Plenarprotokoll 18/183

Deutscher

Stenografischer Bericht

183. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Ab- Tagesordnungspunkt 5: geordneten Michael Schlecht und – Zweite und dritte Beratung des von der Gabriele Schmidt (Ühlingen)...... 17977 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Begrüßung des neuen Abgeordneten eines … Gesetzes zur Änderung des ­Karl-Heinz Wange ...... 17977 B Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestim- Wahl des Abgeordneten Sören Bartol als mung stellvertretendes Mitglied des Vermittlungs- Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767 ausschusses ...... 17977 B Nr . 3, 18/9097...... 17998 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- – Zweite und dritte Beratung des von nung ...... 17977 B den Abgeordneten , Absetzung der Tagesordnungspunkte 23 und ­Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiteren 35 ...... 17979 A Abgeordneten und der Fraktion DIE LIN- KE eingebrachten Entwurfs eines ... Straf- Begrüßung des Präsidenten der Nationalver- rechtsänderungsgesetzes zur Änderung sammlung der Islamischen Republik Pakistan, des Sexualstrafrechts (… StrÄndG) Herrn Sardar Ayaz Sadiq ...... 17979 B Drucksachen 18/7719, 18/9097...... 17998 D – Zweite und dritte Beratung des von den Tagesordnungspunkt 4: Abgeordneten , , Renate Künast, weiteren Abgeordneten und Abgabe einer Regierungserklärung durch die der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundeskanzlerin: NATO-Gipfel am 8./9. Juli eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes 2016 in Warschau zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Dr ., Bundeskanzlerin...... 17979 C Verbesserung des Schutzes vor sexueller Dr . (DIE LINKE). . . . . 17983 C Misshandlung und Vergewaltigung Drucksachen 18/5384, 18/9097...... 17999 A (SPD)...... 17985 D Dr . Eva Högl (SPD) ...... 17999 A Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 17988 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 18000 C (CDU/CSU) ...... 17991 A Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU)...... 18001 C (SPD)...... 17993 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 17994 C DIE GRÜNEN)...... 18003 A (SPD)...... 17996 A Dr . Carola Reimann (SPD)...... 18004 C (CDU/CSU)...... 17996 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE)...... 18005 B Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 17997 D Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU). . . . . 18006 B II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . , Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ c) Erste Beratung des von der Bundesregie- DIE GRÜNEN)...... 18007 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung abfallverbringungs- Elke Ferner (SPD)...... 18008 C rechtlicher Vorschriften Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/8961...... 18038 B DIE GRÜNEN)...... 18009 C d) Erste Beratung des von den Abgeordne- Alexander Hoffmann (CDU/CSU)...... 18010 B ten Katrin Kunert, Dr ., , weiteren Abgeordneten und der Dr . (SPD)...... 18011 D Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- (CDU/CSU) ...... 18012 D wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes , Senator (Berlin)...... 18014 A Drucksache 18/9034...... 18038 C e) Antrag der Abgeordneten Namentliche (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Abstimmungen...... 18015 B, 18015 C, 18015 C ­Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Nachhaltige Be- Ergebnisse...... 18015 D, 18018 D, 18021 D wahrung, Sicherung und Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes gewährleisten Drucksache 18/8888...... 18038 C Tagesordnungspunkt 6: f) Antrag der Abgeordneten Dr .Thomas Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Gambke, , Britta Dr . , Elisabeth ­Haßelmann, weiterer Abgeordneter und Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit NEN: Steuerschlupflöcher schließen – für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Gewinnverlagerung durch Lizenzzah- Drucksache 18/9007...... 18025 B lungen einschränken Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/9043...... 18038 D DIE GRÜNEN)...... 18025 C g) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Bettina Hornhues (CDU/CSU)...... 18026 C , , weiterer Abgeordneter und der Frakti- Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 18028 A on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neues Dr . (SPD)...... 18028 D Düngerecht endlich beschließen Drucksache 18/9044...... 18038 D (CDU/CSU)...... 18030 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 18032 B Zusatztagesordnungspunkt 2: (SPD)...... 18033 B a) Antrag der Abgeordneten Renate ­Künast, Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ , (Köln), DIE GRÜNEN)...... 18034 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 18035 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beteili- gung des Bundestages im Vorfeld der Dr .V olker Ullrich (CDU/CSU)...... 18035 C Genehmigung der vorläufigen Anwen- Sönke Rix (SPD)...... 18037 A dung des Handelsabkommens mit Ka- nada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) Tagesordnungspunkt 38: Drucksache 18/9038...... 18039 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Antrag der Abgeordneten , rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- ­Susanna Karawanskij, , zes zur Änderung der Artikel 8 und 39 weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Übereinkommens vom 8. November DIE LINKE: Abstimmung über CETA 1968 über den Straßenverkehr erfordert Beteiligung von Bundestag Drucksache 18/8951...... 18038 B und Bundesrat Drucksache 18/9030...... 18039 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Tagesordnungspunkt 39: Verträglichkeit von Betriebsmitteln (Elektromagnetische-Verträglich- a) Zweite und dritte Beratung des von der keit-Gesetz – EMVG) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Drucksache 18/8960...... 18038 B eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 III

12. November 2015 zwischen der Bun- g) Beschlussempfehlung und Bericht des desrepublik Deutschland und Australien Ausschusses für Ernährung und Landwirt- zur Beseitigung der Doppelbesteuerung schaft zu dem Antrag der Fraktionen der auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- CDU/CSU und SPD: Wildtierschutz wei- kommen und vom Vermögen sowie zur ter verbessern – Illegalen Wildtierhan- Verhinderung der Steuerverkürzung del bekämpfen und -umgehung Drucksachen 18/8707, 18/8940...... 18040 D Drucksachen 18/8830, 18/9068...... 18039 C h) Beschlussempfehlung und Bericht des b) – Zweite und dritte Beratung des von den Ausschusses für Wirtschaft und Energie Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Verordnung der Bundesregierung: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Verordnung über Vereinbarungen zu zur Errichtung einer Bundeskanz- abschaltbaren Lasten (Verordnung zu ler-Helmut-Schmidt-Stiftung. . . . . abschaltbaren Lasten – AbLaV) Drucksachen 18/8858, 18/9079. . . . . 18039 D Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr . 2 2,. 18/9081...... 18041 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung i) Beratung der Beschlussempfehlung des Drucksache 18/9082 ...... 18039 D Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 8 – über die dem Deut- c) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und schen Bundestag zugeleiteten Streitsa- SPD: Herstellung des Einvernehmens chen vor dem Bundesverfassungsgericht des Deutschen Bundestages mit der Be- Drucksache 18/9072...... 18041 B stellung des Instituts für Gesetzesfolgen- abschätzung und Evaluation beim Deut- j)–t) schen Forschungsinstitut für Öffentliche Beratung der Beschlussempfehlungen des Verwaltung, Speyer, als wissenschaftli- Petitionsausschusses: Sammelübersich- chen Sachverständigen im Rahmen der ten 333, 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, Evaluierung der Terrorismusbekämp- 341, 342 und 343 zu Petitionen fungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes Drucksachen 18/8891, 18/8892, 18/8893, zur Verlängerung der Befristung von 18/8894, 18/8895, 18/8896, 18/8897, Vorschriften nach den Terrorismusbe- 18/8898, 18/8899, 18/8900, 18/8901 . . . . 18041 B kämpfungsgesetzen Drucksache 18/9031...... 18040 B Zusatztagesordnungspunkt 3: d) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag a) Zweite und dritte Beratung des von der der Abgeordneten , Britta Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ­Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Direktzahlungen-Durchführungsgesetzes NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Neuordnung Drucksachen 18/8514, 18/9067...... 18042 B der Bund-Länder-Finanzbeziehungen b) Antrag der Abgeordneten Friedrich jetzt angehen ­Ostendorff, Nicole Maisch, , Drucksachen 18/8079, 18/8903...... 18040 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion e) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Durch die Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität Gemeinsame Agrarpolitik mehr Tier- und Geschäftsordnung zu dem Antrag der schutz ermöglichen Abgeordneten , Herbert Drucksache 18/9053...... 18042 C Behrens, Dr .Anton Hofreiter, Dr . Sahra c) Beschlussempfehlung und Bericht des Wagenknecht, Dr ., Ausschusses für Bildung, Forschung und Stephan Kühn (Dresden) und weiterer Technikfolgenabschätzung zu dem An- Abgeordneter: Einsetzung eines Unter­ trag der Abgeordneten , Ekin suchungsausschusses Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abge- Drucksachen 18/8273, 18/8932...... 18040 C ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Deutschlandstipendium f) Beschlussempfehlung und Bericht des abschaffen – Stipendienförderung und Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Studienfinanzierung stärken Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten , Nicole Drucksachen 18/4692, 18/9037...... 18042 D Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord- d)–j) neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Beratung der Beschlussempfehlungen des GRÜNEN: Wilderei und illegalen Arten- Petitionsausschusses: Sammelübersich- handel stoppen ten 344, 345, 346, 347, 348, 349 und 350 Drucksachen 18/5046, 18/8942...... 18040 D zu Petitionen IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Drucksachen 18/9060, 18/9061, 18/9062, Hans-Georg von der Marwitz 18/9063, 18/9064, 18/9065, 18/9066 . . . . 18043 A (CDU/CSU)...... 18059 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ Petra Crone (SPD)...... 18060 A DIE GRÜNEN)...... 18043 B (CDU/CSU)...... 18060 D

Tagesordnungspunkt 18: Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ­Gehrcke, Dr .Alexander S . Neu, Jan van eines Gesetzes zur Regulierung des Pros- Aken, weiterer Abgeordneter und der titutionsgewerbes sowie zum Schutz von Fraktion DIE LINKE: Die NATO durch in der Prostitution tätigen Personen ein kollektives System für Frieden und Drucksachen 18/8556, 18/9036 (neu), Sicherheit in Europa unter Einschluss 18/9080...... 18044 B Russlands ersetzen b) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 18/8656...... 18062 B Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen b) Beschlussempfehlung und Bericht des und Jugend Verteidigungsausschusses zu dem Antrag – zu dem Antrag der Abgeordneten der Abgeordneten Dr .Alexande r S . Neu, ­Cornelia Möhring, , Sigrid ­Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- Hupach, weiterer Abgeordneter und der rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Fraktion DIE LINKE: Selbstbestim- LINKE: Keine Verlegung von Bundes- mungsrechte von Sexarbeiterinnen wehr-Einheiten nach Litauen und Sexarbeitern stärken Drucksachen 18/8608, 18/8733...... 18062 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und in Verbindung mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen Zusatztagesordnungspunkt 4: Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu), 18/9080...... 18044 C Antrag der Abgeordneten , Dr .Alexander S . Neu, Wolfgang Gehrcke, Manuela Schwesig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Bundesministerin BMFSFJ...... 18044 C LINKE: Rückholung der Bundeswehrein- heiten aus der Türkei Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 18046 A Drucksache 18/9028...... 18062 C Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU). . . . 18047 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 18062 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ Henning Otte (CDU/CSU)...... 18063 D DIE GRÜNEN)...... 18048 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 18049 D DIE GRÜNEN)...... 18065 B Ulrike Bahr (SPD)...... 18051 A Niels Annen (SPD)...... 18066 C (CDU/CSU)...... 18052 C Ingo Gädechens (CDU/CSU)...... 18068 A Dr . Fritz Felgentreu (SPD)...... 18069 A Tagesordnungspunkt 8: Wilfried Lorenz (CDU/CSU)...... 18070 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Vierten Gesetzes zur Änderung des Tagesordnungspunkt 20: GAK-Gesetzes a) Zweite und dritte Beratung des von der Drucksachen 18/8578, 18/8958, 18/9074. . . . 18054 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Christian Schmidt, eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt- Bundesminister BMEL...... 18054 B linie 2011/36/EU des Europäischen Par- laments und des Rates vom 5. April 2011 (DIE LINKE) ...... 18055 C zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz sei- (SPD)...... 18056 D ner Opfer sowie zur Ersetzung des Rah- (BÜNDNIS 90/ menbeschlusses 2002/629/JI des Rates DIE GRÜNEN)...... 18058 A Drucksachen 18/4613, 18/9095...... 18072 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 V

b) Zweite und dritte Beratung des von den ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordu- Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit la Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren unterstützen, Integration befördern Abgeordneten und der Fraktion BÜND- und Lohndumping bekämpfen NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- – zu dem Antrag der Abgeordneten wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung ­Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, der Situation von Opfern von Men- Beate Müller-Gemmeke, weiterer Ab- schenhandel in Deutschland geordneter und der Fraktion BÜND- Drucksachen 18/3256, 18/9077...... 18072 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsmarkt- politik für Flüchtlinge – Praxisnahe Dr . (SPD)...... 18072 B Förderung von Anfang an Ulla Jelpke (DIE LINKE)...... 18073 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin Dr . (CDU/CSU)...... 18074 B Andreae, weiterer Abgeordneter und Katja Keul (BÜNDNIS 90/ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN)...... 18076 A NEN: Integration ist gelebte Demo- kratie und stärkt den sozialen Zu- Dr . Johannes Fechner (SPD)...... 18077 A sammenhalt Kathrin Rösel (CDU/CSU)...... 18078 B Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651, 18/9090...... 18087 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 11: Ausschusses für Bildung, Forschung und Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Kai Technikfolgenabschätzung Gehring, Dr ., weiterer – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, DIE GRÜNEN: Jetzt Zugang zu Wissen er- Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter leichtern – Urheberrecht bildungs- und wis- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE senschaftsfreundlich gestalten GRÜNEN: Zugang zu Bildung und Drucksache 18/8245...... 18080 A Ausbildung für junge Flüchtlinge si- cherstellen Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai DIE GRÜNEN)...... 18080 A Gehring, Luise Amtsberg, Özcan ­Mutlu, Dr . Stefan Heck (CDU/CSU)...... 18081 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vielfalt Dr . (DIE LINKE)...... 18082 D stärkt Wissenschaft – Studienchan- Christian Flisek (SPD) ...... 18083 D cen für Flüchtlinge schaffen Drucksachen 18/6198, 18/6345, (CDU/CSU)...... 18085 B 18/9101 ...... 18088 A (SPD)...... 18086 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Tagesordnungspunkt 12: – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole a) – Zweite und dritte Beratung des von den Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Fraktionen der CDU/CSU und SPD Hein, weiterer Abgeordneter und der eingebrachten Entwurfs eines Integra- Fraktion DIE LINKE: Gleicher Zugang tionsgesetzes zur Bildung auch für Geflüchtete Drucksache 18/8615 ...... 18087 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan­ Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter- – Zweite und dritte Beratung des von der Rosenheimer, weiterer Abgeordneter Bundesregierung eingebrachten Ent- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE wurfs eines Integrationsgesetzes GRÜNEN: Mehr Bildungsgerechtig- Drucksachen 18/8829, 18/8883, keit für die Einwanderungsgesell- 18/9090 ...... 18087 C schaft – Damit Herkunft nicht über – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Zukunft bestimmt mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/6192, 18/7049, Drucksache 18/9091 ...... 18087 C 18/9022 ...... 18088 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK ...... 18088 B Ausschusses für Arbeit und Soziales Sabine Zimmermann (Zwickau) – zu dem Antrag der Abgeordneten (DIE LINKE) ...... 18089 B Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla ­Jelpke, Jutta Krellmann, weiterer Abge- Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU). . . . . 18090 A VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 15: DIE GRÜNEN)...... 18091 C Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin (SPD)...... 18092 C Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 18093 B DIE GRÜNEN: Für eine transparente und (CDU/CSU) ...... 18093 D geschlechtergerechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good (SPD)...... 18095 A Governance (CDU/CSU) ...... 18096 A Drucksache 18/9042...... 18110 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 13: DIE GRÜNEN)...... 18110 B a) Antrag der Abgeordneten Dr .Rosemarie (CDU/CSU)...... 18111 A Hein, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 18112 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – (SPD)...... 18113 B Ausbau inklusiver Schulen fördern Alois Rainer (CDU/CSU)...... 18114 C Drucksache 18/8420...... 18098 A b) Antrag der Abgeordneten Dr . , Sigrid Hupach, Matthias W . Tagesordnungspunkt 22: ­Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung desregierung eingebrachten Entwurfs eines für alle – Ausbau inklusiver Bildung in Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im der Kindertagesbetreuung umsetzen Eisenbahnbereich Drucksache 18/8889...... 18098 A Drucksachen 18/8334, 18/9099 ...... 18118 B Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE)...... 18098 B , Parl . Staatssekretär (CDU/CSU)...... 18099 B BMVI ...... 18118 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 18100 C (DIE LINKE)...... 18119 C (SPD) ...... 18101 D Kirsten Lühmann (SPD)...... 18120 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 18102 D Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18121 C (SPD)...... 18104 A

Tagesordnungspunkt 14: Tagesordnungspunkt 17: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- a) Beschlussempfehlung und Bericht des wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ausschusses für Verkehr und digitale In- Bundesregierung: Fortsetzung und Er- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- weiterung der Beteiligung bewaffneter neten , Herbert Behrens, deutscher Streitkräfte an ­EUNAVFOR Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der MED Operation SOPHIA Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stutt- Drucksachen 18/8878, 18/9035...... 18104 D gart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor ei- nem finanziellen Desaster bewahren – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Drucksachen 18/7566, 18/9085...... 18122 D § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9073...... 18104 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- (SPD)...... 18105 A frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- Sevim Dağdelen (DIE LINKE)...... 18106 A neten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der (CDU/CSU)...... 18107 A Fraktion DIE LINKE: Änderung der Ei- Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ senbahnbau- und Betriebsordnung zur DIE GRÜNEN)...... 18108 A Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahn- verkehr Dr . (CDU/CSU)...... 18108 D Drucksachen 18/5406, 18/9098...... 18122 D c) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Namentliche Abstimmung ...... 18110 A Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ergebnis ...... 18115 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 VII

wicklung beim Bahnhofsprojekt Stutt- Zusatztagesordnungspunkt 5: gart 21 kritisch prüfen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksache 18/9039...... 18123 A desregierung eingebrachten Entwurfs eines Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 18123 A Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- meldegesetzes und weiterer Vorschriften Annette Sawade (SPD)...... 18124 A Drucksachen 18/8620, 18/9087 ...... 18127 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18125 A Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Tagesordnungspunkt 7: rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Erste Beratung des von der Bundesregierung setzes zur Änderung betäubungsmittel- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der rechtlicher und anderer Vorschriften Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Januar Drucksache 18/8965...... 18127 B 2016 zwischen den zuständigen Behörden b) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, über den Austausch länderbezogener Be- , , weiterer Ab- richte geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Drucksache 18/8841...... 18125 D Zugang zu Cannabis als Medizin umfas- send gewährleisten Drucksache 18/6361...... 18127 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- Tagesordnungspunkt 25: ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD Nachtzüge retten – Klimaverträglichen und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ent- Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermög- schädigung für die Radargeschädigten lichen der und der ehemaligen Drucksache 18/7904...... 18126 A NVA noch weiter verbessern Drucksache 18/9032...... 18127 C Tagesordnungspunkt 10: b) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Erste Beratung des von der Bundesregierung Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur KE: Radarstrahlengeschädigte der Bun- Änderung des Strafgesetzbuches – Straf- deswehr und der ehemaligen NVA besser barkeit von Sportwettbetrug und der Mani- entschädigen pulation von berufssportlichen Wettbewer- Drucksache 18/9027...... 18127 C ben Drucksache 18/8831...... 18126 B Tagesordnungspunkt 26: Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Un- Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla terstützung für den Friedensprozess in Jelpke, Azize Tank, Matthias W . Birkwald, Kolumbien Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE Drucksache 18/9033...... 18127 D eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbar- b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, machung von Renten aus Beschäftigungen Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer in einem Ghetto Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Drucksache 18/9029...... 18126 C KE: Für den Frieden in Kolumbien – Pa- ramilitarismus konsequent bekämpfen Drucksache 18/9026...... 18128 A Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Tagesordnungspunkt 27: desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Erleichterung des Aus- – Zweite und dritte Beratung des von der baus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ­(DigiNetzG) eines Sechsten Gesetzes zur Änderung Drucksachen 18/8332, 18/9023 ...... 18126 C des Vierten Buches Sozialgesetzbuch VIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

und anderer Gesetze (6. SGB IV-Ände- Tagesordnungspunkt 32: rungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) Drucksachen 18/8487, 18/9088...... 18128 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Gesetzes zur Änderung des Sachverständi- § 96 der Geschäftsordnung genrechts und zur weiteren Änderung des Drucksache 18/9089...... 18128 B Gesetzes über das Verfahren in Familiensa- chen und in den Angelegenheiten der frei- willigen Gerichtsbarkeit Tagesordnungspunkt 28: Drucksachen 18/6985, 18/9092 ...... 18130 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Nächste Sitzung ...... 18130 D Gesetzes zur Errichtung eines Transplanta- tionsregisters Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr . 1 .2, 18/9083 ...... 18128 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 18131 A Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Anlage 2 desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stra- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten ßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Drucksachen 18/8559, 18/9084 ...... 18128 D Entschließungsantrag der Fraktion Die Lin- ke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gip- Tagesordnungspunkt 30: fel am 8 /9. .Juli 2016 in Warschau (Drucksa- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- che 18/9086) desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Tagesordnungspunkt 4)...... 18131 B Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen Anlage 3 und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- Drucksachen 18/8517, 18/9078 ...... 18129 B ten Dr .Petra Sitte, Matthias W . Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Niema ­Movassat und Harald Petzold (Havelland) Tagesordnungspunkt 31: (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- Reaktorsicherheit zes der sexuellen Selbstbestimmung – zu der Unterrichtung durch die Bundes- (Tagesordnungspunkt 5)...... 18131 D regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürli- chen Ressourcen (Deutsches Ressource- neffizienzprogramm II) Anlage 4 – zu der Unterrichtung durch die Bundes- Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung regierung: Programm zur nachhaltigen über den von der Bundesregierung eingebrach- Nutzung und zum Schutz der natürli- ten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des chen Ressourcen (Deutsches Ressourcen­ Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- effizienzprogramm) zes der sexuellen Selbstbestimmung – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter (Tagesordnungspunkt 5)...... Meiwald, Dr .V alerie Wilms, , 18132 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressour- DIE GRÜNEN)...... 18132 C cenverschwendung stoppen – Nationa- les Ressourceneffizienzprogramm zu- (SPD)...... 18133 A kunftsfähig ausgestalten Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr . 1 2,. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ 17/8965, 18/770 Nr . 27, 18/7047, 18/9094. . . . 18129 C DIE GRÜNEN)...... 18133 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 IX

Anlage 5 rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbei- tern stärken Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Abstimmung über Artikel 1 Nummer 9 des Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Brantner, weiterer Abgeordneter und der Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schut- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zes der sexuellen Selbstbestimmung – in der Gesetz zur Regulierung von Prostitutions- Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Pa- stätten vorlegen ragrafen 184i Strafgesetzbuch (Tagesordnungspunkt 18 a und b)...... 18139 B (Tagesordnungspunkt 5)...... 18134 C

Anlage 10 Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan (SPD) zu der Abstimmung Korte, , und über den von der Bundesregierung eingebrach- Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Ab- ten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des stimmung über die Beschlussempfehlung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich Petitionsausschusses: Sammelübersicht 343 zu (Tagesordnungspunkt 22)...... 18140 A Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t)...... 18134 D Anlage 11

Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Jan wurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbe- Korte, Kerstin Kassner, Kersten Steinke und werbs im Eisenbahnbereich Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Ab- (Tagesordnungspunkt 22)...... 18140 C stimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 350 zu Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 18140 C Petitionen (Strafprozessordnung) (Zusatztagesordnungspunkt 3 j)...... 18135 D Anlage 12

Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung des Ausschusses für Verkehr und digita- über den von der Bundesregierung eingebrach- le Infrastruktur zu dem Antrag der Abge- ten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung ordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der von in der Prostitution tätigen Personen Fraktion DIE LINKE: Ausstieg aus Stutt- (Tagesordnungspunkt 18 a)...... 18137 A gart 21 – Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren (CDU/CSU)...... 18137 A – der Beschlussempfehlung und des Berichts Mechthild Rawert (SPD)...... 18137 D des Ausschusses für Verkehr und digita- le Infrastruktur zu dem Antrag der Abge- ordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Anlage 9 Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Änderung der Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Eisenbahnbau- und Betriebsordnung zur Wolfgang Gehrcke und Heike Hänsel (beide Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnver- DIE LINKE) zu den Abstimmungen kehr – über den von der Bundesregierung einge- – des Antrags der Abgeordneten Matthias brachten Entwurf eines Gesetzes zur Re- Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn gulierung des Prostitutionsgewerbes sowie (Dresden), weiterer Abgeordneter und der zum Schutz von in der Prostitution tätigen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Personen Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt – über die Beschlussempfehlung des Aus- Stuttgart 21 kritisch prüfen schusses für Familie, Senioren, Frauen (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) ...... und Jugend zu dem Antrag der Abgeordne- 18141 C ten Cornelia Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid (CDU/CSU)...... 18141 D Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Selbstbestimmungs- Alexander Funk (CDU/CSU) ...... 18142 D X Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Anlage 13 Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Tank, Matthias W . Birkwald, Dr . Petra Sitte Vereinbarung vom 27 .Januar 2016 zwischen und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten den zuständigen Behörden über den Austausch Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- länderbezogener Berichte rung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von (Tagesordnungspunkt 7)...... 18143 B Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Tagesordnungspunkt 21)...... 18159 D Dr . (CDU/CSU)...... 18143 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 18159 D (Heidelberg) (SPD)...... 18144 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . . 18160 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 18146 B (SPD) ...... 18162 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ Azize Tank (DIE LINKE)...... 18164 A DIE GRÜNEN)...... 18147 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Dr . , DIE GRÜNEN)...... 18165 C Parl . Staatssekretär BMF...... 18148 C Anlage 17 Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- (DigiNetzG) ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die (Tagesordnungspunkt 16)...... 18166 A Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fern- reiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen Ulrich Lange (CDU/CSU) ...... 18166 B (Tagesordnungspunkt 19)...... 18150 A (CDU/CSU)...... 18167 A (CDU/CSU)...... 18150 A Martin Dörmann (SPD) ...... 18168 B (CDU/CSU)...... 18150 D Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 18169 A Martin Burkert (SPD)...... 18151 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18170 A Sabine Leidig (DIE LINKE)...... 18152 A

Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ Anlage 18 DIE GRÜNEN)...... 18153 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung Anlage 15 des Bundesmeldegesetzes und weiterer Vor- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung schriften des von der Bundesregierung eingebrachten (Zusatztagesordnungspunkt 5)...... 18170 C Entwurfs eines . . Gesetzes zur Änderung des (Dortmund) Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sport- (CDU/CSU)...... 18170 C wettbetrug und der Manipulation von berufs- sportlichen Wettbewerben (SPD)...... 18172 B (Tagesordnungspunkt 10)...... 18154 C Jan Korte (DIE LINKE)...... 18173 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 18154 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18174 A (CDU/CSU)...... 18155 A (SPD) ...... 18156 B Anlage 19 Dr .André Hahn (DIE LINKE) ...... 18156 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ – des von der Bundesregierung eingebrach- DIE GRÜNEN)...... 18158 A ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer , Bundesminister BMJV...... 18159 A Vorschriften Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 XI

– des Antrags der Abgeordneten Frank Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 18189 C Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin DIE GRÜNEN)...... 18190 C umfassend gewährleisten (Tagesordnungspunkt 24 a und b)...... 18175 C (CDU/CSU)...... 18175 C Anlage 22 Marlene Mortler (CDU/CSU)...... 18176 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (SPD) ...... 18177 B Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- (SPD)...... 18178 B rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6 .SGB IV-Änderungsge- Frank Tempel (DIE LINKE)...... 18179 A setz – 6 . SGB IV-ÄndG) Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 27)...... 18191 B DIE GRÜNEN)...... 18179 D Dr . (CDU/CSU) ...... 18191 C Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU). . . . 18192 A Anlage 20 Gabriele Hiller-Ohm (SPD)...... 18192 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, Matthias W . Birkwald (DIE LINKE)...... 18193 D SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädigung für die Radargeschädigten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn der Bundeswehr und der ehemaligen NVA (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)...... 18194 D noch weiter verbessern – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Anlage 23 weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Radarstrahlengeschädigte der Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Bundeswehr und der ehemaligen NVA bes- des von der Bundesregierung eingebrachten ser entschädigen Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines (Tagesordnungspunkt 25 a und b)...... 18181 C Transplantationsregisters (Tagesordnungspunkt 28)...... 18195 C Ingo Gädechens (CDU/CSU)...... 18181 D Dr . (CDU/CSU) ...... (CDU/CSU)...... 18182 C 18195 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD)...... 18183 C Dr . (CDU/CSU)...... 18196 C Katrin Kunert (DIE LINKE)...... 18184 B (SPD)...... 18197 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ Hilde Mattheis (SPD)...... 18198 B DIE GRÜNEN)...... 18185 A Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 18199 C Dr . Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ Anlage 21 DIE GRÜNEN)...... 18200 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anlage 24 Unterstützung für den Friedensprozess in Kolumbien Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Antrags der Abgeordneten Heike des von der Bundesregierung eingebrachten Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer DIE LINKE: Für den Frieden in Kolumbi- Gesetze en – Paramilitarismus konsequent bekämp- (Tagesordnungspunkt 29)...... 18201 A fen (Tagesordnungspunkt 26 a und b)...... 18186 A (CDU/CSU)...... 18201 A Dr . (CDU/CSU) ...... 18186 B (SPD) ...... 18201 D Dr .Andr eas Nick (CDU/CSU) ...... 18187 A (DIE LINKE)...... 18202 B (SPD)...... 18188 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ (SPD)...... 18188 D DIE GRÜNEN)...... 18202 D XII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Anlage 25 weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ressour- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung cenverschwendung stoppen – Nationales des von der Bundesregierung eingebrachten Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfä- Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Ver- hig ausgestalten einbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für (Tagesordnungspunkt 31)...... Beamtinnen und Beamte des Bundes und Sol- 18207 A datinnen und Soldaten sowie zur Änderung Dr . (CDU/CSU)...... 18207 B weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 30)...... 18203 B (SPD)...... 18208 B (CDU/CSU) ...... 18203 B (DIE LINKE)...... 18209 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD)...... 18204 C Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 18209 D Frank Tempel (DIE LINKE)...... 18205 C Rita Schwarzelühr-Sutter, Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Parl . Staatssekretärin BMUB...... 18210 C DIE GRÜNEN)...... 18206 C

Anlage 27 Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten der Beschlussempfehlung und des Berichts des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau Sachverständigenrechts und zur weiteren Än- und Reaktorsicherheit: derung des Gesetzes über das Verfahren in Fa- – zu der Unterrichtung durch die Bundes- miliensachen und in den Angelegenheiten der regierung: Programm zur nachhaltigen freiwilligen Gerichtsbarkeit Nutzung und zum Schutz der natürlichen (Tagesordnungspunkt 32)...... 18211 B Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizi- enzprogramm II) (CDU/CSU)...... 18211 B – zu der Unterrichtung durch die Bundes- Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 18212 A regierung: Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen (SPD)...... 18213 A Ressourcen (Deutsches Ressourceneffizi- Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 18213 D enzprogramm) – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Meiwald, Dr .V alerie Wilms, Lisa Paus, DIE GRÜNEN)...... 18214 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17977

(A) (C)

183. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016

Beginn: 9 .01 Uhr

Präsident Dr. : ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . LINKE: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung herzlich zu unserer Plenarsitzung . von Bundestag und Bundesrat (siehe 182 . Sitzung) Ich möchte vor Eintritt in die Tagesordnung dem Kol- legen Michael Schlecht zu seinem 65 . Geburtstag gra- ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- tulieren . fahren (Beifall) (Ergänzung zu TOP 38) Auch der Kollegin Gabriele Schmidt, die in der vergan- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate genen Woche ihren 60 . Geburtstag gefeiert hat, gratuliere Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), (B) ich . Beiden gelten natürlich unsere guten Wünsche für weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (D) das neue Lebensjahr . NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall) Beteiligung des Bundestages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Anwendung des Der Kollege Steffen Kampeter hat sein Bundestags- Handelsabkommens mit Kanada (Comprehen- mandat niedergelegt . sive Economic and Trade Agreement – CETA) (Beifall des Abg . Niels Annen [SPD]) Drucksache 18/9038 – Wer war das? Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) (Heiterkeit) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Für ihn ist der Kollege Karl-Heinz Wange nachge- nung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union rückt . Er wird nun wirklich mit Beifall begrüßt . Federführung strittig (Beifall) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Herzlich willkommen, Herr Kollege Wange . Auf gute Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, wei- Zusammenarbeit! terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Aus- Abstimmung über CETA erfordert Beteili- schusses nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes, gung von Bundestag und Bundesrat also des Vermittlungsausschusses, durchführen . Die Drucksache 18/9030 SPD-Fraktion schlägt vor, als Nachfolger für den Kol- Überweisungsvorschlag: legen Rolf Mützenich den Kollegen Sören Bartol als Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) stellvertretendes Mitglied dieses Gremiums zu berufen . Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich nung der Fall . Damit ist der Kollege Bartol als stellvertreten- Auswärtiger Ausschuss des Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- Schließlich ist vereinbart worden, die Tagesordnung sprache um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: (Ergänzung zu TOP 39) 17978 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (C) regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten onsausschusses (2 . Ausschuss) Gesetzes zur Änderung des Direktzahlun- Sammelübersicht 350 zu Petitionen gen-Durchführungsgesetzes Drucksache 18/9066 Drucksache 18/8514 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Buchholz, Dr .Alexander S . Neu, Wolfgang ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schuss) DIE LINKE Drucksache 18/9067 Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Türkei Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei- Drucksache 18/9028 terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN ZP 5 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldege- Tierschutz ermöglichen setzes und weiterer Vorschriften Drucksache 18/9053 Drucksache 18/8620 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung schusses (4 .Ausschuss) und Technikfolgenabschätzung (18 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Drucksache 18/9087 Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3 .Aus - Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendi- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid enförderung und Studienfinanzierung stärken Nouripour, , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Drucksachen 18/4692, 18/9037 NIS 90/DIE GRÜNEN d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Jemen – Militärische Intervention stoppen – (B) onsausschusses (2 . Ausschuss) Neue Friedensverhandlungen beginnen (D) Sammelübersicht 344 zu Petitionen Drucksachen 18/5380, 18/6145 Drucksache 18/9060 ZP 7 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- setzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes onsausschusses (2 . Ausschuss) Drucksache 18/4624 Sammelübersicht 345 zu Petitionen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Drucksache 18/9061 ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- schuss) onsausschusses (2 . Ausschuss) Drucksache 18/9093 Sammelübersicht 346 zu Petitionen ZP 8 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Drucksache 18/9062 CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur weiteren Fortentwicklung der par- g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- lamentarischen Kontrolle der Nachrichten- onsausschusses (2 . Ausschuss) dienste des Bundes Sammelübersicht 347 zu Petitionen Drucksache 18/9040 Drucksache 18/9063 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Verteidigungsausschuss onsausschusses (2 . Ausschuss) Haushaltsausschuss Sammelübersicht 348 zu Petitionen ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Drucksache 18/9064 Christian Ströbele, Dr .Konstantin von Notz, , weiterer Abgeordneter und der i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN onsausschusses (2 . Ausschuss) Für eine wirksamere Kontrolle der Nachrich- Sammelübersicht 349 zu Petitionen tendienste Drucksache 18/9065 Drucksache 18/8163 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17979

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf: (C) Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Abgabe einer Regierungserklärung durch die Ausschuss Digitale Agenda Bundeskanzlerin ZP 10 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeauf- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion klärung des Bundesnachrichtendienstes Bündnis 90/Die Grünen vor . Drucksache 18/9041 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- Überweisungsvorschlag: rung 77 Minuten vorgesehen .– Auch dazu stelle ich Ein- Innenausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vernehmen fest . Dann verfahren wir so . Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Frau Bundeskanzlerin . Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die Tagesordnungspunkte 23 – hier geht es um eine Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Beschlussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften – und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 35 – hier geht es um die Beschlussempfehlung zum Ent- Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben der wurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittel- europäischen Nachkriegsordnung ein Leben in Frieden, rechtlicher Vorschriften – sollen heute abgesetzt werden . Freiheit und Wohlstand zu verdanken . Diese Ordnung gründete sich auf die Geltung des Völkerrechts, den Res- Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 7 und pekt der territorialen Integrität, die Achtung der Souverä- 18 und die Tagesordnungspunkte 10 und 20 ihre Plätze nität der Staaten und das Recht der freien Bündniswahl . und Debattenzeiten tauschen . Ebenfalls ihre Plätze tau- Diese Prinzipien sind allen deutschen Regierungen stets schen sollen die Tagesordnungspunkte 16 und 22, aller- zentrales Anliegen ihres Handelns gewesen. Sie finden dings unter Beibehaltung ihrer Debattenzeiten . ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Charta von Paris für ein neues Europa . In diesem Abschlussdokument des Sind Sie mit diesen Veränderungen im Ablauf einver- KSZE-Gipfels vom November 1990 bekennen sich die standen? – Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so 35 Unterzeichnerstaaten einschließlich der damaligen beschlossen . (B) Sowjetunion zum – ich zitiere – „Recht der Staaten, ihre (D) Ich bitte schon jetzt, im Hinblick auf den Ablauf un- sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“ . serer Tagesordnung darauf zu achten, dass wir die ver- Seitdem können auch die Völker Osteuropas an dem einbarten Debattenzeiten auch konsequent einhalten . Ich teilhaben, was für die Mitgliedstaaten der Nordatlanti- bitte, den ansonsten natürlich außerordentlich sympathi- schen Allianz von Beginn an zum konstitutiven Kanon schen Ehrgeiz, die Debatte durch Zwischenfragen, Kurz- des Bündnisses gehörte . Hierzu gehört ausdrücklich auch interventionen und andere fantasievolle Erweiterungs- die Freiheit der Bündniswahl . Auf dieser Grundlage hat- möglichkeiten zu beleben, heute aus bekannten Gründen ten sich im Jahr 1949 die ersten zwölf Staaten zusam- zu unterlassen . mengeschlossen, um einander Beistand zu versichern . Bevor ich Tagesordnungspunkt 4 aufrufe, möchte ich Und mehr noch: Im Wunsch nach Frieden, Freiheit und auf der Ehrentribüne den Präsidenten der Nationalver- Sicherheit verpflichteten sich diese Staaten, internationa- sammlung der Islamischen Republik Pakistan, Herrn le Streitigkeiten friedlich beizulegen . Sardar Ayaz Sadiq, mit seiner Delegation begrüßen . Jeder der heute 28 Mitgliedstaaten konnte souverän (Beifall) und frei über seine Mitgliedschaft entscheiden und sich zu denselben Zielen und Werten unserer Gemeinschaft Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut- bekennen . Dies galt 1999 auch für die Aufnahme der schen Bundestages, von denen Sie, lieber Herr Präsident Tschechischen Republik, Polens und Ungarns eben- Sadiq, einige bereits in den letzten Tagen persönlich in so wie im Jahr 2004 für die Aufnahme Bulgariens, der zahlreichen Gesprächen hier im Hause kennengelernt ha- drei baltischen Staaten, Rumäniens, der Slowakei und ben, begrüße ich Sie herzlich . Es ist uns eine große Freu- Sloweniens wie auch im Jahr 2009 für die jüngsten Auf- de, Sie und Ihre Begleitung zu einem offiziellen Besuch nahmen, nämlich Albaniens und Kroatiens . Dieser Pro- in Deutschland zu haben . zess der Einladung der Nordatlantischen Allianz an alle Der Bundestag misst der Zusammenarbeit zwischen transatlantischen Partner, in freier Willensentscheidung unseren beiden Ländern, nicht zuletzt auch zwischen un- Teil dieser Gemeinschaft zu werden, ist nicht beendet . seren beiden Parlamenten, große Bedeutung zu . Wir wis- Wir schlagen die Tür nicht zu . Ich freue mich deshalb, sen insbesondere Ihre persönliche Wertschätzung unseres dass Montenegro bereits sehr bald dieser Gemeinschaft Landes und der Zusammenarbeit zwischen unseren bei- angehören wird . den Ländern sehr zu würdigen . Alles Gute für Ihren Auf- Meine Damen und Herren, wenn die Staats- und enthalt! Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit . Regierungschefs der Allianz morgen in Warschau zu- (Beifall) sammenkommen, dann wird das in einer Phase sein, in 17980 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) der sich die Sicherheitslage in und um Europa signifi- Deshalb sehen die Planungen eine multilateral zusam- (C) kant verändert hat . Im Osten hat Russlands Agieren in mengesetzte Präsenz vor . Dabei wird für jedes der drei der Ukra­ine-Krise unsere östlichen Alliierten zutiefst baltischen Länder und für Polen jeweils ein Alliierter die verstört . Wenn die Geltung des Rechts und die Unver- Führung übernehmen, um die Präsenz der NATO dort letzlichkeit von Grenzen durch Worte und Taten infrage sicherzustellen . Dieser Ansatz schließt die Reaktion auf gestellt werden, dann geht natürlich Vertrauen verloren . sogenannte hybride Bedrohungen ausdrücklich mit ein, Das hat gerade unsere Bündnispartner im Osten tief ver- also auch Szenarien ähnlich denen, die Russland in der unsichert . Sie bedürfen daher der eindeutigen Rückver­ Ukraine eingesetzt hat und bei denen die klassischen sicherung durch die Allianz . Grenzen zwischen Krieg und Frieden bewusst verwischt werden . Aber auch südlich des Bündnisgebietes müssen wir eine dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage Aus diesem Grund werden wir auf dem Gipfel auch feststellen . Der Bürgerkrieg in Syrien, der Zerfall staat- Beschlüsse zur Cyberdimension fassen . Dazu werden wir licher Ordnung im Irak und in Libyen haben die Aus- uns politisch verpflichten, die nationalen Cyberabwehrfä- breitung terroristischer Gruppierungen befördert . Hinzu higkeiten zu stärken und Cyber zusätzlich zu Land, Luft kommt, dass kriminelle Schleuserbanden versuchen, aus und See sowie Weltraum als weitere sogenannte operati- dem Leid so vieler Flüchtlinge und Vertriebener Kapital ve Domäne zu definieren. Die Bundesverteidigungsmi- zu schlagen . nisterin hat ja in der Organisationsstruktur der Bundes- wehr bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet . Das alles ist ein ganzes Bündel von Herausforderun- gen . Deshalb hat die Allianz bereits auf ihrem Gipfel in Bei unserem Engagement leiten uns zwei zentrale Ge- Wales im September 2014 erste Maßnahmen beschlossen, danken, zum einen Artikel 5 des NATO-Vertrags, in dem mit denen die Verteidigungs- und Reaktionsfähigkeit des es heißt: Bündnisses gesteigert werden sollen . Die Summe dieser Maßnahmen – zusammengefasst unter der Überschrift Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter An- „Readiness Action Plan“ – wird die Allianz schneller, re- griff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa aktionsfähiger und einsatzbereiter machen, und zwar für oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle an- Herausforderungen in jeder Richtung und jeder Art, das gesehen werden wird . heißt in einem sogenannten 360-Grad-Ansatz . Das Verständnis der Abschreckung soll von einem sol- Insbesondere die neuen, sehr schnell in das gesamte chen Angriff abhalten, es soll eine bewusste Auseinan- Bündnisgebiet verlegbaren NATO-Eingreifkräfte, die dersetzung vermeiden helfen . Nicht mehr, aber auch nicht sogenannte Very High Readiness Joint Task Force, und weniger . Und das ist ein zutiefst defensives Konzept . (B) der Aufbau von Aufnahmestäben bei unseren östlichen (D) NATO-Partnern sind Ausdruck unserer gelebten Bünd- (Lachen bei der LINKEN) nissolidarität . Sie sind nur zwei Beispiele dieses Maß- Zum anderen orientieren wir uns an der NATO-Russ- nahmenpakets . land-Grundakte, in der wir uns 1997 zusammen mit Deutschland trägt zu diesen Maßnahmen substanziell Russland auf die Grundlagen unserer Zusammenarbeit bei . Ich bin unserem Außenminister und unserer Vertei- verständigt haben . Damals haben wir nicht nur unsere digungsministerin wie auch der Bundeswehr für diesen Unterstützung für die Charta von Paris ausdrücklich er- Beitrag sehr dankbar . neuert, sondern uns auch zu der Absicht bekannt – ich zitiere – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) . .auf . der Grundlage gemeinsamen Interesses, der Damit machen wir deutlich, dass für uns die Grundprin- Gegenseitigkeit und der Transparenz eine starke, zipien der europäischen Sicherheitsarchitektur auch in stabile und dauerhafte Partnerschaft zu entwickeln . der Zeit neuer Herausforderungen unverändert gelten . Die Bündnissolidarität aus Artikel 5 des NATO-Vertra- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hebt die ges ist zentraler Pfeiler dieser Architektur . Diese Solida- Sanktionen auf!) rität muss und wird auch in Zukunft sichtbar und glaub- würdig sein . Das ist Teil der NATO-Russland-Grundakte . Auf dem morgen beginnenden NATO-Gipfel in War- Wir werden weiter dafür werben, die NATO-Russ- schau werden wir daher die ersten in Wales beschlosse- land-Grundakte als Basis für das Verhältnis der NATO nen Anpassungsmaßnahmen des Bündnisses ergänzen . zu Russland zu erhalten . Denn auch wenn Russland die Es werden Elemente hinzukommen, mit denen die Ab- Bestimmungen dieses Dokuments durch sein Vorgehen schreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses gegen die Ukraine verletzt, so sind in diesem Dokument verstetigt und dauerhaft gesichert wird . Im Kern geht es doch unsere Werte und Prinzipien verankert, an denen darum, eine stärkere Präsenz der NATO in den baltischen wir unser Handeln weiter ausrichten werden . Staaten und in Polen zu ermöglichen, also – wie es in der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NATO-Sprache heißt – die sogenannte enhanced forward ordneten der SPD) presence . Sie ist wichtig, weil wir im Bündnis festgestellt haben, dass es nicht allein ausreicht, Truppen schnell ver- Das heißt also: Abschreckung und Dialog, das klare legen zu können, sondern dass es auch darum geht, be- Bekenntnis zur Solidarität mit unseren Bündnispartnern reits ausreichend vor Ort präsent zu sein . gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages und die ausge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17981

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) streckte Hand zum Dialog sind keine Gegensätze . Nein, echten Fortschritten geöffnet werden: zu einer Welt ohne (C) das gehört untrennbar zusammen . Nuklearwaffen . Das wäre ein wichtiger Schritt . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- ordneten der SPD) ruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) Darüber herrscht bei unseren Partnern im Bündnis Eine weitere große strategische Herausforderung für auch Einvernehmen . Wir sind uns außerdem einig, dass uns alle in Europa und damit auch für die NATO sind dauerhafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen natürlich auch die Auswirkungen, die mit dem syrischen Russland zu erreichen ist . Bürgerkrieg, dem Staatenzerfall im Irak und in Libyen und der Ausbreitung der Terrormiliz IS verbunden sind . (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann machen Sie es doch!) (Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LIN- KE]) Zentraler Ort für den Dialog der NATO mit Russland ist und bleibt der NATO-Russland-Rat . Er wurde 2002 ins Unsere Welt heute ist eine Welt in Unruhe . Der fanati- Leben gerufen . Zuvor hatten die NATO und Russland im sche, islamistische Terrorismus des IS bedroht auch uns Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat zusam- in Europa . Vor allem aber bringt er unendliches Leid über mengearbeitet, der auf der Grundlage der 1997 unter- die Menschen in der Region . Die jüngsten verheerenden zeichneten NATO-Russland-Grundakte gegründet wor- Anschläge in Bagdad und auch der Anschlag in Dhaka den war . Im NATO-Russland-Rat sollen die NATO und zeigen einmal mehr, welche Menschenverachtung die- Russland zusammenkommen, um sich über gemeinsame sem Terrorismus innewohnt . Schritte zur Terrorbekämpfung oder zur Bedrohungs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- analyse durch ballistische Raketen zu besprechen . Es ist ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ wichtig, dass dieses Gremium genutzt wird . Ich begrüße DIE GRÜNEN) es sehr, dass dieser Rat kürzlich wieder zu einer Sitzung zusammenkommen konnte, und möchte dem Bundesau- Auch die Terrorakte in Brüssel, in Paris und wiederholt ßenminister danken, dass er sich dafür sehr stark einge- in Istanbul mahnen uns, die Auseinandersetzung mit dem setzt hat . Terrorismus ebenso entschieden wie klug zu führen . Lei- der weiß auch unser heutiger Gast auf der Ehrentribüne, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der pakistanische Parlamentspräsident, was Terrorismus Es wäre sinnvoll und gut gewesen, wenn Russland das für Schrecknisse anrichten kann . Das heißt ganz konkret: Angebot der NATO zu einer weiteren Sitzung vor dem Es ist eine gewaltige Aufgabe, zu Frieden, Stabilität und (B) morgen beginnenden Gipfel angenommen hätte, weil Prosperität in den Krisenregionen des Nahen und Mitt- (D) das die Möglichkeit gegeben hätte, die abzusehenden leren Ostens sowie Nordafrikas und Subsahara-Afrikas Entscheidungen der Allianz zu erörtern und möglichen beizutragen . Es ist eine Aufgabe, zu der auch die NATO Missinterpretationen entgegenzuwirken . Eine solche Sit- ihren Beitrag leisten kann . Aber es ist keine Aufgabe, die zung vor dem Gipfel wollte Russland jedoch nicht . Nun von der NATO allein oder die nur mit militärischen Mit- kann der NATO-Russland-Rat nach dem Gipfel zusam- teln zu lösen ist . menkommen . Wir jedenfalls haben großes Interesse da- Der Einsatz der NATO kann immer nur ein Baustein ran, weil wir ganz grundsätzlich an einem konstruktiven sein . Genau deshalb setzt sich die Bundesregierung dafür Verhältnis zwischen der NATO und Russland interessiert ein, die Ursachen von Flucht, Vertreibung, Hoffnungs- sind und weiter nachdrücklich hierfür werben werden . und Perspektivlosigkeit wirksam zu bekämpfen . Entscheidend für die weitere Zusammenarbeit mit (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Und Russland wird natürlich auch die Umsetzung der Verein- was sind die Ursachen?) barungen von Minsk sein. Zurzeit finden intensive Be- ratungen dazu statt, einschließlich der Vorbereitung der So unterstützen und stabilisieren wir die Regierung im Kommunalwahlen in Donezk und Luhansk . Leider müs- Irak . Wir fördern die Verhandlungen des UN-Sonderge- sen wir jedoch festhalten, dass es bis heute keine belast- sandten für Syrien, Staffan de Mistura, und des UN-Son- bare Waffenruhe gibt . Deshalb haben die Bemühungen dergesandten für Libyen, Martin Kobler . Wir leiten die der OSZE hier absolute Priorität . Arbeitsgruppe, die mit der Stabilisierung in der An- ti-IS-Allianz befasst ist, gemeinsam mit den Vereinigten Beim NATO-Gipfel wird es im Übrigen auch Treffen Arabischen Emiraten . der NATO-Georgien-Kommission und der NATO-Ukrai- ne-Kommission geben, letztere zusammen mit dem ukrai- Darüber hinaus legen wir nicht zuletzt angesichts nischen Präsidenten Poroschenko . Von großer Bedeutung des enormen Ausmaßes der Flüchtlingstragödie einen wäre es natürlich auch, wenn der NATO-Russland-Dia- Schwerpunkt auf die humanitäre Dimension: bei der log zu einem ehrlichen erneuten Bemühen zwischen den Londoner Syrien-Konferenz Anfang Februar als größter Nuklearmächten USA und Russland führte, ihre Nuklear- Einzelgeber wie auch beim World Humanitarian Summit waffen weiter zu reduzieren . Präsident Obama hat Russ- Ende Mai in Istanbul, bei dem wir uns dafür eingesetzt land bei seiner Rede hier in Berlin, am Brandenburger haben, das humanitäre System neu zu gestalten . Am Tor, im Juni 2013 mutige und weitreichende Vorschläge 20 .September werden wir uns in New York auf einem unterbreitet . Es wäre sehr wichtig, wenn dieses Angebot von US-Präsident Obama ausgerichteten Flüchtlingsgip- aufgegriffen würde . Damit könnte auch hier der Weg zu fel erneut dafür einsetzen, die Lage der Flüchtlinge welt- 17982 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) weit zu verbessern . Deutschland hat für dieses Treffen ment dieser Arbeiten ist immer wieder auch die Koope- (C) die Kogastgeberrolle übernommen . ration zwischen der NATO und der Europäischen Union, die übrigens bereits sehr gut bei den Aktivitäten in der Die NATO ihrerseits kann einen konkreten Beitrag Ägäis, zum Beispiel zusammen mit Frontex, stattfindet. leisten, indem sie zum Beispiel in der Ägäis hilft, das Diese Kooperation ist uns als Bundesregierung grund- illegale und menschenverachtende Schleuserwesen ein- sätzlich sehr wichtig . zudämmen . Zusätzlich zum EU-Türkei-Abkommen trägt dieser Einsatz wesentlich dazu bei, dass heute kaum noch Meine Damen und Herren, bei all diesen vielfältigen Menschen die lebensgefährliche Fahrt über die Ägäis Bedrohungen aus dem Süden dürfen wir nicht die Pro- wagen, ihr Leben riskieren und es viel zu oft auch ver- liferation ballistischer Waffensysteme übersehen . Ein lieren . NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich Beispiel: In eindeutigem Widerspruch zu den einschlägi- sehr früh dafür eingesetzt, dass die Allianz sich auch auf gen Bestimmungen des UNO-Sicherheitsrates entwickelt Herausforderungen wie diese einstellt, um zu helfen, die der Iran sein Raketenprogramm unvermindert weiter . Es Krisen in unserer südlichen Nachbarschaft zu überwin- ist leider keineswegs so, dass dieses Raketenprogramm den . Wir haben ihn hierbei ausdrücklich unterstützt, weil durch das historische Wiener Abkommen zur Kontrolle die Allianz über sehr spezifische Fähigkeiten verfügt, die des iranischen Nuklearprogramms beendet worden wäre . sie genau dafür einsetzen kann . Auch hierzu werden wir Die Staats- und Regierungschefs werden in Warschau da- in Warschau weitere wichtige Entscheidungen treffen: her auch die sogenannte Erstbefähigung der NATO-Ra- ketenabwehr erklären, also einen weiteren wichtigen Erstens . Wir werden uns auf Trainings- und Ausbil- Schritt gehen, mit dem die Menschen im Bündnisgebiet dungsmaßnahmen der NATO für den Irak verständigen . noch besser geschützt werden sollen . Dies geht auf eine ausdrückliche Bitte des irakischen Premierministers al-Abadi zurück . Bereits seit einiger Für uns ist äußerst wichtig – ich betone das deshalb Zeit bildet die Allianz in Jordanien irakische Sicherheits- hier auch ganz ausdrücklich –: Diese NATO-Raketenab- kräfte aus, vor allem im Bereich der Kampfmittelräu- wehr ist rein defensiv ausgerichtet . mung . Seit 2014 unterstützt Deutschland bilateral und im (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja!) Rahmen der Anti-IS-Allianz die Peschmerga im Nord- irak mit Waffen und Ausbildung . Ihre Erfolge gegen den Sie ist nicht gegen Russland gerichtet. Sie beeinflusst IS geben uns in diesem Bemühen auch recht . Die Ausbil- auch nicht die strategische Balance zwischen der NATO dungsmaßnahmen der NATO sollen künftig auch im Irak und Russland . durchgeführt werden, weil irakische Sicherheitskräfte, (Zurufe von der LINKEN) die gerade auch bei der Stabilisierung der vom IS befrei- ten Gebiete wichtige Erfolge erzielen, eine Ausbildung Die Bundesregierung wie auch das Bündnis haben nicht (B) und Beratung näher im Lande brauchen . die Absicht, dies zu ändern . Unsere Hand zu Transparenz (D) und Dialog auch über diese Maßnahmen des Bündnisses Zweitens . Die Staats- und Regierungschefs werden in ist und bleibt ausgestreckt . Warschau ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären, die Anti-IS-Koalition durch NATO-AWACS zu unterstützen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Durch NATO-AWACS können wir den Einsatz unserer ordneten der SPD) Aufklärungstornados im türkischen Incirlik sinnvoll er- Meine Damen und Herren, beim Gipfel in Warschau gänzen . Während die Tornados die Stellungen und Positi- werden wir darüber hinaus auch die bestehenden Einsät- onen des IS aufklären, könnten die AWACS sicherstellen, ze bewerten und natürlich zukünftige Aufgaben benen- dass der Luftraum ordentlich koordiniert und überwacht nen . Seit 2003 ist die NATO in Afghanistan engagiert, ist . Gerade mit Blick auf unsere Tornados liegt der Ein- zunächst im Rahmen von ISAF satz der AWACS deshalb auch in unserem eigenen In- teresse; denn durch die AWACS-Luftraumaufklärung (Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LIN- verfügten dann auch unsere Piloten über ein besseres KE]) Luftlagebild und damit über ein Mehr an Sicherheit . So- und seit 2015 im Rahmen der Beratungsmission Reso- bald die Details der Einsatzplanung seitens der NATO lute Support, an der sich derzeit 39 Nationen beteiligen . vorliegen, wird die Bundesregierung den Bundestag hier- Zum einen werden wir beim Gipfel die Finanzierung der zu wie geboten natürlich befassen . afghanischen Sicherheitskräfte bis 2020 festschreiben Drittens . Wir werden beim Gipfel die seit 2001 beste- können . hende und auf Artikel 5 des NATO-Vertrages beruhende (Zuruf des Abg . Dr .Alexander S . Neu [DIE Operation Active Endeavour im Mittelmeer in eine ma- LINKE]) ritime Sicherheitsoperation überführen und so vom Arti- kel 5 des NATO-Vertrages entkoppeln . Das ist außerordentlich wichtig, um die afghanischen Streitkräfte weiter zu befähigen, Sicherheitsverantwor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tung zu übernehmen . Zum anderen wird die Allianz ihren der SPD) Willen bekräftigen, die Mission Resolute Support auch Das ist wichtig, weil damit ein umfassender Einsatz zur über 2016 hinaus fortzusetzen . Der amerikanische Prä- Sicherung des Mittelmeers möglich sein wird . Dabei sident hat gestern dazu eine wichtige Erklärung abgege- wird es darum gehen, ein maritimes Lagebild zu erstel- ben, nämlich dass auch die amerikanischen Streitkräfte len, Staaten beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen und mit einem Kontingent von 8 400 Soldaten weiter beteiligt den Terrorismus zu bekämpfen . Ein strukturelles Ele- sein werden . Das ist für uns von großer Wichtigkeit . Wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17983

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) wollen weiter in Afghanistan engagiert bleiben, um die rausforderungen trägt – sei es in Afghanistan, sei es in (C) Menschen dort zu beschützen . Syrien –, in der NATO und weit darüber hinaus . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zurufe von der LINKEN) Meine Damen und Herren, die NATO vereint uns so- Die Nordatlantische Allianz wird in Warschau zudem lidarisch in einem Bündnis mit Nachbarn, Partnern und das Ziel bekräftigen, dass die Bündnispartner 2 Prozent einstigen Kriegsgegnern . Die Beschlüsse von Warschau ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsaufgaben sollen dazu dienen, die weiteren großen Herausforderun- vorhalten . gen zum Wohle der Menschen zu meistern . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: 60 Milli- Lassen Sie mich abschließend ein herzliches Danke- arden bei uns! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: schön an unsere Soldatinnen und Soldaten richten, die in Katastrophe!) vielen dieser Einsätze ihren Dienst tun und damit unsere Sicherheit gewährleisten . Deutschland unterstützt dies schon seit vielen Jahren – ich will darauf noch einmal hinweisen, weil es ja auch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem aktuell wieder Diskussionen dazu gab –; das ist nicht auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Bundesregierung beschränkt . Deshalb haben wir Herzlichen Dank . im neuen Finanzplan, den das Bundeskabinett gestern be- schlossen hat, eine signifikante Erhöhung von 37,1 Milli- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) arden Euro im Jahr 2016 auf rund 39 Milliarden Euro im Jahr 2017 vorgesehen . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LIN- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- KE]) nächst der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke . Dieser Finanzplan sieht darüber hinaus eine weitere Stei- gerung des Verteidigungshaushaltes vor; denn 2018 bis (Beifall bei der LINKEN) 2020 haben wir insgesamt mehr als 2,5 Milliarden Euro zusätzlich eingeplant . Damit ist der Ansatz zur Trend- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): umkehr bei den Verteidigungsausgaben deutlich erkenn- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bar, wenngleich natürlich bis zur Erreichung des 2-Pro- Frau Bundeskanzlerin, Geschichte wiederholt sich nicht, zent-Ziels noch viel zu tun bleibt . (B) aber es gibt Phasen, in denen die politischen Uhren rück- (D) Die ganze Aufstellung der Bundeswehr spiegelt in- wärts zu gehen scheinen, unerbittlich zurück in eine Zeit, zwischen die internationale Verantwortung Deutschlands die sich eigentlich niemand zurückwünschen kann . Wer wider . die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, der wird das beklemmende Gefühl nicht los, dass wir heute in genau (Zuruf der Abg . Kathrin Vogler [DIE LIN- so einer Phase leben, und ich möchte mir nicht ausmalen, KE]) wie das enden kann . Deutschland stellt sich gemeinsam mit seinen Partnern 75 Jahre nach Beginn des deutschen Vernichtungs- und Verbündeten dieser Verantwortung und den immer krieges gegen die Sowjetunion finden in unmittelbarer neuen Aufgaben, und zwar stets in dem Bewusstsein, Nähe der russischen Grenze wieder martialische Kriegs- dass militärische Mittel allein keine nachhaltigen Lösun- übungen unter deutscher Beteiligung statt . gen ermöglichen können . Immer geht es um bündnispoli- tische Schritte und kluge Diplomatie zugleich . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An der Grenze zum Baltikum auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Die US-Atomwaffen in Deutschland werden moderni- Genau deshalb engagiert sich die Bundesregierung neben siert – nicht abgebaut, Frau Merkel: modernisiert – und den Einsätzen in NATO und EU auch beim OSZE-Vor- Raketenbasen in ganz Europa aufgebaut . Angeblich geht sitz in diesem Jahr, in den Nuklearverhandlungen mit es immer nur um Abschreckung, darum, Putin davon dem Iran, im Normandie-Format zur Ukraine oder in der abzuhalten, ins Baltikum einzumarschieren . Es würde Gruppe um den UNO-Sondergesandten de Mistura . mich wirklich interessieren, ob diejenigen, die uns die- sen Schwachsinn erzählen, auch nur eine Sekunde selber Die Nordatlantische Allianz gemeinsam mit der Euro- daran glauben . päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sie sind der Bezugsrahmen der deutschen Außen- und Sicher- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- heitspolitik . Die NATO schlägt dabei die Brücke über Brömer [CDU/CSU]: Warum macht er denn den Atlantik . Sie ist transatlantische Wertegemeinschaft dann ein großes Manöver?) von Europäern und Nordamerikanern . Lassen Sie mich, Wer hat denn seine Grenzen in den letzten zwei Jahr- wenige Tage nachdem die Vereinigten Staaten von Ame- zehnten immer weiter nach vorne geschoben? rika den 240 . Jahrestag ihrer Unabhängigkeit begangen haben, anfügen: Wir danken Amerika, dass es in vielen ( [CDU/CSU]: Russ- der Einsätze die Hauptlast bei der Bewältigung der He- land!) 17984 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Russland in Richtung NATO, oder war es nicht eher um- den Irakkrieg noch nicht einmal zu erwähnen, das zeugt (C) gekehrt? nun wirklich von bemerkenswerter Einäugigkeit . (Beifall bei der LINKEN – Gunther Krichbaum (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Russland über die Ukraine! So wird ein Schuh draus!) Die Manöver in Osteuropa, die Hochrüstung, die Ra- ketenbasen, die Truppenstationierung: Was kann Mos- Die USA haben 5 Milliarden Dollar in einen Regi- kau darin denn anderes sehen als Kriegsvorbereitung? me-Change in der Ukraine investiert . Das Ergebnis ist Auf jeden Fall werden so die Wahrscheinlichkeit und ein zerrissenes Land mit marodierenden faschistischen die Möglichkeit einer militärischen Eskalation mit der Banden und, ja, die russische Annexion der Krim, die Atommacht Russland beträchtlich erhöht . Der Ernstfall, immer als Beweis für die Aggressivität der russischen für den Sie in Osteuropa so lässig proben und von dem Außenpolitik herhalten muss . neuerdings in Militärkreisen wieder geredet wird, als (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Für die wäre er ein kalkulierbares Ereignis – Frau Merkel, ich Friedfertigkeit bestimmt nicht!) finde es ja interessant, dass Sie sich mit Herrn Hofreiter unterhalten; aber ich würde es doch gut finden, wenn Sie Auch die neue Aufrüstungsspirale dient angeblich immer meiner Rede wenigstens etwas Gehör verleihen würden . nur dazu, den russischen Bären im Zaum zu halten . Eine dümmere Begründung kann man sich wirklich nicht aus- (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [We- denken . sel I] [CDU/CSU]: Vielleicht sollten Sie ihr einmal zuhören! – Michael Grosse-Brömer (Beifall bei der LINKEN) [CDU/CSU]: Das liegt natürlich auch ein Aktuell liegen die Militärausgaben der NATO beim bisschen an Ihrer Rede! – Gunther Krichbaum etwa 13-Fachen der russischen . Und jetzt brauchen wir [CDU/CSU]: Wir wollen lieber den Bartsch noch mehr Aufrüstung, um die Sicherheit in Europa zu hören!) gewährleisten? Was ist denn das für ein Irrsinn! Nach einem solchen Ernstfall, für den Sie in Osteuropa (Beifall bei der LINKEN) so lässig proben und von dem neuerdings in Militärkrei- sen wieder geredet wird, als wäre er ein kalkulierbares Trotzdem gehörten Sie, Frau Bundeskanzlerin, wieder Ereignis, würde es Europa mit seinen über 700 Millionen einmal zu den ersten, die die Umsetzung des 2-Pro- Einwohnern vielleicht nicht mehr geben . zent-Ziels angekündigt haben . 2 Prozent, das bedeutet 25 Milliarden Euro jedes Jahr mehr für Mordwaffen, für Das Urteil Willy Brandts, dass ein Krieg mit Russland Panzer und für Kriegsgerät, aber für gute Renten fehlt uns nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio ist, (B) angeblich das Geld, und für bessere Bildung erst recht . das gilt doch heute nicht weniger als in den 70er-Jahren . (D) Was sind denn das für absurde politische Prioritäten, die Deshalb ist es dringend an der Zeit für eine eigenstän- Sie hier setzen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein . dige europäische Außenpolitik in der Tradition der Ent- spannungspolitik und natürlich auch für die Ersetzung (Beifall bei der LINKEN) der US-dominierten NATO durch ein kollektives Sicher- Der große Außenpolitiker George F . Kennan hat die heitssystem unter Einschluss Russlands . NATO-Osterweiterung schon Ende der 90er als den ver- (Beifall bei der LINKEN) hängnisvollsten Fehler der US-Politik seit der Ära des Kalten Krieges bezeichnet, eben weil die Einkreisung Schon Helmut Schmidt war der Meinung, dass heute Russlands den Weltfrieden nicht sichert, sondern gefähr- mehr Gefahr von den USA als von Russland ausgeht . Das det . Und trotzdem wird sie immer weiter vorangetrieben, dürfte nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen, auch mit Ihrer Unterstützung, Frau Merkel. Wir finden wenn im Weißen Haus entweder ein Halbverrückter oder das unverantwortlich . eine Marionette der US-Rüstungslobby regiert, nicht viel anders werden . (Beifall bei der LINKEN) (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Oje, jetzt Sie haben auf Artikel 5 des NATO-Vertrages hinge- wird es vom Niveau her langsam unerträg- wiesen . Leider haben Sie Artikel 1 nicht erwähnt, der die lich!) NATO-Mitglieder verpflichtet, sich jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung zu enthalten . Ich glaube, es liegt Aber das Verhältnis zu Russland und die Kriegsgefahr auf der Hand, dass die NATO und allen voran die USA sind leider nicht die einzigen Punkte, bei denen die politi- mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegen und ihren Droh- schen Uhren rückwärts laufen . Ich muss schon sagen: Ich nenmorden ihren eigenen Vertrag tagtäglich mit Füßen finde es ebenso bezeichnend wie traurig, dass Ihre Re- treten . Dazu hätte ich von Ihnen auch ein Wort erwartet . gierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates letzte Woche mal eben von der Tagesordnung ab- (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- gesetzt wurde . Wegschweigen, aussitzen, bloß nicht über Brömer [CDU/CSU]: Es lebe die völkerrecht- Veränderungen reden – das können doch nicht ernsthaft liche Verlässlichkeit der Russinnen und Rus- Ihre Schlussfolgerungen aus der aktuellen Krise sein . sen!) (Beifall bei der LINKEN) Ich muss schon sagen: Über die Destabilisierung des Nahen Ostens zu reden, wie Sie es eben getan haben, Der französische Ökonom Piketty hat doch recht, aber die Hauptverantwortung von NATO-Staaten und wenn er Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, eine wesentliche Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17985

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Mitverantwortung für den Brexit und den zunehmenden in Kraft gesetzt werden soll . Inzwischen hat die Kommis- (C) Nationalismus andernorts gibt . sion den Mitgliedstaaten zwar großzügig das Recht zur Ratifizierung eingeräumt; allerdings ist das wieder nur (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ein Täuschungsmanöver, weil sie das Abkommen vorläu- ist doch lächerlich!) fig in Kraft setzen will. Ich hätte von der Bundesregie- Ihre ständigen Alleingänge haben den europäischen rung schon gerne gehört, wie sie zu dieser erneuten Un- Zusammenhalt ebenso wenig gestärkt wie die Besser- verschämtheit unserer Brüsseler Antidemokraten steht . wisserei, mit der die deutsche Regierung versucht, ganz Europa auf die Linie der deutschen Wirtschaftspolitik zu (Beifall bei der LINKEN) bringen . Halten Sie doch endlich einmal inne, und über- Das ist ja nicht alles . Wenige Tage nach dem Brexit denken Sie Ihre Politik, bevor es wirklich zu spät ist . entschied die EU-Kommission, das mutmaßlich krebser- (Beifall bei der LINKEN) regende Pflanzengift Glyphosat für weitere anderthalb Jahre zuzulassen. Das Defizitverfahren gegen Portugal Das geeinte Europa, Verständigung und Zusammen- und Spanien soll trotz Krise verschärft werden . Ignoranz arbeit zwischen jahrhundertelang verfeindeten Völkern, gegenüber demokratischen Rechten, Einknicken gegen- ein europäisches Sozialmodell als Alternative zum ent- über der Wirtschaftslobby und Gleichgültigkeit fesselten Kapitalismus, das war einmal ein großes, ich würde sagen, ein großartiges Projekt . Es geht längst nicht ( [CDU/CSU]: Sie wenden mehr darum, ob dieses Projekt eine Zukunft hat . Es geht sich gegen Arbeitsplätze, Frau Wagenknecht, darum, ob es wieder eine Gegenwart bekommt; denn die gegen die Wirtschaft!) europäische Integration hat sich doch längst ins Gegen- teil verkehrt, in ein Projekt zur Entfesselung der Märkte gegenüber einer perspektivlosen jungen Generation: und zur Aushebelung der Demokratie, in ein Projekt, das Deutlicher als mit diesen drei Entscheidungen konnte europaweit die Prekarisierung der Arbeit und den Ab- man in der kurzen Zeit seit dem Brexit wirklich nicht all bau sozialer Leistungen vorantreibt . Die Wachstumsra- das demonstrieren, was die Menschen an der EU abstößt . ten sind heute in den meisten EU-Staaten niedriger und (Beifall bei der LINKEN) die Arbeitslosigkeit höher als vor Einführung des Bin- nenmarktes . Ländern, in denen jeder zweite Jugendliche Wer nicht will, dass Europa endgültig zerfällt, der keinen Job und keine Perspektive hat, werden mit kaltem muss doch spätestens jetzt auf einen sozialen und de- Ehrgeiz Kürzungsprogramme diktiert . Dieser Ehrgeiz mokratischen Neubeginn setzen, auf ein Europa, das die verlässt die EU aber sofort, wenn es zum Beispiel darum Menschen wieder begeistern kann und in dem Referen- geht, den Steuertricks von Apple, Google & Co . endlich den nicht als Bedrohung, sondern als normaler Bestand- (B) (D) die Grundlage zu entziehen . Dabei tragen sie, weiß Gott, teil der Demokratie empfunden werden . mehr Verantwortung für die öffentlichen Defizite als an- geblich generöse Sozialprogramme . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) So ein Europa wollen zumindest wir als Linke, gerade weil wir nicht wollen, dass die Geister der Vergangenheit Überall in Europa wächst die Ungleichheit . Zwischen über unsere Zukunft bestimmen . schamlosem Reichtum am oberen und hoffnungsloser Armut am unteren Ende lebt eine schrumpfende, ab- (Beifall bei der LINKEN – stiegsgefährdete Mittelschicht, die sich politisch im Stich [SPD]: Wer kann da klatschen?) gelassen fühlt . Die Zustimmung zur EU geht doch nicht deshalb zurück, weil irgendwelche Nationalisten Stim-

mungen schüren . Die Zustimmung geht zurück, weil die Präsident Dr. Norbert Lammert: Mehrheit schlicht keinen Grund hat, sich für eine EU zu Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Thomas begeistern, die ihren Wohlstand verringert und ihre de- Oppermann das Wort . mokratischen Rechte aushebelt . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Dann müssen sie in Thomas Oppermann (SPD): den Mitgliedstaaten mal die richtige Poli- tik machen! Nicht immer nur Schulden ma- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau chen, sondern eine bessere Politik! Das wäre Wagenknecht, der richtige Weg! – Max Straubinger [CDU/ (Ulli Nissen [SPD]: „Liebe“? Bestimmt CSU]: Dann müssen die sozialistisch regierten nicht!) Länder mal eine bessere Politik machen!) Die agilsten Gegner Europas sitzen heute in Brüssel . über Ihre Angriffe und Ihre Ausführungen zur Kriegstrei- Es ist nicht bekannt, ob Marine Le Pen Herrn Juncker berei der NATO war ich nicht überrascht . inzwischen für ihre Frexit-Kampagne als Mitarbeiter (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oberlehrer verpflichtet hat; aber er ist definitiv ihr bester Mann. Die Oppermann!) Stimmen in Großbritannien waren kaum ausgezählt, als Herr Juncker noch einmal bekräftigte, dass das Handels- Aber als Sie eben von den „Brüsseler Antidemokraten“ abkommen CETA ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten gesprochen haben, war es das erste Mal, dass jemand 17986 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Thomas Oppermann (A) den Sprachgebrauch der AfD im Deutschen Bundestag Willy Brandt ist es vor 50 Jahren mit der Einleitung (C) benutzt hat . der Entspannungspolitik wie keinem anderen gelungen, dieser Verantwortung gerecht zu werden . (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: der CDU/CSU) Das ist unglaublich! – Dr .Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Es ist nicht demokratisch, dass Übrigens: Die Einleitung der Entspannungspolitik be- CETA jetzt so in Kraft gesetzt werden soll!) gann auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges . Das zeigt, auch in schwierigen Zeiten ist Verständigung möglich . Wie kommen Sie dazu, demokratisch legitimierte, demo- 1990 mit dem Fall des Eisernen Vorhanges hatten wir kratisch gewählte Vertreter der europäischen Völker, der alle die Hoffnung, dass eine Epoche des Friedens und Europäischen Kommission als Antidemokraten zu be- der Demokratie in Europa beginnen wird . Aber heute, zeichnen? Das zeigt ein unglaubliches Maß an politischer ein Vierteljahrhundert später, sind konfrontative Sprache Desorientierung und Verwirrung auf Ihrer Seite . und aggressives Verhalten auf die politische Bühne zu- rückgekehrt . Es droht ein Rückfall in gefährliche Zeiten . (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Ich finde, wir müssen alles tun, um das zu verhindern. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut! – Heike Hänsel [DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten LINKE]: Wer hat denn die Kommission ge- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ wählt?) DIE GRÜNEN) Was Sie zur Kriegstreiberei der NATO gesagt haben, Mit der Annexion der Krim und mit dem militärischen hat mich nicht überrascht, aber ich finde, Sie verkennen Eingreifen in der Ukraine hat Russland die Grenzen ge- dabei immer eines: waltsam verschoben, das Völkerrecht verletzt und die europäische Friedensordnung infrage gestellt . (Zuruf von der SPD, an die Abg . Dr . Sahra Wagenknecht [DIE LINKE] gewandt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Können Sie mal zuhören? Zuhören, Frau Großangelegte russische Militärmanöver mit bis zu Wagenknecht!) 100 000 Soldaten verstärken die Furcht in Polen und in Eine der Lehren aus dem militärischen Größenwahn der den baltischen Staaten . Nazis war, dass ein demokratisches Deutschland seine (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ist (B) Landesverteidigung, seine militärischen Angelegenhei- es!) (D) ten nicht allein nationalstaatlich organisiert, sondern in ein Bündnis aus Demokratien einbettet . Ein Bündnis aus Ich finde es auch nicht vertrauenserweckend, dass Putin Demokratien ist der beste Schutz für unser Land, für un- über russische Banken überall in Europa rechtsradikale, sere Länder, aber auch der beste Schutz vor Kriegstrei- rechtspopulistische Parteien wie den Front National fi- berei . nanziert . (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann haben Sie – das will ich Ihnen als Drittes sagen – Ich finde, darauf müssen wir klare Antworten geben. auch noch den Irakkrieg erwähnt . Ich will in aller Deut- Aber wenn wir auf jedes russische Manöver mit einem lichkeit daran erinnern – Sie haben es teilweise angedeu- eigenen Manöver antworten, wenn auf jede militärische tet –: Der Irakkrieg war kein Krieg der NATO, sondern Aktion eine militärische Reaktion folgt, wenn auf jede er war eine Aktion der sogenannten Koalition der Willi- Aufrüstung eine eigene Aufrüstung folgt, dann rutschen gen . Und ich muss sagen: Ich bin heute noch froh – und wir wieder in die Logik des Kalten Krieges . Ich sage, wir sind alle stolz darauf –, dass Bundeskanzler Gerhard wir müssen alles daransetzen, dass wir in diese verhäng- Schröder und Präsident Jaques Chirac Deutschland und nisvolle Spirale nicht wieder hineinkommen . Ein Rüs- Frankreich aus diesem Krieg herausgehalten haben . tungswettlauf wäre das Letzte, was Russland und Europa gebrauchen können . (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: – Immerhin auch ein bisschen Beifall vom Koalitions- Sagen Sie das Frau Merkel, nicht uns!) partner . Zum Glück gibt es einen großen Konsens in diesem Meine Damen und Herren, wir haben erst vor wenigen Haus, dass ein Ausweg aus dem Konflikt in der Ukraine Tagen in diesem Plenum daran erinnert, dass Deutsch- nicht mit militärischen, sondern nur mit diplomatischen land vor 75 Jahren ganz Osteuropa mit einem mörderi- Mitteln möglich ist . Frank-Walter Steinmeier hat völ- schen Krieg überzogen hat . Daraus erwächst für uns eine lig recht, dass man mit Truppenparaden und Manövern Verantwortung gegenüber unseren Nachbarn in Osteuro- allein keine Sicherheit gewinnen kann . Ich bin Frank- pa, aber ebenso gegenüber Russland . Walter Steinmeier dankbar, dass er darauf aufmerksam Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17987

Thomas Oppermann (A) gemacht hat, dass man mit militärischer Stärke allein kei- Meine Damen und Herren, ich bin froh – und ich (C) nen Frieden sichern kann . glaube, auch die ganz große Mehrheit der Deutschen ist froh –, dass Frank-Walter Steinmeier und nicht jemand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten anderes unser Außenminister ist . der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . Dr .Alexander S . (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Neu [DIE LINKE]) CSU]: Ist es jetzt schon so weit? Jetzt wird es peinlich! Das ist gar nicht nötig! – Michael Angesichts der globalen Krisen müssen wir die Kon- Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird jetzt frontation in Europa überwinden . Es gibt für uns Sozi- ein bisschen viel!) aldemokraten für das Verhältnis zwischen Russland und der NATO drei klare Leitlinien . – Nein, mein lieber Volker, ich glaube, du bist in Wirk- lichkeit auch froh, dass Frank-Walter Steinmeier unser Die erste ist Verteidigungsbereitschaft . An der Ver- Außenminister ist . teidigungsfähigkeit und dem Verteidigungswillen der NATO darf kein Zweifel bestehen . Die kollektive Vertei- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Volker digung des Bündnisses ist für uns und besonders für die Kauder [CDU/CSU]: Thomas, ich sage: Er hat baltischen Länder und Polen ein Garant für Sicherheit . es gar nicht nötig, was hier gemacht wird!) Deshalb unterstützen wir die Maßnahmen zur Rückver- – Nein, aber wir wissen das sehr zu schätzen, und was sicherung, wie sie auf dem NATO-Gipfel beschlossen man zu schätzen weiß, sollte man gelegentlich auch sa- werden sollen . gen . Die zweite ist Dialogfähigkeit . Wir müssen mehr mit- (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ einander und nicht mehr nur übereinander sprechen . In CSU]: Das ist eher peinlich!) guten Zeiten ist das eine Selbstverständlichkeit . Aber ge- rade in schwierigen Zeiten ist Dialog besonders wichtig Wir sind für eine schrittweise Annäherung an Russ- und die größte außenpolitische Herausforderung . land . Sanktionen sind kein Selbstzweck – die Aufhebung von Sanktionen allerdings ebenso wenig . Nur wenn (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Deshalb Russland sein Verhalten ändert, erfüllen sie ihren Sinn . haben Sie Russland vom Gipfel ausgeschlos- Deshalb wird es mit uns auch kein Aufweichen der Sank- sen!) tionen geben, ohne dass es echte Zugeständnisse von Wladimir Putin gibt . Für die nächste Zeit muss deshalb die Devise lauten: So viel Sicherheit wie nötig, aber so viel Dialog und Koope- Es gibt Hardliner, die nun sagen: Alles oder nichts! (B) ration wie möglich . Sie fordern und erwarten, dass Russland bedingungslos (D) in Vorleistung geht . Ich halte diesen Ansatz nicht für er- Dritte Leitlinie: Die nachhaltige Sicherheit für Europa folgversprechend . Für die SPD ist klar: Wenn es bei der kann es nicht ohne Russland und erst recht nicht gegen Umsetzung substanzielle Fortschritte gibt, dann können Russland geben . die Sanktionen auch schrittweise aufgehoben werden . (Zuruf des Abg . Herbert Behrens [DIE LIN- (Beifall bei der SPD – Michael Grosse- KE]) Brömer [CDU/CSU]: Wenn die Gegenleistung Deshalb muss es unsere Strategie sein, Russland als ei- stimmt!) nen verantwortungsvollen Partner zurückzugewinnen, Auch als Vorsitzender des Petersbur- Russland wieder in eine verantwortungsvolle Partner- ger Dialoges hat diese Position ausdrücklich vertreten . schaft einzubinden . Ausgerechnet Ronald Pofalla! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was heißt das der CDU/CSU) denn jetzt?) Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, dass immer Eine Stimme der Vernunft im konservativen Lager! wieder Leute kritisiert werden, die den Dialog mit Russ- land fordern . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dieser Satz von (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Führen Herrn Oppermann steht jetzt im Protokoll! Sie den doch! Machen Sie doch!) Das ist auch gut so!) All denen, die unseren Außenminister jetzt als „Russ- – Ich lasse ja keine Gelegenheit aus, unseren Koalitions- landversteher“ bezeichnet haben, hat Frank-Walter partner zu loben . Steinmeier am Wochenende, wie ich finde, eine ganz ein- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der deutige Antwort gegeben, nämlich: Wer aufhört, andere SPD) zu verstehen, wer aufhört, andere verstehen zu wollen, der sollte keine Außenpolitik betreiben . Meine Damen und Herren, die Frau Bundeskanzlerin ist im Augenblick verhindert, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein, DIE GRÜNEN) nein!) 17988 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Thomas Oppermann (A) aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den letz- Ich wünsche mir, dass wir die vielen Hochstapler in (C) ten Europäischen Rat zurückkommen . Europa rechtzeitig entlarven, bevor sie einen so großen Schaden anrichten können wie in Großbritannien . Ich fand es gut, dass Frankreich, Italien und Deutsch- land auf diesem Rat klargemacht haben: Wir brauchen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beim Brexit möglichst schnell Klarheit . Europa muss der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ sich neu orientieren . Die 27 verbleibenden Mitglieder DIE GRÜNEN) der Europäischen Union brauchen eine Grundlage, auf Es lohnt sich auch deshalb, darüber zu reden, weil ich der sie arbeiten können . Ich fand es auch gut, dass klarge- das Gefühl habe: Mit jedem Tag und mit jedem Blick auf macht wurde und dass es einen breiten Konsens in Euro- das politische Chaos, das angerichtet worden ist, wächst pa gibt, dass es keine Sonderbehandlung von Großbritan- wieder die Wertschätzung für seriöse Parteien, wächst nien geben kann. Alle Vorteile, aber keine Pflichten: Das wieder die Wertschätzung für seriöse Politik . Ich glaube, geht nicht, das würde nur Anreize für andere in Europa das ist gut für unsere Demokratie . schaffen, sich selbst auch nur die Vorzüge zu sichern . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Augenblick ist die Neigung in der EU, sich von ihr der CDU/CSU) abzuwenden, gesunken . Das ist in den letzten Tagen ganz deutlich geworden und liegt vor allen Dingen daran, dass Das beste Mittel gegen die Feinde Europas ist aber Großbritannien nach der Brexit-Bruchlandung im politi- ein besseres Europa . Die Europäische Union muss das schen Chaos versunken ist . Auch darüber müssen wir im Vertrauen der Menschen durch Handlungsfähigkeit wie- Deutschen Bundestag und überall in Europa reden – üb- der zurückgewinnen . Das geht nur, wenn wir uns auf die rigens nicht mit Häme, aber in aller Klarheit . großen und wichtigen Fragen konzentrieren, wenn wir in den besonders notleidenden Ländern wieder für Wachs- Mit jedem Tag wird deutlicher: Die „Leave“-Kampag- tum und Beschäftigung sorgen . Dazu brauchen wir mehr ne hatte nie einen Plan für den Ausstieg Großbritanniens Investitionen in Ausbildungsprogramme für junge Men- aus der Europäischen Union . Sie hat den Wahlkampf mit schen, in Forschung, in Entwicklung, in eine moderne In- unhaltbaren Versprechungen geführt, frastruktur, in ein europaweites Glasfasernetz für schnel- (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ist es!) les Internet . All das, Herr Schäuble, wollen wir entgegen der Darstellung, die Sie verbreitet haben, nicht mit neuen und anschließend sind die Brexit-Ideologen in der politi- Schulden in Europa finanzieren, sondern mit regulären schen Versenkung verschwunden . Staatseinnahmen . Es ist kein sinnvolles politisches Ziel, die Verschuldung in Europa auszuweiten . Es ist aber (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie (B) sehr wohl ein sinnvolles politisches Ziel, die finanzielle (D) wissen nicht, was sie tun!) Handlungsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten und der Eu- Der Slogan der Brexit-Kampagne, „Take back control“, ropäischen Union wiederherzustellen . wirkt angesichts der politischen Führungslosigkeit wie (Beifall bei der SPD – Zurufe von Abgeord- blanker Hohn . neten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb sage ich: Wir müssen die Steuerhinterziehung der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ in Europa bekämpfen. Wir müssen die Steuerschlupflö- DIE GRÜNEN) cher schließen . Wir müssen die Finanztransaktionsteuer einführen . Wenn alle ihren gerechten Teil zur Finanzie- Es sieht so aus, als würden die Brexit-Ideologen kein ein- rung der Europäischen Union beitragen, dann brauchen ziges ihrer Versprechen halten können . wir keine neuen Schulden in Europa . Nur so, mit gerecht Ich sage: Das würde auch in Frankreich passieren, finanzierten Investitionen, können wir das Kernverspre- wenn Marine le Pen gewählt würde, chen der Europäischen Union wieder erfüllen: Fort- schritt, Gerechtigkeit und Demokratie für alle Menschen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in Europa . Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten . und das würde auch in den Niederlanden passieren, wenn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Geert Wilders die Wahlen gewinnen würde . Das würde der CDU/CSU) überall in Europa passieren, wenn die Populisten die Oberhand gewinnen würden . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Das Wort erhält nun der Kollege Anton Hofreiter für Abg . Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Boris Johnson und Nigel Farage sind angetreten, um Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Geschichte zu ändern . Jetzt sind sie – leider zu spät – als politische Hochstapler und verantwortungslose Ha- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sardeure demaskiert worden . Kollegen! Das Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie seit der Zeit des Kalten Krieges nicht mehr . Die Sorge (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marieluise vieler Menschen auf dem Kontinent vor einem Krieg ist Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- so groß wie schon lange nicht mehr . Mit der Annexion NEN]) der Krim und mit den Aktionen in der Ostukraine hat Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17989

Dr. Anton Hofreiter (A) Russland, hat Putin die Friedensordnung in Europa auf Richtung NATO und Bundesregierung: Nicht draufsat- (C) den Kopf gestellt . Man muss ganz klar sagen: Es ist eine teln, sondern mäßigen! besondere Tragik, dass mit der Ukraine das erste Land (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weltweit, das freiwillig seine Atomwaffen komplett ab- gegeben hat, von seiner eigenen Garantiemacht überfal- Ich glaube, es wäre wichtig, dass die Bundesregierung len worden ist . diesen Rat beherzigt . Denn das ist der alte Irrweg, dass man auf ein Manöver mit dem nächsten Manöver und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Aufrüstung auch mit Aufrüstung reagiert; das ist die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Spirale des Kalten Krieges . Wir sollten eigentlich etwas der SPD) aus dem Kalten Krieg gelernt haben . Von einer Fraktion, die gern von sich behauptet, dass Da teile ich ja die Meinung von Thomas Oppermann, ihr Friedenspolitik wichtig wäre, aber ich würde dann auch erwarten, dass ihr euch mit (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist!) dieser Haltung gegenüber der Bundesregierung und der NATO durchsetzen könnt . Da werden nämlich andere dazu nie wirklich etwas zu hören, finde ich, ehrlich ge- Dinge diskutiert . Die Kanzlerin hat es dargestellt . Da sagt, beschämend und problematisch . Dass ein Land, das, wird diskutiert, dass die Raketenabwehr als angeblich wie gesagt, freiwillig seine Atomwaffen komplett ab- defensives System – es wird von Russland überhaupt schafft, von seiner Garantiemacht überfallen wird, ist ein nicht als defensiv empfunden – weiter ausgebaut werden solcher Rückschlag für eine vertragsbasierte Friedens­ soll . Die Reaktion darauf zeigt sich bereits: In Kalinin- politik, wie wir ihn lange nicht erlebt haben . Da würde grad werden jetzt auch Raketen aufgestellt . ich mir vonseiten der Linksfraktion ganz klare Worte wünschen . Genau das ist der Einstieg in die Rüstungsspirale . Das ist in der Vergangenheit immer mit dem Iran begründet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN worden . Jetzt haben wir das Abkommen mit dem Iran, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und aber es wird weiter daran festgehalten . Das ist genau der der SPD) Irrweg, den wir eigentlich überwunden haben sollten . Ich würde von euch und auch von Herrn Steinmeier erwar- Putin ist über das Budapester Abkommen hinwegge- ten, dass ihr euch, wenn das schon erkannt wird, gegen- trampelt . Er hat die Souveränität der Ukraine ignoriert, über der Bundesregierung entsprechend durchsetzt . und er hat ihre territoriale Integrität ignoriert . Es ist ganz klar, dass dieses Vorgehen nicht hinnehmbar ist . Daran (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann es nicht den geringsten Zweifel geben . Was die Gespräche darüber angeht, dass jetzt dauer- (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haft NATO-Truppen in den östlichen Staaten stationiert sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und werden sollen – wir sprechen nicht von Air Policing; das der SPD) können wir absolut verstehen und halten es für richtig, sondern es geht um die dauerhafte Stationierung von Deshalb war die Reaktion der EU und war die Reak- Truppen –, besteht die Gefahr, dass die NATO-Russ- tion der NATO richtig und wichtig . Es war richtig und land-Grundakte auch von unserer Seite gebrochen wird . wichtig, dass die Europäische Union gemeinsam Sank- Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich ganz tionen verhängt hat . Es ist völlig verständlich und nach- eindeutig dagegenstellt . Denn das wäre ein weiterer vollziehbar – das darf man auch mit Blick auf die Ge- Schritt in Richtung Eskalation . schichte nicht ignorieren –, dass die östlichen Staaten der NATO jetzt größere Sicherheitsbedürfnisse und Beden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken haben . Das liegt doch auf der Hand . Es ist notwendig Die Bundeskanzlerin hat auch hier davon gesprochen, und richtig, dass es eine Rückversicherung im Bündnis dass 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung gibt und dass das Bündnis zusammenstehen muss . ausgegeben werden sollen . Das würde bedeuten, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir es wirklich umsetzen, dass wir 25 Milliarden Euro sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr für Rüstung ausgeben würden . Es kann doch nicht der SPD) ernsthaft die Antwort der Großen Koalition auf die glo- balen Herausforderungen sein, 25 Milliarden Euro mehr Aber dabei stellt sich die Frage: Was ist die richti- für Waffen ausgeben zu wollen . Ist das eine Belohnung ge Antwort darauf? Ich habe gewisse Zweifel, dass der für das, was wir bereits sehen: dass Frau von der Leyen Einstieg in die Aufrüstungsspirale und Sprachlosigkeit die Bundeswehr nicht im Griff hat und dass bis jetzt viel die richtige Antwort sind . Wolfgang Ischinger, der Vor- Geld verschwendet worden ist? Das kann doch nicht sitzende der Münchner Sicherheitskonferenz – ich hätte ernsthaft Ihre Antwort auf die globalen Herausforderun- nicht gedacht, dass ich ihn einmal als friedenspolitischen gen sein . Kronzeugen zitieren würde –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das sagt über beide was!) Es war die Rede davon, dass die NATO im Abriegeln der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sehr hat gesagt, dass die Gefahr so groß wie selten ist, dass die erfolgreich ist und dass dort weniger Menschen sterben . Eskalationsschritte in Richtung militärische Kampfhand- Ja, das kann man, wenn man so will, als Erfolg sehen . lung führen werden, und er gibt einen ganz klaren Rat in Aber wenn man sieht, was im Mittelmeer insgesamt pas- 17990 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Anton Hofreiter (A) siert – dass die Menschen jetzt über Ägypten fliehen, So präsentiert sich die Regierung eines der wichtigsten (C) was ein weitaus gefährlicherer Weg ist und dazu führt, und mächtigsten Länder der Europäischen Union . Das dass sie wesentlich länger auf dem Meer sind, sodass die kann doch nicht euer Ernst sein! Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen ertrin- ken –, zeigt sich eindeutig, dass militärische Abschottung (Zuruf des Abg . Michael Grosse-Brömer keine sinnvolle Maßnahme ist, wie man mit Geflüchteten [CDU/CSU]) umgeht . Auch da würde ich erwarten, dass Sie sich um Und wie reagiert die Bundeskanzlerin auf das Ganze? die Ursachen kümmern und nicht nur auf Abschottung Wie reagiert sie auf das Chaos in ihrer eigenen Regie- setzen . rung? Sie reagiert damit, dass sie einfach dazu schweigt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann doch nicht ihr Ernst sein angesichts der histo- rischen Aufgabe, vor der wir stehen! Das ist ein histori- Ursprünglich war ja vorgesehen, dass wir heute auch sches Versagen dieser Bundesregierung . über den Brexit sowie über die Ergebnisse des Europäi- schen Rates diskutieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine ( [] [BÜNDNIS 90/DIE Sorge, das wird schon gut! – Volker Kauder GRÜNEN: Das hätte auch Sinn gemacht!) [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir euch!) und dass Frau Merkel in der Regierungserklärung etwas Selbstverständlich müssen wir uns intensiv damit be- dazu sagt. Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir von ihr schäftigen, was eigentlich los ist in Europa, warum Anti- dazu nichts gehört haben . Von der Bundesregierung ins- europäer und Rechtspopulisten einen solchen Zulauf er- gesamt haben wir nämlich sehr, sehr viel gehört – aber halten: fast 50 Prozent für die FPÖ in Österreich, Le Pen extrem viel Unterschiedliches . Europa steht vor der größ- führt in den Umfragen für die Präsidentschaftswahlen, ten Herausforderung in seiner Geschichte . Die Europäi- und in Polen und Ungarn sind bereits Regierungen mit sche Union ist bedroht wie nie, und was haben wir für einem extrem seltsamen Demokratieverständnis an der eine Bundesregierung? Wir haben einen Herrn Schäuble, Macht . Wir könnten viele weitere Länder aufzählen . Wir der mehr Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaa- müssen uns überlegen, wo die Zusammenhänge sind . ten fordert und gleichzeitig auf die EU-Institutionen wie die Kommission eindrischt . Wenn ich mir Herrn Natürlich hat das auch etwas mit Fehlern in nationaler Schäubles Bilanz bei der Zusammenarbeit zwischen den und europäischer Politik zu tun . Wir halten CETA auch Nationalstaaten anschaue, so fällt mir zum Beispiel die für grundfalsch und haben die Rechtsauffassung, dass Finanztransaktionsteuer ein, die in der letzten Legislatur- CETA stark in die Belange der Nationalstaaten eingreift (B) periode vereinbart wurde . und deshalb rechtlich ein gemischtes Abkommen ist . (D) (Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bereits (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt 2008!) doch gar nicht!) Ich glaube, wir haben sie immer noch nicht umgesetzt . Aber man kann nicht davon sprechen, dass es, wenn nur Sie sollten sich einmal an die eigene Nase fassen, Herr das Europaparlament darüber abstimmen würde, antide- Schäuble, und überlegen, wie erfolgreich diese Zusam- mokratisch wäre . Es ist in unseren Augen eine falsche menarbeit bis jetzt ist, statt auf andere einzudreschen . Entscheidung, dies zu tun . Aber eine falsche Entschei- dung, die von einer Mehrheit gedeckt ist, ist nicht des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halb antidemokratisch, nur weil ich oder die Linksfrakti- Wenn ich mir diese Bundesregierung weiter anschaue, on sie für falsch halten . Vielmehr muss man dann halt für so haben wir dort einen Herrn Gabriel, der die EU gleich andere Mehrheiten kämpfen und darf nicht davon reden, neu gründen möchte und davon spricht, dass mehr in- dass diese Entscheidungen antidemokratisch wären . vestiert wird .– Ja, das halten wir für richtig, dass mehr investiert wird . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der SPD) Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Uni- Europa muss wieder dafür sorgen, dass es seine vier on – ich glaube, ihr seid in der gleichen Koalition; Herr Grundversprechen erfüllt . Diese waren: Frieden, Frei- Gabriel ist immerhin Vizekanzler – antwortet auf die heit, Demokratie und Wohlstand für alle . Wenn wir Vorschläge des Vizekanzlers mit der Aussage: Griff in gemeinsam dafür sorgen, dann haben wir auch alle die sozialistische Mottenkiste . Chancen, dass die Menschen wieder der Meinung sein werden: Die Europäische Union ist eine gute Sache; die (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ Europäische Union dient allen . Die Europäische Union DIE GRÜNEN]: Der kennt sich beim Sozia- ist unsere einzige Chance, bestimmte grundlegende Pro- lismus nicht so aus!) bleme weltweit zu lösen . Viele Nationalstaaten sind zu So präsentiert sich die Große Koalition . So präsentiert klein, um Herausforderungen wie der Klimakrise – sich die Bundesregierung in der größten Herausforde- rung, vor der die Europäische Union steht . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17991

(A) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Hofreiter, was Sie heute gesagt haben und was auch (C) – und den Steuerhinterziehungen transnationaler Kon- im Entschließungsantrag Ihrer Fraktion steht . Aber was zerne zu begegnen . Dazu brauchen wir die Europäische als Konsequenz formuliert wird, ist nicht überzeugend . Union – nicht, weil es eine Garantie dafür gibt, dass sie Wenn ich in Ihrem Antrag den Satz lese: „Gleichzeitig die richtige Politik macht, aber weil es die Chance gibt, muss Russland auch bereit sein, dieses Angebot anzu- dass sie die richtige Politik macht, wenn wir die richtigen nehmen“, dann kann ich nur sagen: Russland nimmt das Mehrheiten erkämpft haben . eine oder andere Angebot eben nicht an . Auch darauf müssen wir eine Antwort finden. Es ist ein wenig blauäu- Vielen Dank . gig, zu formulieren, dass wir nicht in eine neue Spira- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN le der Aufrüstung geraten und nicht auf jedes Manöver sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD]) eine gleiche Antwort geben dürfen, und dann zu sagen: Aber Russland muss das Angebot, das wir machen, auch annehmen .– Damit Russland dieses Angebot annimmt, Präsident Dr. Norbert Lammert: muss klar und deutlich gesagt werden: Wir sind nicht Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ wehrlos, wenn Verträge mit Füßen getreten werden und CSU-Fraktion . wenn Länder wie die Ukraine überfallen werden . Sie (Beifall bei der CDU/CSU) haben völlig recht: Das ist noch viel schlimmer, als das Völkerrecht zu verraten, wie es die Russen getan haben . Volker Kauder (CDU/CSU): Die Russen haben den Ukrainern versichert: Wenn ihr die Atomwaffen abgebt, sind eure Grenzen sicher .– Das ist Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! eine der großen politischen Lügen, die wir in dieser Zeit Der NATO-Gipfel in dieser Woche findet in einer poli- erlebt haben . tisch bewegten Zeit in Europa und in der Welt statt . Der NATO-Gipfel macht auch deutlich, dass es zur Lösung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Probleme auf uns alle ankommt . In der NATO sind ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ die Staaten Europas und andere in einem Bündnis mitei- DIE GRÜNEN) nander vereint, und zwar in einem Bündnis, Das darf nicht einfach mit dem lapidaren Satz „Russland (Zuruf von der LINKEN: Kriegsbündnis!) muss das Angebot auch annehmen“ beiseitegeschoben das ausschließlich – ich habe Veranlassung, dies so deut- werden . lich zu sagen, nach einigen Äußerungen in den letzten Richtig ist – da wir nach politischen Lösungen su- Tagen – defensiv angelegt ist . chen –, dass wir miteinander reden müssen . Aber dieses (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Miteinanderreden muss, wie es so schön heißt, auf Au- (D) ordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LIN- genhöhe stattfinden. Dieses Miteinanderreden muss auch KE]: Da lachen ja die Hühner!) bedeuten, dass der andere weiß, dass der Gesprächspart- ner genauso stark ist wie er selber, damit er nicht auf – Bei Ihnen fällt mir eigentlich nichts mehr ein nach dem, dumme Gedanken kommt . was Ihre Fraktionsvorsitzende heute abgeliefert hat . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Präsident Dr. Norbert Lammert: ordneten der SPD) Herr Kollege Kauder, lassen Sie eine Zwischenfrage Sie können genauso wie wir alle stolz darauf sein, zu? dass wir in einer Demokratie leben, wo auch solche Sa- chen gesagt werden können, und nicht in einem Land wie Volker Kauder (CDU/CSU): Russland, wo Pressefreiheit nicht existiert und wo Men- Nein . schen, die etwas sagen, was der Regierung nicht passt, verfolgt werden . (Zurufe von der LINKEN) (Zuruf von der LINKEN: Was? – Heike – Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Es muss auch Hänsel [DIE LINKE]: Soll das jetzt eine Dro- möglich sein, wenn man eine Redezeit von nur zehn Mi- hung sein?) nuten hat, in diesem Haus Gedanken klar zu formulieren . Sie hatten Ihre Redezeit und machen sowieso Zwischen- Wir dürfen stolz darauf sein, in einer solchen Demokratie fragen, wie es Ihnen gerade passt . zu leben . (Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen klipp und klar sagen, dass wir auf Augen- In dieser bewegten Zeit kommt es also darauf an, dieses höhe sein müssen, damit der andere nicht den Eindruck Europa zu stärken und eine Antwort auf die Konflikte zu hat, dass er mit dem, was er schon einmal gemacht hat, geben, die uns alle so beschäftigen und belasten . nämlich andere zu überfallen, Gesprächspartnern drohen Ja, es ist richtig, dass dieses Bündnis, das defensiv kann . Jetzt, Herr Hofreiter, kann ich nur sagen: Wir alle angelegt ist, den Dialog mit denjenigen sucht, die als wollen keine Spirale der Aufrüstung . Aber ich habe da- wichtige Mitspieler auf der politischen Bühne auftre- mals – Sie wahrscheinlich auch – intensiv an der Debat- ten . Aber es kommt auch darauf an, dass man die Dinge te über den NATO-Doppelbeschluss teilgenommen . Ich richtig benennt. Deswegen finde ich das völlig richtig, weiß noch, was mir damals alles gesagt worden ist . Das 17992 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Volker Kauder (A) Ergebnis war: Nur dadurch, dass wir die NATO-Nachrüs- seinen Steuergeldern nicht die Renten in Athen bezahlen . (C) tung beschlossen haben, wie Gorbatschow formuliert hat, Auch daran muss ich einmal erinnern . war es überhaupt möglich, einen anderen Weg, nämlich (Dr .Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Genau! einen friedlicheren Weg, zu beschreiten . Es ist eben nicht Richtig! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ so, dass wir aus der Geschichte nicht lernen können . CSU]: Wer war das noch einmal?) (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen rate ich dazu, alles in Ruhe miteinander zu besprechen . Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass Helmut Schmidt dies gesehen hat, aber die SPD ihm darin nicht Jetzt kann ich noch einmal sagen, was ich schon in der ganz so richtig gefolgt ist . Aber wir sollten die Fehler letzten Debatte gesagt habe . der Vergangenheit nicht wiederholen . Deswegen sage (Zuruf des Bundesministers ) ich: Ja, es ist richtig, wenn die NATO demonstriert: Wir sind so stark, dass wir uns verteidigen können, aber – Nein, Herr Gabriel . Das hat nichts mit Wahlkampf zu wir sind auch so stark, dass wir den Dialog führen kön- tun, sondern mit der Realität, die ich jetzt abgebildet nen .– Der Dialog mit Russland wird geführt . Auch ich habe . Aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen . Außer- hätte mich gefreut, wenn der NATO-Russland-Rat vor dem dürfen Sie von der Regierungsbank gar nicht dazwi- dem ­NATO-Treffen hätte stattfinden können. Die Russen schenrufen . Wenn Sie das tun möchten, müssen Sie auf wollten das nicht . Sie wollen den NATO-Russland-Rat den Abgeordnetenbänken Platz nehmen . Aber lassen wir erst nachher einberufen. Okay, aber er findet auf jeden das . Fall statt . Deswegen halte ich es für völlig falsch, wenn (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – für die NATO durch Formulierungen der Eindruck er- [SPD]: Sigmar Gabriel weckt wird, als ob sie Aggressionen ausübt . Die NATO darf alles!) ist ein defensives Bündnis, Ich möchte darauf hinweisen, dass es keinen Sinn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- macht – lieber Thomas Oppermann, da sind wir uns ja ordneten der SPD) einig –, Geld in etwas hineinzuwerfen, ohne dass man vorher die Strukturen verändert hat . Ich erläutere das ein- und die Aggression kam von anderen, nicht von der mal an einigen Beispielen . NATO . Wenn wir der jungen Generation keine berufliche Ausbildung ermöglichen und glauben, dass der Fachar- (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) (B) beiter nichts mehr wert ist, sondern dass jeder studieren (D) muss, dann haben wir eine Situation wie beispielsweise Eine Voraussetzung dafür, dass die NATO stark blei- in Spanien . Auf eine solche Situation können wir nicht ben kann – da hat Thomas Oppermann völlig recht –, ist, dadurch reagieren, dass wir noch mehr Geld geben . Statt- dass Europa stark bleibt . Ohne ein starkes Europa und dessen müssen sich Strukturen ändern, und es muss für starke europäische Staaten wird die NATO ihre Aufgabe Wachstum gesorgt werden . nicht erfüllen können . Es gibt tatsächlich einen Zusam- menhang zwischen diesem Verteidigungsbündnis und Nächstes Beispiel . Wir wollen in Europa bei Projek- Europa . ten zusammenarbeiten . Der Präsident Frankreichs hat gesagt: Bei gemeinsamen Rüstungsprojekten können Dass Europa stark bleibt und in Teilen wieder stark wir nicht zusammenarbeiten, weil die Vorschriften in wird, hängt natürlich damit zusammen, dass Europa wirt- Deutschland so sind, dass wir Franzosen damit nicht schaftlich konkurrenzfähig ist . Da zeigt doch der Blick leben können .– Dazu kann man sagen: Das ist okay .– auf unsere innenpolitische Situation: Stark im Wettbe- Aber dann darf man nicht bejammern, dass wir keine werb kann nur ein Land sein, das sich entschließt, erstens Chance auf gemeinsame Wachstumsprojekte in der Eu- Reformen durchzuführen, um auf der Höhe der Zeit zu ropäischen Union haben . Auch das muss man einmal klar bleiben, und zweitens keine neuen Schulden zu machen . und deutlich sagen . Angriffe auf unseren Bundesfinanzminister wie die, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schwarze Null sei ein Fetisch, sind absolut nicht in Ord- nung . Das hat nicht Kollege Oppermann gemacht, aber Ich rate, dass wir in Europa erst einmal in aller Ruhe aus der SPD ist das gekommen . Da kann ich nur sagen: die Antwort aus Großbritannien abwarten, dann Gesprä- Die schwarze Null ist kein Fetisch, sondern sie ist eine che führen, dass wir uns vor allem aber bewusst machen, existenzielle Voraussetzung dafür, dass auch die junge dass wir den Weg, der bei uns zum Erfolg geführt hat, Generation Chancen in diesem Land und in Europa hat . nämlich Reformen durchzuführen und Wachstumsim- pulse zu setzen, auch in Europa beschreiten müssen . Wir (Beifall bei der CDU/CSU) sollten nicht auf Rezepte zurückgreifen, die sich in der Vergangenheit auch in unserem Land nicht bewährt ha- Zu der Aussage „Wir wollen keine neuen Schulden ben . machen, sondern wir wollen das in Europa anders orga- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nisieren“ kann ich nur sagen: Es war auch eine Stimme aus der SPD, die damals im Zusammenhang mit Grie- Richtig ist auch, dass die Zustimmung zu Europa ge- chenland formuliert hat, der deutsche Arbeiter könne mit rade bei der jungen Generation davon abhängt, dass die- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17993

Volker Kauder (A) ses Europa Perspektiven für sie bieten kann . Das, was Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) wir als einen Grund für die Flucht in Afrika und anderen Niels Annen ist der nächste Redner für die SPD-Frak- Regionen benennen – dass junge Menschen keine Per- tion . spektive erkennen –, das darf nicht das Ergebnis in Euro- pa sein . Auch deswegen ist es richtig, dass wir für junge (Beifall bei der SPD) Menschen Perspektiven schaffen . Ich habe darauf hinge- wiesen, dass dafür Reformen notwendig sind . Niels Annen (SPD): Gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung, die Vielen Dank .– Herr Präsident! Meine sehr verehrten in Großbritannien getroffen worden ist, müssen wir aber Damen und Herren! Lieber Herr Kauder, wir sind auch auch klar und deutlich sagen – da stimme ich Thomas zuversichtlich; darauf können Sie sich gern beziehen . Oppermann zu –, was es für Konsequenzen hat, wenn (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) man Leuten nachläuft, die populistisch sind, die, um es einmal vorsichtig zu formulieren, falsche Aussagen ma- Ich möchte in meiner kurzen Redezeit doch noch chen und die, was ebenfalls der Wahrheit entspricht, die einmal etwas zur NATO sagen . Herr Kauder, Sie haben Menschen anlügen . Wer Populisten nachläuft – das zeigt Helmut Schmidt genannt . Es ist immer gut, ihn in diesem Großbritannien –, der schadet sich selbst, und dies müs- Hause zu nennen, aber ich darf schon darauf hinweisen, sen wir immer wieder deutlich machen . dass es in diesem Parlament einen Grundkonsens gibt – vielleicht mit Ausnahme der Kolleginnen und Kollegen Aber dazu gehört auch, festzustellen – ich habe Ver- der Linken . Schon seit 1960, seit der großen Rede von anlassung, das heute zu sagen –: In einer Koalition, in Herbert Wehner, bekennt sich dieses Land zur engen Ein- jeder Koalition gibt es bei der einen oder anderen Frage bindung in die NATO . Ich glaube, dass uns das insge- natürlich unterschiedliche Auffassungen . Das sage ich samt, dass es unserer Sicherheit und unserer Verankerung jetzt ohne Ironie – das gibt es in deiner Partei, Thomas gutgetan hat . Oppermann, und auch in meiner –: Es ist eben so, dass nicht alle Menschen die gleiche Meinung haben . Das Deswegen, meine sehr verehrten Kolleginnen und wäre ja auch wirklich langweilig . Kollegen, sagen wir auch vor dem NATO-Gipfel: Beides brauchen wir . Wir brauchen die Stärke des Bündnisses, Aber eines ist doch klar – das anzuerkennen, darum ja, auch die Abschreckung, aber wir brauchen ebenfalls bitte ich –: Wir sollten das, was wir in den vergangenen die Dialogbereitschaft . Dass das nicht nur eine Phrase ist, zweieinhalb Jahren in dieser Großen Koalition gemein- hat unser Außenminister in den letzten Monaten bewie- sam erreicht haben, was unserem Land nützt und was den sen . Wir handeln nach der Philosophie des Harmel-Re- Menschen nützt, jetzt nur wegen des Wahlkampfs nicht ports . Dazu will ich hier einige Beispiele nennen . (B) kleinreden . Es gab noch nie eine Situation in unserem (D) Land – in Deutschland –, in unserer Zeit, in der es den Das erste Beispiel ist die NATO-Russland-Grundak- Menschen so gut ging wie heute . te . Sie ist ein Dokument, das wir dringender als jemals zuvor nötig haben; das hätten wir alle uns nicht träumen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lassen . Wir müssen es jetzt wieder mit neuem Leben er- ordneten der SPD) füllen . Deswegen haben wir eine klare Linie formuliert . Dazu können wir aus gutem Grund sagen, Es bleibt dabei: keine permanente Stationierung substan- zieller Kampftruppen in den neuen Mitgliedstaaten . Da- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: 2,5 Millionen für hat sich die SPD eingesetzt, und es wird umgesetzt . Kinder in Armut!) (Beifall bei der SPD) um genau den Populisten entgegenzutreten: Das hat auch etwas mit unserer Politik, mit der Politik dieser Großen Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin fer- Koalition zu tun . Dazu sollten wir uns bekennen . ner dankbar, dass die Bundeskanzlerin das angesprochen hat – wir haben lange daran gearbeitet –: Die Operation (Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) Active Endeavour wird von Artikel 5 des Washingtoner – Damit das einmal ganz klar ist: Sie haben dazu keinen Vertrages entkoppelt, und damit wird die Möglichkeit Beitrag geleistet . geschaffen, sie auf eine breitere politische Grundlage zu stellen – das richtige Signal vor den Beratungen, die jetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- in Warschau beginnen . ordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Deshalb finde ich, dass wir auf das, was wir miteinan- der gemacht haben, was den Menschen dient und vor al- Insgesamt ist diese Philosophie von Abschreckung und lem der jungen Generation in unserem Land dient – sie Dialog auch in dem nachlesbar, was jetzt an Gipfeldoku- hat alle Chancen –, miteinander stolz sein dürfen, und menten vorbereitet worden ist . dies dürfen wir auch sagen. Ja, unser Land befindet sich Ich will aufgrund der aktuellen Spannungen, auf die in einem guten Zustand . Es gibt große Herausforderun- hingewiesen worden ist, noch ein paar andere Punk- gen, aber gerade weil wir wissen, was wir durch richtige te nennen, zum Beispiel die militärische Krisen-Kon- Politik leisten können, sind wir zuversichtlich – auch für takt-Diplomatie, wenn man das so sagen darf, also das, die Zukunft . was man früher „Rotes Telefon“ genannt hat . Meine Da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- men und Herren, wir brauchen offensichtlich solche In- ordneten der SPD) strumente heute wieder . Ich bin unserem Außenminister 17994 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Niels Annen (A) dankbar, dass diese Initiative gestartet worden ist, dass Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche gute (C) es wieder direkte Militär-zu-Militär-Kontakte gibt, um Beratungen in Warschau . Missverständnisse zu vermeiden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe mir die Reaktivierung des NATO-Russ- der CDU/CSU) land-Rats hier dick angestrichen, weil auch sie ganz entscheidend ist . Ich hätte mir gewünscht, dass es noch Präsident Dr. Norbert Lammert: ein Treffen vor dem Gipfel gibt . Es gibt eines nach dem Florian Hahn ist der nächste Redner für die CDU/ Gipfel; Russland hat sich mit der NATO darauf verstän- CSU-Fraktion . digt . Aber es bietet auch eine Chance der direkten Kom- munikation, wenn die Beratungen abgeschlossen sind . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sollten uns vornehmen, das weiter fortzusetzen . Ich glaube, das kann in diesem Parlament unterstützt werden . Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will einen weiteren Punkt nennen . Wir haben eine Der Gipfel in Warschau fällt in eine wahrlich turbulen- ganze Reihe von Instrumenten aus der Zeit des Kalten te Zeit . Die Herausforderungen, darunter das Verhältnis Krieges, die Vertrauen schaffen sollen, und wir brauchen zu Russland sowie der Krisengürtel, der vom Nahen sie heute wieder . Deswegen ist die Frage, ob man bei Osten bis nach Nordafrika reicht, sind gewaltig . Dane- Manövern, bei Übungen Beobachter einlädt, keine Ba- ben schaffen der internationale Terrorismus, der mitten nalität . Wir wissen, dass die Regeln zum Teil unterlaufen unter uns wütet, wie wir mit Blick auf den furchtbaren werden: durch die Größe der Manöver, durch kurzfristige Anschlag in Istanbul vor wenigen Tagen einmal mehr er- Ankündigungen etc . Also: Wir müssen zu dieser Kultur leben mussten, die Verbreitung ballistischer Raketen und des Vertrauens zurückkommen . Deswegen setzen wir die Bedrohung durch Cyberangriffe eine neue, komplexe uns als SPD-Fraktion dafür ein, dass beispielsweise das Unsicherheit, in der konkrete Gegenmaßnahmen immer Open-Skies-Regime auch durch einen eigenen Beitrag schwerer zu finden sind. unterstützt wird . Ich hoffe, Frau Ministerin, dass wir das versprochene, in Aussicht gestellte Flugzeug hierfür bald Kurz: Die NATO befindet sich in der schwierigsten bereitstellen können . Phase seit dem Ende des Kalten Krieges . Genau aus die- sem Grund muss eine zentrale Botschaft in Warschau sein, Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu der all- dass wir weiterhin gemeinsam auf diese Veränderungen gemeinen Philosophie sagen, über die ich gesprochen reagieren . Das wichtigste Signal nach außen muss unsere (B) habe . Deutschland steht zu den Rückversicherungsmaß- Geschlossenheit sein . In Zeiten wie diesen, in denen wir (D) nahmen . In der deutschen Öffentlichkeit ist nicht immer große sicherheitspolitische Aufgaben in Angriff nehmen, im Detail darüber gesprochen worden, was wir alles ge- müssen Allianz und Partnerschaften wachsen, an Rück- tan haben . Air Policing, Very High Readiness Joint Task grat gewinnen – zum einen aus den pragmatischen Grün- Force – wer sich solche Begriffe ausdenkt, weiß ich auch den, aus der simplen Logik, dass man gemeinsam mehr nicht so genau – und andere Maßnahmen sind ein ganz erreicht als allein, zum anderen aufgrund der schlichten klares Commitment zur Sicherheit der baltischen Staaten . Erkenntnis, dass der Rückzug, die Einigelung, der Ausruf Auch der Dialog mit Russland – ich würde mir manch- „Das geht mich nichts an“ oder „Wir können das auch mal wünschen, das würde von den Kolleginnen und Kol- alleine“ in der heutigen Welt, bei den aktuellen Bedro- legen in den baltischen Staaten einmal honoriert – dient hungen nicht mehr möglich sind . der Sicherheit des Bündnisses . Deswegen ist es richtig Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU er- gewesen, dass unser Außenminister das deutlich gemacht scheint vor diesem Hintergrund besonders gravierend . hat . Aber auch wenn es eine tiefe Zäsur darstellt, ist es nicht das Ende Europas und erst recht nicht das Ende unserer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sicherheitspolitischen Beziehungen zu Großbritannien . Wir werden weiterhin sehr eng mit den Engländern zu- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde, sammenarbeiten, gerade im Rahmen der NATO . wir haben uns vor diesem Gipfel vernünftig, ausglei- chend, aber auch entschlossen aufgestellt . Das wird si- Auch bei uns und in den anderen europäischen Län- cherlich auch in den Beratungen deutlich werden . Dass dern gibt es Stimmen, die sagen: Die Kosten einer Al- sich das deutsche Parlament in diesem Geiste mit der lianz wie der NATO sind höher als ihr Nutzen .– Teil- NATO identifiziert, aber auch die eigenen Interessen weise wird die Idee der transatlantischen Partnerschaft deutlich macht, – rundheraus abgelehnt . Ängste vor einer zu großen Domi- nanz der USA oder klassischer Antiamerikanismus sind treibende Kräfte der NATO-Kritiker . Die inhaltliche und Präsident Dr. Norbert Lammert: sprachliche Nähe von Frau Wagenknecht und der Linken Herr Kollege . auf der einen Seite und von Herrn Höcke, AfD, auf der anderen Seite (Dr . Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Un- Niels Annen (SPD): verschämtheit! – Zurufe von der LINKEN: – das ist der richtige Weg . Oh, oh!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17995

Florian Hahn (A) finde ich in diesem Zusammenhang besonders- bemer wusstsein der Russischen Föderation nicht gerecht . Bei (C) kenswert und wirklich entlarvend . all den Diskussionen der letzten Tage sollte eines klar sein – Generalsekretär Stoltenberg betont dies zu Recht (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel immer wieder –: Die NATO sucht keine Konfrontation [DIE LINKE]: Sie schieben die Flüchtlinge mit Russland . Die NATO reagiert auf russisches Handeln ab! Sie halten die Flüchtlinge ab! Sie machen mit Maß, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein . die Politik! Rechte Politik machen Sie!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dem möchte ich entgegensetzen: Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis, durch das sich die Mit- Aber reagieren müssen wir, um glaubhaft zu demons­ gliedsländer gegenseitig stützen; sie ist auch eine Wer- trieren, dass Bündnissolidarität weiterhin oberste Pri- tegemeinschaft freier Staaten . Gemeint ist damit, dass orität hat . Natürlich müssen dabei die Abschreckungs- wir geeint sind in unseren demokratischen Prinzipien anstrengungen mit Augenmaß erfolgen . Leider hat und dass freie Rede und offene Diskussion die Basis al- Russland in der Vergangenheit klassische Instrumente ler Bündnisbeschlüsse sind . Hier muss, wenn nötig, auch der Konfliktverhütung ignoriert, wie die Absage eines Kritik geäußert werden . So ist beispielsweise das Verhin- Treffens des NATO-Russland-Rates noch vor dem War- dern eines Besuchs deutscher Abgeordneter bei unseren schauer Gipfel zeigt . Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Incirlik, in einem NATO-Partnerland, indiskutabel und muss bei der Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zudem auf NATO entsprechend angesprochen werden . eines hinweisen: Die NATO veröffentlicht auf ihrer Web- site alle Informationen zu ihren geplanten und vergleichs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen weise bescheidenen Manövern . Sie hält sich damit strikt über die Prioritätensetzung angesichts gleichzeitiger an das Wiener Dokument der OSZE zur Beobachtung Unsicherheiten im Osten und im Süden waren sehr lehr- und Kontrolle von Manövern . Nicht so Russland: Übun- reich . Wie soll die NATO reagieren, wenn die Bedro- gen ohne Vorwarnungen in Grenznähe, sogenannte Snap hungsempfindungen der Mitglieder divergieren? Welche Drills, häufen sich . 2016 wurden bereits acht unerwar- unterschiedlichen Antworten sind möglich, wenn sie tete russische Übungen mit massivem Truppeneinsatz zeitgleich gegeben werden müssen? Mit der schnellen durchgeführt . Solche Provokationen können zu fatalen Einigung auf die Mission in der Ägäis – übrigens ein Fehlkalkulationen führen . Wir brauchen eine umfassende Beispiel dafür, dass Frau von der Leyen die Dinge sehr Transparenz der Manöver, um das Eskalationspotenzial gut im Griff hat, lieber Herr Hofreiter – sowie auf die so weit wie möglich kleinzuhalten . Gesprächskanäle und Unterstützung Jordaniens hat die NATO gezeigt, dass sie Möglichkeiten zur Kooperation gilt es immer aufrecht- keinesfalls auf den Osten fixiert ist, sondern auch im Sü- (B) zuerhalten . Es ist wichtig, dass wir nicht ausschließlich (D) den entschlossen reagiert . Islamistischer Terror, bei dem übereinander reden, sondern auch miteinander . Gewalt zum Selbstzweck geworden ist, aber auch Staats- zerfall und Flüchtlingskrise fordern uns an der Südflanke in besonderem Maße . Eine ausschließlich militärische Präsident Dr. Norbert Lammert: Antwort greift zu kurz . Weitere Anpassungen unserer In- Herr Kollege . strumente zur Stabilisierung der Region und eine enge Abstimmung mit den Vereinten Nationen und der Euro- päischen Union werden notwendig sein . Florian Hahn (CDU/CSU): Wenn der Kreml Bereitschaft zum Dialog und zur Zu- Mit Blick auf russische Realitäten und die Sorgen un- sammenarbeit zeigt, dann steht die Tür weit offen . Bis serer Bündnispartner im Osten möchte ich auf eine Tat- dahin muss aber das Signal sein, dass wir geschlossen sache hinweisen, die in der Mitte oder im Süden Europas hinter den verteidigungspolitischen Maßnahmen der gelegentlich in Vergessenheit gerät: Entfernung spielt NATO stehen . Eine Doppelstrategie aus Abschreckung eine Rolle . So trennt der Fluss Narva nicht nur Russland und ausgestreckter Hand hat sich schon in der Vergan- und Estland, sondern ist heute auch Trennungslinie zwi- genheit bewährt . schen Russland und der NATO. Außerdem befindet sich hier seit dem 1 .Mai 2004 eine östliche Außengrenze der Europäischen Union . Glaubt man Experten, dann kann Präsident Dr. Norbert Lammert: Russland in nur 60 Stunden das Baltikum überrennen . Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Selbst wenn ein solches Vorgehen hochgradig irrational wäre, muss man diese Fähigkeiten beachten und das Be- drohungsgefühl in Litauen, in Lettland, in Estland oder in Florian Hahn (CDU/CSU): Polen gerade mit Blick auf die Geschichte ernst nehmen . Deutschland hat 60 Jahre lang von der NATO profi- Das hat der Kollege Hofreiter ja sehr gut dargestellt . tiert . Das Bündnis war ein Garant für Frieden, Freiheit, Sicherheit und territoriale Integrität . Gerade in Berlin er- Ich möchte betonen: Vier ständige, rotierende Kampf- innern sich viele an den Sinn und Zweck faktischer mi- bataillone im Osten des Bündnisgebietes sind dringend litärischer Präsenz der NATO-Verbündeten . Das sollten notwendig und stehen als begrenzte Militärpräsenz im wir uns immer wieder vor Augen halten . Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte . 4 000 Soldaten sind wirklich kein Grund für Moskau, sich Danke schön . bedroht oder eingekreist zu fühlen . Sollte das wirklich so sein, wird das dem sonstigen militärischen Selbstbe- (Beifall bei der CDU/CSU) 17996 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: NATO-Einrichtungen haben und auch mit Abgeordneten (C) Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Wolfgang des türkischen Parlamentes diskutieren können . In Tira- Hellmich das Wort . na hatten wir die Gelegenheit, mit türkischen Abgeord- neten zu sprechen, die uns sagten: Wir wissen nicht, ob (Beifall bei der SPD) wir nicht vielleicht schon in zwei Wochen im Gefängnis sitzen .– Wir werden all diese Punkte thematisieren, weil Wolfgang Hellmich (SPD): sie in eine Debatte um die NATO gehören . Das werden Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir als Abgeordnete in der Türkei selber machen . Eingangs möchte ich der Bundeskanzlerin für ihre Re- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . gierungserklärung danken, weil sie den Soldatinnen und Soldaten, die mit ihren in der NATO hochgeschätzten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fähigkeiten an vielfältigen Stellen – in Stettin, in Polen der CDU/CSU) und in den baltischen Ländern – im Auftrag der NATO ihren Dienst leisten, klargemacht hat, dass ihr Einsatz im Präsident Dr. Norbert Lammert: Rahmen eines sehr ausgewogenen Konzepts der Bundes- Henning Otte erhält nun das Wort für die CDU/ regierung auf der einen Seite Bestandteil des diplomati- CSU-Fraktion . schen Dialogs ist und auf der anderen Seite Bestandteil der Bemühungen, die Verteidigungsfähigkeit der Bünd- (Beifall bei der CDU/CSU) nispartner der NATO zu stärken, zu sichern und zu festi- gen . Ich glaube, das ist der nötige politische Rahmen, der Henning Otte (CDU/CSU): deutlich macht, dass nicht nur dieses Parlament, sondern Herr Präsident, vielen Dank . – Meine lieben Kolle- auch die Bundesregierung hinter dem steht, was unsere ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Soldatinnen und Soldaten dort leisten . Wir müssen im Herren! Der bevorstehende NATO-Gipfel in Warschau Laufe der nächsten Zeit auch für die entsprechende Aus- ist die Zusammenkunft einer Verantwortungsgemein- rüstung, Versorgung und personelle Ausstattung der Bun- schaft, die als festes Bündnis für Frieden, für Freiheit und deswehr sorgen, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann . für Stabilität einsteht . Gerade in dieser Zeit, in der wie in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einer Zeitenwende stabil geglaubte Strukturen plötzlich der CDU/CSU) instabil zu sein scheinen, in der eine russische Regierung mit einem Völkerrechtsbruch eine aggressive Politik Frau Wagenknecht, eines zu Ihnen: Sie können noch führt, in der Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu so sehr versuchen, dieses Rednerpult zur Bühne Ihrer zerfallen drohen und in der der IS-Terror zu einer Bedro- (B) Propaganda zu machen . Ich möchte aber darauf hinwei- hung des Weltfriedens wird, ist es von elementarer Be- (D) sen, dass, während wir in der NATO-Parlamentarierkon- deutung, dass wir auf dem NATO-Gipfel das Signal nach ferenz versucht haben, in intensiven Diskussionen mit außen senden, und zwar geschlossen und entschlossen: den Delegierten, mit vielen Parlamentariern aus anderen Freiheit und Sicherheit sowie die Wahrung unserer Werte NATO-Staaten, dafür zu sorgen, den Ansatz der Bundes- innerhalb unseres Bündnisses sind für uns unantastbar . regierung, die 360-Grad-Perspektive, die dort wichtig ist, in den Beschlüssen zu verankern, Ihre Delegierten es Meine Damen und Herren, mit einem Dreiklang aus vorgezogen haben, gar nicht erst zu kommen .– Das zu Verteidigungsbereitschaft, Ertüchtigungsbereitschaft und der Frage, was die Realität ist und was man im politi- Dialogbereitschaft gewährleisten wir die Souveränität schen Alltag tut . Deshalb fällt niemand auf Ihre Propa- der Mitgliedstaaten . Die Souveränität, über die Deutsch- ganda herein . land jetzt verfügt, basiert auch darauf, dass die NATO eine Säule für den ständigen Dialog auch im Kalten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Krieg war und ein Pfeiler der Wiedervereinigung . Dass CDU/CSU) die Linken das komplett anders sehen, ist nur so zu be- gründen, dass sie mit ihrer Geschichtsdeutung ohnehin Das heißt wohl: Wenn man keine Mehrheit hat, geht man ein Problem haben . Ich kann nur sagen: Wir von der Uni- gar nicht erst in eine Debatte mit Abgeordneten . Das ist on und auch in der Großen Koalition wollen, dass diese ein sehr interessanter Ansatz . Stabilität und Souveränität auch für die nächste Generati- Zuallerletzt, um meine drei Minuten sinnvoll auszu- on erhalten bleiben . Deutschland ist bereit, dafür Verant- füllen, eine wichtige Botschaft: Die Bundesministerin wortung zu übernehmen . der Verteidigung kann vieles regeln, auch in der Türkei; (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . sie kann aber nicht das Zugangsrecht für Abgeordnete Wolfgang Hellmich [SPD]) regeln . Deshalb werden wir es selber versuchen . Wir haben gestern im Verteidigungsausschuss einstimmig Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr sind die beschlossen, im Herbst eine Delegationsreise des Aus- notwendigen Voraussetzungen geschaffen worden . Wir schusses in die Türkei zu machen mit dem Besuch der haben ein breites Fähigkeitsspektrum, sodass wir als NATO-Einrichtungen, mit dem Besuch unserer Soldatin- Rahmennation unseren Partnern anbieten können, sich nen und Soldaten und mit Gesprächen mit den türkischen anzulehnen. Wir können frühzeitig mit flexiblen Struk- Abgeordneten, um an dieser Stelle deutlich zu machen, turen auf sich verändernde Sicherheitslagen reagieren, dass unter NATO-Partnern Abgeordnete freien Zugang und wir übernehmen auch Verantwortung in Vorleistung, nicht nur zu den Standorten der Soldatinnen und Solda- beispielsweise mit der sogenannten schnellen Speerspit- ten des eigenen Landes, sondern auch zu den dortigen ze. Dies begleiten wir mit einer stärkeren finanziellen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17997

Henning Otte (A) personellen und auch materiellen Ausstattung; denn wir eine zivilisierte Welt entgegen – zur Wahrung der Men- (C) sagen: Attraktivität, Ausrüstung und Ausbildung sind die schenrechte und zum Schutz unserer Bündnispartner . Wir drei festen Säulen für unsere Streitkräfte innerhalb der wollen uns Gefahren dort entgegenstellen, wo sie entste- NATO . hen . Deswegen ist es gut, dass wir Länder wie Afghanis- tan und Irak auf ihre Einladung hin unterstützen, dass wir Unsere Bundeskanzlerin hat auch deutlich gesagt, sie in die Lage versetzen, für Stabilität und Sicherheit im dass wir, gemessen an der NATO-Quote, bereit sein eigenen Land zu sorgen, indem wir sie im Kampf un- müssen, mehr zu investieren . Eine gute Investition in terstützen, aber vor allem auch bei der Ausbildung, über Sicherheit, in Freiheit ist das unverrückbare Fundament Beratung und Ertüchtigung, immer orientiert an der je- unserer Gesellschaft . Diese Freiheit ist allerdings in Ge- weiligen Lage, immer orientiert am besten Einsatz der fahr, zum einen aufgrund des aggressiven Vorgehens, mit Institutionen, Vereinte Nationen, OSZE, EU oder auch dem Grenzen in Europa wieder mit militärischen Mitteln NATO . verschoben werden, zum anderen aufgrund des Aufkom- mens des IS-Terrors, im Zuge dessen ganze Staaten un- Die Gleichzeitigkeit und Schnelligkeit der Krisen for- terhöhlt, Menschen rücksichtslos gewaltsam ermordet dern uns . Das ist eine Herausforderung . Ebenso haben oder durch Terroranschläge getötet werden . Dieser dop- wir eine unsichtbare Herausforderung, nämlich die Ge- pelten sicherheitspolitischen Bedrohung müssen wir ein fahr im Cyberraum . Darauf wird mit dem Weißbuch aus klares Signal entgegensetzen, und zwar durch Bündnis­ dem Verteidigungsministerium ein deutlicher Schwer- treue und Verlässlichkeit . punkt gelegt . Wir müssen uns diesen Gefahren entge- genstellen; denn Angriffe über Server in allen Teilen der Insbesondere unsere Partner in den baltischen Staa- Welt, deren Wirkung erst später sichtbar wird, können ten und in Polen machen sich Sorgen um die Integrität verheerende Konsequenzen haben . ihres Staatsgebietes . Gerade wir in Deutschland können dies nachempfinden. Deswegen ist es gut, dass wir die Zusammengefasst: Der NATO-Gipfel muss auf die ­NATO-Pläne in Warschau konkretisieren, dass wir mit ei- gleichzeitigen Herausforderungen, denen wir gegenüber- ner Enhanced Forward Presence, einer „Vorne-Präsenz“, stehen, Antworten finden, und zwar immer im Geiste der deutlich machen: Wir stehen füreinander ein . Warum und Kooperation, immer im Geiste der Diplomatie . Wir wol- mit welchem Ziel? Mit dem Ziel, einem möglichen Ag- len, dass unsere Werte und Grundsätze gelebt, geschützt gressor deutlich zu machen, dass er sich, wenn er Grenzen und auch verteidigt werden können . Freiheit kann es nur überschreiten sollte, nicht nur mit einem Land anlegt, son- mit Sicherheit geben . Gemeinsam sind wir stark – ges- dern mit allen, und mit dem klaren Ziel, dass dies mög- tern, heute und auch morgen für die nächsten Generati- lichst nicht geschieht . Dieses Vorgehen ist in Bezug auf onen . den Personalumfang und durch die rotierenden Formatio- (B) Herzlichen Dank . (D) nen im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte . Es bleibt unverrückbar, dass die NATO-Russland-Grundakte (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . durch die Annexion der Krim gebrochen worden ist; das Wolfgang Hellmich [SPD]) müssen wir immer wieder ganz deutlich herausstellen . Wir lassen unsere Verbündeten nicht allein, und wir lassen uns Präsident Dr. Norbert Lammert: durch Drohungen auch nicht einschüchtern . Das ist bei- leibe kein Säbelrasseln, sondern Ausdruck politischer Ver- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist antwortung für Frieden und Freiheit in Deutschland und Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion . Europa . Ich danke unserer Bundeskanzlerin und unserer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bundesverteidigungsministerin, dass sie keinen Zweifel daran aufkommen lassen . Jürgen Hardt (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las- sen Sie mich als abschließender Redner meiner Fraktion Der osteuropäische NATO-Deich muss so erhöht wer- und auch in dieser Debatte einige Aspekte beleuchten, den, dass Aggressionen nicht überschwappen können, die mir besonders wichtig sind und die in dieser Form und er muss so stabil sein, dass auch eine Unterhöhlung vielleicht noch nicht angesprochen worden sind . durch eine hybride Kriegsführung mittels Propaganda nicht gelingen kann . Eine solche Garantiestellung darf Am heutigen Tag möchte ich in Anlehnung an einen aber keine Einbahnstraße sein . Alle osteuropäischen berühmten Satz aus dem Fußball sagen: 29 Freunde ­NATO-Partner sind aufgefordert, das Mögliche zu tun, müsst ihr sein .– Ich möchte damit sagen, dass die NATO um ihre Strukturen zu stärken . Wir wollen mit einer kla- ein Wertebündnis ist und dass die Parlamentarier und die ren Dialogbereitschaft und mit einer klaren abschrecken- Regierungen, die in der NATO zusammenarbeiten, ein den Verteidigungsstrategie deutlich machen, dass diese Stück weit den Geist ausstrahlen sollten, den wir von un- Investition der beste Schutz der Sicherheit sozusagen im seren Soldatinnen und Soldaten erwarten, die innerhalb inneren Ring ist . der NATO zusammenarbeiten, nämlich Fairness und Ka- meradschaftlichkeit . Aber auch der äußere Ring muss vor dem weltweit agierenden Terrorismus geschützt werden . Terrororga- Artikel 3 des Washingtoner Vertrages, also des nisationen wie al-Qaida, al-Nusra, Boko Haram, Taliban ­NATO-Vertrages, besagt: Gegenseitige Unterstützung oder eben der IS sind eine Bedrohung für den Weltfrie- ist eine der wichtigen Aufgaben des Bündnisses . Vor den . Dem stellen wir uns aus unserer Überzeugung für diesem Hintergrund waren wir ziemlich befremdet, als 17998 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Jürgen Hardt (A) die türkische Regierung vor einigen Wochen zunächst nern und Russland . Das sind im Übrigen sehr konstruk- (C) den Zugang von Journalisten im Rahmen der Pressear- tive Gespräche . Ich möchte ausdrücklich hervorheben, beit der Bundeswehr zu den deutschen Soldaten in der dass ich mich gefreut und fast ein bisschen gewundert Türkei verhinderte und dann auch noch die Reise unse- habe, dass die neue UN-Resolution zu Libyen mit 15 : 0 res Parlamentarischen Staatssekretärs . Das führt mich zu durch den Sicherheitsrat gegangen ist, also ausdrücklich dem Gedanken: Vielleicht sollten wir angesichts solcher mit Unterstützung Russlands . Eine Sprachlosigkeit zwi- unakzeptablen Vorgänge einmal auf NATO-Ebene in al- schen Russland und dem Westen kann ich insofern Gott ler Ruhe über eine Verfahrensordnung nachdenken, mit sei Dank nicht erkennen . Wir sollten uns diesen Schuh der geregelt wird, wie mit den Wünschen von Regierun- auch nicht anziehen, zumal Deutschland hier eine füh- gen oder Parlamentariern, ihre eigene Truppe in einem rende Rolle innehat . anderen Land zu besuchen, umzugehen ist . Ich hatte ge- Der NATO-Gipfel findet in einer schwierigen Zeit dacht, das wäre selbstverständlich . Ein Regelwerk dazu an einem bedeutenden Ort statt . Ich bin absolut sicher, gibt es bisher nicht . Deswegen rege ich an – vielleicht dass alle Staats- und Regierungschefs diesen Gipfel sehr nicht auf dem Gipfel, aber im NATO-Rat –, einmal darü- verantwortungsvoll nutzen werden, einerseits, um wei- ber nachzudenken, wie man hier zu besseren Ergebnissen ter Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, andererseits, kommen könnte; denn es ist schlicht unakzeptabel, dass um keinen Zweifel an unserer Verteidigungsfähigkeit zu die Bürgerarmee Bundeswehr in der Türkei von Abge- lassen . Das sind wir unseren Partnern im Osten Europas ordneten und Regierungsmitgliedern nicht besucht wer- schuldig . den darf . (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank . Der zweite Aspekt, auf den ich hinweisen möchte, ist: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wer rüstet hier eigentlich auf? Ich möchte an dieser Stel- ordneten der SPD) le in Erinnerung rufen: Es geht nicht nur um den Ein- marsch Russlands auf der Krim und um die Einmischung Präsident Dr. Norbert Lammert: Russlands im Osten der Ukraine, sondern es geht auch Ich schließe die Aussprache . darum, dass die russische Regierung im Mai des vorletz- ten Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- des Kriegsendes angekündigt hat, im großen Stil den Bau ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf einer neuen Generation von Panzern in Auftrag zu geben . Drucksache 18/9086 . Wir wissen, dass diese Panzer vermutlich eher im Wes- Die Kollegin Beck hat mir mitgeteilt, dass sie an die- ten Russlands eingesetzt werden, also westlich des Urals, (B) ser Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung (D) und sind schon der Meinung, dass dieser Schritt eine nicht teilnimmt . Sie hat eine persönliche Erklärung vor- Aufrüstung Russlands darstellt, die wir nur mit großer gelegt, die wir dem Protokoll beifügen 1). Sorge betrachten können . Wir haben ganz konkret mit Blick auf das, was im Westen Russlands passiert, Kennt- Ich lasse jetzt über diesen Entschließungsantrag ab- nis von öffentlichen Ankündigungen, dass drei Divisio- stimmen . Wer stimmt dem Entschließungsantrag zu? – nen umgruppiert werden . Mindestens 30 000 Soldaten Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist werden an der Westgrenze Russlands und an der Grenze der Entschließungsantrag mit den Stimmen aller übrigen zur Ukraine verstärkt eingesetzt . Dagegen ist die Statio- Fraktionen abgelehnt . nierung von maximal 9 000 Soldaten, die die NATO im Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5: Zuge ihres transparenten Plans zur Verstärkung der Sol- daten im Osten Europas aufbaut, doch nun wirklich eine – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- vergleichsweise milde und angemessene Reaktion . Das desregierung eingebrachten Entwurfs eines als Einstieg in eine Aufrüstungsspirale zu sehen, finde … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- ich schlicht falsch . Das wird der Sache nicht gerecht . buches – Verbesserung des Schutzes der se- xuellen Selbstbestimmung Die Bundeswehr beteiligt sich ganz konkret in Litau- en mit der Übernahme der Führung über ein Bataillon . Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/8767 Wir sind im Übrigen auch in Polen beim Multinationalen Nr. 3 Korps stark engagiert, um nur zwei Beispiele zu nennen . – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Deutschland wird seiner Bündnisverpflichtung also ge- geordneten Halina Wawzyniak, Cornelia recht . Möhring, Frank Tempel, weiteren Abge- Zu einem dritten Aspekt, den ich kurz ansprechen will . ordneten und der Fraktion DIE LINKE ein- Es wird gelegentlich der Eindruck erweckt, auch durch gebrachten Entwurfs eines ... Strafrechts­ Äußerungen von Politikern in Deutschland, die NATO änderungsgesetzes zur Änderung des hätte ein Defizit mit Blick auf den Dialog mit Russland. Sexualstrafrechts (… StrÄndG) Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen . Man bietet Drucksache 18/7719 nicht nur häufig an, den NATO-Russland-Rat einzuberu- fen, um mit Russland zu diskutieren – ich bin übrigens – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- der Meinung, dass das eines Tages auch im Ministerfor- geordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate mat geschehen kann –, sondern es gibt auch auf ganz vielen anderen Ebenen Gespräche zwischen NATO-Part- 1) 2 Anlage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 17999

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Künast, weiteren Abgeordneten und der gen möchte ich an dieser Stelle den vielen danken, die (C) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- an dieser Reform mitgearbeitet haben; denn so etwas gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur ist immer Teamwork . Verbände, Vereine und Einzelper- Änderung des Strafgesetzbuches zur Ver- sonen haben uns ganz tatkräftig unterstützt . Ich möchte besserung des Schutzes vor sexueller Miss- hier einige stellvertretend für viele andere herausheben . handlung und Vergewaltigung Einige von ihnen haben wir eingeladen, heute an unserer Debatte teilzunehmen . Ich begrüße sie auf der Tribüne Drucksache 18/5384 ganz herzlich . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - (Beifall) schuss) Herzlichen Dank an Katja Grieger und den Bundesver- Drucksache 18/9097 band der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe für die profunde Analyse der Strafbarkeitslücken, die eine Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden gute Grundlage für unsere Debatte war . wir später drei namentliche Abstimmungen durchführen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Aussprache 60 Minuten vorgesehen .– Das ist offen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kundig einvernehmlich . Also können wir so verfahren . Herzlichen Dank dem Deutschen Juristinnenbund, stell- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält zunächst vertretend Dagmar Freudenberg, dem Deutschen Institut die Kollegin Eva Högl für die SPD-Fraktion . für Menschenrechte, hier insbesondere an Heike Rabe, der Rechtsanwältin Christina Clemm, der Professorin (Beifall bei der SPD) Tatjana Hörnle, dem Professor Jörg Eisele und vielen an- deren für guten juristischen Rat, für Unterstützung und Dr. Eva Högl (SPD): für Hilfestellung bei den Formulierungen . Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Ich möchte mich auch ausdrücklich nicht nur beim Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Koalitionspartner für die guten Gespräche bedanken, sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen heute im sondern auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Bundestag eine Reform des Sexualstrafrechts Opposition . Vielen Dank für den guten Austausch, der beschließen . Wir wollen mit dieser Reform endlich den ermöglicht, dass wir heute – mit großer Mehrheit hof- Grundsatz „Nein heißt nein“ ins deutsche Strafgesetz- fentlich – diese Reform im Deutschen Bundestag be- buch schreiben . (B) schließen können . Auch dafür an dieser Stelle ganz herz- (D) (Beifall im ganzen Hause) lichen Dank . Wir wollen, dass jede nicht einvernehmliche sexuelle (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Handlung künftig unter Strafe gestellt wird . Wer gegen wie bei Abgeordneten der LINKEN und des den erkennbaren Willen eine sexuelle Handlung an einer BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anderen Person vornimmt, macht sich künftig strafbar . Das ist eine wirklich wegweisende Reform . Wir nennen Als erste Rednerin in dieser Debatte möchte ich, lie- das auch einen Paradigmenwechsel . Außerdem wollen ber Heiko Maas, auch dem Bundesministerium der Justiz wir die sexuelle Belästigung endlich unter Strafe stel- und für Verbraucherschutz zunächst einmal für den guten len . Bisher ist es so, dass viele sexuelle Belästigungen Gesetzentwurf, der vor einem Jahr, im Sommer 2015, unterhalb der Erheblichkeitsschwelle sind und nicht mit vom Bundesjustizministerium vorgelegt wurde und der dem Strafrecht geahndet werden können . Das wollen wir Strafbarkeitslücken schließen wollte, danken . Das war ändern . das Ansinnen . Damals – daran muss ich an dieser Stel- le auch erinnern – war in unserer Koalition nicht mehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten möglich . Damals ging schon dieser Gesetzentwurf aus der CDU/CSU) dem Haus von Heiko Maas dem Koalitionspartner zu Und wir wollen bestrafen, wer sich an einer Gruppe be- weit, weswegen er lange blockiert wurde . teiligt, wenn aus der Gruppe heraus Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen werden . Das ist (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: eine wegweisende Reform . Stimmt ja gar nicht!) Wir können mit dieser Reform auch die Istanbuler Jetzt haben die Parlamentarierinnen und Parlamentari- Konvention ratifizieren, die 2011 unterschrieben wurde. er die Initiative ergriffen . Es gab eine Möglichkeit, wei- Sie kann jetzt endlich umgesetzt werden . terzugehen . Deswegen, lieber Heiko Maas, möchte ich mich an dieser Stelle für die tolle Unterstützung bedan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ken . Bis zur letzten Minute hat das Bundesministerium der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Das wur- der Justiz und für Verbraucherschutz uns Abgeordnete de auch Zeit!) mit fachlichem Rat und guten Formulierungen unter- – Das wurde auch Zeit . stützt . Dafür herzlichen Dank . Eine solche Reform hat immer viele Väter und Müt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ter, in diesem Fall ganz besonders viele Mütter . Deswe- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 18000 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Eva Högl (A) Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den nen gemeinsam gehen und auch die Lohngleichheit ver- (C) Kritikern . Uns wird vorgeworfen, diese Reform grei- abschieden . fe viel zu weit und produziere Beweisschwierigkeiten . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Argumente kennen wir schon aus der Debatte um der LINKEN) die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe . Erst seit 1997 – man mag es sich kaum vorstellen – ist die Verge- Das darf in dieser Debatte auch gesagt werden . Dann waltigung in der Ehe strafbar . hätten wir in dieser Koalition einen ganz wunderbaren Dreiklang aus Quote, Sexualstrafrecht und Lohngleich- Ja, meine Damen und Herren, wir gehen weit . Wir ver- heit . schärfen das Strafrecht, verschärfen es ganz ordentlich; denn wir wollen das Recht auf sexuelle Selbstbestim- Herzlichen Dank . mung ganz ausdrücklich stärken . Das tun wir auch mit (Beifall bei der SPD) den Mitteln des Strafrechts, indem wir die Täter schärfer bestrafen . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank, Eva Högl .– Schönen guten Morgen, lie- be Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite! Nächste Bei der sexuellen Selbstbestimmung gibt es ganz Rednerin: Cornelia Möhring für die Linke . häufig Situationen, in denen nur zwei Personen beteiligt sind, und natürlich produziert das auch Beweisschwie- (Beifall bei der LINKEN) rigkeiten . Aber das ist schon jetzt so, und das wird sich durch unsere Reform nicht verändern . Ich vertraue ganz Cornelia Möhring (DIE LINKE): ausdrücklich auf die guten Staatsanwältinnen und Staats- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! anwälte, auf die Strafgerichte, die mit hoher Kompetenz Dass wir hier heute den Grundsatz des „Nein heißt nein“ in der Lage sind, die Aussagen gegenüberzustellen und endlich verankern, ist tatsächlich ein großartiger Erfolg . zu bewerten und dann auch die richtigen Urteile zu spre- Es ist ein Erfolg aller Fraktionen im Bundestag und be- chen . Das wird sich mit unserer Reform nur verstärken, sonders – das hat Kollegin Högl schon gesagt – ist es aber keinesfalls verschlechtern . auch ein Erfolg der Frauen in Beratungsstellen und Not- rufen, die mit ihren Organisationen und Verbänden seit Meine Damen und Herren, wenn wir das Strafrecht sehr vielen Jahren dafür gekämpft haben . reformieren, dann ist das ein wichtiger Baustein, über den wir heute beraten . Aber was wir vor allen Dingen (Beifall bei der LINKEN und der SPD) (B) (D) brauchen, ist eine tatkräftige Unterstützung für Opfer Wir wissen, dass viele von ihnen heute hier sind . Ich von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung . Wir möchte ihnen noch einmal ausdrücklich danken . Ich bin brauchen Schutz für Opfer . Wir brauchen Beratungs- und mir sicher: Ohne sie wären wir heute tatsächlich noch Hilfsangebote, und wir brauchen vor allen Dingen eine nicht so weit gekommen . Ich hätte vor zwei Jahren auch flächendeckende Möglichkeit der anonymen Dokumen- nicht geglaubt, dass wir es tatsächlich in dieser Legisla- tation solcher Straftaten, damit die Opfer die Möglichkeit turperiode schaffen . haben, sich in Ruhe zu überlegen, ob sie die Straftat an- zeigen oder nicht . Das sind weitere wichtige Begleitmaß- Mir scheint es aber aus mehreren Gründen wichtig, nahmen, die wir zusätzlich benötigen . hier ausdrücklich zu betonen, dass die Änderung des § 177 StGB auf ein Problem reagiert, das es schon sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten viel länger gibt als erst seit Silvester . der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine letzte Bemerkung in Richtung des Koalitions- partners . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich Kollegin Högl hat schon an die aufrüttelnde Studie schon für die guten Gespräche und die gute Verhandlung des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und bedankt . Wir haben in dieser Legislaturperiode die Quote Frauennotrufe, bff, erinnert . In dieser Studie wurde die gemeinsam verabschiedet; das war ein langer Weg . Wir Notwendigkeit der Reform des Sexualstrafrechts sehr haben gute Überzeugungsarbeit geleistet, konnten sie im anschaulich nachgewiesen . Die Zahlen gingen vor zwei März verabschieden . Wir verabschieden heute die Re- Jahren durch die Medien . Da hieß es: In den Jahren 2001 form des Sexualstrafrechts . Diese Reform wurde lange bis 2012 wurden jährlich 8 000 Vergewaltigungen ange- blockiert, jetzt haben Sie sich von uns überzeugen lassen . zeigt . Aus diesen 8 000 Anzeigen folgten durchschnitt- Das ist gut so . lich pro Jahr 1 314 Anklagen, und daraus folgten pro Jahr 986 Verurteilungen . Gemessen an der Zahl der Anzeigen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist die Un- liegt die Verurteilungsquote damit bei gerade einmal wahrheit! Das stimmt ja gar nicht! Eine Frech- 8,4 Prozent . Der Anteil der Frauen, die eine erlebte Ver- heit! Der Herr Maas hat keinen Entwurf vor- gewaltigung nicht anzeigen, liegt nach unterschiedlichen gelegt!) Studien bei 84,5 bis 95 Prozent . Andersherum gesagt: Nur 5 bis 10 Prozent bringen überhaupt eine Vergewaltigung Ich würde gern in dieser Legislaturperiode, liebe Kolle- zur Anzeige, sicherlich auch deshalb, weil die meisten ginnen und Kollegen, noch einen dritten Schritt mit Ih- Vergewaltigungen bisher gar nicht als strafwürdig galten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18001

Cornelia Möhring (A) Nun macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren Vielen Dank . (C) Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine Frau muss also nicht schreien oder sich körperlich wehren . Sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind auf jeden Fall Unrecht . Erniedrigende Erlebnisse wie Vizepräsidentin Claudia Roth: die, wenn es früher im Gerichtssaal hieß, die angezeigte Vielen Dank, Cornelia Möhring .– Nächste Rednerin: Vergewaltigung sei gar keine, weil die Frau sich nicht Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Frak- ausreichend gewehrt hätte, sind nun hoffentlich bald Ge- tion . schichte . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ordneten der SPD) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke sagt Ja zu dem neuen Grundtatbestand „Nein Sehr verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn wir heißt nein“ . Die Linke wird diesem Paragrafen geschlos- gleich die Reform des Vergewaltigungsparagrafen ver- sen zustimmen . abschieden, dann bringen wir eine gute und notwendige (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Reform ins Gesetzblatt . Wir setzen damit die Diskussion neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE der letzten Monate um, die vor allem eins klar gezeigt GRÜNEN) hat: Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verträgt keine Einschränkung . Aber Sie werden heute auch Regelungen auf den Weg (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der bringen, denen wir uns als Linke nicht anschließen kön- LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- nen . So wollen Sie sexualisierte Straftaten aus Gruppen NISSES 90/DIE GRÜNEN) heraus gesondert unter Strafe stellen . Gemeinschaft- liche Handlungen, Mittäterschaften sind aber bereits Der Schutz darf nicht davon abhängen, dass sich das strafrechtlich erfasst . Wenn Sie sich einmal bitte an die Opfer vergeblich gewehrt und weitere Risiken in Kauf Debatten im Zusammenhang mit den Übergriffen in der genommen hat, sondern ein schlichtes „Nein“ muss rei- Silvesternacht erinnern, dann wissen Sie doch um das chen . Allein am erkennbaren Willen des anderen in der riesige Gewicht, das rassistische Bilder und Argumen- konkreten Situation entscheidet sich, ob eine sexuelle tationen eingenommen haben . Dann müsste Ihnen doch Handlung schön und in Ordnung ist oder eben nicht, (B) (D) klar sein, dass Sie solche Bilder, das Problem sei vor und zwar unabhängig von irgendeiner vermeintlichen allem sexualisierte Gewalt aus migrantischen Gruppen, Rechtsposition, irgendeiner Erwartung, einer Gegenleis- damit verstärken . Sie wissen aber auch, dass die überwie- tung, einer Bezahlung, unabhängig davon, ob der Wille gende Mehrheit der Täter bei Vergewaltigungen aus dem anfänglich einmal da war und sich dann geändert hat – Nahbereich kommt . Ich wiederhole: Gemeinschaftliche auch das ist jederzeit möglich –, und unabhängig von Handlungen, Mittäterschaften sind bereits strafrechtlich einer Erkrankung oder einer Behinderung des Opfers . erfasst . Jeder, der einen Willen hat und ihn zum Ausdruck bringt, ist in Zukunft durch diesen Grundsatz geschützt: „Nein Trotz dieser grundsätzlichen Kritik hätten wir wahr- heißt nein“ . scheinlich nicht nur zum neuen § 177, dem „Nein heißt nein“, Ja gesagt, sondern zum gesamten Gesetzentwurf . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Aber dann haben Sie am Montag ohne Ankündigung bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Änderungen eingereicht, mit denen Sie die notwendigen GRÜNEN und der Abg . Halina Wawzyniak Veränderungen des Sexualstrafrechts mit einer erneuten [DIE LINKE]) Verschärfung des Aufenthaltsrechts verknüpfen . Sie sa- Natürlich sind auch die anderen Konstellationen im gen, Sie folgen damit der Logik Ihrer bereits im März Gesetz klar erfasst . Nötigung, Gewalt, Überraschung, vorgenommenen Verschärfungen im Aufenthaltsrecht . K -o. -Tropfen,. Klima der Gewalt, das sind die Stichwor- Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird es mitnich- te, die hier zu nennen sind . Auch dafür gibt es passende ten besser . und effektive Regelungen . Vor allem: Das Prinzip „Nein heißt nein“ bringt jetzt noch einmal ganz klar und für je- (Beifall bei der LINKEN) den Mann und jede Frau verständlich ins Gesetz, wo die rote Linie des strafbaren Unrechts beginnt, und es ist sehr Sie lenken durch diese Verknüpfung den Blick vom wichtig, dass diese Botschaft durch das Strafrecht auch in Selbstbestimmungsrecht der Frau, Nein zu sagen, erneut die Gesellschaft hineingetragen wird . auf den potenziellen Täter . So bedienen Sie Fremden- feindlichkeit und instrumentalisieren unser hart erkämpf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tes Frauenrecht . Das ist inakzeptabel und wird von der ordneten der SPD und der LINKEN und der Linken abgelehnt . Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) (Beifall bei der LINKEN) In der Diskussion in den vergangenen Monaten habe Wir werden uns deshalb insgesamt enthalten . ich fast ausschließlich Zustimmung gehört . Hier und da 18002 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) gab es die besorgte Frage, wie es denn mit der Beweis- des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum (C) barkeit aussieht . Ich kann hier ganz klar beruhigen: Der habt ihr es mit Rot-Grün nicht hingekriegt?) Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt weiterhin . Er ist im Strafrecht essenziell . Daran ändert sich gar nichts . Wir haben den Ball dann gemeinsam mit den Frauen der Koalition aufgegriffen, und ein paar furchtlose Männer Für mich war es wichtig, dass ich bei fast allen Men- waren auch dabei . schen eine große Zustimmung erlebt habe . Bei vielen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- jungen Frauen erlebte ich auch Erstaunen, dass das nicht nau! Aus der CDU/CSU! – Ulli Nissen [SPD]: längst Gesetz ist . Bei älteren Frauen hörte ich manch- Viele Hundert Mütter und viele Hundert Vä- mal – das hat mich dann auch sehr berührt – einen Unter- ter!) ton der persönlichen Betroffenheit und der Genugtuung . Aber auch von Männern habe ich ganz viel Zustimmung Ich denke, das ist das Entscheidende: Wir haben jetzt erlebt, weil es heutzutage eben auch dem Selbstverständ- eine gute Regelung vorgelegt, die auch ins Gesetzblatt nis der Männer entspricht, dass sexuelle Handlungen und kommt . sexuelles Erleben auf dem Willen beider Partner beruhen müssen . Hier lassen auch sie sich nichts sagen, und das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU entspricht auch deren Lebensgefühl und -empfinden. sowie des Abg . Dr .Matthias Bartke [SPD]) Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeitern, die uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . hier sehr geholfen haben; das muss ich wirklich sagen . Ulli Nissen [SPD]) Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern aus dem Ministeri- Dass wir das heute gesetzlich regeln, ist ein großer um, die am Ende doch nicht beleidigt waren, dass wir den Erfolg der sprichwörtlich vielen Väter und diesem Fall ursprünglichen Entwurf noch einmal grundlegend über- Mütter . Auch ich möchte den Frauenverbänden danken, arbeitet haben, und uns auf den letzten Metern auch noch die uns mit ihrer Analyse der Schutzlücken hier wirklich sehr geholfen haben . Auch dafür vielen Dank! einen entscheidenden Impuls gegeben haben . Er hat dazu (Beifall bei der CDU/CSU) geführt – das darf ich hier auch noch einmal feststellen –, dass sich die Rechtspolitiker der Union schon frühzeitig, Wir führen zwei neue Tatbestände ein . Wir stellen nämlich bereits vor zwei Jahren, ganz klar dazu positio- das Grapschen unter Strafe, das bisher die Erheblich- niert und gesagt haben, dass sie hier einen Reformbedarf keitsschwelle des alten Vergewaltigungsparagrafen nicht sehen . überschritten hat. Der flüchtige Griff an den Po oder an die Brust wird damit sanktioniert . Auch hier ist der er- (Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen kennbare Wille des Gegenübers der Maßstab . Der zweite (B) [SPD]: Ist gar nicht aufgefallen! – Dr . Johannes Tatbestand stellt den Übergriff aus einer Gruppe heraus (D) Fechner [SPD]: War aber gut versteckt! – auf ein bedrängtes Opfer unter Strafe . Aus der Perspek- Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ist uns aber tive des Opfers ist dieser Übergriff ein ganz besonders nicht aufgefallen!) traumatisches Erlebnis . Die Opfer schildern das Gefühl Auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition ha- von Ohnmacht, Angst und Ekel und sagen, dass sie die- ben das gemacht . Wir haben Pressemitteilungen heraus- ses Gefühl nicht mehr loswerden . gegeben und Pressegespräche dazu geführt . – Wenn ihr In dieser Konstellation ist es eben typisch, dass dem das nicht mitbekommen habt, dann ist das euer Problem . Mitmacher in der dritten oder vierten Reihe nicht mehr Ich kann das beweisen und belegen . Das war schon ganz genau nachgewiesen kann, dass er wusste, was die da früh unsere Position . vorne machen, und diesen Vorsatz in sein Handeln mit Wir haben uns dann gemeinsam auf einen langen Weg aufgenommen hat . gemacht, und schon ein Jahr später hat der Justizminister (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: einen Entwurf vorgelegt, Das ist das Problem!) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Wir sind aber der Auffassung, dass derjenige, der in der dritten oder vierten Reihe durch sein Mitdrängen das Ge- der uns viel Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben hat, fahrenpotenzial für das Opfer erhöht, die Verletzung des und das Nachbessern war auch schön . Opfers mitverursacht und sein Verhalten ein erhebliches (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Johannes Unrecht darstellt . Fechner [SPD]: Sie wollten ihn nicht! Er ging (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ihnen zu weit! Ein halbes Jahr lag er im Kanz- Ulli Nissen [SPD]) leramt! Ein halbes Jahr hat es euch nicht inte- ressiert!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Fraktion hat das Thema beackert und vorangetrie- Frau Kollegin . ben, und die Frauen-Union hat dafür gesorgt, dass die an- gesprochenen klaren Aussagen zu diesem Thema in die Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Mainzer Erklärung gekommen sind . Deshalb halten wir es für richtig, auch daran schon (Ulli Nissen [SPD]: Die SPD-Frauen haben anzuknüpfen und dieses Verhalten unter Strafe zu stellen . das schon zig Jahre gefordert! – Gegenruf Der Täter muss diese beiden Elemente in seinen Vorsatz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18003

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) aufnehmen: Er muss wissen, dass er mitmacht, und er sigen § 184h StGB mit seiner Erheblichkeitsschwelle im (C) muss wissen, dass diese Gruppe Straftaten begeht . Wenn vorliegenden Gesetzentwurf zu streichen . dann noch als objektive Bedingung der Strafbarkeit ein sexueller Übergriff hinzukommt, dann ist das sanktio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nierbar . und bei der LINKEN) Unerhebliche Handlungen können nämlich per se nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: strafbar sein . Das gilt für alle Strafrechtsgüter und damit Frau Kollegin, Ihre Redezeit . auch für die sexuelle Selbstbestimmung . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wenn wir dann noch die Strafandrohung im geplanten Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, die Ver- § 177 Absatz 1 StGB im Gesetzentwurf herabgesetzt hät- bindlichkeit des „Nein heißt nein“ verträgt keine Ein- ten, wäre ein gesonderter Straftatbestand der sexuellen schränkung . Das gilt auch hier . Ich denke, das ist die Belästigung komplett überflüssig geworden. wichtige und gute Botschaft des heutigen Tages, nicht nur, aber vor allem für Mädchen und Frauen . Aber wenn das der einzige Schönheitsfehler gewesen wäre, hätten wir für heute keine getrennte Abstimmung Herzlichen Dank . verlangen müssen . Stattdessen haben Sie wieder einmal (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- ein Koalitionspaket geschnürt, in dem sich die CSU mit geordneten der SPD und der Abg . Halina einem ebenso populistischen wie verfassungswidrigen Wawzyniak [DIE LINKE]) Straftatbestand verewigen durfte . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: und bei der LINKEN) Vielen Dank, Elisabeth Winkelmeier-Becker . – Nächs- Mit dem neu eingeführten § 184j StGB wollen Sie allen te Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen . Ernstes eine Gruppenzugehörigkeit unter Strafe stellen . So etwas geht in unserer Rechtsordnung gar nicht . Das Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ist auch gut so . Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen! Wir haben es tatsächlich geschafft: Künftig wird und bei der LINKEN) jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person unter Strafe gestellt . Nach unserer Verfassung kann jede und jeder nur für (B) seine eigene individuelle Schuld bestraft werden, sei es, (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weil er selbst Mittäter ist, sei es, weil er Beihilfe geleistet sowie bei Abgeordneten der SPD und der hat, sei es, weil er zu einer Tat angestiftet hat . Wenn all LINKEN) diese Voraussetzungen nicht vorliegen, können wir nicht Mit diesem neuen Grundtatbestand in § 177 StGB wird darauf ausweichen, jemanden wegen der Zugehörigkeit die sogenannte „Nein heißt nein“-Lösung rechtstech- zu einer Gruppe, also quasi wegen Sippenhaft, zu ver- nisch konsequent umgesetzt . urteilen . Meine Fraktion hat genau diesen Vorschlag schon im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzten Sommer in einem Gesetzentwurf eingebracht . und bei der LINKEN) Umso mehr freue ich mich, dass auch Sie sich letztlich Daran ändert auch der geänderte Satzanfang nichts, in auf diese Formulierung geeinigt haben . dem es heißt: „Wer eine Straftat dadurch fördert . “. . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch diese Person kann nur wegen der Straftat, die sie sowie bei Abgeordneten der SPD und der gefördert hat, verfolgt werden, nicht wegen einer völlig LINKEN) anderen Straftat . Bei dieser Gelegenheit will ich noch einmal betonen, (Zuruf des Abg . Alexander Hoffmann [CDU/ dass weder die Ereignisse von Köln noch irgendwelche CSU]) laufenden Strafverfahren Auslöser dieser Reform waren . Das Fallbeispiel, Herr Hoffmann, geht so: Eine Grup- Wir haben uns allesamt mit der Rechtsprechung der letz- pe von Jugendlichen, zu denen zufällig Ihr 16-jähriger ten Jahrzehnte ausführlich auseinandergesetzt, die einen Sohn gehört, beschließt, einem ortsbekannten Schlä- etwas früher, die anderen etwas später . Aber am Ende ger und Drogendealer einmal ordentlich die Meinung wollen wir nicht kleinlich sein: Das Ergebnis zählt . zu sagen . Sie erwischen ihn nach dem Kino mit seiner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Freundin, drängen ihn in eine dunkle Ecke und drohen bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- ihm Schläge an, wenn er noch einmal in dem Viertel auf- geordneten der CDU/CSU) taucht . Eine solche Bedrohung ist eindeutig eine Straftat, auch wenn Ihr Sohn irrigerweise glaubt, er sei für Frie- Leider haben Sie sich nicht dazu durchringen können, den und Freiheit unterwegs . Dummerweise steht an die- diesen Gesetzentwurf mit uns gemeinsam fraktionsüber- sem Abend auch ein Ihrem Sohn völlig Unbekannter in greifend einzubringen . Vielleicht hätten wir Sie in diesem der Gruppe, der vor dem Auseinanderlaufen der Freun- Zusammenhang davon überzeugen können, den überflüs- din des Bedrohten in den Schritt greift und an den Busen 18004 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Katja Keul (A) grapscht . Dumm gelaufen für Ihren Sohn; denn er wird Dr. Carola Reimann (SPD): (C) künftig damit leben müssen, wegen einer Sexualstraftat Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und vorbestraft zu sein . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 30 Jah- (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau ren kämpfen Frauen dafür, dass das Recht auf sexuelle das wird nicht erfasst!) Selbstbestimmung besser geschützt wird . Die heutige Reform des Sexualstrafrechts mit der klaren Botschaft Was die Beteiligung an einer Gruppe überhaupt be- „Nein heißt nein“ wäre ohne dieses Engagement nicht deutet, bleibt völlig nebulös . Zur Beruhigung schreiben möglich gewesen . Sie in Ihrer Gesetzesbegründung, dass reine Ansamm- lungen von Menschen nicht gemeint sind . Ich zitiere Der Gesetzentwurf ist also nicht einfach eine schlich- wörtlich aus der Gesetzesbegründung: te Reaktion auf die Vorfälle in der Silvesternacht . Er ist vielmehr Ergebnis des beharrlichen Einsatzes vieler … zum Beispiel macht sich nicht strafbar, wer in Frauen innerhalb, aber auch außerhalb des Parlaments . der überfüllten U-Bahn mitfährt, in der eine andere Dafür möchte ich mich bei ihnen – einige sind heute auch Person sexuelle Handlungen … vornimmt … anwesend – herzlich bedanken . Jetzt sind wir aber echt beruhigt, dass wir noch U-Bahn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fahren dürfen! der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NISSES 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen, bereits 2011 hat Deutsch- Mit diesen rechtsstaatlich nicht tragbaren Konstruk- land die Istanbul-Konvention unterzeichnet . Darin ist tionen zwingen Sie uns heute zu einer getrennten Ab- unmissverständlich festgehalten – das hat die Kollegin stimmung . Montagnachmittag haben Sie uns dann noch Högl heute Morgen schon angesprochen –, dass jegliche eine Änderung des Aufenthaltsrechts untergejubelt, mit nicht einvernehmliche sexuelle Handlung strafbar sein der Sie die Verschärfung der Verschärfung zur Sicherheit soll . Andere Länder, zum Beispiel Österreich, haben die- noch einmal verschärfen . Bei der Abschiebung Straffäl- se Konvention und das Prinzip „Nein heißt nein“ bereits liger wird jetzt auf den neuen § 177 StGB verwiesen, der umgesetzt . Es wird jetzt höchste Zeit, dass auch wir die- aber ganz anders als der bisherige Tatbestand viel nied- sen Paradigmenwechsel in unserem Sexualstrafrecht mit rigschwelligere sexuelle Handlungen erfasst und weder dieser Reform umsetzen . Gewalt noch Nötigung zur Tatbestandsvoraussetzung hat . Das ist schlicht unverhältnismäßig . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN) und bei der LINKEN) Denn es geht nicht um Lappalien oder Kavaliersde- Vizepräsidentin Claudia Roth: likte . Wer mit Frauenberatungsstellen spricht, der weiß, welch schwerwiegende Folgen sexuelle Übergriffe ha- Denken Sie an die Redezeit! ben . Viele Frauen haben sexualisierte Gewalt in ihrem Alltag erlebt, und sie tragen an diesen Erlebnissen oft Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ihr Leben lang. Das Perfide an solchen Übergriffen ist, Einem solchen Paket inklusive verfassungswidriger, dass sie häufig nicht, wie landläufig gedacht wird, nachts populistischer Straftatbestände können wir Grünen am in dunklen Ecken passieren, wo ein Fremder einer Frau Ende nicht zustimmen . Viele in meiner Fraktion bedau- auflauert. Nein, Übergriffe finden oft dort statt, wo sich ern das sehr, zumal wir die Ersten waren, die den heuti- das ganz normale Leben abspielt – in der U-Bahn, in den gen Vorschlag eines § 177 StGB entwickelt und einge- Klubs oder auf Festivals –, und sie sind auf erschrecken- bracht haben . de Art und Weise Teil des Alltags . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist es so wichtig, dass wir mit dieser Reform auch mit dem neuen Straftatbestand der sexuellen Beläs- Aber immerhin: Diesen Erfolg kann uns jetzt niemand tigung eine klare Botschaft aussenden: Das sind keine mehr nehmen . Der neue § 177 StGB ist ein Meilenstein Kavaliersdelikte und keine Bagatellen . für den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in die- sem Land, und darauf kommt es am Ende an . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es sind Straftaten, die konsequent verfolgt werden müs- und bei der LINKEN) sen . Grapschen ist kein Flirten . Das muss jetzt auch der Letzte begriffen haben . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall im ganzen Hause – Ulli Nissen Vielen Dank, Katja Keul . – Nächste Rednerin: [SPD]: Auch auf dem Oktoberfest!) Dr . Carola Reimann für die SPD . Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Frauen ermuti- (Beifall bei der SPD) gen, diese Straftaten auch anzuzeigen . Mich ärgert, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18005

Dr. Carola Reimann (A) in diesem Zusammenhang immer gleich die Gefahr von Becker ansehen! Das ist ja wohl eine Frech- (C) Falschanzeigen heraufbeschworen wird . heit!) (Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!) Sie führen dazu, dass die Debatte um die Verankerung von „Nein heißt nein“ durch andere Debatten überlagert Dabei liegt der Anteil gerade einmal bei 3 Prozent . Viel- wird, und das ist bitter und widert mich an . mehr muss uns doch beunruhigen – heute sind ja von der Kollegin auch schon Zahlen zu Verurteilungen genannt (Beifall bei der LINKEN) worden –, dass überhaupt nur 5 bis 10 Prozent aller straf- baren sexuellen Übergriffe angezeigt werden . Alle ande- Die kurzfristige, erst am Montag vorgelegte Ände- ren Übergriffe bleiben für den Täter folgenlos, und das ist rung des Aufenthaltsrechts ist – mit Verlaub – eine miese doch der eigentliche Skandal . Nummer . Vor allem Sie von der Union haben mit dieser Änderung einen Diskurs gestärkt, der unmittelbar nach (Beifall bei der SPD, bei der LINKEN sowie den Vorfällen in Köln schon einmal lief, der dann aber so bei Abgeordneten der CDU/CSU und des war, dass wir eine Debatte darum führen konnten, wie die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sexuelle Selbstbestimmung gesichert werden kann . Jetzt Kolleginnen und Kollegen, auch deshalb wollen wir müssen wir überall und immer wieder erklären, dass es diese Reform auf den Weg bringen . Wir wollen eine ge- gerade nicht so ist, dass die Zugezogenen für Straftaten sellschaftliche Sensibilisierung . Wir wollen das Thema nach dem Sexualstrafrecht besonders anfällig sind . sichtbar machen und ermutigen, genauer hinzuschauen (Beifall bei der LINKEN) und gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen . Wenn uns das gelingt, sind wir auf dem Weg zur Stärkung des Was tun Sie nun eigentlich, außer dass Sie eine Debatte Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ein gutes Stück vergiften? Sie haben gerade im März das Ausweisungs- vorangekommen . recht geändert . Dort haben Sie das Strafmaß gesenkt und die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Vielen Dank . aufgenommen, sobald sie mit Gewalt begangen werden, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- durch Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit wie bei Abgeordneten der LINKEN) List – und das ist eben die überwiegende Anzahl der Straftaten, die wir bei § 177 StGB haben . Vizepräsidentin Claudia Roth: Doch was tun Sie jetzt? Mit der Änderung ist es mög- Vielen Dank, Carola Reimann .– Die nächste Redne- lich, dass ein aufgedrängter Zungenkuss ein Grund sein rin: Halina Wawzyniak für die Linke . kann, die Flüchtlingseigenschaft zu verlieren und ausge- (B) wiesen zu werden . (D) (Beifall bei der LINKEN) (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Auf- Halina Wawzyniak (DIE LINKE): gedrängt, das finden Sie gut? Das finden Sie toll? – Ulli Nissen [SPD]: Ich möchte auch Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- keinen aufgedrängten Zungenkuss haben! – legen! Es wäre ein richtiges Signal gewesen, wenn wir Weitere Zurufe von der CDU/CSU) uns fraktionsübergreifend auf eine Formulierung von „Nein heißt nein“ verständigt hätten . Genau das wollen Sie, Herr Hoffmann, Sie sagen es (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gerade, und das ist angesichts der Tatsache Ihrer Rede NIS 90/DIE GRÜNEN) im März, in der Sie lauter Einwände gegen „Nein heißt nein“ hatten – Sie erinnern sich: das war die peinliche Wir werden dieses „Nein heißt nein“ jetzt – das ist gut Rede, wo die Dame die Kontrolle verliert und es dann so – mit übergroßer Mehrheit beschließen . Ich bin mir zum Äußersten kommt –, mit Verlaub bigott . sicher, wenn wir uns fraktionsübergreifend zusammen- getan hätten, hätten wir ein Gesetz gehabt, bei dem es (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- vorrangig um die sexuelle Selbstbestimmung geht . Was NIS 90/DIE GRÜNEN) wir jetzt vorliegen haben, ist leider ein Gesetz, das in Sie haben offensichtlich das Thema Sexualstrafrecht erst wesentlichen Teilen das Politikverständnis weißer alter nach den Vorfällen in Köln als Thema begriffen . Männer widerspiegelt; (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei NIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist unterirdisch, was Sie er- Der Murks in diesem Gesetz wird auch noch einmal zählen!) beim Gruppenparagrafen deutlich; Frau Keul hat bereits denn es ist offensichtlich bei der Union nicht möglich, darauf hingewiesen . Was passiert da jetzt eigentlich? die sexuelle Selbstbestimmung zu schützen, ohne gleich- Menschen schließen sich zusammen, wollen jemandem zeitig das Strafrecht auf den Kopf zu stellen und das Aus- das Smartphone oder die Geldbörse klauen, einer aus die- weisungsrecht auszuweiten . ser Gruppe begeht eine Sexualstraftat, und alle – alle! – aus dieser Gruppe sind wegen der Sexualstraftat bestraf- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn bar . Das ist absurd und widerspricht dem strafrechtlichen Sie sich einmal die Kollegin Winkelmeier- Schuldprinzip . 18006 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Halina Wawzyniak (A) Es gibt noch etwas anderes . Sie erwähnen in der Be- Zuerst gab es noch nicht einmal viele Anzeigen, eine (C) gründung explizit, dass die Normen für Täterschaft, Teil- typische Reaktion . Eigentlich sollten sich die Täter für nahme und Anstiftung im Gesetz hier nicht gelten sollen, ihre Taten schämen und schuldig fühlen . sondern Beteiligung im umgangssprachlichen Sinne zu verstehen ist . Das setzt dem Ganzen die Krone auf . Der (Ulli Nissen [SPD]: Beim Oktoberfest gibt es Verweis auf die Beteiligung an einer Schlägerei – Herr das jedes Jahr!) Hoffmann wird später dazu noch lang und breit ausfüh- Tatsächlich fühlen sich aber die Frauen beschmutzt, und ren – funktioniert hier nicht . Bei der Beteiligung an einer sie scheuen sich vor diesem Weg . Nicht die Informati- Schlägerei wird die Folge dieser Handlung – Tod oder onspolitik der nordrhein-westfälischen Landesregierung schwere Körperverletzung – bestraft . und ihrer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Für je- wahre Ausmaß dieser Nacht an den Tag gebracht . Nein, manden, der applaudiert!) es waren die medialen Berichte . Sie waren wichtig und notwendig . Hier haben Sie ein zusätzliches Delikt . Das stellt das Strafrecht auf den Kopf . (Beifall bei der CDU/CSU – [SPD]: Sie sind sich auch für nichts zu schä- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- big!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Es war ein kollektiver Schock, ob Sie es wahrhaben Ich komme zum Schluss . Es ärgert mich massiv, dass wollen oder nicht . Nach der ersten Phase und der Fra- Sie die gute Initiative für ein „Nein heißt nein“ durch die- ge: „Wie konnte das eigentlich passieren?“, gab es auch se beiden Regelungen diskreditieren . rasch die bekannten Reaktionsmuster, die sich ein wenig schon in dieser Debatte widerspiegeln: Bitte keine De- (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sie battenbeiträge, die Wasser auf die Mühlen von Fremden- haben das nicht verstanden!) feinden sind . Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung hätte etwas (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach nee! Dann Besseres verdient als die Ergänzung der von Ihnen vor- können Sie sich hinsetzen!) geschlagenen Punkte . Noch während die Anzeigen eingingen, hieß es auf der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- anderen Seite: Vorsicht! Jetzt bloß keine voreiligen NIS 90/DIE GRÜNEN) Schlussfolgerungen für das Strafrecht! Es gibt auch vie- le Frauen, die sich an Männern durch falsche Anzeigen (B) (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: rächen .– Aber ist das wirklich der Kern des Problems? Vielen Dank, Halina Wawzyniak .– Nächste Rednerin: Nein . Jeder zu Unrecht Beschuldigte ist einer zu viel . Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion . Aber wie vielen tatsächlichen und angezeigten Verge- waltigungen stehen denn Falschbeschuldigungen gegen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- über? Wir erweisen einem rechtstreuen ausländischen ordneten der SPD) Mitbürger doch keinen guten Dienst, wenn wir Strafta- ten von Ausländern nicht ebenso benennen und ahnden, wie wir es in allen anderen Fällen – auch bei deutschen Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Straftätern – tun müssen . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Ich will es uns doch antun, uns noch einmal an die (Beifall bei der CDU/CSU) Silvesternacht des letzten Jahres zu erinnern; denn ich finde, dass dies schon ein denkwürdiger Abend gewesen Nicht nur an Silvester glaubten manche Männer, sie ist, der dem Parlament und vielen in unserem Land noch könnten in der ausgelassenen Stimmung Frauen unge- einmal ins Bewusstsein gerückt hat, dass etwas an unse- straft sexuell belästigen, nötigen oder gar vergewaltigen . rem Sexualstrafrecht, wie es bis zum heutigen Tag gilt, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht stimmen kann . NEN]: Beim Oktoberfest!) (Ulrich Freese [SPD]: Der CDU! Uns war das Auch im Karneval, bei Volksfesten oder Partys gibt es vorher bekannt!) immer wieder solche Exzesse . Frauen sind in dieser Nacht am Kölner Hauptbahnhof (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von ihren Freunden getrennt worden, sind betrunkenen, NEN]: Oktoberfest! Da hat Seehofer immer bekifften Männern hilflos ausgeliefert gewesen. reagiert?) (Ulrich Freese [SPD]: Das gab es auch vorher Aber welches Signal geben wir eigentlich, wenn wir wei- schon!) terhin zulassen, dass ein gezielter Griff an die Brust oder Sie wurden bedrängt, begrapscht und beraubt . Sie wur- in den Schritt im Sexualstrafrecht als „nicht erheblich“ den vergewaltigt . bewertet wird, wenn Bestrafungen nur dann erfolgen können, wenn der Richter auf den Beleidigungsparagra- (Zuruf von der LINKEN: Wie beim Oktober- fen ausweicht? Frauen sind kein Freiwild und sind keine fest!) reinen Objekte sexueller Begierde . Hier geht es um die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18007

Annette Widmann-Mauz (A) Würde und die Wahrung des Rechts auf sexuelle Selbst- einen wichtigen Beitrag für ein respektvolleres und fried- (C) bestimmung gerade der Frauen . liches Zusammenleben in unserem Land ermöglichen werden . (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Traurig, aber wahr ist auch, dass zum Handy- und Handtaschenklau das sogenannte Antanzen mittlerweile Vizepräsidentin Claudia Roth: Methode hat . Täter gehen umso ungehemmter vor, je si- Vielen Dank, Frau Kollegin .– Nächste Rednerin: Ulle cherer sie sich in einer Gruppe Gleichgesinnter fühlen . Schauws für Bündnis 90/Die Grünen . Von solchen Gruppen darf sich der Rechtsstaat doch nicht verhöhnen lassen . Wollen wir wirklich weiter zu- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sehen, dass diejenigen, die mitmachen, umdrängen und so die Tat erst ermöglichen und die Situation für das Op- Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fer verschärfen, ungeschoren davonkommen? Wer mit- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen macht, auch wenn er nicht selbst übergriffig wird, muss und Kollegen! Vor einigen Wochen überschrieb die taz auch bestraft werden . Wer, statt sich zu distanzieren einen Artikel zum Sexualstrafrecht mit der Frage: „Wie oder dem Opfer zu helfen, in der Gruppe mitmacht, der viel wert ist ein Nein?“ Wenn wir heute den neugefass- ist auch mitverantwortlich . Das Strafrecht muss hier ein ten § 177 Strafgesetzbuch beschließen, können wir diese Stoppschild aufstellen; denn das sagt auch etwas über die Frage eindeutig beantworten; denn dem Nein wird end- Definition von sozial adäquatem Verhalten aus. lich strafrechtliche Bedeutung beigemessen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ordneten der SPD) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Wir ziehen heute keine voreiligen Schlüsse . Der Ge- setzentwurf des Ministeriums war zwar schon in Vor- Ein für den Täter erkennbares Nein des Opfers, verbal bereitung, aus unserer Sicht aber abschließend nicht oder konkludent zum Ausdruck gebracht, reicht nun aus, geeignet, alle Schutzlücken zu schließen . Es brauchte um einen Vergewaltiger zu bestrafen . Ein Nein ist ein die Unionsfrauen, es brauchte die Frauen der ASF, es Nein, ohne Wenn und Aber . brauchte die Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, Das ist ein Meilenstein, vor allen Dingen für Frauen, im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die se- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und die Män- (B) xuelle Selbstbestimmung; denn das Recht auf sexuelle (D) ner auch!) Selbstbestimmung muss nun nicht mehr aktiv verteidigt damit es heute zu einem guten Gesetzentwurf gekommen werden . Jede nicht einvernehmliche sexuelle Hand- ist . Deshalb danke ich allen, die uns dabei unterstützt ha- lung ist strafbar . Damit wird mit § 177 eine gravieren- ben, von der Verbandsseite über die Rechtsexpertinnen de Schutzlücke für die Betroffenen geschlossen . Dafür und Rechtsexperten bis hin zu den Juristinnen und Juris- haben wir Grüne uns lange eingesetzt und gekämpft . ten und den Männern, die uns an dieser Stelle unterstützt Damit wird das Sexualstrafrecht endlich von dem Geist haben . vieler Jahrzehnte gelöst, in dem die Rechte von Frauen als nachrangig galten . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ordneten der SPD – Renate Künast [BÜND- bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen gar nicht, geordneten der CDU/CSU) über was Sie abstimmen!) Ich freue mich, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen Wir wollen diesen Paradigmenwechsel, wir wollen ihn von der Koalition, sich endlich dazu durchgerungen ha- jetzt . ben, diesen längst überfälligen Schritt zu gehen . Genau dies hat meine Fraktion bereits vor einem Jahr mit einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, und dies wird auch von Vizepräsidentin Claudia Roth: den Linken gefordert . Ich muss Ihnen, meine Damen und Frau Kollegin . Herren von der Bundesregierung, ganz klar sagen: Es war ein Armutszeugnis, dass das Justizministerium lan- ge überhaupt keinen Handlungsbedarf sah und dass das Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Bundeskanzleramt selbst den unzureichenden Gesetzent- Ich komme zum Schluss . – Sexuelle Selbstbestim- wurf von Minister Maas ein halbes Jahr lang blockierte . mung, Opferschutz und mehr Sicherheit – das ist das Ziel Das war peinlich . Da haben Sie sich weiß Gott nicht mit dieses Gesetzes . Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Ruhm bekleckert . Gesetz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie wissen gar nicht, über was Sie da Es ist letztendlich zu einem großen Teil der konzertier- abstimmen!) ten Aktion und dem Druck der Frauenverbände und den 18008 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ulle Schauws (A) Gesetzentwürfen von Grünen und Linken zu verdanken, erfährt . Es ist gut für jede Frau in diesem Land, dass wir (C) dass die Koalition nun mit ihrem Änderungsantrag den diese Tür heute aufstoßen und dass wir mit diesem Ge- Gesetzentwurf aus dem Hause Maas im Sinne der „Nein setz endlich diesen historischen Schritt machen . heißt nein“-Lösung endlich verändert hat . In der letzten Vielen Dank . Debatte, die wir hier hatten – Sie werden sich alle daran erinnern –, gab es eine große Einigkeit der Frauen . Eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fraktionsübergreifende Initiative für eine „Nein heißt und bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- nein“-Lösung wäre nicht ganz abwegig gewesen . Ange- ten der SPD und der Abg . Annette Widmann- sichts der Bedeutung der Umsetzung der Istanbul-Kon- Mauz [CDU/CSU]) vention wäre das sicherlich ein bemerkenswertes Signal gewesen . Aber ich sage ganz klar, auch angesichts der Vizepräsidentin Claudia Roth: heutigen Debatte: Über diesen Schatten sind Sie leider Vielen Dank, Ulle Schauws . – Nächste Rednerin: Elke nicht gesprungen . Ferner für die SPD . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der CDU/CSU) Neben der Reform des § 177 ist mir wichtig, zu sagen, dass wir jetzt eine Regelung zur Strafbarkeit von sexuel- Elke Ferner (SPD): ler Belästigung haben werden . Das heißt, dass sogenann- Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! tes Angrapschen kein Kavaliersdelikt und keine Petitesse „Nein heißt nein“, das setzen wir heute um . Das ist ein ist, das von den Gerichten bislang kaum zufriedenstel- Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, und es ist ein lend geahndet werden konnte . Ab jetzt müssen Frauen Sieg für die sexuelle Selbstbestimmung . diese Übergriffe nicht mehr hinnehmen . Das war überfäl- lig . Dem stimmen wir Grüne ausdrücklich zu . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Karin Maag [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – CSU]) Mechthild Rawert [SPD]: Anzeigen!) Dafür kämpfen Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- Was wir jedoch klar ablehnen, ist die „Strafbarkeit aus kraten seit vielen Jahren zusammen mit Frauenverbän- Gruppen“ heraus . Das ist – ich sage es noch einmal ganz den, auch mit anderen politischen Parteien . Ich bin sehr deutlich, Frau Widmann-Mauz – reine Symbolgesetzge- froh, dass es zumindest für die Änderung des § 177 StGB bung, und das ist nach Köln die Handschrift der Union . heute eine breite Mehrheit im Bundestag geben wird . (B) Sie setzen so das Schuldprinzip in verfassungswidriger (D) Weise ohne Not außer Kraft, Vor fast 20 Jahren, am 15 .Mai 1997, waren die Mehr- heiten knapper, als es darum ging, die Vergewaltigung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Ehe unter Strafe zu stellen . Aber auch 1997 wa- und bei der LINKEN) ren es die Frauen, die fraktionsübergreifend mit großer obwohl Sie wissen, dass beim Zusammenwirken mehre- Unterstützung aus der Zivilgesellschaft die Mehrheit im rer Personen ohnehin die Regelungen der Mittäterschaft Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Ver- und Teilnahme gelten . Wie Sie von der SPD da mitgehen gewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist . konnten, das ist mir wirklich völlig unverständlich, abge- (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Annette sehen von dem bitteren Beigeschmack, den das Gesetz Widmann-Mauz [CDU/CSU]) durch die Verschärfung der Ausweisungsregelungen be- kommt . Fast 20 Jahre später gehen wir jetzt den nächsten Schritt . Ich möchte als eine, die schon damals im Bundestag war, Das Strafrecht allein kann das Problem der sexuali- sagen: Das ist auch für mich heute ein sehr guter und ein sierten Gewalt nicht lösen . Es braucht vielmehr bestmög- sehr großer Tag . lichen Opferschutz, (Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ich möchte mich auch noch einmal bei den Verbänden bedanken, die den Aufruf „Nein heißt nein“ initiiert und qualifizierte Notfallversorgung inklusive anonymer Spu- unterstützt haben: beim Deutschen Frauenrat, beim Deut- rensicherung und der Pille danach . Es braucht gut ausge- schen Juristinnenbund, bei Terre de Femmes, beim bff, stattete Beratungsstellen – damit müssen wir uns, glau- beim KOK, beim Deutschen Komitee für UN Women, be ich, noch einmal beschäftigen – und eine geschulte bei der Frauenhauskoordinierung und bei der ZIF . Ohne Staatsanwaltschaft und Polizei . Sexismus und sexuali- ihre Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sach- sierte Gewalt müssen immer und überall geächtet wer- verständigen wären wir heute nicht so weit gekommen . den . Deshalb noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der LINKEN) der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Strafrecht, das den Grundsatz „Nein heißt nein“ beinhaltet, trägt dazu bei, dass die sexuelle Selbstbe- Mit der Reform des Sexualstrafrechts stärken wir die stimmung in der Gesellschaft einen neuen Stellenwert sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und setzen den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18009

Elke Ferner (A) potenziellen Tätern klare Grenzen . Der erkennbare Wille Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) darf nicht mehr missachtet werden . Nein heißt jetzt nein . Frau Ferner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute vielleicht Zwischenbemerkung von Frau Künast? nicht der Versuchung erlegen wären, zu fragen, wer wel- chen Entwurf bis wann irgendwo zurückgehalten hat . Elke Ferner (SPD): (Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU]) Ja, gern . Es war schon eine göttliche Eingebung im Kanzleramt, kurz vor Weihnachten eine Verbändeanhörung zum Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: setzentwurf durchzuführen . Wir schauen jetzt wirklich in Aber bitte nur eine! Wir wollen heute zügig durch- die Zukunft und sehen, was wir durch Verabschiedung kommen . dieses Entwurfs verbessern . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Nicht erst seit Köln gab es sexuelle Belästigung und Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung von Frau- Ich achte sehr auf die Redezeit . Ich bitte die Kolleginnen en . und Kollegen, sich an die Redezeiten zu halten . Norma- lerweise bin ich da etwas großzügiger . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Also eine kurze Zwischenfrage . NISSES 90/DIE GRÜNEN) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gibt es leider in allen Schichten der Gesellschaft – in Europa und anderen Teilen der Welt – seit vielen Jahren, Ich habe mich gemeldet, weil Sie, Frau Ferner, schon ja, Jahrzehnten, Jahrhunderten . die Zweite sind, die damit argumentiert – Frau Widmann- Mauz hat es ähnlich formuliert –: wenn man in der Grup- (Ulrich Freese [SPD]: Wo ist denn Frau pe mitmacht, daran teilnimmt und sich nicht distanziert . Widmann-Mauz?) Ich weiß nicht, wie Sie den Tatbestand verstehen . Ich Wir machen jetzt auch deutlich, dass das sogenannte Be- und viele andere verstehen ihn so, dass es dabei darum grapschen ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestim- geht, dass man Teil einer Gruppe ist, die sich verabredet, mung ist . Jede Frau kann jetzt selbst darüber entscheiden, und die Straftat irgendwie fördert . „Im umgangssprachli- ob sie einen Vorfall zur Anzeige bringt oder nicht . chen Sinn“ heißt es gar; also gar nicht nach den strengen Regeln des Allgemeinen Teils des StGB . (B) Ich will auch klar und deutlich sagen: Für die Opfer (D) macht es einen Unterschied, ob sie aus einer Gerichtsver- Wenn sich fünf, sechs Leute zum Beispiel auf dem handlung herausgehen und ihnen bescheinigt wird: „Das Schulhof verabreden, jemandem die Jacke abzuziehen – war gar keine Vergewaltigung, was dir da passiert ist“, so etwas soll es ja geben –, dann macht man sich in dieser oder ob der Täter nur aus Mangel an Beweisen freige- Gruppe strafbar, wenn innerhalb dieses Gruppengesche- sprochen worden ist . Das macht einen Unterschied . Das hens eine Person ein Sexualdelikt begeht . Man muss das beenden wir mit dem Gesetzentwurf, den wir heute ver- nicht einmal merken; man muss das nicht einmal sehen . abschieden . Es wird später angezeigt . Da muss nicht einmal Vorsatz Es ist eben angesprochen worden: Straftaten aus bestehen . Es geht um billigendes Inkaufnehmen . Gruppen heraus .– Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich ver- (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist stehe nicht, warum Grüne und Linke die Regelung nicht unglaublich!) mittragen; Wie soll sich denn jemand von dem Delikt distanzieren, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wenn zum Tatbestand nicht einmal gehört, dass man Besser kann ich es jetzt auch nicht mehr er- merkt, dass innerhalb des Abziehens der Jacke eine Se- klären!) xualstraftat begangen wird? denn jeder in einer Gruppe hat die Möglichkeit, einzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN greifen, Täter an Übergriffen zu hindern oder einfach nur und bei der LINKEN) wegzugehen und Hilfe zu holen . Das ist das, was uns stört . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Elke Ferner (SPD): Manche sagen: Das ist nicht strafbar .– Dieser Auffas- Ich zumindest lese das nicht so, dass man es nicht sung kann man sein; ich bin aber anderer Auffassung . merken muss . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Steht ex- Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht, warum Grüne plizit drin: Auf den Vorsatz kommt es nicht und Linke zwar „Nein heißt nein“ unterstützen, die Fol- an!) geänderungen im Aufenthaltsrecht aber ablehnen . Ich bin auch sicher, dass dann, wenn entsprechende Fälle (Beifall bei der CDU/CSU) vor Gericht kommen, auch die Umstände genau betrach- 18010 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Elke Ferner (A) tet und bewertet werden, wie immer alles im Einzelfall Da wird gesagt: Es gibt überhaupt keinen Bedarf für (C) bewertet wird . diese Norm, weil unsere Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme ausreichen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DIE GRÜNEN]: Der Tatbestand ist so!) Genau!) Ich möchte noch kurz auf die sogenannte Verschär- Meine Damen, meine Herren, wir erinnern uns an Vorfäl- fung des Ausländerrechts eingehen . Wenn Sie der Auf- le in Köln, in Darmstadt, in Berlin . fassung sind, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbe- stimmung kein Ausweisungsgrund sein sollen (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oktober- fest!) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie sind schon drin!) Das Antanzen ist eine Masche geworden, ein echtes Tat- bild . Da verabreden sich Männer zu einer Gruppe . Sie – nein, sie sind nicht drin – gehen auf Frauen zu, separieren eine Frau, versperren ihr (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) die Fluchtwege . Dann wird das Handy geklaut; es geht ans Geld ran, und die Frau wird begrapscht . – „Nein heißt nein“ ist nicht drin –, dann sagen Sie das einfach so, und sagen Sie nicht: Es gibt sozusagen im (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist Windschatten der Sexualstrafrechtsreform auch noch strafbar!) eine Verschärfung des Ausländerrechts .– Das war nicht der Fall, und das ist nicht der Fall . Die Schwierigkeit in diesen Fällen ist: Mit Videoma- terial, mit Augenzeugen können wir durchaus den Nach- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!) weis führen „Die betreffende Person war in der Gruppe“; – Wir haben da einfach unterschiedliche Auffassungen . Frauen schildern aber – wenn Sie sich mit den Sachver- halten beschäftigen, erfahren Sie das –, dass sie von 10 (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der bis 15 Männern teilweise 20- bis 30-mal angefasst wor- CDU/CSU) den sind . Die Frau kann eben nicht mehr sagen, die Hand kam von dem, oder die Hand kam von jenem . Ich möchte mich zum Schluss bei allen Kollegen und Kolleginnen bedanken, auch bei denen der Oppositions- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist fraktionen, aber insbesondere bei der Unionsfraktion, jetzt schon strafbar!) auch bei der Frauen Union . Wir haben gezeigt: Wenn (B) Frauen zusammen etwas bewegen wollen, dann können Das heißt, eine Aufarbeitung der Einzelverantwortlich- (D) sie zusammen auch etwas bewegen . keit ist nur bis zu einem gewissen Grade möglich . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt!) Ich würde mir sehr wünschen, dass das auch beim Thema Lohngerechtigkeit der Fall ist . Deswegen wollen wir einen neuen Tatbestand . Da geht es selbstverständlich um Beweisprobleme . Aber, meine Da- Vielen Dank . men, meine Herren, wir sagen: Wer sich zu einer Gruppe (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) verabredet, um eine Frau zu bedrängen, (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nein, das Vizepräsidentin Claudia Roth: fragen Sie nicht!) Vielen Dank, Elke Ferner .– Nächster Redner in der Debatte: Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Frak- um in dieser Situation Straftaten zu begehen, der ver- tion . wirklicht eigenes Unrecht, und wer eigenes Unrecht be- geht, den darf man auch bestrafen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Eigenes (CDU/CSU): Alexander Hoffmann Unrecht“! Wenn er nicht mal merkt, dass et- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- was passiert!) nen und Kollegen! Da die Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen anscheinend schon darauf bren- Der Täter verursacht eine objektiv gefährliche Situation . nen, dass ich noch ein bisschen Juristisches und Verfas- Er setzt nämlich einen Kausalverlauf in Gang, den er spä- sungsrechtliches ter nicht mehr beherrschen kann, und der einer gewissen Dynamik unterliegt, weil aus dem Ausgeliefertsein der (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau, aus der übermächtigen Stellung der Gruppe, der Nein, wir wollen Ihre Fallbeispiele hören!) eine oder andere dann doch noch mutiger wird . Und dann zu dem neuen Tatbestand „Übergriffe aus Gruppen“ sage, kommt es zu sexuellen Übergriffen . will ich das auch gern tun . Dann kommen die verfassungsrechtlichen Bedenken: (Beifall der Abg . Annette Widmann-Mauz Das verstößt gegen das Schuldprinzip . Das ist schon zu- [CDU/CSU]) nächst einmal nicht richtig, weil – ich habe es gerade Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18011

Alexander Hoffmann (A) aufgezeigt – der Täter eigene Schuld, eigenes Unrecht Dann kommen diejenigen, die sagen, wir brauchen ja (C) verwirklicht . bei § 231 StGB eine schwere Folge; das ist ja gar nicht vergleichbar . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wenn ich Ihnen jetzt eine haue?) (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau so! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich empfehle Ihnen noch einmal dringend – ich habe es NEN]: Darum geht es doch nicht! Darum geht gestern schon im Rechtsausschuss getan, Frau Künast; es nicht!) offensichtlich haben Sie nicht zugehört –, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da sage ich: Vorsicht vor dieser Argumentation . NEN]: Doch!) Zum einen ist es so, dass unser Täter ja nicht nur ei- die Rechtsprechung zu § 231 StGB zu verinnerlichen . nen Förderbeitrag leistet, sondern einen echten Verursa- chungsbeitrag . Denn er verwirklicht mehr an Unrecht, er (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verwirklicht eigenes Unrecht . NEN]: Das habe ich gecheckt, dieses Bei- spiel!) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat gar keinen Vorsatz! – Halina Wawzyniak Denn unser Gruppentatbestand ist keine freie Erfindung [DIE LINKE]: Er hat keinen Vorsatz!) von der Konstruktion her, sondern es gibt im deutschen Strafrecht schon eine Norm, nämlich die Beteiligung an Der zweite Punkt, meine Damen, meine Herren: Be- einer Schlägerei, bei der lediglich die Förderung einer schäftigen Sie sich einmal mit Opfern aus der Kölner Sil- objektiv gefährlichen Situation bestraft wird . vesternacht . Dabei sind Frauen, die schwer traumatisiert sind, die heute in keine Menschenmenge mehr gehen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: können, geschweige denn in den Kölner Hauptbahnhof . Jetzt geht es aber durcheinander bei Ihnen!) Ich will Ihnen sagen: Wir stehen hinter dieser Norm, wir Nach BGH-Rechtsprechung ist dort folgender Fall sind zuversichtlich, dass sie verfassungsgemäß sein wird . strafbar: Es steht jemand am Rande einer Schlägerei, 10, Zum Ausweisungsrecht will ich Ihnen nur so viel sa- 15 Männer prügeln sich, und er applaudiert . In dieser gen: Bei uns in der Großen Koalition – dafür bin ich der Schlägerei verliert jemand ein Auge, ohne dass derjeni- Frau Ferner auch dankbar – ist es so, dass „Nein heißt ge, der applaudiert, das sieht oder er das will . nein“ auch Nein im Ausweisungsrecht bedeutet . Bei Ih- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen scheint das anders zu sein . NEN]: Aber er sieht doch, dass geschlagen (B) Vielen Dank . (D) wird!) Diese Person ist strafbar wegen dieses Förderungsbei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- trags Applaus . ordneten der SPD) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Das richtet sich gegen dasselbe Rechtsgut!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann . – Der nächste Jetzt kommt es aber, meine Damen, meine Herren . Redner ist Dr . Johannes Fechner für die SPD . Wer bei uns einen Verursachungsbeitrag leistet, das heißt, die Kausalkette in Gang setzt mit der Verabredung (Beifall bei der SPD) zur Gruppe, der leistet mehr als jemand, der einfach nur applaudiert . Deswegen glauben wir, dass das eine Straf- Dr. Johannes Fechner (SPD): barkeit trägt . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Liebe Gäste auf den Tribünen! Wir machen diese Re- ordneten der SPD – Halina Wawzyniak [DIE form, weil es in der Vergangenheit Urteile gab, in denen LINKE]: „Glauben“, sehr schön! Zwei unter- auch höchste Gerichte Abwehrhandlungen des Opfers, schiedliche Straftaten!) der Frauen, gefordert haben . Die Voraussetzungen einer solchen Abwehrhandlung sahen die Gerichte als nicht Jetzt sagen Sie; Ja, die zufällige Anwesenheit genügt .– gegeben an, wenn das Opfer die Gegenwehr unterließ – Da wundere ich mich dann wirklich – darüber haben wir etwa aus Furcht vor einer Kündigung, vor strafrechtli- gestern ausführlich gesprochen –, es gibt nämlich sehr chen Konsequenzen, aus Angst, dass der Täter die Woh- wohl auch eine Definition, wann eine Gruppe vorliegt. nung verwüstet, oder aus Angst vor erneuter Gewalt oder Damit Sie es nicht vergessen, will ich es noch einmal zi- weil das Opfer von der Attacke überrascht wurde und tieren: deshalb keine Gegenwehr leistete . Wohlgemerkt: Das Eine Gruppe ist eine zu bestimmten Zwecken zu- waren höchstrichterliche Entscheidungen . Deswegen sammengeschlossene Anzahl von mindestens drei können wir die heutige Rechtslage, auf der solche Urtei- Personen . le basieren, nicht stehen lassen . Wir müssen die Frauen besser schützen . Das ist BGH-Rechtsprechung . Das habe ich Ihnen ges- tern zitiert . Es wird heute trotzdem, wider besseres Wis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen, erneut in Abrede gestellt . der CDU/CSU) 18012 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Johannes Fechner (A) Insofern war es gut, dass Minister Maas schon im lierung . Ich will ausdrücklich klarstellen: Diese Formu- (C) Juli 2015 einen sehr präzisen Gesetzentwurf präsentiert lierung geht auf einen Vorschlag der Union zurück . Wir hat . Sie sehen: Die Kölner Silvesterereignisse waren für hätten lieber eine Präzisierung, eine Kodifizierung des uns nicht nötig, um hier den Handlungsbedarf zu erken- Tatbestands der Beihilfe vorgenommen, um diese Täter nen . wirklich zu erfassen . Wir stimmen dem Gesetz heute nur (Beifall bei der SPD) deshalb zu, weil wir es insbesondere den Frauen und den Frauenverbänden nicht erklären könnten, warum wir die- Wäre der Entwurf nicht im Kanzleramt ein halbes Jahr se Reform auf der Zielgeraden stoppen . blockiert worden, dann wären wir heute schon weiter . (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Wir haben heute die große Chance, erhebliche Straf- Nein! Im Ministerium!) barkeitslücken im Sinne eines besseren Schutzes von Frauen zu schließen . Deswegen tragen wir diese aus un- Wohlgemerkt: Der Entwurf ist nicht wegen der Frage serer Sicht bedenkliche Regelung bei der Formulierung der „Nein heißt nein“-Lösung blockiert worden, sondern der Gruppenstrafbarkeit mit . Wir werden dem Gesetzent- weil er der Union zu weit ging . Man kann den entspre- wurf heute zustimmen, auch wenn wir das eine oder an- chenden Schriftverkehr ja nachlesen . dere Argument der Opposition auch überlegt hatten . Las- (Beifall bei der SPD) sen Sie uns heute diesem Gesetzentwurf so zustimmen . Wir machen ein gutes Gesetz zum Schutz der Frauen vor Im Januar 2016 saßen Herr Maas und ich mit Herrn sexueller Gewalt . Strobl zusammen . Wir haben ihn gefragt: Herr Strobl, machen Sie bei „Nein heißt nein“ mit? Wir sind bereit Vielen Dank . dazu, das Ministerium unterstützt es .– Herr Strobl sag- te im Januar: Nein, das machen wir nicht mit .– Es war (Beifall bei der SPD) übrigens der gleiche Januar 2016, in dem Ralf Jäger und Hannelore Kraft, wie es ihre tatkräftige Art ist, Vizepräsidentin Claudia Roth: (Lachen bei der CDU/CSU) Vielen Dank, Kollege Fechner . – Wir haben jetzt noch die Geschehnisse analysiert und in Nordrhein-Westfalen eine Rednerin und einen Redner . Ich möchte Sie deshalb die richtigen Konsequenzen gezogen haben; das will ich auffordern und dringend ersuchen, spannende Gespräche hier ausdrücklich klarstellen . zwischen Herren und Damen draußen zu führen oder sich (Beifall bei der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] bitte hinzusetzen und der Debatte zu folgen . Das ist eine (B) [CDU/CSU]: Vier Tage nicht gekümmert! Als wichtige Debatte . (D) Ministerpräsidentin! Unglaublich!) Ich bitte Sie jetzt, der Kollegin Karin Maag, der nächs- Wir erweitern nun heute den Entwurf um die „Nein ten Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion, Ihre Aufmerk- heißt nein“-Lösung, weil wir zu Recht den Willen der samkeit zu schenken . Frau entscheiden lassen wollen . Damit schützen wir die Opfer besser . Ein Nein muss ausreichen; das wollen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heute hier so regeln . Ich meine auch, dass wir nicht beim ordneten der SPD) materiellen Strafrecht stehen bleiben, sondern noch einen Schritt weiter gehen sollten . Das Kernproblem ist ja oft, dass das Opfer aus Angst vor Rache des Täters im Pro- Karin Maag (CDU/CSU): zess nicht mehr aussagt . Deswegen sollten wir im zwei- ten Schritt auch strafprozessuale Änderungen einführen . Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- Auch hier hat unser äußerst aktiver Justizminister schon ginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist höchste Zeit, den Vorschlag gemacht, die Strafprozessordnung dahin dass wir uns bei Sexualstraftaten der Perspektive des gehend zu ergänzen, dass die Vernehmung des Opfers Opfers nähern und das Opfer in das Zentrum rechtspoli- bei der Polizei, die erste Aussage auf Video festgehal- tischer Überlegungen stellen . Bisher prüfen ja die Staats- ten wird, wenn es um eine schwere Straftat, wie die Ver- anwaltschaften und die Gerichte die Frage: Was hat das gewaltigung eine ist, geht . Dann hätten wir im Prozess, Opfer getan? Bisher muss das Opfer begründen, wie, wenn das Opfer aus nachvollziehbarer Angst nicht aussa- warum und aus welchen Überlegungen heraus es sich gen möchte, die Möglichkeit, uns direkt zu informieren, gewehrt hat . Die Sachverständige Frau Rabe vom Deut- wie die erste Aussage war . Lassen Sie uns also auch den schen Institut für Menschenrechte hat in der Anhörung an Schutz der Opfer strafprozessual absichern, meine lieben die Notwendigkeit einer Normverdeutlichung erinnert . Kolleginnen und Kollegen . Unsere Gesellschaft hat es offensichtlich noch nicht (Beifall bei der SPD) verinnerlicht, dass bei Zweifeln, ob mein Pendant frei- Ein Wort zu den Straftaten aus Gruppen: Ja, auch wir willig kooperiert, sexuelle Kontakte schlicht zu unterlas- in der SPD wollen, dass diejenigen bestraft werden, die sen sind . Das ist es, worüber wir heute reden . Deshalb den Täter anfeuern oder als Teil einer menschlichen Mau- stellen vor allen Dingen wir Abgeordnete heute klar, dass er das Opfer umzingeln und so den Täter bestärken . Aber das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung unantastbar ist . gerade weil wir eine präzise Regelung wollen, haben wir Wer künftig gegen den erkennbaren Willen des Opfers erhebliche Bedenken gegen die jetzt getroffene Formu- sexuelle Handlungen am Opfer vornimmt, wird bestraft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18013

Karin Maag (A) Lieber Herr Fechner, glauben Sie es mir: Mir scheint, – Auf das Strafmaß kommt es in diesem Fall an . – Ich (C) dass man auf eine Landesregierung, die vier Tage gar sehe auch nicht, warum sexuelle Übergriffe weniger ein- nichts bemerkt hat, wohl nicht unbedingt stolz sein kann . schneidende Folgen haben sollen als andere Straftaten . Das müssten Sie mir einmal im Privatissimum erklären . (Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU) Und angesichts der Tatsache, lieber Herr Fechner, dass Zunehmende Probleme bereiten auch – das hat die der Justizminister noch 2014 erklärt hat, er sehe gar Anhörung ergeben; der Leitende Oberstaatsanwalt keinen Handlungsbedarf bezüglich einer Änderung des ­Ohlenschlager hat das deutlich ausgeführt – sexuelle § 177 StGB, bin ich froh, dass wir Frauen – das betone Handlungen aus Tätergruppen . Dazu wurde schon einiges ich jetzt ausdrücklich – die Sache in die Hand genommen Richtiges – Stresssituation des Opfers, das Opfer als ein- haben . ziger Zeuge – gesagt . Ich glaube, wir tun gut daran, fest- zuschreiben, dass sich künftig derjenige, der eine Straftat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – fördert, der gemeinsam mit anderen das Opfer bedrängt, Dr .Johannes Fechner [SPD]: Sie sprechen strafbar macht . von Herrn Heilmann?) (Beifall der Abg . [CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir war es ein CSU] und Ulli Nissen [SPD]) persönliches Anliegen, dass jetzt auch Straftaten gegen Menschen mit Behinderungen besser erfasst werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch betonen: Der Staat mischt sich auch künftig nicht in (Beifall bei Abgeordnete der CDU/CSU und das Liebesleben seiner Bürger ein . Was beiden gefällt, der SPD sowie der Abg . Halina Wawzyniak bleibt erlaubt . Hinsichtlich der Sorge vor Falschanzei- [DIE LINKE]) gen ist selbstverständlich festzuhalten, dass natürlich die Gerichte haben nämlich die sexuelle Nötigung und Ver- strafrechtliche Beweisführung bei Sexualdelikten eine gewaltigung von Tatopfern mit geistiger Beeinträchti- Herausforderung ist . Das haben die Sachverständigen gung oft unzutreffend als sexuellen Missbrauch einer wi- so formuliert . Selbstverständlich gilt weiterhin die Un- derstandsunfähigen Person verurteilt, obwohl das Opfer schuldsvermutung . Selbstverständlich gilt der Rechts- klar und deutlich eine Willensbildung gezeigt hat . Das grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ . Daran än- Schlimme daran ist, dass entsprechende Straftaten gegen dert sich auch nichts . Da braucht man keine Sorgen zu Behinderte bisher mit einem geringeren Strafmaß geahn- haben . det werden . Deshalb stellen wir heute auch sicher, dass Ich will am Ende meiner Rede noch eines betonen: Als (B) sich diese Praxis nicht mehr fortsetzt . Vorsitzende der Gruppe der Unionsfrauen freut es mich (D) ganz besonders, dass wir heute im Bundestag ein ganzes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- Paket an Gesetzen zum Schutz vor sexueller Gewalt vor geordneten der SPD und der Abg . Halina allem gegen Frauen verabschieden . Es geht heute noch Wawzyniak [DIE LINKE]) um das Prostituiertenschutzgesetz, das die Menschen Meine Damen und Herren, eine weitere Änderung in der legalen Prostitution vor Gewalt, Ausbeutung und freut mich: Wir bestrafen die Grapscher . Erniedrigung schützt . Wir haben es geschafft, dass bei Handlungen gegen Frauen, indem sie etwa zur Prostitu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tion gezwungen werden, indem sie etwa Opfer von Men- der SPD) schenhändlern sind, die Strafbarkeit erhöht wird, dass die Es geht allerdings um Taten, die juristisch gesehen die Täter zur Verantwortung gezogen werden; dazu gehören Schwelle der sexuellen Erheblichkeit noch nicht errei- übrigens auch Freier . chen, aber natürlich das sexuelle Selbstbestimmungs- recht und die Würde von Frauen erheblich verletzen . Das Vizepräsidentin Claudia Roth: sexuelle Selbstbestimmungsrecht von uns Frauen wird Frau Kollegin, Ihre Redezeit . künftig deutlich besser geschützt . Bestraft wird, wer Frauen und auch Männer sexuell belästigt, das heißt, wer (CDU/CSU): einem Opfer zum Beispiel an die bekleidete Brust fasst, Karin Maag wer es an den Geschlechtsorganen berührt, ohne dazu An dieser Stelle bedanke ich mich, liebe Frau Präsi- eingeladen zu sein – das ist der springende Punkt . Ich dentin, bei allen, die mitgewirkt haben . Wir Frauen haben mache es ganz einfach: Grapschen ist kein Kavaliersde- für diesen Tag lange gekämpft . likt . Grundsätzlich gilt: Finger weg! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der ordneten der SPD und der Abg . Dr .Gesine LINKEN) Lötzsch [DIE LINKE]) Meine Damen und Herren, liebe Frau Möhring, Frau Vizepräsidentin Claudia Roth: Wawzyniak, es kommt wie immer im Ausländerrecht auch beim § 177 StGB auf das Strafmaß an . Vielen Dank, Frau Kollegin .– Ich sage es jetzt noch einmal: Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, Platz zu (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nicht in nehmen und ihre Gespräche einzustellen . Ansonsten rufe § 54 Absatz 2!) ich nämlich den nächsten Redner nicht auf . Dann kriegen 18014 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Sie zumindest mit einem Großteil des Hauses Ärger, weil Das ist aber – vorsichtig formuliert – etwas einseitig . Ich (C) sich diese Zeitverzögerung dann fortsetzt . erinnere mich sehr gut an die Justizministerkonferenzen 2014 und 2015 . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber der Red- ner kann ja nichts dafür!) (Dr .Eva Högl [SPD]: Ich erinnere mich auch an Ihre Stellungnahme aus Berlin zu diesem Das gilt für Johannes Kahrs, das gilt auch für die Seite Thema!) rechts von uns . Ich sage es noch einmal: Setzen Sie sich jetzt bitte hin! Während der Antrag von Frau Kuder aus Mecklen- Hören Sie dem nächsten Redner zu! Ansonsten rufe ich burg-Vorpommern von uns in Berlin immer unterstützt den nächsten Redner nicht auf, wurde, die damals schon sagte: „Nein heißt nein“, war die Haltung des Bundesjustizministeriums – vorsichtig (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, jetzt wei- formuliert – noch sehr zurückhaltend . Jedenfalls wurde ter!) damals kein Änderungsbedarf gesehen . Insofern haben zumal es ein Redner ist, der einmal sehen soll, wie es im wir alle gemeinsam uns bewegt; ich finde, das hat Frau Bundestag zugeht; denn er kommt vom Bundesrat . Ferner auch sehr gut dargestellt . Ich gebe dem Senator für Justiz und Verbraucher- (Elke Ferner [SPD]: Wie war es denn bei schutz des Landes Berlin, Thomas Heilmann, das Wort . Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperio- de?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) – Ich war auch damals schon Landesjustizminister bzw . Senator . Das FDP-geführte Ministerium war in der Tat der Meinung, es gebe keinen Änderungsbedarf . Auch Thomas Heilmann, Senator (Berlin): dort hat es offensichtlich eine Änderung gegeben . Aber Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Meine sehr verehrten Sie haben ja recht, Frau Ferner, wir sollten nicht zurück- Damen und Herren! Vor der namentlichen Abstimmung blicken . bin nur noch ich dran . Ich mache es kurz und verzichte auf Wiederholungen . Viele haben dankgesagt . Das möchte ich nicht wieder- holen . Aber ich möchte Ihnen, Frau Winkelmeier-Becker Das Strafrecht definiert die wichtigsten Rechtsgüter in und Herrn Hoffmann, sehr herzlich danken, weil auch einer Gesellschaft . Heute stärkt der Deutsche Bundestag Sie die Debatte und die Reform, die diesen Namen nun das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung . Das ist auch verdient, befördert haben . die wirklich gute Nachricht des Tages . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Hinter uns liegen viele Jahre des Wandels und der (D) Überzeugungsarbeit . Ein solches Gesetz, wie es heute Ein zweiter Grund, warum ich rede, betrifft die Ber- zur Abstimmung vorliegt, wäre vor einigen Jahren noch liner Staatsanwaltschaft und insbesondere die Berliner undenkbar gewesen . Sexuelle Aufdringlichkeiten galten Gerichte . Wir haben ein sehr prominentes schwebendes noch nicht einmal als Kavaliersdelikt . Aber niemand hat Verfahren, in das wir uns nicht einmischen wollen . Lie- Anlass zu Hochmut . be Frau Bundesministerin Schwesig, ich habe es sehr bedauernd zur Kenntnis genommen, dass Sie sich da Frau Schauws, Sie haben vor diesem Hintergrund von parteiergreifend geäußert haben. Ich finde, ein Berliner einem Armutszeugnis gesprochen . Ich will Sie daran er- Gericht sollte entscheiden, wie der Sachverhalt damals innern, dass auch Ihre Fraktion und Ihre Partei durchaus tatsächlich war . Es geht ja um die Beweiswürdigung, da- einen Wandel im Hinblick auf zu schützende Rechtsgüter nach kommt die rechtliche Entscheidung . im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung hinter sich haben . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe der Abg . Renate Künast [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich denke an die Frage: Wie sind eigentlich Kinder vor Letzter Punkt . Wir alle in Berlin wollen eine Kultur sexuellen Übergriffen zu schützen? des Respekts . Wir wollen, dass jeder und jede selbst- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Petra Sitte bestimmt, selbstbewusst und tolerant leben kann . Wir [DIE LINKE]: Ach nee, das war jetzt unter der tolerieren keine Übergriffe . Die sexuelle Selbstbestim- Gürtellinie! – Dr . Carola Reimann [SPD]: Das mung gehört zu den Kernwerten unserer Gesellschaft . muss nicht sein! – Dr . Eva Högl [SPD]: Das Verstöße dagegen sind schwerwiegend . Es ist deswegen gehört hier nicht hin!) richtig, dass das Gesetz nun auch sexuelle Übergriffe als Abschiebungsgrund definiert, wenn das Strafmaß hinrei- Liebe Frau Dr . Högl und lieber Herr Dr . Fechner, einer chend ist . der Gründe, warum ich heute hier rede, ist: Sie erwähn- ten die Meinungsäußerungen in der Union, die es natür- Wir kommen heute einen großen Schritt voran, aber es lich gegeben hat, wird nicht der letzte sein . Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, wie wir die Integrität von Frauen besser (Dr . Eva Högl [SPD]: Oh ja!) schützen können, und lobten den Bundesminister Maas . (Mechthild Rawert [SPD]: Mehr Gleichstel- (Dr . Eva Högl [SPD]: Ja!) lung!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18015

Senator Thomas Heilmann (Berlin) (A) die durch verbale Angriffe in der Öffentlichkeit zu sexu- Nächste Abstimmung . Wir stimmen jetzt namentlich (C) alisierten Objekten gemacht werden . Auch beim Opfer- ab über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der schutz müssen wir noch mehr tun . Es ist also gut, wenn Ausschussfassung, und zwar nur über die Einfügung des wir unser Strafrecht kontinuierlich weiterentwickeln . § 184j Strafgesetzbuch . Die Fraktion Bündnis 90/Die Heute ist jedenfalls erst einmal ein guter Tag . Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt . Vielen Dank . Gute Abstimmung! Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich die zweite namentliche Abstim- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mung; sie geht über Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzent- ordneten der SPD) wurfs in der Ausschussfassung, und zwar – ich sage es noch einmal – nur über die Einfügung des § 184j Straf- Vizepräsidentin Claudia Roth: gesetzbuch . Vielen Dank, Senator Heilmann .– Ich schließe die Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht ab- Aussprache . gestimmt haben? – Da sich niemand meldet, schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen Wir kommen jetzt zur Abstimmung . Ich bitte sehr um 3) Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Konzentration . Das wird und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . jetzt ein kleiner Marathon, von daher ist es ganz gut, Wir kommen nun zur Abstimmung über Artikel 2 Ab- wenn wir uns etwas konzentrieren . satz 3 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung . Die Fraktion Die Linke hat namentliche Abstimmung verlangt . Zu den Abstimmungen liegen mehrere Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1) Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich die dritte namentliche Abstim- Zunächst geht es um den von der Bundesregierung mung; sie geht über Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzent- eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wurfs in der Ausschussfassung . des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung . Der Ausschuss für Recht Gibt es noch Kollegen oder Kolleginnen, die die und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a Stimme nicht abgegeben haben, die nicht in wichtige Ge- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, spräche verwickelt wurden, die nicht rechtzeitig in den den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- Bundestag eingelassen wurden – Sie glauben gar nicht, chen 18/8210 und 18/8626 in der Ausschussfassung an- was es da alles an Begründungen gibt –, die den heißen zunehmen . Kaffee noch nicht trinken konnten? – Die Kollegen ha- ben also abgestimmt . Dann schließe ich die Abstimmung (B) Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit (D) nen haben beantragt, über Teile des Gesetzes in zweiter der Auszählung zu beginnen . 4) Beratung getrennt abzustimmen . Wir werden dazu drei namentliche Abstimmungen durchführen . Dann gibt es Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen eine Unterbrechung, und nach dieser Unterbrechung, Abstimmungen unterbreche ich jetzt die Sitzung . während der ausgezählt wird, werden wir mit einfachen (Unterbrechung von 12 .22 bis 12 .32 Uhr) Abstimmungen fortfahren . Wir stimmen zunächst ab über Artikel 1 Nummern 6 Vizepräsidentin Claudia Roth: bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschuss- Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . fassung . Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dazu namentliche Abstimmung verlangt . Ich werde Ihnen jetzt die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der nament- Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, die lichen Abstimmungen bekannt geben vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Nein, im mittleren Gang oben (Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, los!) rechts fehlt noch ein Schriftführer oder eine Schriftführe- – alles klar, Herr Kauder; net hudle –: rin; vorher kann ich nicht beginnen .– Sind jetzt alle Plät- ze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafge- ich die erste namentliche Abstimmung; sie geht – ich setzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen sage es noch einmal – über Artikel 1 Nummern 6 bis 8, Selbstbestimmung; hier: Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung . 10 und 11 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung, Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097: abgegebene Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle abge- Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 601 . stimmt? – Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch (Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die abstimmen müssen? – Das scheint nicht der Fall zu sein . Abgeordneten erheben sich) Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- Artikel 1 Nummern 6 bis 8, 10 und 11 des Gesetzent- ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später wurfs in der Ausschussfassung ist damit einstimmig an- bekannt gegeben 2). genommen .

1) Anlagen 3 und 4 3) Ergebnis Seite 18018 D 2) Ergebnis Seite 18015 D 4) Ergebnis Seite 18021 D 18016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Endgültiges Ergebnis Dr . Margaret Horb Dr . Jan-Marco Luczak (C) Abgegebene Stimmen: 599; Klaus-Peter Flosbach Bettina Hornhues Daniela Ludwig davon Charles M . Huber Karin Maag ja: 599 Dr . Astrid Freudenstein Anette Hübinger nein: 0 Dr . Hans-Peter Friedrich Hubert Hüppe Thomas Mahlberg (Hof) enthalten: 0 Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Michael Fuchs Ja Hans-Georg von der Marwitz Hans-Joachim Fuchtel Xaver Jung CDU/CSU Alexander Funk Dr . Egon Jüttner (Altötting) Ingo Gädechens Bartholomäus Kalb Reiner Meier Dr . Thomas Gebhart Hans-Werner Kammer Dr . Michael Meister Steffen Kanitz Thomas Bareiß Cemile Giousouf Dr . h .c . Josef Göppel Günter Baumann Bernhard Kaster Dr . Mathias Middelberg Ursula Groden-Kranich Maik Beermann Volker Kauder Hermann Gröhe (Börde) Dr . Stefan Kaufmann Karsten Möring Klaus-Dieter Gröhler Roderich Kiesewetter Marlene Mortler Michael Grosse-Brömer Dr . Georg Kippels Volker Mosblech Astrid Grotelüschen Dr . André Berghegger Markus Grübel Dr . Jürgen Klimke Dr . Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Monika Grütters Steffen Bilger Stefan Müller (Erlangen) Dr . Carsten Körber Dr . Fritz Güntzler Dr . (B) (D) Gunther Krichbaum Helmut Nowak Florian Hahn Dr . Günter Krings Dr . Georg Nüßlein Klaus Brähmig Dr . Rüdiger Kruse Michael Brand Jürgen Hardt Dr . Roy Kühne Dr . Reinhard Brandl Günter Lach Florian Oßner Uwe Lagosky Dr . Dr . Dr . Karl A . Lamers Henning Otte Dr . Stefan Heck Andreas G . Lämmel Dr . Dr . Norbert Lammert Cajus Caesar Katharina Landgraf Dr . Martin Pätzold Alexandra Dinges-Dierig (Chemnitz) Ulrich Lange Dr . Mark Helfrich Barbara Lanzinger Michael Donth Uda Heller Dr . Silke Launert Sibylle Pfeiffer Thomas Dörflinger Jörg Hellmuth Paul Lehrieder Eckhard Pols Marie-Luise Dött Rudolf Henke Dr . Katja Leikert Hansjörg Durz Michael Hennrich Dr . Kerstin Radomski Iris Eberl Dr . Jutta Eckenbach Dr . Dr . Alois Rainer Dr . Bernd Fabritius Dr . Hermann Färber Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Matthias Lietz Dr . Thorsten Hoffmann (Dort- Andrea Lindholz Enak Ferlemann mund) Dr . Dr . Ingrid Fischbach Iris Ripsam Axel E . Fischer Franz-Josef Holzenkamp Wilfried Lorenz Johannes Röring (Karlsruhe-Land) Dr . Dr . Claudia Lücking-Michel Kathrin Rösel Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18017

(A) Dr . Norbert Röttgen Astrid Timmermann-Fechter Burkhard Blienert (Essen) (C) Erwin Rüddel Dr . Hans-Peter Uhl Willi Brase Dr . Volker Ullrich Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Eva Högl Anita Schäfer (Saalstadt) Edelgard Bulmahn Matthias Ilgen Dr . Wolfgang Schäuble Oswin Veith Marco Bülow Christina Jantz-Herrmann Martin Burkert Michael Vietz Dr . Josip Juratovic Norbert Schindler (Kleinsaara) Petra Crone Tankred Schipanski Sven Volmering Oliver Kaczmarek Heiko Schmelzle Christel Voßbeck-Kayser Dr . Johannes Kahrs Christian Schmidt (Fürth) Dr . Gabriele Schmidt (Ühlingen) Dr . Sabine Dittmar Ronja Schmitt Martin Dörmann Karl-Heinz Wange Elvira Drobinski-Weiß Marina Kermer Nadine Schön (St . Wendel) Siegmund Ehrmann Dr . Ole Schröder Dr . h .c . Michaela Engelmeier Dr . Kristina Schröder Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . h .c . (Wiesbaden) Dr . Petra Ernstberger Dr. Bärbel Kofler Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Klaus-Peter Schulze Sabine Weiss (Wesel I) Karin Evers-Meyer Birgit Kömpel Ingo Wellenreuther Dr . Johannes Fechner (Weil am Karl-Georg Wellmann Dr . Fritz Felgentreu Dr . Hans-Ulrich Krüger Rhein) Elke Ferner Helga Kühn-Mengel Christina Schwarzer Waldemar Westermayer Christine Lambrecht Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Lange (Backnang) Christian Flisek Peter Wichtel Dr . Gabriele Fograscher Annette Widmann-Mauz Steffen-Claudio Lemme Dr . Dr . Heinz Wiese (Ehingen) (B) Bernd Siebert Ulrich Freese (D) Klaus-Peter Willsch Gabriele Lösekrug-Möller Elisabeth Winkelmeier- Becker Kirsten Lühmann Iris Gleicke Dr . Birgit Malecha-Nissen Dagmar G . Wöhrl Carola Stauche Angelika Glöckner Barbara Woltmann Dr . Katja Mast Dr. Kerstin Griese Hilde Mattheis Heinrich Zertik Gabriele Groneberg Dr . Michael Groß Dr . Uli Grötsch Gudrun Zollner Sebastian Steineke Bettina Müller Rita Hagl-Kehl Detlef Müller (Chemnitz) SPD Christian Frhr . von Stetten Michelle Müntefering Niels Annen Ulrich Hampel Dr . Rolf Mützenich Rita Stockhofe Ingrid Arndt-Brauer Gero Storjohann Rainer Arnold Michael Hartmann (Wackernheim) Ulli Nissen Max Straubinger Ulrike Bahr Thomas Oppermann Matthäus Strebl Heinz-Joachim Barchmann (Peine) Mahmut Özdemir (Duisburg) Karin Strenz Aydan Özoğuz Thomas Stritzl Klaus Barthel Lena Strothmann Dr . Matthias Bartke Wolfgang Hellmich Michael Stübgen Sören Bartol Dr . Barbara Hendricks Detlev Pilger Dr . Sabine Sütterlin-Waack Bärbel Bas Heidtrud Henn Joachim Poß Dr . Lothar Binding (Heidelberg) Gabriele Hiller-Ohm (Minden) 18018 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Dr . Wilhelm Priesmeier Katrin Kunert Kai Gehring (C) Caren Lay Katrin Göring-Eckardt Dr . Michael Thews Ralph Lenkert Anja Hajduk Dr . Simone Raatz Dr . Karin Thissen Britta Haßelmann Franz Thönnes Dr . Anton Hofreiter Mechthild Rawert Carsten Träger Dr . Gesine Lötzsch Bärbel Höhn Stefan Rebmann Rüdiger Veit Thomas Lutze Gerold Reichenbach Birgit Menz Uwe Kekeritz Dr . Carola Reimann Dirk Vöpel Cornelia Möhring Katja Keul Sven-Christian Kindler Sönke Rix Norbert Müller (Potsdam) Maria Klein-Schmeink Petra Rode-Bosse Dr . Alexander S . Neu Tom Koenigs Waltraud Wolff Sylvia Kotting-Uhl Dr . (Wolmirstedt) Oliver Krischer Harald Petzold (Havelland) René Röspel Gülistan Yüksel Stephan Kühn (Dresden) Richard Pitterle Dr . Christian Kühn (Tübingen) Michael Roth (Heringen) Stefan Zierke Renate Künast Dr . Petra Sitte Markus Kurth Susann Rüthrich Dr . Jens Zimmermann Kersten Steinke Bernd Rützel Manfred Zöllmer Dr . Kirsten Tackmann Steffi Lemke Frank Tempel Peter Meiwald DIE LINKE Dr . Irene Mihalic Annette Sawade Jan van Aken Beate Müller-Gemmeke Dr . Hans-Joachim Dr . Dietmar Bartsch Kathrin Vogler Özcan Mutlu Schabedoth Herbert Behrens Dr . Sahra Wagenknecht Dr . Konstantin von Notz Dr . Halina Wawzyniak Marianne Schieder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Cem Özdemir (B) Dr . Dorothee Schlegel (D) Christine Buchholz Birgit Wöllert Lisa Paus (Aachen) Eva Bulling-Schröter Jörn Wunderlich Brigitte Pothmer Matthias Schmidt (Berlin) Tabea Rößner (Wetzlar) Sevim Dağdelen Sabine Zimmermann Claudia Roth (Augsburg) (Erfurt) Klaus Ernst (Zwickau) Corinna Rüffer Elfi Scho-Antwerpes Wolfgang Gehrcke BÜNDNIS 90/ Elisabeth Scharfenberg (Spandau) DIE GRÜNEN Ulle Schauws Ewald Schurer Dr . Luise Amtsberg Dr . Dr . André Hahn Kerstin Andreae Dr . Stefan Schwartze Heike Hänsel Annalena Baerbock Kordula Schulz-Asche Dr . Rosemarie Hein Marieluise Beck (Bremen) Dr . Wolfgang Strengmann- Rita Schwarzelühr-Sutter Inge Höger Volker Beck (Köln) Kuhn Dr . Franziska Brantner Hans-Christian Ströbele Norbert Spinrath Sigrid Hupach Agnieszka Brugger Dr . Harald Terpe Ulla Jelpke Ekin Deligöz Markus Tressel Martina Stamm-Fibich Susanna Karawanskij Katja Dörner Jürgen Trittin Sonja Steffen Kerstin Kassner Katharina Dröge Dr . Peer Steinbrück Harald Ebner Doris Wagner Dr . Frank-Walter Steinmeier Jan Korte Dr . Thomas Gambke Beate Walter-Rosenheimer Christoph Strässer Jutta Krellmann Matthias Gastel Dr . Valerie Wilms

(Beifall im ganzen Hause) schussfassung, Drucksachen 18/8210, 18/8626, 18/9097: abgegebene Stimmen 599 . Mit Ja haben gestimmt 478, Artikel 1 Nummer 9 – und zwar nur Einfügung von mit Nein haben gestimmt 119, Enthaltungen 2 . Artikel 1 § 184j Strafgesetzbuch – des Gesetzentwurfs in der Aus- Nummer 9 ist damit angenommen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18019

(A) Endgültiges Ergebnis Klaus-Peter Flosbach Charles M . Huber Gisela Manderla (C) Abgegebene Stimmen: 598; Thorsten Frei Anette Hübinger Matern von Marschall davon Dr . Astrid Freudenstein Hubert Hüppe Hans-Georg von der Marwitz ja: 477 Dr . Hans-Peter Friedrich Thomas Jarzombek Andreas Mattfeldt (Hof) nein: 119 Sylvia Jörrißen Stephan Mayer (Altötting) Michael Frieser enthalten: 2 Andreas Jung Reiner Meier Dr . Michael Fuchs Xaver Jung Dr . Michael Meister Hans-Joachim Fuchtel Dr . Egon Jüttner Jan Metzler Ja Alexander Funk Bartholomäus Kalb Maria Michalk CDU/CSU Ingo Gädechens Hans-Werner Kammer Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Thomas Gebhart Steffen Kanitz Dr . Mathias Middelberg Stephan Albani Alois Gerig Alois Karl Dietrich Monstadt Katrin Albsteiger Eberhard Gienger Anja Karliczek Karsten Möring Artur Auernhammer Cemile Giousouf Bernhard Kaster Marlene Mortler Thomas Bareiß Josef Göppel Volker Kauder Volker Mosblech Norbert Barthle Ursula Groden-Kranich Dr . Stefan Kaufmann Elisabeth Motschmann Günter Baumann Hermann Gröhe Roderich Kiesewetter Dr . Gerd Müller Maik Beermann Klaus-Dieter Gröhler Dr . Georg Kippels Carsten Müller Manfred Behrens (Börde) Michael Grosse-Brömer Volkmar Klein (Braunschweig) Veronika Bellmann Astrid Grotelüschen Jürgen Klimke Stefan Müller (Erlangen) Sybille Benning Markus Grübel Axel Knoerig Dr . Philipp Murmann Dr . André Berghegger Manfred Grund Jens Koeppen Dr . Andreas Nick Dr . Christoph Bergner Oliver Grundmann Markus Koob Michaela Noll Ute Bertram Monika Grütters Carsten Körber Helmut Nowak Peter Beyer Dr . Herlind Gundelach Kordula Kovac Dr . Georg Nüßlein Steffen Bilger Fritz Güntzler Michael Kretschmer Julia Obermeier Clemens Binninger Olav Gutting Gunther Krichbaum Wilfried Oellers Peter Bleser Christian Haase Dr . Günter Krings Florian Oßner (B) Wolfgang Bosbach Florian Hahn Rüdiger Kruse Dr . Tim Ostermann (D) Norbert Brackmann Dr . Stephan Harbarth Dr . Roy Kühne Henning Otte Klaus Brähmig Jürgen Hardt Günter Lach Ingrid Pahlmann Michael Brand Gerda Hasselfeldt Uwe Lagosky Sylvia Pantel Dr . Reinhard Brandl Matthias Hauer Dr . Karl A . Lamers Martin Patzelt Helmut Brandt Mark Hauptmann Andreas G . Lämmel Dr . Martin Pätzold Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Stefan Heck Dr . Norbert Lammert Dr . Joachim Pfeiffer Heike Brehmer Dr . Matthias Heider Katharina Landgraf Sibylle Pfeiffer Ralph Brinkhaus Helmut Heiderich Ulrich Lange Eckhard Pols Cajus Caesar Mechthild Heil Barbara Lanzinger Thomas Rachel Gitta Connemann Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Silke Launert Kerstin Radomski Alexandra Dinges-Dierig Mark Helfrich Paul Lehrieder Alexander Radwan Alexander Dobrindt Uda Heller Dr . Katja Leikert Alois Rainer Michael Donth Jörg Hellmuth Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Peter Ramsauer Thomas Dörflinger Rudolf Henke Dr . Andreas Lenz Eckhardt Rehberg Marie-Luise Dött Michael Hennrich Dr . Ursula von der Leyen Lothar Riebsamen Hansjörg Durz Ansgar Heveling Antje Lezius Josef Rief Iris Eberl Dr . Heribert Hirte Ingbert Liebing Dr . Heinz Riesenhuber Jutta Eckenbach Christian Hirte Matthias Lietz Iris Ripsam Dr . Bernd Fabritius Robert Hochbaum Andrea Lindholz Johannes Röring Hermann Färber Alexander Hoffmann Patricia Lips Kathrin Rösel Uwe Feiler Thorsten Hoffmann Wilfried Lorenz Dr . Norbert Röttgen Dr . Thomas Feist (Dortmund) Dr . Claudia Lücking-Michel Erwin Rüddel Enak Ferlemann Karl Holmeier Dr . Jan-Marco Luczak Albert Rupprecht Ingrid Fischbach Franz-Josef Holzenkamp Daniela Ludwig Anita Schäfer (Saalstadt) Axel E . Fischer Dr . Hendrik Hoppenstedt Karin Maag Dr . Wolfgang Schäuble (Karlsruhe-Land) Margaret Horb Yvonne Magwas Karl Schiewerling Dr . Maria Flachsbarth Bettina Hornhues Thomas Mahlberg Jana Schimke 18020 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Norbert Schindler Sven Volmering Dr . Daniela De Ridder Gabriele Katzmarek (C) Tankred Schipanski Christel Voßbeck-Kayser Dr . Karamba Diaby Ulrich Kelber Heiko Schmelzle Kees de Vries Sabine Dittmar Marina Kermer Christian Schmidt (Fürth) Dr . Johann Wadephul Martin Dörmann Cansel Kiziltepe Gabriele Schmidt (Ühlingen) Marco Wanderwitz Elvira Drobinski-Weiß Arno Klare Ronja Schmitt Karl-Heinz Wange Siegmund Ehrmann Lars Klingbeil Patrick Schnieder Nina Warken Michaela Engelmeier Dr. Bärbel Kofler Nadine Schön (St . Wendel) Dr . h .c . Gernot Erler Daniela Kolbe Dr . Ole Schröder Dr . h .c . Albert Weiler Petra Ernstberger Birgit Kömpel Dr . Kristina Schröder Marcus Weinberg (Hamburg) Saskia Esken Anette Kramme (Wiesbaden) Dr . Anja Weisgerber Karin Evers-Meyer Dr . Hans-Ulrich Krüger Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Johannes Fechner Helga Kühn-Mengel Dr . Klaus-Peter Schulze Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Fritz Felgentreu Christine Lambrecht Uwe Schummer Ingo Wellenreuther Elke Ferner Christian Lange (Backnang) Armin Schuster (Weil am Karl-Georg Wellmann Dr . Ute Finckh-Krämer Dr . Karl Lauterbach Rhein) Marian Wendt Christian Flisek Steffen-Claudio Lemme Christina Schwarzer Waldemar Westermayer Gabriele Fograscher Burkhard Lischka Detlef Seif Kai Whittaker Dr . Edgar Franke Gabriele Lösekrug-Möller Johannes Selle Peter Wichtel Ulrich Freese Hiltrud Lotze Reinhold Sendker Annette Widmann-Mauz Dagmar Freitag Kirsten Lühmann Dr . Patrick Sensburg Heinz Wiese (Ehingen) Michael Gerdes Dr . Birgit Malecha-Nissen Bernd Siebert Klaus-Peter Willsch Martin Gerster Caren Marks Thomas Silberhorn Elisabeth Winkelmeier- Iris Gleicke Katja Mast Johannes Singhammer Becker Angelika Glöckner Hilde Mattheis Tino Sorge Oliver Wittke Ulrike Gottschalck Dr . Matthias Miersch Jens Spahn Dagmar G . Wöhrl Kerstin Griese Klaus Mindrup Carola Stauche Barbara Woltmann Gabriele Groneberg Susanne Mittag Dr . Frank Steffel Tobias Zech Michael Groß Bettina Müller Dr. Wolfgang Stefinger (B) Heinrich Zertik Uli Grötsch Detlef Müller (Chemnitz) (D) Albert Stegemann Emmi Zeulner Bettina Hagedorn Michelle Müntefering Peter Stein Dr . Matthias Zimmer Rita Hagl-Kehl Dr . Rolf Mützenich Erika Steinbach Gudrun Zollner Metin Hakverdi Andrea Nahles Sebastian Steineke Ulrich Hampel Dietmar Nietan Johannes Steiniger SPD Sebastian Hartmann Ulli Nissen Christian Frhr . von Stetten Michael Hartmann Thomas Oppermann Dieter Stier Niels Annen (Wackernheim) Mahmut Özdemir (Duisburg) Rita Stockhofe Ingrid Arndt-Brauer Dirk Heidenblut Aydan Özoğuz Gero Storjohann Rainer Arnold Hubertus Heil (Peine) Markus Paschke Stephan Stracke Heike Baehrens Gabriela Heinrich Christian Petry Max Straubinger Ulrike Bahr Marcus Held Detlev Pilger Matthäus Strebl Heinz-Joachim Barchmann Wolfgang Hellmich Joachim Poß Karin Strenz Doris Barnett Dr . Barbara Hendricks Florian Post Thomas Stritzl Klaus Barthel Heidtrud Henn Achim Post (Minden) Lena Strothmann Dr . Matthias Bartke Gustav Herzog Dr . Wilhelm Priesmeier Michael Stübgen Sören Bartol Gabriele Hiller-Ohm Florian Pronold Dr . Sabine Sütterlin-Waack Bärbel Bas Petra Hinz (Essen) Dr . Sascha Raabe Dr . Peter Tauber Uwe Beckmeyer Thomas Hitschler Dr . Simone Raatz Antje Tillmann Lothar Binding (Heidelberg) Dr . Eva Högl Martin Rabanus Astrid Timmermann-Fechter Burkhard Blienert Matthias Ilgen Mechthild Rawert Dr . Hans-Peter Uhl Willi Brase Christina Jantz-Herrmann Stefan Rebmann Dr . Volker Ullrich Dr . Karl-Heinz Brunner Frank Junge Gerold Reichenbach Arnold Vaatz Edelgard Bulmahn Josip Juratovic Dr . Carola Reimann Oswin Veith Martin Burkert Thomas Jurk Andreas Rimkus Thomas Viesehon Dr . Lars Castellucci Oliver Kaczmarek Sönke Rix Michael Vietz Petra Crone Johannes Kahrs Petra Rode-Bosse Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bernhard Daldrup Ralf Kapschack Dennis Rohde Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18021

(A) Dr . Martin Rosemann Dagmar Ziegler Dr . Alexander S . Neu Maria Klein-Schmeink (C) René Röspel Stefan Zierke Thomas Nord Tom Koenigs Dr . Ernst Dieter Rossmann Dr . Jens Zimmermann Petra Pau Sylvia Kotting-Uhl Michael Roth (Heringen) Manfred Zöllmer Harald Petzold (Havelland) Oliver Krischer Susann Rüthrich Richard Pitterle Stephan Kühn (Dresden) Bernd Rützel Nein Martina Renner Christian Kühn (Tübingen) Sarah Ryglewski Dr . Petra Sitte Renate Künast Johann Saathoff SPD Kersten Steinke Markus Kurth Annette Sawade Rüdiger Veit Dr . Kirsten Tackmann Monika Lazar Dr . Hans-Joachim Schabe- Frank Tempel Steffi Lemke doth DIE LINKE Dr . Axel Troost Peter Meiwald Dr . Nina Scheer Alexander Ulrich Irene Mihalic Marianne Schieder Jan van Aken Kathrin Vogler Beate Müller-Gemmeke Udo Schiefner Dr . Dietmar Bartsch Dr . Sahra Wagenknecht Dr . Dorothee Schlegel Herbert Behrens Özcan Mutlu Halina Wawzyniak Ulla Schmidt (Aachen) Karin Binder Dr . Konstantin von Notz Harald Weinberg Matthias Schmidt (Berlin) Matthias W . Birkwald Omid Nouripour Katrin Werner Dagmar Schmidt (Wetzlar) Heidrun Bluhm Friedrich Ostendorff Birgit Wöllert Carsten Schneider (Erfurt) Christine Buchholz Cem Özdemir Jörn Wunderlich Elfi Scho-Antwerpes Eva Bulling-Schröter Lisa Paus Hubertus Zdebel Ursula Schulte Roland Claus Brigitte Pothmer Sabine Zimmermann Tabea Rößner Swen Schulz (Spandau) Sevim Dağdelen (Zwickau) Ewald Schurer Klaus Ernst Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Frank Schwabe Wolfgang Gehrcke BÜNDNIS 90/ Stefan Schwartze Nicole Gohlke DIE GRÜNEN Manuel Sarrazin Andreas Schwarz Elisabeth Scharfenberg Annette Groth Luise Amtsberg Rita Schwarzelühr-Sutter Ulle Schauws Dr . André Hahn Kerstin Andreae Rainer Spiering Dr . Gerhard Schick Heike Hänsel Annalena Baerbock (B) Norbert Spinrath Dr . Frithjof Schmidt (D) Dr . Rosemarie Hein Marieluise Beck (Bremen) Svenja Stadler Kordula Schulz-Asche Inge Höger Volker Beck (Köln) Martina Stamm-Fibich Dr . Wolfgang Streng- Andrej Hunko Dr . Franziska Brantner Sonja Steffen mann-Kuhn Sigrid Hupach Agnieszka Brugger Peer Steinbrück Hans-Christian Ströbele Ulla Jelpke Ekin Deligöz Dr . Frank-Walter Steinmeier Dr . Harald Terpe Susanna Karawanskij Katja Dörner Christoph Strässer Markus Tressel Kerstin Kassner Katharina Dröge Kerstin Tack Jürgen Trittin Katja Kipping Harald Ebner Claudia Tausend Dr . Julia Verlinden Jan Korte Dr . Thomas Gambke Michael Thews Jutta Krellmann Doris Wagner Dr . Karin Thissen Matthias Gastel Katrin Kunert Beate Walter-Rosenheimer Franz Thönnes Kai Gehring Caren Lay Dr . Valerie Wilms Carsten Träger Katrin Göring-Eckardt Ralph Lenkert Ute Vogt Anja Hajduk Enthalten Dirk Vöpel Michael Leutert Britta Haßelmann Stefan Liebich Dr . Anton Hofreiter Gabi Weber SPD Bernd Westphal Dr . Gesine Lötzsch Bärbel Höhn Marco Bülow Dirk Wiese Thomas Lutze Dieter Janecek Waltraud Wolff Birgit Menz Uwe Kekeritz (Wolmirstedt) Cornelia Möhring Katja Keul DIE LINKE Gülistan Yüksel Norbert Müller (Potsdam) Sven-Christian Kindler Dr . Gregor Gysi

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und abgegebene Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 480, der SPD) mit Nein haben gestimmt 121 . Kolleginnen und Kolle- Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Aus- gen, Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzentwurfs in der Aus- schussfassung – die Drucksachen bleiben dieselben –: schussfassung ist damit angenommen . 18022 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Endgültiges Ergebnis Klaus-Peter Flosbach Charles M . Huber Thomas Mahlberg (C) Abgegebene Stimmen: 600; Thorsten Frei Anette Hübinger Gisela Manderla davon Dr . Astrid Freudenstein Hubert Hüppe Matern von Marschall ja: 479 Dr . Hans-Peter Friedrich Thomas Jarzombek Hans-Georg von der Marwitz (Hof) nein: 121 Sylvia Jörrißen Andreas Mattfeldt Michael Frieser enthalten: 0 Andreas Jung Stephan Mayer (Altötting) Dr . Michael Fuchs Xaver Jung Reiner Meier Hans-Joachim Fuchtel Dr . Egon Jüttner Dr . Michael Meister Ja Alexander Funk Bartholomäus Kalb Jan Metzler CDU/CSU Ingo Gädechens Hans-Werner Kammer Maria Michalk Dr . Thomas Gebhart Steffen Kanitz Dr . h .c . Hans Michelbach Stephan Albani Alois Gerig Alois Karl Dr . Mathias Middelberg Katrin Albsteiger Eberhard Gienger Anja Karliczek Dietrich Monstadt Artur Auernhammer Cemile Giousouf Bernhard Kaster Karsten Möring Thomas Bareiß Josef Göppel Volker Kauder Marlene Mortler Norbert Barthle Ursula Groden-Kranich Dr . Stefan Kaufmann Volker Mosblech Günter Baumann Hermann Gröhe Roderich Kiesewetter Elisabeth Motschmann Maik Beermann Klaus-Dieter Gröhler Dr . Georg Kippels Dr . Gerd Müller Manfred Behrens (Börde) Michael Grosse-Brömer Volkmar Klein Carsten Müller Veronika Bellmann Astrid Grotelüschen Jürgen Klimke (Braunschweig) Sybille Benning Markus Grübel Axel Knoerig Stefan Müller (Erlangen) Dr . André Berghegger Manfred Grund Jens Koeppen Dr . Philipp Murmann Dr . Christoph Bergner Oliver Grundmann Markus Koob Dr . Andreas Nick Ute Bertram Monika Grütters Carsten Körber Michaela Noll Peter Beyer Dr . Herlind Gundelach Kordula Kovac Helmut Nowak Steffen Bilger Fritz Güntzler Michael Kretschmer Dr . Georg Nüßlein Clemens Binninger Olav Gutting Gunther Krichbaum Julia Obermeier Peter Bleser Christian Haase Dr . Günter Krings Wilfried Oellers (B) Wolfgang Bosbach Florian Hahn Rüdiger Kruse Florian Oßner (D) Norbert Brackmann Dr . Stephan Harbarth Dr . Roy Kühne Dr . Tim Ostermann Klaus Brähmig Jürgen Hardt Günter Lach Henning Otte Michael Brand Gerda Hasselfeldt Uwe Lagosky Ingrid Pahlmann Dr . Reinhard Brandl Matthias Hauer Dr . Karl A . Lamers Sylvia Pantel Helmut Brandt Mark Hauptmann Andreas G . Lämmel Martin Patzelt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Stefan Heck Dr . Norbert Lammert Dr . Martin Pätzold Heike Brehmer Dr . Matthias Heider Katharina Landgraf Dr . Joachim Pfeiffer Ralph Brinkhaus Helmut Heiderich Ulrich Lange Sibylle Pfeiffer Cajus Caesar Mechthild Heil Barbara Lanzinger Eckhard Pols Gitta Connemann Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Silke Launert Thomas Rachel Alexandra Dinges-Dierig Mark Helfrich Paul Lehrieder Kerstin Radomski Alexander Dobrindt Uda Heller Dr . Katja Leikert Alexander Radwan Michael Donth Jörg Hellmuth Dr . Philipp Lengsfeld Alois Rainer Thomas Dörflinger Rudolf Henke Dr . Andreas Lenz Dr . Peter Ramsauer Marie-Luise Dött Michael Hennrich Dr . Ursula von der Leyen Eckhardt Rehberg Hansjörg Durz Ansgar Heveling Antje Lezius Lothar Riebsamen Iris Eberl Dr . Heribert Hirte Ingbert Liebing Josef Rief Jutta Eckenbach Christian Hirte Matthias Lietz Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Bernd Fabritius Robert Hochbaum Andrea Lindholz Iris Ripsam Hermann Färber Alexander Hoffmann Dr . Carsten Linnemann Johannes Röring Uwe Feiler Thorsten Hoffmann Patricia Lips Kathrin Rösel Dr . Thomas Feist (Dortmund) Wilfried Lorenz Dr . Norbert Röttgen Enak Ferlemann Karl Holmeier Dr . Claudia Lücking-Michel Erwin Rüddel Ingrid Fischbach Franz-Josef Holzenkamp Dr . Jan-Marco Luczak Albert Rupprecht Axel E . Fischer Dr . Hendrik Hoppenstedt Daniela Ludwig Anita Schäfer (Saalstadt) (Karlsruhe-Land) Margaret Horb Karin Maag Dr . Wolfgang Schäuble Dr . Maria Flachsbarth Bettina Hornhues Yvonne Magwas Karl Schiewerling Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18023

(A) Jana Schimke Volkmar Vogel (Kleinsaara) Bernhard Daldrup Ralf Kapschack (C) Norbert Schindler Sven Volmering Dr . Daniela De Ridder Gabriele Katzmarek Tankred Schipanski Christel Voßbeck-Kayser Dr . Karamba Diaby Ulrich Kelber Heiko Schmelzle Kees de Vries Sabine Dittmar Marina Kermer Christian Schmidt (Fürth) Dr . Johann Wadephul Martin Dörmann Cansel Kiziltepe Gabriele Schmidt (Ühlingen) Marco Wanderwitz Elvira Drobinski-Weiß Arno Klare Ronja Schmitt Karl-Heinz Wange Siegmund Ehrmann Lars Klingbeil Patrick Schnieder Nina Warken Michaela Engelmeier Dr. Bärbel Kofler Nadine Schön (St . Wendel) Kai Wegner Dr . h .c . Gernot Erler Daniela Kolbe Dr . Ole Schröder Dr . h .c . Albert Weiler Petra Ernstberger Birgit Kömpel Dr . Kristina Schröder Marcus Weinberg (Hamburg) Saskia Esken Anette Kramme (Wiesbaden) Dr . Anja Weisgerber Karin Evers-Meyer Dr . Hans-Ulrich Krüger Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Johannes Fechner Helga Kühn-Mengel Dr . Klaus-Peter Schulze Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Fritz Felgentreu Christine Lambrecht Uwe Schummer Ingo Wellenreuther Elke Ferner Christian Lange (Backnang) Armin Schuster (Weil am Karl-Georg Wellmann Dr . Ute Finckh-Krämer Dr . Karl Lauterbach Rhein) Marian Wendt Christian Flisek Steffen-Claudio Lemme Christina Schwarzer Waldemar Westermayer Gabriele Fograscher Burkhard Lischka Detlef Seif Kai Whittaker Dr . Edgar Franke Gabriele Lösekrug-Möller Johannes Selle Peter Wichtel Ulrich Freese Hiltrud Lotze Reinhold Sendker Annette Widmann-Mauz Dagmar Freitag Kirsten Lühmann Dr . Patrick Sensburg Heinz Wiese (Ehingen) Michael Gerdes Dr . Birgit Malecha-Nissen Bernd Siebert Klaus-Peter Willsch Martin Gerster Caren Marks Thomas Silberhorn Elisabeth Winkelmeier- Iris Gleicke Katja Mast Johannes Singhammer Becker Angelika Glöckner Hilde Mattheis Tino Sorge Oliver Wittke Ulrike Gottschalck Dr . Matthias Miersch Jens Spahn Dagmar G . Wöhrl Kerstin Griese Klaus Mindrup Carola Stauche Barbara Woltmann Gabriele Groneberg Susanne Mittag Dr . Frank Steffel (B) Tobias Zech Michael Groß Bettina Müller (D) Dr. Wolfgang Stefinger Heinrich Zertik Uli Grötsch Detlef Müller (Chemnitz) Albert Stegemann Emmi Zeulner Bettina Hagedorn Michelle Müntefering Peter Stein Dr . Matthias Zimmer Rita Hagl-Kehl Dr . Rolf Mützenich Erika Steinbach Gudrun Zollner Metin Hakverdi Andrea Nahles Sebastian Steineke Ulrich Hampel Dietmar Nietan Johannes Steiniger Ulli Nissen SPD Sebastian Hartmann Christian Frhr . von Stetten Michael Hartmann (Wa- Thomas Oppermann Dieter Stier Niels Annen ckernheim) Mahmut Özdemir (Duisburg) Rita Stockhofe Ingrid Arndt-Brauer Dirk Heidenblut Aydan Özoğuz Gero Storjohann Rainer Arnold Hubertus Heil (Peine) Markus Paschke Stephan Stracke Heike Baehrens Gabriela Heinrich Christian Petry Max Straubinger Ulrike Bahr Marcus Held Detlev Pilger Matthäus Strebl Heinz-Joachim Barchmann Wolfgang Hellmich Joachim Poß Karin Strenz Doris Barnett Dr . Barbara Hendricks Florian Post Thomas Stritzl Klaus Barthel Heidtrud Henn Achim Post (Minden) Lena Strothmann Dr . Matthias Bartke Gustav Herzog Dr . Wilhelm Priesmeier Michael Stübgen Sören Bartol Gabriele Hiller-Ohm Florian Pronold Dr . Sabine Sütterlin-Waack Bärbel Bas Petra Hinz (Essen) Dr . Sascha Raabe Dr . Peter Tauber Uwe Beckmeyer Thomas Hitschler Dr . Simone Raatz Antje Tillmann Lothar Binding (Heidelberg) Dr . Eva Högl Martin Rabanus Astrid Timmermann-Fechter Burkhard Blienert Matthias Ilgen Mechthild Rawert Dr . Hans-Peter Uhl Willi Brase Christina Jantz-Herrmann Stefan Rebmann Dr . Volker Ullrich Dr . Karl-Heinz Brunner Frank Junge Gerold Reichenbach Arnold Vaatz Edelgard Bulmahn Josip Juratovic Dr . Carola Reimann Oswin Veith Martin Burkert Thomas Jurk Andreas Rimkus Thomas Viesehon Dr . Lars Castellucci Oliver Kaczmarek Sönke Rix Michael Vietz Petra Crone Johannes Kahrs Petra Rode-Bosse 18024 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Dennis Rohde Dirk Wiese Dr . Gesine Lötzsch Britta Haßelmann (C) Dr . Martin Rosemann Waltraud Wolff (Wol- Thomas Lutze Dr . Anton Hofreiter René Röspel mirstedt) Birgit Menz Bärbel Höhn Dr . Ernst Dieter Rossmann Gülistan Yüksel Cornelia Möhring Dieter Janecek Michael Roth (Heringen) Dagmar Ziegler Niema Movassat Uwe Kekeritz Susann Rüthrich Stefan Zierke Norbert Müller (Potsdam) Katja Keul Bernd Rützel Dr . Jens Zimmermann Dr . Alexander S . Neu Sven-Christian Kindler Sarah Ryglewski Manfred Zöllmer Thomas Nord Maria Klein-Schmeink Johann Saathoff Petra Pau Tom Koenigs Annette Sawade Nein Harald Petzold (Havelland) Sylvia Kotting-Uhl Dr . Hans-Joachim Richard Pitterle Oliver Krischer Schabedoth SPD Martina Renner Stephan Kühn (Dresden) Dr . Nina Scheer Marco Bülow Dr . Petra Sitte Christian Kühn (Tübingen) Marianne Schieder Kersten Steinke Renate Künast Udo Schiefner DIE LINKE Dr . Kirsten Tackmann Markus Kurth Dr . Dorothee Schlegel Frank Tempel Jan van Aken Monika Lazar Ulla Schmidt (Aachen) Dr . Axel Troost Dr . Dietmar Bartsch Steffi Lemke Matthias Schmidt (Berlin) Alexander Ulrich Herbert Behrens Peter Meiwald Dagmar Schmidt (Wetzlar) Kathrin Vogler Karin Binder Irene Mihalic Carsten Schneider (Erfurt) Dr . Sahra Wagenknecht Matthias W . Birkwald Beate Müller-Gemmeke Elfi Scho-Antwerpes Halina Wawzyniak Heidrun Bluhm Özcan Mutlu Ursula Schulte Harald Weinberg Christine Buchholz Dr . Konstantin von Notz Swen Schulz (Spandau) Eva Bulling-Schröter Katrin Werner Omid Nouripour Ewald Schurer Roland Claus Birgit Wöllert Friedrich Ostendorff Frank Schwabe Sevim Dağdelen Jörn Wunderlich Cem Özdemir Stefan Schwartze Klaus Ernst Hubertus Zdebel Lisa Paus Andreas Schwarz Wolfgang Gehrcke Sabine Zimmermann Brigitte Pothmer Rita Schwarzelühr-Sutter Nicole Gohlke (Zwickau) (B) Tabea Rößner (D) Rainer Spiering Annette Groth Claudia Roth (Augsburg) Norbert Spinrath Dr . Gregor Gysi BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Svenja Stadler Dr . André Hahn Martina Stamm-Fibich Heike Hänsel Luise Amtsberg Manuel Sarrazin Sonja Steffen Dr . Rosemarie Hein Kerstin Andreae Elisabeth Scharfenberg Peer Steinbrück Inge Höger Annalena Baerbock Ulle Schauws Dr . Frank-Walter Steinmeier Andrej Hunko Marieluise Beck (Bremen) Dr . Gerhard Schick Christoph Strässer Sigrid Hupach Volker Beck (Köln) Dr . Frithjof Schmidt Kerstin Tack Ulla Jelpke Dr . Franziska Brantner Kordula Schulz-Asche Claudia Tausend Susanna Karawanskij Agnieszka Brugger Dr . Wolfgang Strengmann- Michael Thews Kerstin Kassner Ekin Deligöz Kuhn Dr . Karin Thissen Katja Kipping Katja Dörner Hans-Christian Ströbele Franz Thönnes Jan Korte Katharina Dröge Dr . Harald Terpe Carsten Träger Jutta Krellmann Harald Ebner Markus Tressel Rüdiger Veit Katrin Kunert Dr . Thomas Gambke Jürgen Trittin Ute Vogt Caren Lay Matthias Gastel Dr . Julia Verlinden Dirk Vöpel Ralph Lenkert Kai Gehring Doris Wagner Gabi Weber Michael Leutert Katrin Göring-Eckardt Beate Walter-Rosenheimer Bernd Westphal Stefan Liebich Anja Hajduk Dr . Valerie Wilms

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wurfs in der Ausschussfassung – hier die Einfügung des der SPD) § 184i Strafgesetzbuch – ist bei einer Enthaltung ange- nommen 1). Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzentwurfs in der Aus- schussfassung, und zwar nur die Einfügung des § 184i Wir kommen nun zu den übrigen Teilen des Gesetz- Strafgesetzbuch . Ich bitte diejenigen, die zustimmen entwurfs in der Ausschussfassung . Ich bitte diejenigen, wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Artikel 1 Nummer 9 des Gesetzent- 1) 5 Anlage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18025

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) die zustimmen wollen, um das Handzeichen .– Wer schätzung (C) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch die übrigen Haushaltsausschuss Teile des Gesetzentwurfs sind angenommen . Zugestimmt Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für haben CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich Bünd- die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- nis 90/Die Grünen und die Linke . Damit ist der Gesetz- nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . entwurf insgesamt in zweiter Beratung angenommen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Katja Dörner Dritte Beratung für Bündnis 90/Die Grünen . und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben Kollegen! Keine Zeit zu haben, sich gehetzt zu fühlen: CDU/CSU und SPD, enthalten haben sich die Linke und Das ist zu einem Massenphänomen in unserer Gesell- Bündnis 90/Die Grünen . schaft geworden . Burn-out an der Uni ist ein Alltags- Abstimmung über den von der Fraktion Die Linke phänomen . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsge- immer häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen. Die setzes zur Änderung des Sexualstrafrechts . Der Aus- Fehltage deswegen haben sich innerhalb von zehn Jahren schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter verdoppelt, und auch fast jede zweite Frühverrentung ist Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- durch psychische Erkrankungen verursacht . che 18/9097, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Lin- Das alles sind klare Zeichen dafür, dass unserer ge- ke auf Drucksache 18/7719 abzulehnen . Ich bitte die- hetzten Gesellschaft die Puste ausgeht . Wir Grünen wol- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um len dem nicht tatenlos zusehen . Wir machen ganz konkre- das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält te Vorschläge, wie Menschen wieder mehr Souveränität sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge- über das bekommen können, was eines ihrer wichtigsten lehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Güter überhaupt ist, nämlich über ihre Zeit . Wir fordern Grünen, dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD . die Bundesregierung auf, hier endlich aktiv zu werden . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Das Thema ist nicht neu . Allein auf der Website des Familienministeriums gibt es 116 Treffer, wenn man Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion nach dem Begriff „Zeitpolitik“ sucht, mit vielen Ver- (B) (D) Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Strafgesetzbu- weisen auf umfassende Studien und Forschungsarbeiten . ches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Miss- Das zeigt: Wir haben überhaupt kein Erkenntnisproblem . handlung und Vergewaltigung . Der Ausschuss für Recht Aber diese Bundesregierung handelt nicht . Deshalb sa- und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe c sei- gen wir Grünen: Die Menschen brauchen jetzt eine bes- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9097, den sere Balance zwischen Beruf und Familie, Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5384 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Ihnen scheint die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das völlig entgangen zu sein, was in den letzten Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Jahren passiert ist!) Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt . Zu- gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, zwischen Pflege und/oder Ehrenamt, zwischen den vie- dagegen waren CDU/CSU und SPD . Auch damit entfällt len Mosaiksteinen, die unser Leben ausmachen . Denn nach unserer Geschäftsordnung jetzt die weitere Bera- auch der Sankt-Nimmerleins-Tag hat nicht mehr als tung . 24 Stunden . Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen .– Es wäre schön, wenn Sie die Plätze zügig wech- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) seln könnten . Ich muss keine Prophetin sein, um davon auszugehen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: dass die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs- fraktionen gleich das Elterngeld Plus und die Familien- Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja pflegezeit anführen werden. Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD) Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben Ich sage Ihnen aber: Lassen Sie das lieber stecken! Das passt Elterngeld Plus ist ein Bürokratiemonster, Drucksache 18/9007 (Sönke Rix [SPD]: Was? – Maik Beermann [CDU/CSU]: 6 Milliarden Euro! – Dr .V olker Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ullrich [CDU/CSU]: Dieser Staat gibt 6 Milli- Ausschuss für Arbeit und Soziales arden Euro für das Elterngeld aus! Reden Sie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- das nicht klein!) 18026 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Katja Dörner (A) das an der Lebensrealität der meisten Familien kilome- Dafür brauchen wir neue Instrumente wie die flexible (C) terweit vorbeigeht . Vollzeit oder die Kinderzeit Plus. Ich finde, es ist wirk- lich Zeit, dass die Bundesregierung bei diesem Thema Die Familienpflegezeit bleibt ein Rohrkrepierer. Sie endlich die Ärmel hochkrempelt . schließt den größten Teil der Frauen vom Rechtsan- spruch aus und ist für Menschen mit geringem Einkom- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . men sowieso unerschwinglich . Deshalb sagen wir: Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) brauchen passgenaue und realitätstaugliche Instrumente, damit Arbeit gut ins Leben passt, und wir brauchen diese Instrumente jetzt . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Katja Dörner .– Nächste Rednerin ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das eine Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU) zeitmodell reicht schon lange nicht mehr aus, um Er- werbsarbeit und private Anforderungen unter einen Hut zu bringen . Deshalb wollen wir einen Vollzeitkorridor Bettina Hornhues (CDU/CSU): mit Wahlarbeitszeiten schaffen . Beschäftigte sollen das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Recht haben, ihren Arbeitszeitumfang im Bereich von 30 Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich sehr, bis 40 Stunden bedarfsgerecht nach oben oder unten an- dass die Kolleginnen und Kollegen der Grünen mit ihrem passen zu können. Mit dieser flexiblen Vollzeit schaffen Antrag ein wichtiges Thema auf die heutige Tagesord- wir echte Zeitsouveränität . Die Arbeitszeiten sollen end- nung gesetzt haben . lich so beweglich werden, wie die Menschen in unserem Als Familienpolitikerin und Berichterstatterin für die Land es schon lange sind . Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich beson- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ders einen Blick auf den Teil des Antrags werfen, der sich Maik Beermann [CDU/CSU]: Denken Sie an mit der Zeit für die Familie beschäftigt . Es herrscht wahr- den kleinen Handwerksbetrieb!) scheinlich über kein Thema der Familienpolitik so viel Einigkeit wie darüber, dass wir mehr Zeit für Familien Es gibt aber auch Phasen im Leben, in denen mehr schaffen müssen, und zwar Zeit, die sich Familien selbst Flexibilität allein nicht ausreicht: wenn man Verantwor- einteilen können, je nachdem, wie die individuellen Be- tung für andere übernimmt, Kinder hat oder sich um Pfle- dürfnisse sind . gebedürftige kümmert, übrigens auch, wenn man sich in der Mitte des Lebens nochmals beruflich umorientie- Für Mütter und Väter, die als Paar zusammenleben, (B) ren möchte oder auch muss . In diesen Phasen braucht stellt sich nicht nur die Frage, wie beide Elternteile, für (D) es gezielte Unterstützung . Mit der Kinderzeit Plus, der sich betrachtet, Familie und Beruf vereinbaren . Von ho- Pflegezeit Plus und unserer Bildungszeit Plus versetzen hem Interesse ist für Paare mit Kindern zudem das Zu- wir Menschen auch finanziell in die Lage, in diesen Le- sammenspiel der Partner bei der Balance zwischen Fami- bensphasen beruflich kürzerzutreten, und zwar ganz egal, lie und Beruf . Zeitpolitik ist deshalb ein brandaktuelles ob sie Reinigungskraft oder Professorin sind . Mehr Zeit Thema und wird auch in den nächsten Jahren weiterhin für Familie, mehr Zeit für Bildung muss jedem möglich die größte Herausforderung in der Familienpolitik sein . sein, unabhängig vom Geldbeutel . Bereits vor zehn Jahren wurde mit dem Siebten Fami- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lienbericht der Bundesregierung die Zeitpolitik auf die Agenda gesetzt und läutete damit einen Wendepunkt in Ein Aspekt ist mir besonders wichtig . Es sind immer der Familienpolitik ein . Erstmals wurde der Zeitorgani- noch meistens die Frauen, die als Mütter bzw. als pfle- sation ein eigenes Kapitel gewidmet . Dieses beschreibt gende Angehörige zulasten ihrer eigenen Existenzsiche- das Spannungsfeld zwischen Erwerbs- und Familienzeit . rung beruflich zurückstecken. Hier wirkt ein sehr ungutes Seitdem schaffen wir mit zahlreichen familienpolitischen Zusammenspiel von althergebrachter Rollenverteilung, Maßnahmen Möglichkeiten für Familien, eine bessere Minijobs, Ehegattensplitting, noch immer unzureichen- Balance zwischen Arbeit und Familie zu finden und da- der Kinderbetreuung und zu wenigen Tagesbetreuungs- mit die Vereinbarkeit zu verbessern . angeboten für Pflegebedürftige. In dieser Legislaturperiode haben wir bereits einiges Dabei wissen wir aus Umfrage über Umfrage, Studie dafür getan und wichtige Ziele unseres Koalitionsvertra- über Studie, dass Frauen und auch Paare so gar nicht ges umgesetzt, beispielsweise mit der Einführung des El- mehr leben wollen . Eine Mehrzahl will heute nicht mehr terngeld Plus, mit Partnerschaftsbonus und einer flexib- so leben . Paare, vor allem wenn sie junge Eltern sind, len Elternzeit oder mit dem Familienpflegezeitgesetz zur wollen Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. untereinander aufteilen . Aber in ihrem Alltag können sie Genau diese Erfolge der Großen Koalition zeigen, dass das nicht; sie haben nicht die Möglichkeit dazu . wir in den letzten drei Jahren gute Arbeit geleistet haben . Das ist doch der Arbeitsauftrag an uns, liebe Kollegin- (Beifall bei der CDU/CSU) nen und Kollegen: dafür zu sorgen, dass die Menschen so leben können, wie sie es selber wünschen . Jetzt gehen die Kollegen der Grünen aber einen Schritt weiter und wollen dem Kind einen neuen Namen geben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) So soll aus dem Elterngeld und dem Elterngeld Plus die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18027

Bettina Hornhues (A) Kinderzeit Plus werden usw . Liebe Kolleginnen und Kol- Allein in den letzten Jahren, zwischen 2009 und 2013, (C) legen, das leuchtet mir an dieser Stelle leider nicht ein . gab es einen weiteren Anstieg um 4,2 Prozent, Tendenz Warum sollen wir bewährte familienpolitische Leistun- weiter steigend . Weitere Studien zeigen aber auch, dass gen umbenennen und es so den Eltern noch schwerer ma- eine Erhöhung der Zeit von Vätern zu Hause nicht die chen, zwischen den verschiedenen Antragsmöglichkeiten Probleme lösen wird . Auch wenn sich fast 80 Prozent zu unterscheiden? Dies spart meiner Meinung nach we- der Väter mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen, ist dies der Zeit noch Nerven und ist somit doch eher kontrapro- nicht das Allheilmittel . Wir sollten uns schwerpunkt- duktiv für einen Antrag, der unter anderem mehr Zeit für mäßig weiter darum kümmern, die Karrierechancen der Familien fordert . Nichtsdestotrotz werden wir als CDU/ Frauen in dieser Lebensphase noch mehr zu verbessern CSU-Bundestagsfraktion auch weiterhin dem Wunsch und diejenigen Frauen zu fördern, die mehr arbeiten der Eltern nach mehr Zeit mit der Familie nachkommen, möchten, indem beispielsweise die typischen Frauenbe- und wir machen uns für eine zukunftsorientierte Zeitpo- rufe in den sozialen Bereichen aufgewertet und besser litik stark, aber mit anderen Schwerpunkten . bezahlt werden oder den Frauen der Wiedereinstieg nach der Geburt des Kindes und der Elternzeit erleichtert wird . (Beifall bei der CDU/CSU) Jungen Familien in der Phase der Familiengründung feh- Die im letzten Jahr vorgestellte Zeitverwendungsstu- len schließlich nicht nur Zeit, sondern vor allem auch die des Bundesamtes für Statistik hat gezeigt, dass auf Geld . der einen Seite jeder dritte Vater und jede fünfte Mutter Neben Geld ist aber auch eine gute Infrastruktur wich- bemängeln, dass sie nicht ausreichend Zeit für ihre Kin- tig, um Familien zu entlasten . Bereits in den letzten Jah- der haben . Mit der Studie wurden im letzten Jahr erst- ren haben Bund und Länder viel Geld in den Kitaausbau mals Zahlen ermittelt, die auf die Veränderungen bei der gesteckt; darauf sollten wir weiter aufbauen . Die aktuel- Verwendung von Zeit eingehen . Weiter gibt die Studie len Zahlen bestätigen, dass der Ausbau der Krippenplätze darüber Aufschluss, dass sich 7 Prozent der Väter und in den vergangenen Jahren gut vorangekommen ist . 28 Prozent der Mütter auf der anderen Seite aber auch mehr Zeit für die Erwerbsarbeit wünschen . Das heißt, Meiner Meinung nach müssen wir uns in den nächsten dass jede dritte Mutter gern mehr arbeiten möchte . Dies Jahren aber auch um bessere Betreuungsmöglichkeiten verdeutlicht sehr gut, dass die Mütter und Väter von heu- für Grundschulkinder kümmern . Bisher wurde dieses te eben beides wollen: arbeiten und Zeit mit den Kindern Thema in der politischen Diskussion leider viel zu wenig verbringen . beachtet . Bis zur Einschulung wird eine gute Betreuung mit Krippe und Kindergarten mittlerweile gewährleistet . Doch – um nochmals auf den Antrag zurückzukom- Neue Probleme tauchen aber wieder mit dem Eintritt in men – zeigt sich hier wieder die Frage, wie wir diesen die Schule auf, vor allem da Betreuungsplätze in einem Wünschen der Mütter und Väter gerecht werden wollen . (B) Hort oder in einer Ganztagsschule für Grundschulkinder (D) Hierbei gehen unsere politischen Vorstellungen nämlich in vielen Kommunen knapp sind . Hier müssen die Län- auseinander . Fest steht, dass der Zeitabschnitt für Kin- der in die Verantwortung genommen werden und in die der im Lebenslauf kaum variabel ist und im Alter zwi- Infrastruktur investieren . Den Eltern ist nicht geholfen, schen 25 und 40 Jahren alles zusammenkommt . Sowohl wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, weil ihr die Familienplanung steht im Vordergrund als auch die Kind in die Grundschule gekommen ist und nicht mehr berufliche Entwicklung und die Karriereplanung. Zahlen betreut werden kann . Hier, liebe Kollegen der Grünen, aus dem Jahr 2014 zeigen, dass Mütter bei ihrem ersten könnte man dort, wo Sie an der Landesregierung beteiligt Kind durchschnittlich 29,5 Jahre alt sind . Die Familien- sind, viel erreichen . Aber leider passiert in den rot-grün gründung rückt im Lebensverlauf also immer weiter nach geführten Bundesländern bisher auch auf diesem Feld hinten . viel zu wenig . Dies ist ein signifikanter Wandel, vergleicht man dies Fassen wir zusammen: Mehr Zeit für Familien ist ein mit den 1950er- und 1960er-Jahren . Damals kamen fast schönes Ziel, welches wir als Politik allerdings nicht al- alle Kinder in Ehen zur Welt, und der Mann war der leine erreichen können . Vielmehr sind wir dabei auf die Hauptverdiener und Ernährer der Familie . In diesem Unterstützung der Gesellschaft und der Arbeitgeber an- klassischen Familienmodell hat sich die Frau, die im gewiesen . Schnitt beim ersten Kind deutlich jünger war als heute, um Haushalt und Kinder gekümmert . Heute ist jedoch Zum Schluss möchte ich besonders den Betrieben und das Zweiverdienermodell meistens in den Familien zu Unternehmen danken, die bereits in den letzten Jahren finden, wonach sich Mütter und Väter jeweils Erwerbsar- erkannt haben, dass Familienfreundlichkeit ein wichtiger beit und Fürsorge für die Kinder teilen . Faktor der Arbeitnehmerzufriedenheit ist . Ohne sie wür- den unsere Maßnahmen nicht den Erfolg haben . Diesem Wandel in den Lebensverläufen müssen wir Rechnung tragen . Dieser Wandel in den Familienmodel- Herzlichen Dank . len bewirkt, dass es in der vielbesagten Rushhour des Le- bens nun zu Verschärfungen kommt . Zurückzuführen ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dies hauptsächlich auf den Wandel der Arbeitswelt und auf den steigenden Anteil der erwerbstätigen Frauen in Vizepräsidentin Claudia Roth: Deutschland, und dieser Wandel war – trotz aller Diskus- Vielen Dank, Bettina Hornhues .– Nächste Rednerin: sionen – längst überfällig und ist nur zu begrüßen . Cornelia Möhring für die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) 18028 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Cornelia Möhring (DIE LINKE): Zeit zurückgewinnen, dann müssen wir die Arbeit zwi- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schen den Geschlechtern und zwischen Erwerbstätigen Ich begrüße sehr, dass wir hier über Zeit diskutieren . Das und Erwerbslosen umverteilen – und das mit guten Löh- ist ein wichtiges und dringliches Thema . Wir wissen: Im- nen . mer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leiden (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . unter dem sogenannten Burn-out, schaffen die ständig Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wachsenden Anforderungen nicht mehr . Während die ei- GRÜNEN]) nen im Hamsterrad rotieren, wird ein anderer Teil in der Gesellschaft von der Arbeitswelt ausgegrenzt und darf Das geht am besten mit einer allgemeinen Arbeitszeit- nicht mehr teilhaben . Das kann auch nicht sein . verkürzung . Weil deren Sinn und Zweck nicht darin be- stehen kann, noch mehr Sorge- und Pflegearbeit in die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Familien zu verlagern, damit sich Eltern und pflegende neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Angehörige besser im Hamsterrad platzieren können, GRÜNEN) brauchen wir unbedingt einen massiven Ausbau der so- Sie stellen als Grüne in Ihrem Antrag die Frage, was zialen Infrastruktur, also sowohl der Ganztagskinderbe- denn nötig sei, damit Arbeit und Leben besser zueinander treuung als auch der pflegerischen Infrastruktur. passen . Ich habe ein kleines Problem mit der grundsätz- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lichen Herangehensweise, denn das klingt ein bisschen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so, als ob Sie Arbeit und Leben als Gegensätze einander und der Abg . Bettina Hornhues [CDU/CSU]) gegenüberstellten, hier die Arbeit, dort das Leben . Aber Arbeit und Lebensweise gehören untrennbar zusammen, Das schafft echte Entlastung . Das wird auch entschei- und Arbeit ist auch mehr als Erwerbsarbeit . dend sein, wenn wir über solche Maßnahmen wie eine Pflegezeit Plus diskutieren. (Beifall bei der LINKEN) Wir sollten endlich das Verständnis eines Normal- Ich finde, das, was wir brauchen, ist doch Zeit für das arbeitsverhältnisses ein für alle Mal über Bord werfen . ganze Leben . Wir brauchen Zeit für Erwerbsarbeit, so- Die Menschen wollen keine starren Vorgaben, sie wollen dass wir sie ohne Stress und gesund bleibend tun können . Flexibilität, bei der sie auch ein Wort zu sagen haben, Wir brauchen Zeit für Sorgearbeit, das heißt für Kinder- sie wollen weder ausufernde Arbeitszeiten, die nur Stress betreuung, für die Pflege von Angehörigen, für den Haus- bedeuten, noch Teilzeitstellen, von denen sie nicht leben halt . Wir brauchen Zeit, um uns weiterzuentwickeln, für können . Es geht also um viel mehr als um Vereinbarkeit, Bildung, Kultur, zum Faulenzen, und wir brauchen nicht es geht um viel mehr als um die Weiterentwicklung ver- (B) zuletzt Zeit – das sehen wir in Zeiten wie heute besser schiedener Vereinbarkeitsmaßnahmen . (D) denn je – für politische Meinungsbildung und Teilhabe . Diese Verfügung über unsere eigene Zeit muss für jede Aber ich freue mich auf die Diskussion auf dem Weg und jeden gleich gelten, egal ob Mann oder Frau, arm in eine neue Arbeitswelt und Lebensweise, für mehr Zeit- oder reich, mit oder ohne Kinder . wohlstand für alle . Packen wir es an . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Aber leider sind wir von dieser gerechten Verteilung Vizepräsidentin Claudia Roth: von Arbeit und Zeit noch weit entfernt, und von einem Zeitwohlstand können wir bei weitem noch nicht reden . Vielen Dank, Kollegin Möhring .– Der nächste Red- Die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundes- ner: Dr . Fritz Felgentreu für die SPD . amtes zeigt, dass auch die reale Erwerbsarbeitszeit meist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht mehr der gewünschten Arbeitszeit entspricht . Kurz der CDU/CSU) gesagt: Väter wollen weniger erwerbsarbeiten und mehr Zeit für Familie haben, Frauen möchten gerne mehr er- Dr. Fritz Felgentreu (SPD): werbsarbeiten, und alle möchten Zeit für alle Seiten des Lebens . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An Ton und Inhalt des Antrags der Grünen zum Thema „Zeit für Aber diese Wahlfreiheit haben sie nicht . Sie können mehr“ merkt man, dass wir uns so langsam dem Wahl- nicht so einfach frei aushandeln, wie die Arbeit verteilt kampf nähern . Das muss für die Qualität der parlamenta- werden soll; denn wir haben nicht nur eine ungerechte rischen Debatten nicht unbedingt schlecht sein . Verteilung von Arbeit und Zeit, sondern auch von Ein- kommen, auch zwischen den Geschlechtern . Deswegen Aber wenn wir uns Ihre Vorschläge anschauen, liebe lautet in vielen Paarbeziehungen die Frage gar nicht, Frau Dörner, dann wird auch klar, dass das schon rela- wer wie viele Monate Elternzeit nehmen kann, sondern tiv ehrgeizig ist, was Sie da skizzieren . Wenn Sie sich sie lautet: Wie viel Gleichberechtigung können wir uns hier vorne hinstellen und sagen, das müsste alles sofort eigentlich leisten? Deshalb führt die gut gemeinte For- umgesetzt werden, dann kommt mir das nicht so richtig derung nach der Weiterentwicklung der Elternzeit nicht realistisch vor . Wenn Sie mit einem Gesetzentwurf ange- automatisch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit . kommen wären und das Anliegen schon konkret ausge- staltet gewesen wäre, dann hätte ich dem folgen können . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir Zeit für Aber der Arbeitsauftrag, den Sie der Regierung geben das ganze Leben, wollen wir die Verfügung über unsere wollen, bedarf doch erheblicher Ausarbeitungen – das ist Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18029

Dr. Fritz Felgentreu (A) Ihnen doch selber klar –, die geraume Zeit in Anspruch Leistung ist inzwischen schon fast zehn Jahre alt, und sie (C) nehmen . ist ein Baby der SPD, auf das wir auch stolz sind . Nach meiner unmaßgeblichen parlamentarischen Er- (Beifall bei der SPD) fahrung muss ich deswegen sagen: Wenn man mit so et- Im Unterschied zu den Grünen freuen wir uns, dass was im letzten Jahr einer Legislaturperiode beginnt, dann wir das Elterngeld vor über einem Jahr um das Eltern- geht es in Wirklichkeit nicht darum, dass das noch in ein geld Plus ergänzen konnten . Durch das Elterngeld Plus Gesetz mündet, sondern es geht darum, ein Thema zu be- können Paare jetzt auch gemeinsam für ihre kleinen setzen, es geht darum, vor der Wahl mit den eigenen Ide- Kinder sorgen, wenn sie dafür in Teilzeit arbeiten . Ganz en die Debatte zu bestimmen . Das ist alles völlig legitim . offenkundig hat die Politik mit dem Elterngeld Plus ei- Aber tun Sie doch nicht so, als wollten Sie hier und heute nem echten Bedürfnis junger Eltern Rechnung getragen . irgendetwas ändern . Wenn man bedenkt, wie neu diese Leistung ist, dann ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der es schon ein sensationeller Erfolg, dass im ersten Quartal CDU/CSU – Widerspruch beim BÜND- dieses Jahres schon fast 20 Prozent der jungen Eltern El- NIS 90/DIE GRÜNEN) terngeld Plus beantragt haben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten begrüßt diesen Vorstoß der Grünen sogar; denn er gibt der CDU/CSU) uns die Gelegenheit, darzustellen, was wir in der Regie- So schlimm kann der bürokratische Aufwand dafür also rung erreicht haben, gar nicht sein . (Beifall der Abg . Bettina Hornhues [CDU/ Die SPD beabsichtigt nicht, sich auf diesen Lorbee- CSU]) ren auszuruhen . Eine moderne Zeitpolitik – darauf hat um eine moderne Zeitpolitik für Familien zu gestalten, auch die Kollegin Hornhues hingewiesen – muss auch und er gibt uns auch die Gelegenheit, darzustellen, was Familien erreichen, deren Kinder zur Schule gehen . Sie wir in Zukunft erreichen wollen . muss die vielen neuen Formen von Erwerbstätigkeit im Blick haben, die die digitale Revolution mit sich bringt . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie muss die Ausbeutung und die Selbstausbeutung der sogenannten Soloselbstständigen zu verhindern helfen . Die drei Arbeitsfelder, die der Grünenantrag definiert, sind klar: Es geht um mehr Zeit für Kinderbetreuung Für all das ist nicht nur die Familienpolitik gefragt . in der Familie, es geht um mehr Zeit für Pflege, und es Auch die Tarifparteien und die Sozialpartner müssen mit- (B) geht um mehr Zeit für Weiterbildung . Überall da soll der machen bei der Entwicklung neuer, flexibler Arbeitszeit- (D) rechtliche Rahmen ein bisschen ausgeweitet und die Ver- modelle, die den Bedürfnissen von Familien und Allein- einbarkeit mit dem Berufsleben verbessert werden . stehenden in einer Volkswirtschaft, die hochproduktiv ist und auch bleiben soll, gerecht werden . Die SPD-Fraktion teilt diese Zeile, und deswegen sind wir stolz darauf, dass wir in der Regierung in den (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der letzten zwei Jahren auf dem Gebiet von Betreuung und CDU/CSU) Pflege erhebliche Fortschritte gemacht haben. Wir haben Ein Modell, das die SPD auch im edlen Wettstreit der einen Rechtsanspruch geschaffen, die Arbeitszeit bis zu Ideen mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den 24 Monate auf eine Mindestarbeitszeit von 15 Stunden Grünen und von den Linken, auf jeden Fall weiterver- pro Woche zu reduzieren, um Zeit für pflegebedürfti- folgen wird, ist die Familienarbeitszeit . Wir wollen eine ge Angehörige zu haben . Ein halbes Jahr können sich Unterstützung für Paare organisieren, die Erwerbs- und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Pflege Familienarbeit partnerschaftlich teilen . freistellen lassen. Mit dem Familienpflegezeitgesetz ste- hen wir den Menschen in einer besonders schweren Le- (Beifall bei der SPD) bensphase zur Seite . Das alte Modell „Einer arbeitet, und in der Regel bleibt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine zu Hause“, das lehnen wir überhaupt nicht ab, und der CDU/CSU) es wird auch vom Staat massiv gefördert, zum Beispiel durch Mitversicherung und Steuersplittingmodelle, über Oft geht es ja darum, von einem geliebten Menschen die wir auch kontrovers diskutieren . Aber ein Modell, bei Abschied zu nehmen . Es ist keine Selbstverständlichkeit, dem beide gemeinsam zu zwei Dritteln arbeiten und sich dass jemand die Kraft und den Willen aufbringt, sich per- zu je einem Drittel um Kinder und Haushalt kümmern, sönlich um chronisch Kranke oder sterbende Angehörige könnte sich in unserer Zeit noch mehr bewähren . Denn es zu kümmern . Wir wollen allen, die sich dafür entschei- ist für beide Geschlechter fair, es ist gut für die Familie, den, ermöglichen, dass sie diesen Liebesdienst mit dem und es ist auch gut für die Wirtschaft . Berufsleben in Einklang bringen können, und wir sind dabei auch ein großes Stück weitergekommen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ Mindestens genauso wichtig ist für uns, dass junge DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Gesetzent- Eltern Zeit haben, sich um ihre kleinen Kinder zu küm- wurf? – Kordula Schulz-Asche [BÜND- mern . Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung für El- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Wahlkampf tern, die eine Auszeit für die Babypflege nehmen. Diese für Berlin!) 18030 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Fritz Felgentreu (A) Über 90 Prozent der Frauen und Männer unter 40 fin- bei.“ – Ich finde, das beschreibt auch deutlich, wie heute (C) den, dass beide, Mütter und Väter, sich um die Kinder einige Situationen aussehen . Ja, wir leben in einer sehr kümmern sollen . Dabei wollen viele Mütter gerne mehr anspruchsvollen Zeit, in der uns Smartphones in zehnmi- arbeiten und Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbrin- nütigen Abständen auf neue Termine hinweisen, E-Mails gen . Mit unserer Familienarbeitszeit können wir die- mit Arbeitsaufträgen aufploppen, die abgearbeitet wer- sen Eltern helfen, ihren Wunsch zu verwirklichen . Für den müssen . Ja, ich kann verstehen, dass Menschen sich die Wirtschaft bedeutet Familienarbeitszeit, dass mehr gehetzt fühlen . Natürlich müssen wir diese Entwicklung Menschen arbeiten gehen können und dass den Unter- sehr ernst nehmen . Wie ernst wir sie nehmen, liebe Kol- nehmen und der öffentlichen Hand mehr gut ausgebildete leginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Fachkräfte zur Verfügung stehen . Besonders die Mütter Grünen, das möchte ich gern kurz skizzieren . werden dank der Familienarbeitszeit mehr für ihre Rente Das Thema „Zukunft der Arbeit“ steht ganz oben auf vorsorgen und der Altersarmut vorbeugen können . Die der Agenda der CDU . Bereits am 15 .Dezember letzten Kinder profitieren davon, weil sie mit beiden Eltern mehr Jahres haben wir auf unserem Parteitag in Karlsruhe in- Zeit verbringen können . tensiv über das Thema „Arbeit der Zukunft – Zukunft der Einen wichtigen Schritt in Richtung Familienarbeits- Arbeit“ debattiert und dazu auch ein Papier einstimmig zeit sind wir mit dem Elterngeld Plus bereits gegangen . verabschiedet . Damit haben wir auf die Veränderungen Aber genau wie das traditionelle Modell der Arbeitstei- in der Arbeitswelt, so auch den Wunsch nach mehr Sou- lung in Familien wird auch die Familienarbeitszeit staat- veränität bei der Arbeitszeit, aus parteipolitischer Sicht liche Förderung brauchen, vor allem durch Lohnersatz, bereits reagiert, und wir werden dies natürlich auch in die aber auch durch den weiteren Ausbau von Betreuungsan- parlamentarische Debatte einbringen; das haben wir an geboten; auch darauf hatte Kollegin Hornhues hingewie- der einen oder anderen Stelle auch schon getan . sen . Deshalb werden wir auch weiter daran arbeiten, dass „Familien brauchen Zeit füreinander “. Dieser Satz, erstklassige Kitas und Schulen mit flexiblen Betreuungs- meine Damen und Herren, stammt aus dem Koalitions- angeboten für alle Bedürfnisse zur Verfügung stehen . Das vertrag . Er macht deutlich, dass wir Familien und ihre nennen wir „Familienarbeitszeit“, und da wollen wir hin . Bedürfnisse in den Vordergrund stellen . Zeit ist das kost- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten barste Gut der Familien . Daher haben wir bereits am der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ 11 . März 2014 gemeinsam mit dem Koalitionspartner im DIE GRÜNEN]: Wo ist der Gesetzentwurf?) Antrag „Mehr Zeitsouveränität“ das Thema aufgegriffen . Zeit ist eben auch eine Schlüsselressource . Lassen Sie uns doch einfach die Zeit bis zur Bundes- tagswahl nutzen, um über die besten Lösungen zu strei- Aus diesem Grunde machen wir uns stark für eine mo- (B) ten . Ich freue mich darauf und wünsche uns weiterhin derne, lebenslauforientierte Zeitpolitik, die Frauen und (D) eine gute Debatte . Männer dabei unterstützt, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren . Wir wollen Familien wieder zum Taktge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ber des Lebens machen . der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Die Prioritäten innerhalb der Gesellschaft haben sich Zum Thema Zeit passt auch, dass Sie sich bitte an die geändert . Eltern sagen heute: Ich würde gern auf gewisse Zeit halten . Dinge verzichten, wenn ich mehr Zeit mit den eigenen Kindern, mit der eigenen Familie verbringen dürfte .– Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Darauf haben wir als Gesetzgeber auch schon reagiert . 14 Sekunden! Um den Bedürfnissen von Eltern besser gerecht zu wer- den, haben wir – die Kollegen Hornhues und Felgentreu haben es erwähnt – das Elterngeld und dann das Eltern- Vizepräsidentin Claudia Roth: geld Plus eingeführt . In meinen Augen war das ein Mei- Das war jetzt ins allgemeine Rund gesprochen . lenstein in der Familienpolitik . Durch diese Regelungen haben Eltern die Möglichkeit, die ersten zwei Jahre mit Dr. Fritz Felgentreu (SPD): ihrem Kind individuell zu gestalten – ein richtiger und Ach so . Dann ist ja gut . wichtiger Schritt in Richtung Familienzeitpolitik und so- mit ein gesamtgesellschaftlicher Gewinn . Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich bin davon überzeugt, dass die vielen variablen und Vielen herzlichen Dank, Dr .Felgentreu .– Nächster flexiblen Ausgestaltungen des Elterngelds auch ihren An- Redner: Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion . teil an der steigenden Geburtenrate haben . Wir hatten im Jahr 2015 immerhin 23 000 mehr Geburten als 2014, und (Beifall bei der CDU/CSU) 2014 hatten wir auch schon mehr als 2013 . Das heißt, es bewegt sich etwas, und das ist auch gut so . Maik Beermann (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Dr . Fritz Felgentreu [SPD]) und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! George Orwell sagte einst: „Die Zeit vergeht nicht Neben Zeit brauchen Familien vor allen Dingen Si- schneller als früher, aber wir laufen eiliger an ihr vor- cherheit . Gerade in den ersten Monaten nach der Geburt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18031

Maik Beermann (A) eines Kindes hat Sicherheit, auch in Form von finanziel- Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion (C) ler Sicherheit, eine ganz besondere Bedeutung . Dass wir der Grünen, in Ihrem Antrag sprechen Sie von lebenslan- da die richtigen Schritte gemacht haben, zeigt ein Blick gem Lernen . Ich gebe Ihnen gern eine kleine Gedächtnis- auf die Zahlen . Jährlich werden aktuell 6 Milliarden Euro stütze . Denn am 2 . Juni dieses Jahres, also vor ziemlich für das Elterngeld ausgegeben . Es wird davon auszuge- genau einem Monat, wurde das Gesetz zur Stärkung der hen sein, dass bis zum Jahr 2020 sogar noch 1 Milliarde beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschut- Euro jährlich dazukommt; dann sind wir bei 7 Milliarden zes in der Arbeitslosenversicherung verabschiedet . Da- Euro pro Jahr . Das ist ein deutliches Zeichen . mit wurde die Rolle von Aus- und Weiterbildung als zen- trale Elemente der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland An dieser Stelle möchte ich zu bedenken geben, dass bekräftigt . wir auch als Familienpolitiker nie aus dem Blick verlie- ren dürfen, dass das Geld, das wir ausgeben, erwirtschaf- Ich bin ausdrücklich für eine Intensivierung der Wei- tet werden muss . Es sind immerhin Steuergelder, die hier terbildungsförderung, gerade auch deshalb, weil ich sel- sicherlich eine sinnvolle Verwendung finden. Das streitet ber zu jenen gehöre, die eine dreijährige Ausbildung ge- keiner ab . Aber wir haben insbesondere auch eine Ver- nossen und dann eben auch von Fortbildungsmaßnahmen antwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber . profitiert haben. In vielen Gesprächen in meinem Wahl- Daher möchte ich hier noch einmal betonen, dass wir kreis im niedersächsischen Nienburg und im Schaumbur- genau aus diesem Grund keine neuen Schuldenberge an- ger Land berichten mir die Unternehmen, dass neben der häufen dürfen . Als verantwortungsvolle Politiker müssen Gewinnung von Fachkräften und der Personalentwick- wir immer zwischen dem, was wünschenswert ist, und lung die Themen „Fort- und Weiterbildung“ und „Einräu- dem, was machbar ist, unterscheiden und abwägen . Ein men individueller Zeitfenster“ von Bedeutung sind, da Dank hier auch einmal in Richtung des Bundesfinanz- diese häufig eine Berufsentscheidung junger Menschen ministers – Herr Dr .Meister, nehmen Sie ihn bitte mit –, beeinflussen. dass es gelungen ist, auch für 2017 einen Haushalt aufzu- stellen, der ohne neue Schulden auskommt . Die schwarze Die Ansprüche an die Beschäftigten haben sich in den Null steht . Und das ist ebenfalls gut so . letzten Jahren stark verändert . Gerade die Digitalisierung beeinflusst diese Entwicklung; denn sie eröffnet eine (Beifall bei der CDU/CSU) Vielzahl von neuen Möglichkeiten, die den Arbeitsalltag besser machen können und somit die Vereinbarkeit von Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Familie und Beruf auch fördern . Die Digitalisierung bie- in dieser Legislaturperiode schon viel erreicht . Mit der tet in diesem Bereich enorme Chancen . Diese Chancen Weiterentwicklung der Familienpflegezeit, die wir - ver gilt es in Zukunft noch besser zu nutzen und für alle zu- bindlicher und attraktiver gestaltet haben, wird es Er- gänglich zu machen . (B) werbstätigen ermöglicht, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, (D) um Zeit für die Pflege von Angehörigen zu haben. So Das Internet verändert Arbeitsorganisationen und Ar- können die Familien die Pflege ihrer Angehörigen ganz beitsbeziehungen . Aber Arbeit ist immer weniger orts- nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gestalten, und zeitgebunden und zunehmend dezentral organisiert . ohne sich Gedanken machen zu müssen, dass sie durch Die Digitalisierung bedeutet in dieser Hinsicht einen ihre Pflegetätigkeit ihre Berufstätigkeit möglicherweise qualitativen Sprung und führt nicht nur zu einer quantita- aufgeben müssen . tiven Ausweitung von schon lange bekannten Arbeitsfor- men wie Telearbeit und Home Office. Aktuelle Zahlen belegen, dass die Familienpflegezeit mehr und mehr angenommen wird . Denn laut Berech- Für uns war es schon immer wichtig und richtig, Fa- nungen des Familienministeriums haben seit Inkrafttre- milien in ihren verschiedenen Lebensphasen und -situa- ten dieser neuen Regelungen bereits 39 000 Berufstätige tionen zu unterstützen . Dafür schaffen wir verlässliche für die Pflege von Angehörigen eine mehrmonatige Pfle- Rahmenbedingungen, dabei achten wir nicht nur auf die gezeit in Anspruch genommen . Eigenverantwortung und Selbstbestimmtheit jeder ein- zelnen Familie, sondern bestärken diese auch . Ich habe den allerhöchsten Respekt vor der Leistung, die pflegende Angehörige täglich erbringen. Ich selber Zum Thema Selbstbestimmtheit bzw . Wahlfreiheit komme aus einer Familie, in der meine Eltern meine möchte ich an dieser Stelle noch einmal Folgendes ganz Großeltern bis zum Lebensende zu Hause gepflegt ha- deutlich sagen: Wir von der Union werden Regelungen, ben . Das waren emotionale Momente, das waren schwie- die die Freiheit der Familiengestaltung beeinflussen und rige Momente und anstrengende Momente . Diesen He- lediglich ein ganz bestimmtes Familienmodell fördern, rausforderungen muss man dann auch erst einmal gerecht ganz klar ablehnen . werden können . Aber ich darf auch sagen, dass es meiner Schwester, meinem Bruder und mir – so gut es uns gelin- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . gen konnte – ein Bedürfnis war, unsere Eltern dabei zu Dr . Fritz Felgentreu [SPD]) unterstützen . Diese Erfahrung, die wir da gemacht haben, Für uns hat eine echte Wahlfreiheit oberste Priorität bei war wirklich sehr prägend; denn die körperliche, aber familienpolitischen Überlegungen . Eine starre gesetz- besonders auch die emotionale Belastung ist in solchen liche Regelung, die nur ein bestimmtes Modell berück- Fällen sehr hoch. Die Vereinbarkeit von Familie, Pflege sichtigt, lehnen wir ab . und Beruf stellt Betroffene täglich vor große Herausfor- derungen . Deshalb war diese Reform ein ganz wichtiger (Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Schritt . GRÜNEN]: Das wäre ja ein Fortschritt!) 18032 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Maik Beermann (A) Ich danke der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass 20 Prozent reduziert wird und dabei noch mindestens die (C) sie diesen Antrag gestellt hat und mir somit die Mög- Hälfte der tariflichen oder branchenüblichen Wochenar- lichkeit gibt, in der letzten Sitzungswoche vor der Som- beitszeit umfasst . Und letztlich soll die Kinderzeit Plus merpause meine Redezeit zu nutzen, die jetzt leider ab- unterbrochen werden und bis zum 14 .Lebensjahr des gelaufen ist, um die gute und lebensnahe Familien- und Kindes – bis zur Strafmündigkeit – verlängert werden Pflegepolitik der Großen Koalition zu erörtern, unsere können . Das klingt alles ganz toll, auch die Überschrift gute Arbeit in diesem Bereich nochmals in den Fokus „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“ . der Öffentlichkeit zu stellen und auf das wichtige The- (Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche ma der Digitalisierung hinzuweisen . Die Digitalisierung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wird in der Zukunft große Herausforderungen mit sich bringen; das haben Sie in Ihrem Antrag leider komplett Schöne Forderungen, welche die Linke bereits 2009 unterschlagen und vergessen . erhoben hat! Wir wollten seinerzeit 12 Monate pro El- ternteil und die vollen 24 Monate für Alleinerziehende . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familien und pfle- gende Angehörige haben eines wirklich verdient, näm- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich dass sie im Fokus unserer Gesellschaft stehen . Das – Kein Stress! Erst einmal zuhören .– Diese Zeit sollte soll auch so sein . Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kol- auch aufgesplittet werden können bis zum 7 . Lebensjahr legen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ist daher lei- des Kindes, damit Eltern die Möglichkeit eröffnet wird, der abzulehnen . auch während der Einschulungsphase Elternzeit nehmen (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu können . Und wissen Sie noch, was Sie dazu gesagt NEN]: Aber es ist doch die erste Lesung!) haben? Frau Haßelmann ist vorhin leider gegangen . Sie hat wahrscheinlich geahnt, was jetzt kommt . Denn Frau Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Haßelmann hat damals, ausweislich des Sitzungsproto- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kolls vom 5 . März 2009 gesagt – ich zitiere –: ordneten der SPD) Jörn Wunderlich, wir sollten uns einmal anschau- en, welche Auswirkungen Ihre Vorschläge voraus- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sichtlich auf die Erwerbstätigkeit von Frauen und Vielen Dank .– Ich mache noch einmal darauf auf- die Einstellungspraxis der Betriebe haben werden . merksam: Wenn jeder, wenn er gemerkt hat, dass die Re- Mit … den anderen bereits angesprochenen Maß- dezeit zu Ende ist, noch eine Minute länger redet, dann nahmen geben Sie in Ihrem Antrag definitiv keine wird das heute Abend nichts . Antwort auf die anstehenden Herausforderungen bei (B) der Zeitsouveränität von Frauen und Männern . … (D) Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke das Wort . – Bitte schön . Ihre Vorschläge werden negative Auswirkungen auf die Einstellung von Frauen in der Praxis haben . Das (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann kann man nicht wegdiskutieren . [CDU/CSU]: Der holt das jetzt wieder auf!) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deshalb ist unser Antrag anders ge- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): strickt!) Ich versuche, mich daran zu halten . Alle Fraktionen im Bundestag, auch die Grünen, ha- ben damals gegen den Antrag der Linken gestimmt . Jetzt, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sieben Jahre später, kommen Sie mit nahezu gleichen Gut . Forderungen, wollen allerdings die Elternzeit nicht nur bis zum 7 .Lebensjahr, so wie wir damals, sondern sogar Jörn Wunderlich (DIE LINKE): bis zum 14 . Lebensjahr ausdehnen . Was ist denn da mit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und den negativen Auswirkungen, die man nach Ihrer Mei- Kollegen! „Zeit für mehr“: Ich hätte gerne mehr Zeit zum nung nicht wegdiskutieren kann? Reden . Die allgemeinen Zeitprobleme hat die Kollegin Aber nicht aufregen: Dass ihr euch selbst konterka- Möhring ja hier schon erörtert . Aufgrund der mir zur Ver- riert, zeigt, dass sich inzwischen ja einiges getan hat . fügung stehenden Redezeit möchte ich nur auf den ersten So können Eltern mittlerweile zwischen Elterngeld Punkt im Antrag der Grünen eingehen . und Elterngeld Plus entscheiden . Auszeiten können bis zu 24 Monate lang sein und bis zum 8 . Geburtstag des Sie fordern, dass der Anspruch auf Kinderzeit Plus, so Kindes genommen werden, wobei der Arbeitgeber nicht nennen Sie es jetzt, auf 24 Monate erhöht wird – pro El- mehr zustimmen muss . Die Elternzeit muss nur innerhalb ternteil 8 Monate zuzüglich 8 Monate, die die Eltern un- bestimmter Fristen beim Arbeitgeber angemeldet wer- tereinander aufsplitten können . Alleinerziehende sollen den, und die Elternzeit kann in drei Zeitabschnitte pro die vollen 24 Monate in Anspruch nehmen können . Der Elternteil geteilt werden . So haben Eltern schon jetzt die Schonraum im ersten Lebensjahr soll erhalten bleiben, Möglichkeit, ihr Kind auch zu einem späteren Zeitpunkt, sodass Eltern im ersten Lebensjahr des Kindes die Mög- etwa bei Eintritt in die Schule, intensiver zu begleiten . lichkeit des vollständigen Ausstiegs aus dem Berufsleben nutzen können . Kinderzeit Plus kann genommen wer- Sie wollen diesbezüglich offenbar mit Ihrem Antrag den, wenn der vorherige Stellenumfang um mindestens bestehende Regelungen umbenennen, auf die Zeit vom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18033

Jörn Wunderlich (A) 8 .Leben sjahr bis zum 14 . Lebensjahr des Kindes ausdeh- nehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern . (C) nen und haben Ihre nicht wegzudiskutierenden Bedenken Zur Finanzierung von Zeiten für Weiterbildung und per- einfach beiseitegeschoben . Oder anders ausgedrückt: Sie sönliche Weiterentwicklung diskutieren wir ein Chan- haben es endlich auch begriffen, wenn auch als die Letz- cenbudget . Dafür sind viele Finanzierungsmöglichkeiten ten hier im Saal . Die seit Jahren bestehenden diesbezüg- denkbar: von Zuschüssen aus einer fortentwickelten Ar- lichen Forderungen meiner Fraktion sind inzwischen na- beitsversicherung über selbst angesparte Zeitwertkonten hezu vollständig umgesetzt . Links wirkt eben . Es dauert der Erwerbstätigen bis hin zu Darlehen . ein bisschen, aber es wirkt . Ich meine aber: Zeitpolitik kann sich nicht auf Lohn­ (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann ersatzleistungen beschränken, die ja immer zeitlich be- [CDU/CSU]: Na, na, na!) grenzt sein müssen . Darum haben wir in unserer Pro- jektgruppe weitere Modelle diskutiert, um Erwerbsarbeit – Doch, das ist so . Sie hätten einfach einmal in die alten und Familie besser in Einklang zu bringen . Ein wichtiges Protokolle schauen und den Webauftritt des Bundesmi- Instrument dafür wäre eine Wahlarbeitszeit . Viele Tarif- nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum verträge bieten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Thema Elterngeld Plus beachten müssen, dann hätten mern bereits Korridore für die Arbeitszeit an . Dabei gilt auch Sie Zeit für mehr . es, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der (Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Gute Idee! – Erwerbstätigen und den Belangen der Betriebe zu finden. Heiterkeit der Abg . Dagmar Ziegler [SPD]) Das gelingt am besten mit Regelungen auf betrieblicher Ebene, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden . Mit den anderen Punkten des Antrags werde ich mich Für Eltern oder Pflegende in nicht tarifgebundenen Un- in den abschließenden Beratungen nach der Sommerpau- ternehmen müssen gesetzliche Auffangregelungen ge- se beschäftigen . Darauf freue ich mich auch schon . schaffen werden . Vielen Dank . Einen ersten Schritt in Richtung Wahlarbeitszeit pla- (Beifall bei der LINKEN – Katja Dörner nen wir noch in dieser Legislaturperiode . Mit einem [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit holen wir Müt- ein bisschen konkreter!) ter und Väter aus der Teilzeitfalle . Besonders bei Frau- en sehen wir immer noch viel zu häufig: Auf eine Phase Vizepräsidentin Ulla Schmidt: familiärer Sorgetätigkeit folgt dann eine Berufstätigkeit Danke schön . – Jetzt spricht die Kollegin Ulrike Bahr weit unterhalb des ehemaligen Qualifikations- und Ge- für die SPD-Fraktion . haltsniveaus . Dieses Schema müssen wir durchbrechen . (B) Es führt besonders Mütter immer noch direkt in die Al- (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tersarmut . der CDU/CSU) Wahlarbeitszeit und befristete Teilzeit haben den gro- ßen Vorteil, nicht nur in den Lebenssituationen anwend- Ulrike Bahr (SPD): bar zu sein, die der Antrag der Grünen nennt, nämlich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Kinder, Pflege und Weiterbildung; denn einen sehr wich- und Kolleginnen! Zunächst einmal herzlichen Dank an tigen Bereich, für den wir dringend Zeit neben der Er- die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/ werbstätigkeit brauchen, nennt der vorliegende Antrag Die Grünen, die uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit nicht: das bürgerschaftliche Engagement . geben, das wichtige Thema Zeitpolitik in der Kernzeit zu debattieren . Das freut mich wirklich sehr . In meiner (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion setzen wir uns seit etwa einem Jahr in einer der CDU/CSU) Projektgruppe „Neue Zeiten“ intensiv mit den im Antrag Wir alle wünschen uns eine lebendige Bürgergesell- thematisierten Fragen auseinander, aber darüber hinaus schaft, Beteiligung, gelebte Demokratie und Arbeit für noch mit weiteren Aspekten . den gesellschaftlichen Zusammenhalt . Auch dafür müs- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen Zeit und Freiraum zur Verfügung stehen . Das scheint NEN]: Wann gibt es einen Antrag?) mir in allen politischen Parteien noch zu wenig im Blick zu sein . Dabei haben wir gerade im letzten Jahr erlebt, Manuela Schwesig fordert schon seit ihrem Amts- dass ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger antritt eine Familienarbeitszeit, die Eltern unterstützen in Krisenzeiten kein Staat zu machen ist . soll, auch über die Babyzeit hinaus Erwerbsarbeit und Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen: mit hoch- (Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche wertigen Betreuungsangeboten, einem Anspruch auf [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) reduzierte Arbeitszeit und mit einer Kompensation der Laut dem kürzlich vorgestellten Freiwilligensurvey Einkommensverluste wie beim Elterngeld Plus . Denn ist fast die Hälfte aller Berufstätigen irgendwo engagiert . wir wissen: Mütter wollen vielfach mehr, Väter weniger Sie haben für ihr Engagement aber immer weniger Zeit . arbeiten . Dabei muss aber unter dem Strich das Familien­ Besonders schwierig ist es darum, Menschen für ehren- einkommen stimmen . amtliche Leitungsfunktionen zu gewinnen . Das liegt Unser Ziel ist eine lebensphasenorientierte Arbeits- nicht daran, dass sich niemand mehr verpflichten möchte. zeit. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Pflegebudget. Es Immer noch engagieren sich die meisten Menschen sehr könnte da einspringen, wo Pflegende heute Kredite auf- langfristig . 18034 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ulrike Bahr (A) Es liegt daran, dass gerade Berufstätige zu wenige plan- Erstens – Herr Wunderlich, da liegt ein Unterschied – (C) bare Freiräume haben . soll eine große Teilzeit nicht mehr bestraft werden, son- dern es soll gelten: Wer halbtags arbeitet, bekommt dop- Ich bin mir sicher: Genauso wichtig wie eine Reduzie- pelt so lange Elterngeld; wer um ein Fünftel reduziert, rung der Stundenzahl sind darum Regeln für eine planba- bekommt fünfmal so lang Elterngeld – natürlich auch nur re und verlässliche Arbeitszeit . Arbeit passt dann gut ins den entsprechenden Betrag . Diese große Teilzeit ist das, Leben, wenn Flexibilität nicht immer nur zulasten der Ar- was in Skandinavien beide Elternteile in der Mehrheit beitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht . Und manchmal wählen . Das wünschen sich auch die Eltern in Deutsch- muss man auch die Leute vor sich selbst schützen – mit land . Dafür wollen wir die Rahmenbedingungen setzen . verbindlichen Ruhezeiten und Regeln für die Erreichbar- keit außerhalb der regulären Arbeitszeit . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr .Fritz Felgentreu [SPD]: Hört! Hört!) Zweitens . Jeder Elternteil, Mutter und Vater, erhält acht Monate Elternzeit; weitere acht Monate können sie Dieser Ausgleich gelingt übrigens in kleinen und mittle- sich frei untereinander aufteilen . Es können auch zwei ren Unternehmen oft besser, weil man sich besser kennt . Partnerinnen bzw . Partner sein . Wir haben ja bunte Fami- Wer Familie hat, sich kümmert, sich fortbildet, sich lien . Es kann auch jemand sein, der einfach zur Familie engagiert, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft und für dazugehört . jedes Unternehmen . Darum müssen wir hier gemeinsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit den Tarifpartnern weiter an umfassenden Konzepten für mehr Zeitsouveränität arbeiten . Drittens . Herr Wunderlich, jetzt komme ich zu Ihrem Punkt . Für uns ist wichtig, zu sagen: Das erste Lebens- Vielen Dank . jahr des Kindes steht allen für einen kompletten Ausstieg (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zur Verfügung, und danach ist eine halbe Stelle als Mi- der CDU/CSU) nimum die Voraussetzung für den Bezug von Elterngeld . Dadurch wird ermöglicht – und zwar allen –, das niedri- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gere Gehalt bei Teilzeitbeschäftigung auf hohem Niveau finanziell abzufedern. Heute ist es so, dass es sich nur Vielen Dank .– Dr .Franziska Brantner ist die nächste manche leisten können; diejenigen, die geringe Einkom- Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen . men haben, können es sich nicht leisten . Wir möchten gerne dafür sorgen, dass die Möglichkeit, dieses Modell Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu leben, nicht mehr davon abhängig ist, ob man einen NEN): (B) sehr gut bezahlten oder einen weniger gut bezahlten Job (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen hat . und Herren! Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das auch nach dem ersten Lebensjahr . Man kann ja heute viele Aufgaben effektiver und schneller erledigen; aber Viertens . Ich komme zum Unterschied zum Modell eine Geschichte liest sich nicht schneller vor, und auch der Familienarbeitszeit von Frau Schwesig . Ihr Modell Trösten im Eiltempo gibt es einfach nicht . Wir wollen schafft ein enges Korsett . Es sieht vor, dass beide zwi- deswegen Eltern mehr Zeit geben . Wir wollen den Bezug schen 30 und 32 Stunden pro Woche arbeiten, und zwar des Elterngeldes auf zusammen 24 Monate ausweiten . beide gleichzeitig . Das kriegt man im öffentlichen Dienst hin, aber ansonsten, in der freien Wirtschaft, eigentlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nirgends . Das Institut, das in Ihrem Auftrag berechnet Aber Eltern wollen Arbeit und Fürsorge auch part- hat, wie viele Eltern das in Anspruch nehmen würden, nerschaftlicher gestalten – das sagen alle Umfragen . Vä- hat gesagt: 1 Prozent der Eltern . Das heißt, Sie machen ter wären gerne dabei, wenn das Kind die ersten Worte Politik für 1 Prozent der Eltern . Wir machen Politik für spricht . Viele Väter würden gern mehr Elternzeit in An- alle . spruch nehmen als die mittlerweile üblichen zwei Mo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nate . Aber die Frage quält: Was passiert denn dann im Maik Beermann [CDU/CSU]: Wer soll das Job? Viele Mütter möchten auch gerne mehr arbeiten . Sie bezahlen?) wollen vor allen Dingen gerne etwas von der Hausarbeit abgeben . Das ist moderne Familienpolitik . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben die Familienpflegezeit hier heute so häufig sowie der Abg . Susanna Karawanskij [DIE lobend erwähnt. Wissen Sie, wie viele pflegende Arbeit- LINKE]) nehmerinnen und Arbeitnehmer sie in Anspruch neh- Beim Elterngeld Plus finden es viele nicht fair, dass es men? Die Zahlen von heute zeigen: Es sind 3 Prozent egal ist, ob Frau oder Mann auf eine halbe Stelle redu- derjenigen, die anspruchsberechtigt sind, 39 000 in ganz ziert oder zum Beispiel auf 70 Prozent – das Elterngeld Deutschland . Wenn Sie das als Erfolg verkaufen und be- bekommt man in beiden Fällen nur doppelt so lange . Das haupten, das sei eine Leistung, die von den Berechtig- ist ein finanzieller Anreiz für eine kleine Teilzeit und ent- ten massiv in Anspruch genommen werde, dann würde spricht nicht den Wünschen der Eltern . ich echt gerne wissen, wo Ihre Messlatte für Misserfolg hängt . Bei 0,2 Prozent? Die 3 Prozent zeigen eindeutig: Unsere Kinderzeit Plus bietet Antworten darauf: Ihre Politik ist fehlgeleitet, das ist nicht die richtige Leis- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18035

Dr. Franziska Brantner (A) tung. Wir wollen mit der Pflegezeit Plus den Pflegenden sich darauf einzustellen . Wir haben mit vielen Unterneh- (C) mit drei Monaten Lohnersatzleistung endlich wirklich mern und Verbänden Rücksprachen gehalten, die alle helfen; denn das haben sie verdient . betont haben: Den Betrieben hilft eine langfristige Pla- nungssicherheit auf hohem Niveau, und zwar nicht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Teilzeit in geringem Umfang . Von daher, glaube ich, Pflege ist selten planbar, oft muss man auf Notfälle dass wir eine sehr gute Lösung gefunden haben . reagieren. Wir wollen, dass sich die Pflegenden, analog (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zum Kinderkrankengeld und im Gegensatz zum gelten- Maik Beermann [CDU/CSU]: Aber nicht bei den Pflegezeitgesetz, jährlich bis zu zehn Tage freistellen einem Fünf-Mann-Handwerksbetrieb!) lassen können . Ich komme zum Schluss . Das ist unsere Antwort: Zeit Vizepräsidentin Ulla Schmidt: für mehr . Ich freue mich auf gute Debatten im Ausschuss . Frau Kollegin Brantner, gestatten Sie noch kurz eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zwischenfrage des Kollegen Pols von der CDU/CSU? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Dr .V olker NEN): Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Ja . (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Bitte schön . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Eckhard Pols (CDU/CSU): Herren! Der Antrag „Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt“ berührt den Kern vieler Fragen der Men- Vielen Dank, Frau Kollegin Brantner, dass Sie mei- schen in unserem Land . Sie fragen sich: Wie kann ich ne Zwischenfrage zulassen . Mich als selbstständiger Familie und Beruf unter einen Hut bringen? Sie fragen Handwerksmeister, der ich nebenbei auch noch bin, hier sich, wie sie die notwendige finanzielle Basis für ihr all- im Deutschen Bundestag würde interessieren, wer Ihre tägliches Leben schaffen können . Aber der vorliegende wunderbare Idee von der 32-Stunden-Woche bezahlen Antrag macht deutlich, dass auch wir eine Verantwortung soll . Mit Blick auf den Stundenlohn, den meine Gesel- haben . Wir müssen uns fragen: Wie kann der Staat hel- len bekommen, die 39 oder 38,5 Stunden arbeiten – sie fen? Was muss der Staat innerhalb seiner Verantwortung (B) bekommen ihn zu recht, sind ihn auch wert –, frage ich (D) leisten? mich: Bekommen sie für 32 Stunden den gleichen Stun- denlohn, oder muss ich den Stundenlohn hochfahren, da- Ausgangspunkt ist unser Menschenbild und unsere mit sie am Ende auf ihr Gehalt kommen? Eine Antwort Konzeption der Familie . Familien sind der Kern sozialer auf diese Frage sind Sie bislang schuldig geblieben . Ich Beziehungen in einer Gesellschaft . Sie verdienen Aner- warte darauf . kennung und Unterstützung, und zwar nicht im Sinne von reinen Lippenbekenntnissen, sondern im Sinne eines Vizepräsidentin Ulla Schmidt: echten politischen Eintretens für Familie und Zusam- Danke, Herr Kollege Pols . Frau Brantner, ich darf Sie menhalt . Ausgangspunkt ist der Schutz der Familie ge- bitten, kurz darauf zu antworten und Ihre Antwort gleich- mäß unserem Grundgesetz . zeitig mit einem Schlusswort zu verbinden . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jede Familie muss und soll selbst entscheiden können, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Franziska Brantner wie sie ihr Leben gestaltet . Der Staat hat Unterstützung NEN): anzubieten, er hat Familien zu helfen, aber staatliche Hil- Ich gebe mein Bestes .– Herr Pols, die 32 Stunden fe darf nicht zu einer sanften Lenkung führen . Famili- stammen aus dem Modell der SPD; von daher müssen enpolitische Leistungen sind keine Vorgabe, sondern sie Sie die SPD fragen, wenn Sie eine Antwort wollen . sind Angebote des Staates . Das ist unser Leitbild . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eckhard Pols [CDU/CSU]: Sie haben es er- wähnt!) Wenn wir über die Angebote des Staates sprechen, dann gilt es festzuhalten, dass die Angebote für Familien – Ich habe erwähnt, dass wir explizit ein anderes Modell in unserem Land noch nie so gut waren wie heute . haben wollen, in dem sich die Eltern selbst aussuchen können, wie viel sie arbeiten wollen . Wir wollen keine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und feste Stundenzahl vorschreiben . Alles andere – das sehe der SPD) ich wie Sie – macht nicht viel Sinn . Allein das Elterngeld beziehen im Schnitt über Uns geht es darum, einen flexiblen Zeitrahmen zu 800 000 Familien . Unser Staat gibt 7 Milliarden Euro al- ermöglichen . Das bedeutet natürlich nicht, dass die Un- lein für das Elterngeld aus . Aber selbst diese großartige ternehmen dafür mehr zahlen . Bei der Gestaltung wäre familienpolitische Leistung ist nur ein Bruchteil dessen, es gut, wenn die Unternehmen länger Zeit bekämen, um was auf allen staatlichen Ebenen für die Belange von 18036 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Volker Ullrich (A) Familien mit Kindern, aber auch für die Belange von Das soll und muss der Staat finanzieren. (C) Familien mit zum Beispiel pflegebedürftigen Eltern aus- gegeben wird . Wir sollten diese Erfolge nicht kleinreden, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern stolz sein, dass es diesem Land gelingt, dies auf NEN]: Das werden wir in den Haushaltsbera- die Beine zu stellen . tungen darlegen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es ist unseriös, Forderungen in den Raum zu stellen, aber ordneten der SPD) keine Silbe darüber zu verlieren, wie der Staat das finan- zieren soll . So können Sie nicht Politik machen . Die Grünen fragen sich – das wird in ihrem Antrag (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska deutlich –, wie mehr Zeit für eine bessere Betreuung der Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinder, wie mehr Zeit für die Familie mit der Arbeit un- „12 Milliarden“ sind unseriös!) ter einen Hut zu bringen sind . Der Kollege Beermann und die Kollegin Hornhues ha- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben es zu Recht angesprochen: Der Staat muss das, was NEN]: Zu Recht!) er aus guten und vernünftigen Motiven heraus verteilt, auch erwirtschaften . Wenn wir über das Erwirtschaften Ich zitiere aus Ihrem Antrag: reden, sind zwei Dinge von wesentlicher Bewandtnis: Die Menschen sollen so leben können, wie sie es zum einen die Frage der Steuereingänge des Staates und sich wünschen . zum anderen die Frage, was die Menschen in diesem Land verdienen . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dies- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bezüglich ein Stück weit die Realität in diesem Land be- NEN]: Genau!) schrieben hätten . Realität ist, dass wir zum ersten Mal seit 1991 eine Arbeitslosenquote von unter 6 Prozent haben, Ja, das ist richtig . Das ist gelebte Freiheit . Aber dann fra- dass in vielen Bereichen Deutschlands Vollbeschäftigung ge ich mich, warum Sie in den letzten Jahren das Betreu- herrscht, dass wir Rekordsteuereinnahmen haben und ungsgeld so bekämpft haben . dass in letzter Zeit nicht nur die Renten, sondern auch die Löhne gestiegen sind . Man macht die beste Familienpoli- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner tik, wenn man dafür sorgt, dass die Menschen ordentlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es das was in der Tasche haben . Das hat diese Bundesregierung Gegenteil von gelebter Freiheit war!) erreicht . Das hätten Sie bitte einmal erwähnen können . Das Betreuungsgeld ist gelebte Wahlfreiheit für Famili- (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Dörner (D) en . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – An dieser Stelle, da wir darüber sprechen, dass das, Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: was verteilt werden soll, auch erwirtschaftet werden Aber es ist verfassungswidrig!) muss, geht ein Dank an unsere Unternehmen . Es ist näm- lich nicht selbstverständlich, dass diese Flexibilität, die Es bietet den Familien die Chance, ihr Kind in den ersten viele Familien zu Recht erfahren, in den Unternehmen Lebensmonaten selbst zu betreuen, so wie sie es gerne gelebt wird und dass viele Unternehmen auch jenseits der hätten . Der Staat leistet eine Kompensation für diesen Er- gesetzlichen Verpflichtungen bereit sind, den Lebensent- ziehungs- und Betreuungsaufwand . Das ist gelebte Frei- würfen ihrer Mitarbeiter gerecht zu werden . heit . Wenn Sie den Menschen sagen, dass sie so leben sollen, wie sie es sich wünschen, dann hätten Sie nicht (Beifall bei der CDU/CSU) diesen harten Kampf gegen das Betreuungsgeld führen sollen . Das zeigt doch, dass die Frage des Umgangs mit Zeit und den Bedürfnissen von Familien eine Kategorie darstellt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die wir nicht verordnen können, sondern die gelebt wer- Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE den muss, die einem gesellschaftlichen Geist entspringen GRÜNEN]: Sind Sie schon einmal wegen muss, einem Geist, einem Spirit, der letztlich sagt, dass 100 Euro zu Hause geblieben?) Familien mit Kindern mit das Kostbarste sind, was wir in unserem Land haben, und dass Pflegeleistungen, die Meine Damen und Herren, wir werden auch über die Menschen gegenüber ihren Eltern erbringen, etwas Wun- Kosten für die Forderungen, die Sie hier gestellt haben, derbares sind, was wir nicht in Euro und Cent messen reden müssen . Sie fordern einen Ausbau des Elterngeldes können . zu einer Kinderzeit Plus, einen Ausbau des Pflegegeldes zu einer Pflegezeit Plus und zusätzlich auch noch eine Ich komme auf den Beginn meiner Rede zurück . Un- Bildungszeit Plus, sagen aber nicht, wie das Ganze finan- ser Menschenbild steht im Mittelpunkt unserer Politik . ziert werden soll . Allein die Ausdehnung des Elterngel- Es ist die freie Entscheidung der Familien, wie sie le- des würde zu Kosten in Höhe von etwa 10 bis 12 Milli- ben wollen . Dabei werden wir sie unterstützen . Da bitte arden Euro führen . ich Sie, an unserer Seite zu sein . Aber ich bitte Sie auch, nicht Anträge zu stellen, die diese Erfolge konterkarieren (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und es den Familien eher erschweren . In diesem Sinne NEN]: Quatsch!) werden wir Ihren Antrag ablehnen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18037

Dr. Volker Ullrich (A) Vielen Dank . können, ist auch ein guter gemeinsamer Schritt . Da dan- (C) ke ich den Grünen ganz herzlich für die Ideen, die sie in (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska diesem Antrag aufgeschrieben haben . Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Lesung! Den brauchen Sie nicht (Beifall der Abg . Anja Hajduk [BÜND- abzulehnen!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) – Den Applaus nehme ich noch gerne mit .– Allerdings Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sagen wir auch: Man muss das, was wir auch gemeinsam Vielen Dank .– Letzter Redner zu diesem Tagesord- geleistet haben, nicht so abwerten . Das Elterngeld Plus, nungspunkt ist der Kollege Sönke Rix, SPD-Fraktion . die Elternzeit sowie das Elterngeld sind Riesenerfolge, und das sollte man an dieser Stelle noch einmal deutlich (Beifall bei der SPD) sagen . (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind zeitpolitische Erfolge, es sind gleichstellungs- Meine Damen und Herren! Schade, dass das Betreuungs- politische Erfolge . Wir bringen mit dem Elterngeld Plus geld nun doch noch einmal Thema dieser Debatte werden auch mehr Männer in die Elternzeit; auch diesen Erfolg musste . Natürlich muss ich als letzter Redner, wenn Sie sollte man hier deutlich benennen . Wir danken dem Ko- es schon angesprochen haben, auch noch einmal darauf alitionspartner, dass er das gemeinsam mit uns auf den eingehen . Ich dachte, wir wären an dieser Stelle weiter . Weg gebracht hat . (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Ich unterstelle niemandem hier, dass er das Wahl- Zur Familienpflegezeit. Natürlich wäre es viel schö- recht infrage stellt . Aber in dem Moment, wo jemand das ner, wenn wir analog zum Elterngeldmodell so etwas Betreuungsgeld wieder aufs Tableau hebt, fange ich zu auch für Familienpflegezeit auf den Weg gebracht hätten. überlegen an; denn das hat mit Wahlrecht nichts zu tun . Unsere Idee war es, auch da mit einer Lohnersatzleistung heranzugehen . Zu behaupten, dass ein Modell, das für (Beifall bei der SPD, der LINKEN und 37 000 Menschen in Kraft tritt, nicht nützlich und kein dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik positiver Schritt sei, finde ich falsch. Beermann [CDU/CSU]: Doch! Das unterstel- len Sie immer! Das ist aber falsch!) (Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: 39 000!) (D) Es ist nicht nur gleichstellungspolitisch und integrations- politisch kontraproduktiv, sondern es wäre die einzige Es ist ein guter Schritt, und wir erreichen damit mehr Leistung, die wir dafür zahlen würden, dass Menschen Vereinbarkeit von Familie und Pflege. Von daher lohnt es eine Infrastruktur des Staates nicht nutzen . sich, auch das positiv zu erwähnen . (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben einen Konflikt in der Fragestellung: Müs- Es ist doch albern; wir zahlen doch auch nicht, wenn sen die Unternehmen und die Tarifparteien die Regelun- die Menschen nicht zum Sportverein oder nicht in die gen zur Arbeitszeit selber vornehmen oder nicht? Den Bücherei gehen . Was wollen Sie also damit erreichen? Konflikt haben wir übrigens bei der Quote gehabt, den Sie wollen lenken, und damit setzen Sie die Wahlfreiheit Konflikt haben wir demnächst noch einmal deutlich bei außer Kraft . der Lohngerechtigkeit, und den Konflikt haben wir auch hier . Wir sehen doch, dass es nicht funktioniert, wenn wir (Zuruf von der CDU/CSU: Das wollen Sie! nicht auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine Das wollen Sie mit Ihrer 32-Stunden-Woche!) vernünftige Familienarbeitszeit schaffen . Nun zu der Frage, ob der Grünenantrag ein guter oder (Beifall bei der SPD) ein weniger guter Antrag ist . Auf jeden Fall ist er eine Deshalb, liebe Union, geben Sie sich einen Schubs, und wunderbare Grundlage nicht nur für diese Debatte, son- schaffen Sie solche gesetzliche Regelungen mit uns in dern auch für die weitere Diskussion . Wenn wir überle- der Koalition . gen, wie wir die familienpolitischen Diskussionen in den vergangenen Jahren geführt haben, dann stellen wir fest, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass wir sie in erster Linie in Richtung Ausbau von Infra- DIE GRÜNEN) struktur geführt haben, um Betreuung zu gewährleisten . Da haben wir gemeinsam auch viele Erfolge erzielt . Nun Einen Fakt aber will ich zum Schluss noch einmal be- könnten wir sagen, wir seien die Ersten gewesen, die den nennen. Wenn man durch das Internet surft, findet man Ausbau der Betreuungsplätze gefordert haben . Ich aber von der Deutschen Bahn – dieser Betrieb ist ja unser ei- sage: Wir haben da gemeinsam viele Erfolge erzielt . gener, damit mache ich keine Schleichwerbung – ein Vi- deo dazu, was sich Kinder wünschen . Erst einmal werden Dass wir jetzt schon weiter sind und nach der Einfüh- die Eltern gefragt, was sich wohl die Kinder wünschen . rung von Elternzeit, Elterngeld, Elterngeld Plus dafür Die Eltern erzählen sehr viel über materielle Dinge oder sorgen wollen, dass Familien mehr Zeit beanspruchen darüber, was die Kinder vielleicht später einmal werden 18038 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Sönke Rix (A) wollen . Die Kinder sagen, dass sie mehr Zeit mit ihren Überweisungsvorschlag: (C) Eltern haben wollen . Nicht nur wegen der Tatsache, dass Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit (f) die Eltern vielleicht aufgrund eines schlechten Gewis- Innenausschuss sens – das will ich nicht unterstellen; ich bin selber Va- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ter – mehr Zeit für Familie haben wollen, sondern auch, weil Kinder mehr Zeit mit ihren Eltern haben wollen, d) Erste Beratung des von den Abgeordneten lohnt es sich, über eine andere Zeitpolitik, eine bessere Katrin Kunert, Dr .Kirsten Tackmann, Caren Zeitpolitik zu diskutieren . Lay, weiteren Abgeordneten und der Frakti- on DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- (Beifall bei der SPD) nes … Gesetzes zur Änderung des Kraft- Machen wir es also nicht so, dass in erster Linie die fahrzeugsteuergesetzes Arbeit im Vordergrund steht, sondern machen wir es so, Drucksache 18/9034 dass in erster Linie die Familie im Vordergrund steht . Überweisungsvorschlag: Wenn wir dann auch noch die Kinder in den Mittelpunkt Finanzausschuss (f) stellen, dann können wir eine vernünftige Familienar- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft beitszeit auf den Weg bringen . Haushaltsausschuss Herzlichen Dank . e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der CDU/CSU) der Fraktion DIE LINKE Nachhaltige Bewahrung, Sicherung und Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Zugänglichkeit des deutschen Filmerbes Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . gewährleisten Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8888 Drucksache 18/9007 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen .– Ich sehe, Sie sind Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so be- Haushaltsausschuss schlossen . f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wir kommen jetzt zu einer ganzen Reihe von Über- Dr .Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta weisungen und Abstimmungen . Da bitte ich einfach um Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der (B) Konzentration . Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie Steuerschlupflöcher schließen – Gewinn- die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: verlagerung durch Lizenzzahlungen ein- 38 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie- schränken rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/9043 zes zur Änderung der Artikel 8 und 39 des Übereinkommens vom 8. November Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) 1968 über den Straßenverkehr Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/8951 g) Beratung des Antrags der Abgeordne- Überweisungsvorschlag: ten Nicole Maisch, Annalena Baerbock, Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und b) Erste Beratung des von der Bundesregie- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Neues Düngerecht endlich beschließen über die elektromagnetische Verträglich- keit von Betriebsmitteln (Elektromagne- Drucksache 18/9044 tische-Verträglichkeit-Gesetz – EMVG) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Drucksache 18/8960 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Union Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- Renate Künast, Luise Amtsberg, Volker Beck sicherheit (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frakti- c) Erste Beratung des von der Bundesregierung on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteiligung des Bundestages im Vorfeld Änderung abfallverbringungsrechtlicher der Genehmigung der vorläufigen Anwen- Vorschriften dung des Handelsabkommens mit Kanada Drucksache 18/8961 (Comprehensive Economic and Trade Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18039

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Agreement – CETA) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- (C) schlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Feder- Drucksache 18/9038 führung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Wer Überweisungsvorschlag: stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) schlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union tung der Fraktion Die Linke angenommen . Federführung strittig Ich rufe die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 t sowie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten die Zusatzpunkte 3 a bis 3 j auf . Es handelt sich hierbei Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Aussprache vorgesehen ist . Fraktion DIE LINKE Tagesordnungspunkt 39 a: Abstimmung über CETA erfordert Beteili- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- gung von Bundestag und Bundesrat regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/9030 zes zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Überweisungsvorschlag: land und Australien zur Beseitigung der Dop- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- pelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern ordnung vom Einkommen und vom Vermögen sowie Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zur Verhinderung der Steuerverkürzung und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen -umgehung Union Drucksache 18/8830 Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte . Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses (7 .Ausschuss) Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- sungen . Drucksache 18/9068 Tagesordnungspunkte 38 a bis 38 g sowie Zusatz- Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/9068, den Gesetzentwurf (B) punkt 2 b . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorla- (D) gen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse der Bundesregierung auf Drucksache 18/8830 anzuneh- zu überweisen . Die Vorlage auf Drucksache 18/9030, Zu- men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- satzpunkt 2 b, soll nicht an den Auswärtigen Ausschuss, men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- jedoch zusätzlich an den Ausschuss für die Angelegen- gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in heiten der Europäischen Union überwiesen werden . Sind zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . nen bei Enthaltung der Opposition angenommen . Dann ist so beschlossen . Dritte Beratung Wir kommen jetzt zu einer Überweisung, bei der die und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Federführung strittig ist . Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer Zusatzpunkt 2 a . Interfraktionell wird Überweisung stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis Drucksache 18/9038 mit dem Titel „Beteiligung des Bun- angenommen . destages im Vorfeld der Genehmigung der vorläufigen Tagesordnungspunkt 39 b: Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada (Com- prehensive Economic and Trade Agreement – CETA)“ an – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten schlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei- schen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und ner Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stif- Energie . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht tung Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau- Drucksache 18/8858 cherschutz . Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- schusses für Kultur und Medien (22 .Aus - schlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Federfüh- schuss) rung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer Drucksache 18/9079 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei- – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung tionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Drucksache 18/9082 18040 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Der Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt in nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer (C) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9079, stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp- den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- SPD auf Drucksache 18/8858 in der Ausschussfassung gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthal- anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- tung der Fraktion Die Linke angenommen . wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Tagesordnungspunkt 39 e: das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen . richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- Dritte Beratung nität und Geschäftsordnung (1 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Herbert Behrens, Dr .Anton Hofreiter, Dr .Sahra Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wagenknecht, Dr .Dietmar Bartsch, Stephan Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Kühn (Dresden) und weiterer Abgeordneter entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim- menverhältnis angenommen . Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Tagesordnungspunkt 39 c: Drucksachen 18/8273, 18/8932 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- CSU und SPD lung auf Drucksache 18/8932, den Antrag auf Drucksa- che 18/8273 in der Ausschussfassung anzunehmen . Wer Herstellung des Einvernehmens des Deutschen stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Bundestages mit der Bestellung des Instituts dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung für Gesetzesfolgenabschätzung und Evalua- ist mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der tion beim Deutschen Forschungsinstitut für Fraktion Die Linke bei Enthaltung von CDU/CSU und Öffentliche Verwaltung, Speyer, als wissen- SPD angenommen . Damit ist der 5 . Untersuchungsaus- schaftlichen Sachverständigen im Rahmen schuss der 18 .W ahlperiode eingesetzt . der Evaluierung der Terrorismusbekämp- fungsgesetze nach Artikel 5 des Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 39 f: Verlängerung der Befristung von Vorschriften Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Drucksache 18/9031 Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu (B) dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, (D) Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeord- Abstimmung in der Sache, die Fraktion Bündnis 90/Die neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grünen wünscht Überweisung an den Innenausschuss . NEN Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Wilderei und illegalen Artenhandel stoppen Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer ist Drucksachen 18/5046, 18/8942 dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Überwei- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- sung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen lung auf Drucksache 18/8942, den Antrag der Fraktion die Stimmen der Opposition abgelehnt . Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5046 abzu- Wir kommen daher jetzt zur Abstimmung über den lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Antrag auf Drucksache 18/9031 . Wer stimmt für diesen Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen die Stimmen der Opposition angenommen . bei Enthaltung der Opposition angenommen . Tagesordnungspunkt 39 g: Tagesordnungspunkt 39 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung und Land- richts des Haushaltsausschusses (8 .Ausschuss) wirtschaft (10 .Ausschuss) zu dem Antrag der zu dem Antrag der Abgeordneten Anja Hajduk, Fraktionen der CDU/CSU und SPD Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Ab- Wildtierschutz weiter verbessern – Illegalen geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Wildtierhandel bekämpfen GRÜNEN Drucksachen 18/8707, 18/8940 Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbe- ziehungen jetzt angehen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/8940, den Antrag der Fraktio- Drucksachen 18/8079, 18/8903 nen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8707 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/8903, den Antrag der Fraktion lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8079 abzuleh- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18041

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) onsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (C) Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- onsausschusses (2 .Ausschuss) men . Sammelübersicht 335 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 39 h: Drucksache 18/8893 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- gie (9 .Ausschuss) zu der Verordnung der Bun- hält sich? – Die Sammelübersicht 335 ist gegen die Stim- desregierung men der Fraktion Die Linke angenommen . Verordnung über Vereinbarungen zu ab- Tagesordnungspunkt 39 m: schaltbaren Lasten (Verordnung zu abschalt- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- baren Lasten – AbLaV) onsausschusses (2 .Ausschuss) Drucksachen 18/8561, 18/8660 Nr. 2.2, 18/9081 Sammelübersicht 336 zu Petitionen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksache 18/8894 lung auf Drucksache 18/9081, der Verordnung der Bun- desregierung auf Drucksache 18/8561 zuzustimmen . Wer Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt hält sich? – Die Sammelübersicht 336 ist mit den Stim- dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Opposition angenommen . Enthaltung der Opposition angenommen . Tagesordnungspunkt 39 n: Tagesordnungspunkt 39 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- onsausschusses (2 .Ausschuss) schusses für Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) Sammelübersicht 337 zu Petitionen Übersicht 8 Drucksache 18/8895 über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- tungen? – Die Sammelübersicht 337 ist einstimmig an- gericht genommen . (B) (D) Drucksache 18/9072 Tagesordnungspunkt 39 o: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- onsausschusses (2 .Ausschuss) empfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an- genommen . Sammelübersicht 338 zu Petitionen Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Drucksache 18/8896 titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 t . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Tagesordnungspunkt 39 j: hält sich? – Die Sammelübersicht 338 ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die onsausschusses (2 .Ausschuss) Grünen angenommen . Sammelübersicht 333 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 39 p: Drucksache 18/8891 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- onsausschusses (2 .Ausschuss) tungen? – Die Sammelübersicht 333 ist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen . Sammelübersicht 339 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 39 k: Drucksache 18/8897 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- onsausschusses (2 .Ausschuss) hält sich? – Die Sammelübersicht 339 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Sammelübersicht 334 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 39 q: Drucksache 18/8892 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- onsausschusses (2 .Ausschuss) hält sich? – Die Sammelübersicht 334 ist gegen die Stim- men von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Sammelübersicht 340 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 39 l: Drucksache 18/8898 18042 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- umweltsensiblem Dauergrünland und über die Genehmi- (C) tungen? – Die Sammelübersicht 340 ist einstimmig an- gung zur Umwandlung von Dauergrünland . genommen . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Tagesordnungspunkt 39 r: empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/9067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- auf Drucksache 18/8514 in der Ausschussfassung anzu- onsausschusses (2 .Ausschuss) nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Sammelübersicht 341 zu Petitionen der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Drucksache 18/8899 Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Stimmen aller Fraktionen angenommen . hält sich? – Sammelübersicht 341 ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Dritte Beratung Tagesordnungspunkt 39 s: und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- onsausschusses (2 .Ausschuss) entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim- Sammelübersicht 342 zu Petitionen menverhältnis angenommen . Drucksache 18/8900 Zusatzpunkt 3 b: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich hält sich? – Sammelübersicht 342 ist gegen die Stimmen Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei- der Fraktion Die Linke angenommen . terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 39 t: Durch die Gemeinsame Agrarpolitik mehr Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Tierschutz ermöglichen onsausschusses (2 .Ausschuss) Drucksache 18/9053 Sammelübersicht 343 zu Petitionen Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- Drucksache 18/8901 gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim- (B) Ich weise darauf hin, dass hierzu eine Erklärung nach men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von (D) § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegt 1). Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Sammelübersicht 343 ist mit den Stimmen Zusatzpunkt 3 c: der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Ent- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung haltung des Kollegen Wunderlich angenommen . und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich habe es zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, nicht geschafft, die Übersicht durchzusehen!) Ekin Deligöz, Luise Amtsberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE – Das kann schon mal passieren . GRÜNEN (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sollte Deutschlandstipendium abschaffen – Stipendi- nicht!) enförderung und Studienfinanzierung stärken Ich rufe den Zusatzpunkt 3 a auf: Drucksachen 18/4692, 18/9037 Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten lung auf Drucksache 18/9037, den Antrag der Fraktion Gesetzes zur Änderung des Direktzahlun- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4692 abzu- gen-Durchführungsgesetzes lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Drucksache 18/8514 Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü- ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . schuss) Zusatzpunkte 3 d bis 3 j . Wir kommen zu weiteren Drucksache 18/9067 Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Durch diesen Gesetzentwurf erfolgt eine Änderung der Vorschriften über die Ausweisung von Gebieten mit Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- 1) 6 Anlage onsausschusses (2 .Ausschuss) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18043

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Sammelübersicht 344 zu Petitionen einem Randthema an . Das ist es aber nicht, sondern es (C) betrifft 1,5 Millionen Menschen in diesem Land, die Drucksache 18/9060 auf entsprechende Rezepte angewiesen sind . Nach gel- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- tender Rechtslage sollte es eigentlich so sein, dass diese hält sich? – Die Sammelübersicht 344 ist einstimmig an- Menschen ausreichend mit Hilfsmitteln in guter Quali- genommen . tät versorgt sind; aber es häufen sich seit Jahren die Be- schwerden darüber, dass dem leider nicht so ist . Bei den Zusatzpunkt 3 e: Patientenorganisationen häufen sich die Hilferufe . Da- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- rum geht es auch in dieser Petition, und darum haben wir onsausschusses (2 .Ausschuss) uns gekümmert . Es gibt viele andere, die ebenfalls davon profitieren könnten, wenn sich die Bundesregierung die- Sammelübersicht 345 zu Petitionen ses Anliegens annimmt . Drucksache 18/9061 Es geht natürlich vornehmlich um alte Menschen, aber Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- es geht auch um ganz junge Menschen mit Behinderung . tungen? – Sammelübersicht 345 ist mit den Stimmen al- ler Fraktionen angenommen . Lukas Schneider wäre nichts unangenehmer, als in der Schule aufzufallen . Der 17-Jährige aus Stutt- Zusatzpunkt 3 f: gart ist seit seiner Geburt inkontinent . Mit Windeln Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- hatte er zu leben gelernt, nicht aber mit den neuen onsausschusses (2 .Ausschuss) Einlagen, die ihm seine Versicherung seit dem ver- gangenen Herbst anbietet . Diese knisterten so laut, Sammelübersicht 346 zu Petitionen dass jeder Mitschüler sie hätte hören können – oder Drucksache 18/9062 waren so dünn, dass er einen ganzen Koffer davon für einen Schultag benötigt hätte . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Sammelübersicht 346 ist mit den Stimmen Seit November zahlen seine Eltern jeden Monat von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion 120 Euro für dickere Einlagen dazu . „Uns blieb kei- Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ne andere Wahl“, sagt seine Mutter . Allerdings muss angenommen . man sich diese Wahl auch leisten können . Zusatzpunkt 3 g: Das ist ein Zitat aus einem Spiegel-Artikel . Es ist nur ein einzelner Fall; wir hätten noch mehr konkrete Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (B) Anliegen dieser Art zitieren können . Wir hoffen, dass (D) onsausschusses (2 .Ausschuss) schnell eine Lösung gefunden wird, Kontrolle stattfindet Sammelübersicht 347 zu Petitionen und sich die Situation der Menschen ändert . Wäre dies der Fall, könnte man sagen: Der Petitionsausschuss hat Drucksache 18/9063 wieder einmal weitergeholfen .– Dies tut er regelmäßig: Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelüber- Regelmäßig werden Gesetze geändert, weil Bürgerinnen sicht kommen, erteile ich der Kollegin Corinna Rüffer und Bürger auf Probleme hinweisen, die wir vielleicht das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung .– Bitte vorher so nicht gesehen haben . Ich hoffe sehr, dass uns schön, Frau Kollegin . das weiterhin erfolgreich gelingt . Vielen Dank . Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall im ganzen Hause) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich habe jetzt die Freude, für den gesamten Petitionsaus- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schuss sprechen zu dürfen – also nicht als Vertreterin ei- Vielen Dank . – Nun kommen wir zur Abstimmung ner Fraktion – und bei dieser Gelegenheit auch ein wenig über die Sammelübersicht 347 auf Drucksache 18/9063 . zu erhellen, worum es eigentlich geht, wenn wir hier über Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Sammelübersichten abstimmen . Es geht um ganz viele sich? – Die Sammelübersicht 347 ist mit den Stimmen Menschen . Es geht um Probleme sehr konkreter Natur, aller Fraktionen angenommen . und es geht darum, dass wir gemeinsam versuchen, diese zu lösen . Zusatzpunkt 3 h: Am Mittwoch haben wir im Ausschuss eine bestimm- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- te Petition übereinstimmend mit hohem Votum verab- onsausschusses (2 .Ausschuss) schiedet und damit der Bundesregierung signalisiert, Sammelübersicht 348 zu Petitionen dass wir uns von ihr erhoffen, dass sie sich des Problems annimmt . Im Namen des Petitionsausschusses darf ich Drucksache 18/9064 Ihnen, wie gesagt, das Anliegen kurz vortragen . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Es geht um die Durchsetzung verbesserter Quali- hält sich? – Die Sammelübersicht 348 ist mit den Stim- tätsstandards in der Versorgung von Betroffenen mit men von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen Inkontinenzhilfsmitteln . Das hört sich erst einmal nach gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . 18044 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Zusatzpunkt 3 i: Drucksachen 18/7236, 18/7243, 18/9036 (neu), (C) 18/9080 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 .Ausschuss) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Sammelübersicht 349 zu Petitionen nen vor . Drucksache 18/9065 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- hält sich? – Die Sammelübersicht 349 ist mit den Stim- nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Bundes- Opposition angenommen . ministerin Manuela Schwesig . – Bitte schön . Zusatzpunkt 3 j: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 .Ausschuss) Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Sammelübersicht 350 zu Petitionen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Drucksache 18/9066 und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Heute ist ein gu- ter Tag für viele Frauen im Land, weil der Deutsche Bun- Hierzu liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Ge- destag wahrscheinlich – das liegt in Ihrer Hand – meh- schäftsordnung vor 1). rere Gesetze verabschieden wird – er hat es jedenfalls vor –, die vor allem die sexuelle Selbstbestimmung der Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Frauen stärken und gerade Frauen, die in schwierigen Si- hält sich? – Die Sammelübersicht 350 ist mit den Stim- tuationen sind, besser schützen . Das war schon bei der men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der vorangegangenen Abstimmung über die Verschärfung Opposition angenommen . des Sexualstrafrechts der Fall . Ich möchte an dieser Stel- Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam- le meinen Respekt und meinen Dank den Abgeordneten, keit . Jetzt können Sie wieder reden . insbesondere den Frauen aus allen Fraktionen, bekun- den, die dafür gesorgt haben, dass eine jahrzehntelange Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: Debatte über die bessere Anerkennung der Rechte von Frauen einen guten Abschluss gefunden hat . Mit dem a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Prostituiertenschutzgesetz und dem Gesetz zur Bekämp- (B) regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (D) fung von Menschenhandel und Zwangsprostitution, über zes zur Regulierung des Prostitutionsgewer- deren Entwürfe wir heute abschließend beraten, wollen bes sowie zum Schutz von in der Prostitution wir Frauen besser schützen, die in der Prostitution arbei- tätigen Personen ten und nicht Selbstbestimmung, sondern sehr oft Aus- Drucksache 18/8556 beutung, Zwang und Gewalt erleben . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Zu diesem Thema gibt es unterschiedliche Positionen . ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Gerade in der Frauenbewegung gibt es unterschiedliche (13 . Ausschuss) Positionen zu der Frage, wie man mit Prostitution umge- hen soll . Prostitution gibt es . Dabei geht es nicht allein Drucksachen 18/9036 (neu), 18/9080 um Frauen . Auch Männer sind in der Prostitution tätig b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und erleben schwierige Bedingungen . Aber überwiegend richts des Ausschusses für Familie, Senioren, sind Frauen betroffen . Deswegen betrachten wir es oft Frauen und Jugend (13 .Ausschuss) als Frauenthema . Aber es ist, wie gesagt, auch ein Män- nerthema . – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Die Frauen und Männer im Prostitutionsgewerbe er- Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weite- leben die unterschiedlichsten Situationen . Es gibt Frau- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- en, die das selbstbestimmt machen – ich selber habe mit KE ihnen gesprochen – und sagen: Sexarbeit ist eine Arbeit, Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeite- die ich mir selber ausgesucht habe; die möchte ich ma- rinnen und Sexarbeitern stärken chen . Dafür möchte ich nicht am Pranger stehen und schon gar nicht gegängelt werden . – Aber es gibt auch – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Frauen, die sich das nicht ausgesucht haben, die dazu ge- Schauws, Katja Dörner, Dr .Franziska drängt wurden, die sich in finanziellen Abhängigkeiten Brantner, weiterer Abgeordneter und der befinden, vor allem in Abhängigkeiten von Männern, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie dazu zwingen . Nicht in jedem Fall kann man Zwangs- Gesetz zur Regulierung von Prostitutions- prostitution sofort nachweisen . stätten vorlegen Es gibt ganz unterschiedliche Antworten auf diese Le- benslagen . Es gibt, kann man sagen, einen regelrechten 1) 7 Anlage Streit insbesondere in der Frauenbewegung . Die einen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18045

Bundesministerin Manuela Schwesig (A) sagen: Alles verbieten! Die anderen sagen: Alles mög- ten zeigt, dass da etwas schiefläuft. Deshalb ist es richtig, (C) lichst so liberal halten, wie es gerade ist! Ich glaube, dass dass wir solche Pflichten jetzt einführen. beide Extrempositionen nicht richtig sind . Wir müssen respektieren, wenn Frauen sagen, dass sie diese Arbeit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) machen möchten . Dann sollten diese Frauen nicht in eine Diese Pflichten dienen nicht der Gängelung, sondern Schmuddelecke gestellt, sondern geachtet werden . Aber dem Schutz der Frauen . Es soll nicht mehr so sein, dass wir müssen auch der Tatsache ins Auge sehen, dass eine der Zuhälter alles klärt, sondern die Frau soll das Recht Vielzahl von Frauen und Männern in der Prostitution haben, sich gesundheitlich beraten zu lassen . Darauf nicht ihre Selbstbestimmung finden, sondern Ausbeu- kommt es an. Mit der Anmeldepflicht setzen wir dieses tung, Unterdrückung und Gewalt erleben . Wir müssen Recht durch . Dann reicht es nämlich nicht, dass sich der uns fragen, wenn wir ein Gesetz machen: Müssen wir Zuhälter um alles kümmert, sondern dann ist die Frau mit einem Gesetz diejenigen stärken, die gut klarkom- endlich sichtbar . Dann hat sie eine Vertrauensperson, die men, oder müssen wir mit einem Gesetz vor allem dieje- Ärztin oder den Arzt, und kann über ihre Situation spre- nigen schützen, die massenhaft ausgebeutet werden? Ich chen. Das dient dem Schutz. Ich finde es richtig, dass wir nehme ganz klar die Haltung ein: Ich möchte diejenigen das auf den Weg bringen . schützen, die dort leiden . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es die verant- Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, in der wortlichen Bundesregierungen zuvor versäumt haben, parlamentarischen Beratung wurden Vorschläge zum zeitgleich mit der Legalisierung in den letzten zehn Jah- Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Le- ren Regeln aufzustellen . Warum das nicht geschehen ist, bens gemacht . Natürlich gibt es auch schwangere Frauen müssen sich alle fragen . Deswegen rate ich dazu, nicht in der Prostitution . Ich begrüße Ihre Anregungen aus- mit dem Finger aufeinander zu zeigen, sondern zu ver- drücklich und finde gut, dass diese jetzt in das Gesetz suchen, gemeinsam zu guten Lösungen zu kommen . aufgenommen werden . Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz Das haben wir jetzt gemacht . Zwei Jahre lang wurde dazu beiträgt – wenn es umgesetzt wird und in der Praxis das Thema intensiv diskutiert . Ich freue mich – das habe ankommt –, dass wir wirklich die Frauen und auch die ich der Beratung entnommen –, dass wir uns im Großen Männer in der Prostitution, die unseren Schutz brauchen, und Ganzen jedenfalls darüber einig sind, dass es für die besser schützen . Damit haben wir klare Arbeitsregeln, Prostitutionsstätten, also für die Bordelle, klare Regeln wie wir sie auch in allen anderen Berufen einfordern . geben muss . Das dient auch dazu, der Zwangsprostitution besser (B) Denn, Frau Pantel, es ist schwerer, eine Pommesbude vorzubeugen . Ich begrüße sehr, dass heute wahrschein- (D) anzumelden – dafür gibt es Auflagen –, als ein Bordell. lich der Gesetzentwurf des Justizministers zu diesem Es gibt keine Auflagen für den Betrieb von Bordellen. Thema verabschiedet wird und damit ein klares Signal Dort können die Zuhälter mit den Frauen machen, was an die Freier geht: Ihr könnt nicht einfach die Augen sie wollen . Neben der Zwangsprostitution gibt es einen zumachen, egal was mit der Frau ist . Wenn ein Freier großen Graubereich, und den müssen wir besser in den sieht, dass eine Frau in einer Zwangslage ist, dann hat Griff bekommen . Deshalb ist es richtig, dass in Zukunft er eine besondere Pflicht. Das wurde übrigens auch in klare Auflagen erteilt werden, wer ein Bordell errichten der Debatte zum Tagesordnungspunkt über die sexuelle kann und welche Maßnahmen zum Schutz der Frauen er- Selbstbestimmung diskutiert: Wenn es um die sexuelle griffen werden müssen . Wer sich nicht daran hält, dem Selbstbestimmung der Frau geht, dann geht das nicht wird das Gewerbe entzogen . Das ist der richtige Weg . nur die Frau etwas an, sondern auch die Männer haben Verantwortung – im positiven Sinne . Auch dafür sorgen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wir mit den Gesetzen, die an diesem Tag verabschiedet Nun weiß ich, dass die Anmeldepflicht für alle Frau- werden sollen . en umstritten ist . Einige sagen: Warum sollen denn die Frauen, die gut klarkommen, sich anmelden müssen und Ich sage herzlichen Dank für die guten Beratungen . gesundheitlich beraten lassen? Noch einmal: Wir haben Ich freue mich, dass nach jahrelangem Stillstand beim die Frauen im Blick, die niemals irgendwo sichtbar sind, Schutz von Prostituierten jetzt nach kontroversen Debat- die niemals in einer Talkshow auftreten und für sich spre- ten ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht wird . Ich be- chen können, die das auch nicht in Diskussionsveranstal- danke mich für die Unterstützung und setze darauf, dass tungen können . Wir haben die Frauen im Blick, die, wie wir damit Frauen und auch Männer in unserem Land bes- mir eine junge Osteuropäerin geschildert hat, niemand zu ser schützen vor Ausbeutung, Gewalt und Zwang . Gesicht bekommen, weil der Zuhälter alles für sie tut, im Vielen Dank . negativen Sinne . Wir wollen auf diese Frauen aufmerk- sam werden . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wer sagt, dass Prostitution wie andere Berufe auch ge- achtet werden muss, dem sage ich: Dann können auch die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Regeln wie für andere Berufe gelten, nämlich dass man Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist Cornelia sein Gewerbe anmeldet, dass man sich bei der Kranken- Möhring, Fraktion Die Linke . versicherung anmeldet und auch Steuern zahlt . Die ge- ringe Zahl der in Deutschland angemeldeten Prostituier- (Beifall bei der LINKEN) 18046 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Cornelia Möhring (DIE LINKE): abgehakt; Aliasausweis ist ausgestellt – abgehakt; Zettel (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mit Rechten wurde verteilt – abgehakt . Das macht nun Sehr geehrte Frau Schwesig, wir führen hier, ehrlich ge- wirklich keine qualifizierte Beratung aus. standen, keine Debatte darüber, ob wir Prostitution gut oder schlecht finden, sondern es geht um einen Gesetz- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- entwurf, der dieses Arbeitsfeld regeln soll . Deswegen ist neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es ein Problem, wenn man anfängt, darüber zu reden, ob man dieses Arbeitsfeld für richtig oder für falsch hält . Das wurde im Übrigen auch in der Anhörung sehr deutlich gesagt, und zwar von einer Kollegin vom Bund (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Deutscher Kriminalbeamter . Sie hat das sehr deutlich be- SES 90/DIE GRÜNEN) schrieben – Zitat –: Die Behördenangestellten müssten das Milieu sehr genau kennen, interkulturell geschult Sie werden heute ein Gesetz verabschieden, das sei- sein und insbesondere auch für Traumatisierungen sensi- ne Ziele komplett verfehlt . Es wird Prostituierten keinen bilisiert sein; sonst handele es sich um eine bürokratische Schutz bieten . Es wird Menschenhandel nicht wirksam Checkliste und kein bisschen mehr .– Genau das führen bekämpfen, und es wird in keinster Weise die Selbstbe- Sie jetzt ein, und das finde ich unverantwortlich. stimmungsrechte von Prostituierten stärken . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich verstehe eigentlich auch nicht wirklich, warum Gleichzeitig sehen Sie nicht einmal Mittel für die Sie im Zuge der Debatten, die wir hier seit zweieinhalb Qualifizierungsmaßnahmen vor. Sie schlüsseln in Ihrem Jahren führen, insgesamt nichts Wesentliches dazu bei- Gesetzentwurf den Finanzbedarf überhaupt nicht diffe- getragen haben, um genau diese Ziele zu erreichen . Sie renziert auf, sondern Sie sagen schlicht und ergreifend: wollen vor allem Maßnahmen einführen, die genau diese 11,3 Millionen Euro Umstellungsaufwand und 13,4 Mil- Ziele nicht erreichen . lionen Euro sogenannter jährlicher Erfüllungsaufwand . Ich habe jetzt leider zu wenig Zeit, um alle Kritik- Das wird schön auf die Länder und Kommunen umgeru- punkte zu wiederholen . Aber ich will versuchen, einmal belt . Der Bund übernimmt generös ganze 33 000 Euro . in Kürze am Beispiel der Beratungs- und Registrierungs- Da besteht zusätzlich die Gefahr, dass die Verwaltungs- pflicht deutlich zu machen, was ich meine. Sie erreichen gebühren von den Kommunen auf die Prostituierten ab- gerade diejenigen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen, gewälzt werden, die sowieso wenig Geld haben . auch mit der Registrierungspflicht nicht, weil bei denen (B) die Angst vor einem Zwangsouting viel zu groß ist . Wenn Bereiche, die für eine qualifizierte Beratung wichtig (D) man einerseits weiß, wie groß die Stigmatisierung ist, sind, haben Sie sogar ausgeklammert: Es sind keine Mit- dann kann man sich doch hier nicht hinstellen und sagen: tel vorgesehen für Sprachmittler oder für Dolmetscher . Na ja, Prostitution soll behandelt werden wie jeder an- Für die Gesundheitsberatung veranschlagen Sie gerade dere Beruf. – Das finde ich, ehrlich gestanden, ziemlich einmal 4,4 Millionen Euro . Uns liegen Beispielberech- mies in der Argumentation . nungen vor, wonach für die Umsetzung der Beratungs- pflicht selbst bei vorsichtiger Schätzung fast 25 Millio- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nen Euro anzusetzen sind . Zwischen 25 Millionen Euro neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und 4,4 Millionen Euro besteht ein deutlicher Unter- schied . Das müssten auch Sie erkennen können . Gehen wir einmal ganz sachlich-fachlich an die Frage der Beratung heran . Sie wissen doch, dass ein einmaliger Einmal ganz ehrlich: Auch der Teil, der die Erlaub- kurzer Kontakt zu einer Behörde weder ausreichen wird, nispflicht für Prostitutionsstätten und die Arbeitsbe- um Menschenhandelsopfer zu erkennen, dingungen regelt – wir haben das hier schon eindeutig (Zuruf des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU]) diskutiert –, ist doch nicht zu Ende gedacht . Sie legen für kleine Wohnungsbordelle die gleichen Maßstäbe wie noch, um so viel Vertrauen aufzubauen, dass sich Betrof- für Großbordelle an . Aber das ist völlig undifferenziert . fene offenbaren . Das bestätigen uns alle Beratungsstellen Im Ergebnis werden Sie damit gerade die Großbordelle und alle kenntnisreichen Verbände. Ich finde es wirklich stärken, und die kleinen Wohnungsbordelle gehen kaputt . ärgerlich, dass Sie nicht bereit sind, weiterzudenken, und dass Sie sich nach der Anhörung nicht die Zeit genom- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- men haben, um das mit uns wirklich kompetent weiter- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zudiskutieren und andere Wege zu finden. Gegen die Ausbeutung in der Prostitution werden (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sie so nichts bewirken . Der beste Schutz besteht in der neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bekämpfung der Armut, in mehr sozialer Sicherheit, in Wenn Sie wirklich eine qualifizierte Beratung anbieten einer Stärkung der Selbstbestimmungsrechte . Aber wir wollen, dann müssen doch die jetzt schon überarbeiteten können es wirklich drehen und wenden, wie wir wollen: Behördenmitarbeiter auch fortgebildet werden . Es kann Ihr Gesetz hält nicht, was es verspricht . Sie haben of- doch nicht darum gehen, dass eine Checkliste abgehakt fensichtlich keinerlei Folgenabschätzung vorgenommen . wird, nach dem Motto: Personalausweis und Foto liegen Sie richten womöglich großen Schaden an . Sie fördern vor – abgehakt; Gesundheitsberatung hat stattgefunden – die Stigmatisierung . Auch wenn Ihre Ohren schon lange Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18047

Cornelia Möhring (A) auf Durchzug stehen, sage ich Ihnen: Lassen Sie es! Zie- tergehen . Wir sind das Bordell Europas . Das darf nicht (C) hen Sie den Gesetzentwurf zurück! sein . Wir müssen endlich etwas dagegen tun . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, tun wir et- was dagegen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz geben Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wir Ländern, Kommunen, Ordnungsbehörden und auch Vielen Dank . – Die nächste Rednerin ist die Kollegin der Justiz endlich die Instrumente an die Hand, die sie Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion . brauchen, um etwas dagegen zu tun . Die zentralen In- (Beifall bei der CDU/CSU) strumente sind zum Ersten die Anmeldepflicht für die Prostituierten und zum Zweiten die Erlaubnispflicht für die Bordellbetreiber . Nadine Schön (St . Wendel) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Mit der Anmeldepflicht erreichen wir etwas ganz Kollegen! „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ – Wichtiges . Frau Möhring, es ist total schade und irgend- dieses Bild der drei Affen kennen Sie alle sicher, wie auch schlimm, dass Sie immer noch nicht den Sinn dahinter verstanden haben . Wir sorgen mit der Anmelde- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pflicht dafür, dass die einzelne Frau nicht weiter in der NEN]: Das ist die Bundesregierung!) anonymen Masse untergeht . und nach diesem Prinzip ist man über Jahre – leider – (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit den Zuständen in der Prostitution umgegangen . Wir NEN]: Was glauben Sie denn, wie das funkti- sehen sie nicht in unserem Alltag: die vielen jungen oniert? Wie naiv!) Frauen aus Osteuropa, die hierherkommen, entweder un- ter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder als Opfer von In der Anhörung wurde das so formuliert: Ohne Anmel- Menschenhändlern oder auch deshalb, weil sie geschickt dung gibt es diese Frauen gar nicht; man vermisst sie werden, um ihre Familie im Heimatland zu ernähren . Sie nicht; sie sind die perfekte Beute der Menschenhändler . verkaufen hier ihren Körper an Männer, die sie nicht ken- nen . Sie sind das Opfer von Zuhältern, denen sie nicht (Maik Beermann [CDU/CSU]: So ist es!) nur ihren Pass und ihr Geld geben; sie geben dort auch Das darf nicht sein . Deshalb sehen wir die Anmeldung ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihre Würde, ihre Men- vor, die diesen Frauen erstmals Kontakt außerhalb des schenwürde ab . Milieus ermöglicht . (B) Wir erfahren immer nur am Rande davon, dass die (D) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zustände immer schlimmer werden, dass diese Frauen NEN]: Und dann?) immer jünger, immer unerfahrener sind, die hierherkom- men, ohne Sprachkenntnisse, und dass gleichzeitig das, Es besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, dass sie was von ihnen verlangt wird, immer extremer wird: Ge- aufgeklärt werden: über ihre Rechte, über Beratungs- schlechtsverkehr ohne Kondom, Gangbang, Sexualprak- angebote, die es in unserem Land gibt, auch über unser tiken mit Fäkalien, Sex in der Schwangerschaft bis kurz Gesundheitssystem, über ihre eigene Gesundheit, über vor der Entbindung, Gewalt . Die Zustände im Milieu Präventions- und Schutzmöglichkeiten . Diese Beratung sind furchtbar, und das Schlimmste daran ist, dass sich stärkt doch die Frauen . Das gibt ihnen die Chance auf viele hier eine goldene Nase verdienen – mit diesen Frau- Information . Das gibt ihnen die Chance auf Hilfe und en, die das Ganze ganz und gar nicht freiwillig machen . die Chance auf Kontakt außerhalb des Milieus . Das ist All diesen Zuständen gegenüber gab es in unserem eine Riesenchance für diese Frauen, und für die Zuhälter Land jahrelang eine unglaubliche Ignoranz: von der Ge- und für die Menschenhändler ist es das klare Signal: Der sellschaft, von Medien und auch von der Politik . Das Pro- Staat schaut hin . Uns ist es nicht egal, ob massenweise stitutionsgesetz von 2001 hat all das möglich gemacht . junge Frauen, die sich hier aufhalten, ohne ihre Rechte zu kennen, ausgebeutet werden . Der Staat schaut hin .– (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mit der Anmeldepflicht haben wir zum ersten Mal die NEN]: Was haben Sie in Ihrer Regierungszeit Möglichkeit, zu jeder einzelnen dieser Frauen Kontakt gemacht? Sie haben nichts gemacht!) aufzunehmen, sie ins Hellfeld zu holen und ihnen diese Beratung tatsächlich zu geben . Die EU-Osterweiterung hat für das nötige „Angebot“ an Frauen gesorgt und die viel strengeren Gesetze in unseren (Beifall bei der CDU/CSU) Nachbarländern für die nötige Nachfrage von Freiern . Deshalb habe ich auch kein Verständnis dafür, dass Erst seit einigen Jahren wird hingeschaut und mit Ve- Sie sagen: „Auf diesen Schutz können wir verzichten“, hemenz darauf hingewiesen, dass da einiges schiefläuft weil es eine Handvoll Sexarbeiterinnen in unserem Land in unserem Land . Deshalb will ich an dieser Stelle gern gibt, denen das alles zu viel ist, denen es zu viel ist, aufs allen danken, die sich in den letzten Jahren dafür einge- Amt zu gehen und sich anzumelden . setzt haben, dass wir endlich hinschauen: Hilfsorgani- sationen, Polizei, engagierte Polizisten, engagierte Ord- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nungsbehörden, Länder, Kommunen, Journalisten . Sie NEN]: Wir haben überhaupt keine Zahlen! haben aufgeschrien und gesagt: Das kann nicht so wei- Wovon reden Sie?) 18048 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Nadine Schön (St. Wendel) (A) Diejenige, die aus freien Stücken der Prostitution nach- der Prostitution Kriminalität und Ausbeutung . Wer diese (C) geht, kann das weiterhin tun . Sie muss sich eben nur an- bekämpfen will, muss differenzieren . melden . Sie kann auch mit einem Aliasnamen agieren; sie muss ihre Identität noch nicht einmal gegenüber Po- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lizisten und Kontrollbehörden offenbaren . Wir haben auf und bei der LINKEN) den Datenschutz geachtet . Die vielen Chancen, die sich Wer das nicht macht – und das machen Sie von der Union für die Zwangsprostituierten daraus ergeben, gehen mit tatsächlich nicht –, der bedient konstant nur das Klischee ihrem Schutz einher . Deshalb ist das genau das richtige der Prostituierten . Sie vermischen dies wieder und wie- Instrument . der mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Aus- beutung . Das kann nicht zielführend sein . Das zweite Instrument – neben der Anmeldung – ist die Erlaubnispflicht. Dass jede Pommesbude besser (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- kontrolliert wird als ein Bordell, ist mittlerweile ein ge- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) flügeltes Wort. Es beschreibt aber ganz gut, wie die Si- Sie zeichnen permanent Bilder der Gegensätze von tuation heute ist . Wir werden jetzt Standards schaffen: der selbstbestimmten Edelprostituierten zur Zwangspros- Mindestanforderungen, was die Hygiene angeht, und tituierten . Und wenn Sie über Prostituierte aus Osteuropa Schutzstandards in Bordellen . Wir lassen es nicht mehr reden, unterstellen Sie auch gern einmal einer Mehrheit zu, dass jeder, der einschlägig vorbestraft ist, ein Bordell der Frauen, sie seien minderbemittelt, Analphabetinnen, eröffnen und sich mit den Körpern von Frauen eine gol- schwanger, drogen- oder alkoholabhängig oder alles dene Nase verdienen kann . Es wird in Zukunft eine Zu- gleichzeitig . Man kann sich des Eindrucks nicht erweh- verlässigkeitsprüfung für Bordellbetreiber geben und die ren, dass Sie für sich die Rolle einnehmen wollen, Pro- Möglichkeit der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten stituierte zu retten . Aber was machen Sie? Sie sprechen mit harten Strafen . Wenn die Vorschriften nicht eingehal- ihnen die Entscheidung über ihren eigenen Körper und ten werden, kann der eine oder andere Laden auch dicht- ihre Berufsentscheidung, über das, was sie tun, um ihr gemacht werden . Wer sich nicht an die Regularien hält, Geld zu verdienen, ab . Das ist weder differenziert noch wer Frauen in seinen Etablissements ausbeutet, muss die eine praxistaugliche Lösung für einen besseren Schutz in Konsequenzen tragen: harte Strafen und Entzug der Er- einem schwierigen und sehr gefahrvollen Arbeitsbereich . laubnis . Nur das funktioniert . Liebe Kolleginnen und Kollegen, so vielfältig die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Branche ist, so vielfältig müssen auch die Maßnahmen ordneten der SPD) sein . Runde Tische wie in NRW haben sich als erfolg- reich erwiesen . (B) Mit den Regelungen, die wir heute verabschieden, bie- (D) ten wir den vielen Zwangsprostituierten einen besseren (Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha!) Schutz und geben Ländern, Kommunen und Ordnungs- Sie bringen alle Akteurinnen und Akteure zusammen, behörden die Instrumente, die sie brauchen, um tatsäch- sie schließen niemanden aus, und sie suchen gemeinsam lich genau hinschauen zu können, damit es nicht nach nach konkreten Lösungen . dem Prinzip der drei Affen geht: nichts sehen, nichts hö- ren, nichts sagen . Ab heute können wir vor Ort handeln – (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zum Schutz von vielen Frauen in unserem Land . SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich danke Ihnen ganz herzlich und hoffe, dass wir das Eine Genehmigungspflicht für das Prostitutionsge- Gesetz heute in großer Übereinstimmung beschließen . werbe ist sinnvoll, weil hierdurch der Schutz von Prosti- tuierten gewährleistet werden kann . Allerdings muss si- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- chergestellt sein, dass auch kleine Bordelle die Auflagen ordneten der SPD) erfüllen können, die eine solche Genehmigungspflicht mit sich bringt . Der Bund sollte zudem die Länder dabei unterstützen, die freiwillige Beratung auszubauen; denn Vizepräsidentin Ulla Schmidt: hier können Menschen erreicht werden, Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Ulle Schauws, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Bündnis 90/Die Grünen . SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) hier können sie Vertrauen fassen und Unterstützung auch Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei Fragen nach Alternativen zur Tätigkeit in der Pros- titution finden. Das sind Maßnahmen, die funktionieren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und und sinnvoll sind, weil sie Menschen nicht bevormunden . Kollegen! Prostitution ist eine komplexe und vielfältige Branche . Es gibt Laufhäuser, kleine Bars, Kinos, Woh- Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vorliegenden nungsbordelle . Es gibt Hausfrauen, die an zwei Vormitta- Gesetzentwurf werden diese Maßnahmen nicht aufge- gen in der Woche als Prostituierte arbeiten . Es gibt Män- griffen . Schlimmer noch: Er ist moralisierend, er setzt ner im Escortservice . Es gibt Prostituierte, die vor allem auf das Instrument der Kontrolle . In unserem Entschlie- auf dem Straßenstrich arbeiten, sowie Frauen, die mit ßungsantrag zum vorliegenden Gesetzentwurf haben wir Kolleginnen in einer Wohnung sexuelle Dienste anbieten unsere Kritik daran sehr deutlich gemacht . Hauptkri- und so ihr Einkommen sichern . Und es gibt im Bereich tikpunkte sind und bleiben die Anmeldepflicht und die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18049

Ulle Schauws (A) jährliche gesundheitliche Pflichtberatung. Sie sind kont- Nadine Schön [St .W endel] [CDU/CSU]: Ja! (C) raproduktiv . Das sind die Fakten . Klar! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Jetzt tun Sie ihr aber unrecht!) (Nadine Schön [St .W endel] [CDU/CSU]: Hallo? Warum?) Dieses Gesetz bringt de facto mehr Schutzlosigkeit . Es trägt dazu bei, das Stigma von Prostituierten zu verstär- Sehr deutlich formulierten das die von der SPD eingela- ken, anstatt es abzubauen . Wir haben jetzt wohl hinrei- denen Expertinnen in der Anhörung . chend erklärt, warum . Prostituierte werden sich nicht an- Was machen Sie von Union und SPD eigentlich mit melden . Sie werden in Zukunft illegal arbeiten . den Ergebnissen der Anhörung? (Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um die (Maik Beermann [CDU/CSU]: Die haben Sie Opfer!) wohl auch nicht!) Im Falle von Illegalität, Bedrohung und Gewalt werden Nachdem die Sachverständigen mehrheitlich die von sie sich dann nicht einmal mehr bei einer Behörde mel- uns angebrachte Kritik an der Anmelde- und Beratungs- den können . So wird ihnen jeder Schutz verwehrt blei- pflicht unterstützt haben, ben . Das wäre wirklich fatal . (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Quatsch! Wie denn? – Maik Beermann [CDU/ sowie bei Abgeordneten der LINKEN) CSU]: Waren Sie nicht da?) Ich komme zum Schluss . Dieses Gesetz ist frauenpoli- gehen Sie hin und lassen die Argumente der Sachverstän- tisch ein Desaster, gesundheitspolitisch Unsinn, digen unter den Tisch fallen . Werten Sie doch einmal die Ergebnisse der Sachverständigenanhörung aus! (Michael Brand [CDU/CSU]: Kein Wort über die Opfer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) steuerrechtlich ein schwarzes Loch und bürgerrechtlich hochbedenklich . Darum stimmen wir Grüne gegen dieses Wozu machen Sie ein parlamentarisches Verfahren mit Gesetz . einer Anhörung, wenn Sie am Ende nichts mit den Er- gebnissen machen? Vielen Dank . (Nadine Schön [St .W endel] [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haben wir! Jetzt geht es aber los!) und bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Jeder macht mal Fehler!) (B) Sehr bemerkenswert finde ich auch, dass Sie die Kritik (D) des Bundesrates nicht beachten . Vonseiten des Bundes- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: rates wurden ein immenser bürokratischer Aufwand und Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Marcus Weinberg, die daraus resultierenden Kosten kritisiert . Wie gehen Sie CDU/CSU-Fraktion, das Wort . darauf ein? Sie lassen die Länder und die Kommunen mit den Kosten allein . Es ist doch jetzt schon absehbar, dass (Beifall bei der CDU/CSU) es in den Kommunen knirschen wird, wenn sie die Aufla- gen der Pflichtberatung erfüllen müssen. Die Kommunen Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): müssen dann tief in die Tasche greifen . Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Liebe Frau Schauws, (Michael Brand [CDU/CSU]: Geht es um den genau das Gegenteil ist der Fall: Dieses Gesetz ist die Schutz oder um die Kosten?) Antwort auf die Situation in Deutschland . Aber genau an dieser Stelle interessiert Sie die Lage der (Beifall bei der CDU/CSU) Kommunen interessanterweise gar nicht . Wenn ich das ergänzen darf: Heute ist ein besonderer (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Tag wegen der Gesetze, die wir verabschiedet haben, SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – jetzt verabschieden und noch verabschieden werden . Es Zuruf von der CDU/CSU: Uns interessieren ist ein guter Tag für die Frauenpolitik in Deutschland . die Fragen!) Ich glaube, die Große Koalition kann sagen: Wir haben hier gute Gesetze auf den Weg gebracht . Dafür wurde es Man kann überhaupt nicht erkennen, dass Sie hier für höchste Zeit . einen reibungslosen Ablauf irgendetwas in Bewegung setzen wollen . Das scheint Ihnen egal zu sein . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung, wie es bei uns zugeht!) Mit diesem Prostituiertenschutzgesetz stehen wir nicht am Ende der Debatte und nicht am Ende des Kampfes Mal ganz ehrlich: Dieses Gesetz ist ein einziger Kom- gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am promiss . Frau Schwesig, Sie halten den Frieden in der Anfang . Dieses Prostituiertenschutzgesetz ist eine klare Koalition höher als den Schutz der in der Prostitution tä- Kampfansage an Zuhälter, Ausbeuter und Frauenhändler . tigen Menschen . Das Prostitutionsgesetz bedeutete die Legalisierung der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Prostitution; das ist richtig . Aber es muss die Frage ge- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – stellt werden: Wer hat davon profitiert? In erster Linie ha- 18050 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) ben die Vermieter von Laufhäusern, die Bordellbetreiber In denen die Frauen 100 Euro Miete am Tag zahlen, das (C) und die Zuhälter profitiert. Diejenigen, die nicht profitiert heißt 3 000 Euro im Monat . Bei 30 Zimmern sind das haben, waren die Prostituierten . Es sind mehr geworden . für den Vermieter 90 000 Euro im Monat . Aber für diese Sie sind in Elendssituationen, in Armutsprostitution . Sie 100 Euro, die die Prostituierte jeden Tag zahlen muss, sind diejenigen, die dringend unsere Hilfe als Staat und braucht sie mindestens zwei oder drei Freier . Ich sage Ih- dieses Prostituiertenschutzgesetz brauchen . nen: Auch diese Form der Prostitution müssen wir jetzt abstellen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz eröffnen (Beifall bei der CDU/CSU) wir die Möglichkeit, bei dieser Form von Mietwucher, Frau Möhring, ich will auch noch etwas zur Stigma- bei dieser indirekten Fremdbestimmung einzugreifen tisierung sagen, weil das wieder einmal Ihr Hauptthema und das Laufhaus, das Bordell dichtzumachen . Wir müs- war . Die meisten Frauen können gar nicht stigmatisiert sen die Prostituierten dringend vor dieser Form von Aus- werden, beutung schützen . (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: So ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Quatsch!) Angesprochen wurden bereits die stärkeren Kont- weil sie am öffentlichen Leben mittlerweile gar nicht rollen, die restriktivere Erlaubniserteilung für Betriebe, mehr teilnehmen, weil sie nach Deutschland gekarrt wer- mehr Beratung, die Stärkung der Pflichten und der Rech- den, weil sie sich 24 Stunden in einem Zimmer aufhalten te, Hilfsangebote und Ähnliches . Viele Punkte waren uns und bereitstehen müssen, weil sie die deutsche Sprache extrem wichtig . Ich will einige herausgreifen . nicht beherrschen, weil sie einen Lieferservice in An- Ein Thema war die Prostitution von schwangeren spruch nehmen müssen und weil sie in Städte kommen, Frauen . Es gibt in Zukunft keine Betriebserlaubnis mehr, von denen sie gar nicht wissen, dass es sie überhaupt wenn Bordelle Flatratesex, Gangbang-Partys oder Sex gibt . Insofern gibt es diese Stigmatisierung in der Form mit Schwangeren anbieten . Uns war wichtig, dies end- überhaupt nicht . Angesprochen wurden in diesem Zu- lich zu untersagen, um auch das ungeborene Leben zu sammenhang bereits die datenschutzrechtlichen Aspekte schützen . Das war ein großer Erfolg . bei der Anmeldung . Wir haben darauf geachtet, dass es dort nicht zur Stigmatisierung kommt . Stigmatisierung (Beifall bei der CDU/CSU) erleben wir in anderen Bereichen, und darum geht es uns . Das Gleiche gilt für die Bereiche Miete – das habe ich Mit der Situation der betroffenen Frauen muss Schluss angesprochen – und Weisungsrecht . Endlich gibt es kein sein . Weisungsrecht mehr hinsichtlich des Ob, der Art und des Einige Sätze zur Diskussionskultur: Es ist ja heut- Ausmaßes einer sexuellen Dienstleistung . Endlich wer- (B) zutage Mode, dass man diese Konsensdemokratie oder den wir eine bessere Beratung bekommen . Endlich haben (D) Verhandlungsdemokratie in der Gesellschaft kritisiert wir Beratungseinrichtungen und Gesundheitsbehörden, und sagt: Wir brauchen wieder klare Ansagen und kla- die auch Zutrittsrechte zu den Prostitutionsstätten be- re Linien .– Angesprochen wurden die unterschiedlichen kommen . Bewertungen der Prostitution . Dass Sozialdemokraten, Dann noch zu Ihrer Kritik an der Anhörung . Ich weiß, Christsoziale und Christdemokraten gemeinsam ein Ge- wen wir als CDU/CSU eingeladen haben: Ärzte, Sozial- setz hinbekommen, war politisch wirklich ein hochambi- berater, Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und keine tioniertes Vorhaben . Die Alternative zu diesem Konsens, Verbandsvertreter . Das sind Menschen, die mit den Pro- zu diesem gemeinsamen guten Kompromiss, wäre mög- stituierten arbeiten und die Situation der Prostituierten licherweise gewesen, dass wir gar kein Gesetz bekom- einschätzen können; und sie alle unterstützen dieses Ge- men . setz . Sie haben uns gesagt: Schaut euch an, was in diesem (Zuruf von der LINKEN: Das wäre besser Bereich passiert! Schaut euch an, wie die Prostituierten gewesen!) leben! Macht endlich etwas! Macht endlich dieses Ge- setz! Das ist gut und wichtig . Dann – das kann ich nur sagen – hätten Sie die Elendssi- tuation der Prostituierten in den nächsten Jahren weiter- (Beifall bei der CDU/CSU) hin erleben müssen . Deswegen war es gut, dass wir uns Sie können uns vorwerfen, dass wir die großen Ver- auf dieses Prostitutionsschutzgesetz geeinigt haben . bände, die sich für Prostituierte, für Sexdienstleiste- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle rinnen, einsetzen, nicht im Fokus haben bei 250 000 Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie oder 300 000 Prostituierten, wenn ein Verband 70 oder hätten unserem Antrag zustimmen können!) 80 Prostituierte vertritt . Das mag vielleicht sein . Aber ei- nes, Frau Möhring, muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich Es ist nicht so – das haben Sie uns vorgeworfen –, nicht ein einziges Mal geöffnet bei der Frage: Wie ist die dass wir immer sofort das Thema „Zwangsprostitution Situation in diesem Bereich? Sie haben ein falsches Bild, und Menschenhandel“ im Kopf haben . Nein, die Prosti- zumindest präsentieren Sie das in den Debatten . Ich hätte tution läuft heute anders ab . Das ist nicht erfunden; das mir von der Opposition gewünscht, dass Sie ernsthafter ist die Realität . Schauen Sie nach Bayern! Dort gibt es mit gewissen Themen und Problemen umgehen . Laufhäuser im Gewerbegebiet, (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Geben Sie (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mir mehr Redezeit! Ich erzähle Ihnen das al- NEN]: Was? In Bayern?) les!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18051

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) – Von mir bekommen Sie sicher keine Redezeit . liches Symbol für das Leid von Zwangsprostituierten und (C) Opfern von Menschenhandel – wie ich finde, zu Unrecht. (Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Schade!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Ich komme zum Schluss . Es ist ein gutes Gesetz . Wir Brand [CDU/CSU]: Geben Sie es doch mal erwarten von den Ländern, dass sie es auch umsetzen . zu!) Wir wissen aus unseren Wahlkreisen, aus den Bundeslän- dern, dass vor Ort geschaut werden muss, wie wir dieses Zum einen bringt uns diese ständige Vermischung von Gesetz maximal umsetzen können . freiwilliger und damit legaler Prostitution mit Straftaten wie Menschenhandel nicht wirklich weiter . (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie wollen wir es bezahlen?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir werden evaluieren und auch nachsteuern . Wer zum anderen das Prostitutionsgesetz von damals Noch einmal: Wir sind nicht am Ende des Kampfes ganz allgemein zum Sündenbock für soziale und ge- gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung, sondern am sellschaftliche Missstände abstempelt, der kehrt doch Anfang des Kampfes gegen Fremdbestimmung und Aus- klammheimlich ganz grundsätzliche Fragen gesellschaft- beutung . Heute ist ein guter Tag für die Betroffenen und licher Ungleichheit und Armut in einem erweiterten Eu- ein schlechter Tag für die Ausbeuter und Zuhälter . So soll ropa unter den Teppich . es sein . Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem guten Gesetz . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Weder die EU-Osterweiterung noch die damit verbun- ordneten der SPD) dene Freizügigkeit wollen wir heute missen . Dennoch müssen wir uns natürlich mit den Folgewirkungen aus- einandersetzen . Diese waren allerdings zum Zeitpunkt Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes 2002 ohne Vielen Dank . – Das Wort hat Ulrike Bahr, SPD-Frak- hellseherische Fähigkeiten wohl kaum abschätzbar . tion . (Lachen des Abg . Michael Brand [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU] – Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Die Union hat damals davor ge- Ulrike Bahr (SPD): warnt!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi- Wem es wirklich ernst ist mit dem Kampf gegen Armuts- (B) nisterin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Vor nun fast migration und Armutsprostitution, der muss sich auch die (D) zwei Jahren war meine Kollegin Eva Högl bei mir in Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Europa verstärkt Augsburg zu Gast . Ihr Besuch stand unter dem Motto auf die Fahnen schreiben . „Rotlicht im Fokus“ . Es ging, wie unschwer zu erraten, um die aktuellen Gesetzesvorhaben zur besseren Re- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gulierung von Prostitution sowie zur Bekämpfung von DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Zwangsprostitution. In dieser Woche nun finden beide Sie könnten auch einfach sagen, Sie haben ei- Gesetzesvorhaben – das Prostituiertenschutzgesetz auf nen Fehler gemacht, und wir ändern es jetzt! der einen und das Gesetz zur Bekämpfung des Men- Wo ist das Problem?) schenhandels auf der anderen Seite – nach langen und Mit Blick auf die Prostitution hier in Deutschland gilt intensiven Beratungen nahezu gleichzeitig einen erfolg- es deshalb vor allem, die Arbeitsbedingungen und den reichen Abschluss . So setzen wir heute, fast im direkten rechtlichen Rahmen so auszugestalten, dass sie keinen Anschluss, ganz zentrale Vereinbarungen aus unserem Missbrauch zulassen . Genau das packen wir mit diesem Koalitionsvertrag um . Gesetz nun an . Dass nach dem Prostitutionsgesetz von 2002 eine wei- Außerdem muss angesichts der vielen Schmähreden tere Regulierung der Prostitution notwendig und damit über das Prostitutionsgesetz auch eine entscheidende unser gemeinsames Ziel war, darin waren wir uns von Nachfrage erlaubt sein: Warum ist denn dann eigentlich Beginn an einig . Über den Weg dorthin war die Einigkeit so lange nichts passiert in diesem Bereich? dann allerdings nicht immer nicht ganz so groß . Uns von der SPD-Bundestagsfraktion war dabei insbesondere der (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Schutz der Prostituierten wichtig . Nissen [SPD]: Gute Frage! – Gegenruf des Abg . Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/ Dabei will ich eines klarstellen: Wir halten das rot-grü- CSU]: Weil 2007 die SPD nicht wollte!) ne Prostitutionsgesetz von 2002 nach wie vor für richtig . Oft und gern heißt es, Deutschland sei dadurch zum Bor- Die Evaluation des Gesetzes von 2002 wurde im Jahr dell Europas geworden . 2007 vorgelegt . Hinter uns liegen zwei Wahlperioden mit Frauenministerinnen aus den Reihen der Union . Aber (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Es ist auch scheinbar braucht es doch wieder eine SPD-Ministerin, so! Es ist die Wahrheit!) um hier wichtige Weiterentwicklungen in Angriff zu neh- men . Fast noch lieber wird dieses Gesetz pauschal als geschei- tert erklärt . Für viele ist es daher geradezu ein vermeint- (Beifall bei der SPD) 18052 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ulrike Bahr (A) Das Prostitutionsgesetz war nicht der Anfang vom Paul Lehrieder (CDU/CSU): (C) Ende, sondern ein zentraler Schritt für die Prostituierten, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Das war ein Liebe Kollegen! Oft haben wir an dieser Stelle schon den fataler Schritt, das Prostitutionsgesetz von Ausspruch „Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“ 2002!) bemüht und damit – Frau Kollegin Bahr, passen Sie auf; ich komme jetzt zu dem Punkt, an dem Sie aufgehört ha- nämlich der Schritt raus aus der Sittenwidrigkeit . Wir ben – das Prostitutionsgesetz der rot-grünen Regierung halten es daher nicht für gescheitert, aber für ausbaufä- aus dem Jahr 2002 gemeint . Es ist nicht damit getan, zu hig . sagen: Ihr habt das Gesetz nicht schnell genug geändert in den letzten Jahren .– Dadurch wäre die Fehlentwick- Genau darum geht es bei den neuen Maßnahmen und lung, die durch das 2002 auf den Weg gebrachte Gesetz Regelungen im Prostituiertenschutzgesetz . Wie schon ausgelöst wurde, nicht verhindert worden . 2007 in den Schlussfolgerungen der Evaluation empfoh- len, wird es nun erstmals eine Erlaubnispflicht für Pro- Ja, Deutschland ist 2002 durch die Legalisierung und stitutionsstätten geben . Wer ein Bordell betreiben will, durch die Erleichterung der Prostitution zum „Bordell muss ein Betriebskonzept vorlegen, die erforderliche Zu- Europas“ geworden . Wir wollten die Prostituierten aus verlässigkeit besitzen und bestimmte Mindeststandards dem Schmuddelmilieu holen . Damit haben wir aber et- einhalten . Außerdem wird es verboten, mit ungeschütz- was erreicht – ich unterstelle Ihnen keine Absicht –, was tem Geschlechtsverkehr oder gar mit Sex mit Schwange- wir nicht wollten; denn die Folge war, dass Prostitution ren zu werben . Gerade diese Maßnahmen stehen ja auch in den letzten Jahren in keinem Land so leicht durchzu- keineswegs in großem Gegensatz zu den Vorstellungen führen war wie hier in Deutschland . Das ändern wir jetzt der Opposition . gemeinsam . Viele Gespräche mit Fachberatungsstellen, Frauenver- Ich darf mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen, bänden oder Polizei haben uns darin bestärkt, uns gegen Frau Ministerin, und Ihrem Team bedanken . Wir haben verpflichtende Untersuchungen und ein Mindestalter von es uns in den letzten zwei Jahren wahrlich nicht leicht 21 Jahren auszusprechen . Unser Kompromiss in der Ko- gemacht . Wir sind von einer großen Bandbreite an Pros- alition besteht nun darin, die Anmeldung mit einer Ge- tituierten ausgegangen – ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sundheitsberatung und eben nicht einer Untersuchung das angesprochen haben –: die selbstbewusste 23-jährige zu verknüpfen . Für junge Prostituierte zwischen 18 und oder 24-jährige Jurastudentin aus Deutschland, die ihre 21 werden dafür kürzere Fristen vorgesehen, aber eben Rechte kennt und weiß, was sie mit sich und mit ihrem kein Verbot . Für uns waren das wichtige Punkte; denn Körper tut, aber auch die 18-jährige Rumänin . (B) wir wollten den Zugang zu Beratung und anderen Unter- Die Veranstaltung „Rotlicht im Fokus“ wurde er- (D) stützungsangeboten erweitern, anstatt ihn durch Zwangs- wähnt . Liebe Kollegin Pantel, auch wir sind dem Aspekt untersuchungen und Verbote zu verbauen . „Rotlicht im Fokus“ nachgegangen . In Vorbereitung auf dieses Gesetz sind wir auf den Straßenstrich in Berlin ge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gangen und haben mit Prostituierten gesprochen .– Ja, Frau Kollegin Bahr, ich darf Sie bitten, zum Schluss Sie müssen nicht erschrecken . Das war zur sachgerech- zu kommen . ten Aufklärung aus unserer Sicht durchaus angezeigt .– Dort haben wir mit jungen Rumäninnen und jungen Ungarinnen gesprochen, die mit der Loverboy-Methode Ulrike Bahr (SPD): nach Europa gelockt wurden und deren wirtschaftliche, Ja, ich komme zum Schluss .– Eine Evaluation wird physische und psychische Abhängigkeit – manche sind schließlich nach fünf Jahren zeigen, ob und inwiefern das alleinerziehend und haben ein Kind, das zu Hause be- Prostituiertenschutzgesetz alle seine Ziele erreicht und treut werden muss – in Deutschland ausgenutzt wird . die damit verbundenen Erwartungen erfüllt hat . Für diese Frauen wollen wir die Situation verbessern . Wir geben ihnen mit dem Prostituiertenschutzgesetz die Mit dem Prostitutionsgesetz von 2002 haben wir den Möglichkeit, Kontakte außerhalb des Milieus aufzuneh- Weg beschritten, Prostituierten mehr einklagbare Rechte men . Wir wollen auch, Frau Schauws, dass gerade mit zu verschaffen . Mit dem Prostituiertenschutzgesetz ge- zwischen 18- und 21-Jährigen jedes halbe Jahr ein Be- hen wir 14 Jahre später diesen Weg weiter, indem wir für ratungsgespräch durchgeführt wird, damit diese Frauen mehr Schutz, mehr Beratung und mehr Rechtssicherheit eine Anlaufstelle außerhalb des Milieus haben, damit sie in der Prostitution sorgen . Menschen haben, denen sie sich anvertrauen können, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . wenn etwas passiert . Das ist wichtig, und deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf elementar . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages- Ich muss noch auf ein paar Fehleinschätzungen von ordnungspunkt ist der Kollege Paul Lehrieder, CDU/ Ihnen zu sprechen kommen, Frau Schauws . Es ist na- CSU-Fraktion . türlich das Vorrecht der Opposition, über ein Gesetz zu schimpfen, an dessen Entstehung sie nicht beteiligt war . (Beifall bei der CDU/CSU) Hätten Sie mitverfolgen können, wie oft wir bis in die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18053

Paul Lehrieder (A) Nacht hinein mühselige Unterredungen geführt haben, Herzlichen Dank allen, die konstruktiv mitgearbeitet (C) um die einzelnen Punkte, die Sie jetzt kritisieren, zu be- haben . Herzlichen Dank den Kolleginnen und Kollegen leuchten, dann hätten Sie vielleicht eine andere Rede ge- von der SPD . Das waren zwei harte Jahre . halten . (Sönke Rix [SPD]: Ja!) Sie haben ausgeführt, durch die Anmeldepflicht wür- Aber wir haben es geschafft . Ich bin heilfroh, dass wir den die Frauen in die Illegalität getrieben . Die Polizei, jetzt ein gutes Gesetz auf den Weg bringen, mit dem wir die sich in diesem Milieu auskennt, sagt: Wo der Frei- den – zugegeben – guten Willen von Rot-Grün in eine er hinkommt, da kommen wir Polizisten auch hin; wir gute Tat umsetzen . werden die Prostituierten auch in der Illegalität finden. – Ich darf Ihnen versichern: Sie brauchen keine Angst zu Herzlichen Dank . haben, dass die Frauen durch die Anmeldepflicht in die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Illegalität getrieben werden . Unsere Polizei nutzt die zu- gänglichen Werbeportale und geht zu den Orten, für die Werbung betrieben wird . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . Ein weiterer Punkt waren die Bürokratiekosten . Ja, durch das Gesetz entsteht mehr Bürokratie, aber haupt- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- sächlich für die Bordellbetreiber . Bisher war es in desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Deutschland leichter, ein Bordell zu betreiben als eine zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Pommesbude, wenn man die bürokratischen Regularien Schutz von in der Prostitution tätigen Personen . vergleicht . Zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mehrere Erklä- 1) Die freiwillige Beratung, Frau Schauws, die Sie an- rungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor . gesprochen haben, ist gut und schön; wenn es denn so Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- einfach wäre . Aber glauben Sie, dass die 18-jährige ru- gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- mänische Prostituierte, die anonym und ohne Sprach- fehlung auf den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080, kenntnisse in Deutschland lebt und, wie der Kollege den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Weinberg gerade ausgeführt hat, die Örtlichkeiten oft gar 18/8556 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit- nicht kennt, ohne Weiteres den Weg zu einer freiwilligen te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- Beratung findet? Deshalb haben wir gesagt: Wir- brau fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen .– Wer chen eine Pflichtberatung, damit sie überhaupt eine Be- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- ratungsstelle aufsuchen . Wir wollen eine Beratung, die (B) wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der (D) ohne den Bordellbetreiber stattfindet. Die Anmeldung Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition kann auch nicht anonym über ein Onlineportal erfolgen . angenommen . Wir wollen die Frauen sehen . Dritte Beratung (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: „Wir wollen die Frauen sehen“? Was und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem ist denn das für eine Aussage?) Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer Ich will Ihnen eines sagen: Wenn uns in der Anhörung enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen die Sachverständigen aus dem Bereich der Kriminalpo- Stimmenverhältnis angenommen . lizei sagen: „Wir können nur die schützen, die wir ken- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf nen“, dann sollte uns das zu denken geben . den Drucksachen 18/9036 (neu) und 18/9080 empfiehlt (Beifall bei der CDU/CSU) der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Das heißt, wir müssen die Frauen aus der Anonymität, dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- aus der Illegalität herausholen . Wenn sie die Materiali- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen en für die Anhörung gründlich durchgelesen haben, Frau die Stimmen der Opposition angenommen . Schauws, dann wissen Sie, dass laut Schätzungen die Zahl von Frauen und Männern, die in Deutschland der- Wir kommen damit zur Abstimmung über den Ent- zeit diesem Gewerbe nachgehen, zwischen 170 000 und schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 700 000 variiert . Das heißt, niemand hat auch nur ansatz- auf Drucksache 18/9071 . Wer stimmt für diesen Ent- weise eine Ahnung, schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo- NEN]: Aber Sie tun immer so, als hätten Sie sition abgelehnt . eine Ahnung!) Tagesordnungspunkt 18 b . Wir setzen die Abstim- wie groß die Zahl derer, die in diesem Gewerbe arbei- mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für ten, tatsächlich ist . Deshalb ist es wichtig, dass wir hin- Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Drucksa- schauen und Licht in dieses Dunkel, in diese Grauzone chen 18/9036 (neu) und 18/9080 fort . der Gesellschaft bringen . Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg . 1) Anlagen 8 und 9 18054 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be- er nicht vergessen, sondern in den Blick genommen wird (C) schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- und ihm die gerechte Unterstützung zuteilwird, die wir tion Die Linke auf Drucksache 18/7236 mit dem Titel alle für ihn fordern . „Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern stärken“ . Wer stimmt für diese Beschluss- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Es gab vor vielen, vielen Jahren eine Große Koalition, sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen die sich damit beschäftigt hat, wie man denn die Län- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo- der und den Bund gemeinsam in Verantwortung bringen sition angenommen . könnte . Die Namen, die man damit verbindet, sind Franz Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab- Josef Strauß und Karl Schiller . Lang, lang ist’s her, aber lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- die Wirkung ist noch da . Ich weise darauf hin – das soll- nen auf Drucksache 18/7243 mit dem Titel „Gesetz zur ten wir uns ab und zu vor Augen führen –, dass wir da- Regulierung von Prostitutionsstätten vorlegen“ . Wer mals in Artikel 91a des Grundgesetzes – das steht heute stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt noch darin und soll so bleiben – festgelegt haben: Wenn dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- für die Gesamtheit eine Aufgabe bedeutsam und die Mit- lung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen wirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensver- die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung hältnisse erforderlich ist, dann kann und wird auch der der Fraktion Die Linke angenommen . Bund seinen Beitrag im Rahmen der Gemeinschaftsauf- gabe – in diesem Fall „Verbesserung der Agrarstruktur Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: und des Küstenschutzes“ – wahrnehmen . Dabei bleibt es, und ich bin sehr dankbar, dass diese Gemeinschaftsauf- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- gabe alle Föderalismusreformen überstanden hat . regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksachen 18/8578, 18/8958 Es ist völlig unabweisbar, dass die Notwendigkeit der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Verbesserung der Lebensverhältnisse gerade unter dem ses für Ernährung und Landwirtschaft (10 .Aus - Aspekt der schwierigen demografischen Entwicklung, schuss) unter dem Aspekt der Veränderungen im ländlichen Raum insgesamt höhere Bedeutung gewonnen hat . Des- Drucksache 18/9074 wegen ist es gut, dass wir das Grundgesetz betrachtet haben . Es ist übrigens auch gut, dass wir keine Grund- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion gesetzänderung vorgenommen haben . Wir haben das ge- (B) Die Linke vor . (D) prüft, nicht nur im Sinne von Theodor Heuss, der uns zur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Sparsamkeit aufgerufen hat . Aber vor jeder Grundgesetz­ die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei- änderung sollten wir austesten, welche Möglichkeiten nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . uns die jetzige grundgesetzliche Regelung bietet . Und siehe da: Es gibt Möglichkeiten, die wir noch nicht aus- Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen .– Ich eröffne geschöpft hatten und haben . Damit kann das Ziel unseres die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat Koalitionsvertrags – gute Entwicklungschancen für den Bundesminister Christian Schmidt . ländlichen Raum – besser erreicht werden . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei allen, ordneten der SPD) die an der Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs und insbe- sondere an der Beratung im Ausschuss mitgewirkt haben, Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung aber auch – lassen Sie mich das sagen – für die konstruk- und Landwirtschaft: tiven Hinweise aus dem Bundesrat sehr bedanken . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es (Beifall bei der CDU/CSU) war beeindruckend, zu sehen, wie viele unserer Kollegen soeben zu neuen Ufern außerhalb des Plenarsaals dieses Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nicht nur Hohen Hauses aufgebrochen sind . Ich vermute, dass sie die Landwirtschaft in den schwierigen Zeiten der ange- sich die Situation in den ländlichen Räumen Deutsch- spannten Märkte modern und leistungsfähig gehalten, lands vor Ort anschauen wollen . Das ist lobenswert, und sondern wir haben auch eine mittel- und langfristige darüber freue ich mich . Stärkung der Strukturen im ländlichen Raum erreicht . (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Wir haben dank der Entscheidungen des Deutschen Bun- der SPD) destages die Mittel bereits in diesem Jahr beträchtlich aufgestockt: Wir fügen 30 Millionen Euro für investive Manchmal endet der Blick in den großen Agglomera- Maßnahmen und weitere 30 Millionen Euro für neue tionen – den Ballungsräumen –, in den Städten . Das ist Maßnahmen dieser neuen Gemeinschaftsaufgabe hinzu . falsch . Der größte Teil unseres Landes lebt und bewegt Im Haushaltsjahr 2017 werden wir nach dem Entwurf sich im ländlichen Raum – von der Fläche her 85 Pro- des Bundesfinanzministers, den wir gestern im Kabinett zent und von der Bevölkerung her immerhin mehr als die beschlossen haben, neben den 600 Millionen Euro für Hälfte . Dieser Teil unseres Landes hat einen Anspruch klassische GAK-Aufgaben weitere 100 Millionen Euro darauf, dass er nicht in zweiter Linie gesehen wird, dass für den Sonderrahmenplan Nationaler Hochwasserschutz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18055

Bundesminister Christian Schmidt (A) und 65 Millionen Euro nach dieser Erweiterung der GAK dass wir nicht nur Gutes gemeinsam tun, sondern es auch (C) vorsehen . gemeinsam darstellen . Ich darf ergänzend hinzufügen, dass die Mittel für In diesem Sinne herzlichen Dank . mein Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Leuchtturmprojekte in Bundesverantwortung mitentwi- ckeln soll, für das kommende Haushaltsjahr von 10 Mil- lionen auf 20 Millionen Euro aufgestockt werden . Damit Vizepräsident Johannes Singhammer: schaffen wir größere Gestaltungsspielräume des Bundes . Nächste Rednerin ist die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Dreh- und Angelpunkt bleibt die Verbesserung der Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Agrarstruktur . Wir wollen sie in der GAK weitest- möglich an das Förderspektrum des ELER bzw . der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- ELER-Verordnung anpassen . Über diesen Europäischen nen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte Gäste! Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern, einem dünn Raums – so heißt es in der Langform – fließen den Bun- besiedelten, aber trotzdem schönen Bundesland . desländern jährlich bereits etwa 1,4 Milliarden Euro zu . (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh Damit können die Länder Maßnahmen zur Entwicklung ja! Sehr schön!) des ländlichen Raums finanzieren. Mein Wahlkreis ist der größte Wahlkreis Deutschlands Ich freue mich, dass der Handlungsspielraum so weit und auch der schönste Wahlkreis Deutschlands, nämlich geht, dass wir zukünftig auch Investitionen in nichtland- der Müritzkreis . wirtschaftliche „Kleinstbetriebe“ fördern können, sprich den Friseurbetrieb oder den Bäcker am Dorfplatz . Ich (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ freue mich, dass wir die Nahversorgung mit Gütern und CSU und der SPD – Franz-Josef Holzenkamp Dienstleistungen vor Ort verbessern können, dass der [CDU/CSU]: Ich spreche immer vom Zweit- ländliche Tourismus angekurbelt werden kann und dass schönsten!) es Unterstützung für die Umnutzung von Bausubstanz Bei uns stellen sich andere Fragen als hier in Berlin . gibt, zum Beispiel als dörfliches Begegnungszentrum Herr Minister Schmidt hat eben bereits einiges in dieser oder – so machen wir es jetzt in Dörfern; das ist ein wei- Richtung vorgetragen . Bei uns ärgert man sich nicht da- (B) teres Konzept – als ein Multifunktionshaus . Darüber hi- rüber, dass die S-Bahn oder die U-Bahn nur im Zehnmi- (D) naus – ich sehe den Kollegen Göppel, der sich sehr für nutentakt fährt, sondern bei uns stellt sich die Frage, ob die Landschaftspflege engagiert –, haben wir die Förder- der Jugendliche mit dem Bus zum Sportklub oder ob die möglichkeiten im Bereich des Klima- und Naturschutzes, Oma ins Theater in die kleine anliegende Stadt kommt . des Vertragsnaturschutzes und der Landschaftspflege er- Bei uns fragt sich so mancher Ortsbürgermeister, ob er weitert und manches andere mehr verbessert . die Kita oder den Supermarkt, den kleinen Laden, den er immer noch im Dorf hatte, noch halten kann oder was Meine Damen, meine Herren, wir müssen die Abwan- damit passiert . derung junger Menschen aus den ländlichen Räumen stoppen . Das ist die Kernaufgabe; es ist eine darüber hin- Bei uns brauchen vor allem kleine Unternehmen eine ausgehende Aufgabe . Zukunftsperspektive . Bei uns fragen sich die Menschen auch, wie man die vielen Potenziale, die es im ländlichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Raum gibt, am besten schöpft und fördert, beispielsweise ordneten der SPD) im Tourismus, in der Energieproduktion oder aber auch Deswegen müssen wir alle Maßnahmen unternehmen, in der nachhaltigen Landwirtschaft, zum Beispiel durch die die Attraktivität des ländlichen Raums steigern, ohne regionale Wirtschaftskreisläufe; denn viele der kleinen die Identität des ländlichen Raums infrage zu stellen . Städte und Gemeinden verfügen heute über individuelle Qualitäten . Ein letztes Wort . Ich bedanke mich im Zusammen- hang mit der Gemeinschaftsaufgabe bei denen, die das Dafür sind aus unserer Sicht eine wirkungsvolle, um- Geld bereitstellen . Das sind der Deutsche Bundestag und fassende und integrierte Förderung des ländlichen Raums die Länder . Ich wäre insbesondere dankbar, wenn wir im- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . mer darauf achten würden – das richtet sich jetzt auch an Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die verehrten Kolleginnen und Kollegen in den Bundes- NEN]) ländern –, dass, wenn die Maßnahmen auf den Weg ge- bracht werden und die Tafeln für die Bauprojekte erstellt und eine Strategie über Ressortgrenzen hinweg notwen- werden, nicht vergessen wird, dass 60 Prozent der Gelder dig . Dafür stehen viele Ministerien hier in Berlin in der vom Bund kommen . Verantwortung, nicht nur der Landwirtschaftsminister . (Beifall bei der CDU/CSU) Ein wichtiges Instrument der Bundespolitik zur Ent- wicklung des ländlichen Raumes ist die Gemeinschafts- Manchmal verwittern diese Schriftzeichen relativ aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs- schnell . Ich denke, wir alle haben ein Interesse daran, tenschutzes“, über die wir hier heute debattieren wollen . 18056 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Heidrun Bluhm (A) Auf unsere Initiative hin gab es am Dienstag eine An- Wir fordern deshalb eine Grundgesetzänderung, um (C) hörung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Ich finde es den ELER vollständig auszuschöpfen . Wir fordern vor schade, dass wir nicht über eine Gemeinschaftsaufgabe allem, die Daseinsvorsorge für die Menschen auf dem „Ländliche Entwicklung“ reden, sondern immer noch Lande verlässlich zu fördern; denn die Wirtschaft im allein mit „Agrarstruktur“ und „Küstenschutz“ im Titel ländlichen Raum ist mehr als nur Agrar- und Kleinst- antreten . betriebe – vor allem in der Zukunftsperspektive . Wir fordern eine demokratische Kontrolle und Transparenz (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . bei der Mittelverteilung durch Landes- und Bundespar- Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lamente . Das ist bis heute nicht gegeben . Wir fordern ei- NEN]) nen eigenen Gestaltungswillen der Bundesregierung, der Diese Anhörung war wichtig; denn die Koalition zeig- nicht nur die gemeinsame Agrarpolitik der EU, sondern te vor allem Lernfähigkeit, und sie korrigierte mit einem vor allem auch die Zukunft der ländlichen Räume insge- Änderungsantrag wichtige Punkte, die auch in dieser samt im Auge behält, und wir fordern mehr Geld, min- Anhörung eine Rolle gespielt haben . Das begrüßen wir destens die angesprochenen 200 Millionen Euro mehr, natürlich . Eine wirkliche GAK-Reform, wie im Koali- um diese Herausforderungen des ländlichen Raumes be- tionsvertrag auch angekündigt, bleibt die Koalition aus wältigen zu können . meiner Sicht aber weiterhin schuldig . (Beifall bei der LINKEN) (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Oh!) Die Linke sagt: Wir müssen vor allem die sozialen Dort, wo eigentlich ein großer Schritt notwendig gewe- Auswirkungen unserer Politik im Auge behalten und die- sen wäre, sprach der Deutsche Landkreistag von einem se vor allen Dingen aktiv gestalten, besonders weil wir kleinen „Trippelschritt in die richtige Richtung“ . über 85 bis 90 Prozent des Bundesgebietes reden . Sie wollen die Menschen damit vielleicht etwas stärker in Aber nicht nur in der Anhörung wurde erneut viel Kri- den Vordergrund stellen, aber sie bleiben trotzdem ab- tik an diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung geübt, gehängt . Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse sondern auch der eigens von Herrn Minister Schmidt überall in Deutschland . angeregte Sachverständigenrat fand deutliche Kritik an diesem Gesetzentwurf, vor allem wegen des begrenzten Herzlichen Dank . Maßnahmenspektrums, der beschränkten Gebietskulis- (Beifall bei der LINKEN) se, der fehlenden zusätzlichen Mittel und der fehlenden Angleichung an die Fördermöglichkeiten der EU durch den ELER . Ich zitiere aus dem Bericht des Sachverstän- Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) digenrates: Für die SPD spricht jetzt der Kollege Willi Brase . (D) Aus Sicht des Sachverständigenrates verfehlt der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gesetzentwurf damit die Zielsetzungen des Koaliti- der CDU/CSU) onsvertrags und wird nicht den Herausforderungen der ländlichen Räume gerecht . Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik des Sachverständigenrates benennt also we- Sehr geehrte Damen und Herren! sentliche Punkte, die auch mit dem neuerlichen Antrag der Koalition leider nicht behoben werden . Das kritisie- In einer sich so schnell verändernden Welt kann nur ren wir unter anderem auch, vor allem die fehlende Ab- bewahren, wer zu verändern bereit ist . Wer nicht deckung des gesamten ELER-Spektrums . Herr Schmidt verändern will, wird auch das verlieren, was er be- hat eben gesagt: Wir kommen dem näher, aber wir schöp- wahren möchte . fen ihn nicht aus . – Wir ändern das Grundgesetz nicht, um eine wirkliche Reform der GAK im Sinne der ländli- So Gustav Heinemann. Ich finde, er hat völlig recht. chen Entwicklung zu ermöglichen . Das schaffen wir da- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mit eben nicht . Wir stellen auch die ausreichenden Mittel nicht zur Verfügung . Die Experten sagen, dass mindes- Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen die Perspek- tens 200 Millionen Euro zusätzlich notwendig wären, um tiven und die Vielfalt der ländlichen Räume bewahren, hier einen Entwicklungsschub zu erreichen . Auch wenn aber auch die Chancen der Weiterentwicklung fördern . wir im nächsten Jahr mit 65 Millionen Euro mehr rech- Wir haben über diese Frage im Ausschuss für Ernäh- nen können, werden hier nur ganz kleine Impulse gesetzt . rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon in Für die ländlichen Räume werden jetzt 5 Prozent des Ge- der 17 .W ahlperiode intensiv debattiert . Wir haben fest- samtbudgets der GAK ausgegeben . Das, glaube ich, wird gestellt: Unsere ländlichen Regionen sind vielfältig, un- nicht reichen . terschiedlich stark, mit Blick auf die Bevölkerungszahl manchmal aber auch schrumpfend; das wollen wir nicht (Beifall bei der LINKEN) vergessen . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag ver- ankert: Wir streben an, diese Gemeinschaftsaufgabe zu Eine wirklich integrierte ländliche Entwicklung wird einer „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ erst durch eine umfassende Reform der GAK möglich . weiterzuentwickeln . Die Agrarstruktur, der Küstenschutz und der Umwelt- schutz wären dann in die ländliche Gesamtentwicklung Ich glaube, dass wir mit dem Gesetzentwurf ein- einzugliedern . schließlich des Änderungsantrags der Koalitionsfrakti- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18057

Willi Brase (A) onen einen richtig guten Schritt nach vorne gehen . Ich führen, werden wir im Rahmen eines abgestimmten Vor- (C) bin dankbar, dass wir nach intensiver Beschäftigung und gehens in der Regierung die ländlichen Regionen in na- Verhandlung ein Stück vorwärtsgekommen sind, liebe her Zukunft noch stärker miteinander verbinden . Kolleginnen und Kollegen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die fi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nanziellen Mittel für die GAK Zug um Zug ausweiten . Wir haben lange Gespräche mit den Vertretern der Län- Der ELER und die Gemeinsame Agrarpolitik der EU der geführt . Es geht um die Frage: Wie gehen wir mit zielen auf die Infrastruktur ländlicher Gebiete . Es geht dem Mittelabfluss um? In verschiedenen Bundesländern um Daseinsvorsorge, das wollen wir nicht vergessen; gibt es Doppelhaushalte . Mein und unser Wunsch an die Kollegin Bluhm, Sie haben es teilweise angesprochen . Haushälter ist – das müssen wir gut überlegen –, dass die- Lokale Lebensqualität wollen wir voranbringen; das ha- ser Mittelabfluss vernünftig gestreckt wird und er auch ben wir im Änderungsantrag genau so formuliert . Es geht übertragen werden kann, damit die Mittel für die GAK bei der Daseinsvorsorge um Lebensmittel, um Energie, und für die ländlichen Regionen nicht verloren gehen . um Mobilität, um kulturelle Einrichtungen, um Gesund- heitsversorgung, um Brandschutz und Hilfestellung . Wir Wir möchten aber auch, liebe Kolleginnen und Kol- haben das im Änderungsantrag als „Basisdienstleistun- legen, dass die 30 Millionen Euro, Herr Minister, die gen“ formuliert. Wir wollen die dörfliche Struktur und wir als Bundestag letztes Jahr zusätzlich zur Verfügung Bausubstanz erhalten . Wir wollen den ländlichen Touris- gestellt haben, aufgrund des langen Verfahrens und der mus stärken . Auch wollen wir das kulturelle Erbe von späten Beschlussfassung hier im Bundestag übertragen Dörfern bewahren und weiter ausbauen. Ich finde, das, werden, sodass sie der GAK und den ländlichen Regi- was wir beschlossen und vorgelegt haben, gibt genau das onen nicht verloren gehen . Ich glaube, das ist ein ganz wieder, was wir zur Weiterentwicklung der ländlichen wichtiger Punkt . Regionen brauchen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch unser Bundesministerium für Umwelt, Natur- Es geht zukünftig darum, dass wir eine intensivere Ab- schutz, Bau und Reaktorsicherheit hat schon seit 2010 stimmung zwischen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbes- Initiativen zur Entwicklung ländlicher Regionen auf den serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, der Mittel- Weg gebracht . Dabei geht es unter anderem um Zusam- standsförderung und dem Städtebau als ein Gesamtpaket menarbeit, um den Aufbau von Netzwerkstrukturen und zur Unterstützung der ländlichen Regionen betrachten um die Einbeziehung bürgerschaftlichen Engagements . und begreifen . Wer nur die GAK schaut und nur das im Wenn man das zur Kenntnis nimmt, kann man sagen: Blick hat, was wir in diesem Bereich an Mitteln für die ländlichen Regionen ausgeben, der greift zu kurz . (B) Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions- (D) fraktionen unterstützen diesen Ansatz . Es geht darum, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dass nicht nur das Bundesministerium für Ernährung und CDU/CSU) Landwirtschaft, sondern auch andere etwas auf den Weg bringen und Geld zu Verfügung stellen, damit sich die Wir müssen das Gesamtpaket sehen, und dabei haben wir ländlichen Regionen weiterentwickeln . Ziel war und ist: als Koalitionsfraktion einiges auf den Weg gebracht . Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen . Es geht uns als sozialdemokratische Fraktion darum, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die Vielfalt der ländlichen Regionen zu erhalten . Jeder von uns weiß: Es gibt Regionen, in denen wir es sehr Es ist schon darauf hingewiesen worden: Wir haben stark mit demografischen Problemen zu tun haben; dazu nach der Anhörung die vorgebrachten Argumente ge- wird meine Kollegin Petra Crone etwas sagen . Wir haben prüft . Wir haben die entsprechenden Änderungen auf den aber auch Regionen, die wirtschaftlich sehr stark sind, in Weg gebracht, auch das, was der Bundesrat in seiner ers- denen es kaum Arbeitslosigkeit gibt und die fantastische ten Befassung zum Ausdruck gebracht hat . Ich nenne das industrielle und gewerbliche Strukturen haben . Stichwort „Gebietskulisse“ . Das, was dazu ursprünglich vorgesehen war, hat sich als nicht praktikabel herausge- Wenn ich heute wenig über die Landwirtschaft gespro- stellt . Wir sind das vernünftig angegangen und haben es chen habe, liegt das daran, dass unsere Landwirtschaft verbessert . Es geht auch um das Antragsverfahren: Die hoch konkurrenzfähig ist, sehr viel exportiert und auf Anträge, die mehrjährig laufen, sollen nicht jedes Mal höchstem Niveau arbeitet . Deshalb braucht sie manch- wieder neu begründet werden müssen . Es geht unter an- mal etwas weniger Unterstützung . Wir müssen die Un- derem auch um den Vertragsnaturschutz . Das sind einige terstützung aber zu den ländlichen Regionen umleiten, Beispiele, worüber wir nicht nur beraten haben, sondern die teilweise schrumpfen . Ich denke, das ist ein richtiger bei denen wir auch für eine schnelle Umsetzung gesorgt Weg . haben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Un- terschiedlichkeit der ländlichen Regionen in unserem Mit unserer Entschließung beschreiben wir den zu- Land bewahren . Es ist gut und wichtig, allen zu helfen . künftigen Weg der Stärkung ländlicher Regionen . Wir Deshalb nehmen wir diese Chance an . wollen ein ressortübergreifendes und abgestimmtes Han- deln der Bundesregierung . Ich habe das eben am Beispiel Es ist gut, dass wir nächstes Jahr mehr Geld haben . des Bundesbauministeriums deutlich gemacht . Es ist gut, Ich möchte wiederholen, was ich schon an anderer Stel- dass es einen entsprechenden Staatssekretärsausschuss le gesagt habe: Perspektivisch sind für die weitere Ent- gibt . Ich bin mir sicher: Wenn wir diese Politik weiter- wicklung 65 Millionen bis 100 Millionen Euro an jähr- 18058 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Willi Brase (A) lichem Zuwachs zu wenig . Aber das muss spätestens in die liegen bei aller Sympathie nicht nur in der Landwirt- (C) der nächsten Legislaturperiode angegangen werden . Ich schaft . werde nicht mehr dabei sein . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank fürs Zuhören . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das im Grundge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) setz formulierte Ziel einer Gemeinschaftsaufgabe heißt, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern . Das ist der Kernpunkt . Die GAK, die Sie mit Ihrem Vizepräsident Johannes Singhammer: Gesetzentwurf heute beschließen wollen, wird in ihrer Ich möchte mich für die präzise Einhaltung der Rede- derzeitigen Form diesem Ziel nicht gerecht . Sie waren zeiten bedanken . Auch das muss – gerade heute – einmal zu Beginn Ihrer Koalition der gleichen Meinung, als Sie festgestellt werden . in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, die Ge- meinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz zur Nächster Redner ist der Kollege Markus Tressel für „Gemeinschaftsaufgabe ländliche Entwicklung“ weiter- Bündnis 90/Die Grünen . zuentwickeln, sodass sie die Herausforderungen ländli- cher Räume anpacken kann . Das war und ist ein richtiger Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gedanke . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Drei Jahre später ist aber von diesem Vorhaben – ich ländlichen Räume stehen unzweifelhaft vor großen und sage ganz klar: leider – wenig übrig geblieben . Statt der vielfältigen Herausforderungen . Deswegen hätten wir nötigen Grundgesetzänderung, die wir als Opposition jetzt endlich eine kohärente Strategie für die ländlichen und, glaube ich, im Übrigen auch viele Bundesländer un- Räume gebraucht, die sich nicht mehr nur auf die Land- terstützt hätten, kommt nun ein Reförmchen, das ganz wirtschaft fokussiert . Das ist der Grundfehler, den der klar macht: Was nicht der Landwirtschaft dient, kann vorliegende Gesetzentwurf leider nicht löst, obwohl Sie nach wie vor nicht gefördert werden . Die Bundesregie- es in Ihrem Koalitionsvertrag anders angekündigt haben . rung selbst hat uns noch im Mai auf eine Kleine Anfrage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geantwortet – ich zitiere –: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Maßnahmen, die gar keine Rückbindung an den Agrarbegriff erkennen lassen, sind auch mit der Wir brauchen Daseinsvorsorge; wir brauchen aber auch neuen GAK nicht förderfähig . „Dableibensvorsorge“ in unseren ländlichen Regionen . Das werden wir auf diese Art und Weise vielleicht ansatz- Sie sagten eben, Herr Minister Schmidt, Dreh- und (B) weise hinbekommen, aber der große Wurf ist das nicht . Angelpunkt bleibt die Agrarstruktur . Das wird, denke (D) ich, in der Praxis Probleme geben . Es ist meines Erach- Bei aller Wertschätzung für die Landwirtschaft sage tens dem Problem auch nicht angemessen . ich, sie verliert leider an Bedeutung für die ländlichen Regionen . Seit 1993 hat sich die Zahl der landwirtschaft- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lichen Betriebe mehr als halbiert, und die Bruttowert- Die Erweiterung der GAK, die Sie heute vornehmen, schöpfung in der Land- und Forstwirtschaft ist um knapp zeigt: Sie machen im Kern weiter allein Landwirtschafts- 20 Prozent zurückgegangen . Immer weniger Wertschöp- politik und eben keine Politik für die ländlichen Räume . fung und immer weniger Beschäftigung in der Landwirt- Sie nannten vorhin selbst die Vielschichtigkeit der Pro- schaft: Das sind die Folgen eines tiefgreifenden Struk- bleme, aber Sie betreiben weiterhin allein Landwirt- turwandels . schaftspolitik, und damit setzen Sie den Koalitionsver- Aber nicht nur das macht ländlichen Regionen zu trag eben genau nicht um . Sie vertun eine große Chance, schaffen . Genauso treffen auch andere wirtschaftliche die Förderpolitik für die ländlichen Räume neu aufzu- Veränderungen periphere ländliche Regionen hart, bei- stellen – im Übrigen zusammen mit der Landwirtschaft . spielsweise in den Kohleregionen – ich komme aus einer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) solchen Region – oder in ehemals großindustriell gepräg- ten Regionen . Diese Regionen schrumpfen vielfach öko- Die Kollegin Bluhm hat vorhin gesagt: Gut, dass nomisch, und sie schrumpfen demografisch. wir die Anhörung in dieser Woche hatten .– Dort gab es deutliche Kritik der Sachverständigen, und diese hat Wir alle wissen: Wenn die jungen Leute wegziehen, am Schluss auch etwas bewirkt . Das ist außerordentlich werden die ohnehin schon knappen finanziellen Spielräu- lobenswert . Sie haben die allergröbsten Mängel des Ge- me der Kommunen noch kleiner . Krankenhäuser werden setzentwurfes beseitigt, wie die rechtsunsichere Gebiets­ geschlossen, Ortskerne veröden, weil sich der Einzelhan- einschränkung, die doppelte und dreifache Bürokratie für del nicht mehr rentiert, und mittelständische Unterneh- die Länder bedeutet hätte, und Sie haben zumindest den men finden keine Auszubildenden und Fachkräfte mehr. Vertragsnaturschutz auch als Ziel der GAK formuliert . Das ist außerordentlich lobenswert . Die Ungleichheit zwischen den regionalen Lebensver- hältnissen nimmt zu . Deswegen können wir heute in vie- Aber ich hätte mir gewünscht, dass sich das, was Sie len Bereichen nicht mehr von der Gleichheit der Lebens- in Ihrer Entschließung fordern, von vornherein im Ge- verhältnisse sprechen . Das ist eine fatale Entwicklung; setzentwurf wiedergefunden hätte . Das Ziel der inte- es ist eine Spirale, die nach unten zieht . Hier müssen wir grierten Entwicklung, der regionalen Wertschöpfung, der den Menschen vor Ort neue Perspektiven eröffnen, und Frauenförderung, die bessere Kombinierbarkeit mit an- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18059

Markus Tressel (A) deren Fördertöpfen – die GRW haben Sie angesprochen, Westen . Meine Heimat Brandenburg hat einen hohen (C) Herr Kollege Brase – und die regelmäßige Evaluation der Anteil an ländlichen Regionen . Mittelausgaben; all dies hätte ins Gesetz gehört, weil es das Gesetz besser gemacht hätte . Sie alle kennen meine Position, und ich werde nicht müde, auch bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie wichtig eine vielschichtige Agrarstruktur ist . Durch eine unbedachte Überführung alter DDR-Strukturen in Wir brauchen eine Zukunftsperspektive für die ländli- die Marktwirtschaft und die Vernachlässigung der Fami- chen Räume, die in ihrer Unterschiedlichkeit auch unter- lienbetriebe in den 90er-Jahren verschärft sich bis heute schiedliche Voraussetzungen haben . Diese zusätzlichen die Krise zusätzlich, gerade wenn der Markt schwächelt Mittel sind ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man und geordnete Betriebsübergaben ausbleiben . Die Causa sich die Größe der Aufgabe betrachtet . Deshalb hat auch KTG sei hierfür beispielgebend erwähnt . der Sachverständigenrat im Vorfeld in seiner Stellung- nahme mehr Geld gefordert . Wir haben zwei Seiten einer Entwicklung . Die Märkte sind durch hohe Produktionsmengen deutlich übersät- Die GAK, wie sie jetzt vorliegt, beinhaltet im Kern, tigt . Die deutsche Landwirtschaft ist durchrationalisiert, was ihr Name sagt: Maßnahmen zur Verbesserung der hochleistungsorientiert, profiliert auf dem Weltmarkt und Agrarstruktur und des Küstenschutzes . Die Förderung damit ökonomisch eng mit China und Russland verzahnt . ländlicher Entwicklung bleibt in den Kinderschuhen . Doch die daraus resultierenden Wechselwirkungen ste- Das ist bedauerlich, da wäre mehr gegangen . Jetzt muss hen heute vielen Landwirten zum Teil im Weg . Die der- man, wenn man ehrlich ist, sehen: Wertvolle Zeit für zeitige Krise wird, langfristig betrachtet, tiefe Spuren in die ländlichen Räume wird wieder verstreichen, bis wir der deutschen Agrarstruktur hinterlassen . Mit einer baldi- nochmals an dieses Thema herangehen, liebe Kollegin- gen Besserung ist derzeit nicht zu rechnen . nen und Kollegen . Das ist außerordentlich schade . Wir führen hier eine strukturpolitische Diskussion . Vielen Dank . Deshalb zurück zur GAK, Gemeinschaftsaufgabe „Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ . Zusammen mit den Ländermitteln verteilen wir auf diesem Weg in diesem Jahr rund 1,2 Milliarden Euro, Vizepräsident Johannes Singhammer: eine beachtliche Summe . Mit dem Vierten Gesetz zur Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Änderung des GAK-Gesetzes setzen wir heute auf eine Hans-Georg von der Marwitz . Neuorientierung, sicherlich noch in einem sehr über- schaubaren Rahmen – da gebe ich Ihnen absolut recht –, (Beifall bei der CDU/CSU) (B) aber immerhin ist es ein Anfang . Wir brauchen alterna- (D) tive Entwicklungen für den ländlichen Raum . Mehr als Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): die Hälfte der Bevölkerung – der Herr Minister hat das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- vorhin erwähnt – lebt auf dem Land . Mit der geplanten ren! Im Zentrum des Gesetzentwurfes zur Reform der Öffnung der GAK durch die Novellierung des Gesetzes Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur schaffen wir dafür neue Voraussetzungen . Dennoch hat und des Küstenschutzes“, kurz: GAK, steht ein entschei- für mich weiterhin Priorität: der bleibende Bezug zur dender Paradigmenwechsel von gesellschaftlicher Be- Landwirtschaft in diesem Gesetz . Denn der Agrarbezug deutung, Herr Tressel . Mit diesem Gesetz erweitern wir steht im Zentrum der Gemeinschaftsaufgabe . in den engen Grenzen des Artikels 91a im Grundgesetz (Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung des den Fokus der GAK über die Landwirtschaft hinaus auf Abg . Dr .W ilhelm Priesmeier [SPD]) den ländlichen Raum . Durch die Erhöhung der Mittel wird gleichzeitig si- Wir fördern mit diesem Gesetz erstmals auch außer- chergestellt, dass die Förderung der neuen Maßnahmen landwirtschaftliche Infrastruktur – eine wichtige Maß- nicht zulasten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung nahme für unsere Gemeinden und Dörfer . In weiten Ge- der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ geht . Mir ist bieten Deutschlands ist die Landwirtschaft längst nicht wichtig, dass sich mein Berufsstand zukunftsorientiert mehr der Wirtschaftsmotor Nummer eins – von den Be- aufstellt . Wenn nicht wir Bauern den Transformations- schäftigten auf den Feldern und in den Ställen ganz zu prozess mit beeinflussen, dann werden das andere für uns schweigen . Die agrarpolitischen Diskussionen der letzten tun . Die Öffnung der GAK für andere Schwerpunkte im Monate bieten zusätzlich reichlich Anlass, über die wei- ländlichen Raum ist ein sprichwörtliches Wetterleuchten tere Entwicklung der ländlichen Räume nachzudenken . am Agrarhimmel . Wir tun klug daran, die Zeichen der Zwar prägt die Landwirtschaft optisch noch viele Re- Zeit zu deuten . gionen, doch hinter den Fassaden haben Gewerbe und (Beifall des Abg . Willi Brase [SPD]) Dienstleistungen die Urproduktion längst überholt . Unse- re Landwirte geraten nicht nur durch die Agrarmarktkrise Ich habe zu Beginn auf die derzeitige Krise verwie- immer stärker unter Druck . Unabhängig davon schreitet sen . Es ist wichtig für die Landwirte, aber auch für den der Strukturwandel weiter voran . Entleerte Dörfer und gesamten ländlichen Raum, Anreize zu schaffen für un- demografische Verwerfungen drohen. Kurzum: Teile des ternehmerisches Engagement, für Investitionen in die ländlichen Raumes stecken in der Krise – übrigens im Zukunft und nicht zuletzt für eine neue Definition hei- Osten Deutschlands wesentlich offensichtlicher als im matlicher Verbundenheit . Mein Appell geht deshalb an 18060 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Hans-Georg von der Marwitz (A) Sie alle, Verbraucher und Produzenten, Verarbeiter und demografischen Wandel betroffen sind. Insbesondere die (C) den Handel: Die Bauernschaft ist kein Berufsstand wie strukturschwachen und ländlichen Regionen benötigen jeder andere . Wir sorgen schließlich für das täglich Brot die Hilfe des Bundes, unabhängig davon, ob sie im Osten im Einklang mit dem geliehenen Gut unserer Kinder . Im oder im Westen dieser Republik sind . Wohlstand mag das wenigen von Bedeutung sein . Aber die Geschichte lehrt uns: Ist ruiniert der Bauernstand, (Beifall bei der SPD) ziehen Teuerungen übers Land . Hierfür braucht es aussagekräftige Indikatoren für De- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . mografie als Umverteilungskriterien. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese beiden Maßnahmen müssten genauso wie die GAK in das gesamtdeutsche Fördersystem für struktur- schwache Regionen ab 2020 eingebunden werden . Das Vizepräsident Johannes Singhammer: hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schon auf den Die Kollegin Petra Crone spricht jetzt für die SPD . Weg gebracht . Es soll den gesellschaftlichen Zusammen- (Beifall bei der SPD) halt in unserem Land auch nach Auslaufen des Solidar- pakts 2019 stärken . Ich kann diese Forderung nur unter- stützen . Petra Crone (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legen und Kolleginnen! Erinnern Sie sich noch an den der CDU/CSU) letzten Demografiegipfel vor knapp neun Monaten? Man Klar ist natürlich: Die Länder sind frühzeitig in die Pla- könnte fast die Frage stellen: Gibt es den demografischen nung einzubeziehen, um am Ende ein wirklich wirkungs- Wandel überhaupt noch? Ich sage: Ja, und wie! In der volles Förderregime zu haben . Politik gilt es, schnell zu reagieren, wenn ein Thema akut wird. Der demografische Wandel eignet sich dafür nicht. Ein letzter Punkt: Die große Leistung im Zusammen- Er ist – genauso wie die Globalisierung – ein stetiger Pro- hang mit dem demografischen Wandel findet in unseren zess, der die Politik auch stetig fordert . Genau deshalb Wahlkreisen statt . Vor Ort werden kreative, praxistaug- dürfen wir die Debatte nicht vernachlässigen, auch wenn liche Lösungen gesucht und gefunden – mithilfe vieler das Thema in den letzten Monaten durch viele Ereignisse Männer und Frauen, die sich für das Gemeinwohl auf in unserer Wahrnehmung weggerutscht ist . Um die de- verschiedene Weise ehrenamtlich engagieren . Ihnen gilt mografische Entwicklung besonders im ländlichen Raum mein und sicherlich auch Ihr ganz besonderer Dank . zu gestalten, müssen wir neue Wege gehen, manche Ku- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) lisse hinter uns lassen, neue, passgenaue finden und dann (D) auch den Mut haben, diese zu bauen. Darum finde ich der CDU/CSU) es richtig klasse, dass es uns mit dem Änderungsantrag Aber unsere Kommunen benötigen zur Gestaltung des der Koalitionsfraktionen gelungen ist, einen spürbaren demografischen Wandels ebenso auch hauptberufliche Schritt nach vorne zu machen . Demografiebeauftragte. Die Regierungsfraktionen haben (Beifall bei der SPD) in den vergangenen Jahren für die Rahmenbedingungen für unsere Kommunen ganz viel getan und Gelder in Wir haben im GAK-Gesetz eine Gebietskulisse ge- Milliardenhöhe bereitgestellt . Natürlich muss die kom- baut, die handhabbar ist und den Verwaltungsaufwand munale Handlungsfähigkeit auch weiterhin nachhaltig für die Bundesländer in Grenzen hält . Auf Wunsch des verbessert werden . Die Herausforderungen werden nicht Bundesrates haben wir das Gesetz verbessert, um den de- weniger. Ich nenne nur das Stichwort „Pflege“. mografischen Wandel in den ländlichen Regionen positiv gestalten zu können . Mein Wunsch an die Kommunen: Betreiben Sie eine mutige Personalpolitik, die aktiv und nicht reaktiv ist, die Aber wir können auch noch mehr tun . Zwei Vorschlä- Chancen und Potenziale des demografischen Wandels er- ge: Erstens . Die SPD forderte schon 2015, der GAK eine kennt und in Köpfe, Wissen und Herzen investiert – zum neue Gemeinschaftsaufgabe „Integration und demogra- Wohle unserer Kommunen . fischer Wandel“ zur Seite zu stellen – ohne störende Zu- ständigkeitsgrenzen zwischen Bund, Ländern und Kom- Ich danke Ihnen . munen . Deshalb müssen wir das Kooperationsverbot im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Grundgesetz noch einmal bereden .

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Johannes Singhammer: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungs- Gute Bildung für alle braucht Unterstützung und keine punkt ist die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/ Schranken . CSU . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens. Wir plädieren für einen Demografiestruk- turfonds, in den Bund und Länder gemeinsam einzah- Marlene Mortler (CDU/CSU): len . Damit können wir denjenigen Kommunen und Re- Danke schön, Herr Präsident .– Liebe Kolleginnen gionen Mittel zur Verfügung stellen, die besonders vom und Kollegen! Wir haben heute viele gute Botschaften Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18061

Marlene Mortler (A) mitgebracht . Die Erste lautet: Wir stehen zu unseren Bau- Unternehmen sind, und zwar in der Fläche; viele Hidden (C) ern und Bäuerinnen . Champions befinden sich darunter. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte abschließend noch ein paar persönliche Worte loswerden . Zweitens . Die GAK bleibt für unsere landwirtschaftli- chen Betriebe erhalten . Drittens . Wir werden die GAK Erst einmal sage ich ein herzliches Dankeschön an für alle Menschen im ländlichen Raum erweitern . Wilhelm Brase für die gute Zusammenarbeit . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Willi Brase [SPD]: Willi!) ordneten der SPD) – „Willi“, wie der Bauer Willi, jawohl .– Ich bin aus Er- Wir haben es mehrfach gehört: Es gibt nicht den länd- fahrung zutiefst überzeugt von den Menschen im ländli- lichen Raum, sondern es gibt Räume mit größeren He- chen Raum, wenn es um Solidarität, Nachbarschaftshilfe, rausforderungen, und es gibt Räume wie den bei mir in enge Netzwerke und gesellschaftliches Engagement geht . Bayern, um München, mit ganz anderen Herausforderun- Ich bin aber auch zutiefst überzeugt vom Herzstück, von gen . Ich persönlich freue mich, dass uns mit diesem Ge- der Seele des ländlichen Raumes, nämlich von unseren setz der Einstieg in einen Paradigmenwechsel gelungen Bauern und Bäuerinnen . ist . Natürlich kann man immer mehr und mehr und mehr Lieber Kollege Tressel, ich gebe Ihnen recht: Die Geld fordern, wie dies auf der ganz linken Seite dieses landwirtschaftlichen Betriebe werden zwar weniger, aber Hauses geschieht . die Bedeutung der Landwirtschaft, wenn es um Wert- Ich danke zunächst einmal allen Kolleginnen und schöpfung geht, hat zugenommen, und auch die Anzahl Kollegen, unseren Haushältern im Bund und hoffentlich der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft hat zugenom- auch in den Länderregierungen dafür, dass sie Geld frei- men – Gott sei Dank . gemacht haben bzw . freimachen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Erinnern wir uns daran, dass unsere Bauern dafür sor- gen, dass unser Tisch jeden Tag so vielfältig, so reichhal- Die Bundesländer haben es nun zusammen mit dem tig gedeckt ist . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir tut es in Bund in der Hand, innerhalb des Rahmenplans ihre Maß- der Seele weh, wenn in diesen Wochen aus Unwissen, nahmen und Prioritäten länderspezifisch und individuell aus Halbwissen oder auch mit voller Absicht unsere Bau- zu setzen . Ich bin gespannt auf viele gute Ideen und auf ern als Feindbild und als Sündenbock herhalten müssen, die Kreativität vor Ort . zuletzt beim Thema Hochwasser, als man der Meinung (B) An dieser Stelle erinnere ich mich an das Jahr 2010 . war, nur die Landwirtschaft – der Maisanbau, die Mo- (D) Damals hat das Bundesministerium unserer damaligen nokultur – sei daran schuld . Ich sage: Jede Kultur ist für Ressortchefin zum Erstaunen vieler als ers- sich eine Monokultur, egal ob man Bioanbau oder kon- tes Haus in Berlin das Breitbandförderprogramm auf den ventionellen Anbau betreibt . Der Bäcker will vielleicht Weg gebracht . Backweizen haben, und er will kein Maismehl dazwi- schen haben – oder umgekehrt . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gott sei Dank leben wir in einem Land, wo wir die vier 10 Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt . Jahreszeiten – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – Heute kann man feststellen: Wir waren Vorreiter . Das noch erleben können, und da ist das Feld unterschied- Ganze hat Schule gemacht . Inzwischen führt das zu- lich bestellt . Wenn in einer Zeit wie vor wenigen Wochen ständige Ministerium fast jeden Monat Veranstaltungen Sturzfluten vom Himmel herunterkommen, dann fragen durch, und es übergibt Breitbandförderbescheide . Diese diese Sturzfluten nicht: Ist hier Mais angebaut, oder ist Bescheide sind nahezu ein Renner, und wir waren der hier gerade eine Blumenwiese angesät worden? Sturzflu- Auslöser – klasse! ten nehmen schlicht alles mit . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gehen wir also in uns, jetzt in der Sommerpause, wer- den wir uns bewusst, wie wichtig Landwirte und Land- Wir wollen und wir können mit unserem neuen An- wirtschaft und ländlicher Raum sind, sodass wir weiter satz nicht mit anderen Förderinstrumenten konkurrieren im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und bzw . uns mit ihnen nicht kreuzen; wir können nicht al- Land kämpfen, und seien wir dankbar für jeden Bauern les fördern . Wir gehen vielmehr mit unseren Maßnah- um die Ecke! men dorthin, wo zum Beispiel die Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Ich danke Ihnen . erst gar nicht hinkommt . Das heißt, wir legen eine gute Grundlage dort, wo es keine anderen Möglichkeiten für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Leistungsfähigkeit und für Lebensqualität gibt . ordneten der SPD)

Der Minister hat es gesagt: 50 Prozent der Bürgerin- Vizepräsident Johannes Singhammer: nen und Bürger unseres Landes wohnen in Dörfern und in Damit schließe ich die Aussprache . Städten . Diese Menschen brauchen heute und in Zukunft Perspektiven . Ich erinnere daran, dass rund 40 Prozent Wir kommen zur Abstimmung über den von der aller Arbeitsplätze in wissens- und innovationsintensiven Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- 18062 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) derung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine (C) „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut- Buchholz, Dr .Alexander S . Neu, Wolfgang zes“ . Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung DIE LINKE auf Drucksache 18/9074, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf Drucksachen 18/8578 und 18/8958 in Rückholung der Bundeswehreinheiten aus der der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt dieje- Türkei nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung Drucksache 18/9028 zustimmen wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für mit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . bei Enthaltung der Fraktion der Linken angenommen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Wir kommen jetzt zur ner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion dritten Beratung Die Linke das Wort . und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei der LINKEN) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): wurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 1955 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . die Bundesrepublik Deutschland der NATO beigetre- ten . 61 Jahre NATO-Mitgliedschaft – es hat noch nie in Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf diesem Zeitraum im Bundestag eine Debatte gegeben: Drucksache 18/9074 empfiehlt der Ausschuss für Ernäh- „Wie kann man die NATO ersetzen? Wie kann man sie rung und Landwirtschaft, eine Entschließung anzuneh- abschaffen oder überwinden?“, sondern es ist immer nur men . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den diskutiert worden: Wie kann man die NATO stärken? bitte ich um ein Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wie kann man rüsten? Wie kann man aufrüsten? Wie Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit kann man NATO-Treue beweisen? – Damit wollen wir mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD, Bündnis 90/ Schluss machen . Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- nommen . (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- Wir haben mit unserem Antrag die Debatte eingelei- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- tet, die NATO durch ein ziviles kollektives Sicherheits- che 18/9102 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- system in Europa zu ersetzen . Wir möchten, dass diese trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Debatte hier im Bundestag weitergeführt wird, dass sie Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen von vor allen Dingen in der Öffentlichkeit geführt wird . Das CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion ist der Sinn unseres Antrags . Ich glaube nicht, dass Sie Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die unserem Antrag zustimmen werden; Grünen abgelehnt . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das wird auch Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b so- nicht in der Öffentlichkeit diskutiert!) wie den Zusatzpunkt 4 auf: es würde mich schon sehr überraschen . 9 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr .Alexander S . Neu, Aber Sie werden Ihren Kurs ändern, wenn immer Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und mehr Menschen in diesem Land sagen: „NATO ist nicht der Fraktion DIE LINKE Sicherheit, sondern Unsicherheit“, wenn immer mehr Menschen sagen: „Wir wollen etwas anderes als die Die NATO durch ein kollektives System NATO“, wenn die Demonstrationen größer werden . für Frieden und Sicherheit in Europa un- ter Einschluss Russlands ersetzen (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Für welche Menschen sprechen Sie denn?) Drucksache 18/8656 b) Beratung der Beschlussempfehlung und Mich wundert ein bisschen, dass Sie nicht einmal auf des Berichts des Verteidigungsausschusses einige Kolleginnen und Kollegen aus Ihren eigenen Rei- (12 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- hen, die bei Ihnen zumindest früher bedeutsam waren, ordneten Dr .Alexander S . Neu, Wolfgang hören . Also, ich bin weiß Gott kein Freund mehr von Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeord- Gerhard Schröder . Aber das, was er zu Russland sagt, ist neter und der Fraktion DIE LINKE vernünftig . Keine Verlegung von Bundeswehr-Ein- (Niels Annen [SPD]: Keiner „mehr“?) heiten nach Litauen – Ich war es einmal, ja . – Das, was er zu Russland Drucksachen 18/8608, 18/8733 sagt, finde ich sehr vernünftig. Ich bin kein Freund von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18063

Wolfgang Gehrcke (A) ­Ischinger, obwohl er die Linke an der Sicherheitskonfe- Freiheit der Bündniswahl gibt, muss es auch eine Freiheit (C) renz beteiligt hat . Aber er warnt zu Recht . geben, die Bündnisse zu verlassen . Sonst hat das Erste keinen Sinn . (Niels Annen [SPD]: Mit dem auch?) – Nein, mit dem war ich nicht befreundet .– Ich lese das, (Henning Otte [CDU/CSU]: Will aber kei- was Gernot Erler zur Sicherheit sagt . Wir diskutieren ner!) nicht in allgemeinen Zeiten über unseren Vorschlag, son- dern wir diskutieren in Zeiten, in denen eine tatsächliche, Dazu berufen, das zu entscheiden, wäre der Bundestag . akute Kriegsgefahr vorhanden ist . Und dann muss man Denken Sie einmal darüber nach! zu mutigen, neuen Schritten kommen . Ein mutiger, neuer Die NATO steht im Verdacht, an illegalen Putschen Schritt wäre, die NATO aufzulösen und eben durch ein in Europa beteiligt gewesen zu sein . Auch das hat Men- solches Sicherheitssystem zu ersetzen . Das ist das, was schen in Distanz zur NATO gebracht . Ich erinnere mit wir Linke wollen . dem Stichwort „Gladio“ – der Geheimarmee der NATO – (Beifall bei der LINKEN) an Anschläge in Italien . Ich erinnere an die Aktion Pro- metheus, an den Obristenputsch in Griechenland . Ich er- Wir wollen Frieden in Europa und außerhalb Europas . innere an solche Einrichtungen wie Stay-behind, also an Aber wir machen keinen Frieden mit der NATO . Wir NATO-Geheimarmeen, deren Existenz oder Nichtexis- waren NATO-Gegner und sind es geblieben . Das unter- tenz nie offengelegt worden ist . NATO in den einzelnen scheidet uns zum Beispiel von den Grünen . Ländern bedeutet immer eine latente Putschgefahr . (Beifall bei der LINKEN) Die NATO verschlingt ungeheuer hohe finanzielle Wir wollen in der NATO-Politik eine Kurswende . Wir Mittel . 2015 zum Beispiel beliefen sich die kollektiven wollen heraus aus der Sackgasse, wir wollen heraus aus Ausgaben auf 905 Milliarden Dollar . Zur Beseitigung Konfrontation, und wir schlagen dem Bundestag vor: von Hunger und extremer Armut in der Welt wurden Überlegen Sie doch einmal, welche Alternativen Sie nur 39 Milliarden bis 54 Milliarden Dollar ausgegeben . sehen, oder wollen Sie immer weiter in die Sackgasse Jetzt will die NATO mit der Forderung, dass jedes Land rennen? mit Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlands- (Henning Otte [CDU/CSU]: Welche Sackgas- produktes zur Finanzierung der NATO beitragen soll, se denn?) in die Steuerkassen greifen . Was Deutschland angeht, entspricht dies einer Steigerung von 35 Milliarden auf Ich nenne Ihnen ein paar Gründe . Wir können heute 60 Milliarden Euro . Das ist unverantwortlich in einer das nachholen, was beim Abschluss des Zwei-plus-Vier- (B) Zeit, in der in der Welt Hunger, Armut, Vertreibung, Not (D) Vertrages versäumt wurde . Der Warschauer Pakt ist auf- und Elend herrschen . Ich sage Ihnen: Lassen Sie uns das gelöst . Die NATO muss jetzt folgen . Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, gegen Not Lange Zeit galt die NATO in Deutschland – West – als und gegen Armut einsetzen . Damit leisten wir mehr für ein Garant von Sicherheit . Das war im Kalten Krieg . Die- den Frieden in der Welt, als wenn wir die NATO noch ses Bild des Garanten für Sicherheit hat die NATO spä- weiter aufrüsten . testens mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien verloren . Das Keinen Frieden mit der NATO, das ist es, was wir rü- war ein völkerrechtswidriger Krieg, und diesen Krieg berbringen wollen . Wir wollen die NATO ersetzen, und verantwortet die NATO . es wäre schön, wenn Sie mitmachen würden . (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank . 1999 änderte die NATO in Washington ihre Charta und definiert sich nicht mehr nur oder vorwiegend als (Beifall bei der LINKEN) Verteidigungsbündnis, sondern als Bündnis zur Durch- setzung der Interessen ihrer Mitgliedstaaten . Das ist of-

fen und vielfältig, was Interessen angeht . Nur unter dem Vizepräsident Johannes Singhammer: Vorwand, dass es ein Verteidigungsbündnis ist, durfte Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Henning Deutschland überhaupt der NATO beitreten . Denn das Otte . Grundgesetz verbietet die Beteiligung an Angriffskrie- gen, stellt sie sogar unter Strafe . Wenn also aus einem (Beifall bei der CDU/CSU) Verteidigungsbündnis ein Angriffsbündnis geworden ist, darf Deutschland nicht mehr in der NATO verbleiben, Henning Otte (CDU/CSU): sondern muss die NATO verlassen . Das ist eine Logik der Dinge . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir (Beifall bei der LINKEN) eben aus diesem Hohen Hause von diesem Rednerpult Wer heute Ja sagt zur NATO, zu NATO-Einsätzen, gehört haben, greift die Fundamente unserer Republik sagt Ja zu Kriegen und damit zu Handlungen, die außer- an . halb des Grundgesetzes stehen . (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Die Bundeskanzlerin hat davon gesprochen, dass die Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheit der Bündniswahl entscheidend ist . Wenn es eine Oh!) 18064 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Henning Otte (A) Es greift die Fundamente eines erfolgreichen Verteidi- sagen kein einziges Wort zu einem Verstoß gegen das (C) gungsbündnisses an, und es greift vor allem die Stabilität Völkerrecht . Fragen Sie doch einmal die Menschen in und den Frieden in Europa und in Deutschland an . der Ukraine, in Polen oder im Baltikum, wie es ihnen geht . Ich kann nur ganz deutlich sagen: Nachdem man (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Frithjof die Ukraine von russischer Seite aufgefordert hatte, das Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der atomare Verteidigungsmedium abzuschaffen, hat man Gehrcke will nur spielen!) die Krim offensichtlich an sich gezogen . Wir glaubten, Sie sind mit Ihrer Forderung, die NATO durch ein dass die Zeiten vorbei sind, in denen man in Europa mit neues kollektives System zu ersetzen, gar nicht auf den militärischen Mitteln Grenzen verschiebt . Insofern ist es Inhalt Ihres Antrags eingegangen, nämlich die deutschen gut, dass wir hier in Deutschland Verantwortung tragen . Soldaten aus der Türkei abzuziehen und keine multinati- Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen . onalen Truppen im Baltikum zu stationieren . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sie verhohnepipeln damit die Sorgen der baltischen Staa- Vizepräsident Johannes Singhammer: ten, Sie spielen dem IS in die Hände . Herr Kollege Otte, darf ich kurz unterbrechen? – Das ist eine lebhafte Debatte . Selbstverständlich besteht auch (Zurufe von der LINKEN) der Wunsch, Zwischenfragen zu stellen . Ich hätte aber Ich kann Ihnen nur sagen: Sie bedienen ein ideologisches die Bitte an diejenigen Kollegen, die den dringenden Kalkül, das nicht dadurch besser wird, dass Sie lauter Wunsch verspüren, eine Zwischenfrage zu stellen, sich werden . Das ist schon sehr verwunderlich nach der Re- zunächst einmal mit ihrem jeweiligen Parlamentarischen gierungserklärung unserer Bundeskanzlerin mit einer Geschäftsführer oder Ihrer Geschäftsführerin ins Beneh- großen Aussprache heute Morgen . Weil Sie kein Gehör men zu setzen und zu prüfen, ob sie diesen Wunsch wei- finden, weil Sie die Menschen nicht überzeugen, kom- terverfolgen wollen . men Sie jetzt mit einem neuen Antrag . Herr Kollege Otte, Sie haben das Wort . (Zuruf von der LINKEN: Sind Sie im Kalten Krieg stehen geblieben?) Henning Otte (CDU/CSU): Diesen lehnen wir vehement und aus Überzeugung ab . Ich hätte ohnehin eine Frage nicht zugelassen, weil ich eben feststellen musste, dass Sie offensichtlich Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ideologie entsprechend eine Rede gehalten haben, die ordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE auf die Anträge, die Sie hier im Deutschen Bundestag (B) LINKE]: Es hätte mich gewundert, wenn Sie gestellt haben, gar nicht mehr eingegangen ist, sondern (D) zustimmen würden! – Zuruf von der LIN- ausschließlich Ihre Programmatik abgebildet hat . KEN: Kalter Krieger!) Ich komme zum zweiten Antrag, nämlich keine deut- Würden wir Ihrem Antrag folgen, dann würden wir schen Soldaten nach Litauen zu verlegen . Es geht hier Instabilität erzeugen . Dahinter steckt offensichtlich ein darum, dass die NATO eine Initiative ergreifen will, mul- Kalkül, das seinen Ausdruck auch darin findet, dass Sie tinationale Kräfte in Litauen, in Estland, in Lettland und ein zerrüttetes Verhältnis zu den Strukturen haben . Wir in Polen zu stationieren, um die Sorgen der Menschen im leben in einem wiedervereinigten Deutschland mit fried- Baltikum aufzunehmen . Die Sorgen sind darauf begrün- lichen Nachbarn . Deutschland geht es gut . All das wollen det, dass an der Grenze massive Truppenbewegungen auf Sie in Zweifel ziehen, als sei es nicht gut für unser Land russischer Seite vollzogen werden . Wir alle haben ja das und unsere Bürgerinnen und Bürger . Auch heute Morgen Kalkül der hybriden Kriegsführung in der Ukraine noch war dies so, als Ihre Vorsitzende hier gesprochen hat . Im in den Ohren und im Sinn . Es geht ausschließlich darum, Grunde genommen bedienen Sie damit eine AfD-Klien- ein Bataillon zu stationieren, das rotiert und vom Perso- tel . nalumfang der NATO-Russland-Akte entspricht: zwei Kompanien multinational, eine Host-Nation-, also eine (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sonst fällt Ih- einheimische, Kompanie, eine Einsatzkompanie und eine nen ja nichts mehr ein!) Ausbildungskompanie . Ich finde sowohl Ihre Zwischenrufe als auch das La- Ich kann nach den Erfahrungen, die wir als friedliche chen, das Sie offensichtlich auf Ihren Lippen tragen, der Völkergemeinschaft in der Ukraine machen mussten, nur sicherheitspolitischen Lage und der Sorge der Menschen sagen: Ich halte diese Sorgen für berechtigt, und ich halte nicht angemessen . Die Bundeskanzlerin hat heute eine es vor allem für verantwortungsvoll und auch notwen- Regierungserklärung zum NATO-Gipfel abgegeben . Sie dig, den baltischen Staaten beizustehen, aus der Über- wollen die NATO ersetzen . Die NATO war eine wich- zeugung der Bündnisfähigkeit, auch aus den Erfahrungen tige Säule für die Wiedervereinigung Deutschlands und Deutschlands, als wir uns Sorgen um unser Land mach- ein Pfeiler der Dialogbereitschaft . Die NATO-Russ- ten, und auch aus Überzeugung für eine friedliebende land-Grundakte war ein gutes Modell, ein gutes Medi- Zukunft . um, um miteinander die großen Probleme dieser Welt zu lösen . Hier bin ich bei Ihrem dritten Antrag, den Sie offen- sichtlich vergessen hatten hier vorzutragen . Leider ist diese NATO-Russland-Grundakte einseitig aufgekündigt worden durch die Annexion der Krim . Sie (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, lesen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18065

Henning Otte (A) Darin fordern Sie, wir sollen die deutschen Soldaten aus 80er, dass man dagegen eigentlich gar nichts mehr sagen (C) der Türkei abziehen . Wir machen uns Sorgen über die kann . innenpolitische Lage in der Türkei . Wir sprechen mit Op- positionskräften . Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Sag haben ein übergeordnetes Ziel, nämlich dass wir gemein- doch einmal Deine Position! Alles verges- sam gegen den unbarmherzigen IS-Terror vorgehen und sen? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir dass wir gemeinsam militärisch dafür sorgen, dass sich sind überhaupt nicht nostalgisch!) dieses menschenverachtende System dort nicht etabliert . Aber eines sollten Sie sich doch klarmachen: Ein Bünd- nis wie die NATO ist ein Mittel auch gegen nationale Al- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – leingänge . Zurufe von der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben auch den Anspruch, meine Damen und Her- und bei der SPD) ren, dass wir als Parlament unsere Soldatinnen und Sol- daten dort besuchen . Das werden wir Ende September, Um es vielleicht Wolfgang-Gehrcke-gerecht zu formulie- Anfang Oktober wahrnehmen . Wir sind vor allem unse- ren – der erste NATO-Generalsekretär hat das Bündnis rer Ministerin dankbar, dass sie spontan und resolut un- einmal so definiert –: to keep the Russians out, to keep sere Soldatinnen und Soldaten besucht hat . the Americans in, and to keep the Germans down .– We- nigstens das Letzte solltest Du doch verstehen, Wolfgang . (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Und Sie?) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Über das Letzte kann man sich ja einigen!) Wir wollen Stabilität und Sicherheit in Ländern er- zeugen, damit sie selbst in die Lage versetzt werden, für Es kommt eine andere Geschichte hinzu – hier glei- Sicherheit zu sorgen, chen sich die Brüder zur Linken und die schwarzen Brüder zur Rechten –, nämlich eine mehr oder weniger (Zurufe von der LINKEN) klammheimliche Gleichsetzung des heutigen Russlands mit der Sowjetunion. Ich finde, darüber sollte man noch damit sich die Menschen nicht als Flüchtlinge aufmachen einmal nachdenken . Die alte Sowjetunion hat in ihrem müssen, damit sich die Menschen nicht in die Hände von Herrschaftsbereich brutal mit Panzern jeden Versuch Schlepperbanden begeben . Deswegen ist es gut, dass die der Demokratie niederkartätscht . Aber sie hat nicht die NATO einen Einsatz fährt, und zwar zwischen Griechen- Nachkriegsordnung nach Jalta infrage gestellt . land und der Türkei, um die Schlepperstrukturen auf- fliegen zu lassen, um sie auch ein wenig zu zerstören, Was hat Russland gemacht? Es verhält sich anders . (B) damit Menschen nicht getrieben werden, sich in illegale Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der (D) Schlepperhände zu begeben . Krim und dem Vorgehen in der Ostukraine die europä- ische Sicherheitsarchitektur nach 1990 infrage gestellt . Meine Damen und Herren, denken Sie immer auch an die Terrorangriffe in der Türkei . Wir stehen ein für Bünd- (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das nisfähigkeit, für Verlässlichkeit, für Frieden und Freiheit stimmt doch nicht, Herr Trittin! – Weiterer Zu- und auch für Menschlichkeit . Deswegen lehnen wir all ruf von der LINKEN: Geschichtsklitterung!) Ihre Anträge ab . Russland hat das infrage gestellt, was die Sowjetunion Danke schön . selber vereinbart hat, und hat die eigenen Prinzipien als Garantiemacht des Budapester Abkommens mit Füßen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- getreten . ordneten der SPD – Niema Movassat [DIE LINKE]: Also so eine unseriöse Rede!) (Rainer Arnold [SPD]: Sehr richtig!) Das ist der Grund, warum wir heute über Rückversiche- Vizepräsident Johannes Singhammer: rung reden müssen und auch dementsprechend handeln müssen . Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CDU/CSU – Henning Otte [CDU/CSU]: Da geben wir Ihnen recht! – Zuruf von der LIN- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man KEN: Jugoslawien-Krieg!) Herrn Gehrcke und Herrn Otte hier so zuhört: Ja, das ist ja so wie früher; das ist ja déjà vu . Dann gibt es auch die Nostalgie auf der anderen Seite . Morgen beginnt ja der NATO-Gipfel in Warschau . Wenn (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man sich anschaut, was da vorbereitet ist, dann sieht NEN sowie bei Abgeordneten der SPD) man: Da will man mit den Mitteln des 20 .Jahrhunderts Es gibt offensichtlich eine Nostalgie zur Linken wie zur die Herausforderungen des 21 . Jahrhunderts bewältigen . Rechten in diesem Haus . Herr Stoltenberg formuliert das so: „…wir bewegen uns von der Rückversicherung zur Abschreckung “. Er hät- Beginnen wir mit der Nostalgie der Linken: raus aus te auch sagen können: Wir bewegen uns zurück in den der NATO, rein ins Vergnügen – das ist so etwas von Kalten Krieg .– Wolfgang Schäuble will, anders als der 18066 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Jürgen Trittin (A) Außenminister, sogar zurück zum Harmel Report von reit zu sein, endlich die Zusagen in der Entwicklungszu- (C) 1967 . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist so was sammenarbeit zu erfüllen statt aufzurüsten . von 60er; da würde ich Ihnen empfehlen: Schauen Sie sich noch mal Eins, Zwei, Drei von Billy Wilder an . Dann (Henning Otte [CDU/CSU]: Was sagen Sie wissen Sie, in welcher Zeit Sie gelandet sind . den Peschmerga?) (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das hieße, tatsächlich einen Schritt zu machen, um die SES 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abzuzie- CSU]: Jetzt werden Sie klischeehaft!) hen . Es wäre klug, auch die konventionelle Rüstungs- kontrolle wiederzubeleben . Nur so, auf einer solchen Zurück in den Kalten Krieg – das kann doch nicht ernst- Basis und im Bündnis der NATO, kann man tatsächlich haft die Lösung sein . Frieden und Sicherheit in Europa sichern . Alles andere ist Nostalgie . Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen gesagt, dass sie die 25 Milliarden Euro, die sie nicht für die Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wicklungshilfe zur Verfügung stellt, in die Nachrüstung Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt habe stecken möchte . Gibt es eigentlich einen Nachrüstungs- ich das so verstanden, dass du uns zustimmst!) bedarf? Die NATO gibt für Verteidigungsaufgaben 900 Milliarden US-Dollar aus, die Russen 90 Milliarden . Vizepräsident Johannes Singhammer: Die NATO-Staaten ohne die USA geben dreimal so viel Nächster Redner ist für die SPD der Kollege Niels aus wie Russland . Selbst wenn man die Kategorien des Annen . Kalten Krieges zugrunde legt, gibt es keinen Nachrüs- tungsbedarf . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber es ist noch viel schlimmer: Das, was da jetzt pas- siert, geht an den aktuellen Herausforderungen vorbei . Panzer, Herr Otte, taugen nicht zur Bewältigung einer Niels Annen (SPD): Situation der hybriden Kriegsführung . Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Ich gebe zu, es ist mir schwergefallen, aber ich habe (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Taugen mir Ihren Antrag mal genauer angeschaut . Vielleicht sowieso nichts!) sollte man sich die Zeit nehmen, sich bei den ganzen Staatszerfall bekämpft man doch nicht mit einer Rake- Schaumschlägereien, die Sie hier veranstalten, einmal tenabwehr . Und Terroristen lassen sich übrigens nicht anzuschauen, was Sie wirklich aufgeschrieben haben . (B) abschrecken, Selbstmordattentäter schon gar nicht . Das Sie schreiben – Zitat –: (D) alles wird nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern nur Der entspannungspolitische Aufbruch, der sich 1990 zu höheren Geldausgaben . mit dem Ende der Systemkonfrontation … verband, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist vor allem durch das Agieren der NATO-Staaten und bei der LINKEN) und der NATO-Administration der globalen Restau- ration einer militärischen Logik gewichen . Es droht eine Eskalationsspirale . (Zuruf von der LINKEN: Ja!) Die NATO verspricht, sie wolle Stabilität . Aber das wird es mit einem Ansatz, der sich auf Abschreckung Das erinnert mich ein bisschen an Facebook-Posts, die reduziert, nicht geben . Wir brauchen eine glaubwürdige man ab und zu auf seiner Seite findet. Politik des Dialogs und der Entspannung . (Niema Movassat [DIE LINKE]: Kluge (Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE Posts!) LINKE]) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Lin- Und das hat nichts mit Naivität zu tun . Gerade in schwie- ken, Sie verlieren kein einziges Wort darüber, wer das rigen Zeiten ist Dialogfähigkeit die Grundvoraussetzung Völkerrecht und damit, wie Kollege Trittin zu Recht für eine kluge Interessenvertretung . gesagt hat, die Nachkriegsordnung, auf die man sich ja auch vertraglich verständigt hat, infrage gestellt hat . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Wilfried Lorenz (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Sie [CDU/CSU]: Das widerspricht dem doch spinnen nur an einer Legende! – Weiterer Zu- nicht!) ruf von der LINKEN: Was war denn 1990?) Insofern glaube ich, es wäre klug, an der NATO-Russ- Sie wollen uns und der Öffentlichkeit mit Ihrem Antrag land-Akte festzuhalten . Das hieße, bei allen Rückversi- weismachen, dass es sozusagen umgekehrt war, dass es cherungsmaßnahmen keine substanziellen Truppen in quasi die NATO gewesen sei, die für die gegenwärtigen Osteuropa zu stationieren . Das ist bei unseren Bünd- Spannungen in Europa verantwortlich sei . nispartnern im Osten schwer umstritten . Das hieße zum (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr rich- Beispiel, den Einsatz des überflüssig gewordenen Rake- tig!) tenschilds zu stoppen . Das hieße zum Beispiel, sich klar dafür auszusprechen, keine Waffen in Krisenregionen, Weil das wirklich absurd ist, habe ich noch eine zweite auch nicht in die Ukraine, zu schicken . Und es hieße, be- Textstelle herausgesucht . Ich zitiere: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18067

Niels Annen (A) Von Afghanistan über Irak bis Libyen und der Uk- Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine (C) raine übte die kollektive militärische Logik der Fraktion, die SPD-Fraktion, hat am Dienstag ein Posi- Kommandostruktur der NATO auf die Bundes- tionspapier beschlossen, in dem wir den Grundsatz von republik Deutschland regelmäßig einen Druck in Rückversicherung, auch Abschreckung, aber auch Dia- Richtung Krieg und militärische Eskalation aus und log betonen . Das sind die Grundelemente der Politik in nicht etwa dem entgegen . der NATO . Es ist richtig, dass es im Bündnis sehr unter- schiedliche Bedrohungswahrnehmungen gibt . Die muss Da fragt man sich – wobei ich, wenn ich mir Sie so an- man nicht immer teilen . Ich halte vieles von dem, was schaue, den Eindruck habe, Sie glauben das wirklich –: von meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen aus Was bitte schön ist eigentlich die NATO-Administrati- on – das klingt ja so ein bisschen, als ob es in Brüssel so dem Baltikum, manchmal auch in NATO-Foren, wahr- eine Art Weißes Haus geben würde –, die diesen Druck scheinlich auch in wenigen Stunden in Warschau gesagt ausübt? wird, nicht immer für plausibel . Aber klar ist doch: Auch unsere Sicherheit ist durch die Solidarität dieses Bünd- Meine Damen und Herren, Sie müssen es nicht richtig nisses mit garantiert worden . Das bedeutet doch: Wir finden, dass wir Mitglied dieses Bündnisses sind. Es hat müssen eine Haltung entwickeln, Sorgen und Ängste, die inzwischen auch der Letzte in diesem Haus verstanden, ja begründet sind, ernst zu nehmen, sonst wird das ge- dass Sie aus der NATO austreten und die Organisation samte Bündnis nicht funktionieren . Deswegen bekennen auflösen wollen. wir uns zur Rückversicherung, aber eben auch zu dem Dialogelement; darüber haben wir heute Morgen anläss- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr rich- lich der Regierungserklärung ja schon diskutiert . tig!) Das können Sie jedes Mal wiederholen . Die Botschaft Angesichts dessen, was Sie hier vortragen, ist es, wie ist angekommen, aber die Mehrheit ist anderer Meinung . ich finde, schon der richtige Ort, um darauf hinzuweisen: Sie haben die Dimension dessen, was die russische Poli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der tik in den letzten Monaten und Jahren vorangetrieben hat, CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: mit keinem Wort erwähnt, weder in Ihrem Papier noch Trotzdem werden wir es immer wieder sagen!) in Ihren Debattenbeiträgen . Die Mobilisierungsfähigkeit Trotzdem, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- der russischen Armee, etwa die Fähigkeit zur schnellen gen der Linken, müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen: Verlegung von 30 000 bis 40 000 Soldaten an die Grenze Es gibt nicht die NATO . Die Mitgliedstaaten bilden die der Ukraine, und Alarmübungen der russischen Armee NATO . Es gibt einen demokratischen Willensbildungs- mit bis zu 100 000 Soldaten (B) prozess . (D) (Henning Otte [CDU/CSU]: Unangemeldet!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagen haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Das finde ich hoch- Sie mal den USA!) interessant für eine linke Partei . Auch das, was wir in- zwischen hybride Fähigkeiten nennen, inklusive der Ich kann an dieser Stelle natürlich darauf hinweisen – Einmischung in einen Fall, den wir alle als den Fall des das tue ich übrigens auch sehr gerne –, dass es genau über Mädchens Lisa kennen, wird von Ihnen mit keinem Wort die Frage der Bewaffnung und der Zurverfügungstellung erwähnt . Auch die Unterstützung von rechtspopulisti- von Waffen für die ukrainische Armee einen Disput ge- schen, antieuropäischen und antidemokratischen Partei- geben hat . Das ist übrigens ein Kennzeichen einer demo- en und Bewegungen findet keine Erwähnung. Deswegen kratischen Diskussionskultur in einem demokratischen Bündnis . frage ich mich, ob wir hier letztendlich noch auf einer rationalen Ebene diskutieren oder nicht . (Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Sehr richtig!) Ich bin übrigens nach wie vor der festen Überzeugung, Ich darf Ihnen ein Geheimnis verraten: Die Position der dass die NATO, auch wenn nicht alles, was die NATO in Bundesregierung, die von meiner Fraktion immer unter- den letzten Jahren an Strategien formuliert und an Politik stützt worden ist, nämlich keine Waffen zu liefern, son- gemacht hat, immer zutreffend war, das einzige Bündnis dern auf einen politischen Prozess zu setzen – den Sie ist, das nicht nur unsere Sicherheit gewährleistet, sondern übrigens abgelehnt haben –, zu dem auch die Sanktionen es uns auch möglich macht, in einem demokratischen gehören, hat sich innerhalb der NATO durchgesetzt . Das Staatenbund unsere Interessen zu vertreten, ohne dass könnten Sie ja mal zur Kenntnis nehmen, haben Sie je- die alten Ängste und Sorgen vor deutscher Macht oder doch nicht getan . Übermacht in Europa wieder latent artikuliert werden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es! Das ist historisch Man kann diese Debatte führen . Aber es wäre ange- wichtig!) messen gewesen, wie ich finde, die Kräfte – unseren Au- ßenminister und die Bundeskanzlerin, die ich ausdrück- Deswegen ist die NATO am Ende auch ein Friedenspro- lich einschließe –, die sich für die diplomatische Lösung jekt . starkgemacht haben, zu unterstützen, statt der gesamten Bundesregierung Kriegstreiberei vorzuwerfen . (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) 18068 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Niels Annen (A) Aber das, Herr Gehrcke, haben Sie und Ihre Kolleginnen land und dem Westen wünschen . Eine Partnerschaft mit (C) und Kollegen da drüben noch nie verstanden . Russland und ein konstruktives Verhältnis sind wichtiger denn je . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Ball liegt aber im Feld der Russen und nicht auf un- Der Kollege Ingo Gädechens spricht als Nächster für serer Seite . die CDU/CSU . (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Immer falsch!) Ingo Gädechens (CDU/CSU): Wir können und werden unsere Prinzipien nicht über Bord Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! werfen . Ich kann daher die Russland- und Putin-V­ ersteher Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Niels Annen, in der Fraktion Die Linke nicht verstehen . Sie sollten mal das ist in der Tat keine rationale Ebene, auf der wir hier ihre sehr selektive Wahrnehmung dessen, was gerade in diskutieren . Wenn man sich die Mühe macht und sich Osteuropa vonstattengeht, ernsthaft überprüfen . die Anträge gründlich durchliest – ich vermute, die Kol- leginnen und Kollegen von der Linken haben das nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Alexander S . getan –, stellt man fest, dass es sich wahrlich um kei- Neu [DIE LINKE]: Und das, was in der Tür- ne rationale Ebene handelt . Vielmehr drängt sich mir kei vonstattengeht!) mehr und mehr der Eindruck auf, dass zum wiederholten Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, was Male diese Anträge nur in die linke Fraktion, in das linke mich an diesen Anträgen richtig ärgert, ist, wie hier ideo- Wählerklientel hineinwirken sollen . Sie von der Linken logisch verbrämt Fakten und Tatsachen nach Belieben merken ja, dass es hier keine demokratisch legitimierte verdreht werden, und zwar so lange, bis es endlich in Mehrheit für Ihre Anträge gibt, und das wird hoffentlich Ihre linke Weltanschauung passt . Die in Ihren Anträgen auch in Zukunft so bleiben . formulierten einseitigen Behauptungen sind so abenteu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) erlich und grotesk, dass dies nicht nur eine Beleidigung für das deutsche Parlament darstellt, sondern auch für die Meine sehr verehrten Damen und Herren, für mich deutschen Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst für sieht sinnvolle Oppositionsarbeit wahrlich anders aus . unser Land und damit auch für Sie verrichten, meine sehr Aber gut, die Fraktion Die Linke möchte darüber dis- verehrten Damen und Herren . kutieren, dass Bundeswehreinheiten nicht ins Baltikum (B) verlegt werden . Darüber hinaus möchte diese Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der (D) einsam und allein so ganz nebenbei die NATO auflösen. LINKEN) Man könnte über diese Anträge schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre . Man muss schon sehr in seinem eigenen ideologischen Saft schmoren, um auf solch abstruse Ideen zu kommen, (Henning Otte [CDU/CSU]: Aber wirklich!) dass man der NATO und der Bundeswehr unterstellt, sie Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik ist seit seien an allem Grundübel der Welt schuld, würden Völ- jeher eingebettet in ein System kollektiver Sicherheit . kerrecht brechen und für eine Eskalation in Osteuropa Wir agieren nie alleine, sondern immer im Einklang mit sorgen . unseren Partnern . Wir organisieren unsere Sicherheit in (Zuruf von der LINKEN: Tun sie doch!) einem gewachsenen Vertrauensverhältnis mit unseren Verbündeten in Europa und im transatlantischen Bünd- Genauso abwegig sind Ihre daraus abgeleiteten Forde- nis. Dieses Bündnis, welches Sie auflösen möchten, ist rungen, die nichts anderes bedeuten, als einseitig die viel mehr als eine reine militärische Partnerschaft . Es ist NATO zu verlassen . eine Wertegemeinschaft, ein Pakt freier Staaten, von De- mokratien, die an Rechtsstaatlichkeit und die Unverletz- Es ist aus gutem Grund – auch vor dem Hintergrund lichkeit der Grenzen souveräner Staaten glauben . unserer Geschichte – deutsche Staatsräson, keine Son- derwege zu beschreiten . Wir agieren nicht allein – ich (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Liebich sage es noch einmal –, sondern stets mit unseren Verbün- [DIE LINKE]: Ich sage nur Türkei! Tolle De- deten, mit unseren Partnern in einem Bündnis . In einem mokratie! Sagen Sie mal was zur Türkei!) Bündnis hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflich- Anhand dieser Beschreibung sollte es Ihnen einleuch- ten . Die Linke scheint das allerdings nicht zu begreifen . ten, dass mit einem wie auch immer gearteten Bünd- Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, halte nis mit einem Staat, der sich um diese Prinzipien nicht ich diese Debatte zu den Anträgen der Linken für über- schert, kein System kollektiver Sicherheit aufgebaut wer- flüssig und für eine Verschwendung wertvoller Debatten- den kann . zeit . Es ist nicht an der Union, den ideologisch aufgela- (Zuruf der Abg . Karin Binder [DIE LINKE]) denen Abgeordneten der Linken im Plenum Nachhilfe in Außen- und Sicherheitspolitik zu geben . Ich glaube, jeder hier im Plenum – das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht – würde (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber wir sich eine Entspannung des Verhältnisses zwischen Russ- sind dafür immer dankbar!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18069

Ingo Gädechens (A) Ich würde es ja tun, wenn ich die Hoffnung hätte, dass fel beschließen, dass NATO-Truppen in der Stärke von (C) gute Argumente bei Ihnen auf fruchtbaren Boden fielen. 4 Bataillonen, also etwa 4 000 Soldaten rotierend – also keines davon dauerhaft –, im Baltikum Präsenz zeigen (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Dann werden . müssen Sie mal kommen! Wir warten darauf!) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist doch Bei Ihnen sehe ich sicherheits- und außenpolitisch nur ein Trick!) Wüste; da wächst kein vernünftiges Pflänzchen. In die- sem Sinne werden wir die Anträge auch ablehnen . Diese Maßnahmen verletzen nicht den Grundlagen- vertrag, der die Beziehungen der NATO zu Russland de- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . finiert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Zuruf von der LINKEN: Allerdings!) In ihrem Gesamtumfang entsprechen sie noch nicht ein- Vizepräsident Johannes Singhammer: mal ansatzweise der Truppenstärke und der Kampfkraft Nächster Redner ist Kollege Fritz Felgentreu von der der Russländischen Armee in der Region . Aber zugleich SPD . lassen sie keine Zweifel mehr daran zu, dass ein Angriff auf das Baltikum auch ein Angriff auf das ganze Bünd- (Beifall bei der SPD) nis wäre . So erfüllen sie ihren verteidigungspolitischen Zweck, nämlich Rückversicherung der Bündnispartner Dr. Fritz Felgentreu (SPD): und Abschreckung einer potenziellen Bedrohung . Ist Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Dis- das jetzt eine Eskalation, wie die Linke in ihrem Antrag kussionen über die Rolle der NATO im Baltikum höre schreibt? Jedenfalls ist es aus verteidigungspolitischer ich oft die Frage – ich glaube, bei der Aussprache zur Sicht das Minimum dessen, was nötig ist, damit in einer Regierungserklärung heute Morgen hat sie auch Frau gefährlicher gewordenen Welt die Menschen im Balti- Wagenknecht gestellt –: Glauben Sie denn ernsthaft, dass kum darauf vertrauen können, dass ihr Bündnis sie auch Russland die NATO angreifen will? Diese Frage beruht wirklich schützt . auf einem großen Missverständnis; denn seriöse Vertei- Die Linke fordert nun, dass sich Deutschland an dieser digungspolitik – im Unterschied auch zur Außenpolitik – Gemeinschaftsaufgabe nicht beteiligen soll . Ihr Hauptar- fragt erst einmal nicht nach Absichten . Absichten können gument in der Begründung ihres Antrags ist die histori- sich ändern . Verteidigungspolitik fragt vielmehr nach sche Verantwortung Deutschlands für den Überfall auf Fähigkeiten . Es sind die Fähigkeiten, anhand derer wir die Sowjetunion vor 75 Jahren . (B) potenzielle Bedrohungen abschätzen . (D) (Zuruf von der LINKEN: Auch!) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es wird nach beidem gefragt!) Meine Damen und Herren, ich kann die Forderung, dass wir sensibel mit der historischen Erfahrung der ehema- Wenn wir deshalb fragen „Müssen wir zur Kenntnis ligen Sowjetunion umgehen, durchaus nachvollziehen . nehmen, dass Russland das Baltikum angreifen kann?“, Wer Russland kennt, weiß, wie viel Raum die Erinne- müssen wir die Antwort geben: Ja, so ist es . rung an den sogenannten Großen Vaterländischen Krieg Die Armee der Russländischen Föderation hat mehr- in den Herzen der Menschen einnimmt . Auch deshalb fach in großen Manövern geübt, Truppen mit einer Stär- hat die SPD-Fraktion die Bundesregierung immer darin ke von bis zu 100 000 Soldaten schnell zum Einsatz zu unterstützt, am NATO-Russland-Grundlagenvertrag fest- bringen, und sie hat das auch in unmittelbarer Nachbar- zuhalten . Wir haben eine klare Haltung gegenüber der schaft zu Litauen getan . Und Russland hat in der Ukraine aggressiven Politik Moskaus einerseits, aber wir wollen gezeigt, dass es bereit ist, militärische Gewalt einzuset- diese klare Haltung auch immer mit der Suche nach Dia- zen, um seine politischen Ziele zu erreichen, auch unter log, Vertrauensbildung und Abrüstung verbinden . Verletzung von Verträgen, die es selber unterzeichnet hat . (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) DIE GRÜNEN]: Und der Krieg fand auf rus- sischem, ukrainischem und belarussischem Das sind schlichte Tatsachen, Tatsachen, die dazu füh- Boden statt!) ren, dass wir die militärische Bedrohung des Baltikums heute seriöserweise anders beurteilen müssen als vor fünf Es stimmt doch, liebe Genossinnen und Genossen – – Jahren . Liebe Kolleginnen und Kollegen – jetzt ist die Parteitags- rhetorik mit mir durchgegangen –, es stimmt doch, die Die NATO hat auf diese veränderte Bedrohung maß- Menschen in Russland, Weißrussland und der Ukraine voll, aber entschieden reagiert . Sie hat die sogenannte sind von ihren historischen Erfahrungen geprägt . Speerspitze (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ (Zuruf von der LINKEN: Speerspitze!) DIE GRÜNEN]: Genau!) aufgebaut, eine schnell über weite Strecken verlegba- Aber das Gleiche gilt doch auch für die Menschen in Po- re Kampfeinheit von 5 000 Mann . Sie führt Manöver len, Litauen, Lettland und Estland . durch, um die Einsatzbereitschaft der Bündnisarmeen zu verbessern, und sie wird auf dem Warschauer Gip- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, klar!) 18070 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Fritz Felgentreu (A) Die Menschen dort haben auch die Vorgeschichte des kaum noch zu überbieten . Das Gleiche gilt auch für die (C) Überfalls auf die Sowjetunion nicht vergessen . Sie erin- heutige Rede der Fraktionsvorsitzenden der Linken . nern sich nur zu gut an den Hitler-Stalin-Pakt, mit dem Deutschland ihre Großeltern und Urgroßeltern 1939 dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . sowjetischen Imperialismus ausgeliefert hat . Rainer Arnold [SPD]) (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Was hat die Linke nicht schon alles gefordert? Ableh- DIE GRÜNEN]: Genau!) nung von Einsätzen generell – diese werden jetzt zum Teil sogar gerichtlich angefochten –, dann die Abschaf- Nichts beunruhigt die Menschen dort mehr als die Vor- fung der Bundeswehr und jetzt noch die Abschaffung der stellung, dass sich Deutschland und Russland über ihre NATO . Als ob man ein Wertebündnis, in dem sich Staa- Köpfe hinweg die Hände reichen . ten für Frieden, Freiheit und Demokratie zusammenge- schlossen haben, so einfach wegwischen könnte . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Henning Otte [CDU/CSU]: Wahnsinn!) Sensibel mit diesen historischen Erfahrungen umzu- Die NATO ist eben mehr als nur ein Verteidigungsbünd- gehen, bedeutet deshalb auch, die Sorgen der kleineren nis! Länder ernst zu nehmen, über deren Interessen wir uns im letzten Jahrhundert brutal und kaltschnäuzig hinweg- Kann man eigentlich weiter entfernt sein von der Re- gesetzt haben . alität als die Autoren dieser drei Anträge, weiter entfernt sein von den immer komplexeren sicherheitspolitischen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Deswegen Bedrohungen, denen sich die internationale Staatenge- müssen wir aber keine Truppen schicken!) meinschaft insgesamt und damit auch Deutschland stel- Dazu sind wir Deutschen umso mehr verpflichtet, weil len muss? Die Antwort ist für uns ziemlich klar: Natür- wir heute mit ihnen verbündet sind . lich nein . Politik beginnt nun einmal mit der Betrachtung der Wirklichkeit . Davon sind Sie, Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legen der Linken, Lichtjahre entfernt . der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wo stehen wir wirklich? Wir haben es in Mittel- und Osteuropa mit einer konkreten Gefährdungslage zu tun, Ich komme zum Schluss . Nicht nur aus verteidigungs- die viele in ihrer Dimension an Zeiten des letzten Jahr- politischer Vernunft, sondern auch aus historischer Ver- hunderts erinnert . Zu Zeiten der Ost-West-Konfrontati- antwortung ist es richtig, dass sich Deutschland an den on – auch daran darf man einmal erinnern – kam es im (B) geplanten Maßnahmen der NATO beteiligt . Zur guten europäischen Raum nicht zu militärischen Auseinander- (D) Tradition deutscher Ostpolitik gehörte neben Dialog und setzungen . Vertrauensbildung auch immer das unverrückbare Be- kenntnis zum westlichen Bündnis . Die Bundesrepublik (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, Gott hat deutschen Sonderwegen ein für alle Mal abgeschwo- sei Dank! Hätten wir nicht überlebt!) ren . Dabei soll es auch bleiben . Glaubwürdige Abschreckung und das Gleichgewicht der Danke schön . Kräfte taten ihre Wirkung . Heute werden Grenzen ver- letzt und Souveränitätsfragen einfach beiseitegeschoben . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Da ist GRÜNEN) die NATO beispielgebend!) Russland hat sich völkerrechtswidrig der Krim be- Vizepräsident Johannes Singhammer: mächtigt und eine Maschinerie hybrider Kriegsführung Schlussredner in dieser Aussprache ist der Kollege in noch nie dagewesenem Ausmaß in Gang gesetzt . Der Wilfried Lorenz für die CDU/CSU . Machtanspruch des Kreml, bemäntelt als Schutzan- spruch, der sich auf alle russischen Landsleute über das (Beifall bei der CDU/CSU) Baltikum hinaus bis hin zu deutschstämmigen Aussied- lern bei uns erstreckt, ist noch wesentlich weniger hin- Wilfried Lorenz (CDU/CSU): zunehmen; denn dieser Anspruch birgt weiteres Gefah- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! renpotenzial . Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Das, was Bei meiner Reise nach Litauen vor nicht allzu langer ich zu den Anträgen zu sagen haben, kann ich – ich muss Zeit, im Juni, konnte ich mich selbst davon überzeugen, ehrlich sagen, dass ich da immer noch ein bisschen unter dass sich die Menschen vor Ort massiv bedroht fühlen . dem Eindruck der Rede der Fraktionsvorsitzenden der Sie haben mit Blick auf die Grenze zu Kaliningrad auch Linken stehe – allen Grund dazu . Es wird ja oft gesagt, Litauen habe kei- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Kann nie ne Grenze zu Russland . Das mag zwar auf den südlichen schaden!) Teil zutreffen, aber es hat eine Grenze zu Kaliningrad . Dazu Folgendes: eigentlich relativ schnell zusammenfassen . Insofern nur so viel zu den Anträgen: An Absurdität sind diese Texte, Erstens. Dort befindet sich das größte russische Mili- die in einer langen Reihe unsäglicher Elaborate stehen, tärlager, und auf dem Luft- und Seeweg kann Russland in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18071

Wilfried Lorenz (A) kürzester Zeit einen Personalaufwuchs durchführen, und heitlich-demokratisch . Was Sie hingegen fordern, bringt (C) dies wird auch permanent geübt . unserem Land nur Unsicherheit, nämlich die Auflösung der Strukturen, die die Sicherheit Deutschlands schon Zweitens . Der Kreml hat in Kaliningrad schon vor viele Jahre zuverlässig garantiert haben . zwei Jahren mittelstreckenfähige Iskander-Raketen stati- oniert. Das ist, wie wir finden, ein eindeutig aggressiver Ich komme zum Schluss: Solange Aggressoren nur Akt, der dem INF-Vertrag zuwiderlaufen dürfte . durch glaubwürdige Abschreckung in ihrem Expansions- drang gestoppt werden können, brauchen wir die NATO Drittens . Moskau führt – das ist schon gesagt wor- in der jetzigen Form . den – großflächig angelegte Manöver an der russischen Westgrenze durch und meldet diese nicht, wie vertraglich geregelt, bei der OSZE an . Das heißt, nicht Deutschland Vizepräsident Johannes Singhammer: und nicht die NATO sind Aggressoren, von denen eine Kollege Lorenz, denken Sie an die vereinbarte Rede- Bedrohung ausgeht. Ich finde, die chronische Wirklich- zeit . keitsverquasung bei den Kollegen der Linken ist einfach erschreckend . Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Die baltischen Staaten, Polen, Rumänien und Bulga- Ja .– Herr Gehrcke, jetzt auch an Sie persönlich: Erst rien haben sich wegen der Erfahrungen zu Sowjetzeiten wenn wir in einer Welt leben, in der es keine völker- freiwillig der NATO angeschlossen . Jetzt vertrauen diese rechtswidrigen Annexionen wie die der Krim mehr gibt Länder natürlich auf ihre Partner in der Allianz, so wie und niemand mehr mit Waffen oder Terror Staaten be- sich die Bundesrepublik Deutschland, wir also, seit Jahr- droht und Menschen nach dem Leben trachtet, brauchen zehnten auf die NATO verlassen konnte – mit all den wir keine Verteidigungsbündnisse mehr . So und nicht an- Vorteilen, die wir haben: Frieden, Freiheit, Wohlstand . ders sind die Zusammenhänge . Auch souveräne Staaten wie Litauen, die dem NA- Mehr gibt es zu Ihren absurden Anträgen eigentlich TO-Bündnis beigetreten sind, haben natürlich das Recht, nicht zu sagen . den Schutz ihrer Partner zu erbitten . Warum sollte ge- Ich bedanke mich . rade Deutschland als Bündnispartner nicht helfen, wenn wir darum gebeten werden? Dazu sind wir, nebenbei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bemerkt, gemäß dem NATO-Vertrag verpflichtet, aber ordneten der SPD – Andrej Hunko [DIE LIN- wir sind aufgrund unserer eigenen Geschichte auch mo- KE]: Das gibt mir Hoffnung!) ralisch dazu verpflichtet. Die gleiche Bündnistreue lässt (B) Deutschland auch der Türkei zuteilwerden . Vizepräsident Johannes Singhammer: (D) Der Warschauer Gipfel wird am Wochenende die ro- Damit schließe ich die Aussprache . tierende Aufstellung multinationaler Bataillone in Est- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der land, Litauen, Lettland und Polen beschließen . Diese Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8656 mit dem Ti- verstärkte Präsenz des Bündnisses haben die genannten tel „Die NATO durch ein kollektives System für Frieden Staaten seit langem und mit immer deutlicherem Nach- und Sicherheit in Europa unter Einschluss Russlands er- druck eingefordert . setzen“ . Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um Kollegen der Linken, finden Sie sich endlich mit den ein Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Realitäten ab gen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen gegen die (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nein, mit Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt . diesen nie!) Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b: Be- – Sie urteilen ja schon, bevor Sie zugehört haben; das ist schlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu eine neue Logik bei Ihnen –: dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Kei- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) ne Verlegung von Bundeswehr-Einheiten nach Litauen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Erstens . Die Bundeswehr ist fest verankert in unserer auf Drucksache 18/8733, den Antrag der Fraktion Die Gesellschaft . Zweitens . Die Soldatinnen und Soldaten Linke auf Drucksache 18/8608 abzulehnen . Wer für diese und die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Bünd- Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte nisse und nicht zuletzt gegen den IS-Terror finden breite ich um ein Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Ent- Unterstützung in der deutschen Bevölkerung . haltungen? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eben nicht!) ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Drittens . Die Menschen haben erkannt, wie ernst die Linke angenommen . Lage ist . Wir kommen jetzt zum Zusatzpunkt 4 . Abstimmung Nur zur Erinnerung sei einfach einmal gesagt: Seit über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- 26 Jahren ist Deutschland wiedervereint . Die DDR exis- che 18/9028 mit dem Titel „Rückholung der Bundesweh- tiert nicht mehr . Es gibt kein kapitalistisches System, das reinheiten aus der Türkei“ . Wer stimmt für diesen An- Sie unterwandern müssten, geschweige könnten; denn trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der die große Mehrheit der Deutschen denkt und wählt frei- Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und 18072 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) mit einer Stimme von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Der Handlungsauftrag war damit eigentlich klar de- (C) Stimmen der Fraktion Die Linke und bei sonstiger Ent- finiert – eigentlich. Denn die Richtlinie hätte bereits bis haltung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen abge- April 2013 umgesetzt werden müssen . Unsere Vorgän- lehnt . gerregierung hat das aber nicht hinbekommen . Um es klar zu sagen: Schwarz-Gelb hat an dieser Stelle deutlich Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: versagt . a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Die damalige Justizministerin Leutheusser-­ setzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/ Schnarrenberger schlug auf den letzten Metern ihrer EU des Europäischen Parlaments und des Amtszeit kleine Änderungen im Strafrecht vor . Ein paar Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Worte raus, ein paar dazu . Der Gesetzentwurf war in der Bekämpfung des Menschenhandels und zum Folge völlig unzureichend, um den Menschenhandel ein- Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des zudämmen und Zwangsprostitution zu bekämpfen . Aus Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates gutem Grund haben damals die rot-grün regierten Länder den Vermittlungsausschuss angerufen . Weil aber alles so Drucksache 18/4613 kurz vor knapp war, konnte der Vermittlungsausschuss nicht mehr zusammentreten, und das Gesetz war in der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Folge gescheitert . Deutschland ist nun also das letzte ses für Recht und Verbraucherschutz (6 .Aus - Land in der Europäischen Union, das die Richtlinie nicht schuss) umgesetzt hat . Ich glaube, wir können alle froh sein, dass Drucksache 18/9095 wir diese blamable Situation nun hinter uns lassen . b) Zweite und dritte Beratung des von den Abge- (Beifall bei der SPD) ordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz- Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten Die Richtlinienumsetzung ist dringend notwendig und und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überfällig . eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: besserung der Situation von Opfern von Men- Das stimmt!) schenhandel in Deutschland Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 18/3256 sieht dafür vor allem die Erweiterung der Zwecke des Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Menschenhandels vor . Aufgenommen wurden Bettel- (B) schusses (4 .Ausschuss) tätigkeiten und strafbare Handlungen des Opfers sowie (D) auch die Organentnahme bei Opfern . Drucksache 18/9077 Diese Änderungen reichen aber nicht aus, um den Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Menschenhandel erfolgreich zu bekämpfen . Das wurde diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch bereits in der Anhörung in der vergangenen Legislatur- sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen . periode deutlich . Es war damals der Sachverständige Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Kriminalkommissar Sporer, der sich in die Rolle eines ner dem Kollegen Dr . Matthias Bartke für die SPD das Unternehmensberaters hineinversetzte . Als solcher, sagte Wort . er, würde er einem Straftäter mit viel Geld keinesfalls zu Waffen- oder Drogenhandel raten . Das sei viel zu gefähr- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich . Stattdessen würde er empfehlen, in den Menschen- der CDU/CSU) handel einzusteigen . Hier gebe es die geringsten Risiken, erwischt zu werden . Dr. Matthias Bartke (SPD): Grund für diese zynische Einschätzung sind unsere Herr Präsident! Meine Damen und Herren! derzeit immer noch stumpfen Gesetze, die nur schwer Der Menschenhandel gilt als eine der schwersten anwendbar sind . Bisher kann Menschenhandel fast nur Straftaten weltweit, als schwerwiegende Verletzung dann nachgewiesen werden, wenn das Opfer eine Aussa- der Menschenrechte, moderne Form der Sklaverei ge macht . Daran ändert sich nichts, nur weil der Anwen- und äußerst gewinnbringendes Geschäft der organi- dungsbereich in Bezug auf die Zwecke des Menschen- sierten Kriminalität . handels geändert wird . So steht es wortwörtlich im Richtlinienvorschlag der Wir haben uns daher in der Großen Koalition mit ei- EU-Kommission zur Bekämpfung von Menschenhandel . nem Änderungsantrag auf eine grundlegende Reform ge- Dieser Satz beschreibt, weshalb wir dem Menschenhan- einigt, an der wir lange gefeilt haben . Es ist eine Reform, del ohne Wenn und Aber einen Riegel vorschieben müs- die den Bedenken aus der Praxis Rechnung trägt . Die sen . erdrückende Bedeutung der Opferaussage haben wir ab- gemildert . Der strafrechtliche Schutz vor sexueller Aus- In der EU-Richtlinie von 2011 heißt es daher auch: beutung und vor Arbeitsausbeutung wird in Zukunft auf Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhan- die Ausbeutung als solche fokussiert werden . Damit steht dels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein die Willensbeeinflussung des Opfers endlich nicht mehr vorrangiges Ziel . im Mittelpunkt des Strafverfahrens . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18073

Dr. Matthias Bartke (A) Daneben war es uns wichtig, die Ausbeutung der Ar- handel angeht: Es sind schwere Verbrechen von Aus- (C) beitskraft stärker in den Fokus zu rücken . Wenn wir von beutung bis zur Zwangsprostitution . Das muss bekämpft Menschenhandel sprechen, dann fallen uns meist Frau- werden . Aber das reicht nicht aus . Wer Menschenhandel en ein: Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden . wirklich bekämpfen will, muss unbedingt den Opfern Es gibt aber auch Menschenhandel zum Zweck der Ar- mehr Schutz geben . Sie haben leider versäumt, in Ihrem beitsausbeutung . Uns sind Fälle aus der Landwirtschaft, Gesetzentwurf diesen Schutz festzuschreiben . der Gastronomie, dem Bau und der Fleischverarbeitung (Beifall bei der LINKEN) bekannt . Das BKA geht hier von einem richtig großen Dunkelfeld aus . Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Ausprä- gungen von Menschenhandel, und zwar vor allem in Im Kampf gegen die Zwangsprostitution haben wir Deutschland . Das muss man sich einmal vorstellen: uns außerdem auf eine Freierstrafbarkeit geeinigt . Künf- Menschen werden illegal nach Deutschland gelockt und tig macht sich ein Freier strafbar, wenn er erkennt, dass zum Beispiel in der Gastronomie, auf dem Bau, in der er die Dienste einer Zwangsprostituierten in Anspruch Pflege oder auch als Reinigungskräfte oft massiv aus- nimmt . Das ist vielleicht nicht immer offensichtlich . Es gebeutet . Junge Frauen, aber auch Männer werden der gibt jedoch genug Hinweise, die freiwillige Prostitution Zwangsprostitution zugeführt . Wir sprechen hier von geradezu ausschließen . Dazu gehören zum Beispiel Ver- modernen Formen von Sklaverei; anders kann man das letzungen oder ein stark eingeschüchterter Zustand des wirklich nicht nennen . Wir haben eben schon gehört, Opfers . Meine Damen und Herren, keiner soll mehr die dass die Dunkelziffer in der Tat sehr hoch ist . Das BKA Augen verschließen dürfen, wenn klare Anzeichen von geht gegenwärtig davon aus, dass wir allein in Deutsch- Zwangsprostitution offenkundig sind . land etwa 14 000 Betroffene haben . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber die Aufklärung dieser Verbrechen ist äußerst Im Nachgang zur Anhörung haben wir an unserem An- schwierig . Das BKA selbst sagt, dass es gerade einmal in trag noch Änderungen vorgenommen . Dazu gehört die 400 Fällen ermittelt . Das heißt noch lange nicht, dass es Klarstellung, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle zu einer Verurteilung kommt . Auch hier ist die Dunkel- von den Straftatbeständen Menschenhandel und Zwangs- ziffer wieder sehr hoch . Wir denken: Wenn man wirklich prostitution erfasst werden . Loverboys machen Frauen will, dass die Opfer bereit sind, Aussagen vor Gericht verliebt und spielen ihnen eine gemeinsame Zukunft vor . oder bei der Polizei zu machen, dann brauchen sie auch Ursprünglich kommt der Begriff daher, dass man Schul- einen entsprechenden Schutz . Das bedeutet, sie müssen mädchen heimlich in die Prostitution schickte . Das funk- zum Beispiel ein Bleiberecht haben, damit sie das Ge- tioniert aber auch bei über 21-Jährigen . Denn auch die fühl haben, dass sie bleiben können, und damit sie keine (B) wollen sich verlieben und träumen von einer gemeinsa- Angst haben müssen, abgeschoben zu werden . (D) men Zukunft, erst recht, wenn sie aus einem armen Land (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kommen . Sie sind dann bereit, Dinge zu tun, die sie sonst neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht tun würden . Die Gefühle von Frauen werden hier rücksichtslos für Straftaten ausgenutzt . Umso wichtiger Denn viele Opfer, die hier sind, sind häufig von ihren ist es, dass wir nun auch diese Fälle erfasst haben . Peinigern zu Straftaten verleitet worden oder haben diese begehen müssen, und viele Opfer haben einfach Angst, Meine Damen und Herren, wir haben heute schon auszusagen, auch weil ihre Peiniger ihnen drohen, dass das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen entweder ihnen oder ihren Familien in ihren Herkunfts- Selbstbestimmung und auch das Prostituiertenschutzge- ländern Gewalt angetan wird . setz beschlossen . Insgesamt bringen wir damit drei Ge- setze auf den Weg, die vor allem für Frauen mehr Schutz Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Vorschrift, da- und mehr Selbstbestimmung ermöglichen . Diese drei mit diesen Opfern geholfen wird . Es ist wirklich beschä- Gesetze zeigen eines deutlich: Die Große Koalition ist mend, meine Damen und Herren – das sage ich besonders handlungsfähig, und sie löst die Probleme unseres Lan- in Richtung der SPD –, dass Sie das nicht fertiggebracht des . haben . Immerhin haben die Grünen einen sehr guten Ge- setzentwurf vorgelegt, den wir auch unterstützen werden . Ich danke Ihnen . (Beifall der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Tom DIE GRÜNEN]) Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollte man fortsetzen!) Man hätte endlich einmal die Chance ergreifen müssen, den Opferschutz festzuschreiben .

Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ulla Jelpke . Damit komme ich noch einmal zu dem Kollegen Bartke . Sie haben sich ja so schön auf die EU-Richtli- (Beifall bei der LINKEN) nie und die Europaratskonvention bezogen . Ja, in der Tat haben Sie hier gerade nicht das umgesetzt, was diese Ulla Jelpke (DIE LINKE): Richtlinie bzw . Konvention vorschreibt . Die Richtlinie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich schreibt verbindlich vor, dass es einen Schutzstandard sind wir uns einig, was den Kampf gegen den Menschen- unabhängig davon geben muss, ob ein Opfer bereit ist, 18074 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ulla Jelpke (A) vor Gericht auszusagen . Wo steht das in Ihrem Gesetz- Es dauert nicht lange, und das Mädchen wird mutig . (C) entwurf? Es ist einfach nicht zu finden. Sie verlässt ihre Heimat und folgt dem jungen Mann nach Deutschland . Zum bösen Erwachen kommt es dann, Wenn wir erreichen wollen, dass Betroffene Aussagen wenn sie sich in irgendeinem Bordell oder vielleicht hier machen, dann brauchen wir Schutzmaßnahmen . Man in Berlin auf der Kurfürstenstraße wiederfindet. Ja, auch muss bei ihnen das Vertrauen wecken, dass sie hier kei- dort wird sie bedienen müssen, aber nicht Gäste im Re- ne Verschlechterung ihrer Situation, Abschiebung oder staurant, sondern 25 bis 40 Freier täglich . Ruhepausen Ähnliches zu erwarten haben . Die Entschädigungsleis- oder Sonntage gibt es für sie nicht, auch dann nicht, wenn tungen fehlen meines Erachtens auch . Auch das schreibt sie schwanger oder einfach nur krank ist . die EU-Richtlinie fest und sagt ganz deutlich, dass wir Maßnahmen in Sachen Entschädigung brauchen . Diesen soeben beschriebenen Fall können Sie nun in verschiedenen Variationen abwandeln . Nehmen wir statt Ein weiterer Punkt, der ebenfalls fehlt, ist eine unab- des Mädchens einen jungen Mann, der jung, kräftig, aus- hängige Berichterstatterstelle . Nicht einmal diese ist ein- dauernd und hoffnungsvoll nach Deutschland kommt, gerichtet worden; nicht einmal das steht im Gesetz . Ich um eine Arbeit auf dem Bau oder vielleicht in einer finde, es ist ein Armutszeugnis vor dem Hintergrund, wie Fleischwarenfabrik zu finden, und dann merkt, dass er Sie dieses Gesetz hochloben; denn es kann keine Frage faktisch in einer Knechtschaft landet, und das nicht zum sein, dass für Organhandel – diesen haben Sie jetzt einbe- Mindestlohn, sondern für einen Hungerlohn . zogen –, Zwangsbettelei und ähnliche Dinge Strafverfol- gungsmaßnahmen notwendig sind . Aber wenn man die Es gibt auch Variationen mit Kindern, die – aus wel- Strafen immer höher ansetzt und nichts für die Opfer tut, chen Gründen auch immer – auf der Straße leben und dann wird man meiner Meinung nach auch mit diesem schließlich in die Hände skrupelloser Menschenhändler Gesetz den Menschenhandel nicht wirklich bekämpfen geraten . Ihr Schicksal wird es vielleicht sein, zu betteln, können . Deshalb wird die Linke auf jeden Fall diesem möglicherweise am Brandenburger Tor Passanten anzu- Gesetzentwurf nicht zustimmen können . sprechen und um etwas Geld zu bitten, natürlich nur für karitative Zwecke . Oder sie müssen stehlen . Wenn sie am Zum Schluss möchte ich noch einmal ganz deutlich Ende des Tages nicht mindestens 300 Euro zusammenge- sagen: Erst wenn die Betroffenen wirklich vor ihren stohlen haben, dann gibt es Prügel . Peinigern sicher sind und den notwendigen Schutz be- kommen, wird man auch den Menschenhandel besser So oder so ähnlich läuft es täglich ab, hier in Deutsch- bekämpfen können . Denn ich bin mir ganz sicher: Mit land, in Europa, in der ganzen Welt . Ja, der Menschen- höheren Strafen werden wir das niemals erreichen, son- handel und die damit einhergehende systematische Aus- dern nur dann, wenn wir wirklich Rücksicht auf die Op- beutung haben sich inzwischen zu einem lukrativen, (B) fer nehmen, und das leistet das Gesetz leider nicht . milliardenschweren Geschäft entwickelt . Das Geschäft (D) hat Wachstumspotenzial . Die Ware Mensch wächst ja Danke schön . immer wieder nach . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute verab- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schieden werden, versuchen wir, diesem skrupellosesten aller Geschäfte ein Ende zu setzen, einen Riegel vorzu- schieben und klarzustellen: Menschen sind keine Ware .

Vizepräsident Johannes Singhammer: Es verbietet sich, sie zu kaufen, sie zu verkaufen oder sie Die Kollegin Dr . Silke Launert spricht jetzt für die in irgendeiner anderen Form auszubeuten . Jeder, der dies CDU/CSU . anders sieht und sich an diesem Geschäft beteiligt, wird (Beifall bei der CDU/CSU) mit aller Macht verfolgt und auf das Schärfste bestraft . Das vorliegende Gesetz erfasst mit seinen Vorschriften all die Fälle, die ich aufgezählt habe, inklusive des extre- Dr. Silke Launert (CDU/CSU): men Falls des Organhandels . Bestraft und erfasst von den Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Vorschriften wird nicht nur der Haupttäter, sondern jeder, Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie der sich an dieser Kette beteiligt . sich ein junges rumänisches Mädchen vor, irgendwo zwi- Besonders wichtig ist mir gerade heute, wo wir das schen Bukarest und absoluter Perspektivlosigkeit . Sie Prostituiertenschutzgesetz verabschiedet haben, den ist kaum 20 Jahre alt, ohne Geld, ohne Job und mögli- Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung cherweise sogar ohne abgeschlossene Berufsausbildung . und die Zwangsprostitution zu stoppen, und zwar nicht Eines Tages trifft sie auf einen jungen Mann . Er erzählt nur, weil diese Form das Gros des Menschenhandels dar- ihr von einem besseren Leben in Deutschland . Er hat ein stellt, sondern auch, weil erzwungene Prostitution das Smartphone bei sich und zeigt ihr Bilder und Videos . Die Schlimmste ist, was einem Menschen widerfahren kann . junge Frau sieht schöne, saubere Straßen, hübsche Rei- Demütigungen durch sexuelle Gewalt sind ebenso ver- henhäuschen, volle Supermärkte, viele schöne Geschäfte heerend wie Folter . mit Kleidern und Schmuck . Vielleicht hat er ihr sogar ein Geschenk mitgebracht . Er sagt, das Glück sei zum Grei- Man muss sich einmal vorstellen, dass das Geschäft fen nah; sie müsse doch nur ein bisschen mutig sein und mit der Prostitution weltweit jährlich Gewinne in Höhe ihm vertrauen; er könne ihr Arbeit in einem Restaurant von rund 91 Milliarden Euro bringt . Die Basis für dieses besorgen, und gemeinsam könne man ein neues Leben riesige Geschäft seien – so will uns die Lobby der Sexin- aufbauen . dustrie glauben machen – rein wirtschaftliche Beziehun- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18075

Dr. Silke Launert (A) gen zwischen verantwortungsvollen Erwachsenen . Da raumüberwachung bei dem Verdacht auf einen besonders (C) gibt es die selbstständig tätige Sexarbeiterin, die mit der schweren Fall von Menschenhandel möglich ist, zum Prostitution einem liberalen, freien und modernen Beruf Beispiel wenn er durch eine Bande oder gewerbsmäßig nachgeht . Daneben gibt es den Zuhälter, der natürlich betrieben wird . kein Ausbeuter ist, sondern allenfalls Räume vermietet . Schließlich gibt es den Freier, der keine Zwangslage Aber ich sehe auch – Sie sagen es zu Recht –: Wir ausnutzt, sondern ganz gewöhnliche Dienstleistungen in brauchen da mehr Maßnahmen . Ich bedauere sehr, dass Anspruch nimmt . es uns nicht gelungen ist, mit der SPD noch mehr hinzu- bekommen, insbesondere beim Verdacht auf Zuhälterei Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus . Oder glau- oder Ausbeutung der Prostitution die Telekommunikati- ben Sie ernsthaft, dass die 91 Milliarden Euro jährlich onsüberwachung zu ermöglichen . Vielleicht gelingt uns wirklich in den Taschen der Sexarbeiterinnen landen? das noch; denn die Praxis ist häufig so, dass man nur Selbstverständlich nicht . Tatsächlich steckt hinter der über die Zuhälter an die Menschenhändler, die dahinter Sexindustrie sehr häufig der Menschenhandel, die Ein- stehen, herankommt . Erst wenn ich die Chance habe, da schüchterung durch brutale Gewalt, Demütigung und Entwürdigung . Deshalb müssen wir in diesem Bereich Informationen zu erhalten, kann ich den Menschenhänd- genau hinsehen, und wir müssen alle in die Pflicht neh- lerring auffliegen lassen. men . Wir hatten viele Gespräche mit dem Praktiker Herrn Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, mit der Sporer . Er wurde heute schon genannt . Er hat das im- Vorschrift über die Strafbarkeit von Freiern, die eine mer gefordert . Es ist wirklich schade, dass wir das nicht Zwangsprostituierte für ihre sexuelle Befriedigung aus- geschafft haben . Ebenso bedauerlich ist, dass es mit nutzen, einen enormen Vorstoß im Kampf gegen diese der SPD noch nicht möglich war, die Straftatbestände Straftaten zu machen . „Ausbeutung von Prostituierten“ und „Zuhälterei“ zu reformieren . Das wäre erforderlich gewesen, um einen (Beifall bei der CDU/CSU) Gleichlauf zu schaffen . Aber uns ist versprochen wor- Wir setzen den Hebel nämlich genau da an, wo er ei- den, dass das noch in dieser Legislaturperiode kommt . gentlich am wirkungsvollsten sein könnte: bei der Nach- Ich hoffe, dass das keine leeren Versprechungen waren . frage . Das ist auch richtig so; denn es muss selbstver- ständlich sein, dass derjenige bestraft wird, der die Lage (Beifall bei der CDU/CSU) geknechteter Frauen ganz bewusst für seine sexuellen Zwecke missbraucht . Wenn es uns dadurch gelingt, die Stattdessen wurde ein besonderes Augenmerk auf den Nachfrage deutlich zu senken, dann entziehen wir den Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Ar- (B) Drahtziehern dieses Geschäfts den Boden . Im Übrigen beitskraft gelegt . Völlig zu Recht besteht auch hier ein (D) wäre alles andere vor dem Hintergrund der heute be- strafrechtlicher Handlungsbedarf; denn auch das geht schlossenen Reform mit dem Grundsatz „Nein heißt nicht, keine Frage . Aber ich hätte mir doch gewünscht, nein“ eine Farce . Niemand darf zu sexuellen Handlungen dass man einen Unterschied zum Beispiel beim Strafrah- gezwungen werden, auch nicht Prostituierte . men macht; denn Zwangsprostitution ist auch Arbeits- ausbeutung, aber sie bedeutet zusätzlich noch eine mas- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sive Verletzung des höchstpersönlichen Rechtsguts der ordneten der SPD) sexuellen Selbstbestimmung . Man ist doppelt gestraft . Neben dem neu eingeführten Aspekt der Freierstraf- Ich glaube, da hätten wir Unterscheidungen treffen kön- barkeit haben wir – Sie haben es schon angesprochen – nen . die Loverboy-Fälle mehr geregelt . Es geht da um die Fäl- le, in denen einem Mädchen oder einer Frau die große Wo wir uns einig waren – das ist versöhnlich zum Liebe vorgespielt wird, um sie letztlich in der Prostitu- Schluss –, ist, dass wir vorhaben – das unterstelle ich tion auszunutzen . Es ist völlig richtig, dass wir da nicht auch allen anderen, natürlich auch der Opposition –, alle mehr nach dem Alter des Mädchens oder der Frau oder Register zu ziehen . Wir wollen die Handlanger und die danach, ob es sich um eine deutsche oder eine ausländi- Hintermänner zu fassen bekommen . Wir wollen mehr sche Frau handelt, unterscheiden . Wir machen hier keine Verurteilungen im Bereich des Menschenhandels errei- Unterschiede; alle Fälle müssen erfasst sein . chen . Wir wollen alles dafür tun, dass das Geschäft mit der Ware Mensch – egal zu welchen Zwecken: Prostitu- Ein wichtiges Anliegen der Union war es auch – ich tion, Arbeit, Organhandel oder Sonstiges – so unattraktiv halte das für eines der wichtigsten Anliegen –, die Er- wie möglich wird . Wenn uns das mit diesem Gesetz nicht mittlungsbehörden mit den richtigen Instrumenten aus- gelingt, dann müssen wir nachbessern . zustatten; (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre der Vielen Dank . Opferschutz, zum Beispiel!) (Beifall bei der CDU/CSU) denn ohne Ergebnisse im Ermittlungsverfahren kann es keine Verurteilung geben, damit keine Abschreckung und dann natürlich keinen Schutz für die Opfer . Vizepräsident Johannes Singhammer: Aber wir haben auf jeden Fall einen Erfolg erzielt . Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul für Das ist die Tatsache, dass künftig die akustische Wohn- Bündnis 90/Die Grünen . 18076 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie einen langen und verworrenen Tatbestand, dessen (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und diverse Voraussetzungen kaum je nachweisbar vorliegen Kollegen! Als letzter EU-Staat versuchen wir heute, die werden . Sie wollen ein Zeichen setzen; aber dieses Zei- Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates chen funktioniert in der Sache nicht . Man nennt das auch von April 2011 zur Bekämpfung des Menschenhandels Symbolpolitik . umzusetzen . Ich würde an dieser Stelle gern sagen: Was lange währt, wird endlich gut . Aber das kann ich leider Es bleibt in Ihrem Entwurf auch bei dem schwer zu er- nicht . Die wenigen Verbesserungen in Ihrem Gesetzent- tragenden Widerspruch, dass die Strafbarkeit des Freiers wurf können die Mängel an anderen Stellen, vor allem bei einer Anzeige von Gesetzes wegen entfällt, während die fehlenden weiteren Maßnahmen zum Opferschutz, bei einer Anzeige durch das Opfer die Strafbarkeit des- nicht aufwiegen . selben nur entfallen kann, also im Ermessen der Staats- anwaltschaft liegt . Hier wäre doch wohl mindestens Viele der grundlegenden Kritikpunkte haben sich Gleichbehandlung erforderlich gewesen . seit der ersten Lesung in der Expertenanhörung bestä- tigt . Leider haben Sie so gut wie nichts davon korrigiert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bei Ihrer Legaldefinition von Arbeitsausbeutung reicht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) es nach wie vor nicht aus, dass die Beschäftigten zu unwürdigen Bedingungen arbeiten . Ausbeuterische Be- Leider ist auch der neue § 233 StGB missglückt, mit schäftigung soll nur vorliegen, wenn das Gewinnstreben dem die Arbeitsausbeutung unter Strafe gestellt werden auch noch rücksichtslos ist . Den Mehrwert dieses Tatbe- soll . Bisher bleibt der Arbeitsausbeuter nämlich straffrei, standsmerkmals konnten sich auch die Experten in der wenn er nicht gleichzeitig auch derjenige ist, der die öffentlichen Anhörung nicht erklären . Im Gegenteil: Die andere Person dazu bringt, das Arbeitsverhältnis einzu- Beibehaltung des Erfordernisses von rücksichtslosem gehen . Hier könnte ich mir tatsächlich auch eine weiter Gewinnstreben wird die Verfolgung von Menschenhan- gehende Strafbarkeit vorstellen . Sie haben jedoch dazu del in der Praxis erheblich erschweren . einen Tatbestand geschaffen, der für die Praxis nicht handhabbar sein wird; denn die Strafbarkeit jeglicher Ar- Auch die Frage, warum Sie jetzt im Gesetz durchge- beitsausbeutung ist daran geknüpft, dass der Ausbeuter hend von „veranlassen“ reden statt wie bisher von „dazu eine persönliche oder wirtschaftliche Zwangslage oder bringen“, wurde nie wirklich beantwortet . Sie behaupte- die auslandsspezifische Hilflosigkeit des Opfers kennt ten, damit ein objektives Element einzuführen, das die und – das kommt noch dazu – gesondert ausnutzt . Das Beweisbarkeit erleichtert . Die Expertenanhörung hat ein- wird aber gerade dann, wenn der Ausbeuter nicht gleich- deutig ergeben, dass dies eine Illusion bleibt . Die Ände- zeitig der Veranlasser ist, kaum je relevant werden . (B) rung der Begrifflichkeit bringt keinen Vorteil und ist eine (D) Luftnummer . Nicht nur als ungeeignet, sondern schlicht als über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN flüssig, haben die Experten den neuen § 233a des Straf- und bei der LINKEN) gesetzbuches mit dem schönen Titel „Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung“ bewertet . Diese Bei § 232a StGB – Schaffung des Straftatbestandes Norm enthält keinerlei Mehrwert gegenüber der bereits „Zwangsprostitution“ – haben Sie heute wirklich eine existierenden Regelung zur Freiheitsberaubung, § 239 große Chance verpasst . Heute Vormittag haben wir im StGB . Um symbolhafte Überschriften zu produzieren, ist Deutschen Bundestag mit der Reform des § 177 StGB das Strafgesetzbuch nun wahrlich nicht geeignet . Unnö- erstmals das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als tige Strafnormen machen das Leben nicht besser und ge- Rechtsgut umfassend geschützt . Jede sexuelle Handlung hören gestrichen . Auch die Gelegenheit dazu haben Sie gegen den erkennbaren Willen einer Person ist künftig verpasst . strafbar . Da kann es doch keinen Unterschied machen, ob diese Person eine Prostituierte ist oder nicht . Das größte Manko ist allerdings, dass Sie sich mal wieder auf das Strafrecht beschränken . Die viel relevan- Sie hätten die Ahndung von Zwangsprostitution im teren Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhan- Zusammenhang mit dem Dreizehnten Abschnitt des dels gehen Sie gar nicht an . Daher hat meine Fraktion ei- Strafgesetzbuches – Straftaten gegen die sexuelle Selbst- nen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der heute ebenfalls bestimmung – regeln können und müssen; denn dabei zur Abstimmung steht . geht es im Kern um den Schutz der sexuellen Selbstbe- stimmung und nicht, wie hier jetzt, um die berufliche und Zeigen die Opfer die Menschenhändler an, müssen sie wirtschaftliche Betätigungsfreiheit . fürchten, ausgewiesen zu werden . Eine Rückkehr in ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heimat und ihr altes Leben ist vielen aber unmöglich . sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) Was wir daher brauchen, ist ein Anspruch auf aufent- haltsrechtlichen Schutz für Opfer von Menschenhandel . Gleiches gilt für die Einführung der Freierstrafbarkeit . In der Anhörung haben die Sachverständigen klar zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausdruck gebracht, dass es eines Sondertatbestandes sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der Freierbestrafung nicht bedürfe, wenn wir einen all- gemeinen Grundtatbestand im Sexualstrafrecht schaffen Daneben soll ein Fonds für Härteleistungen eingerich- würden, der sexuelle Handlungen gegen den erkennba- tet werden; denn in vielen Fällen ist unser Opferentschä- ren Willen des Opfers sanktioniere . Stattdessen kreieren digungsgesetz da unzureichend . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18077

Katja Keul (A) Außerdem schlagen wir die Einrichtung einer Bericht- ist eine wichtige Verbesserung gegenüber dem heutigen (C) erstatterstelle vor, so wie das in anderen europäischen Recht . Ländern längst geschehen ist . (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜND- Ich würde mir wünschen, dass Deutschland durch ein NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert ja gera- umfassendes Maßnahmenpaket zum Vorreiter in Sachen de nicht!) „Kampf gegen Menschenhandel“ wird . Ihr heute vorlie- Der SPD war auch wichtig, dass die brutalen Straf- gender Entwurf bläht das Strafrecht dagegen unnötig auf taten des Menschenhandels und der Zwangsprostitution und ist nicht geeignet, das eigentliche Problem zu lösen . angemessen bestraft werden können . Auf unseren Vor- Da bleibt uns am Ende leider nur die Ablehnung . schlag hin erhöhen wir deshalb das Strafmaß im Grund- tatbestand von drei Monaten auf sechs Monate . Uns war Vielen Dank . weiter wichtig – Kollege Bartke hat schon darauf hin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewiesen –, dass auch die sogenannten Loverboy-Fälle sowie bei Abgeordneten der LINKEN) zweifelsfrei erfasst werden . Deswegen haben wir in der recht ausführlichen Begründung ergänzt, dass diese Ma- sche der Zuhälter, bei der die Zuhälter den Frauen die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: große Liebe vorspielen, sie aus ihrem sozialen Umfeld, aus ihren familiären Bindungen lösen und dadurch eine Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Johannes Art psychischer Abhängigkeit schaffen, zukünftig als Fechner für die SPD-Fraktion . List im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist . Damit regeln (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir genau diese perfide Masche als strafbar, liebe Kolle- der CDU/CSU) ginnen und Kollegen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Johannes Fechner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch bei uns in Deutschland gibt es Menschen, die Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! in sklavenähnlichen Zuständen arbeiten . Da können wir Menschenhandel und Ausbeutung, das gibt es nicht nur nicht zuschauen . Es ist uns wichtig, dass wir Straftatbe- in der sogenannten Dritten Welt; leider gibt es auch in stände schaffen, wonach sich Täter strafbar machen, die Deutschland zu viele Menschen, die ausgebeutet werden, in solchen Fällen die Arbeitskraft anderer Menschen aus- im schlimmsten Fall sogar zur Prostitution gezwungen beuten . Wer insbesondere Jugendliche anwirbt oder nach (B) werden, und das ist nicht hinnehmbar . Deshalb ist das Deutschland befördert und sie hier dadurch ausbeutet, (D) Gesetz, das wir heute beschließen, ein wichtiges Ge- dass sie Straftaten begehen müssen oder zum Betteln ge- setz . Wir müssen die Opfer von Zwangsprostitution und schickt werden, anstatt in die Schule zu gehen – das sind Zwangsarbeit besser schützen, liebe Kolleginnen und nicht hinnehmbare Zustände –, den wollen wir ebenfalls Kollegen . als Täter bestrafen . Eine wichtige Regelung ist auch, dass sich zukünf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tig Freier strafbar machen, wenn sie die Dienste einer der CDU/CSU) Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen . Dabei war In der Vergangenheit ist die Bestrafung der Täter all- uns als SPD besonders wichtig, dass wir die Kriterien, zu oft daran gescheitert, dass das Opfer aus Angst vor wann von der Erkennbarkeit der Zwangsprostitution aus- Repressalien oder der Rache des Täters nicht bereit war, zugehen ist, in der Begründung klar formulieren . Denn gegen den Täter auszusagen . Der Tatbestand des Men- wir wollen nicht, dass sich Freier einfach herausreden schenhandels ist im heute noch geltenden Recht so for- können mit der Begründung, sie hätten die Zwangspros- muliert, dass der Menschenhändler entscheidenden Ein- titution nicht erkennen können . fluss auf den Willen des Opfers genommen haben muss, (Beifall bei der SPD) sich zur Prostitutionsaufnahme zu entschließen . Diesen Einfluss auf den Willen des Opfers ohne die Aussage des Wenn eine Frau eingeschüchtert ist, wenn sie weint, Opfers nachzuweisen, das war in vielen Strafprozessen sie kaum deutsch spricht, wenn der Zuhälter die Ver- das Kernproblem, und das machte eine Verurteilung oft handlungen über Geld und Dienste führt oder wenn die unmöglich . Frau gar Verletzungen aufweist, dann ist für den Freier erkennbar, dass sich die Frau nicht freiwillig prostituiert, Durch eine geänderte Formulierung des Tatbestandes sondern dass sie gezwungen wird . Weil wir Zwangspros­ wollen wir nun ermöglichen, dass sich der Tatrichter zu- titution verhindern wollen, da sie ein massiver und für künftig auch auf andere Beweismittel stützen kann . Wenn die Opfer oft lebenslang traumatisierender Eingriff ist, durch Zeugenaussagen nachgewiesen ist, dass der objek- müssen wir diese Regelungen hier heute so beschließen, tive Tatbestand erfüllt ist, dass etwa die Tathandlung be- liebe Kolleginnen und Kollegen . gangen wurde – das Anwerben einer Jugendlichen, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten durch Prostitution ausgebeutet werden soll –, dann kann der CDU/CSU) eine Verurteilung erfolgen, ohne dass der heute nötige Nachweis erbracht werden muss, dass gerade der Täter Ich habe schon heute Morgen bei der Diskussion zum den Willensentschluss des Opfers hervorgerufen hat . Das Sexualstrafrecht gesagt, wir sollten uns bei einer Prüfung, 18078 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Johannes Fechner (A) ob auch die Strafprozessordnung zu ändern ist, auch fra- Wir reden über nicht weniger als über eines der zen- (C) gen, ob es nicht gerade in derartigen Fällen Sinn macht, tralen Grundrechte, nämlich über Menschenwürde . Men- dass schon die erste polizeiliche Vernehmung des Opfers schenhandel in all seinen Ausprägungen – ob er zum auf Video aufzuzeichnen ist . Denn dann könnten wir die- Zweck der sexuellen Ausbeutung, zur Arbeitsausbeutung ses Video im Prozess einführen, wenn die Zwangspro- oder in anderen Formen stattfindet – stellt eine schwere stituierte aus Angst vor dem Zuhälter eben nicht mehr Verletzung der Menschenwürde dar . bereit ist, Aussagen zu machen . Ich glaube, das wäre eine (Beifall bei der CDU/CSU) wichtige Ergänzung der Strafprozessordnung, die wir uns vornehmen sollten . Schätzungen gehen davon aus, dass im letzten Jahr weltweit rund 2,7 Millionen Menschen Opfer von Men- Zu der Kritik, wir würden hier nichts für die Opfer schenhandel geworden sind . Die Menschenhändler ver- tun im Hinblick auf die Aufenthaltserlaubnis, gestatte ich dienen an diesem Geschäft mehr als 30 Milliarden Euro mir den Hinweis auf § 25 Absatz 4a des Aufenthaltsge- jährlich . Das Geschäft mit der Handelsware Mensch gilt setzes . Das haben wir vor etwa einem Jahr neu geregelt, vom Gewinn her als drittwichtigste kriminelle Einkom- um genau Ihrem Anliegen nachzukommen . Wenn eine mensquelle nach dem Drogen- und Waffenhandel . Zwangsprostituierte im Strafprozess aussagt, dann kann sie in Deutschland bleiben . Fakt ist: Menschenhandel ist vor dem Hintergrund von 400 Jahren Sklavenhandel kein neues Phänomen, aber (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: In der EU-Richt- ein Problem, das mittlerweile Ausmaße annimmt, die uns linie steht aber das Gegenteil! – Katja Keul vergessen lassen, dass wir im 21 . Jahrhundert leben . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ent- spricht leider nicht der Richtlinie!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie bekommt ein Aufenthaltsrecht, und zwar nicht nur Die Umsetzung der EU-Richtlinie, die zum Ziel hat, während des Prozesses, sondern es gibt auch die Mög- Menschenhandel zu verhüten und zu bekämpfen und die lichkeit, darüber hinaus ein Aufenthaltsrecht zu bekom- Opfer von Menschenhandel zu schützen, zielt nicht nur men . darauf ab, ebendieses Grundrecht auf Menschenwür- de durchzusetzen, sondern auch darauf, die Täter noch (Beifall des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD]) härter zu bestrafen; eigentlich eine Sache, die uns selbst- verständlich erscheint und schon längst hätte gesetzlich Also, Ihr berechtigtes Anliegen, Frau Kollegin Jelpke, geregelt sein müssen . Leider ist das nicht so . haben wir schon vor einem Jahr berücksichtigt . Wir müssen nämlich auch darüber reden, dass der Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten griff „Menschenhandel“ im Strafgesetzbuch viel weiter (B) der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ als bisher gefasst werden muss . Hier geht es um Zwangs- (D) DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht! – arbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Menschenhandel Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nein!) zum Zweck der Bettelei und Menschenhandel zur Durch- Angesichts dessen, dass in Deutschland nach Schät- führung von Straftaten . Es geht darum, dass mit Men- zungen Zehntausende Zwangsprostituierte oder Men- schen gehandelt wird, um ihnen Organe zu entnehmen, schen in sklavenähnlichen Zuständen ausgebeutet wer- und es geht insbesondere – das ist mir ganz besonders den, können wir nicht weiter zuschauen, dann müssen wichtig – um den Tatbestand der Zwangsprostitution . wir solch ein Gesetz machen, dass es für Verurteilungen Neu in der Gesetzesvorlage ist, dass nun auch im eben nicht nur auf die Opferaussage ankommt . Deshalb Strafgesetzbuch verankert wird, wenn Menschen – hier stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu . Wir sind es den sind es zum größten Teil Frauen und Kinder – gezwun- Opfern schuldig, liebe Kolleginnen und Kollegen . gen werden, zum Betteln auszuharren oder professionell auf Diebestour zu gehen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Gut und richtig ist es ebenso, dass der neue § 232 Strafgesetzbuch nun auch den Tatbestand des Menschen- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: handels zum Zweck des Organhandels erfasst . Die Er- Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist die Kollegin weiterung um diese Straftatbestände ist meines Erach- Kathrin Rösel, CDU/CSU-Fraktion . tens überfällig, und ich bin froh, dass wir heute deren (Beifall bei der CDU/CSU) Umsetzung beschließen werden . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kathrin Rösel (CDU/CSU): ordneten der SPD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Aber nicht nur die Erweiterungen um die genannten Kollegen! Wenn im Alltag über Menschenhandel gere- Straftatbestände sind Inhalt der Gesetzesvorlage . Wir det wird, beschreibt das oft sehr unterschiedliche Dinge . gehen noch viel weiter, indem wir nämlich zum einen Mal ist es Prostitution, mal ist es Leiharbeit, mal ist es die Gesetzeslücke auf der Nachschub- und Logistikebene Menschenschmuggel, und manchmal – ja, manchmal – des Menschenhandels schließen . Künftig wird auch das wird sogar der Verkauf von Fußballspielern als moderner Anwerben, Befördern, Weitergeben und Beherbergen, Menschenhandel bezeichnet . Dieses Alltagsverständnis also jede noch so gering erscheinende Form der Betei- entspricht jedoch nicht dem strafrechtlichen Begriff, über ligung am Menschenhandel, strafbar sein . Wir schaffen den wir hier heute diskutieren . Instrumente, die es ermöglichen, die Täter noch härter Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18079

Kathrin Rösel (A) zu bestrafen, wenn zum Beispiel die Opfer minderjährig Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir mit den (C) sind oder wenn das Leben oder die Gesundheit von Men- vorliegenden Änderungen des Strafgesetzbuches nicht schen gefährdet wird . nur die geforderte EU-Richtlinie umsetzen . Wir haben ein Instrument geschaffen, das es uns ermöglicht, Men- Zum anderen ziehen wir auch diejenigen zur Verant- schenhändler härter zu bestrafen und Opfer noch besser wortung, die von einer offensichtlichen Zwangslage ei- zu schützen . nes Menschen profitieren. Hiermit meine ich – das ist ein großer Schritt nach vorn –, dass sich Freier von Zwangs- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Darauf bin ich prostituierten strafbar machen . Ob es sich um Zwangs- gespannt!) prostitution handelt, ist in den allermeisten Fällen klar erkennbar . Wer seine Augen vor offensichtlichen Anzei- Daher bitte ich um Zustimmung . chen wie körperlichen Verletzungen, eingeschüchtertem Verhalten oder nicht vorhandenen Deutschkenntnissen Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . verschließt oder wer die Dienstleistung mit einem Zuhäl- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ter anbahnt und aushandelt, gehört bestraft . Diese Straf- ordneten der SPD) barkeit ist seit jeher ein wichtiges Anliegen der Union und wird nun endlich umgesetzt . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- Allerdings soll den Freiern, die zur Aufdeckung che . und zur Aufklärung von Zwangsprostitution beitragen, Straffreiheit gewährt werden . Hier stellen wir den Schutz Bevor wir zur Abstimmung kommen, möchte ich der Opfer und die Vermeidung von weiteren Straftaten nicht versäumen, der Kollegin Rösel zu ihrer ersten Rede über den Strafanspruch an die Freier, und das ist gut so . zu gratulieren . Was ich an dieser Stelle nicht nachvollziehen kann, ist die Kritik der Opposition, dass wir beim Opferschutz (Beifall) nicht weit genug gehen würden und hier hinsichtlich der Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Aufenthaltserlaubnis nochmals nachgebessert werden desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset- solle . zung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Par- (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie müssen die laments und des Rates vom 5 .April 2011 zur Verhütung EU-Richtlinie lesen! Da steht das alles drin!) und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlus- (B) Wenn Sie bei der Expertenanhörung vor einigen Wo- ses 2002/629/JI des Rates . Der Ausschuss für Recht und (D) chen zugehört hätten, dann wüssten Sie, dass uns allen Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- deutlich gemacht wurde, dass dem mit der Erweiterung – lung auf Drucksache 18/9095, den Gesetzentwurf der Sie erwähnten es schon, Dr .Fechner – des § 25 Aufent- Bundesregierung auf Drucksache 18/4613 in der Aus- haltsgesetz ausreichend Rechnung getragen wird . Inso- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem fern ist diese Kritik völlig überflüssig. Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der len, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben heute Vor- gen die Stimmen der Opposition angenommen . mittag den Grundsatz „Nein heißt nein“ im Strafrecht verankert . Nein heißt nein nämlich auch dann, wenn of- Dritte Beratung fensichtlich ist, dass eine Frau – in über 95 Prozent der Fälle sind es Frauen – sich aufgrund einer Zwangslage und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem prostituiert . Ich bedauere es sehr, dass es aufgrund der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen Weigerung der SPD nicht dazu gekommen ist, heute früh zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – im Gesetz eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhält- von Prostituierten zu verankern . nis in dritter Beratung angenommen worden . (Dr . Eva Högl [SPD]: Ohne uns gäbe es das Tagesordnungspunkt 20 b . Abstimmung über den ganze Gesetz gar nicht!) Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschen- Es wurde dadurch versäumt, die Gesundheit der Prostitu- handel in Deutschland. Der Innenausschuss empfiehlt in ierten und deren Freier besser zu schützen . Ebenso hätte seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9077, eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung entschei- den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- dend dazu beitragen können, dass Zwangsprostitution nen auf Drucksache 18/3256 abzulehnen . Ich bitte die- schneller und besser identifiziert und geahndet werden jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um kann . Schade! Ich denke, hier wurde die Chance klar ver- das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält säumt, Opfer von Misshandlungen, Zwangsprostitution sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit und Menschenhandel noch besser zu schützen und ihnen den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- zu helfen . men der Opposition abgelehnt . Damit entfällt nach unse- (Beifall bei der CDU/CSU) rer Geschäftsordnung die weitere Beratung . 18080 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: und vermittelbar ist und so den Wissensfluss erleichtert. (C) Darum geht es uns . Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Kai Gehring, Dr .Konstantin von Notz, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – NIS 90/DIE GRÜNEN Marianne Schieder [SPD]: Uns auch!)

Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urhe- Doch mit der wissenschaftsgerechten Reform des Ur- berrecht bildungs- und wissenschaftsfreund- heberrechts quält sich die GroKo im Bund so ähnlich wie lich gestalten die in Berlin beim BER .

Drucksache 18/8245 (Zurufe von der SPD: Oh!) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ein ums andere Mal wird die Eröffnung versprochen, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- dann vertagt . Die Wissenschaftsschranke wird ein ums schätzung (f) andere Mal hier im Bundestag angekündigt, dann tut sich Ausschuss für Kultur und Medien wieder Jahre nichts . Ausschuss Digitale Agenda Federführung strittig (Christian Flisek [SPD]: Der arme Flughafen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für muss für alles herhalten!) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Anders als beim BER lässt sich diese Baustelle einfach nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . fertigstellen . Folgen Sie unserem Antrag zur Einführung Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Kai Gehring, einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke . Bündnis 90/Die Grünen . Schließlich haben Sie genau dieses Instrument im Koa- litionsvertrag verankert und versprochen und erst vor ei- nem Jahr hier im Plenum erneut angekündigt . Also legen Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie endlich los . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen! Für Wissenschaft, Forschung und Lehre stecken und bei der LINKEN – Marianne Schieder enorme Potenziale in der Digitalisierung . Um diese [SPD]: Wird auch kommen! Keine Angst!) Chancen nutzen zu können, bedarf es endlich eines bil- (B) dungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts; denn Ihre eigenen Gutachter von der Expertenkommission (D) bessere Forschungs- und Wissenszugänge sind wichtige für Forschung und Innovation bis zur BMBF-finanzier- Zukunftsmotoren für unsere Volkswirtschaft und Wis- ten HU-Studie attestieren Ihnen, in Forschung und Lehre sensökonomie . sowie bei Bibliotheken, Archiven und Museen durch Ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Untätigkeit in Sachen Wissenschaftsschranke für große sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) Rechtsunsicherheit zu sorgen . Das muss sich endlich än- dern . Wissenschaft und Bildung dürfen nicht durch politi- sche Trägheit und veraltete Strukturen behindert werden . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tatsächlich passiert aber genau das . und bei der LINKEN) (Marianne Schieder [SPD]: Na, na!) Das BMBF schreibt auf seiner Website: „Das Urhe- berrecht muss der Wissenschaft dienen“ . Stimmt, liebe Daher sagen wir: Der Modernisierungsstau im Urheber- Ministerin Wanka; das ist aber nach wie vor nicht ge- recht gehört endlich überwunden . setzliche Realität . Seit über elf Jahren bleiben CDU-Wis- senschaftsministerinnen Vorschläge schuldig . Damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verschleppen Sie die Probleme . Es ist höchste Zeit, bei und bei der LINKEN) dieser Frage dem Wissenschaftsstandort Deutschland zu dienen . Für uns alle sind Ausbildung oder Studium schon eine Weile her . Dennoch wissen wir, wie wichtig der Zugang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu digitalem Wissen bereits bei Schülerreferaten gewor- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den ist . An den Universitäten sind digitale Semesterappa- rate nicht mehr wegzudenken . § 52a Urheberrechtsgesetz Eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschran- ermöglicht die zustimmungsfreie Nutzung von geschütz- ke, wie wir sie wollen, würde es Lehrenden, Lernenden ten Werken per öffentlicher Zugänglichmachung für und Forschenden erleichtern, publizistische Werke jed- Lehr- und Forschungszwecke . Diese Regelung ist aber weder medialer Art für den nichtgewerblichen wissen- schwer verständlich und hat auch ihre Grenzen . Wer sich schaftlichen Gebrauch generell genehmigungsfrei und wirklich schlaumachen will, was er unter welchen Bedin- ohne Einschränkungen zu nutzen . In diesem Zuge könnte gungen darf oder nicht darf, scheitert oft am Dickicht von auch die Verleihung digitaler Inhalte durch wissenschaft- Einzelgesetzen . Was fehlt? Es fehlt also eine umfassen- liche Bibliotheken ermöglicht werden, und zwar unab- de und klare rechtliche Regelung, die leicht verständlich hängig davon, von welchem Ort die Ausleihe bzw . dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18081

Kai Gehring (A) die Nutzung erfolgt . Das wären wichtige Weichenstel- Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): (C) lungen für unsere Wissenschaft . Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herren! Ich darf jetzt seit knapp einem Jahr das Urheber- und bei der LINKEN) recht für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mitbetreuen . Ich habe gelernt, es ist – erstens – ein sehr komplexes In der letzten Wahlperiode waren wir hier schon deut- Rechtsgebiet, und – zweitens – es gibt unzählige und lich weiter: Die Enquete-Kommission „Internet und digi- meist unterschiedliche, gelegentlich auch ganz gegenläu- tale Gesellschaft“ hatte mit Zustimmung aller Fraktionen fige Interessen, die hier zusammenlaufen. Es ist unsere hier im Haus eine Bildungs- und Wissenschaftsschran- Aufgabe als Gesetzgeber, ke gefordert . Diese und weitere Vorarbeiten gilt es doch jetzt endlich mal zu nutzen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: . . Sie auszubalancieren!) Ergänzt werden müsste die Wissenschaftsschranke um hier einen gerechten Ausgleich zu finden. Das gilt für alle weitere Verbesserungen, unter anderem beim Zweitver- Gesetzgebungsvorhaben in diesem Bereich . öffentlichungsrecht . Das stärkt Autorinnen und Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen, wenn sie ihre Beiträge (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Open Access publizieren wollen . Auch dazu haben NEN]: Auch für andere Bereiche!) wir Ihnen längst Vorschläge gemacht . Das ist uns beim Verwertungsgesellschaftengesetz, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dem ersten großen Vorhaben, das wir kürzlich zum Ab- SES 90/DIE GRÜNEN) schluss gebracht haben und bei dem wir es hinbekommen haben, einen guten Ausgleich zwischen den Interessen Der Koalition scheint für einen solchen Aufbruch im der Urheber und der Verwertungsgesellschaften auf der Urheberrecht die Kraft zu fehlen . einen Seite und denen der Geräteindustrie auf der ande- (Christian Flisek [SPD]: Oje!) ren Seite zu finden, gelungen. Das Gleiche gilt für das Urhebervertragsrecht, das wir gerade beraten und bei Wir geben die Hoffnung aber nicht auf . Deshalb appellie- dem wir eine Balance zwischen den Interessen der Ur- re ich abschließend an Sie: Beenden Sie endlich die Zeit heber auf der einen Seite und denen der Verwerter auf verlorener Chancen für den Innovationsstandort und für der anderen Seite finden werden. Und ja, das muss auch alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland . für die Bildungs- und Wissenschaftsschranke gelten, das (Marianne Schieder [SPD]: Nein, wir nutzen dritte große Reformvorhaben, das in dieser Legislatur die Zeit für ein gutes Gesetz, nicht für einen noch ansteht . (B) Schnellschuss! – Christian Flisek [SPD]: So (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D) eine Rede spulen Sie jedes Mal ab!) Na, dann mal Tempo! Die ist bald rum!) Legen Sie endlich einen Gesetzentwurf vor . Wenn Sie Hier geht es darum, einen gerechten Ausgleich zwischen die Zeit in der Sommerpause nutzen wollen, dann nutzen den Urhebern auf der einen Seite und den Nutzern ge- Sie sie so, dass wir im September, spätestens im Oktober schützter wissenschaftlicher Werke auf der anderen Seite über einen konkreten Gesetzentwurf von SPD und CDU/ zu finden. CSU diskutieren können . Ich hoffe, dass da nicht so eine Baustelle wie beim BER herauskommt, Ich muss Ihnen, Herr Gehring, sagen: Da hilft Ihr An- trag leider nicht weiter . (Marianne Schieder [SPD]: Nein!) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern dass Sie es echt noch schaffen . NEN]: Machen Sie es doch besser!) (Christian Flisek [SPD]: Wir haben im Ur- Es ist gut, dass Sie ihn parallel zu den Beratungen über heberrecht viel geschafft! – Dr .Jan-Marco das Urhebervertragsrecht einbringen . Luczak [CDU/CSU]: Das mit dem BER nutzt sich langsam ab!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wie lange beraten Sie denn schon? Seit Selbst Schwarz-Gelb hatte solch eine Wissenschafts- und Jahren!) Bildungsschranke schon einmal angekündigt . Das heißt, seit Jahren diskutieren wir hier herum . Wissen wächst, Wir hatten gestern dazu eine öffentliche Anhörung . wenn es geteilt wird . Wir warten auf Ihren Gesetzent- Gegenstand dieser Anhörung war auch ein Antrag von wurf . Bündnis 90/Die Grünen, in dem Sie explizit schreiben, Sie wollten eine Stärkung der Rechtsstellung der Urheber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und eine angemessene Vergütung sicherstellen . Das wol- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) len wir auch . Aber, lieber Herr Gehring, wie passt das mit Ihrem heutigen Antrag zusammen? Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank .– Das Wort hat jetzt Dr .Stefan Heck, NEN]: Gut!) CDU/CSU-Fraktion . Gestern setzten Sie sich für die Rechte der Urheber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ein, und heute diskutieren wir hier einen Antrag von sowie des Abg . Christian Flisek [SPD]) Bündnis 90/Die Grünen, in dem die angemessene Ver- 18082 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Dr. Stefan Heck (A) gütung der Urheber mit keinem Wort erwähnt wird . Sie senschaftlicher Vorgaben zu tun haben, die mit vielen In- (C) müssen hier Farbe bekennen . Das, was Sie hier machen, vestitionen verbunden ist und sich am Ende amortisieren passt nicht zusammen, und das werden wir Ihnen auch muss . nicht durchgehen lassen . Lassen Sie uns nicht vergessen: Die Änderungen der (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Petra Sitte Regelungen im Urheberrecht finden in einer sehr sen- [DIE LINKE]: Quatsch! Das sind immer nur siblen Zeit statt . Viele Verlage sind völlig unverschuldet pauschale Vergütungen!) durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- hofs und des Bundesgerichtshofs in eine schwierige, teil- Ich sage ganz klar: Auch wir wollen noch in dieser weise existenzbedrohende Situation geraten . Ich glaube, Legislatur eine Wissenschaftsschranke im Urheberrecht bevor wir weitere Schritte unternehmen, ist es gut, dass verankern . wir als Gesetzgeber unsere Hausaufgaben machen und an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dieser Stelle Abhilfe schaffen . der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE Ich komme zum Schluss . Wir wollen eine Wissen- GRÜNEN]: Alles nur Ankündigungen!) schaftsschranke einführen . Wir alle wissen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aus der Schule, aus der Universität, wie wichtig es ist, Wann? Am Sankt-Nimmerleins-Tag oder einen Zugang zu Material für Forschung und Lehre zu wann? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE haben und wie sehr man dabei auf die Nutzung urheber- GRÜNEN]: Alles leere Ankündigungen ohne rechtlich geschützter Werke angewiesen ist . Dabei hat Folgen!) sich durch die Digitalisierung vieles verändert, wahr- scheinlich auch seit der Schulzeit von uns jüngeren Ab- Ihr Antrag ist einseitig, er ist undifferenziert, und er ver- geordneten . All dem muss das Urheberrecht Rechnung gisst diejenigen, die im Mittelpunkt des Urheberrechts tragen . stehen, nämlich die Urheber selbst . Das wäre der Weg in eine rein staatlich finanzierte Publikationslandschaft, die (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir nicht wollen . Es ist gut, wenn wir den vorliegenden NEN]: So jung sind Sie auch nicht mehr!) Antrag mit großer Mehrheit ablehnen . Es gibt einiges zu tun . Die heutigen Regelungen sind Vielen Dank . nicht mehr praxistauglich, und sie sind für die Rechtsan- wender oft nur schwer durchschaubar . Für uns ist auch (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring klar: Natürlich muss das Urheberrecht der Wissenschaft [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lehnen dienen, aber das Urheberrecht muss vor allem erst einmal noch Ihren eigenen Koalitionsvertrag ab!) (B) den Urhebern dienen; deswegen heißt es auch so . (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Dr .Petra Sitte, Frak- Sie widersprechen dem BMBF!) tion Die Linke . Der Urheber muss weiterhin im Mittelpunkt stehen . Egal (Beifall bei der LINKEN) wie es verwertet wird: Es bleibt am Ende sein Werk, das auch durch das Eigentumsrecht aus Artikel 14 Grundge- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): setz geschützt wird . Deswegen ist es gut, dass wir uns Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! dazu bekennen, dass der Urheber weiterhin im Mittel- punkt steht . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Petra, man sieht dich gar nicht rich- (Beifall bei der CDU/CSU) tig! – Heiterkeit) Wir brauchen auch starke Wissenschaftsverlage . Sie – Wichtig ist das Hören, das Sehen ist nicht so wichtig .– spielen bei der Finanzierung eine wichtige Rolle, und sie Ich möchte mit Blick auf den Sommer, die Urlaubszeit spielen auch eine ganz wichtige Rolle bei der Qualitäts- oder auch das Halbfinale der Fußball-EM mit folgendem sicherung und bei der Publikation . Satz beginnen: „Komm, wir gehen!“ (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜND- NEN]: Was denn jetzt? – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen sich die Welt, wie sie Ihnen gefällt!) Das sagte Estragon zu seinem Freund Wladimir . Der ant- wortete: „Wir können nicht “. Darauf Estragon: „Warum Für uns bedeutet das konkret: Erstens, auch im Urheber- nicht?“ Wladimir: „Wir warten auf Godot “. Estragon: recht gilt weiterhin die Vertragsfreiheit . Deshalb müssen „Ah!“ – Theaterfreunde wissen: Das ist der Schlüsseldi- angemessene Lizenzangebote weiterhin Vorrang haben . alog aus Samuel Becketts berühmtem Stück Warten auf Zweitens bedeutet das für uns, dass die Regelung, die Godot . Der traurige Clou ist: Das Warten bringt nichts, wir beschließen werden, so differenziert sein muss wie Godot kommt nicht . Nun weiß aber auch niemand, wer die Wissenschaftslandschaft insgesamt . Es macht einen oder was Godot eigentlich ist . großen Unterschied, ob ein Werk in seinen verschiedenen Stadien durch öffentliche Mittel gefördert wird oder ob (Christian Flisek [SPD]: Wir wissen, dass er wir es mit einer Visualisierung hochkomplexer naturwis- kommt!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18083

Dr. Petra Sitte (A) Das lässt Beckett offen, und mich beschleicht nun das Zwischenzeitlich hat die Koalition einen Antrag durch (C) Gefühl: Wir wissen ziemlich genau, was Godot ist . den Bundestag gebracht . Was enthält er? – Man fordert die Einführung der Schranke . (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo? Wo?) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seit mindestens zwölf Jahren wird über die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke Wir aber warten wie Estragon und Wladimir immer noch . im Urheberrecht debattiert . Dabei geht es um den frei- en Zugang zu allen Werkarten zum nicht kommerziellen Eigentlich kann die Bundesregierung Absurdität sogar Zweck von Wissenschaft, Bildung und Forschung . Und noch besser als Beckett; denn im Gegensatz zu Godot Herr Heck: Immer dort, wo man eine Schranke einsetzt, ist längst bekannt, wie die Bildungs- und Wissenschafts- gibt es pauschale Vergütungsregelungen . Das haben Sie schranke ausgestaltet werden könnte . Ich erinnere an nicht sauber dargestellt . unsere letzte Debatte vor 20 Monaten, in der ich gesagt habe – es ist kuschelig, wenn man sich selbst zitiert –: (Beifall bei der LINKEN) Frau Professor de la Durantaye von der Humboldt-Uni- versität zu Berlin hat im Auftrag des Bundesministeri- Damals wurde vom Aktionsbündnis „Urheberrecht ums für Bildung und Forschung genau jene Regelung für Bildung und Wissenschaft“ das Prinzip skizziert . Wir ausformuliert – in Ihrem Auftrag .– Wir haben alles da; Linken haben dazu erstmals vor neun Jahren Anträge wir müssen es nur beschließen . gestellt . Andere folgten und haben vergleichbare oder ähnliche Anträge gestellt . Es folgten dann Jahr um Jahr (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Empfehlungen, Vorschläge und Anträge . In diese lange NIS 90/DIE GRÜNEN) Reihe stellt sich nun auch der völlig richtige Antrag von Also sagen wir einmal: Der Godot der Bundesregie- den Bündnisgrünen . rung hat es bis vor die Tür geschafft . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Danke für die Zustimmung!) NEN]: Frau Wanka!) Allein, die Wissenschafts- und Bildungsschranke Lassen Sie ihn endlich rein, oder, liebe Damen und Her- kommt nicht, und die Realität in Schulen und Hochschu- ren von der Koalition, machen Sie sich ehrlich und er- len bleibt frustrierend . Die aktuellen Urheberrechtsrege- klären Sie den Menschen in Bildung, Wissenschaft und lungen sind eben keine Erleichterung für Bildung, Wis- Forschung, warum Sie kein Interesse an deren Arbeitsbe- senschaft und Forschung . (B) dingungen und ihren eigenen Versprechen gegenüber den (D) Meine Damen und Herren, Warten auf Godot gilt als Betroffenen haben . Meisterstück des absurden Theaters, nicht zuletzt des- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- halb, weil zwischenzeitlich ein ominöser Bote Estragon neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – und Wladimir ankündigt, Godot werde kommen . Die Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Koalition steht in Sachen Absurdität in diesen Fra- Estragon und Wanka!) gen dem Theaterstück in nichts nach;

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: NEN]: Solange er nicht gestorben ist, wartet Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das er immer noch!) Wort Christian Flisek . denn auch Sie kündigen nun schon zum wiederholten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Mal an, die Schranke komme . CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE (Marianne Schieder [SPD]: Sie kommt auch!) GRÜNEN]: Jetzt kommt Estragon!) Im Koalitionsvertrag von 2013 finden wir sie, auch in (SPD): der Digitalen Agenda der Bundesregierung vom Som- Christian Flisek mer 2014 . Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr rich- nen, es ist Ihr ausdrücklicher Wunsch, dass wir heute tig!) über die Bildungs- und Wissenschaftsschranke diskutie- ren . Im November 2014 haben wir hier zuletzt über diese Fra- gen debattiert . Damals hieß es, die Koalition sei ein Jahr (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nach Amtsantritt noch in intensiven Diskussionen . NEN]: Das ist ja auch richtig so!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir kommen diesem Wunsch natürlich sehr gerne nach . NEN]: Dabei sind sie geblieben!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist nun allerdings auch schon wieder 20 Monate her . Aber, Herr Kollege Gehring, wenn Sie sagen, wir wür- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den uns in dieser Koalition mit dem Urheberrecht quä- NEN]: Intensiv eben! Das braucht Zeit!) len – Sie haben ein paar hinkende Vergleiche gebracht; 18084 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Christian Flisek (A) der arme Flughafen Berlin muss ja mittlerweile für alles In der letzten Legislaturperiode ist in Sachen Urheber- (C) herhalten –, recht nichts, aber auch gar nichts passiert . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) NEN]: Wenn es passt, ja!) Jetzt möchte ich Ihnen sehr deutlich sagen, dass Sie viel- dann sind Sie beim aktuellen Stand in Sachen Urheber- leicht einmal etwas weniger Aktionismus an den Tag recht in dieser Legislaturperiode noch nicht angekom- legen sollten. Ich finde, es ist Ihr gutes Recht, einen sol- men . Die hinter Ihnen sitzende Vorsitzende des Aus- chen Antrag zu stellen . schusses für Recht und Verbraucherschutz, Frau Kollegin (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Künast, NEN]: Ihr wartet lieber!) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber wir gehen sauber vor; wir arbeiten die Urheber- NEN]: Tolle Kollegin!) rechtsagenda handwerklich sauber ab . Herr Justizminis- kann sich, glaube ich, über mangelnde Arbeitsbelastung ter Maas hat deutlich gemacht, dass er einen Gesetzent- in Sachen Urheberrecht in dieser Legislaturperiode nicht wurf vorlegen wird . beschweren, weil wir nämlich einen Gesetzentwurf nach (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dem anderen behandeln und handwerklich sauber ein NEN]: Und wenn sie nicht gestorben sind . . !) Projekt, das wir im Koalitionsvertrag angekündigt haben, nach dem anderen abarbeiten . Frau Ministerin Wanka ist mit entsprechenden Gutachten an die Öffentlichkeit gegangen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜND- GRÜNEN]: Wann kommt denn die Schran- NIS 90/DIE GRÜNEN]) ke?) Ich denke, das wird sich ganz klar wie an einem roten Faden abspulen lassen . Lieber Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich das ein- mal anschauen, stellen Sie fest, dass wir einiges zu bieten Wir werden das komplette Schrankenwesen im Wis- haben: Wir haben das Verwertungsgesellschaftengesetz senschafts- und Bildungsbereich aufräumen müssen . Es komplett neu aufgesetzt . Das war ein ziemlicher Rund- ist nämlich sehr unübersichtlich geworden; das hat Kol- umschlag . Das waren sehr intensive Diskussionen; das lege Heck in seinem Beitrag schon angesprochen . Ich wird Ihnen die Kollegin Künast bestätigen . glaube, selbst Urheberrechtsexperten und insbesondere Leute, die Verantwortung im Bereich der Schulen, der (B) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Universitäten tragen, haben es mittlerweile mit einem (D) NEN]: Ich trete jetzt aber nicht über!) Schrankendschungel zu tun . Es ist höchste Zeit, aufzu- Gestern fand eine öffentliche Anhörung in Sachen Urhe- räumen . Das werden wir tun . bervertragsrecht statt . Dazu liegt ein Entwurf vor, über (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den sehr intensiv diskutiert wird . Aktuelle Ereignisse und NEN]: Hu! – Lachen bei der CDU/CSU) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sowie des Eu- ropäischen Gerichtshofs machen den nationalen Hand- – Ich verstehe gar nicht, warum Sie einen Antrag zu einer lungsbedarf in Sachen Urheberrecht deutlich . Sache stellen und sie dann so ins Lächerliche ziehen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie können doch sonst auch zwei Gesetze ma- Entweder debattieren wir das hier mit dem notwendigen chen!) Ernst oder debattieren es eben nicht . Ich bin dafür, dass Wir haben jetzt ein Eckpunktepapier des Bundesjustiz- wir das tun . ministers vorgelegt bekommen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Zuruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ Wann machen Sie das denn? Haben Sie einen DIE GRÜNEN]) Zeitplan?) In der Tat ist es so, dass diese Schranken allesamt ver- – bleiben Sie mal ruhig – gütungspflichtig sein werden. Das heißt, wir haben wie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der zu sehr aktuellen Themen – wie diese Vergütungen verteilt werden – einen aktuellen Link, nämlich zu der zur Regelung der sogenannten Vogel- und Reprobel-Pro- rechtspolitisch ungeheuer spannenden Debatte, wie die blematik . Verteilung zwischen Urhebern und Verlagen am Ende Herr Kollege Gehring, wenn Sie sich angesichts des- läuft . sen hier hinstellen und sagen, dass man in der letzten Le- (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gislaturperiode in Sachen Urheberrecht weiter war, weiß NEN]: Und?) ich nicht, aus welcher Welt Sie kommen . Das heißt, genau das, was ich gerade angesprochen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai habe – die BGH-Problematik durch das Vogel-Urteil Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: En- und die EuGH-Problematik durch das Reprobel-Urteil –, quete-Kommission!) spielt bei der Frage eine Rolle, wie wir es mit den vergü- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18085

Christian Flisek (A) tungspflichtigen Schranken halten. Wir werden da eine Wenn wir als Forschungspolitiker in den Antrag (C) Lösung finden, das kann ich Ihnen garantieren. Aber wir schauen, stellen wir fest, dass wir inhaltlich nicht weit werden nicht in Aktionismus verfallen . voneinander entfernt sind . Man kann Ihre Ungeduld schon verstehen . (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Noch in dieser Wahlperiode?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eines möchte ich am Ende noch sagen: Diese vergü- Ich gestehe offen, dass ich der Meinung bin, dass das tungspflichtigen Schranken werden Vorrang vor einem Bundesjustizministerium den Arbeitsauftrag aus dem Lizenzdschungel genießen; denn nur so ist den Urheber- Koalitionsvertrag ruhig etwas schneller bearbeiten könn- rechtspraktikern in der Bildungs- und Wissenschaftsland- te . schaft gedient; denn nur so werden sie vertrauen können, (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass wir einen gelichteten Schrankendschungel auch für NEN]: Hört! Hört! – Marianne Schieder sie in der Praxis handelbar machen . Nur so werden wir [SPD]: Das können Sie mal besprechen!) am Ende einen wesentlichen Schritt bei dieser komple- xen Materie weiterkommen . Der Gesetzentwurf, so hörte ich, liegt dem BMJV mitt- lerweile vor, und ich erwarte, dass er in Kürze in die Res- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sortabstimmung geht NEN]: Wann?) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da kannst du noch lange warten!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das war ein schönes Schlusswort, Herr Flisek . und dann zügig hier im Parlament in erster Lesung be- handelt wird .

Christian Flisek (SPD): (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das war das Schlusswort .– Wir werden diesen An- NEN]: Maas und Wanka Hand in Hand!) trag heute an die Ausschüsse überweisen . Am Ende aber Allerdings waren weder die Bundesregierung noch der lautet mein Schlusswort: Das ist ein Schaufensterantrag, Bundestag bei dem Thema Wissenschaftsschranke in den er ist wohlfeil . Wir werden uns, wenn der Gesetzentwurf letzten knapp drei Jahren untätig . So hat – es wurde an- vorliegt, intensiv über die Sache auseinandersetzen . gesprochen – Frau Katharina de la Durantaye im Auftrag des BMBF ein vielbeachtetes Gutachten vorgelegt und Herzlichen Dank . damit in der Tat den fundiertesten Diskussionsvorschlag (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai für eine Allgemeine Bildungs-, Wissenschafts- und Bib- (B) (D) Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt liotheksschranke eingebracht . noch das Datum! – Renate Künast [BÜND- Worum geht es bei diesem Thema? Wir wollen eine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie mal wieder technologieoffene Regelung haben, die wir nicht nach je- in der Opposition sind, dann stellen Sie nur der technischen Neuentwicklung wieder anpassen müs- noch Schaufensteranträge!) sen . Wir wollen eine lesbare, verständliche Regelung aus einem Guss; das haben meine Vorredner betont . Wir wol- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: len auch langfristige Rechtssicherheit für alle Beteiligten Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht erreichen . jetzt Kollege Tankred Schipanski . Dass solche Regelungen möglich sind, zeigt im Übri- (Beifall bei der CDU/CSU) gen ein völkerrechtliches Abkommen im Urheberrecht: die Berner Übereinkunft von 1886 . Hier wurde der so- genannte Drei-Stufen-Test eingeführt, welcher bis heute Tankred Schipanski (CDU/CSU): Gültigkeit hat und Leitlinie für unsere Schrankenrege- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist lungen im Urheberrecht ist . eine sehr unterhaltsame Urheberrechtsdebatte; man kann nicht sagen, dass irgendetwas trocken wäre . Frau Sitte, Den sogenannten Schrankendschungel hat Kollege das war eine schöne, launige Rede; das muss man einfach Flisek bereits angesprochen . sagen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) NEN]: Herr Gehring auch!) Es wurde auch gesagt, dass nicht alle Wissenschaftler Kollege Flisek hat schon, lieber Kai Gehring, sehr oder Bibliothekare auch Juristen sein müssen, um das deutlich gemacht, dass die Koalition beim Thema Ur- Ganze zu verstehen . Von daher, denke ich, ist das Gut- heberrecht in drei großen Blöcken arbeitet; so möchte achten von Frau de la Durantaye ein sehr guter Diskus- ich es ausdrücken . Wir haben das Verwertungsgesell- sionsvorschlag . Sie arbeitet mit einer Generalklausel und schaftengesetz im ersten großen Block gehabt und sind dem Rechtsbegriff der Gebotenheit . Die Schranke bleibt jetzt beim Urhebervertragsrecht . Der dritte Block wird – selbstverständlich vergütungspflichtig. Das möchte ich wie angekündigt und wie es auch im Koalitionsvertrag von unserer Seite aus noch einmal ausdrücklich betonen . steht – die Bildungs- und Wissenschaftsschranke sein . Nichtsdestotrotz, lieber Kai Gehring, bin ich den Grünen Meines Erachtens ist das Ziel der Neufassung dieser ausdrücklich dankbar, dass wir das heute debattieren . Schranke nicht, dass sie möglichst oft und umfassend an- 18086 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Tankred Schipanski (A) gewendet wird. Denn dort, wo es leicht auffindbare und und Nutzer von entsprechenden Werken in ihrer tägli- (C) preislich fair gestaltete Lizenzangebote gibt, werden die- chen Arbeit, bei der sie auf wissenschaftliche Publikatio- se sicherlich auch in Zukunft die erste Wahl sein . nen, Bilder, Filme oder sonstige Dokumente angewiesen sind, wirklich nicht genau wissen, wie sie sich urheber- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rechtlich korrekt verhalten sollen . Das liegt – das kann Gleichwohl brauchen wir diese Wissenschaftsschran- ich nur noch einmal betonen, auch wenn es schon mehr- ke . Wir kennen die stark gestiegenen Preise und die Bün- mals gesagt worden ist – daran, dass die einschlägigen delung in Datenbanken, die oft dazu führen, dass wis- rechtlichen Regelungen im ganzen Urheberrecht verteilt senschaftliche Werke für unsere Hochschulbibliotheken sind . Das liegt auch daran, dass sie wenig praxistauglich schwerer zu lizenzieren sind . Die Hochschulbibliotheken und oftmals auch zu starr formuliert sind . Um hier für beschweren sich über Marktversagen und punktuelle Klarheit zu sorgen, braucht es eine allgemeine Bildungs- Monopolbildung durch wissenschaftliche Großverlage . und Wissenschaftsschranke . Das stellt niemand infrage . Die Länder wiederum beklagen die enormen Preissteige- rungen bei wissenschaftlicher Literatur . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier kann die Wissenschaftsschranke quasi als Über- druckventil dienen . Wenn nämlich die Verlage keine Wir brauchen deswegen eine allgemeine Bildungs- angemessenen Lizenzangebote machen, hat der Wissen- und Wissenschaftsschranke, weil es diese neuen recht- schaftler die alternative Möglichkeit, den Zugang zu Li- lichen Regelungen für möglichst alle Anwendungsberei- teratur eben über diese Schranke zu erhalten . Ohne diese che in Forschung, Lehre und Unterricht geben muss . Das Wissenschaftsschranke bekämen wir meines Erachtens ist in der Tat – auch da erzähle ich für Sie alle nichts einen asymmetrischen Markt . Neues – eine besondere Herausforderung im Zeitalter der Digitalisierung . Ich darf festhalten, dass wir natürlich insbesondere die Bibliotheken nicht vergessen sollten . Auch diese soll- Es wurde schon mehrmals auf den Koalitionsvertrag ten wir in diese neue Regelung einbeziehen . Es ist sehr hingewiesen . Ich möchte ihn zitieren . Dort heißt es: wichtig, dass die Bibliotheken und Archive angemessen Berücksichtigung finden. Vielleicht – wir kennen ja den Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen- Vorschlag des BMJV noch nicht – kann man auch noch schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung im Bibliotheksbereich die eine oder andere Anpassung tragen und eine Bildungs- und Wissenschaftsschran- in diesem Rahmen vornehmen . Ich denke an die Fernlei- ke einführen . he, die elektronischen Archivierungsmöglichkeiten oder Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und auch neue technische Möglichkeiten wie das Data-Mi- (B) von den Linken, Sie können sich sicher sein: Wir halten (D) ning, das wir gesetzlich natürlich noch ein ganzes Stück unsere Zusagen ein . voranbringen müssen zum Wohle unserer Bibliotheken . Als Bildungs- und Forschungspolitiker bin ich über- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Eben! – Kai zeugt, dass sich Wissen und wissenschaftlicher Fort- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schritt möglichst schnell und unkompliziert verbreiten Dann los! Wird langsam knapp!) sollten . Das wollen wir mit einer Wissenschaftsschranke Hier gilt aber in besonderem Maße die alte Lebensweis- sicherstellen . Daher führen wir heute diese Debatte . Da- heit „Gut Ding will Weile haben“ . her gibt es den Druck auf das BMJV . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich danke ganz herzlich dafür . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das Urheberrecht ist ein komplexes Werk, und da hilft neten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ kein Drängeln . Es muss vielmehr vieles bedacht und ein DIE GRÜNEN]: Für den Druck? – Gegenruf handwerklich wirklich guter Gesetzentwurf gemacht des Abg . Tankred Schipanski [CDU/CSU]: werden . Hier gilt: Gründlichkeit vor Schnelligkeit . Ja!) (Beifall des Abg . Christian Flisek [SPD])

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Lieber Herr Kollege Schipanski, es muss auch manche Vielen Dank . – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Gegenwehr in Ihren Reihen überwunden werden . Damit Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion . erzähle ich Ihnen auch nichts Neues . (Beifall bei der SPD) Sie haben es schon erwähnt: Es gibt das Gutachten von Frau Professor de la Durantaye . Es enthält wirklich viele gute Ansätze, mit denen wir arbeiten, um daraus ei- Marianne Schieder (SPD): nen guten Gesetzentwurf zu machen . Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Der vorliegende Antrag greift ein überaus wichtiges Es geht hierbei aber natürlich auch – auch damit er- Thema auf . Das Urheberrecht braucht in der Tat dringend zähle ich kein großes Geheimnis – um das Europarecht . eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke . Von der Europäischen Kommission wurde schon mehr- Niemand will die Interessen der Urheberinnen und Urhe- fach eine Reform des europäischen Urheberrechts ange- ber schmälern, aber der Zugang zu Wissen muss verbes- kündigt . Wir haben gedacht, dass wir diese Änderungen sert werden . Es ist in der Tat so, dass viele Nutzerinnen abwarten könnten, um sie in unseren Gesetzentwurf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18087

Marianne Schieder (A) gleich mit einzuarbeiten . Es liegt aber immer noch nichts Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d auf: (C) Konkretes vor . a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- (Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten NEN]: Tempus fugit!) Entwurfs eines Integrationsgesetzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir alle Drucksache 18/8615 sind uns darüber einig, dass eine allgemeine Bildungs- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- und Wissenschaftsschranke notwendig ist . Wir alle sind desregierung eingebrachten Entwurfs eines uns aber auch darüber einig, dass niemandem mit einem Integrationsgesetzes übereilten Werk gedient ist, Drucksachen 18/8829, 18/8883 (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach zwölf Jahren Debatte übereilt? Frau Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Schieder! Jetzt machen Sie endlich! Das ist schusses für Arbeit und Soziales (11 .Aus - doch alles schon formuliert! Es ist alles in der schuss) Schublade von Herrn Kauder!) Drucksache 18/9090 sondern dass allen viel mehr damit gedient ist, wenn wir – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - einen gut durchdachten und gut ausgearbeiteten Gesetz- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung entwurf vorlegen; denn nur damit helfen wir den Men- schen, die Werke schaffen, ebenso wie denjenigen, die Drucksache 18/9091 sie nutzen wollen . b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi- Lieber Kai Gehring, du kannst versichert sein: Du ales (11 . Ausschuss) wirst uns für den hervorragenden Gesetzentwurf, den wir vorlegen werden, loben müssen . – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Ulla Jelpke, Jutta In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- Krellmann, weiterer Abgeordneter und der keit . Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unter- stützen, Integration befördern und Lohn- dumping bekämpfen (B) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (D) Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Luise Amtsberg, Beate Müller- Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, die Vorla- Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der ge auf Drucksache 18/8245 an die in der Tagesordnung Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Nicht geeinigt hat man sich darauf, wo die Federführung liegen soll . Die Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Pra- Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- xisnahe Förderung von Anfang an rung beim Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz . – zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak- NEN]: Falsch!) tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federfüh- Integration ist gelebte Demokratie und rung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- stärkt den sozialen Zusammenhalt nikfolgenabschätzung . Drucksachen 18/6644, 18/7653, 18/7651, (Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜND- 18/9090 NIS 90/DIE GRÜNEN]) c) Beratung der Beschlussempfehlung und Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der des Berichts des Ausschusses für Bildung, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen . Wer stimmt Forschung und Technikfolgenabschätzung für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dage- (18 . Ausschuss) gen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Stimmen der Opposition abgelehnt . Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fraktionen der CDU/CSU und SPD abstimmen . Wer Zugang zu Bildung und Ausbildung für stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt junge Flüchtlinge sicherstellen dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die – zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Opposition angenommen . Luise Amtsberg, Özcan Mutlu, weiterer Abge- 18088 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE heute mit diesem Integrationsgesetz, indem wir nämlich (C) GRÜNEN denjenigen Teilhabe ermöglichen, deren Asylverfahren noch laufen und die in der Vergangenheit bis zum Ende Vielfalt stärkt Wissenschaft – Studienchan- ihres Verfahrens warten mussten – das konnte lange dau- cen für Flüchtlinge schaffen ern; ein Jahr oder auch zwei Jahre –, bis sie endlich einen Drucksachen 18/6198, 18/6345, 18/9101 Sprachkurs oder überhaupt etwas machen durften, ob- wohl sie die ganze Zeit über hier waren . d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Das, was wir heute machen, ist ein Riesenschritt . Ich Forschung und Technikfolgenabschätzung möchte den verhandelnden Ministern sehr dafür danken (18 . Ausschuss) und freue mich, dass der Deutsche Bundestag heute die- sen Schritt gehen möchte . – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE der CDU/CSU) LINKE Man muss noch einmal betonen, dass viele Fehler der Gleicher Zugang zur Bildung auch für Ge- Vergangenheit mit diesem Gesetz beseitigt werden und flüchtete hier tatsächlich sehr genau auf die Details geschaut wur- – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, de, damit Menschen auf dem Ausbildungs- wie auf dem Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, wei- Arbeitsmarkt schneller Fuß fassen können . Denjenigen terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- mit guter Bleibeperspektive wird beispielsweise der Zu- NIS 90/DIE GRÜNEN gang zu Fördermaßnahmen des SGB III ermöglicht, also Berufsausbildungsbeihilfe, Berufsbegleitende Hilfen Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Ein- oder Assistierte Ausbildung . wanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Dass ein Duldungsanspruch für die Berufsausbildung mit der Drei-plus-zwei-Regelung geschaffen wird, er- Drucksachen 18/6192, 18/7049, 18/9022 innert mich sehr an meine Studienzeit . Damals hieß es: Zu dem Entwurf eines Integrationsgesetzes liegt ein Ausländer sollen bitte einen Tag nach Beendigung ihres Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Studiums das Land verlassen .– Es hat ein paar Jahre gedauert, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für es unsinnig ist, Menschen hier auszubilden und sie dann die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- (B) nach ihrer Ausbildung wegzuschicken . Das machen wir (D) nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . auch nicht mehr bei Menschen in Ausbildung, eine Situ- Ich darf Sie nun bitten, möglichst zügig Ihre Plätze ation, die mit einem Studium vergleichbar ist, sondern einzunehmen .– Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat geben diesen Menschen sechs Monate Zeit, um eine ad- die Staatsministerin Aydan Özoğuz. äquate Stelle zu finden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine Hinzu kommen die hunderttausend Arbeitsgelegen- Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]) heiten in Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen, damit die- se Menschen schon in der Erstaufnahme einer gemein- nützigen, sinnvollen Beschäftigung nachgehen können . Staatsministerin bei der Bundes- Aydan Özoğuz, Dafür stellt der Bund immerhin 300 Millionen Euro be- kanzlerin: reit. Geflüchtete wollen schließlich nicht herumsitzen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Sie wollen, so schnell es geht, arbeiten, auch wenn es für Kollegen! Professor Zick von der Uni Bielefeld hat heu- sie auf dem ersten Arbeitsmarkt noch keine Perspektive te Morgen eine Studie mit dem Titel „ZuGleich“ vorge- gibt . Ich möchte hier einen großen Dank an die Arbeits- stellt . Er hat einen Vergleich zwischen den Einstellungen ministerin Nahles aussprechen . der Menschen in der Zeit 2013/2014 und heute gezogen und stellt dabei fest, dass sich manche Dinge leicht ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ändert haben . Ein Beispiel ist, dass eine kulturell viel- der CDU/CSU) fältige Gesellschaft nicht mehr den gleichen Stellenwert Ich finde es auch sehr gut – darüber haben wir schon wie vor zwei Jahren hat . Das Eigene rückt wieder stärker länger gesprochen –, dass wir Erstorientierungskurse für in den Fokus, das sogenannte Andere wird an den Rand Asylbewerber, unabhängig von ihrer Bleibeperspektive, gedrängt . Das Eigene und das Andere entfernen sich also ihren Sprachkenntnissen und ihren Vermittlungsmöglich- voneinander . keiten, etablieren können . Aber erlauben Sie mir, dass ich Professor Zick hat dabei aber auch Erfreuliches he- als Beauftragte hinzufüge: Es wird nicht reichen, in der rausgefunden: Ein Großteil unserer Bevölkerung zum zweiten Jahreshälfte zwei Modellprojekte auf den Weg Beispiel – das glauben viele ja nicht – steht Flüchtlingen zu bringen und abzufragen, welche Bundesländer mitma- positiv gegenüber . Eine Mehrheit in unserer Bevölke- chen . Es sei mir erlaubt, dass ich das etwas kritisch an- rung begrüßt die zunehmende Vielfalt in der Bevölke- merke . Gerade Bayern hat uns schon vor zwei Jahren ge- rung, und die Mehrheit der Bevölkerung, und zwar mit sagt: Das gibt es doch bei uns alles schon . Diese Projekte und ohne Einwanderungsgeschichte, möchte, dass allen könnten doch sofort in anderen Bundesländern durchge- Menschen Teilhabe ermöglicht wird . Genau das tun wir führt werden .– Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18089

Staatsministerin Aydan Özoğuz (A) wirklich allen einen Sprachkurs oder zumindest einen Aber am schlimmsten ist: Sie geben damit der Auslän- (C) Orientierungskurs ermöglichen könnten . derfeindlichkeit am rechten Rand nach . Das ist genau der falsche Weg, meine Damen und Herren . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Dass das nicht so ohne Weiteres geht, liegt daran, dass Frau Zimmermann, Sie wissen es doch besser! wir keine gesetzliche Definition für die „gute Bleibeper- Unverschämtheit!) spektive“ haben . Wir halten uns an die starren Schutz- – Hören Sie mir zu, liebe Kollegin Mast! Dann können quoten von 50 Prozent . Es ist für keinen hier im Haus ein Sie vielleicht noch ein bisschen lernen, gerade was 1-Eu- Geheimnis, dass zum Beispiel der Anteil der Afghanen ro-Jobs angeht . – Integration in den Arbeitsmarkt gelingt mit 48 Prozent knapp unterhalb dieser Quote liegt und eben nicht über 1-Euro-Jobs, und schon gar nicht über wir gleichzeitig wissen, dass viele von ihnen, wenn nicht die 80-Cent-Jobs . Das zeigt die Erfahrung, die wir in den die meisten, hierbleiben werden . letzten Jahren gesammelt haben . An der Stelle brauchen wir endlich eine gesetzliche (Beifall bei der LINKEN) Definition dieser Bleibeperspektive, die sich natürlich an der Realität orientieren muss, also daran, ob jemand tat- Die kommunalen Spitzenverbände haben zudem zu sächlich bleiben wird, damit wir all denen auch Sprach- Recht darauf hingewiesen, dass ein gewaltiger Verwal- kurse, Ausbildungsangebote etc . zukommen lassen kön- tungsaufwand auf sie zukommt, weil die Flüchtlinge nen . Ich glaube, in diesem Bereich sind noch weitere 30 Euro weniger im Monat bekommen sollen . Dazu sagt Schritte möglich, wenn das Integrationsgesetz heute be- die Linke: Das ist völlig unsinnig . schlossen wird . Man muss ja nicht auf der Stelle stehen bleiben, wo man gerade ist . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Diese Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlingen bieten keine Qualifikationsmöglichkeiten. Sie sind auch nicht Ich möchte einen letzten Punkt erwähnen: Auch das dazu geeignet, die deutsche Sprache zu erlernen . Wo sie BAföG sollte weiter geöffnet werden . Denn die Ausbil- innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte stattfinden, wer- dungsförderung nach SGB III sollte auch für Drittstaats- den sie auch reguläre Beschäftigung verdrängen . Sinnvoll angehörige weiterhin gleich ausgestaltet sein . wären stattdessen durchgehende Einstiegsqualifizierun- Es ist ein guter Tag für die Integration, weil wir aus gen mit Deutschkursen und verstärkte Anstrengungen, der Vergangenheit gelernt haben . Ich hoffe, dass wir in die Berufsabschlüsse der Flüchtlinge anzuerkennen . diesem Sinne weitermachen und gute weitere Schritte er- (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) möglichen können . Vielen Dank . Der Bundesrat wollte, dass Flüchtlinge rasch Zugang zu Ausbildungsbeihilfe und zum Ausbildungsgeld erhal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten . „Rasch“ heißt sofort und nicht erst in 15 Monaten . der CDU/CSU) Das hat die Bundesregierung ebenso abgelehnt wie alle anderen vom Bundesrat vorgeschlagenen Erleichterun- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gen zum Hochschulzugang . Das ist völlig unverständlich . Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist die Kollegin (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke . Wir sind uns alle einig: Für Integration sind Sprach- (Beifall bei der LINKEN) kenntnisse nötig . Aber statt allen Asylsuchenden Inte- grations- und Sprachkurse anzubieten, bleibt das An- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): gebot hinter dem Bedarf zurück . Wir brauchen circa Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und 800 000 Plätze in den Integrationskursen, schätzt Pro Kollegen! Sie sagen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf, Asyl . Es ist aber nur Geld für 300 000 Menschen da . Da- das sei ein Integrationsgesetz . Ich sage Ihnen: Das ist ein bei haben wir noch nicht einmal über die Qualität der Ausgrenzungsgesetz für Menschen, die bei uns Schutz Kurse geredet . vor Krieg und Verfolgung suchen . So werden Sie die In- tegration nicht bewältigen . Wer keinen Platz in einem Integrationskurs findet, der gilt nach Ihrem Gesetzentwurf als integrationsunwillig (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Luise und wird dann mit Sanktionen bestraft . Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Dr . Karamba Diaby [SPD]: Wo steht denn Sie ignorieren praktisch komplett die Mahnungen das? – Daniela Kolbe [SPD]: Lies das Gesetz und Hinweise der Verbände, die tatsächlich mit Flücht- doch mal! Das stimmt doch nicht!) lingen arbeiten . Sie unterstellen den Menschen, die zu uns kommen, fehlenden Integrationswillen . Im Wesent- Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Integration zu lichen präsentieren Sie nur Verschärfungen, Kürzungen tun . Das ist Demütigung und Angstmache . und Sanktionen . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – (Daniela Kolbe [SPD]: Wo kürzen wir denn Dr . Matthias Bartke [SPD]: Was ist denn das was? Das ist doch lächerlich!) für ein Gesetz, von dem Sie da reden?) 18090 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Die Linke fordert: Sanktionen für Flüchtlinge und werden und dass das Leben in unserem Land eben nur (C) auch für Erwerbslose in Deutschland müssen endlich ab- auf der Grundlage unserer Verfassung möglich ist . geschafft werden . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Das ist doch Geschwätz!) Und ja, es ist richtig: Wir brauchen große Anstren- gungen, da viele von denen, die schon hier sind oder Ich komme zum Schluss . Wir brauchen frühzeitige die zu uns kommen, eine noch mangelhafte Bildung Sprachkurse, Qualifikationsangebote und sichere Bleibe- und eine geringe berufliche Qualifikation besitzen. Gut perspektiven gerade für Menschen, die einen Beruf oder finde ich dabei, dass durch das Integrationsgesetz zahl- eine Ausbildung aufgenommen haben, und eine schnel- reiche Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden . Diese lere Anerkennung der Berufsabschlüsse . Nur so funkti- qualifizieren die Menschen nicht, Frau Zimmermann; oniert es . wir brauchen aber niederschwellige Arbeitsangebote, da Was Sie unter Fordern und Fördern verstehen, haben auch durch Arbeit Spracherwerb leichter möglich ist, und wir bei Hartz IV gesehen . Die Linke fordert: keine Neu- Spracherwerb ist der zentrale Punkt für Integration . auflage von Hartz IV! Wir werden das auf gar keinen Fall (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – unterstützen . Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- (Beifall bei der LINKEN) KE]: Wenn die nur ihre Heimatsprache spre- chen können?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Es ist auch richtig, dass noch nicht ausreichend Sprach- Vielen Dank . – Als nächste Rednerin kommt jetzt die kurse vorhanden sind . Hier müssen wir weiterhin mit Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion . Hochdruck arbeiten, das wissen wir alle; und das ge- (Beifall bei der CDU/CSU) schieht aber auch . Meine Damen und Herren, wir reden und entscheiden Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): hier über Menschen, und dies braucht Zeit, Geduld und Schönen Dank .– Frau Präsidentin! Liebe Kolle- einen kühlen Kopf . Es ist nicht nur einfach ein Schalter, ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau der umgelegt wird, und die Welt ist wieder so, wie sie Zimmermann, vielleicht hören Sie jetzt einmal zu . Wir mal war – schön oder nicht . So wollen es uns allerdings hatten ja in den vergangenen Wochen ausgiebige Diskus- einige vormachen . Daher ist es für mich einfach uner- sionen . Einfach mal zuhören und dann vielleicht verste- träglich, wenn man, wie auch heute schon wieder ange- (B) hen . klungen ist, die vielen – in meiner Region würde man (D) sagen – Rumnöler hört . Frau Zimmermann, ich sehe, Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) teilen Ihre fünf Minuten auf, damit Frau Daǧdelen gleich Das Integrationsgesetz stellt das Fördern und Fordern auch noch zwei Minuten Zeit hat – Gott sei Dank nur in den Mittelpunkt . Es fördert die Integration und fordert zwei –, um auch mal wieder rumzunölen . sie aber auch ein, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE KE]: Wie bei Hartz IV!) GRÜNEN]: Das war ja wieder mal sehr femi- nistisch!) und zwar soll Integration durch schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt sowie durch die Verbesserung und den Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Ausbau des Angebotes an Integrations- und Sprachkur- da freuen sich die Rechten . Immer wieder wird gesagt: sen gelingen . Das Integrationsgesetz fordert von den Klappt doch alles nicht, alles wird falsch gemacht .– Un- Menschen, die zu uns kommen, diese Angebote aber ser Land wird schlicht schlechtgeredet und leider auch auch anzunehmen . Das ist gut, und es ist der richtige oft schlechtgeschrieben . Es gibt erhebliche Anfeindun- Weg . Wichtig dabei ist: Wir wollen keine Konkurrenz zu gen und Angriffe gegen Flüchtlinge und gegen ihre Un- Langzeitarbeitslosen aufbauen, und das wird auch nicht terstützer, die vielen ehrenamtlichen Menschen, denen der Fall sein . Fast alle Maßnahmen, die Flüchtlingen man in unserem Land nur dankbar sein und auf die man zugutekommen, stehen auch unseren Langzeitarbeitslo- stolz sein kann . sen offen, und nur wenige Förderungen, die insbeson- dere dem Spracherwerb dienen, sind ausschließlich für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Flüchtlinge . der SPD) Ich möchte einige Arbeitsmarktinstrumente für Lang- Außerdem wird zum Teil kübelweise Hass im Internet zeitarbeitslose und Flüchtlinge hervorheben: Das sind und in den sozialen Medien ausgeschüttet . In der letzten Praktika, Berufseinstiegsqualifizierungen, Lohnkosten- Woche war ich bei der Bundesagentur für Arbeit meines zuschüsse, Arbeitsgelegenheiten, assistierte Ausbildung Wahlkreises . Dort werden zurzeit circa 1 000 Flüchtlinge und Weiterbildungsmaßnahmen nach dem SGB III . betreut . Die Geschäftsführerin berichtete mir: Erstens . Wenn ich mir so die Diskussionen der letzten Wochen Die meisten dieser Menschen sind hoch motiviert . Zwei- vor Augen halte: Ja, es ist richtig: Nicht jeder ist deshalb tens . Sie wollen die deutsche Sprache schnell erlernen . ein guter Mensch, weil er ein Flüchtling ist . Deswegen Drittens . Sie wollen schnell in Arbeit kommen . Vor al- müssen wir einfordern, dass unsere Gesetze eingehalten lem aber viertens sind sie glücklich, Krieg und Bomben Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18091

Sabine Weiss (Wesel I) (A) entkommen zu sein und jetzt in unserem Land leben zu Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) dürfen . Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Ich war, bevor ich Mitglied des Deutschen Bundesta- jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer . ges wurde, zehn Jahre Bürgermeisterin . Als Bürgermeis- terin habe ich immer wieder Kitas und Schulen schließen Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen, weil schlicht keine Kinder mehr da waren . Jetzt Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau wird in meinem Wahlkreis – genauso wie in vielen an- Weiss, Sie haben recht: Nicht jeder ist ein guter Mensch, deren Kommunen – darüber nachgedacht und zum Teil weil er ein Flüchtling ist . Ich habe sogar lernen müssen: schon geplant, neue Kitas und Schulen zu bauen. Ich fin- Nicht jeder ist ein schlechter Mensch, nur weil er in der de, das sind auch mal gute Nachrichten . CDU ist . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der SPD – 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht . Volker Kauder [CDU/CSU]: Toll! Super! Klar ist: Wir können nicht alle diese Menschen aufneh- Ganz geile Erfahrung! Glückwunsch! Sie men . Wir müssen hier eine Auswahl treffen . Diejenigen, kriegen nachher von mir einen Bonbon!) die wirklich Schutz vor Krieg suchen, sollen bleiben dür- fen. Den Armutsflüchtlingen muss man in den Herkunfts- Frau Weiss, Sie haben eine Chance vertan, auch wenn ländern helfen . der vorliegende Gesetzentwurf einige positive Elemente enthält; das will ich gar nicht bestreiten . Aber ein Gesetz, (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LIN- das die Hälfte der Asylbewerber von Integrationsange- KE]: Indem Sie Ihre Panzer da hochschicken!) boten ausschließt, hat sein Ziel nicht erreicht . Das ist ein Das tun wir schon seit vielen Jahren, unter anderem in schlechtes Gesetz . der Entwicklungspolitik . Eine Begrenzung ist also zwin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gend notwendig . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun sollen Marokko, Tunesien und Algerien zu si- Tatsächlich sind wir im Begriff – ich zitiere die Integrati- cheren Herkunftsländern erklärt werden, damit die Asyl- onsbeauftragte der Bundesregierung –, „sehenden Auges verfahren schneller abgeschlossen werden können . Hier die Fehler der Vergangenheit“ zu wiederholen. Ich finde, blockiert plötzlich – unverständlich – die SPD-geführte damit hat Frau Özoǧuz ausdrücklich recht. Landesregierung von NRW. Das ist mir unbegreiflich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Katja Mast [SPD]: Und die mit CDU-Betei- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (B) ligung in Baden-Württemberg!) (D) Die entscheidende Frage lautet nur, warum ihr das erst Diese Landesregierung hat durch ihren Innenminister jetzt auffällt. Wo war eigentlich Frau Özoǧuz bis jetzt? Jäger im Januar (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Katja Mast [SPD]: CDU Baden-Württem- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) berg!) Mit dem Festhalten an der diskriminierenden Eintei- – das war nach den Vorfällen in der Silvesternacht in lung der Flüchtlinge nach guter bzw . schlechter Bleibe- Köln – über die Migranten aus den Maghreb-Staaten ge- perspektive verhindern Sie ausdrücklich die Integration sagt, sie seien eine Problemklientel, und hat dann ein- von mehr als der Hälfte der Flüchtlinge . Nur weil Sie den seitig einen Aufnahmestopp für diese Gruppe in NRW Menschen aus Afghanistan, Somalia und dem Sudan das erklärt . Bei der Einstufung dieser Länder zu sicheren Label „schlechte Bleibeperspektive“ verpassen, bleibt Herkunftsländern blockiert NRW nun. Ich finde, das ist die Vielzahl dieser Menschen hier; das wissen Sie doch grotesk und aus meiner Sicht unverantwortlich und im auch . Das Einzige, was sich durch dieses Label verän- Übrigen gegen die Entscheidung der SPD-Bundestags- dert, ist, dass sich die Integrationschancen dieser Men- fraktion . schen verschlechtern, und zwar rapide . Das ist nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU) ein Drama für die betroffenen Menschen, die im Grunde ihren Integrationsehrgeiz nicht befriedigen können – die- Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wirken ser verwandelt sich dann in Frustration –, sondern das Sie noch einmal auf die Ministerpräsidentin Frau Kraft treibt auch die Kosten enorm in die Höhe . ein . Das ist besonders dramatisch, weil Sie mit dieser (Katja Mast [SPD]: Was macht denn Herr Politik die gesellschaftliche Unterstützung, die wir im- Strobl in Baden-Württemberg? Ein bisschen mer noch haben, aufs Spiel setzen . Sie treiben die Be- billig, Frau Weiss!) troffenen in die Schwarzarbeit und in die Illegalität und Wir haben mit dem vorliegenden Integrationsgesetz schaffen damit erst die Probleme, die die AfD mit ihren ein gutes Gesetz vorgelegt . Ich freue mich, dass wir das rechtspopulistischen Äußerungen heraufbeschwört . Das heute zum Abschluss bringen können . Wir werden damit ist schlechte Politik . Erfolg haben . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Daran werden die 100 000 Arbeitsgelegenheiten auch (Beifall bei der CDU/CSU) nichts ändern . Es ist und bleibt das falsche Instrument, 18092 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Brigitte Pothmer (A) weil es qua Definition arbeitsmarktfern ist. Aber ich grationskonzept . Aber Ihr Gesetz ist vom Geist der Ab- (C) habe in der letzten Ausschusssitzung gelernt, dass die schreckung und der Ausgrenzung durchzogen . Dem wer- Arbeitsmarktintegration gar nicht das Ziel ist . Sie neh- den wir unsere Zustimmung jedenfalls nicht geben . men 300 Millionen Euro in die Hand, um den Flücht- lingen die Langeweile zu vertreiben . So haben Sie das Ich danke Ihnen . im Ausschuss erklärt . Aber die Flüchtlinge wollen keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschäftigungstherapie . Sie wollen etwas lernen, und sie sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wollen arbeiten .

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Mit 300 Millionen Euro könnten wir Sprachkurse und Vielen Dank .– Nächster Redner ist der Kollege Josip Qualifizierung finanzieren. Dieses Geld wäre besser bei Juratovic für die SPD-Fraktion . den Flüchtlingen angelegt, selbst wenn sie in ihre Hei- matländer zurückkehren . Dann könnten sie einen bes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten seren Beitrag zum Aufbau zu Hause leisten . Das wäre der CDU/CSU) tatsächlich hilfreich bei der Fluchtursachenbekämpfung . (SPD): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Josip Juratovic sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- legen! Ein gutes Integrationsgesetz muss beide Seiten Sehr geehrte Frau Nahles, Sie haben in der Vergangen- berücksichtigen: die der Flüchtlinge und Zuwanderer, heit, wie ich finde, mit Verve und zu Recht dagegen ge- die in unserer Gesellschaft ankommen und dazu faire kämpft, dass es eine Mindestlohnabsenkung für Flücht- Bedingungen erhalten müssen, und die der Mehrheitsge- linge gibt . Aber dass jetzt ausgerechnet Sie ein extra sellschaft, die ihre Türen verantwortungsbewusst öffnet, Billigangebot bei den Arbeitsgelegenheiten für Flücht- um ebenjene Menschen aufzunehmen . linge schaffen, empfinde ich als eine Schande. (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da hat er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) recht!) Da werden die 1,50 Euro, die die deutschen Langzeit- Für mich als Integrationsbeauftragten der SPD-Frakti- arbeitslosen erhalten, für die Flüchtlinge auf 80 Cent on sind beide Seiten gleichermaßen wichtig . Das Integra- abgesenkt . Sie schaffen ein Zweiklassensystem . Das ist tionsgesetz, das SPD und Union erarbeitet haben, kommt hochgradig diskriminierend . beiden Seiten gleichermaßen entgegen . Natürlich gibt (B) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- es auch öffentlich umstrittene Punkte . Es wäre auch ein (D) NEN]: Unsäglich!) Wunder, wenn es nicht so wäre; denn schließlich ist dies ein Kompromiss unterschiedlicher politischer und gesell- Ich hätte mir nie vorstellen können, dass eine sozialde- schaftlicher Interessen . mokratische Arbeitsministerin das macht . Was setzen Sie damit für ein Signal! Das gilt zum Beispiel für die Wohnsitzauflage. Man- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) che Stimmen meinen, Flüchtlinge müssten selbst ent- scheiden können, wo sie ankommen . Wenn sie bei Ver- Dieses Zweiklassensystem setzen Sie bei den Sank- wandten oder ihrer Community Unterschlupf finden, sei tionen fort . Die Sanktionen, die Sie für die Flüchtlinge das schon ein erster Schritt in Richtung Integration . Viele vorsehen, sind deutlich härter als das, was wir aus dem der Flüchtlinge bevorzugen als ihren neuen Lebensmit- SGB-II-System kennen. Ich finde, das ist wirklich eine telpunkt Großstädte, weil sie meinen, sie hätten dort grö- Schande . ßere Chancen als im ländlichen Raum . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich selbst kam mit 15 nach Deutschland in eine Klein- sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE]) stadt im baden-württembergischen Ländle . Es war das Lassen Sie mich noch Folgendes sagen: Was haben Beste, was mir passieren konnte . Die Welt ist klein und eigentlich Verschärfungen im Asyl- und im Aufenthalts- überschaubar . Wenn man Anschluss sucht, sei es in einem recht in einem Integrationsgesetz zu suchen? Verein oder einer Initiative, kann man schnell in Kontakt mit Menschen kommen; man ist sofort mittendrin . Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will nichts beschönigen: Auch in einer Dorfgemeinschaft sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ist man drin oder eben draußen, wenn es schlecht läuft . Das ist doch Etikettenschwindel . Sie schaffen zusätzli- Aber man hat alle Chancen der Welt, schnell und direkt che Unsicherheit bei den Betroffenen . Bekanntermaßen Teil der Gesellschaft zu werden, zumal wenn auf kom- ist Unsicherheit Gift für die Integration . munaler Ebene ausreichend Angebote an Sprach- und Integrationskursen vorhanden sind; das Angebot solcher (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Kurse ist ja auch Teil des Gesetzes . schafft Verhaltenssicherheit!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Integration von Hunderttausenden von Flüchtlin- der CDU/CSU) gen in den Arbeitsmarkt ist eine riesige Herausforderung, deren Bewältigung Jahre in Anspruch nehmen wird . Wir Auch hier kommen wir mit diesem Gesetz den Bedürf- bräuchten dafür eigentlich ein richtig konsistentes Inte- nissen der Menschen entgegen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18093

Josip Juratovic (A) Länder und Kommunen baten dringend um gezieltere mutszeugnis ohnegleichen . Die Integrationsbeauftragte (C) Steuerungsmöglichkeiten . Sie möchten Flüchtlinge bes- kritisiert ein Gesetz, das Sie Integrationsgesetz nennen . ser versorgen, aber sich stellenweise auch entlasten . Die- se Möglichkeit bekommen sie jetzt . (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte einen zweiten Punkt anmerken. Ich finde Kolleginnen und Kollegen, das Integrationsgesetz sen- besonders schlimm, welche Verschärfungen Sie noch in det somit deutlich positive Signale in alle gesellschaftli- letzter Sekunde in diesem Gesetz vorgenommen haben . chen Gruppen . Der Staat stellt sich seiner Verantwortung Im Kabinettsentwurf war vorgesehen, dass die umstritte- und wird den aktuellen Erfordernissen gerechter . Auch ne Zuweisung des Wohnortes dann entfallen kann, wenn die vielen freiwilligen Helfer, die stillen Helden in un- ein Flüchtling einen angemessenen Wohnraum oder eine serem Land, die Flüchtlinge in so großer Zahl unterstüt- Beschäftigung woanders nachweisen kann . Die Möglich- zen, sollten sich durch das Gesetz und die institutionelle keit, sich selbst angemessenen Wohnraum zu suchen und Unterstützung ermutigt und nicht alleingelassen fühlen . an diesen Ort ziehen zu dürfen, wurde per Änderungsan- Doch für mich ist es auch sehr wichtig, dass sich Inte- trag der Großen Koalition einfach mal gestrichen . Das gration und Teilhabe nicht nur um Flüchtlinge drehen; heißt, dass die Wohnsitzauflage bestehen bleibt, selbst denn Integration funktioniert nur dann, wenn sich keine wenn sich die Betroffenen erfolgreich um Alternativen Bevölkerungsgruppe benachteiligt fühlt . gekümmert haben . Da frage ich Sie: Glauben Sie wirk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich, dass es die Integration fördert, wenn die Flüchtlinge der CDU/CSU) nicht für sich selbst sorgen können? Ich halte es wirklich für abenteuerlich, die Eigeninitiative von Flüchtlingen Abschließend möchte ich betonen: Ja, das Integrati- dermaßen zu bestrafen . Allein schon an diesem Bei- onsgesetz geht in die richtige Richtung, und ich hoffe, spiel zeigt sich, dass es Ihnen nicht um die Integration dass es schnell umgesetzt wird . Aber unsere Gesellschaft von Flüchtlingen geht, sondern um die Gängelung von braucht mehr, um Zuwanderung zu regeln . Deshalb ist Flüchtlingen, das Integrationsgesetz erst der Anfang, dem ein Einwan- derungsgesetz dringend folgen muss . (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Wahn- sinn!) (Beifall bei der SPD) und das finden wir inakzeptabel, meine Damen und Her- Ich bitte um Zustimmung . ren . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) der CDU/CSU) Wir sind dafür, Eigeninitiative und Integrationsbemü- hungen von Flüchtlingen nicht zu erschweren; anderen- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: falls schaffen Sie nur Ausgrenzung und Ghettoisierung . Vielen Dank .– Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die (Dr .Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Zwei Kollegin Sevim Dağdelen das Wort. Minuten Verwirrung!) (Beifall bei der LINKEN) Deshalb hat die Integrationsbeauftragte dieser Bundesre- gierung recht . Dies ist kein Integrationsgesetz; Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was, Frau Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Özoğuz?) Herren! Es ist schon interessant, dass jetzt der Oppo- sition Kritik an einem Gesetzentwurf der Regierung das Gesetz wird Desintegration befördern . vorgeworfen wird . Aber ich möchte Sie von der CDU/ Vielen Dank . CSU doch wirklich bitten: Hören Sie lieber den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsorganisationen zu . (Beifall bei der LINKEN)

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jeden Sonntag Vizepräsidentin Ulla Schmidt: höre ich der Kirche zu!) Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die CDU/ All das sind Organisationen, die dieses Gesetz massiv CSU-Fraktion ist die Kollegin Cemile Giousouf . kritisiert haben . All das sind aber die Organisationen, (Beifall bei der CDU/CSU) die den Flüchtlingen ihre Ankunft hier so angenehm wie möglich zu organisieren versucht haben, nachdem der Bund die Länder und die Kommunen im Stich gelassen Cemile Giousouf (CDU/CSU): hatte, nachdem zuvor die Kanzlerin die Flüchtlinge nach Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland eingeladen hat . Das war doch das Problem . Erinnern Sie sich noch an die Diskussionen vor einem Diese Organisationen haben in den Kommunen die Inte- Jahr? Da haben wir alle in unseren Fraktionen darüber gration möglich gemacht . Selbst Ihre Integrationsbeauf- diskutiert, wie wir die Kommunen unterstützen können, tragte hat noch heute in der Presse dieses Gesetz kritisiert damit sie die Kriegsflüchtlinge versorgen können – mit als ein Gesetz, das die Integration von Migrantinnen und einer Unterkunft, mit einer Erstaufnahme . Es ging da- Migranten zu beinträchtigen droht . Das ist doch ein Ar- rum, dass die Asylanträge schneller bearbeitet werden 18094 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Cemile Giousouf (A) sollen . Und heute? Heute reden wir über ein Gesetz, das nicht geschlossen hinter diesem Gesetz stehen . Wir soll- (C) Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflohen sind, ten nach außen die klare Botschaft senden, dabei helfen soll, in der Zeit, in der sie hier leben, Teil unserer Gesellschaft zu sein . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) In so kurzer Zeit hat unser Innenminister gemein- dass dieses Gesetz hilft und herausfordern kann: sam mit der Arbeitsministerin ein Gesetz auf den Weg (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . gebracht, in dem es um Integration und Teilhabe geht . Dr . Eva Högl [SPD]) Während andere europäische Länder sich noch immer weigern, Menschen auch nur Unterschlupf zu geben, Wir fordern die Menschen auf, die Sprache zu lernen . streiten wir heute darum, wie wir Bleibeberechtigte am Aber wir stellen natürlich auch die Angebote dafür zur besten und schnellsten integrieren können . Dazu möchte Verfügung. Allein in diesem Jahr fließen 250 Millionen ich uns allen gratulieren; es zeigt doch sehr, was wir un- Euro zusätzlich für die Integrationskurse . Wir heben den ter Verantwortung verstehen . Stundensatz für Integrationslehrer an . (Beifall bei der CDU/CSU) (Katja Mast [SPD]: Wie lange haben wir da- für gekämpft!) Heute verabschieden wir das erste Integrationsgesetz Deutschlands . Das Gesetz ist wirklich ein Meilenstein, Wir erweitern mit dem Integrationsgesetz außerdem die wie die Bundeskanzlerin es gesagt hat . Dieses Gesetz Orientierungskurse von 60 auf 100 Stunden . Dabei legen zeigt, dass wir keine Zuwanderung ohne Integration wir verstärkt Wert darauf, dass unsere Grundrechte und mehr wollen und in diesem Land auch nicht mehr ha- die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bes- ben werden . Anerkannte Flüchtlinge unterstützen wir, ser erklärt werden . Das kommt übrigens besonders den aber Integration braucht eben auch Regeln . Regeln haben Flüchtlingsfrauen selbst zugute . wir in allen gesellschaftlichen Bereichen, und deswegen brauchen wir sie auch im Bereich der Integration . Ganz wichtig für uns: Die Hälfte der Flüchtlinge sind zwischen 18 und 27 Jahre alt . Es sind junge Menschen, Es ist ein Gesetz der Partnerschaftlichkeit . Wenn wir die wir frühzeitig unterstützen können, einen Beruf zu den Flüchtlingen sagen, dass wir auch etwas von ihnen erlernen . Der Arbeitsmarkt kann das auch schaffen . Im erwarten, nehmen wir sie als eigenverantwortliche Men- Moment haben wir in Deutschland 41 000 offene Aus- schen ernst . Wir beziehen sie auf Augenhöhe in unsere bildungsplätze . Gesellschaft ein, weil wir sie nicht nur paternalistisch versorgen wollen . Auch für Geduldete schaffen wir Rechtssicherheit . Wer eine Ausbildung beginnt, soll für die gesamte Dauer (B) Die Kollegen von der Opposition haben einige Punkte in Deutschland bleiben dürfen . Die bislang bestehende (D) kritisiert . Es ist ihr Recht . Altersgrenze zu Beginn der Ausbildung fällt weg . Da, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist, können die Länder NEN]: Ach! Danke sehr! Sagen Sie doch mal entscheiden, auf die Vorrangprüfung zu verzichten – eine was inhaltlich Neues!) Forderung, die oft von Unternehmen kam . Aber schauen wir uns die Verhältnismäßigkeit an! Sie, (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Dağdelen, bezweifeln – das haben Sie eben noch NEN]: Warum dann nicht vollkommen?) einmal deutlich gemacht –, dass die Wohnsitzauflage die Nun beschweren sich die Kollegen der Grünen immer Integration überhaupt fördern könne . Experten des Sach- noch darüber, dass wir die berufsvorbereitenden Maß- verständigenrates sagen – also nicht nur die Politiker –: nahmen für Geduldete erst nach sechs Jahren zugäng- Wenn etwas Integration am meisten befördert, dann sind lich machen . Da frage ich mich schon bei so manchem es Sprache und Arbeit . Deshalb ist es auch richtig, dass Beitrag, ob Sie überhaupt wissen, wer Geduldete sind . die Flüchtlinge dorthin ziehen, wo sie eine Arbeit be- Geduldete sind Menschen, deren Asylantrag abgelehnt kommen, wo sie Integrationskurse bekommen und die wurde . Sprache lernen können . (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Und die teilweise über Jahrzehnte nicht An einer Stelle muss ich Frau Dağdelen allerdings abgeschoben werden!) recht geben . Es hat auch mich etwas irritiert, heute in der Presse zu lesen, dass selbst die Staatsministerin für Inte- Hinzu kommt: Nur 0,6 Prozent der Asylentscheidungen gration das Gesetz kritisiert hat . in diesem Jahr endeten mit einer Duldung . Über wie viele Menschen reden wir also? Wer als Geduldeter einen Aus- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bildungsplatz findet, hat auch Zugang zu allen Unterstüt- NEN]: Ist Ihre Koalition schon zu Ende?) zungsmaßnahmen . Nur die berufsvorbereitenden Maß- nahmen haben diese Koppelung an den Arbeitsmarkt In ihrer Rede hat sich das alles anders angehört . nicht, sondern finden allein bei einem Bildungsträger (René Röspel [SPD]: Sie will etwas, das statt . Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass Sie schon gut ist, besser machen!) ein Gesetz schlechtreden, Ich glaube, dass es einen faden Beigeschmack bei (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unseren Bürgerinnen und Bürgern hinterlässt, wenn wir NEN]: Waren Sie bei der Anhörung dabei?) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18095

Cemile Giousouf (A) das 99 Prozent der Betroffenen unterstützt, nur weil Sie und wichtig, weil sich jetzt für den Betrieb die Ausbil- (C) meinen, dass weniger als 1 Prozent der Menschen nicht dung lohnt; denn die Betriebe bilden für sich selbst aus . schnell genug geholfen wird . Also bei allem Respekt: Das ist einfach Quatsch . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Damit ist endlich Schluss mit der Unsicherheit für alle Insgesamt sieht der Finanzplan für dieses Jahr zu- Beteiligten . sätzlich rund 10 Milliarden Euro für die Aufnahme der Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen Mit Ausbildungsbegleitenden Hilfen und Assistierter vor . Wer all das, was wir gemacht haben und jetzt auch Ausbildung stehen Instrumente der Bundesagentur für vorhaben, gebetsmühlenartig schlechtredet, selbst gegen Arbeit schneller zur Verfügung, um das Ausbildungsver- Expertenmeinungen und Erläuterungen, der betreibt das hältnis zu stabilisieren . Geschäft der Angstmacher . Neu ist auch, dass jetzt der Ausbildungsvertrag das (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aufenthaltsrecht klärt und nicht mehr, wie bisher, das NEN]: Wie bitte?) Ausländeramt . Das ist für alle Beteiligten unbürokrati- Stellen Sie sich doch einmal hinter die Menschen dieses scher und am Ende auch besser . Landes, und stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Bei einem Ausbildungsabbruch – das hat die SPD in den Verhandlungen durchgesetzt; darauf lege ich schon viel Wert; das haben bisher alle vergessen zu sagen –,

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: kann künftig einmalig sechs Monate nach einem neuen Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kol- Ausbildungsplatz gesucht werden . Das ist deshalb so legin Katja Mast das Wort . wichtig, weil jeder vierte Ausbildungsvertrag aufgelöst (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird, meist durch Abbruch . Dieses Verhältnis wollen wir der CDU/CSU) nicht mit ausländerrechtlichen Fragen belasten . Insofern ist auch das ein großer Erfolg . Katja Mast (SPD): (Beifall bei der SPD Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen (B) und Kollegen! Vor dem Hintergrund, dass 70 Prozent der geflüch- (D) teten Menschen, die zu uns kommen, unter 30 Jahre alt Wenn wir mehr für die Integration tun, dann tun wir sind, ist dieses Integrationsgesetz ein Ausbildungsförder- das nicht nur für die Betroffenen, für die zu Integrie- programm erster Güte, und das ist auch gut so . renden, sondern für uns alle . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Deshalb danke ich insbesondere unserer Bundesarbeits- So hat das Johannes Rau 2001 auf den Punkt gebracht . ministerin Andrea Nahles und ihrem Haus . Sie hat Wert Dieses Integrationsgesetz ist ein Zukunftsgesetz und darauf gelegt, dass es in Deutschland bei der Integrati- ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem Zuwande- on durch Arbeit endlich einen Meilenschritt nach vorne rungsgesetz . geht . (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Um vom Fremden zum Nachbarn, zum Kollegen, zum CSU]: Jawohl! Das stimmt, Frau Özoğuz!) Vereinsmitglied zu werden, ist die Integration in Arbeit Warum ist das der wichtigste Schritt auf dem Weg und Ausbildung der beste Weg, weil Arbeit Teilhabe ist; zum Zuwanderungsgesetz? Weil zum ersten Mal beim davon sind wir in der SPD überzeugt . Bleiberecht nicht mehr danach gefragt wird, wo jemand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steht, sondern danach, wohin jemand will . Und das ist der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: der Schritt in Richtung Zuwanderungsgesetz . Nicht nur Sie!) (Beifall bei der SPD) Arbeit und Ausbildung sind Dreh- und Angelpunkt für alle Integrationsbereiche, für Sprache, Bildung und so- Kurzum: Nie waren die Rahmenbedingungen für das ziale Teilhabe . Gelingen von Integration – vom Fremden zum Nachbarn, zum Kollegen und zum Vereinsmitglied – so gut, wie sie Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Gesetz her- es mit diesem Integrationsgesetz zukünftig sein werden . ausgreifen, welches das verdeutlicht . Jeder geduldete Das ist ein gutes Gesetz . Geben Sie ihm Ihre Stimme! Flüchtling kann künftig eine Ausbildung machen . Für ihn und seinen ausbildenden Betrieb ist klar, wie lange (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – er oder sie hierbleiben darf: drei Jahre für die Ausbildung Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und zwei Jahre für die Weiterbeschäftigung . Das ist gut NEN]: Das war aber ein langer Werbeblock!) 18096 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich halte das auch für richtig . Es geht darum, zu fördern, (C) Vielen Dank .– Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- aber auch zu fordern . nungspunkt ist die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/CSU-Fraktion . Flüchtlinge können sich auch nicht mehr, wie bisher, eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis ersitzen . Wir le- (Beifall bei der CDU/CSU) gen fest, dass Schutzberechtigte, die länger bei uns blei- ben wollen, nach fünf Jahren bestimmte Sprachkennt- Andrea Lindholz (CDU/CSU): nisse vorweisen und ihren Lebensunterhalt größtenteils Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen selbst bestreiten müssen, bevor sie ein dauerhaftes Auf- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute enthaltsrecht erhalten . Wir verbessern auch die Steue- wollen wir mit diesem Integrationsgesetz die Integration rung der Integration. Mit der Wohnsitzauflage können der schutzberechtigten Menschen verbindlicher gestal- die Länder anerkannten Flüchtlingen für drei Jahre einen ten . Wir verbessern mit dem Integrationsgesetz aber nur festen Wohnsitz zuweisen . den gesetzlichen Rahmen . Den Integrationswillen des Frau Dağdelen, ich habe den Eindruck, Sie haben Einzelnen kann der Staat nicht ersetzen . Er lebt hier von nicht allen Sachverständigen und auch nicht den Ver- Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann . Ohne tretern der kommunalen Spitzenverbände zugehört . In die vielen Verantwortlichen vor Ort und ohne die vielen der Anhörung haben sie diese Forderung noch einmal ehrenamtlichen Helfer, die heute als Lotsen den Weg in ganz klar formuliert . Unsere Kommunen brauchen die die deutsche Gesellschaft weisen, könnte die schwierige Wohnsitzauflage zur Steuerung. Dazu gehören Wohnen Integrationsarbeit nicht gelingen . Sie übernehmen nach und Arbeit . Flüchtlinge müssen und sollen dahin gelotst wie vor Tag für Tag Verantwortung, und dafür gebührt werden, wo es Wohnraum und Arbeit gibt, um soziale ihnen unser Dank . Brennpunkte und Ghettobildung zu vermeiden . Selbst- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verständlich sind Ausnahmen möglich, zum Beispiel aus ordneten der SPD) familiären Gründen oder wenn man anderswo eine Ar- beit findet. Frau Kollegin Zimmermann, Ihrem Vorwurf, man kümmere sich nicht um die Menschen, die hierherkom- (Beifall bei der CDU/CSU) men, widersprechen die vielen Menschen, die sich tag- ein, tagaus darum kümmern . Dem widersprechen aber Mit der Drei-plus-zwei-Regelung kommen wir einer auch die Zahlen: Die Finanzminister der Länder rechnen Forderung insbesondere der Arbeitgeber nach . Die Drei- für die Versorgung und Integration mit zusätzlichen Kos- plus-zwei-Regelung besagt, dass Betriebe mehr Rechts- (B) ten in Höhe von jährlich mindestens 20 bis 30 Milliarden sicherheit erhalten, wenn sie abgelehnte Asylbewerber (D) Euro. Das Bundesfinanzministerium rechnet bis 2020 bei sich aufnehmen und ihnen einen Berufsausbildungs- mit knapp 94 Milliarden Euro . Es kann also keine Rede platz bewilligen . Das ist in Bezug auf unser bisheriges davon sein, dass man sich in Deutschland nicht um die migrationspolitisches Verständnis, nämlich keinen Spur- Menschen kümmert . wechsel zwischen der Arbeitsmigration und dem Asyl- system vorzunehmen, eine Veränderung . Wir gehen diese Wir legen mit diesem Gesetz den Fokus nach wie vor Veränderung mit, weil wir die Notwendigkeit sehen, für ganz bewusst auf die Integration der Schutzberechtigten . die Auszubildenden und die Betriebe mehr Rechtssicher- Rund ein Drittel der Asylbewerber wird nach wie vor heit zu schaffen . Aber das darf keine dauerhafte Abwei- abgelehnt; bei ihnen steht die Ausreise im Vordergrund . chung von unserem Prinzip werden . Wir erwarten in diesem Jahr 550 000 Neuanmeldungen für Integrationskurse . Im letzten Jahr waren es im Ver- Ich halte es für erforderlich und wichtig, dass die Be- gleich dazu 180 000 . Die Bundesmittel hierfür sind auf triebe, die es jetzt in der Hand haben, ob ein abgelehnter 558 Millionen Euro verdoppelt worden . Der Zugang zu Asylbewerber ein Aufenthaltsrecht bekommt, melden diesen Kursen kann nicht beliebig ausgeweitet werden . müssen, wenn die Ausbildung abgebrochen wird . Das Wir müssen uns auf die wirklich Schutzberechtigten kon- haben wir geregelt . Der Abbruch der Ausbildung muss zentrieren . nicht unverzüglich, aber binnen sieben Tagen gemeldet Unsere Integrationspolitik folgt dem Prinzip des werden . Mit diesen Änderungen haben wir Rechtssicher- Förderns und Forderns . Wir fördern in den Bereichen heit geschaffen . Die Union hat sich auch mit der Forde- Sprache, Ausbildung und Arbeit, und wir fordern die rung durchgesetzt, dass, wenn konkrete aufenthaltsbeen- Inanspruchnahme der Integrationsangebote . Die Kurse dende Maßnahmen bevorstehen, keine Möglichkeit mehr müssen zügiger angetreten und durchgeführt werden . besteht, auf diesem Weg ein Bleiberecht zu erhalten . Wenn jemand die Integrationskurse nicht ordnungsge- Auch das ist wichtig und richtig . mäß absolviert, (Beifall bei der CDU/CSU) (Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das werden wir nie herausfinden!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gemeinnützige Arbeit, die ihm zumutbar ist, nicht akzep- tiert oder gegen die Mitwirkungspflichten verstößt, dann Sie kommen dann bitte zum Schluss . können Leistungen im Einzelfall auch gekürzt werden . (Dr .Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) klang aber flehentlich!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18097

(A) Andrea Lindholz (CDU/CSU): bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- (C) Unser Kurs in der Asylpolitik ist damit klar: Wir för- genommen . dern und fordern die Integration der Schutzberechtigten . Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- Ein Mehr kann man sich immer wünschen . Die Innenpo- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- litiker wünschen sich manchmal ein Weniger . Trotzdem tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7653 mit sage ich: Es ist ein gutes Gesetz . Ich bitte Sie heute, die- dem Titel „Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge – Praxis- sem Gesetz zuzustimmen . Es enthält viele gute Ansätze . nahe Förderung von Anfang an“ . Wer stimmt für diese Danke schön . Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen ordneten der SPD) der Opposition angenommen . Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Vielen Dank . – Ich schließe damit die Aussprache . Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 18/7651 mit dem Titel „Integration ist gelebte De- Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- mokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt“ . Wer tionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bundes- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt regierung eingebrachten Entwürfe eines Integrationsge- dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- setzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf die Stimmen der Opposition angenommen . Drucksache 18/9090, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/8615 sowie Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung sachen 18/8829 und 18/8883 zusammenzuführen und in und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9101 . der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6198 gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit mit dem Titel „Zugang zu Bildung und Ausbildung für in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- junge Flüchtlinge sicherstellen“ . Wer stimmt für diese tionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Dritte Beratung enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (B) Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen (D) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer angenommen . ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- angenommen . nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6345 mit dem Titel „Vielfalt stärkt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wissenschaft – Studienchancen für Flüchtlinge schaf- der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜND- fen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Enthaltung bei stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- der SPD!) empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- nen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- che 18/9103 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? Der und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/9022 . Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- lehnt . schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 18/6192 mit dem Titel Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- „Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“. Wer lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Druck- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt sache 18/9090 fort . dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6644 mit dem Titel „Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Integration befördern und Lohndumping bekämpfen“ . nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer auf Drucksache 18/7049 mit dem Titel „Mehr Bildungs- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- gerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und der Herkunft nicht über Zukunft bestimmt“ . Wer stimmt für SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – 18098 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Es ist zudem eine zusätzliche Belastung für das Kind und (C) Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen seine Familie . der Opposition angenommen . Zweites Beispiel . Ein junger Mann aus dem Süden Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: Sachsen-Anhalts hat eine diagnostizierte Lese- und Rechtschreibstörung; die behält man sein ganzes Leben . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten In der Schule wurde seine besondere Situation zunächst Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W . nicht beachtet . Es kam zu einem Schulwechsel . Dort wur- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- de dann seine Rechtschreibleistung nicht mehr bewertet . on DIE LINKE Das ist bis zur 10 .Klasse möglich, und das ist auch so Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver gehandhabt worden . Der junge Mann hat sich bis zur Schulen fördern gymnasialen Oberstufe durchgekämpft; aber dort ging das dann nicht mehr . Das ist nicht nur in Sachsen-Anhalt Drucksache 18/8420 so, sondern auch noch in 14 anderen Bundesländern . Überweisungsvorschlag: (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) Die Folge: Das Abitur fiel entsprechend schlechter aus, Ausschuss für Arbeit und Soziales was zu unnötigen Wartesemestern bei der gewünschten Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Studienwahl führt . b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nun frage ich Sie: Was berechtigt uns, ein Kind we- Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W . gen seines Handicaps gegen den Willen der Eltern in Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti- eine deutlich weiter weg gelegene Kita zu verweisen? on DIE LINKE Was berechtigt uns, einem jungen Mann mit einer Lese- Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver und Rechtschreibstörung den Zugang zum Studium zu Bildung in der Kindertagesbetreuung umset- erschweren? Ich sage es Ihnen: Nichts! zen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Drucksache 18/8889 neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Überweisungsvorschlag: Weil wir dieses Recht nicht haben, haben wir Ihnen heu- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- te die beiden Anträge vorgelegt . Das sind ja keine Ein- zung (f) zelfälle; das findet immer wieder in vielfältiger Art und Innenausschuss Weise statt . (B) Ausschuss für Arbeit und Soziales (D) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es ist doch paradox: Wer es wegen einer irgendwie gearteten Benachteiligung schwerer hat, Bildung zu er- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für langen und erfolgreich zu lernen, dem baut unser Bil- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen .– Dazu höre ich dungssystem noch zusätzliche Hürden auf, keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ich darf Sie bitten, die Plätze einzunehmen .– Ich SES 90/DIE GRÜNEN) eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Dr . Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke . entweder dadurch, dass Hilfeleistungen erst kompliziert beantragt werden müssen oder fadenscheinig verweigert (Beifall bei der LINKEN) werden, oder dadurch, dass die individuelle Situation gar nicht berücksichtigt wird, weil sie in keinem der Sozial- Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): gesetzbücher vorkommt . Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen Wer Inklusion will, der muss sie im gesamten Bil- und Kollegen! Seit 2009 haben wir uns verpflichtet, In- dungsbereich durchsetzen, der muss einen uneinge- klusion in der gesamten Gesellschaft umzusetzen . Die schränkten und gleichberechtigten Zugang zu Bildung Voraussetzungen dafür muss die Politik schaffen, also für alle – ohne Ausnahme – gewährleisten, wir . Da haben wir noch ein großes Stück Arbeit vor uns . Wie weit wir davon noch in der Bildung entfernt sind, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sollen zwei Beispiele belegen . neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erstes Beispiel . Eine Familie im Harz möchte ihr und ich sage „gewährleisten“, nicht „gnädigerweise“ zweijähriges behindertes Kind in einer Regelkita in oder, wie es so schön im Verwaltungsdeutsch heißt, „nach Wohnortnähe betreuen lassen . Diese Kita ist auch auf- pflichtgemäßem Ermessen gewähren“. Es geht nicht um nahmebereit . Doch das zuständige Jugendamt verweist Ermessen, es geht um einen Rechtsanspruch . die Familie auf eine besondere Kita am anderen Ende des (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Harzes . Dort sind bereits andere Kinder mit Handicaps in NIS 90/DIE GRÜNEN) Betreuung .– Das ist nicht Inklusion, sondern Exklusion, Ausgrenzung . Für das Gewährleisten sind wir alle zuständig, nicht nur die Länder, nicht nur die Kommunen, sondern auch (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der Bund . Darum umfasst unser Forderungskatalog in neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beiden Anträgen Forderungen an alle drei Ebenen . Wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18099

Dr. Rosemarie Hein (A) brauchen überall inklusive Kitas und inklusive Schulen; Als verantwortliche Politiker müssen wir aber vor allem (C) den Rahmen dafür müssen wir schaffen . das Kindeswohl und somit die Bedürfnisse der Schüle- rinnen und Schüler im Blick haben . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir benötigen Inklusion auch im politischen Handeln . NEN]: Und wo ist da der Unterschied? Wo ist der Widerspruch?) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Es gibt einen gesellschaftlichen Wandel . Die UN-Be- Petzold [Havelland] [DIE LINKE]) hindertenrechtskonvention ist aber nicht Auslöser dieses Umdenkens, sondern das erste Ergebnis . In der Folge ist Darum fordern wir zum wiederholten Male, die gemein- Inklusion nicht die Umsetzung dieser Konvention, son- same Verantwortung für Bildung von Bund, Ländern und dern die bedarfsgerechte Berücksichtigung von gesell- Kommunen endlich im Grundgesetz festzulegen . schaftlich anerkannten Bedürfnissen . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wenn es denn mal so Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Ihnen vor wäre! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE wenigen Wochen mit dem Berufsbildungsbericht schon GRÜNEN]: Die Konvention ist geltendes einmal einen solchen Antrag vorgelegt . Sie werden ge- Recht!) merkt haben, dass sie teilweise wortgleich sind; das ist Absicht . Dieser strukturelle Wandel hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, die Sie in Ihrem Antrag (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so!) schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen . Es ging damals um die berufliche Bildung. Es gibt aber auch Unterschiede, die sich durch die speziellen Bil- (Dr .Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Auch das dungsbereiche ergeben . Heute nun folgen der zweite stimmt nicht!) und der dritte Streich, und ich verspreche Ihnen: Nach der Sommerpause kommt der vierte Streich, nämlich zur Unsere Bildungseinrichtungen befinden sich gegenwär- Hochschulbildung . tig in einer Phase des Übergangs, wie der Bildungsbe- richt 2014 attestiert . In unserem Antrag zur inklusiven Ich danke Ihnen . Bildung von vor zwei Jahren haben wir bereits entspre- chende Handlungsempfehlungen abgeleitet . (B) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (D) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Und zwar auch NEN]: Ach ja? Und was ist daraus geworden wortgleich! – Marcus Weinberg [Hamburg] in den zwei Jahren?) [CDU/CSU]: Das war eine Drohung!) Des Weiteren gibt es die von Ihnen geforderten verbind- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: lichen Empfehlungen für inklusive Bildung als Leitlinien Vielen Dank . – Der Kollege Xaver Jung hat als Nächs- der KMK, also in dem von Ihnen geforderten Rahmen, tes das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . bereits seit 2011 . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Einzelprobleme lassen sich mit den Maßnahmen, die ordneten der SPD) Sie in Ihren Anträgen formuliert haben, leider nicht lö- sen . (CDU/CSU): Xaver Jung (Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und NEN]: Das sind strukturelle Probleme!) Kollegen! Wir haben viele Einzelbeispiele gehört zu in- zwischen drei Anträgen – einen werden Sie noch vorle- Wenn man, von der UN-Behindertenrechtskonvention gen – mit der Überschrift „Inklusive Bildung für alle“ . ausgehend, zur Lösung der Probleme wiederum zu einer Sie plädieren inhaltlich für ein ganzheitliches Konzept . Schwächung oder gar zur Abschaffung des Gymnasiums Warum also vier verschiedene Anträge? Das erschließt kommt, sich mir nicht . (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kommen Sie denn auf die Idee?) NEN]: Dann machen Sie es doch besser!) Wenn man die vorliegenden Anträge liest, stößt man widerspricht das jedem zielorientierten Denken . schnell auf Widersprüche . Sie begründen die Anträge ausschließlich mit den Ausführungen der UN-Behinder- (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu tenrechtskonvention . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das denn hier gefordert? Das hat keiner gefor- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Überhaupt dert! – Dr .Rosemarie Hein [DIE LINKE]: nicht!) Wie kommen Sie denn darauf?) 18100 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Xaver Jung (A) – Das steht in Ihrem Antrag . Sie haben doch drei gleich- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) lautende Anträge hier abgegeben; Sie müssten wissen, Herr Kollege, lassen Sie Ihre Redezeit nicht verstrei- dass das drinsteht . Oder kennen Sie Ihre Anträge nicht? chen . Reden Sie einfach weiter . (Dr .Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ich ken- (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das wäre ne unsere Anträge sehr gut!) nur ein Satz gewesen!)

Frau Hein, Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Xaver Jung (CDU/CSU): Abschaffung des Gymnasiums zu mehr Akzeptanz für Ich kann nur sagen: Die Anträge, die Sie hier vor- unser gemeinsames Inklusionsanliegen führt . gelegt haben, bieten uns keine neuen Erkenntnisse . Sie helfen uns nicht wirklich weiter . Klassenideologische (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ansätze dienen dem Ziel der Inklusion nicht, sondern Wer hat das denn gefordert? – Dr . Rosemarie schaden eher . Hein [DIE LINKE]: Wir fordern Inklusion auf dem Gymnasium! Das ist doch keine Abschaf- (Beifall bei der CDU/CSU) fung! Wo leben Sie denn?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Damit erreichen Sie doch das Gegenteil von breiter ge- Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Özcan sellschaftlicher Akzeptanz . Das Thema wird als Vehikel Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen . missbraucht, um hier schulpolitische, systempolitische Gedanken einzuführen . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege NEN]: Wer hier in den ideologischen Gräben Xaver Jung, ich rate vor allem Ihnen: Verlassen Sie erst ist, wird doch gerade klar!) einmal Ihre ideologischen Gräben, dann können wir über vernünftige Bildungspolitik reden . Ebenso wird der Begriff der Exklusion verwendet, um unser Förderschulsystem abzuwerten . Ständig taucht der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Begriff der Exklusion in einer Art und Weise auf, die ich sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE]) nicht teile . In unserem traditionellen Förderschulsystem Das, was Sie hier gemacht haben, war Ideologie pur . Sie werden Kinder nicht ausgegrenzt, wie Sie es formulie- sind gar nicht auf die Rede der Kollegin von der Linken ren; Sie haben das ja gerade wiederholt . Vielmehr er- eingegangen . (B) fahren Kinder mit Beeinträchtigungen bei uns bisher in (D) zwölf differenzierten Förderschularten eine ganz beson- Liebe Kolleginnen und Kollegen, letzte Woche habe dere schulische, physiologische und besonders liebevolle ich in einer Tageszeitung aus NRW gelesen, dass eine Förderung . junge Frau aus dem schönen Nettetal das beste Abitur ihres Schuljahrgangs absolviert hat . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr .Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber keine sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE Inklusion! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE LINKE]) GRÜNEN]: In der Regelschule nicht, oder wie? Was für ein Schwarz-Weiß-Denken!) Manche mögen jetzt fragen: Was ist daran so ungewöhn- lich? Ich sage es Ihnen: Die junge Frau hat als Schülerin Dieses über Jahrzehnte gewachsene System kann nur bis zur achten Klasse die Förderschule besucht . schrittweise in ein noch besseres inklusives Schulsystem (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da sieht man, überführt werden . Die notwendigen Schritte sind einge- wie eine gute Förderschule funktioniert!) leitet. Wir befinden uns gemeinsam mit den Ländern auf dem Weg zu mehr Inklusion . Wir haben ein großes Stück Diese junge Frau hat es dank ihres eigenen Engagements, des Weges noch vor uns . aber auch dank des Engagements ihrer Eltern und ihres Umfelds geschafft, nach der achten Klasse auf eine Ge- Sie haben in Ihrem Antrag viele Zahlen aufgeführt . samtschule zu wechseln; Wettbewerbe um die jeweils höchste Inklusionsquote, ohne dabei Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, ma- (Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Das ist doch chen aber keinen Sinn . Viele Bundesländer rühmen sich super! Wo ist das Problem?) ihrer Quantität statt ihrer Qualität . ein Glück für sie . Ich sage: Weil viele Kinder und Ju- gendliche dieses Glück nicht haben und wir ein struk- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) turelles Bildungsproblem haben, müssen wir umsteuern . Das schadet eher dem Kindeswohl . Die sogenannte kalte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Inklusion darf nicht auf dem Rücken von Kindern und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jugendlichen ausgetragen werden . Deshalb sollten Sie genau zuhören . (Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE] mel- Viele junge Menschen bekommen schlichtweg nicht det sich zu einer Zwischenfrage) die Chance, eine Regelschule zu besuchen . Aber wir sa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18101

Özcan Mutlu (A) gen: Der Bildungserfolg unserer Kinder darf weder vom Meine Damen und Herren, inklusiver Unterricht muss (C) Glück abhängig sein noch davon, ob sie in einer Förder- auf variierende Lerntempos der Schülerinnen und Schü- schule oder einer Regelschule lernen . Der Sonderstatus ler eingehen . Das erfordert mehr Investitionen in die Bil- und die konstruierte Andersartigkeit fallen beim inklusi- dung und neue Konzepte . Auf der Nationalen Konferenz ven Unterricht weg . Nur so können alle sich bestmöglich zur inklusiven Bildung im Jahre 2013 hat Frau Ministerin entwickeln und bestmöglich gefördert werden . Wanka in Richtung der Länder gesagt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Jeder Cent für inklu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sive Bildung ist gut angelegt .– Da nehmen wir Sie beim sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wort, da stimme ich Ihnen absolut zu . Das muss auch die Inklusion ist nicht – wie es in einem Zwischenruf von Bundesregierung endlich beherzigen und nicht nur Sonn- der CDU/CSU eben hieß – Gleichmacherei, sondern das tagsreden von sich geben . Gegenteil von Gleichmacherei . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- und bei der LINKEN) ruf von der CDU/CSU: Was Sie hier halten, ist eine Montagsrede!) Inklusion heißt nämlich: Jeder und jede wird individuell gefördert, ohne ausgeschlossen oder stigmatisiert zu wer- Unterstützen Sie die Länder, damit inklusive Bildung den . Nur so kann Bildungsgerechtigkeit gelingen . für alle keine Illusion bleibt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig! In zehn Ländern sitzen Sie Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . mit in der Regierung! Dann macht es doch!) Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich schaue in Ich komme zum Schluss. – Mit der 2009 ratifizierten Richtung der CDU/CSU –, sollte unser aller Anliegen UN-Konvention haben wir uns verpflichtet. Darin wird sein, und nicht nur in den Schulen, sondern auch in den inklusives Lernen als ein Menschenrecht anerkannt . Uns Kitas . ist es aber bislang nicht gelungen, das flächendeckend Der jüngste nationale Bildungsbericht hat erneut bestä- vollumfänglich umzusetzen . Jetzt ist es an der Zeit! Las- tigt, dass Bildungsungerechtigkeit und soziale Disparität sen Sie uns gemeinsam anpacken, statt immer noch in immer noch die Achillesferse unseres Bildungssystems ideologischen Gräben – wie Sie da drüben von der CDU/ (B) darstellen, obwohl kleine Fortschritte zu verzeichnen CSU – zu verharren . (D) sind . Es wird weiterhin selektiert und aussortiert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wo? In Nordrhein-Westfalen, oder?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Wir Grüne sagen: Damit muss Schluss sein! Als nächster Redner hat Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion das Wort . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD)

Das leidige Kooperationsverbot ist, auch wenn Sie es Oliver Kaczmarek (SPD): nicht gern hören, ein wesentliches Inklusionshemmnis – das sollten Sie endlich akzeptieren –; Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Zunächst einmal finde ich es vom Grundsatz her (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gut, dass wir heute die Gelegenheit haben, dieses The- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ma zu diskutieren . Allerdings glaube ich, dass wir in der Thematik doch schon etwas weiter sind; denn die denn Inklusion kostet Geld . Hier darf sich der Bund kei- Behindertenrechtskonvention ist seit sieben Jahren in nen schlanken Fuß machen . Wir sehen den Bund auch in Kraft . Kitas, Schulen und Hochschulen haben sich auf der Pflicht. den Weg gemacht, und deshalb finde ich einige Stich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – punkte grundsätzlicher Art in Ihrem Antrag, in dem es Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl, das sa- um neue Lernkulturen und meinetwegen auch um eine gen alle Bürger! Genau! – Weiterer Zuruf von ­Enquete-Kommission geht, durchaus diskussionswürdig . der CDU/CSU: Unglaublich!) Aber das hilft den Schulen, die sich schon auf den Weg gemacht haben, in ihrem Alltag im Moment recht wenig . Wir brauchen endlich eine gemeinsame Bildungsstra- Deswegen möchte ich drei Anmerkungen zu dem ma- tegie für unser Land . Deshalb sagen wir: Packen Sie es chen, was wir in der Praxis von Inklusion, die wir schon an! Lassen Sie uns gemeinsam das Kooperationsverbot seit einigen Jahren in den Ländern beobachten können, abschaffen! lernen können und was wir umsetzen müssen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die erste Anmerkung ist ganz klar: Es ist schon viel und bei der LINKEN) geleistet worden . Jedes dritte Kind mit Förderbedarf wird 18102 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Oliver Kaczmarek (A) heute im gemeinsamen Unterricht in Deutschland be- bewilligt worden sind, die sich direkt auf Inklusion be- (C) schult . Das ist ein Erfolg . Deswegen geht der erste Dank ziehen . 51 von 59 geförderten Projekten beziehen He- an diejenigen, die sich jeden Tag in ihre Klassen stellen, terogenität im Unterricht, heterogene Lerngruppen und manchmal auch der Meinung sind, dass die Ausstattung Inklusion ausdrücklich in ihre Konzepte ein . An dieser nicht gerade optimal ist, und trotzdem jeden Tag dafür Stelle erhoffen wir uns auch für die zweite Förderrunde sorgen, dass Kinder gemeinsam beschult werden, dass eine ganze Menge . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Chancengleichheit ein Stück näher rückt . mithelfen, die Lehrerausbildung zu modernisieren . Zu- hören und bei den Alltagsproblemen anpacken – das ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das, was jetzt gefordert wird . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Da gibt es natürlich auch Unterschiede . Die Pionierlän- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung der wie Bremen oder Schleswig-Holstein sind schon wei- zum Schluss . Ich sorge mich – wie viele andere auch – ter . Sie haben eine Inklusionsquote von über 60 Prozent darum, dass sich kritische Meldungen häufen über die an Schülern mit Förderbedarf im gemeinsamen Unter- Frage, wie eigentlich Inklusion an Schulen umgesetzt richt . Hessen liegt als Schlusslicht bei gerade einmal gut wird und wie sich das Klima an Schulen entwickelt . Ich 20 Prozent . Da gibt es unterschiedlichen Nachholbedarf . glaube, wir müssen auf Folgendes hinweisen: Inklusion, Darauf muss man differenziert eingehen . inklusive Bildung, das bedeutet einen Mehrwert für die Zweite Anmerkung: Ja, wir müssen da unterstützen, gesamte Gesellschaft – für die Kinder mit Behinderung, wo es hakt . Wir müssen die Probleme des Alltags auf- weil sie mehr Chancengleichheit bekommen, aber auch greifen . Ich will dazu zwei Stichworte aufnehmen . für alle anderen, weil sie etwas über soziales Lernen er- fahren, über Diversität in pluralistischen Gesellschaften Das erste Stichwort dazu, das Sie im Antrag richti- usw . Wir müssen immer wieder die Akzeptanz aufrecht- gerweise nennen, ist die Barrierefreiheit . Dabei geht es erhalten . Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen um Investitionen in Schulgebäude . Das sind Zukunfts- sehen, dass es einen Mehrwert hat . Es lohnt sich, für in- investitionen . Ich kann mir eigentlich kaum eine bessere klusive Bildung zu kämpfen . Zukunftsinvestition in die Lern- und Lebensbedingungen von jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorstellen . Ich glaube, der Bund hat tatsächlich ein biss- der CDU/CSU und des Abg . Özcan Mutlu chen mitgeholfen, dass in den Ländern Spielraum dafür [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) besteht . Ich denke zum Beispiel an die BAföG-Entlas- tungen . Das sind jedes Jahr knapp 1,2 Milliarden Euro, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (B) (D) die in die Länder fließen und die die Länder – ich bin der Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Marcus Bundesregierung dafür dankbar, dass sie das in einer Un- Weinberg von der CDU/CSU-Fraktion . terrichtung klargestellt hat – genau für Bildung ausgeben . In der Unterrichtung steht, dass die Annahme gestützt (Beifall bei der CDU/CSU) wird, dass die freigewordenen Mittel den Bildungs- und Wissenschaftshaushalten der Länder zugutekommen . Ich Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): bin der Bundesregierung dankbar, dass sie diese absurde Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Diskussion über die Verwendung der BAföG-Mittel da- nen und Kollegen! Liebe Frau Hein, „Schein“ hat mehr mit endlich beendet hat . Sie kommen der Bildung zugute . Buchstaben als „sein“. Bei Ihrem Debattenbeitrag fiel (Beifall bei der SPD) mir deutlich auf, dass Sie das eigentliche Kernthema Ih- res Antrags gar nicht angesprochen haben . Wieder einmal Ich glaube, auch die Länder machen einiges . Ich sind es die drei Punkte: Erstens wollen Sie das föderative will hier nur beispielhaft darauf hinweisen, dass Nord- System auf den Kopf stellen, zweitens soll der Bund auch rhein-Westfalen gestern bekannt gegeben hat, dass in den noch die Kitas finanzieren, und drittens wollen Sie die nächsten vier Jahren zusammen mit der NRW BANK. je- Elternbeiträge abschaffen . Das hat mit dem Thema in- weils eine halbe Milliarde Euro pro Jahr mobilisiert wird, klusive Bildung und mit den Maßnahmen, die der Bund um Schulgebäude in Nordrhein-Westfalen zu moderni- mittlerweile unternimmt, nichts zu tun . sieren . Ich glaube, das ist genau das richtige Zeichen . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir haben uns hier ja schon vor vielen Jahren darüber unterhalten und haben Zweites Stichwort: Ja, gute und überzeugte Lehrerin- darüber diskutiert, wie wir das sehen . Viel weiter sind Sie nen und Lehrer, Profis für Inklusion sind der Schlüssel nicht gekommen, für das Gelingen von inklusiver Bildung . Die Länder leisten da sicherlich ganz viel . Das jetzt im Einzelnen (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufzuführen, würde zu weit führen . Ich glaube, dass auch NEN]: Sie auch nicht!) der Bund seinen Beitrag dazu leistet . Wir haben mit der und viel kreativer sind Sie auch nicht geworden . „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ein Instrument in der Hand, mit dem wir Innovationen im Bildungswesen an- Deswegen komme ich jetzt zu dem Thema, Herr reizen und Best Practice verbreiten wollen . Tatsächlich Mutlu, um das es eigentlich geht . Es ist doch unbestrit- ist es so, dass in der ersten Förderrunde neun Projekte ten, dass die Inklusion ein Ziel ist . Aber – ich greife das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18103

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) auf, was Sie gesagt haben – man sollte es sorgsam tun . engere Zusammenhang mit der inklusiven Bildung fehlt (C) Das Umsteuern darf nicht dazu führen, dass man die Kin- mir momentan noch . Ich sage Ihnen eines aber auch ein- der nicht mitnimmt . mal ganz deutlich: Das sehen wir anders . Erstens . Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz . Deswegen (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wollen wir den Ausbau vorantreiben . Zweitens . Danach NEN]: Das sagen Sie seit sieben Jahren!) geht es um die Qualität in den Kindertagesstätten . Drit- Es häufen sich die Meldungen aus einzelnen Schulen, tens . Wenn dann noch Geld da ist, können wir uns über dass mittlerweile ganze Schulsysteme vor dem Kippen die Elternbeiträge unterhalten . sind, weil sie nicht ausfinanziert sind und weil die Inklu- Ich sage ganz deutlich: In Hamburg wurden die El- sion dort nicht funktioniert . Wir sind für die Inklusion, ternbeiträge gestrichen. Davon profitieren die Besserver- aber im Mittelpunkt steht das Kindeswohl . Das muss un- dienenden, so wie ich . Ich würde mir wünschen, die So- ser Leitinteresse sein . zialdemokraten in Hamburg würden mehr Erzieherinnen (Beifall bei der CDU/CSU) einstellen, damit sich die Qualität steigert . Das ist aber leider ausgeblieben . Wenn Kinder in Förderschulen gut gefördert werden, dann ist das auch im Sinne der Kinder und der Eltern . (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: In Baden-Württemberg (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wurde das schon zur Zeit der CDU-Regierung Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber nicht angegangen!) im Sinne der Inklusion!) Ich kann Ihnen sagen: Für Kindertagesstätten besteht Dann kommen Sie mit Ihrem Antrag, in dem es wie- über den Grundsatz der Teilhabe hinaus ein integrativer der einmal heißt: Das Verbot der Bildungszusammen- Förderauftrag . Demnach sollen Kinder mit und ohne arbeit zwischen Bund und Ländern, das Kooperations- Behinderung grundsätzlich in den Gruppen gemeinsam verbot soll aufgehoben werden . Nein, das Gegenteil ist gefördert werden . Sie hatten Beispiele aus dem Harz an- doch gut: Bund und Länder sollen kooperieren, aber die gesprochen . Ich weiß nicht, wer da aktuell regiert . Ist das Verantwortung für das Schulsystem und für das System vielleicht Niedersachsen? Keine Ahnung! Ich kann Ihnen der Kindertagesbetreuung muss doch dort liegen, wo wir nur sagen: In meinem Bundesland, in Hamburg, werden eine gewisse Historie haben, wo wir verschiedene Ent- 99 Prozent der Kinder gemeinsam in Kindertagesstätten wicklungen haben . Sie können die Systeme in Hamburg, betreut . Berlin und München nicht miteinander vergleichen . Des- wegen sollte man den Ländern und den Kommunen die Der Bund hat darüber hinaus das Thema „inklusive Freiheit geben, ihre Systeme weiterzuentwickeln . Bildung“ sogar exklusiv aufgenommen . Die Program- (B) me des Bundes wurden bereits angesprochen . Ich erin- (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nere zum Beispiel an das Bundesprogramm „Sprach- Die Kindertagesbetreuung ist dabei Teil der öffentlichen Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ mit über Fürsorge in der geteilten Verantwortung . 4 000 Schwerpunkt-Kitas . Um auf das Geld zu schauen: Für dieses Programm werden im Jahr 2016 131 Milli- Ein weiterer Punkt ist wieder einmal die Umvertei- onen Euro und im Jahr 2017 278 Millionen Euro be- lung vom Bund zu den Ländern . Der Kollege der SPD reitgestellt . Themen dieses Programms sind nicht nur die hat es angesprochen: Der Bund macht einiges . Ich sage Integration und die Sprache, sondern – oha, oha – das das einmal in Bezug auf die Kindertagesbetreuung: Ab zweite der drei Themen dieses Programms lautet „Inklu- dem Jahr 2017 werden wir den Ländern einen Betriebs- sive Pädagogik“ . Ich darf aus dem Programm zitieren: kostenzuschuss von 945 Millionen Euro im Jahr zahlen, also für die originäre Aufgabe der Länder . Das tun wir, Eine inklusive Pädagogik ermutigt Kinder und Er- weil es wichtig ist . Wir haben 5,4 Milliarden Euro in den wachsene, Vorurteile, Diskriminierung und Benach- Ausbau der Krippenversorgung investiert, und wir ha- teiligung kritisch zu hinterfragen sowie eigene Ge- ben viele Teilprogramme im Bildungsbereich und für die danken und Gefühle zu artikulieren . Kindertagesbetreuung, um die Länder zu entlasten . Eines Das bedeutet, dass man sowohl den Gemeinsamkeiten sage ich Ihnen aber auch ganz deutlich: Das Grundsys- und Stärken von Kindern Aufmerksamkeit schenkt als tem der föderativen Einteilung bleibt bestehen und muss auch Vielfalt thematisiert . Auf Deutsch gesagt: Der Bund auch bestehen bleiben, weil die Länder hier in der Ver- nimmt Geld in die Hand, um die inklusive Bildung über antwortung sind . dieses Programm zu fördern . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich lese Ihre Anträge Insoweit kann ich als Fazit feststellen: Die Länder aufmerksam; sind in der Verantwortung . (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist auch gut (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Den Satz so!) habe ich schon oft gehört!) Sie haben das eben nicht so genau ausgeführt –, dass Der Bund unterstützt die Länder gerne . Aber bitte: Ord- gemeinsam mit den Ländern ein Masterplan entwickelt nungspolitisch muss es noch gewisse Grundsätze in werden soll, um mittelfristig in allen Ländern die Eltern- diesem Land geben . Ich sage hier ganz deutlich: Die beiträge für die Kindertagesbetreuung abzuschaffen . Der Kindertagesstätten und der Schulbereich bleiben in der 18104 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) Zuständigkeit der Länder . Inklusive Bildung ja, aber es wollen . Ich bin sicher, dass es hier im Haus eine breite (C) muss sorgsam umgeschichtet und umgesteuert werden, Mehrheit für die Einführung eines Bundesqualitätsgeset- damit kein Kind auf der Strecke bleibt . Das darf uns nicht zes gibt . passieren . Deswegen sollten wir im Übrigen auch beide Systeme, das inklusive System und das Fördersystem, (Beifall der Abg . Dr .Rosemarie Hein [DIE weiter schützen und stärken . LINKE]) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . Mit ihrem Qualitätsdialog ist Manuela Schwesig auf dem richtigen Weg . Nur in einem Dialog mit den Ländern (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie können wir vergleichbare Bildungschancen und einheit- Hein [DIE LINKE]: So wird es keine Inklu- liche Qualität liefern . Dabei ist klar: Bessere Personal- sion!) schlüssel, Barrierefreiheit und Weiterbildung gibt es für Bund, Länder und Kommunen nicht umsonst . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Stefan Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Schwartze von der SPD-Fraktion das Wort . Noch nie hat der Bund so viel Geld für den Kitaaus- (Beifall bei der SPD) bau gegeben und wird das auch in Zukunft tun: bis 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Euro . Seit 2015 liegen wir bei Stefan Schwartze (SPD): einer jährlichen Unterstützung für die Betriebs- und Per- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und sonalkosten von 845 Millionen Euro . Im dritten Inves- Kollegen! Das gemeinsame Lernen und Aufwachsen titionsprogramm geben wir eine weitere Milliarde für von Kindern mit oder ohne eine Behinderung muss eine den Kitaausbau . 2017 und 2018 werden wir noch einmal Selbstverständlichkeit sein . Es ist eine Chance für uns jeweils 100 Millionen Euro für die Betriebskosten bereit- alle, Barrieren in den Köpfen zu überwinden, und eine stellen . Auch die freiwerdenden Mittel aus dem Betreu- Chance für jeden Einzelnen, seine soziale Kompetenz zu ungsgeld stehen den Ländern zur Verfügung . stärken . Das, was der Bund hier macht, ist eine wirkliche (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kraftanstrengung, mit der wir die Länder strukturell und NEN]: Aber?) finanziell unterstützen. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel . Daran werden wir weiter Kinder selbst haben keine Barrieren . Sie sind interes- arbeiten . siert, fragen nach und spielen miteinander . Im Umgang (B) miteinander können wir vieles von ihnen lernen . Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der der CDU/CSU) Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Nicht ohne Grund sind inklusive Kitas Bestandteil des gerade vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache . Aktionsplans 2 0. zur Umsetzung der UN-Behinderten- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf rechtskonvention . den Drucksachen 18/8420 und 18/8889 an die in der Entwicklungsförderung von Anfang an und die Stär- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . kung der Qualität inklusiver frühkindlicher Bildung, Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann Betreuung und Erziehung werden wir weiterhin in den ist das so beschlossen . Fokus nehmen . Doch so sehr wir uns einbringen wollen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: einheitliche Standards für jedes Kind zu schaffen, und zwar unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht – Beratung der Beschlussempfehlung und und wo es in Deutschland aufwächst, so sehr sind wir auf des Berichts des Auswärtigen Ausschusses eine intensive Zusammenarbeit mit den Ländern ange- (3 .Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- wiesen; denn die Standards sind in den Ländern äußerst gierung unterschiedlich . Fortsetzung und Erweiterung der Beteili- Die Länder und Kommunen haben auf diesem Weg gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an bisher Großes geleistet . Allein in Nordrhein-Westfalen EUNAVFOR MED Operation SOPHIA sind seit 2010 mehr als 600 000 Kitaplätze geschaffen Drucksachen 18/8878, 18/9035 worden . Hier gab es nach der schwarz-gelben Landesre- gierung sehr viel aufzuholen . – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Beifall bei der SPD – Xaver Jung [CDU/ CSU]: Die waren ja auch Jahrhunderte dran!) Drucksache 18/9073 Doch wir haben in Deutschland mit Blick auf die un- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion terschiedlichen Betreuungsstandards weiterhin einen Fli- Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfeh- ckenteppich . Diese Unterschiede kann niemand wirklich lung werden wir später namentlich abstimmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18105

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für IS, der im Irak und in Syrien unter Druck ist, jetzt die (C) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu Chance nutzt, das Vakuum in Libyen auszunutzen . keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Der Antrag der Bundesregierung zur Erweiterung der Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat Mission EUNAVFOR MED Operation Sophia um drei Rainer Arnold für die SPD-Fraktion das Wort . zusätzliche Aufgaben ist deshalb richtig, weil das auch in unserem Interesse ist und aus humanitären Gründen (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Roderich richtig ist . Die drei Erweiterungen sind erstens: Es wird Kiesewetter [CDU/CSU]) in Zukunft ein libyscher Küstenschutz ausgebildet . Es liegt in der Tradition, Ausbildung in fernen Ländern zu Rainer Arnold (SPD): leisten, damit diese Länder sich am Ende selbst helfen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! können und nachhaltig für ihre eigene Sicherheit sorgen Alles, was wir hier entscheiden, tun wir in dem Bewusst- können . Es gibt also so etwas wie ein schwimmendes sein: Das, was wir leisten können, ist nur ein Heftpflaster; Klassenzimmer und wahrscheinlich auch Auszubildende nicht mehr und nicht weniger, angesichts eines Staates, in sicheren Staaten . der mehr und mehr zerfällt, angesichts einer Regierung, Das Zweite ist ebenso richtig: Man muss den Schmug- deren Vertreter es schon an der nächsten Straßenecke mit gel von Waffen nach Libyen stoppen . In Libyen gibt es Milizen zu tun haben, die in diesem Land ganz andere über 20 Millionen Waffen . Wir wissen zwar, dass die Dinge durchsetzen wollen . Die Bildung der Einheitsre- meisten über die Landgrenze kommen . Aber das ist noch gierung in Libyen ist zwar ein kleiner, aber wichtiger lange kein Grund, auf See dem Waffenschmuggel zuzu- Schritt zu mehr Stabilität . Wir wissen, wir werden Ge- schauen . Deshalb ist es richtig, dass das Waffenembar- duld brauchen, bis sich diese Regierung in Libyen wieder go der Vereinten Nationen beim Schmuggel von Waffen durchsetzen kann und die Kontrolle über das Land erhält . durchgesetzt werden muss, damit man nicht mehr darauf warten muss, bis der jeweilige Flaggenstaat der Schiffe Ich sage das deshalb am Anfang, weil wir wissen: Das das akzeptiert . Allerwichtigste zur Bewältigung dieser Situation ist, dass dieses Land Libyen nicht weiter zerfällt, sondern wie- Es ist interessant, Kolleginnen und Kollegen von der der auf einen stabilisierenden Pfad zurückgeführt wird . Linken. Sie finden sonst das meiste gut, was die Russen Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Martin tun . Finden Sie es doch hier auch einmal gut! ­Kobler, leistet mit seiner Kompetenz, aber auch mit sei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nem diplomatischen Geschick Herausragendes . Russland hat dem nämlich zugestimmt . Darüber sind wir (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sehr froh, und das zeigt, dass wir Russland als Partner zur (D) der CDU/CSU und des Abg . Jürgen Trittin Bewältigung der großen Probleme in der Welt brauchen . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, diese Missi- Ich denke, er legt mit seiner Arbeit in der Staatengemein- on, die sich auch an Land noch ein Stück weit ausdehnt – schaft für unser Land Ehre ein . an der 2 000 Kilometer langen Küste –, ist auch deshalb wichtig, weil es um die Rettung von Menschenleben Deshalb ist es Unsinn, wenn die Linken immer wieder geht . Über 18 000 in Seenot geratene Flüchtlinge, von behaupten, es gäbe eine Militarisierung der Außenpoli- üblen Schleuserbanden auf Schlauchboote gesetzt – mit tik . Allein dieses Beispiel zeigt doch: Diplomatie ist das Millionengewinnen für die kriminellen Banden –, wur- Allerwichtigste und das Allererste . den in der Zeit, seit die Operation Sophia läuft, gerettet . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich glaube, wer dies nicht schätzt, geht zynisch mit den CDU/CSU) Belangen der Menschen um . Humanitäre Hilfe, die in Libyen so dringend gebraucht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie wird, ist das zweite Wichtige . Deutschland bringt dafür der Abg . Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/ dieses Jahr über 20 Millionen Euro auf . DIE GRÜNEN]) Als Drittes ist aber leider auch wahr, wichtig und not- Ich weiß sehr wohl: Die Rettung der Schiffsbrüchi- wendig: Dem furchtbaren Terror des „Islamischen Staa- gen ist am Ende auch ein Teil des Geschäftsmodells der tes“ muss man sich auch mit Waffen entgegenstellen, Schleuser . Sie schicken die Menschen los, nach dem damit am Ende nicht die Brutalsten obsiegen . Motto „Da draußen ist ein Schiff der Streitkräfte, das euch retten wird“, und trotzdem tun wir das, und wir Es ist also kein Entweder-oder; es gibt auch keinen müssen es tun, weil es rechtlich und humanitär geboten Königsweg, sondern alle drei Bereiche – das Humani- ist . Aber gleichzeitig dürfen wir nicht zuschauen, wie das täre, das Militärische und die Diplomatie – zusammen Schleuserunwesen weiter zunimmt . Deshalb muss auch sind ein Dreiklang, der eine Chance auf eine Verände- auf See, wo es derzeit möglich ist, außerhalb der 12-Mei- rung und Verbesserung der Situation bietet . Dabei geht len-Zone, das Schleuserunwesen bekämpft werden . Ich es nicht nur um die Situation der Menschen in Libyen; es sagte schon: Wir brauchen eine libysche Regierung, die geht auch um unsere eigenen Sicherheitsinteressen . Wir wieder Staatlichkeit durchsetzt und verhindert, dass die dürfen nicht zulassen, dass der IS sich weiter in diesem Menschen überhaupt auf diese Boote geführt werden . zerfallenen Land ohne Rechtlichkeit breitmacht . Es hat Über 200 000 Menschen warten auf eine Überfahrt nach etwas mit unseren Sicherheitsinteressen zu tun, wenn der Europa . 18106 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Rainer Arnold (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wem zerreißt es schlimmsten Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlin- (C) nicht das Herz, wenn er die Bilder der Schiffsbrüchigen gen und für Verbrechen an der Bevölkerung in Libyen – sieht? Die Zahl von 2 500 ertrunkenen Menschen allein so die Menschenrechtsorganisationen. Ich finde, das ist in den ersten fünf Monaten dieses Jahres – es sind üb- inakzeptabel, und das ist schändlich . rigens mehr als im letzten Jahr – darf uns nicht ruhen lassen . Diese Menschen sind auch Opfer des fundamen- (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens talistischen islamistischen Terrors . Sie sind Opfer von [CDU/CSU]: Das ist ja ungeheuerlich! Das ist kriminellen, mafiösen Schleuserbanden und -strukturen, ein ungeheuerlicher Vorwurf!) aber sie sind zuletzt auch Opfer von Industriestaaten und Ich frage Sie auch: In welche Bürgerkriege möchten Sie befreundeten Ländern, auch in der Europäischen Union, sich eigentlich noch einmischen? Wurde dazu die Bun- die nicht bereit sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen deswehr einmal aufgestellt, um Truppen zu entsenden, und den fairen Anteil von Menschen aufzunehmen, der die durch Waffenhilfe und -ausbildung weltweit Bürger- dem entspricht, was diese Staaten leisten könnten . Auch kriegsparteien ertüchtigen sollen? Ist das Aufrüsten von dies gehört leider zur Wirklichkeit . Verbrechern in Libyen für Sie Teil der Territorialverteidi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gung, etwa Deutschlands? Was Sie hier schaffen, ist wie- derum ein neues Frankensteinmonster, das Sie in Zukunft Vor diesem Hintergrund, werte Kolleginnen und Kol- eben nicht mehr hegen und bekämpfen können; legen, ist doch klar: Wir können und dürfen all dieses Leid nicht verdrängen, deshalb müssen und werden wir (Beifall bei der LINKEN) diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen . denn wie wollen Sie kontrollieren, in welche Hände Ihre Recht herzlichen Dank . Waffen, die Sie bei der Ausbildung ausgeben werden, ei- gentlich gelangen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer will ih- nen denn Waffen geben?) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Sevim Wie wollen Sie garantieren, dass Ihre ausgebildeten Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. Menschen nicht zu den feindlich gesonnenen islamisti- schen Terrorbanden überlaufen werden? Sie können es (Beifall bei der LINKEN) nicht garantieren . (Beifall bei der LINKEN) Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (B) Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie können nicht ausschließen, dass Sie sich an der Aus- (D) Infolge des NATO-Krieges gegen Libyen herrschen in bildung derjenigen beteiligen, die sich im Grunde ge- dem Land am südlichen Ufer des Mittelmeeres inzwi- nommen dann gegen Sie richten werden; das wissen Sie schen islamistische Terrorbanden und Warlords, die ei- auch . Das Einzige, das sicher ist, ist, dass Sie den Bürger- nen erbitterten Bürgerkrieg um die Ressourcen des Lan- krieg in Libyen damit natürlich weiter anheizen werden, des führen . Jetzt weiten Sie den Bundeswehreinsatz, die wenn Sie dort Menschen bewaffnen und ausbilden . Mission EUNAVFOR MED, aus, sodass unserer Ansicht (Beifall bei der LINKEN) nach dieser Bürgerkrieg in Libyen weiter internationali- siert wird . Ziel der Mission soll es auch sein, Einheiten Das ist für uns völlig inakzeptabel, und es ist eine aben- von Polizei und Armee der nichtgewählten Übergangsre- teuerliche Außenpolitik . Deshalb fordern wir Sie auf, die gierung zu bewaffnen und auszubilden . Bundeswehr dort abzuziehen . Wie sieht eigentlich die bisherige Praxis der militä- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und die Men- rischen Migrationsabwehr – sprich: der Flüchtlingsab- schen ertrinken zu lassen!) wehr – aus? Amnesty International gibt der libyschen Küstenwache, die jetzt noch enger mit der Europäischen Wenn Sie tatsächlich eine Seenotrettung wollen, dann Union kooperieren soll, eine Mitschuld an den furcht- machen Sie doch eine zivile Seenotrettung . baren Leiden der Flüchtlinge . Seit Ende Mai haben sie (Beifall bei der LINKEN) 3 000 Menschen aus dem Meer gezogen und wieder in die Lager gebracht, von denen es 24 irreguläre in dem Warum schicken Sie Kriegsschiffe zu den Flüchtlingen Land gibt, die vorwiegend von bewaffneten Banden, und keine Fähren? Der Kommandant der Fregatte „Karls- auch Islamisten, kontrolliert werden . – So der Bericht ruhe“, Christian Clausing, der selbst an dieser Mission der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International . beteiligt gewesen ist, hat gesagt: Kriegsschiffe sind für Seenotrettung nicht optimiert . Mit Ihrer militarisierten Flüchtlingsabwehr und der Kooperation mit Antidemokraten und üblen Schergen in Ich finde, eine militärische Flüchtlingsabwehr genau- Libyen tragen Sie zu einer massiven Verschlechterung so wie eine Kriegsbeteiligung der Lage der Menschen bei . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So, jetzt zum (Beifall bei der LINKEN) Ende kommen!) Die deutsche Bundesregierung wie auch die deut- in Libyen durch Ausbildung und Bewaffnung von Schur- schen Soldaten tragen somit Mitverantwortung für die ken und Schergen stellen einen Bruch unseres Grundge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18107

Sevim Dağdelen (A) setz dar und sind auch nicht mit dem Völkerrecht verein- und verteidigt und massiv unter dem Terror leidet, die (C) bar . Deshalb lehnen wir diesen Bundeswehreinsatz ab . europäische Grenzsicherungsmission .

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja eine Ich will die drei Schritte aufzeigen, die für unsere po- Überraschung! – Rainer Arnold [SPD]: Haben litische Arbeit wichtig sind . Erstens . Die Ausweitung von Sie eine Idee, was man tun muss?) Sophia bedeutet, dass wir gemeinsam mit den Vereinten Wir hoffen, dass bei Ihnen irgendwann Vernunft einkehrt Nationen versuchen, das Waffenembargo durchzusetzen . und Sie weiter nicht irgendwelche Islamisten ausbilden . Ich gestehe den Grünen zu, dass wir Lücken haben . Das betrifft die Landgrenzen im Süden, wo der Großteil des Vielen Dank . Waffenschmuggels stattfindet. Aber wir müssen begin- nen und dürfen kein Vakuum hinterlassen . Dass man mit (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens der zivilen Seeschifffahrt kein Waffenembargo durchset- [CDU/CSU]: Bei uns herrscht Vernunft!) zen kann, dürfte jedem einleuchten, nur nicht der Linken .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Der zweite Schritt, der erforderlich ist, ist die Bil- Vielen Dank . – Da beide Redner, wenn auch nur dung einer libyschen Zentralregierung . Diese wird, wenn leicht, ihre Redezeit überschritten haben, appelliere ich es mehrheitlich gewünscht wird, dafür sorgen, dass die nun noch einmal, die Redezeit einzuhalten . Ich werde europäische Mission im Auftrag der Vereinten Nationen hier ab 21 Uhr nicht alleine die Abstimmungen leisten bis an die Küste geht . Ein weiterer Schritt wäre, dass die können . Sie müssen dann schon dabei sein . Ich erwarte, Mission Sophia dem Einsammeln von Kleinwaffen dient . dass jeder anschließend hier ist . Sie alle wissen, worum 6 Millionen Einwohner, 20 Millionen Kleinwaffen – hier es geht . sind wir gefordert . Die Europäische Union hat Erfahrun- gen in Bosnien und im Kosovo gesammelt . Wir wissen, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wie das geht, Hammelsprung!) (Dr .Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das Der Kollege Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion glaube ich!) hat das Wort und wird zeigen, dass das geht . (Beifall bei der CDU/CSU) und kennen auch die Tücken . Der dritte Schritt ist dann, dass die europäische Missi- Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): on, wenn die Einladung durch die libysche Zentralregie- (B) Ich weiß nicht .– Frau Präsidentin! Meine sehr ver- rung erfolgt, Grenzsicherungskräfte in Libyen ausbildet (D) ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol- und möglicherweise auch attestiert . legen! Ich gebe Ihnen gerne ein bisschen von meiner Re- dezeit ab, wenn es dem Fortkommen im Bundestag dient . Wenn das erreicht ist, haben wir innerhalb Libyens eine Grundstabilität, aber noch lange nicht die Sicher- Wir, die CDU/CSU, unterstützen die Ausweitung der heit, die wir brauchen, um das durchzusetzen, was wir Mission Sophia . Wir haben heute den ganzen Tag über letztlich wünschen, nämlich eine starke Regierung und die schwarze Seite der Linken erlebt, heute früh begin- eine wieder aufwachsende Zivilgesellschaft, die sich um nend mit einer Rede der Fraktionsvorsitzenden . Selbst Bildung, Ausbildung und Aussöhnung im eigenen Land Russland trägt die Unterstellungen, die wir gerade gehört kümmern kann . Ich nenne als weiteren Punkt die Durch- haben, nicht mit; denn wir haben mit Blick auf Libyen setzung der Menschenrechte, die zwingend erforderlich eine Resolution der Vereinten Nationen, die von Russ- ist . Aber es bedarf dieses schrittweisen Ansatzes . land unterstützt wird . Das, was wir bei Libyen erreicht haben, wünschen wir uns auch für Syrien . Die dunkle Ein Letztes: Vergangenes Jahr, im November, hatten Seite der Linken, die uns heute in düsteren Farben vorge- wir den EU-Afrika-Gipfel . Auf diesem La-Valletta-Gip- führt wurde, verkennt vollkommen, worum es geht . fel wurde sehr deutlich, wohin die Reise geht . Es geht um die Unterstützung der Afrikanischen Union, auch der Der Einsatz Sophia ist eingebettet in ein strategisches Arabischen Liga, zumindest der Maghreb-Staaten, damit Konzept der Vereinten Nationen, das alles bietet, was wir wir eine Marktöffnung erreichen und eine Aussöhnung brauchen: erstens eine Resolution der Vereinten Nationen innerhalb der Zivilgesellschaften hinbekommen . Ferner und zweitens regionale Partner, die mithelfen und stabili- müssen die Themen Bildung und Tagesstrukturen in auf- sieren . Ich möchte ausdrücklich – das hat schon Kollege zubauenden Flüchtlingslagern wieder auf die Tagesord- Arnold getan – das Engagement des Sonderbeauftragten nung . Martin Kobler würdigen . Er hat es durch unermüdlichen Einsatz über viele Monate geschafft, die Konfliktparteien All das zusammen ist das Konzept, das die Europäi- in Libyen weitestgehend zu einigen . Ein großes Kompli- sche Union gemeinsam mit den Vereinten Nationen und ment aus diesem Hause an Martin Kobler! den regionalen Partnern im Wesentlichen mitgestaltet . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle deutlich unter- streichen: Unsere Marine leistet im Verbund mit den an- Des Weiteren ist es gelungen, dass sich Marokko intensiv deren europäischen Staaten Außergewöhnliches . Unser am Shikrat-Prozess beteiligt hat . Außerdem unterstützt Dank gilt der deutschen Marine . Wir müssen aber auch Tunesien, das die europäischen Werte ausdrücklich teilt durch öffentliche Information unserer Bevölkerung er- 18108 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Roderich Kiesewetter (A) klären, dass diese Soldaten einen sinnvollen Dienst leis- einen Beitrag zur Stabilisierung leisten kann . Was Liby- (C) ten . en braucht, sind rechtsstaatliche Strukturen, Bildung und ein Gesundheitswesen . Das ist es, was wir jetzt in Libyen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- brauchen . Was ist die Antwort der europäischen Mission? ordneten der SPD) Eine Küstenwache, die uns „hilft“ . Das ist keine richtige In diesem Sinne wünsche ich uns eine weitere Debatte . Antwort auf die große Herausforderung in Libyen . Die CDU/CSU unterstützt die Ausweitung des Mandats . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Danke für die Aufmerksamkeit . Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sie müssen das Gesamtpaket sehen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zur Ausbildung der libyschen Küstenwache: Wer soll Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: denn eigentlich ausgebildet werden? Welcher Rechtsrah- Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Franziska men gilt für die Küstenwache? Kann die fragile Einheits- Brantner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das regierung hier überhaupt eine Kontrolle ausüben? Wer- Wort . den diese Einheiten den Schutz von Flüchtlingsrechten gewährleisten? Es gibt so viele Fragen . Wir haben dazu eine Kleine Anfrage mit sehr vielen Fragen an die Bun- Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desregierung gestellt . Haben wir brauchbare Antworten NEN): bekommen? Fehlanzeige . Es gab keine Antworten auf Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen diese sehr relevanten Fragen, in denen es darum ging, und Herren! Machen wir uns zu Libyen nichts vor: Die was diese Mission genau tun wird . nationale Einheit ist weit entfernt, auch wenn dazu erste Schritte vollzogen worden sind . Diverse Milizen kämp- Es gab eine Frage, bei der darauf verwiesen wurde, fen um die Vorherrschaft, die Terrorbanden des IS treiben dass sich entsprechende Informationen in einem Doku- ihr Unwesen. Rund eine halbe Million Geflüchtete har- ment in der Geheimschutzstelle befinden würden. Bis ren unter furchtbaren Bedingungen aus . Auch wenn man heute war das Papier immer noch nicht zugänglich und die Mission kritisiert – ich finde, es gibt sehr berechtigte nicht einzusehen . Dabei stimmen wir heute über dieses Kritik an dieser Mission –: Ich muss deutlich sagen, dass Mandat ab . Das hat überhaupt nichts mehr mit Transpa- im Rahmen der Operation Sophia – das ist übrigens ein renz und Verantwortung zu tun, sondern es ist einfach schöner Name – bisher an die 15 000 Menschenleben ge- Ausdruck des Durchpeitschens eines Mandats, bei dem rettet worden sind . Dafür gebührt unseren und den ande- es sehr viele offene Fragen gibt . ren europäischen Soldatinnen und Soldaten unser Dank . (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wir Grüne haben einen eigenen Antrag eingebracht . bei der CDU/CSU und der SPD) Wir sind für die legale Einreise Schutzsuchender, für Ja, Herr Arnold, Schlepper sind keine Waisenknaben, eine echte europäische Mare-Nostrum-Mission . Wir sind und, ja, man muss auch Menschenhandel bekämpfen . für eine verbesserte Zusammenarbeit der EU-Staaten im Aber wir meinen, dieser muss polizeilich bekämpft wer- Kampf gegen organisierte Kriminalität und Menschen- den und nicht militärisch . handel auch auf hoher See . Wir sind für eine Stärkung der UN in Libyen und für einen echten Einsatz Deutschlands (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der EU, für eine Stärkung der Einheitsregierung im sowie bei Abgeordneten der LINKEN – zivilen Bereich im Hinblick auf Bildung, Gesundheit, Rainer Arnold [SPD]: Es gibt aber auf hoher Rechtsstaatlichkeit . Die Bundesregierung hätte bei der See keine Polizei!) Mandatsänderung und bei der Mandatserweiterung die Es ist doch so, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ma- Chance gehabt, das Mandat auf die Füße zu stellen . Sie rineverbände bügeln das Versagen der Europäer aus, auf hat diese Chance vertan . Das ist schade . Deswegen kön- die Flüchtlingskrise eine gemeinsame, faire, solidarische nen wir diesem Antrag nicht zustimmen . und humane Antwort zu finden. Sie bügeln das Versagen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus . Die Seenotrettung ist der positive Nebeneffekt eines Kurses, der stets nur die Abschottung zum Ziel hatte und bei dem die zivilen Ansätze keine Rolle spielen . Es ist ein Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: positiver Nebeneffekt, aber ein Nebeneffekt . Vielen Dank .– Als letzter Redner in dieser Ausspra- che hat Dr . Brandl von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, Libyen braucht unsere Hilfe, gerade vor dem Hin- tergrund der Militärintervention vor fünf Jahren und ge- rade vor dem Hintergrund, dass man die Libyer damals Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): alleine gelassen hat . Das war eine verantwortungslose Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Politik, und daraus müssen wir heute lernen . Ich möchte kurz auf meine Vorrednerin, Frau Brantner, antworten . Frau Brantner, in diesen Tagen diskutieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir in Europa viel darüber, was die zukünftigen Aufga- Wir bezweifeln aber, dass EUNAVFOR MED – das ben der Europäischen Union sein sollten . Wenn Sie die ist der nicht so schöne Name für diese Mission – wirklich Menschen in Europa fragen, dann stellen Sie fest, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18109

Dr. Reinhard Brandl (A) sie vor allem bezüglich einer Aufgabe eine klare Mei- Wir wissen natürlich, dass wir durch diese Mission, (C) nung haben: 87 Prozent der Menschen in Europa sagen, durch das Retten der Flüchtlinge zum Teil das Geschäft Europa müsse seine Außengrenzen schützen . Das ist eine der Schleuser noch profitabler machen. Deswegen ist es zentrale Herausforderung für Europa . richtig, dass bei der jetzigen Mission entschieden worden ist, nicht ganz in die Nähe der libyschen Küste zu fahren, (Dr .Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/ sondern in internationalen Hoheitsgewässern zu bleiben, DIE GRÜNEN]: Wir schützen die Grenzen um es den Schleusern nicht noch einfacher zu machen . Deutschlands auch nicht militärisch!) Es ist genauso richtig, die Küstenwache auszubilden, Wenn wir innerhalb Europas das Grundrecht der Reise- damit die Soldaten, die Polizisten dort in Libyen in die freiheit, das Grundrecht der Niederlassungsfreiheit erhal- Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu schützen . ten wollen, dann brauchen wir dafür sichere Außengren- zen . Es ist richtig, gegen den Waffenschmuggel vorzuge- hen und damit dem IS und anderen Terrororganisationen (Beifall bei der CDU/CSU) die Nachschubwege trockenzulegen . Natürlich leistet EUNAVFOR MED einen Beitrag Meine Damen und Herren, wir zeigen nicht nur auf dazu . Das ist auch kein Nebeneffekt . Aber es ist nicht Brüssel im Sinne des Forderns, sondern wir leisten auch der einzige Beitrag, den EUNAVFOR MED leistet . einen aktiven Beitrag, heute auch mit diesem Mandat, ­EUNAVFOR MED leistet auch einen wichtigen Beitrag und ich bitte Sie um Zustimmung . zur Stabilisierung der Region . Wir dürfen bei der Frage der Sicherung der Außen- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . grenzen nicht nur auf Brüssel zeigen und sagen: Liebes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Europa, mach mal . Vielmehr ist gerade die Sicherung ordneten der SPD) von Seegrenzen nur in einem gemeinschaftlichen An- satz möglich . Brüssel allein hat gar nicht die Ressourcen und die Möglichkeiten dazu . Um Seegrenzen wirklich zu Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: schützen, ist es wichtig, dass man auf der anderen Seite Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache . einen stabilen Partner hat . Im Mittelmeer haben wir das Problem, dass wir auf der anderen Seite keinen stabilen Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Partner haben . Dort sind vielmehr instabile Länder, zum empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Beispiel Libyen oder eine Reihe anderer Staaten in Nord- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite- und Westafrika . rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte (B) an der EUNAVFOR MED Operation Sophia . Der Aus- (D) Deswegen ist es eine zentrale Herausforderung nicht schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf nur, aber auch für den Schutz der Außengrenzen, die Drucksache 18/9035, den Antrag der Bundesregierung Länder in der Region Nordafrika zu stabilisieren . Die auf Drucksache 18/8878 anzunehmen . EU leistet dazu gemeinsam mit der UN einen Beitrag mit einer ganzen Reihe von Missionen, zum Beispiel in Li- Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament- byen, in Mali, in Niger, in Zentralafrika und in Somalia . lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Deutschland unterstützt alle diese Missionen bzw . hat die Plätze an den Urnen einzunehmen . Bitte zügig! – Ich alle diese Missionen schon in der Vergangenheit unter- sehe, dass einige Plätze noch nicht besetzt sind . Wenn stützt . man jetzt noch nicht den Platz gefunden hat, an dem man Verantwortung hat, ist das nicht zügig, liebe Kolleginnen Ich betone das deshalb, weil nach dieser Debatte nicht und Kollegen . der Eindruck erweckt werden soll, dass EUNAVFOR MED Operation Sophia die Lösung ist . EUNAVFOR Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist noch nicht der MED ist ein kleiner Beitrag in einem Gesamtansatz, Fall . Liebe Kollegen, ich kann die Abstimmung nicht er- den die Europäische Union in dieser Richtung fährt . Die öffnen, solange die Urnen nicht besetzt sind . Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, aufzuklären . Die Aufgabe von EUNAVFOR MED ist es, Schleuserstruktu- Herr Neu, können Sie bitte einmal an die Urne dort ren zu bekämpfen . Die Aufgabe von EUNAVFOR MED gehen? Es fehlt immer noch ein Schriftführer von der wird es in Zukunft sein, die libysche Küstenwache mit Opposition . – Danke . auszubilden und den Waffenschmuggel zu bekämpfen . Sind jetzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann EUNAVFOR MED rettet auch Flüchtlinge . Es ist fast kann ich die Abstimmung eröffnen . schon erschreckend, zu sehen, wie viele Flüchtlinge dort Gibt es jemanden in diesem Haus, der noch nicht ab- unterwegs sind . Man muss fast täglich im BMVg nach- gestimmt hat? – Liebe Kollegen da hinten, es gibt auch fragen, um die aktuelle Zahl zu erfahren . Wir haben am noch andere Urnen . Man muss bloß ein kleines Stück- Dienstag im Verteidigungsausschuss das Mandat bespro- chen laufen . chen . Zeitgleich zu unseren Beratungen hat der Tender „Werra“ 656 Flüchtlinge aus Seenot gerettet . In der Zwi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe niemanden schenzeit – das ist die aktuellste Zahl – sind es bereits mehr, der noch abstimmen muss . Deshalb schließe ich über 19 000 Flüchtlinge, die durch EUNAVFOR MED jetzt die Abstimmung . Ich bitte die Schriftführerinnen gerettet worden sind . und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das 18110 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- Darum geht es . (C) geben 1). Ein Instrument, um diese Ungerechtigkeit zu verdeut- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- lichen, ist der Weg über Klarheit und Transparenz in den ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf öffentlichen Finanzen . Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel . Drucksache 18/9069 . Wer stimmt für diesen Entschlie- In Berlin wurde festgestellt, dass weibliche Sachbear- ßungsantrag? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn beiterinnen pflegebedürftigen Männern im Durchschnitt Sie da mittendrin stehen, kann ich nicht sehen, wie das höhere Leistungen zuerkennen als ebenso pflegebedürf- Abstimmungsverhältnis ist . Wer stimmt dagegen? – Wer tigen Frauen, weil sie den Frauen mehr Eigenständigkeit enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit zumuten . Das zeigt eines in der Analyse: dass gesell- den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke schaftliche Wertvorstellungen, Rollenbilder, Machtstruk- abgelehnt worden bei Zustimmung von Bündnis 90/Die turen in unseren Köpfen gerade dann eine Rolle spielen, Grünen . wenn es um Finanzen geht . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Auch die Haushalts- und Finanzpolitik ist nicht davor Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian gefeit . Deshalb lohnt sich diese Analyse . Das Instru­ment, Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion diese Analyse nach vorn zu bringen, nennt sich Gender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Budgeting . Es ist die Analyse von öffentlichen Haushal- ten nach Geschlechteraspekten . Gender Budgeting heißt Für eine transparente und geschlechterge- nicht nur Good Governance, gute Regierungsführung, rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting sondern sagt, was mit Steuergeldern in dieser Gesell- als Instrument von Good Governance schaft eigentlich passiert . Gerade weil es so ein transpa- Drucksache 18/9042 rentes System ist, haben die Österreicher es in ihre Ver- fassung aufgenommen . Gerade weil es Transparenz und Überweisungsvorschlag: Akzeptanz schafft, verwendet die EU es beim Europäi- Haushaltsausschuss (f) schen Sozialfonds . Auch Berlin und Bremen haben gute Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Erfahrungen damit gemacht, viele Kommunen überneh- lung men es . Davon, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir lernen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (D) Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der Alle, die dahinter eine Art feministischen Kampf- Aussprache hat Ekin Deligöz von der Fraktion Bünd- begriff vermuten, frage ich: Was genau soll denn bitte nis 90/Die Grünen das Wort . falsch daran sein, sich für Gerechtigkeit und Gleichstel- lung in diesem Land einzusetzen? Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- und bei der LINKEN) legen! Etwas mehr als ein Drittel der Abgeordneten im Das sollte kein Kampf sein . Vielmehr sollte es in diesem Bundestag sind Frauen, und in vielen Bereichen gibt es Land selbstverständlich sein, und für diese Selbstver- inzwischen Frauen in Führungspositionen . Wir haben ständlichkeit stehen wir jetzt ein . die Gleichstellung in der Verfassung verankert, wir ha- ben viele Einzelgesetze, die dazu führen, dass Frauen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefördert werden . Eigentlich könnten wir doch sagen, in sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sachen Gleichstellung haben wir unsere Hausaufgaben Denjenigen, die sagen: „Jetzt wird jeder Cent genau gemacht . Das haben wir aber nicht . Denn die Wirklich- hälftig aufgeteilt“, sage ich: Darum geht es nicht . Es geht keit schaut komplett anders aus . nicht um Gleichmacherei und nicht darum, dass immer Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, ganz genauso viel Geld für Männer wie für Frauen aus- Frauen sind in den Aufsichtsräten und Vorständen noch gegeben wird, sondern es geht um Gerechtigkeit . Es geht lange nicht egalitär vertreten . Es ist eine sehr mühsame darum, die Konsequenzen der Entscheidungen, die wir Entwicklung . Frauen sind immer noch diejenigen, die in getroffen haben, zu sehen und zu überlegen, wie wir ver- dieser Gesellschaft den Mammutanteil an unbezahlter antwortungsvoll mit Geld umgehen können . Arbeit leisten – sei es die Pflege, sei es die Kindererzie- Ein letztes Argument: Es wird immer wieder behaup- hung, sei es die Familienarbeit . Erst wenn wir diese Ent- tet, in unserem jetzigen kameralistischen System sei wicklungen transparent machen, erkennen wir, welche Gender Budgeting nicht machbar . Doch, es ist mach- Ungerechtigkeiten wir in dieser Gesellschaft haben . bar . Dafür brauchen wir keine große Haushaltsreform, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern dafür brauchen wir Mut und den Willen, genau sowie bei Abgeordneten der LINKEN) hinzuschauen, wofür wir eigentlich unsere Steuermittel ausgeben . 1) Ergebnis Seite 18115 D (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18111

Ekin Deligöz (A) Transparenz – das ist nämlich das, was im Ergebnis dabei hat . Noch bis ins Jahr 1958 hinein konnte ein Ehemann (C) herauskommt – führt auch immer zu besserer Akzeptanz . in der jungen Bundesrepublik das Dienstverhältnis sei- ner Frau kündigen . Bis 1962 durfte eine Frau ohne die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zustimmung ihres Mannes kein eigenes Bankkonto er- Akzeptanz wiederum steht dafür, dass wir die Demokra- öffnen, und erst weitere sieben Jahre später wurde eine tie in diesem Land voranbringen, Demokratie, die ein- verheiratete Frau als geschäftsfähig angesehen . Wir ver- stehen muss für die Gleichberechtigung von Männern gessen oft, dass vollkommene Gleichberechtigung ein und Frauen, aber auch für die stärkere Akzeptanz bei der langwieriger und anhaltender Prozess ist . Es ist erreicht, Verwendung von Steuermitteln . Das ist unser Auftrag, dass nach § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der für den wir heute einstehen . Ideen dazu gibt es genug . Bundesministerien die Gleichstellung von Mann und Wir haben sie alle aufgeschrieben . Lassen Sie uns diese Frau als Leitprinzip politischen, normgebenden und ver- Diskussion starten . waltenden Handelns der Bundesregierung etabliert ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Natürlich ist es lobenswert, das Thema Gleichstellung sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ins Gedächtnis zu rufen . Aber wir, die CDU/CSU-Frakti- on, haben dies nie aus den Augen verloren und im Parla- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ment auch in den letzten Jahren weiter begleitet . Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Kerstin (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Radomski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . GRÜNEN]: Na ja!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Lassen Sie mich zwei Beispiele nennen, Herr Kindler . ordneten der SPD) Das von der CDU und CSU eingeführte Elterngeld ist Kerstin Radomski (CDU/CSU): beispielsweise als Ersatzleistung für das wegfallende Er- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und werbseinkommen gedacht . Dabei lautet das Ziel, beiden Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir spre- Elternteilen eine bessere Beteiligung an der Erziehung chen heute über die Forderung nach einem sogenannten der Kinder zu ermöglichen . geschlechtergleichen Haushaltsplan . Wie bereits darge- 10 Millionen Menschen – Mütter und Väter – profi- legt wurde, sollen mit dem Gender Budgeting zusätzli- tieren von der Erhöhung der Rentenpunkte für die Erzie- che Maßnahmen in den Prozess der Aufstellung unseres hungszeit von Kindern, die vor 1992 geboren sind . Auf Haushaltsplans aufgenommen werden, durch die eine unsere Mütterrente sind wir als CDU/CSU-Fraktion zu (B) tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter erreichen Recht stolz . (D) werden soll . (Beifall bei der CDU/CSU) Was heißt das konkret? Bei jeder monetären Ausgabe im Rahmen des Haushaltsentwurfes von über 328 Mil- Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, aber als Individu- liarden Euro soll überprüft werden, ob diese Ausgabe en doch grundsätzlich verschieden . Wir alle erhalten eine Männern und Frauen gleichermaßen zugutekommt . schulische Ausbildung in den gleichen Fächern, und doch (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE entscheidet sich ein Mann vielleicht, Krankenpfleger zu GRÜNEN]: Das steht aber anders im Antrag! werden, und eine Frau studiert Ingenieurwesen, was frü- Das stimmt ja nicht!) her jeweils selten der Fall war . Die meisten von uns er- werben im selben Alter den Führerschein, und trotzdem Weil der Staat kein Geschlecht bevorzugen darf, müsste fahren nicht alle gleich gerne Auto . Es gibt diverse Studi- es im Fall einer nicht gleich hohen Ausgabe für beide Ge- en, die aufzeigen, dass Männer lieber Auto fahren und es schlechter zu einer Umverteilung kommen . Wie Sie, liebe viele Frauen gibt, die den ÖPNV bevorzugen . Jetzt stel- Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die len wir uns bitte einmal vor, wie das Gender Budgeting Grünen, in Ihrem Antrag ganz richtig betonen, ist nach in der Praxis aussehen würde: Ist eine Investition in die Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetzes alles staatliche Sanierung einer Bundesstraße eine männliche oder eine Handeln der Durchsetzung der Gleichberechtigung der weibliche Bevorteilung? Geschlechter verpflichtet. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Die jüngere Generation hat das große Glück, mit der GRÜNEN]: So einfach können Sie es sich Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgewachsen nicht machen! Das ist doch ein bisschen zu zu sein . Wir nehmen dies heute als selbstverständlich hin . billig jetzt! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ Schließlich dürfen Frauen in Deutschland seit nunmehr DIE GRÜNEN]: Wie wäre es mit ein bisschen 97 Jahren wählen gehen . Im zunehmend globalisierten mehr Sachlichkeit? – Zuruf von der CDU/ 21 .Jahrhundert werden wir allerdings tagtäglich auch CSU: Weiblich: die Straße!) mit Gesellschaftssystemen konfrontiert, in denen der Frau wichtige Rechte auf Gleichstellung weiterhin nicht In der Konsequenz, dass viele Männer offenbar eher für gewährt werden . das Autofahren zu begeistern sind als Frauen, stünde hier womöglich ein klares „männlich“ . Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind viele Dinge, die uns als selbstverständlich erscheinen, noch (Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Straße ist lange nicht so etabliert, wie es manchmal den Anschein weiblich!) 18112 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Kerstin Radomski (A) Aber ganz ehrlich und plump gesagt: Ist eine Frau dis- es doch erst einmal um Transparenz . Ihnen wird doch (C) kriminiert, wenn unsere Straßen gut saniert sind? Wohl noch gar nichts weggenommen . nicht . Auch wenn sie nicht gerne hinter dem Steuer sitzt, profitiert sie trotzdem von der Sanierung der Straßen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Es wäre doch viel zu schade, meine Damen und Herren, Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: wenn Finanzminister und Regierungsfraktionen aus- Frau Radomski, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu drücklich nicht wissen wollen, wie viel Geld aus dem kommen, trotz der netten Beispiele . Bundeshaushalt bei Männern und Frauen ankommt . Wa- rum eigentlich? Fürchten Sie etwa die Ergebnisse? (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!) (Zurufe von der CDU/CSU) Wir Linke hatten bereits im Frühjahr 2014 das The- Kerstin Radomski (CDU/CSU): ma im Haushaltsausschuss auf die Tagesordnung gesetzt . Ja, mache ich .– Anstatt die Gesellschaft zu zerteilen, Leider war das Desinteresse bei der Koalition groß . sollten wir uns daran erinnern, dass wir alle gleichbe- Der damalige Finanzstaatssekretär meinte sogar noch, rechtigte Menschen sind . dass der Haushalt doch nichts mit der Durchsetzung der Ich möchte noch einen finanziellen Aspekt anspre- Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun habe . Wel- chen . Natürlich hat auch die Machbarkeitsstudie gezeigt, che Fehleinschätzung! Wir wissen ja: Um vernünftige die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung in Politik zu machen, brauchen wir das Geld an der richti- Auftrag gegeben wurde, dass wir im Ergebnis mehr Stel- gen Stelle . Dafür werden wir uns als Linke immer einset- len brauchen und damit Geld . zen, meine Damen und Herren . (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Wir können ja einmal ein paar Beispiele – die Kolle- Sie müssen wirklich zum Schluss kommen . gin Deligöz hat das ja schon gemacht; ich werde noch welche hinzufügen – durchdeklinieren . Kerstin Radomski (CDU/CSU): Ich bringe den Satz zu Ende .– Ich würde Sie bitten, Mich interessiert zum Beispiel brennend die Frage, dieses Geld lieber in Infrastruktur, Bildung, Kitas und wie die Personalmittel in den Bundesministerien auf Generationengerechtigkeit zu stecken . Deshalb lehnen Frauen und Männer verteilt sind . wir den Antrag ab . (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und (D) Danke . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich habe dazu eine Anfrage an die Bundesregierung ge- stellt . Ich bin sehr gespannt auf die Antwort . Ich kann mir nämlich vorstellen, dass das Personalbudget sehr Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: unterschiedlich verteilt ist, und sicher nicht nur im Ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal die Bit- teidigungsministerium zuungunsten der Frauen, meine te: Das war jetzt über eine Minute zusätzliche Redezeit . Damen und Herren . Ich muss nicht darauf hinweisen, was es bedeutet, wenn jeder eine Minute zusätzlich redet . Dann sitzen wir hier Oder wir können uns die Bundessubventionen unter noch um elf . dem Aspekt der Verteilung zwischen Männern und Frau- en anschauen . Werden Männer von der Bundesregierung (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mehr subventioniert als Frauen? Ich nenne Ihnen einmal Das ist denen, die jetzt reden, aber egal!) ein aktuelles Beispiel: die Subventionierung des Kaufs Deshalb bitte ich wirklich, die Redezeit einzuhalten . von Elektroautos . Stellen Sie sich mal ehrlich die Frage: Geht es da wirklich um die Energiewende, oder geht es Dr . Gesine Lötzsch hat als nächste Rednerin das Wort . doch eher um Männerträume? Meine Damen und Herren, (Beifall bei der LINKEN) ich sage: Es geht um Männerträume . (Beifall bei der LINKEN – Alois Rainer Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): [CDU/CSU]: Nein, danke! Elektroauto be- Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Meine sehr geehrten stimmt nicht! Kein Traum von mir!) Damen und Herren! Ein transparenter und geschlechter- gerechter Haushalt ist wichtig und richtig . Eigentlich ist Warum wurde zum Beispiel der Frauenbetrieb Schle- es erstaunlich und schade, dass wir überhaupt darüber cker nicht gerettet, dafür aber Schrottbanken, die in der reden müssen . Mehrheit von Männern geführt werden? Auch das ist eine berechtigte Frage, meine Damen und Herren . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Meine Herren von der Union, Sie müssen doch keine Und wenn Wirtschaftsminister Gabriel immer wieder Angst haben, dass es Ihnen schlechter gehen wird . Bei mehr Waffen exportiert, dann ist doch die interessante diesem Antrag – die Kollegin hat es ja dargestellt – geht Frage: Wer ist eigentlich für die Herstellung dieser Waf- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18113

Dr. Gesine Lötzsch (A) fen verantwortlich, wer sitzt da in den Führungspositio- lange Zeit tabuisiert worden –; aber immerhin haben wir (C) nen, Männer oder Frauen? heute vor dem Hintergrund jüngster schlimmer Ereignis- se, die krimineller Natur waren, Konsequenzen gezogen . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch das ist konkrete Frauenpolitik, die hier heute im Nächster Punkt . Schauen wir uns die Steuerpolitik an . Parlament beschlossen worden ist . Wie sieht es da aus? Gibt es vielleicht noch keine ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rechte Vermögensteuer, weil sich die großen Vermögen zumeist in den Händen von Männern befinden? Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, darauf hin- weisen, dass diese Regierung zum Beispiel im April 2015 Ich finde, das sind alles interessante Fragen. Ich den- das Bundesgleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht ke, niemand wird verstehen, wenn die Koalition – Frau hat . Das ist noch kein Durchbruch für die gesamte Wirt- Radomski hat das ja für die CDU/CSU schon vorgetra- schaft; aber bei börsennotierten Unternehmen werden gen – sie nicht beantworten will . nun immerhin 30 Prozent der Spitzenposten für Frauen Es gibt zu diesem Thema viele gute Erfahrungen in reserviert . Das ist ein Anfang, aber noch nicht der Durch- Österreich, in Skandinavien, aber auch in Berlin . Der bruch . Auch das sind Errungenschaften konkreter Frau- Berliner Senat hatte 2002 auf Vorschlag der Linken als enpolitik, die von dieser Koalition gemeinsam erreicht erstes Bundesland das Gender Budgeting eingeführt . worden sind . Man kann sich ja ausnahmsweise einmal an Berlin orien- (Beifall bei der SPD) tieren, meine Damen und Herren . Wir haben dann Mitte 2015 das Elterngeld Plus ein- (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth geführt . Auch das ist ein gesellschaftlicher Fortschritt, [CDU/CSU]: Berlin hat ja kein Geld!) weil damit für Väter und Mütter gemeinsam Spielräume Mein Vorschlag an die Frauen im Bundestag: Sollte im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dieser Antrag abgelehnt werden, sollten wir gemeinsam erzielt werden sollen . Auch das, liebe Ekin, werte Kolle- die uns zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mit- ginnen und Kollegen, ist ein konkreter Fortschritt . Es ist tel nutzen, um die nötigen Informationen auch so heraus­ gendermäßig eine politisch richtige Maßnahme, die wir zufinden und um in der Verteilungsfrage mehr Transpa- in dieser Großen Koalition durchgesetzt haben . renz herzustellen . Ich habe bereits damit angefangen, und (Beifall bei der SPD) ich denke, es wäre gut, wenn viele mitmachen – aus allen Fraktionen . Für uns Sozialdemokraten war im Kampf um den Mindestlohn auch die Dimension von großer Bedeutung, Herzlichen Dank . – Ich habe zehn Sekunden Redezeit dass der Mindestlohn zu zwei Dritteln, sogar fast 70 Pro- (B) gespart . zent, die weibliche Hälfte der Bevölkerung betrifft, weil (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- in unserer Gesellschaft vor allen Dingen Frauen in den neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Berufen tätig sind, in denen entgegen allem Verständnis vom Wert der Arbeit bisher zum Teil so wenig gezahlt worden ist, dass man davon überhaupt nicht leben konn- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: te . Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Vielen Dank . Ja, Sie haben einige Sekunden einge- war also beim Projekt Mindestlohn auch die Dimension, spart . – Als nächster Redner hat Ewald Schurer das Wort . die Frauen besserzustellen, von herausragender Bedeu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tung . der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD)

Ewald Schurer (SPD): Ich muss ganz ehrlich sagen: Ein schwerwiegender Punkt fehlt noch; er ist noch nicht angesprochen worden . Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir Sozialdemokraten, also Sozialdemokratinnen und Meine Damen und Herren! Keinesfalls ist Gender Bud- Sozialdemokraten – ganz ernsthaft akzentuiert –, wollen geting ein Kampfbegriff, den man, liebe Kollegin Ekin im Zuge des Projektes, künftig Lohngerechtigkeit herzu- Deligöz, negativ bewerten muss . Es gibt schon Haus- stellen, weitere Fortschritte erzielen . Lohngerechtigkeit haltsansätze, zum Beispiel im Berliner Senat, bei denen ist eine Dimension, die bei einem Mann, einem Vater wie man damit arbeitet . Es gibt auch viele Länder, zum Bei- mir – ich habe vier Kinder, darunter drei Töchter –, einen spiel skandinavische Länder und Österreich, die man in Emanzipationsprozess auslöst . diesem Zusammenhang als positive Beispiele erwähnen kann . Insofern sehe ich den Diskussionsprozess als sehr (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) produktiv an . – Das meine ich mit großer Ernsthaftigkeit .– Es ist für Unabhängig von der philosophischen Frage, ob wir mich nach wie vor beschämend, dass Frauen in unserer den Haushalt eher geschlechterneutral sehen oder eben Gesellschaft für ihre Arbeit, statistisch gesehen, 21 Pro- auch in der Dimension weiblich/männlich bewerten soll- zent niedrigere Reallöhne bekommen . Selbst, liebe Kol- ten, möchte ich darauf hinweisen, dass von der aktuellen leginnen und Kollegen, wenn man die Jobs strukturell Regierung Frauenpolitik betrieben wird . Es ist zwar be- vergleicht und die Billigjobs, die es leider in unserer Ge- schämend, dass wir die Bestimmungen für mehr Schutz sellschaft im schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich für Frauen vor sexuellen Übergriffen erst heute beschlos- gibt und die oft von Frauen ausgeführt werden oder wer- sen haben – es war ein langer Prozess, und das Thema ist den müssen, abzieht, ist es immer noch so: Frauen ver- 18114 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Ewald Schurer (A) dienen in strukturell vergleichbaren Berufen immer noch Zum Schluss kann ich ganz klar sagen: Die Förderung (C) 10 Prozent weniger als die männliche Hälfte . Das kann von Frauenpolitik und der Genderprozess insgesamt be- man so nicht lassen . treffen einen Bereich, in dem der männliche Teil der Welt in der Tat noch lernen muss . Ich bin mir sicher, dass in Ich blicke an dieser Stelle mit gewinnendem Blick in allen Parteien Sensibilisierungsprozesse notwendig sind . Richtung Kolleginnen und Kollegen der Union . Erst wenn die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zur (Beifall bei der SPD) Selbstverständlichkeit wird, sie also im ökonomischen wie im sonstigen gesellschaftlichen Prozess nicht mehr Das Lohngerechtigkeitsgesetz liegt seit Dezember 2015 diskutiert werden muss, sondern real vorhanden ist, sind im Kanzleramt . Ich kann mir in meiner Fantasie einfach wir politisch am Ziel . In diesem Sinne wünsche ich mir nicht vorstellen, werte Kollegen von der Union, auch auf weitere Fortschritte in diesem Prozess . der Regierungsbank, dass eine Bundeskanzlerin so einem klugen Lohngerechtigkeitsgesetz letztendlich nicht den Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . Zuschlag geben will . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU)

Das ist sowohl makroökonomisch wie auch individuell Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: schädlich; denn Frauen haben mindestens den gleichen Vielen Dank .– Ich habe gerade gedacht: Viele Töchter Wert in der Arbeitswelt und sollten deshalb unter Lohn- wünsche ich mir – für die Kollegen . gerechtigkeitsgesichtspunkten so bezahlt werden wie Männer und umgekehrt . Das ist für mich ein großer Ruf . Alois Rainer hat als letzter Redner das Wort in dieser Ekin Deligöz hat mit ihrem guten und wichtigen Antrag Debatte . mir dazu geholfen, (Beifall bei der CDU/CSU) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt denn die SPD dann zu?) Alois Rainer (CDU/CSU): das innerhalb der Koalition formulieren zu dürfen . Ich Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und glaube, es kommt bei den geschätzten Freundinnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Freunden des Koalitionspartners, nicht nur bei den Frau- Thema Gleichstellung ist nicht zwingend ein haushalts- en der Union, auch gut an . politisches Thema, dennoch ist es ein Thema, das wir alle miteinander sehr ernst nehmen sollten und auch wollen . (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/ So liegt unserer Gleichstellungspolitik der Ansatz zu- (B) DIE GRÜNEN]: Stimmt ihr dem Antrag zu, grunde, dass wir in einer freien Gesellschaft leben, in der (D) Ewald?) sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei ent- falten und entwickeln kann . – Lieber Kollege Kindler, jetzt nicht schreien, dazu ha- ben wir im Haushaltsausschuss wieder Zeit, wo Sie Ihre (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Thesen wieder kräftig vier-, fünfmal wiederholen; das ist GRÜNEN]: Wäre schön!) auch legitim, damit ich es auch immer verstehe . – Immer schon .– Trotzdem müssen wir zur Kenntnis (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der nehmen, dass es in einigen Bereichen immer noch struk- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE turelle Probleme gibt . GRÜNEN – Dr .Gesine Lötzsch [DIE LIN- Die Gleichstellungspolitik der Union besteht im Kern KE]: Nein, da arbeiten wir ganz ruhig, sach- darin, strukturelle Benachteiligungen, die aufgrund des lich und konzentriert! Da wird nicht geschri- Geschlechts bestehen, zu beseitigen . en!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund sage ich: Ich würde die Dis- kussion über Gender Budgeting weiterführen wollen . In diesem Sinne wurden gezielt Maßnahmen eingeleitet und Gesetze verabschiedet, um die Gleichstellung von (Beifall der Abg . Ekin Deligöz [BÜND- Frauen und Männern erreichen, zum Beispiel das Eltern- NIS 90/DIE GRÜNEN]) geldgesetz für beide Elternteile, das Pflegezeitgesetz, gesetzliche Regelungen für mehr Frauen in Führungspo- Es sind Ansätze vorhanden, die zumindest in der SPD sitionen in der Privatwirtschaft und in der Bundestags- Widerhall finden. Wir brauchen allerdings ein gemein- verwaltung, zur Mütterrente – das wurde schon ange- sames Konzept; das müssen wir am heutigen Tag nicht sprochen – und vieles andere mehr . übers Knie brechen . Wir brauchen also eine Diskussion über ein gemeinsames Konzept. Ich finde auch die An- Meine sehr verehrten Damen und Herren Antragstel- sätze interessant wie auch die Philosophie, die dahin- ler, mit Ihrem Antrag fordern Sie unter anderem: erstens ter steht, nämlich Haushaltsmittel, wie Frau Kollegin die verbindliche Aufnahme von Gender Budgeting als Lötzsch gesagt hat, in Bezug auf die Kategorien „weib- Prinzip der Haushaltsführung in die Bundeshaushaltsord- lich“ und „männlich“ in Bereichen wie der Personalaus- nung als zweijähriges Pilotprojekt, zweitens die Einrich- stattung genau zu untersuchen . All das sind interessante tung einer interministeriellen Gender-Budgeting-Steue- Aspekte . Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- rungsgruppe, um die Umsetzung im Bundeshaushalt zu kraten werden dieses Thema weiter verfolgen . koordinieren . Drittens wollen Sie auch noch, dass dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18115

Alois Rainer (A) Bundestag darüber hinaus ein jährlicher Gender-Budge- ein verpflichtender Rechtsakt für die europäischen Mit- (C) ting-Bericht vorgelegt wird . gliedstaaten . Wenn Österreich, skandinavische Staaten und einige Städte in Deutschland das machen, dann ist (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE das deren Vergnügen . Wir müssen ja nicht alles machen, GRÜNEN]: Ist doch sehr gut!) was die anderen Staaten machen . Dazu sage ich nur: Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ver- Die Europäische Union – ganz aktuell – wäre auch zu ei- stehen auch die Bürger nicht!) nem derartigen Eingriff in die Haushaltsautonomie ihrer Meine Damen und Herren, aus unserer und aus mei- Mitgliedstaaten nicht befugt . ner Sicht ist die Implementierung von Gender Budgeting Sie, meine Damen und Herren, versuchen, mit diesem im Bundeshaushalt kein geeignetes Instrument, um die Antrag ein Thema in der Bundeshaushaltsordnung zu Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen . verankern, das aus meiner Sicht rein gar nichts mit der (Beifall bei der CDU/CSU) Haushaltspolitik im eigentlichen Sinn zu tun hat . Der Bundeshaushalt beschreibt den finanziellen Rahmen (Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Hat der einzelnen Fachbereiche, legt ihn gesetzlich fest und mit Geld zu tun!) ermächtigt die jeweils zuständigen Ressorts zur Leistung Das sind gleichstellungspolitische Anliegen, und die ge- der hierfür erforderlichen Ausgaben . Die Umsetzung der- hören, wie schon angesprochen, in die jeweiligen Fach- artiger gleichstellungspolitischer Ansätze gehört dorthin, ressorts . Deshalb kann ich und können wir dem Antrag wo sie inhaltlich angebracht ist, und zwar in die Verant- nichts abgewinnen . wortung der einzelnen Ressorts und Fachbereiche . Danke schön . Die Bundesministerien sind nach § 2 ihrer Gemein- samen Geschäftsordnung bereits in der Pflicht, in ihrem (Beifall bei der CDU/CSU) jeweiligen Fachbereich die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen Maßnahmen zu fördern . Sollte es sich hierbei um Maß- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: nahmen mit finanziellen Auswirkungen handeln, ist das Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am bereits jetzt Teil der Facharbeit der verschiedenen Res- Schluss dieser Aussprache . sorts – und das ist gut so; da sind wir dabei . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (B) Außerdem sehe ich in Ihren Vorschlägen einen erheb- Drucksache 18/9042 an die in der Tagesordnung aufge- (D) lichen bürokratischen Mehraufwand, ohne dass man dem führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- eigentlichen Ziel näherkommen würde . verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so geschehen . Ich sehe Gender Budgeting im Rahmen des Bundes- Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufru- haushalts nicht als geeignetes Instrument an, um die fe, möchte ich gern das von den Schriftführerinnen und Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen . Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung mit (Zurufe von der LINKEN) dem Titel „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung – Ich sage das gerne ein zweites Mal, damit das auch die bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR MED Herren der Linken kapieren . Operation SOPHIA“ auf den Drucksachen 18/8878 und 18/9035 bekannt geben: Abgegeben wurden Außerdem ist es nicht zutreffend, dass die Bundesre- 569 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt 457, mit Nein ha- gierung rechtlich verpflichtet ist, Gender Budgeting um- ben gestimmt 111, und eine Kollegin oder ein Kollege zusetzen . Weder völkerrechtlich noch aus der von der EU hat sich enthalten . Damit ist die Beschlussempfehlung verabschiedeten Erklärung aus dem Jahr 2005 ergibt sich angenommen worden .

Endgültiges Ergebnis Thomas Bareiß Clemens Binninger Gitta Connemann Abgegebene Stimmen: 569; Norbert Barthle Peter Bleser Alexandra Dinges-Dierig davon Günter Baumann Norbert Brackmann Alexander Dobrindt ja: 457 Maik Beermann Klaus Brähmig Michael Donth nein: 111 Manfred Behrens (Börde) Michael Brand Thomas Dörflinger enthalten: 1 Veronika Bellmann Dr . Reinhard Brandl Marie-Luise Dött Sybille Benning Helmut Brandt Hansjörg Durz Ja Dr . André Berghegger Dr . Ralf Brauksiepe Iris Eberl Dr . Christoph Bergner Dr . Jutta Eckenbach CDU/CSU Ute Bertram Heike Brehmer Dr . Bernd Fabritius Stephan Albani Peter Beyer Ralph Brinkhaus Hermann Färber Artur Auernhammer Steffen Bilger Cajus Caesar Uwe Feiler 18116 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Dr . Thomas Feist Thorsten Hoffmann Dr . Jan-Marco Luczak Anita Schäfer (Saalstadt) (C) Enak Ferlemann (Dortmund) Daniela Ludwig Ingrid Fischbach Karl Holmeier Karin Maag Karl Schiewerling Dirk Fischer (Hamburg) Franz-Josef Holzenkamp Yvonne Magwas Jana Schimke Axel E . Fischer Dr . Hendrik Hoppenstedt Thomas Mahlberg Norbert Schindler (Karlsruhe-Land) Margaret Horb Gisela Manderla Tankred Schipanski Dr . Maria Flachsbarth Bettina Hornhues Matern von Marschall Heiko Schmelzle Klaus-Peter Flosbach Charles M . Huber Hans-Georg von der Marwitz Christian Schmidt (Fürth) Thorsten Frei Anette Hübinger Andreas Mattfeldt Gabriele Schmidt (Ühlingen) Dr . Astrid Freudenstein Hubert Hüppe Stephan Mayer (Altötting) Ronja Schmitt Dr . Hans-Peter Friedrich Thomas Jarzombek Reiner Meier Patrick Schnieder (Hof) Sylvia Jörrißen Dr . Michael Meister Nadine Schön (St . Wendel) Michael Frieser Andreas Jung Jan Metzler Dr . Ole Schröder Dr . Michael Fuchs Xaver Jung Maria Michalk Bernhard Schulte-Drüggelte Hans-Joachim Fuchtel Dr . Egon Jüttner Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Klaus-Peter Schulze Alexander Funk Bartholomäus Kalb Dr . Mathias Middelberg Uwe Schummer Ingo Gädechens Hans-Werner Kammer Dietrich Monstadt Armin Schuster (Weil am Dr . Thomas Gebhart Steffen Kanitz Karsten Möring Rhein) Alois Gerig Alois Karl Marlene Mortler Christina Schwarzer Eberhard Gienger Anja Karliczek Volker Mosblech Detlef Seif Cemile Giousouf Bernhard Kaster Elisabeth Motschmann Johannes Selle Josef Göppel Volker Kauder Dr . Gerd Müller Reinhold Sendker Ursula Groden-Kranich Dr . Stefan Kaufmann Carsten Müller Dr . Patrick Sensburg Hermann Gröhe Roderich Kiesewetter (Braunschweig) Bernd Siebert Klaus-Dieter Gröhler Dr . Georg Kippels Stefan Müller (Erlangen) Thomas Silberhorn Michael Grosse-Brömer Volkmar Klein Dr . Philipp Murmann Johannes Singhammer Astrid Grotelüschen Jürgen Klimke Dr . Andreas Nick Tino Sorge Markus Grübel Axel Knoerig Michaela Noll Jens Spahn (B) Manfred Grund Jens Koeppen Helmut Nowak Carola Stauche (D) Oliver Grundmann Markus Koob Dr . Georg Nüßlein Dr. Wolfgang Stefinger Monika Grütters Carsten Körber Wilfried Oellers Albert Stegemann Dr . Herlind Gundelach Kordula Kovac Florian Oßner Peter Stein Fritz Güntzler Michael Kretschmer Dr . Tim Ostermann Erika Steinbach Olav Gutting Gunther Krichbaum Henning Otte Sebastian Steineke Christian Haase Dr . Günter Krings Ingrid Pahlmann Johannes Steiniger Florian Hahn Rüdiger Kruse Sylvia Pantel Christian Frhr . von Stetten Dr . Stephan Harbarth Dr . Roy Kühne Martin Patzelt Rita Stockhofe Jürgen Hardt Uwe Lagosky Dr . Martin Pätzold Gero Storjohann Gerda Hasselfeldt Andreas G . Lämmel Dr . Joachim Pfeiffer Stephan Stracke Matthias Hauer Dr . Norbert Lammert Sibylle Pfeiffer Max Straubinger Mark Hauptmann Katharina Landgraf Eckhard Pols Matthäus Strebl Dr . Stefan Heck Ulrich Lange Thomas Rachel Karin Strenz Dr . Matthias Heider Barbara Lanzinger Kerstin Radomski Thomas Stritzl Helmut Heiderich Dr . Silke Launert Alexander Radwan Lena Strothmann Mechthild Heil Paul Lehrieder Alois Rainer Michael Stübgen Frank Heinrich (Chemnitz) Dr . Katja Leikert Dr . Peter Ramsauer Dr . Sabine Sütterlin-Waack Mark Helfrich Dr . Philipp Lengsfeld Eckhardt Rehberg Antje Tillmann Uda Heller Dr . Andreas Lenz Lothar Riebsamen Astrid Timmermann-Fechter Jörg Hellmuth Dr . Ursula von der Leyen Josef Rief Dr . Hans-Peter Uhl Rudolf Henke Antje Lezius Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Volker Ullrich Michael Hennrich Matthias Lietz Iris Ripsam Arnold Vaatz Ansgar Heveling Andrea Lindholz Johannes Röring Oswin Veith Dr . Heribert Hirte Dr . Carsten Linnemann Kathrin Rösel Thomas Viesehon Christian Hirte Patricia Lips Dr . Norbert Röttgen Michael Vietz Robert Hochbaum Wilfried Lorenz Erwin Rüddel Volkmar Vogel (Kleinsaara) Alexander Hoffmann Dr . Claudia Lücking-Michel Albert Rupprecht Sven Volmering Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18117

(A) Christel Voßbeck-Kayser Dr . Karamba Diaby Daniela Kolbe Udo Schiefner (C) Kees de Vries Sabine Dittmar Birgit Kömpel Dr . Dorothee Schlegel Dr . Johann Wadephul Martin Dörmann Anette Kramme Ulla Schmidt (Aachen) Marco Wanderwitz Elvira Drobinski-Weiß Dr . Hans-Ulrich Krüger Matthias Schmidt (Berlin) Karl-Heinz Wange Siegmund Ehrmann Helga Kühn-Mengel Dagmar Schmidt (Wetzlar) Nina Warken Michaela Engelmeier Christian Lange (Backnang) Carsten Schneider (Erfurt) Kai Wegner Dr . h .c . Gernot Erler Dr . Karl Lauterbach Elfi Scho-Antwerpes Dr . h .c . Albert Weiler Petra Ernstberger Steffen-Claudio Lemme Ursula Schulte Marcus Weinberg (Hamburg) Saskia Esken Burkhard Lischka Swen Schulz (Spandau) Dr . Anja Weisgerber Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Ewald Schurer Peter Weiß (Emmendingen) Dr . Johannes Fechner Hiltrud Lotze Frank Schwabe Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Fritz Felgentreu Kirsten Lühmann Stefan Schwartze Ingo Wellenreuther Elke Ferner Dr . Birgit Malecha-Nissen Andreas Schwarz Karl-Georg Wellmann Christian Flisek Caren Marks Rita Schwarzelühr-Sutter Marian Wendt Gabriele Fograscher Katja Mast Rainer Spiering Waldemar Westermayer Dr . Edgar Franke Hilde Mattheis Norbert Spinrath Kai Whittaker Ulrich Freese Dr . Matthias Miersch Svenja Stadler Peter Wichtel Michael Gerdes Klaus Mindrup Martina Stamm-Fibich Annette Widmann-Mauz Martin Gerster Susanne Mittag Peer Steinbrück Heinz Wiese (Ehingen) Iris Gleicke Bettina Müller Dr . Frank-Walter Steinmeier Klaus-Peter Willsch Angelika Glöckner Michelle Müntefering Christoph Strässer Elisabeth Winkelmeier- Ulrike Gottschalck Dr . Rolf Mützenich Kerstin Tack Becker Kerstin Griese Andrea Nahles Claudia Tausend Oliver Wittke Gabriele Groneberg Ulli Nissen Michael Thews Dagmar G . Wöhrl Uli Grötsch Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Karin Thissen Barbara Woltmann Bettina Hagedorn Markus Paschke Franz Thönnes Tobias Zech Rita Hagl-Kehl Christian Petry Carsten Träger Heinrich Zertik Metin Hakverdi Detlev Pilger Rüdiger Veit (B) Emmi Zeulner Ulrich Hampel Joachim Poß Ute Vogt (D) Dr . Matthias Zimmer Sebastian Hartmann Florian Post Dirk Vöpel Gudrun Zollner Michael Hartmann Achim Post (Minden) Gabi Weber (Wackernheim) Dr . Wilhelm Priesmeier Bernd Westphal Dirk Heidenblut SPD Florian Pronold Dirk Wiese Gabriela Heinrich Dr . Sascha Raabe Niels Annen Gülistan Yüksel Marcus Held Dr . Simone Raatz Ingrid Arndt-Brauer Dagmar Ziegler Wolfgang Hellmich Martin Rabanus Stefan Zierke Rainer Arnold Dr . Barbara Hendricks Mechthild Rawert Dr . Jens Zimmermann Heike Baehrens Heidtrud Henn Stefan Rebmann Manfred Zöllmer Ulrike Bahr Gustav Herzog Gerold Reichenbach Heinz-Joachim Barchmann Gabriele Hiller-Ohm Dr . Carola Reimann Nein Doris Barnett Thomas Hitschler Andreas Rimkus Dr . Matthias Bartke Dr . Eva Högl Sönke Rix SPD Sören Bartol Matthias Ilgen Petra Rode-Bosse Klaus Barthel Bärbel Bas Christina Jantz-Herrmann Dr . Martin Rosemann Dr . Ute Finckh-Krämer Uwe Beckmeyer Frank Junge René Röspel Cansel Kiziltepe Lothar Binding (Heidelberg) Josip Juratovic Dr . Ernst Dieter Rossmann Waltraud Wolff Burkhard Blienert Thomas Jurk Michael Roth (Heringen) (Wolmirstedt) Willi Brase Oliver Kaczmarek Susann Rüthrich Dr . Karl-Heinz Brunner Johannes Kahrs Bernd Rützel DIE LINKE Edelgard Bulmahn Ralf Kapschack Sarah Ryglewski Marco Bülow Gabriele Katzmarek Johann Saathoff Jan van Aken Martin Burkert Ulrich Kelber Annette Sawade Dr . Dietmar Bartsch Dr . Lars Castellucci Marina Kermer Dr . Hans-Joachim Herbert Behrens Petra Crone Arno Klare Schabedoth Karin Binder Bernhard Daldrup Lars Klingbeil Dr . Nina Scheer Matthias W . Birkwald Dr . Daniela De Ridder Dr. Bärbel Kofler Marianne Schieder Heidrun Bluhm 18118 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Eva Bulling-Schröter Thomas Nord Agnieszka Brugger Dr . Konstantin von Notz (C) Roland Claus Petra Pau Ekin Deligöz Omid Nouripour Sevim Dağdelen Harald Petzold (Havelland) Katja Dörner Friedrich Ostendorff Klaus Ernst Richard Pitterle Katharina Dröge Lisa Paus Wolfgang Gehrcke Martina Renner Harald Ebner Brigitte Pothmer Nicole Gohlke Dr . Petra Sitte Dr . Thomas Gambke Tabea Rößner Annette Groth Kersten Steinke Matthias Gastel Claudia Roth (Augsburg) Dr . Gregor Gysi Dr . Kirsten Tackmann Kai Gehring Corinna Rüffer Dr . André Hahn Frank Tempel Britta Haßelmann Manuel Sarrazin Heike Hänsel Alexander Ulrich Bärbel Höhn Ulle Schauws Dr . Rosemarie Hein Dieter Janecek Dr . Gerhard Schick Kathrin Vogler Andrej Hunko Uwe Kekeritz Dr . Frithjof Schmidt Halina Wawzyniak Sigrid Hupach Katja Keul Kordula Schulz-Asche Harald Weinberg Ulla Jelpke Sven-Christian Kindler Dr . Wolfgang Streng- Katrin Werner Susanna Karawanskij Maria Klein-Schmeink mann-Kuhn Birgit Wöllert Kerstin Kassner Tom Koenigs Hans-Christian Ströbele Jörn Wunderlich Jan Korte Sylvia Kotting-Uhl Dr . Harald Terpe Hubertus Zdebel Jutta Krellmann Oliver Krischer Markus Tressel Katrin Kunert Sabine Zimmermann Stephan Kühn (Dresden) Jürgen Trittin (Zwickau) Caren Lay Christian Kühn (Tübingen) Dr . Julia Verlinden Ralph Lenkert Renate Künast Doris Wagner BÜNDNIS 90/ Stefan Liebich Markus Kurth Beate Walter-Rosenheimer DIE GRÜNEN Dr . Gesine Lötzsch Monika Lazar Dr . Valerie Wilms Thomas Lutze Luise Amtsberg Steffi Lemke Birgit Menz Kerstin Andreae Peter Meiwald Enthalten Cornelia Möhring Annalena Baerbock Irene Mihalic Niema Movassat Volker Beck (Köln) Beate Müller-Gemmeke SPD Dr . Alexander S . Neu Dr . Franziska Brantner Özcan Mutlu Petra Hinz (Essen) (B) (D)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: im Eisenbahnsektor –, das sogenannte Eisenbahnregu- lierungsgesetz . Was verbirgt sich dahinter? Eisenbahn Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- ist ein komplexes und kompliziertes System . Bei Eisen- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- bahn gibt es auf der einen Seite Netze, auf denen gefah- zes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisen- ren wird, und auf der anderen Seite Betriebe, die auf den bahnbereich Netzen fahren . Europa hat sich dazu entschieden, eine Drucksache 18/8334 Trennung zwischen Netzbetrieb und Fahrbetrieb vorzu- schlagen . Wir haben uns als Bundesrepublik Deutschland Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- viele Jahre dagegen gewehrt, dass das auch für Deutsch- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur land verpflichtend gilt, und haben durchgesetzt, dass die (15 . Ausschuss) Eisenbahn auch nach unserem Modell – also einen inte- Drucksache 18/9099 grierten Konzern zu fahren, der Netz und Betrieb ver- eint – betrieben werden kann . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Dafür aber, dass man ein integriertes System fahren nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . kann, braucht man eine gute Regulierung . Das sieht das europäische Recht so vor und sieht es auch zu Recht vor . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Es wird also ein Markt simuliert, den es so nicht gibt, Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen damit man Wettbewerb darstellen und zu gerechten Tras- Staatssekretär Ferlemann das Wort . senpreisen, Trassengebühren kommen kann . Man kann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es für die Öffentlichkeit so erklären: Das ist praktisch ordneten der SPD) eine Maut auf der Schiene . Die haben wir in Deutsch- land schon viele Jahre, und die Frage ist: Wie wird sie gerecht – in welcher Höhe und mit welchem Zuwachs – Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- festgesetzt? minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Dafür braucht es einen unabhängigen Regulierer, der und Kollegen! Wir beschließen heute eines der wich- diese Preise ohne politische Vorgabe und Einflussnahme tigsten Gesetze in dieser Legislaturperiode – jedenfalls nach bestimmten Kriterien festsetzen kann . Den haben Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18119

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann (A) wir in der Bundesnetzagentur gefunden, die diese Auf- Insofern können wir, wie ich glaube, einen sehr guten (C) gabe unserer Auffassung nach schon jetzt in großen Tei- Gesetzentwurf vorlegen . Heute ist hier im Bundestag ein len sehr gut erledigt, aber mit diesem Gesetz noch ein- sehr guter Tag für das Eisenbahnwesen in Deutschland . mal deutlich gestärkt wird und ihrer Aufgabe, wie wir Ich hoffe, dass der Bundesrat morgen so klug ist, diesem meinen, gut nachkommen wird . Sie ist unabhängig und Gesetz zuzustimmen . kann von daher die Preise marktgerecht festsetzen . Das Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . wiederum wird dazu führen, dass das Angebot auf der Schiene leichter zu fahren sein wird . Damit werden wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, was Ziel der ordneten der SPD) Bahnreform ist, und vor allem mehr Wettbewerb auf der Schiene haben, was für das System insgesamt auch nur Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: wünschenswert und richtig ist . Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Herbert Dafür, dass wir das hinbekommen, brauchen wir aber Behrens von der Fraktion Die Linke das Wort . eine Regulierung . Wir haben uns für die Entgeltregelung (Beifall bei der LINKEN) entschieden . Das heißt, die Regulierung wird, bevor die Trassen vergeben werden, die Preise festsetzen, sodass (DIE LINKE): jedes Unternehmen, das Trassen erwerben will, weiß, Herbert Behrens zu welchen Kosten über diese Trassen gefahren werden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kann . Das ist der Charme der Lösung, die wir gemeinsam Der Wettbewerb im Eisenbahnwesen funktioniert nicht . gefunden haben . In den 90er‑Jahren wollten die Privatisierer mehr Kon- kurrenz für die Bahn und dadurch günstigere Preise und Ich bin meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr besseren Service erreichen . Aber wie sieht die Wirk- dankbar, die in den vergangenen Wochen und Monaten lichkeit aus? Im Nahverkehr gibt es jetzt zwar einen dieses Gesetzgebungsverfahren sehr intensiv begleitet Zuwachs an Nahverkehrsleistungen, die Fahrgastzahlen haben, allen mit Rat und Tat zur Seite standen und, glau- steigen und auch das Angebot ist attraktiver geworden . be ich, dem Deutschen Bundestag nicht nur einen guten Doch dieser Erfolg ist weniger dem Wettbewerb geschul- Gesetzentwurf, sondern vor allem auch gute Ergänzun- det als vielmehr der vernünftigen Ausstattung durch die gen formuliert haben . Regionalisierungsmittel . Ich danke insbesondere den beiden Koalitionsfraktio- Im Fernverkehr sieht es anders aus . Er soll eigenwirt- nen, die in mühevoller Kleinarbeit noch viele Punkte ein- schaftlich organisiert sein . Hinsichtlich Wettbewerb ist aber völlige Fehlanzeige festzustellen . Im Güterverkehr (B) gebracht haben . Allerdings ist ein Punkt dabei, den wir (D) kritisch beleuchten müssen . Da geht es darum, wie die haben die Bahnen, die nicht zur DB gehören, inzwischen Länder ihren Einfluss beim Nahverkehr geltend gemacht ein Drittel Marktanteil. Doch der Wettbewerb dort findet haben . Die Länder wollen, dass der Zuwachs der Tras- oft auf dem Rücken der Beschäftigten und zulasten der senpreise im Nahverkehr auf die 1,8 Prozent begrenzt Sicherheit statt . wird, die wir über die Regionalisierungsmittel maximal Die Privatisierer haben ihre Ziele weit verfehlt . Jetzt als Zuwachs jedes Jahr finanzieren. Das sind in diesem versucht die Regierung, mit einem aufwendigen Regio- Jahr 8,2 Milliarden Euro, eine sagenhafte Summe, die es nalisierungsgesetz der Probleme Herr zu werden . Dafür für das Schienenwesen im Nahverkehr noch nie gab . Ich taugt allerdings dieser Gesetzentwurf nicht . bin Ihnen allen sehr dankbar, dass Sie das Schienenwe- sen in Deutschland so unterstützen . Aber wir haben in der (Beifall bei der LINKEN) Regulierung festgelegt, dass diese 1,8 Prozent Maximum Die Linke fordert ein klares Bekenntnis zur Bahn und sein müssen – das kann man verstehen –, damit der Zu- entsprechende Gesetze, die einen gut funktionierenden wachs an Mitteln nicht überschritten wird, was ansonsten Eisenbahnverkehr garantieren, der die Kundinnen und dazu führte, dass weniger Verkehr gefahren würde, weil Kunden in den Mittelpunkt stellt . mehr für die Trassenpreise aufzuwenden wäre . (Beifall bei der LINKEN) Was wir heute allerdings beschließen werden, ist, dass Öffentliche Bahnunternehmen, die nicht als oberstem diese 1,8 Prozent auch dann genommen werden, wenn Ziel der Gewinnmaximierung unterworfen sind und auf der Regulierer sogar unter der Summe bleibt . Das ist so Zusammenarbeit statt auf Konkurrenz aufbauen, sind nö- gewollt und okay; wir werden das so nachvollziehen; tig . Jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit dem Spruch, denn die Regierung hat ja den Auftrag, das umzusetzen, dass wir die alte Bahn wiederhaben wollen . Nein, darum was das Parlament beschließt . Ich vermute, dass das zu- geht es nicht . Die Linke will eine moderne Bahn . Wir gunsten des Fernverkehrs und des Güterverkehrs läuft; wissen aus europäischen Vergleichen, dass es sie gibt . denn ich glaube, dass wir bei der Regulierung unter den 1,8 Prozent bleiben können, wodurch wir dann höhere (Beifall bei der LINKEN) Einnahmen aus dem Nahverkehr haben, die zugunsten Der Blick in den Südwesten, in die Schweiz zeigt, von Fernverkehr und Güterverkehr umgelenkt werden dass dort mit einem intelligenten Steuerungssystem eine können . Mithin ist der Sinn der Demonstrationen in die- Bahn im öffentlichen Bereich in der Lage ist, den Ver- ser Woche überflüssig geworden, weil genau das Gegen- kehr vernünftig zu organisieren . teil von dem eintritt, von dem die Demonstranten ausge- gangen sind . (Beifall bei der LINKEN) 18120 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Herbert Behrens (A) Vom Fernverkehr bis zum regionalen Busverkehr gibt cher: Alle, die hier im Raum sind, hätten sich gewünscht, (C) es dort quasi ein Verkehrsangebot aus einer Hand, weil das wäre noch mehr gewesen, aber es ist immerhin eine der öffentliche Verkehr öffentlich organisiert ist – zum Steigerung . Im Personennahverkehr gab es von 2010 bis Wohle der Nutzerinnen und Nutzer . Der Erfolg gibt die- 2015 sogar eine Steigerung um 9 Prozent . sen Steuerungsmaßnahmen ja auch recht . In der Schweiz fahren viel, viel mehr Menschen mit der Bahn als in Jährlich werden in Deutschland 2,5 Milliarden Men- Deutschland . schen im Nahverkehr der Bahn transportiert . Das ist ein Erfolgsmodell . Wir stellen aber fest: Die Netzkapazitäten (Beifall bei der LINKEN) setzen dem Anstieg Grenzen . Deshalb hat die Bundesre- Wir müssen uns von dort Anregungen holen und das gierung in dieser Legislaturperiode insgesamt 35 Milli- Konzept auf die Eisenbahn in Deutschland übertragen . arden Euro ausgegeben, um das Netz zu ertüchtigen, und Das wäre eine richtig gute Maßnahme . das ist auch gut so . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Die Bundesregierung geht aber in der Tat einen ande- Trotzdem gibt es einen Punkt, der insbesondere für die ren Weg; wir haben es gerade gehört. Eine Anreizfinan- Länder sehr wichtig ist, nämlich die Trassenpreisbremse, zierung soll dazu beitragen, dass das Infrastrukturunter- um dem weiteren Zuwachs der Trassenpreise entgegen- nehmen die Gelder, die es bekommt, so einsetzt, wie es zuwirken . Die Trassenpreise steigen jährlich nämlich we- erforderlich ist . Wir haben bei der Bahn gesehen, dass sentlich stärker als die Teuerungsrate . Das ist auch eines die Zuschüsse auf einmal in der Bilanz auftauchten; denn der Themen des hier vorliegenden Gesetzentwurfs . Wir man musste gegenüber der Bundesregierung nachwei- setzen mit diesem Gesetzentwurf zum einen EU-Regeln sen, dass man Profite machen kann. Die Probleme löst um, zum anderen geht es uns aber auch noch um zwei man also nicht auf diese Art und Weise . Darum ist es nö- weitere Ziele, nämlich zum Ersten um die Trassenpreis- tig, dass wir ähnlich wie in der Schweiz Kostenrahmen bremse und zum Zweiten um mehr Transparenz bei der festlegen . Wir müssen festlegen, welche Leistungen wir Preisgestaltung von Netz und Station . für welche Kosten haben wollen . Das ist das Beispiel der Schweizer Bahn . Das kann ein Vorbild für uns sein . Das ist schwierig genug; denn wir müssen die Interes- (Beifall bei der LINKEN) sen und Möglichkeiten unterschiedlichster Akteure zu- sammenbringen: von Bund und Ländern – die Länder ha- Zu den Trassenpreisen: Die Preise für die Nutzung des ben zum Beispiel 57 Änderungsvorschläge gemacht, von Schienennetzes steigen für die privaten Unternehmen, denen wir sehr viele angenommen haben –, aber auch aber auch für das Unternehmen Deutsche Bahn AG, weil von nicht bundeseigenen Eisenbahnen, wie zum Beispiel (B) (D) sie privatwirtschaftlich organisiert ist und Profite brin- der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe aus Moers mit gen soll . Wenn wir im Nahverkehr eine Deckelung bei einem Schienennetz von 26 Kilometern und der Deut- maximal 1,8 Prozent haben, dann werden – das haben schen Bahn AG mit einem Schienennetz von weit über die Demonstranten hier in Berlin am Montag nachgewie- 30 000 Kilometern . sen – die überschießenden Kosten zulasten des Fernver- kehrs gehen . Das fürchten die Kolleginnen und Kolle- Zusätzlich haben wir noch einen Auftrag der Minis- gen . Diese Befürchtungen sind nicht ausgeräumt . Darum terpräsidenten und -präsidentinnen und der Kanzlerin be- brauchen wir ein konsequentes Vorgehen bei den Preisen . kommen . Sie haben nämlich beschlossen – der Staatsse- Es wäre möglich, dass wir die Trassenpreise auf die soge- kretär hat es schon gesagt –, die Regionalisierungsmittel nannten Grenzkosten reduzieren . Die Fixkosten blieben deutlich anzuheben . Den Ländern wurde dabei zugesi- beim Bund, und es würde ein vernünftiges Infrastruktur- chert – und zwar von der Kanzlerin –, dass das Geld für netz garantiert, was in der Lage wäre, die Verkehrsleis- die dringend benötigten Mehrbestellungen nicht durch tungen auch zu bewältigen . die überproportional steigenden Trassenpreise aufgefres- sen und die Trassenpreissteigerung auf 1,8 Prozent im (Beifall bei der LINKEN) Jahr begrenzt wird . Wir brauchen eine vernünftige, eine kundenorientierte Eisenbahnpolitik . Die ist mit dem vorgelegten Regulie- Das hatten wir umzusetzen . Der Auftrag war klar: rungsgesetz überhaupt nicht hinzubekommen . EU-Richtlinie umsetzen, Transparenz schaffen, Tras- senpreisanstieg dämpfen, genug Geld für die Deutsche (Beifall bei der LINKEN) Bahn AG zum Betrieb ihrer Schienen besorgen und eine Deckelung der Trassenpreise im Nahverkehr . Die Lösung Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: liegt jetzt vor Ihnen . Als nächste Rednerin hat Kirsten Lühmann von der Erstens . Wir haben die Rolle der Bundesnetzagentur SPD-Fraktion das Wort . als Regulierungsbehörde ausgeweitet . Sie kann jetzt die (Beifall bei der SPD) Angemessenheit der Preise besser prüfen . Zweitens . Wir haben einen Produktivitätsfaktor einge- Kirsten Lühmann (SPD): führt, der die Trassenpreiserhöhungen dämpfen soll . Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte An- wesende! Der Güterverkehr auf der Schiene ist zwischen Drittens . Wir haben den diskriminierungsfreien Zu- 2010 und 2015 um 6,5 Prozent gestiegen . Ich bin mir si- gang zu den Schienennetzen verbessert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18121

Kirsten Lühmann (A) Viertens . Wir haben den Auftrag der Länder und der Liebe Kollegen und Kolleginnen, im Jahr 2019 wer- (C) Kanzlerin in § 37 des Gesetzentwurfs umgesetzt und die den wir uns, so der Wählende es will, hier alle wieder- Trassenpreisbremse geregelt . treffen, die Evaluation auswerten und über die LuFV III beraten . Ich freue mich darauf . Wir hatten nur ein kleines Problem: Es war juristisch nötig, dass wir die Defizite an anderer Stelle ausgleichen Herzlichen Dank . oder zumindest die Möglichkeit dazu schaffen . Wir ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben uns entschieden, das im Bereich des Fernverkehrs zu der CDU/CSU) tun . Uns allen ist aber klar: Dazu soll es nicht kommen . Dank der Beteiligung aller haben wir eine Lösung gefun- den, die die Erhöhung der Trassenpreise im Fernverkehr Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: und als Folge daraus die Erhöhung der Ticketpreise im Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Matthias Fernverkehr nicht zum Tragen kommen lässt . Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Erstens . Wir haben eine Evaluierung in 2019 be- schlossen, damit die Folgen der Erhöhung der Regiona- (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht über- lisierungsmittel, der Mehrbestellungen und der Trassen- ziehen!) preisbremse aufgearbeitet werden . Dieses Ergebnis soll dann in die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzie- Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rungsvereinbarung III im selben Jahr einfließen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! (Gustav Herzog [SPD]: Gute Regelung!) Liebe Kollegen! Wir haben auf den Gesetzentwurf zur Umsetzung einer EU-Richtlinie lange gewartet . Mit dem Zweitens . Mit dem Inkrafttreten der LuFV III am vorliegenden Gesetzentwurf werden weite Teile dieser 1 . Januar 2020 haben wir die Möglichkeit gestrichen, Richtlinie nur als Mindestanforderungen übernommen . dass ein mögliches Delta auf den Bereich des Fernver- kehrs übertragen wird . Das heißt, bis dahin müssen wir Zu den wesentlichen Änderungen gegenüber dem Sta- andere Lösungen finden. tus quo gehören erstens die prinzipielle Einführung einer Anreizregulierung für die Trassenpreise und zweitens die Drittens . Die Länder haben für 2017 beschlossen, die Tatsache, dass die Bundesnetzagentur die Trassenpreise volle Erhöhung der Trassenpreise, also 2,4 Prozent mehr, der Infrastrukturunternehmen prüfen muss, bevor diese zu zahlen, und sie sind damit einverstanden, dass die De- in Kraft treten können . Das sind zweifelsfrei Vorteile ckelung erst 2018 beginnt . und Fortschritte gegenüber dem Status quo, die wir der EU-Kommission zu verdanken haben und die wir als (B) Jetzt haben wir folgende Situation: Die Beschäftigten (D) Grüne ausdrücklich unterstützen . der Deutschen Bahn haben Befürchtungen, die wir sehr ernst nehmen – insbesondere auch unser Kollege Martin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Burkert von der entsprechenden Gewerkschaft –, Dennoch bleibt festzustellen: Der Gesetzentwurf greift (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Oh!) in vielen Punkten zu kurz . In Deutschland sind Netz und Betrieb nicht voneinander getrennt . Dem Wettbewerb ist dass es durch die Mindereinnahmen in 2018 und 2019 das nicht dienlich . Für einen fairen Wettbewerb brauchen möglicherweise zu Entlassungen kommt . Ich danke dem wir daher eine konsequente gesetzliche Regulierung . Nur Bahnchef, Dr . Grube, sehr herzlich dafür, dass er diese wenn der Wettbewerb auf der Schiene funktioniert, kann Befürchtungen aufgenommen hat und heute die Beleg- auch der Wettbewerb zwischen Schiene und Straße funk- schaft über Inhalt und Folgen dieses Gesetzes informiert tionieren . hat . Ich zitiere aus dem Brief von Herrn Grube einen Satz: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wichtig ist uns, zu betonen, dass die Auswirkungen Der Bundesrechnungshof ist nicht der Einzige, der be- der gesetzlichen Neuregelungen auf unser wirt- zweifelt, dass mit diesem Regulierungsgesetz das Wett- schaftliches Ergebnis insgesamt beherrschbar blei- bewerbsziel nicht erreicht wird . Zu diesem Ziel würde ben und keine negativen Folgen für die Beschäftig- ganz wesentlich die Bildung der Trassenpreise nach ten zu erwarten sind . dem Grenzkostenprinzip beitragen, so wie es die EU im Regelfall vorsieht . Doch CDU/CSU und SPD nehmen Ein ganz wichtiges Schreiben . lieber den Ausnahmefall und machen diesen dann in Deutschland zur Regel . Offensichtlich hat ihnen für eine (Beifall bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]: wirkliche Reform zugunsten von mehr Verkehr auf der Klare Aussage!) Schiene der Mut gefehlt . Unser Fazit: Dies ist ein schwieriger Gesetzesprozess, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der aufgrund des unbedingten Einigungswillens aller sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Beteiligten erst möglich wurde – ein Gesetz für mehr Transparenz – ein Gesetz für die Stabilisierung der Tras- Wir begrüßen die Initiative der Länder und insbeson- senpreise und ein Gesetz ohne negative Auswirkungen dere die Einigkeit der grün-regierten oder grün-mitre- auf die Qualität des Schienenverkehrs und auf die Be- gierten Länder ausdrücklich . Zumindest der Anstieg des schäftigten . Trassenpreises im Nahverkehr konnte damit gebremst 18122 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Matthias Gastel (A) werden . Festzuhalten ist, dass grün-regierte Länder wie Ich bitte um Verständnis . Wir haben miteinander verein- (C) ein Korrektiv zur Großen Koalition im Bund wirken . bart, dass wir heute keine Zwischenfragen zulassen . Das haben auch meine Kolleginnen und Kollegen nicht getan . Es sieht nach einer mehrheitlichen Zustimmung der Wir müssen einigermaßen im Zeitplan bleiben . Deshalb Länder aus, aber nicht aus Begeisterung, liebe Kollegin- bitte ich dafür um Verständnis . nen und Kollegen, sondern schlicht deswegen, weil die- ses ERegG besser ist als gar keine Regulierung und gar Es liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts- kein neues Gesetz . Vor allem aber brauchen die Länder ordnung zu dieser Abstimmung vor 2). Sicherheit darüber, wie groß die Kaufkraft ihrer Regio- nalisierungsmittel ist, damit sie ihre Regionalverkehre Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- bestellen können . desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich . Der Ausschuss für Wir als Bundestagsfraktion haben aber über den Regi- Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Be- onalverkehr hinaus eine andere Brille aufzusetzen, um zu schlussempfehlung auf Drucksache 18/9099, den Gesetz- beobachten, was sich im Schienengüterverkehr und im entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8334 in Fernverkehr tut . Hier ist das Problem im Zusammenhang der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, mit der Trassenpreisbremse eben nicht sauber gelöst . Die die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Einnahmeausfälle, die entstehen, werden von irgendje- men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- mandem ausgeglichen werden müssen . Dafür bleiben gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in eben nur noch Güterverkehr und Fernverkehr übrig . Das zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen kann für beide Segmente problematisch werden . die Stimmen der Opposition angenommen worden . Zwar wird in dem Änderungsantrag der Großen Ko- Wir kommen zur alition ein Bericht der Bundesnetzagentur versprochen . Aber was dann passiert und welche Folgen der Bericht dritten Beratung hat, ist im Moment noch offen . Genauso ungeklärt ist auch, ob die gesamte Infrastruktur der Anreizregulierung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem unterliegen wird . Auch hierzu hat sich der Bundesrech- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– nungshof kritisch geäußert . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenom- Unter dem extremen Zeitdruck, unter dem wir uns mit men worden bei Gegenstimmen der Opposition und eines diesem Gesetzentwurf und dem vorgestern Nachmittag Mitglieds der SPD-Fraktion . eingereichten Änderungsantrag der Großen Koalition be- fassen müssen, lassen sich diese und viele weitere offene (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (B) Fragen nicht sicher klären . Die von den Ländern erzwun- SES 90/DIE GRÜNEN) (D) gene Trassenpreisbremse ist bei dem Vollkostenprinzip, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 a bis 17 c auf: das zur Anwendung kommen soll, richtig . Sie ist eine Chance für mehr Regionalverkehr . a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Bei vielen anderen Punkten – von der Anreizregulie- richts des Ausschusses für Verkehr und digitale rung bis hin zur Billigkeitskontrolle vor den Zivilgerich- Infrastruktur (15 .Ausschuss) zu dem Antrag der ten – lässt der Gesetzentwurf aber viele Chancen unge- Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, nutzt . So regiert das Prinzip Hoffnung . Nach so langer Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- Zeit, die Sie hatten, um einen guten Gesetzentwurf vor- tion DIE LINKE zulegen, ist das ziemlich traurig . Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deutsche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bahn AG vor einem finanziellen Desaster be- wahren Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Drucksachen 18/7566, 18/9085 Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen .– Der Kollege Ulrich Lange hat seine Rede zu Protokoll ge- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- geben 1). richts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 .Ausschuss) zu dem Antrag der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- DIE GRÜNEN) tion DIE LINKE Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben keine Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebs- Zwischenfrage des Kollegen Martin Burkert zugelassen . ordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Ei- Ich habe auch bei den vorherigen Debatten keine Zwi- senbahnverkehr schenfragen zugelassen . Ich werde das auch in der kom- menden Debatte nicht tun . Drucksachen 18/5406, 18/9098 (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias LINKEN: Warum nicht?) Gastel, Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden),

1) Anlage 11 2) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18123

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- der Volksabstimmung – ein Kostendeckel . Im März 2013 (C) NIS 90/DIE GRÜNEN lagen wir dann bei 6,8 Milliarden Euro, und mittlerweile rechnet der Bundesrechnungshof mit 10 Milliarden Euro . Kostenentwicklung beim Bahnhofsprojekt Das ist eine Verzehnfachung gegenüber dem Ausgangs- Stuttgart 21 kritisch prüfen wert . Dagegen ist sogar der Berliner Flughafen in der Drucksache 18/9039 Kostensteigerung ein regelrechtes Schnäppchen . So wird Überweisungsvorschlag: hier gerechnet, und das ist unverantwortlich . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Haushaltsausschuss (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Donth Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für [CDU/CSU]: Sagt die Stuttgarter Zeitung!) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen wor- Einen Profiteur gibt es dabei aber ganz bestimmt. Es den, und ich kann die Aussprache eröffnen . gibt mehrere, aber einer saß eine Weile im Bundeskanz- leramt: Ronald Pofalla, der dieses Projekt 2013 als Ver- Ich weise darauf hin, dass die beiden Kollegen trauter von Angela Merkel beim Aufsichtsrat noch durch- Alexander Funk und Steffen Bilger ihre Reden zu Pro- 1) gedrückt hat, obwohl damals schon die Berechnungen tokoll gegeben haben . davor gewarnt haben, das Projekt weiterzubetreiben . Er (Beifall bei der CDU/CSU) hat es durchgedrückt . Mittlerweile sitzt er im Bahnvor- stand mit einem schönen Gehalt von über einer halben Damit rufe ich jetzt als erste Rednerin Heike Hänsel Million Euro . Ja, herzlichen Glückwunsch, Herr Pofalla! von der Fraktion Die Linke auf . Sie hat das Wort . Für Sie hat sich dieses Projekt gelohnt . (Beifall bei der LINKEN – Michael Donth [CDU/CSU]: Frau Leidig will Fußball gu- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) cken!) Es gibt in ganz Europa mittlerweile keinen vergleich- baren Großstadthauptbahnhof, der eine derart schräge Heike Hänsel (DIE LINKE): Planung hat . Zum Beispiel geht es technisch gesehen ja Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! auch um eine Gleisneigung von 25 Promille . Diese liegt Nein, ich kann Ihnen mitteilen: Meine Kollegin Sabine beim Fünffachen des eigentlich Zulässigen . So etwas Leidig ist leider krank – sogar schwer krank –; deswegen gibt es eigentlich überhaupt nicht . Die Fachleute greifen habe ich heute sehr gerne für sie diese Rede übernom- sich an den Kopf, wie man so eine Planung überhaupt men . Es ist nämlich sehr wichtig, dass wir über dieses machen kann . (B) Thema sprechen . Denn diese Woche wurde in der Stutt- (D) garter Zeitung eine Zahl mit enormer Sprengkraft veröf- (Lachen des Abg . Michael Donth [CDU/ fentlicht . Jetzt steht nämlich fest, wovor die Bewegung CSU]) gegen das Großprojekt Stuttgart 21 bereits seit Jahren ge- Dazu kommt – das ist eigentlich der größte Skandal –, warnt hat, und sie hat das auch vorgerechnet, nämlich die dass es auch noch mit einem Kapazitätsabbau verbunden nächste Kostenexplosion bei diesem Wahnsinnsprojekt . ist, also mehr Geld für weniger Leistung . Das ist wirklich (Michael Donth [CDU/CSU]: Wieso steht es ein Schildbürgerstreich ohnegleichen, und genau deshalb fest?) müssen wir dieses Projekt stoppen . Der Bundesrechnungshof geht bei den Kosten von neu- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der en Zahlen aus . Er rechnet mit bis zu 10 Milliarden Euro CDU/CSU: So ein Blödsinn!) Kosten für dieses unglaubliche und unnütze Projekt . Das ist eine Bankrotterklärung für all diejenigen, die immer Es ist auch das Projekt von Angela Merkel . Sie hat, noch dieses Projekt unterstützen . wie gesagt, persönlich mitveranlasst, dass weitergebaut wird, und deshalb ist auch sie und die Bundesregierung (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . verantwortlich für diese Misswirtschaft, diese Fehlkalku- Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lation und den Missbrauch von Steuergeldern . NEN]) (Zuruf von der LINKEN: Genau! – Zuruf von Genau deswegen fordern wir den Ausstieg aus Stutt- der SPD: Quatsch!) gart 21 . Er ist immer noch möglich . (Beifall bei der LINKEN) Den Grünen kann ich nur sagen: Beenden Sie endlich diese blödsinnig-kritische Begleitung dieses Projektes! Ich will Ihnen deutlich machen, dass dieses Projekt Stoppen Sie es in Baden-Württemberg! Die Volksabstim- wirklich ein Fass ohne Boden ist . Entweder hat die Bahn mung ist schon lange obsolet . den Überblick über ihre eigenen Berechnungen verloren, oder sie lügt hier, dass sich die Balken biegen . Wir ha- (Beifall bei der LINKEN) ben 1997 mit dem Projekt angefangen . Damals wurde Wir werden jedenfalls am 16 .Juli für ein Ende des gesagt: Das Projekt kostet 2 Milliarden D-Mark . Dann Projekts in Stuttgart demonstrieren . Dazu sind Sie alle stieg es etwas an auf schlappe 4,5 Milliarden D-Mark bei herzlich eingeladen . Stoppt Stuttgart 21!

1) Anlage 12 (Beifall bei der LINKEN) 18124 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Ja, das Gelände um Stuttgart 21 ist eine Riesengrube; (C) Als nächste Rednerin hat Annette Sawade von der das stimmt . Jeder wünscht sich ein Ende dieser Baustelle, SPD-Fraktion das Wort . aber ein Ende im Sinne einer Fertigstellung . Was passiert denn bei dem von Ihnen gewünschten Stopp? Die Tunnel (Beifall bei der SPD) müssten wieder zugemacht werden, die Gruben gefüllt und komplett neu geplant werden . Oder was wollen Sie Annette Sawade (SPD): tun: wie vorgeschlagen einen zentralen Omnibusbahnhof Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und oder ein Eventcenter mit Swimmingpool – eine Grube Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen auf den Tri- wäre ja vorhanden – errichten? Nein, natürlich nicht! bünen! In 13 Minuten ist Anpfiff, und ich wünsche unse- rer Mannschaft vollen Erfolg! Wir wollen einen guten Bahnhof und eine Erweiterung des Stadtzentrums, das diesen Namen auch verdient . Das (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Rosenstein-Viertel ist eine Projektionsfläche für Bürger- Aber ich sage dazu: Es ist nicht der Abpfiff für Stutt- beteiligung . 2 Quadratkilometer Fläche statt Gleisbett! gart 21 – Deshalb sind Worte wie Desaster, Stopp, Ausstieg, Scha- den, wie sie im Antrag der Linken zu lesen sind, fehl am (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Platz . Natürlich gehören Fragen der Sicherheit, der Fein- auch das in Richtung der Linken . planung und der Kostenentwicklung offen besprochen . Aber Vermutungen wie „Ich glaube das nicht“ oder „Das (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der funktioniert nicht“ helfen nicht weiter . Vom steten Wie- CDU/CSU) derholen allein werden Chaosvermutungen nicht besser Am 25 . Februar debattierten wir hier schon einmal oder überzeugender . über das Projekt Stuttgart 21 . Ausstieg: ja oder nein? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kosten: realistisch oder illusorisch? Aber mir ist vor al- lem auch in Erinnerung – und das war in der jetzigen De- Mittlerweile arbeiten sowohl der Verkehrsminister batte auch wieder der Fall –: Polemik oder Sachlichkeit? Baden-Württembergs, , und der Ober- Ich bin ehrlicherweise für Sachlichkeit . bürgermeister von Stuttgart, – beide sind Mit- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu- glieder von Bündnis 90/Die Grünen –, konstruktiv an der ruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE]) Entwicklung des Projekts mit . Oberbürgermeister Kuhn sagte noch vor ein paar Tagen: Um es vorwegzusagen: Stuttgart 21 wird gebaut, und es geht voran; denn es ist nun einmal beschlossen, und es Die Bahn muss es pünktlich schaffen . (B) wird an diesem Bahnhof nicht fahrlässig mit der Sicher- (D) – Daran sind auch wir interessiert . – heit der Fahrgäste umgegangen, auch wenn Frontal 21 etwas anderes suggerieren wollte . Die Stadt hat ein Interesse daran, dass dies gelingt . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir beteiligen uns jederzeit an Gesprächen, die zum CDU/CSU) Ziel haben, den Kosten- und Zeitrahmen einzuhal- ten . Wir hatten hier im Haus eine Anhörung zur Gleisnei- gung . Das Fazit war eindeutig: Die Eisenbahnbetriebs- In den letzten Wochen war Stuttgart 21 wieder stärker ordnung muss nicht geändert werden; Professor Fengler im Fokus der Öffentlichkeit; wir alle kennen die entspre- brachte es auf den Punkt – ich zitiere –: chenden Berichte . Aber wir reden erst darüber, wenn wir die Fakten kennen . Wir fordern, die Fakten auf den Tisch Die Eisenbahn ist, verglichen mit dem Straßenver- zu legen . Wenn aber der SWR die Stuttgarter Zeitung zi- kehr, ein um Größenordnungen sichereres, trotzdem tiert und diese wiederum den SWR, dann sind das für uns sehr leistungsfähiges und zudem noch umwelt- keine ausreichenden Argumente . Wir wollen die Fakten freundlicheres Verkehrsmittel . Es sollte vermieden sehen . Diese werden kommen . werden, dieses Verkehrsmittel … durch verschärfte Anforderungen, die wenig nützen, da der Sicher- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heitsgewinn nur marginal ist, noch teurer zu ma- der CDU/CSU) chen . Am 6. September findet erneut eine Aufsichtsratssit- Wir wollen alle mehr Verkehr auf die Schiene . zung statt, in der externe Gutachten vorgelegt werden . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Prüfbericht des Bundesrechnungshofs und die Stel- lungnahme des Verkehrsministeriums liegen bislang Heute wird deutlich sichtbar: In Stuttgart sowie nicht vor . Wir sagen heute noch nichts dazu, weil wir die zwischen Wendlingen und Ulm wird gebaut . Von rund Fakten noch nicht kennen . Vermuten wollen wir nicht . 59 Kilometern sind bereits 16 Kilometer Tunnel ausge- hoben . Auf der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm sind es Lassen Sie uns also bitte nicht vorschnell irgendwel- 31 Kilometer von rund 62; übrigens sind dort seit Februar che Schlüsse ziehen, die nicht richtig wären . Ruhe und 3,5 Kilometer dazugekommen . Fertig ist seit März 2016 Besonnenheit müssen einkehren . Ständige Spekulatio- die Unterquerung des Neckars, und das Eisenbahn-Bun- nen, Mutmaßungen und Szenarien bringen uns wahrlich desamt hat gerade die Bodenplatte freigegeben, damit sie nicht weiter . Was sagt ein Sprichwort aus Sambia: „Das gebaut werden kann . Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht .“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18125

Annette Sawade (A) Herzlichen Dank . Es war ein Riesenfehler, dass nicht allerspätestens im (C) Jahr 2013 beim letzten Kostenanstieg dieses Projekt ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) stoppt wurde . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank .– Matthias Gastel von der Fraktion Der Bund war es, der auf den Weiterbau gedrängt hat . Bündnis 90/Die Grünen hat als nächster Redner das Wort . Deswegen drängen wir jetzt darauf, dass der Bund end- lich bereit ist, seine Verantwortung zu übernehmen . Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als dieser Tagesordnungspunkt für heute aufgesetzt wur- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: de, konnten wir noch nicht wissen, welche Aktualität die- Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich ses Thema durch einen möglichen Bericht des Bundes- bitte Sie jetzt um Ihre Aufmerksamkeit und um konzen- rechnungshofs, wonach vielleicht die Kosten auf knapp triertes Mitmachen . Wir haben zehn Abstimmungen, die 10 Milliarden Euro gestiegen sind, bekommen wird . auch strittig sind, und wir haben fünf Überweisungen . Ich gehe noch einmal zurück . Dieses Projekt hat mit Ich werde versuchen, das jetzt konzentriert und zügig zu dem Versprechen begonnen: Es kostet nichts . Wir verkau- machen, und bitte Sie, mitzumachen . fen oben die Grundstücke und bauen dann einen Tunnel Zunächst komme ich zum Tagesordnungspunkt 17 a . darunter. Alle profitieren. – Dann sind die Kosten gestie- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und gen. Aktuell liegen sie offiziell bei 6,5 Milliarden Euro. digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Die Nun ist die Rede von knapp 10 Milliarden Euro . Es wird Linke mit dem Titel „Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die immer deutlicher, dass die Kosten künstlich und aus Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster be- politischen Gründen niedrig gehalten wurden, um die wahren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Mehrheit im Parlament zu sichern und die gesellschaft- empfehlung auf Drucksache 18/9085, den Antrag der lichen Widerstände möglichst kleinzuhalten . Die DB hat Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7566 abzuleh- schlecht geplant . Die DB rechnet schlecht . Die DB infor- nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer miert schlecht . Die Projektpartner dürfen bezahlen, be- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese kommen aber nicht die notwendigen Informationen bzw . Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition erfahren aus der Zeitung, was mit diesem Projekt los ist . gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen (B) Der Bau von Stuttgart 21 erfolgte sozusagen im Blind- (D) worden . flug. Man weiß nicht, wohin sich die Kosten entwickeln. Man weiß nicht, wann dieses Projekt fertig wird . Man Tagesordnungspunkt 17 b . Beschlussempfehlung weiß noch nicht einmal, ob es am Ende ein Bahnhof ist des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruk- oder ob tatsächlich eher ein Haltepunkt in Betrieb gehen tur zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti- wird . Wir wissen nicht, welche Kapazitäten nachher zur tel „Änderung der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung Verfügung stehen . Am Ende – das ist sicher – bekommen zur Erhöhung der Sicherheit im Eisenbahnverkehr“ . Der wir wenig Bahnhof für viel Geld . Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9098, den Antrag der Fraktion Die Lin- Deswegen haben wir für die heutige Debatte ei- ke auf Drucksache 18/5406 abzulehnen . Wer stimmt für nen Antrag vorgelegt . Wir fordern Transparenz bei den diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Kosten . Wir wollen, dass die Stellungnahmen des Bun- Wer enthält sich? – Damit ist auch diese Beschlussemp- desrechnungshofs, wenn sie fertiggeschrieben sind, fehlung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim- umgehend vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich men der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion gemacht werden . Wir wollen, dass offengelegt wird, wie Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . viele Mittel aus der Leistungs- und Finanzierungsver- einbarung, die eigentlich für Ersatzmaßnahmen, also für Tagesordnungspunkt 17 c . Interfraktionell wird Über- den Erhalt der vorhandenen Substanz, vorgesehen sind, weisung der Vorlage auf Drucksache 18/9039 an die in in den Neubau von Stuttgart 21 gesteckt werden . der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Wir wollen wissen, welche Kosten mit Modifizie- Dann ist die Überweisung so beschlossen . rungen des Projektes, beispielsweise Kombibahnhof, verbunden wären, und wir wollen, dass die Bundesre- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: gierung Verantwortung für den bundeseigenen Konzern Erste Beratung des von der Bundesregierung übernimmt . Es kann nicht sein, dass die Schulden immer eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der weiter steigen und am Ende das Geld für die notwendi- Mehrseitigen Vereinbarung vom 27. Janu- gen Investitionen in das Netz und in neues Wagenmate- ar 2016 zwischen den zuständigen Behörden rial fehlt . über den Austausch länderbezogener Berichte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/8841 sowie des Abg . Herbert Behrens [DIE LIN- Überweisungsvorschlag: KE]) Finanzausschuss (f) 18126 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- (C) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbar- Die mehrseitige Vereinbarung ist offen für die Zeich- machung von Renten aus Beschäftigungen in nung durch weitere Staaten . einem Ghetto Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden . – Ich Drucksache 18/9029 1) sehe, Sie sind damit einverstanden . Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Innenausschuss wurfs auf Drucksache 18/8841 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . sehe, auch damit sind Sie einverstanden 4). Dann ist die Überweisung so beschlossen . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Drucksache 18/9029 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh- Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine rung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales liegen soll . Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann ist geordneter und der Fraktion DIE LINKE die Überweisung so beschlossen . Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermögli- chen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Drucksache 18/7904 zes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Überweisungsvorschlag: Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Finanzausschuss Drucksache 18/8332 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Ich (15 . Ausschuss) sehe, Sie sind damit einverstanden 2). Drucksache 18/9023 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7904 an die in der Tagesordnung aufge- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion (B) führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Bündnis 90/Die Grünen vor . (D) verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben so beschlossen . werden .– Auch damit sind Sie einverstanden, wie ich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: sehe 5). Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Wir kommen dann zur Abstimmung . Der Ausschuss für gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än- Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Be- derung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit schlussempfehlung auf Drucksache 18/9023, den Gesetz- von Sportwettbetrug und der Manipulation entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8332 in von berufssportlichen Wettbewerben der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Drucksache 18/8831 men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- Überweisungsvorschlag: gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen Innenausschuss Sportausschuss die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Sie sind damit einverstanden, wie ich sehe 3). Wir kommen zur Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs dritten Beratung auf Drucksache 18/8831 an die in der Tagesordnung auf- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das so geschehen . stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: setzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koali- tion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Jelpke, Azize Tank, Matthias W . Birkwald, Dr .Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf 1) Anlage 13 2) Anlage 14 4) Anlage 16 3) Anlage 15 5) Anlage 17 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18127

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Drucksache 18/9070 . Wer stimmt für diesen Entschlie- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (C) ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim- schätzung men der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge- Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben lehnt worden . werden . – Ich sehe, auch damit sind Sie einverstanden 2). Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- auf den Drucksachen 18/8965 und 18/6361 an die in regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldege- gen .– Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann sind setzes und weiterer Vorschriften die Überweisungen so beschlossen . Drucksache 18/8620 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b auf: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, schusses (4 .Ausschuss) SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/9087 Entschädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA noch Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben weiter verbessern werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 1). Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Innen- Drucksache 18/9032 ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Drucksache 18/9087, den Gesetzentwurf der Bundesre- Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei- gierung auf Drucksache 18/8620 in der Ausschussfas- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält und der ehemaligen NVA besser entschädigen sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo- Drucksache 18/9027 sition angenommen worden . Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 3). (B) Dritte Beratung (D) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Damit kommen wir zur Abstimmung über den An- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– trag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/ Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Die Grünen auf Drucksache 18/9032 mit dem Titel „Ent- Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der schädigung für die Radargeschädigten der Bundeswehr Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen und der ehemaligen NVA noch weiter verbessern“ . Wer worden . stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der rung betäubungsmittelrechtlicher und ande- Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9027 mit dem Ti- rer Vorschriften tel „Radarstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der Drucksache 18/8965 ehemaligen NVA besser entschädigen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Ko- Innenausschuss alition bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt worden . b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Ab- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: geordneter und der Fraktion DIE LINKE a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewährleisten Unterstützung für den Friedensprozess in Ko- Drucksache 18/6361 lumbien Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Drucksache 18/9033 Innenausschuss 2) Anlage 19 1) Anlage 18 3) Anlage 20 18128 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Wir kommen zur (C) Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE dritten Beratung Für den Frieden in Kolumbien – Paramilita- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem rismus konsequent bekämpfen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Drucksache 18/9026 Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 1). Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Grünen auf der Drucksache 18/9033 mit dem Titel „Un- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- terstützung für den Friedensprozess in Kolumbien“ . Wer zes zur Errichtung eines Transplantationsre- stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- gisters hält sich jemand? – Das ist nicht der Fall . Dann ist der Drucksachen 18/8209, 18/8557, 18/8660 Nr 1.2 Antrag einstimmig angenommen worden . Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der ses für Gesundheit (14 .Ausschuss) Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9026 mit dem Ti- tel „Für den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus Drucksache 18/9083 konsequent bekämpfen“ . Wer stimmt für diesen An- trag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist dieser Antrag Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben 3) mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Opposition abgelehnt worden . Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9083, den Gesetzentwurf der Bundesre- – Zweite und dritte Beratung des von der gierung auf Drucksachen 18/8209 und 18/8557 in der Bundesregierung eingebrachten Ent- Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die wurfs eines Sechsten Gesetzes zur dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Änderung des Vierten Buches Sozi- wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – (B) algesetzbuch und anderer Gesetze Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- (D) (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV- ter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthal- ÄndG) tung der Opposition angenommen worden . Drucksache 18/8487 Wir kommen zur Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- dritten Beratung schusses für Arbeit und Soziales (11 .Aus - schuss) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Drucksache 18/9088 Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung worden . Drucksache 18/9089 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 2). regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs- ten Gesetzes zur Änderung des Straßenver- Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für kehrsgesetzes und anderer Gesetze Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/9088, den Gesetzentwurf der Drucksache 18/8559 Bundesregierung auf Drucksache 18/8487 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur len, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer (15 . Ausschuss) enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Drucksache 18/9084 Beratung mit den Stimmen der Koalition und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben Die Linke angenommen worden . werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 4).

1) Anlage 21 3) Anlage 23 2) Anlage 22 4) Anlage 24 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18129

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) Wir kommen damit zur Abstimmung . Der Ausschuss Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: (C) für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9084, Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, che 18/8559 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- rung chen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Programm zur nachhaltigen Nutzung und Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition zum Schutz der natürlichen Ressourcen angenommen worden . (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) Wir kommen zur – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung dritten Beratung Programm zur nachhaltigen Nutzung und und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem zum Schutz der natürlichen Ressourcen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) Gesetzentwurf auch in dritter Lesung mit den Stimmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenom- men worden . Meiwald, Dr .V alerie Wilms, Lisa Paus, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU) NIS 90/DIE GRÜNEN Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Ressourcenverschwendung stoppen – Na- tionales Ressourceneffizienzprogramm zu- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- kunftsfähig ausgestalten regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Drucksachen 18/7777, 18/7918 Nr. 1.2, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte 17/8965, 18/770 Nr. 27, 18/7047, 18/9094 des Bundes und Soldatinnen und Soldaten so- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich wie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher sehe, Sie sind damit einverstanden 2). Vorschriften (B) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- (D) Drucksache 18/8517 empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf Drucksache 18/9094 . Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4 .Ausschuss) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis der Unterrichtung Drucksache 18/9078 durch die Bundesregierung auf Drucksache 18/7777 über das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm II eine Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be- werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden 1). schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wir kommen damit zur Abstimmung . Der Innenaus- hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Drucksache 18/9078, den Gesetzentwurf der Bundesre- Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- gierung auf Drucksache 18/8517 in der Ausschussfas- men worden . sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, die Un- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um terrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksa- das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält che 18/8965 über das Deutsche Ressourceneffizienzpro- sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gramm zur Kenntnis zu nehmen . Wer stimmt für diese mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Oppo- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sition angenommen worden . sich jemand? – Was ist denn jetzt mit der Fraktion Die Wir kommen zur Linke? (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir haben dritten Beratung zugestimmt!) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem – Ja, weil da hinten eine Enthaltung war . Habe ich das Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– richtig gesehen? – Gut . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent- Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der haltung der Opposition angenommen worden . Koalition und den Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-

1) Anlage 25 2) Anlage 26 18130 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn (A) haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und eines Ab- – Lieber Kollege, lassen Sie uns doch fortfahren . (C) geordneten der Fraktion Die Linke angenommen worden . Wir kommen zur Abstimmung – nicht zur Debatte . Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- Drucksache 18/9092, den Gesetzentwurf der Bundesre- che 18/7047 mit dem Titel „Ressourcenverschwendung gierung auf Drucksache 18/6985 in der Ausschussfas- stoppen – Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten“ . Wer stimmt für diese Be- sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um hält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/ sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung Die Grünen bei – – mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nis 90/Die Grünen angenommen worden . NEN]: Wir hatten die Kenntnisnahme! – Ge- genruf des Abg . Jörn Wunderlich [DIE LIN- Wir kommen zur KE]: Das hatten wir gerade!) dritten Beratung – Über die Kenntnisnahme hatten wir eben abgestimmt . Jetzt stimmen wir über die Ausschussempfehlung, nicht und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem jedoch über den Antrag der Grünen ab . Dies sage ich zur Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Klarstellung angesichts der Irritationen bei der Fraktion Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Bündnis 90/Die Grünen . Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ge- Ich wiederhole die Abstimmung . Unter Buchstabe c genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der der Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 18/7047 abzulehnen . Wer stimmt der Beschlus- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf sempfehlung zu? – Das ist die Koalition . Wer stimmt Drucksache 18/9092 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlus- schließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlus- sempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die sempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jeman- Stimmen der Opposition angenommen worden . den, der sich enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall . (B) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Dann ist diese Beschlussempfehlung einstimmig ange- (D) nommen worden . Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich zur Änderung des Sachverständigenrechts und bei Ihnen . zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Ange- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit der CDU/CSU)

Drucksache 18/6985 Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses ordnung . für Recht und Verbraucherschutz (6 .Ausschuss) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Drucksache 18/9092 tages auf morgen, Freitag, den 8 . Juli 2016, 9 Uhr, ein . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . 1) Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen jetzt viel Spaß, entweder beim Zuschauen des Fußballspiels, (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gern kön- das hoffentlich richtig spannend ist, oder bei einer ande- nen wir auch reden!) ren schönen Nutzung dieses Abends .

1) Anlage 27 (Schluss: 21 .18 Uhr) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18131

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Linke zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum NATO-Gipfel am Liste der entschuldigten Abgeordneten 8./9. Juli 2016 in Warschau (Drucksache 18/9086) (Tagesordnungspunkt 4)

entschuldigt bis Ich nehme an der Abstimmung nicht teil . Abgeordnete(r) einschließlich Wer das Agieren der NATO bewerten will, muss einen Blick auf den Charakter des Regimes Putin werfen . Das Bär, Dorothee CDU/CSU 07 .07 .2016 System Putin ist eine Mischung aus KGB/FSB-Struktu- ren mit Oligarchen und kriminellen Methoden . Der Staat Barley, Dr . Katarina SPD 07 .07 .2016 ist auf dieses Herrschaftsmodell vollkommen ausgerich- tet . Nichts muss dieses Regime mehr fürchten als Demo- Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 07 .07 .2016 kratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit . Um jegli- chen demokratischen Widerstand im Lande zu ersticken, Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 07 .07 .2016 braucht das Regime „Feinde“ im Ausland und erklärt jeg- liche demokratische Bewegung im Inneren als feindlich . Gunkel, Wolfgang SPD 07 .07 .2016 Deswegen kann das Regime am Frieden draußen kein Hintze, Peter CDU/CSU 07 .07 .2016 Interesse haben. Es braucht Konflikte, um durch Propag- anda nach innen sein Regime aufrechtzuerhalten . In die- Höger, Inge DIE LINKE 07 .07 .2016 sem Zusammenhang müssen auch die Vorgänge in der Ukraine bewertet werden . Irlstorfer, Erich CDU/CSU 07 .07 .2016 Der Kreml wünscht weder den demokratischen und ökonomischen Erfolg der Ukraine noch echten Frieden Kudla, Bettina CDU/CSU 07 .07 .2016 an seinen Grenzen . Eine erfolgreiche Ukraine könnte der Anstoß für eine ähnliche demokratische Entwicklung in Leidig, Sabine DIE LINKE 07 .07 .2016 der Russischen Föderation werden . Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 07 .07 .2016 Die Ausrichtung der Fähigkeiten der NATO muss die- (B) (D) Graf se Analyse mit einbeziehen . Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 07 .07 .2016 Das schließt den geduldigen und zähen Dialog mit DIE GRÜNEN dem Regime im Kreml nicht aus, sondern er bleibt un- verzichtbar . Maizière, Dr . Thomas CDU/CSU 07 .07 .2016 de Anlage 3 Petzold, Ulrich CDU/CSU 07 .07 .2016 Erklärung nach § 31 GO Pflugradt, Jeannine SPD 07 .07 .2016 der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Susanna Karawanskij, Poschmann, Sabine SPD 07 .07 .2016 Niema Movassat und Harald Petzold (Havelland) (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den Schäfer (Bochum), Axel SPD 07 .07 .2016 von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu- Schlecht, Michael DIE LINKE 07 .07 .2016 ches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Tagesordnungspunkt 5) Tank, Azize DIE LINKE 07 .07 .2016 Der Bundestag stimmt heute über eine Reform des Se- Wicklein, Andrea SPD 07 .07 .2016 xualstrafrechts ab, durch die drei Änderungen im Straf- gesetzbuch (StGB) und eine Änderung im Aufenthalts- Zimmermann, Pia DIE LINKE 07 .07 .2016 gesetz (AufenthG) vorgenommen werden . Die einzelnen Regelungen sind sehr unterschiedlich zu bewerten . Da- her haben wir getrennte Abstimmungen beantragt und Anlage 2 unterschiedlich abgestimmt . Kurz zusammengefasst: Wir Erklärung nach § 31 GO haben heute den Regelungen für sexuelle Selbstbestim- mung zugestimmt (Artikel 1, Nummer 6: § 177 StGB-E der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) und Artikel 1, Nummer 9: § 184i StGB-E) und die Sip- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung penhaft (Artikel 1, Nummer 9: § 184j StGB-E) und eine über den Entschließungsantrag der Fraktion Die weitere Erleichterung von Abschiebungen (Artikel 2, 18132 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Nummer 3: AufenthG) abgelehnt . In der Abstimmung die unter das Ausländerrecht fallen, solche Straftaten ver- (C) des gesamten Gesetzes führt dies zu einer Enthaltung . üben . Zugestimmt haben wir mit großer Freude der gesetzli- Diese letzte Regelung hat uns trotz der bedeutsamen chen Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt nein“, die Verankerung des Prinzips „Nein heißt nein“ – für das wir seit vielen Jahren von zahlreichen Frauen, ihren Verbän- selbst engagiert gekämpft haben – zu einer Enthaltung den und Organisationen und inzwischen auch Abgeord- zum Gesamtgesetz bewogen . neten aller Fraktionen gefordert worden war . Er bedeutet, dass nun nicht mehr mit Zwang ein entgegenstehender Wille gebrochen werden muss, sondern die Äußerung Anlage 4 des entgegenstehenden Willens – in welcher Form auch immer – ausreicht . Diese Formulierung hatten wir des- Erklärungen nach § 31 GO halb auch in einem eigenen Gesetzentwurf aus dem Fe- zu der Abstimmung über den von der Bundesre- bruar vorgeschlagen (BT-Drucksache 18/7719) . Das ist gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur ein Paradigmenwechsel und ein wichtiger Fortschritt, da Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung der Grundsatz das sexuelle Selbstbestimmungsrecht als des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (Ta- solches als Wert anerkennt und nicht mehr an der Inten- gesordnungspunkt 5) sität der Gewalt misst . Zugestimmt haben wir auch der häufig als Grapsch-Pa- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit ragraf bezeichneten Regelung, die künftig Belästigungen der heute zur Abstimmung gestellten Reform des Se- durch sexuell bestimmte Berührungen unter Strafe stellt xualstrafrechts und damit der Umsetzung der Istan- und damit Taten erfassen soll, die bisher durch die soge- bul-Konvention – alle nicht einvernehmlichen sexuellen nannte Erheblichkeitsgrenze nicht durch das Strafgesetz- Handlungen müssen unter Strafe gestellt werden – fin- buch erfasst werden . Dort steht nämlich (§ 184h Num- det endlich ein Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht mer 1), dass überhaupt nur solche sexuellen Handlungen statt . Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird Beachtung finden, die „von einiger Erheblichkeit“ sind. konsequent im Strafgesetzbuch umgesetzt: Nein heißt Da das Strafrecht unbedingt weiter als Ultima Ratio gel- zukünftig endlich nein . Jede Form der sexualisierten Ge- ten sollte, wäre eine Streichung dieser Erheblichkeits- walt ist abzulehnen, und jeder Vorfall ist einer zu viel . grenze ausreichend gewesen, um sexuelle Belästigungen Umso schlimmer, wenn sexualisierte Gewalt, wenn eine zu erfassen, ohne jedoch dabei Tür und Tor für die Straf- Vergewaltigung nicht als solche geahndet werden kann; barkeit sozial angemessenen Verhaltens zu öffnen . Diese damit wird nun endlich Schluss sein . Dass das deutsche (B) Lösung hätten wir daher bevorzugt . Die Regelung der Sexualstrafrecht Lücken aufweist und eine Reform des (D) Großen Koalition ist fachpolitisch problematisch, stößt § 177 StGB – Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung sowie jedoch letztlich in dieselbe Richtung, sodass wir auch Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen – dieser Regelung zugestimmt haben . notwendig ist, war lange klar; nichtsdestotrotz brauchte die nun zur Abstimmung stehende Reform immensen öf- Abgelehnt haben wir die pauschale Verurteilung der fentlichen und politischen Druck . Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus sexuelle Übergriffe stattfinden. Im besten Fall ändert sich durch Hinter dem heutigen Erfolg steht ein langer Kampf diese Neuregelung zwar nichts, da sie nicht über die be- der Frauenverbände, Politik und Öffentlichkeit von den reits erfassten Strafverschärfungen wegen gemeinschaft- Schutzlücken im Gesetz zu überzeugen . Die grüne Bun- lichen Handelns hinaus angewendet wird . Im schlimms- destagsfraktion hat diesen Prozess von Anfang an unter- ten Fall wird jedoch eine beliebige Anzahl an Personen in stützt und bereits 2014 mit parlamentarischen Initiativen Sippenhaft genommen . Denn es entfällt bei dieser Rege- und Fachgesprächen und 2015 mit einem Gesetzentwurf lung ein konstitutives Moment einer Straftat: der Vorsatz Druck auf die Bundesregierung ausgeübt . des Täters . Im Effekt kann dann ein sexueller Übergriff Noch im Sommer 2015 wurde vonseiten des Justiz- durch eine Person allen anderen aus dieser Gruppe zu- ministers kein Handlungsbedarf gesehen . Erst eine Fall- gerechnet werden, auch wenn sie nicht einmal davon sammlung der Frauenverbände brachte Bewegung in die wussten . Der Boden des seriösen Strafrechts wird verlas- Positionierung des Justizministeriums . Leider gab es sen . Noch gefährlicher wird es sogar, wenn die Koalition weiterhin innerhalb der Bundesregierung großen Wider- festhält, dass die Beteiligung an einer Gruppe nur „um- stand gegen eine umfangreiche Reform des Sexualstraf- gangssprachlich“ zu verstehen sei . Rechtsunsicherheit ist rechts . Ende 2015 war fast ein Scheitern der Reform zu vorprogrammiert . befürchten . Erst die schrecklichen Vorfälle der Silvester- nacht rund um den Kölner Hauptbahnhof brachten Be- Abgelehnt haben wir außerdem die weitere Verschär- wegung in die vorher festgefahrene Debatte zur Sexual- fung des Ausweisungsrechts . Bereits im März wurde im strafrechtsreform . Der von der Bundesregierung im März Zuge der Köln-Debatte das Aufenthaltsgesetz geändert vorgelegte Gesetzentwurf setzte jedoch zunächst die For- und so Abschiebungen von straffällig gewordenen Aus- derung „Nein ist Nein“ weiterhin nicht konsequent um . ländern erleichtert . Durch die Aufnahme des neuen § 177 wird dies fortgeschrieben . Wir lehnen die Doppelbestra- Auf Druck der Frauenverbände, der Opposition und fung durch Strafrecht und Ausländerrecht grundsätzlich einer mittlerweile in dieser Frage politisierten Öffent- und entschieden ab . Darüber hinaus lehnen wir den damit lichkeit haben Union und SPD den ursprünglichen Ge- vermittelten Gedanken ab, dass insbesondere Menschen, setzentwurf von Justizminister Maas faktisch komplett Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18133

(A) über den Haufen geworfen und durch einen Änderungs- Folge blieben viele – eigentlich strafwürdige – Taten (C) antrag ersetzt, mit dem der § 177 umfassend reformiert oftmals straflos. Eine weitere gravierende Folge: Nur ein und „Nein heißt nein“ konsequent in Gesetzesform ge- sehr geringer Teil der zumeist weiblichen Opfer hat die gossen wird . Dabei bediente sich die Koalition konkret Taten überhaupt angezeigt . Aus der Praxis der Frauenbe- den Vorarbeiten der grünen Bundestagsfraktion . Dass im ratungsstellen und Frauennotrufe wissen wir, dass Opfer Zuge der Reform des § 177 nun ein neuer Tatbestand, nach einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung oft- der Straftaten aus Gruppen speziell unter Strafe stellt, mals die Schuld bei sich selbst suchen . hinzugefügt werden soll, lehne ich ab . Für Handlungen im Zusammenwirken mit anderen gibt es ausreichende Mit der Nein-heißt-nein-Lösung wird die Verletzung gesetzliche Regelungen mit Blick auf Mittäterschaft und der sexuellen Selbstbestimmung ins Zentrum gerückt . die Teilnahme an einer Straftat – ein scharfes Schwert, Für die künftig anerkannte Strafbarkeit reicht es aus, das ein hohes Strafmaß erlaubt . Es widerspricht allen dass der Wille des Opfers erkennbar ist und sich der Tä- rechtsstaatlichen Grundsätzen, die Beteiligung aus einer ter über den erkennbaren Willen hinwegsetzt . Das Op- Gruppe heraus unabhängig vom Tatvorsatz unter Strafe fer kann den Willen durch verbale Äußerung oder auch zu stellen . Es ist mehr als ärgerlich, dass Union und SPD durch konkludentes Handeln wie Weinen zum Ausdruck die richtige und überfällige Reform des § 177, für die bringen . Damit ist der subjektive Tatbestand erfüllt, viele Frauen und auch wir Grüne über Jahre gekämpft wenn der Täter trotz erkennbar entgegenstehendem Wil- haben, nun in einem Gesetzentwurf mit einer verfas- len die sexuellen Handlungen vornimmt . Ambivalentes sungswidrigen, populistischen Einfügung eines neuen Verhalten des Opfers wird jedoch nicht von der neuen Straftatbestandes und zudem mit einer Verschärfung im Strafnorm erfasst . Bereich des Aufenthaltsrechts zusammenfügt . Ange- Menschen mit Behinderung erfahren Gleichstellung: sichts dieser Verquickung ist mir eine Zustimmung zum Menschen, die wegen „einer geistigen oder seelischen Gesetzentwurf in Gänze nicht möglich . Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Sucht- krankheit oder wegen einer tiefgreifenden Bewusstseins- Mechthild Rawert (SPD): Als Mitglied für Deutsch- störung oder körperlich zum Widerstand unfähig“ sind, land im parlamentarischen Netzwerk „Gewaltfreies Le- fielen bislang als Opfer nicht unter den§ 177 StGB, ben für Frauen“ und als Mitglied im Ausschuss Gleich- sondern unter die Strafnorm des § 179 – Sexueller stellung und Nichtdiskriminierung der Parlamentarischen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen . Auch diese Versammlung des Europarates ist mir die Ratifizierung „Sonderbehandlung“, die von vielen als Diskriminierung des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung empfunden wurde, entfällt mit der Novellierung des Se- und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusli- xualstrafrechts . Ich begrüße auch diese Neuregelung aus- drücklich . Der neue § 177 StGB umfasst zukünftig alle (B) cher Gewalt“, kurz Istanbul-Konvention, ein gewichtiges (D) Anliegen . Die Istanbul-Konvention schafft als völker- Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen . rechtlicher Vertrag in Europa verbindliche Rechtsnormen Sexuelle Belästigung wird Straftatbestand: Neu ge- gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt . Gewalt schaffen wird mit der Novellierung des Sexualstrafrechts gegen Frauen soll umfassend verhütet, bekämpft und be- auch der Straftatbestand der sexuellen Belästigung . Bis- straft werden . Dieses Übereinkommen stellt somit einen lang konnten nur Strafanträge wegen Beleidigung auf Meilenstein in der Bekämpfung aller Arten von Gewalt sexueller Grundlage gestellt werden . Dabei mussten die gegen Frauen dar . Übergriffe die sogenannte Erheblichkeitsschwelle über- Ratifizierung der Istanbul-Konvention: Deutschland wunden haben, damit die Strafanträge Aussicht auf Er- hat das Übereinkommen am Tag der Verabschiedung ge- folg haben konnten . Der Griff an die Genitalien oberhalb zeichnet und somit anerkannt . Es wurde die Absicht er- der Kleidung – Grapschen – wurden ebenso wie Küsse in klärt, mit Ratifizierung beizutreten. Das Übereinkommen den Nacken oder auf die Haare etc . nicht erfasst . Mit dem ist mittlerweile mehr als „nur“ ein politisches Dokument . neu geschaffenen § 184i, Absatz 1 macht sich zukünftig Die Istanbul-Konvention ist seit dem 1 .August 2014 in strafbar, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Kraft – noch nicht aber in Deutschland. Die Ratifizierung Weise körperlich berührt und dadurch belästigt . Deutschlands steht noch aus, da die gesetzgeberische An- Mit dieser Sexualstrafrechtsreform wird im deutschen passung des nationalen Rechtes noch nicht abgeschlos- Recht mehr Gleichstellung zwischen den Geschlechtern sen ist . Das wollen wir ändern: Mit der Novellierung des geschaffen . Dies begrüße ich sehr . Ich stimme der No- Sexualstrafrechts gemäß der Devise „Nein heißt nein“ vellierung zu . beseitigen wir einen Hinderungsgrund für die Ratifizie- rungsmöglichkeit . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Notwendiger Paradigmenwechsel: Mit der Novellie- NEN): Ja zum „Nein ist ein Nein“ . Deshalb habe ich heu- rung des Sexualstrafrechts schließen wir die erkannten te für die Änderung der Strafbarkeit der Vergewaltigung Schutzlücken und schaffen zugleich auch den erforderli- gestimmt . Wer gegen den erkennbaren Willen einer Per- chen Paradigmenwechsel: Durch die Einführung der so- son sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder von ihr genannten Nichteinverständnislösung – Nein-heißt-nein- vornehmen lässt, wird wegen Vergewaltigung bestraft . Lösung – kommt es in zukünftigen Strafverfahren nicht Es soll nicht mehr darauf ankommen, dass Gewalt ange- mehr auf das Verhalten des Opfers an . wandt oder aktiv Gegenwehr nachgewiesen wird . Bislang musste ein Opfer sich – körperlich – vertei- Diese Änderung des § 177 StGB hätte es schon vor digen oder dies zumindest aktiv versucht haben . In der einem Jahr geben können . Die Grünen hatten den Ge- 18134 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) setzentwurf dafür vorgelegt . Aber die Union wollte nicht . krete Unterstützungshandlung etwa durch Beihilfe oder (C) Jetzt hat die Bundesregierung endlich ein weitgehend mit Anstiftung gar nicht ankommt . diesem Entwurf übereinstimmendes Gesetz eingebracht . Da war das Ja in der namentlichen Abstimmung klar . In der Gesetzesbegründung steht: „Die Beteiligung ist nicht im Sinne der §§ 25 bis 27 StGB zu verstehen, Die weiteren Neuerungen in dem Gesetz habe ich ab- sondern im umgangssprachlichen Sinn . Es wird kein be- gelehnt . wusstes und gewolltes Zusammenwirken verlangt “. Hier wird eine völlig neue Form der Tatbeteiligung geschaf- Neu eingeführt werden soll der Straftatbestand „se- fen, die in Widerspruch zum Schuldprinzip steht und ver- xuelle Belästigung“ . Die Regelung ist zu unbestimmt . fassungsrechtlich nicht haltbar ist . Es fehlt die Bedingung, dass der „erkennbare Wille des Diese neue Vorschrift ist auch überflüssig. Handlun- Opfers“ entgegenstehen muss . Strafbar werden soll die gen im Zusammenwirken mit anderen werden schon körperliche Berührung einer Person „in sexuell bestimm- jetzt über die Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme ter Weise“, wenn sie sie belästigt . Nach dem Gesetzes- erfasst, die gemeinschaftliche Begehung einer sexuellen wortlaut könnte das auf jede noch so leichte Berührung Nötigung oder Vergewaltigung ist zusätzlich über den mit Hand oder Finger am Arm oder der Hand der anderen § 177 Absatz 6 Nummer 2 abgedeckt und mit hoher Stra- Person zutreffen . In der Begründung zum Gesetz wird fe bedroht . dann zwar ausgeführt, welche Arten von Berührungen unter anderem umfasst sein sollen: „Küssen des Mundes, Ad-hoc-Gesetzgebung als Reaktion auf die Kölner des Halses, ‚Begrapschen‘ des Gesäßes“ . Diese Präzisie- Silvesternacht, um Beweisschwierigkeiten zu beheben, rung gehört aber direkt in den Gesetzestext . Nicht unter die auch auf ein Versagen der Sicherheitskräfte zurück- diesen Tatbestand fallen sollen „bloße Ärgernisse, Un- zuführen sind, und um die Öffentlichkeit zu beruhigen, gehörigkeiten oder Distanzlosigkeiten wie zum Beispiel ist eben der falsche Ansatz . Tauglich und rechtsstaatlich das einfache In-den-Arm-Nehmen oder der schlichte ist die Vorschrift nicht . Kuss auf die Wange“ . All diese Begrenzungen gehören Daher habe ich zu diesem Teil des Gesetzentwurfes aber in den Wortlaut des Gesetzestextes, für die Rechts- mit Nein gestimmt und mich insgesamt enthalten . anwender ist allein dieser Text maßgeblich .

Es kann keine sexuellen Berührungen geben, die nicht auch gleichzeitig sexuelle Handlungen sind . Stimmiger Anlage 5 und bestimmter wäre daher, die Worte „von einiger Er- heblichkeit“ bei der gesetzlichen Definition von sexuel- Erklärung (B) len Handlungen in § 184h StGB zu streichen, um auch des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (D) weniger schwerwiegende sexuelle Handlungen unter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung Strafe zu stellen . Die Schwere der Rechtsgutsverletzung über Artikel 1 Nummer 9 des Entwurfs eines müsste dann bei den Strafrahmen berücksichtigt werden . … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Eine solche Regelung würde auch den Bestimmtheits- Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbst- grundsatz nicht verletzen . bestimmung – in der Ausschussfassung, hier: die Einfügung des Paragrafen 184i Strafgesetzbuch Ebenso abgelehnt habe ich die neue Strafbarkeit der (Tagesordnungspunkt 5) Förderung einer Straftat durch die bloße Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein Sexualdelikt begangen Ich habe heute bei der Abstimmung über die Einfü- wird . Schon die Formulierung ist so verquast, dass man gung eines Paragrafen 184i StGB mit Nein gestimmt . kaum versteht, was strafbar sein soll . Jedenfalls nicht eine konkrete Beteiligung an einer Straftat, sondern al- lein die Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus ein anderer eine Sexualtat begeht . Dabei kommt es nicht auf Anlage 6 seine individuelle Kenntnis und Schuld an – es muss für Erklärung nach § 31 GO ihn noch nicht einmal vorhersehbar gewesen sein, dass ein Sexualdelikt durch eine andere Person aus der Grup- der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, pe begangen würde . Er muss von einer Sexualtat nicht Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE mal etwas wissen . Er muss lediglich billigend in Kauf LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- genommen haben, dass aus der Gruppe heraus irgendje- empfehlung des Petitionsausschusses: Sammel- mand irgendeine Straftat begeht . übersicht 343 zu Petitionen (Strafprozessordnung) (Tagesordnungspunkt 39 t) So wird dann jedem Gruppenbeteiligten die Begehung Dem ablehnenden Abschluss der Petitionen können eines Sexualdelikts zugerechnet, auch wenn die Gruppe wir nicht zustimmen, da die darin geäußerten Kritik- sich ursprünglich zu anderen Zwecken – zum Beispiel punkte aus unserer Sicht auch nach Inkrafttreten des zur Begehung von Diebstählen oder Beleidigungen – neuen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) am zusammengefunden hatte . Der Täterkreis einer Gruppe 18 . Dezember 2015 Bestand haben . ist auch zahlenmäßig unbegrenzt . Auch der Gruppenbe- teiligte kann bestraft werden, der sich in zweiter, dritter Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbe- Reihe aufhält oder noch weiter hinten und von einem zogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Ein- Sexualdelikt nichts mitbekommt, weil es auf eine kon- griff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18135

(A) mung dar . Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung wachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich (C) bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflich- automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den tung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten . Starostik auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wur- wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Be- den im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwi- reich noch viele andere Datensammlungen von erhebli- ckelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speiche- chem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls rung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und zugreifen könne . Entsprechend seien die Risiken einer Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; Profilbildung enorm gewachsen. Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Trans- Als problematisch erweist sich auch, dass sich die parenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind . Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail Durch eine Vorratsdatenspeicherung werden diese keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Geset- Grundsätze und damit das Recht auf informationelle zes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich Selbstbestimmung verletzt . Daten werden ohne jeden darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektri- konkreten Anlass und in großen Massen gespeichert . zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen Nur ein Bruchteil der gespeicherten Daten wird für (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach den Zweck der angestrebten Aufklärung schwerer und dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und schwerster Straftaten abgerufen werden . der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde . Der kürzlich von der Bundesnetzagentur vorgelegte Entwurf Die Vorratsdatenspeicherung kann nicht allein aus der zum „Katalog von technischen Vorkehrungen und sons- Perspektive des Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Da- tigen Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im ten zur Verbrechensaufklärung oder der Gefahrenabwehr vergangenen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung betrachtet werden . Der Gesetzgeber steht auch in der nun konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am Pflicht, die grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen 1 . Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, Folgen einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu neh- könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen men . Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts Ruin bedeuten . Denn für eine entsprechende technische immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmög- Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme lichkeiten von Behörden auf vorhandene Daten, das mas- entwickelt werden . Zudem haben sich Hersteller bereits senhafte Ausspähen von Daten durch eigene und fremde dahingehend geäußert, dass sie vorerst keine entspre- Nachrichtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im chenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch Internet eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses auch eine Gefahr für die Demokratie . Mal vor Gerichten Bestand hat . (B) Die Befürchtung, wonach die VDS gegen Verfas- Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdaten- (D) sungs- und EU-Recht verstoße, konnte nicht ausgeräumt speicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung ei- werden . Außerdem ist bis zum heutigen Tag nicht er- ner VDS deutlich gemacht . Sie ist ein unverhältnismä- kennbar, geschweige denn in irgendeiner Form empirisch ßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und belegt, dass alternative Ermittlungsmethoden signifikan- Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen te Nachteile für die Strafverfolgung nach sich zögen . Grundrechtecharta vereinbar . Das „Gesetz zur Einfüh- In der am 21 .September 2015 zu der Thematik im rung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deut- für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zen- schen Bundestages durchgeführten öffentlichen An- tralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßig- hörung mussten auch die von der Koalition benannten keit gegen die Grundrechte . Sachverständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken Die Petitionen wären ein guter Anlass gewesen, das nicht liefern zu können . Heide Sandkuhl vom Deutschen hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept der Massen- Anwaltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der überwachung zu überdenken, im Bundestag breit über Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der Innenpolitik zu des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer als nicht verfassungskonform eingeschätzte Gesetz vor VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe . Laut entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Luxemburg einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechens- zurückzunehmen . Der negative Abschluss aller Petitio- bekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem nen stellt somit eine vertane Chance dar . Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheits- lücken nachweisbar . Sie wies außerdem darauf hin, dass der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministe- rium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste ent- Anlage 7 hält . Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Erklärung nach § 31 GO Datensammlung“ verwerten . der Abgeordneten Jan Korte, Kerstin Kassner, Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem Kersten Steinke und Birgit Wöllert (alle DIE Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei . Er verwies empfehlung des Petitionsausschusses: Sammel- außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamt- übersicht 350 zu Petitionen (Strafprozessordnung) rechnung . Diese sei vor dem Hintergrund neuer Über- (Zusatztagesordnungspunkt 3 j) 18136 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Zwar besteht hinsichtlich der Aufforderung an die zum heutigen Tag nicht erkennbar, geschweige denn in (C) Bundesregierung, sich für eine Aufhebung der EU-Richt- irgendeiner Form empirisch belegt, dass alternative Er- linie zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzusetzen, in- mittlungsmethoden signifikante Nachteile für die Straf- zwischen kein Handlungsbedarf mehr, dennoch können verfolgung nach sich zögen . wir dem ablehnenden Abschluss der Petitionen nicht In der am 21 .September 2015 zu der Thematik im zustimmen, da die darin geäußerten Kritikpunkte aus Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deut- unserer Sicht auch nach Aufhebung der EU-Richtlinie schen Bundestags durchgeführten öffentlichen Anhörung aufgrund des Inkrafttretens des neuen Gesetzes zur VDS mussten auch die von der Koalition benannten Sachver- in Deutschland am 18 . Dezember 2015 Bestand haben . ständigen einräumen, aussagekräftige Statistiken nicht Jede Speicherung und Verarbeitung von personenbe- liefern zu können . Heide Sandkuhl vom Deutschen An- zogenen und personenbeziehbaren Daten stellt einen Ein- waltverein (DAV) wies zu Recht darauf hin, dass der griff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim- Gesetzgeber aber genau dies vor einer Verabschiedung mung dar . Es ist dabei unerheblich, ob die Speicherung des Gesetzes leisten müsse und es eben nicht ausreiche, bei staatlichen Stellen oder durch gesetzliche Verpflich- einfach zu behaupten, dass die Strafverfolgung einer tung bei privaten Stellen stattfindet. Um das Grundrecht VDS für alle 80 Millionen Bundesbürger bedürfe . Laut auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen, wur- einer Studie wirke sie sich nämlich auf die Verbrechens- den im Datenschutzrecht wesentliche Grundsätze entwi- bekämpfung praktisch gar nicht aus, und auch seit dem ckelt: der Erlaubnisvorbehalt für die Erhebung, Speiche- Wegfall der VDS im Jahr 2010 seien keine Sicherheits- rung und Verarbeitung von Daten; Datensparsamkeit und lücken nachweisbar . Sie wies außerdem darauf hin, dass Datenvermeidbarkeit, Zweckbindung erhobener Daten; der Gesetzentwurf – anders als das Bundesjustizministe- Erforderlichkeit für den zu erreichenden Zweck; Trans- rium behaupte – Auskunftsrechte für Geheimdienste ent- parenz darüber, wo welche Daten gespeichert sind . hält . Staatliche Stellen dürften selbst „Früchte illegaler Datensammlung“ verwerten . Durch eine VDS werden diese Grundsätze und damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ver- Der Anwalt Meinhard Starostik kritisierte in seinem letzt . Daten werden ohne jeden konkreten Anlass und in Statement ebenfalls, dass noch immer nicht zweifelsfrei großen Massen gespeichert . Nur ein Bruchteil der ge- erwiesen wäre, dass die VDS erforderlich sei . Er verwies speicherten Daten wird für den Zweck der angestrebten außerdem auf den Begriff der Überwachungsgesamt- Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten abgeru- rechnung . Diese sei vor dem Hintergrund neuer Über- fen werden . wachungsmaßnahmen wie den sieben Millionen jährlich automatisiert beauskunfteten Bestandsdaten und den Die VDS kann nicht allein aus der Perspektive des Enthüllungen von Snowden neu zu bewerten . Starostik Bedarfs der Sicherheitsbehörden an Daten zur Verbre- (B) wies ferner darauf hin, dass es außerdem im privaten Be- (D) chensaufklärung oder der Gefahrenabwehr betrachtet reich noch viele andere Datensammlungen von erhebli- werden. Der Gesetzgeber steht auch in der Pflicht, die chem Umfang gebe, auf die der Staat prinzipiell ebenfalls grundrechtlichen und gesellschaftspolitischen Folgen zugreifen könne . Entsprechend seien die Risiken einer einer solchen Speicherpflicht in den Blick zu nehmen. Profilbildung enorm gewachsen. Verspüren die Bürgerinnen und Bürger angesichts immer neuer Speicherpflichten, erweiterter Zugriffsmöglichkei- Als problematisch erweist sich auch, dass sich die ten von Behörden auf vorhandene Daten, das massenhaf- Bundesregierung im Gesetzgebungsprozess im Detail te Ausspähen von Daten durch eigene und fremde Nach- keinerlei Gedanken zur konkreten Umsetzung des Geset- richtendienste, Daten- und Identitätsdiebstahl im Internet zes in puncto Datensicherheit gemacht hatte und lediglich eine zunehmende Verunsicherung, so liegt darin auch darauf verwies, dass die Bundesnetzagentur für Elektri- eine Gefahr für die Demokratie . zität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) entsprechende Verfahren „nach Die Befürchtung, wonach die VDS, mit ihrer derart dem Stand der Technik“ im Benehmen mit dem BSI und weitreichenden Registrierung sensibler Informationen, der Bundesdatenschutzbeauftragten festlegen werde . Der Datenmissbrauch und -pannen begünstige, konnte nicht kürzlich von der Bundesagentur vorgelegte Entwurf zum ausgeräumt werden . Gleiches gilt für die prognostizier- „Katalog von technischen Vorkehrungen und sonstigen te Gefahr, dass sich aufgrund der VDS die Bürger be- Maßnahmen“, der die Anforderungen an die im vergan- obachtet und kontrolliert fühlen und unter einer Art genen Jahr beschlossene Vorratsdatenspeicherung nun Generalverdacht stünden . Insbesondere jedoch die Ge- konkretisiert und dessen Vorschriften spätestens am fahr, dass aufgrund des erheblichen Interesses an den 1 . Juli 2017 von den Providern umgesetzt sein müssen, gesammelten Daten die ursprünglich gesetzten Grenzen könnte für viele betroffene Unternehmen den finanziellen für die Verwendung der Daten zunehmend aufgeweicht Ruin bedeuten . Denn für eine entsprechende technische werden, hat sich mittlerweile bestätigt: Bereits wenige Umsetzung müssten zunächst vollkommen neue Systeme Tage vor Inkrafttreten der VDS unternahm die CSU be- entwickelt werden . Zudem haben sich Hersteller bereits reits einen ersten Vorstoß zur Ausweitung des Gesetzes . dahin gehend geäußert, dass sie vorerst keine entspre- Am 15 . Dezember 2015 beschloss die Landesregierung chenden neuen Systeme entwickeln werden – weil noch in Bayern ein neues Verfassungsschutzgesetz, das dem nicht sicher ist, ob die Vorratsdatenspeicherung dieses Geheimdienst ermöglicht, die bei der VDS gespeicher- Mal vor Gerichten Bestand hat . ten Informationen anzuzapfen . Diese Möglichkeit hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Gesetzge- Die Linke hat mit ihrem Antrag „Auf Vorratsdaten- bungsprozess stets öffentlich verneint . Außerdem ist bis speicherung verzichten“ ihre prinzipielle Ablehnung ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18137

(A) ner VDS deutlich gemacht . Sie ist ein unverhältnismä- Auch das Infektionsschutzgesetz definiert in § 19 die (C) ßiger Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Aufgaben des Gesundheitsamtes folgendermaßen: „Das Bürger und grundsätzlich nicht mit der Europäischen Gesundheitsamt bietet bezüglich sexuell übertragbarer Grundrechtecharta vereinbar . Das „Gesetz zur Einfüh- Krankheiten und Tuberkulose Beratung und Untersu- rung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist chung an … Die Angebote können bezüglich sexuell für Verkehrsdaten“ verstößt aus unserer Sicht in den zen- übertragbarer Krankheiten anonym in Anspruch genom- tralen Fragen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßig- men werden, soweit hierdurch die Geltendmachung von keit gegen die Grundrechte . Kostenerstattungsansprüchen … nicht gefährdet wird .“ Die Petitionen, von denen die größte von 64 704 Mit- Es ist nicht zu erwarten, dass die verpflichtende ge- zeichnern unterstützt wurde, wären ein guter Anlass ge- sundheitliche Beratung, die das Gesetz nun für Prostitu- wesen, das hinter der VDS stehende Sicherheitskonzept ierte verbindlich vorsieht, von einer anderen Institution der Massenüberwachung zu überdenken, im Bundestag als dem Öffentlichen Gesundheitsdienst durchgeführt breit über eine bürgerrechtliche Kehrtwende in der In- wird . nenpolitik zu debattieren und das von weiten Teilen der Bevölkerung als nicht verfassungskonform eingeschätzte Falls sich diese Annahme bestätigt, wäre ein und Gesetz vor entsprechenden Urteilen in Karlsruhe und Lu- dieselbe Institution gleichzeitig sowohl für ein nieder- xemburg zurückzunehmen . Der negative Abschluss aller schwelliges und anonymes Angebot zuständig als auch Petitionen stellt somit eine vertane Chance dar . für eine verpflichtende Beratung mit Erfassung perso- nenbezogener Daten . Im Falle des Verstoßes gegen die Beratungspflicht können Bußgelder verhängt werden.

Anlage 8 Nach vielen Gesprächen mit Vertretern der unter- schiedlichsten Gesundheitsämter und Personen, die in Erklärungen nach § 31 GO der Aufklärungsarbeit tätig sind, komme ich zu der Ein- schätzung, dass diese Regelung das bestehende anonym zu der Abstimmung über den von der Bundesre- wahrnehmbare Hilfsangebot des Öffentlichen Gesund- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur heitsdienstes in Frage stellt . Deshalb plädiere ich dafür, Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum die jetzt beschlossene Regelung und den Zusammenhang Schutz von in der Prostitution tätigen Personen zur anonymen Beratung durch den Öffentlichen Gesund- (Tagesordnungspunkt 18 a) heitsdienst frühzeitig zu evaluieren und falls notwendig Änderungen vorzunehmen, um die erfolgreichen Initia- Rudolf Henke (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- tiven des Öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht zu ge- (B) tag stimmt heute über das von der Bundesregierung ein- fährden . (D) gebrachte Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsge- werbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Im Übrigen müssen die Länder eine ausreichende per- Personen ab . Grundsätzlich begrüße ich diesen Schritt, sonelle Ausstattung der mit der Pflichtberatung beauf- da die Evaluation des im Jahre 2001 durch den Deut- tragten Behörden sicherstellen . schen Bundestag beschlossenen Prostitutionsgesetzes und der damit verbundene Bericht der Bundesregierung Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme dem obigen aus dem Jahr 2007 dessen Defizite deutlich gemacht ha- Gesetzentwurf aus unten aufgeführten Gründen nicht zu . ben . Im Einklang mit den Koalitionsfraktionen stimme ich dem Gesetz zu . Die SPD-Bundestagsfraktion will den Schutz der in der legalen Prostitution arbeitenden Frauen, Männer, Gleichwohl sehe ich einen Aspekt des Gesetzes sehr Transmenschen in Deutschland verbessern . Dabei ist die skeptisch, da er nach meiner Auffassung im Gegensatz Einschätzung über ihre Lage schwierig, da statistische zu dem sonst von der Bundesregierung verfolgten Ansatz Daten über eine Anzahl ebenso fehlen wie Erhebungen steht, Aufklärungsangebote über sexuell übertragbare In- über die Art ihrer Beschäftigung (unter anderem in einem fektionen (STI) etc . anonym und niederschwellig anzu- Prostitutionsbetrieb, mit welcher Rechtstellung innerhalb bieten: die verpflichtende gesundheitliche Beratung nach des Betriebs, auf der Straße etc ;. nebenbei, gelegentlich dem neuen § 10 . Das Gesetz besagt in diesem Paragra- oder für einen kurzen Lebensabschnitt tätig etc ). . Fach- fen, dass „eine gesundheitliche Beratung durch eine für beratungsstellen schätzen, dass insgesamt mehr als die den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde Hälfte aller Sexarbeitenden ausländischer Herkunft, zu- angeboten“ werden soll, lässt den Bundesländern jedoch meist aus Osteuropa, sind . Diese Ausgangslage erschwert das Recht offen, auch eine andere Behörde für die Durch- ein Gesetz zum Schutz der in der Prostitution Tätigen, führung dieser Beratung zu bestimmen . welches ihren unterschiedlichen – auch aufenthaltsrecht- lichen – Lebenslagen gerecht wird . In der Strategie der Bundesregierung zur Eindäm- mung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell Lange wurde in der Koalition um die Ausgestaltung übertragbaren Krankheiten, die das Vorgehen in diesem des Gesetzes gestritten . Unbestritten war relativ schnell, Bereich bis zum Jahre 2030 skizziert und auch Bezug auf die Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen in den die gängige Praxis nimmt, ist festgehalten, dass „spezi- Prostitutionsbetrieben festzulegen und eine Erlaubnis- fische niedrigschwellige und anonyme Beratungs- und pflicht zum Betreiben von Prostitutionsstätten zu formu- Testangebote insbesondere durch den Öffentlichen Ge- lieren sowie Kontrollrechte mit Sanktionsmöglichkeiten sundheitsdienst und freie Träger angeboten werden“ . zu schaffen . Dies stärkt das Selbstbestimmungsrecht der 18138 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Sexarbeitenden und beendet menschenunwürdige Ge- Ärztinnen und Ärzten des Öffentlichen Gesundheits- (C) schäftsmodelle . dienstes gebunden – geschweige denn, dass sie alleine für die „Zwangsberatung“ in ausreichendem Umfang zur Aus der CDU/CSU-Fraktion kamen aber auch For- Verfügung stehen . Das Fachpersonal steht für den „ech- derungen wie Erhöhung des Mindestalters oberhalb der ten“ Beratungsbedarf dann nicht mehr zur Verfügung . Es Volljährigkeitsgrenze und verpflichtende gesundheitliche ist zu befürchten, dass das jahrelang durch den ÖGD auf- Untersuchungen . Ich begrüße, dass sich diese Forderun- gebaute Vertrauen verloren geht und Sexarbeitende mit gen nicht durchgesetzt haben . gesundheitlichen Problemen oder Beratungsbedarf nicht Gesundheitspolitische Erwägungen: mehr zum ÖGD gehen . Gesundheitspolitische Maßnahmen und gesetzliche Laut Erläuterungen zum § 10 des Gesetzentwurfes Regelungen müssen sowohl praxistauglich sein als auch sollen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Ärz- in den gesundheitspolitischen Kanon passen . Gerade in tinnen und Ärzte neben der gesundheitlichen Beratung der Gesundheitspolitik gilt es, die Selbstbestimmung dazu beitragen, Menschenhandel und Zwangsprostituti- des Menschen zu achten und zu stärken . Deshalb hat on einzudämmen . Sie sollen eine vertrauensvolle Atmo- der Deutsche Bundestag 2001 beim Übergang vom Seu- sphäre schaffen, die es den Sexarbeitenden ermöglicht, chenschutzgesetz zum Infektionsschutzgesetz auch einen sich zu öffnen, wenn sie Opfer von Menschenhandel oder Paradigmenwechsel vollzogen: Der Öffentliche Gesund- Zwangsprostitution sind . Doch Menschenhandelsopfer heitsdienst (ÖGD) wurde „beauftragt“ die Bevölkerung und Zwangsprostituierte werden von den Zuhältern und in die Lage zu versetzen, selbst- und eigenverantwortlich Menschenhändlern unter Druck gesetzt, damit sie sich mit der eigenen Gesundheit umzugehen . Der ÖGD hat nicht als Opfer zu erkennen geben . Zudem werden Fol- nun die Aufgabe zu informieren und zu beraten . Im sen- gen des Erkennens einer Zwangslage von Sexarbeitenden siblen Themenfeld sexuell übertragbarer Krankheiten ist für die Bediensteten des ÖGD nicht definiert. Sie können mit § 19 Infektionsschutzgesetz ausdrücklich die anony- lediglich den Beratungsschein verweigern . Dadurch wird me Beratung zugelassen . eine Anmeldung unmöglich . Was geschieht dann aber Im vorliegenden Gesetzentwurf ist im § 10 „Gesund- den Opfern von Zwangsprostitution und Menschenhan- heitliche Beratung“ festgeschrieben, dass Personen, die del? Wie sollen sie erreichbar bleiben für Hilfseinrich- als Sexarbeitende tätig sind oder eine solche Tätigkeit tungen bzw . Polizei und Staatsanwaltschaft? Die Zuhäl- aufnehmen wollen, eine gesundheitliche Beratung durch terinnen und Zuhälter und Menschenhändlerinnen und eine für den ÖGD zuständige Behörde angeboten wird . Menschenhändler werden nicht zusehen, bis der ÖGD Gesundheitliche Beratungsangebote für Menschen in der eine Lösung gefunden hat . Aus der fachlichen Sicht der Prostitution sind grundsätzlich begrüßenswert . Großstadtgesundheitsämter und des Bundesverbandes (B) der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheits- (D) Aus meinem Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöne- dienst (BVÖGD) – vergleiche ihre Stellungnahme zum berg, in dem ein europaweit bekannter Straßenstrich seit Referentenentwurf – entspricht eine Anmelde- und Be- mehr als hundert Jahren besteht, weiß ich, dass dort täti- ratungspflicht nicht der Zielsetzung des Schutzes von in ge Sexarbeitende sehr gern die freiwilligen und teilweise der Prostitution tätigen Personen . Sie stellen in ihrer Stel- auch anonymen gesundheitlichen Beratungen und Hilfen lungnahme als Fazit fest: annehmen – das Angebot deckt nicht die Nachfrage, so- dass sogar Wartezeiten entstehen . Es wäre wünschens- „Die vorgesehene Anmelde- und Beratungspflicht für wert, diese freiwilligen Angebote durch das Gesetz aus- Sexarbeitende stellt einen erheblichen Eingriff in Persön- zubauen . lichkeitsrechte dar . Sie ist in hohem Maße stigmatisie- rend und ungeeignet, mögliche Opfer von Menschenhan- Stattdessen ist das bereitzustellende Beratungsange- del und Gewalt zu identifizieren und zu schützen. bot des ÖGD für die Sexarbeitenden verpflichtend. Zur Ausübung der Tätigkeit Prostitution muss künftig eine Eine Mitwirkung von Gesundheitsämtern bei der Registrierung erfolgen . Diese Anmeldung kann nur mit- Umsetzung des Entwurfs stimmt nicht mit den gelten- tels Nachweis einer Bescheinigung über eine gesundheit- den Rechtsnormen überein, da sie im Widerspruch zum liche Beratung erfolgen . Die gesundheitliche Beratung bewährten IfSG steht . Sie gefährdet zudem die Erfolge ist somit eine „Zwangsberatung“ . Ich stimme mit den der auf Vertrauen beruhenden Präventionsarbeit der Ge- Fachberatungsstellen und Verbänden wie zum Beispiel sundheitsämter .“ der Deutschen Aidshilfe überein, dass eine Zwangsbera- Finanzierung: tung kontraproduktiv ist . Die Kosten zur Umsetzung des vorliegenden Gesetz- Gesundheitliche Beratungen sind nur „erfolgreich“, entwurfes werden bis auf einen kleinen Bruchteil von wenn die zu Beratenden offen für eine Beratung sind . Als 33 000 Euro für die Evaluation des Gesetzes den Bun- Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin kenne ich die desländern auferlegt . Die Bundesregierung schätzt die Grundsätze erfolgreicher Beratung: Der Beratungsbedarf Kosten für den einmaligen Umstellungsaufwand für die hat von der zu beratenden Person auszugehen . Verwaltung auf etwa 11 Millionen Euro und den jähr- Mit den erzwungenen Beratungen für die Anmeldung lichen Aufwand auf etwa 13 Millionen Euro – davon und die Beratungswiederholungen nach zwölf Monaten sollen allein einmalig 6 Millionen und jährlich 7 Mil- bzw . sechs Monaten für die unter 21‑Jährigen, die wei- lionen Euro auf den ÖGD entfallen . Die realen Kosten terhin in der Prostitution arbeiten wollen, werden Res- sind lediglich geschätzt, da es keine belastbaren Zahlen/ sourcen von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und Statistiken über die Anzahl der Sexarbeitenden gibt . Die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18139

(A) Bundesregierung hat aus den unterschiedlichen vorlie- – über den von der Bundesregierung eingebrach- (C) genden Schätzungen, die von 150 000 bis 700 000 Sexar- ten Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des beitenden reichen, die Schätzung des Runden Tisches Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in Prostitution NRW genommen und hochgerechnet, so- der Prostitution tätigen Personen, dass zur Berechnungsgrundlage 200 000 Sexarbeitende – über die Beschlussempfehlung des Ausschus- und eine jährliche Fluktuation von 50 000 zustande kam . ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Daher kommt der Bundesrat – zu Recht – zu folgender zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Einschätzung . Dieser stellte fest, „dass die Kosten, die Möhring, Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weiterer mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiterinnen nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In und Sexarbeitern stärken und der Berechnung des Erfüllungsaufwandes der Verwal- tung sind beispielsweise die Mehrkosten für Wider- – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, spruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprach- Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer mittlung nicht enthalten . Soweit in der Berechnung zu Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ einzelnen Vorgaben des Gesetzentwurfs Kostenangaben DIE GRÜNEN: Gesetz zur Regulierung von zum einmaligen Umstellungsaufwand und zum dauer- Prostitutionsstätten vorlegen haften jährlichen Aufwand gemacht werden, ist teilweise nicht erkennbar, auf welchen Berechnungsparametern (Tagesordnungspunkt 18 a und b) (zum Beispiel Aufwand je Fall) diese beruhen . Daher ist Wir haben zu allen Gesetzentwürfen, Anträgen und die Berechnung nicht nachvollziehbar und prüfbar .“ Entschließungen betreffend Prostitution mit Nein ge- stimmt, auch zu dem von unserer eigenen Fraktion vor- Nachfragen in Berlin haben ergeben: Die Zahl der gelegten Dokument . notwendigen Zwangsberatungen wird bundesweit auf 450 000 geschätzt, was einem zusätzlichen Personalauf- Wir sind für eine freie, lustvolle Sexualität . Gekaufter wand von „mehreren Dutzend“ entspräche . Hinzu kom- Sex hat damit nichts zu tun . Er unterwirft vielmehr den men begleitende Kosten wie Dolmetscherinnen und Dol- Körper der sich Prostituierenden der willfährigen Verfü- metscher mit medizinischer Fachkenntnis . Diese kosten gung durch den Käufer . 45 Euro die Stunde . Der Finanzierungsaufwand für die Länder wird also sehr viel höher liegen als im Gesetzent- Prostitution ist das Gegenteil von sexueller Selbst- wurf angegeben . bestimmung . Prostitution ist organisierte Gewalt gegen Frauen und auch Männer . Die erdrückende Mehrheit der (B) Die Länder haben für ihre Haushalte keine valide Da- Prostituierten wird regelmäßig sexuell und psychisch (D) tenlage . In meinem Bundesland Berlin ist zudem der Be- missbraucht, sie wird von Freiern und Zuhältern verge- schluss von Doppelhaushalten üblich . Der Haushalt für waltigt, körperlich angegriffen, geschlagen, sie lebt unter 2016/2017 wurde pünktlich beschlossen . Das Prostituti- ständiger Androhung von Gewalt . onsschutzgesetz soll zum 1 .Juli 2017 in Kraft treten . Das Prostitution und Menschenhandel gehen Hand in Land Berlin hat keine Chance – nach einer eigenen va- Hand . In der Europäischen Union sind über 60 Prozent liden Berechnung und damit auch Personalgestaltung –, des Menschenhandels auf sexuelle Ausbeutung gerich- die entstehenden Kosten im Haushalt einzuplanen . tet – und hier werden Milliarden Euro verdient: vom or- Datenschutz: ganisierten Verbrechen, nicht von den Prostituierten . Die kommen vielmehr aus und bleiben letztlich in Armut . Prostitution in Deutschland ist nach wie vor mit ei- Prostitution in Deutschland ist ein rassistisches Aus- nem Stigma belegt . Die Ministerialbeamtin Claudia beutungsverhältnis . Etwa zwei Drittel der sich Prostituie- Zimmermann-Schwartz aus dem Ministerium für Ge- renden hierzulande kommen aus Osteuropa, namentlich sundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes aus Bulgarien und Rumänien . Nordrhein-Westfalen geht zu Recht davon aus: „Die gesetzliche Vorgabe, sowohl die Anmeldebescheinigung Auch unter den legalen Bedingungen wird Prostituti- als auch die Bescheinigung über die erfolgte Gesund- on ständig und fortschreitend entwertet in einem Preis- heitsberatung mit sich zu führen, erhöht die Gefahr eines und Leistungswettbewerb nach unten . Prostitution wird unfreiwilligen Outings sowie die Erpressbarkeit durch zum Akkord und Akkord ist bekanntlich Mord . Kunden, die sich die Bescheinigungen vorlegen lassen können und damit persönliche Daten in Erfahrung brin- Prostitution ist ein zutiefst hierarchisches Verhältnis, gen “. Die Regelung stellt damit ein datenschutzrechtli- in dem nicht die Arbeitskraft der sich Prostituierenden ches Problem dar . benutzt – und verbraucht – wird, sondern ihr Körper und ihre Seele als Ganzes . Prostitution als solche wider- spricht allen Kriterien, die an „normale Arbeit“ angelegt werden, wie: der körperlichen Unversehrtheit, Würde, Anlage 9 Selbstbestimmung . Erklärung nach § 31 GO Der Gesetzentwurf der Koalition bedeutet eine wei- tere Stigmatisierung und Entrechtung der Prostituierten . der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke und Heike Das ist der falsche Weg . Wir brauchen keine schärferen Hänsel (beide DIE LINKE) zu den Abstimmungen Gesetze, sondern eine breite Diskussion in der Gesell- 18140 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) schaft, wie wir uns einem Leben ohne Prostitution annä- Anlage 11 (C) hern können . Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Anlage 10 brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Tagesord- Erklärung nach § 31 GO nungspunkt 22) des Abgeordneten Martin Burkert (SPD) zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung Ulrich Lange (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stär- Gesetzentwurf hat es sich lange verhalten wie mit der kung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich (Ta- Bahn selbst: Man wusste nicht, ob es pünktlich ankom- gesordnungspunkt 22) men wird . Aber wir haben gründlich und zuverlässig ge- liefert . Ich stimme gegen den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung in der Ausschussfassung – Drucksachen 18/9099, Mit diesem Gesetzentwurf verbessern wir Wettbewerb 18/8334 . und Effizienz. Wir stärken damit den Verkehrsträger Schiene . Das ist nicht nur für uns in Deutschland wichtig, Aus § 37 (2) in Verbindung mit den Sätzen 4 und 5 sondern für ganz Europa, denn wir alle wissen, dass der von § 36 (2) des vorliegenden Gesetzentwurfs resultie- Schienenverkehr inzwischen ein wichtiges europäisches ren meiner Einschätzung nach untragbare Mehrbelas- Transportmittel ist . tungen für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) in Deutschland . Demnach sollen Kostensteigerungen bei Für einen funktionierenden und fairen Wettbewerb der Eisenbahninfrastruktur für den Schienenpersonen- sind wir daher umso mehr auf klare und transparente nahverkehr, welche die Rate von jährlich 1,8 Prozent Regelungen angewiesen . Hierfür wird das Eisenbahn- übersteigen, dem SPFV zusätzlich zu den von ihm selbst regulierungsgesetz – das im Zentrum des vorliegenden zu tragenden Kosten und Kostensteigerungen aufgebür- Entwurfs steht – den richtigen Rahmen bilden . det werden . Die Arbeitnehmer/innen des Sektors müssen deshalb fürchten, hiervon in der Konsequenz negativ be- Es war wahrlich kein einfaches Gesetzesvorhaben . troffen zu sein . Der Bundesrat hatte weit über 50 Änderungswünsche . Viele davon wurden aufgegriffen, es wurden zahlreiche In der gegenwärtig und noch bis Ende 2019 gültigen Gespräche geführt, hitzige Diskussionen ausgetragen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) und dann in den allermeisten Fällen auch Lösungen ge- (B) zwischen dem Bund und der DB AG wurden jährliche funden . Der umfangreiche Änderungsantrag der Koaliti- (D) Steigerungsraten der Trassenpreise von 2,4 Prozent zu- onsfraktionen sorgt hier noch einmal für weitere Verbes- grunde gelegt . Wenn diese Einnahmen nicht erreicht serungen . werden, bleibt nur die Möglichkeit, Unterhalt und Erneu- erung der Eisenbahninfrastruktur erneut zu vernachläs- Lassen Sie mich vorab aber eines zu der schrägen sigen oder die zwischen Bund und DB AG vereinbarten medialen Debatte sagen, die gerade in den letzten Tagen Dividendenzahlungen durch Verschuldung zu finanzie- hochkochte und sich um die theoretische Gefahr dreh- ren . Damit würde das Gesetz zulasten Dritter gehen – in te, der Fernverkehr könne durch steigende Trassenpreise diesem Fall der DB AG . ausgedünnt werden . Ich möchte da nur an eines erinnern, das in der Diskussion zu kurz kommt: Noch nie gab es so Die im vorliegenden Gesetzentwurf verankerte Be- viel Geld für die Schiene . Mit der LuFV II stehen für die grenzung der Trassen- und Stationspreise des Schienen- Jahre 2015 bis 2019 insgesamt mindestens 28 Milliarden personennahverkehrs kann auf eine Mehrbelastung des Euro für die Schieneninfrastruktur zur Verfügung . Das Fernverkehrs in Höhe von rund 25 Millionen Euro im ist Rekord . Die Investitionen aus dem Verkehrshaushalt Fahrplanjahr 2018 hinauslaufen . 2019 wären es bereits steigen bis 2018 auf 5,6 Milliarden Euro an und liegen rund 50 Millionen Euro . Bis zum Jahr 2030 entstünde damit um 1 Milliarde Euro höher als 2015 . Die Regiona- kumuliert eine Zusatzbelastung von bis zu 2,3 Milliarden lisierungsmittel werden auf 8,2 Milliarden Euro erhöht . Euro . Die zugehörige Befristung der Regelung auf drei Die Bundesmittel, die für die Bahn bereitgestellt werden, Jahre bedeutet keine Entschärfung des Problems . Wie die Gelder, die in die Schieneninfrastruktur fließen, sind der 19 . Deutsche Bundestag damit umgehen wird, bleibt in allen Bereichen gestiegen. Davon profitiert natürlich völlig offen . Für die im SPFV notwendigen Investitionen auch der Fernverkehr . Damit stehen die Bahn und auch bedarf es aber langfristig sicherer Rahmenbedingungen, der Fernverkehr so gut da wie lange nicht . Darüber soll- welche für die nächsten Jahre nicht gegeben wären . ten sich doch alle, die hier lautstark protestieren, einmal Es ist mir wichtig, zu erklären, dass im vorliegenden Gedanken machen! Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs Aber kommen wir doch einmal auf den Inhalt des Ge- im Eisenbahnbereich an vielen Stellen sinnvolle Rege- setzes zur Eisenbahnregulierung . Da geht es nämlich um lungen erreicht werden konnten, die grundsätzlich zu be- viel mehr . grüßen sind . Das beschriebene Risiko für den Schienen- sektor, welches aus den gesetzlichen Regelungen in § 36 Da geht es um: diskriminierungsfreien Zugang zur Ei- und § 37 resultiert, ist meiner Meinung nach allerdings senbahninfrastruktur, Regulierung der Nutzungsentgelte, nicht hinnehmbar . die Stärkung der Bundesnetzagentur . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18141

(A) Dabei setzen wir EU-Recht um, das vorsieht, dem Be- für die Mobilität in Deutschland und Europa das richtige (C) treiber der Schienenwege, Anreize zur Senkung der ln­ Signal . frastrukturkosten und der Trassenentgelte zu geben . Es wird daher künftig eine Entgeltgenehmigung für die Trassenentgelte durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) Anlage 12 geben . Das heißt, die BNetzA wird die Trassenpreise ge- nehmigen, bevor sie erhoben werden . Zu Protokoll gegebene Reden Zudem können Anreize auch über vertragliche Verein- zur Beratung: barungen zur lnfrastrukturfinanzierung geschaffen -wer den . Ich nenne nur das Stichwort „LuFV“ . – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale In- Besonders freue ich mich, dass jetzt durch unser Ge- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten setz die Rechte der Bundesnetzagentur erheblich gestärkt Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, werden, unter anderem durch die eben angesprochene weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Genehmigung der Nutzungsentgelte, aber auch durch LINKE: Ausstieg aus Stuttgart 21 – Die Deut- die Einrichtung von Beschlusskammern . Hier wird die sche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster Regulierung der Eisenbahnen endlich an die Regulierung bewahren in den Bereichen Telekommunikation, Post und Energie angeglichen . Das war überfällig . – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale In- Auch durch die Übertragung der Überwachung der frastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Vorschriften über Struktur der Unternehmen und Unab- Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, hängigkeit der Infrastruktur vom Eisenbahn-Bundesamt weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE auf die Bundesnetzagentur wird diese deutlich gestärkt . LINKE: Änderung der Eisenbahnbau- und Be- triebsordnung zur Erhöhung der Sicherheit im Kernthema für die Länder war natürlich der§ 37, das Eisenbahnverkehr heißt die Sonderregelung für SPNV-Entgelte, der eben auch für die anfangs erwähnte Diskussion in den Medien – des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, gesorgt hat . Die Sorge der Länder war, dass die Trassen- Cem Özdemir, Stephan Kühn (Dresden), wei- preise über die Dynamisierungsrate bei den Regionalisie- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rungsmitteln hinaus steigen könnten . NIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenentwicklung (B) Das haben wir aufgegriffen und diese Sorge durch beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kritisch (D) eine Kopplung von Entgeltsteigerung an Regionalisie- prüfen rungsmittelsteigerung entkräftet . Ein nachträglich aufge- (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) nommener Evaluationsmechanismus gibt dem Bundes- tag zudem jetzt die Möglichkeit, bei Fehlentwicklungen, gegenzusteuern . Damit wird noch deutlicher, dass keine Steffen Bilger (CDU/CSU): Es ist nun vier Monate Gefahr einer Ausdünnung des Fernverkehrs aus diesem her, seitdem wir uns das letzte Mal im Plenum mit dem Grunde besteht . Antrag der Fraktion Die Linke zu Stuttgart 21 befasst haben . Vier Monate, in denen die Baustelle große Fort- Das Konzept der Bahn jedenfalls sieht vielmehr eine schritte gemacht hat . Aber offensichtlich nicht genug Ausweitung des Fernverkehrs vor . Steigender Bahnver- Zeit für die Gegner des Projekts, um neben Gerüchten kehr führt zudem zu steigenden Trasseneinnahmen . Und neue Fakten zu präsentieren . die Bahn konnte zuletzt einen Zuwachs im Fernverkehr von rund 10 Prozent verzeichnen . Für 2016 rechnet die Nun liegt uns auch noch ein Antrag von Bündnis 90/ Bahn mit 132 Millionen Reisenden im Fernverkehr . Die Grünen vor . Meine Damen und Herren von den Grü- nen, Sie sollten sich endlich klar werden, was Sie wollen . Daher freue ich mich, dass wir auch beim § 37 letzt- Hinter uns liegen konstruktive Koalitionsverhandlungen lich zu einer für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung in Baden-Württemberg, bei denen wir viele Stunden um gekommen sind . Die Beteiligten wissen selbst am besten, den Umgang mit Stuttgart 21 gerungen haben . Mit Ver- dass das in der Tat nicht so einfach war . laub: Ihr Antrag passt nicht zu unserer Vereinbarung, in Insgesamt haben wir ein gutes und schlüssiges Gesetz der wir uns gemeinsam zur Unterstützung der planmäßi- vorliegen . Es ist wichtig, dass wir mit der Eisenbahnre- gen und zügigen Umsetzung des Projekts verpflichten. gulierung heute zu einer Gesamtlösung kommen . Nicht Sie beschreiben Probleme, als würden Sie sich über je- nur, weil Brüssel das von uns zu Recht erwartet, um des einzelne davon freuen . Zudem konnten Sie sich im unser integriertes Modell weiter betreiben zu können, Ausschuss noch nicht einmal zur Ablehnung des Lin- sondern auch, weil wir diese Regulierung brauchen, um ken-Antrags, der den Ausstieg aus Stuttgart 21 fordert, Wettbewerb und Effizienz auf der Schiene zu verbessern. durchringen . Dabei hat der baden-württembergische Verkehrsminister erst kürzlich einen Ausstieg aus dem Ich danke den Verkehrspolitikern der Koalition für die Projekt kategorisch abgelehnt mit den Worten „seitdem gute und sachliche Zusammenarbeit bei diesem umfang- (also seit dem Volksentscheid von 2011) ist das für jeden reichen Projekt . Ich bin der Meinung, es hat sich gelohnt . in der Regierung Pflicht, das Projekt zu begleiten und zu Der Verkehrsträger Schiene wird weiter gestärkt . Das ist befördern“ . So sehen wir das auch, und ich würde mich 18142 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) freuen, wenn Sie im Bundestag ebenfalls dementspre- erscheint. Ich finde diese Art der Pressearbeit so langsam (C) chend handeln würden . ermüdend . So langsam frage ich mich ja auch, warum wir eigent- Keine Frage: Jeder Euro Kostensteigerung ist äußerst lich die Anhörungen im Verkehrsausschuss durchführen, ärgerlich . Dabei sollten aber auch die anderen Aspekte wenn dort, zumindest von der Opposition, anscheinend rund um Stuttgart 21 nicht zu kurz kommen . keiner zuhört . Es ist doch jetzt gerade einmal zwei Wo- chen her, dass Dr . Grube und seine Vorstandskollegen im Ich möchte Ihnen daher noch ein paar andere Zahlen Ausschuss sehr ausgiebig Auskunft zum Stand und zur präsentieren: 7,7 Prozent! Um so viel legten die Mieten weiteren Entwicklung von Stuttgart 21 gegeben haben, in Stuttgart 2015, 2016 zu . Ein neuer Rekordwert, was einschließlich zu den Kosten des Projekts . aber nur insoweit bedeutsam ist, als dass jährliche Miet- preissteigerungen von 7 Prozent in Stuttgart normal ge- Halten wir uns doch mal an die Fakten . Ja, es gibt worden sind . mögliche Kostensteigerungen bei dem Projekt, das hat die Bahn auch zugestanden . Aber erstens gibt es genau 13,84 Euro pro Quadratmeter! Das ist die durchschnitt- für diese Fälle den Risikopuffer von über 500 Millionen liche Kaltmiete, die für Wohnen in Stuttgart zu entrichten Euro, zweitens – wenn man sich die Gründe für die be- ist . Das stellt viele Familien, gerade mit geringeren Ein- kannten Kostensteigerungen ansieht, dann sind lediglich kommen, vor ganz erhebliche Probleme, Probleme, die die Hälfte dieser Mehrkosten baubedingt – Mittel für ei- mit Stuttgart 21 zumindest abgemildert werden . nen verbesserten Brandschutz und die nötigen baulichen Änderungen durch die Besonderheiten des Untergrunds . 109 Hektar, das ist der Raum, der durch Stuttgart 21 Es ist richtig, dass die Bahn diese Änderungen jetzt frei wird. 11 000 Menschen können dort Wohnraum fin- vornimmt, denn ich möchte später niemandem erklären den, mitten in der Innenstadt . Eine dringend benötigte müssen, dass wir beim Brandschutz nicht die neuesten Entlastung der angespannten Wohnraumsituation . Und Erkenntnisse berücksichtigt haben, nur um ein paar Mil- es ist ja nicht nur der Wohnraum, der entsteht . 20 Prozent lionen zu sparen . dieser Fläche sind für Grünflächen reserviert, ein riesiger Gewinn an Lebensqualität . 24 000 Arbeitsplätze werden Die andere Hälfte entstammt in Teilen aus Mehrkos- auf dem Areal entstehen . Und das beinhaltet nicht einmal ten für den Artenschutz . Ich kann mir beim besten Willen die Arbeitsplätze, die durch das Bauvorhaben geschaffen nicht vorstellen, dass Sie, liebe Oppositionsvertreter, et- und gesichert wurden und werden. Ich finde es schon ei- was gegen diese Ausgaben haben können . nigermaßen seltsam, dass ausgerechnet eine Partei, die sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben Auch ich bin Verfechter eines weitreichenden Na- hat, gegen ein solches Projekt ist . (B) turschutzes . Aber wenn ich mir die Situation bei Stutt- (D) gart 21 anschaue, dann stellt sich mir schon die Frage, Ich möchte abschließend auch noch mal zurückkom- ob das alles noch verhältnismäßig ist: 10 000 Eidechsen, men auf die Volksabstimmung über Stuttgart 21 . Die die allesamt umgesiedelt und anschließend 30 Jahre lang Grünen möchte ich daran erinnern, was wir im Koali- beaufsichtigt werden müssen . Kostenpunkt: 8 600 Euro tionsvertrag in Baden-Württemberg festgehalten haben: pro Eidechse . Ganz zu schweigen von den Kosten für den „Das Ergebnis der Volksabstimmung aus dem Jahr 2011 Schutz von Bäumen und Juchtenkäfern, um deren Wohl- ist für uns bindend “. Auch angesichts dieser Formulie- ergehen sich an anderer Stelle in Stuttgart keiner so viele rung fand ich es sehr irritierend, dass ausgerechnet Sie Gedanken macht . am Mittwoch davon sprachen, 2013 hätte der Ausstieg Natürlich geht es beim Risiko weiterer Mehrkosten aus Stuttgart 21 erfolgen müssen . Bitte klären Sie endlich nicht nur um Brandschutz und Eidechsen, sondern auch Ihre Position zu dem Projekt . 58,8 Prozent sind jedenfalls um ganz andere Themen . Das nehmen wir sehr ernst, nach wie vor ein eindeutiges Votum für Stuttgart 21 . Die und deshalb finde ich es auch gut, dass erst vor weni- Wähler haben anscheinend sehr viel besser verstanden, gen Tagen im Lenkungskreis ja Maßnahmen besprochen was ein Hochtechnologieland wie Deutschland braucht . wurden, wie die Kostenrisiken reduziert werden können . Und dabei sollten wir es auch belassen . Wir alle sollten die Projektpartner dabei bestmöglich un- terstützen und unseren Beitrag leisten, dass das Projekt Alexander Funk (CDU/CSU): Der Antrag der Frak- zügig weiter vorangeht . tion Die Linke ist absurd, unseriös und unverschämt . Da- her werden wir ihn ablehnen . Eigentlich ist damit alles Der Antrag der Fraktion Die Linke stützt sich auf zwei Wesentliche gesagt . Ich werde dennoch ein paar wenige Gutachten von „unabhängigen Experten“, die Ausbau- Ausführungen dazu machen: kosten von mindestens 10 Milliarden bis hin zu 15,5 Mil- liarden Euro prognostiziert haben . Nun gibt es Gerüchte Warum ist der Antrag absurd? um einen Bericht des Bundesrechnungshofs, der angeb- lich auch von weiteren Kostensteigerungen ausgeht . Sie fordern die Bundesregierung auf, sie solle das Gutachten des Rechnungshofes dem Bundestag zugäng- Ist Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich lich machen . auch etwas aufgefallen? Es gibt Gesetzmäßigkeiten bei Stuttgart-21-Debatten im Bundestag . Eine ist, dass jedes Ich darf Sie daran erinnern, dass der Rechnungshof Mal am Tag vor unserer Debatte hier im Hohen Hause in aufgrund von Artikel 114 GG als eine unabhängige, irgendeiner Zeitung, zumeist in der Stuttgarter Zeitung, selbstständige und weisungsfreie externe Finanzkontrol- ein Bericht mit neuen Horrormeldungen zu Stuttgart 21 le des Bundes errichtet wurde . Er ist nicht der Bundesre- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18143

(A) gierung unterstellt und entscheidet selbst, welche Prüfer- Erosion and Profit Shifting – kurz BEPS), das Bundes- (C) gebnisse er veröffentlicht . finanzminister Wolfgang Schäuble bereits im Jahr 2012 auf Ebene der G 20 und der OECD mitinitiiert hatte . An- Nach meinem Kenntnisstand ist die Prüfung des fang Oktober 2015 wurden in Lima die Abschlussberich- Rechnungshofes noch nicht abgeschlossen, und daher ist te zu BEPS vorgestellt mit 15 konkreten Aktionspunkten uns das Gutachten noch nicht zugestellt worden . Nun die gegen internationale Steuervermeidung . Das Paket wur- Bundesregierung aufzufordern, dieses nicht fertige Gut- de am 15 /16. . November 2015 von den Regierungschefs achten zu veröffentlichen, ist absurd . der G 20 gebilligt . Mittlerweile haben sich 62 Staaten Warum ist ihr Antrag unseriös? angeschlossen, auf die 90 Prozent der Weltwirtschaft entfallen . Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Herr Dr . Grube, hat dem Verkehrsausschuss zwei Stunden Aktionspunkt 13 des BEPS-Programmes sieht die lang Rede und Antwort gestanden . Er informierte, dass Einführung eines verpflichtenden automatischen Infor- die Bahn weiterhin das Ziel verfolge, den Bahnhof für mationsaustauschs der Steuerbehörden über länderbezo- unter 6 Milliarden Euro zu bauen . gene Berichte von Unternehmen, das sogenannte Coun- try-by-Country Reporting, vor . Die Steuerverwaltungen Allerdings wies er auf neue, von außen verursachte sollen damit Informationen über die globale Aufteilung Kostenrisiken hin . Dies könne dazu führen, dass sich die der Erträge und die entrichteten Steuern sowie über wei- Fertigstellung um zwei Jahre verzögert und mögliche tere Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit von internatio- Mehrkosten in Höhe von 600 Millionen Euro entstehen nal tätigen Unternehmen erhalten . könnten . Deutlich längere Planungsverfahren, ein ver- besserter Lärmschutz und zusätzlicher Aufwand für Ar- Für den internationalen Austausch wurde auf tenschutz sind hier die Hauptgründe . Der Konzern werde OECD-Ebene eine „Mehrseitige Vereinbarung zwischen aber gegensteuern und versuchen, dieses „Worst-Case-­ den zuständigen Behörden über den Austausch länder- Szenario“ abzuwenden . bezogener Berichte“ erarbeitet, die am 27 .Januar 2016 Aber selbst wenn alle Kostenrisiken eintreten würden, von insgesamt 32 Staaten unterzeichnet wurde . Mit dem würde der Bahnhof unterhalb des bewilligten Finanzie- vorliegenden Gesetzentwurf wird der Bundestag dieser rungsrahmens in Höhe von 6,526 Milliarden Euro fer- völkerrechtlichen Vereinbarung zustimmen . tiggestellt . Ich möchte hier auf einen zentralen Bestandteil die- Wenn Sie von der Linkspartei dann hier im Deutschen ser Vereinbarung eingehen . Gemäß § 5 der Mehrseitigen Bundestag einen Antrag stellen und Kosten in Höhe von Vereinbarung soll der Datenaustausch zwischen den zu- (B) 9,8 Milliarden Euro unterstellen, ist das schlicht unseri- ständigen Behörden nur unter Berücksichtigung umfang- (D) ös . Ja, ich sage sogar: unverschämt . Denn letztlich unter- reicher datenschutzrechtlicher Vorgaben automatisch stellen Sie damit Herrn Dr .Grube, dass er entweder keine erfolgen . Die Daten werden nur den Steuerbehörden Ahnung hat oder das Parlament falsch informiert . Beides übermittelt und nicht veröffentlicht . Die G 20 und OECD weise ich entschieden zurück, wie wir auch ihren Antrag haben dabei aus wohlerwogenen Gründen auf ein öffent- entschieden ablehnen werden . liches Country-by-Country Reporting verzichtet .

Auf europäischer Ebene liegen nun aber – parallel – zwei Regelungsvorschläge der Kommission für die Anlage 13 Umsetzung des Country-by-Country Reportings vor: Zu Protokoll gegebene Reden erstens für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum zur Beratung des von der Bundesregierung einge- automatischen Austausch von Informationen im Bereich brachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrsei- der Besteuerung KOM(2016) 25 und zweitens für eine tigen Vereinbarung vom 27. Januar 2016 zwischen Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates den zuständigen Behörden über den Austausch zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie im Hin- länderbezogener Berichte (Tagesordnungspunkt 7) blick auf die Offenlegung von Ertragsteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassun- Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Mit der Ver- gen KOM(2016) 198/2 . einbarung eines internationalen Informationsaustausches von Steuer- und Unternehmensdaten reagiert die Staa- Der erste Vorschlag sieht wie Punkt 13 des BEPS-Ak- tengemeinschaft auf die Beobachtung der vergangenen tionsplans vor, dass die relevanten Daten nur unter den Jahre, wonach Großkonzerne wie Facebook, Google und Finanzbehörden ausgetauscht werden . Der zweite Vor- Starbucks durch Ausnutzung unterschiedlicher Steuer- schlag zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie systeme ihre Steuerlast auf ein Minimum senken konn- soll darüber hinausgehend eine Publizität des Coun- ten . Verantwortlich für diesen Missstand waren vor allem try-by-Country Reportings gegenüber der allgemeinen unzureichende Informationen der Steuerbehörden über Öffentlichkeit erreichen . Der gewählte Regelungsweg Auslandssachverhalte . über die Änderung der Rechnungslegungsrichtlinie lässt dabei den Eindruck zu, dass das für Ertragsteuerfragen Der Informationsaustausch ist deshalb zentraler Teil notwendige Einstimmigkeitserfordernis im Rat umgan- des Programmes gegen „Die Aushöhlung von Steuer- gen werden soll. Die Einflussmöglichkeiten von Deutsch- bemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base land sind damit bei den Beratungen erheblich gemindert . 18144 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Hier appelliere ich ausdrücklich an das Rechtsver- setzung des maßgeblichen Ziels, Eindämmung von Steu- (C) ständnis des Bundesjustizministers: Das Rügen der ervermeidungspraktiken, ist es ausreichend und letztlich Rechtsgrundlage im Rat sollte nicht davon abhängig ge- zielgerichteter, nicht wahllos die Öffentlichkeit, sondern macht werden, wie man politisch zu dem Vorhaben steht . die Steuerverwaltungen derjenigen Staaten, die sich am Das Recht und daraus folgende Zuständigkeiten, aber Austausch beteiligen, zu informieren . auch Kompetenzgrenzen müssen unabhängig davon gel- ten . Europa braucht gerade jetzt das Vertrauen der Bevöl- Ich bitte daher die Bundesregierung, sich geschlos- kerung und der nationalen Parlamente . Solches schafft sen für ein kompetenzrechtlich einwandfreies, den völ- die Kommission nicht, wenn sie versucht, die Kompeten- kerrechtlichen Vereinbarungen entsprechendes und in zen in ihrem Sinne auszulegen bzw . – um es klar zu sa- der Sache zielführendes Country-by-Country Reporting gen – zu überdehnen . Der europäischen Integration droht auf europäischer Ebene einzusetzen und dem Vorschlag auch dadurch weiterer Akzeptanzverlust . KOM(2016) 198/2 entgegenzutreten . Gegen das Vorhaben der EU-Kommission spricht Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Mit dem Gesetz rechtlich aber noch mehr: Mit dem vorliegenden Ge- zu der Mehrseitigen Vereinbarung über den Austausch setzentwurf soll der Bundestag einem völkerrechtlichen länderbezogener Berichte – das fängt schon recht sperrig Vertrag zustimmen, mit dem wir einen vertraulichen In- an – beraten wir die Umsetzung des sogenannten Coun- formationsaustausch mit anderen Staaten vereinbart ha- try-by-Country Reporting . Heute geht es in einem ersten ben . Diesen völkerrechtlichen Vertrag müssten wir mit Schritt um das Vertragsgesetz, mit dem der Bundestag der Umsetzung des folgenden widersinnigen Vorschlages dem völkerrechtlichen Vertrag über den Austausch län- der Kommission aber brechen . Dem muss unser Justiz- derbezogener Berichte seine Zustimmung gibt . Im Kern minister entschieden entgegentreten! geht es beim Country-by-Country Reporting um multi- Gegen den Vorschlag KOM(2016) 198/2 sprechen nationale Unternehmen . Sie sollen künftig Land für Land aber nicht nur rechtliche Bedenken . Auch politisch ist offenlegen müssen, in welcher Höhe Erträge erwirtschaf- der Vorschlag KOM(2016) 198/2 ungeeignet zur Er- tet werden und welche Steuern sie in welcher Höhe in reichung des erklärten Ziels „Herstellung von Steuer- den einzelnen Ländern bezahlen . Dies ist ein Teil des An- gerechtigkeit“ . Ein öffentliches Country-by-Country ti-BEPS-Projektes, mit dem wir auf OECD-Ebene Base Reporting in Europa könnte sogar den Erfolg des gesam- Erosion und Profit Shifting – zu Deutsch: Gewinnverkür- ten BEPS-Projektes gefährden . Bei einem öffentlichen zung und -verlagerung – bekämpfen wollen . Das Coun- Country-by-Country Reporting gäbe es für Drittstaaten try-by-Country Reporting ist also ein weiterer Schritt bei keinen Grund mehr, den europäischen Staaten ihrerseits der Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerhin- entsprechende Daten zu übermitteln . Das Pfand, mit dem terziehung . (B) man die Kooperation anderer Staaten erreichen könnte, (D) Veröffentlichungen von LuxLeaks bis Panama Papers würde leichtfertig ohne Gegenleistung aus der Hand ge- haben uns gezeigt, mit welcher Kreativität und teilweise geben . Ziel des Handelns auf europäischer Ebene muss mit welcher kriminellen Energie Privatpersonen, Kon- deshalb die inhaltlich gleiche Umsetzung der OECD/G- zerne und nicht selten auch Unternehmen, von denen wir 20-BEPS-Empfehlungen sein . das überhaupt nicht erwartet hätten, vorgehen, um sich Für die deutschen Unternehmen wäre die Umsetzung ihren Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens zu des Vorschlags KOM(2016) 198/2 mit erheblichen Risi- sparen . Die öffentliche Infrastruktur wird gleichwohl ken verbunden . Die öffentliche Berichterstattung dürfte gern in Anspruch genommen . Das nenne ich „Sparen“ schützenswerte Interessen der betroffenen Unternehmen auf dem Rücken der anderen . Insbesondere multinatio- verletzen . Im Besonderen ist der Schutz von Geschäfts- nale Konzerne verschieben Gewinne in Staaten mit sehr geheimnissen nicht hinreichend gewährt, da durch die niedrigen oder Null-Steuersätzen . Die Fälle von Amazon, Veröffentlichungen Rückschlüsse auf Unternehmens- Starbucks, Ikea oder Google sind uns allen noch sehr prä- strukturen und Margen möglich wären . Das kann Wett- sent . Ist es nicht auffällig, dass viele Unternehmen, die bewerbsnachteile herbeiführen . uns im Kontext von Steuern spontan einfallen, ihren Sitz nicht in Deutschland haben? Das unbedingte öffentliche Country-by-Country Reporting würde weiter dazu führen, dass mit dem Steuervermeidung durch Verlagerung von Unterneh- BEPS-Aktionsplan verbundene Verwendungsbeschrän- mensgewinnen der Konzerne schadet nicht nur den Staa- kungen nicht greifen würden . So dürfen gemäß § 5 der ten, also allen Bürgern; sie schadet insbesondere kleinen Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen und mittelständischen Unternehmen, die ihre Gewinne Behörden Verrechnungspreisanpassungen auf Basis der fair versteuern, nicht künstlich auf die Bahamas ver- ausgetauschten Informationen nicht vorgenommen wer- schieben können, stattdessen in ihrem Ansässigkeitsstaat den . Werden die Country-by-Country Reporting-Daten Steuern zahlen . Das Wichtigste aber ist: Eine Situation, nun ohne diese Maßgabe an Drittstaaten geliefert, droht in der jeder Bäckermeister mehr Steuern bezahlt als ein den Unternehmen vielfältig Doppelbesteuerung und da- multinationaler Konzern, ist schlicht ungerecht, und sie mit verbunden Wettbewerbsverzerrung . gefährdet das Vertrauen der ehrlichen Steuerzahler in die Ausgewogenheit und Gerechtigkeit unseres Steuer- Hinzu kommt – absehbar – ein massiver Verlust an systems . Nur zur Erinnerung: Wann immer jemand eine Steuersubstrat für Bund und Länder . Steuer umgeht oder hinterzieht, erwartet er, dass seine Insgesamt würde ein öffentliches Country-by-Country Nachbarn mehr bezahlen, um das Gemeinwesen zu fi- Reporting deshalb mehr schaden als nutzen . Zur Durch- nanzieren . Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18145

(A) Steuervermeidung ist deshalb ein Kernanliegen sozialde- zwischen den zuständigen Behörden vor . Einfach ein (C) mokratischer Finanzpolitik . öffentliches Country-by-Country Reporting zu fordern, klingt gut, ist aber gemäß den vertraglichen Vereinba- Das Anti-BEPS-Projekt ist dabei von großer Bedeu- rungen nicht ohne Weiteres möglich . Im Rahmen der tung; denn damit sollen eine Reihe von Instrumenten Rechnungslegungsvorschriften wäre aber eine Veröffent- zum Einsatz kommen, die Steuervermeidung erschwe- lichung der Informationen in noch aggregierterer Form ren . Dazu gehören die Besteuerung der digitalen Wirt- durchaus denkbar . schaft, die Eindämmung hybrider Gestaltungen – da- mit meinen wir das Ausnutzen von unterschiedlichen Oxfam hat mir dazu gestern die Ergebnisse einer Regelungen für die steuerliche Einordnung bestimmter Umfrage geschickt, der zufolge über 80 Prozent der Gesellschaftsformen – oder die Verhinderung von Ab- Befragten eine transparente Unternehmensbesteuerung kommensmissbrauch . Besonders wichtig sind auch die fordern . Ob die Befragten deswegen auch für eine Ver- Arbeiten gegen schädlichen Steuerwettbewerb . Dabei öffentlichung der Daten sind, bleibt offen . Dennoch ist stehen natürlich Patentboxen besonders im Fokus, aber die allgemeine Forderung nach mehr Transparenz bei auch wechselseitige Informationen über Tax Rulings der Unternehmensbesteuerung natürlich richtig . Aller- spielen eine Rolle . Insgesamt wollen wir mit der Umset- dings müssen wir uns schon etwas genauer anschauen, zung des Anti-BEPS-Projektes drei Ziele erreichen: Um- welche Wirkungen eine Veröffentlichung von Daten aus fang und Ort der Besteuerung sollen stärker an den Ort dem Country-by-Country Reporting gegenwärtig hat . der Wertschöpfung gebunden werden, Informationsdefi- Insbesondere aufseiten unseres Koalitionspartners wird zite der Finanzverwaltungen wollen wir reduzieren und diese Debatte gelegentlich etwas alarmistisch geführt . das Zusammenwirken der unterschiedlichen Steuersyste- Da wird zum Beispiel geschrieben, die Veröffentlichung me verbessern . dieser Daten würde Rückschlüsse auf Geschäftsgeheim- In diesem Zusammenhang soll das Country-by-Coun- nisse erlauben und damit unseren Unternehmen schaden . try Reporting die Dokumentationspflichten multinatio- Das ist die Sprache der Lobbyisten . Da wäre es schon naler Konzerne vereinheitlichen und den Finanzverwal- interessant, zu erfahren, welche Sorgen da konkret beste- tungen zusätzliche Informationen an die Hand geben . hen . Schließlich reden wir über stark aggregierte Daten Das Zauberwort heißt also Transparenz . Dabei geht es zu Umsatz, wirtschaftlicher Aktivität usw . Diese müssen sowohl um die Dokumentation von Verrechnungsprei- zum überwiegenden Teil bereits heute veröffentlicht wer- sen als auch um den Austausch länderbezogener Berich- den . Inwiefern dies neue Rückschlüsse auf Geschäftsge- te zwischen den teilnehmenden Staaten . Damit soll den heimnisse erlauben soll, ist daher nicht plausibel . Steuerbehörden die Prüfung erleichtert werden, ob der zu Ein anderes Argument betrifft die Sorge, dass deut- besteuernde Gewinn im Verhältnis zu den ökonomischen (B) sches Steuersubstrat durch Veränderung der Besteue- (D) Aktivitäten der betreffenden Unternehmenseinheit steht . rungsrechte gefährdet sein könnte, wenn Daten aus dem Für all jene, deren Kennzahlen und Steuererklärung plau- Country-by-Country Reporting veröffentlicht werden . sibel sind, dürfte das kein Problem darstellen . Alle ande- Dem lassen sich gleich mehrere Punkte entgegenhal- ren haben sich überflüssigerweise ein Problem geschaf- ten . Einerseits besteht auch bei einem ausschließlichen fen . So weit, so sinnvoll . Austausch zwischen Steuerbehörden die Möglichkeit Allerdings werden wir uns in den Beratungen mit fol- von Abwehrmaßnahmen und der Verschiebung der Steu- genden Fragen besonders genau befassen müssen: Wel- erzahlungen, wenn sich aufgrund der länderbezogenen che Daten müssen ausgetauscht werden? Wer hat Zugriff Berichterstattung Hinweise auf unerwünschte Steuer- auf diese Daten? Mit welchen ökonomischen und fiskali- gestaltungen ergeben sollten . Andererseits haben die schen Wirkungen, auch Ausweichreaktionen, müssen wir OECD-Empfehlungen generell das Ziel, Steueraufkom- rechnen? men durch die Bekämpfung von Gewinnverlagerung und Gewinnkürzung für die Staatengemeinschaft insgesamt Im Hinblick auf die erste Frage werden wir uns an- zu erhöhen und nicht lediglich umzuverteilen . Vielleicht schauen, welche Informationen auf Basis des völker- ergibt sich eine länderspezifische steuerliche Umvertei- rechtlichen Vertrages zu Umsatz, Gewinn, Steuerzahlun- lung – aber dann von einem größeren Steuerkuchen . gen und wirtschaftlicher Aktivität in einem Dokument zusammengefasst werden und inwieweit sie die gesamte Oft wird immer wieder angeführt, dass es bei einem Konzernstruktur erfassen . Diese Daten müssen dann län- öffentlichen Country-by-Country Reporting für Dritt- derweise zusammengestellt werden . Wichtig wird dabei, staaten keinen Anreiz mehr gäbe, den europäischen Staa- dass wir auch Berichte von jenen ausländischen Unter- ten ihrerseits entsprechende Daten zu übermitteln; denn nehmen bekommen, die in Deutschland Tochtergesell- sie hätten alle Informationen schon ohne Gegenleistung . schaften oder Betriebsstätten haben . Diesen Punkt gilt es genau zu prüfen . Allerdings ist nicht zu erwarten, dass die 31 Staaten, die die Mehrseitige Im Zentrum der weiteren Debatten wird die zweite Vereinbarung über das Country-by-Country Reporting Frage stehen: Wer soll Zugriff auf die bereitgestellten unterzeichnet haben, bei einer Veröffentlichung der Da- Daten haben? Lediglich die Steuerbehörden, verwal- ten im Rahmen der Rechnungslegung ihren vertraglichen tungsintern? Oder sollen die Daten auch interessierten Pflichten nicht nachkommen werden. Die USA sind der NGOs und Fachjournalisten und damit der Öffentlichkeit Vereinbarung noch nicht beigetreten . Die US-Regierung zur Verfügung stehen? hat aber ihre Absicht erklärt, die Vereinbarung im Laufe Die Mehrseitige Vereinbarung vom 27 .Januar 2016 des Jahres zu unterzeichnen; ich bin gespannt . Wie schon sieht einen Austausch der länderbezogenen Berichte nur angedeutet, werden wir uns außerdem darum kümmern 18146 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) müssen, dass wir in jedem Fall Berichte von Konzernen ternehmen haben im Vergleich zu hauptsächlich national (C) bekommen, die zwar ihren Stammsitz außerhalb Europas tätigen Unternehmen ihre Steuerlast dadurch teils erheb- haben, die aber hier über eine Tochtergesellschaft oder lich senken können . Dies können sie, indem sie durch ge- eine Betriebsstätte verfügen . schickte Gestaltungen Gewinne in Staaten verschieben, die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten . Ein letzter Punkt betrifft die Befürchtung, dass die mit dem BEPS-Aktionsplan verbundenen Beschränkun- Mit dem BEPS-Projekt wurden von der OECD im gen hinsichtlich der Verwendung der Daten nicht mehr Auftrag der G-20-Staaten Lösungen entwickelt, um De- greifen könnten . So dürfen nach der Mehrseitigen Ver- fizite der internationalen Besteuerungsregeln zu verrin- einbarung zwischen den zuständigen Behörden Verrech- gern . Ein sogenannter Aktionspunkt, auf den man sich nungspreisanpassungen auf Basis der ausgetauschten im Rahmen von BEPS geeinigt hat, ist der Austausch Informationen nicht vorgenommen werden . Wegen der länderbezogener Berichte zwischen den teilnehmenden hohen Aggregation der Daten ist es aber ohnehin kaum Staaten, Country-by-Country Reporting . Jeder Vertrags- möglich, dass diese Daten der Anlass für unmittelbare staat fordert diese zunächst von den auf seinem Gebiet Anpassungen der Verrechnungspreise sein könnten . Die ansässigen Konzernobergesellschaften ein . Anschlie- im Rahmen des Country-by-Country Reporting ausge- ßend werden diese den anderen Vertragsstaaten, in denen tauschten Informationen können und sollen allerdings Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten des jeweili- Anlass für konkrete Betriebsprüfungen sein, in deren gen Konzerns vorliegen, übermittelt . Folge es dann zu Verrechnungspreisanpassungen kom- Durch den Austausch von länderbezogenen Berichten men kann . zwischen den Staaten erhalten die betroffenen Steuerver- Insgesamt zeigt sich, dass die Argumente gegen eine waltungen Informationen über die globale Aufteilung der Veröffentlichung der Daten aus dem Country-by-Coun- Erträge und die entrichteten Steuern sowie über weitere try Reporting auf lange Sicht nicht stichhaltig sind, aber Indikatoren der Wirtschaftstätigkeiten der größten inter- gleichwohl sorgfältig abgewogen werden müssen . national tätigen Unternehmen . Auf der anderen Seite würde eine Veröffentlichung Die Finanzverwaltungen sollen also die erforderlichen Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, zu be- Informationen erhalten, und multinationale Unterneh- urteilen, welche Unternehmen wo Steuern zahlen, und men sollen ihren Dokumentationspflichten nach einem damit einen Beitrag zur Allgemeinheit leisten . Darüber einheitlichen Standard nachkommen . Dies klingt alles hinaus würde sie Entwicklungsländern helfen, für deren schon mal sehr gut . Denn Transparenz ist Grundvoraus- Staatshaushalte die Einnahmen aus der Körperschaft- setzung, um Steuervermeidung zu erkennen . Die Steuer- steuer häufig von sehr großer Bedeutung sind. Deren Fi- behörden eines Landes stehen oft auf verlorenem Posten, (B) nanzbehörden würden öffentliche Daten erheblich wei- wenn es darum geht, zu erkennen, welche Transaktionen (D) terhelfen . ein dort ansässiger Konzern mit Konzernablegern in an- deren Staaten tätigt und wie die dortigen Steuerbehör- In diesem Spannungsfeld werden wir überlegen, den diese Aktivitäten behandeln . Das ganze Projekt wird den Datenaustausch im Rahmen der Mehrseitigen Ver- umso besser gelingen, desto mehr Länder daran teilneh- einbarung auf die Steuerbehörden zu beschränken und men und teilnehmen können . gleichzeitig ein Dokument zu entwickeln, das gege- benenfalls noch stärker aggregierte Daten enthält, die Und in der Tat stellt der vorliegende Gesetzentwurf, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können . der die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zum Denn grundsätzlich können wir uns langfristig eine Ver- Austausch länderbezogener Berichte zwischen den Ver- öffentlichung der Daten vorstellen, sofern zwischen den tragsstaaten beinhaltet, einen Fortschritt dar . Dennoch teilnehmenden Staaten ein gewisses Maß an Standards gibt es aus linker Sicht drei Dinge zu kritisieren: gewahrt ist . Dabei geht es um die Qualität der Daten, Erstens ist in der mehrseitigen Vereinbarung nur vor- Datenschutz und Datensicherheit und die Administration gesehen, dass die entsprechenden Daten zwischen den in der Steuerverwaltung . In dieser Richtung müssen wir Steuerverwaltungen ausgetauscht werden . Die Daten weiterarbeiten, gerade auch im Austausch mit den euro- sollen in keiner Weise öffentlich zugänglich gemacht päischen Institutionen, die in dieser Hinsicht schon eini- werden, nicht einmal in anonymisierter und aggregier- ge Vorschläge entwickelt haben . Denn klar ist: Wir wol- ter Form, nicht einmal Daten, die handelsrechtlich oder len weder Geschäftsgeheimnisse veröffentlichen noch nach den Bilanzierungsvorschriften bereits öffentlich deutsches Steuersubstrat gefährden . Aber wir wollen sind . Dies ist uns ganz klar zu wenig Transparenz . Die Steuervermeidung multinationaler Konzerne bekämpfen, Bundesregierung flüchtet vor dieser Kritik, indem sie und dafür ist das Country-by-Country Reporting mit dem mantraartig etwas von Steuergeheimnis murmelt . Doch richtigen Maß an Transparenz ein wichtiges Instrument . in Wirklichkeit fürchtet sie Wettbewerbsnachteile für die Nun wünsche ich Ihnen allen eine gute sitzungsfreie deutsche Wirtschaft und möchte daher die Exportwirt- Zeit, erfolgreiche Arbeit in den Wahlkreisen und einige schaft schützen . Es ist schade, dass bei der internationa- schöne Urlaubstage . len Bekämpfung von Steuervermeidung die Bundesre- gierung hier schon an ihre national motivierten Grenzen stößt! Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Grundsätzlich finden wir als Linke es dringend geboten, der grenzüber- Sie sollten auch im Hinterkopf haben, dass die Erfolge schreitenden Steuervermeidung durch multinationale bei LuxLeaks oder PanamaLeaks nur dadurch zustande Konzerne entgegenzuwirken . Gerade multinationale Un- kamen, weil durch die Veröffentlichung ein öffentlicher Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18147

(A) Druck entstand, weil Whistleblower Alarm geschlagen Aktivitäten und ihren Beitrag für das Gemeinwohl offen- (C) haben . Gerade der kritische Blick der Öffentlichkeit, das legen sollten . wachsame Auge zivilgesellschaftlicher Organisationen Dahinter steht der Vorwurf, dass sich multinational würde es Unternehmen enorm erschweren, weiterhin agierende Unternehmen unter Ausnutzung nationaler Be- Steuern zu hinterziehen . steuerungsregeln in einzelnen Ländern einer Besteuerung Zweitens ist die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit zu weitestgehend entziehen . Viele Unternehmen bestreiten kritisieren: Die Vertragspartner müssen also qualitativ das – sicher teilweise auch zu Recht . Deshalb sind allzu gleiche Daten wie Deutschland liefern, sie müssen die platte Äußerungen zu diesem Thema – und die reichen gleichen Maßstäbe bei der Vertraulichkeit der Daten er- leider bis zum Bundesminister für Wirtschaft – fehl am füllen usw . Konkret heißt das: Die anderen Staaten, die Platze . Gerade in einer Zeit, in der mit dem Brexit das gerne mitmachen möchten, müssen unsere Bedingungen Klagen über Populismus groß ist, muss das Thema diffe- erfüllen, um dann zum Beispiel länderbezogene Berichte renziert angegangen werden . von großen ausländischen Konzernen zu erhalten, die in Zum einen geht es darum, dass die nationalen Steuer- ihrem Land durch Tochtergesellschaften oder Betriebs- behörden mehr Transparenz über die relevanten Steuer- stätten tätig sind . Viele Länder, gerade des globalen daten multinationaler Unternehmen bekommen . In die- Südens, haben aber noch keine gut ausgebauten Steuer- sem Zusammenhang ist es richtig, dass die OECD sich verwaltungen . Deswegen fällt es ihnen auch schwer, alle darauf verständigt hat, dass die Daten nicht unmittelbar Daten in der gewünschten aufbereiteten Form zu liefern . zur Steuererhebung verwendet werden sollen . Denn dies Die Folge ist, dass viele Staaten einfach ausgeschlossen würde mittelbar zu Doppelbesteuerungsfällen führen . werden . Ihnen geht dadurch viel Geld durch die Lappen, Aber die Transparenz ist eben wichtig, um sogenannte weil sie weiterhin stark von Steuervermeidung und dem weiße Einkünfte aufzudecken, das heißt Fälle zu iden- trickreichen Spiel der multinationalen Unternehmen be- tifizieren, die zur doppelten Nichtbesteuerung führen. troffen sind . Hier sollten Sie sich lieber wieder an den Es ist in diesem Zusammenhang übrigens sehr kritisch, Grundsatz erinnern: Je mehr Länder mitmachen, desto dass kein verbindlicher Streitbeilegungsmechanismus besser wird es sein . vereinbart werden konnte . Es wird sehr genau zu beob- Drittens und abschließend muss man sich vor Augen achten sein, ob dies nicht zu gravierenden Nachteilen für halten, dass die harten Bedingungen für Datenzusammen- die Unternehmen führen wird . Eine Stärkung internati- stellung und Vertraulichkeit bzw . Datenschutz, die andere onaler, zum Beispiel bei der WTO angesiedelter Streit- Staaten erfüllen müssen, den gleichen Hintergrund haben beilegungsmechanismen wäre ein wichtiger Schritt ge- wie das krampfhafte Verharren auf Nichtveröffentlichung wesen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass es nicht nur einige kleine Staaten gibt, deren Geschäftsmodell (B) der Daten . Auch hier sieht die Bundesregierung das Da- (D) moklesschwert des Wettbewerbsnachteils für die deut- schlicht Steuerdumping heißt, sondern auch einzelne sche Wirtschaft . Wieder zeigt sich: Deutsche Exportwirt- OECD-Staaten – allen voran die USA mit dem Bundes- schaft geht vor Bekämpfung von Steuerhinterziehung . Es staat Delaware, aber auch England mit der bereits ein- herrscht die Angst vor, dass es zu viel Transparenz gibt, geführten Lizenzbox und einem aktuell angekündigten dass andere Staaten sehen, wie viel mehr an Steuern ih- Niedrigsteuerregime – Steuerhinterziehungs- und Steu- nen von einem deutschen Unternehmen zustünden und ervermeidungsstrategien befördern . sie diese womöglich noch einfordern könnten . Zum anderen, und das ist ein genauso wichtiges Ziel, Abschließend kann ich Sie von der Regierungsbank geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder nur ermuntern, mehr Transparenz zu wagen . Scheuen aufzubauen: Vertrauen, das verloren gegangen ist mit den Sie nicht den wachsamen Blick der Öffentlichkeit, und Berichten über US-Konzerne, die mehr als 1,6 Billionen schwächen Sie nicht die Schlagkraft dieses Projektes zur Dollar unversteuerter Gewinne in Steueroasen horten internationalen Bekämpfung von Steuervermeidung, in- und damit keinen oder nur einen geringen Beitrag zur dem Sie die Interessen der deutschen Exportwirtschaft öffentlichen Daseinsvorsorge leisten in den Ländern, in über alles stellen . denen sie mit dem Verkauf ihrer Produkte hohe Gewinne realisieren; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch Berichte über die PanamaPapers und LuxLeaks, durch Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Berichte über Steuerbetrug in Milliardenhöhe durch Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundes- Umsatzsteuerkartelle und Cum/Ex- und Cum/cum-Ge- regierung den Aktionspunkt 13 der OECD/G-20-Emp- schäfte; Vertrauen, das verloren gegangen ist durch die fehlungen im Kampf gegen Gewinnverkürzungen und Berichte über die sogenannte Code-of-Conduct-Gruppe Gewinnverlagerungen um . Konkret geht es um den Aus- des Europäischen Rats, die ja als Gegenmaßnahme zur tausch von Daten zwischen den zuständigen Steuerbe- Steuergestaltung internationaler Unternehmen schon hörden des jeweiligen Landes mit dem Ziel, das Informa- Ende des letzten Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde, tionsdefizit der Finanzverwaltungen zu reduzieren und aber bis heute keinerlei Gegenmaßnahmen zu den Steu- Steuervermeidungsstrategien aufzudecken . ergestaltungsstrategien dieser Unternehmen bewirkt hat . Der Austausch länderbezogener Berichte – das so- Es waren mutige Whistleblower, es waren einzelne genannte Country-by-Country Reporting – hat zu einer Wissenschaftler, und es waren investigative Journalis- sehr kontroversen Debatte geführt . Im Kern geht es um ten, welche die immensen Steuerhinterziehungs- und die Frage, ob multinationale Konzerne gegenüber der Steuervermeidungsstrategien einzelner Unternehmen für Öffentlichkeit Informationen über ihre wirtschaftlichen die Öffentlichkeit sichtbar gemacht haben . Und deshalb 18148 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) muss die Strategie gegen diese schädlichen Steuerprak- für die Öffentlichkeit transparenten, verständlichen und (C) tiken unbedingt eine Transparenz für die Öffentlichkeit übersichtlichen Darstellung . einschließen, denn andernfalls wird eine faire Besteue- Es ist an der Zeit, die Debatte endlich ehrlich und mit rung von multinationalen Unternehmen nicht zu errei- einem klaren Ziel zu führen: mehr Vertrauen durch mehr chen sein . Transparenz schaffen . Daran müssen international tätige Wenn wir also über länderbezogene Berichterstattung Unternehmen genauso ein Interesse haben wie die sie multinationaler Konzerne reden, müssen wir beide Ebe- vertretenden Verbände und natürlich die einzelnen Na- nen im Blick haben: zum einen die notwendige Trans- tionalstaaten . Die Bundesregierung muss endlich begrei- parenz für die Steuerbehörden mit dem Ziel, sowohl fen: Es geht darum, die Situation als Chance zu begreifen Doppelbesteuerung der Unternehmen zu vermeiden als und sich konstruktiv in den Prozess für mehr Transparenz auch die doppelte Nichtbesteuerung zu unterbinden, und einzubringen . Die Europäische Kommission hat das ver- zum anderen die Transparenz für die Öffentlichkeit, um standen, das signalisieren ihre Vorschläge . Es ist höchs- Druck auf die Parlamente und Regierungen auszuüben, te Zeit, dass die Bundesregierung ihre Blockadehaltung gegen Steuerhinterziehung und Steuergestaltung mul- zum öffentlichen Country-by-Country Reporting endlich tinationaler Konzerne vorzugehen und damit Wettbe- aufgibt . werbsnachteile für vorwiegend national agierende Un- ternehmen – das sind in der Regel Handwerksbetriebe Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- sowie kleine und mittlere Unternehmen – endlich wirk- desminister der Finanzen: In den vergangenen Jahren sam zu bekämpfen . Und da haben sowohl multinationale hat sich gezeigt, dass multinationale Unternehmen im Unternehmen als auch der Gesetzgeber die Verantwor- Vergleich zu vorwiegend national tätigen Unternehmen tung, durch proaktives Vorgehen einen Beitrag zu leisten die unterschiedlichen Steuersysteme der Staaten ausnut- und nicht, wie aktuell leider festzustellen ist, als Blockie- zen, um Einkünfte in den Staaten entstehen zu lassen, rer und Bremser aufzutreten . Die Einlassungen des Parla- die besonders günstige Besteuerungskonditionen bieten . mentarischen Staatssekretärs Dr .Michael Meister, BMF, Die entstandenen Steuervermeidungsmöglichkeiten für zu diesem Thema im Finanzausschuss in dieser Woche bestimmte, vor allem multinationale Unternehmen, sind ließen deutlich erkennen, dass die Bundesregierung in beträchtlich . Steuergerechtigkeit und die Gewährleis- keiner Weise die Verantwortung auch nur begriffen hat, tung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind jedoch die sie in diesem Zusammenhang hat . Ein Rückzug auf unabdingbare Voraussetzungen für ein funktionierendes die Umsetzung des OECD-Prozesses ist keinesfalls aus- Gemeinwesen und einen handlungsfähigen Staat . Die reichend, um das geschilderte Problem anzugehen . Es Steuervermeidungsmöglichkeiten internationaler Unter- geht eben nicht nur um die Frage der fairen Besteuerung, nehmen beeinträchtigen überdies die Wettbewerbsfähig- (B) sondern auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der keit von nur lokal tätigen Unternehmen, die solche Steu- (D) Globalisierung . Angesichts des Brexit muss sich jeder ergestaltungen nicht nutzen können . in seiner Verantwortung fragen, wie er mit der Situation Es ist daher ein großer Erfolg unserer Politik, dass umgeht . Die Haltung, dass die Öffentlichkeit nicht fähig sich 44 Staaten – darunter am 27 . Januar 2016 die Bun- ist, mit Transparenz umzugehen, kann zu dramatischen desrepublik Deutschland – völkerrechtlich zur Mehrsei- Fehlentwicklungen führen, wie wir jetzt mit dem Refe- tigen Vereinbarung über einen gemeinsam mit der OECD rendum der Briten erfahren haben . und den G-20-Staaten entwickelten Standard zur Über- mittlung länderbezogener Berichte, den sogenannten Wir brauchen Transparenz über die wirtschaftlichen Country-by-Country Reports, verpflichtet haben, dass Aktivitäten von großen, multinationalen Konzernen für also 44 Staaten diesen Standard umsetzen und die Coun- die Öffentlichkeit . Die Polemik gegen länderbezogene try-by-Country Reports austauschen werden . Offenlegungspflichten muss endlich aufhören. Denn die gegen länderbezogene Offenlegungspflichten vorgetra- Durch den jährlichen Austausch länderbezogener Be- genen Argumente sind haltlos und können nur vorge- richte erhalten die Steuerverwaltungen Informationen bracht werden, weil mit Unkenntnis der Öffentlichkeit über die globale Aufteilung der Erträge und die entrich- gerechnet werden kann . Beklagt wird zum Beispiel der teten Steuern sowie über weitere Indikatoren der Wirt- zu hohe Bürokratieaufwand . Doch jedes international schaftstätigkeit der größten international tätigen Unter- tätige Unternehmen erstellt bereits jetzt eine länderbezo- nehmen . gene Berichterstattung, die im Einzelnen viel detaillierter Dadurch können steuerrelevante Risiken besser abge- ist als die jetzt geforderte – und das sage ich mit meiner schätzt werden . jahrelangen Erfahrung im Management eines internatio- nal tätigen Unternehmens . Haltlos ist auch die Kritik an Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die grenz- der Offenlegung wertschöpfungsbasierter Daten, denn überschreitende Steuerhinterziehung haben die einzelnen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Daten ent- Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebliche sprechen ja gerade nicht den kritischen, steuerrelevanten und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu be- Informationen, die zwischen den Finanzbehörden ausge- wältigende Herausforderungen gestellt . Eine verstärkte tauscht werden sollen . Im Gegenteil, diese Daten sind so Zusammenarbeit zwischen den nationalen Steuerbehör- allgemein, dass daraus keinesfalls wettbewerbsrelevante den ist daher unerlässlich, um die ordnungsgemäße Er- Informationen öffentlich werden . Ferner sind diese Da- mittlung der Steuerpflicht zu gewährleisten und damit ten bereits jetzt teilweise in den Jahresabschlüssen nach internationale Steuerhinterziehung zu bekämpfen . Dabei IFRS oder US-GAAP verfügbar, aber eben nicht in einer kommt insbesondere der Schaffung von Transparenz in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18149

(A) Steuerangelegenheiten und dem automatischen Infor- formationen in der Bundesrepublik Deutschland . Zudem (C) mationsaustausch zwischen den Steuerbehörden eine stellt die Erklärung klar, dass die von der Bundesrepu- entscheidende Rolle zu . Das ist ein neues wichtiges In- blik Deutschland übersandten Daten nicht für Zwecke strument im Bereich der internationalen Amtshilfe . Wir verwandt werden dürfen, die gegen den „Ordre public“ schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness der Bundesrepublik Deutschland verstoßen . für unsere globalisierte Welt im 21 . Jahrhundert . Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- Die Bundesregierung wird sich im Rahmen des vorge- bestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung garan- sehenen Informationsaustauschs weiter dafür einsetzen, tieren aus Sicht des Bundesministeriums der Finanzen dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an diesem darüber hinaus die Effizienz des Datenaustauschs als In- Informationsaustausch teilnimmt . Nur so ist es möglich, strument für mehr internationale Steuergerechtigkeit . Sie weltweit einen einheitlichen internationalen Standard für stellen die aus unserer Sicht notwendige Gegenseitigkeit einen fairen internationalen Steuerwettbewerb zu schaf- beim Informationsaustausch sicher . Dieses Verständnis fen . Steuerhinterziehung und Steuervermeidung können bedingt auch die bekannte kritische Haltung des Bundes- letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll bekämpft ministeriums der Finanzen gegenüber dem KOM-Vor- werden . schlag zur Änderung der Bilanzrichtlinie, die ich hier gern näher erläutern möchte: Durch eine Veröffentli- Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die chungspflicht von steuerlichen Informationen im Rah- Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhal- men der Bilanzrichtlinie können aus Sicht der beteiligten ten . Unternehmen Geschäftsgeheimnisse offenbart werden . Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des Dies kann auch aus Sicht der Steuerverwaltung – jeden- G-20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer be- falls in einzelnen Fällen – nicht ausgeschlossen werden . schleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten Für die betroffenen deutschen Unternehmen könnten im einheitlichen Standards für Besteuerungszwecke gekom- Verhältnis sowohl zu Unternehmen aus Drittstaaten als men ist . auch zu EU-Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnach- teile entstehen . Der Anreiz für Drittstaaten, im Verhält- Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Ent- nis zu EU-Staaten an dem System des Informationsaus- wicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der tauschs nach dem Modell der G 20/OECD teilzunehmen, Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen . wäre extrem gering, wenn die gewünschten Informatio- Hierzu zählen auch das noch von der Bundesregierung nen aus öffentlich zugänglichen Quellen zu beschaffen einzubringende Gesetz zur Umsetzung der Änderung der sind (einseitige „Transparenz“ nur für Unternehmen in EU-Amtshilfe-Richtlinie und weitere Maßnahmen gegen der EU) . Gewinnverkürzung und -verlagerung . (B) Die Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- (D) Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene bestimmungen der Mehrseitigen Vereinbarung gelten Zeitplan – wonach Daten für das Jahr 2016 schon ab Mit- nicht für die Veröffentlichung im Rahmen der EU-Bi- te 2018 ausgetauscht werden sollen – sowohl in rechtli- lanzrichtlinie, das heißt, die öffentlich zugänglichen cher als auch in technischer Hinsicht sehr ambitioniert Informationen können unbeschränkt für alle erdenkli- ist . Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet daher chen Zwecke genutzt werden, zum Beispiel für Ergeb- in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für niskorrekturen oder für die Anwendung von pauschalen Steuern mit Hochdruck an der rechtzeitigen technischen Gewinnaufteilungsmethoden zulasten der Unternehmen Implementierung des automatischen Austauschs länder- und zulasten des deutschen Steueraufkommens . Die bezogener Berichte . Wir sind jedoch davon überzeugt, EU hat mit der Änderung der Amtshilferichtlinie vom die vorgegebenen Anforderungen zeitgerecht umzuset- 25 .Mai 2016 den G 20/OECD-Ansatz übernommen und zen . Dies gilt auch für die Umsetzung durch die von dem damit auch die zwischen den Staaten vereinbarte völker- vorliegenden Gesetz verpflichteten Unternehmen. vertragsrechtliche Mehrseitige Vereinbarung in europäi- An dieser Stelle möchte ich zwei wichtige inhaltliche sches Recht übertragen . Sie hat sich damit faktisch und Aspekte des Abkommens hervorheben: den Datenschutz rechtlich zu dem G 20/OECD-Ansatz bekannt, der die und das Prinzip der Gegenseitigkeit des Informationsaus- Vertraulichkeit und die Verwendungsbeschränkungen tauschs . Der Schutz der im Rahmen des automatischen enthält . Die EU-Staaten haben einstimmig mit der Ände- Austauschs von länderbezogenen Berichten zu übermit- rung der Amtshilferichtlinie vom 25 . Mai 2016 das G 20/ telnden Daten war von Beginn an ein wesentliches An- OECD-Modell in europäisches Recht übertragen . liegen der Bundesregierung . Sowohl bei den Beratungen Aus der Sicht eines Mitgliedstaats wie Deutschland, auf OECD-Ebene als auch im Rahmen der Arbeiten zur einem Unterzeichnerstaat der Mehrseitigen Vereinba- Erstellung des vorliegenden Gesetzentwurfs wurde dafür rung, ist deshalb nach Auffassung des Bundesministe- Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz die- riums der Finanzen die Zustimmung zu dem Vorschlag ser personenbezogenen Daten gewährleistet werden . Die der EU zur Rechnungslegung, der keine Vertraulichkeit Bundesrepublik Deutschland hat durch die zusätzlich am und keine Verwendungsbeschränkungen enthält, kaum 27 .Januar 2016 abgegebenen umfangreichen Erklärun- mit der völkervertragsrechtlich eingegangenen Verpflich- gen zu Verwendungsbeschränkungen und Datenschutz- tung, das G 20/OECD-Modell umzusetzen, zu vereinba- bestimmungen gewährleistet, dass Informationen, die ren . ein anderer Staat von der Bundesrepublik Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheitsrechtlichen Schutz Die geplante EU-Bilanzrichtlinie hätte nicht nur Aus- unterliegen wie die von anderen Staaten erhaltenen In- wirkungen innerhalb der EU, sondern würde auch den 18150 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) weltweiten Erfolg des mit der Mehrseitigen Vereinbarung Sie loben, dass es andere Unternehmen wohl schaffen, (C) verfolgten Zwecks hochgradig gefährden und kann zu das Produkt Nachtzug erfolgreich zu verkaufen, wie die einer erheblichen Schädigung des Wirtschaftsstandorts ÖBB mit der Linie Hamburg–Wien und Düsseldorf– Deutschland mit gravierenden Steuermindereinnahmen Wien . Und eine halbe Seite später schreiben Sie selbst, von Bund, Ländern und Gemeinden und zu dem Verlust dass Österreich alle Fernverkehrszüge staatlich subven- von Arbeitsplätzen führen . tioniert . Das zeigt das Dilemma: Nachtzüge fahren nur dann erfolgreich, wenn der Steuerzahler die Reisevorlie- Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem Vertragsge- ben der nostalgischen Nachtzugfans bezuschusst . Selbst setz, mit dem wir einen großen Schritt in der Bekämpfung die SNCF stellt ihre Nachtzüge ein, weil der Staat sie von grenzüberschreitendem Steuerbetrug und grenz­ nicht mehr subventionieren will . überschreitender Steuerhinterziehung möglich machen . Die Deutsche Bahn ist in dem Bereich durchaus offen und hat eine Weiterentwicklung des Angebots geprüft Anlage 14 und verschiedene Nachtzugwagenkonzepte pilotiert . Zusätzlich wurden Kundenbefragungen durchgeführt . Zu Protokoll gegebene Reden Dabei kam heraus, dass diese Konzepte bei den Kunden zwar gut ankommen, sie aber überhaupt nicht bereit wä- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten ren, dafür den Preis zu bezahlen, den die Bahn verlangen Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, wei- müsste, um diese Investition zu bezahlen . Auch Nacht- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: zugkunden sind preissensibel . Sie kennen ja die Preise Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fern- für Hotels, Hochgeschwindigkeitszüge, Fernbusse, Mit- reiseverkehr auch in Zukunft ermöglichen (Tages- fahrzentralen oder auch Billigflüge. ordnungspunkt 19) Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Reisen- Michael Donth (CDU/CSU): Als ich meinem 15‑jäh- den lieber auf diese Angebote zurückgreift als auf lange rigen Sohn Matthias sagte, dass ich heute zu einem Nachtzugreisen . (Die ehemalige Nachtzugstrecke Frank- Nachtzug-Antrag der Linken reden darf, sagte er: Schon furt–Paris beispielsweise dauert heute mit dem ICE nur wieder, das hast du doch schon mal! Warum denn das? – noch 3 ¾ Stunden ). Im Verkehrsausschuss hat die Bahn Er hatte recht – und ich konnte seine Frage eigentlich letzten Monat erklärt, dass sie in Zukunft statt der Nacht- auch nicht beantworten . Und als ich ihm dann noch sag- züge mehr ICEs nachts einsetzen will, weil dieses schnel- te, dass die Debatte um 21 Uhr stattfinden wird, wäh- le Angebot gut angenommen wird . rend Deutschland gegen Frankreich im Halbfinale der (B) Fußball-Europameisterschaft spielt, war er entsetzt und Sollte man Ihrer Argumentation folgen, liebe Kol- (D) meinte: Die spinnen wohl .– Da habe ich ihm natürlich leginnen und Kollegen von der Linken, indem man die heftigst widersprochen . Verbindungen mit Zuschüssen am Leben erhält, kann man vielleicht ihren Tod hinauszögern oder verhindern . Aber, wie gesagt, warum wir heute erneut eine nächt- Man kann auf diese Weise aber keine Gesundung von Ei- liche Debatte zu den Nachtzügen führen müssen, ist für senbahnunternehmen einleiten . Um gesund zu sein, muss mich eigentlich nicht verständlich . Denn es hat sich seit ein Unternehmen seine Kräfte sammeln, nicht zerstreu- der letzten Debatte zu diesem Thema vor knapp zwei en . Und es muss vor allem Geld verdienen können, und Jahren nichts geändert, was Anlass zu einer erneuten Dis- darf es nicht zum Fenster hinauswerfen – auch nicht zum kussion geben könnte . Nachtzugfenster . Daher ist es richtig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunternehmen mit neuen Produk- Nach Artikel 87e des Grundgesetzes hat der Bund ten auf den Markt reagiert, und unrentable Produkte aufs insbesondere den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu Abstellgleis setzt . Denn nur ein gesundes Unternehmen tragen . Das ist mit dem angepassten Verkehrsangebot kann langfristig gute Arbeitsplätze bieten und gute Ange- der Bahn gewährleistet . Bei 30 Millionen Euro Verlust bote machen . Daher lehnen wir Ihren Antrag ab! der Bahn im Nachtzugsegment im vergangenen Jahr ist es eine logische Konsequenz, das Angebot anzupassen . Es gibt keinen Grund, in die Streckenentscheidungen Daniela Ludwig (CDU/CSU): Das Reiseverhalten der DB AG einzugreifen . Überdies ist es dem Bund als der Deutschen hat sich über die letzten Jahre hinweg ver- Eigentümer nach dem Aktiengesetz ja auch gar nicht er- ändert . Immer mehr Reisende nutzen die günstigen Mög- laubt, in unternehmerische Entscheidungen unmittelbar lichkeiten, die von Billigfliegern und Mietwagen geboten und im Detail Einfluss zu nehmen. Von daher ist es auch werden, und legen die Reise zum Urlaubsziel nicht mehr nicht rechtens, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- im Auto oder im Zug zurück . Das einst durchaus reizvol- gen von der Linken, in Ihrem Antrag die Bundesregie- le Angebot, sich gemütlich abends in den Zug zu setzen rung auffordern, der Bahn ein neues Nachtzugkonzept und am nächsten Morgen am Ziel zu sein, hat nach und aufzuzwingen . Und Sie gehen ja noch weiter . Sie wollen nach an Attraktivität eingebüßt . durch die Hintertür, über das Vehikel Nachtzug, die alte, staatlich subventionierte Deutsche Reichsbahn wieder In ihrem Antrag kritisiert nun die Fraktion Die Linke einführen . Das steht so in Ihrem Antrag . Sie wollen ei- den Rückzug der Deutschen Bahn AG aus dem Nacht- genwirtschaftliche, also auf eigene Rechnung durch- zugverkehr . Ähnliches haben Sie bereits in vorangegan- geführte, Verkehre durch subventionierte Verkehre im gen Anträgen getan, und der Verkehrsausschuss hat sich Fernverkehr ersetzen . Und wenn wir schon dabei sind: auch in einer Anhörung im vergangenen Jahr dem Thema Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18151

(A) eingehend gewidmet . Letztendlich wurden Ihre Anträge Martin Burkert (SPD): Grundsätzlich möchte ich (C) jedoch abgelehnt . voranstellen, dass eine Befassung mit der Thematik der Nachtreisezüge im Bundestag sehr sinnvoll ist . Das ge- Ich denke, wir sollten hier einmal grundsätzlich das schieht aber bereits ausführlich . Als SPD-Bundestags- Verhältnis von Bund und Bahn klären . Denn der Bund ist fraktion begleiten wir genau dieses Thema schon sehr zwar Eigentümer der Deutschen Bahn, aber die Bahn ist lange und kontinuierlich, und auch im Ausschuss für als Wirtschaftsunternehmen in Form einer Aktiengesell- Verkehr und digitale Infrastruktur hatten wir das Thema schaft dem Aktiengesetz unterworfen . mehrfach auf der Tagesordnung . Wir haben in der Gro- Das bedeutet, dass der Bund keinen Einfluss auf die ßen Koalition bereits wichtige Schritte zur Stärkung des Entscheidungen der Deutschen Bahn im operativen Ge- Schienensektors erreicht und werden uns auch weiterhin schäft hat . Wir können als Bundestag nicht einfach gegen dafür einsetzen, die Schiene als nachhaltigen Verkehr- die geltenden gesetzlichen Vorgaben handeln, nur weil sträger zu fördern . Das Thema „Nachtreisezug“ ist uns Ihnen eine unternehmerische Entscheidung der Deut- in diesem Zusammenhang ebenfalls ein wichtiges Anlie- schen Bahn nicht passt . Da können Sie noch so viele gen . Anträge im Bundestag stellen, die Gesetze gelten auch Die grundlegenden Rahmenbedingungen für den weiterhin . Und das ist auch gut so . Nachtreiseverkehr als „rollendes Hotel auf Schienen“ ha- ben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert . Wäh- Denn auch das Angebot oder eben das Einstellen der rend zum Beispiel Flug- und Hotelkosten vergleichbar Nachtzüge ist eine solche unternehmerische Entschei- stark gesunken sind, konnte der Nachtzug mit hohen Be- dung. Der Nachtzugverkehr ist seit Jahren defizitär, die triebskosten, seinen Strukturen und der harten Fernreise- Züge nicht gut genug gebucht . Die Kosten dagegen sind buskonkurrenz einfach nicht mitziehen . Im europäischen hoch . Sicherlich, eine Reise im Nachtzug kann reizvoll Vergleich haben sich entsprechend viele Bahnunterneh- sein, und ich möchte gar nicht abstreiten, dass viele mit men vom klassischen Nachtzug verabschieden müssen . dem Nachtzug noch schöne Erinnerungen an vergangene Zuletzt zu sehen auch in Frankreich . Urlaube verbinden . Doch schöne Erinnerungen sind eben nicht alles – die Deutsche Bahn muss sich den veränder- Das Nachtzuggeschäft macht in der Bilanz der Deut- ten Verkehrsbedürfnissen der Menschen stellen . Wie vie- schen Bahn AG einen Umsatz von knapp 90 Millionen le von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Euro pro Jahr aus – allerdings beträgt der Anteil der Linken, haben denn in den letzten Jahre noch Nachtzüge Nachtverkehre in der DB lediglich 1 Prozent des gesam- genutzt, um aus dem Wahlkreis zur Sitzungswoche in ten Fernverkehrs . Unterm Strich steht bei der Sparte ein Berlin zu kommen oder um einen gemeinsamen Urlaub jährliches Defizit von ungefähr 30 Millionen Euro – eine (B) mit der Familie zu verbringen? Summe, die den derzeit angeschlagenen Konzern lei- (D) der weiter belastet . Wir müssen zur Kenntnis nehmen, Wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch, muss dass dieses Ergebnis einem wirtschaftlichen Betrieb der die Deutsche Bahn sich in ihrer Ausrichtung und ihrem Nachtzugsparte derzeit und in der jetzigen Form entge- Angebot am Kundenverhalten und der Nachfrage orien- gensteht . tieren . Wenn diese sich ändert, muss die Bahn reagieren . Wir erleben derzeit, dass sich viele Menschen mit Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass das Grundgesetz großem Engagement für die Nachtzüge einsetzen . Ich die Forderung enthält, dass der Bund auch im Bahnfern- selbst habe eine Petition mit fast 30 000 Unterschriften verkehr gemeinwirtschaftliche Angebote zu gewährleis- entgegengenommen . Die Deutsche Bahn arbeitet auch ten hat und sich nicht auf die Vorhaltung der Infrastruktur aus diesem Grund an einem tragfähigen Betriebskon- beschränken darf . Das heißt aber nicht, dass die Deutsche zept, um Nachtreiseverkehre in Deutschland in verschie- Bahn Nachtzüge einzusetzen hat, vor allem wenn diese densten Formen weiterhin zu ermöglichen, den eigenen nicht ausreichend nachgefragt werden . Geschäftsbereich aber gleichzeitig wieder wirtschaftlich ausgestalten zu können . Darüber hinaus arbeitet die Deutsche Bahn an einem Konzept, um den bisherigen Nachtzugverkehr zu erset- Wie bereits vielfach in der Presse zu lesen war, wird zen . Bereits jetzt verkehren auf den deutschen Schie- hierzu auch mit anderen Unternehmen verhandelt, um nen zahlreiche Nacht-ICE, die ein Angebot auch in den eigene Betriebsstärken mit Angeboten anderer Anbieter Nachtstunden sicherstellen . Nach Informationen der DB zu kombinieren, Kompetenzen zu bündeln und so einen soll dieses Grundangebot in den Sommermonaten außer- guten Angebotsumfang zu realisieren . So steht im Raum, dem durch zusätzliche ICE-Züge ergänzt werden . Die gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der Österreichi- Deutsche Bahn wird insofern auch weiterhin Angebote schen Bundesbahn (ÖBB) ein gemeinsames Konzept zu schaffen, wo sie gefragt sind . Im Übrigen steht der Markt entwickeln, das die bisherigen Nachtzugverbindungen des Nachtzuggeschäftes ja auch für Mitbewerber offen . inklusive der gefahrenen Zugkilometer in Deutschland Wenn es denn so lukrativ ist, wie Sie hier darstellen, wird auch zukünftig abdecken wird . sich sicherlich ein Unternehmen finden, das in das Ge- schäft einsteigen wird . Anders als die DB AG kann die ÖBB, die bereits heute in Deutschland Nachtzüge fährt, 20 Prozent ihres gesam- Insofern bin ich mir sicher, dass wir auch weiterhin ten Fernreisesegments mit Nachtzügen wirtschaftlich be- genug Möglichkeiten haben, auf der Schiene von A nach treiben und deshalb die nötigen Kapazitäten vorhalten . B zu kommen, sei es am Tag oder in der Nacht . Diese Das hat mit der besonderen Unternehmensstruktur und Möglichkeiten bestehen aber auch ohne Ihren Antrag . den örtlichen Begebenheiten in Österreich zu tun . 18152 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Die DB AG fährt bereits heute auch nachts mit norma- Bis zum Januar 2015 sagte die DB AG immer: Die (C) len ICEs in Deutschland . Diese Nacht-ICEs sind sehr gut Nachtzüge werden nicht mehr nachgefragt, die Kund- nachgefragt und können, unter Einbindung von Nachtrei- schaft läuft davon .– Bei der immer weiteren Verschlech- seangeboten anderer Unternehmen, möglicherweise eine terung des Angebots – man denke nur an die Streichung sinnvolle Angebotsergänzung darstellen . Den besonde- der Bordrestaurants, in denen man früher noch essen ren Qualitätsansprüchen der Kunden gilt es im Segment und ein Glas Wein trinken konnte, bevor man es sich im allerdings Rechnung zu tragen . Schlafwagenabteil gemütlich gemacht hat – wäre das gar nicht einmal verwunderlich; es war aber schlichtweg Eines sage ich aber ganz deutlich: Ein Betriebskonzept falsch . In der Anhörung im Verkehrsausschuss am 14 .Ja - auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- nuar 2015 musste der damalige DB-Vorstand Homburg mer darf es natürlich nicht geben . Die Attraktivität und zugeben, dass die Züge nach wie vor gut gebucht sind . Angebotsbreite des Schienensektors an sich sind zudem Im Klartext: Die DB AG hatte vorher gelogen, das muss weitere wichtige Säulen, die es grundsätzlich zu stärken man einmal ganz klar so benennen . gilt . Ich sage deshalb ganz klar, dass Kundenansprüche, Wirtschaftlichkeit und die Interessen von Arbeitneh- Seitdem bleibt die zweite Argumentationslinie der merinnen und Arbeitnehmern in Einklang gebracht wer- DB AG: Die Züge seien unwirtschaftlich . Gestern titel- den müssen . te die Stuttgarter Zeitung: „Österreichische Bahn rettet deutsche Nachtzüge“ . Tatsächlich wird schon länger ge- Ich bin aber zuversichtlich, dass man hier sinnvolle munkelt, dass die ÖBB einige Nachtzugstrecken über- Lösungen finden kann. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie nehmen wolle . Da drängt sich aber doch die Frage auf: sich die Planungen und Verhandlungen der Deutschen Was können die Österreicher, was die Deutschen nicht Bahn AG hierzu gestalten . können? Wie kann es sein, dass in Österreich der Nacht- zuganteil ausgebaut wird und inzwischen bei knapp Mit diesem Antrag der Fraktion Die Linke allerdings 20 Prozent liegt – während der DB AG nicht anderes ein- schon jetzt voreilige Schlüsse zu ziehen, halten wir für fällt als der Ausstieg? Und das, obwohl es in der Anhö- falsch . Deshalb kann vonseiten meiner Fraktion diesem rung am 14 . Januar 2015 sogar noch die Zusage gegeben Antrag nicht zugestimmt werden . hatte, dass ein neues tragfähiges Konzept für diese Sparte entwickelt würde . Und es war der jetzige österreichische Sabine Leidig (DIE LINKE): Das Thema Nachtzüge Bundeskanzler, der noch bei der ÖBB-Bilanzpressekon- ist wie üblich zu einer Zeit aufgesetzt, an dem in früheren ferenz im März sagte: Diese Züge rechnen sich . – Warum Zeiten schon alle Nachtzüge im Land unterwegs waren – schaffen es die ÖBB offensichtlich, Nachtzüge erfolg- als es sie noch gab . Inzwischen ist das Netz auf ein paar reich und wirtschaftlich zu betreiben? (B) wenige Züge zusammengeschrumpft, die die Deutsche Wir sagen: Wenn die ÖBB einige Nachtzüge weiter (D) Bahn AG lieber heute als morgen auch noch stilllegen betreiben, ist das natürlich besser als nichts . Vermutlich würde . Spätestens im Dezember soll endgültig Schluss werden die ÖBB auch einiges mehr an Energie und Ide- für die letzten Nacht- und Autozüge sein, so die Ankün- en in diese Sparte stecken als die DB AG in den letzten digung der DB AG . Jahren – die Ausschreibung neuer Wagen deutet schon Die Debattenzeit illustriert leider die Bedeutung, die in eine sehr gute Richtung . Aber die ÖBB werden wohl das Thema für den Bundestag hat; wir als Opposition nicht das gesamte Netz übernehmen, und somit fehlen müssen es immer wieder hier einbringen, damit über- immer noch viele Verbindungen im Netz von Deutsch- haupt eine Debatte stattfindet. Dabei sind die Nachtzü- land in die Nachbarländer . Und wir sollten die DB AG ge die einzige Option für ein klimafreundliches Reisen als Bundesunternehmen hier nicht aus der Verantwortung auf weiten Strecken, auf denen sonst in der Regel ge- lassen: In einem zusammenwachsenden Europa brauchen flogen wird. Normalerweise sagt man, dass die längere wir aber diese Verbindungen . Europa wächst doch nicht Reisezeit mit dem Zug ein Nachteil der Bahn sei . Mit nur in der Luft zusammen, sondern es sollte vor allem dem Nachtzug wird genau dies aber zur Stärke der Bahn: auch auf der Schiene zusammenwachsen! Denn nur mit ihm kann man bequem schlafend reisen Für ein gesamteuropäisches Netz gibt es seit etwa ei- und am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück in ei- nem Monat ein Konzept: Den „LunaLiner“ . Da haben ner anderen Stadt ankommen . sich Bahnexperten unabhängig von der DB AG zusam- mengesetzt und überlegt, wie ein gesamteuropäisches Hunderttausende von Kundinnen und Kunden wissen Netz von Nachtzügen eigentlich aussehen müsste . Die- dies weiterhin zu schätzen . Obwohl die DB AG in den ses System ist vertaktet geplant, sodass sich die Züge in letzten Jahren so gut wie nichts mehr in die Sparte inves- bestimmten Bahnhöfen treffen und Wagen austauschen tiert hat, sind die Züge noch immer gut gebucht . Trotz- können . Damit könnte man sehr viele Direktverbindun- dem will die DB AG sie nicht mehr weiter betreiben, und gen quer durch Europa im Schlaf anbieten . Das Konzept mir ist immer noch nicht klar, warum eigentlich . Warum ist eine Grundlage für eine überfällige Debatte über die wirft man mit Gewalt Kundinnen und Kunden heraus, Zukunft der Nachtzüge . Das kann sicherlich nicht die die doch offensichtlich Bahn fahren wollen, die nun aber DB AG alleine schaffen, aber dann benötigen wir einen gar kein brauchbares Angebot mehr vorfinden? Denn auf europäischen Zusammenschluss der Bahnen, der ein sol- solchen Strecken am Tag zu reisen und mehrmals umstei- ches Netz gemeinschaftlich betreibt . gen zu müssen, das ist für den weit überwiegenden Teil der Fahrgäste keine Alternative, sondern sie setzen sich Das ist alles andere als Traumtänzerei: So etwas dann auch ins Flugzeug . gab es schon . Die „Compagnie Internationale des Wa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18153

(A) gons-Lits“ hat früher ein großes Nachtzugnetz in ganz bei der Deutschen Bahn aktuell zur Debatte . Nun haben (C) Europa betrieben – vor dem Zweiten Weltkrieg mit über wir einen Antrag der Linksfraktion zu den Nachtzügen 2 000 Wagen und Verbindungen durch ganz Europa bis auf dem Tisch – und ja, auch uns beschäftigt die Zukunft nach Istanbul . Und wir wissen doch alle, dass es mit des Nachtzugverkehrs . Wenn man die aktuelle Berichter- dem klimaschädlichen Flugverkehr so nicht weitergehen stattung über die Nachtzüge verfolgt, gibt es hier aktuell kann, wir brauchen so etwas also wieder, wenn wir auch wenig Licht und viel Schatten . in Zukunft in Europa mobil bleiben wollen! Die Entwicklung des Nachtzugsgeschäfts der Deut- Vor einigen Wochen sagte DB-Chef Grube der FAZ schen Bahn bereitet auch uns Grünen seit einigen Jahren auf die Nachfrage nach den Nachtzügen, wir sollten uns einige Sorgenfalten . Schon im Dezember 2014 wurde das überraschen lassen, das Aus des Nachtzugs sei noch nicht Nachtzugnetz der Deutschen Bahn deutlich geschrumpft . besiegelt . Wir warten bis heute auf diese Überraschung . Man denke nur an die Abbestellung der CityNight- Aber die Zeit drängt extrem: Denn innerhalb der DB AG Line-Züge zwischen Berlin und Paris, zwischen Ham- werden die Beschäftigen der Nachtzugsparte schon jetzt burg und Amsterdam oder auch zwischen Prag, Dresden, in andere Bereiche abgeworben . Schon jetzt gibt es einen Berlin und Kopenhagen . massiven Personalmangel . Züge, die eigentlich mit vier Mitarbeitern besetzt sein müssten, fahren teilweise nur Doch jenseits der Entwicklung einzelner Nachtzugli- noch mit zwei Mitarbeitern . Die verbliebenen Kollegin- nien sehen wir Grüne ein viel grundsätzlicheres Problem nen und Kollegen befinden sich im Dauerstress. Weil sie beim Schienenverkehr . Während sich die Bahnreform sich für ihre Züge einsetzen und noch an eine Zukunft von 1994 im Schienenpersonennahverkehr in vielen Be- glauben, versuchen sie, den Betrieb aufrechtzuerhalten, reichen durchaus bewährt hat, sieht es im Fernverkehr obwohl es eigentlich kaum noch geht . In der Nacht von und eben auch im Nachtreiseverkehr überhaupt nicht gut letztem Samstag auf Sonntag gab es dann schon den aus . Der Artikel 87 Absatz 4 Grundgesetz sagt hierzu ersten Ausfall: Für den vollbesetzten Autozug von Lör- klar und eindeutig: „Der Bund gewährleistet, dass dem rach nach Hamburg war kein Zugführer greifbar . Der Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbe- Lokführer weigerte sich zu Recht, den Zug regelwidrig dürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes ohne Zugführer zu fahren; die Folge: Der Zug stand drei der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrs- Stunden in Karlsruhe, bis endlich ein Ersatzzugführer ge- angeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht funden war . den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird . Das Nähere wird durch Bundesgesetz ge- Da muss man sich schon fragen: Fährt die DB AG die regelt .“ Züge bewusst vor die Wand, um neuen Anbietern das Le- Der verfassungsmäßige Auftrag des Bundes ist klar: ben möglichst schwer zu machen? Legt sie alles darauf (B) Nicht nur beim Aus- und Neubau der Schienenwege hat (D) an, dass die Züge schon vor dem Sommer endgültig ka- der Bund eine Gemeinwohlverpflichtung, sondern eben putt gemacht werden? Die Reden von neuen Konzepten auch bei den Mobilitätsangeboten im Fernverkehr . Nur sind doch dann nur Lippenbekenntnisse, wenn es bald fehlt seit mehr als 20 Jahren dieses in Artikel 87e er- schon keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr gibt, wähnte Bundesgesetz . Dieses fehlende Bundesgesetz ist mit denen man so etwas überhaupt umsetzen könnte, und auch die Ursache dafür, dass die Bahnreform beim Schie- wenn die Kundschaft vergrault wird . nenfernverkehr noch immer kaum Früchte trägt . Wir brauchen die Nachtzüge weiter; sie sind sinnvoll, So stagniert die Nachfrage im Schienenpersonen- und sie werden nachgefragt . Und wenn man es richtig fernverkehr in Deutschland seit über 20 Jahren bei etwa macht, dann lassen sie sich auch wirtschaftlich betreiben, 400 Personenkilometern pro Kopf, während in der glei- da habe ich keinen Zweifel . Daher fordere ich Sie alle chen Zeit erfolgreiche Länder wie Schweden oder die auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit wir endlich Schweiz die Nachfrage im Fernverkehr bis zu 65 Pro- eine Grundlage dafür haben, die DB AG in diesem Be- zent steigern konnten . In der Schweiz reden wir über reich zu ihrem grundgesetzlichen Auftrag zu zwingen: 1 600 Personenkilometer pro Kopf im Jahr, also über nämlich ein vernünftiges Verkehrsangebot auch auf die vierfache Verkehrsleistung . Auch in Schweden liegt Fernreisen in die Nachbarländer zu machen . die Verkehrsleistung mit 600 Personenkilometern pro Gerade findet parallel bekanntlich das EM-Spiel Kopf und Jahr noch immer noch 50 Prozent über dem Frankreich – Deutschland statt . Die nächste EM in vier deutschen Wert im Fernverkehr . In Schweden wurde die Jahren wird in 13 Städten Europas stattfinden. Bis dahin Verkehrsleistung seit 1994 immerhin um 35 Prozent ge- brauchen wir wieder ein funktionierendes europäisches steigert, während Deutschland auf gleichbleibendem Ni- Nachtzugnetz – nicht nur für Fußballfans, sondern auch veau arbeitet . Das alles wirkt sich natürlich auch auf das für Familien, Geschäftsreisende und alle, die bequem rei- Nachtzuggeschäft aus . Dort, wo schon das Fernzugge- sen wollen . schäft kaum Performance entwickelt, wird auch ein gutes Nachtzuggeschäft nur noch wenig ausrichten . Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Daher sind die im Antrag angesprochenen Punkte zwar befinden uns in bahnpolitisch bewegten Zeiten. Heute durchaus wichtig, aber es ist nicht Aufgabe des Bundes, stand schon das Eisenbahnregulierungsgesetz auf der einzelne Nachtzuglinien zwischen bestimmten Städten Tagesordnung, das Thema Stuttgart 21 schlägt in diesen einzurichten oder die Trassenentgelte im Nachtzugver- Tagen wieder Wellen, und auch die Nachtzüge als wichti- kehr festzulegen . An dieser Stelle muss ich die Deutsche ger Bestandteil einer klimafreundlichen Mobilität stehen Bahn sogar einmal in Schutz nehmen: Die DB Netz AG 18154 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) sieht ja mit dem neuen marktsegmentorientierten Tras- Access für richtigen Wettbewerb auch bei Fern- und (C) senpreissystem ganz klar ein eigenes Marktsegment für Nachtzugangeboten . die Nachtzüge vor, bei dem diese zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens ein spürbar niedrigeres Trassenentgelt Die heutige Debatte kann dazu ein guter Auftakt sein . zahlen sollen als der Schienenfernverkehr tagsüber .

Primär muss es Aufgabe der Politik sein, gute Rah- menbedingungen für den Schienenfernverkehr insgesamt Anlage 15 und für den Nachtzugverkehr im Besonderen zu schaf- Zu Protokoll gegebene Reden fen . Dafür muss man bei der Bahnreform von 1994 nach- steuern, gute Ansätze weiter vorantreiben und auch den zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Fernverkehr als Wettbewerbsmarkt entwickeln wollen . brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung Wir brauchen praktisch eine Bahnreform 2 .0 . des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Sport- wettbetrug und der Manipulation von berufssport- Für eine solche Bahnreform 2 0. spricht, dass wir lichen Wettbewerben (Tagesordnungspunkt 10) die erfolgreichen Elemente der ersten Bahnreform nun auch konsequent für den vom Grundgesetz geforderten zweiten Schritt übernehmen und dort, wo jetzt schon Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Der heutige Tag Nachbesserungsbedarf da ist, gezielt nachsteuern . Wir steht im Zeichen des zweiten Halbfinalspiels der Euro- erfinden nicht das Rad völlig neu, sondern schaffen für pameisterschaft in Frankreich . Um 21 .00 Uhr werden die den Fern- und Nachtzugverkehr die Instrumente, die wir Nationalmannschaften von Deutschland und Frankreich schon aus dem Nahverkehr kennen . gegeneinander antreten . Tausende von Fans werden im Stadion ihr Team anfeuern . Ein Millionenpublikum wird Dazu gehört, dass wir endlich die unsinnige Marktab- vor dem heimischen Fernseher oder beim Public Viewing grenzung zwischen Personennahverkehr und -fernver- das Spiel verfolgen . Wir erwarten einen schönen Fußbal- kehr in Deutschland aufheben und den sich gut bewährten labend mit einem positiven Ausgang für die favorisierte Ansatz der Aufgabenträgerschaft auch für den Fernver- Mannschaft . Was hat das nun mit der heutigen Plenarde- kehr anwenden . Zugleich würden wir mit einem Fernver- batte zu tun? kehrssicherstellungsgesetz auch den Nachtzugverkehr in Wir gehen mit größter Selbstverständlichkeit davon die Offensive bringen . Seien wir doch ehrlich, die derzei- aus, dass jeder Spieler den größtmöglichen Einsatz für tigen Debatten um den Nachtzug sind viel zu defensiv, seine Mannschaft gibt . Der Sport vermittelt positive Wer- viel zu sehr von Rückzugsgefechten geprägt . Mit einem te wie Leistungsbereitschaft, Toleranz und Teamgeist . Fernverkehrssicherstellungsgesetz, wie es einige Länder (B) Der Sportwettbewerb lebt aber auch von klaren Regeln . (D) vorantreiben, würde dagegen der Fernverkehr insgesamt Die Einhaltung dieser Regeln fassen wir allgemein als und auch der Nachtzugverkehr im Besonderen wieder in Fairness auf . Wir gehen heute Abend mit guten Gründen die Offensive kommen . von einem fairen Spiel aus . Uns Grünen ist wichtig, dass wir auch das Nachtzugan- Es gibt Regelverstöße, die schnell geahndet werden gebot jenseits der Deutschen Bahn AG in den Blick neh- können . Ich denke an ein Foulspiel im Fußball, welches men . Da gibt es durchaus erfreuliche Entwicklungen zu einen Freistoß zur Konsequenz hat . Es gibt aber Regel- verzeichnen . So wollen die Österreichischen Bundesbah- verstöße, die eine größere Tragweite haben und auf den nen große Teile des Nachtzugangebotes der Deutschen ersten Blick nicht erkennbar sind . Ich spreche hier von Bahn übernehmen und auch im Autoreisezugbereich der Manipulation von Sportwettbewerben durch Spieler aufsatteln . Unser Ziel sollte sein, im Fernverkehrsmarkt und Trainer . richtigen Open Access und damit wirklichen Wettbewerb auf der Schiene zu ermöglichen . Damit käme die Deut- Leider handelt es sich nicht um ein abstraktes Bedro- sche Bahn schneller in die Gänge, ein breiteres Angebot hungsszenario . Der Wettskandal im Jahre 2005 mit ma- und besseren Service zu liefern . So kämen wir als Bund nipulierten Spielen rund um den Schiedsrichter Robert weg von der bis heute fehlenden Fernverkehrsstrategie Hoyzer erschütterte nicht nur die Fußballwelt . Das Ver- in Deutschland hin zu einem Wettlauf um das beste An- trauen in die Leistung der Schiedsrichter und die Integ- gebot und um die beste Servicequalität . Dann würde die rität des professionellen Fußballs wurde infrage gestellt . Deutsche Bahn wieder mehr Nachtzugangebote auf die Schiene setzen . Es ist unzweifelhaft, dass Manipulationen von Sport- wettbewerben und der Sportwettbetrug die Integrität des Lassen Sie uns daher die Debatte richtig führen, nicht Sports erheblich beeinflussen. Die Integrität des Sports im Klein-Klein um einzelne Nachtzuglinien, sondern um beruht in der Unverfälschtheit und Authentizität sport- den im Grundgesetz verbrieften Gemeinwohlauftrag des licher Wettbewerbe . Der Imageschaden spiegelt sich Bundes im Fern- und Nachtzugverkehr und um die richti- schließlich in einer Verletzung von fremden Vermögen gen Rahmenbedingungen für wirklichen Wettbewerb auf und Gewinnausfällen wider . Ehrliche Sportvereine und der langen Strecke . Dafür ist uns der vorliegende Antrag Veranstalter erleiden einen Rückgang von Eintritts- und zu kurz gesprungen, da er noch viele Fragen offen lässt . Sponsorengeldern . Redliche Sponsoren werden zu Un- Lassen Sie uns den Fern- und Nachtzugverkehr strate- recht in den Zusammenhang von Spielmanipulationen gisch neu aufstellen, mit Trassenpreisen auf Grenzkos- gebracht . Anbietern von Sportwetten und Wettteilneh- tenniveau über einen Deutschlandtakt bis hin zum Open mern werden die Gewinne vorenthalten . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18155

(A) Bei einem erheblichen sozialschädigenden Verhalten umgesetzt, was der Europarat am 9 .Juli 2014 den Ver- (C) ist stets das Strafrecht auf den Plan gerufen . Als Ultima tragsstaaten vorgegeben hat, nämlich die Manipulation Ratio hat das Strafrecht schwere Verfehlungen zu ahn- von Sportwetten unter Strafe zu stellen . Dieses Überein- den . Die Manipulation von Sportwettbewerben und der kommen des Europarats hat Deutschland am 18 . Septem- Sportwettbetrug stellt eindeutig ein erhebliches straf- ber 2014 unterschrieben . Drittens setzen wir um, was wir rechtliches Unrecht dar . in unserer Koalitionsvereinbarung beschlossen haben, nämlich nicht nur gegen Doping, sondern auch gegen die Bisher war eine Vielzahl von Fällen durch den Straf- Manipulation von sportlichen Wettbewerben und Sport- tatbestand des Betruges bereits erfasst . In der richterli- wettbetrug vorzugehen . chen Praxis bestehen aber Nachweisprobleme für die konkreten Vermögenseinbußen . Die Spielmanipulation An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es vor erfüllt derzeit keinen spezifischen Straftatbestand. Den- allem der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu verdanken noch ergibt sich die Strafbarkeit aus einer Beihilfehand- ist, dass nicht nur der Sportwettbetrug, sondern auch die lung zum Betrug durch Sportwetten . Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben, die keinen Bezug zu Sportwetten haben, unter Strafe gestellt In den Ausschusssitzungen wird über die derzeitigen wird . Nachdem das Justizministerium anfänglich irriger- Lücken in der Strafbarkeit, aber auch über die Lücken weise dafür keine Notwendigkeit gesehen hat, bin ich der Nachweisbarkeit von strafbarem Verhalten zu spre- froh, dass ein solcher Straftatbestand jetzt doch Eingang chen sein . Ein besonderes Augenmerk sollte auf die ge- in das Strafgesetzbuch finden wird. Ein Verweis auf die schützten Rechtsgüter gelegt werden . Ist tatsächlich die Möglichkeit verbandsinterner Sanktionsmöglichkeiten Integrität des Sports das schützenswerte Rechtsgut, oder in solchen Fällen wäre nicht ausreichend gewesen, weil lässt sich der strafrechtliche Schutz letztendlich doch auf das Unwerturteil geringer als bei einer strafrechtlichen das Vermögen zurückführen? Wir sollten auch über die Verurteilung gewesen wäre . Zudem hätte es sich nicht an konkrete Definition der Manipulation sprechen. Wo sind Dritte, sondern nur an Verbandsmitglieder gerichtet, und die Grenzen zu ziehen? Es stellt sich ebenfalls die Frage, es wäre nicht ausreichend tauglich gewesen, weil es den ob die Manipulation auf den Berufssport begrenzt sein Sportverbänden an ausreichenden Eingriffsbefugnissen soll . und Aufklärungsmöglichkeiten gemangelt hätte . Gehen wir mit diesen Fragen in die Ausschussbera- Die rechtspolitische Rechtfertigung solcher neuen tung! Straftatbestände ergibt sich zunächst aus der unstrittig vorliegenden herausragenden gesellschaftlichen und Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Fast genau zwölf wirtschaftlichen Bedeutung des Sports in Deutschland und der Welt . Der Sport vermittelt positive Werte wie (B) Jahre ist es her – am 21 .August 2004 –, als ein Aufei- (D) nandertreffen zwischen dem damaligen Drittligisten Leistungsbereitschaft, Fairness, Toleranz und Teamgeist, SC Paderborn und dem Bundesligisten Hamburger SV schafft Vorbilder für junge Menschen und lehrt, mit Sieg im DFB-Pokal unrühmliche Geschichte schrieb: Es war und Niederlage umzugehen . Ebenso ist er ein enormer der markanteste Fall des Wettskandals um den ehemali- Faktor im Wirtschaftsleben, weil hohe Umsätze und hohe gen deutschen Fußballschiedsrichter Robert Hoyzer . Der Gewinne erzielt sowie Arbeitsplätze und steuerliche Ein- HSV verlor nach einer 2:0-Führung noch mit 2:4, und nahmen des Staates dadurch generiert werden . Hoyzer hatte großen Anteil daran . Dies ist allerdings nur deshalb möglich, weil der Sport Im Zuge des Bekanntwerdens des Skandals im einen besonderen Reiz auf Menschen ausübt und weil Jahr 2005 gab Hoyzer zu, Spiele der 2 .Fußball-Bun - das Ergebnis und der Verlauf von sportlichen Wettbe- desliga, des DFB-Pokals und der Fußball-Regionalliga werben nicht voraussehbar sind . Dies macht gerade die verschoben zu haben, dass die erwünschten Ergebnisse – besondere Attraktivität des Sports aus . auf die zuvor gewettet wurde – herauskamen . Berichten Dies alles ist durch Sportwettbetrug und Manipulation zufolge hatte Hoyzer zudem regelmäßig Kontakt zur von sportlichen Wettbewerben gefährdet . Dadurch wird kroatischen Mafia. Der Fußball-Wettskandal 2005 gilt die Integrität des Sports und das Vermögen anderer ge- bis heute als die größte Affäre im deutschen Fußball seit schädigt . Die Glaubwürdigkeit und die Authentizität des dem Bundesliga-Skandal in der Saison 1970/71 . sportlichen Wettbewerbs werden untergraben, und der Wir diskutieren heute den vorliegenden Gesetzent- Sport wird in seiner gesellschaftlichen und wirtschaftli- wurf, der zwei neue Straftatbestände schafft, die beide chen Relevanz gefährdet . Manipulationsabreden im Sport betreffen . Diese gesetz- Deshalb muss der Sport gerade mit den Mitteln des lichen Regelungen finden ihren Niederschlag im § 265c Strafrechts geschützt werden, weil zudem noch bedeu- StGB als Sportwettbetrug, wenn sie einen Bezug zu tende Vermögensinteressen vieler gefährdet sind . Anbie- Sportwetten haben, und in § 265d StGB, wenn sie keinen ter von Sportwetten, Wettteilnehmer, ehrliche Sportler, Bezug zu Sportwetten haben, aber dennoch berufssport- Sportvereine, Veranstalter und Sponsoren sind betroffen . liche Wettbewerbe betreffen . Die bisher bestehenden Strafrechtsnormen greifen zu Damit setzt der Deutsche Bundestag als Gesetzge- kurz: Das hat sich dadurch bewahrheitet, weil bisher eine ber das um, wozu im Mai 2013 die Sportminister der strafrechtliche Verfolgung von Manipulationsabreden im 5 . UNESCO-W eltkonferenz in Berlin die Mitgliedstaa- Sport nur unzureichend möglich war . Insbesondere be- ten aufgerufen haben: nämlich etwas gegen die Mani- standen im Einzelfällen Anwendungs- oder Nachweis- pulation von Sportwetten zu tun . Zum anderen wird das schwierigkeiten: beispielsweise die konkrete Feststellung 18156 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) der Wettsetzung oder der konkrete Vermögensschaden wird: Sportwettbetrug und Manipulationen von Sport- (C) beim Wettbetrug . Außerdem wurde in diesen Fällen das wettbewerben widersprechen der Integrität des Sportes kriminelle Verhalten der Sportler und der Unrechtsgehalt und führen zu einem Bild in der Öffentlichkeit, das dem ihrer Tat nicht ausreichend strafrechtlich geahndet, weil organisierten Sport unwürdig ist . Dieses Gesetz ist eine sie nur als Beihelfer zum Betrug zu bestrafen waren . Bei logische Weiterführung unseres erklärten Zieles, einen der Fallvariante von Spielmanipulationen ohne Wettbe- sauberen Sport zu schaffen, der für Kinder und Jugendli- zug war § 263 StGB bisher nicht anwendbar, und § 299 che eine Vorbildfunktion einnehmen kann . Wir haben mit StGB war deshalb nicht einschlägig, weil ein Bezug von dem Anti-Doping-Gesetz bereits ein deutliches Zeichen Waren oder Dienstleistungen nicht vorlag . Daher besteht gegen unfaire Praktiken im Sport gesetzt . Dieses Gesetz gesetzgeberischer Regelungsbedarf . zur Spielmanipulation vervollständigt unsere Absichten . Dieser ergibt sich auch daraus, dass es sich bei diesen Wir haben in den vergangenen Jahren viel damit zu Manipulationsabreden im Sport nicht mehr um Einzel- kämpfen gehabt, dass der Sport an Glaubwürdigkeit ein- fälle handelt, sondern um ein immer stärker auftretendes gebüßt hat . Wir haben mit Dopingskandalen weltweit zu Phänomen, wie sich aus Presseberichten, wissenschaftli- kämpfen, mit undurchsichtigen Methoden bei der Verga- chen Veröffentlichungen und empirischen Untersuchun- be von Großsportveranstaltungen, bei der Bekämpfung gen ergibt . von Sportwettbetrügereien weltweit . Wir haben beobach- ten müssen, wie die Umwelt belastet und zerstört wur- Deshalb ist in Zukunft in diesen Fällen der Staatsan- de, um den Bau von überdimensionierten Sportstätten walt berufen und die staatlichen Gerichte gefordert . zu gewährleisten . Wie Löhne von den Ärmsten der Ar- Ebenso wichtig ist, dass gesetzliche Regelungen ge- men nicht ausgezahlt wurden . Wir haben einen Skandal schaffen werden, um bei dieser Kriminalitätsform den in unserem Land zur WM 2006 gehabt, der gerade erst Strafverfolgungsbehörden die Befugnis zur Überwa- aufgeklärt wird und erschreckende Praktiken aufgezeigt chung der Telekommunikation zu geben und verdeckte hat . Skrupellosigkeit und Gier scheinen bei Sportfunktio- Ermittlungsmaßnahmen zu ermöglichen . nären nicht selten zu sein . Natürlich betrifft das nicht alle Beteiligten, aber genau deshalb müssen wir diejenigen, Abschließend bin ich sehr zufrieden, dass wir in die- die für Fairness eintreten, besser schützen! ser Wahlperiode nach der Verabschiedung des Anti-Do- ping-Gesetzes im November 2015 nunmehr mit diesem Wir müssen dem Sport seine Glaubwürdigkeit zu- Gesetzentwurf unsere Forderung aus der Koalitionsver- rückgeben . Das muss in erster Linie natürlich auch der einbarung vom 27 .November 2013 umgesetzt haben, organisierte Sport selbst machen, aber wir als Gesetzge- nämlich weitergehende strafrechtliche Regelungen auch ber sind in der Pflicht, einen Rahmen zu setzen, in dem (B) im Kampf gegen Spielmanipulationen zu schaffen . sich engagierte und faire Sportlerinnen und Sportler und (D) Sportbegeisterte derart bewegen können, dass sie sich si- Damit setzen wir ein deutliches Signal für einen sau- cher und geschützt fühlen . beren und fairen Sport und machen deutlich, dass Mani- pulation und Betrug im Sport keinen Platz haben . Aber wir haben nicht nur die Pflicht zur Sicherung eines fairen und sauberen Sportes, wir haben auch die Pflicht, das Potenzial von Sport in der Integrationsdebat- (SPD): Wir haben mit diesem Gesetz Detlev Pilger te ernst zu nehmen und dieses für uns zu nutzen . einen großen Schritt geschafft . Es ist ein sehr, sehr gutes Gesetz geworden, das Strafbarkeitslücken schließt und Was Sport bei der Integration von Kindern ausmachen einem tatsächlichen Bedürfnis in der Strafverfolgung kann, habe ich lange selber am eigenen Leib erlebt . Ich gerecht wird . Natürlich waren auch vor diesem Gesetz war schon mein Leben lang im Fußballbereich aktiv . Verurteilungen im Bereich der Spielmanipulation mög- Ich habe mit Kindern und Jugendlichen aus der ganzen lich, aber es war schwer, diese nachzuweisen und sie Welt gekickt und gelernt, dass es auf dem Platz keine unter die vorhandenen Gesetze des Strafgesetzbuches zu Unterschiede gibt . Ich habe gesehen, wie der Fußball für subsumieren . Das Phänomen des Sportwettbetruges ist Kinder aus sozial schwachen Familien meist als einzige vielleicht nicht neu im Sport, aber mit der zunehmenden Vorbildfunktion agiert hat und die Kinder dazu bekom- Globalisierung und Digitalisierung hat es eine beunruhi- men hat, Verantwortung zu übernehmen und Teamgeist gende Zunahme erfahren . Nun haben wir ein Gesetz, das zu entwickeln . Wenn diese Kinder und Jugendlichen genau auf das zu missbilligende Verhalten abzielt und sich anschauen, wie der Sport heute immer wieder den den speziellen Schwierigkeiten im Rahmen der Spiel- Stempel der Korruption und Manipulation aufgedrückt manipulation angepasst ist . Sportwettbetrug und Mani- bekommt und diese Menschen nicht dafür zur Verant- pulationen von Sportwettbewerben werden in Zukunft wortung gezogen werden, dann muss es uns nicht wun- einfacher strafrechtlich zu verfolgen sein, weil konkrete dern, wenn auch unsere Kinder und Jugendlichen ihr Täterkreise und konkrete Verhaltensweisen unter dieses Vertrauen in den Sport verlieren . Wir dürfen dieses Risi- Gesetz gefasst werden . Mit dem vorliegenden Gesetzent- ko nicht eingehen, weil mit der Integrationsdebatte eine wurf zur Spielmanipulation kommen wir somit unserem gesamtgesellschaftliche Aufgabe vor uns liegt, die ohne erklärten Ziel für einen sauberen, fairen und ehrlichen den Sport nicht zu schaffen ist . Sport immer näher . Diese Erleichterung für die Strafverfolgungsbehör- Dr. André Hahn (DIE LINKE): Nach dem Anti-Do- den ist natürlich ein wichtiger Schritt gewesen, aber ping-Gesetz soll nun auch ein Gesetz gegen Wettbetrug wichtiger ist das Signal, das mit diesem Gesetz gesendet und Manipulation im Sport vom Bundestag verabschie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18157

(A) det werden . Das ist auf den ersten Blick gut und sinnvoll, In der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes (C) denn wer sollte etwas dagegen haben, dass Betrug bei vom Januar 2016 heißt es klipp und klar (Zitat): Sportwetten sowie die Bestechung von Sportlern oder Der Deutsche Richterbund lehnt die Einführung ei- Schieds- und Kampfrichtern bestraft wird . nes Straftatbestandes des Sportwettbetruges und der Schaut man sich nun aber die im Gesetzentwurf ent- Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe ab . Er haltenen Regelungen genauer an, so stellen sich gleich fordert den Gesetzgeber auf, das Gesetzesvorhaben mehrere Fragen . Ich kann hier nur einige nennen: Rei- nicht weiter zu verfolgen … chen die derzeit geltenden strafrechtlichen Regelungen Die neuen Tatbestände der §§ 265c ff . StGB-E sol- wirklich nicht aus, um Schuldige zu belangen? Warum len die „Integrität des Sports“ und das Vermögen soll nur die Manipulation in berufssportlichen Wettbe- von Wettteilnehmern und Anbietern von Sportwet- werben strafbar sein? Was geschieht zum Beispiel, wenn ten schützen . Bei der „Integrität des Sports“ handelt beim Fußball Spiele im Amateurbereich gekauft werden, es sich um kein Rechtsgut, welches strafrechtlichen die am Ende aber über den Aufstieg in den professio- Schutz beanspruchen könnte . Der Versuch des Ge- nellen Bereich entscheiden? In wie vielen und welchen setzgebers, die „Integrität des Sports“ über das Ge- Sportarten gibt es überhaupt echte Profis? Ist es nicht so, setz zur Bekämpfung von Doping im Sport und über dass selbst die Spitzenathleten in vielen Sportarten nicht die hier neu zu schaffenden Straftatbestände erst als davon leben können und zusätzliche Unterstützung be- Rechtsgut zu erschaffen, um Verletzungen dieses nötigen? Soll dort dann straffrei manipuliert werden dür- Rechtsguts dann strafrechtlich schützen zu können, fen? Will die Koalition also ein Gesetz, das nur für eine ist abzulehnen . Die Integrität des Sports, dessen Minderheit der Sportdisziplinen überhaupt Anwendung Werte und gesellschaftliche Funktion muss sich der findet, also für die Profibereiche beim Fußball, Handball, Sport selbst erarbeiten . Sie kann nicht durch den Volleyball, Eishockey, Tennis, Boxen und dem Radsport? Gesetzgeber als existent postuliert und durch Straf- verfolgung gesichert werden . Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes, die Integrität des Sportes mit allen verfügbaren Mitteln zu schützen, Und weiter heiß es beim Richterbund: klingt natürlich gut, und dass die Politik hier hinsichtlich Mit der geplanten Strafbarkeit von Wettbetrug und der Zukunft des Sports in der Verantwortung steht, ist Manipulation von Veranstaltungen des „organisier- auch für die Linke unstrittig . ten Sports“ bzw . von „hochklassigen Veranstaltun- gen“ sollen Tatbestände für sportliche Ereignisse Der Deutsche Olympische Sportbund nahm auf Vor- geschaffen werden, welche‚ infolge der Professio- schlag seines Präsidiums in der Mitgliederversammlung nalisierung, Medialisierung und Kommerzialisie- am 7 .Dezember 2013 eine Erklärung mit dem Titel „Die (B) rung … zu einem herausragenden wirtschaftlichen (D) Integrität des sportlichen Wettbewerbs sichern – Doping Faktor“ geworden sind . und Wettbetrug konsequent bekämpfen“ an . Darin wird auf zunehmende Probleme der organisierten Kriminalität Dieser Wertung sportlicher Großereignisse als Wirt- auf dem globalen Sportwetten-Markt verwiesen, denen schaftsfaktor ist zuzustimmen . Daher sind auf diese der Sport national wie auch international konsequent ent- Veranstaltungen uneingeschränkt die Regeln wirt- gegentreten muss . Und der DOSB kündigte an, was er schaftlichen Handelns, einschließlich des Verbotes diesbezüglich tun wolle . von Bestechlichkeit und Bestechung im geschäft- lichen Verkehr, § 299 StGB, anzuwenden . Darüber Inzwischen sind wir fast drei Jahre weiter, und die hinausgehende Sonderstraftatbestände sind nicht Situation in diesem Bereich hat sich nicht wirklich ver- erforderlich .“ bessert . – So das Fazit des Richterbundes . Ähnlich lautet die In der Debatte um das Anti-Doping-Gesetz im vergan- Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins, der den genen Jahr schlug ich vor, im Rahmen dieses Gesetzes Referentenentwurf ebenso deutlich ablehnt . auch Fragen des Wettbetrugs und der Manipulation von Diskussionsbedarf sehe ich auch bei der mit diesem Sportwettbewerben mit zu regeln . Ich habe dabei die Gesetz verbundenen Ausweitung verdeckter Ermitt- Schaffung eines neuen Straftatbestandes „Sportbetrug“ lungsmaßnahmen wie der Telefonüberwachung . Ein angeregt, der für ganz unterschiedliche Bereiche, aber weiteres Problem sind fehlende Definitionen zentraler eben auch für Sportwetten und Spielmanipulationen zur Begriffe . Sport wird, wie bereits im Anti-Doping-Gesetz, Anwendung kommen könnte, und eben nicht nur im Pro- nicht definiert. Was ein berufssportlicher Wettbewerb ist, fibereich. Dies wurde von der Koalition leider abgelehnt. bleibt weitgehend offen, ebenso, was strafrechtlich als Jetzt präsentiert uns die Bundesregierung nun also einen wettkampfwidrig anzusehen ist . eigenständigen Gesetzentwurf . Dr . Peter Schneiderhan, Oberstaatsanwalt in Stuttgart Schon nach Veröffentlichung des Referentenentwurfs und Mitglied im Präsidium des Deutschen Richterbun- gab es sehr kritische Stellungnahmen, zum Beispiel vom des, betont in seinem Beitrag: „Die ‚Integrität des Sports‘ Deutschen Richterbund und vom Deutschen Anwalts- als ein Schutzgut ist eine Forderung an den Sport, wel- verein . Ich denke, man muss sich mit diesen Einwänden che dieser selbst einlösen muss . Sie kann nicht vom Ge- ernsthaft auseinandersetzen, zumal sich der nun vorlie- setzgeber mit der Feststellung, der Sport sei Träger von gende Gesetzentwurf wirklich nur marginal von seinen positiven Werten, wie Leistungsbereitschaft, Fairness, Vorläufern unterscheidet . Toleranz und Teamgeist postuliert werden . So sehr die 18158 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Einhaltung dieser Werte zu fordern ist, sind sie in dieser Und so legen Sie, liebe Bundesregierung, uns diesen (C) Unverbindlichkeit keine Rechtsgüter, die strafrechtlich Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches, zur geschützt werden könnten . Es ist offen, welchen Sport Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation der Gesetzgeber schützen will . Daher ist das Gesetz von berufssportlichen Wettbewerben vor . Bei genauer überflüssig.“ Für Transparency International Deutsch- Betrachtung muss ich aber eines konstatieren: Sie haben land e .V . war bei der Beurteilung entscheidend, ob die nicht ganz verstanden, wo das Problem liegt, wie es be- geplanten Regelungen geeignet erscheinen, Sportwett- kämpft werden kann, und hoffen, dass niemand merkt, betrug und Manipulationen von Sportwettbewerben ef- dass Sie mit dieser Aktion nur Scheinlösungen präsentie- fektiv einzudämmen . Die Organisation kommt zu fol- ren und am Ziel völlig vorbei schießen . genden Schluss: „Das in der Überschrift formulierte Ziel der ‚Strafbarkeit von Sportwettbetrug‘ wird so jedenfalls Zum einen – das wissen Sie selbst – ist Sportwettbe- nicht oder zumindest nicht vollständig erreicht . Hierfür trug bereits heute schon strafbar . Unter anderem § 263 ist der Referentenentwurf zu eng gefasst und nur auf den zu Betrug und § 299 zur Bestechlichkeit und Bestechung Vermögensschutz konzentriert “. Viel wichtiger wäre es im Strafgesetzbuch erlauben heute schon die Strafver- aus der Sicht von Transparancy, endlich die überfällige folgung bei Sportwettbetrug und Spielmanipulation . Die angemessene und rechtssichere Regulierung des Sport- Gesetzeslücke, von der Sie sprechen, gibt es in der Weise wettmarktes anzugehen, die bekanntlich jedoch nicht in gar nicht . Ihr Entwurf führt zu nichts anderem als unnöti- der Zuständigkeit des Bundes liegt . Berechtigt sind aus ger Beschäftigungstherapie für Ermittlerinnen, Ermittler Sicht der Linken auch die Einwendungen des Nationalen und Justiz . Normenkontrollrates, der eine Evaluierungsfrist im Ge- setz einfordert . Aber nicht nur das: Der Gesetzentwurf strotzt nur so von Unklarheiten und unscharfen oder gar nicht definier- Mein Resümee: Nicht alles, was in bester Absicht ten Begriffen, Normen und Tatbeständen, die vermutlich vorgelegt wird und auf dem ersten Blick gut aussieht, auch kaum zu beweisen sind . Muss nun beim nächsten ist letztlich wirklich geeignet . Der Diskussionsbedarf Foul der Staatsanwalt ermitteln? Aus Ihrem Gesetz geht zu diesem Gesetzentwurf, auch mit den Vertretern des es nicht hervor . Und was sind für Sie denn „Einnahmen Sports und den Juristen, ist offensichtlich . Die Linke von erheblichem Umfang“? Einerseits wollen Sie mit wird sich hierbei gern einbringen . diesem Gesetz angeblich alle möglichen Verstöße und Personengruppen umfassen, andererseits gibt es doch wieder seltsame Ausnahmen und riesige Lücken . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Abend spielen Frankreich und Deutschland gegeneinan- Ich könnte hier auf zahlreiche Details eingehen, aber (B) der im Halbfinale der Fußballeuropameisterschaft. Und dafür reicht leider meine Redezeit nicht . Deshalb will (D) wenn ich mir das Spiel ansehe, dann könnte ich da ganz ich nur ein Beispiel nennen: Eine Verabredung zum Un- unterschiedliche Dinge sehen: Ich könnte zweiundzwan- entschieden bei einem Wettkampf bliebe gemäß diesem zig Sportler auf einem Feld sehen, die in zwei Teams Entwurf straffrei, weil das ja nicht zugunsten des Wettbe- gegeneinander antreten, um auszuspielen, welches das werbsgegners wäre . Das ist schlicht absurd . bessere ist . Ich könnte 67 000 Zuschauerinnen und Zu- schauer im Marseiller Stadion sehen, die die Teams be- Weiterhin fußt das Gesetz teilweise auf falschen An- geistert anfeuern, und einen Schiedsrichter mit seinen nahmen . So setzen Sie zum Beispiel voraus, dass Sport- Assistenten, die das Spiel leiten und darauf achten, dass lerinnen und Sportler bei jedem Wettbewerb stets alle alle Regeln eingehalten werden . Kräfte dafür aufbringen wollen, um zu gewinnen . Dabei kann es durchaus sein, dass eine Sportlerin in einem Vor- Ich könnte da auch eine Hochglanz-Veranstaltung der rundenspiel ihre Kräfte für die nächste Runde schont, UEFA sehen, eines Verbands, dessen Funktionäre in frag- wenn sie bereits qualifiziert ist. So tat es auch unser Jogi würdige Deals verwickelt sind und die mit der EM Milli- Löw strategisch bei der WM 2014 in Brasilien oder der arden verdienen . Ich könnte auch ein Land sehen, in dem laufenden EM in Frankreich . Wir sagen: Dieser Entwurf wegen der EM höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten, ist nicht praxistauglich! die die Bürgerrechte der Einwohnerinnen und Einwohner massiv einschränken . Ich könnte mich fragen, wie viele Und ob all das daran liegt, dass Sie all die Mängel der Spieler mit verbotenen Mitteln oder Methoden nach- übersehen haben, oder daran, dass Sie das Gesetz – so helfen, um ihre Leistung zu verbessern . Und schließlich: wirkt es zumindest – mal eben so „dahingerotzt“ haben, Ist das Spiel überhaupt fair? Manipuliert ein Spieler, ein sei dahingestellt . In jedem Fall macht es Ihr Anliegen, die Trainer, ein Schiedsrichter, um sich selbst und andere da- Integrität des Sports zu schützen, fragwürdig . ran zu bereichern? Mit unserer Kritik sind wir im Übrigen in guter Ge- Bereicherung – Das ist es, worum es im Sport immer sellschaft, denn sämtliche Rechtsexpertinnen und -ex- mehr geht, egal ob durch Korruption, Doping oder eben perten teilen unsere Auffassung . Der Richterbund, die Wettbetrug . Geld und Gier machen den sauberen Sport Anwaltskammer und viele andere kritisieren und lehnen kaputt . Verbände sind oft ratlos . Manche Verbandsspit- Ihren Gesetzesentwurf zu Recht ab . zen mischen teilweise und möglicherweise – man weiß es nicht – in verschiedenen dunklen Machenschaften mit, Daher appelliere ich erneut an Ihre Vernunft . Wenn und der Gesetzgeber soll und will es nun offenbar nun Sie das Gesetz einfach nicht verabschieden, richten Sie regeln . den geringsten Schaden an . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18159

(A) Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- Seither ist der Wettmarkt weiter gewachsen . Im letz- (C) braucherschutz: In Frankreich findet die Fußball-EM ten Jahr lagen die Umsätze der Sportwetten allein in statt, und wir spüren in diesen Tagen wieder, welch Deutschland bei 4,8 Milliarden Euro . Die Anreize zur enorme Bedeutung der Sport in unserer Gesellschaft hat: Manipulation sind dadurch noch größer geworden . Am Samstagabend saßen allein in Deutschland mehr als 30 Millionen Menschen vor dem Fernseher und haben In Zukunft steht die Korruption im Profisport unter den Sieg der deutschen Mannschaft gesehen . Strafe . Sportler und Trainer, Manager und Sportdirek- toren, Schieds-, Kampf- und Wertungsrichter – sie alle Auch wirtschaftlich ist der Sport ein bedeutender Fak- machen sich künftig strafbar, wenn sie sich bestechen tor, dies zeigen aktuelle Zahlen aus der Welt des Fuß- lassen, um die Ergebnisse eines Wettkampfes zu mani- balls . Für die Übertragungsrechte ihrer Spiele kassiert pulieren . die Bundesliga im kommenden Jahr eine neue Rekord- Bei der Wettkampf-Manipulation beschränken wir uns summe: 4,6 Milliarden Euro . Aber das Leben lehrt uns: auf den Profisport, beim Wettbetrug reicht das aber nicht Wo Ruhm und Reichtum winken, sind Betrug und Beste- aus – man kann auch auf die Spiele der Amateure in den chung niemals weit . Das gilt auch für den Sport . unteren Ligen viel Geld setzen . Wir schützen deshalb Im vergangenen Jahr haben wir deshalb das Anti-Do- künftig alle Wettbewerbe des organisierten Sports vor ping-Gesetz beschlossen . Wir haben damit vor allem die Betrügereien im Zusammenhang mit Sportwetten . Leistungssteigerung mit pharmazeutischen Mitteln un- Gerade beim Wettbetrug haben wir es oft mit organi- ter Strafe gestellt . Wenn wir jetzt gegen Wettbetrug und sierter Kriminalität zu tun . Wir formulieren deshalb nicht die Spielmanipulation vorgehen, dann bekämpfen wir nur einen neuen Straftatbestand . Wir geben Justiz und das negative Doping mit Geld, die Leistungsminderung Polizei auch die nötigen Ermittlungsinstrumente, damit durch Bestechung . sie an die Hintermänner herankommen: Wenn Wettbe- Doping und Bestechung haben den gleichen Unrechts- trug erwerbs- oder bandenmäßig begangen wird, wenn gehalt: Sie manipulieren den Wettkampf, sie betrügen also ein besonders schwerer Fall vorliegt, dann – und nur Zuschauer und Mitspieler, sie richten wirtschaftlichen dann – dürfen die Ermittler künftig auch die Telekommu- Schaden an, aber vor allem untergraben sie die Werte, nikation überwachen . für die der Sport trotz der Kommerzialisierung nach wie Wir senden mit den neuen Straftatbeständen eine ganz vor steht: die Leistungsbereitschaft, den Teamgeist und klare Botschaft aus: Wer bei Sportwetten betrügt, wer bei die Fairness . Wettkämpfen manipuliert, wer besticht oder sich beste- Das Anti-Doping-Gesetz war der erste Schritt; mit der chen lässt, der handelt kriminell! Wir wollen einen sau- (B) Strafbarkeit von Sportwettbetrug und Spielmanipulation beren Sport! Und wir lassen nicht zu, dass Betrüger den (D) gehen wir jetzt den zweiten . Unser Ziel bleibt unverän- Sport kaputt machen! dert: Wir wollen einen sauberen Sport, und zwar ohne Betrug und ohne Bestechung! In den 70er-Jahren wurde die Fußball-Bundesliga Anlage 16 von einem großen Bestechungsskandal erschüttert: Über Zu Protokoll gegebene Reden 50 Spieler, Trainer und Funktionäre bestachen oder wur- den damals bestochen, 8 Spiele wurden verschoben . zur Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Azize Tank, Matthias W. Birkwald, Der Klassenerhalt und der Abstieg in die 2 . Liga wa- Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE ein- ren manipuliert . gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Trotzdem konnte damals keiner der Betrüger von der Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (Ta- Justiz zur Verantwortung gezogen werden . Ihr Verhalten gesordnungspunkt 21) war weder als „Betrug“ noch als „Bestechung im ge- schäftlichen Verkehr“ strafbar – und so ist das heute . Matthäus Strebl (CDU/CSU): „Wir sind uns der his- Ich meine: Diese Straflosigkeit wird der Bedeutung torischen Verantwortung für die Überlebenden des Ho- des Sports und den finanziellen Schäden, die angerichtet locaust, die in der NS-Zeit unsägliches Leid erlebt haben, werden, nicht gerecht . Wir dürfen nicht zulassen, dass un- bewusst “. Diesen Satz haben wir im Koalitionsvertrag sere Justiz zwar Ladendiebe und Schwarzfahrer verfolgt, manifestiert, und das halte ich für richtig . Die Bundes- aber machtlos ist, wenn es um Millionenbetrug geht . Das republik Deutschland steht zu der Verantwortung für die ist nicht gerecht, das muss das Rechtsbewusstsein der Opfer der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten . ehrlichen Menschen schwer erschüttern, und deshalb ist es an der Zeit, diesen Zustand endlich zu ändern! Bereits 2002 wurde das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto, kurz Änderungen brauchen wir auch, wenn es um Sport- gesagt das Ghettorentengesetz, vom Deutschen Bundes- wetten geht . Auch hier ist der Fußball leidgeprüft . Vor tag verabschiedet . Es war ein wichtiges Zeichen an die einigen Jahren wurde ein Berliner Schiedsrichter besto- Menschen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen chen; wir haben damals gesehen, wie das Wettgeschäft gearbeitet haben . Sie haben gearbeitet, um der Deporta- zu einem Berührungspunkt von Sport und organisierter tion und dem Tod zu entgehen . Dabei geht es in erster Kriminalität wurde . Linie nicht um finanzielle Leistungen, vielmehr um ein 18160 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Zeichen der Anerkennung für die geleistete Arbeit in le- Wir werden Ihren Antrag deshalb ablehnen . (C) bensunwürdigen und grausamen Zeiten . Ich halte es für richtig, zu sagen, dass es sich um ein Gesetz mit erhebli- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Mit dem cher Symbolkraft handelt . Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäf- Im letzten Jahr hat die Bundesrepublik Deutschland tigungen in einem Ghetto (ZRBG) aus dem Jahre 2002 mit Polen ein Abkommen zu Beschäftigten in polnischen hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergreifend die Ghettos geschlossen . Das Abkommen ermöglicht die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass die in ei- Zahlung einer deutschen Rente aufgrund von Beschäf- nem Ghetto ausgeübte Tätigkeit rentenrechtlich als Bei- tigungen in einem Ghetto auch an Personen, die in der tragszeit berücksichtigt werden kann . Dieses Gesetz war Republik Polen leben . Hier war eine Einigung zwingend und ist ein wichtiger Beitrag, um den Menschen, die die eilbedürftig, denn die Rentenempfänger sind inzwischen Nazi-Machthaber in Ghettos zwangen und ihrem Kampf hochbetagt . ums Überleben gerecht werden zu können . Lassen Sie mich noch einige Sätze zum deutschen Durch eine Gesetzesänderung im Juli 2014 hat der Rentenrecht sagen: Deutsche Rentenansprüche für ehe- Deutsche Bundestag dann nach langen Verhandlungen malige Beschäftigte in einem Ghetto sind an Bedingun- auch eine rückwirkende Auszahlung von Ghettorenten gen geknüpft: Die Betroffenen müssen Verfolgte des ab 1997 ermöglicht und hat diese Gesetzesänderung Nationalsozialismus im Sinne des deutschen Bundesent- ohne Gegenstimmen beschlossen . Darin ist vorgesehen, schädigungsgesetzes sein, sich zwangsweise in einem dass für die bisherigen Ghettorenten keine vierjährige Ghetto aufgehalten haben, das sich in einem Gebiet des Rückwirkungsfrist gilt und sie bereits mit dem Stichtag nationalsozialistischen Einflussbereiches befand, und 1997 neu berechnet werden . Die Betroffenen erhalten eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss ein Wahlrecht zwischen einem früheren Rentenbeginn, zustande gekommen ist, gegen Entgelt ausgeübt haben . verbunden mit einer Rentennachzahlung und einer abge- senkten Monatsrente, und einer höheren bisherigen Ren- Eine weitere Voraussetzung für einen deutschen Ren- te ohne weitere Nachzahlung . tenanspruch ist außerdem, dass die Wartezeit (Mindest- Dieses Wahlrecht wurde eingeführt, da viele derzei- versicherungszeit) erfüllt ist . Diese Zeit beträgt fünf Jah- tige Renten durch Zuschläge für die spätere Auszahlung re . Diese fünf Jahre können entweder aus Beitragszeiten erhöht werden, sodass die Bezieher gegebenenfalls ohne oder Ersatzzeiten bestehen . Beitragszeiten sind die Mo- Neuberechnung bessergestellt sind . Mit der Neufeststel- nate, für die Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur lung kann nun jeder prüfen, ob für ihn die niedrigere Rentenversicherung gezahlt sind bzw . als gezahlt gelten . Rente ohne Zuschläge ab 1997 und entsprechende Nach- Wurde also eine Beschäftigung in einem Ghetto während zahlungen für die verlorenen Zeiten günstiger sind oder (B) der NS-Zeit ausgeübt, gelten die Beiträge für diese Zeit (D) eine monatlich höhere Rente ab dem späteren Zeitpunkt . als gezahlt und werden als Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in Nach derzeitigem Stand ist die Umsetzung des einem Ghetto anerkannt . ZRBG-Änderungsgesetzes bei den Rentenversiche- rungsträgern nahezu abgeschlossen . Ersatzzeiten sind Zeiten ohne Beitragsleistung, weil der Versicherte daran gehindert war, Beiträge zu zahlen . Insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft . In Dies gilt besonders für Menschen, die politische Haft in 23 300 Fällen wurde im Ergebnis dieser Prüfung die der DDR, in Kriegsgefangenschaft oder NS-Verfolgung Rente rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn be- erleiden mussten . Auch müssen die Bezieher der Renten, rechnet und eine Nachzahlung ausbezahlt . In 4 800 Fäl- unabhängig ob sie durch Beitragszeiten oder Ersatzzei- len wurde eine Neufeststellung nicht gewünscht oder ten einen Anspruch haben, zum damaligen Zeitpunkt beantragt . In 3 600 Fällen besteht kein Anspruch nach mindestens 14 Jahre alt gewesen sein . Dies ist nachvoll- dem ZRBG-Änderungsgesetz, bzw . es gibt keine Nach- ziehbar, da Kinder vor dem 14 .Lebensjahr grundsätzlich zahlung, weil zum Beispiel das 65 .Lebensjahr erst nach keiner rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung 1997 vollendet wurde . Und etwa 900 Fälle sind noch of- nachgehen . Würde man hier für die arbeitenden Kinder fen . in den Ghettos eine Ausnahmeregelung im Ghettoren- Des Weiteren haben wir mit dem am 1 .Juni 2015 in tengesetz schaffen, würde dies zu einer Ungleichbehand- Kraft getretenen Abkommen zwischen Deutschland und lung gegenüber anderen Verfolgten führen . Dies halte ich Polen ermöglicht, dass Ghettorenten auch an Personen unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit auch ausbezahlt werden, die in der Republik Polen leben . Bis- für schwierig . Für die jeweiligen Betroffenen besteht je- her war dies in den Abkommen zwischen Deutschland doch die Möglichkeit der Anerkennungsleistung und die und Polen nicht vorgesehen . Zahlung von freiwilligen Beiträgen . Ab 2015 können also auch in Polen lebende ehemali- Auf diese Optionen hat die Bundesregierung die Op- ge Ghettobeschäftigte deutsche Rentenleistungen für die ferverbände verwiesen . Dies ergibt sich auch aus der Arbeit erhalten, die sie in einem Ghetto geleistet haben . Antwort einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke Die Erweiterung der Auszahlung der Ghettorenten auch zu diesem Thema vom Anfang dieses Jahres . Zwar sind nach Polen wurde im Eilverfahren im Deutschen Bun- die Rentenansprüche nach dem Ghettorentengesetz be- destag beschlossen . sonderen Umständen geschuldet, aber es sollte keine be- sondere Rentenform mit dem Gesetz geschaffen werden . Nun fordert Die Linke noch weitere Änderungen an Dies entsprach nicht der Intention des Gesetzgebers . dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18161

(A) schäftigungen in einem Ghetto . So soll die 60‑monatige gemeinen Gleichheitssatz aus Art .3 Abs . 1 GG ver- (C) Wartezeit, die Voraussetzung für eine Rentenleistung der stößt . Allerdings ist mit der weit über einen Nach- gesetzlichen Rentenversicherung ist, bei allen Personen, teilsausgleich hinausgehenden Zahlung von Renten die in einem Ghetto beschäftigt waren, fingiert werden, aus Beschäftigungen in einem Ghetto bereits an die sofern sie nicht bereits durch andere Zeiten erreicht wer- Grenze dessen gegangen worden, was aus systema- den konnte . Insbesondere davon betroffen seien Kinder – tischen Gründen im Rahmen der gesetzlichen Ren- vor allem Sinti und Roma –, die zwar in einem Ghetto tenversicherung noch vertretbar ist .“ Arbeit geleistet hätten, aber dann mangels weiterer an- Ein weiterer Handlungsbedarf wird hier also gerade rechenbarer Zeiten nicht auf die Mindestwartezeit in der nicht gesehen . Und er kann auch nicht damit begründet gesetzlichen Rentenversicherung kommen . werden – so tut es aber Die Linke –, dass beim ZRBG be- Bereits im Januar dieses Jahres hat sich das Bundes- reits bei der Vierjahresfrist nach dem SGB eine Ausnah- ministerium für Arbeit und Soziales mit dieser Frage- me gemacht worden ist . Denn eine Ausnahme kann nie- stellung auseinandergesetzt . Es kommt zu dem Schluss, mals die Rechtfertigung einer weiteren Ausnahme sein, dass das Ziel des ZRBG, nämlich die während einer Be- umso mehr, wenn der Ansatzpunkt ein ganz anderer ist . schäftigung in einem Ghetto entstandene Beitragszeit für Der Wissenschaftliche Dienst erklärt weiter, dass „der einen Rentenanspruch wirksam werden zu lassen, ins- Umstand, dass nicht in jedem Fall aus einer nach dem besondere auch in Bezug auf die Zahlung der Rente ins ZRBG anzuerkennenden Beschäftigung eine Rentenzah- Ausland, erreicht worden sei . Zu keiner Zeit sei es vom lung erfolgt, eine zwangsläufige Folge der generellen Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, mit dem ZRBG eine Einbeziehung der Beschäftigung in einem Ghetto in die Rente „eigener Art“ zu schaffen, für die eine Mindestan- gesetzliche Rentenversicherung ist, die zur pauschalen zahl an Beiträgen nicht erforderlich ist . Risikovermeidung eine Mindestversicherungszeit vor- Das ZRBG ist zu verstehen als eine Ergänzung der sieht .“ allgemeinen Regelungen der gesetzlichen Rentenver- Auch liegt kein Bedarf für eine Sonderreglung als sicherung, die auf den gezahlten Beiträgen basiert und Ausnahme zu § 250 SGB VI vor . Denn es besteht kein daher grundsätzlich an eine versicherungspflichtige Be- rentenrechtlicher Widerspruch zwischen der Anerken- schäftigung anknüpft . Das gelte auch für die in diesem nung einer Ghettobeitragszeit nach dem ZRBG vor dem System enthaltenen Elemente der Wiedergutmachung, 14 .Lebensjahr und der Nichtanerkennung einer Ersatz- wie die Anerkennung von Beitragszeiten unter erleich- zeit vor dem 14 . Lebensjahr . terten Bedingungen (Ghettobeitragszeiten) oder den Er- satz von Beitragsverlusten aufgrund bestimmter außerge- Während der Beschäftigung in einem Ghetto nach wöhnlicher Ereignisse wie NS-Verfolgung, Vertreibung dem ZRBG bestand dem Grunde nach Versicherungs- (B) oder politische Haft in der DDR durch Ersatzzeiten . pflicht aufgrund dieser Beschäftigung und es wurden (D) Diese Funktion des ZRBG wurde auch mehrfach von der Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt bzw . diese gel- Rechtsprechung, unter anderem vom Bundessozialge- ten als gezahlt . Für die Zeit dieser Beschäftigung wird richt im Jahre 2009, so bestätigt . daher eine Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversi- cherung anerkannt . Für die meisten Berechtigten nach dem ZRBG sind zudem neben den in Deutschland anerkannten Bei- Ersatzzeiten, wie sie in § 250 SGB IV geregelt sind, trags- und Ersatzzeiten auch die nach über- und zwi- kommen hingegen für Zeiten der NS-Verfolgung in Be- schenstaatlichen Abkommen im Ausland zurückgelegten tracht, in denen gerade keine versicherungspflichtige Be- rentenrechtlichen Zeiten auf die allgemeine Wartezeit schäftigung ausgeübt wurde . Sie dienen dazu, Beiträge anzurechnen, sodass es in der Regel zu einer Auszahlung aufgrund einer Beschäftigung für Zeiten zu ersetzen, in der Renten kommt . denen Versicherte aus nicht in ihrer Person liegenden Gründen an der Beitragszahlung gehindert waren, weil Zudem besteht die Möglichkeit, durch individuelle durch die mit diesen Zeiten verbundenen außergewöhn- Nachzahlungen die 60‑monatige Wartefrist zu erreichen . lichen Umstände eine Beitragsleistung nicht zu erwarten Aufgrund der Nachzahlungsansprüche muss der Betrof- war . fene hierzu in der Regel keinerlei eigene Zahlungen leis- ten . Denn im Zuge der Zahlbarmachung erfolgt in der Solche außergewöhnlichen Umstände (Ersatzzeiten- Praxis direkt eine Verrechnung durch die Rentenversi- tatbestände gemäß § 250 des Sechsten Buches Sozialge- cherung zwischen den zusätzlich aufzustockenden Bei- setzbuch) sind zum Beispiel Freiheitsentzug bei NS-Ver- trägen und den rückwirkenden Rentenzahlungen für die folgten, Vertreibung oder politische Haft in der DDR . 60 Monate . Um die Renten zahlbar zu machen, ist eine Ersatzzeiten werden nur für Zeiträume nach dem Wartezeitfiktion also überhaupt nicht notwendig, 14 . Lebensjahr anerkannt, weil der Gesetzgeber davon Auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ausgeht, dass vor dem 14 . Lebensjahr Beitragsverluste des Deutschen Bundestages, das Die Linke in ihrem An- durch Ersatzzeitentatbestände nicht eintreten . Die Alters- trag heranzieht, kommt zu dem Schluss, dass – und da grenze von 14 Jahren gilt also für sämtliche Ersatzzeiten- muss man die Ausarbeitung bis zum Ende gelesen ha- tatbestände gleichermaßen . ben – Eine Regelung, wonach Ersatzzeiten für ehemalige „die weitere Privilegierung von Berechtigten nach Ghettobeschäftigte bereits vor dem 14 . Lebensjahr an- dem ZRBG durch die Einführung einer Regelung erkannt würden, für andere Personen mit Ersatzzeittat- zur Wartezeitfiktion wohl eher nicht gegen den all- beständen, unter ihnen ebenfalls NS-Verfolgte, jedoch 18162 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) nicht, würde zu Gerechtigkeitslücken führen und erheb- tenrecht partizipieren kann, in den Kreis der Anspruchs- (C) lichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen . Im berechtigten aufzunehmen . Übrigen würde eine solche Regelung Sinn und Zweck von Ersatzzeiten entgegenstehen, die einen durch außer- Im Koalitionsvertrag der SPD mit der CDU/CSU ha- gewöhnliche Umstände hervorgerufenen Beitragsverlust ben wir festgehalten: ausgleichen sollen . Wir sind uns der historischen Verantwortung für die Zudem ist die Anerkennung von Arbeitszeiten im Überlebenden des Holocaust, die in der NS-Zeit un- Ghetto vor dem 14 . Lebensjahr als Ersatzzeiten auch sägliches Leid erlebt haben, bewusst . nicht notwendig . Denn die Rentenversicherung geht bei Wir wollen daher, dass den berechtigten Interessen ihrer Prüfung sowieso davon aus, dass es für die Anerken- der Holocaust-Überlebenden nach einer angemesse- nung von Ghettobeitragszeiten keine starre Altersgrenze nen Entschädigung für die in einem Ghetto geleiste- gibt. Ob eine versicherungspflichtige Zeit vorliegt, wird te Arbeit Rechnung getragen wird . generell und unabhängig vom Alter nach den Maßstäben, die für Erwachsene gelten, individuell geprüft . Die Umsetzung dieses Vorsatzes haben wir als eines der ersten Gesetzesvorhaben im Bereich Arbeit und So- Bei positivem Nachweis werden auch Zeiten vor dem ziales im Frühjahr 2014 in Angriff genommen, und darü- 14 . Lebensjahr anerkannt und können, wenn die Min- ber bin ich sehr froh, denn es geht um hochbetagte Men- destwartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung schen, die in der NS-Zeit gelitten haben . von 60 Monaten dadurch noch nicht erreicht ist und auch nicht durch weitere Beitragszahlungen im Ausland er- Mit dem Ghettorentengesetz von 2002 wollten wir reicht worden ist, durch zusätzliche Beitragszahlungen als Gesetzgeber den Menschen, die in der NS-Zeit unter zahlbar gemacht werden . Wichtig ist hier aufgrund des schlimmen Bedingungen und zu Hungerlöhnen in den geringen Alters allerdings die Abgrenzung zwischen von den Nazis errichteten Ghettos gearbeitet haben bzw . Zwangsarbeit und Beschäftigung, für die dann aber wie- arbeiten mussten, ein wenig Gerechtigkeit widerfahren derum Entschädigungsleistungen gelten . lassen . Viele Menschen haben in den Ghettos geschuf- tet, ihre Arbeitskraft wurde ausgenutzt, ihr Leben sollte Unabhängig von den bereits aufgeführten Leistungen keine Zukunft haben, aber perfiderweise wurden trotz- bestehen außerhalb des Systems der gesetzlichen Ren- dem für sie Rentenbeiträge abgeführt . Die Betroffenen tenversicherung zudem Entschädigungsleistungen, die selbst haben jahrzehntelang gefordert, für ihre Arbeit in die Bundesrepublik Deutschland abhängig vom indivi- den Ghettos eine reguläre Rente und eben nicht eine Ent- duellen Verfolgungsschicksal an NS-Verfolgte in aller schädigung zu bekommen . Denn sie haben das, was sie Welt erbringt . dort unter Zwangsbedingungen, eingesperrt im Ghetto, (B) (D) So wurde im Jahr 2007 die Richtlinie der Bundesre- erlitten haben, dennoch als Arbeit empfunden . gierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Als der Bundestag das Ghettorentengesetz 2002 be- Arbeit im Ghetto erlassen . Nach der sogenannten Aner- schlossen hatte, war für niemanden von uns abzusehen, kennungsrichtlinie sollten explizit Lebenssachverhalte dass die Anträge in den folgenden Jahren zu 90 Prozent erfasst werden, die durch das ZRBG nicht berücksichtigt abgelehnt werden würden . Diese hohe Ablehnungsra- sind . Die Voraussetzungen für den Erhalt der einmali- te wurde erst mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes gen Wiedergutmachungsleistung von 2 000 Euro nach 2009 geändert; danach wurde immerhin die Hälfte aller der Anerkennungsrichtlinie wurden im Vergleich zum bislang abgelehnten Anträge rückwirkend bewilligt . ZRBG erleichtert . Die Anerkennungsleistung nach der Richtlinie dürfte bei den in Rede stehenden Fällen unter Aber die Renten wurden auch nach dem Urteil des Vorliegen aller anderen Voraussetzungen zur Auszahlung Bundessozialgerichtes von 2009 nur vier Jahre rückwir- kommen können . kend ausgezahlt . Das liegt an unserem Sozialrecht, das eine Rückwirkungsfrist von vier Jahren festschreibt . Die Im Ergebnis ist eine Neuregelung des ZRBG durch vielen hochaltrigen Betroffenen, die vor Jahren schon eine Wartezeitenfiktion in mehrfacher Hinsicht weder in Vertrauen auf unsere Gesetzgebung ihre Anträge ein- notwendig noch sinnvoll . Mit der letzten Neuregelung, gereicht hatten, waren verständlicherweise empört über die ich dargestellt habe, haben wir eine insgesamt befrie- diese als Unrecht empfundene Frist, die ihnen verdiente digende Regelung zum Thema Ghettorenten geschaffen . Ansprüche vorenthielt . Es gibt keinen sachlichen Grund, etwas zu ändern . Auch die dafür speziell geschaffene Möglichkeit, ei- nen Ausgleich durch Zuschläge zu erhalten, hat das Ge- Kerstin Griese (SPD): Nachdem wir zu Beginn die- rechtigkeitsbedürfnis der Opfer nicht befriedigt . Sie wol- ser Legislatur im Jahr 2014 mit dem Ghettorentenände- len ihr gutes Recht, nämlich die Ghettorenten ab 1997, rungsgesetz eine überfällige Verbesserung für Ghettoren- wie sie ihnen mit dem Gesetz versprochen worden wa- tenberechtigte geschaffen haben und im Dezember 2014 ren . Es ging und geht den Opfern um Anerkennung ihrer mit einer Ergänzung des deutsch-polnischen Sozialab- geleisteten Arbeit, für die sie eine Rente erhalten wollten . kommens auch für die bislang nicht berechtigten in Polen lebenden Ghettoarbeiterinnen und -arbeiter den Zugang Diese Möglichkeit haben wir 2014 mit dem Ghetto- zu Ghettorenten ermöglicht haben, legt die Fraktion Die rentenänderungsgesetz geschaffen, indem wir die zu- Linke nun einen Antrag auf eine weitere Änderung des rückwirkende Vierjahresfrist aufgegeben haben . Wir Ghettorentengesetzes vor, um eine weitere Personen- haben außerdem die Optionsmöglichkeit eingeführt, gruppe, die bisher nicht oder nur teilweise am Ghettoren- die es jedem ermöglicht, zwischen einer rückwirkenden Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18163

(A) Zahlung ab 1997 ohne Zuschläge oder einer Zahlung mit Damit sind seitdem auch in Polen lebende Ghettobe- (C) Zuschlägen ab 2005 zu wählen . Mit der generellen Strei- schäftigte berechtigt, Leistungen der Ghettorenten aus chung der Antragsfrist, die am 30 .Juni 2003 lag, ist es Deutschland zu erhalten . Seit Mitte Dezember 2014 gibt außerdem weiter möglich, Rentenanträge zu stellen und es das „Gesetz zu dem Abkommen zwischen der Bun- eine Rente ab 1997 zu bekommen . Und wir wissen, dass desrepublik Deutschland und der Republik Polen zum es immer noch Überlebende gibt, die erst jetzt einen An- Export besonderer Leistungen für berechtigte Personen, trag stellen . die im Hoheitsgebiet der Republik Polen wohnhaft sind“ in deutscher und polnischer Sprache . Diese Änderungen sind von den Opfern des NS-Ter- rors sehr begrüßt worden . Der damalige Präsident Nun legt die Fraktion Die Linke einen weiteren An- des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr .Dieter trag vor, in dem sie die besondere Benachteiligung der ­Graumann, sagte: „Das Leid, das diese Menschen er- osteuropäischen Sinti und Roma auch nach Kriegsende fahren haben, lässt sich mit nachträglich gezahlter Rente bis heute thematisiert . Diese zahlenmäßig recht kleine nicht wiedergutmachen “. Bisher aber seien die früheren Gruppe von einigen 100 Personen kann aufgrund ihrer Ghettoarbeiter mit bürokratischen Vorschriften abgekan- speziellen, durch zum Teil lebenslange Ausgrenzung aus zelt worden . Jetzt würden sie endlich ernst genommen der regulären Arbeitswelt bestimmte Lebenssituation und würdig behandelt . Die neue Rentenregelung sei eine nicht die für den Bezug von Ghettorenten notwendige Geste der Menschlichkeit .Ähnliche Stimmen hörten wir Beitragszeit von fünf Jahren nachweisen . auch aus Israel, wo die Änderung mit großem Wohlwol- len aufgenommen wurde . Um eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Ren- Heute, im Juli 2016, ist die Abarbeitung der Anträ- tenversicherung erhalten zu können, müssen aber min- ge bei den Rentenversicherungsträgern nahezu abge- destens fünf Jahre an deutschen Beitragszeiten oder Er- schlossen, insgesamt wurden 32 600 Fälle überprüft . In satzzeiten vorliegen . Wurde eine Beschäftigung in einem 23 000 Fällen wurde im Ergebnis der Prüfung die Rente Ghetto ausgeübt, wurden Beiträge zur Rentenversiche- rückwirkend zu einem früheren Rentenbeginn – frühes- rung gezahlt bzw . gelten als gezahlt . Für die Zeit dieser tens ab dem 01 .Juli 1997 – neu berechnet und Nachzah- Beschäftigung wird daher eine Beitragszeit in der gesetz- lungen wurden ausgezahlt . In 17 600 dieser Fälle erfolgte lichen Rentenversicherung nach dem ZRBG (Ghettoren- diese Neuberechnung auf Antrag der Berechtigten . tenbeitragszeit) anerkannt, und die meisten kommen zu- sammen mit anderen Arbeitszeiten auf mindestens fünf Die verbleibenden 9 300 Fälle verteilen sich wie folgt: Jahre . bei 3 600 gibt es keinen Anspruch nach dem ZRBG-Än- derungsgesetz oder keine Nachzahlung, weil das 65 . Le- Die Fraktion die Linke führt in ihrem Antrag aus, dass (B) bensjahr erst nach Juli 1997 erreicht wurde, bei 4 800 Fäl- vor allem Sinti und Roma, die in Ghettos arbeiteten, nach (D) len gab es keine Neufeststellung, weil diese ausdrücklich Kriegsende große Probleme beim Nachweis von Zeiten nicht gewünscht worden war oder es keinen Rücklauf zu der Erwerbsarbeit haben; häufig hätten sie Nachweise den Informationsschreiben der Deutschen Rentenversi- nicht angefordert oder nicht aufgehoben, und weil sie cherung gegeben hat . Nur noch 900 Fälle sind offen . oftmals nicht lesen könnten, könnten sie die notwendi- gen Nachweise nicht nachträglich anfordern . Das ist na- Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitar- türlich in der Tat eine sehr schwierige Situation . Aber sie beitern der Deutschen Rentenversicherung und des Bun- kann nicht durch eine Änderung am Ghettorentengesetz desministeriums für Arbeit und Soziales sehr herzlich für gelöst werden . Die Fraktion Die Linke schlägt vor, dass diese wichtige Arbeit und das große Engagement . Alle im Ghettorentengesetz eine Fiktion einer subsidiären, lü- Betroffenen wurden in ihrer Landessprache angeschrie- ckenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit einge- ben, jeder Fall wurde individuell geprüft und behandelt . führt wird . Dadurch soll sich für alle ehemaligen Ghetto- Herzlichen Dank, dass Sie so schnell schon fast allen Be- beschäftigten unabhängig von späteren, in der deutschen rechtigten helfen konnten! Rentenversicherung anrechenbaren Beitragszeiten ein Für die in Polen lebenden Holocaust-Überlebenden, gesetzlicher Rentenanspruch begründen . die in den Ghettos der Nationalsozialisten gearbeitet haben – viele von ihnen aufgrund der deutschen Besat- Das ist ein sicher gutgemeinter, aber keineswegs gut zung Polens im Zweiten Weltkrieg – galt aufgrund des gemachter Vorschlag; denn das Ghettorentengesetz hat deutsch-polnischen Sozialabkommens von 1975 das die gesetzliche Ausdehnungsmöglichkeiten schon sehr Ghettorentenrecht nicht . Das lag daran, dass bis zur strapaziert, aber mit den Beitragszeiten, die für den Er- Änderung in diesem Abkommen geregelt war, dass der halt einer Ghettorente notwendig sind, doch eine Lösung Wohnsitzstaat eine Rente auch aus den Zeiten zahlen geboten, wie der Bezug von Ghettorenten im deutschen muss, die im anderen Staat zurückgelegt wurden . Zeiten Rentensystem möglich gemacht werden kann . Eine Ein- der Beschäftigung in einem Ghetto, die durch das Ghet- führung einer Wartezeitfiktion, so stellt ein aktuelles Gut- torentengesetz abgedeckt sind, gelten als in Deutschland achten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen zurückgelegt . Deshalb durfte bisher für in Polen lebende Bundestages fest, „wäre aber mit den Prinzipien der ge- Ghettobeschäftigte auch keine Ghettorente aus Deutsch- setzlichen Rentenversicherung unvereinbar .“ land geleistet werden . Ich verstehe den Wunsch der Fraktion Die Linke, den Eine Änderung dieses Abkommens ist 2014 vom Bun- vielfach marginalisierten Sinti und Roma, die zeit ihres desministerium für Arbeit und Soziales und dem polni- Lebens unter Verfolgung und Ausgrenzung gelitten ha- schen Arbeitsministerium gemeinsam erarbeitet worden . ben, eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht zu 18164 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) bieten . Der Weg über das Ghettorentenrecht ist dabei erworben werden kann . Bei der Verkündung des ZRBG (C) aber nicht zielführend . war dies aber offenbar nicht allen bewusst, obwohl be- kannt ist, dass kaum ein Ghetto länger als vier Jahre Ich schlage vor, dass wir genauer prüfen, wie über an- existierte . Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Diens- dere Wege, etwa über die bestehenden Härtefallfonds für te – WD 1 – 3000 – 025/16 – bestätigte kürzlich, dass NS-Verfolgte der Länder oder nach der Anerkennungs- unumstritten „die meisten Ghettos zwischen Herbst 1939 richtlinie von 2007 Entschädigungen für diejenigen, und Sommer/Herbst 1943 existierten“, also höchstens die nicht ghettorentenberechtigt sind, Entschädigungen 48 Monate . Doch ein Anspruch auf eine Ghettorente wird möglich sind . erst bei einer 60‑monatigen Wartezeit begründet . Diese kann nur mit Beitragszeiten und gegebenenfalls mit Er- Azize Tank (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden satzzeiten – unter anderem wegen NS-Verfolgung – er- Gesetzentwurf wollen wir eine Schutzlücke des ZRGB füllt werden . Selbst der Höchstumfang an ZRBG-Bei- schließen . Es war der ausdrückliche Wille des Gesetzge- tragszeiten reicht dafür nicht aus . Erwachsene Personen bers, mit dem 2002 verabschiedeten ZRBG alle NS-Ver- können zwar, um die Wartezeit zu erreichen, etwaige Lü- folgten, die in einem von Deutschen eingerichteten cken in ihren Beitragszeiten dadurch auffüllen, dass sie Ghetto, auf Grund eines eigenen Willensentschlusses ihre verfolgungsbedingte Zeit als Ersatzzeiten anrechnen entgeltlich beschäftigt waren, in die deutsche Rentenver- lassen . Doch diese Verfolgungszeit kann erst dann ange- sicherung einzubeziehen . Es war auch der ausdrücklich rechnet werden, wenn die betroffene Person bereits das erklärte politische Wille aller Mitglieder des Deutschen 14 .Lebensjahr vollendet hat . Überlebenden der Shoah, Bundestages, mit dem ZRBG zugunsten von Verfolgten, die im Ghetto beschäftigt waren, weisen darauf seit Jah- die alle bereits das für die Regelaltersrente geltende Alter ren hin . Der Verband der Jüdischen Glaubensgemeinden von 65 Jahren – teils erheblich – überschritten haben, im der Republik Polen und die Vereinigung der Roma haben Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland zu sich zuletzt am 27 .Januar 2016 vom Gelände des ehema- betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen im Bereich ligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten abgewi- mit einem bewegenden Appell diesbezüglich an die deut- chen werden sollte . Dies schlug sich in dem damaligen sche Bundesregierung gewandt . Der Bevollmächtigte der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Jüdischen Gemeinde, Herr Marian Kalwary, unterstrich, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und dem Entwurf der dass die bestehende Situation eine fehlende Konsequenz PDS nieder . an den Tag lege, der Logik und dem Sinn und Zweck des In den ersten Jahren nach Verabschiedung des ZRBG ZRBG widerspreche . Sie führt in der Praxis, insbesonde- ist es aufgrund einer restriktiven Auslegung wesentlicher re bei Kindern, zu ungerechten und sachfremden Ergeb- (B) Begriffe dieses Gesetzes, wie „Ghetto“, „Beschäftigung“, nissen: Ein Geschwisterpaar, das im gleichen Betrieb im (D) „eigener Willensentschluss“ und „Entgelt“ – durch die Ghetto beschäftigt war und sich später gemeinsam vor Verwaltung und die Sozialgerichte – zu zahlreichen Ver- der Verfolgung durch die deutschen Nazis verstecken werfungen gekommen, weshalb zunächst fast 90 Prozent musste, wird je nach Alter unterschiedlich behandelt . Ein aller Anträge auf Ghettorente der Überlebenden abge- Junge der das 14 . Lebensjahr vollendet hat, erhält eine lehnt wurden . Bei der Verabschiedung des ZRBG sind Ghettorente, aber seine 10‑jährige Schwester, die mit ihm offensichtlich eine Reihe möglicher Problemlagen nicht im Ghetto beschäftigt war und das gleiche Verfolgungs- sichtbar geworden . Der Deutsche Bundestag war jedoch schicksal teilte, nicht . Dieses Ergebnis war dem Gesetz- bislang stets bemüht, sie zu lösen, nachdem diese durch geber des 2002 verabschiedeten ZRBG vermutlich nicht Überlebende, engagierte Historiker und mutige Sozial- erkennbar, aber auf jeden Fall nicht gewollt . richter erkannt und aufgezeigt wurden . So geschehen, bei der rückwirkenden Zahlbarmachung von Ghettoren- In Wirklichkeit können ZRBG-Beschäftigungszeiten ten durch Nichtanwendung von § 44 SGB X auf Zeiten Rechte auf eine Rente aus der deutschen Rentenversiche- nach dem ZRBG oder beim Abschluss des deutsch-polni- rung nie allein begründen, sondern sie allenfalls in Ver- schen Abkommens vom 5 . Dezember 2014, welches die bindung mit anderweitig erlangten Beitragszeiten mit- bisherige Diskriminierung von Ghettobeschäftigten mit begründen oder durch andere Beitragszeiten begründete Wohnsitz in Polen beseitigte . Dabei haben alle Fraktio- Rechte erhöhen . Was aber, wenn diese anderweitigen nen des Bundestages immer gemeinsam an einer einver- Beitragszeiten gar nicht erworben werden konnten? Dann nehmlichen Lösung der Probleme zusammengearbeitet . ist die Wartezeit nicht erfüllt und eine Ghettorente bleibt Dafür möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kolle- verwehrt . Das ist der Fall bei ehemaligen Ghettobeschäf- gen aller Fraktionen, namentlich auch Frau Staatsekretä- tigten, die zu Mehrfachdiskriminierten in Osteuropa ge- rin Gabrielle Lösekrug-Möller von der SPD bedanken . hören, wie Sinti und Roma, die selbst nach der Befreiung kaum Zugang zu einer sozialversicherungspflichtigen Lassen Sie uns deshalb auch im vorliegenden Fall ein- Beschäftigung erhielten . Auch jüdische Überlebende vernehmlich eine gravierende Gerechtigkeitslücke bei wurden nach der Befreiung antisemitischen Übergriffen den Ghettorenten schließen . und Ausgrenzung ausgesetzt, was die Aufnahme sozial- Zahlreiche Kinder, die nachweislich und unstrittig versicherungspflichtiger Arbeitsbeziehungen verhinderte Beschäftigungszeiten in deutschen Ghettos zurückgelegt oder verzögerte . Vor ähnlichen Problemen sehen sich haben, erhalten noch immer keine Ghettorente . Es ist da- Jüdinnen und Juden gestellt, die in einem Land leben, bei kein Geheimnis, dass allein aus ZRBG-Beitragszei- mit dem die Bundesrepublik kein Sozialversicherungs- ten nie eine Rente in der deutschen Rentenversicherung abkommen abgeschlossen hat, und somit ausländische Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18165

(A) Versicherungszeiten in Deutschland nicht angerechnet fünfjährigen Wartezeit im ZRBG behoben werden . Da- (C) werden können, um eine Ghettorente zu begründen . mit wäre eine wichtige Gerechtigkeitslücke bei der Wie- dergutmachung von NS-Verfolgung behoben . Ich bitte Kinder, die im Ghetto beschäftigt waren, dürfen heute im Namen der überlebenden Kinder, die in deutschen beim Zugang zur Ghettorente nicht deshalb ausgeschlos- Ghettos unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten sen werden, weil sie erst aufgrund von NS-Verfolgungs- mussten, um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf maßnahmen überhaupt eine Beschäftigung aufnehmen über die Fraktionsgrenzen hinweg . mussten, um zu überleben, obwohl Kinderarbeit grund- sätzlich verboten war . Die Anerkennung einer subsidiä- ren, lückenfüllenden, mindestens fünfjährigen Wartezeit Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Las- im ZRBG ist notwendig und machbar, um diese eklatan- sen Sie mich aus einem Auszug einer Analyse des His- te Leerstelle des ZRBG zu schließen . Auch die Wissen- torikers Michael Alberti beginnen, der sehr eindeutig die schaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages kom- Situation der Ghettobeschäftigten in Osteuropa während men in einem Gutachten – WD 6 – 3000 – 049/16 – unter des Zweiten Weltkriegs beschreibt: Würdigung aller denkbaren Gegengründe zu Recht zu dem Fazit, dass eine Wartezeitenfiktion im Einklang mit „In Łódź konnte der Judenrat also nur versuchen, dem Grundgesetz stehen würde . Dadurch könnte für alle die Produktion in das Ghetto hereinzuholen . Damit ver- ehemaligen Ghettobeschäftigten unabhängig von späte- folgte er wie alle Judenräte Osteuropas während des ren, in der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Zweiten Weltkrieges eine Doppelstrategie . Zum einen Beitragszeiten und von der Anrechnung von Ersatzzeiten, wollte er die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Ghet- ein gesetzlicher Rentenanspruch begründet werden . Der tobewohner wiederherstellen und zum anderen kam für vorliegende Gesetzesentwurf lässt somit den Vorrang an- ihn Ende 1941 mit dem Beginn der Massenvergasungen derer Zeiten unangetastet . Die subsidiäre Anerkennung im Vernichtungslager Kulmhof der Kampf um das phy- der Wartezeiten greift erst dann und nur dann, wenn die sische Überleben der Ghettoinsassen hinzu . Das einzige ZRBG-Zeiten nicht mit anderen Beitrags- und Ersatz- Mittel für eine mögliche Rettung war ‚die den deutschen zeiten belegt sind. Die Wartezeitenfiktion würde ledig- Kriegsanstrengungen zur Verfügung gestellte Arbeits- lich zur Anwendung gelangen, um bestehende Lücken leistung‘ . Bevor dies jedoch das alles beherrschende Mo- zu füllen, wenn zuvor bereits zweifelsfrei Ghettozeiten tiv der Judenräte wurde, wollten sie den deutschen Be- nachgewiesen wurden, diese Beitragszeiten jedoch auch satzern in erster Linie demonstrieren, dass die Juden zu zusammen mit anderen Beitrags- oder Ersatzzeiten nicht produktiver Arbeit bereit waren .“ (Michael Alberti 2006: ausreichen, um einen Anspruch auf Ghettorente zu be- Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau gründen . Eine solche Regelung ist auch gerecht, denn sie Wartheland 1939-1945, Seite 228 f .) (B) hat keinen Einfluss auf die Höhe der Ghettorente, son- Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den (D) dern begründet lediglich einen möglichen Anspruch auf Ghettos unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft Ghettorente, deren Höhe von den tatsächlich im Ghetto entziehen sich heute nahezu der Vorstellungskraft . Es individuell erlangten Entgelten abhängt . war in vielen Fällen nichts anderes als die Angst vor dem Seit 1999 hat die bestehende BSG-Rechtsprechung Tod, die die Ghettobewohnerinnen und -bewohner in geklärt, dass im Zuge der Wiedergutmachung von Osteuropa, dem Balkan und dem Baltikum dazu zwang, NS-Unrecht bei Beschäftigungszeiten keine Lebensal- eine Arbeit aufzunehmen . ters-Untergrenze von 14 Jahren zugrunde zu legen ist . Mit dem „Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten Deshalb steht Kinderarbeit der Annahme eines sozial- aus Beschäftigungen in einem Ghetto“ (ZRBG) hat die versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses damalige rot-grüne Koalition im Jahr 2002 der histori- grundsätzlich nicht entgegen . schen Verantwortung Deutschlands Rechnung getragen Es ist bekannt, dass der persönliche Anwendungsbe- und den Versuch unternommen, eine Lücke im Entschä- reich des ZRBG sich auf jene Personen beschränkt, die digungsrecht zu schließen . Einstimmig wurde das Gesetz zum Zeitpunkt der Verkündung des ZRBG im Jahre 2002 damals beschlossen . Seitdem gelten nach § 2 ZRBG für noch lebten und zuvor, zumeist zwischen dem 1 . Sep- die Beschäftigten in einem Ghetto Rentenbeiträge als ge- tember 1939 und 1 .September 1943, Ghettoarbeit ver- zahlt . Anfangs blieben die Resultate hinter den Erwartun- richtet haben . Wer sollte also in den Genuss dieser Leis- gen allerdings deutlich zurück . Nur einem Bruchteil der tungen kommen? Nehmen wir endlich zur Kenntnis, was vonseiten der Betroffenen gestellten Anträge wurde ent- bislang nicht ausgesprochen wurde: Das ZRBG betrifft sprochen, rund 90 Prozent wurden abgelehnt . Es brauchte Menschen, die zur Zeit der Ghettoarbeit typischerweise Jahre und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Kinder und Jugendliche, allenfalls Heranwachsende sein des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und wei- konnten . Wenn das ZRBG Ghettorenten für Verfolgte tere gesetzgeberische Maßnahmen, auch noch in dieser vorsieht, die während der Ghettobeschäftigung vor al- Legislatur, um die Verwaltungspraxis weniger restriktiv lem Minderjährige sein mussten, dann müssen wir die auszugestalten . Es war ein langer Weg, und – das müssen bestehende Schutzlücke für genau diese Personen auch wir nach eineinhalb Jahrzehnten leider nach wie vor fest- schließen, um den historischen Realitäten der Ghettobe- stellen – wir sind noch nicht am Ende angelangt . schäftigung gerecht zu werden . Das ZRBG folgt einer Entschädigungslogik, bleibt Wir können diese Tatsache nicht unberücksichtigt las- aber in einem entscheidenden Punkt den systematisch sen . Der bestehende Widerspruch kann durch die Aner- fast konträren Grundsätzen der Rentenversicherung ver- kennung einer subsidiären, lückenfüllenden, mindestens haftet . Wer trotz faktischer Zwangsarbeit in einem Ghet- 18166 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) to die im Rentenrecht übliche Wartezeit von fünf Jahren ßeren Wohneinheiten verpflichtend Leerrohre mitverlegt (C) nicht erfüllt, hat nach §§ 50 Absatz 1 Nummer 1, 51 Ab- werden . Damit können beim späteren Anschluss des satz 1 und 4 SGB VI keinerlei Ansprüche auf eine Rente Hauses gleich Glasfaserleitungen bis in die Wohnung auf Basis der Arbeit in einem der sogenannten jüdischen verlegt werden . Wohnbezirke . Dies entspricht zwar dem rentenrechtli- chen Prinzip, zur pauschalen Risikovermeidung für einen Insgesamt handelt es sich dabei um eine Regelung Rentenanspruch bestimmte Mindestversicherungszeiten mit Augenmaß. Denn diese Ausbauverpflichtung gilt im vorzusehen, läuft aber gleichzeitig dem in diesem Fall als Wesentlichen für größere Wohnanlagen und Mehrfami- höherwertig zu wertenden Ziel entgegen, die Betroffenen lienhäuser . In Einfamilienhäusern ist die Verlegung von zumindest symbolisch zu entschädigen . Leerrohren empfehlenswert und eine Investition in die Zukunft – aber das bleibt weiterhin freiwillig . Der Antrag der Linken geht daher durchaus in die richtige Richtung. Die vorgeschlagene Wartezeitfikti- Außerdem haben wir für die Telekommunikationsun- on – jeder und jede ehemals in einem Ghetto Beschäf- ternehmen, die erstmals in den Ausbau der Infrastruktur tigte erhält einen Rentenanspruch – kann einen gangba- in Häusern investieren, gute Rahmenbedingungen ge- ren Weg darstellen . Jedenfalls bleibt uns angesichts des schaffen . Dazu gehört, dass der Gebäudeeigentümer vom Alters der noch etwa 2 000 Betroffenen nicht viel Zeit . investierenden Telekommunikationsanbieter später keine Gemeinsam ist doch allen Fraktionen das Verständnis zusätzlichen Entgelte für die Nutzung der in den Häusern für die Situation der Betroffenen . Wir alle sollten uns ge- verlegten Leitungen verlangen kann . meinsam in den Beratungen im Ausschuss ernsthaft um Schließlich werden wir mit dem DigiNetz-Gesetz die eine schnellstmögliche Lösung bemühen – schließlich oberirdische Verlegung von Glasfaserleitungen in einem war und ist die Zahlbarmachung der Renten für ehemali- eng begrenzten Umfang erleichtern . Es bleibt bei dem ge Ghettobeschäftigte letztlich doch allen Fraktionen des bisherigen Grundsatz, dass die Kommune bei der Frage Deutschen Bundestags ein Anliegen . „ober- oder unterirdische Verlegung“ von Telekommu- nikationsleitungen entscheidet und dabei die städtebau- lichen Belange relevant sind . Damit wird es auch wei- Anlage 17 terhin in der Regel zu einer unterirdischen Verlegung kommen . Es soll aber auch möglich sein, dass vereinzelt Zu Protokoll gegebene Reden stehende Gebäude und Gebäudeansammlungen zukünf- tig in Ausnahmefällen oberirdisch erschlossen werden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- können . Ganz wichtig ist dabei aber: Die Entscheidungs- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichte- kompetenz dazu bleibt vor Ort . rung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeits- (B) (D) netze (DigiNetzG) (Tagesordnungspunkt 16) Außerdem sorgt das DigiNetzG für mehr Transparenz . Denn die Telekommunikationsanbieter müssen wissen, Ulrich Lange (CDU/CSU): Diese Koalition bringt wo welche Leitungen von anderen Netzbetreibern liegen . den Breitbandausbau ein deutliches Stück voran . Vieles Nur dann können sie ihre Netzausbauplanung effizienter von dem, was Experten hierzu fordern, ist angeschoben gestalten und somit mit dem gleichen Mitteleinsatz mehr oder wird schon umgesetzt . Fläche erschließen . Mit dem hier heute abschließend zur Beratung vorlie- Bei Streit zwischen den Anbietern wird die Bundes- genden DigiNetz-Gesetz werden auch auf Gesetzesebe- netzagentur in die Lage versetzt, für eine schnelle und ne – im wahrsten Sinne des Wortes – noch einmal alle verbindliche Klärung zu sorgen . Hebel in Bewegung gesetzt, um den Breitbandausbau Bei Straßenbauarbeiten werden zukünftig Glasfaser- effektiver auszugestalten . leitungen mitverlegt, so wie es die Koalition im Rahmen Was ist der Hebel? Gerade das Aufgraben des Bodens, unseres Entschließungsantrags zum Breitbandausbau zu der Straßen kostet beim Breitbandausbau einen Hauptteil Beginn der Legislaturperiode bereits angeregt hatte . des Geldes – rund 80 Prozent der Kosten . Wenn die Tele- Das ist bisweilen alles sehr kleinteilig . Aber das sind kommunikationsanbieter für den Ausbau andere Netzin- genau die Stellschrauben, die jetzt angezogen werden frastrukturen mitnutzen können, reduzieren sich die Aus- müssen, damit wir weiterhin ein hohes Ausbautempo baukosten . Das heißt, man kann mit der gleichen Summe halten . Außerdem können dadurch die Weichen für den ein größeres Gebiet ausbauen . Clevere Telekommuni- Glasfaserausbau der nächsten Jahre gestellt werden . kationsanbieter können deutlich Ausbaukosten sparen und zukünftig mehr Bürger per Glasfaser an das Internet Neben diesen konkreten Regelungen zur Ausbauer- anschließen . Dazu erhalten die Telekommunikationsan- leichterung können darüber hinaus die Auswirkung des bieter einen Rechtsanspruch, beispielsweise bestehende erfolgreich angelaufenen Bundesförderprogramms zum Strom- oder Abwassernetze zum Breitbandausbau mit zu Breitbandausbau nicht hoch genug eingeschätzt werden . nutzen . Das Bundesministerium für Verkehr und digitale In- Wir haben in den parlamentarischen Beratungen dem frastruktur hat in Abstimmung mit den Ländern dafür Gesetz noch weitere Instrumente hinzugefügt, die eine gesorgt, dass Deutschland europaweit als Erster die bis- gute Basis gerade für den Glasfaserausbau in den Häu- herigen Rundfunkfrequenzen, die sogenannte Digitale sern bieten werden . Wie auch vom Bundesrat gefordert, Dividende II, versteigern konnte . Die damit eingenom- sollen beim Neubau von Mehrfamilienhäusern und grö- menen 1,3 Milliarden Euro sind nicht im allgemeinen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18167

(A) Haushalt verschwunden, sondern werden konsequent für Schwerpunktthema über alle Ressortgrenzen hinweg ge- (C) den Breitbandausbau eingesetzt . Außerdem kamen über setzt . Das begrüße ich ausdrücklich, und ich hoffe zu- das Zukunftsinvestitionsprogramm noch 1,4 Milliarden dem, dass sich diese Schwerpunktsetzung auch bis zum Euro aus dem allgemeinen Haushalt hinzu . Und nun wer- Ende der Legislaturperiode, aber insbesondere auch da- den mit dem Haushalt 2017 aller Voraussicht nach noch- rüber hinaus, fortsetzt . mals 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt . Damit stellt die Koalition – erstmalig – rund 4 Milliarden Euro Einige Erfolge für die Digitalisierung unseres Landes für den Breitbandausbau zur Verfügung . Hieran sieht möchte ich hier noch einmal nennen; denn der richtige man sehr gut, dass diese Koalition zukunftsgerichtet in und wichtige Netzausbau ist ein Baustein einer ganzen die Infrastruktur unseres Landes investiert . Reihe von Weichenstellungen, mit der wir die Digitali- sierung vorantreiben und die Wettbewerbsfähigkeit stei- Wie genau wir damit den Bedarf des Landes treffen, gern . sieht man daran, dass bereits über 600 Bescheide auf Be- ratungsleistungen und 55 Bescheide für den tatsächlichen Beginnen wir in Europa: Mit der Netzneutralitäts- Netzausbau vergeben werden konnten . Fachleute werden verordnung haben wir auf europäischer Ebene endlich mit ihrer Beratungsleistung den Kommunen bei der Pla- eine Regelung erreicht, die einerseits den freien Daten- nung von neuen Ausbauprojekten helfen . Wir können da- verkehr sicherstellt, zudem aber auch Investitionen in her schon jetzt sehr gut prognostizieren, dass auch in den Innovationen ermöglicht . So werden einheitliche Rah- nächsten Jahren eine ganze Reihe an Förderanträgen zum menbedingungen für den europäischen digitalen Markt Infrastrukturausbau zu erwarten ist, die dann in konkrete sichergestellt, die in ganz Europa Wachstum für die weitere Ausbauprojekte münden . Digitalwirtschaft ermöglicht . Aus dem gleichen Grund ist es übrigens zu begrüßen, dass die europäische Da- Das macht die Netze fit für die Gigabit-Gesellschaft, tenschutz-Grundverordnung nun einheitliche Daten- das ist zukunftsgerichtete Infrastrukturpolitik; das ist ak- schutzregeln in Europa vorsieht . Insbesondere junge, tive Wohlstandspolitik für unser Land und unsere Bürger . innovative Start-ups finden so die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen in ganz Europa vor . Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Eine umfassen- de, aktive und mutige politische Begleitung der Digi- In Deutschland sind nun im Rahmen der Digitalen talisierung unseres Landes ist maßgeblich dafür, dass Dividende II die Frequenzen im Bereich von 700 Me- wir im globalen Standortwettbewerb um wirtschaftli- gahertz für das schnelle mobile Breitband bereitgestellt ches Wachstum, Innovationen, aber auch um die besten worden . Hiermit sind wir in Europa an der Spitze . Es Köpfe aus Wissenschaft und Wirtschaft bestehen kön- bleibt zu hoffen, dass dieser Standard sich auch europa- (B) nen . Das Gesetz zur Erleichterung des Ausbaus digita- weit durchsetzen kann . (D) ler Hochgeschwindigkeitsnetze – DigiNetzG –, das wir Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infra- heute beschließen, ist dazu ein wichtiger Baustein: Mit struktur hat zum wohl ersten Mal in der Geschichte unse- dem Gesetz legen wir die Grundlage dafür, dass immer res Landes ein Breitbandförderprogramm in Deutschland dann, wenn in Deutschland gebaut wird, wenn Neubau- initiiert . Aufgelegt mit einem ursprünglichen Volumen ten entstehen oder bestehende Bauten umfassend saniert von 2,7 Milliarden Euro wird der Ausbau von schnellem werden, wenn Straßen aufgerissen oder erneuert wer- Internet in der Breite gefördert . Auch hier verdient die den, gleichzeitig die Grundlage dafür gelegt wird, dass Bundesregierung eindeutiges Lob für ihre zügige Arbeit unser Land zügig beim Ausbau von leistungsfähigem bei der Erteilung der Förderbescheide . In der letzten Wo- Breitbandinternet­ vorankommt . Das ist ein großer Erfolg che wurde nun bekannt, dass das Bundesförderprogramm für diese Koalition und für die von ihr getragene Bun- für den Breitbandausbau um weitere 1,3 Milliarden desregierung . Und das ist zudem ein wichtiges Signal für Euro auf nun 4 Milliarden Euro aufgestockt wird . Dies alle Telekommunikationsanbieter in Deutschland, jetzt zeigt einmal mehr, dass die Digitalisierung auf der Pri- mutig weiter in den Breitbandausbau für die Zukunftsfä- oritätenliste der Bundesregierung ganz oben steht . Denn higkeit unseres Landes zu investieren . dadurch wird der Anspruch, flächendeckend schnelles Denn das sei an dieser Stelle auch einmal deutlich ge- Internet in Deutschland zur Verfügung zu stellen, auch sagt: Der Breitbandausbau ist die Aufgabe der Unterneh- finanziell weiter unterlegt. Das ist, wie ich finde, ein wei- men . Das ist in Artikel 87 des Grundgesetzes festgelegt, teres starkes Zeichen für den Innovations- und Zukunfts- und zwar aus gutem Grund . Denn in den Zeiten, als wir standort Deutschland . mit der Bundespost die Telekommunikation staatlich or- ganisiert haben, war nichts besser . Ich erinnere nur an Ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen der Digi- den Mondscheintarif . Aber es ist unsere Aufgabe als talisierung war die Novellierung des Telemediengeset- Staat, für die Unternehmen die richtigen Rahmenbedin- zes . Mit der Ausweitung der Haftungsprivilegierung auf gungen zu setzen, und genau das machen wir heute mit WLAN-Anbieter und der Abschaffung der Störerhaftung diesem Gesetz . haben wir Rechtssicherheit für WLAN-Anbieter herge- stellt . Damit haben wir die Grundlage für den weiteren Diese Koalition hat in dieser Legislaturperiode auch Ausbau freier WLAN-Netze geschaffen – gleich ob ge- zahlreiche weitere Erfolge erreicht, um die Digitalisie- werblich, nebengewerblich oder privat . Damit werden rung voranzubringen . Dafür gilt auch der Bundesregie- zum Beispiel auch für viele Unternehmen, wie Restau- rung unser Dank; denn die Bundesregierung hat sich das rants, Cafés und Hotels, Chancen für die Gewinnung Thema Digitalisierung in den vergangenen Monaten als neuer und Bindung bisheriger Kunden erhöht . 18168 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Mit dem DigiNetz-Gesetz stellen wir nun sicher, dass Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht werden . (C) überall dort, wo Bauvorhaben durchgeführt, Häuser re- Dieses ist so erfolgreich angelaufen, dass bis Ende des noviert, Straßen geöffnet oder Neubaugebiete erschlos- Jahres alle Mittel vergeben sein werden und man sich be- sen werden, die Grundlagen für ein leistungsfähiges reits jetzt Gedanken über eine Fortsetzung machen soll- Breitbandinternet geschaffen werden . Im Ergebnis wird te . Übrigens gehen über 70 Prozent der Fördermittel in das den Breitbandausbau in Deutschland nicht nur kos- ­FTTB-Glasfaserprojekte und in sehr ländliche Gebiete . tengünstiger machen, sondern auch erheblich beschleu- nigen . Daneben stellen wir auch sicher, dass der Ausbau Für jeden Euro öffentlicher Förderung werden zusätz- der Infrastruktur nicht einfach an der Bordsteinkante en- lich private Investitionen in Höhe von 2 Euro ausgelöst . det: Für den zügigeren Glasfaserausbau in großen Woh- Bei 2,7 Milliarden Euro Fördermitteln in Bund und Län- nungseinheiten können mit den neuen Regelungen die dern sind Gesamtinvestitionen von rund 8 Milliarden Telekommunikationsanbieter gegenüber den Gebäude- Euro für den Breitbandausbau zu erwarten . eigentümern zudem einfacher den Ausbau bis zur Woh- Mit dem DigiNetz-Gesetz wird nun ein weiterer Bau- nung des Endkunden durchsetzen . stein unserer Strategie für einen beschleunigten Breit- bandausbau gesetzt: Kostensenkung und verbesserte Mit dem Gesetz fördern wir aber auch die neue Mobil- Synergien . funktechnik der fünften Generation: den Mobilfunkstan- dard 5G . Voraussetzung dafür wird unter anderem eine Dieser Bereich ist extrem wichtig, da grob geschätzt Vielzahl von Sendemöglichkeiten in sehr kurzen Abstän- bis zu 80 Prozent der Ausbaukosten auf Hoch- und Tief- den sein, um die für Anwendungen wie das automatisier- bauarbeiten entfallen, die insbesondere in dünn besiedel- te Fahren oder die Telemedizin erforderliche Taktilität zu ten Regionen überproportional hoch sind . Sie sind dort gewährleisten . Mit dem DigiNetz-Gesetz vereinfachen der Grund für Wirtschaftlichkeitslücken, die Investitio- wir nun diesen Ausbau, indem zukünftig Laternen oder nen verhindern können . Ampeln als Standorte für Mobilfunksender mitgenutzt werden können . Das senkt einerseits die Ausbaukosten Das DigiNetz-Gesetz wird diese Kosten nun spürbar für hochmoderne, engmaschige 5G-Netze und schafft senken . Bezogen auf die Gesamtinvestitionen für den andererseits eine gute Basis für den Ausbau dieser neuen Breitbandausbau rechnet die Bundesregierung mit einem Technologie in der Fläche . Einsparpotenzial von über 20 Prozent . Damit wird nicht nur der Netzausbau für Investoren attraktiver, sondern es Der weitere Ausbau der digitalen Netzinfrastruktur in werden auch die Kosten für Verbraucherinnen und Ver- Deutschland ist die Grundlage für die wirtschafts-, aber braucher sinken . auch gesellschaftspolitisch dringend notwendige weitere Wie wird dies erreicht? Der Kern des Gesetzentwurfs Digitalisierung unseres Landes . Er bleibt eine Herausfor- (B) sind umfassende entgeltliche Mitnutzungsansprüche der (D) derung für Wirtschaft und Politik . Mit dem DigiNetz-Ge- TK-Netzbetreiber an bestehenden Infrastrukturen aller setz kommen wir hierbei einen bedeutenden Schritt vo- Art . Nun werden im Grunde alle Hohlräume und Träge- ran . rinfrastrukturen für eine Mitnutzung durch Telekommu- nikationsanbieter zulässig . Diese Mitnutzung kann auch Martin Dörmann (SPD): Das heute zu verabschie- verweigert werden, etwa bei Anhaltspunkten für Gefähr- dende DigiNetz-Gesetz ist ein wichtiger Schritt für den dungen für Gesundheit oder Sicherheit . Auch bei schon flächendeckenden Ausbau von Hochgeschwindigkeits- bestehender Glasfaserinfrastruktur kann Mitnutzung ab- netzen in Deutschland . Vorgesehen sind beispielsweise gelehnt werden, um Überbau und Entwertung von hoch- eine verbesserte Mitnutzung bestehender Infrastrukturen wertigen Investitionen zu verhindern . durch TK-Netzbetreiber und die verpflichtende Mitver- legung von Leerrohren und Glasfaser bei öffentlichen Außerdem sollen bei allen öffentlich finanzierten Bau- Baumaßnahmen. Das alles wird signifikant die Kosten maßnahmen bedarfsgerecht Leerrohre und unbeschaltete senken und einen wesentlichen Beitrag für einen schnel- Glasfaser mitverlegt werden . Bei Neubaugebieten soll leren Breitbandausbau leisten, insbesondere auch von dies immer der Fall sein . Dies macht eine spätere Anbin- Glasfaserleitungen . dung an die Hochleistungsnetze sehr viel einfacher und kostengünstiger . Die Koalition hat hiermit erneut bewiesen, dass sie Gegenstand des Gesetzes ist auch ein transparenteres nicht nur Konzepte vorlegt, sondern diese Schritt für Informationssystem . Die Bundesnetzagentur wird mit 29 Schritt umsetzt . Ich will an weitere Bausteine erinnern: neuen Planstellen als nationale Informations- und Streit- Mit unserem Breitbandkonzept „Schnelles Internet für beilegungsstelle fungieren und regulatorisch die neuen alle“ haben wir zu Beginn der Legislatur den Weg vor- Maßnahmen begleiten . Das schafft zügige Rechtssicher- gezeichnet . Vergangenes Jahr haben wir nach einem „na- heit für alle Beteiligten . tionalen Konsens“ mit der Versteigerung der Frequenzen im Bereich der „Digitalen Dividende II“ nicht nur erheb- Im parlamentarischen Verfahren haben wir den Ge- liche Einnahmen für Bund und Länder generiert . Bei der setzentwurf der Bundesregierung noch einmal qualita- Neuvergabe der Frequenzen für mobiles Breitband wur- tiv deutlich verbessert . Hierbei wurden Anregungen des de eine fast flächendeckende LTE-Versorgungsauflage Bundesrats und aus der Branche aufgegriffen und um- für die Mobilfunkbetreiber verankert . gesetzt . Erstmals konnte mit diesen Einnahmen sowie weiteren Entgegen dem ersten Ansatz werden Bauordnungs- Mitteln aus dem Bundeshaushalt ein milliardenschweres vorschriften und Genehmigungsfristen nun bundesseitig Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18169

(A) einheitlich geregelt . Außerdem werden Ampelanlagen keitsnetze entgegenstehen . Das DigiNetz-Gesetz macht (C) und Laternenmasten als Trägerstrukturen mitnutzbar, keinerlei Vorgaben bezüglich der Entgelte für die Mitnut- zum Beispiel für zukünftige 5G-Mobilfunksender und zung von Infrastrukturen wie zum Beispiel Versorgungs- automatisiertes Fahren . Zudem haben wir erhebliche leitungen oder Leerrohren . Das soll der Markt regeln, Präzisierungen zur Versorgung am und im Gebäude ein- wie so oft, wenn wir hier im Deutschen Bundestag Ge- gebracht . setze beschließen . Die Netzbetreiber brauchen aber ver- lässliche Angaben über Aufwand und Kosten beim Netz- Das DigiNetz-Gesetz ist ein komplexes Maßnahmen- paket . An mehreren Stellen sind wir über die Vorgaben ausbau, wenn auch die Infrastrukturbesitzer verpflichtet der EU-Transparenzverordnung hinausgegangen, die es werden, ihre Struktur zur Verfügung zu stellen . Da kann umzusetzen galt . Wir sind sicher, dass die kostendämp- schon mal um den besten Preis gepokert werden . Das fende Wirkung schnell spürbar sein wird . Hochleistungs- aber führt nicht zur Beschleunigung, sondern eher zu fähige Technologien wie Glasfaser werden besonders Zeitverzug und Planungsunsicherheit . gestärkt . Das ist nicht nur eine Einzahlung auf unser ehr- Wir sind auch nicht überzeugt davon, dass die Bun- geiziges Zwischenziel von flächendeckend mindestens desnetzagentur zusätzlich zu ihren vielfältigen Aufgaben 50 Mbit/s bis 2018 . Es ist auch die Voraussetzung für den für die Streitbeilegung zuständig gemacht werden soll . weiteren Weg in die Gigabit-Gesellschaft . Es werden zwar 29 neue Stellen eingerichtet, die die neu- Zusammengefasst: Nachdem wir bereits erfolgreich en Aufgaben bewältigen sollen . Die Bundesnetzagentur die „Digitale Dividende II“ gehoben und ein umfassen- verfügt auch über das Fachwissen im Bereich der Tele- des Breitbandförderprogramm auf den Weg gebracht ha- kommunikation, aber in Hinblick auf Straßen, Abwasser- ben, setzen wir mit dem DigiNetz-Gesetz einen weiteren kanäle und Gasleitungen ist das nicht sicher . Und dann Meilenstein unserer Breitbandstrategie um . Es wird deut- zügig und kompetent Entscheidungen bei Konflikten zu lich: Wir erarbeiten nicht nur gute Konzepte, wir setzen finden, ist ausgesprochen schwierig. sie auch konsequent um! Nun ist das DigiNetz-Gesetz ja eine notwendige Um- Herbert Behrens (DIE LINKE): Der angekündigte setzung einer EU-Richtlinie . Übrigens aus dem Jahr 2014 Weg in die Gigabit-Gesellschaft bleibt holprig . Mit dem mit der Maßgabe, dass sie zum 1 . Januar 2016 in natio- hier vorliegenden Gesetzentwurf werden zwar wichtige nales Recht umgesetzt sein sollte . So weit zum Thema Dinge geregelt, die den Ausbau von Glasfasernetzen er- schnelle Entscheidung für ein schnelles Netz . Aber es ist leichtern können . Doch er bleibt weit hinter dem zurück, eben auch eine Kostensenkungsrichtlinie . Und an dieser was wirklich einen flächendeckenden Glasfaserausbau Stelle bleibt das größte Fragezeichen bei dem ganzen (B) voranbringen würde . Projekt . (D) Schnelles Internet für alle und überall muss das Ziel Das Einsparpotenzial soll 25 Prozent der Gesamtkos- sein . Doch hier haben wir es nur mit einem Schrittchen ten eines bundesweiten Ausbaus digitaler Hochgeschwin- auf diesem Weg zu tun . digkeitsnetze betragen, erwartet die Bundesregierung . Und es war mühsam, dieses Schrittchen überhaupt zu 20 Milliarden Euro sollen es in den nächsten drei machen . Der ursprüngliche Gesetzentwurf musste mas- Jahren sein . 25 Prozent entsprechen 20 Milliarden . Das siv nachgebessert werden, um dem Ziel näher zu kom- men, mehr Glasfaser mit weniger Kosten auf den Weg bedeutet, dass Investitionen in Höhe von 80 Milliarden zu bringen . Das ist gut, und Die Linke erkennt an, dass Euro in den nächsten drei Jahren in den Glasfaserausbau es eine Reihe von Verbesserungen gegeben hat, die vom gesteckt werden sollen . Bundesrat und von den Fachverbänden eingebracht wor- Woher soll das Geld kommen, wer sind die Investo- den sind . ren? Dazu gibt es keine Aussagen des Ministers für Ver- So soll zum Beispiel in Ausnahmefällen auch eine kehr und digitale Infrastruktur . Nicht nur die Linksfrak- oberirdische Verlegung von Glasfaserkabeln möglich tion zweifelt dieses großmündige Versprechen an . Der werden . Die Genehmigungsfristen für die Mitverlegung Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS) bezeich- von Kabeln bei Baumaßnahmen an den Straßen werden nete diese hohen Erwartungen in einer Pressemitteilung verkürzt . Genehmigungsverfahren werden gestrafft, da- als „deutlich zu hoch gegriffen“ . Zwar begrüßt der Ver- mit der Ausbau des schnellen Glasfasernetzes nicht be- band viele der geplanten Maßnahmen, stellt aber infrage, hindert wird . Außerdem wird es Betreibern öffentlicher ob der Breitbandausbau dadurch tatsächlich „erheblich Versorgungsnetze erlaubt, Einnahmen, die sie für die vergünstigt und vor allem beschleunigt“ werden könne . Mitnutzung ihrer Infrastruktur erhalten, einzubehalten . In der Anhörung zum Gesetz im Ausschuss wiederholte Auch wenn die Einnahmen über die Kosten hinausgehen, der Verbandsvertreter diese Position mit etwas anderen sind sie nicht dem Netzbetrieb zuzurechnen . So können Worten . sie das Netz ohne Nachteile vermarkten . All das bringt uns ein Stück in Sachen Glasfaserausbau voran . Es bleibt dabei, Kosten können nur eingespart werden, wenn Kosten entstehen . Darum fordert die Linksfrakti- Es reicht aber nicht für unsere Zustimmung zum Ge- on im Bundestag mehr Investitionen für ein schnelles setz, die Linksfraktion wird sich enthalten . zukunftsfähiges Internet . Die Bundesregierung ist dazu Denn es bleiben neu geschaffene Unwägbarkeiten, die aber nicht bereit oder in der Lage . Damit muss Schluss einem Ausbau und Aufbau digitaler Hochgeschwindig- sein . 18170 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor überholt ist . Wir haben ein Förderprogramm, das genau (C) drei Tagen wurde eine neue Studie des WIK-Instituts dieses kurzsichtige Ziel zu erreichen sucht . Aber wir ha- mit dem Namen „Treiber für den Ausbau hochbitratiger ben keinen Masterplan zum Gigabitausbau . Infrastrukturen“ herausgegeben . Sie kommt zu dem Er- gebnis, dass die Breitbandnachfrage bereits heute in Tei- Ich frage mich, ob wir eigentlich noch von bestimm- len ein Niveau erreicht hat, das über Netze, aufgepimpte ten Geschwindigkeiten als Zielmarken reden sollten . Kupfernetze, nicht mehr befriedigt werden kann . Und: 50 Mbit, 100 Mbit, 200 Mbit … Wir sind doch hier nicht Dieser Trend werde sich in Zukunft weiter beschleuni- bei Ebay . Stattdessen sollte der Staat eine Leitmission gen . Das WIK prognostiziert, dass in neun Jahren über vorgeben und die dann konsequent verfolgen . Die Mis- 75 Prozent der Haushalte Bandbreiten von mindestens sion Possible muss aus unserer Sicht sein: Wir wollen 500 Mbit/s im Down- und 300 Mbit/s im Upload nach- Hochgeschwindigkeitsnetze, und wir brauchen sie . Und fragen werden . Diese Geschwindigkeiten erreichen Sie alles andere sortieren wir unter diesem Ziel ein, auch das nicht über Kupfer und Vectoring, und deshalb müssen Breitbandförderprogramm . Damit kommen wir im End- wir jetzt alle Schalter umlegen auf den Ausbau zukunfts- effekt deutlich weiter als mit dem bisherigen Stückwerk . fähiger Glasfasernetze . Das DigiNetz-Gesetz ist dafür ein nötiger Zwischen- schritt . Das hat die EU-Kommission richtig erkannt, als Anlage 18 sie die Richtlinie festlegte, die Sie heute umsetzen wol- len . Eine bessere Koordinierung von Bauarbeiten ist Zu Protokoll gegebene Reden nötig, die Zeiten, dass eine Straße zweimal aufgerissen wird – einmal für eine Wasserleitung und später noch mal zur Beratung des von der Bundesregierung ein- für das Glasfaserkabel –, sollten passé sein . Aus unserer gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Sicht ist aber die Umsetzung suboptimal . Die Interessen Änderung des Bundesmeldegesetzes und weiterer der Versorgungsunternehmen, die ja den Zugang zu ih- Vorschriften (Zusatztagesordnungspunkt 5) ren Leerrohren gewähren müssen, bleiben zu sehr außen vor . Wenn in Zukunft zum Beispiel Reparaturarbeiten teurer werden, weil man auf mitverlegte Telekommuni- Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Heu- kationsleitungen Rücksicht nehmen muss, darf das nicht te sprechen wir in der 2 /3. .Lesung über die erste Än- zulasten der Kommunen gehen . Mehrkosten müssen von derung des Bundesmeldegesetzes . Mit dieser Änderung denen übernommen werden, die sie verursachen . reagieren wir zügig und zeitnah auf die praktischen Er- fahrungen, die wir in den vergangenen Monaten seit der (B) Wir sehen es als Mangel an, dass Sie nicht klar die Einführung sammeln konnten . Wir sind also nah dran an (D) Kosten für Länder, Kommunen und Versorgungsun- der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger . ternehmen spezifizieren. Die Mitverlegung darf nicht einseitig zu deren Lasten gehen, die Telekommunikati- Schon jetzt möchte ich mich herzlich für die konstruk- onsunternehmen müssen ausdrücklich zum Ersatz sämt- tive Zusammenarbeit aller Beteiligten in diesem Prozess licher Erschwerniskosten verpflichtet werden, die im Zu- bedanken . Während unserer Zusammenarbeit wurde sammenhang mit Mitnutzungen entstehen . noch einmal deutlich, dass es durch die Bank kaum Ein- wände an der Verbesserung des bestehenden Bundes- Die voraussichtlich ohnehin geringe Wirkung des Ge- meldegesetzes gibt . So konnten wir viele Punkte weiter setzesvorhabens wird noch dadurch geschmälert, dass ausführen und abstimmen . Im Großen und Ganzen hat die Bundesregierung eine lange Liste von Gründen auf- sich gezeigt, dass wir die anstehenden Änderungen ge- genommen hat, aus denen der Anspruch auf Mitnutzung meinsam gut vorbereitet haben . bereits vorhandener Infrastruktur versagt werden kann . Und noch ein Manko: Die Bundesregierung übertreibt Wir bewegen uns in einer sich stetig wandelnden In- bei den zu erwartenden Einsparungen enorm, auch wenn formationsgesellschaft . Viele wichtige Entscheidungen wir sie schon mehrfach darauf hingewiesen haben . Denn unserer Behörden basieren auf dem zuverlässigen Aus- man kann natürlich nicht überall, wo gebaut wird, ein- tausch und Abruf von Informationen . Im Laufe der Zeit fach Glasfaser mitverlegen . Die Netzbetreiber machen haben wir deshalb die Übermittlungsmöglichkeiten die- eine eigene Netzplanung und können sich nicht immer ser Meldedaten erheblich ausgeweitet . Ich möchte das danach richten, wo zufällig schon Rohre liegen . Das noch einmal betonen: Es geht um die Übermittlungsmög- Sparpotenzial ist also von vornherein begrenzt . Insofern lichkeiten, nicht um die Ausweitung oder um die Anhäu- ist dieses Gesetz zwar ein Schritt in die richtige Rich- fung von Daten . tung, es ersetzt aber keineswegs eine vernünftige Förder- strategie für den Breitbandausbau . Und an der fehlt es in Mittlerweile stellen unsere Meldebehörden ihre Da- Deutschland . ten für viele Fachverfahren zur Verfügung . Die Arbeit von Behörden wie beispielweise den Statistik-, Auslän- Bei der Vorstellung der WIK-Studie am Montag for- der- und Ausweisbehörden sowie Schul- und Gesund- derte der VATM-Präsident Martin Kind, es müssten sich heitsämtern wäre ohne die bereitgestellten Daten kaum „alle zusammensetzen und einen Masterplan entwi- vorstellbar . Besonders im Hinblick auf unsere Sicher- ckeln“ . Denn trotz Netzallianz und Bundesminister für heitsbehörden wird deutlich, wie wichtig der schnelle Digitale Infrastruktur haben wir einen solchen Master- und zuverlässige Austausch von Informationen ist . Ich plan nicht . Wir haben ein Breitbandziel, das schon heute werde nicht müde, dies immer wieder zu betonen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18171

(A) Wir müssen in unserer Gesellschaft, die so abhängig vorantreiben, um ihnen das Leben zu erleichtern . Und (C) von sensiblen Daten ist, aber auch unheimlich vorsichtig genau das schaffen wir mit diesem Gesetz . sein, wenn es um unsere persönlichsten Daten geht . Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das Den Wandel mit dem Umgang unserer Daten kann bisherige Bundesmeldegesetz noch durch weitere Rege- man schon an einem einfachen Beispiel erkennen: Frü- lungen vereinfacht werden kann: In Zukunft sorgen wir her musste man im dörflichen, aber auch im städtischen dafür, dass die Abmeldepflicht für Personen, die ins Aus- Bereich viele Kilometer fahren, um dringend benötigte land ziehen, erleichtert wird . Der Vermieter, der bisher Dokumente zu beantragen . Heute ist das nicht mehr not- den Auszug seines Mieters schriftlich bestätigt hat, wird wendig . Wir haben heute die Möglichkeit, an fast jeder von dieser Mitwirkung befreit . Die Abmeldung in die- Verwaltungsstelle unsere Dokumente zu beantragen und sem Fall kann elektronisch bei der Meldebehörde vom abzuholen . Mieter selbst unternommen werden . Das ist eine unheim- liche Erleichterung für die Vermieter, die nicht mehr dem Die Voraussetzung für ein solch modernes Meldewe- Verzogenen hinterherlaufen müssen . Schon lange sind sen ist, dass wir mit einem einheitlichen System arbeiten wir der Überzeugung, dass viele Abläufe und Abfragen und die Daten untereinander verständlich ausgetauscht auf elektronischem Wege erfolgen können . Dies ist ein werden können . Auch beim Datenaustausch war es bis- richtungsweisender Schritt in eine sich stetig mehr di- her oft problematisch . Nicht selten hat eine Behörde ein gitalisierende Gesellschaft . Wir müssen dabei natürlich anderes System und ein anderes Datenformat benutzt als auch bedenken, dass die Wege sicher sein müssen . Dieser eine andere Behörde . Das hat zu unheimlichen Schwie- Grundsatz gilt: Wir müssen alles können, aber wir müs- rigkeiten geführt . Verschiedene Systeme passen eben sen nicht alles machen, nur weil wir es können . Sensible nicht aufeinander: Die Leidtragenden sind dann vor al- Daten müssen sensibel gehandhabt werden . Sicherheit lem die Bürgerinnen und Bürger . hat hier den Vorrang vor der Einfachheit . Wir haben es Am Ende des vergangenen Jahres ist dann das Bun- aber jetzt geschafft, beide Aspekte zusammenzubringen . desmeldegesetz in Kraft getreten . Das passierte ohne das Das möchte ich an dieser Stelle betonen . große Buhei, das so oft bei anderen Themen gemacht wird, obwohl wir alle davon betroffen sind . Und das Durch die Einführung der elektronischen Abmel- Thema geht jeden von uns an . Wir haben es uns trotzdem dung wird die jährliche Bearbeitungszeit um rund nicht leicht gemacht und haben bei diesem wichtigen Ge- 100 000 Stunden reduziert . Um sich das mal konkret vor setz lange um einen Kompromiss gerungen, weil wir die Augen zu führen, möchte ich Ihnen das anhand eines Interessen aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen Beispiels verdeutlichen . Die Zahlen aus dem letzten Jahr wollten . Gleichwohl müssen wir aber auch die Interessen haben gezeigt, dass es durchschnittlich 700 000 Auswan- (B) der Unternehmen im Auge haben . Hier geht es selbstver- derungen gab . Bei unserer Berechnung gehen wir davon (D) ständlich eher um die Wirtschaftlichkeit der verschiede- aus, dass zwar nicht sofort alle von der elektronischen Ab- nen Arbeitsprozesse . Und natürlich haben auch die Ver- meldung Gebrauch machen, mit etwa der Hälfte können waltungen Interessen, an denen wir nicht vorbeigehen wir aber durchaus rechnen . Für den konkreten Einzelfall dürfen, wenn es darum geht, ein gutes Gesetz auf den sieht das Ganze dann so aus: Bisher hat die Abmeldung Weg zu bringen . Wir haben also alle Betroffenen mit ins einen Zeitaufwand von knapp 23 Minuten gekostet . Da- Boot genommen und alle Interessen berücksichtigt . von fallen im Schnitt 15 Minuten auf die Wegezeit und weitere acht Minuten für die eigentliche Bearbeitungs- Aber was wollen wir? Wir wollen viele der bestehen- zeit an . Jetzt, da wir künftig die Möglichkeit der elek- den Abläufe vereinheitlichen, vereinfachen und digita- tronischen Übermittlung haben, entfallen die Wegezeit lisieren . Wir wollen einen hohen Standard, kurze Wege und ein Teil der Bearbeitungszeit . Wir stimmen heute für und ein modernes Meldegesetz schaffen . Dazu gehörte ein standardisiertes Verfahren, das den gesamten Abmel- auch die Zusammenführung des Melderechtsrahmenge- dungsprozess auf bis zu zwei Minuten verkürzt . Pro Fall setzes mit den Landesmeldegesetzen . sprechen wir also von einem entscheidenden Zeitgewinn Daten und Datenspeicherung, Schutzrechte, Melde- von circa 21 Minuten . pflichten, Datenübermittlungen zwischen öffentlichen Mit unserer heutigen Entscheidung, auf die Mitwir- Stellen, Melderegisterauskünfte, Zeugenschutz und Ord- kungspflicht des Vermieters bei der Abmeldung zu ver- nungswidrigkeiten laufen nun unter einem bundesein- zichten, sparen wir knapp 1,184 Millionen Euro pro Jahr heitlichen Melderecht für alle Bürger . an Bürokratiekosten ein. Das ist der finanzielle Aspekt, Dank der Einführung des Bundesmeldegesetzes sind nicht zu vergessen, dass die Vermieter und Mieter mit wir unseren Zielen einen großen Schritt näher gekom- dieser Lösung vermutlich sehr zufrieden sein werden . men . Wir haben sie noch nicht ganz erreicht, das sage ich Wir sorgen in Zukunft dafür, dass Behördengänge ganz ehrlich . Aber wir sind auf dem richtigen Weg . Die weiter vereinfacht werden . Deshalb wollen wir heute Verfahrenswege für alle Beteiligten sind kürzer gewor- beschließen, dass die bisher allein zuständigen Landes- den, insbesondere für Bürgerinnen und Bürger . Hier ge- behörden andere Behörden für einfache Melderechtsaus- winnen wir Bürgernähe durch technische Entwicklung . künfte bestimmen können . Das Gleiche trifft auch auf die Meldebehörden zu . Diesen wird durch das Gesetz ermöglicht, effizienter miteinan- Wir sorgen in Zukunft dafür, dass das Geschlecht der zu kommunizieren. Profiteure sind die Mitarbeiterin- wieder in der Melderegisterauskunft eingeführt wird . In nen und Mitarbeiter sowie die Bürgerinnen und Bürger . unserer vielfältigen Gesellschaft ist es Realität, dass Mel- Wir wollen die Entbürokratisierung für alle Beteiligten debehörden zunehmend Schwierigkeiten haben, Namen 18172 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) unterschiedlichster Herkunft dem richtigen Geschlecht warnt . Die damals schwarz-gelbe Bundesregierung hat (C) zuzuordnen . Die Ableitung des Geschlechtes aufgrund das nicht interessiert und das Gesetz mit ihrer Mehrheit, des Namens ist in vielen Fällen für die Mitarbeiterinnen die damals aufgrund des Fußballspiels aus wenigen Ab- und Mitarbeiter in den Behörden nicht oder nur unter geordneten bestand, verabschiedet . Ergebnis: Das Gesetz erschwerten Bedingungen möglich und deshalb in den landete im Vermittlungsausschuss . Datenbanken häufig falsch hinterlegt. Jeder von uns kennt doch eine Joyce oder einen Joyce, eine Jules oder Was war passiert? In letzter Minute hat die damalige einen Jules, eine Robin oder einen Robin . Es gibt dafür schwarz-gelbe Regierungskoalition einen Änderungsan- ja sogar einen schönen Ausdruck: Unisex-Namen . Selbst trag im Innenausschuss vorgelegt, der die positiven An- mein Mitarbeiter aus Dortmund, er heißt Salih, wird oft sätze des ursprünglichen Gesetzentwurfes ins Gegenteil als Frau angeschrieben . Aus diesem ganz pragmatischen verkehrte . Grund soll das Geschlecht wieder als Suchmerkmal in Auch wenn das Melderecht ein sehr technisches Ge- den Datenbanken eingeführt werden . setz ist, so kommt jede Bürgerin und jeder Bürger mehr- Das Thema der inneren Sicherheit habe ich bereits fach in seinem Leben damit in Berührung . angesprochen und betone noch einmal: Das Bundes- Das Melderecht verpflichtet jeden Bürger und jede meldegesetz ist ein weiteres Mittel in einem Strauß von Bürgerin, bestimmte Daten an die Meldebehörden zu ge- vielen Möglichkeiten . Das Meldewesen gewinnt auch im ben . Dazu gehören der Familienname, frühere Namen, Sicherheitsbereich immer mehr an Bedeutung . Gerne er- Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort, Staatsangehö- innere ich an dieser Stelle an die richtige Entscheidung, rigkeit, Adresse und andere Daten . den Ersatz-Personalausweis einzuführen . Er verhindert die Ausreise von Personen, die unsere innere und äußere Die Bürgerinnen und Bürger müssen sicher sein, dass Sicherheit durch die Vorbereitung von schweren Gewalt- ihre Daten bei den Meldebehörden gut und sicher aufge- taten in Terrorcamps im Ausland gefährden . Die Ausrei- hoben sind und nicht unbegründet an Dritte weitergege- se war damals für Gefährder trotz Passentzug mit ihrem ben, dort gespeichert und gegebenenfalls weiterverwen- Personalausweis möglich . Der Ersatz-Personalausweis det werden . hat das nahezu unmöglich gemacht . Für unsere Sicher- heit ist es unerlässlich, dass die Information über den Mit dem damaligen Änderungsantrag wurden hin- Reisepassentzug und die Ausstellung des Ersatz-Perso- sichtlich der Verwendung von Daten aus Melderegis- nalausweises im Meldewesen hinterlegt ist . terauskünften die geplanten Regelungen zur Zweckbin- dung sowie zum Widerspruch gegen die Verwendung für Eine weitere Anpassung des Bundesmeldegesetzes Werbung und Adresshandel völlig ausgehebelt . Es wurde (B) ist durch die Einführung der doppelten Staatsbürger- eine Einwilligungslösung durchgesetzt, die dann aber auf (D) schaft notwendig geworden . Kinder ausländischer Eltern Druck der SPD im Vermittlungsausschuss wieder rück- können durch die Geburt hier in Deutschland die deut- gängig gemacht wurde . sche Staatsangehörigkeit erwerben . Für sie entfällt die Optionspflicht. Die Standesämter übermitteln den Mel- Wir als Gesetzgeber und als Staat müssen besonders debehörden den Erwerb dieses Ius-Soli-Titels . Für die sensibel mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger um- Durchführung des Optionsverfahrens müssen die Melde- gehen . Wir sollten sie besonders sicher verwenden . Wir behörden und die Staatsangehörigkeitsbehörden zusam- sollten sorgsam mit ihnen umgehen . Wir dürfen eine menarbeiten und die Möglichkeit haben, sich bestimmte Weitergabe nur dann zulassen, wenn sie notwendig und Daten zu übermitteln . Sie haben nun die Möglichkeit, die ausreichend begründet ist . Die Bürgerinnen und Bürger Angaben zur Staatsangehörigkeit der gemeldeten Perso- vertrauen auf einen sensiblen Umgang mit ihren Daten nen zu prüfen . und können das auch vom Staat erwarten . Die Änderung des Bundesmeldegesetzes ist vernünf- Deshalb war und ist es richtig, dass die von schwarz- tig, notwendig und gelungen . Aus diesem Grunde bitte gelb gewollte Aufweichung des Datenschutzes nicht in ich um Ihre Zustimmung . Kraft getreten ist . Heute geht es um wenige Änderungen und Anpassun- Gabriele Fograscher (SPD): Der 28 .Juni 2012 war, gen im Melderecht . genau wie heute, der Donnerstag der letzten Sitzungswo- che vor der Sommerpause . Nachdem 16 unterschiedliche Melderechte aus den Bundesländern zusammengeführt wurden, trat das Bun- Am 28. Juni 2012 fand das Halbfinale der Fußball-Eu- desmeldegesetz zum 1 .November 2015 in Kraft . Nun hat ropameisterschaft statt, in dem Deutschland auf Italien die Praxis gezeigt, dass an einigen Stellen nachjustiert traf . Auch heute spielt Deutschland wieder im Europa- werden muss . meisterschaftshalbfinale, diesmal gegen Frankreich. Die Bestätigung des Wohnungsgebers bei Auszug Am 28 .Juni 2012 stand die 2 /3. .Lesung des Bundes- wird abgeschafft, und die Abmeldung beim Umzug ins meldegesetzes auf der Tagesordnung des Plenums, genau Ausland kann elektronisch erfolgen . wie heute . Des Weiteren vollziehen wir inzwischen erfolgte Ge- Damals ging es um eine große Reform . Meine Frak- setzesänderungen im Melderecht nach . Die Einführung tion und ich hatten bereits vor der abschließenden Be- des Ersatzpersonalausweises im Personalausweisgesetz ratung vor der Verschlechterung des Datenschutzes ge- und die Neuregelung der Optionspflicht im Staatsange- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18173

(A) hörigkeitsrecht müssen auch im Melderecht umgesetzt Die unverhältnismäßige Hotelmeldepflicht, die nichts (C) werden . anderes als eine umfangreiche, verdachtslose Datenerhe- bung auf Vorrat ist, wird erst gar nicht angetastet, und Für die Länder wird es möglich, nicht nur die oberste das, obwohl nach wie vor nicht erkennbar ist, was diese Landesbehörde, sondern auch eine andere Behörde als Meldepflicht bringt, außer unbeachtete Datenbergen bei Zulassungsbehörde für privatrechtlich betriebene Porta- den Meldebehörden . Stattdessen soll bei der automati- le zur Durchführung einfacher Melderegisterauskünfte sierten Melderegisterauskunft das Geschlecht wieder als über das Internet zu bestimmen . Suchkriterium aufgenommen werden . Während überall Das Bundesamt für Justiz soll in den Katalog der Be- auf der Welt darüber nachgedacht wird, das Geschlecht hörden des § 34 Absatz 4 Satz 1 aufgenommen werden, aus Datenerhebungen und sogar aus Ausweisdokumen- die grundsätzlich Daten bei den Meldebehörden zur Er- ten zu streichen, soll es hierzulande nach kürzester Zeit füllung ihrer Aufgaben abfragen können . erneut eingeführt werden . Das könnte man vielleicht noch unter kurios abbuchen, aber leider konnte mir nie- Das Datum „Geschlecht“ wird als zusätzliches Datum mand auch nur halbwegs nachvollziehbar begründen, bei der Registrierung festgelegt . Der Grund dafür ist, warum dies nun passiert . dass es aufgrund der steigenden Anzahl ausländischer Namen immer schwieriger ist, das Geschlecht des Mel- Und leider haben wir auch heute wieder nicht die depflichtigen zu erkennen. Möglichkeit zu einer echten Debatte, sonst könnten Sie mir vielleicht folgende Fragen beantworten: Warum hat Ich hatte bei dieser Änderung Nachteile für Transse- sich im letzten Jahr bei der automatisierten Melderegis- xuelle befürchtet . Doch es ändert sich rechtlich nichts terauskunft nach § 38 Absatz 1 BMG die Erteilungsquo- für diese Personengruppe . Wegen der bestehenden Aus- te deutlich verschlechtert, weil die abfragenden Stellen kunftssperren wird über diese Personen bereits jetzt und das Geschlecht nicht angeben dürfen? Sie begründen das auch in Zukunft keine automatisierte Behördenauskunft damit, dass bei ausländischen Namen die Rücklaufquote gemäß § 38 BMG erteilt . Nur soweit wegen besonderer sonst niedriger sei als erwünscht . Wenn wir eine echte Gründe des öffentlichen Interesses eine Offenlegung Debatte hätten, könnten Sie mir vielleicht sagen, in wel- erforderlich ist, kann im manuellen Verfahren Auskunft cher Höhe sich die Rücklaufquote bzw . die Fehlquote so über das Geschlecht erteilt werden . Damit wird dem be- bewegen, bezogen auf deutsche bzw . europäische und sonderen Schutzbedarf Rechnung getragen . nichteuropäische Vornamen, und ob hier nicht das größe- re Problem die unterschiedliche Transkription arabischer Mit dem Änderungsantrag, den wir als Koalitions- Namen wäre . fraktionen in die Ausschussberatung eingebracht haben, (B) werden Anregungen des Bundesrates aufgegriffen und Im Vorblatt des Gesetzentwurfes heißt es etwas ne- (D) umgesetzt . bulös: Die „Ableitung des Geschlechts des Meldepflich- tigen aus ausländischen Vornamen“ sei „nicht immer Bei der erweiterten Meldebescheinigung nach § 18 eindeutig möglich“ . In der Begründung wird darauf Absatz 2 BMG kann die betroffene Person die zu be- verwiesen, dass das Geschlecht als Merkmal weiterhin scheinigenden Daten grundsätzlich selbst auswählen . nur abgerufen werden dürfe, wenn es erforderlich sei, Die Änderung zu § 49 Absatz 4 BMG konkretisiert die beispielsweise bei „geschlechtsspezifischen Schutzmaß- Voraussetzungen für die Erteilung einer automatisierten nahmen“, und die Aufgabenerfüllung ohne Kenntnis des Melderegisterauskunft . Geschlecht und Familienstand Geschlechts unmöglich oder wesentlich erschwert wäre . werden nicht als Identifizierungsdaten anerkannt. Diese Das verstehe ich nicht, denn an sämtliche Sicherheitsbe- Änderung soll zum 1 . Mai 2017 in Kraft treten . hörden darf ja ohnehin auch im automatisierten Verfah- ren das Geschlecht beauskunftet werden (§ 38 Absatz 3) . Wir halten diese Ergänzungen für praktikabel, und sie Es wäre schön gewesen in den Beratungen von Ihnen gestalten das Bundesmeldegesetz bürgerfreundlicher . Ich vielleicht mal ein Beispiel für typische Fallkonstellatio- bitte um Zustimmung . nen zu erfahren . Mit dem Änderungsantrag werden Vorschläge des Jan Korte (DIE LINKE): Einmal ist etwas mehr als Bundesrates aufgenommen, die zum einen eine selbst ge- ein halbes Jahr nötig, dieses Gesetz erneut nachzubes- wählte Auswahl der erweiterten Melderegisterauskunft sern . Wenn Sie Ihr damaliges Gesetz zur Fortentwicklung für die Vorlage bei anderen öffentlichen Stellen oder im des Meldewesens handwerklich vernünftig gemacht hät- privaten Bereich ermöglicht und zum anderen die auto- ten, hätten Sie uns allen sehr geholfen . Aber gegen Ände- matisierte Abfrage von Melderegisterauskünften so ge- rungen und tatsächliche Verbesserungen haben weder ich staltet, dass eine massenhafte Ausforschung von Daten noch meine Fraktion etwas einzuwenden . Nur das, was verhindert werden soll . Das ist positiv, genauso wie der Sie hier vorgelegt haben, ist leider auch nur wieder ein Punkt, dass der bedingte Sperrvermerk nicht allein für Rumdoktern und geht überhaupt nicht weit genug . An- Personen, sondern auch für Adressen gelten soll . statt die Mitwirkungspflichten der Vermieter bei An- und Abmeldung in § 19 in Gänze zu streichen, sieht Ihr Ge- Diese Punkte sind vernünftig . Aber meiner Fraktion setzentwurf nur die Streichung der Mitwirkungspflicht reichen diese wenigen Änderungen eben nicht aus . Wir des Wohnungsgebers vor, wenn der Mieter ins Ausland werden uns daher enthalten und hoffen, dass das Bundes- verzieht . Warum nur dann? Warum nicht auch bei der meldegesetz bei der nächsten Änderung gründlich und Anmeldung oder dem Auszug im Inland? nach bürgerrechtlichen Kriterien reformiert wird . 18174 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gleichwohl müssen wir die gewachsene Anzahl der (C) NEN): Das Melderecht erreichte 2012 politische Skan- Zugriffsmöglichkeiten und damit der Vernetzung der dalhöhe, als die schwarz-gelbe Koalition vor nahezu lee- Meldedatenbestände mit anderen öffentlichen Stellen ren Rängen zeitgleich zu einem WM-Spiel der deutschen und Entscheidungsprozessen anerkennen und deren Nut- Fußballnationalmannschaft versuchte, klammheimlich zung in die notwendigen gesetzgeberischen Abwägungen die weitgehende Kommerzialisierung wichtiger Teile der einbeziehen . Ein aktuelles Beispiel sind die umfangrei- behördlichen Meldedatenbestände für die deutsche Wirt- chen Abruf- und Einmeldemöglichkeiten seitens aller schaft durchzuwinken . mit Flüchtlingsfragen befassten Behörden nach dem so- genannten Datenaustauschverbesserungsgesetz . Es war und bleibt bemerkenswert töricht, dass eine vormals in überwiegend föderaler Verantwortung be- Während dieses Gesetz aus rein datenschutzpolitischer handelte Materie damals auf solche Weise im Bundestag Sicht eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen enthält, missachtet wurde . Heute laufen wir mit der Reform des zeigt sie doch zugleich auch die Bedeutung des Melde- Melderechts erneut parallel zu einem Spiel der deutschen datensystems. Die mithilfe der Auskunftspflicht von Bür- Fußball-Nationalmannschaft . Auch wenn der vorliegen- gerinnen und Bürgern gewonnenen Meldedaten werden de Entwurf keine mit 2012 vergleichbaren Regelungen genutzt, um sehr unterschiedliche staatliche Aufgaben zu enthält, ist diese Parallelität schon erstaunlich . erleichtern, zu optimieren und zu ermöglichen . Durch die Vernetzung der Behörden wird es möglich, Aufgaben zu Wir Grüne waren es, die damals im Vermittlungsver- erledigen, ohne die betroffenen Bürgerinnen und Bürger fahren des Bundesrates dafür gesorgt haben, dass statt für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben erneut der bloßen Widerspruchslösung wieder eine die Interes- in Anspruch nehmen zu müssen. Diese Effizienz, Kos- sen der Bürgerinnen und Bürger wahrende Lösung, näm- teneinsparung und Bürgerfreundlichkeit ist natürlich ein lich die Einwilligungslösung, ins Gesetz kam . Riesengewinn, der mittlerweile von vielen als selbstver- Der Vorgang damals sollte uns alle gelehrt haben, dass ständlich erachtet wird und beispielsweise im Umgang Entscheidungen zum Melderecht von datenschutzpoli- mit den zu uns Geflüchteten auch einen wichtigen Faktor tisch großer Tragweite sein können . Es sollte eigentlich darstellt, um eine rasche Integration zu ermöglichen . allen die Augen dafür geöffnet haben, welche Spreng- Gleichwohl kann und wird es mit dem Melderecht kraft der fehlgeleitete Umgang mit Datenbeständen ha- auch zukünftig keinen multifunktionalen Informations- ben kann, welche gleich die Gesamtheit der über 80 Mil- pool geben dürfen, bei dem sich die Behörden oder auch lionen Bundesbürgerinnen und Bürger betreffen . die Wirtschaft nach Belieben und weitgehend ohne Be- teiligung der Betroffenen selbst bedienen können . Die Begehrlichkeiten nahezu aller Ressorts, ihre Vor- (B) haben, Behörden und Projekte mit dem Datenbestand der Doch zurück zum heute vorliegenden Gesetzentwurf: (D) Landesmelderegister zu verkoppeln, wirft schwierigste Die Hotelmeldepflicht ist ein Element unnötiger Verpoli- datenschutzrechtliche Fragen auf . Verfassungsrechtlich zeilichung des Melderechts . Für ihre Erforderlichkeit im sind wir seit dem Volkszählungsurteil und zu Recht ge- verfassungsrechtlich gebotenen Sinne ist nichts dargetan, bunden, kein nationales Bevölkerungsregister zu errich- sie war jahrelang durch Rot-Grün zutreffend abgeschafft, ten . Doch mit der – ich betone – dringend notwendigen ihre Wiedereinführung 2013 war unnötig . Wir bedauern, und von allen Merkel-Regierungen bislang weitgehend dass sie auch in dieser Reform durch die Große Koalition verschlafenen Digitalisierung der Verwaltung verwirkli- nicht zurückgenommen wird . Diese Rücknahme wäre die chen sich die Risiken für Persönlichkeitsrechte und Da- Mindestvoraussetzung dafür, dass die Große Koalition tenschutz in undifferenzierten Vernetzungen und nicht heute ihren Entwurf als Entbürokratisierung bezeichnen hinreichend bestimmten Befugnissen im Umgang mit dürfte . den zunehmend verkoppelten Datenbeständen . Bei der Abschaffung der persönlichen Pflicht zur Ab- Gegen unseren Widerstand und unsere Stimmen nahm meldung bei Wegzug ins Ausland hat die Große Koaliti- die letzte Merkel-Regierung in der Reform von 2013 on dagegen wohl einen Schritt in die richtige Richtung weitere sowohl bürokratische als auch die Rechte der getan . Sie sollten sich dafür jedoch nicht allzu sehr abfei- Bürgerinnen und Bürger missachtende Regelungen in das ern, denn die Pflicht bleibt ja im Grundsatz bestehen, sie Melderecht auf . Hervorzuheben sind etwa die Hotelmel- kann nur zukünftig elektronisch erfolgen . Angesichts der depflicht sowie die Mitwirkungspflicht des Vermieters fehlenden Akzeptanz und der unzureichenden Unterstüt- bei An- und Abmeldung von Mieterinnen und Mietern . zung der Bürgerinnen und Bürger bei der Nutzung ent- sprechender Möglichkeiten wie De-Mail oder des elek- Um eines noch einmal klar zu sagen: Wir leugnen tronischen Personalausweises – also überwiegend der nicht, dass das Melderecht eine immer größere Bedeu- Versäumnisse der Merkel-Vorgängerregierungen beim tung für die Informationsordnung gewonnen hat, nicht E-Government – dürfte sich der Ertrag dieser Regelung allein für die Verwaltung, sondern auch für die Wirt- in engen Grenzen halten . schaft . Man muss das Bundesmelderecht nicht gleich zum informationellen Rückgrat einer modernen bürgero- Noch schlimmer sieht es bei der Mitwirkungspflicht rientierten Verwaltung stilisieren: Der damit geschaffene des Vermieters bei An- und Abmeldungen aus: Weil die Eindruck ist ja auch aus den oben genannten Gründen letzte Merkel-Reform des Melderechts aufgrund der lan- verfassungsrechtlich fragwürdig . Denn es bleibt dabei, gen Umsetzungsfrist von zwei Jahren – die technischen dass unsere Verwaltung grundsätzlich einer informatio- Möglichkeiten in Bund und Land waren der Grund – erst nellen Gewaltenteilung unterliegt . im vergangenen Jahr in Kraft trat, haben wir für die heute Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18175

(A) zu beschließende Abschaffung der Vermieterbestätigung unterliegen – das gilt natürlich gänzlich unabhängig von (C) der Abmeldung eine gesetzliche Regelung, die lediglich EM-Spielplänen . wenige Monate Lebensdauer erreichte . Wir haben Sie da- mals deutlich davor gewarnt, die 2002 abgeschaffte Mit- wirkungspflicht der Vermieter wieder einzuführen. Auch die SPD hat übrigens noch bis 2013 in der letzten Reform Anlage 19 davor gewarnt . Doch die höhere Einsicht und Lernfähig- Zu Protokoll gegebene Reden keit, auf die Kollege Krings uns zur Begründung im In- nenausschuss verwies, bleibt leider lückenhaft . zur Beratung: Wie sonst ist es zu erklären, dass die Mitwirkungs- – des von der Bundesregierung eingebrachten pflicht der Vermieter weiterhin, und zwar für dieAn- Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäu- meldung, gilt? Diese von Bürokratie und Misstrauen bungsmittelrechtlicher und anderer Vorschrif- gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen ten geprägte Regelung ist überflüssig, sie verhindert auch keine Scheinanmeldungen, den Nachweis entsprechen- – des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, der Wirkungen bleiben sie ohnehin schuldig . Wir fordern Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeord- Sie daher auf, ihre halbe Rolle rückwärts zu vervollstän- neter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu digen . Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten Gegen viele der Einzelregelungen in diesem Gesetz- (Tagesordnungspunkt 24 a und b) entwurf, das möchten wir betonen, bleibt im Einzelnen wenig einzuwenden . Wir begrüßen es vielmehr, dass die Michael Hennrich (CDU/CSU): Heute debattieren Vorschläge des Bundesrates aufgenommen werden, wie wir im Rahmen des zugrundeliegenden Gesetzes über etwa bei der Erteilung der Meldebescheinigung oder bei Änderungen im Betäubungsmittelgesetz, in der Betäu- der Melderegisterauskunft, die tatsächlich auch die In- bungsmittel-Verschreibungsverordnung und in der Be- teressen der Bürgerinnen und Bürger im ausgewogenen täubungsmittel-Außenhandelsverordnung . Blick behalten . Nicht zuletzt deswegen lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht in Gänze ab . Mit dem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften Zentral bleibt hingegen aus unserer Sicht, die Betei- soll die betäubungsmittelrechtliche Verkehrs- und Ver- ligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger im schreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimit- Rahmen des Melderechts zu betonen und damit stets teln, wie getrockneten Blüten und Extrakten, in standar- (B) auch ein wenig bekannter zu machen . disierter Qualität geschaffen werden . Denn es gibt leider (D) Lassen Sie uns, gemeinsam mit den übrigens auch eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten mit schwer- von der Bundesregierung in voller Absicht und seit Jah- wiegenden Erkrankungen, denen nach entsprechender ren völlig unterbesetzt gehaltenen Datenschutzbehörden Indikationsstellung Therapiealternativen zur Behandlung die Bürgerinnen und Bürger auf ihre eigenen Betroffe- fehlen . Für diese und nur für diese Patienten wollen wir nenrechte und Gestaltungsmöglichkeiten im Melderecht die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern, um immer wieder hinweisen . Nur so können sie weiterhin ihnen durch den qualitätsgesicherten und gleichsam le- Widerspruchsrechte geltend machen und sich gegen die galen Zugang zu medizinischen Cannabisarzneimitteln ungewünschte Zusendung von Wahlwerbebriefen oder Therapiealternativen zu ermöglichen . gegen die Adressweitergabe an Adressbuchverlage weh- Für eine angemessene und ausreichende Versorgung ren . dieser Patienten mit derartigen Arzneimitteln soll der Es ist richtig und wichtig, dass die Weitergabe von Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken grund- Meldedaten für Zwecke der Werbung oder des Adress- sätzlich ermöglicht werden . Dazu soll im Bundesinstitut handels weiterhin nur mit Einwilligung möglich ist . Eine für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine so- solche Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden . genannte Cannabisagentur eingerichtet werden, die den Schließlich können alle Bürgerinnen und Bürger im Rah- voraussichtlichen Bedarf an Medizinalhanf ausschreibt, men einer gebührenfreien Selbstauskunft gegenüber der Verträge über die Belieferung an Anbauer vergibt und die Meldebehörde erfahren, welche Daten über sie konkret gesamte Ernte erwirbt . Die Anbauer werden dabei selbst- gespeichert sind, woher diese Daten stammen und wer verständlich verpflichtet, die gesamte Ernte abzuliefern. die Empfänger regelmäßiger Datenübermittlungen sind . Die von Bundesgesundheitsminister Gröhe vorge- Auch die Nutzung dieser Betroffenenrechte trägt mit schlagene Änderung des Betäubungsmittelrechts ist da- dazu bei, dass die Melderegister auch zukünftig keine bei der richtige Weg . Denn wir wollen einen sicheren und uferlosen Allzweckdatenbanken werden . kontrollierten Zugang der Betroffenen unter staatlicher Unsere Informationsordnung und damit auch die Kontrolle . Eine umfassende Kontrolle des Anbaus und Verwaltung werden sich in den nächsten Jahren weiter der Erwerbskette setze ich voraus . Alle Beteiligten wer- massiv verändern . Das Element des Melderechts in sei- den die betäubungsmittel- und arzneimittelrechtlichen nem Verhältnis und im Kontext zu anderen vernetzten Vorschriften einhalten . Zudem wollen wir nicht, dass mit Datenbeständen muss zum Schutz der Grundrechte und etwaigen Abfallprodukten wie auch mit den angebauten der informationellen Selbstbestimmung daher weiterhin Erzeugnissen selbst illegaler Handel betrieben werden einer besonderen Beobachtungspflicht unseres Hauses kann . 18176 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Des Weiteren ist geplant, für gesetzlich Versicherte in angewiesenen Patienten wie eine Monstranz vor sich (C) eng begrenzten Fällen einen Anspruch auf Versorgung hertragen . Denn genau dieser einzig positive Aspekt der mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten, Extrak- Substanz THC bzw . Cannabis wird damit gesetzlich ge- ten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol regelt, und alle anderen Verwendungsmöglichkeiten kön- oder Nabilon zu schaffen . Die Krankenkassen werden nen damit eindeutig dem Drogenmissbrauch zugeordnet für diese Fälle künftig die anfallenden Kosten überneh- werden . Ich hoffe, dass wir durch diese klar strukturierte men . Dadurch wird kein Patient, der darauf angewiesen Regulierung die Debatte in diesem Punkt versachlichen ist bzw . für den Cannabisarzneimittel eine wichtige bzw . können, und bin gleichsam froh, dass wir Patienten und alternativlose Therapieoption darstellen und dieses indi- Patientinnen, für die Cannabisarzneimittel wirklich eine ziert worden ist, mehr in die Illegalität gedrängt . wichtige Therapiealternative und Erleichterung ihres Le- bens bedeuten, helfen können . Bis Ende 2018 soll dann auch mit der Leistungsüber- nahme durch Krankenkassen eine Teilnahme des Patien- ten an einer entsprechenden Begleitforschung gekoppelt Marlene Mortler (CDU/CSU): Was wir auf internati- sein, um die Erforschung der Wirksamkeit von Cannabis onalem Parkett fordern, das gilt selbstverständlich auch zu medizinischen Zwecken voranzubringen und wichtige bei uns zu Hause: Im Mittelpunkt der Drogenpolitik der Evidenz zu generieren . Bundesregierung stehen nicht Zeitgeist, Vorurteile oder Ideologien . Worum es uns geht, das ist der Mensch und Mit den geplanten Maßnahmen wird gleichzeitig ein seine Gesundheit! Die Gesundheit der Menschen ist der nicht zielführender Eigenanbau von Cannabis zur Selbst- Dreh- und Angelpunkt unserer Cannabispolitik . Genau therapie vermieden . Denn der von Grünen und Linken deshalb sage ich „Nein“ zum Freizeitkonsum von Can- propagierte Eigenanbau ist wegen der Unbestimmbarkeit nabis . Es gibt keinen Grund, der Freizeitdroge Cannabis des THC-Gehalts gefährlich und aus unserer Sicht ein die Absolution zu erteilen . Einfallstor für den Cannabismissbrauch . Es gibt nur eine Gesundheit . Dass auch andere Sub- Somit erfolgt auch eine deutliche Trennung des wei- stanzen gesundheitsschädlich sind, ist kein Argument terhin verbotenen und sanktionierten Umgangs mit Can- gegen, sondern ein Argument für einen streng geregelten nabis zu Genuss- und Rauschzwecken auf der einen und und kontrollierten Umgang mit Cannabis . Viel zu viele einer zukünftig ausschließlich erlaubten medizinisch-the- Menschen greifen bereits jetzt zum Joint – trotz der be- rapeutischen Anwendung von Cannabis auf der anderen kannten gesundheitlichen Risiken, trotz des Verbots . Seite . Denn Cannabis ist und bleibt eine Substanz, die bei falscher Anwendung nicht nur berauschend wirken Die WHO hat gerade in einer Metastudie den For- kann, sondern auch erhebliche Gefahren birgt und bei der schungsstand zu Cannabis zusammengetragen . Das Er- (B) oftmals die Risiken durch die Konsumenten unterschätzt gebnis: Der Konsum der Droge Cannabis kann zu einem (D) werden . Rückzug aus dem alltäglichen Leben, zu Depressionen, zu Psychosen und Wahnvorstellungen ganz besonders Und hier, verehrte Kollegen von den Grünen und Lin- bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen führen . ken, bitte ich doch darum, die pharmakologische Thera- pie und Zulassung eines Arzneimittels nicht ideologisch Und wir wissen: Dort, wo Erwachsene legal an Can- zu vermengen mit einem wie auch immer formulierten nabis als Genussmittel kommen, steigt auch der Konsum Grundrecht auf Cannabiskonsum oder der Vorenthaltung unter Jugendlichen . Also: Keine Legalisierung zu Frei- eines Medikaments durch die oben beschriebenen Vo- zeitzwecken! raussetzungen . Würden wir hier von einem herkömmli- Cannabis hat jedoch zwei Seiten . Es ist eine Subs- chen chemisch erzeugten Arzneimittel sprechen, würden tanz, die Menschen auch helfen kann . Cannabis ist ein Sie die Forderung, dass es jeder in heimischer Küche Betäubungsmittel, das – um es in der Fachsprache zu nachmischen dürfen solle, ja vermutlich auch nicht stel- sagen – auch über ein medizinisch-therapeutisches Po- len . Wir gehen diese Thematik ganz nüchtern an, wie bei tenzial verfügt . Den Menschen und seine Gesundheit in jedem anderen Medikament auch, bei dem Zulassung, den Mittelpunkt zu stellen, heißt deshalb für mich auch, Herstellung, In-Vertrieb-Bringen und Verordnung klaren den Zugang zu Cannabis für all diejenigen zu erleichtern, Regeln unterworfen sind . denen Cannabis – und kein anderes Medikament – anhal- Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt tend helfen kann . auf der Hand; denn die bisher erforderliche Beantra- Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent- gung patientenindividueller Ausnahmeerlaubnisse beim wurf sieht deshalb vor, dass Ärztinnen und Ärzte künftig BfArM zum Erwerb von Cannabisblüten und -extrakten Cannabis an schwer erkrankte Patientinnen und Patien- aus Apotheken wird entbehrlich und die Kosten werden ten verschreiben dürfen, und zwar – das ist für mich von regelmäßig erstattet . Zudem erhöhen wir die Arzneimit- entscheidender Bedeutung – Cannabis, das wie andere telsicherheit, da der Zugang für die genannten Gruppen Medikamente und Medizinprodukte qualitätsgeprüft ist . erleichtert wird und sich niemand mehr illegal angebau- te Produkte mit nicht klar dosierbarem THC-Gehalt und Der Gesetzentwurf sieht unter bestimmten Voraus- ohne ärztliche Aufsicht zuführen braucht . setzungen auch eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen vor . Und mit diesem Gesetzentwurf begegnen wir endlich der Kritik der Legalisierungsbefürworter, welche die Verschreibbar, qualitätsgeprüft und erstattungsfähig – positiven Wirkungen von Cannabis gebetsmühlenartig um diesen Dreiklang geht es . Und dieser Dreiklang ist wiederholen und das Argument der medizinisch darauf ein großer Schritt nach vorn . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18177

(A) Es ist ja nicht so, dass Patientinnen und Patienten heu- allerdings prüfen, ob die für die Erhebung angedachten (C) te gar nicht an Cannabis kämen . Doch sind die Hürden Mittel ausreichend sind; aber dies werden wir an ande- viel zu hoch . Heute ist Cannabis in Form getrockneter rer Stelle nochmals thematisieren müssen . Wir sollten zu Blüten nur mit einer Ausnahmeerlaubnis des Bundesin- Cannabis als Medizin unbedingt Grundlagenforschung stituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erhältlich . finanzieren! Bisher hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medi- Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird sich nun zinprodukte 780 Patientinnen und Patienten eine entspre- jedenfalls endlich auf die Erkenntnisse jahrhundertealter chende Ausnahmeerlaubnis erteilt . Erfahrungen besonnen. Die Heilkräfte der Hanfpflanze Das Problem, auf das auch ich immer wieder von Be- sind schon seit der Frühgeschichte bekannt, in unserer troffenen angesprochen wurde, sind die hohen Kosten: Gesellschaft aber als Medizin weitestgehend außen vor 500, zum Teil auch 1 000 Euro im Monat für medizi- gelassen worden . nischen Cannabis sind für einen schwerkranken Patien- Aktuell darf Cannabis nur in sehr engen Grenzen ver- ten einfach zu viel: Eben dies müssen wir im Interesse schrieben werden, erstattet wird der Medizinalhanf nur schwerkranker Menschen ändern, die in ihrer Not keine in wenigen Fällen bei Fertigarzneien . De facto existieren Alternative sehen und denen Cannabis – dies ist eben- rund 779 Sondergenehmigungen, die im Wesentlichen falls wichtig – auch nach Einschätzung der behandelnden bei fünf Diagnosen, wie chronischen Schmerzen, multi- Ärzte wirklich helfen kann . pler Sklerose, Tourette-Syndrom, depressiven Störungen Für eine Cannabispolitik, die den Menschen und seine und ADHS, eine Verschreibung von Cannabisblüten er- Gesundheit in den Mittelpunkt stellt, hat sich Minister lauben . Und das vor dem Hintergrund, dass Experten da- Gröhe, dem ich für seinen Mut und sein Engagement in rauf immer wieder hinweisen, dass der Einsatz von Can- dieser Sache sehr herzlich danke, von Beginn dieser Le- nabis als Medizin zwar kein Wundermittel ist, aber doch gislaturperiode an eingesetzt . einer weitaus größeren Personenanzahl helfen würde . Ich bitte Sie alle um eine wohlwollende Beratung und Deutschland betritt somit im Jahre 2016 mit der Ein- eine schnelle Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes . bringung dieses Gesetzentwurfes auf dem Gebiet der Cannabismedizin für sich gesprochen Neuland . Nun- Und noch etwas: Ich bitte Sie alle, diese Beratungen mehr soll ein Suchtstoff, der als Genussmittel illegal ist nicht für Grundsatzdiskussionen über Cannabis zu nut- und dessen Anbau, Vertrieb und Besitz aktuell laut Be- zen . Worum es hier geht, ist schnelle und wirksame Hilfe täubungsmittelrecht strafrechtlich sanktioniert wird, als für Menschen in Not, die allesamt hoffen, dass das Ge- Medizin unter bestimmten Aspekten legalisiert werden . setz „Cannabis als Medizin“ besser heute als morgen in Kraft treten kann . Zentrale Herausforderung ist somit: Wie können die (B) Beschaffung und der Vertrieb realisiert und organisiert (D) werden? Burkhard Blienert (SPD): Mit dem heutigen Gesetz- entwurf folgt die Bundesregierung der aktuellen Recht- Natürlich gibt es auf dem Markt ausreichend Interes- sprechung . Die Gerichte hatten bekanntermaßen den senten, die nur auf das finale Go warten und sofort mit Gesetzgeber quasi zum Handeln genötigt . Eine gefühlte der Cannabisproduktion in Deutschland starten wollen . Ewigkeit hat es für viele Betroffene gedauert, bis nun Nach internationalen Abkommen bedarf es allerdings ei- nach der Ankündigung der Drogenbeauftragten endlich ner staatlichen Koordinierung . der Gesetzentwurf vorliegt . Nun hat der Gesetzentwurf Die Beschaffung und der Vertrieb sollen daher nun das Parlament erreicht . Mit ihm soll gewährleistet wer- über eine sogenannte Cannabisagentur, die dem BfArM den, dass Patienten, die auf die Heilkräfte der Hanfpflan- angegliedert ist, erfolgen; der Eigenanbau damit verhin- ze angewiesen sind, endlich diese Arznei unter bestimm- dert werden . ten Aspekten verschrieben und erstattet bekommen . So weit, so gut . Es besteht große Einigkeit darüber, Wir vollziehen somit einen wichtigen und richtigen dass sich im Bereich „Cannabis als Medizin“ etwas än- Schritt . Allerdings, und das darf nicht verschwiegen dern muss . werden: Ein wesentlicher Knackpunkt bei Cannabis als Medizin besteht natürlich darin, dass uns viele Studien Nun müssen wir im parlamentarischen Beratungs- zur Wirkungsweise und möglichen Anwendungsgebieten verfahren klären, an welchen Stellen der Gesetzentwurf noch nicht vollumfänglich vorliegen . Es fehlt in man- noch Schwachstellen aufweist, an welchen Stellen noch chen Bereichen die Evidenz . Beratungsbedarfe bestehen . Ich will mich im Folgenden auf drei wesentliche As- Hier haben wir einen klaren Nachholbedarf . Ich bin an pekte hierbei beschränken . dieser Stelle aber froh, dass das Ministerium mittlerwei- le Abstand von seinen ersten Überlegungen genommen Aspekt Therapiefreiheit: Derzeit ist geplant, dass hat, eine verpflichtende Begleitforschung im Gesetz zu chronisch kranke Menschen, bei denen keine Alternativ- verankern . Sie sollte ursprünglich ja die Bedingung für behandlung angeschlagen hat, infolge des Gesetzes nun die Kostenerstattung sein . Die jetzt im Gesetzentwurf Medizinalhanf beziehen können . Wer es verschrieben vorgesehene anonymisierte Begleiterhebung sehe ich als bekommen soll, obliegt dem behandelnden Arzt . Aller- gangbaren Weg, mehr Evidenz zu erhalten, ohne Patien- dings muss dieser, laut dem Entwurf, zunächst dem Me- ten zu Versuchskaninchen zu machen . In Hinblick auf dizinischen Dienst der Krankenkassen nachweisen, dass die bald beginnenden Haushaltsberatungen sollten wir der Patient tatsächlich austherapiert ist . Konkret bedeu- 18178 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) tet dies, dass jeder Erkrankte zunächst nachweislich alle Derzeit verfügen 779 Patientinnen und Patienten über (C) Therapiestufen durchlaufen muss . Wir sollten hier noch- eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Absatz 2 mals prüfen, ob dies wirklich der einzig machbare Weg des Betäubungsmittelgesetzes zum Erwerb von Cannabis ist . zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie . Allerdings müssen sie Aspekt Kostenerstattung: Der Gesetzentwurf sieht bislang die Kosten dafür selbst tragen; es gibt bisher kei- vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen, nen generellen Erstattungsanspruch gegenüber der Kran- wie soeben beschrieben, prüft, ob der Patient austhera- kenkasse . Im Durchschnitt fallen monatliche Kosten von piert ist und infolgedessen die Kosten für Medizinalhanf 540 Euro an, bei einigen Patientinnen und Patienten kön- erstattet bekommt . Auch hier wäre im parlamentarischen nen es jedoch bis zu 1 800 Euro im Monat sein . Neben Verfahren zu prüfen, welche Auswirkungen diese Rege- dieser Kostenbelastung plagt diesen Personenkreis die lung haben könnte . ständige Befürchtung, dass ihr Medikament nicht be- Aspekt Verkehrstüchtigkeit: Im Gesetzentwurf lässt schafft werden kann. Häufig treten Lieferengpässe auf, sich noch keine Regelung bezüglich der Fahrtüchtigkeit eine kontinuierliche Versorgung kann nicht immer ge- von Patienten, die Cannabisblüten verordnet bekommen währleistet werden . Für die betroffenen Menschen sind haben, finden. Es ist interessant, wie hier verfahren wer- diese Umstände fatal . den soll . Lassen Sie mich das Schicksal dieser Betroffenen an einem Beispiel aus meinem Nachbarwahlkreis in Bayern Nichtdestotrotz weist dieses Gesetzesvorhaben ein- schildern . Der junge Mann leidet an einer unheilbaren deutig in die richtige Richtung . Es greift die juristische seltenen Nervenkrankheit, ist ständigen Schmerzen aus- und vor allem auch die medizinische Notwendigkeit zum gesetzt . Er ist auf ein schmerzlinderndes Medikament Handeln auf . Drei Viertel der deutschen Bevölkerung be- angewiesen . Ausschließlich ein Medikament auf Can- fürworten, dass es Cannabis auf Rezept gibt . nabisbasis hilft . Alle anderen Medikamente wie zum Einen Satz noch zu den immer viel diskutierten Kos- Beispiel Morphium helfen kaum oder gar nicht und sind ten . Die Fachleute können aktuell nicht einschätzen, wie mit unzumutbaren Nebenwirkungen wie einer drama- sich die Patientenzahlen nach den neuen gesetzlichen Be- tischen Gewichtsabnahme verbunden . Es ist für diesen stimmungen entwickeln werden . Allerdings, wenn man Menschen wie für alle anderen in vergleichbarer Situ- die Zahlen auch aus anderen Ländern zu Rate zieht, ist ation eine echte Steigerung der Lebensqualität, wenn ein Anstieg zu vermuten . Der Gesetzentwurf selber geht er einigermaßen schmerzfrei leben kann . Dieser junge von einem Entlastungsvolumen für die Patientinnen und Mann hat versucht, seine Versorgungssicherheit durch Patienten von rund 1,7 Millionen Euro aus . Monatlich den Eigenanbau von Cannabispflanzen zu erreichen. Er (B) wären bis zu 1 800 Euro pro Patient wohl zu veranschla- ist vor einigen Wochen rechtskräftig wegen des Versto- (D) gen . Der Deutsche Hanfverband weist in diesem Zuge ßes gegen das Betäubungsmittelstrafrecht verurteilt wor- darauf hin, dass die Kosten für Fertigarzneien um ein den . Mit diesem Gesetz wird er in Zukunft nicht nur die Vielfaches höher lägen . Ich will an dieser Stelle ganz Kostenübernahme garantiert bekommen und nicht in die deutlich sagen, für mich steht der Patient im Mittelpunkt, Illegalität abgedrängt werden . Er wird auch eine höhere und daher hat zu gelten: Jeder, dem diese Arznei hilft, Versorgungssicherheit haben . muss diese auch ohne großen Geldbeutel einfach auf Re- Menschen mit solchen Erkrankungen sind meist noch, zept verschrieben und erstattet bekommen . Ich will im wie auch in dem von mir geschilderten Fall, nicht be- Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens erreichen, dass sonders vermögend, oft sogar arbeits- und mittellos . Die der Zugang zu Cannabis als Medizin problemlos gewähr- enormen Arzneimittelkosten haben sie oft noch in die leistet ist, das heißt ohne Versorgungslücken, ohne Qua- Verschuldung getrieben . Wir verbessern also auch die litätsrisiken bei der Cannabisarznei und ohne Mangel an Lebensumstände; wir gewährleisten mit diesem Gesetz verschreibungsberechtigten Ärzten . eine umfassende medizinische Versorgung . Jenseits von ideologischen Scheuklappen wird Linderung möglich . Ich bin daher, wie eingangs dargelegt, zufrieden, dass wir nun diesen wichtigen Schritt zu Cannabis als Medi- Auch wenn es sich derzeit um eine kleine Anzahl von zin angehen . Ich freue mich auf die Beratungen und bin Patientinnen und Patienten handelt, die Cannabisblüten zuversichtlich, dass wir zu einem guten Gesetz für alle und Cannabisextrakte auf ärztliche Verschreibung in Seiten gelangen werden . Apotheken zur Schmerzlinderung nutzen, so bedeutet es doch für den Einzelfall eine enorme Erleichterung . Alle, die ohne solche Schmerzen leben dürfen, können sicher (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz Hilde Mattheis nur ahnen, wie lebenserleichternd das ist . Zukünftig wer- zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer den neben den bisher zugelassenen Fertigarzneimitteln Vorschriften wird die Verkehrs- und Verschreibungsfä- auf Cannabisbasis auch getrocknete Cannabisblüten und higkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln hergestellt . Cannabisextrakte verkehrs- und verschreibungsfähig . Damit helfen wir Patientinnen und Patienten mit schwer- Durch eine anonyme Begleiterhebung sollen umfassen- wiegenden Erkrankungen, für die es keine Therapiealter- de Kenntnisse über die therapeutischen Ergebnisse einer native gibt . Sie leiden unter schweren Schmerzen durch Anwendung von Cannabis als Medizinprodukt gewon- Krankheiten wie multiple Sklerose, epileptische Anfälle nen werden . oder seltene andere Nervenerkrankungen . Arzneimittel auf Cannabisbasis können diesen Patientinnen und Pati- Für die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in enten Linderung verschaffen . kontrollierter Qualität soll der Anbau von Cannabis zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18179

(A) medizinischen Zwecken in Deutschland unter Beachtung ge Medizin vorenthielt . Diese Menschen konnten sich (C) der völkerrechtlich bindenden Vorgaben des VN-Ein- die teure Cannabismedizin schlichtweg nicht leisten . Ih- heits-Übereinkommens von 1961 über Suchtstoffe nen blieben nur zwei schlechte Möglichkeiten: entweder ermöglicht werden . Diese Aufgaben soll einer Cann- die Inkaufnahme der unerträglichen Schmerzen oder die abisagentur übertragen werden . Bis der staatlich kontrol- Gefahr der Kriminalisierung durch die verbotene Versor- lierte Anbau in Deutschland, der eine Cannabisagentur gung über den Schwarzmarkt . voraussetzt, erfolgen kann, wird die Versorgung mit Me- dizinalhanf über Importe gedeckt werden . Doch zum Glück hat Die Linke ihre Aufgabe als Op- positionsführerin erfüllt: Erst als der Bundesrat auf Ini- Im weiteren parlamentarischen Verfahren werden wir tiative Thüringens unter dem Linken-Ministerpräsiden- unter anderem beraten, wie sichergestellt werden kann, ten im letzten Jahr Druck machte, kam dass eine Versorgung auch in ländlichen Regionen ge- der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung zustande . währleistet ist, wie dorthin Lieferengpässe verhindert werden können und somit ein deutlich verbesserter Zu- Erst als wir unseren Antrag zur medizinischen Ver- gang zu Cannabisarzneimitteln zum Wohle der Patientin- wendung von Cannabis im Bundestag eingebracht haben, nen und Patienten erfolgen kann . kam Bewegung ins Spiel . Ich bin sehr froh, dass wir für diesen Patientinnen- Sie von der Unionsfraktion lesen unsere Anträge und Patientenkreis heute eine aus meiner Sicht überfäl- nicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesund- lige Entscheidung auf den Weg bringen . heitsministerium tun das offensichtlich schon . Und of- fensichtlich hielten sie unsere Kernforderungen für so Frank Tempel (DIE LINKE): Opposition und Pati- richtig, dass sie diese einfach übernommen haben: Dazu enten erkämpfen Verbesserungen bei Cannabismedizin . zählen zum Beispiel: die Kostenerstattung von Canna- bismedizin durch die Krankenkassen, die Möglichkeit, Grundsätzlich sind die von der Bundesregierung an- Cannabismedizin auch im Urlaub im EU-Ausland mit- gestrebten Änderungen zur medizinischen Versorgung führen zu dürfen, und dazu zählt die Einrichtung einer mit Cannabis richtig . Sie bedeuten eine Erleichterung für Cannabisagentur . viele schwerstkranke Menschen . Ganz entschieden muss ich jedoch dem Eindruck wi- Das ist tatsächlich ein Meilenstein: Nur mithilfe dieser dersprechen, die Bundesregierung hätte zum Wohl der Agentur kann in Deutschland überhaupt auf legalem Weg Patientinnen und Patienten gehandelt . Das hat sie aus- Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut werden . drücklich nicht . Ganz im Gegenteil: Über Jahre hat die Und nur so lassen sich die Lieferengpässe in der Versor- gung vermeiden, welche Die Linke mit einer Kleinen (B) Bundesregierung die medizinische Versorgung mit Can- (D) nabis aus ideologischen Gründen verhindert . Anfrage aufgedeckt hat . Man muss sich das vor Augen halten: Ein an multip- Auch wenn die erkämpften Verbesserungen jetzt auf ler Sklerose schwersterkrankter Patient muss sich trotz den Weg gebracht werden, an Ihrer Verweigerungshal- seiner Krankheit über Jahre hinweg durch alle Instanzen tung hat sich nichts verändert . bis zum Oberverwaltungsgericht klagen . Erst dann be- kommt er das Recht auf eine angemessene medizinische Regelmäßig haben Sie die Anträge meiner Fraktion in Versorgung zugesprochen . Das war im Mai dieses Jah- den Haushaltsberatungen abgelehnt . Darin wollten wir res . Und weil die Krankenkassen kein Cannabis erstatten, die Forschung für Cannabismedizin ausbauen . Nun feh- bekommt er sogar das Recht auf Eigenanbau zugespro- len die entsprechenden Studien . Und auch diesen Mangel chen . Erst verweigert ihm die Politik jede Hilfe . Dann müssen nun die Patientinnen und Patienten ausbaden . ist sie nicht mal in der Lage, die Patienten ausreichend Cannabismedizin bekommt erst derjenige erstattet, der mit einem Medikament zu versorgen . Das ist komplette sich für die Begleitforschung zwangsrekrutieren lässt . Politikverweigerung auf dem Rücken kranker Menschen . Das ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Medizin . Erst als sich eine Vielzahl von Patientinnen und Pati- enten ihr Recht vor den Gerichten auf eine angemessene Im Übrigen wird Ihnen jeder Mediziner sagen, dass medizinische Versorgung erstreiten mussten, sah sich die 850 000 Euro für eine 60-monatige Begleitforschung Bundesregierung zum Handeln genötigt . Und auch hier- vorne und hinten nicht reichen . Deswegen gebe ich Ihnen bei ließ sie sich jede Menge Zeit . zum Abschluss noch einen Tipp: Wenn Sie schon nicht auf mich hören wollen, fragen Sie wenigstens ihren Arzt Zur Erinnerung: Bereits im Februar 2015 versprach oder Apotheker . die Bundesdrogenbeauftragte die Kostenübernahme von Cannabis durch die Krankenkassen ab dem Jahr 2016 . Doch der Kabinettsbeschluss ließ bis Mai dieses Jahres Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die auf sich warten . Bundesregierung hat sich viel Zeit gelassen, um endlich zu erkennen, dass die Bedürfnisse von Patientinnen und Auf meine Nachfrage konnte die Bundesregierung Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, nicht mal die sachlichen Gründe für die Verzögerung be- nicht länger ignoriert werden können . Ich setze mich be- nennen . Auch das ist eine Form der Politikverweigerung . reits seit fast zehn Jahren dafür ein, dass der Zugang zu In der Zwischenzeit schrieben mir verzweifelte Men- Cannabis als Medizin für betroffene Patientinnen und schen, denen die Bundesregierung ihre lebensnotwendi- Patienten auch in Deutschland endlich ermöglicht wird . 18180 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Denn Fakt ist: Deutschland hinkt mächtig hinter- ten und sah keinen Handlungsbedarf . 2011 forderten wir (C) her und hat schwerkranken Patientinnen und Patienten Grünen die Bundesregierung erneut auf, den straffreien jahrelang dicke Steine in den Weg gelegt . In mehreren Zugang zu Cannabis als Medizin für Patientinnen und US-Bundesstaaten, in Kanada, den Niederlanden und Patienten, die Cannabis auf ärztliche Empfehlung hin Israel ist die medizinische Verwendung von Cannabis nutzen, zu ermöglichen . Zudem sollte die zulassungs- längst möglich . In anderen Ländern wie Spanien oder überschreitende Verschreibung, der Off-Label-Use, von Belgien müssen Patientinnen und Patienten, die auf Can- bereits zugelassenen Fertigarzneimitteln auf der Basis nabis als Medizin angewiesen sind, keine Strafverfol- von Cannabis erleichtert werden und dadurch eine Kos- gung fürchten . tenübernahme durch die Krankenkassen erfolgen . Auch damals lehnte die Regierung von Union und FDP unseren Patientinnen und Patienten, die aus medizinischen Antrag ab, obwohl sich auch zu jenem Zeitpunkt die Si- Gründen auf Cannabis angewiesen sind, leiden unter tuation von betroffenen Patientinnen und Patienten kei- schweren chronischen Erkrankungen, die teilweise töd- neswegs gebessert hatte . lich verlaufen . Standardtherapien haben bei betroffenen Patientinnen und Patienten entweder versagt oder gehen Experten in der Anhörung des Gesundheitsausschus- mit so starken Nebenwirkungen einher, dass der gesund- ses haben sich schon vor vielen Jahren für eine Möglich- heitliche Zustand verschlechtert wird . Patientinnen und keit zur medizinischen Verwendung von Cannabis aus- Patienten, denen Cannabis hilft, wurden erfolglos thera- gesprochen . Sie haben auch nicht die Wirksamkeit von piert und finden Linderung ihrer Symptome nur in der Cannabis für bestimmte Indikationen in Abrede gestellt . Behandlung mit cannabishaltigen Medikamenten oder Und sie haben ein durch den medizinischen Cannabisge- getrockneten Cannabisblüten . Die Cannabistherapie be- brauch resultierendes Gesundheitsrisiko einer Abhängig- deutet bessere Lebensqualität . keitsentwicklung für vernachlässigbar erklärt . Schon aus moralischen Gründen darf schwer erkrank- Dass die Bundesregierung jetzt ihre Meinung geändert ten Patientinnen und Patienten ohne Behandlungsal- hat und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt ternativen eine adäquate Therapie mit Cannabis nicht hat, zeigt, dass sich die Bundesregierung dem langjäh- verweigert werden . Das wird auch durch mehrere Ge- rigen Einsatz betroffener Patientinnen und Patienten für richtsbeschlüsse deutlich . Darüber hinaus stellt sich je- ihre Belange, Gerichtsurteilen zu Cannabis als Medizin doch auch die Frage der sozialen und gesellschaftlichen und dem zunehmendem politischen Druck auch von uns Verantwortung . Denn betroffenen Patientinnen und Pa- Grünen nicht länger entziehen und entgegenstellen kann . tienten steht, bis auf wenige Ausnahmen, keine Kosten­ Die Bundesregierung geht das Thema medizinisches erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu . Cannabis jedoch immer noch mit Scheuklappen an . Ihr Cannabis-Patientinnen und -Patienten leiden nicht nur an (B) Vorschlag verbessert die Behandlungssituation von Be- (D) ihrer Erkrankung, sondern werden im Falle der mühsam troffenen nur minimal . Die Zahl der beantragten Ausnah- erwirkten Ausnahmegenehmigung durch das Bundesins- megenehmigungen zeigt: Immer mehr Patientinnen und titut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit den enor- Patienten sind auf Cannabis als Medizin angewiesen, um men Behandlungskosten von bis zu 1 500 Euro im Monat ihre Symptome zu lindern . Die Zahl der genehmigten konfrontiert. Das übersteigt in vielen Fällen die finanzi- Anträge ist von 2011 mit 38 ausgestellten Ausnahmege- ellen Möglichkeiten der häufig arbeitsunfähigen Patien- nehmigungen auf aktuelle 779 Ausnahmegenehmigun- tinnen und Patienten . Wer die hohen Kosten nicht selbst gen gestiegen . aufbringen kann, um Medizinalhanf in der Apotheke zu beziehen, sieht sich gezwungen, das günstigere, aber un- Cannabishaltige Medikamente und getrocknete Can- kontrollierte und verunreinigte Cannabis vom Schwarz- nabisblüten sollen aber weiterhin nur dann verschrieben markt zu beziehen oder Cannabis selbst anzubauen . Die werden dürfen, wenn die Betroffenen alle anderen Be- Folge sind Strafverfahren, die nur unter der Auflage ein- handlungsmöglichkeiten erfolglos und oft mit schwer- gestellt werden, zukünftig kein Cannabis mehr zu kon- wiegenden Nebenwirkungen ausprobiert haben . Zudem sumieren . Da viele Patientinnen und Patienten auf eine soll die Krankenkasse erst dann zahlen, wenn sich die regelmäßige Einnahme von Cannabis angewiesen sind, Betroffenen für eine Begleiterhebung zur Verfügung stel- werden sie zudem als Wiederholungstäterinnen und -tä- len . Die Bundesregierung legt damit Schwerkranken auf ter oder wegen des Besitzes nicht geringer Mengen zu der Suche nach Hilfe weiterhin dicke Steine in den Weg . empfindlichen Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Damit werden ausgerechnet jene Menschen der Strafverfolgung Die verpflichtende Begleiterhebung ist eine Farce. Das ausgesetzt, die aufgrund ihrer teilweise schweren Erkran- wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf unsere kung ohnehin körperlich und seelisch erheblich belastet Kleine Anfrage „Versorgung mit Cannabis als Medizin“ sind . deutlich . Denn die Bundesregierung geht selbst davon aus, dass die Ergebnisse der Begleiterhebung kaum Aus- Darum habe ich bereits 2007 gefordert, dass die straf- sagekraft haben werden . Dass Patientinnen und Patienten rechtliche Verfolgung von Menschen, die Cannabis aus dennoch daran teilnehmen müssen, um ihre Therapie- medizinischen Gründen verwenden, besitzen oder an- kosten erstattet zu bekommen, grenzt an Nötigung . Die bauen, beendet wird . Des Weiteren habe ich mich dafür Bindung der Kostenerstattung an die Teilnahme an der eingesetzt, dass arzneimittelrechtlich zugelassene Canna- Begleiterhebung ist ein Novum, das den betroffenen Pa- bisextrakte wie Dronabinol verschreibungsfähig werden . tientinnen und Patienten die Selbstbestimmung nimmt . Die damalige Regierungskoalition von Union und SPD Denn indirekt Zwang auf schwerkranke Patientinnen und ignorierte die Bedürfnisse der Patientinnen und Patien- Patienten auszuüben, ist schäbig, als ob es nicht auch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18181

(A) freiwillige Lösungen gäbe . Anstatt fragwürdiger und sehrtheit berufen . Auch wenn die Bundesregierung die (C) erzwungener Begleiterhebungen sollte die Bundesregie- Möglichkeit des Eigenanbaus in ihrem Gesetzentwurf rung lieber solide Forschungsvorhaben zur Wirksamkeit aus ordnungs- und sicherheitspolitischen Gründen aus- von Cannabis als Medizin fördern . schließt, kann sie das Urteil des Bundesverwaltungsge- richts nicht ignorieren . Schwerkranke Patientinnen und Wissenschaftliche Untersuchungen belegen bereits Patienten können nicht länger warten, bis der Gesetzent- heute, dass Cannabis bei schweren Erkrankungen wie wurf beschlossen wurde und vielleicht erst in ein paar HIV, multipler Sklerose, chronischen Schmerzen, Epilep- Jahren genug Medizinalhanf zur Verfügung steht, der sie oder Krebs Linderung bewirken kann . So ist ein the- aus der Apotheke bezogen werden kann . Denn schon rapeutischer Effekt im Hinblick auf Übelkeit, Erbrechen, heute gibt es Lieferengpässe, sodass die Apotheken die Appetitlosigkeit oder Angstzustände bei Tumorpatientin- Versorgung mit Cannabis als Medizin nicht immer ge- nen und -patienten belegt . Erkenntnisse zur Wirksamkeit währleisten können . Mindestens bis dahin muss auch der gibt es auch bei der Spastik bei Multiple-Sklerose-Pa- Eigenanbau genehmigt werden . Und hier würde die Bun- tientinnen und -Patienten, erhöhtem Augeninnendruck, desregierung endlich gut daran tun, die Strafverfolgung Tourette-Syndrom oder bei starken Schmerzen unter- von Inhabern einer Sondererlaubnis für Eigenanbau von schiedlichster Ursachen . Cannabis zu beenden . Die Strafverfolgung von Men- Grundsätzlich ist die Erforschung von Cannabis als schen, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, ist Medizin zu begrüßen . Denn tatsächlich ist die Erfor- skandalös und inhuman . schung von Cannabis als Medizin noch nicht abgeschlos- sen, auch weil sie jahrelang durch restriktive Gesetze behindert wurde . Die fehlenden Daten bedeuten jedoch Anlage 20 nicht, dass Cannabis nicht wirkt . Nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Ärztinnen und Ärzte haben Zu Protokoll gegebene Reden gute Erfahrungen mit dem Einsatz von medizinischem Cannabis gemacht . zur Beratung: Wie dringend notwendig diese Forschungsförderung – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD ist, zeigt sich auch an einem anderen Aspekt: Die ge- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entschädi- setzlichen Krankenkassen haben bereits angezweifelt, gung für die Radargeschädigten der Bundes- ob sie die Kosten für Medizinalhanf erstatten müssen, da wehr und der ehemaligen NVA noch weiter ver- die Wirksamkeit dieser Therapie nicht in jedem Fall be- bessern wiesen ist . Die Versorgung mit medizinischem Cannabis – des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, (B) steht damit schon jetzt auf wackligen Beinen . Die Prü- Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- (D) fung der Anträge auf Kostenerstattung bei betroffenen geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ra- Patientinnen und Patienten soll der Medizinische Dienst darstrahlengeschädigte der Bundeswehr und der Krankenkassen vornehmen, der bislang noch keine der ehemaligen NVA besser entschädigen Erfahrung mit dem Einsatz von Cannabis als Medizin und einer Nutzen-Schaden-Abwägung im Vergleich zu (Tagesordnungspunkt 25 a und b) anerkannten medizinischen Verfahren hat . Es wird sich zeigen, wie restriktiv der Medizinische Dienst der Kran- Ingo Gädechens (CDU/CSU): In einem fraktions- kenkassen die Regelungen im Gesetzentwurf auslegen übergreifenden Antrag wollen wir heute die Entschädi- wird, insbesondere wenn es um die Fragen geht, was eine gung von Radargeschädigten der Bundeswehr und der schwerwiegende Erkrankung ist und wann ein Mensch ehemaligen NVA weiter verbessern . als erfolglos therapiert gilt . Im Zweifelsfall müssten Viele Soldaten haben während ihrer Dienstzeit an mi- betroffene Patientinnen und Patienten weiter die hohen litärischen Radaranlagen – aufgrund von Mängeln bei Kosten selbst aufbringen oder vor Gericht ihr Recht er- den Sicherheitsvorkehrungen – gesundheitliche Schäden streiten . Das ist für schwerkranke Menschen unzumutbar . davongetragen . Der Union war es immer wichtig, dass Wir werben sehr dafür, dass für betroffene Patientinnen diese Kameradinnen und Kameraden möglichst unbüro- und Patienten endlich eine Regelung geschaffen wird, kratisch entschädigt werden, denn sie haben im Dienst die eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Kran- für unser Land zum Teil erhebliche Beeinträchtigungen kenversicherungen verbindlich macht und garantiert . und Krankheiten davongetragen, die ihre heutige Le- Diesbezüglich hat auch das Bundesverwaltungsge- bensqualität deutlich einschränken . richt jüngst entschieden, dass der Eigenanbau von Can- Das Bundesministerium der Verteidigung war und ist nabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patien- daher in der Fürsorgepflicht, dieser Personengruppe eine ten, die an einer schweren Erkrankung leiden und denen angemessene Wiedergutmachung nach dem Wehrdienst- zur Behandlung der Krankheit keine gleich wirksame beschädigungsverfahren zukommen zu lassen . Und auch und erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung unter dem Druck aus dem parlamentarischen Raum ist steht, erlaubt ist . Die Leipziger Richter begründeten in das Bundesministerium in den vergangenen Jahren tätig ihrem Urteil, dass in solchen Fällen der Eigenanbau be- geworden und ist seiner Verpflichtung nachgekommen. täubungsmittelrechtlich im öffentlichen Interesse liegt . Dafür gilt mein herzlicher Dank . Wenn es keine anderweitigen Versagensgründe gibt, sei die Erlaubnis zwingend . Denn erkrankte Menschen Es wäre zu wünschen gewesen, dass das ein oder an- könnten sich hier auf ihr Recht auf körperliche Unver- dere Verfahren in der Vergangenheit zügiger zum Ab- 18182 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) schluss gekommen wäre, aber auch hier sind in der Zwi- BMVg dazu auf, am Ball zu bleiben und die Empfehlun- (C) schenzeit deutliche Fortschritte gemacht worden . gen der Meineke-Kommission zügig umzusetzen . Fortschritte in der Entschädigungspraxis konnten in der Vergangenheit auch durch ein vereinfachtes Anerken- Karin Strenz (CDU/CSU): Ich habe vor wenigen nungsverfahren erreicht werden: Wochen hier im Deutschen Bundestag zum zweiten Ge- setz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR Da aufgrund bereits vernichteter Dokumentationsun- gesprochen . Auf der Grundlage des Staatsplan 1425 wur- terlagen eine lückenlose Nachweis- und Beweisführung den die damaligen Leistungssportler unwissentlich ge- in vielen Fällen nicht mehr möglich ist, war es richtig, dopt, die gesundheitlichen Auswirkungen machten sich ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren anzusetzen, jedoch erst viel später bemerkbar . Viele Opfer leiden bei dem eine qualifizierte Erkrankung und eine -quali heute massiv unter diesen Spätfolgen, deswegen war es fizierte Tätigkeit an den Radaranlagen geprüft wurden. unsere Pflicht, eben diesen Menschen unter die Arme zu Dieses vereinfachte Verfahren hat sich bewährt und dazu greifen . geführt, dass viele Betroffene in den letzten Jahren ent- Kommen wir zu unserem heutigen Thema: Nicht an- schädigt werden konnten . ders ist es mit den Opfern, die durch schädliche Strah- Vor dem Hintergrund, dass seit dem Bericht der Ra- lung an militärischen Radargeräten heute mit erheblich darkommission vom 2 . Juli 2003 neue wissenschaftliche gesundheitlichen Folgen zu kämpfen haben . Über die Erkenntnisse zum Tragen kommen, war es richtig, dass Gefahren hat damals wie schon beim Doping keiner ge- das Bundesministerium der Verteidigung eine erneute sprochen – der Mensch hatte zu funktionieren und seine wissenschaftliche Überprüfung von Krankheitsbildern Aufgaben zu erfüllen . Krebs, Tumore, Amputationen, in Auftrag gegeben hat . Die Meineke-Kommission hat Fehlbildungen menschlicher Organe und Glieder, um nur am 19 . Februar 2016 ihren Abschlussbericht vorgelegt . einige unglaublich tragische Beispiele zu nennen, sind Dieser hat ausführlich die aktuellen wissenschaftlichen, die schreckliche Bilanz . medizinischen und strahlenbiologischen Erkenntnisse Die massiven Schäden durch eben diese militärischen dargestellt und klare Empfehlungen im Umgang mit der Radaranlagen haben eine nicht genau zu identifizierende Radarproblematik ausgesprochen . Das Bundesministeri- Anzahl von Soldaten, aber auch zivilen Angestellten der um der Verteidigung hat zu diesem Bericht ebenfalls eine Bundeswehr sowie der NVA erlitten, die im Zeitraum ab umfassende Stellungnahme vorgelegt, die den Empfeh- den 50er-Jahren bis in die 80er-Jahre hinein ihren Dienst lungen der Meineke-Kommission damit weitestgehend an den Geräten leisteten . Dabei waren die Opfer zum Teil folgt . Röntgenstrahlung und Mikrowellenstrahlung ausgesetzt . (B) Für die Unionsfraktion ist wichtig, dass Entschädi- Ein Großteil dieser Menschen entwickelte die schon an- (D) gungen für Krankheitsbilder auf Grundlage der Wehr- gesprochenen Erkrankungen, die mit der Röntgenstrah- dienstbeschädigungsverfahren nur gewährt werden, so- lung zweifelsfrei in Verbindung gebracht werden können . lange eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass Dieses heikle Thema zieht sich nun schon einige Jah- diese im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als Radar- re durch die parlamentarischen Gremien . Ein Rückblick: soldat stehen . Eine gewisse Plausibilität muss gegeben Was ist bisher geschehen? Der Deutsche Bundestag hat sein, alles andere wäre Willkür . Deshalb ist für die Union im Jahre 2002 das Bundesministerium der Verteidigung klar, dass auch weiterhin ein eindeutiger Zusammenhang aufgefordert, eine Kommission mit unabhängigen Exper- einer qualifizierenden Erkrankung und einer qualifizie- ten einzurichten . Ziel war es, die Frage nach der Gefähr- renden Tätigkeit vorhanden sein muss, um eine faire Ent- dung durch Strahlung in Einrichtungen der Bundeswehr schädigung zu ermöglichen . und NVA näher zu beleuchten . In diesem Zusammen- Der Deutsche Bundestag hat ein vitales Interesse da- hang wurde schließlich 2003 ein Bericht erstellt . Dieser ran, dass der betroffene Personenkreis schnell und un- umfasst einen Kriterienkatalog, der als Maßstab dafür bürokratisch entschädigt wird . Daher muss das BMVg dient, welche Erkrankungen auf Radarstrahlen zurückzu- ausreichend Personal im Bundesamt für Personalmanage- führen seien . ment vorhalten, welches die Radarfälle bearbeitet . Auch Zudem haben wir mit der Unterzeichnung des Treu- die zügige Anerkennung von weiteren Krankheitsbildern handvertrages zwischen dem Bundesministerium der und Symptomen als qualifizierte Erkrankungen ist anzu- Verteidigung und dem Soldatenhilfswerk der Bundes- mahnen – sofern hierfür eine fundierte wissenschaftliche wehr e V. . am 22 .Mai 2012 unter der Trägerschaft des Basis gegeben ist . Der Bundestag wird die Umsetzung Soldatenhilfswerks der Bundeswehr e V. . die „Treuhän- der im Antrag genannten Punkte genau überprüfen und derische Stiftung zur Unterstützung besonderer Härtefäl- erwartet hierzu vom BMVg einen Zwischenbericht bis le in der Bundeswehr und der ehemaligen NVA – kurz: Ende Oktober . Härtefallstiftung – zu dem Zweck errichtet, insbesondere krankheitsbedingt entstandene Härten abzumildern . Die Entschädigungspraxis des Bundesministeriums der Verteidigung und die in den letzten Jahren bereits Um auch auf aktuelle Ergebnisse zurückgreifen zu deutlich beschleunigten Verwaltungsverfahren werden können, wurde Anfang des Jahres 2015 ein Symposium mit diesem Antrag in aller Deutlichkeit anerkannt und mit Experten unter der Leitung von Professor Dr .Meine - gelobt . Der hier vorliegende Antrag stellt somit keine ke abgehalten . Die Expertengruppe um Professor Mei- grundsätzliche Kritik am Vorgehen des Bundesministe- neke hat uns wertvolle Anregungen für die zielgerichtete riums der Verteidigung dar . Vielmehr fordert dieser das Fortentwicklung und Beschleunigung des Verwaltungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18183

(A) handelns und konstruktive Lösungswege für die Entschä- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Auf den ersten Blick (C) digung gegeben . Ein zentraler Punkt war die Empfehlung geht es bei der Radarstrahlenproblematik um Zahlen, von vereinfachten Kriterien und Beweiserleichterungen Statistiken und Fakten . Es geht um Entschädigungsver- für die Anerkennung von Versorgungsanträgen . An die- fahren, Gerichtsfälle, Strahlenexposition, Millisievert ser Stelle möchte ich der Expertengruppe für ihre fachli- und Krankheitsbilder . Diese Rahmendaten lassen nur er- che Arbeit herzlich danken . ahnen, dass dahinter Menschen stecken – Hunderte ehe- malige Soldaten, eingesetzt in Flugzeugen, auf Schiffen Im Vorfeld dieses Symposiums habe ich die zustän- und Panzern digen Berichterstatter der Fraktionen, Mitglieder des „Bund zur Unterstützung Radarstrahlengeschädigter In der Zeit von 1960 bis 1985 waren sie als Radar- Deutschland e V. “. und die Vertreter aus dem Verteidi- techniker und Unterstützungspersonal mit Radargeräten gungsministerium zu einer Gesprächsrunde eingeladen . im Kontakt, bei der Bundeswehr und bei der NVA . Die Dieses Gespräch war in meinen Augen absolut wichtig – dadurch entstandenen Krankheiten, allen voran Krebs, eine gemeinsame Runde mit den Betroffenen sowie Ent- haben ihre Leben schwer gezeichnet oder ihnen gar ein scheidungsträgern hilft uns, die Dinge gemeinsam weiter Ende gesetzt . Sie kämpfen seit geschlagenen 16 Jahren anzupacken . Es ist wichtig, an einem Strang zu ziehen . um eine ordentliche Anerkennung und Entschädigung . Heute nun gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt Man rechnet damit, dass 240 von ihnen bereits verstor- in die richtige Richtung . Wir Parlamentarier sind mit die- ben sind. Das Perfide daran: Bis in der 1990er-Jahre hin- sem Antrag darum bemüht, den Fortschritt in der Ent- ein bestritt die Bundeswehr noch einen Zusammenhang schädigungspraxis weitergehend zu unterstützen sowie zwischen Radarstrahlungen und Erkrankungen . Was mit zusätzlichen Forderungen den Opfern zügig unter die heute jedes Kind weiß, konnten die Soldaten damals nur Arme zu greifen . Im Folgenden möchte ich näher auf un- ahnen . seren neuen Antrag eingehen . Dennoch wäre es kindlich zu glauben, dass eine Ent- So setzen wir uns für mehr Personal im Bundesamt für schädigung damit geregelt wäre . Bis heute müssen die das Personalmamagement der Bundeswehr ein, welches meist älteren Geschädigten ihre Ansprüche in einem die Radarfälle bearbeitet . Ziel ist es, die Verfahrensdau- äußerst komplexen und langen Verfahren stellen . Dabei ern zu verkürzen . Viele Betroffene sind im Alter bereits müssen meist sie beweisen, dass sie an einem Radargerät weit vorangeschritten, deswegen ist es auch notwendig, tätig waren . Angesichts einer lückenhaften Dokumentati- keine wertvolle Zeit zu verlieren . on innerhalb der verschiedenen Wehrbereichsverwaltun- gen oft ein Ding der Unmöglichkeit . Dies mündet dann Neben der 1:1-Umsetzung der Entscheidungen der oft in unzähligen Gerichtsverfahren, die erst in jüngster Radarkommission aus dem Jahre 2003 fordern wir heute Vergangenheit zugunsten der Geschädigten ausgingen . (B) zugleich umgehend die Berücksichtigung der Empfeh- (D) lungen des Expertenberichts der Meineke-Kommission Man könnte an dieser Stelle die bisherige Chronik im Sinne der Stellungnahme des BMVg . der Radarsoldaten bis ins letzte Detail wiederholen und versuchen aufzuklären sowie einzelne Schicksale zu be- Weiterhin möchten wir die Zusammenarbeit mit der leuchten . Aber Tatsache ist: Dieses Thema stellt einen bereits angesprochenen Härtefall-Stiftung weiter intensi- schwarzen Fleck in der Geschichte der Bundeswehr dar . vieren . Dazu gehört in unseren Augen eine zusätzliche Ausstattung hinsichtlich der Mittel aus dem Einzel- Der Bundeswehrverwaltung wurde von den Gerichten plan 14 . mehr als einmal vorgehalten, wie schlecht die Zusam- Für eine hinreichende und zielführende Bearbeitung menarbeit funktioniert . Das Bundesministerium wies der Anträge erachten wir es zudem als unabdingbar, die jede Verantwortung für diese Misere von sich, jeder poli- Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse tische Vorstoß wurde als Affront interpretiert, politische in Forschung und Lehre zu beobachten und die gesicher- Verhandlungen wurden als unnötig abgetan . Manchmal ten Erkenntnisse in der künftigen Verwaltungspraxis zu hatte man gar den Eindruck, es wird auf Zeit gespielt – berücksichtigen . das Problem Radarsoldat würde sich selbst lösen . Im Angesicht des menschlichen Leids eine zynische Unge- Ein weiterer Punkt, der in unserem Antrag volle Be- heuerlichkeit . achtung findet, ist die Vorlegung eines Zwischenberichts zum Stand der Umsetzung an den Verteidigungsaus- Der nun vorliegende Antrag wird diesen Makel nicht schuss bis Ende Oktober 2016 . Die Evaluierung, die bereinigen können . Aber er geht ganz konkrete Schritte Grundlage stellt eben dieser Bericht, ist extrem wichtig . voran und leistet einen entscheidenden Beitrag zur An- Dies trifft generell auf jeden verabschiedeten Antrag zu, erkennung des Schadens . Er versucht da Fehler auszubü- aber aufgrund der enormen Wichtigkeit dieses sensiblen geln, wo es hakt . Und er ist ein klares Signal an die Sol- Bereichs müssen wir hier umso mehr hinschauen . Es ist datinnen und Soldaten: Dies ist unsere Parlamentsarmee, oberste Prämisse, dass möglichst viele Menschen, die mit wir kümmern uns um euch! den gesundheitlichen Einschränkungen und Folgeerkran- Erstens beruhen Wehrdienstbeschädigungsverfahren kungen zu kämpfen haben, berücksichtigt werden . bislang auf einer vom Deutschen Bundestag 2002 ein- Wir alle können sicher sein, dass in der Bundeswehr- gesetzten Expertenkommission, die nur bösartige, so- verwaltung weiterhin intensiv an der Optimierung der genannte maligne Tumore und Katarakte als qualifizie- Verfahren gearbeitet wird und die Radarfälle oberste Pri- rende Erkrankungen anerkennt . Nun sollen die neuesten orität haben . wissenschaftlichen Erkenntnisse mit in die Entscheidung 18184 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) fließen. Klar ist zum Beispiel, dass ab sofort auch gutar- im Umgang mit ionisierender Strahlung an Radargeräten . (C) tige Tumore berücksichtigt werden . Aus diesem Grund müssen auch die Betroffenen gleich behandelt werden ─ egal in welcher Armee sie früher ge- Zweitens mussten Geschädigte in der Vergangenheit dient haben . selbst den Kausalzusammenhang zwischen Radargerät und Erkrankung nachweisen . Nun erfolgt eine Beweiser- Sehr spät, immerhin 13 Jahre nach dem Bericht der leichterung auch in der sogenannten Phase zwei zuguns- Radarkommission, hat sich die Bundesregierung nun- ten des Antragstellers . mehr selbst eingestanden, dass sie das Problem nicht länger aussitzen kann . Die Bundeswehr schadet ihrem Drittens wird das Personal zur Bearbeitung von Ra- Image, solange sie den Dienstversehrten die kalte Schul- darfällen aufgestockt . ter zeigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn endet eben Viertens wird die Härtefallstiftung besser ausgestattet nicht am Kasernentor . und einbezogen . Sie springt immer dann ein, wenn selbst die Entschädigungsanträge zu keinem Ergebnis führen . Die Koalition hätte die Gelegenheit nutzen können, um Sie steht für mich dafür, dass die Menschen mehr ver- die Opposition mit ins Boot zu holen . Es wäre zweifellos dient haben als pure Bürokratie und Verwaltungsakte ent- im Interesse der Sache gewesen, wenn sich der gesam- lang starrer Vorgaben . te Bundestag in die Verantwortung hätte nehmen lassen . Die Linke ist dazu bereit gewesen . Stattdessen wurde auf Fünftens wird auch endlich für eine Studie zu mög- alleiniges Betreiben der CDU/CSU-Fraktionsspitze die lichen Genschädigungen von Nachkommen von Radar- Linke von dem interfraktionellen Antrag nachträglich technikern grünes Licht gegeben . ausgeschlossen . Sie zeigen damit, dass es ihnen nicht um die Sache geht, sondern um Parteiideologie . Es über- Fehler der Vergangenheit wie die fehlende Aner- rascht deshalb nicht, dass sie den Tagesordnungspunkt zu kennung von Radarstrahlenschädigungen werden wir später mitternächtlicher Stunde aufgesetzt haben, um die niemals ganz wegbekommen . Aber wir können daran Angelegenheit möglichst geräuschlos ohne öffentliche arbeiten . Dass dies mit dem vorliegenden Antrag nicht Debatte durchzuwinken . Sie werden dies wahrscheinlich fraktionsübergreifend funktioniert, empfinde ich persön- gar nicht erwarten: Ich bedanke mich dennoch an dieser lich als überaus peinlich . In Richtung der Fraktion CDU/ Stelle ausdrücklich bei den Berichterstatterinnen und Be- CSU: Mir ist es egal, ob neben SPD auf dem Briefkopf richterstattern aller Fraktionen für die gute Zusammenar- auch die Fraktion der Linken steht . Das ändert nichts am beit . An ihnen hat es nicht gelegen, sondern an der Frak- Inhalt, sehr wohl aber das Signal an die Soldatinnen und tionsführung der CDU/CSU . Die Linke musste deshalb Soldaten: Wir, das Parlament, stehen hinter euch . Wir un- einen eigenen Antrag vorlegen, der einige weitergehende terstützen euch, wenn es darauf ankommt . (B) Verbesserungen für die Betroffenen enthält . Bei dem in- (D) Die Bundeswehr besteht meines Erachtens aus mehr terfraktionellen Antrag werden wir uns enthalten . als Panzern, Flugzeugen, Schiffen und Material . Sie be- steht aus Menschen . Wir unterstützen die Forderung des Bundes zur Un- terstützung Radarstrahlengeschädigter nach Einrichtung eines unabhängigen Expertengremiums, das in strittigen Katrin Kunert (DIE LINKE): Radarstrahlenopfer: Einzelfällen vermitteln soll . Nach den bisherigen Erfah- Zeit zum Handeln statt zum Aussitzen! – Seit Jahrzehn- rungen mit der Blockadepolitik des Verteidigungsminis- ten führen viele ehemalige Bundeswehr- und NVA-An- teriums sind die Befürchtungen der Betroffenen nur allzu gehörige einen engagierten, aber häufig vergeblichen berechtigt, dass anderenfalls die Auszahlung von Ent- Kampf um Anerkennung und Entschädigung für ihre im schädigungen weiterhin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag Dienst erlittenen schweren Gesundheitsschäden . Oft geht hinausgeschoben wird . Das ist nicht hinnehmbar . Vor es dabei um Krebserkrankungen als Folge von radioakti- diesem Hintergrund: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist ver Strahlung an Radargeräten, an denen die Betroffenen besser . gearbeitet haben . Die Ministerialbürokratie des Vertei- digungsministeriums wirft ihnen ständig Knüppel zwi- Das zeigt auch die Vorgeschichte des interfraktio- schen die Beine und befürchtet offenbar einen Damm- nellen Antrags: Das Verteidigungsministerium hat im bruch, wenn zu viele von ihnen recht bekämen . Dazu ist Februar 2015 ein Fachsymposium mit von ihm selbst es bislang nicht gekommen, da viele der todkranken ehe- benannten Expertinnen und Experten durchgeführt, was maligen Soldaten im Laufe der sich endlos hinschleppen- durchaus symptomatisch für das Vorgehen der Bundes- den Verfahren versterben . Die Bundesregierung musste regierung ist . Doch selbst die eigenen Expertinnen und auf schriftliche Nachfrage einräumen, dass seit 2003 von Experten haben der Bundesregierung bescheinigt, dass 748 Antragstellern nachweislich mindestens 117 verstor- künftig alle gutartigen Tumore in den Katalog der erstat- ben sind .– So darf mit schwerstkranken Menschen nicht tungsfähigen Erkrankungen aufgenommen werden müs- umgegangen werden . sen . Nur deshalb hat sie ihren Widerstand dagegen aufge- geben . Es ist gut, dass sie wenigstens darauf gehört hat . Ich bin mir sicher: Wären nur ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee der DDR betroffen, hätte die Die Linke ist darüber hinaus der Meinung, dass auch Bundesregierung das Problem längst gelöst . Das geht Soldaten, die in Kontakt mit radiumhaltiger Leuchtfar- aber nicht, eben weil ehemalige Bundeswehrangehörige be Ra-226 gestanden haben und erkrankt sind, generell genauso betroffen sind . Das zeigt, es gab zu jener Zeit entschädigt werden sollten . Grundsätzlich wollen wir, in den Streitkräften auf beiden Seiten des Eisernen Vor- dass alle chronischen Erkrankungen, die auf ionisierende hangs ein zu gering ausgeprägtes Gefahrenbewusstsein Strahlung zurückgeführt werden können, vom Gesetzge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18185

(A) ber als entschädigungsfähig anerkannt werden, sofern die wohlwissend, dass hierzu die nötigen „Beweise“ rein (C) betroffenen Antragsteller im Rahmen ihrer Dienstaus- faktisch gar nicht mehr erbracht werden können; übung an entsprechenden Geräten gearbeitet haben . Damit würden keineswegs die Schleusen geöffnet, der da dauerte es Jahre, bis das BMVg Stellungnahmen Personenkreis bliebe überschaubar . Wir wollen den Ra- abgab und da zogen sich Gerichtsverfahren über zehn dargeschädigten unbürokratisch helfen, weil viele von und mehr Jahre hin . Ein Richter stellte sogar unumwun- ihnen den ursächlichen Zusammenhang heute oft nicht den fest, dass die Bundeswehrverwaltung um argumenta- mehr lückenlos belegen können . Wegen der lange Zeit tive Tricks und Kniffe nicht verlegen war, wenn es darum unterschätzten Gefahr, die von den damaligen Radarge- ging, berechtigte Ansprüche des Klägers abzuwehren . räten ausging, gab es keine hinreichenden Dokumenta­ Man mag zur Bundeswehr und zur NVA stehen wie tionspflichten. Das darf den heute Erkrankten jedoch man will . Aber wenn Menschen im Auftrag des Staa- nicht zum Nachteil gereichen . tes handeln und dabei ihre Gesundheit verlieren, dann So weit geht der interfraktionelle Antrag nicht . Er muss der Staat hinterher doch den Anstand haben, diese enthält zwar einige substanzielle Verbesserungen für die Menschen angemessen zu entschädigen und sie zu un- Betroffenen . Wir werden dennoch die Umsetzungsmaß- terstützen, wo immer sie Hilfe brauchen! Die Bundes- nahmen aufmerksam verfolgen und die Bundesregierung wehrverwaltung hat viele geschädigte Soldaten über ein an ihren konkreten Taten messen . Jahrzehnt hingehalten und mit einer verletzenden Arro- ganz einfach abgewimmelt . Gleichzeitig versucht das Verteidigungsministerium in teuren PR-Kampagnen alle Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Welt davon zu überzeugen, wie unglaublich attraktiv die wir heute die Entschädigung für Radargeschädigte der Bundeswehr als Arbeitgeber ist . Bundeswehr und der ehemaligen NVA verbessern, dann war dies ein langwieriger und steiniger Weg . Die Art Leider zeugt auch die Entstehungsgeschichte unse- und Weise, in der das Bundesverteidigungsministerium res gemeinsamen Antrags davon, dass das Wohlergehen bisher mit den Radargeschädigten umgegangen ist, ent- der geschädigten Soldaten nicht bei allen Abgeordneten spricht so gar nicht dem hehren Leitbild, demzufolge die oberste Priorität genießt . Meine Fraktion hat in dieser Bundeswehr ihre Soldatinnen und Soldaten umfassend Legislaturperiode allerlei schriftliche Fragen und Kleine umsorgt, im Gegenteil . Anfragen zur Entschädigungspraxis gestellt . Letztes Jahr haben wir im Verteidigungsausschuss einen Antrag ein- Menschen, die durch den Dienst in den Streitkräften gebracht, der deutlich weitreichendere Forderungen zum ihre Gesundheit verloren haben, wurden jahrelang zu läs- Umgang mit den Radargeschädigten enthielt . tigen Bittstellern degradiert . Soldaten, die auf die Loyali- (B) tät und Treue ihres Dienstherrn vertraut haben, wurden in Nach einigen Verzögerungen vonseiten des Ministe- (D) diesem Vertrauen bitter enttäuscht . riums und nach einigem rein parteipolitisch motivierten Geplänkel vonseiten der Union steht heute immerhin ein Deshalb bin ich froh, dass es uns in langen Verhand- interfraktioneller Antrag . Dieser Antrag ist ein Kompro- lungen gelungen ist, uns auf einige zentrale Verbesserun- miss . Wir Grünen wären gerne weiter gegangen, aber gen für die Radargeschädigten zu verständigen . Aber ich entscheidend ist: Der Antrag verbessert die Lage der be- will Ihnen nicht verhehlen: Ich habe mich in diesem Pro- troffenen Soldaten: Gutartige Tumoren werden als mög- zess mehr als einmal für unseren Staat geschämt! liche Erkrankungen in den Entschädigungskatalog auf- genommen, das Bundesministerium will die abgelehnten Seit 15 Jahren wissen wir nun: Soldaten der beiden Fälle von Amts wegen neu und rasch prüfen . Mögliche deutschen Armeen waren bis in die 1980er-Jahre unwis- Genschäden durch Radarstrahlung werden endlich unter- send ionisierender Strahlung ausgesetzt und sind teilwei- sucht . Ich hoffe, dass auch andere Erkrankungen künf- se schwer erkrankt . Die Reaktion der Politik auf Bekannt- tig schneller überprüft werden, sobald es Anzeichen auf werden der ersten Fälle erfolgte relativ fix: Schon 2002 Zusammenhänge zu Radarstrahlung gibt . Die Deutsche wurde eine Kommission eingesetzt, die Zusammenhänge Härtefallstiftung wird aufgestockt, insbesondere auch, zwischen Radarstrahlung und Erkrankungen untersuchte . um Bedürftigen, die keinen Anspruch auf eine Renten- 2003 wurde vorgeschlagen, für bestimmte Erkrankungen versorgung bekommen, unterstützen zu können . Wehrdienstbeschädigungen anzuerkennen . Viele Betrof- fene warteten aber vergebens auf Unterstützung . Einige Wie gesagt: Der Antrag verbessert die Lage der Betrof- werfen der Bundesregierung vor, sie spiele auf Zeit und fenen und ist im Sinne aller Fraktionen . Reichlich albern verzögere Verfahren, bis die Opfer nicht mehr klagen und kaum zu verstehen ist deshalb, warum die Union sich können oder wollen . hier gegen eine Mitzeichnung der Linken gewehrt hat . Das ist eine vertane Chance, klarzumachen, dass das Par- In der Tat sind der Verwaltung einige Vorwürfe zu ma- lament hier mit einer Stimme spricht . Ein gemeinsamer chen: Antrag aller Fraktionen hätte auch den Alternativantrag da wurden wissenschaftliche Gutachten zum Zusam- der Linken überflüssig gemacht. Der ist inhaltlich sehr menhang zwischen Strahlung und konkreten Erkrankun- gut . Denn er besteht zur einen Hälfte aus wortgleichen gen ignoriert; Formulierungen und Forderungen, die wir Grüne bereits in unserem Antrag als Drucksache 18/6649 in den Bun- da wurden Entschädigungsanträge mit dem Argument destag eingebracht hatten, und zur anderen Hälfte aus abgelehnt, die Opfer könnten ja den Vollbeweis zur An- den Punkten des interfraktionellen Antrags, den wir heu- erkennung einer Wehrdienstbeschädigung erbringen; te abstimmen . Aber formal, sehr geehrte Abgeordnete der 18186 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Linken, empfehle ich, zumindest eine gewisse Schonfrist der Friedensverhandlungen beigetragen und werden im (C) vergehen zu lassen, bevor man Anträge von Bündnis 90/ vorliegenden Antrag auch entsprechend gewürdigt . Für Die Grünen umetikettiert und seine eigene Unterschrift diese positive Entwicklung ist die kolumbianische Be- darunter setzt . völkerung sicher ebenfalls sehr dankbar, sie wird nun- mehr hoffentlich einer Zeit des Friedens und des Wohl- Entscheidend aber ist, wie zügig und ordentlich die stands entgegenblicken können . Entscheidungen jetzt umgesetzt werden . Wir Grüne wer- den der Bundesregierung weiterhin streng auf die Finger Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg . Mehr schauen, wenn es um den Umgang mit geschädigten Sol- als 6 Millionen Kolumbianer leben als Binnenflüchtlin- datinnen und Soldaten geht . Wir werden weiterhin unbe- ge im eigenen Land . Viele Gebiete werden durch die queme Fragen stellen . Und wir werden uns weiterhin für vielfach ausgebrachten Landminen noch für Jahre unbe- Verbesserungen einsetzen und auf eine unbürokratische wohnbar bleiben . Noch lange Zeit nach dem Waffenstill- und großzügige Entschädigungspraxis drängen . Denn die stand und einem abzuschließenden Friedensabkommen Frage, wie die Bundeswehr mit Menschen umgeht, die werden diese geächteten Kriegsmittel vermutlich Ursa- im Dienst gesundheitliche Schäden erlitten haben, wird che für steigende Opferzahlen sein, bedenkt man, dass uns aufgrund der Auslandseinsätze künftig sehr viel häu- bis Ende 2014 in Kolumbien 11 000 Menschen durch figer beschäftigen als bisher. Und wir alle sollten unser Minen verletzt wurden oder ihr Leben verloren . Bestes tun, damit sich ein solches moralisches Versagen Nach den physischen Hinterlassenschaften des Krie- wie im Falle der Radargeschädigten in der Bundeswehr ges werden es die seelischen Verletzungen sein, welche nicht mehr wiederholt! der Heilung bedürfen . Es wird Jahrzehnte dauern, bis ein Frieden auf dem Papier auch in den Köpfen der Men- schen ankommt . Im Antrag fordern wir die Bundesregie- Anlage 21 rung demnach auch auf, „die deutschen Erfahrungen im Umgang mit der Aufarbeitung der Geschichte des Kon- Zu Protokoll gegebene Reden flikts, der Versöhnung und der Erinnerungskultur in die- zur Beratung: sen Prozess einzubringen“ . – des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD Bei einer solchen Nachbereitung bewaffneter Konflik- und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: te haben sich die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sowie die zivile Krisenprävention als nachhaltige Instru- Unterstützung für den Friedensprozess in Ko- mente erwiesen . Das Goethe-Institut in Bogotá und die lumbien durch das Goethe-Institut geförderten Kulturgesellschaf- ten in Colombo, Cartagena und Medellín waren und blei- (B) – des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, (D) ben Schutzräume der Begegnung und des Austauschs . Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- Durch das geplante Deutsch-Kolumbianische Friedens- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für institut in Bogotá wird dieses Angebot sinnvoll erweitert . den Frieden in Kolumbien – Paramilitarismus konsequent bekämpfen Auch eine Ausbildung an den aus Mitteln der auswär- tigen Kultur- und Bildungspolitik geförderten Schulen in (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Kolumbien wird dazu beitragen, die wehrlosesten Opfer dieses Konflikts, die zwangsrekrutierten Kinder- und Ju- Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Der innerstaatli- gendsoldaten, in die Gesellschaft zu reintegrieren . Der che bewaffnete Konflikt in Kolumbien dauert nun bereits jungen Generation Kolumbiens, insbesondere in den seit über 50 Jahren an . Ein Zeitraum, der gleich mehrere Konfliktgebieten in den ländlichen Regionen, muss eine Generationen umfasst, die nie etwas anderes kennenge- Zukunftsperspektive geboten werden, um zu verhindern, lernt haben, als Krieg und Gewalt . Der kolumbianische dass sie den Verlockungen krimineller Banden erliegen . Präsident Juan Manuel Santos war 15 Jahre alt, als der Deren Erstarken muss deshalb im Zuge einer Demobili- Konflikt ausbrach. Bei der Unterzeichnung des unbefris- sierung der Guerillagruppen unbedingt verhindert wer- teten Waffenstillstandes vor zwei Wochen sagte er: „Wir den . haben nicht die geringste Erinnerung daran, was es heißt, in Frieden zu leben“ . Auch die Resozialisierung älterer Guerillakämpfer ist eine wichtige Voraussetzung für einen dauerhaften Frie- Bei derartigen Konflikten sinken die Chancen für ei- den . Ohne wirtschaftliche und soziale Partizipation wird nen stabilen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frie- der Weg der Gewalt und der Kriminalität für sie eine Al- den mit jedem Jahr und jedem Opfer weiter . Nach einem ternative zu Armut und Hunger bleiben . halben Jahrhundert der bewaffneten Auseinandersetzung und nachdem 225 000 Menschen in diesem Krieg ihr Le- Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- ben verlieren mussten, ist ein Friedensabkommen eine menarbeit und Entwicklung und Bundesminister Gerd unglaublich große diplomatische Leistung . Es beinhaltet Müller haben deshalb ein Beratungsprogramm für nach- die langersehnte Aussicht auf Frieden für die kommende haltige Arbeitsplätze und Einkommen in den ländlichen Generation . Regionen Meta und Norte de Santander geschaffen, die besonders vom Konflikt betroffen waren. Unter anderem Der besondere Einsatz der Regierungen Kubas und werden dort regionale Bauernmärkte gefördert, um in Norwegens sowie die Unterstützung der kolumbiani- den schwer zugänglichen Regionen lokale Absatzplatt- schen Bischofskonferenz haben maßgeblich zum Erfolg formen zu schaffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18187

(A) All diese Maßnahmen werden hoffentlich dabei hel- Die kolumbianische Gesellschaft muss selbst zu ei- (C) fen, dass aus dem Waffenstillstand ein echter und dau- nem inneren Frieden finden. Ein mögliches Abkommen erhafter Frieden wird . Mag dieser Antrag auch nur ein braucht daher eine möglichst breite Zustimmung in der kleiner Schritt auf diesem Weg sein: Deutschland kann Bevölkerung, beim Militär und bei den wichtigsten poli- dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen . tischen und wirtschaftlichen Eliten .

Die Zustimmung wird sich nicht nur im Ergebnis ei- Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Seit vier Jahren lau- nes zu entscheidenden Referendums über einen zukünf- fen die offiziellen Gespräche zwischen der kolumbiani- tigen Friedensvertrag widerspiegeln, sondern auch in der schen Regierung und der FARC (Fuerzas Armadas Re- praktischen Umsetzung beweisen müssen . Dazu gehört volucionarias de Colombia – Revolutionäre Streitkräfte auch die Frage der strafrechtlichen Aufarbeitung als eine Kolumbiens) zur Beendigung des bereits seit Jahrzehnten der größten Herausforderungen . andauernden innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Im Rahmen unseres Besuchs, vor allem bei dem Ge- Über 225 000 Menschen verloren im Verlauf dieses spräch in einem Resozialisierungszentrum für ehemalige Konflikts ihr Leben, 6,5 Millionen wurden zu Flüchtlin- Guerilleros, wurde deutlich, dass viele Menschen in die- gen im eigenen Land . Insgesamt 8,5 Millionen Kolum- sem Konflikt Täter und Opfer zugleich waren. bianer waren und sind direkt vom Konflikt betroffen, als Opfer von Verschleppungen, Entführungen und sexuali- Besonders beeindruckt hat mich der aufwühlende sierter Gewalt . Bericht einer jungen Frau, die als Jugendliche von der Mit dem erst vor zwei Wochen geschlossenen Waffen- FARC unter Todesandrohung aus ihrem Elternhaus stillstand mit der FARC wurde ein wichtiges Etappenziel zwangsrekrutiert wurde . Wir sprachen mit Menschen, die auf dem Weg zur Schaffung eines stabilen und dauerhaf- auf verschiedenen Seiten gekämpft haben – und doch oft- ten Friedens im Land erreicht . Diese Entwicklungen sind mals das gleiche Schicksal teilten . Deutlich wurde, wie vor allem auch ein Lichtblick für die Bevölkerung Ko- wichtig die friedliche Wiedereingliederung ehemaliger lumbiens, die seit über 50 Jahren unter den schrecklichen FARC-Guerilla und anderer Gruppen für einen dauerhaf- Auswirkungen des Konflikts leiden musste. ten Frieden im Land ist . Deutschland und Kolumbien pflegen seit langem enge Im Sinne der „Transitional Justice“, bei der nicht die politische, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen . Bestrafung, sondern die Wiederherstellung der Würde Im Februar 2015 konnte ich Außenminister Frank-Walter der Opfer im Mittelpunkt steht, müssen alle Fakten of- Steinmeier bei seiner Reise nach Kolumbien begleiten . fengelegt werden und die Täter dazu gebracht werden, (B) Unser Kollege Tom Koenigs wurde im Nachgang zu un- ihre Verbrechen anzuerkennen . Nur dadurch kann der (D) serer gemeinsamen Reise zum Beauftragten zur Unter- Konflikt dauerhaft aufgearbeitet werden, und es kann stützung des Friedensprozesses in Kolumbien bestellt . eine Chance auf Versöhnung geben . Wir danken Tom Koenigs für seine Arbeit und wünschen Eine besondere Herausforderung bei der Konsoli- ihm weiterhin viel Kraft und Erfolg . dierung des Friedens wird künftig die Schaffung eines Auch zahlreiche deutsche Nichtregierungsorganisa- sicheren Lebensumfelds in den Konfliktregionen sein. tionen, vor allem unsere politischen Stiftungen wie die In großen Teilen der von der FARC kontrollierten Ter- Konrad-Adenauer-Stiftung, leisten seit Jahrzehnten ei- ritorien ist der Staat kaum oder fast gar nicht präsent . Es nen ebenso wichtigen wie unverzichtbaren Beitrag zu muss verhindert werden, dass ein Machtvakuum vorran- Frieden, Demokratie und Entwicklung in Kolumbien . gig um kriminelle Strukturen herum errichtet wird . Um Dies wurde auch im Gespräch mit einer breit aufgestell- der Bevölkerung zukünftig legale Erwerbsmöglichkeiten ten Delegation der kolumbianischen Zivilgesellschaft zu bieten, ist eine Politik der integrierten landwirtschaft- deutlich, das ich in Berlin vor wenigen Wochen führen lichen Entwicklung unerlässlich – auch zur Bekämpfung konnte, an dem auch der Erzbischof von Cali teilnahm . des Drogenanbaus . Die geplante Einrichtung eines Deutsch-Kolumbiani- Der Versöhnungsprozess bietet auch die große Chan- schen Friedensinstituts in Bogotá (DKFI), das den lau- ce, mit positiven Nachrichten aus Kolumbien neue Mög- fenden Friedensprozess auf der Ebene von Forschung lichkeiten für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwick- und Lehre begleiten wird, ist ein wichtiger Schritt hin lung zu eröffnen . Dadurch können neue Lebenschancen zu einer nachhaltigen Aufarbeitung des Konfliktes. Als in einem Land mit viel Potenzial ermöglicht werden, Deutsche können wir dabei unsere eigenen Erfahrungen auch durch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit im Umgang mit der Aufarbeitung einer schwierigen Ge- mit Deutschland und dem Engagement deutscher Unter- schichte teilen, um auf diese Weise die Aussöhnung in nehmen in Kolumbien . Kolumbien zu unterstützen . Mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag unter- Trotz aller Hoffnung und positiven Entwicklungen stützen wir als Parlament Deutscher Bundestag aus- gilt: Kolumbien hat noch einen weiten Weg hin zu einem drücklich den Friedensprozess in Kolumbien . Wir wün- stabilen Frieden vor sich . Dem Gewaltverzicht muss eine schen uns von allen politischen Kräften Kolumbiens und dauerhafte Aufarbeitung des Konfliktes folgen, vor allem der Gesellschaft des Landes einen konstruktiven Beitrag aber die politische Lösung der Konfliktursachen in einem zur Beendigung der Gewalt und eine aktive Unterstüt- demokratischen Prozess . zung des Friedensprozess . 18188 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Klaus Barthel (SPD): Kolumbien steht am Schei- im Vordergrund stehen müssen, aber Schuldige bestraft (C) deweg . Die Zahlen der Toten, Vertriebenen, Traumati- werden, auch abhängig davon, was sie zur Aufarbeitung sierten, Geflohenen, Verschwundenen, die über 50 Jahre beitragen . Bürgerkrieg verursacht haben, dürften im Zuge der jetzt beginnenden Aufarbeitung eher nach oben korrigiert wer- Dies muss aber in Kolumbien selbst durch den Frie- den . Nicht eingerechnet sind wohl bisher die Opfer, die densvertrag geregelt und rechtsstaatlich abgesichert wer- „im Windschatten“ dieses Konfliktes zu beklagen sind, den . Unser Beschlussvorschlag versteht sich daher auch die Ermordeten, Verschwundenen, Eingeschüchterten, als Unterstützung für die Aktivitäten der Bundesregie- Vergewaltigten . Auch bedingt durch den gewaltsamen rung in Kolumbien, die demonstrativ und praktisch den Konflikt, leidet Kolumbien unter dem teilweisen Fehlen Friedensprozess unterstützt . Dies drückt sich auch in der von Rechtsstaatlichkeit, staatlicher Handlungsfähigkeit Ernennung des Sonderbeauftragten Tom Koenigs aus, für und Institutionalität, eines wirksamen Gewaltmonopols dessen Arbeit und Engagement wir uns ausdrücklich be- sowie einer unabhängigen und funktionsfähigen Justiz . danken . Gleichzeitig – und das findet bisher zu wenig Auf- Gleichzeitig hat Kolumbien enorme Potenziale in vie- merksamkeit – braucht Kolumbien eine langfristige Stra- lerlei Hinsicht . Denkt man sich Bürgerkrieg und Gewalt tegie, um den Ursachenkern des Gewaltkonfliktes be- weg, nähme nur die Ressourcen, die der Binnenkonflikt kämpfen zu können: die enorme, weltweit im Spitzenfeld kostet, und den Verlust an Wachstum, an Produktivität, liegende Ungleichheit an Vermögen, Grundbesitz und an Konsum- und Investitionsmöglichkeiten, Kolumbien Einkommen . gehörte zu den reichsten Ländern der Welt . Der Frieden ist kein Eliteprojekt . Deshalb braucht er Dennoch ist der Weg zum Frieden noch mit vielen nicht nur die passive Duldung der Bevölkerung, sondern Hürden und Schlaglöchern versehen . Die eigentliche die aktive Teilnahme der bisher wirtschaftlich abge- Arbeit beginnt mit dem Friedensschluss . Andere Redner hängten Bevölkerungsmehrheit . Deshalb regen wir die werden das auch verdeutlichen, der Antrag der Koalition Ingangsetzung und Institutionalisierung eines breiten benennt es, auch der Antrag der Linksfraktion . gesellschaftlichen Dialoges an, um Landnutzungs- und Uns allen muss klar sein: Es gibt jetzt keine Sieger -besitzkonflikte zu entschärfen, um Gewerkschaften und und Besiegten . Alle müssen sich aufeinander zubewegen andere zivilgesellschaftliche Organisationen zu schützen und erkennen: Bei einem Friedensprozess wird es mittel- und zu stärken und um alle Teile der Bevölkerung am und langfristig Gewinnerinnen und Gewinner in großer potenziell enormen Reichtum des Landes teilhaben zu Zahl geben . Wenn der Frieden scheitert, werden Kolum- lassen . Dazu gehört auch eine Steuerpolitik, die an den bien insgesamt und die Mehrheit der Bevölkerung verlie- Spitzeneinkommen und Vermögen anknüpft, anstatt nur (B) ren . Dennoch besteht Gefahr von derjenigen mächtigen am Rohstoffabbau und Verbrauchsbesteuerung . Die EU (D) Minderheit, die von Armut, Gewalt, Krieg und Unterdrü- und Deutschland tragen dabei Mitverantwortung . So ist ckung profitiert. in der Präambel und in einigen Passagen des Freihandel- sabkommens der EU mit Kolumbien und Peru eindeutig Deshalb ist es so wichtig, dass es heute vom Deut- ein solcher Dialog angelegt, und es sind auch Gremien schen Bundestag ein gemeinsames klares Signal gibt: dafür vorgesehen . Diejenigen Kräfte in Kolumbien, die den Friedenspro- zess torpedieren wollen, können von keiner Seite aus Wir fordern Bundesregierung und EU-Kommission befreundeten Ländern mit Sympathie oder Unterstützung dazu auf, den Ankündigungen, die es vor Abschluss des rechnen . Der Deutsche Bundestag schließt sich auch der Abkommens in dieser Hinsicht gab, jetzt Taten folgen konsensuellen Position des US-Kongresses an . Deshalb zu lassen . Ich erinnere daran, dass wir als SPD-Bundes- bin ich sehr froh, dass heute Koalition und Opposition tagsfraktion wegen der Unverbindlichkeit der Nachhal- gemeinsam abstimmen . Einmal mehr stellt sich damit tigkeitsaspekte dieses Freihandelsabkommen abgelehnt auch die Frage, weshalb die Linksfraktion grundsätz- haben . Derzeit können wir nicht einmal im Ansatz er- lich von der Erarbeitung solcher Anträge ausgeschlossen kennen, dass wenigstens diese unverbindlichen Dekla- bleiben muss . Auch wir brauchen hier eine neue Kultur rationen und Gremien überhaupt im Land bekannt sind, der Zusammenarbeit – auch bei fortbestehenden Mei- geschweige denn daran angeknüpft wird . nungsunterschieden . Auch deshalb müssen wir im Sinne des Friedenspro- Die Komplexität des langjährigen Konfliktes hat auch zesses unsere Verantwortung wahrnehmen, wo immer zur Folge, dass seine Aufarbeitung schon deshalb sorg- dies möglich ist . Hier steht auch unsere Handelspolitik fältig, differenziert und längerfristig angegangen bzw . auf dem Prüfstand . fortgesetzt werden muss, weil es einfache Täterinnen/ Täter-Opfer-Rollenzuweisungen kaum geben kann . Dies Edelgard Bulmahn (SPD): 52 Jahre hat der bewaff- gilt sowohl für die einzelnen Menschen, die auf der einen nete Konflikt in Kolumbien angedauert. Er hat unend- oder anderen Seite gekämpft haben, als auch für Organi- lich großes Leid über die Bevölkerung gebracht – durch sationen und Institutionen, seien es Polizei und Militär, Menschenrechtsverletzungen, Terrorakte und Aktivitäten Paramilitärs, FARC, politisch Verantwortliche oder die unterschiedlicher bewaffneter Gruppen . Rund 8,5 Mil- Kirche . Das heißt nicht, dass alle gleich schuldig sind, lionen Menschen wurden Opfer von Gewalt, systema- Verantwortung verwischt werden kann oder eine Gene- tischer Vertreibung, Verschleppung, Entführung und ralamnestie angemessen ist . Es heißt aber, dass sorgfäl- Zwangsrekrutierung . 6,5 Millionen Menschen wurden zu tige Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Versöhnung Vertriebenen im eigenen Land . Etwa 225 000 Menschen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18189

(A) darunter besonders Frauen, Afrokolumbianer und Indige- dient gemacht . Das Engagement und die Beharrlichkeit (C) ne, wurden getötet . dieser vielen mutigen Frauen waren mitentscheidend da- für, dass es überhaupt zu diesem Friedensprozess kom- In diesen Tagen stehen wir nun endlich kurz vor dem men konnte . Umso mehr gilt es hier zu betonen: Die Abschluss eines umfassenden Friedensvertrages zwi- für den Frieden engagierten Frauen dürfen nicht in eine schen der kolumbianischen Regierung und der Rebellen- Beobachterrolle gedrängt werden . Die Einbeziehung der gruppe FARC . In den vergangenen Jahren wurden zwi- Frauenrechtsorganisationen wird auch für die Umsetzung schen Regierung und FARC vier Kapitel dieses Vertrages des Vertrages elementar sein, um die langfristige Befrie- verhandelt . Einigungen konnten bereits zwischen 2013 dung der Konfliktakteure und um die Überwindung der bis 2015 zu den Kapiteln Landreform, politische Teil- Spaltung der kolumbianischen Gesellschaft zu erreichen . habe, Drogenanbau und Übergangsjustiz/Opferentschä- Sie sollten daher auch bei der Implementierung der Frie- digung erzielt werden . Die Verhandlungen zum fünften densvereinbarung und einzelner Maßnahmen eine wich- und schwierigsten Kapitel „Beendigung des bewaffneten tige Rolle spielen . Nicht zuletzt darauf müssen wir unser Konflikts“ zogen sich jedoch hin, bis vor zwei Wochen. Augenmerk und unsere Anstrengungen richten, wenn wir Am 23 .Juni verkündeten der kolumbianische Präsident uns für Kolumbien eine friedliche Zukunft wünschen und Santos und FARC-Chef Timoschenko im Beisein von an dieser auch mitwirken wollen . UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und anderen hochran- gigen internationalen Vertretern die Einigung auf einen Waffenstillstand, die Niederlegung der Waffen durch die Heike Hänsel (DIE LINKE): Wir erleben eine his- FARC und die Reintegration der FARC-Kämpfer in die torische und hoffnungsvolle Zeit in Kolumbien . Der kolumbianische Gesellschaft . Präsident Santos hat er- längste interne bewaffnete Konflikt weltweit soll nach klärt, dass er nach der Einigung beim Schlusskapitel nun mehr als 50 Jahren beigelegt werden; die Waffen sollen eine Unterzeichnung des gesamten Friedensvertrags bis schweigen . zum 20 . Juli anstrebt . Dieser Abschluss des Friedenspro- Nach der Unterzeichnung eines bilateralen Waffen- zess stellt – und wir hoffen, es kommt so – eine histori- stillstandes zwischen der kolumbianischen Regierung sche Zäsur dar und eine riesige Chance für die kolumbi- und der Guerillaorganisation FARC-EP am 23 . Juni 2016 anische Gesellschaft nach fünf Jahrzehnten der Gewalt, in Havanna bereitet sich die kolumbianische Gesellschaft wenngleich ein Friedensschluss mit der letzten verblei- auf die Phase der Waffenniederlegung vor . benden Rebellengruppe ELN noch aussteht . Der Humus für einen nachhaltigen Frieden ist die ko- Zugleich aber steht Kolumbien vor der enormen He- lumbianische Zivilgesellschaft . Aber trotz der Fortschrit- rausforderung, den Friedensvertrag umzusetzen . Die te bei den Friedensverhandlungen in Havanna, die erst (B) Chancen für eine friedliche Entwicklung zu nutzen und durch die Unterstützung der Regierungen der Republik (D) den Vertrag mit Leben zu füllen, ist die eigentliche Auf- Kubas und Norwegen als Garanten möglich geworden gabe, vor der nicht nur die kolumbianische Regierung, sind, häufen sich jedoch Übergriffe gegen Menschen- sondern vor allem auch die gespaltene kolumbianische rechtsverteidigerinnen und -verteidiger, Gewerkschafter Gesellschaft steht . Der uns vorliegende Antrag greift aus sowie Landrechts-, Friedens- und Umweltaktivistinnen unserer Sicht alle wichtigen Aspekte der politischen, so- und -aktivisten . Es sind vor allem paramilitärische Grup- zialen und ökonomischen Herausforderungen, vor denen pen, die soziale Bewegungen, Menschenrechtsaktivisten Kolumbien steht, auf . Deutschland möchte als Partner und Kleinbauern terrorisieren . Seit Beginn der Friedens- der kolumbianischen Gesellschaft auf dem Weg in eine verhandlungen gab es 1 868 Übergriffe jeglicher Art, wie friedliche und ökonomisch prosperierende wie ökolo- versuchter Mord, telefonische und schriftliche Todesdro- gisch nachhaltige Zukunft zur Seite stehen . Dieser An- hungen und illegale geheimdienstliche Beschattung . In trag ist ein Angebot, die Umsetzung des Friedensvertra- der gleichen Zeit wurden zudem 287 Menschen ermor- ges zu unterstützen . det . Allein für 2015 sind 682 Übergriffe und 63 Morde Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auf einen be- registriert worden . sonderen Punkt aufmerksam machen, denn auf die wich- Die Zunahme der paramilitärischen Aktivitäten durch tige Rolle der Kirche bei den Vermittlungsbemühungen Gruppierungen wie Los Urabenos, Aguilas Negras und ist an anderer Stelle bereits hingewiesen worden . Hier Clan Usuga gefährden das Leben der Kolumbianerinnen und heute sei auch das Verdienst der kolumbianischen und Kolumbianer und eine friedliche Entwicklung nach Frauen für den Frieden gewürdigt! Die kolumbianischen der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in Ko- Frauen haben auf mehrfache Weise unter dem Konflikt lumbien . gelitten, als Opfer von Gewalt und zugleich als beson- ders Betroffene, die soziale und ökonomische Lasten des Der Paramilitarismus ist ein nach wie vor integraler Konflikts tragen mussten. Jene Frauen wie die, die vor Bestandteil des Staates und dient der Durchsetzung eines 20 Jahren die Frauenrechtsorganisation Ruta Pacifica de neoliberalen Wirtschaftsmodells . So spielen paramilitä- las Mujeres gegründet und sich entschieden haben, sich rische Gruppen bei der illegalen Aneignung von Land gegen Krieg, Terror, sexuelle Gewalt und Ausbeutung und Vertreibung von Kleinbauern für große Agrarunter- zur Wehr zu setzen, haben einen wesentlichen Beitrag nehmen eine entscheidende Rolle . Ebenso bei der Ver- zur Ermöglichung des Friedensprozesses und des Frie- folgung und Ermordung von Gewerkschaftern, wodurch densschlusses geleistet . Durch friedlichen Protest und der Kampf um Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer- die Herstellung von Öffentlichkeit haben sie sich ganz rechte massiv geschwächt wird . Durch den Einsatz von entscheidend um die Delegitimierung des Konfliktes ver- sexualisierter Gewalt gegen Frauen und brutalem Terror, 18190 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) wie zum Beispiel in den sogenannten „casas de pique“ Im Rahmen der EZ muss aber auch ausgeschlossen (C) in Buenaventura, sollen ganze Regionen ihrem Einfluss werden, dass die geplante wirtschaftliche Entwicklung unterworfen werden . der ehemaligen Konfliktregionen zu neuen Konflikten bei Landbesitz und Rohstoffabbau führt . Nach wie vor sind Teile der politischen und wirt- schaftlichen Eliten in Kolumbien in paramilitärische Für eine friedliche Entwicklung in Kolumbien ist es Strukturen verstrickt, die aufgedeckt und zerschlagen notwendig, dass ein Polizeigesetz für Friedenszeiten werden müssen, um zu einem nachhaltigen und gerech- verabschiedet wird und nicht, wie gerade, ein Gesetz ten Frieden in Kolumbien beizutragen . Nach den Wahlen mit Sondervollmachten für Festnahmen und Hausdurch- zum kolumbianischen Senat 2010 waren nach Angaben suchungen ohne Gerichtsbeschluss im Kongress verab- von Beobachtern 25 der 102 Senatoren direkt in den Pa- schiedet wird . ramilitarismus verstrickt, heute wird der Partei Centro Die Militärdoktrin der nationalen Sicherheit in Ko- Democrático des ehemaligen Präsidenten und jetzigen lumbien muss ad acta gelegt werden, und die Zahl der Senators Alvaro Uribe unter anderem Wahlkampffinan- über 500 000 Soldatinnen und Soldaten muss deutlich zierung aus paramilitärischen Quellen vorgeworfen . reduziert werden . Von der Einbindung in die GSVP-Mis- Wenn der Friedensschluss in Kolumbien nachhaltig sionen der EU wie Atalanta oder EUAM in der Ukraine umgesetzt werden soll, muss der erstarkende Paramili- und der Kooperationsvereinbarung mit der NATO halten tarismus konsequent bekämpft werden . Dafür muss die wir nichts . Das ist nicht für den Frieden förderlich und Bundesregierung ihren Druck auf die kolumbianische muss beendet werden . Regierung erhöhen. 97 Prozent Straflosigkeit sind - in Noch ein Wort zum Antrag der Bundesregierung und akzeptabel . Auch deutsche Unternehmen, die Geschäfte der Grünen: Sehr gerne hätten wir an diesem gemeinsa- machen mit Unternehmen in Kolumbien, die Paramilitärs men Antrag mitgearbeitet . Die Fraktion Die Linke war finanzieren, zum Beispiel im Bereich des Steinkohleab- nicht gefragt worden . Diese Politik der Ausgrenzung ist baus, müssen zur Verantwortung gezogen werden . Wir kurzsichtig und kontraproduktiv . Trotzdem werden wir fordern auch, Menschenrechtsstandards in das EU-Ab- den Antrag unterstützen, um ein gemeinsames Zeichen kommen mit Kolumbien aufzunehmen, die Sanktionen nach Kolumbien zu schicken: Frieden ist möglich! ermöglichen bei gravierenden Menschenrechtsverletzun- gen . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1974 Die Sicherheitsgarantien für alle, die in Kolumbi- war ich zum ersten Mal in Kolumbien . Auf Reisen per en politisch aktiv werden wollen, müssen ernsthaft und Bus, zu Pferd und zu Fuß habe ich die wunderbare Land- (B) nachhaltig umgesetzt werden . Es kann nicht sein, dass schaft, die Herzlichkeit der Menschen und den Reichtum (D) jede/r, der/die für soziale Gerechtigkeit in Kolumbien der Kultur des Landes kennengelernt . Ich bin ein Freund kämpft, sofort Todesdrohungen erhält . Dies betrifft auch Kolumbiens geblieben und zu einem großen Bewunde- die zukünftigen politischen Akteure der demobilisierten rer vor allem der kolumbianischen Literatur geworden . FARC . Zu tief sitzen die Erinnerungen an den Genozid Ende der 1970er-Jahre erreichte der bewaffnete Kampf an der linken Partei Union Patriotica, die faktisch durch zwischen der kolumbianischen Regierung und den be- die Ermordung Tausender Mitglieder ausgelöscht wurde . waffneten Gruppen furchtbare Höhepunkte . Beide Seiten Ebenso erging es den ehemaligen Kämpfern der Guerilla zogen die Zivilbevölkerung mehr und mehr in den Krieg M-19 . Viele von ihnen wurden später ermordet . mit hinein, mit schrecklichen Folgen .

Auch der Staat seinerseits kriminalisiert durch Straf- Heute, 40 Jahre später, nach 6,5 Millionen Binnenver- anzeigen und strafrechtliche Verfahren, auf Grundlage triebenen und über 340 000 Toten, hat Kolumbien endlich zweifelhafter Beweise und Zeugen, Menschenrechts- eine realistische Perspektive auf einen dauerhaften und verteidigerinnen und -verteidiger, Menschenrechtsorga- stabilen Frieden . Dies ist eine historische Chance, zu der nisationen und linke, oppositionelle Politikerinnen und alle gesellschaftlichen Gruppen im Land und alle Freun- Politiker . Die bekanntesten Fälle betreffen die Politiker de Kolumbiens ihren Beitrag leisten sollten . Seit fünf Piedad Córdoba und Iván Cepeda Castro, den Soziologen Jahren verhandeln die kolumbianische Regierung und Miguel Ángel Beltrán, den Menschenrechtsverteidiger die FARC-Guerilla . Sie haben viel erreicht: die Verein- David Rabelo, den Gewerkschafter Hubert Ballesteros barungen zur Landentwicklung, zur politischen Beteili- und Feliciano Valencia, Kämpfer für die indigenen Rech- gung, zur Bekämpfung der Drogenkriminalität sowie die te . Diese politisch motivierten Verfahren müssen einge- Einigung auf eine Sondergerichtsbarkeit für den Frieden stellt und Verurteilungen neu untersucht werden . zur Aufarbeitung der vielen grausigen Verbrechen in die- sem Krieg und auf eine Wahrheitskommission . Mit der Die Bundesregierung kann mit der finanziellen Un- Unterzeichnung des bilateralen Waffenstillstands wurde terstützung von Friedensorganisationen die Zivilge- jetzt der letzte entscheidende Durchbruch erzielt . Dieser sellschaft stärken . Es gibt viele gute Initiativen, die Weg hat beiden Seiten einen großen Friedenswillen und Friedens- und Widerstandsgemeinden, eine Friedensuni- viel Kompromissbereitschaft abverlangt . Ich beglück- versität von Justicia y Paz und eine unabhängige Kom- wünsche Präsident Santos, Comandante ­Timoschenko mission zur Überwachung der Nichtwiederholung von und die beiden Verhandlungsteams für ihren Mut und Verbrechen gegen die Menschlichkeit . Die Friedensorga- ihre Entschlossenheit und versichere, dass wir den Frie- nisationen müssen auf alle Fälle in die Projektplanungen densprozess weiter mit allen Kräften unterstützen wer- einbezogen werden . den . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18191

(A) Deutschland hat besondere Beziehungen zu Kolum- und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsge- (C) bien . Die wichtigsten sind kultureller, wissenschaftlicher setz – 6. SGB IV-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 27) und persönlicher Art . Deutschland hat mit Kolumbien keine koloniale, keine postkoloniale und auch keine neo- Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wie schon liberale Beziehung, sondern eine kollegiale . Bester Aus- in der ersten Lesung angekündigt, können wir heute ein druck dafür sind die 160 Abkommen zwischen deutschen Gesetz zur Optimierung der Meldeverfahren in der so- und kolumbianischen Universitäten sowie Tausende Stu- zialen Sicherung verabschieden, von dem wirklich alle dierende, die von Kolumbien nach Deutschland und von Beteiligten profitieren: die Bürger, die Arbeitgeber und Deutschland nach Kolumbien gehen, um unsere gemein- die Sozialversicherungsträger . Es wird besser . Es wird same Zukunft zu schaffen . einfacher . Und es wird günstiger . Von welchem anderen Frieden durch Beteiligung, Integration, Verhandlun- Gesetz kann man das schon behaupten? gen und demokratische Reformen – das ist der Weg, den Durch die gemeinsame, verschlüsselte Datenübertra- Kolumbien geht; das ist der Weg der Krisenprävention gungsbasis haben sich seit dem Jahr 2006 große Potenzia- und Krisenbehandlung, den Deutschland unterstützt . Für le der Entbürokratisierung ergeben . Alle Verfahrensbetei- diesen Weg brauchen wir beide, Deutschland und Ko- ligten – also sowohl Arbeitgeber, Softwareunternehmen lumbien, Entschlossenheit zum Frieden und Mut zu Er- und Sozialversicherungsträger – sehen das System gebnissen ohne Sieger und Besiegte . Friedensgespräche grundsätzlich als durchdacht, sicher und sparsam an . müssen auf Augenhöhe geführt werden und die Verein- barungen langfristig und verlässlich sein . Dieser Weg ist Trotzdem gibt es natürlich auch hier noch Optimie- auch unser Weg . rungspotenziale . Das hatte die schwarz-gelbe Koalition Mehr Demokratie zu wagen, wie es Kolumbien tut, erkannt und im Jahr 2011 das Projekt „Optimiertes Mel- ist eine Herausforderung und ein Risiko . Aber es kann deverfahren in der sozialen Sicherung“ (OMS) gestartet . gelingen, wenn Politik statt auf Schuldzuweisungen auf Nun können wir die Früchte dieser Arbeit ernten . Und Versöhnung setzt . der Baum, an dem diese Früchte hängen, ist groß . Denn bei dem Meldeverfahren handelt es sich um das größte Das Verhandlungsergebnis zur Sonderjustiz für den und komplexeste Massenverfahren zur Weitergabe von Frieden bedeutet weder Vergessen noch Straflosigkeit. Informationen von den Arbeitgebern an öffentliche Stel- Es bedeutet Wahrheit, Ermittlung und Aufklärung unter len in Deutschland . Die potenzielle Ernte ist also eben- Einbeziehung der Opfer und unter Mitarbeit der Täter . Es falls groß . geht auch um Wahrhaftigkeit . Die Verhandlungsergeb- nisse zur juristischen Aufarbeitung gehen weiter als in Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir nun erst (B) den früheren Friedensprozessen in Lateinamerika . einmal die aus dem vergangenen Jahr übrig gebliebenen (D) Verbesserungsvorschläge aus dem OMS-Projekt umset- Auch der Frieden hat seine Konjunktur . Für den Frie- zen . Damit wird es pro Jahr immerhin weitere 43 Millio- den mit der FARC haben sich Norwegen, Kuba, Vene- nen Euro weniger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft zuela und Chile engagiert . Die Vereinigten Staaten spiel- geben . Zu den Maßnahmen gehören zum Beispiel der ten eine wichtige Rolle . Für den Frieden mit der ELN, wo Einsatz einer maschinenlesbaren Verschlüsselung der die öffentlichen Verhandlungen noch ausstehen, können Daten auf dem Sozialversicherungsausweis oder auch sich noch weitere Staaten engagieren, auch Deutschland . die Umsetzung einer automatisierten Übertragung der Ohne den Frieden mit der letzten Guerilla-Gruppe bleibt Anträge und Bescheinigungen über die Fortgeltung des der Prozess unvollkommen und birgt neue Gefahren . Die Versicherungsschutzes im Ausland . Zeit für den Frieden mit der ELN ist jetzt . Das hört sich alles sehr kleinteilig an – fast nach mehr Der heute vorliegende Antrag soll die Zusammenar- Bürokratie als nach weniger . Aber es sind genau diese beit zwischen Deutschland und Kolumbien parlamenta- Feinjustierungen, die im Endeffekt weniger Aufwand be- risch und demokratisch besiegeln und unsere Unterstüt- deuten . zung für den Friedensprozess langfristig sichern . Das ist im Interesse Deutschlands und Kolumbiens und aller Auch die weiteren gesetzlichen Änderungen, die mit Freundinnen und Freunde des Landes . Wir haben ein In- dem vorliegenden Gesetz vorgenommen werden, sind teresse an Kultur und demokratischer Politik, an Koope- keine Revolutionen . Sie bringen aber dort kleine Ver- ration im Klimaschutz und an einer Zusammenarbeit der änderungen, wo sie nötig sind . Stellvertretend sei die Zivilgesellschaften sowie der Parlamente und Regierun- Regelung genannt, die es Krankenkassen und Unfallver- gen hier und dort . Kolumbien ist dabei, ein neues Kapitel sicherungsträgern ermöglicht, einen begrenzten Teil des in der Geschichte des Landes aufzuschlagen . Wir sind Deckungskapitals für Altersrückstellungen von Dienst- stolz, dabei zu sein . ordnungsangestellten in Aktien anzulegen . Mit den Regelungen fahren wir also erst einmal eine vergleichbar kleine Ernte vom Bürokratiebaum ein . Die Anlage 22 Entbürokratisierung bleibt als Prozess aber am Laufen . Und das ist eminent wichtig für uns . Denn wir wollen, Zu Protokoll gegebene Reden dass wir weiterhin einen starken und wettbewerbsfähigen zur Beratung des von der Bundesregierung ein- Mittelstand haben, dass wir dadurch regelmäßige Re- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur kordmeldungen vom Arbeitsmarkt bekommen, ja, dass Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch wir unseren Wohlstand in Deutschland erhalten . 18192 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Die größere Ernte wird sicher das angekündigte zwei- Omnibusgesetz gefunden haben, zu sprechen kommen . (C) te Bürokratieentlastungsgesetz einfahren . Und auch bei Die Dienstunfallfürsorge für Beamtinnen und Beamten der Evaluation des Mindestlohngesetzes wird man die unter anderem des BMAS, BSG, BAG, die bisher von Notwendigkeit einiger Aufzeichnungs- und Nachweis­ den jeweiligen Dienstherren eigenverantwortlich durch- pflichten in Frage stellen können. Viel Spielraum also geführt wurde, wird auf die Unfallversicherung Bund noch, um alles ein klein wenig einfacher zu machen . und Bahn übertragen . Das befristete Modellprojekt hat den Zweck, vorhandene und bewährte Verfahren zu nut- Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Im zen und dadurch für optimale fachliche Steuerung der Laufe des bisherigen Beratungsverfahrens wurden weite- Unfallfürsorgeleistungen für Beamtinnen und Beamte zu re Anregungen aus den Ressorts an das Bundesarbeitsmi- sorgen . nisterium herangetragen . Diese und die Stellungnahme Um die Bildung von Altersrückstellungen bei der So- des Bundesrates wurden aufgenommen, sodass wir heute zialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gar- auch über weitere Änderungen abstimmen werden . tenbau zu vereinheitlichen, soll außerdem die Anlage- Zunächst einmal möchte ich aber, bevor ich die Er- möglichkeit in Aktien auch in der landwirtschaftlichen gänzungen näher erläutere, den wesentlichen Inhalt des Krankenversicherung und der Alterssicherung der Land- vorliegenden Gesetzentwurfes wieder ins Gedächtnis wirte eröffnet werden . rufen . Wir geben der Praxis eine rechtliche Grundlage Weitere Änderungen betreffen das Arbeitszeitgesetz und sorgen mit dem Gesetz für Rechtssicherheit in den und das Jugendarbeitsschutzgesetz . Beide dienen der Meldeverfahren . Damit werden insbesondere die Arbeit- Umsetzung der EU-Binnenschifffahrtsrichtlinie . geber und die Wirtschaft finanziell, aber auch was den zeitlichen Aufwand betrifft, spürbar entlastet . Die neuen Die Umsetzung der gemachten Vorschläge zur quali- Regelungen bilden die Praxis ab und optimieren dadurch tativen Verbesserung von Verfahren mündet in der Fort- Meldeverfahren in der sozialen Sicherung . Die damit schreibung der gesetzlichen Grundlagen . Im Vordergrund einhergehende Senkung von Bürokratiekosten und Ent- steht dabei die mittelständische Wirtschaft, die deutlich lastung der Arbeitgeber beläuft sich auf rund 43,5 Mil- von Bürokratie entlastet wird . lionen Euro . Aber nicht nur die Wirtschaft profitiert von den- Er Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Heute beraten wir ab- leichterungen und der Vereinfachung von technischen schließend einen eher technischen Gesetzentwurf zur und organisatorischen Abläufen, sondern auch der ein- Änderung des Vierten Sozialgesetzbuches und anderer zelne Bürger . Gutes darf auch wiederholt werden: Wir Gesetze . Dieses Gesetz wird keine Schlagzeilen machen . (B) reduzieren den Aufwand der Bürgerinnen und Bürger Es ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig gerade (D) unter anderem durch die Möglichkeit des elektronischen auch die weniger beachtete Parlamentsarbeit ist; denn Abrufs von Bescheinigungen direkt vom Arbeitgeber wir verringern mit dem 6 .SGB IV-Änderungsgesetz vor durch die Träger der Unfallversicherung um rund eine allem Bürokratie und damit verbunden Zeit und Kosten, Stunde im Einzelfall . So werden auch die Sozialversiche- indem wir die elektronischen Meldeverfahren in der So- rungsträger durch qualitätsverbessernde Maßnahmen um zialversicherung vereinfachen und verbessern . Davon 3,4 Millionen Euro jährlich entlastet . profitieren sowohl die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch die Verwaltung und natürlich die Bürgerinnen Den Krankenkassen und Unfallversicherungsträgern und Bürger . wird künftig die Aktienanlage eines begrenzten Teils des Deckungskapitals (10 Prozent) für Altersrückstellungen Die Bedeutung der Meldeverfahren verdeutlicht vor von Dienstordnungsangestellten ermöglicht . Den Un- allem eine Zahl: Jährlich finden etwa 400 Millionen Mel- mut der Opposition in Bezug auf diese Änderung ver- devorgänge zu den Sozialleistungsträgern und zurück mag ich nicht nachzuvollziehen . Denn die zusätzliche statt vor allem Anmeldungen, Abmeldungen und monat- Anlageform bietet künftig auch den Krankenkassen die liche Beitragsmeldungen bei den Kranken- und Unfall- Möglichkeit, bei dem sehr langfristig zu bildenden De- kassen, bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung ckungskapital für Altersrückstellungen höhere Erträge und bei der Pflegeversicherung. Deshalb ist es eine wich- zu erzielen und das Anlageportfolio stärker zu diversifi- tige Aufgabe der Bundesregierung sowie der Sozialversi- zieren . Das Risiko soll gerade durch die Begrenzung der cherungs- und Sozialleistungsträger, die Funktionsfähig- Aktienanlage auf 10 Prozent überschaubar bleiben . keit dieses Systems regelmäßig zu verbessern und dem Dem in § 80 Absatz 1 SGB IV geregelten Grundsatz technischen Fortschritt anzupassen . Das digitale Zeitalter der Anlagesicherheit wird dadurch Rechnung getragen, bietet hier wunderbare Möglichkeiten . Im Bruchteil von dass die Anlage in Aktien nur unter bestimmten Ein- Sekunden können Mitteilungen und Nachrichten ganz schränkungen möglich ist und somit grundsätzlich beste- ohne Papier rund um den Globus und natürlich auch in- hende Verlustrisiken begrenzt werden . Fehlentscheidun- nerhalb Deutschlands hin- und hergeschickt werden . Das gen des Anlagemanagements können durch Vorgaben zur spart Kosten, Zeit und Nerven und ist somit von Vorteil Ausgestaltung (passiv, indexorientiert) sowie zur Anlage für alle Beteiligten . Weniger Bürokratie stärkt die Wett- in Euro-denominierten Aktien verringert und Währungs- bewerbsfähigkeit unserer Unternehmen . Eine verläss- risiken minimiert werden . liche und leistungsfähige öffentliche Verwaltung ist ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland . Auch dadurch Abschließend möchte ich auf die eingangs erwähnten werden letztendlich Arbeitsplätze geschaffen und gesi- Vorschläge, die Eingang in das vorliegende sogenannte chert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18193

(A) Viele Änderungen gehen auf das Projekt „Optimiertes cherungsträger sind enorm . So werden die Unternehmen (C) Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“, kurz OMS etwa 43,5 Millionen Euro jährlich an Bürokratiekosten genannt, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- sparen . Bei der Verwaltung werden es jährlich etwa les zurück . Daran beteiligt waren alle, die Daten ermit- 3,4 Millionen Euro sein . Und bei den Bürgerinnen und teln, prüfen und übertragen: von Arbeitgeberinnen und Bürgern liegt der Zeitgewinn bei etwa 315 000 Stunden Arbeitgebern sowie Fachleuten der Sozialversicherungs- pro Jahr . träger über Datenschutz- und Datensicherheitsexpertin- nen und -experten bis zu Softwareentwicklerinnen und Damit geben wir uns aber nicht zufrieden . Vielmehr -entwicklern . Diese Fachleute haben zwei Jahre lang aus suchen wir weiter nach Vereinfachungs- und Verbesse- ihrer Praxiserfahrung heraus gemeinsam an Verbesse- rungsmöglichkeiten . Bereits durch unseren Änderungs- rungsvorschlägen gefeilt . Diese enge Zusammenarbeit antrag, den wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf in diesem Bereich ist deshalb so wichtig, da es sich fast den parlamentarischen Weg geschickt haben, setzen wir ausschließlich um sensible Daten handelt, die versandt, weitere sinnvolle Maßnahmen um, vor allem Vorschläge bearbeitet und gespeichert werden . Softwareentwickle- des Bundesrates und aus der Praxis . Beispielsweise wird rinnen und -entwickler mögen für Verwaltungsvorgänge das Inkrafttreten der Änderungen am e‑Antrag, also am rasch eine effektive technische Lösung zur Hand haben . automatisierten Verfahren zur Aufnahme von Leistungs- Diese muss aber zum Beispiel auch den Ansprüchen des anträgen bei Versicherungsämtern und Gemeindebehör- Datenschutzes entsprechen . Deshalb ist es gut, wenn alle den, wie vom Bundesrat gefordert, vorverlegt . Oder die Beteiligten von Anfang an eng zusammenarbeiten, um Erfassung des Ausstellungsdatums beim zukünftigen ma- praxistaugliche, kostensenkende und zeitsparende Lö- schinenlesbaren Sozialversicherungsausweis: Es hat sich sungen auf den Tisch legen zu können . Das hat mit der bei dessen Erprobung herausgestellt, dass es sinnvoll ist, Projektgruppe, wie man sieht, gut geklappt . auch das Ausstellungsdatum zu erfassen, um die Nutzung mehrerer Ausweise durch eine Person auszuschließen . Bereits im letzten Jahr haben wir einige ihrer Vor- Außerdem werden wir auf Anregung des Bundesrech- schläge mit dem 5 .SGB IV-Änderungsgesetz erfolgreich nungshofes die erlassenen Bußgeldbescheide zu den umgesetzt . Diesen Weg gehen wir jetzt weiter, indem wir Verletzungen der Melde- und Aufzeichnungspflichten in uns andere zwischenzeitlich ausgearbeitete Verbesse- die Betriebsprüfungsdatei der Rentenversicherungsträger rungsvorschläge der Fachleute vornehmen . Hier ein paar aufnehmen . Dies wird zukünftige Prüfungen vereinfa- Beispiele aus dem Gesetzentwurf: chen . Wir führen die maschinenlesbare Verschlüsselung der Mit dem 6 .SGB IV-Änderungsgesetz werden aber Daten auf dem Sozialversicherungsausweis ein . Arbeit- auch ein paar Dinge umgesetzt, die nichts mit den Melde- geberinnen und Arbeitgeber sowie Sozialversicherungs- verfahren zu tun haben . Beispielsweise schaffen wir die (B) (D) träger können zukünftig automatisch mit den richtigen Voraussetzungen zur Umsetzung der EU-Binnenschiff- Sozialversicherungsnummern arbeiten und ersparen sich fahrtsrichtlinie in nationales Recht . Durch die Richtlinie aufwendige Fehlerkorrekturen . werden die Schutzstandards erhöht, unter anderem durch Außerdem schaffen wir die Möglichkeit zur elek­ eine Aufzeichnungspflicht der Arbeits- und Ruhezeiten. tronischen Beantragung und schnellen elektronischen Ebenso wird den Krankenkassen, Unfallversicherungs- Zusendung der A1-Bescheinigungen . Diese Bescheini- trägern und der landwirtschaftlichen Sozialversicherung gungen sind nötig, um den Versicherungsschutz für Ar- zukünftig die Anlage von 10 Prozent ihrer Altersrückla- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern, wenn sie gen in Aktien erlaubt . Dies wird teilweise als zu risiko- vorübergehend für Arbeitseinsätze ins Ausland entsandt reich kritisiert . Auch ich war erst skeptisch . Allerdings werden . Derzeit müssen dafür noch Antragsformulare steht die Anlagesicherheit klar im Vordergrund, da nur aus Papier umständlich und zeitraubend hin- und her- weniger risikobehaftete Aktien aus dem Euro-Raum er- geschickt werden – und die Bescheinigung selbst natür- laubt werden und sich die Anlagevorschriften am Ver- lich auch . Auch die Übermittlung von Entgeltbescheini- sorgungsfonds des Bundes orientieren . Daher ist es ver- gungsdaten vereinfachen wir . tretbar, jetzt in Niedrigzinszeiten diese klar begrenzte Aktienanlagemöglichkeit zugunsten einer möglichen hö- Zudem wird eine Informationsplattform im Internet heren Rendite und der Einsparung von Beitragsgeldern eingerichtet . Dort können Unternehmerinnen und Unter- zum Nutzen aller zu schaffen . nehmer zukünftig schnell an die wichtigsten Informatio- nen zu allen sozialversicherungsrechtlichen Fragen her- Der Abbau von Bürokratie und bessere Rechtsetzung ankommen, die die Melde- und Beitragsverfahren ihrer sind erklärte Ziele dieser Bundesregierung . Viele reden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen . Das wird nur davon . Wir setzen sie auch um! Durch den vorlie- viele Nachfragen ersparen – sowohl für die Unternehmen genden Entwurf des 6 .SGB IV-Änderungsgesetzes ge- als auch für die Sozialversicherungen . winnen alle: Bürgerinnen und Bürger, Betriebe und die Verwaltung . Deshalb freue ich mich auch auf weitere die- Außerdem greifen wir Anregungen aus der Praxis ser sperrigen und wenig spektakulären Gesetzentwürfe, auf . So wird zum Beispiel der Anwendungsbereich der die wir dann hier zum Nutzen aller beschließen können . Entgeltbescheinigung auf die Besoldungsnachweise für Bürokratieabbau ist nämlich nie erledigt und stellt uns Beamte, Richter und Soldaten ausgedehnt . immer wieder vor neue Herausforderungen Die Entlastungen durch das 6 . SGB IV-Änderungsge- setz für die Bürgerinnen und Bürger, für die Arbeitge- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Mit dem berinnen und Arbeitgeber und auch für die Sozialversi- 6 . SGB IV-Änderungsgesetz und weiteren Gesetzesände- 18194 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) rungen aus völlig wesensfremden Bereichen haben Sie Altersrücklagen in Aktien ebenfalls sichernde Maßnah- (C) uns heute hier wieder einen echten „Omnibus“ aufge- men getroffen worden seien, indem hochspekulative Ak- tischt . Nein, hier geht es nicht um ein Beförderungsmit- tien ausgeschlossen würden und das Anlagekapital auf tel, sondern schlicht um die Tatsache, dass Sie zusätzlich zehn Prozent begrenzt werde“ . mit dem im Ausschuss für Arbeit und Soziales einge- brachten Änderungsantrag weitere „Passagiere“ an Bord Diese Passage finden Sie auf Seite 12 der Beschluss- genommen haben . Dabei handelt es sich bei einigen um empfehlung auf Drucksache 18/9088 . Der zuständige blinde Passagiere, die es bei einer separaten Gesetzge- Referatsleiter im BMAS antwortete jedoch auf meine bung niemals an Bord des eigentlichen Gesetzvorhabens, Frage, ob perspektivisch der Aktienanteil ausgeweitet nämlich der Optimierung des Meldeverfahrens in der so- werden solle, dass dies zumindest für den Versorgungs- zialen Sicherung, geschafft hätten . fonds des Bundes, den es seit 2007 für Bundesbeamte und -beamtinnen gibt, geplant sei . Insofern scheint mir Da in der ersten Beratung am 2 .Juni bereits das We- die Gefahr sehr groß zu sein, dass der erlaubte Aktienan- sentliche zu den Inhalten gesagt wurde, konzentriere teil kurz nach der Einführung auch für die Altersrück- ich mich deshalb auf die zentralen Punkte Ihres Ände- stellungen der gesetzlichen Kranken- und Unfallkassen rungsantrages, die mit der Beschlussempfehlung des verdoppelt werden wird . Dies steht zu befürchten, und Ausschusses für Arbeit und Soziales heute noch in das diesen Wunsch hatte der GKV-Spitzenverband in seiner Gesetz einfließen sollen. Stellungnahme zum Referentenentwurf ja bereits geäu- So wollen Sie die Dienstunfallfürsorge für Beamtin- ßert . nen und Beamte des Bundesministeriums für Arbeit und Im Übrigen: Der Bundesrat sieht das genauso wie wir Soziales, also des BMAS, und dessen nachgelagerten Linken . Er moniert, dass es sich bei den Altersrückstel- Behörden auf die „Unfallversicherung Bund und Bahn“ lungen um Beitragsgelder, also um Geld aller GKV-Ver- übertragen, zunächst in einem Modellprojekt bis 2020 . sicherten, handelt . Dabei ist in § 80 SGB IV gesetzlich Sie begründen dies mit den einheitlichen Grundsätzen klipp und klar definiert, dass der Grundsatz der Anlagen- und der ganzheitlichen Versorgung durch die Unfallkas- sicherheit Vorrang gegenüber der Erzielung eines ange- se, die das BMAS nutzen will . Daran ist zunächst nichts messenen Ertrages hat . Diesen Grundsatz wollen Sie nun auszusetzen, solange das BMAS dann auch für die Kos- aushebeln . Das halte ich für falsch . Ich bin mir sicher, ten aufkommt, die der Unfallversicherung Bund und dass die geplante weitere Ausweitung des Aktienportfo- Bahn entstehen . Das haben Sie, verehrte Frau Staatsse- lios auf großes Interesse des Bundesrates stoßen wird . kretärin Lösekrug-Möller, in der gestrigen Ausschusssit- zung mündlich zugesagt . Ich gehe davon aus, dass es bei Bei einigen Regelungen in diesem Gesetzvorhaben ist (B) dieser Zusage auch für die Zukunft bleiben wird . der Änderungsbedarf nicht zu erkennen . Insgesamt hält (D) Mit der geplanten Änderung des Arbeitszeitgeset- die Fraktion Die Linke die Inhalte des Gesetzpaketes je- zes wollen Sie zudem bestehende bessere tarif- und ar- doch trotz der problematischen Punkte überwiegend für beitsrechtliche Regelungen für die Beschäftigten in der akzeptabel . Deshalb werden wir uns insgesamt enthalten . Binnenschifffahrt in Deutschland per Rechtsverordnung öffnen, und das, obwohl die EU-Sozialpartner unter Bil- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ ligung der Kommission bei der Binnenschifffahrtsrichtli- DIE GRÜNEN): Bereits seit 2011 führt das BMAS nun nie festgelegt hatten, dass trotz einheitlicher Regelungen schon das OMS-Projekt, das optimierte Meldeverfahren in der EU bessere nationale Regelungen bestehen bleiben in der sozialen Sicherung, durch . Technische und orga- sollen . Zugleich wollen Sie aber wiederum den Tarifver- nisatorische Abläufe sollen verbessert werden . Die Da- tragsparteien die Möglichkeit einräumen, per Tarifver- tenermittlung zwischen Arbeitgebern und öffentlichen trag von der Rechtsverordnung abzuweichen . Uns ist Stellen hinsichtlich der automatisierten Meldungen im nach wie vor nicht ganz klar, wozu die Regelung notwen- Bereich der sozialen Sicherung steht im Zentrum die- dig ist, wenn die Sozialpartner mit der auf der EU-Ebene ses Gesetzentwurfs . Optimierungspotenziale sollten in gefundenen Regelung voll und ganz zufrieden sind . dieser umfassenden Untersuchung der bestehenden Mel- Bereits in der ersten Beratung hatte ich die geplanten deverfahren gefunden werden . Das kennen Sie ja von Änderungen bei den Anlagemöglichkeiten für die Al- uns Grünen: Verbesserungen in Form von Maßnahmen, tersrückstellungen der gesetzlichen Kranken- und Un- die die Entbürokratisierung voranbringen, begrüßen wir fallkassen kritisiert . Sie sollen die Möglichkeit erhalten, grundsätzlich . bis zu 10 Prozent der Altersrückstellungen in Aktien an- legen zu dürfen . Mit dem Änderungsantrag werden nun Hoffen wir, dass dieses Gesetz, so es dann in Kraft ge- auch die Altersrückstellungen der landwirtschaftlichen treten sein wird, auch hält, was es verspricht und was die Sozialversicherung erfasst . Nach Angaben des Bundes- Damen und Herren der Koalitionsfraktionen schon in der versicherungsamts addieren sich die Altersrückstellun- ersten Lesung hier im Plenum anzupreisen sich nicht ge- gen allein der Krankenkassen auf 4,7 Milliarden Euro, scheut haben, Bürokratieabbau, den alle spüren: die Ar- von denen künftig also bis zu 470 Millionen Euro in Ak- beitgeber, aber auch die Arbeitnehmer . Der „Erfüllungs- tien angelegt werden dürfen . aufwand“ reduziere sich demnach für die Bürgerinnen und Bürger um mindestens 315 000 Stunden . Bei mehr Die SPD-Kollegin Hiller-Ohm sagte in der Aus- als 40 Millionen Beschäftigten und über 400 Millionen schussberatung, dass, ich zitiere aus der Beschlussfas- Meldevorgängen pro Jahr hoffen wir, dass die Bürgerin- sung des Ausschusses, „bei der Anlagemöglichkeit von nen und Bürger das auch wirklich spüren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18195

(A) Dann weiter: Das Verfahren solle besser, einfacher Anlage 23 (C) und günstiger werden . Solange Ihnen hierbei auch immer der Schutz sensibler Daten der Versicherten – Stichwort Zu Protokoll gegebene Reden Datenschutz – ein wichtiges, ja ein ganz zentrales Anlie- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- gen bleibt, begrüßen wir auch das als positive Entwick- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung lung . Dass es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wei- eines Transplantationsregisters (Tagesordnungs- tere 43 Millionen Euro weniger Erfüllungsaufwand für punkt 28) die Wirtschaft geben wird, ist ebenfalls zu hoffen .

Nun habe ich Ihnen einige Hoffnungen mit auf den Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Als die ersten er- Weg gegeben, die Sie aus der Koalition ja auch mit dem folgreichen Nierentransplantationen in den 50er-Jahren vorliegenden und heute zu beschließenden Gesetzent- des vergangen Jahrhunderts stattgefunden haben, hätte wurf verbinden . Das klingt viel, es sind aber nur tatsäch- wohl keiner der Ärzte gedacht, dass gerade die parallele lich relativ kleine Schritte, aber Schritte in die richtige Entwicklung der Computer und damit der Datenverarbei- tung einmal das Potential bieten würde, die medizinische Richtung . Fachkunde erheblich zu optimieren, um nicht zu sagen: Aber leider gehen Sie an einer Stelle in die falsche zu überlagern . Heute hängt der Erfolg einer Transplanta- Richtung und haben eine Forderung des Bundesrates tion zu einem wesentlichen Teil von der Verfügbarkeit, nicht umgesetzt . Bereits in der ersten Lesung hatte ich Vollständigkeit und Richtigkeit der entsprechenden rele- vanten Daten ab . an dieser Stelle angemerkt, dass die Möglichkeit der Krankenversicherung und der Unfallversicherung, ihre Bislang kommt dem Verein der Eurotransplant hier Rücklagen in Aktien anzulegen, zumindest gründlich zu die Schlüsselrolle zu . Eurotransplant umfasst acht Län- hinterfragen sei und aus dem Gesetzentwurf gestrichen der mit 135 Millionen Menschen . Je besser die Datenlage werden sollte . Das sieht die Bundesregierung anders, ist, die Spender und Empfänger innerhalb dieser Gruppe wie sie in ihrer Gegendarstellung zur Stellungnahme des abstimmt, umso besser sind die Erfolge der Transplan- Bundesrates darlegt . Im parlamentarischen Verfahren ist tationen . Eine umfassende Datenbank ermöglicht zudem das durch einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- Studien, die zum langfristen Erfolg einer Transplantation nen sogar noch ausgeweitet worden . Das ist bedauerlich beitragen werden . Mit dem Transplantationsregisterge- und überhaupt nicht nachvollziehbar . setz trägt Deutschland seinen Teil zur Verbesserung des bestehenden Systems bei . Wenn nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch Voraussetzung für eine Organspende ist der Hirntod . (B) der Bundesrat, der zu Recht auch wie ein Kontrollorgan (D) unserer Gewaltenteilung agiert, hier berechtigte Skepsis Diese Diagnose ist in Deutschland aus ethischen Grün- anmeldet, so sollte auch die Bundesregierung gelegent- den zwingende Voraussetzung für eine Organspende, um lich über Ihren Schatten springen und sich die geäußer- auch nur den geringsten Anschein zu vermeiden, dass ten Sorgen anhören und in diesem Fall am besten sogar die ärztliche Reanimation möglicherweise aus Gründen einer Organspende nicht optimal ausgeführt worden ist . „erhören“ . Der Wunsch des Bundesrates war hier, die ge- Dies ist zum Beispiel im europäischen Ausland anders, planten Änderungen aufgrund der auseinandergehenden wie etwa in der Niederlanden, die nach einem strengen Meinungen im Rahmen eines separaten Gesetzentwurfs Verfahren auch bei Herz-Kreislauf-Versagen eine Organ- ausführlicher zu diskutieren . Der Unwillen scheint hier spende zulassen . Dies erhöht die Zahl der zur Verfügung aber größer zu sein als das Bedürfnis, einen wirklich gu- stehenden Organe deutlich . Eine solche Ausweitung ist ten Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen . aber nach einhelliger Meinung in Deutschland nicht denkbar . Wie schon bei der ersten Lesung hier im Plenum kann ich mich nur gut und gerne wiederholen, wenn ich sage: Betrachtet man die Situation in Deutschland, dann Dieser Gesetzentwurf ist kein großer Wurf, er dreht ein sterben von den 900 000 Todesfällen im Jahr etwa wenig an vorhandenen Stellschrauben, die vielleicht 400 000 Menschen im Krankenhaus . Von diesen werden Verbesserungen im Sinne von Entbürokratisierungsten- 4 000 als hirntot diagnostiziert . 2012 wurden davon ein denzen und Vereinfachungen mit sich bringen . Deswe- Viertel tatsächlich Organspender . Hier spielten die Un- gen werden wir uns diesem Gesetzentwurf auch nicht versehrtheit der Organe und die Spendenbereitschaft die versperren, sondern hier zustimmen . Nichtsdestotrotz, letzte entscheidende Rolle . und auch das wiederhole ich gerne erneut an dieser Stel- le, lassen Sie uns endlich die großen Projekte innerhalb Auf die Spendensituation haben aber auch andere der sozialen Sicherung angehen: die Bürgerversicherung Faktoren Einfluss. Der Hirntod ist eine häufige Folge von Verkehrsunfällen, insbesondere bei Motorradunfällen, zum Beispiel oder auch eine Grundsicherungsreform, die die in den USA viel häufiger auftreten als in Deutschland. hält, was sie verspricht, und sowohl angstfreie Existenz- Der Straßenverkehr ist in Deutschland deutlich sicherer, sicherung als auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Teilnehmer sind besser geschützt . Neben der sub- möglich macht . Dafür mache ich mich, gemeinsam mit jektiven Spendebereitschaft begrenzt dies die Anzahl der meiner Fraktion stark . Wenn Sie an einer konstruktiven zur Verfügung stehenden Organe zusätzlich . Zusammenarbeit interessiert sind, dürfen Sie sehr gerne auf uns zukommen . Dann machen wir gemeinsam den Diese Erkenntnisse belegen aber für die medizinische großen Wurf . Forschung und den Gesetzgeber die Notwendigkeit, dass 18196 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) wir die Organspende in mehrfacher Hinsicht optimieren Das Transplantationsregister schafft hierfür eine ver- (C) müssen: lässliche Datengrundlage . Die erhobenen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nachbetreuung des Trans- Je schneller nach der Ersatzdiagnose der Patient, ins- plantierten werden darin gebündelt . Mit dem Organspen- besondere bei der Nierenspende, mit dem neuen Organ deregister werden zudem die Wartelistenkriterien sowie versorgt werden kann, desto besser sind seine langfristi- die Verteilung der Spenderorgane weiterentwickelt . gen Überlebenserwartungen . Das Gesetz wird deshalb ein weiterer Schritt in eine Je höher der Grad der Übereinstimmungsparameter hochwertige Versorgung sein . ist, desto geringer ist die Gefahr der Abstoßung des Or- gans . Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Der heutige Tag ist Und je geringer die Notwendigkeit einer Zweit- oder ein guter Tag für die Transplantationsmedizin und die Drittversorgung ist, desto weniger Organe müssen zur Organspende in Deutschland . Seit langem schon wird Verfügung stehen . darauf hingewiesen, dass es in Deutschland keine ein- heitliche, integrierte Datenerhebung des gesamten Trans- Gleichwohl ist aber die Möglichkeit der Bedarfsde- plantationsverlaufs gibt . Bislang war es hierzulande Pra- ckung durch Spenden nach Versterben endlich, zumal xis, dass anfallende Daten in mehreren Institutionen und auch immer die Frage des Alters des Spenders eine Rolle nach unterschiedlichen Vorgaben erhoben wurden, ohne spielt . miteinander verknüpft zu sein . Durch diese fehlenden Wir müssen uns daher maßgeblich auf die Datenopti- Verknüpfungen war die Möglichkeit versperrt, systema- mierung konzentrieren, um den vorstehenden drei Anfor- tische Erkenntnisse über wichtige Fragen des Transplan- derungen besser gerecht zu werden . tationswesens zu erhalten . Diesen Zustand beenden wir mit der Einführung eines bundesweiten Transplantations- Damit kann der Bedarf an Spenderorganen aber nicht registers . nur durch die Organspende nach Hirntod erfolgen, son- Mit dem heutigen Beschluss geht ein durchaus auf- dern auch die Lebendspende muss in den Fokus rücken . wändiges Gesetzgebungsverfahren zu Ende . Aus meiner Eine umfassende Datenbank unterstützt auch diese Sicht war es ein Musterbeispiel dafür, wie das BMG, der Form der Organspende . Der Wissensgewinn kommt ei- Bundestag, vor allem aber auch die vielen im Transplan- ner optimalen Abstimmung sowie Vor- und Nachsorge tationswesen Tätigen an einem Strang gezogen haben, der Organspendeempfänger zugute . Je qualitativ und um zu einem für alle Beteiligten guten Ergebnis zu kom- quantitativ länger ein Empfänger mit seinem Spenderor- men . Es ist ja nicht immer so, dass sich Politik und Fach- (B) gan lebt, umso erfolgreicher ist unser System der Organ­ welt derart einig über ein Vorgehen sind, das ja durch- (D) transplantation . Mit unserem Transplantationsregister- aus einen sensiblen Bereich berührt . Es ist mir daher ein gesetz setzten wir an einer bisher vernachlässigten, aber Anliegen, neben der Parlamentarischen Staatssekretärin essentiell wichtigen Stellschraube an – dem Erkenntnis- Annette Widmann-Mauz und ihrem Team im BMG gera- gewinn durch umfassende Daten . Stehen der Forschung de auch den vielen Beteiligten der Selbstverwaltung, vie- Langzeitdaten über den Verlauf von Organspenden zu ler Verbände sowie der Wissenschaft ein herzliches Wort Verfügung, kann entscheidendes medizinisches Wissen des Dankes auszusprechen . Neben der handwerklichen gewonnen werden, das zur Verbesserung der Lebensdau- Arbeit beim Stricken des Gesetzes ist viel Leidenschaft er von Organspenden beiträgt . für die Sache deutlich geworden . Beispielhaft möch- te ich hier Herrn Dr .Leber vom GKV-Spitzenverband, So sehr wir natürlich ein nachvollziehbares Interesse aber auch die Vertreter der Bundesärztekammer wie daran haben, durch die besondere Behandlungsmetho- Herrn Professor Otto und Herrn Dr . Middel sowie Herrn de Leben zu retten, darf aber nicht vergessen werden, Dr .Rahmel von der DSO nennen, die mit viel Herzblut dass im Prozess der Datenerhebung und der Datenver- und fachlicher Expertise für die Anliegen der Transplan- arbeitung auch das Recht auf informationelle Selbstbe- tationsmedizin und die Organspende eingetreten sind und stimmung tangiert ist . Schon bei der Frage der Organ- sich um das Thema verdient gemacht haben . spendebereitschaft ergibt sich die Kollision zwischen einer ausdrücklichen Einwilligung und einer vermuteten Mit dem Transplantationsregister schaffen wir eine Einwilligung mit dem Recht zum Widerspruch, wie dies verlässliche Datengrundlage, die alle bundesweit erho- in Österreich praktiziert wird . Aber auch nach erfolgter benen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nach- Spende und Transplantation stellt sich eine Grundrechts- betreuung nach einer Transplantation bündelt . Dadurch kollision zwischen dem Datengebrauch und dem Lebens- verbessern wir nicht nur die Datengrundlage für die schutz sowohl beim Lebendspender als auch Organemp- transplantationsmedizinische Versorgung, sondern wir fänger . erhöhen gleichzeitig die Transparenz im gesamten Sys- tem . Auch die Patientensicherheit in Deutschland wird All diese muss nun im Gesetz beachtet und vor allem dadurch erhöht . Vor allen Dingen können die Kriterien der wissentliche Mehrwert im Interesse der Patienten zur Organspende weiterentwickelt werden . Denn das Re- zeitnah evaluiert werden . Die Entscheidung zur begrenz- gister wird fundierte Informationen darüber liefern, zu ten Aufnahme der Altdaten ab dem Jahre 2006 war eine welchem Organempfänger ein Spenderorgan am ehesten sinnvolle und wirkungsvolle Maßnahme, um den wis- passt . Es wird auch für die Gewinnung wissenschaftli- sentlichen Gewinn in Ansehung der relativ überschauba- cher Erkenntnisse nicht mehr notwendig sein, auf Daten ren Fälle größtmöglich zu gestalten . aus dem Ausland zurückzugreifen, in denen unsere lan- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18197

(A) desspezifischen Gegebenheiten nur unzureichend abge- Einsicht in eine Bereitstellung von Daten einwilligen, die (C) bildet werden können . Darauf sind wir aus der Wissen- im weiteren selbstverständlich anonymisiert werden . schaft sowie aus der Transplantationsmedizin mehrfach hingewiesen worden . Ich freue mich, dass sich diese Pro- Wir vertrauen auf die Experten, die davon ausgehen, blematik in Zukunft so nicht mehr stellen wird . Auch für dass nach einem verpflichtenden Beratungsgespräch mit die Gewinnung von Erkenntnissen über die Qualität der keiner umfassenden Ablehnung zu rechnen ist . Wir ha- Transplantationszentren wird es zukünftig stärke Hin- ben diesbezüglich vereinbart, dass im Gesetz eine Be- weise geben . So werden die Zentren in die Lage versetzt, richtspflicht mit kurzer Frist verankert wird, in deren ihre Qualität noch weiter zu verbessern . Rahmen die Vollständigkeit der Daten in den Blick ge- nommen wird . Sollte es hier nicht zu der erhofften Be- Es war ein wichtiges Anliegen vieler Aktiver, zu besse- teiligung kommen, muss dieses Thema erneut auf die ren Erkenntnissen zu gelangen im Bereich der Nierener- Tagesordnung gesetzt werden . Mit der Einwilligung in satztherapie . Um die Qualität der Behandlung beurteilen dieses Vorgehen verbinde ich die klare Erwartung im zu können, ist der Behandlungsverlauf in einer Gesamt- Sinne der Sache, dass das Thema erneut aufgerufen wird, bewertung zu berücksichtigten . Dies war bislang nicht sollten die Erwartungen in puncto Datenvollständigkeit möglich, da die Sicherung der Qualität bei der Dialyse nicht eintreffen . Ich habe mir den Stichtag für den Be- und der Transplantation getrennt voneinander ablaufen . richt bereits im Kalender vorgemerkt . Mit dem Beschluss des GBA, ein sektorenübergreifendes Ich freue mich, dass es im Zuge der parlamentarischen Qualitätssicherungsverfahren zur Nierenersatztherapie Beratungen gelungen ist, die verbindliche Lieferung der bei chronischem Nierenversagen auf den Weg zu brin- sogenannten Altdaten an die Transplantationsregister- gen, und dem gleichzeitigen Beschluss im Transplanta- stelle in das Gesetz aufzunehmen . Der Transplantations- tionsregistergesetz, eine verpflichtende Lieferung der registerstelle wird die Aufgabe übertragen, diese Daten Daten aus der Qualitätssicherung an das Transplantati- zu speichern und den im Gesetz benannten Stellen zur onsregister zu verankern, wird die Sache rund . Es wird Verfügung zu stellen . Dadurch können wir sicherstellen, die benötigte Vernetzung entstehen, was aus fachlicher dass bereits in der Aufbauphase des Registers Arbeits- Sicht sehr zu begrüßen ist . Ich hoffe, dass die dazu noch hypothesen erstellt werden können . Mir war es wich- notwendigen Arbeiten schnell abgeschlossen werden tig, dass gerade die Kliniker so schnell wie möglich mit können . Ich möchte die Gelegenheit noch einmal an die- dem Register arbeiten können . Dies wurde ja auch in der ser Stelle nutzen und um eine zügige Durchführung aller Fachwelt so gesehen . Wichtig ist auch noch einmal die noch nötigen Arbeiten bitten, da die Daten zur Nierener- Klarstellung im Gesetz, dass die Erfassung von Daten satztherapie dringend gebraucht werden . mit der Aufnahme in die Warteliste beginnt . (B) Ich denke, was die organisatorische Ausgestaltung Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist (D) des Registers betrifft, hat vor und während des gesamten der Startschuss für die Einrichtung des Registers gege- Gesetzgebungsverfahrens überwiegend Einmütigkeit ge- ben . Ich hoffe nun auf eine zügige Durchführung der herrscht . Weitaus schwieriger waren da schon die Fragen notwendigen Aufbauarbeiten der Selbstverwaltungs- des Datenschutzes . Das Gesetz räumt dem Datenschutz partner, insbesondere auch beim Erstellen des einheitli- und insbesondere dem Recht auf informationelle Selbst- chen Datensatzes . Insbesondere hoffe ich, dass sich die bestimmung einen sehr hohen Stellenwert ein . Ich gebe Einschätzungen verschiedener Akteure bezüglich der zu, dass ich ähnlich wie Bundesrat und viele Sachver- Datenvollständigkeit bewahrheiten werden . Denn unser ständige im Rahmen der Anhörung lieber auf das Einwil- gemeinsames Ziel muss es sein, dass dem heutigen Tag ligungserfordernis verzichtet hätte . Aus fachlicher Sicht noch viele weitere gute Tage für die Transplantationsme- ist, so denke ich, sehr deutlich geworden, dass eine Da- dizin folgen werden . tenvollständigkeit von großer Bedeutung für die Qualität und Aussagekraft des Registers insgesamt ist . Diese Voll- ständigkeit zu erreichen, muss trotz der jetzt vereinbarten Sabine Dittmar (SPD): Nach jahrelangen Diskussi- Einwilligungslösung das Ziel bleiben . onen über die Notwendigkeit eines Transplantationsre- gisters bringen wir ein solches zentrales Register heute Die vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken, endlich auf den Weg . Dabei freut es mich besonders, dass insbesondere was die Frage der Bestimmtheit bei einem es uns gelungen ist, auch die vorhandenen Altdaten in derzeit nicht und vor allen Dingen nicht durch den Ge- das Register zu überführen und somit weiterhin nutzbar setzgeber festgelegten Datensatz betrifft, sind jedoch zu machen . nachvollziehbar . Nachvollziehbar ist gleichsam das An- Neue Daten werden künftig einheitlich und zentral liegen der Bundesregierung, der informationellen Selbst- gespeichert . Alle Daten, die ab 2006 gewonnen wurden, bestimmung als hohem verfassungsrechtlichem Schutz- werden davon getrennt gespeichert, stehen aber zur Aus- gut einen besonderen Status zuzumessen . Ich sage aber wertung zur Verfügung . Und Daten, die noch weiter in auch: Im Sinne der vielen Menschen, die auf ein funk- der Vergangenheit gewonnen wurden, werden an die Ver- tionierendes System der Organspende angewiesen sind, trauensstelle übermittelt . brauchen wir ein Transplantationsregister, das valide Daten sicherstellt . Vom Grundsatz der Datenvollständig- Es ist auch ein Erfolg, dass die Datensätze nunmehr keit darf nicht abgegangen werden . Insofern haben es die auf Vollständigkeit hin überprüft werden und dass die Koalitionsfraktionen für einen gangbaren Kompromiss Daten von all denjenigen Patientinnen und Patienten er- gehalten, zunächst einmal auf das Prinzip der Freiwillig- fasst werden, die auf der Warteliste stehen und auf ein keit zu setzen, in der Hoffnung, dass die Betroffenen aus passendes Spenderorgan hoffen . 18198 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Aus diesem neuen, zentralen und umfassenden Daten- über die Organe selbst speichern . Diese Erfassung läuft (C) schatz erhoffe ich mir wertvolle Informationen für die derzeit dezentral nach unterschiedlichen Kriterien und weitere Transplantationsmedizin . Standards . Von einer Zentralisierung versprechen wir uns vor allem mehr Wissen . Wir wissen zu wenig, wie Wie ich schon anlässlich der 1 .Lesung betont habe, die Transplantationszentren arbeiten, ob die bestehenden so ist es für die Patientensicherheit und für die Prozess- Regeln zur Organspende ausreichen und ob sie den Pro- struktur unerlässlich, dass im Transplantationsregister zess erschweren oder erleichtern . Um diese Wissenslü- einheitliche Daten erfasst und auswertet werden . Nur so cke zu beheben, braucht es dieses zentrale Register . Wir lassen sich die Ergebnisse in den einzelnen Transplanta- erreichen damit eine sehr viel größere Transparenz und tionszentren objektiv vergleichen und daraus wertvolle Klarheit darüber, was, wie, wo in Deutschland transplan- Informationen ableiten über Qualität, Erfolgsaussichten tiert wird . Transparenz ist genau eine der wesentlichen und Risiken von Transplantationen . Forderungen, die zu Recht nach dem Missbrauch in der Ich persönlich verbinde mit dem zentralen Transplan- Organspende aufgestellt wurden . Es ist daher erfreulich, tationsregister die Hoffnung, dass wir endlich valide und dass fast alle beteiligten Verbände die Gesetzesinitiative evidenzbasierte Informationen über die Allokationskrite- der Koalition begrüßen . rien erhalten, die für eine Aufnahme auf die Wartelisten Das bisherige Transplantationsverfahren ist unserer entscheidend sind . Bislang ist die Dringlichkeit der ent- Meinung nach fehleranfällig; denn natürlich kann es bei scheidende Faktor für die Warteliste . Anhand der neuen dem oftmals sehr zeitintensiven Prozess einer Organ- Daten wird zu diskutieren sein, wie die Kriterien bedarfs- spende zu menschlichen Fehlern kommen . Das geplante und erfolgsorientiert weiterentwickelt werden können . Transplantationsregister soll nun alle transplantations- Das vorliegende Gesetz zum Transplantationsregister medzinischen Daten bundesweit zusammenführen . Dazu ist aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ein wichti- wird ein bundesweit einheitlicher Datensatz vereinbart, ger Schritt . Doch noch viel wichtiger als dieses Register der in Zukunft dann an allen Krankenhäusern und für alle ist es, dass sich ein jeder ganz persönlich mit der Frage Beteiligten am Spendeverfahren, seien es die Kranken- auseinandersetzt, ob er im Ernstfall für eine Organspende häuser, Transplantationszentren, die Verbände der Kran- zur Verfügung steht . kenkassen oder die Deutsche Stiftung Organspende, so angewandt wird . Wir erwarten uns davon eine deutlich Geben Sie sich einen Ruck und beschäftigen Sie sich geringere Fehlerquote und eine verbesserte Dokumen- in einer ruhigen Minute mit dieser wichtigen Frage . Ganz tation der Organspende in Deutschland . Zudem werden egal, ob man zu der Erkenntnis kommt, sich dafür oder den betroffenen Stellen bessere und schneller verfügba- dagegen zu entscheiden: Sie nehmen Ihren Angehörigen re Informationen über Wartelisten vorliegen, so dass die (B) eine schwere Entscheidung ab, wenn Sie sich selbst – im Hoffnung besteht, den Betroffenen schneller und unkom- (D) Idealfall natürlich für eine Organspende – entscheiden plizierter helfen zu können . und Ihren Willen zu Papier bringen . Selbstverständlich gibt es bei diesem Transfer von Organspende schenkt Leben! Denken Sie daran, dass Daten auch den Datenschutz zu beachten . Im Beratungs- Sie selbst jederzeit auch in die Situation kommen kön- verlauf wurde noch einmal klargestellt, dass bei Spen- nen, eine lebensrettende Spende zu benötigen, und es lei- dern ein sogenannter postmortaler Würdeschutz gegeben der oftmals viel zu lange dauert, bis ein passendes Spen- ist und daher Daten nicht ohne jegliche Hürde weiter- derorgan gefunden werden kann . Ich appelliere daher an gegeben dürfen . Gleichzeitig gab es Bedenken über jeden Einzelnen, einen Organspendeausweis auszufüllen möglicherweise unvollständige Datensätze bzw . Da- und ihn bei sich zu tragen . tenerfassung, wenn nicht automatisch alle notwendigen Daten gespeichert würden . Bei kleinen Fallzahlen – und Hilde Mattheis (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz 3 000 gespendete Organe sind im statistischen Bereich zur Errichtung eines Transplantationsregisters gehen wir keine hohen Werte – können schon wenige Abweichun- einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Organspende gen bzw . Datenmängel zu Verfälschungen in der Statistik in Deutschland . Rund 10 000 Menschen warten derzeit führen . auf ein Spendeorgan . Gleichzeitig wurden 2015 nur rund 3 000 Organe transplantiert – ein neuer Tiefstand, da die Wir haben uns darauf geeinigt, dass die potenziellen Zahl in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken Spender freiwillig angeben können, ihre Daten für das ist . Diese Zahlen machen uns klar, dass wir in Deutsch- Register bereitzustellen . Damit sollen rechtliche Vorga- land ein Problem mit der Akzeptanz unseres bisherigen ben zum Datenschutz und zur informationellen Selbst- Transplantationssystems haben . Nach dem sogenannten bestimmung gewahrt bleiben . Es wurde in der Anhörung Transplantationsskandal im Jahr 2012 bestand und be- deutlich, dass es keinen ersichtlichen Grund gibt, dass steht Einigkeit darüber, dass alles getan werden muss, um potenzielle Spender einer Übermittlung von transplanta- das Vertrauen in die Organspende wiederherzustellen . tionsmedizinischen Daten widersprechen, da diese nicht Dieses Gesetz ist dafür ein Baustein . Wir vollziehen da- einem kommerziellen Zweck oder Ähnlichem dienen, mit einen Schritt, der in vielen Ländern Europas Standard sondern, wie gesagt, zum Beispiel einem Patienten auf ist, da es dort ein Transplantationsregister bereits gibt . einer Warteliste schneller mitgeteilt werden kann, dass ein Organ bereitsteht . Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ziel des Gesetzes ist es, ein zentrales Register zu Menschen, die selbst spenden, der Datenaufnahme und schaffen, indem wir die Daten von Organspendern und -übertragung widersprechen, wenn nachvollziehbare Lebendspendern sowie Organempfängern bzw . Daten Gründe angegeben werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18199

(A) Eine weitere offene Frage war die Übermittlung soge- Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Vorhaben (C) nannter Altdaten, also schon erfasster Daten seit 2006 bis eines öffentlichen Registers, das sämtliche Daten rund heute, über die Spender, Empfänger, Organe usw . Hier um Organspende und Transplantation erfasst, greift die stellte sich das Problem, dass diese Datensätze nach sehr Bundesregierung endlich eine Forderung der Linken auf . unterschiedlichen Kriterien erhoben wurden, zum Teil Wir erinnern uns: 2012 erschütterte ein Transplanta- unvollständig oder fehlerhaft sind und damit eine bloße tionsskandal die Republik . Mediziner in verschiedenen Übertragung das neu aufzubauende Register verfälschen Kliniken hatten Patientendaten manipuliert, um die eige- würde . Gleichzeitig ist für eine Vervollständigung des nen Patienten in der Warteliste für ein Spenderorgan wei- Registers aber auch der Satz an Altdaten wichtig und not- ter vorne zu platzieren . Bereits am 31 .Januar 2013 hat wendig . Mit diesen Daten ist nämlich zum Beispiel er- meine Fraktion in einem Antrag auf Bundestagsdrucksa- kennbar, wie viele Personen noch auf Wartelisten für ein che 17/12225 ein umfassendes Register für Transplanta- Organ sind . Und wir sind uns auch darüber einig, dass die tionen gefordert, um so die medizinische Versorgung zu Frage einer Transplantation nicht erst mit dem zur Verfü- verbessern, Transparenz und Vertrauen zu erhöhen sowie gung stehenden Organ beginnt, sondern mit dem Eintrag Fehlverhalten zu bekämpfen . Im Sommer vor drei Jah- in eine Warteliste . Es ist wichtig, dass die Patienten, die ren haben wir dann in einem gemeinsamen Antrag aller auf solchen Listen stehen, mit in dem Register erfasst Fraktionen nochmals eine einheitliche und umfassende werden; denn dies zeigt natürlich in sehr eindrücklicher Datenerhebung im gesamten Prozess der Transplantati- Weise auf, wie hoch der Bedarf an Organen in Deutsch- onsmedizin gefordert . land ist und wie niedrig im Vergleich dazu die Zahl der möglichen Spender . Vor diesem Hintergrund will ich erläutern, warum der Gesetzentwurf der Bundesregierung für Die Linke den- Wir haben deshalb im Gesetzgebungsverfahren nach- noch nicht zustimmungsfähig ist . gebessert und bestimmt, dass diese Altdaten an die Trans- Erstens sind wir der Auffassung, dass ein solches Re- plantationsregisterstelle überwiesen und dort gespeichert gister zwingend in die öffentliche Hand gehört . Genau werden . Durch die Einbeziehung der zu schaffenden Ver- dieselben Organisationen mit der Errichtung zu beauftra- trauensstelle haben wir auch hier ein hohes Datenschutz- gen, die sich bisher als unfähig oder unwillig erwiesen niveau sichergestellt . Auch bei diesen Altdaten wird es haben, wirkliche Transparenz in der Transplantationsme- nicht möglich sein, den Personenbezug zum damaligen dizin herzustellen – also Bundesärztekammer, die Kran- Spender bzw . Empfänger wiederherzustellen, so dass kenhausgesellschaften und die Krankenkassen –, das ist Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben . nicht geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Or- ganspende wiederherzustellen . (B) Eine Vermischung von Alt- und Neudaten, also jenen (D) Daten, die ab Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden, Zweitens sollen wieder einmal ausschließlich die ge- wird es nicht geben . Wir haben festgelegt, dass die Altda- setzlich Versicherten dieses Register finanzieren. Zu Be- ten als ein unveränderlicher Datenbestand abgespeichert ginn dieser Wahlperiode hat die Regierungskoalition aus werden . Somit stehen sie einerseits zur Verfügung, an- Union und SPD die Finanzierung der gesetzlichen Kran- dererseits haben wir technisch eine Trennung zwischen kenkassen zulasten der Beschäftigten und zugunsten der den verschiedenen Datensätzen . Das ist die sauberste Unternehmen verändert . Alle künftigen Kostensteigerun- Lösung . gen zahlen nun die Versicherten allein . Das führt bei der Bundesregierung nun schon wieder zu einer unglaubli- Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass wir den Auf- chen Großzügigkeit auf Kosten der Beitragszahler . Wie- bau und die Funktionsweise des Registers evaluieren . So der einmal verlagern Sie eine gesamtgesellschaftliche können wir prüfen, ob die jetzt gefundenen Lösungen zur Aufgabe, die eigentlich aus dem Bundeshaushalt zu fi- Datenschutzeinwilligung und zu Altdaten auch tragen . nanzieren wäre, auf die Krankenkassen . Und die Privat- Das ist sehr wichtig, um sicherzustellen, dass in Zukunft versicherungen dürfen, müssen aber nicht mitfinanzie- das geplante Transplantationsregister so funktioniert, wie ren . Das nenne ich Klientelpolitik der allerfeinsten Sorte . wir uns das vorstellen und die Transplantationsverbände Drittens gibt es Zweifel, ob Ihnen die Balance zwi- es erwarten . schen Datenschutz und Datenvollständigkeit mit diesem Gesetz gelungen ist . In der Anhörung haben verschiede- Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen ne Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Nut- für die konstruktive und zielorientierte Arbeit an diesem zen eines solchen Registers sehr von der Vollständigkeit Gesetz bedanken . Ich bin sicher: Es ist ein gutes Gesetz der erhobenen Daten abhängt . Dass die Patientinnen und wird helfen, Transplantationen hierzulande einfa- und Patienten in die Speicherung ihrer Daten ausdrück- cher, besser und transparenter zu machen . Wir sind es lich einwilligen müssen, kann in diesem speziellen Fall den vielen potenziellen Spenderinnen und Spendern, die dazu führen, dass die Daten nicht repräsentativ genug auf ihrem Spenderausweis ein „Ja“ angekreuzt haben, sind . Auch könnten einzelne Transplanteure oder Zen- schuldig, dass im Notfall mit ihrem Körper so umgegan- tren mögliches Fehlverhalten dadurch verschleiern, dass gen wird, wie sie sich das vorstellen, und den Menschen diese Einwilligung einfach nicht eingeholt wird und die geholfen wird, die dringend ein Organ benötigen . Ich Daten nicht übermittelt werden . Wäre Ihnen der Schutz bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz dazu beitragen der sensiblen Patientendaten wirklich so wichtig, dann wird, wieder Vertrauen in die Organspende zu stiften . müssten Sie vor allem die Bundesdatenschutzbehörde für Daran sollten wir alle mitarbeiten . die zusätzlichen Aufgaben mit zusätzlichen Planstellen 18200 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) ausstatten, aber das unterlassen Sie . Datenschutz ohne Dialyseregister aufgegriffen, um auch in diesem Bereich (C) Datenschützer ist nur ein Potemkin’sches Dorf, eine für mehr Transparenz zu sorgen . Wir wissen also gar schöne Fassade mit nichts dahinter . nicht, wie aussagekräftig und repräsentativ das Register, das wir heute beschließen, mal sein wird . Trotz dieser Kritikpunkte hätten wir diesem Gesetz eventuell zustimmen können, hätten Sie es nicht noch Zweitens: Wir legen in diesem Land zu Recht sehr missbraucht, um mit einem Änderungsantrag schnell viel Wert auf eine unabhängige Forschung, auch im Be- noch eine üble Verschlimmbesserung des Pflegestär- reich der medizinischen Wissenschaft . Im vorliegenden kungsgesetzes II durchzuschleusen . Demnächst sollen Gesetzentwurf räumen Sie nun den Spitzenverbänden im die Pflegekassen zur Hälfte auch die medizinische Be- Gesundheitswesen die Befugnis ein, über die Herausgabe handlungspflege von Intensivpflegepatienten in der häus- bestimmter Daten zu Forschungszwecken entscheiden zu lichen Pflege übernehmen. dürfen . Damit entscheiden diese Akteure faktisch über Die Linke fordert, gemeinsam mit Verbänden, Ge- die Durchführung bestimmter Forschungsvorhaben . Sie werkschaften und Interessenvertretungen der Betrof- können bis heute nicht begründen, warum diese Akteure fenen, dass medizinische Behandlungskosten für alle und nicht eine neutrale Instanz oder das Register selbst Patientinnen und Patienten in voller Höhe von den Kran- über die Herausgabe entscheiden sollen . Sie schaffen kenkassen getragen werden müssen – unabhängig davon, damit einen Präzedenzfall, der sich negativ auf die For- ob der Patient auch noch Pflegebedarf hat, unabhängig schungsfreiheit auswirken kann . Und sie tun auch den davon, ob er oder sie zu Hause lebt, im Heim wohnt oder Verbänden keinen Gefallen damit, wenn diese zukünftig im Krankenhaus liegt. Weil ja die Pflegeversicherung im- in den Verdacht geraten, Forschungsvorhaben zu unter- mer nur einen Teil der Kosten trägt, drohen mit dieser drücken, weil sie ihren fachpolitischen Interessen mögli- Regelung gerade für die schwer Kranken, die zum Bei- cherweise widersprechen . spiel 24 Stunden am Tag beatmet werden müssen, hohe Eigenanteile . Oder die Kosten werden auf die Sozialhil- Drittens: Auf unsere Nachfrage hin erklärte die Bun- feträger, also auf die Kommunen, verlagert . Das machen desbeauftragte für den Datenschutz und die Informa- wir nicht mit! tionsfreiheit in einem Schreiben an den Gesundheits- ausschuss, dass der Gesetzentwurf den postmortalen Weil wir diese spezielle Regelung vehement ablehnen, Persönlichkeitsschutz von verstorbenen Organspendern können wir auch dem Gesetz zur Errichtung eines Trans- und -empfängern nicht ausreichend berücksichtigt . So plantationsregisters nicht zustimmen . müsse beispielsweise der Gesetzgeber den zu übermit- telnden Datensatz für postmortale Spender – zumindest Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in seinen wesentlichen Zügen – selbst festlegen . Damit (B) Die Errichtung eines Transplantationsregisters, über die verbunden ist ein weiteres Problem Ihres Gesetzent- (D) der Deutsche Bundestag heute entscheiden wird, ist eine wurfs: Wie bei anderen Vorhaben auch überlassen Sie Konsequenz aus den Skandalen, die die Transplantati- mal wieder der Selbstverwaltung die wesentliche Ausge- onsmedizin in den letzten Jahren hierzulande erschüttert staltung der Regelungen – ohne sich darum zu kümmern, haben . Es war der Wunsch aller damals im Bundestag ob dies rechtlich zulässig ist oder die betroffenen Verbän- vertretenen Fraktionen, ein solches Register zu schaffen . de auch über ausreichende personelle und zeitliche Res- Umso bedauerlicher ist es, dass die gemeinsame sourcen dafür verfügen . Sie entziehen sich damit wieder Arbeit in dieser Legislaturperiode keine Fortsetzung mal Ihrem Gestaltungsauftrag . erfahren hat . Es ist schon erstaunlich, wie die Bundes- Auffällig in diesem Zusammenhang ist auch, dass das regierung bei der Diskussion ihres Gesetzentwurfes non- Transplantationsregister ausweislich des Gesetzes aus chalant über fast alle geäußerten Bedenken hinweggeht . Mitteln der GKV finanziert werden soll. Bei den klini- Änderungsvorschläge wurden kaum übernommen . Das schen Krebsregistern ist das anders; dort ist das Mitspra- ist schade, denn einige der von der Bundesregierung cherecht der PKV mit einem finanziellen Beitrag -ver vorgesehenen Regelungen können die Akzeptanz und knüpft . Im vorliegenden Entwurf hingegen räumen Sie Aussagekraft des Registers erheblich gefährden . Meine der PKV bedingungslos weitgehende Mitspracherechte Fraktion hätte dem Gesetzentwurf gern zugestimmt, aber bei der Ausgestaltung des Transplantationsregisters ein aufgrund der Bedenken, die ich Ihnen im Folgenden er- örtern werde, werden wir uns enthalten . und verzichten damit ohne Not auf einen wesentlichen Anreiz für die PKV, sich auch an der Finanzierung des Erstens: Nahezu sämtlich Verbände und Akteure im Registers zu beteiligen . Warum, können Sie bis heute Transplantationsgeschehen haben darauf hingewiesen, nicht erklären . dass es sinnvoll sein kann, die Einwilligung in die Trans- plantation selbst mit der Einwilligung in die Datenüber- Die Legitimation und Akzeptanz der Organspende hat tragung an das Register zu verknüpfen . Nur so kann in den letzten Jahren in Deutschland erheblich gelitten . angesichts der geringen Fallzahlen in der Transplantati- Allein durch Plakatkampagnen wird man dieses Vertrau- onsmedizin ein aussagekräftiger Datenbestand erreicht en nicht wieder herstellen können . Ein aussagekräftiges werden . Und nur so kann vermieden werden, dass sich und nicht interessengeleitetes Register ist ein wesent- Einrichtungen, die schlechte Qualität abliefern oder Da- licher Baustein dafür, die Organspende in Deutschland ten manipulieren, zukünftig einer Kontrolle entziehen . wieder auf die Beine zu bringen . Ein Register hingegen, Aufgegriffen haben Sie diese Bedenken nicht . Ebenso das Lücken und Raum für interessengeleitete Entschei- wenig haben Sie die sinnvolle Forderung nach einem dungen lässt, wird dies nicht schaffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18201

(A) Anlage 24 ropäischen Parlaments und des Rates vom 3 .April 2014 (C) umsetzen zu können . Diese stellt die regelmäßige techni- Zu Protokoll gegebene Reden sche Überwachung von Kraftfahrzeugen sicher . zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ein weiteres Novum, das in diesem Entwurf steckt, ist Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und ande- eine Ermächtigungsgrundlage für den Bund, die zur Ent- rer Gesetze (Tagesordnungspunkt 29) lastung der Polizei führt . Seit Jahren nimmt die Zahl der sogenannten Großraum- und Schwertransporte im deut- schen Straßennetz massiv zu . Die Wirtschaft hat die Fer- Gero Storjohann (CDU/CSU): Lange Wartezeiten tigungslinien in vielen Fällen in einer Weise angepasst, bei Behörden sind inzwischen nichts Ungewöhnliches dass große Bauteile in einer Fabrik gefertigt werden, um mehr . Da drängt sich mir die Frage auf: Ist das Verfahren diese dann mit Großraum- und Schwertransporten zu den in der Form wirklich notwendig und lässt es sich nicht entsprechenden Verarbeitungs- oder Baustellen zu lie- vereinfachen und somit für eine Entlastung der entspre- fern. Besonders signifikant ist – durch die Energiewen- chenden Stellen sorgen? de – der Transport von Bauteilen für Windkraftanlagen . Seit dem 1 . Januar 2015 ist es möglich, ein Kraftfahr- Zugleich hat sich die Verkehrsdichte deutlich erhöht, und zeug per Mausklick vom heimischen Computer abzumel- die gesamten Rahmenumstände der Infrastruktur, insbe- den . Um nun dem Bürger die Fahrzeugzulassung ebenso sondere die Brückenstabilität, haben sich im Laufe der zu ermöglichen, werden mit dem vorliegenden Gesetz- Jahre spürbar verschlechtert . Dies alles führt dazu, dass entwurf der Bundesregierung zum Sechsten Gesetz zur bei entsprechenden Erlaubnissen und Genehmigungen Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer von Großraum- und Schwertransporten in vielen Fällen Gesetze die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen ge- als Auflage die Begleitung durch Polizeikräfte angeord- schaffen . Damit wird dem Bürger neben dem herkömm- net wird . Dieses Aufgabenfeld bindet eine Vielzahl von lichen Verfahren bei der Zulassungsbehörde ein internet- Ressourcen bei Polizeidienststellen, die anderweitig basiertes Verfahren zur Wahl gestellt . dringender benötigt werden . Dazu wird die Ermächtigung zur Regelung der zu- Eine Möglichkeit ist es, durch den Einsatz von Ver- lassungsinternen Verfahren komplettiert, also die Um- fügungshelfern die Polizeikräfte bei der Begleitung zu setzung der internetbasierten Wiederzulassung außer entlasten . Dazu muss aber eine bundeseinheitliche Re- Betrieb gesetzter Fahrzeuge auf denselben Halter im gelung getroffen werden, da es sonst zu Komplikationen selben Zulassungsbezirk . Das ist die sogenannte zwei- bei länderübergreifenden Transporten kommt . Mit dieser te Stufe des Projektes i-Kfz und der entscheidende und Vorschrift kann das Bundesministerium für Verkehr und (B) notwendige Schritt vor der endgültigen Implementierung digitale Infrastruktur eine Verordnung schaffen, damit (D) der sogenannten dritten Stufe: der internetbasierten Fahr- bundesweit gleichartige Rahmenbedingungen geschaf- zeugzulassung . fen werden . Somit sorgen wir auch hier für Erleichte- rung in den ausführenden Organen der Bundesrepublik Für die Umsetzung sind daher organisatorische, tech- Deutschland . nische und rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, damit dieses Verfahren dann in den jeweiligen Porta- Weiterhin beinhaltet dieser Entwurf redaktionelle len der Kommunen angeboten werden kann . Dazu sind Änderungen zur fristgerechten Umsetzung europarecht- Komponenten zu entwickeln und zu nutzen, die eine licher Vorschriften in nationales Recht . Dabei wird der elektronische internetbasierte Abwicklung des Verfah- grenzüberschreitende Austausch von Informationen über rens ermöglichen . Mit diesen Komponenten können die die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsde- verschiedenen Fahrzeugzulassungsvorgänge abgebildet likte mittels dieser Anpassungen erleichtert . werden, um Bürgerinnen und Bürgern oder auch Unter- nehmen die Durchführung ihrer Fahrzeugzulassung ohne Im Fahrerlaubnisrecht sind durch zahlreiche Überar- Gang zur Zulassungsbehörde zu ermöglichen . Das soll beitungen die Begrifflichkeiten hinsichtlich inländischer zudem als vollständig automatisierter Verwaltungsakt er- und ausländischer Fahrerlaubnisse uneinheitlich . Dies möglicht werden, um eine vollständig digitalisierte und gilt es für eine klare und einfache Rechtsanwendung zu elektronische Abwicklung der Fahrzeugzulassung zu er- bereinigen. In diesem Entwurf werden diese Begrifflich- möglichen . keiten systematisch vereinheitlicht . Das begrüße ich, trägt es doch sehr zur Entlastung der Insgesamt lässt sich also sagen, dass uns mit diesem Verwaltung bei, und auch die Nutzer profitieren von dem Gesetzentwurf eine bundeseinheitliche Regelung gelun- zusätzlichen Verfahren, denn hierdurch lässt sich eine gen ist, die der Mobilität der Bürger der Bundesrepublik sofortige Teilnahme am Straßenverkehr im Anschluss an Deutschland zuträglich ist und der Verkehrssicherheit al- den Zulassungsvorgang verwirklichen . ler dient . Daher ist dieses Vorhaben zu unterstützen und dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung in Ferner werden durch den Gesetzentwurf die nötigen geänderter Fassung zuzustimmen . Speicher- und Übermittlungsvorschriften geschaffen, um die Daten über Hauptuntersuchungen und Sicherheits- überprüfungen der durchführenden Stellen im Zentralen Stefan Zierke (SPD): Heute stimmen wir über das Fahrzeugregister beim Kraftfahrt-Bundesamt speichern Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset- zu können . Das ist notwendig, um die zweite Stufe des zes und anderer Gesetze in zweiter und dritter Beratung Projektes i-Kfz sowie die Richtlinie 2014/45/EU des Eu- ab . 18202 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Ich möchte an dieser Stelle nicht vertiefend auf die Kommen wir zu den einzelnen inhaltlichen Punkten: (C) vielen einzelnen Punkte dieses Artikelgesetzes eingehen, Es ist nicht verständlich, dass im elektronischen Fahr- die im Großen und Ganzen Ermächtigungsgrundlagen, eignungsregister neben den Identifizierungsmerkmalen Klarstellungen und rechtsförmliche Anpassungen von nun auch noch Zulassungsmerkmale gesammelt werden insgesamt vier Gesetzen betreffen . Vielmehr möchte ich sollen – im Zusammenhang mit einer internetbasierten auf die positive Anpassung bei der Begleitung von Groß- Zulassung datenschutzrechtlich mehr als bedenklich, vor raum- und Schwertransportern eingehen: allem, wenn diese internetbasierte Zulassung nun auch noch privatisiert werden soll und damit private Unterneh- In unserem gemeinsamen Änderungsantrag haben wir men Zugriff auf diese Daten erhalten . die Regelung eingebracht, dass zukünftig Beliehene oder Verwaltungshelfer Großraum- und Schwertransporte be- In der ursprünglichen Fassung war der Gesetzentwurf gleiten können . Damit kann unsere Polizei von dieser übrigens unbedenklich, und meine Fraktion hätte ihm Aufgabe entlastet werden . Ähnlich kennen wir es ja vom zugestimmt . Aber mit der Privatisierung der Begleitung TÜV oder von Toll Collect, die eng definierte hoheitliche von Groß- und Schwertransporten und der Privatisierung Aufgaben übernehmen und damit die Verwaltung entlas- der internetbasierten Zulassung haben Sie dem Gesetz- ten . entwurf aus ideologischen Gründen einen marktradika- len Anstrich verpasst, der völlig unnötig ist, zumal der Bislang wurden die Schwertransporte regelmäßig von Rest dann per Verordnung geregelt werden soll und der Polizistinnen und Polizisten begleitet, die beispielswei- Bundestag dann nichts mehr zu sagen hätte . se an Landesgrenzen aufgrund von Zuständigkeiten ge- wechselt werden mussten . Teilweise geschieht dies bei Auch wir sehen ein, dass die Polizei Besseres zu tun längeren Strecken mehrmals . Dies kostet Zeit, stört oft hat, als privaten Transportunternehmen Geleitschutz zu den Verkehrsfluss und ist ineffizient. geben . Allerdings sollten bei der Privatisierung dieser öffentlichen Dienstleistung für private Unternehmen die Ebenso kam es häufiger vor, dass Beamte während anfallenden Kosten der Begleitung dann auch komplett der polizeilichen Transportbegleitung aufgrund von Not­ privat getragen werden . Es kann nicht sein, dass private einsätzen abgezogen werden mussten . Somit musste die Unternehmen ein privates Unternehmen für eine Dienst- polizeiliche Begleitung unterbrochen werden und konnte leistung beauftragen und der Staat dieses Geschäft dann erst nach Beendigung des Noteinsatzes fortgesetzt wer- bezuschusst . Und außerdem sehe ich bereits jetzt, dass den . Diesen misslichen Umstand ändern wir jetzt . diese Entlastung der Polizei demnächst als Begründung Darüber hinaus nimmt die Zahl der Großraum- und für den nächsten Personalabbau herhalten muss . Schwertransporte im deutschen Straßenverkehr seit vie- Bei der Reform der MPU-Gutachten haben Sie mit der len Jahren kontinuierlich zu . Dabei denke ich insbeson- (B) Entgeltordnung eine richtige Regelung getroffen, die in (D) dere an den Transport von Windkraftanlangen, Booten der Zukunft viel Schindluder verhindern wird . Warum und Fertighäusern . Die meisten Autofahrer kennen diese Sie aber nicht auch gleichzeitig verbindliche Qualitäts- spektakulären Transporte von Landstraßen und Autobah- standards einführen, erschließt sich mir nicht . nen . Ich komme zum Fazit: Sie haben diesen eigentlich Sicherlich ist die Begleitung durch die Polizei aus notwendigen und richtigen Gesetzentwurf im letzten sicherheitspolitischen Gesichtspunkten keine zu unter- Moment in einem Maße verschlechtert, dass sich meine schätzende Aufgabe, aber durchaus auch eine, die durch Fraktion enthalten muss . entsprechend qualifizierte und überprüfte beliehene Aufgabenträger oder Verwaltungshelfer sehr gut über- nommen werden kann . Diese Möglichkeit schaffen wir Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hiermit . NEN): Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und dem entsprechenden Die zukünftigen Aufgabenträger können, ähnlich wie Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sollen die die Polizei, verkehrsrechtliche Anordnungen treffen . Der Voraussetzungen für die zweite und dritte Stufe der in- Bund regelt damit die Rahmenbedingungen . Die zustän- ternetbasierten Fahrzeugzulassung geschaffen werden . digen Landesbehörden übernehmen zukünftig nach die- Weiterhin erfordern europäische Regelungen sowie die sen Regeln die Beleihung und Beauftragung . notwendigen Verwaltungsabläufe im Zulassungsverfah- Alles in allem werden wir die Polizeikräfte in den ren Anpassungen weiterer damit in Verbindung stehender Ländern entlasten . Deswegen stimmen wir zu . Gesetze . Damit hält in diesem Bereich der Verwaltung E-Government Einzug . Endlich wird der ein oder ande- re sagen . Endlich können Wartezeiten und Wege zu den Thomas Lutze (DIE LINKE): Im Ausschuss einen Zulassungsstellen entfallen und Behördengänge auch in Änderungsantrag vorzulegen, der fast so lang ist wie der diesem Bereich vom Sofa aus geregelt werden . Auch die vorliegende Gesetzentwurf selbst ist, verbietet sich ei- Automatisierung des Fahreignungsregisters ist grund- gentlich . Leider scheint sich diese Arbeitsweise langsam sätzlich zu begrüßen . einzuschleifen – bei der Reform der Erbschaftssteuer war es nicht anders . Hier allerdings ist es noch schlimmer; Doch gutes E-Government setzt hohe Anforderungen denn Sie fassen mit Änderungsanträgen plötzlich Sach- an den Datenschutz voraus . Deshalb lohnt sich ein ge- verhalte an, von denen in der ersten Lesung noch gar nauerer Blick auf die beabsichtigten Regelungen . Insbe- keine Rede war . Damit beschneiden Sie die Rechte der sondere bei der geplanten vollelektronischen Führung Opposition . des Fahreignungsregisters wird mit besonders sensiblen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18203

(A) personenbezogenen Daten umgegangen . Datenschutz- begeistert werden . Für junge Arbeitskräfte sind Arbeits- (C) rechtlich muss immer der Maßstab des Erforderlichkeits- plätze in der Regel am interessantesten, wenn Familie und Zweckbindungsgrundsatzes im Umgang mit den In- und Beruf besonders gut zu vereinbaren sind . In Gesprä- formationen angelegt werden . Nicht erforderliche Daten chen mit jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind umgehend zu löschen oder zu sperren . Eine Um- wird mir dies immer wieder deutlich gemacht . Besonders funktionierung zu allgemeinen Sicherheitszwecken muss häufig höre ich dabei den Wunsch nach flexibler Arbeits- ausgeschlossen werden . Hier bestehen aber Zweifel hin- zeitgestaltung im Falle von Nachwuchs oder Pflegefällen sichtlich der Erweiterung der gespeicherten Daten beim in der Familie . Verfahren der Direkteinstellung nach § 30a des Gesetz- Neben der beruflichen Selbstverwirklichung liegt vie- entwurfs . Danach können Protokolldaten über Zugriffe len auch ihre Familie am Herzen, und Familien sind nun und neu aufgenommene Daten 6 Monate gespeichert einmal Mittelpunkt und Anker zugleich . Für einen zu- werden . Begründet wird die Frist mit der Möglichkeit der kunftsorientierten öffentlichen Dienst bedeutet dies, dass Kontrolle durch die Bundesbeauftragte für Datenschutz die Vereinbarkeit der Lebensbereiche Arbeit und Fami- und Informationsfreiheit . Gleichzeitig bedeutet diese lan- lie auch zukünftig eines der wichtigsten Themen bei der ge Frist auch erhebliches Risiko für Bürger, weil Zugriffe Gewinnung von Arbeitnehmern sein wird . Und gerade in durch Sicherheitsbehörden über den gesamten Zeitraum diesem Punkt können wir mit der Privatwirtschaft durch- möglich sind . Näheres bestimmt leider kein Gesetz, son- aus konkurrieren . dern eine interne Vorschrift des Kraftfahrt-Bundesamtes . Das ist uns als hinreichende Rechtsgrundlage angesichts Mit dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Fa- der Sensibilität der Datenbestände allerdings zu wenig, milie, Pflege und Beruf für die Beamtinnen und Beam- da hier beispielsweise auch Daten zu Straftatbeständen ten des Bundes und die Soldatinnen und Soldaten legen abgelegt werden . Vorsicht ist aus unserer Sicht auch des- wir daher einen weiteren Baustein, um den öffentlichen halb geboten, weil die konkrete Ausgestaltung eben an Dienst attraktiver und vor allem familienfreundlicher zu einer Verordnung hängt, auf die wir hier keinen weiteren machen . Einfluss haben. 2013 hatten wir mit den Regelungen zur Familienpfle- Richtig hingegen ist die mit dem Änderungsantrag gezeit für die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten vorgeschlagene Ermächtigungsgrundlage, mit der die und Soldatinnen und Soldaten begonnen und schufen bisher verpflichtende Polizeibegleitung von Großraum- die Möglichkeit, Familienpflegezeit für pflegebedürftige und Schwertransporten auf Dritte übertragen werden nahe Angehörige zu beantragen . Ähnliches hatten wir können . Private Spezialunternehmen können auf diese zuvor für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- Weise zur Entlastung der Polizei beitragen, die derzeit regelt . (B) mit rund 300 000 Sondertransporten belastet ist . Die Mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetz gehen (D) Polizei kann dann ihre knappen Ressourcen wieder ver- wir noch einen Schritt weiter . Für die Bundesbeamtin- stärkt für die Verkehrsüberwachung und damit zur Ver- nen und Bundesbeamten sowie Soldatinnen und Solda- besserung der Verkehrssicherheit einsetzen . ten wird es künftig einen Rechtsanspruch auf Familien- Allerdings ist dies eine Ausnahme . Grundsätzlich darf und Pflegezeit geben. Etwas Vergleichbares haben wir die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nicht schlei- ebenfalls für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer chend auf Private übertragen werden . in der Privatwirtschaft und Tarifbeschäftigte Ende 2014 beschlossen . Nun erfolgt auch in diesem Fall die entspre- Wir werden uns zu Ihrem Gesetzentwurf wegen der chende Übertragung auf die Beamtinnen und Beamten geschilderten datenschutzrechtlichen Bedenken jeden- und Soldatinnen und Soldaten . Ich halte das für einen falls enthalten . sehr konsequenten Schritt, der nicht zuletzt für mehr Vertrauen und Sicherheit bei den Bundesbeamten sorgen wird . Anlage 25 Verringert der oder die Betroffene aufgrund einer Pflegesituation innerhalb der Familie die Arbeitszeit, Zu Protokoll gegebene Reden wird ein Vorschuss gewährt, welcher die entstehenden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- Gehaltseinbußen abfedern soll und anschließend mit den gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Bezügen verrechnet wird . Die wöchentliche Arbeitszeit Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für muss mindestens 15 Stunden betragen . Die Verkürzung Beamtinnen und Beamte des Bundes und Solda- der Arbeitszeit kann bis maximal 24 Monate gewährt tinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer werden . dienstrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- Zudem wollen wir den Wechsel in eine andere Lauf- punkt 30) bahn flexibler gestalten. Um den Wechsel in eine höhe- re Laufbahn oder eine andere Laufbahn derselben oder Oswin Veith (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag ha- höheren Laufbahngruppe zu erleichtern, werden wir vo- ben wir uns auf einen modernen und familienfreundli- rübergehend das Nebeneinander zweier Beamtenverhält- chen öffentlichen Dienst verständigt . Modern heißt, nisse ermöglichen . Bei einem Wechsel musste der Be- sich an Lebenswirklichkeiten und neue Entwicklungen troffene bislang aus dem bestehenden Beamtenverhältnis anzupassen . Nur so können auch zukünftige Arbeitneh- entlassen werden . Dies führte immer dann zu erheblichen merinnen und Arbeitnehmer für den öffentlichen Dienst Unsicherheiten bei den Beamten, wenn der Wechsel in 18204 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) eine höhere Laufbahn die Ableistung eines Vorberei- Die öffentlichen Dienstleistungen – und zwar nicht nur (C) tungsdienstes oder einer Probezeit erfordert . Nun ruht im Bereich der inneren Sicherheit – haben in Deutschland das bestehende Beamtenverhältnis für die Dauer des Vor- eine hohe Qualität, und unsere Sicherheitskräfte genie- bereitungsdienstes oder der Probezeit . ßen ein hohes Ansehen . Wir sind es ihnen schuldig, ihnen bei erheblichen Eingriffen in ihre eigene Unversehrtheit Gleichzeitig enthält der Gesetzentwurf einen An- zur Seite zu stehen . Damit schaffen wir Vertrauen und spruch gegen den Dienstherren auf Schmerzensgeld im sichern zugleich die Einsatzbereitschaft und die Verläss- Falle einer Verletzung durch Dritte während des Dienstes . lichkeit unserer Sicherheitsbehörden . Immer häufiger werden Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen und Soldaten Opfer von Gewalttaten, aus Neben der Absicherung bei Schmerzensgeldansprü- denen Schmerzensgeldansprüche entstehen . Der Bund chen wird mit dem Gesetzentwurf viel für die Familien- nimmt seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten freundlichkeit des öffentlichen Dienstes getan . Und ge- sehr ernst und hat sich daher entschlossen, bei Schmer- nau dort liegt ein entscheidender Vorteil des öffentlichen zensgeldansprüchen, die eine unbillige Härte darstellen, Dienstes gegenüber der Privatwirtschaft . Der Bund als die Ansprüche gegenüber den Beamtinnen und Beamten, Dienstherr bietet seinen Bediensteten eine Vielzahl an Soldatinnen und Soldaten zu begleichen . Bei erheblichen Möglichkeiten, um Familie und Beruf zu vereinbaren . Schmerzensgeldansprüchen bleiben die Betroffenen Nicht zuletzt profitieren davon die Bürgerinnen und Bür- nicht auf ihren Ansprüchen sitzen . Vor dem Hintergrund ger . Denn wer bei persönlichen Sorgen und Nöten oder der zunehmenden Gewalt gegen Bundesbeamtinnen und auch im Falle des freudigen Ereignisses der Geburt eines Bundesbeamte halte ich diese Regelung für unabding- Kindes zusammen mit seinem Arbeitgeber eine Lösung lich, absolut korrekt und notwendig . finden kann, ist auch ein motivierter Arbeitnehmer. Und genau das bieten wir unseren Beamtinnen und Beamten, Unsere Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten set- den Soldatinnen und Soldaten . zen sich tagtäglich für das Wohl und die Sicherheit un- serer Bürger ein . Da ist es nur billig und gerecht, ihnen Der vorliegende Gesetzentwurf schließt eine Reihe im Falle von Schmerzensgeldansprüchen, welche nicht von Gerechtigkeitslücken bei der Familienpflegezeit und durchsetzbar sind, unterstützend zur Seite zu stehen . Pflegezeit, sowie bei der Schädigung im Dienst durch Private, sodass ich für Ihre Zustimmung werbe . Künftig gilt: Hat der geschädigte Beamte oder die ge- schädigte Beamtin einen titulierten Schmerzensgeldan- Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): „Gewalt am Ar- spruch, kann diesen aber nicht gegen einen zahlungsun- beitsplatz“ ist ein Thema, das mehr und mehr Arbeitneh- fähigen Schädiger durchsetzen, besteht die Möglichkeit, merinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, darunter in be- den Anspruch auf Zahlung des Schmerzensgeldes gegen (B) sonderem Maße Beamtinnen und Beamte . Vor wenigen (D) den Dienstherren zu richten . Tagen hatte ich genau dazu ein Gespräch mit der dbb-Ju- Wie bereits erwähnt, muss es sich um einen Schmer- gend . Hier konnte ich aus erster Hand erfahren, dass die zensgeldanspruch handeln, dessen Nichtdurchsetzbarkeit Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst immer eine unbillige Härte darstellt . Erst dann soll der Dienst- häufiger darunter leiden. Beschimpfungen, Beleidigun- herr den Anspruch übernehmen . Der Begriff der unbil- gen und auch körperliche Gewalt gehören dazu . ligen Härte – in der Rechtssprache nennt man das einen Die Folgen der Gewalt sind vielfältig: psychische unbestimmten Rechtsbegriff – muss hierbei noch mit Traumata, körperliche Einschränkungen, Verdienstaus- Leben gefüllt werden . Ob ein Schmerzensgeldanspruch fall, Rehabilitation, Versetzungen und Beeinträchtigun- eine unbillige Härte darstellt, hängt von der Höhe des gen der weiteren Arbeit können dazu gehören . Inzwi- Schmerzensgeldanspruchs ab . schen müssen wir auch noch schwerere Folgen in unsere Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah dabei vor, eine Betrachtung miteinbeziehen . Wir alle haben noch den unbillige Härte ab einem Schmerzensgeldanspruch in schockierenden Fall in Rothenburg von 2014 vor Augen, Höhe von 500 Euro anzunehmen . Alle darunter liegen- wo ein Jobcentergutachter erstochen wurde . Nehmen wir den Ansprüche stellen demnach keine unbillige Härte ein weniger spektakuläres, aber alltäglicheres Beispiel: dar . Dies erschien aus meiner Sicht und vor dem Hin- Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit wird tergrund, dass Schmerzensgeldansprüche meist auch in Ausübung ihres Dienstes beleidigt und tätlich ange- mit seelischen Beeinträchtigungen einhergehen, als sehr griffen . Sie erleidet dabei körperliche und psychische hoch gegriffen . Blessuren und fällt im Dienst einige Zeit aus . In einem zivilrechtlichen Prozess muss sie sich mühsam Schmer- Im Gespräch mit dem Bundesinnenministerium konn- zensgeldansprüche erstreiten und dann – ist der Täter ten wir den Betrag um die Hälfte herabsetzen, sodass mittellos . Das ist kein Einzelfall, den ich hier beschreibe . eine unbillige Härte nun ab einem Anspruch in Höhe von Doch warum erzähle ich das? 250 Euro angenommen wird . Bei einem Schmerzens- Wir behandeln heute in zweiter und dritter Lesung ein geldanspruch in Höhe von 250 Euro und höher ist von Gesetz, das unter anderem genau diesen Punkt aufgreift . einer erheblichen Verletzung des Beamten auszugehen . Vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht für die Beam- Bislang blieben Beamtinnen und Beamten, die in Aus- ten halte ich es für richtig, hier nicht allzu hoch anzuset- übung ihres Dienstes Opfer von Gewalt wurden und ihre zen und freue mich darüber, dass das Innenministerium Schmerzensgeldansprüche nicht durchsetzen konnten, in diesem Punkt unserer Ansicht gefolgt ist und den ur- weil der Schädiger mittellos ist, auf ihren Ansprüchen sprünglichen Betrag entsprechend herabgesetzt hat . sitzen . Für Betroffene war das nach dem Gewalterleb- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18205

(A) nis mit einer weiteren Demütigung verbunden . Mit der Gruppe der Beamtinnen und Beamte sowie Soldatinnen (C) Gesetzesänderung wird ihnen künftig geholfen . Die- und Soldaten, die als wichtige Säulen in unserer Gesell- se nicht vollstreckbaren Ansprüche werden fortan vom schaft viel Verantwortung übernehmen . Dienstherrn übernommen, das heißt die Geschädigten erhalten das Schmerzensgeld auch in Fällen, wo beim Wir haben mit dem Gesetzentwurf noch weitere Rege- Beklagten kein Geld zu holen ist . Damit wollen wir si- lungen in den Blick genommen . Künftig wird es möglich cherstellen, dass die Geschädigten nicht ein zweites Mal sein, vorübergehend zwei Beamtenverhältnisse, das auf zum Opfer werden, sondern ihren gerichtlich erstrittenen Lebenszeit und das auf Widerruf oder Probe, nebenein- Anspruch auch durchsetzen können. Das ist nicht nur fi- ander zu haben . Mit dieser Neuerung reagieren wir auf nanziell, sondern vor allen Dingen auch moralisch von die beruflichen Veränderungswünsche der Menschen und Bedeutung und soll einen Beitrag zur Anerkennung der erleichtern ihnen den Wechsel in eine neue oder höhe- Beschäftigten leisten . Allerdings soll diese Regelung nur re Laufbahn . Eine kleine Änderung, die die Flexibilität oberhalb einer Bagatellgrenze Anwendung finden. Der stärkt und den öffentlichen Dienst attraktiver macht . Regierungsentwurf sah hier zunächst eine Grenze von Auch konkretisieren wir mit dem Gesetz die Beihil- 500 Euro vor . Wir haben in Gesprächen mit dem Koaliti- feverordnung und nehmen Anpassungen an EU-Normen onspartner durchgesetzt, dass diese Grenze auf 250 Euro vor . Es ist ein Gesetzentwurf, der verschiedene Aspekte reduziert wird. Damit profitieren deutlich mehr Beschäf- aufgreift . Sie alle zielen in eine Richtung: Es geht uns um tigte von dieser Leistung, und das ist gut so . eine Verbesserung der Situation von Beamtinnen und Be- Doch das Gesetz hat noch weitaus mehr zu bieten . Im amten und Soldatinnen und Soldaten . Jeden Tag stehen Kern des Gesetzes steht die Vereinbarkeit von Familie, sie mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Dienst von Staat Pflege und Beruf. Viele kennen das aus eigenen Erfah- und Gesellschaft . Mit diesem Gesetz wollen wir dieser rungen in der Familie oder bei Freunden: ein Pflegefall hohen Verantwortung Rechnung tragen . wirft das gesamte Familienleben durcheinander . Schnell stellt sich die Frage: Wer kann die Pflege eines Angehö- (DIE LINKE): Den öffentlichen rigen übernehmen? Wer reduziert seine Arbeitsstunden, Frank Tempel Dienst aufwerten durch bessere Pflegeregelungen! und in welcher Konstellation kann man sich das leisten? Diese Situation, die viele Beschäftigte betrifft, soll mit Es sind zwei gesellschaftliche Entwicklungen zu be- dem Gesetz verbessert werden . obachten, die den öffentlichen Dienst in der Bundesrepu- Wir haben bereits mit dem Pflegezeitgesetz und dem blik an den Rand der Leistungsfähigkeit führen können . Familienpflegezeitgesetz die Freistellungsmöglichkeiten Das ist das Herunterfahren der öffentlichen Daseinsvor- für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessert, sorge durch Stellenabbau bei gleichzeitigem Aufgaben- (B) wenn plötzlich eine Pflegesituation eintritt. Seit dem aufwuchs sowie die demografische Entwicklung. Beide (D) 1 . Januar 2015 haben sie einen Anspruch auf vollständige Phänomene verstärken sich gegenseitig und führen dazu, oder teilweise Freistellung und auf finanzielle Förderung. dass staatliche Aufgaben in schlechterer Qualität oder Finanzielle Notsituationen können mit Hilfe des Pfle- nicht mehr ausreichend angeboten werden und die Belas- geunterstützungsgeldes überbrückt werden . Das brachte tung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich eine deutliche Verbesserung für pflegende und erwerbs- steigt . Der Ruf des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber tätige Beschäftigte mit sich . hat auf diese Weise massiv gelitten, und insbesondere Fachkräfte mit Spezialkenntnissen werden händeringend Diese Vorteile sollen mit dem heute vorliegenden Ge- gesucht . setzentwurf auf Beamtinnen und Beamte und Soldatin- nen und Soldaten übertragen werden . Dieser Schritt war Die Bundesregierung erkennt zumindest die Bedro- notwendig, denn auch hier pflegen und betreuen viele hung des Fachkräftemangels für die Arbeitsfähigkeit des Menschen ihre Angehörigen parallel zu ihrer Berufstätig- öffentlichen Dienstes an und versucht seit einigen Jah- keit. Auch hier wird der Bedarf an pflegenden Angehöri- ren, in kleinen Schritten gegenzusteuern . Über die Ver- gen im Zuge der demografischen Entwicklung deutlich einbarkeit von Familie und Beruf soll die Attraktivität steigen und die Erwerbstätigen verstärkt vor Herausfor- des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber wiederherge- derungen stellen . stellt werden, um einen Gegenpol zu höheren Gehaltsan- geboten aus der Privatwirtschaft zu schaffen . Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir auch für diese große und wichtige Beschäftigtengruppe einen Rechts- Oft bin ich im Gespräch mit Beamtinnen und Beam- anspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit. Künftig ten und deren Verbänden . Eine Vereinbarkeit von Beruf haben sie einen Anspruch auf Familienpflegezeit von bis und Familie wird deutlich angezweifelt . Ich schlage der zu 24 Monaten bei einer verbleibenden Arbeitszeit von Regierungskoalition vor: Wenn Sie schon keine Zeit ha- 15 Stunden pro Woche. Darüber hinaus können sie Pfle- ben, mit den Beamtinnen und Beamtinnen zu reden und gezeit beanspruchen bei bis zu 6 Monaten vollständiger deren Probleme aufzunehmen, machen Sie doch einfach oder teilweiser Freistellung . Damit sind Freiräume ver- eine Befragung . Sie werden interessante Dinge zu hören bunden, die die Situation für den Einzelnen verbessern . bekommen . Bei einer plötzlich eintretenden Pflegesituation wird das auch hier die Situation spürbar erleichtern . Hinzu kommt Auch das vorliegende Gesetz mit seinen Regelungen eine finanzielle Förderung, die als Überbrückungsleis- zu besseren Pflegemöglichkeiten für Beamtinnen und tung den Lebensunterhalt für die Betroffenen sichert . Beamte reiht sich in die Bemühungen ein . Das ist aus- Das Gesetz überträgt damit die Erleichterungen auf die drücklich zu begrüßen . Wie wir aber schon in der ersten 18206 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Lesung dargestellt haben: Es ist die richtige Richtung, Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) aber viel zu kurz gesprungen . NEN): Alle Lesungen zu diesem Gesetz gehen zu Proto- koll, offenbar ist die Bundesregierung selbst nicht allzu Die Überalterung in der Gesellschaft erzeugt auch stolz darauf . Selbstverständlich haben auch Beamtinnen einen höheren Pflegebedarf. Pflege ist aber unserer fes- und Beamte, Soldatinnen und Soldaten Angehörige, die ten Überzeugung nach keine private Angelegenheit, die pflegebedürftig werden können. Und viele von ihnen innerhalb des Familienverbandes zu organisieren und wollen sich um diese Angehörigen kümmern . Das gilt zu finanzieren ist. Pflege ist eine gesamtgesellschaftlich aber auch für Selbstständige und Soloselbstständige, das notwendige Aufgabe, deren Lasten solidarisch aufgeteilt gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kleinen und gemeinschaftlich getragen werden müssen . Die Ent- Betrieben . Und die bleiben nach wie vor ausgeschlossen . scheidung, ob familiär gepflegt werden soll, muss frei von sozialen oder materiellen Zwängen und ohne zeitli- Schon das ursprüngliche Gesetz zur besseren Verein- chen Druck erfolgen können . Sie hingegen genehmigen barkeit von Familie, Pflege und Beruf ist ein Flop. Dass zum Beispiel nur zehn Tage Arbeitsfreistellungen, die es jetzt wirkungsgleich auf Beamte und Soldaten über- genutzt werden sollen, um den Übergang des Angehöri- tragen wird, macht es nicht besser. Pflegende Angehörige gen in die Pflege zu organisieren. In welcher Welt leben brauchen keine Auszeit, die sie sich selbst finanzieren Sie eigentlich? Fragen Sie mal Betroffene, was für einen müssen . Sie brauchen eine Entgeltersatzleistung, damit realen organisatorischen und bürokratischen Aufwand sie sich ohne weitere Sorgen darum kümmern können, dies darstellt . Auch die Notwendigkeit der Zustimmung was für die pflegebedürftige Person wichtig und notwen- des Arbeitgebers ist ein völlig falsches Signal an die dig ist . Und sie brauchen die Möglichkeit, sich spontan Beamtinnen und Beamten . Ursache für das gebremste freinehmen zu können, wenn der Pflegebedürftige ge- Agieren der Bundesregierung ist das Mantra der Kos- stürzt ist, wenn ein Arztbesuch oder ein Krankenhausauf­ tenneutralität . Ohne mehr Geld werden die Folgen des enthalt ansteht, ebenfalls mit Entgeltersatzleistung, und demografischen Wandels und der steigenden Aufgaben- das jedes Jahr wie beim Kinderkrankengeld . vielfalt des öffentlichen Dienstes nicht in den Griff zu bekommen sein . Um Pflege und Beruf dauerhaft miteinander -verein baren zu können, ist vor allem eine verlässliche Infra- Was ist bezüglich der Pflege zu tun? struktur wichtig . Denn wenn der Anspruch auf Famili- enpflegezeit endet, endet nicht automatisch auch die Wir befürworten erstens einen Rechtsanspruch auf Pflegebedürftigkeit. Worauf können Menschen sich ver- bezahlte Freistellung für die Dauer von bis zu sechs Wo- lassen? Auf ambulante Dienste, auf Tages- und Nacht- chen zur Organisation der neu eingetretenen Pflegesitua- pflege, auf ehrenamtliche Betreuungsangebote. Und es tion und der ersten pflegerischen Versorgung von Ange- darf kein sich ewig wiederholender, nicht zu bewältigen- (B) hörigen oder nahestehenden Personen . (D) der Aufwand sein, diese Angebote zusammenzustellen . Wir fordern weiterhin einen Rechtsanspruch auf Darum ist auch eine gute, unabhängige und indivi- sechsmonatige Beurlaubung zur Pflege, welcher auch für duelle Beratung von Pflegebedürftigen und deren Ange- die Begleitung in der letzten Lebensphase besteht . hörigen nötig: Was wünscht der Pflegebedürftige, was Wir fordern drittens, die Möglichkeit der selbstbe- braucht er, welche Angebote gibt es? Was brauchen die stimmten Entscheidung des zu pflegenden Menschen zu Angehörigen? Wir wollen, dass die Beratung auf die schaffen, von wem sie oder er als „nahem Angehörigen“ Menschen zugeht, wenn das notwendig ist, dass sie sie gepflegt werden möchte, auch ohne verwandtschaftliche aufsucht. Jeder Pflegebedürftige soll Anspruch auf einen Beziehungen. Die Definition „nahe Angehörige“ ist wei- individuellen Case Manager haben, der sich im Dschun- tergehend an die realen Lebensverhältnisse der Pflegen- gel der Angebote zurechtfindet und genau die Angebote den und der zu Pflegenden anzupassen. zusammenstellt, die dem Pflegebedürftigen und seinen Angehörigen nutzen . Und wir wollen auch für die An- Viertens fordern wir analog zum Deutschen Gewerk- gehörigen Beratung, und zwar nicht nur darüber, was schaftsbund, dass bei Härtefällen großzügige Teilerlasse der Pflegebedürftige braucht, sondern auch darüber, wo ermöglicht werden . Es ist niemanden geholfen, wenn Be- sie selbst Hilfe finden können, wenn sie an ihre Grenzen amtinnen und Beamte gerade in niederen Gehaltsgrup- kommen . pen aufgrund von finanzieller Überlastung verarmen oder die Pflege unmöglich wird, weil die Pflegenden die Mit einem persönlichen Pflegebudget hätten Pflegebe- Aufgabe aus finanziellen Gründen nicht mehr wahrneh- dürftige und auch ihre Angehörigen mehr Freiheit: Sie men können . könnten sich die Leistungen einkaufen, die sie wirklich haben wollen, die sie entlasten . Es müsste nicht mehr Auch bei diesem Gesetz gilt: Sie werden schon deut- jeden Tag das gleiche Programm ablaufen . Man könnte lichere Angebote unterbreiten müssen, um den Ruf des auch mal spazierengehen, einkaufen und dafür einmal öffentlichen Dienstes als Ort eines familienfreundlichen weniger duschen . Der persönliche Case Manager würde Lebensarbeitszeitmanagements, der Vereinbarkeit von darauf achten, dass die notwendigen Pflegeleistungen Arbeit und Familie, der umfassenden Mitbestimmung eingekauft werden . und von exzellenten Weiterbildungsmöglichkeiten zu etablieren . Dies und eine Ausbildungs- und Einstellungs- Die beste Beratung hilft freilich nichts, wenn es keine offensive mit breiten Einstellungskorridoren sind die Angebote gibt . Wenn die Beratung vor Ort angesiedelt Mittel der Wahl, um den öffentlichen Dienst mittelfristig ist, wenn die Menschen unabhängig und individuell nach einsatzfähig und die Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten . ihren tatsächlichen Bedürfnissen beraten werden, dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18207

(A) fällt auch ins Auge, was fehlt, welche Angebote noch ments . Vor genau vier Jahren haben wir die Bundesregie- (C) notwendig wären. Neue, spezifische und bedarfsgerechte rung in einem Antrag aufgefordert, alle vier Jahre über Angebote können so angestoßen werden . die Entwicklung der Ressourceneffizienz in Deutschland zu berichten . Die Bundesregierung hat nun mit Prog­ Grundsätzlich muss die pflegerische Infrastruktur aus- Ress II geliefert . gebaut werden . Die starren Grenzen zwischen stationä- rer und ambulanter Pflege müssen fallen. Wir brauchen: Schon das erste Ressourceneffizienzprogramm war mehr Angebote der Tages- und Nachtpflege, am liebsten ein Erfolg . Deutschland hat im Jahr 2012 als einer der mit Hol- und Bringdienst, mehr Angebote der Kurzzeit- ersten Staaten überhaupt ein solches Programm verab- und Verhinderungspflege, Möglichkeiten für Angehöri- schiedet . Auch die Zahlen zeigen: Die Rohstoffproduk- ge, mit dem Pflegebedürftigen in Urlaub zu fahren – mit tivität entwickelt sich in die angestrebte Richtung . Das professioneller Unterstützung, damit sich beide erholen Wirtschaftswachstum wurde vom Rohstoffeinsatz ein können . gutes Stück weit entkoppelt . Bessere Beratung, mehr Freiheit bei der Auswahl der Aber: Die bereits erzielten Steigerungsraten der Roh- Leistungen, Ausbau der Angebote und ein Pflege- und stoffproduktivität reichen nicht aus, um das gesetzte Ziel Hilfe-Mix zwischen professioneller stationärer bzw . teil- bis 2020 zu erreichen . Das Ziel war die Verdoppelung der stationärer und ambulanter Pflege, Haushaltshilfe, An- Rohstoffproduktivität vom Jahr 1994 bis 2020 . Aktuell gehörigenpflege, Betreuung sowie ehrenamtlichen und liegen wir bei einer Steigerung von knapp 50 Prozent . nachbarschaftlichen Hilfen – so können Angehörige un- Das haben wir erreicht . Dieser Erfolg zeigt aber auch, terstützt werden . dass noch viel Potenzial für Verbesserung besteht . Prog­ Darum werden bei unserer grünen PflegezeitPlus die Ress will dieses Potenzial nutzbar machen . flankierenden Maßnahmen immer mitgedacht. Denn ein- Worum geht es bei ProgRess? Die effiziente Nutzung fach einen Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung ins Ge- von Rohstoffen ist aus zwei Gründen für uns elementar . setz zu schreiben, bringt gar nichts . Das werden leider Erstens haben wir als rohstoffarmes Land gar keine ande- auch die Beamten und Soldaten zu spüren bekommen, re Möglichkeit, als mit den endlichen Ressourcen intelli- wenn sie demnächst auch in den Genuss dieses Gesetzes gent umzugehen . Dazu gehört, Ressourcen und Material kommen . sparsam einzusetzen . Dazu gehört auch, die Wirtschafts- kreisläufe nachhaltig zu gestalten . Dafür müssen wir noch mehr bereits genutzte Stoffe wiederverwenden Anlage 26 oder, wo das nicht möglich ist, Stoffe wiederverwerten . (B) Zu Protokoll gegebene Reden Zum anderen übersteigt die immer stärkere Nutzung (D) natürlicher Ressourcen die Regenerationsfähigkeit unse- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des rer natürlichen Umwelt . Es geht darum, auch nachfolgen- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, den Generationen ausreichend natürliche Ressourcen zur Bau und Reaktorsicherheit: Verfügung zu stellen . – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Und schließlich: Nur durch einen effizienten Schutz rung: Programm zur nachhaltigen Nutzung unserer Ressourcen durch eine zeitgemäße Umweltpoli- und zum Schutz der natürlichen Ressourcen tik leisten wir einen entscheidenden Beitrag zum Klima- (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II) schutz . – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Die Ziele sind klar: Es gilt, den Materialeinsatz zu ver- rung: Programm zur nachhaltigen Nutzung ringern, Ressourcen sparsam und effizient zu verwenden und zum Schutz der natürlichen Ressourcen sowie Stoffkreisläufe zu schließen . (Deutsches Ressourceneffizienzprogramm) Diese Herausforderungen meistern wir nicht neben- bei . Die Wirtschaft wird weiterhin ihren Beitrag dazu – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter leisten, den Einsatz ihrer Ressourcen immer effizienter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer zu gestalten . Wir sind aber überzeugt: Am Ende überwie- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ gen die ökologischen und auch ökonomischen Vorteile . DIE GRÜNEN: Um diese Vorteile zu erreichen, hat die Bundesre- Ressourcenverschwendung stoppen – Nationa- gierung mit dem zweiten Programm zur Ressourcenef- les Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfä- fizienz einen sinnvollen Maßnahmenkatalog vorgelegt. hig ausgestalten Gleichwohl setzen wir darüber hinaus in unserem An- (Tagesordnungspunkt 31) trag, den wir heute zur Abstimmung stellen, einige wich- tige Schwerpunkte . Ich will nur ein paar Punkte nennen: Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir debattieren Wir fordern eine umfassende nationale Forschungs- heute das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm, kurz und Innovationsförderstrategie für neue Ressourcen- ProgRess . Wir debattieren heute erneut deswegen, weil technologien . Dazu wollen wir durch technologieoffene das erste Programm „zur nachhaltigen Nutzung und zum Forschungs- und Entwicklungsprogramme insbesondere Schutz der natürlichen Ressourcen“ aus dem Jahr 2012 kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, ressour- nun fortgeschrieben wurde . Dies ist ein Erfolg des Parla- censchonende Techniken einzusetzen . 18208 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Zweitens: Es ist uns besonders wichtig, Angebote zur Tatsache müssen wir uns alle immer und immer wieder (C) betrieblichen Ressourceneffizienzberatung weiterzuent- bewusst machen und als große Herausforderung unse- wickeln und auszubauen . Damit soll besonders in kleinen rer Zeit verstehen . Deshalb begrüße ich das Deutsche und mittelständischen Unternehmen das Bewusstsein für Ressourceneffizienzprogramm ProgRess und seine ers- den effizienten Umgang mit Ressourcen gefördert wer- te Fortschreibung ausdrücklich . Ich freue mich, dass es den . Gegenstand der heutigen Plenardebatte ist . Ressource- neffizienz, also die Verringerung des Rohstoff- und Ma- Als Berichterstatter für Kreislaufwirtschaft schaue ich terialverbrauchs, ist unabdingbar für den Umwelt- und mir regelmäßig verschiedene Unternehmen an . Dabei be- Klimaschutz und muss für uns alle selbstverständlich eindruckt mich jedes Mal, wie viele Unternehmen ihre werden . Prozesse Jahr für Jahr effizienter und intelligenter aus- gestalten . Gleichzeitig ist ebenso klar: Für die Zukunft ProgRess I und II sehen ein Bündel von Maßnahmen ist dafür noch mehr Potenzial vorhanden . Mit unserem und Instrumenten zur Steigerung der Ressourceneffizienz Antrag unterstützen wir kleine und mittelständische Un- vor . Hierzu zählen Forschung und Innovation, Bildung, ternehmen, dieses Potenzial noch besser zu nutzen, um Beratung, Schaffung von Marktanreizen und Informati- ihre Ressourcen noch effizienter einzusetzen. on . ProgRess lenkt außerdem immer wieder den Fokus auf das Thema, mit dem sich inzwischen auch viele jun- Drittens: Ökobilanzen . Hierbei müssen wir die me- ge Firmen beschäftigen, zum Beispiel unter dem Motto thodischen Voraussetzungen verbessern, um anhand von des Cradle to Cradle – oder deutsch „von der Wiege zur Ökobilanzen bei der Analyse von Ressourcenverbräu- Wiege“ –, also des geschlossenen Kreislaufs der Pro- chen bestimmter Produktgruppen den gesamten Lebens- dukte . Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben zyklus zu bewerten . wir anlässlich der Ausschussbefassung einen Entschlie- Viertens setzen wir uns dafür ein, dass bei der An- ßungsantrag vorgelegt, mit dem wir das Engagement der wendung der Ökodesignrichtlinie nicht nur der Ener- Bundesregierung in Sachen ProgRess würdigen und wei- gieverbrauch berücksichtigt wird, sondern ebenso der tere, über ProgRess II hinausgehende wichtige Forderun- Ressourcenverbrauch . Natürlich bleibt der Energiever- gen benennen und vorantreiben wollen . Lassen Sie mich brauch insbesondere für den Klimaschutz eine wichtige ein paar mir besonders wichtig erscheinende Punkte aus Kenngröße . Gleichzeitig müssen wir verstärkt auch den unserem Antrag herausgreifen . Verbrauch der eingesetzten Ressourcen in den Blick neh- Wir wollen die betriebliche Ressourceneffizienzbera- men . tung, die derzeit insbesondere vom Zentrum Ressourcen­ Fünftens fordern wir eine deutliche Ausweitung der effizienz beim VDI durchgeführt wird, ausbauen und fortentwickeln . Diese Beratung soll in den Unternehmen (B) Produktverantwortung . Diese ist in unseren Augen ein (D) zentrales Instrument zur Vermeidung von Abfällen . Wa- das Bewusstsein für den effizienten Umgang mit Res- rum? Wer Produkte in Verkehr bringt, soll für deren spä- sourcen fördern . Nach den Ergebnissen einer Studie von tere Entsorgung am Ende des Lebenszyklus Verantwor- 2015 bekräftigen 73 Prozent der Unternehmen im ver- tung übernehmen . Dieses Prinzip sorgt dafür, dass die arbeitenden Gewerbe, dass sie noch Möglichkeiten für Entsorgungskosten Teil des Produktpreises werden . Die die Steigerung der Ressourceneffizienz in ihrer Branche Entsorgung wird also beim Kauf der Produkte mitbezahlt sehen . Hier ist noch viel Potenzial . Die erfolgreiche Ar- und nicht erst über Gebühren bei der Abfallentsorgung beit des VDI muss weitergeführt und ausgebaut werden . finanziert. Darüber hinaus fordern wir, sich dafür einzusetzen, dass bei der Anwendung der Ökodesign-Richtlinie neben Sechstens wollen wir das Thema Ressourceneffizi- der Betrachtung des Energieverbrauchs künftig auch der enz noch stärker auf die internationale Ebene heben . Es Ressourcenverbrauch stärker berücksichtigt wird . Ich ist klar, dass wir langfristig nur erfolgreich sind, wenn denke, wenn wir den Gedanken der Ressourceneffizienz wir unsere Maßnahmen auch international vorantreiben . in Produktions- und Vorbereitungsprozessen stärker ver- Möglichkeiten dafür bieten sowohl das Kreislaufwirt- ankern wollen, müssen wir auf europäischer Ebene an- schaftspaket der EU-Kommission als auch die deutsche setzen und können keinen reinen deutschen Sonderweg Präsidentschaft der G20 im kommenden Jahr . einschlagen . Ich bin davon überzeugt, dass die Ökode- Und schließlich fordern wir die Bundesregierung auf, sign-Richtlinie das richtige Instrument ist, und finde, ihr dem Bundestag in vier Jahren erneut über die Entwick- Anwendungsbereich sollte schrittweise auf weitere Pro- lungen der im Programm geforderten Maßnahmen zu be- duktgruppen – neben den energieverbrauchsrelevanten – richten. Denn eines ist klar: Ressourceneffizienz ist ein erweitert werden . langfristiger Prozess, den wir kontinuierlich gestalten Ein dritter Punkt aus unserem Antrag liegt mir am und begleiten müssen . Herzen, und zwar die stärkere Berücksichtigung der Res- sourceneffizienz bei der öffentlichen Beschaffung. Denn Michael Thews (SPD): Es ist eine Tatsache: Die wir brauchen natürlich auch marktwirtschaftliche Anrei- Ressourcen auf unserem Planeten sind endlich . Insbe- ze für die Herstellung von ressourceneffizienten Produk- sondere Rohstoffe, Fläche, Boden und Wasser stehen uns ten, zum Beispiel von Produkten aus Recyclingmateriali- und folgenden Generationen nicht unbegrenzt zur Ver- en . Der Bund sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen, fügung . Wenn wir mit unserem Ressourcenverbrauch so indem Ressourceneffizienz in die Leistungsbeschreibun- weitermachen wie bisher, dann würden wir im Jahr 2030 gen des Bundes bei Ausschreibungen Eingang findet. Ein die Ressourcen von zwei Planeten verbrauchen . Diese Beispiel könnte die Verwendung von Beton mit rezyk- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18209

(A) lierten Gesteinskörnungen, sogenannter RC-Beton, bei Nichtsdestotrotz bringt die Fortschreibung des Pro- (C) Bauvorhaben sein . gramms ProgRess II qualitative Verbesserungen beim Bekämpfen einiger Symptome . Die Ökodesign-Richtli- Ressourceneffizienz sollte zu einem Markenzeichen nie, Effizienzberatungen, Ziele im Kreislaufwirtschafts- und Standortvorteil für Deutschland werden! gesetz und Impulssetzung zur Ressourcenschonung un- terstützt die Linke . Ralph Lenkert (DIE LINKE): Der Rohstoffhunger Leider handelt die Bundesregierung im Tagesgeschäft der führenden Industriestaaten ist eine Ursache für glo- entgegengesetzt . Die Ökodesign-Richtlinie beschränkt bale Umweltzerstörung, soziale Verwerfungen und regi- sich auf die Leistung von Staubsaugermotoren, statt onale Kriege und Konflikte. Die globalisierte, auf Pro- das Verhältnis von eingesetzter Energie zum notwendi- duktionswachstum fixierte Marktwirtschaft führt zum gen Saugergebnis zu bewerten . Wenn Hersteller dann Raubbau an unserem Planeten und mittelfristig in die die Motorleistung verringern und zum Erhalt der Saug- Sackgasse . kraft die Arbeitsbreite an der Saugdüse reduzieren, dann verlängert sich die Arbeitszeit . Die eingesetzte Energie Ein Ressourceneffizienzprogramm könnte zumindest bleibt gleich: 1 200 Watt bei einer Stunde Arbeitszeit er- den Schwerpunkt weg vom quantitativen hin zum quali- geben genauso viel wie 600 Watt bei zwei Stunden Ar- tativen Wachstum verlagern . beitszeit, nämlich 1,2 Kilowattstunden . Aber ich verliere Das erste Ressourceneffizienzprogramm ProgRess I eine Stunde Freizeit . So geht es nicht . verfehlt diesen Anspruch . Auf 124 Seiten wiederholen Uns als erfolgreiche Ressourcenschonung die Ein- sich Phrasen, Worthülsen, hehre Ziele – alles blumig führung freiwilliger Abgaben auf Plastetüten verkau- formuliert . Dies wurde kombiniert mit folgenlosen Ab- fen zu wollen, ist zwar nicht falsch, aber angesichts des sichtserklärungen . Die halbwegs verwertbare Essenz des Ausmaßes des deutschen Ressourcenverbrauches schon gesamten Papieres ließe sich auf 5 Prozent, also auf sechs peinlich . Seiten unterbringen . Das wäre schon mal eine erfolgrei- che Effizienzmaßnahme. Wir alle müssten weniger lesen, Das Kreislaufwirtschaftsgesetz wird entgegen den for- es spart Papier oder Datenvolumen . mulierten Zielen novelliert; so wurde der Passus aus dem Elektro- und Elektronikgerätegesetz, nach dem Akkus in Bei genauerer Prüfung dieses Rests stellt man jedoch elektrischen Geräten nicht fest verbaut werden durften, leider fest, dass die Bundesregierung glaubt, das Problem gestrichen . Jetzt dürfen sie wieder fest eingebaut werden, des auf Verschwendung basierenden Wirtschaftens und und Verbraucher- und Umweltschützer sind fassungslos, Konsumierens ließe sich allein durch Subventionspro- ein Bärendienst für den Ressourcenschutz . (B) (D) gramme für die freie Wirtschaft, Forschungsförderung Der Arbeitsentwurf des Wertstoffgesetzes zerstört re- oder mit unverbindlichen Absichtserklärungen im Tenor gionale Kreisläufe und dehnt das transportintensive Ab- von „müsste, könnte, wäre schön, werden wir prüfen“ lasshandelprinzip der Dualen Systeme auf Wertstoffe im lösen . Haushaltsabfall aus . Damit entgehen den kommunalen Den Grundansatz der Ressourcenstrategie, das Wirt- Abfallentsorgern Einnahmen, was unweigerlich zur Er- schaftswachstum vom Ressourceneinsatz zu entkoppeln, höhung der Abfallgebühren führt . unterstützt die Linke . Die Analyse der Fortschreibung Die Linke nimmt Ressourcenschutz und Ressourcen­ des Programms – ProgRess II – macht jedoch deutlich, effizienz ernst, deshalb betrachten wir die gegenwärtige dass dieses Ziel bisher verfehlt wird . konsumorientierte Lebens- und Wirtschaftsweise kri- tisch . Damit steigender sozialer Ungleichheit, wachsender Umweltzerstörung und dem schleichenden Klimawandel Als erste Schritte zu einer ressourcenschonenden Ge- wirkungsvoll begegnet werden kann, muss das Mantra sellschaft schlägt die Linke folgende Maßnahmen vor: des stetigen Wirtschaftswachstums kritisch hinterfragt erstens Pfandpflicht auf Elektrogeräte, zweitens Min- werden . destnutzungsdauern von technischen Produkten, drittens Einführung einer Ressourcenverbrauchsabgabe, viertens Wachstum um des Wachstums willen ist die Philo- sozial-ökologische Ausrichtung der Abfallwirtschaft, sophie einer Krebszelle . Da die Linke für eine gesunde fünftens ein weitgehendes Verbot von Plastetüten, sechs- Gesellschaft eintritt, muss die bisherige nur auf Mengen- tens Pfandpflicht für Einweggeschirr, wie beispielsweise wachstum ausgerichtete Wirtschaft verändert werden . To-go-Becher . Allein das Ziel, dass der Ressourcenverbrauch langsamer als die Wirtschaftsleistung steigt, reicht nicht – vor al- Liebe Koalition, stecken Sie weniger Kraft in blumi- lem, weil dies bisher größtenteils durch die Verlagerung ge Formulierungen in Ressourceneffizienzprogrammen. ressourcenintensiver Wirtschaftsbereiche ins Ausland Investieren Sie stattdessen in Maßnahmen, wie von der erreicht wurde . TTIP, CETA und andere Freihandelsab- Linken vorgeschlagen . kommen, die von dieser Bundesregierung gewollt wer- den, decken den Widerspruch auf zwischen den real exis- Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir tierenden globalneoliberalen Wirtschaftskreisläufen, die alle wissen: Der Ressourcenverbrauch in Deutschland sich jeder Reglementierung entziehen wollen, und dem muss gesenkt werden . Auch und gerade hierzulande ver- Regierungshandeln und den schönen Zielen in Sonntags- brauchen wir mehr Ressourcen, als unser Planet hergibt . reden und ProgRess-Programmen . Wir leben auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder 18210 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) sowie vieler Menschen in den Rohstofflieferländern des Zudem sprachen sich die Beteiligten am Bürgerrat- (C) globalen Südens . schlag zu ProgRess II dafür aus, den Verbrauch von Plas- tiktüten drastisch zu reduzieren, Einwegverpackungen Auch die Bundesregierung teilt diese Einsicht . Doch einzusparen, den geplanten Verschleiß von Produkten zu jetzt muss entschlossenes Handeln folgen . Damit tut bekämpfen und öffentliche Verkehrsmittel und Carsha- sich die Bundesregierung schwer: Das Ressourceneffi- ring zu fördern . zienzprogramm ist bei weitem nicht ambitioniert genug . Die Ziele sind viel zu vorsichtig formuliert . Kein Wun- Das sind alles sehr sinnvolle Forderungen . Doch diese der, denn ProgRess II enthält zu wenige konkrete, mit Dinge kommen nicht von selber . Nur ein einfacher Ap- Finanzmitteln hinterlegte Maßnahmen dafür, den Res- pell an die Bürger zum nachhaltigen Konsum wird der sourcenverbrauch insgesamt zu drosseln, zu einer richti- Verantwortung der Bundesregierung in keiner Weise ge- gen Kreislaufwirtschaft zu kommen und insgesamt eine recht . Die Bundesregierung muss sich als Vorreiter und Lebens- und Wirtschaftsweise zu entwickeln, die enkel- nicht als Bremser für mehr Ressourcenschutz positionie- tauglich ist . ren . Ressourcenpolitik sollte als Zentrum des politischen Handelns betrachtet werden und nicht immer nur als An- ProgRess II hat das Ziel, den Trend der Gesamtroh- hängsel zum Beispiel der Energieeffizienzpolitik. Hierfür stoffproduktivität fortzusetzen . Bis zum Jahr 2030 soll muss ein klarer Rahmen gesetzt und Regeln verbindlich die Effizienz der Rohstoffnutzung um 30 Prozent ge- festgeschrieben werden . genüber 2010 steigen . Das ist gut, doch es genügt nicht . Deshalb: Ein Ressourcenschutzgesetz als Baustein für Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass über eine enkeltaugliche Politik muss her, in dem dann zum die Steigerung der Rohstoffproduktivität hinaus auch Beispiel auch klare Vorgaben für das öffentliche Be- der absolute Ressourcenverbrauch gesenkt wird? Das ist schaffungswesen und die zukunftsfähige Ausgestaltung dringend nötig; denn würden alle Menschen der Erde so von Ausschreibungen geregelt werden . leben wie wir in Deutschland, bräuchten wir 2,6 Plane- ten. Doch Suffizienzmaßnahmen scheint die Bundesre- gierung zu scheuen wie der Teufel das Weihwasser . Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau Der vorgestern von der Koalition eingebrachte Ent- und Reaktorsicherheit: Ein schonender und gleichzeitig schließungsantrag zu ProgRess II liest sich stellenwei- effizienter Umgang mit natürlichen Ressourcen ist eine se wie ein Antrag der Opposition und bringt viele gute Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger Gesellschaften . Vorschläge ein . Warum hat die Bundesregierung sie nicht Deutschland hat die besten Voraussetzungen, bei diesem einfach selbst umgesetzt? Zum Beispiel in puncto Pro- notwendigen Wandel zu einer ressourceneffizienten Wirt- (B) duktverantwortung: Beim Wertstoffgesetz hat die Bun- schaftsweise voranzugehen und zu einer der weltweit (D) desregierung immer noch die Chance, die Produktverant- ressourceneffizientesten Volkswirtschaften zu werden. wortung im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft auf Diesen Prozess wollen wir mit dem Programm zur stoffgleiche Nichtverpackungen auszuweiten, stattdessen nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen aber scheint sie nicht nur das bisherige, ineffektive Sys- Ressourcen – kurz ProgRess – unterstützen . Mit Prog­ tem der geteilten Verantwortlichkeit mit großer Rechts- Ress strebt die Bundesregierung an, Wirtschaftswachs- unsicherheit für die Kommunen weiter zementieren zu tum und Wohlstand möglichst weitgehend vom Ressour- wollen . Nein, auch die nachweislich ressourcenschonen- ceneinsatz zu entkoppeln und damit Umweltbelastungen de Mehrwegquote für Getränkeverpackungen soll auf zu reduzieren . Ziel ist es dabei, die Inanspruchnahme diesem Weg stillschweigend beerdigt werden . von Rohstoffen weiter zu reduzieren . Gleichzeitig soll Unterdessen steigt der Plastikmüllberg weiter an . aber auch zur Sicherheit der Rohstoffversorgung der Deutschland ist jetzt schon Europameister im Produ- deutschen Wirtschaft und zur Minderung von zu starken zieren von Verpackungsmüll – insgesamt und auch pro Preisschwankungen an den Rohstoffmärkten beigetragen Kopf . Alleine die Menge von Kunststoffverpackungen werden . hat in Deutschland seit 2009 um fast ein Drittel zuge- Die Bundesregierung ist verpflichtet, dem Bundestag nommen . Hier wird deutlich: Zwischen Anspruch und alle vier Jahre über die Ressourceneffizienz in Deutsch- Wirklichkeit beim Ressourcenschutz klafft in Deutsch- land zu berichten, die Fortschritte zu bewerten und das land immer noch eine große Lücke . Programm fortzuentwickeln . Mit ProgRess II, das Ihnen nun vorliegt, haben wir das im März des Jahres getan . Wir Grüne zeigen in unserem Antrag „Ressourcenver- schwendung stoppen“ deshalb konkrete Maßnahmen auf, Ich freue mich, wenn Sie heute durch einen Beschluss wie wir den absoluten Ressourcenverbrauch in Deutsch- die Bedeutung des Themas für den Bundestag erneut un- land signifikant senken können. Die im Bürgerratschlag terstreichen, und bedanke mich bei den Fraktionen für der Bundesregierung formulierten Forderungen aus der die Debatten und die hervorragende Arbeit, die diese Be- Zivilgesellschaft bieten gute Anhaltspunkte und machen schlussempfehlung möglich gemacht haben . deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger hier bereits Das Programm gibt in seinem Berichtsteil einen Über- weiter sind als die Politiker der großen Koalition . Die blick über die Umsetzung in den Jahren 2012 bis 2015 Bürgerinnen und Bürger hatten sogar vorgeschlagen, eine und benennt die wesentlichen Aktivitäten . Primärrohstoffsteuer zu erheben . Im ProgRess-II-Ent- wurf fehlen ökonomische Anreize für Ressourcenschutz Die Rohstoffproduktivität entwickelt sich insgesamt praktisch vollständig . in die gewünschte Richtung, und die verwendeten Indi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18211

(A) katoren deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum bar ist dies, wenn ein Sachverständiger zum Beispiel ei- (C) tendenziell vom Rohstoffeinsatz entkoppelt wurde . ner Prozesspartei persönlich sehr nahe steht oder bereits mehrfach für eine Seite tätig geworden ist . Eine solche Das Programm hat sehr dazu beigetragen, den Blick Regelung hat natürlich keinen Wert, wenn sie nicht sank- auf die Ressourcennutzung zu lenken, und es hat eine tionsbewehrt ist . Auf Initiative der Union haben wir da- Vielzahl von Aktivitäten auf allen Ebenen ausgelöst . her in dem Gesetz bei Verletzung der Offenlegungspflicht Auch international gewinnt das Thema immer mehr durch den Sachverständigen die mögliche Verhängung an Bedeutung, nicht zuletzt durch deutsche Initiative auf eines Ordnungsgeldes durch das Gericht geregelt . Zudem G7-Ebene . verliert der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch, wenn er gegen die Eigenüberprüfung verstößt . Bei der Weiterentwicklung des Programms im zwei- ten Teil haben wir auf den Erfahrungen der letzten Jahre Weiterhin wird die Möglichkeit einer Anhörung durch aufgebaut . Die Indikatoren und Ziele wurden überprüft das Gericht vor Ernennung des Sachverständigen einge- und ergänzt . Für den neuen, methodisch verbesserten In- führt . Bislang stützte sich die Anhörung in der gerichtli- dikator „Gesamtrohstoffproduktivität“ haben wir uns als chen Praxis auf den allgemeinen Verfassungsgrundsatz Ziel eine Steigerung um 30 Prozent bis 2030 gegenüber des rechtlichen Gehörs nach Artikel 103 Absatz 1 des 2010 vorgenommen . Struktur und Themenfelder wurden Grundgesetzes . Ein Überprüfungs- und Fragerecht der im Wesentlichen beibehalten . Die Aspekte „Nachhalti- Parteien konnte bis dato erst im Rahmen eines Termins ges Bauen und nachhaltige Stadtentwicklung“ sowie die zur mündlichen Anhörung des bereits bestellten Sachver- „Ressourceneffizienz von Produkten der Informations- ständigen zur Darlegung seines Gutachtens nach § 411 und Kommunikationstechnik (IKT)“ wurden durch ei- Absatz 3 Zivilprozessordnung ausgeübt werden . Um das genständige Kapitel stärker einbezogen . Wo sinnvoll, Verfahren jedoch nicht unnötig zu verzögern, liegt eine sollen bei den Maßnahmen verstärkt Energie- und Mate- Anhörung im Ermessen des Gerichtes . Eine Flexibilität rialströme gemeinsam betrachtet werden . des Gerichtes war uns als Union hierbei wichtig, da wir mit dem Gesetz auch dem Ziel einer Effektivierung und Wir haben mit dem Deutschen Ressourceneffizienz- Beschleunigung der Zivilprozesse Rechnung tragen wol- programm viel erreicht . Ressourcenschutz muss im All- len . tag gelebt und durchgesetzt werden, und zwar auf allen Ebenen . Ich bitte Sie daher, unsere Arbeit mit ProgRess Ein weiterer Punkt ist die nunmehr obligatorische und seine Fortentwicklung weiter zu unterstützen . Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens durch das Gericht . Was in der Praxis bereits in mehr als der Hälfte der amts- und landgerichtlichen Zivilverfahren erster In- stanz üblich und bislang als Sollregelung in der Zivilpro- (B) Anlage 27 zessordnung verankert war, wird nun gesetzlich festge- (D) schrieben . Kommt der Sachverständige innerhalb dieser Zu Protokoll gegebene Reden Frist seiner Pflicht zur Abgabe des Gutachtens nicht zur Beratung des von der Bundesregierung einge- nach, soll das Gericht ein Ordnungsgeld in Höhe von brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung bis zu 3 000 Euro verhängen . Bislang war eine entspre- des Sachverständigenrechts und zur weiteren Än- chende Sanktion entsprechend Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 derung des Gesetzes über das Verfahren in Famili- des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch nur bis zu ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilli- 1 000 Euro möglich . Bei der Fristsetzung wird das Ge- gen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 32) richt in der Praxis natürlich weiterhin die Arbeitsbelas- tung des Beauftragten und den zu erwartenden Umfang des Gutachtens berücksichtigen . Auch die Nachfristset- Sebastian Steineke (CDU/CSU): Lassen Sie mich zung gemäß § 224 Absatz 2 Zivilprozessordnung bleibt eines vorwegnehmen: Sachverständige sind für die Auf- auf begründeten Antrag des Sachverständigen weiterhin klärung komplizierter Sachverhalte im Gerichtsprozess möglich . ein wichtiger Baustein und daher unverzichtbar . Die Richterinnen und Richter sind zuweilen auf ihre Experti- Bei der Beratung dieses Gesetzes war uns wichtig, se angewiesen, um bei ihrer Entscheidungsfindung eine dass wir einen vernünftigen Interessenausgleich erreicht objektive Sicht der für sie oftmals fachfremden Dinge zu haben . Sachverständige dürfen durch die Neuregelungen bekommen . Der öffentlichen Berichterstattung ist immer nicht davon abgeschreckt werden, zukünftig gerichtliche häufiger zu entnehmen, dass die Unabhängigkeit und Aufträge anzunehmen . In einigen, vor allem ländlichen, Neutralität von gerichtlich bestellten Sachverständigen Regionen ist die Zahl an geeigneten verfügbaren Sach- von den Bürgerinnen und Bürgern teilweise infrage ge- verständigen leider immer noch sehr gering . Auf der an- stellt werden . Zudem wird die Qualität gerichtlicher Gut- deren Seite müssen wir dennoch dafür sorgen, dass die achten regelmäßig angezweifelt . Diese Sorgen nehmen Unabhängigkeit und Neutralität gewährleistet werden wir als Koalition ernst . Daher setzen wir nun eine auf und sich dadurch auch die Gutachtenqualität erhöht . Dies Betreiben von CDU und CSU im Koalitionsvertrag ver- sind wir im Übrigen auch den vielen gut und redlich ar- ankerte Vorgabe mit diesem Gesetz um . beitenden Gutachtern schuldig . Ich denke, das haben wir mit der Vorlage sehr gut hinbekommen . Was ändern wir nun im Einzelnen? Künftig müssen Sachverständige in allen Stadien des Gerichtsverfahrens Die Neutralität und Unabhängigkeit von Sachver- prüfen, ob sie mit der Übernahme oder Durchführung ständigen ist ein wichtiges Gut, um das Vertrauen der des Auftrags in einem Interessenkonflikt stehen. Denk- Menschen in unseren Rechtsstaat zu stärken und die Ak- 18212 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) zeptanz von Gerichtsentscheidungen zu gewährleisten . wenn ein Versorgungsträger im Rahmen des Versor- (C) Mit dieser Gesetzesänderung schaffen wir eine größere gungsausgleiches durch das Gericht zum Beispiel ver- Transparenz beim Auswahlverfahren durch das Gericht gessen wurde, also nicht am Verfahren beteiligt wurde . und stärken die Beteiligungsrechte der einzelnen Partei- Falls durch die nachträgliche Auskunft das Gesamtkon- en . Insofern sind wir nun ein gutes Stück weiter . strukt im Scheidungsverbund, oft bestehend aus Versor- gungsausgleich, Zugewinnausgleich und Unterhalt, ins Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich Wanken gerät, können nun auch die Eheleute sich der unseren Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung Beschwerde des Versorgungsträgers anschließen . Aber, danken, die uns noch viele wertvolle Hinweise aus der und das ist wichtig, der Scheidungsausspruch wird da- Praxis an die Hand gegeben haben . Dies hat uns in den durch nicht berührt . Die Scheidung bleibt rechtskräftig weiteren Beratungen deutlich geholfen . und kann nicht im Rahmen dieser Art von Beschwerde angegriffen werden . Damit begegnen wir einem Pro- Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir de- blem, das gelegentlich zu Doppelehen geführt hat . In- battieren hier heute in 2 ./3 .Lesung einen Gesetzentwurf, sofern ist auch dieses ein Element zur Klarstellung im der sich mit der Qualität von Sachverständigengutach- Familienrecht . ten in Familiensachen befasst . Bei der Frage, wo Kinder nach der Trennung ihrer Eltern behüteter aufwachsen, Darüber hinaus führen wir mit dem Gesetz einen neu- eine bessere Zukunft haben, bedienen sich Richter oft en Rechtsbehelf ein, mit dem Beteiligte in bestimmten des Sachverstandes von Fachleuten im Rahmen eines kindschaftsrechtlichen Verfahren gegen unbegründete Sachverständigengutachtens, welches dann zur Grund- Verfahrensverzögerungen vorgehen können . Für den lage ihrer Entscheidung gemacht wird . Bislang müssen ersten Regierungsentwurf war ein relativ kompliziertes diese Sachverständigen keine Qualifikation nachweisen. Konstrukt gewählt worden, welches in der öffentlichen Dieses ändern wir jetzt mit dem vorliegenden Gesetz . Sie Anhörung bei den Sachverständigen wenig Zustimmung müssen zukünftig zumindest über eine psychologische, fand . Daraufhin haben sich die maßgeblich Beteiligten psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, unter Hinzuziehung der Sachverständigen zusammenge- psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpäda- setzt, ein verbessertes Mittel der Rüge und Beschwerde gogische Berufsqualifikation verfügen. Da bei Gutachten entwickelt, die den Voraussetzungen des Europäischen in Kindschaftssachen die Diagnostik und nicht die The- Gerichtshofs für Menschenrechte standhält . Wir haben rapie im Vordergrund steht, haben wir in der parlamen- nun in Kindschaftssachen eine präventive und kompen- tarischen Befassung noch ausführlich über einen Zusatz satorische Rügemöglichkeit . für Pädagogen und Sozialpädagogen diskutiert . Diese Ich will nicht verhehlen, dass mir die Begriffe Be- Berufsgruppen sollen nun über ausreichende diagnosti- (B) schleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde (D) sche und analytische Kenntnisse durch anerkannte Zu- nicht gefallen, weil wir natürlich nicht die Beschleuni- satzqualifikationen verfügen. gung rügen . Leider hat keiner der von mir unterbreiteten So stellen wir sicher, dass Sachverständige Gutachten Vorschläge die Zustimmung des Ministeriums gefunden, von hoher Qualität erstellen, die dann dazu führen, dass sodass wir zunächst bei dem etwas unglücklichen Begriff Richter die beste Entscheidung zum Wohle der Kinder der Beschleunigungsrüge bleiben . Verbesserungsvor- fällen . schläge werden hier jedoch gerne entgegengenommen . Damit möchte ich einen anderen, aber genauso wich- Abschließend enthält der Entwurf noch eine Ände- tigen Aspekt ansprechen . Um die Qualität der familien- rung zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit bei Entschä- gerichtlichen Verfahren weiter zu stärken, ist es nicht digungsklagen und es ist wichtig, darauf hinzuweisen . In ausreichend, nur das Sachverständigenrecht zu reformie- der letzten Legislaturperiode ist die Entschädigungsklage ren . Es ist auch notwendig, die gesetzlichen Eingangs- eingeführt worden . Man wollte – so ergibt es sich aus voraussetzungen für eine Tätigkeit als Familienrichter der Gesetzesbegründung –, dass die Entschädigungskla- zu erhöhen . Denn es ist die Aufgabe der Richterschaft, gen in allen Gerichtsbarkeiten in Abhängigkeit zu der qualifizierte Sachverständige auszuwählen, die richtigen vorherigen Gebührenzahlung stehen . Dieses ist nicht Fragen zu stellen und vor allem das Gutachten auf seine geschehen . In zivilgerichtlichen Verfahren wird die ein- Verwertbarkeit hin zu überprüfen . Ich möchte aber auch gegangene Klage zunächst nur anhängig und erst mit nicht missverstanden werden . Ich sehe grundsätzlich die Zustellung nach Zahlung eines Gerichtskostenvorschus- familienrechtlichen Verfahren in kompetenten Händen . ses rechtshängig. In sozial-, verwaltungs- und finanz- Die Praxis zeigt aber auch, dass teilweise junge Rich- gerichtlichen Verfahren ist die Klage bereits mit ihrem ter als Familienrichter eingesetzt werden, die die erfor- Eingang bei Gericht rechtshängig . Das Verfahren muss derlichen familienrechtlichen Kenntnisse, insbesondere also ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich betrieben wer- Grundkenntnisse des Kindschaftssrechts, anfangs nicht den . Dem Erfahrungsbericht der Bundesregierung über beherrschen und sie erst mit der Berufserfahrung erwer- die Anwendung des Gesetzes zufolge kommt es dadurch ben . Deswegen sehen wir an dieser Stelle einen weiteren aber zu großer Unsicherheit, welche Rechtsfolgen sich gesetzgeberischen Handlungsbedarf, der in unserem Ent- für die Rechtshängigkeit ergeben, wenn der Gerichts- schließungsantrag zum Tragen kommt . kostenvorschuss für die Entschädigungsklage – auch nach gerichtlicher Fristsetzung – nicht einbezahlt wurde . In dem Gesetzespaket ist auch eine Neuregelung des Dieser Unsicherheit wollen wir begegnen und dem ur- § 145 Absatz 3 FamFG zu finden. Dabei geht es um die sprünglichen Ansinnen des Gesetzgebers nachkommen Möglichkeit der Anschlussbeschwerde von Ehegatten, und nun in allen Gerichtszweigen dafür sorgen, dass Ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18213

(A) schädigungsklagen bei allen Gerichten erst rechtshängig nungsgeldes soll daher die Ausnahme bleiben . Ich gehe (C) werden, wenn die Klage nach Zahlung des Vorschusses deshalb nicht davon aus, dass, wie von einigen Seiten zugestellt worden ist . befürchtet, Prozesse in die Länge gezogen werden, da sich zukünftig keine Sachverständigen mehr bereit erklä- Alles in allem also eine Verbesserung der Rechtssitua- ren, ein Gutachten zu erstellen . Vielmehr wird sich für tion, und darum sollte es ja immer gehen . die meisten Sachverständigen gar nichts ändern, weil sie schon jetzt ihre Gutachten mit der nötigen Sorgfalt, aber Sonja Steffen (SPD): Die meisten Menschen erle- auch zügig erstellen . ben in ihrem Leben eher selten Gerichtsverfahren . Aber wenn es denn dazu kommt, dann wollen sie ein faires Die in diesem Gesetz außerdem verankerten Min- Verfahren, neutrale Richter und Richterinnen, rechtliches destqualifikationsanforderungen für Sachverständige in Gehör und vor allem einen gerechten und zügigen Ab- Familienrechtsprozessen sorgen für eine höhere Qualität schluss des Verfahrens . der Gutachten . Damit wird nicht nur sichergestellt, dass die Richterinnen und Richter die notwendigen Grundla- Andererseits wissen wir aber auch, dass es im Laufe gen zur Verfügung gestellt bekommen, um die für das eines Gerichtsverfahrens oftmals eines Gutachtens be- Kindeswohl beste Entscheidung zu treffen, sondern auch, darf, weil der juristische Sachverstand der Richterinnen dass die Anfechtbarkeit und mögliche Aufhebung der Ur- und Richter nicht ausreicht, um sich ein Urteil zu bilden . teile durch mangelhafte Gutachten eingeschränkt wird . Ob dies technische, bauliche oder aber auch familiäre Belastungen für die betroffenen Familien werden somit Angelegenheiten betrifft: Es ist gut und wichtig, dass un- reduziert . Dass Pädagogen und Sozialpädagogen ihre ser Rechtssystem die Beteiligung von Sachverständigen Qualifikation durch Zusatzqualifikationen nachweisen ermöglicht . Und wir sind uns alle einig, dass wir über müssen, wird der Vielfalt der Berufsgruppen gerecht und ausgezeichnete Expertinnen und Experten verfügen, die bietet den Prozessbeteiligten weitere Rechtssicherheit . Gerichtsverfahren mit ihrem Sachverstand bereichern . Notwendigerweise ist es aber auch so, dass sich Ver- Aus unserem Entschließungsantrag wird deutlich, dass fahren durch die Erstellung von Sachverständigengutach- uns die Qualitätsverbesserung in Familienrechtsprozes- ten verlängern, insbesondere weil sie sorgfältig erarbeitet sen weiterhin ein wichtiges Anliegen ist und es Zeit ist, werden müssen . Und wir müssen auch feststellen, dass dass die Länder gemeinsam mit der Bundesregierung ein der Ausgang der meisten Verfahren entscheidend von Gesetz erarbeiten, in dem auch besondere Eingangsvor- dem Ergebnis des Gutachtens abhängt . Daher kommt aussetzungen für Familienrichterinnen und Familienrich- dem Gutachten entscheidende Bedeutung zu! ter eingeführt werden . Dabei ist es mir wichtig zu beto- nen, dass eine Großzahl der Prozesse durch qualifizierte (B) In der Vergangenheit gab es höchstinstanzliche Ent- und engagierte Familienrichterinnen und Familienrichter (D) scheidungen und Berichte von Betroffenen, die an der geführt werden, die den komplexen Herausforderungen einen oder anderen Stelle Mängel am Sachverständigen- des Rechtsgebietes gerecht werden . Dies durch eine obli- recht festgestellt haben . gatorische Weiterbildung zum Standard zu machen, soll- te unser nächstes Ziel sein . Vor allem den familienrechtlichen Prozessen, deren Ausgang über familiäre Schicksale entscheidet, gilt unser Schließlich haben wir durch die Einführung eines neu- besonderes Augenmerk . In der Regel hängt für alle Pro- en Verfahrensinstrumentes dafür gesorgt, dass zukünftig zessbeteiligten sehr viel von dem Ausgang des Prozesses gerade in Kindschaftssachen ein beschleunigtes Verfah- ab . Insbesondere Kinder leiden neben der Trennung der ren durchgesetzt werden kann . Die Beschleunigungsrüge Eltern unter den Strapazen, die ein gerichtlicher Prozess und die Beschleunigungsbeschwerde bieten hier die rich- mit sich bringt . Eine Beschleunigung der Prozesse kann tigen Ansätze . die Belastung verringern und bringt vor allem den Kin- dern schneller die erwünschte Klarheit . Zum Schluss lässt sich sagen, dass es uns mit diesem Gesetz durch gemeinsame Arbeit von Ministerium, Ab- Durch das hier in 2 . und 3 .Lesung beschlossene Ge- geordneten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der setz zum Sachverständigenrecht werden Gerichtsprozes- Arbeitsgruppen, der Ausschüsse und MdB-Büros gelun- se beschleunigt und gleichzeitig die Qualität der Gut- gen ist, einen weiteren Punkt des Koalitionsvertrages zu achten sichergestellt . Durch die neuen Instrumente zur erfüllen . Sicherstellung der Neutralität der Sachverständigen wer- den Anfechtungsgründe verhindert und fairere Gerichts- verfahren ermöglicht . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Liebe Leser, ich möchte mich zunächst vollinhaltlich auf meine erste Pro- Die aktuelle Praxis zeigt, dass bei Fristversäumnis- tokollrede zu diesem Gesetz beziehen, soweit sich durch sen durch die Sachverständigen in der Regel keine Ord- Änderungsbeschlüsse nichts Neues ergeben hat . nungsgelder verhängt werden . Durch die in dem Gesetz beschlossenen Fristsetzungen und Beschleunigungsrü- Zu den Neuerungen lässt sich Folgendes feststellen: gen werden deshalb schuldhaft versäumte Fristen mit einem Ordnungsgeld von bis zu 3 000 Euro bestraft . Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktion ist Den Richtern und Richterinnen bleibt jedoch weiterhin positiv zu beurteilen, da er die Bundesregierung auffor- die Möglichkeit, durch Fristverlängerungen möglichem dert, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit welchem an- Mehraufwand oder anderen Gründen für eine Verzö- gemessene Eingangsvoraussetzungen für Familienrichter gerung Rechnung zu tragen . Die Verhängung des Ord- eingeführt werden . 18214 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016

(A) Dies ist im Rahmen der Anhörung zu diesem Gesetz zen . Das ist wirklich mehr als bedauerlich, da die Ex- (C) von etlichen Sachverständigen gefordert worden . Die pertenanhörung überdeutlich gemacht hat, wie groß der gleiche Forderung, nur konkreter ausgestaltet, findet Änderungsbedarf zur Verzögerungsrüge bei überlangen sich im Entschließungsantrag meiner Fraktion . Überdies Verfahren geraten war . Als Folge dieser Anhörung hätte auch noch Forderungen an die Qualität von Gutachten . es nur eine Schlussfolgerung geben dürfen: Beide Geset- Gleichwohl wurde bereits im Ausschuss unser Entschlie- zesvorschläge wieder trennen und die Verzögerungsrüge ßungsantrag abgelehnt, wohl auch aus dem Grund, dass nochmal in neuer Form und in einem ordentlichen Ver- Die Linke es nicht gutheißen kann, wenn die Rechtshän- fahren ins Parlament einbringen . Dann hätten Sie heute gigkeit von Klagen vor den Sozialgerichten, den Verwal- von uns auch eine Zustimmung zur Regelung über die tungsgerichten und den Finanzgerichten von der Zahlung Sachverständigen bekommen können . eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden soll . Die Änderungen sowohl in der ZPO als auch gerade Anstatt die Ursachen der vermehrten Klagen vor den im familiengerichtlichen Verfahren hatten wir bereits Sozialgerichten anzugehen, baut der Staat hier Hürden in der ersten Lesung grundsätzlich begrüßt . Das Ord- für Klagen auf, um sich vor Ansprüchen gegen sich nungsgeld bei verspäteter Erstellung eines Gutachtens ist selbst zu schützen . Dies muss man unter anderem im jetzt nicht mehr obligatorisch, und die Vernehmung des Zusammenhang mit dem Pflegestärkungsgesetz und dem Kindes sowohl als Zeuge als auch als Beteiligter ausge- Bundesteilhabegesetz sehen, wo mit einer Vielzahl von schlossen . Beide Änderungen halte ich für sinnvoll . In Klagen der Betroffenen zu rechnen ist und diese ganz der Anhörung hatten die Experten die pädagogische oder offensichtlich mit der Kostendrohung abgewehrt werden sozialpädagogische Berufsqualifikation als Vorausset- sollen . zung überwiegend kritisch gesehen . Das haben Sie jetzt ergänzt um eine weitere diagnostische und analytische Da hier wieder durch ein sogenanntes Omnibusver- Zusatzqualifikation. Ich könnte mir zwar nach wie vor fahren durch den Änderungsantrag ganz erhebliche noch höhere Anforderungen an die Sachverständigen in Änderungen in anderen Gesetzen erfolgen sollen zum Kindschaftsverfahren vorstellen, aber jetzt kann man mit Schutze der Finanzminister und zum Nachteil der betrof- den verbesserten Anforderungen erstmal sehen, wie sich fenen Bevölkerung, kann Die Linke dieses Gesetz auch diese bewähren . bei den vorhandenen positiven Effekten nur ablehnen . Deshalb wird dieses Gesetz auch wieder zu nacht- Bleibt noch die Frage offen, warum wir den § 163 schlafender Zeit ohne mündliche Aussprache „durch- FamFG nur auf Kindschaftssachen nicht auch auf Vor- gewunken“, in der Hoffnung, dass es zunächst keinem mundschaften und Pflegschaften anwenden? Insgesamt weiter auffällt . ist die Regelung in jedem Fall ein Fortschritt zu dem bis- (B) herigen Zustand und verdient unsere Zustimmung . (D) Aus diesem Grunde halte ich auch von den sogenann- ten „Protokollreden“ gar nichts . Schwieriger wird es mit dem Omnibusgesetz zur Ver- zögerungsrüge, die jetzt plötzlich Beschleunigungsrüge Selbst die Mitglieder der einzelnen Fraktionen wis- heißen soll . Sie mussten hier endlich was vorlegen, weil sen im Zweifel nicht, warum sie bei einem Gesetz ent- sie von europäischer Seite unter Druck stehen . Ein or- sprechend abstimmen, da sie das Für und Wider zu dem dentliches Gesetzgebungsverfahren mit erster und zwei- entsprechenden Gesetz erst nach der Abstimmung im ter Lesung hätte aber durchaus nicht geschadet . Protokoll nachlesen können . Und das Argument, dass in solchen Fällen nur die Fachpolitiker anwesend sind, wel- Ihr erster Entwurf eines Änderungsantrages ist in der che wissen, worum es geht, führt geradezu zwingend zur Expertenanhörung schlicht durchgefallen, ein bürokrati- Nichtbeschlussfähigkeit des Bundestages, womit eine sches Monster, das die Verfahren eher weiter verzögert Vielzahl von Gesetzen nicht ordnungsgemäß zustande als beschleunigt hätte . Nach dieser Anhörung hätten sie gekommen sein dürften . den Omnibus auf jeden Fall abkoppeln und ein ordentli- ches Verfahren durchführen müssen . Auf jeden Fall sieht Aus diesem Grunde sollten die „Reden zu Protokoll“ die neue Konstruktion wesentlich übersichtlicher aus grundsätzlich abgeschafft werden, die Dauer der Plenar- als die bisherige – das war ja auch nicht schwierig . Sie sitzungen auf ein zeitlich erträgliches Maß beschränkt haben jetzt zu Recht auf die unsägliche Differenzierung werden und, da die Parlamentarier sich nicht in der Pro- zwischen einfacher und qualifizierter Rüge verzichtet. duktion von Papieren einschränken können, die Zahl der Insgesamt hat der jetzige Vorschlag sehr viel Ähnlichkeit Sitzungswochen in Berlin erhöht werden . Insoweit kann mit dem Vorschlag des von uns Grünen benannten Sach- ich mich nur der Forderung des Bundestagspräsidenten verständigen . Lammert anschließen, die Zahl der Sitzungswochen an- zuheben, um der Zahl der Drucksachen Herr zu werden . Eine weitere Änderung betrifft die Rechtshängigkeit von Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfah- Protokollreden sind aus parlamentarischer Sicht, um rensdauer vor öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, es mit H .-P . Kerkelings Worten zu sagen, „Hurz“ . also Sozialgericht, Verwaltungsgericht und Finanzge- richt . Für diese Entschädigungsklagen wollen Sie mit Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt ha- dem Grundsatz brechen, dass Klagen vor öffentlichen ben Sie sich also tatsächlich entschieden, mit dem Gesetz Gerichtsbarkeiten schon mit Einreichung der Klage und über die Sachverständigen auch noch die Omnibusgeset- nicht erst mit Zahlung des Gerichtskostenvorschusses ze, zu denen es keine erste Lesung gegeben hat, im Wege anhängig werden . Dieser Grundsatz hat aber im öffent- des Änderungsantrages hier zur Abstimmung aufzuset- lichen Recht durchaus seine Berechtigung, weil der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 183 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 7 . Juli 2016 18215

(A) Bürger sich hier, anders als in der Zivilgerichtsbarkeit, sondern mit allen anderen Klagen, die gegen den Staat als (C) in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüber solches gerichtet sind . Und da gilt eben, dass die Klagen dem Staat befindet, und zwar im doppelten Sinne. Anders der Bürgerinnen und Bürger rechtshängig werden, un- als in der Zivilgerichtbarkeit richtet sich hier nicht erst abhängig von der Einzahlung eines Gerichtskostenvor- die Entschädigungsklage gegen eine staatliche Instituti- schusses . Das ist gegenüber dem Staat auf der Gegenseite on, sondern bereits das ursprüngliche Klagebegehren des auch richtig so und muss auch für Entschädigungsklagen Bürgers . seine Geltung haben . Wenn hier in Ihrer Begründung von Gleichbehand- Diese Gesetzesänderungen lehnen wir daher ab . Ins- lung die Rede ist, dann müssen Sie schon Gleiches gleich gesamt bleibt uns so leider nur die Enthaltung, auch und Ungleiches ungleich behandeln . Es geht eben gerade wenn wir der Änderung bei den Sachverständigen gerne nicht um Gleichbehandlung mit der Zivilgerichtsbarkeit, zugestimmt hätten .

(B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333