die Grünen dargestellten Defizite im Be- in ihrer Besprechung am 16. Dezember 2009 das reich der Hochschullehre, für die sie immer wieder auch gemeinsame Ziel bekräftigt, die Ausgaben für Bil- die Bologna-Reform verantwortlich machen, aufgrund dung und Forschung bis 2015 auf 10 Prozent des ihrer Versäumnisse während der rot-grünen Regierungs- Bruttoinlandsprodukts zu steigern. zeit – nämlich da, als Bologna auf den Weg gebracht Dabei sitzen die Regierungschefs schon längst ohne wurde – durch eine fehlende finanzielle Begleitung der sie beisammen und planen die Einsparungen und Ein- Reform erst verursacht bzw. verstärkt wurden. schnitte im Bildungsbereich – während Frau Schavan Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie sind ganz alleine weiter von der Erreichung des 10-Prozent- Ziels träumt und philosophiert. Wenn es aber konkret Ihrer Verantwortung damals nicht gerecht geworden und kommen heute mit dem erhobenen Zeigefinger. Das mag wird, duckt sich Frau Schavan weg. Das ist beim soge- Ihrer Oppositionsrolle geschuldet sein, ist aus meiner nannten Bologna-Gipfel so gewesen, das ist bei der Sicht jedoch vollkommen unnötig. Heute nämlich wird Haushalts- und Steuerpolitik so, und das ist beim Thema der Bund seiner Verantwortung gerecht. Die Bundesre- Föderalismus so. gierung fördert mit dem Hochschulpakt II den systemati- Auch bei der Verbesserung der Hochschullehre kom- schen Ausbau der Studienplatzkapazitäten allein in 2010 men wir nur dann weiter, wenn wir eine gute Zusam- mit 508 Millionen Euro. Die christlich-liberale Bundes- menarbeit von Bund und Ländern erreichen. Aber die regierung stellt für die Weiterentwicklung des Bologna- nächste große Show ist ja bereits angesagt: der „Bil- Prozesses 33 Millionen Euro zur Verfügung und etati- dungsgipfel“ der Bundeskanzlerin. Die letzten zwei Gip- sierte bereits 760 Millionen Euro für einen Qualitäts- 4510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) pakt, welcher durch eine Kofinanzierung der Länder er- weise etwas für die Lehre zu tun, empört mich das umso (C) gänzt werden soll. Hier können wir mit einem mehr. Die Universität Potsdam, die größte Hochschule in beträchtlichen Zugewinn für die Hochschullehre rech- Brandenburg, hat mittlerweile über 20 000 Studierende nen. und ist damit längst an ihren Kapazitätsgrenzen ange- langt. Überfüllte Seminare und „Massenabfertigungen“, Meine Damen und Herren von der Opposition, we- wie sie seitens der Bildungsstreikenden – auf die sich nigstens darin sind Sie sich ja einig: Sie fordern immer Die Linke ja allzu gern beruft – immer wieder beklagt wieder die Abschaffung von Studienbeiträgen. Mittler- wurden, sind in Potsdam Realität. Und die einzige Re- weile fließen deutlich mehr als 1,2 Milliarden Euro aus aktion von Rot-Rot ist es, für noch mehr Studierende zu Erlösen der Studienbeiträge in die Hochschullehre. werben, um möglichst viele Mittel aus dem Hochschul- Diese Einnahmen decken bundesweit mehr als ein Drit- pakt zu ergattern! tel der Kosten zusätzlicher Hochschulinvestitionen. Hochschulen im Verantwortungsbereich liberaler Minis- Nicht anders sieht es übrigens im ebenfalls rot-rot-re- ter konnten dadurch bemerkenswerte Verbesserungen er- gierten Berlin aus. Trotz erheblicher Beteiligung des zielen. Während die Ausgaben der Hochschulen in Bay- Bundes ist der durchschnittliche Landeszuschuss pro ern im Zeitraum von 2006 bis 2008 um 778 Millionen Studierendem und Jahr an die Hochschulen seit 2006 um Euro stiegen und die nordrhein-westfälischen Hochschu- mehr als 600 Euro eingebrochen. len im selben Zeitraum sogar 881 Millionen Euro mehr Wenn im Bundestag dann Die Linke mit ihrem Antrag investieren konnten, fiel der finanzielle Zugewinn in einerseits Mittelsteigerungen für die Hochschulen for- Berlin und Brandenburg beschämend gering aus. Sie dert, um eine Steigerung der Lehrqualität zu erreichen, wollen allen Hochschulen diese Einnahmequelle streitig und andererseits absurderweise auch noch die Abschaf- machen, ohne uns die Frage beantworten zu können, wie fung von Studiengebühren fordert, wenngleich diese Sie die zu erwartenden Einnahmeverluste für die Hoch- mittlerweile eine erhebliche Bedeutung für die Finanzie- schulen auffangen wollen. Stattdessen finden sich im rung von Hochschulen haben, kann man das ganze Papier Antrag der Grünen diverse Vorschläge, die im Wesentli- eigentlich nicht mehr ernst nehmen. Auch das Deutsche chen auf eine zentrale Steuerung des Hochschulwesens Studentenwerk bestätigte doch, dass Studienbeiträge durch- abstellen. Sie setzen auf Gender- und Diversity-Kompe- aus zielgerichtet zur Verbesserung der Betreuungs- und tenzen als zentrale Qualitätskriterien bei der Bewertung Studiensituation der Studierenden eingesetzt werden und guter Lehre und fordern flächendeckend Landeslehr- damit eine erhebliche positive Wirkung auf die Situation preise. Dann beklagen Sie die Differenzierung der Perso- der Hochschulen entfalten. nalkategorien an den Hochschulen und wollen aber gleichzeitig zusätzliche Professuren und Juniorprofessu- Meine Damen und Herren von der Fraktion Die (B) ren mit dem Schwerpunkt Lehre schaffen. Für mich lässt Linke, mit Ihrem unsystematisch zusammengewürfelten (D) sich dieses grüne Klein-Klein beim besten Willen nicht Forderungskatalog zur Deckung des Mittelbedarfs deut- mit einer modernen Wissenschaftspolitik vereinbaren. scher Hochschulen, welcher von einer Grundgesetzre- Ich bin davon überzeugt: Mit dem von uns eingeschlage- form bis zur Erarbeitung von diversen Aktionsplänen nen Weg, der eine Anerkennungskultur für die Lehre för- reicht, lassen Sie vollkommen außer Acht, dass der Bund dern wird, unterstützt der Bund die qualitative Weiter- schon jetzt für den Hochschulbereich Mitwirkungs- und entwicklung des Bologna-Prozesses besser und wird Finanzierungsmöglichkeiten besitzt und diese auch damit sicher mehr für die Hochschulen und vor allem für nutzt. Wir stellen bereits gemeinsam mit den Ländern er- die Studierenden erreichen. hebliche Mittel für den Ausbau zusätzlicher Studien- platzkapazitäten über den Hochschulpakt zur Verfügung. Meine Damen und Herren, ich erwarte aber auch, Mit dem Qualitätspakt Lehre stellt der Bund in den dass die Länder ihre Hausaufgaben machen. Wer die Zu- nächsten zehn Jahren außerdem beträchtliche Mittel zur ständigkeit für die Bildung bei sich sieht, muss auch die Steigerung der Lehrqualität bereit. Sie hingegen zeigen dazugehörende Verantwortung übernehmen und schließ- lediglich auf die Bundesregierung und fordern sie auf, lich auch das dafür erforderliche Geld in die Hand neh- mehr für die Finanzierung der Hochschulen zu tun, und men. Es empört mich daher, wenn ich von Vorschlägen dort, wo Sie selbst in Verantwortung sind, machen Sie höre, bei der Bildung zu sparen. Wenn ich sehe, dass das genaue Gegenteil. Das ist nicht glaubwürdig, und die zum Beispiel in meinem Bundesland, nämlich Branden- Menschen im Land, vor allem die Studierenden, sehen burg – übrigens seit 20 Jahren von der SPD regiert – al- das auch. lein darauf gesetzt wird, möglichst viele Bundesmittel aus dem Hochschulpakt 2020 zu bekommen, indem Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, Koalition massiv Studierende ins Land gelockt werden, gleichzei- und Bundesregierung setzen ihre Prioritäten bei Bildung tig aber nicht im gleichen Maße eigene Investitionen in und Forschung. Unser Ziel bleibt es, Deutschland zur den Ausbau zusätzlicher Kapazitäten an den Hochschu- Bildungsrepublik zu machen. Die Länder, aber auch die len getätigt werden, dann ärgert mich das maßlos. Wenn Hochschulen haben in uns einen verlässlichen Partner. die dortige rot-rote Landesregierung in ihrem Koali- An ihnen selbst ist es aber auch, mit eigenen Anstren- tionsvertrag von der großen Bedeutung der Bildung phi- gungen ihren Beitrag zu leisten, unserem gemeinsamen losophiert, gleichzeitig aber tatenlos zusieht – nein, ich Ziel noch näherzukommen. behaupte: es mit ihrer soeben beschriebenen Strategie sogar massiv befördert –, dass die Hochschulen im Nicole Gohlke (DIE LINKE): Überfüllte Hörsäle, Lande aus allen Nähten platzen, ohne auch nur ansatz- Prüfungsstress, hohe Präsenzpflicht, Stellenabbau und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4511

(A) abstruse Betreuungsrelationen – eine Professorin oder Wenn Sie an dieser Situation grundlegend etwas än- (C) ein Professor ist durchschnittlich für 60 Studierende ver- dern wollen, sorgen Sie für mehr und vor allem für antwortlich! So kann man schlagwortartig die Lehr- und kontinuierliche Mittel! Stellen Sie mehr Personal mit ge- Lernsituation an den Hochschulen umschreiben. Das sicherten Arbeitsverhältnissen ein und schaffen Sie Qua- kommt nicht von ungefähr: Jahrzehntelang wurden die lifizierungsmöglichkeiten! Der Wissenschaftsrat veran- Hochschulen unterfinanziert; zudem wurde der Bologna- schlagt allein für die Verbesserung der Qualität der Lehr- Prozess implementiert, nach dem Motto „Schaut doch, und Lernbedingungen ein jährliches Budget von 1,1 Mil- wie ihr damit klarkommt!“ Und da ist es kein Wunder, liarden Euro. Sie bieten 200 Millionen Euro und wollen dass die Versprechen auf neue Lehr- und Lernformen, dafür noch gefeiert werden. Mit Verlaub, aber das ist ab- wie etwa ein selbstbestimmtes Projektstudium, forschen- surd! des Lernen, die Anerkennung und Integration von unab- Und mit der Exzellenzinitiative verschärft die Bun- hängigen Lerngruppen in den Lehrbetrieb oder E-Lear- desregierung dieses Problem noch. Nicht nur, dass ning, nicht umgesetzt wurden. dadurch die Mittel konzentriert und einer breiteren Die Bologna-Konferenz vom vergangenen Montag Finanzierung, von der alle Hochschulen etwas hätten, wäre eine gute Gelegenheit gewesen, mit allen Verant- entzogen werden, dazu kommt, dass diejenigen, die in wortlichen gemeinsam Veränderungen zu beschließen. solchen Exzellenzprojekten forschen, sich doch kaum Sie, Frau Schavan, haben sie nur dazu genutzt, Ihre alt- noch an der Lehre beteiligen. Stattdessen gibt es dann bekannten Projekte erneut vorzustellen. Und es sollte Ih- die reinen Lehrbeauftragten, die aber keine Zeit mehr nen zu denken geben, meine Kolleginnen und Kollegen haben, zu forschen. Sie betreiben eine Ausdifferenzie- von den Regierungsfraktionen, Frau Schavan, dass die rung in Forschungs- und Lehruniversitäten; Sie treiben Bildungsstreikenden die Sitzung vorzeitig verlassen ha- mit Ihrer Politik die Trennung von Forschung und Lehre ben. Denn die Bildungsministerin ist wirklich mit kei- voran! Und das nennen Sie dann Wissenschaftsstandort. nem Wort auf die Forderungen der Studierenden einge- Sie beschneiden und zerstören doch auf diese Weise die gangen, sie hat nicht mal die Gelegenheit genutzt, mit Wissenschaft an der Wurzel! den anwesenden Kultusminister und Kultusministerin- Ich kann Ihnen nur sagen: Die richtige Antwort auf so nen und Hochschulrektoren und Hochschulrektorinnen eine Politik heißt Protest! Dass man sich für gute Bil- konkrete Vereinbarungen zu treffen. dung nicht auf Frau Schavan und die Landesregierungen verlassen kann, hat der Bologna-Gipfel am Montag be- Grundvoraussetzung für jede Verbesserung an der wiesen. Ich hoffe, dass die Studierenden am 9. Juni vor Hochschule und in der Lehre ist Geld: Es ist nicht einzu- allem gemeinsam mit Lehrkräften und Beschäftigten der sehen, dass die Krise und die Konsolidierung der Haus- (B) Hochschulen die nächste Runde des Bildungsstreiks ein- (D) halte auf dem Rücken der Bildung ausgetragen werden läuten. Es geht um nicht weniger als den freien und glei- sollen, wie es nun Ihr Ministerpräsident Roland Koch in chen Zugang zu guter Bildung! Dafür braucht es auch Hessen fordert. 2 Milliarden will die Bundesregierung in Bedingungen, unter denen man auch gut lehren und ler- den nächsten zehn Jahren für die Verbesserung der Lehre nen kann. zur Verfügung stellen. Zum Vergleich: über 100 Milliar- den Euro konnten schon wieder über Nacht für die Schuldner Griechenlands mobilisiert werden, also für Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute die Banken. Sie handeln nach dem Motto: „Geld für Studien- und Lernbedingungen entscheiden maßgeblich Banken statt für Bildung!“ Das ist ein Skandal! Und der über ein erfolgreiches Studium. Lehre muss Studierende Anteil der öffentlichen Ausgaben pro Student am Brutto- motivieren und inspirieren, Forschungsinteresse wecken, inlandsprodukt ist seit den 70er-Jahren um zwei Drittel Kreativität, eigenständiges Denken und wissenschaftli- zurückgegangen! So schaut Ihre Bildungsrepublik aus! ches Arbeiten fördern. Steigende Studierendenzahlen Da müssen Sie sich nicht über weitere Proteste wundern! und eine fehlende Finanzierung der Bologna-Reform ha- ben die Lehr- und Betreuungssituation an den Hochschu- Die Qualität von Lehre und Studium ist untrennbar len aber vielerorts verschlechtert statt verbessert. mit guten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ver- Mit durchschnittlich 60 Studierenden pro Professorin knüpft. Sie reden doch immer von Exzellenz! Dann oder Professor – in einzelnen Fächern noch deutlich schaffen Sie einfach mal exzellente Bedingungen! Ohne mehr – lässt sich nur schwer eine Lehre organisieren, die hervorragende Arbeitsbedingungen wird es keine her- den Begabungen, Talenten und der Neugierde des Ein- vorragende Lehre geben. Ihre Politik führte geradewegs zelnen gerecht wird. Gute Lehre darf nicht länger Kür in katastrophale Arbeits- und Beschäftigungsbedingun- für wenige, sondern muss Anspruch und Realität an al- gen an den Hochschulen – besonders unterhalb der Pro- len Hochschulen werden. Wir brauchen von allen Ak- fessur. Lehrbeauftragte sichern den laufenden Lehrbe- teuren – im Bund, in den Ländern, an den Hochschulen – trieb, sie tun dies völlig unterbezahlt und ohne gesicherte gemeinsam getragene Strategien, wie wir für alle Studie- Perspektiven. Drei Viertel aller wissenschaftlichen Mit- renden endlich ein besseres Studium und einen transpa- arbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen sind nach renten, mobilitätsfreundlichen europäischen Hochschul- Angaben des Statistischen Bundesamtes befristet be- raum verwirklichen. schäftigt, die Hälfte davon in Teilzeit. Und dieser Trend reicht bis zu den Professuren, deren Stellen 2008 bereits Akzeptanz und Erfolg der Bachelor- und Masterab- zu 16 Prozent befristet waren, 1998 waren es noch schlüsse hängen maßgeblich von einem deutlich verbes- 5 Prozent. serten Betreuungsschlüssel ab. Diese Botschaft setzen 4512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) wir Grüne und die Studierenden schon lange; sie muss die Mitsprache der Länder umgehen, indem sie die (C) endlich von den Wissenschaftsministerinnen und -minis- Hochschulen direkt beteiligt. Das ist keine tragfähige tern sowie der Bundesbildungsministerin nicht nur ge- Lösung. Außerdem würde das, was die Ministerin bis- hört, sondern auch in die Realität übersetzt werden. lang lediglich skizziert hat, mit großer Wahrscheinlich- keit dazu führen, dass die Förderung nicht an der Zahl Wir Grüne haben bereits in der letzten Legislatur eine der Studierenden ausgerichtet würde, sondern nur einige umfassende Gesamtstrategie für gute Lehre gefordert Hochschulen die Mittel unter sich aufteilten. Unser Vor- und ein Konzept vorgelegt. Es ist traurig, dass fast vier schlag einer dritten Säule im Hochschulpakt bindet alle Jahre verstrichen sind, bevor die Ministerin das Thema Verantwortlichen mit ein und leitet die Mittel zielgerich- endlich anpackt. Zu einer Gesamtstrategie für gute Lehre tet dort hin, wo sie gebraucht werden. gehört, dass der Hochschulpakt zwischen Bund und Län- dern, der massiv unterfinanziert ist und noch nicht ein- Mit unserer Gesamtstrategie sorgen wir dafür, allen mal die Kosten für unterdurchschnittliche Studienbedin- Studierenden eine gute Lehre zu garantieren sowie die gungen trägt, endlich besser ausgestattet wird und dass Einheit von Forschung und Lehre zu stärken statt aufzu- mehr Studienplätze geschaffen werden. kündigen. Wir wollen die Reputation und Anerkennung von Lehre stärken und sie damit perspektivisch endlich Seit Monaten kündigt die Bundesministerin nun zwar auf Augenhöhe mit der Forschung bringen. Denn gute ein „Qualitätsprogramm für die Lehre“ an, dies reicht Lehre muss sich lohnen, sie braucht mehr Wertschätzung aber weder finanziell noch strukturell aus, die unzurei- und klare Struktur- und Finanzentscheidungen der Poli- chende Förderung, Ausstattung und Wertschätzung der tik. Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Lehre zu überwinden. Schavans vages Bologna-Paket und der vollmundig angekündigte 2-Milliarden-Euro- „Qualitätspakt für die Lehre“ drohen nun dem Rotstift Anlage 8 der CDU-Ministerpräsidenten zum Opfer zu fallen. Wir brauchen einen Rettungsschirm für Hochschulen, keinen Amtliche Mitteilungen Koalitionskrach über Kürzungen. Der Bundesrat hat in seiner 869. Sitzung am 7. Mai Die Bildungsrepublik wird von Koch & Co abgeris- 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- sen, bevor mit ihrem Bau ernsthaft begonnen wurde. stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Wer bei Bildungsinvestitionen kürzen will, versündigt des Grundgesetzes nicht zu stellen: sich an jungen Generationen, verhindert Teilhabe, ver- – Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates geudet Zukunfts- und Innovationsfähigkeit. Nur Länder, und zur Übertragung der fortzuführenden Aufga- die auch in Zeiten desolater Haushaltslagen die Priorität ben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung wei- (B) (D) auf ein leistungsfähigeres Bildungs- und Hochschulsys- terer Gesetze tem legen, können aus Krisen gestärkt hervorgehen. Wenn Ministerin Schavan nicht als Ankündigungs- Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ministerin enden möchte, dann muss sie im Schulter- ßung gefasst: schluss mit Kanzlerin Merkel auf dem Bildungsgipfel am 10. Juni einen festen Fahrplan für eine Reform der Die Bundesregierung wird gebeten, die Auswirkun- Bologna-Reform vereinbaren und einen echten Quali- gen der in diesem Gesetz vorgenommenen Änderung des tätspakt für die Lehre schließen. Schavan darf die Stu- Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) zeitnah aus- dien- und Lehrreform nicht allein den Ländern oder zuwerten und bei Bedarf eine einheitliche Regelung von Hochschulen überlassen, sondern muss ihrer Verantwor- SGB XII und SGB II herbeizuführen. tung als Bundesbildungsministerin gerecht werden. Begründung: Das SGB XII enthält bereits eine erprobte Regelung Wir fordern von der Bundesregierung in Zusammen- für abweichende Bedarfe. Mit der betreffenden Rege- arbeit mit den Ländern ein verlässliches Gesamtkonzept lung dieses Gesetzes erfolgt eine unterschiedliche zur Sicherung guter Lehrqualität. Zentrale Elemente sind Ausgestaltung der beiden Fürsorgesysteme SGB II eine dritte Säule im Hochschulpakt und ein Bundeswett- und SGB XII. Im Interesse einer Harmonisierung in bewerb für herausragende und innovative Lehre. Durch Fragen der existenzsichernden Bedarfe sollte jedoch die dritte Säule sollen Bundesmittel zielgenau an die im SGB II eine dem SGB XII analoge Regelung für Hochschulen fließen für Professuren und Junior-Profes- atypische Bedarfslagen erfolgen. suren mit dem Schwerpunkt Lehre, für Tutorien und Mentoring-Programme sowie für didaktische Fort- und Die Übernahme einer gleichlautenden Öffnungsklau- Weiterbildung, Zentren für Fachdidaktik und für Perso- sel auch in das SGB II würde der Rechtssicherheit nalmanagement, Qualitätssicherung sowie Lehrorganisa- und Rechtsklarheit dienen. tion an den Hochschulen. – Fünftes Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- Nach all dem Gegenwind aus den Ländern hat Bun- steuergesetzes desministerin Schavan nun statt eines umfassenden Kon- – Achtes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis- zepts zur Stärkung der Lehre eine „Akademie für gute sionsschutzgesetzes Lehre“ angekündigt. Diese Idee halten wir für verfehlt und eindeutig zu kurz gesprungen. Durch die Einrich- – Erstes Gesetz zur Änderung des Telemediengeset- tung einer „Akademie“ will die Bundesministerin nur zes (1. Telemedienänderungsgesetz) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4513

(A) – Gesetz zur Änderung des Abkommens vom 15. De- Rat seinen Präsidenten Herman Van Rompuy damit be- (C) zember 1950 über die Gründung eines Rates für auftragt hat, eine Task Force einzurichten, um Vor- die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwe- schläge für eine bessere Prävention und Krisenbewälti- sens gung in der Eurozone zu erarbeiten. – Gesetz zu den Änderungsurkunden vom 24. No- Das aufwendige Maßnahmenpaket kann nur effektiv vember 2006 zur Konstitution und zur Konvention und nachhaltig sein, wenn es dazu beiträgt, verlorenes der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. De- Vertrauen zurückzugewinnen und Lasten gerecht zu ver- zember 1992 teilen. – Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich Erhalt der für die Finanzstabilität in der Wäh- auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass rungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzsta- – die zuständigen europäischen Institutionen in die Lage bilitätsgesetz – WFStG) versetzt werden, wirksame Maßnahmen ergreifen zu können, die für eine effektivere Überwachung der Haushalts- und Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- sorgen. Insbesondere dem Europäischen Statistikamt ßung gefasst: EUROSTAT muss ein Zugriffs-, Durchgriffs- und In der aktuellen Krise geht es um Bestand und Zukunft Kontrollrecht gegenüber den nationalen Statistikäm- der Europäischen Union – nicht nur um Griechenland. tern eingeräumt werden. Der Europäische Rech- Der Bundesrat befasst sich in europäischer und gesamt- nungshof ist durch erweiterte Prüfungsrechte zu stär- staatlicher Verantwortung mit dem Gesetz zum Erhalt der ken. Stabilität der Währungsunion. Er erachtet die von Inter- – ein effektiver Frühwarnmechanismus eingerichtet wird, nationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission, der im Fall drohender Überschuldung von Staaten eine Europäischer Zentralbank sowie den Euro-Staaten be- Warnung auslöst. Defizitsünder sollten vor Verab- schlossenen Maßnahmen für Griechenland als unabding- schiedung ihrer Haushalte der Eurogruppe berichten bar. Eine stabile Wirtschafts- und Währungspolitik benö- müssen und diese sollte dazu öffentlich Stellung bezie- tigt ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft hen können. und dem damit verbundenen notwendigen Prinzip des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Deutschland braucht – der Stabilitäts- und Wachstumspakt in seiner Funktion den Euro – ebenso wie Europa. Ohne gemeinsame Wäh- gestärkt wird, indem Euro-Mitgliedstaaten, die wie- rung hätte die Wirtschafts- und Finanzkrise unseren Kon- derholt übermäßige Haushaltsdefizite aufweisen, ei- (B) (D) tinent noch härter getroffen. nem beschleunigten Defizitverfahren unterworfen werden, so dass Sanktionen früher greifen können. Griechenland zu helfen ist notwendig, um eine Zah- Sanktionen müssen zu einem früheren Zeitpunkt ver- lungsunfähigkeit des Landes zu verhindern und die hängt werden, und nicht erst, wenn ein Staat am Rande Euro-Zone vor unkalkulierbaren Erschütterungen zu be- der Zahlungsunfähigkeit steht und weitere Zahlungs- wahren. Die Unterstützung ist ein Ausnahmefall, der verpflichtungen in der konkreten Situation keinen un- nicht in einen Mechanismus für weitere notleidende mittelbaren Mehrwert bringen. Staaten führt. Die Währungsunion darf sich nicht suk- zessive in eine Transferunion wandeln. Grundlage ist die – die Hürden für politische Einflussnahme gegen zu Stärkung und Verschärfung des bestehenden Stabilitäts- verhängende Sanktionen möglichst hoch gelegt wer- und Wachstumspaktes. den, etwa durch zu veröffentlichende Berichte der Eu- ropäischen Zentralbank. Die international vereinbarten Maßnahmen sehen in den nächsten Jahren einen strikten Sparkurs und struktu- – der Stabilitäts- und Wachstumspakt so modifiziert relle Reformen für Griechenland vor, mit denen das wird, dass deutlich spürbarere Sanktionen verhängt Land schrittweise seine öffentlichen Finanzen wieder werden können, z. B. Sperrung von Mitteln aus den stabilisieren und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirt- EU-Struktur- und Kohäsionsfonds für Euro-Mitglied- schaft verbessern soll. Die von Griechenland zu treffen- staaten, die durch übermäßige Haushaltsdefizite die den Entscheidungen zur Einhaltung des Sparkurses und Eurozone als Ganzes gefährden, Suspendierung der der strukturellen Reformen sind streng zu überwachen. Stimmrechte, und die Verhängung von Sanktionen, Grundlage bilden die zwischen dem Internationalen die soweit möglich automatisch ausgelöst werden. Währungsfonds, der Europäischen Kommission im Auf- – neue Instrumentarien für überschuldete Staaten entwi- trag der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ckelt werden, mit denen ein Restrukturierungs- und In- von Griechenland unter Mitwirkung der Europäischen solvenzsystem aufgebaut wird. Dieses Restrukturie- Zentralbank vereinbarten Maßnahmen. Der Bundesrat rungs- und Insolvenzverfahren muss systemische fordert die Bundesregierung auf, über die diesbezügli- Risiken vermeiden und klar regeln, dass die Gläubiger chen Fortschritte bzw. über die Einhaltung dieser Verein- auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen barungen regelmäßig zu berichten. (Umschuldung). Es muss sichergestellt sein, dass Re- Die Krise in Griechenland hat aber auch strukturelle strukturierungs- und Insolvenzverfahren zügig und un- Schwächen der europäischen Währungsunion offenge- ter Wahrung der Rechtssicherheit durchgeführt werden legt. Der Bundesrat begrüßt daher, dass der Europäische können; damit soll treffsicher gewährleistet werden, 4514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010

(A) dass diejenigen, die spekulieren, entsprechend den von – Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im (C) ihnen eingegangenen Risiken herangezogen werden. Rahmen eines europäischen Stabilisierungsme- chanismus – der Anleger- und Verbraucherschutz in Europa verbes- sert sowie insbesondere der sogenannte „graue Kapi- talmarkt“ reguliert und beaufsichtigt wird. Künftig Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben darf kein Finanzmarkt, kein Finanzmarktakteur und mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 kein Finanzmarktprodukt ohne Regulierung, Aufsicht der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der und Haftung bleiben. nachstehenden Vorlage absieht: – bei zukünftigen Beitrittsanträgen zur Währungsunion ein längeres, zum Beispiel fünfjähriges, Monitoring- Auswärtiger Ausschusses verfahren durchgeführt wird, in dem der Kandidat be- weist, dass er in der Lage ist, eine dauerhaft stabili- – Unterrichtung durch die Bundesregierung tätsorientierte Finanzpolitik zu führen, und dabei auch Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer auf seine Wettbewerbsfähigkeit achtet. Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaa- Die aktuelle Krise um Griechenland hat auch verdeut- ten und ganz Südosteuropa (Berichtszeitraum: 1. Februar licht, dass im Finanzmarktsystem Änderungen dringend 2009 bis 28. Februar 2010) erforderlich sind, um dessen Krisenresistenz zu stärken. – Drucksachen 17/1200, 17/1485 Nr. 2 – Daher fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, Ausschuss für Gesundheit – sich für die Schaffung einer unabhängigen europäi- schen Rating-Agentur einzusetzen, die ihre Ratings – Unterrichtung durch die Bundesregierung vollständig transparent macht. Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zehn Jahre nach Inkrafttreten des Trans- – die Regulierung von Rating-Agenturen zu verbessern, plantationsgesetzes indem wirtschaftliche Verflechtungen von Rating- – Drucksachen 16/13740, 17/591 Nr. 1.15 – Agenturen und Finanzmarktakteuren ausgeschlossen und mögliche Marktmanipulationen durch die Fi- – Unterrichtung durch die Bundesregierung nanzaufsicht streng kontrolliert werden. Gutachten 2009 des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der Entwicklung im Gesundheitswesen – ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Finanz- Koordination und Integration – Gesundheitsversor- (B) marktinstrumenten einzuführen. gung in einer Gesellschaft des längeren Lebens (D) – alle Finanzprodukte und alle Finanzmarktteilnehmer, – Drucksachen 16/13770, 17/591 Nr. 1.16 – zum Beispiel Hedge-Fonds, zu regulieren. – Unterrichtung durch die Bundesregierung – den Kauf von Kreditausfallversicherungen (CDS), die Bericht der Bundesregierung zu Erfahrungen mit der nicht zur Absicherung eigener oder mandatierter Risi- Erprobung von Arzneimitteln an Minderjährigen nach ken dienen, umgehend zu verbieten. Der Bundesrat Inkrafttreten des Zwölften Gesetzes zur Änderung des spricht sich für die Schaffung europäischer Clearing- Arzneimittelgesetzes stellen und Handelsplattformen aus, die wirksam re- – Drucksachen 16/14131, 17/591 Nr. 1.33 – guliert werden. – Unterrichtung durch die Bundesregierung – bei Verbriefungen einen signifikanten Selbstbehalt Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung der einzuführen. Zugleich erwartet der Bundesrat die Er- gesetzlichen Vorschrift zur Fortsetzung der Arzneimit- stellung verbindlicher Standards für Verbriefungen. teltherapie nach Krankenhausbehandlung – Drucksachen 16/14137, 17/591 Nr. 1.34 – – die Erhebung einer risikoadjustierten Bankenabgabe zur Errichtung eines Stabilitäts-Fonds zur Finanzie- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie rung künftiger Restrukturierungs- und Abwicklungs- – Unterrichtung durch die Bundesregierung maßnahmen bei Banken voranzutreiben, damit der Fi- Bericht der Bundesregierung 2009 zur Anwendung des nanzsektor bei zukünftigen Krisen selbst gewappnet Standardkosten-Modells und zum Stand des Bürokra- ist und reagieren kann. tieabbaus – sich in Europa und in der G-20-Gruppe für die Um- – Drucksachen 17/300, 17/591 Nr. 1.46 – setzung der jetzt vom Internationalen Währungsfonds – Unterrichtung durch die Bundesregierung vorgelegten Vorschläge hinsichtlich eines abgestimm- ten Vorgehens zur Beteiligung des Finanzsektors an Jahresgutachten 2009/10 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung den Kosten der Krise einzusetzen. – Drucksache 17/44 –

Der Bundesrat hat in seiner 870. Sitzung am 21. Mai – Unterrichtung durch die Bundesregierung 2010 beschlossen, zu dem nachstehenden Gesetz einen Bericht der Bundesregierung über den Stand der Doha- Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes Welthandelsrunde nicht zu stellen: – Drucksachen 17/316, 17/503 1.2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010 4515

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 15058/09 (C) Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung Drucksache 17/1100 Nr. A.8 EuB-BReg 77/2010 – Drucksache 17/500 –

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Verbraucherschutz mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Drucksache 17/1492 Nr. A.28 dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Ratsdokument 8174/10 tung abgesehen hat:

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Auswärtiger Ausschuss Entwicklung Drucksache 17/859 Nr. A.3 Drucksache 17/1270 Nr. A.6 Ratsdokument 5935/10 Ratsdokument 6822/10 Drucksache 17/859 Nr. A.4 Drucksache 17/1270 Nr. A.7 Ratsdokument 5938/10 Ratsdokument 6963/10 Drucksache 17/1100 Nr. A.1 Drucksache 17/1492 Nr. A.37 Ratsdokument 17811/09 Ratsdokument 7709/10 Drucksache 17/1492 Nr. A.1 EuB-BReg 82/2010 Drucksache 17/1492 Nr. A.3 Ausschuss für Tourismus EuB-BReg 85/2010 Drucksache 17/1492 Nr. A.5 Drucksache 17/1492 Nr. A.42 EuB-EP 2008; P7_TA-PROV(2010)0017 Ratsdokument 8253/10

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/859 Nr. A.9 Ratsdokument 5662/10 Drucksache 17/315 Nr. A.8 Drucksache 17/859 Nr. A.10 Ratsdokument 17196/09

(B) (D)

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