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Journalismus Juni 2011 35

Ines Kurschat Kein Freund von Transparenz

Es ist ein trauriges Jubiläum . Fast genau ter können ihn einfach abblitzen lassen . schluss der Öffentlichkeit aus wichtigen elf Jahre ist es her, dass der sozialistische Dass sie das auch tun, konnte das Land politischen Entscheidungsfindungsprozes- Abgeordnete Alex Bodry seinen Gesetzes- beispielsweise erfahren, als es vor einigen sen so offensiv, wie es Juncker tut . vorschlag deponiert hat, um Bürgern in Jahren um die Veröffentlichung der lange Luxemburg endlich zu einem Recht zu überfälligen Wohnbestandsanalyse bat Desinformationsgesetz in der verhelfen, das in anderen Ländern seit – und einen Korb erhielt . Schublade Jahren und Jahrzehnten gang und gäbe ist: nämlich Informationen von staatlichen Die vornehme Zurückhaltung der Behör- Die gleiche Haltung, nämlich Obsku- Behörden zu bekommen und Einsicht in den in punkto Informationen hierzulande rantismus zu unterstützen, nimmt er seit behördliche Unterlagen zu erhalten . liegt auch daran, dass der Luxemburger Jahren in der Frage eines Informationszu- Premierminister selbst kein großer Freund gangs ein . Obwohl Luxemburg eines der So viele Jahre – und Luxemburg ist in der von Transparenz ist – sagt kein anderer letzten Länder der Europäischen Union Angelegenheit noch immer keinen Schritt ist, das nicht über einen solchen Zugang weiter . Es ist ein peinliches Fazit, denn so- verfügt, und selbst Länder wie Aserbeid- gar Länder, die sich traditionell schwer tun Trotz kundenfreundlichen Anstrichs schan und die Türkei ihren Bürgern einen mit transparenten Behördenvorgängen, in modernen Bürgerzentren sind voraussetzungslosen Zugang zu bestimm- wie Frankreich, Deutschland, Belgien, etliche Verwaltungen es noch immer ten Ämterinformationen einräumen1, hat haben die Rechenschaftspflicht seitens der nicht gewohnt, dass man ihnen es sein Ministerium bis heute nicht fer- Beamten inzwischen gesetzlich verbrieft . auf die Finger schaut. tig gebracht, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen . Konkret bedeutet das, dass eine Bürgerin aus Metz unter Berufung auf den „accès als Jean-Claude Juncker selbst: „Wenn es Ein Vorentwurf wurde vor Jahren Mitglie- aux documents administratifs“ in der ernst wird, muss man lügen“, gab Juncker dern des Presserats unterbreitet . Er war so Präfektur fragen kann, um beispielsweise kürzlich zum Besten . In seiner Funktion restriktiv, das er getrost als Desinformati- Informationen zu ökologischen Boden- als Chef der Euro-Gruppe hatte er eine onsgesetz bezeichnet werden konnte . Die studien in der Industrieregion zu erhalten . Meldung des Nachrichtenmagazins Der Pressevertreter lehnten die Vorlage natür- Im Falle einer Ablehnung müssten die Spiegel dementieren lassen, dass sich Euro- lich ab . Seitdem ist sie in der Schublade französischen Behörden dieses zumindest Finanzminister zu einem Krisentreffen des Staatsministeriums verschwunden und begründen und es gibt die Möglichkeit ei- im Schloss Senningen treffen würden . ward nicht mehr gesehen . ner Klage vor einer Kontrollkommission . Wie fragwürdig diese Form der Geheim- haltung ist, lässt sich an der Reaktion vor Dafür machte Jean-Claude Juncker am Ein Bürger in Esch hingegen könnte zwar allem ausländischer Medien ablesen, die diesjährigen Neujahrsempfang den Journa- dieselbe Anfrage stellen, hat aber eben Juncker genüsslich der Lüge überführten . listen einmal mehr deutlich, wie wenig er kein Recht auf eine Antwort . Die Äm- von einem Informationszugang hält . Die Nun beherrscht beileibe nicht nur der Lu- Luxemburger Bürger, aber auch die Presse, xemburger Premier die „Kunst“, die Öf- nimmt das stoisch hin . Vielleicht weil sie Die Autorin ist Journalistin der Wochenzeitung d’Lëtzebuerger Land. Sie ist zudem Präsidentin des fentlichkeit zu täuschen, aber kaum einer es ohnehin nicht gewohnt sind, von ih- unabhängigen Syndicat des journalistes Luxembourg verteidigt die taktische Lüge als gerecht- rem Staat besonders großzügig mit Infor- und Mitglied im Presserat. fertigtes Mittel der Politik und den Aus- mationen versorgt zu werden . Während 36 forum 308 Dossier

angehalten, solche Listen zu führen und eventuelle Schutz- und Evakuierungsmaß- nahmen bereitzuhalten .

Dass Bürger heute wissen, dass das Gros der Agrarsubventionen an Großgrund- besitzer, ja sogar an Energiekonzerne wie die RWE geht, ist ebenfalls einer solchen Transparenz-Initiative zu verdanken: der farmsubsidy .org, in der sich Journalisten, Computerfreunde und Bürger zusammen gefunden haben . Übrigens: Luxemburg ist laut farmsubsidy .org eines von sechs Län- dern, das noch immer keine Daten über die Zahlungsempfänger der 2010 geleiste- ten Agrarsubventionen veröffentlicht hat .

Enthüllungen wie diese erklären vielleicht, warum der Staatsminister und seine Re- gierung bei dem Thema so sehr Zurück- haltung üben . Das wäre ja noch schöner, wenn die Bürger des Großherzogtums die Einsicht in wichtige Dokumente ein- klagen könnten, und beispielsweise die Anzahl der staatlichen Inspektionen der es in anderen Ländern aktive Initiativen dien, das Recht endlich auch in Luxem- Kindergärten mitsamt ihren Ergebnissen gibt wie Transparency International, farm- burg einzulösen . Und zwar für Bürger wie erfahren würden . Trotz kundenfreundli- subsidy .org, oder auf europäischer Ebene auch für Journalisten . chen Anstrichs in modernen Bürgerzen- woobing .eu, die hartnäckig die Geheim- tren sind etliche Verwaltungen es noch niskrämerei von Regierungen anprangern, Enthüllungsjournalismus dank immer nicht gewohnt, dass man ihnen auf ist davon im Großherzogtum nicht viel zu Informationszugang die Finger schaut . Als Luxemburg vor Jah- sehen . ren, mit einiger Verspätung, ebenfalls eine Denn die Wichtigkeit eines solchen Zu- Stelle für Beschwerden der Bürger über Nicht einmal Journalisten, deren berufli- gangs kann eigentlich gar nicht hoch ge- die Arbeit der Verwaltungen einrichtete, cher Auftrag ja gerade darin besteht, kri- nug eingeschätzt werden: Viele Skandale, waren es Beamte, die die Schaffung einer tisch hinter die offiziellen Verlautbarun- die etwa in den für ihren investigativen Ombudsstelle am schärfsten kritisierten . gen zu schauen und die Öffentlichkeit Journalismus bekannten angelsächsischen über das, was wirklich im Machtapparat Medien aufgedeckt wurden, bekamen Allerdings wird eine gesetzliche Regelung passiert, aufzuklären und so die demokra- wichtige Fakten durch Recherchen und allein kaum ausreichen, um mehr Trans- tische Kontrolle zu ermöglichen, scheinen Anfragen, die sich auf den Freedom of parenz in das Handeln von Staat und die Wichtigkeit eines Informationszu- Information Act beriefen . Als der engli- Regierung zu bringen . Als die Umweltor- gangs zu sehen . Zu einer Konferenz über sche Radiosender BBC vor kurzem über ganisation Greenpeace, sich auf das Um- die Bedeutung eines, wie es im angelsäch- zweifelhafte gewalttätige Polizeieinsätze weltinformationszugangsgesetz berufend, sischen Raum heißt, Freedom of Informa- bei den Studentendemonstrationen in vor fünf Jahren beim Wirtschaftsministe- tion Act, die das Syndicat des journalistes London berichtete, geschah dies mithilfe rium Informationen zur Cegedel-Netz- du Luxembourg (SJL) vor zwei Jahren or- von Dokumenten, die eifrige Journalisten werkstudie 2005 verlangte, weigerte sich ganisiert hatte, erschienen nur eine Hand unter Berufung auf das Auskunftsrecht er- ausgerechnet Alex Bodrys politischer Weg- voll Interessierte . Die meisten waren nicht halten hatten . gefährte und Wirtschaftsminister Jeannot einmal von der Presse, sondern Kommu- Krecké die Daten herauszugeben . Das nikationsbeauftragte etwa der Justiz und In Dänemark musste die Regierung jüngst Gericht verdonnerte ihn dann in zweiter der Abgeordnetenkammer . Der SJL ist eine Liste mit allen gefährlichen Fabriken, Instanz doch dazu . übrigens die einzige Journalistengewerk- die Giftstoffe produzieren oder lagern, schaft, die alle Jahre wieder eine – zuge- veröffentlichen: Die Journalistin hatte sich Die Presse und auch der Presserat verfolg- gebenermaßen zahnlose – Stellungnahme auf den Informationszugang für Bürger ten den Prozess aus der Ferne . Dabei müs- zum Recht auf behördliche Informationen berufen und, nach jahrelangem Hin und ste ihnen besonders daran gelegen sein, veröffentlicht . Darüber hinaus gibt es kei- Her, die Liste endlich erhalten . Laut Se- dass derartige gesellschaftlich relevante nerlei öffentlichen Druck seitens der Me- veso-Richtlinie sind sämtliche EU-Länder Informationen zugänglich sind . Journalismus Juni 2011 37

Luxemburgs Journalisten: wenig politische Fehler und Mängel pu- Anzahl der offiziell anerkannten kein verbrieftes Recht auf blik respektive von der seriösen Presse auf- Journalisten in den Redaktionen: Behördenauskunft gedeckt werden . Es ist kaum anzunehmen, dass die politische und wirtschaftliche 69 Vielleicht erklärt sich die merkwürdige Klasse in Luxemburg mit größerer mora- La Voix du Luxembourg 21 Gleichgültigkeit vieler Journalisten in die- lischer Integrität arbeitet als ihre Kollegen point.24 7 sem Land auch dadurch, dass sie, anders in den Nachbarländern . 6 als etwa ihre deutsche Kollegen, nicht ein- Télécran 9 mal über ein eigenes Auskunftsrecht für Die fehlende investigative Ausrichtung lu- www.wort.lu 6 Journalisten verfügen . xemburgischer Medien nur mit mangeln- www.mywort.lu 6 den personellen Ressourcen zu erklären, DNR 6 Als das neue Pressegesetz 2003 mit viel wie das immer wieder gerne getan wird, Pomp und Getöse verabschiedet wurde, greift auf jeden Fall zu kurz . Die Ursachen 34 klopften sich Parlamentarier der Regie- liegen tiefer und hängen auch damit zu- 20 rungsparteien CSV und LSAP stolz auf die sammen, dass Medien hierzulande keine L’Essentiel 15 Schulter, eines der modernsten Pressege- Tradition investigativen Recherchejourna- 12 setze Europas geschaffen zu haben . Dabei lismus gepflegt haben – und überdies die Revue 10 fehlte eines der wichtigsten Grundrechte Autorevue 2 von Journalisten: dass staatliche Stellen www.tageblatt.lu 4 wenigstens Vertretern ihres Berufstan- Hiesige Journalisten müssen sich www.lequotidien.lu 2 des gegenüber verpflichtet wären, rele- die Frage gefallen lassen, warum vante Informationen auszuhändigen . In in Luxemburg so wenig politische Lëtzebuerger Journal 13 deutschen Landespressegesetzen, etwa in Fehler und Mängel publik Rheinland-Pfalz, schreibt ein eigener Ar- respektive von der seriösen Presse Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek 7 tikel diese Amtshilfe fest: „Die Behörden aufgedeckt werden. sind verpflichtet, den Vertretern der Presse d’Lëtzebuerger Land 8 die der Erfüllung ihrer öffentlichen Auf- gabe dienenden Auskünfte zu erteilen “. Im Mehrheit kaum als wirklich unabhängig 8 Luxemburger Pressegesetz fehlt der Passus, bezeichnet werden kann . Obwohl es in das heißt, hiesige Journalisten sind noch jüngerer Zeit Verbesserungen gibt, begnü- paperJam 3 stärker vom guten Willen und guten Be- gen sich noch immer nicht wenige damit, ziehungen in den Verwaltungen abhängig, im Konfliktfall das zu verlautbaren, was Business Review 3 wenn sie Informationen wollen, die der die jeweils dem eigenen Verlagshaus nahe Öffentlichkeit eigentlich sowieso zustehen . liegende Partei oder Gewerkschaft erklärt RTL Télé Lëtzebuerg 36 hat . Die Einseitigkeit der Euthanasie-Be- RTL Radio Lëtzebuerg 24 Das fehlende Recht scheint verschiedene richterstattung ist da nur eins von vielen RTL Radio 93,3 & 97,0 3 Pressevertreter jedoch nicht groß zu stören: Beispielen . Eldoradio 3 Als der Informationszugang vom Presserat diskutiert wurde, fanden sich auch Chef- Den Regierenden kann das nur recht sein . radio 100,7 18 redakteure, die das Fehlen eines solchen So sehr sich der Staatsminister ziert, einen Zugangsrechts respektive Auskunftspflicht Informationszugang sowohl für die Bür- Radio Latina 3 für die Beamten lakonisch damit kom- ger als auch für Journalisten einzuräumen mentierten: „Wenn ich wissen will, was im – alle Jahre wieder zum Neujahrsempfang www.news352.lu 3 Ausland schief läuft, dann rufe ich eben verteilt Jean-Claude Juncker Kompli- direkt den Außenminister an “. Man kennt mente für die hohe Qualität der hiesigen sich – und einige kennen sich in diesem Presse . Denn wie heißt es noch gleich: Freelance Journalisten 42 kleinen Land sogar etwas besser . Was für Komplimente kosten nichts und erhalten (Quelle: Nationaler Presserat, www.press.lu) Journalisten zugegebenermaßen den Reiz die Freundschaft . u ausmacht, einfach den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und Minister/in XY an- zurufen, hat auch eine Kehrseite: dass der 1 Der Jura-Professor Arno Scherzberg aus Erfurt kurze Draht in die Regierungsebenen im- schreibt in seinem Vortrag „Das Recht auf Zugang zu mer einem kritischen Journalismus förder- behördlichen Informationen – ein neues Grundrecht?“ lich ist, darf wohl bezweifelt werden . von 2007: „Zu den wenigen europäischen Staaten ohne allgemeines Informationszugangsrecht gehören Luxemburg, Malta und Zypern und, was man als Deut- Hiesige Journalisten müssen sich die Frage scher mit einiger Scham eingestehen muss, noch etwa gefallen lassen, warum in Luxemburg so die Hälfte der deutschen Bundesländer.“