KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG 3|2019 AUSLANDSINFORMATIONEN

AUSLANDSINFORMATIONEN

3 | 2019 Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist wieder da: 30 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs spielt das Thema Rüstung und Rüstungskontrolle heute wieder eine wichtige Rolle. Das hat das unlängst erfolgte Scheitern des INF-Vertrages,­ dem letzten Grundpfeiler nuklearer Rüstungskontrolle, eindeu- tig bewiesen. Es ist Symptom einer neuen Großmachtpolitik, die das internationale System zunehmend prägt. Dazu trägt Russland durch den Aufbau von Mittelstreckenraketen ebenso bei wie China, das Jahr für Jahr seine Rüstungsausgaben steigert und sich in eini- gen Bereichen schon jetzt auf Augenhöhe mit den USA­ bewegt. Von neueren Gefahren durch einen Rüstungswettlauf im Cyber- und Weltraum oder Massenvernichtungswaffen in den Händen von nichtstaatlichen Akteuren, sprich: Terroristen, ganz zu schweigen.

Damit wachsen auch die Aufgaben für uns Europäer. Wir kön- nen die Verantwortung für unsere Sicherheit angesichts solcher Herausforderungen nicht länger an andere abtreten; wir müssen einen stärkeren sicherheitspolitischen Beitrag leisten und eigene Antworten auf die strategischen, militärischen und technologi- schen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts finden. Das betont auch Carlo Masala in seinem Zwischenruf zu dieser Ausgabe. Die Europäische Union müsse ihre Strategische Autonomie deutlich ausbauen, ohne dabei ihre transatlantischen Bündnispartner zu entfremden. Dies ist gerade in Zeiten wichtig, in denen sich bewährte Formen der Rüstungskontrolle auflösen. Philipp Dienst- bier analysiert in seinem Beitrag die Gründe für das Scheitern des ­INF-Vertrages zwischen Russland und den ­USA. Zu befürchten ist, dass wir vor einer neuen Aufrüstungsspirale stehen.

In anderen Regionen hat Aufrüstung bereits jetzt destabilisierende Folgen. Ein Beispiel liefern Romina Elbracht und Ann-Margret Bol- mer in ihrem Beitrag zur indischen Rüstungspolitik. Pakistan wird seit Jahrzehnten als eine der zentralen Bedrohungen für die indi- sche Sicherheit wahrgenommen. Nun entwickelt sich auch China zum wichtigen Player und bringt sich gerade auch militärisch in der Region stärker ein. Das hat nicht nur auf die indische Handels­ politik massive Auswirkungen, sondern auch auf das Wettrüsten vor Ort. Der Beitrag zeigt eindrücklich, dass die globalen Kon- fliktlinien schon lange nicht mehr entlang der Allianzen einzelner Länder mit den ­USA und Russland verlaufen.

2 Russland ist weiterhin um den Ausbau weltweiter Rüstungspart- nerschaften bemüht. Insbesondere in Afrika südlich der Sahara knüpft Putins Russland an ehemalige sowjetische Beziehungen zu afrikanischen Staaten an, wie Benno Müchler in seinem Beitrag schreibt. Dabei hat Russland nicht unbedingt nur den Zugriff auf afrikanische Märkte im Blick, sondern versucht auch, den europä- ischen Zugang zu afrikanischen Ressourcen zu beschränken.

Auch in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft ist Russ- land aktiv. Der Verkauf eines russischen Flugabwehrsystems an die Türkei wird hinlänglich als Versuch gewertet, das Land aus den bestehenden ­NATO-Strukturen zu lösen. Michael Doran und Peter Rough argumentieren, dass es der Türkei bei dem Waffen- kauf darum geht, sich alle Kooperationsoptionen offenzuhalten und Druck auf die ­USA auszuüben. Hierbei gilt es für die ­USA, aber auch für Deutschland, trotz aller Schwierigkeiten, die Türkei als einen wichtigen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten nicht zu verlieren.

Jenseits klassischer Rüstungsthemen sollte nicht übersehen wer- den, dass die Fortschritte im Bereich der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz auch für Waffentechnologien eine immer größere Rolle spielen werden. Hier verschränken sich technische mit ethisch-moralischen und rüstungskontrollpolitischen Fragen. Frank Sauer argumentiert dabei im Interview, dass der Mensch bei Diskussionen um das Für und Wider neuer Technologien nicht aus der Verantwortung genommen werden darf, moralisch informierte Entscheidungen über Leben und Tod zu fällen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Euro­ päische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer- Stiftung ([email protected]).

3 Inhalt

Das Ende der Rüstungskontrolle?

6 Europa braucht Strategische Autonomie! Carlo Masala

12 Der Anfang vom Ende? Das Scheitern des ­INF-Vertrages zwischen Russland und den ­USA Philipp Dienstbier

26 Zwischen Wettrüsten und Allianzbildung Wie Pakistan und China die indische Verteidigungspolitik bestimmen Romina Elbracht / Ann-Margret Bolmer

38 Ein alter Bekannter ist wieder da Russische Militärkooperationen in Afrika Benno Müchler

46 58 Zum Scheitern zu wichtig „Es besteht die Gefahr, dass die Auf dem Weg zu einer deutsch-amerikanischen Dinge mit Maschinengeschwindigkeit Partnerschaft mit der Türkei aus dem Ruder laufen“ Michael Doran / Peter Rough Ein Gespräch mit Frank Sauer

4 Auslandsinformationen 3|2019 WEITERE THEMEN

66 Agenda 2030: Mut zur Nachhaltigkeit! Sabina Wölkner

74 Umweltmigration: eine sicherheitspolitische Herausforderung Franziska Fabritius

Das Ende der Rüstungskontrolle? 5 Quelle: © Inquam Photos, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? Europa braucht Strategische Autonomie!

Carlo Masala

6 Wenn die EU im internationalen System des 21. Jahrhunderts nicht nur Anhängsel einer „Supermacht“ sein will, sich nicht nur vor den Auswirkungen einer neuen Bipolarität schützen möchte, sondern auch einen eigenen Gestaltungs- und Hand- lungsraum in dieser neuen Weltordnung haben und entfalten will, dann bedarf es der Fähigkeiten, Prozesse, Instrumente und Mechanismen, um diesen Anspruch zu realisieren. Es bedarf Strategischer Autonomie.

Seit etwa einem halben Jahr geht ein Gespenst herzustellen, zwangsweise nach sich ziehen wird, um in Europa. Das Gespenst der Strategischen der Idee der europäischen Integration im Ganzen Autonomie. Nicht unähnlich dem Terminus von und der Integration im verteidigungspolitischen der Europäischen Armee oder der Armee der Bereich nur Schaden zufügen können. Mithin Europäer kreisen um den Begriff Strategische sollte man Strategische Autonomie auch nicht Autonomie viele Missverständnisse und Mythen. vor dem Hintergrund der Debatte um die Stei- Daran sind die beteiligten Akteure nicht ganz gerung der verteidigungspolitischen Fähigkeiten unschuldig. Wenn der französische Staatsprä- der EU betrachten. sident Emmanuel Macron den Begriff als die Notwendigkeit und Fähigkeit der Europäischen Wenn das Konzept Strategische Autonomie aber Union, sich zukünftig gegen Russland, China, nicht militärisch zu verstehen ist, wie dann? aber möglicherweise auch die USA­ verteidigen Hierzu ist es zunächst notwendig, den interna- zu können, definiert, suggeriert dies, dass es tionalen Kontext, in dem sich die Europäische bei der Strategischen Autonomie darum geht, Union bewegt und bewegen wird, näher zu Europa als militärischen Akteur auf kommende betrachten. Auseinandersetzungen vorzubereiten. Wenn man sich dann aber die militärischen Realitäten Das 21. Jahrhundert ist für die Europäische Union der Mitgliedstaaten der Europäischen Union von drei großen Entwicklungen gekennzeichnet. genauer anschaut, wird recht schnell klar, dass es Zunächst einmal die Erosion des internationa- um diese Frage nicht gehen kann. Denn wenn die len liberalen Systems. Durch die USA,­ aber auch EU ein militärischer Akteur werden wollte, der vor allem durch Russland und China werden die zukünftig in der Lage ist, einen hypothetischen Institutionen, die Normen, die Prinzipien und die Angriff von sechs russischen Panzerdivisionen Praktiken, unter denen sich internationale Poli- gegen einen EU-Mitgliedstaat unter alleinigem tik nach 1945 weitgehend vollzog, zunehmend Rückgriff auf eigene militärische Fähigkeiten in Frage gestellt oder gar ad absurdum geführt. zurückzuschlagen, dann muss man feststellen, In ihrer großen Mehrzahl haben Mitgliedstaaten dass Strategische Autonomie ein Fernziel ist. der Europäischen Union aber ein Interesse daran, Und zwar in so weiter Ferne, dass die an der heu- dass zumindest einige dieser Prinzipien, Prakti- tigen EU-Politik Beteiligten dies nicht mehr erle- ken, Regeln und Normen auch für sie unterein- ben würden. Zu groß sind die Fähigkeits­lücken ander und in ihrem Außenverhältnis weiterhin der europäischen Staaten, als dass sie kurz- oder Bestand haben. mittelfristig geschlossen werden könnten. Wenn Strategische Autonomie also im militärischen Zweitens befinden wir uns in einer Phase der Sinne zu verstehen ist, dann sollten wir uns heraufziehenden neuen Bipolarität. Die Struk- schleunigst von dieser Vorstellung verabschie- tur des internationalen Systems ist bereits heute den, da die Enttäuschungen, die der Versuch, sie von einer globalen Konkurrenz zwischen China

Das Ende der Rüstungskontrolle? 7 und den ­USA bestimmt. Aus amerikanischer Perspektive – und dies ist Konsens zwischen Republikanern und Demokraten – ist China die Herausforderung Nummer Eins für die Vereinig- ten Staaten. Aus chinesischer Perspektive, und dies hat der 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas deutlich gemacht, sind die ­USA das größte Problem dieses Landes bei seinem Auf- stieg zur globalen Macht. Diese neue Bipolarität wird nicht der alten, die zwischen den ­USA und der UdSSR­ existierte, gleichen. Sie wird weniger militärisch und nuklearstrategisch (obwohl dies auch Faktoren sind), sondern eher ökonomisch und technologisch dominiert sein. Aber für die EU stellt sich dennoch die Frage, wie sie sich als Staatengemeinschaft in dieser neuen Polarität verhalten soll und wie sie sich vor den negativen Auswirkungen eben dieser schützen kann.

Und drittens werden die Europäer viele der neuen sicherheitspolitischen Herausforderun- gen, die aus ihrem südlichen und östlichen Vor- feld entspringen (Staatszerfall, Migration, Folgen der Klimakrise etc.), zukünftig nur mit Rückgriff auf eigene ökonomische, militärische und politi- sche Fähigkeiten bewältigen können, da die USA­ als dauerhafter Partner der Europäer nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Betrachtet man somit diese Herausforderun- gen, dann wird schnell deutlich, dass die große Gefahr der Zukunft für die Europäische Politik darin besteht, im 21. Jahrhundert entweder man- gels politischer, ökonomischer und militärischer Gestaltungsmacht an den Rand des internationa- len Geschehens gedrückt zu werden, oder aber zwischen einer der beiden Supermächte der heraufziehenden neuen Weltordnung wählen zu müssen. Beides ist nicht im Interesse Europas. Es gilt für die EU somit, um es mit Kant auszudrü- cken, nicht erneut in eine „selbstverschuldete seinen gestaltenden Einfluss wirksam machen Unmündigkeit“ zu geraten, so wie dies nach und den Anforderungen, die an einen von außen Ende des Zweiten Weltkriegs der Fall war. gestellt werden, widerstehen.

Gestalten kann man in der internationalen Es geht also letzten Endes darum, die politische Politik aber nur dann, wenn man Machtmittel Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Euro- besitzt und die politische Fähigkeit, gegen äuße- päischen Union im 21. Jahrhundert aufrecht- ren Druck standzuhalten. Beides bedingt einan- zuerhalten bzw. ihr überhaupt erst Geltung zu der. Je mächtiger man ist, desto mehr kann man verschaffen.

8 Auslandsinformationen 3|2019 Blick in die Zukunft? Ein strategisch autonomes Europa wäre besser in der Lage, auf internationale Entwicklungen zu reagieren. Quelle: © Yves Herman, Reuters.

Und hier spielt Strategische Autonomie eine zen- Instrumente und Mechanismen, um diesen trale Rolle. Denn wenn die EU im internationalen Anspruch zu realisieren. System des 21. Jahrhunderts nicht nur Anhängsel einer der beiden neuen „Supermächte“ sein will, Strategische Autonomie bedeutet unter diesen sich nicht nur vor den Auswirkungen der neuen zukünftigen Gegebenheiten, dass die EU und ihre Bipolarität schützen möchte, sondern auch einen Mitgliedstaaten auch weiterhin die „Freiheit der eigenen Gestaltungs- und Handlungsraum in gesellschaftlichen Eigenentwicklung“ (Richard dieser neuen Weltordnung haben und entfalten Löwenthal) besitzen und sichern müssen, die will, dann bedarf es der Fähigkeiten, Prozesse, es ihnen ermöglicht, so zu leben und Politik zu

Das Ende der Rüstungskontrolle? 9 betreiben, wie es in den National­staaten dem (ökonomischen, politischen und militärischen) politischen und gesellschaftlichen Willen ent- Interdependenzen zu den ­USA, aber auch zu spricht. „Freiheit der gesellschaft­lichen Eigen­ anderen Großmächten besser absorbieren zu entwicklung“ heißt auf die EU übertragen die können und in der Lage zu sein, die eigene Sicherung der fortgesetzten inneren Selbstbe- Handlungs­autonomie auch unter erschwerten stimmung. Sehr vereinfacht ausgedrückt bedeutet Bedingungen aufrechtzuerhalten. Im Verhält- dies, dass die innere und äußere Form, Gestal- nis zu der auch im 21. Jahrhundert für Europa tung und Zukunft der Europäischen Union zuvor- so bedeutenden Schutzmacht USA­ bedeutet die derst von den Mitgliedstaaten der Europäischen Herstellung Strategischer Autonomie die Vor- Union unter Berücksichtigung ihrer nationalen aussetzung für eine „balancierte Partnerschaft“ und europäischen Interessen bestimmt wird und (Werner Link). nicht von äußeren Zwängen. Neudeutsch könnte man sagen, dass es bei dem Konzept Strategischer Somit ist Strategische Autonomie zuvorderst als Autonomie um europäische Resilienz geht. ein politisches Konzept zu verstehen, das die notwendigen militärischen und ökonomischen Mittel braucht, um unterfüttert zu werden, aber Europa sollte unter ebenfalls den politischen Willen, als Gestaltungs- Strategischer Autonomie macht EU im 21. Jahrhundert auch weiterhin eine nicht Autarkie verstehen, (mit-)führende Rolle in einigen Bereichen (wie z. B. beim Welthandel oder bei der internationa- weil dies die Staatengemein- len Normsetzung) der internationalen Politik zu schaft isolieren könnte. spielen.

Ohne eine solche Strategische Autonomie würde die EU über kurz oder lang zu einem Spielball Es bedeutet aber auch nicht, dass Strategi- zwischen den ­USA und China werden und à la sche Autonomie, wie gerade definiert, zu einer longue zwischen den beiden Opponenten des Abkopplung von internationalen Entwicklun- internationalen Systems marginalisiert werden. gen führt. Das Gegenteil wäre der Fall. Ein Wenn Europa aber seinen eigenen Anspruch auf strategisch autonomes Europa wäre besser und Mitgestaltung zukünftig in realpolitischer Wäh- bewusster in der Lage, auf internationale Ent- rung einlösen möchte, dann wird es an der Her- wicklungen zu reagieren und externe Heraus- stellung eines gewissen Maßes an Strategischer und Anforderungen anzunehmen. Denn die zu Autonomie nicht herum kommen. Strategische gebenden Antworten würden immer aus dem Autonomie und die daraus resultierende politi- Selbstbewusstsein resultieren, europäische Ant- sche Unabhängigkeit der EU ist auch der einzig worten auf diese Anforderungen zu geben, und mögliche Weg, die Reste der liberalen internati- nicht, aus der Schwäche geborene Anpassungen onalen Ordnung mit ihren Werten, Normen und an die Politiken eventueller Schutzmächte oder Regeln für den Umgang der EU-Mitgliedstaaten strategischer Herausforderer vorzunehmen. Mit- untereinander, aber vor allem für den Umgang hin zeichnet sich ein politisch verstandenes Kon- der EU mit ihren externen, demokratischen zept von strategischer Autonomie durch einen Partnern (Japan, Australien, Neuseeland und „defensiven Ehrgeiz“ (Raymond Aron) aus, im Südkorea, um nur einige zu nennen) aufrecht- 21. Jahrhundert gestaltend in der internationalen zuerhalten. Die Alternative dazu wäre, dass die Politik mitzuwirken. EU in der heraufziehenden Welt des Nullsum- menspiels, in der die „Regeln des Dschungels“ Um es zusammenzufassen: Strategische Auto- (Robert Kagan) gelten, mitmachen muss. Als nomie bedeutet nicht Autarkie oder Abkopplung, multinationaler Integrationsverbund europä- sondern die Herstellung der Fähigkeit, mögli- ischer Staaten kann sie aufgrund ihrer inneren che „negative Auswirkungen“ von existierenden Verfasstheit in einer solchen Welt nicht bestehen.

10 Auslandsinformationen 3|2019 Insofern ist Strategische Autonomie das richtige Leitbild, um die EU auch im 21. Jahrhundert als mächtigen und wirksamen Akteur auf der weltpolitischen Bühne aufrechtzuerhalten. Man sollte nur zukünftig dafür sorgen, dass klarer und deutlicher kommuniziert wird, was unter Strate- gischer Autonomie zu verstehen ist. Weder die Abkopplung von transatlantischer Sicherheit noch eine übermäßige Aufrüstung zum Zwecke der Verteidigung sollten das Ziel dieses Konzep- tes sein. Es geht schlichtweg um die politische Überlebens- und Gestaltungsfähigkeit Europas in der Zukunft. Dazu bedarf es aber des politischen Willens, der ökonomischen und militärischen Fähigkeiten sowie der angemessenen instituti- onellen Strukturen.

Dr. Carlo Masala ist Professor für Internationale ­Politik am Institut für Politikwissenschaft der Uni­ versität der Bundeswehr München.

Das Ende der Rüstungskontrolle? 11 Quelle: © Kevin Lamarque, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? Der Anfang vom Ende? Das Scheitern des INF-Vertrages­ zwischen Russland und den USA­

Philipp Dienstbier

12 Es klingt wie eine Wiederholung der 1980er Jahre: Russland hat wahrscheinlich unerlaubt Mittelstreckenraketen stationiert, nun wird in Europa über eine verschärfte Bedrohungslage diskutiert. Auch die USA­ scheinen das Interesse an nuklearer Rüstungskontrolle verloren zu haben. Zwar ist ein ­INF-Nachfolgeabkommen daher unrealistisch, doch es gibt pragmatische Lösungsansätze, die ein Wettrüsten verhindern könnten.

Die Kündigung des ­INF-Vertrages hat einen der Kündigung des INF-Vertrages­ erfolgte, ohne letzten Grundpfeiler nuklearer Rüstungskon­ dass beide Seiten zuvor die vollen Möglichkei- trolle eingerissen.1 Nachdem die Vereinigten ten zur Verifikation und Schlichtung ausnutzten. Staaten von Amerika im Februar und die Rus- Dies ist bezeichnend für die Geringschätzung sische Föderation im März 2019 jeweils die nuklearer Rüstungskontrolle und die auf Macht- Suspendierung des Vertrages von 1987 bekannt politik ausgerichtete Denkweise, die strategi- gaben, hat das Vertragswerk nach einer halbjäh- sche Erwägungen in Moskau und Washington rigen Kündigungsfrist im August seine Bindungs- derzeit zu dominieren scheinen. Beides dürften kraft offiziell verloren. die tatsächlichen Gründe für das fatale Ende des ­INF-Vertrages sein. Das beinahe beiläufige Scheitern des Vertrages hat auch Deutschland kalt erwischt. Nach- Die Aufkündigung des Vertrages wird begleitet dem sich die ­NATO im Juli 2018 noch zu einer von einer politischen Debatte zu den Folgen für Erhaltung des Vertrages bekannte, überraschte die Sicherheit Europas und Szenarien für zukünf- Präsident Donald Trump seine Verbündeten im tige Rüstungskontrolle. Einerseits wird eine Oktober mit der Ankündigung eines Rückzugs massive Erosion der Bedrohungslage in Europa vom INF-Vertrag.­ Während im öffentlichen Dis- beklagt und eine neue Rüstungsspirale in Anleh- kurs die Schimäre einer „Rückkehr der Atom- nung an die letzte heiße Phase des Kalten Krieges raketen nach Europa“2 umherging, versuchten befürchtet. Andererseits steht der Wunsch nach Bundeskanzlerin und Außen- der Verhandlung eines Folgevertrages im Raum, minister gemeinsam mit ihren insbesondere eines multilateralen Abkommens französischen Kollegen hastig durch Vermitt- unter Einbeziehung Chinas. Beide Szenarien wir- lungsversuche auf beiden Seiten den Vertrag ken derzeit eher unwahrscheinlich. zu retten – ohne Erfolg.3 Warum scheiterte ein Schlüsselelement der europäischen Sicherheits- Zum einen ist nukleare Abschreckung heute architektur so einfach? vielschichtiger als zur Zeit der Aushandlung des ­INF-Vertrages, insbesondere durch die Obwohl es keine abschließende Gewissheit Evolution luft- und seegestützter Raketentypen.­ gibt, kann davon ausgegangen werden, dass Eine radikale Verschlechterung der Sicher- Russland ein Waffensystem entwickelt hat, das heitslage durch das Ende des ­INF-Vertrages ist höchstwahrscheinlich gegen den INF-Vertrag­ daher nicht zwangsläufig gegeben. Auch gibt es verstößt. Doch darin liegt nur der Auslöser für einen raschen Rüstungswettlauf technische für das Scheitern des Vertrages. Es bleibt fest- und politische Hürden. Eine begrenzte, mittel- zuhalten, dass auch die ­USA keine ernsthaf- fristige Nachrüstung scheint hingegen ein plau- ten Anstrengungen zur Rettung des Vertrages sibles Szenario. Zum anderen fehlt derzeit das unternommen haben. Die Entscheidung zur notwendige Vertrauen zwischen Russland und

Das Ende der Rüstungskontrolle? 13 den USA­ – schon gar zu China – für die Aus- Dies liegt daran, dass die ­USA kaum Details handlung eines neuen Vertragswerkes. Ein zum betroffenen System und dem russischen informelles Einvernehmen zur Zurückhaltung, Verstoß veröffentlichen. Es dauerte Jahre, bis zumindest zwischen der ­NATO und Russland, die Regierung von Präsident Donald Trump wird hingegen von Akteuren auf beiden Seiten konkretisierte, welche Rakete überhaupt befürwortet. Dessen Erfolg wird jedoch an den gemeint sei: Der landgestützte Marschflugkör- erfolgreichen Aufbau von Maßnahmen zur per Novator 9M729 (NATO-Bezeichnung­ SSC-8­ Verifikation und Vertrauensbildung geknüpft ­Screwdriver).7 Im November 2018 lieferte der sein. amerikanische Direktor der nationalen Nach- richtendienste, Daniel Coats, erste Details und Wurde der ­INF-Vertrag unterwandert? verkündete, dass Russland bereits mehrere Bataillone mit der Rakete, die auf Reichweiten Der ­INF-Vertrag hatte eine destabilisierende von „weit über 500 Kilometer[n]“ getestet wor- Waffenklasse aus Europa und anderen Regi- den sei, ausgestattet habe.8 Zur Untermauerung onen verbannt. Er verbot Russland sowie elf dieser Vorwürfe gibt es praktisch keine offizi- weiteren ehemaligen Sowjetrepubliken­ und den ellen Beweise. Russland gibt lediglich zu, die ­USA den Besitz, die Produktion und das Testen ­SSC-8 zu besitzen, behauptet aber, ihre Reich- landgestützter – jedoch nicht luft- und see­ weite liege bei nur 480 Kilometern.9 gestarteter – ballistischer Raketen und Marsch- flugkörper mit Reichweiten von 500 bis 5.500 Kilometern sowie ihrer Startvorrichtungen.4 Russlands Besitz von Solche in Europa stationierten Systeme hatten SSC-8-Raketen verstößt sehr kurze Flugzeiten von wenigen Minuten wahrscheinlich gegen den bis zu ihren Zielen. Die knappe verbleibende Reaktionszeit für militärische und politische INF-Vertrag. Öffentliche Entscheidungsträger, um effektiv auf einen Beweise gibt es jedoch nicht. Angriff zu reagieren, erhöhte aus Expertensicht das Risiko für Missverständnisse, Fehlkalku- lationen und den Anreiz für Präventivschläge. So bezeichnete der ehemalige Staatspräsident Die spärlich verfügbaren Informationen schlie- der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, die ßen jedoch einen Verstoß mitnichten aus. Zum ­amerikanischen Mittelstreckenraketen als „eine einen legt die Vehemenz, mit der die USA­ die Pistole an unserem Kopf“. Die kurze Vorwarn- Vorwürfe nicht nur in der Öffentlichkeit, son- zeit habe „das Risiko eines nuklearen Krieges dern auch bei ­NATO-Gipfeln und in Sitzun- erhöht, sogar eines [nuklearen Krieges], der gen der Speziellen Verifikationskommission die Folge eines Unfalls oder einer technischen (SVC),­ einem Organ des ­INF-Vertrages, vor- Panne war“.5 Die Abschaffung dieses Waffen- getragen haben, nahe, dass drückende nach- typs entfernte daher einen destabilisierenden richtendienstliche Beweise vorliegen, welche Faktor im Abschreckungsgleichgewicht zwi- aber selbst nicht der Öffentlichkeit zugänglich schen der Sowjetunion – später Russland – und gemacht werden können. Außerdem teilen den USA.­ andere NATO-Mitglieder­ die Einschätzung der Amerikaner,­ dass Russland gegen den Seit 2014 werfen die Vereinigten Staaten Russ- ­INF-Vertrag verstößt. So erklärte Bundeskanzle- land mit zunehmender Vehemenz vor, einen rin Merkel im November 2018: „Wir wissen, dass ebensolchen Raketentyp wieder entwickelt, Russland die Vorgaben seit längerer Zeit nicht getestet und eingeführt zu haben.6 Die Anschul- einhält.“10 Dass sich die amerikanischen Verbün- digung wird von Russland bestritten, ist aber deten geschlossen hinter den Vorwurf stellten, auch für die westliche Öffentlichkeit bis heute ohne schlüssige Beweise vorgelegt bekommen nicht eindeutig nachvollziehbar. zu haben, ist eher unwahrscheinlich.

14 Auslandsinformationen 3|2019 Russland erwidert den Vorwurf der ­USA seiner- Tomahawk mit Reichweiten von etwa 2.500 Kilo- seits mit verschiedenen Anschuldigungen gegen metern abzuschießen. Als seegestützte Variante die Vereinigten Staaten, von denen zumindest ist es aber vom ­INF-Vertrag ausgenommen. ein Vorwurf einigermaßen plausibel erscheint.11 Die russische Seite kritisiert seit August 2014, Obwohl die Stellungen in Polen und Rumä- dass die USA­ mit Teilen der territorialen nien nicht mit Marschflugkörpern, sondern Raketen­abwehr in Europa (European Phased Abwehrraketen­ vom Typ SM-3 bestückt sind, Adaptive Approach, EPAA)­ gegen den INF-Vertrag­ sei das landbasierte MK-41, wie sein Pendant ­verstoßen. Der ­EPAA stützt sich auf eine 2016 in zur See, in der Lage, Tomahawks abzufeuern. Dienst gestellte Anlage namens Aegis Ashore in Und somit sei es ein durch den ­INF-Vertrag Rumänien und ein zweites zukünftiges System in verbotenes Startsystem für Mittelstrecken­ Polen, welche beide landgestützte Senkrechtstar- raketen – so die russische Argumentation.13 Die ter des Typs MK-41 VLS­ nutzen.12 Das auch auf ­USA halten dagegen, dass sich die landbasierte Schiffen der US-­Marine eingesetzte Aegis-Sys- MK-41 Startanlage von der schiffsbasierten tem ist in der Lage, Marschflugkörper vom Typ durch unterschiedliche Software, verschiedene

Verstärken sich die Spannungen? Weder die USA noch Russland hatten ein Interesse an einem Fortbestehen des INF-Vertrages. Quelle: © Maxim Shemetov, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? 15 Feuerleiteinrichtungen und andere Merkmale wäre möglich gewesen. Als die Vereinigten Staa- unterscheide, daher keine Marschflugkörper ten 2018 die Vorführung der ­SSC-8 forderten, abschießen könne und somit vertragskon- verweigerte sich Russland dem jedoch. Nach- form sei.14 Zur Untermauerung des russischen dem Moskau im Januar 2019 endlich zur Vorfüh- Einwands existieren ebenfalls keine offiziell rung bereit war, erklärte Washington aber, eine zugänglichen, unabhängigen Beweise. In­spektion reiche nicht aus, um die Reichweite der Rakete zu überprüfen, und forderte stattdes- Zwar ist auch ein Verstoß seitens der ­USA nach sen eine umgehende Zerstörung des Systems.15 dieser Darstellung grundsätzlich nicht auszu- schließen. Die Anschuldigung einer Vertrags- verletzung durch Russland wiegt aber schwerer Keine INF-Vertragspartei als umgekehrt. Der den ­USA unterstellte Verstoß hat die Möglichkeiten zur bleibt diffus und beruht auf Argumenten hypo- Verifikation ausreichend thetischer Fähigkeiten aufgrund der potenziellen Ähnlichkeit zu anderen Systemen. Währenddes- genutzt. sen ist der gegen Russland erhobene Vorwurf konkret und stichhaltig, insbesondere wenn die Rakete tatsächlich auf verbotene Reichweiten Außerdem hätten die ­USA Russland eine In­spek- getestet wurde. Dass geheime Erkenntnisgrund- tion ihrer Aegis-Raketenabwehrstellungen in lagen, welche dies belegen, nicht öffentlich Polen und Rumänien anbieten können, um zu zugänglich gemacht werden können, kommt demonstrieren, dass die dort installierten MK-41 auch in anderen für nationale Sicherheit bedeut- ­VLS-Senkrechtstartanlagen nicht zum Abschuss samen Bereichen vor. von Marschflugkörpern geeignet sind und dieser Raketentyp dort auch nicht stationiert ist. Auch Rüstungskontrolle leichtfertig verspielt diese Option wurde nicht bemüht.16

Damit trägt Russland wohl die größere Verant- Strategische Erwägungen wortung für das Scheitern des INF-Vertrages.­ und politische Motive Dem Land die gesamte Schuld zuzuschreiben, wäre jedoch zu einfach. Keine der Vertragspar- Es bleibt festzustellen, dass offensichtlich keine teien – auch nicht die ­USA – hat die Möglichkei- Vertragspartei ein Interesse an einem Fortbeste- ten ausgeschöpft, den gegenseitigen Vorwürfen hen des INF-Vertrages hatte. Die Gründe dafür kooperativ nachzugehen. Dies ist in gewissem liegen in bedenklich ähnlichen strategischen Maße auch eine Schwäche des INF-Vertrages,­ Denkweisen in beiden Hauptstädten, welche in der zwar einen Austausch über Vertragsverlet- internationalen Rüstungsverträgen keinen Mehr- zungen in der ­SVC vorsieht, aber kein Verfahren wert oder sogar einen Nachteil für die nationale zum Beweis oder zur Entkräftung von Anschul- Sicherheit sehen. digungen, wie etwa Inspektionen, anbietet. Das Verifikationsregime, welches einen Abbau der Die derzeitige US-Regierung ließ anfänglich in vormalig stationierten Mittelstreckenraketen öffentlichen Stellungnahmen den amerikani- überwachte, endete bereits 2001. schen Willen erkennen, Russland zur Einhaltung des INF-Vertrages bewegen zu wollen, und somit Trotzdem würde es mit genügend politischem auf eine Überzeugung in Washington schließen, Willen Mittel und Wege geben, um neue wechsel­ dass der Vertrag im amerikanischen Sicherheits­ seitige Schritte zur Verifikation zu konzipieren. interesse sei. Im Oktober 2018 vollzog Präsident Operative Reichweiten von Raketen ließen sich Trump jedoch einen abrupten Kurswechsel, kün- beispielsweise durch die Untersuchung teleme­ digte einen Ausstieg aus dem INF-Vertrag­ an und trischer Daten überprüfen, auch eine Vorführung verwies dabei nicht nur auf Russlands Vertrags- der Systeme und Beobachtung von Testflügen verletzung, sondern auch auf das chinesische

16 Auslandsinformationen 3|2019 Arsenal an Mittelstreckenraketen: „Wenn Russ- oder zumindest eine Skepsis gegenüber deren land das macht und China das macht und wir Mehrwert hegt. Diese Denkweise, die sich auch uns an das [­INF-]Abkommen halten, dann ist das im Umgang mit dem Joint Comprehensive Plan of nicht akzeptabel“, so der Präsident.17 Action (­JCPOA) mit dem Iran offenbarte, ist aber von einer nüchternen Schlussfolgerung aus mili- Die Gründe für die Kündigung liegen für Präsi- tärischen Notwendigkeiten abzugrenzen, denn dent Trump damit nicht nur im russischen Ver- ein strategischer Mehrwert ergibt sich aus einer stoß, sondern auch darin begründet, dass China Kündigung nicht unbedingt.21 als strategischer Konkurrent ein Waffensystem besitzt, das den ­USA vorenthalten bleibt – unab- Der Kursschwenk des Präsidenten fiel außerdem hängig davon, dass China nie Vertragspartei war. mit dem Aufstieg des von April 2018 bis Septem- ber 2019 amtierenden ehemaligen nationalen Dabei ist der militärische Mehrwert landbasierter Sicherheitsberaters John Bolton zusammen. Mittelstreckenraketen laut Aussagen hochrangi- Dieser wiederum berief im August 2018 den ger Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte damaligen Direktor für Rüstungskontrolle im nicht eindeutig. Die ­USA verfügen über eine Viel- Nationalen Sicherheitsrat (­NSC), Tim Morrison, zahl luft- und seegestützter Mittelstreckensysteme, ins Amt, welcher inzwischen zum neuen Direk- die alle konform zum ­INF-Vertrag sind. Mit die- tor für Europa und Russland im ­NSC ernannt sen Raketen schaffen die Vereinigten Staaten in wurde.22 Beide gelten als ausgemachte Skepti- Ostasien schon heute einen adäquaten Ausgleich ker internationaler Verträge, insbesondere von zum chinesischen Arsenal aus vierzehn (davon Rüstungskontrolle. Schon 2014 schrieb Bolton zwölf landgestützten) Raketentypen.18 In Europa in einem Meinungsbeitrag: „Moskaus Verstöße sind vier US-amerikanische, mit Aegis-Kampfsys- gegen Rüstungskontrollverträge geben Amerika temen ausgerüstete Einheiten permanent in der die Möglichkeit, sich überholter Begrenzungen spanischen Marinebasis Rota stationiert. Diese seines eigenen Arsenals aus dem Kalten Krieg können mit ihren Marschflugkörpern von europä- zu entledigen und seine militärischen Fähigkei- ischen Gewässern aus Russland erreichen. Zudem ten aufzuwerten.“23 Morrison gilt außerdem als ­patrouillieren U-Boote der 6. US-Flotte regelmäßig ausgesprochener Russland-Hardliner.24 Zwar entlang europäischer Seewege.19 So verwundert handelt Präsident Trump oft unabgestimmt und es nicht, dass der stellvertretende Vorsitzende des impulsiv, dennoch dürften der Einfluss Boltons Generalstabs General Paul Selva 2017 vor dem und Morrisons auch eine Erklärung für die Ent- US-Kongress erklärte: „Es gibt keine militärischen scheidung der USA, sich aus dem Vertrag zurück- Anforderungen, die wir nicht derzeit unter Einhal- zuziehen, gewesen sein. tung des INF-Vertrages­ erfüllen können.“20 Auf Seiten Russlands müssen die Gründe für die Aufgabe des INF-Vertrages­ früher gesucht wer- Trumps Entscheidung den. Die höchstwahrscheinlich bewusste Unter- zur Aufkündigung des wanderung des Vertrages durch Russland begann INF-Vertrages basiert auf mit der Entwicklung der SSC-8­ in den späten 2000er Jahren. Somit ist der politische Diskurs seiner allgemeinen Skepsis der relevanten Entscheidungsträger in Moskau gegenüber internationalen während dieser Zeit zu betrachten. Verträgen. Eine bestimmende Sorge Russlands seit Mitte der 2000er Jahre ist die Proliferation von Marsch­ flugkörpern und ballistischen Raketen mit mitt- Eher zeigt die Entscheidung des Präsidenten ein leren Reichweiten in Russlands Nachbarschaft. weiteres Mal, dass Trump eine Benachteiligung Im Jahr 2007 soll der damalige russische Ver- der USA­ durch internationale Verträge wittert teidigungsminister Sergei Iwanow gegenüber

Das Ende der Rüstungskontrolle? 17 seinem amerikanischen Kollegen die Intention, vom INF-Vertrag­ zurückzutreten, geäußert haben, mit der Begründung, Chinas, Irans und Pakistans Mittelstreckenraketen etwas entgegensetzen zu müssen.25 Im gleichen Jahr startete Russland ver- geblich eine Initiative bei den VN, um eine Multi­ lateralisierung des Abkommens zu erzielen.26 Präsident Wladimir Putin erklärte 2007, „es wird schwierig für uns, innerhalb des Rahmens eines Vertrages [Anm.: gemeint ist der INF-Vertrag]­ zu bleiben, in einer Situation, in der andere Länder diese Waffensysteme entwickeln und dabei auch Länder in unserer Nachbarschaft sind“.27 Aus diesen Äußerungen lässt sich ablesen, dass die russische Führung damals im ­INF-Vertrag ein Hindernis für die eigene Sicherheit sah – offen- sichtlich, da die Proliferation von Waffensyste- men, die Russland selbst nicht erlaubt waren, als problematisch betrachtet wurde.

Ähnlich wie im Falle der ­USA ergibt sich diese Sichtweise nicht unbedingt aus zwingenden militärischen Gegebenheiten. Auch Russland verfügt über mindestens neun luft- und see- gestützte Raketensysteme, die konform zum ­INF-Vertrag sind. Im Zuge der russischen Inter- vention in Syrien hat Russland seine Fähigkei- ten zum Einsatz seebasierter Marschflugkörper, wie der von Schiffen im Kaspischen Meer und Mittelmeer abgeschossenen Kalibr-Raketen (­NATO-Bezeichnung SS-N-30), sogar stark weiterentwickelt. Daher ist auch in russischen militärpolitischen Kreisen die Notwendigkeit zusätzlicher landbasierter Mittelstreckenraketen zur Abschreckung umstritten.28 Die Sichtweise des in dieser Angelegenheit tonangebenden Präsidenten und Verteidigungsministers fußen wohl eher auf einer machtpolitischen Befürch- tung. Nicht unähnlich zum derzeitigen Denkan- satz im Weißen Haus, betrachtet Präsident Putin amerikanischen ballistischen Raketenabwehr – das eigene Land als Weltmacht, für das er keine anfangs nicht im Sinne der erst später vorge- Handlungseinschränkungen durch internationale brachten Anschuldigung, die Abschussrampen Verträge, denen andere Staaten nicht unterliegen, verstießen gegen den ­INF-Vertrag, sondern auf- akzeptiert. grund Moskaus Auffassung, der Abwehrschirm sei gegen Russland gerichtet.29 Nachdem 2007 die Ein weiterer in Moskau dominierender Gedanke geplante Stationierung von US-Raketenabwehr- der 2000er Jahre, welcher mitausschlagge- stellungen in Europa bekannt wurde und eine bend für Russlands Unterwanderung gewesen russische Idee für ein gemeinsames Abwehrsys- sein könnte, war die Skepsis gegenüber der tem mit der NATO­ scheiterte, fürchtete Moskau,

18 Auslandsinformationen 3|2019 Der Stein des Anstoßes: Russland hat durch die Entwicklung seiner verbotenen Mittelstreckenrakete wahrscheinlich den Grundstein für das Ende des INF-Vertrages gelegt. Quelle: © Mikhail Voskresensky, Reuters.

dass die Raketenabwehr Russlands strategische der USA­ erscheinen. Nichtsdestotrotz wäre die- nukleare Fähigkeiten beschneiden könnte. ser strategische Vorteil bereits durch verfügbare russische see- und luftgestützte Marsch­flugkörper Diese Erwägung mag ebenfalls Motivation zur erfüllt und käme auch ohne die Entwicklung einer Entwicklung eines Marschflugkörpers wie der landgestarteten Rakete aus. Ob Präsident Putin ­SSC-8 gewesen sein. Dieser Raketentyp kann einen solchen Kompromiss beim Erhalt eines nur unzureichend bis gar nicht von einer Rake- Symbols russischer Macht – die nukleare Fähig- tenabwehr erfasst werden und könnte deshalb keit des Landes – eingeht, scheint allerdings Entscheidungsträgern in Moskau als ein proba- unwahrscheinlich. Vielmehr liegt es nahe, dass tes Mittel gegen die territoriale Raketenabwehr er signalisieren möchte, dass Russland den USA­

Das Ende der Rüstungskontrolle? 19 ebenbürtig sei, und dafür auch eine Unterwande- „die Glaubwürdigkeit der Abschreckungsstrate- rung des INF-Vertrages­ in Kauf genommen hat.30 gie des Bündnisses dadurch in Zweifel gezogen“ So soll Putin bereits 2007 angesichts der ameri- wird – und rüstete nach.33 kanischen Pläne zur Raketenabwehr in Europa einen Rückzug vom INF-Vertrag­ angedroht Es scheint auf den ersten Blick so, als würde sich haben, um im Zweifel die US-Abwehrstellungen die Geschichte wiederholen. Im August 2019 mit Mittelstreckenwaffen attackieren zu können.31 testeten die USA einen bodengestützten Marsch­ flugkörper auf Basis der Tomahawk, der bis Auswirkungen auf die Bedrohungslage Anfang 2021 zur Stationierung bereitstehen soll. Bis Ende des Jahres soll eine ballistische Rakete Als Anfang 2019 zunehmend deutlich wurde, mit Reichweiten von 3.000 bis 4.000 Kilometern dass der ­INF-Vertrag scheitern würde, ent- getestet werden. Außerdem plant das Pentagon brannte unmittelbar eine Debatte über ein neues für 2020 ein Budget von 100 Millionen US-Dol- Wettrüsten und eine damit massiv verschärfte lar für die Entwicklung von drei konventionellen Bedrohungssituation. Eine rasante Erosion der Mittelstreckenraketen ein. Diese Mittel sollen in Sicherheitslage ist jedoch zumindest für die nahe den Folgejahren deutlich aufgestockt werden.34 Zukunft nicht gegeben, weil sich die militärische Russland kündigte seinerseits an, bis 2020 mit Situation heute anders darstellt als in den 1980er der Entwicklung einer Abschussvorrichtung für Jahren. Denkbar ist allerdings eine schrittweise einen landgestützten Marschflugkörper auf Basis Entwicklung von Mittelstreckenwaffen durch die der SS-N-30 zu beginnen. Weitere Raketenpro- ­USA und Russland, verbunden mit einer mögli- jekte sollen folgen.35 chen limitierten Stationierung in Europa. Der Vergleich dieser jüngsten Entwicklungen mit dem Wettrüsten des Kalten Krieges hinkt Trotz Aufrüstung auf jedoch. Heute hält damit nicht wie damals ein Seiten Russlands und der vollkommen neuer Waffentyp Einzug, der je nach USA greift ein Vergleich mit Betrachtungsweise eine Lücke im ­nuklearen Fähigkeitsspektrum aufreißt oder schließt. Der- der Nachrüstung in den zeit verfügen anders als zum Ende der 1970er 1980er Jahren zu kurz. Jahre beide Seiten über mehrere ­nukleare und konventionelle Raketentypen mit mittlerer Reichweite. Es existiert eine Vielzahl seege- stützter Mittelstreckensysteme, wie die russische Das Nachrüsten in der letzten heißen Phase des SS-N-30 und die US-amerikanische Tomahawk. Kalten Krieges erfüllte aus westlicher Sicht den Diese konventionellen Lenkwaffen können nach essenziellen Zweck, eine Abkoppelung europä­ Experteneinschätzung mit nuklearen Spreng- ischer Bündnispartner von den USA­ durch russi- köpfen bestückt werden und haben eine hohe sche Mittelstreckenraketen zu verhindern. Ende Reichweite und Präzision. Hinzu kommen luft- der 1970er Jahre stationierte die Sowjetunion die gestützte nukleare Marschflugkörper, wie die ballistische Mittelstreckenrakete RSD-10­ Pioner russische Kh-102 Kodiak (NATO-Bezeichnung­ (NATO-Bezeichnung­ SS-20 Saber), die mit 5.000 AS-23B) und die amerikanische ­AGM-86, welche Kilometern Reichweite Europa und Ostasien, mit Kampfflugzeugen wie der russischen Tu-95 jedoch nicht Nordamerika erreichen konnte. Das Bear und der amerikanischen B-52 Stratofortress Fehlen einer vergleichbaren Mittelstreckenrakete im eigenen Luftraum sehr schnell verlegt und von im Westen führte aus Sicht des damaligen Bun- dort eingesetzt werden können.36 deskanzlers Helmut Schmidt und Bundesaußen- ministers Hans-Dietrich Genscher zu einer Lücke Aufgrund dieses breiten Spektrums militäri- im Spektrum der nuklearen Reaktionsfähigkeit scher Fähigkeiten existiert bereits heute ein der Allianz.32 Die NATO­ sorgte sich daher, dass vielschichtiges Abschreckungspotenzial. Dies

20 Auslandsinformationen 3|2019 wird mit der Einführung der russischen SSC-8­ ­USA auf eine Einbindung Chinas und eventuell und zukünftiger einzelner amerikanischer und weiterer Staaten in diesen Vertrag. Ein solcher russischer Systeme zwar komplexer, ändert sich Verhandlungserfolg erscheint unter derzeitigen aber nicht grundlegend, solange nicht massen- Bedingungen jedoch höchst unwahrscheinlich. haft neue Raketen stationiert werden. Das ato- mare Gleichgewicht wird also nicht im gleichen Dies liegt nicht nur an dem beschriebenen Maße erschüttert, wie es Ende der 1970er Jahre Zusammenbruch kooperativer Lösungsfindung der Fall war, und es wird auch keine qualitativ zwischen Russland und den USA­ im Rahmen andere Bedrohung geschaffen, die nicht schon des INF-Vertrages, welcher auf einen Mangel an vorher existiert hätte.37 Auch werden ein Groß- Vertrauen schließen lässt und eine Hypothek für teil der angekündigten Rüstungsprojekte Jahre zukünftige Verhandlungen darstellt. Es wird auch der Entwicklung und Tests benötigen, bevor sie dadurch unwahrscheinlich, dass sich China nicht tatsächlich zur Verfügung stünden und eine Aus- zum Beitritt eines INF-Nachfolgevertrages­ drän- wirkung auf die Bedrohungslage hätten. gen lassen will.39 Peking zieht sich seit Jahren auf die Position zurück, erst dann eine Beteiligung an Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ende Rüstungskontrollgesprächen für möglich zu hal- des INF-Vertrages ohne Folgen bleibt. Nach ten, wenn Russland und die USA­ auf das Niveau Experten­meinung wird eine Stationierung neuer der anderen nuklearen Staaten abgerüstet haben. amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa Derzeit verfügt Russland aber über 6.850 und vom US-Verteidigungsministerium gewünscht die ­USA über 6.450 Atomsprengköpfe, während und bleibt eine realistische Option. Diese wären Chinas Arsenal aus 280 nuklearen Gefechts- nach derzeitigem Stand zwar nur mit konven- köpfen besteht.40 Für die unter diesen Voraus- tionellen Gefechtsköpfen bestückt. Da eine setzungen nötige drastische Absenkung der nukleare Nachrüstung aber technisch möglich amerikanischen und russischen Arsenale besteht ist, dürfte die Bereitschaft vieler europäischer absehbar kein politischer Wille in Moskau und ­NATO-Verbündeter, diese Systeme auf ihrem Washington. Außerdem beharrt China darauf, Territorium zuzulassen, gering sein. Osteuropä­ auch weitere Waffentypen wie schwere Bomber ische Bündnispartner, insbesondere Polen, haben und substrategische Waffen in einen Vertrag ein- jedoch eine höhere Bedrohungswahrnehmung zubeziehen.41 Ein umfassender Kontrollvertrag von Russland und stehen einer Stationierung scheint unter diesen Voraussetzungen auf abseh- daher offener gegenüber. Gleichzeitig übt der bare Zeit utopisch und ohne ein grundlegendes amerikanische Kongress Druck auf die Regierung Umdenken oder einen Wechsel der derzeitigen aus, zunächst stationierungswillige Verbündete politischen Führungen nicht machbar. zu identifizieren, bevor Entwicklungsgelder für neue Raketensysteme bewilligt werden. Sollten Washington und empfängliche osteuropäische China würde einem Partner unter diesen Voraussetzungen bilaterale INF-Nachfolgevertrag nur Notlösungen anstreben, könnte es zu Auseinan- beitreten, wenn Russland dersetzungen innerhalb der ­NATO kommen, die das Bündnis paralysieren würden. Hierin liegt ein und die USA zuvor drastisch ernstzunehmendes politisches Risiko.38 abrüsten. Dies ist derzeit unrealistisch. Potenziale zukünftiger Rüstungskontrolle

Parallel zu diesen Überlegungen beschreiben alle Seiten ein neues nukleares Rüstungskon- Realistisch und aus deutscher Sicht politisch trollabkommen für Mittelstreckenraketen als erstrebenswert wäre jedoch nach dem Ende wünschenswertes Zielszenario. Wie eingangs der vertraglichen Rüstungskontrolle von Mit- dargestellt, pochen sowohl Russland als auch die telstreckenwaffen einen informellen, flexiblen

Das Ende der Rüstungskontrolle? 21 Kontrollansatz zu etablieren. Es bleibt festzuhal- Mittelstreckenraketen in Europa beharren und auf ten, dass keine der beiden Seiten zunächst eine den konkreten Vorschlag, der dafür existiert, hin- Stationierung von Mittelstreckenraketen zum arbeiten. Denn auch im Kongress in Washington politisch angestrebten Ziel erklärt hat. Präsi- gibt es Skepsis gegen eine Nachrüstung, gleich- dent Putin beteuerte im Februar 2019, Russland zeitig haben russische Offizielle im Außenminis- werde keine Raketen mit mittlerer Reichweite terium Interesse an einem Stationierungsverzicht in Europa oder anderen Teilen der Welt stati- geäußert.45 Dies sollte Deutschland unterstützen onieren, wenn die USA­ dies nicht auch täten. und für die eigene Position werben. Ebenso versicherte NATO-Generalsekretär­ Jens Stoltenberg nach dem Ende des INF-Vertrags Nicht zu vernachlässigen sind zuletzt vertrauens­ im August 2019: „Wir werden nicht das Gleiche bildende Maßnahmen, welche für eine informelle tun wie Russland […] wir haben keine Intention, Absprache Grundvoraussetzung wären. Die Ero- landgestartete Nuklearraketen in Europa zu sion des Vertrauens zwischen beiden Seiten ist stationieren.“42 Sicherlich wird die russische schließlich Wurzel des Problems und kann nur Beteuerung dadurch abgewertet, dass Russland über einen Austausch auf allen Ebenen wieder- nach allen Erkenntnissen bereits Verbände mit aufgebaut werden. Dazu zählt ein ­intensiver ­SSC-8 am Kaspischen Meer, ergo in Europa, sta- politischer Dialog im Rahmen der fünf ständi- tioniert hat. Andererseits zeigt die derzeitige gen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates und des Diskussion zur Nachrüstung in Washington, ­NATO-Russland-Rates. Noch wichtiger als der dass man auch dort nicht ohne Weiteres gewillt politische und in diesen Formaten teilweise fest- ist, die russische Stationierung völlig unbeant- gefahrene Dialog wäre aber ein Austausch auf wortet zu lassen.43 militärischer Ebene. Militärangehörige unterstrei- chen die Bedeutung dieses Direktkontakts zur Um das Ziel eines informellen Einvernehmens, Verbesserung von Transparenz, zum Abbau von keine landgestützten Mittelstreckenraketen in Missverständnissen und somit zur Vertrauensbil- Europa zu stationieren, realisierbar zu machen, dung.46 Im Rahmen des Wiener Dokumentes der haben die Bundestagsabgeordneten Roderich Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit Kiesewetter (­CDU) und Rolf Mützenich (SPD)­ in Europa (­OSZE) sollte dieses Instrument stär- daher den Vorschlag eingebracht, die russi- ker genutzt werden.47 Der derzeit auf Eis liegende schen ­SSC-8- Raketen östlich hinter den Ural zu Austausch auf militärischer Ebene im NATO- verschieben. Die Einhaltung dieser Verlegung Russland-Rat müsste ebenfalls wieder aufgenom- könnte über technische und nachrichtendienstli- men werden, um Vertrauen zurückzugewinnen. che Methoden verifiziert werden.44 Ob damit die Voraussetzung geschaffen würde, eine Nachrüs- Auch wenn er nur mittelfristig wirken kann, tung mit Mittelstreckenwaffen in Europa durch würde ein solcher Vertrauensaufbau die Basis die ­NATO obsolet zu machen, hängt jedoch bilden, um die beschriebenen Vorhaben zu einer zwingend davon ab, ob sich Moskau dazu bereit kooperativen Zurückhaltung bei der Stationierung erklärt, ohne, ähnlich wie die Sowjetunion im landbasierter Mittelstreckenraketen in Europa Zuge des NATO-Doppelbeschlusses,­ durch west- zu implementieren. Dass informelle, reziproke liche Raketenstationierungen­ dazu gezwungen zu Kontrollansätze funktionieren können, zeigen werden. die Presidential Nuclear Initiatives (PNIs)­ von 1991, in deren Rahmen Präsident George H. W. Bush Dass Moskau ohne Druck diesem Vorschlag freiwillig die Reduktion taktischer Nuklearwaf- folgt, ist momentan schwer vorstellbar. Auch hat fen vollzog und Präsident Gorbatschow­ daraufhin Deutschland nur begrenzte Möglichkeiten, diplo- aus eigenen Stücken folgte. Dafür müsste aber die matisch auf Russland einzuwirken, einen solchen Vertrauensbasis stimmen. Vorschlag zu akzeptieren. Dennoch sollte die Bun- desregierung auf die Umsetzung des wechselsei- tig deklarierten Verzichts einer Stationierung von

22 Auslandsinformationen 3|2019 Fazit Aufbau von Maßnahmen zur Vertrauensbildung, insbesondere durch mehr militärische Kontakte Russland hat durch die Entwicklung seiner ver- und militärischen Austausch. Dabei ist jedoch botenen Mittelstreckenrakete wahrscheinlich Bescheidenheit gefordert. Solch ein Vertrauens­ den Grundstein für das Ende des INF-Vertra- aufbau wird sicherlich nur schrittweise und mit- ges gelegt. Obwohl der größere Teil der Schuld telfristig Auswirkungen haben können. damit auf russischer Seite liegt, haben auch die ­USA es versäumt, ernsthafte Anstrengungen zur Ein funktionierendes Vertrauensverhältnis ist Bewahrung des Vertrages zu unternehmen. In auch deshalb so bedeutend, da sich bereits jetzt beiden Hauptstädten dominiert die Einstellung, das Zusammenbrechen des nächsten und letz- der ­INF-Vertrag sei nicht mehr zeitgemäß. Der ten nuklearen Kontrollvertrages abzeichnet: Verweis auf den verbreiteten Besitz von Mittel- Im Februar 2021 läuft der New-­START-Vertrag streckenwaffen, insbesondere Chinas und ande- zur Reduzierung und Begrenzung strategischer rer russischer Nachbarn, und die Folgerung, der Nuklearwaffen aus. Ohne politischen Willen zur ­INF-Vertrag sei nicht mehr im Sicherheitsinte- Verlängerung des Abkommens könnte sich das resse beider Länder, erlauben aber eher Rück- Scheitern des ­INF-Vertrages dort wiederholen. schlüsse auf die machtpolitische Denkweise der Damit wäre nukleare Rüstungskontrolle endgül- beiden Präsidenten und ihres Umfelds, als dass tig Geschichte. militärische Notwendigkeiten einen Ausstieg aus dem Vertrag tatsächlich rechtfertigen. Denn Fakt ist, dass angesichts der luft- und seegestützten Philipp Dienstbier ist Referent im Team Europa / Systeme in beiden Arsenalen eine zusätzliche Nordamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Entwicklung landgestarteter Mittelstrecken­ raketen für Russland und die ­USA kaum militä- rischen Mehrwert liefert.

Da die Verbreitung von Mittelstreckenwaffen heute so groß und das Abschreckungsgleichge- wicht daher vielschichtig und komplex ist, ändert die Einführung der russischen Rakete sowie möglicher amerikanischer Gegenstücke die Bedrohungslage auch nicht zwangsläufig. Den- noch könnte die Frage einer limitierten Nachrüs- tung die ­NATO spalten. Gleichzeitig ist derzeit nicht absehbar, wie der Wunsch nach der Ver- handlung eines Folgevertrages gerade mit Blick auf China realistisch umsetzbar sein sollte.

Daher sollte sich die Politik auf ein informelles Einvernehmen zur Zurückhaltung bei der Statio- nierung von Mittelstreckensystemen, zumindest in Europa, konzentrieren. Deutschland unterbrei- tete bereits erste Vorschläge, für welche es sich weiterhin diplomatisch einsetzen sollte. Dabei gilt es gerade das amerikanische Repräsentantenhaus zu unterstützen, welches sich gegen die Bewilli- gung von Mitteln zur Entwicklung landgestützter Mittelstreckenraketen ausgesprochen hat.48 Eine Umsetzung verlangt aber auch den erfolgreichen

Das Ende der Rüstungskontrolle? 23 1 Die Abkürzung ­INF steht für „Intermediate Range 14 Vgl. Woolf, Amy 2019: Russian Compliance with the Nuclear Forces“. Intermediate Range Nuclear Forces (INF)­ Treaty: 2 Vgl. Graw, Ansgar / Jungholt, Thorsten 2019: Die Background and Issues for Congress, Congressional Rückkehr der Atomraketen nach Europa, Welt am Research Service, 02.08.2019, in: https://bit.ly/ Sonntag, 10.01.2019, in: https://bit.ly/2YQatW0 2kwmXwW [23.07.2019]. [12.08.2019]. 15 Vgl. Zagorskij, Andreij 2019: Le roi est mort, vive le 3 Vgl. Kubiak, Katarzyna 2019: Schauplatz statt Akteur: roi? Die Zukunft der Rüstungskontrolle nach dem Europa zwischen zwei Nuklearmächten, in: Osteuropa ­INF-Aus, in: Osteuropa 69: 1 – 2, S. 79 – 87. 69: 1 – 2, S. 113 – 118. 16 Vgl. Richter, Wolfgang 2019: Europa und der 4 Zum Inhalt des Abkommens: Treaty Be­tween The ­INF-Vertrag: Verdammt zur Zuschauerrolle?, United States Of America And The Union Of Soviet Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Socialist Republics On The Elimination Of Their 26.04.2019, in: http://bpb.de/apuz/289943 Intermediate-Range And Shorter-Range Missiles [12.08.2019]. (INF Treaty), 1987, in: https://bit.ly/2Kv4woI 17 Zitiert in Borger, Julian / Pengelly, Martin 2018: [12.08.2019]. Trump says US will withdraw from nuclear arms 5 Lifflander, Justin 2012: 25 Years On, Gorbachev treaty with Russia, The Guardian, 21.10.2018, in: Recalls Nuclear Milestone, The Moscow Times, https://bit.ly/2IXzlS7 [23.07.2019]. 06.12.2012, in: https://bit.ly/2KJDgnH [28.06.2019]. 18 Vgl. Kristensen, Hans M. 2018: INF­ Weapons: Status, 6 Vgl. U.S. Department of State 2014: Adherence Modernisations, and Arms Control Prospects, Toda to and Compliance with Arms Control, Nonpro- Peace Institute, Policy Brief No. 25, 11/2018, in: liferation, and Disarmament Agreements and https://bit.ly/2LsoJfU [23.07.2019]. Commitments, 07/2014, in: https://bit.ly/2KJFDHa 19 Vgl. Richter 2019, N. 16; vgl. LeGrone, Owen 2019: [12.08.2019]. New U.S. Intermediate-Range Missiles Aren’t Nee- 7 Vgl. Kühn, Ulrich 2019: Das Ende des INF-Vertrags:­ ded for Precision Strike in Europe, Arms Control Folgen für die nukleare Rüstungskontrolle in Europa, Association, 27.08.2019, in: https://bit.ly/2ky6I4v in: Osteuropa 69: 1 – 2, S. 89 – 101. [06.09.2019]. 8 Vgl. Coats, Daniel 2018: Director of National Intelli- 20 Einige Experten sehen die militärischen Vorteile land- gence Daniel Coats on Russia’s Intermediate-Range basierter Mittelstreckenraketen aber in einer leicht Nuclear Forces (­INF) Treaty Violation, Office of the besseren Präzision gegenüber luft- und see­gestützten Director of National Intelligence, 30.09.2018, in: Varianten und ihrer höheren Überlebensfähigkeit https://bit.ly/2Q7MDRo [23.07.2019]. durch schwerere Ortung. Auch General Selva erklärte, 9 Vgl. Hegmann, Gerhard 2019: Die Waffe, die der strategische Vorteil des Besitzes landgestützter das atomare Gleichgewicht erschüttert, Die Systeme für die US-Streitkräfte könne u. a. eine Welt, 10.01.2019, in: https://welt.de/186641682 höhere operationale Flexibilität sein. Vgl. U.S. Govern- [23.07.2019]. ment Publishing Office 2017: Military Assessment of 10 Vgl. Merkel, Angela 2018: Pressestatements von Bun- Nuclear Deterrence Requirements,­ 08.03.2017, in: deskanzlerin Merkel und dem dänischen Minister- https://bit.ly/2IX41mo [23.07.2019]; vgl. Kühn, Ulrich präsidenten Rasmussen, 20.11.2018, in: https://bit.ly/ 2018: Geht es eigentlich um China?, Frankfurter 2DSHDt6 [23.07.2019]. Allgemeine Zeitung, 26.10.2018, in: https://faz.net/ 11 Die anderen Vorwürfe von russischer Seite sind (1.) -gq5-9fw0o [23.07.2019]. der Einsatz der USA­ von Raketen mit verbotenen 21 Vgl. Alcaro, Riccardo 2019: Ideology, Not Russia or Reichweiten zum Testen von Raketenabwehrsyste- China, Explains US Pullout from the INF,­ Istituto men und (2.) der Besitz von unbemannten Drohnen. Affari Internazionale, 05.02.2019, in:https://bit.ly/ Es ist jedoch fragwürdig, ob die Definition der 2Ls5ZNo [23.07.2019]. verbotenen Waffensysteme, wie sie im Vertrags- 22 Vgl. Ackerman, Spencer 2018: John Bolton Brings text genannt ist, tatsächlich auf diese beiden Fälle a Nuclear Superhawk Into the White House, The anwendbar ist. Daher werden sie hier nicht weiter Daily Beast, 08.02.2018, in: https://bit.ly/2XciqiL behandelt. [23.07.2019]. 12 Vgl. Kubiak, Katarzyna 2017: Raketenabwehr: 23 Vgl. Bolton, John / Yoo, John 2014: An Obsolete Potentiale einer Kooperation mit Russland, Stiftung Nuclear Treaty Even Before Russia Cheated, Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 2017/S 13, The Wall Street Journal, 09.09.2014, in: 07/2017, in: https://bit.ly/2H6LS4e [23.07.2019]. https://on.wsj.com/2XiZX99 [23.07.2019]. 13 Zukünftig soll das Aegis Ashore-System in Polen 24 Vgl. Gramer, Robbie / Mackinnon, Amy 2019: und Rumänien auch mit der Hybridrakete SM-6 Trump’s Top Russia Aide to Depart, Foreign Policy, ausgestattet werden, welche sowohl defensiv 18.06.2019, in: https://bit.ly/2IP0YLY [23.07.2019]. als auch ­offensiv nutzbar ist. Damit würden sich 25 Vgl. Gates, Robert 2014: Duty: Memoirs of A Secre- zusätzlich zu den derzeitigen Anschuldigungen wei- tary at War, New York. tere Fragen über den tatsächlichen rein defensiven Charakter des Systems stellen.

24 Auslandsinformationen 3|2019 26 Die Initiative fand trotz amerikanischer Unter- 37 Vgl. Podvig, Pavel 2019. Fahrlässig verspielt: Das stützung aber keine weitere Zustimmung in der Ende des ­INF-Vertrags, in: Osteuropa 69, 1– 2, VN-Hauptversammlung. Vgl. U.S. Department of S. 103– 107; vgl. Richter 2019, N. 16. State 2007: Joint U.S.-Russian Statement on the 38 Stellungnahme von Dr. Ulrich Kühn zur öffentlichen Treaty on the Elimination of Intermediate-Range Anhörung „Regionale Stabilität? Konventionelle und and Shorter-Range Missiles at the 62nd Session of nukleare Rüstung und Abschreckung in Mittel- und the UN General Assembly, 25.10.2007, in: Osteuropa heute: Möglichkeiten für Rüstungskontrolle https://bit.ly/2xjxWib [23.07.2019]. und Abrüstung“ der 10. Sitzung des Unterausschusses 27 Vgl. Harding, Luke 2007: Putin Threatens With- Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung drawal from Cold War Nuclear Treaty, The Guardian, des Deutschen Bundestags (18. Wahlperiode), 12.10.2007, in: https://bit.ly/2xknruZ [23.07.2019]. 15.05.2019. 28 In Russland dürfte jedoch ins Gewicht fallen, dass 39 Vgl. Spiegel Online 2018: U.S. Withdrawal from see- und landgestützte Raketen und die Plattformen, Nuke Treaty Worries Europeans, 30.10.2018, in: welche diese tragen, im Vergleich zu landgestützten https://spon.de/aflF8 [23.07.2019]. Raketen teurer in Produktion und Unterhalt sind. Der 40 Vgl. SIPRI 2018: SIPRI­ Yearbook 2018, Oxford. russische Verteidigungshaushalt beträgt absolut ledig- 41 Vgl. Zagorskij 2019, N. 15. lich ein Zehntel des amerikanischen, macht gleichzei- 42 ­Vgl. NATO 2019: Secretary General: NATO response to tig mit 3,9 gegenüber 3,2 Prozent aber einen höheren INF Treaty demise will be measured and responsible, Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Aus 02.08.2019, in: https://bit.ly/2lB7E8w [06.09.2019]. russischer Sicht haben daher landgestützte Systeme 43 Vgl. Zagorskij 2019, N. 15. industriepolitische Kostenvorteile. Vgl. Stockholm 44 Kiesewetter, Roderich 2019: Kiesewetter zu Chancen, International Peace Research Institute (SIPRI) 2018: den INF-Vertrag­ zu retten, 28.02.2019, in: https://bit.ly/ ­SIPRI Military Expenditure Database, in: 2IZ2rRf [23.07.2019]. https://sipri.org/databases/milex [23.07.2019]. Diese 45 Vgl. Kühn 2019, N. 38. Einschätzung wurde von Teilnehmern des unter 46 Einschätzung von Teilnehmern des Workshops „Sicher- Chatham House-Regeln stattgefundenen Workshops heitsunordnung: Konfliktlinien und Handlungsspiel- „Sicherheitsunordnung: Konfliktlinien und Hand- räume“, N. 28. lungsspielräume“ der Konrad-Adenauer-Stiftung vom 47 Zum Inhalt des Übereinkommens vgl. OSZE 2011: 25. bis 28.03.2019 in Cadenabbia, Italien abgegeben. Vienna Document 2011: On Confidence- and Security- 29 Die ­USA beteuern hingegen, dass die Raketenabwehr Building Measures, 30.11.2011, in: https://bit.ly/ nicht gegen Russland gerichtet sei. Zwar wurde in den 2ZXwCxU [23.07.2019]. ursprünglichen Erklärungen kein Bezug zu konkreten 48 Ali, Idrees / Stewart, Phil 2019: After INF treaty’s Staaten hergestellt, jedoch ist aus NATO-Sicht­ das demise, U.S. seeks funds for missile tests, Reuters, Raketensystem tatsächlich zur Verteidigung gegen 02.08.2019, in: https://reut.rs/2KdH0fN [06.09.2019]. die Bedrohung ballistischer Raketen aus dem Nahen Osten gedacht – und damit vor allem gegen Iran. Vgl. Kubiak 2017, N. 12. 30 Ebd. 31 Vgl. Woolf 2019, N. 14. 32 Die Theorie einer Abkopplung Europas war aber damals nicht ohne Widerspruch – vernachlässigt sie beispielsweise die Rolle britischer und französischer Nuklearwaffen bei der atomaren Abschreckung in Europa. Vgl. Gassert, Philipp 2019: Rüstung, Bündnis- solidarität und Kampf um Frieden: Lernen aus dem Nato-Doppelbeschluss von 1979?, bpb, 26.04.2019, in: http://bpb.de/apuz/289939 [12.08.2019]. 33 Vgl. ­NATO 1979: Kommunique der Sondersitzung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO­ in Brüssel [„­NATO-Doppelbeschluß“], 12.12.1979. 34 Vgl. Reif, Kingston 2019: Trump Increases Budget for Banned Missiles, Arms Control Association, 05/2019, in: https://bit.ly/2W8K1Bu [23.07.2019]; vgl. ders. 2019: Treaty Withdrawal Accelerates Missile Debate, Arms Control Association, 09/2019, in: https://bit.ly/2lHDwbt [06.09.2019]. 35 Vgl. Zagorskij 2019, N. 15. 36 Vgl. Podvig, Pavel 2018: Who lost the INF­ Treaty?, Bulletin of the Atomic Scientists, 26.10.2018, in: https://bit.ly/2Njp72I [23.07.2019].

Das Ende der Rüstungskontrolle? 25 Quelle: © Adnan Abidi, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? Zwischen Wettrüsten und Allianzbildung Wie Pakistan und China die indische Verteidigungspolitik bestimmen

Romina Elbracht / Ann-Margret Bolmer

26 Obgleich Indiens nationale Sicherheit nach der Unabhängigkeit des Landes 1947 gleichermaßen durch Konflikte mit den Nachbar- staaten Pakistan und China gefährdet wurde, ist es aktuell vor allem das Reich der Mitte, das zum Maßstab indischer Verteidigungs- maßnahmen avanciert. Das indische Militär muss sich grundlegen- den Reformen unterziehen, um zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. International will das aufstrebende Indien seine Strategische Autonomie zwischen den Weltmächten wahren.

In Indien kreist der öffentliche Diskurs nicht sel- chinesisch kontrollierten Gebiet im Bundesstaat ten um Pakistan und um die Terrorgefahr, die, Jammu und Kaschmir trennt, sind seit Jahr- so der Vorwurf von indischer Seite, von dem zehnten Ursprung zahlreicher Konflikte. Indien Land ausgeht. Gleichzeitig ist die konventionelle befindet sich inmitten eines sicherheitspolitisch­ Überlegenheit Indiens, demonstriert durch den herausfordernden Umfelds und steht mit den Gewinn aller Kriege gegen Pakistan, omnipräsent. oben genannten Staaten zwei unmittelbaren Während Pakistan für Indien ein kurzfristiges tak- Gegnern gegenüber, die ihre Militärkapazitäten tisches Problem ist und bleibt, avanciert China derzeit entscheidend modernisieren.1 zunehmend zum entscheidenden Parameter der indischen Rüstungsmodernisierung, der das Der nachstehenden Analyse soll folgende These künftige Machtverhältnis in der Region maßgeb- zugrunde liegen: Obwohl der Faktor Pakistan das lich prägen wird. Ein weiterer Aspekt ist die nach (Auf-)Rüstungsverhalten Indiens weiterhin ent- wie vor angespannte Situation in der Kaschmir- scheidend mitbestimmt und einen Schwerpunkt Region, auf die Indien und Pakistan einen der indischen Außenpolitik darstellt, entwickelt Anspruch erheben. Dieser Konflikt erreichte im sich China rapide zur langfristigen strategischen Februar 2019 einen zusätzlichen Höhepunkt Herausforderung vor allem im Rüstungsbereich. während des Terroranschlags im Bezirk Pulwama. Diese Entwicklung geht einher mit der Frage, ob Die indische Regierungspartei Bharatiya Janata Indien angesichts des militärischen Drucks eher Party (BJP)­ verlagerte im Anschluss ihre politische ein Bandwagoning an die USA­ vorziehen wird oder Wahlkampagne auf das Thema der nationalen weiterhin den langjährigen Verbündeten Russland Sicherheit und schaffte es damit, ihr Wahlergeb- präferiert. Gleichzeitig steht die Frage im Mittel- nis aus 2014, bei dem sie im indischen Unterhaus punkt, welche rüstungspolitischen Dynamiken die absolute Mehrheit erhielt, bei den diesjähri- zwischen Weltmächten und denen, die es wer- gen Parlamentswahlen sogar zu überbieten. Ein den wollen, derzeit eine Rolle spielen. Laut Ana- Dialog zwischen Indien und Pakistan scheint zum lyse des Stockholm International Peace Research jetzigen Zeitpunkt in weite Ferne gerückt. China Institute (­SIPRI) war Indien im Zeitraum 2014 bis zeigt sich unterdessen als Unterstützer Pakistans 2018 zweitgrößter Waffenimporteur nach Saudi-­ und strebt weitere Investitionen im Zuge seiner Arabien, während die ­USA bei Waffenexporten Seidenstraße-Initiative an. unangefochten auf dem ersten Platz rangiert, gefolgt von Russland, das, trotz Rückgangs der Indien teilt sowohl mit Pakistan als auch mit China Exporte, größter Waffenlieferant Indiens bleibt. umstrittene Grenzen, die die konkurrierenden ter- ritorialen Ansprüche der Länder unterstreichen. Indiens ständiger Wettlauf mit China Die Line of Control (LoC), eine De-facto-Grenze zu Pakistan, und die Line of Actual Control (LAC),­ China ist nach wie vor ein zentrales Thema für die das von Indien kontrollierte Gebiet von dem die indischen Regierungschefs in Bezug auf

Das Ende der Rüstungskontrolle? 27 Abb. 1: Anteil der größten Waffenimporteure Was die indischen Luftstreitkräfte betrifft, so weltweit 2014 – 2018 (in Prozent) zeichnen sich diese derzeit vor allem durch eine schwer durchschaubare Typenvielfalt aus, die eine Interoperabilität zwischen den verschie- 9,5 denen Systemen erschwert, sowie durch das schnelle Altern der einmotorigen indischen Flotte, wie die einstrahligen russischen Abfang- 12 jäger MiG-21. Bei anderen Modellen wie den französischen Mehrzweckkampfflugzeugen 5,1 Mirage 2000 und Rafale mangelt es an Stück-

4,6 zahlen. Aufgrund von Sicherheitsbedenken der 64,4 Indien beliefernden Staaten sind keine Codes 4,4 verfügbar, die eine Kommunikation russischer Systematik mit westlichen Daten möglich machen würden. Das bedeutet für Indien, dass keine Synergien zwischen den Flotten geschaf-

Indien Australien fen werden können. Saudi-Arabien Algerien Ägypten Andere Die indische Antwort auf steigende chinesische Kapazitäten, die von Atom-U-Boot-Flotten bis zu Quelle: Eigene Darstellung nach SIPRI database 2019, modernen Flugzeugträgern reichen, erscheint SIPRI Arms Transfers Database; in: https://bit.ly/ bislang unzureichend. Zum einen liegt dies an 2p16QKG [27.06.2019]. dem knappen indischen Budget sowie zum ande- ren am fehlenden Zugang zu westlicher Techno- logie, welche der chinesischen erfahrungsgemäß Sicherheits- und Verteidigungsstrategien, dies überlegen ist. Anstatt sich für einen einheitlichen aber in einer viel multidimensionaleren Form Kurs zu entscheiden, der auf U-Booten, Schiffen, als noch in den 1960er Jahren. Damals führte Elektronik und Datenbanken aus dem Westen China nach dem Sieg im Grenzkrieg von 1962 basiert, wählt Indien für die Zukunft eine Stra- zwei Jahre später einen Atomtest durch, der den tegie, die auf drei verschiedenen Flugzeugträ- Indern große Sorgen bereitete. gern fußt, von denen jeder ein anderes Flugzeug tragen wird. Trotz des im Grunde existierenden Die Gefahr, die Indien aktuell in China sieht, Zugangs zu überlegener Technologie bedeuten lässt sich anhand folgender Punkte zusammen- die derzeitigen indischen Beschaffungsstrate- fassen: gien somit, dass ein technologischer Vorteil nicht vorhanden ist und der massive militärisch-indus- 1. eine lange indisch-chinesische Grenze, an trielle Komplex Chinas angesichts der fraktio- der China die Oberhand behält, wenn es um nierten und nicht kompatiblen indischen Flotte Bodenangriffsoffensiven geht, einen signifikanten Vorsprung erlangen wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass China 2. die Aufrechterhaltung der chinesischen eine deutliche langfristige Bedrohung für Indien Unterstützung Pakistans, darstellt, zumal Indien keiner klaren Strategie zum Umgang mit China folgt.2 3. eine industrielle und wirtschaftliche Domi- nanz gegenüber Indien, Chinesische Ambitionen in Pakistan

4. steigende chinesische Seemacht-Kompeten- Die strategische Zusammenarbeit zwischen zen, die Indien im Indopazifik entscheidend China und Pakistan vermag Neu-Delhi militä- herauszufordern vermögen. risch stärker als alles andere herauszufordern.

28 Auslandsinformationen 3|2019 Tabelle 1: Streitkräfte Indiens und Chinas im Vergleich (nach Waffengattungen, Klassen bzw. Soldaten, Stand 2019)

Indien China

Luftstreitkräfte

Abfang- und Luftüberlegenheitsjäger 62 759

Jagdbomber 561 702

Erdkampfflugzeuge 117 240

Spionage-, Aufklärungs- und Überwachungsflugzeuge 3 51

AWACS-Flugzeuge 4 13

Tankflugzeuge 6 13

Bomber 0 172

Marinestreitkräfte

U-Boote 16 59

Flugzeugträger 1 1

Zerstörer 14 27

Fregatten 13 59

Patrouillen- und Küstenschiffe 106 205

Bodenstreitkräfte

Bodentruppen 1.237.000 975.000

Kampfpanzer 3.565 5.800

Schützenpanzer 3.100 5.000

Artilleriegeschütze 9.719 8.954

Selbstfahrlafetten und Feldhaubitzen 2.395 7.396

Quelle: Eigene Darstellung nach The International Institute for Strategic Studies 2019, The Military Balance 2019, London, zitiert in: Pant / Bommakanti 2019, N. 1.

Abgesehen von der Seekooperation hat sie auch Übungen mit der Luftwaffe der chinesischen an anderen Fronten zugenommen und profitiert Volksbefreiungsarmee (VBA)­ durch.3 von der verbesserten Interoperabilität zwischen den Streitkräften beider Länder. Diese erstreckt Der chinesisch-pakistanische Wirtschaftskor- sich auch auf militärische Hardware mit zuneh- ridor (­CPEC) ist bedeutender Bestandteil der mender Kompatibilität in der Ausrüstung. Die chinesischen Belt and Road Initiative (­BRI) und pakistanische Luftwaffe setzt in China gebaute führt durch den von Pakistan kontrollierten Teil Jets ein und führt gleichzeitig gemeinsame Kaschmirs. Nur 50 Kilometer von dem letzten

Das Ende der Rüstungskontrolle? 29 Anschlagsort entfernt befindet sich eine von konventionelle Waffen. Warum aber investieren China finanzierte Autobahn. Es ist daher nicht sowohl China, Pakistan als auch Indien dennoch verwunderlich, dass das Land ein deutliches in die nukleare Aufrüstung? China wird von dem Interesse an der Deeskalation des Konflikts hat, Wunsch angetrieben, mit dem allgegenwärtigen zumal China seine eigenen wirtschaftlichen Inte- Kontrahenten ­USA gleichzuziehen. Indien ver- ressen verfolgt und den Wirtschaftskorridor als folgt ein ähnliches Ziel mit der Motivation, an Ganzes sichern will. Die Vetomacht China war es das chinesische Arsenal heranzureichen. Zum auch, die am 13. März 2019 zunächst erneut den Vergleich: 2018 verfügte Indien über 130 bis Vorschlag im Sicherheitsrat der Vereinten Natio- 140 nukleare Sprengköpfe, China über 290 und nen blockierte, den Anführer der Terrorgruppe die Vereinigten Staaten über 6.185.6 Schon der Jaish-e Mohammed (JeM), Masood Azhar, der frei Bau der ersten indischen Atombombe Smiling in Pakistan leben soll, auf die Terroristenliste Buddha war motiviert vom chinesischen Atom- der VN zu setzen. Auf der einen Seite hat China waffenversuch in 1964. Nach dem indischen diese Entscheidung mittlerweile revidiert, was Atomwaffentest 1974 argumentierte Pakis- Neu-Delhi als positives Signal in seine Richtung tan, dass es nun zum Zwecke der Verteidigung versteht.4 Auf der anderen Seite bleibt festzuhal- gezwungen wäre, ebenfalls Atomwaffen zu ten, dass China nicht die innenpolitischen Prob- bauen. Zwischen Indien und Pakistan bestand leme Pakistans lösen kann, aber die Interessen ab diesem Zeitpunkt eine mutually assured des- und die potenziellen finanziellen Gelegenheiten truction, eine in Zeiten des Kalten Krieges nicht derzeit zu groß sind, um Pakistan aus den Augen ungewöhnliche Dynamik. Der indische Verteidi- zu lassen. gungsexperte Harsh V. Pant vom King’s College London beschreibt Indiens nukleare Aspiratio- Indiens Streben nach militärischer Stärke nen wie folgt: „Security and status will continue to guide India’s nuclear policy in future.“7 Im Zeitraum 2014 bis 2018 gingen 40 Prozent der weltweiten Waffenkäufe in die Region Asien und Ozeanien – ein Indikator für die steigende Die Aufrüstung im Nuklear- Militarisierung des Kontinents. Vor allem im waffenbereich in Indien, Bereich der Nuklearwaffen rüstete das Drei- Pakistan und China ist weniger eck aus Pakistan, China und Indien in 2018 erheblich auf. Während China in Erweiterung für den wirklichen Einsatz als und Diversifizierung seines nuklearen Arsen- zur Abschreckung bestimmt. als investierte, erhöhten sowohl Indien als auch Pakistan die Menge an spaltbarem Mate- rial, die im nächsten Jahrzehnt zu einem sig- nifikanten Anstieg von Nuklearwaffen führen Neben der Nuklearpolitik hat dabei die militäri- kann.5 Dabei werden die Waffen weniger zum sche Unterlegenheit gegenüber China zu Land, eigentlichen Einsatz gebaut, sondern eher als zu Wasser und zu Luft erhebliche Auswirkungen Mittel der Abschreckung zum Erhalt des Status auf den indischen Verteidigungssektor. In die- quo zwischen Indien auf der einen Seite sowie sem Zusammenhang sind die lange Grenze zu Pakistan und China auf der anderen. Denn auch China im Nordwesten des Bundestaates Jammu wenn Indien weltweit das einzige Land ist, das und Kaschmir und die weiter nordöstlich gele- mit zwei nuklearen Gegnern an seinen Grenzen gene Grenze im Bundesstaat Arunachal Pradesh konfrontiert ist, so muss es keine nukleare Eska- von größter Bedeutung. Im Sommer 2017 kam lation von chinesischer Seite erwarten. Ähnlich es zu einem Patt der indischen und chinesischen wie Indien verfolgt auch China die no-first-use Armeen im Gebiet von Doklam in Bhutan. Die policy, die den Gebrauch von Nuklearwaffen Region liegt nahe an dem für die indische Infra- nur im Falle eines nuklearen Angriffs vorsieht, struktur wichtigen Chicken Neck, einem schmalen jedoch nicht als Mittel zur Verteidigung gegen indischen Landkorridor mit Grenzen zu Nepal

30 Auslandsinformationen 3|2019 und Bangladesch, der den Nordosten Indiens mit die Beziehungen zwischen Indien und China in dem Rest des Subkontinents verbindet. naher Zukunft entwickeln, kann die chinesische Herangehensweise dazu führen, dass Indien Durch die Militärbasen, die Teil des sogenann- erhebliche, besonders wirtschaftliche Verluste ten String of Pearls sind, welchen China im Ind- erleidet sowie viel Macht und Einfluss in einer opazifik und ganz besonders um den indischen Region verliert, die das Land als eigenen Hin- Subkontinent herum errichtet hat, muss Indien terhof betrachtet. Das ambivalente indisch-­ auch an seinen maritimen Grenzen wachsam chinesische Verhältnis ist grundsätzlich sowohl sein. Diese von Neu-Delhi empfundene Einkrei- von Zusammenarbeit als auch durch Rivalität sungspolitik des chinesischen Rivalen ist Teil von geprägt. Davon zeugt auf der einen Seite die dessen ­BRI, wodurch China bereits enge Bezie- Äußerung des neuen indischen Außenministers hungen zu vielen Nachbarstaaten Indiens wie Jaishankar, zwei Wochen nachdem das Pentagon Sri Lanka, Malediven, Pakistan, Nepal, Bangla- seinen Indo-Pacific Strategy Report veröffentlichte: desch sowie Myanmar unterhält und wodurch „[T]he Indo-Pacific is for something, not against es in Schlüsselregionen im Indischen Ozean, die somebody.“8 Und auf der anderen Seite schlägt Indien als traditionelle Einflusssphären begreift, China in seinem neuesten Defense White Paper eine starke Präsenz zeigt. Je nachdem, wie sich gegenüber Indien ebenfalls neutrale Töne an.

Reale Bedrohung? Die indische Antwort auf steigende militärische Kapazitäten Chinas erscheint bislang unzureichend. Quelle: © Jason Lee, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? 31 Denn trotz der Gebietskonflikte an der ca. 3.400 Milliarden US-Dollar, die indischen „nur“ 66,5 km langen indisch-chinesischen Grenze avan- Milliarden.11 Darüber hinaus verursachen struk- cierte China in den letzten 20 Jahren auch zum turelle Schwierigkeiten Probleme in der ein- wichtigsten Handelspartner Indiens. Nichtsdes- heimischen Rüstungsproduktion sowie bei der totrotz mahnen indische Strategieexperten zur Beschaffung neuer militärischer Ausrüstung.12 Vorsicht. Denn China bedrohe, anders als die ­USA, Indiens nationale Sicherheit durch anhal- Obwohl Premierminister Modi in seiner ers- tende Grenzstreitigkeiten. ten Amtszeit versprach, diese zum Herzstück der „Make in India“-Kampagne zu machen und Im März 2019 konnte die Defence Research and die nationale Waffenproduktion zu fördern, ist Development Organisaton (­DRDO) Indiens erfolg- davon bis heute wenig zu sehen. Der einheimi- reich einen eigenen Satelliten in der erdnahen schen Rüstungsproduktion mangelt es an Quali- Umlaufbahn abschießen. Mit der sogenannten tät. Hinzu kommen Schwierigkeiten, pünktliche Mission Shakti schaffte es die indische Raum- Lieferungen zu gewährleisten. Auch der Versuch, fahrttechnologie, ein Exempel seiner Stärke zu ausländische Rüstungsunternehmen dazu anzu- statuieren, und sieht sich nun auf einem Level regen, ihre Produkte für das indische Militär in mit den einzigen drei Staaten, denen dies bisher Indien anzufertigen, ist bisher von mäßigem gelungen ist – den ­USA, China und Russland.9 Erfolg gekrönt. Die einzige groß angelegte bila- Auch die indische Raumfahrtbehörde war im terale Beschaffungsmaßnahme, die im Laufe Juli 2019 erfolgreich. Mit Chandrayaan-2 will der letzten Legislaturperiode beschlossen Indien im September seine erste Mondmission wurde, war die indisch-russische Produktion durchführen. Indien ist dabei nicht die einzige von AK-203-Gewehren im indischen Bundesstaat asiatische Großmacht, die sich in diesem Jahr Uttar Pradesh.13 ins All begeben hat: Anfang des Jahres landete eine chinesische Sonde auf der erdabgewandten Symptomatisch für die undurchsichtigen und Seite des Mondes. Sollte es im Weltall zu einem langwierigen indischen Beschaffungsmaßnah- Wettstreit zwischen beiden Ländern kommen, men steht der Kauf einiger Rafale-Kampfflug- so würde China trotz aller indischer Erfolge füh- zeuge.14 Kam es 2012 unter der damals rend bleiben. Das chinesische Weltraumbudget regierenden United Progressive Alliance zunächst ist fast doppelt so hoch wie das indische und zu einer Einigung über den Erwerb von 126 Flug- die fortgeschrittene Technologie der Chinesen zeugen von der französischen Firma Dassault, erlaubte diesen schon 2007 den Abschuss eines so reduzierte die National Democratic Alliance Satelliten.10 diesen Deal 2016 auf 36 Flugzeuge – zu einem teureren Preis als noch in 2012. In der Öffent- Defizite in Budget und Beschaffung lichkeit verteidigte die Regierung diesen Kauf damit, dass ein größeres Waffenpaket mit mehr Die derzeit von der indischen Politik geforderten Leistungen erworben worden sei.15 Doch nicht Reformen im indischen Verteidigungsministe- nur der hohe Preis sorgte für erregte Gemüter; es rium sind aufgrund finanzieller Engpässe kaum war auch die durch erneute Verhandlungen ver- durchführbar. Trotz Anstieg des Verteidigungs- zögerte Lieferzeit, die die ohnehin geschwächte budgets in den vergangenen Jahren sinkt der Etat Luftwaffe noch weiter überstrapazieren würde. für Modernisierung kontinuierlich. Dabei gehört Indien zu den fünf Nationen mit den höchsten Strategische Partnerschaften, Militärausgaben weltweit, doch wurde über die die gepflegt werden wollen Hälfte des Gesamtbudgets für Verteidigung 2017/2018 für Personal- und Pensionsgehälter Angesichts der zunehmenden geopolitischen und aufgewendet. Und im Vergleich zu China zieht militärischen Bedrohung durch China erscheint Indien den Kürzeren: Im Jahr 2018 betrugen ein verstärktes Bündnis mit den USA­ für Indien die chinesischen Verteidigungsausgaben 250 auf den ersten Blick reizvoll. Allerdings waren

32 Auslandsinformationen 3|2019 die bilateralen Beziehungen zwischen den USA­ Communications Compatibility and Security Agree- und Indien historisch betrachtet nicht immer von ment (­COMCASA) gewertet werden. Ziel ist, den Freundschaft geprägt. Nach seiner Unabhängig- Kauf einer bestimmten Militärtechnologie aus keit 1947 weigerte sich das junge Indien konse- den ­USA durch Indien zu erleichtern und Indien quent, in den Orbit der westlichen Bündnisse um den Erwerb von Verschlüsselungstechnologie die USA­ einzutreten. Obgleich Indien als blockfrei aus den USA­ zu erlauben, die in der Kommuni- galt, war eine enge militärische Kooperation mit kation des Militärs und der Nachrichtendienste der Sowjetunion gegeben. Das Ende des Kalten zum Einsatz kommt.16 Krieges und die wirtschaftliche Entwicklung Indi- ens hatten einen großen Einfluss auf die Außen- Der amerikanische Außenminister Mike Pom- politik des Landes. Die Russische Föderation der peo benannte die indischen Luftangriffe im 1990er Jahre war für Indien kein strategischer Anschluss an den Terroranschlag im Februar Stützpfeiler mehr, wie es die Sowjetunion wäh- 2019 als „Anti-Terror-Operation” und wurde rend der beiden Kriege mit Pakistan 1965 und dafür von Pakistan kritisiert. Das Statement 1971 gewesen war. Die regionalen Initiativen wurde im Zusammenhang mit dem amerikani- Indiens nach dem Ende des Kalten Krieges und schen Umwerben Indiens gesehen, das darauf sein Nuklearwaffenprogramm waren Ausdruck abzielt, ein Gegengewicht zu Chinas zuneh- einer selbstständigeren Außenpolitik des Landes. menden Einfluss in der Region zu schaffen. Es war auch jenes Nuklearwaffenprogramm, wel- Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen ches das Verhältnis zu den ­USA vor der Jahrtau- Indien und Pakistan hinterließen grundsätz- sendwende kurzzeitig vergiftete. Die Vereinigten lich eine Bandbreite an offenen Fragen. Eine Staaten antworteten mit Sanktionen auf die indi- betrifft den Einsatz von F-16-Kampfflugzeu- schen Atombombentests von 1998. Spätestens gen aus US-Produktion. Wären diese tatsäch- unter Georg W. Bush und mit der Entbindung von lich zum Einsatz gekommen, so hätten sich den Sanktionen vertiefte sich die indisch-ameri- die Pakistaner über die verhängten Einschrän- kanische Zusammenarbeit signifikant und mün- kungen bei dem Kauf hinweggesetzt, zumal es dete schließlich im Nuclear Deal, der zwischen von US-Seite als unmissverständlich gilt, dass den beiden Ländern 2005 unterzeichnet wurde. die Maschinen nicht gegen Indien genutzt werden dürfen und ausschließlich bei Vertei- digungs- oder Anti-Terror-Operationen ein- Die Beziehungen zwischen gesetzt werden sollen.17 Von indischer Seite Indien und den USA sind ist problematisch, dass es sich bei der von den historisch ambivalent und Pakistanern abgeschossenen Maschine um eine über­alterte MiG-21 aus Russland handelte, die auch derzeit in Hinblick auf im Kampf mit der hochmodernen F-16 den Pakistan sowie Russland Kürzeren zog und den aktuellen Zustand indi- zwiegespalten. scher Kampfflugzeuge kritisch hinterfragen lässt. Laut indischer Angaben ist nur die F-16 in der Lage, die Rakete des Typs Advanced Medium Range Air-to-Air Missile (­AMRAAM), Bei der Abschlusserklärung der letzten deren Reste Air Force-Informationen zufolge 2+2-Gespräche 2018 zwischen den indischen gefunden wurden, zu tragen.18 In der letzten und amerikanischen Außen- und Verteidigungs- Juliwoche 2019 wurde bekannt, dass die ­USA ministern wurde der Status Indiens als Major das F-16-Programm Pakistans mit geschätzten Defense Partner (­MDP) für die USA­ unterstrichen. 125 Millionen US-Dollar technisch und logis- Auch sollen die Streitkräfte beider Nationen in tisch weiterhin unterstützen werden. Damit Zukunft mehr gemeinsame Übungen abhalten. einher geht ein 24/7 end-use-monitoring durch Als Meilenstein im sicherheitspolitischen Bereich 60 entsendete Vertreter vor Ort. Das Pentagon konnte gleichzeitig die Unterzeichnung des formulierte in seinem Bericht dazu, dass das

Das Ende der Rüstungskontrolle? 33 Zunehmend selbstbewusst: Die regionalen Initiativen Indiens nach dem Ende des Kalten Krieges und das Nuklear- waffenprogramm des Landes waren Ausdruck einer selbstständigeren indischen Außenpolitik. Quelle: © Adnan Abidi, Reuters. grundlegende militärische Gleichgewicht in Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-Systems der Region durch den neuesten Verkaufsdeal „Triumf“ vom Typ S-400 einigten. Besagtes allerdings nicht verändert würde. Erschwerend System soll der Abwehr von Kampfflugzeugen für eine Vertiefung der indisch-amerikanischen und Marschflugkörpern dienen und wird wahr- Kooperation kommen darüber hinaus aktuelle scheinlich primär entlang der Grenze zu China Handelsstreitigkeiten zwischen beiden Län- installiert werden. Dabei forderte der US-Senat dern hinzu.19 Problematisch ist für die US-Seite Indien auf, keine weiteren russischen Waffen- zudem, dass sich Moskau und Neu-Delhi im käufe zu tätigen, solange Russland mit Sankti- Oktober 2018 auf den Kauf des russischen onen belegt ist.20

34 Auslandsinformationen 3|2019 ­chinesische Ambitionen für eine Verbesserung der chinesisch-russischen Beziehungen als Bedrohung des Status quo aufgefasst werden. Nichtsdestotrotz trafen sich Modi und der chi- nesische Präsident Xi am Rande des Shanghai Cooperation Organisation Summit (­SCO) Mitte Juni 2019 und verständigten sich darauf, den bilateralen Dialog zu strittigen Grenzfragen zu verstärken. Modi unterstrich bei dem Gespräch, dass Pakistan konkrete Aktivitäten gegen grenz­ überschreitenden Terrorismus unternehmen müsse, bevor Indien in den Dialog über andere bilaterale Fragen eintreten könne.

Während seiner ersten Amtszeit konnte Indi- ens Premier Modi vergleichsweise einfach auf die Kooperationsmöglichkeiten mit allen Welt- mächten aufbauen, die er seit dem Ende des Kal- ten Krieges von seinen Vorgängern geerbt hatte. Diese Phase relativer Harmonie ist allerdings vor- bei. Moskau und Peking sind erpicht darauf, den Einfluss der ­USA in dem, was sie als ihren Hin- terhof betrachten – für Russland der innere Teil Eurasiens und für China der westliche Pazifik –, zu begrenzen. Gleichzeitig besteht das gemein- same Ziel darin, sich gegenseitig bei der Ausei- nandersetzung mit den ­USA zu unterstützen.21

Ausblick

Wenn Indien nicht in der Rolle des Juniorpart- ners als Teil einer Allianz fungieren will, muss es intensiv in die Verbesserung seiner natio- nalen Militärkapazitäten investieren. Ganz im Sinne des von Narendra Modi in der letzten Legislaturperiode ausgerufenen Slogans „Make in India“ wird es in Rüstungsfragen zuneh- mend um länderübergreifende gemeinsame Initiativen gehen, bei denen die Möglichkeit eines Technologietransfers und einer Produk- Aus Sicht des indischen Premierministers Modi tion in Indien essenzielle Vorgaben von indi- könnte aktuell nichts so interessant sein wie scher Seite bei der Ausschreibung militärischer die sich entfaltenden Allianzen sowohl zwi- Aufträge sein werden. Indien wird dabei auch schen Pakistan und China als auch zwischen in Zukunft auf seine Strategische Autonomie China und Russland und was diese für Indiens beharren und seine Entscheidungen an Einzel- internationale Beziehungen bedeuten. Indien fallbeurteilungen knüpfen. Was die militärische sieht sich in einer wachsamen Beobachterrolle, Akquisitions­strategie Indiens betrifft, existiert zumal die traditionelle (Rüstungs-)Partnerschaft die Empfehlung, ein separates Department of mit Russland für das Land eine wichtige ist und Defense Acquisition (­DDA) einzurichten mit dem

Das Ende der Rüstungskontrolle? 35 Ziel, alle beschaffungsbezogenen administrati- der deutsche Bundespräsident Frank-Walter ven Maßnahmen zu zentralisieren. Gleichzeitig Steinmeier bei seinem Indien­besuch im März sollten regelmäßig Schulungen für indisches 2018, dass Deutschland zusammen mit Frank- Akquisitionspersonal angeboten werden, um in reich „ein[en] neue[n] strategische[n] Anker” Anschaffungsfragen künftig effizienter zu agieren. für das Land darstellen könnte.22 Schon jetzt ist die Bundesrepublik der wichtigste europäische Indische Medien berichteten kürzlich, dass Handelspartner Indiens. Es geht nun darum, den bis Ende des Jahres 2019 ein modernisiertes Austausch auch in anderen Bereichen – Vertei- indisches U-Boot und dazu passende Leicht­ digung inklusive – intensiver zu suchen, um ein gewichtstorpedos, Shyena, an die myanmarische Gleichgewicht in Asien, was auch im deutschen Navy übergeben werden sollen. Der Deal ist Teil Interesse liegt, aus Deutschland mit zu beeinflus- eines Langzeitplans, zu dem auch gemeinsame sen. Übungen mit den indischen und russischen Partnern gehören. Hintergrund ist das Angebot Indien befindet sich in einem schwierigen Sicher- Chinas, wie bereits im Fall von Bangladesch heitsumfeld, das einen verstärkten Fokus auf die 2017, gebrauchte U-Boote an die myanmarische unmittelbare und erweiterte Nachbarschaft in Marine zu liefern. Indien reagiert hierbei auf der Region unbedingt erforderlich macht. Indien seine Befürchtung, dass kleinere Nationen wie muss hier eine Schlüsselrolle einnehmen und in Myanmar in seiner unmittelbaren Einflusssphäre der direkten Konkurrenz mit China statt auf reak- durch die Rüstungszusammenarbeit mit Peking tionäres Verhalten auf eigene Initiativen setzen. zu stark von China abhängig werden könnten. Strategische Kooperationen mit den bekannten Großmächten wird Indien von Fall zu Fall ent- Deutschland und die EU als scheiden und zukünftig auch davon abhängig strategischer Anker? machen, ob die maritime Dimension der südasi- atischen Sicherheitspolitik von dem jeweiligen Ein für Indien derzeit unberechenbarer US-Part- Gegenüber verstanden wird. Es bleibt spannend ner sowie ein expansiver chinesischer Nachbar im Indopazifik – und besonders für die größte lassen aktuell ein window of opportunity für einen Demokratie der Welt. intensiveren Einsatz von EU-Seite in Indien zu. Hierbei kommt Frankreich bislang eine Vorrei- terrolle zu. Der vielversprechendste Bereich der Romina Elbracht ist Trainee im Auslandsbüro der Zusammenarbeit ist dabei die maritime Sicher- Konrad-Adenauer-Stiftung in Indien. heit im Indopazifik. Dafür spricht, dass bis zu Ann-Margret Bolmer ist Wissenschaftliche Mitarbei­ 8.000 französische Soldaten in der Region terin im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung stationiert sind. Frankreich hat gleichzeitig in Indien. große Aufmerksamkeit auf die Verbesserung seiner Beziehungen zu Indien gelegt. Der Kauf der französischen Kampfflugzeuge Rafale auf indischer Seite steht dabei sinnbildlich für die Vertiefung der strategischen Beziehungen zwi- schen Indien und Frankreich. Während Macrons Besuch in Neu-Delhi im März 2018 unterzeich- neten beide Seiten eine Vereinbarung über die logistische Unterstützung zwischen den Streit- kräften einschließlich der Bereitstellung von Tank-, Reparatur- und Anlegeeinrichtungen für die Kriegsschiffe und Flugzeuge des jeweils ande- ren. Indisch-französische Militärübungen sind ebenfalls häufiger geworden. Zudem erklärte

36 Auslandsinformationen 3|2019 1 Vgl. Pant, Harsh V. / Bommakanti, Kartik 2019: 19 Vgl. Peer, Mathias 2019: Indien kontert Donald India’s national security: challenges and dilemmas, Trump mit neuen Zöllen, Handelsblatt, 16.06.2019, in: International Affairs 95: 4, S. 835 – 857, in: in: https://bit.ly/2KIgEBI [18.06.2019]. https://bit.ly/2TzQxRw [16.08.2019]. 20 Vgl. Pandey, Vikas 2018: S-400: India missile 2 Vgl. Iyer-Mitra, Abhijit 2019: A „Paper Tiger“? defence purchase in US-Russia crosshairs, BBC­ What India Wants to Be(come), in: Missaglia, Nicola / News, 05.10.2018, in: https://bbc.in/31IZwCR Tramballi, Ugo (Hrsg.): India’s Global Challenge, [20.06.2019]. Mailand, S. 111 – 140. 21 Vgl. Mohan, Raja C. 2019: Raja Mandala: India and 3 Vgl. ebd. the Sino-Russian alliance, The Indian Express, 4 Vgl. Kaufmann Bossart, Marco 2019: China baut in 11.06.2019, in: https://bit.ly/2MgmOMA [17.06.2019]. Kaschmir seinen Wirtschaftskorridor – Amerika 22 Vgl. Fähnders, Till 2018: Sogar jenseits des zeigt sich desinteressiert, Neue Zürcher Zeitung, Protokolls, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.03.2019, in: https://nzz.ch/ld.1463862 26.03.2019, S. 17. [14.08.2019]. 5 Vgl. ­SIPRI 2019: ­SIPRI Yearbook 2019: Armaments, Disarmament and International Security. Summary, in: https://bit.ly/2KNkXfb [20.06.2019]. 6 Vgl. ebd. 7 Vgl. Pant, Harsh V. / Joshi, Yogesh 2018: Indian Nuclear Policy, Oxford, S. 163. 8 Vgl. Rej, Abhijnan 2019: Why New Delhi Will Be Left Unfazed By China’s New Defense White Paper, The Diplomat, 25.07.2019, in: https://bit.ly/2TFm5FL [01.08.2019]. 9 Vgl. Delhi Policy Group 2019: India Defence Digest 1: 1, 14.03.2019, in: https://bit.ly/2OXPvQy [14.08.2019]. 10 Vgl. Petersen, Britta 2019: Indien startet seine Mondmission erfolgreich – und meldet damit seine Ambitionen im neuen Weltraum-Wettlauf an, Neue Zürcher Zeitung, 22.07.2019, in: https://nzz.ch/ ld.1497471 [01.08.2019]. 11 Vgl. John, Tara 2019: US and China account for almost half of world’s military spending, report says, ­CNN, 29.04.2019, in: https://cnn.it/2TvaRTR [01.08.2019]. 12 Vgl. Behere, Laxman K. 2019: Defence Agenda for Modi Government 2.0, Institute for Defence Studies and Analyses, 06.06.2019, in: https://bit.ly/ 2YTV0Vb [23.06.2019]; vgl. SIPRI­ 2019, N. 5. 13 Vgl. Raghavan, Srinath 2019: Defence University to Defence Chief – Modi govt now has political capital for the big reforms, The Print, 18.06.2019, in: https://bit.ly/31ChTJj [21.06.2019]. 14 Vgl. Baliga, Suhas 2018: Opinion | A flawed defence procurement policy, livemint, 18.10.2018, in: https://bit.ly/2TAlNjd [01.08.2019]. 15 Vgl. Taneja, Recha 2018: What Is Rafale Deal Cont- roversy? All You Need To Know, NDTV,­ 09.02.2018, in: https://bit.ly/2wgusw3 [01.08.2019]. 16 Vgl. Ministry of External Affairs, Media Center 2018: Joint Statement on the Inaugural India-U.S 2+2 Ministerial Dialogue, 06.09.2018, in: https://bit.ly/ 33AvUcj [28.06.2019]. 17 Vgl. Samanta, Pranabh Dhal 2019: US justified F-16 sale to Pakistan in 2008 as deterrence against India, Economic Times, 06.03.2019, in: http://ecoti.in/ M3ULkY [17.06.2019]. 18 Vgl. Business Standard 2019: IAF­ shows missile pieces as evidence to prove use of F-16s by Pak, Business Standard, 28.02.2019, in: https://mybs.in/ 2X3pTDn [16.08.2019].

Das Ende der Rüstungskontrolle? 37 Quelle: © Howard Burditt, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle?

Ein alter Bekannter ist wieder da Russische Militärkooperationen in Afrika

Benno Müchler

38 Nachrichten über russische Militärkooperationen in Afrika haben jüngst für Aufsehen gesorgt. Seit 2009 ist die frühere Sowjetmacht wieder in Afrika engagiert und hat an ihre alten Verbindungen angeknüpft. Im Gegenzug für seine Waffen erhofft sich Moskau Zugang zu Afrikas Energie- und Rohstoff- märkten. Ein Blick auf das Engagement zeigt: Im globalen Wettbewerb um Einfluss in Afrika ist Russland nicht mehr zu ignorieren.

Mord in Afrika. Drei Journalisten getötet. Auf einer Afrika. Auch Russland bemüht sich um Einfluss. entlegenen Straße wurden sie von Unbekannten Während sich der Westen auf Entwicklungshilfe angehalten und mit Kugeln durchsiebt. Nur der konzentriert und China Straßen, Schienen und Fahrer überlebte. Mutmaßlich ein Komplize. IT baut, bietet Russland vor allem eines: Waffen. 19 Militärabkommen soll Russland seit 2015 mit Die beschriebene Szene stammt nicht aus einem afrikanischen Staaten geschlossen haben.3 Sein Kriminalfilm, sondern soll sich so oder so ähn- komparativer Vorteil: keine ethisch-moralischen lich vor einem Jahr nahe der Stadt Sibut in der Auflagen. Sein Interesse: der Zugang zu Afrikas Zentralafrikanischen Republik (­ZAR) zugetragen Rohstoffen, um seine globale Führerschaft als haben. Die Welt horchte auf. Die Journalisten Energieexporteur weiter auszubauen und Europa stammten aus Russland. Ihre Mission in der ZAR­ abhängig zu machen, sowie der Aufbau politi- sei eine Recherche über eine private, kremlnahe scher Allianzen für Entscheidungen im System Sicherheitsfirma namens Wagner gewesen, wie der Vereinten Nationen. Unter Afrikas Autokraten das investigative russische Nachrichtenportal und Diktatoren, die nach wie vor die meisten der mitteilte, in dessen Auftrag sie recherchiert hat- 54 Länder regieren, findet Russland problemlos ten. Es gehört dem Kreml-Kritiker Michael Cho- Abnehmer. Russlands strategisches Engagement dorkowski.1 Wenige Monate zuvor hatte Moskau in Afrika begann bereits im Jahr 2009, nachdem erklärt, dass sich 175 Militärberater in der ­ZAR die Beziehungen mit seinen ehemaligen sozialis- aufhielten.2 tischen Bruderländern unter Boris Jelzin fast voll- ständig zum Erliegen gekommen waren. Zwar ist Die Verblüffung war groß. Weniger über den sein Einfluss in Afrika noch gering, aber bereits zu spielfilmreifen Mord, mit dessen Art man schon groß, um Russland länger zu ignorieren. Abermals bei den Attentaten auf Alexander Litwinenko und fordert es den Westen heraus – weniger offensiv, Sergei Skripal in London Bekanntschaft gemacht aber nach wie vor ideologisch. hatte, sondern vielmehr über die russische Prä- senz in Afrika. Versuchte Moskau nach der An- Und sie tanzten einen Rumba… nexion der Krim und dem Eingreifen in Syrien nun etwa auch auf dem afrikanischen Boden Wer auf der Suche nach Spuren des ersten russi- Fuß zu fassen und seinen internationalen Einfluss schen Einflusses in Afrika ist, der mit dem Kalten auszubauen? Die Antwort ist klar: Ja, natürlich! Krieg begann, muss nicht tief graben. In Äthio- Doch die Einsicht darüber kommt verspätet. piens Hauptstadt Addis Abeba steht heute noch ein großer Karl-Marx-Kopf vor den Toren der Russland: Zurück in Afrika Universität. In Berbera, einer wichtigen Hafen- stadt Somalilands, rosten russische Kampfboote Kaum ein anderer Erdteil hat in den vergangenen vor sich hin. Viele der älteren, gut ausgebilde- Jahren strategisch so an Bedeutung gewonnen wie ten afrikanischen Eliten können Geschichten

Das Ende der Rüstungskontrolle? 39 vom Studium in Russland erzählen. Auch nach Sub-Saharan Africa. Diese staatliche Einrichtung, Deutschland kamen sie. Menschen aus Angola an der Russlands staatliche Entwicklungsbank oder anderen Ländern waren im Straßenbild der Wneschekonombank beteiligt ist, soll Investitionen ­DDR nicht fremd. Der aus Senegal stammende russischer Firmen in Afrika fördern.6 Gleichzei- ­SPD-Bundestagsabgeordnete, , tig wurde das 1959 gegründete Russian Academy hat in den 1980er Jahren in Halle studiert. of Sciences’ Institute for African Studies zu neuem Leben erweckt, das seitdem Expertise über Län- Symbolisch prägte die afro-sowjetische Bezie- der und Märkte des Kontinents liefert. hung vor allem der Name eines Mannes: Patrice Lumumba, der schillernde erste Premierminis- Die russische Initiative im Jahr 2009 fällt in die ter der unabhängig gewordenen Demokratischen Zeit, in der Afrika nach Jahren der Kriegs- und Republik Kongo. Während manch einer heute in Krisenberichterstattung positive Nachrichten Deutschland seinen Namen mit einem Getränk generierte. Hatte der „Economist“ in einer viel verbindet (heiße Schokolade mit einem Schuss beachteten, weil drastischen Ausgabe im Jahr Rum) oder ältere Semester sogar noch einen 2000 noch „Der hoffnungslose Kontinent“ (The umgedichteten Karnevalsschlager im Ohr haben hopeless continent) getitelt, hieß die Schlagzeile („Und sie tanzten einen Rumba, Kasavubu und der Dezemberausgabe im Jahr 2011: „Afrika im Lumumba“)4, diente Moskau der junge Frei- Aufwind“ (Africa rising). Nach Jahren der Kon- heitskämpfer, der 1961 mit belgischem Einfluss flikte und Hungerkrisen schienen sich eine Reihe ermordet worden war, als Fanal gegen den Wes- afrikanischer Länder politisch zu konsolidieren. ten. Wenig später wurde in Moskau eine Universi- Kriege und Staatsstreiche nahmen ab, Parlamente tät mit Lumumbas Namen eröffnet, die über Jahre wurden gewählt und blieben. Länder wie Ghana, hinweg die Kader der Staaten der Dritten Welt aus- Ruanda und Äthiopien verzeichneten zweistellige bilden sollte. Bis Ende 1991 sollen rund 50.000 Wachstumszahlen. Sie weckten die Hoffnung, Afrikaner in der Sowjetunion studiert haben. Wei- dass dem schon abgeschriebenen Kontinent mit tere 200.000 seien ausgebildet worden.5 seinen Löwenstaaten ein ähnlicher Sprung gelin- gen könne wie den asiatischen Tigerstaaten Jahre Politisch griff Moskau direkt in Ländern wie Äthi- zuvor. So war auch aus Putins Sicht ein Engage- opien ein, wo es die kommunistische Militärdik- ment in Afrika für Russlands Wirtschaft unver- tatur Derg unterstützte, mit Waffen belieferte zichtbar, der Rohstoffreichtum zu attraktiv. und Agenten in Russland ausbilden ließ, oder in Angola, wo die ­MPLA-Partei (Movimento Popular Das Interesse an Afrikas Rohstoffen de Libertação de Angola) einen Einparteienstaat errichtete. Agostinho Neto, Angolas erster Staats­ Die Hauptbetätigungsfelder der russischen Wirt- präsident nach der Unabhängigkeit von Portugal, schaft sind der Energie- und Rohstoffsektor. Unter starb 1979 in einem Moskauer Krankenhaus. den wichtigsten in Afrika engagierten russischen Unternehmen finden sich Rosatom, Gazprom, Auf Eis gelegt, neu aufgenommen: Initiative Alrosa und Renova.7 Rund 20 Milliarden US-Dollar der russischen Wirtschaft im Jahr 2009 sollen die russischen Investitionen laut der Afrika- nischen Entwicklungsbank 2013 betragen haben.8 Mit der Auflösung des Ostblocks endeten die Das Bild teilt sich auf in das Erschließen wichtiger Beziehungen Russlands mit Afrika fast vollstän- Metalle und Edelsteine auf der einen Seite sowie dig. Das Land hatte mit sich selbst zu tun. Es war in den Im- und Export von Energieträgern wie Gas Wladimir Putin, der die Initiative ergriff und die und Uranium auf der anderen. Beziehungen wieder aufnahm. Dabei knüpfte er an alte Verbindungen an und baute neue auf. Im Bereich von Metallen und Edelsteinen sind Ein systematischer Ansatz ist ab 2009 mit der für Russland Gold, Diamanten, Mangan, Chrom, Schaffung von Afrocom erkennbar, demCoordi - Titan, Merkur, Kupfer, Nickel sowie Aluminium nating Committee for Economic Cooperation with interessant; Stoffe, die es entweder selbst nicht

40 Auslandsinformationen 3|2019 Europa herausgefordert: Die russische Strategie zielt darauf ab, Energiemärkte im Ausland zu erschließen, um seinen Hauptabnehmer Europa weiter abhängig zu machen. Quelle: © Benoit Tessier, Reuters.

besitzt, daheim erschöpft sind oder aber im Ural darauf, zum jetzigen Zeitpunkt von Russlands und Sibirien so schwierig abzubauen wären, Stärke weitere Energiemärkte im Ausland zu dass ein Import aus Afrika profitabler ist. Die erschließen, um global führend zu bleiben und russische Alrosa baut etwa Diamanten in Angola, seinen Hauptabnehmer Europa weiter abhängig Botswana und Simbabwe ab. zu machen. Ein Schwerpunktland für Russland ist dabei Algerien, wo Russland mit dem staat- Als führender Energieexporteur wäre Russland lichen algerischen Gasunternehmen Sonatrach hingegen nicht auf den Import von Gas und Erdöl 2009 eine Partnerschaft zur Erschließung eines angewiesen. Doch die russische Strategie zielt Öl- und Gasfeldes in Ost-Algerien geschlossen

Das Ende der Rüstungskontrolle? 41 Einfluss durch Waffen und Schulungen: Seine Militärkooperationen mit Afrika hat Russland strategisch ausgebaut. Quelle: © Goran Tomašević, Reuters.

und Interesse an weiteren Partnerschaften Know-how liefern, sondern gleichzeitig auch den mit dem für Europa strategisch wichtigen Gas­ Treibstoff, um die Anlagen zu speisen. Zusammen importeur aus Algerien gezeigt hat.9 mit seinen früheren Teilstaaten, wie unter ande- rem Kasachstan, ist Russland neben Australien Vormachtstellung als Energieexporteur der größte Produzent von Uran. Um seine Vor- machtstellung am globalen Uran-Markt weiter Der zweite strategische Energieträger für Russ- auszubauen, hat Russland auch an Investitionen in land ist Uran. Ist auch bis heute Südafrika das Afrika Interesse. Allein die drei Staaten Südafrika, einzige afrikanische Land mit einem Atomkraft- Namibia und Niger kommen für rund 17 Prozent werk, so hat Russlands Rosatom doch seit 2016 der globalen Uran-Produktion auf.11 So ist auch mit sieben afrikanischen Ländern Verträge zum Russlands Engagement in der ­ZAR zu verstehen. Bau von Nuklearanlagen geschlossen, darunter Denn wenngleich die frühere französische Kolo- Äthiopien, Sambia und Kenia, die für ihr wirt- nie nur auf einen Bruchteil der Uranvorkommen schaftliches Wachstum Strom brauchen.10 Russ- Kasachstans kommt, so sind die zentralafrikani- land kann dabei nicht nur das technologische schen Ressourcen nicht unbedeutend. Frankreichs

42 Auslandsinformationen 3|2019 Atom-Konzern Areva ist seit Langem in der ZAR­ sind keine Seltenheit mehr. 2018 besuchte Ango- engagiert und muss sich durch Russlands Einfluss las neuer Präsident Lourenço Moskau. Vor Kur- herausgefordert fühlen. zem schloss Russland ein Abkommen mit der Republik Kongo und Präsident Sassou Nguesso. Russland nutzt Waffenexporte als Auch mit dem großen, rohstoffreichen Nach- Zugang zu afrikanischen Rohstoffen barland, DR Kongo, soll es eine Kooperation geschlossen haben.14 In Sudan hat der Kreml den Im Handelswettbewerb am afrikanischen Markt Einsatz von Militärberatern bestätigt. In der ZAR kann Russland weder den technologischen Stan- sollen mittlerweile rund 200 russische Berater im dard deutscher Maschinen oder amerikanischer Einsatz sein. Der oberste Sicherheitsberater des Soft- und Hardware bieten, noch die chinesi- ­ZAR-Präsidenten Touadéra ist der Russe Valery schen Niedrigpreise schlagen. Die Nische, in Zakharov. Eine übergeordnet wichtige Rolle spielt der Russland jedoch punkten kann, liegt in der Mikhail Bogdanov, Wladimir Putins persönlicher Waffenproduktion und im Angebot militärischer Afrika-­Beauftragter, der für den Kreml Kontakte Intelligenz – vor allem, weil es diese nicht an auf dem Kontinent knüpft.15 moralische Auflagen bindet und sie so für Afri- kas Autokraten leichter zu haben sind, die ihre Der Aufbau einer afro-russischen Macht gegenüber Rebellengruppen oder der zivi- Allianz: Wirtschaftsgipfel in Sotschi len Opposition sichern wollen. Im russischen Sotschi soll in diesem Oktober Die Verbindung von Militärkooperation und dem der erste afrikanisch-russische Wirtschaftsgip­ Zugang zu Afrikas Märkten wird deutlich am fel stattfinden.16 Es liegt auf der Hand, dass das Beispiel Algeriens, an das laut Stockholm Inter- russische Engagement in Afrika neben dem wirt- national Peace Research Institute (­SIPRI) zwischen schaftlichen gleichsam ein politisches Interesse 2014 und 2018 genau 14 Prozent aller russischen verfolgt. Mit 54 Staaten bildet Afrika den wich- Waffenexporte gingen.12 Ein anderes wichtiges tigsten Block im System der Vereinten Nationen. Land ist Ägypten. Russland kommt laut SIPRI­ Russland hofft auf gegenseitige Unterstützung für 35 Prozent der Waffenexporte nach Afrika im Falle von Dissens mit den anderen vier VN-­ auf und steht damit an der Spitze. Nach Alge- Sicherheitsratsmächten: auf der einen Seite dem rien liefert es U-Boote, Panzer und Helikopter, Westen, auf der anderen Seite China, mit dem nach Ägypten Kampflugzeuge und Raketen­ Russland, sollte der Kreml sein Engagement auf abwehrsysteme. An Angola soll es dieses Jahr dem Kontinent ausbauen, eines Tages in Afrika noch sechs SU-30 Kampfjets liefern.13 aneinander geraten könnte.

J. Peter Pham, ehemaliger Afrika-Experte am Russland liefert nicht nur amerikanischen Think-Tank Atlantic Council, der Waffen nach Afrika, sondern vor Kurzem von Präsident Donald Trump zum auch militärische Expertise mit US-Sondergesandten für die Region der Großen Seen ernannt wurde, hält wie die Mehrheit der russischen Beratern, teils in Analysten Russlands Engagement in Afrika im hohen Positionen. Vergleich zum Westen und China zurzeit noch für begrenzt. Jedoch sei es mittlerweile so groß, dass es die anderen Mächte nicht mehr ignorie- ren könnten.17 Seine Militärkooperationen mit Afrika hat Russ- land seit 2015 strategisch ausgebaut. Abkommen Die neue Afrika-Strategie der USA,­ die der ehe- hat es mit 19 afrikanischen Ländern geschlossen. malige US-­Sicherheitsberater John Bolton Ende Fotos von Wladimir Putin und seinen afrikani- 2018 in Umrissen in einer Rede darstellte und schen Pendants im Kreml oder auf dem Kontinent welche die Sicherheit Amerikas, die Förderung

Das Ende der Rüstungskontrolle? 43 amerikanischer Investitionen und den effizien- genauso wie ein verstärktes wirtschaftliches ten Einsatz von Entwicklungsgeldern zum Mittel- Engagement in Afrika Chancen bietet, stellt punkt hat, nimmt Russland neben China klar als sich gleichzeitig die Frage: Was passiert, wenn Herausforderung wahr. „Zusammengefasst hem- Deutschland im Wettbewerb mit anderen Sys- men Chinas und Russlands Raubtierpraktiken temmächten in Afrika aneinandergerät? Wie wirtschaftliches Wachstum in Afrika sowie die verhält sich Berlin dann? finanzielle Unabhängigkeit afrikanischer Natio- nen. Sie behindern amerikanische Investitionen, durchkreuzen amerikanische Militäroperationen Benno Müchler ist Leiter des Auslandsbüros der und stellen für Amerikas Sicherheitsinteressen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Demokratischen Republik Kongo. eine große Herausforderung dar.“18

Eine klare Strategie

Im internationalen Wettstreit um Einfluss in Afrika ist Russlands Strategie wie die Chinas, Amerikas oder auch weiterer Akteure wie der Türkei klar erkennbar. Das trifft auf die Stra- tegien der Bundesregierung und der EU noch nicht zu. Die mit dem Marshallplan der Bundes- regierung verfolgte Abkehr von der klassischen Entwicklungshilfe, die sich auch in der neuen Afrika-Europa-Allianz der EU wiederfindet,19 ist richtig und war überfällig. Nach wie vor dominie- ren jedoch Entwicklungshilfe und Demokratie- förderung Europas Kooperation. Dieser Ansatz ist gerade in Zeiten anfällig, in denen Europas Demokratien selbst nicht in bester Verfassung sind – ein Umstand, der in den afrikanischen Hauptstädten nicht unbemerkt geblieben ist. So wird man dieser Tage im Gespräch mit afrikani- schen Eliten vor Ort über Chinas Vormarsch auf dem Kontinent nicht selten auf ein wohlemp- fundenes Lächeln stoßen, wenn das derzeitige Schwächeln Europas zur Sprache kommt.

Die Bundesregierung und Europa könnten jedoch im globalen Systemstreit unbesorgt noch stärker die Wirtschaft fördern und Entwicklungshilfe entsprechend anpassen. Besser als jedes Demo- kratieförderungsprogramm ist die Strahlkraft, die von der wirtschaftlichen Stärke und Lebens- qualität europäischer Demokratien ausgeht. So werden gute Beziehungen mit Europa immer im Interesse der afrikanischen Länder sein.

Der Vorstoß Russlands hat das Wettrennen in Afrika zusätzlich beschleunigt. Die Bundesre- gierung muss dabei nicht mitmachen. Denn

44 Auslandsinformationen 3|2019 1 Deutsche Welle 2018: Russian journalists killed in Central African Republic, 01.08.2018, in: https://p.dw.com/p/32PPa [03.07.2019]. 2 Hauer, Neil 2018: Russia’s Favorite Mercenaries, The Atlantic, 27.08.2018, in: https://bit.ly/2wtuO2u [19.07.2019]. 3 Ross, Aaron / Clarke, David 2018: Factbox: Russian military cooperation deals with African countries, Reuters, 17.10.2018, in: https://reut.rs/2YgCdSJ [03.07.2019]. 4 Die Ursprungsversion war der Schlager „Und sie tanzten einen Tango“ des Hazy-Osterwald-Sextetts aus dem Jahr 1960. 5 Pham, J. Peter 2014: Russia’s Return to Africa, Atlantic Council, 13.03.2014, in: https://bit.ly/ 2y27udf [03.07.2019]. 6 Olivier, Gerrit / Suchkov, Dmitry 2015: Russia is back in Africa, Strategic Review for Southern Africa 37: 2, S. 146 – 167, in: https://bit.ly/2GogIVE [03.07.2019]. 7 Ebd., S. 155. 8 Pham 2014, N. 5. 9 Gazprom 2017: Sonatrach to invest $50 billion in exploration and production projects, 23.03.2017, in: https://bit.ly/2GnRo2h [03.07.2019]. 10 Malo, Sebastien 2019: Russia, China back nuclear as a clean-power fix for Africa, Reuters, 07.02.2019, in: https://reut.rs/2GnOoD0 [03.07.2019]. 11 World Nuclear Association 2018: Supply of Uranium, in: https://bit.ly/2b1iSdi [03.07.2019]. 12 ­Wezeman, Pieter D. et al. 2019: Trends in International Arms Transfers, 2018, SIPRI Fact Sheet, 03/2019, S. 2, in: https://bit.ly/2XMfLxP [03.07.2019]. 13 Hedenskog, Jakob 2018: Russia is Stepping Up its Military Cooperation in Africa, Swedish Defence Research Agency, 12/2018, in: https://bit.ly/ 2XWZwBv [03.07.2019]. 14 Pelz, Daniel 2018: Russia builds military ties with Africa, Deutsche Welle, 01.06.2018, in: https://p.dw.com/p/2ynLz [03.07.2019]. 15 Schmitt, Eric 2019: Russia’s Military Mission Creep Advances to a New Front: Africa, The New York Times, 31.03.2019, in: https://nyti.ms/2V8x62b [03.07.2019]. 16 Kreml 2019: Sochi will host Russia-Africa Summit on October 24, Pressemitteilung, 28.05.2019, in: https://bit.ly/2YmR91u [19.07.2019]. 17 Pham 2014, N. 5. 18 Vgl. Weißes Haus 2018: Remarks by National Security Advisor Ambassador John R. Bolton on the The Trump Administration’s New Africa Strategy, 13.12.2018, in: https://bit.ly/2rBYrg6 [03.07.2019]. 19 Europäische Kommision 2018: Lage der Union 2018: Auf dem Weg zu einem neuen „afrikanisch- europäischen Bündnis“ zur Vertiefung der Wirt- schaftsbeziehungen und zur Förderung von Investitionen und Arbeitsplätzen, Pressemittei- lung, 12.09.2018, in: https://bit.ly/2MSWZ4J [03.07.2019].

Das Ende der Rüstungskontrolle? 45 Quelle: © Jorge Silva, Reuters.

Das Ende der Rüstungskontrolle? Zum Scheitern zu wichtig Auf dem Weg zu einer deutsch-amerikanischen Partnerschaft mit der Türkei

Michael Doran / Peter Rough

46 Recep Tayyip Erdoğan wird oft in typischer Schwarz-Weiß-Manier als Bösewicht dargestellt, anstatt als Akteur in einem komplexen Handlungsgeflecht. Bei einer derartigen Simplifizierung geraten grundlegende­ Fragen nach der Beziehung zwischen der Türkei und dem Westen aus dem Blickfeld. Um den Nahen Osten zu stabilisieren, braucht der Westen die Türkei heute mehr denn je. Im Bereich der Außenpolitik sind sich Präsident Trump und Berlin selten einig, doch bewerten beide ihre Beziehungen zur Türkei als zu bedeutsam, um sie scheitern zu lassen. Dennoch verfolgen die Vereinigten Staaten und Deutschland eine je eigene Diplomatie gegenüber der Türkei, was eine ganzheitliche Strategie außer Reichweite rücken lässt.

Die Beziehungen zwischen den USA­ und der während des Einsatzzeitraums der F-35-Jets Bau- Türkei befinden sich derzeit in einer Krise. Am 12. teile im Millionenwert pro Flugzeug für tausende Juli gab das türkische Verteidigungsministerium Flieger produzieren sowie die anschließende bekannt, dass die ersten Komponenten des rus- Instandhaltung und Reparatur der Maschinen sischen S-400-Flugabwehrsystems in dem Land übernehmen zu können. Die nun doch nicht in eingetroffen sind. Das S-400 ist keine gewöhn- Auftrag gegebenen F-35-Jets werden zu einem liche Waffe, sondern ein modernes Flugab- beachtlichen Minus in der Industriebilanz des wehrsystem, dessen Potenzial amerikanischen Landes führen, das der türkische Präsident Militärstrategen Sorgen bereitet. Schon lange Recep Tayyip Erdoğan zumindest teilweise vor dem Eintreffen der ersten Bauteile warnte durch eine gemeinsame Produktion des S-400 die Trump-Regierung, dieser Schritt könne den mit Russland auszugleichen gedenkt. Kauf des F-35-Joint Strike Fighters, des derzeit modernsten Flugzeugs der Welt, durch die Tür- Hierbei handelt sich keineswegs um eine einzelne kei gefährden. Amerikanische Regierungsvertre- Kaufaktion, d. h. um den reinen Erwerb einer ter ließen ihre türkischen Kollegen wiederholt einzelnen Waffe. Es geht vielmehr um eine Neu- und unmissverständlich wissen, sie könnten positionierung der Türkei in der internationalen nicht modernste amerikanische Tarnkappenjets Politik. Die Entscheidung des Landes, den Deal erwerben und gleichzeitig russische Waffen, die abzuschließen, wird die Anwendung des ameri- mit dem Ziel entwickelt wurden, erstere aus der kanischen Sanktionsgesetzes (­CAATSA) nach sich Luft zu attackieren. ziehen, welches Maßnahmen gegen amerikani- sche Gegner verschärft. Verabschiedet wurde das Die Entscheidung Amerikas, der Türkei den F-35 Gesetz 2017 durch den Kongress, um Russland für nicht auszuliefern, dürfte in diesem Stadium seine militärischen Interventionen in der Ukraine kaum mehr rückgängig zu machen sein und stellt und in Syrien sowie für die Eingriffe in den letzten einen harten Schlag für die türkische Luftwaffe amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zu dar, die 100 zukunftsfähige Kampfflugzeuge bestrafen. Obwohl die Regierung versucht, das in Auftrag gegeben hatte. Doch ist dies erst der Ausmaß dieser Vergeltungsmaßnahmen abzumil- Anfang. Im größten Waffenprogramm der Welt dern, muss sie diese ergreifen – auch angesichts wird der F-35 von einer Ländergruppe produ- der eigenen Befürchtung, Länder wie Ägypten, ziert, der die Türkei bereits früh beigetreten war. Saudi-Arabien und Indien könnten ebenfalls das Die türkische Rüstungsindustrie rechnete damit, S-400 erwerben. Agiert sie nicht, würde sie das

Das Ende der Rüstungskontrolle? 47 Heft des Handelns im Kongress aus der Hand geben, in dem sich die beiden dort vertretenen Parteien in derlei Fragen überraschend einig sind.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind die sekundären und tertiären Folgen der amerikanischen Ver- geltungsmaßnahmen nur schwer voraussehbar. Werden die Türken die Sanktionen als angemes- sene Strafe hinnehmen oder werden sie nach einer aggressiven Antwort suchen? Was wird dar- über hinaus aus dem geplatzten Geschäft mit den F-35-Jets? Wird der russische Präsident Putin ein Ersatzprogramm anbieten und, falls ja, wie wird Erdoğan darauf reagieren?

Es steht außer Frage, dass der Erwerb des S-400 durch die Türkei keinen eigenwilligen Schritt eines unberechenbaren Regierungschefs dar- stellt. Erdoğan möchte dem Westen damit die Einleitung einer Zeitenwende signalisieren, die keineswegs aus heiterem Himmel kommt, sondern als Folge einer langfristig und schritt- weise vollzogenen Verschlechterung der Bezie- hungen zu begreifen ist. Er spielt Moskau und Washington gegeneinander mit der Botschaft an beide Mächte aus, sein Land nicht länger als selbstverständ­lichen Partner ansehen zu können. Dieser Schritt soll die Optionen der Türkei erwei- Kreisen des Kapitols als Konsens. Dort wird auch tern. In den Vereinigten Staaten gilt er jedoch die Meinung vertreten, die Türkei solle nicht län- als ausgesprochener Fauxpas. Wie dieser Schritt ger Teil der ­NATO sein. in Zukunft zu bewerten sein wird, bleibt abzu- warten. In jedem Fall sollte der Westen seine Um diese Position zu rechtfertigen, wird häufig Antwort sehr genau abwägen, geht es doch um eine Liste tatsächlicher und vermeintlicher Ver- nichts weniger als die Westorientierung der Tür- gehen des Präsidenten Erdoğan angeführt: Er kei schlechthin. sei Mitglied der Muslimbrüderschaft, die eine ­intolerante Auslegung des Islam in der muslimi- Eine gefährliche Denkweise schen Welt zu verbreiten suche. Er habe schwei- gend den Islamischen Staat unterstützt, was Leider kommt die S-400-Krise zu einem Zeit- diesem ermöglicht habe, Rekruten über die Tür- punkt, zu dem die Toleranz gegenüber der Regie- kei einzuschleusen. Er sei ein autoritärer Dema­ rung Erdoğans nicht sehr hoch ist. In Washington goge, der die Demokratie untergrabe und eine wird die Situation zweifelsohne eine gefährliche, Herrschaft des Pöbels forciere. Er sei ein Feind im Sinne einer sich selbst erfüllende Prophezei- des kurdischen Volkes und lasse ethnische Säu- ung wirkende Denkweise bei wichtigen Akteu- berungen in syrischen Dörfern durchführen. Er ren stärken, deren Ursprünge Jahre zurück liegen sei Antisemit, der versuche, Israel zu schwächen und der zufolge die Türkei nicht länger als Ver- und zu zerstören. Und er habe schließlich, wie bündeter gesehen wird. Während der Präsident sein jüngstes Werben um Russland beweise, die und seine Berater diese Ansicht nicht teilen, Türkei innnerhalb der NATO­ zu einem Trojani- gilt sie in verschiedenen Think-Tanks sowie in schen Pferd für Moskau gemacht.

48 Auslandsinformationen 3|2019 Riskante Strategie: Der Waffendeal wird in Washington eine gefährliche, im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wirkende Denkweise stärken, der zufolge die Türkei nicht länger als Verbündeter gesehen wird. Quelle: © Francois Walschaerts, Reuters.

nicht geteilt. Deutschland weiß, dass mit Blick auf die Türkei ein schwieriger Verbündeter einem desillusionierten Feind auf jeden Fall vorzuziehen ist, zumal dann, wenn sich dieser im Grenzgebiet zwischen Ost und West befindet. Deutschland unterstützt das Bemühen der Amerikaner, die gravierendsten Vorwürfe der Türkei zu verstehen und im Rahmen des Möglichen zu entkräften – ein Versuch, der, wird er mit Sorgfalt unternommen, durchaus nicht erfolglos bleiben muss.

Ein solches Bemühen könnte in Zeiten tiefgrei- fender Dissenzen die Grundlage für eine gemein- same Agenda der Vereinigten Staaten und Deutschlands bieten. Da die transatlantischen Beziehungen zunehmend von Turbulenzen über- schattet werden, ist dies durchaus von hohem Wert. Es gibt nur wenige Themen, bei denen sich Präsident Trump und Berlin einig sind. Jedoch bewerten beide Seiten ihre Beziehungen Indes kommt dieser Analyse der türkischen zur Türkei als zu bedeutsam, als dass sie schei- Außenpolitik eher die Rolle einer „Zeugin der tern dürften. Deutschland könnte eine wichtige Anklage“ zu. Während einige der Vorwürfe gegen Rolle dabei spielen, dem vorherrschenden Bild Erdoğan keineswegs gänzlich unbegründet sind, entgegenzuwirken, die Beziehungen zwischen werden sie doch oft ohne Kontextualisierung den USA­ und der Türkei seien zum Scheitern oder Analyse erhoben. Erdoğan wird als ausge- verurteilt. Und es könnte den USA­ dabei helfen, machter Schurke dargestellt anstatt als Akteur die Auswirkungen der S-400-Krise zu bewälti- (wenngleich ein entscheidender) in einem kom- gen. Ein solcher Prozess könnte die deutschen plexen Handlungsgeflecht. Bei einer derartigen und amerikanischen Politiker an den Wert des Simplifizierung geraten grundlegende Fragen jeweils anderen erinnern. zur Beziehung zwischen der Türkei und dem Westen aus dem Blickfeld. Was genau möchte Die tatsächlichen Ursachen der Erdoğan mit seinem besorgniserregenden Tak- türkischen Ressentiments tieren bezwecken und wie unvereinbar sind seine strategischen Ziele mit denen der westlichen Alli- Es fällt schwer, Recep Tayyip Erdoğans politi- anz? Und warum sind amerikanische Werte in sches Vorgehen zu verteidigen. Die Gängelung der Türkei noch unbeliebter als Erdoğan selbst? der Presse und der politischen Gegner kenn- zeichnen seine nahezu zwanzigjährige Amtszeit. Deutschland ringt seit Jahren, wenn nicht seit Die gröberen Seiten seines autoritären Stils beka- Jahrzehnten, nach Antworten auf diese Fragen. men Amerikaner im März 2017 in Washington, Die Auffassung, eine Allianz mit der Türkei sei D.C. zu spüren, als Erdoğan seine Leibwächter bereits tot, wird in Kreisen der Berliner Politik auf friedliche Demonstranten hetzte. Seitdem

Das Ende der Rüstungskontrolle? 49 rollen amerikanische Beobachter verzweifelt mit Bürgermeisterwahlen in Istanbul hinnehmen den Augen, sobald der Name Erdoğan genannt musste. So angeschlagen sie auch sein mag, so wird. Hierbei wird leicht vergessen, dass viele ist die türkische Demokratie doch widerstands- dieser Amerikaner vor nicht allzu langer Zeit in fähiger als es Analysten vermuten. Die Popula- dem türkischen Präsidenten noch den großen rität der regierenden ­AKP befindet sich derzeit Hoffnungsträger im Nahen Osten sahen. auf ihrem Höhepunkt, doch eines Tages wird Erdoğan zurücktreten müssen. Wie werden die Nach dem 11. September suchten die ­USA Ver- amerikanisch-türkischen Beziehungen ausse- bündete für ihr Vorhaben einer Modernisierung hen, wenn es soweit ist? Öffentlichen Umfragen des Islam – und stießen schnell auf den viel- zufolge dürfte deren Zustand ausgesprochen versprechenden Bürgermeister Istanbuls. Als schlecht sein und dürften über 70 Prozent der frommer Muslim aus der Arbeiterklasse schien türkischen Bevölkerung die ­USA zurzeit als Erdoğan das Aushängeschild für eine aufgeklärte feindliche Macht ansehen. Im Gegensatz dazu Führung im Nahen Osten zu sein. Als er 2002 mit schwankt die Zustimmungsrate zu Erdoğan zwi- seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung schen 40 und 50 Prozent – ein Umstand, der (­AKP) die Wahlen gewann, sprach Erdoğan in verdeutlicht, dass sich das Misstrauen gegenüber salbungsvollen Worten von seinem Wunsch, die Amerika keineswegs nur auf Erdoğan-Anhänger Türkei in die Europäische Union zu führen. Die beschränkt. Dieses breit angelegte Misstrauen ­USA konnten ihr Glück kaum fassen. „Auf der sollte amerikanischen Entscheidungsträgern Suche nach Hoffnungszeichen dafür, dass der mindestens ebensolche Sorgen bereiten wie die Islam und die Demokratie nebeneinander beste- schillernden und schwer einschätzbaren Eigen- hen können, richtet die internationale Gemein- schaften der Person Erdoğans selbst. schaft den Blick auf die Türkei“, schrieb die New York Times 2004. Im Jahr 2012 nannte Präsident Obama Erdoğan einen der fünf internationalen Die USA betrachteten die Verbündeten, denen er am meisten vertraue. Zusammenstöße 2015 an der türkischen Grenze eher wie ein Wie rasch die Dinge sich doch ändern. Man erwehrt sich nur schwer des Eindrucks, die Ame- desinteressierter Zuschauer rikaner haben sich von Erdoğan betrogen gefühlt, denn als ein Verbündeter der da bereits ihre Anfangserwartungen an ihn zu Türkei. hoch waren. Erdoğan hatte nie vor, sich an die Spitze der amerikanischen Bestrebungen einer Demokratisierung des Nahen Ostens zu setzen. Selbst wenn er es wollte, könnte er es nicht. Er ist Die Ursprünge des antiamerikanischen Affekts Anführer eines komplex gestrickten Landes mit in der türkischen Bevölkerung lassen sich nicht einer einzigartigen Geschichte und den entspre- allzu schwer ausmachen. In den letzten acht Jah- chenden Herausforderungen. Die Vorstellung, ren haben die Türken ihre eigene Liste der ameri- die Türkei sei nicht länger ein Verbündeter, ist kanischen Vergehen geführt. Ganz oben steht die in Teilen diesen unrealistischen Erwartungen Tatsache, dass die Vereinigten Staaten es nicht geschuldet. vermochten, der Türkei bei der Verteidigung ihrer Grenzen während der schlimmsten Phase Des Weiteren wird hier eine komplexe Gesell- des syrischen Bürgerkrieges zur Seite zu stehen. schaft mit einem einzigen Mann gleichge- Im Juni 2012 schoss eine syrische Luft-­Boden- setzt. Zweifelsohne ist Erdoğan ein überaus Rakete ein türkisches Aufklärungsflugzeug ab. mächtiger und einflussreicher Akteur in der Im November 2015 brachte ein türkischer Jet türkischen Politik, doch seine Macht ist kei- ein russisches Kampfflugzeug zu Boden. In der neswegs unumschränkt. Dies führt uns der Zeit zwischen diesen Vorfällen drangen syrische Rückschlag vor Augen, den er bei den jüngsten Truppen immer wieder in türkisches Gebiet ein.

50 Auslandsinformationen 3|2019 Der gravierendste Vorfall ereignete sich im Okto- sind, gehen nicht ohne Grund davon aus, dass ber 2012, als die syrische Armee eine Granate auf eine derart weitreichende Operation einen per- die Türkei abschoss, durch die fünf Menschen sönlichen Befehl des charismatischen Gründers starben und zehn weitere verletzt wurden. voraussetzt. Die türkische Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, dass die Vereinigten Staaten Die aktuelle S-400-Krise wurzelt in den dama- der Bitte um eine Auslieferung Gülens nicht ligen Entscheidungen der Amerikaner. Die nachkommen. Vereinigten Staaten betrachteten diese Zusam- menstöße an der Grenze eher als desinteressier- Wie tief das Misstrauen sitzt, wird daran deut- ter Zuschauer denn als Verbündeter des Landes. lich, dass bisweilen laut darüber spekuliert wird, Der indifferenten Haltung Amerikas stand klar ob die US-Regierung sich Gülens womöglich zu erkennbar eine Politik Russlands gegenüber, bedienen sucht, um Erdoğan zu stürzen und die das seinen syrischen Klienten zuverlässig unter- Türkei zu destabilisieren. Vor nicht allzu langer stützte und auf aggressive Weise bestrebt war, Zeit waren derartige Verschwörungstheorien das Kräfteverhältnis in der Region zu seinen eher am Rand der türkischen Politik zu verorten. Gunsten zu verändern. Die Unfähigkeit der USA,­ Inzwischen haben sie sich in der breiten Masse die Türkei in adäquater Form zu schützen, zeigte etabliert. sich in besonderer Weise nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeugs 2015. Die russische Der dritte und gravierendste Punkt auf der Luftwaffe hatte die amerikanische Abschreckung genannten Vergehensliste ist die amerikanische an der NATO-Grenze­ zu Russland schon länger Unterstützung der syrisch-kurdischen Volksver- auf die Probe gestellt. Somit bot dieser Vorfall teidigungseinheiten YPG,­ die Washington zum eine ideale Gelegenheit, Entschlossenheit zu Hauptverbündeten bei der Bekämpfung des demonstrieren und gleichzeitig die Sicherheits- Islamischen Staates in Syrien machte. Die YPG­ politik der Türkei im Westen zu verankern. bildet den syrischen Flügel der Arbeiterpartei Kurdistans (­PKK), der kurdischen Separatisten- Die ausgesprochen schwache Reaktion der Ame- organisation in der Türkei, in der die meisten rikaner ließ Erdoğan nur die Wahl, auf die russi- Türken einen Todfeind sehen. In dem lang- sche Herausforderung an der syrisch-türkischen jährigen Krieg mit der ­PKK ließen ca. 30.000 Grenze durch bilaterale und die ­USA ausschlie- Menschen ihr Leben. Es wird davon ausgegan- ßende Verhandlungen mit Moskau zu reagieren. gen, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts Kurden Schlimmer noch, sie stärkte die Stimmen in der mehr als ein Drittel der türkischen Bevölkerung Türkei, Moskau solle gegen Washington ausge- ausmachen werden. Die Kurdenfrage ist somit spielt werden. Kurzum – der Einfluss der Ameri- von existenzieller Bedeutung für die türkische kaner schwand. Republik. Durch den Aufbau einer Partnerschaft mit den Kurden haben die ­USA, so die Sichtweise Der zweite Punkt auf der US-Sündenliste der der Türkei, einen Verbündeten verraten. Könnte Türken ist die Aufnahme des 78-jährigen Geist- selbst ein unvoreingenommener Beobachter die- lichen Fethullah Gülen durch die ­USA, der im sen Vorwurf von der Hand weisen? Pocono-Gebirge in Pennsylvania im Exil lebt. Erdoğan zufolge hatten die Rebellen des im Juli Die amerikanische Zusammenarbeit mit der 2016 vereitelten Putschversuchs „ihre Anweisun- ­YPG hatte ihre Anfänge unter Trump, doch sie gen aus Pennsylvania“ erhalten. Sogar politische gilt nicht als beendet und hat mehr als alles Feinde des Präsidenten vertraten die Auffassung, andere dazu beigetragen, die Türkei weiter in Gülens Organisation habe hinter dem Putsch Richtung Moskau driften zu lassen. Und sie gestanden. Beweise zur direkten Beteiligung lässt unter den Türken sogar die Frage aufkom- Gülens liegen zwar nicht vor, doch jene Türken, men, ob die USA­ nicht eine Auflösung der Tür- denen die Hintergründe dieser geheimen, hie- kei anstreben. Für Amerikaner, die die Genese rarchisch strukturierten Organisation bekannt der Zusammenarbeit zwischen ­YPG und ihrem

Das Ende der Rüstungskontrolle? 51 Land kennen, klingen derartige Überlegungen Die Türkei ist wichtiger als je zuvor absurd. Nach ihrem Verständnis sind die USA­ nunmehr seit Jahren mit Blick auf die eigene Die Art und Weise, wie die Vereinigten Staaten Rolle im Nahen Osten verunsichert. Angesichts auf diese Herausforderung reagieren werden, des Fehlens eines klaren strategischen Plans für wird die amerikanisch-türkischen Beziehungen die Region hatte die Terrorbekämpfung – d. h. für die kommenden Jahrzehnte prägen. Erdoğan zunächst der Kampf gegen al-Qaida und spä- wurde das S-400 just zu dem Zeitpunkt geliefert, ter derjenige gegen den Islamischen Staat – ein als türkische und amerikanische Unterhändler vernunftbasiertes, strategisches Denken ersetzt. nach Wegen zur Einrichtung einer Sicherheits- Somit war es das Zusammenspiel rein taktischer, zone an der südlichen Grenze der Türkei suchten. an einer Bekämpfung des Terrors orientierter Es handelt sich hierbei wohl um das Nahost-Pro- Überlegungen, die zur Allianz mit der YPG­ führ- jekt mit den weitreichendsten Folgen in der ten – und keinerlei feindliche Absichten gegen- Gegenwart – wiewohl man sich seiner Tragweite über der Türkei. in Washington nicht bewusst ist. Auf dem Spiel steht nicht nur ein belastbares Abkommen zwi- Wie dem auch sei – das Misstrauen der Türken schen der Türkei und den von der YPG­ kontrol- gegenüber den amerikanischen Absichten ist lierten Gebieten Syriens. Es stellt sich auch die gewiss nicht unbegründet. Letztere stellen eine übergeordnete strategische Frage, wer hier der unbestreitbare Realität dar, was die Entschei- primäre Vermittler sein wird – die Vereinigten dung zugunsten einer Anschaffung des S-400 Staaten oder Russland (und mit Russland der erklärt. Türkische Politiker rechtfertigen gegen- Iran). über ihren amerikanischen Kollegen den Deal mit praktischen Überlegungen und betonen die Kosten, die Nutzungsbedingungen und die Lie- Falls Russland eine ferzeiten – ganz so, als handle es sich um eine Vereinbarung zwischen rein kommerzielle Transaktion ohne größere der Türkei und der YPG Bedeutung. Doch es ist, ganz ohne Zweifel, ein Machtspiel. Ziel der Operation ist es, Washington herbeiführen könnte, zu demonstrieren, dass die Türkei keineswegs als würde Ankara sich wohl selbstverständlicher Partner anzusehen ist und mehr auf Russland dass die Forderung nach Wiedergutmachung im zubewegen. Fall Gülen und, dies vor allem, in der YPG-Frage­ im Raum steht. Andernfalls sei man türkischer- seits gewillt, die grundlegende Ausrichtung des Landes in der internationalen Politik zu überden- Hinter den Verhandlungen steht der Wunsch ken. „Wir haben andere Optionen“, signalisiert der Amerikaner nach Abzug ihrer Truppen aus Erdoğan damit Trump. Syrien. Nach offizieller Lesart zielt die derzeitige amerikanische Strategie zwar darauf ab, die eige- Man könnte argumentieren, diese Botschaft sei nen Truppen auf unbestimmte Zeit in Syrien zu unvernünftig sowie kontraproduktiv und werde lassen. Gleichzeitig werden jedoch immer mehr Erdoğan ein Erreichen seiner Ziele erschweren. Soldaten abgezogen und es wird versucht, die Jedoch findet diese Botschaft nicht nur unter Lücken durch europäische Partner zu schlie- dessen getreusten Anhängern ihren Anklang, ßen. Trump selbst äußerte bereits zwei Mal den sondern auch in weiten Teilen der Bürgerschaft Wunsch, die Truppen abzuziehen. Sollten die des Landes selbst. Amerika und der Westen ste- ­USA einen Rückzug starten, bevor ein Abkom- hen heute vor der Aufgabe, sich mit eben dieser men zustande kommt, wird Russland versuchen, Stimmungslage auseinanderzusetzen und nicht die ­YPG zu seinem Verbündeten zu machen, mit den Sticheleien und der Unberechenbarkeit hierdurch zum primären Vermittler in den kur- der Person des türkischen Präsidenten. disch-türkischen Verhandlungen zu werden und

52 Auslandsinformationen 3|2019 sich gleichzeitig den direkten Einfluss auf Ankara Sicherheitszone interessiert ist, steht außer zu sichern. Für die Türken wäre ein von einem Zweifel. Laut Aussage der Verhandelnden gibt ­PKK-Arm regierter autonomer syrisch-kurdi- es zwar Fortschritte, jedoch stehen die Heraus- scher Kleinstaat eine sowohl externe als auch forderungen nach wie vor im Raum. Anhand der interne Bedrohung. Würde Ankara diesen Staat veröffentlichten Berichte ist indes schwer auszu- jedoch über Moskau steuern, bedeutete dies eine machen, welche Dissenzen fortbestehen und wie Annäherung der Türkei an Russland sowie eine tief sie verwurzelt sind. Entfremdung des Landes von der ­NATO. Allerdings wird vermutet, dass sie tiefgreifen- Die Bestrebungen, den Nahen Osten im Sinne der sind als es die Verhandlungsführer zugeben. der westlichen Interessen zu stabilisieren, haben Die türkische Strategie ist darauf angelegt, der schwerwiegende Folgen – und offenbaren den amerikanischen Herausforderung abwartend größten Fehler jener Denkweise, derzufolge die gegenüberzustehen. Die Präsenz amerikanischer Türkei doch nicht als Verbündeter anzusehen ist. Truppen in Syrien stellt für die Türkei die größte Befürworter dieser Haltung gehen davon aus, Hürde beim Erreichen ihrer Ziele im Norden dass das Land mit dem Ende des Kalten Krieges Syriens dar: den Aufstieg eines ­YPG-regierten für die westliche Strategie an Bedeutung verloren Kleinstaates zu verhindern und eine Puffer- hat. Tatsächlich ist jedoch das genaue Gegenteil zone entlang der syrisch-türkischen Grenze der Fall – der Stellenwert der Türkei ist höher einzurichten, die verhindern würde, dass die denn je. Die jüngste Vergangenheit hat zwei ­YPG-Truppen jederzeit problemlos türkisches unbestreitbare, wenngleich widersprüchliche Territorium betreten können. In Anbetracht des Fakten aufgezeigt: Einerseits ist die US-ameri- offensichtlichen Wunsches Trumps nach einem kanische Bevölkerung nicht an weit greifenden Abzug seiner Truppen aus Syrien sieht Erdoğan militärischen Einsätzen im Nahen Osten inter- keinen Grund, einen Deal mit den Amerikanern essiert, andererseits würde jedoch ein übereilter einzugehen, der auf seiner Seite Kompromisse Abzug der Truppen aus der Region ein Chaos im Hinblick auf eben diese Kerninteressen vor- hinterlassen, das sich nicht zuletzt negativ auf aussetzt. Europa und die USA­ auswirken würde. Der ein- zige Weg, beides im Gleichgewicht zu halten, Der S-400-Deal der Türkei ist eine Absicherung wäre es, alliierte Mächte stärker mit ins Boot zu gegenüber Russland, die sie für die zwei wahr- nehmen. scheinlichsten Szenarien wappnet. Zum einen wären jegliche Vereinbarungen mit den ­USA Historisch gesehen gehörte die Türkei zu den wertlos, würden die Amerikaner ihre Truppen stabilsten und zuverlässigsten Verbündeten des vor einer endgültigen Schlichtung in dem Bür- Westens und diente Europa als unverzichtbares gerkrieg abziehen. Russland würde in diesem Bollwerk vor den verheerendsten Auswirkun- Szenario zum primären Vermittler einer Verein- gen der nahöstlichen Machtpolitik. Was spricht barung in Syrien werden. Und Putin würde sich dagegen, dass das Land diese Rolle beibehält? gleichzeitig als Hauptvermittler zwischen dem Die Türkei eben hiervon zu überzeugen, setzt Assad-Regime und den ­YPG sowie dem Regime allerdings voraus, ihre größten strategischen und den Türken positionieren. Denn in diesem Befürchtungen ernst zu nehmen – etwa die Sorge Fall wäre der S-400-Deal der erste Schritt in vor einem ­PKK-Zufluchtsort in Syrien. Diese Richtung einer neuen Ära des russisch-türki- Sorge ist keineswegs oberflächlich oder, wie viele schen Einvernehmens. in den ­USA meinen, engstirnig. Sie ist lediglich Ausdruck des gesunden Menschenverstands Sollten sich die Amerikaner jedoch dafür ent- eines aufgeklärten Volkes. scheiden, ihre Truppen auf unbestimmte Zeit in Syrien zu belassen, würde Erdoğan versuchen, Dass die Trump-Regierung diese Ängste ernst Washington zu zwingen, sich von seiner Pro-­ nimmt und an einer Übereinkunft zur syrischen YPG-Position wegzubewegen und gegenüber

Das Ende der Rüstungskontrolle? 53 Verbunden: Die Beziehungen sind derart eng, dass die internen Auseinandersetzungen der Türkei auch Konflikte in der deutschen Gesellschaft nach sich ziehen. Quelle: © Thilo Schmuelgen, Reuters.

Ankara mehr Rücksicht zu zeigen. In diesem In kurzen Worten: Solange die ­USA keine Lang- Falle wären die S-400 ein Ansporn für die Ame- zeit-Strategie entwickeln, die auf die Absiche- rikaner, eine Einigung in Nordsyrien zugunsten rung der vitalen Interessen der Türkei abzielt, der Türkei zu suchen. Aus Sicht der Trump-Re- wird Erdoğan versuchen, Moskau gegen Wash­ gierung sind Erdoğans Berechnungen kurzsichtig ington auszuspielen. Das Weiße Haus scheint und kontraproduktiv. „Würdet ihr nicht lieber mit bereit, diesen Umstand zu berücksichtigen, wie uns als mit den Russen zusammenarbeiten, um sich zumindest aus den Bemerkungen Donald eure Grenzen zu sichern?“, fragen die Amerika- Trumps beim G20-Gipfel in Osaka entnehmen ner die Türken – ohne sich der Tatsache bewusst lässt. Trump zeigte ein hohes Maß an Verständ- zu sein, dass Russland langfristig in Syrien blei- nis für Erdoğans S-400-Bestellung und beschul- ben will, während sie selbst, so scheint es, dabei digte die Obama-Regierung, dieses „Chaos“ sind die Koffer zu packen. überhaupt erst ermöglicht zu haben, indem sie

54 Auslandsinformationen 3|2019 der Türkei den Kauf der Patriot-Abwehrsysteme zwei Gründe: Deutschland kennt die türkischen verweigerte. „Es ist wirklich ein Problem, das Belange besser als jeder andere. Zudem sind steht außer Frage“, räumte Trump ein. „Wir zie- seine Beziehungen zur Türkei intensiver als die hen verschiedene Lösungen in Betracht“, fuhr anderer Länder. Sähe man die türkisch-ameri- er fort, wechselte jedoch schnell das Thema kanischen Beziehungen in den seitens des Pen- und sprach von dem Wunsch, den bilateralen tagon behandelten Sicherheitsbereichen als eine türkisch-­amerikanischen Handel auf 100 Milli- einspurige Schnellstraße, so wären die deutsch-­ arden US-Dollar jährlich zu vervierfachen. türkischen Beziehungen eine mehrspurige Auto- bahn mit sich überkreuzenden Themenbereichen, In türkischen Ohren klingt diese Summe wie die alle Sektoren der Gesellschaft umfassen. Musik. Ob das Ziel realistisch ist, ist eine andere Frage. Die Türken interpretierten die Zahl ver- Angesichts seiner seit Jahrzehnten starken Bin- ständlicherweise als Zeichen dafür, dass das dungen an die Türkei bestehen in Deutschland, Land wirtschaftlich für den S-400-Deal nicht ebenso wie in den ­USA, keine Zweifel daran, dass mit Sanktionen zu rechnen hat. Angesichts der das Land ein Pfeiler der Demokratie sein könnte. Rezession der türkischen Wirtschaft und der ext- Eben diese Bindungen haben die Türkei in all ihrer rem niedrigen Devisenreserven fühlen sich die Komplexität näher an die deutsche als an die ame- türkischen Bürger durch Sanktionen aus Amerika rikanische Bevölkerung rücken lassen. In Berlin besonders verwundbar. Trumps Ziel, so lässt sich wird die Zukunft der Türkei schließlich nicht nur folgern, ist es, der Türkei einerseits ein mahnen- in den Magazinen der Intellektuellen debattiert, des Signal zu senden, ohne das Land jedoch noch sondern auch von dem Mann auf der Straße. weiter in die Arme Moskaus zu treiben, anderer- seits aber auch, andere Länder davor zu warnen, In den 1960er Jahren kamen Hunderttausende über ähnliche Geschäfte nachzudenken. Ihm ist türkischer Gastarbeiter nach Deutschland, die den durchaus bewusst, dass, sollte er der Türkei die Ursprungskern der heute in Deutschland leben- Lieferung von Verteidigungsgütern verweigern, den drei Millionen Türken und Kurden bilden. Mit er somit Russland die Gelegenheit böte, den Platz der Zeit entwickelte sich aus diesen Verbindun- des Westens einzunehmen. Ferner ist er sich wohl gen ein Geflecht wichtiger Handelsbeziehungen. darüber im Klaren, dass er mit zu drakonischen Deutschland hat erhebliche Investitionen in der Sanktionen eine junge Generation von Türken Türkei getätigt und über 7.300 Unternehmen abschrecken würde, die größtenteils pro-westlich gegründet sowie finanziell unterstützt. Darüber und ausgesprochen nationalistisch eingestellt ist. hinaus ist Deutschland mit einem jährlichen Volu- Amerikaner und Europäer sollten vor allem dieses men von 38 Milliarden Euro der größte Handel- Publikum tunlichst nicht aus dem Blick verlieren. spartner der Türkei. Seit 1995 sind beide Länder darüber hinaus durch ein alle industriellen Güter Trumps Ziele sind schon die richtigen. Doch es umfassendes Zollabkommen verbunden. wird nicht einfach sein, ein klares und deutliches Signal an die Türkei zu senden, ohne das Land Die Beziehungen sind derart eng, dass die inter- abzuschrecken. Zusätzlich erschwerend kommt nen Auseinandersetzungen der Türkei auch hinzu, dass im Kapitol selbst und in Kreisen der Konflikte in der deutschen Gesellschaft nach Politik generell so mancher der Ansicht ist, es sei sich ziehen. Obwohl die PKK­ beispielsweise in an der Zeit, der Türkei eine Lektion zu erteilen. Deutschland als terroristische Organisation gilt und verboten ist, demonstrieren ihre Anhän- Die Rolle Deutschlands ger und andere kurdische Gruppen häufig in deutschen Großstädten. Deutschland sieht sich Mehr als jedem anderen Partnerland der Verei- regelmäßig von den Belangen der türkischen nigten Staaten kommt Deutschland eine Schlüs- Politik betroffen. Vor den letzten Wahlen in der selrolle zu, wenn es darum geht, Trump zu helfen, Türkei führten Erdoğan und seine Minister einen die richtige Balance zu finden. Hierfür gibt es aggressiven Wahlkampf auf deutschem Boden,

Das Ende der Rüstungskontrolle? 55 was auf deutscher Seite für ein hohes Maß an Mit dieser Position sieht es sich naturgemäß Verärgerung sorgte. Prügelt sich die Türkei, trägt im Einklang mit der Trump-Regierung. Bisher Deutschland oft ein blaues Auge davon. jedoch bewegen sich die Vereinigten Staaten und Deutschland in ihrer Diplomatie gegenüber der Die Beziehungen zur Türkei sind indes auch aus Türkei eher parallel zueinander als miteinander – einem anderen Grund zu wichtig, um zu scheitern. die Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie Dem Land kommt eine Sonderrolle zu, wenn es steht nach wie vor aus. darum geht, Deutschland gegenüber den negati- ven Einflüssen des Nahen Ostens abzuschirmen. Deutschland hat bereits deutlich gemacht, dass Obwohl Deutschland eine Wirtschaftsmacht ist, es keine aktive Rolle übernehmen wird, wenn hat es aus historischen Gründen kein Interesse an es darum geht, über die Zukunft Nordsyriens zu einer militärischen Führungsrolle. Deshalb lehnte entscheiden, da es nicht zur Bereitstellung mili- es im Juli die Anfrage der Amerikaner nach Stati- tärischer Mittel gewillt ist. Dieser Bereich wird onierung von Bodentruppen im Norden Syriens als Domäne der ­USA gesehen. Doch Deutsch- ab. Gleichzeitig könnte das Risiko für Deutsch- land verfügt über bedeutende wirtschaftliche land in Syrien nicht höher sein. Im Herbst 2015 Ressourcen, die es beisteuern könnte. Es kann strömten Hunderttausende syrischer Flüchtlinge der Türkei demonstrieren, dass eine Zukunft nach Europa, vor allem nach Deutschland, und im Westen für sie weitaus lukrativer wäre als führten zu Spannungen in dem Land. Auch wenn es jedwede Alternative bieten könnte. In einer Deutschland keine aktive Rolle bei den Sicher- Zeit, in der die deutsch-amerikanischen Bezie- heitsvorkehrungen an der syrisch-türkischen hungen durch Themen wie Handelspolitik, Iran, Grenze zu übernehmen beabsichtigt, wird es ­NATO-Beiträge und Populismus belastet sind, durch die dortigen Entwicklungen stärker beein- stellt die Türkei für Deutschland die Chance dar, flusst als jedes andere europäische Land. eng mit der Regierung Trump zu kooperieren.

Rückblickend kann festgestellt werden, dass der Herbst 2015 zu einem Wendepunkt in Weder die Türkei noch der deutschen Politik geführt hat. Die Flücht- ihre westlichen Alliierten lingskrise fügte der traditionellen politischen haben eine klare Vision Mitte Schaden zu und führte zum Aufstieg der Rechts­populisten. Um diesen Trend aufzuhal- für den Nahen Osten, was ten, wandte sich die deutsche Regierung an die zu Differenzen führt. Türkei. Im März 2016 vereinbarte die EU, mit Deutschland an der Spitze, ein Abkommen mit dem Land, demzufolge dieses den Flüchtlings- strom nach Europa aufhalten und im Gegenzug Hierbei ist jene schrittweise und beharrliche Milliardenhilfen erhalten sollte. Trotz enormer Diplomatie gefragt, in der Deutschland durch- Belastungen steht das Abkommen nach wie vor aus erfahren ist. Berlin sollte seinen diploma- und die Türkei gewährt ca. drei Millionen Flücht- tischen Muskel an zwei Fronten einsetzen: In lingen Schutz, deren Wohlergehen jedoch weitge- Ankara sollte es seinen Einfluss nutzen, um die hend vom deutschen Steuerzahler finanziert wird. problematischen Tendenzen der Türkei auszu- gleichen. Kooperieren die Deutschen bei ihren Die deutsche Regierung hat ein vitales Interesse Anstrengungen mit den Amerikanern, so steigt daran, die Türkei in den Reihen der westlichen die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein, deut- Länder zu behalten. Da Deutschland selbst keine lich. Gleichzeitig sollte Deutschland in Washing- Truppen im Nahen Osten zu stationieren gedenkt, ton klarzustellen suchen, dass ein Scheitern der jedoch sehr an der Zukunft der Region interes- Türkei angesichts der Bedeutung des Landes siert ist, muss sich das Land bei der eigenen Inte- fatal wäre und das Land dem Westen noch nicht ressensicherung auf seine Verbündeten verlassen. gänzlich den Rücken gekehrt hat.

56 Auslandsinformationen 3|2019 In ihrem innersten Kern haben die Differenzen türkischen Unabhängigkeitskrieges von 1919 bis zwischen der Türkei und ihren westlichen Ver- 1921 genau so verfahren. Zwischen dem Wider- bündeten ihren Ursprung nicht in bestimmten stand gegen eine griechische Invasion und dem Personen oder Regierungen. Sie sind Folge des Versuch, Briten und Franzosen von einer Auf- Umstands, dass weder die ­USA noch die westli- teilung der Türkei abzuhalten, vereinte er sich chen Mächte einschließlich der Türkei selbst eine mit Moskau und unterstützte den Dschihad klare Vision für den Nahen Osten haben, die sie gegen westliche Mächte in der arabischen Welt. umzusetzen suchen. Ohne einen gemeinsamen Ausgerechnet Mustafa Kemal, der Gründer der Plan tappen sie im Dunkeln und geben sich gegen- säkularen Türkei, arbeitete mit der Sowjetunion seitig die Schuld an den daraus resultierenden zusammen, während er gleichzeitig einen anti- Zusammenstößen. Sollte eine solche Vision, so westlichen Dschihad unterstützte – schließlich nötig sie ist, jemals erarbeitet werden, so würde erforderten die seinerzeitigen nationalen Inte­ dies dauern und auch nicht das Verdienst eines ressen derlei Methoden. einzelnen Staatsoberhaupts sein, sondern das Ergebnis gemeinsamen Gestaltens. Was jetzt zählt, Die aktuelle Unterstützung der ­YPG in Syrien ist die Pflicht aller beteiligten Akteure zu enger durch den Westen ruft bei den Türken die Geis- Zusammenarbeit sowie das Festhalten an der ter der Vergangenheit und die Spaltung in Erin- Hoffnung, dass sich eine gemeinsame Vision für nerung. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die regionale Ordnung irgendwann ergeben wird. sich die Beziehungen zum Westen so stark ver- schlechtern, dass die Türkei sich gedrängt sähe, Mangelt es an Fantasie? die westliche Ordnung in der Region mit allen Mitteln zu schwächen. Das Land ist wirtschaft- Tatsächlich ist es eben diese neue, durchaus lich und kulturell zu stark mit dem Westen ver- umsetzbare Regionalordnung, die Gefahr läuft bunden und zu sehr durch russische Übergriffe zu scheitern. Manche Amerikaner argumen- gefährdet, als dass es sich einer radikal antiwest- tieren, die Türkei sei bereits verloren und jede lichen Politik verschreiben würde. Dennoch – ein weitere Zeitinvestition zur Umwerbung eines solches Szenario sollte aus unserer Vorstellungs- unberechenbaren Führers wie Erdoğan werde kraft nicht gänzlich verbannt werden. Wichti- allenfalls dessen fatalste Neigungen fördern. ger noch: Zwischen Erdoğans aktueller Politik Jene, die so denken, scheinen davon auszuge- und einer Strategie des radikalen Widerstands hen, dass die Türkei problemlos aus der NATO­ gegen den Westen gibt es zahlreiche Abstufun- verbannt werden bzw. als zweitklassiges Mitglied gen. Doch jedwede Form von Widerstand könnte des Bündnisses behandelt werden kann, ohne es dem Westen unmöglich machen, den Nahen dass dies schwerwiegende Konsequenzen für den Osten zu stabilisieren. Westen mit sich bringt. Jedoch ist dies ein gro- ßer Trugschluss. Außer Acht gelassen wird bei Gehen wir behutsam vor. Und gehen wir gemein- dieser Denkweise, dass die Türkei bislang sehr sam vor. Auf dass die Aussage „Die Türkei ist zurückhaltend agiert hat, während die Vereinig- kein Verbündeter“ nicht zur sich selbst erfüllen- ten Staaten und die Mitglieder der westlichen den Prophezeiung werde. Welt den gefürchtetsten Feind dieses Landes gestärkt haben. – übersetzt aus dem Englischen –

Man stelle sich vor, was passieren würde, sollte die Türkei ihre Zurückhaltung aufgeben! Im Michael Doran ist Senior Fellow am Hudson Institute schlimmsten Fall könnte das Land gemeinsam in Washington D.C. mit Russland und dem Iran daran arbeiten, den Peter Rough ist Fellow am Hudson Institute in Westen im Nahen Osten zu schwächen. Mustafa ­Washington D.C. Kemal Pasha, der heute als Atatürk bekannte Gründer der modernen Türkei, ist während des

Das Ende der Rüstungskontrolle? 57 Das Ende der Rüstungskontrolle?

Rstungskontrolle Illustration: © racken. Kregsvlkerrecht SchlachtfeldsngularttKregsvlkerrechtEntschedungszyklusRsken Rstung Muster HerausforderungAlgorthmusGefahr Kognton Technologe Kollektvrsken Maschne Mltr Rskobewusstsen Regeln Schlachtfeldsngulartt BlderkennungKI Eekt Regeln Implkatonen Entschedungsbefugns Rstungskontolle Robotk

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Werte Rstung Implkatonen Waen Zukunft Ttungsentschedungen Scherhet Maschne Implkatonen Schlussfolgerung Scherhetskontext Robotk Realtt Algorthmus Normen Eskalatonsrsken Kollektvrsken Roboter Mltr Kontrolle Autonome GewssenKontrolle

Zukunft Normen Werte

RstungskontrolleRskenEekt Herausforderung Kollektvrsken Rstung Regeln Gefahr Technologe Gegenwart Verhltns Scherhetsnteressen Scherhetskontext Verantwortung Eskalatonsrsken Realtt Umsetzung Verhltns

Kontrolle Ansatz EskalatonsrskenZukunft Kregsvlkerrecht Kognton Scherhetsdlemma Gewssen

Rskobewusstsen Algorthmus Blderkennung UmsetzungVerantwortung UmsetzungRsken WaenNormen Muster

Menschenleben Waensysteme KI Maschnengeschwndgket Schlussfolgerung Gegenwart Kregsvlkerrecht Ttungsentschedungen ScherhetsnteressenNormen „Es besteht die Gefahr, dass die Dinge mit Maschinengeschwindigkeit aus dem Ruder laufen“

Ein Gespräch mit Dr. Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr (München)

58 Ai: Herr Sauer, Supercomputer, die ein Eigenleben entwickeln, Roboter, die sich gegen ihre Schöpfer auflehnen und eine von Killermaschinen verwüstete Erde – solche Szenarien waren lange Zeit dem Science-Fiction-Genre vorbehalten. Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Nexus zwischen Sicherheit und Tech- nologie, also beispielsweise auch den militärtechnologischen Implikationen von Künstlicher Intelligenz. Wie weit sind wir in diesem Bereich noch von Science-Fiction entfernt? Frank Sauer: Das hängt davon ab, welche Science-Fiction sie meinen. Nehmen Sie zum Beispiel einen Roman wie „Kill Decision“ von Daniel Suarez. Einige Ideen darin sind inzwischen von der Realität nicht mehr weit entfernt. Apokalyptische Zustände wie in den „Termi- nator“-Filmen sind hingegen noch sehr, sehr weit entfernt oder werden wohl, hoffen wir es zumindest, nie Realität. Ich selbst lese zwar viel Science-Fiction, aber Roboter­ aufstände, Terminatoren oder künstliche Superintelligenzen machen mir keine Sorgen. Mich beschäftigen banalere und ganz und gar gegenwärtige Dinge.

Ai: Welche sind das? Frank Sauer: Ich arbeite im Hier und Heute zu den Risiken einer kurzsichtigen Anwendung von – vergleichsweise „dummer“ und aktuell verfügbarer – Technologie in Sicherheits- kontexten. Im Besonderen, da haben Sie Recht, wenn es um das Militär und den Einsatz in Waffensystemen geht.

Ai: Was wäre denn ein Beispiel für einen solchen kurzsichtigen Einsatz vergleichsweise „dummer“ Technologie in Waffensys- temen? Frank Sauer: Nehmen Sie mal das Beispiel der automatischen Bilderkennung. Das ist ja eines der Aushängeschilder mit Blick auf die jüngsten Durchbrüche im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Wenn Sie zum Beispiel ihre Handyfotos in der Google Cloud abspeichern, dann können sie sich von Google auf Zuruf die Fotos sortieren lassen. Alle Fotos vom letzten Strandurlaub, von ihrem neuen Auto oder von Oma Erna. Eine feine Sache. Oder nehmen sie das autonome Fahren. Tesla glaubt so fest an die Leistungs- und Ausbau­ fähigkeit der automatischen Bilderkennung, dass sie voll darauf setzen, damit irgend- wann das selbstfahrende Auto realisieren zu können. Andere Komponenten, wie zum Beispiel Laser für die Abstandsmessung, die fast alle anderen Autohersteller für unver- zichtbar halten, lässt Tesla einfach weg. Und es stimmt ja: Automatische Bilderkennung leistet Erstaunliches. Sie hat bloß nichts mit Intelligenz zu tun. Die Begriffe „Künstliche Intelligenz“ und „maschinelles Lernen“ legen da leider bei den allermeisten Menschen die komplett falsche Fährte. Denn die für Bilderkennung trainierten, auf maschinellem Lernen basierenden neuronalen Netze sind stets nur für einen einzigen, extrem begrenz- ten Zweck optimiert. Sie sind kompetent, aber nicht intelligent. Sie können Katzen auf Fotos erkennen – zum Teil zuverlässiger als ein Mensch das kann. Mehr aber eben nicht. Und selbst das gelingt ihnen nur unter bestimmten Bedingungen. Konfrontiert man sie mit Inputs, für die sie nicht trainiert sind, scheitern sie krachend. Ergo haben wir es weder mit Intelligenz noch mit Lernen zu tun – zumindest nicht in dem Sinne, wie wir

Das Ende der Rüstungskontrolle? 59 Menschen diese Begriffe bisher verstanden haben und wie sie für unsere in einem viel umfassenderen Sinne kompetente und anpassungsfähige Spezies Sinn ergeben. Das meine ich, wenn ich sage, dass ein modernes Bilderkennungssystem – wenngleich bei Einzelanwendungen extrem leistungsfähig – dumm ist.

Ai: Und was bedeutet das für die Nutzung solcher Technologien in Waffensystemen? Frank Sauer: Automatische Bild­ erkennung, in unvernünftiger und übereilter Weise genutzt in Waffensystemen, wäre mit großen Risiken behaftet. Das brauche ich mir nicht auszu- denken, dafür gibt es längst Beispiele. Kalaschnikow hat zum Beispiel letzten Sommer einen autonomen Geschützturm vorgestellt. Da wird ein Bilderkennungsverfahren gekoppelt mit einer Waffe – alles Technologie der Gegenwart, keine Science-Fiction. Aber selbstverständlich kann das Kalaschnikow-Bilderkennungssystem das Gefechtsfeld nicht so verstehen wie ein Mensch das kann. Dieser Geschützturm würde vermutlich Schwierigkeiten haben, Soldaten von Zivilisten zu unterscheiden. Und mit an Sicher- heit grenzender Wahrscheinlichkeit würde er nicht erkennen und verstehen können, ob ein Soldat im Begriff ist, sich zu ergeben, oder vielleicht verletzt – und somit kein

Trotz aller Bedenken: Die Schlussfolgerung lautet nicht, dass das Militär auf Technologie verzichten soll. Quelle: © Charles Platiau, Reuters.

60 Auslandsinformationen 3|2019 legitimes Ziel mehr – ist. Damit sind wir bei den Risiken. Denn würde die Waffe dann trotzdem maschinell ausgelöst, weil der Algorithmus nur stumpfsinnig Muster abgleicht und die Situation in ihrer Bedeutung nicht begreift, dann wäre das ein Verstoß gegen die geltenden Regeln des Kriegsvölkerrechts. Und zudem wäre dann nicht mal wirk- lich klar, wer für dieses Verbrechen eigentlich zur Verantwortung zu ziehen wäre. Die Schlussfolgerung daraus lautet nicht, dass das Militär auf Technologie verzichten soll. Die Schlussfolgerung lautet, dass wir erstmal systematisch durchdenken müssen, wann wie viel Entscheidungs­befugnis vom Menschen an die Maschine delegiert werden darf. Das kann mal mehr, mal weniger sein, da entscheidet der Kontext – und in Abhängig- keit vom Kontext braucht es dann fürs Militär ein paar neue Regeln – eigentlich keine große Sache. Und Regeln entwickeln und befolgen können Militärs eigentlich sehr gut. Aber leider machen die vielen Missverständnisse rund um „Künstliche Intelligenz“ und „maschinelles Lernen“ und überhaupt der ganze Hype rund um „KI in den Streitkräf- ten“ es aktuell schwierig, diesem bodenständigen Ansatz zur Umsetzung zu verhelfen. Neue Regeln für den Umgang mit Autonomie in Waffensystemen im Heute aufschreiben macht halt auch Arbeit und ist nicht so sexy wie das fortgesetzte Träumen vom Morgen.

Ai: Dagegen könnte man einwenden, dass es gerade im militä- rischen Bereich weniger um das Träumen von Morgen, sondern in allererster Linie um sehr handfeste Sicherheitsinteressen geht. Oder würden Sie sagen, dass die Sorge gänzlich unberechtigt ist, dass wir hier beispielsweise gegenüber China ins Hintertreffen geraten, wenn wir uns allzu lange mit den Risiken neuer Tech- nologien aufhalten? Was im wirtschaftlichen Bereich schon schmerzlich genug ist, kann im militärischen schließlich schnell existenzielle Dimensionen annehmen. Frank Sauer: Interessant, dass sie ausgerechnet China erwäh- nen. In China ist man sich der sicherheitspolitischen Risiken einer unregulierten, offensiven Nutzung von Waffen- systemen, die „autonom“, also ohne wirksame menschliche Kontrolle, Ziele auswählen und bekämpfen, sehr wohl bewusst. Einer der wesentlichen Effekte eines komplett maschinisierten Entscheidungszyklus’ wäre nämlich die enorme Beschleunigung von Operationen. Die Chinesen haben dafür den schaurig-schönen Begriff „Schlachtfeld­ singularität“ geprägt – er bezeichnet den Moment, ab dem die menschliche Kognition den Abläufen auf dem Schlachtfeld nicht mehr zu folgen imstande ist. Dass damit erhebliche Eskalationsrisiken einhergehen ist allen, insbesondere den technologisch führenden Staaten, völlig bewusst.

Ai: Sie halten die häufig vorgenommene Gegenüberstellung zwi- schen den „Bedenkenträgern im Westen“, die sich besonders gern mit ethischen Fragen und Regulierungsmöglichkeiten rund um neue Technologien aufhalten, und den Chinesen, die einfach bedenkenlos voranpreschen, also nicht für zutreffend? Frank Sauer: Verstehen Sie mich nicht falsch, an dieser Gegenüber- stellung ist durchaus etwas dran. Man denke nur an die jüngsten Entwicklungen in China mit Blick auf gentechnische Eingriffe in die menschliche Keimbahn – ein klarer Tabubruch. Ich persönlich hege auch

Das Ende der Rüstungskontrolle? 61 nach wie vor Zweifel an der in Genf bei den Vereinten Nationen durch China geäußerten Bereitschaft, sich einem internationalen Verbot der Nutzung vollautonomer Waffen- systeme anschließen zu wollen. China operiert gerne mit diplomatischen Nebelkerzen. Mein eigentlicher Punkt war, dass es nichtsdestotrotz auf allen Seiten ein Bewusstsein für die Risiken gibt – nicht nur in China, auch in den ­USA. Der ehemalige stellvertre- tende US-Verteidigungsminister Bob Work etwa, der unter Obama für den Anschub des Themas KI und Robotik in den US-Streitkräften verantwortlich war, hat unmissver- ständlich klargemacht, dass die ­USA den Rubikon nicht als erste überschreiten wollen, sie aber eben bereit sein müssen, im Notfall die zweiten zu sein. Risikobewusstsein ist also das eine, aber international verbindliches politisches Handeln eben das andere. Und damit sind wir genau bei dem Dilemma, auf das Ihre Frage ja abzielt – nämlich das klassische Sicherheitsdilemma im internationalen System, inklusive der damit einher- gehenden Anreize zu unregulierter Rüstung. Salopp gesagt: „Weil ich nicht sicher sein kann, dass mein Gegner keine Killerroboter baut, baue ich sie lieber mal selbst.“ Aber es gibt eben neben diesem Risiko für den Einzelnen auch die inzwischen gut verstandenen Kollektivrisiken. Denken Sie etwa an die Implikationen für internationale Sicherheit und

62 Auslandsinformationen 3|2019 Lauernde Bedrohung? Wenn der Mensch gänzlich aus der Entscheidungsschleife herausgenommen wird, nehmen die humanitären Risiken deutlich zu. Quelle: © Ognen Teofilovsk, Reuters.

Stabilität: Es besteht die Gefahr, dass die Dinge mit Maschinengeschwindigkeit rasend schnell aus dem Ruder laufen und ungewollt eskalieren, wenn der Mensch gänzlich aus der Entscheidungsschleife herausgenommen wird. Schwer wiegen außerdem die huma- nitären Risiken, etwa mit Blick auf Leid in der Zivilbevölkerung sowie nicht zuletzt die ethisch bedeutsame Frage danach, ob wir das Töten im Krieg in dieser Form zukünftig wirklich automatisch „abarbeiten“ lassen und von unseren Urteilen, unseren Entschei- dungen und unserem Gewissen derart abkoppeln wollen. Mit Letzterem, dem Risiko des Überschreitens einer ethischen roten Linie, begründet ja auch die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung gegen das Delegieren von Tötungsentscheidungen an Maschi- nen im Krieg – eine Haltung, die die ehemalige Bundesverteidigungsministerin und der deutsche Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf Peter Beerwerth öffentlich vor Kurzem noch einmal mit Nachdruck unterstrichen haben. Das Anerkennen dieser Risiken sollte man im Westen übrigens nicht als „Bedenkenträgerei“ abtun. Im Gegenteil – wer sonst soll denn für die von dieser Entwicklung berührten Werte und Normen international einstehen? China doch wohl eher nicht.

Das Ende der Rüstungskontrolle? 63 Ai: Dann läuft es am Ende also auf eine klassische Risiko­ abwägung hinaus: Wie hoch bewerte ich die Risiken einer unre- gulierten Nutzung autonomer Waffensysteme im Vergleich zum Risiko, militärtechnologisch ins Hintertreffen zu geraten, etwa weil ich die Intentionen meines Gegenübers falsch eingeschätzt habe. Richtig? Frank Sauer: So ist es.

Ai: Halten Sie es denn vor dem Hintergrund dieser Risikoabwä- gung für realistisch, dass sich die relevanten Akteure auf wirk- same Maßnahmen zur Rüstungskontrolle in diesem Bereich verständigen? Frank Sauer: Grundsätzlich möglich ist es. So sind wir ja zum Beispiel auch zur nuklearen Rüstungskontrolle zwischen den Supermächten gekommen. Werden die Kollektiv- risiken verstanden und ernst genommen, dann kann man auch in anderen Feldern rüstungskontrollpolitisch bestimmte Entwicklungen steuern und auf diese Weise Rüstungswettläufe einhegen. Das liegt ja auf der Hand. Andernfalls hätten wir keine Rüstungskontrolle, nirgends, weder für Nuklear-, Chemie- und Biowaffen noch für Anti- personenminen, Clustermunition oder Blendlaser. Haben wir aber. Insofern denke ich, dass es hier zu früh ist, die Flinte ins Korn zu werfen. Noch können wir uns als Staaten- gemeinschaft gegen diese, das Risiko für den einzelnen Staat übersteigenden Kollek- tivrisiken absichern. Davon hätten im Übrigen vor allem die jetzt noch technologisch führenden Staaten etwas, denn die weitgehend aus dem zivilen Sektor entlehnte, für Autonomie in Waffensystemen umgenutzte Technologie diffundiert ungleich schnel- ler als die militärische Hochtechnologie der Vergangenheit. Es wird bei Autonomie in Waffensystemen also kein Monopol geben, wie etwa dieUSA ­ es mit „Stealth“, also Tarnkappentechnik, eine Weile innehatten. Gleichwohl ist es so, dass wir derzeit poli- tisch in einer Phase sind, in der die Rüstungskontrolle international eher im Ab- als im Aufschwung ist. Bestehende Verträge und Abkommen erodieren. Dringend benötigte neue kommen nicht hinzu. Auch die Gespräche zu Autonomie in Waffensystemen bei den Vereinten Nationen in Genf laufen, vorsichtig ausgedrückt, schleppend. Daher erachte ich es, wenngleich ich Rüstungskontrolle hier für ebenso möglich wie geboten halte, zurzeit für nicht realistisch, dass wir in naher Zukunft einen Schritt voran sehen werden. Vermutlich müssen wir erst den „Rüstungskontroll-Winter“ der Trump-Putin- Xi-Ära hinter uns lassen.

Ai: Wie sieht es denn mit der Kontrollierbarkeit der neuen Technologien aus? Wenn Sie sagen, dass sich diese Technologien ungleich schneller verbreiten, wie sieht es dann mit den Möglich- keiten aus, eine derartige Verbreitung wirksam zu unterbinden bzw. etwaige Verstöße zunächst einmal als solche zu erkennen und sie dann gegebenenfalls zu sanktionieren? Frank Sauer: Es kann und soll ja nicht um eine Kontrolle von Tech- nologie gehen. Schon weil das Gros des technologischen Fortschritts aus dem zivilen Sektor stammt, wo wir uns ja alle erdenklichen Vorteile erhoffen. Den Fortschritt sollten wir nicht aufhalten, könnten es vermutlich auch nicht. Aber Regeln für den Umgang mit dieser Technologie braucht

64 Auslandsinformationen 3|2019 es schon. Am ehesten erreichen wir deren Ausformulierung, wenn wir aufhören über Technologie zu reden und stattdessen den Menschen und seine zukünftige Rolle im Krieg differenziert in den Blick nehmen. Wie soll wirksame menschliche Kontrolle über Waffensysteme in welchen Fällen ausgestaltet sein? Müssen blitzschnell anfliegende Geschosse abgefangen werden? Dann kann der Mensch getrost aus der Entscheidungs- schleife herausgenommen und die Aufgabe an eine verteidigend wirkende Maschine delegiert werden. Geht es hingegen um die Planung und Durchführung eines Angriffs, der Menschenleben kosten kann, so muss weiter der Mensch über die Zielauswahl und -bekämpfung entscheiden, dafür rechtlich einstehen und sein Gewissen mit den getroffenen Entscheidungen belasten. Wir reden also im Grunde über das Verregeln militärischer Handlungspraktiken und die kontextspezifische Justierung des Mensch- Maschine-­Verhältnisses im Militär.

Ai: Das klingt schon für sich nach einer enormen Herausforde- rung – ganz zu schweigen von der Frage, wie sich, wenn man sich denn dann irgendwann einmal auf Regeln verständigt hat, deren Einhaltung wirksam überprüfen lässt. Frank Sauer: Natürlich ist das keine leichte Aufgabe. Und natür- lich wissen wir, dass Regeln gebrochen werden, auch in der Rüstungskontrolle. Nicht ständig und überall, aber ab und an durch Einzelne. Das ist aber kein Grund, sich nicht erstmal überhaupt auf Regeln zu verständigen. Nur auf dieser Grundlage sind ja überhaupt Sanktionen legiti- merweise möglich. Die Einhaltung der Regel, außer beim Verteidigen gegen Munition, wirksame menschliche Kontrolle über Waffensysteme zu bewahren, ist in der Tat schwer zu überprüfen. Das ist eine viel größere Herausforderung als die Verifikation von Rüs- tungskontrollverträgen in anderen Bereichen, etwa bei Nuklearwaffen. Da kann man zum Beispiel Sprengköpfe und Trägersysteme zählen. Ein vergleichbares, quantitatives Vorgehen wird es aber bei den neuen Technologien und Domänen – dazu zählen auch Cyber- und Weltraum – nicht geben. Die Forschung zu solchen neuen Instrumenten qua- litativer Rüstungskontrolle steht erst ganz am Anfang. Ob und wie es uns also gelingen kann, Verifikation – also das Überprüfen regelkonformen Verhaltens in der Rüstungs- kontrolle – sicherzustellen, das weiß ich zurzeit schlichtweg noch nicht. Ernsthaft und ausreichend erforscht und versucht wird es bisher noch nicht. Daher ist es zu früh für ein endgültiges Urteil.

Das Gespräch führte Sebastian Enskat.

Das Ende der Rüstungskontrolle? 65 Quelle: © Bob Strong, Reuters.

Weitere Themen Agenda 2030: Mut zur Nachhaltigkeit!

Sabina Wölkner

66 In Deutschland ist eine öffentliche Diskussion über einen breiten Ansatz von Nachhaltigkeit nötig. Das ist keine rückwärtsgewandte „Öko-Agenda“, sondern es sind überfällige Reformen für wirtschaftliche Modernisierung, Klimaschutz und Innovation, damit noch mehr Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können. Mut zur Nachhaltigkeit heißt Mut zur Zukunft! Die Agenda 2030 weist uns den Weg.

Nicht erst mit Greta Thunberg oder den Fridays im Einklang mit der Umwelt steht und sozial for Future ist klar: Wir müssen die Grenzen verträglich ist. Zur Umsetzung sind sämtliche unseres Planeten respektieren. Diese Forderung Staaten – Entwicklungs-, Schwellen- und Indus- gewinnt durch die extreme Trockenheit und triestaaten – gleichermaßen aufgefordert. Die Hitze selbst in den nördlichsten Teilen Deutsch- Agenda setzt auch beim Bürger an. Anpacken lands und in Europa weiter an Bedeutung. Da müssen also alle. Doch obwohl ein Drittel der wundert es nicht, dass die Auseinandersetzung Zeit für die Erreichung der Nachhaltigkeits- über Nachhaltigkeit hierzulande vom Klima- ziele schon um ist, kennen die Agenda 2030 in schutz beherrscht wird. Doch der absolute Fokus Deutschland nur wenige. Lediglich zehn Prozent verstellt den Blick auf das Thema. Wenig hilfreich der Bevölkerung können mit dem Begriff etwas ist auch, wenn sich die Klimaschutz­aktivisten in anfangen. Dabei stößt der Wunsch nach Nach- moralischem Furor gegenseitig überbieten und haltigkeit bei den Deutschen auf Zustimmung.3 unter dem Stichwort „Flugscham“ Passagiere Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Warum an Flughäfen ausbuhen. Als ob „Blaming and ist die Agenda hierzulande so unbekannt? Shaming“ darüber hinwegtäuscht, dass Flug­ gesellschaften in aller Welt heute so viel Men- Die Agenda ist mehr als Klimaschutz! schen wie nie befördern. Tendenz steigend!1 Zwar ist das Hauptanliegen der Klimaschützer, Ein Grund ist: Die Agenda 2030 ist mit ihren die Reduzierung des CO2-Austoßes, richtig. Doch 17 Nachhaltigkeitszielen und 169 Unterzielen allein die Zahlen zum Flugverkehr legen nahe, sowie einer Fülle an Indikatoren nicht gerade dass für die Weltrettung ein anderer Ansatz nötig „user-­friendly“. Zu komplex sind die Themen­ ist. Ob Fliegen, Autofahren oder Fleischkonsum: bereiche, wo „alles mit allem zusammen hängt“ Allein Askese und Verzicht sind mit Blick auf und ein ganzheitliches Handeln die Voraussetzung die aufstrebenden Nationen Asiens und andere ist, um bei der vielbeschworenen Nachhaltigkeits- wachsende Weltregionen nicht das Allheilmittel. wende voranzukommen. Da die ökologische, wirt- Eine tiefer gehende Betrachtungsweise über den schaftliche und soziale Dimension des Prinzips der nationalen Tellerrand ist unumgänglich. Nachhaltigkeit gleichzeitig verwirklicht werden soll, ähnelt das Unterfangen einer Quadratur des Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die 2015 Kreises. Obendrein soll niemand beim Prozess von den Vereinten Nationen verabschiedete zurückgelassen werden (leaving no one behind)! Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung Das heißt nicht, dass die Umsetzung unmöglich anzuschauen. Diese fordert nicht weniger als wäre. Sie erfordert jedoch Prioritäten, die je nach die Transformation unserer Welt.2 Nachhaltig- Gewichtung unterschiedliche Auswirkungen keit wird in dreifacher Hinsicht verstanden. Sie haben. Dies anzusprechen, erfordert eine Ausein- geht von einer weltweit leistungsfähigen Wirt- andersetzung mit Nachhaltigkeit in all ihren Facet- schaft mit technologischem Fortschritt aus, die ten. So ist logisch, dass ein einseitiger Klimafokus

Weitere Themen 67 zu Lasten der anderen Aspekte geht, sei es Wirt- Kritik richtete sich nicht nur an die Regierung. Da schaft oder Soziales. Daher ist der Appell des es nicht den einen Weg zur Umsetzung der Ziele Abgeordneten Rüdiger Kruse an die Kollegen mit für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Develop- „9 Regeln für die politische Arbeit, um Deutsch- ment Goals, ­SDGs) gibt, wäre das Parlament der land nachhaltiger zu machen“4, zu begrüßen. Er Ort, um Ansätze zu diskutieren. Da dieses kaum plädiert für einen Ansatz, der Umwelt, Wirtschaft stattfindet, verkommt die Nachhaltigkeitspolitik und Soziales miteinander versöhnt. Nachhaltig- zu einer technischen Übung. Das Desinteresse keit sei per Definition genau das und die Union der Bürger lässt sich auch damit erklären. als Volkspartei ist für diese Aufgabe deshalb prädestiniert. Zwar spielt in der christdemokrati- schen Tradition Nachhaltigkeit unter dem Motto CDU-Abgeordnete des Bundes- „Wahret die Schöpfung“ nicht erst seit gestern eine tags fordern bereits heute, das Rolle. Aber durch die spezifische Entstehung öko- Prinzip der Nachhaltigkeit im logischer Bewegungen und Interessengruppen in den 1980er Jahren in Deutschland wurde der Grundgesetz zu verankern. Begriff stark mit ökologischen Inhalten besetzt. Doch nur, wer ökologische Tragfähigkeit mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Was jetzt zählt, sind Taten. Der Rat für Nach- Gerechtigkeit zusammendenkt, hat die Vision der haltige Entwicklung empfiehlt mit Blick auf die Agenda 2030 und ihre Weichenstellungen für die bevorstehende Fortschreibung der Nachhaltig- Zukunft verstanden. keitsstrategie, die Latte höher zu hängen. Die Strategie darf nicht nur schön klingen, sondern Somit ist es für eine echte Nachhaltigkeitswende muss sicherstellen, dass die Ziele erreicht wer- mit Klimaschutz allein nicht getan. Natürlich war den. Die stärkere Einbindung der Zivilgesell- es ein riesiger Schritt, als sich die Länder auf der schaft ist dafür das A und O. Dabei geht es vor Pariser Klimaschutzkonferenz der Vereinten allem um die Vernetzung von kommunalen Nationen auf ein allgemeines, rechtsverbind- und regionalen Akteuren.7 Die Bundestags­ liches und weltweites Klimaschutzabkommen abgeordneten Kai Whittaker und einigten, das wie die Agenda 2015 verabschie- gehen noch einen Schritt weiter und fordern, det worden war. Das Jahr wird nicht umsonst das Prinzip der Nachhaltigkeit im Grundgesetz als Höhepunkt multilateraler Zusammen­arbeit zu verankern.8 Das wäre eine Zäsur, nach Mei- gefeiert. Doch obwohl Deutschland sich in nung des ehemaligen Präsidenten des Bundes- Zeiten eines erstarkten Protektionismus und verfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier jedoch ­Nationalismus­ für den Multilateralismus ein- der richtige Weg. Papiers Sichtweise nach setzt, ist es hierzulande merkwürdig still um kommt die Vorsorge in der parlamentarischen die Agenda. Deutschland verfügt zwar über Demokratie systembedingt zu kurz. Es muss eine Nachhaltigkeitsstrategie. Sie wurde 2016 ein sozialer Ausgleich nicht nur innerhalb einer in Anlehnung an die Agenda überarbeitet Generation, sondern zwischen den Generati- und 2018 unter Einbeziehung nichtstaatlicher onen stattfinden.9 Auch die CDU-Vorsitzende­ Akteure aktualisiert.5 Als Querschnittsthema ist Annegret Kramp-­Karrenbauer will der Nachhal- sie in allen Ressorts präsent und hat auch eine tigkeit Verfassungsrang verleihen und fordert für internationale Dimension. Doch ob wir auf dem die konkrete Umsetzung neben der schwarzen Weg vorankommen und welche Probleme in der auch die grüne Null in der Politik. Ihr geht es Praxis auftauchen, darüber ist über den Kreis dabei um eine Zukunftspolitik, die den nachfol- der „usual suspects“ hinaus wenig zu hören. genden Generationen weder „Müll- noch Schul- Letztes Jahr kam eine Gruppe von Experten zu denberge“ hinterlässt.10 Sicher ist, dass dieser dem Schluss, dass der Begriff von Nachhaltigkeit Vorstoß nur dann Verbindlichkeit schafft, wenn in der Politik zwar allgegenwärtig ist, allerdings auch im Haushalt Nachhaltigkeit zum leitenden nicht immer klar sei, was dahinter steckt.6 Die Prinzip wird; also ein Budget, in dem schon bei

68 Auslandsinformationen 3|2019 der Aufstellung des Entwurfs ­SDGs ­systematisch Reformen, eine politische Aufwertung des berücksichtigt sind und effektive Nachhaltig- Forums sowie eine effektivere Einbindung der keitschecks zur parlamentarischen Kontrolle der Zivilgesellschaft.14 Es steht viel auf dem Spiel. Regierung erfolgen. Dafür gilt es zuallererst, die Beim Forum und erst recht beim SDG-Gipfel­ Befugnisse des Parlamentarischen Beirats für geht es nicht allein um den Erfahrungsaustausch, nachhaltige Entwicklung auszubauen und denen sondern um das politische Momentum. Darum von Bundestagsausschüssen gleichzustellen.11 ist es derzeit nicht gut bestellt. Die aufgeheizte Im Finanzministerium gibt es Überlegungen, bei Stimmung und die Gegensätze zwischen den der Überprüfung des Haushalts Nachhaltigkeits- führenden Mächten lassen globale Regierungs- kriterien zu berücksichtigen.12 führung schwach erscheinen. Immerhin fanden im Abschlusscommuniqué des diesjährigen Die Agenda ist kein Elitenprojekt! G20-Gipfels die Agenda 2030 und das Bekennt- nis zur nachhaltigen Entwicklung Eingang.15 Für Auch müssen wir den SDG-Prozess­ auf globa- die Nachhaltigkeitswende wird allerdings mehr ler Ebene aktiv mitgestalten. Zwar werden die Einsatz nötig sein. Das unterstreicht die magere VN von vielen Bürgern als abgehoben empfun- Zwischen­bilanz beim diesjährigen VN-Nachhal- den, für die globale Nachhaltigkeitswende sind tigkeitsgipfel im September in New York. Zwar sie aber nicht wegzudenken. Nur dort kommen führen Länder wie Dänemark, Schweden und sämtliche Staaten zusammen. Die Agenda selbst Finnland die Liste der Top Ten bei der Umsetzung ist die Verkörperung von Multilateralismus! Ihr der SDGs­ an, und auch Deutschland befindet sich Portfolio bietet ein außenpolitisches Koordi- in dem Ranking auf Platz sechs, doch sowohl sie natensystem und deckt die Zukunftsthemen als auch die anderen G20-Staaten (die USA­ lie- unserer Zeit ab. Gleichwohl ist die Wirksam- gen auf Rang 35) müssen mehr Engagement zei- keit des VN-Prozesses ausbaufähig. So werden gen.16 Oder anders formuliert: Mit dem jetzigen beim High-Level Political Forum (HLPF)­ jährlich Tempo werden es selbst die nordischen Länder die Fortschritte bei der Umsetzung der ­SDGs nicht schaffen, bis 2030 die Ziele zu erreichen. besprochen. Doch das Forum kann nur mit ech- Vor allem das Konsumverhalten der reichen ter Unterstützung erfolgreich sein. Diese Hal- Industrieländer (­SDG 12) ist Gegenstand der tung ist nicht bei allen Beteiligten erkennbar. Kritik. Die VN warnten, dass ohne eine bessere Die beim HLPF­ diskutierten Voluntary National Performance der G20, die zwei Drittel der Welt- Reviews sind ein Beispiel dafür. Hier reichen die bevölkerung stellen und für 75 Prozent der glo- Regierungen freiwillig ihre Umsetzungsberichte balen CO2-Emissionen verantwortlich zeichnen, ein. Das Instrument erfreut sich wachsender die Agenda scheitern werde. China, Indien und Beliebtheit. Dieses Jahr haben 47 Staaten (sie- die ­USA wären maßgeblich dafür verantwort- ben davon das zweite Mal) Reviews zum Motto lich. Aber auch Australien oder Großbritannien „Empowering people and ensuring inclusiveness machen bei den „negativen Ausstrahlungseffek- and equality“ eingereicht.13 Zum Vergleich: 2017 ten“ bislang keine gute Figur.17 Internationale waren es 43. Dass selbst Russland einen Bericht Institutionen wie die Organisation für wirtschaft- ankündigte, spricht jedoch Bände darüber, dass liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Texte wenig mit der Realität gemein haben. plädieren deshalb dafür, die Governance-Struktu- Zwar sind sie nur bedingt vergleichbar, aber ren strikt an Nachhaltigkeitskriterien auszurich- trotz Leitlinien und Mindeststandards unter- ten, um den internen Transformationsprozess zu scheiden sich die Berichte zum Teil erheblich beschleunigen.18 nicht nur im Umfang, sondern auch in der Qua- lität. Am schwersten wiegt jedoch das Manko, Die Agenda ist mehr als dass verbindliche Schlussfolgerungen wegen Entwicklungspolitik! fehlender Befugnisse des HLPF­ ausbleiben. Die Arbeitsweise des Forums ist damit Hemmschuh Zudem gilt es, sich von üblichen Betrachtun- für den Erfolg. Experten fordern strukturelle gen zu lösen. In einer hypervernetzen Welt mit

Weitere Themen 69 unterschiedlichen demografischen Entwicklun- es noch 46 Prozent.23 Im 2018 Fortune Global 500 gen und wachsenden Migrations­bewegungen Ranking kamen 210 der 500 größten Unterneh- wird es zu geopolitischen Verschiebungen kom- men nach Einnahmen von dort. Als Folge des men. Schätzungen, wonach die Weltbevölke- Wachstums könnten sich globale Wertschöp- rung bis 2050 von 7,1 auf 9,7 Milliarden ansteigt, fungsketten, in denen viele asiatische Länder und würden die Menschen und den Planeten vor die lokalen Firmen noch auf den unteren Stufen immense Herausforderungen stellen. Während der Wohlstandsleiter stehen, bald umkehren. Asi- Afrikas Bevölkerung sich bis 2050 verdoppelt ens Aufstieg wird zweifelsohne auch zur höheren und bis 2100 sogar auf vier Milliarden wächst, Energienachfrage, mehr Konsum und Produktion wird Europas Bevölkerung bis dahin stark führen. Dies könnte die bei uns erreichten Fort- schrumpfen.19 In den trockenen Regionen Afri- schritte beim Klimaschutz – global betrachtet – kas geht das hohe Bevölkerungswachstum mit zunichtemachen. Druck auf die dort ohnehin knappen Ressour- cen wie Wasser oder fruchtbare Anbaufläche­ einher. Die VN warnten, dass die Welt jährlich Der Übergang zu einem 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Boden durch ressourcen- und umwelt- Landverödung verliert.20 Die Auswirkungen auf schonenden Wachstums- Sicherheit und Stabilität in den betroffenen Staa- ten, vor allem in jenen mit schwacher Staatlich- modell erfordert eine keit, lassen sich ausmalen. Doch das Risiko von Ausrichtung des Finanz- Insta­bilität und Konflikt gilt nicht nur für arme sektors auf Nachhaltigkeit. Länder. Die Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Gewinnung kann in wohlha- benderen Staaten, die von Einnahmen aus dem Export fossiler Brennstoffe abhängig sind, eine Um nicht hierzulande wirtschaftlich und tech- Spirale der Destabilisierung in Gang setzen, da nologisch den Anschluss zu verlieren, gilt es, ihnen essenzielle Geldquellen wegbrechen. Ein den ­SDGs mehr Aufmerksamkeit zu schenken. rapider sozio­ökonomischer Wandel könnte Sie sind Motor für Modernisierung und Inno- die Erosion staatlicher Institutionen zusätzlich vation! Das impliziert, Nachhaltigkeitsgrund­ begünstigen.21 Das Risiko betrifft Länder des sätzen in der Landwirtschaft, dem Verkehr sowie Nahen Ostens und Afrikas, aber auch Latein- bei der Handelspolitik und bei der Gestaltung amerika ist stark vom Export fossiler Rohstoffe des Binnenmarktes mehr Gewicht zu verlei- abhängig. hen. Dafür muss auch der europäische Rahmen stimmen. Bislang wurde mit dem Europäischen Gleichzeitig geht es bei der Agenda um Wettbe- Konsensus für Entwicklungspolitik jedoch nur werb und die Frage nach der Vorherrschaft bei die entwicklungspolitische Zusammenarbeit den Zukunftstechnologien. Die regenerativen angepasst.24 Die Hoffnung ruht auf der desi- Energien gehören hier dazu. Deutschland hat gnierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula sich mit der Energiewende sichtbar positio- von der Leyen, die Aufgabe zügig anzugehen. niert und deutsche Unternehmen haben wert- Diese forderte jüngst einen „Green New Deal“, volle Erfahrungen gesammelt, um die Märkte um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. zu erobern. Doch es ist mittlerweile China, das Für den Übergang zu einem ressourcen- und wie kein zweites Land seine Kapazitäten bei den umweltschonenden Wachstumsmodell ist Kapi- Regenerativen ausbaut. Hinzu kommen die ande- tal nötig. Dabei geht es darum, den Finanzsek- ren Wachstumszentren in Asien.22 Bereits 2027 tor insgesamt auf Nachhaltigkeit auszurichten. könnte Indien China als den bevölkerungsreichs- Die Europäische Kommission hat dazu kürz- ten Staat der Welt überholt haben. Prognosen lich Rechtsvorschriften vorgelegt, die sich in zufolge werden bis 2030 über 60 Prozent des glo- der Abstimmung befinden.25 Im Mittelpunkt balen Mittelstandes in Asien leben. 2015 waren steht ein Klassifikationssystem, das für Klarheit

70 Auslandsinformationen 3|2019 Kein Einzelkampf! Die Industrienationen stehen in der Pflicht, Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Erreichung der SDGs zu helfen. Quelle: © Jianan Yu, Reuters.

darüber sorgen soll, welche Tätigkeiten als nach- bergen Risiken von Instabilität und Krisen.­ Dar- haltig bezeichnet werden können. Auch das unter werden die Schwächsten leiden. Das sind Bundesfinanzministerium­ hat einen Strategie- auf globaler Ebene die fragilen Länder. Den prozess für „Sustainable Finance“ initiiert. Angaben der Weltbank zufolge handelt es sich um 36 Staaten, knapp über die Hälfte liegt davon Die Agenda bedeutet Verantwortung in Afrika. Deren Fragilität äußert sich nicht übernehmen! durch Krieg und andere gewaltsame Dauerkon- flikte, sondern betrifft all diejenigen Länder, in Die Diskussion gilt es ehrlich zu führen. Der denen Menschen in extremer Armut leben oder angestoßene Wandel wird nicht automatisch nur einem unerträglichen Ausmaß an Kriminalität, Gewinner hervorbringen. Phasen des Übergangs schwacher Staatlichkeit oder Naturkatastrophen

Weitere Themen 71 ausgesetzt sind.26 Es bedarf keiner Erläuterung, die Anwendung der VN-Leitlinien für Wirt- dass diese Staaten allergrößte Schwierigkeiten schaft und Menschrechte.29 Die Umsetzung des haben, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Plans erweist sich bei dem auf viele Länder und Wenig überraschend werden vielerorts Frauen Produzenten verteilten Herstellungsprozess und Kinder die Hauptleidtragenden sein. Der- jedoch als schwierig. Doch die Bringschuld der zeit sind 15 Staaten, darunter Niger, Nigeria Wirtschaft ist nur die eine Seite der Medaille. und Afghanistan,­ klar „off track“.27 Zudem Auch die Regierungen in den Entwicklungslän- fehlen dort verlässliche Daten, um die Defizite dern müssen mehr tun. Um den Teufelskreis genauer zu bestimmen. Die Industrienatio- von Armut und prekären Arbeitsverhältnissen nen stehen somit in der Pflicht, durch humani- zu durchbrechen, muss die Produktivität dort täre Hilfe, wirtschaftliche Kooperation und gesteigert werden. Bessere Rahmenbedingungen Entwicklungszusammen­arbeit, aber auch durch und Marktzugänge für den Privatsektor gehören Unterstützung beim Aufbau von Statistik- und ebenso dazu. Da nationale Anstrengungen oft Monitoringsystemen bei der Erreichung der nicht ausreichen, ist internationale Koopera- ­SDGs dort zu helfen. Bis heute schaffen es aber tion und die Finanzierung essenziell. Vor die- nur wenige – selbst in der EU –, überhaupt die sem Hintergrund verabschiedeten die VN die vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttonationalein- Addis-­Abeba-Aktionsagenda. Im Unterschied kommens als öffentliche Mittel für Entwicklungs- zu früheren Entwicklungsfinanzierungen sollen zusammenarbeit (Official Development Assistance, neben öffentlichen Mitteln für Entwicklungs­ ­ODA) bereitzustellen. Es wäre aber falsch, somit zusammenarbeit und Privatinvestitionen höhere allein auf die Kräfte des Marktes zu setzen. Um Steuereinnahmen in den Entwicklungsländern die Herausforderungen in diesen Ländern zu selbst dabei helfen, den Weg zur Umsetzung der stemmen, werden öffentliche und private Investi- ­SDGs zu ebnen. Experten kritisieren allerdings, tionen gebraucht. Kluge Regulierung kann helfen, dass bislang nur wenig davon verwirklicht wurde. die Weichen richtig zu stellen. Als Beispiel die- Die bestehenden Finanzierungslücken ließen nen die weltumspannenden Wertschöpfungsket- sich gerade in Ländern mit niedrigem Einkom- ten. Entwicklungs- und Schwellenländer haben men so keinesfalls schließen.30 in der Vergangenheit durch niedrige Lohnkos- ten davon profitiert. Die Konsumenten in den Unbestritten ist also, dass ein „business as usual“ reichen Ländern erhielten niedrige Preise. Die bei der Agenda 2030 nichts bringt. Ohne ent- international verflochtene Wirtschaft erzeugt schiedenes Handeln wird kein Land – auch nicht jedoch einen hohen Wettbewerbsdruck.28 Wäh- Deutschland – bis 2030 die SDGs­ erreichen. rend sich dieser in den Entwicklungsländern oft Dafür ist eine öffentliche Diskussion über einen in schlechten Arbeitsbedingungen und hoher breiten Ansatz von Nachhaltigkeit nötig. Das Umweltbelastung manifestierte, schlug sich in ist keine rückwärtsgewandte „Öko-Agenda“, den Industrienationen die Konkurrenz aus den sondern es sind überfällige Reformen für wirt- Niedriglohnländern in stagnierenden Löhnen schaftliche Modernisierung, Klimaschutz und und Arbeitslosigkeit in einigen Branchen nieder. Innovation, damit wir weiterhin, aber künftig Zwar kann der Konsument Nachhaltigkeit stär- auch die anderen Menschen, in Frieden, Freiheit ken sowie soziale und ökologische Kriterien zur und Wohlstand leben können. Bundeskanzlerin Bedingung für den Warenkauf machen. Doch Merkel forderte jüngst die „Zukunft zur Heimat das reicht nicht, um das soziale Gefälle inner- zu machen“31. Wir sollten uns diese Aufforde- halb von Gesellschaften oder die Missstände an rung zu Herzen nehmen. Mut zur Nachhaltigkeit den lokalen Produktionsstand­orten zu beheben. heißt Mut zur Zukunft! Die Agenda 2030 weist Auch Unternehmen sind gefordert, Verantwor- uns den Weg. tung zu übernehmen. Im Jahr 2016 verabschie- dete Deutschland den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte und forderte Sabina Wölkner ist Leiterin des Teams Agenda 2030 von sämtlichen Akteuren in einer Lieferkette der Konrad-Adenauer-Stiftung.

72 Auslandsinformationen 3|2019 1 2017 wurden 4,1 Milliarden Passagiere, d. h. 7,3 Prozent 17 Darunter werden meist der „ökologische Fußabdruck“ mehr als ein Jahr zuvor, befördert. Auch wenn das und weitere sogenannte externe Effekte, etwa Waffen- stärkste Wachstum mit 10,6 Prozent in der Region exporte, der Schutz von Steueroasen oder mangelnde Asien-Pazifik stattfand, schnitten Europäische Airlines Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit­ ver- mit 8,2 Prozent auf 1,1 Milliarden Passagiere ebenfalls standen. Vgl. RNE 2017: Nachhaltige Entwicklung: überdurchschnittlich gut ab. Die Zahl der Flugpassagiere Fehlstellen auch in Deutschland, 27.07.2017, in: stieg erstmals auf über vier Milliarden. Vgl. Handels- https://bit.ly/2H40wcC [14.08.2019]. blatt 2018: Zahl der Flugpassagiere steigt erstmals über 18 ­OECD / SDSN 2019: Long-Term pathways for the 4 Milliarden, 06.09.2018, in: https://handelsblatt.com/ Implementation of the SDGs:­ The Governance 23004266.html [20.08.2019]. Implications, Reflection Paper July 2019, in: 2 VN 2015: Transforming our World: The 2030 https://bit.ly/2YDbDTT [14.08.2019]. Agenda for Sustainable Development, in: 19 ­VN 2019: 9.7 billion on Earth by 2050, but growth rate https://bit.ly/1OTd4Sr [14.08.2019]. slowing, says new UN population report, UN News, 3 Schneider, Sebastian H. / Gleser, Solveig H. / Bruder, 17.06.2019, in: https://bit.ly/31CnKPM [14.08.2019]. Martin 2018: Die­ ­Agenda 2030 in der­ ö­ffentlichen ­ 20 ­VN 2019: 24 billion tons of fertile land lost Meinung , DEval Policy Brief 6/2018, Deutsches every year, warns UN chief on World Day to Combat Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammen­ Desertification, UN News, 16.06.2019, in:https://bit.ly/ arbeit (DEval), in: https://bit.ly/2Z2EBwI [14.08.2019]. 2WNYKX2 [10.09.2019]. 4 Kruse, Rüdiger 2018: Deutschland nachhaltig 21 Steven, David / Locke, Rachel / Rüttinger, Lukas 2019: machen: 9 Regeln für unsere politische Arbeit, Beyond 16. The SDGs and the Opportunity to build 17.04.2018, Hamburg (internes Papier). a more peaceful World, Driving Transformation Change: 5 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Foreign Affairs and the 2030 Agenda, adelphi, Berlin, 2019: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Aktuali- S. 28, in: https://bit.ly/2KyErVN [14.08.2019]. sierung 2018, in: https://bit.ly/2OVi4y6 [11.09.2019]. 22 Tonby, Oliver et al. 2019: Asia’s future is now, 6 Rat für Nachhaltige Entwickl(RNE)ung (RNE) 2018: McKinsey & Company, 07/2019, in: https://mck.co/ The 2018 Peer Review on the German Sustainability 2Z0O0kb [14.08.2019]. Strategy, 05/2018, in: https://bit.ly/2JcOtg9 [14.08.2019]. 23 Der Begriff Mittelstand ist weit gefasst und betrifft Haus- 7 RNE 2019: Die Strategie muss liefern! Nachhaltigkeits- halte mit einem Einkommen zwischen elf und 110 US- rat empfiehlt Bundesregierung kreative Konsequenz, Dollar, gemessen an der Kauftkraftparität (PPP) aus dem 04.06.2019, in: https://bit.ly/31FhNk6 [14.08.2019]. Jahr 2011. Vgl. Kharas, Homi 2017: The Unprecedented 8 Whittaker, Kai / Lenz, Andreas 2019: Nachhaltigkeit Expansion of the Global Middle Class, an Update, als politisches Prinzip, in: Frankfurter Allgemeine Brookings Global Economy and Develpment Working Zeitung, 15.06.2019. Paper 100, in: https://brook.gs/2u6zwBA [10.09.2019]. 9 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen 2019: 24 Ebd. Nachhaltigkeit ins Grundgesetz? Unionsfraktion 25 Das vorgeschlagene EU-Klassifikationssystem liegt den debattiert mit Experten über Wege zu mehr Gene- Erkenntnissen des Abschlussberichts der High-Level rationen­gerechtigkeit, 20.02.2019, in: https://bit.ly/ Expert Group on Sustainable Finance (2018) zugrunde 2Z53t2S [14.08.2019]. und floss in den EU-Aktionsplan „Financing Sustain- 10 Frankfurter Allgemeine Zeitung 2019: Kramp-­ able Growth“ der Europäischen Kommission ein. Vgl. Karrenbauer wirbt für „grüne Null“, 11.08.2019. Europäische Kommission 2018: Financing Sustainable 11 Martens, Jens 2017: Schritte zum SDG-konformen­ Growth, in: https://bit.ly/2G5i7iJ [14.08.2019]. Bundeshaushalt, Global Policy Forum (GPF), 26 Weltbank 2018: Harmonized List of Fragile Situations, 12/2017, in: https://bit.ly/2YXwCRF [14.08.2019]. 01.07.2018, in: https://bit.ly/2DM1es5 [14.08.2019]. 12 Wehrmann, Benjamin 2019: Germany’s finance 27 Overseas Development Institute 2018: SDG­ progress: ministry considers screening of state budget by Fragility, crisis and leaving no one behind, 09/2018, climate criteria, Clean Energy Wire, 06.08.2019, in: in: https://bit.ly/2Iqk1fa [20.08.2019]. https://bit.ly/2kEgvpJ [10.09.2019]. 28 Berger, Axel 2019: Globale Wertschöpfung, globale 13 ­SDG Knowledge Platform 2019: High-Level-Poli- Verantwortung?, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, tical Forum 2019 Under the Auspices of ECOSOC,­ S. 5 ff., in:https://bit.ly/2KI49Y3 [20.08.2019]. in: https://bit.ly/2MUrDMH [14.08.2019]. 29 Auswärtiges Amt 2017: Nationaler Aktionsplan: 14 Vgl. Obendland, Wolfgang 2019: Das High-Level- Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft Political-Forum on Sustainable Development, und Menschenrechte 2016 – 2020, 09/2017, in: GPF, Bonn, 01/2019, in: https://bit.ly/33E5aaW https://bit.ly/2GatHb7 [14.08.2019]. [20.08.2019]. 30 Begashaw, Belay 2019: Einmalig, aber unterfinanziert, 15 G20 2019: G20 Osaka Leaders’ Declaration, in: in: E+Z 60, S. 24 – 25. https://bit.ly/2KBwuzn [14.08.2019]. 31 Bundeskanzlerin Merkels Worte bei der 19. Jahres- 16 Bertelsmann Stiftung / Sustainable Development konferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Solutions Network (SDSN) 2019: Sustainable De- 2019. Vgl. RNE 2019: Zukunft zur Heimat machen: velopment Report 2019, 06/2019, in: https://bit.ly/ Die deutsche Nachhaltigkeitspolitik muss endlich 2KWmGB4 [14.08.2019]. wirksamer werden, Pressemitteilung, 04.06.2019, in: https://bit.ly/2Z2Hfyr [14.08.2019].

Weitere Themen 73 Quelle: © Rafiqur Rahman, Reuters.

Weitere Themen Umweltmigration: eine sicherheitspolitische Herausforderung

Franziska Fabritius

74 Dass Menschen infolge kriegerischer Konflikte oder mangelnder wirtschaftlicher Perspektiven ihre Heimat verlassen, dürfte inzwischen jedem bekannt sein. Doch wie steht es mit Dürren, Wassermangel oder Überflutung von Inseln und Küstengebieten? Aus sicherheitspolitischer Perspektive ist es ratsam, auch Wanderungsbewegungen näher zu betrachten, die direkt oder indirekt mit den weltweit zu beobachtenden Klimaveränderungen in Zusammenhang stehen. Schließlich haben diese Veränderungen das Potenzial, aktuelle Instabilitäten zu verschärfen und weitere Länder und Regionen zu destabilisieren.

Im Süden Marokkos ist das schleichende Ver- werden aufgrund der Umstände dazu gezwungen. schwinden von Oasenstädten zu beobachten.1 Andere bleiben als Binnenmigranten in ihrem Durch Bodenerosion, steigende Temperaturen Heimatland zurück. Der Schritt zur Migration und ausbleibenden Niederschlag breiten sich kann jedoch nicht allein mit den Veränderungen Wüsten aus und nehmen den Menschen bereits der Umwelt erklärt werden. Es kommen viele heute die Lebensgrundlage. Wirbelstürme und Ursachen zusammen, z. B. Perspektivlosigkeit. Zyklone lassen ganze Landstriche in den Fluten versinken wie im März 2019 infolge des Zyklons Trend Binnenmigration Ida in Mosambik, Simbabwe und Malawi. Hun- derttausende Menschen verloren plötzlich Hab Migration kann innerhalb des Herkunftslandes und Gut. Beide Beispiele zeigen die Auswirkun- (Binnenmigration) oder auch in die Nachbarlän- gen für die Menschen in betroffenen Regionen der (grenzüberschreitende oder transnationale sowie die weltweite Gefahr für Sicherheit und Migration) erfolgen. Werden weite Distanzen Frieden infolge des Klimawandels und der daraus zurückgelegt, z. B. Kontinente überschritten, so entstehenden Migrationsbewegungen. spricht man von internationaler Migration. Inte- ressant ist der Blick auf die Zahlen der letzten Umweltmigration kann sich kurz- oder langfris- Jahre: 2015 sind 8,6 Millionen Menschen vor tig zu einem Sicherheitsrisiko in den Herkunfts-, Gewalt und Konflikten geflohen. Im gleichen den Transit- und den Aufnahmestaaten entwi- Zeitraum zählte das International Displacement ckeln. Die großen Wechselwirkungen zwischen Monitoring Centre (IDMC)­ mehr als doppelt so Umweltveränderungen und anderen sozioöko- viele Wanderungen infolge von Wetterextremen nomischen Faktoren verschärfen die Situation und Umweltkatastrophen (19,2 Millionen Men- zusätzlich. In den Herkunftsstaaten von Umwelt- schen).2 Noch größer ist der Unterschied im Jahr migranten geht es vor allem um die knapper 2016: 24,2 Millionen Menschen sind vor Wetter­ werdenden Ressourcen. Schleichende oder plötz- extremen und Umweltkatastrophen geflohen und liche Umweltveränderungen wie der Rückgang 6,9 Millionen aufgrund von Gewalt und Konflik- von Trinkwasserquellen, die Verschlechterung ten. Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich der Böden, die Zunahme von Wüstenbildung nur um Binnenmigranten als Teilgruppe der welt- oder der Verlust von Territorium lassen den Kon- weit gezählten rund 65 Millionen Flüchtlinge in kurrenzdruck unter den Menschen steigen. Es 2015 und 2016. wird wahrscheinlicher, dass Verteilungskonflikte oder gewaltsame Auseinandersetzungen um die Starke Ungleichheiten zwischen Regionen vorhandenen Ressourcen ausbrechen. Menschen sind ein Grund dafür, dass Menschen wandern entscheiden sich, ihre Heimat zu verlassen, oder und sich einen neuen Lebensort suchen. In

Weitere Themen 75 Nord­afrika sind das beispielsweise Nomaden- Praxis hat gravierende Folgen für die Versorgung stämme, die die Wüsten verlassen und sich in der betroffenen Personen. Infolge einer plötzlich bewohntem Gebiet oder in Stadtnähe nieder- eintretenden Naturkatastrophe erhalten sie zwar lassen.3 In Marokko ist bereits heute eine Land- meist internationale Soforthilfen, ihre langfris- Stadt-­Wanderung aufgrund von schleichenden tige Versorgung, gerade vor dem Hintergrund Umweltveränderungen zu beobachten. Diese schleichender Umweltveränderungen, ist jedoch Landflucht kann sich durch den Klimawandel nicht gesichert. und seine Folgen weltweit verschärfen. Sie würde die Städte in den betroffenen Regionen vor Zudem sind Umweltmigranten rechtlich bisher große Herausforderungen stellen. Zusätzliche nicht anerkannt. Es gibt keine Form irgendeiner Menschen bedeuten zusätzlichen Druck auf die verbindlichen Erfassung. Migration oder Flucht städtische Infrastruktur (Wohnraum, Gesund- aufgrund von Umwelt- oder Klimaveränderun- heitsversorgung, Arbeits- und Schulplätze usw.) gen sind weder im Völkerrecht noch in nationa- der Heimatländer. Diese sind oftmals schon stark len Gesetzgebungen zu finden. Auch die Genfer belastet und zusätzlichen Herausforderungen Flüchtlingskonvention, die die rechtliche Stel- kaum gewachsen. lung von Flüchtlingen seit 1951 völkerrechtlich verbindlich regelt, bietet keine Unterstützung. Bei geplanten Wanderungen sind oftmals die Den Schutz von Binnenwandernden schließt sie sogenannten Push- und Pull-Faktoren entschei- sogar komplett aus. Umweltmigration wird heute dend für die Migration. Welche Faktoren spre- oftmals zur Wirtschaftsflucht oder -migration chen für die Zielregion und welche gegen ein gezählt. Das erscheint kurzsichtig. Zum einen Bleiben in der Herkunftsregion? Spontan einset- entspricht es nicht den Tatsachen und zum zende Umweltveränderungen lassen ein Abwä- anderen bietet es ebenso wenig eine Aussicht auf gen nicht zu. Wirbelstürme, Starkregenereignisse einen geklärten Rechtsstatus.7 oder Überflutungen lassen keine Zeit, um eine Wanderung genau abzuwägen. Menschen, die Es wird davon ausgegangen, dass Umweltmigra- unter solchen Umständen ihre Heimat verlas- tion in den kommenden Jahrzehnten zunimmt. sen, wollen ihr Leben retten. Sie suchen Schutz. Eine Lösung zu finden ist also dringend erfor- Laut der International Organization for Migration derlich. Das bedeutet: Ein völkerrechtlich ver- (­IOM) findet Umweltmigration derzeit meist in bindlicher Umgang mit dieser neuen Generation Form von Binnenmigration statt.4 Ein Trend, der Schutzsuchender muss geschaffen werden. Es sich wohl verstärken wird. Grenzüberschreitende muss für einen Rechtsstatus gesorgt werden, der Migration ist aufgrund der persönlichen Situation ihrer Situation gerecht wird. Andernfalls ergibt oft keine Option für die betroffenen Menschen.5 sich das Potenzial für ein erhebliches Sicherheits­ risiko im Sinne eines erweiterten Sicherheits- begriffs – vor allem unter Berücksichtigung der Anders als Kriegsflüchtlinge menschlichen Dimension (human security) für die sind Umweltmigranten nach Sicherheit des Individuums sowie für die öffentli- wie vor nicht rechtlich che Ordnung und den gesellschaftlichen Frieden.

anerkannt. Die ersten wichtigen und richtigen Schritte auf diesem Weg sind erfolgt: Der Aufbau der soge- nannten Nansen-Initiative durch die Staaten Nor- Für die weltweite Zählung von Flüchtlingen und wegen und Schweiz im Jahr 2012. Diese Initiative Migranten ist der United Nations High Commis- erarbeitet sachgerechte Lösungen und wird u. a. sioner for Refugees (­UNHCR) zuständig. Dieser von Deutschland und der EU finanziell unter- zählt jedoch nur Menschen, die eine Staatsgrenze stützt. Ihre Arbeit führt sie in Form der Platform überschritten haben. Denn nur diese haben on Disaster Displacement8 weiter und vertieft Anspruch auf einen gewissen Rechtsschutz.6 Die sie.9 Positiv begrüßt wird auch die Einbindung

76 Auslandsinformationen 3|2019 Abb. 1: Gesamtzahl der jährlichen neuen Vertreibungen (Angaben in Millionen)

Konflikte und Gewalt Katastrophen 42,4 40

36,5

32,4 30

24,2 20 22,1 19,1 19,2 16,7 15,0

10 11,0 8,2 8,6 6,5 6,6 6,9 4,6 2,9 3,5

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

Quelle: Eigene Darstellung nach IDMC / NRC 2017, N. 2.

von Umweltfaktoren und Klimawandel als Ursa- Anfang der 2000er Jahre gab er an, dass bis 2050 chen für Migration in die New York Declaration for weltweit etwa 200 Millionen Migranten aufgrund Refugees and Migrants vom 19. September 2016 von Umweltveränderungen zu erwarten seien, im Rahmen des VN-Gipfels für Flüchtlinge und würde die globale Erwärmung anhalten.13 Ende Migranten. 2017 äußerte sich der Präsident des Bundesnach- richtendienstes, Bruno Kahl, zur weltweit erwar- Wie viele es werden, weiß man nicht teten Dimension zukünftiger Umweltmigration: Diese „werde ‚dramatisch‘ auf eine dreistellige Obwohl man die Herausforderung kennt, ist es Millionengröße anwachsen“.14 aktuell nicht möglich, eine verlässliche Aussage über die Größenordnung von Umweltmigration Mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage ist zu machen.10 „Ein Großteil der diskutierten Zah- damit zu rechnen, dass Migration zukünftig eher len stellt so genannte ‚guesstimates‘ im Sinne zu- als abnehmen wird. Die Auswirkungen des grober Schätzungen oder Spekulationen dar.“11 Klimawandels werden erst in den kommenden Das liegt vor allem daran, dass sich weder auf Jahren und Jahrzehnten deutlich zu spüren sein, eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition des wenn der globalen Erwärmung nicht entschieden Phänomens geeinigt werden kann noch auf eine entgegengetreten wird. Methode zur Erfassung von Zahlen und Daten. Auch die vielfältigen Ursachen für Umwelt- Sicherheitsrisiko Umweltmigration migration sorgen dafür, dass die Wissenschaft ihre Aussagen nicht auf gesicherte Erkenntnisse Besonders gefährdet durch den Klimawandel und zurückführen kann.12 Die durch Professor Nor- seine Auswirkungen sind die Regionen Nord­ man Myers von der University of Oxford vorgeleg- afrika, die Sahelzone, die Karibik und der Golf ten Ergebnisse scheinen am wahrscheinlichsten. von Mexiko sowie Süd- und Ostasien. Migration

Weitere Themen 77 innerhalb dieser Regionen und aus diesen Regio- sich der Bezug zu einer sicherheitspolitischen nen kann spürbare Auswirkungen auch auf Nach- Betrachtung von Umweltmigration. Vor allem barländer oder Kontinente haben. Wanderungsbewegungen, bei denen es zu einer „massenhafte[n] und plötzliche[n] grenzüber- Durch Migrationsbewegungen im Herkunfts- schreitende[n] Zuwanderung“16 kommt, führen land oder ungeregeltes Eintreffen von Umwelt- zu Reaktionen der betroffenen Aufnahmeländer. migranten in einem Transit- oder Zielland steigt Der Druck auf die örtliche Infrastruktur und die das Konfliktpotenzial. Ausschlaggebend für die Versorgungssysteme wächst enorm. Eine kurz- weitere Entwicklung sind dabei die Antworten fristige Aufnahme von Migranten wird in der auf folgende Fragen: Regel von weiten Teilen der Bevölkerung des Ziellandes akzeptiert und im Sinne der Nothilfe 1. Besitzen die Länder genügend Kapazitäten, als humanitäre Pflicht verstanden. Im Falle einer um die Grundbedürfnisse der Migranten langfristigen bis dauerhaften Aufnahme würde nach Nahrung, medizinischer Versorgung, dagegen wohl das Konkurrenzdenken zwischen Unterbringung, Arbeit usw. an ihrem neuen Migranten und einheimischer Bevölkerung in den Aufenthaltsort angemessen zu decken? Vordergrund rücken. Es ginge dabei vor allem um die vorhandenen Ressourcen im Zielland – Was- 2. Kann der Zuzug der Migranten ethnische oder ser, Nahrung, Energielieferanten, Wohnraum, religiöse Spannungen in den Transit- oder Arbeit usw. Diese können nicht unendlich auf- Zielländern zur Folge haben? gebläht werden. Es müsste also eine Verteilung der vorhandenen Ressourcen erfolgen. Schwer 3. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich im jewei- vorstellbar, dass mögliche Auswirkungen auf den ligen Transit- oder Aufnahmestaat Parallel- eigenen Lebensstandard von der einheimischen gesellschaften entwickeln? Bevölkerung akzeptiert würden. Somit ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Konflikt zwi- 4. Was kann und will das Zielland im Hinblick schen den gesellschaftlichen Gruppen und einer auf die Gewährung von Aufenthalts- und Abgrenzung voneinander kommen könnte. Grundrechten für die Migranten leisten? Eine unkontrollierte, massenhafte Zuwanderung 5. Können die staatlichen Institutionen in Her- kann zudem die Gefährdung der äußeren Sicher- kunfts-, Transit- und Aufnahmeländern diese heit für die betroffenen Herkunfts-, Transit- und neue Herausforderung in einer angemesse- Aufnahmestaaten bedeuten. Wenn ein Staat den nen Zeit und mit den angemessenen Mitteln Zuzug von Migranten weder kontrollieren noch bewältigen bzw. stehen diese zur Verfügung? regulieren kann und die Kontrolle über seine Außengrenzen verliert, büßt er seine territoriale 6. Ist das politische System im Transit- oder Souveränität ein. Das hat erhebliche Auswirkun- Zielland gefestigt genug, um den Zuzug vieler gen auf die eigene Stabilität sowie auf diejenige Migranten (womöglich auch innerhalb einer der Nachbarregion bzw. des Staatenverbundes, kurzen Zeit) verkraften zu können?15 zu dem er gehört.17 Es kann außerdem zu wei- teren Spannungen kommen, wenn sich Gruppen Die politischen Rahmenbedingungen sind es, im Land abgrenzen. Das können Migranten sein, die grundlegend verantwortlich dafür sind, ob die sich verstärkt an ihrem Netzwerk und ihrer Wanderungsbewegungen am Ende zu einer De- Religion orientieren, extremistisch-­militante stabilisierung oder auch zu einer Stabilisierung Gruppen, die versuchen, Zuwanderer für ihre der Herkunfts- und Aufnahmeländer beitragen Ziele zu mobilisieren oder auch Flüchtlinge und können. Wenn in Zukunft tatsächlich ganze Asylbewerber, die gezielt eingeschleust werden, Regionen nicht mehr bewohnbar sind und deren um gewaltsame Aktionen in den Transit- oder Bewohner in neue Gebiete wandern, ist das eine Zielländern durchzuführen.18 Weiterhin kön- Dimension, die ihresgleichen sucht. Hier ergibt nen das rechte und fremdenfeindliche Milieu

78 Auslandsinformationen 3|2019 in der einheimischen Bevölkerung zunehmend einem erheblichen Maße mit sich bringt. Diese Unterstützer gewinnen. Alle Bewegungen kön- können weltweite Auswirkungen – direkter oder nen dazu führen, dass die vorhandenen demo- indirekter Art – haben. Eine solche Fluchtbewe- kratischen Strukturen im Zielland ausgehöhlt gung führt zunächst zu einer Destabilisierung in werden. Reicht die Unterwanderung des beste- den Ursprungsländern. Im Falle grenzüberschrei- henden politischen Systems sogar so weit, dass tender Migration kann sie sich auf Nachbarländer ein Land nicht mehr handlungsfähig ist, wäre das bzw. ganze Regionen übertragen. Insbesondere ein erhebliches Sicherheitsrisiko für das Aufnah- für fragile Staaten birgt die Konfrontation mit meland wie auch für das internationale System. den Auswirkungen des Klimawandels und somit umweltinduzierter Migration die Gefahr einer weiteren Destabilisierung. Fragile Staaten sind den Auswirkungen des Die Ereignisse der Jahre 2015/2016 mit einer Klimawandels besonders zum Teil unkontrollierten Zuwanderung nach Europa und Deutschland haben die Aufmerksam- ausgeliefert. keit der Öffentlichkeit sowie der Politik bezüg- lich der Folgen von Massenmigration geweckt. Damit ein Szenario ähnlicher Art in Zukunft Berücksichtigt werden müssen außerdem wei- nicht wieder eintritt, sollten die internationale tere landestypische und konfliktverstärkende Gemeinschaft sowie, konkret angesprochen, Faktoren sowohl in den Herkunfts- als auch in Deutschland und die EU ihre Unterstützung in den Aufnahmestaaten. Dazu zählen die Wirt- den betroffenen Regionen vor Ort ausweiten. So schaftsleistung, das Rohstoffvorkommen und die kann eine Destabilisierung dieser Regionen ver- Bevölkerungsgröße bzw. das erwartete Bevölke- mieden und einer erneuten Massenwanderung rungswachstum sowie die naturräumliche Aus- nach Europa entgegengewirkt werden. Bezogen stattung. Herrschen zudem in der unmittelbaren auf den Nexus Klimawandel – Migration – Sicher- Nachbarschaft von den von Umweltveränderun- heit bedeutet dies vor allem einen verstärkten gen betroffenen Staaten bereits Konflikte, sind Fokus auf Prävention. die Ansteckungsgefahr und der Destabilisie- rungseffekt hoch. Es zeigt sich, dass Umwelt- Nachbarregionen der Bundesrepublik Deutsch- migration eine regelrechte Kettenreaktion nach land und der Europäischen Union wie Nordafrika sich ziehen kann. Sie reiht sich ein in das dichte und Subsahara-Afrika sowie der Nahe Osten sind Netz „sozio-ökonomischer Fehlentwicklungen hinsichtlich der Folgen des Klimawandels beson- wie Überbevölkerung, Armut, […] Hungersnöte, ders gefährdet. Für die Bundesrepublik und die politische Instabilität und ethno-politische Span- EU wäre es denkbar, den eingeschlagenen Weg nungen“19, deren negativen Einfluss Umweltver- bei der Bekämpfung akuter Auswirkungen von änderungen oft noch verstärken. Bemühungen Flucht und Migration sowie deren Ursachen, im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik müssen z. B. im Rahmen der drei ­BMZ-Sonderinitiativen, also auch im Sinne einer präventiven Sicherheits- weiterzuverfolgen. Ziel muss es sein, durch eine politik verstanden und vorangetrieben werden. Fokussierung auf Wirtschaft, Handel, Bildung Ein Scheitern oder Nichteinhalten der Klima- und Beschäftigung vor Ort Perspektiven zu schaf- schutzvereinbarungen hätte große Auswirkungen fen. Dazu gehört die Förderung von Investitio- auf die internationale Sicherheit und Stabilität. nen der Privatwirtschaft in den eigenen Ländern ebenso wie das Schaffen von Anreizen für auslän- Handlungsempfehlungen und Ausblick dische Investitionen in der Region. Die Konzen- tration auf eine bloße Einkommenssteigerung Fest steht, dass Umweltmigration zunehmen wäre an dieser Stelle zu kurz gedacht. Diese wird. Deutlich wird, dass Umweltmigration würde Migrationsbewegungen wahrscheinlich sicherheitspolitische Herausforderungen in noch verstärken. Bisher ist insbesondere eine

Weitere Themen 79 Unsichere Zukunft: Ob Wanderungsbewegungen zur Destabilisierung oder Stabilisierung der Herkunfts- und Aufnahmeländer beitragen, hängt letztlich von den politischen Rahmenbedingungen ab. Quelle: © Guglielmo Mangiapane, Reuters.

grenzüberschreitende Migration für viele Betrof- Arbeitskräften vor Ort sinnvoll nutzen zu können. fene keine Option, da sie nicht über die finanziel- Darüber hinaus sind Bildungsinitiativen für die len Mittel für diesen Schritt verfügen. Der Fokus gesamte Bevölkerung in den betroffenen Regio- muss also gleichzeitig darauf gerichtet sein, die nen dringend erforderlich. So können zunächst Lebensbedingungen in den betroffenen Regio- ein Bewusstsein sowie ein Verständnis für ihre nen insgesamt zu verbessern (z. B. Gesundheits- Situation geschaffen werden. Die in der Region versorgung, Schulbildung, Wohnraum) und so stark verbreitete Landwirtschaft muss durch Abwanderung vorzubeugen. Ausbildungsiniti- Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel ativen sind entscheidend, um das Potenzial an unterstützt werden, z. B. durch Aufklärung über

80 Auslandsinformationen 3|2019 Know-how im Bereich Erneuerbarer Energien, Wasserversorgung,­ Küstenschutz usw. gilt es, die betroffenen Regionen zu unterstützen, wie es die Ergebnisse der VN-Klimakonferenzen vorsehen. Realistisch durchführbare Umsetzungspläne, die zeitnah und umfassend umgesetzt werden, sind das, was von sowohl deutscher als auch europäi- scher Politik benötigt wird. Auf diese Weise wird auch die Resilienz der betroffenen Bevölkerung, der Staaten sowie deren politischen Institutionen präventiv gestärkt. Ein politikfeldübergreifendes Handeln ist entscheidend, um destabilisierenden Effekten in Aufnahmeländern durch den Zuzug von Umweltmigranten gezielt entgegenzuwirken. Dazu müssen die Instrumente der Entwicklungs- zusammenarbeit, der Wirtschafts-, Klima- und Sicherheitspolitik verknüpft werden.

Nicht vernachlässigt werden darf bei allen Bemü- hungen um Wirtschaft und Klimaschutz der Ein- satz für die Einhaltung international geltenden Rechts, wie z. B. der Schutz der Menschenrechte durch die Staaten der Region. Ebenso gilt es, Öffnungstendenzen politischer Systeme in der Region zu fördern, die eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Region spielen und so wiederum für die Eindämmung möglicher sicherheitspolitischer Herausforderungen sor- gen. Einigen diktatorischen Regimen fehlt der Wille, Migrationsbewegungen aus ihren Län- dern tatsächlich begrenzen zu wollen und somit Sicherheitsrisiken wirksam entgegenzutreten. Abwanderung erscheint oftmals als ein geeig- netes Mittel, innenpolitische Probleme wie z. B. eine hohe Jugendarbeitslosigkeit abzuschwächen und gleichzeitig von den Rücküberweisungen der Migranten in ihre Heimatländer zu profitieren. Weltweite private Geldtransfers von Migranten und Flüchtlingen in ihre Heimatländer überstei- gen mittlerweile die weltweite staatliche Ent- neue Anbaumethoden oder die Bereitstellung wicklungshilfe um ein Vielfaches.20 resilienten Saatguts. So gelingt es, Kleinbauern auch langfristige Einkommensperspektiven zu Neben den beschriebenen Ansätzen ist es wichtig, bieten. auch die Forschung in Sachen Umweltmigration auszubauen. Nur so können mehr Erkenntnisse Umweltschutzmaßnahmen sowie die Anpas- über die Auswirkungen und die Herausforderun- sung an den Klimawandel müssen jedoch weit gen von Umweltmigration gesammelt und kann über den landwirtschaftlichen Sektor hinaus- mehr Klarheit über die Dimensionen gewon- reichen. Durch finanzielle Mittel, Technik und nen werden. Nur wenn klar ist, worauf es sich

Weitere Themen 81 vorzubereiten gilt, können zielführende Strategien möglich macht, das aus Wanderung entstehende sowohl für die Herkunfts- als auch für die Transit- Potenzial für das eigene Land gewinnbringend zu und Aufnahmestaaten entwickelt werden. Bereits nutzen. Es ist bekannt, welch verheerende Folgen, existierende Plattformen und Datensammlungen vor allem wirtschaftlicher Art, eine immigrations- zu Klimaereignissen müssen viel stärker in die prä- feindliche Politik in Zeiten der Globalisierung ventive Arbeit einbezogen werden. So lassen sich nach sich zieht.21 Entscheidend für jegliches z. B. über das Frühwarnsystem Fews Net unter ande- Handeln ist neben der Art und Weise aber auch rem mögliche Dürreperioden vorherbestimmen. die Frage der Legitimation. Es ist nicht zu überse- Die Folgen für die örtliche Bevölkerung durch eine hen, dass sich in den Bereichen Klima, Migration einsetzende Dürre könnten abgemildert werden. und Sicherheit Werte und Interessen innerhalb Ein solches Handeln, ebenso wie Prävention im der Gesellschaft oftmals fundamental gegenüber- Allgemeinen, würde die internationale Gemein- stehen. Für einen Erfolg möglicher Maßnahmen schaft erheblich günstiger zu stehen kommen als trotz gegensätzlicher Positionen ist es umso wich- die Reaktion auf bereits eingetretene Naturkata- tiger, dass die Bevölkerung in den Entscheidungs- strophen. Schreitet der Klimawandel voran wie prozess mit einbezogen wird. Dieser Einbezug der erwartet, muss die internationale Gemeinschaft Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse, Umweltmigration als eine Anpassungsstrategie sei es in Deutschland oder in einem anderen Staat, anerkennen. Die betroffenen Menschen müssen stärkt Legitimation von Entscheidungen und bei diesem Schritt durch adäquate und geordnete damit deren gesellschaftliche Akzeptanz. Ange- Rahmenbedingungen unterstützt werden. Dazu sichts der Herausforderungen des 21. Jahrhun- zählen die Schaffung rechtlicher Strukturen und derts ist dieser Einbezug unabdingbar. die Eröffnung legaler Möglichkeiten zur Migration mit grenzüberschreitendem Charakter. Nur wenn Dieser Beitrag basiert auf der im Februar 2019 das weltweite Migrationsgeschehen strukturiert bei Springer VS erschienenen Dissertationsschrift abläuft, kann Migration auch eine wirkungsvolle „Umweltmigration als sicherheitspolitische Heraus- Anpassungsstrategie an den Klimawandel sowie forderung. Szenarioanalyse am Beispiel einer mögli- andere Umweltveränderungen sein. chen Klimaflucht aus Nordafrika“ der Autorin.

Kurzfristig sollten deutsche und europäische Regierungsführung im Hinblick auf die demo- Dr. Franziska Fabritius ist Wissenschaftliche Mit­ grafische Entwicklung Afrikas, die Folgen des arbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung im Regional­ programm Energiesicherheit und Klimawandel Naher Klimawandels und den steigenden Migrations- Osten und Nordafrika (­KAS – REMENA)­ in Rabat, druck ihre präventive Arbeit sowie einen ver- Marokko. netzten Ansatz ausbauen. Dieser Ansatz sollte entwicklungspolitische, humanitäre, wirtschaft- liche, diplomatische und sicherheitspolitische Aspekte bündeln. Sicherheitsrisiken könnte man so bereits in ihrem Ursprung entgegenwirken. Die fortschreitende Globalisierung, die zunehmende Vernetzung der Welt in vielen Bereichen und das ständig steigende Informationsangebot sorgen – unabhängig von Umweltmigration – für eine ver- stärkte Mobilität der Menschen. Von Seiten der amtierenden Regierungen gilt es, diese Entwick- lung anzuerkennen und ihr in konkreten Geset- zesvorhaben Rechnung zu tragen. Dazu kann z. B., insbesondere für Deutschland, ein modernes und situationsgerechtes Einwanderungsgesetz mit verschiedenen Transferoptionen zählen, das es

82 Auslandsinformationen 3|2019 1 Thelen, Raphael 2019: Folgen des Klimawandels: 14 Vgl. Kornelius, Stefan 2017: BND:­ Russland ist Gestern ein Paradies, heute verdorrt, morgen unbe- „potenzielle Gefahr“, Süddeutsche Zeitung, wohnbar, Spiegel Online, 07.06.2019, in: https://bit.ly/ 14.11.2017, in: https://sz.de/1.3750080 19.06.2019]. 2XF282P [19.06.2019]. 15 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung 2 ­IDMC / Norwegischer Flüchtlingsrat (NRC) 2017: Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2008: ­GRID 2017: Global Report on Internal Displacement, Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel, 05/2017, S. 9, in: https://bit.ly/2rOSQRI­ [19.06.2019]. S. 129 f. 3 Ionesco, Dina / Mokhnacheva, Daria / Gemenne, 16 Vgl. Angenendt, Steffen 2010: Instabilität durch François 2017: Atlas der Umweltmigration, München, krisenbedingte Wanderungsbewegungen, in: Braml, S. 88. Josef / Risse, Thomas / Sandschneider, Eberhard 4 Schraven, Benjamin / Bauer, Steffen 2013: Die (Hrsg.): Einsatz für den Frieden: Sicherheit und neuen Flüchtlinge, Zeit Online, 10.04.2013, in: Entwicklung in Räumen begrenzter Staatlichkeit, https://bit.ly/2Roxzw2 [19.06.2019]. DGAP-Jahrbuch Internationale Politik, Bd. 28, 5 Bailey, Rob / Green, Gemma 2016: Should Europe Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik Be Concerned About Climate Refugees?, Chatham (DGAP), München, S. 56. House, 23.05.2016, in: https://bit.ly/1TRjcJ3 17 Ebd., S. 60. [19.06.2019]. 18 Ebd. 6 Nuscheler, Franz 2004: Internationale Migration: 19 Vgl. Carius, Alexander / Imbusch, Kerstin 1998: Flucht und Asyl, Wiesbaden, S. 51. Umwelt und Sicherheit in der internationalen 7 Ebd., S. 112. Politik – eine Einführung, in: Carius, Alexander / 8 Über die Platform on Disaster Displacement als Lietzmann, Kurt M. (Hrsg.): Umwelt und Sicherheit: Nachfolgemechanismus der Nansen-Initiative soll Herausforderungen für die internationale Politik, die entwickelte Schutzagenda umgesetzt werden. Heidelberg / Berlin, S. 14. Vgl. Eidgenössisches Departement für auswärtige 20 Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018: Höher als Angelegenheiten 2017: Plattform zu Flucht vor Entwicklungshilfe: Migranten überweisen 17,7 Milli- Naturkatastrophen, in: https://bit.ly/2ZyVxaC arden aus Deutschland, 01.07.2018, in: [19.06.2019]. https://faz.net/-gpg-9bu1o [19.06.2019]. 9 Schraven, Benjamin / Bauer, Steffen 2013: 21 Goldin, Ian / Kutarna, Chris 2016: Die zweite Neue Schutzinitiative für „Umweltflüchtlinge“: Renaissance: Warum die Menschheit vor dem Gut, aber noch nicht ausreichend, Die aktuelle Wendepunkt steht, München, S. 349 f. Kolumne, Deutsches Institut für Entwicklungs­ politik, 02.04.2013, S. 2, in: https://bit.ly/2IsnFXw [19.06.2019]. 10 Laut ­NRC und IDMC sind zwischen 2008 und 2016 im Durchschnitt 25,3 Millionen Menschen jährlich infolge von Umwelt- und Klimaveränderungen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Vgl. IDMC /­ ­ NRC 2017, N. 2, S. 31. Oder anders ausgedrückt: „Zwischen 2008 und 2012 waren vier der fünf größten Katastro- phen, die zur Massenflucht führten, hydrologische Ereignisse“. Vgl. Ionesco / Mokhnacheva / Gemenne 2017, N. 3, S. 58. 11 Vgl. Müller, Bettina / Haase, Marianne / Kreienbrink, Axel et al. 2012: Klimamigration. Definitionen, Aus- maß und politische Instrumente in der Diskussion, ­BAMF-Working Paper, Nr. 45, S. 5, in: https://bit.ly/ 2Ztm6hs [19.06.2019]. 12 Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode 2014: Drucksache 18/1509, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE­ ­LINKE, Druck- sache 18/1301, Engagement der Bundesregierung für mehr Rechte von Klimaflüchtlingen, 20.05.2014, S. 7 f., in: https://bit.ly/2XWYhOI­ [19.06.2019]. 13 Myers, Norman 2001: Environmental refugees: a growing phenomenon of the 21st century, The Royal Society (Hrsg.), Philosophical Transactions of the Royal Society B, Nr. 1420, 19.10.2001, S. 609, in: https://bit.ly/2H1FVnk [19.06.2019].

Weitere Themen 83 ISSN 0177-7521 Einzelheftpreis: 10 €. Im Abonnement 35. Jahrgang günstiger. Für Schüler und Studenten wird ein Ausgabe 3|2019 Sonder­rabatt gewährt. Für weitere Informa­ tionen und Bestellungen wenden Sie sich bitte an: [email protected]

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Redakteur : Übersetzung: Samuel Krug Eleonore Topolinski

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