Philipp Jakob Spener Briefe aus der Dresdner Zeit 1686–1691 Band 4 1690–1691

Philipp Jakob Spener

Briefe aus der Dresdner Zeit 1686–1691

Band 4: 1690–1691

Herausgegeben von Udo Sträter und Johannes Wallmann

in Zusammenarbeit mit Klaus vom Orde

Mohr Siebeck Das Vorhaben „Edition der Briefe Philipp Jakob Speners“ ist ein Forschungsvorhaben der Säch- sischen Akademie der Wissenschaften zu und wird im Rahmen des Akademieprogramms von der Bundesrepublik Deutschland und dem Bundesland Sachsen-Anhalt gefördert. Das Aka- demieprogramm wird koordiniert von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

ISBN 978-3-16-155003-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­biblio­­ graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer- halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Micro­verflmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buch­binderei Spinner in Ottersweier gebunden. Vorwort

Mit diesem Band liegt das erste mehrbändige Modul unserer Ausgabe der Briefe Philipp Jakob Speners vollständig vor. Es beinhaltet die Briefe aus der Zeit seiner Wirksamkeit als Oberhofprediger des sächsischen Kurfürsten Jo- hann Georg III., die vom Sommer 1686 bis zum Sommer 1691 andauerte. Dass dieser Teil, obwohl später begonnen, eher als das Frankfurter Modul fertig geworden ist, ergibt sich aus der wesentlich kürzeren Wirksamkeit Speners in Dresden, wenngleich aus dieser Zeit aus jedem Jahr mehr über- lieferte Briefe vorliegen als für die Frankfurter Zeit. Die Arbeit an der Veröfentlichung der Dresdner Briefe musste einige Zä- suren hinnehmen. Sie wurde im Jahr 1993 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man schon auf Erfahrungen zurückgreifen, die in den Jahren vorher aus der Bearbeitung der Frankfurter Briefe gewonnen worden waren. Von 1993 bis 2000 wurde an beiden Modulen gleichzeitig gearbeitet. Mit dem Ausscheiden von Dr. Klaus vom Orde, der damals für die Bearbeitung der Dresdner Briefe verantwortlich war, stand nur noch ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die ganze Edition zur Verfügung, der sich nun mit der Fertig- stellung begonnener Bände aus beiden Teilreihen zu befassen hatte. Der zweite Band der Dresdner Briefe, von Prof. Dr. Markus Matthias (heute Pro- testantse Theologische Universiteit Amsterdam) weiter bearbeitet, konnte dann nach der Rückkehr von Dr. Klaus vom Orde fertiggestellt und 2009 veröfentlicht werden. Der dritte Band war schon zu weiten Teilen abge- schlossen, als im Sommer 2011 die „Edition der Briefe Philipp Jakob Speners (1635–1705) vor allem aus der Berliner Zeit (1691–1705)“ als Forschungs- vorhaben der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig an den Start ging. Die Publikation des vorliegenden vierten und letzten Bandes wird nun zum ersten Mal vollumfänglich durch die Sächsische Akademie gefördert. In absehbarer Zeit ist auch mit dem Abschluss des Frankfurter Moduls zu rechnen. Der Schwerpunkt des Akademievorhabens liegt auf der Bearbeitung der Briefe Speners aus seiner Berliner Zeit und seines Briefwechsels mit sei- nem Schwiegersohn Adam Rechenberg, der zum größeren Teil auch in dieser Zeit entstanden ist. Die Verantwortung für die Edition der gesamten Teilreihe mit den Dresdner Briefen lag bis 2010 in den Händen von Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Wallmann. Aus diesem Grund wird er als Mitherausgeber auch dieses Bandes genannt. VI Vorwort

Vor allem der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gilt großer Dank; sie fnanziert das Projekt, bietet sehr gute Rahmenbedingungen für die Arbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und fördert zu- dem die Publikation durch einen namhaften Druckkostenzuschuss. Für die kollegiale Zusammenarbeit danken wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern des Interdisziplinären Zentrums für Pietismusforschung (IZP), das die Spenerforschungsstelle in ihren Räumen beherbergt; ebenso dem Studienzen- trum August Hermann Francke der Franckeschen Stiftungen besonders dafür, dass auch Sonderwünsche aus der Spenerforschungsstelle bereitwillig erfüllt wurden. Dr. Klaus vom Orde, der von 1993 bis 2000 und dann wieder seit 2008 als Wissenschaftler mit der Edition der Spenerbriefe befasst war und ist, war an der Bearbeitung aller Dresdner Briefe maßgeblich beteiligt. Deswegen war er am besten geeignet, ein Sachregister für das gesamte Modul zu erstellen, das diesem letzten Band beigegeben ist. Einzelheiten dazu sind in der Einleitung nachzulesen (S. XXIVf). Herr Stefan Zunkel hat bei der Überprüfung der Druckfahnen mitgeholfen und das Ortsregister erstellt. Frau Ulrike Messe hat Vorarbeiten zum Bibelstellenregister übernommen. Ihnen allen ist zu danken.

Halle (Saale), im Dezember 2016 Für die Herausgeber: Udo Sträter Inhalt

Vorwort ...... V Einleitung ...... XIII Abkürzungen und Siglen ...... XXVII Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen ...... XXXIII

Briefe des Jahres 1690 ...... 1 Nr. 1 an [Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Dresden] 2. 1. 1690 3 Nr. 2 an den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T. 2. 1. 1690 6 Nr. 3 an Herzog Gustav Adolf von -Güstrow in Güstrow 7. 1. 1690 9 Nr. 4 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow in Güstrow 9. 1. 1690 11 Nr. 5 an einen Prediger in Schlesien 11. 1. 1690 14 Nr. 6 an [die Theologische Fakultät in Wittenberg] 13. 1. 1690 17 Nr. 7 an Samuel Schelwig in Danzig 14. 1. 1690 21 Nr. 8 an einen Theologiestudenten in [Wittenberg] 20. 1. 1690 25 Nr. 9 an [Johann Winckler in ] 21. 1. 1690 29 Nr. 10 an [Johann Ernst Pfuel in Stettin] 22. 1. 1690 36 Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner in a. M. 23. 1. 1690 39 Nr. 12 an [Johann Ulrich Zeller in Frankfurt a. M.] 23. 1. 1690 51 Nr. 13 an [Joachim Justus Breithaupt in Erfurt] 29. 1. 1690 55 Nr. 14 an den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T. 30. 1. 1690 60 Nr. 15 an [Samuel Knauer in Leizig?] 31. 1. 1690 62 Nr. 16 an [Johann Deutschmann in Wittenberg] 1. 2. 1690 67 Nr. 17 an [einen Kaufmann in Nürnberg] 4. 2. 1690 76 Nr. 18 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar in Quedlinburg 5. 2. 1690 80 Nr. 19 an [einen Amtsbruder] 7. 2. 1690 84 Nr. 20 an [Daniel Hartnack in Altona] 10. 2. 1690 86 Nr. 21 an [einen Theologieprofessor] 14. 2. 1690 90 Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 92 Nr. 23 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow in Güstrow 21. 2. 1690 109 Nr. 24 an [ein Ratsmitglied in Wurzen] 22. 2. 1690 111 Nr. 25 an [Johann Fischer in Riga] 24. 2. 1690 113 Nr. 26 an [Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg] 25. 2. 1690 118 VIII Vorwort

Nr. 27 an Hermann von der Hardt in Braunschweig 25. 2. 1690 121 Nr. 28 an [Daniel Hartnack in Altona] 1. 3. 1690 126 Nr. 29 an Paul Anton in Rochlitz 18. 3. 1690 131 Nr. 30 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 18. 3. 1690 133 Nr. 31 an [Johannes Olearius in Leipzig] 20. 3. 1690 138 Nr. 32 an [Johann Heinrich Horb in Hamburg] 22. 3. 1690 144 Nr. 33 an [Johann Heinrich Horb in Hamburg] 24. 3. 1690 149 Nr. 34 an [einen Geistlichen] 29. 3. 1690 152 Nr. 35 an Johann Crasselius in Altenburg 3. 4. 1690 154 Nr. 36 an [Johannes Olearius in Leipzig] 7. 4. 1690 160 Nr. 37 an [Ludwig Joachim Stoll in Leipzig] 8. 4. 1690 164 Nr. 38 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 14. 4. 1690 166 Nr. 39 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 15. 4. 1690 171 Nr. 40 an [einen Unbekannten] 16. 4. 1690 174 Nr. 41 an Hermann von der Hardt in Helmstedt 23. 4. 1690 179 Nr. 42 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 5. 5. 1690 181 Nr. 43 an [Johann Georg Kulpis in ] 8. 5. 1690 183 Nr. 44 an [eine adlige Freundin] 9. 5. 1690 187 Nr. 45 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 13. 5. 1690 190 Nr. 46 an Johann Wilhelm Hilliger in Chemnitz 17. 5. 1690 195 Nr. 47 an [Johann Joachim Wolf? in Magdeburg] [vor 18. 5. 1690] 198 Nr. 48 an Wilhelm Ludwig Spener in Leipzig 20. 5. 1690 200 Nr. 49 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 20. 5. 1690 202 Nr. 50 an Clemens Thieme [in Leipzig?] 22. 5. 1690 205 Nr. 51 an Hermann von der Hardt in Helmstedt 22. 5. 1690 207 Nr. 52 an [den Rat der Stadt Erfurt] [Ende Mai / Anfang Juni 1690] 216 Nr. 53 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen [in Torgau] 3. 6. 1690 219 Nr. 54 an Elias Veiel in Ulm 3. 6. 1690 223 Nr. 55 an [Johann Heinrich May in Gießen] [vor dem 13. 6.] 1690 228 Nr. 56 an Johann Heinrich May in Gießen 19. 6. 1690 235 Nr. 57 an [Franz von Meinders in ] 21. 6. 1690 237 Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 244 Nr. 59 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 27. 6. 1690 260 Nr. 60 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 30. 6. 1690 263 Nr. 61 an [den Vater eines Theologiestudenten] 30. 6. 1690 271 Nr. 62 an [einen Bekannten] [Erstes Halbjahr?] 1690 274 Nr. 63 an einen Prediger [Erstes Halbjahr?] 1690 276 Nr. 64 an [einen Geistlichen] 8. 7. 1690 280 Nr. 65 an [Johann Ludwig Prasch in Regensburg] 10. 7. 1690 282 Nr. 66 an [einen Geistlichen] 11. 7. 1690 289 Nr. 67 an [Frau Stamm in Rastatt?] 14. 7. 1690 293 Nr. 68 an Jakob Wilhelm Imhof in Nürnberg 16. 7. 1690 295 Nr. 69 an [Johann Bartholomäus Freiesleben in Chemnitz] 17. 7. 1690 302 Nr. 70 an [Gräfn Benigna von Solms-Laubach in Laubach] 17. 7. 1690 304 Nr. 71 an [Georg Wolfgang Wedel in ] 22. 7. 1690 307 Nr. 72 an Johann Christoph Bilefeld in Delitzsch 28. 7. 1690 310 Nr. 73 an Johann Wilhelm Hilliger in Chemnitz 31. 7. 1690 317 Nr. 74 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 7. 8. 1690 319 Nr. 75 an [Johann Harmann Misler in Stade?] 7. 8. 1690 324 Nr. 76 an Tobias Fleischer in Kopenhagen 9. 8. 1690 330 Nr. 77 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 14. 8. 1690 343 Vorwort IX

Nr. 78 an einen ungarischen Amtsbruder im Exil 25. 8. 1690 349 Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel in Bayreuth 30. 8. 1690 351 Nr. 80 an [Gräfn Christine von Stolberg-Gedern in Gedern] [Sommer] 1690 364 Nr. 81 an Christian Kortholt in Kiel 4. 9. 1690 367 Nr. 82 an [einen Bekannten] 9. 9. 1690 375 Nr. 83 an [Hans Ernst von Knoche in Dresden] 11. 9. 1690 376 Nr. 84 an Johann Fecht in 12. 9. 1690 379 Nr. 85 an [ein Mitglied des Reichskammergerichts in Wetzlar?] 12. 9. 1690 388 Nr. 86 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 16. 9. 1690 390 Nr. 87 an [einen Geistlichen] 18. 9. 1690 393 Nr. 88 an [einen Geistlichen] 19. 9. 1690 396 Nr. 89 an [einen Bekannten] 20. 9. 1690 399 Nr. 90 an [Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf in Wien] 23. 9. 1690 402 Nr. 91 an [einen Amtsbruder] 23. 9. 1690 409 Nr. 92 an Johann Hirsch in Fraustadt 29. 9. 1690 413 Nr. 93 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau 2. 10. 1690 428 Nr. 94 an Ahasver Fritsch in Rudolstadt 6. 10. 1690 430 Nr. 95 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 9. 10. 1690 431 Nr. 96 an eine vornehme Person in Schweden 13. 10. 1690 436 Nr. 97 an Königin Ulrike Eleonore von Schweden in Stockholm 15. 10. 1690 438 Nr. 98 an [einen Bekannten] 17. 10. 1690 445 Nr. 99 an [einen Bekannten] 8. 11. 1690 447 Nr. 100 an [einen Bekannten] 10. 11. 1690 448 Nr. 101 an Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel in Wolfenbüttel 11. 11. 1690 451 Nr. 102 an Johann Georg Kulpis in Stuttgart 20. 11. 1690 460 Nr. 103 an [Gräfn Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg in Stolberg?] [Herbst] 1690 463 Nr. 104 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau 21. 11. 1690 465 Nr. 105 an [Christiane Eberhardine von -Bayreuth in Bayreuth] 2. 12. 1690 469 Nr. 106 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 13. 12. 1690 471 Nr. 107 an [einen Geistlichen? in Sachsen] 15. 12. 1690 477 Nr. 108 an Johann Christoph Bilefeld in Delitzsch 17. 12. 1690 486 Nr. 109 an Gottfried Wilhelm Leibniz in Hannover 21. 12. 1690 492 Nr. 110 an Johann Jakob Spener in Leipzig 22. 12. 1690 498 Nr. 111 an Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M. 30. 12. 1690 501 Nr. 112 an [einen Geistlichen] 1690 509 Nr. 113 an [einen Laien] 1690 511 Nr. 114 an [einen Geistlichen?] 1690 518 Nr. 115 an eine vornehme Person 1690 525 Nr. 116 an [einen Amtsbruder] 1690 528 Nr. 117 an einen Prediger 1690 534 Nr. 118 an [einen Amtsbruder in Kursachsen] 1690 536 Nr. 119 an [einen Prediger] 1690 543 Nr. 120 an [einen Amtsbruder] 1690 545 Nr. 121 an [einen Kandidaten der Theologie] 1690 551 Nr. 122 an [einen Geistlichen] 1690 559 Nr. 123 an [einen Geistlichen] 1690 562 Nr. 124 an [einen Geistlichen in Sachsen] 1690 570 X Vorwort

Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten in Sachsen] 1690 575 Nr. 126 an [einen Amtsbruder] 1690 587 Nr. 127 an [ einen Geistlichen?] 1690 591 Nr. 128 an [einen Laien] 1690 595 Nr. 129 an [eine verheiratete Frau] 1690 599 Nr. 130 an [einen Unbekannten] 1690 605 Nr. 131 an eine hohe Standesperson 1690 607 Nr. 132 an [Christoph Bernhard in Dresden?] 1690 610 Nr. 133 an [Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar in Weimar?] 1690 618 Nr. 134 an [Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen in Dresden] 1690 621 Nr. 135 an [einen Geistlichen] 1690 625

Briefe des Jahres 1691 ...... 627 Nr. 136 an Paul Anton in Rochlitz 8. 1. 1691 629 Nr. 137 an Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg 15. 1. 1691 635 Nr. 138 an einen Freund 16. 1. 1691 640 Nr. 139 an Johann Jakob Spener in Leipzig 19. 1. 1691 642 Nr. 140 an Paul Anton in Rochlitz 19. 1. 1691 644 Nr. 141 an [Johann Heinrich Horb in Hamburg] [Ende Januar] 1691 646 Nr. 142 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in [Torgau] 22. 1. 1691 652 Nr. 143 an [Königin Ulrike Eleonore von Schweden in Stockholm] 3. 2. 1691 655 Nr. 144 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar in Quedlinburg 3. 2. 1691 659 Nr. 145 an [Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg] [vor 6. 2.] 1691 662 Nr. 146 an [Johanna Eleonora Petersen in Lüneburg] 9. 2. 1691 666 Nr. 147 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau 2. 3. 1691 667 Nr. 148 an den kurfürstlich-sächsischen Geheimen Rat in Dresden 11. 3. 1691 670 Nr. 149 an [Samuel von Pufendorf in Berlin] [Ende März] 1691 673 Nr. 150 an Paul Anton in Rochlitz 1. 4. 1691 677 Nr. 151 an Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Potsdam 6. 4. 1691 680 Nr. 152 an Franz Julius Lütkens in Cölln 20. 4. 1691 683 Nr. 153 an das Berliner Predigerministerium 20. 4. 1691 687 Nr. 154 an Bürgermeister und Rat zu Berlin 18. 5. 1691 690 Nr. 155 an Christian Feustel in Plauen 22. 5. 1691 692 Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen in [Torgau] 25. 5. 1691 696 Nr. 157 an Kurprinz Friedrich August von Sachsen in [Torgau] 25. 5. 1691 707 Nr. 158 an [einen Schwager] 26. 5. 1691 714 Nr. 159 an Johann Knauth in Dippoldiswalde 26. 5. 1691 717 Nr. 160 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau 2. 6. 1691 720 Nr. 161 an [einen Amtsbruder in Sachsen] [Frühjahr] 1691 723 Nr. 162 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 728 Nr. 163 an [eine junge Frau] [Erstes Halbjahr] 1691 733 Nr. 164 an [einen frommen Laien] [Erstes Halbjahr] 1691 741 Nr. 165 an [einen Amtsbruder] [Erstes Halbjahr] 1691 745 Nr. 166 an einen Prediger [Erstes Halbjahr] 1691 749 Nr. 167 an [einen Amtsbruder] 1691 756 Nr. 168 an [einen Amtsbruder] 1691 758 Nr. 169 an [einen Amtsbruder] 1691 766 Nr. 170 an [einen kursächsischen Geistlichen?] 1691 769 Vorwort XI Verzeichnis der Fundorte Handschriften ...... 771 Drucke ...... 773

Register Personen ...... 775 Orte ...... 786 Bibelstellen ...... 789 Sachen (für die Bände „Dresdner Briefe, Bd. 1–4“) ...... 798

Schlüssel zu den zeitgenössischen Sammlungen von Ph.J. Speners Bedenken und Briefen ...... 820

Einleitung

Die Briefe im vorliegenden Band führen in die letzte Phase von Philipp Jakob Speners Dresdner Wirksamkeit. Sie geben einen Einblick in die Auseinander- setzungen um die junge pietistische Bewegung und die Unsicherheit über ihre weitere Zukunft. Sie zeigen aber auch den Weg auf, der für Spener letzt- lich nach Berlin führt. Doch es geht in seiner Korrespondenz in den Jahren 1690/91 nicht nur um die äußere Entwicklung seines Lebenswegs, sondern die damit eng verbundenen Fragenkomplexe werden vertieft: Welches Beru- fungsverständnis hat Spener, das ihn so lange an seinem Dresdner Oberhof- predigeramt festhalten läßt? Was sind die umstrittenen Themen, die mit dem Pietismus verbunden werden und für die Spener (mit) verantwortlich gemacht wird? Darüber hinaus erweisen sich die Briefe auch in diesem Band als ein Spiegel, in dem sich die gesellschaftliche und politische Situation zeigt. Der sog. Pfälzische Erbfolgekrieg, bei dem weite Gegenden Südwestdeutschlands verwüstet wurden, hinterläßt seine Spuren in der Korrespondenz des Dresdner Oberhofpredigers. Die fortwährende Unterdrückung der Evangelischen in Schlesien beschäftigt ihn. Daneben wenden sich nach wie vor Geistliche und Laien, Angehörige des einfachen Volkes und des Adels an ihn als Seelsorger, aber auch als Berater in den unterschiedlichsten Problemstellungen. Wie auch in den Jahren vorher ist er schließlich in Berufungsangelegenheiten einge- bunden. Im folgenden werden einzelne Themen etwas genauer dargestellt.

1. Das Zerwürfnis mit dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg III., seine Folgen und der Wechsel nach Berlin Der Eklat, der durch den seelsorgerlichen Brief Speners hervorgerufen worden ist, liegt zu Beginn des Jahres 1690 schon zehn Monate zurück (Februar 1689). Trotz der immer wieder geäußerten Hofnung Speners, daß sich die Wogen glätten könnten und der Kurfürst einlenken möge, ist dieser fest entschlossen, seinen Oberhofprediger nicht mehr sehen zu wollen. Er holt sich nicht nur den niederrangigen Georg Green als Seelsorger (Nr. 156 Anm. 7) und weigert sich, Spener zu trefen (vgl. Nr. 147), sondern ver- meidet es möglichst, seine Residenz Dresden zu betreten, solange der unge- liebte Geistliche dort anzutrefen ist (Nr. 111, Z. 150 f). Schon gleich nach XIV Einleitung

Bekanntwerden des Zerwürfnisses hatte es nicht an Angeboten für Spener gefehlt, ihn in ein anderes Amt zu berufen, z. B. nach Stockholm oder nach Lübeck, wie aus den Briefen in Band 3 ersichtlich wird (vgl. auch im vor- liegenden Band Nr. 51, Z. 62–64). Auch die Propsteistelle in Berlin, die er schließlich im Juni 1691 doch noch antreten sollte, hatte dazu gehört (Nr. 60, Z. 32–36; Nr. 152, Z. 13–15; Nr. 153, Z. 4–7). Jedes Bemühen, ihn anders- wohin zu holen, ist aber bis dahin an Speners Berufungsverständnis ge- scheitert (Nr. 77, Z. 92–94; Nr. 86, Z. 7 f; Nr. 153, Z. 21 f, u. ö.). Er ist fest davon überzeugt, nicht aus eigenem Antrieb und Willen, sondern allein durch Gottes Leitung nach Dresden gekommen zu sein (Nr. 57, Z. 50–56; Nr. 60, Z. 50 f). Deswegen können weder die eingetretene mißliche Situation (Nr. 115, Z. 3–18) noch andere zu erwartende Schwierigkeiten (Nr. 74, Z. 21–23) ihn dazu bewegen, von dort wegzugehen. Dazu muß er sich erst des göttlichen Willens zu einer berufichen Veränderung gewiß werden (Nr. 111, Z. 172–174; Nr. 137, Z. 8 f; Nr. 144, Z. 51–54). Selbst eine wohl- dotierte Pension, die ihm für den Fall seines freiwilligen Rücktritts vom Oberhofpredigeramt angeboten worden ist, reicht nicht aus, seine Haltung in dieser Angelegenheit zu ändern (Nr. 150, Z. 8 f; Nr. 155, Z. 14–18). Wie schon bei den früheren Amtswechseln will er bei den Überlegungen und Verhandlungen nicht aktiv einbezogen sein (Nr. 57, Z. 117–126; Nr. 60, Z. 51–61; Nr. 136, Z. 102 f; Nr. 144, Z. 47 f; Nr. 152, Z. 17–25; Nr. 153, Z. 10 f). Nach außen sieht dies wie ein Machtkampf zwischen dem Kurfür- sten und seinem Oberhofprediger aus. Für Spener ist es aber eine zutiefst theologische bzw. geistliche Fragestellung: Wer handelt bei einer Berufung? Nach lutherischem Verständnis ist es Gott selbst. Aus diesem Grunde ist die lange Zeit, in der Spener in seinem Dresdner „Patmos“ (Bd. 3, Nr. 44, Z. 1) verharrt, kein Ausdruck von persönlicher Renitenz oder Machtbewußtsein. Es ist vielmehr der lebenspraktische Vollzug seines Selbstverständnisses, den Glauben in einer konkreten Situation fruchtbar werden zu lassen. Es ist der habitus practicus, den er schon in den Pia Desideria von Christen und erst recht von Theologen erwartet. Ein Zeichen der Selbstvergewisserung in der an- gespannten Lage in Dresden ist für ihn die „innere Ruhe“, die er empfndet (Nr. 111, Z. 164; Nr. 136, Z. 100; Nr. 137, Z. 11 f; Nr. 150, Z. 20–23) und die seine Frau ofenbar nicht immer hat (Nr. 74, Z. 62–64). Erst als sich der brandenburgische und der kursächsische Kurfürst über seine berufiche Zu- kunft einigen, ist er – dann aber ebenso ruhig – bereit, nach Berlin zu gehen (vgl. Nr. 151; Nr. 155, Z. 20–28). Ein möglicher Verdacht, durch gezielte Veröfentlichungen besonderer Briefe ein für die Leser bestimmtes Bild über seinen Wechsel nach Berlin im Besonderen und über sein Berufungsverständnis im Allgemeinen zeichnen zu wollen, kann ausgeschlossen werden, weil es durch bisher unveröfentlichte Briefe bestätigt wird. Einleitung XV

2. Die Wahrnehmung des Zustandes der evangelischen Kirche Betrachtet Spener seine persönliche Zukunft, bleibt er innerlich ruhig und gelassen. Geht es aber um den derzeitigen Zustand der Kirche, sieht dies völ- lig anders aus. Dieser und die zu befürchtende Entwicklung der lutherischen Kirche – für ihn die „wahre Kirche“ – macht ihm zunehmend Sorge. Er äußert diese nicht nur im Austausch mit seinen engsten Vertrauten (z. B. in Nr. 111, an Anna Elisabeth Kißner), sondern auch in Briefen an Menschen, von denen er meint, ähnliche Ängste erkennen zu können. Ein gutes Beispiel bietet der Brief an den Kopenhagener Gelehrten und Hofarchivar Tobias Fleischer (Nr. 76), dem Spener zum allerersten Mal – als Antwort auf dessen Brief – schreibt. Zwei Hauptgefahren macht er für die lutherische Theologie und Kirche aus: 1. Die Vorstellung, man könne ein Verständnis über Gott und sein Heil erhalten, ohne durch den Heiligen Geist dazu erleuchtet zu werden (Z. 157–183), und 2. die fortwährende Behauptung, das Streben nach einer größeren Vervollkommnung des christlichen Lebens sei dem evangelischen Glauben nicht gemäß (Z. 184–216). Eine äußere Gefahr für die Kirche gesellt sich dazu: die immer mehr expandierende Macht des französischen Königs Ludwigs XIV. (vgl. Nr. 16, Z. 22–24; Nr. 76, Z. 139–142), in dessen Gefolge Spener den Einfuß des römischen Katholizismus wachsen sieht, der seine Macht auch gegenüber den Lutheranern in Schlesien demonstriert (Nr. 5; Nr. 40, Z. 94–117; Nr. 142; Nr. 143, Z. 22–95). Der vorübergehende Macht- zuwachs der römisch-katholischen Kirche wird von ihm als eine Krisenzeit gedeutet, die dem von ihm erwarteten „besseren Zustand der Kirche“ vor- ausgeht (Nr. 76, Z. 302–306; Nr. 79, Z. 60–63).

3. Die pietistische Bewegung Abgesehen von seinem Berufungsverständnis gibt es noch einen weiteren Grund für Spener, sich den Weggang aus Sachsen nicht leicht zu machen. Die Unruhen, die im Sommer 1689 in Leipzig mit den Schlagworten „Pietisten“ und „Pietisterey“ gekennzeichnet worden sind und eine Reihe von Unter- suchungen nach sich gezogen haben, sind auch im Jahr 1690 noch längst nicht befriedet. Weitere Befragungen beteiligter Studenten, aber auch Leipziger Bürger, sollen ans Tageslicht bringen, ob mit dem Pietismus eine neue Sekte entstanden ist und wieviel häretisches Gedankengut mit ihm verbreitet wird. Spener ist in doppelter Weise direkt damit befaßt. Einerseits wird er als der Urheber der ganzen Auseinandersetzung ausgemacht. Er sei der „Archipieti- sta“ (in Briefen an Adam Rechenberg), und ein Leipziger Theologiestudent, der sich bei ihm aufgehalten hat, wird deshalb ein „Erzpietist“ genannt (Nr. 31, Z. 15; vgl. Nr. 30, Z. 20 f; Nr. 79, Z. 314 f). Diesem Studenten wird sogar zunächst eine Disputation verweigert (Nr. 31). Andererseits hat Spener sich in seiner Funktion als Oberhofprediger ganz ofziell mit der pietistischen Bewegung auseinanderzusetzen. Gleich zweimal muß er umfangreiche Gut- XVI Einleitung achten zu den Untersuchungsakten über die Verhöre in Leipzig verfassen. Diese Gutachten selbst sind in Bed. 3, 777–805 publiziert. Nicht nur wegen der editorischen Vorentscheidung der vorliegenden Ausgabe (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Einleitung, S. XXIV), sondern vor allem wegen ihres Umfangs konnten diese nicht in den vorliegenden Band aufgenommen werden. Aber Spener faßt seine Meinung zu den Untersuchungsunterlagen, die er sich ge- bildet hat und in den Gutachten formuliert, in verschiedenen Briefen zu- sammen (Nr. 16, Z. 146–151; Nr. 81, Z. 116–120; Nr. 83, Z. 14–26; Nr. 93, Z. 1–8; Nr. 97, Z. 139–153, u. ö.). Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, daß Spener als Oberhofprediger und Mitglied des kursächsischen Oberkonsisto- riums das allererste „Pietisten-Edikt“ überhaupt (Nr. 51 Anm. 39) mit unter- schrieben hat (Bed. 3, 787, 793 f). Ganz ofenbar ist ihm dies nur möglich, indem er sich an den präzisen Wortlaut des Konventikelverbotes hält. Spener betont, daß lediglich „bedenckliche Conventicula und Privat=Zusammen- kunften“, die „unter dem Vorwandt der gemeinen Erbauung und Beförde- rung des Christenthums angestellet“ werden (s. Nr. 118 Anm. 14) gemeint sind, und er beklagt, daß ihre Anwendung von den Gegnern der Pietisten seiner Ansicht nach „über den tenor der deutlichen wort außgedähnet“ wird (Nr. 45, Z. 12 f; vgl. ähnlich Nr. 38, Z. 97; Nr. 51, Z. 70 f; Nr. 54, Z. 54 f; Nr. 107, Z. 39 f; Nr. 118, Z. 123–129). Aber auch er geht soweit, daß er dem Verbot von Versammlungen mit gemischter Teilnehmerschaft ohne Vorsitz eines Geistlichen zuzustimmt (Nr. 31, Z. 96–98). Speners Dilemma wird deutlich. Bei den Pietisten wird weitgehend der Weg, den er selbst zur Verbesserung der Kirche vorgeschlagen hat, erkennbar: eine Bewegung, die ihren Ausgangspunkt bei „gottseligen“ Geistlichen nimmt, die ihre Verantwortung für die Gemeinde wahrnehmen. Ein auf die Bibel und die biblische Theologie bezogene Ausbildung, die die Gelehrsam- keit auch in eine lebenspraktische Wirklichkeit zu überführen weiß, soll diesen dazu verhelfen, ihrer Aufgabe recht nachzukommen. Die kleinen Früchte seiner Arbeit, die er in Leipzig und überhaupt im Kurfürstentum Sachsen erkennt, will er nicht sich selbst überlassen (vgl. Nr. 11, Z. 13–31), denn er sieht sie in mehrfacher Hinsicht gefährdet. Die eine Gefährdung ist mit seiner eigenen Person verknüpft. Die Ausein- andersetzung um den Pietismus scheint wenigstens teilsweise auch ein „Stell- vertreterkampf“ zu sein (Nr. 101, Z. 72–76), wie das Vorgehen gegen Studen- ten zeigt, die mit ihm, dem „Archipietisten“, im Kontakt stehen (s. o.; Nr. 31, Z. 25–34). Grundsätzlich sieht er sich in Sachsen von „viele(n) falschen Brüdern“ umgeben, die ihr Netz gegen ihn ausspannen (Nr. 155, Z. 31). Zudem macht Spener kirchenpolitische und theologische Probleme aus, bei denen die Pietisten ihren Gegnern ofene Flanken zeigen. Zahlreiche seiner Briefe zeigen die Art, wie er hierbei zu moderieren versucht: Gegenüber den Kritikern erläutert und verteidigt er das Handeln und die Lehraussagen der Pietisten, bei Freunden und Vertrauten scheut er sich aber auch nicht, seine Sorge über manche Entwicklungen zum Ausdruck zu bringen. Die Pietisten Einleitung XVII selbst ermahnt er, weder die gegebenen Grenzen zu überschreiten, noch sich in Irrlehren zu verstricken. Politisch scheint die kirchliche (und öfentliche) Ordnung durch die Pieti- sten angetastet zu werden. Eine solche Entwicklung verträgt sich aber im Grundsatz nicht mit dem Bemühen Speners, zu einer Erneuerung der evan- gelischen Kirche und nicht zu ihrer „zerrüttung“ (Nr. 76, Z. 264) beitragen zu wollen. Es liegt also in der Sache selbst begründet, die kirchlichen und universitären Ordnungen nicht zu übergehen oder sie gar zerstören zu wollen. Speners nachdrückliche Betonung, Francke sei im Sommer 1689 ganz ofziell vom Dekan der Leipziger theologischen Fakultät, Georg Möbius, beauftragt worden, in den „Hundstagen“ Lehrveranstaltungen anzubieten (s. Nr. 16, Z. 19–21), ist viel mehr als nur ein taktischer Hinweis. Gleiches gilt für die Information, Francke habe in seinen collegia nicht in den Aufgabenbereich der Theologen, denen die (fundamental)theologische Einordnung der Ergebnisse der Bibellektüre vorbehalten sei, eingegrifen, sondern er habe neben der Erläuterung von biblischen Texten lediglich auf die persönliche Applikation seiner Hörer hingewiesen (Nr. 16, Z. 22–24). Freilich befndet sich Spener mit dieser Unterscheidung auf einem schmalen Grad. Spätestens wenn eine persönliche Applikation mit der philologischen Untersuchung eines Bibel- textes einhergeht, ist der Bereich der Theologie erreicht. Ob Francke und seine Freunde diese Unterscheidung immer vorgenommen haben, ist nicht ausgemacht. Jedenfalls läßt sich an einigen Briefen Speners erkennen, wie leicht die Schranken der Ordnung, die sich für ihn aus der Sache ergeben, durchbrochen werden können. Die von den Pietisten durchgeführten Collegia in Leipzig werden schon lange nicht mehr nur von Theologiestudenten be- sucht. Auch Angehörige anderer Fakultäten und sogar Bürger aus der Stadt nehmen an Veranstaltungen teil, in der Francke und seine Freunde die Bibel auslegen (Nr. 11, Z. 13 f). Der Rahmen einer – von der Zustimmung des Dekans gedeckten – universitären Lehrveranstaltung ist längst überschritten. Die Kirchengemeinde und damit die kirchenpolitische Ordnung sind jetzt ebenso betrofen. Die Leipziger collegia rücken so in die Nähe der von Spener selbst mitbegründeten collegia pietatis in Frankfurt a. M., freilich mit dem wichtigen Unterschied, daß kein amtierender Geistlicher daran beteiligt ist. Diese Forderung Speners war aber aus den Pia Desideria bekannt und fndet sich auch ähnlich in dem Hinweis von Nr. 15, Z. 45–49. Als sich in Frankfurt aus dem ursprünglichen collegium heraus weitere Konventikel gebildet hatten, die nicht mehr von Geistlichen geleitet wurden, hatte er ganz bestimmte Kriterien für solche Zusammenkünfte genannt: Der Anschein regelmäßiger Trefen soll tunlichst gemieden werden, indem weder Zeit und Ort noch ein bestimmter Leiter festgelegt werden sollen (Frankfurter Briefe, Bd. 3, Nr. 48, Z. 54–58; vgl. auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Nr. 134, Z. 222–271). Ganz ähn- liche Ratschläge gibt er im Jahr 1690 für Leipzig. Anstelle großer Versamm- lungen, die er nicht billigt (Nr. 30, Z. 35; Nr. 31, Z. 100 f), solle man sich vielmehr in kleinen Gruppen trefen und Orte und Zeitpunkte wechseln XVIII Einleitung

(Nr. 15, Z. 90–101). Es ist alles zu vermeiden, womit solche Zusammenkünf- te bei „Böswilligen“ in den Verdacht der Sektiererei gebracht werden könn- ten. Der geistliche Nutzen, sich im Glauben durch erbauliche Gespräche zu stärken, könne auch bei eher zufälligen oder durch andere Anlässe zustande gekommenen Begegnungen geschehen (Nr. 15, Z. 69–74; vgl. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Nr. 91, Z. 24–29). Unter anderen – und besseren – Umständen kann sich Spener auch größere Konventikel vorstellen (Nr. 15, Z. 45–50), aber zum jetzigen Zeitpunkt sind sie seines Erachtens angesichts des Ziels einer Erneuerung der Kirche nicht zu verantworten (Nr. 38, Z. 94–96). Nicht alles, was nützlich erscheint, müsse auch notwendig durchgeführt werden (Nr. 108, Z. 111–113). Auf keinen Fall darf dem Sektenvorwurf Vorschub geleistet werden, der in vielen Briefen besprochen wird (Nr. 16, Z. 120; Nr. 24, Z. 1–9; Nr. 45, Z. 15–17; Nr. 54, Z. 45–47; Nr. 68, Z. 145 f; Nr. 76, Z. 248; Nr. 79, Z. 291; Nr. 81, Z. 93–95; Nr. 83, Z. 13 f). Schließlich geht es aber nicht nur um den Verdacht der „Sectiererey“ und die damit befürchtete Zerstörung der kirchlichen Ordnung, der gegen die Pietisten erhoben wird und den Spener immer wieder zurückzuweisen ver- sucht. Die pietistische Bewegung steht auch unter dem Verdacht der Häresie. Daß dies nicht völlig von der Hand zu weisen ist, weiß Spener genau. Bei der Lektüre der Briefe erkennt man mehrfach seine Erleichterung, als bei den Untersuchungen keine Irrlehren festgestellt werden konnten (Nr. 38, Z. 83– 87; Nr. 81, Z. 129–132 u. ö.). Spener selbst hatte solches befürchtet, als im Jahr 1688 bei August Hermann Francke und seinen Hamburger Freunden der Verdacht aufgekommen war, sie lehrten einen christlichen Perfektionismus, der sich nicht anhand der Bibel und der Symbolischen Bücher begründen lasse (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Nr. 114, u. Bd. 3, Brief 57, Z. 131–172, u. ö.). Seine Position zur christlichen Vollkommenheit legt Spener in Brief Nr. 22 ausführlich dar, der – gleich für die Veröfentlichung gedacht – nicht nur an einen Anhänger der Pietisten, sondern auch an deren Gegner gerichtet ist. Neben der Perfektionismusdebatte wird in den Jahren von Speners Dresdner Amtszeit ein altes theologisches Streitthema erneut aktuell. Der Lüneburger Superintendent Johann Wilhelm Petersen, der als Freund Speners bekannt ist, geht dazu über, seine chiliastische Sonderlehre von der Auferste- hung der christlichen Märtyrer vor dem Beginn des Millenniums von der Kanzel vorzutragen und in persönlichen Gesprächen zu verbreiten (Nr. 42, Z. 11–13; Nr. 51, Z. 25–28; Nr. 59, Z. 23–25, u. ö.). Unterstützt wird er dabei von seiner Frau Johanna Eleonora. Zwar hat Spener schon seit längerer Zeit seinem Freund das Versprechen abgenommen, auf der Lüneburger Kanzel „nichts als den gekreuzigten Christus“ zu predigen (Nr. 26, Z. 14–16; Nr. 38, Z. 21–24; Nr. 49, Z. 22 f; Nr. 51, Z. 34 f), aber dieser hält es nicht ein. Nicht nur über das nahe gelegene Hamburg gelangt das Gerücht als häretisch ge- brandmarkter Lehren nach Leipzig, sondern das Ehepaar Petersen selbst sorgt für die Verbreitung seiner Erkenntnisse in Sachsen bei Besuchen in Leipzig, Dresden und anderen Orte, an denen sie mit Gleichgesinnten zusammen- Einleitung XIX trefen (Nr. 45). Für Spener, der sich persönlich von dem Chiliasmus Peter- senscher Prägung distanziert (Nr. 77, Z. 39–54), ist dies nicht nur wegen der Wirkung solcher Aussagen nach außen schwer tragbar, sondern er erkennt, daß Petersens unbedachte Äußerungen auch die eigenen frommen Freunde verunsichern (Nr. 49, Z. 43 f). Schließlich erscheint in den Briefen der Jahre 1690/91 noch ein weiteres Thema, das sich schon im Vorjahr angedeutet hat und die Diskussion um den Pietismus in den nächsten Jahren verstärkt: Die Frage nach außergewöhnli- chen Ofenbarungen. Rosamunde Juliane von der Asseburg, eine junge Ad- lige aus einem verarmten Geschlecht, ist mit dem Ehepaar Petersen in Ver- bindung gekommen und lebt seit dem Frühjahr 1690 mit ihrer Familie bei diesem (Nr. 111 Anm. 28). Schon bevor er ein umfangreiches Bedenken zu den Ofenbarungen der Asseburg verfaßt (Nr. 47 Anm. 11), dokumentieren die vorliegenden Briefe Speners zunächst vorsichtige, aber nicht unkritische Annäherung und Beurteilung der Ofenbarungen. Vier Beobachtungen lassen sich skizzieren: Erstens hält er extraordinäre Ofenbarungen Gottes ohne Ein- schränkung für möglich (Nr. 47, Z. 8–11; Nr. 146, Z. 4–6) – im Gegensatz zu den meisten Vertretern der lutherischen Orthodoxie, die dies für die Zeit nach dem Abschluß des Neuen Testaments ablehnen; auch Frauen können solche besonderen Gaben haben (Nr. 106, Z. 69–74). Zweitens ist die Fröm- migkeit der Familie und insbesondere Rosamundes für ihn ein Indiz dafür, daß sie wenigstens keine mutwillige Betrügerin ist (Nr. 106, Z. 76–80; Nr. 111, Z. 102 f); dennoch ist drittens eine genaue Prüfung nötig (Nr. 47, Z. 11–14), weil die Phänomene auch eine natürliche Erklärung haben können (Nr. 137, Z. 28–32), und viertens hält Spener es für denkbar, daß besondere Ofenbarungen vorlaufende Zeichen des besseren Zustandes der Kirche sein können (Nr. 111, Z. 90–98; Nr. 136, Z. 27–35). Über die persönliche Situation Speners hinaus werden zahlreiche Hin- weise über das weitere Ergehen der Pietisten gegeben. Nachdem sich die meisten führenden Personen schon im Verlauf des Herbstes 1689 von Leipzig verabschiedet hatten, verläßt auch Francke zu Beginn des Jahres 1690 die Stadt (Nr. 15 Anm. 3). Zu dieser Zeit befndet sich nur noch Johann Caspar Scha- de aus dieser Gruppe in der Messestadt (Nr. 38, Z. 85–87; Nr. 81. Z. 120– 122). Die pietistischen Aktivitäten verlagern sich dort nun auf die Gruppe der Laien. Das Augenmerk der kritischen und wohlwollenden Beobachter der jungen pietistischen Theologen richtet sich dagegen auf Erfurt (Nr. 50, Z. 22 f; Nr. 61, Z. 35–40; Nr. 111, Z. 82–89; Nr. 137, Z. 70), wo der Freund und Korrespondenzpartner Speners Joachim Justus Breithaupt als Senior des Predigerministeriums wirkt und im Juni 1690 auch Francke eine Stelle als Diaconus erhalten hat (Nr. 51, Z. 79; Nr. 60, Z. 23 f). Etwas abseits der pietistischen Bewegung in Sachsen kommt es in Gießen zu Streitigkeiten, die zwar nur über Speners Person mit den mitteldeutschen Ereignissen verbunden sind, aber auch in die Geschichte des Pietismus ge- hören. Schon zum Ende des Jahres 1689 war es zu einem Eklat gekommen, XX Einleitung weil der Gießener Theologieprofessor Johann Heinrich May, seit vielen Jah- ren mit Spener in Verbindung, Katechismusexamina und Veranstaltungen, in denen er den Römerbrief auslegte, in sein Privathaus verlegt hatte, ohne dies dem zuständigen Superintendenten Philipp Ludwig Hanneken mitgeteilt zu haben. Auch hier ist die Grenze zwischen universitärer und kirchlicher und zwischen öfentlicher und privater Veranstaltung verschwommen. Die Briefe, die sich mit dieser Problematik befassen (Nr. 11, Z. 83 f; Nr. 55; Nr. 60, 99– 103), bieten einen Einblick in die Entwicklung, aus der schließlich Gießen und insbesondere die dortige Universität als wichtiges Zentrum des frühen Pietismus erwachsen wird. Der Streit um den Spenerfreund Christoph Philipp Zeise (Zeiß) in Hinter- pommern, der im Jahr 1689 als ein – weitgehend von Leipzig unabhängiger – Brennpunkt des pietistischen Streites ausgebrochen war, ist im Jahr 1690 zwar noch nicht zum Abschluß gekommen (Nr. 30, Z. 81 f), spielt aber in den vorliegenden Briefen kaum noch eine Rolle.

4. Der Hamburger Religionseid und die Bedeutung kirchlicher Bekenntnisse Die heftigen Auseinandersetzungen, die sich im Frühjahr 1690 im Hamburger Predigerministerium erheben, stehen nicht im direkten Zusammenhang mit den pietistischen Streitigkeiten, die seit dem Sommer 1689 von Leipzig aus- gegangen waren. Auslöser dafür ist das „Religions-Revers“, das der Senior Samuel Schultze im März des Jahres 1690 seinen Kollegen zur Unterschrift vorlegt. Hier werden zunächst ganz allgemein „Neuerer“ (novatores) und fal- sche Lehrmeinungen genannt, die gemeinsam bekämpft werden sollten. Im Anschluß werden nur Jakob Böhme und seine Lehren und der subtile und der krasse Chiliasmus konkret genannt. Beide Themen gehören zwar in gewisser Weise in das traditionelle Vorwurfsprofl gegen die Pietisten, stehen aber in Leipzig bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Pietisten. Erst durch Äußerungen des Ehepaares Petersen wird die Dis- kussion um den Chiliasmus befeuert. In Hamburg stehen dagegen die Spen- erfreunde Johann Heinrich Horb, Abraham Hinckelmann und Johann Winckler in der Kritik, die den chiliastischen Anschauungen gegenüber äu- ßerst zurückhaltend sind. Für Spener gewinnt die Hamburger Debatte ihre erste Bedeutung aus der sich ihm in diesem Zusammenhang ergebenden Frage, ob und in welchen konkreten Situationen Bekenntnisse bzw. Symbole verändert werden können und welche Voraussetzungen dazu nötig sind (Nr. 32 und 90). Eher beiläufg dagegen erwähnt er Böhme und den Chiliasmus (Nr. 32, Z. 57–61). Dieser Eindruck, der aus den Briefen gewonnen ist, entspricht auch dem Bedenken, das Spener zu dem Revers verfaßte. Darin macht er deutlich, daß Änderungen oder Erweiterungen der kirchlichen Bekenntnisse in die Verantwortung der Gesamtkirche gehören, nicht aber in die einzelner Kirchen (wie Hamburg). Erst recht kann keiner Einzelperson ein neues Bekenntnis zur Unterschrift Einleitung XXI vorgelegt werden, wie dies im Falle der Auseinandersetzung um den Regens- burger Böhmeanhänger Michael Püchler geschehen war (Nr. 65, Z. 45–114).

5. Briefe mit besonderen Themen Bestimmte Fragestellungen erscheinen in der Korrespondenz Speners über viele Jahre hinweg immer wieder: Beichte, Absolution und Teilnahme am Abendmahl (s. Sachregister). Dazu gehören auch seine Überlegungen zu Berufungen und Stellenbesetzungen (Nr. 18, Z. 25–31; Nr. 52; Nr. 79, Z. 247–251, u. ö.), Hinweise zur Durchführung des katechetischen Unter- richts (Nr. 116, Z. 99–116; Nr. 120, Z. 1–61, u. ö.), Trostschreiben, Rat- schläge zum Zölibat (Nr. 13, Z. 30–116), zu Heiratsfragen (Nr. 63, Z. 92–99; Nr. 105; Nr. 170) und zu anderen herausragenden Ereignissen des menschli- chen Lebens. Dies ist im vorliegenden Band nicht anders. Auf einige Themen, die sehr selten oder gar einmalig besprochen werden, sei hier jedoch exempla- risch hingewiesen. In Brief Nr. 141 behandelt Spener das Recht und die möglichen ethischen Grenzen des Versicherungswesens. Im gleichen Brief geht es um die Frage, ob Sektionen an menschlichen Leichnamen durchge- führt werden dürfen. Die Briefe Nr. 161 und Nr. 162 behandeln Christ‑ und Ruprechtsspiele, die zur damaligen Zeit in Sachsen von der kirchlichen und auch von der politischen Obrigkeit als Übel wahrgenommen wurden. In diesem Zusammenhang äußert sich Spener auch über die Statthaftigkeit und den Sinn von Weihnachtsgeschenken für Kinder (Nr. 162, Z. 114–128). Auf die Frage eines Amtsbruders, ob man als ernsthafter Christ Tabak anbauen und ihn genießen dürfe, verweist er in Brief Nr. 166 (Z. 59–96) auf einen ihm bekannten Tabakspinner, der ursprünglich Wirt war und aus Gewissens- gründen den Beruf wechselte. In diesem Zusammenhang betont Spener sogar den Gesundheitsaspekt des Rauchens, etwa in Situationen des Hungers. Tabak sei ebenso eine Schöpfung Gottes wie Wein und – in Maßen genossen – nicht verwerfich. An den Gebrauch beider legt er den Utilitaritätsmaßstab, der dann aber deutlich macht, wie schnell eine an sich erlaubte Verwendung zur Sünde werden kann. An der Musik von Spielleuten, die zum Tanz aufspielen (Nr. 132 u. Nr. 166, Z. 97–111), kann er jedoch gar nichts Nützliches fnden. Sie ist für ihn durch nichts anderes als durch Eitelkeit motiviert, die andernorts für Spener immer als Indiz für eine „unordentliche“ Selbstliebe gilt, die einem Christen nicht gebührt. Im Jahr 1690 kommt noch einmal der Bibelkommentar aus Lutherschriften auf Speners Agenda, der ihn schon seit den 1660-er Jahren beschäftigte (Nr. 17; Nr. 27, Z. 37–63). Erwähnenswert ist auch der Kontakt zu einem griechisch-orthodoxen Christen, der auf seiner Studienreise sowohl das Ehepaar Petersen in Lüneburg als auch Spener in Dresden aufsucht. Spener ist bemüht, von ihm etwas über die chiliastische Hofnung in der orthodoxen Kirche zu erfahren (Nr. 106, Z. 28–30). XXII Einleitung

In die drohende Auseinandersetzung zwischen Leipziger und Tübinger Theologen, in der der Kenosis-Krypsis-Streit aus dem Beginn des 17. Jahr- hunderts aufgenommen wird, versucht er durch Schreiben an seinen langjäh- rigen Korrespondenzpartner Johann Georg Kulpis schlichtend einzugreifen (Nr. 43 u. 102). Zum Schluß soll noch auf das Gutachten hingewiesen werden, das Spener zu dem Manuskript Samuel Pufendorfs erstellt, das erst postum im Jahr 1695 unter dem Titel „Jus feciale“ veröfentlicht wurde (Nr. 149). Das in den Consilia undatiert überlieferte Schreiben konnte jetzt erstmalig in seinen historischen Zusammenhang gebracht werden.

6. Politische Fragen Die Kriegsereignisse im Südwesten des Reiches hinterlassen weiterhin deutliche Spuren in der Korrespondenz Speners. Er bemüht sich um Men- schen, die an den Folgen der Auseinandersetzungen zu leiden haben. Die landesweite Kollekte, die er schon im Jahr 1689 für Leute in Rothenburg o.d.T. und Umgebung auf den Weg gebracht hatte, kann nun endgültig übersandt werden (Nr. 2 u. 14). Hilfsgaben von sächsischen Freunden und von ihm selbst werden nach Frankfurt a. M. vermittelt, von wo aus sie an Freunde weitergeleitet werden, die um ihr Hab und Gut gebracht worden sind (Nr. 11, Z. 76–78; Nr. 30, Z. 42–44; Nr. 46, Z. 44 f; Nr. 74, Z. 45–54 u. ö.). Nach wie vor werden – schriftlich und mündlich – Bitten von bedrängten evangelischen Schlesiern an ihn herangetragen (Nr. 5), die er an das schwe- dische Königshaus und den sächsischen Kurfürsten weiterleitet (Nr. 142; Nr. 143, Z. 22–92).

7. Korrespondenzpartner Mit Abstand der umfangreichste überlieferte Briefwechsel in diesen einein- halb Jahren ist derjenige mit Johann Wilhelm Petersen, ergänzt durch einen Brief an dessen Frau Johanna Eleonora. Die sieben Briefe an Speners Frank- furter Freundin Anna Elisabeth Kißner bieten wie schon in den Jahren vorher den intensivsten Einblick in das ganz persönliche und familiäre Leben Spe- ners. Dazu gehören auch die Briefe an seine Söhne Johann Jakob und Wil- helm Ludwig, die inzwischen das Elternhaus zum Studium verlassen haben. Der (in der LB Karlsruhe) überlieferte Bestand der Schreiben an Hermann von der Hardt bricht im Mai 1690 ab. Etliche langjährige Briefpartner (Jo- hann Fischer, Ahasver Fritsch, Johann Heinrich Hassel, Christian Kortholt, Elias Veiel u. a.) sind nur noch jeweils mit einem Schreiben vertreten. Dafür erscheinen die Namen von Personen, die teilweise in der folgenden Entwick- lung des Pietismus eine wichtige Rolle spielen (Paul Anton, Johann Christoph Bilefeld, Joachim Justus Breithaupt, Clemens Thieme, Johann Crasselius), als Einleitung XXIII

Briefpartner auf, aber auch prominente Gegenspieler Speners und des Pietis- mus (Daniel Hartnack, Samuel Schelwig). In Sachsen sind abgesehen von einer Reihe von Geistlichen, deren Namen nicht ermittelt werden konnten, Leipziger und Wittenberger Theologen (Jo- hannes Olearius, Johann Deutschmann) zu nennen. Als Spenerkorresponden- ten tauchen zudem der schon aus den Jahren vorher bekannte Plauener Dia- conus Christian Feustel und der Senior von Dippoldiswalde Johann Knauth auf, der Spener schon zu Beginn seiner Dresdner Amtszeit geschrieben hatte. Etliche Schreiben verfaßt Spener in seiner Funktion als Oberhofprediger (an Johann Wilhelm Hilliger, Johann Bartholomäus Freiesleben). Abgesehen von den Hofbeamten, die mit Speners Konfikt mit dem Kurfürsten und seinem Weggang nach Berlin zu tun haben (Hans Ernst von Knoche) ist an dieser Stelle auch der Hofkapellmeister Christian Bernhard zu nennen. Erstmals taucht der Name Christian Gerbers, des Lockwitzer Pfarrers, der durch seine pietistische Sammelbiografe und als Freund Speners bekannt ist, in den Briefen Speners auf, allerdings nicht als Korrespondenzpartner (Nr. 140, Z. 6). Wiederum fällt die Spanne der gesellschaftlichen Stellung seiner Korre- spondenten auf. Die schwedische Königin, weitere adlige Briefpartner (ab­ gesehen von der kursächsischen Familie sind Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar, die Äbtissin Anna Dorothea in Quedlinburg, Benigna von Solms-Laubach, Christine von Stolberg-Gedern und Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg zu erwähnen), aber auch einfache Handwerker wie der Leinweber Johann Hirsch in Fraustadt und eine Hofbedienstete, Frau Stamm, mit der er über etliche Jahre hinweg korrespondiert, gehören dazu. Schließlich darf Gottfried Wilhelm Leibniz nicht ungenannt bleiben, mit dem er sich über genealogische Fragen und über die Einschätzung zum Quietismus austauscht und ihm für die Unterstützung seines Sohnes Johann Jakob dankt, der Leibniz besucht hatte. * * * Das Modul „Briefe aus der Dresdner Zeit“ innerhalb der Edition der „Briefe Philipp Jakob Speners wird mit diesem Band abgeschlossen. In vier Bänden legt es die Schreiben aus der kurzen, nur fünf Jahre währenden, Amtszeit als Oberhofprediger in Dresden vor. Mit insgesamt 660 Briefen sind dies durch- schnittlich pro Jahr doppelt so viele Nummern wie in den bisher erschiene- nen fünf Bänden aus der Frankfurter Zeit von 1666–1681. Ursächlich dafür ist nicht nur die Tatsache, daß aus der Dresdner Zeit viel mehr Briefe über- liefert sind, sondern daß sich Speners Korrespondenz auch erkennbar ver- mehrt hat. Er ist nicht mehr nur der Senior einer Reichsstadt, der durch seine persönliche Wirksamkeit bekannt geworden ist, sondern der Oberhofprediger des sächsischen Kurfürstenhauses und damit Inhaber eines hervorragenden Amtes innerhalb der lutherischen Kirche. Die größere Nähe zu Universitäten, vornehmlich nach Leipzig, ermöglicht es, seine Vorstellung, nach der die Ver- besserung der evangelischen Kirche ihren Ursprung in der theologischen XXIV Einleitung

Ausbildung nehmen soll (s. Pia Desideria), besser umzusetzen. Dazu verhelfen freilich weniger die Professoren als der schon im Herbst 1686 entstandene Kontakt zu Magistern und Studenten der Universität. Die Dresdner Zeit Speners verschaft somit der pietistischen Erneuerungsbewegung einen Auf- schwung, der in dieser Weise in Frankfurt vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Für die Erforschung des Pietismus als sozial-, kirchen‑ und ideenge- schichtliches Phänomen ist diese Phase, die seiner Weiterentwicklung in Halle (Universität, Waisenhaus) und an anderen Orten vorausgeht, unerläß- lich. Die recht breit vorhandene Quellenlage ermöglicht es, diese Zeit besser zu erfassen und ihre grundlegende Bedeutung näher zu qualifzieren. Das Ende eines Moduls bietet nicht nur die Gelegenheit, sondern erfordert es auch, Briefe, die in den bisherigen Bänden nicht berücksichtigt wurden oder erst später von den Bearbeitern gefunden und wahrgenommen wurden, nachzutragen. Den grundsätzlichen Überlegungen zu Beginn des ganzen Pro- jektes entsprechend wurden Gutachten größtenteils nicht in die Edition auf- genommen. Leider läßt sich nicht immer exakt eine Unterscheidung zwi- schen Gutachten und gutachterlichem Brief trefen. Entscheidungen, die dazu bei den einzelnen Bänden getrofen wurden, bleiben bestehen und es werden keine weiteren Texte aufgenommen, die früher nicht berücksichtigt wurden. Als Nachtrag wären nur Briefe aufzunehmen, auf die die Bearbeiter erst später aufmerksam wurden. Dies trift in der Tat in einem Fall zu, nämlich bei dem Brief Speners an die Gräfn Christine von Stolberg-Gedern vom 27. 10. 1686. Da der letzte Band des Frankfurter Moduls Briefe des Jahres 1686 enthält, war zu überlegen, ob es ratsamer ist, den genannten Brief dem Dresdner Modul, in das er gehört, zuzuordnen, oder ihn zwar in das „falsche Modul“, dafür aber in die zeitliche Nähe seiner Abfassung zu setzen. Da nun ohnehin Briefe aus dem Jahr 1686, die sich bei der Erstellung des ersten Bandes der Dresdner Briefe nicht eindeutig in die Dresdner Zeit datieren ließen, im letzten Band der Frankfurter Briefe zu edieren sind, liegt es nahe, die Veröfentlichung des genannten Brief an die Gederner Gräfn für diesen Band vorzusehen. In der Einleitung des ersten Bandes der Spenerbriefedition wurde ange- kündigt, daß am Ende eines jeden Moduls ein Sachregister vorgelegt werde. Abgesehen von dem einbändigen Modul, das den Briefwechsel zwischen Spener und Francke ediert, kommt nun ein mehrbändiges Modul zu seinem Abschluß. Erstmals wird also ein solches Register, das mehrere Bände er- schließt, erfordert. Sachregister sind naturgemäß viel stärker subjektiv be- stimmt als Personen‑ und Ortsregister. Da der Quellenbestand zweisprachig ist und teilweise noch durch griechische Begrife ergänzt wird, sind jeweils die Äquivalente beider Sprachen zu berücksichtigen, wobei ins Register in der Regel nur der deutsche Begrif aufgenommen wird (Ausnahmen sind feste Termini wie „analogia fdei“ oder „opus operatum“ u. ä.). Hierbei ist ebenfalls zu beachten, daß lateinische Begrife unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen haben können, die eine Entscheidung nötig gemacht haben, Einleitung XXV an welcher Stelle im Sachregister sie zu notieren sind (z. B. „virtus“, das so- wohl „Tüchtigkeit, Tauglichkeit, [innere] Fähigkeit“ als auch „Tugend“ hei- ßen kann). Wichtige Stichworte sind häufg noch durch Unterbegrife unter- teilt. Neben der Orientierung an den Lemmata fnden sich auch „systematische“ Schlagworte („Familie Spener“, „Reisen“, „Publikationen“ u. ä.) (Weiteres s. S. 798 zum Register „Sachen“). Eine weitere Ergänzung zur sachlichen Auf- schlüsselung der Quellen bieten die Hinweise in den Einleitungen der ein- zelnen Bände.

Klaus vom Orde

Abkürzungen und Siglen

A Abfertigung A., Ao. Anno A. N. C. Anno Nativitatis Christi a.s., A. S. Alter Stil (Kalender) A. T. Altes Testament aaO am angegebenen Ort Abb. Abbildung abgedr. abgedruckt accept. acceptum Adm.R. T. D. Admodum Reverenda Tua Dignitas AFSt Archiv der Franckeschen Stiftungen (Halle a.S.) Ampl., Ampliss. Amplissimus Amplit. Amplitudo Anm. Anmerkung ao. Außerordentlich(er) Apol Apologie (s. BSLK im Literatur- und Quellenverzeichnis) Art. Artikel ASm Articuli Smalcaldici (s. BSLK im Literatur- und Quellenverzeichnis) Auf. Aufage Ausg. Ausgabe

B. Beatus, Baro(n) Bd., Bde. Band, Bände bearb. bearbeitet begr. begraben ber. berufen bes. besonders Bl. Blatt BS Bibliotheca Speneriana (s. im Literatur- und Quellenverzeichnis) BSB Bayerische Staatsbibliothek (München) bzw. beziehungsweise

C., Cap. Capitulum CA Confessio Augustana (s. BSLK im Literatur- und Quellenverzeichnis) ca. circa Celeb. Celeberrimus christl. christlich(e, er) churf. churfürstlich(e, er) churfürstl. churfürstlich(e, er) cj conjectura, Konjektur XXVIII Abkürzungen und Siglen

Cl. Clarissimus, Claritas Clariss. Clarissimus

D Druck d. der, die, das, dies D. Doktor, Dominus d. h. das heißt d. Ä. der Ältere D. D. Doctores, Dominus Doctor d.i. das ist d. J. der Jüngere d.v., D.v. Deo volente ders. Derselbe Deus Opt. Max. Deus Optimus Maximus dies. Dieselbe Dign. Dignitas Diss. Dissertation Dn. Dominus Dr. Doktor Drlt., Durchl. Durchlaucht[igkeit]

E Entwurf EG Evangelisches Gesangbuch e(t)c. et cetera (und so weiter) E. Euer, Eure e. g. exempli gratia ebd. Ebenda emerit. emeritiert Epit. Epitome (s. BSLK im Literatur- und Quellenverzeichnis) evt. eventuell Ew. Euer, Eure (Ewer, Ewre) ex.gr. exempli gratia Exc. Excellenz, Excellentia f, f folgende, fortfolgende f. feria, folium FB Forschungsbibliothek FC Formula Concordiae (s. BSLK im Literatur‑ und Quellenverzeichnis) fr., frl., freundl. freundlich Frhr. Freiherr FS Festschrift Fürstl. fürstlich

Gden., Gd., Gn. Gnaden gdst. gnädigst(e, er) geb. geboren gedr. gedruckt gel. geliebt(e, er) gest. gestreng(er, e), gestorben get. getauft gräf. gräfich grg. großgönstig(er) GStA Geheimes Staatsarchiv (Berlin) Abkürzungen und Siglen XXIX

H. Herr, Heilig h.e. hoc est HAAB Herzogin Anna Amalia Bibliothek (Weimar) HAB Herzog August Bibliothek (Wolfenbüttel) Habil. Habilitation HBFSt Hauptbibliothek der Franckeschen Stiftungen (Halle a.S.) Heil. Heilig(er, e) Hg. Herausgeber hg. v. herausgegeben von HH. Herren Hochf., Hochf. hochfürstlich(er, e) Hochg., Hochgr., hochgräfich(er, e), Hochgeehrt(er, e) Hochgrl. Hr., Hrn. Herr(n) hs., handschr. handschriftlich HSA Hauptstaatsarchiv

I. Ihre, Ihro i. e. id est ICtus IurisConsultus Ihr., I. Ihre, Ihro Ill. Illustrissimus immatr. immatrikuliert ISG Institut für Stadtgeschichte (Frankfurt a. M.) iur. iuris

J., Jungf., Jgf. Jungfer Jh., Jhd. Jahrhundert

K Kopie Kal. Kalendae (‑is) KB Königliche Bibliothek

L. Liber, Licentiatus LA Landesarchiv LB Landesbibliothek Lib. liber Lic. Licentiatus Lit. Literatur LKA Landeskirchliches Archiv LP Leichpredigt LXX Septuaginta (griechische Übersetzung des Alten Testaments)

M., Mag. Magister M. D. Medicinae Doctor m.f.w. mit ferneren Worten M. R. E. V. Maxime Reverenda Excellentia Vestra Mag. Magister Magnif. Magnifcentia, Magnifcus Majest. Majestät masch. maschinenschriftlich Max. Rev. Maxime Reverendus med. medicinae XXX Abkürzungen und Siglen

MhH Mein hochgeehrter Herr, Meine hochgeehrten Herren Mppria Manu propria Ms. Manuskript MSS. Manuscripta myth. mythologisch

N. Nomen (anonymisierter Name), Numero N. N. Nomen nescio/ nominandum (anonymisierter Name) N. S., n.s. Neuer Stil (Kalender) N. T. Neues Testament, Novum Testamentum NB Nota bene Ndr. Neudruck, Nachdruck neubearb. neubearbeitet(e) NF Neue Folge Nobil(iss.) Nobilissimus(a) Non. Nonae Nr. Nummer o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort o.Prof. ordentlicher Professor ord. ordentlich(er) p. pagina, perge P. Pars, Pater p.m. patrum memoria, piae memoriae, post mortem P. S. Postscriptum Par und Parallelstelle(n) Pl.(Plur.) R. Plurimum Reverendus Pl.(Plur.) R. E. V. Plurimum Reverenda Excellentia Vestra Pl.(Plur.) Rev.T.Clarit. Plurimum Reverenda Tua Claritas Pl.(Plur.) Rev.T.Verit. Plurimum Reverenda Tua Veritas pr., prid. Pridie Praecl. Praeclarissimus Prof. Professor propr. Propridie Ps. Pseudonym r recto R Regest resp. responditur Rev. Reverendus s. siehe S. Sacer, Sanctus, Seite S. J. Societas Jesu s.n. sub nomine s. o. siehe oben s. u. siehe unten s. v. sub voce SächsHStA Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden SB Staatsbibliothek SBPrKB Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Berlin) Abkürzungen und Siglen XXXI sc., scil. scilicet Scrib. Scribebam SD Solida Declaratio (s. BSLK im Literatur- und Quellenverzeichnis) Sect./sect. Sectio sen. Senior seq. sequens, sequentes sess. Sessio SLB Staats‑ und Landesbibliothek SLUB Staats‑ Landes‑ und Universitätsbibliothek (Dresden) Sp. Spalte sq. sequens, sequentes Sr. Seiner SS. Sacrosanctus, Sanctissimus SStB Staats‑ und Stadtbibliothek StA Staatsarchiv, Stadtarchiv StB Stadtbibliothek StUB Stadt‑ und Universitätsbibliothek stud. studens, studiosus studiosiss. studiosissimus SUB Staats‑ und Universitätsbibliothek Superint. Superintendent

T. Tuus, Tomus Th. Theil, Theologia Th.D. Theologiae Doctor theol. theologiae Tit. (consu.) Titulus (consuetus) Tlr. (Reichs‑)Taler u. und u. a. unter anderem, und andere u.d.T. unter dem Titel u. ö. und öfter UB Universitätsbibliothek ULB Universitäts‑ und Landesbibliothek unterth. unterthänigst(er, e) usw. und so weiter v verso v. von, versus V. Ve r s v.c. verbi causa v.g. verbi gratia V. T. Vetus Testamentum Vener. Venerandus verabsch. verabschiedet verb. verbessert(e) verh. verheiratet verm. vermehrt(e) verw. verwitwet vgl. vergleiche vh vorhanden (in) virt. virtus, virtutes XXXII Abkürzungen und Siglen

VV. Viri, Virorum, Viris, Viros

Z. Zeile z. B. zum Beispiel

Nicht berücksichtigt sind die Signaturen der Archive und Bibliotheken. Zu den römischen Datumsangaben s. Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 1–2, Hannover 1891 und 1892–98 (Ndr. Aalen 1984) oder ders., Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 12. Auf., Hannover 1982. Die Abkürzungen der biblischen Bücher entsprechen denen des Lexikons Religion in Geschichte und Gegenwart, 4.Auf., Tübingen 1998–2007. Zu den Abkürzungen der Zeitschriften und Reihen s. Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin – New York 1992 (= Theo- logische Realenzyklopadie [TRE]. Abkürzungsverzeichnis, 1994). Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

ABF = Archives biographiques française (Microfche-Edition), München u. a. 1988–1991; dazu Index Biographique Française, Bd. 1–4, München u. a. 1993. – Genannt sind jeweils Nr. des Microfche und der Aufnahme(n). Ad Rech 1 = Philippi Jacobi Speneri Epistolae CCCXLIX ad Adamum Rechenbergium ab A. 1686 ad A. 1691, in: UB Leipzig, Cod. Ms 0037. ADB = Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1–56, Leipzig 1875–1912 (Ndr. Berlin 1967– 1971). Aland, Spener-Studien = Aland, Kurt, Spener-Studien (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus I), Berlin 1943. Albrecht, Petersen = Johanna Eleonora Petersen. Theologische Schriftsellerin des frühen Pietismus (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 45), Göttingen 2005. Altenburger Ausgabe = Der Erste (‑zehnte) Theil aller Deutschen Bücher und Schriften des theuren / seeligen Mannes Gottes / Doct. Martini Lutheri, Altenburg 1661–1664. APfB = Wiedemann, Hans, Augsburger Pfarrerbuch. Die evangelischen Geistlichen der Reichs- stadt Augsburg 1524–1806, Nürnberg 1962 (EKGB, Bd. 38). Arends = Arends, Otto Fr., Gejstligheden i Slesvig og Holsten fra Reformationen til 1864, Bd. 1–3, Kopenhagen 1932. Arnold, UKKH = Arnold, Gottfried, Unpartheyische Kirchen‑ und Ketzer-Historie, Frankfurt a. M. 1729 (Nachdruck: Hildesheim 2008). – Genannt ist auch die in allen Aufagen überein- stimmende Kapiteleinteilung. Battonn = Battonn, Johann Georg, Örtliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main, Bd. 1–7, Frankfurt a. M. 1861–1875. Bauer, Ev. Theologen = Bauer, Martin, Evangelische Theologen in und um Erfurt im 16. bis 18. Jahrhundert. Beiträge zur Personen‑ und Familiengeschichte Thüringens, Neustadt a. d. Aisch 1992 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye der Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung, Bd. 22). Bauks = Bauks, Friedrich Wilhelm, Die evangelischen Pfarrer in Westfalen von der Reformation bis 1945, Bielefeld 1980 (BWKG, Bd. 4). BBKL = Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, hg. v. Friedrich Wilhelm und Traugott Bautz, Bd. 1f, Hamm u. Herzberg 1975 f. Bed. = Spener, Philipp Jakob, Theologische Bedencken und andere Briefiche Antworten, Teil 1–4, Halle a. S. 1700–1702 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. XI.1–XIV.2, Hildesheim 1999) (21707–1709; 31712–1715). Benzing, Drucker = Benzing, Josef, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, 2., verb. u. erg. Auf., Wiesbaden 1982 (Beiträge zum Buch‑ und Bibliotheks- wesen, Bd. 12). Benzing, Verleger = Benzing, Josef, Die deutschen Verleger des 16. und 17. Jahrhunderts. Eine Neubearbeitung, in: AGB 18, 1977, Sp. 1077–1322. Bertram, Das Evangelische Lüneburg = Bertram, Johann Georg, Das Evangelische Lüneburg: Oder Reformations‑ und Kirchen-Historie, Der Alt-berühmten Stadt Lüneburg …, Braunschweig 1719. XXXIV Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

Beste, Kirchengeschichte = Beste, Johannes, Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche von der Reformation bis auf unsere Tage, Wolfenbüttel 1889. Bibliotheca Speneriana (BS) = Bibliotheca Libros Theologico-Philosophico-Philologico-Histo- rico-Medico-Miscellaneos … continens, in aedibus Spenerianis … Praesenti pecunia pluris licitantibus cedet, Berlin [1709]. Bircher = Bircher, Martin, Deutsche Drucke des Barock 1600–1720 in der Herzog August Biblio- thek Wolfenbüttel, [wechselnde Verlagsorte]. Abt. A: Bibliotheca Augusta, Bd. 1–15, 1977–1996. Abt. B: Mittlere Aufstellung, Bd. 1–20, 1982–1992. Abt. C: Helmstedter Bestände, Bd. 1–6, 1983–1989. – Genannt wird jeweils die laufende Nr. innerhalb einer Abteilung. Bittner/Gross = Bittner, Ludwig u. Lothar Gross, Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden (1648), Bd. 1: 1648–1715, Oldenburg 1936 (Nach- druck: Walluf-Nendeln 1976). Biundo = Biundo, Georg, Die evangelischen Geistlichen der Pfalz seit der Reformation (Pfäl- zisches Pfarrerbuch), Neustadt a. d. Aisch 1968 (Genealogie und Landesgeschichte, Bd. 15). Blaufuß, Pietismus-Forschungen = Blaufuß, Dietrich [Hg.], Zu Philipp Jacob Spener und zum spiritualistisch-radikalpietistischen Umfeld, Frankfurt a. M. u. a. 1986 (Europäische Hoch- schulschriften XXIII/290). Blaufuß, Reichsstadt = Blaufuß, Dietrich, Reichsstadt und Pietismus – Philipp Jacob Spener und Gottlieb Spizel aus Augsburg, Neustadt a. d. Aisch 1977 (EKGB, Bd. 53). Bopp, Geistliche = Bopp, Marie-Joseph, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt a. d. Aisch 1959 (Genea- logie und Landesgeschichte, Bd. 1). Bräuning-Oktavio = Bräuning-Oktavio, Hermann, Aus Briefen Philipp Jacob Speners an den Grafen Johann Friedrich von Solms-Laubach, in: Ich dien. FS für Wilhelm Diehl, hg. von Hans v. d. Au u. a., Darmstadt 1931, 179–195. Brecht, Spener = Brecht, Martin, Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: GdP 1, 279–389. Bruckner = Bruckner, John, A Bibliographical Catalogue of seventeenth-century German Books published in Holland, Den Haag u. Paris 1971 (Anglica Germanica, Bd. 13). Bruhn, Kandidaten = Bruhn, Hans, Die Kandidaten der hamburgischen Kirche von 1654 bis 1825. Hamburg 1963 (Die hamburgische Kirche und ihre Geistlichen seit der Reformation, Bd. 3). BS s. Bibliotheca Speneriana. BSLK = Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 1967 (1998). BWPfB = Baden-Württembergisches Pfarrerbuch, Bd. I.1–2: Kraichgau-Odenwald, bearb. von Max-Adolf Cramer, Karlsruhe 1979–1988. Bd. II.1–2: Württembergisch Franken, bearb. von Max-Adolf Cramer u. Otto Haug, Stuttgart 1981 / 1985. Bd. III: Innerwürttembergische Reichsstädte, bearb. von Max-Adolf Cramer, Stuttgart 1991. Cons. = Spener, Philipp Jakob, Consilia et Iudicia Theologica Latina, Bd. 1–3, Frankfurt a. M. 1709 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. XVI.1–2, Hildesheim u. a. 1989). CR = Corpus Reformatorum, hg. von Karl Gottlieb Bretschneider u. a., Bd. 1–101, Halle u. a., 1834–1991. Dannhauer, Catechismusmilch = Dannhauer, Johann Conrad, Catechismusmilch, Oder Der Er- klärung des Christlichen Catechismi, Teil 1–10, Straßburg 1642–1673. Dannhauer, Hodosophia = Dannhauer, Johann Conrad, Hodosophia Christiana seu Theologia Positiva in certam, plenam et cohaerentem methodum redacta, Ordinariis ac publicis dis- sertationibus Argentorati proposita, Straßburg 1649 (2. Auf. 1666, die von Spener meist benutzt wird). Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen XXXV

Dannheimer = Dannheimer, Wilhelm u. Wilhelm Zahn, Ritterschaftliches Pfarrerbuch Franken, bearb. von Georg Kuhr, Neustadt a. d. Aisch 1979 (EKGB 58). Das Haus Württemberg = Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, hg. v. S. Lorenz u. a., Stuttgart 1997. DBA = Deutsches Biographisches Archiv, Reihe I-III, München u. a. 1982–2002 (Microfche- Edition). – Genannt werden jeweils die Nr. des Fiche und der Aufnahme(n). DBE = Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walter Killy und Rudolf Vierhaus, 12 Bände, 2. überarb. Auf. München und Leipzig 2005–2008. DBF = Dictionnaire de biographie française, Bd. 1f, Paris 1933 f. DBL = Dansk Biografsk Leksikon, Kopenhagen, 3., überarb. Auf., Bd. 1–12, Kopenhagen 1979–1984. Dechent = Dechent, Hermann, Kirchengeschichte von Frankfurt a. M. seit der Reformation, Bd. 2, Leipzig und Frankfurt a. M. 1921. Deppermann, Schütz = Deppermann, Andreas, Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietis- mus, Tübingen 2002 (BHTh, Bd. 119). Denzinger = Denzinger, Heinrich, Hünermann, Peter, Enchiridion symbolorum defnitionum et declarationum de rebus fdei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Lateinisch-deutsch, 37. Auf., Freiburg u. a. 1991. Diehl, Hassia Sacra = Diehl, Wilhelm, Hassia Sacra (Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen): Bd. 1: Hessen-darmstädtisches Pfarrer‑ und Schulmeister-Buch, Friedberg 1921. Bd. 4: Pfarrer‑ und Schulmeisterbuch für die hessen-darmstädtischen Souveränitätslande, Darmstadt 1930. Dietmann, Priesterschaft = Dietmann, Karl Gottlob, Die gesamte der ungeänderten Augspurgischen Confession zugethane Priesterschaft in dem Churfürstentum Sachsen und denen einver- leibten Landen, Bd. 1–5, Dresden u. Leipzig 1752–1763. Dietz, Bürgerbuch = Dietz, Alexander, Frankfurter Bürgerbuch. Geschichtliche Mittheilungen über 600 bekannte Frankfurter Familien aus der Zeit vor 1806, Frankfurt a. M. 1897. Dietz, Handelsgeschichte = Dietz, Alexander, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 1–4.2, Frankfurt a. M. 1910–1925 (Nachdruck: Glashütten 1970). DLL = Deutsches Literaturlexikon. Biographisches und bibliographisches Handbuch, begr. von Wilhelm Kosch, hg. von Heinz Rupp, 3. völlig neu bearb. Auf., Bern 1968–1999. DNB = The Dictionary of National Biography, Bd. 1–22 (Ndr. von Bd. 1–66, 1885–1901), Oxford [1959f]. Dölemeyer = Dölemeyer, Barbara, Frankfurter Juristen im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1993 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 60). Dresdner Briefe = Spener, Philipp Jakob, Briefe aus der Dresdner Zeit, 1686–1691, hg. von Jo- hannes Wallmann, Bd. 1f, Tübingen 2003 f. Dünnhaupt = Dünnhaupt, Gerhard, Personalbibliographien zu den Drucken des Barock, 2. verb. u. wesentl. verm. Auf. des bibliographischen Handbuches der Barockliteratur, Bd. 1–6, Stutt- gart 1990–1993. DWB = Deutsches Wörterbuch, begr. von Jakob und Wilhelm Grimm, Bd. 1–16, Leipzig 1854–1954 und Quellenverzeichnis 1971 (Nachdruck in 33 Bde. München 1984). EGS = Spener, Philipp Jakob, Erste Geistliche Schriften, Theil 1 u. 2, Frankfurt a. M. 1699 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd.XIV.1.1–2 u. 2, Hildesheim u. a. 2002). Erdmannsdörfer = Erdmannsdörfer, Bernhard, Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrich’s des Großen 1648–1740, Bd. 1–2, Berlin 1892–1893 (Allgemeine Darstellungen in Einzeldarstellungen III.7) (Nachdruck: Darmstadt 1974). Erler = Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, hg. v. Georg Erler, Bd. 1–3, Leipzig 1909. ETP = Edition Pietismustexte, Leipzig 2010 f. Europäische Stammtafeln NF = Schwennicke, Detlev (Hg.), Europäische Stammtafeln. Neue Folge, Bd. 1f, Marburg 1980 f. XXXVI Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

Fischer, Pfarrerbuch = Fischer, Otto, Evangelisches Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg, Bd. 1–2.2, Berlin 1941. Fischer-Tümpel = Fischer, Albert, Tümpel, Wilhelm, Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Bd. 1–6, Gütersloh 1904–1916 (Nachdruck: Hildesheim u. a. 1964). Francke-Briefwechsel = Spener, Philipp Jakob, Briefwechsel mit August Hermann Francke 1689– 1704, hg. von Johannes Wallmann und Udo Sträter, Tübingen 2006. Francke, Streitschriften = Francke, August Hermann, Streitschriften, hg. von Erhard Peschke, Berlin, New York 1981 (Texte zur Geschichte des Pietismus II.1). Frankfurter Briefe = Spener, Philipp Jakob, Briefe aus der Frankfurter Zeit, 1666–1681, hg. von Johannes Wallmann, Bd. 1f, Tübingen 1992 f. Fritz, Konventikel = Fritz, Friedrich, Konventikel in Württemberg von der Reformation bis zum Edikt von 1743, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 50, 1950, 65–121. GdP = Geschichte des Pietismus hg. im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus von Martin Brecht, Klaus Deppermann, Ulrich Gäbler u. Hartmut Lehmann, Bd. 1–4, Göttingen 1993–2004. Gedicke, Decas = Gedicke, Friedrich, Epistolarum Selectissimarum Leibnitii, Schurtzfeischii, Thomasii, Schilteri, Sebast. Schmidii, Iobi Ludolphi, Ioh. Buxtorfi, Clodii et Molani Decas, Berlin 1745. Gefcken = Gefcken, Johannes, Johann Winckler und die Hamburgische Kirche in seiner Zeit (1684–1705), Hamburg 1861. Georges = Georges, Karl Ernst, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 8. Auf. Hannover 1913/1918 [Reprint: Darmstadt 1998]. Gerber, Historie = Gerber, Christian, Historia derer Wiedergebohrnen in Sachsen, Oder Exempel solcher Personen, mit denen sich im Leben, oder im Tode viel merckwürdiges zugetragen; Als Continuation Von M. Bruno Quinos, weil. Pred. in Zittau Disce Mori, Oder Sterbe=​ Kunst, Sowohl aus gewissen Urkunden, als eigener Erfahrung gesammlet, Bd. 1–4, Dresden 1725–1729. Gerhard, Loci (ed. Preuss) = Gerhard, Johann, Loci Theologici, hg. v. E. Preuss, Bd. 1–9, Berlin 1863–1870. – Genannt ist nach Band und Seite in Klammern auch jeweils die Nr. von Locus, Paragraph und Kapitel. Gierl, Pietismus und Aufklärung = Gierl, Martin, Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts (Veröfent- lichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 129), Göttingen 1997. Gleich, Annales = Gleich, Johann Andreas, Annales ecclesiastici, Erster bis Dritter Teil, Dresden und Leipzig 1730. Grotefend = Grotefend, Hermann, Taschenbuch der Zeitrechung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Hannover 1991. Grün, Speners soziale Leistungen = Grün, Willi, Speners soziale Leistungen und Gedanken. Ein Beitrag zur Geschichte des Armenwesens und des kirchlichen Pietismus in Frankfurt a. M. und in Brandenburg-Preußen, Würzburg 1934. Grünberg = Grünberg, Paul, Philipp Jakob Spener, Bd. 1–3, Göttingen 1893–1906 (Nachdruck: Spener, Schriften. Sonderreihe, Bd. I.1–3, Hildesheim 1988). Grünberg Nr. = [bezieht sich auf:] Spener-Bibliographie, in: P. Grünberg, Philipp Jakob Spener, Bd. 3, Göttingen 1906, S. 205–388. Grünberg, Pfarrerbuch = Grünberg, Reinhold, Sächsisches Pfarrerbuch. Die Parochien und Pfarrer der Ev.-luth. Landeskirche Sachsens (1539–1939), Bd. 1–2.2, Freiberg i. Sa. 1939/40. Habel/Gröbel = Habel, Edwin, Gröbel, Friedrich (Hgg.), Mittellateinisches Glossar, Paderborn 1989; unv. Nachdruck 2008. Halfmann = Halfmann, Wihelm, Christian Kortholt. Ein Bild aus der Theologie und Frömmig- keit im Ausgang des orthodoxen Zeitalters, Kiel 1930. Harraeus = Harraeus, Karl, Beiträge zur Geschichte der Familie Spener, München 1973. Hartmann, Horb = Hartmann, Frank, Johann Heinrich Horb (1645–1695). Leben und Werk bis zum Beginn der Hamburger pietistischen Streitigkeiten 1693, Halle und Tübingen 2004. Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen XXXVII

Haupt, Chronik = Chronik der Universität Gießen, in: Universität Gießen, Bd. 1, S. 367–409. Hein/Junghans, Professoren = Hein, Markus, Junghans, Helmer, Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009, Leipzig 2009. Henckel, Letzte Stunden = Henckel, Erdmann Heinrich Graf, Die letzten Stunden einiger Der Evangelischen Lehre zugethanen und in diesem nechst verfossenen Jahren selig in dem HERRN Verstorbenen Personen, Von unterschiedenem Stande, Geschlecht und Alter, Zum Lobe GOttes und zu allgemeiner Erweckung, Erbauung und Stärckung so wol derer ietzo lebenden, als der Nachkommen Aus gewissen und wohlgeprüften Nachrichten zusammen getragen, Bd. 1–4, Halle (einige Bände mehrere Aufagen) 1722–1733. Heyden = Heyden, H., Die evangelischen Geistlichen des ehemaligen Regierungsbezirkes Stralsund. Die Synoden -Land, Greifswald-Stadt, Greifswald 1964. Heyne, Feldzüge = Heyne, Erwin, Die Feldzüge der kursächsischen Armee gegen Frankreich in den Jahren 1688 bis 1690, Halle a.S. 1914. Illgen = Illgen, Christian Friedrich, Historiae Collegii Philobiblici Lipsiensis Pars 1–4, Leipzig 1836–1841. Jaumann = Jaumann, Herbert, Handbuch der Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Bio- bibliographisches Repertorium, Berlin 2004. Jensen = Jensen, Wilhelm, Die hamburgische Kirche und ihre Geistlichen seit der Reformation, Hamburg 1958. Jöcher (EB) = Jöcher, Christian Gottlieb, Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Bd. 1–4, Leipzig 1750–1751 (Nachdruck: Hildesheim 1960–1961); Ergänzungsbände 1–7 (hg. von Johann Christoph Adelung, fortges. von Heinrich Wilhelm Rotermund), Leipzig 1784–1897 (Nach- druck: Hildesheim 1960–1961). Kallmorgen = Kallmorgen, Wilhelm, Siebenhundert Jahre Heilkunde in Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1936 (Veröfentlichungen der historischen Kommission der Stadt Frankfurt am Main, Bd. 11). KGS = Spener, Philipp Jakob, Kleine Geistliche Schriften, hg. von Johann Adam Steinmetz, Teil 1–2, Magdeburg u. Leipzig 1741–1742 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IX.1–2, Hildesheim u. a. 2000). Kirn, Leipziger Fakultät = Kirn, Otto, Die Leipziger theologische Fakultät in fünf Jahrhunderten 1409–1909, Leipzig 1909. Kneschke = Neues allgemeines Deutsches Adels=Lexicon, hg. von Ernst Heinrich Kneschke, Bd. 1–9, Leipzig 1859–1870 (Nachdruck: Leipzig 1929–1930). Koch, Kirchenlied = Koch, Eduard Emil, Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche, 8 Teile, 3. Auf., Stuttgart 1866–1876. Kohlenbusch/Aschkewitz = Kohlenbusch, Lorenz, Aschkewitz, Max, Pfarrerbuch der evang. unierten Kirchengemeinschaft („Hanauer Union“) im Gebiet der Landeskirche in Hessen- Kassel, Darmstadt 1938. Köhler, Anfänge = Köhler, Walther, Die Anfänge des Pietismus in Gießen 1689–1695, in: Univer- sität Gießen, Bd. 2, S. 133–244. Kolb, Anfänge = Kolb, Christoph, Die Anfänge des Pietismus und Separatismus in Württemberg, Stuttgart 1902. Köpke, Dialogus = Köpke, Balthasar, Dialogus de Templo Salomonis, In quo Praeter alia eximia et profectui In Christianismo Utilia, Inprimis Incipientium, Adolescentium & Adultorum in Christo communia et distincta ofcia, pericula, impedimenta & adminicula dilucide exponuntur, Leipzig: R. Wächtler 1688. Körner = Körner, Hans, Frankfurter Patrizier. Historisch-Genealogisches Handbuch der Adeligen Ganerbschaft des Hauses Alten-Limpurg zu Frankfurt a. M., München 1971. Kramer, Francke = Kramer, Gustav, August Hermann Francke. Ein Lebensbild, T. 1–2, Halle a. S. 1880–1882 (Nachdruck: Hildesheim u. a. 2004). Kramer, Beiträge = Kramer, Gustav, Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s. ent- haltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s. Halle a.d.S. 1861. XXXVIII Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

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Noack / Splett, Mark Brandenburg = Noack, Lothar, Splett, Jürgen, Bio‑ Bibliographien. Branden- burgische Gelehrte der frühen Neuzeit. Mark Brandenburg 1640–1688, Berlin 2001. NürnPfB = Simon, Matthias, Nürnbergisches Pfarrerbuch. Die evangelisch-lutherische Geist- lichkeit der Reichsstadt Nürnberg und ihres Gebietes 1524–1806, Nürnberg 1965 (EKGB, Bd. 41). Orbis latinus = Graesse, Johann Georg Theodor; Benedict Friedrich, bearb. und hg. von Helmut Plechl, Orbis latinus. Lexikon lateinischer geographischer Namen des Mittelalters und der Neuzeit. Großausgabe, Braunschweig 1972. vom Orde, Beginn = vom Orde, Klaus, Der Beginn der pietistischen Unruhen in Leipzig im Jahr 1689, in: Hp. Marti u. D. Döring (Hgg.), Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680–1780, Basel 2004, 359–378. vom Orde, Gutachtertätigkeit = Zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Kirche Christi. Philipp Jakob Speners Gutachtertätigkeit bei der Neubesetzung der Hofpredigerstelle in Hessen- Darmstadt im Jahr 1687, in: Pietismus und Neuzeit, Bd. 21, 1995, 104–130. vom Orde, Quietismus = vom Orde, Klaus, Der Quietismus Miguel de Molinos’ bei Philipp Jakob Spener, in: H. Lehmann u. a. (Hgg.), Jansenismus, Quietismus, Pietismus, Göttingen 2002, (AGP 42), 106–118. Otto, Sprichwörter = Otto, August, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1892 (Nachdruck: Hildesheim 1988). Otto, Sprichwörter, Nachträge = Nachträge zu A. Otto, Sprichwörter und sprichwörtliche Redens- arten der Römer, eingeleitet und mit einem Register herausgegeben von Reinhard Häußler, Hildesheim 1968. Ottow / Lenz = Die evangelischen Prediger Livlands bis 1918, begonnen von Paul Baerent, hg. von Martin Ottow und Wilhelm Lenz, Köln und Wien 1977. Pape = Pape, Wilhelm, Griechisch-deutsches Wörterbuch, 2 Bände, 3. Auf. Braunschweig 1880. PD = Spener, Philipp Jacob, Pia Desideria, hg. v. Kurt Aland, Berlin 1964 (Kleine Texte für Vor- lesungen und Übungen, Bd. 170). Petersen, Leben = Das Leben Jo. Wilhelm Petersen […] Als Zeugens der warheit Christi und seines Reiches, nach seiner grossen Oeconomie in der Wiederbringung aller Dinge, Halle 1717 (Lebens=Beschreibung Johannis Wilhelmi Petersen, […] Die zweyte Edition […] mit einer neuen Vorrede vermehret; Auch […] ein Catalogus aller meiner gedruckten und noch ungedruckten Schriften angefüget, Hannover 1719). PfBKPS = Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen 1–8, hg. vom Verein für Pfarrerinnen und Pfarrer der Kirchenprovinz Sachsen e.V., Leipzig 2003–2008. Pufendorf, Briefwechsel = Pufendorf, Samuel, Gesammelte Werke, hg. von W. Schmidt-Biggemann, Bd. 1: Briefwechsel, hg. von Detlef Döring, Berlin 1996. Predigtkatalog = Vollständiger Catalogus Aller dererjenigen Predigten, Welche von Hn. D. Phil- ipp Jacob Spenern … sind gehalten worden, Leipzig 1715 (Nachdruck: Spener, Schriften. Sonderreihe, Bd. II, Hildesheim 1999). Ranft, Gottesgelehrte = Ranft, Michael, Leben und Schriften aller Chur-Sächsischen Gottes- gelehrten, die mit der Doctor-Würde gepranget und in diesem jetztlaufenden Jahrhundert das Zeitliche gesegnet, mit glaubwürdiger und unpartheyischer Feder in zwey Theilen nach Alphabetischer Ordnung und Fleiß beschrieben, Leipzig 1742. Ranieri = Ranieri, Filippo, Biographisches Repertorium der Juristen im Alten Reich, 16.–18. Jahr- hundert, Bd. D, Frankfurt a. M. 1990. RE 3 = Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. verb. u. verm. Aufage, Bd. 1–24, Leipzig 1896–1913. Rech ad Spener = Epistolae Adam Rechenbergii ad Phil. Jac. Spenerum, in: UB Leipzig, Cod. Ms 0336. Reitz, Historie = Reitz, Johann Heinrich, Historie der Wiedergebohrnen, oder Exempel gott- seliger […] Christen, Teil 1–3 (1698–1701), hg. Hans-Jürgen Schrader, Tübingen 1982. (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock, 29). XL Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

RGG4 = Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. neubearb. Aufage, Bd. 1–8 u. Register, Tübingen 1998–2007. Ritschl, Pietismus = Ritschl, Albrecht, Geschichte des Pietismus, Bd. 1–3, Bonn 180–1886 (Nach- druck: Berlin 1966). Rosenkranz = Rosenkranz, Albert, Das evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde‑ und Pfarrerbuch, Bd. 1–2, Düsseldorf 1956–1958 (SVRKG , Bd. 3 u. 7). Roth = Roth, Fritz, Restlose Auswertung von Leichenpredigten und Personalschriften für genealogische Zwecke, Bd. 1–10, Boppard 1959–1980. Rückleben = Rückleben, Hermann, Die Niederwerfung der hamburgischen Ratsgewalt. Kirchli- che Bewegungen und bürgerliche Unruhen im ausgehenden 17. Jahrhundert, Hamburg 1970 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs, Bd. 2). Sachsse = Sachsse, Eugen, Ursprung und Wesen des Pietismus, Wiesbaden 1884. SBL = Svenskt Biografskt Lexikon, Bd. 1f, Stockholm 1918 f. Schäfer, Waisenhaus = Schäfer, Friedrich, Geschichte des Frankfurter Waisenhauses, Frankfurt a. M. 1842. Schieckel, Findbuch = Findbuch zur Stammbuchsammlung des 16.–18. Jh. Mit biographischen Hinweisen, bearb. von Harald Schieckel, (Veröfentlichungen der Niedersächsischen Archiv- verwaltung), Oldenburg 1986. Schmaltz = Schmaltz, Karl, Kirchengeschichte , Bd. 1–3, Berlin 1935–1952. Schnaase, Danzig = Schnaase, Eduard, Geschichte der Evangelischen Kirche Danzigs, Danzig 1863. Seelen, Oratio = Seelen, Johann Heinrich von, Iubilaeum Schabbelianum Lubecense sive Oratio Saecularis in Memoriam et Laudam illustris Stipendii Schabbeliani, Lübeck 1738. Sehling 1.1 = Sehling, Sehling, Emil (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahr- hunderts, 1. Abt., Bd. 1, 1. Hälfte, Leipzig 1902. Semler = Semler, Johann Salomo, Hallische Samlungen zur Beförderung theologischer Gelehr- samkeit, Halle 1767–1770. SHBL = Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, hg. von Olaf Klose, Bd. 1f, Neu- münster 1970f (ab Bd. 6 mit dem Titel: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck). Simon, Reichsstädte = Simon, Matthias, Pfarrerbuch der Reichsstädte Dinkelsbühl, Schweinfurt, Weißenburg i. Bayern und Windsheim. Die evangelischen Geistlichen im Alten Reich, Nürn- berg 1962. Solms-Laubach, Geschichte = Solms-Laubach, Rudolph zu, Geschichte des Grafen‑ und Fürsten- hauses Solms, Frankfurt a. M. 1865. Sommer, Hofprediger = Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen, Stuttgart 2006. Sommervogel-Backer = Bibliothèque de Compagnie de Jésus. Nouvelle édition par Carlos Som- mervogel, S. J., Bd. 1–12, Brüssel und Paris 1890–1910 (Ndr. Brüssel u. Paris 1960). Spener, Allgemeine Gottesgelehrtheit = Spener, Philipp Jakob, Die allgemeine Gottesgelehrtheit aller glaubigen Christen und rechtschafenen Theologen, Frankfurt a. M., 1680 (Neudruck: Spener, Studienausgabe I/2, 23–351); auch: KGS 1, 249–608. Spener, Bußgebet = Spener, Philipp Jakob, Das Berühmte Bußgebet Des H. Propheten Danielis: Cap. IX, 1–23; In ein und zwantzig Predigten zu S. Nicolai in Berlin auf die angestellte Buß- täge erklähret […]. Mit einem Anhang von Sechs Buß-Predigten / und einer Danck-Predigt über die Eroberung von Ofen […] in Dreßden gehalten, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1700. Spener, Catechismus=Predigten = Spener, Philipp Jakob, Kurtze Catechismus=Predigten / Dar- innen die fünf Haupt=Stück / auß dem Catechismo / Und Die Hauß=Tafel / Samt Den Fest=Materien / einfältig erkläret werden. Durch Gottes Gnade Gehalten in Franckfurth am Mayn, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1689 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. II.2, Hildesheim u. a. 1982). Spener, Das Geistliche Priesterthum = Spener, Philipp Jakob, Das Geistliche Priesterthum Auß Göttlichem Wort Kürtzlich beschrieben / und mit einstimmenden Zeugnüssen Gottseliger Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen XLI

Lehrer bekräftiget, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1677 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. 1, Hildesheim u. a. 1979, 549–731; Neudruck: Spener, Studienausgabe I/1, 409–552); auch: KGS 1, 609–754. Spener, Der Klagen Mißbrauch = Spener, Philipp Jakob, Der klagen über das verdorbene Christen- thum mißbrauch und rechter gebrauch“, Frankfurt a. M.: Zunner 1685 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IV, 103–398; Neudruck: Spener, Studienausgabe I/2, 353–521). Spener, Des thätigen Christentums Nothwendigkeit und Möglichkeit = Spener, Philipp Jakob, Des thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit / in einem Jahr=gang über die Sontägliche Evangelia im Franckfurt am Mayn im Jahr 1677 gehaltener Predigten gezeiget; zusamt einfältiger Erklärung Der drey vortrefichen Episteln deß hocherleuchteten Apostels Pauli an die Römer und Corinthier / so in den Eingängen der Predigten abgehandelt worden, Bd. 1–2, Frankfurt a. M., 1677, 1687. Spener, Einfältige Erklärung = Spener, Philipp Jakob, Einfältige Erklärung Der Christlichen Lehr, Nach der Ordnung deß kleinen Catechismi deß theuren Manns Gottes Lutheri, Frankfurt a. M. 1677 (Nachdruck.: Spener, Schriften, Bd. II.1, Hildesheim u. a. 1982). Spener, Erzehlung = Spener, Philipp Jakob, Erzehlung, Dessen was wegen des so genannten Pietismi in Teutschland von einiger Zeit vorgegangen, Auß Gelegenheit H. Gerhard Craesi seiner Historiae Quaekerianae einverleibter Historiae Pietistarum und zu dero Verbesserung Aufgesetzt, Frankfurt a. M. 1697, 21698 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. V, Hildesheim u. a. 2005, 337–392). Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit = Spener, Philipp Jakob, Evangelische Glaubensgerechtigkeit. Von Herrn D. Johann Brevings Canon. zu S. Barthol. in Franckfurt Vergeblichen Angrifen also gerettet / Daß nechst gründlicher beantwortung alles in dessen so genandten Glaubens=streits Anfang und Ende enthaltenen / Die heilsame Lehr Von der Rechtfertigung des Menschen vor GOTT samt einfiessenden materien Von Göttlichem Ebenbild / vollkommenheit und strenger forderung des Gesetzes / menschlichem unvermögen / sünde / möglichkeit und unmöglichkeit die Göttliche Gebotte zu halten / verdienst und gnugthuung CHristi / bekeh- rung und buß und dergleichen / Gegen der Römischen Kirchen irrthume […], Franckfurt am Mayn: J. D. Zunner 1684. Spener, Ev. Glaubenslehre = Spener, Philipp Jakob, Die Evangelische Glaubens=Lehre / In einem jahrgang [sic!] der Predigten Bey den Sonn= und Fest=täglichen ordenlichen Evangelien / auß heiliger Göttlicher schrift / In der Chur=Fürstlichen Sächsischen schloß=capell zu Dresßden Anno 1687 In der furcht deß HERRN vorgetragen […]. Mit zu ende angehengtem kürtzeren Außzug Eines von gleicher materie zu Franckfurt am Mäyn Anno 1680 gehaltenen jahrgangs, Frankfurt a. M. 1688 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. III.1–2, Hildesheim u. a. 1986). Spener, Ev. Glaubenstrost = Der Evangelische Glaubens=Trost / aus den Göttlichen wolthaten und schätzen der seligkeit in Christo / in einem jahr=gang der predigten über die ordentliche Sonn= und Fest=tägliche Evangelia / in der furcht des HErrn gezeiget und vorgetragen, Frankfurt a. M., 1695 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. III.3.1–3, Hildesheim u. a. 2010). Spener, Ev. Lebenspfichten = Spener, Philipp Jakob, Die Evangelische Lebens=Pfichten In einem Jahrgang der Predigten Bey den Sonn= und Fest=Täglichen ordentlichen Evangelien Auß H. Göttlicher Schrift / In der Chur=Sächsischen Hof=Capelle zu Dreßden vom 1. Advent 1687 biß den 24. nach Trinit. 1688 in der Furcht des HErrn vorgetragen, Frankfurt a. M. 1692 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. III.2, Hildesheim u. a. 1992). Spener, Freyheit der Gläubigen = Spener, Philipp Jakob, Die Freyheit Der Glaübigen / Von dem An- sehen der Menschen In Glaubens=Sachen. In gründlicher Beantwortung der so genanndten­ Abgenöthigten Schutz=Schrift / Welche im Namen Deß Evangelischen Hamburgischen MINISTERII Von Herrn D. Johann Friedrich Meyern / Außgefertiget worden / Gerettet, Franckfurt am Mayn 1691 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. V, 133–260). Spener, Leichpredigten = Spener, Philipp Jakob, Christliche Leichpredigten, Bd. 1–13, Frankfurt a. M. 1677–1707. XLII Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

Spener, Natur und Gnade = Ph.J. Spener, Natur und Gnade, Oder der Unterscheid der Wercke, Frankfurt a. M. (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IV, Hildesheim u. a. 1984, 399–876). Spener, Pia Desideria 1676 = Spener, Philipp Jakob, Pia Desideria: Oder Hertzliches Verlangen, Nach Gottgefälliger besserung der wahren evangelischen Kirchen, Frankfurt a. M. 1676 (lat. Ausgabe: 1678; Neudruck: Spener, Studienausgabe, I/1, 87–257 [jeweils rechte Seite]). Spener, Rettung = Spener, Philipp Jakob, Abgenötigte Rettung seiner Lehr wider Dan. Hartnaccii Beschuldigungen in dem anweisenden Bibliothecario der studirenden Jugend, Frankfurt a. M. 1690. Spener, Schriften = Spener, Philipp Jacob, Schriften, hg. von E. Beyreuther und [seit 2002] D. Blaufuß, (Nachdruck), Hildesheim u. a. 1979–2015. Spener, Studienausgabe = Die Werke Philipp Jakob Speners. Studienausgabe, Bd. I/1–2 u. II, hg. von Kurt Aland u. Beate Köster, Gießen 1996–2006. Steinmeyer = Steinmeyer, Elias von (Hg.), Die Matrikel der Universität Altdorf, Teil 1–2, Würz- burg 1912 (Veröfentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Bd. IV.2). Stolberg = Katalog der fürstlich Stolberg-Stolberg’schen Leichenpredigten-Sammlung, Bd. 1–4.2, Leipzig 1927–1935 (Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen, Bd. 2). – Der Bestand liegt als Depositum in der HAB Wolfenbüttel. Stolleis, Staatsdenker = Staatsdenker in der frühen Neuzeit, hg. v. Michael Stolleis, 3., erw. Auf. Frankfurt a. M. 1995. Sträter, Meditation = Sträter, Udo, Meditation und Kirchenreform im 17. Jahrhundert, Tübingen 1995 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 91). Sträter, Sonthom = Sträter, Udo, Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der eng- lischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert, Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 71). Strauch, Seckendorf = Strauch, Solveig, Veit Ludwig von Seckendorf (1626–1692) Reformations- geschichtsschreibung; Reformation des Lebens; Selbstbestimmung zwischen lutherischer Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung, Münster 2005. Telschow / Reiter = Telschow, Jürgen u. Reiter, Elisabeth, Die evangelischen Pfarrer von Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1985 (Schriftenreihe des Evangelischen Regionalverbandes Frank- furt am Main, Bd. 6). Theatrum Europaeum = Theatri Europaei continuati Vierzehnter Theil / Das ist: Abermahlige Außführliche Fortsetzung Denck= und Merckwürdigster Geschichten / Welche / ihrer gewöhnlichen Eintheilung nach / an verschiedenen Orten durch EUROPA, Wie auch in denen übrigen Welt=Theilen / vom Jahr 1691 an biß 1695 sich begeben und zugetragen, Frankfurt a. M. 1702. Thesaurus Graecae Linguae = Stephanus, Heinrich, Hase, Karl Benedikt u. a. (Hgg.), Thesaurus Graecae Linguae, Bd. 1–9, 1831–1865 (Nachdruck: Graz 1954). Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi = Singer, Samuel, Ziltner, Werner, Hochstettler, Christian (Hgg.), Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi, Bde. 1–13, Berlin 1995–2002. TRE = Theologische Realenzyklopädie, Bd. 1–36 u. Registerbände, Berlin u. New York 1977–2007. Universität Gießen = Die Universität Gießen von 1607–1907. Beiträge zu ihrer Geschichte. Fest- schrift zur dritten Jahrhundertfeier, hg. von der Universität Gießen, 1.–2. Bd., Gießen 1907. Vehse = Vehse, Eduard, Geschichte der Höfe des Hauses Sachsen, IV. u. VI. Theil, Hamburg 1854. WA = Luther, Martin, Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 1f, Weimar 1883 f. WA.Br = — Briefe. WA.DB = — Deutsche Bibel. Walch, RSLK = Walch, Johann Georg, Historische und theologische Einleitung in die Religions- Streitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. 1–5, Jena 1733–1739 (Nachdruck: Stuttgart-Bad Cannstatt 1972). Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen XLIII

Waldhaus, Suchbuch = Waldhaus, Luise, Suchbuch für die Gießener Universitätsmatrikel von 1649 bis 1707, in: Mitteilungen der Hessischen Familiengeschichtlichen Vereinigung 4, 1937, 471–604. Wallmann, Pietismus = Wallmann, Johannes, Der Pietismus, Göttingen 1990 (KiG, Bd. 4 O 1); Göttingen 2005. Wallmann, Pietismus-Studien = Wallmann, Johannes, Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, Tübingen 2008. Wallmann, Pietismus und Orthodoxie = Wallmann, Johannes, Pietismus und Orthodoxie. Ge- sammelte Aufsätze, Bd. 3, Tübingen 2010. Wallmann, Spener = Wallmann, Johannes, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, 2. überarb. und erw. Auf. Tübingen 1986 (BHTh 42). Wallmann, Theologie und Frömmigkeit = Wallmann, Johannes, Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze [Bd. 1], Tübingen 1995. Walther = Proverbia sententiaeque Latinitatis medii (ac recentioris) aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (und der frühen Neuzeit) in alphabetischer Anordnung. Teil 1–6, hg. von Hans Walther (Nova Series. Neue Serie, Teil 7–9 aus dem Nachlaß von Hans Walther hg. von Paul Gerhard Schmidt), Göttingen 1963–1969 (1982–1986) (Carmina Medii Aevi Posterioris Latina, Bd. II). Wander = Wander, Karl Friedrich Wilhelm, Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, Bd. 1–5, Berlin 1867–1880 (Nachdruck: Aalen 1963). Wappmann, Durchbruch = Wappmann, Volker, Durchbruch zur Toleranz. Die Religionspolitik des Pfalzgrafen Christian August von Sulzbach 1622 – 1708, 2., erg. Auf. Neustadt a.d. Aisch 1998 (EKGB, Bd. 69). WChr = Arndt, Johann, Vier Bücher von wahrem Christenthumb, Magdeburg 1610 (Ndr. Spener, Schriften – Sonderreihe, Bd. V.1–3, Hildesheim 2007). Willgeroth = Willgeroth, Gustav, Die Mecklenburg=Schwerinschen Pfarren seit dem dreißigjäh- rigen Kriege. Mit Anmerkungen über die früheren Pastoren seit der Reformation, Bd. 1–3, Wismar 1924–1925. Zedler = Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste, Bd. 1–64 und Supplement Bd. 1–4, Halle und Leipzig: Johann Heinrich Zedler 1732–1754 (Ndr. Graz 1961–1964). Zülch = Zülch, Walther Karl, Frankfurter Künstler 1223–1700, Frankfurt a. M. 1935 (Ndr. Frank- furt a. M. 1967).

Die für die Studienorte und – zeiten benutzten Matrikeln sind folgende:

Altdorf = Die Matrikel der Universität Altdorf, hg. v. Elias von Steinmeyer, Teil 1–2, Würzburg 1912 (Veröfentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Bd. IV.2). Basel = Die Matrikel der Universität Basel, Bd. 1–4, hg. v. Hans Georg Wackernagel, Basel 1951–1975. Frankfurt a.O. = Friedländer, Ernst, Aeltere Universitäts-Matrikeln. I. Universität Frankfurt a.O., Leipzig 1887–1891. Gießen = Die Matrikel der Universität Gießen 1608–1707, hg. v. Ernst Klewitz u. Karl Ebel, Gießen 1898. Helmstedt = Die Matrikel der Universität Helmstedt 1636–1685, hg. v. Werner Hillebrand, Hildesheim 1981. Jena = Die Matrikel der Universität Jena, Bd. 2 (1652–1723), bearb. v. Reinhold Jauernig, wei- tergeführt v. Marga Steiger, Jena 1977. Kiel = Album der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1665 bis 1865, hg. v. Franz Gundlach, Kiel 1915. Königsberg = Die Matrikel der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr., hg. v. Georg Erler, Bd. 1–3, Leipzig 1910–1917 (Nachdruck: Nendeln 1976). XLIV Abgekürzt zitierte Literatur und Quellen

Leipzig = Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559–1809, hg. v. Georg Erler, Bd. 1–3, Leipzig 1909. Rostock = Die Matrikel der Universität Rostock, hg. v. Adolph Hofmeister, Bd. 1–7, Rostock und 1889–1922 (Nachdruck: Nendeln 1976). Straßburg = Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621–1793, bearb. von Gustav C. Knod, Bd. 1–3, Straßburg 1897–1902 (Urkunden und Akten der Stadt Straßburg, 3. Abt.) (Nachdruck: Nendeln 1976). Tübingen = Die Matrikel der Universität Tübingen, Bd. 2: 1600–1710, bearb. von Albert Bürk und Wilhelm Wille, hg. in Verbindung mit der Württembergischen Kommission für Landes- geschichte von der Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 1953 (und Register 1954). Wittenberg = Album Academiae Vitebergensis. Jüngere Reihe. Teil 2 (1660–1710), bearb. v. Fritz Juntke, Halle 1952.

Nicht berücksichtigt sind die Signaturen der Archive und Bibliotheken. Zu den römischen Datumsangaben s. Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 1–2, Hannover 1891 und 1892–98 (Ndr. Aalen 1984) oder ders., Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 12. Auf., Hannover 1982. Die Abkürzungen der biblischen Bücher entsprechen denen des Lexikons Religion in Geschichte und Gegenwart, 4.Auf., Tübingen 1998–2007. Zu den Abkürzungen der Zeitschriften und Reihen s. Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin – New York 1992 (= Theologi- sche Realenzyklopädie [TRE]. Abkürzungsverzeichnis, 1994); erweitert in: Abkürzungen Theo- logie und Religionswissenschaften nach RGG, hg. von der Redaktion der RGG, Tübingen 2007. Briefe des Jahres 1690

Nr. 1 an [Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen] 2. 1. 1690 3 1. An [Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Dresden]1 Dresden, 2. Januar 1690

Inhalt Übersendet dem Kurfürsten schriftlich die Segensbitte, die er im Neujahrsgottesdienst vor- getragen hatte. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 483–484.

JESUM Zum seligen anfang und beglückten ende! Durchleuchtigster Fürst, Gnädigster Churfürst und Herr.

Ob ich wol mit hertzlicher andacht und in tiefster demuth vor dem angesicht 5 GOttes und der versamleten gemeinde in dero schloß=​capelle meinen treuen neu=​jahrs wunsch, wie vor alle stände der christenheit und daher auch den gesamten Regenten=stand,​ also auch vor E[ure] Churf[ürstliche] Durchl[aucht], ofentlich abgeleget habe; so habe dennoch, weil der abwesenheit wegen vor E. Churfürstl. Durchl. ohren solches zu thun, nicht vermocht, meiner unter- 10 thänigsten schuldigkeit zu seyn erachtet, aufs wenigste schriftlich mit wider- holung solches getreuesten wunsches und bezeugung meiner devotion vor deroselben zu erscheinen. Die himmlische güte habe ich demüthigst gepriesen und preise nochmal vor die E. Churf. Durchl. und an derselben folglich auch uns allen erzeigte 15 theure wolthat, da sie dero hohe person in dem gefährlichen feldzug2, der nicht wenig so Fürsten=, als anderes blut gekostet, durch den schutz seiner himmlischen heerscharen3 gnädiglich bewahret, alle gefahr und unglück abge- wendet und glücklich widrum zu lande4 mit freuden gebracht hat. Ich habe solche väterliche güte des Allerhöchsten ferner angerufen und die christliche 20

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (20. 6. 1647–12. 9. 1691), seit 1680 sächsischer Kur- fürst; Bekanntschaft mit Spener seit seinem Besuch in Frankfurt a. M. während des Feldzugs nach Frankreich im Jahr 1673 (ADB 14, 383 f; NDB 10, 527; F.-L. Kroll, Die Herrscher Sachsens, München 2007, [160–172], 161–167; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 6 Anm. 1). Auf- enthaltsort des Kurfürsten könnte auch sein Jagdschloß Moritzburg sein, wohin er sich zurückzog, um dem in Ungnade gefallenen Spener in der Residenz Dresden nicht begegnen zu müssen. 2 Der Feldzug gegen Frankreich im Rahmen des Pfälzischen Erbfolgekrieges, in dem Johann Georg III. sich im Magdeburger Konzert mit den Brandenburgern, Hessen-Kasselern und Hanno- veranern zu einer antifranzösischen Koalition verabredet hatte (Heyne, Feldzüge, 18–25). Im November 1689 hatte er sich nach Dresden ins Winterquartier zurückgezogen (F. von Beust, Feldzüge der sächsischen Armee, Bd. 2, Camburg 1803, 119). 3 Lk 2,13. 4 Ins Land (Sachsen). 4 Briefe des Jahres 1690

gemeinde, dasselbe mit mir zu thun, erinnert, daß dieselbe, wie sie E. Churf. Durchl. mit allen andern hohen Regenten das göttliche bilde angehenget und dieselbe alle zu dero reichs=​amtleuten und der kirchen säugammen5 gema- chet hat, also auch gnade verleihen wolle, daß dieselbe insgesamt solches an- 25 hangende göttliche bilde stäts an sich zieren mögen und in der that treue säugammen seiner kirchen und von ihm herrlich gesegnete amtleute seines reichs seyen durch sorgfältige beförderung der geistlichen wolfarth ihrer un- terthanen auf ihnen zukommende art, so dann auch beförderung ihres leib- lichen wolwesens in handhabung der gerechtigkeit und übrigen deroselben 30 schutz, seinen grossen namen zu verherrlichen, wie dann, dieses gethan zu haben, an jenem tage6 ihre herrlichste krone seyn wird und wir ihnen also nichts bessers zu wünschen vermögen. Ich habe ferner den höchsten geber alles guten7 demüthigst angerufen vor E. Churf. Durchl., daß er auch in diesem jahr dero Churfürst. hertz mit dem 35 heil[igen] Geist zu allem regiren wolle, wodurch in ihrem leben und regierung göttliche ehre, die gemeine wolfarth und das eigne heil befördert werden solle; daß er also auch dazu gebe die weisheit von oben8, liebe göttlichen worts, als aus dem solche weisheit kommet, den Geist des gebets9, hertzliche liebe der unterthanen, unermüdete sorgfalt über das von GOtt anbefohlene 40 und gottseligen feiß, in seinen geboten mit ernst zu wandeln. Es wolle auch der gütigste segens=​GOtt hiezu und also, wenn erstlich das reich GOttes und seine gerechtigkeit werde gesuchet seyn10, alles, was er zu dieses lebens ver- gnügen und hohem wolwesen nöthig erkenne, an leben, gesundheit und göttlichem fortgang aller geschäften als eine zugabe hinzuwerfen; Er lasse 45 auch die wache seiner heiligen engel11 nimmermehr seinen gesalbten12 ver- lassen und wende dadurch ab alle gefahr. Endlich gebe er auch gnade zu baldiger friedlicher erlangung und ruhigem genuß der aus seiner providenz angefallenen Lauenburgischen gerechtsame13

41 segens GOtt: D1.

5 Zur Vorstellung in der lutherischen Theologie, daß die Obrigkeit Pfege‑ und Säugammen- funktion für die Kirche wahrzunehmen habe (abgeleitet von Jes 49,23), s. Dannhauer, Cate- chismusmilch 3, S. 162–178; von Spener wird dieser Gedanke häufg formuliert (z. B. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 9 [PD 14,10–12]; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 138, Z. 18 f; EGS 1, S. 1144, u. ö.). 6 Am Tag des Jüngsten Gerichts (vgl. Mt 7,22; 2Tim 4,8). 7 Vgl. Jak 1,17. 8 Vgl. Jak 3,17. 9 Vgl. Sach 12,10. 10 Vgl. Mt 6,33. 11 Vgl. Luthers Morgen‑ und Abendsegen: „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir fnde“ (BSLK 521, 33–35 und 522, 17–19). 12 Spener wendet die göttliche Berufung des Fürsten, die im Alten Testament durch die Salbung symbolisiert wird, auf den sächsischen Kurfürsten an. 13 Nach dem Tod von Herzog Julius Franz von Sachsen-Lauenburg (16. 9. 1641–19. 9. 1689) wurde das Land von Kaiser Leopold sequestriert. Nach mehrjährigen Auseinandersetzungen fel Nr. 1 an [Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen] 2. 1. 1690 5 und lencke in solcher sache alle hertzen zu erkäntnüs und annehmung dessen, was der gerechtigkeit gemäß ist. 50 Dieses, gnädigster Churfürst und Herr, sind die wünsche gewesen, so ich aus tiefstem hertzens=​grund gestern abgeleget, auch die christliche gemein- de, in ihren seelen mit kräftigem Amen dieselbe zu versiegeln, angemahnet habe. Der grosse GOtt in der höhe14 lasse sie auch zu diesem und vielen folgenden jahren vor seinem thron ja, Amen und erhöret seyn, um JESU 55 CHristi willen. Womit der segenreichen obhut und regirung desselben getreulichst emp- fehlende verharre E. Churf. Durchl. zu gebet und demüthigem gehorsam unterthänigster.

Dresden, den 2. Jan[uar] 1690. 60

es an das Fürstentum Calenberg, das im Jahr 1692 die Kurfürstenwürde erhielt (Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg = „Kurhannover“). – Schon wenige Tage nach dem Tod des Sachsen- Lauenburgischen Fürsten formuliert Spener am 23. 9. 1689 seine Befürchtungen: „Ob mortem Ducis SaxiLauenburgici et eius successionem ne turbae oriantur, prudentes timent: DEUS v[ero] perhibeat.“ (Ad Rech 1, Bl. 271r) (P. von Kobbe, Geschichte und Landesbeschreibung des Her- zogthums Lauenburg, Bd. 3, Altona 1837, 75–93 [zu Julius Franz], 94–108 [zu den Erbstreitig- keiten]; G. Überhorst, Der Sachsen-Lauenburgische Erbfolgestreit bis zum Bombardement Ratzeburgs 1689–1693, Berlin 1915 [Nachdruck 1965]). 14 Lk 2,14. 6 Briefe des Jahres 1690 2. An den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T.1 Dresden, 2. Januar 1690

Inhalt Entschuldigt sich dafür, daß es so lange gedauert hat, bis die Spenden für die Rothenburger Kriegsgeschädigten beisammen waren. – Schlägt einen Weg vor, wie das Geld über Leipzig und Nürnberg nach Rothenburg gelangen kann. Überlieferung A: Rothenburg o.d.T., Stadtarchiv, A 1464, Bl. 351r–v.

Göttliche gnade, friede und heil von unsrem Heiland JESU Christo zu einem dero Löblicher Statt, Kirchen und Policey mildigst gesegneten Neuen Jahr! WolEdel, Vest, Hochgelehrt, Edel, Ehrenvest, fürsichtig, Hoch‑ und Wol- 5 weise. Meine insonders Hochgeehrte Herren. Was ich vorigesmal bereits selbs bemeldet2, daß mit der einsamlung der col- lecten in hiesigem lande es allezeit langsam hergehe, hat sich in der that ge- wiesen, ja, ist noch langsamer hergegangen, alß ich mir selbs die sache erstlich eingebildet gehabt hätte. Die ursach deßen bestehet darinn, weil der außge- 10 schriebenen collecten soviele sind und die meiste Superintendenzen trefen, und aber von einhebung der einen biß zur publication einer neuen immerdar aufs wenigste eine monatsfrist oder etwas darüber erfordert wird, will man anders nicht durch allzu geschwinde folge auf einander machen, daß niemal etwas ergiebiges erfolge. Auß dieser ursach hat die vor dero Löbl[iche] statt 15 und beschädigte dorfschaften resolvirte und hiesigem3 und dem Leipzigi-

11 und ] + . 11 zur < zu. 12 erfordert ] .

1 Weil 19 Orte in der nächsten Umgebung von Rothenburg o.d.T. im Pfälzischen Erb- folgekrieg am 14. 11. 1688 niedergebrannt worden waren (J. D. W. von Winterbach, Geschichte der Stadt Rothenburg an der Tauber und ihres Gebiets, 1. Theil, Rothenburg an der Tauber 1826, 135 f), hatte der dortige Rat um Hilfe durch die sächsische Kirche gebeten. Spener war als Mit- glied des Oberkonsistoriums für die Durchführung der Aktion zuständig (zu weiterem s. Anm. 2). 2 S. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 49. 3 Samuel Benedikt Carpzov (17. 1. 1647–31. 8. 1707), Superintendent in Dresden; geb. in Leipzig als Sohn des Archidiaconus Johann Benedikt Carpzov, Bruder des Leipziger Professors Johann Benedikt Carpzov II., nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg 1674 Hofprediger und 1680 Pfarrer an der Kreuzkirche in Dresden und Superintendent und Beisitzer im Oberkon- sistorium, 1692 Oberhofprediger. – Seit spätestens 1675 bestand ein Briefwechsel mit Spener (LP: Stolberg Nr. 3131 und Nr. 7729; DBA 180, 400–441; Näheres s. Frankfurter Briefe Bd. 2, Brief Nr. 21 Anm. 1; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 9 Anm. 7). Nr. 2 an den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T. 2. 1. 1690 7 schen Superintendenten4 angedeutete collecte nicht eher alß vor kurtzer zeit können ins werck gerichtet werden. Was nun gesamlet worden in hiesiger inspection ist mir von unserm H. Su- perintendenten und kirchenrath H. D. Carpzovio5 zugestelt worden, wie ihm selbs auß iedem ort der antheil versigelt zugesandt worden war. Die summe 20 beträgt sich 159 gülden Meißnisch (den f[oren]6 zu 21 groschen und also nur 3 weniger alß ein thaler), 16 g[roschen], 4 d7.8 Wann nun in solchem ein- samlen gemeiniglich allerley schlecht geld sich zu fnden pfegt, hätte zwar es hier außgewechselt und alßdann nach Nürnberg übersandt werden können. Weil mich aber entsinne, von dero gegen9 gehöret zu haben, daß bey ihnen 25 alles geld gelten, und zwahr einige sorten kleiner müntzen völliger als hie, so habe geglaubt, ich thäte am besten, wo ich, was und wie ichs empfangen in natura übersendete. Daher es in eine schachtel gepackt und an meinen Toch- termann, H. Lic. Adam Rechenberg, profess[orem] Historiarum in Leipzig10, gesandt11, mit ietziger meß gelegenheit durch sichre leut an H. Joseph Kröh- 30 nern12 alß Meinen Hochg[eehrten] Herren factorn nach Nürnberg zu be- stellen13; dem nun von denselbigen ferner wird ordre zu geben sein, was er damit zu machen habe. Mir aber solte lieb sein, daß alßdann eine quittung des empfangs bekom- men und damit die meinige bey unsrem H. Superintendenten außlösen 35 könte. Wann in dem übrigen vernehme, daß nun auch in der Leipzigischen

20 /war/. 25 gegen ] + . 26 sorten ] + . 28 /in natura/.

4 Georg Lehmann (9. 9. 1616–16. 3. 1699), Theologieprofessor und Superintendent in Leipzig; geb. in Belgern bei Torgau, nach dem Studium in Leipzig Sonnabendprediger in Torgau, 1655 Ephorus und in Weißenfels (1659 Lic. theol.), 1670 Pastor und Superintendent in Leipzig, Dr. theol. und Professor (Zedler 16, 1429; Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 514; PfBKPS 5, 309; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20 Anm. 18). 5 S. Anm. 3. 6 Gulden. 7 Kürzel für Pfennig, abgeleitet von „denarius“. 8 Zu der unübersichtlichen Währungssituation im Alten Reich und die im Jahr 1690 ein- setzende größere Vereinheitlichung durch einen Vertrag zwischen Kurbrandenburg, Kursachsen und Braunschweig-Lüneburg s. B. Sprenger, Das Geld der Deutschen. Geldgeschichte Deutsch- lands. 2. Auf. Paderborn u. a. 2002, 121 f. 9 Nebenform von „Gegend“ (DWB 5, 2235). 10 Adam Rechenberg (7. 9. 1642–22. 10. 1721), Professor in Leipzig, Schwiegersohn Speners, geb. in Leipsdorf/ Sachsen (DBA 1005, 42–123; BBKL 7, 1558 f; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 24 Anm. 31). 11 Am 7. 1. 1690 schreibt er an Adam Rechenberg: „Quod Rotenburgios attinet, collectam hic pecuniam ad te transmisi, quam in capsula obsignatam a nostro Hubnero accipies.“ (Ad Rech 1, Bl. 465r). 12 Joseph Kröhner (Kröner), im Jahr 1689 bezeugt als Mitglied des Nürnberger Rates. – Er wird auch als Übermittler des Geldes im Brief vom 7. 1. 1690 an Rechenberg (Ad Rech 1, Bl. 465r) genannt. 13 Der Begleitbrief zu der Sendung Rechenbergs ist am 21. 2. 1690 datiert und überliefert im SA Rothenburg o.d.T., A 1464, Bl. 368. 8 Briefe des Jahres 1690

inspection die collecte eingesamlet worden, stelle dahin, ob solche durch ie- mand in Leipzig empfangen, und darüber ferner zu disponiren beliebte. Der HErr laße diese allmosen zu einiger nothleidender bey ihnen hülfe 40 gesegnet sein. In deßen treue obhut ich gleich wie deroselbe gantze löbliche statt und kirche, alß auch dero personen samt und sonders zu allem segen und wolfahrt hertzlich empfehle und verbleibe EE. WolEd[le] Herrlichk[eiten] u. Weißh[eiten] zu gebeth und diensten 45 schuldigwilliger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 2. Jan[uar] 1690. Nr. 3 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow 7. 1. 1690 9 3. An Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow in Güstrow1 Dresden, 7. Januar 1690

Inhalt Erkundigt sich, ob eine Entscheidung darüber, daß [Johann] Fecht als Professor und Super- intendent nach Rostock berufen wird, inzwischen gefallen ist. – Weist auf den langen Postweg hin und hoft, daß bei erfolgter Berufung Fecht noch im Frühjahr seinen Dienst antreten kann. – Bietet seine weitere Hilfe an, wenn es nötig sein sollte. Überlieferung A: Schwerin, Landeshauptarchiv, 1 B 23/05, Nr. 2692.

Göttliche gnade, friede und heil in Christo JESU zu aller hohen wolfahrt und gesegneter regirung! Durchleuchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr.

Es sind zwey monate, daß an E[ure] Hochf[ürstliche] D[u]r[chl[auch]t ich 5 H. L. Fechten2 auf auß gnädigstem befehl an ihn gethane oferte der Rostoc- kischen profession und Superintendenz erfolgte underthänigste resolution, solche nemlich anzunehmen, samt deßen beygefügten verlangen, über- schrieben habe3, ob aber solches schreiben übergekommen, bin ich nicht so gar versichert, ohne allein daß, von der post richtigkeit zu zweifeln, sonder- 10 bare ursach noch nicht gefunden habe. Wann aber ermeldter L. Fecht nunmehr zu Calw auf die gnädigste voca- tion wartet und zu solchem ende nechstens auf underschiedliches anhalten seine gnädigste dimission erhalten hat4, so habe mich, sovielmehr weil E. Hochf. Drlt. in vorigem gnädigsten5 einen baldigen anzug deßelben ver- 15 langet, nochmahl hiemit underth[änigst] anmelden sollen, weßen in dero hohem nahmen denselben nunmehr zu bescheiden habe, gehorsamst bittende; in dem ohne daß, biß die schreiben hin und her gehen, leicht einige wochen

1 Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow (25. 2. 1633–5. 11. 1695), seit 1654 re- gierender Fürst (Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 5 [2009], 148–152; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 47 Anm. 1). 2 Johann Fecht, zur Zeit ohne Anstellung in Calw lebend (s. Brief Nr. 84 Anm. 1). 3 Nicht überliefert. Der letzte überlieferte Brief Speners an den Herzog stammt vom 22. 8. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 88). 4 Am 24. 11. 1689 berichtet Fecht aus seinem damaligen Aufenthaltsort Calw, den er nach der Zerstörung Durlachs aufgesucht hatte, davon, daß sein bisheriger Landesherr, Markgraf Friedrich VII. Magnus von Baden-Durlach, seinen Weggang aus Durlach bedauere, ihm aber die Erlaubnis gebe, dem Ruf nach Rostock zu folgen (Halle a.S., AFSt, C 784: 1). 5 Der Brief Herzog Gustav Adolfs ist nicht überliefert. 10 Briefe des Jahres 1690

oder auch monate verstreichen, und aber bey beschleunigung der vocation 20 die sache dahin eingerichtet werden möchte, daß, wo alles richtig und er, wie er sich dahin zu bringen habe, gnädigste ordre empfangen, der anzug6 mit angehendem frühjahr ohn verzug bewerckstelliget werden möchte. Ich meines orts werde nicht ermanglen, was mir gnädigst committiret werden solte, mit underthänigstem gehorsam treulich außzurichten. Mit 25 welchem schuldigen erbieten E. Hochf. Drlt. des Großen Gottes allwaltender gnade und segen hertzlich empfehle. Dreßden, den 7. Jan[uar] dieses neu angetretenen 1690. Jahres, deßen keinen tag der Gott der zeit und ewigkeit anbrechen oder vorbeygehen laßen wolle, da nicht aufs neue auch deßen Himmlische güte sich mit neuem segen zu 30 geistlicher und leiblicher wolfahrt über dero hohe Person, Hochfürstliches hauß und gesamtes land mildiglich ergieße. Also wünschet von hertzen E. Hochf. Drlt zu gebet und demütigem gehor- sam unterthänigster Philipp Jacob Spener, D. 35 Mppria. Dem Durchlaüchtigsten Fürsten und Herrn, Herren Gustav Adolphen, Hertzogen zu Meckelburg, Fürsten der Wenden, zu Schwerin und Ratzeburg, Grafen zu Schwerin, Herrn der lande Rostock und Stargard etc. Meinem gnädigsten Fürsten und Herrn.

40 Güstrau.

22 /ohn ver/ : . 29 /aufs/.

6 Im Sinne von „Umzug“ bzw. „Zuzug“ oder „Antritt“ (Adelung, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 1, Leipzig 1793, S. 409). Nr. 4 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow 9. 1. 1690 11 4. An Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow in Güstrow1 Dresden, 9. Januar 1690

Inhalt Bestätigt den Eingang des Berufungsschreibens für [Johann] Fecht, das er umgehend weiterleiten will. – Freut sich über die Berufung [Johann Ernst] Pfuels zum Hofprediger in Güstrow und ermahnt, diesen als göttliches Werkzeug zu achten und zu hören. – Ermahnt zu einem Glaubens- leben, das tatkräftige Früchte trägt. Überlieferung A: Schwerin, Landeshauptarchiv, 1 B 23/05, Nr. 2692.

Göttliche gnade, friede und heil zu allem hohen wolwesen und gesegneter regierung! Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr.

Alß ich bloß2 mein voriges an E[ure] Hochf[ürstliche] D[u]r[ch]lauch]t fort- 5 gesandt, so erlange von gestriger post das an mich stehende3 gnädigste mit einschluß des ersuchschreibens und auch vocation4 an H. L. Fechten5, welche ich auch, ohnverzüglich morgen über Ulm fortzusenden, nicht ermangle. Der HERR HERR, welches hand in den berufswercken mächtig ist, laße auch diesen ruf von oben herab also gesegnet sein, daß seines H[eiligen] nahmens 10 ehre dadurch befördert, E. Hochf. Drlt. gnädigste intention erfüllet und das beste der universitet kräftig geschafet werde. Ich habe auch zugleich gern vernommen, daß auch das andere berufsge- schäft wegen H. D. Pfuhlen6 zur richtigkeit gelanget, dabey ich den Himm- lischen Vater nicht weniger demütigst anrufe, daß er auch auf solches das 15 siegel seines rufs in reichem segen trucken, den Mann, den er sendet, mit dem geist der weißheit u. des verstandes, mit dem geist des raths und der stärcke, mit dem geist der erkantnus und der forcht des HERREN7 herrlich außrüsten, die wort des lebens, so zu E. Hochf. Drlt. und aller so hoher alß

10 sein < w. 15 anrufe < anrufe.

1 Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow (s. Brief Nr. 3 Anm. 1). 2 Vgl. „blößlich“ (lat. „vis) für „nur eben“ oder kaum (DWB 2, 151). 3 Im Sinne von „adressiert“ (nicht im DWB). 4 Nicht überliefert. 5 Johann Fecht (s. Brief Nr. 84 Anm. 1). 6 Johann Ernst Pfuel, bislang Rektor in Stettin (s. Brief Nr. 10 Anm. 1). 7 Vgl. Jes 11,2. 12 Briefe des Jahres 1690

20 übriger anvertrauten personen leben kräftig sein mögen, in seinen munde legen, also durch ihn mit ihrem hertzen reden und dieselbe allezeit zu seinem gehorsam lencken, insgesamt aber und in allen stücken seinem amt den jeni- gen nachtruck selbs geben wolle, daß keine der Seelen, vor die er zu sorgen hat, verlohren gehe. Wann aber zur frucht solches geistlichen amts nicht allein 25 die treue des predigers, sondern auch derer, die ihn hören, folgsame auf- nehmung des göttlichen worts erfordert wird, in dem das wort der prediger nichts hilft, wo nicht glauben die, so es hören8, oder wie es nachtrücklich in seiner sprach lautet, wo es nicht durch den glauben mit dem jenigen ver- menget wird, und also tief in der seele derselben eintringet, die es hören; so 30 sehe ich bereits auß dem jenigen, daß E. Hochf. Drlt. so angelegenlich einen rechtschafenen und von Gott zu seinem wahren dienst außgerüsteten Hof- prediger verlanget und daher soviel lieber eine weile, biß der HERR einen solchen zeigete, warten wollen9, in dem underthänigsten hertzlichen ver- trauen, daß E. Hochf. Drlt. solchem angehenden Hofprediger nicht allein in 35 übrigem mit gnaden zugethan bleiben, sondern auch allezeit dem Amt des H[eiligen] Geistes, der unsre Seelen durch das wort der Himmlischen wahr- heit, so dieselbe von der welt und aller derselben befeckung bekehret, selig machen will, bey sich selbs den ziehmenden raum geben werde. Es muß nach göttlicher ordnung das wort, so die Seelen selig machen solle, in dieselbe al- 40 lerdings gepfantzet werden10, daher will erfordert werden, es nicht nur alle- mahl mit andacht anzuhören, sondern auch, wann es zuweilen unser feisch und blut zu unsrer heilsamen gesundheit mit einigen schmertzen und göttli- cher traurigkeit11 angreifen solte, mit sanftmuth anzunehmen und stäts dem H[eiligen] Geist, der dadurch wircken will, durch gottselige betrachtung de- 45 ßelben platz bey sich zu laßen, damit er es immer tiefer eintrucke, nicht nur in den verstand und gedächtnus, sondern selbs in das hertz hinein12. Dann wo seinen wirckungen dermaßen raum gegeben wird, so macht er unsre seelen mehr und mehr göttlich gesinnet, daß die wahrheit des Evangelii in dieselbe mit himmlischem glauben eingetrucket und das gesetz des HERREN selbs 50 mit lebendigen buchstaben in einer liebe gegen deßen heiligkeit und sorg- samem feiß, nach demselben das gantze leben auß danckbarkeit vor die emp- fangene gnade der seligkeit anzustellen, eingeschrieben wird; da bleibet der saame Gottes in der Seele, bewahret uns vor herrschaft der sünden und ma-

21 legen, ] + . 26 /wird/. 28 jenigen ] + .

8 Auf Höhe dieser Textzeile am Rand vermerkt, jedoch ohne Verweiszeichen: Hebr 4,2. 9 Die Hofpredigerstelle war seit 1688 vakant (s. Anm. 6). 10 In gleicher Weise wie bei Anm. 8 am Rand vermerkt: Jak 1,21 u.f. 11 Vgl. 2Kor 7,10. 12 Vgl. dazu die von Spener gelegentlich verwendete Formulierung „vom Kopf ins Herz“ (Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 17 Anm. 35; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 13, Z. 121 f, mit Anm. 16; Sträter, Meditation, 121–126). Nr. 4 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow 9. 1. 1690 13 chet, daß wir nicht nur hörer, sondern auch thäter des worts13 und also nicht zwahr durch, iedoch in der that selig werden. 55 Daß nun solches die löbliche absicht E. Hochf. Drlt. vor sich und alle hohe ihrige gewesen, lebe ich der tröstlichen zuversicht und versiehe mich14, daß auch die Christliche resolution längst gefaßet sein werde, das werck des HERREN in sich durch diesen seinen diener kräftig fortsetzen zu laßen und allezeit deßen, der in dem wort von oben her mit uns redet, willen freudig 60 anzunehmen. Welches ich auch auß dem underth[änigsten] vertrauen, wel- ches E. Hochf. Drlt. durch dero gnädigstes bezeugen gegen mich verursacht, demütigst erinnert und gebeten haben will. Ich rufe endlich den Himmli- schen vater, der zu allem pfantzen und begießen selbs das gedeyen geben muß15, fehenlichst an, daß Seine Allmächtige und stärckeste gnade E. Hochf. 65 Drlt. theure Seele durch die kraft seines heilsamen worts mehr und mehr demselben in der that gleichgesinnet machen, Sie mehr und mehr von allem, was ihm mißfällig ist und den süßen geschmack des göttlichen trostes hindert, reinigen, hingegen in der kraft des bluts Jesu Christi der vergebung aller sünden versichert16, mit liebe der täglichen ernstlichen heiligung, ohne wel- 70 che wir den HERREN nicht sehen können17, erfüllen, solchen vorsatz nie- mahl widerum underbrochen werden laßen, zu deßen erfüllung aber und beständigkeit täglich von oben herab neue gnade mittheilen und also insge- samt den Paulinischen wunsch18 an deroselben und gantzem Hochfürstlichen hauß erfüllen wolle, welche ich dem theuren Apostel nachsprechen und üb- 75 rige wünsche (dabey es auch an meinem täglichen gebet nicht manglen solle) dieses mahl damit beschließe. Er, der Gott des friedens, heilige euch durch und durch, und euer geist gantz, samt der seele und leib müße behalten werden unsträfich auf die zu- kunft unsres HERREN JESU Christi. Getreu ist er, der euch rufet, welcher 80 wirds auch thun19. Er thue es dann! Amen. Hiemit schließlich solcher allvermögenden und unsre rechte wünsche er- füllenden gnade hertzlich erlaßende verharre E. Hochf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam underthänigster Philipp Jacob Spener, D. 85 Mppria. Dreßden, den 9. Jan[uar] 1690. 63 /end/lich lich.

13 Vgl. Jak 1,22. 14 „Sich versehen“ im Sinne von „erwarten“ (DWB 25, 1238). 15 Vgl. 1Kor3,6. 16 Vgl. 1Joh 1,7. 17 Vgl. Hebr 12,14. 18 Wenn Spener hier Hebr 12,14 meint, geht er davon aus, dass der Hebräerbrief von Paulus verfasst ist. 19 1Thess 5,23 f. – Die Bibelstelle ist am Rand des Briefes ausgewiesen (wie Anm. 8). 14 Briefe des Jahres 1690 5. An einen Prediger in Schlesien1 Dresden, 11. Januar 1690

Inhalt Beklagt mit dem Adressaten das Leiden der Evangelischen in Schlesien und erklärt es mit der vor- übergehenden Ausweitung der antichristlichen Macht Babels, die in der Apokalypse prophezeit wird. – Lobt die Bereitschaft zum Leiden, verteidigt aber diejenigen, die sich ihm entziehen, weil sie keinen Nutzen für die Gemeinde darin erkennen. – Hat die Petition an den Kaiser unter- stützt, auch wenn er die Erfolglosigkeit dieser Bemühung vorhergesehen hat. – Spricht mit dem Hinweis auf die Providenz Gottes Trost zu. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 669–670.

Daß sich an statt der erleichterung fast durch alles, was man zu solchem zweck vornimmet, das leiden nur verdoppelt, ist mir leid, befremdet mich aber nicht so sehr, in dem es demjenigen gemäß ist, wessen ich mich allezeit versehe2, daß es zu unsrer zeit etwas neues seye, daß vor unsre religion in dem euserli- 5 chen etwas ausgerichtet könne werden, nachdem wir noch in den schweren zeiten der gerichte und der macht des babels3 stehen, sondern alle unsre co- natus müssen insgemein contrarium efectum4 erreichen und uns nichts an- ders davon werden, als daß wir mit unsrer gedult und glauben5 GOtt preisen; denn der erste sieg gegen Babel bestehet nur in gedult und in überwunden 10 werden, damit werden wir überwinden und zu seiner zeit, wo die gedult der heiligen erfüllet ist, auch die andre hülfe folgen, die wir itzt auch verlangten, aber noch uns nicht bestimmet ist, ohn daß zuweilen in ein und andern sondern fällen der Herr etwas sonders thun und einige zeugnissen seiner hertzenslenckenden und allvermögenden kraft erzeigen mag, daß man aufs 15 wenigste sehe, er könte allemal der widrigen gewalt gegen uns brechen, daß ers also nicht allezeit thue, seye nicht seine ohnmächtigkeit oder der feinde macht, sondern sein heiliger rath, seine kirche eine weil diesen meistens in die hände zu übergeben.

1 Die Empfängerbestimmung erfolgt nach dem Regest in D: „An einen prediger in der [sic!] Schlesien vieles leiden müssen“. Vermutlich handelt es sich um den gleichen Adressaten wie um den der Briefe vom 15. 10. 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 98), 1. 6. und 27. 7. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 56 und Nr. 78). Denkbar sind Abraham Knefel (1636–1702) oder Abraham Jentsch (1623–1703), die mit Spener im Briefwechsel standen (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 98 Anm. 1). 2 „Sich versehen“ mit anschließendem Genitiv im Sinne von „erwarten“ oder „fürchten“ (DWB 25, 1247). 3 Aus Apk 17,5 entnommen, wo die antichristliche Macht den Namen Babel trägt; bei Spener auf die römisch-katholische Kirche bezogen. 4 Das Bewirken des Gegenteils. 5 Vgl. Apk 13,10 und 14,12. Nr. 5 an einen Prediger 11. 1. 1690 15

Indessen thun wir nicht unrecht, wenn wir dagegen noch alle christliche mittel zu unserer rettung suchen, nicht nur, ob der Herr zuweilen ein solches 20 zeugniß seiner güte an uns erzeigen wolte, sondern auch vornehmlich, daß wir unsern gewissen ein gnüge thun. Wie wir der ursach wegen auch in den tödtlichen kranckheiten, wo kaum hofnung übrig ist, die mittel zu brauchen, nicht unterlassen. Also unbillige es an geliebtem bruder nicht, daß er sonder- lich, da er einen trieb in sich gefunden, zu versuchen, ob durch sein leiden 25 seiner gemeinde etwas erhalten werden könte6, soviel ungemach dieses jahrs übernommen, und weil ichs, aus lauterm hertzen ohne feischliche absichten geschehen zu seyn, nicht zweife, sihe ichs als ein GOtt angenehm und ge- segnetes leiden an, dessen sich derselbe darnach nicht zu reuen lassen hat. Jedoch, daß die andern deswegen hingegen auch nicht schelte oder beschul- 30 dige, welche der gewalt eher gewichen und, nach dem man, was auszurichten, ziemlich zuvor siehet, in ihrem gewissen sich zu einem leiden, da ihre ge- meinde dennoch in der that keinen nutzen davon haben würde, nicht haben resolviren wollen. Ich billiche es auch, daß die zufucht an ihro Keyserliche Majestät7 selbs 35 genommen8 und die gelegenheit, wie man sie fnden konte, ergrifen worden, daher mich auch, einiger massen zum unterhändler gebrauchen zu lassen, nicht entbrochen9; ob schon in der wahrheit nicht so wol mit grosser hof- nung, als damit nichts unversucht bliebe. Daher auch von demselben billich fordere, daß er sich nichts dessen, wie ihn der HErr bißher geführt, reuen 40 lassen und vollends in gedult, was derselbe ferner vor ein ende an der sache machen werde, auswarten wolle; damit er nicht, wo er sich voriges reuen liesse, göttliche weise leitung beschuldigte und sich einigerley massen der frucht des vorigen vor GOtt verlustigt machte. So kans auch nicht lang mehr währen, sondern muß sich der ausgang bald weisen, welcher auch gewiß 45 derselbe seyn wird (die menschen thun nun darinnen recht oder unrecht),

22 gnügen: D2+3. ​26 jahr: D1. ​

6 Ofenbar eine Verhaftung (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 78, Z. 1–12). 7 Kaiser Leopold I. (9. 6. 1640–5. 5. 1705), seit 1658 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (J. Schumann, Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I., Berlin 2003); nach dem Aussterben der Piastenfürsten machte er Erbansprüche auf deren Gebiet geltend und versuchte die evangelischen Bewohner zu rekatholisieren (J. G. Worbs, Die Rechte der evangelischen Gemeinden in Schlesien an den ihnen im 17. Jahrhundert gewaltthätig genom- menen Kirchen und Kirchengütern, Sorau 1825; G. Wa˛s, Religionsfreiheiten der schlesischen Protestanten, in: J. Köhler, R. Bendel [Hgg.], Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, Teil 1, Münster 2002, [451–482] 476; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 12 Anm. 3). 8 Diese Resolution von schlesischen Evangelischen an den Kaiser wird schon im Brief vom 1. 6. 1689 erwähnt (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 56, Z. 41 f). 9 Spener hatte über Nikolaus von Gersdorf im Herbst 1689 Petitionen an den kaiserlichen Hof vermittelt (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 102). – Weiteres zu Speners Einsatz zugunsten der evangelischen Schlesier fndet sich in den Briefen Nr. 142 und Nr. 143, Z. 22–95. 16 Briefe des Jahres 1690

denn die göttliche heilige weißheit ihre ehre und desselben besten am er- sprießlichsten erkennet; welches sich, ob nicht bald, doch zu seiner zeit of- fenbahren wird. Wo also etwas auch damit solte verdorben seyn worden, ha- 50 ben wirs keinem menschen zu imputiren, der damit zu thun gehabt, als die in liebe thäten, was sie konten, sondern der Heil[igen] providentz dessen, wel- cher macht hat, zu einer sache einen success zu geben, aber ihn auch zu ver- sagen. Ach, wie wol ist uns, da wir alles dermassen als von seiner hand annehmen 55 und deswegen die augen von allen menschen abwenden, dazu zwar dieses, worinnen derselbe eine weile gestanden, die beste göttliche schule ist, wor- innen man durch die übung selbst lernet. 11. Jan[uar] 1690.

52 einen ] einem: D1. ​54 wie wol ] wiewol: D1. Nr. 6 an [die Theologische Fakultät] 13. 1. 1690 17 6. An [die Theologische Fakultät in Wittenberg]1 Dresden, 13. Januar 16902

Inhalt Freut sich über Nachrichten, daß auf der Universität, die Werkstätten des Heiligen Geistes sein sollen, Männer ausgebildet werden, die würdig und in der Lage sind, wichtige kirchliche Ämter einzunehmen. – Bedankt sich für die Einladung zur Promotion dreier Kandidaten und entschuldigt sich, wegen vieler Geschäfte nicht von Dresden wegreisen zu können. – Beklagt, daß einer dieser Kandidaten in Dresden bei einer Probepredigt und bei einem Examen einen ungünstigen Eindruck hinterlassen hat, und hoft, daß er eine weitere Chance, die ihm gewährt werden soll, besser nutzt. – Wundert sich nicht über solche, die aus feischlichen Motiven Sachen hintertreiben, die sie eigentlich befördern müßten. Ist sich mit dem Adressaten darüber einig, daß der Verzicht auf eine Verbesserung der Bibelübersetzung Luthers eher der römisch-katholischen Festlegung des Vulgatatextes entspricht als den Vorstellungen Luthers selbst. – Bittet Gott, daß [der schwedische] König dahin gelenkt wird, das Gute zu unterstützen, indem die Frommen unterstützt und andere Leute abgeschreckt werden, sich gegen christliche Übungen zu wenden. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 708–710.

Qui Academias recte constitutas Spiritus Sancti officinas sacras et Ecclesiae seminaria salutaria3 agnosco et earum felicitatem ex animo diligo, quoties de hac mihi refertur, serio illo nuncio delector. Nec leve mihi ex eo gaudium, si in illis Viri formentur, quibus honores summi digna eruditionis et donorum praemia merito decerni et conferri possint; eo magis quia pluribus subinde in 5 aeternitatem evocatis Theologis Ecclesia nostra aliis eget, qui decedentium locum suppleant.

1 Die Anrede „fratres desideratissimi“ (Z. 15 f) läßt, zusammen mit dem Inhalt des ersten Teils (Z. 1–48), die Mitglieder der theologischen Fakultät in Wittenberg als Adressaten erkennen. – Auf Grund des letzten Teils (Z. 49–72) kann Theodor Dassov als direkter Empfänger vermutet werden. Vielleicht hatte er ähnlich wie später, als er sich mit August Hermann Franckes „Observationes Biblicae“ auseinandersetzte (diesen als Plagiator bezeichnend), zu diesem Zeitpunkt schon die in der Vorrede der Stader Bibel (s. Anm. 18) diskutierte Möglichkeit der Verbesserung der Luther- übersetzung thematisiert. – Zu Dassov: (27. 3. 1648–6. 1. 1721), Professor in Wittenberg, geb. in Hamburg, nach dem Studium in Gießen und Wittenberg 1678 Professor für Poesie und 1689 für orientalische Sprachen ebd. (H. Schröder, Lexicon der Hamburger Schriftsteller, Bd. 2, Hamburg 1854, 2–8; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 12 Anm. 1). 2 Wenn die Identifzierung des Kandidaten, von dem in Z. 22–48 die Rede ist, zutrift, müsste der Brief freilich ins Jahr 1691 umdatiert werden, denn erst am 26. 2. 1691 hatte Johann George Meisner, zusammen mit drei weiteren Kandidaten seine Doktordisputation durchgeführt (.C. E Foerstemann, Liber Decanorum Facultatis Theologicae Vitebergensis, Leipzig 1838, 112 f). 3 Zu Speners Vorstellung, Universitäten könnten „Pfantzgärten und Werkstätten des Heiligen Geistes“ sein, s. Spener, Pia Desideria 1676, S. 127 [PD 68, 5 f] und die Predigt zur Einweihung der Universität Halle (Ph.J. Spener, Danck=​Predigten, Anhang in: ders., Christlicher Buß=​Predigten Besonderer Dritter Theil, Frankfurt a. M.: J. D. Zunners sel. Erben 1710, S. 97; vgl. auch Brief Nr. 8, Z. 45, mit Anm. 10, und Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 7, Z. 30). 18 Briefe des Jahres 1690

Unde non potuit non gratum mihi indicium esse ex vestra epistola4 tribus candidatis proxime Doctoralia axiomata in vestra universitate collatum iri, ad 10 quam solennitatem me etiam humanissime invitari singulari honori duco optimaeque voluntati vestrae gratias decentes ago. Quamvis vero amicorum honestis desideriis non equidem volens deesse soleam, quo minus tamen iter ingredi et vestro in brabeuterio5 comparere valeam, post alia vix permittunt muneris incumbentis occupationes, quae Dresdae6 me ita affigunt, ut pluribus 15 mensibus nec pedem porta urbis efferam. Unde confido Vos, Fratres deside- ratissimi, haud aegre laturos, quod alioqui Viris, quos colo, aliquando coram loquendi iam dudum cupidus absentiam meam excusare necesse habeam. DEUM vero precor, qui et istum actum destinatum Venerando Collegio honorificum esse iubeat et Candidatos omnibus Spiritus coelestis χαρίσμασι7, 20 quibus Ecclesiae plurimum prosint, ulterius impleat, universam vero acade- miam omni benedictionis supernae genere ubertim beet. Inter candidatos primi domini L[ic]. N.8 vicem ex animo doleo, qui desi- gnatus ab alma Universitate praepositus superiori septimana ad nos venit et ad specimina solita se obtulit. Admissus eique in sacello electorali pro more con- 25 cio δοκιμαστική delata9, post hanc vero colloquium Theologicum institutum est. Quam vero optarem spei nostrae Virum vel in minimo respondisse. Ast sermonem quod attinet, satisfecit auditorum nemini, ita ut doluerimus Sere- nissimam Electricem10, ad cuius dotalitium11 N. spectat, cum Serenissimis Principibus12 isti interfuisse, totaque urbs rumore de eo et iudiciis parum 30 honorificis impleta fuerit. Cum deinde in Senatu Ecclesiastico13 Venerandus

22 domini: cj ] DOMINI: D.

4 Nicht überliefert. 5 Der Ort, an dem die Brabea oder Gaben ausgeteilt wurden; Wettkampfstätte; im akademi- schen Bereich der Saal, in dem die Doktordisputationen durchgeführt wurden. 6 Dresden. 7 (Gnaden)gaben. 8 Johann George Meisner, Oberpfarrer in Schmiedeberg (29. 11. 1655–8. 11. 1740), geb. in Wittenberg als Sohn des dortigen Theologieprofessors Johann(es) Meisner (zu diesem s. Anm. 15), nach dem Theologiestudium in Frankfurt/O., Leipzig und Wittenberg und einer Bildungsreise durch Europa 1684 Oberpfarrer in Schmiedeberg, 1691 Promotion zum Dr.theol. in Wittenberg und von 1691 bis 1733 Propst in Schlieben (PfBKPS 5, 37). 9 Concio δοκιμαστική: Probepredigt. Sie wurde in der Kapelle der (verstorbenen) Kurfürstin Magdalene Sibylle gehalten, in der Spener häufg predigte. 10 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). 11 Schlieben, wo Meisner Propst werden sollte, war seit 1602 Patronatsherrschaft der säch- sischen Kurfürstinnen (R. Krieg, Chronik der Stadt Schlieben. Ein Beitrag zur Heimatkunde, Schlieben 1897, 77). 12 Die sächsischen Kurprinzen Johann Georg (IV.) (zu diesem s. Brief Nr. 156 Anm. 1) und Friedrich August (zu diesem s. Brief Nr. 157 Anm. 1). 13 Das aus fünf Personen bestehende Oberkonsistorium in Dresden. Zu diesem Zeitpunkt war Hans Ernst von Knoch(e) Präsident (zu diesem s. Brief Nr. 83 Anm. 1); neben Spener in seiner Funktion als Oberhofprediger gehörten weiter hinzu Samuel Benedikt Carpzov als Super- intendent von Dresden (zu diesem s. Anm. 14) und zwei Juristen als Beisitzer. Adam Christoph Nr. 6 an [die Theologische Fakultät] 13. 1. 1690 19

Collega dominus Doctor Carpzovius14 in colloquium cum ipso descenderet, ne tunc quidem eum se praestitit, quem decebat, ut ad me delato ordine, cum vix horae quadrans restaret, potius serio ipsum monuerim de defectibus, quam ut pluribus conferre liceret. Quoniam ergo non secreto res acta fuerat, sed tot hominum, imo etiam procerum ex senatu sanctiori, auribus concio excepta, 35 decretum est non posse eum ad Ephoriam admitti, nisi aulae et omnium aliorum censurae nos ipsos exponere vellemus. Audito hoc candidatus libello supplici se excusavit et, quae admissa essent, morbo, quo ante aliquot annos viribus fractus fuerit, et animo moerore et curis turbato imputari rogavit. Re mature hodie deliberata tandem in mediam sententiam itum est, ut nondum 40 alterius denominatio re ad consilium secretius delata requireretur, sed denuo ipse vocatus alia concione sibi commissa existimationem priori omnino per- ditam, si posset, recuperaret seque munere illo dignum nobis probaret; Vene- randum autem Collegium Theologicum moneretur, ne candidati nomini in proclamatione publica elogium muneris adhuc ambigui adderet. Miseret me 45 Viri, qui isto sermone de se conceptas spes destituit, eo magis, quia vel Beati Patris15 mihi imprimis amici, quod literae plures testatae sunt16, gratia prae aliis ipsum diligo, in hac vero causa pro voto iuvare desideria ipsius nequeo. Caeterum C. R.17 oppositiones mirarer, nisi a tot annis expertus essem, quod saepius optima quaevis conamina illos adversarios primos patiantur, qui pro- 50

31 domino: cj ] DOMINO: D.

Jacobi war vor wenigen Wochen (am 14. 11. 1689) verstorben; zu seinem Nachfolger war Johann Georg Börner (zu diesem s. Brief Nr. 93 Anm. 8) am 13. 12. 1689 auf den Vorschlag des Oberkon- sistoriums von Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen bestimmt worden (SächsHStA Dresden, loc 1874, Bl. 70r/v [Schreiben des Oberkonsistoriums an Johann Georg III. vom 9. 12. 1689] und Bl. 71r/v [Schreiben Johann Georg III. an das Oberkonsistorium vom 13. 12. 1689]). Der andere war Johann Georg Nicolai (zu diesem s. Brief Nr. 93 Anm. 7). – Zum Oberkonsistorium s. F. Ludwig, Zur Entstehung der Lokalvisitation der „Synoden“ und des Oberkonsistoriums in Kursachsen, BSKG 21, 1907, 62. 14 Samuel Benedikt Carpzov, Superintendent in Dresden (s. Brief Nr. 2 Anm. 3). 15 Johann(es) Meisner (4. 4. 1615–11. 11. 1681), Professor in Wittenberg, geb. in Torgau, nach dem Studium in Wittenberg Rektor in Torgau und ab 1649 Professor und 1660 gleichzeitig Propst an der Schloßkirche in Wittenberg (A. Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen Witten- bergs, Hamburg u. Gotha 1852, 225–234; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 30). 16 Es sind drei Briefe Speners an Meisner (Frankfurter Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 30, Nr. 73 und Bd. 3, Brief Nr. 53) und einer von Meisner an Spener (Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 158) überliefert. 17 Vielleicht Conrad Tiburtius Rango; es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser streitlustige Lu- theraner (vgl. Speners Charakterisierung als „inquietus animus“ in Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 10, Z. 23) sich gleich mit den in der „Stader Bibel“ (s. Anm. 18) vorgeschlagenen Verbes- serungen des Luthertextes auseinandersetzte. Greifswald gehörte zu dieser Zeit ebenso wie Stade zu Schweden. Sollte Theodor Dassov der persönliche Adressat des Briefes sein (s. Anm. 1), ist zu bemerken, daß dessen Bruder Nikolaus Theologieprofessor in Greifswald, also Kollege von Rango war (zu N. Dassov s. H. Schroeder, [wie Anm. 1], 1 f). – Zu C. T. Rango: Theologieprofessor in Greifswald (9. 8. 1639–3. 12. 1702), geb. in Kolberg/ Pommern, nach dem Studium und Pädago- genstellen in Berlin und Stettin von 1669 bis 1689 Geistlicher in Stettin, 1689 Theologieprofessor 20 Briefe des Jahres 1690

movere deberent, sed variis carnis aguntur affectibus; unde novum mihi non est, si homines antiquum obtinere recentibus subinde exemplis confirmor. Rem ipsam quod attinet18, Tecum omnino sentio novas versiones, quoad fieri possit, ad authentici textus puritatem adornandas esse. Sane de Luthero19 55 me pessime mereri crederem, cum tamen mallem de Viri meritissimi memo- ria optime mereri, si existimarem vel ipsum suam versionem Ecclesiae voluis- se obtrusam pro canone vel interrogatum de conatibus defectus istius sup- plendi his restiturum ex φιλαυτία20 fuisse. Imo uti, proh dolor, e Babylone21 egressi, quaedam tamen ex ista in aliis etiam principia retinuimus aut iterum 60 revocamus, ita his accensere non dubito eorum sensum, qui Lutheri nostri versioni tantum non illam αὐθεντίαν22 conciliatam vellent, quam Pontificii vulgatae suae Tridenti tribuerunt23 et tamen nec in hac ditione desunt (imo forte nostri ordinis plerique istum sensum fovent), qui consulti cum R.24 quam Tecum facere mallent. 65 DEUM precor, qui vestrae etiam provinciae, cui consultum vis, verbum suum purissimum vel contra eorum voluntatem, qui, quae ignorant, ab aliis sciri nolunt, in manus dari, nec his iterum excuti, clementissime iubeat. Re- gisque25 cor ad hoc etiam opus bonum consummandum potentissime flectat. Civibus vestris ob pietatem ea passis, quae hoc tempore piorum fata sunt con- 70 sueta, victoriam a DEO concessam laetus gratulor huncque veneror, qui successum toti negotio illum det, quo et confirmentur alii pii et alii ab ausibus temerariis adversus exercitia Christiana absterreantur. Die 13. Ian[uarii] anno 1690.

in Greifswald und Generalsuperintendent von Vorpommern und Rügen (H. Lother, Pietistische Streitigkeiten in Greifswald, Gütersloh 1925, 1–8; L. Noack/ J. Splett, Bio-Bibliographien: Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit, Berlin–Cölln 1640–1688, Berlin 1997, 317–332; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 133 Anm. 6). 18 Die „Stader Bibel“ (Biblia […], numehr aufs neue […] übersehen/ gegen einige alte und neue Außfertigungen/ auch selbst den Grundtext gehalten/ und von […] Fehlern gesaubert. Nebst Einer hiervon außführlichern Bericht ertheilenden Vorrede H. Johannis Dieckmanns […], Stade: Holwein 1690) war von Johann Dieckmann besorgt worden, die nach ihrer Vorrede von einer Verbesserung des Textes der Übersetzung Martin Luthers ausgeht (J. Quack, Evangelische Bibelvorreden von der Reformation bis zur Aufklärung, Heidelberg 1975, 173 f). 19 (1483–1546). 20 Eigenliebe; Selbstliebe. 21 Die römisch-katholische Kirche und ihre Ordnungen, aus deren „babylonischer Ge- fangenschaft“ die evangelische Kirche durch die Reformation befreit wurde (vgl. Martin Luther, De captitate babylonica ecclesiae“, 1620; WA 6, 497–573). 22 Selbstherrschaft. 23 Zur Festlegung der Vulgata als dem normativen Bibeltext für die römisch-katholische Kirche im Konzil von Trient im Jahr 1546 s. Concilium Tridentinum 5, 91.1–32 und 91.35–92.34. 24 Wie Anm. 17. 25 Stade gehörte in dieser Zeit genauso wie Greifswald (s. Anm. 17) zu Schweden. Dort re- gierte zu dieser Zeit König Karl XI. von Schweden (zu diesem s. Brief Nr. 143 Anm. 11). Nr. 7 an Samuel Schelwig 14. 1. 1690 21 7. An Samuel Schelwig in Danzig1 Dresden, 14. Januar 1690

Inhalt Will die Gelegenheit des Briefes nutzen, um ein Anliegen anzusprechen. – Hat von den Ausein- andersetzungen um [Christoph Philipp] Zeise erfahren, der verdächtigt wird, er lehre, daß die Wiedergeborenen das Gesetz vollkommen halten können. Bestätigt, daß er Zeise von Frankfurt kennt, ist aber nicht eng mit ihm verbunden. Hat die Antworten auf die diesem vorgelegten Fragen gelesen und kann keine Irrlehre feststellen, weil sie den Worten des Heiligen Geistes und den Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche entsprechen. – Verweist auf sein eigenes Werk „Evangelische Glaubensgerechtigkeit“, das von den bedeutendsten lutherischen Theologen ge- lobt worden ist, und benennt Aussagen anderer Theologen, die ebenfalls unterscheiden zwischen einer am Gesetz oder am Evangelium orientierten Vollkommenheit. – Warnt vor dem Schaden für die Kirche, wenn ausführlich über diese Frage diskutiert wird. – Bittet Schelwig, seine Auto- rität aufzubieten, daß sich die zerstrittenen Parteien wieder versöhnen. Überlieferung D: Samuel Schelwig, Itinerarium antipietisticum, Stockholm 1695, S. 105–107.

Antequam istas claudam, unum adhuc subiungere visum est, quo Tibi, Vene- rande Frater, occasionem forte, subministro de ora ista, ex qua proxime DEO duce discedes2, de Ecclesia in ista tranquillitate bene merendi. Relatum est ad me Zeisium Zirchoviensem Pastorem3 a Stolpensi mini- sterio heterodoxiae postulari et ob hoc res ibi turbari. Quid doceat, alias 5 equidem ignoro, nulla ipsi familiaritate coniunctus, quam quod superioribus annis Francofurti aliquot exegit septimanas, et mihi non semel locutus, ser- monibus suis spem de se fecit optimam. Ex eo tempore antequam isti motus orirentur, de eo vix audivi4. Fateor autem me in adhibenda Criminationibus heterodoxiae fide tardum admodum esse, qui cum dolore saepius consideravi 10

1 Samuel Schelwig (8. 3. 1643–18. 1. 1715), Rektor und Pfarrer in Danzig; geb. in Lissa/ Polen, nach dem Studium in Wittenberg 1668 Konrektor in Thorn, 1673 Professor und Bibliothekar am Gymnasium Athenäum in Danzig, 1675 Prof. theol. ebd., 1681 Pfarrer an der Katharinenkirche und ab 1685 neben dem Rektorat des Athenäums gleichzeitig Pfarrer an der Trinitatiskirche in Danzig, 1685 bei Johann Friedrich Mayer in Wittenberg zum Lic.theol. promoviert (Schelwig, Itineriarium, S. 49; RGG4 7, 880; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 105 Anm. 9). 2 Ofenbar wurde überlegt, Schelwig nach Wittenberg zu berufen (s. dazu Brief Nr. 84, Z. 75–77). 3 Christoph Philipp Zeiß (Zeise) (ca. 1660–4. 4. 1737), Pfarrer in Zirchow in Pommern; geb. in Buchsweiler, nach dem Studium in Straßburg 1686 Pfarrer in Zirchow, seit 1688 verwickelt in ei- nen Streit über die Möglichkeit der christlichen Vollkommenheit bei den Wiedergeborenen, 1720 Emeritierung (DBA 1410, 68–72; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 61 Anm. 4). – Aus- führlich zum Streit s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 83, Nr. 96 und Nr. 97, Z. 151–164, u. ö. 4 Daß der Speners Kontakt zu Zeise in Frankfurt enger war, als er hier zugeben will, zeigen die Bemerkungen in seinen Briefen v. a. an Anna Elisabeth Kißner (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 42, Z. 83–89; Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 151–164). 22 Briefe des Jahres 1690

seculi huius pruritum αἱρετικοποιητικόν5. Vidi vero, quae ad tres propositas ab alio quaestiones Zeisius respondit6 et, si non aliud suspicionum fundamen- tum est, quod etiam allegari non audivi, miratus sum controversiam Viro moveri. 15 Sane quod aliquo sensu praecepta divina a renatis servari possint, imprudens fuerit, qui inter nostros7 id negare ausit et quidem ita, ut non servatio tantum per fidem, sed etiam novam obedientiam inchoatam intelligatur: id enim fa- cere qui ausit, nae ille Spiritui S[ancto] ipsi contradixerit et, qui istius dictata sequuntur, libris nostris symbolicis: ut de aliis non dicam Theologis. Cum vero 20 utique non omni sensu servari possint, sed rectissime impossibilitatem aliquam contra Pontificios8 statuamus, imo sine vulneratione causae nostrae in articu- lo de iustificatione thesin eam deserere nequeamus, modi quo servari, quo non servari queant, utique discernendi fuerint. Notum autem est, quam distinctionem protulerint de Ecclesia nostra me- 25 ritissimi Theologi, Aegidius Hunnius9, Balduinus10, Gerhardus11 et alii, cum Servationem legalem et Evangelicam, secundum rigorem legis et ἐπιείκειαν12

5 Geschickt zum Ketzermachen. 6 Die Fragen des Barzwitzer Philipp Palow (1. Ob ein wiedergebohrner Christ […] Gottes Geboth halten könne, also das er würcklich nicht dawieder sündiget […] 2. Ob ein solcher Wiedergebohrner […] beym Versöhn=​Ambt […] mit Wahrheit sagen könne: Er habe Gottes Geboth nicht gehalten […] 3. Durch waß für Wercke sich der Glaube bey einem recht bekehrten Christen am meisten hervor thue?“) und Zeises Antwort sind publiziert in: Philipp Christoph Zeisens / […] Unverzagtes Gewissen, Frankfurt und Leipzig 1696 (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 83 Anm. 4). 7 Angehörige der lutherischen Kirche. 8 Die römischen Katholiken. 9 (21. 12. 1550–4. 4. 1603), Theologieprofessor in Wittenberg; geb. in Winnenden, nach dem Studium in Tübingen 1576 Professor und Pfarrer in Marburg, 1592 in Wittenberg (TRE 15, 703–707; M. Matthias, Theologie und Konfession. Der Beitrag von Ae- gidius Hunnius [1550–1603] zur Entstehung einer lutherischen Religionskultur, Leipzig 2004). – Christoph Philipp Zeise zitiert in dem in Anm. 6 genannten Werk auf S. 13 zu dieser Fragestellung die Auslegung zu Gal 5,14; abgedruckt in: Ae. Hunnius, Thesaurus Apostolicus Complectens Commentarios in omnes Novi Testamenti Epistolas et Apocalypsin Iohannis, Nunc primum hac forma editus […] a Jo. Henrico Feustkingio, Wittenberg: Meyer und Zimmermann 1705, S. 427 f. 10 Friedrich Balduin (17. 11. 1575–1. 5. 1627), Theologieprofessor in Wittenberg; geb. in Dres- den, nach dem Studium in Wittenberg und Jena zunächst Pfarrer in Freiberg und Superintendent in Oelsnitz, seit 1604 Professor in Wittenberg und seit 1608 gleichzeitig Generalsuperintendent des sächsischen Kurkreises (Zedler 3, 217; ADB 2, 16 f; RGG4 1, 1069). – S. z. B. F. Balduin, Catechesis apostolica, Wittenberg: Samuel Selfschs Erben und Paul Helwig 1620, S. 420. 11 , bedeutendster lutherischer Dogmatiker seiner Zeit (s. Brief Nr. 22 Anm. 62). – Spener zitiert in seinem Werk „Ev. Glaubensgerechtigkeit“ (s. Anm. 13), S. 285, aus J. Gerhard, Loci Communes (ed. Preuss), Bd. 3, S. 81b: „Ad renatos quod attinet, dicimus legem ab illis impleri duobus modis, primo fde et imputatione […]. Deinde inchoatione seu nova obe- dientia ex fde orta; ideo enim credentibus imputatur perfecta legis obedientia a Christo praestita, non ut secundum carnem libere vivant, sed ut in praeceptis Dei ambulent, haec renatorum nova obedientia non tantum in externis operibus consistit, sed etiam interiorem oboedientiam com- plectitur […], interim tamen a perfecta illa legis impletione quam Deus requisit procul adhuc abest.“ 12 Billigkeit. Nr. 7 an Samuel Schelwig 14. 1. 1690 23

Evangelii statuerunt: qua distinctione sine ullo mere gratuitae iustificationis praeiudicio Controversia illa decidi, et doctrinae nostrae sanctitas a Pontifi- ciorum cavillis atque carnalium hominum securo abusu vindicari potest. Nec nego eam me iniisse viam, cum contra D. Brevingium iustificationem Evan- 30 gelicam tuerer et c. 4. possibilitatem atque impossibilitatem servandae legis examinassem13. Quod hactenus opus et Sententia mea, utique non nova, a nullo hactenus Theologo in litem tracta sunt, sed potius illud a praeclaris Doctoribus elogiis maioribus, quam desidero, mactatum. Quantum vero ex Zeisii responso vidi, uti etiam ad me provacasse dicitur14, 35 non aliud ille docet, quam quod post alios ego docui, nec me docuisse poe- nitet. Non nego, φράσιν15 illam de moderatione Evangelica ambiguam esse posse et, si quis illo sensu capiat, quod Christus legem moderatus sit, nos parte aliqua eius liberando ac ita legem mitiorem et faciliorem, qua humanae infirmitates non vetarentur loco Mosaicae substituendo, falsam fore. Ast for- 40 mulae non ille sensus intentus est a Theologis, qui ante nos ea usi sunt: diser- te ego illum in Opere meo removi eique contradixi, et constat mihi Zeisium ipsum, satis clare ab illa suam sententiam separasse: imo in ipso responso non nulla sunt, quae sine ulteriori declaratione sensum ipsius orthodoxum indica- re videntur. Nec enim aliam moderationem seu ἐπιείκειαν16 Evangelicam 45 admittimus, quam qua sit, ut coelestis Pater obsequium filiorum suorum, imperfectum sane et, quod ex rigore legis iudicatum ob imperfectionem re- iici mereretur, ex gratia ob Christum suscipit cum bene placito et ei hunc faciat honorem, ut obsequii et servationis nomen reportet, quod certe ex Evangelio est, cum lex non solum nihil obligationis nostrae remittere, sed nec 50 ullum opus imperfectum aliter quam damnare queat. Hic ergo sensus Theologorum cum fuerit, qui ista φράσει17 usi Analogiae fidei18 tam non adversus, ut, quod ille dicit, ab omnibus necessario admitten- dus sit, qui Bonorum Operum Articulum19 e Theologia eliminare nolunt. De ipsa formula, ipsa quoque, ubi sonat in se innoxia, pluribus disceptari Ecclesiae 55 non profuerit20. Studio etiam accusari, quod neget renatum actualiter peccare, cum tamen diserte contrarium in responso legatur, nec formulam quaestioni insertam

13 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 283–577. – Zu Johann Breving s. Brief Nr. 16 Anm. 21. 14 In der schriftlichen Antwort auf die Fragen, die Zeise vorgelegt wurden (s. Anm. 6) ver- weist er lediglich auf Martin Luther und Augustinus. Darüber hinaus wird sich Zeise mündlich auf Spener berufen haben, wie er dies auch in der in Anm. 6 genannten Schrift tut: Auf S. 12 zitiert er ausführlich Speners Predigtsammlung „Laubachisches Denckmahl“ (Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1683, S. 64–66). 15 Formulierung. 16 S. Anm. 12. 17 S. Anm. 15. 18 Glaubensregel; eine in Anlehnung an Röm 12,6 entstande Formel der lutherischen Lehre. 19 S. v. a. CA 20 (BSLK 72.1–78.40; v. a. 77.27–29). 20 Zu dieser Fragestellung vgl. auch die Ausführungen in Brief Nr. 16, Z. 59–87. 24 Briefe des Jahres 1690

repetat. Ita cum res habeat, Te Vir Excellentissime, pro tua authoritate, quam 60 te apud vicinum ministerium valere non dubito, plurimum posse credo, ut fratres, qui, si recte alter alterum intelligant, a mutuis contentionibus, suspi- cionibus et litibus, ex quibus non possunt non scandala oriri Ecclesiae damno et hostium tripudio, abstinentes, in gratiam redeant etc. Nr. 8 an einen Theologiestudenten 20. 1. 1690 25 8. An einen Theologiestudenten in [Wittenberg]1 Dresden, 20. Januar 1690

Inhalt Freut sich über das Bekenntnis des Adressaten zum wahren Christentum. – Beklagt, daß zu wenige Menschen die Notwendigkeit und Möglichkeit eines tätigen Christseins akzeptieren und sich auf der Botschaft von der Rettung aus Gnade allein ausruhen. – Ist erfreut über alle, aber besonders über diejenigen, die sich mit der Theologie beschäftigen, wenn sie erkennen, daß ein Bekenntnis, das nichts mit der täglichen Lebensführung zu tun hat, ein Wahnglaube ist. Weist auf die von Luther für den Umgang mit der Theologie erwähnten Begrife oratio, meditatio und tentatio hin. Hört gerne vom Fleiß anderer Wittenberger Theologiestudenten beim Studium der Heiligen Schrift. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 772–774.

Am allerangenehmsten ist mir gewesen, aus solchem schreiben2 zu ersehen, daß der treue GOtt und Vater des lichts3 demselben die augen geöfnet, die art des wahren Christenthums und der rechten kraft=​Theologie anders ein- zusehen, als es gemeiniglich geschiehet. Wie ich denn versichere, daß die allermeiste in eben denjenigen gedancken 5 von dem wahren Christenthum stehen, wie desselben bekäntnüß lautet4: und wolte GOtt, sie würden nicht von vielen unsers standes und amts alzusehr in solcher meinung gestärcket, ja, die nothwendigkeit und mögligkeit eines rechtschafenen thätigen Christenthums und nach den geboten GOttes, ob wohl nach dem maaß ietziger zeit schwachheit, sorgfältig eingerichteten le- 10 bens als eine halbe ketzerey verschreyet und den leuten (denen ohne das eine angenehmere post5 ist, welche ihrem feisch mehr freyheit zugestehet) ver- dächtig gemacht. Da doch die H[eilige] schrift und aus derselben unsre Sym- bolische Bücher6, gleich wie sie unsre rechtfertigung der blossen gnade GOttes, durch den glauben und nicht die wercke ergrifen, alleinig zuschrei- 15 ben, also hingegen solchen seligmachenden glauben uns viel anders vorstellen, als daß wir unter demselben schönen nahmen diejenige menschliche einbil-

1 solchen: D1. ​2 denselben: D1. ​17 denselben: D1. ​

1 Die Adressatenbestimmung ergibt aus dem Regest von D und dem gesamten Inhalt des Briefes. Auf Wittenberg als Studienort weist die Erwähnung der „cathedra Lutheri“ (Z. 67 f). 2 Nicht überliefert. 3 Vgl. Jak 1,17. 4 Diejenigen, die vom „wahren Christentum“ reden, meinen nichts anderes als die in der Kirche formulierten Bekenntnisse, sind also keineswegs „halbe Ketzer“ (vgl. Z. 11). 5 Im Sinne von „Botschaft“ oder „Nachricht“ (DWB 13, 2020). 6 Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche. 26 Briefe des Jahres 1690

dung von Christo passiren lassen dörften, welche sich sichere leute machen, wenn sie auf dessen theures verdienst sich bey allem ihrem nach dem feisch 20 und bey dessen herrschaft führendem leben verlassen wollen, sich aber er- bärmlich zu ihrem ewigen schaden betriegen. Diesem betrug mit nachtruck mich zu widersetzen, bekenne ich, daß meine angelegenste materie ist, die ich mündlich und schriftlich treibe, auch nicht weiß, ob einige andere zu dieser zeit bey so tiefem schlaf der sicherheit 25 jederman einzubläuen nötiger seye. Wie aber diese lehr ihrer so vielen ein dorn in den augen (oder vielleicht gar in dem hertzen, welches er schmertzet) seye, habe vor mehrern jahren gnug erfahren u. erfahre es noch täglich; wobey mich zwahr dieses am allermeisten betrübet, wenn auch solche leute derselben zuwider sind, die sie selbs vortragen und vertheidigen solten. Indessen dörfen 30 wir um keines einigen menschen widerspruchs willen das wenigste von der göttlichen wahrheit ändern oder zurücklassen, noch weder die enge pfort weiter, noch die schmale strasse breiter machen7, alß sie der HErr gemacht hat, oder wir würden das blut aller dadurch betrogener und in das verderben gestürtzter seelen auf uns laden. Je gemeiner denn die thörichte einbildung 35 von der seligkeit, diese durch einen todten oder wahn=​glauben8 zu erhalten, ist, so viel hertzlicher freuet mich, so oft von einer seele höre, die aus diesem schlaf aufwachet und die himmlische wahrheit recht einsiehet, so viel mehr, wo es von denen geschiehet, welche dermahleins auch andrer handleiter werden sollen. Also dancke ich billich mit und vor ihn dem geber alles guten9, 40 welcher denselben kräftig gerühret und, wie ich mich versichere, dadurch einen solchen grund bey ihm geleget hat, auf welchen das übrige gantze studium Theologicum so viel vester wird gebauet werden können. Denn wer nunmehr trachtet, vor GOtt stäts in einem solchen lebendigen glauben erfun- den zu werden, aus welchem er, sich und sein gantzes leben demselben täglich 45 aufzuopfern, sich bemühet, der ist recht eine werckstätt desjenigen geistes10, aus dessen erleuchtung alle wahre und göttliche Theologie kommet. Daher, da andre, welche weltlich gesinnet bleiben und mit der welt auch in dem leben mit machen, durch einen menschlichen feiß zu einer buchstäblichen erkäntnüß und gleichsam Philosophie de rebus Theologicis gelangen können, 50 die aber einmahl viel zu schlecht ist, als daß wir ihr den edlen nahmen der Theologie geben sollten; so haben hingegen die jenige, so nunmehr recht- schafene that=​Christen sind und sich, von der welt unbefeckt zubehalten,

18 leute ] hute: D1. ​28 wann: D2+3. ​29 zuwider ] zu wieder: D1. ​39 ihn ] ihm D1. ​ 52 that=​Christen ] thate Christen: D1. ​

7 Vgl. Mt 7,13 f. 8 Vgl. die gleiche Anwendung des Begrifs in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 46, Z. 45. 9 Vgl. Jak 1,17. 10 Zum Bild für den wahren Christen (und Theologen) als Werkstätte des Heiligen Geistes s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 69, Z. 122 f; an anderer Stelle ist es ein Bild für Universitäten (Näheres dazu s. Brief Nr. 6 Anm. 3). Nr. 8 an einen Theologiestudenten 20. 1. 1690 27 bemühen, diesen vortheil, daß ihre studia und feiß, welchen sie anwenden, von dem H[eiligen] Geist geheiliget werden zu einer rechten lebendigen und kräftigen Theologie, die von jener unterschieden ist als das himmlische licht 55 von dem irdischen. Und diese sinds nachmahl, von welchen ich, wo sie nach GOttes rath dermahleins in ämter kommen, die meiste frucht hofe; wie denn ihr licht, so nicht nur scheinet, sondern feurig ist, in die hertzen also eintringt, daß es sie erwärmet und mit vieler kraft erfüllet. Dergleichen versehe ich mich nun auch von ihm aus demjenigen kräftigen anfang, welchen aus des- 60 selben lieben schreiben11 mit freuden abgenommen habe. Dahero ich treumei­ nend erinnere, nicht allein von solchem richtigen weg sich niemahl und durch nichts widrum abwendig machen zulassen, vielmehr sich nicht weniger in stetem gebet und wandel vor dem Herrn als den studiis selbst, so zwahr von jenen viele kraft empfangen werden, zu üben, sondern auch andre gute 65 freunde unter den Commilitonibus aufzumuntern, daß sie auch diesen weg erwehlen, und sonderlich auf der universität, da die Cathedra unsers S[eligen] Lutheri12 ist, nach der jenigen Theologie zu trachten, die nicht durch blosses lesen und hören erlangt werden kan, sondern zu dero methodo die von ihm recommendirte stücke meditatio, oratio, tentatio13 gehören; mit gewisser ver- 70 sicherung, ob sie von andern weltgesinneten Studenten einige verachtung und ungelegenheit ausstehen müssen (so mit ein stück jener tentation ist und ihnen mehr nutzen kan als schaden wird), daß sie doch dadurch einen schatz bekommen, den die welt ihnen nicht bezahlen kan und aus dem sie recht tüchtig werden, dermahleins sich selbs und, die sie hören, selig zu machen. 75 Ach, daß die zahl solcher personen groß werde! Welches mir gewißlich eine der größten freuden, so mir in der welt begegnen könte, seyn und, so oft ich von einigen dergleichen höre, eine neue freudige dancksagung zu GOtt bey mir erwecken würde.

62 solchem ] solchen: D1. ​63 sich ] – D1. ​74 dem ] den: D2. ​77 freude: D3. ​

11 Nicht überliefert. 12 Zunächst der Lehrstuhl der Universität Wittenberg, den Martin Luther inne hatte, später auf die gesamte Leucorea übertragen (H. Kathe, Die Wittenberger Philosophische Fakultät 1502–1817, Köln und Weimar 2002, 271). 13 M. Luther, Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften, 1539 (WA 50, 658.29–659.4). – Zu dessen Trias „oratio, meditatio und tentatio“, die er auf das Theologiestudium anwendet, und ihrer Rezeption in der lutherischen Theologie s. C.-W. Kang, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit. Die Reform des Theologiestudiums im lutherischen Pietismus des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, Gießen 2001, 71–140. Spener behandelt diese Begrife in seiner Schrift „Das Lehr=​reiche Zeugniß von der Gestalt eines Würdigen Studiosi Theologiae“, Leichpredigt für Jakob Reinhold, geh. am 15. 8. 1697 (Spener, Leichpredigten, Bd. 8, S. [508–546], 529–532), erneut veröfentlicht in: Johann Sigismund Kunth (Hg.), Philipp Jacob Speners Lehr=​ reiches Zeugniß von der Gestalt eines Würdigen Studiosi Theologiae, […] samt einem doppelten Anhang gleiches Inhalts, Leipzig: Samuel Benjamin Walther 1728, S. 15–19 (nochmals gedruckt: KGS 1, S. [1107–1170] 1145–1149). 28 Briefe des Jahres 1690

80 Den himmlischen Vater rufe ich inniglich an, daß er das gute werck, in seiner seelen angefangen14, ferner befestigen und fortsetzen, seine seele mit seinem licht und kraft von oben erfüllen und die Studia durch seinen geist dermassen heiligen wolle, daß er, obwol durch menschen iedennoch wahr- haftig von Gott gelehret, ein kräftiges werckzeug der göttlichen gnade zu 85 vieler menschen seligkeit werden möge. Dabey versichere, daß, wie mir dessen geistlicher wachsthum15 allezeit erfreulich, also auch iede gelegenheit, liebe zu erzeigen, angenehm seyn werde. Im übrigen hat mich auch der beyden NN16 bißheriger feiß nicht wenig contentiret und erfreuet, daß noch vieles gutes von ihnen hofe. Ach, daß doch 90 mehr und mehr das von mehrern eine gute zeit lang versäumete mit desto hertzlicherem eifer eingebracht und durch die jenige, so nun rechtschafen gesinnet, ja, von allen, die der HErr in ämter gesetzet hat oder die denselben nahe sind, die studirende jugend zu einer solchen liebe der H[eiligen] schrift, daß sie dieselbe allen übrigen Studiis vorziehen17, und jegliches, so viel mehr 95 oder weniger es zu derselben erkäntnüß thut, so viel höher oder geringer achten und zu der rechtschafenen Gottseligkeit, daran es zwar, wenn das wort GOttes in die hertzen recht zu kommen anfänget, nie mangeln kan, mit ernst angewiesen werden; so werden wir erkennen, daß der HErr seine kirche noch liebe und dero brüche heilen wolle.

100 20. Jan[uar] 1690.

80 er ] – D1. ​83 iedennoch ] ie dannoch: D1. ​91 hertzlichen: D1. ​93 studirende ] studirent: D1. ​93 solchen ] solchem: D1. ​95 es ] – D1.

14 Vgl. Phil 1,6. 15 Der Wachstum (DWB 27, 148). 16 Nicht ermittelt. 17 Zur Vorzugsstellung der exegetischen Fächer im Kanon der Theologie s. die Vorrede in: Ph.J. Spener, Tabulae Hodosophicae […] Joh. Conradi Dannhaweri, Frankfurt a. M.: Zunner 1690, Praefatio, S. e3v. Nr. 9 an [Johann Winckler] 21. 1. 1690 29 9. An [Johann Winckler in Hamburg]1 Dresden, 21. Januar 1690

Inhalt Leidet mit unter den Sorgen, von denen [Winckler] berichtet hat, und beantwortet sie so: 1. Versucht ihm die Angst zu nehmen, er tue in seinem Dienst nicht genügend zur Ehre Gottes, und verweist ihn auch angesichts der erkennbaren Mängel auf die Lehre von der Rechtfertigung aus Gnade allein. – 2. Rät, wie sich [Winckler] angesichts der drohenden Separation einiger Ge- meindeglieder verhalten kann: Er soll in der Predigt die rechtgläubige Lehre zu den umstrittenen Punkten darstellen, aber die Andersdenkenden nicht öfentlich bloßstellen. Mißverständliche Formulierungen sollen – wie dies im Umgang mit Autoritäten der Kirchengeschichte geschieht – wohlwollend gedeutet werden. Rät davon ab, den Magistrat einzuschalten und so Märtyrer zu schafen, die dadurch noch mehr Zulauf erhalten. – Berichtet von seinem nur sporadischen Kontakt zu den umstrittenen Personen. – Sagt die regelmäßige Fürbitte zu. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 659–663.

Ich muß bezeugen, das dessen an mich abgegebenes2 mir mehr betrübnüß als freude gemacht, nicht um meinet willen, sondern um geliebten bruders willen, dessen kränckende ängstigung, nachdem sie natürlicher weise seine kräften, so ich zu GOttes preise lange zeit erhalten zu werden verlange, ver- zehret, auch nicht weniger ängstiget3. Dahero ich von grund der seelen 5 wünsche, daß GOtt solcher sorgen last erleichtern wolle. Ich sehe aber, es bestehe dasselbe in zwey stücken. 1. In dem derselbe immer saget, Er thue nicht genug bey seiner gemeinde4. Nun will ich weder demselben, noch iemand anders in dergleichen dingen

1 Johann Winckler (13. 7. 1642–5. 4. 1705), Hauptpastor in Hamburg; geb. in Golzern bei Grimma (Geffcken; C. Tietz, Johann Winckler [1642–1705], Anfänge eines lutherischen Pietisten, [AGP 50], Göttingen 2007; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 162 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Dieser Brief ist die Antwort auf den in Anm. 2 genannten Brief Wincklers. 2 Es handelt sich um den Brief Johann Wincklers vom 8. 11. 1689 (Halle a.S., AFSt, A 159, 6a). 3 Winckler hatte sich für die Zusendung von Speners Katechismuspredigten (Spener, Cate- chismus=​Predigten) und Speners Begleitbrief bedankt, der für ihn ein Trost „wie ein Regen auf ein dürres Feld“ gewesen sei (s. Anm. 2). 4 „Es heiset zwar, wen ich nach vermögen thäte, ich entschuldiget wäre, ich sehe aber immer, daß ich mehr thun könnte, als ich thue u. fnde mein verhalten nicht entschuldiget. Ich thue aber dieses: […].“ Winckler zählt nun auf: Sonntags hält er neben dem Hauptgottesdienst nachmittags eine Predigtwiederholung in seinem Haus, die nicht nur stark besucht, sondern auch von den Kindern mit Aufmerksamkeit wahrgenommen wird, mittwochs veranstaltet er in seinem Haus ein Collegium über den Epheserbrief, freitags hält er um 5 Uhr eine Frühpredigt, ebenfalls mit vielen Besuchern. Er beendet den Briefabschnitt mit den Worten: „Bey allen diesen meinen vor- nehmen, die ich aus aufrichtigem willigem herzen thue, fnde ich doch nicht die ruhe, daß ich gnug gethan, wenn ich zumahl sehe, was noch mehr sollte gethan werden, zumahl da so viele greuel u. ärgernißen, sonderlich die fnsternis u. unwissenheit der Seelen mir vor augen liegen […].“ (s. Anm. 2). 30 Briefe des Jahres 1690

10 fattiren, aber aus überschriebenen, und was sonsten höre von seiner treue, kan ich nicht leugnen, wie ich das geringste fundament solcher angst nicht sehe. Wir habens ja mit einem solchen Vater zu thun, der unsre schwachheit und, wie weit sich die kräfte eines mannes erstrecken, alzuwohl kennet5, hingegen auch allzugütig gegen uns gesinnet ist, als daß er von uns fodern solte, was er 15 uns nicht gegeben. Wie ich nun versichert bin, daß seine liebe seele in der steten begierde stehet, GOtt nach allen kräften zu dienen und sich ohne aus- nahm ihm gantz aufzuopfern, auch mit vorsatz und willen keine gelegenheit, dessen zu versäumen, begehret; wessen ich hofe, daß ihn sein gewissen vor GOttes angesicht überzeuget; so sehe ich nicht einen genugsamen grund zur 20 sorglichen ängstigung; zwar ists freylich so, daß uns auch leid thun solle, daß wir nunmehr in solcher schwachheit stehen, in der wir nicht mehr auszurich- ten vermögen, weswegen wir uns auch dieses unvermögens und unwissenheit wegen mit kindlicher scham vor ihm demüthigen mögen; aber wir müssen uns darüber nicht ängstigen, sondern so bald seiner güte dancken, welche mit 25 ihrer kinder schwachheit dermassen gedult trage, daß sie alle dieselbe ihnen nicht zurechne, sondern ihren redlichen willen vor die that um CHristi willen annehme; auf welche weise selbst unsere schwachheit uns in der erkentnüß der göttlichen gnade wiederum eine freude und trost geben kan. Wie wir ja den articul von der rechtfertigung, über den wir in der theorie billich eifern, 30 in der praxi bey uns selbst nicht aus den augen setzen, sondern gegen alle mängel in der heiligung zu demselben unsere zufucht nehmen müssen; nicht zwar, in dieser desto nachläßiger zu werden, sondern uns alleine dadurch gegen des gesetzes, welches wahre vollkommenheit erfodert und uns in dem gewissen ängstet, anklage zu schützen und aufzurichten. Wann geliebter 35 bruder bey dieser regel bleibet, so wird er in seinem GOtt mehr freudigkeit haben als etwan bis daher. 2. Die andere ursache fnde ich wegen der in ihrer kirche bey einem jahr her entstandener unruhe6. Diese fnde freylich so viel schwerer, als ich so wohl zu andern mahlen dergleichen selbst gefühlet, als auch diese zeit über emp- 40 funden habe. Ich hielte aber davor, geliebter bruder könte sich auch darinnen mehr und mehr beruhigen, wo er die sache vor Gott immer weiter mit stille überlegen und, weme die herrschaft über die gewissen allein gehöre, erwegen wird. Dieses zwar thut einem am meisten leid, daß derselbe von seinen H[erren] collegis7 in solcher sache unterschiedliche verdrießlichkeit und

15 versicher: D1. ​18 ihm: D1. ​24 dancken ] dencken: D1. ​27 unsere ] unser: D1. ​28 ja ] in: D1. ​31 denselben: D1. ​32 dieser ] diesen: D1. ​33 uns ] was: D2+3. ​43 seinem: D1. ​

5 Vgl. Hebr 4,15. 6 Die Unruhe, die in der Hamburger Gemeinde durch einige junge Studenten und Magister der Theologie ausgelöst worden war (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 108, Z. 38–62, und Bd. 3, Briefe Nr. 9, Z. 157–178, Nr. 25, Z. 23–29, Nr. 54, Nr. 65 u. ö.). 7 Die Mitglieder des Hamburger Predigerministeriums. Nr. 9 an [Johann Winckler] 21. 1. 1690 31 schimpf leiden müsse8. Ob nun wohl zu derselben sache die ofenhertzige und 45 genauste gemeinschaft mit herr N.9 (da ich hingegen immer verlange, sich einem menschen nur gantz zu ergeben) anlaß oder ursach gegeben hat, und ich die änderung mit ihm selbst nicht geunbilliget, aber die art etwas anders gewünschet hätte, so ist doch solches ein trost, daß es ein leiden, in das man aus endlicher liebe gerathen seye. 50 Was aber das gegenwärtige anlangt, meinte ich, geliebter bruder könte gar wohl seine klage und angst mildern. Ich will sagen, wie ichs nach meinem gewissen machen wolte, wo ich an seiner statt wäre. Meiner gemeinde würde ich die thesin, wie in allen andern puncten, also sonderlich denjenigen, wel- che entweder von einigen der angeschuldigten personen10 warhaftig ange- 55 fochten werden oder dergleichen dennoch verurtheilet wird, gründlich aus Gottes wort vortragen und die andere thesin mit sanftmuth und bescheiden- heit widerlegen, aber also, daß ich nicht exprimirte, daß leute in der stadt seyen, die dergleichen irrthüme hegeten und also ab hypothesi abstrahiren. Damit sind diejenige genug verwahret, die ihre seelen verwahren wollen, hin- 60 gegen wird keiner veranlasset, etwas wider die liebe gegen andere, derer schuld noch zweifelhaftig, zu thun. Ferner, was die person selbst anlanget, wolte ich mich ihr weder gantz entziehen, vielweniger etwas wider sie thun, noch hingegen etwas desjenigen, worinnen zweifel an ihnen ist, theilhaftig machen. Ich habe gleichwohl von herrn N.11 nichts gehöret, das ihn eines 65 eigentlichen irrthums convincirte; vielmehr habe nechst12 eine declaration von ihm gesehen, so er als vor GOttes angesicht gethan, in der, was den arti- cul anbelanget, der grund der warheit unverletzt stehet, obwohl einige ex- pressiones nicht nach dieser phrasi eingerichtet sind13. Wir wissen aber nicht alleine, wie der mann in allen seinen conceptibus intricat ist und sich so 70

59 seyn: D1. ​61 keiner ] ein jeder: D1. ​65 das ] daß: D1. ​67 der ] dem: D1. ​

8 Winckler hatte geschrieben: „Bey dem Ministerio bin ich großen theils in schwerem verdacht u. so verhaßet, daß mich etliche nicht können ansehen.“ (wie Anm. 2). 9 Eberhard Zeller (15. 4. 1652–2. 10. 1705), amtsenthobener württembergischer Theologe, der in Hamburg als Informator wirkte; geb. in Stuttgart, nach dem Studium in Tübingen (1674 Magister) 1678 Repetent in Tübingen, 1682 Vikar in Stuttgart (vgl. Spener an J. W. Petersen am 22. 9. 1683 [AFSt, A 196, S. 297]), 1684 zweiter Diaconus in Göppingen, Einrichtung von Collegia Pietatis und Verbreitung wiedertäuferischer Gedanken, 1686 Amtsentlassung und Aufenthalt bei Johann Jakob Schütz in Frankfurt a. M.; seit Ende 1687 Hauslehrer bei Johann Winckler in Hamburg, seit Mai 1688 wohnte er bei Winckler; er richtete zusammen mit Laien Collegia ein, in denen der Perfektionismus vertreten wurde, 1693 Rückkehr nach Frankfurt a. M. und im gleichen Jahr Adjunkt in Wallau, 1696 Pfarrer ebd. (Diehl, Hassia Sacra 7, 158, K. A. Zeller, Die Familie Zeller aus Martinszell, Stuttgart 1974, § 197, 196; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 129 Anm. 1). 10 Die Gemeindeglieder, die des Separatismus verdächtigt wurden. Die Namen werden ge- nannt in Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 108 Anm. 10; zur Sache vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 65 mit weiteren Verweisen in Anm. 3). 11 Eberhard Zeller (s. Anm. 9). 12 Im Sinne von „vor kurzem“, „jüngst“ (DWB 13, 133 f). 13 Vgl. Brief Nr. 12, Z. 1–8. 32 Briefe des Jahres 1690

schwerlich expliciren kan14, dahero man ihm nicht alle wort zu poltzen trä- hen15 darf, sondern auch, wie die liebe altväter, die wir doch als testes ortho- doxiae16 anzuziehen pfegen, so ofte gar viel anders, als wir wünscheten, geredet haben; wir sind aber zufrieden, daß wir zu weilen einige feine sen- 75 tentias bey ihnen fnden, daraus wir sehen, daß sie den grund behalten haben, und theils expliciren wir aus denselben die härter scheinende ort, theils halten wir ihnen einige unbequemere reden zu gut. Dieses führe ich nicht dahin, als ob wir selbst wenig auf die formam suorum verborum17 achten solten, viel mehr bleibe ich selbst dabey und verbinde mich dazu, sondern daß wir an 80 andern mitbrüdern etwas dergleichen auch mit liebe tragen lernen, wenn sie sich in den reden nicht mit uns auf gleiche art einschrencken lassen. Wie insgesamt ich in keinem pünctlein von der orthodoxie abschreite oder solche freyheit mir ausnehme, aber ich breche nicht so bald das band der gemein- schaft mit denen, die sich auch eine mehrere freyheit ausnehmen. Also, so 85 lang einer sich zu unserer kirchen öfentlich halten will (welches kein papist oder quacker18 nach seinen principiis thun kan), er widerspricht auch unsern libris Symbolicis nicht oder bekennet sich insgemein zu denselben, ob ich gleich auch gesaget haben kan, daß er in einigen dingen seine scrupel habe, werde ich weder zu starck in ihn setzen, noch ihn aus der geistlichen gemein- 90 schaft setzen; sondern er kenne solche scrupel, so vielmehr, da man solche auch nicht getrauet zu proponiren, aufs höchste vor solche schwachheits=​ sünden, die der liebste vater ihnen zu gute hält, und ich mit ihrer schwachheit auch gedult tragen muß. Zeit genug ists zur trennung alsdenn, wo sie gar aus brechen und von uns ausgehen, ich aber stosse mit willen niemand aus, der 95 noch bey uns bleiben will und also auch damit unsere kirche soferne vor eine gemeinde des Herrn erkennet. Geliebter bruder gedencke, wenn auf diese weise verfahren worden wäre, wie vieler ungelegenheit wäre man frey und die kirchen verschonet blieben? Ich habe nie nicht gehöret, daß auf ihn, N., oder seinen mitgenossen19 in der

71 ihm ] ihn: D1. 82 in ] von: D1. 93 alsdenn ] als den: D1. 98 man ] mann: D1. ​ 99 seinen ] seinem: D1. ​

14 Vgl. Brief Nr. 12, Z. 3–6. 15 Übel auslegen (Wander 1, 429). 16 Zeugen für die Rechtgläubigkeit. 17 Die Form ihrer Worte. 18 Von George Fox Mitte des 17. Jd. gegründete Gesellschaft der Freunde, die von ihren Gegnern „Quäker“ („Zitterer“) genannt wurden (TRE 28, 35–41; H. Otto, Werden und Wesen des Quäkertums und seine Entwicklung in Deutschland, 1972; S. Juterczenka, Über Gott und die Welt. Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische Quäkermission in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2008; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 82 Anm. 24). 19 Wohl Nikolaus Lange (11. 11. 1659–29. 5. 1720), Kandidat der Theologie; geb. in Garde- legen/ Altmark, nach dem Studium in Jena und Reisen durch Europa (Aufenthalt in Hamburg seit 1685 mit Unterbrechungen) 1693 Legationsprediger des Schwedischen Gesandten Graf Friedrich Wilhelm von Horn in Wien, 1695 Pfarrer in Derenburg, 1705 Superintendent in der Stadt Brandenburg (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 108 Anm. 13; Dresdner Briefe, Nr. 9 an [Johann Winckler] 21. 1. 1690 33 inquisition einiger eigentlicher irrthum gebracht worden; denn haben einige 100 ihre eigene meinungen in etlichen stücken von sich blicken lassen20, weiß ich doch nicht anders, als daß sie expresse bezeuget, denselben von Hn. N. nicht zu haben oder doch nicht zu wissen, ob ers auch also halte21. Da wär mir nun diese ursache nicht genung, sie aus dem umgange mit demselben eben solcher irrthüme zu beschuldigen22, noch nehme ich mir die macht, einigem christen 105 die gemeinschaft mit solchen leuten zu verbieten, die falsche lehr, und zwar nicht nur einigen irriger meinungen in ihren hertzen, sondern deroselben boßhaftige ausbreitung, nicht überführet und also durch der gantzen kirchen consens ausgestossen sind. Wie ich denn zwar das gericht über andere, denen der herr anderwerts die haußhaltung über seine gemeinde anbefohlen hat, mir 110 in den dingen nicht nehme, die sie nach ihren gewissen thun, würde ich mich doch nimmermehr dazu haben bewegen lassen, daß ich iemand um des umgangs willen mit dergleichen leuten von den gütern der kirchen ausge- schlossen hätte23 oder mich dessen theilhaftig gemacht; wie nicht in abrede bin, daß mir, was von herrn N. gehöret, sehr verwunderlich gewesen. Daß der 115 Magistrat gegen die angeschuldigte nichts thut24, wundere ich mich nicht, sondern ich meines orts lobe dessen verfahren vielmehr, als daß es mir miß- fallen liesse, und solte derselbe hingegen auch, wie vielleicht einige verlangt haben mögen, gegen die angeschuldigte seine hand gewendet haben, sorge vielmehr, daß ein grösser unglück und hertzeleid in der gemeinde entstanden 120 seyn dörfte. Denn nicht eher kan sich ein anhang samlen, als wo einem leiden wegen der religion angethan wird, denn wo einer solche neue beständigkeit weiset, so fallen ihm manche zu, die, wo er in ruhe geblieben, ihn zu hören kaum die mühe genommen hätten, wie der quacker hauf in England nicht stärcker zugenommen hat, als da sie häftig verfolget worden; so bald aber 125 dieses aufhörete, verfügte sich nicht mehr leicht iemand zu ihnen. Ich habe es in Franckfurt, da auch merckte, daß bey etlichen die sache nicht richtig

104 demselben ] denselben: D1. ​105 einigen: D1. ​107 irrigen: D1. ​108 boßhaftiger: D2+3. ​ 110 mir ] nur: D1+2. ​116 nicht: D1. ​119 sorge ] sage: D1. ​

Bd. 3, Brief Nr. 9 Anm. 49; Erdmann Heinrich Graf Henckel, Die letzten Stunden einiger der Evangelischen Lehre zugethanen […] verstorbenen Personen […]. Dritter Theil, Andere Auf., Halle a.S., Waisenhaus 1726, S. 79–278). 20 Zusammen mit Zeller und Lange waren eine Reihe von Gemeindegliedern (s. Anm. 10) verhört worden. (s. Hartmann, Horb, 277 f). 21 Nach Speners Brief an Hermann von der Hardt vom 13. 3. 1689 beriefen sich die Kon- ventikelmitglieder auf Zeller und Lange, denen sie in den meisten Dingen, wenn auch nicht in allen, folgten (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 30, Z. 103–107). 22 Winckler schreibt: „Er [scil. Zeller] entschuldiget sich zwar, daß Er orthodox wäre, gleich- wohl enthelt er sich nicht von denen, die in articulo de verbo Dei et iustifcatione ofentlich ihre irrthüme bekennen, u. zürnet über mich, so wir in genere solche errores beühren.“ (s. Anm. 2). 23 Zum Ausschluß oder Fernbleiben vom Abendmahl s. Z. 136–142. 24 Winckler hatte über den Magistrat der Stadt Hamburg geschrieben: „.In Magistratu fndet sich in der sachen saumseligkeit“ (s. Anm. 2). – Zu der zurückhaltenden Vorgehensweise des Rates s. Hartmann, Horb, 281 f. 34 Briefe des Jahres 1690

war25, dennoch mit allem feiß verhütet, daß der Magistrat nicht darein grife, als der ich vorsahe, daß grosse zerrüttung erfolgt seyn würde, die aber durch 130 GOttes gnade unterblieben und, weil alles stille bliebe, unterschiedliche, ja gar fast alle, sich wieder in die richtige wege eingefunden haben, die bey ge- brauchter gewalt in viel extrema würden getrieben worden seyn; daher ich wider die irrende nimmermehr die hülfe der obrigkeit anrufen werde, es brauchten denn diese gewalt gegen die rechtgläubigen, und also wäre diesem 135 der schutz nöthig. Daß der herr N. und andere sich der communion bey ihnen enthalten26, wunder ich mich wenig, in dem sie ja, wo sie sich anmeldeten, abgewiesen zu werden, leicht daraus schliessen können, in dem man diejenigen, so nur mit ihnen umgehen, ausschliesset27, daher sie ja lieber sich nicht anmelden, 140 als mit mehr ärgernüß sich zurücke stossen liessen; weswegen sie ja die sache nicht anders ansehen können, als daß ihnen der zugang versagt sey. Wo man sich alsdenn nicht gern vergebens anmeldet. Ich habe nun schon in jahr und tag an herr N. nicht geantwortet, und zwar in dem letzten brief 28 ihn also erinnert, daß ich zweife, obs ihm angenehm 145 gewesen; seit dem habe mich ihrentwegen enthalten, wie wohl nicht läugne, daß es ungern gethan, wie mir noch leid thut, daß herr N. auf seine briefe nun über 1 oder 2 jahr nicht geantwortet und er darüber verstorben ist. Mit Herr M. N.29 aber habe ich die correspondentz nicht unterbrochen, da ich niemal an seiner declaration mangel gefunden und er, sich ja einer theo- 150 logischen facultät zum examine zu sistiren30, parat ist; mehr kan ich nicht fnden.

134 denn] den: D1. ​144 dem ] den: D1. ​145 dem ] den: D1. ​

25 Die seit Ende der 1670-er Jahre entstehenden separatistischen Bestrebungen im Freundes- kreis Speners, auf die er mit seiner Schrift „Der Klagen Mißbrauch“ reagierte. 26 S. Anm. 23. 27 Winckler schreibt: „Die Beichtveter, sonderl. mein H. Collega Paßman hält viele vom Beichtstuhl ab, die sich der leute gemeinschaft nicht wollen entschlagen, u. ich meinte, H. Zeller wäre gehalten, sich selbst anzumelden zum Beichtstuhl, wie H Klein [scil.; vermutl. Gottlieb Benjamin Gleiner; zu diesem s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 57 Anm. 1], den man zuliese, da er sich orthodox zu seyn erklärte, umb damit den andern gelegenheit zugelaßen zu werden, zu geben. Aber da ist niemand, der sich darumb bemühet […]“ (s. Anm. 2); vgl. auch den Hinweis in der Lebensbeschreibung Nikolaus Langes (Henckel, [wie Anm. 19], S. 128). 28 Seit dem Sommer 1686 ist nur ein Brief nach Hamburg bekannt, dessen Adressat nicht ermittelt werden konnte: Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 146. Von den namentlich bekannten Briefpartnern Speners in Hamburg war in dieser Zeit nur Eberhard Hamel gestorben; der Brief Speners an diesen (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 90) passt jedoch nicht zu dem oben angedeuteten Inhalt. 29 Eberhard Zeller (wie Anm. 9). Der letzte bekannte Brief Speners an ihn stammt vom 22. 6. 1689 (Dresdener Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 65). 30 Vielleicht wollte sich Zeller – mittels des Synodus im Herzogtum Württemberg – von der theologischen Fakultät in Tübingen auf seine Rechtgläubigkeit befragen lassen (s. Brief Nr. 12, Z. 38–47, mit Anm. 9). Nr. 9 an [Johann Winckler] 21. 1. 1690 35

Also bleibe ich einmahl dabey und lasse mich nimmer von meiner meinung abbringen, wo in einer gemeinde einige dergleichen irrungen und trennun- gen anfangen, daß das übel allezeit zunehme, wo man sich mit heftigkeit wiedersetzet, aber gedult, liebe und sanftmuth bringen alles mit der zeit 155 wieder zu recht. So nun geliebter bruder sich zu gleichem resolvirte, würde er hofentlich mehr ruhe in seiner seele haben und sich bald alles wieder le- gen, und was sich vergangen hätte, wieder nach und nach samlen sehen. Hierinnen sage ich meine meinung, so gut ichs im hertzen habe, obwohl demselben in seinem gewissen nicht vorschreibe, so wenig als ich den meini- 160 gen vorschreiben liesse. Indessen glaube derselbe gewiß, daß von guter zeit täglich, ja, wohl oftermal des tages, die sache dem himmlischen vater hertz- lich vorgetragen, und ihn alles nach seiner weißheit zur beybehaltung, liebe und wahrheit einzurichten, geliebten bruder aber und andere, so damit zu thun haben, mit gewisser erkäntnüß seines willens zu erfüllen, angerufen 165 habe. Über solches weiß ich darnach weiter nichts zu thun, sondern muß es dem befehlen, dessen sache es ist und dessen rath endlich allezeit besser als der unsrige ist und bleibet. 21. Jan[uar] 1690.

160 vorschriebe: D1. ​164 geliebter: D1. 36 Briefe des Jahres 1690 10. An [Johann Ernst Pfuel in Stettin]1 Dresden, 22. Januar 1690

Inhalt Wünscht Pfuel und seiner Familie eine sichere Ankunft und ein gutes Einleben am neuen Wohnort. – Erbittet göttliche Erleuchtung und Segen für die neue Aufgabe. – Erhoft sich für ihn das Vertrauen des Fürsten und eine gute Zusammenarbeit mit den Kollegen. – Rät ihm, die Verkündigung des Evangeliums in den Mittelpunkt zu stellen, damit die Gemeinde nicht durch eine gesetzliche Predigt eher abgeschreckt als angehalten wird, nach dem Willen Gottes zu leben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 775–776.

Ich rufe zum fördersten den himmlischen Vater demüthigst an, daß derselbe nicht allein seine liebe person mit den seinigen unter dem schutz seiner H[eiligen] Engel2 sicher und wohl an den ort, wohin er sie bestimmet, bringen und daselbst nach seinem H[eiligen] rath viele zeit und jahr bey 5 guter gesundheit und gesegnetem wolstand erhalten, hingegen alles, was sol- chem zuwider ist, mächtig von ihnen abwenden, sondern vornemlich die kraft seines H[eiligen] Geistes zu der neuen wichtigen stelle auch erneuern und verdoppeln wolle. Er wolle also in seiner werthen seele sein licht immer heller lassen aufgehen 10 zu erkäntniß seines göttlichen willens an ihm, und die ihm anvertraute ge- meinde nicht nur zu verstehen, was, sondern auch wie alles zu derselben se- liger erbauung das beste seye. Er erhalte ihm stets den redlichen willen, in seiner anbefohlenen haushaltung treu erfunden zu werden3 und nichts nach eigenem gutdüncken, sondern wahrhaftig nach göttlicher regel zu thun. Er 15 reinige seine seele von allem eigengesuch, menschlicher forcht und hofnung und, was in dem lauf der treue ihn aufhalten möchte; Er stärcke seinen muth mit kräftigem vertrauen auf die allmacht seines berufers, weder in der arbeit

10 1ihm ] ihn: D3. ​14 eigenen: D1. ​17 kräftigen: D1. ​

1 Johann Ernst Pfuel (1640–12. 4. 1705), Rektor in Stettin und desginierter Hofprediger in Güstrow; geb. in Berlin, nach dem Studium in Wittenberg, Frankfurt a.O. und Kiel 1659 Rückkehr nach Berlin, danach Aufenthalt in Frankfurt a.O., seit ca. 1662 dreijähriger Aufenthalt in Hamburg, 1678 Rektor in Stettin, 1689 Hofprediger Güstrow, im gleichen Jahr Dr. theol., 1693 Superintendent in Stargard (Zedler 27, 1705; DBA 954, 121–124; Bruhn, Kandidaten, Nr. 146, S. 104 f; Willgeroth 1, 356; s. auch Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 18 Anm. 5). – Zur Emp- fängerbestimmung: Nach dem Regest in D ist der Brief eine „Gratulation zu einem fürstlichen Hofpredigeramt“. Daß Johann Ernst Pfuel als Hofprediger nach Güstrow berufen worden war, hatte Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow Spener geschrieben (s. Brief Nr. 4, Z. 13 f). 2 Vgl. Luthers Morgen‑ und Abendsegen: „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir fnde“ (BSLK 521, 33–35 und 522, 17–19). 3 Vgl. 1Kor 4,2. Nr. 10 an [Johann Ernst Pfuel] 22. 1. 1690 37 selbst müde zu werden, noch durch allerley hindernissen sich müde machen zu lassen; Er gebe in ihn den Geist der gnaden und des gebets4 in solcher maaß5, täglich mit gebet, was ihm nothwendig seyn wird, von ihm zu erlan- 20 gen, er lege sein wort allezeit in seinen mund, wie solches zu iederzeit am erbaulichsten seyn wird, und lasse es kräftiglich in die seele eintringen und alles das ausrichten, was von ihm Hebr. 4,12.136 gerühmet wird. Er bereite also die hertzen durch seinen dienst und selbst durch seinen Geist, daß der von ihm darein ausstreuende saame zu einer schönen saat bald aufgehe und 25 zu seiner zeit eine reife und reiche ernde bringe7, sonderlich erfülle er sie mit hertzlicher liebe und vertrauen zu ihm, so dann mit wahrer ehrerbietung des tragenden H[eiligen] amts und des Gottes, von dem ers träget. Er neige zu ihm sonderlich das hertz seines gnädigsten Fürstens8, nicht allein das wort des HErrn aus seinem munde auch zu eigner erbauung mit sanftmuth anzuneh- 30 men9, sondern auch nach an hand gehendem rath in allen stücken, wo es nöthig seyn mag, seine gewalt zur beförderung des reichs Christi willig an- zuwenden10, so dann das hertz der übrigen hohen herrschaft zum fruchtbaren gebrauch dessen lieben amts. Er verbinde mit ihm das hertz anderer mit ar- beiter, daß sie in einigkeit des Geistes11 und gleichgesinnet mit zusammen 35 gesetztem feiß das werck des HErrn so viel nachdrücklicher treiben und er von niemand solches standes hinderniß erfahren müsse. Er gebe ihm dabey gedult, weil man ja nicht dencken darf, daß der teufel uns irgend, wo wir seinem reich abbruch zu thun bemühet seyn und es ihm nicht schencken, in ruhe und in dem amt unangefochten lassen werde, wenn auch derselbe in 40 solchem seinem amt widerwärtigkeit, was art sie wäre, ausstehen wird müssen, daß es niemal an göttlichem trost, freudigem muth, treuem rath, kräftiger hilfe und glücklichem ausgang mangeln möge. Er gebe endlich zu allem pfantzen und begiessen das jenige gedeyen12, daß er nicht noth habe, nur immer in blossem glauben zu arbeiten, sondern die freude geniesse, die frucht 45

19 ihm: D1. ​21 seinem: D1. ​36 gesetzten: D1. ​42 göttlichen: D1. ​43 allen: D1. ​

4 Sach 12,10. 5 Die Maß (DWB 6, 1721). 6 Hebr 4,12.13 (Luther 1545: „Denn das wort Gottes ist lebendig vnd kreftig / vnd scherf- fer / denn kein zweischneidig Schwert / Vnd durch dringet / bis das scheidet seele vnd geist / auch marck vnd bein / vnd ist ein Richter der gedancken vnd sinnen des hertzen / vnd ist keine Creatur fur jm vnsichtbar / Es ist aber alles blos vnd entdeckt fur seinen augen / Von dem reden wir.“). 7 Vgl. das Gleichnis vom Säemann in Mt 13,1–8 parr. 8 Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow (s. Brief Nr. 3 Anm. 1). 9 Im Hintergrund dieser Bitte steht der Streit, in dem sich Spener mit seinem Herrn, dem Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen seit dem Frühjahr 1689 befand (vgl. dazu Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 71–132, u. ö.). 10 Zu Speners Erwartung an die weltliche Obrigkeit, „Säugamme“ für die Kirche zu sein, s. Brief Nr. 1, Z. 20–29, mit Anm. 5. 11 Vgl. Eph 4,3. 12 Vgl. 1Kor 3,6. 38 Briefe des Jahres 1690

selbst zu sehen13, damit der Höchste seinen feiß cröhne: in summa, daß er sich selbst und alle, die ihn hören, selig mache. Amen. Nechst diesem bedarf es nicht, daß denselben erst von dem jenigen, was in führung des amts nöthig ist, unterrichte, dem der himmlische Vater lichts und 50 erkäntniß gnug gegeben hat. Nach dem aber doch einiger christlicher rath aus brüderlichem vertrauen verlanget worden14, so möchte derselbe darinnen bestehen: Des Gesetzes nicht zu vergessen, aber gleichwol die vornehmste hofnung auf die kraft des Evangelii, so allein selig machen kan, zu setzen; wie die warmscheinende Sonne zu weilen den wandersmann seinen mantel 55 selbst von sich abzulegen mit ihren lieblichen strahlen beweget, der, wo der gewaltsame wind solchen ihm entreissen will, sich nur desto stärcker darein hüllet. Bewegliche vorstellung der güter des Evangelii und der göttlichen Gnade, sonderlich wie es die kinder Gottes auch bereits hier in diesem leben in ihrer seelen gegen andere, welche die tyranney der sünde bey sich leiden 60 müssen, so gut haben, dringet manchmal am tiefsten durch; so wird das gesetz am nachdrücklichsten getrieben, nicht so wol directe mit heftigem strafen und schelten, als wo man den trost des Evangelii nachdrücklich gezeiget hat, darauf aber weiset, wie sich desselben alle die jenige, so der sünde die herr- schaft bey sich lassen, durchaus nichts anzunehmen haben, sondern sich aller 65 gnade verlustigt machen; wo dieses geschiehet, wird die seele also kräftig gerühret durch eine unwidersprechliche überzeugung, daß hingegen die af- fecten nicht zu einer bitterkeit oder zorn gereitzet werden, in welcher des gemüthes bewantniß, nichts ausgerichtet zu werden, pfeget. Es wird aber der HErr auch hierinnen weißheit verleihen.

70 22. Jan[uar] 1690.

45 blossen: D1. ​48 dem ] den: D1. ​59 ihren: D1+2.

13 Vgl. dazu Speners Einschätzung zur Sichtbarkeit seines eigenen Wirkens in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 124, Z. 7–12. 14 Ofenbar hatte Pfuel an Spener geschrieben. Der Brief ist nicht überliefert. Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 39 11. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 23. Januar 1690

Inhalt Beantwortet nun drei Briefe auf einmal. – Berichtet von den Vorgängen in Leipzig und die da- durch gegen ihn aufgebrochenen Widerstände. – Freut sich, daß der Streit um [Johann Heinrich] Jung in Laubach beigelegt ist. – Hat erfahren, daß [Eberhard Philipp] Zühl als Pfarrer nach Gedern kommen soll. – Geldgeschäfte mit dem Frankfurter Kaufmann Peters. – Teilt mit, daß sich der Traktat [Johann Philipp] Bleibtreus nicht verkaufen läßt. – Geht auf Nachrichten von Todes‑ und Krankheitsfällen in Frankfurt ein. – Bedankt sich für die Vermittlung von Geld- spenden an Menschen aus Worms, die um ihre Habe gekommen sind. – Ist erfreut über den guten Ausgang der Auseinandersetzung in Gießen. – Bedankt sich für die Neujahrsgrüße und für die Übersendung der Psalmenauslegung [Adam] Reißners. – Bedenkt die berufiche Zukunft [Martin] Michael(is)’. – Berichtet, daß [Susanne] Spener inzwischen eine Magd hat. – Bedankt sich für den Kondolenzgruß zum Tod seiner Enkelin [Christina Charlotta Birnbaum]. – Gibt Anweisung zur Verteilung des Drucks der Investiturpredigten. – Weitere Todesnachrichten. – [P. S.:] Grüße an Bekannte. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 340–355.

Jesum, zum Täglichen Liecht ihres Verstandes, Kraft ihres Geistes, Freude ihres Gemüths, sättigung ihrer verlangen, regierer ihrer Anschäge, artzt ihres leibes, versorger ihrer nothdurft, Seegen ihrer arbeit, ein wahrer ihrer selbst und ihres gantzen lieben haußes zu diesem und vielen folgenden Jahren, biß zum 5 frölichen einbruch oder übergang in die herrliche Ewigkeit! In demselben werthe Frau und Schwester. Ich habe über gewohnheit mit schreiben zurück gehalten, nachdem ich der hindernüßen unterschiedlich hatte. Will nun aber ihre 3 liebe briefe2 nach der Ordnung vornehmen, soviel nehmlich annoch der antwort nöthig hat. 10 H. Schäfers3 relation ist nach dem überschriebenen der warheit allerdings gemäß4. In Leipzig hat Gott eine schöne Saat lassen aufgehen, vornehmlich

1 Anna Elisabeth Kißner (1652–27. 4. 1730), seit 1672 verheiratet mit Dr. Johann Kißner und seit 1678 verwitwet (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 12–20. 30–32) in: Nebe, Dresdner Briefe, 291 f. 2 Die Briefe Anna Elisabeth Kißners sind nicht überliefert. Der letzte Brief Speners stammt vom 25. 10. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111). 3 Johann Peter Schefer (ca. 1655/60–1719), Reisebegleiter und Informator der Solms-Lau- bachischen Grafensöhne Friedrich Ernst, Carl Otto und Heinrich Wilhelm; geb. in Darmstadt, nach dem Studium in Gießen und Straßburg seit 1681 in verschiedenen Ämtern in Laubachischen Diensten (Mack, Pietismus und Frühaufklärung, 31, 33–38; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 176 Anm. 7). 4 Schefer befand sich im Jahr 1689 mit Friedrich Ernst von Solms-Laubach in Leipzig (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 66, Z. 36–38, und Nr. 97, Z. 29–30). 40 Briefe des Jahres 1690

unter studiosis5, aber auch zum Theil unter andern Leuten6, zwahr weil H. M. Franck keine Collegia mehr hat halten können7, hat der Wachsthum8 15 bey den Studiosis etwas stillgestandten, jedoch nicht ganz aufgehöret, viel- mehr auch an andere leute sich erstrecket, nachdem auch der studiosorum einige sich da und dorthin zerstreuet9, höret man von unterschiedlichen or- ten, wie der Herr mehrere Seelen rühret; davon oft freude habe und Gott inniglich dancke, der sein werck noch ferner fortsetzen wird. Daß ich von 20 vielen verächtlich und wenig geachtet werde10, ist auch wahr, aber durch Gottes gnade mir ein geringes leiden; wiewol es gleichwol auch nicht an seelen mangelt, die der HErr mit mir vereiniget; und mag sich vielleicht hin und wieder etwas ein grund legen, so man jetzt nicht siehet, aber zu seiner zeit, was drauf gebauet wird, durch Gottes Seegen ofenbahr zeugen mag11. 25 Kann mich also über meines gütigsten Vaters heilige Regierung nicht be- schwehren. Wiewol es auch nicht thun dörfte, wo gar nichts sehe, dazu es gleichwohl noch nicht gekommen ist. Seiner Güte sey danck vor allen biß- herigen Beystandt, dero empfehle ich auch noch ferner meine wege, damit

5 Zur Wirksamkeit August Hermann Franckes und anderer Magister seit dem Frühjahr 1689 in Leipzig, die zu den „pietistischen Unruhen“ und Verhören der Beteiligten und Ausweisungen aus der Stadt führte, s. vom Orde, Beginn, 359–378. Beteiligte Theologen und Theologiestu- denten und solche, die verhört wurden, waren Paul Anton, Johann Georg Hattenbach, Andreas Friedel, Johann Caspar Schade, Heinrich Westphal, Heinrich Julius Elers, Andreas Care, Eberhard Philipp Zühl, Gottlieb Benjamin Gleiner, Andreas Achilles, Clemens Thieme, Johann Christian Lange, Johann Ernst Müller u. a. (Francke, Streitschriften, 25–56; s. vom Orde, Beginn, 365 f). 6 Neben Theologiestudenten nahmen auch Mediziner, Juristen und Mathematiker an den Veranstaltungen Franckes und seiner Freunde teil, aber auch Bürger wie der Kaufmann Samuel Knauer (Leube, Geschichte, 189; vom Orde, [wie Anm. 5], 366), der Buchhändler Johann Heinich (Francke, Streitschriften, 24 f) und der Bäcker Martin Meining (ebd., 21 f). 7 August Hermann Francke, Magister in Leipzig (s. Brief Nr. 16 Anm. 32), Gründer des Halleschen Waisenhauses und neben Spener der bedeutendste Vertreter des Pietismus. – Nachdem er sich am 10. 10. 1689 einem Verhör durch die Theologische Fakultät in Leipzig hatte unterziehen müssen (Francke, Streitschriften, 56–70; in seinem Brief vom 13. 10. 1689 berichtet er Spener darüber; Briefwechsel Spener-Francke, Brief Nr. 5, Z. 43–49), war ihm untersagt worden, theo- logische Lehrveranstaltungen zu halten (Kirn, Leipziger Fakultät, 99; vom Orde, Beginn, 371). 8 Der Wachstum (DWB 27, 148). 9 Francke war aus privaten Gründen nach Lübeck abgereist und inzwischen in Erfurt ange- kommen (Spener hatte am 21. 1. 1690 von dort einen Brief Franckes erhalten; s. Ad Rech 1, Bl. 458v). Paul Anton (zu diesem s. Brief Nr. 29 Anm. 1) war inzwischen Superintendent in Rochlitz und Clemens Thieme (zu diesem s. Brief Nr. 50 Anm. 1) Reiseprediger des sächsischen Kur- prinzen Johann Georg (IV.) (Leube, Pietistische Bewegung, 194). 10 Vgl. die spöttische Beschreibung, die zwar erst 1693 veröfentlicht wurde, aber die Stimmung von Speners Gegner zeigt: „Er legete Visiten ab bey iederman/ nicht nur bey hohen Churfürstl. Ministris […]. Er gieng in die Stadt=Kirchen/​ und trat in locum peccatorum unter das gemeine Volck die Prediger zubehorchen. Er feng eine Mägdgens=Schule​ an in seinem Hause/ und erklärete den kleinen Kindern seinen Catechismum; (Ein Churfürstl. Ober=​Hof=​ Prediger! eine Kinder=Schule!​ die auch ein Dorf=​Schulmeister halten kann!).“ (Außführliche Beschreibung Des Unfugs/ Welchen Die Pietisten zu Halberstadt […] gestiftet. Dabey zugleich von dem Pietistischen Wesen in gemein etwas gründlicher gehandelt wird, o. O. 1693, S. 14; vgl. Gerber, Historie 2, S. 195). 11 S. ganz ähnlich etwa in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 34, Z. 20–23. Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 41 zufrieden, wo ich dero Rath erkenne und, an mir vollbracht zu werden, sehe, es geschehe nun, worinnen es wolle. Sonderlich dancke ich dem güthigsten 30 Vater vor das ruhige Gemüth, so er mir mehr als in Franckfurt giebet und gewiß eine nicht geringe Gabe ist12. Was H. Jungium13 anlanget, war mir leid, was nach und nach berichtet worden, deßen ordnung und eigentliche beschafenheit gleichwohl noch nicht weiß14; doch dancke Gott hertzlich, daß aus dem letzten wiederum die 35 völlige beylegung vernehme. Er räume noch vollends, wo etwas in ein oder andere Seele übrig wäre, so die genauere vereinigung hinderte, selbiges gleichfals weg, daß einerseits die arbeit so viel hertzlicher verrichtet, anderer- seits auch so viel hertzlicher aufgenommen mögen werde. Ich werde ihm nunmehro auf einige seiner Briefe antworten15, so bißher verschoben hatte. 40 Daß H. Ziel16 nach Gedern kommen sollen, hat er mir nicht nur selbst17, sondern auch die fürstin18, so ihn zu Cöthen predigen laßen, geschrieben. Der Herr gebe ihm die dazu nöthige weißheit, daß die gute intention auch wohl

39 werde: cj ] werden: K. 42 ihn: cj ] ihm: K.

12 Vgl. Brief Nr. 144, Z. 39, Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 39, Z. 139–142, und Nr. 55, Z. 25 f. 13 Johann Heinrich Jung (1647–10. 1. 1704), Pfarrer und Inspektor in Laubach; geb. in Eber- stadt/ Wetterau, nach dem Studium in Gießen 1674 Pfarrer in Rodenbach und Altenstadt, seit 1688 Inspektor in Laubach, 1692 Pfarrer in Berstadt und 1695 Stiftdechant in Lich (Diehl, Hassia Sacra 1, 299; 4, 178. 223. 265; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 77 Anm. 1). 14 Worum es sich in dem Konfikt Jungs in Laubach handelt, wird nicht klar. Durch Frau Kißner hatte Spener schon im September davon gehört (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 90–95). 15 Aus dem Jahr 1690 konnten keine Briefe an Jung ermittelt werden. – Schon 24. 9. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 95 f) bedauert Spener, ihm schon lange nicht geschrieben zu haben. 16 Eberhard Philipp Zühl (20. 7. 1662–20. 11. 1730), geb. in Darmstadt; nach dem Theo- logiestudium in Gießen und Leipzig Informator in Frankfurt (Ad Rech 1, Bl. 388r), 1686/87 in Hamburg bei Johann Winckler und 1688/1689 Informator am Grafenhof Waldeck, seit Juni 1689 Aufenthalt in Leipzig und mitbeteiligt an den pietistischen Unruhen, 1690 Pfarrer in Gedern, 1694 Pfarrer in Ginsheim, 1695 jüngerer Stadtprediger in Darmstadt, 1700 Pfarrer und Metro- politan in Groß-Gerau (Weiteres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 94 Anm. 32 und Bd. 3, Brief Nr. 97 Anm. 29 u. 32). 17 Der Brief Zühls ist nicht überliefert. 18 Es wird nicht klar, welche Fürstin Spener geschrieben hat. Es könnte Christine von Stol- berg-Gedern sein (zu dieser s. Brief Nr. 80 Anm. 1), die ihre Schwägerin Anna Eleonora von An- halt-Köthen beauftragt haben könnte, Zühl, der sich zu dieser Zeit in Leipzig aufhielt, in Köthen predigen zu lassen; möglich ist aber auch, daß die letztere gemeint ist: (26. 3. 1651–26. 1. 1690), Tochter von Graf Heinrich Ernst von Stolberg-Wernigerode, seit 1670 verheiratet mit Emanuel Fürst von Anhalt-Köthen (Europäische Stammtafeln N. F. 1, Tafel 78). Sie hatte Spener schon bei der Besetzung einer Hofpredigerstelle konsultiert, als sich die beiden während Speners Reise von Frankfurt nach Dresden am Hof in Gedern trafen (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 26, Z. 15–17). Bekannt ist lediglich ein Briefwechsel mit Christine von Stolberg-Gedern. 42 Briefe des Jahres 1690

ausgeführet werde. Hätte gern selbst mit ihm geredet. Er ist aber nie hieher 45 gekommmen, und als ich in Leipzig war, war er verreiset19. Das von H. Peters20, dem deswegen fr[eundlichen] danck sage, vorgeschos- sene geld hat meine l[iebe] haußfrau21 seinem correspondenten in Leipzig wieder bezahlet. Wegen Bleibtreu22 tractätlein23 habe meinem Tochtermann24 geschrieben, 50 der wieder geantwortet, daß er sie gar nicht unterbringen könne, wolle aber doch sehen, ihm satisfaction zu thun25. Ich weiß nicht, wie viel gewesen, und wie es aestimiret. Man muß aber sehen, wie man den guten Tropfen26 schadloß halte; ist eben eine arbeit zu nichts anders als zu verschencken. Wo geliebte Schwester ohne das an meine Tochter27 schreibet, könnte es einmahl 55 wieder erinnert werden, so ich auch einigemal thun will. Daß H. Lerßner28 kranck gewesen, wußte ich nicht. Dem Herrn aber sey danck der ihn wieder aufgerichtet, der stärcke ihn an Seele, Leib und Geist. Ich habe vor weniger zeit an ihn geschrieben29, hofe er werde es bekommen haben.

46 f vorgeschossene: cj ] vorschossene: K.

19 Vgl. die gleiche Nachricht in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 86 f. Spener hatte sich vom 2. bis 9. 9. 1689 in Leipzig aufgehalten. 20 Wohl ein Mitglied der Materialhandlung Peters, die eines der größten Geschäfte in Frank- furt nach dem dreißigjährigen Krieg war und in ganz Europa (auch in Leipzig) Niederlassungen besaß. Vermutlich ist hier entweder Franz Wilhelm (gest. 1704) oder Thomas Peters (gest. 1717) gemeint (Dietz, Handelsgeschichte 2, 140). 21 Susanne Spener (8. 1. 1644–5. 11. 1705); geb. in Straßburg als Tochter des Patriziers Johann Jacob Ehrhardt, seit 23. 6. 1664 verheiratet mit Philipp Jakob Spener (Philipp Jakob Spener, Leich- predigten 13, S. 231–276; P. Grünberg, Frau Doktor Spener. Ein Stück Haus‑ und Kirchen- geschichte, in: Neue Christoterpe, Jg. 17, 252–266; Wallmann, Spener, 181 f; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 9 Anm. 17). 22 Johann Philipp Bleibtreu (vormals Aaron Meyer) (gest. 1702), ein Frankfurter Jude, der sich zusammen mit seinem Sohn im Jahr 1681 von Spener hatte taufen lassen (Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 76 Anm. 28; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 147 Anm. 23). 23 J.Ph. Bleibtreu hatte seine Bekehrungsgeschichte publiziert, zu der Spener ein Zeugnis bei- Der erleuchtete Meyr. Das ist: Einfältiger Bericht wie ich vorhin Meyr מאיר לאיר :gesteuert hatte nun aber Philipp Johann Bleibtreu Von der Jüdischen Finsternüße Zu dem wahren Licht Jesu Christo bekehret worden, Frankfurt a. M. 1687. 24 Abraham Rechenberg, Professor in Leipzig (s Brief Nr. 2 Anm. 10). 25 Zu Rechenbergs Vermittlung dieser Schrift und den Absatzproblemen s. Ad Rech 1, Bl. 58v–59r (12. 9. 1687), Bl. 163r (1688) und Bl. 215v–216r (25. 6. 1689); vgl. auch den Brief Speners an A. E. Kißner vom 20. 9. 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 94, Z. 125–130). 26 „Tropf“ (zur schwachen Flexion s. DWB 22, 853), gemeint ist Bleibtreu. 27 Susanna Katharina Rechenberg (1665–1726), als älteste Tochter Speners in Straßburg ge- boren, seit dem 5. 10. 1686 mit Adam Rechenberg verheiratet (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 24 Anm. 28). 28 Johann Maximilian Lersner, Hessen-Darmstädtischer Rat und Oberamtmann in Eppstein (22. 5. 1648–17. 1. 1702) (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 8 Anm. 5 und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 72 Anm. 1). 29 Nicht ermittelt. Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 43

Daß es mit der S[eligen] Fr. Baurin30 Kindern31 sich so gar nicht bißher 60 schicken wollen, ist mir eine rechte Anfechtung; doch will mit geliebter Schwester hofen, daß der Herr endlich seine Stund auch bey ihnen haben und die viele mütterliche Seuftzer vor sie (dazu etwa auch noch anderer freunde gebet kommen) dermahleinst werde laßen erfüllet werden. Den jungen Fichard32 kenne ich nicht, der bruder33 aber war ein feiner christlicher 65 Mensch gewesen, wünsche, daß dieser dergleichen sey und den guten funcken in der ihm verlobten34 wieder aufblaße. Meiner Gevattern, der S[eligen] Frau Baurin abschied35 ist mir sehr zu hertzen gegangen, hatte eben vor, ihr auf einen ziemlich alten brief 36 noch zu antworten. Wie ihr End beschrieben wird, so war ihr leben, nehmlich 70 stille und meistens betrübt; der Herr laße sie nun ihrer wonne so viel hertz- licher genießen und nehme sich der hinderlaßenen väterlich an. Die Töchter37 haben mich allezeit gedauret; es war was gutes in ihnen, aber bedorfte mehrer aufmunterung und übung. Auf das andere Schreiben38 zu kommen, so bedancke mich vor die feißige 75 bestellung der den armen Wormsern bestimmten gelder39, wie auch Herr Seidenbandes40 Quittung wol empfangen habe.

68 ihm: cj ] ihn: K.

30 Maria Juliana Baur von Eysseneck geb. von Hynsberg (19. 8. 1641–18. 4. 1684), seit dem 27. 11. 1665 verheiratet mit Johann Vincenz Baur von Eysseneck, der seit dem gemeinsamen Auf- enthalt in Genf im Jahr 1660 mit Spener befreundet war (Körner, 102; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 213 Anm. 20). 31 Außer Anna Maria (zu dieser s. Anm. 34) hatte sie zwei Söhne: Johannes Achilles (18. 1. 1668–24. 12. 1706) und Heinrich Carl (30. 11. 1670–1. 9. 1730) (Körner 249 f). 32 Johann Maximilian von Fichard (9. 1. 1652–17. 11. 1718); geb. in Frankfurt a. M., Studium in Tübingen, am 29. 1. 1690 Heirat mit Anna Maria Baur von Eysseneck (zu dieser s. Anm. 34) (Körner, 165; Dölemeyer, 52 Nr. 171). – Am 11. 11. 1702 fragt Spener nach „H. Fichard, der die baurin hat“ (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 917). 33 Hans Christian Fichard [sic!] (25. 5. 1648–28. 5. 1682), geb. in Frankfurt, Studium in Tübin- gen und Straßburg (Körner, 164). 34 Anna Maria Baur von Eysseneck (28. 8. 1669–4. 3. 1731), geb. in Frankfurt, verheiratet mit Johann Maximilian von Fichard (zu diesem s. Anm. 32), die Tochter von Maria Juliana Baur von Eysseneck (zu dieser s. Anm. 30). 35 Katharina Bauer geb. Hofstatt (gest. 25. 8. 1689; seit dem 22. 2. 1653 mit Reinhard Bauer verheiratet (ISG Frankfurt, Traubuch; Dietz, Handelsgeschichte 4.1, 112). 36 Der Brief von Katharina Bauer ist nicht überliefert. 37 Nicht ermittelt. 38 Nicht überliefert. 39 Worms war am 31. 5. 1689 durch französische Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört worden (O. Canstatt, Drangsale der Stadt Worms und deren Zerstörung durch die Franzosen am 31. Mai 1689, Worms 1889). Spener hatte für diejenigen, die ihre Habe verloren hatten, wieder- holt Spenden über Anna Elisabeth Kißner vermittelt (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 66, Z. 28–31, und Nr. 111, Z. 17–19). 40 Vermutlich der Dreizehner der Stadt Worms Johann Friedrich Seidenbender (1650–1726), 1689 nach der Zerstörung von Worms in Frankfurt lebend (Johann Friedrich Seidenbenders Vor- schläge für die Wiederaufrichtung der Stadt Worms, hg. v. A. Weckerling, Worms, 1894, III–V). 44 Briefe des Jahres 1690

Die Todesfälle guter freunde sind mir auch recht zu herzen gangen, son- derlich H. Williards41 und Fr. Bansin42, sodann des Baders Tochter43 (wie hat 80 sich diese die letzte zeit über bezeugt?). Der Herr bringe uns alle da zusam- men, wo uns ewig wohl (und beßer als hier) seyn solle. Das Giesische geschäft44, habe ich gehöret, durch Gottes Gnade beßer als man gehofet, abgegangen zu seyn. Dem HErrn sei danck, der hie und dort unter so vielen bösen dennoch zu vielen auch dem guten einigen Sieg giebet 85 und unsern glauben damit stärcket. Er lasse endlich sein Reich kräftig und mit gewalt durchbrechen, worauf wir hofen, aber mit gedult warten müßen. Vor H. Setegasts45 genesung dancke auch dem himlischen artzt, der stärcke und heilige an ihm die wiedergeschenckte Kräfte und setze ihn mit den seinigen zu stetem Seegen. 90 Nun komme ich auf das gestern empfangene46, da ich zum fördersten vor den liebreichen Neujahrswunsch Christlichen danck sage. Der Herr erhöre uns, was wir vor einander in glauben und Liebe bitten, und erfülle an dersel- ben samt gantzen lieben Hauße47, was ich anfangs gewünschet48 und noch täglich vor sie bete; besonders sey er aufs neue die Kraft und das leben der

81 ): cj ] – K.

41 Vermutlich eine Person zu der aus Antwerpen stammenden und 1610 nach Frankfurt ge- kommenen Familie Williarts gehörend (Dietz, Handelsgeschichte 2, 228. 241. 323; 4.1, 305; vgl. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 81, Z. 168 f, mit Anm. 83). Am 11. 11. 1702 erkundigt sich Spe- ner bei Frau Kißner nach dem Ergehen der Familie Williarts (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 917). – Ein Caspar Williarts war der Großvater von Christian Gottlieb Williardts, einem Schwiegersohn von Johann Albrecht Bengel (K. Hermann, Johann Albrecht Bengel, Calw 1937 [21987], 304). 42 Anna Catharina Bansa (10. 6. 1656–27. 11. 1689), Ehefrau des Materialisten und Apothekers Johann Matthias Bansa (zu diesem s. Anm. 75) in Frankfurt a. M.; geb. in Hattingen als Anna Catharina Heimann, seit 17. 11. 1674 verheiratet (O. Bansa, Chronik der Familie Bansa. Zur dreihundertjährigen Erinnerung an Matthias Bansa, Frankfurt a. M. 1912, 11 f, Stammtafel der älteren Generationen). 43 Nicht ermittelt. Am 2. 11. 1702 erkundigt sich Spener nach einem Bader (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 919). 44 Es handelt sich wohl um die Auseinandersetzungen zwischen Johann Heinrich May (zu diesem s. Brief Nr. 55 Anm. 1) und seinen Kollegen um die Rechtmäßigkeit der von May durchgeführten Katechismusübungen bei sich zuhause (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116, Z. 10–26). 45 Vielleicht Johannes Setegast, dessen Name im Stammbuch Wilhelm Ludwig Speners auf- taucht (Schieckel, Findbuch, 140). Setegast wird schon in früheren Briefen Speners an Anna Elisabeth Kißner erwähnt (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 123, Z. 169, Bd. 2, Brief Nr. 41, Z. 123, und Bd. 3, Nr. 97, Z. 108). 46 Nicht überliefert, wohl am 15. 1. 1690 geschrieben (s. Brief Nr. 30, Z. 4 f). 47 Anna Elisabeth Kißner lebte zusammen mit ihrer Mutter Anna Elisabeth Eberhard (s. Anm. 49), ihrem Sohn Conrad Hieronymus (get. am 21. 3. 1678; ISG Frankfurt a. M., Taufbuch) und ihrer Tochter Anna Elisabeth (20. 5. 1675–10. 4. 1696) in einem Haus. – Zur Beschreibung des Sterbelagers der Tochter s. Heinrich Reitz, Historie 3, S. 159–171, und Gottfried Arnold, Das Leben der Gläubigen, Halle a.S. 1701, S. 1143–1158. 48 S. Z. 1–6. Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 45 geliebtesten Frau Mutter49 und erhalte sie ihnen, wo es sein heiliger wille ist, 95 noch länger; sonderlich wolle er, alß von dem auch eine treue Ehegattin allein erbeten werden muß, diejenige Personen dem werthen H. Bruder50 zeigen, mit dero er eine ihm allerdings gefällige Ehe führen möge, so ich ferner dem Herrn vorzutragen nicht ermanglen werde. Daß das vorige Schreiben51, von deßen liferung zweifel zu entstehen an- 100 gefangen, wol übergekommen sey, weiset obige beantwortung; ich bekenne aber, daß die liferung eher bedancken hätte sollen; so habe auch Ad. Reußners Psalter52, davor fr[eundlich] dancke, wol empfangen. Möchte aber wißen, ob solcher, wann andere gute freunde dergleichen verlangen, nicht auch zu kauf- fen zu bekommen sey. 105 Wegen H. Michels53 ist mir lieb, daß endlich weiß, wohin der Herre den Ausschlag gegeben54; und bin wol zufrieden, obzwar nicht leugne, daß zuletzt mit meiner meinung auf wißmar incliniret; weil er sich vor der Darmstädti-

102 bedanken ] K schreibt evt. „bedeuten“. 102 Reußners: cj ] Reußens: K.

49 Anna Elisabeth Eberhard geb. Ayrer (gest. 30. 8. 1690); geb. in Frankfurt als Tochter des Münzmeisters Caspar Ayrer (zu diesem s. Dietz, Handelsgeschichte 3, 181; 4.1, 68; 4.2, 740. 768. 777) und seiner (zweiten) Ehefrau Elisabeth, die nach dem Tod ihres Mannes am 5. 2. 1638 den Scholarchen und Mitbegründer des Collegium Pietatis Conrad Stein heiratete; verheiratet mit Johann Hieronymus Eberhard genannt Schwind, seit 13. 2. 1673 verwitwet (Zülch, 502 f; Döle- meyer, 40 [Nr. 130]). – Ein Brief Speners an sie fndet sich in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 31). 50 Conrad Hieronymus Eberhard (26. 11. 1653–2. 7. 1744), Arzt in Frankfurt a. M., geb. in Frankfurt; nach dem Studium in Jena und geschäftlichen Verpfichtungen im Geschäft seines Vaters seit 1683 als Arzt in Frankfurt rezipiert (Kallmorgen, 252; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 34). Am 14. 5. 1691 heiratete er die älteste Tochter von Seger von Uchelen (s. Jo- hann Philipp Fresenius, Gedächtnis=​Rede [sic!], Welche bey Beerdigung […] Conrad Hieronymus Eberhard, genant Schwind […] gehalten, Frankfurt a. M., S. 34). 51 Speners Brief an Anna Elisabeth Kißner vom 25. 10. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111). 52 Adam Reißner, Psalmi darinn hundert vnd fünfzig Psalmen Davids auß dem Hebräischen Grund von Wort zu Wort feissig verteutscht; mit kurtzer Erklärung auß heiliger Schrift, Frank- furt a. M.: J.Görlin 1683 (Erstaufage 1568) (dazu: S. Risse, Das Psalmbuch von Adam Reißner [1568], ZBKG 77 [2008], 97–122). – Adam Reißner (1496?–1582?), geistliche Liederdichter, reformatorischer Theologe, Schüler Reuchlins, Studium in Ingolstadt und Wittenberg, wo er sich dem reformatorischen Glauben zuwandte; er war bekannt mit Caspar Schwenckfeld von Ossig und Paracelsus und beriet den ersteren und half ihm bei der Herausgabe seiner Werke (O. Bucher, Adam Reissner – ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Reformation, Diss. München 1950; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32 Anm. 22). – Spener hatte am 19. 3. 1689 für den Fall, daß noch Exemplare dieses Werks in Frankfurt zu kaufen seien, darum gebeten, ihm eines zu besorgen (Dresdner Briefe, aaO, Z. 66 f). 53 Martin Michael(is) (ca. 1648–13. 8. 1690), Rektor des Gymnasiums in Worms; geb. in Bretleben bei Sangerhausen; nach der Flucht aus Worms (zu dessen Zerstörung s. Anm. 39) wurde er 1689 schließlich Rektor in Darmstadt; er war der Schwiegersohn von Joachim und Agatha Dorothea Stoll geb. Spener (G. Menck, Martin Michael als Rektor in Korbach, in: Geschichts- blätter für Waldeck 70, 1982, 141–161; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 24 Anm. 51). 54 Am 24. 9. 1689 thematisiert Spener zum ersten Mal die Frage, ob Michael(is) seinen neuen Wirkungsort in Darmstadt oder in Wißmar suchen solle (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 21–26). 46 Briefe des Jahres 1690

schen vocation schriftlich darum angemeldet, hiermit sich aber in gewiße 110 maaß55 obligat gemacht, wo er gewehlet werden würde, darauf die wahl geschehen, weil aber die vocation nicht gleich gesandt56, und ihm also die Sache zweifelhaftig (wie wol ich sie damahl, wo ich dabey gewesen, nicht zweifelhaftig gehalten, noch die scrupulos, so er mir im Schreiben bedeu- tet57, gemacht hätte) worden, hat er sich aus mißverstandt zu der Darmstätti- 115 schen58 erklähret, da man sagen solte, daß er wahrhaftig nicht mehr frey, sondern nach Wißmar verbunden gewesen59. Dieses waren meine rationes, auf die mich in dem letzten gegründet. Weiche aber gerne dem anders ge- zeugten göttl[ichen] willen, der auch vorigesmal die scrupul so starck einge- truckt werden laßen, daß vorige resolution nach Darmstadt mit hindansetzung 120 Wißmars gefallen war. Wie ich in allen diesen dingen die göttliche Regierung gern ansehe und dabey beruhe. Der Herr zeige auch mit desto mehr Seegen dieses orts, warum er die Wißmarische Consilia nicht von statten gehen laßen. Nur ist mir wegen H. Gerdes60 in Wißmar leid, welcher daselbst die Sache getrieben und nun bey dem Rath übel bestehen wird, daß die stelle so lange 125 ofen gehalten und die vocation wegzuschicken veranlaßet worden. Mir ist lieb, daß in der Sache nach Wißmar nie einen buchstaben geschrieben, also wie voriges mahl die resolution nach Darmstadt genommen worden, daß ihn deswegen in meinem brief 61 entschuldiget. Gott gebe auch jener Stelle einen tüchtigen Mann. 130 Wegen einer Magd wolle geliebte Schwester nicht mehr bemühet seyn, nachdem meine liebe haußfrau62 sich hier selbst mit einer von Heidelberg versorget63. Sie grüßet freundlich und bedancket sich wegen bißheriger be- mühung, verlanget auch zu wißen, ob von Fr. Herbstin64 die 7 Thlr. erhalten

128 ihn: cj ] ihm: K.

55 Die Maß (DWB 12, 1727). 56 Das Vokationsschreiben ist nicht ermittelt. 57 Nicht überliefert. 58 Martin Michael(is) wurde am 19. 10. 1689 zum Rektor des Darmstädter Pädagogiums berufen (G. W. J. Wagner, Geschichte und Beschreibung von Darmstadt und seinen nächsten Umgebungen, Darmstadt 1839, 73). 59 Am 5. 11. 1689 berichtet Spener an Adam Rechenberg, Michael(is) habe die Stelle in Wiß- mar erhalten (Ad Rech 1, Bl. 249v): „Michaelis noster Wismarensis rectoratus vocationem iam accipiet.“ 60 Henning Johann Gerdes (3. 11. 1659–4. 4. 1728), Pastor an St. Nicolai in Wismar; geb. in Wismar, nach dem Studium in Leipzig und Straßburg 1686 Pastor an St. Nicolai und 1694 Pastor an St. Marien und zur gleichen Zeit Superintendent in Wismar (Willgeroth 3, 1355. 1379). – Der Kontakt zu Spener bestand schon seit seinem Aufenthalt im Sommer 1682 bei Spener (s. Frankfurter Briefe, Bd. 6, und Bd. 7 [Brief vom 21. 10. 1684 an G. Spizel]). 61 Nicht überliefert. 62 S. Anm. 21. 63 Zur Angelegenheit und der Person ist nichts bekannt. 64 Die Frau des Frankfurter Schulmeisters Herbst, geb. Mohl. – Zu den sieben Talern s. auch schon in Speners Brief vom 24. 9. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 137–143). Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 47 worden oder nicht, sind seiter noch 3 dazugekommen, welche, wo sie gelief- fert würden, geliebte Schwester zu ihrer Rechnung einbehalten wolle. 135 Vor den lieben Wunsch zu unserer Enckelin65 sagen wir auch freundlich danck. Der Herr laße es unter der Zahl seiner Kinder bleiben in Zeit und Ewigkeit. Die investitur-Predigten66 betrefend, so stelle dero außtheilung zu eigenem belieben, und können etwa denjenigen guten freunden, so andere mahl be- 140 kommen, auch dismahl gegeben werden, sonderlich nach Laubach67; ihrem ministerio68 wird Frau69 Müllerin70 von den ihrigen bereits zugestellet haben. Dem guten H. D. Gulden71 ist seine seelige ruhe wol zu gönnen, so viel- mehr, alß es ihm an den Gaben mangeln wollen, nach seiner erwehlten Le- bens-art dem nechsten nach verlangen dienen zu können. Seine briefe waren 145 sonsten unter den außgelesenen72, welchen vor andern zu antworten willens gehabt hätte. Wie gehets aber seinen Kindern und wo sind sie, sonderlich unser götchen?73

65 Elisabeth Sybille Birnbaum, geb. Spener, hatte am 26. 8. 1689 eine Tochter (Christina Charlotta) geboren, die aber am folgenden Tag wieder starb (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 165–173). 66 Spener hatte je zur feierlichen Investitur seines Schwiegersohnes Christian Gotthelf Birnbaum in Colditz und zu derjenigen Johann Wilhelm Hilligers in Chemnitz gepredigt. Diese Predigten wurden gedruckt: Ph.J. Spener, Schuldige Pficht Christlicher Prediger und Zuhörer In zweyen Investitur-Predigten, Zu den Superintendenzen Chemnitz und Colditz, Leipzig: Joh. Heinich 1689 (Abdruck in: EGS 1, S. 1242–1334). – Am 25. 10. 1689 hatte Spener Anna Elisabeth Kißner damit beauftragt, Drucke an Bekannte in Frankfurt und Umgebung zu verteilen (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111, Z. 87–92). 67 Die Grafenfamilie Solms-Laubach, mit der Spener seit 1677 verbunden war (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 9 Anm. 1). 68 Das Frankfurter Predigerministerium, zu dieser Zeit bestehend aus dem Senior Johann David Arcularius, Johann Conrad Sondershausen, Johannes Starck, Johann von den Poppelieren, Anton Christian Mohr, Christian Klauer, Johann Balthasar Ritter (V.), Christoph Mitternacht, Jo- hann Georg Büttner, Johann Martin Michael, Johann Christoph Holtzhausen (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 1 Anm. 1). 69 Vermutlich ein Lesefehler des Kopisten; stattdessen „Jungfer“. 70 „Jungfer“ Anna Sybilla Müller stand ständig und gerade auch in dieser Zeit mit Laubach in Kontakt (s. Gräfiches Solms-Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII NO. 11; vgl. bes. den Brief von Anna Elisabeth Kißner an Benigna von Solm-Laubach am 1. 2. 1690 (Bl. 25r). Sie gehörte zu den engeren Vertrauten Speners in Frankfurt (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 52 f, mit Anm. 18). – Anna Sybilla Müller (gest. Aug./Sept. 1696) (s. Spener an Kißner am 15. 9. 1696; Halle a.S., AFSt, D 107, S. 656), Tochter des Stadtrichters Jacob Müller in Frankfurt a. M. (Th. Schmotz, Die Leipziger Professorenfamilien im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig und Stuttgart 2012, 432), war Taufpatin von Speners ältestem Enkel Jacob Dittrich Rechenberg (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 12 Anm. 19). Ihr widmete er sein Buch „Die lautere Milch des Evangelii“ (Frankfurt a. M. 1685) mit einer Zuschrift vom 12. 11. 1684. 71 Wohl Johann Guldte, der gelegentlich in Speners Briefen an Anna Elisabeth Kißner erwähnt wird und der ofenbar eine unglücklich verlaufende berufiche Karriere hinter sich hatte (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 75 Anm. 17). 72 Nicht überliefert. 73 Eig. Pate, Patin (DWB 8, 990), aber auch möglich: Patenkind (Täufing) (DWB 8, 991). – Wer dieses Patenkind Speners war, konnte nicht ermittelt werden. 48 Briefe des Jahres 1690

Es sind wohl in den 3 ½ Jahren, alß74 ich weg bin, viel guter freundte in 150 ihrer lieben Stadt gestorben. Wie ich nechstmahl mich derer auf 60 besinnen konte. So gehen wir immer in unserer Ordnung auf die Ewigkeit zu und folgen einander. Der Herr gebe nur allen einen seeligen durchgang. Womit dieselbe und gantzes liebes Hauß der ewigen Gnade unsers treuesten Vaters hertzlich empfehlende verbleibe

155 Dreßden, den 23. Jan[uar] 1690. Meiner werthen Schwester zu gebet und liebe verbundener P. Jacob Spener.

[P. S.:] Alle die liebe nechst und zu andernmahlen benandte freundte, H. Bansen75 160 (dem nechstens schreiben will76), Frau Häubin77, H. Holtzhausen78 in der nachbarschaft, H. München79, H. Nagel80, H. Arnolden81, H. Patric82, Frau

74 Im Sinne eines temporal bestimmten „wenn“ (DWB 1, 258), also hier wie „solange“ oder „seit“. 75 Johann Matthias Bansa (gest. 1693), Materialist und Apotheker (Dietz, Handelsgeschichte 4.1, 56. 205, Ders., Bürgerbuch, 4 f). – Zu seiner Bekanntschaft mit Spener s. Dechent, 75; wei- teres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 16. Er besorgte gelegentlich Medikamente für die Familie Spener (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 119, Z. 96). 76 Nicht ermittelt. 77 Frau Haub. Sie wird gelegentlich von Spener gegrüßt, vor allem wenn er Nachbarn von A. E. Kißner nennt (Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 36, Z. 48, Nr. 94, Z. 232, und Nr. 174, Z. 120; Bd. 2, Briefe Nr. 81, Z. 164, Nr. 119, Z. 94, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 183 f, und in den folgenden Jahren). 78 Johann Moritz Holtzhausen, Kaufmann in Frankfurt a. M. (Dietz, Handelsgeschichte 4.1, 145). Er wird in Briefen Speners nach Frankfurt a. M. öfter erwähnt (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 24, Z. 333, Nr. 36, Z. 47, Nr. 94, Z. 233, Nr. 174, Z. 121). Eine Korrespondenz mit Spener wird belegt durch Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 46, Z. 62–64). Grüße und Hinweise auf den Briefwechsel fnden sich bis zum Ende in den Briefen an A. E. Kißner. 79 Johann Anselm Münch (begr. 17. 7. 1701), Münzmeister und Ratsherr, Spezereihändler, der Schwiegervater von Günther Heiler (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 36 Anm. 29; Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 184). 80 Melchior Nagel (gest. 5. 8. 1709), Leinwandhändler, aus Lübbecke/ Westfalen stammend; 1678 bat er um Aufnahme in die Frankfurter Bürgergeschaft (ISG Frankfurt a. M., Traubuch; s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 38; Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 184). 81 Dieser Herr Arnold wird häufg „mit gantzem Hauß“ gegrüßt (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 94, Z. 235 f, Bd. 2, Brief Nr. 61, Z. 169). Spener stand mit ihm im Briefkontakt. Vielleicht handelt es sich um den aus Friedberg stammenden Bäcker Adam Arnold, der im Jahr 1668 das Bürgerrecht erwarb (Dietz, Bürgerbuch, 4). Am 11. 11. 1702 erkundigt Spener sich nach dem Bäcker Arnold (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 919). 82 Georg Friedrich Patrick (gest. 28. 2. 1712), Schulhalter in Frankfurt a. M., geb. in Trarbach als Sohn des Landschreibers Daniel Patrick; verheiratet seit 15. 6. 1686 mit Elisabeth, Tochter des Friedberger Schreiners Silvester Schmidt; nach dem Theologiestudium in Straßburg war er Haus- lehrer bei Spener gewesen, im gleichen Jahr Gesuch um das Bürgerrecht in Frankfurt und um Erlaubnis zur Eröfnung einer Privatschule (ISG Frankfurt, Traubuch u. Ratssupplikationen 1.686; Schieckel, Findbuch, 140; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 32). Nr. 11 an Anna Elisabeth Kißner 23. 1. 1690 49

Graserin83, Frau Schmidin84, die Kirchenmutter85, J[ungfer] Rahel86, J. Anna Ursul87, J. Lehmingin88, J. Poppin89, J. Schleifn90. Auf Seite 353 am Rand und ohne gesicherten Hinweis auf die Stelle, wo der Text hingehört, stehen zwei Abschnitte: 165 Wo. H. D Wild91 keins bekommen hätte, so denn H. Michel verlangte vor ihn. Und:

83 Catharina Graßer, verw. Perschbecher, geb. zum Damm [oder Pfeger; Lersner 2, S. 156] (1640?–[begr.] 23. 2. 1709), Ehefrau des Apothekers „Zum Goldenen Engel“ Johann Graßer (ISG Frankfurt a. M.; vgl. Dietz, Handelsgeschichte, 4.2, 569). Sie gehörte zu dem Kreis der Frank- furter Pietisten (vgl. auch Frankfurter Briefe Bd. 3, Brief Nr. 83 Anm. 36). Gegrüßt wird sie schon in früheren Briefen an Anna Elisabeth Kißner (Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 36, Z. 51, und Nr. 94, Z. 235; Bd. 2, Brief Nr. 81, Z. 168). Am 11. 11. 1702 erkundigt sich Spener nach ihrem Ergehen (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 915). 84 Frau Schmid; nicht näher identifzierte Nachbarin von Anna Elisabeth Kißner, die gelegent- lich gegrüßt wird (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 24, Z. 332, Nr. 36, Z. 26. 51). 85 Eine nicht namentlich identifzierbare Person, die Spener immer wieder grüßen läßt (zum erstenmal in Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 24, Z. 371, mit Anm. 69). 86 Eine ansonsten nicht näher bekannte Jungfer aus Frankfurt, die Spener versucht hatte, als Erzieherin der Kinder der Baronin Johanna Margarethe von Schellendorf zu vermitteln (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 46, Z. 26 f, mit Anm. 5 u. 6, und Nr. 81, Z. 84–89, und Bd. 3, Brief Nr. 32 Anm. 10). 87 Anna Ursul. Eine junge Frau, die in Briefen Speners an A. E. Kißner (auch noch aus Berlin) regelmäßig gegrüßt wird; er hatte versucht, ihr eine Stelle bei der Baronin Johanna Margarethe von Schellendorf zu vermitteln (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 46, Z. 30 f), was diese aber ablehnte (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 103, Z. 42–45). 88 Eine wiederholt erwähnte junge Frau aus dem Freundeskreis Speners in Frankfurt a. M. Der Name variiert in der Überlieferung der Briefe an Anna Elisabeth Kißner (Gehming, Behming) (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 64 Anm. 38; Bd. 2, Brief Nr. 81 Anm. 87; Bd. 3, Briefe Nr. 32, Z. 34, und Nr. 97, Z. 185). Ein Brief an sie konnte nicht bestimmt werden. 89 Juliana Catharina Popp (get. 10. 2. 1667), Tochter des Spezereihändlers und Zuckerbäckers Anton Popp und seiner Frau Catharina, 1697 Heirat mit dem Spezereihändler Lorenz Marcien (ISG Frankfurt a. M.). Ein seelsorgerlicher Brief Speners an sie ist überliefert (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 122; weitere Erwähnungen in Bd. 2, Brief Nr. 81, Z. 170, und Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 185). 90 In vergleichbaren Listen von Jungfern aus Frankfurt, die Spener grüßt, fnden sich andere Varianten des Namens (Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 42, Z. 94, u. Nr. 64, Z. 141–143; Bd. 2, Brief Nr. 81, Z. 170; Halle a.S., AFSt, D 107, S. 469 [21. 12. 1692] u. ö.). 91 Johann Ulrich Wild (30. 12. 1640–13. 1. 1691), Senior des Predigerministeriums in Ess- lingen; nach dem Studium in Leipzig und seiner Heimatstadt Straßburg 1667 Prediger in Straßburg, 1670 Pfarrer und Inspektor in Lauterecken am Glan, 1675 Hofprediger und Super- intendent in Lützelstein, 1677 Pastor und Senior in Esslingen und Dr. theol. in Tübingen, 1689 Oberhofprediger und Superintendent in Darmstadt; seit 1671 mit Speners Schwester Katharina Regina verheiratet (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 180 Anm. 18 und Bd. 5, Brief Nr. 154 Anm. 1). 50 Briefe des Jahres 1690

H. Ecklitium92 und seinige, H. Walther93 und die seinige, H. Setegast94, Herr Heinrici95, die Frau Schwäger96 (?), den Fischer97, Tobacksspinner98, Bor- 170 schmidin99 und andere grüße ich alle hertzlich. Frauen, Frauen Annae Elisabethae Kißnerin, Wittiben, gebohrnen Eberhardin. Franckfurt am Mayn.

92 Nathanael Ecclitius (gest. 19. 3. 1690), Vorsteher des Frankfurter Waisenhauses (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 20; Bd. 3, Brief Nr. 66 Anm. 18). Spener hatte die Patenschaft für eine seiner Töchter übernommen (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 31), Bruder des Zeitzer Hofpredigers Christian Gottfried Ecclitius (Ecklitius), der schon seit 1681 im Spe­ nerbriefwechsel erwähnt wird (ISG Frankfurt a. M., Totenbuch; Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 77, Z. 77, mit Anm. 31). 93 Wohl der Formschneider, Kupferstecher und Verleger Johann Georg Walther (gest. 19. 9. 1697); geb. in Nürnberg, 1665 Heirat mit Margarethe, verw. Traudt, und Übernahme der Werkstatt und des Verlages Traudt, 1669 erneute Heirat mit Maria Elisabeth, geb. Mann (Ben- zing, Verleger, 1291; Zülch, 564; Frankfurter Briefe Bd. 3, Brief Nr. 10 Anm. 4 [Verleger von A. Fritsch]; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 27). 94 S. Anm. 45. 95 Johann Rudolf Henrici (gest. 1708), 1671 Besitzer der Hirsch-Apotheke „beim Pfarrturm am Eck des alten Marktes und der Höllgasse“ (Dietz, Handelsgeschichte 4.2, 569; Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 9, Z. 171 f, Nr. 13, Z. 15, Nr. 24, Z. 366 f, Nr. 94, Z. 200 f). Spener nutzte auch von Dresden aus die Dienste Henricis als Apotheker und machte andere Geschäfte mit ihm (Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 36, Z. 40–42, Nr. 42, Z. 79 f, Nr. 64, Z. 194 f, Nr. 123, Z. 172 f; Bd. 2, Brief Nr. 81, Z. 184 f, Nr. 94, Z. 121–124) Vermutlich ist er der Adressat von Speners Brief vom November/ Dezember 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 118). 96 Schwierig zu entzifern. – Eine „Schwägerin“ kann nicht gemeint sein, weil Anna Elisabeth Kißners Bruder Conrad Hieronymus erst am 14. 5. 1691 heiratete (s. Anm. 50). 97 Vermutlich der Fischer Trautmann (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 111). Näheres nicht ermittelt. 98 Johann Friedrich Hilbert aus Sachsenhausen (gest. 24. 2. 1728), Tabakspinner; in erster Ehe verheiratet mit Anna Elisabeth (Pate des Sohnes Anton [get. 23. 5. 1683] war der Stadtschreiber Anton Raumburger [zu diesem s. Brief Nr. 24 Anm. 57]), 22. 11. 1687 erneute Heirat mit Maria Elisabeth, geb. Purgold aus Friedberg (StA Frankfurt a. M., Toten-, Trau‑ und Taufbuch). – Spener korrespondiert noch im Mai 1689 mit ihm (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 55, Z. 39) und meint diesen, wenn er in Brief Nr. 166, Z. 85–88 einen frommen Tabakspinner erwähnt, der eine Tabakstube eröfnet habe, um sich nicht der Sünden teilhaftig zu machen, die durch die vorher von ihm betriebene Wirtschaft gefördert wurden (vgl. auch Halle a.S., AFSt, D 107, S. 919). Ein Eintrag vom 18. 11. 1693 von seiner Hand fndet sich in Wilhelm Ludwig Speners Stammbuch (H. Schieckel, Das Stammbuch von Wilhelm Ludwig Spener aus den Jahren 1689 bis 1696, in: Blaufuss, Pietismus-Forschungen, 186). 99 Nicht ermittelt. Er nennt ihren Namen in der Grußliste vom 11. 11. 1702 (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 919). Nr. 12 an [Johann Ulrich Zeller] 23. 1. 1690 51 12. An [Johann Ulrich Zeller in Frankfurt a. M.]1 Dresden, 23. Januar 1690

Inhalt Bespricht das Manuskript [Eberhard Zellers]. – Befürchtet, daß dessen Gegner ihm manche Formulierungen seiner Ausführungen über die Rechtfertigung und Heiligung falsch deuten könnten. – Gibt Hinweise auf bessere Formulierungen. – Kann die Wirkung der Schrift nicht beurteilen. – Sagt die Fürbitte zu. – Anhang: Beschreibung des ordo salutis, wie Spener ihn begreift: Sündenerkenntnis und Reue werden durch das Wort Gottes bewirkt, danach schaft der Heilige Geist durch das Evangelium den Glauben, der die ganze Gerechtigkeit, die Christus durch Gehorsam, Leiden und Sterben erworben hat, ergreift; diese Rechtfertigung kommt allein aus diesem Glauben und ist Gottes Geschenk; die Heiligung wird im Gericht Gottes nicht zu- gerechnet, aber sie verändert den Menschen, so daß unausweichlich Früchte des Geistes, vorab die Liebe, erwachsen. Die in der Wiedergeburt begonnene Heiligung wird in der Erneuerung fortgesetzt, bleibt aber unvollkommen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedenken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 663–666.

Die schrift, die hiemit wieder zurück sende2, anlangende, habe sie zweymahl in der furcht des HErrn durchlesen. Wann denn ofenhertzig, sonderlich was betrift den Articul von der recht- fertigung und heiligung, meine meynung schreiben solle, so versichere, nach dem mir des herrn bruders3 schwierigkeit, sich gantz deutlich zu erklähren, 5 bekant ist4, daß ich vor mich mit dieser erklährung würde zufrieden seyn,

1 Johann Ulrich Zeller (5. 9. 1644–28. 6. 1713), Jurist; geb. in Calw, nach dem Jurastudium in Tübingen (Dr. jur. 1670) 1670 Advokat und 1671 Prokurator am Reichskammergericht in Speyer, 1689 in Frankfurt a. M. und 1695 in Wetzlar; er arbeitete eng mit Johann Jakob Schütz zusammen (Deppermann, Schütz, 284 f). – Zur Empfängerbestimmung: Der Inhalt beschäftigt sich mit Eberhard Zeller und der Verteidigung seiner Orthodoxie, die in Hamburg umstritten war. Nach dem Regest von Bed. 4 ist der Brief an den Bruder des Beschuldigten geschrieben. In Z. 38–47 ist von einem „Synodus“, einem „Herzog“ und einem „Geheimen Rat“ die Rede. Damit werden die entsprechenden Stellen im Herzogtum Württemberg gemeint sein, die vom Hamburger Prediger- ministerium einbezogen worden waren (s. Anm. 9). Der am gleichen Tag geschriebene Brief an Anna Elisabeth Kißner (Brief Nr. 11), ebenfalls nach Frankfurt, stützt die Empfängerzuweisung zusätzlich. – Als sich Speners Sohn Wilhelm Ludwig im August 1695 in Wetzlar aufhielt, ließ er sich von J. U. Zeller einen Eintrag in sein Stammbuch schreiben (Schieckel, Findbuch, Nr. 2593). 2 Wohl die handschriftliche Apologie Eberhard Zellers, die in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 65, Z. 83–85, mit Anm. 19 erwähnt wird (mit Hinweisen auf weitere Stellen, in denen sie ebenfalls erwähnt wird). 3 Eberhard Zeller, amtsenthobener Theologe, sich in Hamburg aufhaltend (s. Brief Nr. 9 Anm. 9). 4 Die „Schwierigkeit“ bezieht sich zunächst auf den Schreibstil Zellers ganz allgemein (vgl. Brief Nr. 9, Z. 69–71), dann aber auch auf Formulierungen, die es den Gegnern ermöglichten, ihm eine heterodoxe Meinung unterzuschieben (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 129, Z. 21–24, Bd. 3, Briefe Nr. 9, Z. 171–173, Nr. 25, Z. 24–26, Nr. 54, Z. 40–49, und Nr. 65, Z. 79–85 u. Z. 111–122). 52 Briefe des Jahres 1690

indem, was etwa an einem und andern ort etwas zweifelhaftig möchte lau- ten, aus andern stellen zum besten wiederum erkläret werden kan5. Hingegen kan ich nicht gut davor seyn, ob nicht leute, die wider denselben ohne das 10 starck animiret, unrecht vorher gehabt zu haben nicht erkennen und alles blosserdings nach den schul=​terminis eingerichtet und gemessen haben wollen6, wenn sie dieses nach ihrer manir scharf examiniren werden, viele gelegenheiten fnden könten, dieses und jenes in verdacht zu ziehen und, was nicht eben so klar lautet, nicht aus den rechten, sondern dahin nicht ge- 15 meinten stellen zu expliciren, da es an neuen ursachen der beschuldigung nicht mangeln dörfte, da hingegen bey einer klärern und distinctern redens=​ art die gelegenheit zu derselben mehr abgeschnitten würde. Wie ich denn davor halte, wenn sein H[err] bruder dieses kleine blättlein7 subito abschriebe und mit einlegte, solte solches seinen widerwärtigen8 ziemlich im weg stehen, 20 daß sie auch aus den übrigen nicht so leicht etwas gegen ihn daraus klauben könten. Absonderlich wolte erinnern, p. 1, „das, was von der euserlichen mensch- lichen ordnung in dem beruf von derselben nicht absondere, wo es mit dieser richtig hergehe“. Welches ich zwar auch, die meinung zu seyn, nicht 25 zweifeln will, aber billich deutlicher auszudrucken wäre. Ibid. solte an stat „falscher lehre“ billig gesetzt werden „unrecht vorgetragene lehre“. Wenn auch daselbst stehet von denen, die der kraft des Evangelii widersprechen, solte billich beygesetzt werden „von vielen“, p. 2b; wann es heisset „von der kraft der gnade und rechtfertigung“, wolte ich zu mehrer sicherheit setzen 30 „und der frucht der rechtfertigung“. Wenn auch daselbst gezeigt wird, wie der glaube in allen wercken seyn müsse, solte billich dabey stehen „ob er wohl nicht in solchen wercken, sondern in der ergreifung des verdienstes und gerechtigkeit CHristi gerecht mache“, p. 5a. Wenn stehet „von CHristo für und in uns“, könte der sache bald geholfen seyn, wo man meldete, der 35 glaube nehme CHristum für uns an und mache uns gerecht, es müsse aber auch CHristus in uns seyn, daß er den glauben in uns wircke, das jenige, was er vor uns gethan, uns schencke und uns ferner fruchtbar mache. Was im übrigen von solcher schrift vor hofnung zu machen seye, nehm- lich was sie ausrichten werde, weiß ich nicht. Indem mir der wenigsten, vor 40 die, nach dem der Synodus bereits von einander ist9, derselbe nunmehr

7 einem ] einen: D1. ​17 die ] nie: D1. ​19 im ] in: D1. ​

5 Vgl. dazu den Hinweis auf den Umgang mit Stellen aus patristischen Schriften in Brief Nr. 9, Z. 72–77. 6 Vgl. die Klage Speners, Zeller „akkomodiere“ sich nicht genügend in seinen Formulierungen (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 54, Z. 46). 7 Vermutlich ist damit die Anlage (Z. 59–97) gemeint. 8 Gegner (DWB 29, 1368). 9 Der Synodus im Herzogtum Württemberg, der sich aus General‑ und Spezialsuperintenden- ten zusammensetzte und halbjährlich tagte (RGG4 7, 1971). Schon im Frühjahr 1689 waren die Nr. 12 an [Johann Ulrich Zeller] 23. 1. 1690 53 kommen müste, gemüther so weit bekant sind, daß darauß wissen könte, was vor einen eindruck sie bey ihnen geben würde. Die klagen sind hart, er muß aber selbst in seinem gewissen der warheit derselben sich versichert wissen, die art aber vorzutragen ist in feiner und rühmlicher demuth, so mir hertzlich gefället. Die bitte selbst, nehmlich ihn zu hören und seine sache untersuchen, 45 ist an sich billich. Wo es auch an den hertzog10 und geheimen rath11 kommen solte, möchte es vieleicht nicht undienlich seyn. Ich weiß nichts mehr bey der sache zuthun, als daß ich den himmlischen vater demüthigst anrufe, der sich der gesamten kirchen, sonderlich in ihrem werthen vaterland12, mit gnaden erbarme, uns die augen zur erkäntnüß der 50 ursachen seiner gerichte öfne und dadurch die wahre buß befördere, alles dahin gemeinte gnädiglich segne und den werthen bruder, den ich freundlich grüsse und gewißlich seiner vor dem angesicht des HErrn nicht vergesse, so wohl mit seinem Heiligen Geist regiere, bey der warheit stäts unverrückt zu bleiben und in derselben weißlich und unanstößlich zu wandeln, als auch ihm 55 wiederum an einiger seiner gemeine zu dienen, nach seinem rath eine thür öfne. 23. Jan[uar] 1690. Lit. A

Es bringet der H[eilige] Geist durch das wort zu erst den menschen zu einer 60 bußfertigen erkäntnüß und reue seiner sünden, aus dero er dieselbe nunmehr hasset und ferner lassen will. Wo nun die seele in solcher erkäntnüß und reue der sünden stehet, so ist dieselbe tüchtig, daß abermahl der H. geist in ihr aus dem wort des evangelii sein licht oder den wahren glauben wircket13, dieser in göttlicher kraft ergreifet und eignet sich zu die gantze gerechtigkeit Jesu 65 Christi, das ist, allen seinen vor uns geleisteten gehorsam, leiden und sterben, so er dem glauben zu eigen schencket. Dieses also, was Christus vor uns ge- than und gelitten und damit die wahre gerechtigkeit erworben hat, wird dem gläubigen in dem göttlichen gericht also zugerechnet, daß sie sein ist, und hingegen üm derselben seine sünden ihm vergeben wird. In solcher loß- 70

49 ihren: D1. ​51 öfnen: D1. ​70 sünde: D2+3.

Tübinger Universität und das Württemberger Konsistorium mit dem „Fall“ Zeller konfrontiert worden (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 54, bes. Anm. 1). 10 Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (1676–1733) bzw. seine Vormünder Magdalena Sybille von Hessen-Darmstadt und Herzog-Administrator Friedrich Carl von Württemberg- Winnental (ADB 5, 561–563; NDB 4, 237 f). 11 Der Geheime Rat des Herzogtums Württemberg 12 Das Herzogtum Württemberg. 13 Vgl. Reue („contritio“) und Glaube („fdes“) als zusammenhängende Stücke der Buße („poenitentia“) (CA XII; BSLK 64. 3–5). In der Apologie wird erläuternd hinzugefügt: „Si quis volet addere tertiam, videlicet dignos fructus poenitentiae, hoc est mutationem totius vitae ac morum in melius, non refragabimur.“ (Apol XII; BSLK 257. 4–8). 54 Briefe des Jahres 1690

sprechung von sünden und zurechnung der gerechtigkeit wird vor Gottes gericht nichts von unserer seite angesehen als allein der glaube, wie er solches göttliche geschenck annimmet. Ob nun also wol der glaube allein also gerecht machet, daß die heiligung vor solchem gericht nicht zugleich mit zu unserer 75 gerechtigkeit zugerechnet wird, so ist er gleich wohl darneben so kräftig, daß er den menschen zu einen andern menschen machet und also bald die liebe als seine erste frucht mit allen übrigen derselben früchten in der kraft des geistes bringet, daher ihn nicht mehr nach dem feisch leben lässet, sondern zu einem stäten gottseligen wandel antreibet. Dieser wandel mit seinen inner- 80 lichen tugenden oder die heiligung ist indessen nicht dasjenige, daraus wir gerecht worden sind, als welches dem glauben allein bleibet, sie ist aber die unausbleibliche folge und zeugniß des wahren lebendigen glaubens: also daß derjenige glaube nicht der wahre göttliche glaube, sondern eine pur lautere menschliche einbildung ist, welcher die heiligung nicht wircket. Wie nun 85 Christus vor uns dasjenige ist, was der glaube eigentlich vor Gottes gericht zu seiner gerechtigkeit bringet, so ist Christus in uns davon unabgesondert, als der den glauben wircket, sein vor uns geleistetes uns schencket und in uns als der weinstock an seinen reben edle früchte14 bringet. Der glaube muß auch in allen wercken seyn, daß sie Gott gefallen und angenommen werden, er aber 90 allein oder vielmehr, was er ergreift, gefället Gott zur gerechtigkeit. Die heiligung aus dem glauben, wie sie in der wiedergeburt angefangen hat, muß stets in der erneuerung fortgesetzet werden, also ist sie niemal vollkommen, wie auch deßwegen, daß, weil in unserm feisch das böse wohnet, auch unsre gute wercke, ob sie wol, so fern sie aus Gottes wirckung und dem glauben 95 herkommen, an sich gut sind, dennoch manche fecken und gebrechen von unserm feisch an sich haben, daß auch dieselbe vor Gottes strengem gericht nicht als vollkommen bestehen und gehalten werden könten15.

14 Vgl. Joh 15,5. 15 Vgl. SD III (BSLK 921.23): „Et qui mera gratia (ut diximus) propter unicum mediatorem Christum, tantum per fdem, sine omnibus operibus et meritis, coram Deo iusti sint, hoc est, in gratiam Dei recipiuntur: his etiam spiritus sanctus datur, qui eos renovat atque sanctifcat, in ipsis dilectionem erga Deum et proximum operatur. Cum autem inchoata illa renovatio in hac vita sit imperfecta et peccatum adhuc in carne, etiam in renatis, habitet“. Nr. 13 an [Joachim Justus Breithaupt] 29. 1. 1690 55 13. An [Joachim Justus Breithaupt in Erfurt]1 Dresden, 29. Januar 1690

Inhalt Billigt das Vorhaben Breithaupts, in der dunkleren Jahreszeit die Übung, die er gewöhnlich sonntags abends durchführt, ausfallen zu lassen. – Freut sich über dessen „Programm“, in dem dieser Texte von nach der theologischen Systematik bereitstellt. – Beantwortet die Frage, ob ein Freund [Breithaupts] heiraten darf, obwohl er das Gelübde abgelegt hat, zölibatär zu leben, mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zum Thema: 1. Der Zölibat wäre eigentlich in manchen Situationen hilfreich, ist aber nur denjenigen zu empfehlen, die sich darauf einlassen können. – 2. Kann nicht zum Versprechen eines dauerhaften Zölibats raten. – 3. Wenn jedoch ein Gelübde feierlich abgelegt wurde, gibt es kaum die Möglichkeit, sich ihm wieder zu entziehen. Die entsprechenden Anordnungen des AT gehören nicht zum Zeremonialgesetz, sondern zum allgemeinen Gesetz. – 4. Kann keinen Grund sehen, wieso der Freund das gültig gegebene Gelübde brechen könnte. – 5. Bespricht die Vorteile und Nachteile für einen unverheirateten Geistlichen. – 6. Kann dem Freund Breithaupts nicht raten, seine Lebenssituation zu verändern, weist aber auf die Möglichkeit hin, noch andere in dieser Angelegenheit zu befragen. – Sagt seine Fürbitte zu. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 21–24.

Quod Dominicale Tuum exercitium vespertinum2 brevioribus diebus sus- pendere volueris, non improbo, cum in huiusmodi rebus mali etiam species omnino cavenda sit, ne quae omni cum circumspectione instituta suos tamen obtrectatores inveniunt, periculo novo exponantur, quo hi non frustra illis se opposuisse dici possint. 5 Programma Tuum de exercit[iis] Arndianis3 optime placuit, et illud in plurium manus devenire cupio. Inprimis vero institutum, quod isto intimasti,

1 Joachim Justus Breithaupt (17. 2. 1658–16. 3. 1732), Senior des Predigerministeriums in Erfurt, geb. in Northeim; nach dem Studium in Helmstedt 1680 Konrektor in Wolfenbüttel, 1684 Pro- fessor für Homiletik in Kiel, 1685 Hofprediger in Meiningen, 1687 Pastor, Senior und Professor in Erfurt, 1691 Theologieprofessor in Halle a.S. (RE3 3, 369–372, Bauer, Ev. Theologen, 98; Noack/ Splett, Mark Brandenburg, 69–103; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 80 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Die Veröfentlichung des Programms (s. Anm. 3); es gibt Gegner, auf die geachtet werden muß (Z. 3 f); der Hinweis auf Katholiken in der Nachbarschaft (Z. 110 f), der ebenfalls auf Erfurt deutet. 2 Breithaupts Predigtwiederholungen mit jungen Leuten, die er gleich nach seinem Amts- antritt in Erfurt in seinem Pfarrhaus begonnen hatte, waren seit dem Sommer 1689 auch von Er- wachsenen besucht worden. Im Winter mußte die Veranstaltung, die sonntags um 4 Uhr (16 Uhr) stattfand, wegen großer Kälte ausgesetzt werden (Halle a.S., AFSt, A 124, Bl. 94v, 129v und 171r). 3 Programma Joachim Justi Breithaupt, Disquisitionibus Theologicis in Arndianas suas Ani­ madversiones publice instituendis praemissum, Erfurt, Dom. XXII. p. Trin. A. MDCLXXXIX. Es trägt die Anrede: „Sacrarum literarum in universitate Erfurtensi cultoribus“; vgl. dazu die entsprechende Bemerkung in Breithaupts Autobiographie (Christian Polycarp Leporin [Hg.], Memoria Caplatoniana, Oder: Lebensbeschreibung Zweener Breithaupten, o. O. 1725, S. 72). 56 Briefe des Jahres 1690

et, quae de eodem in epistola significas4, probo omnia. Rectissime enim caves, ne tractatio talem modo induat habitum, ut soli intellectui certae veritates 10 imprimantur sine voluntatis sensu, qua in re ipse Vir Beatus5, cum videret multorum Theologorum deficere labores, suos inprimis libros, ut huic defec- tui mederetur, scripsit. Recte etiam factum credo, quod ordinem librorum capitumve Arndianorum naturali ordini materiarum non praefers, si quid enim in optimo autore desiderassem, illud futurum erat, quod istas aliquando 15 commodius disponi potuisse crediderim, ne eadem diversis locis legerentur, vel idem argumentum, si integrum cognoscendum sit, ex pluribus capitibus conquiri necessum esset. Hoc incommodum vero vitabis, si locos Theologicos naturali serie, uti fere alius alium post se trahit, exhibeas, eorum praxin Theo- riae additurus. Tum etiam, qui Exc. D. Bayeri6 methodum7 non carpo, tuum 20 tamen praefero consilium, ut liberam manum serves, quodvis argumentum ea ratione tractaturus, quae isti cumprimis ad maiorem aedificationem commo- dissima videatur. Quas enim quis scripturus sibi leges strictiores ponit, ut methodus ubique uniformis sit, plerumque aliquid coacti pariunt et aliquam fructus partem, qui ex maiori libertate expectaretur, corrumpunt. Demum 25 rationes Tuas, quae moverant Te, ut Disputationi subiicere exercitationes illas volueris, meo quoque, si tanti id est, suffragio confirmo. Toti autem labori et sancto instituto propitiam coelestis Patris in JESU nostro gratiam atque divini spiritus mensuram uberrimam pie apprecor, ut hac etiam manu Tua ad coelum plures perductos aliquando laetus intueare. 30 Ad propositam nunc ab amico8 quaestionem de voto caelibatus accedo. Non eo inficias eam mihi non parum videri intricatam, nec promittere ausim plene me satisfacturum dubiis, quae forte oriri possent; unde subterfugere responsum vel deprecari potuissem. Tibi tamen et iis Te parario me compel- lant, nihil negare ausim, unde, quo me candore esse nosti, omnem mentem 35 meam explicabo, Tuae et amici Tui ulteriori disquisitioni merito permittens,

4 Nicht überliefert. 5 Johann Arndt (27. 12. 1555–11. 5. 1621), bedeutendster lutherischer Erbauungsschriftsteller (TRE 4, 121–129; RGG4 1, 788 f; H. Schneider, Der fremde Arndt. Studien zu Leben, Werk und Wirkung Johann Arndts [1555–1621], AGP 48, Göttingen 2006; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 98 Anm. 28). 6 (11. 11. 1647–19. 10. 1695), Professor in Jena; geb. in Nürnberg, nach dem Studium in Altdorf 1675 Professor in Jena und 1694 in Halle a.S., Konsistorial‑ und Kirchen- rat, Stadtpfarrer, Oberhofprediger und Generalsuperintendent in Weimar (DBA 50, 216–229; RE3 2, 359–362; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 66 Anm. 1). 7 Eine Druckschrift Baiers über Johann Arndt bzw. dessen „Wahres Christenthum“ ist nicht nachzuweisen, aber er hatte schon im Jahr 1687 eine Übung zu Johann Arndt veranstaltet (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 10, Z. 71–78, mit Anm. 35; vgl. auch Spener, Erzehlung, S. 19 (2. Auf.: S. 21). 8 Unbekannt, wer gemeint ist; vielleicht stellt der unverheiratete Breithaupt die Frage im Grunde für sich selbst. Im Jahr 1683/84 diskutierte er mit dem Schweden Nikolaus Berg, mit dem er sich zusammen bei Spener in Frankfurt aufhielt, über Sinn und Zweck des Zölibats (Tagebuch von N. Berg, Bl. 82r, 84v, 85v; vh. UB Uppsala, N 1022a). Nr. 13 an [Joachim Justus Breithaupt] 29. 1. 1690 57 quid sibi sequendum sit necne. Ante omnia vero quaedam praemittenda fue- rint generalia: 1. Caelibatus in ministro Ecclesiae improbari non potest, sed etiam debet commendari illis, qui continentiae dono caelitus praediti sunt: imo optandum fuerit, ut plures reperirentur, qui eundem illis locis, ubi aliqua necessitate ad 40 coniugium ineundum non adigi videntur, huic anteponerent. Huius asserti si necessitas exigeret, rationes satis validas me adducere posse confido. 2. Caelibatum tamen, si consulerer ego, sine voti vinculo servari mallem quam libertatem, cuius aliquando usus futurus esset aut desiderium, isto ad- stringi. Sicuti universim vix ulli autor fuerim, ut circa rem votum ederet, quae 45 maioris esset ad omnem vitam momenti et cuius aliquando subire posset poenitudo: cum, quod ipso hoc exemplo docetur, posthac talia evenire queant, quae id suadeant, cuius libertatem voto illo abdicavimus, quod, si sit, con- scientia utrinque affligitur, hinc voti religione obstante, illinc rationibus aliis ad propositi mutationem allicientibus. Unde curae, sollicitudines, scrupuli 50 dolor. 3. Ubi vero votum semel et quidem solenne editum est, aegre admodum, imo vix, ad solutionem eius descendo, cum clara legis litera id vetans ante oculos sit, Num. 30,39; Deut. 23,21 seq10. Nec ceremoniali legi obligationem istam iure adscripserimus, quandoquidem obligatio editi promissi naturalis 55 iuris est et votum iuramento confertur. Praeceptor meus D. Dannhauerus11 Colleg. decal., p. 48912, ad quaestionem „fasne votum in irritum vocare?“, ita respondet: „fas utique, si non ratum, si violentum, si divinae gratiae13 adver- sum.“ Huic omnino subscribo, nec facile, quas alias adderem, voti in irritum vocandi causas invenio. 60 4. Ad hypothesin si descendam, in amici nostri voto nihil horum, quae votum vitiarent, invenio. Conceptum enim est animo libero, licet occasionem praebuerit religiosus metus alius personae, et ita tum comparato ut serio propositum conceptum sit eique istud adiectum vinculum. Ita nec ratum illud fuisse dubito, nec violentum dicere possum; sed nec divinae gloriae adversum 65 dixerim, cum fuerit de re conceptum, tam non illicita, ut supra monuerim,

9 Num 30,3 (Luther 1545: „Der sol sein wort nicht schwechen / sondern alles thun / wie es zu seinem munde ist ausgegangen.“). 10 Dtn 23,21 f (Luther 1545: „WEnn du dem HERRN deinem Gott ein Gelübd thust / so soltu es nicht verziehen zu halten / Denn der HERR dein Gott wirds von dir foddern / vnd wird dir sunde sein. Wenn du das geloben vnterwegen lessest / so ist dirs keine sunde“). 11 Johann Conrad Dannhauer (24. 3. 1603–7. 11. 1666); geb. in Köndringen/Breisgau, 1633 Professor der Theologie in Straßburg, von Spener besonders geschätzter Lehrer (RGG4 2, 563 f; Wallmann, Spener, 100–107; W. Horning, Der Straßburger Universitäts-Professor, Münster- prediger und Präsident des Kirchenkonvents Dr. Johann Conrad Dannhauer. Straßburg 1883; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 30 Anm. 13). 12 Johann Conrad Dannhauer, Collegium Decalogicum Quo Undeviginti Disputationibus, Decalogus Sinaiticus Explicatur […], Straßburg: Mülbius 1638; Spener verwendet die 2. Aufage, Straßburg: Josias Staedel 1669, S. 489. 13 Bei Dannhauer fndet sich hier „gloriae“. 58 Briefe des Jahres 1690

me optare plures in ministerio sacro, si coelitus datum est, a thalamo abstine- re eaque frui virginitatis praerogativa et commodis, quae Paulus I. Cor. 714 commendat. Haec cum ita habeant, non ausim autor esse rumpendi voti, 70 quoad illud servatum possibile est, nec alium excludo casum, quam si sine peccato coniugio amicus ille carere non posset adeoque ab Apostolo I. Cor. 7,915 data dispensatione opus haberet, quod quidem ex illis, quae Tu expres- sisti, non video. 5. Quod attinet rationes, quae mutationem status suadent, earum robur illud 75 cognosco, ut re adhuc integra coniugium caelibatui praeferre potuerit, non illud quo votum DEO nuncupatum licite aboleatur. Obiici ministro Ecclesiae caelibi quaedam impedimenta circa munus peragendum suum, inprimis quod alter sexus minori fiducia et animi praesentia ipsius consilio utatur, non nego, quod ipsum tamen vix aliunde proficiscitur, quam quia conditio inter nostras 80 rarior, sane in Ecclesia Romana16 vix conquerentur foeminae, quod sacri or- dinis homines matrimonio abstineant, nec ob eam causam timidius confes- sariorum suorum consilia exquirunt, si quo conscientiae scrupulo teneantur. Unde postquam novitas exempli defuerit, credo nullas, quibus salutis suae cura est, minori confidentia isto etiam conscientiae suae usuras ductore. Ita memi- 85 ni in aula patria Stollium17, qui dein sororem meam18 uxorem duxit, tredecim integris annis abstinuisse coniugio, cumque initio et illustres et aliae foeminae viderentur eius nonnihil refugere ministerium post aliquot annorum decur- sum omnem illam solicitudinem evanuisse. Medico equidem coniugii ex hac causa maior videri posset necessitas, ne mulieres, quarum morbis ipsius etiam 90 consilium necessarium est, pudore aliquo retinerentur; ipse tamen exemplum Frankofurti19 vidi Medici praestantis et pii, qui nunc etiam Physici ordinarii dignitate ornatus est, nec dum sibi sociam legit, quod tamen credo propediem facturum20. Caelibatus vero istius parum hactenus obstitit, quo minus uterque illius salubribus consiliis uteretur sexus. 95 Quod de oeconomia instituenda dicitur, non diffiteor eorum, qui consor- tem habent, omni tempore commodiorem conditionem esse, uxoria enim

70 servatum: cj ] servatu: D.

14 1Kor 7,1–7. 15 1Kor 7,9 (Luther 1545: „So sie aber sich nicht enthalten / so las sie freien / Es ist besser freien / denn brunst leiden.“) 16 Die römisch-katholische Kirche. 17 Joachim Stoll (2. 8. 1615–21. 4. 1678), Schwager und Lehrer Speners, geb. in Gartz/ Pommern; ca. 1637 Hofprediger in Rappoltstein (W. Horning, Joachim Stoll, Hofprediger der gräfichen Herrschaft von Rappoltsweiler und Pfarrer in Rappoltsweiler Straßburg 1889; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 185 Anm. 10; zu Stolls Einfuß auf Spener s. Wallmann, Spener, 56 f). 18 Agatha Dorothea Stoll geb. Spener (geb. 1636), 1660 verheiratet mit Joachim Stoll, 1678 verwitwet, 1684 zweite Heirat mit Johann Heinrich Otho (Otto) (Harraeus, 15 f). 19 Frankfurt a. M. 20 Conrad Hieronymus Eberhard (zu diesem s. Brief Nr. 11 Anm. 50), der gerade darüber nachdachte, zu heiraten (s. im dortigen Brief, Z. 97–100). Nr. 13 an [Joachim Justus Breithaupt] 29. 1. 1690 59 fides in utraque fortuna multas molestias vitiae lenit, unde in quaestione con- silii pro matrimonio haec etiam ratio militaret valide; dubito autem, an votum reddat invalidum. Praeterea domus ad regulam Christi institutae exemplum maximopere ornare Pastoris munus et doctrinae ipsius aliquod dare potest 100 pondus, non tamen tantum, ut perrumpat voti nexum. Inprimis cum alia ratio vitae iniri possit, ut et exemplum hoc obtineatur et voto sua maneat religio. Si videlicet ipsius suasu vidua laudata21 alii viro nuberet pio et cum sua tota familia amici istius aedes incoleret, cuius ita pastor et pars fieret, et simul ex reverentia muneris director. Haec si placeret conditio, existimarim tantum non 105 omne illud praestitum iri, quod Ecclesia e coniugio pastoris sui speraret. Si vero sint, quae huic etiam consilio obstent, saltem quod matrimonio quaeri- tur, non praevalebit voti religioni; inprimis si hoc etiam addatur, si multi sint, qui mutationem probent vel laudent, aliquibus tamen scrupulos iniectum iri satis graves, et quos tamen eximere aeque facile non sit. Praesertim si locus 110 esset Pontificiis22 propinquus, quorum criminationes voti rupti magnam partem aedificationis ex munere pastoris expectandae infirmaturae forent, quod omni studio cavendum ego quidem arbitror. 6. Quod mutationem voti in aliud attinet, eam quidem concedo, si votum prius necessitate deserendum sit, non autem, si nihil illud reddat irritum. 115 Conf. Lev. 27,1023. Ex his intelliges, Frater Venerande, me licet amico ἀνωνύμῳ vitae rationem commodiorem non inviderem, non tamen a me impetrare posse, ut mutatio- nem praesentis conditionis consulerem. Interim qui aliorum conscientiis la- queos iniicere non soleo, nolim, ut mea unius autoritate consilium omittat, 120 sed nisi rationes adductae ipsius etiam satisfaciant conscientiae eamque con- vincant, non repugno, ut alios adeat sententiamque roget vel post pias preces ipse in timore Domini omne negotium denuo expendat et, quo huius digitus intendet, duci se patiatur. Ego non cessabo coelestem Patrem de hoc quoque invocare, ut ipse volun- 125 tatis suae eum reddat certiorem remque omnem ita regat, uti saluti animae atque Ecclesiae bono profuturum sapientissime intelligit. 29. Jan[uarii] 1690.

21 Die vom Freund erhofte künftige Ehepartnerin. 22 Die römischen Katholiken. 23 Lev 27,10 (Luther 1545: „Man sols nicht wechseln noch wandeln / ein guts vmb ein böses / oder ein böses vmb ein guts“). 60 Briefe des Jahres 1690 14. An den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T.1 Dresden, 30. Januar 1690

Inhalt Berichtet von seinen und Adam Rechenbergs Bemühungen, die Kollekte für die Rothenburger Hilfsbedürftigen sicher zu verschicken. Überlieferung A: Rothenburg o.d.T., Stadtarchiv, A 1464, Bl. 352r.

Göttliche gnade, friede, heil und segen von unserm Seligmacher JESU Christo! WolEdel, Vest, Hochgelehrt, Edel, WolEhrenVest, Fürsichtig, Hoch= und wolweise, Insonders Hochgeehrte Herrn.

5 Ich habe zwahr jüngsthin berichtet, daß das in hiesiger Superintendenz ge- samlete geld über Leipzig nach Nürnberg an H. Kröhnern2 bestellet, wie ich auch dasselbe in natura, wie mirs von dem H. Superintendenten3 gelifert worden, in einer schachtel pitschiret4, nach Leipzig an meinen Eidam H. L. Adam Rechenbergen5 versendet und ihn um die fernere bestellung ge- 10 beten habe6. Wann mir aber derselbe nechst berichtet, daß er keine so siche- re gelegenheit, alß er verlangt, auf Nürnberg gefunden habe, so hat sich ge- ziehmen wollen, daß E. H. Herrlichk[eiten] und Weißh[eiten] hievon fürderlich7 nachricht geben solte, in dero belieben stellende, ob sie an iemand in Leipzig ordre stellen wolten, der gleichwie von dem dasigen H. Superin- 15 tendenten8 die collecte solcher inspection annehmen, alß auch von H. L. Adam Rechenberg, so jetzt der universitet Rector Magnifcus, die ihm vertraute schachtel gegen quittung abfordern möchte. Wie auch deroselben disposition freystehet, alßdan die schachtel entweder nach Nürnberg bringen oder sie in Leipzig öfnen und das geld verwechseln zu laßen, ie nachdem sie an demsel- 20 ben den wenigsten verlust oder gewinn vermuthen, so ich nicht verstehe.

13 /an/.

1 S. Brief Nr. 2. 2 Joseph Kröhner, Kaufmann aus Nürnberg und dortiges Ratsmitglied (s. Brief Nr. 2 Anm. 12). 3 Samuel Benedikt Carpzov, Superintendent in Dresden (Brief Nr. 2 Anm. 3). 4 Versiegeln (DWB 13, 1872. 1580). 5 Adam Rechenberg, Professor in Leipzig (Brief Nr. 2 Anm. 10). 6 S. Brief Nr. 2, Z. 28–32. 7 In geschwinden Fortgang bringend (DWB 4, 717). 8 Georg Lehmann, Superintendent und Theologieprofessor in Leipzig (Brief Nr. 2 Anm. 4). Nr. 14 an den Rat der Stadt Rothenburg o.d.T. 30. 1. 1690 61

Womit der obwaltenden göttlichen gnadenregierung zu beharrlichem wol- wesen treulich empfehlende verbleibe EE. Herrlichk[eiten] und Weißh[eiten] zu gebet u. diensten williger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. 25 Dreßden, den 30. Jan[uar] 1690. 62 Briefe des Jahres 1690 15. An [Samuel Knauer in Leipzig?]1 Dresden, 31. Januar 1690

Inhalt Freut sich über die Nachricht, daß so viele Menschen mit Ernst Christen sein wollen. – Ist besorgt über die großen Trefen, die die kirchliche und politische Obrigkeit beunruhigen könnten. – Rät, sich eher in kleinen Gruppen (und möglichst nicht immer zur gleichen Zeit am selben Ort) zu trefen. – Befürchtet, daß unkluges Vorgehen mehr Schaden bringt, als Nutzen von diesen Veranstaltungen zu erhofen ist. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 666–669.

Wie dieses meine vornehmste freude in dieser welt unter so viel anderer angst und betrübnüß ist, wenn ich höre, daß das werck des HErrn eines oder andern ortes glücklich von statten gehe (dann was solle uns hertzlicher freuen als wann geschihet, warum alles in der welt ist?), also hat es meine freude dieser 5 tage nicht wenig vermehret, als aus dessen angenehmen schreiben2 gehöret, daß der gute trieb, welchen Gottes geist in den hertzen vieler, so studiosorum als bürger, erwecket hat, nicht nur nicht abnehme, sondern immermehr ent- brenne3. Gelobet sey GOtt und der vater unsers herrn JEsu CHristi4, welcher auch damit zeuget, daß er noch an uns gedencke, seinem wort die kraft nicht 10 entzogen habe und uns über das übrige betrübte ansehen der allgemeinen verderbnüß durch einigen frölichen anblick tröste. Er lasse noch immer mehr

1 Der Adressat nimmt wohl an Erbauungsveranstaltungen teil, zu denen sowohl Studenten als auch Bürger (Z. 6 f) kommen. Er ist kein Geistlicher und kennt Spener schon länger (vgl. Z. 113–117). Spener freut sich über die Nachricht, daß die Erweckung nicht zurückgegangen sei, sondern – entgegen seiner Befürchtungen – wachsenden Zuspruch erlebe (Z. 7 f). Er kennt die Inquisitionsakten (Z. 18). Dies alles trift auf Leipzig zu. Viele in die pietistischen Unruhen des Jahres 1689 verwickelte Studenten hatten die Stadt verlassen, andere und v. a. auch Bürger trafen sich weiter in Konventikeln. Leipzig als Zielort des Briefes kann als gesichert gelten. – Als Adressat kommt der Leipziger Kaufmann Samuel Knauer in Frage, mit dem Spener erstmals im Herbst 1680 korrespondierte (Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 161) und dem er über Adam Rechenberg häufg Nachrichten überbrachte (Ad Rech 1, passim); August Hermann Francke hat während seines Aufenthalts in Leipzig im Jahr 1689 näheren Kontakt zu Knauer (vgl. Francke an Hermann von der Hardt am 3. 6. 1689: „Versor etiam hic cum mercatore quodam, Knauero, cui cum Spenero hactenus plurimum mihi intercessit commercii.“ LB Karlsruhe, K 319, VI). – Samuel Knauer (ca. 1639–18. 2. 1709), Kaufmann in Leipzig; geb. in Schmiedeberg, seit 1667 Bürger in Leipzig, zu den dortigen Pietisten gehörend und Gastgeber von Johann Wilhelm Petersen bei dessen Aufenthalt in Leipzig im Jahr 1690 (Leube, Pietistische Bewegung, 186, 237; E. Müller, Häuserbuch zum Nienborgschen Atlas, Berlin 1997, 69; StA Leipzig; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 161 Anm. 1). 2 Nicht überliefert. 3 Die meisten führenden Gestalten der pietistischen Unruhen in Leipzig, darunter August Hermann Francke, hatten Leipzig inzwischen verlassen (Leube, Pietistische Bewegung, 192–202). 4 2Kor 1,3; Eph 1,3; 1Petr 1,3. Nr. 15 an [Samuel Knauer?] 31. 1. 1690 63 und mehr sein wort bey allen Seelen durchdringen zu reicher und gesegneter frucht der ewigkeit. Wann aber meldung geschiehet der zunehmenden anzahl der bürger, also daß der raum nicht mehr alle fassen möge und daher ein weiterer verlanget 15 würde, bekenne ich, daß ich solches nicht verstehe, ob ich es recht fasse: In- deme mir bißher nicht wissend gewesen, daß einige stärckere versamlungen von bürgern ihres orts sich befnden, massen in den inquisitions acten nichts davon gesehen, sondern vielmehr dergleichen beständig widersprochen worden5, daher mir diese anzeige etwas mehrere sorge macht. Ich will mein 20 hertz aufrichtig hiermit ausschütten. Ich möchte zum allerfördersten von hertzen wünschen, daß wir zu einer solchen zeit lebeten und auch die gemüther der menschen insgemein so be- schafen wären, daß man ohne unterscheid alle versamlungen derjenigen, welche Gott zu suchen bezeugen und die sie zu solchem zwecke anstellen, 25 erlaubete oder erlauben dörfte. Wo wir aber alles in der furcht des Herrn erwegen, wird nicht wohl zu leugnen stehen, daß möglich seye, daß unter dem vorwand solcher christlicher zusammenkunften dergleichen dinge vorgehen könten, die der beybehaltung der reinen lehre, auch so gar aus solcher gele- genheit der erhaltung gemeiner Ruhe, gefahr bringen könten. Daher auch 30 leute, die dem guten nicht feind sind, verlangen werden, daß auch gottselige hertzen sich von selbsten derjenigen freiheit, die sie sich sonst nehmen möchten, nun etwas begeben, damit nicht unter gleichem vorwand andere gefährliche leute ihre intention durchführen und eben damit das gute so vielmehr lästern machen möchten. Daher diese unumschränckte freyheit, in 35 absicht auf die gottseligkeit ohne gewisse aufsicht zusammen zu kommen, keines ortes von feischlich gesinneten verstattet, vielmehr viel unruhe dar- über angerichtet, ja, auch von andern treumeinenden aus gedachter ursache mißrathen werden wird. Zwar das einige Gott hertzlich suchende seelen zu- weilen ausdrücklich zusammen kommen und sich miteinander üben, ist nicht 40 allein ein stücke der ihnen von dem HERRN gegebenen freyheit, sondern wird ihnen nicht leicht, wo nicht die boßheit gar alles regiment an sich ge- zogen hat, verwehret werden; aber es gehöret grosse behutsamkeit, gleichwie bey dieser dem guten so aufsätzigen zeit zu alles guten übung, zu dem ge- brauch solcher freyheit. Wo GOtt einige der ordentlichen prediger mit 45 demjenigen eifer, der das werck gern fördern will, erfüllet, gehets so viel leichter her und können starcke versammlungen zu diesem zweck unter ihrer,

27 dem ] den: D1. ​31 dem ] denn: D1. ​33 gleichen: D1. ​ 38 treumeinenden ] freumeinenden: D1. ​

5 Das Protokoll der Inquisition ist ediert in: Francke, Streitschriften, 8–71. Der Bäcker Martin Meinig verneinte die ihm im Verhör gestellte Frage, ob er für Francke eigens eine Kanzel in seinem Haus hätte errichten lassen (aaO, 23.91–94). – In seinem Brief vom 14. 1. 1690 hatte sich Spener besorgt darüber geäußert, einige Hörer Franckes hätten die Grenzen überschritten, die dieser selbst gesteckt habe (Ad Rech 1, Bl. 460r). 64 Briefe des Jahres 1690

als zu dem lehramt publica autoritate bestellter personen, aufsicht angestellet werden; auch ist nicht leicht zu sorgen, das dergleichen von einer obrigkeit, 50 die nicht öfentlich böse ist, werde gewehret werden, es seye denn sache, daß sich andere collegae der guten sache widersetzeten und die obrigkeit dagegen verhetzeten. Wo es aber noch nicht dahin kommet, daß sich ordentliche prediger zu der regierung dergleichen übungen darstellen, so muß man viel weiter zurück bleiben und ihm selbs genaue schrancken setzen, die ich zum 55 theil in dem geistlichen priesterthum, q. 636, angedeutet habe. Wo sonderlich dieses die erste condition ist, daß keine grosse und starcke versamlung ange- stellet werden und sich nach q. 647 keiner zu einem ordentlichen lehrer dar- innen auführe. Man möchte zwar sagen, diese condition müste fallen, wenn Gott ihrer 60 mehrern das hertz rührete und also die zahl derer, die sich ihr christenthum wollen lassen mit ernst angelegen seyn8, vermehrte, daher ja die versamlungen nothwendig auch zunehmen müsten. Ich achte aber, es lasse sich auch in solchem falle rath schafen, nehmlich wo die zahl wächset, daß es nunmehr eine solche versamlung gebe, die ande- 65 re zu starck in die augen stäche, so wären solche versamlungen so bald zu theilen, daß einige personen an einem, die andern an dem andern, andere an dem dritten ort und so fort an, sich christlich miteinander erbaueten, welches alsobald weniger geräusche machen, noch widersetzung verursachen wird. Man kan sich auch allezeit so abtheilen, daß bey jeglicher solchen versamlung 70 einer oder ander der geübtesten sich befnde, welcher den andern mehr an- leitung zur erbauung geben kann; ja, es möchte nicht undienlich seyn, wo man gar keine gewisse ort hielte, sondern iede kleine anzahl, die auch sich untereinander wechseln möchten, einmahl an diesem, das andre mahl an je- nem ort, zusammen fände, ja, auch die zeit nicht allzu genau hielte. Hierbey 75 bin ich nicht in abrede, das es eine leichtere erbauung seye, auch mehr bewe- gung folge, wo stärckere versammlungen sind, wir müssen uns aber dabey auch dessen erinnern, daß nicht allezeit dasjenige zu erwehlen seye, was an und vor sich selbst das beste wäre, sondern was nach allen umständen am

66 1an ] am: D1+2. ​

6 Spener, Das Geistliche Priesterthum, S. 67 (Spener, Studienausgabe I/1, 473.1–17). Die Frage ist überschrieben: „Mögen auch einige zu solchem zweck zusammen kommen?“ In der Antwort heißt es: „Nur daß es keine grosse versammlungen seyen / die ein ansehen einer trennung und ofentlichen zusammenkunft haben möchten / daß sie nicht dadurch den ofentlichen Gottes- dienst versäumen / verächtlich deßwegen davon halten / die ordentliche prediger darüber nicht verachten / auch sonsten in ihren schrancken sich halten.“ 7 Spener, a. a. O., S. 68 (Spener, Studienausgabe I/1, 473.18–23): „64. Mag sich aber jemand unter den andern zu einem sonderbaren lehrer aufwerfen / oder von den andern dazu bestellen lassen? Nein / dann es ist solches priesterthum allen gleich gemein / und muß nach demselben einer so wol von dem andern zu lernen / als in Göttlicher ordnung zu lehren bereit seyn.“ 8 Vgl. Martin Luther, Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdiensts, 1526 (WA 19, [72–113] 75.5). Nr. 15 an [Samuel Knauer?] 31. 1. 1690 65 nützlichsten gefunden wird. Weilen dann starcke versamlungen ohne der obern erlaubnüß (die aber auch nicht zu hofen und, ohne der ordentlichen 80 lehrer aufsicht zu halten, zu dieser zeit noch nirgends wird verstattet, sondern dieselbe, sobald die sache völlig ausbricht, publica autoritate werden verboten werden, wo gleichwol christen alßdenn eine an sich selbs zu ihrer seligkeit nicht absolut nöthige, obschon sonst erbauliche übung wider der obrigkeit verbot nicht fortsetzen dörften, noch ohne ärgernüß und lästerung der gott- 85 seligkeit, als ob sie sich göttlicher ordnung widersetzten, könten) nicht an- gestellet werden mögen, so erfordert die christliche klugheit, daß diejenige, so ihre erbauung suchen und die sie gern befördern wollen, dieselbe niemahl zu einer solchen zahl anwachsen lassen, daraus sie obrigkeitlichen einhalt zu vermuthen haben. Sondern sie sollen vielmehr gedachter massen sich der- 90 gleichen übungen unter wenigern gebrauchen, da sie versichert seyn können, daß sie allgemach mit demselben, weil sie ihrer länger geniessen, dasjenige wieder mögen einbringen, was sie in unterlassung der stärckeren versamlun- gen zu versäumen gesorget. Um so vielmehr, weil hingegen, wenn mans in den stärckeren versammlungen so weit hat kommen lassen, daß die obrigkeit 95 ihre hand einschlägt, nachmal insgemein auch die schwächere und also alles, was dergleichen schein hat, mit verboten werden, wodurch die sache nur schwerer wird, da anderseits, wo man fürsichtig sich hält, weder stets an einem ort, noch zu einer zeit, noch einerley leute und allezeit wenige zusammen kommen, dergleichen von der hohen obrigkeit nicht leicht verboten werden 100 werden. Wie dieses meine nicht ungegründete meinung ist, so bitte ich vor GOtt, die sache in seiner furcht hertzlich zu überlegen, und zwar das gute nicht zu unterlassen, aber nach den umständen also einzurichten, wie man der sache die wenigste hindernüß und anstoß mache, und also auf alle weise zu verhüten, daß nicht dergleichen vorgehe, daß so wohl diejenige, welche etwa 105 die übung des guten einiges orts an sich selbs nicht belieben, scheinbare ur- sache bekommen, sich über dergleichen als ofenbahre unordnungen zu be- schweren und andere mächtigere in den harnisch darüber zu jagen9, als auch andere, die der sache an sich gewogen sind und gern wolten, daß alles volck des Herrn weißsagete10, aus dem stande gesetzt werden, derselben zu helfen, 110 wann sie selbs die art zu verfahren nicht billichen könten. Wo alsdann das ärgernüß, so folgte, vielleicht die vorige erbauung in unterschiedlichen über- trefen möchte. Ich versichere auch, daß derselbe mich also kenne, daß ichs treulich meine, neben dem auch durch Gottes gnade aus unterschiedlicher erfahrung in dergleichen dingen, was gut oder nicht nützlich seye, erlernet 115 habe; daher christliche freunde hofentlich auch meinen hertzlichen rath annehmen wollen.

86 ) ] – D1.

9 Sprichwörtlich (Wander 2, 363 Nr. 28). 10 Vgl. Num 11,29. 66 Briefe des Jahres 1690

Ich rufe den lieben GOtt hertzlich an, daß er nicht allein aller orten, vor- nehmlich auch bey ihnen, sein wort kräftig in die seelen dringen lassen und 120 also alle dazu gemeinte mittel segnen, sondern auch die weißheit, die aus ihm ist, verleihen wolle, in allen dahin gemeineten anstalten allemahl das jenige zu erkennen, was das rathsamste ist und was er am meisten zu segnen beschlossen hat. 31. Jan[uar] 1690. Nr. 16 an [Johann Deutschmann] 1. 2. 1690 67 16. An [Johann Deutschmann in Wittenberg]1 Dresden, 1. Februar 1690

Inhalt Begründet die späte Antwort auf die Schreiben aus Wittenberg, insbesondere auf den Brief Deutschmanns, der vor allem Angelegenheiten des Dresdner Oberkonsistoriums betrift. – Dankt für die Segenswünsche zum neuen Jahr und betont, wie nötig er die Fürbitte in seinem schwierigen Amt habe, und sagt diese gleichermaßen für Deutschmann und seine Kollegen in Wittenberg zu. – Bedankt sich dafür, daß Deutschmann ihm seine „Exercitationes Biblicae“ gewidmet habe. – Beantwortet die Mahnung Deutschmanns, diejenigen auf den Weg der Wahr- heit zurückzuführen, die davon abgewichen seien und sich auf die Autorität Speners berufen. – Betont die Notwendigkeit der Früchte des Glaubens, die nicht von der Wahrheit des Glaubens getrennt werden dürfen. Sie sind kein eigenes Werk, sondern wie die Rechtfertigung eine Gabe Gottes. Bekämpft den Perfektionismus, betont aber den Gehorsam, der aus der kindlichen Liebe Gott gegenüber erwächst; erläutert, wie er rechtgläubig die vollkommene Erfüllung des Gesetzes versteht. – Verweist dazu auf sein Werk „Evangelische Glaubensgerechtigkeit“, das die evangeli- sche Lehre der Rechtfertigung behandelt und von den bedeutendsten Theologen gelobt wurde; v. a. in Kap. 4 wird die Frage nach der Möglichkeit, das Gesetz zu halten, verhandelt. – Betont, daß weder die Heilige Schrift noch die lutherischen Bekenntnisschriften den Begrif „Vollkom- menheit“ vermeiden. – Verweist auf seine Vorrede zu [Balthasar Köpkes] Werk „De Templo Salomonis“. – Weist auf die Leipziger Akten zu den pietistischen Unruhen hin, um deutlich zu machen, daß er keine andere Meinung als Deutschmann vertrete. Wundert sich nicht darüber, daß der Begrif Pietismus nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland verbreitet wurde und auch bis nach Wittenberg gedrungen ist. – Berichtet, daß er seit Beginn des vergangenen Jahres mit [August Hermann] Francke in nähere Bekanntschaft getreten sei; dieser hat sich als frommer und gelehrter Mann erwiesen, was auch seine Leipziger Lehrer bestätigen können, so daß er die Lehrerlaubnis in den Hundstagen 1689 erhalten hat. Es wurden Gerüchte gegen ihn gestreut. – Wundert sich, daß Francke von gegnerischen Theologen für eine Superintendentur in Pegau vorgeschlagen wird, obwohl im Heterodoxie vorgehalten wird. Es muß andere Gründe für die Gegnerschaft geben. – Stellt mit Nachdruck fest, daß es in Sachsen (anders als in Frank- furt a. M.) keine Separation gebe. – Kennt aus seinem Freundeskreis niemanden, der besondere Ofenbarungen der begründeten Lehre vorzieht. – Verweist auf seine Haltung gegenüber der von [Ahasver Fritsch] initiierten „Neue Fruchtbringenden Gesellschaft“. Überlieferung Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 688–692.

1 Johann Deutschmann (10. 8. 1625–12. 8. 1706), Professor in Wittenberg; geb. in Jüterbog, nach dem Studium in Wittenberg und einer akademische Reise, die ihn u. a. nach Straßburg führte, 1656 Rückkehr nach Wittenberg, 1657 Professor ebd., Schwiegersohn Abraham Calovs; Deutsch- mann exponierte sich seit Mitte der 1690-er Jahre als streitbarer Gegner des Pietismus (DBA 211, 27–76; RGG4 4, 771; Ranft, Gottesgelehrte, S. 234–267; A. Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jahrhunderts, Hamburg und Gotha 1852, 221–224; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20 Anm. 9). – Zur Empfängerzuweisung: Sie ergibt sich aus dem Dank dafür, daß Deutschmann Spener seine „Exercitationes Biblicae“ (s. Anm. 12) gewidmet hatte (Z. 41–43). 68 Briefe des Jahres 1690

Antequam ad postremas vestras2 respondeam, ratio ante omnia reddenda est silentii, quo tot alias hactenus praetermisi, ne ea non cognita videar aliquid ex affectu pristino, qui utriusque animum a pluribus annis, antequam de his Provinciis3 cogitarem, DEI gratia coniunxit, dum iam propiores vivimus4, 5 remisisse, a quo plurimum absum. Vera autem causa illa est, quod literae Tuae5 pleraeque negotia concerne- rent, quae ad Senatum nostrum Ecclesiasticum6 spectant et ab eo expedienda fuerant. Circa huius naturae vero negotia mihi visum est parum convenire uni membro de iis respondere, quae universi essent Collegii, cui una mea senten- 10 tia vel suffragio praeiudicare nec possum nec debeo. Unde quoties huius ar- gumenti ab amicis ad me dantur literae, ad respondendum alioqui non semper tardus manus abstineo, nec respondeo, nisi forte omnia, cum expedita sunt, aliquod tamen responsum amicitia postulare videtur; interim, quae ab amicis ad me perferuntur honesta desideria, cum etiam non scribo, meo suffragio, 15 quantum aequitas et conscientia re universa pensitata permittit, iuvare non cesso, facto ipso quam literis respondere malens. Hanc rationem, Venerande DOMINE, uti non damnabis, ita optime interpretabere istam literarum, quae inde procedit, infrequentiam. Ultimae autem Tuae7, cum maxima ex parte nos concernant, neutiquam 20 differendae fuere. Ad eas ergo responsurus ante omnia gratias decentes quasque possum maximas ago pio voto, quo ingresso huic anno et in illo mihi bene- dicere placuit. Vivimus utique temporibus longe quam plerique autumant intra et extra Ecclesiam periculosioribus8, adeoque divinae rectricis et auxilia- tricis gratiae quam unquam fuimus indigentissimi; quam propterea invicem 25 apprecari fraternae certe pietatis est. Ego in primis ea in statione DEI iussu me video, quam ex usu Ecclesiae obeundam longe plura requiruntur, quam in me deprehendo; cum vero ea non aliunde quam a datore omnis boni et perfecti doni9 expectari debeant, nocte dieque eius paternam benignitatem invocare necesse habeo, quae non patiatur mea imprudentia vel negligentia

2 Nicht überliefert. Spener liegen Briefe von Deutschmann und von dessen Kollegen Michael Walther vor. Am 7. 1. 1690 berichtet er an Adam Rechenberg von Überlegungen, den Witten- berger Theologieprofessoren Caspar Löscher und Michael Walther zu schreiben (Ad Rech 1, Bl. 464r). Am 27. 1. 1690 hat er dem letzteren noch nicht geschrieben: „Dum ad D. Waltherum literas meditor“ (Ad Rech 1, Bl. 356r). Im gleichen Brief schreibt er in Bezug auf eine Antwort an Deutschmann: „Nondum quid respondeam mecum constitui.“ 3 Das Kurfürstentum Sachsen. 4 Deutschmann hielt sich auf seiner akademischen Reise im Jahr 1655 in Straßburg und bei Johann Conrad Dannhauer auf (Tholuck, Geist [wie Anm. 1], 221). 5 Der Brief Deutschmanns ist nicht überliefert (Weiteres s. Anm. 2). 6 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 7 Nicht überliefert. 8 Bei der äußeren Gefahr denkt Spener regelmäßig an die Bemühungen Frankreichs zur Re- katholisierung (etwa Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 107, Z. 102–104). Dabei sieht er durchaus auch eine Gefahr für die weiter von Frankreich entfernten Gebiete Deutschlands (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 110, Z. 25–31). 9 Vgl. Jak 1,17. Nr. 16 an [Johann Deutschmann] 1. 2. 1690 69 quicquam eorum fructuum intercipi, qui e concredito mihi munere succres- 30 cere deberent, sed ita suo me regat Spiritu, ut voluntatem ipsius in omnibus absque errore cognoscam absque socordia aut humano metu perficiam. Ad haec vero obtinenda cum agnoscam precum mearum infirmitatem, summi beneficii loco mihi est, si Fratres pii opem ferant suorumque votorum ardore, quod meis deest, suppleant. Ex hoc, Vir Maxime Reverende, intelliges, quam 35 Tibi et, qui Tecum10 eodem in me animo sunt huncque sua apud DEUM intercessione testantur, obstrictum me credam; qui tamen vicissim peto, ut certo persuasus sis nomen Tuum tuamque salutem a me quoque coelesti gratiae throno11 saepissime offeri neque me unquam in hoc fraterno officio segnem exhibiturum. 40 Sed et aliud est, de quo gratias debeo, et hisce ago, quod nempe nomini meo Tuam Christianologiam Biblicam inscribere dignatus sis12 Tuisque adeo in me propensi animi novum coram facie Ecclesiae edideris documentum. Qui alias multa Tibi debui, omnium alioqui debitor, novum hoc apud Te nomen contraxi, quod quavis oblata occasione dispungere gratumve me ex- 45 hibere et officii mei esse agnosco et huic non defore polliceor. Quae etiam mones et me adhortaris, ut autoritate mea iis in locis causam veritatis promovere velim, ubi pietatis cultores a tramite veritatis suis hypo­ thesibus recedere videantur13, eodem animo suscipio, quo a Te scripta certus sum, nimirum sincero et benevolo. Quamvis confidam ubique hactenus me 50 ita gessisse, ut monitoribus nunquam asper essem, sed illis me debitorem profiterer, nec non morem gererem, si salutaria illos monuisse deprehenderem. Veritatis causam promovere non meum solum est, sed omnium, qui DEUM amant, meum tamen prae aliis multiplici nomine est, cum illud munus divina providentia mihi demandaverit, cui ista cura peculiariter etiam annexa est14. 55 Et quidem veritatis causam nobis adeo charam esse debere profiteor, ut nullo pietatis obtentu isti damnum inferri patiar, nec extra veritatem pietatem agno- scam.

51 monitoribus: cj ] moritoribus: D.

10 Vor allem die Kollegen Deutschmanns an der theologischen Fakultät zu Wittenberg ge- meint. Es handelte sich hierbei um Michael Walther (3. 3. 1638–21. 1. 1692) und Caspar Löscher (zu diesem s. Brief Nr. 55 Anm. 29). 11 Vgl. Röm 3,25; Hebr 4,16; 9,5. 12 Johannes Deutschmann, Exercitationes Biblicae, de veris et genuinis Christianis, in Chri- stianologia biblica, vel authentica […] Disputationibus XI ad Ecclesiae salutarem usum, verorum Christianorum speculum, et studiosorum academicorum singularem fructum publicatae, Witten- berg: Chr. Schrödter 1690, mit Widmung an Spener. 13 Noch in der Vorrede der von Deutschmann im Namen aller Wittenberger Theologen ver- faßten Schrift „Christ=Lutherische​ Vorstellung“ (1695) wird beklagt, die Pietisten beriefen sich auf Spener, „den wir jederzeit lieb / und werth gehalten“ (unpag. Vorwort). 14 Das Oberhofpredigeramt in Kursachsen. Der sächsische Kurfürst war Vorsitzender des Corpus Evangelicorum, so daß dem Oberhofprediger besondere Würde und Verantwortung zu- kam (K. O. v. Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1993, 51). 70 Briefe des Jahres 1690

Fructus fidei esse oportet, quaecunque in vita nostra DEO placere debent, 60 ac illa, quae in articulo de iustificatione recipiendo iustitiam Salvatoris sui tribunali supremo nos iustos sistit, in sanctificatione operosa est per dilectio- nem DEI et proximi; fides autem veritate nititur, quomodo ergo ab hac fructus ipsius separemus? Praeterea Vobiscum agnosco nullam nobis deberi gloriam, sed in solidum hanc bonum esse supremi Patris, adeoque uti ea ra- 65 tione iustificamur, quae divinae misericordiae in Christo omnia tribuat, sibi vero nihil retinet, ita in illis etiam, quae sanctificationis sunt, solicite moneo, ne quid nobis vindicemus, sed coronas etiam nostras ante thronum proiicien- tes honorem reddamus omnium bonorum datori15 debitum, qui ille est, ut in bonis operibus nostris, quod bonum est, operationi divinae adscribamus, quod 70 deficit nostrae infirmitati tribuamus. Unde profiteor, quod inter opera opti- mum alias futurum erat, si homo illud sibi vindicet et suum in eo quaerat honorem eo ipso omnem suam bonitatem perdere. Perfectam et eam imple- tionem legis, quae rigori huius respondeat, et ex qua homo iustificetur, serio impugno, satis gnarus iustificationi suae non constare puritatem, illa, si statua- 75 tur, et Christi meritum exinaniri. Servari tamen praecepta divina eo sensu, quo sanctus Johannes loquitur16, et quidem non (quae non imperfec- tam servationem, sed perfectam impletionem legis a CHRISTO praestitam amplectitur adeoque illa beneficio imputationis perfecte lex impletur), sed charitate etiam, quae legis est. Ad hoc vero ἐπιεικείᾳ17, quam aliqui Docto- 80 rum nostrorum vocant18, Evangelii opus est, non ut hoc nos a parte aliqua legis vel eius obligatione liberet, legem mitiorem praescribendo, cum tamen lex tanquam Dei immutabilis voluntas aeterni sit valoris, sed ut illud efficiat, ut obsequium filiale regenitorum, licet imperfectum, sincerum tamen propter fidem in Christum a Benignissimo Patre suscipiatur, cum, quod in eo bonum 85 est, acceptet, defectus istius merito tegat absque qua ἐπιεικείᾳ19, si foret, ne quidem ullum bonum opus coram DEO futurum esset, cum nullum sit, quod rigori legis ex amussi responderet.20 Ea vero omnia iam ante hos sex annos in opere de iustificatione D. Brevin- gio21 opposito22, quod hactenus a Theologis maximi nominis elogia maiora,

15 Wie Anm. 9. 16 Vgl. 1Joh 2,3–6. 17 Billigkeit. 18 In der „Ev. Gerechtigkeit“ (s. Anm. 22), S. 302, verweist Spener auf Johann Gerhard, Har- monia, cap 176, p. 1295 (Näheres dazu in Brief Nr. 22, Z. 129–150); v. a. Nicolaus Hemming zu 1Joh 2,3 (S. 282: „Observetur hoc loco dulcissima ἐπιείκεια divinae legis, […]“); eine Seite später wird Abraham Calov, Consideratio Animi, c. 17, Nr. 79, zitiert: „unterscheid unter der schärfes des gesetzes […] und der gnade des Evangelii“; vgl. auch Friedrich Balduin, Catechesis apostolica, Wittenberg: Samuel Selfschs Erben und Paul Helwig 1620, S. 420. 19 Wie Anm. 16. 20 Vgl. die ähnlichen Ausführungen in Brief Nr. 7, Z. 35–56. 21 Johann Breving (gest. 1686), Kanonikus am Frankfurter Bartholomäusstift (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 28 Anm. 9). 22 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit. – Das Werk ist den Mitgliedern des Dresdner Oberkon- Nr. 16 an [Johann Deutschmann] 1. 2. 1690 71 quam ego quidem mihi tribuerim, reportavit, prolixe admodum c. 4 deduxi23 90 ostendique, qua ratione perfecta impletio legis in Papaeis24 refellenda sit, quae vero servatio consentiat Scripturae sacrae et libris nostris Symbolicis25. Praeterea qui perfectionem absolutam in hac corruptione nostra a nobis attingi posse nego, cum Scriptura tamen et libris Symbolicis a vocabulo per- fectionis non abhorreo eam possibilem esse statuens, quae perfectos ab in- 95 fantibus in Christo distinguit26, adeoque comparata vel respectiva est. Omnem vero perfectionem negare nec oraculis divinis nec Symbolis nostris convenit et torporem in pietatis cultu pudendum introduceret. De quo argumento superiori anno egi in praefatione libelli de Templo Salomonis27, in quo quidem doleo censuram Academicam quaedam praeter- 100 misisse28, quae corrigi decebat et quae in alia editione emendanda sunt. Ex his perspicies, Vir Venerande, nos per DEI gratiam in omnibus illis plane ὁμοψή- φους29, quae epistola Tua inculcat, ratione ipsius theseos. Quod vero querelas Tuas attinet de pietatis aliquibus cultoribus, qui a recto tramite deflecterent, et quos in viam a me etiam reduci postulas, cum videaris 105 illis verbis Lipsiae30 acta, quae sunt innuere, patiere, quae mihi in animo sunt in Tuum etiam sinum effundi. Paucis dicam, quod sentio, nimirum quaecun- que de illo Pietismo, quod nomen fingere lubuit, sparsa sunt et totam hanc Provinciam31, prope dixerim, omnem Germaniam implevere, ut eo minus mirum sit, ad vestras etiam aures famam delapsam, maxima ex parte puras 110 putidasque esse calumnias, alia suscipionibus niti inanibus, certe adhuc non probatis.

sistoriums gewidmet: Carl von Friesen, Adam Christoph Jacobi, Johann Georg Nicolai, Johann Andreas Lucius, Samuel Benedikt Carpzov. 23 Kap. 4: „Von der möglich= und unmöglichkeit das Göttliche Gesetz zu halten“ (S. 280–577). 24 Die römisch-katholische Kirche. 25 Häufg bei Spener (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 96, Z. 9–11, Nr. 124, Z. 58–60, und Nr. 140, Z. 8 f). 26 Vgl. Hebr 5,13 f. 27 Balthasar Köpke, Dialogus de Templo Salomonis, In quo Praeter alia eximia et profectui In Christianismo Utilia, Inprimis Incipientium, Adolescentium et Adultorum in Christo communia et distincta ofcia, pericula, impedimenta et adminicula dilucide exponuntur, Leipzig: R. Wächtler 1688, mit Vorrede Speners vom 21. 8. 1688: „De perfectione christiana“ (ins Deutsche übersetzt und leicht gekürzt in der deutschsprachigen Ausgabe von 1695 [Neu-Ruppin: Christian Mahler], wieder abgedr. EGS 2, S. 204–214). 28 Zu den Einwänden der Leipziger Zensoren s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116, Z. 66 f, mit Anm. 43. – Zu der im Jahr 1687 eingerichteten Zensurbehörde in Leipzig s. D. Döring, Anfänge der modernen Wissenschaften, in: E. Bünz; M. Rudersdorf; D. Döring, Geschichte der Universität Leipzig 1409–2009, Bd. 1, Leipzig 2009, 641 f. 29 Gleicher Meinung seiend. 30 Leipzig. 31 Das Kurfürstentum Sachsen. 72 Briefe des Jahres 1690

M. Francum32 familiarius nosse coepi non nisi ineunte superiori anno, cum aliquot hebdomadum hospitium in aedibus meis rogavit33 eoque et convictu 115 meo fruitus est. Caeterum exprimere satis non possum, quantum ille se mihi omni isto tempore probavit vir, in quo eruditio non unius generis et pietas paria faciunt, unde hanc a veritate nullo modo separare conatur. Nec alium se Venerandis Professoribus Lipsiensibus, quos pluribus annis Praeceptores audi- vit34, probavisse ex eo patet, quod et alias semper faverint, et superiori adhuc 120 aetate tum spectabilis Decanus Theologiae35 ipsi suo loco pro more canicula- res lectiones36 habendi potestatem fecerit, et duo alii Professores philologicis37 ipsius exercitiis (quibus aliquot epistolarum Paulinarum sensum literalem explicabat38, additis πορίσμασι39 practicis, dogmaticis autem atque polemicis, ad cathedram Theologicam, cuius sibi ius non esset, remissis) auditorium con- 125 cederent publici usus. Hac dum gratia frueretur et adhuc lectiones praedictas haberet, confluxus auditorum insolitus videtur aliorum commilitonum ad- versus ipsum excitasse invidiam, qui varia et ridicula etiam, de ipso et eius familiaribus, tanquam novam sectam parturientibus, spargere caepere et hisce tum Theologorum tum aliorum Virorum gravium et Lipsiae et hoc in civita- 130 te aures animosque implevere40. Tanta specie referebantur talia, ut nec ipse a fide adhibenda temperare voluissem, nisi et nossem ipsum M. Francum et

32 August Hermann Francke (22. 3. 1663–8. 6. 1727), Magister der Theologie; geb. in Lübeck, Studium in Erfurt, Kiel, Hamburg, Jena und Leipzig, Mitbegründer des Collegium Philobiblicum in Leipzig (1686), beteiligt an den pietistischen Unruhen in Hamburg, Leipzig und Erfurt (1688– 1691), 1691 Pfarrer in Glaucha und Professor Halle a.S., Gründer der Franckeschen Stiftungen, neben Spener der bedeutendste Vertreter des lutherischen Pietismus (G. Kramer, August Her- mann Francke. Ein Lebensbild, 2 Bde., [Ndr. Hildesheim u. a. 2004]; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 47 Anm. 16). 33 Francke war zum Jahreswechsel 1688/89 nach Dresden zu Spener gekommen (vom Orde, Beginn, 362–364). Früher hatten sie sich vermutlich kurz getrofen, als Spener im Jahr 1687 das Collegium philobiblicum in Leipzig besucht hatte (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 106, Z. 14–17). 34 Francke hatte von 1683 an in Leipzig studiert und im Jahr 1685 den Magistergrad erworben und danach dort als Informator gelebt. 35 Georg Moebius (18. 12. 1616–28. 11. 1697), Theologieprofessor in Leipzig, geb. in Laucha; nach dem Theologiestudium in Jena, Leipzig 1646 Rektor der Merseburger Domschule und 1668 Theologieprofessor in Leipzig (DBA 849, 381–389; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20 Anm. 17). 36 Die Vorlesungen während der sog. „Hundstage“, d. h. den heißen Wochen im Sommer (23. 7.–23. 8.), die üblicherweise von den ordentlichen Professoren an andere übertragen wurden. 37 Nach Spener, Erzehlung, S. 62, sind Johannes Olearius (zu diesem s. Brief Nr. 31 Anm. 1) und Valentin Alberti (s. Brief Nr. 36 Anm. 16) gemeint. 38 Francke behandelte die (pseudo‑)paulinischen Briefe Titus und 2Tim (A. H. Francke an Heinrich Berckau am 27. 7. 1689; abgedruckt in: vom Orde, Beginn, 368). 39 Zusätze; Hinzufügungen. 40 Vgl. dazu das Pietistengedicht Joachim Fellers „Es ist jetzt Stadt-bekannt der Nahm der Pietisten“ (abgedruckt in: Leube, Pietistische Bewegung, 91, und – mit ergänzenden Versen aus der Feder August Hermann Franckes – in: vom Orde, Beginn, 359). Nr. 16 an [Johann Deutschmann] 1. 2. 1690 73 plurium annorum experimentis didicissem artes τοῦ διαβόλου41 bona quaevis in suspicionem ducentis. Instituta ergo de re tota ab universitate et Vener[ando] Collegio Theologi- co inquisitio42. Ego vero negotiorum causa cum ineunte Septembri Lipsiam 135 invisissem43, Theologos, quos affari licuit, hortatus sum, ut solicite pervestiga- rent omnia, quamvis enim optima quaeque de illis, quos fama hactenus petie- rit, mihi promittam, si, qua tamen in re veritatem deseruisse demonstrentur (nam accusatio sola neminem nocentem facit) me non patrocinaturum erro- rum disseminatoribus44. Miratus vero sum, cum ex Theologis unus45, post- 140 quam contra M. Francum plura prolocutus esset, desideraret, cum eo tempo- re Ephoria Pegaviensis46 vacaret, ut ille me et illustri Seckendorfio47 parariis huic praefici posset; nec enim mecum duo illa componere poteram hominem serio heterodoxiae suspicionibus gravare et ei inspectionem plurium Ecclesia- rum optare. Unde cogitari poterat alias solum rationes esse, ob quas hominem 145 a se remotum cuperet. Instituta vero, quod dixi, inquisitio, cum auditi essent sub iuramenti religione testes contra ipsum nominati, aliqui ipsius intimi et discipuli, demum ipse, non alium habuit eventum quam, quod apparuit, nihil eorum veritate nixum, quod de nova secta aut novo ordine vel de heterodoxia M. Franci aliorumque fama tulerat48. Haec summa est omnium actorum, quae 150 his oculis meis etiam perlustravi. Ex hisce vero, Frater Optime, colliges, quam fidem mereantur relationes, quas Tu non incertas et constantes credebas, et quae vis famae sit, etiam cum falsa disseminat. Ita sancte asseverare Tibi possum neminem mihi in his Saxonicis ditionibus notum esse, qui communionem Ecclesiae desereret (quales in Rhenanis par- 155 tibus49 aliquos fuisse non nego, quibuscum mihi saepe contentio fuit, et quos

41 Des Teufels. 42 Die Protokollakten der Untersuchung zu den pietistischen Unruhen in Leipzig sind ediert in: Francke, Streitschriften, 8–71. 43 Spener hatte vom 2. 9. bis ca. 9. 9. 1689 Leipzig besucht (Ad Rech 1, Bl. 274r–278r; vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97 Anm. 4). Vgl. den Bericht über seinen Besuch in Leipzig und seine Gespräche mit den dortigen Professoren in: Spener, Warhaftige Erzehlung, S. 74 f. 44 Vgl. den Brief an Valentin Alberti vom 19. 9. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 93). 45 Spener berichtet in seinem Gutachten vom 3. 6. 1690 über die Akten zum Pietismus, Valentin Alberti habe ihn gebeten, sich am Hof von Zeitz dafür zu verwenden, Francke zum Superinten- denten in Pegau zu berufen (Bed. 3, 785; vgl. Spener, Warhaftige Erzehlung, S. 75: „der eine / so am allerhärtesten wider Hrn. M. Francken / und über die Unruhe in der Universität / geklaget hatte“). – Zu V. Alberti s. Brief Nr. 36 Anm. 16. 46 Die Superintendentur von Pegau. 47 Veit Ludwig von Seckendorf (20. 12. 1626–18. 12. 1692), Privatgelehrter in Meuselwitz, geb. in Herzogenaurach; nach dem Studium zunächst in Diensten des Herzogs Ernst von Sachsen- Gotha, danach bei Herzog Moritz von Sachsen–Zeitz, zuletzt als Kanzler, seit 1682 Privatmann (G. Rechter, V. L.v. Seckendorf, in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 12, 1986, 104–122; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 45 Anm. 1; Strauch, Seckendorf; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 80 Anm. 1). 48 S. o. Anm. 42. 49 Die Rheingegend. – Hier ist wohl Frankfurt gemeint, wo es unter den Anhängern Speners seit 1682 zu einer ofenen Separation kam. 74 Briefe des Jahres 1690

inprimis meus de querelarum abusu libellus in vernaculo idiomate editus petit50) et privatos conventus praeferent, quamvis non omnem privatam aedi- ficationem Christianis negandam utique existimem51. 160 Nec mihi ex illis, qui mea amicitia usi sunt, ullus innotuit, qui peculiares vel novas revelationes52 prae se ferret aut vel unicum dogma isti fundamento superstruxisset. Porro de nulla mihi fraternitate adhuc constat, quam quae omnium filiorum DEI est, quamvis arctiorem amicitiam inter se conciliare possint, qui se invicem intimius norunt, quod in omni vita humana pervulga- 165 tum est, nec cuiquam vitio verti potest. Quod aut certas attinet societates, quam a tali instituto alienus sim, ante hos quindecim et quod excurrit annos, rogatus a Viro celebri, et cuius alioqui pietatem magni feci, nomen dare certa alicui societati, quae se legibus ad cultum pietatis obstringeret, id agere renui53, quod fraternitas, qua Christus 170 discipulos suos inter se iunxit, nobis sufficere possit et debeat. Ex eo nullius fraternitatis aut societatis ad me delata est mentio. Ex illis quoque, quorum mihi animi perspecti sunt, neminem inveni, qui non suos defectus et peccata agnosceret aeque ac fateretur, licet in viis DOMINI ambulandi constantem servaret voluntatem. 175 Tandem qui Philosophiae inimici incusabantur, ita mentem explicarunt suam, ut, quod desiderarem, nec invenerim, nec Te inventurum confidam; nimirum illam etiam, si de sana sermo sit, donum DEI esse pretiosum et Theologiae quoque consecraneis, quorum studia non in imis subselliis54 con- sistent, utile: illis vero, qui vix unum alterumve annum in academiis subsiste- 180 re valent et, quantum prospicere licet, aetatem suam inter indoctos aliquando agent, suadendum non esse, ut Philosophiae operam navent in spem futurae oblivionis, sed ut tempus utilioribus studiis impendant, nempe Theologicis et,

162 superstruxisset: cj ] super struxisset.

50 Spener, Der Klagen Mißbrauch. 51 Vgl. die diferenzierte Meinung zu Privatversammlungen in Brief Nr. 15, Z. 14–58. 52 Ofenbar gab es – wenigstens in Wittenberg – schon zu diesem frühen Zeitpunkt Gerüchte über besondere Ofenbarungen. In den Befragungen der Leipziger Pietisten spielt diese Thematik keine Rolle. Vielleicht sind Gerüchte über die Ofenbarungen von Rosamunde Juliane von der Asseburg nach Wittenberg gedrungen (von Magdeburg her? Vgl. Brief Nr. 47) und mit den Aus- einandersetzungen um den Pietismus in Verbindung gebracht worden. 53 Spener meint hier wohl die von Ahasver Fritsch initiierte „Neue Fruchtbringende Gesell- schaft Jesu“, die er diferenziert kritisch beurteilte (vgl. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 8, Z. 84–95, und Nr. 10, Z. 21–123). – Zu dieser Gesellschaft s. E. Koch, Die „Neue geistlich- fruchtbringende Jesus-Gesellschaft“ in Rudolstadt, in: PuN 31, 2005, 21–59. – Zu Ahasver Fritsch s. Brief Nr. 94 Anm. 1. 54 Wohl redensartlich; vgl. „viri imi subselli“ im Sinne von „geringe Leute“ (s. Plautus, Captivi, 471). Nr. 16 an [Johann Deutschmann] 1. 2. 1690 75 quae ad exegesin Scripturae omnibus Theologis necessariam faciunt, philolo- gicis55. Haec cum ita se habeant, Vir Exellentissime, spero, qua es et ab omnibus 185 commendaris, animi aequitate Te quoque suspiciones istas ab aliis ingestas dimissurum. Si quid vero, unde orthodoxiae periculum sit, revera observare- tur, absit, ut ego partipicare tali velim, qui veritatem omnibus aliis praefero et hoc istas voto concludo, ut servet nos Pater coelestis in unitate Spiritus et sanctificet nos in veritate sua, verbum ipsius veritas est56. 190 Vale. Dresdae, 1. Febr[uarii] 1690.

55 Ausführlich in: Spener, De impedimentis studii theologici (Cons. 1, 211–216); zur Über- legung, daß diejenigen Theologiestudenten, die nur für kurze Zeit studieren können, sich nicht umfassend mit der Philosophie beschäftigen sollten, s. aaO, 214 f. 56 Kanzelgruß zu Beginn der Predigt. 76 Briefe des Jahres 1690 17. An [einen Kaufmann in Nürnberg]1 Dresden, 4. Februar 1690

Inhalt Hat bis zu diesem Zeitpunkt nichts über die Entwicklung des Heigelschen Prozesses [über die Rechte des von Johann Heigel initiierten Bibelkommentars mit Texten von Martin Luther] gehört. – Berichtet von den bisherigen Versuchen, das Werk zur Veröfentlichung zu bringen. – Sagt im Namen der anderen Mitbearbeiter zu, im Rahmen der getrofenen Absprachen dem jetzigen Rechteinhaber den Beitrag zu leisten. – Verweist auf die hohen Kosten, die bisher eine Veröfentlichung verhindert haben. – Heigel hatte reiche Gönner, jetzt hat aber nur ein Reichs- fürst bereit erklärt, Geld zur Verfügung zu stellen. – Verweist auf den Nürnberger Verleger Endter oder andere, die zu raten wissen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 17. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 283–286.

Als ich und andere freunde nun von guter zeit gemeinet, daß der Heigelische process2 entweder gantz ligen geblieben oder nun dieses werck, daran wir gearbeitet3, weil vielleicht nichts daran zu erholen, darauß gelaßen worden seye, daher wir bereits von etlichen jahren uns um einen andern verleger 5 beworben4, aber noch keinen bekommen können, ich verschafte denn demselben einen vorschuß ufs wenigste von 2000 thalern, damit ufzukom- men es hingegen all zu schwer werden wollen, war mir lieb, vorige woche M[eines]H[ochgeehrten]H[errn] briefe5 zu erlangen und, weil ich von Herr Boetio6 noch kein wort gehöret, nötige nachricht, und zwar dahin anzuneh-

1 Heigelische ] Heugelische: K.

1 Wohl der Nürnberger Kaufmann, von dem Spener in seinem Brief vom 25. 6. 1697 berichtet (LBed. 3, 630), er habe die Rechte von den Heigelschen Erben erhalten. Diese Zuweisung wird bestätigt durch den Hinweis Speners auf den Nünberger Verleger Endter (Z. 94). – Der Name fndet sich – unleserlich gestrichen – in K. 2 Ein Gerichtsprozeß, der am kaiserlichen Hof (s. Z. 10) ausgetragen wurde (vgl. dazu Brief Nr. 27, Z. 46–48). Die beiden Parteien waren der Bäcker Johann Heigel (zu diesem s. Anm. 11) und die Familie von Grünthal (s. Anm. 12). 3 Der Bibelkommentar mit Hilfe von Zitaten aus dem Werk Luthers (vgl. Wallmann, Spener, 250–254; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 168; K. vom Orde, Die Bedeutung eines nie fertig- gestellten Buches. Die von Philipp Jakob Spener betreute Kommentierung der Bibel aus Schriften Martin Luthers, in: IV. Internationaler Kongress für Pietismusforschung 2013, Halle u. Tübingen [voraussichtl.] 2016, 245–259). 4 Spener hatte vergeblich versucht, seinen Frankfurter Verleger Johann David Zunner (zu diesem s. Brief Nr. 27 Anm. 16) für dieses Projekt zu gewinnen (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 98, Z. 92–97). 5 Nicht überliefert. 6 Vielleicht Heinrich Betke (Beets). – Zu diesem s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 96 Anm. 9. Nr. 17 an [einen Kaufmann] 4. 2. 1690 77 men, daß derselbe das recht solches wercks an sich gebracht habe. Dann ob 10 wir wol gegen die sentenz, daß wir am Kays[erlichen] hof nie citiret oder gehöret worden wären, uns beschwehren könten, so sehe ich doch nicht ur- sach, daß wir es thun, indem wir das jenige vielmehr uf solche weise erlangen, was wir zuverlangen haben, nur wünschende, daß M[ein]H[ochgeehr- ter]H[err] auch seiner seits seine rechnung dabey fnden möge. 15 So wird nun ohne zweifel wißend seyn, daß von dem S[eligen] H[errn] Heigel7 mit mir und 2 andern collegis8 ein contract solches wercks wegen gemacht worden, der nachmal so wol wegen der zeit, nachdem erst in der arbeit die schwerigkeit gefunden und, es hingegen auch zu übereylen, nicht verantwortlich gehalten, alß zuziehung anderer collaboratorum9, doch daß 20 alles widerum durch meine hand hat gehen müßen, under uns geändert worden. Nach dem nun das werck so viel als fertig war und, getruckt zu werden, angefangen werden können, hat der gute H. Heigel selbs etwas damit verzögert, daß wir fast gemercket, daß es an den mitteln (weil er besorglich an dem Luthero Redivivo10, so meistens zu maculatur worden, einige tausend 25 eingebüsset) mangeln wolte und er sich erst um dieselbe an einigen hohen orten, wo man exemplaria anzunehmen sich erklähret, zu bewerben bemühet gewesen; indeßen folgte sein tod und brachte uns um unsere meiste hofnung. Nach dem nun sein Vetter, so sich zum erben angab11, auch solches wercks willen anmeldete und ins gesamt über die erbschaft mit den Grünthalischen12 30 der process13 erwuchs, waren wir zwar willig, wem die erbschaft zugehören würde, unsern verspruch, wo anderseits dergleichen geschehe, nemlich daß uns unser accordirtes gezehlet und das werck verleget würde, zuerfüllen und das werck dazu zu liefern. Es wolte aber der erbe (so viel ich mich entsinne,

7 Johann Heigel (gest. 1677), geb. in Regensburg; 1630 Kanzleischreiber, ca. 1650 wal- deckischer Kammerrat in Arolsen, 1662 kurpfälzischer Rat in Heidelberg (H. Steinmetz, Die waldeckischen Beamten, Geschichtsblätter für Waldeck 61, 1969/70, 52; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 168 Anm. 1 und [ergänzend] Bd. 5, Brief Nr. 123 Anm. 92). 8 Johann Emmel (1637–1680) (Telschow/ Reiter, 82) und Johann von den Poppelieren (ca. 1603–1694) (Telschow/Reiter, 267) (LBed. 3, 629; Brief vom 25. 6. 1697). 9 Neben Emmel und von den Poppelieren zählt Spener folgende Mitarbeiter auf: Christian Klauer (1640–1712) (Telschow/Reiter, 181), Christoph Huth (gest. 1706) (Diehl, Hassia Sacra 4, 261), Johann Ulrich Wild (zu diesem s. Brief Nr. 11 Anm. 91), Johannes Simon Francke (1644–1708) (DBA 336. 424) und Christfried Sagittarius (DBA 1074, 337–343) (1617–1689) (LBed. 3, 633). 10 Lutherus Redivivus, Oder das Erste (‑Achte) Theologische Schatz-Kästlein … Auss dem I.(‑VIII.) Jenischen Theil der Teutschen Schriften, Frankfurt a. M.: Humm und Görlin 1665, dazu „Haupt=​Schlüssel“ und weitere Bände (1670–1671); Näheres zu der komplizierten Druck- geschichte s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 45 Anm. 6–10. 11 Ebenfalls mit Namen Johann Heigel, ein Bäcker römisch-katholischen Bekenntnisses, ver- mutlich aus Cham oder Amberg (LBed. 3, 633). 12 Die Frau Heigels war eine geb. Freifrau von Grünthal (s. LBed. 3, 629). Zu der aus Öster- reich stammenden freiherrlichen Familie von Grünthal s. Johann Friedrich Gauhe, Genealogisch=​ Historisches Adels=​Lexicon, Leipzig 1740, Sp. 708–710. 13 Vgl. Anm. 2. 78 Briefe des Jahres 1690

35 dann mir dergleichen dinge leicht wider auß der gedächtnuß14 gehen, daß ich auch nicht allemahl in allen umstanden mich auf dieselbe verlaßen kan) das werck von uns haben, so wir ihm aber weder geben dorften, da jener process under den erben noch nicht außgemacht, noch auch geben wolten, weil er zwar, uns das geld zu geben, versprach (da man doch das quantum nicht 40 praecise wißen kan, biß es getruckt ist), aber, es verlegen zu laßen, sich nicht verbinden, sondern, damit nach belieben alß mit dem seinigen umzugehen, die macht haben wolte, da doch so wol unser accord alß auch der Zweck dahin gegangen, daß das werck herauß käme, alß denen mit dem gelde die arbeit nicht bezahlet wäre, sondern nur damit der kirchen nutzen zu schafen 45 verlangt. Darüber wir auf die etwa nicht ungegründete gedancken gekom- men, es müßten einige Papisten darunder stecken, die die arbeit allein zu undertrucken verlangeten. Wann also Mhh. das Heigelische recht an sich gebracht, wird sich niemand unter uns wegern15, seinen theil davon herauß zu geben, wo die beyde con- 50 ditiones erfüllet werden: nemlich daß wir das davor accordirte (nemlich vor einen solchen bogen, wie einige proben getruckt sind, einen gülden oder zwey drittel thlr.16 so fast nur abzucopiren so viel kosten möchte) bekommen, und daß das werck würcklich getruckt werde; ja, wir werden uns vielmehr freuen, daß wir der sorge entladen werden, selbs einen verleger, welches so 55 schwer werden will, außzufnden; so hofe, daß auch meine h[ochgeehr- te]H[erren] mitarbeiter (wie ich zu frieden bin) eben so wol etwas von unse- rer gerechten forderung nachlaßen möchten, wo man nur siehet, daß das werck an das liecht kommet und wir den zweck der erbauung der kirche darbey erlangen. 60 Wann aber MhH. auch meine gedancken und meinung, was derselbe sich vor hofnung zu machen habe, verlangt, so hätte ich auf unser interesse se- hende demselben alles leicht zu machen und vielen nutzen zu versprechen; weil ich aber mir ein gewißen mache, anders alß gantz aufrichtig, wie ichs fnde, anzuzeigen, so ist mir leid, daß ich nicht solche Hofnung, als ich wol 65 wünschte, davon machen kan. An sich selbs versichere, daß das werck gut und also ausgearbeitet ist, daß wir, vor der kirchen damit zu bestehen, getrauen und derselben, einen nutzlichen dienst geleistet zu haben, hofen. Wie es aber mit großen wercken zu dieser zeit hergehet, so wird auch, dieses werck zu verlegen, schwer werden. Wo MhH. solches nicht selbs zu verlegen, sondern 70 einem buchführer oder andrem verhandlen will, sorge ich, er würde von solchem so gar nicht, was uns davon gebühret, ja, kein 100 thaler davor be- kommen, dann zu dieser zeit die buchführer meistens gewohnet sind, daß ihnen die autores vor ihre werck noch gute wort geben müßen und vor ihre ergötzlichkeit selten was bekommen, daher sie sich zu erkaufung eines sol-

14 Die Gedächtnis (DWB 4, 1927). 15 Im Sinne von „weigern“ (DWB 27, 3108). 16 Vgl. auch LBed. 3, 633. Nr. 17 an [einen Kaufmann] 4. 2. 1690 79 chen wercks, welches sie nachmal noch so viel 1000 (wie man dann wol 8000 75 und mehr sagen will, daß der verlag zu stehen kommen werde) zu trucken kostet, schwehrlich verstehen. Ist also nicht wol ander mittel übrig, alß da MhH. selbs den verlag mit zuziehung eines verständigen buchführers auf sich nimmet und gewinn und verlust wagt. Wo der S[elige] H. Heigel wäre leben geblieben, so zweife nicht, daß er 80 über seine kosten einen proft machen können. Die ursach war diese, daß er bey underschiedlichen fürstenthümern, da er mit den vornehmsten corre- spondirte, den verspruch oder doch vertröstung erhalten, daß sie eine starcke anzahl der exemplarien würden genommen haben, damit er also gleich an- fangs ein großes der kosten hätte mögen wieder bekommen. Dieser vortheil 85 aber, sorge ich, wird mit ihm abgestorben, ja vielleicht wol die meisten seiner correspondenten nicht mehr im leben sein. Daher ist kein andrer weg, alß es, wie mit andern büchern geschiehet, zu wagen, das werck so auszubringen und, alß denn so gut man kan, den vertrieb zu suchen. Jedoch kan ich in dem nahmen eines Reichsfürsten versprechen, der 500 thaler zu der beförderung 90 darschießen und sich darnach mit exemplarien bezahlen laßen will17. Mehr habe biß dahin noch nicht aufzubringen vermocht. Daher ich endlich nicht beßer zurathen weiß, alß daß MhH. die gantze sache mit einigem buchverständigen, H. Endtern18 oder andern in Nürnberg oder anderswo, reifich überlegen und anhören wolle, was ihm dieselben vor 95 vorschläge zu thun vermögen, als die vielleicht dergleichen geben können, die ich nicht weiß, noch verstehe; wünsche auch hertzlich, daß sich derglei- chen fnden möchten, damit die sache endlich richtig werde und gethane arbeit zu einer frucht der kirchen gedeyen möge, so dann daß MhH. auch nutzen und segen (über was ich hofen und vorsehen kan) davon schöpfe. 100 Wormit etc. etc. Dreßden, 4. Febr[uar] 1690.

17 Gemeint ist Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel (zu diesem s. Brief Nr. 101 Anm. 1). 18 Wolf Moritz und Johann Andreas Endter, zu dieser Zeit Leiter der damals schon hundert Jahre bestehenden Buchhandlung und des Verlag (ADB 6, 110 f; R. Schmidt, Deutsche Buch- händler. Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes, 2. Band, Berlin 1903, 214; Benzing, Drucker, 365). 80 Briefe des Jahres 1690 18. An Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar in Quedlinburg1 Dresden, 5. Februar 1690

Inhalt Bedankt sich für das Schreiben und bittet für die Äbtissin um Gottes Segen im neuen Jahr. – Unterstützt die Berufung [Christian] Scrivers zum Oberhofprediger nach Quedlinburg und erhoft sich dadurch Segen für das Stift und die Stadt. Überlieferung A: Magdeburg, Landeshauptarchiv, Rep. A 20, Tit. IV, Nr. 48, Bl. 17r–18v. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 396–397.

JESUM, Zum liecht dero verstandes, kraft dero geistes, ruhe dero gemüths, sättigung dero verlangen, regirer dero anschläge2, artzt dero leibes, versorger dero nothdurft, segen dero arbeit, ja ein wahrer dero selbs 5 und anvertrauten stiftes zu dem eingetretenen und vielen folgenden jahren biß zu dem frölichen anbruch oder übergang in die herrliche ewigkeit! Hochwürdigste, Durchlaüchtigste Fürstin, Gnädigste Fürstin und Frau. Die E[urer] Hochw[ürdigen] D[u]r[ch]l[auch]t gegen mich seit meines hie- 10 sigen anwesens mehrmals bezeugte sonderbare gnädigste zuneigung3 hat sich sonderlich in dem letsten, so mir vorgestern zugekommen4, aufs neue under- schiedlich hervorgethan, und verbindet mich zu underthänigstem danck, ob zwahr nechst deßen mündlicher abstattung mehr nichts dahin gehöriges zu- sagen kan als mein armes gebet, welches ich aber niemal underlaßen werde, 15 soviel nur der HERR den geist der gnaden und des gebets5 beschehret. Es wolle auch der reicheste segensGott allen den jenigen segen, mit welchem E. Hochw. Drlt. in dero liebreichem wunsch durch das gnädigste schreiben

1 Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (12. 11. 1657–23. 6. 1704), Tochter Johann Ernsts II. von Sachsen-Weimar und Elisabeths von Holstein-Sonderburg; 1681 Pröpstin und 1685 Äbtissin des Stifts Quedlinburg; seit 1693 distanzierte sie sich scharf vom Pietismus (Europäische Stammtafeln NF 1, Tafel 46; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 97 Anm. 1). 2 (Öfentliche) Vorhaben (vgl. DWB 1, 440). 3 Die Briefe der Äbtissin sind nicht überliefert. Die – bekannten – Briefe Speners stammen aus dem Zeitraum zwischen 1687 und 1693; ediert sind inzwischen die Briefe vom 4. 7. 1687 (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 97) und vom 25. 5. 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 51), dazu im vorliegenden Band: Brief Nr. 144.. 4 Nicht überliefert. 5 Vgl. Sach 12,9. Nr. 18 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar 5. 2. 1690 81 mich begnadet, also laßen kräftig zurücke fießen, daß er in den tagen dieses und aller folgenden jahre mit neuen proben seiner güte und allem dem, wor- auß derselben in zeit u. ewigkeit wol sein mag, bezeuchen und beseligen, auf 20 daß bey jedem gebet auch aufs neue ursach, fröliche danckopfer zu bringen, sich fnde, sonderlich laße er seinen Sohn JESUM Ihro alles sein, was in dem anspruch6 angewünschet, so ist er ein solcher schatz, nechst dem man keinen weitern mehr wünschen möchte. Von dem todtfall des bißherigen Superintendenten7, mit deme ich zwahr 25 auch auf keinerley weise bekannt gewesen bin, habe nichts vorher gewußt, alß auß E. Hochw. Drlt. gnädigster anzeige, daß aber Gottes H[eilige] regi- rung es also gefüget, daß dieselbe durch die rückung ihres bißherigen Hof- predigers8 den gottseligen H. Scriverium9 zu dero Seelsorger erlangen sollen, erkenne ich, wie E. Hochw. Drlt. auch selbs davor halten, solches vor eine 30 solche göttliche gnade, darüber billich zu gratuliren habe. Um soviel mehr weil vor nunmehr 10 jahren die Gottseligste Königin in Schweden10, damal noch Königliche Braut, alß sie denselben angelegenlichst zu sich verlanget, ihres verlangens nicht habhaft werden können. Es suchte damal der liebe mann in solchem anligen auch rath von mir, da ich nicht leugne, daß meine 35 gedancken mehr dahin gegangen sind, die gethane anmuthung vor einen wahren göttlichen beruf zu erkennen, wie mir alle umstände dermaßen vor- kamen, ob wolte der HERR HERR an ihm einen mann in Schweden senden, durch deßen geistreiche art und treuen feiß auch andere im Norden zu mehrerem eifer angezündet und aufgemuntert werden möchten. Nach dem 40

18 tagen: cj ] tage: A. 20 /zeit u./. 21 /zu bringen/.

6 S. Z. 1–6. 7 Jakob Röser (21. 9. 1641–7. 11. 1689); geb. in Sondershausen, nach dem Studium in Jena und Gießen, einer mehrjährigen Reise durch ganz Europa und weiteren Studien in Wittenberg 1669 Professor in Epries (Ungarn) und 1670 Rektor des Gymnasiums in Leutschau, seit 1672 Hofpre- diger im Stift und 1684 Pastor und Oberprediger zu St. Benedicti in Quedlinburg (J. H. Fritsch, Geschichte des vormaligen Reichsstifts und der Stadt Quedlinburg, 2. Theil, Quedlinburg 1828, 237; LP: Seth Calvisius, Treuer Lehrer Müh= doch Heil=same Amts=Pficht: Bey […] Leich=De- duction Des […] Herrn M. Jacobi Rösers […] wolmeritirten Superintendentis, Quedlinburg 1689). 8 Seth Calvisius wurde Nachfolger Rösers als Superintendent. Seth Calvisius (II.) (11. 6. 1639– 19. 4. 1698); geb. in Hermsdorf, nach dem Theologiestudium in Leipzig 1669 Substitut an St. Wiperti, 1677 Oberpfarrer an St. Nicolai, 1684 Oberpfarrer, Hofprediger und Konsistorialrat an St. Servatii, 1690 Superintendent jeweils in Quedlinburg (PfBKPS 2, 153; J. H. Fritsch, [wie Anm. 7], 237, 243, 251). 9 (2. 1. 1629–5. 4. 1693), Erbauungsschriftsteller und Pfarrer in Magdeburg; geb. in Rendsburg, nach dem Theologiestudium in Rostock zunächst Archidiaconus in Stendal und 1667 Pfarrer in Magdeburg, 1690 Oberhofprediger in Quedlinburg. Sein bedeutsamstes Werk ist die aus Predigten entstandene Schrift „Seelenschatz“, die 1675–1692 erschien und später immer wieder neu aufgelegt wurde (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 133 Anm. 18, und Bd. 3, Brief Nr. 26 Anm. 1). 10 Königin Ulrike Eleonore von Schweden (s. Brief Nr. 97 Anm. 1). – Zu Speners Korrespon- denz mit ihr im Zusammenhang der Berufung Scrivers nach Stockholm s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 98. 82 Briefe des Jahres 1690

aber die andere beide, so er auch consuliret, mein antecessor, der S[elige] H. D. Geyer11 u. H. D. Kortholt12 anders ihre meinung gegeben und davor gehalten, daß er sich von seiner gemeinde nicht zu wenden hätte, war ich wol zufrieden, daß Gott seinen willen endlich, anders alß ich denselben vermu­ 45 thet, zu erkennen gegeben habe. Seiter deme aber hätte ich das hertz nicht mehr gehabt, ob ich wol dann und wann um einige vorschläge zu wichtigen stellen angesprochen worden, seiner anderwertlich hin zu gedencken, alß der ich auß obigem vor unmüglich gehalten, daß er sich von seiner gemeinde absondern würde. 50 Wo also, wie ich nicht zweifeln will, an der Churfürstlichen dimission13 die sache wircklich fortgehet, hat E. Hochw. Durchl. sovielmehr die hertzli- che direction des Himmlischen Vaters darinnen zu erkennen, da ich hinwider- um mich versichert halte, daß E. Hochw. Durchl. auch das wort des HER- REN, zu deßen predigt an ihrem ort er gesendet wird, auß seinem munde mit 55 sanftmuth annehmen, es in ihre und der übrigen zuhörer hertzen pfantzen laßen, also auch in der that ihn mit dem jenigen in seinem amt erfreuen werde, wozu sich obgedachte Gottergebene Königin, alß sie ihn zu sich suchte, erbot, in allen stücken, was er Ihr, Göttlichen willen zu seyn, weisen würde, ihm willigst zu folgen und von keiner allgemeinen Christenpficht 60 wegen ihres höhern standes einige dispensation zu praetendiren; welche wort mir von solcher zeit an stäts in dem hertzen gelegen sind und mich sovielmehr damal, ihme die folge14 zu rathen, bewogen haben. Hingegen von E. Hochw. Dlt. eben dergleichen so wol auß übrigem dero bißherigem bezeugen, alß auß dieser gethanen wahl hofe. 65 Der HERR vom himmel, welcher, seine diener zu senden, macht und, sie außzurüsten, das vermögen hat, führe solchen seinen diener zu ihnen mit neuer kraft von oben angethan, daß bey seinem jetzigen, sonsten, nach dem eußerlichen abgängigen alter15 die gaben des geistes soviel stärcker in ihm

50 wie ] [Beginn Abdruck: D]. 50 dimission ] + Hrn. Scriverii, wo: D. 51 fortgehet ] fortgesetzet: D. 51 f. hertzliche ] göttliche: D2. ​66 /das vermögen/ : . ​ 67 jetzigen ] jetzigem: D. 67 sonst: D.

11 Martin Geier (24. 4. 1614–12. 9. 1680), Speners Vorgänger im Amt des kursächsischen Oberhofpredigers; geb. in Leipzig, nach dem Studium in Leipzig, Straßburg, Jena (1633 Magister), Wittenberg und wieder Leipzig 1639 Professor der hebräischen Sprache, 1643 zugleich Diaconus und 1659 Pastor an der Thomaskirche (1658 Dr. theol.), 1661 Theologieprofessor und Super- intendent in Leipzig, seit 1665 Oberhofprediger und Kirchenrat in Dresden (DBA 375, 233–243; 389, 247 f; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32 Anm. 27). 12 Christian Kortholt, Theologieprofessor in Kiel (s. Brief Nr. 81 Anm. 1). 13 Magdeburg gehörte seit 1680 zum Kurfürstentum Brandenburg (F. W. Hoffmann, Ge- schichte der Stadt Magdeburg, Bd. 3, Magdeburg 1850, 345 f). 14 Im Sinne von „Gehorsam“ bzw. „Vollzug“ (DWB 3, 1872). 15 Scriver war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt. Er hatte sich schon im Jahr vorher beklagt, altersbedingt seine Leistungsfähigkeit eingebüßt zu haben (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 26, Z. 24–28). Nr. 18 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar 5. 2. 1690 83 werden und das wort des lebens auß seinem munde, ofentlich und absonder- lich geredet, dermaßen in die hertzen durchtringe, daß es sie alle, wie er al- 70 tershalben immer der ewigkeit zueylet, auch gleichfals zu der herrlichen ewigkeit seliglich bereite; er erhalte aber auch seine eußerliche kräften und leben, um seiner lange zu genießen. Sonderlich aber bereite er die seelen aller, die seiner sorge anbefohlen werden, hoher und niederer, zu einer heiligen ehrerbietung und gehorsam gegen das wort, so der HERR in seinen mund 75 legen wird, und gegen sein heiliges amt, sodann mit liebe gegen seine person, seiner nach müglichkeit zu schohnen und sich also anzuschicken, daß er alle- zeit, sein amt mit freuden, niemal aber mit seuftzen zu verrichten, ursach fnde. Also segne er insgesamt diesen beruf 16 dahin, daß er sich und alle, die ihn hören, selig mache; über welches ich höhers nicht zu wünschen wüßte: 80 schließlich aber nechst treuer empfehlung dero hohen person und gantzen Hochwürdigsten Stifts in des Himmlischen vaters huld und segenreiche obhut verbeibe E. Hochwürd. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam underthänigster Philipp Jacob Spener, D. 85 Mppria. Dreßden, den 5. Febr[uar] 1690.

69 /das/ : . 70 /es/. 72 kräfte: D. 73 /um/. 80 wüßte ] [Ende Abdruck: D].

16 Im Sinne von „Berufung“ (DWB 1, 1530). 84 Briefe des Jahres 1690 19. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 7. Februar 1690

Inhalt Ist erschrocken über die Nachricht, man vertrete [in der Gemeinde des Adressaten] die Lehre von der ersten Auferstehung der Märtyrer; von Sonderlehren gehen größere Gefahren für die christliche Gemeinde aus als von ofensichtlichen Feinden. – Betont, daß er davor warnt, wie man in seinen Schriften nachlesen kann. – Hoft, daß sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 23.

Was im übrigen angefügt worden wegen des motus über die lehr von der Märtyrer vorhergehenden auferstehung2, hat mich wol inniglich erschrecket, wie mich denn niemal das jenige, so von denen, welche der gottseligkeit sich ofenbar widersetzen, geschiehet, dermassen niederschlagen kan, als wo die 5 jenige, so dieselbe mit treuem hertzen befissen sind zu befördern, durch un- vorsichtigkeit sich und der gottseligkeit eine hindernus3 setzen, so gemeinig- lich grosse gefahr bringet. Daß ich der meinung selbs nicht beypfichte, lässet sich nicht allein in an- dern meinen schriften sehen4, sondern auch, daß mich davon nicht habe 10 abwendig machen lassen, hat geliebter Bruder wol wargenommen aus den Catechetischen predigten5; zwar bin nicht in abrede, daß mir in briefen un- terschiedlich die gegenlehr beygebracht werden wollen, aber ich habe niemal weichen können6, noch die rationes gnugsam geachtet. Wie ich auch einen

1 Daß es sich um einen Amtsbruder handelt, zeigt die Anrede „geliebter Bruder“ in Z. 10. Die von Johann Wilhelm Petersen (zu diesem s. Brief Nr. 26 Anm. 1) forcierte Lehre einer besonderen Auferstehung der Märtyrer ist im Umfeld des Adressaten thematisiert worden. Es bleibt unsicher, ob Speners Erschrecken (Z. 2) daher rührt, daß dieses Thema nur im Umfeld des Adressaten dis- kutiert wird, oder ob der Adressat selbst von dieser Lehre eingenommen ist. Es ist wahrscheintlich, daß er im (weiteren) Wirkungsfeld Petersens zu fnden ist (Spener verweist in Z. 17–22 auf die Verabredung mit Petersen [Anm. 9], von der der Adressat gehört haben mag). 2 Eine Auslegung von Apk 20,4, nach der zu Beginn des Millenniums die Märtyrer auferweckt würden, um mit Christus zu regieren. 3 Die Hindernis (DWB 10, 1410). 4 Z. B. Spener, Ev. Glaubenslehre, S. 1154 f. 5 Spener, Catechismus=Predig​ ten. – Der von Spener angeführte Abschnitt fndet sich auf S. 326: „Zwar fndet sich eine meynung / welche von alters her viel anhänger gehabt / auch noch jetzt hat / daß einige sagen: Es würden die märtyrer / welche um Christi willen umbs leben gebracht worden / erst allein auferstehen / und 1000 jahr mit Christo auf der welt regiren / in grössester herrlichkeit / darnach aber würden erst die übrige menschen auferstehen. Ist auß unrechtem verstand Ofenb. 20,4.5 entstanden / wo gleichwol nicht von leibern / sondern von seelen stehet.“ 6 Die Frage nach einer Auferstehung der Gerechten vor der allgemeinen Auferstehung von den Toten wird von Spener in einem Brief aus dem Jahr 1680 thematisiert (Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 189, Z. 7–184). In diesem Zusammenhang wird auch Apk 20,4 f gedeutet (Z. 131–162) Nr. 19 an [einen Amtsbruder] 7. 2. 1690 85 eyfrigen prediger gekannt, der auf dem tausend jährigen reich so fest be- stunde, daß er sich auch darüber removiren liesse7, dannoch hielte er diese 15 meinung von der ersten auferstehung der Märtyrer nach den leibern vor falsch, und nicht in Apoc. 208 gegründet. Ich habe treulich warnung hierüber gethan und gebeten, um dieser sache willen, da die meinung, ob sie auch wahr, dannoch nicht von solcher nothwendigkeit wäre, dem übrigen guten dadurch solchen anstoß zu machen. Wie ich auch den verspruch damal be- 20 kommen9, daß man nichts predigen wolle als Christum JEsum, den gecreu­ tzigten10, nachdem die gemeinde auch zu nichts mehr tüchtig seye. Weil im übrigen ich diese zeit nichts mehr weiter von der sache gehöret habe, stehe ich in hofnung, daß sie werde wider beygeleget seyn, so der HErr geben und seine kinder mit der jenigen weißheit erfüllen wolle, aus dero sie 25 so wol die warheit insgemein, als auch die ordnung derselben vortrags ver- stehen mögen, zu allen zeiten das jenige zu treiben, was seinem willen jedes orts gemäß ist. Dieses solle billich unser stäter und hertzlicher wunsch seyn, damit, da der ernstlichen führung des Christenthums so viel strick von der welt geleget werden oder sie gar feindselig angegrifen wird, wir nicht auch 30 selbst neue hindernussen einstreuen; welches ich zwar leider oft wargenom- men, aber daraus die schwere der über uns schwebenden göttlichen gerichte mit wehmut erkannt habe; er wolle sich doch endlich unser aller erbarmen und sein gnaden antlitz über uns leuchten lassen11.

7. Febr[uar] 1690. 35

17 in: cj ] – D. und eine besondere Auferstehung der Märtyrer am Rande erwähnt (Z. 154–162). Für ihn läßt sie sich nicht aus Apk 20,4, sondern bestenfalls aus Ez 37,1–14 herleiten (s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 78, Z. 55–57). 7 Vermutlich Ludwig Brunnquell (s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 189, Z. 154–162, mit Anm. 30; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 19, Z. 107–110). – Zu Ludwig Brunnquell s. Brief Nr. 30 Anm. 26. 8 Apk 20,4. 9 Die Hinweise, die Lehre von der Auferstehung der Märtyrer und der Chiliasmus seien nicht heilsnotwendig (vgl. Briefe Nr. 77, Z. 71 f, und Nr. 86, Z. 26–28), und auf Petersens Versprechen, sich in der Verkündigung auf den gekreuzigten Christus zu beschränken, erscheinen wiederholt in Speners Briefen an diesen (s. Brief Nr. 26, Z. 12–14, u. Nr. 38, Z. 21–25). 10 1Kor 1,23. 11 Vgl. Ps 67,2; 80,20; 119,35. 86 Briefe des Jahres 1690 20. An [Daniel Hartnack in Altona]1 Dresden, 10. Februar 1690

Inhalt Hat gehört, [Hartnack] beabsichtige, etwas gegen Spener zu schreiben, und versucht ihn davon abzuhalten. – Betont seine Orthodoxie, die man in privaten wie öfentlichen Verlautbarungen nachlesen kann. – Dies wird jeder feststellen, der ihn nicht bewußt falsch verstehen will. – Bittet darum, falsche Verdächtigungen zurückzunehmen und ihm vermutete Irrlehren zu benennen, damit er sich erklären könne. – P. S.: Übersendet seine „Catechimus=​Predigten“. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 695–696.

Ab aliquot mensibus non semel fama ad aures meas delata est Te aliquid in me parare et orthodoxiam meam in dubium revocare2. Qui vero a pluribus annis proprio non uno experimento didici, quam aeque falsi fictique tenax quam nuncii veri sit fama, merito non omnem mox fidem adhibui, quod alium Te 5 hactenus erga me gessisses, nec ego conscius mihi essem, quo amicitiam lae- sissem3, cum potius testes, si necesse, producere possim, quam honorificam Tui non hic modo, sed et, antequam de his ditionibus cogitarem, mentionem fecerim. Cum autem re porro expensa utriusque nostrum interesse credide- rim, ne apud alios illa opinio invalescat non bene inter nos convenire, chari- 10 tatis regulam postulare existimavi, hic etiam Ecclesiastici (cap. XIX,13 sequ.4)

4 nuncii: cj ] nuncia: D.

1 Daniel Hartnack (20. 11. 1642–1708), Rektor in Altona; geb. in Mulchentin/ Pommern; 1670 war er als Lehrer am Erfurter Gymnasium maßgeblich an der Entlassung Johann Melchior Stengers (zu diesem s. Brief Nr. 167 Anm. 3) beteiligt, erlitt aber noch im selben Jahr das gleiche Schicksal; danach Privatlehrer in Dresden, 1680 Rektor in Bremen, 1682 dort wieder entlassen, 1683 Rektor in Altona, 1690 in Schleswig, 1702 Pfarrer in Bramstedt; während der ganzen Zeit verfaßte er zahlreiche theologische Streitschriften und bekämpfte Spener seit 1690 ofen (DBA 480, 4–29; J. Weber, Daniel Hartnack – ein gelehrter Streithahn und Avisenschreiber am Ende des 17. Jahrhunderts, in: Gutenberg-Jahrbuch 1993, 140–158; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 65 Anm. 1 u. Bd. 2, Brief Nr. 94 Anm. 67). 2 Am 26. 11. 1689 berichtet Spener an Adam Rechenberg: „De Stengeri et Hartnaccii scriptis Hamburgo iam ad me relatum est; sed nullam vidi paginam.“ (Ad Rech 1, Bl. 238r). Die von Spener befürchtete Veröfentlichung Hartnacks ist die Schrift „Anweisender Bibliothecarius“ (zu diesem und dem Spener betrefenden Abschnitt s. Brief Nr. 45 Anm. 36). 3 Zwischen Hartnack und Spener war es schon im Jahr 1670 – im Zusammenhang mit dem „Stengerschen Streit“ – zu einem Briefwechsel gekommen (U. Sträter, Philipp Jakob Spener und der „Stengersche Streit“, in: PuN 18, 1992, 40–79; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 65). In Brief Nr. 108, Z. 58–61, schreibt Spener, er habe schon seit mehreren Jahren für Hartnack gebetet. Spener verwendet hier einen sehr weiten Freundschaftsbegrif. 4 Sir 19,13–17 (Luther 1545: „SPrich deinen Nehesten drumb an / vileicht hat ers nicht ge- than / Oder hat ers gethan / das ers nicht mehr thu. SPrich deinen Nehesten drumb an / vileicht hat ers nicht geredt / Hat ers aber geredt / das ers nicht mehr thu. SPrich deinen Freund drumb Nr. 20 an [Daniel Hartnack] 10. 2. 1690 87 monitum observare5, ut habeam, quod respondeam, si porro sint, qui eadem aliorum auribus insusurrare audeant. Sane qui certissimus sum ab orthodoxia nostra, cuius regula Scriptura Sacra est, me nunquam discessisse, nec libris symbolicis contraria vel voce vel scripto, vel publice vel privatis literis unquam docuisse, serena fronte coram 15 tota Ecclesia ipsaque DEI facie comparere confido, nec habeo, quem hac causa metuam. Quae hac typis a me publicata, ante omnium oculos exposita sunt et, quid de fidei capitibus, imo punctis universis, statuam, cuivis cognos- cere volenti diserte satis edisserunt, cumque hactenus multorum trita sint manibus, de quibus aliunde mihi constat, quod volupe ipsis futurum fuisset, si 20 quid invenirent reprehensione dignum, non tamen post Dilfeldium6, ad silen- tium veritatis vi demum adactum, et miserum Brevingium7 (et hunc quidem τῶν ἀλλοφύλων8) inventus est, qui doctrinae puritatem in controversiam vo- care ausus esset. Addo, quod sensum meum scriptis talibus de omni religione Christiana dudum publice declaraverim, quae Senatui Ecclesiastico Exellentis- 25 simo9 et Venerandis Theologis harum ditionum10 ante oculos fuere, quando vocabar, cum tamen, si quid in illis desideratum fuisset, nec istud Serenissimo Electori11 vocationem meam suadere, nec hi tacere valuissent12. Epistolas meas quod concernit, quas magno numero scribo, non nego, invito me futurum13, si publicarentur omnes, cum in illo confabulandi genere aliquando in ami- 30 corum sinum liberius questus nostros aut, quae privata concernunt, effundere soleamus, imprimis quia saepius non mei, sed eorum, ad quos scripsi, inter- esset, quod mihi exposuissent, non vulgari; id tamen confidenti iterum animo an / Denn man leuget gern auf die Leute / drumb gleube nicht alles / was du hörest. Es entferet oft einem ein wort / vnd meinets doch nicht also / Denn wer ist / dem nicht zu weilen ein wort entferet? SPrich deinen Nehesten drumb an / ehe du mit jm pochest / vnd dencke an Gottes gebot. Denn die furcht Gottes / machet weislich thun in allen Sachen vnd Gottes gebot / leret klüglich faren in allem Handel.“). 5 Vgl. ganz ähnlich in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 93, Z. 10–14. 6 Georg Conrad Dilfeld (gest. 1684), zuletzt Diaconus in Nordhausen (Näheres s. Frank- furter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 221 Anm. 1). – Dilfeld hatte in seinem Werk „Theosophia Horbio- Speneriana“ (1679) Spener und Johann Heinrich Horb (zu diesem s. Brief Nr. 32 Anm. 1) der Heterodoxie beschuldigt. Speners Antwort ist seine Schrift „Die allgemeine Gottesgelehrtheit“. Zu diesem Streit s. J. Wallmann, Spener und Dilfeld. Der Hintergrund des ersten pietistischen Streites , in: ders., Theologie und Frömmigkeit, 197–219. 7 Zu Johann Breving und Speners literarischer Auseinandersetzung mit diesem s. Brief Nr. 16 Anm. 21 f. 8 Hier: Fremd; wörtl. „von anderem Volk“; Spener verweist darauf, daß Breving römisch- katholischen Glaubens war. 9 Das Oberkonsistorium in Dresden (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 10 Kursachsen. 11 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 12 Diese Argumentation wird von Spener wiederholt in ähnlicher Weise vorgetragen (z. B. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 93, Z. 40–43). 13 Zu der – fktiven – Überlegung, was ofen erkennbar würde, wenn Stenger die Briefe Speners an ihn veröfentlichen würde, s. Speners Brief an Adam Rechenberg am 26. 11. 1689 [wie Anm. 2], Bl. 238r). 88 Briefe des Jahres 1690

pronunciare possum, si omnes illae perlegerentur et a censoribus cordatis (non 35 iniquis et qui alienis verbis ex suo conceptu sensum inferre consuevere) omni cura examinarentur, nihil inventum iri, quod Ecclesiae nostrae Doctrinae non conveniret vel quod in ullo dogmate fidei ab ista recesserim. De quo divinae veritati, cui nos merito obsequiosos praebemus, gratias humillimas ago. Hac conscientiae fiducia difficulter admodum adducor, ut credam ab aliis 40 Ecclesiae nostrae Doctoribus me heterodoxias postulari posse, nisi vel iudicii ea destituantur firmitate, qua sensum autoris recte capere et regulae applicare norint, vel affectu sequiori adversus me impleta pectora gerant, quibus nescio, an ipsa veritas semper satis orthodoxe aut ut, quod carperent, nihil reperiant, loqui posset. Mihi vero et iudicii Tui nota est soliditas et de aequitate Tua, ut 45 dubitem, non urget causa, adeoque relationibus me fidem recte derogasse confido. Rogo ergo, Vir Exellentissime, responso Tuo non tam, ut me solicitudine liberes, quam ea subministres, quibus posthac aliis satisfaciam et tuam aeque ac meam famam in tuto collocem, qui credo nec Tibi honorificum futurum, 50 si dicatur suspicionibus inanibus adversus me pectus patere Tuum. Mihi suffi- ciet, si famam vanitatis suae istud iterum specimen exhibuisse respondeas. Si tamen, quod ignoro, vel ad Te relatione aliorum non satis fideli aut non satis prudenti aliquid allatum esset aut in meis scriptis observasses, de quo aliquod Tibi motum dubium, per omnia sacra et, quem Theologi et Christiani alter 55 alteri debemus, candorem obtestor, ut ingenue mihi omne illud exponas, qui enim, quod dicere occupavi, certus sum me sensu meo a Doctrina Ecclesiae nullibi recessisse hominem tamen me fateor; qui forte aliquando non satis illum expresserim; unde monitus interpres verborum meorum (quod ius ipsa aequitate nititur), cuivis illam sententiam monstrabo, ut in hac, quod accusent, 60 non habeant, posthac vero eosdem scopulos, si quem ad illos impegisse ani- madvertero, e medio potius tollere studebo; nulli autem monitori, qui quidem animo bono et sincero monuerit, asperum me praebebo; agnoscis, Maxime Reverende Domine, nihil me hisce petere, quod non veritas, iustitia, aequitas, Ecclesiae salus et amicitia nostra postulant, unde eo minus dubito petitis meis 65 locum Te daturum. DEUM vero autorem veritatis, imo qui veritas ipsa est14, pie veneror, qui nos in veritate sua, quae verbum ipsius unice est15, conservet, vinculo pacis in unitate Spiritus16 arctissime colligatos. Vale in DOMINO.

70 Die 10. Febr[uaris] anno 1690.

14 Vgl. Joh 14,6. 15 Vgl. Joh 17,17. 16 Vgl. Eph 4,3. Nr. 20 an [Daniel Hartnack] 10. 2. 1690 89

P..: S Mitto hic nuper editas conciones catecheticas17, in quibus iterum tantum non totum systema aliquod Theologiae comparebit et exinde quid sententiam colligi poterit.

17 Spener, Catechismus=​Predigten. 90 Briefe des Jahres 1690 21. An [einen Theologieprofessor]1 Dresden, 14. Februar 1690

Inhalt Freut sich über die Nachrichten von dem exegetischen Kolleg, über das der Adressat berichtet hat. – Betont den Vorrang der Exegese, weil sie sich mit der Quelle beschäftigt, aus der sich alle übrige Theologie speist. Der Hörer kann ihre Kraft umso besser erkennen, je mehr der Theo- loge auf das Göttliche hört, anstatt es mit menschlichen Künsten zu verwässern. – Will damit den anderen Bereichen der Theologie nicht ihre Bedeutung entziehen, aber den Adressaten auf seine besondere Aufgabe hinweisen, sich der Exegese anzunehmen und anderen mit gutem Bei- spiel voranzugehen. – Wünscht, daß der Adressat seiner Aufgabe, Gottesgelehrte heranzubilden, fruchtbar nachkommen kann. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 126.

Non potui non hac etiam occasione testari meam de instituto vestro collegio exegetico et successu illius secundo conceptam laetitiam. Uti exegeticae Theologiae suus prae aliis partibus debetur principatus2, cum ex ea reliquae habeant, quod in illis divinum est, ita haud dubie ad eam adeoque ad fontes 5 ipsos, unde rivuli derivandi sunt, de discipulis suis merentur optime. Cumque coelesti sua virtute literae istae divinae polleant, fieri non potest, quin audien- tium animus istas a Viro vere Theologo cum attentione hauriens longe effica- ciores super nos sentiat motus, quam audiens divina quidem, sed multa arte humana exculta, quae saepius vim insitam, in simplicitate validiorem, nonni- 10 hil debilitat, uti vinum affusa aqua. Non hoc dico non aliam Theologiam quam solam hanc proponendam esse, cum sit et reliquis partibus sua dignitas, imo sua necessitas, verum Tuam, Frater Venerande, commendo sapientiam et fidem, quod illud dicendi genus, quod aliquandiu tantum non neglectum iacuit, Doctorum primus apud Vos 15 restituis aliisque laudabili praeis exemplo, quod utinam universi alii sequantur. Qui vero non sine animi ingenua voluptate hactenus observare potuisti, quam alte in pectora audientium doctrina ista descenderit, maiorem etiam senties aliquando conspecturus ex divina benedictione sementis huius messem uberrimam.

1 Es scheint ein Theologieprofessor zu sein (s. Z. 24 f), der vor allem für die exegetischen Fächer zuständig ist (Z. 2 f u. 13 f) und auch exegetische Kollegs durchführt (Z. 1 f). Dies trift zwar auf Johann Heinrich May zu, mit dem Spener aber in deutscher Sprache korrespondierte (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 92; im vorliegenden Band, Brief Nr. 55 und Nr. 56). – Ein besonderes exegetisches Interesse wird dem 1686 in Rostock in die theologische Fakultät auf- gerückten Andreas Daniel Habichhorst (14 [?].3.1634–30. 8. 1704) zugeschrieben (J. B. Krey, Die Rostockschen Theologen, Rostock, 1817, 38). Er ließ in dieser Zeit zu unterschiedlichen Themen des Alten Testaments disputieren. 2 Vgl. dazu Spener, De impedimentis studii theologici (Cons. 1, 223 f). Nr. 21 an [einen Theologieprofessor] 14. 2. 1690 91

Pater luminum, a quo omne perfectum bonumque donum est3, porro sua 20 luce Te irradiet, ut plenus lumine illo superno radios Tuos copiosos spargas, πρὸς φωτισμὸν τῆς γνώσεως τῆς δόξης τοῦ θεοῦ ἐν προσώπῳ Ἴησοῦ Χριστοῦ.4 Idem omnibus aliis etiam, quibus docendi officium demandatum est, illam faciat gratiam, ut ipsi θεοδίδακτοι5 omnes fidei suae concreditos fideli spiritus ministerio forment θεοδιδάκτους6, quod, cum fiet, tum demum optime Ec- 25 clesiae nostrae consultum intelligemus. Die 14. Febr[uarii] anno 1690.

3 Vgl. Jak 1,17. 4 2Kor 4,6 (Luther 1545: „das durch vns entstunde die erleuchtung von der erkenntnis der klarheit Gottes / in dem angesichte Jhesu Christi“). 5 Gottgelehrte. 6 S. Anm. 5. 92 Briefe des Jahres 1690 22. An [einen Anhänger]1 Dresden, 14. Februar 1690

Inhalt Beantwortet die Fragen des Adressaten: 1. Kann ein Wiedergeborener das Gesetz halten? 2. Kann ein Christ mit Gottes Hilfe zu einem solchen Stand der Vollkommenheit gelangen, daß er nicht mehr sündigt? 3. Ist die mystische Theologie insgesamt als fanatisch zu betrachten und deshalb zu verbieten? – Verweist auf seine Ausführungen zur mystischen Theologie in der Vorrede zu seiner Schrift „Tabulae Hodosophicae“. – Beantwortet die Frage nach der Möglichkeit Wie- dergeborener, das Gesetz zu halten, mit seinen Ausführungen in Kap. 4 der „Evangelischen Glaubensgerechtigkeit“. – Legt dar, daß die umstrittenen Formulierungen vom Halten und der vollständigen Erfüllung des Gesetzes in gleicher Weise, wie er sie benutzt, in den lutherischen Bekenntnisschriften und auch bei anderen orthodoxen Theologen verwendet werden. – Bittet den Adressaten darum, Speners Meinung zu erläutern, wenn dessen Ansicht angegrifen wird. Überlieferung D. Ph.J. Spener, Tabulae Hodosophicae, seu Celeberrimi et de ecclesia praeclare meriti Theologi D. Joh. Conradi Dannhaweri […] Hodosophia Christiana in tabulas redacta, Frankfurt a. M. 1690, unpag. Appendix.

Gratiam, pacem et salutem in JESU nostro! Vir clarissime, domine et fautor honoratissime. Et ut omnibus, quantum in me est, prosim adeoque neminis honesta desideria frustrer et ut de sensu atque doctrina mea quaerentibus sincere respondeam2,

1 Es ist nicht sicher, ob es sich bei diesem und dem Brief, auf den dieser antwortet (s. Anm. 2), um echte Briefe handelt. Spener schreibt am 18. 2. 1690 an Adam Rechenberg: „Concilium de impletione legis meoque de illa sensu explicando, non repudio. Praefationi v[ero] non inserere commodum est. Valem v. peculiarem appendicem de eo argumento concinnare: Optarem a quodam, quicunque esset, ad me scribi vel fngi literas, quibus aut sententiam exquireret meam aut dubia exponeret, ad quas responsurus et utram epistolam tractatui huic subiecturus essem.“ (Ad Rech 1, Bl. 442r/v). Nicht auszuschließen ist, daß Spener Joachim Martin Schumann vor Augen hat, der etliche Monate bei Spener gewohnt hatte und dessen Genehmigung, bei Johannes Olearius zu disputieren, in Leipzig umstritten war, weil er „in meis aedibus fuerit, adeoque sit Archipietista“ (Ad Rech 1, Bl. 426r; 18. 3. 1690). Schumann disputierte am 8. 4. 1690 bei Olearius. Die Disputation ist publiziert: Orthodoxa Explicatio Aphorismi Johannei, extantis in Prior. Ejus Epist. Cap. II. com. 3.4.5.6 […], Leipzig: Christian Scholvinus 1690. Darin wird u. a. wörtlich das Hunniuszitat von Z. 152–155 aufgenommen, ohne es als Zitat zu kennzeichnen (die Disputation ist unpaginiert); Spener hatte es in der „Ev. Glaubensgerechtigkeit“ (S. 279 f) angeführt. – Joachim Martin Schumann, Theolgiestudent in Leipzig (s. Brief Nr. 31 Anm. 4). 2 Der Brief, auf den Spener antwortet, ist auf den 1. 2. 1690 datiert und direkt vorher im gleichen Appendix abgedruckt. Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 93 aeque obstrictum me agnosco; unde duplici ad Tuas iure, qua tamen licet 5 brevitate, quod opus est, repono. De tribus me interrogas: de servatione legis, de perfectione in hac vita et de mystica Theologia3. Patiere tamen, ut hisce non nisi uni quaestioni respon- deam, nam quod attinet sententiam meam de Theologia mystica, eam his diebus praefationi, quam Tabulis Hodosophicis Dannhauerianis4 cura mea 10 concinnatis et hisce proximis nundinis Francofurti5 prodituris praemisi, in- sertam proxime leges; de perfectione autem sensum meum superiori anno exposui pariter occasione praefaminis dialogo B. K.6 de Templo Salomonis7 praefixo, ubi invenies, quam solam perfectionem admittam, quam negem, qui, ut pauca addam, in sacris literis, extra quas sapere non audeo, nullos invenio 15 eam indeptos perfectionem, qua non amplius peccarent, sed tales tantum, qui non amplius peccatum faciant sensu Johanneo (1. Joh 3,98), hoc est, huic dominium in se concedant et qui magis magisque in sanctificatione proficiant; faciunt vero adhuc sensu Paulino, seu potius peccatum in illis facit, Rom 7,15 sq.9 Unica ergo restat quaestio de servatione legis; de qua tamen, ut doctrinam 20 meam denuo exponam, nulla necessitas me obstringeret, cum ante hos sex annos Francofurti10 in opere de iustificatione seu de iustitia fidei11 D. Johanni

5 aeque: cj ] atque: D.

3 „1. […] An regenitus legem Dei servare possit? 2. An Christianus pietatis studio incumbens, per gratiam Dei ad hunc perfectionis gradum contingere possit, ut non amplius peccet? 3. An Theologia Mystica in universum sit fanatica et impia, adeoque proscribenda?“ (s. Anm. 2). 4 Philipp Jakob Spener, Tabulae Hodosophicae (s. die Überlieferungsangabe im Briefkopf); in der Vorrede mit dem Titel „De impedimentis studii theologici“ (abgedruckt in: Cons. 1, 200–239) fndet sich der von Spener angesprochene Abschnitt über die Theologia mystica auf S. 228–232; in der deutschen Übersetzung von „De Impedimentis“ (KGS 1, 1010–1079) sind die Ausführungen zur Mystik auf S. 1063–1071 abgedruckt. – Zu J. C. Dannhauer s. Anm. 23. 5 Die Frühjahrsmesse in Frankfurt fand jeweils von Oculi bis Palmsamstag („Fastenmesse“), also vom 23. 3.–12. 4. 1690 statt. 6 Gemeint ist Balthasar Köpke. Das Werk (s. Anm. 7) wurde in erster Aufage nur mit den beiden Initialen veröfentlicht. – Balthasar Köpke (7. 6. 1646–28. 7. 1711), Pastor in Fehrbellin; geb. in Nennhausen bei Rathenow, nach dem Theologiestudium in Wittenberg und Jena zunächst Informator und seit 1671 Pastor in Fehrbellin, 1695 Superintendent in Nauen (ADB 16, 663–667; Fischer, Pfarrerbuch 2, 435; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116 Anm. 42). 7 Köpke, Dialogus; die Vorrede Speners vom 21. 8. 1688 ist überschrieben mit „De perfectione christiana“ (ins Deutsche übersetzt und leicht gekürzt in der deutschsprachigen Ausgabe von 1695 [Neu-Ruppin: Christian Mahler]; wieder abgedruckt in: EGS 2, 204–214; Grünberg Nr. 247). 8 1Joh3,9 (Luther 1545: „Wer aus Gott geborn ist / der thut nicht sunde / denn sein Same bleibet bey jm / vnd kan nicht sündigen / denn er ist von Gott geborn“). 9 Röm 7,15 f (Luther 1545: „Denn ich weis nicht / was ich thu / Denn ich thu nicht das ich wil / sondern das ich hasse / das thu ich. So ich aber das thu / das ich nicht wil / so willige ich / das das Gesetz gut sey.“). 10 Frankfurt a. M. 11 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit. 94 Briefe des Jahres 1690

Brevingio12 Canonico Pontificio integrum caput13, quod libri instar haberi potest, uni isti argumento ita impenderim, ut, quod ex me quisquam porro 25 quaerat, nihil supersit. Opus vero illud in omnium manibus vel oculis est, et hactenus, absit iactantia dicto, celebrium Theologorum suffragia et elogia plura retulit14. Ut tamen et contraham ibi fusius tractata, et in eadem senten- tia me adhuc perstare Tibi aliisque constet, certis thesibus omnem materiam complectar. 30 I. Legem15 divinam in eo rigore, quo nos omnes ex sua natura, utpote in statu integritatis nobis inscripta, obligat, ita implere, uti DEUS omni iure postulat, nemo mortalium hac in vita potest; nam neque vires naturales quicquam hic valent, nec vires gratiae eum gradum attingunt, quoad carnem circum gestamus. Unde ex lege et eius operibus nec omnino, nec ex parte 35 iustificari aut salvari possumus. Hanc thesin dicto loco a § 3316 pluribus argu- mentis, quae in sex classes distribuere, visum est, nec non pluribus testimoniis, quod satis est, demonstravi atque a D. Brevingii et D. Laur[entii] Gerwigii17 Jesuitae objectionibus ita vindicavi, ut, quod ulla cum specie opponi porro possit, non videam, nec quicquam hactenus ab adversariis repositum sit. Hanc 40 etiam thesin omnino servandam censeo, tanquam partem veritatis Evangeli- cae, sine quo articulo de iustificatione sua non constat integritas. II. Aliqua18 legis impletio omnino concedenda, imo necessaria est, si salvi esse velimus; cum nihil legis suae iustitia divina remittere possit, quin im- pleatur, Matth. 5,17.1819. Quoniam ergo in propria persona illam impletio- 45 nem praestare nos non valuimus nec valemus, necesse erat illam praestari a vade nostro et sponsore CHRISTO, qui legi et obsequio suo Rom 5,19, Phil 2,820 et susceptione omnium poenarum peccatis nostris debitarum atque ita duplici modo satisfecit eamque perfectissime implevit. Quae impletio illa iustitia est, quae nobis in iustificatione imputatur, adeoque qua sola, fide nostra

12 Johann Breving (s. Brief Nr. 16 Anm. 21). 13 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, Kap. 4: „Von mög= und unmöglichkeit das Göttl. gesetz zu halten“ (S. 280–577). 14 Vgl. Brief Nr. 16, Z. 89 f. 15 Dieser Satz (Z. 30–35) ist ins Deutsche übersetzt in: Spener, Rettung, S. 98 f. 16 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 353–356 („Der ander satz gegen die papisten von der unmüglichkeit der vollkommenen erfüllung. Wird erklähret.“). 17 Lorenz Gerwig (1626–1681), Theologieprofessor am Jesuitenkolleg St. Salvator in Augsburg. Er hatte Spener angegrifen in: Laurentius Gerwig, Duplex Demonstratio theologica, Augsburg 1678, S. 1 (vgl. dazu weiter: Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 202, Z. 112–114, und Bd. 4, Brief Nr. 46, Z. 82–87). Zu Gerwigs Streit mit Gottlieb Spizel s. Blaufuss, Reichsstadt, 259–264. 18 Dieser Satz (Z. 42–50) ist übersetzt in: Spener, Rettung, S. 99 f. 19 Mt 5,17 f (Luther 1545: „JR solt nicht wehnen / das ich komen bin / das Gesetz oder die Propheten aufzulösen / Jch bin nicht komen aufzulösen / sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch warlich / Bis das Himel vnd Erde zurgehe / wird nicht zurgehen der kleinest Buchstab / noch ein Tütel vom Gesetze / bis das es alles geschehe.“). 20 Röm 5,19 (Luther 1545: „Denn gleich wie durch eines Menschen vngehorsam viel Sünder worden sind / Also auch durch eines Gehorsam werden viel Gerechten.“); Phil 2,8 (Luther 1545: „Ernidriget sich selbs / vnd ward gehorsam bis zum Tode / ja zum tode am Creutz“). Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 95 apprehensa, salvamur, Roman. 4,5.621. Hanc igitur impletionem non possumus 50 abnegare, quin ipsam abnegemus salutem. Habet autem illa aliquid legis, ali- quid Evangelii: legis est, quod eius rigori summo satisfieri oportuit; ad Evangelium spectat illa ἐπιείκεια22, quam Dannhauerus Theol[ogus] Cele- berr[imus]23 Hodos. Ph. 7. p. 533 vocat „dispensationis translatoriae poenae in alium et solutionis τοῦ λύτρου24 e proprio thesauro et crumena et suscep- 55 tionis meriti alieni pro obedientia propria.“25 III. Praeter26 hanc legis impletionem perfectam et fide apprehensam, om- nino adhuc alia legis servatio admittenda est, quae ab hominibus ipsis prae- standa est. Talis alicuius servationis possibilitatem dicto loco a § 14 demon- stravi argumentis octo27, quae ibi videre est, desumta (1.)28 ab electione, Ephes. 60 1,4; 4,129; 2.Thessal. 2,1330, (2.)31 a redemtione, Luc 1, 74.75; Tit 2,14; 2.Corinth. 5,15; Hebr. 9,14; 1.Pet. 2,2432, (3.)33 a sanctificatione et vocatione, 1.Thessalon. 4,3; 5,23; 1.Petr. 1,13.14.1534, (4.)35 a regeneratione, Matth. 12,33; Johann. 3,6; 1.Pet. 1,23; 1.Johan. 3,9; Jac. 1,21; Jerem. 31,33; 2.Corinth. 3,3; Joh 15,4.5; Ephes. 4,15.16; 2.Pet. 1,3.4; Galat. 5,2236, (5.)37 a certis fide- 65 lium elogiis, quae hanc servationem includunt, Matth. 5,6 sq. 44; 7,2438; 10,37; 16,24.25; Luc 14,26.33; Johann. 3,21; 8,34.36; 2.Corinth. 3,18; 4,16;

61 2,13: cj ] 1,13: D. 64 9: cj ] 4: D. 65 22: cj ] 20: D. 66 24: cj ] 27: D.

21 Röm 4,5 f (Luther 1545: „Dem aber / der nicht mit wercken vmbgehet / Gleubet aber an den / der die Gottlosen gerecht macht / dem wird sein glaube gerechnet zur gerechtigkeit. NAch welcher weise auch Dauid sagt / Das die seligkeit sey allein des Menschen / welchem Gott zu- rechenet die gerechtigkeit / on zuthun der werck / da er spricht“). 22 Billigkeit. 23 Johann Conrad Dannhauer (s. Brief Nr. 13 Anm. 11). 24 Des Sühnopfers. 25 Dannhauer, Hodosophia, Ph[ainomenon] 7, S. 533. 26 Dieser Satz (Z. 57–59) ist von Spener übersetzt in: Spener, Rettung, S. 100. 27 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, § 14–30 (S. 284–349). Die folgenden Bibelstellen fnden sich allesamt und in dieser Reihenfolge in diesem Abschnitt der „Ev. Glaubensgerechtigkeit“, sind dort aber vollständig zitiert und durch zusätzliche ergänzt. 28 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 284–313 [Falschpaginierung: S. 287–312 fehlen]. 29 Eph 1,4; 4,1. 30 2Thess 2,13. – Auch: Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 286. 31 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 314–319. 32 Lk 1,74 f; Tit 2,14; 2Kor 5,15; Hebr. 9,14; 1Petr 2,24. 33 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 319–321. 34 1Thess 4,3; 5,23; 1Petr 1,13–15. 35 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 321–336. 36 Mt 12,33; Joh 3,6; 1Petr 1,23; 1Joh 3,9; Jak 1,21; Jer 31,33 (s. Anm. 67); 2Kor 3,3; Joh 15,4 f; Eph 4,15 f; 2Petr 1,3 f; Gal 5,20. 37 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 337–340. 38 Spener hat ofensichtlich die Bibelstelle aus „Ev. Glaubensgerechtigkeit“, S. 337, entnom- men. Der ausgeschriebene Text dieser Stelle bietet jedoch – sachlich angemessen – Mt 7,24. 96 Briefe des Jahres 1690

5,17; Ephes 2,5; 5,8.9; Phil 2,15; 2.Timoth. 2,21; 3,17; 1.Joh. 5,439, (6.)40 ab admonitionibus Apostolicis, Rom 12,1.2; 2.Cor 7,1; Ephes. 4,20 sq.; 5,1; 1. 70 Thess. 2,11.12; 1.Petr. 4,1.2; 2.Petr. 3,1141, (7.)42 ab Apostolicis votis et preci- bus, Phil. 1,9.10.11; Coloss. 1,9 sq.; 4,1243; 1.Thessal. 3,12.13; Hebr. 13,2144, (8.)45 ab exemplis, Luc. 1,6; Joh 1,47; Actor. 4,32; 7,58.5946; 24,16; 2.Corinth. 1,12; 1.Thess. 2,10; 1.Cor. 4,4; Rom. 9,347. Ex hisce, licet non singulis eadem evidentia, thesis nostra solide astruitur. 75 Quibus argumentis primi generis adieci testimonia librorum nostrorum Symbolicorum48, B. Lutheri49 et, quae sparsim occurrunt, aliorum praeclaro- rum Theologorum. Addi possunt, et partim ibi adduntur alia etiam, quae nos urgent, ne ab hac positione, divina veritate nixa, vel unguem latum recedamus; quali sunt scandalum Romanorum50, quod cavere, et profanae multitudinis 80 securitas, quam omni modo impugnare decet. Iam vero hanc quod concernit, nihil vulgatius est hominibus rudibus et improbis, quam ut ad vitam iuxta praecepta Domini ducendam serio admoniti, mox respondeant et excipiunt praecepta DEI servari non posse, unde studio impossibili impensam operam inanem omnino fore, quae excusatio omnino cadit, si a teneris audiverint, 85 licet perfecta servatio legis impossibilis nobis iam facta sit, aliquam tamen pos- sibilem esse, cui, qui non studeat, excusatione omni careat. Pontificos51 autem quod attinet, quotquot inter eos cordati et boni sunt, non aliud dogma no- strum magis abominantur, quam hoc, quod est, de impossibili servatione legis; nempe ita crude intellectum, uti ipsi intelligunt, et intelligendum omnino 90 esset, si nullus possibilitatis daretur modus. Uti memini me a Cancellario quodam audire, hanc sibi causam fuisse, ut a Protestantibus ad Romanam Ecclesiam iuvenis adhuc transiret, quod impos- sibilitas ista servandi legem multis modis divinae bonitati et iustitiae, nec non pietati adversa visa sit; cum vero nostrae Ecclesiae doctrinam a me clare ex-

71 4,12: cj ] 4,14: D. 72 58.59: cj ] 59.60: D. 73 1.Thess. 2,10 ] + 1.Corinth. 1,12: D.

39 Mt 5,6 f.44; 7,24; 10,37; 16,24 f; Lk 14,26.33; Joh 3,21; 8,34.36; 2Kor 3,18; 4,16; 5,17; Eph 2,5; 5,8 f; Phil 2,15; 2Tim 2,21; 3,17; 1Joh 5,4. 40 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 340–342. 41 Röm 12,1 f; 2Kor 7,1; Eph 4,20–24; 5,1; 1Thess 2,11 f; 1Petr 4,1 f; 2Petr 3,11. 42 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 343–344. 43 Korrigiert nach dem ausgeschriebenen Text in „Ev. Glaubensgerechtigkeit“, S. 343 (vgl. Anm. 38). 44 Phil 1,9–11; Kol 1,9–12; 4,12; 1Thess 3,12 f; Hebr 13,21. 45 Vgl. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 344–346. 46 Auch in „Ev. Glaubensgerechtigkeit“ fndet sich „77,59.60“. Es muß jedoch nach dem Text der Lutherübersetzung von 1545 korrigiert werden. 47 Lk 1,6; Joh 1,47; Apg 4,32; 7,58 f; 24,16; 2Kor 1,12; 1Thess 2,10; 1Kor 4,4; Rom 9,3. 48 Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche. 49 Martin Luther (1483–1546). 50 Die römisch-katholische Kirche. 51 Die päpstliche (römisch-katholische) Kirche. Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 97 positam legisset, fatebatur talem se non intellexisse et dubitare, si eo tempore 95 eam nosset, an eo transiturus fuisset, quo transierat52. Maxime ergo Ecclesiae nostrae interest, ne hanc quidem partem doctrinae coelestis a nobis negligi, sed aeque ac alias diligenter urgeri. IV. Verumenimvero53, cum propositiones hae „praecepta divina servari pos- sunt“ et „servari non possunt“ inter se pugnent, certa distinctione pugnam 100 illam componi omnino necesse est, ne inter eas vera sit oppositio. Communior distinctio eaque omnino bona est, ut distinguatur inter „perfectam“ servatio- nem et „imperfectam“, quarum haec possibilis, illa impossibilis pronunciatur. Hac distinctione non semel utuntur Libri symbolici. Ita in Apol. Aug. Conf. aliquoties asseritur „inchoata legis impletio“, p. 90. 91. 92. 13754, sed vocatur 105 „imperfecta iustitia legis“, p. 93,55 vicissim dicitur, quod procul a perfectione legis absimus, p. 9256, ita etiam in F. C. p. 58157 reiicitur sententia eorum, qui statuunt „Hominem post regenerationem legem DEI perfecte observare atque implere posse“. Alii vero Theologi nostri, iique etiam ex celeberrimis, alia distinctione usi 110 sunt, in qua cauta etiam differentiae comprehenditur, cum distinguerent inter „servationem Evangelicum et legalem et rigori legis“ opponerent Evangeli- cum ἐπιείκειαν. Adducam, quae alibi adduci, aliqua loca, nonnullis adiectis: D. Frid. Balduinus58, Celeber[rimus] Professor Wittebergensis, ad Rom 13, p. 238, diserte asserit: „Distinguendum est inter impletionem legalem et 115 Evangelicam.“59 Mox: „Si intelligas de impletione Evangelica, qua proximus diligitur quidem secundum omnia praecepta, non autem secundum eam ἀκρι- βείαν60, quam lex requirit, et tamen DEUS inchoata illa dilectione contentus est, quia a persona fideli proficiscitur etc.“61 Iterum Gerhardus62, plerorumque

52 Der Kanzler hatte Spener im September 1677 besucht (s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 83, Z. 193–198) und ihm später auch geschrieben (s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 93, Z. 37–51, und Nr. 223, Z. 76–81; vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 96, Z. 12–18). Er konnte bislang nicht identifziert werden. 53 Dieser Satz (Z. 99–103) wird – allerdings nicht wörtlich – deutsch von Spener wiederge- geben in: Spener, Abgenötigte Rettung [wie Anm. 15], S. 102 f. 54 Apol IV (BSKL 192.161, 194.166, 195.23 f, 201.22). 55 Apol IV: „itaque sola fde accipitur, etsi donato spiritu sancto sequitur legis impletio“ (BSLK 196.182). 56 Apol IV (BSKL 218.29; 214.24). 57 FC, Epitome II.V (BSLK 779.12). 58 Friedrich Balduin (s. Brief Nr. 7 Anm. 10). 59 F. Balduin, Catechesis Apostolica: hoc est, S. Apostoli Pauli Epistola Ad Romanos, 2. Auf- lage, Wittenberg: Samuel Selfsch und Paul Helwich 1620, S. 801. – Welche Aufage Spener ver- wendete, ist nicht bekannt. 60 Genauigkeit. 61 Ebd. 62 Johann Gerhard (17. 10. 1582–17. 8. 1637), Theologieprofessor in Jena, führender lu- therischer Dogmatiker seiner Zeit und befreundet mit Johann Arndt (TRE 12, 448–453; RGG4 3, 227 f; Th. Kaufmann, Johann Gerhard, in: F. W. Graf [Hg.], Klassiker der Theologie, Bd. 2, München 2005, 7–25; A. Steiger, Studien zu Theologie und Frömmigkeit des Kirchenvaters der lutherischen Orthodoxie, Doctrina et Pietas Abt. I, Bd. 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997). 98 Briefe des Jahres 1690

120 Theologorum diu Pater communi habitus, L. L. C. C. de Lege § 181 ita loqui- tur: „Ad renatos quod attinet, dicimus legem ab illis impleri duobus modis, primo fide et imputatione, Rom 4,3.4; 10,463. Deinde inchoatione seu nova obedientia ex fide orta; ideo enim credentibus imputatur perfecta legis ob- edientia a Christo praestita, non ut secundum carnem libere vivant, sed ut in 125 praeceptis DEI ambulent; haec renatorum nova obedientia non tantum in externis operibus consistit, sed etiam interiorem obedientiam complectitur, si quidem interiores cordis concupiscentias et desideria carnis mortificat, in- choatis novis cum lege DEI consentientibus motibus, interim tamen a per- fecta illa legis impletione, quam DEUS requirit, procul adhuc abest.“64 Idem 130 in Harmon. Evangel. c. 176, p. 129565, distinguit inter „servare legale seu Mosaicum, et Evangelicum“, quorum hoc his verbis describit: „Servare Evangelicum requirit obedientiam filialem, sinceram et ἀνυπόκριτον66, cuius imperfectionem eique adhaerentes peccati sordes Christus benignissime con- donat, modo eas agnoscamus, deploremus, fide remissionem petamus et ad 135 perfectionem totis viribus contendamus. Deinde lex non suppeditat vires implendi, sed tantum exigit, urget et cogit, Christus vero per praedicationem Evangelii credentibus dat Spiritum Sanctum, Gal. 3,267, qui legem Dei in- scribit cordibus ipsorum, Jerem. 31,3368, et promptam ac spontaneam ob- edientiam in ipsis efficit, unde Johannes dicit, mandata ipsius non esse gravia, 140 c. 5,369, videlicet per Spiritum Sanctum regeneratis et renovatis ex fide ope- rantibus et spontaneam obedientiam praestantibus, adhaerentium infirmitatum remissionem petentibus et impetrantibus; tunc enim omnia mandata facta deputantur, quando, quicquid non fit, ignoscitur. Quia ergo Christus sustulit

122 10,4 ] 10.14: D.

63 Röm 4,3 f; 10,4 (zur Konjektur s. Anm. 64). 64 Johann Gerhard, Loci (ed. Preuss) 3, 81. – Spener läßt den vollständigen Text der Bibel- stellen, der von Gerhard geboten wird, weg. Die Konjektur der Bibelstelle (s. Z. 122) wurde hiernach vorgenommen. 65 Johann Gerhard, Harmoniae Quatuor Evangelistarum, a theologis celeberrimis D. Martino Chemnitio primum inchoatae: D. Polycarpo Lysero post continuatae: atque D. Johanne Gerhardo tandem felicissime absolutae, etc. Tomus secundus, Qui solius est Joh. Gerhardi, Frankfurt und Hamburg: Zacharias Hertel 1652, S. 1698. – Spener zitiert und übersetzt diese Stelle in: Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 303. An beiden Stellen gibt er die falsche Seitenzahl an. Entweder hat er sie nicht korrekt notiert oder er hat bei der Abfassung des vorliegenden Briefes lediglich die „Ev. Glaubensgerechtigkeit“ verwendet und den Fehler von dort übernommen. 66 Ungeheuchelt. 67 Gal. 3,2 (Luther 1545: „Habt jr den Geist empfangen / durch des Gesetzs werck / Oder durch die predigt vom glauben?“). 68 Jer 31,33 (Luther 1545: „Sondern / das sol der Bund sein / den ich mit dem hause Jsrael machen wil / nach dieser zeit / spricht der HERR / Jch wil mein Gesetz in jr Hertz geben / vnd in jren Sinn schreiben / Vnd sie sollen mein Volck sein / so wil ich jr Gott sein.“). 69 1Joh 5,3 (Luther 1545: „Denn das ist die liebe zu Gotte / das wir seine Gebot halten / vnd seine Gebot sind nicht schweer.“). Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 99 a nobis intolerabile iugum legis Mosaicae, Actor. 15,1070, et imponit nobis suave praeceptorum suorum iugum, Matth. 11,3071, hoc unum a nobis po- 145 stulans, ut verbum ipsius fide amplectamur, intrepide illud confiteamur, sin- cere nos invicem diligamus et adversa, quae propter confessionem nobis acci- dunt, patienter toleremus; ideo non gravemur haec ipsius praecepta, quae gravia non sunt, sed ἐπιείκειαν72 Evangelicam annexam habent, prompte servare.“73 150 Ante hosce Clarissimus etiam Wittebergensium et Marpurgensium Profes- sor D. Aegidius Hunnius74 ad 1. Joh. 3,2275 ita commentatus erat: „DEUS ob consummatam obedientiam Filii sui nunc benefico favore acceptat electorum suorum inchoatum obsequium, nec eo quo Moses rigore, severitate ac per- fectione exigit, ideoque haec Christi praecepta, ut Johannes hac sua Epistola 155 profitetur, piis, qui DEI agantur spiritu, gravia aut difficilia non sunt, 1. Johan. 576, sed impletu possibilia, sicut scriptum est, Gal. 677, invicem alii aliorum onera portare et sic implere legem Christi.“78 Audiamus etiam ex Danis Nic. Hemmingium79, cuius illa sunt super 1. Johan 3, 2280: „Observetur hoc loco dulcissima ἐπιείκεια divinae legis, 160 tametsi enim semper, donec hanc massam circumferimus, multas sordes pec- catorum sentimus, atque omni momento partim omittendo, partim com- mittendo, nunc per infirmitatem, nunc per ignorantiam, nunc per incogitan- tiam delinquimus; tamen DEUS clementissimus Pater obedientiam nostram

144 Mosaicae: cj ] Mosaica: D. 145 30: cj ] 18: D (Fehler schon in: Gerhard, Harmonia).

70 Apg 15,10 (Luther 1545: „Was versucht jr denn nu Gott / mit aufegen des Jochs auf der Jünger helse / welches weder vnser Veter / noch wir haben mügen tragen?“). 71 Mt 11,30 (Luther 1545: „Denn mein Joch ist sanft / vnd meine Last ist leicht“). 72 S. Anm. 22. 73 J. Gerhard, [wie Anm. 64], S. 149b. – Spener zitiert und übersetzt diese Stelle in: Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 303 f. An beiden Stellen gibt er die falsche Seitenzahl an, die er ofenbar falsch notiert hat. 74 Aegidius Hunnius (s. Brief Nr. 7 Anm. 9). 75 1Joh 3,22 (Luther 1545: „vnd was wir bitten / werden wir von jm nemen / Denn wir halten seine Gebot / vnd thun was fur jm gefellig ist.“). 76 1Joh 5,3 (s. Anm. 69). 77 Gal 6,2 (Luther 1545: „Einer trage des andern Last / so werdet jr das gesetz Christi er- füllen.“). 78 Aegidius Hunnius, Operum Latinorum D. Aegidii Hunnii […], Tomus Quartus. Com- plectens Commentarios eius in epistolas B. Pauli apostoli, canonicam Iohannis, et eam, quae est ad Hebraeos, Frankfurt a. M.: Johannes Jacobus Porsius 1606, S. 992 (zit. in: Spener, Ev. Glaubens- gerechtigkeit, S. 279; eine deutsche Übersetzung fndet sich auf S. 279 f). 79 Nicolaus Hemming (Niels Hemmingsen) (4. 6. 1513–23. 5. 1600); geb. in Errindlev/ Dänemark, nach dem Studium in Wittenberg (v. a. bei Ph. Melanchthon) zunächst Privatlehrer, seit 1543 Professor für Griechisch, 1545 für Dialektik und Hebräisch und 1553 für Theologie in Kopenhagen, ebenso Hauptprediger an der dortigen Heiliggeistkirche (RGG4 3, 1623). 80 1Joh 3,22 (s. Anm. 75). 100 Briefe des Jahres 1690

165 qualemcunque acceptat, donec retinemus iustitiam bonae conscientiae.“81 Iterum explicat, qua ratione conscientia pura servari possit, ad illum modum: „Primum, si vere statuimus peccata nostra sanguine JESU CHRISTI expiata esse iuxta Symboli verba: Credo remissionem peccatorum82. Secundo, si serio et non simulate abiicimus propositum peccandi, ubi enim propositum pec- 170 candi in animo recidet, ibi simulata fides est et mera hypocrisis. Tertio, si ar- denti studio incumbimus, ut quotidie magis magisque proficiamus in omni cognitione et sensu cupientes totam vitam nostram DEO approbare per veram invocationem, gratiarum actionem, praedicationem beneficiorum DEI et per sinceram charitatem erga proximos, quae in beneficentia et operibus miseri- 175 cordiae cernitur, quemadmodum noster Apostolus docet. Quarto, si piam et diligentem curam in nostra vocatione habeamur, gloriam DEI, aedificationem Ecclesiae, utilitatem Reipublicae, in qua vivimus, spectantes, exclusa omni fraude, avaritia et superbia.“83 Obsignavi loca illa calcula D. Abrahami Calovii84, de cuius pro orthodoxia 180 zelo nemo dubitaverit, is vero ad 1. Johann. 5,385 illa notat: „Distinguant ergo hic oportet inter rigorem legis, cuius ratione mandata divina non modo gravia, sed plane ἀβάστακτα86, importabilia, Act. 15,1087, et gratiam Evangelii, cuius respectu mandata levia sunt, tum quae Christi obedientia, pro nobis praestita, fide apprehenditur, Rom. 5,1988, tum qua Spiritu Dei instructi prompte ob- 185 edientiam praestamus, non coacte aut gravatim; quia iusto lex non est posita, 1. Timoth. 1,989, οῦ κεῖται90, non ita incumbit ipsi, ut gravet eum. Gratia DEI, inquit Augustinus L. 3 ad Bonif. c. 791 tribuit in hac vita studium praecepta servandi, si quid in illis praeceptis minus servatur, ignoscit, et L. 1, Retract. c. 1992: Omnia mandata DEI facta deputantur, quando, quicquid non fit, igno- 190 scitur.“93 170 recidet: cj ] residet: D [Konjektur nach Hemming, wie Anm. 81].

81 Nicolaus Hemmingius, Commentaria in Omnes Epistolas Apostolorum, Frankfurt a. M. 1579, S. 779. 82 Dritter Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses (BSLK 21.19–23). 83 Hemmingius, Commentaria [wie Anm. 81], S. 780. 84 Abraham Calov, zuletzt Theologieprofessor in Wittenberg (s. Brief Nr. 33 Anm. 21). 85 1Joh 5,3 (s. Anm. 69). 86 Unerträglich. 87 Apg 15,10 (s. Anm. 70). 88 Röm 5,19 (s. Anm. 20). 89 1Tim 1,9 (Luther 1545: „vnd weis solches / Das dem Gerechten kein gesetz gegeben ist“). 90 Nicht gegeben. 91 Vgl. Augustinus, Contra duas epistolas Pelagianorum ad Bonifacium, Buch III, C. 7,17: „hic studium praecepta servandi gratia Dei tribuit“ (MPL 44, 601; CSEL 60, 506). 92 Augustinus, Retractationum Libri duo, Buch I, C. 19.3: „Omnia ergo mandata facta depu- tantur, quando quidquid non ft, ignoscitur“ (MPL 32, 615; CSEL 36, 90.10). Auf diese Stelle wird im Zusammenhang der Abhandlung über die Bedeutung der Werke für die Wiedergeborenen in Apol 4 (BSLK 195.11–14) hingewiesen. 93 Abraham Calov, Consideratio Armininianismi Sententiam Novellae Sectae De omnibus Religionis Christianae capitibus Declarationis Remonstrantium e Scriptis cumprimis publicis Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 101

Haec loca Theologorum libro de iustificatione attuli, quibus alia addere placet. D. Caspar Erasmus Brochmandus94, Hafniensium Professor, in con- troversia [de] impletione legis, mandatum dilectionis in vetus et novum distin- guit ac ita rem explicat System. P. 2, L. de Lege c. 6, q. 3, p. 17: „Mandatum vetus dilectionis, dilectionis veteri populo lege Mosis praescripta, quae duabus 195 de causis impletu impossibilis erat. Una est, quia lex illa charitatis circumdata fuit et velut gravata mole innumerabilium pene legum ceremonialium. Altera est, quia obedientiam quaerebat summe perfectam. Unde etiam lex vocatur iugum, quod patres non potuerunt portare, Act. 15,1095. At novum dilectionis praeceptum sincera dilectio est, quam Christus abrogatis ceremoniis praescri- 200 psit suis, ad quam praestandam spiritum suum largitur et, quae DEO probatur, modo vera sit et non simulata licet summe perfecta non sit, idque quia Chri- stus factus est sub lege, ut δικαίωμα τοῦ λόγου96 impleretur in nobis, Roman. 8,3.497. Quam ob causam praeceptum de dilectione in Novo Testamento re- spectu credentium non dicitur amplius praeceptum Mosis, sed Christi, atque 205 sic novum, teste ipso Christo, Joh 13,34 et 15,1298. Hinc et Paulus hanc di- lectionem appellat legem Christi et a nobis impleri posse dicit ob inchoatum illud obsequium, quod DEUS propter Christum acceptat, iuxta illud Apo- stoli, Gal. 6,299. Alii aliorum onera portate et sic implete legem Christi“100; ubi ad D. Hunnium provocat101. 210

193 de: cj ] – D. fdeliter exhibens, eandemque e Sacris literis, et Patrum Orthodoxorum monumentis succincte refellens […], Editio secunda correctior, Wittenberg: Johannes Haken 1657, S. 427 (zit. in: Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 283). 94 Jesper Rasmussen (Caspar Erasmus) Brochmand (5. 8. 1585–19. 4. 1652), Theologieprofessor in Kopenhagen und Bischof von Seeland; geb. in Köge (Seeland, Dänemark), nach dem Grie- chisch‑ und Philosophiestudium in Leiden und Franeker 1610 Professor, 1615 für Theologie in Kopenhagen, 1639 Bischof von Seeland; Kämpfer gegen den römischen Katholizismus und die innerevangelischen Unionsversuche John Duries (TRE 7, 192–195; RGG4 1, 1768 f). 95 Apg 15,10 (s. Anm. 70). 96 Die Gerechtigkeit des Wortes. In Röm 8,4 steht aber: τὸ δικαίωμα τοῦ νόμου πληρωθῇ. 97 Röm 8,3.4 (Luther 1545: „Denn das dem Gesetz vmmüglich war (Sintemal es durch das Fleisch geschwechet ward) Das that Gott / vnd sandte seinen Son in der gestalt des sündlichen Fleisches / vnd verdampte die Sünde im Fleisch durch Sünde / Auf das die gerechtigkeit vom Gesetz erfoddert / in vns erfüllet würde / Die wir nu nicht nach dem Fleische wandeln / sondern nach dem Geist.“). 98 Joh 13,34 (Luther 1545: „Ein new Gebot gebe ich euch / das jr euch vnternander liebet / wie ich euch geliebet habe / auf das auch jr einander lieb habet.“); Joh 15,12 (Luther 1545: „Das ist mein Gebot / das jr euch vnternander liebet / Gleich wie ich euch liebe.“). 99 Gal 6,2 (s. Anm. 77). 100 Vgl. Anm. 76. 101 S. Z. 151–158. 102 Briefe des Jahres 1690

Huc facit etiam assertum D. Sebast. Schmidii102 τοῦ πολλῶν ἀνταξίου ἄλλων103: in colleg. Bibl. Vet. Test., p. 316104 de dicto Num 15,39.40105: „Est hoc dictum propositum renatis; at renatis non est proposita lex, ut ad rigorem eius sint obligati, cum a rigore legis et maledictione eius per Christum sint 215 liberati.“ Eodem respiciunt illa D. Frid. Rappoldi106, Lipsiensium clarissimi Doctoris ad 1.Johan. 3,7107, pag. 321108, ubi distinguit acceptationem iustitiae inhaeren- tis seu bonorum operum ab acceptatione personae. Et ita loquitur: „Posterio- re acceptionis modo persona est grata coram DEO, ut iudice districte iudi- 220 cante secundum rigorem legis, exigentis universalem et omnibus numeris perfectam iustitiam ab eo, qui iustificari debet, quam a solo Christo praestitam peccator fide apprehendit suamque facit. Priore autem grata est persona coram DEO, ut benigno patre secundum ἐπιείκειαν109 Evangelicam iudicium feren- te, approbante et gratam habente novitatem vitae in filiis lucis, Ephes. 225 5,9.10110, et obedientiae, 1.Petr. 1,14111“, quod repetet ad 1. Johann. 3,23112, pag. 305113, iterum 1. Joh. 5,3114, pag. 521115, ubi ita: „Mandata eius gravia non sunt; ad obedientiam non absolutam et perfectam, quam lex requirit; sed

102 Sebastian Schmidt (6. 1. 1617–9. 1. 1696), Theologieprofessor in Straßburg; geb. in Lampert- heim, seit 1653 Theologieprofessor in Straßburg, von Spener v. a. als Exeget geschätzt (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 49 Anm. 1; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23 Anm. 13). 103 An Stelle vieler anderer. 104 Sebastian Schmidt, Collegium Biblicum prius: in quo Veteris Testamenti sexaginta sex, juxta seriem locorum communium theologicorum disposita, dilucidè explicantur, Straßburg: Tidemann 1676, S. 316. 105 Num 15,39 f (Luther 1545: „Vnd sollen euch die Lepplin da zu dienen / das jr sie ansehet / vnd gedenckt aller Gebot des HERRN / vnd thut sie / das jr nicht ewrs hertzen duncken nach- richtet / noch ewren augen nachhuret. Darumb solt jr gedencken vnd thun alle meine Gebot / vnd heilig sein ewrem Gott“). 106 Friedrich Rappolt (26. 1. 1615–27. 12. 1676), Theologieprofessor in Leipzig; geb. in Reichenbach/ Vogtland, nach dem Studium in Leipzig 1642 Konrektor an der Thomasschule, daneben Professor für Dialektik und Poesie, 1663 Rektor an der Nicolaischule, 1670 Theologie- professor in Leipzig, Schwiegervater von Joachim Feller (ADB 27, 301 f; Zedler 30, 872 f; LP: Jo- hann Benedikt Carpzov, Der im himmel angeschriebene Name Friedrich, Leipzig 1678; Kirn 71). 107 1Joh 3,7 (Luther 1545: „KJndlin / Lasset euch niemand verfüren. Wer recht thut / der ist gerecht / gleich wie er Gerecht ist.“). 108 Friedrich Rappolt, Opera theologica, exegtica, didactica, polemica […], hg. von J. B. Carp- zov, Leipzig: Lanckisch’s Erben 1693, S. 321. – Ein früherer Druck ist nicht nachweisbar. Die von Spener angegebenen Seitenangaben entsprechen der hier genannten Ausgabe. 109 S. Anm. 22. 110 Eph 5,9 f (Luther 1545: „Wandelt wie die kinder des Liechts / Die frucht des Geistes ist allerley gütigkeit vnd gerechtigkeit vnd warheit / 10Vnd prüfet / was da sey wolgefellig dem HErrn.“). 111 1Petr 1,14 (Luther 1545: „als gehorsame Kinder / Vnd stellet euch nicht / gleich wie vor hin / da jr in vnwissenheit nach den Lüsten lebetet.“). 112 1Joh 3,23 (Luther 1545: „Vnd das ist sein Gebot / Das wir gleuben an den Namen seines Sons Jhesu Christi / vnd lieben vns vnternander / wie er vns ein Gebot gegeben hat.“). 113 F. Rappolt, [wie Anm. 108], S. 305. 114 1Joh 5,3 (s. Anm. 68). 115 F. Rappolt, [wie Anm. 108], S. 521 f. Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 103 ad inchoatum et cum serio studio obsequendi legi coniunctam, quam DEUS in renatis gratiose acceptat, respiciens. Quasi dicat: DEUS a renatis et dilectis filiis suis non exigit illam absolutam perfectionem charitatis, quam Moses ex- 230 igit, sed vel talia praecepta in Evangelio praescribit, quae regeneratis virtute Spiritus Sancti gravia non sunt; vel si ad praecepta quoque proprie sic dicta, id est, legem Mosaicam, eos remittat, imperfectam et inchoatam illorum ob- edientiam acceptat, residuum vero defectum plenitudine et dignitate ob- edientiae Filii sui supplet, Rom. 8,3116; Galat. 3,13.21.25117. Ut proinde etiam 235 praecepta proprie sic dicta ratione obedientiae huius inchoatae, quam spon- taneo spiritu renati praestant, in tertio usu legis gravia non sind.“ Denuo pag. 534118: „Sicut duplex est impletio legis; ita quoque ambigue dicitur legem esse possibilem aut non gravem. Si ad absolute perfectam illam impletionem legis respectus habetur, tantum abest, ut possibilis lex sit homini, ut onus illius nec 240 se, Apostolos et discipulos CHRISTI, tum ex Iudaeis tum ex gentibus, nec Patres portare valuisse, Apostolus testetur, Actor. 15,7.9.10119. Sin ad perfectam secundum, quid possibilem esse aliquo modo legem renatis negandum non est, propterea quod liberati sint a tyrannide peccati inhabitantis, et vis illius per Spiritum CHRISTI inhabitantem sit enervata, ne amplius dominetur illis, 245 Roman. 6,6.14120; neque enim viribus liberi arbitrii, sed operatione Spiritus Sancti possibilitas haec tribuenda; nec obedientia ex illa profecta legis rigori ex asse satisfacit, requirentis quippe consummatam impletionem et immuni- tatem a peccati etiam inhaerentia. Possibilis ergo vel non gravis lex homini renato est, quoad obedientiam inchoatam, quae non inhaerentiam ipsam, sed 250 dominium peccati tollit, ac libero et spontaneo spiritu ab ipso praestatur, Psalm. 119,24121: Testimonia tua sunt gaudium meum, et consilium meum, vel consiliarii mei. Et hoc est, quod Lutherus ait, in Psalm 51, tom. 3, Witteb.

116 Röm 8,3 (Luther 1545: „Denn das dem Gesetz vmmüglich war [Sintemal es durch das Fleisch geschwechet ward] Das that Gott / vnd sandte seinen Son in der gestalt des sündlichen Fleisches / vnd verdampte die Sünde im Fleisch durch Sünde“). 117 Gal 3,13 (Luther 1545: „Christus aber hat vns erlöset von dem Fluch des Gesetzes / da Er ward ein Fluch fur Vns [Denn es stehet geschrieben / Verfucht ist jederman der am Holtz hanget]“); V. 21 (Luther 1545: „Wie? Jst denn das Gesetz wider Gottes verheissen? Das sey ferne. Wenn aber ein Gesetz gegeben were das da kündte lebendig machen / So keme die Gerechtigkeit warhaftig aus dem Gesetze.“) und V. 25 (Luther 1545: „Nu aber der glaube komen ist / sind wir nicht mehr vnter dem Zuchtmeister.“). 118 F. Rappolt, [wie Anm. 108], S. 534. 119 Apg 15,7 (Luther 1545: „DA man sich aber lange gezancket hatte / stund Petrus auf / vnd sprach zu jnen / Jr Menner / lieben Brüder / Jr wisset / das Gott lang vor dieser zeit / vnter vns erwelet hat / das durch meinen mund / die Heiden das wort des Euangelij höreten vnd gleubten.“), V. 9 („vnd macht kein vnterscheid zwischen vns vnd jnen / Vnd reinigete jre Hertzen durch den glauben.“), V. 10 (s. Anm. 70). 120 Röm 6,6 (Luther 1545: „Die weil wir wissen / Das vnser alter Mensch sampt jm gecreut- ziget ist / Auf das der sündliche Leib aufhöre / das wir hinfurt der sunde nicht dienen.“); V. 14 („Die weil wir wissen / Das vnser alter Mensch sampt jm gecreutziget ist / Auf das der sündliche Leib aufhöre / das wir hinfurt der sunde nicht dienen.“). 121 Ps 119,24 (Luther 1545: „Jch habe lust zu deinen Zeugnissen / Die sind meine Ratsleute.“). 104 Briefe des Jahres 1690

lat., f. 508122: Volumus decalogum servare et praestare, sed cum larga, hoc est, 255 vere Evangelica, dispensatione sive distinctione“, quem Lutheri locum pridem ipse etiam adduxi. Sufficere ista possunt, licet non dubitem plura nostratium, qui illa distin- ctione usi sunt, suffragia et testimonia adduci posse, si quis inquirere velit; ut adeo ea Ecclesiae nostrae non peregrina, sed a luminibus ipsis praecipuis 260 usurpata esse negari nequeat. Qua causa non diffiteor me eadem usum esse et adhuc uti. V. Cum vero formula illa sinistrae interpretationi obnoxia esse possit, ob- servandum est, et semper monere soleo recte explicandam esse; nimirum cum „rigor Mosaicus“ et „Evangelica ἐπιείκεια123“ sibi opponuntur sensum non 265 eum esse, tanquam duplex lata esset lex, altera Mosaica, quae perfectam ob- edientiam requisivisset, altera lex Christi, quae praecepta impletu impossibilia sustulisset et fidelem nullo modo ad talia obstringeret, sed hoc solum, ut pro- aereticis peccatis abstineamus, a nobis requireret. Hunc enim sensum ultro reieci allegato loco § 11. 12124 et agnosco legem moralem, cum sit ectypon 270 divinae sanctitatis in sese esse immutabilem, nec aliquid ex illa remitti posse, adeoque fideles aeque ac omnes alios ad perfectam et omnibus numeris ab- solutam dilectionem DEI et proximi, quae multum nostras vires supergreditur, lege teneri adeoque revera peccata esse in ipsis operibus omnes defectus ob- sequii debiti. Quid ergo vult ἐπιείκεια125 illa Evangelica sive liberatio a rigo- 275 re legis? Hoc126 solum quod in iudicio divino propter Christi meritum et obsequium fide apprehensum opera fidelium, quibus servationi legis student, licet defectibus laborent suis, adeoque iuxta legem in peccatorum potius quam bonorum operum censum referenda essent, a DEO tamen acceptantur, tan- quam sibi grata Θυσίας πνευματικὰς εὐπροσδέκτους τῳ θεῷ διὰ Ἰησοῦ Χρι- 280 στοῦ, 1.Petr. 2,5127. Dicitur ergo fidelis „servare legem non secundum rigorem Mosaicum“, hoc est, tanquam illam perfectionem attingeret, quam Moses requirit, et ad quam revera tenemur, si ex lege sola nobiscum agendum sit, sed „secundum ἐπιέικειαν128 Evangelii“, hoc est sinceritate et filiali studio Patri suo placendi (cuius fides fundamentum est), ut Pater coelestis, qui ea omnia 285 tanquam contaminata a facie sua reiicere et damnare posset, eadem tamen gratiose tanquam bona opera suscipiat, defectibus merito filii sui obtectis, et gratiosis praemiis mactet.

122 Martin Luther, Enarratio Psalmi LI, in: M. Luther, Tomus tertius omnium operum, Witten- berg: Hans Luft 1549, S. 508 (= WA 40 I, 340.21–22). – Spener zitiert Luther nach Rappolts Text, weswegen es zu leichten Textänderungen gegenüber dem Wortlaut Luthers kommt. 123 S. Anm. 22. 124 Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, Cap. IV, §§ 11 u. 12 (S. 279–283). 125 S. Anm. 22. 126 Dieser Satz (Z. 275–287) wurde von Spener ins Deutsche übersetzt in: Spener, Rettung, S. 130–132. 127 1Petr 2,5 (Luther 1545: „geistliche Opfer / die Gott angenem sind / durch Jhesum Christum.“). 128 S. Anm. 22. Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 105

Haec Theologorum nostrorum, qui phrasibus huius generis usi sunt, sen- tentia fuit, quae inprimis a praefato D. Rappolto explicatur: Qui diserte „ac- ceptationis“ mentionem facit129, ac ita totam rem illustrat130. Obiiciet quidem 290 aliquis videri, quod ita confunderetur lex et Evangelium. Ast qui confusionem istam omni modo vitandam ipse agnosco, talem in hac phrasi nullam invenio et nullam esse hoc ipso praeiudicio ostendere valeo, quod usurpata sit a praestantissimis et orthodoxiae adeoque etiam discriminis legis et Evangelii callentissimis Viris. Nec omne illud habendum est confusio, si legis et Evan- 295 gelii officia incertis quibusdam rebus iungantur, cum circa hominem et salutis negotium occupentur, licet diverso modo, ut tamen saepius concurrant. Ita peccati doctrina omnis spectat ad legem, non ad Evangelium, et tamen pec- cata distinguuntur in mortalia et venialia, ex quibus haec, id quod vocantur, sunt non ex ipsa lege, sed ex Evangelio; qua tamen in re nemo, quod sciam, 300 confusionem legis et Evangelii causatus est vel iure causari potest. VI. Sicubi ergo de re ipsa forte inter eius, qui Evangelicam tuentur do- ctrinam, dubium esse nullum potest, adhuc quaeri posset de formula, utrum conveniat phrasi hac uti, divina praecepta (modo videlicet explicato, nec enim citra aliquam restrictionem sensum verum indicantem ita loqui velim) „ser- 305 vari“ posse, an ea abstinendum sit? Crediderim vero nos eam abrogare neutiquam posse, utpote in quorum potestate non est, aliquas illarum vocum abdicare, quibus in Sacra Scriptura usus est Spiritus Sanctus, et quibus maiores nostri in symbolis suis uti neuti- quam dubitarunt, ipsam hanc phrasin servationis praeceptorum extare, Joh 310 14,15.21; c. 15,10; 1.Joh 2,3.4; 3,22; 5,3131, ut alia loca transeam, liquet nam τηρεῖν132 communiter per „servare“ nemine contradicente redditur. In A. C. germ. edit. art. 20 diserte verba illa continentur: „Denn wir lehren, daß wir GOttes Gebote, welche uns aufgeleget sind, sollen und müssen thun. Dazu lehren wir, wie man sie könne thun; auch wie sie GOtt gefallen.“133 Iterum: 315 „Wer nicht recht vom Glauben lehret, kan auch nicht nützlich von Wercken lehren, denn ohne die Hülffe Christi kan man doch Gottes Gebot nicht halten.“134 In Apologia confessionis135 formulae variant, cum legamus istas: „satisfacere legi“, „implere legem“, „facere legem“, „obedire legi“. Phrasin „servare“ me non legisse fateor, in Germanica autem versione nihil com- 320

129 Vgl. den gleichen Hinweis in Spener, Rettung, S. 132 f. 130 S.o. Z. 216–218. 131 Joh 14,15 (Luther 1545: „LJebet jr mich / so haltet meine Gebot.“), V. 21 (Luther 1545: „WEr meine Gebot hat / vnd helt sie / der ists / der mich liebet. Wer mich aber liebet / der wird von meinem Vater geliebet werden / vnd ich werde jn lieben / vnd mich jm ofenbaren.“); 15,10 (Luther 1545: „So jr mein Gebot haltet / so bleibet jr in meiner liebe / Gleich wie ich meines Vaters gebot halte / vnd bleibe in seiner liebe.“); 1Joh 2,3 f (Luther 1545: Vnd an dem mercken wir / das wir jn kennen / so wir seine Gebot halten.“); 3,22 (s. Anm. 75); 5,3 (s. Anm. 69). 132 Beobachten; beachten; halten. 133 CA XX (BSLK 80.37–38). 134 CA XX (BSLK 80.48–49). 135 Apologie der Confessio Augustana (BSLK 138–404). 106 Briefe des Jahres 1690

munius, quam quod voce „halten“ nostri utuntur, quod fere per „servare“ reddi solet. Ex illis vero formulis prima semper reiicitur; inde toties legitur: „in hac vita non possumus legi satisfacere“, p. 87136, „cum nunquam legi satis- faciamus“, p. 90137, „tota Scriptura, tota Ecclesia clamat, legi non satisfieri“, 325 p. 91138, „etiamsi reipsa legi non satisfecerint“, p. 93139, „semper enim accusat conscientiam, quae legi non satisfacit p.p.“140, „Etiamsi legi non possumus satisfacere“, p. 115141, „legi nunquam in carne satisfacimus“, p. 122142. Unde nec nos unquam illa uti poterimus, utpote qua prima nostra thesis superius constituta everteretur. 330 Quod „implendi“ vocem concernit, ea apologiae perfamiliaris est, simpli- citer vel cum apposito, unde iam asseritur, iam negatur: Unde titulus „de di- lectione et impletione legis“, p. 83143, „Praedicant se legem implere“, p. 87144, quod ibi reiicitur. p.p. „Cum et nos fateamur, dilectionem esse opus Spiritus Sancti, cumque sit iustitia, quia est impletio legis.“145 Iterum p. 89146; „Illa 335 legis impletio, seu obedientia erga legem, est quidem iustitia, cum est integra, sed in nobis est exigua et immunda“, p. 90147, „illa inchoata legis impletio non iustificat“, pag. 91148. „Non igitur placet illa inchoata legis impletio propter seipsam“, p. 92149, ex Augustino: „omnia mandata DEI implentur, quando, quicquid non fit, ignoscitur.“150 Iterum: „oportet adesse fidem in illa in- 340 choata legis impletione“. Porro: „quod haec inchoata impletio legis placeat propter fidem“, p. 93151; „dilectio et opera152 sunt virtutes et iustitiae legis, quatenus sunt impletio legis. Et eatenus haec obedientia legis iustificat iustitia legis. Sed haec imperfecta iustitia legis non est accepta DEO, nisi propter fi- dem“, pag. 94153; „donato Spiritu Sancto sequitur legis impletio“, pag. 115154.

341 sunt: cj ] suat: D.

136 Apol IV (BSLK 189.14 f). 137 Apol IV (BSLK 193.52 f). 138 Apol IV (BSLK 194.166). 139 Apol IV (BSLK 196.1). 140 Apol IV (BSLK 214.19 f). 141 Apol IV (BSLK 214.22). 142 Apol IV (BSLK 218.41 f). 143 Apol IV (BSLK 185.1 f). 144 Apol IV (BSLK 189.8 f). 145 Apol IV (BSLK 189.24 f). 146 Hier ist wohl eine zweite Stelle gemeint, die die gleiche Formulierung hat. 147 Apol IV (BSLK 192.160). 148 Ebd. 149 Apol IV (BSLK 194.166). 150 Apol IV (BSLK 195.11–14). Hier wird zitiert: Augustinus, Retractationes I, 19,3 (s. Anm. 92). 151 Apol IV (BSLK 195.22–24). 152 Hier sind die Worte „non iustifcant“ aus dem Text von Apol ausgelassen. 153 Apol IV (BSLK 196.13–15). 154 Apol IV (BSLK 196.182). Nr. 22 an [einen Anhänger] 14. 2. 1690 107

„Etiamsi inchoata illa legis impletio procul absit a perfectione et valde sit 345 immunda“, p. 137155. „Impletio legis, quae sequitur fidem, versatur circa le- gem.“156 Et „nec illa legis impletio placet DEO, nisi propter fidem essemus accepti. Et quia homines propter fidem sunt accepti, ideo inchoata illa legis impletio placet.“157 Non minus frequenter legitur „facere legem“. Ita legimus de fide: „regene- 350 rat nos, et affert Spiritum Sanctum, ut deinde legem DEI facere possimus“, p. 68158. „Ex his apparet non posse legem sine CHRISTO et sine Spiritu Sancto fieri“, p. 85159. „Cum hac fide apprehenditur mediator CHRISTUS, cor acquiescit et incipit diligere DEUM et facere legem“, p. 115160. „Postea incipimus legem facere“, p. 122161; „ideo priusquam legem facimus, oportet 355 cordae fide renasci“, pag. 127162; „nec legem facere possumus, nisi prius per CHRISTUM reconciliati simus“, p. 176163. „Necesse est prius nos promis- sione reconciliari, quam legem facimus.“164 Et: „quia renati Spiritum Sanctum accipiunt, ideo legem facere incipiunt“, p. 177165. „Paulus contendit legem non posse fieri sine CHRISTO. Ideo promissio prius accipienda est, ut fide 360 reconciliemur DEO propter CHRISTUM, quam legem facimus.“166 Denuo: „prius oportet apprehendere promissionem remissionis peccatorum, quam legem facimus“, p. 178167. Quarta formula inprimis legitur p. 134168: „Ideo iustificamur, ut iusti bene operari et obedire legi DEI incipiamus.“ 365 Haec fere sunt loca, quae inquirenti se in Apologia obtulere. Ubi videmus nostros promiscue terminis „implendi et faciendi“ uti et utrumque de renatis asserere, sed cum ea interpretatione, quae aliquoties additur, ut non sit per- fecta impletio, nec perfecte faciamus, impleamus tamen et faciamus. Unde etiam in Form. C. illi tantum repudiantur, „qui docent, hominem post rege- 370 nerationem legem DEI perfecte observare atque implere posse.“169 Ex his omnibus patet nemini litem moveri posse, qui etiam „impletionis“, sed cum debita restrictione, termino uteretur; quo tamen, ut ingenue fatear, ego lubentius abstineo, cum ipso sono vox impletionis aliquid perfecti innu- ere videatur. „Facere“ autem ac ita „servare legem“ sine periculo dicere pos- 375

155 Apol IV (BSLK 214.24 f). 156 Apol IV (BSLK 229.31 f). 157 Apol IV (BSLK 229.60–230.4). 158 Apol IV (BSLK 169.1 f). 159 Apol IV (BSLK 187.15–17). 160 Apol IV (BSLK 214.22 f). 161 Apol IV (BSLK 218.39). 162 Apol IV (BSLK 220.41). 163 Apol IV (BSLK 229.55; Spener zitiert hier nicht ganz wörtlich). 164 Apol IV (BSLK 268.83 f). 165 Apol IV (BSLK 268.85–87. 166 Apol IV (BSLK 269.36–40); hier jedoch: „Paulus contra contendit …“. 167 Apol IV (BSLK 269.47–50). 168 Apol IV (BSLK 227.5 f). 169 FC, Epit. II (BSLK 779.12). 108 Briefe des Jahres 1690

sumus, quorum illud iisdem syllabis, hoc suo aequipollenti „halten“ in Ger- manica versione toties a nostris usurpatur. Qui malunt „observationis“ vocabulo uti, quod pariter notavi in libro meo, eodem uti possunt, ut tamen ob hoc lis non moveatur illis, qui „servandi“ vocem ex Scripturae textu reti- 380 nent eamque eodem sensu usurpant, quem alii in voce „observandi“ inuunt. VII. Ita cum sententiam meam de phrasi et re ipsa, quod opinor, satis ex- posuerim, possem hic subsistere; unicum tamen ex prima thesi denuo repeti- tum volo servationem hanc vel impletionem hactenus a me assertam neuti- quam illum assequi gradum, ut debito legis omnino satisfaciat, et ob hoc 385 iustificationis circum nunquam ingredi, sed sanctificationis universum opus absolvere. Habes hic universum doctrinae meae circa hoc argumentum expositionem, quam ob orthodoxia et fidei nostrae analogia nec in minimo recedere tam certus sum, quam certissimus; unde ipsi Spiritui Sancto in Sacris Literis lo- 390 quenti ille contradiceret et Ecclesiae nostrae dogma insectaretur, qui istam erroris postularet, quod quidem a nemine expectabo, cui aliqua veritatis, candoris et pietatis cura est. Si quid ergo aliud de me audivisti, certo persuasus esto aut a calumniatore impudenti id effictum esse aut nullo autore ortum rumorem; mihi enim meae sententiae constat ratio, quam etiam a lustro non 395 uno plura millia saepius ex ore meo excepere et in scriptis legere, ad quos omnes provocare serena fronte audeo; nec quisquam proditurus est, qui ex me publice seu privatim (nec enim alius in museo, alius in suggestu esse soleo, nec ut hoc candori, non solum Theologico vel Christiano, sed et honesti hominis, adversum de me quisquam suspicetur, ulla re unquam merui) aliquid dissen- 400 tiens audivisset vel legisset. Unde ut cuivis petenti haec etiam exponas, non permitto solum, verum etiam rogo beneficium interpretaturus, si, quod sentio, intelligant omnes, qui, quod in anima mea DEUM videre agnosco, ut alii pariter inspiciant, non recusare debeo, nec recuso; id vicissim omni iure ab aliis postulans, ut de meo sensu asserenti mihi credant, nec suspicionibus in- 405 anibus indulgentes charitatem laedant, quod equidem malum nostri temporis cacoëthes est; utinam non illis etiam familiare, qui charitatis typi esse debe- bant! Vale et DEO causam suam atque Ecclesiam pie commenda nostri etiam in precibus memor.

410 14. Febr[uaris] 1690 Nr. 23 an Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow 21. 2. 1690 109 23. An Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow in Güstrow1 Dresden, 21. Februar 1690

Inhalt Sendet das Antwortschreiben [Johann] Fechts mit der Annahme des Rufes zum Professor in Rostock an den Herzog weiter. – Berichtet aus Fechts Brief, dieser sei vor der schlechten Zah- lungsmoral in Rostock gewarnt worden; hat ihm die Grundlosigkeit dieser Sorgen vorgetragen. Überlieferung A: Schwerin, Landeshauptarchiv, 1 B 23/05, Nr. 2692.

Göttliche gnade, friede, heil und leben zu allem hohen wolwesen und gesegneter regierung! Durchlaüchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr. Nachdem ich das von E[urer] Hochf[ürstlichen] D[u]r[chl[auch]t mir gnädigst committirte vocationsschreiben2 an H. L. Fechten3 auf der post fortgesandt, 5 so habe heut diesen tag allererst, weil es mit den briefen an ein solches ort4, wo keine ordinari post anzutrefen, sehr langsam gehet, die antwort und auch underthänigste erklährung der folge5 an E. Hochf. Drlt. inligend6 empfangen, so ich auch sobald mit schuldigem gehorsam spediren sollen. Wie ich auß seinem an mich abgegebenen7 sehe, wird er, alßbald die be- 10 schafenheit der zeit solches zugibet, sich auf die reise machen, um sich nach müglichkeit förderlichst einzustellen; er gedencket auch, daß ihm einige in sein vornehmen einige scrupul machen wollen, gleich ob die professores zu Rostock ihre besoldung nicht oder kümmerlich bekämen und also bald ge- bruch8 leiden müsten, wie er aber gegen solches vorgeben sich auf E. Hochf. 15 Drlt. hohes wort verleßet und daher von jenem einreden sich nicht irre ma- chen läßet, also versichere ihn nochmal, daß E. Hochf. Drlt., was sie ihm gnädigst verordnet und auch in dem schreiben an mich außtrücklich benen-

16 daher ] + <üb>.

1 Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow (s. Brief Nr. 3 Anm. 1). 2 Nicht überliefert. 3 Johann Fecht, Theologieprofessor in Rostock (s. Brief Nr. 84 Anm. 1). 4 Das Ort (DWB 13, 1351). 5 Zustimmung (DWB 3, 1873) (nämlich, dem Ruf nach Rostock zu folgen). 6 Nicht überliefert. 7 Gemeint ist der Begleitbrief Fechts an Spener, der nicht überliefert ist. 8 Mangel (DWB 4, 1872). 110 Briefe des Jahres 1690

net9, ihm richtig zukommen laßen und, daß er keine reue über solche folge10 20 faßen dürfe, durch dero kräftige autoritet verschafen11 werden. Wie ich dan auch meines wenigen orts in dem underthänigsten vertrauen stehe, daß gleichwie E. Hochf. Drlt. mit solchem rühmlichen eifer sich angelegen sein laßen, einen solchen qualifcirten Mann vor ihre anvertraute universitet auß- zufnden und zu berufen, dieselbe auch nicht weniger sorgfältig verschafen 25 werde, daß von dem jenigen, bey welchem die außzahlung bestehet, E. Hochf. Drlt. hoher parole der gebührende nachtruck gegeben werde, damit der christliche mann ihres orts die jenige stelle fnde, in dero er sich, seines biß- herigen elends12 wider, ergötzen und seine arbeit mit freuden verrichten möge. 30 Der HERR HERR segne deßen künftigen feiß zu seines Heiligsten nah- mens preiß, E. Hochf. Drlt. sonderbarer freude u. der universitet und kirchen mehrer aufnahm. Womit dieselbe samt gantzem hohen hause in des Allgewaltigen mächtigen schutz, gütigsten segen und weiseste regirung treulich erlaßende verharre

35 E. Hochfürstl. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam underthäniger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 21. Febr[uar] 1690. Dem Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herren Gustav Adolph, Hertzo- 40 gen zu Meckelnburg, Fürsten der Wenden, zu Schwerin und Ratzenburg, Grafen zu Schwerin, Herren der lande Rostock und Stargard etc. Meinem gnädigsten Fürsten und Herren. Güstrau.

28 wider ] + . 31 /u./.

9 Im Berufungsschreiben (s. Anm. 2). 10 S. Anm. 5. 11 Im Sinne von „herbeischafen“ (DWB 25, 1049). 12 Als sein bisheriger Wirkungsort Durlach zerstört worden war, hatte Fecht nach Calw fiehen müssen und wartete dort auf eine neue Berufung (s. Brief Nr. 3 Anm. 2 und 4). Nr. 24 an [ein Ratsmitglied] 22. 2. 1690 111 24. An [ein Ratsmitglied in Wurzen]1 Dresden, 22. Februar 1690

Inhalt Beantwortet die Frage nach den Ereignissen in Leipzig, die in ganz Deutschland unter dem Namen Pietismus bekannt geworden sind, und hält [August Hermann] Francke und [Johann Caspar] Schade für unschuldig. – Befürchtet aber, daß sich Widerstände gegen die Berufung Schades zum [Diaconus in Wurzen] erheben werden. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 484–485.

Was aber ferner von mir im vertrauen zu wissen begehret wird, so bestehets in diesem, daß zwar wegen eines so genanten pietismi als einer sonderen secte das gantze land, ja, fast teutschland, aus Leipzig erfüllet worden2: es wurde auch aus unserm kirchen=​rath der Universität anbefohlen, deswegen, was es vor eine bewandnüs damit hätte, bericht zu erstatten3: worauf eine ziemlich weitläuf- 5 tige inquisition angestellet und viele leute, studiosi und andere, eydlich abge- höret worden. Es kam aber endlich der bericht, daß man nichts von einer neuen secte oder das dergleichen wäre, habe fnden können, und der name der pietisten von einigen zum spott etzlichen leuten beygeleget worden. Weilen auch Hr. M. Franck4 vornemlich in solcher inquisition gemeint 10 gewesen, so ist dannoch auch wider denselben, vielweniger gegen andere, das sie nur etzlicher massen gravirte, aus den actis selbs und der Universität be- richt nichts zu fnden gewesen, wie man auch sonsten von hier aus, da etwas dergleichen gefunden worden, nicht würde unterlassen haben, einigem übel zu steuren. 15

1 Vermutlich ist jemand aus dem Rat von Wurzen der Adressat des Briefes. Auf Grund von Überlegungen, Johann Caspar Schade (zu diesem s. Anm. 5) als Diaconus nach Wurzen zu berufen, hatte man Spener um dessen Meinung befragt. Vgl. die Bemerkung in dessen Brief an Adam Rechenberg am 18. 2. 1690: „M. Schade, si a Wurcensibus vocetur, Superintendentem experietur minus probitium, sed collegam M. Richterum, ut spero satis aequum.“ (Ad Rech 1, Bl. 422v). – Zu Superintendent Christoph Daniel Schreiter und dessen Widerstand gegen Schade s. Anm. 8.; der erwähnte Mag. Richter ist Georg Richter (1658–1737) (Dietmann, Priesterschaft 1.1, 854–856; 1.5, 672). 2 Schon 1687 war Schade Gründungsmitglied eines (dritten, neben demjenigen, an dem Paul Anton und August Hermann Francke beteiligt waren) „Collegium Philobiblicum“ in Leipzig (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 155 Anm. 1). Im Sommer 1688 hatte er eine Übung über hebräische Worte des Alten Testaments gehalten, danach zum 1. Petrusbrief, das im Sommer 1689 einen großen Zulauf erhielt (Leube, Pietistische Bewegung, 183 f). 3 Ein zusammenfassende Beschreibung der verschiedenen Texte zu den pietistischen Unruhen in Leipzig zwischen dem dortigen Rat, der theologischen Fakultät und der Universitätsleitung einerseits und dem Oberkonsistorium und Geheimen Rat in Dresden andererseits fndet sich in: Leube, Pietistische Bewegung, 192–194 u. 201 f; vgl. auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97 Anm. 23. 4 August Hermann Francke (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 112 Briefe des Jahres 1690

Also ist auch gegen Hr. M. Schaden5 nicht das geringste einkommen, we- niger erwiesen worden; wie er noch bisher allezeit seine collegia in Leipzig gehalten6 und etzliche tractätlein trucken lassen7, dazu ihm die Theologische facultät ihre censur nicht versagen können. So viel ruhet auf gewissem grund 20 der warheit. Ob aber nicht einige vornehme in ihrem hertzen auf ihn nicht gut zu sprechen seyn möchten, wolte ich nicht widersprechen, sondern sorge es. Was auch solche, gegen ihn zu moviren, sich unterstehen würden oder nicht würden, kan ich nicht vorsagen, vielweniger, wie man ihres orts ge- sinnet seye8. Aufs wenigste halte ich mich versichert, vor einem unpar­ 25 theyischen gericht habe sich Herr M. Schade so wenig als vor einigem ex- amine zu fürchten. Der HErr HErr, dessen die gantze sache ist, führe alles zu seinen heiligen ehren und lasse ihre liebe gemeinde also versorget werden9, daß sie seine güte darüber in zeit und ewigkeit zu preisen ursach haben mögen, ja, er lasse mehr 30 und mehr aller orten seine ehr und reich kräftiglich durchbrechen etc. Den 22. Febr[uar] 1690.

5 Johann Caspar Schade (13. 1. 1666–25. 7. 1698), Magister in Leipzig; geb. in Kühndorf / Henneberg; nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg 1688 Gründer eines Collegium Bib­ licum im Stile des ersten Collegium Philobiblicum, 1689 beteiligt an den pietistischen Unruhen in Leipzig, 1691 Diaconus an der Nikolaikirche in Berlin, verwickelt in den dortigen Berliner Beichtstuhlstreit (Spener, Leichpredigten 9, S. 508–520; abgedruckt in: Gottfried Arnold, Leben der Gläubigen [s. Anm. 9]; C. Drese, Der Berliner Beichtstuhlstreit, in: PuN 31 [2005], [60–97] 66–88; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 68 Anm. 24). 6 Vgl. Leube, Pietistische Bewegung, 183–186. 7 J. C. Schade, Kurtze und deutliche Einleitung zu dem wahren Christenthum / dessen I. Vor- nehmste Theile, so dazu gehören / II. Dienlichste Mittel / dahin zu gelangen / III. Wichtigste Ursachen darzu zubewegen. Nach der Heil. Schrift […] verfasset. Nebst Anhang einiger kurtzen Seuftzer / wie auch allgemeiner Morgen= und Abend=​Gebete, Leipzig: Chr. Günther 1689 (2. Auf.: Leipzig: J. Heinich 1690). – J. C. Schade, Die Frage: Was fehlet mir noch? Leipzig: J. Heinich 1689 (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111 Anm. 34). – J. C. Schade, Gespräch Eines Hertzens Das Aus Christlicher Sorgfalt vor seine Seeligkeit den Weg zu solcher untersuchet / und feißig erkundiget / wie es auf solchen kommen und sich darauf verhalten solle. Darneben sich selbsten zu solchen erlernten und erkanten Christen=​Pfichten ermuntert und anredet. Bey Erwegung der Frage: Was muß ich thun / daß ich selig werde / Act. XVI. 31, Leipzig: J. Heinich 1690. – Alle Titel wurden mehrfach neu aufgelegt. 8 Der Wurzener Superintendent Christoph Daniel Schreiter (zu diesem s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 16 Anm. 1) hatte sich gegen Schade ausgesprochen hatte (Dietmann, Priesterschaft 1.5, S. 677). Ofenbar gab es etliche (Z. 22–24), die sich dieser Einschätzung angeschlossen hatten. Zu Speners Bemerkung s. Anm. 9. 9 Es handelte sich um die Stelle des Diaconus in Wurzen, die nach dem Tod von Salomo Liscow am 5. 12. 1689 wieder zu besetzen war. Der Wurzener Rat hatte sich für Schade stark gemacht (Dietmann, Priesterschaft 1.5, 676 f.; Leube, Pietistische Bewegung, 205 f; in der LP für Schade: „Wie er denn unter andern gedultig ertragen konte, als seine und der Wahrheit Feinde, nachdem er Ao. 1690 von E. E. Rath und Bürgerschaft der Stadt Wurzen die Vocation zur Prob=​ Predigt, bey dem vocirenden Diaconat erhalten, seine Beförderung durch allerhand List und Räncke hinderten.“ (Des sel. M. Johann Caspar Schadens […] Leichen=​Predigt, Anhang zu: Gott- fried Arnold, Das Leben der Gläubigen, 21732, S. 113 f). Nr. 25 an [Johann Fischer] 24. 2. 1690 113 25. An [Johann Fischer in Riga]1 Dresden, 24. Februar 1690

Inhalt Bedankt sich für Nachrichten und Grüße, vermittelt durch [Matthias] Ladovius. – Hält den Ka- techismusunterricht bei jüngeren und älteren Kindern für wichtig, damit sie die Grundlagen der göttlichen Erkenntnisse gelehrt bekommen, um später der fießenden Rede einer Predigt besser folgen zu können. – Wünscht [Fischer] und seinen Kollegen vielfältige geistliche Früchte. – Hält es für bedeutend schwerer, die Älteren bei der heilsamen Erkenntnis zu behalten. – Berichtet von [Johann Conrad] Dannhauers Meinung, daß es besser sei, sich um die Willigen zu kümmern, die meist in jüngerem Alter zu fnden seien. – Hält die Androhung zum Ausschluß vom Abendmahl für wenig sinnvoll. – Lobt die Fortschritte und den Eifer von [Matthias] Ladovius und hoft, daß er ein Werkzeug der göttlichen Gnade werden wird. – Bedankt sich für die Briefe von [Joachim] Salemann und [Johann Andreas] Dorsche. – Bittet um nähere Informationen und Beispiele von Meditationen und Liedern, die Frau Himsel in Exstase niedergeschrieben hat. – Fragt nach [Jo- hann Heinrich] Gerth und seinem Wechsel nach Stockholm. – [P. S.:] Entschuldigt sich, daß er sein Vorhaben, Fischers Kollegen zu schreiben, noch nicht realisiert hat. Überlieferung A: Gießen, UB, Handschriften 127, Bl. 37r–38v.

Gratiam, salutem et pacem a PATRE gratiarum, salutis principe JESU et SPIRITU pacis! Vir Admodum Reverende, Amplissime et Excellentissime Domine, Fautor et in DOMINO Frater Venerande.

Te cum Tuis satis recte valere laetus et interprete M. Ladovio2 vestro et ex 5

1 Johann Fischer (13. 12. 1636–17. 5. 1705), Generalsuperintendent in Riga, geb. in Lübeck; nach dem Studium in Rostock und Altdorf Predigtamtskandidat in Stade, 1673 Superintendent in Riga, 1678 Generalsuperintendent von Livland, 1701 Generalsuperintendent und Konsistorialrat im Herzogtum Magdeburg (Moller 3, 255–260; DBA 323, 76–93; J. Wallmann, Beziehungen des frühen Pietismus zum Baltikum und zu Finnland, in: Wallmann, Theologie und Frömmigkeit, 249–281; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 160 Anm. 5; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 173 Anm. 2 und Bd. 2, Brief Nr. 10 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Der Brief geht ins Baltikum, weil Postsendungen nach Reval erwähnt werden (Z. 52 f) und die genannten Per- sonen entweder dort leben (Salemann, Himsel, Lado usw.) oder von dort stammen (Weidenheim). 2 Matthias Lado(vius) (Ladau) (ca. 1666‑ vor 12. 7. 1716), Theologiestudent in Wittenberg; geb. in Reval/ Livland, Sohn des aus Halberstadt stammenden Johann (Heinrich) Lado, nach dem Theologiestudium in Greifswald, in Wittenberg (Disputation in Wittenberg am 21. 11. 1688: De naturali obligatione liberorum erga parentes) und wieder in Greifswald zunächst angeblich Predi- ger in einer Gemeinde in Deutschland, 1694 Pfarrer in Pölwe (Sprengel: Werro)/ Livland, 1701 Vertreibung auf Grund des (Nordischen) Krieges, 1702 Feldprediger, 1704 Pfarrer in Haggers/ Estland, 1710 Flucht nach Stockholm (K. E. Napierski, Livländische Kirchen= und Prediger- Matrikel, Erstes Heft, Riga 1843, 84, 3. Heft, 2. Teil, Mitau 1851, 46; A. Tering, Gelehrte Kon- takte der Universität Greifswald zu Estland, Livland und Kurland im 17. und 18. Jahrhundert, in: D. Alvermann u. a. [Hgg.], Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums, Münster 2007, [ 283–316] 299). 114 Briefe des Jahres 1690

Tuis3 cognovi. DEUS salutis autor omni mane nova gratia vobis oriatur et omni sua benedictione vos ubertim perfundat. Studium, quod examini Catechetico impendis, maxime laudabile, unde opto, ut exemplum sequantur in pari dignatione constituti, reliquos eo facilius 10 ad imitationem tracturi. Sane haec methodus aut nulla alia est, qua tenerior aetas (imo et adultior, si bona sua intelligeret et admitteret) ad solidam divinam cognitionem perduci potest, cum absque talibus examinibus, si sit, qui, ut ita loquar, simplices terminos non didicere, omni aetate sua conciones publicas continuo fluore plura exponentes absque sufficienti fructu audiant, utpote non 15 intellectas. Vicissim dubium non est, qui hac ratione ad salutarem Patris coele- stis agnitionem pertigerint, omni vita sua, imo in ipsa aeternitate, praedicatu- ros divinum beneficium huiusque instrumentum doctores suos. Assistat porro Tibi aliisque fidis ministris, qui domini sui causam strenue agunt, ipse hic sua gratia, corporis animique vires laboribus suffecturas suppe- 20 ditet et confirmet, inprimis vero Spiritu sapientiae, prudentiae4 et charitatis impleat, ut, qua semper ratione commodissime oracula divina cordibus con- crediti gregis publice privatimque imprimant, satis intelligant, omnia, quae obiiciuntur, impedimenta feliciter perrumpant et mille, quos adhoc videant, laborum suorum fructibus ex benedictione caelesti succrescentibus exhilaren- 25 tur, beentur. Quod futurum esse, nullus dubito. Adultis et aetate omnino provectis quomodo consulatur, difficilior quaestio est; sed manebit quaestio, aut si de- cidatus, quod tamen factu optimum esset, hoc seculi nostri habitu, ut operi mandetur, vix obtinebitur. Agendum tamen quod licet et possumus, ut invi- 30 temus illos, qui, dum liberi docentur vel domi etiam ex horum repetitione, ipsi discant, nec non omnia suppeditemus media, quibus ad salutarem co- gnitionem pervenire possint, hoc, ubi fecerimus, successum, licet ex ipsorum obstinatione minus fecundus expectetur, DOMINO commendare necesse est. Memini Beatum Praeceptorem meum D. Dannhauerum5 saepe dicere, soli- 35 tum in senioribus parum spei esse, sed, qui servari non patiantur, suae demum voluntati relinquendos, modo aetatem iuniorem ab exitio vindicare queamus; quam eius vocem, cum Conventus Ecclesiastici praeses6 esset, ego membrum7, non semel excepi.

9 /opto/ : . 28 /t[ame]n/. 29 obtinebitur < obtinen. 31 quibus < qui.

3 Der Brief Fischers, den Ladovius ofenbar mitgebracht hatte, ist nicht überliefert. 4 Vgl. Jes 11,2. 5 Johann Conrad Dannhauer, Speners wichtigster theologischer Lehrer in Straßburg (s. Brief Nr. 13 Anm. 11). 6 Dannhauer war seit 1658 Präsident des Konvents des lutherischen Predigerministeriums in Straßburg. 7 Spener gehörte als Freiprediger in Straßburg seit dem Frühjahr 1663 zum dortigen Kirchen- konvent (Wallmann, Spener, 168–170). Nr. 25 an [Johann Fischer] 24. 2. 1690 115

Ut nova lege a communione sacra excludantur religionis suae parum gnari in Senatu nostro8 decerni valde dubito, cum ex universa provincia quereles 40 timere necesse sit, tanquam de tyrannide inaudita in conscientias, quae tamen revera salutaris cura esset, si homines, quae prosunt, intelligerent. In universum hoc nobis semper ante oculos esto vivere nos eo tempore, quo nobis praecipue res sit cum volentibus salvari, perire autem malentes retinere nequeamus. M. Ladovii vestri profectus in literis non displicuere, atque ex responsis 45 ipsius ingenii vigorum et studiorum industriam observavi; in scripturae peni- tiori cognitione, ut porro exerceatur, nunc opus fuerit, quamvis in ipso mu- nere sacro sperem ad supplendum, quod deest, non defore otium. DEUS suo spiritu porro ipsum regat et gratiae suae paret organon, sive nunc vestrae Ecclesiae sive alterius ministerio ipsum destinaverit. Eleemosynas Secretario 50 nostro exhibui, qui apocham reddidit, quam ego Ladovio ferendam heri dedi9. Venerandi Salemanni10 et his inclusae Dorschei11 literae pergratae mihi fuere12, nonnullorum, quae in illis agantur, partibus nunciae. Hic Narva13 iam DEO inservit ἐν ἀσθενείᾳ καὶ ἐν φόβῳ καὶ ἐν τρόμῳ πολλῷ14, inprimis ob pastoris animum infestum. DOMINUS servum suum tueatur suaque ducat 55

8 Das Oberkonsistorium in Dresden (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 9 Unklar, um welche Gabe es sich handelt, dessen Empfang der Sekretär (des Dresdner Ober- konsistoriums?) quittiert hatte. Die Quittung hat Spener Ladovius übergeben (vermutlich um sie nach Riga mitzunehmen). 10 Joachim Salemann (9. 2. 1629–3. 3. 1701), Superintendent in Reval (Talinn); geb. in Reval, nach dem Studium in Straßburg, Gießen, Wittenberg und Rostock 1658 Pastor an der St. Olai- kirche und 1673 Superintendent in Reval, 1691 Vizepräses des Konsistoriums von Reval, 1693 Bischof von Estland und Pastor an der Domkirche von Reval, 1693 Dr. theol. in Upsalla, beteiligt an der von Johann Fischer unterstützten Übersetzung des Neuen Testaments ins Nordestnische. Spener und Salemann kannten sich von der gemeinsamen Straßburger Studienzeit her (Friederich Konrad Gadebusch, Livländische Bibliothek, Dritter Theil, Riga 1777, S. 56–58; H. R. Paucker, Ehstlands Geistlichkeit in geordneter Zeit= und Reihefolge [sic!], Reval 1849, 14 f, 61, 339, 349 f; M. Hilweg, Nachrichten über die Familie Salemann in Pommern und Estland und ihre ver- wandte Familien, Riga 1911, 20–25; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 88, Z. 47–49 mit Anm. 15 f). – Salemanns Sohn, ebenfalls Joachim, (8. 6. 1664–9. 10. 1710) war Studienkollege von Matthias Lado (s. Anm. 2). 11 Johann Andreas Dorsche (geb. 24. 4. 1660), geb. in Heldenbergen (heute Stadtteil der Ge- meinde Nidderau in der Wetterau), zur Burggrafschaft Friedberg gehörend, Theologiestudium in Gießen (imm. 23. 10. 1677), Studienkollege von Christian Gotthelf Birnbaum, dem späteren Schwiegersohn Speners), 1689 Feldprediger, 1692 in Oberpahlen/ Livland, 1701 Propst in einem Teil des dörptschen Kreises; Anhänger von Christian Thomasius; Mitarbeiter am Revalisch-est- nischen Neuen Testament (Reval 1715), Beiträger eines Gedichts zur Leichpredigt für Wilhelm Ludwig Spener (Klewitz/Ebel, 78; Napierski, Beiträge zur Geschichte der Prediger und Kirchen in Livland, Drittes Heft, Lebensnachrichten von den livländischen Predigern, 2. Teil, Mitau 1851, S. 46; Napierski, [wie Anm. 2] 1, 447). 12 Beide Briefe sind nicht überliefert. 13 Narva. 14 1Kor 2,5 (Luther 1545: „mit schwacheit / vnd mit furcht / vnd mit grossem zittern“). 116 Briefe des Jahres 1690

manu. Antequam Esthonia15 excederet, sententia a Weidenhaimii16 reconven- tione absolutus eo quietiori animo migrare potuit. Himselia17 sanitati pristinae restitutam superintendens18 nunciat, nisi quod ex hypochondriaco morbo subinde maeror eam corripiat et lacrymas expri- 60 mat. Optarim extare totius casus historiam non quidem nimis prolixam die- rum, singulorum factu complexam, sed prolixiorem tamen, quam relatio Tua fuit, Ven. Sebischio nostro19 transscriptam nec non aliquot speciminis causa exemplaria meditationum et cantionum, quas in raptu constituta conscripsit20. Horum enim omnium lectionem non exigui, usus fore haud dubito. 65 Ab Episcopio suo Estones liberatus, quid scribis, aliunde nondum accepi, si vero ab illis edoctus Tu sis, ego etiam certior fieri optarim. Quod enim D. Gerthius se pastorem Teutonicae Ecclesiae Holmiensis eligi est passus21, mihi nondum satis firmum argumentum est ἐπισκοπῆς22 abdicatae; potius qui viri genius, quantum licet, coniunget ea, ex quibus proventus. 70 Tecum vero ingemino, DEUS gregis sui insereatur. Vale.

59 eam < eum. 59 corripiat < corru. 65 /aliunde/: .

15 Estland. 16 Caspar Johann Weidenheim (5. 1. 1664–27. 12. 1728), Pfarrer in Schloßvippach; geb. in St. Katharinen/ Livland; nach dem Studium in Leipzig und Erfurt 1688 Substitut und 1690 Pfarrer in Schloßvippach, 1692 Hofprediger Prinzenerzieher in Weimar, 1694 Diaconus in Kaltennord- heim, 1697 Pfarrer in Coburg, 1699 Superintendent in Neustadt, 1708 Oberpfarrer in Alsleben (PfBKPS 9, 287). 17 Salemann war in zweiter Ehe mit Elisabeth geb. Himsel (1640–1673) verheiratet gewesen (s. Hilweg, [wie Anm. 10], 24). Spener meint wohl eine Verwandte von Salemanns Frau, die eine Tochter des in 1603 in Salzwedel geborenen Revaler Stadtphysikus Gebhard Himsel (1603–1676) war (zu diesem s. Recke/Napiersky, Allgemeines Schriftsteller‑ und Gelehrten-Lexikon, Bd. 2, Mitau 1829, 309; zur Familie s. M. Klöker, Literarisches Leben in Reval in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts [1600–1657], Berlin 2005, 326–333, 684 [hier: Aufistung seiner Söhne und Töchter). – Die hier gemeinte „Himselia“ könnte entweder eine der Schwiegertöchter G. Himsels sein oder seine Tochter Ingbor Elisabeth (get. 18. 1. 1664, 1694 verheiratet mit dem Dorpater Pastor Henricus Grotjahn, gest. 19. 4. 1703; Klöker, 684). 18 Gemeint ist Joachim Salemann (s. Anm. 10), der die Nachricht wohl in dem in Z. 50 ge- nannten Brief übermittelt hatte. 19 Johann Seebisch (1634–1700), Diaconus an der Dresdner Kreuzkirche; geb. in Zwickau, nach dem Studium in Leipzig 1666 Diaconus in Zwickau und 1671 in Dresden, 1697 Stadtpfarrer ebd. (Grünberg, Pfarrerbuch 2.2, 863). 20 Lieder und Meditationen, die in Ekstase niedergeschrieben wurden. Näheres ist nicht bekannt. 21 Johann Heinrich Gerth (Gerds, Gerthius) (1645/46–13. 5. 1696), Pfarrer der deutschen Gemeinde in Stockholm, geb. in Dreieichenhain bei Frankfurt a. M.; nach dem Studium in Gießen 1671 Hofprediger von Hedwig Eleonore von Schweden, 1685 Bischof von Estland, 1689 Pfarrer der deutschen Gemeinde in Stockholm (Kohlenbusch/Aschkewitz, 47 f; Ottow/Lenz Nr. 538, S. 235; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64 Anm. 6). – Spener selbst war als Kandidat für das Pfarramt in der deutschen Gemeinde in Stockholm im Gespräch gewesen (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, mit weiteren Hinweisen). 22 Beaufsichtigung; hier wohl: bischöfiches Amt. Nr. 25 an [Johann Fischer] 24. 2. 1690 117

Dresdae, 24. Febr[uarii] 1690. Admodum Revereendae T. Amplit. ad preces et ofcia addictissmus P[hilippus] J[acobus] Spenerus Mppria.

Collegae Tuo 23 iam etiam literas scribere decreveram, sed tempore exclusus 75 brevi scribam; nunc Tuo ore salveat.

23 Aus dem Briefwechsel Speners mit Adam Rechenberg zeigt sich, daß Spener in dieser Zeit mit verschiedenen Personen in Riga korrespondierte. Jedenfalls geht es hier um einen Geist- lichen. Johann Ernst Glück (1654–1705), der von 1687 bis 1702 Propst des Kokenhusenschen Sprengels in Marienburg und Mitarbeiter an der von Fischer veranstalteten Bibelübersetzung ins Südestnische (Wallmann, Beziehungen [wie Anm. 1], 269) war und mit dem Spener später kor- respondierte, wird es nicht sein, da dieser auf jenen erst durch seinen Sohn Christian Maximilian aufmerksam gemacht worden war (Cons. 3, 801). Vielleicht ist eher der ebenfalls an der genannten Bibelübersetzung beteiligte Adrian Virginius (1663–1706) gemeint (Recke/Napiersky, [wie Anm. 17], Bd. 4, Mitau 1832, 436–439). 118 Briefe des Jahres 1690 26. An [Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg]1 Dresden, 25. Februar 1690

Inhalt Berichtet von den schweren Unruhen, die er über Lüneburg erhalten hat und ist entsetzt darüber, daß Petersen noch viel mehr als die (gesonderte) Auferstehung der Märtyrer öfentlich lehrt. – Schreibt, weil er nicht nur Petersen und die lutherische Kirche und ihre Wahrheit liebt, sondern weil Petersen in Gefahr geraten ist, sich von dieser zu trennen. – Betont, daß er in der Frage der Auferstehung der Märtyrer nicht mit Petersen übereinstimmt. – Bittet über die Ansichten Petersens informiert zu werden, damit er bei Fragen die richtige Antwort geben kann. – Be- schwört ihn, zu bedenken, welche Last er den Frommen auferlegt und welche Freude er bei den Unfrommen hervorrufen könnte. – Fleht, seine Meinung vor den Kollegen und anderen klar darzulegen, wenn er nicht von der lutherischen Wahrheit abgewichen ist, damit die ent- standenen Unruhen so schnell wie möglich in Ordnung kommen. – Sagt seine Fürbitte zu und wünscht ihm die himmlische Weisheit, die ganze Wahrheit zu sehen und denjenigen, die die Kontroverse schüren, in Liebe zu begegnen, damit wieder Ruhe in die Kirche kommt. – Läßt [Johanna Eleonora Petersen] grüßen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 694.

Dum adhuc ad Tuas2 responsum paro, tristis allabitur auribus nuncius3 de

1 Johann Wilhelm Petersen (1. 6. 1649–31. 1. 1727), Superintendent in Lüneburg, geb. in Osnabrück, aufgewachsen in Lübeck; nach dem Studium in Gießen, Rostock und wiederum in Gießen 1677 Professor für Rhetorik in Rostock, im gleichen Jahr Pfarrer in Hannover, 1678 Superintendent und Hofprediger in Eutin und 1688 Superintendent in Lüneburg, 1692 Amtsent- hebung, danach ohne Amt als theologischer Schriftsteller wirkend; seit der Gießener Studienzeit (ca. 1672) mit Spener in engem Kontakt. Gemeinsam mit seiner Frau Johanna Eleonora (zu dieser s. Anm. 8) war er Vertreter des Chiliasmus (crassus) und der Wiederbringungslehre; (SHBL 5, 202–206; TRE 26, 248–254; Matthias, Petersen; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 44 Anm. 1, und Bd. 2, Brief Nr. 31 Anm. 1; zu der begründeten Änderung der Angabe des Todestages gegenüber den vorhergehenden Bänden s. M. Matthias, Wann starb Johann Wilhelm Petersen?, in: PuN 22 [1996], 230–233). – Zur Empfängerbestimmung: Es geht um Verdächtigungen, die in Lüneburg aufgekommen sind (Z. 1 f). Inhaltlich geht es die umstrittene Auferstehung der Märtyrer (Z. 12 f), in der Speners und Petersens Meinungen auseinandergingen. Petersen hatte schon früher betont, er wolle keine umstrittenen Themen auf die Kanzel bringen (vgl. Z. 14–16). Die Form des Grußes in Z. 38 f entspricht vollständig der Art, wie Spener Johanna Eleonora Petersen in anderen Briefen grüßen läßt. 2 Der Brief Petersens ist nicht überliefert. Der letzte Brief Speners an diesen stammt vom 21. 11. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116). 3 Vgl. die Ausführungen Johann Heinrich Horbs (zu diesem s. Brief Nr. 32 Anm. 1) in seinem Brief vom 19. 2. 1690 an Spener: „Im übrigen berichte, daß zu Lüneburg schwehre motus ent- standen zwischen Herrn S[uperintendenti] Petersen und dasigem Ministerio und sie ihn über 18 Puncten irriger Lehre beschuldigt, da er aber vorgegeben, er sey ihr Haupt und sie unter ihm und er deßwegen nicht schuldig, ihnen darüber Red und Antwort zu geben, haben sie die Sache an das Hamburgische und Lübeckische Ministerium gelangen laßen […].“ (Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 24). Vgl. auch Brief Nr. 19. – Zu der mit zwei Predigten Petersens begonnenen Auseinander- setzung s. Matthias, Petersen, 223–241. Nr. 26 an [Johann Wilhelm Petersen] 25. 2. 1690 119 motibus Lunaeburgi4 ortis gravissimis, et quod variorum a collegis errorum arguerere. Initio tantum de resurrectione martyrum5 a Te publice defensa nunciatum erat, quod iam omnino me percellebat; nunc accusationis capita aiunt plura, mihi tamen adhuc ignota. 5 Quam me res ea affligat, calamus hic nequit describere, Tu vero facile ae- stimabis cogitans, quam Te diligam, quam etiam diligam Ecclesiam nostram et veritatem, unde quid me laederet magis, quam si hanc violari, istam turbari Te in discrimen adduci audiam? Imprimis quo iure vel iniuria id fiat, cum ignarus sim. Novi Te a multis annis, amavi in te orthodoxiam et in fide con- 10 sensum, unde ne nunc quid mihi persuadeo, quod ab eo divortium feceris. De martyrum resurrectione nosti nos idem non sentire et a me Te rogatum, ne eam (si veram etiam crederes) professus publice lapidem offendiculi6 Tibi ipsi poneres; meministi etiam literis Te, cum mihi scriberes, professum Jesum crucifixum praedicare Te velle et aliis abstinere omnibus, quae quietem turba- 15 re possent7. Quae alia sint accusationis capita, adhuc nescio. Sed quaeso Te, ut diutius nesciam ne patiare, sed, quid obiiciatur, quid respondeas, me doceas, ne animus fluctuet meus, et ut habeam, quod dicam, si quis de Te obiiciat. Multo magis vero per vulnera JESU nostri Te obsecro, ut in regia via do­ ctrinae sanae perseveres, nec pietatis studio periculosissimum offensionis lapi- 20 dem ponas, qui futurus esset, si diceretur illud, qui urgent a veritate facile discedere. Cogita, quot res ea suspiria piorum eliceret, quot impiorum iubilos excitaret, quot infirmorum lapsus post se traheret! Ne, quaeso, conscientiam nostram onere isto insupportabili oneremus. Si vero, quod spero optoque, ab Evangelica Doctrina nostra in nullo seces- 25 sum fecisti, sensum tuum collegis vel quibuscunque aliis dilucide expone, et rationem eorum, quae doces, cuivis reddere ne tergiversare; uti meministi me nunquam refugisse cuivis rationem exposcenti sensus mei, eum candide ex- ponere; atque ita omni studio in id incumbe, ut innocentia patescat Tua, or- tique motus componantur quam celerrime. 30 Non Tibi deerunt preces nostrae non quotidianae solum, sed quotidie saepius repetitae, ut DEUS sapientiae et pacis impleat Te sapientia coelesti, ut et veritatem in omnibus agnoscas integram et eam prudenter tueare, illos vero, qui controversiam movere, amore pacis, ut Tecum in gratiam redire quam- primum studeant Ecclesiaeque suam restituant tranquillitatem. Ipse vero, qui 35 solus omnia potest, in hoc etiam negotio suae sapientiae et potentiae edat nova specimina, quae hic et in aeternum celebremus.

3 martyrum: cj ] mortuorum: D (konjiziert in Paralelle zu Z. 12). ​8 turbari: cj ] turbar: D.

4 Lüneburg. 5 Die – besondere – Auferstehung der Märtyrer nach Apk 20,4 (s. Brief Nr. 19 Anm. 6). 6 „Stein des Anstoßes“, sprichwörtlich (nach Jes 8,14). 7 Vgl. Speners Brief an Petersen vom 7. 2. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 19, Z. 37– 44), und im vorliegenden Band Brief Nr. 19 Anm. 9. 120 Briefe des Jahres 1690

Vale cum N.8 tua in DOMINO voto eius, qui multis cum gemitibus ista scribit et refocillari avet.

40 Die 25. Febr[uarii] 1690.

8 Johanna Eleonora Petersen geb. von Merlau (s. Brief Nr. 145 Anm. 1). Nr. 27 an Hermann von der Hardt 25. 2. 1690 121 27. An Hermann von der Hardt in Braunschweig1 Dresden, 25. Februar 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die verspätete Antwort. – Bespricht die Bemühungen von der Hardts um einen theologischen Grad in Kiel oder Jena. – Bestätigt die fromme Einstellung von [Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel] und würde sich freuen, ihn wieder einmal trefen zu können. – Fürchtet, daß er auf Grund seiner ungeklärten berufichen Situation in Dresden nicht nach Leipzig zur [Jubilate]messe kommen kann. – Berichtet von den bisher gescheiterten Versuchen, das Projekt einer Bibelerklärung anhand von Worten Luthers zum Abschluß zu bringen. – Bedankt sich für die Informationen zu [Wolfgang Anton] von Bülow. – Bezweifelt, daß [Jacob] Dornkrell [von Eberhertz] eine „Harmonia dogmatica“ zusammenstellen kann. – Bestätigt, daß [Caspar] Moller in Speners Haus wohnt. – Fragt, was von der Hardt von den durchs Land gehenden Gerüchten gehört habe, [Johann Wilhelm] Petersen sei von seinen Kollegen der Heterodoxie angeklagt worden. Überlieferung A: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, K 321.

Salutem a SALUTE IESU! Vir Praeclarissime et Praecellens, domine et amice in DOMINO dilectissime. Illi me scribere novi, qui et me amat et impedimenta mea novit adeoque tarditate non succenset, quamvis etiam praeter negotia alia fuerint, quae con- silium scribendi subinde iuberent differi2. 5 Nunc ad officium redeo. Chilonium3, ut ibi honores Theologicos accipias4, aliis adhuc praeferendum sentientibus calculum iterum meum non nego; sed ea conditione, quam ipse expressisti, si Vener[andus] D. Kortholtius5 fidem prius fecerit de admittenda petitione. Jenae6 D. Bayerus7 pientissimus haud dubie Tibi favet, de reliquis8 idem polliceri non ausim. Novimus huius secu- 10

1 Hermann von der Hardt (15. 11. 1660–28. 2. 1746), Kandidat der Theologie; geb. in Melle bei Osnabrück; zu dieser Zeit Begleiter und Sekretär von Rudolph August von Braunschweig- Wolfenbüttel , ab Pfngsten 1690 Professor in Helmstedt (DBA 473, 165–328; RGG4 1440; Nä- heres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 164 Anm. 1). 2 Spener beantwortet die beiden letzten Briefe von der Hardts vom 2. 1. und 23. 1. 1690 (LB Karlsruhe, K 331, Bl. 18r–19v und Bl. 92r–v). 3 Kiel. 4 Zu Bemühungen von der Hardts, in Kiel einen theologischen Grad zu erwerben, s. Speners letzten Brief an Hermann von der Hardt am 25. 11. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 117, Z. 1–34). Spener hatte abgeraten, dazu Helmstedt oder an einer der sächsischen Universitäten zu wählen. 5 Christian Kortholt, Theologieprofessor in Kiel (s. Brief Nr. 81 Anm. 1). 6 Jena. 7 Johann Wilhelm Baier, Theologieprofessor in Jena (s. Brief Nr. 13 Anm. 6). 8 Die Theologieprofessoren in Jena neben Baier waren Friedemann Bechmann (1628–1703) und Valentin Veltheim (1645–1700). Es ist zu beachten, daß Spener bei einer Beschreibung der 122 Briefe des Jahres 1690

li genium: quo alii pietatem animo ipsi complexi, sed certo schemate delinea- tam, si absque hoc compareat, apud alios zelo οὐ κατ’ ἐπίγνωσιν9 insectantur, alii male sibi conscii ex protervia eam impugnant. Unde difficile admodum est seriam pietatem ita colere, ut non varios in Te armes: imo quid dicam 15 difficile, cum impossibile sit. Serenissimi Ducis10 vestris pietas mihi semper in animo, et ob ea plurimum adhuc Ecclesiae inter homines polliceor eoque ardentius Patrem coelestem veneror, qui, quod in ipso caepit, opus sanctum, lumine quotidie novo caelitus affuso novaque virtute addita, porro perficiat11 eumque suae gloriae regnisque 20 sui commodo diu adhuc rebus humanis interesse iubeat. Ex hoc facile intelli- gis, quam ardenter commoditatem desiderem, praesenti iterum loquendi12, oblatam non arrepturus solum cupide, verum etiam, si mei essem, arbitrii ultro quaesiturus. Quod tamen certo de me pollicear circa nundinas Lipsienses13 non habeo. 25 Nosti aulae nostrae consilia in dies variantia, mihi vero sine licentia abire non licet, unde in antecessum nihil statuere possum. Inprimis quaedam prospicio circa illud tempus, quae me destineant, ut in tertium quartumve diem nihil de rebus meis14 decernere queam; ut iam de eo nihil dicam, quod dubium adhuc sit, conducatne (propter causas alias) me circa illud tempus Lipsiam accedere. 30 Praesenti rationes omnes ita explicaturus essem, ut validitatem agnosceres, quae tamen scribere non tam facile est. Unde qui in parte felicitatis positurus essem colloquium Principis ante alios illo nomine digni, qui a fortuna sua non tam decus capit, quam illi dat, spem eius facere mihi vix possum, licet ex illo ad res meas proprias ordinandas consilium mihi valde necessarium sperare 35 possem. Sed ea conditio est hominum alieno arbitrio obstrictorum, quae ita ferente divina voluntate ferenda est moderate. Quod Lutheranum nostrum concernit opus15, iam pene in eo erat, ut res

11 /certo/ : . ​ 18 qui < quo. ​ 20 sui < Tui. ​ 21 ardenter ] + <…?>. ​ 32 /qui a/ : . 38 Editor < Editus.

mittel‑ und norddeutschen theologischen Fakultäten von Jena – neben dem Mathematikprofessor Erhard Weigel und dem Professor für Logik Johann Andreas Schmidt – nur Johann Wilhelm Baier, sonst aber keinen Theologieprofessor nennt (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20, Z. 73–78). 9 Röm 10,2 (Luther 1545: „mit vnuerstand“). 10 Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel (s. Brief Nr. 101 Anm. 1). 11 Vgl. Phil 1,6. 12 Im Mai 1688 hatten sich der Herzog und Spener getrofen (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 47, Z. 27–31). 13 Die Jubilatemesse in Leipzig fand jeweils von Jubliate bis Cantate statt (E. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, Leipzig 1885, 17), die bevorstehende also vom 16. 4.–23. 4. 1690. 14 Die Frage nach einer Wegberufung Speners von Dresden nach seiner Auseinanderset- zung mit dem Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen im Frühjahr 1689 (ausführlich dazu in Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 32, Z. 73–132). 15 Das seit vielen Jahren projektierte Werk einer Bibelauslegung mit Hilfe von Texten aus dem Werk Martin Luthers (s. Brief Nr. 17; zum Interesse von Herzog August Rudolf von Braun- schweig-Wolfenbüttel an diesem Werk s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 98, Z. 91–113). Nr. 27 an Hermann von der Hardt 25. 2. 1690 123 confieret, cum novum obstaculum obiectum est. Editor, cum alius non repe- riretur, tandem Zunnerus16 Francofurtensis addixit operam, si 2000 imperia- les17 conquiri possent a fautoribus operis, quos praenumerarent, opere abso- 40 luto, quod intra annum, ut fieret, fidem suam obstricturus erat, exemplaria tot recepturi, quo summae isti aequivalerent, pretio tamen quam, quod alii nu- merarent, minori in singula exemplaria constituto. Iam hinc inde per exem- plarias quaesiturus eram, quot, qui hinc inde sunt, amici reperire possent, qui conditionem accepturi essent, ut post nundinas vernas18 excudendi fieret in- 45 itium, cum Norimberga19 adfertur, processum, qui de Heigelii20 (cuius in- stinctu et auspiciis opus ceptum erat) hereditate in curia Imperiali agebatur21, finem sortitum, et ius huius operis istius patruo, Pontificio22, per sententiam addictum. Scripsit ea de re ad me Norimberga23 mercator24, sed nostrae con- fessionis, cui praefatus heres opus hoc cesserat, atque sibi extradi petiit. Re- 50 spondi proxime25, quae inter B. Heigelium et nos initae sint, conditiones exposui addens pergratum fore, si, quod illae iubent, suis excudi sumtibus curet, addito tamen spem vanam fore, si lueri multum ex editione sibi prae- mitteret, cum hactenus, qui impensas faceret, Bibliopola inventus non sit, nisi conditionibus admodum favorabilibus. Expectandum, an mercator ille ius 55 operis nobis iterum cedere an aliud consilium capere velit: ex quo deinceps statuendum est, si vero idem nostro plane arbitrio, abdicata lueri spe, opus praemitteret, res tamen adhuc ardua, ut tantum aeris, qui conferant emtores, conquirerem. Ita vides, parturire nos fatum istum, sed partu difficili et eventu dubio: quo valde doleo laborem operi impensum non mediocrem, si non 60 intercedat, tamdiu tamen fructu suo carere: sed ut alia omnia, si, quae possim, tentavero, divinae providentiae a me comitti aequum est, iustum est26, pium est.

53 spem < spe ] + .

16 Johann David Zunner, der Jüngere (gest. 1704), Speners Hauptverleger; geb. in Frankfurt a. M., 1665 erstmals als Leiter des von seinem Vater aufgebauten und nach dessen Tod von der Mutter Maria Margarethe geb. Schmid, geführten Verlags erscheinend (A. Brauer, Buchhändler Johann David Zunner in Frankfurt a. M., in: Archiv für Gesch. des Buchwesens 9 [1969], 1619– 1624; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 5). 17 Reichstaler. 18 Frühjahrsmesse in Frankfurt; sie fand jeweils von Oculi bis Palmsamstag statt. Vermutlich ist die Frühjahrsmesse 1678 gemeint (3.–23. 3. 1678), weil J. Heigel im April 1677 gestorben war und Spener sich gleich darum bemühte, den Druck des Werkes beginnen zu lassen. 19 Nürnberg. 20 Johann Heigel, der Begründer des Werks (s. Brief Nr. 17 Anm. 7). 21 Zu dem Prozeß über die Erbschaft Heigels s. Brief Nr. Nr. 17, Z. 29–47. 22 Der gleichnamige Vetter Johann Heigel (s. Brief Nr. 17 Anm. 11). 23 Nürnberg. 24 Der Brief ist nicht überliefert und der Kaufmann konnte nicht ermittelt werden. 25 Brief Nr. 17. 26 „Aequum est, iustum est“ ist eine Herrscherakklamation, die bekannt ist aus: Historia Augu- stae, 21. Buch, 2.10 (E. Hohl [Hgg.], Scriptores historiae Augustae, Bd. 2, Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana, Stuttgart und Leipzig 1997, 59). 124 Briefe des Jahres 1690

Nobil[issimi] Bulovii27 quod exposuisti historiam, rem mihi fecisti praegra- 65 tam. DEUM rogo, qui, quod illi talentum concredidit28, porro servet, quae vero istius usui obstitere, e medio removeat purgetque, quod bonum est, ut posthac fructum ferme sit aptum. Qui alia ratione iuvare nequeo, coram throno gratiae29 non immemor futurus sum. Harmonia Dogmatica30 si ex Scriptura sacra concinnari posset, operam 70 crederem, quacum vix aliam conferem; sed a bono Dornkrellio31 talem con- cinnatum iri, quae spei respondeat, valde dubito. Mollerum32 nostrum mecum iam habitare noveris, cupio, ut ex usu ipsius sit; certe mea non defutura est ipsi dilectio. Quis vero ingratus admodum rumor allapsus est auribus nostris de nostro 75 Ven[erando] Petersenio33 de heterodoxia et aliis a collegis accusato? Dicere non possum, quam res illa me affligat eo magis, qui, quae credam vel ficta reputem, non habeo, unde nec aliud possum, quam ut Caelestem Patrem in- vocem, qui Ecclesiam scandalis turbari et pietatis ausum ista etiam ratione susflaminari ne patiatur. 80 Huius gratiae commissus vale et Serenissimo Principi etiam meorum voto- rum interpres esse dignare. Scrib. propere, Dresdae 25. Febr. 1690. Clariss. T. Virtutum studiosissimus et ad preces et ofca paratissimus P. J. Spenerus, D. 85 Mppria.

70 crederem < credo.

27 Wolfgang Anton von Bülow; er hatte Spener angeschrieben, so daß dieser sich nach ihm erkundigt hatte (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 117, Z. 62–66 mit Anm. 27). In seinem Brief vom 2. 1. 1690 (LB Karlsruhe K 331, Bl. 19r–v) berichtet von der Hardt über das Schicksal von Bülows, daß dieser seine Stelle als Diaconus in Dannenberg verlassen habe und nun eine neue Aufgabe suche. 28 Vgl. Mt 18,23–35. 29 Biblische Bezeichnung für den Thron Gottes (vgl. Ex 25,17–22; 26,34 u. ö.; vgl. Hebr 9,5). 30 Hermann von der Hardt berichtet in seinem Brief vom 2. 1. 1690 vom Besuch Dornkrells (zu diesem s. Anm. 31), der um Unterstützung für die geplante „Harmonia“ bei Herzog Rudolf August bat und ihm in diesem Zusammenhang Probeseiten des Werks vorlegte. Der Herzog hielt die Probe für noch nicht druckreif. Schon vorher hatte Dornkrell veröfentlicht: „Biblia et historico-harmonica & dogmatico-parallela, Lüneburg: J. Stern 1688“. Ein weiteres, sich verstärkt um die Dogmatik bemühendes Werk scheint nicht erschienen zu sein. 31 Jacob Dornkrell von Eberhertz (23. 8. 1643–25. 10. 1704), lutherischer Theologe, Druckerei- besitzer in Lüneburg; geb. in Lüneburg, nach dem Studium in Kiel und Helmstedt 1668 Pastor in Oldenstedt bei Uelzen, 1684 Druckereibesitzer in Lüneburg, 1690 Propst in Gultzow/ Hinter- pommern, nach einem Jahr Abdankung, dann Privatmann in Hamburg (Jöcher 2, 195–196; Benzing, Buchdrucker, 305; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 22 Anm. 1). 32 Caspar Möller, seit Jahreswechsel 1689/90 Famulus bei Spener, Korrespondent Hermann von der Hardts; in den engen Zirkel der jungen Pietisten in Leipzig gehörend (s. Brief Nr. 73 Anm. 4). 33 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1); zu dem Heterodoxievorwurf s. dort und in Brief Nr. 19, Z. 1–6. Nr. 27 an Hermann von der Hardt 25. 2. 1690 125

Herrn, Herrn Hermann von der Hardt, SS. Theol. Candidato, in Braun- schweig in dem grauen Hooff 34. Praes. d. 28. Febr. A. 90.

34 Der Stadthof, der im Mittelalter von Zisterziensermönchen bewohnt war, nach deren Kleidung er seinen Namen erhielt; bis zur Erbauung des Schlosses seit 1718, auf das der Name übertragen wurde, wohnte der Herzog bei seinen Aufenthalten in Braunschweig hier. 126 Briefe des Jahres 1690 28. An [Daniel Hartnack in Altona]1 Dresden, 1. März 1690

Inhalt Freut sich, daß sein Brief positiv aufgenommen wurde. – Betont seinen friedfertigen Charak- ter. – Beklagt die Ketzermacherei mancher Zeitgenossen und ist nicht geneigt, Verdächtigungen allzuschnell Glauben zu schenken. Bestätigt damit, daß er in dieser Sache gleich denkt wie Hartnack. – Weist die Anklage, er setze die Konkordienformel herab, als unbegründet zurück und verweist auf seine Ordination in Straßburg und die Amtseinführung in Frankfurt. – Erinnert an die Gewissen derer, die sich dadurch auf menschliche Schriften verpfichtet sehen, und beklagt den Mißbrauch der Verpfichtung auf die Bekenntnisschriften. Betont, daß nach ihrer Maßgabe gelehrt werden soll, sie sind aber nicht den göttlichen Büchern gleichzusetzen. – Weist zurück, daß er sich von der wahren Theologie der Bekenntnisschriften und seiner Lehrer verabschiedet habe, und bekämpft die sich einschleichende scholastische Theologie mit dem Hinweis auf die biblische und apostolische Einfachheit. – Bestreitet den Vorwurf, er verstehe den Recht- fertigungsartikel nicht; bezweifelt, daß alle diejenigen, die ihn der Form nach richtig vortragen, ihn richtig verstanden haben, um ihn der Gemeinde erklären zu können. – Wer aus der Vorrede zu seiner „Allgemeinen Gottesgelehrtheit“ entnimmt, alle Theologen seien nur Philosophen, die sich mit göttlichen Dingen beschäftigen, können selbst nicht fromm genannt werden. – Weiß nichts davon, daß dem Dresdner Oberkonsistorium schon etwas von Privatzusammenkünften überbracht worden sei; Franckes Veranstaltungen können nicht dazu gerechnet werden, weil es sich um philologische Kollegs handelt; gesteht, daß sie der gewöhnlichen Weise der Theologen und Philosophen nicht entsprechen; aus den Inquisitionsakten konnte kein Abweichen von der göttlichen Wahrheit entnommen werden. – Betont, daß seine Lehre über die christliche Vollkommenheit vollständig der Bibel und den symbolischen Büchern entspricht; wie anderen Gelehrten in der Kirche in den letzten beiden Jahrhunderten werden ihm fremde Lehren von Feinden unterschoben. – Empfehlt, seine Bücher zu lesen, auch wenn dies von anderen abge- raten wird; bei anstößigen Stellen sei er eher zu mahnen, als daß man seine Schriften beiseite legt. – Vermag nicht zu glauben, daß sich die Verbindung zu Hartnack löst, wenn dieser die „Katechismuspredigten“ gelesen hat. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 703–706.

Acceptis perlectisque Tuis2 fuit, de quo gauderem, quod viderem e medio tolli, quod animos, illud nisi fieret, alienores a se invicem reddere valuisset, unde nec me literarum ad Te datarum3 poenitet, nec dati aut accepti respon- si utrumque poenitere debet. Subministrasti enim mihi, quod calumniae, si 5 illa pergat, opponam, et vicissim ea in sinum effudisti meum, circa quae meum renudare animum mihi volupe est, nec Tibi forte erit ingratum.

1 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Spener weist auf seine Katechismuspredigten, die er in Brief Nr. 20, Z. 72 f, Hartnack zu schicken versprochen hatte. 2 Der Brief Hartnacks, der auf Speners Brief vom 10. 2. 1690 (Brief Nr. 20) antwortete. 3 Brief Nr. 20. Nr. 28 an [Daniel Hartnack] 1. 3. 1690 127

Quod vero ipse, Venerande Vir, de indole et animi tui habitu testaris, eo magis me delectavit, quod iisdem studiis ferri nos apparet et de vitae ratione eodem sensu tenemur. Nam, absit iactantia dicto, natura ego etiam quietis amans, a contendendi libidine natura abhorreo, adeo ut multa sufferre, quam 10 in pugnam proruere malim, imo si pietas et iustitia hanc exigant, aliquam vim mihi inferre ad concipiendum vehementiorem affectum necesse habeam. Nec hoc mihi a quoquam candido arbitro testimonium negatum iri confido, quod decenti animi aequitate in omni vita mea erga omnes, quibuscum res mihi est, utar; inprimis ubi iudicandum est, sententia mea semper in mitiorem propen- 15 debit partem, omnes lubentissime et cum gaudio absolutura, quos non ipsa iustitia et manifestus reatus condemnat. Unde memini non semel mihi vitio datum, quod benignius sentiam de iis, quos alii sententia duriori excipiebant, cuius tamen mihi nondum perspecta fuerat iustitia aut necessitas; semper enim mihi in mente, quae Lutherus4 noster in explicatione praecepti octavi in te- 20 neris annis me docuit, decere nos, ut proximum excusemus, bene de eo sen- tiamus et loquamur et omnia in meliorem partem accipiamus et interprete- mur5. Et quoties dolui, imo conquestus sum, de nonnullorum longe diverso sensu, qui iudicandi sequius aliquo pruritu quosvis, quibuscum forte non satis 25 convenit, heterodoxiae postulare amant, licet confessiones Ecclesiarum6 sub- scriptione sua probarint et vel latum unguem ab illis discessisse nulla idonea ratione convinci possint, nisi pro ratione valere debeant vanae suspiciones et verborum detorsione fundatae coniecturae? Quod cacoëthes ex illis est, quae cane peius et angue7 odi et saepius ingemui, si eius exempla videre necesse 30 fuit. Praeterea quod de Te pariter testaris, mihi omni iure itidem vindico, vi- delicet ad concipiendas suspiciones me non pronum esse; imo tam tardus sum, ut pariter non defuerint, qui aegre nonnunquam ferrent, suas mihi suspiciones de aliis, quas satis fundatas credebant, si mihi persuadere non possent. Ea ergo inter nos animorum cum sit similitudo, tanto facilius et coalescere potest et 35 servari amicitia interior et arctior, in cuius officiis praestandis me, si illa pro- bentur, non segnem exhibebo. Caeterum de Te mihi allata, quae vanitatis arguis, non adeo mirabere, si expendas, quae Tibi de me obiecta testaris et pudendos tetrae calumniae foetus esse ex iis, quae iam exponam, intelliges. Auctoritatem Formulae Con- 40 cordiae8 a me elevari qui dixere primi, sine fronte locuti sunt. Subscripsi illi,

4 Martin Luther (1483–1546). 5 Martin Luther, Kleiner Katechismus, Erklärung zum 8. Gebot (BSLK 509.19–24). 6 Die Bekenntnisse der lutherischen Kirche (BSLK). 7 Lat. Redewendung (Horaz, Epistulae 1,17,30; s. Otto, Sprichwörter, 69). 8 Die Formula Concordiae (Konkordienformel), eine der bedeutendsten Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche (BLSK 735–1100). Die Bedeutung der Bekenntnisschriften und der Eid, der bei Ordination auf diese zu leisten war, wurden gerade zu dieser Zeit in Leipzig behandelt, wie eine unter dem Vorsitz von Valentin Alberti am 14. 7. 1690 durchgeführte Disputation zeigt: An- dreas Elers, Dissertatio theologica, de praestando categorice in Libros symbolicos Juramento, Oder: 128 Briefe des Jahres 1690

cum Argentorati9 manus mihi imponeret10 . B. D Dannhauerus11; quos ego integro vicenni Francofurti12 per χειροθεσίαν13 sacris initiavi, ad eam ob- strinxi; denuo me fidem ei, cum huc venissem, obligasse, etiam cum taceo, 45 nosti. Symbolicorum librorum necessitatem ob ortos errores Ecclesiae non im- positam fuisse praeoptarem equidem, qui novi conscientias teneras, quibus valde durum videtur fidem suam ulli scripto humano, licet nil nisi vera con- tinenti, obstringere, qui etiam abusum istorum non semel vidi; postquam vero 50 illi Ecclesiae facti necessarii et consensu communi recepti, medium servatae unitatis haud quaquam aspernor, sed illam auctoritatem ipsis tribuo, qua prohibeantur Doctores contra illos docere. Ut tamen divinis libris exaequem vel fidem ipsis propter humanam meram autoritatem, quam tamen solum ob contentam divinam veritatem merentur, tribuam, nec ipsi illi paterentur, θεό­ 55 πνευστα14 oracula Symbolis omnibus cuiuscunque ordinis longe praeferen- tes. Non veriora prodidit, qui a me nostram Theologiam quasi minime veram proscindi atque traduci primus commentus est. Nam Theologiam nostram si non esse veram prodam, meam ipse damnavero Theologiam, quae ne in uno 60 quidem articulo a Theologia Praeceptorum recedit, cuius ante oculos Eccle- siae testes sunt, quoscunque hactenus edidi libros, in methodo tamen tractan- di me non semel reprehendisse illorum pruritum, qui ab aliquo tempore paulatim Scholasticam Theologiam vel docendi modum introducere visi sunt, insuper habita veterum nostrorum tractandi ratione, quae Biblicae Theologiae 65 et Apostolicae simplicitati propior fuerat, haud nego, sed nec unus nec primus eius querelae Autor15. Theologis etiam a me imputatum fuisse quod articulum iustificationis non intelligant, eiusdem furfuris est ἔγκλημα16. Qui sacras callent literas nostrosque Symbolicos intelligunt libros, quod de Theologiae Doctoribus omnino mihi 70 promitto, non possunt non capitalem illum articulum intelligere; sed et qui sacris coetibus praesunt, hunc ante omnes alios illis proponere necesse habent, qui possent vero ipsius ignari? An vero omnes, qui etiam consuetas in ore

Erörterung der Frage: Ob ein jeder / der in das Predig=Amt​ treten will / vorhero nothwendig und categorice auch auf die Symbolischen Bücher schweren müsse? (hg. Jena 1722). 9 Straßburg. 10 Handaufegung bei der Ordination. 11 Johann Conrad Dannhauer, theologischer Lehrer Speners (Brief Nr. 13 Anm. 11), der in seiner Funktion als Straßburger Kirchenpräsident (s. Wallmann, Spener, 102) Spener zu or- dinieren hatte. 12 Frankfurt a. M. 13 Handaufegung. 14 Von Gott inspiriert, eingehaucht. 15 Zu der Kritik an der scholastischen Theologie und der Betonung der Hinwendung zur bib- lischen Theologie s. PD 25,15–26,9 (Spener, Pia Desideria 1676, S. 30; s. a. „De Impedimentis“, Cons. 1, 213) mit Hinweisen auf andere Theologen (Jakob Weller von Molsdorf; Christoph Zeller). 16 Vorwurf. Nr. 28 an [Daniel Hartnack] 1. 3. 1690 129 formulas habent, earum virtutem et sensum capiant, iusta mihi est dubitatio, nec defuere, qui mihi ipsi faterentur, veram iustificationis rationem se non nisi, postquam pluribus iam annis in ministerio vixissent, recte inspexisse, licet 75 clare inprimis in Symbolicis nostris libris proditam, mirati deinceps ea se fugis- se, quae ante oculos erant, sed non attendebantur; inprimis cum ex iis articu- lis ille sit, qui praxin respicit, et vix recte nisi hac accedente discatur. De hoc non semel conquestus sum, ex illis, qui examini nostro se stitere candidatis Ministerii17 magnam partem suam in illo inprimis articulo (in quo omnes 80 tento) ignorantiam prodidisse, cum consuetas formulas recitare gnari, de sensu ipso porro interrogati, sensum prodiderint a symbolis nostris scriptisque divinis adeoque Ecclesiae doctrina publica, revera alienum, rarius etiam or- thodoxiam nostram ex divinis oraculis ad convictionem conscientiae demon- strare periti. 85 Theologos nostros de rebus divinis philosophari, si dixisse ferar, ab eo forte ortum traxit, quod in libello meo (Gottesgelehrtheit18) hactenus certe non unius Theologi elogio praedicato19, verum Theologum non alium agnosco, quam qui etiam divini Spiritus sit officina20 veramque Theologiam cum Praeceptore meo21 lumen coeleste in oculo spirituali, puro, illuminabili, de- 90 voto, renato definio22, Theologiam vero Viri non regeniti vel carni servientis Philosophiam potius aliquam de rebus divinis, quam veram Theologiam ex- istimo dicendam. Qui vero omnes Theologos tantum philosophari criminetur, omnes eos carnales et pietate vacuos pronunciaret, seu potius qui ex meo illo effato sibi tantum Philosophiae titulum relinqui, quererentur, se pios esse ipsi 95 negarent. De conventiculis privatis in contemtum Ministerii institutis ad Synedrium nostrum23 nihil adhuc delatum esse novi; si vero M. Franci24 Lipsiae institutae Scholae indigitentur, privata conventicula haberi non possunt25, cum Philo-

17 Spener hatte die Kandidaten, die sich für ein Amt in der kursächsischen Kirche bewarben, zu examinieren. Zu der Klage, viele hätten die Lehre von der Rechtfertigung nicht verstanden, s. etwa auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 92, Z. 122–128 u. ö. 18 Spener, Allgemeine Gottesgelehrtheit. 19 Zeugnisse für die positive Aufnahme der „Gottesgelehrtheit“ fnden sich in: Frankfurter Briefe, Bd. 4, Briefe Nr. 131, Z. 87 f, Nr. 134, Z. 27 f, Nr. 152, Z. 44–46, Nr. 166, Z. 1–3, Nr. 181, Z. 41–43, Nr. 195, Z. 29–32, und Bd. 5, Briefe Nr. 42, Z. 1 f, und Nr. 52, Z. 66 f. 20 Ein häufg bei Spener vorkommendes Bild für Christen, insbesondere Theologen (Spener, Allgemeine Gottesgelehrtheit, Zuschrift an Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel [Spener, Studienausgabe 2, 31.11]; Spener, De Impedimentis, Cons.1, 207; Brief Nr. 48, Z. 14). 21 Johann Conrad Dannhauer (s. Anm. 11). 22 Spener, Allgemeine Gottesgelehrtheit, S. 194 [Spener, Studienausgabe I/2, 132.27 f]. Dort zitiert er Dannhauer, Hodosophia christiana (1666), Prooemium, S. 10 (Ausgabe von 1649: S. 4): „Hodosophia Sacra, seu Theologia nostras [sic! In allen Ausgaben] est lumen constans, coeleste, efcax, in oculo spirituali, puro, illuminabili, quod hominem coelo exulem ad patriae coelestis beatitudinem ductu suavi reducit.“ 23 Das sächsische Oberkonsistorium in Dresden (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 24 August Hermann Francke (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 25 Zu den von Francke und seinen Freunden durchgeführten Veranstaltungen, die zu den Leipziger pietistischen Unruhen führten, s. Brief Nr. 16, Z. 113–133. 130 Briefe des Jahres 1690

100 logica collegia ex libris etiam sacris eousque Lipsiae Magistris licita fuisse testentur plerique, licet non negem Theologorum et Philosophorum ordini- bus non satis convenire de terminis utriusque circa eam rem. Eundem et alios amicos ipsius a me amari si negem, veritatem laesero; nec possum aliter quam amare, nisi a veritate divina recessisse demonstretur, quod ex actis inquisitio- 105 nis26 solicite a me perlectis nondum deprehendi. Ita ex iis, quos in pretio habeo, neminem novi, qui aliud lumen iactaret, quam ex Scriptura sacra, in pia mente accensum, nec aliam perfectionem, quam quae omnium verorum Christianorum est, aut ex horum numero adultorum, satis enim pervulgatum est, Spiritum S. νηπίους27 et τελείους28 distinguere29. 110 Quae autem mea de perfectione Christiana sit sententia, effatis divinis atque Ecclesiae nostrae symbolis plane conformis, non semel publice professus sum30, unde facili negotio colligi potest, quam ego probem vel improbem. Si vero ad me provocent, a doctrina mea alieni, non mea illa culpa est, sed for- tuna cum pluribus Ecclesiae doctoribus et huius aevi et superiorum tempo- 115 rum mihi communis, cum nunquam defuerint, ad quos provocarent etiam publici hostes, multo magis ἰδιογνώμονες31 alii. Unde imputari mihi nequit, si quis alius erret, cuius ego errori non participo. Ad oculum ita ostensum agnosces, Vir Excellentissime, quam fidem me- reantur, famae ἀδεσπότου32 commenta, et quod in hoc antiquum ista obtinu- 120 erit. Illud unum Te non scribere maluissem, quod adhibito consilio a lectione librorum meorum abstinueris. Cum enim nemini illos legendos obtrudam, et eorum sectione optima cum pace mea abstineant doctiores nihil nempe in iis inventuri, ex quo eruditio proficeret, hoc tamen aegre me habere posset, si quis consilio abstineat; quoad consilium vix alio fundamento quam, quod 125 suspicione mea non vacent, niti potest. Hanc a me non promeritam, confiden- ter assero. Et si, quae fuit suspicio, Theologorum potius fuerit, tanquam in specula positorum mea eo diligentius evolvere et, si impegissem me monere quam ea causa e manibus deponere. Sed et hoc obstare mihi non patiar, quo minus coniunctiores vivamus, in- 130 primis cum confidam inspectis, ut recepisti, Catecheticis meis Te agniturum, alium me longe esse, quam faciem meam non nulli pinxerint. Vale in DOMINO, et causam huius semper strenue atque feliciter age. Ipsis Kal. Mart[ii] 1690.

26 Zu den Akten über die Befragung der Beteiligten an den Leipziger pietistischen Unruhen s. Brief Nr. 16 Anm. 42. 27 Die Kindlichen. 28 Die Vollkommenen. 29 Vgl. 1Kor 13,10 f. 30 Ausführlich in der Vorrede Speners „De perfectione christiana“ vom 21. 8. 1688 zu Köpke, Dialogus (Näheres s. Brief Nr. 22 Anm. 7); vgl. auch Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, S. 518, 843. 31 Gleichgesinnte. 32 Ohne Herrn, herrenlos. Nr. 29 an Paul Anton 18. 3. 1690 131 29. An Paul Anton in Rochlitz1 Dresden, 18. März 1690

Inhalt Fragt nach, ob Anton und seine Frau jeweils Collegia pietatis für Manner bzw. Frauen abhalten. Warnt vor Maßnahmen, die die Möglichkeit für Angrife bieten. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 81, S. 39–41.

Den Herrn JESUM zum Licht, Rath, Trost, Schild und Seegen! In demselben hertzlich geliebter Herr und Freund. Mein letztes2 hofe durch Herrn Zißlern3 wol geliefert zu seyn, hingegen habe das vorige noch nicht erhalten4. Es lauft ein Gerücht ein, daß derselbe ein Collegium mit Männern und 5 seine Liebste5 mit Weibern halte, davon hart geredet wird. Bitte, mich bald zu berichten, was solcher falschen famae mag Anlaß gegeben haben, und da sonderlich jetzt alles in Harnisch gejaget6, sich auch vor erlaubten Dingen, die annoch einen Schein des bösen haben, zu hüten7. Der HERR gebe uns allen die wahre klugheit der gerechten8, zu erkennen, was zu jederzeit und jedes 10

3 letztes: cj ] letzes: K.

1 Paul Anton (12. 2. 1661–19. 10. 1730), Superintendent in Rochlitz; geb. in Hirschfeld/ Oberlausitz, nach dem Studium in Leipzig 1687 Reiseprediger des kursächsischen Prinzen Friedrich August, 1690 Superintendent in Rochlitz, 1695 Theologieprofessor in Halle a.S. (DBA 28, 242–258; PfKPS 1, 128; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23 Anm. 1; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 68 Anm. 1). 2 Der letzte bekannte Brief Speners an Paul Anton ist vom 1. 10. 1689 datiert (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 100). 3 Daniel Otto Ziesler (Francke-Briefwechsel, Nr. 8 Anm. 5). – Spener berichtet am 11. 3. 1690 an Adam Rechenberg, Ziesler sei in diesen Tagen bei ihm in Dresden gewesen und werde dem- nächst nach Leipzig zurückkehren (Ad Rech 1, Bl. 432r). 4 Der letzte Brief Antons an Spener, auf den Spener schon am 11. 3. 1690 wartet, denn er bittet Adam Rechenberg, Mag. Lindner nach den Briefen zu fragen, die dieser von Paul Anton anvertraut bekommen habe und die nicht in Fremde Hände geraten sollen (Ad Rech 1, Bl. 430r). 5 Johanna Elisabeth Anton geb. Olearius (get. 162.1669–15. 5. 1738), Tochter des Leipziger Theologieprofessors Johannes Olearius, verheiratet mit Paul Anton seit dem 19. 11. 1689 (Th. Schmotz, Die Leipziger Professorenfamilien im 17. und 18. Jahrhundert, Leipzig und Stuttgart 2012, 417). 6 Sprichwörtlich im Sinne von „im Kampf sein“ (vgl. DWB 10, 489). 7 Vgl. die ähnliche, abwägende Haltung zu Konventikeln in Brief Nr. 15. 8 Lk 1,17. 132 Briefe des Jahres 1690

Orts das verträglichste seye, bewahre uns auch vor falscher Brüder9 arglistiger Untreue. In deßen Heilige Obhut und Regierung mit ihrem lieben hause erlaßende verbleibe

15 Meines wehrtesten Bruders zu Gebet und hertzlicher Liebe verbundener Philipp Jacob Spener D. Mppria. Dreßden, den 18. Mart[ius] 1690. Dem HochwohlEhrwürdigen, Großachtbaren und Hochgelahrten, Herren 20 Paulo Antonio, S[acro]S[anc]tae Theol[ogiae] Licentiato, treueyfrigen Pasto- ren und Superintendenten zu Rochlitz. Meinem insonders hochgeehrten Herrn und in dem HERRN geliebten Bruder. Rochlitz.

9 Vgl. Gal 2,4. Nr. 30 an Anna Elisabeth Kißner 18. 3. 1690 133 30. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 18. März 1690

Inhalt Berichtet vertraulich von der Entwicklung der Auseinandersetzung um [August Hermann] Francke in Leipzig und der dortigen pietistischen Bewegung. – Bespricht Informationen zur Familie von Anna Elisabeth Kißner, [Johann Peter] Schefer, einer Spende aus Chemnitz, [Jo- hann] Gulde, beklagt die Gefahr, in die sich [Johann Wilhelm] Petersen in Lüneburg begeben hat und freut sich darüber, daß die Probleme [Johann Heinrich] Jungs in Laubach überwunden zu sein scheinen. – Berichtet von der erneuten Kontaktaufnahme [Michael] Püchlers und bittet, daß ihm aus Frankfurt geschrieben werde, sich nicht weiter an Spener zu wenden. – Fragt nach den Hinterbliebenen des kürzlich verstorbenen [Ludwig] Brunnquell. – Kann noch nicht das Ende des Streites in Hinterpommern berichten, in den [Christoph Philipp] Zeiß verwickelt wurde. – [P. S.:] Bedankt sich für die Übersendung des Psalters von [Adam] Reißner und läßt Freunde grüßen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 356–363.

GÖTTLICHE Gnade, Heil, Rath, Trost und Leben in unserm liebsten Heiland JESU CHRISTO dem gecreutzigten! In demselben hertzlich geliebte Schwester und Frau. Ob mein letztes an dieselbe2 bereits eine Antwort gewesen auf das von dem 15. Jan.3, entsinne mich nicht mehr. Dieses schreibe, meinen Kummer ver- 5 traulich in derselben hertz auszuschütten. Sie weiß, daß mit H. M. Francken4 Sache in Leipzig es so abgegangen, daß durch die inquisition nichts wieder ihn ist aufgebracht worden5; solches verdroß aber diejenige, so ihn gern schuldig gehabt; und weil er eine ziemlich freye verantwortung gegen diese eingegeben6, wurden sie sovielmehr erbittert. In deßen gab Gott Gnade, daß 10 nicht allein die Studiosi immer sich stärckten in ihrem guten Anfang, sondern auch viele bürger derselben conversation suchten und eine starcke anzahl mannes‑ und weibesPersonen sehr kräftig gerühret worden, einen neuen

1 Anna Elisabeth Kißner, Frankfurter Arztwitwe (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 5–18. 33–37. 60–75) in: Nebe, Dresdner Briefe, 292 f. 2 Brief Nr. 11. 3 Nicht überliefert; vgl. aber Speners Antwort darauf am 23. 1. 1690 (Brief Nr. 11, Z. 90–99). 4 August Hermann Francke, Magister, derzeit auf seiner Reise nach Lübeck (Brief Nr. 16 Anm. 32). 5 Francke war am 10. 10. 1689 verhört worden; es konnte ihm keine Heterodoxie nachgewiesen werden. Das Verhörprotokoll ist publiziert in: Francke, Streitschriften, 14 f, 56–70. 6 Die Apologie Franckes, die er nach Einsicht in die Protokolle seines Verhörs am 7. 11. 1689 verfaßt und an den sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. (zu diesem s. Brief Nr. 1 Anm. 1) gerichtet hatte (Francke, Streitschriften, 82–111). 134 Briefe des Jahres 1690

vorsatz zu faßen und denselben ins werck zu setzen7, wie aber wir zu der zeit 15 des Göttlichen gerichts leben, da das Gute seine hindernüßen haben muß und sich oft daßelbe selbst machet, so wirds auch hier gegangen seyn. Wie denn hinderbracht wird, daß starcke versamlungen gehalten werden und sich eini- ge angeben, alß die unterschiedliche irrige dinge gehöret haben wollen; wie mich dergleichen schmertzen müße, lasse sie selbst ermeßen, der ichs als eine 20 gelegenheit ansehe einer neuen verstöhrung des guten; nechstdem daß ich auch allezeit mit eingefochten werde8 und darüber meine leiden und große gefahr habe. Nun, der Herr weiß, daß ich die Ehre seines Nahmens und be- förderung seines Reichs hertzlich suche und verlange; er gebe allezeit die weißheit mir und andern, daß wir weder seinem willen verlaufen9 noch zu- 25 rücke bleiben; so die kindliche gelaßenheit mit ruhiger Seelen beyderley anzunehmen, ob er das intendirte gute so und so fortgehen oder gehemmet werden, und was er vor leiden über uns verhengen wolte; nur daß wir allezeit die versicherung haben, daß sie von ihm seye; sie wird auch mit christlichem hertzen dieses anliegens vor dem Herrn gedencken und mit ihrem seuftzen 30 die unsrige bestärcken. Es ist gewiß die Macht des Satans groß und sein Grimm heftig, vielleicht weil er nicht mehr viel zeit vor sich siehet. Gott aber sey danck, daß wir einen wißen, der mächtiger als er ist, auf welchen unsere hofnung stehet. Dabey bin ich versichert, man dämpfe, wie man wolle, so sind viele Seelen so gerührt, daß das gute bey ihnen sich nicht wird aus- 35 wurtzeln laßen. Aber große versammlungen billiche ich selbst nicht10, wie wir ohne das in der zeit der zerstreuung leben, da meistens in der Stille das gute wachsen muß. Ihres gel. H. Bruders, wie auch gantzen haußes anliegens kann sie sich auch gewiß versichern, das ich treulich gedencke, der HErr zeige in allem seinen 40 willen, und erfülle ihn an ihnen11. Ob H. Schäfer12 noch nach Leipzig kommen wird, erwarte, wird alsdenn den augenschein selbst einnehmen können. Den nach Chemnitz gehörigen

7 Gottlieb Benjamin Gleiner listet in seinem Brief an 6./7. 9. 1689 an Caspar Möller (zu diesem s. Brief Nr. 27 Anm. 32) eine Reihe von Magistern auf, die mit Francke in einem Geist verbunden waren (s. auch die Liste von Namen in: Francke, Streitschriften, 9). Francke schreibt in seinem Brief vom 27. 7. 1689 an seinen ehemaligen Gastgeber in Hamburg Heinrich Berckau von zehn bis elf Bürgern, die sich zu seinen Veranstaltungen einfänden (LB Karlsruhe, K 319, VI). Im Verlauf des März 1690 wurden Leipziger Studenten und Bürger zu den Pietisten und ihrem Verhältnis zu diesen befragt (SächsHStA Dresden, Loc 10329). 8 Spener galt als geistiger Vater der pietistischen Bewegung (s. Brief Nr. 16, Z. 139 f). 9 Im Sinne von „trennen“, „abfallen“ (DWB 25, 740). 10 Vgl. Brief Nr. 15, Z. 14–21. 11 Conrad Hieronymus Eberhard, Arzt in Frankfurt a. M., der sich nach einer geeigneten Frau umschaute (s. Brief Nr. 11 , Z. 97–100, mit Anm. 50). 12 Johann Peter Schefer, Informator und Reisebegleiter der Solms-Laubachischen Grafensöhne (s. Brief Nr. 11 Anm. 3). Nr. 30 an Anna Elisabeth Kißner 18. 3. 1690 135

Schein13 und anderes habe zu recht14 erhalten und erstatte schuldigen danck vor alle gehabte Mühe; dörfte wol kürtzlich wiederum etwas übermachen. Wie es H. D. Gulden15 hinderlaßenen Kindern gehe, möchte vernehmen, 45 sonderlich wo unsere Götgen16 ist. Bey H. Micheln bin mit Göttlichem willen zufrieden, obwol zuletzt wegen der ungemeinen anhaltung der Wiß- marischen Stadt in zweifel gerathen war. Der Herr hat seine heiligen Ursa- chen, warum ers zu diesem Ausgang gerichtet, der wird auch den gehorsam segnen17. 50 Wie unser lieber H. D. Petersen18 in Lüneburg auch in großer Gefahr stehe und das gantze ministerium biß auf einen19 wieder sich habe, als die ihn fal- scher Lehre beschuldigen, wird anders her bekannt worden seyn. Der HErr bewahre vor allem ärgerniß und führe die seinige allezeit auf richtiger Bahn. Indem der Satan uns so nachstellet, daß, wo jene Hand uns nicht leitete, wir 55 ohne zweifel selbst abweichen würden. Daß mit H. Jungio20 alles wieder in gutem Standte, freuet mich hertzlich. Gott laße es nicht nur so bleiben, sondern, was vorhin gefehlet worden, selbst zur beförderung neues guten gereichen. Nechst dem habe noch eine freundliche bitte: Sie weiß, daß H. Pichler21 60 zu Regenspurg von 1 ½ Jahren mit dem ministerio daselbst in disputat gera- then wegen J[akob] Böhmen22, da ihm auch eine confession vorgeschrieben worden, welche er mit gutem gewißen nicht zu unterschreiben getrauete.

13 Die Quittung über eine Spende, die Spener im Zusammenhang seiner Investiturpredigt im August 1689 für Menschen aus Worms erhalten hatte, die bei der Zerstörung der Stadt durch fran- zösische Truppen ihre Habe verloren hatten (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111, Z. 19–39). 14 Im Sinne von „ordnungsgemäß“ (DWB 14, 394). 15 Vermutlich Johann Guldte (s. Brief Nr. 11 Anm. 71). 16 Patenkind (DWB 8, 990). 17 Martin Michael(is), Rektor in Darmstadt; zu diesem und seiner Suche nach einer geeig- neten Arbeitsstelle, nachdem er in Worms seine Lebensgrundlage verloren hatte, s. Brief Nr. 11, Z. 106–129, mit Anm. 53 f u. 58 f. 18 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). Zu dessen Auseinandersetzungen mit dem dortigen Predigerministerium und dem Vorwurf der Heterodoxie s. Briefe Nr. 19, 26, 27, Z. 74–79, u. ö. 19 Matthias Metzendorf (gest. 29. 3. 1698), Pfarrer in Lüneburg, geb. in Göttingen; Rektor in Göttingen und Uelzen, 1689 dritter Pfarrer an St. Lamberti in Lüneburg, 1693 dritter Pfarrer an St. Nicolai ebd. (DBA 832, 361; Meyer, HannPfB 2, 105. 109; Jauernig 2, 518; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 172 Anm. 17). – Zur Identifzierung s. Matthias, Petersen, 233. 20 Johann Heinrich Jung, Pfarrer und Inspektor in Laubach (s. Brief Nr. 11 Anm. 13). 21 Michael Püchler (Lebensdaten unbekannt), Kaufmann in Regensburg; er war mit dem Re- gensburger Predigerministerium in Konfikt geraten, weil er Schriften Jakob Böhmes verbreitete (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 150 Anm. 1). 22 Jakob Böhme (1575–1624), mystischer Schriftsteller aus Görlitz, dessen mystisch-theo- sophisches System sich von der orthodoxen Theologie entfernte, auch wenn Böhme sich als lutherischer Christ verstanden wissen wollte. Er galt als Prototyp solcher mystischen Theologen, die von den Gegnern durchweg als „Böhmisten“ gebrandmarkt wurden (LL 2, 53–59; RGG4 1, 1668 f; G. Wehr, Jakob Böhme, Wiesbaden 2010; Näheres Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6 Anm. 2). – Zum ersten Mal wird Böhme in den Briefen Speners ausführlich am 15. 6. 1676 (Frankfurter Briefe, Bd. 2, Nr. 87, v. a. Z. 28–70) behandelt. 136 Briefe des Jahres 1690

Daher schrieb er etliche mahl an mich, und ich fand mich genötiget, wie 65 ungern auch daran kam, ihm etliche mahl zu antworten23, ihn theils an sein ordentliches ministerium, theils an sein eigen gewißen, daß er prüfen müste, verweisende. Nachdem habe nichts anders gewust, alß daß er, da der termin verstrichen, aus der Stadt würde gewiesen worden seyn. Nechst aber schreibt er wiederum an mich24, klagt, daß seine Sache noch hänge und fordert wie- 70 derum Rath von mir. Wie man aber auf mich lausert25, so fnde ich nicht rathsam, ihm mehr zu antworten, denn obwol liebe gern erzeige, erfordert doch auch die liebe, daß man meiner schone in dingen, die einen anstoß setzen könnten. Wo es also müglich, wünsche sehr, daß an ihn geschrieben und er erinnert würde, mich doch nunmehr auß der Sache zu laßen und 75 lieber anderswo als bey mir Rath zu suchen, der bereits soviel gerathen habe, alß in meinem vermögen stund. Gott helfe auch daselbst und bewahre unse- re Kirchen vor allem versuch der herrschaft über die gewißen. Daß H. Brunnquell26 gestorben, habe bericht bekommen, wünsche gele- genheit, wie ich seinen hinderlaßenen eine wohlthat zu bringen möchte, die 80 ich leicht gedencken kann, daß sie in großem Elend stehen müßen. In Pommern ist die Sache mit H. Zeisen27 noch nicht auß, sondern stehet zweifelhaftig. Gott steure allen, die, das gute zu hindern, sich unterstehen, und laße endlichen seine Erkantnis und liebe kräftig durchbrechen. In solches treuesten Vaters gnade u. h[eilige] obhut sie samt allen lieben 85 ihrigen samt u. sonders treulichst empfehlende verbleibe meiner werthesten Schwester in dem Herrn zu gebet u. liebe verbundener P. J. Spener, D. Mppria. Dreßden, den 18. Mart[ius] 1690.

23 An Püchler sind überliefert Briefe vom 18. 10. 1687 (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 150) und vom zweiten Halbjahr 1689 (Dresdener Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 127). 24 Nicht überliefert. 25 Auch „laußen“ im Sinne von „aufauern“ (DWB 12, 363). 26 Ludwig Brunnquell (Scaturigius) (17. 11. 1631 – Herbst 1689), Pfarrer in Flehingen/ Kraich- gau; geb. in Tübingen, 1663 wegen chiliastischer Lehren vom Württembergischen Konsistorium ermahnt, 1678 Besuch bei Spener in Frankfurt a. M., 1679 vom Dienst in der Württembergischen Kirche suspendiert, 1685 Pfarrer in Flehingen (RGG4 1, 1802; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 7, und Bd. 3, Brief Nr. 19 Anm. 36). – Nach Brief Nr. 98, Z. 1, dürfte Spener vom Adressaten dieses Briefes die Todesnachricht erhalten haben. 27 Christoph Philipp Zeiß, Pfarrer in Zirchow, angeschuldigt, er lehre den Perfektionismus (s. Brief Nr 7 Anm. 3). Nr. 30 an Anna Elisabeth Kißner 18. 3. 1690 137

[ P. S.:] 90 Vor des Reusn[eri] Psalter28 bedancke mich gegen die J[ungfer] Schwester29 freundlich; gedachte nicht, daß man das buch nicht bey H. Görlin30 haben könnte und jemand seines exemplars berauben müßte31. H. Lerßner32, H. Arnold33, H. Setegast34, H. Bansen35, so dann die nachbarn samt u. sonders nechst eigne freundtschaft36 zu beiden theilen37 grüße hertz- 95 lich in dem Herrn. Meine liebe haußfrau38 grüßet freundlich und sendet unsers Fettern39 Quit- tung. Frauen, Frauen, Anna Elisabeth Kißnerin, gebohrner Eberhardin Wittibin, in

Franckfurt am Mayn. 100

28 Zu Adam Reißner und dessen Auslegung der Psalmen s. Brief Nr. 11 Anm. 52. 29 Katharina Elisabeth Eberhard (get. 3. 11. 1661–3. 3. 1721) (ISG Frankfurt a. M., Taufbuch; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 35). 30 Johann Görlin (gest. 1703), Drucker in Frankfurt a. M.; geb. in Ulm, 1658 verheiratet mit Anna Katharina, Tochter des Frankfurter Druckers Anton Humm, Frankfurter Bürger seit 1659, Drucker mehrerer Bände des „Theatrum Europaeum“ (Benzing, Drucker, 136). 31 Spener hatte am 19. 3. 1689 über Frau Kißner ein Exemplar des Buches bestellt (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 66 f). Weil das Buch ofenbar vergrifen war, wird Katharina Elisabeth Eberhard ihm ihr Exemplar zugeschickt haben. 32 Johann Maximilian Lersner, Hessen-Darmstädtischer Rat und Oberamtmann in Eppstein (22. 5. 1648–17. 1. 1702) (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 8 Anm. 5, und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 72 Anm. 1). 33 Vielleicht der Bäcker Adam Arnold (s. Brief Nr. 11 Anm. 81). 34 Vielleicht Johannes Setegast (s. Brief Nr. 11 Anm. 45). 35 Johann Matthias Bansa, Materialist und Apotheker in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 75). 36 Im Sinne von „Verwandtschaft“ (DWB 4, 168). 37 Gemeint ist die Verwandtschaft von Frau Kißners Ursprungsfamilie Eberhard und diejenige ihres verstorbenen Mannes Dr. Johann Kißner. 38 Susanne Spener (s. Brief Nr. 11 Anm. 21). 39 Vermutlich Johann Christoph Ochs (get. 8. 11. 1674–12. 8. 1747), Sohn des Frankfurter Kaufmanns Johann Ochs d. Ä.; 1677 war er nach dem Tod des Vaters in die Familie Spener auf- genommen worden und lebte noch in Dresden bei Spener, nach dem Jurastudium in Leipzig und der Promotion in Leiden (1699) Advokat in Frankfurt a. M., verheiratet mit Elisabethe geb. Clemm, einer Enkelin des Mitbegründers des Frankfurter Collegium pietatis Conrad Stein (Dölemeyer, S. 141 [Nr. 454]; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 7 Anm. 71 und Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 97 Anm. 32). – Zu dieser Geldangelegenheit s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 139–143. 138 Briefe des Jahres 1690 31. An [Johannes Olearius in Leipzig]1 Dresden, 20. März 1690

Inhalt Ist darüber betrofen, daß das Gerücht verbreitet wird, [Joachim Martin] Schumann wäre eine Disputation nicht erlaubt worden mit der Begründung, er habe bei Spener gewohnt und sei ein „Erzpietiste“; Spener habe ihm das Thema vorgeschlagen. – Weist auf die damit verbundene An- schuldigung, selbst heterodox zu sein, und begründet, wieso er in Absprache mit dem Dresdner Oberkonsistorium Olearius selbst schreibt; erwartet, daß künftig ähnliche Anschuldigungen durch die theologische Fakultät in Leipzig unterlassen werden, und bittet um Erneuerung der freundschaftlichen Beziehung zu deren Mitgliedern. – Hoft, daß die Disputation selbst nicht ver- boten wird, weil unabhängig davon, was man von Pietisten hält, über bestimmte Formulierungen der Bibel disputiert werden muß. – Beantwortet den Brief von Olearius und bestätigt dessen Meinung, daß [August Hermann] Francke die Abfassung der „Apologie“ besser unterlassen hätte; weist darauf hin, daß philologische, philosophische und – in gewissem Rahmen – auch theo- logische Collegia von Magistern nach den sächsischen Universitätsordnungen gehalten werden dürfen. Spricht sich gegen die jetzt stattfndenden gemischten Collegia aus, die nicht von einem bestallten Geistlichen geleitet werden; weist solche zurück, die die gebotenen Grenzen verlassen, will ihren Eifer aber auf die rechte Ordnung lenken. – Wünscht Olearius für seine geplante Vor- lesung über den Kolosserbrief Gesundheit und Gnade Gottes. Überlieferung K1: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 23. K2: Halle a.S., AFSt, A 159: 21, Bl. 121r–123v, 6. Zeile Mitte (Z. 1–68)2. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 294–297.

Göttliche Gnade, Fried und Heil in deme, der uns solches alles erworben hat, unserm JESU! HochEhrwürdiger, Großachtbar und Hochgelehrter, Insonders großgönstig, hochgeehrter herr und in dem HErrn wehrter Bruder.

5 Ob ich wohl auf das letste freundliche3 ohne das noch antwort schuldig bin, laügne gleichwol nicht, daß zu dem gegenwärtigen mir einige andere anlaß

1 Johannes Olearius (5. 5. 1639–6. 8. 1713), Theologieprofessor in Leipzig; geb. in Halle (Saale), nach dem Theologiestudium in Leipzig, Jena und Wittenberg 1663 Assessor an der theologischen Fakultät, 1664 Professor für Griechisch und Latein und 1677 Theologieprofessor in Leipzig, seit 1683 gleichzeitig Kanonikus in Zeitz, Schwiegervater von Paul Anton (DBA I, 916. 145–189; RGG4 6, 548 f; A. Gössner, Johannes Olearius [1639–1731] und Gottfried Olearius [1672–1715], in: G. Wiemers [Hg], Sächsische Lebensbilder, Bd. 6/2, Leipzig u. Stuttgart 2009, 119–131). – Zur Empfängerbestimmung: Der Präses von Joachim Martin Schumanns Disputation war Johannes Olearius. Am 21. 3. 1690 schreibt Spener an Adam Rechenberg: „[…] heri de ea re me absente actum, ego v[ero] autoritate Senatus Ecclesiastici D. Oleario scribo […]“ (Ad Rech 1, Bl. 424r). 2 Diese Überlieferung hat zwei Briefe Speners an Johann Olearius kompiliert. Im ersten Teil wird ein Teil des vorliegenden Briefes überliefert, im zweiten Teil der Schluß von Brief Nr. 36, Z. 68 (s. dort weiter). 3 Nicht überliefert. Es wird aber im Brief Speners an A. Rechenberg vom 7. 3. 1690 erwähnt (Ad Rech 1, Bl. 432r). Nr. 31 an [Johannes Olearius] 20. 3. 1690 139 gegeben worden. Indem ich mit etwas bestürtzung vorige post aus des recom- mendirten Hn. Schumans4 schreiben an einen gutten freund5, da er mich um freundlichen raht, wie er sich zu verhalten hätte, bitten ließ, verstehen muste, daß er seine under E[urer] Hochw[ürden] praesidio zu halten vorgehabte dis- 10 putation6 zwar dem Hn. Decano7 zur censur überreichet, aber darauf ein conventus gehalten, deßen schluß auch ihm von Ew. Hochw. dahin zu gehen angedeutet worden, daß die disputation nicht gehalten werden könte, nechst der hauptursache auch auß diesen beyden ursachen, weil er in meinem hause gewesen u[nd] also ofenbarlich ein Ertzpietiste8 seyn würde, sodann ver- 15 muhtlich wäre, daß ihm diße materie von mir auß gewißen ursachen vorgege- ben worden wäre, da er doch mit briefen darthun könne, daß ihm aus Wiß- mar solche vorgeschlagen worden9. Dabey er meldete, daß noch ein conventus darüber gehalten werden solte, von deßen außgang ihm aber auch nicht viel favorables verheißen würde. 20 Daferne nun daßelbe also, laße ich E. Hochw. u. alle cordatos viros darüber urtheilen, ob ich nicht ursache habe, mir solches wehemühtig zu hertzen zu ziehen, alß der ichs, nicht verschuldet zu haben, versichert bin, von Ven[eran- da] Facult[ate] Theologica10 oder einigen deren gliedern in einen solchen verdacht gezogen zu werden, daß einer, weil er bey mir gewesen, von der 25 freyheit eines exercitii Academici ausgeschloßen und eine disputation, weil ich die materie dazu vorgeschlagen hätte, so sich noch in facto dazu anders befndet, zu inhibiren seye, welches denn dergleichen eine aufage11 wäre, so mich heterodoxiae oder anderer schwehren criminum, darüber auch, was nur

14 diesen beyden ] dieser beyder: K2. 15 ofenbarlich: cj ] hofentlich: K1 + K2 + D. ​ 21 daßelbe ] diesem: K2.

4 Joachim Martin Schumann (gest. 25. 1. 1729), Magister in Leipzig; geb. in Wismar, nach dem Theologiestudium in Wittenberg und Leipzig und einem Aufenthalt in Speners Haus von ca. Juni 1689 bis Frühjahr 1690, 1691 zweiter Domprediger in Schwerin, 1709 Superintendent in Schwerin (Willgeroth, 1000). Schumann war im Jahr 1701 in den terministischen Streit (auf der Seite derer, die die bis zum Lebensende reichende göttliche Gnade vertraten) invol- viert (A. Gössner, Der terministische Streit, Tübingen 2011, 236). – Zum Urteil Speners über Schumann s. Brief Nr. 72, Z. 136–151. 5 Es handelt sich um Johann Adam Schmid, der – ebenso wie Schumann – in Speners Haus wohnte (Spener an Rechenberg am 18. 3. 1690; Ad Rech 1, Bl. 426r; zu Schmidt s. Brief Nr. 41 Anm. 3). 6 Die dann doch durchgeführte Disputation wurde publiziert: Orthodoxa Explicatio Apho- rismi Johannei, extantis in Prior. Ejus Epist. Cap. II. com. 3.4.5.6 […] sub Praesidio Dn. Johannis Olearii […] ad diem VIII. April. A. O. R. M.DC.XC in Auditorio Paulino placide θεολογοῦντων censurae, Leipzig: Christian Scholinus 1690. 7 Georg Lehmann, Theologieprofessor und Superintendent in Leipzig (s. Brief Nr. 2 Anm. 4). 8 Im Brief vom 18. 3. 1690 (s. Anm. 5) wird der Begrif „Archipietista“ aus Schmids Schreiben aufgenommen. 9 Zum Briefwechsel zwischen Schumann und seiner Heimat Wißmar konnte nichts ermittelt werden. 10 Die theologische Fakultät der Universität Leipzig. 11 Im Sinne von „Anschuldigung“ (DWB 1, 680). 140 Briefe des Jahres 1690

30 von mir käme, so bald meiner im ungleichen entgelten müste, anschuldigte. Welcherley beschuldigungen, sie geschehen directe oder indirecte, einem christl[ichen] gemüht bey reinem habendem gewißen, sonderlich so sie von denen kommen, so man als brüder geliebet und geehret, nicht anders als schmertzlich vorkommen können. Dahero ich nicht anders gekont, alß 35 meine wehemuht einem hochlöbl. kirchenrath12 vorzustellen und deßen schutz u. raht zu bitten, so auch hochgeneigt aufgenommen worden. Ob denn nun wohl einiges deßwegen, selbs auß denselben abzugeben, in der feder gewest, so habe dennoch davor gehalten (welches auch also großgünstig be- liebet worden), daß es füglicher u. mir anständiger seyn würde, dieses, gleich- 40 wol mit hochgemeldten Churfürstl[ichen] kirchenrahts vorwißen, privatim an E. HochEhrw. abgehen zu laßen und bey deroselben lieber mein anligen außzuschütten, welches darinnen bestehet, dafern die obgedachte relation in der wahrheit gegründet, daß dieselbe freundl[ich] geruhen wolten, gegen ge- samte Ven[erandam] Facult[atem] Theologicam zu gedencken, daß mir der 45 unverdient aufgelegte verdacht schmertzlich zu gemühte gehe u. sie deßen keine genugsame ursachen hätten, dahero mit allem recht von ihnen zu for- dern habe u. bitte, daß ich hinkünftig mit dergleichen verdacht und aufage13, so meiner person und tragendem amt viel zu nahe ginge, von denselben ver- schonet, hingegen, woran meiner seits, als viel gewißens halber zu thun ver- 50 mag, ich nichts ermangeln laßen werde, brüderliche einigkeit redintegriret14 und gehalten werde. Indem es mir leid thun solte, und ich es ja nimmermehr dahin​ zu kommen wüntsche, auch hofen will, daß gegen diejenige, dero freundschaft ich wehrt halte, mich nachtrücklicher hülfe gebrauchen müßte. Der HErr laße doch unter denjenigen, die er zu seines reichs dienern in den 55 geistlichen, obwohl in unterschiedlichen stellen verordnet hat, liebe, fried u. einigkeit regieren und wehre allem, was solche hindern mögte. Er lehre uns auch, da die reinigkeit der lehre unverbrochen bleibet, davon hier kein zweif- fel seyn wird, also gesinnet seyn, daß, ob wir von unterschiedlichen dingen, was der kirchen nutz oder nicht nutz seye, so dann von schuld oder unschuld 60 gewißer personen15 (da auch die Apostel und Apostolische männer sich nicht

30 im ] in: K2. 32 so ] da: K2. 33 kommen ] kämen: K2. 36 hochgeneigt ] hertzgeneigt: K2. 38 gewest ] gewesen: K2. ​ 38 großgünstig ] groß.: K1; großgönst.: K2. ​ 40 hochgemeldten ] hochgem.: K1; hochged.: K2. ​ 41 deroselben ] der selben: K2. ​ 43 f gesamte ] gesamter: K2. ​ 45 unverdiente: K1 + K2 + D1. ​46 ursachen ] ursache: D. ​ 48 meiner ] meine: K. ​ 48 tragendem ] tragendes: K. ​ 51 f nimmermehr dahin ] dahin nimmer mehr: K2. ​ 52 dahin ] dazu: D. ​ 52 wüntsche ] wünsche: D. ​ 57 reinigkeit der lehre ] Einigkeit der Glaubens Lehr: K2.

12 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 13 Anschuldigung (wie Anm. 11). 14 Wieder erneuern. 15 Anspielung auf die jungen pietistischen Theologen, die im Herbst 1689 verhört worden waren (Näheres dazu s. Brief Nr. 30 Anm. 7). Nr. 31 an [Johannes Olearius] 20. 3. 1690 141 allemal verglichen, Act. 15, v. 37.38.39.4016) nicht einerley meinung hätten, wir solches keine ursache einer bitterkeit werden laßen, sondern jeglicher nach seinem gewißen thue und allemal die endscheidung Gott und seiner ordnung überlaße; welches in dem menschlichen leben das nothwendige mittel der einigkeit ist. Ich stehe in dem gutten vertrauen, daß von Ven. Facult. 65 durch E. HochEhrw. ich eines andern gemühts alß jene relation weisen wollen, versichert u. in ruhe gesetzet werde werden; wie ich hingegen ver- sichern kan, daß dero samt und sonders in wahrer liebe treulich vor dem HErrn zu ihrem besten gedencken und es an nichts, was die liebe von mir erfordert, ermangeln laßen werde. 70 Die disputation selbs anlangend, hofe ja nicht, daß solche inhibiret werden möge, dann es mag mit den so genanten pietisten eine bewandniß haben, was es wolle, so darf ja GOttes wort solches nicht entgelten, daß über dieses oder jenes dictum nicht disputiret werden dörfte, da ja die disputation (davon mir Hr. Schumann, wie ich versichere, und ers hofendl[ich] nicht in abrede seyn 75 kan, nicht ein einiges blat gezeiget) in der Vener. Facult. handen stehet, und wo der junge mensch sich in einigem verstoßen haben möchte, so ich nicht weiß, sie solches zu beßern vermag. Hingegen, wo über solches dictum zu disputiren nicht vergönnet würde und der aufsatz anders wo herauß käme, allerley wiedrige iudicia anderwerts wegen solcher inhibition fallen mögten. 80 Ich wende mich aber nun zu E. HochEhrw. eigenem schreiben, da ich mit derselben gleicher meinung, daß Hr. M. Francke17 mit seiner Apologie18 nichts gutt gemacht und, wie sie selbs bekennen, daß er ex actis publicis schon genug excusiret gewesen wäre u. keine defension weiter bedurft hätte19. Daher ihm dergleichen nimmermehr gerahten oder es zu thun gebilliget 85 hätte, sondern es als ein sonderbahr verhängniß Gottes angesehen, daß der- gleichen geschehen sollen. Also ist auch das gantze werck durch die nun nechst angezeigte promiscuos conventus an ihrem ort20 in einen andern stand gerahten, als es vorhin gewesen, da magistri collegia under studiosis gehalten haben. Dann was diese anlangt, nachdem sec[undum] leges und mores auf 90 denen Sächsischen Universitäten denen magistris auf gewiße maaß21 das recht collegia philosophica, philologica und mit gewißen conditionibus

68 treulich ] [Ende K 2].

16 Apg 15,37–40. Die bisher zusammenarbeitenden Apostel Paulus und Barnabas unternahmen getrennte Missionsreisen, weil sie sich über die Zuverlässigkeit ihres bisherigen Mitarbeiters Jo- hannes Markus nicht einigen konnten. 17 August Hermann Francke, Magister der Theologie (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 18 August Hermann Francke, Apologie (Francke, Streitschriften, 82–111). 19 Zur Reaktion der Leipziger theologischen Fakultät und insbesondere von Johannes Olearius s. Kirn, Leipziger Fakultät, 102. 20 Zu den Konventikeln, an denen Personen aus allen Ständen der Stadt teilnahmen und die von Theologiestudenten abgehalten wurden, und zu Speners Meinung s. ausführlich in Brief Nr. 15. 21 Die Maß (DWB 12, 1727). 142 Briefe des Jahres 1690

Theologica zu halten22 vergönnet zu seyn verstanden, so bin nicht in abrede, daß dergleichen collegia philologica und Biblica, als Hr. M. Francke und 95 andere gehalten, privata mea sententia, damit ich andern nicht praeiudicire, vor nicht unrecht gehalten. Die promiscuos conventus aber, da niemand eines ofentlichen amts praesidiret, billiche ich nicht und halte selbs, solche zu in- hibiren23. Ich habe auch schon vorlängst, so wohl in dem geistl[ichen] prie- sterthum meine meinung gegeben, wie ferne Christen zur erbauung zusam- 100 men zukommen macht haben, da so bald große versamlungen, und da sich einer zum lehrer darstellete, ihnen abgesprochen worden24, alß auch in denen piis desideriis meine vorschläge erklähret von collegiis extra-academicis, aber unter der inspection des ofentlichen lehramts25, welche vorschläge auch Hr. D. Carpzov in seinen tugendsprüchen26 nachdrücklich gebilliget hat. Jene 105 conventus aber, darüber jetzt geklaget wird, u. da sie sich also befnden, sind keine von beiden arten, noch lobe ich sie, wie ich ohne das auch denen, welche ich sonderbar liebe, wo sie in etwas excediren27, solches nie zu billi- chen pfege, sondern dieses die pficht der liebe achte, bey denselben einen übermäßigen eyfer, so wohl aus gutter meinung entstehen kan, auf beste 110 weise in die ordnung zubringen. Wie hingegen auch nicht in abrede bin, daß von denjenigen, bey welchen einige excesse sehe u., sie von denselben ab- zuziehen, gar selbs das meine thue, um solcher ursache willen die liebe nicht abwende, alß lange man sich noch sagen leßet. Der HERR zeige mittel u. wege, wie mit denen ihm gefälligsten mitteln nebens beybehaltener reiner 115 lehre, davon wir in nichts abzuweichen haben, in ihrer wehrten statt, kirch und universität ruhe u. ordnung erhalten u. bestätiget werde. Zu dem löblichen vorhaben, die epistel an die Colosser zu tractiren28, wüntsche gesundheit u. reiche gnade des heiligen geistes; glaube auch, daß dergleichen mehrere u. mit feiß haltende collegia ein stattliches mittel seyn

22 Vgl. dazu C. C. C. Gretschel, Die Universität Leipzig in der Vergangenheit und Gegen- wart, Dresden 1830, 106. 23 Spener hatte das kurfürstliche Konventikelverbot vom 10. 3. 1690 (s. Brief Nr. 51 Anm. 39) wie alle anderen Mitglieder des Dresdner Oberkonsistoriums unterschrieben (vgl. den Hinweis in Brief Nr. 107, Z. 36–44). 24 Spener, Das Geistliche Priesterthum; erneut gedruckt in: KGS 1, 607–754. Spener verweist hier auf die Fragen 63 („Mögen auch einige zu solchem zweck zusammen kommen?“ S. 67; Spener, Studienausgabe I/1, 473.1–17) und 64 („Mag sich aber jemand unter den andern zu einem sonderbaren lehrer aufwerfen / oder von den andern darzu bestellen lassen?“ S. 68; Spener, Studienausgabe I/1, 473.18–23). 25 Spener, Pia Desideria 1676, S. 98 (PD 55.23 f). 26 Johann Benedict Carpzov, Außerlesene Tugendsprüche aus der heil. Schrift zusammen ge- suchet, und gründlich erkläret. Sampt einer kurtzen anführung für newangehende Prediger, wie nach anleitung dieser erkläreten Sprüche die Sonn‑ und Festtags Evangelien durchs gantze jahr erbawlich abzuhandeln, Leipzig: Grosse 1685, S. 442–444 (2. Auf. 1690; Seitenangaben nach der 4. Auf. Leipzig 1695). Spener weist in Bed. 1.2, 16, auf S. 444 hin. – Zu J. B. Carpzov, Theologie- professor in Leipzig, s. Brief Nr. 43 Anm. 6. 27 Hier wohl im Sinne von „(über eine gesetzte Grenze) hinausgehen“. 28 Spener schreibt an A. Rechenberg (s. Anm. 2) von einer in hohem Wert stehenden Stelle aus dem Kolosserbrief, die in Leipzig (ähnlich wie schon vorher in Frankfurt durch Johannes Simon Nr. 31 an [Johannes Olearius] 20. 3. 1690 143 mögen, die studiosos bey ihren praeceptoribus genauer zu halten, daß sie nicht 120 in ermangelung dergleichen sich benötiget zu seyn meinen, bey andern sol- ches zu suchen. Womit in die gütige hand des himmlischen Vaters u. seine weise gnaden=​ regierung empfehlende verbleibe etc.

Den 20. Mart[ius] 1690. 125

125 Den ] – D1.

Francke) verdreht werde; vermutlich hatte Olearius daraufhin vor, den Kolosserbrief in einer Lehr- veranstaltung zu behandeln; Näheres ist nicht bekannt. 144 Briefe des Jahres 1690 32. An [Johann Heinrich Horb in Hamburg]1 Dresden, 22. März 1690

Inhalt Gibt eine erste Einschätzung zu dem Religionseid, den alle Mitglieder des Hamburger Prediger- ministeriums zur Unterschrift vorgelegt bekommen hatten; hält ihn für formal und inhaltlich unannehmbar. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 19. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 287–290.

1. Sihe ich nicht, wie Herr D. S.2 macht habe gehabt, dergleichen eyd dem ministerio vorzulegen3, davon ich abnehme, daß nicht das geringste vorhero

1 Johann Heinrich Horb (11. 6. 1645–26. 1. 1695), Hauptpastor in Hamburg; geb. in Colmar, seit 1671 verheiratet mit Speners Schwester Sophia Cäcilia, 1671 zunächst Hofprediger in Bisch­ weiler und im gleichen Jahr Inspektor und Konsistorialrat in Trarbach/ Mosel, 1678 suspendiert, 1679 Superintendent in Windsheim, 1685 Hauptpastor in Hamburg, dort heftig involviert in den Pietismusstreit; zunächst stark von der Kontroverstheologie bestimmt, wandte er sich erst seit der zweiten Hälfte der 1670er Jahre der pietistischen Frömmigkeit zu (Hartmann, Horb; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 133 Anm. 1, und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 130 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Horb hatte die Unterschrift unter den Hamburger neuen Religionseid verweigert und am 15. 3. 1690 sich, sehr besorgt über die Entwicklung, in einem dringlichen Brief an Spener gewendet (überliefert in: Herrnhut, R 23.5, Nr. 27, S. 80–81; ediert in: D. Blaufuss, Einleitung, in: Spener, Schriften, Bd. V, 78–80). Darin wird nicht nur die von Spener gerügte Überrumpelung der Ministeriumsmitglieder (Z. 1–3) abgelehnt, sondern auch die Verdammung Jakob Böhmes bis „in der lezten Todes Stunde“ (s. Z. 57–64). Horb hatte geschrie- ben: „Sobald ich meines l. Bruders Gutachten werd erhalten, bin ich gesinnet, dem löbl. Magistrat davon part zu geben, sodann die Sache an die fürnehmsten Ministeria ins geheim gelangen zu laßen […]“ (Herrnhut, R. 23.5, Nr. 27, S. 80 f). Darauf reagiert Spener in Z. 82–85. Die gleiche Empfängerzuweisung fndet sich auch in: V. Gummelt, Johann Friedrich Mayer, unveröf. Habil. Greifswald 1996, 73 Anm. 26. – Zu bemerken ist, daß an den genannten Brief Horbs noch ein P. S. von Abraham Hinckelmann (zu diesem s. Brief Nr. 45 Anm. 42), angehängt ist, in dem dieser die große Unruhe seines Gewissens ebenfalls zum Ausdruck bringt (Herrnhut, a. a. O., Bl. 81r). 2 Samuel Schultze (28. 10. 1635–30. 5. 1699), Senior des Hamburger Predigerministeriums; geb. in Eddelak/ Süderdithmarschen, nach dem Theologiestudium in Wittenberg (Magister 1657) und Straßburg Kandidat in Hamburg, 1667 Diaconus und 1681 Pastor in Heide, im gleichen Jahr Propst von Norderdithmarschen, 1683 Promotion zum Dr.theol. in Kiel und Pastor an St. Petri in Hamburg, 1688 Senior des dortigen Predigerministeriums (Moller 1, 610–612; Jensen, 49; Bruhn, Kandidaten, Nr. 65. 93). 3 Am 14. 3. 1690 hatte der Senior Samuel Schultze dem Hamburger Predigerministerium einen Text zur Beeidigung vorgetragen, in dem vor dem Hintergrund „in unsere Gemeine eingeschli- chen(er)“ „Novatores“ die Mitglieder über den Ordinationseid hinaus verschiedene heterodoxe und laxe Theologen und theologische Positionen verwerfen sollten (J. Winckler stellt fest, daß die Formulierungen wörtlich entnommen seien aus: Friedrich Spanheim, Selectiorum de religione controversiarum […] elenchus historico-theologicus, Leiden: Lopez 1687, S. 642). Ausdrück- lich genannt sind Jakob Böhme (zu diesem s. Anm. 13) und der „Chiliasmus tam subtilis quam crassior“. Zudem sollen alle von den Vätern überkommenen „Kirchen-Ceremonien“ beibehalten Nr. 32 an [Johann Heinrich Horb] 22. 3. 1690 145 seye deliberiret worden, und fnde ich das von Herr Wincklern4 movirte gravamen5 von großer wichtigkeit, daß man allezeit von den dingen, welche vorgehen sollen, gehörige communication erstlich thun solte, daß man sich 5 gebührend bereiten könte, welches ja nötig, und die geschäften, die gewißen, ja ihrer so vieler gewißen, angehen, deßen wol würdig sind. Also ist schon auch der modus procedendi6 nicht nutz. 2. Hat das gantze ministerium nicht macht, dergleichen eydes=form​ ul zu machen, und sich undereinander zu verbinden: Indem eine art einer weiteren 10 extension der Symbolischen Bücher darinnen stecket, welche macht keiner kirchen, vielweniger einem ordini derselben zukommt, sondern bekannt ist, alß vor 100 jahren die F. C.7 solte concipiret werden, mit was großer behut- samkeit und ofterer communication von einem ort zum andern das werck getrieben worden. Daher die übrige Evangelische kirche, ja auch dero pa- 15 troni Chur= und Fürsten, nicht anders könten, alß vor einen starcken eingrif und der kirchen praejudicirliches wesen dieses aufzunehmen, wo eine statt ihr so zu reden eine neue confeßion machen wolte, da es müglich wäre, daß ihr ministerium kraft derselben einige der jenigen von der brüderschaft aus- schließen müßte, die sie in ihren kirchen leiden, so eine species eines schis- 20 matis ist und ihrer statt einen starcken vorwurf einer grossen und gefährlichen temeritet8 geben würde. Man gedencke, mit was behutsamkeit man Chur- Sächs[ischer] seiten gegangen, obwol in diesem seculo durch die Theologos mit hoher autoritet einige controversiae, alß Tubingensis etc., so viel als deci- dirt worden sind, daß man dennoch bedenckens gehabt, dieselbe der gantzen 25 kirche zu obtrudiren oder auch die in diensten nehmende auf dieselbe sowol und alle Neuerungen zurückgewiesen werden. Dieser Eid soll auf die letzte „Todes-Stunde“ hin geschehen (Abdruck des Eides an verschiedenen Stellen, z. B. in: Abdruck (I.) E. Hoch=​Ehrw. Hamburg. Ministerii publicirten REVERS Oder abgefassten FORMULAE IURATAE (II.) Herrn Johann Winckler / […] / Abgelassenes Send=Schreiben ​ / Worinnen die Ursachen / warumb die geschehene SUBSCRIPTION deß REVERSES, rescindiret worden / angezeiget. (III). Herrn Abraham Hinckelmann / […] / abgelassenes MISSIV, Worinnen Er Rev. Minist. VIII. Rationes vorstellet / so ihm den Revers zu unterschreiben abhalten, Von einem guten Freund zum Druck befodert, Frankfurt a. M. 1690; Rückleben, Niederwerfung, 379 f; jüngstens in: D. Meyer, Ein- leitung zu Spener, Schriften, Bd. V, 20). Die Auseinandersetzung um den Religionseid zog eine Streitschriftenreihe bis in das Jahr 1696 nach sich (vgl. die knappe Darstellung in: D. Meyer, aaO, 18–39). 4 Johann Winckler, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 9 Anm. 1). 5 Johann Winckler hatte drei Tage nach der Sitzung des Predigerministeriums am 17. 3. 1689 seine Bedencken wegen seiner voreilig geleisteten Unterschrift an Samuel Schultze schriftlich übergeben, wie er in seinem „Sendschreiben“ berichtet (Abdruck [wie Anm. 3], S. (A2r-B4v) B1v, das Schreiben aber schon am Samstag, den 15. 3. aufgesetzt und „etlichen Herren Collegis“ (B4r) vorgelegt (wohl Horb und Hinckelmann), so daß Horb es in seinem Brief an Spener mitsenden konnte. – Vgl. die Beschreibung dieses Vorgangs in Brief Nr. 90, Z. 23–43. 6 Vorgehensweise. 7 Formula Concordiae (Konkordienformel) (BSLK 735–827). – Zu ihrer Entstehungs- geschichte s. G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Bd. 2, Berlin u. New York 1998, 467–539. 8 Unbesonnenheit, Verwegenheit. 146 Briefe des Jahres 1690

als auf die Libros symbolicos zu verbinden, ohne zweifel alle gelegenheit mißlicher trennungen zu vermeiden9; wie auch, ob wol einige Theologi underschiedlich mögen verlangen getragen haben, einige scripta von der con- 30 trov[ersia] Helmstadtiensi10 mit zu autorisiren und dem religionseyd einzuver- leiben, man dannoch allezeit davon abstrahirt und nicht eingewilliget hat; da man doch davor halten mögen, daß dieses orts11, da einiges directorium des Evangelischen wesens ist, dergleichen zu thun mehr macht wäre. Wie solte dann eine einige particular=​kirche einer statt sich diese macht nehmen und 35 darvon einen ausspruch thun, der vielen der andern gliedern möchte grosses praejudiz zuziehen? 3. Sonderlich, so zwar schon berühret, weil die verbindung nicht nur auf einige theses, sondern auch auf die verurtheilung gewißer autorum und das momentum gewißer controversiarum oder meinungen sich erstrecket12; da 40 jenes abermal nicht auf einige kleine corpora der kirchen, dieses oder jenes particular ministerium, sondern auf die gantze kirche ankommet, dergleichen vor irrig zu declariren, da hingegen, alß lang solches nicht geschiehet, andern ihr judicium frey bleibet; dieses aber, nemlich das momentum der controver- sien anlangend, ist noch schwehrer, in dem unsere kirche auch in den libris 45 symbolicis, da sie gewiße articul und glaubens puncten determiniret und, wie sie in ihren gemeinden gelehret haben wolle, vorschreibet, sich doch nicht understehet, die ihrigen dazu zu verbinden, keinen vor einen bruder zu hal- ten, der nicht nach allen puncten (nemlich außer des glaubens grund) nach ihrem innhalt glaubte. Wie solle sich dann ein ministerium dergleichen un- 50 derstehen, nicht allein solche fragen, die in den libris symbolicis nicht auß- trücklich decidirt, auf eine seit also zu determiniren, daß es alle seine jetzige und künftige glieder zu solchem außspruch verbinde, sondern auch dero momentum so hoch zu setzen, daß sie so bald die jenige nicht mehr vor brüder halten dürften, die sich daran nicht binden wollten? Also heißt solches,

45 gewiße ] gewissen: D2. ​

9 Der sog. Kenosisstreit zwischen den Tübinger und Gießener Theologen, bei dem kur- sächsische Theologen unter der Leitung von Matthias Hoë von Hoënegg zu vermitteln versuchten ( U. Wiedenroth, Krypsis und Kenosis: Studien zu Thema und Genese der Tübinger Christologie im 17. Jahrhundert, BHTh 162, Tübingen 2011). 10 Der synkretistische Streit, der zwischen Helmstedter und Wittenberger Lutheranern über die Frage ausgebrochen war, ob ein Friede zwischen den Konfessionen auf Grund eines consensus quinquesaecularis erreichbar sei (H. Schmid, Geschichte der synkretistischen Streitigkeiten in der Zeit des Georg Calixt, Erlangen 1846; H. Schüssler, Theologie und Kirchenpolitik. Eine Studie zur Ökumenizität des Luthertums, Wiesbaden 1961; J. Baur, Die Helmstädter Lesart des Rechtfertigungsartikels und deren rechtgläubige Kritiker. Eine Untersuchung zur Genese des syn- kretistischen Streites; in: U. Sträter [Hrsg.] und K. G. Appold [Bearb.], Zur Rechtfertigungslehre in der Lutherischen Orthodoxie. Leucorea-Studien, Bd. 2, Leipzig 2003, S. 81–135). 11 Dresden. 12 S. Anm. 3. Nr. 32 an [Johann Heinrich Horb] 22. 3. 1690 147 sich ein allzu große gewalt über die gewißen genommen, so ohne sünde nicht 55 geschehen kan. 4. Dieser ursach wegen, ob einer auch allerdings versichert wäre, daß Jacob Böhm13 ein irrgeist wäre und falsch lehrete, daß auch alles, was einige so unter dem namen des Chiliasmi14 mit begrifen werden könte, lehreten, ohne grund wäre, kan er dannoch mit gutem gewißen sich nicht zu diesem eyd 60 verbinden, sich damit von der geistlichen brüderschaft der jenigen zu tren- nen, die, ob sie einiger irrthum sich theilhaftig machten, vielleicht solches aus schwachheit allein thäten und noch wahre kinder Gottes blieben; damit er sich einer sündlichen trennung theilhaftig machte. 5. Weil sichs nun mit dieser eydesformul also verhält, daß, wer sein gewißen 65 wol in acht nehmen und nicht mit feiß die verantwortung vieler seufzer frommer kinder Gottes, so hiemit graviret würden, und vieler unruhe und ärgernuß, so darauß entstehen würden, auf sich gefährlich laden will, sich dazu nicht verstehen kan, so achte ich, notwendig zu sein, daß die jenige, so nicht unterschrieben haben, so dann, welche unterschrieben haben, alle ihre 70 übereylung erkennen, die sache beweglich dem ministerio vorstellen und von ihnen nicht die dispensation allein vor sich, sondern die aufhebung dieser gantzen unrechtmäßigen under ihnen gemachten obligation fordern; gehet man nun anderseits in sich, so ist Gott zu dancken, und hat man der sache gerathen. Geschiehet solches nicht, wie ich sorge, so muß dergleichen beweg- 75 lich dem magistrat hinderbracht, die gefahr dieser sache und was ihre kirche und statt sich damit aufaden würde, deutlich und kräftig vorgestellet und begehret werden, daß sie ein einsehen haben, diese eydsfomul cassiren und, jemands gewißen von andern beschweret zu werden, nicht zulaßen wollten. Wie ich dann hofe, daß der magistrat, wo ihm solches recht vorgebracht wird, 80 unmöglich jenen eingrif gut heißen könne, sondern rath schafen werde. 6. Dieses fnde ich viel sicherer, alß an andere ministeria oder academien die sache gelangen zu laßen, nachdem jetzt eine solche commotio animorum an vielen orten, wo man sich hin wenden möchte, sein könte, daß die respon- sa nicht so fallen dörften, wie das beste der kirchen erfordert. 85 7. Indeßen müßen wir mit gebet das meiste thun und unsern Himmlischen Vater unabläßig anfehen, daß er sich doch seiner armen kirche erbarmen und, da er sie von dem Antichristischen joch befreyet, nicht zulaßen wolle, daß in derselben leute aufstehen, so über anderer gewißen sich eine herrschaft nehmen und menschen autoritet wiederum zu hoch erheben wolten, so das 90

58 f | daß auch alles, was … lehreten | [von Speners Hand].

13 Jakob Böhme, mystischer Schriftsteller (s. Brief Nr. 30 Anm. 22); Weiteres zur Fragestellung s. Briefe Nr. 33, Z. 11–40, und Nr. 38, Z. 62–75. 14 Vgl. die Formulierungen „chiliasmus crassus“ und „chiliasmus subtilis“ im Religionsrevers. Zusammenfassend zu Speners Chiliasmusvorstellung s. Krauter-Dierolf, 267–269, und zu dieser Unterscheidung im Zusammenhang des Hamburger Streits, a. a. O. 90–92. 148 Briefe des Jahres 1690

ey eines Antichrists ist. Daher, daß er die jenige alle, denen er, in der kirchen zu lehren und in der policey15 zu regieren, die macht gegeben hat, mit der jenigen weißheit erfüllen wolle, in allen dingen zu erkennen, was seinem gött- lichem und heiligem willen gemäß ist, um niemal wieder denselben nichts zu 95 thun. Ach, er regiere uns doch alle insgesamt mit seinem Geist, daß wir in den gefährlichen zeiten weißlich wandlen und nicht anstoßen, noch andern an- stoß setzen. So auch mein tägliches gebet in der that seyn soll. Der Herr gebe allzeit dazu den geist der gnaden und des gebets16, damit unsere opfer zu ihm 100 gefällig17 aufsteigen. 20. Mart[ius] 1690.

101 20. Mart. 1690 ] [von Speners Hand].

15 Die Öfentlichkeit, das Gemeinwesen. 16 Sach 12,10. 17 Vgl. Röm 12,1. Nr. 33 an [Johann Heinrich Horb] 24. 3. 1690 149 33. An [Johann Heinrich Horb in Hamburg]1 Dresden, 24. März 1690

Inhalt Befürchtet den Anfang großer Gefahren für die Kirche. – Faßt seine Informationen zum Verhör Jakob Böhmes vor dem Dresdner Oberkonsistorium im Jahr 1624 zusammen. – Konnte keine näheren Informationen über die angebliche Revokation von Martin Statius in Danzig erhalten. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 670–671.

Ich sehe es auch an vor ein solches werck, welches der anfang noch viel ge- fährlicher und solcher unruhe seyn mag, die nicht nur geliebten bruder, sondern auch mir und vielen andern schwere wetter über den halß ziehen2 mögte, aber da wir wissen, daß wir mit reinem gewissen thun, was wir thun, so scheuen wir uns billig nicht vor der gefahr, ob auch eine verderbte kirche 5 ihre treumeinende diener ausstossen wolte. Es kan je die welt nicht mehr thun, als der HERR ihr verhengen will, dieser aber wird nichts verhengen, als was seine ehre, obwohl vielleicht durch wunderbare umwege, befordert. Gnug, daß wir seinen willen thun nach bestem von ihm habendem liecht und seinen willen auch an uns gern vollbringen lassen. 10 Was J. B.3 anlangt, so ist von seiner verhör4 auf dem consistorio allhier nicht ein blat zu fnden5, aber wäre auch so grosses wunder nicht, weil vor deme keine ordentliche Protocolle gehalten worden und man auch sonsten von den wichtigsten dingen keine nachricht fndet. Eins mahl sagt mir zwar einer6, ich würde noch einmahl hinder die acta kommen, die freylich von dem ober 15

1 Dieser gehört eng mit Brief Nr. 32 zusammen. Johann Heinrich Horb hatte um ein Gut- achten Speners zu dem Hamburger Religionseid erbeten (s. dort Anm. 1). Bei Brief Nr. 32 handelt es sich um dieses Gutachten (auch die Form erweist ihn als solches); der Brief hier ist die persönliche Antwort Speners auf die Frage Horbs im P. S. von dessen Brief: „Weil D. Meyer gestern behaupten wollte, daß es ein falsches Spargement der Fanaticorum, was von Boehmens Examine zu Dreßden und deren Examinatorn judicio geschrieben wird, wie auch daß Statius seine Lehre in der Schaz-Kammer revocirt, als bitte um eigentl. und wahrhaften Bericht.“ (Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 27, S. 81v). 2 Redewendung, die an die Vorstellung vom Jochträger anknüpft, der eine schwere Last zu tragen hat (DWB 10, 251 f). 3 Jakob Böhme, mystischer Spiritualist (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). 4 Böhme hatte sich vor dem Dresdner Oberkonsistorium einem Verhör über seine Recht- gläubigkeit unterziehen müssen (vgl. dazu H. Obst, Zum „Verhör“ Jakob Böhmes in Dresden, PuN 1, 1974, 25–31). 5 Zum Verhör Böhmes im Dresdner Oberkonsistorium und dem vergeblichen Versuch, die Verhörunterlagen im Archiv zu fnden, s. Brief Nr. 38, Z. 62–75, und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6, Z. 15–28. 6 Nicht identifziert; nähere Überlegungen dazu in: Dresdner Briefe, Bd. 3, [wie Anm. 5], Anm. 10. 150 Briefe des Jahres 1690

consistorio weggenommen, aber anderwertlich wohl verwahret würden; ich weiß aber nichts gewisses. Indessen zweife ich an seinem herfordern nicht7, indem nicht allein in seinen schreiben viele dinge sollen seyn, woraus solche sachen zuersehen, sondern auch, weil eine copie herrn D. Wellers8 schrei- 20 bens9, so zwar auch einigen verdacht haben soll, mir von dem sel[igen] herrn Praesidenten Carl von Friesen10 durch den herrn von Seckendorf 11 als etwas gewisses zugeschickt worden, und zwar, da in eben solchem schreiben herr Seckendorf mich adhortirte12, wider J. B. mich zu declariren, da ich mich also versichere, daß man mir nichts geschickt, was man nicht vor wahr geglaubet 25 hat; wie denn zugleich berichtet wurde, ich hätte mich eben an hr. D. Wellers Judicium benignum nicht sonderlich zu kehren, weil er im solchem jahr schon ziemlich alt gewesen und aber das Judicium in den letzten jahren etwas abge- nommen habe. Indessen ist mirs genug, das er vor gewiß gehalten, daß der mann hier examiniret und in pace dimittiret worden. Das andere zeugnüß ist 30 von herrn Anton Wecken13, hiesigen gewesenen reichs secretario und archi-

29 andere ] anedre: D1+3.

7 Abraham Calov hatte die Vermutung ausgesprochen, das Verhör Böhmes – mit für ihn positivem Ausgang – sei lediglich eine Erfndung seiner Anhänger, insbesondere von Quirinus Kuhlmann: „Unde arbitror, totam Relationem Kuhlmanni de hoc examine confctam esse, et fabulam Kuhlmanni, quales ab illo plures excogitatae sunt“ (Abraham Calov, Anti-Böhmius, Wittenberg: Schrödter 1684, Praefatio [S. d1v]; vgl. auch Brief Nr. 38, Z. 63, und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6, Z. 17 f). 8 Jakob Weller von Molsdorf (5. 12. 1602–6. 7. 1664); geb. in Markneukirchen/ Vogtland, seit 1646 Oberhofprediger in Dresden (ADB 44, 476–478; J. Beste, Album der evangelischen Geist- lichen der Stadt Braunschweig, Braunschweig 1900, 16; Sommer, Hofprediger, 167–184; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 150 Anm. 11). 9 Es handelt sich dabei um einen Brief vom 30. 10. 1657, in dem Weller die Frage Abraham Calovs nach Böhme beantwortet. Wie Veit Ludwig von Seckendorf berichtet, kommt Weller zu einem günstigen Urteil (vgl. von Seckendorf, Christen=Stat,​ [wie Anm. 11]); Spener hatte von Carl von Friesen (zu diesem s. Anm. 10) über Seckendorf eine Abschrift erhalten (s. Brief Nr. 38, Z. 66; vgl. auch Bed. 1.1, 323 [1685]), aus dem er in Cons. 3, 849 zitiert. 10 Carl Freiherr von Friesen (13. 5. 1619–29. 7. 1686); geb. in Rötha, nach dem Studium in Wit- tenberg holsteinischer Rat und Hofmeister in Schleswig-Holstein-Gottorf, 1645 Geheimer Rat, Hofmeister, Kanzlei‑ und Kammerdirektor in Sulzbach, 1650 Umzug nach Rötha, Kammerrat Johann Georgs I. von Sachsen, 1661 Präsident des Oberkonsistoriums und zudem 1676 Ober- hofrichter in Leipzig (LP: Stolberg Nr. 7048; DBA 351, 363; ADB 8, 88; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 6 Anm. 5). Er war der Vater von Henriette Catharina von Gersdorf, der Großmutter von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. 11 Veit Ludwig von Seckendorf, Privatgelehrter in Meuselwitz (s. Brief Nr. 16 Anm. 47). – Veit Ludwig von Seckendorf, Christen=Stat,​ Leipzig 1685, Additiones, S. 328 (Auf. 1706: S. 896): „Es wollen sich aber ohngeachtet feissiger auf meine geschehene Nachsuchung die Acta und Protocoll nicht fnden.“ (Weiteres dazu in Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20, Z. 245–250). 12 Der Brief Seckendorfs ist nicht überliefert. 13 Anton Weck (10. 1. 1623–17. 9. 1680), zuletzt Hofarchivar in Dresden; geb. in Annaberg/ Erzgebirge, 1638 Aufenthalt bei dem Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg, 1641 Mit- arbeiter an der kurfürstlichen Hofkanzlei, u. a. seit 1648 zuständig für die Registratur im alten Kanzleiarchiv, 1662 Leiter des Geheimen Reichssekretariats (DBE 10, 365; ADB 41, 371; s. auch Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20 Anm. 79, und Bd. 3, Brief Nr. 6 Anm. 13). Nr. 33 an [Johann Heinrich Horb] 24. 3. 1690 151 vario, so 1680 die Dreßdnische beschreibung oder chronicka14 heraus gege- ben, da stehet zwar von diesem examine in dem gedruckten nichts15, es ist aber in seinem M[anuS[crip]to, davon ich von diesem pas16 aus Nürnberg eine copiam bekommen, gestanden. Es hats aber das ministerium zu Nürnberg mit noch einigen worten herauß gethan und hingegen einige dinge, die wider ihn 35 sind, hinein gerucket. Ich halte mich aber versichert, daß der mann, so das archiv in händen gehabt, ohne gnugsame documenten nichts gesetzet haben wird. Also zweife ich an der sache nicht17, ob ich wohl daran zweife, daß andere frembde theologi mit dazu berufen worden sind, welches hie nicht moris und einen mehrern ruf würde gegeben haben18. 40 Das M. Statius19 in Dantzig einiges revociret20, bezeugt Hr. D. Calovius21, was aber und wie ers revociret, weiß ich nicht, und ob ich wohl darnach gestanden habe, dennoch aus Dantzig nichts erlangen können. Dieses wäre also, was ich, in der furcht des HErrn zuschreiben, nöthig be- funden, da die zeit nicht ist, daß ich weitläufger schreibe. 45 24. Mart[ius] 1690.

14 Anton Weck, Der Chur=​Fürstlichen Sächsischen weitberufenen Residentz= und Haupt=​ Vestung Dresden beschreib: und Vorstellung, Nürnberg 1680 (BS 2° 160). 15 A. Weck, Dresden [wie Anm. 14], S. 317–319. 16 Textabschnitt. 17 Zum Zweifel A. Calovs (zu diesem s. Anm. 21), ob dieses Verhör jemals stattgefunden habe, s. Anm. 7. 18 Weiteres dazu s. Brief Nr. 38, Z. 74. 19 Martin Statius (ca. 1589–12. 3. 1655) , Diaconus an St. Johannis in Danzig; geb. in Naugar- ten/ Pommern, verwickelt in Streitigkeiten mit dem dortigen Predigerministerium wegen der von ihm im Jahr 1644 herausgegebenen und bearbeiteten Traktate von Stephan Praetorius unter dem Titel „Geistliche Schatzkammer der Gläubigen“ (DBA 1213, 248 f; Schnaase, Danzig, 262–285; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 27 Anm. 14; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 104 Anm. 16, und Bd. 2, Brief Nr. 10 Anm. 18). 20 Vermutlich ist die Antwort von Martin Statius gemeint, die er auf Thesen des Danziger Predigerministeriums zu Stephan Praetorius, die von Abraham Calov entworfen worden waren, zu liefern hatte (Schnaase, Danzig, 283–285). Zu dem Gerücht, Statius habe revoziert, zitiert Schnaase aus dem Protokoll des Danziger Predigerministeriums vom 16. 3. 1685: „Was die causam M. Statii sel. betrift, hat E. E. Ministerium zwar so viel Nachricht, daß der ‚Schatzkammer‘ wegen vormals ihm Ein und das Andere fürgelegt worden; aber das er revociret hat, davon ist E. E. Mi- nisterio ex documentis nichts bekannt.“ (Schnaase, Danzig, 285). 21 Abraham Calov (16. 4. 1612–25. 2. 1686), zuletzt Theologieprofessor in Wittenberg, führen- der Vertreter der lutherischen Orthodoxie; geb. in Mohrungen/ Ostpreußen; Calov war von 1643 bis 1650 Rektor des Gymnasiums in Danzig; unter seiner Mitwirkung wurden die in Anm. 20 erwähnten Thesen formuliert (DBA 175, 51–76; TRE 7, 563–568; Schnaase, Danzig, 213 f; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 78 Anm. 1; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 10 Anm. 26). – Spener meint: A. Calov, Systematis locorum theologicorum, Bd. 10, Wittenberg: Hartmann 1677, S. 540 (vgl. dazu: E. Düker, Freudenchristentum. Der Erbauungsschriftsteller Stephan Praetorius, AGP 38, Göttingen 2003, 235 f). 152 Briefe des Jahres 1690 34. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 29. März 1690

Inhalt Kondoliert angesichts der Trauernachrichten und verweist auf die Ruhe, die die Verstorbenen den noch Lebenden voraus haben, die in betrübten Zeiten leben. – Bespricht ein Manuskript des Adressaten, in dem es um den Vorrang der lutherischen gegenüber der reformierten Kirche geht. – Rät von der Publikation ab, da der Adressat in Schwierigkeiten kommen kann. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 389–390.

Was die zugestossene trauerfälle anlangt, condolire darüber, gratulire aber auch, daß GOtt mit so kräftigem trost beystehet, zu erkennen, wie wol die unsrige bey GOtt versorget seyen. Wie wir denn nicht nur in betrübter zeit stehen, sondern auch besorglich eine weile noch eine betrübtere vor uns se- 5 hen, in dero die lebende diejenige selig preisen werden, welche eher zur ruhe gekommen. Also haben wir zwar an den unsrigen, welche uns GOtt lässet, alle treue zu erzeigen und sie dessen heil[iger] vorsehung zu empfehlen, als gewiß, daß, der der rechte Vater2 ist, zu aller zeit für sie zu sorgen wisse, indessen ihm auch zu dancken, wann er einige der unsrigen ehender in die vollkommene 10 sicherheit versetzet und dasjenige zeitlicher an ihnen erfüllet, was ohne das aufs wenigste dermaleins unser eusserster wunsch vor sie ist, daß sie nemlich ewig selig seyen. Der HErr nehme aber denselben samt übrigen seines hauses stets in seine Vaterhut und vollbringe seinen allergütigsten und besten willen an ihnen in zeit und ewigkeit. 15 Hiebey sende ich wiederum die an mich communicirte fragen, welche ich durchlesen habe, und, nachdem meine meinung freundlich begehret worden, erinnere nur etliches weniges. Q. 4 wird der spruch Rom. 1 die sach nicht gnug erweisen, weil dabey stehet „die da gläuben“3; es können aber leicht andere sprüche substituiret 20 werden, die die intention erweisen. Q. 28 getraute ich unsre denomination von Luthero4 nicht mit derjenigen zu vergleichen, wie die kirche von den Aposteln Apostolisch genennet wird,

1 Es handelt sich um einen lutherischen Geistlichen (Z. 21–24), der in einem Gebiet mit reformierter Herrschaft wirkt (Z. 38 f). Er hat sich schon früher bei Reformierten einen schlechten Ruf eingehandelt (Z. 41–43, 46). Es ist denkbar, daß er im Kurfürstentum Brandenburg wirkt. Es könnte auch Johann Philipp Schlosser sein, der seit 1686 Pfarrer in der lutherischen Gemeinde in Heidelberg war (zu diesem s. Brief Nr. 60 Anm. 37). 2 Eph 3,15. 3 Vermutlich Röm 1,16b (Luther 1545: „Denn es ist eine Kraft Gottes / die da selig machet / alle / die daran gleuben / die Jüden furnemlich vnd auch die Griechen.“). Was im einzelnen gemeint ist, läßt sich nicht feststellen. 4 Martin Luther (1483–1546). Nr. 34 an [einen Geistlichen] 29. 3. 1690 153 dann es ist die kirche auf den grund der Apostel und Propheten erbauet, nicht aber auf den grund Lutheri, nach Eph. 25. Q. 37 wegen des gebots von heiligung des siebenden tages wird eine re- 25 striction auf einige umstände nötig seyn, damit der leser nicht davor halte, als ob man das gantze gebot den juden allein heimweisen wolte. Q. 24.25 kan man nicht bloß dahin sagen, daß GOtt nicht mit einiger ein- fältiger schwachheit gedult tragen wolte, ob sie irren, wol aber nicht, wo eine vorsetzliche und halsstarrige verleugnung der warheit vorgehet. Weswegen 30 bisher unsre christliche theologi, ob sie wol die reformirte irrthüm6 ver- dammet, dannoch, solcher gemeinden alle, sonderlich einfältige, glieder zu verdammen, sich niemal unterstanden haben. Dieses wären diejenige stücke gewesen, welche ich in dem durchlesen be- mercket. Was aber die publication anlangt, bitte ich, die sache reifich und 35 mit leuten, die ihrer kirchen zustandes verständig sind, zu überlegen, ob dieselbe rathsam seye; ich meines orts stünde deswegen in ziemlichen be- dencken, weil nicht allein insgemein denjenigen, so, in einer getruckten kir- chen zu leben, sich beklagen, zu rathen stehet, daß sie wider die mächtigere parthey nichts öfentlich schreiben, sondern dasselbige denjenigen überlassen, 40 welche in mehr freyheit stehen, sondern weil auch mein H. Hr. sich erinnert, daß derselbe vor andern bey den Reformirten übel recommendiret seyn soll- te; daher ich in einer solchen sache, wo wir eben nicht sagen können, daß dem heil der kirchen ihres orts etwas damit abgehe, weil, was durch diese fragen gesucht wird, ohne zweifel auch wol durch andere bücher erlangt 45 werden möchte, ich nicht rathete, die widrige gegen sich aufs neue zu reitzen und ihm7 selbst ungelegenheit zuzuziehen. Dieses wäre meine hofentlich nicht ungegründete meinung, womit doch keines gewissen maaß, sondern allein unvorgreifichen rath gebe. Der HErr zeige selbs, was das beste und zur behauptung seiner wahrheit vortäglichste seye. 50 Dreßden, den 29. Mertz 1690.

5 Eph 2,20 (Luther 1545: „erbawet auf den grund der Apostel vnd Propheten / da Jhesus Christus der Eckstein ist“). 6 Diese Form der Pluralbildung (auch „irrthüme“) bis ins 17. Jd. üblich (DWB 10, 2176). 7 Refexiver Gebrauch im Sinne von „sich“. 154 Briefe des Jahres 1690 35. An Johann Crasselius in Altenburg1 Dresden, 3. April 1690

Inhalt Hat sich über den Brief von Crasselius gefreut und berichtet, er habe über [August Hermann] Francke schon von dessen rechtschafener Frömmigkeit gehört. – Will die vorgelegten Fragen beantworten: – Gelehrte und Ungelehrte sollen in einem ersten Zugang die Bibel ohne Kom- mentare lesen, dabei das Neue Testament häufger als das Alte. – Durch die Lektüre des Alten Testaments wird der Geschichtsverlauf erkennbar und die Zusammengehörigkeit der beiden Testamente, das Neue zeigt die Grundlagen und Regeln des Glaubens aber deutlicher. – Die Bibellektüre soll in gottesfürchtiger Haltung und mit dem Willen zur praktischen Umsetzung des Gelesenen im Leben geschehen. – Die mehrfache Lektüre des Bibeltextes hilft zum weiteren Veständnis. – Darüber hinaus sind Kommentare hilfreich und nicht zu verachten. – Gibt Rat- schläge zum Gebrauch glossierter Bibelausgaben für ungelehrte Leute. – Erwartet von Gelehrten, daß sie zudem die biblischen Grundsprachen zu benutzen haben, und gibt weitere Hinweise auf nützliche Kommentare. – Lobt die Schrift über die Kindererziehung von Crasselius, besonders daß das Erlernen von Griechisch und Hebräisch betont wird; gesteht seine eigene geringere Kenntnis im pädagogischen Bereich. Überlieferung D1: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 95–98. D2: Erbauliches Send=Schreiben​ D. Philipp Jcaob [sic!] Speners von Lesung heiliger Schrift, auf Verlangen einiger dem Druck übergeben von einem In JESU Lobenden, Halle a.S. 1733.2

Göttliche Gnade, Friede, Rath, Licht, Heil und Segen in unserm gecreutzigten Heyland JESU CHristo. Wohl=​Ehren, Vest und Wohlgelahrter, insonders vielgeehrter Herr und in dem HErrn werther Freund!

5 Dessen den 9ten Febr. datirtes3 ist mir erst vor kurtzen aus Leipzig zugekom- men, und mir desto angenehmer gewesen, weil schon von dessen Person Hr.

1 Johann Crasselius (Crassel) (1652–8. 9. 1724), Konrektor in Altenburg; geb. in Wernsdorf bei Glauchau, nach dem Besuch des Gymnasiums in Zwickau und dem Theologiestudium in Jena, Leipzig und Wittenberg 1683 Informator, dann Lehrer und Subrektor in Rochsburg, 1686 Konrektor in Altenburg, 1690 Pfarrer in Saara und Muckern, 1699 entlassen, 1700 Informator im Waisenhaus in Halle, 1705 Archidiaconus in Stendal (J. u. E. Löbe, Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogtums Sachsen-Altenburg, Bd. 1, Altenburg 1886, 60 f, 485; PfBKPS 2, 228). 2 Obwohl D2 den Text vollständig bietet, folgt die Edition D1 (bis auf die Abschnitte, die in D1 fehlen), denn D2 bietet nicht nur eine für Spener ungewöhnliche Orthographie, sondern weist eine Vielzahl von klar erkennbaren Druck‑ bzw. vermutlich Lesefehlern auf. – In der Einführung begründet der Herausgeber den Druck mit seiner großen inhaltlichen Bedeutung: „Weil nun bißdaher dieses Schreiben, von vielen mit Vergnügen gelesen, auch wohl abgeschrieben worden, indem es weder in den Theologischen Bedencken, noch in andern Wercken zufnden; So ist man um dieser Ursach willen, solches Schreiben dem Druck zuübergeben bewogen worden.“ (unpag. Anrede „Geneigter Leser“). Die geringe Sorgfalt des Herausgebers zeigt sich darin, daß er den Abdruck in Bed. nicht erkannte. 3 Nicht überliefert. Nr. 35 an Johann Crasselius 3. 4. 1690 155

M. Franck4 mir dergleichen Nachricht gegeben, daß Derselbe es mit GOtt und Beforderung dessen Ehre, auch Pfantzung eines rechtschafenen Chri- stenthums treu= und redlich meine; welches mir gnug ist, wo ich dessen ver- sichert bin, einen solchen Mann werth zuhalten und mit ihm hertzlich in 10 Kundschaft zu treten. Daher auch versichern kan, daß, worum Derselbe mich in diesem ersuche, bereits damals angefangen habe, nemlich seiner auch mehr- mal von dem Angesicht des HErrn zugedencken, davon auch ferner nicht ablassen werde. Was im übrigen die gethane fragen anlanget von lesung der heil[igen] Bibel, 15 so wünsche, daß dieselbe zu erst von so gelehrten als ungelehrten gelesen werde ohne commentariis, sondern wie sie uns der heilige Geist vor augen geleget hat und aus derselben nach unserer bekäntnüß auch jeder einfältiger, was zu seinem glauben und leben blosser ding nöthig ist, fassen und verstehen kan. 20 Es soll aber alsdann solches lesen mit dieser ordnung und absicht geschehen: 1. Daß das neue Testament allezeit vielmehr als das alte gelesen werde, ja daß mans wol 4 oder 5mal gegen einem einigen mal des alten durchzubringen habe. Jedoch ist dieses auch nicht hindan zu setzen, sondern wir bedörfen es auch; so wol daß wir die historie uns bekannt machen, Gottes weißheit, güte 25 und gerechtigkeit in allem, was von der welt her vorgegangen ist, sonderlich wie er seine kirche allezeit regieret und erhalten habe, zu seinem preiß und unsers glaubens stärckung erkennen, die wahrheiten, die wir in dem neuen Testament lernen, bereits dorten auch, ob wol etwa dunckler, angedeutet sehen und dadurch befestigt werden und also die vereinigung beider Testa- 30 menter wahrnehmen. Der vorzug aber gebühret dem neuen, darinnen die glaubens=​lehren und lebens=​regeln am verständlichsten und kräftigsten zu fnden. 2. Solle alles lesen billich geschehen mit hertzlicher andacht und gebet, mit achtgebung auf alle worte und hertzlicher begierde, göttlichen willen aus 35 dem wort gründlich zu lernen und nachmal sorgfältig zu thun. 3. Das erste lesen, ja wol etliche malige durchlesen, ist rathsam also anzustel- len, daß man weder gedencke noch sich bemühe, alles, was man lieset, dißmal zu verstehen; sondern nur erstmal zu fassen, was auf das allerdeutlichste und einfältigste da stehet, daß an dem verstand5 niemand wol einigerley massen 40

11 worum: cj ] warum: D2. 15 Was ] [Beginn Abdruck D1]. 15 im übrigen ] – D1. ​ 18 unserer ] unsere: D2. 24 hindan ] hinten an: D2. 24 zu setzen ] – D2. 28 unsers ] unsrer: D2. ​29 dorten ] dergleichen: D2. 39 nur erstmal ] daß man überzeugt seyn wolle, allein dasjenige zu verstehen und: D2. 40 einigerley massen ] einigermaßen: D2.

4 August Hermann Francke, Magister der Theologie (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). – Am 20. 11. 1689 berichtet Gottlieb Benjamin Gleiner an Hermann von der Hardt von einer Reise, die er zusammen mit August Hermann Francke nach Altenburg unternommen habe, wo Crasselius als „christeifriger“ Konrektor wirke (LB Karlsruhe, K 319 II). 5 Im Sinne von „Verständnis“ oder Auslegung (eines Begrifs oder Textes) (vgl. DWB 25, 1524). 156 Briefe des Jahres 1690

zweifeln kan, mit aussetzung aller derjenigen ort, welche einigen scrupul und schwerigkeit zu haben scheinen. Was aber dermassen klar und ofenbahr da stehet, hat der leser sich so viel mehr nicht nur in die gedächtnüß, sondern recht in das hertz zu drucken6 und GOTT um solche gnade zu bitten, solche 45 wahrheiten, was den glauben betrift, bey sich selbs feissig zu überlegen und, wie mans zu seiner stärckung gebrauchen könne, zu behertzigen, sonderlich aber, was man vor lebens=​regeln erkannt, ungesäumt zu trachten, in das werck zu setzen. 4. Wo man etliche mal also die schrift durchgebracht und, nur das leichte- 50 ste zu fassen, sich bemühet, auch solches ziemlich in das hertz gefaßt hat (da ich auch versichere, daß man in der zweiten, dritten durchlesung von selbs schon mehrere stellen, die das erste mal gar dunckel geschienen, gründlicher einsehen werde, weil man der art zu reden des Heil. Geistes stets kundiger und gewohnter wird), so hätte man denn sein lesen nun weiter fort zu setzen, 55 daß man je länger je mehr, jeglicher nach dem maaß, was ihm gegeben ist, die heilige schrift zu verstehen verlange und allgemach auch einige schwehrere ort mit verstehen lerne; da mögen alsdann anderer christlicher leute schriften auch zum gebrauch kommen und sollen nicht verachtet werden; da wolte ich denen, die nicht studiret haben, die Weimarische7 oder Osiandri Bibel8 oder 60 auch Crameri9, wegen der lehren, nicht mißrathen. Aber wiederum also, daß sie allemal das capitel allein, wie es da stehet, lesen und darauf entweder, wo

41 kan ] darf: D2. ​ 49 4. ] Vierdtens: D2. ​ 49 Srift: D1. ​ 50 gefaßt ] gebracht: D2. ​ 59 denen ] dann: D2. 60 wiederum also ] es ist zu mercken: D2.

6 Vgl. die ähnlichen Formulierungen, die die für Spener bedeutsame Formel „vom Kopf ins Herz“ meinen, in Z. 61 und in Brief Nr. 75, Z. 162 f, mit Anm. 16. 7 Durch Herzog Ernst von Sachsen-Gotha-Altenburg in Auftrag gegebene und von Johann Gerhard und Salomon Glassius bearbeitete und mit Glossen versehene Bibel, die ausdrücklich den „gemeinen Mann, der in Künsten und Sprachen nicht erfahren“ (Vorrede an den christlichen Leser) zur Zielgruppe hatte (auch Kurfürsten‑ oder Ernestinische Bibel genannt). Zum ersten Mal erschien sie bei Wolfgang Endter im Jahr 1641. Bis 1768 erfuhr sie 13 Aufagen. 8 Biblia Mit der Außlegung, Das ist: die gantze heilige Schrift Altes und Neues Testaments des Hocherleuchten und theuren Mannes Gottes D. Martini Lutheri: mit einer kurtzen, jedoch gründlichen Erklärung des Textes, Andeutung aller gedenckwürdigen Sachen und der fürnehm- sten LehrPuncten … Summarien über alle Bücher und Capitel aus des […] LUCAE OSIANDRI […] Lateinischem Exemplar […] In die Hochdeutsche Sprache […] gebracht und in […] Stutgart [sic!] in sieben Theilen […] ververtiget […] durch […] DAVID FÖRTERN. Anitzo aber […] zu einem Bande eingerichtet, Lüneburg: Stern 1665. 9 Biblia Das ist Die gantze H. Schrift Nach der Dolmetschung Vorreden und Marginalien D[.] M. Lutheri / mit mehrern Concordantien: Besambt newer Sum[m]arischer Außlegung darin nicht allein ein jedes Buch und Capitel richtig v[er]fasset und getheilet, Sondern auch darauf der Nutz […] Kürtzlich und dannoch Reichlich, das es an stat eines Zimlichen Commentarii sein kann / gezeuget und mit Zeugnissen und Exempeln H. Schrift bewähret / und also schrift mit schrift erkläret wird / Durch Danielem Cramerum der H. Schrift D. Der Stiftskirchen Zu S. Marien Pastorn […] Mit einer Vorrede der Theologischen Facultet zu Tübingen, Straßburg: Zetzner 1619/20, 2. Auf. Straßburg 1625; seit 1629 mit häufgen Neuaufagen bei Stern in Lüneburg; im Jahr 1688 wurde eine neue Aufage durch Elias Veiel besorgt (Ulm: Kühn). Nr. 35 an Johann Crasselius 3. 4. 1690 157 sie nicht recht fort kommen können oder sorgen den verstand nicht recht zu trefen, in solchen nachschlagen, was sie darinnen vor nachricht fnden, oder daß sie nach jenem lesen, alsdann solche erklährung auch lesen und also dasjenige drauß lernen, was sie ohne solcher christlicher leute anzeige vor sich 65 selbs nicht würden gesehen haben. Allezeit aber was sie lesen, sich bemühen, nicht nur zu wissen, sondern gleich in das hertz zu fassen10 und sich dadurch in dem glauben und vertrauen zu GOtt oder in dessen liebe und gehorsam desto mehr zu stärcken; daher vor, in und nach dem lesen stäts den Heil[igen] Geist um sein liecht und beystand anzurufen, so dann, was solche dinge sind, 70 so bald in die übung zu bringen. Diese art wird denen, die nicht studiret haben, gnug seyn und das göttliche wort bey ihnen diejenige zwecke, wozu es geben, ohnfehlbarlich erhalten, nemlich die befestigung in der wahrheit und würckung der früchten der gerechtigkeit. 5. Was denjenigen so nicht studiret haben, gesagt ist, gehet eben so wol auf 75 die gelehrte, sonderlich was die allgemeinen requisita der lesung angehet mit diesem unterscheid. 1. Daß diese neben ihrem teutschen sich des grund=​ textes sonderlich zu brauchen und ihre gewißheit hauptsächlich auf densel- ben zu gründen haben. 2. Weil ihnen GOTT mehr gegeben hat, so haben sie auch weiter in der erkäntnüß zu gehen oder darnach zu trachten; sonderlich, 80 welche sich dazu bereiten, dermaleins andern das wort der wahrheit selbs für- zutragen; daher ihnen nicht gnug seyn will, daß sie allein, was zu glauben seye, verstehen, sondern auch von allem aus dem wort gründliche rechenschaft, als so viel nöthig seyn will, zu geben vermögen. Da will es nun freylich auch noth seyn, zuweilen commentarios zu besehen. Ich wüste aber nechst den obigen 85 keinen einigen allgemeinen commentarium einem zu recommendiren, son- dern es wird wol jeder sich fast mehr an die absonderliche commentatores jeder bücher, welche sich einer mit mehr feiß zu lesen vorgenommen haben möchte, halten müssen. Jedoch unter denen, welche allgemeiner gehen in dem N[euen] Testament, recommendire ich gern glossam Flacii,11 darinnen 90 gewiß viel stattliches und nützliches sich fndet; die harmoniam Chemnitio-

63 darinnen ] darein: D2. ​67 sich ] – D2. ​72 wozu ] zu was: D2. ​75 5. ] Fünftens.: D2. ​ 76 allgemeinen ] allgemeine: D1. 78 f demselben ] D2. 82 seyn ] sey: D2. 85 wüste ] muß: D2. 87 jeder ] einjeder: D2. ​ 89 allgemeiner ] allgemeine: D2. ​ 90 Flacii ] Placii: D2. ​ 91 nützliches ] herrliches: D2.

10 S. Anm. 6. 11 Matthias Flacius, ΤΗΣ ΤΟΥ ΥΙΟΥ ΚΑΙΝΗΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΑΠΑΝΤΑ. Novum Testamentum Jesu Christi Filii Dei. Ex versione desiderii Erasmi Roterdami innumeris in locis ad Graecam veritatem genuinumque sensum emendata. Cum glossa compendiaria, Frankfurt a. M.: Johann Beyer, Johann Wilhelm Ammon und Wilhelm Serlinus 1659. 158 Briefe des Jahres 1690

Lysero-Gerhardianam12; Balduinum in Epistolas13; so dann auch in die Epi- stolas minores Eilh. Lubinum14, von dem zwahr schad, daß man ihn schwehr bekommen kan. Die kleine und kurtze paraphrasis oder erklärung D. Se- 95 bast[ian] Schmiedten über 13 episteln und den Prediger Salomonis15 mag auch nicht ohne nutzen gebraucht werden. Was aber die übrige absonderliche commentarios über jede Bücher anlangt, werden dieselbe ohne zweifel ohne das gnug bekannt seyn. Der HErr gebe allezeit, so oft wir mit seinem wort umgehen, die gnade seines Heil. Geistes, der, was wir lesen, auch mit leben- 100 digen buchstaben in die hertzen schreibe16 oder es da hineinpfantze, wo es bleibe und viel lebendige früchten trage. Den mir communicirten aufsatz von christlicher kinder=​zucht17 habe ich verlangter massen durchgesehen, und mir derselbe wohlgefallen. Dann ob ich wol meinen mangel gestehen muß, daß ich von schul=​arbeit und methodo 105 nicht genau urtheilen kan, nachdem ich weder active noch passive in öfent- lichen schulen als ein lehrender oder lernender mich befunden, und also keine erfahrung davon habe, was jede arbeit leichter machen oder befördern kan, sondern allein so viel davon weiß, was ich naturali judicio assequire18, so hat mir doch die ausführung selbs nach dem zweck, welcher vor augen ist, 110 eingerichtet, nicht übel gefallen, sonderlich da die jugend auch rechtschafen zu dem griechischen und hebräischen geführet wird19, und hofe, es werde

97 commentarios ] commentarii: D2. 105 f in öfentlichen schulen als ein lehrender oder lernender ] als ein Lehr der einander Lernender: D2. ​

12 Harmonia Quatuor Evangelistarum a Theologis celeberrimis, D. Martino Chemnitio pri- mum inchoata: D. Polycarpo Lysero post continuata atque D. Johanne Gerhardo tandem felicissime absoluta, 2 Bde., Genf: P. Chouet 1642; die von Spener verwendete Aufage: Frankfurt a. M. und Hamburg: Hertel 1652 (s. dazu Brief Nr. 22 Anm. 65). 13 Friedrich Balduin, Commentarius in omnes epistolas beati Apostoli Pauli, Frankfurt a. M.: B. Mevius 1655. 14 Vermutlich meint Spener: Eilhard Lubin, In minores omnes Sanctorum J. Christi Apo- stolorum Pauli Ad Galatas, Ephesios, Philippenses, Colossenses, Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Jacobi, Petri, Johannis Et Judae. Epistolas: Exercitationes Theologicae Pro- positae in Academia Rostochiensi, Rostock: Reusner 1610 (In der Bibliotheca Speneriana ist eine Ausgabe ausgewiesen, jedoch mit der Jahreszahl 1650: BS 4°, 374). – Eilhard Lubin (Eilert Lübben) (24. 3. 1565–2. 6. 1621); geb. in Westerstede, nach dem Studium 1595 Professor für Poetik und 1604 Theologieprofessor in Rostock (ADB 19, 331; NDB 15, 263 f). 15 S. Schmidt, Kurtze Erklärung über 1. den Prediger Salomo, 2. die ersten 11 Capp. der Epistel Pauli an die Römer, 3. die erste an die Corinther […], Lüneburg: Stern 1688. – Zu Sebastian Schmidt, Theologieprofessor in Straßburg, s. Brief Nr. 40 Anm. 8. 16 Vgl. 2Kor 3,3. 17 Johannes Crasselius, Treuhertziger und wohlgemeinter Vorschlag zu heilsamer und zumahl gantz leichter Verbesserung der allgemeinen Christlichen Kinder-Zucht und des dazu dienenden öfentlichen Schul-Wesens, Altenburg: Gottfried Richter 1690 (weitere Aufage: Leipzig: Heinich 1691). 18 Auf Grund des natürlichen Urteilsvermögens erfassen. 19 Zur Bedeutung der griechischen und hebräischen Sprache s. Speners gerade in diesen Tagen zu Ende gebrachten Ausführungen in „De Impedimentis Studii theologici“ (Cons 1, 206). – In Nr. 35 an Johann Crasselius 3. 4. 1690 159 die publication theils an einigen orten gelegenheit geben, sich der nützlichen vorschläge zu gebrauchen, theils andere aufmuntern, daß sie auch mit den ihrigen lieber herfürbrechen und nach nothwendigkeit, der sachen in com- mune zu consultiren, einen nähern anfang machen. Der HERR segne die 115 arbeit zu vieler gehoften frucht und lasse auch mehr und mehr neben der kirchen in der schulen seinen Geist kräftig würcken, damit in denselben die in der tauf demselben vorgetragene und seinen bund einverleibte seelen nicht nur mit nützlicher erkäntnüß der dinge, die in dem gantzen leben auch son- sten ihren nutzen und nothdurft haben, erfüllet, sondern fürnehmlich in 120 stärckung des glaubens und pfantzung der gottseligkeit, das heilige bilde Gottes in ihnen mehr und mehr erneuret werde, welches wohl der schulen vornehmste absicht ist und seyn solle. Ach daß sie stäts erhalten, und auch diese schrift dazu gesegnet würde! Womit der ewigen Liebe unsers himmlischen Vaters zu der treuen Ob- 125 waltung segnen und seiner Regierung hertzlich empfehlende verbleibe Meines hochgeehrten Herrn Zu Gebet und Liebe schuldig williger Philipp Jacob Spener, D. Dreßden, den 3. April 1690.

113 f den ihrigen lieber ] ihrer liebe: D2. 118 demselben vorgetragene ] denselben vorgetragen: D2. ​118 seinen ] seinem: D1. 121 stärckung ] Stärcke: D2. 121 das heilige bilde ] des heiligen Bildes: D2. 124 würde ] werde: D2. 125–129 Womit … April ] – D1.

Crasselius’ Liste darüber, was ein Gymnasiast beim Übergang zur Universität beherrschen solle, wird in Punkt f das Griechische und das Hebräische (der Bibel) aufgeführt (S. 25 u. 28–32; nach der 2. Auf.). 160 Briefe des Jahres 1690 36. An [Johannes Olearius in Leipzig]1 Dresden, 7. April 1690

Inhalt Bedankt sich für die näheren Informationen zu dem, was im Zusammenhang der Disputation [Joachim Martin] Schumanns über ihn geredet wurde. – Will die Sache auf sich beruhen lassen, droht aber damit, es ofziell bei der Theologischen Fakultät anzuzeigen, wenn einzelne Personen weiterhin falsche Gerüchte gegen ihn in die Welt setzen. – Begrüßt die Vorschläge von Olearius, wie die Unordnung und Unruhe gedämpft werden können. – Wünscht weiteren Erfolg für das Kolleg Olearius’ über den Kolosserbrief. – Hoft, daß sich ein Professor fndet, der die Leitung des Collegium Philobiblicum übernimmt, nachdem [Valentin] Alberti diese Aufgabe niedergelegt hat. – Begründet mit vier Argumenten, wieso Olearius diese Aufgabe übernehmen soll, auch wenn er mit dem Widerstand einiger Kollegen rechnen muß. Überlieferung K1: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 39. K2: Halle a.S., AFSt, A 159:21 (ab Bl. 113v, Zeile 6 Mitte)2. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 325–327.

Ich habe das beliebige3 antwortschreiben4 zu rechter zeit erhalten, bin aber bißher an ehender beantwortung unterschiedlich gehindert worden. Aus ab- lesung aber deßelben habe ich verstanden, was es vor eine bewantnus mit den meiner person wegen auf gelegenheit des Hn. Schumanns Disputation5 ge- 5 fallenen reden gehabt haben solle. Wie ich denn auch davon, was nöthig geschienen, meinen Hn. Collegis6, mit dero approbation ich geschrieben hatte7, widerum communiciret. Ob nun wohl die erste relation durch dasjenige, was sonsten das gerüchte mehrmahl gebracht, hätte mögen beglaubt gemacht8 werden, so acquiescire dannoch 10 billich dabey, was E. Hoch=​Ehrw. mir vor nachricht gegeben; und obschon die absicht auch gewesen, die sache an gantze Venerandam Facultatem Theo-

1 Johannes Olearius, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 31 Anm. 1). – Zur Empfänger- bestimmung: Sie ergibt sich durch den sachlichen Zusammenhang zu Brief Nr. 31 (vgl. auch Chr. F. Illgen, Ex Collegio Philobiblico Lipsiensi primis ab eius origine temporibus duo alia eiusdem nominis Collegia in hac ipsa Academia prodiisse, probatur, [Leipzig 1837], 7 Anm. 13). 2 Da das Datum (Z. 79 mit der textkrit. Anm.) vermutlich von Speners Hand stammt, handelt es sich bei K1 um eine direkt nach der Abfassung erstellte Kopie (zu Speners Vorgehensweise s. LBed. 1, 48 f), während K2 einen vollständigen Briefschluß mit Gruß bietet, was darauf schließen läßt, daß diese Abschrift von der Abfertigung, also in Leipzig, vorgenommen wurde. 3 Im Sinne von „was einem beliebt (lieb, wert, angenehm) ist“ (s. DWB 1, 1449). 4 Nicht überliefert. 5 Joachim Martin Schumann, Magister in Leipzig (s. Brief Nr. 31 Anm. 4). Zu seiner Dis- putation s. dort Anm. 6. 6 Die Mitglieder des Dresdner Oberkonsistoriums (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 7 Brief Nr. 31; bes. Z. 36–42. 8 Im Sinne von „fest machen“, „überzeugend dartun“ (DWB 1, 1298). Nr. 36 an [Johannes Olearius] 7. 4. 1690 161 logicam9 zu bringen, so abstrahire dennoch auch davon, vornehmlich E. Hoch=​Ehrw. darinnen zu verschonen und die Collision zwischen Collegis zu verhüten, gleichwohl mit dieser freundlichen bitte, daß sie geruhen möch- te, dafern wider verhofen jemand der Herrn Collegen zu andermahlen etwas 15 gegen mich u. das Zeugnus, so ich bißher durch Gottes gnade bey unsrer kirche alß ein diener der göttlichen wahrheit erhalten, moviren wolte, dem- selbigen anzuzeigen, daß ich zwahr durch Gottes gnade gelernet, manches wider mich geschehende mit sanftmuth u. gedult zu tragen, wo es aber be- trefe die sache Gottes u. das von Gott mir befohlene amt, daß ich, meine 20 unschuld zu überzeugung der widriggesinten zu retten, von ihm muth u. beystand haben werde, wie mich auch diejenige versichert, denen der HErr dazu macht u. autorität gegeben hat. Ich wünsche aber hertzlich, daß es nicht nöthig seye, mit denjenigen anzustoßen, mit welchen ich lieber in einigkeit lebe, zu dero ohne daß mehr alß zu streit geneigt zu sein von allen, die mich 25 kennen, das zeugnus zu haben, verhofe. Die von E. Hoch=​Ehrw. gethane vorschläge zu dämpfung aller unord- nungen halte ich klüglich u. christlich gefaßet, u. werden wir darinnen ein- müthig sein; ob aber alle andere dergleichen auch gesinnet sein und diese oder aber andere vortringen werden, durch welche ein feuer mehr angeblasen als 30 gelöschet werden könte u. daraus vieles ärgernus u. anstoß der schwachen10, auch niederschlagung des an sich selbst guten, zu schwehrer verantwortung vor Gott entstehen möchte, kan ich nicht vorher versichern. Laßet uns nur in allem solchem uns verwahren, unser gewißen nicht mit gemeinschaft andrer sünden11 zu verletzen, dem HErrn u. seiner heiligen direction alles überlaßen 35 u. ihn mit eyfrigem gebet um die beforderung des guten auf die ihm bekan- te art stäts fortzusetzen, eyferig anzurufen. Er wirds endlich wohl machen12. Zu E. Hoch=​Ehrw. collegio über die Epistel an die Colosser13 wünsche ich ferner Göttliche kräftige gnade u. liecht des H. Geistes zu vieler frucht der zuhörer. 40 Wie Sie sich aber bißher haben laßen angelegen sein, die erbauung der studiosorum und dero erkäntnus in Gottes wort zu befordern, so hätte jetzund dieselbe14 eine schöne gelegenheit, sich ferner um dieselbe wohl verdienet zu machen, da Sie das praesidium des Collegii Philobiblici15, so bißher ihrer

15 wider ] wieder: K1. 19 wider ] wieder: K1. 21 widriggesinten ] wiedriggesinten: K1. ​ 27 vorschläge ] vorschläg: K1.

9 Die theologische Fakultät der Universität Leipzig. 10 Vgl. Röm 14,13; 1Kor 8,9. 11 Vgl. 1Tim 5,22. 12 Ps 37,5. 13 S. Brief Nr. 31, Z. 117 f. 14 Gemeint ist Olearius; das Femininum bezieht sich auf „Hochehrwürden“ in Z. 38. 15 Das von Paul Anton, August Hermann Francke und anderen Magistern in Leipzig am 18. 7. 1686 gegründete Collegium Philobiblicum, in dem die Mitglieder sich vornehmlich dem Bibelstudium widmeten und dabei – aufgrund der Anregungen Speners – neben exegetischen 162 Briefe des Jahres 1690

45 vielen solchen nutzen geschafet, daß sie ihr lebtag Gott davor zu dancken nicht vergeßen werden, u. jetzt Hr. D. Alberti16 demselben sein praesidium u. hauß entzogen oder aufgesaget haben soll17, zu übernehmen belieben wolte. 1. kan derselben18 dergleichen praesidium niemand mit recht verdencken, indem es ein stück deroselben ofentlichen amts ist, allerley collegia zu halten 50 und also auch andere exercitia, wie in disputationen geschiehet, zu moderiren, so vielmehr, da Hr. L. Rivinus19 würcklich noch dergleichen ein collegium in seinem hauß under seiner inspection halten läßet. 2. Wo dieselbe ja in den Legibus20, so ich zwar nicht vermuthe, möchten einiges sehen, welches sie verbeßert verlangten, stehets denselben frey, einiges 55 beßer einzurichten. 3. Under denen übrigen Hrn. Professoribus Theologis sehe ich keinen, welcher dazu beßer sich schickte, nachdem sie alle mit andern geschäften mehr überladen sind, hingegen, 4. solte es ihrer Universität u. Theologischen facultät anderwertlich keinen 60 rühmlichen nachklang geben, wann es heißen würde, da man, studiosis ohne inspection eines Professoris eine übung des studii Exegetici zu verstatten, be- dencken hat, daß auch der Professorum sich keiner dazu verstehen wolte, gerade als wolte mann die begierde der studierenden, so sich in göttlichem wort gern zu üben verlangen, mit feiß dämpfen, so wir ja nimmermehr 65 werden von uns wollen sagen laßen. Diese momenta halte so wichtig, daß sie einen mann, dem es um die ehre Gottes ein ernst ist, davor ich dieselbe erkenne, billich bewegen sollen, eine dergleichen geringe, aber so nützliche mühe willig auf sich zu nehmen u. nicht zu achten, wann er auch einen unwillen eines oder andern in so gerech- 70 ter u. billiger sache darüber erfahren müßte, so alles durch die statliche frucht, welche davon zu erwarten, reichlich ersetzt werden, u. gewißlich der H[Er]r H[Er]r eine solche treue nicht unvergolten laßen würde.

48 derselben ] demselben: D. 68 dergleichen ] [Beginn: K (kompiliert mit Abschrift von K2 des Briefes Nr. 31). 69 wann ] wenn: K1+D. 69 oder ] + des: K1+D. 70 billiger ] löbl.: K2.

Fragen vor allem die persönliche Erbauung zum Ziel gesetzt hatten (Illgen 1, 8–12; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23). Nach diesem Vorbild waren weitere ähnliche Collegia in Leipzig, Jena und Wittenberg entstanden (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 20, Z. 48–58). 16 Valentin Alberti (15. 12. 1635–19. 9. 1697), Theologieprofessor in Leipzig, geb. in Lähn/ Schlesien (R. C. Jenkins, The Life of Valentin Alberti, London 1889; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 156 Anm. 1, und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 84 Anm. 10). Er hatte den Vorsitz im Collegium philobiblicum (s. Anm. 15) übernommen. Die Veranstaltungen fanden in seiner Wohnung im „Fürstenhaus“ statt (Illgen 1, 20). 17 Vgl. dazu Illgen 1, 29. 18 Zum Femininum s. Anm. 13. 19 Tilemann Andreas Rivinus (30. 9. 1654–29. 1. 1692), Professor für Hebräisch in Leipzig; geb. in Leipzig, nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg 1680 Diaconus an der dortigen Thomaskirche (Kirn, Leipziger Fakultät, 133). 20 Die „Collegii Philobiblici Leges“ sind abgedruckt in: Illgen 1, 12–20. Nr. 36 an [Johannes Olearius] 7. 4. 1690 163

Derselbe aber selbs schafe an allen orten alles, wordurch seine ehre am nachdrücklichsten befördert u. sein reich so wohl immer weiter außgebreitet, alß fester in den hertzen gegründet werden mag. In deßen weise regierung, 75 mächtigen schutz u. milden segen dieselbe treulich erlaßende verbleibe zu gebet und fr[eundlichen] diensten williger Philipp Jacob Spener, D. Dresden, den 7. Apr[il] 1690.

76 erlaßende ] erlasse: D [Ende Abdruck: D]. 79 7. Apr[il] 90: K [vermutl. von Speners Hand]. 164 Briefe des Jahres 1690 37. An [Ludwig Joachim Stoll in Leipzig]1 Dresden, 8. April 1690

Inhalt Hat vor fünf Tagen den Brief Stolls erhalten, kann aber erst jetzt antworten. – Wundert sich darüber, daß [Valentin] Alberti den Vorsitz des Collegium philobiblicum niedergelegt hat und diesem die Gastfreundschaft versagt, denn der Nutzen der Einrichtung ist erkennbar; mögliche Mißbräuche hätten korrigiert werden können. – Schlägt [Johannes Olearius] als neuen Leiter vor. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 708.

Quae Tuo et totius Collegii Philo-Biblici nomine a Te scriptae2, nudius quintus mihi exhibitae sunt, sed eo tempore, quo per eosdem tabellarios re- spondere non erat integrum. Collegio vestro ab Exc[ellentissimo] D. Alberto3 praesidium et hospitium 5 negatum esse valde miratus sum, cum hactenus illius fructus plurimi fuerint, et si qui, quod nescio, irrepsissent, abusus isti etiam facili negotio corrigi potuissent. Ast de consiliis aliorum et rationibus factorum iudicare meum non est. Cum autem sententiam meam exquirere placuerit, suasor fuerim, ut lecto- 10 res eius collegii Excell[entissimum] D. Olearium4 conveniant et ab eo praesi- dium petant, quod non negaturum confido, nec alium ex Venerando Theo- logorum ordine video, cui negotia sua aliaeve rationes aeque functionem istam concederent. Si vero in legibus aliqua ille desideraret5, quod equidem nescio, potestatem facietis statuendi, quod profectui credet conducere. Porro quan- 15 doquidem temporis huius conditio suadere videtur, ut uno non solum auto- ritatem atque nomen Praeses commodet, verum semper praesens existat, sal- tem rarius absit, aequum fuerit. Laborem istum aliquo honorario ab illis, qui proficere cogitant et, quod solvant, habent, pensari.

1 Ludwig Joachim Stoll (23. 10.[1665?] – April 1690), Magister; geb. in Rappoltsweiler, Sohn von Joachim und Agatha Dorothea geb. Spener (zur letzteren s. Brief Nr. 86 Anm. 21); er hatte Theologie studiert (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 86 Anm. 7, und Bd. 3, Brief Nr. 115 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Spener erwähnt einen Brief Stolls, den er erhalten hat (Ad Rech 1, Bl. 349r); vgl. auch Illgen 1, 39. Illgen druckt den vorliegenden Brief ab (S. 53 f). 2 Stolls Brief ist nicht überliefert. Zu Speners Erwähnung des Briefes s. Anm. 1. Dieser soll Stoll grüßen und ihm schon vorab seine Meinung mitteilen. 3 Valentin Alberti, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 36 Anm. 16). 4 Johann Olearius, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 31 Anm. 1). 5 Vgl. Brief Nr. 36, Z. 50–52. Nr. 37 an [Ludwig Joachim Stoll] 8. 4. 1690 165

Vale cum amicis et commilitonibus in DOMINO, qui verbum suum sub- inde opulentius in populo suo habitare faciat6 omnesque eius amatores multa 20 benedictione perfundat. Dresdae, 8. April[is] 1690.

6 Vgl. Kol 3,16. – Vgl. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 94 (PD 53, 31 f). In der lat. Ausgabe übersetzt Spener: „ut verbum Dei opulentius inter nos habitaret“ (Spener, Studienausgabe, I/1, 193.34 f). 166 Briefe des Jahres 1690 38. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 14. April 1690

Inhalt Bedankt sich für die Briefe, die ihn über die weitere Entwicklung der Angelegenheit Petersens informieren. – Glaubt, daß etliche Kollegen Petersen nicht wohlgesonnen sind, dieser sich aber auch unklug verhalten hat; er hätte umstrittene Lehren lieber nur im engsten Freundeskreis thematisieren dürfen, anstatt sie von der Kanzel zu verkündigen. – Ist in Bezug auf die Auf- erstehung der Märtyrer anderer Meinung als Petersen. – Bei der Lehre vom Millennium ist er nur davon überzeugt, daß es noch in der Zukunft liegt, will sich aber über seine Dauer nicht fest- legen. Glaubt an einen glücklicheren Zustand der Kirche. – Berichtet von den unterschiedlichen Einschätzungen zur Glaubwürdigkeit der Überlieferung, Jakob Böhme sei von dem Dresdner Oberkonsistorium verhört worden. – Freut sich über die Nachrichten zu [Ludwig Friedrich] Barthol und hoft, daß dieser in ein geistliches Amt kommen kann. – Skizziert den derzeitigen Stand der pietistischen Unruhen in Leipzig und berichtet von dem Konventikelverbot, das erlassen wurde. – Grüßt Petersens Familie. – [P. S.:] [Johann Melchior] Stenger, der zu Petersen gekommen ist, hat den Freunden in Hinterpommern geschadet. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 446–453.

JESUM patientem sed patiendo victorem!2 In ipso dilectissime Frater et Compater. Utramque tuam3 accepi et ex iis causae Tuae, qui tum erat, statum accepi, quo vero nunc cardinem versetur, ignoro, sed eandem quotidie non semel DEO 5 eiusque curae directrici commendo. Patiere et pateris certe ex animo me Tibi loqui. Facile Tibi credo ex Col- legis Tuis esse viros etiam carnales et carnali causae male Tibi volentes, quique istas turbas oriri studuerint eo consilio, ut Tibi et muneris Tui fructui obessent, unde absit, ut causam ipsorum ad[versus] Te agam. Concedo etiam praepo- 10 stere factum, ut Te falsorum dogmatum accusarent prius et tum demum Con- fessionem Tuam postularent atque omni reverentiam Tibi debitam laederent. De his enim me ex iis, quae mihi significasti, constare mihi puto. Nec tamen altera ex parte nego valde me esse solicitum de tota causa: inprimis an satis Tibi semper caveris publice privatimque loquens, cum dubitem de aliquibus 15 quaestionibus Tibi propositis, an proposituri fuerint, nisi ex ore Tuo excepis- sent, ex quibus specioso colore Te erroris postularent. Si vero cures illas im- putationes a Te amoliri quires: quam gauderem.

4 cardinem: cj ] cardine: K. 4 versetur: cj ] verfetur: K. 8 oriri: cj ] oiere: K.

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Anklang an die Karwoche, in der dieser Brief geschrieben wurde. 3 Die Briefe Petersens sind nicht überliefert. Nr. 38 an Johann Wilhelm Petersen 14. 4. 1690 167

Martyrum resurrectionem4 quod concernit, in eadem praesto sententia non solum me existimare illam Scripturae sacrae non consonare, a qua post truti- nata multa dubito, an quis me dimoverit unquam, verum inprimis optare 20 chordam istam a Te, ut strepitus excitaretur, tactam non fuisse; unde porro optarim Te promisso stetisse dato, quod non nisi Jesum crucifixum5 caetui Tuo expositurus esses6, quod fieri omnino et alia omitti, saltem tantisper, oporte- bat, donec animis totius Ecclesiae Tibi conciliatis ad ea praegeres, quo diffici- liora sunt, nec omnium captui commoda. Cum vero tempestas haec semel 25 excitata, in id danda est opera, ut Divina gratia quam primum componatur; in reliquis quaestionibus si ausis collegis plene satisfacere, ut in Tua orthodoxia censores non inveniant, quod desiderent, suaserim, ut a priori postulato iam desistas, quod quidem satis iustum fuerat, ut Tibi prius heterodoxa demon- strarent, antequam Te ad examen vocent; nam cum exceptio tua propositas 30 quaestiones et, quod ab illis exigis, tergiversationis speciem praefert et, quod non optime Tibi conscius esses, suspicionem apud illos, qui alioqui non opti- me Tibi cupiunt, augere posset, consuetius videtur, ut illo Iure Tui desistas, sin responsa Tua satisfaciant, collegis eo ipso convincuntur Te heterodoxiae nullo merito Tuo postulasse adeoque in Te fuisse iniurios; quo facto, Iure posces a 35 Iudice, ut de obiectis illis Tibi satisfaciant. Quod vero materiam attinet de regno millenario, nolim Te in defensione illius praesidii multum ponere, sed illi soli inhaerere exceptioni, quod ad fidem disputatio illa non spectat, quod Gen[eralis] Superintendens vester7, quod docuisti, ipse concessit; si vero a Te petatur, ut a dogmatis istius propositioni 40 alteriori abstinens et Tibi secretum tuum serves, omni iure Te ad morem ge- rendum obstrictum opines. Coeterum huc scriptum est mihique literae ostensae, quod ad consensum meum de resurrectione martyrum provocaveris8; ego vero non potui non negare quaesitus, cum publice sententiam meam exposuerim, a qua, quod me dimovere possit, neutiquam video. Addo apud 45 Te istud quoque de reliquis etiam circumstantiis mihi non constare satis. Mille annos nondum praeteriisse, plane statuo; verum utrum ad literam mille intelligendi, quia numerus rotundus est, an tempus satis longum, non mihi liquet; unde sententiam meam nullibi expono, nec in arenam protrahi me fero, cui hoc unum sufficit, si beatior status sit Ecclesiae adhuc expectendus9: ple- 50

4 Die (besondere) Auferstehung der Märtyrer (s. Brief Nr. 19 Anm. 2). 5 Vgl. 1Kor 1,23; 2,2. 6 Zu dem Versprechen Petersens s. Brief Nr. 26, Z. 14–16. 7 Joachim Hildebrandt (10. 11. 1623–19. 10. 1691), Generalsuperintendent von Lüneburg- Celle; geb. in Walkenried, nach dem Theologiestudium in Jena, Leipzig und Helmstedt Konrektor in Wolfenbüttel, 1646 Professor in Helmstedt, 1662 Pastor und Generalsuperintendent in Celle (Fischer, HannPfb 1, 161; H. W. Rotermund, Das Gelehrte Hannover, 2. Bd., Bremen 1832, 356–362). 8 Die Antwort auf den hier erwähnten Brief ist vermutlich Brief Nr. 19. Zu Speners Ab- lehnung der dieser Lehre s. dort Z. 7 f. 9 Zu der Hofnung Speners auf einen besseren Zustand der Kirche s. Krauter-Dierolf. 168 Briefe des Jahres 1690

raque a loci Apocalyptici me cum ἀσφαλείᾳ10 nunquam prospexisse, ultro fateor, cum, quocunque me vertam, difficultates agnoscam, non leves. Habes hic, mi frater, quis meus de negotio isto sensus sit, et consilio dabis locum, si illud causae Dei proficere agnosces, nec enim ullum hominem meo unquam 55 consilio obstringere soleo. Hanc etiam, ut gratiam mihi facias, ne diu, quo in cardine Tua versentur, ignorare necesse habeam, rogo. Causam, cum etiam non ex primo intelliges, quod Te amo adeoque Tui solicitudine, dum aliis etiam aliunde curis coquor, non levi teneor. Parum vero est, quod ago, in commune conferam, quam preces, quas quotidie non unas hanc ob causam fundo. Ex- 60 audiat Deus, qui illas fundere iussit, atque ipse rem omnem moderetur, ne gloriae ipsius quicquam officiat. Quod de Böhmio11 interrogasti, in protesynedrio nostro12 nec pagella re- peritur de ipius examine; unde sunt, qui fictam historiam credant13, alii acta inde avocata alibi asservari opinentur; quod ego dicam, certi non habeo, 65 propendeo tamen in affirmativam virum hic examinatum, fundamenta autem mihi non nisi duo sunt: Epistola D. Welleri14 ad D. Calovium15 (cuius quidem fidem non desunt, qui publice in dubium revocant, apud me vero sola auto- ritas nostri Caroli B. Frisii16 quondam praesidis, a quo ad me Francofurtum17 missa est18, adeoque ab ipso, qui tamen Wellero consueverat, genuina credita) 70 et Chronicon Dresdense Weckii19 Norimbergae20 excusum; quamvis enim in impressis de examine illo nihil legatur, fuit tamen in manuscripto, sed a mini- sterio Norico hoc et alia expuncta, alia inserta sunt. Weckio autem non parum ex eo tribuo, quia curam archivi habuit, unde ex eo sua petisse non dubito. De D. Gerhardo21 et D. Meisnero22 eidem adhibitis examini valde dubito23. 75 Nec enim id cum moribus nostris convenit.

73 petisse: cj ] petiise: K.

10 Mit Sicherheit, Gewißheit. 11 Jakob Böhme, mystischer Spiritualist (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). Zur Frage, ob er wirklich vor dem Dresdner Oberkonistorium verhört wurde, s. Brief Nr. 33, Z. 11–29. 12 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 13 Vgl. dazu Brief Nr. 33 Anm. 7. 14 Jakob Weller von Molsdorf (s. Brief Nr. 33 Anm. 8). 15 Abraham Calov (s. Brief Nr. 33 Anm. 21). 16 Carl Freiherr von Friesen (s. Brief Nr. 33 Anm. 10). 17 Frankfurt a. M. 18 Vgl. dazu Brief Nr. 33, Z. 19–23, und einen Brief aus dem Jahr 1685 (Bed. 1 I, 323). 19 Anton Weck, Der Chur=Fürstlichen​ Sächsischen weitberufenen Residentz= und Haupt=​ Vestung Dresden (s. Brief Nr. 33 Anm. 14). – Zu A. Weck s. dort a. a. O. Anm. 13. 20 Nürnberg. 21 Johann Gerhard (s. Brief Nr. 22 Anm. 62). 22 Balthasar Meisner (3. 2. 1587–29. 12. 1626), Theologieprofessor in Wittenberg (RGG4 5, 996; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20 Anm. 55). 23 Vgl. dazu die Ausführungen Brief Nr. 33, Z. 38–40, und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6, Z. 24–28. Nr. 38 an Johann Wilhelm Petersen 14. 4. 1690 169

Quae de optime Bartholo24 significasti, et eiusdem epistola ulterius testata est, mihi fuere gratissima, Tecum ipsum amo, et eius hactenus in precibus memor fui, cum quo alio meum amorem testarer, nihil fuerit. Optarim equidem, ut sacro ministerio admoveretur; an vero ordinationibus, quibus il- lud hodie circumscriptum est, se obstringere ferat, Tu noveris. DEUS ipsum 80 servet ac in omnem veritatem ducat25 ipsique ostendat, quando et ubi Ec- clesiae servire valeat. Lipsiae hactenus multo meo cum dolore res valde turbarunt26. DEO tamen ago gratias, qui amicos meos custodivit, ne qua falsa docerent, quantum hac- tenus ex actis27 videre licuit; cum etiam M. Schadio28 proximis diebus loque- 85 rer, qui tamen post discessum nostri M. Franci29 unus pene collegia continua- vit, in orthodoxia firmus perstat. Fuere, qui ad ministerium deferrent falsa dogmata, quae audivissent nihil vero probatim, nec constat, audita intellexe- rint, nec ne? De uno quidem, medicinae cultore30, non sunt, qui opinentur errore non omnino vacare; sed addunt eundem, antequam M. Franckus et alii 90 pietatem urgerent, ab aliis fanaticum appellatum, nec ab his quasi foveat, te- nere. Unum, quod vitio vertitur, est, quod M. Schadius et alii alioquin passi, ut praeter studiosos, cives ad lectiones suas affluerent, et hi demum ipsi inter se convenire cepissent31. Res in se innoxia, imo potius bona, sed quam haec tempora, haec ditio, nostri homines non ferant; unde illa libertate abstinuisse 95 ipsos mallem. Edicto ergo omnes tales conventus severe inhibiti32; quam vel- lem quosdam inhibitionem non amplius etiam extendere. Mihi insidiantur, qui id videri nolunt, ut omnem hanc in me cudi fabam33 sint, qui arbitrentur. Conscientia fretus expecto, quicquid in me hic vel ille paret; certe nullus potest, nisi quod benignissimus Pater permittat, nec vero permittet ille, quam 100 quod nomini suo gloriosum fuerit. Oremus ipsum, ut vel tandem subveniat Ecclesiae afflictae et filiis suis sub vario onere gementibus.

24 Ludwig Friedrich Barthol (gest. 10. 9. 1692); geb. in Mömpelgard, 1684 Französischlehrer in Duisburg, inzwischen ofenbar ohne Anstellung (Samuel Großer, Lausitzische Merckwürdigkeiten, 2. Theil, Leipzig und Bautzen: David Richter 1714, S. 43 [mit genauem Todesdatum]; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 33 Anm. 7), zu dem Aufenthalt der Familie Barthol in Lüneburg s. Matthias, Petersen, 268. 25 Joh 16,13. 26 Die pietistischen Unruhen in Leipzig (s. Briefe Nr. 16, Z. 104–153, Nr. 30, Z. 6–37, Nr. 31, Nr. 36, Z. 27–37, u. ö.). 27 Die Protokolle über die Verhöre der an den pietistischen Unruhen Beteiligten (Francke, Streitschriften, 8–71). 28 Johann Caspar Schade, Magister in Leipzig (s. Brief Nr. 24 Anm. 5). 29 August Hermann Francke (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 30 Christian Gaulicke aus Tempelburg, Medizinstudent in Leipzig (imm. 1687), der zum pietistischen Kreis in Leipzig gehörte und nach dessen Lehre im Verhör von Elisabeth Karigs am 27. 3. 1690 ausführlich gefragt wurde (s. Verhörprotokoll in: SächsHStA, Loc 10329, 171 f; vgl. Leube, Pietistische Bewegung, 184 f, 189 u. ö.; Erler, 124). 31 Zu den verschiedenen Konventikeln in Leipzig s. Brief Nr. 15 Anm. 1. 32 Das Konventikelverbot vom 10. 3. 1690 (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 33 Redensartlich: „in me cudetur faba“ („das werde ich ausbaden müssen“) (Otto, Sprich- wörter, 128). 170 Briefe des Jahres 1690

Vale cum optima Tua costa34 et filiolo nostro35 in Domino. Scrib., Dresdae 14. April[is] 1690.

105 Vester omni fde et pietate P. J. Spenerus, D. Mppria. [P. S.:] Stengerum36 bonum quidem, sed qui sua imprudentia et vehementia bonae 110 causae forte non semel obfuit, Tibi adfuisse37 et admissum esse, Pomeranis nostris38 nocuisse dicitur. Quae huius aevi calamitas!

34 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). – Der von J. W. Petersen ofenbar häufg verwendete Kosename für seine Frau „costa“ (für „Rippe“) ist von Gen 2,21 f hergeleitet. 35 August Friedrich Petersen (von Greifenberg) (2. 8. 1682 – Juni 1732); geb. in Eutin, einziger überlebender Sohn von Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen, Patensohn Speners, Preußisch-königlicher Legationsrat und Kommissionsrat in Magdeburg (Matthias, Petersen, 129; Albrecht, Petersen, 84–87; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 31 Anm. 23). 36 Johann Melchior Stenger, Inspektor in Wittstock (s. Brief Nr. 167 Anm. 3); Spener stand mit ihm seit langer Zeit in Verbindung, mißbilligte aber seine Heftigkeit (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 126, Z. 24–34). 37 Stenger hatte auf einer Reise nach Hamburg in Lüneburg bei einem Verwandten über- nachtet und Petersen und den Generalsuperintendenten Hildebrandt aufgesucht. Auf Anfrage leugnete Petersen jede nähere Freundschaft zu Stenger (Matthias, Petersen 232). 38 Zu den Auseinandersetzung um die Freunde Speners in Hinterpommern s. Briefe Nr. 7, Z. 4–14, und Nr. 30, Z. 81–83 (jweils mit Anm.). Nr. 39 an Johann Wilhelm Petersen 15. 4. 1690 171 39. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 15. April 1690

Inhalt Erklärt, wieso er den Brief von gestern noch nicht abgeschickt hat. – Dankt Gott für die gute Nachricht, daß die Unschuld Petersens erwiesen wurde. – Rät, den Gegnern Brücken zu bauen, damit eine weitere Zusammenarbeit gelingen kann. – Freut sich über die Zeichen der herzensverändernden Kraft Gottes, die ihm auch das nötige Vertrauen in anderen schwierigen Situationen gibt. – Konnte die übersandten Blätter wegen der vielen Arbeit in der vergangenen Woche noch nicht lesen. – Grüßt Johanna Eleonora und August Friedrich Petersen, ebenso alle Jesusliebenden im Lebensumfeld Petersens. – Gruß an Heinrich Wilhelm Scharf. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 453–456.

JESUM morte sua hostium triumphatorem et salutis reparatorem!2 Frater et compater venerande atque dilectissime. Quae nudius quartus scribere coeperam, sed heri, ante allatas tuas absolveram3, retinere poteram, postquam tabellarii tuas4 attulere; malui tamen mittere, ut videres, quae solicitudo me tenuerit, quam divina benignitas laetiori nuncio 5 iam levavit, ἳνα μὴ λύπην ἐπὶ λύπῃ5 σχῶ6. Benedictum sit nomen Domini, qui servorum suorum non obliviscitur, nec hostibus plenam concedit libertatem, eos pro suo arbitratu opprimendi, sed hoc etiam tempore cuius alias character, ὧδε ἡ ὑπομονὴ τῶν ἁγίων ἐστὶ7, sal- tem aliquando tristoribus miscet laeta et coelo spissis nubibus obducto non- 10 nunquam patitur aliquos radios serenioris lucis per ipsam illam caliginem promicare. Praedicemus eius benignitatem Paternam, quod nostro solatio et Tibi inspiravit, quod ageres profuturum causae bonae, et aliorum animos ita flexit, ut innocentiam tuerentur adversus fratres minus aequos, inprimis quod ipsius Principis8 cor ad Te inclinavit, atque hoc modo metum illis incussit, 15

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Anklang an die Karwoche, in der dieser Brief geschrieben wurde. 3 Brief Nr. 38. 4 Nicht überliefert. Ofenbar hatte Petersen von dem glücklichen Ausgang seines mündlichen Verhörs zu den „18 Fragen“, die ihm zur Beantwortung vorgelegt worden waren, berichtet. Dieses hatte am 3./4. 4. 1690 stattgefunden. Das Konsistorium in Celle hatte ihm die Rechtgläubigkeit bescheinigt (Matthias, Petersen, 238 f). 5 Der Dativ ist denkbar; im griech. NT steht λύπην. 6 Phil 2,27 (Luther 1545: „Auf das ich nicht eine trawrigkeit vber die ander hette“). Spener liegt eine andere Textüberlieferung vor, die statt der heute üblichen Überlieferung (ἐπὶ λύπην) ἐπὶλύπῃ liest. 7 Apk 14,12 (Luther 1545: „Hie ist gedult der Heiligen“). 8 Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg-Celle (26. 1. 1624–28. 8. 1705); geb. in Herzberg, nach dem Studium und seiner Kavaliersreise durch England, Frankreich und Italien 172 Briefe des Jahres 1690

quos brachium carnale et erigit et deiicit. Idem sapientissimus Pater noster ulterius te regat spiritu sapientiae et roboris9, ut ista victoria utare prudenter in ipsius gloriam et Ecclesiae salutem. Si me consultorem non dedignaris, suaserim, postquam, qui adversati sunt, 20 haud dubie metum concipere spe sua de aulae favore deiecti, ut fugientibus pontem sternas, hoc est iure Tuo in ipsos non utare rigidius, sed Senatu10 mediatore ita illis reconciliari patiaris, ut appareat Te remisisse offensas et eo contentum esse velle, si posthac desinant in Te invehi. Moderatio illa, Spiritus Christi index, plurimum profutura est, ut, qui etiam affectu pravo Te praeci- 25 pitem dare studuere, posthac erubescant aliquid adversum Te moliri, qui vero ab aliis persuasi in societatem causae fratri se passi sunt, Sincero animo Tibi se iungant propius, auditores autem exemplum videant, quod laudent et sequan- tur. Hoc tamen cavebit sua prudentia Senatus, ut nocere in posterum nec ausint nec possint, quod quomodo fieri debeat, ipsorum rectae prudentiae 30 relinques Deumque nobiscum invocabis, qui illorum corda regat11. Non diffiteor novo hoc documento virtutis divinae στρεψικαρδίου12 me iterum confirmatum fiduciam novam concipere, alibi etiam eiusdem aliqua specimina iterum editum iri; cum alioqui negare nequeam, in alterum men- sem, cum ex tot locis et per tot aliorum latera me peti sentirem (eo enim res 35 devenit, ut quibus cum amicitiam colo ex me pendere multis evectantur et cuiuscunque isti accusantur, mihi imputetur, tantum non publica voce) non- nihil inclinatum et graviori quam alias solicitudine expressum fuisse non, quod causae diffiderem ipsi, sed quod prae oculis habere crederem, illum temporis articulum, quo ex iudicio divino bona instituta omnia aliquandiu proterenda 40 sint, atque in eum inprimis coniicerer metum, ne conscientia me accusaret cuiuscunque admissi vel omissi, quo periculum bonorum auctum esset. Sed eo alacrior nunc omnia Divinae providentiae conmitto, quo plura subinde vigilis suae curae atque virtutis potentissimae, documenta edit. Plagulas Tuas13 perlegere nondum potui, laboribus hac septimana quam aliis 45 pluribus obrutus. Vale et nova hac gratia coelesti, cum dulcissima Joanna Tua14 et filio15 aliisque, qui vobiscum JESUM amant, multo cum cordis gaudio fruere.

1648 Übernahme der Herrschaft über Calenberg und Göttingen. 1665 wurde diese eingetauscht gegen die Herrschaft Celle (ADB 8, 634 f; NDB 6, 208). An ihn hatte das Lüneburger Prediger- ministerium im Streit mit Petersen appelliert und um eine höchstobrigkeitliche Entscheidung gebeten (Matthias, Petersen, 237). 9 Vgl. Jes 11,2. 10 Der Magistrat von Lüneburg. 11 Vgl. Ps 33,15. 12 Derjenige, der die Herzen wendet. 13 Nicht ermittelt, worum es sich handelt. 14 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 15 August Friedrich Petersen (von Greifenberg) (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). Nr. 39 an Johann Wilhelm Petersen 15. 4. 1690 173

Dresdae, 15. Apr[ilis] 1690. Vester in DOMINO PJSpener, D. 50 Mppria. [P. S.:] L. Scharfium16 nostrum, si compellabis, meo nomine, ut amanter salutes, oro. Orate pro me, non uno discrimine satis gravi circumdato, tanto impensius.

53 compellabis: cj ] conpellabis: K.

16 Heinrich Wilhelm Scharf (1653–13. 9. 1703), Superintendent von Kloster Lüne; geb. in Bardowick, 1681 in Lüne (DBA 1089, 319–320; Meyer, HannPfB 2, 99; Bertram, Das Evan- gelische Lüneburg, S. 725, 751; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 172 Anm. 10). 174 Briefe des Jahres 1690 40. An [einen Unbekannten]1 Dresden, 16. April 1690

Inhalt Bedauert, daß einer von dessen Brüdern zum reformierten Glauben konvertieren möchte. – Bespricht zwei wesentliche Unterscheidungsmerkmale: 1. Die Abendmahlslehre und 2. die „doppelte Prädestination“, die er für eine schreckliche Irrlehre hält und Konsequenzen für andere Lehraussagen zeitigt. – Verweist auf Sebastians Schmidts Schrift, mit der dieser die Calvinisten davon überzeugen wollte, sich zum lutherischen Glauben hinzuwenden. – Erwähnt [François] Bancelin, der ihn vielleicht einmal aufgesucht haben könnte. – Beklagt, daß die Angelegenheit der evangelischen Kirche in Schlesien am Kaiserhof keinen günstigeren Ausgang zu nehmen scheint. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 205–208.

Das wichtigste, und so ich wol, demselben das schmertzlichste zu seyn, glaube, ist des einen Hrn. Bruders2 zu der reformirten religion gefaßte reso- lution, die ich, geändert zu werden, hertzlich verlange. Ich zweife nicht, daß ihm auf seine scrupel zur gnüge werde geantwortet seyn, daß von mir nicht 5 nöthig ist, vieles dahin gehöriges zu häufen. Wann mir aber aus überschrie- benem vorkommmt, daß eigenlich der articul von dem H[eiligen] abendmahl derjenige seyn werde, so die meiste scrupel veranlasset, so ist zwar hie die gelegenheit nicht, indem es gantze bücher erforderte, die warheit unserer lehr von solcher materie zu behaupten, sondern ich will allein einem verständigen 10 Reformirten diese beyde stücke zu bedencken vorhalten. 1. Ob ihn in der that etwas anders, unsrer lehr in solchem articul beyzu- pfichten, abhalte als die eingebildete unmüglichkeit, Christi leib hie auf erden gegenwärtig zu essen? Hat er alles tief gnug eingesehen und will er redlich heraus gehen, so kan er solches nicht in abrede seyn, dann er aufs wenigste 15 dieses nicht leugnen kan, daß der buchstabe der wort der einsetzung unsrer meinung näher komme als der seinigen, da er hingegen, warum er von den- selben abweiche, keine andere wahre ursache anzeigen kan, als daß die ver- nunft die müglichkeit nicht begreife, welche aber in göttlichen dingen ge- höret zu werden nicht verdienet. Also verlässet er in dieser sache den 20 buchstaben um der vernunft widerspruchs willen3, da er doch, wo er der sache feißiger nachdencket, fnden wird, daß er göttlicher ofenbarung aus

1 Vielleicht lebt der Adressat – oder wenigstens dessen Bruder, der reformiert werden will – in der Mark Brandenburg (Z. 40 f). Die Durchreise eines hugenottischen Exulanten (Z. 63–65) könnte ebenfalls die Lokalisierung des Adressaten in Brandenburg bestätigen. Dort fanden viele Hugenotten unter dem Schutz des reformierten Herrscherhauses (s. Anm. 6) Zufucht. 2 Nicht ermittelt. 3 Spener argumentiert im Sinne von Sebastian Schmidt, Kurtzer Beweis (s. Anm. 9), S. 81. Nr. 40 an [einen Unbekannten] 16. 4. 1690 175 der schrift zu ehren unterschiedliche articul, als von der H. Dreyfaltigkeit, person Christi, dessen amt, auferstehung der todten u.s.f. glaube, in denen gewiß die vernunft, ihr selbs gelassen, nicht weniger anstoß fnden wird als bey dem H. abendmahl. Daher er entweder diese aus gleicher ursach nicht 25 weniger fallen lassen muß (damit er aber auch die grundfesten des Christen- thums umreissen würde) oder er kan keine rechtgültige ursach anzeigen, warum er in der einen sache der vernunft mehr raum als in der andern gebe. 2. Ich setze dem bey, wo einer schon an unsrer lehr von dem H. abendmahl einen scrupel hätte, sie aber dannoch nicht vor verdamlich hielte, daß er klüg- 30 lich deswegen nicht zu den Reformirten treten dörfte, indem bey diesen der erschreckliche irrthum von der blossen gnadenwahl und verwerfung4 sich fndet, welcher, recht eingesehen, den gantzen grund alles trostes gefährlich verletzet und bey den meisten besorglich gar umstosset und also viel innerli- cher das werck unsrer seligkeit betrift als der articul von dem H. abendmahl, 35 daher auch so gar ein irrthum einer kirchen oder einer person in diesem viel erträglicher und weniger gefährlich wäre als in jenem. Wolte aber einer sagen, er wolte jenem groben irrthum von dem particularismo, so ich bekenne, den hauptgreuel zu seyn, nicht beypfichten, sondern zu den moderatioribus, die einige universal gnade glauben5, als deren in der Marck Brandenburg sich 40 mehrere befnden6, sich halten, so will ich nur dieses ihm entgegen halten, daß ihm alsdenn jener irrthum billich viel schwerer vorkommen muß als der irrthum, den er in dem H. abendmahl bey den unserigen sich einbildet zu erkennen. Daher hätte er mehr ursach, bey einer kirchen zu verbleiben, an dero er aufs höchste einen weniger wichtigen irrthum toleriren müßte, als 45 sich zu einer solchen zu verfügen und derselben glied zu werden, dero vor- nehmste lehrer und fast noch der gröste theil ienes horrendum dogma, wie es etliche selbs nennen, behaupten, deren irrthums sich auch die übrige kirche, obwol einige davon vor sich abweichen, gleichwol so fern schuldig machet, folglich derjenige, so wissentlich zu derselben übertritt auch in gewisser maß7 50 die schuld dessen auf sich ladet, die wir nicht eben allen denen gleichermassen zuschreiben können, die in derselben gebohren und erzogen sind. Jetzt nicht zu sagen, daß ein solcher, der das absolutum decretum verwirft, auch nicht prudenter bey der reformirten kirchen sich angeben kan, als der nie versichert ist, ob nicht jene parthey wider mehr und mehr über hand nehmen und er 55 also sich mit den seinigen in viel mehrere gefahr stürtzen möchte.

4 Die „doppelte Prädestination“ zum Heil oder Verdammnis, die von Spener immer wieder vehement zurückgewiesen wird (vgl. z. B. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 61, Z. 718–723, Bd. 5, Brief Nr. 22, Z. 19–21). 5 Vermutlich Arminianer (zu diesen s. Brief Nr. 45 Anm. 34). 6 Das brandenburgische Kurfürstenhaus war seit der Konversion Johann Sigismund von Brandenburg im Jahr 1613 reformiert. Die Bevölkerung war weitgehend lutherisch geblieben. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes (s. Anm. 11) waren viele reformierte Flüchtlinge aus Frankreich in Brandenburg aufgenommen worden. 7 Die Maß (DWB 12, 1727). 176 Briefe des Jahres 1690

Im übrigen hat Hr. D. Seb[astian] Schmidt zu Straßburg8 vor fast 20 jahren ein kleines aber sehr nachtrückliches tractätlein geschrieben, wo er erweiset, daß aus ein und andern gewissen sätzen die Reformirte zu uns zu treten al- 60 lerdings verbunden seyen. Ist aber schad, daß, ob es wol zweymal getruckt, doch nicht zu bekommen, sondern die exemplaria geschwind abgegangen sich9. Was Hrn. Bancelin10 anlangt, erinnere mich wol, daß einmal einer der exulanten aus Metz bey mir gewesen11, obwol den namen nicht mehr behal- 65 ten. Mein discurs aber kan nicht anders gewesen seyn, als welches allezeit meine beständige meinung ist, daß ich den wichtigsten hauptunterscheid unter uns und den Reformirten nicht in dem articul von dem H. abendmahl, sondern von der gnadenwahl setzte und wann in diesem nicht etwelche, sondern eine völlige übereinstimmung getrofen würde, daß es alsdann in dem 70 articul von dem H. abendmahl leichter hergehen würde; nicht als wenn dieser keine wichtigkeit hätte, sondern weil die wichtigkeit des andern grösser ist; massen der irrthum der gnadenwahl in so viel andere einfiesset und die praxin des Christenthums sehr starck angreifet, nemlich die gewißheit des glaubigen vertrauens und die liebe zu Gott, da hingegen der irrthum in dem 75 H. abendmahl in solchem articul verbleibet und in die praxin weniger ein- läuft. Mehr sihe hierbey nicht zu thun, nachdem mir diejenige scrupel, so diese mißliche resolution erstmals veranlasset und sie endlich zu dero nechsten voll- streckung getrieben, nicht bekant sind, daher nichts absonderlich dagegen 80 einzuwenden weiß, als daß ich den himmlischen Vater als den Vater des lichts, von dem alle gute und alle vollkommene gaben herkommen12, demüthigst

8 Sebastian Schmidt (s. Brief Nr. 22 Anm. 102). 9 Sebastian Schmidt, Kurtzer Beweiß / Daß Die genannten Reformirten oder Calvinisten / Gewissens halben/ verbunden seyen / zu denen der Augspurgischen Confession zugewandten Kirchen / mit Ablegung ihrer in denen beyderseits strittigen Lehrpuncten bißhero geführten Meinungen / zu tretten / und jener Lehre anzunehmen, Straßburg: J. F. Spoor 1672; zweite Auf- lage: J. F. Spoor u. R. Wächtler 1677. 10 François Bancelin (26. 9. 1632–16. 12. 1703), reformierter Prediger in Berlin; geb. in Metz, nach dem Studium in Montauban 1663 reformierter Pfarrer in Thouars und 1670 in Metz bis zur Aufhebung des Ediktes von Nantes durch Ludwig XIV. im Jahr 1685, nach der Emigration nach Brandenburg 1686 Pfarrer der reformierten Gemeinde in Frankfurt/Oder und 1690 in Berlin, gleichzeitig Inspektor des collège française (heute: französisches Gymnasium) in Berlin (E. Schultz, Aus der Geschichte der evangelischen Kirche von Metz zur Zeit der Aufhebung des Edikts von Nantes. Die vier letzten Pfarrer der alten Kirche, Metz 1900, 29–32; F. Palladini, Die Berliner Hugenotten und der Fall Barbeyrac. Orthodoxe und ‚Sozinianer‘ im Refuge [1685–1720], Leiden 2011, 238–241). 11 Hugenotten, die auf Grund der Repressalien Ludwigs XIV. von Frankreich im Gefolge der Aufhebung des Edikts von Nantes am 18. 10. 1685 Frankreich verließen. Wer der Besucher Speners war, läßt sich nicht mehr feststellen. Die vier letzten Geistlichen von Metz, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Spätherbst 1685 die Stadt verlassen mußten, fohen über die Mosel nach Frankfurt a. M. (E. Schultz, [wie Anm. 10], 10 f). Es ist denkbar, daß einer von ihnen Spener aufgesucht hat. Vielleicht war es Bancelin selbst und Spener hat seinen Namen vergessen. 12 Vgl. Jak 1,17. Nr. 40 an [einen Unbekannten] 16. 4. 1690 177 anrufe, daß er nicht allein uns bey der erkanten warheit allezeit kräftig er- halten, sondern auch dero beliebten bruder in gnaden ansehen und ihm zu erkennen geben wolle, welche gefährliche wege er eintrete, da er eine kirche verlässet, bey dero bekantnus und lehre er, selig zu werden, bekennet, und sich 85 zu einer solchen verfügen will, dero irrthume alle ich selbs zweife, ob er über sich zu nehmen getraue, aber durch solchen übergang sich in viel mehrere gefahr derselben begiebet als diejenige, so in derselben gebohren sind und denen keine andre irrthume als ihre eigne zugerechnet werden können, ob er sich noch eines andern bedencken und auch das ihm vorgestellte daher fol- 90 gende ärgernus anderer zu hertzen ziehen wolte. Der HErr HERR, dessen wege unerforschlich sind13, ob er ihn eine weil irren liesse, führe ihn endlich auf richtige bahn zu völliger erkantnus der warheit14 und dero seligen genuß. Was die Schlesische sache anlanget15, wäre wol hertzlich zu wünschen ge- wesen, daß zu Augspurg mehr vor die festsetzung der religion ausgericht 95 hätte werden mögen16, aber die hofnung vor damal und künftig wurd stracks geschlagen durch das ansehen der so schwachen zahl unsrer Churfürsten, und wo man höret, wie es hergegangen, hat man GOttes hand noch darinn zu erkennen, daß die religion in dem gantzen reich nicht noch gefährlicher ge- setzet worden, wie es einmal schon sehr nahe dabey gewesen. Daher nachmal 100 die Schlesische sache nicht anders als zuletzt durch ein sonderbar memorial recommendando vorgetragen werden konte17. Darauf die resolution endlich also erfolget, daß, wo dabey geblieben und die Kayserl. gnade, so von solcher seite aufrichtig zugesaget wird, nicht durch andere ministros und geistliche allemal, wo casus vorkommen, intervertiret und fruchtloß gemacht würde, 105 sondern man sich der erfüllung, daß nemlich wircklich niemal nichts wider den friedenschluß geschehe oder nachgesehen würde, ohnfehlbar versehen könte, man solches vor eine sondere wolthat zu achten hätte. Aber der genius des einseitigen cleri, dero practiquen und hingegen macht bey grossen häup- tern sind allzubekannt, als daß sie uns hofen liessen einen ungehinderten 110 genuß des uns zugesagten. Wie ich denn immer in meiner meinung bekräf- tiget werde, daß wir in solchem stand in unserer kirchen stehen, in dem wir uns wenig von menschlicher hülfe mit nachtruck werden zu getrösten haben, sondern wohin noch ein vertrauen geschöpfet wird, werden entweder nicht

96 wurd ] wird: D1.

13 Vgl. Röm 11,33. 14 1Tim 2,4. 15 Zur Bedrückung der Evangelischen in Schlesien und deren Interventionsversuche am kaiserlichen Hof in Wien s. Brief Nr. 5. 16 Auf dem ständigen Reichstag zu Augsburg. Spener hatte durch den sächsischen Gesandten Nikolaus (II.) von Gersdorf mehrfach versucht, zugunsten der unterdrückten Evangelischen auf die politischen Entscheidungen einzuwirken (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 102). 17 Wohl das Memorial, das Spener in seinem Brief an N. von Gersdorf (s. Anm. 16) erwähnt. Näheres ist nicht ermittelt. 178 Briefe des Jahres 1690

115 können oder nicht wollen, der HERR aber die ehre behalten, daß er zu seiner zeit sich aufmache und ein hülfe schafe nach dem vielen seufzen der elen- den18, daß man aller orten getrost lehren möge. Dreßden, den 16. Apr[il] 1690.

18 Vgl. Ps 12,6. Nr. 41 an Hermann von der Hardt 23. 4. 1690 179 41. An Hermann von der Hardt in Helmstedt1 Dresden, 23. April 1690

Inhalt Überbringer des Briefs ist Johann Adam Schmidt, ein Enkel des früheren Straßburger Professors Johann Schmidt. – Dieser will nach einem mehrmonatigen Aufenthalt bei Spener über Helm- stedt nach Hamburg reisen. – Bittet, Schmidt mit seinem Rat zu unterstützen und ihn, wenn möglich, mit den Helmstedter Kollegen bekannt zu machen. – Schmidt kann über den Verlauf der Ereignisse um Spener mündlich berichten. Überlieferung A: Karlsruhe, Landesbibliothek, K 321.

A JESU resuscitato, victore et trimphatore mortis omnes victoriarum eius fructus2! Vir Nobilissime, Amplissime et Excellentissime, Domine et Amice Honora- tissime.

Cum mature an serius hae offerendae sint, mihi haudquaquam constet, uni- 5 cum earum argumentum esto earundem exhibitor M. Johannes Adamus Schmidius3, Celeberrimi et de Ecclesia praeclare meriti D. Johannis Schmidii, prof[essoris] quondam Argentoratensis4, nepos. Hic ab aliquot mensibus victus et hospitii mei consors nunc vero Hambur- gum5 se recepturus apud vos transire cogitat rogavitque aditum a me sibi 10 parari ad virum amicum, cuius uteretur favore et, si egeat hoc, consilio. Tu ergo mihi ante omnes oblatus es, quem adirem, cum Tua mihi iuvandis hone- stis desideriis perspecta mihi sit promtitudo. Patere Tui cupidum Tibi loqui, et quod Te posse scio aliquo consilio inter sermones, ipsius iuva studia; nec non, si tantum ei temporis permittatur, ad Excellentissimos Collegas6 viam 15

1 Hermann von der Hardt, designierter Professor in Helmstedt (s. Brief Nr. 27 Anm. 1). 2 Anklang an die Osterwoche, in der dieser Brief geschrieben wurde. 3 Johann Adam Schmidt, Enkel von Johann Schmidt (zu diesem s. Anm. 4) – Schmidts Anwe- senheit in Dresden ist durch einen Hinweis Speners in seinem Brief an Adam Rechenberg vom 8. 7. 1689 belegt (Ad Rech 1, Bl. 299r). Im WS 1688 immatrikulierte er sich in Leipzig (Erler, 396); im November 1689 hielt er sich ofenbar wieder in Leipzig auf (Spener an Rechenberg am 15. 11. 1689; Ad Rech 1, Bl. 244v); am 22. 4. 1690 trägt er sich in Dresden ins Stammbuch Wilhelm Ludwig Speners ein („Mag. aus Straßburg“; s. Schieckel, Stammbuch, Nr. 2434); vermutlich 1695 Diaconus an der Neuen Kirche in Straßburg (F. W. E d e l , Die Neue=​Kirche in Straßburg, 1825, 80). 4 Johann Schmidt (20. 6. 1594–27. 8. 1658), zuletzt Theologieprofessor und Kirchenpräsident in Straßburg (Zedler 35, 378–381; Wallmann, Spener, 4–36; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 86 Anm. 4). 5 Hamburg. 6 Die Professoren der Universität Helmstedt. 180 Briefe des Jahres 1690

ipsi para; quae beneficia grato animo suscipiet, et eadem mihi exhibita ego interpretabor. Quae hic agantur, inprimis circa res meas, idem fidelis referre nuncius potest; utinam talia forent, quae Te exhilararent; qualia mihi de Te quoque 20 semper referri ex animo precor. Vale et, quid facis, me amare perge. Scrib. Dresdae, 23. Apr[ilis] 1690. Nobiliss. T. Exc. ad preces et pia ofcia addictissimus Philippus Jacobus Spenerus D. 25 Mppria. Viro Nobilissimo, Amplissimo et Excellentissimo, Domino Hermanno von der Hardt, in inclyta Julia Ling. Sacrae professori publico ordinario. Domino et Fautori suo Venerando. Helmstatt. Nr. 42 an Johann Wilhelm Petersen 5. 5. 1690 181 42. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 5. Mai 1690

Inhalt Empfehlt ihm [Johann Andreas] Hochstetter, wenn dieser nach Lüneburg kommen sollte. – Möchte nicht, daß Petersen den Chiliasmus oder andere Dinge verbreitet, die für die Praxis ohne Bedeutung sind, solange sie nicht heilsnotwendig sind. – Soll auch die Begleiter Hochstetters zum Gespräch einladen. – Hat Hofnung, daß sie nützliche Werkzeuge der Kirche werden. – Grüßt die Familie Petersen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, Bl. 457–458.

JESU Gratiam, pacem, vitam, victoriam! In ipso desideratissime Frater et Compater. Cum proxime dederim ad Te literas2 M. Schmidio3, Theologi beati Argento- ratensis4 nepoti, in quibus etiam M. Hochstetteri5 Wirtenbergici mentionem feci, cum consilium primum fuerit, ut una irent, nunc eidem hasce, quas 5 porrigat, Tibi trado. Admittes eum pro Tua charitate ad alloquium, quo frui gaudet, et in pietatis studio currenti addes calcar. Parens ipsius Abbas Beben- husanus6 in toto clero Wirtenbergico ex praecipuis est et bonorum consilio- rum adiutor sincerus, cui in eodem principatu alios ὁμοψύχους7 toto animo optarim. 10

4 Hochstetteri: cj ] Hoch et alteri: K.

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Dieser Brief Speners ist nicht überliefert. Vermutlich handelt es sich um ein Empfehlungs- schreiben, vergleichbar dem Brief Nr. 41. 3 Johann Adam Schmidt, Theologiestudent (s. Brief Nr. 41 Anm. 3). 4 Johann Schmidt, zuletzt Kirchenpräsident und Theologieprofessor in Straßburg (s. Brief Nr. 41 Anm. 4). 5 Andreas Adam Hochstetter (13. 7. 1668–26. 4. 1717), Magister; geb. in Tübingen, nach dem Theologiestudium in Tübingen, Straßburg, Basel und Leipzig und einer akademischen Reise mit längerem Aufenthalt bei Spener in Dresden 1691 Diaconus und 1698 Theologieprofessor in Tübingen, 1711 Oberhofprediger in Stuttgart, 1712 von St. Georgen in Tübingen und 1715 Theologieprofessor in Tübingen (Jöcher 2, 1633; ADB 12, 526; BBKL 2, 915 f). – Zu seiner aka- demischen Reise, die er zusammen mit Johann Reinhard Hedinger durchführte, s. Schöllkopf, [wie Anm. 9], 41–43. Ein Aufenthalt bei Petersen in Lüneburg bleibt hier allerdings unbekannt. 6 Johann Andreas Hochstetter (15. 3. 1637–8. 11. 1720), Prälat von Bebenhausen; geb. in Kirchheim unter Teck, nach dem Theologiestudium 1659 Diaconus in Tübingen, 1668 Pfarrer in Walheim, 1672 Dekan in Böblingen, 1680 Theologieprofessor in Tübingen, 1681 Prälat von Maulbronn und 1689 von Bebenhausen; eine führende Persönlichkeit der Kirche im Herzogtum Württemberg, der eine Studienreform, die von Spener angestoßen worden war, vorantrieb (BBKL 2, 917 f; B. Coerner [Hg.], Deutsches Geschlechterbuch, Berlin 1903, 244 f). 7 Gleichgesinnt. 182 Briefe des Jahres 1690

De materia vero millenaria8 vel aliis quam, quae ad praxin spectant, nolim, ut multa diferas, cum praestet in illis ipsum confrmari, quae scrupulum non movent, et ad viam Domini agnoscendam sunt necessaria. Comites habet, cives et commilitones9, quos iuxta ipsocum alloquio Tuo 15 dignaberis, cum iidem scopum sibi praefxerint, ex Theologorum exterorum profciendi sermonibus. Omnes mihi aliquandiu adfuere, sed non nisi brevi tempore; quo tamen visus sum in singulis aliqua observare, quae mihi spem faciunt divina gratia fore Ecclesiae non poenitenda organa quam spem mecum impleri, et a Te ad 20 hoc aliquid conferri serio precor. Vale cum Tuis10, quos et meos non uno vinculo agnosco et amo. Scrib., Dresdae 5. Maji 1690. Vester in DOMINO P. J.Spenerus 25 Mppria. Dem HochEhrwürdigen, Großachtbahren und Hochgelahrten HErrn Johann Wilhelm Petersen, der h. Schrift vortrefichen Doctori und der Christlichen Gemeinde zu Lüneburg treüeyfrigen Superintendenten. Meinem insonders Hochgeehrten HErrn Gevattern11 und in Christo geliebten bruder.

30 Lüneburg

8 Zu Petersens Lehraussagen im Zusammenhang des Millenniums und dem dadurch ent- brannten Streit mit den Lüneburger Kollegen s. Briefe Nr. 26, Z. 12–14, Nr. 30, Z. 41–56, Nr. 38, Nr. 39 u. ö.; daß Spener sie nicht für heilsnotwendig hält, wird stärker ausgeführt in Brief Nr. 77, Z. 69–73. 9 Namentlich bekannt aus dieser württembergischen Reisegruppe sind Hieronymus (?) Welsch und Johann Reinhard Hedinger (s. Chr. Kolb, Anfänge des Pietismus in Württemberg, Stuttgart 1902, 4), dem Spener – zum Abschied – am 6. 5. 1690 einen Eintrag ins Stammbuch machte (Schöllkopf, [wie unten], 45). – Zu Hedinger: (7. 9. 1664–28. 12. 1704), Theologiestudent auf einer akademischen Reise; geb. in Stuttgart (W. Schöllkopf, Johann Reinhard Hedinger [1664–1704], württembergischer Pietist und kirchlicher Praktiker, AGP 37, Göttingen 1999). 10 In erster Linie sind wohl Petersens Frau Johanna Eleonora (s. Brief Nr. 146 Anm. 1) und ihr Sohn August Friedrich (s. Brief Nr. 38 Anm. 35) gemeint, in zweiter Linie Menschen, die zu dieser Zeit in Petersens Haus wohnten. 11 Petersens Sohn August Friedrich war Patensohn von Spener. Nr. 43 an [Johann Georg Kulpis] 8. 5. 1690 183 43. An [Johann Georg Kulpis in Stuttgart]1 Dresden, 8. Mai 1690

Inhalt Bestätigt den Eingang des Schreibens von Kulpis und beklagt die unnötigen Streitigkeiten, die diese Korrespondenz verursacht haben. – Hatte lediglich von [Johann Benedikt] Carpzovs Predigt gehört, einen Extrakt wie der aus Tübingen jedoch nicht gesehen. – Berichtet von der Hofnung des sächsischen Oberkonsistoriums, daß der alte Streit nicht neu aufebt. – Weist darauf hin, daß der erste Anstoß für die Mißhelligkeit von Tübingen gekommen sei. – Hoft, daß die Möglichkeit zu auswärtigen Studienaufenthalten württembergischer Studenten dadurch nicht wieder zurückgenommen wird. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 32. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 310–312.

Was E. Excell. an mich freundlich, ob zwahr privatis literis, gleich wol mit vorbewußt eines hochlöblichen Consistorii2 gelangen laßen3, solches habe von der Post richtig erhalten und ablesend den inhalt deßelbigen verstanden. Wie mir aber darüber zu muth worden, werde ich nicht noth haben, gegen jemand viel zu bezeigen, welcher mich nur einige zeit lang, wahrhaftig zu 5 kennen, angefangen hat4, wie ich nemlich ins gesamt, so vielmehr in unserer Evangelischen ohne das so eingeschrenckten Kirche5, nechst der wahrheit nichts mehr als friede und einigkeit liebe, hingegen mir nichts hertzlicher zu wieder ist, als was diese einiger maßen zerrütten und unter brüdern mißver- stand und folglich weiterung, so nie ohne ärgernüs bleibet, erwecken kan. 10

1 Johann Georg Kulpis (19. 12. 1652–2. 9. 1698), Vizedirektor des Stuttgarter Konsistoriums; geb. in Alsfeld/ Hessen, nach dem Studium des öfentlichen Rechts in Straßburg und Gießen (1678 Dr. iur.) Hofmeister zweier Grafen von Leiningen, 1683 Professor in Straßburg, 1686 Vizedirektor und 1693 Direktor des Konsistoriums in Stuttgart, 1695 geadelt (Näheres s. Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 81 Anm. 2). – Diese Empfängerzuweisung wird auch von Christian Kolb vorgenommen (Chr. Kolb, Anfänge des Pietismus in Württemberg, Stuttgart 1902, 4). 2 Das Konsistorium der württembergischen Kirche in Stuttgart, dessen Vizedirektor Kulpis war. 3 Der Brief von Johann Georg Kulpis ist nicht überliefert. Spener berichtet über ihn an Adam Rechenberg in seinem Brief vom 25. 4. 1690: „iussus ad me scribere Consistorii Vicedirector Kulpisius“ (Ad Rech 1, Bl. 506r). 4 Spener und Kulpis kannten sich schon seit ca. 1667 (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 81, Z. 11–13). 5 Speners Sorge um die evangelische Kirche auf Grund der gegenreformatorischen Bemühun- gen an verschiedenen Stellen Europas, vor allem durch die Umtriebe Ludwigs XIV. von Frank- reich, spiegeln sich hier wider. 184 Briefe des Jahres 1690

Von. H. D Carpzovii6 Predigt7 hatte ich allein generalia, ob wol so bald mit mißfallen, weil ich die sache nicht auf die cantzel gehörig achte und nach gemeldetem gern alles vermieden sehe, was die streitigkeiten erneuret, vorher gehöret, dergleichen expressiones aber nicht vermuthet, wie der übersandte 15 extract in sich faßet. Nach dem nun E. Excell. werthes bekommen, so habe nicht underlaßen, unserem H. Praesident und geheimen rath Knochen8, so bald solcher, der einige tage abwesend gewest, angekommen, zu forderst privatim zu commu- niciren, mit deßen gutbefnden nachmal es bey dem collegio9 vorgetragen; 20 welches alß begierig, alle occasiones in unserer Evangelischen kirchen zu verhüten, was vorgegangen seyn solle, nicht gern vernommen. Weil aber demselben von der sache sonst nichts wißend, als kan auch so von demselben als mir an E. Excell. keine andere antwort dißmal ertheilen, als daß die sache gebührlich untersuchet und alles das jenige vorgenommen werden solle, was 25 zu beibehaltung guten vertrauens under unsren gesamten kirchen vorträglich erkannt werden mag. Dabey ich allein dieses beyzusetzen nötig erachte: wie man dieses orts nach meiner hofnung gerne dahin trachten wird, daß man die alte streitigkeit nicht zu neuer veranlaßung ofentlicher schriften, so nicht ohne ärgernus der kirchen abgehen kan, außbrechen laße, daß hingegen bil- 30 lich sey und gleichfalls gehofet wird, dergleichen von Hochfürstlich Würtem- bergischer seite zu geschehen.

6 Johann Benedikt Carpzov (II.) (24. 4. 1639–23. 3. 1699), Theologieprofessor und Pfarrer an der Thomaskirche in Leipzig; geb. in Leipzig, nach dem Theologiestudium in Leipzig, Jena, Basel und Straßburg 1665 Professor für Ethik, 1668 für orientalische Sprachen und 1684 der Theologie in Leipzig, 1671 zugleich Geistlicher an der Leipziger Thomaskirche; Studienfreund Speners aus der Straßburger Zeit, zunächst den Reformbemühungen Speners zugetan, seit 1689 erbitterter Gegner des Pietismus (RE3 3, 727–729; RGG4 2, 73 f; E. Koch, Johann Benedikt Carpzov und Philipp Jakob Spener, in: S. Michel, A. Straßberger [Hgg.], Eruditio – Confessio – Pietas, 161–182; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 171 Anm. 1). 7 Carpzov hatte am 1. Sonntag nach Epiphanias eine Predigt gehalten, in der er wohl Fra- gestellungen des Kenosis-Krypsis-Streites zwischen den Tübinger und Gießener Theologen zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgewärmt hatte. Sie ist publiziert in: J. B. Carpzov, Lehr‑ und Lieder-Predigten […] drinnen jederzeit im Eingange ein gut Lutherisch Lied richtig eingetheilet und erkläret und hernach ein gewisser Glaubens-Articel nach Gelegenheit des Textes gründlich und aufs einfältigste abgehandelt wird, Leipzig: Lanckisch 1706 (vgl. Walch, RSLK, Vierdter und fünfter Theil, Jena 1739, S. 574; zum Kenosisstreit s. U. Wiedenroth, Krypsis und Kenosis. Studien zu Thema und Genese der Tübinger Christologie im 17. Jahrhundert, Tübingen 2011). Spener schreibt an Rechenberg: „Vestri D. Carpzovii iras in materia homiletica non valde metuo, frater qui hic est, non aeque praedare de illo studio sentit. Quod nuper ille odiosissime controver- siam Tubingensem in suggestum transtulerit Wirtenbergici non stomachantur solum, verum etiam querelas ad Principem detulere“ (Ad Rech 1, Bl. 506r). – Andreas Adam Hochstetter (zu diesem s. Brief Nr. 42 Anm. 5), Teilnehmer einer Gruppe Württembergischer Theologiestudenten, die u. a. in Dresden, Leipzig und Lüneburg waren, hatte die Predigt Carpzovs mitgeschrieben und darüber nach Hause berichtet (Kolb, Anfänge [wie Anm. 1], 4). 8 Hans Ernst von Knoch(e), Präsident des Oberkonsistoriums in Dresden (s. Brief Nr. 83 Anm. 1). 9 Im Dresdner Oberkonsistorium. Nr. 43 an [Johann Georg Kulpis] 8. 5. 1690 185

Wo ich nicht bergen kan, daß man unser seits sich ebenfalls beschwehren möchte über ein corollarium10 an H. Professoris Jaegeri11 under H. Cancel- larii und Doct. Osiandri12 Dignitet praesidio gehaltener disputation, welches expressis verbis, ob wol die nahmen nur literis initialibus angedeutet, aber 35 leicht zu errathen sind13, wieder die Doctores Giessenses und Scherzerum14 gerichtet stehet. Da auch nicht weiß, ob es vielleicht H. D. Carpzovio zu handen kommen sein und ihn zu solcher predigt veranlaßet haben möchte; aufs wenigste nicht ohne grund gesagt werden könte, daß von Tübingischer seite die erste ofentliche rührung wiederum geschehen wäre. 40 Zu wünschen aber und zu hofen ist, daß alles ohne weitläuftigkeit zu gutem vernehmen wiederum gebracht werde. Im übrigen solte mir und an- dern Christlichen leuten, die die wahre wolfahrt der gesamten Evangelischen kirche lieben und verlangen, dazu die contesseratio15 jeder derselben glieder sonderlich nötig ist, sehr leyd seyn, wann diese begebenheit dem sehr nützli- 45 chen instituto stäts einige stipendiaten sumtibus publicis16 auch an andern orten und universiteten der Evangelischen kirche zu halten17 (alß welches das gewünschte vertrauen desto kräftiger erhält) einiges praejudiz oder hindernus

10 Beigabe; Zugabe. 11 Johann Wolfgang Jäger (17. 3. 1647–20. 4. 1720), Professor für Griechisch in Tübingen; geb. in Stuttgart, nach dem Theologiestudium Informator der Söhne des württembergischen Her- zogs Karl Maximilian und Georg Friedrich, 1680 Professor für Geographie und Latein, 1681 für Griechisch, 1684 für Logik und Metaphysik und Stiftsephorus in Tübingen, 1688 ao. Professor der Theologie, 1692 Dr. theol. und Superintendent des Stifts, 1698 Abt und Generalsuperintendent des Klosters Maulbronn, 1699 Stiftsprediger und Konsistorialrat in Stuttgart und Visitator der Universität, 1702 Theologieprofessor und Kanzler der dortigen Universität und Propst der Stifts- kirche, 1709 Abt im Kloster Adelberg und Generalsuperintendent im Herzogtum Württemberg (ADB 13, 651). 12 Johann Adam Osiander (3. 12. 1622–26. 10. 1697), Theologieprofessor und Stiftspropst in Tübingen; geb. in Vaihingen an der Enz, nach dem Theologiestudium in Tübingen 1647 Vikar in Stuttgart, 1653 Diaconus in Tübingen, 1656 Dr. theol. und ao., 1660 o. Theologieprofessor in Tübingen, 1680 Kanzler der Universität (Zedler 25, 2103 f; ADB 24, 488 f; G. Aker, Johann Adam Osiander, in: Vaihinger Köpfe, Vaihingen an der Enz 1993, 57–61). 13 Johann Wolfgang Jäger, Disputatio theol. de statu ecclesiae primitivae, et modernae, […] sub Praesidio […] Joh. Adami Osiandri, Tübingen: Martin Romeius 1689. – Der Disputation voraus- gesetzt ist die Thesenreihe (s. „corollarium“ in Z. 32): „Pro copiosiore materia ad Disputandum […] theses controversae“. These IX lautet: „Falsum est Tubingenses ponere Statum exinanitionis Christi in nuda κρυψει [sic! ohne Akzent!], atque adeo facere illum Statum tantum simulatorium. contra D. D.G & Sch.“ (D. D. G. = Doctores Giessenses; Sch. = Scherzerus). 14 Johann Adam Schertzer (1. 8. 1628–23. 12. 1683), zuletzt Professor in Leipzig; geb. in Eger, nach dem Studium in Altdorf, Jena und Leipzig zunächst Professor für Hebräisch, seit 1670 der Theologie in Leipzig (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 41 Anm. 56, und Bd. 5, Brief Nr. 35 Anm. 5). 15 Freundschaft. 16 Auf öfentliche Kosten. 17 Spener hatte die neue Studienordnung aus dem Jahr 1688 („Instruction wegen deß Or- dinis Studiorum“), in der den württembergischen Studenten die Möglichkeit eröfnet wurde, auch Studienorte außer Landes zu besuchen, in seiner Korrespondenz mit Johann Georg Kulpis angestoßen (vgl. dazu Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 153 und Bd. 2, Brief Nr. 20; zu der Studienreform in Württemberg s. C.-W. Kang, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit. Die Reform 186 Briefe des Jahres 1690

machen solte; maßen dann diese ursach darzu nicht gnug wäre und deßwegen 50 billich die gute zuversicht zu faßen stehet, daß Se. Hochf. Drlt.18 und dero Hochlöbliches Consistorium19 sich von der so klüglich nach reifer delibera- tion genommener resolution durch dieses incidens nicht abhalten oder irre machen laßen werden: Hingegen bin versichert, daß aus Gottes segen von solcher versendung dermaleins land und kirchen nicht geringen nutz genie- 55 ßen wird20. Mit welchem hertzlichen wunsch schließend, in des Himmlischen Vaters schützende, segnende und regierende gnade dieselbe samt dem gantzen Hochwürdigen collegio treulich erlaßende verbleibe etc. 8. May. [16]90.

des Theologiestudiums im lutherischen Pietismus des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, Gießen 2001, 458 f; Brecht, Spener, 339). 18 Herzog Friedrich Carl von Württemberg-Winnental (12. 9. 1652–20. 12. 1698), Vormund des zu dieser Zeit noch minderjährigen Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg (ADB 8, 50–52; Das Haus Württemberg, 233–237). 19 Das Stuttgarter Konsistorium (s. Anm. 2). 20 Z. 42–55 wird von Spener in Brief Nr. 102, Z. 41–54, nahezu wörtlich wiederholt. Nr. 44 an [eine adlige Freundin] 9. 5. 1690 187 44. An [eine adlige Freundin]1 Dresden, 9. Mai 1690

Inhalt Bedankt sich für den tröstenden Brief der Adressatin. – Hält die Verachtung und üble Nachrede, die er erleiden muß, für gering; es kann schlimmer werden. – Freut sich über die Liebe und die Gebete vieler Mitchristen. – Sieht erste Anzeichen für die Verwirklichung einer Erneuerung des Volkes Gottes bzw. der Kirche. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 776–777.

Ich habe einige meine freude gegen diejenige, welche mich selbst zur freude so hertzlich aufmuntert, zu bezeugen. Wie ich mich dann in der wahrheit erfreuet habe über den christlichen und aus treuer seele her gefossenen trost, auch deswegen dem GOtt alles trostes2, welcher mir durch ihre wehrte feder solchen zusprechen wollen, so dann ihro als dessen werckzeuge, schuldigen 5 danck sage. Es ist freylich an dem, wo uns der HErr um seines nahmens und wahrheit willen einiges leiden wiederfahren lässet3, daß der darzu vom himm- lischen Vater uns in seinem wort ertheilende trost so überschwencklich ist, daß er das leiden weit übertrift, und eben daher auch kommet, daß wir um deswillen, der uns geliebet hat, alles weit, weit überwinden4; daher es billich 10 ist, daß wir uns vielmehr, wo uns der liebste vater solcher hofarbe5 seines lieben Sohnes würdiget, darüber erfreuen, als betrübt seyen. Wo man aber von mir reden will, so hat es bey mir noch wenig platz, weil das jenige, was mich der HErr bißher erfahren lassen, noch gar gering gewe- sen, in dem es allezeit allein in verachtung, übler nachrede, lästerung, haß, 15

3 den ] der: D2; dero: D3. ​

1 Auf Grund der Formulierung in Z. 1 ist der Brief an eine Frau gerichtet. Sie gehört, wie sich aus Inhalt und Duktus des Briefs erkennen läßt, in den engeren Kreis der in gleicher Frömmig- keit mit Spener verbundenen Personen; auf Grund der Anrede in Z. 45 handelt es sich wohl um eine Adlige. Spener spricht in seinem Brief an Anna Elisabeth Kißner vom 31. 5. 1690 von einem tröstenden Trefen mit Henriette Catharina von Gersdorf (Brief Nr. 45, Z. 28–34), so daß dieser Brief nicht an sie gerichtet sein kann. Auch Benigna von Solms-Laubach kommt wohl nicht in Frage, weil Spener im Juli auf ihre Frage nach seinem Ergehen antwortet (s. Brief Nr. 70, Z. 39–57) und wenige Tage nach dem vorliegenden Brief Bücher an die dortigen Theologen Jo- hann Peter Schefer und Johann Heinrich Jung über Frankfurt senden läßt (s. Brief Nr. 45, Z. 56), was nicht nötig gewesen wäre, wenn dieser Brief nach Laubach adressiert wäre. Ebenso wenig ist Christine von Stolberg-Gedern als weitere adlige Spenervertraute die Adressatin, weil der Brief nicht in die bekannte Korrespondenz mit ihr aus dieser Zeit paßt. 2 2Kor 1,3. 3 Vgl. Apg 9,16 (u.ä. öfter). 4 Vgl. Röm 8,37. 5 Die Farbe eines Fürsten, die er die Personen seines Hofhalts trägen läßt (DWB 10, 1666). 188 Briefe des Jahres 1690

drohen und unwillen bestanden ist, welches aber lauter kinderproben6 und die unterste gnade der leiden sind, hingegen hat es GOTT bißher noch nie- mal an thätliches und würckliches leiden, welches vor mir andere treue diener Gottes haben erfahren müssen, gelangen lassen; vielleicht daß er mich biß 20 daher zu dergleichen zu schwach befunden und daher noch mit den schweh- rern proben verschonet hat. Solte es aber, wie es aus einigem das ansehen gewinnet, auch noch an diese kommen, so trage ich das kindliche vertrauen zu dem getreuesten vater, daß er mir auch die kraft und vermögen aus der höhe7 alsdenn in dem jenigen maaß ertheilen werde, welche gemäß seye dem 25 maaß des mir alsdenn bestimmten leidens8. Und vielleicht wil er mich durch den jenigen trost, welchen mir ietzund christliche hertzen zusprechen, und dessen sonsten mein ietziges leiden nicht eben wehrt ist, zu den ienigen härtern anstössen, welche mir vorstehen mögen, bereiten; daher ich auch solches vor eine wohlthat zu erkennen habe; ich schreibe auch hierinnen 30 seiner weisen regierung nichts vor, entweder um schwehrere leiden zu bitten, damit ich ihn versuchen möchte, noch dieselbe zu förchten und davor zu fiehen, sondern überlasse billich alles seiner gütigsten verfügung, so alles dermassen schicken wird, wie es mir und andern selig seyn mag. Weil aber um der gottseligkeit willen nicht allein die jenige, welche dieselbe lehren müssen, 35 sondern die auch sich derselben befeissen, ihre leiden zu erwarten haben und sich darauf gefast machen müssen, so lasset uns allerseits so viel ernstlicher unter und vor einander, vor dem HErrn zu seuftzen, fortfahren, der an uns allen seinen gnädigen willen vollbringen, immer dessen lebendige erkäntniß in unsre seelen geben und uns iedesmal mit dem zu solchen proben nöthigen 40 maaß des glaubens9 und trostes von oben herab ausrüsten wolle, als versichert, er könne sich nicht verläugnen10, sondern werde unfehlbar seine verheissung an uns erfüllen. Wie ich nun weiß und auch solches vor eine theure wohlthat des liebsten Vaters achte, daß derselbe viele seelen seiner kinder zu mir geneiget, daß sie 45 in reiner liebe vor mich hertzlich beten, unter denen E[ure] Gn[aden] zu seyn erkenne, also versichere, daß auch meines orts mit gleicher liebe, denselben zu begegnen und vor sie vor dem gnadenthron11 zuerscheinen, unvergessen bin, daß aber solches mit so viel mehr kraft geschehe, ihn umb seinen H. Geist der gnaden und des gebets12 anrufe.

6 Spener verwendet diesen Begrif gelegentlich, um deutlich zu machen, wie gering seine Leiden (noch) sind (s. Brief Nr. 144, Z. 35; Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 37, Z. 13, und Nr. 39, Z. 133). 7 Vgl. Lk 24,49. 8 Vgl. Ps 75,4. 9 Vgl. Röm 12,3. 10 Vgl. 2Tim 2,13. 11 Der Thron Gottes (vgl. Röm 3,25; Hebr 4,16; 9,5 in Aufnahme des Begrifs „Gnadenstuhl“ bei der mosaischen Stiftshütte: Ex 25,17 u. ö.). 12 Sach 12,10. Nr. 44 an [eine adlige Freundin] 9. 5. 1690 189

Nun, der HErr, der ie mehr und mehr seine gnade kräftig auf seine kinder 50 auszugiessen13 beginnet und vieles hin und wieder rege macht, hingegen eben dadurch hofnung giebet, er wolle sich seines verstöhrten Zions14 wiederum nachtrücklicher annehmen, wird ie mehr und mehr alle derselben hertzen in einigkeit des Geistes15 und mit heiliger liebe also unter einander verbinden, damit unsre dancksagung und gebete desto ernstlicher zusammen gesetzt 55 kräftiger bey ihm eindringen und [wir] endlich alles uns versprochene in zeit und ewigkeit erhalten. 9. May. 1690.

51 hingegen ] + aber: D3. ​56 ihm ] ihn: D1+2.

13 Vgl. Sach 12,10. 14 Vgl. Jes 64,10. – Zion ist das biblische Bild für das Volk Gottes, das Spener auf die evan- gelische Kirche bezieht. 15 Vgl. Eph 4,3. 190 Briefe des Jahres 1690 45. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 13. Mai 1690

Inhalt Beklagt sich über das ungerechte Vorgehen gegen die Pietisten in Leipzig und bedauert, nieman- den hilfreich zur Seite stehen zu haben. – Berichtet vom Trost durch die Begegnung mit einer adligen Dame, die ihm durch ihr „Däumeln“ tröstliche Bibelverse zugesprochen hat. – Bedankt sich für die Verteilung von Spendengeldern für Hilfsbedürftige in der Umgebung von Frank- furt und gibt weitere Anweisungen. – Bestimmt, wie seine jüngsten Schriften verteilt werden sollen. – Beklagt den Angrif [Daniel] Hartnacks und kündigt eine Gegenschrift an. – P. S.: Be- richtet vom Besuch des Ehepaars Petersen und von [Heinrich Wilhelm] Scharf in Dresden und seinem geplanten Trefen mit [Abraham] Hinckelmann in Jahnishausen. – Bedauert den Tod von [Nathanael] Ecclitius und weiß zu berichten, daß dessen Bruder Pfarrer in Zeitz wird. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 364–367.

Gnade, Friede, Heil, Leben und alle Frucht der Auferstehung unsers liebsten Heilandes JESU. In demselben hertzlich geliebte Schwester. Ich hätte auf ihr letztes2 eher als sonsten geantwortet, wo mich nicht solche 5 hindernüßen abgehalten hätten, so mich nicht in eigner Macht gelassen ha- ben. Das Leipzigische Wesen3 ist wol seiter4 meine einige Sorge gewesen und mein vornehmstes Anliegen; und schmertzet mich die ungerechtigkeit so vielmehr, als vernehme, daß es nicht einmahl in der warheit dermaßen sich 10 mit den vorgegebenen unordnungen5 verhalten, wie hier angegeben, alles als gewiß angenommen und solche harte verordungen6 veranlasset worden. Und wolte Gott, es würden solche nicht über den tenor der deutlichen wort auß- gedähnet, das nun auch ein verbrechen seyn solte, wo 2 oder 3 Personen sich von Göttlichen dingen besprechen7. Zu helfen bin ich bloß unvermöglich,

1 Anna Elisabeth Kißner, Arztwitwe in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 7–21. 27–34. 41–45. 70–72) in: Nebe, Dresdner Briefe, 293 f. 2 Nicht überliefert. 3 Die Auseinandersetzungen um die Pietisten (s. Briefe Nr. 15, 28, 30, 31 u.ö). 4 Seither. 5 V.a. die Anklagen, pietistische Studenten und ihre Anhänger hätten gegen die Verordnungen der Stadt verstoßen (s. Brief Nr. 15). 6 Im Edikt (s. Brief Nr. 51 Anm. 39) werden diejenigen, die Konventikel besuchen, mit Gefängnisstrafe bedroht („daß einige euerer jurisdiction unterworfene Personen dergleichen Conventicula zu halten/ und darzu einzufnden, sich gelüsten lassen solten/ solches mit alleim Enrst/ auch da nöthig mit Gefängnis=​Strafe inhibiren“). 7 Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Zusammenkünften zur Bibellektüre und erbauli- chen Gespräch s. Brief Nr. 15. Nr. 45 an Anna Elisabeth Kißner 13. 5. 1690 191 als der nicht einen einigen Menschen an der seite stehen habe, sondern end- 15 lich dieses als eine wohlthat ansehen muß, wo man mich nicht wircklich mit unter die Schuldige ziehet8, so vielleicht noch geschehen mag. Einiger vor- geben, da man bereits vor einem halben Jahr und drüber erzwingen wollen, daß ein Secte vorhanden sey9, die man doch nirgend zeigen konnte, mußte durchtringen, damit sie nicht unrecht gehabt hätten; und darüber so viel 20 unschuldige leiden, doch hofe ich, der HErr werde noch hülfe schafen10 und seine schwache verlaßene stärcken11. Ach, daß ich doch von ihm nur die gnade erbitten möge, mich weißlich zu halten, daß ich mich weder derjenigen dinge, so wieder das gute geschehen, theilhaftig mache, noch im unzeitigen wiedersetzen den zorn nur heftiger [mache]. Erkenne ich den liebsten willen 25 des Himmlischen vaters, so zweifele ich nicht, er werde mir auch die gnade geben, daß ich denselben in seiner Kraft verrichte. Mir ist nechstmal12 eine sonderbare stärckung wiederfahren durch eine Christliche vornehme standesPerson13, welche, als sie mich besucht und meinen zustandt, darinnen ich stunde, bedauret, Abends nach ihrem Gebeth 30 mir einen Trost suchen und aufschlagen wolte, so giebt ihr Gott unter die beide daumen14 die bedenckliche Sprüche Jeremiae 18,1815 und c. 20,1116, deren der erste in völliger erfüllung stehet, daher ich versichert bin, daß an dem andern auch nicht manglen solle. Geliebte Schwester helfe noch immer- fort kämpfen mit Gebeth und seuftzen, vermahne auch andere gläubige 35 Seelen dazu, nicht so wol vor mich als das werck des Herrn an allen orten. Ich weiß der Herr wirds endlich laßen durchtringen und eine Hülfe schaf-

8 Zum Vorwurf, Spener sei Initiator der pietistischen Unruhen, und dessen Abwehr s. Brief Nr. 31. 9 Vgl. Brief Nr. 16, Z. 125–130. 10 Ps 12,6. 11 Vgl. Ez 34,16. 12 Im Sinne von „neulich“ (DWB 13, 141). 13 Vermutlich Henriette Catharina von Gersdorf, mit der Spener über die Leipziger Ereignisse im Gespräch war (vgl. Spener an A. Rechenberg am 24. 2. 1690; Ad Rech 1, Bl. 438r). – Henriette Catharina von Gersdorf (6. 10. 1648–6. 3. 1726), Tochter des ehemaligen Dresdner Konsistorial- präsidenten Carl von Friesen, vielseitig gebildet, Verfasserin religiöser Lieder, Förderin zahlreicher charitativer Initiativen, verheiratet mit Nikolaus (II.) von Gersdorf (zu diesem s. Brief Nr. 53 Anm. 3) (R. Langer, Pallas und ihre Wafen. Wirkungskreise der Henriette Catharina von Gers- dorf, Dresden 2008; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 81 Anm. 96). 14 Zum „Däumeln“, um Bibelsprüche für eine bestimmte Lebenssituation zu bekommen, s. M. Mayer-Petersen, Der „Fingerzeig Gottes“ und die „Zeichen der Zeit“, Stuttgart 1984; F. van Lieburg, Direkte Gotteserfahrung. Pietismus und Bibliomantie, in: PuN 39, 2013, 298–314. 15 Jer 18,18 (Luther 1545: „ABer sie sprechen / Kompt / vnd lasst vns wider Jeremia rat- schlagen / Denn die Priester können nicht jrren im Gesetze / vnd die Weisen können nicht feilen mit raten / vnd die Propheten können nicht vnrechtleren / Kompt her / Lasst vns jn mit der Zungen todschlagen / vnd nichts geben auf alle seine Rede.“). 16 Jer 20,11 (Luther 1545: „Aber der HERR ist bey mir / wie ein starcker Held / Darumb werden meine Verfolger fallen / vnd nicht obliegen / Sondern sollen seer zu schanden werden / Darumb / das sie so törlich handeln / Ewig wird die schande sein / der man nicht vergessen wird.“). 192 Briefe des Jahres 1690

fen17; meine auch, es darauß zu schließen, weil mich derselbe stäts in freudig- keit erhält und diese mehr zu als abnehmen läßet. Ihme sey alles befohlen. Er 40 wirds machen! Vor die Treue in administrirung der armengelder sage fr[eundlich] danck18 und überlaße sie dem Himmlischen vergelter; sie solle wiederum 100 Thlr. zu solchem zweck bekommen. Davon bereits H. Fend19 wird 20 gelifert haben und hingegen auch dieses zedulin bezahlt und dazu angewendet wer- 45 den solle. Es sind unterschiedliche Christliche Personen, so dieses über- schicken; die es empfangen, haben Gott allein davor zu dancken und vor den christlichen wachsthum20 gewißer Personen zu bitten21. 10 Thlr. davon sollen H. Weinich, Pf[ar]rh[err] zu Billingshaußen22 bey Wertheim, zukommen, der sie vielleicht wird abfordern laßen; sodann 10 Thlr. H. Brunnquells23 hind- 50 erlaßenen, welche sie zuzubringen sie selbst Gelegenheit vielleicht fnden wird. Ob noch einige andere specialia möchten von mir noch zu berichten seyn, erinnere mich noch nicht, kann aber etwa folgen. Mit den übrigen ver- fährt sie nach dero Christlicher liebe u. vorsichtigkeit. Es wird auch H. Zunner24 derselben zustellen 12 exemplar von den Pre-

48 Weinich: cj ] Weinrich: K. 49 Brunnquells: cj ] Brunnquels: K.

17 Ps 12,6. 18 Zu Speners Unterstützung Hilfsbedürftiger in Frankfurt und der weiteren Umgebung durch Anna Elisabeth Kißner s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 32, Z. 24–28, Nr. 55, Z. 47–54, Nr. 66, Z. 23–35, und Nr. 111, Z. 17–54. 19 Christian Fende (22. 10. 1651–20. 9. 1746), Jurist in Frankfurt a. M.; geb. in Öttersdorf/ Vogt- land, nach dem Jurastudium in Wittenberg und Königsberg Aufenthalt in Wien als Sekretär eines Reichshofratsagenten, 1675 Anstellung in der Kanzlei von Johann Jakob Schütz in Frankfurt a. M., 1676 Bekehrung im Collegium Pietatis, 1682 Bruch mit Spener nach dem Bekanntwerden eines Briefes, in dem er die kirchliche Abendmahlsfeier als Götzendienst bezeichnete (s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 199), vorübergehend Dienstverhältnis in Eppstein, seit ca. 1700 wiederum in Frankfurt a. M., bis zu seinem Tod eine Hauptperson der Frankfurter Separatisten (E. Oswalt, Christian Fende. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus in Frankfurt/M., Diss. phil. masch., Frankfurt 1921; Dölemeyer, Nr. 162; DBA 313, 269–271; H. Schneider, Der radikale Pietismus im 18.Jahrhundert, in: GdP 2, 156–159; Deppermann, Schütz, 123 f, 187–189; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 22). 20 Der Wachstum (DWB 27, 148). 21 Es handelt sich vermutlich um Adlige im Umfeld Speners, nicht zuletzt um die sächsische Kurfürstin Anna Sophia (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32 Anm. 6). 22 Johann Jakob Weinich (16. 9. 1649–12. 3. 1713), Pfarrer in Billingshausen/ Franken; geb. in Lorenzenzimmern; nach dem Studium in Tübingen 1675 Pfarrer in Massenbach im Kraichgau, 1678 in Sommersdorf und Thann, 1687 in Fröhstockheim, 1689 in Billingshausen, 1697 in Mör- felden, 1708 emeritiert (Dannheimer, 348; BWPfB I.2 Nr. 3770; Diehl, Hassia Sacra 1, 176; s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111 Anm. 45). 23 Ludwig Brunnquell, im Jahr 1689 verstorbener Pfarrer in Flehingen/ Kraichgau (s. Brief Nr. 30 Anm. 26). 24 Johann David Zunner, Verleger in Frankfurt a. M. (Brief Nr. 27 Anm. 16). Nr. 45 an Anna Elisabeth Kißner 13. 5. 1690 193 digten von der welt-Liebe25, 4 von den tabulis Hodosophicis26; von diesen 55 letzten wolle sie eines H. Schäfern27, eines H. Jungio28, eines H. Runckeln29 senden, sodann eins dem HErrn Bruder30 geben, von jenen31 aber theile sie aus nach wolgefallen, jedoch auch nach Laubach. Könnte vielleicht von Jungf[er] Müllerin32 nachgefragt werden, wem sie die ihrige committirte geben, daß nicht an einem Ort zweymahl kommen. 60 Es werden auch bald exemplar folgen einer verantwortung, so ich wieder Hartnacken33, der mich in sehr vielen Puncten zum Arminianer34 und Soci- nianer35 machen wollen36, außgeben müßen. Ich sehe auch solchen Angrif als eine gnade Gottes an, da nicht nur Sieg der warheit, sondern auch fernerer nutzen folgen solle37. 65

25 Ph.J. Spener, Die Von dem H. Johanne 1. Epist. II/ 15. 16.17 Den Kindern Gottes verleidete Liebe der Welt / Nochmahl zu hertzlichen derselben ablegung in dreyen Predigten vorgestellet, Frankfurt a. M.: Zunner 1690 (erneut gedruckt: KGS 3, Anhang, 1–90; Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IX.2.3). 26 Philipp Jakob Spener, Tabulae Hodosophicae (s. Brief Nr. 22 Anm. 4). 27 Johann Peter Schefer, Informator der Grafensöhne von Solms-Laubach (s. Brief Nr. 11 Anm. 3). 28 Johann Heinrich Jung, Pfarrer und Inspektor in Laubach (s. Brief Nr. 11 Anm. 13). 29 Johann Vincent Runckel (get. 25. 2. 1652–10. 2. 1691), Lehrer an der Gießener Stipendia- tenanstalt; geb. in Nidda, nach dem Studium in Gießen (imm. 6. 5. 1667) 1677 Präzeptor an der Stipendiatenanstalt (Taufregister der ev. Pfarrgemeinde Nidda; LP: Johann Heinrich May, Die bedencklichen Todesfälle der Gerechten, [Gießen] 1691; Klewitz/Ebel, 56; Diehl, Hassia Sacra 1, 242; 2, 535; W. Diehl, Die Gießener Stipendiatenanstalt, in: Die Universität Gießen, 2. Bd., Giessen 1907, [2–132] 67; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 94 Anm. 54). 30 Conrad Hieronymus Eberhard, Arzt in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 50). 31 Hier ist die Predigtsammlung (s. Anm. 25) gemeint. 32 Anna Sybilla Müller (s. Brief Nr. 11 Anm. 70). 33 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 34 Vertreter des Calvinismus, die eine milde Prädestinationslehre vertraten, benannt nach dem Leidener Professor Jacobus Arminius (1560–1609), wegen der Ablehnung der strengen Präsdesti- nationslehre auf der Dordrechter Synode (1618/19) verurteilt und verfolgt (auch: Remonstranten) (RGG4 1, 772–778). 35 Sozinianer, Sozinianismus; eine unitarische Bewegung, durch ihren maßgeblichen Führer Fausto Sozzini zur Kirche konstituiert; in der Tradition der Toleranz des Humanismus wurde die Teilung der Kirche in verschiedene Konfessionen zurückgewiesen (O. Fock, Der Socinianismus, 2 Bde, Kiel 1847; Ndr. Whitefsh, USA 2010). Spener bekämpft die sozinianische Christologie in dem posthum erschienenen Werk: Vertheidigung des Zeugnüsses von der Ewigen Gottheit Unsers HErrn JESU CHRISTI, Frankfurt a. M.: J. D. Zunners Erben, 1706. 36 D. Hartnack, Anweisender Bibliothecarius Der Studirenden Jugend / Durch die Vornehm- sten Wissenschaften / Sammt der bequemsten Methode, Wie dieselbe zu erlernen von einem zu- künftigen Theologo, Jurisconsulto, und Medico, Bey welcher Jeden ein kurtz= und ordentlicher Catalogus derer besten Bücher angehängt, Stockholm und Hamburg: G. Liebzeit 1690. – Im (neupaginierten) Teil über das Theologiestudium fndet sich – ohne Nennung seines Namens – eine Abrechnung mit Spener: S. 201–249. 37 Vgl. die gleichen Überlegungen in: Spener, Rettung, S. 1 f. 194 Briefe des Jahres 1690

Der Herr sey vor alles gelobet, indem seine güte in allem überschwenglich ist. Mehr leidet die zeit nicht, soll aber, geliebt es Gott, bald folgen. Deßen liebe und huld sie und gantzes hauß treulich und hertzlich empfehle. Dreßden, den 13. May 1690.

70 P. S.: Vergangene woche war der l[iebe] H. D. Petersen38 bey mir, ist aber wieder fort, sie39 hingegen in dem Teplitzer bad, von dannen sie wiederum her- kömt40. In dieser Stunde fahre ich nach Jahnishausen zu der christlichen Frau von Reichenbach41, wo ich H. D. Hinckelmann42 sprechen werde. Gestern 75 kam H. L. Scharf 43, ein gottseeliger Superint[endens] von Lühne zu mir 50 Meilen gereiset, mich zu sehen. Wir gehen mit einander, der HErr laße unsre zusammenkunft nicht ohne Seegen seyn. Vieleicht davon zu andern mahl. Des S. H. Ecklitii44 todt gehet mir sehr zu hertzen. Der Vater der barmher­ 80 tzigkeit u. Gott alles trostes45 erzeige an der lieben wittwen und waysen46 alles, was er denselben verheißen hat, und preise seine warheit an ihnen; er zeige mir auch wege, ihnen liebe zu erzeigen. Der Bruder47 wird zwar nicht Super­int[endens], aber Pfarrer zu Zeitz und fnde ich den vorschlag, lieber in Sachsen wohnen, nicht unrathsam. Der Herr führe sie nach seinem Rath und 85 nehme sie mit Ehren an. Frauen, Frauen, Annae Elisabeth Kißnerin, gebohrne Eberhadin, Wittiben, Franckfurt am Mayn, neben dem kleinen Braunfels bey H. D. Eberhardten.

38 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 39 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 40 Zur Reise des Ehepaars Petersen, die sie u. a. nach Leipzig und Dresden führte, und der Weiterreise Johanna Eleonoras nach Teplitz s. Matthias, Petersen, 243–245 (s. a. Brief Nr. 51, Z. 22–24). 41 Baronin Marie Sophie von Reichenbach geb. von Friesen (23. 7. 1652–13. 6. 1718) (E. von Friesen, Geschichte der reichsfreiherrlichen Familie von Friesen, Dresden 1899, 2. Bd., Tafel V; Näheres Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 70 Anm. 10). 42 Abraham Hinckelmann (2. 5. 1652–11. 2. 1695), Hauptpastor in Hamburg; geb. in Döbeln/ Meißen, nach dem Studium in Wittenberg 1672 Rektor in Gardelegen und 1675 in Lübeck, 1685 Diaconus in Hamburg, 1687 Oberhofprediger in Darmstadt und 1688 Hauptpastor in Hamburg (DBA 540, 27–67; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 121 Anm. 1). 43 Heinrich Wilhelm Scharf, Superintendent des Klosters Lüne (s. Brief Nr. 39 Anm. 16). 44 Nathanael Ecclitius (gest. 19. 3. 1690), Vorsteher des Frankfurter Waisenhauses (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 13 Anm. 20 und Bd. 3, Brief Nr. 66 Anm. 18). 45 2Kor 1,3. 46 Eine Tochter von Ecclitius (Philippina Margaretha) war Patentochter Speners (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 11 Anm. 5). 47 Christian Gottfried Ecclitius (1652–29. 1. 1721), Superintendent in Weida; geb. in Allstedt/ Helme, nach dem Studium in Jena zunächst Informator in Zeitz, 1680 Pfarrer in Langenaue bei Zeitz, 1682 Diaconus in Zeitz, 1689 Superintendent in Weida, 1690 Pfarrer an St. Michaelis in Zeitz, 1696 Konsistorialrat und 1700 Stiftssuperintendent in Zeitz (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 77 Anm. 31; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 82 Anm. 23). Nr. 46 an Johann Wilhelm Hilliger 17. 5. 1690 195 46. An Johann Wilhelm Hilliger in Chemnitz1 Dresden, 17. Mai 1690

Inhalt Gibt einen Rat im Streit zwischen Christian Becker und seinem Beichtvater Georg Seidel; Becker möchte einen anderen Beichtvater vom Dresdner Oberkonsistorium zugesprochen haben. – P. S.: Die Spende aus Chemnitz für Wormser Hilfsbedürftige. Überlieferung A: Dresden, Landeskirchenarchiv, Best. 12, Nr. 203. D: F. Blanckmeister, Spener in Chemnitz, Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte, 36, 1927, S. 41–43 (Z. 1–46).

Von unsrem auferstandenen und in seine herrlichkeit eingegangenen Heiland JESU alle seiner auferstehung Himmlische früchte! HochwolEhrwürdig, Großachtbar und Hochgelehrter, Insonders Hochgeehr- ter Herr und in dem HERRN geliebter Bruder.

Es hat sich bringer dieses, Christian Becker2, über seinen pfarrh[errn] und 5 beichtvatern, H. M. Georg Seideln3, wegen gegen ihn gebrauchter harter wort und schmähungen in der predigt bey mir beschwehret und um ver- stattung eines andern beichtvaters gebeten; wann nun solches bei mir nicht stehet, sondern vor das OberConsistorium4 gehöret, so habe ihn dahin ver- wiesen, aber dabey bedeutet, daß man nicht ohne wichtigste ursache und, 10 nachdem alles vorhin versuchet, zu solcher erlaubnus zu kommen pfege, und dabey freundlich gerathen, lieber ehe er ofentlich vor dem OberConsistorio dergleichen suche, die güte, die doch erstlich von denselben angeordnet werden wird, zu tentiren5, und also dahin gewiesen, daß er E. Hochwohl- Ehrw[ürden] gehorsam ersuchen wolle, daß sie seinen pfarrH[errn], soviel 15

6 H. ] – D. 9 habe ] + ich: D. 10 wichtigste: A ] wichtige: D.

1 Johann Wilhelm Hilliger (3. 8. 1643–9. 9. 1705) Superintendent in Chemnitz, geb. in Chemnitz, nach dem Studium in Wittenberg 1671 Adjunkt an der philosophischen Fakultät in Wittenberg, 1676 Diaconus, 1684 Archidiaconus und 1686 Superintendent in Chemnitz (Zedler 13, 90; Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 355; EGS 1, 1285–1287; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 17 Anm. 1). 2 Christian Becker; ofenbar ein Bauer aus Niederwiesa (vgl. Brief Nr. 73, Z. 14); weiter nichts bekannt. 3 Georg Seidel (1648–1700), Pfarrer in Niederwiesa bei Chemnitz; geb. in Zwickau, nach dem Studium in Leipzig 1685 Pfarrer in Niederwiesa (Grünberg, Pfarrerbuch 2.2, 866). 4 Das Oberkonsistorium in Dresden (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 5 Versuchen. 196 Briefe des Jahres 1690

mehr da derselbe ohne das verschwägert6, neben ihm vor sich erfordern und die sache under ihnen freundlich aufheben möchte. Welches wol der beste rath und auch zulänglichste mittel sein dörfte, wie auch davor halte, daß der H. pfarrH[err] sich willig dazu zu verstehen deswegen ursach hette, indem, 20 wofern die wort auf der cantzel also, wie sie angegeben worden, gelautet haben und sie hie denunciret werden solten, es nicht gebillichet und ohne correction bleiben möchte. Wird als auch vor ihn selbs nützlicher sein und wünsche es ihm selbs so vielmehr, nachdem ich von ihm viel gutes allezeit gehöret und ihn deswegen sonderlich liebe, daß alles ohne weitläuftigkeit 25 außgemachet würde. Da nun Ew. Hochwohlehrwürden dergleichen freund- lich übernehmen wollen, werden sie selbs am besten art und weise der ver- söhnung fnden und H[errn] M. Seideln erinnern, daß ins künftige alle vorsichtigkeit auch gegen diesen mann, der bey vorstellung dieser seiner be- gegnus (praesupposito7, daß die wort also gelautet) etwas gegen ihn, ob zwahr 30 vielleicht nicht eben stracks die änderung des beichtstuhls erhalten dürfte, gebrauchet würde; wie ohne daß ich meines orts alle dergleichen particulari- teten nicht gern auf die cantzel gebracht sehe, auch wenig dadurch erbauet zu werden weiß. Der HERR wehre allem ärgernus u[nd] weiterung, hingegen stifte und 35 erhalte er under hirten u[nd] schafen liebreiches vertrauen, zeige auch und befördere selbs die dazu dienliche mittel. In deßen seelige obhut und gnadenregirung hertzlich erlaßende und dem gantzen geliebten hause allen segen anwünschende verbleibe E. Hochwol­ Ehrw. zu gebet u[nd] fr[eundlichen] diensten williger

40 Dresden, den 17. Maj[i] 1690. Philipp Jacob Spener, D. Mppria. [P. S.:] Ich will nicht zweifeln, es werde ein voigt8, dem drinnen die Wormsische 45 quittung9 wegen der 30 Thaler von Chemnitz gewesen, überkommen sein.

16 das: A ] dies: D. 16 neben: A ] mit: D. 16 erfordern: D ] erfordere: D. 17 under: A ] und: D. ​17 ihnen: A ] Ehr: D. 19 H. ] – D. 26 übernehmen: A ] überdenken: D. [Unsichere Lesart: „übernehmen“, nicht aber: „überdenken“, auch wenn es sachlich passen würde, aber: 1. es dies nicht Speners Sprachstil und 2. kann man das Wort so auf keinen Fall lesen.] ​28 der: A ] und: D. 30 erhalten: A ] erfolgen: D. 44 f | Ich will nicht zweifeln … überkommen sein. |.

6 Vermutlich meint Spener eine Schwägerschaft zwischen Becker und Seidel. 7 Vorausgesetzt; vom mittelalterlichen Latein „praesuppono“ hergeleitet (Habel/Gröbel, 307; nicht bei Georges). 8 Nicht ermittelt. 9 Spener hatte bei den Investiturfeierlichkeiten Hilligers statt eines eigenen Honorars um eine Spende für Wormser Hilfsbedürftige gebeten, die bei der Zerstörung der Stadt im Pfälzischen Erbfolgekrieg ihr Habe verloren hatten (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 111, Z. 17–29). Nr. 46 an Johann Wilhelm Hilliger 17. 5. 1690 197

H[errn] Burgem[eister] D. Neefen10 grüße ich dienstlich.

Dem HochwolEhrwürdigen, Großachtbarn und Hochgelehrten Herrn Jo- hann Wilhelm Hilligern, treueyfrigen pastori der Christlichen kirche zu Chemnitz und wachsamen Superintendenten dasiger diaeces. Meinem in- sonders Hochgeehrten Herrn und in dem HERRN geliebten Brudern. 50 Chemnitz.

10 Arnold Christoph Neefe (27. 7. 1632–8. 12. 1700), Jurist und Ratsmitglied in Chemnitz; geb. in Halle a.S., nach dem Studium in Wittenberg Jurist in Chemnitz, mehrfach Bürgermeister. Die Familie Neefe ist ein altes und bedeutendes Chemnitzer Patriziergeschlecht (Adam Daniel Richter, Umständliche aus zuverläßigen Nachrichten zusammengetragene Chronica Der […] Stadt Chemnitz, Zittau und Leipzig 1767, S. 438 f; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 94 Anm. 10). 198 Briefe des Jahres 1690 47. An [Johann Joachim Wolf? in Magdeburg]1 Dresden, [vor 18. Mai 1690]2

Inhalt Hat vor mehr als einem Jahr von der Familie von der Asseburg und von Rosamundes Ofenba- rungen gehört. – Weist darauf hin, daß in solchen Fällen zwischen den Wirkungen der Natur und der Gnade zu unterscheiden ist; wundert sich, daß [Christian] Scriver nichts davon erfahren hat, und bittet, diesen nach seiner Einschätzung zu befragen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 803 f.

Es ist bereits über ein jahr, daß Hr. Siebenhaar3 einer adelichen wittwen von Asseburg4, so ihres orts5 lebte, in schreiben an mich6 meldung gethan u. dero gottseligkeit mir also bezeichnet hat, daß ich mich von solcher zeit verbunden gehalten habe, ihrer auch vor Gott zu gedencken. Bey einem halben jahr her 5 aber habe auch von dero christlichen töchtern7 viel rühmliches, sonderlich

1 Der Adressat ist ein Amtsbruder in Magdeburg (s. Z. 16–19); vermutlich handelt es sich um Johann Joachim Wolf(ius) (15. 2. 1656–1. 1. 1706), Diaconus an St. Ulrich in Magdeburg; geb. in Parchim, nach dem Studium in Wittenberg, Leipzig, Gießen und Kiel (1681 Disputationen bei Christian Kortholt) 1683 Hofprediger in Braunschweig und 1685 Diaconus in Magdeburg (PfBKPS 9, 434). – Zur Adressatenbestimmung: Johann Wilhelm Petersen schreibt in seinem Lebenslauf, Wolf habe, bevor er sich gegen Petersens Verkündigung des Millenniums gewandt habe, „vorher so viel von der Fräulein von der Asseburg gehalten, und die Göttlichkeit ihrer Be- zeugungen bekannt, und sie mir und Hr. D. Spenern recommendiret“ (Johann Wilhelm Petersen, Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, o. O. 1717, S. 228 f). 2 Weil Christian Scriver ofenbar noch in Magdeburg ist (Z. 16–19) und er am 18. 5. 1690 als Oberhofprediger in Quedlinburg eingeführt wurde, muß dieser Brief in die ersten Monate des Jahres 1690 datiert werden. Wenn die Nachrichten darüber „bey einem halben jahr“ (Z. 4) zu- rückliegen, wird Spener diese im Spätherbst 1689 erhalten haben; im Brief vom 30. 12. 1690 an Anna Elisabeth Kißner berichtet er von zwei graduierten Theologen, mit denen er im Kontakt war und die selbst Umgang mit Rosamunde hatten (s. Brief Nr. 111, Z. 104–106). Dies könnte zu dem Hinweis von Z. 15 im vorliegenden Brief passen, nach dem der Adressat „in genauer bekantnus“ zu ihr stand. In der Korrespondenz mit Johann Wilhelm Petersen fragt Spener zum ersten Mal im August 1690 nach der Familie von Asseburg, auch wenn er mitteilt, schon seit etlichen Jahren von der Witwe Gertr(a)ud Margarete von der Asseburg gehört zu haben (Brief Nr. 77, Z. 112–116). 3 Nach Matthias, Petersen, 260 Anm. 34 handelt es sich um den Berliner Kammeradvokaten David Siebenhaar, einen Sohn des früheren Magdeburger Geistlichen Malachias Siebenhaar (1616–1685). 4 Gertr(a)ud Margarete von der Asseburg (s. Brief Nr. 77 Anm. 46). 5 Der Wohnort des Adressaten, also Magdeburg. 6 Nicht überliefert. 7 Rosamunde Juliane, Auguste Dorothee und Helena Lukretia von der Asseburg (s. Brief Nr. 77 Anm. 47). Nr. 47 an [Johann Joachim Wolf?] [vor 18. 5. 1690] 199 aber von der einen J[ungfer] Rosamunda Juliana8, als ob solche mit vielen ofenbarungen begnadet würde, gehöret9. Wann nun aber weder mir noch einigen andern christen zukommen will, unserm allweisen GOtt maaß und ordnung zu geben, wenn u[nd] wie viel ausserordentlicher gaben er jeglichem zu ertheilen habe, sondern uns ge- 10 bühret, in allen dieselbe, wo sie warhaftig sind, zu ehren: hingegen aber auch allerdings eine prüfung der geister10 und sonderlich auch unterscheid der natur-kräften u[nd] der gnaden-wirckungen nöthig ist, um sich auf andere seite nicht zu verstossen11: So dann ich vernommen habe, daß geliebter Bruder mit solcher person vor andern12 in genauer bekantnus (da mich hin- 15 gegen wundere, wie sie unserm werthen Hn. Scriverio13 unbekant geblieben soll seyn) stehe, so hätte freundlich zu bitten, ob mit gelegenheit von demsel- ben vernehmen könte, wie er solche liebe leute in seiner prüfung gefunden habe: welches mir zu eigenem verhalten hofentlich dienen würde. Der HErr heilige uns in seiner warheit, sein wort ist die warheit14. Amen. 20

8 Rosamunde Juliane von der Asseburg (s. Brief Nr. 111 Anm. 29). 9 Bevor Spener sich bei Johann Wilhelm Petersen, der die Familie im Frühjahr 1691 in sein Haus in Lüneburg aufnahm, erkundigte, hatte er schon Informationen über sie und die bei ihnen stattfndenden Ofenbarungen von Julius Franz Peifer erhalten (Brief Nr. 77 , Z. 112–116, mit Anm. 46–48). 10 Vgl. 1Joh 4,1. 11 Vgl. dazu das ausführliche Gutachten Speners zu den Ofenbarungen Rosamundes: Philipp Jakob Spener, Theologisches Bedencken über einige Puncten/ Nahmentlich: Die gerühmte Ofenbahrungen eines Adelichen Fräuleins, Von einem Liebhaber der Wahrheit zum Druck be- fordert, o. O. 1692. 12 Personen, die Spener hier meinen könnte, sind neben den Mitgliedern der Familie von der Asseburg Julius Franz Peifer (s. Anm. 9) und ihr Präzeptor Matthias Heine, der auch mit nach Lüneburg zog (Matthias, Petersen, 258 f). 13 Christian Scriver, Pfarrer in Magdeburg (s. Brief Nr. 18 Anm. 9). 14 Vgl. Joh 17,17. 200 Briefe des Jahres 1690 48. An Wilhelm Ludwig Spener in Leipzig1 Dresden, 20. Mai 1690

Inhalt Gibt Hinweise und Ermahnungen für seinen Sohn Wilhelm Ludwig, der gerade aus seinem Elternhaus gezogen ist, um in Leipzig Theologie zu studieren. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 177–178.

Aeternitas! .Psal. CXIX2 זכרתי משפטיך מעולם יהוה ואתגחם 2. Tim. III,14. Σὺ δὲ μένε ἐν οἷς ἔμαθες καὶ ἐπιστώθης, εἰδὼς παρὰ τίνος ἔμαθες, καὶ ὅτι 5 ἀπὸ βρέφους τὰ ἱερὰ γράμματα οἶδας, τὰ δυνάμενά σε σοφίσαι εἰς σωτηρίαν διὰ πίστεως τῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ. Πᾶσα γραφὴ θεόπνευστος καὶ ὠφέλιμος πρὸς διδασκαλίαν, πρὸς ἐλεγμόν, πρὸς ἐπανόρθωσιν, πρὸς παιδείαν τὴν ἐν δικαιοσύνῃ, ἵνα ἄρτιος ᾖ ὁ τοῦ θεοῦ ἄνθρωπος, πρὸς πᾶν ἔργον ἀγαθὸν ἐξηρτισμένος.3

10 Mi fli, Wilhelme Ludovice. Ad aeternitatem cum tendas et, si ita divinae providentiae placuerit, ei vitae generi Te destinaveris, quod circa alios ad aeternitatem beatam ducendos occupatur, haec menti profunde inscribe: ad istam et Deum non iri, nisi in huius lumine, nec hoc aliis lucere, quam qui corda sua superno igne ab in- 15 quinamentis seculi et peccatorum mundari ac Spiritus coelestis habitationi

1 Wilhelm Ludwig Spener (25. 4. 1675–24. 6. 1696), Theologiestudent in Leipzig; geb. in Frankfurt a. M., nach dem Theologiestudium in Leipzig, Halle (1692) und Gießen (1693) und der Promotion zum Dr.theol. (1695) verstorben auf einer Reise ins Baltikum (LP: Johann Fischer, Die ofenbahrung [sic!] des sterbens und lebens des HErrn JEsu Christi in und an seinen gläubi- gen, Berlin: Salfelds Witwe 1697; Harraeus, 29 f; Blaufuss, Pietismus-Forschungen, 117–195 [Stammbuch W. L. Spener]; R. Mack, Pädagogik bei Philipp Jakob Spener, in: Blaufuss, aaO, 79–91; vgl. Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 16 Anm. 7). 2 Ps 119,52 (Luther 1545: „HERR / wenn ich gedencke / wie du von der Welt her gerichtet hast / So werde ich getröstet.“). 3 2Tim 3,14–17 (Luther 1545: „DV aber / bleibe in dem das du gelernet hast / vnd dir ver- trawet ist / Sintemal du weissest / von wem du gelernet habst / Vnd weil du von kind auf die heilige Schrift weissest / kan dich dieselbige vnterweisen zur seligkeit / durch den glauben an Christo Jhesu. Denn alle Schrift von Gott eingegeben / ist nütz zur lere / zur strafe / zur bes- serung / zur züchtigung in der gerechtigkeit / Das ein Mensch Gottes / sey volkomen / zu allem guten werck geschickt.“). – Das griech. Zitat folgt der Vorlage Speners und berücksichtigt nicht die Textvarianten, die in modernen Ausgaben des griechischen Neuen Testaments (Nestle/Aland, 27. Aufage) bevorzugt werden. Nr. 48 an Wilhelm Ludwig Spener 20. 5. 1690 201 atque officinae4 parari patiuntur; huic ergo Te totum formandum trade et pietatis, temperantiae, castitatis et humilitatis studiosus omni eo abstine, quod sanctum istum hospitem contristaret aut expelleret, in precibus fundendis non minus operae quam in excolendis studiis loca, sacrum codicem omnis lucis penum locupletissimam diurno nocturnoque labore versa, imo in ipsum 20 pectus, quod ab eo lumine impleatur, reconde, radios eius coelestes et virtu- tem, cum senties, obsequiosus admitte, quas veritates coelestes concepisti animo, confestim gratus vita exprimere stude, omnibus aliis literis ex eo pre- tium statue, prout plus minusve ad intelligentiam supremae veritatis conferunt, adeoque nullas aspernatus, quoniam sanctificari omnes possunt, illis tamen, 25 quam maximo potes, nisu incumbe, quae audiendae et intelligendae voci Domini quam proxime serviunt, si quos profectus divina gratia facias, ex illis altiores spiritus capere cave, memor a doctissimo quoque, quam sciat plura ignorari et superbia optima quaeque corrumpi, humilitate autem eorum usum servari, Doctoribus illis prae aliis assiduus adhaere et Te committe, qui verbum 30 Domini ex sinceritate sicut ex Deo coram Deo in Christo loquuntur do­ ctrinaeque suae ipsi typi sunt, non aliorum magis consuetudine utere, quam quorum et sermone et exemplo proficias, iuvenilia desideria et seculi illece- bras, imo earum etiam occasionem, quantum poteris, fuge, cordis motus et, quae intra Te geruntur, non minus quam verba et actiones Tuas observa, 35 temporis iacturam nullam levem crede, valetudinis illam curam habe, ne corporis imbecillitas animi promtitudinem destituat, nec tamen etiam nimia istius cura hanc emolliat, studiorum totiusque vitae scopum non gloriam, opes aut vitae huius commoditatem aut munus, ista secum ferens, constitue, sed unice ut Deo placeas atque Salvatori, in cuius unius merito et iustitia fide 40 apprehensa omnem salutis collocabis fiduciam, gratus inservias donorumque in hoc commodatorum usum omni fide proximi commodis, quantum semper licebit, impendas; ut vero omnia ista praestare possis, Spiritus divini regimini Te omnino permitte et, quae seculi pietati infesti odia praedictionum Domi- ni nostri memor expecta, fortis sustine, constans atque patiens vince. 45 Ita διδακτός5 verus Theologus et salutare gratiae divinae evades instrumen- tum, quod unum desiderat, a coelesti Patre in CHRISTO IESU gratiam ad omnia necessariam exorare studet et Te ex aedibus dimittens suis, ne ipse huic desis, omni animi contentione hortatur, imo exorare atque hortari, dum vivet, non desistet Pater tuus fidelissimus etc. 50 Dresdae, 20. Maji 1690.

4 Zu Speners häufg wiederholtem Wunsch, daß Menschen – insbesondere Theologen – zur „Werkstätte des Heiligen Geistes“ werden mögen, s. Brief Nr. 28 Anm. 20. 5 Gelehrt. 202 Briefe des Jahres 1690 49. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 20. Mai 1690

Inhalt Hoft, daß Petersen wieder gesund in Lüneburg angekommen ist. – Bedauert, daß dieser mit den Schwestern [Christine Eleonore] von Stolberg und [Johanna Margarethe] von Schellen- dorf über die Auferstehung der Märtyrer gesprochen und sie damit verstört hat. – Ermahnt ihn eneut, diese Erkenntnisse nicht öfentlich vorzutragen, sondern dabei zu bleiben, nur den gekreuzigten Christus zu verkündigen; die Gegner in Lüneburg und Celle suchen nach einem Anlaß, ihn anklagen zu können. – Beschwört ihn, nach dem Gesetz der Liebe vorzugehen. – [P. S.:] Berichtet von der Klage [Marie Sophie] von Reichenbachs, daß sie Petersen nicht hat sprechen können und daß sie durch das, was ihre Schwestern über Petersens Ansprache gezeigt haben, verwirrt worden sei. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 459–461.

A JESU rege nostro glorioso omnes gratiae thesauros et spem gloriae! In ipso desideratissime Frater et Compater2. Ut optimae Johannae Tuae3 epistolio4 istam vestem circumdarem, decere vi- 5 sum est, nec non id remittam huc ad me allatum. Spero autem Te interim, quod et precor, salvum appulisse domi5 et Ecclesiam Tuam reperisse pro voto. Quod Illustriss[imae] Stolbergiae6 et Schellendorfiae7 locutus de mortuo- rum statu usque ad extremum Diem8 dubio optime non factum, eos enim

7 Schellendorfae: cj ] Schellenbergiae.

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 „Compater“ bezieht sich auf die Tatsache, daß Spener Patenonkel von Petersens Sohn August Friedrich war (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 3 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 4 Nicht überliefert. 5 Zur Reise Petersen nach Sachsen und seinem Aufenthalt in Leipzig und Dresden s. Briefe Nr. Briefe Nr. 45, Z. 71–73, und Nr. 51, Z. 22–24. 6 Gräfn Christine Eleonore von Stolberg (7. 9. 1659–22. 9. 1696), Tochter Heinrich von Friesens; geb. Dresden, seit 1674 mit Graf Friedrich Wilhelm von Stolberg verheiratet; zum engeren Freundeskreis Speners in Dresden gehörend (E. von Friesen, Geschichte der reichs- freiherrlichen Familie von Friesen, 1. Bd., Dresden 1899, Tafel V; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 33 Anm. 43). 7 Johanna Margarethe von Schellendorf (29. 3. 1655–10. 4. 1726), Tochter Heinrich von Frie- sens; seit 10. 11. 1688 verheiratet mit Maximilian Baron von Schellendorf (E. von Friesen, [wie Anm. 6], Tafel V; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 46 Anm. 5). 8 Anders als an anderen Stellen (s. Briefe Nr. 19, Z. 1–7, Nr. 26, Z. 12–18, Nr. 38, Z. 18–36) geht es hier nicht nur um das Schicksal der Märtyrer zu Beginn und während des Millenniums, sondern – wenn auch damit zusammenhängend – um dasjenige aller Toten. Diese werden nach Nr. 49 an Johann Wilhelm Petersen 20. 5. 1690 203 sermo ille scrupulos movit, qui, quae alia pro pietate dicta aut dici potuere, tantum non corrumperent. Quaeso Te, mi Frater, amicis ex amore vero mo- 10 nentibus morem gere, ut ne sententias hasce paradoxas et, quas a communi sensu Ecclesiae nostrae abludere satis nosti, illis exponas, qui tantum iis offen- duntur. Si, quid eae veritatis habent, saltem ad cibum solidum referendae fo- rent, cuius patientes non sunt stomachi, quibus lac instillare praestat9; nec credas homines tantum illis auditis non proficere, sed certus sis plurimum ipsis 15 noceri, uti ventriculo nocetur ingesto cibo, qui concoqui non potest, et aliam impedit concoctionem. Certe, qui ex vobis ista audiunt, quae non capiunt aut certo falsa reputant, ne quidem pietatis cultum urgentes aeque prompte sus- cipient, sed suspicione de doctrina non sana semel concepta in dubium illa etiam revocabunt, quae certissima sunt. 20 Aliunde mihi allatum secundo adversariorum Tuorum Cellas adventu causam horum visum esse melius iterum habere10. Unde, si me amas, si amas Ecclesiae tranquillitatem et salutem, ad primum revertere promissum et pro- positum, solum JESUM crucifixum Ecclesiae Tuae praedicandus11 et a dog- matibus illis publicandis12 abstine, a quibus ad profectum pietatis et salutem 25 ipsam parum speres, ad curiositatem excitandam et quietem turbandam, imo ipsam pietatis doctrinam in suspicionem revocandam, multum timeas. Ex- pectant, qui insidiantur, quod ex Act. 113 concioni expositurus sis, expectant Luneburgici, expectant Cellenses; sane malo Tuo et Ecclesiae futurum esset, si exponeres, qui tuus circa verba illa sensus est, unde alium potius, uti libertas 30 optionis Tibi data, textum Tibi elige, ut Scopulum istum praeternaviges. Vincunt, qui tempori cedunt et in tempore; non cedere autem velle ad- versantibus victoriam in manus dat. Et nonne dilectionis lex a nobis hoc po- stulat, ut, quibus offenduntur alii, si nempe bona essent, sed non omnino necessaria, omittamus aut in tempus commodius eiiciamus? Crede Te ab 35 amico moneri, qui Tuam salutem suae partem aestimat et non uno proprio experimento, quod in huius generis rebus proficiat, per DEI Gratiam edoctus est. Vale in DOMINO a me meisque.

Dresdae, 20. Maj[i] 1690. 40

Petersen am Ende des tausendjährigen Reiches auferweckt werden (J. W. Petersen, Schriftmässige Erklährung und Beweis Der Tausend Jahre / und der daran hangenden ersten Auferstehung. Aus der Ofenbahrung S. Johannis am 20. Cap. Frankfurt a.M 1692, S. 8). 9 Zu diesem Vergleich s. 1Kor 3,2; Hebr 5,12–14. 10 Die Gegner Petersens aus dem Lüneburger Predigerministerium hatten sich erneut mit Anklagen an das Celler Konsistorium gewandt. Die Klage wurde aber durch eine von Herzog Georg Wilhelm unterzeichnete Resolution vom 10. 5. 1690 zurückgewiesen und als erledigt be- wertet (Matthias, Petersen, 239–341). 11 Zu dem Versprechen Petersens, nur Christus zu verkündigen und unsichere Lehren nicht auf die Kanzel zu bringen, s. Briefe Nr. 26, Z. 14–16 und Nr. 38, Z. 21–25. 12 Petersen hatte auch dem Celler Konsistorium in der Anhörung vom 3. und 4. April 1690 versprochen, seine chiliastische Lehre nicht öfentlich vorzutragen (Matthias, Petersen, 239). 13 Zu einer Predigt über Apg 1 läßt sich nichts Weiteres sagen. 204 Briefe des Jahres 1690

Tuus in DOMINO omni pietate et fde PJSpenerus, D. Mppria. [P. S.:] 45 Illustri Reichenbachia14 doluit, quod Te affandi praerepta fuerit occasio, soro- rum autem15 suarum de sermone Tuo indicio non parum turbata est. Dem Hochwürdigen, Großachtbaren und hochgelahrten Herrn Johann Wilhelm Petersen, der h. Schrifft vortrefflichen Doctori und der Gemeinden in Lüneburg treueyffrigen Superintendenten. Meinem insonders Hochgeehr- 50 ten HErrn Gevatter und in dem HErrn geliebten Bruder. Lüneburg.

14 Baronin Marie Sophie von Reichenbach (s. Brief Nr. 45 Anm. 41). 15 Gräfn Christine Eleonore von Stolberg (s. Anm. 6) und Baronin Johanna Margarethe von Schellendorf (s. Anm. 7). Nr. 50 an Clemens Thieme 22. 5. 1690 205 50. An Clemens Thieme [in Leipzig?]1 Dresden, 22. Mai 1690

Inhalt Ermuntert, sich angesichts der Widerstände gegen die Pietisten in Leipzig still und vorsichtig zu verhalten und nicht gegen den Strom zu schwimmen, um nicht sich selbst und andere in Gefahr zu bringen. – Rät dringend davon ab, nach Erfurt zu reisen. Überlieferung E: Halle a.S., AFSt, A 143:582. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 638–639.

Daß der zustand, wie er in Leipzig gefunden, betrübt angesehen worden, glaube ich wol: aber lasset uns nur stille seyn und hofen, so werden wir starck seyn3. Nubecula transiens est4, und wird Gott wider helfen. Aber nichts ist nötiger dieses mal alß stille (so gar daß man auch nicht allzuviel klagen muß), gedult, ertragung einiger verachtung, gebet, hofnung u. vorsichtigkeit. Wir 5 wissen, praecepta negativa obligant ad semper5, und habe ich nie macht, etwas böses zu thun, aber praecepta afrmativa obligant quidem semper, sed non ad semper6, u. mag eine zeit seyn, da man gewißes gutes, so zu anderen zeiten zu rathen u. zu thun wäre, einstellen u. underlaßen u. also auch darinnen sich under die gewaltige hand unsers Gottes7, ohne dessen verhängnus nichts ge- 10

8 anderen zeiten ] anderer zeit: D. 9 sich ] – E.

1 Clemens Thieme (1667–1732), Kandidat der Theologie; geb. in Zeitz, Theologiestudium in Leipzig (Disputatio: C. Thieme, Dissertatio Theologico-Practica De Catechesi, Leipzig 1688), Februar 1687 Beitritt zum Collegium Philobiblicum, 1690 Reiseprediger des sächsischen Kur- prinzen Johann Georg (IV.), 1690 Archidiaconus in Wurzen (Antrittspredigt am 17.p.tr. 1690), 1694 (nach Dietmann: 1695) Superintendent in Colditz; er war einer der führenden pietistischen Theologen im Sommer 1689 in Leipzig und wurde deswegen verhört (Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 158 Anm. 14 [teilw. anders!]; Francke, Streitschriften, 9, 27, 29, 41, 46, 49, 51, 53; Dietmann, Priesterschaft 1.5, 673, Illgen 1, 37). – Der Zielort des Briefes ist auf Grund der Erwähnung von Leipzig in Z. 1 angenommen. Es könnte jedoch auch sein, daß Thieme sich zu dieser Zeit an anderer Stelle (in Zeitz?) aufhielt. 2 Die Handschrift hat als Vorlage für D gedient. Sie ist von Speners eigener Hand, jedoch sehr füchtig geschrieben (vgl. etwa die häufge Abkürzung „u.“). 3 Vgl. Jes 30,15. – Thieme wird als Verfasser des Liedes „Ich bin vergnügt, und halte stille“ angegeben (A. J. Rambach, Anthologie christlicher Gesänge aus allen Jahrhunderten der Kirche, 4. Bd., Hamburg 1822, 29 f; dagegen Johann Caspar Wetzel, Hymnopoeographie, Bd. 3, Herrn- stadt 1724, S. 294). 4 Das Wölkchen zieht vorbei (vgl. ähnlich in den Briefen Nr. 51, Z. 73 f, Nr. 54, Z. 57, u. Nr. 88, Z. 53 f). Auch Speners Lehrer Johann Conrad Dannhauer verwendet die Formulierung unter Verweis auf Athanasius (Dannhauer, Catechismusmilch 5, S. 1040). 5 Verbote verpfichten immer und unter allen Umständen. 6 Gebote verpfichten immer, aber nicht unter allen Umständen. 7 1Petr 5,6. 206 Briefe des Jahres 1690

schiehet und der gleichwol in allen dingen, auch dem ansehen nach per con- traria8, seine ehr befordert, demütigen muß: Da man hingegen, wo man um solche zeit, ob wol guter meinung, wider den strom schwimmen will, nur sich selbs hindert u. unnötige gefahr zuziehet, ja, die sache aufs künftige schweh- 15 rer macht. Also wird derselbe auch dieses mahl sich in die zeit schicken, mit vorsichtigkeit sich halten, guter freunde liebe sich nicht entziehen, aber alles also einrichten, sich nicht mit weiterem verdacht zu beschwehren u. also auch, andern nutz zu seyn, die gelegenheit zu verweigern9, insgesamt aber in der stille, was Gott über ihn und andere bestimmt, mit guter hofnung erwarten. 20 Wie dann, dafern derselbige sich jetzt stille helt, er sich keines ungemachs noch zur zeit zu besorgen hat. Die reise aber nach Erfurt10 muß allerdings eingestellet bleiben, u. würde zu jetziger zeit dero schade den nutzen weit übertrefen. Bitte also, diesem rath zu folgen u. sich zu versichern, daß er aus treuem hertzen komme. Der 25 HERR aber selbs gebe weißheit u. gnade zu wandlen vor ihm, wie es ihm gefellig ist. 22. May. anno 1690.

18 nutz < nutz. 18 verweigern ] suchen: D. 27 Den 22. ] D.

8 Durch das Gegenteil. 9 Die Diskrepanz der Überlieferung in D ergibt sich dadurch, daß nicht gleich erkennbar wird, daß das „nicht“ (Z. 17) sich auf „verweigern“ bezieht. 10 Am 2. 6. 1690 wird August Hermann Francke in Erfurt zum Diaconus an der Augustiner- kirche ordiniert (Kramer, Beiträge, 1861, 81); vermutlich hatte Thieme vor, zu diesem Anlaß dorthin zu reisen. Nr. 51 an Hermann von der Hardt 22. 5. 1690 207 51. An Hermann von der Hardt in Helmstedt1 Dresden, 22. Mai 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die verspätete Antwort damit, daß er seine Gegenschrift gegen [Daniel] Hartnacks „Bibliothecarius“ rechtzeitig vor der Frühjahrsmesse fertigstellen mußte. – Berichtet, daß [Johann Wilhelm] Petersen und seine Frau ihn in Dresden besucht haben. – Kritisiert dessen öfentliche Verkündigung des Chiliasmus und der Auferstehung der Märtyrer, die für viele Predigthörer eine zu schwere Speise sei. – Wünscht, daß mehr einfußreiche Leute wie [Herzog Rudolph August von Braunschweig-Wolfenbüttel] die Frömmigkeit fördern. – Hält die neu besorgte lateinische Edition der Vorreden Luthers für hilfreich; [Veit Ludwig] von Seckendorf will eine vermehrte Aufage seiner „Historia Lutheranismi“ herausgeben. – Weist darauf hin, daß die Überlegungen, ihn nach Stockholm zu berufen, schon aus dem vergangenen Jahr stammen und hinfällig geworden sind. – Das kurfürstlich-sächsische Konventikelverbot. – Zur Berufung August Hermann Franckes nach Erfurt. – Verweist auf seine Ausführungen in seiner Schrift „De impedimentis studii theologici“ im Zusammenhang mit der Visitation der Helmstedter Univer- sität. – Verdeutlicht die Bedeutung der Sprachen für die Theologenausbildung. – Kennt [Fried- rich Ulrich] Calixts Werk „De Haeresi et schismate“ noch nicht. – [P. S.:] Berichtet, daß Wilhelm Ludwig Spener und [Johann Christoph] Ochs zum Studium nach Leipzig gezogen sind. – Bittet um die Meinung von der Hardts zu den exegetischen Ausführungen Johann Wilhelm Petersens, die ihn zu seiner Lehrmeinung des Millenniums führen. Überlieferung A: Karlsruhe, Landesbibliothek, K 321.

Gratiam, pacem et salutem a JESU nostro gloriam ingresso! Vir Nobilissime, Amplissime et Excellentissime. Domine et amice Honoratissime. Qui alias etiam occupationibus variis districtus serius respondere soleo2, ac- ceptis Hartnaccii3 contra me foliis4 literas amicorum tantum non omnes e 5 manibus deponere necesse habui, ut tempus ei respondendi non elaberetur. Quamvis enim semel iterumque ab ipso lacessitus iniurias contemtu ulcisci satis habuerim, cum ista vice orthodoxiam meam non simplici modo ab ipso in dubium revocari conspicerem, necessitatem respondendi mihi impositam sensi, ne silens ad obiecta me reum faterer, et quidem conveniens admodum 10

8 /ista vice/. 9 /respondendi/.

1 Hermann von der Hardt, designierter Professor in Helmstedt (s. Brief Nr. 27 Anm. 1). 2 Die beiden Briefe von der Hardts, die Spener bislang noch nicht beantwortet hatte, stammten vom 29. 3. und 16. 4. 1690 (LB Karlsruhe, K 332, Bl. 58r–60r und Bl. 80r). 3 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 4 Gegen Spener gerichtet: D. Hartnack, Anweisender Bibliothecarius, S. 201–249 (s. Brief Nr. 45 Anm. 36). 208 Briefe des Jahres 1690

visum est, ut iisdem mox nundinis5 cum Bibliothecario ipsius6 mea apologia7 prodiret; ab acceptis vero ipsius chartis vix duo ultra tres hebdomades ad nundinarum ingressum dies supererant, unde facile aestimabis, otium meum in plures non potuisse distribui. Quae responderim, hic vides, et spero proba- 15 bis agendi modum, qui sine acerbitate est, ut tamen iniquitatem facti ipsi et aliis ante oculos ponerem. DEUM veneror, qui ipsius etiam cor his lectis in melius flectat aut cohibeat manus, ne ulterius bonis nocere ausint. Mihi vero res non amplius insueta est, scopus si fio, in quem aliorum sagittae colliment8, quae divina tamen gratia hactenus non alios magis vulnerarunt, quam a quibus 20 emissae erant. Vivit adhuc DOMINUS et dominatur in medio quoque in- imicorum9. D. Petersenius10 mihi interim adfuit11, sed vix unam alteramve horam col- loqui valuimus, cum ne quidem biduum hic subsisteret. Ipsa12 vero ex thermis Teplizensibus13 huc reditura est. 25 Caeterum circa ipsius causam14 idem omnino Tecum sentio praestitisse, ne quid de regno millenario15 publice coram populo diceret atque ita, quibus adversum se uterentur, animis infestis ipse suppeditaret arma, de quo virum monui, cum Lunaeburgum16 concederet. Cum autem nuper hac de re ipsi loquerer, dixit se eo adactum, quod loco epistolarum alios textus, ut explicaret, 30 collegae ferre noluerint, duas autem epistolas non potuisset contra animi

13 /dies/. 15 agend/i/ < agend. 19 /quae/. 29 /ut/.

5 Die Frühjahrsmesse (auch Oster‑ oder Jubilatemesse), die am Montag nach Jubilate begann (J. P. Marperger, Beschreibung der Messen und Jahr-Märckte, Leipzig 1711, S. 122 [Ndr. Frankfurt a. M. 1968]), und vierzehn Tage dauerte (Marperger, S. 15, 314 f), also vom 11. 5. bis 25. 5. 1690. 6 D. Hartnack, Bibliothecarius (s. Anm. 4). 7 Spener, Rettung. 8 Neulateinisch, abgeleitet von „collineo“ (Johann Friedrich Nolte, Lexicon Latinae Linguae Antibarbarum Quadripartitum, Leipzig und Helmstedt, 1744, Sp. 41 f): „zielen (auf)“. 9 Ps 110,2. 10 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 11 Petersen war, zusammen mit seiner Frau, auf seiner Reise nach Sachsen am Dienstag, den 6. 5. 1690 von Leipzig nach Dresden abgereist und hatte sich anderthalb Tage bei Spener auf- gehalten (Matthias, Petersen, 245; zu dieser Reise s. a. Brief Nr. 45, Z. 64 f). 12 Gemeint ist Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 13 Teplitz (heute: Teplice, Tschechien); auf Grund der schon im Mittelalter entdeckten warmen Quellen bedeutender Badeort, am Südrand des Erzgebirges gelegen. 14 Die Auseinandersetzung Petersens mit seinen Lüneburger Amtskollegen, die ihm vorwarfen, in Bezug auf die Auferstehung der Märtyrer und die Eschatologie heterodox zu lehren (s. Briefe Nr. 26 und 38). 15 Das Millennium; das Tausendjährige Reich (nach Apk 20,2). 16 Lüneburg. Nr. 51 an Hermann von der Hardt 22. 5. 1690 209 sententiam explicare17; addebat a decessore Sandhagenio18 de rebus Apoca­ lypticis, et quidem non omnino ex sententia vulgari19, concionem fuisse in- formatam, unde se arbitratum, nec sibi id vitio verti posse20; sed Cellis21 ultro silentium de resurrectione prima obtulisse22, si textus optio sibi concederetur, quae etiam concessa sit. Non desinam posthac etiam hortari, ut circumspecte 35 loquatur et uti decet, eum, cui plures insidiantur. Si Jesum crucifixum prae- dicamus23 et cordibus inscribimus auditorum, muneri satisfecerimus; quotus quisque enim in caetu nostro est, cui aliud quam lac necessarium fuerit, hoc est illae doctrinae, quae simpliciter iustificationem nostram vel sanctificatio- nem concernunt; si quid autem veri inest (quod spei de futura meliori Ec- 40 clesiae conditione24 inesse non dubito, licet martyrum resurrectionem haud- quamquam adhuc agnoscere valuerim25) certe ad solidum cibum referendum fuerit, quo ventriculos vix lacti digerendo idoneos non sine noxa oneraveri- mus26. Serenissimi autem Principis vestri27 in iuvandis iis, qui veritatis aut pietatis 45 causa ab aliis premuntur, pietatem, cui ille etiam multum debet, dignis prae- coniis satis depraedicare non possumus; DOMINUS vero retributor futurus

37 inscribimus < inscribamus. 40 concernunt < concernit. 41 /inesse/.

17 Es handelt sich um die Texte 1Thess 4,13–18 und 2Thess 1,3–10, über die Petersen an den beiden letzten Sonntagen des Kirchenjahres (also November 1689) nach der Perikopenordnung zu predigen hatte. Sie waren der Anlaß des Lüneburger Predigerministeriums, von ihm ein Recht- gläubigkeitszeugnis zu fordern (Matthias, Petersen, 227–230). 18 Caspar Hermann Sandhagen (22. 10. 1639–17. 6. 1697), Generalsuperintendent in Gottorf; geb. in Borgholzhausen/ Grafschaft Ravensberg, nach dem Studium in Rostock und Straßburg 1667 Rektor in Bielefeld, 1672 Superintendent in Lüneburg, 1689 Generalsuperintendent, Kirchenrat und Propst in Gottorf (DBA 30, 355–356; BBKL 16, 1093–1097; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 10 Anm. 9). 19 Sandhagen hatte v. a. die umstrittene Bibelstelle Lk 18,8 so interpretiert, daß Spener seine daher entstandene Bedenken zu seiner „Hofnung auf künftige bessere Zeiten“ der Kirche ge- nommen wurden (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 99, Z. 116–126, Bd. 3, Brief Nr. 19, Z. 45 f; weiter Ph.J. Spener, Behauptung der Hofnung künftiger Besserer Zeiten / In Rettung Des ins- gemein gegen dieselbe unrecht angeführten Spruchs Luc. XIIX, v. 8, Frankfurt a. M.: Zunner 1693 [Ndr. Spener, Schriften, Bd. VI.1, Hildesheim 2001], S. 269–273); zu der durch Sandhagen neu interpretierten Bibelstelle Lk 18,8 s. Krauter-Dierolf, 69–72. 20 Zu Petersens Meinung, er gehe lediglich in den Spuren seines Vorgängers, s. Matthias, Petersen, 224. 21 Das Konsistorium in Celle, das im Streit schlichten sollte (vgl. Matthias, Petersen, 238–241). 22 Ein Verbot, für oder gegen den Chiliasmus zu predigen, wurde von der fürstlichen Regie- rung in Celle durch eine Resolution vom 10. 5. 1690 ausgesprochen (s. Matthias, Petersen, 240 f). 23 S. Briefe Nr. 26, Z. 14–16, und Nr. 38, Z. 21–23. 24 Zu Speners Vorstellung einer künftig besseren Zeit bzw. eines künftig besseren Zustandes der Kirche, den er erstmals für die große Öfentlichkeit in den Pia Desideria vertrat, s. Krauter- Dierolf. 25 Vgl. Brief Nr. 38, Z. 18–21. 26 Vgl. 1Kor 3,2; Hebr 5,12–14 (s. a. Brief Nr. 49, Z. 12–14 und Nr. 77, Z. 71–73). 27 Herzog Rudolph August von Braunschweig-Wolfenbüttel (s. Brief Nr. 101 Anm. 1). 210 Briefe des Jahres 1690

est28 largissimus et hoc eo certius, quo divinius ipsum hoc officium est, quod vindicandis ab iniuria aliorum impenditur afflictis. Utinam exemplum seque- 50 rentur alii, quibus eadem potestas est vel maior, qua tamen alii usi non dignius applicaretur. Editionem praefationum Lutheri Latinam fructu suo non carituram certus sum29, qui saepius studiosos monui, ut quotannis illam, quam epistolae ad Romanos praemisit, semel iterumque legerent, cuius nunquam ipsos subitura 55 esset paenitudo30. Quamvis autem Germanis nostris sufficere videri posset ipsius viri labor, in vernacula nostra conceptus, iuvat tamen eundem etiam a felici interprete in aliam linguam conversum legere; et illis quoque proderit haec solicitudo, qui idioma nostrum non callent. Alterum exemplum, quod iussus eram, Illustri Seckendorfio31 transmisi, cuius novum consilium de hi- 60 storia Lutheri priori atque iam edita, denuo augenda, vos latere nequit32. Sane Ecclesia nostra viri laboriosissimi industriae plurimum debebit. Quae de mea in Sueciam vocatione vobis allata33, haud dubie inde ortum traxere, quod superiori anno Holmiae34 essent, qui de me ad pastoratum hinc

50 /tamen/. 50 /non/. 52 Lutheri ] + . 53 quo/tan/nis < quo. ​ 57 illis ] + .

28 Vgl. Sir 35,13. 29 Succinctus in Scripturam Commentarius. Nempe Illustres B. Lutheri Praefationes latinae In Libros Veteris Testamenti, Psalmos, et Epistolam ad Romanos. Ex Bibliotheca Rudolphina, Braunschweig: C. F. Zilliger 1690. – H. von der Hardt hatte am 16. 4. 1690 geschrieben: „Princeps Noster boni publici promovendi gratia Praefationem Lutheri in Epistolam ad Romanos a Justo Jona latinitate donatam, diu sepultam, resuscitavit ac cum aliis novissime excudi curavit. Exemplum mitto.“ (Bl. 80r). – Das ursprüngliche Werk ist: Justus Jonas, Praefatio methodica totius scrip- turae in epistolam ad Romanos, e vernacula Martini Lutheri in Latinum versa per Iustum Ionam, Wittenberg: Johannes Luft 1554. 30 Zur Bedeutung der Römerbriefvorrede Luthers für Spener s. z. B. Spener, Pia Desideria (1676), S. 50 f (PD 34.1–21). Vgl. auch den Hinweis darauf im Zusammenhang der Zuammen- fassung von Speners Lehre in: Ph.J. Spener, Sendschreiben An Einen Christeyfrigen außlän- dischen Theologum, betrefende die falsche außgesprengte aufagen / wegen seiner Lehre / und so genanter Collegiorum pietatis, mit treulicher erzehlung dessen / was zu Franckfurth am Mayn in solcher sache gethan oder nicht gethan werde. Franckfurt a. M.: J. D. Zunner 1677, S. 20 (Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. I, Hildesheim u. a. 1979, 733–851). Weitere Stellen werden besprochen in: M. Schmidt, Luthers Vorrede zum Römerbrief im Pietismus, AGP 2, Witten 1969, [299–330] 300–314. 31 Veit Ludwig von Seckendorf, Privatgelehrter in Meuselwitz (s. Brief Nr. 16 Anm. 47). 32 V. L. von Seckendorf, Commentarius Historicus Et Apologeticus De Lutheranismo, Frank- furt a. M. und Leipzig: J. F. Gleditzsch 1688; eine erweitere Aufage erschien 1692 (21694). – Zu diesem Werk s. A. Wolf, Die Historiographie V. L. von Seckendorfs nach seinem „Commentarius Historicus et Apologeticus de Lutheranismo“, Diss. phil. Leipzig 1925. 33 Im Brief vom 16. 4. 1690 (s. Anm. 2) hatte von der Hardt geschrieben: „Serenissimus [scil. Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel] novissime mihi aperuit ac ex epistola praelegit, viam a Deo parari Spenero in Sueciam, unde vocatio, quam vocant […], iam tum sit ablegata. Num quid aeri subsit, Duci afrmare non potui.“ (vgl. auch Spener an Rechenberg am 25. 4. 1690: „Brunsvico afertur, me in Sueciam vocatus iri, et vocatorias esse in via.“ Ad Rech 1, Bl. 506v). 34 Stockholm. Nr. 51 an Hermann von der Hardt 22. 5. 1690 211 ea in metropoli vacantem, si obsecuturus essem, evocando deliberarent35; sed iam ab aliquot mensibus Episcopus Esthoniae illum suscepit36. De me dubi- 65 tant, an ista aetate in aere Arctoo superesse diu valerem, leniori ab infantia adsuetus37. Nec tamen ista in θείῷ38 diiudicando prima esse ratio debet. Miratos vos Electorale decretum conventus39, quos Lipsia40 magna cum ἀταξίᾳ41 institui non sine multis additis nunciabant, prohibens, non miror; miraremini vero amplius, si audiretis praeter intentionem et decreti tenorem 70 longe latius illud extendi, ut pene piaculum sit duos tresve colloqui de rebus sacris, imo a D. Alberti42 collegium etiam Philo-Biblicum43, ex quo tam multi profecerant, solutum esse. Ast ferendae haec sunt, donec nubecula trans- ierit44. Certe causa sua DOMINO erit curae. Praesenti plura dicerem ani- mumque exonerarem in sinum tuum; sed doleo eius me non videre occasio- 75 nem. Oremus interim, feramus, expectamus meliora. Quem exitum causa Optimi M. Franci nostri45 habitura sit Erfurti46, forte intra paucos dies resciscam, eius non parum avidus; si vero contingeret ve-

68 /decretum/. 70 audiretis < auditis. 70 decret/i/ < decret. 77 Quem < Quam. ​

35 Zu den Überlegungen, Spener als Pfarrer an die deutsche Gemeinde nach Stockholm zu berufen, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 64. 36 Johann Heinrich Gerth, Pfarrer der deutschen Gemeinde in Stockholm (s. Brief Nr. 25 Anm. 21). 37 Diese Überlegung fndet sich auch in Speners Brief an Rechenberg vom 21. 6. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 41–43). 38 Göttlich. 39 Das kurfürstlich-sächsische Edikt vom 10. 3. 1690, das die Abhaltung von Privatkonventikeln unter Strafe stellte (HauptStA Dresden, loc 10329, f.177; Druck als Flugblatt, zusammen mit Aus- führungsbestimmungen der Universität Leipzig; abgedruckt in: EDICTA Und Verordnungen / Wie bey denen hin und wieder sich ereugenden Neurungen und falschen Meinungen des En- thusiasmi, Chiliasmi, Sectarischen Pietismi, Quackerismi, oder andern gefährlichen Irrtümen / auch denen Conventiculis, und Lesung der Böhmischen Schriften / alle und jede Prediger / Lehrer und Schulbediente in dero Landen sich vorsichtiglich halten / und so wohl sich selbsten als ihre Gemeinen und Zuhörer dafür bewahren sollen. Nach den wahren Originalen nachgedruckt, 1703, S. 9 f; Leube, Pietistische Bewegung, 207). 40 Leipzig. 41 Unordnung. 42 Valentin Alberti, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 36 Anm. 16). 43 Das von Paul Anton, August Hermann Francke und anderen Magistern in Leipzig am 18. 7. 1686 gegründete Collegium Philobiblicum (Illgen 1, 8–12; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23), das unter dem Vorsitz von Valentin Alberti sich von den anderen Collegia distanziert hatte, dann aufgelöst und schließlich als rein wissenschaftliches Collegium zu Beginn des Jahres 1691 mit veränderter Ordnung neu eingerichtet wurde. (Illgen 2, 8). 44 Vgl. ähnlich in den Briefen Nr. 50, Z. 3, und Nr. 54, Z. 57. 45 August Hermann Francke, Magister (Brief Nr. 16 Anm. 32). 46 Hermann von der Hardt hatte in seinem Brief vom 16. 4. (s. Anm. 2) berichtet, daß Francke ihn – ofenbar auf der Rückreise von Lübeck nach Sachsen – besucht habe. Im Januar hatte der Erfurter Senior Joachim Justus Breithaupt Spener in einem Brief von den Überlegungen, Francke dorthin zu berufen, berichtet (Spener an Adam Rechenberg am 4. 2. 1690; Ad Rech 1, Bl. 450v). Er wurde am 2. 6. 1690 von Breithaupt als Diaconus an der Augustinerkirche ordiniert und hielt am ersten Pfngsttag, den 8. 6. seine Antrittspredigt über 2Kor 4,1 f. 212 Briefe des Jahres 1690

ner[andum] D. Breithauptium47 stationem suam cum Hildesiensi commuta- 80 re48, nescio, optandumne, ut ista in urbe ministerium ingrederetur49. Verumen­imvero hoc quoque commendabimus Patri Sapientissimo aeque ac benignissimo. Ad primam Tuam epistolam revertor50, ad quam primum etiam responden- dum fuerat. Visitationem academiae Juliae51, si non omnibus defectibus me- 85 deri potuit, saltem multos sustulisse et spero et precor. Ah, quam bene res nobiscum ageretur, si academiae alium induerent habitum, alium animum multi, qui in illis docent. Tetigi aliqua ulcera, sed modeste, in praefamine ta- bularum Hodosophicarum52 nuper editarum, quarum onere tabellarium gravare non audeo. Quam autem gratiam a pluribus reportaturus sim, haud 90 prospicio, an dixerim me prospicere minus gratam? Sed si cessemus illas emendare, forte graviora nos iudicia expectant. De Te vel tandem functioni publicae admoto, quod dudum optabam, laetus Divinae providentiae gratias ago eiusque benedictioni labores Tuos et studia commendare nunquam obliviscar53. Professionem vero linguarum Tibi ap- 95 prime commodam existimo, etiam prae Theologica, si tamen Te Grammati- cum tantum agere Theologi non postulent, quod nullo iure postulare possunt. Ita enim exegeticae Theologiae latissimus Tibi campus simul patet54, nec ta- men obstringeris ad quas vis alias Theologiae partes. Quod vero monuere et Tu quoque probas, patieris meo pariter suffragio confirmari, circa sententias 100 et explicationes locorum, cum videlicet hi dogmata respiciunt, doctoribus nostris minus hactenus probatas multa opus esse prudentia et circumspectione, ne ex motibus inde facile orituris et alia post se tracturis scandala, imo exe­ gesin ipsum scripturae in suspicionem adducturis gravior noxa exoriatur, quam ex uno alterove loco penitus inspectis sperari utilitas posset; quod ex-

94 /commendare/. 95 /Te/. 98 obstringeris < obstringeret. 103 adducturis < adductum. ​

47 Joachim Justus Breithaupt, Senior des Predigerministeriums in Erfurt (s. Brief Nr. 13 Anm. 1). 48 Am 2. 5. 1690 hatte Spener seinem Schwiegersohn A. Rechenberg berichtet, Breithaupt habe eine Berufung nach Hildesheim erhalten (Ad Rech 1, Bl. 502r). Zu dieser Berufung weiter s. Brief Nr. 52. 49 Gemeint ist August Hermann Francke und sein mögliches neues Amt in Erfurt. 50 Der Brief vom 29. 3. 1690 (s. Anm. 2). 51 Von der Hardt hatte von der Visitation der Helmstedter Universität Julia berichtet (Bl. 58). 52 Spener, Tabulae Hodosophicae und die Vorrede mit dem Titel „De impedimentis studii theologici“ (s. Brief Nr. 22 Anm. 4). 53 Von der Hardt hatte berichtet, daß er bald nach Pfngsten sein Amt als Professor für orienta- lische Sprachen antreten werde (Brief vom 29. 3. 1690, Bl. 58v–59v). 54 Spener hatte sich auch in „De Impedimentis“ (s. Anm. 52) für die herausragende Bedeutung der Exegese in der Theologie ausgesprochen (s. Cons. 1, 223–228). Nr. 51 an Hermann von der Hardt 22. 5. 1690 213 emplo dicti Rom 9 edocti sumus, eius tamen nec plane nova interpretatio 105 allata est55. D. Calixti56 de haeresi et schismate scriptum57 nondum vidi, si vero rebus ad se non pertinentibus misceri voluit, suae aetati et existimationi an consulu- erit, dubito. Sed veniet, ac utinam instet, tempus, quo rectius de illis et rebus et praeconis iudicabunt cordati quivis; qui nunc tantum non ab omnibus, illis 110 etiam, qui caeteroqui dissident in eandem euntibus sententiam, damnantur. Vale in DOMINO et causam eius, uti potes, iuva. Scribeb. Dresdae, 22. Maj[i] 1690. Nob. T. Amplitud. ad preces et ofcia addictissimus Philippus Jacobus Spenerus, D. 115 Mppria. [P. S.:] Uxor mea58 Te amanter salutat. Nudius tertius filium nostrum Wilhelmum Ludovicum59 Lipsiam60 dimisimus, quo Ochsius61 altera septimana abiverat. DEUM nobiscum invocabis, qui suo ipsum ducat Spiritu, ut eat, non qua itur, 120 sed qua eundum est62.

106 est < esse.

55 Zur Auseinandersetzung um die Exegese von Röm 9 und von der Hardts neue Deutung s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 9, Z. 30–43. Bei der Visitation der Helmstädter Universität war im Zusammenhang mit der Berufung von der Hardts zum Professor dessen neue Inter- pretation von Röm 9,5 kritisch in die Waagschale geworfen worden (s. dessen Brief vom 29. 3., [wie Anm. 2], Bl. 58v). 56 Friedrich Ulrich Calixt (8. 3. 1622–13. 1. 1701, Theologieprofessor in Helmstedt; geb. in Helmstedt, nach dem Studium in Leipzig (Medizin) und Helmstedt (Theologie) 1650 Theo- logieprofessor (1652 Dr. theol.) und 1664 Konsistorialrat in Helmstedt, 1684 Abt des Klosters Königslutter (ADB 3, 704–706; NDB 3, 96). 57 F. U. Calixt, Tractatus theologicus de haeresi, schismate et haereticorum poenis. Serenis- siomorum Brunvic. et Luneburg. ducum Academiae Juliae visitationi anno MDCXC solenniter celebrandae consecratus. Helmstedt 1690 (BS 4°, 507). – Von der Hardt hatte am 29. 3. (s. Anm. 2) geschrieben: „[…] cum Calixtus in novissimo suo scripto de Haeresi et Schismate, Pietistas et Collegia pietatis, Collegia Biblica, atro notare tentaverit carbone.“ (Bl. 59v). Er bezieht sich dabei auf S. 204–215, wo expressis verbis der Begrif „pietista“ (S. 208) erscheint und die Gedanken, die als pietistisch verstanden wurden (Privatkonventikel, und ‑katechisation, Bedeutung der Exegese für die Theologie, Ablehnung der Philosophie usw.), verhandelt werden. 58 Susanne Spener (s. Brief Nr. 11 Anm. 21). 59 Wilhelm Ludwig Spener, Theologiestudent in Leipzig (s. Brief Nr. 48 Anm. 1). 60 Leipzig. 61 Johann Christoph Ochs (s. Brief Nr. 30 Anm. 39). 62 Vgl. Seneca, De vita beata, 1,3. 214 Briefe des Jahres 1690

P..: S Pro resurrectione iustorum prima, cum una essemus, D. Petersenius nuper argumentum ducebat ex 1. Thess. 463, 2. Thess. 264, coll[atum] cum Apoc. 19 125 et 2065, quod ingenue fateor, solvere me nondum posse; in formam redactum ita sonaret: Quod contemporaneum est τῇ καταργήσει τοῦ ἀνόμου τῆ ἐπιφανείᾳ τής παρουσίας τοῦ χφριστοῦ66, id longo tempore antecedit universalem resurrec- tionem et iudicium extremum.

130 Iustorum resurrectio et ἐπισυναγωγὴ ἑπὶ τόν χριστόν67 contemporanea est, p[erge]68. E. Maioris probatio, quia universalis resurrectio et iudicium excipiunt draconis coniectionem in lacum ignis, Apoc 20,10.1169, ubi iam erat bestia et falsus 135 propheta, ista ἐπιφανείᾳ70 victi et in lacum proiecti, c. 19,11.19.2071.

134 /20/ : <19>.

63 1Thess 4,16 f (s. Anm. 72). 64 2Thess 1.8 (s. Anm. 73). 65 Apk 19; 20; vgl. dazu die Ausführungen Petersens in: Schriftmäßige Erklärung [wie Anm. 68], S. 31 f. 66 Das Unwirksamwerden des Bösen mit dem Erscheinen der Wiederkunft Christi. 67 Zusammenführung mit Christus. 68 Petersen hatte am 27. 1. 1690 seine „Schriftgemäße Erklärung“ vorgelegt, in der er seine Lehrmeinung zum Millennium und einer – gesonderten – Auferstehung der Märtyrer ausführ- lich darlegt. Sie wurde erst im Jahr 1692 veröfentlicht: J. W. Petersen, Schriftmässige Erklährung und Beweis Der Tausend Jahre / und der daran hangenden ersten Auferstehung / Aus der Ofenbahrung S. Johannis am 20. Cap., Frankfurt; Auf Kosten einiger Freunde 1692. – Von der Hardt berichtet in seinem Brief vom 29. 3. 1690 (s. Anm. 2), er sei von Johann Rittmeyer, dem Propst des Klosters Marienberg bei Helmstedt, auf Petersens Lehre vom Millennium angesprochen worden (Bl. 59v); J. Rittmeyer gehörte zur Gruppe derer, die nach einem Brief von der Hardts an Spener um die Frömmigkeit bemüht sei (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 97, Z. 13, mit Anm. 5). 69 Apk 20,10–11 (Luther 1545: „VND ich sahe einen grossen weissen Stuel / vnd den der drauf sass / fur welches Angesicht fohe die Erde vnd der Himel / vnd jnen ward keine Stete erfunden. Vnd ich sahe die Todten beide gros vnd klein stehen fur Gott / vnd die Bücher wurden aufgethan / Vnd ein ander Buch ward aufgethan / welchs ist des Lebens / vnd die Todten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern / nach jren wercken.“). 70 Erscheinung. 71 Apk 19,11 (Luther 1545: „Vnd ich sahe den himel aufgethan / vnd sihe / ein weis Pferd / vnd der darauf sass / hies Trew vnd Warhaftig / vnd richtet vnd streitet mit Gerechtigkeit.“), V. 19.20 (Luther 1545: „VND ich sahe das Thier / vnd die Könige auf Erden / vnd jre Heer versamlet / streit zu halten mit dem / der auf dem Pferde sass / vnd mit seinem Heer. 20Vnd das Thier ward gegrifen / vnd mit jm der falsche Prophet / der die Zeichen thet fur jm / durch welche er verfüret / die das Malzeichen des Thiers namen / vnd die das bilde des Thiers anbeten. Lebendig wurden diese beide in den feurigen Pful geworfen / der mit Schwefel brandte.“). Nr. 51 an Hermann von der Hardt 22. 5. 1690 215

Minor probatio ex 1.Thess. 4,16.1772, coll. 2.Thess 2,1.873. Quid, quaeso, Tibi de hoc argumento et locis allegatis apparet? Si aliquando per otium licebit, sententiam tuam optarim cognoscere.

72 1Thess 4,16 f (Luther 1545: „Denn er selbs der HErr wird mit einem Feldgeschrey vnd stimme des Ertzengels / vnd mit der posaunen Gottes ernidder komen vom Himel / Vnd die Todten in Christo werden auferstehen zu erst. Darnach wir / die wir leben vnd vberbleiben / werden zu gleich mit denselbigen hin gerückt werden in den wolcken / dem HErrn entgegen in der luft / vnd werden also bey dem HErrn sein alle zeit.“). 73 2Thess 2,1 (Luther 1545: „ABer der Zukunft halben vnsers HErrn Jhesu Christi / vnd vnser Versamlung zu jm / bitten wir euch / lieben Brüder“); V. 8 (Luther 1545: „vnd als denn wird der Boshaftige ofenbaret werden / Welchen der HErr vmbbringen wird mit dem Geist seines mundes / vnd wird sein ein Ende machen / durch die erscheinung seiner Zukunft“). 216 Briefe des Jahres 1690 52. An [den Rat der Stadt Erfurt]1 Dresden, [Ende Mai / Anfang Juni 1690]2

Inhalt Rät, wie sich die Ratsmitglieder von Erfurt im Falle einer Berufung Breithaupts nach Hildesheim verhalten sollen. – Spricht sich für ein Verbleiben aus und ermahnt, ihn besser in seinem Amt zu unterstützen. – Sagt seine Fürbitte in dieser Situation und für das Ergehen Erfurts grund- sätzlich zu. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: I, Anh. Nr. 13. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 217 f.

Was dieselben an mich gelangen zu lassen beliebet, betrefende ihren wer­ thesten Seniorem und meinen vertrauten freund Herr D. Breithaupten3, habe ich wol verstanden und der wichtigkeit nach in der furcht des HErrn zu über- legen nicht unterlassen. So berge auch nicht, daß Herr Dr. Breithaupt selbs an 5 mich geschrieben4 und mein bedencken5 von mir in dieser sache verlanget, in dero gleichwol vor meine person lieber beyderseits verschonet geblieben wäre, nachdem ich nicht in abrede bin, daß mir dieses vocationsgeschäft schwerer vorkommet, als mir leicht iemals einiges anders vorgekommen ist, also daß ich mich nicht recht darinnen fnden kan. Deroselben liebe Statt und 10 kirche liebe ich von grund der seelen, wie ich auch versichere, daß derselben vor dem angesicht des HErren treulich gedencke, so dann wol begreife, wie unsrer gesamten Evangelischen kirchen an deroselben erhaltung ein merck- liches gelegen seye6: daher mich auch gefreuet, als bey der vocation unsers werthen H. D. Breithaupts solchen tapferen Mann, ihnen mithelfen, zu wege 15 zu bringen, von Gott gnade und gelegenheit erlangte7. Ich habe mich auch

10 seelen ] selen: K.

1 Der Rat der Stadt Erfurt, der für die Stellenbesetzungen im Predigerministerium zuständig war. 2 Am 2. 5. 1690 berichtet Spener, daß Breithaupt erwägt, nach Hildesheim zu gehen (Ad Rech 1, Bl. 502r). Am 16. 5. 1690 schreibt Spener an Rechenberg: „Eo gratior, si quoque audiam D. Breithauptium Erfurtum suam non relicturum.“ (Ad Rech 1, Bl. 492r). Allerdings ist sich Spener noch am 3. 7. nicht sicher, ob Breithaupt, wie er um der evangelischen Sache willen hoft, in Erfurt bleibt (Ad Rech 1, Bl. 471v). 3 Joachim Justus Breithaupt, Senior des Predigerministeriums in Erfurt, s. Brief Nr. 13 Anm. 1. 4 Nicht überliefert. 5 Nicht überliefert. 6 Die evangelische Gemeinde in Erfurt hatte insofern eine exponierte Stellung, als die Stadt sich unter kurmainzischer Herrschaft befand (S. Rassloff, Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt 2012, 71–82). 7 Spener hatte Breithaupt ermutigt, die Berufung nach Erfurt anzunehmen (s. Dresdner Briefe, Nr. 52 an [den Rat der Stadt Erfurt] [Ende Mai / Anfang 6. 1690] 217 biß daher ofters erfreuet, wann ich von dem segen, welchen der Himmlische Vater zu seinem amt und arbeit gegeben habe, unterschiedliche mahl bericht bekommen, wiewol nicht in abrede bin, daß ein und andere mahl auch habe hören müßen, wie ihm in seinem amt nicht alle mügliche hülfe oder forde- rung geleistet worden8. Ich begreife ferner wol, wie nothwendig seine person 20 und amt ihrer kirchen seye, so viel mehr weil wegen eines successoris viel- leicht nicht zu hofen seyn möchte, was man billich wünschete. Dieser und anderer ursachen willen, wo es meinem eigenen wunsch und verlangen solte nachgehen, so würde keine änderung vorgehen, sondern ihr geliebter Herr Senior bey ihnen bleiben, wie ich dann auch ein und andere momenta in 25 meiner antwort ihm vorgestellet habe. Wann hingegen derselbe in seinem vertraulichen schreiben auch seine momenta und gewissens anliegen ent- decket und in meinen schoß ausgeschüttet, aus welchen er sich göttlichen willens, so ihn nach Hildesheim ziehe, überzeuget achtet, so kan auch nicht leugnen, daß sie von großer wichtigkeit seyen und dermaßen bewandt, daß 30 ich zwahr meine gegenursachen nach vermögen vorgestellet, aber nicht ge- traue, ihn bloßer dings in seinem gewißen dazu zu verbinden, meinem wunsch nachzuleben: sondern muß es annoch nach vorgestellten gründen, worauf auf beyden seiten zu sehen seye, den außschlag seiner eigenen ent- schließung und, wohin der HErr HErr selbs sein gemüth nach fortsetzendem 35 gebeth noch lencken werde, überlaßen. Meinen Hochgeehrten Herren und gesammter Christlicher gemeinde, weiß ich nicht anders zu rathen, alß daß sie die sache mit eyfrigem gebet dem Himmlischen Vater angelegenlich vortragen, alß der seine diener und dero hertzen in seiner hand, sie zu laßen und zu versetzen, gewalt und, diese zu 40 regieren, kraft hat, daß er ihnen dieses werckzeug seiner gnade länger laßen wolte, mit dem ernstlichen vorsatz, wo sie solcher bitte gewähret würden, seine gnade darinnen mit so viel hertzlicherem gehorsam desto danckbarer zu erkennen: so dann, daß sie mit ihm in freundliche conferenz treten, wie er einiges amts anliegen heben und dieses seine resolution mehr treiben solte, 45 nach vermögen remediren und ihm die last erleichtern. Wann aber der Herr noch stäts sein gemüth anders hin lenckte, hätten wir auch deßen heilige providenz mit demuth zu erkennen, derselben uns nicht

​29 ziehe ] ziehet: D. 34 den ] dem: D.

Bd. 1, Brief Nr. 80; vgl. auch die Autobiographie Breithaupts in: Christian Polycarp Leporin [Hg.], Memoria Caplatoniana, Oder: Lebensbeschreibung Zweener Breithaupten, o. O. 1725, S. 61). 8 Augustin Friedrich Kromayer, Pfarrer an der Erfurter Barfüsserkirche (s. Brief Nr. 60 Anm. 11), hatte sich Hofnung auf die Stelle als Senior in Erfurt gemacht, die Breithaupt erhalten hatte (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 162, Z. 161–165). Im Liederstreit, der im Jahr 1687 ausgebrochen war (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 181), hatte er sich als Anführer der Gegner Breithaupts hervorgetan (s. dazu Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 14, Z. 15–19). Im Zusammen- hang der Kritiker an der Berufung A. H. Franckes nach Erfurt wird zudem Zacharias Hogel von Spener erwähnt (s. Brief Nr. 60, Z. 26–30 mit Anm. 11). 218 Briefe des Jahres 1690

zu wiedersetzen und auch andern das uns zwahr liebe, was aber der göttliche 50 wille denselben zuweisen will, Christlich zu gönnen. Welche kindliche un- derwerfung so viel mehr hofnung alßdann machen kann, daß der HErr, ob er auch eine person ihnen entziehen möchte, sie wiederum anders und in gnaden versorgen wolle. Ich underlaße auch nicht, vor dem HErrn ferner zu fehen, der in diesem 55 geschäft, welches seine ehre und vieler seelen heil betrift, alles also richten wolle, wie er erkennet, daß beyde am nachtrücklichsten befordert werden mögen; er gebe auch allerseits seinen willen, mit einer versicherung der ge- wißen also zu erkennen, daß niemand wieder denselben unwißend oder mit willen etwas thue, noch unterlaße, sondern alle willig thun und annehmen, 60 was sie demselben gemäß erkennen. In welchem gehorsam wir am sichersten stehen und am gewißesten göttlicher gnadenregierung uns versehen können. Er laße sich auch ihre statt und kirche in allen gnaden anbefohlen sein, sie vor aller eußerlichen und innerlichen gefahr zu bewahren und under ihnen stäts sein reines wort und dienst zu erhalten, dadurch aber viele seelen ihres orts in 65 sein reich zu samlen. Mit welchem treuen wunsch der göttl. obhut und segen hertzlich erlaßen- de etc. Nr. 53 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 3. 6. 1690 219 53. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen [in Torgau]1 Dresden, 3. Juni 1690

Inhalt Bedankt sich für die Auforderung, zu dem Vorwurf der Indiskretion im Zusammenhang des Beichtvaterbriefs vom 22. Februar 1689 Stellung nehmen zu dürfen. – Erinnert den Kurfürsten an die getrofenen Vorsichtsmaßnahmen, die verhindern sollten, daß der Brief in fremde Hände gerät, und beteuert, an ihn herangetragene Vermutungen über den Inhalt unbeantwortet gelassen zu haben. – Nimmt an, daß der Brief in falsche Hände geraten und kopiert worden ist, bevor er vom Kurfürst zurück zu Spener gelangte. – Bittet um eine sorgfältige Untersuchung, um seine Unschuld zu beweisen, bietet an, in dieser Angelegenheit an die Herzogin von Braunschweig- Hannover zu schreiben, und beteuert die Schuldlosigkeit der Hofdamen, die deswegen beim Kurfürsten in Ungnade gefallen sind. Überlieferung A: Dresden, SächsHStA, Loc 7425/09, Bl. 42r–44v.

Göttliche gnade, friede, segen und kraft des H. Geistes von unsrem in seine herrlichkeit eingegangenen Heyland JESU Christo! Durchlaüchtigster Fürst, Gnädigster Churfürst und Herr. Daß E. Churfürstl. Drlt. das angebrachte, ob wäre mein unterthänigstes an dieselbe vom 22. Febr. 16892 und dero gnädigste antwort in fremde hände 5 auß den meinigen gekommen, durch dero Vortrefiche geheime Räthe, Herrn Directorem3 und des Ober-Consistorii H. Präsidenten4, mir anzuzei- gen und mich darüber hören zu laßen, gnädigst geruhet, deßen und der dar­ durch erlangten gelegenheit meine unschuld darzuthun, habe mich unter-

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1); da dieser seine Dresdner Residenz mied, hielt er sich meist in Torgau auf, wenn er nicht an Feldzügen beteiligt war. 2 Der Beichtvaterbrief, der zu dem Zerwürfnis zwischen Spener und Kurfürst Johann Georg III. führte (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 72–132; in Anm. 25 desselben Briefes sind weitere Fundorte von Berichten Speners dazu notiert). – Nach dem Bericht, den Spener am 13. 7. 1691 an die schwedische Königin Ulrike Eleonore schreibt, war auf der Leipziger Frühjahrsmesse dem Kurfürsten durch eine „hohe Person“ (zu dieser s. Anm. 14) davon berichtet worden, daß Kopien von Speners Brief im Umlauf seien (LBed. 3, 401). Aus diesem Grund mußte Spener erneut seine Sicht der Dinge darstellen. 3 Baron Nikolaus (II.) von Gersdorf (9. 6. 1629–23. 8. 1702), kursächsischer Politiker; geb. in Doberschütz, nach dem Studium in verschiedenen sächsischen Staatsämtern, 1686 Präsident des Geheimen Rates, seit 1672 in dritter Ehe mit Henriette Catharina geb. von Friesen verheiratet (zu dieser s. Brief Nr. 45 Anm. 13), Großvater des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 81 Anm. 50). 4 Hans Ernst von Knoch(e), Präsident des Oberkonsistoriums in Dresden (s. Brief Nr. 83 Anm. 1). 220 Briefe des Jahres 1690

10 thänigst zu bedancken, wie auch solchen danck in schuldiger demuth hiemit abstatte. Ich erkenne auch gern, daß es von mir nicht zu verantworten wäre, wo ich den an E. Churf. Drlt. auß trieb meines gewißens und auch dem anbefohle- nen amt eines beichtvaters geschriebenen weh= und demütigen brief, samt 15 der darauf erfolgten antwort nicht geziehmlich mehnagiret5 hätte, daß zu E. Churf. Drlt. praeiudiz6 derselbe auß meiner schuld in fremde hand gera- then oder communiciret worden wäre, da die treue eines beichtvaters ein anders von mir erforderte und ich, wider dieselbe handlende, mich schwehrer strafe schuldig gemachet haben würde. Wo aber E. Churf. Drlt. sich gnädigst 20 zu erinnern gelieben werde, wie ich in übersendung solches unterthänigsten schreibens, alle mir mügliche praecaution7 zu gebrauchen, mich befißen habe, daß ich nechst versiglung deßelben und dabeyschreibung der worten „zu eigner gnädigster entsiglung“8 noch ein unterthänigstes schreiben an stell des couverts darum gemacht, darinnen demüthig bittende, daß E. Churf. Drlt. 25 den einschluß, welchen kein fremdes aug zu sehen hätte, zu sich nehmen und nach bequemlichkeit lesen wolte, daher kein mensch vor E. Churf. Drlt. eine zeil darinnen zu lesen vermocht: also kan nach der treue, mit welcher E. Churf. Drlt. verbunden bin, dieselbe unterthänigst versichern, wie auch nach der zeit, alß mir daßelbige samt eigener Churfürstlicher hand widerum 30 zurück zu senden beliebig gewesen9, ich keines under beiden mißbraucht, daß entweder iemand einiges blatt darinnen hätte lesen lassen, vielweniger ein stück deßelbigen oder die gantze briefe an iemand communiciret, sondern mich vergnüget10, wann ich so oft angeredet und mir viele ungegründete sachen, so in E. Churf. Drlt. briefe oder auch in dem meinigen solten ge- 35 standen sein, welche E. Churf. Drlt. zu wenigem respect gereichet hätten, vorgebracht worden, daß ich, solche dinge in einem der briefe zu stehen, verneinet und sonderlich versichert habe, daß in E. Churf. Drlt. schreiben nichts deßen enthalten, was andere vorgegeben, gegen mich aufs härteste zu lauten. Daß mich also auch darinnen mein gewißen loßspricht, den schuldi- 40 gen unterthänigsten respect gegen E. Churf. Drlt. in dieser sache nicht ver- letzet zu haben. Darauß von selbsten erhellet, wie entweder alles insgesamt, was E. Churf. Drlt. zu ohren gekommen, den ursprung erstlich von einem bloßen vermu-

36 /ich/ : .

5 Vom französischen Verb „menager“ im Sinne von „rücksichtsvoll, schonend behandeln“ abgeleitet. 6 Vorentscheid, vorgefaßtes Urteil. 7 Vorsicht. 8 Von Spener unterstrichen. 9 Vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 104 f. 10 Im Sinne von „damit, womit man sich begnügt“ (DWB 25, 464). Nr. 53 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 3. 6. 1690 221 then oder gedicht11 hergenommen haben oder auß vermuthung, was hätte geschrieben werden können, von iemand etwas aufgesetzt worden sein müß- 45 te. Wäre aber je etwas gründliches12 daran und fände sich der brief oder etwas deßelben in andern händen, so wollen dannoch E. Churf. Drlt. sich gnädigst versichern, daß solches auß meiner communication nicht geschehen seye, sondern geruhen, aufs genaueste alß müglich nachforschen zu laßen: da sichs unmüglich anders ergeben kan, alß daß es von iemand ursprünglich herge- 50 kommen sein müßte, so zu Moritzburg13, ehe von E. Churf. Drlt. das schrei- ben wider zurück gesandt worden und in unterschiedlicher personen handen, da man sich auch deßen gerühmet hat, damal gewesen solle sein, eine copie genommen hätte. Deswegen ich von hertzen wünsche, daß die gantze sache zu E. Churf. 55 Drlt. völliger satisfaction, wobey ich meiner unschuld gewißen ofenbahrung mich versichere, umständlich an den tag kommen möchte. Solte auch E. Churf. Drlt. es gnädigst verlangen, hätte ich auß vertrauen meines gewi- ßens keine scheue, an der Hertzogin von Braunschweig Hannover Drlt.14 deswegen zu schreiben und unterthänigst zu bitten, daß Sie nicht allein, was 60 sie zu lesen gehabt, einzuschicken, sondern auch, wo solches hergekommen, damit die wahrheit an den tag gebracht würde, anzudeuten, gnädigst geruhen möchte. Wie nun bey dieser bewandnus unterthänigst bitte, E. Churf. Drlt. wolte, da meine unschuld in diesem geschäft nicht allein von mir dargethan, sondern nach aller feißigsten nachforschung sich immer ofenbahrer vor- 65 stellen wird, den etwa auß ungleicher relation gefaßten unwillen gnädigst ablegen: also verbindet mein gewißen mich noch ferner, nachdem erscheinet, ob E. Churf. Drlt. noch in dem gedancken stehen möchte, gleich wäre mein schreiben von etzlichen von E. Churf. Drlt. benannten weibspersonen15 ver- anlaßet oder mir die materie darzu an hand gegeben worden, nochmals (so 70 zwahr bereits damal in dem zweyten unterthänigsten schreiben, welches E. Churf. Drlt. unerbrochen zurückzusenden beliebet16, außführlicher nach meinem gewißen geschehen war) mit unterthänigster demuth zu bezeugen,

52 und ] + <… lich>. 53 /solle sein/ : . 56 | Drlt. |.

11 Im Sinne von „(lügnerische und falsche) Erfndung“, „Erdichtung“ (DWB 4, 2015). 12 Im Sinne von „Begründetes“ (vgl. DWB 9, 844, 853). 13 Jagdschloß der sächsischen Kurfürsten in der Nähe von Dresden. 14 Es kann nur die ab 1684 mit dem damaligen Kurprinzen und ab 1689 brandenburgischen Kurfürsten Friedrich verheiratete Sophie Charlotte geb. von Braunschweig-Calenberg (Hannover) (1668–1705) gemeint sein (NDB 24, 593 f). 15 Baronin Johanna Margarethe von Schellendorf und Baronin Ursula Margarethe von Neitz- schütz (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32 Anm. 32). – Johanna Margarethe von Schellendorf (s. Brief Nr. 49 Anm. 7). – Ursula Margarethe von Neitzschütz geb. von Haugwitz (ca. 1650– 3. 7. 1713), Mutter von Magdalena Sybille von Neitzschütz, der Maitresse des Kurfürsten Johann Georg IV. von Sachsen (W. von Bötticher, Geschichte des oberlausitzischen Adels, Bd. 2, Görlitz 1913, 243; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 5 Anm. 12). 16 Vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 117 f. 222 Briefe des Jahres 1690

daß keine einige von denselben weder werde von meinem schreiben vorher 75 gewußt, noch auß ihren reden die geringste anlaß oder materie von mir her- genommen worden seye, daher sie auß solcher ursache (in dem im übrigen ob iemand unter ihnen sonsten in andern stücken E. Churf. Drlt. zu einem mißvergnügen ursach gegeben hätte, zu beurtheilen mir nicht zukommet) einige ungnade nicht verschuldet haben, und also E. Churf. Drlt. generoses 80 gemüth sie des jenigen, was von einem andern auß deßen gewißenstrieb ohne ihr bewußt geschehen wäre, nicht entgelten laßen wird. In gehorsamster zuversicht auf E. Churf. Drlt. gerechtigkeit und mit treuster empfehlung in des Himmlischen vaters allgewaltige und allgütige obhut, auch weiseste gnadenregirung verharre

85 Eur[er] Churfürstl. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 3. Jun[i] 1690.

90 Dem Durchlaüchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Johann Georgen dem Dritten, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berge, auch Engern und Westphalen, des H. Römischen Reichs ErtzMarschalls und Churfürsten, Landgrafen in Thüringen, Marggrafen zu Meißen, auch Ober= und Nider=​ Lausitz, Burggrafen zu Magdeburg, gefürstetem Grafen zu Henneberg, 95 Grafen zu der Marck, Ravensperg und Barby, Herrn zum Ravenstein etc. Meinem gnädigsten Churfürsten und Herrn.

91 / Sachsen/. Nr. 54 an Elias Veiel 3. 6. 1690 223 54. An Elias Veiel in Ulm1 Dresden, 3. Juni 1690

Inhalt Weist auf die Bitten [Veit Ludwig] von Seckendorfs um Mithilfe für die erweiterte Aufage von dessen „Historia Lutheranismi“ hin. – Berichtet von [Johann] Fecht und [Johann Gerhard] Arnold und deren neuen Wirkungsorten. – Bestätigt die Gedanken eines Juristen, der sich um den Schaden der Kirche besorgt, und hoft nur noch auf eine unerwartete Hilfe Gottes; eine aus Theologen und Laien zusammengesetzte Synode, wie sie bei den französischen Reformierten besteht, könnte hilfreich sein, wird von den lutherischen Theologen aber wohl nicht gebilligt. – Möchte den Gebrauch der Klöster eingeschränkt wissen; Gott selbst muß die Gedanken der Fürsten leiten, damit sie sich wirklich als Stellvertreter Gottes verstehen. – Bezweifelt nicht, daß die Gerüchte über den Pietismus in Leipzig auch schon bis nach Ulm gedrungen sind; gesteht Veiel vertraulich, daß die Gegener des Pietismus nicht genau bestimmen können, was sie darunter verstehen; von einer neuen Sekte kann nicht gesprochen werden, weil keine Lehrirrtümer fest- gestellt wurden; beklagt, daß einige Bürger ihre Freiheit zu privaten Versammlungen in unkluger Weise ausgenutzt haben, aber ebenso, daß das in Sachsen beschlossene Konventikelverbot auch auf solche Veranstaltungen ausgedehnt wird, die eigentlich gar nicht gemeint sind. – Berichtet von [Daniel] Hartnacks Angrifen und seiner Gegenschrift. – Die in Ulm von den Wiedertäufern getaufte Frau war in Dresden, hat aber nicht mit Spener gesprochen. – [P. S.:] Bedankt sich für die übersandten Predigten. Überlieferung K: Tübingen, Universitätsbibliothek, Mc 344, S. 130–1342. D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 1, Frankfurt a. M. 1709, S. 392 f (Z. 19–58).

Spiritus S[ancti] gratiam, multiplicem omnemque benedictionem coelestem a redemtore nostro glorioso Jesu! Vir Maxime Reverende, Amplissime, Excellentissime Domine, amice et in Domino Frater Venerande!

Et ad Tuas3 responsum adhuc debebam et rogatus sum Illustr[issimi] nostri 5 Domini Seckendorfii4 seu potius Gleditschii5 de edendis Viri celeberrimi la-

1 Elias Veiel (20. 7. 1635–23. 2. 1706), Senior des Predigerministeriums in Ulm; geb. in Ulm, nach dem Studium in Straßburg, Jena, Wittenberg und Leipzig 1662 zunächst Prediger am Mün- ster, dann Theologieprofessor am Ulmer Gymnasium (1664 Dr. theol. in Straßburg), seit 1678 Superintendent in Ulm (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 118 Anm. 1). – Spener kannte Veiel seit ca. 1658 aus der gemeinsamen Studienzeit in Straßburg. Briefe Speners an Veiel sind erhalten für die Jahre 1667–1699. Briefe Veiels an Spener sind nicht überliefert. 2 Daß dieser Brief in Cons. abgedruckt ist, wurde vom Abschreiber notiert (S. 130) und die dort weggelassenen Abschnitte eingeklammert. 3 Nicht überliefert. 4 Veit Ludwig von Seckendorf, Privatgelehrter (Brief Nr. 16 Anm. 47). 5 Johann Friedrich Gleditsch (15. 8. 1653–26. 3. 1716), Verleger in Leipzig; geb. in Eschdorf bei Pirna, nach einer Buchhandelslehre in Wittenberg und der Mitarbeit im Verlag Johann Friedrich Fritschs in Leipzig heiratete er 1681 dessen Witwe, Tochter des Frankfurter Kupferstechers und Kunstverlegers Matthäus Merian, und baute den Verlag zu einem führenden Wissenschaftsverlag 224 Briefe des Jahres 1690

boribus occupati desideria6 ad Te deferre. Hac indicasse sufficiet, cum de prona voluntate Tua circa iuvandos conatus causa Ecclesiae nostrae non parum profuturos certus sim, non indigere cum stimulo, sed sola benefaciendi com- 10 moditate. Unde satis habeo responso ad Tuas defungi. Utrique communi amico nostro L. Fechtio7 et Arnoldo8 Dominus prospe- xit9, de quo divinam suorum non oblitam benignitatem merito praedicamus. Ille nuper Lipsiam10 transiit, inde ad me misso epistolio11, et forte Meckelbur- gium12 agrum iam ingressus est; hic destinabatur Portensi13 prope Naumbur- 15 gum14 rectoratui, qui honos Professoris via inferior est, et iam sui nobis spem fecerat, cum Francofurtenses15 suo ipsum vindicarunt gymnasio. Deus utrius- que laboribus posthac etiam benedictionem largissimam impertiatur eoque gaudio priora damna et moerores refasciat. Iureconsulti, quem notasti16, solicitudinem in Tuum effusam sinum im- 20 probare nequeo, qui Ecclesiasticae rei apud nos calamitatem satis deplorari posse non credo; ita domui similis est, quam via supposita fulcra a ruina tota- li servare possunt, nec diu servabunt, nisi θεὸς ἀπὸ μηχανῆς17. Synodos agno-

19 Iureconsulti ] [Beginn Abdruck: D]. 22 servabunt ] servabant: K.

aus, der 1693 von Thomas Fritsch übernommen wurde (ADB 9, 222 f; Dietz, Handelsgeschichte, Bd. 3, 124). 6 Es handelt sich um die vermehrte Aufage von V. L. von Seckendorfs „Commentarius Historicus Et Apologeticus De Lutheranismo“ (s. Brief Nr. 51 Anm. 32), zu dem dieser weiteres Material sammelte und dazu Speners Kontakte nutzte. – Spener bittet Gleditsch über A. Rechen- berg, den vorliegenden Brief zu besorgen und noch einige Papiere von Seckendorfs beizulegen (Ad Rech 1, Bl. 483v). 7 Johann Fecht, Theologieprofessor in Rostock (s. Brief Nr. 84 Anm. 1). 8 Johann Gerhard Arnold (17. 8. 1637–7. 3. 1717), Rektor in Frankfurt a. M.; geb. in Fried- berg, nach dem Studium in Straßburg und Hofmeistertätigkeiten 1668 Rektor und Inspektor in Durlach und 1690 Rektor in Frankfurt a. M. (Jöcher EB 1, 1122; Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 128 Anm. 11). 9 Sowohl Fecht als Arnold hatten auf Grund der Zerstörung Durlachs durch französische Truppen am 6. 8. 1689 ihre Anstellung am dortigen Gymnasium verloren (K. F. Vierordt, Ge- schichte der im Jahre 1586 zu Durlach eröfneten und 1724 nach Karlsruhe verpfanzten Mittel- schule, Bd. 1. Karlsruhe 1859, 32). 10 Leipzig. 11 Nicht überliefert; erwähnt in Brief Nr. 84. Z. 16. 12 Mecklenburg. 13 Schulpforta (Schulpforte), 1543 von Moritz von Sachsen gegründete Fürstenschule für männliche Schüler (H. Heumann, Schulpforta. Tradition und Wandel einer Eliteschule, Erfurt 1994). – Schon am 28. 10. 1689 berichtet Spener Adam Rechenberg von Überlegungen, Arnold als Rektor dorthin zu berufen (Ad Rech 1, Bl. 251r: „Audita morte Rectoris Portensis num mentio feret Dn. Arnoldi, qui pridem maxima cum celebritate rector et professor gymnasii Durlacensis […] fuerat, iussus sum per literas illius explorare animum. Si res non succedat, de M. Mullero cogitabo.“). 14 Naumburg. 15 Die Menschen in Frankfurt a. M. – Am 11. 2. 1690 berichtet Spener an Rechenberg: „Ar- noldus a Francofurtensibus vocatus est.“ Ad Rech 1, Bl. 446v). 16 Nicht ermittelt. 17 Wörtlich: „Gott aus der (Theater‑)Maschine“; redensartlich für eine – der griechischen Nr. 54 an Elias Veiel 3. 6. 1690 225 sco medium satis idoneum, si earum cogendarum esset facultas et si ea con- ditione instituerentur, ut Theologis solis sententiae ius non tribueretur, sed simul eo altero ordine viris cordatis numero etiam istos superantibus. Uti illud 25 in Reformatorum, cum ipsorum adhuc in Francia18 Ecclesiae florerent, mo- ribus ex saluberrimis deprehendi, quod synodi frequentes convocarentur et singulis Ecclesiarum, qui ablegabantur, ministris e presbyterorum ordine ad- derentur collegae, ut adeo consessus non unum ordinem, sed Ecclesiam in- tegram repraesentaret. Nostro vero ordini si causa tota committeretur, nescio 30 a synodis damni, an utilitatis plus timeam vel sperem. De Monasteriorum usu servando plane idem cum Viro isto docto19 sentio et quam vellem usum istum reduci posse; ast reditibus alio conversis spes omnis decollat20. Sine politicorum piorum et cordatorum coniunctione a nobis, qui ministerio fungimur, quicquam, quod toto prosit corpori, effici 35 posse iuxta cum illo nego; sed hi etiam si accedant, frustra erimus, nisi Deus ipse principum animos, quos tamen tantum non ubique homines rerum divi- narum minus studiosi vel hostes etiam obsident, luce sua collustret, ut, quod deceat, Dei vicarios serio agnoscant et credere inspiciant. Hoc coram oculis nostris impossibile cum sit, Domino impossibile esse haudquaquam sentio21; 40 spem vero de successu multa fere omnem mihi adimunt, successu nempe con- siliorum humanorum, nam Ecclesiam faciem laetiorem induituram cum certus sim22, novi nostris consiliis non astrictum, qui ista promisit, sed maxima sua opera plerumque illis mediis modisque exsequi, quae homines nec prae- videre poterant, nec iuvarunt nisi, quid agerent, ignari. 45 Quae de Pietismo Lipsiensium23 totam fere Germaniam24 implevit, fama, non dubito, quod et vestris allapsa sit auribus. Causa est, quae vetat, quo minus pluribus de ea re iam agam. Hoc ista vice in amici aurem: quid Pietismus sit ne definire quidem posse illos, qui tanquam de nova secta quiritantur, tantum abest25, ut nova secta orta sit, nec hactenus vel unicus fidei error ostendi potuit, 50 quem docuissent, qui isto nomine hactenus notati fuere, licet plures recensiti

30 ordini ] ordine: K. 35 toto ] toti: D. 38 quod ] quid: D. 43 promisit ] permisit: K. ​ 45 iuvarunt ] iuverunt: K.

Tragödie entnommene (Aischylos, Prometheus Desmothes, V.59) – überraschende, nicht durch menschliche Handlung beeinfußte Wendung in einem Geschehen (Thesaurus Graecae Linguae 2, 107). 18 Frankreich. 19 Nicht ermittelt. Der in Z. 18 erwähnte Jurist? 20 Die Fragestellung des Umgangs mit Konvertiten wurde schon länger zwischen Spener und Veiel verhandelt (zuletzt in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 67, Z. 39–57). 21 Vgl. Mt 19,26. 22 In einer anderen als sonst gewohnten Formulierung verweist Spener hier auf seine Hofnung auf einen besseren Zustand der Kirche (dazu s. Brief Nr. 38 Anm. 9). 23 Zu den Auseinandersetzungen um die Pietisten in Leipzig s. Brief Nr. 31 u. ö. 24 Deutschland. 25 Redensartlich nach Cicero (s. Georges 1, 40): „Es ist weit davon entfernt“. 226 Briefe des Jahres 1690

sint, eadem fide, qua alii pii, Theologi etiam, errorum variorum saepe po- stulati sunt. Cum zelo plures ferverent cives, forte libertate conveniendi im- prudentius, quam res fert, usi sunt26; unde illo edicto27 coërcita, quod tamen 55 plures multo extendunt latius quam vel verba ferunt vel sententia. Forte alias plura, nunc ista tantum, ne querelis de nova secta et Ecclesiae novo periculo occuperis, sed credas, nubeculam transituram28, et pietati suum aliquando futurum honorem, quod mecum precabere. Me ab Hartnaccio29 in Bibliothecario30, quem edidit, Arminianismi et 60 Socinianismi postulatum31, forte iam vidisti; respondi festinans et accusationis falsitatem ita ad oculum demonstravi, ut pudere ipsum debeat temeritatis et calumniae32. Transmitterem pagellas, nisi metus esset, quod tabellariorum praemium earum pretium multum superaret. Minus moveor, si, qui me ad- oriuntur, pugnis talibus affectus; imo magis magisque confirmor me meaque 65 Satana valde displicere, qui suis artibus, mendaciis nimirum et calumniis toties me petit. Sed victor erit in servis suis Dominus, imo vero victores in ipso erimus33, cum mundo etiam succubuisse videbimur. Sit nomen ipsius bene- dictum in secula34. Quam ex Anabaptistis apud vos baptisatam retulisti35, an huc venerit, 70 ignoro, saltem me ipsa non conpellavit. Vale in Domino et causam ipsius strenue agere persevera. Scrib., Dresdae, 3. Juni[i] 1690. Max. Rev. T. Excell. ad preces et ofcia addictissimus Philippus Jacobus Spenerus, D. 75 Mppria.

53 sunt ] sint: K. 58 precabere ] [Ende Abdruck: D]. 64 afectus: cj ] afuctus: K. ​ 67 f benedictum: cj ] benedicta: K.

26 S. dazu Brief Nr. 15. 27 Das kurfürstliche Edikt vom 10. 3. 1690, das das Abhalten von Konventikeln unter Strafe stellte (s. Brief Nr. 50 Anm. 39). 28 Vgl. die gleichen Formulierungen zur Einschätzung des Widerstands gegen die Pietisten in den Briefen Nr. 50, Z. 3, Nr. 51, Z. 73 f. 29 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 30 D. Hartnack, Anweisender Bibliothecarius (s. Brief Nr. 45 Anm. 36). 31 Dazu s. Brief Nr. 45, Z. 56, mit Anm. 34–36. 32 Spener, Rettung. 33 Vgl. Röm 8,37. 34 Vgl. Ps 112, 2 (Vulgata). 35 Nicht ermittelt. Nr. 54 an Elias Veiel 3. 6. 1690 227

[P. S.:] Pro concionibus transmissis36 decentes ago grates. Prodest his etiam testimo- niis convinci capita celsa reverentiae et obsequii, quo nos clero Pontificio37 tam exosi Dei imaginem in ipsis colamus.

36 Vielleicht Veiels Predigt vom 3. Sonntag nach Epiphanias: Der Feinden Hohn, Deß Königs Kron, An dem Ulmischen Freuden-Fest, Von wegen Glücklichster Wahl und Krönung, Deß […] Herrens Josephi, Ertz-Hertzogs zu Oesterreich etc. Zum Röm. König, A. 1690. Dom. III. Epiphan.; Der Gemeinde Gottes in einer Christlichen Predigt Auß Psalm 132. v 18. für Augen gehalten, Ulm: Schultes und Gassenmeyer [1690]. Im Jahr 1689 wurden folgende Predigten Veiels publiziert: 1. Davidisch-Leopoldisches Rosen-Span; Auß der Uber-Schrift deß LX. Psalm. Der Christlichen Gemeinde zu Ulm, An dem angestellten Siegs‑ Danck‑ und Freuden-Fest, A. 1689. d. 8. Sept. Dom. XV. Trin. In einer Predigt fürgestellet, Ulm: Schultes und Gassenmeyer 1689, und 2. Der höchst-beglückte Persianische Monarch Cores Als ein Fürbild Deß […] Römischen Keysers Leopoldi I.; In einem angestellten Siegs‑ Danck‑ und Freuden-Fest, Anno 1689. Den 13. Octobr. Der Christlichen Gemeinde zu Ulm Auß dem XLV. Capitel Jesaia Theologisch fürgewiesen, Ulm: Schultes [1689]. 37 Der römisch-katholische Klerus. 228 Briefe des Jahres 1690 55. An [Johann Heinrich May in Gießen]1 Dresden, [vor dem 13. 6.]16902

Inhalt Beantwortet Briefe [Mays] und unterstreicht seine Freude darüber, daß dieser Erbauungs- veranstaltungen eingeführt hat; bestätigt, daß sich in solchem Fall immer schnell Widerstand erhebt. – Versichert [May], daß er mit der Einrichtung der katechetischen Übung in seinem Privathaus nicht unrecht gehandelt hat; auch die Veranstaltung eines Privatkollegiums muß einem Geistlichen erlaubt sein. – Hoft, daß die katechetische Übung [Mays] vorbildhaft für die ganze Grafschaft Hessen-Darmstadt wirkt. – Weist darauf hin, daß es manchmal besser ist, Fakten zu schafen, als in strittigen Dingen sich vorher die Genehmigung der Vorgesetzten einzuholen. – Betont, daß er immer noch die Einführung des Collegium pietatis in Frankfurt [im Jahr 1670] für gut heißt, obwohl es zu Separationen gekommen ist, die allerdings nicht zwangsläufg waren. – Unterstreicht, daß Collegia pietatis unter der Leitung eines Geistlichen zu geschehen haben; verweist auf einige Veröfentlichungen, die den Nutzen solcher Veranstaltungen betonen. – Be- schreibt den Vorteil von Collegia, die in Privathäusern gehalten werden, im Verhältnis zu denen in öfentlichen Räumen. – [May] soll sich freuen, daß ihm zugestanden wurde, das Collegium im öfentlichen Raum abzuhalten; dies ist ein Zeichen, daß Collegia nicht schlechthin verboten sind. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 65–69.

Ich wende mich stracks zu dem hauptzweck der gesandten briefe3, betrefen- de sowohl dessen christliche intention als die darüber zugewachsene wider- wärtigkeiten4: so habe, sobald von jener gehöret, mich inniglich gefreuet, um

1 Johann Heinrich May (5. 2. 1653–3. 9. 1719), Theologieprofessor in Gießen; geb. in Pforz- heim, nach dem Studium in Wittenberg, Kopenhagen, Hamburg (bei Esdras Edzard), Leipzig, Helmstedt und Straßburg Hofprediger des Grafen Leopold Ludwig von Pfalz-Veldenz, 1684 Pfarrer und Professor für Hebräisch in Durlach, 1688 Hebräischprofessor und außerordentlicher Theologieprofessor in Gießen, 16. 3. 1688 Lic. theol. in Gießen, 1. 7. 1689 ordentlicher Theologie- professor, zunächst dritter Stadtprediger, dann Superintendent und Konsistorialassessor in Gießen, 28. 11. 1690 Dr. theol. in Gießen, Schwiegersohn Johann Christoph Holtzhausens; seit einem Besuch in Frankfurt a. M. 1678 war er mit Spener bekannt. (RE3 12, 471–474; Haupt, Chronik, 443; Weiteres s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 146 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Sie ergibt sich aus dem gesamten Inhalt des Briefes. 2 Wahrscheinlich vor dem 13. 6. 1690; es scheint so, als habe May zuerst an Spener geschrieben, bevor er am 13. 6. den Bericht („Apologie“) an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt lieferte, den dieser am 26. 5. 1690 von May und seinem Gegner Philipp Ludwig Hanneken eingefordert hatte. May verweist in der „Apologie“ genau auf die Stelle aus Carpzovs „Tugendsprüche“, die Spener im vorliegenden Brief nennt (s. Z. 93–97 mit Anm. 28); zum Ganzen s. Köhler, Anfänge, 168–170. 3 Nicht überliefert. Der letzte Brief Speners, bei der die Adressatenschaft Mays gesichert ist, ist am 14. 9. 1689 geschrieben (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 92); ob May der Empfänger von Brief Nr. 21 ist, ist eher unwahrscheinlich (s. dort Anm. 1); die hier beantworteten Briefe Mays wurden nach dem Ausbruch des Streits in Gießen (s. Anm. 4) verfaßt. 4 Es war zum Konfikt zwischen Philipp Ludwig Hanneken und May gekommen, als dieser am 20. 10. 1689 zu einem Katechismusexamen in sein Privathaus eingeladen hatte. Hanneken hatte es zum Anlaß seiner Beschwerde genommen, daß er als zuständiger Superintendent nicht informiert Nr. 55 an [Johann Heinrich May] [vor dem 13. 6.] 1690 229 so viel mehr daß dergleichen nützliche anstalten, wann sie sonderlich auf Universitäten eingeführet werden, so vielmehr gutes ausrichten und andre 5 durch das exempel aufmuntern5: aber auch so bald habe mir vorstellen können, daß es unmüglich ohne widerstand abgehen könne, als dem so wol sonst als aus langer erfahrung bekant ist, daß der fürst dieser welt6 weder so thum ist, daß er nicht stracks, was ins künftige seinem reich möchte grossen schaden thun, von anfang wahrnehmen, noch hingegen so träg, daß er einiges 10 dessen ihm verdächtigen guten gleichsam erstarcken liesse, ohne sein heil da- gegen zuversuchen. Daher wir uns bey allen rechtschafenen vorhaben der- gleichen erfolg des widerspruchs so gar nicht befrembden lassen dörfen, daß wir uns vielmehr keine andere rechnung machen sollen, als daß die verrich- tung mit gedult wolle vereinbaret seyn, wo die rechte frucht erfolgen solle. 15 Ich will im übrigen meine christliche gedancken ofenhertzig hiebey ent- decken. 1. Geliebter bruder hat nicht unrecht gethan weder mit anfangung der catechetischen übung in dem hause zu der zeit, da durch böse, aber nunmeh- ro fast auctorisirte gewohnheit dieselbe publice aufgehoben worden7, und 20 derselbe, eher dergleichen privatim fortzusetzen, als eine öfentliche einfüh- rung des eine weil niedergelegnen hofen konte (wie auch hiesiger lande, ob man wol mit gesetzen und ordnungen dermassen in geistlichen dingen einge- schrenckt ist, als einiges andern orts, keinem Prediger verwehrt wird, da er die catechisation der jugend neben dem öfentlichen examine ferner um dessen 25 facilitirung willen zu hause anstellet, sondern solcher leute feiß wird vielmehr gelobet) noch mit anstellung des haus=​collegii, als dergleichen, wo es nicht ausdrücklich verboten, in jedes Predigers und Theologi macht aus der allge- meinen berufs=​pficht stehet. 2. Was nun anlangt das erste, nemlich die catechetische übung, wird, so viel 30 ich abnehme, jetzo kein streit mehr darüber seyn8, und sehe ich solches als

19 da durch ] dadurch: D1. ​ gewesen sei (Köhler, Anfänge, 153 f). – Zu Hanneken: Superintendent und Theologieprofessor in Gießen (5. 6. 1637–16. 1. 1706), ab 1693 Theologieprofessor in Wittenberg, scharfer Kritiker des Pietismus (Näheres s. Dresdner Briefe Bd. 3, Brief Nr. 116 Anm. 15). 5 Spener selbst hatte in Frankfurt neben seinem Collegium pietatis im Jahr 1676 auch ein aka- demisches Collegium pietatis eingerichtet, an dem Studierende, die sich in der Stadt aufhielten, teilnahmen (s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 92, Z. 19–27, Bd. 3, Brief Nr. 2, Z. 128–130; Cons. 1, 244). Er wünschte, daß Theologieprofessoren vergleichbare Veranstaltungen durchführten (s. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 144–148 [PD 76.17–78.20]). Ausgerechnet auf Hanneken, der sich als schärfster Gegner Mays entpuppte, hatte Spener für die Einführung solcher Collegia größte Hofnungen gesetzt (s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 10, Z. 80 f, und Nr. 12, Z. 64–71). 6 Joh 12,31; 16,11; gemeint ist der Satan. 7 Im Winter wurde der Katechismusunterricht üblicherweise unterbrochen. May hatte diese Sitte aufgehoben, indem er begann, ihn in seinem Privathaus abzuhalten (Köhler, Anfänge, 159). 8 May hat diese Frage in seiner Apologie vom 13. 6. mit dem Hinweis beiseite geschoben, er halte die Kinderlehre nun an öfentlichem Ort ab, so daß darüber kein Streit mehr geführt werden müsse (Köhler, Anfänge, 169). 230 Briefe des Jahres 1690

einen herrlichen sieg vor GOtt an, daß damit erhalten worden, ein solch heilsam werck in dem gantzen Fürstenthum9 in so viel völligern und be- ständigern schwang zu bringen: welcher nutze bereits die darüber ausgestan- 35 dene beschwerligkeit, und was etwa ferner zu leiden vorstehen möchte, statt- lich ersetzet. Der HERR stehe ferner dem werck mit gnade und seegen bey. 3. Man hätte zwar gedencken mögen, es wäre besser gewesen, die sache nicht ohne communication höherer orten10 anzuheben, da man hofen möchte, daß es leichter zu stand gebracht werden können. Ich leugne auch 40 nicht, daß dieses der ordentliche weg wäre: ich habe aber aus erfahrung ge- lernet, daß es bey vielen dingen nicht eben rathsam seye, in solcher ordnung zu bleiben. Dann hat man in der furcht des HErrn etwas rechtschafen gutes vor, daß nicht bereits gantz gewöhnlich ist, so ist bey gegenwärtiger bewand- nis der gemüther selten zu hofen, daß man an hohen orten die nöthige auto- 45 ritet dazu bekommen werde. Dann wo auch unter denen, welche darüber deliberiren11 sollen, nicht eben solche leute sind, welche warhaftig dem guten zuwider sind und es mit feiß hindern wollen (vor denen man gleichwol nicht aller orten sicher ist), so sind aufs wenigste die allermeiste furchtsam in der sache des HErrn und fnden der difcultäten so viele und wissen die besor- 50 gende consequenzen dermassen großzumachen, daß selten eine gewihrige12 resolution folget, und alsdann, nachdem man einmal eine sache gesucht und nichts erhalten, weniger verantwortet werden kan, wo man sie nachmal doch thäte, weswegen um des abschlags13 willen alles gleich unterbleiben muß. Hingegen, wo man solche sachen, die man weiß der göttlichen ehr und liebe 55 des nächsten gemäß, auch nirgend verboten zu seyn, vor hat, ists am besten, man gehe in seiner einfalt gerade zu und thue in GOttes nahmen, was man vor diesem verantworten kan: dann wann eine sache von einem christlichen mann, sonderlich der in würden stehet14, angefangen ist, werden allezeit an hohen orten unter denjenigen, die zu rath gezogen werden, sich personen 60 fnden, die, wo es noch nicht angefangen wäre, mit ihrer stimme beyzufallen, sich nicht resolvieren könten, die aber doch, wann es einmal gewagt, der sa- che, die sie sonst in ihrem gewissen billigen müssen, nicht abzustehen ge- trauen. Wie ich dann selbs manches, was ich gethan, wo ich erst vorher ge-

32 herrlichen ] hertzlichen: D1. ​

9 Die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. 10 May hatte seine Veranstaltungen angekündigt, ohne vorher den Gießener Superintendenten Hanneken darüber zu unterrichten, was dieser ihm sehr übel nahm (Köhler, Anfänge, 153–156). 11 Beraten. 12 Im Sinne von „tragbar“ oder „fruchtbar“, vgl. auch „dauerhaft“ (DWB 6, 5797). 13 Im Sinne von „Verweigerung“; vgl. „abschlägige Antwort“ (DWB 1, 102). 14 In der Gießener Auseinandersetzung wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß May als Stadtprediger die Vollmacht habe, eine Katechismusübung durchzuführen; als Professor sei ihm erlaubt, ein Kolleg in seinem Haus abzuhalten (Köhler, Anfänge, 165). Nr. 55 an [Johann Heinrich May] [vor dem 13. 6.] 1690 231 fragt, unterlassen hätte müssen, so endlich, wann es ungefragt angehoben, durch göttliche gnade erhalten habe. 65 4. Was die collegia privata anlangt, so habe hin und wieder meine meinung erkläret, dabey ich immer bleibe: und also mir mit unwahrheit nachgeredet wird, daß ich mich, das meinige in Franckfurt gehalten zu haben, reuen lasse15, so ich wegen des vielen guten, so dadurch von GOtt gewürcket worden (dann einige unordnungen, so auch nicht ausgeblieben16, sind nicht efectus per se17 70 und können nie gnug verhütet, aber deswegen muß auch das gute nicht un- terlassen werden), mit gutem gewissen nicht thun könnte, so dann, daß ich niemand zu dergleichen collegiis pietatis rathen wolle: indem ich sie vielmehr noch allezeit, aber nicht allen personen und nicht an allen orten rathe18, also kommts auf quaestionem prudentiae19: Ob einer dergleichen klüglich zu 75 regieren vermöge, ob tüchtige leute, sonderlich etwas mit beyzutragen und die begierde zu haben oder dazu dringen, sich an einem ort fnden, was für hindernussen verhanden20 und wie fern dieselbe oder der hofende nutzen praevaliren21 mögen? Aus diesen und dergleichen betrachtungen muß sichs nun ergeben, ob an diesem oder jenem ort die sache anzustellen seye oder 80 nicht. 5. Dergleichen collegia privata unter der aufsicht und regierung eines öf- fentlichen Lehrers22 anzustellen, ist an sich nicht nur erlaubet, sondern auch ohne umstände, zeit und ort, welche sie irgend mißrathen möchten, löblich; ob ich wol nicht läugne, daß in der höchsten Obrigkeit macht stehet, ihres 85 orts zu jedenmalen zu erkennen, was das diensamste seye, ob sie gar ihre auto- rität dazu geben oder aus andern ursachen ihre einstellung fordern wolte23.

82 und ] ung: D1.

15 Vgl. dazu Brief Nr. 56. 16 Die Separation, die von verschiedenen Mitgliedern des Frankfurter Collegium pietatis ausgegangen war (Sachsse, Ursprung, 52–58; Wallmann, Pietismus, 137–143; M. Friedrich, Frankfurt als Zentrum des frühen Pietismus, in: R. Fischer [Hg.], Von der Barfüßerkirche zur Paulskirche. Beiträge zur Frankfurter Stadt‑ und Kirchengeschichte, Studien zur Frankfurter Ge- schichte, Bd. 44, Frankfurt a. M. 2000, 187–202; Deppermann, Schütz, 180–206). 17 Ein aus der Sache (notwendig) erwachsener Efekt. 18 Zur Vorsicht im Zusammenhang mit Zusammenkünften in privaten Häusern s. Brief Nr. 15. 19 Eine Frage der Klugheit. 20 Vorhanden (DWB 25, 522). 21 Vorherrschen. 22 Spener betont schon in den PD, daß die Collegia pietatis unter der Leitung eines Geistlichen zu geschehen haben (Spener, Pia Desideria 1676, S. 98 [PD 55, 24]). 23 So geschehen in Kursachsen durch das Edikt vom 10. 3. 1690 gegen die Konventikel in Leipzig (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 232 Briefe des Jahres 1690

Herr D. Schomerus24 in seinen disputationibus25, ob er wol sehr vieles hat, so auch wider die art der collegiorum gebraucht werden kan und die sache ge- 90 nauer als jemand sonsten ausgeführet, zeiget stattlich, daß dergleichen collegia privata an sich nicht unrecht seyen und weder dem ministerio noch dem iuri Episcopali praejudiciren26, so dann vor sich die erlaubnuß des Episcopi nicht bedürfen. Herr D. Carpzov27 in seinen tugend=​sprüchen, n. 23, p. 443, 444, billiget nicht allein aus meinen piis desideriis dergleichen collegia, da auch 95 den leyen dazu zu reden erlaubt würde, sondern eifert darüber und drohet denen eine schwere verantwortung, welche solche sache nicht befördern, sondern hindern28. Herr D. Löscher, Prof. und Gener. Superint. zu Witten- berg29, hat auch in der zeit, da sie30 daselbs wider die Leipzigische collegia heftig sich bezeuget, den 23. Mart. in seiner disputation die collegia privata

24 Justus Christoph Schomerus (2. 4. 1648–9. 4. 1693), Theologieprofessor in Rostock; geb. in Lübeck, nach dem Studium in Kiel und Gießen und akademischen Reisen durch Europa 1677 Doktorpromotion in Lübeck, 1680 Theologieprofessor in Rostock und Superintendent von Mecklenburg (Moller 1, 595–599; DBA 1134, 237–240; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 7 Anm. 1). 25 Justus Christoph Schomerus, De Collegiis privatae pietatis. Quam Annuente Deo opt. max. Consensu Venerandae Faultatis THEOLOGICAE, In inclyta ad Varnum ACADEMIA, Rostock: Jakob Richel 1685. – Auf dieses Buch weist Spener immer wieder hin (z. B. Bed. 1 II, 16; Bed. 3, 788 [1690], LBed. 3, 510 [27. 2. 1692]). 26 Dem bischöfichen Recht Eintrag tun (das bischöfiche Recht verletzen). 27 Johann Benedict Carpzov, Theologieprofessor und Pfarrer in Leipzig (s. Brief Nr. 43 Anm. 6). 28 J. B. Carpzov, Außerlesene Tugendsprüche aus der heil. Schrift zusammen gesuchet (s. Brief Nr. 31 Anm. 26), S. 443 f: „Es haben hiebevor zweene hocherleuchtete berühmte […] Theologen (B. Dorscheus und B. Dannhauerus […]) mehrmalen gewünschet / es würden auf Universitäten solche deutsche Collegia Theologica angestellet / da doch form und art der ersten Corinthischen kirchen / von den sonst schweren glaubens=​articuln verständlich / deutsch / öfentlich disputieret würde / damit auch der deutsche lay zuhorchen und das Amen sprechen könne. Diesen wundsch hat vor wenig jahren ein anderer eyferiger Gotteslehrer / welchen der Höchste seiner kirchen zu gut noch lange beym leben und gesundheit erhalten wolle / in seinen piis desideriis […] nicht nur gar sehnlich wiederholet, sondern auch mittel und maß angezeiget / wie dergleichen Collegia pietatis auch anderer orten / da keine Universitäten seyn / anzustellen / und zwar also einzurichten / daß auch den layen zu reden vergönnet sey. Ob die es verantworten können / die darzu das maul rümpfen / und diß heilsame werck nicht allein nicht befördern helfen / da sie doch viel mit beytragen könten / sondern auch gar nach aller möglichkeit hindern? wird sich einmahl ausweisen.“ 29 Caspar Löscher (8. 5. 1636–11. 7. 1718), Professor in Wittenberg; geb. in Werdau/ Vogt- land, nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg 1668 Superintendent und Konsistorialrat in Sondershausen, 1676 Pfarrer in Erfurt, 1679 Superintendent in Zwickau, 1687 Generalsuper- intendent und Professor in Wittenberg (LP: Gottlieb Wernsdorf, Collegium Pietatis Davidicum Oder Davidische Anweisung zur wahren Gottseeligkeit […] Aus dessen selbst-erwehlten Leichen- Texte Ps. XXXVII, 37 […] Schriftmäßig ausgeführet, Wittenberg 1718; Bauer, Ev. Theologen, 215; Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 549; DBA 776, 396–449; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 114 Anm. 17). 30 Hier sind die Wittenberger Theologen insgesamt gemeint (vgl. dazu Brief Nr. 16). Nr. 55 an [Johann Heinrich May] [vor dem 13. 6.] 1690 233 nach der inlage approbiret31. Welche autoritates alle so viel kräftiger jetzt 100 möchten angeführet werden. 6. Diese collegia privata haben in einem stück einen vortheil vor denselben, die publice gehalten werden, weil in diesem nicht einige, so nicht studiret haben, sich unterstehen, etwas zu reden, dazu sie sich hingegen leichter in einer engern versammlung resolviren: Indessen wo man diese übungen in 105 publicum bringen kan, dazu magistratus politici autoritas von nöthen ist, hat man solches mit danck anzunehmen, wie ich mich auch, als ichs in Franckfurt erlangt, dessen gefreuet habe. 7. Daher achte ich, daß mein werther bruder, nachdem ihm dergleichen vergönnet worden, seine übung publice zu halten, solches als eine wohlthat 110 von GOtt und einen sieg zu halten, auch deswegen dem privato vorzuziehen habe. Denn ich nicht meine, gnugsam entgegen zu stehen, daß, nachdem der adversarius die collegia privata per se Quackerisch, Novatianisch etc. ge- nannt32, nunmehr cessatio pro damnatione33 angenommen werden würde. Dann deme nicht allein praevaliret, daß von superioribus das publicum dazu 115 vergönnet und solches auch angenommen worden: sondern die ration würde auch nicht durchdringen, denn die versetzung des privati in publicum kann noch vor keine blosse verwerfung des andern gehalten werden, wo man aus- drücklich und öfentlich bezeuget, daß man solche translation thue gleich wie der hohen Obrigkeit34 zu respect, also auch zu mehr der leute bequemlichkeit 120 und damit jederman mit soviel wenigerem scheu sich dabey einfnde; dabey man sich ausdrücklich dieses bedingt, daß man die collegia privata auch an und vor sich selbs gut, nützlich und nach bewandnis der umstände zuweilen vor nützlicher achte. Damit wird allen der mund gestopfet, die ein mehrers aus der sache folgern wolten, oder wo einige noch solches also ausdeuteten, 125 hätte man sie nicht zu achten. Hingegen wo man auf dem privato allzustarck beharren wolte, so wäre eher zu sorgen, daß auch gute hertzen ein ärgernis nehmen über das werck, da es scheinet, man wolle sich der Obrigkeit in sa- chen, darüber sie macht hat, widersetzen, und das die widersacher sich der- gleichen meisterlich zu untertrückung mehreres guten gebrauchen würden: 130 dazu kommt, daß in publico viele personen sich einfnden und ihre erbauung suchen werden, so sich aus andern considerationen von dem privat exercitio absentirten, so dann daß ohne das bißher sich gezeiget, daß gemeine leute nicht leicht zu reden getrauen: was aber gelehrte sind, werden in publico nicht

31 ΑΝΑΓΚΑΣΜΟΣ Luc XIV,23. Dei Ministris commendatus, & Praeside Caspare Loeschero […] Disputatione publica […] propositus a M. Polycarpo Kunado, […] XXVII. Martii […], Wittenberg 1690. 32 Philipp Ludwig Hanneken, Send=​Schreiben betrefend Collegia pietatis, 1690, unpag. [S. 4]: „Neuerung wider solche Weisen in praxi Donatistarum, Novatianorum, Euchetarum, Circumcel- lionum Enthusiastarum, Anabaptistarum, Fanaticorum novorum in Holland“. 33 Ruhe (Zögern) anstelle von Verurteilung. 34 Die Regierung der Grafschaft Hessen-Darmstadt. Landgraf war Ernst Ludwig von Hessen- Darmstadt (15. 12. 1667–12. 9. 1739), 1678 Landgraf, aber unter der Vorherrschaft seiner Mutter Elisabeth Dorothea, 1688 selbständig regierend (NDB 4, 612 f). 234 Briefe des Jahres 1690

135 weniger als zu hause sich hören lassen. Weswegen selbs bitten wolte, derselbe geruhete diesesmal in dieser sache etlicher massen zu weichen, da er in der that durch solches weichen mehr gewinnet als verliehret. Der HErr aber gebe weißheit, kraft und sieg der wahrheit, daß wir sehen, der rechte GOtt seye noch zu zion und er gedencke seiner diener und lasse 140 ihre arbeit, in ihm gethan, nicht ohne reichen seegen bleiben. 1690. Nr. 56 an Johann Heinrich May 19. 6. 1690 235 56. An Johann Heinrich May in Gießen1 Dresden, 19. Juni 1690

Inhalt Schriftliches Zeugnis darüber, daß es Spener nie bereut hat, in Frankfurt a. M. ein Collegium pietatis eingerichtet zu haben. Überlieferung A: Hamburg, SUB, Sup. ep. 4°, 16, Bl. 167. D: Gründliche Erörterung Der Frage / Ob die Collegia pietatis nothwendig / und nützlich / Oder aber unnöhtig [sic!] / unnützlich / ja gar schädlich seyen? Veranlasset Durch ein neulich herauß gegangenes Send=​Schreiben Hn. Ph. Lud. Hannekenii […] Eilfertigst aufgesetzt von Pio Desiderio, o. O. 1690, S. 51 f.2

Nachdem ich mißfällig3 verstanden, daß von mir außgegeben worden solle, alß ob ich mich reuen ließe, mein collegium pietatis vordeme in franckfurt4 angefangen zu haben, so bezeuge hiemit, daß ich es weder mich habe reuen laßen, noch ohne sünde reuen laßen könte, in dem ich dardurch die gnade Gottes, welche sich in demselben an sovielen kräftig erzeiget hat und deßen 5 wahrer nutzen in der that sehr weit den vermeinten mißbrauch übertrift, verleugnen müßte, welches ferne seye; vielmehr dancke ich Gott vor deßen darzu ertheilte gnade und ob wol nicht einem jeden, noch jedes orts wegen allerley Umständen dergleichen zu halten rathe, so freue mich doch, wo ich

2 vordeme ] vor diesem: D. 4 könte ] können: D. 7 vor ] für: D. 8 f wegen … zu halten ] [In A unlesbar wegen Textverlust].

1 Johann Heinrich May, Theologieprofessor in Gießen (s. Brief Nr. 55 Anm. 1). 2 Gelegentlich wird Spener als Autor der Schrift genannt. In Wirklichkeit ist der Traktat von Johann Heinrich May verfaßt. Dies ergibt sich 1. durch die Überlieferung von A bei den Briefen Mays, 2. den Abdruck des Textes in D mit dem Hinweis auf Spener, und 3. durch den Hinweis Johann Ulrich Wilds in seinem Schreiben an May, er habe dessen „Apologie“ (s. dazu Brief Nr. 55 Anm. 2) und „Aufsatz“ erhalten (Wild an May am 23. 6. 1690; SUB Hamburg, sup.ep. 4° 16, Bl. 253r–254v). 3 Unangenehm (ingratus) (DWB 12, 2284). 4 Das seit dem Sommer 1670 zunächst in Speners Pfarrhaus und seit 1682 in der Kirche stattfndende Collegium pietatis (Wallmann, Spener, 264–298; Wallmann, Pietismus, 76– 79.99). – Durch die pietistischen Unruhen in Leipzig (s. Brief Nr. 16) und das daraufhin erlassene kurfürstlich sächsische Konventikelverbot (s. Brief Nr. 51 Anm. 39) war die Diskussion um die Rechtmäßigkeit solcher Veranstaltungen erneut erwacht. Philipp Ludwig Hanneken hatte ein „Send=​Schreiben An N. N. Betrefend die so genandte Collegia pietatis Oder Von den Biblischen Zusammenkunften allerhand Leuten in Privat=​Häusern“, o. O. 1690 verfaßt, insbesondere ver- anlaßt durch die Durchführung eines Collegiums über den Römerbrief, das sein Gießener Kollege Johann Heinrich May in seinem Haus durchführte (dazu s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116, Z. 10–26; vgl. im vorliegenden Band Brief Nr. 55, Z. 66–137). Die Antwort auf Hannekens „Send=​Schreiben“ war die in D genannte Schrift. 236 Briefe des Jahres 1690

10 höre hin u. wider, dergleichen zu geschehen, und rathe es allen denen, die dazu die kräften und ungehinderte gelegenheit haben. Daher wer anders von mir außgibet, mir dardurch unrecht thut und mit vorweisung dieser zeilen widerleget werden mag5. Der Herr befördere aller orten seine ehre kräftiglich.

15 Dreßden, den 19. Jun[i] 1690 Philipp Jacob Spener, D. Mppria.

11 gelegenheit ] gelegenheiten: D. 14 kräftiglich ] [Ende Abdruck: D].

5 In ähnlicher Weise fnden sich solche schriftlichen „Beglaubigungen“ bzw. „Zeugnisse“ Speners, die ggf. vorgewiesen werden können, zu verschiedenen Themen (z. B. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 11). Nr. 57 an [Franz von Meinders] [21]. 6. 1690 237 57. An [Franz von Meinders in Berlin]1 Dresden, [21]. Juni 16902

Inhalt Bestätigt den Eingang der Anfrage, ob sich Spener als Propst nach Berlin berufen lassen würde. – Bezeugt seine positive Haltung zum brandenburgischen Kurfürstenhaus. – Beschreibt die durch die Anfrage entstandene innere Unruhe. – Skizziert sein Berufungsverständnis. – Nennt die Vorzüge einer Berliner Propstei gegenüber dem jetzigen Amt. – Betont, daß er die Gewißheit der göttlichen Berufung nach Berlin braucht. – Beschreibt den Modus bei seinen Berufungen nach Frankfurt und Dresden. – Ist bereit, den Willen Gottes zu tun, nach welcher Richtung er sich auch zeigen wird. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 848–852.

Wie ich Ew. Excell. gegen mich tragender sonderbahren afection von meh- rern jahren auf unterschiedliche art bisher versichert worden bin3, also habe dero letzteres4 durch des Herrn N. N. Excell.5 überbrachtes als ein neues zeugnüß derselben anzusehen, ob wohl, in nicht geringe unruhe des gemüths

1 Franz von Meinders (25. 11. 1630–22. 4. 1695) Geheimer Rat des Kurfürsten von Branden- burg; geb. in Bielefeld, nach dem Jurastudium 1655 Sekretär des Grafen Georg Friedrich von Waldeck, 1672 Geheimer Rat des brandenburgischen Kurfürsten und Förderer der Anliegen Speners (ADB 21, 220; Spener, Leichpredigten 6, 315–343; A. Strecker, Franz von Meinders. Ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann im 17. Jahrhundert, Leipzig 1892; M. Krieg, Franz von Meinders, in: Westfälische Lebensbilder, Bd. 3, Münster 1934, 249–264; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 108). – Zur Empfängerbestimmung: Meinders ist der Verhandlungsführer auf Seiten des brandenburgischen Kurfürsten bei der Berufung Speners nach Berlin. 2 Nach der Mitteilung in Brief Nr. 60, Z. 38–41, die sich auf den vorliegenden Brief bezieht, muß er vom 12. 6. auf den 21. 6. 1690 umdatiert werden. Vgl. auch die Frage Samuel von Pufen- dorfs, die Adam Rechenberg an Spener am 14. 6. 1690 weiterleitet (Ad Rech 1, 379r). Zu diesem Zeitpunkt hatte Spener den Brief noch nicht erhalten. 3 Ein Kontakt zwischen F. von Meinders und Spener läßt sich spätestens seit 1687 nachweisen, als er eine Kopie des Gutachtens erbat, das das Frankfurter Predigerministerium zu den Ausein- andersetzungen um den Königsberger Theologieprofessor Christian Dreier im Jahr 1676 verfaßt hatte (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 47, Z. 130–135, und Nr. 68, Z. 13–16). 4 Franz von Meinders’ Brief ist nicht überliefert. 5 Der Dresdner Hofrat Heinrich Heino von Flemming hatte bei dem ersten Versuch, Spener nach Berlin zu berufen, als Übermittler von Nachrichten mitgewirkt (Ad Rech 1, Bl. 337r; [22. 4. 1689]) und spielte auch bei der Berufung im Frühjahr 1691 eine Rolle (Ad Rech 1, Bl. 597r; [9. 3. 1691], und Bl. 634r; [7. 4. 1691]; vgl. auch schon Ad Rech 1, Bl. 365r; [1. 12. 1690] und Bl. 361r; [12. 12. 1690], u. ö.); der in Anm. 2 genannte Adressat des aus Berlin zu erwartenden Briefes ist „Gen. Flemmingius“ (Ad Rech 1, Bl. 379r). – Zu von Flemming: 8. 5. 1632–1. 3. 1706; geb. in Marenthin/ Hinterpommern; nach dem Studium kämpfte er zu unterschiedlichen Zeiten im brandenburgischen und im sächsischen Heer, 1683 stand er an der Spitze der sächsischen Hilfstruppen bei der Belagerung von Wien, 1688 wurde er Generalfeldmarschall, 1691 wurde er brandenburgischer Generalfeldmarschall an der Stelle von Hans Adam von Schöning, der nun den gleichen Posten im sächsischen Heer übernahm (ADB 8, 279 f; NDB 5, 239; Vehse 4, 156). 238 Briefe des Jahres 1690

5 dadurch gesetzet worden zu seyn, dabey nicht in abrede seyn kann; ich habe aber in Christlicher überlegung des gantzen in dero schreiben vorgestellten geschäfts zum allerfördersten die ewige güte des himmlischen Vaters mit demüthigstem danck zu preisen, so ihren armen knecht zu der zeit, da sich der jenigen, die mir zu wider seynd, zimlich viele ofenbahren6, mit neuem 10 zeugnüß gütigster vorsorge nicht wenig tröstet und stärcket und, wie ich in gewissen glauben mich versichere, alles weißlich zum besten ausführen wird. Nechst deme bin auch unterthänigsten danck schuldig Seiner Churfürst- lichen Durchlauchtigkeit von Brandenburg7, so durch gnädigste absicht auf einige meine beforderung zu der Evangelischen in dero lande kirchendienst, 15 dero gnade gegen mich zu bezeugen geruhet; dergleichen um dieselbe nicht verdienet, ob zwar dieses auch nicht in abrede bin, daß bereits von mehrern jahren wie des gesamten hohen Churhauses, also auch dero glorwürdigen Herrn Vaters8 und nunmehr dero theuren person vor dem angesicht des HERREN zu gedencken mich verbunden erkant habe. Ich sage aber auch 20 gehorsamen danck Ew. Excell. in dieser sache aufs neue gegen mich be- zeigte gewogenheit und sorge, auch ferner großgünstigen anerbietung ihres hohen favores, so ich in schuldiger veneration billich halte. Wann ich aber zu der sache selbs so bald schreiten solle, leugne ich nicht, daß mich der allweise GOTT durch dieses geschäft in einen solchen stand 25 setzet, dessen schwehre, sonderlich als auch die mutation auf hieher9 vor war, ich bereits genugsam gefühlet und, nicht widerum in dergleichen versuchung zu kommen, gehofet habe; hingegen Göttlichen rath hierinnen mit kindli- cher demuth veneriren solle, da solcher aufs neue die proben des glaubens und gehorsams von mir fordert. Seine ewige güte rühme ich billich darinn, 30 daß sie von der ersten stunde dieser sache mein hertz geneiget zu einer wil- ligen unterwerfung unter dero willen, hier zu bleiben oder weg zu gehen, wo ich denselben völlig erkennen sollte; aber dahinaus gehet alle meine sorge, nicht ohne ziemliche beängstigung, wie ich den willen meines gütigsten Va- ters ohne fehl und künftigen srupul erkennen mögen; in dem es als dann an 35 williger folge auf ein oder andere seite durch seine gnade nicht manglen

5 seyn ] seyen: D1. ​7 allerfördersten ] allbefördersten: D1. ​8 armen ] neuen: D1. ​9 seynd ] seyen: D1. ​33 beängstigung ] beänstigung: D1. ​

6 Nach der öfentlich bekannt gewordenen Auseinandersetzung mit dem Kurfürsten Johann Georg III. (zu dieser s. Brief Nr. 53) waren die Kritiker Speners laut geworden. 7 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 8 Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg („Der Große Kurfürst“) (6. 2. 1620– 29. 4. 1688); geb. in Cölln/ Spree, ab 1640 Kurfürst (Ernst Opgenoorth, Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst von Brandenburg, 2 Bände, Göttingen u. Zürich 1971/1978; L. Hüttl, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst 1620–1688. Eine politische Biographie, München 1981). 9 Zu den Umständen bei Speners Berufung nach Dresden s. D. Blaufuss, Gottlieb Spitzels Gutachten zu Ph. J. Speners Berufung nach Dresden (1686). Ein Beispiel der Mutua Consolatio Fratrum im Pietismus, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 40, 1971, 97–130. Nr. 57 an [Franz von Meinders] [21]. 6. 1690 239 solle. Wäre es sache, daß ich gantz frey stünde oder aus GOttes verhängnüß von jetziger stelle schlechter dings ausgestossen und dimittiret10 würde, so können Euer Excell. sich großgünstig versichern, daß mirs eine sonderbahre freude seyn und vor eine wohlthat GOttes erkant werden solte, der gnade eines solchen Potentaten versichert zu werden und unter desselben gnädigsten 40 schutz dem Evangelio zu dienen, dessen nicht nur übrige höchstrühmliche Regenten=​tugenden, sondern vornehmlichen dessen eifrige vorsorge, GOt- tes ehre und alles zu solchen zweck abziehlendes treulich und kräftig zu be- fördern, mir von guter zeit bekant worden und bey mir und allen andern den HErrn und sein reich liebenden eine schuldige veneration erwecket hat; 45 weswegen es keiner oder weniger deliberation zu endlicher entschliessung in solchem fall von nöthen seyen würde. Es stehet aber mit mir wie zwar auch mit andern bereits in diensten leben- den in dem stande, daß, Göttlichen willen bey neuem antrag11 zu erkennen, so leicht nicht wird. Daß ich durch einen sonderbahren rath GOttes von 50 meiner lieben gemeinde zu Franckfurt am Mayn abgerißen und hieher ge- führet worden seye, bin ich auf vielerley, auch einige fast ungemeine arten dermassen überzeuget, daß mir solcher ruf nicht ungewisser ist, als ob ich denselben selbs von himmel herab gehöret hätte, daher ich auch versichert bin, daß der allerhöchste seine weise und wichtige ursachen gehabt, mich 55 hieher zu senden12. Ob nun schon diese vier jahr über wohl viel mehrers, von mir ausgerichtet worden zu seyn, gefordert werden könte, ich auch mehr mit betrübnüß, was noch zurück geblieben, als was ausgerichtet worden, mit freuden ansehe, so bin ich doch dessen versichert, daß der treue GOTT seines elenden knechts schwache arbeit an mehrern zu segnen nicht unterlassen 60 habe, ja, daß mancher widerstand, den ich fühle, mir ein zeugnüß gebe, wie das werck des HERREN durch mich armen dem teufel mehr als gemein wehe thue, daher er sich desto mehr streubet13, aber eben deswegen hofnung seyn mag, wo ich in gedult und demuth GOTT still haltende in der arbeit fortfahre, daß so viel kräftiger manches noch über hofnung durchbrechen, 65 und ich hingegen, wo ich zu frühe dem HErrn aus der arbeit gienge, selbs mit künftiger dessen bereuung und schwehrer verantwortung seyn werck hindern möchte. Welche betrachtung erfordert, daß ich meine station nicht verlasse, ohne des Göttlichen willens hierüber eben so gewisse versicherung, als diejenige gewesen ist, welche mich hieher gebracht hat. So viel mehr nach 70

39 seyn ] seyen: D1. ​49 neuem ] meinem: D1. ​57 seyn ] seyen: D1. ​64 seyn ] seyen: D1. ​

10 Zu der – unerfüllten – Hofnung einer Dimission als Oberhofprediger in Dresden schon im Frühjahr 1689 s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 45, Z. 70–73, Nr. 64, Z. 67–69. 11 Im Sinne von „Anfrage“ (rogatio) (vgl. DWB 1, 502). 12 Zu den Umständen der Berufung Speners von Frankfurt am Main nach Dresden s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 10, Z. 4–40, bes. mit Anm. 14, 15 u. 18. 13 Vgl. ganz ähnlich in Brief Nr. 70, Z. 44–51. 240 Briefe des Jahres 1690

dem ich zwar nicht in abrede bin, daß das gemüth der jenigen hohen person14, vor welche vornehmlich mein dienst verordnet solte seyen, nach Gottes ver- hengung eine zeitlang von mir abgewendet seye15, so dann an nicht wenigern haß unterschiedlicher anderer, auch, welches das berübteste ist, meines eige- 75 nen ordinis16 nicht zu zweifen habe, vielmehr dessen früchten und manchen widerstand verspühre; so hat mich dennoch der Allmächtige durch seine ge- waltige hand noch biß daher bey meinem beruf also geschützet u. so hoher als anderer vornehmen personen hertzen mir kräftig zugeneiget, daß mir nichts übels zugefüget hat werden dörfen, sonderlich aber, daß mir selbs die 80 hände in meinen geistlichen verrichtungen annoch nicht gebunden worden, hingegen diese vielen seelen angenehm geblieben sind. Daher wo ich mich über verfolgung beklagte, darinnen zu viel thun würde und also nicht sagen könte, daß um solcher ursach willen, ob wohl der HERR etwa meinen glauben und gedult mit mehrerem noch zu üben verhengen möchte, in dem 85 gewissen befugt wäre, meinen vorigen, so gewiß Göttlichen beruf deswegen zu verlassen. Zwar ists an dem, wo ich die gnädigst zugedachte praepositur17 erwege, dieselbe gegen der jetzigen so wol nach meinem gemüth und lebens art, sonderlich weil die freyheit vom beichtstuhl dabey ist18, bequemer scheinet, 90 als auch, bey einer grossen gemeinde mehr nutzen zu schafen, die hofnung gefasst werden könte, daß also der menschliche wille bey mir, sonderlich weil auch nicht zu zweifen, daß in den zeitlichen vor mich und die meinige ein nöthiges auskommen fnden würde, etwa ehe zu solcher stelle incliniren, als mich davon abhalten möchte. Ich erkenne aber gar wol, daß weder, was unser 95 nutze oder gemächlichkeit19 und eigen belieben ist, die regel unserer wahl seyn darf, noch allezeit die grösse der gemeinde, gegen eine andere gehalten, die gewisse versicherung der mehrern erbauung gibet. Daher ich billich zu beruhigung meines gewissens mehrere und kantliche- re zeugnüssen des Göttlichen willens über eine änderung nöthig habe. Und

72 mein dienst ] mir dieß: D1. ​73 wenigern ] wenigem: D2+3. ​78 kräftig ] heüfg: D1. ​ 84 verhengen ] versehen: D1. ​85 meinen ] meinem: D1. ​89 vom ] von: D1. ​93 ehe ] ohne: D1. ​96 seyn ] seyen: D1. ​

14 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 15 Zur kurfürstlichen Ungnade, die Spener seit Februar 1689 zu ertragen hatte, s. Brief Nr. 53. 16 Die kritischen Stimmen gegen Spener, v. a. aus der Dresdner, Leipziger und Wittenberger Geistlichkeit (bes. Theologieprofessoren), hatten sich nach dem in Anm. 15 genannten Vorfall lauter erhoben. Der Zusammenhang zwischen der kurfürstlichen Ungnade und dem Widerstand gegen die Aktionen der Pietisten in Leipzig (vgl. auch Brief Nr. 101, Z. 41–81) wurde von Spener auch künftig betont (LBed. 3, 565; 16. 4. 1696). 17 Das Amt des Propstes an der Nicolaikirche in Berlin-Cölln. 18 Spener hatte sich verschiedentlich bemüht, nicht Beichte hören zu müssen (Grünberg 2, 95), bzw. es positiv betont, wenn er von dieser Aufgabe befreit werde (z. B. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 32–36). 19 Im Sinne von „Ruhe“, die man im (eigenen) „Gemach“ genießen kann (vgl. DWB 5, 3142). Nr. 57 an [Franz von Meinders] [21]. 6. 1690 241 solches so vielmehr, weil an solcher gewißheit alles gelegen ist und, wo ich 100 wider Göttlichen willen endlich hie bliebe oder wider denselben weggienge, ich mich alsdann in solchem stande keines Göttlichen segens zu getrösten habe, sondern der HErr mich entweder so bald wegreissen oder doch meine gaben entziehen und also niemand viel nutzen mehr von mir haben würde. Welche betrachtung so wohl von seiten der berufenden, als von welchen ich 105 abgerufen werden solte, und meiner eigenen erfordert, daß auf nichts sorg- fältiger gesehen werde, als woraus wir allerseits in der gantzen sache den Gött- lichen willen gnugsam erkennen möchten. Nun hat zwar GOTT einigen seiner diener so vieles liecht und kraft ver- liehen, daß sie in dergleichen fällen nach hertzlichem gebet und Gottseliger 110 überlegung der sache zu einer gewißheit in ihren hertzen kommen können und gleichsam den innerlichen beruf bey sich selbs fühlen; ich bin aber nicht in abrede, daß mir solche gnade nicht gegeben seye, weswegen ich auch niemahl vor mich zu dergleichen gewißheit habe zu kommen vermocht, sondern es allezeit auf anderer ausspruch in Göttlicher ordnung habe müssen 115 kommen lassen. Daher ich nach bisherigem gebet und erwegung der um- stände auch dieses mahl kaum einigen andern weg zu gehen getraue. Wie dann nun bey meiner änderung von Straßburg nach Franckfurth ich die de- cision schlechter dings dem jenigen, was die beyde städte sich über mich mit einander vereinbahren würden, überlassen20, als aber von Franckfurt hieher 120 berufen wurde, der erkäntnüß solcher stadt rath als meiner Obrigkeit, gleich- wohl mit starcker obtestation, Göttlichen willen wol zu prüfen, übergeben habe, darauf zwar folgte, nachdem sie sich, Göttlichen willen zu determini- ren, nicht getrauten, daß man untereinander auf gewisse Theologos compro- mittirte, dero decisum uns beyderseits obligiren solte21; also würde ich auch 125 dißmahl in dieser ordnung zu bleiben haben. Dahero Ew. Excell. ich nicht wohl vor dißmahl anders zu antworten weiß, als daß ich zu allen zeiten Göttlichem erkanten willen unverlängt folge zu leisten bereit seye. Würde also ferner unterthänigst zu bitten haben, daß zum aller fördersten Seine Churfürstliche Durchlauchtigkeit von Brandenburg 130 oder diejenige, welchen dieselbe das geschäft anzubefehlen beliebten, gnä- digst geruhen wolten, die obige momenta meines jetzigen berufes und zu- standes nochmahl eine zeitlang reifich vor dem HERRN zu erwegen, ob an der zugedachten stelle, als viel menschen vorzusehen vermöchten, mehr als bey meinen gegenwärtigen zustand auszurichten und insgesamt aus den um- 135

103 wegreissen ] weggerissen: D1. 105 berufenden ] berrfenden: D1. 111 ihren ] denen: D1. ​116 bisherigem ] bißherigen: D1. 119 städte ] stätte: D1. 121 der ] die: D3. ​ 121 stadt ] statt: D1. ​121 meiner ] meine: D1. ​124 getrauten ] getraute: D1. ​125 beyderseits ] deyderseits: D1. ​128 Göttlichem ] Göttlichen: D1. ​131 welchen ] welche: D1. ​132 jetzigen ] übrigen: D1. ​135 aus ] – D1. ​

20 Zur Berufung Speners von Straßburg nach Frankfurt s. Wallmann, Spener, 192. 21 S. Anm. 12. 242 Briefe des Jahres 1690

ständen Göttlicher wille als dahin ziehlende anzusehen wäre; solte sich dann die wagschal in der berathschlagung dahin neigen, daß ich aus meinen jetzi- gen beruf annoch nicht abzufordern und also mein bleiben allhier dem rath GOttes gemässer wäre, so würde als denn die gnädigste resolution auf eine 140 andere person, welche der HERR zeigen möchte, gefasset werden und nichts desto weniger Seiner Churfürstlichen Durchlauchtigkeit ich vor dero gnädig- ste intention zeit lebens zu allem unterthänigsten danck, gehorsam und fort- setzung meines gebets verpfichtet bleiben. Ergebe sich aber der schluß dahin, daß man davor hielte, ohne wider GOttes willen zu thun, es zu einer würck- 145 lichen vocation gelangen zu lassen, so würden Seine Churfürstliche Durch- lauchtigkeit zu Brandenburg an Seine Churfürstliche Durchlauchtigkeit zu Sachsen in dessen als meines jetzigen gnädigsten Herrn pfichten ich stehe, ein freundliches schreiben meinet wegen und um meine dimission abgehen zu lassen, nicht bedenckens tragen, mich aber dasselbe mir zu gefertigt unter- 150 thänigst über antworten lassen, und wo als dann nach ohne zweifel darüber gepfogene deliberation der grosse GOTT das hertz meines gnädigsten Herrn hinlencken und den schluß ausfallen lassen würde, ich als den mir dardurch in seiner ordnung geofenbahrten seinen willen auf ein oder andere seite zur regel meiner folge und verhaltens setzen und annehmen und verhofentlich 155 dabey die ruhe eines gewissens fnden. Den grossen GOTT und himmlischen Vater rufe ich schließlich demü- thigst an, der auch dieses gantze werck, so ich nicht geringer wichtigkeit zu seyn erkenne, also regieren und deswegen die hertzen derjenigen, die dazu zu reden oder zu rathen haben, dahin richten wolle, wie ers zu seines nahmens 160 mehrer heiligung, zu seines reichs erweiterung und seines willens vollbrin- gung am dienlichsten erkennet22; also gebe er nun den jenigen, durch welche er mir seinen willen ofenbahren solle, selbs, denselben mit einer versicherung zu erkennen, mir aber auch die gnade, alsdenn mit einer festigkeit auf dem- selben zu beruhen. 165 Wie ich dann nochmahl schließlich von grund der seelen versichern kan, daß es mir um nichts anders in dieser gantzen sache zu thun sey, als wie der wille solcher grossen Herrn von und an mir gewissesten vollbracht werden möge, so auch, geschehen zu werden, zu seiner väterlichen güte das kindliche vertrauen billich trage; dabey auch Ew. Excell. um dieses am allermeisten und 170 angelegensten bitte, nach der gegen mich bißher bezeigten grossen afection solche in diesem werck vielmehr ferner in dem zu erweisen, wie vor meine

141 ich ] – D1. ​146 Seine Churfürstliche] Seiner Churfürstlichen: D1+2. ​149 bedenckens ] bedencken: D2+3. ​149 mich ] ich: D1. ​152 den ] denn: D1. ​158 seyn ] seyen: D1. ​ 163 einer ] eine: D1. ​163 f demselben ] denselben: D1. ​167 grossen ] grössesten: D2+3. ​ 171 meine ] meiner: D1.

22 Zu dieser Aufzählung vgl. die ersten drei Bitten des Vater-unsers (s. Mt 6,9 f). Nr. 57 an [Franz von Meinders] [21]. 6. 1690 243 versicherung des Göttlichen willens als sonsten übrige versorgung sorge ge- tragen werde. Der HERR HERR aber seye auch davor dero grosser lohn23. den 12. Jun[i] 1690.

23 Vgl. Gen 15,1. 244 Briefe des Jahres 1690 58. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, [Frühjahr?]2 1690

Inhalt Betont, daß es sinnvoll sein kann, auf die Anrede mit Titeln zu bestehen, auch wenn er unter Freunden darauf verzichten will. – Stellt fest, daß es sowohl auf dem Land als es auch in der Stadt Äußerliche und rechtschafene Frömmigkeit gibt. – Bestätigt, daß inzwischen an die Stelle des Schimpfwortes „Weigelianer“ der Begrif „Quäker“ getreten sei; kennt deren Glaubensaussagen kaum; beklagt, daß sie bei der Erziehung der Kinder allein auf die Wirkung des Geistes warten und ihren Aufgaben nicht recht nachkommen; weiß nicht, ob die ihnen beigelegten Irrtümer in jedem Fall zutrefen. – Verweist auf seine Schrift „Von Natur und Gnade“, in der weitere Themen ausgeführt werden, die der Adressat in der Predigtsammlung über die Wiedergeburt vermißt hat. – Skizziert, was in der Wiedergeburt geschieht. – Stellt fest, daß die Frage nach der christlichen Vollkommenheit zur Thematik der Erneuerung gehört und nicht zur Wie- dergeburt. – Hat Thomas Bromleys „Weg zum Sabbat“ gelesen, kann seinen Inhalt jedoch nur im ersten Teil befürworten; befürchtet, sich von der Weisung der Heiligen Schrift zu entfernen, wenn er den im zweiten Teil niedergeschriebenen Erfahrungen folgen wolle. – Berichtet vom Gespräch mit einem Mann, der vor Scheinerkenntnissen und ‑erfahrungen warnt, die durch zu intensives Meditieren und Fasten bewirkt werden können. – Bestätigt die Klagen über das Verderben innerhalb der lutherischen Kirche, kann diese deswegen aber doch nicht als Babel bezeichnen. – Kann kein Urteil über die zeitgenössischen Wiedertäufer fällen und hält ihre Lehre (abgesehen von der Taufe) mit der reformierten für konform. – Bespricht das Problem, ob das Gesetz vollkommen eingehalten werden kann, anhand einer Frage zu einer Aussage in einem Katechismus. – Die Prophezeiungen [Johannes] Lichtenbergers. – Äußert sich zu den Propheten [Johannes] Kotter, [Johannes] Kregel und Hermann von der Hude. – Lobt die Übersetzung des Psalters durch Adam Reißner und betont, daß bei aller Bedeutung der Bibelübersetzung Luthers diese verbessert werden kann. – Beantwortet zwei weitere Briefe des Adressaten und erläutert seine Vorgehensweise bei seinen „Katechismuspredigten“. – Bespricht eine Formulierung über das Blut Christi. – Beantwortet eine Frage nach der Gütergemeinschaft der ersten Kirche. – Stellt fest, daß die Jesuiten ebenso wie andere römische Katholiken sich auf die Lehrmeinung der Kirche bzw. des Klerus beziehen, wenn ihre Ansicht mit Worten der Heiligen Schrift widerlegt wird; hält dies für ein Kennzeichen des Antichristentums.

1 Ein Geistlicher (Z. 34, 325), vermutlich in einer Kleinstadt oder auf dem Land (vgl. Z. 34– 45), zu heterodoxen Lehren neigend (vgl. Z. 248 f u. ö.). Die Kenntnis von Th. Bromley könnte auf einen Kontakt zu philadelphischen Kreisen schließen lassen (Z. 188), evt. auch zu Johann Georg Gichtel und Friedrich Breckling; der Adressat lebt wohl nicht in der unmittelbaren Nähe von Leipzig (Z. 348–351). 2 Zur Eingrenzung der Datierung ist zu sagen: Spener beantwortet einen Brief vom 15. 11. (Z. 1), dem einige vom gleichen Absender gefolgt waren (Z. 376). Im März 1689 hatte er Anna Elisabeth Kißner gebeten, ihm die Psalmenausgabe Adam Reißners zu besorgen (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 66 f), die er inzwischen gelesen oder eingesehen haben konnte (Z. 361 f), weil kurz vor dem 23. 1. 1690 ihm ein Exemplar von Frau Kißner zugeschickt worden war (s. Brief Nr. 11, Z. 103 f). In einem der folgenden Briefe des Adressaten fndet sich ein Bezug auf Speners „Katechismuspredigten“ (s. Z. 376 f mit Anm. 74), die spätestens im September 1689 erschienen waren (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 127–129). Wenn man davon ausgeht, daß Spener die Briefe in der Reihenfolge ihres Eingangs beantwortete, ist der erste Brief am 15. 11. 1688 geschrieben worden, der nächste im Herbst 1689 (nach Erscheinen der Katechismuspredigten) und – vielleicht – danach noch ein dritter. Es ist daher zu vermuten, daß der vorliegende Brief im Frühjahr 1690 geschrieben wurde. Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 245 Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 302–313.

Was das erste schreiben anlangt vom 15. Nov.3 so versichere denselben, daß mir die briefe ohne einige gewöhnliche titular von guten freunden so hertz- lich angenehm sind, als mir die operose4 gehäufte titul wehe thun, und ich an denselben oft ein nicht geringes stück der welt eitelkeit mit betrübnüß ansehe. Doch wolte ich nicht gern, daß derselbe in die jenige gedancken ver- 5 fele, ob wären die, insgemein zu jeder zeit diesen oder jenen personen und ständen gegeben zu werden, gewöhnliche titul, wo sie sonsten noch in der mediocrität5 bleiben, an sich selbs sündlich und ungerecht: da sich doch der theure und aus dem Heil. Geist redende Paulus nicht entblödet, den weltli- chen und damals wie aus Ap. Gesch. 23,26; 24,36 zusehen, gegen staats-leute 10 gebräuchlichen titul κράτιστος7 gegen Festum8 zugebrauchen, Ap. Gesch. 26,259. Wie Lucas auch dergleichen gegen Theophilum thut, Luc. 1,310. Aus welcher ursach ich mir kein gewissen mache, zu dieser zeit jedem nach dem jenigen stand, darinnen er lebet, den titul beyzulegen, welcher ihm nach unsern sitten pfeget beygeleget zu werden, ob er auch, was den verstand 15 desselben anlangt, ihm in der wahrheit nicht zukommet: wie denn der nahme κράτιστος in dem rigor11 keinem menschen zukäme und Festus auch die bedeutung dessen nicht behaupten hätte können. Ich sehe aber solche titul an, daß sie nach dem gemeinen gebrauch gelten, wie die müntz zu jeder zeit, höher oder weniger, nach jeder zeit lauf. Der ort Joh. 5,4412 kan auch gegen 20 die titul selbs nicht anders geführet werden, als so fern jemand eigentlich ehre darinnen suchet oder sich damit kitzelt, so freylich wie in andern stücken, also auch in den tituln sündlich ist. Daher halte ich die titul als mittelding13, deren gebrauch gut, der mißbrauch aber, wie bey allen andern dingen, sträfich ist. Indessen wünschte ich, nach dem ich nicht zweife, daß aufs wenigst aus 25 hochmuth und eitelkeit die titul so weit gestiegen, als sie jetzt im schwang sind (so nicht ohne sünde derer, welche solches verursachet, geschehen ist),

10 zusehen ] – D1+2. ​

3 Nach Anm. 2 ist wohl der 15. 11. 1689 gemeint. Der Brief ist nicht überliefert. 4 Mit großer Mühe. 5 Mittelmäßigkeit. 6 Apg 23,26; 24,3. 7 Der Beste, der Tüchtigste, der Edelste (Bezeichnung von Zeus als dem höchsten Gott). 8 Festus, römischer Statthalter in Caesarea. 9 Apg 26,25. 10 Lk 1,3. 11 Härte; hier: im strengen Sinn (des Wortes). 12 Joh 5,44 (Luther 1545: „Wie könnet jr gleuben / die jr ehre von einander nemet? Vnd die Ehre / die von Gott alleine ist / süchet jr nicht.“). 13 Adiaphorum; Adiaphora sind diejenigen Dinge und Handlungen in der Ethik, die per se weder gut noch böse sind. 246 Briefe des Jahres 1690

daß es lieber auf die alte einfalt käme, entweder ohne titul oder mit wenigerm apparat derselben, einander zu begegnen: weswegen mirs auch von guten 30 freunden, die es also mit mir halten, nicht mißfället, und ich mich auch gern wiederum darnach bequeme, sonderlich in den briefen selbs, die keine der- gleichen augen einzusehen bekommen, so entweder zu spotten oder sonsten sich dran zu ärgern ursach nehmen. Was er ferner meldet, daß er in der wahl der gemeinde, da er jetzt stehet 35 und er sich zu derselben als einfältigen leuten vor andern das beste versehen habe, so fern sich betrogen und bey ihnen mehr unwissenheit und eitele ein- bildung über das eusserliche kirchengehen als rechtschafene frömmigkeit gefunden, ist mir leid, aber nicht frembde. Wir werden einmahl die welt an allen orten verdorben und in dem argen ligend14 fnden: also daß oft bey der 40 thumheit dannoch in ihrem grad die boßheit nicht geringer seye als bey an- dern verständigern, ob sie wohl bey diesen oft mehr in die augen fället, da sie dorten unter dem deckel der einfalt fast mehr verborgen ligt und nicht, wie sie ist, bald anfangs angesehen wird. Daher es dahin stehet, da in grossen städten grosse sünden gemeiniglich ofenbahr im schwang gehen, ob nicht oft 45 kleine dörfer nach ihrer proportion nicht weniger böses haben. Aufs wenig- ste wird sichs gemeiniglich zeigen, daß unter der starcken zahl in städten, da zwahr das meiste gantz verrucht ist, doch immer noch einige gute seelen sich hinwieder fnden, an denen etwas gutes auszurichten: da besorglich in dör­ fern zuweilen kaum etwas rechtschafen gutes in einer gantzen gemeinde sich 50 antrefen läßt. Welches mich unterschiedlich auf die gedancken gebracht, daß vermuthlich die liebe Apostel sich fast insgemein allein in grossen städten aufgehalten, nicht aber lang jemals auf dem lande geblieben sind, eben deß- wegen, weil sie wol jenen acker zur verlangten fruchtbarkeit bequemer ge- funden. Jedoch insgesamt lässet sich nichts versichert darinnen schliessen, 55 sondern mag wohl GOtt nach seinem freyen rath, bald da, bald dort mehr ausgerichtet werden lassen: uns gebühret mit aller treue jeder an dem ihm anbefohlenen ort zu pfantzen und zu begiessen15 und, was das maaß der er- wartenden frucht, dem HErrn in demuth und hofnung zu überlassen. Was auch von den säemännern gemeldet wird, daß oft dero schuld dabey seye, daß 60 die saat wenig gerathet, gestehe und beklage ebenfalls: obwohl hinwieder aus göttlichem wort erweißlich seyn wird, daß gleichwohl an ihnen nicht allemal die schuld seye, sondern auch diejenige, so alle treue anzuwenden sich be- feissen, mit betrübnüß die wenigkeit der frucht zuweilen bejammern müs- sen16.

55 mag wohl GOtt ] Gott mag wol: D2+3. ​

14 Vgl. 1Joh 5,19. 15 Vgl. 1Kor 3,6. 16 Der Vergleich mit dem Säemann und seiner Arbeit (s. Mk 4,14) ist ein gängiges Bild für die christliche Predigt. Die Kritik an der Schuldhaftigkeit der Prediger für die geringe Frucht der christlichen Verkündigung fndet sich deutlich bei radikalen Kirchenkritikern (z. B. Elias Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 247

Daß an statt des alten Weigelianer=tituls nunmehr der Quacker=titul auf- 65 gekommen und fast das gemeine praedicat derjenigen werden wolle, so sich der gottseligkeit mit ernst befeissen17 und dieselbe nicht in dem eusserlichen allein, sondern in dem innerlichen suchen wollen, auch von den göttlichen wirckungen in der seelen etwas wissen, ist schon eine gute weil, aber unsrer religion eine schlechte ehre, als hielte man dieselbe selbs vor so gar ent- 70 frembdet von aller göttlichen innerlichen wirckung, daß, so bald sich etwas dessen zeige oder davon gehöret werde, solches nicht mehr vor gut Lutherisch gehalten werden dörfe. Hingegen wo sich die Quacker, etwas zu rühmen zimlichen schein haben, so möchten sie dieses argument gegen uns gebrau- chen. Ihre religion aber selbs anlangende, bin ich nicht in abrede, daß ich 75 Barclayji18 Confession19 und Apologie20, darinnen wohl die gründlichste nachricht davon zu fnden, nicht gantz oder nur meistentheils gelesen habe: was ich aber gesehen, so dann auch von andern nicht eben paßionirten gemü- thern ihrentwegen gehöret, ist so bewandt, daß ich nicht sagen kan, daß keine göttliche wahrheiten in ihrer lehr seyen, wie aber auch vielleicht von 80 keiner sect dergleichen gesagt werden kan, aber hingegen sind der dinge auch viel, so ich mit der göttlichen wahrheit der schrift nicht vergleichen kan. So weiß ich auch durch verschiedene, so nach afecten zu urtheilen nicht ge- wohnt gewesen, daß die leute selbs fast noch sich nicht recht in ihrer kirche formiret haben oder in festigkeit stehen, daher auch nicht geringer unter- 85 scheid unter ihnen sich fnde. Wie ich auch weiß, daß der berühmte Hel- mont21, so sich doch zu ihnen verfüget, über unterschiedliches geklagt und

Praetorius [= Christian Hoburg], Spiegel Der Misbräuche beym Predig=Ampt​ im heutigen Christenthumb, 1644, S. 4). 17 Spener hatte in den Pia Desideria geklagt, diejenigen, die sich um die praktische Frömmig- keit kümmerten, würden als Weigelianer beschimpft (Spener, Pia Desideria, 1676, S. 17 f [PD 18,24–19,19]). Darauf, daß die Frommen inzwischen „Quäker“ genannt werden, verweist er z. B. in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 82, Z. 183–186. 18 Robert Barclay (23. 12. 1648–3. 10. 1690), Quäkerführer; geb. in Gordonstown (Schott- land), nach dem Studium der calvinistischen Theologie 1667 Konversion zu den Quäkern; er unternahm ausgedehnte Reisen (1676/77 Deutschlandbesuch, u. a. bei den Saalhofpietisten in Frankfurt a. M. und bei der Herforder Äbtissin Elisabeth von der Pfalz) und war literarisch tätig (.D. E Trueblood, Robert Barclay, New York und London 1968; S. Juterczenka, Über Gott und die Welt. Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische Quäkermission in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2008, pass.; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 64 Anm. 26). – Zu den Quäkern s. Brief Nr. 9 Anm. 18. 19 R. Barclay, A Catechism and Confession of Faith, o. O. u. J. 1673 (lat.: Catechimus et confessio fdei, Rotterdam: van Wijnbrugge 1676; dt.: Catechismus und Glaubens Bekäntnis, Amsterdam: J. Claus 1679). 20 R. Barclay, Theologiae vere Christianae apologia, Amsterdam: J. Claus 1676 (dt.: Eine Apo- logie Oder Vertheidigungs=​Schrift / Der Recht=​Christlichen Gotts=​Gelehrtheit, o. O. 1684). 21 Franciscus Mercurius van Helmont (get. 20. 10. 1614–1699), niederländischer Theosoph und Universalgelehrter; geb. in Vilvoorde (bei Brüssel), mit Hilfe des vom Vater geerbten Vermögens als Privatmann lebend, Kontakte zu Christian Knorr von Rosenroth und Gottfried Wilhelm Leib- niz, seit 1677 Quäker (BBKL 25, 586–597; A. P. Coudert, Judaizing in the Seventeenth Century. Francis Mercury van Helmont and Johann Peter Späth [Moses Germanus], in: M. Mulsow [Hg.], Secret Conversions to Judaism in Early Modern Europe, Leiden 2004, 71–121). 248 Briefe des Jahres 1690

andere anstalten vor nöthig geachtet: sonderlich ihnen gezeiget haben solle, wie sie, da sie die jugend auf menschliche art nicht lehren, sondern allein des 90 geistes wirckung zur lehr überlassen wollen, aus derselben anstatt von GOtt gelehrter Christen bloß unwissende und rohe leute aufgezogen hätten. Ob aber alles, was ihnen von andern, so wider sie geschrieben, beygeleget und zugemessen wird, wahr seye, traue ich nicht zu übernehmen oder zu be- haupten: und wie ich insgesamt nicht gern an das richten komme, so kan auch 95 so viel weniger über dero gesamte lehr, da sie mir in ihrem völligen systema- te nicht bekant, urtheilen, sondern überlasse sie ihrem richter. Daß mein tractat oder predigten von der wiedergebuhrt (die in den 2. theil der buß-predigten eingerücket)22 nicht unangenehm gewesen, ist mir lieb, und dancke GOtt vor seine gnade, die auch einige andere darinnen erkant 100 haben. Was diejenige dinge, welche noch darinnen desideriret23 werden, und ich von jeglichem hertzlich gern seine erinnerungen annehme, anlangt, so sind die kennzeichen, so sich in diesen predigten, wo ich mich fast immer von meinem texte muste führen lassen, wie der mich leitete, nicht mit mehrerem ausgeführet fnden (wiewol ich davor halte, daß sie alle kürtzer werden doch 105 berühret seyn), zimlichen theils in einem andern tractätlein, von Natur und Gnade24, abgehandelt. Den scrupul aber wegen der vollkommenheit betrefend, so habe mich über dieselbe materie vor einem jahr in einer vorrede über ein tractätlein, genannt Dialogus de templo Salomonis, erklähret25. Ich halte aber davor, es gehöre die 110 materie der vollkommenheit nicht in den articul der wiedergebuhrt, sondern der erneuerung26. Wo wir die wiedergebuhrt recht eigentlich ansehen, besteht sie in diesen 3 stücken: in der entzündung des glaubens, rechtfertigung samt der annehmung an kindes stat, und schafung des neuen menschen27. Diese also, wie und weil sie auf einmahl geschihet, hat in gewisser maaß28 ihre voll- 115 kommenheit, wie die metaphysici von einer perfectione transcendentali29 reden, so nicht viel anders ist als die wahrheit einer sache. So ist die entzün- dung des glaubens vollkommen, dann obwohl der glaube, der damals ent- zündet wird, hernach noch viel wachsen muß, so ist er doch auch gleich in

22 Ph.J. Spener, Ander Theil Christlicher Buß=Predig​ ten / […]; sodann acht Predigten / Von dem vornehmen Articul von der Wider=​Geburt und dero Kennzeichen, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1686, S. 368–492. 23 Erwünscht, vermißt. 24 Spener, Natur und Gnade. – Was der Adressat vermißt hat, läßt sich nicht mehr feststellen, weil sein Brief nicht überliefert ist. 25 Köpke, Dialogus (s. Brief Nr. 22 Anm. 7). 26 S. die Predigt Nr. 63 „Wachsthum des guten in der erneuerung“, in: Ph.J. Spener, Der hochwichtige Articul Von der Wiedergeburt. In sechs und sechzig Wochen=Predig​ ten […] vor- getragen, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1696 (21715), S. [1011–1025], 1021. 27 Vgl. dazu die Predigten 11–14 in: Spener, Der hochwichtige Articul [wie Anm. 26], S. 157–223. 28 Die Maß (DWB 12, 1727). 29 Die wesentliche Vollkommenheit, d. h. die Zusammenstimmung der innerlichen Be- stimmungen einer Sache. Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 249 dem ersten augenblick so fern vollkommen, daß er alles dasjenige an sich hat, was eigentlich zu der wahrheit des glaubens gehöret: die rechtfertigung und 120 annehmung an kindes statt ist ohne das an sich selbs allezeit vollkommen, dann weil jene bestehet in der zurechnung der gerechtigkeit JEsu Christi, die nie anders als gantz zugerechnet werden kan30, diese aber auch keine grade hat, sondern, wer zum kind angenommen ist, nicht anders als vollkommen ein kind seyn kan, ob wol in ein und andern früchten der kindschaft etwas 125 unvollkommenes sich fnden mag, so fndet sich nothwendig allezeit hierin- nen eine vollkommenheit. Also in dem augenblick, als der neue mensch oder die neue art in uns geschafen oder gebohren wird, ist solcher in jenem ersten verstand allezeit in sich vollkommen, gleich wie so bald in mutterleib seel und leib beysammen sind, solche frucht in solchem gebrauch des worts voll- 130 kommen ist, ob schon an der formirung, wachsthum und anderen dergleichen noch allzu viel manglet. So fern ist dann die wiedergebuhrt vollkommen, und kan in solchem verstand kein streit darüber seyn. Wann aber, ob man hier in diesem leben vollkommen seyn könne oder nicht, disputiret wird, gehet solches nicht eigentlich die wiedergebuhrt, 135 sondern erneuerung (so von der ersten unterschieden, fast wie die erhaltung von der schöpfung) an, und redet man von einer solchen vollkommenheit, dero eine andere unvollkommenheit entgegen gesetzet wird, und man aus dieser in jene wachsen muß. Da bekenne ich, daß ich mit Paulo, Phil. 3,12.1531, die vollkommenheit, müglich und nicht unmüglich zu seyn, glaube: 140 jenes, was anlangt die vollkommenheit in gegensatz gegen andere, dieses, wo sie bloß dahin32 genommen wird. Deutlicher zu reden: ich glaube, daß unter Christen vollkommene seyen, welche nach art zu reden der schrift, Hebr. 5,13.1433, und sonsten den kindern in Christo entgegen gesetzet werden und diejenige sind, so in ihrem Christenthum nach allen dessen stücken weit ge- 145 kommen sind, ob sie wol nichts destoweniger stets ferner zu wachsen noth haben: Hingegen glaube ich nicht, daß hier in dem feisch noch solche voll- kommene seyen, die absolute also genennet werden könten: welche diejenige seyn würden, bey welchen keine sündliche verderbnüß oder das feisch nicht mehr wäre, noch einige regungen mehr hätte, auch da das gute in ihnen nicht 150 mehr weiter noch wachsen könte: dann so lang das feisch sich noch fndet,

130 des ] der: D3. ​144 13.14 ] – D1. ​

30 Vgl. Apol. IV (BSLK 219, 184.186). 31 Phil 3,12 (Luther 1545: „NJcht das ichs schon ergrifen habe / oder schon volkomen sey / Jch jage jm aber nach / ob ichs auch ergreifen möchte / nach dem ich von Christo Jhesu ergrifen bin“); Phil 3,15 (Luther 1545: „Wie viel nu vnser volkomen sind / die lasset vns also gesinnet sein / Vnd solt jr sonst etwas halten / das lasset euch Gott ofenbaren“). 32 Im Sinne von „relativ“ o.ä. – kein Nachweis im DWB! Vgl. aber „bloß hin“ im Sinne von „mäßig“ (DWB 2, 150). 33 Hebr 5,13 f (Luther 1545: „Denn wem man noch milch geben mus / der ist vnerfaren in dem wort der Gerechtigkeit / denn er ist ein junges Kind. Den volkomen aber gehört starcke Speise / die durch gewonheit haben geübete sinnen / zum vnterscheid des guten vnd des bösen.“). 250 Briefe des Jahres 1690

an dessen reinigung man zu arbeiten hat, und so lange man sich bestreben muß, völliger zu werden, so ist noch die völlige vollkommenheit nicht vor- handen. Daß aber alle Christen, so lang sie in dem feisch sind, das feisch, mit 155 dem sie kämpfen müssen, an sich tragen und also sünde haben, bekenne ich, daß mirs aus den sprüchen der schrift und den exempeln der Aposteln (sihe 1. Joh. 1,834) gantz unwidersprechlich sey. Und bin ich nicht in abrede, was mir vor reden vorkommen möchten derjenigen, die sich, die sache weiter gebracht zu haben, rühmeten, würde ich eher sagen, daß sie sich selbs nicht 160 gnugsam kennen, als daß ich des Heil. Geistes wort ihrentwegen in zweifel ziehen solte. Indessen schwäche ich den feiß des guten nicht, sondern schär­ fe ihn vielmehr damit, daß man stets zu wachsen sich befeissen müsse und dannoch immer dem vorgesteckten ziel nachjage35, dem man näher kommen, obwol hie noch nicht völlig erreichen möge. So bleibe ich auch gern bey dem 165 gleichnüß des noch nicht an das liecht gebohrnen kindes, so zwahr auch immer mehr zu der vollkommenheit wächset, weil Matth. 19,2836 noch einer wiedergebuhrt meldung geschihet, die uns an jenes liecht erst gebiehret. Wo wir nun diese lehr behalten, bleibt doch alles wahr, was die schrift sagt, dann so wachsen die glaubige zu einem vollkommenen mann, der da seye in der 170 maaß37 des vollkommenen alters CHRISTI, Ephes. 4,1338, welches ein Christlicher lehrer nicht uneben erklähret, „zu welchem Christus seine glaubige in diesem leben bringet“39. Uber welche vollkommenheit aber noch dorten eine höhere vollkommenheit zu erwarten ist. Also bleiben auch Pauli wort Rom. 740 in ihrem rechten verstand stehen und nicht weniger, was auch 175 anderwertlich gerühmet wird von dem ablegen und aufhören des sündlichen leibes. Da das καταργεῖν41, Rom. 6,642, gar schön erklährt wird, daß es nichts anders seye, als daß man der sünde nicht mehr diene, nicht aber, daß die sünde solchen dienst nicht mehr afectirte43. Wie ich pfege das gleichnüß gern zugebrauchen von einem mörder, der an das creutz angenagelt ist, und

166 28 ] – D1. ​170 Ephes. 4,3 ] – D1. ​176 6 ] – D1. ​

34 1Joh 1,8 (Luther 1545: „So wir sagen / Wir haben keine sünde / So verfüren wir vns selbs / vnd die warheit ist nicht in vns.“). 35 Phil 3,12 (s. Anm. 31). 36 Mt 19,28 (Luther 1545: „Jhesus aber sprach zu jnen / Warlich ich sage euch / Das jr die jr mir seid nachgefolget / in der Widergeburt / da des menschen Son wird sitzen auf dem stuel seiner Herrligkeit / werdet jr auch sitzen auf zwelf Stuelen / vnd richten die zwelf geschlechte Jsrael.“). 37 Die Maß (wie Anm. 28). 38 Eph 4,13. 39 Nicht ermittelt. – Eine ähnliche Aussage fndet sich in: Arndt, WChr, 1. Buch, Kap. 41, § 1. 40 Röm 7. 41 Vernichten, aufhören. 42 Röm 6,6 (Luther 1545: „Die weil wir wissen / Das vnser alter Mensch sampt jm gecreutziget ist / Auf das der sündliche Leib aufhöre / das wir hinfurt der sunde nicht dienen.“). 43 Ergreifen, erstreben. Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 251 zwahr noch in dem hertzen den grimm behält, auch mit minen, ausspeyen 180 und anderm denselben ausübet, aber nicht weiter würcklich schaden kan: das ist als dann eine κατάργησις44, und doch lebt der mörder noch. Also haben wir Gott zu dancken, wo wir den mörder in uns dermassen ans creutz ge- bracht haben, ob wir wol noch auch immer weiter arbeiten wollen, wie weit wir noch auch die geringere außübungen seiner boßheit mögen hindern, als 185 die wir auch nicht mit willen leiden. Diese meine lehr zweife ich nicht, göttlichem wort gemäß zu seyn und weder einerseits einige geistliche hofart zu hegen, noch anderseits den feiß des göttlichen wachsthums zu hemmen, welches die beyde stücke sind, welche ich am sorgfältigsten zu verhüten nö- thig achte. Der HERR gebe uns aber vielmehr den heiligen trieb, stäts zu 190 wachsen und einen demselben gemässen feiß, als daß wir uns viel darum allein bemühen auszumachen, wie weit es zu bringen müglich seye. Aufs wenigste ist gewiß, wir werdens weiter bringen, als die meiste müglich zu seyn glauben, und wollen doch GOTT die ehre geben, wo wir solchen grad errei- chet, es seye doch noch nicht die rechte vollkommenheit, sondern seine 195 heiligkeit fnde an uns, noch zu strafen. So bleibet demuth und eifer des guten beysammen. Was des T. B.45 weg zum sabbath46 anlanget, vor dessen communication freundlichen danck sage, habe ich bereits ein exemplar vorhin gehabt und vor einiger zeit zu lesen angefangen; die erste dinge begreif ich wohl, wie mir 200 auch andere Christliche hertzen gleiches bekant, wo er aber weiter gehet, muß ich gleichfals mit diesen zuruck treten, dann ich nicht allein nicht ver- stehe, was er will, sondern, auch die praxin nur zu versuchen, mich nicht resolviren könte, damit ich nicht, von der einfalt göttlichen worts abgeführet, auf gefährliche steige gerathen möchte. Wie dieses meine stäte sorge ist, 205 niemal von der schrift abzugehen oder einige wege zu versuchen, dazu mir dieselbe nicht deutlich vorgehet, ob auch solche wege sehr scheinbar47 wären: in dem ich weiß, daß in dergleichen viele gefahr, versuchung GOttes und

181 anderm ] andern: D3. ​

44 Vernichtung, Abschafung, außer Wirksamkeit Setzen. 45 Thomas Bromley (1. 2. 1629–13. 4. 1691), englischer Mystiker; geb. in Worcester, nach dem Theologiestudium in Oxford Fellow an dem dortigen All Souls College, 1660 wegen mystischer und apokalyptischer Sonderlehren entlassen, 1670 Mitbegründer der Philadelphischen Gesellschaft mit Jane Leade und John Pordage (RE3 3, 417 f; BBKL 1, 756; Reitz, Historie, Bd. 3, S. 90–126). 46 Th. Bromley, Der Weg Zum Sabbath Der Ruhe / Durch der Seelen Fortgang Im Werck der Wiedergeburt / oder Kurtze und gründliche Unterrichtung von der Neuen Geburt […] Durch einen Liebhaber der Warheit Und Gliedmaß an der wahren Kirche. T. B. Zu erst in Englischer Sprache gedruckt im Jahr 1655. Nun ins Deutsche übersetzt / und an Tag gegeben / im Jahr 1685, Amsterdam: Witwe von C. Cunradus, Wesel: Luppius 1685. – Das Buch erlebte zahlreiche weitere Aufagen im Deutschen, z. B. Ofenbach: Bonaventura de Launoy 1702 (s. H.-J. Schrader, Li- teraturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus, Palaestra, Bd. 283, 153); Amsterdam 1709; Büdingen 1723 (McKenzie, S. 99 f Nr. 404–412). 47 Einleuchtend (DWB 14, 2436). 252 Briefe des Jahres 1690

aberglauben, ja auch der versucher, der satan, sich einmischen kan, vor wel- 210 cher gefahr ich mich billich hüte und eben deswegen so genau bey der schrift und dero einfalt bleibe. Ob ich also, was ein und andere von ihrer erfahrung selbs bezeugen, nicht beurtheile, als der ich wohl weiß, daß GOtt eine freye hand habe, mit jedem umzugehen und ihn zuführen, wie es ihm gefällig ist, so traue ich doch nicht denselben zu folgen, sondern müßte dazu erst von 215 GOTT selbs eine andere überzeugung seines willens haben, da ich jetzt am sichersten bin, mich an die einfalt seines worts zu halten, welches mir keine solche gefahr bringen kan, ja, ich auch, dazu berufen zu seyn, gewiß bin: wo ich auch guten freunden rathen solle, gehe ich nicht weiter, ob wohl nachmahl billich dem HErrn seine freye hand lasse, wie er mit andern umgehen wolle. 220 Ich habe auch kürtzlich mit einem sehr Christlichen und gottseligen, auch sonsten hauptverständigem mann48 geredet, der mich auch in solcher mei- nung bekräftigte, mit anzeige, wie so leicht, wo man dergleichen wege, die hie gewiesen werden, eingehe, allerley illusiones erfolgen können. Wie er dann sagt, auch sich auf seine eigne erfahrung beruft, daß nach langer angst 225 und versuchung der seelen und, wo sie auch starck mit meditiren angegrifen, so dann dem leib mit fasten zugesetzet worden, natürlicher weise geschehen könne, daß der mensch nicht anders meine, als in lauter liecht und feuer zu seyn, mit gröster freude, so auch eine weil währe: wo dann ein mensch solches vor ein göttliches übernatürliches liecht annehme und wolle immer weiter 230 forttringen, seye er auf dem wege, darauf er unwissend sich und andere be- triegen könne, alles vor göttliche würckungen und ofenbahrungen zu halten, was doch in der that natürlich ist: wie er auch in den gedancken ist, daß Jacob Böhmen49 und andern diese sach zum anstoß gediehen, daß sie, was sie in solchem stande erkant, vor lauter göttliche ofenbahrungen gehalten. Nach 235 dem er aber an sich selbs diese würckung der natur recht eingesehen, so ihm auch seither mehrmahl begegnet, habe er weiter fortzusetzen nicht getrauet, um sich nicht selbs in gefahr dergleichen selbs betrugs zu geben. Also zeigte er, wie weit ihm alles in dem autore leicht seye, biß es zu dieser ofenbahrung oder öfnung des liechts komme: nach demselben aber, weil er nicht fortgehen 240 wollen, seye ihm das übrige nicht bekant, ohne daß er leicht sehe, wie noth- wendig eines aus dem andern folgen müsse, und zwahr durch eine natürliche nothwendigkeit. Habe solches freundlich auch communiciren wollen, so vielleicht zu einiger nachricht dienen mag. Der HErr aber zeige uns selbs in allen stücken mit einer versicherung seinen willen an uns, weder seinem zug 245 in einigem zu widerstehen, noch hingegen uns selbs in gefahr des irrens zu begeben. Das büchlein aber will ich gern mit gelegenheit wieder zurücke senden.

48 Nicht ermittelt. 49 Jakob Böhme, mystischer Spiritualist, Schuhmacher und Schriftsteller (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 253

Die klagen über die verderbnüß auch in unserer kirchen erkenne ich, leider nur allzu wahr zu seyn, in dessen ist deßwegen nicht das „Babel“50.Wie ich meine, solche materie in dem tractätlein von der klagen über das verdorbne 250 Christenthum mißbrauch und rechtem gebrauch51 dermassen einfältig, aber gründlich ausgeführet zu haben, daß Christliche hertzen damit zufrieden seyn können. Zwahr, wo man Babel nach der deutung des blossen worts vor alles dasjenige nehmen will, was eine verwirrung in sich hat, so ist nicht zu leug- nen, daß wir52 auch so fern Babel heissen müssten, und hierauf mögen eini- 255 ge Christliche leute gesehen haben, wo sie solchen nahmen auch unser ver- derbnüß zu weilen geben: aber ich halte davor, daß wir, was Babel eigenlich heisse, nicht aus der etymologie allein, sondern aus dem jenigen hernehmen müssen, wie der heilige Geist selbs, sonderlich in der ofenbahrung und den Propheten, auf welche jene zielet, das Babel beschreibet. Wo sichs aber er- 260 geben wird, daß Babel ein einiges geistliches reich und besonderer, auch solcher feind der rechtschafenen kirchen seye, der ofentlich wider dieselbe streitet und in dessen hände sie eigenlich lange gegeben wird: neben solchem Babel aber hat die kirche auch noch viel andere widersacher, da einer auf diese, der andere auf eine andere art die kirche plaget, ja, sie kan in sich selbs, 265 was dero eusserliche gemeinschaft anlangt, feinde haben, die deswegen nicht Babel werden. Daher, ich betrachte die sach nach dem grund der schrift, wie ich will, das rechte Babel nichts anders seyn kan als das geistliche Römische oder Päpstische reich, ob wohl die wahre kirche von noch mehr andern ein- heimischen und auswertigen feinden einiges leiden ausstehen muß. Doch ist 270 dieses wol wahr, daß die jenige, so in unserer eusserlichen gemeinde nicht rechtschafen sind, vieles, so nach Babel schmecket und aus desselben bösen exempel herkommet, an sich haben, die deswegen das corpus nicht zu Babel machen, so wenig alles jetzt zum Französischen reich wird, was auch unter dessen seinen feinden Französische maximen und laster an sich genommen 275 hat. Also bleibt bey mir dieses unwidersprechlich, daß nichts zu dem eigenli- chen von dem heiligen Geist intendirten Babel gehören kan, was ofentliche feindschaft mit demselben heget. Man möchte aber sagen, was dran lige, wo man einige verderbnüß unsrer kirchen erkennen müsste, ob man sie dann auch Babel nennte: Hingegen meine ich, daß freylich viel dran lige und uns, 280 die redens=​art des heiligen Geistes weiter auszudehnen, nicht frey stehe: denn was von dem auch eusserlichen ausgang aus dem gantzen Babel den gläubigen befohlen wird, können wir nicht ziehen auf unsere kirche, ob sie wohl ver- derben an sich hat, so aber seyn müßte, wo dieselbe so wohl als das Papistische reich das eigentliche Babel wäre. Welches ich feißig zu beobachten bitte. 285 Unsere heutige Wiedertäufer anlangende, ist so viel schwehrer von ihnen zu urtheilen, nach dem ihre lehr von allen glaubens=puncten​ nicht so genau

50 Biblisches Bild für die antichristliche Macht (vgl. Apk 17,5). 51 Spener, Der Klagen Mißbrauch. 52 D. h. die lutherische Kirche. 254 Briefe des Jahres 1690

bekannt, als etwa zu einem gründlichen urtheil nöthig, und sie hingegen die vor 150 und mehr jahren in Teutschland durch allerley ungereimte dinge und 290 auch aufruhr bekannt gewordene wiedertäufer53 vor die ihrige nicht er- kennen wollen. So viel ich von ihrer confession gesehen, so wird ihre lehr von den sacramenten (außgesetzt der punct von der kinder=tauf)​ von der Refor- mirten wenig unterscheids haben: von der rechtfertigung begreife ich ihren sinn nicht recht. Ich habe gehöret, als wann in Holland ihre gemeinden mehr 295 und mehr mit dem Socinismo54 eingenommen würden, welches hertzlich zu bedauren wäre. Was im übrigen ihr leben anlangt, beschämen sie uns aller- dings und können den jenigen wohl vorgehalten werden, die sich immer auf die menschliche schwachheit berufen und damit bloß ihr weltförmiges leben allezeit entschuldigen wollen, in dem sie dergleichen ein leben, so sie vor 300 unmüglich halten, an den jenigen müglich sehen, bey denen sie dannoch irrthum strafen und also ihre eigne Religion vor unkräftiger halten müssen, wo sie das jenige nicht bey ihnen zu wege bringen kan, was jene bey ihrer Religion, ihnen müglich zu seyn, selbs in der that weisen. Ach, daß der HErr allen seine wahrheit lebendig zu erkennen gebe, daß so wohl die jenige, so an 305 dem buchstaben noch irren, zu der rechten erkäntnüß kommen, als auch, die diese haben, die kraft desselben in der seele erlangen mögen. Ich komme nun auf den angedeuteten Catechismum55, da ich gewünscht hätte, daß er, ohne dieselbe frage noch mehr zu lesen, die zeit und gedult genommen hätte, in dem er gewiß vieles, so ihn auch vergnüget, gefunden 310 haben solte. Die frage aber selbs anlangend, ist sie auch nicht unrecht, dann ich selbs nicht anders reden oder sagen kan, als daß wir „das gesetze voll- kommlich zu halten nicht vermögen“, ob ich wohl gern nachmal mit meh- rerem erklähre, wie wir gleichwol etlicher massen dasselbe in göttlicher kraft halten können, so hie nicht dermassen ausgetruckt ist: indessen wirds etlicher 315 massen damit angedeutet, wann hie sich darauf berufen wird, daß „das gesetz geistlich“ seye und also, wie aus Rom. 756 zu sehen, das innerste des menschen also haben will, daß auch keine solche böse lust, wie Paulus ohne das gesetz vor sünde nicht erkant hatte57, bey uns seyn dörfte, und also, daß es die jeni- ge reinigkeit von uns fordere, die wir in dem stand der unschuld gehabt haben, 320 aus welchem das gesetz herkommet. Also zeiget auch der angezogene spruch, 1. Cor. 4,458, daß man zwahr das gesetz also halten könte, daß man sich nichts

53 Als besonders abschreckendes Beispiel gilt das „Münsteraner Täuferreich“. Gegen die Wiedertäufer als solche, die die öfentliche Ordnung als unchristlich ansehen, wendet sich CA XVI (BSLK 68.3). 54 Sozinianismus (s. Brief Nr. 45 Anm. 35). 55 Nicht ermittelt. 56 Röm 7,14a (Luther 1545: „Denn wir wissen / das das Gesetz geistlich ist“). 57 Vgl. Röm 7,7b (Luther 1545: „Aber die sunde erkandte ich nicht / on durchs Gesetz. Denn ich wuste nichts von der Lust / wo das Gesetz nicht hette gesagt / Las dich nicht gelüsten.“). 58 1Kor 4,4 (Luther 1545: „Jch bin wol nichts mir bewust / Aber darinne bin ich nicht gerecht- fertiget / Der HErr ists aber / der mich richtet.“). Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 255 eben bewußt seye, so dannoch nicht gnug, in dem mans nicht auf den grad brächte, daß man darauß gerechtfertiget werden könte. Dieses wohl erwogen, zeiget gnug, daß diese antwort wider die göttliche wahrheit nichts in sich fasse, noch die sicherheit hege. Daher ich gewünschet, daß geliebter bruder 325 gütiger und billicher davon geurtheilet hätte, so ich auch noch auf das künf- tige hofe, sonderlich, wo er erwegen wird, wie viel schönes darinnen anzu- trefen, wie nemlich alle glaubens=puncten​ auch zur erbauung und derselben frucht zur beforderung des lebens angewiesen werden. Daß aber dabey der mensch, nach der vollkommenheit zu streben, ermahnet wird, ist deswegen 330 nicht ungereimt, lächerlich oder töricht. Dann, ob ich die höchste vollkom- menheit hier noch nicht erreiche, so ist die bemühung nach derselben dan- noch nicht vergebens, in dem auch das bestreben selbs und der grad, welchen man noch erreichet, eben so wol ihren gnaden=lohn​ haben, zugeschweigen, daß uns unsre schuldigkeit und liebe zu GOtt selbs dazu antreiben solle, 335 nachdem wir den höchsten grad nicht erreichen können, daß wir aufs we- nigste so weit gehen, als uns müglich ist, und damit die aufrichtigkeit unsrer liebe bezeugen. Ich komme hiemit auf die ausgegebene propheceyung Liechtenbergers59, welche in der form, wie sie fast durch gantz Teutschland hin und wieder 340 spargiret worden, eines menschen gedicht war, so anderer leichtglaubigkeit sich mißbrauchen wollen. Indem der mann nie keine Postill geschrieben, wohl aber alleine ein prognosticon über eine conjunction60. Ob nun wohl unterschiedliche wort und sachen in derselben befndlich, die hier auch refe- rirt werden von Franckreich, Pfalz, Rhein und dergleichen, so sind doch nicht 345 alleine die specialia und vornemlich benennung der jahr nicht anzutrefen, sondern es stehet austrücklich, daß alle solche praedictiones sich nicht weiter als meines behaltens biß 1570 erstrecken sollen. Es ist deswegen etwas zu Leipzig getruckt61, da aus gedachtem prognostico, wie es daselbs in der Biblio-

321 f nichts eben ] eben nichts: D3. ​

59 Johannes Lichtenberger (ca. 1440–1503), Hofastrologe Kaiser Friedrichs III. (ADB 18, 538–542; BBKL 3, 461–464; D. Kurze, Johannes Lichtenberger, Lübeck u. Hamburg 1960). 60 Spener nimmt hier die Formulierung Lichtenbergers auf: „So hab ichs für billich vnn recht angesehen / in keinem wege zu unterlassen / diß newe Prognosticon vnnd anzeigung der grossen Coniunction / vnnd erschrecklichen grausamen fnsternuß der Sonnen / vmb merckliches gemeines nutzes willen aller Lande außzulegen.“ (zit. nach der Ausgabe Frankfurt a. M. 1557). 61 Die Auf ietzige Zeit gerichtete Prophezeyungen Des Seel. Johann Lichtenbergers / Welche Er in seiner Postilla vor mehr als 176 Jahren aus dem Lauf der Sternen gestellet / Und her- nachmahls im Jahr 1512 zu Wittenberg in Sachsen beschrieben / gleichfals von dem Herrn D. LUTHERO mit einer schönen Vorrede beehret worden / Allen Curiosen und feissigen Be- obachtern der trübseligen Zeit darinnen wir vor ietzo leben / zur weitern Nachsinnung zum Druck überrichet [sic!] von J. C.B, Leipzig: zu fnden in der Hällischen Gassen 1689. – Vgl. dazu die Anmerkungen Speners in seinem Brief an Christian Kortholt vom 19. 10. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 109, Z. 30–39). 256 Briefe des Jahres 1690

350 theca Paulina62 befndlich, die stellen abgetruckt worden, woraus der unter- scheid zu sehen. Kotterii63 Propheceyung64 habe ich auch, ich kan aber nicht davon ur- theilen: Kregeln65 habe nie gesehen: Hermann von der Hude habe gelesen66: leugne aber nicht, daß ich meines erachtens nichts dignum Majestate divina67 355 in solchen erscheinungen angetrofen: doch lasse ich sie insgesamt in ihrem werth und unwerth, der ich weiß, wie eine gefährliche sache es seye, sich die macht zu nehmen, über dergleichen zu urtheilen, indem man sich so leicht versündiget und in dinge einen eingrif thun kan, welche GOtt allein zu- kommen, dessen wunderbare wege wir nicht allemal zur gnüge einzusehen 360 vermögen. Ich komme nun auf Adam Reußners Psalter68, dessen feiß, aus dem He- bräischen so genau zu übersetzen, mich hertzlich vergnüget, obs wohl mit

62 Bibliothek in Leipzig, aus der sich die Universitätsbibliothek entwickelt hat. 63 Johannes Kotter (Cotter) (1585–1647), Weißgerber und Visionär aus Schlesien; geb. in Sprottau, hatte zwischen 1616 und 1624 Visionen, wurde 1620 [nach Adelung: 1625] durch den Brandenburgischen Generalsuperintendenten Christoph Pelargus auf Veranlassung des Kurfür- sten von Brandenburg verhört, 1627 in Glogau gefangengenommen und des Landes verwiesen, lebte bis zu seinem Tod in der Lausitz; seine Visionen wurden aufgenommen in: Johann Amos Comenius, Lux in tenebris, o. O. 1657 (Arnold, UKKH 3, 221–222 [Th. III, C. XXII.11–14]; Schlesisches historisches Labyrinth Oder Kurtzgefaste Sammlung Von hundert Historien Aller- hand denckwürdiger Nahmen, Oerter, Personen, Gebräuche, Solennitäten und Begebenheiten In Schlesien Aus den weitläufgen gedruckten Chronicken […] mit vielfältigen neuen Beyträgen zu der alten und neuen Schlesischen Historie verfertiget, Leipzig und Breslau: Michael Hubert 1737, S. 325–328; Johann Christoph Adelung, Geschichte der menschlichen Narrheit, Bd. 6 [1788] S. 231–267; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 9 [1941, Nachdruck 2000], Sp. 78–81; Jana Hubková, Comenius. Görlitz und der Prophet in der Oberlausitz, in: Görlitzer Magazin – Geschichte und Gegenwart der Stadt Görlitz und ihrer Umgebung, Band 22, Zittau 2009). 64 Vermutlich: Zwey wunderTractätlein […] Anjetzo zusammen getragen den Abtrünnigen und Unbußfertigen zu trewer Warnung / allen Betrangten aber und verfolgten Christen zu kräf- tigem Trost in Truck verfertiget. o. O. 1632. – Im in Anm. 61 genannten Druck wird noch der Hinweis angehängt: „Dem Curiosen Liebhaber kan auch noch mit etlichen neuen und raren Staats=​Tractätlein dienen/ wie alhier specifciret als […] Kotteri Drabicii et Nostradami Ver- einigung der Prophezeyung Heil. Schrift mit dem heutigen Weltlauf“. 65 Johannes Kregel (Lebensdaten unbekannt), Schneidergeselle aus der Oberpfalz; Handwerk- erreise nach Oberösterreich, bei der er Visionen hatte, Rückkehr nach Hause und dann Reise in die Niederlande, wo er gestorben ist (Bahnsen, [wie unten], unpag. Vorrede; Arnold, UKKH 3, 216 f [Th. III, C. XXII.1]). – Seine Prophezeiungen wurden von Benedict Bahnsen ediert, der auch die Weissagungen Christoph Kotters publizierte: Göttliche Ofenbahrungen / So einem Gottsfürchtigen Jungengesellen Johanni Kregeln, Seines Handtwercks ein Schneider / in der Ober Pfaltz vier Jahr nach einander/ (1625, 1626, 1627, 1628) wiederfahren / Nu erstlich […] ans liecht gegeben / durch Benedictum Bahnsen, Amsterdam 1664. 66 Hermann von der Hude (1580–1660), Bauer in der Nähe von Soltau (Arnold, UKKH 3, 238 [Th. III, C. XXIII.21 f]; Lebensbeschreibung im unpag. Vorderteil von: Göttliche Be- schreibungen). – Von ihm ist erschienen: Göttliche Ofenbahrungen Hermans von der Hude / eines frommen Bawren im Lande Lüneburg. So ihme durch viel Englische Erscheinungen (25 Jahr nacheinander / nemlich von 1633 biß ins 1658. Jahr) widerfahren, o. O. 1665. 67 Der göttlichen Majestät Würdiges. 68 Zu A. Reißner und seiner Psalmenübersetzung s. Brief Nr. 11 Anm. 52. Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 257 unsrer teutschen schreib=art​ nicht überein kommt und einige den mann vor einen wiedertäufer haben halten wollen. Unsers theuren Lutheri69 dollmet- schung70 belangend, ist dieselbe freylich ein theures kleinodt, welches GOtt 365 unsrer kirchen ertheilet hat, davor wir nicht gnugsam dessen himmlischer güte, so dann auch dero werckzeug danck zu sagen vermögen, indessen ist weder desselben meinung je gewesen, noch die kirche jemals darauf verfallen, daß solche dollmetschung zur einigen regel gesetzet oder verboten seyn solle, einen mehrern nachtruck in den grund=​sprachen zu suchen: ja ich bins ver- 370 sichert, wo der selige mann noch leben und gefragt werden solte, daß er uns zu solcher freyheit vielmehr anmahnen, als uns dieselbe verdencken solte. Ein anders ist, daß man vorsichtig vor der gemeinde auch von dieser materie zu- reden hat, um niemand etwa einigen scrupul ohne noth zuverursachen: wie man allezeit der schwachen nach allem vermögen schonen solle71. 375 Nun auch etwas auf die andere briefe72 zu kommen, so habe gerne gelesen die approbation der gnorismatum fdei73 in den Catechismus=​predigten74, die ich zwahr auch sonsten hin und wieder, bald kürtzer, bald weitläuftiger treibe als eine sache, von dero ich glaube, daß man nicht wol zu oft und zu viel reden und handeln könne. In dessen wolte ich nicht von der hergebrach- 380 ten erzehlung der theile des glaubens weichen, aufs wenigste ists je nicht nöthig: dann was wir von der art des glaubens zu sagen vermögen und damit der sicherheit billig wehren sollen, können wir alles zu den gewöhnlichen drey theilen ziehen, wo nemlich dieselbe recht erwogen und die buchstäbliche wissenschaft von der lebendigen erkäntnüß, die versigelung des Heil. Geistes 385 von einem aus menschlicher autorität oder blosser überweisung des verstandes herkommenden beyfall und die kindliche zuversicht von der feischlichen sicherheit, wie sichs gebühret, unterschieden werden75. Und wo solches ge- schihet, wird niemand einigen mißgrif in der sache thun oder sich betriegen, daß wir also gar wol auch bey der gemeinsten und hergebrachten abtheilung 390 zu bleiben vermögen. Anlangende den streit, „ob ein bluts tropfen Christi vor die gantze sünde der welt hätte gnug thun können“76, den ich, niemals erreget worden zu seyn,

69 Martin Luther (1483–1546). 70 Die deutsche Übersetzung der Bibel durch Martin Luther (die letzte Ausgabe zu Luthers Lebzeiten ist die Ausgabe von 1545). 71 Vgl. 1Kor 8,9. 72 Nicht überliefert. 73 Kennzeichen des Glaubens („gnorisma“ ist Lehnwort aus dem Griechischen). 74 Spener, Catechismus=Predig​ ten, mit Widmung vom 6. 7. 1689 an Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (Grünberg Nr. 58). 75 Ofenbar hatte der Adressat Spener auf seine Ausführungen in der 24. Predigt („Von dem glauben an sich selbst“) angesprochen, in der er „die stücke / die zu dem glauben gehören“ (S. 215) ausführt, nämlich: 1. notitia, 2. assensus und 3. fducia (S. 215–218). 76 Als Hinweis auf die im Überfuß geschenkte Erlösung Christi fndet sich diese Formulierung schon bei Gregor von Nazianz; vgl. ähnlich in: Dannhauer, Catechismusmilch 4, S. 35: „[…] sintemal ein einiges Tröpfichen seines vergossenen Bluts/ genugsam were dem [sic!] unendlichen Zorn deß Himmlischen Vaters zu stillen“. In: Siegmund Jacob Baumgarten, Untersuchung Theo- 258 Briefe des Jahres 1690

gewünschet hätte, so wolte mich endlich so erklähren, es möge ein tropfe 395 bluts, betrachtet in der unendlichen person GOttes an sich selbs, wol unend- licher kraft zu seyn erkant und gerühmet werden, wo wir aber, wie es billig ist, auf die göttliche verordnung selbs sehen, so halte ich am sichersten seyn zu sagen, daß GOtt seinem Sohn nicht so schreckliche leiden und pein würde auferleget haben, wo seine weißheit erkant, daß seiner gerechtigkeit 400 mit wenigerem gnug hätte geschehen können. Daher spricht der HErr:­ Matth. 26,3977: „Mein Vater, ists müglich etc.“, aber da es dabey bliebe, sehen wir, daß es göttliche gerechtigkeit nicht müglich erkant habe. Von der güter gemeinschaft der ersten kirche78 bekenne ich, daß mir nicht eben autores bekant sind, welche austrücklich davon geschrieben hätten: wie 405 mich dann niemals auf eine sonderbare cognitionem librorum79, welche gleichwol ein so grosses stück der erudition zu dieser zeit gehalten wird, ge- leget habe. Dieses einige mercke ich allezeit von derselben, daß es ein gantz particular-werck gewesen und wir nicht fnden, daß die Apostel dergleichen institutum an einigem andern ort eingeführet, daher die göttliche weißheit, 410 so dergleichen durch die Apostel zu Jerusalem also verordnet, dazu ihre son- derbare und ohn zweifel auf zeit und ort gerichtete ursachen gehabt haben muß, dero wir auch in Christlichem nachsinnen leicht einige fnden können, warum in der kirche, die zu erst die härteste verfolgungen leiden muste, die stadt aber selbs nach nicht langer zeit verstöhret werden solte80, dergleichen 415 eine güter=​gemeinschaft nützlich wäre. Was auch wegen der Jesuiten art, daß sie nemlich, wo sie mit den worten der schrift convinciret sind, so bald auf den sensum Ecclesiae oder vielmehr cleri und Pontifcis81 sich berufen, gemeldet wird, ist aller Papisten allgemei- ne ausfucht und recht der Character des Anti=​Christenthums82, in welchem

401 39: cj ] 29: D.

logischer Streitigkeiten, Zweiter Band. Mit einigen Anmerkungen, Vorrede und fortgesetzten Geschichte der christlichen Glaubenslehre, hg. von Johann Salomo Semler, Halle a.S. 1763, S. 284, wird die Streitfrage im Zusammenhang mit den Sozinianern so defniert: „Ob die Übername [sic!] so vielen Leidens und sein gesamtes Blutvergiessen blos aus einer überfüßigen Liebe geschehen, ohne einige weitere innere Notwendigkeit in Absicht der Genugthuung für uns?“. Der von Spener angesprochene Streit scheint aber nicht nur die Metaphorik der überreichen Erlösung Christi zu meinen, sondern eine Lehraussage über die notwendige Menge des vergossenen Blutes Christi. 77 Mt 26,39 (Luther 1545: „Vnd gieng hin ein wenig / fel nider auf sein Angesichte / vnd betet / vnd sprach / Mein Vater / Jsts müglich / so gehe dieser Kelch von Mir / Doch nicht wie Jch wil / sondern wie Du wilt.“). 78 Spener hatte sich dazu schon kurz geäußert in: Spener, Pia Desideria, 1676, S. 42 (PD 30,34–36). 79 Bücherkenntnis. 80 Jerusalem wurde im Jahr 70 n. Chr. durch römische Truppen unter Titus zerstört. 81 Meinung der Kirche, des Klerus, des Bischofs. 82 Die römisch-katholische Kirche wird von den Reformationskirchen als Inbegrif der anti- christlichen Macht verstanden. Nr. 58 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr?] 1690 259 nicht Christi, sondern der menschen stimme herrschen solle. Ach, der HErr 420 bewahre unsre kirche, daß wir niemahls etwas auch hievon annehmen, noch solche schädliche principia ihnen ablernen, sondern an der einigen stimme unsers einigen meisters83 und Heylandes hangen bleiben. 1690.

83 Vgl. Mt 23,8.10. 260 Briefe des Jahres 1690 59. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 27. Juni 1690

Inhalt Hoft, daß Johanna Eleonora Petersen von ihrer Reise wieder gut zurückgekehrt ist. Legt einen Brief aus Muskau bei. – Schreibt von der Anfrage aus Berlin, sich auf die Stelle als Propst an St. Nicolai berufen zu lassen. – Berichtet von Briefen, in denen Petersens unvorsichtiges Reden über das Millennium bedacht wird; beschwört ihn, dies zu unterlassen, weil es die Erbauung behindert, selbst wenn wahr sein sollte, was Petersen glaubt. – Verbietet Petersen, sich auf ihn zu berufen, weil sie in dieser Lehre unterschiedlicher Meinung sind. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 462–465.

Salutem et Amorem ab eo, qui ex amore nostra salus facta est. In eo dilectissime Frater et Compater2. Delicias nostras Johannam Tuam3 salvam ad vos, antequam istas accipias, per- venisse spero et precor, nec non ut diu in ipsius gratia perennetis. Inclusas 5 Muscovia accepi curandas4. De me, quid Dominus statuat, expecto. Mortuus Berolinensium Praepositus optimus Teuberus5 meus; iussit ergo Sereniss[imus] Elector6 per Consiliarium intimum7 sensum meum de sparta8 et, quae alia addere cogitat, suscipienda

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Spener war Pate von August Friedrich Petersen, dem Sohn von Johann Wilhelm und Johanna Elenora Petersen (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 3 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). Nach einem Besuch bei Spener in Dresden war sie weiter zu einem Badeaufenthalt nach Teplitz gereist, während ihr Mann wieder nach Lüneburg zurückgekehrt war (s. Brief Nr. 45 Anm. 40). 4 Ein Brief aus Muskau; vermutlich ging es um die Berufung Ludwig Friedrich Barthols, der sich mit seiner Familie bei Petersen aufhielt (s. Brief Nr. 38 Anm. 24) und dem Grafen Curt Reinicke (II.) von Callenberg als Hofkaplan nach Muskau berufen werden sollte (s. Brief Nr. 77, Z. 3–38). Das Schreiben ist nicht überliefert. 5 Christian Samuel Teuber (26. 3. 1638–30. 5. 1690), zuletzt Propst an St. Nicolai in Berlin/ Cölln; geb. in Kobylin, nach dem Besuch der Universität Wittenberg 1660 Subrektor in Cölln an der Spree, 1664 Professor für Griechisch an der Universität Königsberg, 1667 Schulrektor in Frankfurt/ Oder und 1670 Inspektor in Neuruppin, 1689 Propst an der Nicolaikirche in Berlin; Spener hatte nach der Veröfentlichung der „Pia Desideria“ mit ihm korrespondiert (DBA 1261, 266; Fischer, Pfarrerbuch 2.2, 882; F. Heydemann, Die ev. Prediger Neu-Ruppins, Neu-Ruppin 1867, 29–32; Frankfurter Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 85, Nr. 195 und Nr. 229). – Er war Nachfolger von Johann Ernst Schrader, nach dessen Tod schon einmal sondiert worden war, ob Spener auf diese Stelle berufen werden könne (s. Dresdner Briefe Bd. 3, Brief Nr. 45, Z. 27–47). 6 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 7 Franz von Meinders, Geheimer Rat an kurbrandenburgischen Hof (s. Brief Nr. 57 Anm. 1). 8 Sprichwörtlich für ein erstrebtes Ziel bzw. Amt (vgl. Otto, Sprichwörter, Nr. 1679). Nr. 59 an Johann Wilhelm Petersen 27. 6. 1690 261 investigari. Respondi9, qua vocationis certitudine huc delatus sim, quam non defuerit laboribus aliqua benedictio, cuius mihi idoneum testimonium Satanae 10 furentis odium, quam potenter etiam manus ipsius hactenus me tutata sit, ut praeter iras aliquorum, quibus tamen ulterius aliquid audere non licuerit, nihil senserim adversi, nec ad fugam causa idonea adsit. Rogare ergo, ut in timore Domini porro expendant, an me avocare oporteat; si pensitatis istis ipsi dubi- tent, ultro a consilio destituros: si vero me omnino vocandum censeant, per 15 literas compellandum Electorem10, cuius post consilium ea de causa habitum responsum mihi futurum sit divinae voluntatis documentum certissimum. Expecto iam, quod porro de eo negotio futurum sit. Tu vero secretum hoc servabis, uti omnino necesse est, atque DEUM invocabis ardentissime, ne quid in omni ista re humana voluntate praeter Divinum ipsius consilium statui 20 patiatur, sed servum suum ad manendum et migrandum aeque promtum dextra gratiosa ducat, dirigat; quod futurum plane confido. Caeterum non sine dolore ex duabus Epistolis hominum caeteroqui pio- rum, quos isto in itinere allocutus es11, intellexi, non parum sermonibus Tuis de millennio et annexis offensos esse, unde me rogarunt, ut Te dehortarer; 25 alter etiam eo addito, quod ad consensum meum provocaris. Mi frater exopta- tissime, vel tot demum exemplis monitus cohibe ardorem illum argumentum hoc ubique inculcandi, quod, si verum, certe saluti necessarium non esset et apud non paucos omnem usum aliorum, quos de aedificatione necessaria haberes, sermonum, corrumpit. Unde omnino prudentia Christiana exigit, 30 cum nobis semper fere cum solis talibus res sit, apud quos fundamenta fidei et pietatis roboranda sunt, ut de iis solis etiam ipsis cum agamus, quae animos parent, ut suo tempore apta sint, percipiendis iis etiam dogmatibus, quae su- blimius, quid continent, et non suo tempore proposita tantum noxae quantum commodi, nisi plus etiam istius afferre possunt. Inprimis illis, quorum nobis 35 nondum aliqua consuetudine cogniti sunt, animi maximopere parcendum, ne ex nobis audiant σκληρὸυς λόγους12. Tum hoc quoque omni iure a Te postulo, ne ad consensum in ista re meum unquam provoces. Quam paucula enim sunt in quibus circa illam consenti- mus? Sane in plerisque diversum sentimus; nec qui audiunt aliquem consen- 40 sum, illum satis a reliquis discernere possunt, atque ita invidia gravor, quam non merui, alioqui nimia gravatus. Nec satis existimationi Tuae consuletur,

9 Brief Nr. 57. 10 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 11 Es handelt sich wohl um die Rückreise vom Besuch Petersens in Sachsen (s. Anm. 3); wen er unterwegs getrofen und über seine chiliastische Gedanken gesprochen hatte, ist nicht ermittelt. Ähnliche Klagen waren Spener auch mündlich unterbreitet worden (s. Brief Nr. 49, Z. 7–9, 45 f). Vielleicht ist es der Schreiber des Briefes, aus dem Spener in seinem Schreiben an Petersen am 14. 8. 1690 zitiert (Brief Nr. 77, Z. 74–88). 12 Harte Reden (vgl. Joh 6,60). 262 Briefe des Jahres 1690

cum interrogatus consensum non possum non negare. Δεῖ σοι ὁ κύριος σύνη- σιν ἐν πᾶσιν13. 45 Vale. Scrib. Dresdae, 27. Jun[ii] 1690. Vester omni pietate PhJSpenerus Mppria.

13 2Tim 2,7 (Luther 1545: „Der HErr aber wird dir in allen dingen verstand geben.“). Nr. 60 an Anna Elisabeth Kißner 30. 6. 1690 263 60. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 30. Juni 1690

Inhalt Berichtet von den Predigten gegen den Pietismus als neuer Sekte. – Teilt mit, daß [August Hermann] Francke trotz Widerstände Diaconus in Erfurt geworden ist. – Legt seine Gedanken bezüglich der Berufungsanfrage aus Berlin ausführlich dar. – Beklagt den Tod von [Johann Jakob] Schütz und hoft, daß die Christen sowohl vor deutlicher Bosheit wie vor unnötigem Eifer geschützt werden. – Hoft, daß [Johann Heinrich] May in Gießen sein Collegium nach dem Wunsch des Landgrafen von Hessen-Darmstadt in die Kirche zurückverlegt. – Berichtet vom Angrif [Daniel] Hartnacks und sendet Exemplare seiner Gegenschrift zur Verteilung nach Frankfurt. – Gibt Anweisungen, wie Spenden für solche, die ihre Habe verloren haben, verteilt werden sollen. – Hat seinen Sohn Wilhelm Ludwig auf die Universität geschickt. – Berichtet vom Besuch des Ehepaars Petersen und den Auseinandersetzungen in Hamburg. – Läßt Frank- furter Freunde grüßen. – [P. S.:] Bitte um Regelung organisatorischer Dinge. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 368–379.

Göttliche Gnade und alle Seeligkeit von dem dreyeinigen und allerhöchsten Gut! In demselben Hertzlichgeliebte Schwester, werthe Frau. Sie urtheilet gantz Christlich und also, daß der warheit des Urtheils über- zeuget bin, von demjenigen, was uns und unsere Brüder hie und da betrift, 5 freilich haben wir so wohl zu klagen über die Boßheit und Blindheit der Menschen, als uns zu freuen über unsers Himmlischen Vaters weise und treue Güte. Ich zweife nicht, daß die unschuld der in Leipzig beschuldigter Christ- licher Leute mehr und mehr an den Tag kommen solle2. Indeßen werden die widrigen nur fast kühner, aber auch blinder und verlaßen sich auf Mensch- 10 lichen arm. Ich muste auf den 3. feyertag3 in unserer SchloßCapelle von unserm H. D. Carpzovio4 eine dergleichen Predigt hören, als ich kaum eine gehöret, aber gewiß auch andern in der Gemeinde viele betrübnus und un- willen verursachet; so verlautets, daß fast täglich in der Stadtkirche dergleichen Predigten geschehen, da die neue Secte herhalten muß5, womit stets auf mich 15

1 Anna Elisabeth Kißner, Arztwitwe in Frankfurt (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 8–20. 23–41. 42–61. 67–84. 86–88. 99–103. 114–117. 118–120. 124–129) in: Nebe, Dresdner Briefe, 294–296. 2 Die Pietisten in Leipzig, die im Frühjahr verhört wurden (s. Briefe Nr. 16 Anm. 42, Nr. 30, Z. 4–37). 3 Der 3. Pfngsttag (10. 6. 1690). 4 Samuel Benedikt Carpzov, Superintendent in Dresden (s. Brief Nr. 2 Anm. 3). 5 Zum Vorwurf, die Pietisten seien eine neue Sekte, äußert sich Spener ausführlich in seinen Bedenken vom 14. 6. 1690 (Bed. 3, 777–805] 778–780) und vom 10. 10. 1690 (Bed. 3, [805–817] 806). 264 Briefe des Jahres 1690

gezielet wird. Wir wollen mit Gewalt eine Secte im Lande haben, obwol niemand eine zeigen kann, der einigen irrigen puncten gelehret hätte. Aber von der Gottseeligkeit gerne reden, sich der Welt mehr entschlagen und solches nothwendig halten, ist nicht nur zum verdacht, sondern wol gar zur 20 beschuldigung gnug. Der Herr aber wird drein sehen6, und die verlassen ge- schienene nicht gantz verlaßen, sondern eine Hülfe schafen7, davor wir ihn preisen sollen. HErr M. Franck8 ist nun zum Diacono nach Erfurth berufen und ordi- nirt9. Es hielte hart, weil man sich seinetwegen bey den Theologis zu Leipzig 25 befragte, die ihn zwar falscher lehre ofenbahr zu beschuldigen sich nicht unterstehen dorften, aber ihn auch nicht frey sprechen wolten10. Endlich muste es doch von statten gehen und einer mit seinem wahrhaftigen zeugniß an einen des Raths in Erfurth durchtringen, der zweyer Theologorum11, so M. Francken am meisten verfolget, leiblicher bruder12 ist, aber die unbilligkeit 30 selbst haßet. Was mit mir vorgehen möchte, habe ich nun von Göttlicher Väterlicher Providenz zu erwarten. Vor einem Jahr alß wegen meiner Ungnade bey dem Churfürsten13 die Sache nach Berlin erschollen war, war gerade die Propstey daselbst ledig14; daher durch einen Edelmann mit mir geredet und ich sondi-

6 Vgl. Ps 21,9; Klgl 3,50. 7 Vgl. Ps 12,6. 8 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 9 Zu Franckes Berufung nach Erfurt und Ordination durch J. J. Breithaupt (zu diesem s. Brief Nr. 13 Anm. 1) s. Brief Nr. 51, Z. 77–82, mit Anm. 46. 10 Am 23. 3. 1690 hatte der Erfurter Rat ein Gutachten zu August Hermann Francke von der theologischen Fakultät in Leipzig erbeten. Es war am 26. 3. geschrieben worden und lag dem Rat am 31. 3. vor (AFSt, D 89, S. 339–350). Zu dem gesamten Verfahren s. Francke, Streitschriften, 132 mit Anm. 11 Wohl Augustin Friedrich Kromayer und Zacharias Hogel. – Augustin Friedrich Kromayer (1644–5. 7. 1707), Pfarrer an der Barfüßerkirche in Erfurt; geb. in Hermstedt, nach dem Theo- logiestudium in Jena und Wittenberg seit 1665 Pfarrer in Olbersleben, Weimar und Sulza, seit 1684 in Erfurt, schärfster Gegner J. J. Breithaupts und A. H. Franckes in den Auseinandersetzungen 1690/91; er übernahm nach Breithaupts Abschied 1691 dessen Ämter als Senior und Professor, 1701 Dr. theol. in Jena (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 119 Anm. 27). – Zacharias Hogel d. J. (get. 20. 9. 1637‑ begr. 28. 4. 1714), Pfarrer in Erfurt; geb. in Erfurt, nach dem Theo- logiestudium in Wittenberg und Helmstedt 1660 Konrektor in Erfurt, 1666 Rektor in Weimar, 1676 Rektor des Ratsgymnasiums, 1690 Pastor an St. Johannes in Erfurt und 1693 an der Domi- nikanerkirche (Jöcher 2, 1532). 12 Immanuel (Emanuel) Hogel (2. 1. 1644–10. 2. 1715), Jurist in Erfurt, Syndicus des Evan- gelischen Predigerministeriums, seit 1687 Stadtschreiber (M. Bauer, Erfurter Ratsherren und ihre Familien im 17. Jahrhundert, Neustadt a.d.Aisch 1989, 84 f; J. Wallmann, Erfurt und der Pietismus, in: ders., Theologie und Frömmigkeit, [325–350] 341). 13 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). – Zu den Auseinanderset- zungen um den Beichtvaterbrief Speners s. Brief Nr. 53. 14 Nach dem Tod von Johann Ernst Schrader (13. 5. 1638–26. 3. 1689), zuletzt Propst an St. Nicolai in Berlin; geb. in Helmstedt, nach dem Studium in Altdorf, Jena, Leipzig und Wittenberg zunächst Hofprediger in Herzberg, seit 1668 Archidiaconus und seit 1685 Propst an St. Nicolai in Berlin (Fischer, Pfarrerbuch 2.2, 781; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45 Anm. 14). Nr. 60 an Anna Elisabeth Kißner 30. 6. 1690 265 ret wurde15, ob ich solchen anzunehmen, mich resolviren möchte. Weil aber 35 nichts von mir versichern konte, unterbliebe es, und wurde ein ander Propst16. Dieser, als er noch kein halb Jahr angezogen, ist nun diesen Monat gestorben. Darauf mir heut 14 tag ein Schreiben gekommen von einem Evangelischen geheim Rath17, der auf Special befehl des Churfürsten18 an mich gelangen läßet, ob mich zu solcher Propstey, dazu die Rathstelle in dem Consistorio 40 gethan werden solle, verstehen wolte. Geliebte Schwester erkennet leicht, wie mich dieses wiederum afciret und in unruhe setze. Ich habe deswegen heut acht tage antwortend gezeuget, mit was vor versicherung Göttlichen Willens und sonderbaren Raths ich hieher vor 4 Jahren gemußt habe, daher solche sendung nicht vergebens habe seyn können19. Wie auch biß daher der Herr 45 meine Arbeit nicht ohne Seegen gelaßen habe, so ich je länger je mehr auß dem heftigen widerstand des Teufels gewahr werde. Wie auch ob wol Gott meine Gedult bißher unterschiedlich habe prüfen laßen, dennoch ich noch nicht wircklich angetastet oder in meiner rechten Ambtsverrichtung gehin- dert worden. Daher ich nicht macht fnde, eigenwillig aus meiner Stelle zu 50 gehen. Indeßen könnte den neuen antrag auch nicht bloß verachten oder vermöchte niemal, vor mich selbst in dergleichen dingen zu einer gewißheit zu kommen, sondern hätte mich auch vorige mahl stets müßen von andern des göttlichen willens versichern und es also ihnen bloß überlaßen20. Daher ich gebeten, daß der Churfürst und seine Räthe geruhen möchten, die um- 55 ständte meiner jetzigen vocation wol zu überlegen, ob man mich bey solcher bewandniß abrufen dörfe oder nicht. Fänden sie dieses letztere selbst, so würden sie von selbsten davon abstehen, was sie göttlichen willen zuwider erkenneten. Glaubten sie aber jenes, so würde der Churfürst an unserm Churfürsten schreiben und mich von ihm verlangen; ich aber vor Göttlichen 60 willen erkennen, was vor ein Schluß falle. In diesen Terminis stehets und ver- muthet man sich bald eines Churfürstl. Schreibens; mag auch leicht, so viel Menschen vorsehen mögen, zu der dimission kommen, wie wol auch einige dem Churfürsten es starck wiederrathen dürften. Ob ich nun wohl in solchen

15 Paul von Fuchs (15. 12. 1640–7. 8. 1704), kurbrandenburgischer Geheimrat; geb. in Stettin, nach dem Studium in Greifswald, Helmstedt, Jena, Leiden und Franeker und einer akademischen Reise durch England und Frankreich 1667 ordentlicher Professor in Duisburg, 1670 Geheimse- kretär des Kurfürsten von Brandenburg, 1679 Hofrat, 1682 Geheimer Rat, mit unterschiedlichen diplomatischen und Verwaltungsaufgaben betraut und für die kirchlichen Angelegenheiten zu- ständig, 1684 geadelt, 1694 wesentlich an der Gründung der Universität Halle a.S. beteiligt, 1695 Konsistorialpräsident, 1701 Oberkurator der Universität Halle, 1702 in den Reichsfreiherrenstand erhoben, 1703 Kanzler von Hinterpommern (Zedler 9, 2195 f; ADB 8, 170–173; NDB 5, 682 f; LP: Johann Porst, Die Gewisse Seeligkeit Der Wahren Kinder, Berlin: Johann Wessel 1704; F. v. Salpius, Paul von Fuchs, Leipzig 1877; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 95 Anm. 4). 16 Christian Samuel Teuber (s. Brief Nr. 59 Anm. 5). 17 Die Antwort auf dieses Schreiben ist Brief Nr. 57, der genannte Geheimrat ist Franz von Meinders. 18 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 19 Vgl. Brief Nr. 57, Z. 48–86. 98–108. 20 Vgl. dazu die Ausführungen in Brief Nr. 57, Z. 109–126. 266 Briefe des Jahres 1690

65 zweifel stehend nicht leugnen kann, daß es unruhe gebe, so dancke ich doch dem Herrn vor große freudigkeit und diese versicherung, daß ers ohnfehlbar wohl machen werde. Bleibe ich hier, dahin ich nicht leugne, daß das die eig- ne inclination wegen der gewißheit meines berufs annoch gehe, so wird vielleicht ein Mittel seyn, mich etwas gegen die widrige zu schützen. Werde 70 ich aber dimittiret, so scheint eine viel größere Thür mir aufgethan zu wer- den. Das consistorium zu Berlin hat wol weiter zu ordnen alß das hiesige; ich bekomme anstatt einer Capelle eine starcke gemeinde21, dabey ich auch die freyheit vom beichtstul habe22. Die eingebildete hoheit meiner jetzigen 75 Stelle, so vor die vornehmste gehalten werden solle, habe also angesehen, daß ihr nicht gern entrathen wolle, auch vielleicht ihrer wenig gebraucht. Die zeitliche commoda anlangend wird von freyen anerboten, der hiesigen gleich zu machen oder zu erhöhen. Ich kriegte noch gestern von einem andern Geheimen Rath23 briefe, darinnen unter anderm stand: „Wo das bekannte 80 Sprichwort war, quod vox Populi vox Dei24, so werden Sie durch die Stimme Gottes alhier kräftig gerufen. Reformirte und Lutheraner sind einstimmig und Gott ist allein bekant, was er mit dem Herrn Doctor bey uns fürhat p.“ Daß sonsten bey diesem Alter die luft nicht leicht zu ändern, macht auch wenig scrupul, wo der ruft, dessen die Luft aller orten ist25. Ich verlange also 85 nichts mehr, alß daß der wille des Herrn sich bald und kräftig ofenbahre. Meine geliebte Schwester bete auch darüber hertzlich zu Gott, behalte es aber noch allerdings bey sich, in dem ich meinen leiblichen geschwistern davon noch nicht part gegeben. H. L. Schütz todt26 hat mich hertzlich afciret samt demjenigen, was ge- 90 folget ist. Ich habe noch an jenem tage das gute zu rühmen, was Gott durch

65 stehend: cj ] stand: K. 79 stand: cj ] – K. 81 Unsicher; denkbar auch: „aller“.

21 Zur Bedeutung einer zahlreichen Gemeinde und – umgekehrt – sein Leiden darunter, daß die Dresdner Hofgemeinde nur sehr klein war, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 26–28, mit Anm. 11 (dort weitere Quellen‑ und Literaturhinweise). 22 Zu Speners Bedenken ein Amt zu übernehmen, in dem er die Beichte zu hören hatte, s. Grünberg 2, 95 (s. auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 34 f). 23 Vielleicht Johann Friedrich von Rhetz, der – zusammen mit von Meinders – den branden- burgischen Kurfürsten bei der Einführung Speners als Propst vertreten sollte (s. Aland, Spener- Studien, 117 f); es liegen einige Briefe Speners an diesen und an Daniel Ludolf von Danckelmann aus den Jahren 1695 und 1696 vor. – J. F. von Rhetz (ca. 1633–6. 10. 1707), Geheimer Rat in Berlin; geb. in Brandenburg a.d. Havel, nach dem Jurastudium in Wittenberg und Frankfurt a.O. 1656 Lic. und 1660 Dr.iur, 1673 Juraprofessor in Frankfurt a.O., 1682 Geheimer Rat in Berlin, 1694 Oberkurator der Universität Halle (NDB 21, 497; Dreyhaupt 2, 21; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 86 Anm. 10). 24 Lateinische Sentenz, vornehmlich im Mittelalter verwendet (s. Petrus von Blois, Epistola Nr. 15; MPL 207, 54), vielleicht abgeleitet von Jes 66,6. 25 Im Zusammenhang einer möglichen Berufung nach Stockholm verweist Spener sehr wohl auf die anderen klimatischen Verhältnisse (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 37–44). 26 Johann Jakob Schütz (7. 9. 1640–21. 5. 1690), Advokat in seiner Geburtsstadt Frankfurt; nach Nr. 60 an Anna Elisabeth Kißner 30. 6. 1690 267 ihn an meiner Seele gethan, obwol seine letzte conduite nicht gefallen und ich göttliches gerichte darinnen besorget, daß oft der gebrauch der besten gaben durch etwas dergleichen verdorben werden muß. Indeßen hüte ich mich alle zeit vor aller beherrschung der gewißen; viel weniger wolte mich harter proceduren theilhaftig machen. Nun, der herr hat uns in die zeiten 95 gerathen laßen, da wir aller orten anstoß sehen, theils von ofenbahrer boß- heit, theils von unnöthigem eyfer. Er lehre uns in die tage schicken, in die Er uns gesetzet hat. In der einlage, die ich zu bestellen bitte27, suche ich H. D. Majum auch zu disponiren, daß er die versetzung der haußübung in die Kirche aus respect 100 gegen die Herrschaft und weil an diesem ort sich der zuhörer mehr einfnden würden, annehmen sollte28. Der Herr führe ihn auch nach seinem Rath Christklüglich sein werck zu treiben. Daß ich von Hartnacken29, deßen wiedersetzung gegen die Gottseeligkeit in Wort und That von mehrern Jahren bekannt ist, er sich auch allemahl des- 105 wegen alß gantz contrairen humors gantz feindlich gegen mich bezeuget und mich etzliche mahl publice angezäpfet, so ich aber allmahl dissimuliret, end- lich also angegrifen und Arminianismi beschultigt worden30, daß nicht mehr schweigen konte, wird bekannt seyn; ich habe aber nothdürftig gehalten, ihm stracks zu antworten31, und wird also geliebte Schwester davon 16 exemplar 110 zu empfangen und auszutheilen haben, darunter aber H. D. Majum, H. M. Runckel32 und Laubach33 nicht vergeßen, so dann etwa J. Müllerin34 fragen, an die ich auch sende, wem sie geben wolle. Über das neuliche benannte, davon aber die assignation noch nicht völlig gemacht, werde ich noch 50 Thlr. schicken, welche die Freyfr[au] von Rei- 115 chenbach35 giebet, und davon H. Textor, der so treu bey den Wormsern hält36, dem Studium in Tübingen zunächst am Reichskammergericht in Speyer tätig, seit 1667 in Frank- furt, dort neben Spener Initiator der pietistischen Bewegung, trennte sich seit 1676 schrittweise von der Kirche, so daß es 1682 zum ofenen Bruch zwischen ihm und Spener kam (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 123 Anm. 1; Deppermann, Schütz). 27 Ofenbar ein Brief an Johann Heinrich May, von dem nur noch das „Zeugnis“ (Brief Nr. 56) erhalten ist (zu J. H. May Brief Nr. 55 Anm. 1). 28 May hatte im Herbst 1689 sein Katechismusexamen und ein Kolleg über den Römerbrief in sein Privathaus verlegt und damit den Protest des damaligen Gießener Superintendenten Philipp Ludwig Hanneken und einen langwährenden Streit hervorgerufen (s. Brief Nr. 55). – Der hessen- darmstädtische Hof war sich unsicher, wie er über die Möglichkeit, Privatkonventikel abzuhalten, entscheiden sollte (s. Köhler, Anfänge, 173 f). 29 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 30 D. Hartnack, Anweisender Bibliothecarius (s. Brief Nr. 45 Anm. 36), S. 40. 31 Spener, Rettung. 32 Johann Vincent Runckel, Lehrer an der Gießener Stipendiatenanstalt (s. Brief Nr. 45 Anm. 29). 33 Der mit Spener eng befreundete Grafenhof in Laubach. 34 Anna Sybilla Müller (s. Brief Nr. 11 Anm. 70). 35 Baronin Marie Sophie von Reichenbach (s. Brief Nr. 45 Anm. 41). 36 Conrad Textor, Prediger in Worms; diese Identifkation folgt dem Brief von Abraham 268 Briefe des Jahres 1690

20, auch so viel H. Schloßern37, unserm Prediger zu Heidelberg (dazu Frau Storrin38 vielleicht wird gelegenheit machen können), so dann 10 H. Weinich zu Bellinghausen39, deme nechst auch assigniret, zugestellet zu werden ver- 120 langt. Der Herr laße ihm alle Opfer der liebe wolgefallen. Ich habe nun neulich meinen Wilhelm Ludwig auf die Universität ge- sandt40, der Himmlische Vater regiere ihn mit seinem Geist und mache ihn zu einem rechten Theologo, dazu er mir einige hofnung bißher gegeben. H. D. Petersen und Sie waren nechst hie41; Er zwahr nur 1 ½ tag, sie aber, 125 weil sie das Teplitzer bad brauchte, kam nochmahl hieher, da er stracks zurück gemußt. Ihre conversation war mir angenehm, doch hätte gewünschet, daß nicht die materie der 1000 Jahr und ersten auferstehung an meisten orten die meiste rede gebe, welches bey [einigen] theils anstoß giebet, aufs wenigste nützlichers möchte gehandlet und damit mehr außgerichtet werden. Ich habe 130 auch bey Frau Reichenbachin zu Jahnishaußen42 . H. D Hinckelmann43, weil er Patriam besuchte44 und gewißer ursach willen nach Dreßden nicht zu kommen in Hamburg versprochen, gesprochen und mich an ihm ergötzet45.

128 [einigen]: cj ] – K. 130 Jahnishausen: cj ] Johnshausen [nach eigenen Korrekturen des Kopisten].

Hinckelmann und Johann Heinrich May vom 31. 1. 1691 (SUB Hamburg, sup.ep. 49, Bl. 83). Auf Grund seines Einsatzes für die Wormser in der Notzeit erhielt er eine Leibrente (Stadtarchiv Worms, 001B / Z 63) – Zu Textor: (1637‑ April 1693); geb. in Rodenbach/ Wetterau, 1663 Diaconus in Gronau (Grafschaft Erbach), 1680 Oberstadtpfarrer in Worms, 1689 vertrieben nach Frankfurt a. M.; er starb als „Pfarrer von Worms“ in Frankfurt „in exilio“ (Diehl, Hassia Sacra 3, 431; 4, 119; Johann Philipp Wilhelm Luck, Versuch einer Reformations= und Kirchen=Ge​ - schichte der Grafschaft Erbach und Herrschaft Breuberg aus archivalischen und andern bewährten Urkunden. Frankfurt a.M 1772, S. 123 f). 37 Johann Philipp Schlosser (1654–1732), Pfarrer in Heidelberg; geb. in Sötern, nach dem Studium in Gießen 1678 Adjunkt und 1679 Prediger in St. Johann bei Saarbrücken, 7. 4. 1686 aus dem Amt vertrieben, 22. 8. 1686 Pfarrer und 1698 Konsistorialrat in Heidelberg (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 82 Anm. 1). 38 Vielleicht die Mutter des Heilbronner Stadtpfarrers Johann Philipp Storr (und Großmutter des Tübinger Theologieprofessors Johann Christian Storr), deren Mann „Schönbornscher Be- amter“ in Frankfurt a. M. war und mit Spener im Kontakt stand (Koch, Kirchenlied I/5, 99). 39 Johann Jakob Weinich, Pfarrer in Billingshausen/ Franken (s. Brief Nr. 45 Anm. 22). 40 Wilhelm Ludwig Spener, Theologiestudent in Leipzig (s. Brief Nr. 48 Anm. 1). 41 Zum Besuch von Johann Wilhelm (zu diesem s. Brief Nr. 26 Anm. 1) und Johanna Eleonora Petersen (zu dieser s. Brief Nr. 146 Anm. 1) in Dresden s. Brief Nr. 45 Anm. 40. 42 Baronin Marie Sophie von Reichenbach (s. Anm. 35). 43 Abraham Hinckelmann, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 45 Anm. 42). 44 Hinckelmann stammte aus Döbeln/ Meißen. 45 Zu dem Trefen in Jahnishausen s. Brief Nr. 45, Z. 73–78. – Auch Spener hatte gewünscht, daß das Trefen zwischen ihm und Hinckelmann außerhalb von Dresden stattfnden sollte (s. Spener an A. Rechenberg am 2. 5. 1690; Ad Rech 1, Bl. 502v). Spener reiste am 13. 5., zusammen mit dem Superintendenten des Klosters Lüne Heinrich Wilhelm Scharf (zu diesem s. Brief Nr. 39 Anm. 16), der gerade in Dresden zu Besuch war, nach Jahnishausen (Spener an Rechenberg am 12. 5. 1690; Ad Rech 1, Bl. 496r). Nr. 60 an Anna Elisabeth Kißner 30. 6. 1690 269

Wiewol es nachmahl ein gerücht gegeben, ich hätte einen Synodum von pietistischen Theologis daselbst gehalten. Seine samt H. Wincklern46 und H. Horben47 sache mit dem übrigen ministerio stehet noch in weiten termi- 135 nis48, und wütet die boßheit starck, desto mehr aber hofe ich, es solte die thorheit ofenbahr werden und der warheit Sieg sich zeigen. Welches wünschete und dieselbe samt werther Frau Mutter49, dero der Herr ihr Artzt50 und trost seye, Geschwistern51, Kinder52 und andern lieben freunden, so alle alß nahmentlich gemeinet haben will, in die ewige liebe des 140 Vaters zu beharlicher wolfahrt empfehlende verbleibe Meiner werthen freundin und geliebten Schwester zu gebet und Christl. liebe verbundener P. J. Spener, D. Mppria. 145 Dreßden, den 30. Jun. 1690. [P. S.:] Ist H. Leidwein53 noch zu Wißbaden? Bitte auch H. Holtzhaußen54 in dem Rößlein55 zu grüßen und ihm ein Exemplar zu geben. Diese einlage wäre an Frau Bartelsin56 zu lifern, wo unser Johann Chri­ 150

46 Johann Winckler, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 9 Anm. 1). 47 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 48 Der Streit um den Religionseid in der Hamburgischen Kirche, den die drei Genannten nicht unterzeichnen wollten (bzw. die Unterzeichnung zurückzogen) (s. Brief Nr. Nr. 32 Anm. 3). 49 Anna Elisabeth Eberhard (Nr. 11 Anm. 49). 50 Vgl. Ex 15,26. 51 Anna Elisabeth Kißners Bruder Conrad Hieronymus Eberhard (s. Brief Nr. 11 Anm. 50) und ihre Schwester Katharina Elisabeth Eberhard (s. Brief Nr. 30 Anm. 29). 52 Zu ihrem Sohn Conrad Hieronymus und ihrer Tochter Anna Elisabeth s. Brief Nr. 11 Anm. 47. 53 Christian Philipp Leutwein (10. 3. 1652–8. 12. 1728), Pfarrer in Wiesbaden; geb. in Wert- heim, nach dem Studium ca. 1675 Hofmeister in Pfedelbach, 1683 Pfarrer in Gronau, 1685 Pfarrer in Wiesbaden, 2. 9. 1690 Oberpfarrer, Konsistorialrat und Superintendent in Waldenburg; er war spätens seit 1681 mit Spener in Briefkontakt (BWPfB II.2 Nr. 1544; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 89 Anm. 1). 54 Johann Moritz Holtzhausen, Kaufmann in Frankfurt a. M. (Dietz, Handelsgeschichte 4.1, 145). Er wird in Briefen Speners nach Frankfurt a. M. öfter erwähnt (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 24, Z. 333, Nr. 36, Z. 47, Nr. 94, Z. 233, Nr. 174, Z. 121; Bd. 3, Brief Nr. 97, Z. 183, u. ö.). Eine Korrespondenz mit Spener wird belegt durch Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 46, Z. 62–64. Grüße und Hinweise auf den Briefwechsel fnden sich bis zum Ende in den Briefen an A. E. Kißner. 55 Frankfurter Gebäude: Rösslein oder Goldenes Ross (Battonn 3, 187). 56 Entweder die Frau des Frankfurter Bankiers Remigius (Remy) Barthels (zu diesem s. Dietz, Handelsgeschichte 4.1, 119–126; 4.2, 742; vgl. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 81, Z. 82 f, und Nr. 119, Z. 12–15; s. a. Bd. 3, Brief Nr. 111, Z. 29–31) oder die Frau von seinem Bruder Heinrich Anna geb. Bartels aus Lübeck (Dietz, Handelsgeschichte, 4.1, 122). 270 Briefe des Jahres 1690 stoph Ochse57 bereits verreiset wäre, ob sie seinetwegen die 50 Thlr. zahlen wolten, daß wir sie ihm zu Leipzig wieder geben. Frauen, Frauen Annae Elisabeth Kißnerin gebohrne Eberhardin, Wittiben in Franckfurt am Mayn.

57 Johann Christoph Ochs (s. Brief Nr. 30 Anm. 39). Nr. 61 an [den Vater eines Theologiestudenten] 30. 6. 1690 271 61. An [den Vater eines Theologiestudenten]1 Dresden, 30. Juni 1690

Inhalt Berichtet von seinem Gespräch mit dem Sohn des Adressaten in Leipzig und dem guten Ein- druck, den er gewonnen hat. – Beruhigt mit der Nachricht, daß bei den Leipziger pietistischen Unruhen keine falschen Lehren vertreten wurden. – Rät, daß der Sohn lieber in Erfurt bei [Joachim Justus] Breithaupt disputieren soll als in Leipzig; dort müssen sich die Wogen erst wieder glätten. Überlieferung K: Halle a. S., AFSt, F 13: II, Nr. 45. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 353–354.

An gedachtem werthen Sohne habe ich, so wol als denselben in Leipzig vor 10 Monaten2 gesprochen, als da dieses mahl underschiedlich mit ihm geredet, ein nicht geringes vergnügen gefunden, also, daß ich von ihm mich versiche- re, daß bey ferner fortsetzendem seinem feiß und dazu kommendem göttli- chen segen es nicht ermanglen werde, daß er zu seiner zeit ein gesegnetes 5 gefäß der göttlichen gnade und werckzeug seiner ehre abgebe und wie ande- re, also auch geliebte Eltern an ihm ursach, ihren Gott zu preisen, fnden werden. Darumb wir ihn alle auch ferner mit demuth anzurufen haben werden. Daß er vor einem jahr in einigen verdacht gerahten3, ist mir nicht unbekant, 10 aber auch, daß so wol ihm alß andern unrecht geschehen ist: in dem wir weder von H. M. Francken4, noch einigem5 derer, welche seine zuhörer ge- wesen, das wenigste von falscher lehr oder anderem eigenlichem sträfichem nach zeugnus der acten gefunden haben6, es möchte dann sein, daß einige in hertzlichem eifer zuweilen etwas mit nicht gnugsamen bedacht mögen ge- 15 than haben, so aber an sich selbs nichts böses gewesen. Indeßen ists freilich an dem, wie mein werther Herr meldet, daß man vor- sichtig und behutsam sein und sich halten muß, niemand zu verdacht (son-

3 von ] vor: K. 4 ferner ] fernerer: K.

1 Es handelt sich um den Vater eines Leipziger pietistischen Theologiestudenten, den Spener kennt. Wegen der Anrede „werther Herr“ (Z. 18 u. 52) handelt sich vermutlich nicht um einen Geistlichen. Auf Grund der Erläuterungen, die Spener zur Situation Leipzig und Erfurt machen muß, wird er in einem von Sachsen weit entfernten Ort zu suchen sein. 2 Beim Leipzigaufenthalt Speners vom 2.–9. 9. 1689. 3 Im Zusammenhang der pietistischen Unruhen in Leipzig (dazu s. Brief Nr. 16, Z. 104–150). 4 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 5 Im Sinne von „einem einzigen“ (DWB 3, 207). 6 Vgl. Brief Nr. 54, Z. 49, dazu auch die Gutachten Speners vom 3. 6. 1690 (Bed. 3, 777–805) und vom 10. 10. 1690 (Bed. 3, 805–817). 272 Briefe des Jahres 1690

derlich zu dieser betrübten zeit, da das beste am ersten in schwehren verdacht 20 gezogen zu werden pfeget) gelegenheit zu geben und auch der schwachen zu schohnen; davon ich auch, freundliche erinnerung zu thun, nicht underla- ßen habe, ich hinwider H. N. N.7 zutraue, daß er nicht allein derselben feißig sich erinnern, sondern aus bereits habender erfahrung alle steine das anstoßes8 so viel sorgfältiger verhüten werde. 25 Was die disputation anlangt, so wünschte ich, daß ich helfen oder rathen könte, sie in Leipzig zu halten; mir ist aber eines und anders bekant, darauß ich mich versichert halte, daß die von ihm elaborirte disputation von der so feinen Christlichen materie dermaßen, als sie von ihm abgefaßt, daselbs zu halten nicht wird zugelaßen, sondern, wenn er je daselbs disputiren solte, ihm 30 viel eher eine von einem professore gemachte vorgeschrieben werden und er das vornehmste, wohin die sache gemeinet, verliehren, nemlich die gelegen- heit durch seine elaboration, darauß man seine gaben und erudition zu er- kennen vermöchte, sich zu recommendiren: zu geschweigen, daß ich auch von weiteren zumuthungen, die ihm geschehen möchten, billiche sorge tra- 35 ge9. Daher, wo ich nach aller treue, wie ich schuldig bin, rathen solle, so wolte dißmal rathen, sich mit der disputation nach Erfurt zu wenden, da er dieselbe under dem rechtschafenen D. Breithaupten10 (so vormalen auch pro- fessor zu Kiel gewesen) halten und sich daselbs zu erwünschtem vortheil seiner studien deßelben anleitung, neben Herr M. Francken, der bereits einen 40 stattlichen applausum daselbs bekommet11, genießen kan, wie ihm auch da- selbs eine condition anpraesentiret wird, da er ohne der werthen Eltern kosten zu leben und zu studiren vermag. Dieser vorschlag, hofe ich, werde, wo die gantze sache in der forcht des HErren reifich erwogen wird, nicht undienlich befunden werden, weil, biß sich einige motus in Leipzig gesetzt werden ha- 45 ben, solcher ort ihm zu seinem und der seinigen zweck nicht bequem sein wird. Bitte, also die sache noch ferner Christlich zu überlegen, dabey aber zu glauben, daß, wo es meinen leiblichen bruder oder Sohn angienge, nicht treulicher zu rathen wüßte und daher, wo solchem rath statt gegeben wird, 50 hofe, daß keine reue darauf erfolgen solle. Er aber, der so wol die hertzen in händen hat, als insgesamt unsre gänge auf richtige wege richten muß, gebe selbs meinem werthen Herrn zu erkennen, was vor den geliebten Sohn das

38 sich ] – D.

7 In K unlesbar gemacht. 8 Sprichwörtlich (nach Jes 8,14). 9 Dem aus Wismar gebürtigen Joachim Martin Schumann war – zunächst – nicht erlaubt worden, in Leipzig zu disputieren, weil er sich vorher eine Zeitlang in Speners Haus in Dresden aufgehalten habe und ihm die Thematik von Spener vorgegeben worden sei (s. dazu Brief Nr. 31). 10 Joachim Justus Breithaupt, Senior in Erfurt (s. Brief Nr. 13 Anm. 1). 11 Francke war am 2. 6. 1690 von Breithaupt zum Diaconus in Erfurt ordiniert worden (Kramer, Beiträge, 81). Nr. 61 an [den Vater eines Theologiestudenten] 30. 6. 1690 273 vorträglichste seye, ihn mehr und mehr zu dem jenigen tüchtig zu machen, wozu er ihn künftig nach seiner gnade und weißheit verordnet haben mag: so führe er ihn nach seinem rath und nehme ihn mit ehren an. 55 Den 30. Junii 1690, Dreßden. 274 Briefe des Jahres 1690 62. An [einen Bekannten]1 Dresden, [Erstes Halbjahr?] 16902

Inhalt Berichtet vom Besuch zweier Schwenckfelder und ihren Gründen, nicht zur lutherischen Kirche zu konvertieren. – Ist der Ansicht, daß eine Konversion der Schwenckfelder möglich würde, wenn eine Besserung der lutherischen Kirche stattfände. – Inzwischen wirbt er für einen liebe- vollen Umgang mit ihnen und einer sorgsamen Erklärung der evangelischen Wahrheit bei ihnen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 314–315.

Was anlangt so wol Petrum als jetzigen überbringern Andream3, so habe mit beyden, sonderlich diesem, hertzlich geredet von ihrer und ihrer mitgenossen vereinigung mit unsrer Evangelischen kirchen: glaube auch, daß dieser in einigem eine andere impression von derselben mag bekommen haben, als er 5 vorher gehabt. Die vornehmste hindernüß und abhaltung aber sorge ich vor- nemlich, nechst der erziehung und also praeoccupation von der jugend, welche auch bey den besten gemüthern pfeget einen stärckerern eintruck, als man glaubet, zu haben, diese zu seyn: daß sie klagen, vor jahren von unsern predigern, da dieselbe noch mehr zu sprechen gehabt haben, hart verfolgt 10 worden zu seyn4, auch gleiches gemüth noch bey den meisten fürchten; daher sie davor halten, es müsse nichts von Christi geist sich bey ihnen fnden. Hiezu kommet, daß sie klagen, sie hörten von der lehr der rechtschafenen wiedergebuhrt und innern menschen insgemein von den Lutherischen pre- digern weniges oder gar nichts, ja, welche noch dergleichen trieben, würden 15 von den andern vor verdächtig oder Schwenckfelder5 gehalten. Es ist eine

8 diese ] diesen: D1. ​

1 Nicht ermittelt. Es könnte sein, daß die beiden Delegierten der Schwenckfelder (s. Z. 1 f) auch zu ihm gekommen sind. Demnach müßte der Adressat für die beiden ähnlich einfußreich wie Spener sein. 2 In seinem Brief vom 10. 7. 1690 (Brief Nr. 65, Z. 154–161) an Johann Ludwig Prasch be- richtet Spener von den zurückliegenden Bedrängnissen der Schwenckfelder in Schlesien. Sollte er diese Informationen ausführlicher von dem hier genannten Besuch erhalten haben, wäre damit zu rechnen, daß dieser Brief in das erste Halbjahr 1690 zu datieren ist. 3 Petrus und Andreas sind Konsilienpseudonyme. Horst Weigelt nimmt an, daß einer der beiden Delegierten Georg Hauptmann (1635–18. 1. 1722) war (H. Weigelt, Von Schlesien nach Amerika. Die Geschichte des Schwenckfeldertums, Köln, Weimer 2007, 138, 142). 4 Zu den Repressalien der Schwenckfelder durch lutherische Theologen s. H. Weigelt, Spi- ritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien, Berlin u. New York 1973, 217–222. 5 Anhänger Caspar von Schwenckfelds, die seit Mitte des 16. Jd. in Schlesien separatistische Gemeinden bildeten (H. Weigelt, [wie Anm. 4]). Nr. 62 an [einen Bekannten] [Erstes Halbjahr?] 1690 275 fernere klage, wo sich jemand zu uns verfügte, so wäre es bey den predigern insgemein damit ausgemacht, daß man nur zur predigt, beicht und abendmahl käme, ausser diesem bekümmerten sich dieselbe um die zuhörer und dero innerlichen wachsthum6 wenig, daher sie wenig vortheil davon hätten: und also lieber in derjenigen freyheit der gewissen blieben, die ihnen noch bißher 20 GOtt gegönnet hätte, als sich zu denjenigen verfügten, wo sie nach einmaliger zutretung zu denselben allerley zu sorgen hätten, und doch wenig beforde- rung ihres heils fnden würden. Ob wol nicht alles so trocken heraus gesagt worden, habe doch gefunden, daß dieses die meiste knoten sind: daher glaube gäntzlich, wann in unsrer 25 Evangelischen kirche eine mehrere besserung sich aufthun solte und mehre- re prediger, sich das werck des HErrn an ihren gemeinden mit mehr ernst angelegen seyn zu lassen, anfngen, daß sie eine kräftige lehr=art​ und erbau- liche anordnung der gemeinden sehen, so dörften sie insgesamt oder nach und nach von ihren abwegen und sonderung sich zu uns verfügen: also daß 30 wir billig die gebrechen unsrer kirchen auch als eine ursach, daß diese sonst gut gesinnte leut, sich zu uns zu verfügen, nicht entschliessen können, anzuse- hen haben. Indessen begegnen wir ihnen billig mit liebe, tragen sie mit gedult, beten vor sie hertzlich, hüten uns vor allem gegen sie, was ihnen mehr mißtrauen 35 gegen uns machen möchte, und suchen hingegen mit liebreicher vorstellung unsrer wahrheit ihre gemüther allgemach zu gewinnen: ob dem HErrn gefal- len wolte, auch ihre seelen weiter mit seinem liecht und kraft zu rühren und unsre kirche mit beyfügung solcher leut, von denen ich mich aufs wenigste ihres lebens wegen bey uns keines ärgernüsses befahren wolte, zu erfreuen. 40 Ach, er lasse sein liecht der wahrheit immer weiter durchbrechen und alle fnsternüß erleuchten. 1690.

31 unsrer ] unser: D1+2.

6 Der Wachstum (DWB 27, 148). 276 Briefe des Jahres 1690 63. An einen Prediger1 Dresden, [Erstes Halbjahr?] 16902

Inhalt Hat sich über den Brief gefreut, der vom geistlichen Wachstum in der Gemeinde des Adressaten berichtet, das er auch für die Zukunft von Gott erwarten soll. – Hält die inneren Kämpfe für ein Erziehungsmittel Gottes. – Ermuntert dazu, mehr Zeit zum Gebet und dem Meditieren bei der Predigtvorbereitung anzuwenden, nachdem er für andere Aufgaben im Pfarramt inzwischen weniger Zeit benötigt. – Versichert den Adressaten in der Gewißheit, von Gott an seine jetzige Stelle berufen worden zu sein. – Beteuert, daß er sich des Rufs von Frankfurt nach Dresden gewiß ist, obwohl er ungern weggegangen ist und nur wenige Zeichen des göttlichen Segens erkennen kann. – Kann auf die Klage des Adressaten über Einsamkeit nicht antworten; berichtet von der eigenen Erfahrung einer Zeit der Einsamkeit, in der er sich ganz auf seine Arbeit kon- zentrieren konnte. – Gibt zu bedenken, ob eine Heirat vor der Einsamkeit bewahren könne, mahnt aber dazu, eine Frau zu nehmen, die sich als Pfarrfrau würdig erweist. – Befehlt ihn der Führung Gottes an. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 620–622.

Ich kan zum fordersten bezeugen über den meisten innhalt des briefs3, so viel denselben selbs anginge, freude empfunden zu haben. Sonderlich was wegen göttlicher gnade demselben in erleichterung seines amts und der gemeinde in gutem anfang eines geistlichen wachsthums erzeiget zu dem preiß GOTTES, 5 des gebers, gerühmet worden: daher auch mit ihm billig die himmlische güte vor solche wohlthaten preise: aber von GOTTES wegen billig von demselben fordern kan, daß er auch dessen rath bey sich in diesem kräftig seyn und erreichet werden lasse mit so viel kindlicherem vertrauen aus deroselben noch ferner alles ihm nöthige hertzlich zu erwarten: als welche stärckung unsers 10 glaubens und so viel getrosters vertrauen auf das künftige jederzeit eine4 stück der göttlichen absicht in dero wohlthaten ist und also auch derselben von uns platz gelassen werden muß, jede der empfangenen als ein pfand noch mehrerer folgender anzunehmen. Den kampf dessen gemüths anlangend, ob wohl sonsten eine vergnügli- 15 chere ruhe hertzlich gönnen möchte, sehe doch als eine übung an, durch welche oder in welcher der HERR ihn einiges lernen lassen will. Dann wir lernen, was wir sind, so dann unser vermögen und unvermögen, nie besser erkennen, als wo uns GOTT in einen kampf mit uns selbs gerathen, sonder-

1 Die Adressatenangabe erfolgt nach dem Regest von D. 2 Nach Zeile 58 f könnte der Brief in das erste Halbjahr gehören, denn gegen Ende des Jahres wird die Frage nach der Wegberufung aus Dresden viel deutlicher als hier besprochen. 3 Nicht überliefert. 4 Der Femininartikel fndet sich in allen Aufagen; der feminine Gebrauch des Nomens „Stück“ ist nach dem DWB nicht nachweisbar. Nr. 63 an einen Prediger [Erstes Halbjahr?] 1690 277 lich so er denselben eine zeit lang anhalten lässet, also daß wir, ob wir wohl ein und anderer gedancken, die uns quälen, gern loß wären, dannoch nicht 20 nach willen sie von uns bringen können, sondern dero widerstand leiden müssen. Nur lasset uns in solchem stand eines theils uns so vielmehr vor GOTT eben wegen solcher unserer fühlenden schwachheit demüthigen, so dann, wo sie uns an dem guten hindern oder träge machen wollen, gebüh- renden widerstand erzeigen. 25 Sonderlich wolte ich nicht gern, daß, wo aus der von GOtt beschehrten fertigkeit in den amts=ver​ richtungen ferner die versuchung einer nachläßig- keit in dem meditiren ansetzen solte, derselben im geringsten gewichen würde: sondern wolte lieber rathen, wo endlich, was so zu reden das eusser- liche anlangt, mit concipiren oder memoriren nicht mehr solche mühe, wie 30 vorhin erfordert wird, sondern gantz leicht ist, daß dann so vielmehr feiß an das meditiren selbs und das gebet angewendet werde, so mehr zu dem inner- lichen gehöret: und wolte ich mir, wo ich mich einer trägheit besorgte, eine gewisse zeit setzen, die ich zu jeglicher predigt widmen und ohne wichtige hindernüß nichts davon zurück lassen wolte, daß ich aufs wenigste meine 35 andacht über solche materie anstellte. Nechst dem wünsche auch, daß so viel müglich den jenigen gedancken widerstanden werde, welche bey demselben ein mißvergnügen über die an- nehmung jetzigen berufs erweckten oder stärckten. Ich halte mich versichert, daß der beruf göttlich seye, und ob einiges menschliches von gewissen seiten 40 möchte unterlaufen seyn, daran ich weder damal gezweifelt noch jetzo zweife, so ist mir doch der erfolgte eventus gewiß göttlich; und nachdem derselbe nicht aus feischlichen ursachen, sondern vielmehr wider das jenige, was feisch und blut an die hand gegeben hat, aus löblichem trieb den beruf vor göttlich angenommen, seiter dem aber auch in mehrerem segen so zu 45 reden das göttliche siegel darauf getruckt bekommen hat, rechnete ich mirs vor sünde, die folge in solchem, worinnen mich GOTT gerühret, mich wiederum reuen zu lassen, da ich vielmehr glaube, darinnen GOTT wohl gefallen zu haben; dessen wohlgefallen daran ich also je nicht aufs neue wiederum verschertzen wollte. Hievon solte mich, was auch geschehe oder 50 mir vorgesagt würde, vermittelst göttlicher gnade durchaus nicht abwendig machen. Wie dann versichern kan, ob wol unterschiedliches mir zeit meines hie seyns begegnet, daraus sich ein und ander solten haben bewegen lassen, zu wünschen, lieber in Franckfurt geblieben zu seyn, daß dennoch der HERR 55 mich noch bewahret, daß, wie schwehr mich auch angekommen, von jenem lieben ort abzugehen, gleichwohl noch niemahl gewünschet, dem beruf nicht gefolgt zu haben: hofe auch, was der HErr auch noch ferner über mich ver- hängen wolte, daß es dazu nicht kommen solle, nachdem ich einmahl mit kräftiger überzeugung des göttlichen raths in demselben versichert worden 60 bin. Hingegen halte gewiß, daß, obs auch eine weil ausgeblieben ist, der grosse GOTT auf ihm beliebige art zeigen werde, wie ihm jene folge ange- 278 Briefe des Jahres 1690

nehm gewesen seye, wo wir nur in ferner gedult und gelassenheit unsre hand ihm lassen zu seiner eignen führung. 65 Was die beschwehrde der einsamkeit oder mangel der angenehmen gesell- schaft anlanget, ists wohl dasjenige, das mir am meisten anliget und am schwehrsten zu rathen weiß, in dem etwa die beschafenheit des gemüths denselben mehr zu freundlichem umgang mit andern treibet, wo freylich viel saurer wird, fast stäts dessen entrathen sollen, wozu man natürlich geneigt ist; 70 so gewiß eine ziemlich starcke verleugnung erfordert. Bey mir zwahr wäre es, so viel gewalt anzuthun, nicht nöthig, dann ob ich wohl fast stäter conversati- on gewohnt bin, bilde mir doch ein, daß mit wenigem zwang, wo sonsten nur meine nothdurft und arbeit hätte, derselben mangeln wolte. Wie mich auch entsinne zeit meiner studiorum in Straßburg, als bey den Pfaltzgrafen war5, 75 diese aber mit allen andern eine reiß vorgenommen und mich mit einer alten magd allein gelassen hatten, etwa sechs wochen so zugebracht zu haben, daß wol in einigen tagen zu weilen kaum einen menschen, so gar nicht einmahl die magd, so mir meine speise vor das gemach nidersetzen mußte, gesehen und nur meine zeit unter den büchern zugebracht habe; da dann solches le- 80 bens so wenig überdrüßig worden, daß vielmehr betrübt wurde, als die zeit nahete, daß meine Herren wiederkommen solten und ich also meine so an- genehme einsamkeit wiederum aufgeben mußte, als der ichs vor eine freude gehalten hätte, stäts in solcher freyheit und stille leben zu können. Ich lasse aber wohl gelten, daß es andern eine große pein seyn mag. Indessen meine 85 ich doch, daß es nicht gar an conversation mangle, da auch die amtsgeschäf- ten selbs schon eine art derselben geben: so mögen auch neben den studiis, dazu die mehrere einsamkeit die liebste gelegenheit gibet, einige haus= oder garten=​verrichtungen, so dann spatziergänge ein grosses dessen ersetzen, was sonsten von der conversation zu der gemüths=erm​ unterung verlangt werden 90 möchte; der HERR stehe aber auch hierinnen bey und lasse diese probe, so lange sie währen solle, nicht zu schwehr werden. Eine von GOTT beschehrende heyrath und beygesellung einer Christl[ichen] gehülfn würde wohl das beste mittel seyn zu erleichterung der beschwehrlichen einsamkeit, aber wie mir nicht eben alle absonderliche 95 hindernissen solcher resolution bekant sind, also weiß nur insgemein, daß es fast schwehr mit der wahl hergehe, wo man eine person suchen will, die wahr- haftig unserm stande gemäß, und davon zu hofen seye, mit derselben eine nicht nur sonst nach dem eusserlichen vergnügliche, sondern auch vor GOTT recht angenehme ehe zu führen.

72 conversation ] conservation: D3.

5 Spener war vom September 1654 bis zum März 1656 Informator und Reisebegleiter der Pfalzgrafen bei Rhein Christian (später Christian II. von Pfalz-Birkenfeld) und Johann Carl gewesen (Wallmann, Spener, 85 f). Nr. 63 an einen Prediger [Erstes Halbjahr?] 1690 279

Nun, der HERR HERR, dessen diener er ist und dessen leitung er auch 100 sich, wie nicht zweife, willig überlassen wird, führe ihn in allen stücken nach seinem rath und nehme ihn mit ehren an. Er seye ihm jetzt alles und werde ihm durch andere, wessen er von allen in allerley stücken bedörftig ist. 1690. 280 Briefe des Jahres 1690 64. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 8. Juli 1690

Inhalt Ermutigt zum Widerstand gegen die Verkündigung des christlichen Glaubens als opus operatum und gegen den Versuch von Theologen – in römisch-katholischer Manier – die Herrschaft über die Gewissen der Gläubigen zu übernehmen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 817.

Geliebter bruder, ists zeit, zum heyl unsrer kirchen sich einiger boßheit zu widersetzen, so ists gewiß diese doppelte boßheit, eins theils, da man unser Christenthum in das opus operatum2 setzt und durch einen todten glauben selig zu werden meinet; andern theils da Prediger und Theologi sich der herr- 5 schaft über die gewissen annehmen, ohne zuziehung der übrigen kirchen alles decidiren und, was zu glauben seye, andern vorschreiben und aufdrin- gen, welche angemasste macht des cleri, so vielmehr nur gewisser theil des- selben, als das hertz des Papstums zu halten ist, und gleichsam ein Babel der menschlichen autorität unter uns gründen will3; daher von allen denen, die 10 den HERRN lieben, sonderlich die GOtt, da sie selbs wider sich dergleichen erfahren müssen, sonderbar dazu beruft, dieser tyranney getrost begegnet werden muß; solten wir dabey auch alles müssen aufsetzen4, so geschichts nicht weniger zu der ehre unsers grossen GOttes, als vor welchen andern articul wir etwas leiden würden. Dann wir leiden vor die freyheit der warheit 15 insgemein und thun nach den befehl, nicht menschen knechte zu werden5. Ich halte auch dafür, es werden sich mehr und mehr leute hervor thun, die sich der herrschaft über die gewissen freudig entgegen setzen sollen.

1 Wegen der Anrede in Z. 1 handelt es sich um einen Geistlichen, der sich ofenbar in einer Auseinandersetzung (mit Amtsbrüdern?) befndet. Könnte er auf August Hermann Franckes „Apologie“ reagieren (s. dazu Anm. 3)? 2 Opus operatum, scholastische Formel, nach der die Wirkmächtigkeit der Sakramente nicht von der Würdigkeit des Spenders oder vom Glauben des Empfängers abhängt. Zur pietistischen Verwendung der Formel vgl. PD 34 f. 3 Der Vorwurf eines Rückfalls in den römischen Katholizismus mit seiner Herrschaft über die Gewissen (Babel als ein aus der Bibel entlehntes Bild für die Kirche, die die wahre Kirche unter- drückt; vgl. Martin Luther, De Captivitate Babylonica ecclesiae praeludium, WA 6, 484–573) fndet sich in ähnlicher Weise in der „Apologie“ Franckes vom 7. 11. 1689 (Francke, Streit- schriften, 87.33–36, 101.12–15). 4 Im Sinne von „aufs Spiel setzen“ oder „wagen (DWB 1, 737). 5 Vgl. 1Kor 7,23. Nr. 64 an [einen Geistlichen] 8. 7. 1690 281

Der HErr aber regiere sie alle mit der weißheit aus der höhe, hierin auch zu thun, was seine ehre erfordert, und gebe ihnen endlich den sieg.

8. Jul[i] 1690. 20 282 Briefe des Jahres 1690 65. An [Johann Ludwig Prasch in Regensburg]1 Dresden, 10. Juli 1690

Inhalt Der Brief Praschs ist ihm durch [Michael] Püchler übermittelt worden. – Beschreibt seinen Kontakt mit Püchler in den vergangenen Jahren: Kann auf dessen Bitte um Rat, ob er das ihm durch das Regensburger Predigerministerium vorgelegte Bekenntnis unterschreiben solle, nicht antworten; erläutert die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit, die bei der Unterschrift zu beachten ist. – Hält das Regensburger Predigerministerium nicht für auto- risiert, Bekenntnisse zu formulieren, die Gemeindegliedern oder anderen vorgelegt werden. – Erläutert seine eigene Zurückhaltung in seinem Urteil über Jakob Böhme. – Befürchtet, daß Püchler und [Lorenz Seibold] auf Grund dieser Auseinandersetzung zum Katholizismus kon- vertieren. – Berichtet vom Beispiel schlesischer Schwenckfelder, die privat und in Ruhe ihrer Religion nachgehen können. – Verweist auf das zarte Gewissen und die Einfalt Püchlers und Seibolds. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 687–692.

Was Ew. Excell. Michael Püchlern2 an mich mit gegeben und darinnen seine sache und anligen recommendiret3, ist mir von demselben richtig überliefert worden. Nun halte mich sowol schuldig, als bin auch gestalter sachen nach willig, 5 jeglichem, dem in einer angelegenheit an die hand zu gehen vermag, nach vermögen zu dienen. Ich habe aber das geschäft, nachdem gedachter Püchler mit Vener[ando] ministerio zu Regenspurg von etlichen jahren her in miß- vernehmen gerathen, sowol als der gute mensch etliche mal schriftlich mich

1 Johann Ludwig Prasch (4. 4. 1637–11. 6. 1690), Konsistorialpräsident in Regensburg; Verfasser zahlreicher poetischer Werke und zur Sprachforschung (K. Dachs, Leben und Dichtung des Jo- hann Ludwig Prasch, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 98, 1957, 1–219; Große Bayerische Biographische Enzyklopädie, Bd. 3, München 2005, 1524; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 128 Anm. 1). – Daß Prasch inzwischen verstorben war, ist Spener ofenbar nicht bekannt gewesen. – Die inhaltlichen Überschneidungen mit Speners Brief an Prasch aus dem Jahr 1689 lassen sich damit erklären, daß Spener sich eigentlich gar nicht mehr in die Angelegenheit einmischen wollte (s. Brief Nr. 30, Z. 60–77) und dann (erst nach langem Zögern?) erneut an Prasch schrieb; bei allen Ähnlichkeiten beider Briefe wird im vorliegenden vor allem betont, daß man einem Gemeindeglied keine Unterschrift unter ein Bekenntnis abnötigen kann, das nicht von der gesamten evangelischen Kirche approbiert wurde. 2 Michael Püchler (gest. vermutl. 1692), Kaufmann in Regensburg; er war mit dem Regens- burger Predigerministerium in Konfikt geraten, weil er Schriften Jakob Böhmes verbreitete; nach der Weigerung, das im vorliegenden Brief bedachte Bekenntnis zu unterschreiben, wurde er aus der Stadt ausgewiesen und beging später Selbstmord (Unschuldige Nachrichten, 1712, S. 678; LBed. 3, 520–524; Spener an Anna Elisabeth Kißner im November 1692 [AFSt, Halle a.S., D 107, S. 467 f]; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 150 Anm. 1). 3 Ofenbar die Antwort Praschs auf den Brief Speners aus dem zweiten Halbjahr 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 128). Nr. 65 an [Johann Ludwig Prasch] 10. 7. 1690 283 deswegen angelanget, da ihm auch zu unterschiedenen malen geantwortet, als jetzt, da er mündlich mit mir reden wollen, also bewandt gefunden, daß über 10 dasjenige, was vorige jahr gerathen4, nicht mehr zu thun weiß, als der mich weder einer seits in dinge, welche andere in ihrem amt verrichten, austrück- lich zu mengen befugt weiß, noch anderseit, wo jemand sein gewissen be- schwerete, mich der schuld gern theilhaftig machen wolte. Weswegen ich, wie schon vormalen Püchlern geschrieben, was er mit gutem gewissen in der- 15 gleichen dingen thun könne oder nicht, nicht rathen, sondern seinem eignen gewissen solches überlassen muß5. Dieses kan ich zwar wol sagen, was ich unterschreiben könne, nicht aber, was ein ander könne oder nicht. Denn daß einer etwas unterschreibe ohne verletzung seines gewissens, gehöret nicht allein dazu, daß eine sache und bekantnus wahr seye, sondern, daß er sie auch 20 völlig verstehe und in seinem hertzen davon eine völlige überzeugung habe; sonsten kan sich derjenige versündigen, der einer auch göttlichen warheit, aber mit scrupulosem und zweifelhaftigem gewissen unterschreibet, weil er sich um menschen willen einer gefahr zu sündigen wissenlich unterwirfet. Daher kan es seyn, daß ich etwas mit freuden und göttlicher gewißheit unter- 25 schreibe, da ein ander, so daran zweifelt und doch auf meine persuasion mir zu gefallen unterschreiben wolte, sich mit solcher unterschrift versündigte. Weswegen ich Püchlern nie anders gekont, noch jetzo kan, als auf sein gewis- sen weisen, welcher aber nach demselben, solches nicht thun zu können, weil er vieles nicht begreife, klaget. 30 Mich belangend, ob ich wol an den thesibus selbs keinen mangel habe, würde dannoch, der confession zu unterschreiben, bedencken haben, eines theils, weil in den antithesibus, die verworfen werden, unterschiedliche sa- chen stehen, die ich bekenne, daß weder phrases noch sachen verstehe6, an- dere aber so bewandt achte, daß sie in gewissem verstand wahr, in anderem 35 aber verwerfich sind, und scheinet, daß eben durch die antitheses einigen etwas mag ex intentione concipientium7 beygeleget werden, da ich noch in zweifel stehe, ob solchen damit recht oder unrecht geschiehet, wie ich hin- gegen mich davor als vor einer schweren sünde sonderlich hüte, einem, solte er auch sonsten ein bekanter ketzer seyn, etwas weiter zuzumessen oder auch 40 nur in einer rede einen gewissen verstand aufzubürden, weiter als ich in meiner seele versichert bin, daß ihme damit nicht zu viel geschehe, weswegen ich in antithesibus allezeit noch behutsamer gehe und ehender zurück halte, um mich an keinem zu versündigen, als in der thesi, welche wir bald aus gött- lichem wort zu einer unzweifenlichen gewißheit bringen können; andern 45 theils, weil ich auch mit meinem exempel dasjenige nicht bekräftigen wolte,

4 Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 127. 5 Vgl. dazu Speners Ausführungen in seinem Brief an Püchler aus dem Jahr 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 127, Z. 6–35). 6 So auch in seinem Brief (wie Anm. 5), Z. 24–28. 7 Nach der Intention der Verfasser. 284 Briefe des Jahres 1690

was ich rem non optimi exempli8 und der kirchen ehe9 schädlich und prae- judicirlich als nützlich achte: Nemlich wo sich ein ministerium die macht nimmet, neue confessiones, und zwar mit verwerfung mehrerer meinungen, 50 welche die gesamte kirche oder das meiste derselben noch nicht ofentlich verworfen hat (gesetzt, ob sie auch falsch sind, und keinem verboten ist, dieselbe ofenlich zu widerlegen, ja vielmehr, daß solches geschehe, zu be- fordern ist), abzufassen und andere dazu zu obligiren. Wir wissen, wie unsre symbolische bücher meistens auch in dieser sache mit so grosser behutsamkeit 55 verfasset worden sind und wie viel Theologi, obwol der sel[ige] Lutherus10 die Smalcaldische articul11 verfaßt, dannoch dazu gezogen worden sind, sonderlich aber was sorgfalt, zusammenkünften, verschickungen, schriftliche communicationes angewandt worden und geschehen sind, bis endlich die formula concordiae12 in den stand gebracht worden ist, worinnen sie stehet13. 60 Und gleichwol hat man auch an dieselbe diejenige Evangelische kirchen ausser und in dem reich, welche sie nicht freywillig angenommen, nicht also verbunden, daß sie als unserer religion mitgenossen ohne dero subscription nicht dörfen gehalten werden; viel weniger hat man solche allen unsrer kir- chen gliedern, dero wol die wenigste gegen die übrige davon wissen, also 65 vorgeschrieben, daß ohne dero unterschrift niemand zur gemeinschaft der kirchen gelassen werden dörfte, sondern die höhere weltliche häupter haben es dabey lassen gnug seyn, daß sie ihre lehrer und prediger, sodann an einigen orten auch weltliche bediente und beamte dazu verbünden, aufdaß also die- selbe die regel nicht sowol des glaubens selbs, dann derselbe gründet sich 70 unmittelbar auf GOttes wort, als der ofenlich treibenden lehr wäre, dazu sich daher diejenige mit eydes=​gelübde verpfichten mußten, welche entweder selbs lehreten oder in ihren ämtern theils auf die lehr achtung geben solten, theils dieselbe zu befordern hätten, dahero ihnen die erkäntnüs derselben so viel nöthiger, auch zu der versicherung der lehr in der kirchen vorträglicher 75 war, daß diese darüber eine verbindnus14 hätte. Hingegen ist mir kein ort unserer kirchen bisher bekant worden, da auch alle zuhörer und übrige glieder der kirchen ausser den lehrern zur unterschrift der obwol insgemein ange- nommener symbolischen bücher wären angestrenget worden; wie viel weni- ger ists also dieser vorsichtiger vorsteher unsrer kirchen meinung gemäß, daß 80 in einigen dero theilen gantz neue bekantnussen ohne der übrigen kirchen vorwissen gemachet und diejenige, so sich nicht zu unterzeichnen getrauten, von ihrer gemeinschaft ausgeschlossen würden?

8 Schlechtes Beispiel. 9 Möglich im Sinne von „eher“ (prius) (DWB 3, 38). 10 Martin Luther (1483–1546). 11 Die Schmalkaldischen Artikel (BSLK 405–468). 12 Die Konkordienformel (BSLK 735–1100). 13 Zur Entstehung der Konkordienformel s. Brief Nr. 32 Anm. 7. 14 Eine verbindende Verpfichtung (DWB 25, 123). Nr. 65 an [Johann Ludwig Prasch] 10. 7. 1690 285

Was auch noch andere exempel anlangt, ob wol dem hochlöbl[ichen] Chur=​hauß Sachsen in dem reich das directorium des Evangelischen wesens nicht disputiret15 werden kan16, so hat dasselbe seines rechts gleichwol allezeit 85 mit grosser behutsamkeit sich gebraucht; daher wenn einige streitigkeiten in gewissen puncten sich erhoben, zum exempel zwischen den Würtenbergi- schen und Heßischen Theologen, sind dieselbe auf hohen befehl von den Churfürstl[ichen] Theologen (die sich dessen auch nicht eigenmächtig unter- standen) decidiret, aber solche decisionen deswegen niemand aufgetrungen, 90 die, so sie nicht annahmen, nicht von der gemeinschaft der kirchen ausge- schlossen, ja, in den eigenen landen nicht einmal dem religions=​eyd einver- leibt oder ein stück der confession daraus gemachet worden17. Und da wol in langer zeit keine streitigkeiten mit heftigerem eifer eine weil getrieben worden als zwischen Wittenberg und Helmstadt18, ist zwar wider- 95 um durch die hiesige Theologen19, die reinigkeit der lehr zu erhalten, ge- trachtet worden, es haben aber diejenige Theologi, welche einige mal ver- langt, daß der consensus repetitus20 möchte in den religions=​eyd inseriret werden21, nichts erhalten, sondern sowol die hohe ministri, geistliche und weltliche räthe als auch landschaft, stäts davor gehalten, daß wir an den vo- 100 rigen symbolischen büchern gnug hätten, wie es auch in der that ist; ich daher kein exempel wüßte, daß sich ein ministerium unterstanden hätte, ohne dero magistrat, ja auch nicht ein particular magistrat, neue und zwar solche con- fessiones aufzusetzen, welcher verweigerte unterschrift jemand, der sich in dem übrigen zu unsern allgemeinen glaubens=bekantnussen​ hält, sonderlich 105 was ungelehrte und so genante leyen anlangt, aus der gemeinde schliessen solte22. Daher ich nochmal widerhole, daß ich aus solcher ursach mich nim- mer resolviren könte, eine dergleichen confession, ob sie auch aus lauter

15 streitig machen; absprechen (vgl. DWB 2, 1191). 16 Der sächsische Kurfürst als Direktor des corpus evangelicorum, d. h. der evangelischen Reichsstände (K. O. von Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1993, 51). 17 Spener verweist hier auf den sog. „Kenosisstreit“ zwischen den Gießener und Tübinger Theologen (s. Brief Nr. 32 Anm. 9). 18 Der synkretistische Streit (s. dazu Brief Nr. 32 Anm. 10). 19 Die Theologen der Universitäten Wittenberg, Leipzig und Jena (vgl. H. Schmid, Ge- schichte der synkretistischen Streitigkeiten in der Zeit des Georg Calixt, Erlangen 1846, 235–308). 20 Abraham Calov, Consensus Repetitus Fidei Vere Lutheranae In illis Doctrinae capitibus, quae Contra puram, & invariatam Augustanam Confessionem […] impugnant D. Georgius Calixtus […] discupiunt, ob praesentem Ecclesiae necessitatem seorsim editus, Wittenberg: Johannes Borckard 1666 (neu ediert: Ernst Ludwig Henke, Consensus repetitus fdei vere Lutheranae MDCLV. Librorum ecclesiae evangelicae symbolicorum supplementum. Marburg 1847; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 105 Anm. 13). 21 D. h. in den Status einer Konfessionsschrift gelangen, auf die sich die Geistlichen bei der Ordination zu verpfichten hatten. Zuletzt unternahm Abraham Calov noch einen – vergeb- lichen – Versuch, dies zu bewerkstelligen, und bemühte sich, auch Speners Unterstützung zu erhalten (Frankfurter Briefe Bd. 1, Brief Nr. 105, Z. 92–108). 22 Der Versuch, einen Religionseid, ebenfalls mit Verwerfungen, in Hamburg einzuführen (s. Brief Nr. 32), wurde vom dortigen Magistrat auch abgewiesen (Rückleben, Niederwerfung, 113). 286 Briefe des Jahres 1690

solchen sätzen, die ich sonsten selbst erkenne23, bestünde, zu unterzeichnen 110 und also, welches ich damit zu geschehen sorgte, dem Evangelischen wesen ein praejudiz zu machen; nachdem ich nicht leugne, davor zu halten, daß demselben so wol vor sich selbs als wegen des vorwurfs der widrigen, der papisten, daran gelegen seye, daß dergleichen nicht aufkomme, noch etwas ohne höhere und gemeine communication vorgenommen werde. 115 Ich weiß zwar, daß dieser Püchler samt einem andern24 wegen Jacob Böh- mens25 schriften zuerst in das getränge gekommen, nachdem er aber auch, so viel von ihm weiß, jene von sich gegeben und sich seiner nicht annehmen wollen, so stehet sehr dahin, ob man ihn gar, denselben zu verdammen, nöt- higen könne, nachdem er etwa das wenigste davon verstehet. 120 Ich vor meine person bin nicht in abrede, ob ich mich wol Jacob Böhmens so gar nicht annehme, daß ich ihn nicht lese, auch andern vielmehr zu lesen abrathe (ob ich ihn wol wider die christl[iche] freyheit der prüfung26 niemand schlecht verbieten kan), daß ich mir dannoch allzuviel bedencken mache, ihn als einen verführer und irrgeist zu verwerfen; dann ich habe sehr wenig, als 125 mir einmal ein tractat um meines urtheils willen zugesandt worden27, davon gelesen, und was ich gelesen, so gar nicht verstanden, daß ich nicht, obs wahr oder falsch wäre, unterscheiden konte, weil ich stets an der gewißheit des ver- standes zweifen mußte, hingegen weiß mich von unterschiedlichen, so ihn gelesen hatten, sonderlich einem hohen und so klug als gelehrten staatsmann, 130 welcher auch der Theologiae stattlich erfahren war28, zu erinnern, die da be- zeugten, wo sein sinn oder meinung recht verstanden würde, so immer die

23 Im juristischen Sinn: „für recht erkennen“ (DWB 3, 568). 24 Lorenz Se(i)bold, der durch Püchler zum Böhmeanhänger wurde; er hatte das hier bedachte Bekenntnis zunächst unterschrieben, später aber revoziert; durch ein Urteil des Reichskammer- gerichts in Wetzlar wurde er wieder rehabilitiert (vgl. ausführlich zu Se[i]bold in Speners Brief vom 21. 9. 1691 [LBed. 3, 520–524]; weiter s. Arnold, UKKH 2, 1107 [Th. IV, Sect. III, Num. XIIX. 157], und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 149 Anm. 24). Püchler hatte Se(i)bold die Schrift Jakob Böhmes „Weg zu Christo“ (Görlitz [1624]) zur Lektüre gegeben. 25 Jakob Böhme, mystischer Schriftsteller (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). – Eine Zusammenstellung einschlägiger Aussagen Speners zu Böhme fndet sich in: H. Obst, Jakob Böhme im Urteil Philipp Jakob Speners, ZRGG 23, 1971, 22–39. 26 Vgl. 1Thess 5,21. 27 Nach dem Brief an Caspar Hermann Sandhagen vom 22. 4. 1679 handelte es sich um Böhmes Traktat „Von den drey Principien“ bzw. „De tribus principiis“ (s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 28, Z. 48 f). – Jakob Böhme, Beschreibung von den drey Principien Göttlichen Wesens, Amsterdam 1660 (J. Böhme, Alle theosophische Wercken, Bd. 5, hg. v. Johann Georg Gichtel, Amsterdam 1682). 28 Vermutlich der hessen-darmstädtische Kanzler Weiprecht von Gemmingen, denn in Darmstadt gab es eine Gruppe, die sich für hermetische Literatur interessierte (vgl. Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 50 Anm. 19). – Weiprecht von Gemmingen (3. 11. 1642–2. 8. 1702), geb. in Hornberg; nach dem Jurastudium in Straßburg und Tübingen (dort auch theol. Studien) 1667 Kammerjunker und Hofrat am badischen Hof, 1672 Präsident und Oberamtmann der Hinteren Grafschaft Sponheim, 1678 Berufung nach Darmstadt an die Spitze der hessen-darmstädtischen Regierung als Präsident des Geheimen Rats und der Rentkammer (C. W. F. L. Stocker, Familien- chronik der Freiherren von Gemmingen, Heilbronn 1895, 256–259; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 88 Anm. 13). Nr. 65 an [Johann Ludwig Prasch] 10. 7. 1690 287 gegen einander haltung mehrerer stellen erforderte, daß er in allen glaubens articuln, was die sache selbs (nicht aber die beyneben entstehende quaestiones Theologicas) angienge, unserer Evangelischen lehre gemäß wäre29, deswegen ich nicht sicherer thun kan, als, worinnen auch einigen meinen amts=​vor- 135 gängern folge, daß ich ihn seines HErrn gericht überlasse, weder andern zu recommendiren, da wir gleichwol an der heiligen schrift gnug haben, und ich solches thuende vielleicht einiger irrthüme, die sich bey ihm fnden möchten, mich theilhaftig machen könte, noch aber auch zu verdammen, dazu, weil ich ihn nicht zur gnüge verstehe, ob mir wol nicht weniges, so von ihm höre, 140 verdächtig bleibet, in dem gewissen nicht gnugsam ursach fnde. Ich habe auch von meinen werthen Herren Collegis30 gehöret, daß vor jahren (vor jetzund ist mir nichts völlig wissend) unterschiedliche gantze fa- milien, und zwar auch nicht von bloß geringen leuten31, in hiesiger stadt gewesen, welche Jacob Böhmen feißig gelesen und viel darauf gehalten 145 hätten, aber weder von dem ministerio noch ober=​consistorio, weil sie sich zu unsrer kirchen ohne klage und in dem übrigen stille hielten, niemal in eine inquisition gezogen oder verunruhigt worden wären, so wol das allersicher- ste32. Hingegen mir bekant worden ist, daß einiger orten, wo man gegen Jacob Böhmen und seine schriften, sonderlich von den cantzeln, sehr geeifert hat, 150 nur so viel mehrere zu dessen lesung sich haben bewegen lassen, einige aber, da sie starck getruckt worden sind, zu dem papstthum sich begeben33. Wie ich dann sonderlich wünsche, daß GOtt nicht zulassen wolle, daß diese beyde bey ihnen der ursach wegen angefochtene eine solche gefährliche resolution ergreifen und ihre gewissens=​freyheit, dero man sich sonsten in unsrer kir- 155 chen rühmet, endlich mehr in dem papstthum, wo sie sie zwar auch nicht fnden würden, zu suchen sich unterstehen möchten. Es stehet auch sehr dahin, da sie sich an Kayser[liche] Majest[ät], wie dann auch diese gedancken eingekommen sind, klagend wenden solten, daß, da sie sonsten der Evangelischen religion nach der Augspurgischen confession zu- 160 gethan, man sie nun zu neuen confessionen zwingen oder ihnen ihre woh- nung nicht weiter gestatten wolte, ob sie nicht zwar erstlich zu der päpstischen

29 Vgl. dazu die ganz ähnlichen Ausführungen in Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20, Z. 139–167. 30 Die Mitglieder des Dresdner Oberkonsistoriums (zu diesen s. Brief Nr. 6 Anm. 13) 31 Vermutlich denkt Spener dabei an die freiherrlichen Familien von Friesen und von Gersdorf (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 123, Z. 147–155). – Zur Böhmelektüre von Henriette Catharina von Gersdorf s. D. Meyer, Zinzendorf und Herrnhut, in: GdP 2, [4–106] 7. 32 Der Hinweis auf Böhmeleser in Dresden fndet sich auch in Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 123, Z. 136–143, und Nr. 128, Z. 120–124. 33 Die Konversion von Johannes Schefer (Angelus Silesius) nach dem Kontakt mit Böhme- schriften (ADB 1, 454) wird Spener vielleicht als bekannt voraussetzen können. Er meint wohl eher Menschen, die nicht in erster Linie wegen der Böhmelektüre, sondern wegen des Wider- stands, den sie als Böhmeanhänger erfahren mußten, konvertierten. 288 Briefe des Jahres 1690

religion sollicitiret34, aber da solches nichts verfenge, in schutz genommen werden möchten. 165 Wie ich weiß, daß, als vor jahren viele in Schlesien wohnende so genante Schwenckfelder von dem Evangelischen ministerio in dem Lignitzischen Für- stenthum sehr beträngt und durch obrigkeitliche gewalt in langwierige haft gebracht worden, sich solche endlich an Kayserl. Majest. gewendet und, da sie in dem übrigen ihres stillen und frommen lebens, auch gehorsams gegen die 170 obrigkeit zeugnus vorweisen kunten, Kayserlichen schutz und befreyung ihrer haft erlangt haben, daß man sie noch, obwol ohne ofenliches exercitium, wo sie wohnen, ungehindert dulden muß35. Ich habe mich erkühnet, gegen E. Excellentz mich etwas weitläuftiger zu expectoriren, nachdem dieselbe diesen Püchler an mich addressiret, meine 175 meinung von der gantzen sache zu wissen und daraus zu erkennen, daß ich bey dieser bewandnus mich der sache nicht weiter anzunehmen, noch ihn gleichfals meo sufragio36 zu der unterschrift habe verbinden können. Solte aber E. Excellentz durch dero hohe autorität und prudenz bey dem löbl. magistrat mit recommendation vor diese gute leute, welche zartes gewissens 180 sind und ihnen37 nicht weiter selbs rathen können, etwas erhalten können, daß man sie des rechts einfältiger leute, von denen man nichts, was ihren begrif übersteiget, fordert und mit ihrer schwachheit, da sie sich sonsten zu der gemeinde halten und niemand ärgerlich seyn wollen, gedult träget, ge- niessen und bey dem ihrigen lasse, würde damit ein GOtt angenehmes werck 185 der liebe geschehen und sie darüber am höchsten sich verbunden erkennen. Der HErr HErr aber regiere selbs das gantze werck also, daß neben schul- diger beybehaltung der reinen lehr auch die liebe geübet und allerley ärgernüs verhütet, sonderlich aber aller schein eines gewissens=zwang​ s von unsrer kirche abgehalten werde. In dessen grossen GOttes väterliche obhut, segen 190 und regierung, dieselbe samt gantzem hochherrlichen hauß, zu aller gedeili- chen wolfahrt und gesegneter verrichtung der obligenden wichtigen ge- schäften treulich empfehlende, verbleibe etc. etc. Dresden, den 10. Jul[i] 1690.

34 Gereizt. 35 H. Weigelt, Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenck- feldertums in Schlesien, Berlin u. New York 1973 (Weiteres s. Brief Nr. 62). 36 Mit meiner Unterstützung. 37 Im Sinne des refexiven „sich“. Nr. 66 an [einen Geistlichen] 11. 7. 1690 289 66. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 11. Juli 1690

Inhalt Freut sich über das ihm vom Adressaten zugesandte Manuskript und gibt einige Hinweise zur Korrektur: – 1. Zur Bedeutung der Gesetzespredigt für aus der Gnade Gefallene, die sich erneut bekehren müssen, und zu Möglichkeit und Grenze der erneuten Annahme der Gnade Gottes. – 2. Anfechtungen helfen Kindern Gottes eher, als daß sie schaden, sie kommen aber dennoch nicht von Gott, sondern vom Satan. – 3. Christus regiert in beiden Naturen mit dem Vater, erhöht wird aber nur die menschliche Natur Christi. – 4. Rät zu einer Umformulierung der Aussage über die Teilhabe der Christen an der Natur Christi. – Warnt vor Formulierungen, die nicht völlig exakt sind, weil sie zum Anlaß für Angrife werden können. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 672–674.

Ich habe das hiemit wieder zurück kommende2 nicht nur durchlesen, sondern mit freuden durchlesen und dancke Gott, der mit seiner gnad in ihm kräftig gewesen ist. Wie dann dieses das rechte evangelium ist, welches er vorstellet, und alle gläubige solches in der that bekennen müssen. Weil aber sowol ge- beten, als ohne das schuldig bin, wo nur einiges wahrnehme, das andern an- 5 stoß setzen möchte, zuerkennen, so bemercke ich folgendes, so zu weiterem nachdenken dienet: 1. Wahr ist, was er meldet, daß das gesetz zur bekehrung keine kraft hat, auch hat alles seine statt, wann es recht verstanden wird, was derselbe von der buß der aus ihrem gnaden=stand​ gefallnen meldet, wie viel das evangelium 10 dabey auch thun müsse. Jedoch wolte ichs nicht gern von andern weiter ge- zogen und mißbrauchet wissen, dann das gesetz hat freylich auch seinen platz bey der wiederbekehrung der einmahl gewessten kinder Gottes, und will bey vielen solchen nicht allemal genug seyn die erinnerung der vor3 empfangenen gnade, die zwar nicht ausbleiben soll, sondern einiger härtere hertzen wollen 15 auch mit stärckerer gewalt des zorns Gottes, den sie fühlen müssen, zer- knirscht werden. Also sehen wir in der epistel an die Galater ziemlich harte reden gegen diejenige gebraucht, welche einmahl das heil in Christo erlangt,

5 das ] daß: D1. ​12 müßbrauchet: D1. ​14 solchen ] solchem: D1. ​

1 Der Adressat ist ein Geistlicher, der Spener ein Manuskript, in dem es um die Bekehrung geht, zur Begutachtung zugeschickt hat. Er folgt darin Stephan Praetorius und Martin Statius (Z. 25–42). Er scheint in keinem engeren Verhältnis zu Spener zu stehen, weil dieser sich gegen eine mögliche Verärgerung wegen seiner kritischen Anmerkungen absichert (Z. 77–83). 2 Ein Manuskript des Adressaten. 3 Im Sinne von „zuvor“ bzw. „vormals“ (s. DWB 26, 806). 290 Briefe des Jahres 1690

aber auch wiederum verstossen hatten4. Nicht weniger die propheten, da sie 20 es mit leuten, so auch in der beschneidung den göttlichen bund, folglich gnade und seligkeit, empfangen, zu thun hatten, reden oft sehr hart, da sie solche abtrünnige bekehren wollen. Also muß, was wieder des gesetzes brauch bey denen einmal geweßten wiedergebohrnen geschrieben wird, wohl ver- standen und erkläret werden, daß es nicht der übrigen göttlichen wahrheit 25 entgegen stehe. Daß aber der selige Praetorius5 in solcher sache etwas härter redet6, mag wohl die ursach seyn, weil der liebe mann dafür gehalten, daß bey den auserwehlten der ihnen einmal geschenckte glaube durch keine sünde (zum exempel bey David7) wieder könne ausgelöschet, ob wol nur ver- dunckelt und unfühlbar gemachet, wo er aber einmal verlohren worden, nicht 30 mehr wieder erlanget werden. Welche meinung der christliche mann gantz deutlich eines orts hat, obwohl der vorsichtige Statius dieselbe ausgelassen hat8. Indessen richtet sich auch anders, so Statius aus ihm behalten, nach dieser meinung und muß also mit grosser behutsamkeit verstanden werden. Weil es einmal müglich, daß ein mensch die göttliche gnade und den glauben 35 durch seine boßheit gäntzlich verliehren könne und also er zwar alsdenn der vorigen gnade wiederum erinnert, aber, nachdem das hertz hart, eben so wohl wie bey dem erstbekehrenden durch die vorstellung göttlichen zorns muß erstlich zur buß gebracht und nach mal zu dem glauben wiedergeführet werden. Wo dieses recht in acht genommen wird, zeiget sich bald, wie iegli- 40 che redens=​art des lieben praetorii (dem wir gern, wie andern heiligen Gottes, auch seinen verstoß zu gut halten) recht zu richtigen verstand zuerklä- ren seye.

23 geschrieben ] geschriebenen: D1. ​27 einmal ] eimahl: D1. ​30 Welche ] Welcher: D1. ​ 37 dem ] den: D2. ​

4 Vgl. z. B. Gal 5,4. 5 Stephan Praetorius (3. 5. 1536–5. 5. 1603), lutherischer Erbauungsschriftsteller, dessen Traktate von Martin Statius in Danzig (s. Anm. 8) zur „Geistlichen Schatzkammer der Gläubigen“ be- arbeitet wurden (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 27 Anm. 13, und Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 10 Anm. 16). 6 Zum Vergleich von Praetorius und Statius s. E. Düker, Freudenchristentum. Der Erbau- ungsschriftsteller Stephan Praetorius, AGP 38, Göttingen, 2003, S. 225–236. 7 Der alttestamentliche König David, der vom Propheten Nathan dafür scharf getadelt wird, daß er Bathseba, die Frau seines Ofziers, in seinen Harem genommen hatte (2Sam 11,1–12,15). In Ps 38 werden die Sündenangst und die Befreiung daraus besungen. Auf Ps 18,5 und die damit bezeugte Gewißheit der Sündenvergebung wird in der „Geistlichen Schatzkammer“, V. Buch, V. Cap. Abs. 8, verwiesen. 8 Martin Statius, Geistliche Schatzkammer der Gläubigen […] Nunmehr mit sonderm Fleiß in richtige Ordnung gebracht von M. Martino Statio […], Lüneburg: Stern 1636 (Bircher A 10741; Auf. 1645: Bircher B 5428); Speners Handexemplar: Lüneburg 1652 (BS 12° 437) (DBA 1213, 248 f; Schnaase, Danzig, 262–285; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 27 Anm. 14; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 104 Anm. 16, und Bd. 2, Brief Nr. 10 Anm. 18. – Zu M. Statius s. Brief Nr. 33 Anm. 19. Nr. 66 an [einen Geistlichen] 11. 7. 1690 291

2. Wolte ich nicht sagen, daß der Satan gottselige hertzen nicht gern an- fechte. Zwar ists wohl an dem, daß seine anfechtung kindern Gottes aus dero vaters gnade mehr nützlich als schädlich seye, aber solches begreift der satan 45 damal nicht, sondern sein haß gegen die menschen ist so groß, daß, wo er denselben gegen iemand, sonderlich kinder Gottes, auszuüben nur die er- laubnuß hat, er sich derselben stracks gebraucht, ohn angesehen, ob er wol seinem reich als ein unsinniger schaden thut. Also hat er auch CHristi todt, der doch sein todt wurde, gantz gern mit grosser begierde befördert, in seiner 50 boßheit nicht warnehmende, was er sich selbst schadete. Denn wo wir sagen wolten, er thäte es nicht gern, daß er kinder Gottes anfechte, so müste Gott seyn, der ihn da zu antriebe, so wir aber nicht sagen können, weil solche anfechtungen insgemein in sich etwas sündliches haben, so GOtt nicht selbs würcken oder den Satan dazu treiben kan. Also bedarf es nur, das GOtt dem 55 satan verhängnuß gebe, sich an seine kinder zu machen, so übet er alle seine boßheit, als viel er darf und bedencket nicht den schaden, den er seinem reich selbs thut. 3. Von CHristo können wir nicht sagen, daß er als GOtt und mensch zur rechten Gottes erhöhet seye. Denn die regierung des HErrn mit dem himm- 60 lischen vater, die in solchem „sitzen“ stecket, kommet freilich CHristi beiden Naturen zu, aber das „erhöhet werden“ und also „das sitzen selbs“ gehöret eigentlich der menschheit, massen die gottheit nicht erhöhet werden kan und ist die rechte des vaters selbs. 4. Die worte „Ich bin also durch solche gnädige einwohnung und durch 65 die vereinigung beyder naturen in CHristo auch der göttlichen natur theil- haftig“ werden wol einiger massen einiger besserung nöthig haben. Es ist zwar an dem, daß etzliche lehrer die theilhaftigkeit der göttlichen natur allein von der göttlichen einwohnung verstehen, da ich aber die vereinigung der beyden naturen in CHristo, welche in demselben bleibet, als dann dazu nicht 70 ziehen könte, ich wolte es dann also verstehen, daß die beyde naturen in CHristo auch mit mir vereinigt wären, da es seinen guten verstand hätte. Viel kräftiger aber halte ich die erklährung, daß wir also göttlicher natur theilhaf- tig9 seyn, daß eine göttliche art und natur in uns durch den Heil[igen] geist in der wiedergeburth gewürcket werde, da alsdenn GOtt sich mit solcher 75 natur oder neuen menschen vereiniget.10 Dieses sind die dinge, die mir in dem lesen vorgekommen sind, und ich mich von demselben versehe, daß ihm nicht unangenehm sein werde, von solchen dingen etwa wie einiges von andern ungleich genommen werden

53 antriebe ] antreibe: D2+3.

9 Vgl. 2Petr 1,4. 10 Vermutlich verwendet der Adressat in seinem Manuskript Statius’ „Geistliche Schatzkam- mer“ und die von Spener angesprochenen Inhalte, die sich im V. Buch, 2. Cap. („Von der andern Majestät der wahren Christen“) fnden, in dem es um die Einwohnung Christi im gläubigen Menschen geht. 292 Briefe des Jahres 1690

80 könte, nachricht zu haben, so vielmehr, die wir zu solcher zeit leben, da ohne das um einer einigen11 formul willen, die wolgemeint, aber nicht vorsichtig gnug gesetzt ist, oft das beste verworfen zuwerden pfegt, und wir also desto sorgfältiger auf uns, in allen acht zu geben, angetrieben werden. Der HErr gebe uns in allem den geist der weißheit12 und seiner kraft13 zu seinem preiß.

85 11. Jul[i] 1690.

11 Im Sinne von „einzigen“ (DWB 3, 207). 12 Ex 28,3; Dtn 34,9; Jes 11,2; Eph 1,17 u. ö. 13 Zur Zusammenstellung von „Weisheit“ und „Kraft“ s. 1Kor 2,4. Nr. 67 an [Frau Stamm?] 14. 7. 1690 293 67. An [Frau Stamm in Rastatt?]1 Dresden, 14. Juli 1690

Inhalt Ermuntert die Adressatin, lieber den Dienst zu quittieren, als gegen ihre eigene Erkenntnis die nötigen Schritte [der Konversion vom römisch-katholischen zum evangelischen Glauben] zu tun. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 674.

Ein andre bewandnuß hat es mit ihr als einer person, welche die wahrheit selbs erkennen kan, diese erkantnuß aber sie verbindet, derselben freye bekantnuß auch angelegenlicher zu suchen2. Dann wo sie iemand daran hindern wolte, hat sie macht, durch alle hindernussen, die man ihrem vorhaben machen wolte, durchzubrechen, das ist, ihre bißherige dienste mit demuth aufzugeben 5 und als denn auf christliche weisse und so, daß ihr niemand etwas unziemli- ches deswegen nachreden könne, ihren abschied zunehmen; da ich sie in

6 weisse ] weise: D2+3.

1 Vermutlich Frau Stamm (Nichts Näheres bekannt). – Zur Empfängerbestimmung: Nach dem Regest in Bed. 4 handelt es sich um die gleiche Adressatin wie bei den Schreiben in Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 106 und Nr. 121. Es ist eine an einem fürstlichen Hof lebende Witwe, die zur römisch-katholischen Kirche auf Grund ihres „Dienstes“ (Z. 5) konvertiert war und nun darüber nachdenkt, zur evangelischen Kirche zurückzukehren. Weitere Hinweise zur Adressatin fnden sich in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 106 Anm. 1. Der Brief, der in Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 142 ([ca. September] 1687) ediert ist, richtet sich ebenfalls an eine rekonver- sionswillige Frau. In beiden Briefen geht es um Kontakte nach Sachsen bzw. Dresden, so daß wahrscheinlich gemacht werden kann, daß alle vier Briefe an die gleiche Adressatin gerichtet sind. Hinzu kommt ein Brief Speners aus dem Jahr 1692 (Bed. 2, 699–702). In Speners Briefen an Anna Elisabeth Kißner wird gelegentlich eine Frau Stamm erwähnt, mit der er korrespondiert (Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 12, Z. 85, und Nr. 107, Z. 107; Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 45–49) und von der er im Dezember 1692 berichtet, sie sei nun in Dresden, habe aber noch kein „ofenbahre(s) bekenntniß“ abgelegt, weil sie zu keiner „rechten resolution“ komme (Halle a.S., AFSt, D 107, S. 488). Dies entspricht der Formulierung „freye bekantnuß“ in Z. 2 im vorliegenden Brief. Schon im Herbst 1688 hatte sie erwägt, nach Dresden zu kommen (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 107, Z. 107). Im genannten Brief des Jahres 1692 werden Details zu ihrem Aufenthalt in Dresden erwähnt. – Der fürstliche Hof in Baden, an dem die Adressatin lebte, wird der markgräfiche von Baden-Baden sein (anders als die Vermutung in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 106 Anm. 1), der nach der Zerstörung der Stadt Baden im Jahr 1689 in Rastatt residierte. Dieser war katholisch. Markgraf war Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655–1707), wegen seiner Teilnahme an den Feldzügen gegen die Türken „Türkenlouis“ genannt (A. Kohnle, Kleine Geschichte der Markgrafschaft Baden, Karlsruhe 22009, 130–147). Dieser Zuweisung könnte auch die Information entsprechen, daß sich in Begleitung der Adressatin ein getauftes türkisches Mädchen befand (Bed. 2, 700 f). 2 Es geht um die Erkenntnis und die daraus entspringende Überlegung, in die evangelische Kirche zurückzukehren. 294 Briefe des Jahres 1690

gottes=​nahmen versichere, das sie von seiner vater treue sich alles, was zu diesem und jenem leben nöthig sein wird, versehen dörfte. Der HErre re- 10 giere sie mit seinem geist. 14. Jul[i] 1690. Nr. 68 an Jakob Wilhelm Imhof 16. 7. 1690 295 68. An Jakob Wilhelm Imhof in Nürnberg1 Dresden, 16. Juli 1690

Inhalt Benennt Gründe für die lange hinausgezögerte Antwort: Ärger über die fehlerhafte Arbeit [Christian Gottfried] Franckensteins, dem Spener die Endbearbeitung seines Werkes „Illustriores Galliae stirpes“ übertragen hatte; die Krankheit Franckensteins, die eine Korrektur verhinderte; die Tafeln, die Imhof für die Korrektur zur Verfügung gestellt hatte, sind verloren gegangen. – Bedankt sich für die Übersendung von Imhofs Werk über den englischen Adel und verspricht, ihm Material für dessen geplantes Werk über den spanischen Adel zu liefern. – P. S. [1]: Berichtet vom Fortgang und der weiteren Planung seines heraldischen Werkes „Insignium theoria“. – P. S. 2: Legt seine Einschätzung der pietistischen Bewegung in Leipzig dar. Überlieferung A: München, Bayr. Staatsbibliothek, Autogr. Sp. Nr. 100.

Göttliche gnade, friede, heil und segen von unsrem getreusten Heiland JESU Christo! HochEdelgebohrener Herr, Insonders großgönstiger und Hochgeehrter Herr. Habe ich iemal gantz schamroth die feder zum schreiben ergrifen, so ge- schihet es gewiß dieses mal, wo ich auch meines verzugs gültige entschuldi- 5 gung nicht vorzubringen weiß. Dann wo zu andern malen einige antworten lange außbleiben, so zwahr bey mir gegen gute freunde fast das ordenliche ist, so ists endlich ein fehler wider die höfigkeit, der sich noch verantworten läßet; mir aber verweiset2 meine langsamkeit nicht diesen fehler, sondern, deßen sich billich am sonderbarsten scheinet, eine undanckbarkeit und zwahr 10 eine vielfache undanckbarkeit, dero schuld ich nicht von mir gantz ableinen, obwol etlicher maßen, wie ich dazu gekommen, vorstellen kan3. Ich hette bereits vor mehr als einem jahr schuldigen danck E. HochEd. Gestr. abstatten sollen, da dieselbe so freundlich gewesen und zur edition meiner französischen tabellen4,. alß H. D Franckenstein5 in Leipzig dieselbige übernommen gehabt, 15

1 Jakob Wilhelm Imhof (8. 3. 1651–20. 12. 1728), Patrizier in Nürnberg; geb. in Nürnberg, nach dem Studium in Altdorf 1670 Bildungsreise nach Straßburg, Frankfurt, Holland, Paris und Italien. Auf dieser Reise lernte er in Frankfurt Spener kennen; ab 1673 war er in Nürnberg in verschiedenen Ämtern der Stadt tätig (ADB 14, 52–54; DBA 588, 121–133; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 39 Anm. 1). 2 Im Sinne von „fortweisen“, „verbannen“ (DWB 25, 2184). 3 Der letzte – bekannte – Brief Speners an J. W. Imhof ist am 17. 5. 1687 geschrieben (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 89). 4 Philipp Jakob Spener, Illustriores Galliae stirpes, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1689 (Grün- berg Nr. 320). 5 Christian Gottfried Franckenstein (16. 8. 1661–25. 8. 1717), Jurist in Leipzig; geb. in Leipzig, nach dem Studium in Leipzig und Gießen Bildungsreise nach Frankreich, England und in die Schweiz, 1684 juristische Promotion in Basel, danach Rückkehr nach Leipzig, 1694 kurfürstlicher 296 Briefe des Jahres 1690

so viele dero eigne arbeit mitgetheilet6. Mein unwillen aber, den ich darob faßte, als ich das werck zu sehen bekam und allerdings nicht nach meiner hofnung fand, in dem nicht allein eine starcke anzahl der längst von mir elaborirten tabellen außengeblieben, sondern die unzähliche truckfehler in 20 den nahmen das werck fast unbrauchbar machten, hat mich gehindert, ja fest gemacht, daß mich der arbeit schämen müßen, und nicht eher getrauet, gegen einen guten freund davon zu gedencken, biß solcher fehler gebeßert wäre. Wie auch des wegen vor mich nirgend etwas hingeschickt, was nicht H. Zun- ner7 auf meine vorgethane ordre gethan hatte. Nun war anfangs hofnung, 25 daß solche verbeßerung in etzlichen monaten geschehen würde, aber H. D. Franckenstein in dem Sommer erfolgte und vor tödtlich geachtete kranckheit machte8, daß alles ligen bliebe und also auch die herbstmeße9 vor- beystriche; ob ich nun wol widerum an der ostermeß10, daß solche alles würde ersetzen, nicht zweifelte, wo man doch noch in Leipzig so langsam, 30 daß auch diese meße versäumt worden, und man nunmehr erst über der arbeit in Franckfurt sein wird11: nemlich daß das supplementum dazu komme, so dann nechst den indicibus, auch die nötigste correctiones12: wiewol wir auch damit unglücklich sind, daß was die von E. HochEd. Gestr. freundlich mit- getheilten tafeln anlangt13, weil H. D. Franckenstein keine copias behalten 35 und in Franckfurt das original in der druckerey solle sich verlohren haben, dießelbe von den eingeschlichenen auch vielen fehlern zu repurgiren bey uns das vermögen nicht ist. Weil also, biß dieses geschehen, nemlich das werck in einem solchen stande wäre, daß es sich vor ehrlichen leuten sehen laßen dörfte, bey mir beschloßen hatte, nicht zu schreiben, kan ich mit wahrheit 40 sagen, daß dieses gleichwol die wahrhafte ursach des jährigen stillschweigens gewesen, daß ich also nunmehr erst so spat den längst schuldigen danck ab-

16 | so viele dero eigne arbeit mitgetheilet |. 21 mich ] + . 23 f | Wie auch deswegen … ordre gethan hatte. | 25 /verbeßerung/. 28 /widerum/. 29 würde ] + . ​ 35 / sich/.

Assessor am Leipziger Schöfenstuhl, 1696 Advokat am Oberhofgericht, 1707 Konsistorialrat (Zedler 9, 1713 f; Jöcher 1, 1000 f; DBA I, 339, 4–5; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 39 Anm. 9). 6 Spener hatte in seinem Brief vom 16. 11. 1686 Imhof gebeten, Material für das Werk zur Verfügung zu stellen, wie er am gleichen Tag an Rechenberg schreibt (Ad Rech 1, Bl. 20r). 7 Johann David Zunner, Speners Verleger in Frankfurt (s. Brief Nr. 27 Anm. 16). 8 Davon ist in Speners Brief an Adam Rechenberg vom 2. 8. 1689 die Rede (Ad Rech 1, Bl. 287r). 9 Die Frankfurter Herbstmesse begann an Mariae Himmelfahrt (8. 9.) oder am Montag der darauf folgenden Woche (wenn Mariae Himmelfahrt in die zweite Wochenhälfte fel) (s. Dietz, Handelsgeschichte 1, 39 f). Die Michaelismesse in Leipzig fand jeweils vom Montag nach Michaelis (29. 9.) bis Mitte Oktober statt. 10 Es ist nicht ganz sicher, welche Messe gemeint ist; zur Frankfurter Frühjahrsmesse s. Brief Nr. 22 Anm. 5, zur Leipziger Frühjahrs‑ bzw. Jubilatemesse s. Anm. 14. 11 In der vom Verleger Zunner beauftragten Druckerei. 12 Es ist nichts mehr erschienen. 13 Zu dem von Imhof erbetenen Material s. Anm. 6. Nr. 68 an Jakob Wilhelm Imhof 16. 7. 1690 297 statte, wiewol wünschende, daß denselben vor den verzug hingegen mehrfach abstatten könte. Nechstdem bin auch großen danck schuldig vor deren stattlich elaborirte und mir zugesandte, ob wol erst einige wochen nach der meß14 auß Leipzig 45 hieher beforderte werck der Englischen familien15, welches mir desto ange- nehmer gewesen, so wol wegen solcher wehrten hand von dero es kommet, alß auch weil nie vorher so glücklich werden können, daß ich außer der kö- niglichen eine einige völlige16 genealogie der großen solches reichs gesehen hätte. Dahero mich auch vor solches trefiche praesent hoch verbunden er- 50 kenne und zur erwiderung gelegenheit verlangte. Ob nun also auch durch diese vorstellung der ursach, welche mein schreiben und danck solange auf- gehalten, die langsamkeit zur gnüge nicht justifciren kan, hofe dannoch, daß deren schuld, aufs wenigste, weil kein vorsatz dabey gewesen, um etwas verringert werden und E. HochEd. Gest. gutmütigkeit auf meine hiemit 55 thuende bitte mir das übrige freundlich vergeben werde. Wann in dem übri- gen nunmehr die intention ist, die Spanische genealogias außzuarbeiten17, dazu ich auch von dem geber alles guten18 beständige gesundheit, ieweilige ruhe von den amtsgeschäften und fernern segen von hertzen anwünsche, so gebe zur nachricht, daß ich selbs des Alonso Lopez de Haro Nobiliario di 60 Spanna19 auß der zum Jungschen bibliothec gebraucht habe. Ich bin aber vor etzlichen jahren berichtet worden, gleich ob wäre dieselbe von dem Obr[isten] Werthmüller20 (da man nicht wüste, obs vor ihn oder vor andere wäre) ge- kauft und also weggeführet worden: biß mich gantz kürtzlich iemand versi- chern wollen, daß die statt dieselbe nunmehr selbs vor sich behalten wolle21, 65

54 /deren/ : . 54 gewesen, ] .

14 Zur Leipziger Jubilatemesse (16. 4.–23. 4. 1690) s. Brief Nr. 27 Anm. 13. 15 Jakob Wilhelm Imhof, Regum Pariumque Magnae Britanniae Historia Genealogica, Nürnberg: Johann Andreas Endter 1690 (Rezension: Acta Eruditorum 1690, S. 268–271); dazu der Appendix: Ad Historiam Genealogicam Regium Pariumque Magnae Britanniae, Nürnberg: Johann Andreas Endter 1691 (Rezension: Acta Eruditorum 1691, S. 247 f). 16 Im Sinne von „vollständig“ (DWB 26, 668). 17 Jakob Wilhelm Imhof, Historische und genealogische Nachrichten von denen Grandes oder Grossen in Spanien […]: darinnen ihre Ankunft, Nahmen, Qualitäten, Vermählungen, Kinder und Wapen vorgestellet, Hamburg und Leipzig: Conrad und Wiering, 1712. 18 Vgl. Jak 1,17. 19 Alonso López de Haro, Nobiliario genealogico de los reyes y titulos de España. Dirigido a la magestad del rey don Felipe quarto nuestro señor, 2 Bände, Madrid 1622. – Die orthographische Variante, die Spener verwendet („Spanna“) entspricht der Entwicklung vom verdoppelten n, durch einen Überstrich angezeigt, zum n mit Tilde (ñ). 20 Nicht ermittelt. 21 Die Bibliothek, die Johann Maximilian zum Jungen (1596–1649) aufgebaut hatte, umfaßte 5000 Werke. Sie wurde am 27. 9. 1690 vom Frankfurter Rat aufgekauft und der Stadtbibliothek einverleibt (Lersner, 2, S. 95; F. C. Ebrard, Die Stadtbibliothek in Frankfurt am Main, Frankfurt 1896). – Zu J. M. zum Jungen s. Körner, 87. Schon am 21. 9. 1682 schickte Spener Gottlieb Spizel den gedruckten Katalog zu den Beständen der Bibliothek und wies darauf hin, dass die Bibliothek 298 Briefe des Jahres 1690

dazu ich es, alß ich da war und underschiedliche anwürfe22 that, niemal hatte bringen können. Wann nicht die witwe Fr. zum Jungen auch vergangen jahr gestorben wäre23, wolte ich selbs wegen gehabter bekantschaft geschrie- ben und mich der gewißheit erkundigt haben: nach ihrem todt aber ist mir 70 nicht bekannt, wer mit der sache zu thun habe. Wofern aber, wie ich nechst gewiß wißen werde, es sich also verhelt, daß die statt die bibliothec erkauft, getraue ich fast zu versprechen, daß die communication des buchs zu obigem gebrauch verschafen wolle, wie dann in solchem fall an einen der Hhn. Scholarchen, in dero amt es gehören würde, selbs zu schreiben mich erbiete. 75 Im übrigen auf den vornehmsten innhalt E. HochEd. Gestr. wehrten briefs zu kommen, ist derselbe theils betrübt, theils erfreulich gewesen: jenes wegen doppelten schwehren falles in dero vortrefichen familie, dieses wegen nunmehriger gelegenheit, dem gemeinen besten des vaterlandes nutzliche dienste zu leisten. Den todtfall des alten S[eligen] Herrn Im Hof 24 habe 80 bereits das vergangne jahr gehöret, bey welchem aber zur consolation25 diente das hohe alter, deßen der S. herr schon eine gute zeit lang allerdings satt gewesen, und um seine erlösung gebeten zu werden verlangt, daher ob ich wol wuste, an ihm einen Mann zu verliehren, der mich unverdient von hertzen liebte, so zog ich doch billich in solcher seiner bewandnus seine be- 85 gierde demjenigen, was sonsten vor mich gewünschet hätte, vor. Was aber dero wehrten H. Vaters26 seliges ableiben anlangt, habe solches erst spat und mit soviel mehr bestürtzung erfahren, weil man von seinen iahren u. kräften noch sovieles zu der Hochlöblichen republic bestem sich versehen und hofen konte, auch der ruhm deßen meriten neben solcher 90 hofnung das verlangen und wunsch um deßen längern und seinem alten H. Vattern aufs wenigste gleiches alter schöpfte. Daher das einige, ob zwahr auch starcke, argument, sich darüber zufrieden zu geben, kaum [ein] anderes

67 /können/ . 75 HochEd.: cj ] HochAd. 86 /seliges/. 86 anlangt < anlangt. ​ 88 /u. kräften/. 92 [ein] : cj ] – A.

nur im Ganzen zu kaufen sei (Augsburg, SStB, 2° Cod. Aug. 409, Bl. 668v; Frankfurter Briefe, Bd. 6; Postskriptum des Briefes). 22 Im Sinne von „Antrag“ (DWB 1, 522). 23 Anna Maria zum Jungen geb. Weiß von Limpurg (15. 8. 1629–29. 9. 1689), seit 1653 verhei- ratet mit Daniel (1627–1678), dem Sohn von Johann Maximilian zum Jungen, 1678 verwitwet (Körner, 35 und 88). 24 Georg Paul Imhof (1603–16. 2. 1689), Losunger und Reichsschultheiß; geb. in Nürnberg, seit 1637 Ratsmitglied, 1654 älterer Bürgermeister, 1663 Älterer Herr und 1676–1688 Vorderster Losunger in Nürnberg; schon am 15. 11. 1686 erwähnt Spener ihn und weist auf sein hohes Alter hin (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 39, Z. 65–68). 25 Trost. 26 Wilhelm (III.) Imhof (23. 7. 1622–2. 2. 1690); geb. in Nürnberg, nach dem Studium 1642 akademische Reise durch Holland, England und Frankreich, 1659 Ratsmitglied in Nürnberg und Kurator der Universität Altdorf (LP: Conrad Feuerlein, Drey-fach=Göttlicher​ Liebes-schein, Nürnberg [1690]; Georg Andreas Will, Nürnberger Gelehrten=​Lexikon, Zweiter Theil, Nürn- berg u. Altdorf 1756, S. 235). Nr. 68 an Jakob Wilhelm Imhof 16. 7. 1690 299 ist, als das Christliche ansehen göttlichen willens, welcher unsre einige regel, und das von demselben gesandte, was es auch vor menschen augen vor ein ansehen, gut oder böse zu sein, gewinnet, unsträfich bleibet. Wie nun deßen 95 edler Seele nach der versetzung auß den ietzigen so seltzam außsehenden zeiten in die wahre vollkommene ruhe auch über alles unser wünschen voll- kommen wol ist, so bleibet sein gedächtnus nicht nur in dero statt, sondern auch bey uns übrigen, so denselben in deßen leben abwesend ve[ne]riret, in preiß und segen: Den Himmlischen vater aber rufe ich hertzlich an, der nicht 100 allein sonsten das verwundete bey allen, welche der schmertze betrofen, heilen, und die vortrefiche familie des doppelten verlusts widerum ergötzen, sondern vornehmlich an E. HochEd. Gestr. alles das jenige, was dero blühen- de republic an beiden Herrn verlohren mit verdopplung an deroselben aller jener gaben und meriten und verlängerung dero jahre gütiglich ersetzen, ins- 105 gesamt aber sie mit allem segen kröhnen wolle. Er wolle auch sonderlich das erst aufgetragene amt und dero treue darinnen also segnen, damit, was das übrige Teutschland und Europa, dero erudition und wißenschaft, das vater- land und dero klugheit, sorgfalt, treue und aller verrichtungen glücklichen success schuldig werde, und immer seine schuld mit allerley erkantlichkeit 110 abstatte. Wie mit insgesamt dero werthe person und hauß in des allgütigen Gottes mächtigen schutz, weise regirung seines Geistes, milden segen und alles das, wo von deroselben Seel und leib mag völlig wol sein (nachdem auf deroselben, was sonsten vor die obige dero angewandte zu beten pfegte, und allein beruhet) hertzlich empfehlende verharre 115 E. HochEd. Gestr. zu gebet und diensten schuldigwilliger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 16. Jul[i] 1690.

P. S. 120 Nachdem jüngsthin das bereits vor 10 jahren zu trucken angefangene opus Heraldicum27 oder deßen pars generalis zu franckfurt heraußgekommen, hofe ich daß H. Zunner28 meinet wegen damit aufgewartet haben werde, so ich auch fr[eundlich] aufzunehmen bitte. Es muste endlich heraußgehen, wie es längst abgefaßet war, aldieweil die hofnung, einige stunden noch zu deßen 125 revision anzuwenden, endlich gantz verschwunden. Mag aufs wenigste den dieses studii liebhabern dazu dienen, daß sie gleichsam davon einige locos

99 ve[ne]riret ] [Falzverlust]. ​ 114 deroselben ] + . ​ 121 nachdem ] + . ​ 122 /gener/alis < alis.

27 Philipp Jakob Spener, Insignium Theoria seu Operis Heradici pars Generalis, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1690, seinem Bruder Philipp Reinhard gewidmet, Vorrede vom 20. 3. 1690 (Grünberg Nr. 323). 28 Johann David Zunner (s. Anm. 7). 300 Briefe des Jahres 1690

communes haben, dahin sie ihre observata ferner beytragen. Die Historiam insignium aber anlangende, sollen dero noch 3 bücher folgen: das vierdte 130 nemlich die jenigen familien vorstellen, die ich nach heraußgebung der 3 ersten bücher elaboriret: das fünfte, die paralipomena und correcta29 der in den ersten büchern bereits enthaltenen wapen. Das sechste die jenige wapen, so auß meinen collectis v[el] communicatis H. D. Franckenstein oder, wer es übernehmen möchte, noch vollends außarbeiten wird, nachdem ich nun 135 bloßer dings keine zeit mehr daran wenden kan. Wie bald aber solches alles zum stande kommen möge, weiß ich nicht zu bestimmen. P. S. 2: Auch großgönstiger Hochgeehrter Herr, Nachdem ich versichert, daß das gerücht von dem Pietismo in Leipzig und 140 diesen landen wie in gantz Teutschland außgebrochen, also leicht auch ihre wehrte statt und gegend erfüllet haben wird, E. HochEd. Gestr. aber ver- muthlich verlangen mögen, einigen grund davon zu haben, so habe auch damit hertzlich dienen wollen: Da ich dann versichern kan, daß nach aller undersuchung und perlustration30 aller bißheriger acten nicht anders nach 145 meinem gewißen sagen möge, alß daß sich die geringste neue secte, ketzerey oder etwas dergleichen wie die fama allerorten erschollen, nicht hervorgethan habe, sondern, was davon außgestreuet worden, pur lauter lästerungen und verleumdungen seyen, anfangs von einigen aufgebracht, wolte Gott, aber nicht nachmahl von andern ansehnlichen leuten, die der gleichen vielmehr 150 hindern solten, leichtglaubig angenommen und weiter außgebreitet, nicht zu geringem nachtheil unsrer universitet, kirche und lande. Ja, es sind die rela- tionen und Berichte davon so hitzig underschiedliche mahl eingelaufen, daß auch einiges edictum31 dardurch veranlaßet worden, bey der fernern under- suchung aber ist noch nichts von einigem glaubensirrthum oder begangener 155 sträfichen that auf die beschuldigte gebracht worden. Also daß die so ge- nannte secta Pietismi revera ein non ens32 und fgmentum famae33 ist. Was aber die personen anlangt, so man bißher Pietisten under studiosis und bür- gern in Leipzig genennet hat, wüste ich sie nicht gründlicher und eigenlicher zubeschreiben, alß daß es leute seyen, die sich ihre studia zu dem rechten 160 zweck der heilsamen erbauung und ihr christenthum Gott gefällig feißiger zu führen, alß sie vorhin mangel bey sich befunden hatten, hertzlich resolviret, und einander in solcher resolution gestärcket haben: daher einige magistri die

129 das ] + . 143 Da < Da<ß>. 143 /dann/. 145 /möge/ : . 147 /habe/. ​ 147 worden, ] + . 148 /seyen/. 160 christenthum < christen.

29 Nachträge und Korrekturen. 30 Durchsicht. 31 S. Brief Nr. 51 Anm. 39. 32 Nichts Seiendes. 33 Erfndung eines Gerüchts. Nr. 68 an Jakob Wilhelm Imhof 16. 7. 1690 301 andern mehr und mehr zu dem studio der H. Schrift alß der eintzigen regel lehr und lebens aufzumuntern, collegia über dieselbige gehalten und sonder- lich alles zu der praxi gerichtet haben, dadurch der guten leute eifer gewach- 165 sen ist und sich auch in würcklicher änderung ihres lebens hervor gethan hat, worauf sie erst von spöttern u. rohen leuten vielfältig verleumdet und mit sonderbahrem34 nahmen bezeichnet worden, darüber auch bey andern in ver- dacht gefallen sind, iedoch in der inquisition nichts auf sie gebracht worden. Alß auch bey vielen die begierde ihrer erbauung weiter zugenommen, haben 170 angefangen so wol bürger mit den studiosis in die collegia sich einzufnden, alß auch, wo diese einige mal beysammen gewesen, lieber allein von göttli- chen dingen und der schrift alß anderer materien undereinander zu handeln; welches aber bey andern einige sorge künftiger unordnung gemacht und daß publicirte edict, sodan noch bißherige inquisition verursachet hat. Ob nun 175 wol dieser letzten inquisition acta noch nicht eingeschicket sind, habe gleich- wol bereits soviel vorgeschmack, daß so wenig in dieser alß der vorigen etwas irriges oder sträfiches von diesen leuten erwiesen seye. Daher ich so wol solche unschuldige alß unsre kirche, die davon nachrede leiden muß, ia auch die jenige, so sich selbs daran versündiget und einen solchen blinden lermen35 180 erreget, recht betaure. Der HErr aber führe auch nach seiner göttlichen güte und weißheit die sache auß, daß alles falsche gerücht gedämpfet, alles ärger- nus gebeßert, die unschuld gerettet, hauptsächlich aber die ruhe widergebracht und sowol die reine wahrheit allezeit in der kirchen erhalten und dero frucht, die gottseligkeit, stäts in mehrern hertzen tief eingepfantzet werde. In deßen 185 gütige bewahrung nochmahl hertzlich erlaße. Dat[um] ut in lit[era]36. Dem HochEdelgebohrnen, Gestrengen Herren, Herrn Jacob Wilhelm Im Hof, Meinem insonders großgönstigen und Hochgeehrten Herren

Nürnberg. 190 Pr[aesentatum:] 21. Jul. R[e]s[ponsum:] 26. Sept.

184 /sowol/. 186 bewahrung < bewahren.

34 Veralteter Gebrauch des Wortes im Sinne von „abgesondert“ (im Verhältnis zu anderen) (DWB 16, 1576). 35 „Der Lärmen“ im Sinne von „wildes Geschrei“, aber auch „feindliche Zusammenrottung“ (DWB 12, 203 f). 36 Datum wie im Brief. 302 Briefe des Jahres 1690 69. An [Johann Bartholomäus Freiesleben in Chemnitz]1 Dresden, 17. Juli 1690

Inhalt Einladung zur Probepredigt für die Neubesetzung der dritten Hofpredigerstelle in Dresden. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 390–391.

Nachdem durch des Allerhöchsten heilige schickung mein bisheriger werther Collega Hr. Hofprediger Sperling2 jüngsthin zu der Superintendenz Leißnick von unserm gnädigsten Hrn. Churfürstl. Durchl.3 bestätiget worden, dieselbe aber solche stelle bey ihrer hof=​capelle fordersamst4 zu ersetzen gnädigst 5 bedacht, so haben sie in einem austrücklichen schreiben von dato Bruck, den 7. Jul.5, an dero Ober=consistor​ ium6 dero gnädigsten befehl, wie sie es ge- halten haben wolten, uns angedeutet. Wann nun kraft dessen etzliche quali- fcirte personen, so deroselben unterthänigst vorgeschlagen worden, in hiesi- ger dero Schloß=​capell eine predigt ablegen sollen, unter welchen mein 10 Hochg[eehrter] H[er]r mit ernennet ist, so ist nach geschehener conferenz mit der Durchl. Churfürstin Hoheit7 und Hochlöbl[ichem] geheimen Rath, demselben der 1. August darzu bestimmet, mir aber die commission aufgetra- gen worden, der gewonheit nach solchen unsers gnädigsten Churfürsten und Herrn gnädigsten befehl demselben hiemit zu hinterbringen, kraft dessen er

3 unserm: cj ] unsers: D.

1 Johann Bartholomäus Freiesleben (18. 3. 1654–19. 9. 1706), Archidiaconus in Chemnitz; geb. in Steinpleiß bei Zwickau, nach dem Studium in Leipzig Hofprediger von Herzog Phil- ipp Ludwig von Schleswig-Holstein, 1686 Archidiaconus in Chemnitz, 1690 dritter und 1691 zweiter Hofprediger in Dresden (Gleich, Annales 3, S. 730–756). – Nach Speners Mitteilung an Adam Rechenberg vom 6. 6. 1690 (Ad Rech 1, Bl. 480r) war auch Johann Caspar Neumann ein Kandidat für die Nachfolge Sperlings. Freiesleben wurde von Spener favorisiert (Gleich, aaO., S. 742). Der dritte Kandidat war der Stolper Geistliche Mag. Johann Ernst Herzog (s. Ad Rech 1, Bl. 422r [24. 7. 1690]). Im Schreiben des Dresdner Oberkonsistoriums an Johann Georg III. von Sachsen vom 26. 5. 1690 (SächsHStA, Loc 7169/06, Bl. 5r–6v) wird als weiterer Kandidat der Leipziger Diaconus Friedrich Seeligmann genannt, der aber die Einladung zur Probepredigt absagte (SächsHStA, Loc 7169/06, Bl. 7r). 2 Paul Friedrich Sperling (1650–1711), Hofprediger in Dresden; geb. in Freiberg, nach dem Studium in Leipzig (1671 Mag.) 1678 Diaconus in Oberwiesental, 1681 dritter Hofprediger in Dresden, 1690 Superintendent in Leisnig (Grünberg, Pfarrerbuch 2.2, 891; Gerber, Historie 2, S. 583–586). 3 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 4 Unaufschieblich; was alsbald vorzunehmen ist (DWB 3, 1895). 5 Nicht überliefert. 6 Das sächsische Oberkonsistorium in Dresden (Brief Nr. 6 Anm. 13). 7 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). Nr. 69 an [Johann Bartholomäus Freiesleben] 17. 7. 1690 303 sich belieben lassen wolte, einige tage vorher sich allhier einzufnden, den text 15 zu empfangen und am bestimmten tage die aufgetragene predigt in gedachter Hof=​capelle abzulegen. Wie man dann von meinem Hochg. Hrn. schuldiger folge8 hierinnen sich gewiß versihet9 und die anstalten darnach eingerichtet bleiben. Der HErr HErr verleyhe allen zu diesem geschäft nöthigen himmlischen 20 segen und lasse die demselben mildig ertheilte gaben zu je länger je mehrerem nutzen angewendet und mit vieler frucht beseliget werden. Habe also mit vorwissen und beystimmung meiner werthen Herren Collegarum10 das mir committirte durch diese wenige zeilen ablegen sollen, dabey gelegenheit zu aller liebes bezeugung hertzlich wünschende und nechst treuer empfehlung 25 in göttliche gnaden obsicht verbleibende etc. Dreßden, den 17. Jul[i] 1690.

8 Im Sinne von „Gehorsam“ (DWB 3, 1872). 9 Im Sinne von „erwarten“ (DWB 25, 1237). 10 Die Kollegen des Dresdner Oberkonsistoriums (s. Anm. 6). 304 Briefe des Jahres 1690 70. An [Gräfn Benigna von Solms-Laubach in Laubach]1 Dresden, 17. Juli 1690

Inhalt Freut sich über die Rettung der gräfichen Söhne aus der Gefahr in Straßburg. – Behandelt die Todessehnsucht und gleichzeitige Todesfurcht der Gräfn. – Berichtet von den Widerständen, aber auch von der positiven Resonanz seiner Arbeit in Sachsen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 335–336.

Ich fnde nichts mehr zu beantworten übrig, als daß vor und mit Ew. Hoch- gräf. Gnd. dem himmlischen Vater nochmal dancke vor die damal angerühm- te gnade in beschützung dero lande vor der Frantzösischen gewalt2 und son- derlich der geliebtesten Hn. söhne errettung aus Straßburg3, so dann zeit 5 währender solcher gefahr ertheilter gemüthsruhe. Sein name seye gepriesen, daß er noch immer zeiget, wie er eine feurige maur4 und schutz um diejeni- ge seyn könne, welche sich auf ihn verlassen, wider die feinde, die mit feur und schwert trohen, aber nicht weiter damit reichen dörfen, als der HErr ihnen verhänget und zu seiner ehr auf allerley weise nötig fndet: der auch die 10 seinige mächtig auszuführen weist und alsdann diejenige blind machet, denen sie sonsten nicht entrinnen könten: der endlich bey aller eusserlichen unruhe die seelen, in denen er wohnet, in ruhe erhalten kan. Er setze noch seine gnade immer fort, daß wir nicht aufhören, stets neue lob= und danck=​opfer

11 sonsten ] sonst: D2. ​13 nicht ] nit: D2. ​

1 Gräfn Benigna von Solms-Laubach (14. 3. 1648–9. 10. 1702); geb. in Sorau/ Nieder-Lausitz als Tochter von Graf Siegmund Siegfried von Promnitz, seit 20. 1. 1667 verheiratet mit Johann Friedrich von Solms-Laubach und seit 1680 wohnhaft in Laubach (J. Taege-Bizer, Freundschaft zwischen adeligen und bürgerlichen Frauen im frühen Pietismus. Die Briefe der Anna Elisabeth Kißner an die Gräfn Benigna von Solms-Laubach, in: U. Sträter [Hg.], Alter Adam und Neue Kreatur. Pietismus und Anthropologie, Halle a.S. und Tübingen 2009, Bd. 1, 445–458; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 82 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Auf Grund des Hin- weises auf die Rettung der Söhne aus Straßburg (Z. 4) ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß der Brief an den Laubacher Grafenhof (s. auch die Anrede in Z. 1 f, 17 und 39) gerichtet ist. Spener hat sowohl mit der Gräfn Benigna als auch mit dem Grafen Johann Friedrich korrespondiert. Die Vertraulichkeit, die v. a. im Abschnitt Z. 39–57 erkennbar wird, läßt die Gräfn als Adressatin vermuten. Dazu paßt die Thematik von der Todesfurcht und dem Leiden, die sich in den Briefen Anna Elisabeth Kißners an die Gräfn im Herbst 1689 widerspiegelt (Gräfiches Solms- Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII NO. 11, Bl. 3r–10v, zum Teil allerdings undatiert). 2 Die Bedrohung rechtsrheinischer Gebiete durch französische Truppen im Pfälzischen Erb- folgekrieg. 3 Friedrich Ernst (26. 3. 1671–26. 1. 1723), Carl Otto (13. 9. 1673–16. 2. 1743) und Heinrich Wilhelm (16. 5. 1675–15. 9. 1741) von Solms-Laubach (Solms-Laubach, Geschichte, [Tabellen]). 4 Sach 2,5. Nr. 70 an [Gräfn Benigna von Solms-Laubach] 17. 7. 1690 305 vor sein angesicht zu bringen: dessen wir uns auch so vielmehr versichern können, als gewisser wir sind, daß er seine angefangene gnade niemals von 15 selbsten widerum abbricht. Was nechst den letzten brief von Ew. Hochgr. Gnaden werther hand an- langt5, weiß ich auf die vorstellung derselben bewandnus und zustandes nicht anders zu sagen, als daß der gütigste Vater in dem himmel bey derselben das verlangen nach der aufösung und hinwider furcht des todes mäßigen und in 20 denjenigen schrancken halten wolle, daß ihre seele in einer stillen ruhe seiner wirckungen so viel fähiger werde. Wie hingegen, wo eines jener beyden etwas zu starck wird, solche unruhe die seele und GOtt in derselben nicht wenig hinderten. Wir wollen also verlangen tragen und uns freuen auf das (wer weiß, wie nahe?) vorstehende ende als den schluß unsrer mühe und arbeit, auch 25 sünden, aber auch hertzlich zu frieden seyn, wann der gütigste Vater noch durch mehrere proben unsers glaubens, feisses und gedult in allerley geist= und leiblichem kampf will gepriesen seyn, da wir auch ohne das jene ruhe nicht, sowol um unsrer als seiner ehre an uns willen verlangen. Die natürliche und etwa durch andere ursachen erstärckte furcht des todes aber wollen wir 30 trachten zu mindern, gleichwie durch die hofnung der güter, dazu der ab- schied den eingang machet, also sonderlich durch betrachtung, es seye ein Vater und Bruder, zu dem wir gehen, nicht ein richter, und also ein völlig versühnter GOtt6. Entsetzet sich noch die natur, so leiden wir auch solches in dem gemüth, mit der gedult, wie wir des leibes schmertzen auch leiden: und 35 glauben, es gehöre auch solches zu dem feur, durch welches die seele noch vor ihrem ausgang gereiniget werden solle. Der HErr aber wird und wolle alles wol machen. Wo im übrigen Ew. Hochgr. Gnaden noch meinen zustand zu wissen ver- langen tragen, so ist derselbe so bewandt, daß ich die himmlische güte täglich 40 hertzlich zu rühmen habe, und ofenbaret sich mehr und mehr, wie mich der Allerhöchste nicht vergebens hieher7 geführet habe, also, daß mir alles bisher begegnende stets neue zeugnussen meines berufs und neue stärckung gibet. Dann, ob sich wol diejenige, welche mir in geistlichem und weltlichen stande abgeneigt sind, immer mehr ofenbaren, wiewol diese letztere allezeit mit 45 mehreren zurück halten vor jenen, so ist mir doch solches das kräftigste ar- gument, daß der HErr seines armen knechts arbeit und wort vielmehr ge- segnet und ihm eine durchtringendere kraft in die hertzen gegeben habe, als man bisher gedacht hatte, also daß es dem teufel ungemein wehe thue, und die sich der warheit nicht unterwerfen wollen, mit ihrem widerstand ofen- 50

29 nicht ] nit: D2. ​

5 Nicht überliefert. 6 Vgl. dazu 2Kor 5,18 f. 7 Nach Dresden und Sachsen. 306 Briefe des Jahres 1690

baren müssen, daß sie etwas davon gefühlet. Hingegen ofenbaren sich wider- um in beyderley, ja, allen dreyen ständen8 so viel mehrere, die ihre liebe immer weniger bergen können: obwol solches die andere desto mehr verdreust. Dieses alles stärcket mich vortrefich und machet mir einen muth, wo ich 55 auch nicht zu kämpfen scheine, so viel getroster alles über mich ergehen zu lassen: obzwar vielleicht diese gedult der edelste und kräftigste kampf wer- den kan. 17. Jul[i] 1690.

55 scheine ] schiene: D2.

8 Die in drei Stände gegliederte Gesellschaftsordnung: Politische Obrigkeit („Wehrstand“), Geistlichkeit („Lehrstand“) und das weitere Volk („Nährstand“). Nr. 71 an [Georg Wolfgang Wedel] 22. 7. 1690 307 71. An [Georg Wolfgang Wedel in Jena]1 Dresden, 22. Juli 1690

Inhalt Äußert seine Freude über die von Wedel projektierte Septuagintaausgabe. – Beklagt das Des- interesse der Theologen an den exegetischen Arbeiten. – Geht davon aus, daß auch die Apo- kryphen als Anhang an das Alte Testament mit ediert werden. – Fragt nach, in welcher Weise die Textvarianten von Symmachus u. a. bereitgestellt werden sollen. – Hoft, daß durch ein künftig verstärktes Interesse an den biblischen Studien sich eine solche Edition bezahlt macht. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 686–687.

Quod alterum epistolae argumentum fuit de editione Bibliorum Graecorum procuranda, vix effari possum, quam me delectaverit: eo magis, quia toties hactenus talia extare optaveram miratusque fueram non esse ex Acadamicis Theologis, qui istam curam in se susciperet: Nam quibus media non suppetunt maiora opera Biblica sibi comparandi, Graeca versione et Apocryphis carere 5 fere coguntur, quod multi mihi conquesti sunt, cum praeter Londinensem editionem2 (qua ego quoque utor) vix alia publice prostet et haec quoque non tam facile in Bibliopolis reperiatur. Non invideo vero, quod Theologiae nullo speciali vocatione obstrictus hac in parte Theologos antevertis: sed hactenus pluries veneratus sum divinam 10 Coelestis Patris de Ecclesia sua curam, cum saepius nostram in promovendis regni ipsius commodis somnolentiam aliorum Ordini nostro non adscripto- rum diligentia maiori pudefecit: utinam excitari nos omnes pateremur, ne qui duplici nomine ad sacros profectus omnium hominum iuvandos astringimur, ab illis toties vinceremur, quos Christianorum nomen solum ad praestanda ea, 15

8 Bibliopolis: cj ] Bibliopoliis: D.

1 Georg Wolfgang Wedel (12. 11. 1645–6. 9. 1721), Medizinprofessor in Jena; geb. in Golßen, nach dem Studium in Jena Arzt in Landsberg und Züllichau, 1667 Stadtphysikus in Gotha, da- nach Studienreise nach Holland, 1673 Medizinprofessor in Jena, 1685 fürstlich-sächsischer Rat und Leibarzt, 1694 kaiserlicher Pfalzgraf, 1716 kaiserlicher Rat und 1721 kurfürstlicher Rat des Mainzer Kurfürsten, 1718 fürstlich-sächsischer Hofrat; abgesehen von seinen medizinischen Kenntnissen verstand er auch griechisch und orientalische Sprachen, bes. arabisch (Jöcher 4, 1841– 1845; ADB 41, 403; J. Günther, Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena, Jena 1858, 123 f). – Zur Empfängerermittlung: Am 24. 7. 1690 schreibt Spener an A. Rechenberg: „D. We- delius medicus Jenensis meditatur editionem Bibliorum Graecorum praemissis N. T. Septuagintae interpretibus“ (Ad Rech 1, Bl. 422v); vgl. „(Er) wollte eine neue und sehr accurate Aufage der Griechischen Bibel nach der Übersetzung der 70 Dollmetscher ausfertigen, […], kam aber damit nicht zu Stande“ (Jöcher 4, 1842). 2 Vermutlich meint Spener: Ἡ Παλαιὰ Διαθήκη κατὰ τοὺς Εβδομήκοντα. Vetus Testamentum Graecum ex versione Septuaginta interpretum, recusum [hg. von John Biddle], London 1653. 308 Briefe des Jahres 1690

quae Theologi deberemus, fortius impellit. Ita bene sit Tibi, Vir Excellentis- sime, qui Exegetica studia (utinam non a magno Theologorum numero ni- mium neglecta) illo etiam labore Tuo iuvare satagis: quamvis enim illa authen- tico inprimis nitatur textu, ingratum tamen merito dixerimus in providentiam 20 divinam, qui veteres etiam versiones (licet saepius devient et ob hoc ad cano- nem Hebraeum exigendae sint) ad intellectum sacrorum oraculorum pluri- mum conferre negare ausit. Nec sane aliter ego possum, quam ut Tibi gratu- ler hunc conatum, et ex divina benedictione Ecclesiae, de qua adeo bene mereberis, fructum uberrimum promittam. 25 Quae de editione ista magis ornanda moneam, non succurrunt, cum quae de instituto Tuo ipse consignasti vehementer placeant mihi, nam quod de Apocryphis mentionem epistola non facit, non in eum sensum traho, quod omittere constitueris, sed quod tanquam appendicem librorum canonicorum V[eteris] T[estamenti] subintellexeris. 30 De uno hoc nondum satis mentem Vestram intellexi, quid de aliis versio- nibus Symmachi, Theodotionis, Aquilae3 etc. decreveris: earum nempe diffe- rentias simul exhibere sub V. T. finem, an singulis paginis (ut Masora Hebraico4 textui addi solet) subiicere malis. Illud si constitutum esset, deliberandum foret, annon expediret, in textu τῶν LXX5 certo signo, asterisco, vel qua alia 35 nota uti luberet, verba vel versus notari, quae ab aliis aliter reddita suo loco lector inventurus esset: Cum absque hoc si sit, quoniam variationes editionum reliquarum non omnes versus, imo nec capita concernant, qui legit, saepius frustra alios interpretes inquirat, non monitus, circa locum, quem prae mani- bus habet, an praeter eam, quae in textu est, alia succurrat versio: quo labore 40 supersedere potest, si certam notam videat, quae ipsum alio ableget, hac non conspecta, frustra non quaesiturus. Praeterea rectissime etiam factum censeo, quod Collegarum in commune operam conferentium studio uti non detrectes, cum in opere huius momenti plures omnino oculi requirantur. 45 Porro qui sumtus impendere constituet, non habet, quod impensis timeat: sat enim multos emtores reperiet opus tam proficuum, imo brevi tempore eo plures, quo maior affulget spes DOMINUM paulatim iis, qui studia sacra colunt, amorem sacrarum literarum, quam hactenus apud illos conspectus fuit, ardentiorem inspiraturum: Cum hinc inde non desint ex Theologiae conse- 50 craneis, qui observent, compendiosiori via se posthac in ipsa adyta coelestis veritatis, quae in sacris literis panduntur, penetrare posse, quam plures huc

3 Symmachus, Theodotion und Aquila sind jüdische Bearbeiter der Textüberlieferung der Septuaginta (RGG4 1, 1488 f). 4 Die Masoreten fügten (seit etwa dem 7. Jd. n. Chr.) dem bislang nur aus Konsonanten be- stehenden hebräischen Text des AT Vokalzeichen und zudem Hinweise zu Text und Überlieferung am Rand (masora parva), am Ende der Seite (masora magna) und am Ende des Buches (masora fnalis) bei (TRE 6, 111). 5 (Text) der LXX (Septuaginta, Siebzig). – Die älteste Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, im Umfeld der griechisch sprechenden Juden Ägyptens im 3. Jh. v. Chr. entstanden (TRE 6, 163–165). Nr. 71 an [Georg Wolfgang Wedel] 22. 7. 1690 309 usque observaverint, non sine dispendio per multa se vagatos, ex quibus reli- qua vita ad sacri muneris officia vix ullum usum deinceps senserint adeoque in spem futurae oblivionis non pauca se didicisse neglectis iis, quae sine noxa non nescirent, adeoque iam ad munia Ecclesiastica vocatos opus habuisse, ut 55 prioris studiis impensi temporis defectus sero resarcirent. Unde confido fore, ut apertis Studiosae iuventutis oculis magis magisque (quicquid etiam non- nulli Theologiae Scholasticae basiatores contra moliantur) Biblico studio suus reddatur Principatus, et omnes literae pretium ex eo accipiant, prout plus minusve ad istius culturam conferunt: quod si fiat, tum demum cum Ecclesia 60 nostra et pietatis etiam cultu optime actum iri plane certus sim. Te vero, V[ir] O[ptime], et quoscunque alios, qui symbolas conferent suas, eo largior ali- quando benedictio divina manebit. Vale etc. Dresdae, d. 22. Jul[ii] 1690. 310 Briefe des Jahres 1690 72. An Johann Christoph Bilefeld in Delitzsch1 Dresden, 28. Juli 1690

Inhalt Erklärt die verspätete Antwort u. a. damit, daß er vor Abschluß seines Bedenkens über den Pietismus nicht an Personen schreiben wolle, die mit diesem in Verbindung gebracht werden. – Gratuliert zur Ordination, die trotz Vorbehalten aus dem Leipziger Konsistorium durchgeführt wurde. – Ermuntert, eine theologische Promotion anzustreben, rät dabei von Leipzig ab und schlägt Kiel vor. – Teilt seine Meinung über einige Studenten mit, die für kürzere oder längere Zeit bei ihm in Dresden waren. – P. S.: Gruß an den Vater. Überlieferung A: Hamburg, SUB, Sup. ep. 4° 26, Bl. 1r–4v.

Göttliche gnade, friede, heil, rath und segen in Christo Jesu, unsrem getreuesten Heiland! WolEhrwürdig, Großachtbar und Hochgelehrter, Insonders Hochgeehrter Herr und in dem HErrn Vielgeliebter Bruder.

5 Ob ich wol auf das vorige geliebte2, so ich durch die studiosos zu rechter zeit empfangen3, nicht nur eher antworten sollen, sondern nach selbs gethaner vertröstung, solches etzliche mahl zu thun, mir vorgenommen gehabt, bin ich nicht allein erstlich durch die sobald einfallende Charwoche4 und nachmals nothwendigkeit, meinem hartnack5 noch in der meß zu antworten6, folgends7 10 durch andere hindernußen, die von mir bekant sind, immer aufgehalten

1 Johann Christoph Bilefeld (25. 12. 1664–21. 6. 1727), Adjunkt in Delitzsch; geb. in Werni- gerode, nach Theologiestudium und Bildungsreise durch Europa (Holland, England, Frankreich, Italien und Schweden) 1688 Adjunkt bei seinem Vater Christian Bilefeld in Delitzsch, aber erst 1690 ordiniert und als Pastor primarius eingeführt, 1690 Dr. in Kiel, 1692 Oberhofprediger, Superintendent und Konsistorialrat in Darmstadt, 1693 gleichzeitig Superintendent und Theo- logieprofessor in Gießen, 1705 in Darmstadt entlassen, erster Superintendent, Konsistorialdirektor und Theologieprofessor in Gießen; Enkel Johann Hülsemanns (Diehl, Hassia Sacra 2, 14; Strieder 1, 396–399; PfBKPS 1, 371 f). 2 Der Brief Bilefelds ist nicht überliefert. Er wurde während der Passionszeit geschrieben (s. Z. 8). 3 Nicht ermittelbar. Auf ihrer akademischen Reise wurde Spener immer wieder von Studenten besucht, die von Leipzig kamen. Hier handelt es sich wohl um Studenten aus Holstein oder Mecklenburg, weil Empfehlungen an den Generalsuperintendenten Caspar Hermann Sandhagen in Gottorf/ Schleswig und den Wismarer Pastor Henning Johann Gerdes erwähnt werden (s. Z. 130–136 mit Anm. 46 und 47). Im gleichen Zusammenhang wird auch der aus Wismar stammende Joachim Martin Schumann erwähnt (Z. 136). 4 Die Karwoche vom 13.–19. 4. 1690. 5 Daniel Hartnack, Rektor in Altona (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 6 Spener, Rettung. 7 Im Sinne von „nachher“, „in der Folge“ (DWB 3, 1880). Nr. 72 an Johann Christoph Bilefeld 28. 7. 1690 311 worden, sondern habe, daß nicht leugne, in der maße8 underschiedliche mahl angestanden, ob sichs wol schicken würde, daß in der sache, so in die be- schuldigung des pietismi lief, an jemand antwortete, biß ich, so nun vorigen monat auf erfordern geschehen, mein bedencken über die gantze sache an Churf. Drlt.9 und den geheimen rath übergeben hätte10, durch welchen 15 nunmehr, da ich mein gewißen und hertz gehörigen orts außgeschüttet habe, auch freyer gegen gute freunde schreiben darf. Daher nun durch das andere11 aufs neue veranlaßet, die feder ansetzen sollen, mir eine freundliche zuguthaltung des vorigen verzugs von deßen güte leicht versprechende. Das erste, was diesesmal die liebe erfordert, ist wol 20 dieses, daß ich hertzlich zu der aus Gottes schickung aufgetragenen kirchen- stelle gratulire12, den Himmlischen vater demütigst anrufende, daß derselbe auf seinen beruf auch sein gewöhnliches sieg[el], glücklichen successes und viel tausendfältigen segens trucken, die verliehenen gaben nicht nur erhalten, sondern vermehren und weiter heiligen, zu dero fruchtbarer anwendung al- 25 lemahl neues liecht der klugheit von oben herab senden, die gewöhnlich allen guten vorhaben in den weg legende hindernußen kräftig wegräumen, son- derlich aber selbsten zu allem pfantzen und begießen13 von oben herab sein kräftiges gedeyen schencken, so dann zu desto bequemerer und leichterer leistung alles deßen, was obliget und versicherter hofnung frölichen fortgangs 30 die hertzen aller collegen und der gesamten gemeinde, zuforderst aber auch der hohen obern beständig denselben zu wenden14, endlich aber zu aller widerwärtigkeit, ohne welche kein diener Christi sein amt treulich führen kan, tapfern muth, weise vorsichtigkeit, freudige gedult, mächtigen beystand und gewißen sieg geben wolle. Ach, der HErr thue es, und da es nicht eben 35 allzuviele der rechtschafen treuen und nicht sich, sondern ihn redlich und lediglich15 meinenden arbeiter gibet, fördere er aller orten derselben und under denselben auch geliebten Bruders, von dem [auch? noch?] alles hofe,

13 lief ] + . 23 sieg[el] ] [Textverlust im Falz]. 28 /begießen/ : . ​ 38 [auch? noch?] ] Unsicher [Textverlust im Falz].

8 Die Maß (DWB 12, 1727). 9 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 10 Das Bedenken Speners zum Pietismus vom 14. 6. 1690 (SächsHStA Dresden, loc 10329, Bl. 11–25; loc. 10330, Piet. betr. 1690, Bl. 36r–63v, 63/1v; Abdruck: Bed. 3, 777–805). 11 Ein zweiter Brief Bilefelds, der ebenfalls nicht überliefert ist. 12 Bilefeld war am 28. 4. 1690 ordiniert und als Pastor primarius eingeführt worden (s. Anm. 1). 13 Vgl. 1Kor 3,6. 14 Delitzsch gehörte zum Herzogtum Sachsen-Merseburg. Landesherr war Herzog Christian I. von Sachsen-Merseburg (1615–1691). Dieser hatte kritische Nachfragen über die Entwick- lung des Pietismus im Kurfürstentum Sachsen gestellt (SächsHStA Dresden, loc 10330/03, Den sogenannten Pietismus betr. 1690 f, Bl. 3r–v [6. 5. 1690]), die am 26. 5. durch einen kurfürstlichen Brief mit der Nachricht beantwortet wurden, der Pietismus an der Universität Leipzig sei abge- schaft (Bl. 7r–v). Zu den Problemen, die Bilefeld zu ertragen hatte, weil er des Pietismus bezichtigt wurde, s. Leube, Pietistische Bewegung, 205 f. 15 Im Sinne von „einzig“ (DWB 12, 506). 312 Briefe des Jahres 1690

arbeit kräftiglich um seines eigenen nahmens ehre willen. Wie ich zwahr 40 auch des guten vertrauens bin, der HErr werde ob zwahr noch durch viele leiden und der seinigen prüfungen etwas gutes mit mehrer kraft durchbre- chen laßen, alß daß manche, so denselben zuwider sind, es solten hemmen können. Nechst dem gratulire auch (ob wol andere vielleicht condoliren möchten), 45 daß es dem HERREN gefallen, deßelben eingang in das ministerium sobald mit einem solchen leiden zu beseligen16, so mir ein stattliches zeugnus seiner aufrichtigkeit zu beforderung des guten gegeben und meine geschöpfte hofnung bestärcket hat, hingegen aber auch stracks seine mächtige hülfe zu zeigen; davon mir auch der jetzt anwesende Hochfürstl. Merseburgische 50 Cantzler, H. D. Stößer17 mit mehrerem erzehlung gethan. Es ist die sache auch von dem Leipzigischen Consistorio an unsern kirchenrath18 hieher berichtet und, so ich nicht leugnen kan (aber auch allein nichts zu hinderziehen ver- mocht), von hierauß mit der ordination zurückzustehen, angeordnet, auch nicht eher jene verstattet worden, biß widerum der bericht eingelaufen, daß 55 man näher sich zum zweck geleget hätte. Mich hat, die wahrheit zu bekennen, die Leipzigische sache wegen des erdichteten pietismi19 mehr alß alles, was je meine person betrofen, darinnen mir Gott gemeiniglich getrosten muth ver- liehen hat, afigiret20: nach dem mir die vor autores einer sectae angegeben worden, bekannt waren, ich mich also der unschuld versichert wußte und 60 doch sehen mußte, wie durch hitzige berichte diese gravirt und harte verord- nungen21 dagegen heraußgebracht worden; da ich dann soviel weniger auß- zurichten vermochte, weil sich bald ofenbahrte, daß von widriger seiten wol manches per aliorum latus22 auf mich gespitzet gewesen. Nun dancke dem HERRN HERRN, der mir oben ernennte gelegenheit gegeben, mein gantzes

16 S. Anm. 14. 17 Gottfried Stösser Edler von Lilienfeld (8. 11. 1635–4. 9. 1703), Preußischer Vizekanzler im Herzogtum Magdeburg; geb. in Straßburg, nach dem Studium in Straßburg, Tübingen und Altdorf 1659 Promotion zum Dr.iur. in Straßburg, 1660 Rat und Kanzleidirektor am Hof von Hessen- Homburg, 1662 Jurist in verschiedenen Ämtern im Rat von Straßburg, vor allem mit diploma- tischen Reiseaufgaben bedacht, 1685 Geheimer Rat, Kanzler und Direktor des Konsistoriums in Merseburg, 1690 preußischer Geheimer Rat und Vizekanzler im Herzogtum Magdeburg (LP: Samuel Schlegel, Das Geistliche recht lieblichen Geruch gebende Edle Lilien-Feld, Merseburg 1705). 18 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 19 Vgl. die auch die persönlichen Ausführungen zur pietistischen Bewegung in Brief Nr. 45, Z. 7–27. 20 Niederschlagen, grämen. 21 Abgesehen von dem Konventikelverbot vom 10. 3. 1690 (s. Brief Nr. 51 Anm. 39) sind wohl u. a. gemeint das Verbot für pietistische Magister, akademische Veranstaltungen durchzuführen (Leube, Pietistische Bewegung, 181, 184 f), der Entzug von Stipendien für pietistische Studenten und der Versuch, sie nicht für geistliche Ämter zuzulassen (Leube, aaO, 205). 22 „Durch die Seite anderer“, vielleicht abgeleitet von Joh 19,34. Gemeint ist, daß jemand anderes als derjenige, der eigentlich getrofen werden soll, geschlagen wird. – Zur Sache: Brief Nr. 31, Z. 13–15. Nr. 72 an Johann Christoph Bilefeld 28. 7. 1690 313 anligen an gehörigem hohen ort nachtrücklich vorzustellen23 und also mein 65 gewißen zu erleichtern, da ich glaube erwiesen zu haben, daß pietismus keine secte oder ketzerey, sondern ein gedicht seye, da man Christliche, fromme und unsträfiche leut damit beschwehret, aber noch bißdaher niemand, der solch eine heterodoxie oder anderes ungeziehmliches zu überführen vermocht hat: daher ich davor halte, daß die also beschuldigte vor Gott und denjenigen, die 70 die gantze sache genauer einsehen, mehr ehr von ihrer beschuldigung als die beschuldiger haben werden. Sind aber einige geringe (?) [fehler]24 übersehen, wie dann der hertzlichste eyfer nicht allemal vorsichtig gnug ist, vorgegangen, so pfegen Gott liebende leute denen, welche es, in dem sie gute meinung haben, in etwas versehen, lieber mit sanftmuth aufzuhelfen und sie zurecht 75 zu bringen, alß sie gar, soviel an ihnen ist, niderzuwerfen. Nun, es wird, der der Allmächtige ist, auch hierinnen ein zeugnüß seiner güte und allmacht er- zeigen, daß er das recht derer, die sich zimlich haben leiden müßen, an den tag bringe und seine wahrheit herrlich [err]ette. Das vorhaben des Gradus Theologici kan ich auch nicht mißbillichen, da 80 es, wie nicht zweife, mit gnädigstem gutheißen der Hochfürstlichen Herr- schaft geschihet, und wünsche auch dazu von oben göttliche gnade und se- gen, daß auch dieses dardurch annehmende ofentliche testimonium25 und würde demselben ein mittel werden, in seinem amt das gute soviel kräftiger zu befordern: weil ja in annehmung dergleichen titul dieses unser zweck 85 solle sein, nicht uns, sondern den HERRN darinnen zu suchen, nach dem wir zu solcher zeit leben, da dergleichen externa klüglich angewandt, oft zu vielem guten etwas mit beytragen können. Den ort anlangend fnde ich auch, daß ursach gnug seye, diesesmal Leipzig zu übergehen und Kiel zu erwehlen26; so gefellt mir auch die materia der disputationis inauguralis27 sehr wol und ob 90 man durch den nahmen des pietismi die pietet wolte mehr und mehr verhaßt und veracht machen, tun wir wol, daß wir uns dardurch nicht abschrecken laßen, sondern davon lieber desto mehr reden und zeigen, daß wir uns der verachteten materie nicht schämen und so fern der welt weichen. Ich wün- schete auch hertzlich gern, daß ich mit anhandgebung ein und anderer auto- 95 rum etwas beyzutragen vermöchte: aber wie ich mich niemal auf lesung vieler scriptorum befißen, also wüste nichts an hand zu geben alß, was in

69 /zu/. 79 | [err]ette |.

23 S. Anm. 10. 24 Ergänzt analog zur gleichen Formulierung in Brief Nr. 76, Z. 268. 25 Vgl. die ähnliche Argumentation im Zusammenhang der Promotion Johann Wilhelm Petersens (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 44, Z. 8–30) und der Bemühung um akademische Grade bei Paul Anton und August Hermann Francke (Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 68, Z. 46–53, und Nr. 100, Z. 13–15). 26 Bilefeld wurde schließlich wirklich in Kiel bei Heinrich Opitz promoviert (s. Brief Nr. 108 Anm. 4). 27 Johann Christoph Bilefeld, Theologia pia unice vera (s. Brief Nr. 108 Anm. 4). 314 Briefe des Jahres 1690

meiner gottesgelehrtheit angeführet habe28. Welche nachmal H. D. Rudrauf 29 zu Gießen in dem appendice einer disputation behauptet hat30: davon, wann 100 damit gedienet, communication tun könte. Es hat zwahr auch darnach H. D. Masius31 zu Coppenhagen einige vindicias32 derselben in einer disputa- tion gethan, jedoch mit wenigerm meinem vergnügen33. Wollen wir aber ein modell haben, wie die articuli fdei recht ad praxin zu richten seyen, so haben wir sonderlich in der apologie der Augsp[urgischen] Confess[ion] das exempel 105 mit dem articul der rechtfertigung34, da alles ad praxin gehet. Und unser tapferer Theologus Chemnitius35 in seinen locis, wie einfältig sie scheinen, zeiget die rechte kunst, wie in der theorie selbs stäts die praxis gewiesen werden könne u. vor augen sein solle36. Mein S. Praeceptor H. D. Dannhau- er37 wird auch in underschiedlichen disputationibus endlich, wie ers nannte, 110 καρποφορίαν38 dazu gethan haben: wie mir sonderlich einfellt seine Apoca- lypsis mysterii Apostolici Rom XI39 (ob wol im übrigen in solcher materie ich mit ihm nicht einerley meinung bin40), wo er zuletzt, ob wol etwas kurtz, die καρποφορίαν anhänget41. Im übrigen halte ich eines der nothwendigsten

28 In der Tat wird Speners „Allgemeine Gottesgelehrtheit“ in Bilefelds Dissertation mehrfach zitiert (S. 30, 33). 29 Kilian Rudrauf (17. 7. 1627–15. 9. 1690), Theologieprofessor in Gießen; geb. in Schotten, nach dem Studium in Marburg und Gießen 1650 Lehrer am Gießener Pädagogium, 1659 Pro- fessor ebendort (DBA 1064, 1–11; Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 148 Anm. 18). 30 K. Rudrauf, Exercitatio academica De Epistola Laodicensium ex Coloss. IV. 16 nec non epimetris subnexis de habitus theologiae qualitate, Gießen: B. Karger 1680. – Spener verweist auf den Anhang zu dieser Disputation schon in: Allgemeine Gottesgelehrtheit 1, 34 (Spener, Studien- ausgabe I/2, 37.23–28). 31 Hektor Gottfried Masius (13. 4. 1653–20. 9. 1709), Professor und Hofprediger in Kopenha- gen; geb. in Schlagsdorf bei Ratzeburg, nach dem Studium Reise‑ und Gesandtschaftsprediger, 1686 in Kopenhagen (DBA 810, 408–423; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 109 Anm. 1). 32 Erklärungen. 33 H. G. Masius, Vindiciae Spenerianae in controversia Dilefeldiana non ita pridem exorta circa subiectum verae theologiae, Kopenhagen: Baxman 1687 (Grünberg Nr. 530). – Zu Speners Einschätzung der Schrift s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 55, Z. 1–19. 34 Confessio Augustana, Art. IV (BSLK 55.11–56.5). – Bilefeld verweist in seiner Dissertation auf S. 40 summarisch darauf. 35 (9. 11. 1522–8. 4. 1586), bedeutendster lutherischer Theologe seiner Zeit (TRE 7, 714–721). 36 Bilefeld zitiert auf S. 22 seiner Dissertation (s. Anm. 27): „Ideoque praecipua cura esse debet in singulis locis: quomodo et qua ratione doctrina tradita accommodanda et referenda sit ad usum, in seriis exercitiis poenitentiae, fdei, obedientiae et invocationis. Ita enim mentes profcient simul et doctrina et pietate. Vere enim dictum est, Theologia magis consistere in afectu quam in cognitione.“ (M. Chemnitz, Loci theologici, Pars 1, Wittenberg 1615, S. 17). 37 Johann Conrad Dannhauer, Theologieprofessor in Straßburg (s. Brief Nr. 13 Anm. 11). 38 Fruchtbarkeit. 39 J. C. Dannhauer, Apocalypsis mysterii apostolici, In Epist. ad Rom. XI, v. 25. propositi (Straß- burg: Jacob Thilo 1656; 2. verb. Auf.: Straßburg: Josias Staedel 1684). 40 Es geht um die Judenbekehrung; darin folgt Spener seinem Lehrer nicht. 41 J. C. Dannhauer, Apocalypsis [wie Anm. 39], Sectio tertia: Karpophoria, S. 116–121 (2. Auf.: S. 69–71). Nr. 72 an Johann Christoph Bilefeld 28. 7. 1690 315 stücke, die bey dieser materie möchten zu berühren sein, wie Professoribus Theologiae zukomme, ihre auditores und studiosos nicht nur gelehrt, sondern 115 auch fromm zu machen42 (so man nun einiger orten nicht mehr glauben will, daß es zu dem amt gehöre), in dem ohne dieses sie keine rechte Theologos auß ihnen machen würden. Gewiß, wo dieses den HH. professoribus recht beygebracht wird, daß sie, wo sie des tituls wollen würdig sich machen, selbs gottselig sein und, wo sie ihrem amt ein gnüge thun sollen, ihre auditores auch 120 selbs zur wahren gottseligkeit anführen und nicht allein zu diesem zweck sie an die prediger weisen müßen, so wird der christlichen kirchen bald vollends stattlich geholfen werden. Der HERR segne meines werthen Herrn vorha- bende arbeit, daß sie vieles hiezu an ihrem ort mit beytrage und einen ein- truck in die gemüther thue. Ach, wie wollen wir deßen reicher güte dancken, 125 wann wir nun sehen möchten, daß der gottseligkeit die ihr gebührende würde wider gegeben werde, damit wird gewiß ein neuer segen auf unsre kirche kommen. Amen. Daß ich in dem übrigen einiges des fernern innhalts des ersten schreibens43 berühre, wo mir der anspruch44 der beiden studiosorum45 sehr angenehm, und 130 habe ich auß dem gespräch mit ihnen die hofnung geschöpft, daß sie Gott zu rechtschafenen werckzeugen seiner ehre bereiten werde, so ich auch wünsche u. ihrer ferner vor Gott gedencken werde. Die recommendation an H. Sandhagen46 habe ich ursach zu glauben, dem einen nicht verträglich zu sein, da sonsten nicht anstehen wolte: des andern aber werde an H. Gerde- 135 ßen47 geziehmlich gedencken. Was endlich H. Schumann48 anlangt, war mir leid, von ihm zu vernehmen, was geschrieben worden. Ich habe mich fast schwehr in den menschen schicken können: in den ersten ungefehr 5 mona- ten hatte ich fast lauter vergnügen an ihm, daß auch an seinen vater das beste schrieb49, aber sobald drauf eußerte sich allerley, daß ich ihm mehrmal ernst- 140 licher, alß ich bey andern pfege, zusprechen mußte, und zuletzt die be- schleunigung des abschieds selbs verlangte. Soviel habe ich gemercket, daß keine boßheit verhanden50, wie er auch allemahl sich ohne widersetzlichkeit

42 Vgl. Spener, Erzehlung, S. 69 (2. Auf.: S. 71), wo er den Vorwurf Johann Benedikt Carpzovs, aus dessen Leichpredigt zu Martin Born, man wolle die Studenten nicht gelehrt, sondern fromm machen („wir würden auf diese Weise kriegen Studiosos satis pios, sed satis indoctos“), aufnimmt. Diese Formulierung fndet sich allerdings nicht wörtlich, sondern nur der Sache nach in dieser Predigt. 43 Nicht überliefert. 44 Vorsprechen, Gespräch (vgl. DWB 1, 471). 45 S. Anm. 3. 46 Caspar Hermann Sandhagen, Generalsuperintendent in Gottorf (s. Brief Nr. 51 Anm. 18). 47 Henning Johann Gerdes, Pastor in Wismar (s. Brief Nr. 11 Anm. 60) oder Johann Heinrich Gerth, (Gerthius], Gerds), Pfarrer der deutschen Gemeinde in Stockholm (s. Brief Nr. 25 Anm. 11). 48 Joachim Martin Schumann, Theologiestudent in Leipzig (s. Brief Nr. 31 Anm. 4). 49 Der Brief Speners ist nicht überliefert. Schumanns Vater hieß vielleicht Joachim, sein Beruf ist unbekannt (s. Willgeroth, 1000). 50 Gegenwärtig, wirklich (DWB 25, 522). 316 Briefe des Jahres 1690

überzeugen ließe u. die vermahnungen mit willen und danck annahm, aber 145 es ist noch viel jugendliches, und so auß eitelkeit kommt, vorhanden: wiewol gleichwol hofe, es solle sich in göttlicher gnade nach u. nach eben deswegen soviel leichter geben, weil er sich niemahl widerspenstig bezeuget, sondern sich sobald gegeben hat. Der HErr reinige ihn auch mehr u. mehr u. bereite ihn zu nutzlichem dienst um seines nahmens willen. Ich werde auch nicht 150 underlaßen, einige erinnerungen zu seinem besten ferner zu thun. Wormit göttliche güte, obhut, segen u. regierung hertzlich empfehlende verbleibe Meines Hochg. Herrn u. werthen Bruders zu gebet u. liebe schuldig williger Philipp Jacob Spener, D. 155 Mppria. Dreßden, den 28, Jul[i] 1690. [P. S.:] Des H. Vatern HochEhrw.51 bitte ich in dem HErrn fr[eundlich] zu grüßen.

51 Christian Bilefeld (29. 7. 1619–8. 6. 1695), Superintendent in Delitzsch; geb. in Lübeck, nach dem Studium in Rostock, Königsberg und Wittenberg (1643 Mag. und 1655 Dr. theol. ebd.) 1654 Oberpfarrer, Superintendent und Konsistorialrat in Wernigerode, 1680 Oberpfarrer und Super- intendent in Delitzsch (PfBKPS 1, 371). Nr. 73 an Johann Wilhelm Hilliger 31. 7. 1690 317 73. An Johann Wilhelm Hilliger in Chemnitz1 Dresden, 31. Juli 1690

Inhalt Bedankt sich für die Nachricht, daß seine letzten Briefe angekommen sind, ist aber besorgt über den möglichen Verlust einer weiteren Sendung. – Rät dem Bauern, der sich mit dem Pfarrer [Georg Seidel] im Streit befndet, ab, an das Dresdner Oberkonsistorium zu appellieren. – P. S.: Will versuchen, [Johann Georg] Klimper zu befördern. Überlieferung A: Dresden, Sächsisches Landeskirchenarchiv, Best. 12, Nr. 204. D: F. Blanckmeister, Spener in Chemnitz, Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte, 36, 1927, S. 43.

Göttliche gnade, friede, heil und segen in Christo JESU! Hochwol Ehrwürdig, Großachtbar und Hochgelehrt[er], Insonders Hoch- geehrter Herr und in dem HERRN wehrther Bruder. Vor die nachricht, daß die meinige vorige wol eingelaufen2, so dann die dedikation3 freundlich aufgenommen worden, sage schuldigen dank. Nur 5 dieses einige begreife nicht recht, daß mein gewesener famulus4 solle einige exemplar der investiturpredigt5 übersandt haben, indem ich selbs mit dabey geschrieben und nicht gern wolte, daß das schreiben verlohren gegangen. Zu realem danck erfordere ich beständige liebe und vorbitte, die auch von meiner seit zusage; anderer art aber wäre mir nicht anständig, noch von mir intendirt; 10 daher auch wenige exemplaria nur gesandt worden, damit nicht, wo es hieße, daß ich mir kosten gemacht, schiehne, daß hinwider kosten zu machen wären.

3 Herr ] – D. 3 Bruder ] Freund: D. 4 wol ] mal: D. 12 hinwider ] für andre: D.

1 Johann Wilhelm Hilliger, Superintendent in Chemnitz (s. Brief Nr. 46 Anm. 1). 2 Wohl Brief Nr. 46. 3 Spener hatte die Veröfentlichung der beiden Predigten zur Investitur der Superintendenten Christian Gotthelf Birnbaum und Johann Wilhelm Hilliger diesen beiden gewidmet (zu dieser Publikation s. Anm. 5). 4 Vermutlich Johann Rümpler (1658–1718), der vor der Übernahme eines Pfarramtes in Ober- gruna im Jahr 1690 Famulus bei Spener gewesen war (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 131 Anm. 2, und Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 2 Anm. 2). Speners derzeitiger Famulus Caspar Möller hatte seinen Dienst etwa zum Jahreswechsel 1689/90 angetreten (vgl. den Brief von Gottlieb Benjamin Gleiner an Hermann von der Hardt am 18. 12. 1689 [LB Karlsruhe, K 319] u. ö.; vgl. auch Brief Nr. 27, Z. 72 f.). 5 Ph.J. Spener, Schuldige Pficht Christlicher Prediger und Zuhörer In zweyen Investitur- Predigten / Zu den Superintendenzen Chemnitz und Colditz / Aus Matth. 12/ 33 und Gal. 4/ 19 Vorgestellet, Leipzig: Joh. Heinich 1689 (Abdruck in: EGS 1, 1242–1334). 318 Briefe des Jahres 1690

Auf H[errn] Seidels6 schreiben habe geantwortet7; ich habe davor gehalten, daß es rathsamer, daß die Sache mit dem bauren8 verglichen würde, alß daß 15 derselbe in das OberConsistorium9 gienge, indem importune leut, wo es scheinet, daß in dem geringsten umstand etwas versehen worden wäre, Christlichen predigern aufs wenigste in judicio ungelegenheit machen können. Hiemit göttlicher treue und obhut hertzlich empfehlende verbleibe E. Hoch- 20 wohlEhrw[ürden] zu gebet u[nd] fr[eundlichen] diensten williger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dresden, in eil, den 31. Juli 1690. [P. S.:] 25 Herrn M. Klimpern10 liebe ich selbs und werde gern das meinige zu seiner promotion thun.

15 leut ] berät: D. 20 Dienst: D.

6 Georg Seidel, Pfarrer in Niederwiesa (s. Brief Nr. 46 Anm. 3). 7 Nicht überliefert. 8 Christian Becker (s. Brief Nr. 46, Z. 5); zur Streitsache s. dort. 9 Das Dresdner Oberkonsistorium (Brief Nr. 6 Anm. 13). 10 Vermutlich Johann Georg Klimper (1658–1729); geb. in Chemnitz, nach dem Studium in Wittenberg 1691 Pfarrer in Kleinolbersdorf, 1694 in Röhrsdorf; Korrespondent Gottfried Arnolds (Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 435; D. Blaufuss, Gottfried Arnolds Briefwechsel, in: Pietismus – Herrnhutertum – Erweckungsbewegung. FS für E. Beyreuther, hg. von D. Meyer, Köln 1982, 75; J. Büchsel, Arnolds Beziehungen nach Halle, PuN 22, 174). Nr. 74 an Anna Elisabeth Kißner 7. 8. 1690 319 74. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 7. August 1690

Inhalt Wünscht eine gestärkte Gesundheit für Anna Elisabeth Kißner und ihre Mutter nach deren Kur in Ems. – Zur Berufungssache nach Brandenburg hat er keine neuen Nachrichten und befürchtet weiteres Leiden im Zusammenhang der Feindschaft gegen die Pietisten, wenn er in Dresden bleibt. – Berichtet von der inneren Unruhe [Johann] Wincklers in Hamburg. – Wünscht den Pfarrern [Christian Philipp] Leutwein und [Andreas] Staphorst den göttlichen Segen für ihre neuen Ämter. – Hoft, daß [Johann Heinrich] May sich bei seinen Auseinandersetzungen nicht im Unwesentlichen verliert. – Gibt Hinweise, wie die Spenden für Arme in Frankfurt und Umgebung verteilt werden sollen. – Berichtet von den Schwierigkeiten des Ehepaares Petersen. – Kann melden, daß die inneren Ängste seiner Frau Susanne langsam weichen, und berichtet von seiner jüngsthin gehaltenen Bußpredigt, in der er die Veleumdung als Ursache für den göttlichen Bann und Fluch gekennzeichnet hat; ist erneut von einem Kollegen aus dem Oberkonsistorium beim Kurfürsten [Johann Georg III.] angeklagt worden. – Läßt die Familie von Frau Kißner grüßen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 380–387.

Von dem Herrn, unserm Gott und seinem Sohn JESU CHRISTO alles heil, gnade, fried und leben. In demselben hertzlich geliebte frau und Schwester. Zu der gebrauchten Embser cur2 wünsche sowohl deroselben alß der werthen frau Mutter3 von dem Gott, deßen wille und wort unser leben ist, gute nach- 5 würckung zu stärckung der kräften, deroselben heilung und linderung aller beschwehrten. Sonderlich wolle er gedachter geliebter frau Mutter desto kräftiger beystehen, nachdem die mancherley sorgen zunehmende Jahre und oftmalige zufälle dieselbe bißher mehr geschwächet; Er helfe auch die be- trübnuß über der S[eligen] Frau Reinickin4 abschied in erkentnus seines 10

6 heilung: cj ] heiligung: K.

1 Anna Elisabeth Kißner, Arztwitwe in Frankfurt (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). 2 Kuren in (Bad) Ems wurden von Frankfurter Bürgern, auch von Spener in seiner Frankfurter Zeit (etwa im Frühjahr 1686; vgl. dazu Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 5 Anm. 2), immer wieder gemacht. – In einem Brief an Benigna von Solms-Laubach berichtet Anna Elisabeth Kißner von einem bevorstehenden Aufbruch zu einer Badereise nach Ems (Gräfiches Solms-Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII NO. 11, Bl. 58r–59v); weil dieser Brief nicht datiert ist, bleibt es aber ungewiß, ob es sich um den hier angesprochenen Kuraufenthalt handelt. 3 Anna Elisabeth Eberhard (s. Brief Nr. 11 Anm. 49). 4 Catharina Elisabeth Reineck (gest. im Sommer 1690), Tochter des Münzmeisters Caspar Ayrer und somit Tante Anna Elisabeth Kißners, Ehefrau des Weinhändlers Hermann Reineck und Stiefschwester von Anna Elisabeth Eberhard (Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 13 Anm. 12 und Nr. 123 Anm. 19). 320 Briefe des Jahres 1690

willens kräftig überwinden, erfreue dieselbe ewiglich und ersetze den abgang an ihr den ihrigen mit allem Seegen, sonderlich aber erfüllung ihres letzten verlangens. Was meine Sache wegen brandenburg anlanget5, stehet alles noch in vori- 15 gen terminis und ist seither keine weitere antwort gekommen. Ich bleibe noch immer bey der einmahligen resolution, dabey ich mich sicher glaube, weder eigens willens wegzugehen oder solches zu treiben, noch, da mich Gott loß machen will, mich zu widersetzen. Bedancke mich auch der fr[eundlichen] zusage des gebets darum ferner bittende, und nicht wenig davon hofnung 20 fnde. Gott zeige doch seinen willen und ungefragt unser erfülle er denselben allezeit. Läßet er mich länger hier, mag es seyn, daß ich zu einigen leiden mit den sogenannten Pietisten auf welche man neuen zorn faßet, bestimmet bin, und in solchem fall ihn gern mit solchen preisen will. Führet er mich aber in Brandenburg, so scheinets, der Herr wolle nur eine freyere und ofenere Thür 25 seines worts weisen. Nun, er wird alles wol machen. Ihm sey ewiges Lob! Auß H. Wincklers briefen kann nicht wohl abnehmen, daß er eine reise hinauf vorhätte6. Mag zwar wohl einer stärckung bedürfen in den so vielen Stürmen, welche über ihn gehen. Seiter dem Er H. Zellern7 aus dem Hauße gelaßen und ihm entgegen worden, hat der Mann fast keinen frieden: so er 30 zwar viel mehr jenem und daß er ihn bey sich gehabt, zuschreibet: mir machts aber andere gedancken. Der HErr führe uns alle gewiß und zeige uns, wo wir verstoßen solten. Das übrige ministerium bricht so ofenbarlich loß gegen unsere 3 gute freunde8, daß ich eben darauß schließe, sie werdens in die ferne nicht treiben; der Herr öfne ihnen die augen und erbarme sich ihrer. 35 Herr Leutwein9 und H. Staphorst10 wünsche auch allen Seegen zu dero neuen ämtern11, aber auch wo sie der anzeige nach zu gesetzlich gewesen, daß 35 Leutwein: cj ] Leutweim.

5 Die Möglichkeit der Berufung zum Propst an St. Nicolai in Berlin/Cölln (s. Brief Nr. 57). 6 Johann Winckler, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 9 Anm. 1). – Der letzte Brief Wincklers an Spener stammt vom 29. 6. 1690 (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 6r–7r). Von einer Reise „hinauf“, d. h. nach Frankfurt oder Hessen wird nicht gesprochen. 7 Eberhard Zeller, amtsenthobener württembergischer Theologe, der in Hamburg als Infor- mator wirkte (s. Brief Nr. 9 Anm. 9). 8 Die Streitigkeiten des Hamburger Predigerministeriums waren besonders seit dem Ver- such des Seniors Samuel Schultze, einen Religionseid unterschreiben zu lassen, der sich gegen „pietistische“ Aktivitäten richtete, eskaliert (s. Brief Nr. 32). Die guten Freunde sind Abraham Hinckelmann (zu diesem s. Brief Nr. 45 Anm. 42), Johann Winckler (zu diesem s. Brief Nr. 9 Anm. 1) und Johann Heinrich Horb (zu diesem s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 9 Christian Philipp Leutwein, designierter Oberpfarrer und Superintendent in Waldenburg (s. Brief Nr. 60 Anm. 53). 10 Andreas Staphorst (1648–3. 6. 1703), Hofprediger in Darmstadt; geb. in Hamburg, nach dem Studium in Straßburg Informator am Hof von Nassau-Idstein, 1688 Pfarrer in Wiesbaden, 1690 Hofprediger in Darmstadt, 1691 Pfarrer in Homburg (Bruhn, Kandidaten, 120 f; Diehl, Hassia Sacra 2, 151, 185, 189, 241; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 66 Anm. 11). 11 Beide hatten im Zusammenhang mit den Wirren, die durch den französisch-pfälzischen Erbfolgekrieg entstanden waren, ihre Pfarrämter in Wiesbaden verloren. Nr. 74 an Anna Elisabeth Kißner 7. 8. 1690 321 sie der Herr seine liebe und süßigkeit des Evangelii also schmecken laßen wolle, daß sie auch voller liebe mit andern sanftmuth und gedult zu üben lernen. Von H. D. Mayen12 verlange hertzlich solche nachricht, daß er nun in der 40 Hauptsach mehr zu erhalten, in dem nebenumstand lieber etwas weiche und es nicht auf die extrema kommen laße13. Wir wollens aber auch dem befehlen, der in allen stücken seine diener nicht nach unserm, sondern seinem willen führet und auch in diesem Stück recht führen wird. Das armengeld belangend solle eins auf 170 Thlr. sich erstrecken14. Davon 45 rechne als empfangen, wie solches seiter geschehen zu seyn hofe, 46 ½ thaler, so dann 50 Thlr. von Frau Bartelsin15 und 20 von H. Fenden16, Summa 116 ½ Thlr. Daher habe noch heraußzumachen 53 ½ Thaler, dazu ich gelegenheit suchen muß. Hievon wird also empfangen haben oder empfangen H. Schlo- ßer17 20 Thlr., H. Weinich18 20 Thlr., H. Textor19 10, H. Schild20 10. Dazu 50 ich wegen deßen, was von ihm angezeigt, nächst fr[eundlichem] gruß noch 10 gelegt zu werden verlange. Das übrige bleibet zu eigener austheilung nach gutbefnden. Der große Gott laße es denjenigen geseegnet seyn, die darvon empfangen. Wegen unser lieben Fr. Petersin21 sind wir beiderseits einer meinung: Gott 55 gebe allezeit die Weißheit auch im Vortrag seiner Warheit oder was man davor

46 als: cj ] also.

12 Johann Heinrich May, Theologieprofessor in Gießen (s. Brief Nr. 55 Anm. 1). 13 May war wegen der Abhaltung von Collegia pietatis mit seinen Gießener Kollegen, v. a. mit Philipp Ludwig Hanneken, in Streit geraten (s. Brief Nr. 56 Anm. 3; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 116, Z. 10–26, mit Anm. 14, 16, 17 und Nr. 125, Z. 53–60; Köhler, Anfänge, 173). 14 Zu Speners Unterstützung von Menschen in Frankfurt und Umgebung s. Brief Nr. 45, Z. 37–48. 15 Entweder die Frau von Remigius (Remy) Barthels, Bankier in Frankfurt, oder deren Schwägerin Anna (s. Brief Nr. 60 Anm. 56). 16 Christian Fende, Jurist in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 45 Anm. 19). 17 Johann Philipp Schlosser (s. Brief Nr. 60 Anm. 37). 18 Johann Jakob Weinich, Pfarrer in Billingshausen/ Franken (s. Brief Nr. 45 Anm. 22). 19 Conrad Textor, Prediger in Worms (s. Brief Nr. 60 Anm. 36). 20 Johann Philipp Schild (17. 5. 1654–5–12.1726), Pfarrer in Worms; geb. in Friedberg, nach dem Studium in Gießen, Jena und Straßburg 1683 Konrektor und 1691 Pfarrer in Worms, 1691 Garnisonprediger in Köln und 1694 Pfarrer in Frankfurt a. M. (Diehl, Hassia Sacra 3, 431). In einem undatierten Brief von Anna Elisabeth Kißner an Benigna von Solms-Laubach wird ein „Herr Schildt“ erwähnt, der wegen der Übernahme des Laubacher Pfarramts noch Bedenkzeit braucht (Gräfiches Solms-Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII Nr. 11, Bl. 64). Es könnte sich dabei um J.Ph. Schild handeln. 21 Johanna Eleonora Petersen, Ehefrau Johann Wilhelm Petersens (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 322 Briefe des Jahres 1690

hält, zu erkennen, was das beste ist22. Es scheinet, daß er23 wiederum nicht wol in Lüneburg stehe; hingegen ihn anderwerts hinzubringen wird nun so viel schwerer, da er durch seine Collegen sehr geschwärtzet ist. Doch wollen 60 wir Gott auch darinne sorgen laßen und zeigen, daß er unsers Sorgens nicht bedörfe. Wegen meiner lieben haußfrauen24 habe seine güte zu rühmen, welche derselben mehr und mehr kraft giebet, auch sich vor bevorstehenden leiden nicht zu fürchten, sie stärcke sie ferner. Gegen mich gehets noch bald da, bald 65 dorten. Ich habe neulich aus gelegenheit des bußtages (auß Jos. 7,6–12)25 unter den sünden, so den bann und fuch über uns ziehen, auch gerechnet die verleumdung, so durch das gantze Land gegangen von einer neuen secte, damit Christliche leute sehr beschwehret, viel seuftzen auch ausgedruckt, viel gutes gehindert und vieles ärgernüs gestiftet worden: so ich zu überzeugung 70 des Gewißens kräftig aber bescheiden außgeführet habe. Wie nun Christliche hertzen mir davor danck gewust, so haben andre, neben denen ich sitzen muß, mich bey dem Churfürsten verklaget26. Aber der Herr lebet und gedencket an die seinige. In deßen treue hut und regierung hertzlich dieselbe samt gel[iebter] Fr[au] Mutter27, Geschwistern28 und Kindern29, auch sämtlichen 75 freundschaft empfehlende verbleibe

63 bevorstehenden : cj ] bevorstenhenden. 66 den: cj ] dem.

22 Zu Speners kritischer Haltung gegenüber der unverblümten Verbreitung chiliastischer Erkenntnisse durch Johanna Eleonora Petersen s. Brief Nr. 60, Z. 126–129. 23 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). – Nach dem Versuch von Herzog Georg Wilhelm von Lüneburg-Celle, den Streit zwischen Petersen und seinen Lüneburger Kollegen über dessen Orthodoxie zu schlichten, hatte Petersen in einer Predigt am 6. 6. 1690 wiederum polemisiert; seine Auslegung zu Jes 40,1 f in der Predigt am 24. 6. konnte ebenfalls chiliastisch gedeutet werden. Seine Gegner nutzten eine Unstimmigkeit im Zu- sammenhang einer Trauung, ihn wiederum beim Herzog anzuklagen (zum Ganzen s. Matthias, Petersen, 246–250). 24 Susanne Spener (s. Brief Nr. 11 Anm. 21). 25 Jos 7,6–12. Die Predigt ist die fünfte Predigt im Anhang von Spener, Bußgebet, 463–488; Doktrin: „Wovon alle Ursache der Niederlage von Feinden komme? Nemlich von der Sünden, wo man einen Bann unter sich hat“ (s. Spener, Catalogus. Tabelle über die Buß=​Predigten, S. 18). 26 Am 18. 7. 1690 nennt Spener in einem Brief an Adam Rechenberg einige Vorwürfe, die ihm gemacht worden seien, u. a.: Er sei Chiliast, er halte die lutherische Kirche für antichristlich, er unterrichte das (einfache) Volk (plebs), er habe Kontakt zu Personen, die als Quäker bekannt seien, er esse nur bestimmte Speisen (Ad Rech 1, Bl. 467r–v). Weiteres s. Brief Nr. 83. – Zu Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen s. Brief Nr. 1 Anm. 1. 27 S. Anm. 3. 28 Zu den Geschwistern Conrad Hieronymus und Katharina Elisabeth Eberhard s. Brief Nr. 60 Anm. 51). 29 Zu ihrem Sohn Conrad Hieronymus und ihrer Tochter Anna Elisabeth s. Brief Nr. 11 Anm. 47). Nr. 74 an Anna Elisabeth Kißner 7. 8. 1690 323

Meiner vielgel[iebten] Schwester und frauen zu gebet und Christlicher liebe williger P. J. Spener, D. Mppria.

Dreßden, in eyl, den 7. Aug[ust] 1690. 80 Frauen, Frauen Annae Elisabeth Kißnerin, gebohrne Eberhardin, Wittiben, in Franckfurt am Mayn. 324 Briefe des Jahres 1690 75. An [Johann Hartmann Misler in Stade?]1 Dresden, 7. August 1690

Inhalt Hat sich über den Brief Mislers gefreut, auch wenn er lange nicht antworten konnte. – Freut sich über Nachrichten, in denen vom Bemühen um ernsthafte Frömmigkeit die Rede ist, außerdem über die Beschreibung, wie Misler durch die Einrichtung seiner Lehranstalt die Frömmigkeit bei den Kindern fördert. – Bestätigt auf Grund seiner Erfahrung, daß der größte Schaden der Gesellschaft durch die beiden oberen Stände entsteht. Auf den Universitäten wird eher die Pfege der Eigenliebe gefördert als eine Wirksamkeit zur Ehre Gottes. Elternhaus und Schule legen die Grundlage für Fehler, die sich durch das ganze künftige Leben ziehen. – Unterstützt Misler in seinem Vorhaben, die Frömmigkeit der Schüler zu fördern und empfehlt [Georg] Grabows Buch „Paraeneses“. – Bestärkt den Vorsatz, die Bibel und ihr Verständnis in den Mittelpunkt der schulischen Ausbildung zu stellen, und zeigt, wie deren Lektüre so geschehen kann, daß sie ins Leben appliziert wird. – Freut sich über verschiedene Bemühungen, die Frömmigkeit zu fördern, v. a. über eine sonntägliche Übung. – Kann die Frage nach den geeigneten didaktischen Mitteln des Unterrichts nicht beantworten, weil er selbst nie eine öfentliche Schule besucht hat. – For- muliert dennoch einige Gedanken, deren Anwendungsmöglichkeit der Adressat prüfen muß: das Neue Testament ist für Glauben und Leben hilfreicher zu lesen; einer Lektion alttestamentlicher Stellen sollen drei bis vier aus dem Neuen Testament zur Seite gestellt werden; bei der Lektüre des AT mögen nicht nur genealogische Abschnitte weggelassen werden, sondern auch solche, die der Förderung der Frömmigkeit junger Leute weniger hilfreich sind; schwierige Stellen sollen später behandelt werden; nennt als Beispiel Bibellektionen mit Studenten, die sich von denen in der größeren Gemeinde unterscheiden müssen. – Ermuntert, vor allem die Wohltaten des Evan- geliums zur Festigung des Glaubens darzustellen. – Berichtet von der intensiven Privatlektüre eines Lehrers mit interessierten Schülern. – Beklagt, daß manche Lehrer nicht genügend auf das Wachstum der Frömmigkeit bei den Schülern achten. – Wünscht Misler und seinen Kollegen, daß sie ihre Schüler zur himmlischen Erkenntnis führen können, damit sie der Kirche und der Gesellschaft nützlich dienen können. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 1, Frankfurt a. M. 1709, S. 405–409.

Quantacunque responsi mora fuit, velim, ut ex vero asseverenti credas epi- stolae Tuae lectionem mihi fuisse gratissimam et multi gaudii causam.

1 Johann Hartmann Misler (12. 7. 1642–22. 3. 1698), Pastor und Rektor in Stade; geboren in Marburg als Sohn des späteren Theologieprofessors Johann Nikolaus Misler, nach dem Studium in Gießen und Wittenberg 1665 Magisterpromotion in Gießen und Rektor in Worms, 1682 Lic. theol. in Gießen, 1684 Rektor des „Gymnasium illustre“ (Athenäum) in Stade, 1685 zugleich Pastor an St. Pancratius ebd., 1691 Superintendent in Verden; Dichter geistlicher Lieder (ADB 22, 10 f; Johann Hinrich Pratje, Die Herzogthümer Bremen und Verden. Oder vermischte Abhand- lungen zur Erläuterung der Politischen= Kirchen= Gelehrten= und Naturgeschichte wie auch der Geographie dieser beiden Herzogthümer, Bd. 2, Bremen 1758, S. 427–437). – Zur Empfänger- bestimmung: Der Adressat ist Rektor eines Gymnasiums, das vielleicht „Athenaeum“ (s. Z. 175) genannt wird. Dies trift für Bremen und Stade zu. Spener geht davon aus, daß er Georg Grabows Schrift kennt, aber nichts von dessen Lebensführung und seiner Bekanntschaft mit Spener weiß. Der Adressat steht mit Spener schon länger in Verbindung (vgl. dazu z. B. die Erwähnungen in Briefen Speners an Adam Rechenberg (Ad Rech 1, Bl. 20r [16. 11. 1686] u. ö.). Nr. 75 an [Johann Hartmann Misler?] 7. 8. 1690 325

Qui enim certus sum non debere nos alia re magis in hoc seculo exhilarari, quam si pietatis studio sincere pluribus in locis (quam optandum, ut ubique!) gloriam DOMINI promoveri conspiciamus, tum de hoc etiam, quia teneris, 5 quae pectoribus imprimuntur, fidelius fere haerere solent in scholis studii istius fundamenta solidiora iacienda, qui potuissem non totus exilire, cum literae Vestrae Virum mihi sisterent in ea cura totum eiusque salubria instituta ex- ponerent? Qui ergo tam diu cessavi Tibi loqui, rogo tamen, ut hoc iterum mihi credas me frequenter de Te Patri nostro coelesti locutum esse, a quo 10 nobis bona expectanda sunt omnia2, ut consiliis Tuis atque laboribus gratiose desuper benedicat. Saepius conquestus sum, et, si ego sileam, experientia in oculos incurrit omnem seculi nostri corruptionem fere ex corruptione duo- rum ordinum3, penes quos reliquorum est regimen, profluere. Isti vero cum maiori ex parte constent viris, quibus excultae sunt literae, saepius observavi, 15 ex academiis plerosque ea attulisse animi vitia, quae usum eruditionis com- paratae plurimum imminuerent vel persuaderent, cum a pietate alieni, quae sola amorem proprium inordinatum coercere novit, omni vita sua non, quae Dei et publici boni essent, sed proprium honorem, opes, voluptates et, quae alia seculi auctoramenta sunt, tanquam huic studio nati quaererent4: cum ta- 20 men ex academiis alia ad vitae negocia mente allata salutaria instrumenta di- vinae gloriae fieri potuissent. Non iam inquiram, penes quem culpa illa sit, quod loca, unde non nisi optimos prodituros, si leges inspiciamus, expectan- dum erat, tam diversos quam plurimos dimittunt, cum penes plures ea quae- renda videatur: hoc modo excusandis ex parte illis, qui cathedras academicas 25 premunt, dicam, hos plurimos tales accipere, quorum animi in malo iam ob- firmatiores sunt, quam ut sanior docentibus facile autem praebeant. Unde si rivum purgare velimus, altius ad scaturiginem ascendendum est, et huius sordes ante omnia purgandae fuerint. Parentum enim domus sunt et scholae, in quibus aetas adhuc cerea formanda est, in quibus plerumque vitia iam con- 30 trahuntur, quae reliquorum annorum vitam omnem deinceps inficiunt, aegre cum invaluerint iterum deponenda. Unde sapientissimum illorum est consilium, qui, uti parentes sui commone- faciunt officii, ita circa scholarum emendationem cumprimis laborandum esse statuunt. Hanc autem non salutarius institui certus sum, quam si, quod Te 35 facere, Vir prudentissime, testaris, pietas tanquam basis omnium virtutum, omnis felicitatis, sedulo discipulis inculcetur, cum et, quae huic fundamento superstruuntur, ruinam timere non habeant necesse et DEUS suae gloriae curam aliis anteferri conspicatus reliquis laboribus benedictionem impertiatur uberiorem. Ita memini, quam me affecerit, cum ante hos decem, si bene 40

2 Vgl. Jak 1,16. 3 Nach der Vorstellung einer dreigliedrigen Gesellschaftsordnung die beiden oberen Stände, der Regier‑ und der Lehrstand, die im Verhältnis zum „Nährstand“ die Führungsaufgaben im Staat haben. 4 Vgl. zu diesem und dem Folgenden die ähnlichen, ausführlichen Klagen in „De impedi- mentis“ (Cons. 1, 203 f). 326 Briefe des Jahres 1690

memini, annos primum legerem Optimi Grabovii5, qui tum Berolini docebat, nunc Francofurtense lyceum moderatur, Paraeneses6, forte nec vobis ignotas, quibus cum praeceptorum munus circa illud versari doceat, ut in Baptismo renata iuventus magis magisque ad imaginem divinam iterum formetur, non 45 pauca ea in rem proficua tradit7: sane ab illo tempore Virum tenerius amavi. Hinc non potuit non Tuum aeque institutum me plurimum delectare, quod eundem, ubi proposuit, scopum, et in spem de illo insignem me erigere, quae me utique non destituet. Cum vero pietatis cultum aliis literis omni iure praeferas, in hoc etiam non 50 falleris, quod ex sacro codice illam universam petendam censes, et isti etiam libro suum maximum pretium apud iuventutem statuas, cui reliqui omnes enim sanctissimi collati ignes minores sunt, inter quos non Luna, sed Sol ille fulget. Optime quoque factum, quod perfunctoria lectio non instituitur, sed ex singulis capitibus Tuos erudiri desideras atque ob id extantiora dicta ad 55 vitae regulas non notas solum, sed et menti atque memoriae discipulorum infigere laboras, cum applicatione ad ipsosmet, quam suavibus gravibusque paraenesibus institui non dubito. Non minus exercitia vestra dominicalia, quae describis, valde mihi proban- tur, ut, quod desiderem, neutiquam inveniam: sed et programmatum usum 60 agnosco, imprimis vero illam vestram diligentiam laudo, quod nec occasionem pii profectus negligitis, si quam profani auctores suppeditare videntur: et cur non in commoda vestra, illud inprimis, quod omnia reliqua superet, vertere- mus undecumque nobis oblata? Ita agnoscis, Vir Optime, mihi omnia vestra vehementer placere, atque ex eo confirmaberis, quod dixeram epistolam mihi 65 longe gratissimam fuisse. Cum vero consilium a me poscis, quomodo pietatis studium in scholis ex- erceri rectius et exactius queat, a me Tibi promittis, quod frustra expectes. Et ipsa haec ratio est, quae non semel digitis calamum excussit, si respondere animus erat, quod quae Tibi satisfacerent, ut scriberem, non haberem. Qui 70 enim omni vita nec discendi nec docendi causa scholam ingressus sum, utpo- te quem domi suae paedagogis formandum parentes credidere, donec Acade- miam intrarem, omnis scholasticae institutionis ignarus hoc mihi sumere non possum, ut docentibus docendi regulas praescriberem. Licet enim, quae circa res sacras docenda sint, per Dei gratiam mediocriter intelligam, non tamen 75 intelligo, qua facillima vel commodissima ratione ea iuventuti imprimantur.

5 Georg Grabow (Grabov) (20. 10. 1637–8. 6. 1707), Rektor in Frankfurt a. M.; geb. in Wilsnack, 1675 Konrektor in Cölln a.d. Spree, 1684 auf Speners Empfehlung Rektor in Frankfurt; seit 1678 in Kontakt mit Spener, nachdem er ihm das Manuskript der „Paräneses“ (s. Anm. 6) zugesandt hatte (Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 2 Anm. 1). 6 G. Grabow, Paraeneses super vera docendi ratione in scholis Christianis, quibus renata iuventus, Spiritu S. bene iuvante, ad imaginem Jesu Christi quotidie magis magisque renovari potest, Berlin: Runge 1680. 7 G. Grabow Paraeneses, S. 13 f. Nr. 75 an [Johann Hartmann Misler?] 7. 8. 1690 327

Unde facile aestimabis non esse, quae institutis vestris addam, sed id solum mihi convenire, ut piis precibus labores iuvem. Ne tamen volens vobis desse videar, unum alterumve, quod legenti scriben- tive incidit, huc adscribam, ex quo saltem istud colligas, si monita maioris momenti ad manus essent, eo animo me esse, ut non inviderem. Lectionem 80 Biblicam quod concernit, quo ordine illam instituatis, non assequor coniec- tura, si vero istam sequamini, qui in Codice sacro reperitur, aestimandum Vobis relinquo, an non ex usu iuventutis aliquid immutari posset. Mea sen- tentia cum Novum Testamentum longe maiori ubertate et claritate, quae fidei et vitae sunt, exhibeat, utile futurum esset, si uni Veteris instrumenti lectioni 85 terna aut quaterna novi respondeat adeoque illius notabili aliqua parte abso- luta, maxime iterum ad hoc perlegendum redeatur, antequam in illo pergamus: non quod illius minor sit sanctitas, sed quod in huius capite per compendium legamus, quae ex pluribus istius demum conquirenda sunt. Addo hoc etiam deliberatione dignum esse, annon praestaret temporis lucrificandi causa, in 90 V[etere] T[estamento] plura capita non duntaxat illa, quae genealogiis et aliis nominibus propriis referta sunt, sed alia etiam omitti, ex quibus ad profectum iuventutis adeo multum sperari non potest: ita ut legantur fere illa tantum, quae vel historiae seriem, omnibus, si non necessariam, certe utilem, exhibent vel alia ad fidem aut mores cumprimis facientia, omittantur vero vel potius ad 95 maturiorem aetatem remittantur, in quibus profundiori meditatione opus est ad profectum exinde capiendum. Uti in sacello nostro Electorali8 ex Theolo- gorum priorum ordinatione cum in precibus vespertinis singula capita V[eteris] T[estamenti] cum Psalmis praelegantur, nonnisi ex singulis libris certa capita in hunc casum excerpta sunt, aliis, quae coetui minus visa sunt 100 profutura, praetermissis. Cum etiam vitae regulas ex lectionibus singulis inculcare Vos testere, ego quidem crediderim summa cum utilitate et pietatis profectu istis addi dicta, quae fidem nostram confirmant, inprimis vero beneficia Evangelica menti sistunt, qualia inprimis in N[ovo] T[estamento] frequentissima reperimus. Cur 105 hoc suadeam, illud est, cum omne pietatis exercitium necessario ex fide pro- fluat, sine hac autem agnita etiam officia nostra praestare non valeamus, ante omnia necessarium fuerit veram fidem in tenellis pectoribus confirmari, quod non rectius aut validius sit, quam si, quam nos dilexerit Pater in Filio suo, quae hic pro nobis egerit atque passus sit9, qui immensi thesauri bonorum et salu- 110 tis in baptismo nobis iam collati sint et fidei nostrae quotidie denuo offerantur, quam beatissimus in Jesu nostro et quam verorum Christianorum axiomata omnibus seculi huius titulis aut opibus praecellant, saepissime admoneamur, haec autem cordibus insinuata fideliter: fidei ignem quotidie novo fomento incendunt, ut paulatim in flammam erumpat, brevi suo calore charitatis totum 115 cor impleturam. Hoc ergo ubi obtinuerimus, tum demum, qui fide et chari-

8 Die Dresdner Schloßkapelle. 9 Vgl. 1Petr 4,1. 328 Briefe des Jahres 1690

tate in Deum iam ardent adeoque Spiritum S. non legis, sed Evangelii bonum hospitem habent, omnes regulas vitae cupide arripient et ad eas multo cum zelo vitam conformare studebunt, imo studium hoc ad modum crescentis fidei 120 pariter crescet. Ita cum pietatis exercitium ad legem quidem instituatur, si serium et filiale esse debeat, ex Evangelio omnem suam originem ὁρμήν10 et vires accipere necesse habet. Unius adhuc recordor, quod huc adscribo: nosse me, cum lectio scripturae cursoria usum habeat suum insignem, longe efficaciorem tamen esse illam, 125 quae cum cura maiori dignaque argumenti nobilitate instituitur, adeo ut ex uno alterove versu ἀκριτοτέρω11 expenso longe plus utilitatis ad lectorem red- undet quam ex capitibus integris. Unde ad hanc etiam manuduci discipulos optarim notumque mihi est exemplum Rectoris dexterrimi, qui nunc in Ecclesia docet: solebat autem iste ex scholae curiis primis extra publicas horas, 130 haec enim fere definita legibus habent pensa, ad se admittere illos, qui profi- cere in animo habebant, hisce ex N. T. epistolam aliquam explicabat secundum textum authenticum, connexiones ostendebat, proprietatem verborum et phrasium monstrabat, sensum literalem exponebat, porismata dogmatica et practica eliciebat ac eliciendi modum indicabat, inde paraeneses addebat suas, 135 quibus saepe lacrymae oculis exprimebantur. Maxima hinc utilitas redundabat ad omnes non solum, ut, qui Theologiae aliquando operam navaturi essent, aliqua praeexercitamenta hermeneutica viderent illisque assuescerent, quorum in studiis Academicis deinde usum expecturi essent longe uberrimum, verum etiam ut omnes discerent divina oracula et caelestes delicias non absque gustu 140 deglutire, vix deinde digerenda, sed mandere et masticare ac ruminari hocque modo dulcedinem et virtutem earum interiorem degustare, quo facto, quae ita assumuntur, feliciter in succum et sanguinem convertuntur12. Sane una tali lectione, quae forte vix unum alterumve versiculum absolveret, sperarim iu- venes in germana pietate ex hoc rerum caelestium gustu interno plus profec- 145 turos quam cursoria saepe repetita. Haec ea sunt, Vir Amplissime, de quibus Tecum, quia me de hac re com- pellare visum est, conferre volui, quae, cum ex ratione allegata meliora aut scholis accommodatiora adferre nequiverim, Tuae ulteriori meditationi ex- ponere, quam omnino me excusare malui. 150 Quod querelam attinet Vestram, saepius lateres lavavi13 nec fidelitati prae- ceptorum discipulorum incrementa in pietate respondere, noveris non vestram duntaxat esse, sed omnium, qui vel oves vel agnos pascunt14. Nimirum veri-

10 Gewalt. 11 Willkürlich; durcheinander. 12 Redensartlich; im Deutschen: „in Fleisch und Blut übergehen“; vgl. Cicero, Ad Atticum IV, 18.2, dort aber (ohne „convertere“) in der Bedeutung: „in Saft und Kraft“ (Otto, Sprichwörter, 334). 13 „Lateres lavare“, sprichwörtlich für „sich vergeblich bemühen“ (s. Terenz, Phormio 148); zur mittelalterlichen Bedeutungsentwicklung s. S. Reuvekamp, Sprichwort und Sentenz im narrativen Kontext, Berlin 2007, 83 Anm. 194. 14 Vgl. Joh 21,15 f. Nr. 75 an [Johann Hartmann Misler?] 7. 8. 1690 329 tatem omni fide et prudentia concreditis coetibus, ex quacunque aetate hi constent, exponere nostri muneris est, quo defuncti satisfecimus, sed plantan- tibus et rigantibus incrementum addere, hoc vero in manu est eius, qui corda 155 in potestate habet. Quod, cum scribo incidit, quod mihi ante hos annos Francofurti contigit, ut extraneus quidam15, quod examina mea catechetica audivisset, domi meae me inviseret, cumque initio illam tractandi methodum, quae sibi probaretur, plurimum laudasset, demum subiiceret ista diligentia caput solum seu cere- 160 brum impleri, sed ulterius disquirendum, quomodo ex capite in cor transfe- rentur, quae hoc afficiant, vel ut iste significanter ter repetitis his vocibus „Wie bringen wir den Kopff in das Hertz?“16 nimirum ut, quae intelligunt nostri, etiam ament et agere velint. Id vero DEO commendandum arbitror, ut tamen omni studio omnem institutionem eo dirigamus, quo non solum intellectum 165 convincere, sed et voluntatem flectere pro viribus laboremus: Ad quod forte nonnihil scripturam tractandi ratio quam innui conferre poterit. Praecipua autem spes nostra sit in piis precibus, quibus nostro et auditorum labori caele- stem virtutem στρεψικάρδιον17 et benedictionem exoremus ac, ut exoremus, Benignissimo Patri mandatum, quod dedit, et promissa, quae adiecit, cordata 170 fiducia saepius exponamus: cui fidei certe nihil ille negare potest. Eundem hac etiam vice pie veneror, qui pietatem (contemtum sane hoc aevo nomen et tantum non haereticum18) ubique locorum Spiritus sui Sancti operatione mentibus imprimat omniaque eius impedimenta removeat: inprimis vero ve- strum Athenaeum19 gratia sua abundantissime impleat, ut te collegisque aliis 175 ductoribus commissa iuventus non in vestibulum solum humnanae eruditio- nis, sed in triclinium ipsumque adytum sanctae vivaeque Dei cognitionis virtutisve caelestis, hoc in aevo et futuro profuturae felicissime perducatur, ac adeo multi ex vobis prodeant, qui aliis etiam pietatis, quem apud vos concepe- rint, gustum ingerant Ecclesiamque et Rempublicam (quarum afflicta facies 180 alios quam hactenus Viros exposcere videtur, si a ruina vindicari debeant) valde iuvent, te autem fidei tuae atque industriae praemia maneant in utraque vita ex divina gratia uberrima. Ita vale Deo et publico.

Scrib., Dresdae, 7. Aug[usti] 1690. 185

15 Zur Identifzierung des Besuchers mit dem niederländischen Theosophen und Kabbalisten Fransicus Mercurius van Helmont (1614–1699) s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 17 Anm. 35. 16 „Vom Kopf ins Herz“ (vgl. die ähnliche Formulierungen „vom Gedächtnis in Herz“ in Brief Nr. 35, Z. 44, und „nicht nur wissen, sondern in Herz“; aaO, Z. 66); zu dieser für Spener bedeutsamen Formulierung s. Sträter, Meditation, 121–126. 17 Herzenwendend, herzenverändernd (im griech. Wörterbuch von Pape nicht nachweisbar). 18 Eine Anspielung auf die Auseinandersetzung über „Pietisten“ bzw. „Pietismus“ in Leipzig. 19 Das Gymnasium illustre in Stade trägt den Namen „Athenäum“. 330 Briefe des Jahres 1690 76. An Tobias Fleischer in Kopenhagen1 Dresden, 9. August 1690

Inhalt Bedankt sich für das Schreiben des ihm bislang unbekannten Fleischer. – Entschuldigt sich für die verspätete Antwort mit seiner umfangreichen Korrespondenz. – Freut sich, in Fleischer jemanden kennenzulernen, der den verdorbenen Zustand der Gesellschaft ähnlich einschätzt wie er selbst. – Erkennt in ihm einen rechtschafenen Christen. – Stellt dessen besondere Liebe zur Heiligen Schrift fest und skizziert deren Zentralstellung im Theologiestudium. – Findet die meisten Ursachen des Verderbens im geistlichen Stand. – Ein wirkliches Christentum unterscheidet sich von einem rein moralischen Leben dadurch, daß es aus einer göttlichen Neuschöpfung bei der Wiedergeburt erwächst. – Bedankt sich für die Mitteilung Fleischers über dessen Gebetsübungen und ‑erfahrungen. – Tröstet ihn damit, daß Widerstände Zeichen des rechten Glaubens sein können. – Stellt fest, daß Fleischer die der Kirche drohenden (innerlichen und äußerlichen) Gefahren ähnlich einschätzt wie er selbst. – Beschreibt zwei Hauptursachen für diese Gefahr: (1.) Der Irrtum, als könne man auf die Erleuchtung des Heiligen Geistes beim Verstehen der christ- lichen Lehre verzichten. (2.) Die Frage nach einer – unvollkommenen – Gerechtigkeit wird von vielen als unevangelisch zurückgewiesen. – Hält den geringen Erfolg der Bemühungen um die Verbesserung des Allgemeinwohls in der gegenwärtigen Zeit für ein Gericht Gottes. – Verweist beispielhaft auf die guten Früchte des Collegium Philobiblicum in Leipzig, die nun durch Wider- stände und den aufgekommenen Spottnamen „Pietisten“ eingeschränkt werden. – Vertraut auf Gottes Sorge für seine Gemeinde und die letztliche Erfüllung der Verheißung. – Freut sich über neugewonnene Freunde, auch wenn sich Widerstände gegen seine Person erheben. – Segens- grüße. – [P. S.:] Die Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen hat sich an Tobias Fleischer erinnert. Überlieferung A: Tartu (Estland), Universitätsbibliothek, Handschriftenabteilung, Ms 46, Nr. 160, Bl. 336r–343v. D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 674–682.

Göttliche gnade, friede, liecht, heil und leben in dem, der uns alles ist, unsrem liebsten HERRN JESU! WolEdel, Vest und Hochgelehrter, Insonders Hochgeehrter Herr und in unsrem erstgebohrnen Bruder geliebter Freund.

5 Was ich vor eine innigliche freude vor Gott gehabt über deßen wehrtes schreiben2, kan ich nicht wol außtrucken, doch will ich hofen, derselbe werde, alß er solches geschrieben, mich also gekannt haben, daß er nicht

1 Tobias Fleischer (1630 – Ende November 1690), Privatmann in Kopenhagen; geb. in Elbing, nach dem Studium in Helmstedt und Heidelberg und einer Reise nach Holland 1661 Privatsekretär am Hof in Oldenburg, 1671 Bibliothekar der Hofbibliothek in Hannover, 1676 Kammersekretär des Prinzen Georg von Dänemark in Kopenhagen; 1684 sichtete er in dieser Funktion das Archiv in Gottorp, 1690 (in Kopenhagen), Übersetzer von Dramen Corneilles und Verfasser einer Reihe von Gedichten (L. Neubaur, Tobias Fleischer, in: Euphorion 4 [1897], 262–272; M. Bircher, Der Chloris Winter-Lust. Tobias Fleischer und Anton Ulrich 1650 in Helmstedt, in: M. Bircher [Hg.], FS für Blake Lee Spahr, Amsterdam 1984, 205–243; M. Marten, Der Mann vor Leibniz, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 60 [2013], 28–30). 2 Nicht überliefert. Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 331 zweifeln könne, daß mir daßelbe nothwendigst aufs angenehmste sein müße; auch könte einige christliche hertzen alhier, denen einigen theil solcher freude mitgetheilet, mir davon zeugnus geben. 10 Diesem allem aber solte entgegen zu stehen scheinen, daß nicht eher alß zu dem halben jahr darauf antworte: nach dem ich aber nicht in abrede bin, daß der schreiben an mich eine solche anzahl kommen, daß alle zubeantworten unmüglich, und ich iedem, der zu mir kommet, allezeit bey einigen hunder- ten, die noch darauf warten, vorlegen kan3, deswegen dann entweder die alte 15 brief alle bloß nunmehr ohne antwort laßen oder mit denselbigen umge- hende auch die neue brief vorher alt werden laßen muß, so hat mich die noth zu der jenigen gewohnheit gebracht, daß, da ich nach müglichkeit die jenige bald expedire, deren aufschub wider die liebe streiten und, die darauf warten, in schaden laßen würden, die andere alle eine gute zeit mir vor augen ligen 20 müßen, ehe an sie komme, sonderlich komme ich oft an die jenige am lang- samsten, welche ich von solchen freunden empfangen habe, zu dero liebe ich mich alles versehe und von dem verzug keinen unwillen sorgen darf. Welches mich dann auch gegen meinen wehrtesten Herrn soviel sicherer gemacht, daß nicht zu eylen nothwendig hielte, nachdem die nicht zu antworten voran er­ 25 theilte freyheit (die mir aber vielmehr eine strafe hätte sein werden, meine correspondenz, davon ich noch nach Gottes willen mehrere erquickung und aufmunterung künftig hofe, beraubet zu werden) mir aufs wenigste die versicherung gab, alß durch H. D. Beyern4 ein hertzliches wolgefallen wider- um bezeugen und antwort versprechen laßen, daß der verzug von dieser nicht 30 anders alß liebreich würde aufgenommen werden, daran auch noch nicht zweife, noch deswegen weitlaüftiger bitte nötig zuhaben gedencke. Der ich aber biß daher gegen denselben noch nicht worte gebraucht, bitte gleich an- fangs mir dieses zu glauben, daß von solcher zeit an deßen lieben nahmens, vor dem angesicht unsers gemeinen5 vaters meldung zu thun, nicht underla- 35 ßen habe, sondern mich deßen täglich auf solche weise erinnere. Daß ich aber sobald auf das schreiben selbs komme, sage nochmal, daß mir dasselbe eine innigliche freude, so auch bißher manchmal durch wider vor- nehmen deßelben erneuert worden, erwecket habe: und ob einige dinge darinnen enthalten, die nicht erfreulich sind, da wir alle über das allgemeine 40 verderben wehemütig zu klagen ursach haben und die jenigen am allermei- sten, welche dasselbe tiefer, alß man ingemein pfeget, einsehen, ist mir

29 /D./. 37 Daß ] [Beginn Abdruck: D]. 39 /worden/.

3 Zum Jahreswechsel 1689/90 hatte Spener seinem Besucher August Hermann Francke einen Stapel mit 300 noch zu beantwortenden Briefen gezeigt, die – nach 622 im zurückliegenden Jahr geschriebenen – übriggeblieben waren (Carl Hildebrand von Canstein, Vorrede [= Speners Lebenslauf], in: LBed. 48). 4 Wer hier gemeint ist, konnte nicht ermittelt werden. 5 Im Sinne von „gemeinsam“ (communis) (DWB 5, 3169 f). 332 Briefe des Jahres 1690

dannoch auch solches eine freude, wo ich die ursachen, so uns betrüben, von je länger je mehrern recht erkant zu werden sehe. 45 Zum allerfordristen hat mich erfreuet, an deßen mir sonsten biß dahin noch unbekant gewesener person nunmehr abermahl einen solchen mann zu er- kennen, den der HERR HERR wahrhaftig von der welt erwehlet und mit kräftigem zug von derselben sondert und, wie ich mich deßen gewiß versi- chere, noch immer weiter zu und in sich ziehen wird. Worüber aber haben 50 wir uns hertzlicher zu freuen, alß wo wir immer mehr und mehr recht- schafene kinder Gottes, lebendige glieder Jesu Christi, geweihete tempel des H[eiligen] Geistes6 und gewürdigte reichsgenoßen7 des Himmelreichs gewahr werden? nach dem wir wißen, daß an denselben der göttlichen ehr, dem letzten zweck von allen dingen, am meisten gelegen ist und die übrige welt 55 ihrentwillen, ob sie auch dieselbe meistens anfeindet, erhalten wird und al- lerley geneußt. Ich erkenne aber solcher göttlichen gnaden kraft in meinem wehrten Herrn auß dem jenigen, was er davon selbs in demütiger danckbar- keit zeuget und von dem innerlichen und, was in demselben Gott einer seelen, die ihn liebet, werde, wo von andre nichts wißen, zu reden verstehet: daher 60 ich das maaß deßen gnade völliger bereits erkenne, alß das meinige ist, und mich versichere, daß derselbe in der erfahrung manches haben werde, mit deßen kräftiger überzeugung ich mich bißher habe müßen vergnügen laßen. Ferne aber seye von mir, demselben oder einigem andern kinde Gottes das- selbe zu mißgönnen, was ihm sein Himmlischer vater gegeben und vor mir 65 gewürdiget hat, sondern ich freue mich, wann der HErr an seinem leib, daran ich gleichwol durch seine gnade auch ein geringes glied bin, andere glieder mit mehr gnaden außziehret, und nehme auch an dero ehr und freude theil, in deßen billich vergnügt mit dem jenigen maaß, das auch mir gegeben ist, verlangende, dasselbe zu des gebers ehren treulich anzuwenden, biß er mich 70 etwa nach seinem willen eines mehrern würdig und fähig machen wolte. Ich freue mich seiner liebe, die derselbe zu dem wort des HErrn in der H[eiligen] Schrift bezeuget, welche wir ja billich allen andern büchern, wie köstlich sie auch geschrieben zu sein scheinen möchten und freylich auch viel gutes in sich faßen können, so weit vorzuziehen haben, alß der geist Gottes 75 dem geist des menschen vorgezogen zu werden unwidersprechlich würdig ist. Und wolte Gott, wie unsre Kirche in ihren bekantnußen solches H[eilige] buch des lebens nach würden erhebet, es geschehe solches auch in praxi zu allen zeiten bey uns und würde sowol bey den studirenden, die zu dem künf-

43 /ich/. 43 /von/. 44 mehrern ] mehrerem: D1+2. ​50 erfreuen ] D1–3. ​54 /übrige/. ​ 56 göttlichen ] göttlicher: D2+3. ​58 innerlichen ] innerlichem: D1. ​ 63 andern ] anderm: D1–3. ​64 vor ] von: A. 69 ehren ] ehre: D1–3. ​73 sie < sich. 77 in ] im: D1. ​78 den ] dem: D1. ​

6 1Kor 6,19. 7 Vgl. das Lied von Johann Rist (1607–1667) „Auf, auf ihr Reichsgenossen, eur König kommt heran!“ Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 333 tigen dienst der gemeinden sollen bereitet werden, dieses buch des lebens am meisten getrieben und der größte feiß dahin angewandt, dasselbe vielmehr 80 alß alle andere wißenschaften und künsten recht lebendig ins hertz zu brin- gen8, alß auch sehen, wir alle dasselbe wahrhaftig stäts alß die regel unsers glaubens u. lebens in der that an, in jenem alle wahrheit, die wir erkennen, vielmehr auf des H. Geistes alß aller unsrer vornehmsten lehrer autoritet gründende, in diesem auch unsre pfichten nicht auf die meinungen derjeni- 85 gen, welche in ansehen sind und besorglich dem feisch zuweilen lieber mehrere freyheit gestatten, alß diese, wie sich gebühret, einschrencken, son- dern auf die klahre worte des HErren und seiner mundbotten ohne dero kraft schwächende gloßen setzende! Geschehe dieses, so achtete ich, daß unsrer kirche meistentheils geholfen, vielen streitigkeiten und unnützem 90 zanck gesteuret9, alles widerum zur alten glaubenseinfalt gebracht und die rechtschafne heiligung, die nicht in bloß eußerlichem erbaren wandel be- stehet, sondern in der änderung der hertzen selbs gesucht werden muß, einge- führt würde werden. Wie ich dann darinnen das meiste verderben bey uns10 suche, alß ihrer so- 95 viele dermaßen auf das eußerliche verfallen sind, daß nach vieler meinung das gantze Christenthum, was das leben anlangt, nichts anders erfordert alß eine feine moralitet und ordnung in dem eußerlichen wandel, in dem hertzen aber keine andre tugenden, alß wie sie etwa Aristoteles11, Seneca12 oder an- dere Heiden auch erfordert13 und wie man durch übung in denselben einen 100 habitum erlangen müße, gezeiget haben: ohne daß eine solche änderung der seelen getrieben würde, die durch keine der vernunft oder naturkräften zu- wegen gebracht werden kan, sondern einer göttlichen schöpfung und wahr- haftigen widergeburt bedarf, auß dero man nachmal das gesetz, wie es geist- lich ist, erkennet und nunmehr zu seinem spiegel und regel in solchem 105 ansehen setzt; da alßdann das Christenthum gar was anders wird, alß die höchste tugenden des bloß morallebens und viel von eigner und der welt- liebe außgeschaft haben will, was die auch ehrbarste welt nicht vor unrecht erkennet, ja wol gar vor tugenden oder dero antrieb achtet.

82 alß auch sehen ] – D. ​ 82 wir ] sehen auch: D. ​ 82 wahrhaftig ] + billig: D. ​ 82 stäts ] an: D. 83 /u. lebens/. 83 an ] – D. 85 /auch/. 89 /setzende/ : . ​ 90 unnützem ] unnützen: D. 95 /bey uns/ : . 96 eußerliche ] eusserlich: D. ​ 102 f zuw/egen/ : zuw

8 Zur Bedeutung der Arbeit an der Bibel bzw. der Exegese s. „De impedimentis Studii Theo- logici“ (Cons. 1, 223 f). – Zur Formel „(vom Kopf) ins Herz bringen“ s. Brief Nr. 75 Anm. 16. 9 Vgl. die Klage Speners über den „ehrgeitz=​sauf=​balge=​zanckteufel“ auf den Universitäten (Spener, Pia Desideria 1676, S. 127 [PD 68.6 f]). 10 Gemeint ist der geistliche Stand (vgl. hierzu Spener, Pia Desideria 1676, S. 125 [PD 67.5 f u. ö.] und „De impedimentis“ [Cons. 1, 201]). 11 Aristoteles, griechischer Philosoph (384–322 v. Chr.). 12 Lucius Annaeus Seneca, römischer Philosoph (ca. 1–65 n. Chr.). 13 Vgl. die ähnlichen Ausführungen in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 82, Z. 196–202. 334 Briefe des Jahres 1690

110 Ich liebe auch an demselben deßen inbrünstigkeit in dem gebet, welches freylich wir das augenblickliche mittel unserer heiligung und erhaltung, also auch die hand auß der hand Gottes unsre nothdurft zu empfangen, bey an- dern aber, die der Herr weiter geführet (ach das hievon, deßen wahrheit ich weiß, meine erfahrung nicht so geringe wäre!) die jenige übung ist, in dero 115 der vater seinen kindern das meiste seiner gütigkeit zu schmecken gibet. Ferner solte es zwahr das ansehen gewinnen, daß mich betrüben werde, was mein wehrtester Herr meldet, wie er von andern wegen seiner gottesfurcht ungleich angesehen werde. Aber wie es nicht ohn ist, daß man billich mit denjenigen mitleiden und sofern betrübnus hat, die sich mit unrecht an den 120 kindern Gottes und also auch an dero Vater selbs versündigen, weil sie ihre seelen damit schwehrlich verletzen, so befremdet mich doch solches so gar nicht, alß oft ich widerum neue exempel davon höre oder sehe, daß ich auch die, die dergleichen leiden betrift, nicht so wol beklage alß mich vielmehr mit ihnen und über sie freue. Dann es muß einmal dabey bleiben, daß alle die 125 gottselig in Christo Jesu leben wollen, nicht allein under den ofenbahren feinden der Christlichen oder reinen lehr, sondern auch under denen, die dieser buchstaben nicht verwerfen, müßen verfolgung leiden: und müßen sich nicht verwundern, wo sie die welt, sie habe nun Christi mantel eußerlich um sich gehenget oder nicht, haßet14, und zwahr mit nachtruck haßet, das ist 130 sie alle früchten des haßes, alß viel der Herr ihr noch zugibt, fühlen leßet. Also tragen wir die liberey15 unsers Heilands und das kennzeichen seiner nach- folge billich nicht nur mit gedult, sondern, wo die kraft des Geistes zunim- met, auch mit freuden, dem jenigen danckende, der uns auch also tiefer in die gemeinschaft seines Sohns, mit dem wir einmal mit herrschen sollen, 135 eintringen läßet. Wie hingegen zu sorgen wäre, wo die welt unser aller dings schohnete, daß sie allzu viel des ihrigen, so ihr gefellet, an uns fnden und erkennen müßte. Sonderlich aber hat mich das liebe schreiben darinnen erfreuet, daß ich sehe, wie mein geehrtester Herr den betrübten zustand unserer kirchen mit 140 gar andern als gemeinen augen einsihet, alß welcher gewißlich nicht so wol in der gefahr, so uns von den ofentlichen feinden vor augen stehet16, und auch solcher sorglich viel größer ist, alß die meiste glauben, alß vielmehr in ihrem innerlichen verderben bestehet, welches ich, so schwehr zu sein, erken-

111 heiligung: D ] heiligund: A. 113 f deßen wahrheit ich weiß ] – D. 116 werde ] werden: A. ​ 118 /ungleich/. 120 sie ] + . 123 /die/ : . 125 wollen ] + nach der 2. Tim. 3,12: D. 127 verwerfen ] . 127 /leiden/ : . 142 /auch solcher/. ​ 143 ihrem ] ihren: D1+2. ​

14 Vgl. Joh 15,18; 1Joh 3,13. 15 Bedientenkleidung mit Abzeichen (vgl. frz. livrée) (DWB 12, 853). 16 Bei dieser Formulierung denkt Spener gewöhnlich an die kriegerischen Auseinanderset- zungen mit Ludwig XIV. von Frankreich (s. z. B. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 105, Z. 1–8; Bd. 3, Brief Nr. 12, Z. 23–28, mit Anm. 6). Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 335 ne, daß demselben nicht anders alß durch ungemeine göttliche wunderkraft geholfen werden kan, vornehmlich weil in dem stand derjenigen, welche 145 helfen solten, eines der größten stücke des verderbens mit stecket17. Ach, hätten wir lauter oder nur Viele Paulos und Timotheos18 und nicht anders- gesinnte nach Phil. 2, 20.2119, wie solte unsre kirche sobald ein ander ansehen gewinnen, ja eine solche gestalt bekommen, daß der HErr widerum an seiner außerwehlten braut ein rechtes wolgefallen hätte und ihre kinder sich ihrer 150 freuen könten? Ich fnde vornehmlich zwo hauptwahrheiten, die ich sorge, von denen, so des HErren willen seinem volck vortragen sollen, meistens nicht feißig gnug vorgetragen zu werden, wolte Gott, daß nicht einige dieselbe gar heimlich oder ofentlich verlästerten, aufs wenigste, wo sie recht gelehrt werden, die 155 wort der lehrenden gemeiniglich verkehrten, um irrigen verstand darauß zu ziehen. Die eine ist diese, daß aller unser glaube und erkantnus, ob wol auß der H. Schrift, dannoch nicht durch die wirckung unserer vernunft her- kommen, sondern ein liecht des H. Geistes sein müße, indem derselbe durch seine würckung auß dem wort, so ein liecht ist, solchen strahl in die seelen 160 derer, so mit demselben wort recht umgehen und göttlichen wirckungen bey sich platz laßen, einschießen läßet; daher der wahre glaube, was die erkantnus, beyfall und zuversicht anlangt, nach allen theilen ganz von dem mundglauben der unwidergebohrnen underschieden seye: weiter weil das gantze leben auß dem glauben fießen muß, daß dann auch dasselbe bey einem glaubigen eine 165 stäte wirckung des H. Geistes seye: worauß ferner folget, weil derselbe bey einem, welcher wahrhaftig der sünden dienet, nicht wohnen und das liecht bey der herrschaft der fnsternus nicht bleiben kan, das dann bey einem, welcher in muthwilligen sünden lebet, weder glaube noch wahre Christliche tugend sich fnden könne, sondern allein eine buchstäbliche wißenschaft auß 170 menschlichen kräften und eine entweder gröbere oder subtilere heucheley, damit der mensch andere betriegen will oder wol sich selbs erst betrogen hat. Wie nun diese wahrheit in Gottes wort, unsern symbolischen büchern, Lu- thero (davon nur allein seine vorrede über die epistel an die Römer anführe20) und allen lehrern, die Gott recht erkennen, gegründet ist, ja in ihrem rechten 175 vortrag auch nicht kan einiges irrthums überzeuget werden, wir wollen dann

147 und ] oder D3. ​153 /meistens/. 158 Schrift ] + . 158 f herkommen ] [Zunächst gestrichen, dann durch Punkte unter dem Wort wieder eingefügt]. 159 /indem/ : . ​162 einschießen ] einschließen: D1+2. ​164 /weiter/ : . 165 /auch/. ​ 167 sünden ] sünde: D1. ​168 /dann/ : . 169 sünden ] + . 170 /sich fnden/. ​173 /nun/. 175 /lehrern/.

17 Vgl. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 10 f (PD 15,20–23). 18 Der Apostel Paulus und sein Schüler Timotheus. 19 Phil 2,20 f (Luther 1545: „Denn ich habe keinen / der so gar meines sinnes sey / der so hertzlich fur euch sorget. Denn sie suchen alle das jre / nicht das Christi Jhesu ist.“). 20 Martin Luther, Vorrede zum Römerbrief (WA.DB 7, 2–27). 336 Briefe des Jahres 1690

den grund der gantzen religion umreißen, so ist sie doch vielen der be- schwehrlichste dorn in den augen, und sobald höret man nicht von dem geist, deßen liecht u. würckungen, von dem neuen menschen und dergleichen, so 180 ist man mit der beschuldigung der Enthusiasterey, Quackerey21 und so fortan stracks fertig. Gerade alß dürfte der H. Geist mit unserer Evangelischen reli- gion nichts zu thun haben: wie ich weiß, daß ein prediger sich nicht ent- blödete zu sagen, es wäre gefährlich von dem geist zu reden22. Die andere wahrheit, welche ihrer vielen so zuwider, ist diese, ob wol recht- 185 schafene christen das gesetz oder die gebote Gottes nach der strenge wie solche uns an sich selbs verbinden, in dieser schwachheit zu erfüllen oder zu halten nicht vermögen, daher auch auß ihrem halten und wercken nicht selig werden können, so ich selbs mit eifer gegen die Papisten behaupte23, daß sie dannoch auß der gnade Gottes, so sie in der widergeburt empfangen, seine 190 gebote halten mit einem obwol unvollkommenen, dannoch kindlichen und redlichen gehorsam, also daß der Himmlische vater mit denselben nach der güte des Evangelii um Christi willen, gedult träget und, was sie thun, aus gnaden alß ein halten mit wolgefallen ansihet24: und dieses vermögen kinder Gottes zu thun, auch können sie den nahmen der kinder Gottes nicht behal- 195 ten, wann sie sich nicht solches haltens befeißen. Dieser satz ist abermahl in Gottes wort, in den Symbolischen büchern, Luthero25 und unsern besten Theologen gegründet, daß auch niemand denselben ganz directe verketzern darf, aber er thut ihrer vielen, die ihn selbs lehren solten, in dem hertzen wehe; wo dann ihn einige führen, mit denen man bald zurecht zu kommen 200 hoft oder sie bald undertrucken kan, so wird er stracks verworfen, wo ihn aber die jenige gebrauchen, von denen man sorgt, daß sie erkantnus gnug haben, seine wahrheit zu vertheidigen, ist doch des murrens dargegen kein ende. Die wahre ursach ist diese, nicht wie man vorgibt, alß wäre es um die reinigkeit des articuls der rechtfertigung zu thun, alß über welche ich und

180 und ] + . 184 /so/. 184 diese, ] + . 185 strenge ] + . 188 | so ich selbs mit eifer gegen die Papisten behaupte |. 189 /so sie/. 189 /in/ : . ​ 191 f /nach der güte des Evangelii um Christi willen/. 197 Theologen ] Theologis: D1–3. ​ 199 /dann/.

21 Vgl. dazu die wiederholten Klagen, z. B. in Spener, Pia Desideria, 1676, S. 17 (PD 18.27 f, 30), Spener, Allgemeine Gottesgelehrtheit 1, 326–330 (Studienausgabe I/2, 195.24–197.21), Spener, Rettung, S. 191. 22 Wer dies in welchem Zusammenhang sagte, läßt sich nicht ermitteln. 23 S. Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit: „IV. Cap. Von der möglich= und unmöglichkeit das Göttliche Gesetz zu halten“. 24 Die Frage nach einer unvollkommenen Erfüllung des Gesetzes durch wiedergeborene Christen stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen im Jahr 1688 in Hamburg und im Jahr 1689 in Leipzig und Stolp (z. B. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 19, Z. 18–39; Nr. 114; Nr. 120, Z. 115–129; Bd. 3, Briefe Nr. 83; Nr. 96; Nr. 104, Z. 33–39; Nr. 124, Z. 50–69; Nr. 125, Z. 65–85; Nr. 140). 25 Belege aus der Bibel, aus den Bekenntnisschriften und aus dem Werk Martin Luthers zur Thematik sind zusammengestellt in: Spener, Ev. Glaubensgerechtigkeit, 4. Cap., § 29–31. Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 337 andere, welche auf die haltung der gebote Gottes ernstlich treiben, so wol alß 205 die widrige halten, sondern daß der alte Adam26 seiner trägheit und sicherheit ein soviel sanfteres polster bekommen möge, dann ists schlechter dings un- müglich, Gottes gebot auf einigerley27 weise zu halten, was will man sich viel darumb bemühen, und wo man dann in den predigten höret, wie man leben solle, dencket man gleich, ja, so und so solte man wol leben und wäre fein, 210 aber wir können es doch nicht, damit fällt der meiste trieb hinweg, sich deßen zu understehen28, was man bloß unmüglich zu sein glaubet, und führet der Satan leicht die menschen an seinen stricken in die völlige sicherheit, zu ge- schweigen andern ärgernußes, so auß verdächtigmachung dieser lehr, darüber man gleich mit Papisten29, Arminianern30, Socinianern31 und andern um sich 215 wirft, entstehet, welches groß ist32. Hingegen wo wir alle, die wir, das göttliche wort zu treiben, gesetzet sind, mit zusammen gesetzer hand und eifer auch diese beide wahrheiten trieben, was solte nicht in göttlichem segen vor stattliche frucht allerorten erfolgen? Aber wir leben leider ietzt zur zeit göttlicher gerichte, nicht nur in dem leib- 220 lichen33, sondern auch, so die schwehrste sind, in dem geistlichen, daß es wegen vorhergegangener undanckbarkeit scheinet, Gott habe sich von uns also abgewendet, daß eine zeitlang nichts, was zu der gemeinen beßerung vorgenommen wird, annoch von statten gehen, sondern alles in das stecken kommen34 muß. Wie wir leider meistens vor augen sehen, daß sobald etwas 225 gutes emporkommen will, alles zulauft, dasselbe zu hindern und zu under- trucken, auch so gar nicht nur die ofenbahr böse, von denen solches kein wunder ist, sondern auch mehrmals solche leute, die es nicht böse meinen, aber wegen starcker praeoccupation als von andern eingenommen, sich eben so wol vielem guten widersetzen. 230 Wir haben ein exempel in unsrem lande, nachdem vor underschiedlichen jahren in Leipzig ein collegium, so sie PhiloBiblicum nenneten, von mehrern

205 /auf/. 209 darumb < darub. 211 können > könten. 211 /es/. 214–216 | darüber man gleich mit Papisten, Arminianern, Socinianern, und andern um sich wirft |. ​219 göttlichem ] göttlichen: D. 221 dem ] denn: D1+2. ​221 /es/. 230 vielem ] vielen: D. 230 /vielem guten/. ​231 /nachdem/ : . 232 /in Leipzig/.

26 Der alte Adam als der durch den Sündenfall verderbte Mensch (vgl. Röm 5,14). 27 Im Sinne von „auf irgendeine Art“ (ullius modi) (DWB 3, 211). 28 Sich mit einer Sache beschäftigen (DWB 24, 1827). 29 Die Katholiken. 30 S. Anm. 31. 31 S. Anm. 31. 32 Spener denkt hier wohl vor allem an die Angrife Daniel Hartnacks (s. dazu Brief Nr. 45, Z. 61–65, mit Anm. 34 und 36 zu Arminianern und Sozinianern). 33 Zur Deutung des Einfalls Ludwigs XIV. von Frankreich ins Reich s. Brief Nr. 83, Z. 50, mit Anm. 10. 34 Ins Stocken geraten (DWB 17, 1345). 338 Briefe des Jahres 1690

gottseligen und gelehrten Magistris angefangen35, auch bißdaher mit stattli- chem nutzen derselben und der zuhörer fortgesetzet, dadurch aber sehr viele 235 studiosi zu feißigerer handlung der schrift veranlaßet worden, so dann vor einem jahr absonderlich von etlichen magistris under sich und andern studio- sis collegia über einige Apostolische Episteln angestellet36 und in denselben mit übergehung anderer dinge allein die practica getrieben worden, wo sich bald ein ungemeiner segen von solcher arbeit gezeigt, daß eine starcke anzahl 240 studenten so wol ihrer studien wegen, was ihnen nötig, tiefer eingesehen, dann vorhin, als auch ihr leben mercklich von der welt unordnung abgezogen und sich der gottseligkeit befißen. Dann sobald hat dieses letzere nicht an- fangen recht in gang zu kommen, so waren gleich, vermuthlich erstlich von studenten, einige, so mißfallen dran hatten und denen nicht gelegen wäre, wo 245 die gottseligkeit überhand nehmen solte, die allerhand falsche dinge von jener lehr und leben außgespringet und ihnen den nahmen der Pietisten (so an sich eben nicht böse) spottsweise beygelegt37 (der darauf aller orten erschollen), so dann underschiedliche professores und andere vornehme leute mit ihrem vorgeben also eingenommen haben, daß solche mehrer böses darauß besorget, 250 also daß bereits vor einem jahr eine genaue inquisition angeordnet worden38, dero außgang aber dieser war, daß weder einige heterodoxie noch anderes, weßen die leute beschuldigt waren worden, auf sie gebracht werden können. Alß aber nicht nur die collegia zum theil fortgesetzt worden, sondern vieler leute eifer gewachsen, daß auch einige bürgersleute sich von selbsten in 255 dieselbe (weil meist teutsch gehandelt worden) darein eingefunden, auch solche gern under sich von gottseligen dingen geredet, gab es widerum gro- ßen lermen und wurden solche berichte hieher gethan (dero wahrheit noch in zweifel stehet), daß auch ernstliches verbot der zusammenkünften da- durch zuwege gebracht39 und abermahl sorgfältige undersuchung anbefohlen 260 worden. Wie ich aber die vornehmste under denen, welche die collegia ge- halten, selbs kenne u[nd] dero orthodoxiae und Christlichen wesens selbs

239 ein < eine. 241 /dann/ : . 243 vermuthlich ] – D. 245 /jener/ : . ​ 246 auß/ge/springet ] ausgesprenget: D. 249 /haben/. 249 mehrer ] mehr: D. 252 gebracht ] + hat: D. 254 /einige/ ​255 darein ] – D1–3. ​

35 Das Collegium philobiblicum (s. Brief Nr. 36 Anm. 15). 36 Zu den – neben dem Collegium philobiblicum – durchgeführten Veranstaltungen August Hermann Franckes, Paul Antons, Johann Caspar Schades u. a. s. vom Orde, Beginn. 37 Zu den Gerüchten, die auf Grund der pietistischen Bewegung in Leipzig ins Land gestreut wurden, s. Briefe Nr. 16, Z. 104–154, Nr. 54, Z. 46–58, Nr. 61, Z. 10–16, Nr. 68, Z. 139–181, Nr. 88, Z. 42–56, Nr. 96, Z. 14–26, u. ö.). – Zur Beschreibung des Begrifs „Pietisten“ als Spott- name s. Brief Nr. 97, Z. 76. 38 Zu den Verhören im Herbst 1689 s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 100 u. ö. (Protokoll des Verhörs: Francke, Streitschriften, 26–48). 39 Das kurfürstlich-sächsische Edikt vom 30. 3. 1690, das die Abhaltung von Privatkonventikeln unter Strafe stellte (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 339 wißenschaft40 habe, so kan ich nicht anders, alß alles dasjenige gerüchte, so in und außer landes erschollen, gleich wäre dieser so genannte Pietismus eine neue secte und steckte lauter zerrüttung der kirchen under demselben, vor lauter erdichtetes wesen und eine von einigen allzu leichtglaubig angenom- 265 mene und nachmal weiter außgebreitete verleumdung ansehen und beklagen. Wie sich dann noch nicht das geringste von irriger lehr oder anderem sträf- lichen (solten sich aber geringe fehler, wie der erste eifer sich nicht allezeit in schrancken hält, fnden, wären solche mit sanftmuth zu beßern41) erweiß- lich dargethan hat, noch wie ich vernehme auß den letzten inquisitions acten 270 vorthun wird42. Indeßen gibets viel ärgernus und werden so wol schwache irre gemacht, daß sie oft nicht wißen, was sie glauben und thun sollen, alß auch einige böse gestärcket: so manglets mir auch eben an leiden darüber nicht, weil ich nicht anders alß vor die unschuld gewißens halben reden kan. Ja, darüber man sich höchst zu verwundern, selbs das collegium PhiloBibli- 275 cum, welches solange ofentlich mit vielem ruhm einheimischer und fremder gehalten worden, ist under solchem vorwand von dem professore, in deßen hauß es sich sonsten versamlet, dissolviret worden43. Mir kommt zwahr alles dergleichen nicht so fremd vor auß langer erfah- rung, was man zu beforderung des guten von denen, deren amt es meistens 280 zukommet, zu erwarten habe: iedoch ist’s betrüblich, wo man das jenige ver- hindern sihet, darzu billich alle nach bestem vermögen helfen solten. Weil auch nicht zweife, daß biß in Dennemarck von diesen guten Pietisten der ruf erschollen, hofe, daß auch diese nachricht nicht unangenehm sein könne. Ach, wie haben wir zu einer solchen zeit so hertzlich zu beten, daß 285 der HERR in gnaden darein sehen und alle hertzen, auch die sich etwa auß unwißenheit eine zeitlang widersetzet hätten, zu aller müglichen beförderung seiner ehre lencken wolle: dazu ich auch soviel mehr hofnung gewinne, nachdem ich gewahr werde, daß derselbe gleichwol hin und wider mehr und mehr underschiedlichen rechtschafenen leuten, meistens aber in dem so ge- 290 nannten weltlichen stand, die augen anfanget zu öfnen, alles fast mit andern augen alß vor diesem einzusehen und, wo es uns mangle, gründlich zu er-

265 /wesen/. 265 /eine/ ] ein: D2+3. ​267 oder ] und: D2+3. ​267 anderem ] andern: D. ​ 268 f | (solten sich aber geringe fehler, wie der erste eifer sich nicht allezeit in schrancken hält, fnden, wären solche mit sanftmuth zu beßern) |. 270 /hat/. 272 /irre gemacht/ : . ​273 /darüber/ ​274 /weil/ : . 279 alles ] aber: D3. ​

40 Im Sinne von „Kenntnis“ (DWB 3, 781). 41 Vgl. Brief Nr. 72, Z. 72–76. 42 Im März 1690 war es zu weiteren Verhören gekommen (HauptStA Dresden, loc 10329/07, Bl. 169–211; vgl. Leube, Pietistische Bewegung, 184 f), außerdem am 29. 7. 1690 (SächsHStA Dresden, loc 10329/07, Bl. 156 f). 43 Zur Aufösung des Collegium Philobiblicum durch Valentin Alberti s. Brief Nr. 51 Anm. 43 (zu Valentin Alberti s. Brief Nr. 36 Anm. 16). 340 Briefe des Jahres 1690

kennen: welches bey mir das vertrauen erwecket, er werde auch eine ihm bekannte hülfe, davor wir Ihm zu dancken haben werden, schafen44. 295 Wie ich mich auch auß meines wehrtesten Herrn schreiben eben desto hertzlicher erfreuet, an demselben dergleichen auch einen zu erkennen, dero mir von zimlichen jahren der gütige Gott zu sonderbarer aufmunterung an underschiedenen orten mehrere geofenbahret hat. Wie uns dann eben dieses eine unserer größesten freuden sein solle, wo wir, wie in diesem stück ge- 300 schehen kan, unsres Himmlischen vaters treue vorsorge vor seine kirche auch mitten in seinen gerichten warnehmen und durch ein u. anders in der auf seine verheißung gegründeten zuversicht gestärcket werden, daß er sein zimlich zerfallenes zion, ob wol vielleicht nach einer noch schwehrern ver- wüstung, widerum ihm gefälliger bauen45 und in allen noch von Babel be- 305 vorstehenden trübsalen46 die dazu außerwehlte steine verwahren oder wol gar erst recht zu solchem seinem werck dardurch bereiten werde: wie dann gewiß nicht ein einiges wort seiner verheißungen auf die erde unerfüllet fallen solle47. Zum schluß habe noch eine neue freude über das liebe schreiben zu be- 310 zeugen, daß es dem HERRN gefallen wollen, auch mich durch dasselbe auf- zurichten und aufzumuntern, wann er mir dardurch gewiesen, wie seine hand so mächtig und seine güte so sorgfältig seye zu der zeit, da ich sovieler leute in underschiedlichen ständen haß und unwillen gegen mich, ohnver- schuldet an ihnen, erfahren muß, an fernen orten und an personen, von denen 315 ich nichts gewußt, viel weniger also, ihnen bekant zu sein, gedencken können, neue liebe und freundschaft mir zu zu wenden und damit zu trösten, so mir nicht eine geringe stärckung und göttliche wolthat in meiner schwachheit ist. Weswegen auch meinem wehrtesten Herren, durch deßen neue liebe und, nach dem er sie in demselben gewircket, durch dero ofenbahrung der treue 320 vater mich trösten wollen, nechst deßen Himmlischen güte, davon solches hauptsächlich annehme, mich zu christlichem danck verbunden erkenne, am sonderlichsten aber daß ich verständigt worden, wie auch meine wenigkeit in deßen andacht vor den thron der gnaden48 gebracht werde und ich mich deßen noch künftig zu versehen habe.

297 /zimlichen/ : . 298 | orten |. 302 /sein/. 305 trübsalen ] + . ​307 /wort/ ] – D. 307 verheißungen < verheißung. 307 erde ] rede: D2+3. ​ 309 neue ] meine: A. 316 1zu ] + . 319 /nach dem er sie in demselben gewircket, durch/. ​322 meine < meine. 323 /vor/. 323 den < dem. 324 deßen ] dessem: D1. ​

44 Vgl. Ps 12,6. 45 Das atl. Zion (Jerusalem), das nach dem babylonischen Exil wieder aufgebaut wurde, als biblisches Bild für die wahre Kirche. – Zu Speners Hofnung auf einen künftig besseren Zustand der Kirche s. Krauter-Dierolf. 46 Babel als biblisches Bild für die antichristliche Macht, konkret: die römisch-katholische Kirche als „falsche Kirche“. 47 Vgl. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 76 (PD 45.18–20). 48 Hebr. 4,16. Nr. 76 an Tobias Fleischer 9. 8. 1690 341

Nun der HERR HERR, so unsre hertzen zusammen geneiget und eine 325 freundschaft, die soviel reiner ist, alß weniger sie das geringste von irdischen absichten hat, under uns gestiftet hat, vereinige uns immer weiter in einigkeit des geistes undereinander und mit übrigen seinen kindern mit dem band des friedens verbunden49, er erfülle uns stäts mit dem geist der gnaden und des gebets50, so oft wir vor einander vor seinem angesicht erscheinen, und gebe 330 uns gelegenheit, einander in seiner liebe liebe zu erzeigen, welche mich von meiner seit auch allezeit freuen solle. Sonderlich laße er seine Himmlische kraft stäts mehr und mehr in seiner liebsten seele sich erzeigen mit ver- mehrung des liechts und übriger geistlicher lebenskräften, ihn zu heiligen durch und durch, daß deßen geist gantz samt der seele und leib müsse erhalten 335 werden unsträfich auf die zukunft unsers HERREN JESU Christi51, er füge ihm allezeit des orts, da derselbe lebet, solche Seelen zu, mit welchen man sich in dem HERRN vereinigen und stärcken könne, so ich vor eine der größsten glückseligkeiten halte, hingegen schütze er Ihn gegen die jenige, so dem guten in andern und demselben zuwider sind: Er laße aber auch sein liecht bey 340 andern auf allerley weise zu erfreulicher nachfolge gesegnet werden und schencke ihm also neben der seinigen einige andere Seelen: Er setze nechst dem auch hinzu, was von dingen dieser zeit, gesundheit und anderem glück- lichen fortgang, kinder Gottes von ihrem liebsten vater zu verlangen haben, und laße dieses ein stück sein auch m[ei]ner wolfahrt, daß mehrmahl von 345 deßen gesegnetem zustand erfreuliche nachricht und also, zu meinem gebet auch fröliche dancksagung hinzuzuthun, ursach erlange: So bleibe demselben wol in zeit und ewigkeit. Wormit der ewigen liebe und dero süßen genuß, treulich empfehlende verbleibe

Meines Hochgeehrten Herrn und in dem HERRN werthesten freundes zu 350 gebet und fr[eundlichen] diensten schuldwilliger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. [Dreß]den, den 9. [August 1]690.

[ P. S.:] 355 Unsre gnädigsten Churfürstin Hoheit52, alß deßen werthe person vor dero- selben gedachte, haben sich gnädigst erinnert und ihre estime bezeuget.

329 uns ] + . 332 seit < Seit. 335 /gantz/. 345 m[ei]ner ] [Textverlust durch­ Ausriß]. ​348 ewigkeit ] [Ende Abdruck D]. 354 [Dreß]den, den 9. [August 1]690 ] [Text­ verlust im Falz].

49 Vgl. Eph 4,3. 50 Sach 12,10. 51 1Tim 5,23 f. 52 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). Sie stammte aus dem dä- nischen Königshaus und hatte im Jahr 1689 die Kopenhagener Residenz besucht. 342 Briefe des Jahres 1690

Dem WolEdel, Vest und Hochgelehrten Herrn Tobiae Fleischern, der Kön. Myt. zu Dennemarck und Norwegen hochbestellten Bergrath, Meinem in- 360 sonders großgönstigen und Hochgeehrten Herrn. Nr. 77 an Johann Wilhelm Petersen 14. 8. 1690 343 77. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 14. August 1690

Inhalt Hätte das Berufungsschreiben des Freiherrn von Callenberg an [Ludwig Friedrich] Barthol schic- ken sollen, mußte es aber zurücksenden, denn es fehlte der Platz, um die Vokationsformel und andere Ergänzungen einzutragen; außerdem wollte Spener die Berufungsbedingungen nicht von sich aus einfügen. Will, daß Barthol auf die Verdächtigungen, Pietist zu sein, die ihn an der neuen Wirkungsstätte erwarten könnten, vorbereitet wird; er soll von einem Konsistorium examiniert und anschließend von jemandem ordiniert werden, dessen Orthodoxie nicht angezweifelt wird, weswegen Petersen ausfällt. – Gesteht in Bezug auf die Frage nach dem Millennium zu, daß dieses noch nicht begonnen habe; um Einzelheiten bemüht er sich nicht, weil andere Dinge wichtiger sind; will niemandem seine gewonnenen Erkenntnisse streitig machen und sich im Streit nicht positionieren; freut sich, wenn Petersen ihn heraushält und seinen Namen in diesem Zu- sammenhang nicht in Predigten erwähnt. – Betont die wechselseitige Freundschaft. – Kann die Mutmaßungen nicht bestätigen, nach denen [Christian Philip] Ludecus (Lüdke) und [Balthasar] Köpke sich in Briefen an Spener über Petersen geäußert haben; warnt vor zu schnellen Schluß- folgerungen. – Gott hat ihm die rechte Erkenntnis über folgende Topoi der christlichen Lehre geschenkt: Loskauf, Rechtfertigung und Heiligung, dazu erwartet er die allgemeine Bekehrung der Juden, den Fall Babels (der römisch-katholischen Kirche) und den darauf folgenden glück- lichen Zustand der Kirche; bekämpft die weitergehenden Erkenntnisse Petersens nicht, warnt aber dringlich davor, sie bei denen vorzutragen, die sie nicht einzuordnen wissen; sie sind nicht heilsnotwendig. – Die Verhandlungen über seine Berliner Berufung ruhen, solange der sächsische Kurfürst abwesend ist; wenn Gott ihn nach Brandenburg beruft, wird er gehen, ansonsten wird er in Sachsen die Bedrängnis derer teilen, die sich um die Frömmigkeit bemühen. – Bedauert die Lage Petersens und rät gegenüber den Gegnern zu Milde und Geduld. – Weiß nicht, was er von den Ofenbarungen der [Juliane Rosamunde] von Asseburg halten soll. – Grüße an Johanna Eleonora und August Friedrich Petersen und an [Matthias] Metzendorf. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 465–474.

Salutem, pacem, amorem et lucem a JESU nostro! In eo desideratissime Frater et Compater Optimo Bartholo nostro2, quem ex me fraterne salutabis, vocatorias literas Illustr[issimi] Callenbergii3 iam mittere debebam, sed cum chartam puram suo subscriptam nomine, cui ego vocationis formulam insererem, heri misisset, 5 non solum quia eo loco nomen scriptum erat, ut ad reliqua adiicienda suffi- ciens spatium non superesset, verum etiam quia conditiones vocationis meo

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Ludwig Friedrich Barthol, zur Zeit stellungslos (s. Brief Nr. 38 Anm. 24). 3 Curt Reinicke (II.) von Callenberg (22. 10. 1651–21. 4. 1709), Reichsgraf in Muskau; geb. in Muskau, seit 1673 verheiratet mit Ursula Regina geb. von Friesen (H. Schmidt, Curt Reinicke II. von Callenberg 1651–1709. Kurfürstlich-sächsischer Wirklicher und Geheimer Rat, Standesherr in Muskau, in: H. Smers [Hg.], Lebensbilder. Persönlichkeiten des Oberlausitzer Lebens, Teil 1, hg. vom Landratsamt des Niederschlesischen Oberlausitz Kreises, Görlitz 1995, 12 f). 344 Briefe des Jahres 1690

arbitratu exprimere nolui, illam hodie remisi: ut scriptam integram ad me remitterent hortatus. In antecessum autem rem hanc significare volui, ut sua 10 negotia monitus facilius deinceps disponeret, quia circa Michaelis festum4 adire iubebitur. De hoc vero praemonebis fratrem, quod ad patiendum, si veniat, vocetur; video enim, quam nollem, tempestatem, cuius eventum praestare imo polliceri haud ausim. Cum enim Superintendens Lipsia5 in- census contra pietistas6 aut quicquid studium pietatis ultra vulgarem modum 15 sapit, totus ardeat et comitem ipsum7 ac aulam propensiones in heterodoxiam suspectum habeat, non solum, qui prius ipse optaverat, novum symmystam vocari nunc renuit, verum fallor, aut quam primum iste advenerit eadem su- spicione amicum nostrum gravabit vel forte Electori8, ut puritati religionis prospiceret, denunciabit. Hoc vero si fiat et res ad Protosynedrion nostrum9 20 deferatur, nihil boni nostro promittere ausim, si non plane dimissionis iustus sit metus, certe non improbabilis. Unde quod facto opus in timore et invoca- tione Domini dispicietis. Ordinatum venire necesse est, et erit illa clausula vocationis, ut prius Consistorio alicui non suspecto examinandum se sistat ac ordinationis testimonium adferat, facta optione quod consistorium pro com- 25 moditate itineris huic fini eligere velit. Meministi, quod a Te ordinandum credidi, quod nunc non licet, postquam Theologi Lipsienses in sua nuper missa relatione de pietistis Tui mentionem non honorificam addito elogio Chiliasta, et nescio, quae alio fecerunt. Unde a Te ordinatum esse forte nostris causa praetexeretur Bartholi reiiciendi. Unde ego quidem de Cellensi vel 30 Gvelferbytano consistorio10 cogito vel de Quedlenburgio11, ubi iam pientis- simus Scriverius12 agit, vel de academia Jenensi13. De primis ob controversias Helmstedienses aliquod etiam dubium esse posset14, eo magis quia de nostro15 Superintendens Soranus16 (cui cum Muscano17 arcta intercedit amicitia) iudi-

4 Michaelistag (29. September). 5 Georg Lehmann, Superintendent und Theologieprofessor in Leipzig (Brief Nr. 2 Anm. 4). 6 Die Pietisten; zu den pietistischen Unruhen und der Entstehung des Namens „Pietisten“ s. Brief Nr. 76, Z. 231–278 (v. a. mit Anm. 37). 7 Graf Curt Reinicke von Callenberg (s. Anm. 3). 8 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 9 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 10 Die Konsistorien in Celle oder Wolfenbüttel. 11 Das Konsistorium von Quedlinburg. 12 Christian Scriver, Oberhofprediger in Quedlinburg (s. Brief Nr. 18 Anm. 9). 13 Die Universität Jena. 14 Der synkretistische Streit (s. dazu Brief Nr. 32 Anm. 10). 15 Gemeint ist Ludwig Friedrich Barthol. 16 Abraham Rothe (4. 2. 1633–26. 4. 1699), Superintendent in Sorau; geb. in Herwigsdorf/ Schlesien, nach dem Studium in Leipzig 1664 Pfarrer in Paupitsch und 1665 Superintendent in Sorau (J. G. Worbs, Kirchen-, Prediger‑ und Schulgeschichte der Herrschaft Sorau und Triebel, Sorau 1803, 57–59; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 22 Anm. 32). 17 Martin Francisci (30. 11. 1647–1698), Superintendent in Muskau; geb. in Peitz, nach dem Studium in Leipzig 1671 Diaconus in Muskau und 1678 in Bautzen, 1679 Superintendent in Muskau (Zedler 9, 1623 f; Jöcher 1, 705 f; Grünberg, Pfarrerbuch 1, 196). Nr. 77 an Johann Wilhelm Petersen 14. 8. 1690 345 cium tulit esse Calixtinum18 obstinatum atque insanabilem. Contra Qued­ linburgenses autem, quid exciperent, non video: nec etiam contra Jenenses, si 35 forte noster19, qui olim ibi vixit, Theologos novit. Optionem ita dirigat DOMINUS, uti fini, quem prae manibus habemus, futurum est commodis- simum atque adeo totum negotium benedictione sua secundet. Ad alterum accedo argumentum: Ubi largior me non credere mille annos inceptos, sed hoc unicum est, quod scio, quid vero illi futuri sint, utrum de- 40 finite tot anni, qualis in illis conditio Ecclesiae secundum peculiares circum- stantias, ingenue fateor me ignorare penitus, nec investigare, cum in alia ma- xime necessaria operam utiliorem me impendere persuasus sim. Interim nemini invideo lucem, quam ea etiam in causa desuper acceperit, nec illos impugno, quamvis pariter inter eos et adversantes neutras eligam partes, sed 45 eventum et rei ipsius et litis DOMINO commendem. Quod ergo me extra illam controversiam relinquere velis, rectissime ages, de meo quidem amore, si me etiam laederes, tamen certissimus. Gratum etiam est, quod omnino ab allegando nomine meo in suggestu abstinere velis, quod iure aliquo ab omni- bus amicis postulare potero ipsa hac ratione, quia, quicquid alii sentiant, fa- 50 stidio mihi est, cuius cuique viventis doctoris nomen ex ambone audire, non autem aliud aeque fastidio quam meum. Interim nos non minus toto corde amabimus et alter alterius faciemus mentionem amicam, locis ubi amicorum nomina audire nihil vetat. Coniectura Tua de illis, qui de Te ad me scripserint, Te plane fefellit. Sanc- 55 te enim asseverare possum nec Ludkenium20 nec Kaepkenium21 toto isto anno lineolam unam, quantum memini, ad me dedisse, cum huic ante aliquot menses demum ad duas superiori anno acceptas responderim22, unde, quas legisti, pericopas literarum aliorum sunt. Agnosces ex eo, quam facile, dum coniecturis indulgemus, charitas laedi possit et, quam praestet, si moneamus 60 lubenter nos ignorare, quos alter illaesa charitate nominare nequit. E[rgo] post hac commercium nostrum de rebus aliis ad profectum pietatis spectantibus: cum memineris omne, quod quidem Benignissimus Pater mihi concessit lumen fere circa articulos de redemtione, Iustificatione atque sanc-

51 ambone ] umbone: K.

18 Calixtinisch, auf Grund des synkretistischen Streits (s. Anm. 14) von den sächsischen Theo- logen als nicht reiner Lehre verdächtig angesehen. 19 S. Anm. 15. 20 Vermutlich der Berliner Kaufmann Christian Philip [sic!] Ludecus (Lüdke; Lüdecke), durch dessen Gebete es angeblich zu Krankenheilungen gekommen war (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 134 Anm. 22 und Francke-Briefwechsel, Briefe Nr. 102 Anm. 2 und Nr. 104, Z. 15–19; ergänzend: Th. Wotschke, Der märkische Freundeskreis Brecklings, in: JBrKG 24 [1929], 128). 21 Wohl Balthasar Köpke, Pastor in Fehrbellin (s. Brief Nr. 22 Anm. 6). 22 Nicht überliefert. 346 Briefe des Jahres 1690

65 tificatione (quos primus textus meus Luc. 1,74.7523 mihi ignaro eius consilii Divini suppeditavit24) versari, unde hoc meum pensum, qua valeo, fide trac- tare laboro, nec, quae data non sunt, mihi rapio. De futuris alia nescio quam conversionem iudaeorum et Babylonis lapsum atque adeo secuturum aliquem statum feliciorem25: quae vero futura huius facies26, DEO permitto. Qui ea, si 70 hic plura tibi revelet, non repugno, monitum tamen illud semper repeto, ut caveas, ne urgendo apud illos, qui digerere nequeunt, ea, quae saltem saluti necessaria non sunt27, occasionem perdas illos talento Tuo iuvandi circa magis necessaria, dum ipsos offendunt ista. Unde ita nuper ad me pia anima occasione Tui: „Es ist nicht jedermans 75 Speise, zumal bey dieser zeit, und meyne ich immer, man habe noch gnug zu sagen und zu überzeugen andere, was einfältig und klahr in Gottes wort am tage liegt: wird selbiges in den hertzen angenommen und mit gehorsam be- wahret, so wird Gott unter denen, die ihn also fürchten, seine Geheimnüße nach seinem wohlgefallen selbst offenbahren, außer welcher Ordnung es doch 80 bey den meisten, so es hören, nur zu einer todten wißenschafft, wo nicht gar zum Stücke der hoffart und Sicherheit gerichtet. Der HErr wird nach Seiner treuen Verheißung denen, die Ihn mit Ernst suchen, wahrhafftig ein treuer vergelter seyn28, in deßen bleibet ihm in seiner weißheit heimgestellet, wann und auf was art er solches erfüllen werde, uns solle an seiner Gnade gnügen29, 85 er hat uns seinen Hochgelobten Sohn und in ihm die fülle aller Gnaden ge- schencket, das ist uns herrligkeit, das ist uns Seeligkeit genung: Wir wißen, daß das, so er seinen Kindern bereitet, köstlicher ist, als wir bitten oder ver- stehen30 können. Sein Nahme sey gelobet über alles in Ewigkeit31.“32 Sed

23 Lk 1,74 f (Luther 1545: „Das wir erlöset aus der hand vnser Feinde / jm dieneten on furcht vnser lebelang. Jn Heiligkeit vnd Gerechtigkeit / Die jm gefellig ist.“). 24 Speners erste Predigt „aus dem Evangelium“, gehalten in Goxweiler am 24. 6. 1655 (Spener, Eigenhändiger Lebenslauf, in: Conrad Gottfried Blanckenberg, Das Leben der Glaubigen / Als […] Philipp Jacob Spener […] entschlafen, Franckfurt a. M.: Johann David Zunners Seel. Erben 1705, S. 25 [Neudruck: Spener, Studienausgabe I/1, 30.4–9]; Spener, Rettung, 186 f). 25 Zum erstenmal zusammenfassend vorgestellt in Spener, Pia Desideria, 1676, S. 72–77 (PD 43.31–45.9). 26 Zur Speners Distanzierung von Petersens Vorstellungen des Chiliasmus, die er nicht für heilsnotwendig hält, s. Brief Nr. 42, Z. 11–13. 27 Vgl. ähnlich in den Briefen Nr. 19, Z. 19 f, und Nr. 86, Z. 26–28. 28 Vgl. Hebr 11,6. 29 Vgl. 2Kor 12,9. 30 Vgl. Eph 3,20. 31 Vgl. Röm 9,5; 2Kor 11,31. 32 Unbekannt, von wem der Brief stammt (vgl. aber Brief Nr. 59, Z. 23–26). Der Vergleich mit der Kost, die verschiedene Leute unterschiedlich gut verdauen, hatte Spener schon in seinem Brief vom 20. 5. 1690 im Zusammenhang der Beunruhigung, die die Schwestern Christine Eleonore von Stolberg und Johanna Margarethe von Schellendorf durch Petersen erfahren hatten, verwendet (Brief Nr. 49, Z. 13–17). Zwei Tage später benutzt er das gleiche Bild im Brief an Hermann von der Hardt (Brief Nr. 51, Z. 38 f). Vielleicht ist der Eindruck auf dem Trefen einiger Freunde in Jahnishausen bei der Baronin Reichenbach vom 13.–15. 5. 1690 entstanden; der Schreiber des hier zitierten Briefes könnte an dieser Zusammenkunft teilgenommen haben. Nr. 77 an Johann Wilhelm Petersen 14. 8. 1690 347 largiatur nobis in his omnibus prudentiam iustorum et, quid in singulis a nobis fieri velit, nos doceat Pater optimus. 90 Quod consilia Berolinensia de me attinet33, aiunt illa quiescere absente Electore34 non vero esse deposita. Nuper dixi teneri me θείῳ35 vocationis, quae huic me traxit, nec posse discedere nisi aeque clara, quae aliud iubeat, divina voluntate36. Haec vero, si iubeat, alacri animo me petiturum Mar- chiam37. Si autem hic subsistendum sit diutius, forte me detinet DOMINUS, 95 ut participem me faciat afflictionum, quibus pietatis premuntur studiosi. Conditionem tuam serio doleo, cum eius faciem denuo non ea, quam vellem, specie illa repraesentent, quae retulisti, et inde colligere sit, quo in Te animo sint homines non unius ordinis. Suaserim omni mansuetudine et pa- tientia ea etiam tolerari, in quibus iniuria fit, dummodo conscientia non 100 vulneretur. Conspicio enim, cum nocere adversarii velint, nec deesse illis fa- cultatem: his ergo, quo renitaris magis, eo gravius Te laeseris. Hoc etiam me affligit maxime, quod, quae contigere, isto anno in συρςάξει38 cum collegis spem alterius vocationis valde infirment; unde, cum nuper Te Servestanis39 commendassem, fassus mihi quidam40, qui proxime inde venit, nomine quo- 105 que audito destitisse, ut nec in deliberationem rem ducerent41. Sed providebit DOMINUS!42 Lascarem43, cum haud dubie colligendarum elemosynarum gratia Germa-

33 Die Verhandlungen, Spener als Propst nach Berlin zu berufen (s. dazu insbesondere Brief Nr. 57). 34 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1), der am 30. 6. 1690 aus Torgau zum erneuten Feldzug gegen Frankreich aufgebrochen war (Heyne, Feldzüge, 131). 35 Göttlich. 36 Zur Betonung Speners, nach dem Willen Gottes nach Dresden gekommen zu sein und deswegen nicht eigenmächtig weggehen zu dürfen, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 19, Z. 132– 150, und im vorliegenden Band Briefe Nr. 57, Z. 23–46, Nr. 59, Z. 6–22, Nr. 79, Z. 235–237, Nr. 137, Z. 7–9, Nr. 148, Z. 9–17, Nr. 153, Z. 23–25, und Nr. 160, Z. 6. 37 Die Mark Brandenburg. 38 Zusammenstoß. 39 Den Zerbstern. 40 Nicht ermittelt. 41 Von einer möglichen Berufung Petersens nach Zerbst ist nichts bekannt. 42 Gen 22,8 (Vulgata). 43 Am 13. 7. 1690 berichtet Petersen an Christian Kortholt nach Kiel: „Es ist bey mir ein Pres- byter auß der Insul Pathmo, mit nahmen Mercurius Lascarius, ein sehr gelehrter mann, gewesen, der mir berichtet, daß totus Oriens Graecus Christianus dieses [scil. Lehre vom tausendjährigen Reich und der ersten Auferstehung] gläubte, und er wolte mir generalem a tota Ecclesiae Graecae consensum bringen“ (UB Kiel, Briefwechsel Chr. Kortholts mit J. W. Petersen u. a., S. H. 406 A3 Nr. 17). Speners Vermutung, daß er auch in Dresden auftauchen werde, bestätigt sich, wie er in seinem Brief vom 13. 12. 1690 an Johann Wilhelm Petersen meldet (s. Brief Nr. 106, Z. 28). Er wird gelegentlich auch im Briefwechsel zwischen Spener und A. Rechenberg genannt (Weiteres s. Brief Nr. 106 Anm. 11; vgl. auch Brief Nr. 137, Z. 57–61). Weitere Erwähnungen fnden sich in V. Lagus, Album studiosorum Academiae Aboensis, Bd. 1: 1640–1740, Helsinki 1891, S. 228 f; Turun Akatemian Konsistorin pöytäkirjat, Bd. 6, Helsinki 1940, S. 314 (hier wird von einem griechischen Exulanten Mercurius Laskaris gesprochen, der am 20. 4. 1688 drei Reichstaler bewil- ligt bekommt); R. Hausen (Hg.), Utdrag ur Åbo domkyrkas räkenskaper 1634–1700, Helsinki 348 Briefe des Jahres 1690

niam44 obeat, credo huc etiam venturum, quia ex Pathmo45 superioribus 110 annis, non simul, duo me illa causa adigere. Loquor ipsocum de argumento noto. De Nobil. Asseburgia vidua46 iam aliquot annis quaedam inaudiveram, de filiabus47 retulit Pfeifferus noster48. Quoties de revelationibus huius generis audio, diverso affectu et laetor et angor: illud quod testimonia divina de nobis 115 singularis curae non possunt non delectare; hoc ex timore, ne qua se inmisceat illusio. Sanctificet nos in veritate sua Dominus. Verbum ipsius est veritas49. In eo cum Ioanna Tua dulcissima50 et Tuo Augusto51 vale optime. Dresdae, 14. Aug[usti] 1690. Vester in Domino 120 PJSpenerus, D. Mppria. [P. S.:] Vener[andum] Mezendorfium52 ex me saluta humanissime.

110 ipsocum: cj ] ipso cum: K. 112 inaudiveram: cj ] in audiveram: K.

1901 (Beim Datum 2. 5. 1688 ist notiert: „Gifwit af kyrkiones medel den gräkiske predickanten Mercurio Lascari efter högwyrdige Hr. biskopens befallning 2 rixdlr.“). Im Jahr 1688 ist in der Universitätsmatrikel Helsinki ein Melchior Farulphus Pius Ansprandrus de Lascaris Mercurius, Graecus, genannt, der als „Prediger“ (Saarnamies) bezeichnet wird (http://www.helsinki.f/ ylioppilasmatrikkeli/henkilo.php?id=​U415; Zugrif am 25. 11. 2014). 44 Deutschland. 45 Heimat von Lascarius. 46 Gertr(a)ud Margarete von der Asseburg geb. von Alvensleben (Dez. 1640–4. 8. 1691); geb. in Erxleben, verheiratet mit Christian Christoph von der Asseburg, 1675 verwitwet, ca. 1682 Umzug nach Magdeburg, Frühjahr 1691 Umzug nach Lüneburg (Matthias, Petersen, 256 f, 259, 277–279). 47 Rosamunde Juliane (zu dieser s. Brief Nr. 111 Anm. 29), Auguste Dorothee und Helena Lukretia von der Asseburg (Matthias, Petersen, 257, 259). 48 Julius Franz Pfeifer (Lebensdaten unbekannt), Nefe des Lübecker Superintendenten und Pietistengegners August Pfeifer; geb. in Lauenburg, nach dem Theologiestudium in Leipzig (1688 Baccalaureus) seit Anfang 1690 Aufenthalt bei Petersen in Lüneburg, später u. a. in Lübeck bei Adelheit Sybille Schwartz (1692) und in Merseburg (1693) (Matthias, Petersen, 256–259; U. Witt, Bekehrung, Bildung und Biographie. Frauen im Umkreis des Halleschen Pietismus, Hallesche Forschungen Bd. 2, Halle und Tübingen 1996, 29, 50; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 12 Anm. 23). – Ein Briefwechsel zwischen Pfeifer und Petersen ist bekannt, in dem von den Ofenbarungen Rosamunde Juliane von der Asseburgs berichtet wird (Matthias, Petersen, 259 Anm. 32). 49 Vgl. Joh 17,17. 50 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 51 August Friedrich Petersen (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 52 Matthias Metzendorf, Pfarrer in Lüneburg (s. Brief Nr. 30 Anm. 19). Nr. 78 an einen ungarischen Amtsbruder im Exil 25. 8. 1690 349 78. An einen ungarischen Amtsbruder im Exil1 Dresden, 25. August 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die verspätete Antwort auf einige Briefe des Korrespondenten. – Beklagt dessen neuerliche Exilierung und die Unmöglichkeit, ihm helfen zu können. – Hat schon lange den Eindruck, daß Gott dem antichristlichen Babel die Macht gibt, um in der evangelischen Kirche sein Recht wieder aufzurichten. – Glaubt, daß die Zeit der Gerichte nahe ist und das Schicksal Ungarns bald auch Deutschland ereilen wird. – Berichtet von einer Nachricht, daß die entvölkerten Gebiete (Ungarns) neu besiedelt werden und dem Evangelium neue Freiheit verschaft werden soll, glaubt jedoch nicht an eine dauerhafte Verbesserung, höchstens an eine kurze Zeit der Ruhe. – Erwartet bis zum Ende der Versuchung die Hilfe Gottes, Glauben und Geduld zu bewahren. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 769.

Ad Tuas2 aliquot debeo responsum et quidem diutius, quam decebat, debeo, sed tarditati meae a charitate Tua facile polliceor veniam. Exilio novo quod nunciabant illae, priores autem iam ominabantur, ex animo condoleo, ut fratrem decet: utinam tam in mea manu esset vel Ecclesiae vestrae malis internis, quae Tuae non semel conquestae sunt, non minus quam 5 externis vel vestrae necessitati cum effectu succurrere: certe tam non defutu- ra esset cura mea, quam nunc vestri in precibus meis non obliviscor. Quid vero dicam? Iam diu ita mihi visum est toti Ecclesiae vestrae3 gravis- simas imminere aerumnas Deumque Babyloni4 illam facturum potestatem, ut omne aedificium nostrum, saltem extantiores istius partes, omnino diruat, 10 partim ut iustitiae satisfaciat suae toties et atrociter quidem a nostris laesae, partim ut purpurata illa crudelitate in veritatis professores exercita peccatorum mensuram impleat5, eo ipso iudicium capiti attractura suo. Unde fallor, aut non procul ab eo tempore, quo talia fieri debent6, absumus: quae causa est, quod nec Germaniae7 nostrae laetiora quam Ungaria vestra 15 experta est fata, promittere ausim omnesque serio horter, ut ad quaevis ex- trema sustinenda parentur.

10 extantiores: cj ] extantiorer: D.

1 Nicht ermittelt. Zu Kontakten nach Ungarn bzw. Oberungarn s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 74, 109 und 200, und Bd. 3, Brief Nr. 41, Z. 24. 2 Nicht überliefert. 3 Die evangelische Kirche in Ungarn. 4 Babylon als biblisches Bild für die antichristliche Macht der römisch-katholischen Kirche. 5 Vgl. 2Makk 6,14. 6 Vgl. Mk 13,30. 7 Deutschland. 350 Briefe des Jahres 1690

Nuper equidem relatum Caesarea benignitate, forte etiam consilio, regio- nem maxima incolarum parte exhaustam novis implendi, libertatem Evange- 20 lio maiorem iterum consessum iri: licet ergo nuncio illo gavisus fuerim et adhuc gaudeam, imo vel brevis temporis halcyonia in summi beneficii loco, si benignus Pater indulgeat, habenda fateor, vix tamen ausim usum beneficii istius in multos annos promittere, nisi forte, quae divinorum iudiciorum in- comprehensibilis est varietas, calicem sibi destinatum Hungaria8 iam exhausit, 25 mitius posthac habenda, cum nos ad certamen et passiones serios vocabit. Quicquid vero decrevit Pater Optimus, saltem gratiae fores non occludat; sed multa misericordia iudiciorum temperet severitatem et, cum Ecclesia tribula- tionibus satis fuerit purgata, hostibus aeque prostratis ac malis istius ipso illo igne sublatis, solem iterum sereniorem faciat oriri. Dum autem tempestates 30 durabunt, fidem confirmet nostram atque victricem patientiam largiatur. Et certe faciet, qui fidelis est9. Die 25. Aug[usti] 1690.

25 serios: cj ] series: D.

8 Ungarn. 9 Vgl. 1Thess 5,24. Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 351 79. An Johann Heinrich Hassel in Bayreuth1 Dresden, 30. August 1690

Inhalt Bedauert die mehr als ein Jahr dauernde Verzögerung der Antwort auf die Briefe Hassels und begründet diese mit Entwicklungen, deren Ergebnis er hat abwarten wollen. – Bestätigt die Klage aus dem ersten Brief Hassels über die geringe Frucht ihrer geistlichen Arbeit; fndet die Ursache sowohl bei den Geistlichen als auch bei den Gemeinden; hat aber gelegentlich dort Früchte seiner Arbeit sehen können, wo er es nicht gedacht hat. – Freut sich, daß Hassel ebenfalls einen künftig besseren Zustand der Kirche erwartet; hält es für vermessen, festlegen zu wollen, wie dieser genau aussehen wird. – Bestreitet nicht, daß Gott sich dazu auch außerordentlicher Mittel bedient, ist aber dankbar für die Vorbereitung von Menschen durch die üblichen Gnadenmittel. – Bespricht seine Auslegung von Lk 18,8 und weist auf eine ähnliche Deutung in den „Nouvelles de la re- publique des lettres“. – Bedenkt die Schwierigkeiten, die Hassel an seiner Wirkungsstätte hat, und beklagt den Widerstand der Kollegen. – Fragt nach der Besetzung der Oberhofpredigerstelle in Ostfriesland. – Beschreibt die Ereignisse der Leipziger pietistischen Unruhen und der dagegen vorhandenen Widerstände. Überlieferung A: Coburg, Staatsarchiv, LAJ Nr. 232, Bl. 139r–144v. K1: Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 297, 487–4892 (Z. 31–35. 46–68. 322–329). K2: Gotha, Forschungsbibliothek, Chart. A 297, 505–510 (Z. 256–333). D1: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 842–8443 (Z. 23–74). D2: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 221–224 (Z. 75– 189). D3: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 341–3434 (Z. 190–233).

JESUM unsren und seiner wahrheit einigen erhalter, schutz und beystand! HochwolEhrwürdiger, Großachtbar und Hochgelehrter, Insonders Hochge- ehrter Herr und in dem HERREN wehrter Bruder.

Es ist je endlich lang gnug geharret, da abermahl von dem ersten schreiben an 5 zu rechnen, so mir zwahr etwas spat, doch zu recht gekommen, über ein jahr

1 Johann Heinrich Hassel (ca. 1640–19. 2. 1706), Hofprediger in Bayreuth; geb. in Osnabrück, aufgewachsen in Kampen, beeinfußt von spiritualistischer Frömmigkeit, nach dem Studium in Straßburg und Vikars‑ und Adjunktzeit 1671 Pfarrer in Vohenstrauß und 1683 Pfarrer in Diespeck bei Bayreuth, 1689 (Wappmann: 1688) zweiter Hofprediger in Bayreuth, 1693 Konsistorialrat, 1697 Geheimer Rat und 1698 Konsistorialpräsident in Coburg, 1700 Verhaftung im Zusammen- hang mit Erbfolgestreitigkeiten in Coburg, 1703 Entlassung aus der Haft, 1705/1706 Aufenthalt in Coburg und Meiningen (G. Reichenbacher; Bilder aus Coburgs kirchl. Vergangenheit im 18. Jhd., Coburg 1967, 80–86; V. Wappmann, Pietismus und Politik. Zur Biographie von Johann Heinrich Hassel, ZBKG 67, 1998, 27–59; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 99 Anm. 1). 2 Falsche Datumsangabe: „30. Mai“. 3 Undatiert. 4 Falsche Datumsangabe: „30. Mai“. 352 Briefe des Jahres 1690

mit meiner antwort zurücke geblieben bin5. Solte ich ursachen anführen, so traute gleichwol, dergleichen anführen zu können, die nicht ohne wichtigkeit sind, sonderlich nachdem fast bey einem jahr her, theils mit mir, theils mit 10 andern, wo ich aber allemahl mein theil mit dabey hatte, vorgegangen ist, da ich immer einen weitern außgang erwartete, davon ich lieben freunden alßdann theil geben könte: wiewol sich alles immer so ziehet, daß ich darauf wartende, noch länger das schreiben aufhalten müßte. So wird auch in dem folgenden eine andere ursach angedeutet werden6. 15 Wie aber solchem allen, so habe endlich widerum die feder ergreifen wollen und tröste mich dabey der freundlichen übersehung des langen ver- zugs, indeßen versichernde, daß soviel öfter vor dem angesicht des HER- REN, ja täglich, deßen gedacht habe, alß mein eigner underschiedlicher kampf der in gleichem zustand stehender brüder mich soviel öfter und un- 20 nachläßig erinnert hat. Ich will aber, um nicht noth zu haben, an andere ord- nung zu dencken, bey den materien bleiben, wie sie in den 3 schreiben mir nacheinander vorkommen. Das erste war die nicht nur von uns beiderseits, sondern auch von fast allen andern mitbrüdern auch anderwertlich führende klagen wegen der wenigen 25 frucht, so wir mit aller unsrer arbeit bey den gemeinden außzurichten fnden: da ich nicht zweife, daß wir deßen einige ursach auch selbs auf uns nehmen müßen und zu bekennen haben, daß auch an uns manches manglen mag und uns zuweilen ein weniger maaß gegeben wird, nach dem wir uns eines mehrern unwürdig machen, also daß der HERR in unsre seelen, die noch 30 nicht recht gereiniget, nicht mehr liecht seiner ordnung nach geben kan, damit eine auch stärckere erleuchtung von uns bey andern entstünde: indeßen halte mich doch versichert, daß nicht weniger schuld bey den gemeinden seye und hingegen das maaß der uns ertheilten gnade an sich selbs zu völliger heiligung der anvertrauten gnug sein würde, wo nicht von diesen die meiste 35 sich der gütigen göttlichen wirckung widersetzten: dazu wir zwahr auch letzlich göttliches gericht setzen und deßen gerechtigkeit veneriren müßen, der manchmahl vorige sünden derer, an denen wir zu arbeiten haben, mit

12 theil ] + . 23 Das ] [Beginn Abdruck D1]. 27 /zu/. 29 also < daß. 31– 33 indeßen halte mich doch versichert, daß nicht weniger schuld bey den gemeinden seye und hingegen ] Ich halte mich versichert, daß: K1. [Beginn Abschrift K1]. 35 sich ] – K1. ​ 35 göttlichen ] göttlichem: D11. ​35 wirckung ] + sich: K1. 35 widersetzten ] [Ende Abschrift K1]. ​

5 Der letzte bekannte Brief Speners an Hassel wurde am 7. 5. 1689 geschrieben (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 48). Die dazwischen liegenden drei Briefe Hassels (s. Z. 21) sind nicht überliefert. Der letzte muß jedenfalls nach der überregionalen Verbreitung des Begrifs „Pietis- mus“ geschrieben worden sein (vgl. Z. 256 f). 6 Spener spielt hier wohl einerseits auf seine ungeklärte Situation als Oberhofprediger in Dresden an (dazu s. Z. 216–226), andererseits auf die Entwicklung der pietistischen Bewegung in Leipzig (s. Z. 237–296). Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 353 zurückhaltung ferner7 gnade bestrafet. Indeßen ist mir hertzlich lieb, daß derselbe auf die jenige erinnerung gekommen, daß wir oft nichts außgerich- tet zu haben meinen und nachmal durch Gottes regirung eines beßern gewahr 40 werden: daran nicht nur oft gedacht, die gewißheit deßen, ob ich auch nichts erführe, auf die göttliche versicherung gesetzt, und folgends selbs under- schiedliche mal dergleichen exempel bemercket, sie auch alß sonderlich, zu meiner stärckung von dem Himmlischen vater angesehen, vor neue wolthaten Gottes gehalten habe. 45 Nechstdem ist mir auch von grund der seelen angenehm gewesen, daß wir beiderseits auch darinnen einstimmig seind, daß der HERR HERR seiner kirchen noch einigen sonnenschein u. beßerung versprochen habe8 und also noch vorbehalte. Was aber die art des anbruchs deßelben anlangt, werden wir vielleicht auch darinnen nicht weit voneinander abgehen, daß wir beide er- 50 kennen, es werde auf eine art geschehen, die kein mensch völlig vorher er- kennen oder bestimmen könne, ja, wer sich deßen undernehmen wolte, ohne vermeßenheit solches zu thun, nicht vermöchte. Ob nicht Gott freylich neben den ordenlichen gnadenmitteln9, wo er sein großes werck wird außrichten, manches außer der ordnung thun möchte, will 55 auch nicht in abrede sein, sondern achte es seiner weißheit nicht ungemäß. Indeßen sihe ich dannoch das wenige, was Gott hie und da in diesen tagen geschehen und aufgehen leßet, auch an alß etwas dazu gehöriges, nicht daß auf dergleichen gemeine10 weise das gantze werck zum stande solte gebracht werden, sondern daß der HERR etwa ietzt eine bereitung machet derjenigen 60 seelen, an dero gedult u. leiden er in den bevorstehenden schwehrsten trüb- saalen und, wo Babel11 vielleicht das letste mahl die heiligen (dergleichen dann auch vorhanden sein müßen) überwinden solle12, gepriesen werden will: oder daß er die steine allgemach bereitet, auß denen er nach solchen schwehr- sten verfolgungen, in denen er sie wol wird zu verwahren wißen, sein liebes 65

38 fernerer ] D11+3. ​42 erführe ] erfahre: D11–3. ​46 Nechstdem ist mir auch ] Mir ist: K1 [Beginn Abschrift K1]. 47 seind ] sind: D11–3; K: sein. 49 noch ] – K1. 53 zu ] + zu: A. ​ 62 f (dergleichen dann auch vorhanden sein müßen) ] – K1.

7 Komparativ zum adjektivischen „fern“, also im Sinne von „weiterer“ (DWB 3, 1534). 8 Zu der Hofnung Speners auf einen besseren Zustand der Kirche s. Krauter-Dierolf. 9 Die Gnadenmittel sind nach evangelischer Aufassung die Verkündigung des Evangeliums und die Verwaltung der Sakramente (vgl. CA 7 [BSLK 59.15–60.16]). 10 Im Sinne von „allgemein“ (DWB 5, 3170), als Gegenüber zu „besonders“ bzw. „außer der Ordnung“ (Z. 51) (vgl. DWB 5, 3173 f). 11 Biblisches Bild für die antichristliche Kirche, aus Sicht der Evangelischen handelt es sich um die römisch-katholische Kirche, die in der letzten Zeit die wahre Kirche bedrängt (vgl. ähnlich in Brief Nr. 78, Z. 8–13). 12 Vgl. Apk 13,7. 354 Briefe des Jahres 1690

Zion aufs neue widerum herrlicher bauen wird13. Also ist weder, was ietzt in der gnade14 geschihet, das rechte, was wir noch warten, noch von demselben gantz underschieden, ja gleichsam deßen vorbote. Laßet uns also unser seits mit aller treue an dem jenigen arbeiten, wozu uns der Herr gesetzt hat, ob es 70 wol nur eine vorbereitung ist, und uns versichern, daß gleichwol auch solche arbeit nicht werde umsonst sein, darneben aber unaufhörlich zu dem HERRN um seine gnädige hülfe, nachdem fast im geistlich=​ und leiblichem die noth über das vermögen menschlicher hülfe gekommen ist, seuftzen und rufen, damit er seine außerwehlte rette in einer kürtze15. 75 Dieses führet mich eben auf den spruch Luc. 18,816, da mir lieb gewesen, daß derselbe wollen seine darüber gehabte scrupul vorstellen, wie ich aber niemal des sinnes bin, iemand einige meiner gedancken aufzutringen, so bin doch nicht in abrede, daß ich von der hauptsache der explication noch nicht abweichen kan, ob wol in absonderlicher anwendung oder erklährung ein 80 und anderer wort weiters nachsinnen einige änderung gebracht. Es haben sonderlich mir ferner anleitung gegeben die monatlich in Amsterdam ausge- hende, von mir vor einem jahr erblickte, aber erst vor einigen monaten zur hand gebrachte (so auch eine ursache des verzugs zu schreiben gewesen) Nouvelles de la Republique des lettres, die 168817 in den monaten Febr.18, 85 Martio19, Maio20, Iunio21 und Octobri22, und also fünfmal davon gehandelt,

66 widerum ] wieder: K1. 67 demselben ] denselben: D11. ​68 vorbote ] [Ende Abschrift K1]. ​ 71 sein ]seyen: D11. ​72 geistlich= ] geist: D11 ] geist= D13. ​73 /noth/ : . ​ 74 kürtze] [Ende Abdruck D1]. 75 Dieses führet mich eben ] Nun komm ich: D2. [Beginn Abdruck D2]. 82 f | von mir vor einem jahr erblickte aber erst vor einigen monaten zur hand gebrachte (so auch eine ursache des verzugs zu schreiben gewesen) |.

13 Zion als biblisches Bild für die wahre Gemeinde; zur Wiedererrichtung Zions s. ähnlich in Brief Nr. 76, Z. 302–308; auch in Brief Nr. 91, Z. 51–53, wird von der Wiederverwendung der Steine aus dem niedergerissenen Bau gesprochen, jedoch ohne Verwendung des Stichworts „Zion“. 14 Das „Reich der Gnade“ (regnum gratiae), das – anders als das „Reich der Herrlichkeit“ (regnum gloriae) – von der Vorläufgkeit dieser Welt gekennzeichnet ist (vgl. TRE 15, 224). 15 Vgl. Lk 18,7 f. 16 Lk 18,8 (Luther 1545: „Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze. Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, daß er auch werde Glauben fnden auf Erden?“). 17 Nouvelles de la république des lettres 1688, Amsterdam: Henry Desbordes 1688 (Nachdruck: Nouvelles de la république des lettres, Tome III, comprenant les années 1688–189, Genf 1966). 18 Extrait d’une Lettre écrite de Londres, sur divers endroits de l’Eneïde de Virgile, & sur un Passage de l’Evangile selon Saint Luc, in: Nouvelles [wie Anm. 17], S. 105–111, zu Lk 18 s. S. 108–111. 19 Remarques envoyées à l’Autheur de ces nouvelles, sur le premier Article du Mois de Février, touchant le v. 8. du Chapitre XVIII. de l’Evangile selon S. Luc, in: Nouvelles [wie Anm. 17], S. 244–250. 20 Nouvelles Remarques sur le v. 8 du Chap. XVIII de S. Luc, envoyées à l’Autheur de ces Nouvelles, in: Nouvelles [wie Anm. 17], S. 461–477. 21 Lettre contenant la Défense de l’Explication du Passage de S. Luc, Chap. XVIII. v. 8. donnée au Mois de Février, contre la Critique qu’on en a faite, in: Nouvelles [wie Anm. 17], S. 615–628. 22 Memoire envoyé à l’Autheur de ces nouvelles, contenant une nouvelle explication des Versets [sic!] 7. & 8. du Chapitre XVIII. de S. Luc, in: Nouvelles [wie Anm. 17], S. 1061–1077. Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 355 da unterschiedliche gelehrte leut, deren keiner aber benennet wird, mit ein- ander drüber conferiret, alß erstlich eben die jenige meinung, so ich von Hr. Sandhagen23 hatte, von einem in die Nouvelles gebracht worden24, darauf zwey andere, ob wol beyde wider des ersten explication ihre dubia gebracht, der dritte auch des zweiten außlegung verworfen, zu letst aber ist sie sehr fein 90 vindiciret. Indeßen bleiben alle, welche doch under sich nicht gantz einig, darinnen eins, daß die gemeine meinung, daß zu den zeiten des jüngsten tags kaum mehr glaubige sein würden, irrig und hier ungegründet seye. Wann ich nun der sache ferner nachdencke, so deucht mich 1. daß eine unwidersprechliche wahrheit seye, daß nicht gehandelt werde von der zu- 95 kunft Christi zu dem allgemeinen jüngsten gericht. Dieses gründe ich nicht auf die absonderung des 18. capitels von dem siebenzehenden, sondern laß geschehen, daß es eine aneinanderhängende rede seye und der Herr von dem gebet handle auß gelegenheit der vorigen trübsalen, da ers alß die beste wehr und schutz recommendiret. Daher will ich zugeben, daß Luc. 18,8 von einer 100 sonderbaren zukunft Christi zum gericht und nicht insgemein allen seinen hülfsbezeugungen (ohne sofern von diese auch auf andere, weil Gott fast eine art stäts zuhalten pfeget, geschloßen werden könte) geredet werde. Es ist aber solche zukunft nicht die zukunft zum jüngsten tag, sondern zur zerstöhrung Jerusalem und also zu dem jenigen großen gericht, da der Herr Jesus durch 105 die Römer das Jüdische wesen über einen haufen geworfen, straf an den verfolgern seiner Apostel verübet und seine glaubige errettet hat. Dieses sehen wir auß der collation dieses gantzen texts mit Matth. 24,1–2925, wo unwider- sprechlich geredet wird von der zerstöhrung Jerusalem und doch einerley mit unsers Lucae worten daselbs stehet. Man möchte zwahr sagen, daß auch un- 110 terschiedliches hier stehe, so mit Matth. 24,37 u.f. 26 überein kommet. Es hindert aber auch nicht, dann auch die jenige zukunft, die daselbs v. 3027 stehet, schwehrlich von der letzten verstanden werden mag, alß welche dar- nach erst Matt. 25,3128 folget, sondern sie dörfte eher die jenige seyn, die Ofenb. Joh. 19,11 u.f. 29 beschrieben wird, wo der HERR sein ander großes 115

91 bleiben ] blieben: D2. 98 es ] – D22. ​113 /mag/ : .

23 Caspar Hermann Sandhagen, Generalsuperintendent in Gottorf (s. Brief Nr. 51 Anm. 18). 24 Zu dem ersten Artikel dieser Serie s. Anm. 18. 25 Mt 24,1–29. 26 Mt 24,37 (Luther 1545: „Gleich aber wie es zu der zeit Noe war / Also wird auch sein die zukunft des menschen Sons.“). 27 Mt 24,30 (Luther 1545: „Vnd als denn wird erscheinen das zeichen des menschen Sons im Himel. Vnd als denn werden heulen alle Geschlechte auf erden / vnd werden sehen komen des menschen Son in den wolcken des Himels / mit grosser Kraft vnd Herrligkeit.“). 28 Mt 25,31 (Luther 1545: „Vnd er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen / vnd sie werden samlen seine Ausserweleten von den vier Winden / von einem ende des Himels zu dem andern.“). 29 Apk 19,11–21. 356 Briefe des Jahres 1690

gericht über das abtrünnige Christenthum oder Papstum übet. Wir sehen sonderlich v. 2530, daß es eine zukunft seye, da das leiden des HERREN nicht allzulang vorhergegangen und dieses eine rache über dasselbe und die ver- achtung der tage des MenschenSohns sein solle. So ists auch eine zukunft und 120 gericht, wo nach v. 3131 eine müglichkeit ist zu entfiehen, so der letzten zu- kunft nicht eignet. Also bleibet dann, daß auch Luc. 18,8 von derselben zu- kunft des menschenSohns, die ich auch pfege Matth. 16,6432 zu verstehen, gehandlet werde, und daher auß diesem gantzen ort von der bewandnus vor dem ende der welt nichts geschloßen werden könne. 125 2. Wann wir aber auch hierauß wolten schließen den zustand der kirchen auf erden, wann die hie gemeinte zukunft geschehen werde, so bezeuget abermal die erfahrung das gegentheil: dann alß der HERR kam, sein gericht an den Juden zu üben, war zwahr die christliche kirche in dem Jüdischen land dem eußerlichen nach in schwehrem elend und wurde hart von den Juden, 130 so damit das maaß ihrer sünden erfülleten33, getruckt, aber dannoch war sie, was derselben innerliche bewandnus anlangt, in seligem zustand und eine starcke anzahl der wahrhaftig gleubigen in statt u. land, die auch der HERR auf sonderbare art vor der belagerung außgeführet hat; zugeschweigen der unzählichen gemeinden, welche bereits damal, in der gantzen welt under den 135 Heiden gepfantzet, geblühet haben: Also fand der HERR freylich glauben auf erden. Ja, der text bringt solches selbs mit sich, dann wann der HERR kom- men wird zu solchem gericht, so kommet er auf das anhaltende rufen seiner außerwehlten, bey welchen er also freylich glauben fndet. Daher 3. solche wort nothwendig einen andern verstand haben müßen, daß 140 nemlich das wörtlein „glauben“ nicht heiße den seligmachenden glauben, sondern die erkantnus der gegenwärtigen hülfe: dero plötzlicher anbruch dardurch angezeiget wird, daß es den außerwehlten, die noch mit ängsten nach derselben seuftzen, zumuth werde sein gleichsam alß den traumenden, Psalm 126,134, oder alß es Jacob, 1 Mos. 45,2635, und Petro, Ap. Gesch. 12,936,

118 /die/ . <..?>. 122 64 ] 28: D2. 123 daher ] + . 144 /es/.

30 Lk 17,25. 31 Lk 17,31. 32 Mt 16,64 (Luther 1545: „Jhesus sprach / Du sagests. Doch sage ich euch / von nu an wirds geschehen / das jr sehen werdet des menschen Son sitzen zur Rechten der Kraft / vnd komen in den wolcken des Himels.“). 33 Vgl. 2Makk 6,14. 34 Ps 126,1 (Luther 1545: „WEnn der HERR die Gefangen Zion erlösen wird / So werden wir sein wie die Trewmende.“); auf diesen Bibelvers wird auch verwiesen in „Nouvelle“ [s. Anm. 21], S. 1703). 35 Gen 45,26 f (Luther 1545: „vnd verkündigeten jm / vnd sprachen / Joseph lebet noch / vnd ist ein Herr im gantzen Egyptenlande. Aber sein hertz dacht gar viel anders / denn er gleubet jnen nicht.“). 36 Apg 12,9 (Luther 1545: „Vnd er gieng hinaus / vnd folgt jm / Vnd wuste nicht / das jm warhaftig solches geschehe durch den Engel / sondern es dauchte jn / er sehe ein Gesichte.“). „Nouvelle“ [s. Anm. 22], S. 1703, verweist auf Apg 12,19, was ofenbar ein Druckfehler ist. Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 357 zu muth gewesen, da dero hülfe bereits verhanden37 war und sie kaum 145 glauben konten, was sie sahen. Daher der eine der jenigen, so zu letst in ob- gedachten Nouv[elles] sein urtheil gegeben, meines erachtens die beide ver- sicul sehr fein, und daß der verstand gantz natürlich fießet, also paraphrasirt, wo ich seine wort verteutsche: „Und solte Gott nicht rächen oder retten seine außerwehlte, die tag und nacht zu ihm schreyen? und zwahr er, der 150 gedult gegen sie gebraucht (sihe Ap. Gesch. 26,338) alßdann, wenn sie schrey- en, oder sie zu hören. Ich sage euch, er wird sie rächen oder retten in der kürtze39. Aber wenn des menschen Sohn kommen wird, solche rache oder rettung zu thun, die Juden zu zerstöhren und zu erlösen die kirche, euch selbs und die übrigen seiner glaubigen, wird man auch wol glauben können, was 155 er thun wird, auch in dem mans sehen wird? Ihr könnets ietzt nicht glauben, das weiß ich wol: aber ich sage es euch zuvor, daß ihrs alßdenn glaubet, wann es geschehen wird.“40 Mir kommets aufs wenigste also vor, daß nichts ge- zwungenes darinnen seye. 4. Also bleibt das 17. und 18. cap. mit einander verbunden, und doch hebet 160 er das 18. cap. mit der materie von dem gebet an, nemlich alß einem mittel, sich damit in den vorigen trübsalen zu erhalten, und hievon handelt er nun biß auf unsern versicul, darinnen dieses möchte auch gesucht werden, daß die außerwehlte in dem gebet nicht träg würden, wann sie nach langem rufen noch nicht sehen können, daß sichs gleichsam allgemach zur hülfe 165 schicken wolle, in dem er sie versichert, sie werde so schleunig kommen, daß man vorhin keine bereitung dazu sehen können, ja sich kaum einbilden möge, wann sie im würcklichen außbruch stehet, daß sie schon verhanden41 wäre. Nechst dem in dem folgenden zeiget er auch eine art, wie man sein gebet selbs verderben könne, wo man sich nemlich auf eigene gerechtigkeit ver- 170 laße, damit sie also auch vor diesem hindernus in dem anbefohlenen gebet sich hüteten. Sonsten war eine andere erklährung, so mir aber nicht gleichermaßen ge- fellt und ungefehr in diese paraphrasin kommen könte: „Aber solte GOtt nicht rächen seine außerwehlte, die tag und nacht zu ihm schreyen. Ob er wol 175 gedult u. langmuth über sie hat. Ich sage euch, er würde sie bald rächen. Aber wann des menschen Sohn so bald käme, würde er auch glauben auf erden fnden: bey der welt ist solcher nicht, bey den außerwehlten selbs ist er schwach u. sehr verdunckelt, daß sie deswegen würdig sind, durch die trüb- salen dieser zeit geübet zu werden, weil sie wider ihren h[eiligen] beruf ge- 180

154 /zu erlösen/.

37 Gegenwärtig, wirklich (DWB 25, 522). 38 Apg 26,3 (Luther 1545: „Allermeist / weil du weissest / alle Sitten vnd Fragen der Jüden / Darumb bitte ich dich / woltest mich gedültiglich hören.“). 39 Lk 18,8. 40 Nouvelles [wie Anm. 22], S. 1076 f. 41 S. Anm. 37. 358 Briefe des Jahres 1690

sündigt haben. Also, wo der HERR auf ihr erstes rufen sobald käme, würde es ihnen nicht gut sein, sondern sie mit in die gerichte müßen gezogen werden, die mit der welt sünden gemeinschaft gehabt haben, darum ver- spahret Gott sein gericht zu ihrer hülfe, biß ihre buß zeitig42 und ihr glaube 185 wider gestärcket seye, und er also zu ihrem besten kommen möge.“43 Ich erkenne diesen verstand wol an sich selbs nicht böse, doch komt er mir nicht so eigenlich u. natürlich vor, wie der andere. Ich wünschte meines werthen Bruders abermalige gedancken hierüber zu hören, nicht nur, ob etwas an dieser erklährung zu desideriren, sondern auch, ob eine festere zu fnden seye. 190 Ich komme nun auf das jenige, was denselben ihres orts begegnet ist44, und habe ob zwahr mit hertzlicher wehemuth die boßheit derer, so doch in allen stücken sich der beforderung des guten freuen solten, angesehen, aber auch mit demuth die güte des Himmlischen vaters gepriesen, der seine diener, welche es in einfalt treulich mit seiner ehre meinen, zwahr ihren widersachern 195 einen stein des anstoßes45, daran sie eine weil ihren willen üben, nicht aber endlich zum spott werden leßet46, sondern wol eher die jenige in schimpf gerathen läßet, welche ihren brüdern eine grube gegraben hatten: Welches sich in dem demselben begegneten exempel wegen der gebetbücher47 stattlich gezeiget hat, und mir also, die völlige historie davon zu wißen, eine hertzliche 200 freude gewesen ist, und da ichs noch künftig wider lese, immer solche er- neuern wird. Gelobet seye der HERR HERR, welcher unsern glauben, so zwahr eigenlich allein auf seinen verheißungen ruhet, manchmal durch der- gleichen erfahrung stärcket und damit unsrer schwachheit zu hülfe48 kom- met. 205 Ach, daß wir doch nicht müßten den meisten widerstand auß unserm ei- genen ordine49 erfahren! Jedoch, was wollen wir uns beschwehren über das jenige leiden, so zu allen zeiten unsre vorgänger betrofen, die nicht weniger die meiste übungen ihrer gedult von denen, so mit hand anlegen solten, auß- zustehen gehabt haben. Laßet uns aber soviel hertzlicher den Himmlischen

189 seye ] [Ende Abdruck D2]. 190 Ich [Beginn Abdruck D3]. 190 denselben ] demselben: D3. ​198 begegneten ] begegnetem: D3. 205 nicht ] nit: D32. ​

42 Im Sinne von „reif“, auch denkbar „rechtzeitig“ (DWB 31, 584–586), hier aber wohl eher nicht mit der zeitlichen Konnotation. 43 Nouvelles [wie Anm. 20], S. 472. 44 Nichts Genaueres ermittelt; es handelt sich wohl um die Auseinandersetzung über Ge- betbücher, die in Z. 187 erwähnt wird. 45 Sprichwörtlich nach Jes 8,14. 46 Vgl. Jes 54,4. 47 Aus dieser Phase von Hassels Leben und Wirken ist nur wenig überliefert, so daß über die hier erwähnte Angelegenheit nichts bekannt ist (V. Wappmann, Pietismus und Politik. Zur Biographie von Johann Heinrich Hassel, Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 67, 1998, [27–59] 43 f). 48 Vgl. Röm 8,26. 49 Gemeint sind die Geistlichen. Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 359 vater anrufen, daß er doch um seiner güte willen solchen leuten die augen 210 öfnen wolle, daß sie sehen, was sie thun, und aufhören, sich selbs so gefähr- lich zu verletzen, da sie andern meinen, schaden zu thun: sonderlich aber daß er sich der jenigen vor andern erbarme, die es gleichwol im übrigen nicht böse meinen, von andern aber eingenommen und in einen blinden eifer gebracht sind, auß dem sie sich von selbsten übel widerum retten können, da 215 sie vor50 Gott zu eifern gedencken. Daß mich Gott auch etwas auß dem kelch dieses leidens51 nicht nur vor diesem mehrmal kosten laßen, sondern einiger trunck davon mir auch alhier oftmahl zukomme, bin ich versichert, daß auch bey ihnen erschollen seye. Dannoch kan hinwiderum bezeugen, daß in aller solcher sache der HERR 220 noch zimlich säuberlich52 mit mir umgegangen seye und es noch bey den ersten graden habe bleiben, hingegen denen widersachern noch nicht alles, was sie vielleicht gewollt, zu gelaßen, sodann daß er mir bey anderthalb jahren her durch seine gnade einen mehrern muth, getrostere freudigkeit und stil- lere seele verliehen habe, alß vorhin gehabt, daß mich wenig ängste, sondern 225 nur die jenige bedaure, so sich zu ihrem schaden an mir versündigen, und im übrigen alle meine sache der weisen und gütigen hand deßen überlaße, wel- cher sie viel beßer weist53 zu regiren, alß wann er sie mir selbs in meine hand übergebe, damit nach befnden zu verfahren, wo ichs leicht verderben möch- te. Er führe mich nur allezeit selbs nach seinem rath, daß ich niemal eigenem 230 willen, sondern ihm stäts gelaßen stehe und, wo er schwehrere proben des glaubens u. der gedult von mir fordern will, so gebe er mir auch, wie ich nicht zweife, die dazu nötige kraft. Es hat zwahr das ansehen gewonnen, ob möchte mich Gott von hier heißen außgehen, wie eines orths her etwas von einem anwurf 54 geschehen. Es helt mich aber der so augenscheinlich ofen- 235 bahrte göttliche willen, so mich hieher gesendet, also zurück55, daß ich nicht ohne gleiche versicherung deßen von hier weichen kan, um soviel mehr, weil ich niemal mehr versicherung gehabt, daß Gott seines armen knechts arbeit nicht gantz ohne segen gelaßen, alß sich durch den ietzigen widerspruch ofenbahret. In deßen, wo es zu einem ernstlichern ansuchen u. würcklicher 240 vocation kommen solte, würde ich den willen des HERREN darauß zu er- kennen haben, wie der HERR ohne mich das hertz der jenigen, die mich zu

213 /vor andern/. 222 denen < der ] den: D3. 228 weist ] weiß: D3. 228 /wann/ : . ​232 nicht ] nit: D32. 234 eines orths her etwas von ] etwas eines orths her von [Umstellung durch Zifern]. 239 nicht ] nit: D32. ​240 ernstlichern ] ernstlicherem: D3.

50 Im Sinne von „für“. 51 Vgl. Mt 20,22; 26,39.42. 52 Im Sinne von „behutsam“ „vorsichtig“, „sanft“ (DWB 14, 1856). 53 Nebenform von „weiß“ (DWB 30, 748). 54 Im Sinne von „Antrag“ (DWB 1, 522). 55 S. die Aufistung vergleichbarer Aussagen in Brief Nr. 77 Anm. 36. 360 Briefe des Jahres 1690

dimittiren haben, regiren würde. Ach, er laße uns nur in allem seines willens versichert sein, so solle uns im übrigen an allem genügen. 245 Wegen Ostfriesland56 weiß ich nicht wie es stehet: es ist H. D. Majus57 von Gießen berufen worden, weil er aber mitlerzeit58 professor Theologiae worden, meinte er daselbs alß dorten mehr außrichten zu können und hat es also decliniret. Es hat zwahr der gute mann auch zu Gießen, da er mit hertz- lichem eifer das gute zu befordern trachtet, seine harte widersprecher59, daß 250 ich nicht weiß, ob er nicht doch endlich an änderung dencken dörfte: mir ist aber auch nicht bekant, ob die selbe seiter anderwerts ersetzet ist. Ach, wie schwehr gehets doch her, zu wichtigen stellen tüchtige leute zu fnden, wo neben den amts[=] auch die heiligmachende gaben in gnugsamer maaß60 sich antrefen laßen: der HERR gebe derselben immer mehr, und seye seinem 255 volck aufs neue gnädig. Ich komme nun auf den so genannten Pietismum61, von dem in dem lets­ ten Brief 62 meldung geschehen, ich aber nicht ohne betrübnus schreiben kan. Man will mit gewalt eine secte in dem land haben, da uns doch Gott davor gnädiglich bewahret hat und, wie ich hofen will, noch ferner bewahren 260 wird. Die gelegenheit63 ist diese: Vor etwa 1 ½ jahren hat sonderlich H. M. Franck64 von Lübeck, ein sehr gelehrter und christlicher mensch, so nun zu Erfurt diaconus worden, angefangen, nicht allein seinen commilito- nibus das studium Scripturae S[acrae] vor allem andern zu recommendiren, sondern auch einige collegia mit denselben über etliche epistolas Paulinas zu 265 halten, dieses gieng sobald mit stattlichem success von statten und fengen

243 allem ] allen: D3. 244 genügen ] [Ende Abdruck D3]. 246 mitlerzeit ] + wor (?) [vermutl. verschrieben, aber nicht gestrichen]. 249 trachtet < trachten. 253 sich ] + . ​256 Ich ] [Beginn Abschrift K2]. 258 in dem ] in: K2. 259 davor gnädiglich ] gnädiglich davor: K2.

56 Hassel war in die Suche nach einem geeigneten Oberhofprediger und Generalsuper- intendenten involviert gewesen (s. Wappmann, [wie Anm. 47], 44) und hatte Johann Heinrich May vorgeschlagen (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 48, Z. 11–15 mit Anm. 6 und Nr. 92, Z. 21–34). 57 Johann Heinrich May, Theologieprofessor in Gießen (s. Brief Nr. 55 Anm. 1). 58 In der Anwendung von „mittlerweile“ (vgl. DWB 12, 2425; Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Bd. 3, Leipzig 1798, S. 252). 59 Nachdem May im Herbst 1690 eine Katechismuslehre und ein Kolleg über den Römer- brief in seinem Privathaus eingerichtet hatte, war es zu Auseinandersetzungen mit seinen dortigen Kollegen, allen voran Philipp Ludwig Hanneken, gekommen (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 116, Z. 10–26 und Nr. 124, Z. 70–77; vgl. im vorliegenden Band Brief Nr. 55). Spener hatte schon damals überlegt, ihn nach Ostfriesland zu empfehlen, wenn er in den Gießener Streitigkeiten unterliegen sollte (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 116, Z. 24–26). 60 Die Maß (DWB 12, 1727). 61 Zu der Beschreibung der pietistischen Bewegung s. auch Briefe Nr. 16, Z. 104–134, Nr. 97, Z. 73–154, u. ö., und in: Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 97, Z. 58–75, Nr. 111, Z. 55–81. 62 Der letzte – nicht überlieferte – Brief Hassels ist gemeint. 63 Im Sinne von „genaue Umstände“ (DWB 5, 2943). 64 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 361 sobald an viele studiosi zu erkennen, wie ihnen an solchem studio mehr alß an allen übrigen gelegen wäre, daher er bald großen applausum bekam, wie er zwahr auch schon vorher in guter reputation gelebet, so gar daß auch der decanus Theologiae, D. Moebius65, damal, als gleich drauf der lermen an- gieng, ihm in seinem nahmen die lectiones publicas caniculares66 auftrug: die 270 er auch mit großem vergnügen aller auditorum verrichtete. Weil aber der numerus ungemein groß war, also daß er auch ein publicum auditorium zu seinen collegiis von den inspectoribus erlangen mußte, so dann viele studiosi anfngen zu rühmen, wie sie ietzt mehr alß vorhin das recht nothwendige in der Theologie erkennten, und auch ihr leben in allen stücken zu ändern be- 275 gunnten (maßen H. Franck in solchen collegiis mit feiß ohn die philologica und sensum literae allein die practica tractirte, die theoretica und polemica aber an die Doctores Theologos, denen er nicht eingreifen wolte, verwiese), so entstunde sobald ohn zweifel erst bey studiosis und aemulis67 neid und mißgunst, und darauß calumniae, da viel schlimme, theils auch lächerliche 280 dinge, von diesen leuten außgesprenget wurden, so sich aber leicht selbs re- futirten. Da wurde ihnen auch der nahme Pietisten zum spott gegeben. Die Theologi aber denunciirten hier die sache, alß etwas gefährliches und daß viel verdacht auf M. Franckens orthodoxiam und collegia käme, daher sie ihm auch sobald seine collegia inhibirten: hierauf folgte eine scharfe inquisition 285 biß in den Octobr[em]68 mit diesem success, daß auch die Theologische fa- cultet selbs in ihrem bericht gestehen müßen, daß wider ihn nichts des an- geschuldigten erwiesen worden, doch wolten sie ihn nicht vor unschuldig halten69. Nach dem er nun keine seiner vorigen collegia mehr halten durfte, continuirten dannoch dergleichen ohne verbot underschiedliche seiner guten 290 freunde, sonderlich M. Schade70, der auch dazu underschiedliche libellos practicos edirte71, so die Theologische facultet selbs censiret hat. Solche col- legia nahmen also immer mehr zu, so gar daß auch endlich zu anfang dieses jahres bürger in dieselbe, weil sie meistens Teutsch gehalten wurden, kamen und darauß viel erbauung bezeugten. M. Schade sahe es zwahr nicht gern, 295 vermochte es aber auch den guten leuten nicht zu wehren. Doch hörte er vor

269 /lermen/ : . ​ 277 literae ] literalem: K2. ​ 281 wurden ] wurde: K2. ​ 287 müßen < mußt. 287 des ] aus: K2. 288 /ihn/. 289 /seiner vorigen/. 289 mehr ] – K2. ​290 seiner ] seine: K2. 295 Schade ] + .

65 Georg Moebius, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 16 Anm. 35). 66 In den sog. „Hundstagen“ (Ende Juli bis Ende August) konnten die Vorlesungen an Magister übertragen werden (vgl. Brief Nr. 16, Z. 120 f, mit Anm. 36). 67 Nebenbuhler, Eifersüchtige, feindlich Gesinnte. 68 Zu den Inquisitionen von Studenten zum Pietismus s. Francke, Streitschriften, 20–70. 69 Der Bericht vom 14. 10. 1689 ist veröfentlicht in Kirn, Leipziger Fakultät, 100 f. 70 Johann Caspar Schade (s. Brief Nr. 24 Anm. 5). 71 Zu den in den Jahren 1689 und 1690 von J. C. Schade publizierten Werken s. Brief Nr. 24 Anm. 7. 362 Briefe des Jahres 1690

dem verbot selbs wegen des zulaufs auf. So heißet es auch, daß auß solcher gelegenheit ein und andere christliche leut under sich zusammen gekommen seyen, und von Gottes wort solten gehandelt haben. Dieses war nun das 300 grande crimen, darüber man solche heftige bericht von falscher lehr, unord- nung u. gefahr der gantzen kirchen hieher gethan, daß endlich durch Churf[ürstliche] edicta alle dergleichen conventus aufgehoben u. verboten72, hingegen über alles eine genaue inquisition angestellet worden73: Deren acta erst vor wenig wochen verfertigt worden, daß sie also zu lesen noch nicht an 305 mich gekommen, doch habe von guten freunden bereits diese versicherung, daß nichts darinnen enthalten, so die gute leute einiger falschen lehr oder unziehmlicher thaten überweise. Und sorgen viele, es seye allein das interesse gewißer leute, die alles mit dem gerücht einer neuen secte erfüllet haben, daß man alles versucht zu zeigen, daß man nicht unrecht gehabt habe, es möchte 310 auch drüber [xxx] wolte. Was vor ärgernus, hindernus der gottseligkeit und hegung bey andern der boßheit darauß entstehe, ist nicht gnug zu sagen oder zu bejammern, sonderlich weil man auf den cantzeln die leute vor der neuen secte warnet, die sich nirgend fndet, darüber aber jene fast gantz irre werden. Ich habe mein leiden mit darbey und muß mich alß den autorem solches 315 unwesens halten und wol auf den cantzeln hernehmen laßen, nachdem ich, was geschihet, nicht billichen kan. Gott aber seye danck, der mich durch ei- nige erfahrung von guter zeit zu dergleichen kämpfen bereitet hat, und mir mit seinem freudigen geist beystehet. Er regire mich nun allezeit so, daß mich selbs nicht versündige, noch fremder sünden theilhaftig mache74. 320 Hierauß wird derselbe unschwehr den gantzen statum causae einsehen und kan sich versichern, daß weder heterodoxie noch ander böses anzutrefen seye: sondern was mit aller sorgfalt auß allem endlich geklaubt werden könte, möchte darauf kommen, daß in etlichen gantz an sich selbs unstrafbaren dingen einige Christliche leut, studiosi und bürger, in ihrem eifer weiter 325 möchten gegangen sein, als ietzige delicate welt vertragen kan: wie es ohne das, wo ein rechter eifer entbrennet, gemeiniglich fast schwehr wird, densel- ben erstlich also in den schrancken zuhalten, daß man nicht in dem guten weiter gehe, als man darnach selbs gethan zu haben verlangte. Aber solche

296 f | Doch hörte er vor dem verbot selbs wegen des zulaufs auf. |. 310 [xxx] ] Ausriß im Original und Lücke in K2. 310 wolte ] – K2. 311 hegung ] zugang: K2. 312 man ] – A [In K2 über der Zeile richtig ergänzt]. 319 |selbs|. 322 was ] [Beginn Abschrift K1]. ​ 322 auß allem ] + (so zu Leipzig die so genanten Pietisten vorgenommen): K1. ​325 /möchten/. ​ 325 /sein/. 326 wird < würd. 327 /erstlich/.

72 Das kurfürstliche Edikt vom 20. 3. 1690, das das Abhalten von Konventikeln unter Strafe stellte (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 73 Die Verhöre von Leipziger Bürgern vom Frühjahr 1690 (vgl. Brief Nr. 30 Anm. 7). 74 Vgl. 1Tim 5,22; Apk 18,4. – Zum Vorwurf der Urheberschaft s. Briefe Nr. 31, Z. 15, und Nr. 101, Z. 65 f. Nr. 79 an Johann Heinrich Hassel 30. 8. 1690 363 solten mit liebe zurecht gebracht u. ihnen nicht so begegnet werden. Jedoch wir erinnern uns billich des zustands unsrer kirchen zu dieser zeit, daß wir 330 under schwehrem gericht Gottes ligen, so im gegenwärtigen kaum einiges gutes noch kräftig durchbrechen leßet, und geben uns in die gedult. Der HERR erscheine endlich selbs zu hülfe. In deßen H[eilige] obhut, segen und regirung treulich erlaßende verbleibe

E. HochwolEhrw. zu gebet u. fr[eundlichen] diensten schuldigwilliger 335 PJSpener, D. Mppria. Dreßden, den 30. Aug. 1690. Dem HochwolEhrwürdigen, Großachtbarn und Hochgelehrten Herren Jo- hann Henrich Haßeln, Hochfürstl. Marggr[äfich] Brandenburgischen treu- 340 eyfrigem Hofpredigern zu Bayreuth. Meinem insonders Hochgeehrten Herrn und in dem HERREN geliebten Brudern. Bayreuth. praes. den 8. Sept. 1690.

329 werden ] [Ende Abschrift K1]. 329 Jedoch < Ab. 330 zu ] – K. 333 hülfe ] [Ende Abschrift K2]. 364 Briefe des Jahres 1690 80. An [Gräfn Christine von Stolberg-Gedern in Gedern]1 Dresden, [Sommer] 16902

Inhalt Freut sich über die positive Aufnahme seiner Predigtsammlung über „die verleidete Liebe der Welt“ als Zeichen für die Frömmigkeit [Christine von Stolberg-Gederns]. – Ist dankbar für ihre Abwendung von der Eitelkeit als Beispiel einer Person von hohem Stand. – Beklagt die Widerstände gegen die Frömmigkeit als teufische Angrife. – Ermuntert das gräfiche Ehepaar, persönlich und als Herrscherfamilie im Gehorsam Gott gegenüber zu wirken. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 640–642.

Ich habe jüngst=​hin von N. N.3 verstanden, daß E[ure] G[naden] ein gnädiges belieben über meine neulichst herausgegebene predigten von der verleideten liebe der welt4 bezeuget; so mich nicht nur in deroselben aufrichtigem Christenthum gefaßten zuversicht gestärcket, sondern auch meine freude dar- 5 ob vermehret hat: Indem niemand ein wahrhaftiges vergnügen über die handlung solcher materie schöpfen kan, in dessen seele nicht der Geist aus GOTT selbs bereits dasjenige, woran fast die gantze welt ihre ergötzung sucht, verleidet hat. So dancken wir billich so viel hertzlicher dem grossen GOTT, wann er 10 durch seine kraft auch viele seelen derer, welche er in dieser zeit vor andern

1 Christine von Stolberg-Gedern, geb. Herzogin von Mecklenburg-Güstrow (14. 8. 1663– 3. 8. 1749); 1683 Heirat mit Graf Ludwig Christian von Stolberg-Gedern (Europäische Stamm- tafeln, NF 17, Tafel 101; H. Wilhelmi, Augusta, Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow und die Darguner Pietisten. Sep.-Druck aus den Jahrbüchern des Vereins für Mecklenburg. Geschichte Bd. 48, Schwerin 1883, 24. 33; G. C. F. Lisch, Graf Heinrich der 24. Reuß zu Köstritz und Herzog Carl Leopold von Meklenburg=Schwer​ in [sic!], Schwerin 1849, 1 f; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 14). – Zur Empfängerbestimmung: Die Adressatin ist die Ehefrau eines regierenden Fürsten (s. Z. 58 f); sie hat sich positiv über Speners erst kürzlich erschienene Predigtsammlung „Verleidete Liebe“ (s. Anm. 4) geäußert. Die Spener bekannte Frömmigkeit der Adressatin, aber auch die mahnenden Worte, sich als Vorbild für ein christliches Leben darzustellen, passen zu der weiteren bekannten Korrespondenz mit Christine. 2 Die Widmung der Predigtsammlung an Christine von Stolberg-Gedern ist datiert vom 11. 3. 1690. Sollte die Nachricht von dem „gnädigen belieben“ über das Werk von Eberhard Philipp Zühl (s. Anm. 3) übermittelt worden sein, ist der Brief frühestens auf den Sommer 1690 zu datieren. Zühl hatte im April Leipzig verlassen und wohl im Sommer Gedern erreicht. Er wurde aber erst im Oktober ordiniert (vgl. Francke-Briefwechsel, Briefe Nr. 8, Z. 3, und Nr. 9, Z. 11–13). 3 Vielleicht Eberhard Philipp Zühl, Hofprediger in Gedern (s. Brief Nr. 11 Anm. 16). 4 Philipp Jakob Spener, Die Von dem H. Johanne 1. Epist. II/ 15.16.17 Den Kindern Gottes verleidete Liebe der Welt / Nochmahl zu hertzlichen derselben ablegung in dreyen Predigten vorgestellet, Frankfurt a. M.: Zunner 1690 (erneut gedruckt: KGS III, Anhang, 1–90; Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IX.2.3). Nr. 80 an [Gräfn Christine von Stolberg-Gedern] Dresden, [Sommer] 1690 365 höher gesetzet hat, von derjenigen liebe der welt reiniget, die sonsten fast alle, auch in den geringern ständen, welche doch zu deroselben genuß weniger gelegenheit haben, erbärmlich bezaubert hat, aber eben damit zu allem rechten wahrhaftigen und GOTT gefälligen dienst untüchtig machet. Also bleibe sie gesegnet vor ihrem himmlischen Vater, aus dessen gnade es kommt, 15 daß er ihre seele von guter zeit näher zu sich gezogen und dieselbe mit einem eckel vieles dessen, woran andere gleiches standes allzustarck hängen erfüllet, dadurch aber zu fernern seinen wirckungenen bereitet hat, an denen ers auch nicht manglen lassen wird. Er setze also sein gutes werck in dero innerem menschen kräftig fort und heilige sie durch und durch, daß dero geist gantz, 20 samt der seel und leib, müsse unsträfich erfunden werden auf den tag JEsu Christi5. Er segne aber auch dero würdiges exempel zu vieler frucht bey an- dern so gleichem als geringern standes, und zu einer neuen würde der wahren gottseligkeit, die sonsten leider je mehr und mehr so gar in die eusserste ver- achtung kommt, daß auch deroselben feiß an meisten orten sich von läste- 25 rung und verdacht einiges irrthums nicht retten kan. Wie ich dann gewißlich unter den schwehren trangsalen, welche leider fast alle ort, sonderlich unser armes Teutschland, empfndlich trucken, dieses wol vor das schwehrste gericht GOttes achte, daß derselbe seinem feind, dem satan, gestattet hat, es dahin zu bringen, daß die wahre gottseligkeit nunmehr 30 vor heucheley, scheinheiligkeit, aberglauben und wol gar Quackerey6, dero nützliche übungen aber vor die gefährlichste neuerungen, denen sich alles mit macht entgegen setzen müsse, angesehen und ausgegeben werden: Wolte GOTT, es geschehe aber solches nicht oft von denjenigen, welche dieselbe vor allem andern, auch amtswegen, zu befordern verbunden sind! 35 Ich versichere mich, daß E. Gnaden so viel liechts von GOTT empfangen haben, solches verderben unserer zeit tief einzusehen, hingegen aber auch so viel liebe zu dem guten, dasselbe inniglich zu bejammern und desto sorgfäl- tiger auch an sich dasjenige leuchten zu lassen, was die welt nicht gern sihet, aber noch am meisten darüber schweigen muß, wo sie es wahrnimmet an 40 denen, dero stand sie noch ehren muß. Wiewol ich weiß, daß dieser auch dieselbe, da sie die liberey7 ihres Heylands in seiner nachfolge annehmen, nicht befreyet, daß sie nicht auch des creutzes desselben und einige verachtung von denjenigen, denen jene so gar zu wider ist, etwas theilhaftig würden. Es wird aber E. Gnaden sich dardurch nicht lassen müde machen, sondern auf 45 demjenigen wege, auf welche sie aus liebe ihres JEsu einmal mit redlichem hertzen engetreten ist, stets getrost fortfahren und sich gewiß versichern, daß wir darinn einem HErrn, der alles solches gehorsam wol würdig ist, dienen.

23 gleichem ] gleichen: D²+³. ​35 allem ] allen: D³.

5 1Thess 5,23. 6 Näheres zu diesem Vorwurf s. Brief Nr. 76 Anm. 20. 7 Bedientenkleidung mit Abzeichen (vgl. frz. livrée) (DWB 12, 853). 366 Briefe des Jahres 1690

Er aber selbs, der HERR der kraft, wirds auch an sich nicht manglen lassen, 50 dieselbe vollzubereiten, zu stärcken, zu kräftigen und zu gründen8 zu einem vollkommenen sieg: Er wird ihrem guten exempel auch anderer nachfolge schencken zu desto grösserer freude und in der that zeigen, daß dero liecht nicht vergebens geleuchtet habe9. Nun, er thue es und erfülle sie täglich mit neuer himmlischen kraft und allerley GOttes fülle10: Er setze auch dero 55 HErrn gemahl11 zu zeugnüß seiner güte und beselige dessen hohe person so wol mit allem geistlichen segen in himmlischen gütern12 als auch mit allem, was zu dieses lebens wahrer glückseligkeit gehöret: Sonderlich aber erfülle er denselben mit der weißheit von oben13, in welcher allein die regenten recht regiren, die gantze regirung in derselben zu führen und dadurch das gantze 60 anvertraute land durch seinen göttlichen segen dahin zu bringen, daß seine himmlische wahrheit und die ungefärbte gottseligkeit in der kirchen blühe, auch dero übung gegen alle, die sie unter einigem vorwand hindern wollen, mächtiglich geschützet werde, so dann gerechtigkeit und friede14 in schwang komme und alle der vorigen zeiten mängel und ungemach ersetze, auch be- 65 ständig bleibe. 1690.

8 Vgl. 1Petr 5,10. 9 Vgl. Mt 5,16. 10 Eph 3,19. 11 Graf Ludwig Christian von Stolberg-Gedern (18. 9. 1652–27. 8. 1710), 1672 Regierungs- übernahme (Europäische Stammtafeln NF 17, Tafel 101). 12 Eph 1,3. 13 Vgl. Jak 3,17. 14 Ps 85,11; Röm 14,17. Nr. 81 an Christian Kortholt 4. 9. 1690 367 81. An Christian Kortholt in Kiel1 Dresden, 4. September 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die späte Antwort auf Kortholts Brief und betont die langjährige Ver- bundenheit mit ihm. – Bekräftigt erneut, daß er nicht vom Glauben, wie er in den lutherischen Bekenntnissen formuliert ist, abgewichen ist, und beklagt, daß die Gegner der Frömmigkeit Verdächtigungen verbreiten. – Hütet sich aus eigener Erfahrung davor, anderen Irrtümer zu- zuweisen, wie dies etwa in Hamburg im Streit um den Religionseid geschehen ist. – Es wäre besser gewesen, wenn irrige Meinungen mit den Betrofenen persönlich und nicht im ganzen Predigerministerium besprochen würden; weist auf eigene leidvolle Erfahrungen hin. – Stellt fest, daß [Eberhard] Zeller einen konfusen Stil hat und gelegentlich im selben Text widersprüchliche Aussagen macht, scheut sich aber seit Jahren, ihm eine falsche Lehre beizulegen; schlägt vor, ihm eine Aufgabe zu geben, in der er kleine Kinder und einfache Leute unterrichten kann. – Beteuert, daß er nicht an [Hermann] von der Hardts Rechtgläubigkeit zweifelt; manche seiner Auslegungen von Bibelstellen seien zwar ungewöhnlich, aber nachvollziehbar. – Berichtet über die Leipziger Ereignisse, die zu dem Gerücht führten, dort sei die Sekte der Pietisten entstanden, kann aber bestätigen, daß die durchgeführte Untersuchung keine Heterodoxie hat erkennen lassen; nach dem Weggang [August Hermann] Franckes sind die Collegia von [Johann Caspar] Schade und anderen zunächst weitergeführt worden; sie wurden aber wegen befürchteter „Un- ordnung“ durch ein kurfürstliches Edikt verboten; eine erneute Untersuchung hat ebenfalls keine Irrlehren aufgedeckt. – Begründet, wieso er auf [Daniel] Hartnacks „Bibliothecarius“ mit einer Gegenschrift geantwortet hat. – Berichtet von einem Schreiben [Caspar Hermann] Sandhagens, in dem dieser Theologen nennt, die [Hartnack?] angestiftet haben; dazu gehört auch [Josua] Schwartz, über dessen Feindschaft sich Spener wundert. Überlieferung A1: Universitätsbibliothek Kiel, SH 406, A4, 22 (Z. 1–112). A2: Universitätsbibliothek Kiel, SH 406, A4, 20b (Z. 112–168). K: Hamburg, SUB, Sup. ep. 4°, 52, 349 (Z. 1–164).

Gratiam, Salutem, pacem, lucem et vitam in JESU unico sotere2 nostro! Vir Maxime Reverende Amplissime, Excellentissime. Domine, Fautor et in DOMINO Frater Venerande. Multa excusatione denuo tarditas responsi mei egeret; nisi consuetudine plurium annorum3 vel ipse ius aliquod acquisivissem morae vel amici saltem 5 etiam assuevissent eam moderatius ferre. Unde multus non ero in purganda

1 Christian Kortholt (15. 1. 1633–1. 4. 1694), Theologieprofessor in Kiel; geb. in Burg/ Feh- marn, nach dem Studium in Rostock, Jena, Leipzig und Wittenberg 1663 Professor in Rostock, 1665 berufen und seit 1666 Professor der Theologie in Kiel (BBKL 4, 524–527 [Bibliographie]; Näheres, auch zum Kontakt zu Spener, s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 18 Anm. 1). 2 Latinisierte Form des griechischen Wortes σωτήρ (Retter, Heiland). 3 Spener und Kortholt kannten sich schon mehr als zwanzig Jahre (s. Praefatio von Spener, Capita [wie Anm. 5]. 368 Briefe des Jahres 1690

iterum ista culpa, qui Te pro aequitate animi Tua memini non esse debiti huius amici exactorem rigidum. Scias vero gratissimas fuisse Tuas, licet non unius generis affectu diversum earum me repleverit argumentum: gaudio 10 nempe illud, quod primum erat, maerore et solicitudine vero reliqua laetus nimirum legi4, affectum meum, ex quo in publicum nostrae amicitiae testi- monium Tibi superiori anno libellum inscribebam5, simili hoc est amicissimo susceptum esse, quod cum mihi ultro promiserim, non tamen aliquid minuit ex eo gaudio, quod inde concepi. Benedictus sit Pater veritatis, qui corda no- 15 stra hactenus in veritate sua vinculo Spiritus arcte colligavit et hactenus unita servavit: Servabit vero et servet eandem ὁμονοίαν6, donec aeternitas gloriosa adhuc arctius nos inter nos et cum eo, in quo ipso unum sumus, iungat. Quae reliqua epistola continebat, iam dixi me et solicitudine et maerore implevisse, de quibusdam enim, quae nollem, alia nempe sperans, referebant, 20 spe autem sua aliqua excedere, inprimis quam aliquandiu fovimus, non sine dolore esse solet. Verum conducit etiam illa nosse, quae iucunda non sunt, adeoque his non minus debemus, qui indicant, quae aliter habuisse optaremus: Me quod concernit, quem tot annis nosti, Frater Desideratissime, DEI gratia semper idem persevero, nec a libris Symbolicis nostris7, quibus fidem dedi, vel 25 latum unguem recedo: potius divinae bonitati pro puritate Evangelii Ecclesiae nostrae concessa gratias nunquam sufficientes solvi posse fateor et, quantas possum, solvere contendo. De omnibus autem, qui cives se nostrae Ecclesiae profitentur, tamdiu optima atque adeo eundem, quem ego servo, animum spero, donec contrarium satis evidenter probatum fuerit. Qui enim proprio 30 toties expertus sum exemplo, quam multos sentiant adversarios, qui pietatis doctrinam aliis invisam studiosius urgent, et quot plerumque calumniis, in- primis heterodoxiae, petantur ab aliis, qui nisi hoc astu (quis enim professus se hostem pietatis apud multos applausum invenire speret?) adv[ersus] istos nihil se effecturos vident, aliorum, quos errorum postulari audio, adversitati facile 35 condoleo: et qui orthodoxiae mihi satis conscius in suspicionem toties vocor, quod mihi contingit, aliis etiam contingere posse existimo, nec faciles suspi- cionibus aures praebeo.

7 iterum ] – K. ​ 7 culpa ] + iterum: K. ​ 10 maerore ] + vero: K. ​ 10 vero ] – K. ​ 13 quod ] + <..?>. ​17 cum ] + . 17​ sumus ] sumas: K. ​20 excedere ] excudere: K. ​ 22 /non minus/ : . ​23 annis ] annos: K. ​27 possum ] possim: K. 32​ petantur ab aliis < ab aliis petantur [Umstellung durch Zifern]. 36 posse existimo ] existimo posse: K.

4 Die Briefe Kortholts sind nicht überliefert. – Der letzte Brief überlieferte Brief Speners an Kortholt stammt vom 19. 10. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 109). 5 Ph.J. Spener, Capita doctrinae et Praxis Christianae Insignia ex LIX illustribus N. Testamenti dictis deducta & Evangeliis Dominicalibus in concionibus. Excerpta sunt ab amico ex opere Germanico homiliarum de Necessitate & Possibilitate Christianismi actuosi, & Latine stylo Eccle- siastico versa, Franckfurt am Mayn: J. D. Zunner 1689, mit Widmung an Christian Kortholt und Joachim Justus Breithaupt (zu diesem Brief Nr. 13 Anm. 1) vom 1. 3. 1689. 6 Übereinstimmung der Meinungen, Einigkeit, Gleichgesinntheit. 7 Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche (BSLK). Nr. 81 an Christian Kortholt 4. 9. 1690 369

Haec praeter commune debitum, quo optima quaeque de proximo cogita- re iubemur, praecipua causa est, quod tardus admodum sum ad credenda, quae aliis obiiciuntur; unde inprimis quod iniuria fidem suam in dubium revocari 40 aliis conquererentur, qui Hamburgi postulabantur errorum8, ingenue fateor valde me cavisse, ne participarem ulli culpae, si a ministerio forte iniquius haberentur, licet vicissim nec ex altera parte in communionem culpae venire sustinuerim, si alii essent, quam erga me profiterentur. Ut ergo illorum ex- aminaretur doctrina, aegre non ferebam, sed maluissem non istud fieri illo 45 strepitu, et ab universo ministerio, in quo haud dubie, Vir Candidissime, ipse nosti aliquos, quos non probabis et qui colore Zeli pro orthodoxia ipsam pietatem impugnare ista occasione facilius possent. Unde meo consilio, ubi primum tale, quid caepit, observari, quod iustam occasionem solicitudinis praeberet, optassem, qui suspicionibus gravati a 50 paucis et secretius severe non solus moneri, verum etiam in sensus ipsorum inquiri, et si, quid foverent, a veritate alienum, reduci in viam, potius quam ut ad integrum collegium res delata esset, cum ita non nisi gravissimi motus exoriri potuerint. Proprio enim experimento didici, quam facile, qui in erro- res iam proclives fuerant vel plane eos iam contraxerant, unius vel paucorum, 55 quibus fidebant, sermonibus, si non ilico, tamen pedetentim retrahi aut reduci potuerint, quos publica inquisitio atque rigorosum examen in obstinatione sua confirmassent: unde semper in alteram potius partem inclino. M. Zellerum9 quod attinet, ex sermonis charactere animum forte etiam iudicabimus: unde, sicuti aegre intelligitur, ita dubium sit, an ipse se re quidem 60 semper intelligat, ideis in mente forte confusioribus quam commodum est10. Unde fieri potest, quod Tibi contigisse memoras, ut satis explicatam thesin plane probet, cuius tamen alioqui formulam sibi satis dilucide proponere non valuerat, sed aliter effigiatam reiecerat. De eo vero non semel miratus sum, quod audirem simpliciores et illiteratos ita mentem eius concepisse, ut aliis 65 etiam explicare possent nulla analogiae fidei11 laesione: quod nuper quoque

44 quam ] + . ​ 44 /ergo/. ​ 47 orthodoxia ] + . ​ 48 /im/pugnare. ​ 52 quam ] + q ( = quid?): K. ​ 54 /didici/. ​ 56 | si non ilico, tamen pedetentim |. ​ 58 /partem/. 60 ita ] + . 60 /re quidem/ ] – K. 61 /commodum/ : .

8 In Hamburg war es schon seit 1686 zu Auseinandersetzungen gekommen, in denen Mit- glieder des Predigerministeriums Kollegen, anwesenden Studenten und Bürgern Glaubensirr- tümer vorgeworfen hatten (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, 2 und 3 passim). Im Frühjahr 1690 hatten die Streitigkeiten einen Höhepunkt erreicht, als alle Ministeriumsmitglieder einen Religionseid unterschreiben sollten, was von den Freunden Speners Abraham Hinckelmann, Johann Heinrich Horb und Johann Winckler verweigert wurde (Näheres dazu s. Brief Nr. 32). 9 Eberhard Zeller, amtsenthobener württembergischer Theologe, der in Hamburg als Infor- mator wirkte (s. Brief Nr. 9 Anm. 9). 10 Zur Möglichkeit, daß sich Zeller mißverständlich ausdrückt, s. Brief Nr. 12, Z. 4–6, mit Anm. 4. 11 Glaubensregel (s. Brief Nr. 7 Anm. 18). 370 Briefe des Jahres 1690

ex Wirtenbergia audivi12, novique faeminam sortis non humilis13 alii Theo- logo14 fassam Zellero se debere pleraque incrementa Christianismi, quae ta- men nihil a nostra puritate recedit. Vidi etiam in aliquo scripto, quod mihi 70 legendum alius porrexit hominem uno loco ita loqui, ut a sententia nostra divergium facere videretur, in sequentibus autem ita mentem explicare, ut sana iterum sint omnia15: et, nisi fallor, ibidem legebam eandem contestationem se A[ugustanam] C[onfessionem]16 recipere in sensum vero secundum spiritum, explicatio autem, quae sequebatur, reipsa nostra erat et non nobis, sed abusui 75 carnalium opposita. Ista me semper dubium reddidere, ut, qui probare ipsum non poteram, sicuti sesquiennium et amplius elapsum puto17, quod non ipsi respondi, sententiam tamen etiam contra ipsum ferre reformidaverim. Illi verum ponderatis omnibus officio aptissimum credidi, cui se in patria obtu- lerat, ut solum informationi iunioris aetatis et simplicium adhiberetur18. Cum 80 enim ex illa Gaeppingae19, ubi docuerat, profectus hominum istorum depre- hensi sint tanti, ut alios in admirationem raperent, inquisitione etiam in sim- pliciores istos (qui tamen mentem celare non norunt) instituta maxime soli- cita, nihil tamen heterodoxiae reperire potuerunt, qui ipsum oderant et remotum cupiebant. 85 Quod M. Hardtium20 attinet, qui plures menses mecum vixit21, consuetu- dine eius adeo delectatus sum, ut aegre a me dimitterem22. Quod orthodoxiam caderet, ex eo nihil excepi, licet interpretationes non unius dicti diversas a vulgaribus adferret, sed magna ex parte tales, quas e textu sacro liquido pro-

67 f /Theologo/. 81 sint < sunt: 81 admirationem ] + <..?>. 86 orthodoxiam ] + . ​

12 Württembergischer Korrespondent in der jüngeren Vergangenheit war Johann Georg Kulpis (s. Brief Nr. 43). In diesem Brief wird Zeller nicht thematisiert, aber es nicht ausgeschlossen, daß Kulpis in seinem Schreiben auf diesen zu sprechen gekommen war, denn schon im Jahr 1689 war über ihn verhandelt worden (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 54). – In der Auseinander- setzung um Zeller hatte das Hamburger Predigerministerium auch ein Gutachten der Tübinger Theologischen Fakultät erbeten, von dem Spener Kenntnis hatte (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 54 und Nr. 55 Anm. 10). 13 Nicht bekannt. 14 Nicht bekannt. 15 Vermutlich ist das Manuskript aus der Feder Zellers gemeint, das Spener öfter erwähnt (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 25, Z. 25 f, mit Anm. 11, Nr. 61, Z. 15 f, mit Anm. 9, und Nr. 65, Z. 83–85, und im vorliegenden Band Nr. 12). 16 Die Confessio Augustana (die Augsburger Konfession) (BSLK 31–137). 17 Wohl Hinweis auf Zellers Entlassung in Göppingen (s. Anm. 9). 18 Die gleiche Überlegung äußert Spener schon am 11. 6. 1689 (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 61, Z. 17–19). 19 Zeller war bis zu seiner Entlassung Diaconus in Göppingen (s. Anm. 9). 20 Hermann von der Hardt, inzwischen Professor in Helmstedt (s. Brief Nr. 27 Anm. 1). 21 H. von der Hardt wohnte vom 18. 3.–23. 11. 1687 bei Spener. 22 Vgl. dazu Speners Beschreibung ihres Verhältnisses mit dem zwischen Paulus und Timotheus in Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 161, Z. 68–74. Nr. 81 an Christian Kortholt 4. 9. 1690 371 babat23. Credo etiam, cum superiori adhuc anno vobiscum fuerit24, satisfac- tum ab eo esse dubiis de ipso motis, ad quod literis ad me datis provocabat. 90 Universim plane in hoc quoque uti in aliis ὁμόψηφον25 sumus: quod nec studium pietatis veritati noxam inferre, nec huius praetextus illam sufflamina- re debeat. Intra hos terminos ego omni studio me contineo et, ut omnes contineant, quantum in me est, rogo, obtestor, iubeo, cumque apud pauciores aliquid proficere mihi videor, cum calidis suspiriis et tristis admodum gravia, 95 quae Ecclesiae nostrae immineant, iudicia prospicio. Porro non dubito, cum rumor de nescio, qua Pietistarum secta nova26 Li- psiae exorta, qui Germaniam27 implevit, non possit non ad vos etiam pene- trasse, eundem Te quoque pro Tua in communem salutem solicitudine red- didisse anxium: de ea vero re haec accipe: fingi sectam, quae nulla omni arte 100 offendi possit. Superiori anno M. Francus28, utrique nostrum satis cognitus29, exegetica collegia cum commilitonibus pro academiae illius consuetudine instituerat, in quibus praeter philologica et sensum literae non nisi porismata practica proponebat, thesi et antithesi ad scholas theologorum remissa. Cum vero studiosorum bene multi gustata fontium suavitate magis magisque eorum 105 amore capi inciperent, quidam etiam de priori tempore non satis bene collo- cato conquererentur, applausus a[utem] indices augeretur, ex numero aemu- lorum aliqui invidia perciti videntur calumniarum formasse primitias, quae mox pro famae more in immensum auctae et Lipsiam30 hancque urbem to- tamque provinciam impleverunt. Licet vero multa, quae de hominibus istis, 110 quibus a Pietatis studio Pietistarum innoxium alioqui nomen per convitium impositum spargebantur, sua se absurditate, quaedam ipsa αὐτοψίᾳ31, refelle- bant, animi tamen multorum, ut fieri assolet, istis occupabantur, eorum etiam, quos omnia prius rectius examinare convenisset. Inde enim huc etiam ad no-

95 admodum gravia ] gravia admodum: K. 97 f /Lipsiae/ : . 100 /de ea vero re/. ​106 /etiam/. 108 f/orma/sse < fsse. 111 /innoxium alioqui/. 112 impositum ] [Ende A1]. 112 spargebantur ] Beginn A2].

23 Ein Beispiel für eine ungewöhnliche, aber von Spener nachvollzogene Auslegung ist von der Hardts Deutung von 1Kor 15 im Zusammenhang mit Hos 13 (s. dazu Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 9, Z. 12–15). 24 Von der Hardts Kontakt zu Kortholt (und evt. auch zu dem Kieler Professor Christoph Frank) ist bekannt (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 117), nicht aber wann von der Hardt in Kiel war. 25 Beistimmend (sein). 26 Zum Gerücht über die Pietisten als einer in Leipzig neu entstandenen Sekte s. Briefe Nr. 16, Z. 128, Nr. 24, Z. 17–20, Nr. 45, Z. 17–20, Nr. 54, Z. 48–53, Nr. 68, Z. 155 f, Nr. 76, Z. 263 f, Nr. 79, Z. 308, Nr. 83, Z. 13 f. 27 Deutschland. 28 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (Brief Nr. 16 Anm. 32). 29 Francke hatte in Kiel studiert und war auch durch seinen Aufenthalt in Hamburg dort bekannt. 30 Leipzig. 31 Persönliche Anschauung, Einsichtnahme. 372 Briefe des Jahres 1690

115 strum Protosynedrium32 res delata, quod periculum Lipsiae suae imminere crederent et ob hoc M. Franco continationem collegiorum vetuissent. In- quisitione instituta et examinatis testibus omnibus actorum ille tenor fuit, quod nihil eorum, quae tulisset rumor, repertum esset. Sicuti etiam ipsi Ven[erandi] Theologi fassi in illis, quod vel heterodoxiam vel aliud huius modi 120 probaret, nihil repertum esse, quamvis eundem absolvere dubitarent33. Cum ergo ille Lipsia Gotham34, demum Lubecam35 abisset36, interim M. Schadius37 et alii38, nunquam desistere iussi, sua collegia continuabant, crescente etiam auditorum confluxu, adeo ut demum cives etiam, quod lingua vernacula pleraque proponerentur, studiosis se iungerent. Hoc totam causam tantum 125 non evertit, cum enim M. Schadius confluxum non omnino impedire posset, exin aliorum irae graviores; unde licet ultro institutum ille plane intermitteret, tales tamen querimoniae de heterodoxia etiam et alia ataxia, huc allatae, ut conventicula, qualia habita ferebantur, publico perhiberentur edicto39 et de- nuo inquisitio solicita40 institueretur. Proxime huius allata acta ad me nondum 130 pertigere, cum singulis evolvenda sint; alii tamen certum me esse iussere, quod nihil acta ferunt, quo collegiorum illorum praesides vel alii aut errorum fidei aut aliorum, quae dedeceant, convincerentur. Interim dici non potest, quam rumor ille omnia pervaserit, utinam vero istum non foverent aliqui, qui ex- istimationis suae interesse credunt, ne secta talis non inveniatur, quam ipsi 135 superioribus denunciaverant. Non alia magis doleo, quam scandalis infirmo- rum41 et, quod video, quam apud multos cursus verae pietatis mirum quantum sufflaminetur, impii autem, quod suae profanitati praetexant, inveniant: tam quod animi collidantur eorum, qui rumoribus adhibuere fidem aut eum ne- gant. DEUM oremus, qui et innocentiae sit praesto et motus componat et ab 140 Ecclesia sua omnis generis avertat scandala.

116 collegiorum ] + . 122 alii, ] + . 130 ali/i/ < ali.

32 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 33 Vgl. das Bedenken der Leipziger theologischen Fakultät vom 14. 10. 1689 (Abdruck: Kirn, Leipziger Fakultät, 100 f). 34 Gotha. 35 Lübeck. 36 Francke war zunächst im Dezember 1690 nach Gotha gereist, wo seine Mutter Anna lebte, und nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig im Februar und März 1690 anschließend nach Lübeck, wo sein Onkel Henrich Gloxin (1645–1690) gestorben war (zur Reise Franckes s. Francke, Streitschriften, 386). 37 Johann Caspar Schade, Magister in Leipzig (s. Brief Nr. 24 Anm. 5). 38 S. Leube, Pietistische Bewegung, 184. Hier werden etliche Namen (allerdings teilweise falsch) genannt, u. a. Gottfried Kirch, Andreas Friedel, Ernst Christian Wartenberg, Johann Mat- thias Sauerbier, Eberhard Zühl und Gottlieb Benjamin Gleiner. 39 Das kurfürstliche Edikt vom 10. 3. 1690, das verbot, Konventikel abzuhalten (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 40 Zu den Verhören von Leipziger Bürgern im Frühjahr 1690 s. Brief Nr. 30 Anm. 7. 41 Vgl. 1Kor 8,9. Nr. 81 an Christian Kortholt 4. 9. 1690 373

Clauderem istas, nisi unum moraretur; intellexi enim ex optimo Horbio meo42 Tibi non admodum probatum fuisse, quod Hartnaccio43 responderim44 eique honorem fecerim, quo indignus esset45. Non eo inficias fuisse etiam in hac regione, qui dissuaderent46. Ast rationibus perspectis acquievere proposito meo. Bis iam homo me lacessiverat47, verum contemtu ultus sum insultus. Ista 145 vero vice illa specie orthodoxiam meam in dubium vocaverat, ut scrupulum facile iniiceret illis, qui me non nossent, et quidem isto temporis articulo, quo neutiquam consultum erat, ut ad obiecta tantillum silerem illisque spatium relinquerem, qui silentium hoc in rem suam et contra me converterent. Initio cogitabam alieno uti calamo, cum vero mea interesset in iisdem Lipsiensibus 150 nundinis48 comparere responsum meum, in quibus ipsius libellus prodiret, et vix tres superessent septimanae, nec oblatus est, cui causam commendarem, nec sperabam plane ex mea mente alium responsurum. Itaque in timore DOMINI suscepi operam ipse ac ita respondisse confido, ut cordati temeri- tatem hominis, qui, quod aliam plagulam reposuit, nondum paenituisse vide- 155 tur, improbaturi, nec posthac, si pergeret calumniari, aures praebituri sint. Quaedam, quae iussu serenissimi ipsi exprobrare iussus sit, ipse Vener[andus] Sandhagenius49 proxime me edocuit; factum illud ad literas Serenissimae Electricis50, quas non rogatu hac causa ad Sereniss[imam] sororem51 dederat.52

42 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 43 Daniel Hartnack, Rektor in Schleswig (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 44 Spener, Rettung, als Antwort auf Hartnacks „Anweisender Bibliothecarius“ (dazu s. Brief Nr. 45 Anm. 36). 45 In den überlieferten Briefen Horbs fndet sich nichts darüber, was Kortholt von Speners Widerlegung Hartnacks hält, aber Horb notiert in seinem Schreiben vom 28. 6. 1690 seine eigene Meinung zu der Fortführung der Auseinandersetzung: „Im übrigen wird mein l[ieber] Br[uder] Hartnacks Antwort auf s[eine] Refutation, so in einem eintzeln Bogen bestehet, gesehen haben. Es ist ein böser Bube, den ich nicht würdigte einer Antwort […]“ (Herrnhut, Archiv der Brüder- gemeine, R. 23.A.3.a, Nr. 37, S. 116). 46 Nicht ermittelt. 47 Spener schreibt in seiner Schrift „Abgenötigte Rettung“ (s. Anm. 44) auf S. 9 in Bezug auf Hartnack, er sei genötigt, nun doch zu reagieren „gegen einen falschen ankläger, so mich schon mehrmahl gereizet, ich aber alles übersehen hatte“. Spener hatte in den Streit zwischen Hartnack und Johann Melchior Stenger eingegrifen (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 65). Seit dieser Zeit hatte sich Hartnack zum Gegner Speners entwickelt (s. dort Anm. 1) und Spener übte scharfe Kritik an diesem (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 76, Z. 34–36, und Nr. 80, Z. 36–42 u. 62 f, u. ö.). 48 Die Leipziger Jubilatemesse fand vom 16. 4.–23. 4. 1690 statt (s. weiter Brief Nr. 27 Anm. 13). 49 Caspar Hermann Sandhagen, Generalsuperintendent in Gottorf (s. Brief Nr. 51 Anm. 18). 50 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). 51 Herzogin Friederike Amalie von Schleswig-Holstein-Gottorf (11. 4. 1649–30. 10. 1704), seit dem 23. 10. 1667 verheiratet mit Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf, Tochter König Friedrich III. von Dänemark und Norwegen (ADB 4, 189). 52 Es bleibt unklar, worüber Spener im einzelnen von Sandhagen in dessen nicht überliefertem Brief informiert wurde. Zu den von Sandhagen genannten Anstiftern gehört auch Josua Schwartz (s. Anm. 54); dieser veröfentlichte im Jahr 1697 eine Schrift, in der er Sandhagen vorhielt, Chiliast zu sein (Moller 2, 826 f; zu diesem Streit s. M. Jakubowski-Tiessen, Der frühe Pietismus in Schleswig-Holstein, AGP 19, Göttingen 1983, 28). Ofenbar entzündete sich der Streit zwischen 374 Briefe des Jahres 1690

160 Nominavit aliquos Theologos, qui instinctores fuissent, unum vero reticuit, qui mihi satis notus53. D. Schwarzium54 miror tam infestum mihi esse, utpote quem omni vita mea non laesi, imo vix ipsi notus esse credidissem. DEUS ignoscat illis, qui insontem incessentes certe non levi se peccata obstringunt. Vale et, quod tamdiu fecisti, perge amare 165 Max. Rev. T. Excell. ad preces et ofcia addictissimum P. I.Spenerum, D. Mppria. Dresdae, 4. Sept[embris] 1690.

164 amare ] [Ende Abschrift K].

beiden Generalsuperintendenten schon im Jahr 1690. In seinem Visitationsbericht aus dem Jahr 1691 beklagt Schwartz die Verbreitung eschatologischen Gedankenguts in Form des Chiliasmus in seiner Generalsuperintendentur (Jakubowski-Tiessen, aaO, 27). 53 Die Namen derer, die von Sandhagen genannt worden waren, sind, abgesehen von dem- jenigen Josua Schwartz’, unbekannt, vor allem der Name dessen, den Sandhagen nicht genannt hatte, von dem Spener jedoch wußte. 54 In seinem Brief vom 8. 9. 1690 an Adam Rechenberg fragt Spener: „Scire aveo, quis ille D. Schwarzius nunc Danicae Holsatiae Super. Gen. sit, qui Hartnaccium in me armavit? An forte ille, qui, ni fallor, Colberga Londinum Scaniae venit ibique Theologiam docuit, inde in bello ad Danos transiit?“ (Ad Rech 1, Bl. 407r). Eine enge Verbindung, vor allem in der apologetischen Arbeit, zwischen Hartnack und Josua Schwartz wird bezeugt in: Moller 2, 300. – Josua Schwartz (7. 3. 1632–6. 1. 1709), Generalsuperintendent für Schleswig und von Holstein; geb. in Waldau/ Pommern, nach dem Theologiestudium in Wittenberg, einer Reise, die in nach Holland, Eng- land und Frankreich führte, und kurzem Aufenthalt in seiner Heimat 1668 Theologieprofessor in Lund, 1676 Flucht auf Grund von Streitigkeiten nach Kopenhagen, 1680 Hofprediger ebendort, 1684 Generalsuperintendent für Schleswig, zugleich 1689 Generalsuperintendent von Holstein und Propst in Rendsburg; heftiger Gegner des Pietismus (Moller 2, 819–828; ADB 33, 208–210). Nr. 82 an [einen Bekannten] 9. 9. 1690 375 82. An [einen Bekannten]1 Dresden, 9. September 1690

Inhalt Erläutert, wie er sich als Moderator in Streitigkeiten verhält, in die Freunde einbezogen sind. – Erwartet ein ähnliches Verhalten auch in eigenen Angelegenheiten. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 817–818.

Dieses hofe und verlange von guten freunden, wo sie mit andern etwa in eine contradiction2 gerathen, die sonsten auch mit mir bekant sind, u. ich eine gute meinung von ihnen gefasst, daß sie zwar wohl meine gedancken mögen von mir verlangen, die ich auch aufrichtig geben, auch wo sie sorgen, das gegen- theil etwas wider sie bey mir tendirt hätte, was zu ihrer unschuld dienet, mir 5 communiciren mögen, aber nicht fordern, daß mich deswegen gegen die andere erklähren und solchen mich widersetzen müsste; wie wohl ich ge- meiniglich alsdenn ihnen zu lieb mich der communication mit den andern entschlage, damit sie sich begnügen können und, wo ich nicht, so zu reden, gantz parthey nehme, solches nicht als ein mißtrauen in sie aufnehmen sollen. 10 Dann da bekenne, daß mich sauer ankomt, völlig auf eine seite zu treten, wo mir die cognitio causae3 nicht anbefohlen, noch auch in abwesenheit völlig möglich ist; alldieweil auch die Christliche freunde, wenn auch die sache selbs gut ist, in einigen umständen zuweilen den andern theil gewinnen möchten, ob wohl ohne einige boßheit, sondern aus dem, wie sie sich die sache einmahl 15 inprimirt haben. Hingegen verlange auch von andern, gleiches gegen mich zu halten, und fordere von niemand ein mehrers vor mich, noch setze deswegen mißtrauen in die jenige, welche, mir nicht völlig bey zutreten, sich resolvirten. Der HERR verbinde allezeit unsere hertzen in wahrhaftiger einigkeit und 20 erkäntnüß seines willen. 9. Sept[ember] 1690.

11 da ] daß: D3. ​13 möglich ] nöthig: D2+3.

1 Der Adressat ist ein Bekannter; es bleibt unklar, ob er sich in einer eigenen Angelegenheit an Spener gewandt oder sich kritisch zu Spener geäußert und nun darüber Skrupel bekommen hatte. Die Situation ist nicht näher zu bestimmen. Es möglich, daß die im Hintergrund dieses Briefes stehende Problematik die Klage über Speners Bußpredigt vom 11. 7. 1690 ist (dazu s. (Nr. 83 Anm. 1 u. 3). 2 Widerspruch. 3 Kenntnis der Sache. 376 Briefe des Jahres 1690 83. An [Hans Ernst von Knoche in Dresden]1 Dresden, 11. September 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die Mißhelligkeiten durch den Versand des „Klag-Memorials“. – Sagt zu, Streitigkeiten möglichst zu vermeiden, und stimmt der Ansicht [von Knoches] über den Pietis- mus bei: Alles, was nach einer Sekte aussieht, soll vermieden werden; verweist für den modus agendi auf sein Gutachten zum Pietismus; hoft, daß Schaden vom Kurfürstentum abgewehrt werden kann, und fordert eine genaue Untersuchung auch der Denunzianten. – Erwartet die baldige Rückkehr des Kurfürsten aus dem Feldzug gegen die Franzosen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 818–819.

Euer Excell. beliebiges2 ist mir wol worden, und habe ich draus verstanden, daß dieselbe rathsam befnden, das hier ausgefertigte klag-memorial3 wider- um zurück an den Hochl[öblichen] geheimen rath4 zusenden. Wie mir nun leid ist, daß Ew. Excell. hiedurch unnöthige beschwerde gemachet worden, 5 also sage gehorsamen danck vor die auch hierunter unterschiedliche genom- mene bemühung und bezeugte großgünstige afection. Die sach selbs anlangend, als meines reinen gewissens versichert, erwarte ich ferner, was ein Hochl. geheimter Rath vornehmen werde. An mir hofe, in meinem gantzen leben gezeiget zu haben, daß, wie niemand mit willen 10 beleidige, also in unvermuthet enstehenden zwistigkeiten mich allezeit zu der güte, als fern das gewissen zugeben mag, bereit erweise. Was den gantzen pietismum betrift, pfichte Ew. Excell. vornehmen billich auch von hertzen bey, daß mit dem nahmen desselben alles, so nach einer

2 hier ausgefertigte ] : hieraus gefertigte: D1. ​4 unnöthige ] : unnöthe: D1. ​5 f genommene ] genomme: D1. ​

1 Hans Ernst von Knoch(e) (15. 1. 1641–17. 7. 1705), Präsident des Oberkonsistoriums in Dresden; geb. in Dresden, 1667 Hof‑ und Justizrat, 1684 Geheimer Rat und 1687 Oberkon- sistorialpräsident in Dresden (Vehse 6, 102–104; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 64 Anm. 19). – Zur Empfängerbestimmung: Er ist ein hoher kursächsischer Würdenträger (Z. 1, 4, 12, 15 u. ö.). Am 15. 9. 1690 berichtet Spener an Adam Rechenberg über eine Vorladung vor den Geheimen Rat am 12. 9. 1690, um sich über die Ausführungen in seiner Bußpredigt vom 11. 7. 1690 (Spener, Bußgebet, S. 463–488) zu erklären (Ad Rech 1, Bl. 402v–403r). 2 Der Brief ist nicht überliefert. 3 Spener hatte in der in Anm. 1 genannten Predigt verschiedene Kritikpunkte angesprochen: Neben der Klage über den eingebildeten, fruchtlosen Glauben und die mangelnde Sonntags- heiligung thematisierte er v. a. die Verleumdungen, die – auch von Kanzeln – gegenüber der pietistischen Bewegung in Leipzig verbreitet wurden (S. 485 f). – Das Memorial ist nicht über- liefert; zu den Vorwürfen, die Spener gemacht wurden, s. Brief Nr. 74 Anm. 26). 4 Der Geheime Rat des Kurfürstentums Sachsen in Dresden. Nr. 83 an [Hans Ernst von Knoche] 11. 9. 1690 377 secte schmecken solte5, aus dem grund gehoben würde: wozu ich auch hofe, in dem an Sr. Churfürstlichen Durchlauchtigkeit, unsren gnädigen Herrn6, 15 auf gnädigsten befehl eingegebenen bedencken7 durch GOttes gnade zuläng- liche und solche mittel vorgeschlagen zu haben, dardurch weder einige un- schuldige einigerley massen beschwehret, noch einiges gutes zu schwehrer verantwortung verhindert, hingegen kirche und schul in völlige ruhe gesetzet und mit tilgung alles falschen gerüchts den Churfürstlichen landen ihre durch 20 jenes verletzte ehre wider gegeben werden möchte. Wozu aber die gantze gründliche und genaueste untersuchung aller geschehnen denunciationen, u. was sich in der inquisition gefunden, der einige sichere weg und mittel ist, damit man vor GOTT und der welt, wenn auch jemand ausser landes künf- tig davon urtheilen würde, dem man als dann getrost begegnen kan, zu be- 25 stehen vermag. Wie ich nun nicht in abrede bin, daß die sorge dieser sache mir die angelegenste ist, so mein gemüth mein lebenlang afcirt hat, so gehet mein tägliches gebet dahin, daß der HERR HERR, dessen ehre sie an dem ort betrift, wo sie am zartesten ist, alle, so damit um zugehen haben, und dero berathschlagungen durch seinen heiligen Geist dahin regieren wolle, daß alles 30 ärgernüß abgethan und verhütet, hingegen einerseits die wahrheit der lehr und ordenliche ruhe der kirchen, anderseits hertzlicher eifer die wahre pietät ohne sorge oder schein einer secte, sondern als die allgemeine pficht aller Christen neben einander, und daß keine die andere hindere, wie sie es auch in ihrer wahren ordnung nicht können erhalten, und mehr und mehr in 35 schwang gebracht werde. Hieran bin ich versichert, liege ein grosses theil der zeitlichen und ewigen wohlfahrt unsers gnädigsten Churfürsten und Herrn, des segens des gantzen Durchlauchtigsten Churhauses, des glücks der ge- samten lande und des heils deren, welchen die himmlische güte gelegenheit, dero ehre so kräftig zu befördern, gegeben hat. GOTT laße mich meines 40 wunsches, so mich zwar am wenigsten betrift, gewähret werden, so solle mich genügen, wie es auch sonsten je mit meinen eigenen dingen stehen möchte, darinnen mich ohne das billich in dessen heiligen willen lediglich resignire. Die von Ew. Excell. gemachten hofnung eines baldigen schlusses dieser campagne8, und so Ihr[o] Churfürstliche Durchlauchtigkeit als gesamten an- 45 sehnlichen comitats9 ehender zurückkunft wird durch das noch biß daher

14 dem ] den: D1. 20 Churfürstlichen ] Christlichen : D2+3. 25 dem ] den: D1. ​ 27 1mein ] mrin: D1. ​41 solle ] solte: D1. ​

5 Zum Sektenvorwurf gegenüber dem Pietismus s. die genannten Stellen in Brief Nr. 81 Anm. 26. 6 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 7 Das Bedenken Speners zum Pietismus vom 15. 10. 1690 (SächsHStA, Loc 10330, Piet. betr. 1690 f, Bl. 114r–124v), abgedruckt in: Bed. 3, 805–817 (dort falsches Datum 10. 10. 1690). 8 Der Feldzug gegen Ludwig XIV. von Frankreich, an dem Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen teilnahm; zu den Auseinandersetzungen im Sommer 1690 s. Heyne, Feldzüge, 118–161. 9 Begleitung. 378 Briefe des Jahres 1690

continuirte zu campiren unbequeme wetter mehr confrmiret. Der grosse GOTT lasse nur solche zurückkunft mit völliger gesundheit und freuden geschehen, so haben wir, ob wir wol dabey mit betrübnüß sehen müssen, daß 50 GOTT uns noch nicht versöhnet und auch noch dieses jahr dessen gericht10 unsren, ob schon der sache nach gerechten wafen gegen einem ungerechten feind entgegen stehende die gefasste hofnung nicht hat erfüllet werden lassen, dennoch seine himmlische güte vor die erhaltung gnädigster Herrschaft und dero Ministrorum demüthigst zu dancken.

55 11. Sept[ember] 1690.

49 müssen ] mussen: D1.

10 Spener deutete die kriegerischen Auseinandersetzungen mit Frankreich und den Einfall des französischen Heeres in weite Teile der südwestdeutschen Länder des Deutschen Reiches als ein Gericht Gottes (s. Spener, Bußgebet, S. 481 f; Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 2, Z. 26–58; Nr. 55, Z. 48 f; Nr. 66, Z. 23–25). Nr. 84 an Johann Fecht 12. 9. 1690 379 84. An Johann Fecht in Rostock1 Dresden, 12. September 1690

Inhalt Bedankt sich für den Brief und hoft auf ein künftiges gutes Schicksal des Überbringers [Ni- colaus] Sauer. – Freut sich über den guten Eingang Fechts in Rostock und wünscht ihm den göttlichen Segen für seine Ämter als Professor und Superintendent. – Rät, noch mit einem Brief an Herzog [Gustav Adolf] von Mecklenburg-Güstrow wegen nicht eingehaltener Gehaltszusagen zu warten. – Bedauert den Streit innerhalb der Rostocker theologischen Fakultät und hoft, daß Fecht als neu hinzugekommener Professor vermitteln kann. – Wünscht, daß Fecht in Rostock bleibt, auch wenn er weiterhin zu predigen hat, wie dies auch die Wittenberger Professoren tun müssen. – Bespricht die geplante Berufung von [Christoph] Sonntag nach Altdorf. – Beklagt den bedauernswerten Zustand der evangelischen Kirche, der durch die Streitlust der Theologen eher schlimmer als besser wird; beteuert seine Orthodoxie gegen die Verdächtigungen seiner Gegner; hält die Polemik in Theologie und Kirche insgesamt für notwendig, betont aber den Vorrang der Exegese. – Verweist dazu auf die gründlichen Ausführungen in seiner Vorrede zu der Schrift „Tabulae Hodosophicae Dannhaueri“ [d.i. De impedimentis studii theologici]. – Ermahnt die frommen, aber übereifrigen Leute an den Akademien, sich so zu verhalten, daß sie keinen Anstoß geben; weist auf seine Schrift gegen [Daniel] Hartnack hin, in der er den Haß gegen alle, die ein frommes Leben führen wollen, anprangert. – Gesteht, daß, wäre er in einer anderen Konfession geboren worden, ihm die Konversion zur evangelisch-[lutherischen] Kirche verleidet wäre, selbst wenn er sie in der Glaubenslehre als wahr anerkennen müßte; verweist auf die Quäker, die sich für die wahre Kirche halten, weil es innerhalb der evangelischen Kirche Widerstände gegen die Rede von der Erleuchtung durch den Heiligen Geist und vom frommen Leben gibt. – Fragt, woher Fecht wisse, daß es im 16. Jd. Privatversammlungen gegeben habe; hält solche Veranstal- tungen für nützlich, aber nicht notwendig und nicht an allen Orten für tunlich. – Hat nichts von einer Vakanz in Hamburg gehört, wohin [Michael] Förtsch berufen werden könnte.– Hält die Auseinandersetzungen in Hamburg über den Religionseid für ein schlimmes Beispiel, das weiteres Böses nach sich ziehen kann. Überlieferung A: Rostock, UB, Mss. var. 12430 2. D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 820–821 (Z. 81– 147).

1 Johann Fecht (25. 12. 1636–5. 5. 1716), Theologieprofessor und Superintendent in Rostock; geb. in Sulzburg/Breisgau, nach dem Studium in Straßburg, Wittenberg, Leipzig und Gießen 1666 Pfarrer in Langendenzlingen, 1668 Hofprediger des Markgrafen von Baden-Durlach, Konsistorialrat und Theologieprofessor am Durlacher Gymnasium, auf Grund der Zerstörung Durlachs durch französische Truppen Verlust seines Amts und Flucht nach Calw, 1690 Theo- logieprofessor und Superintendent in Rostock. – Seit der gemeinsamen Studienzeit zunächst mit Spener befreundet, später dessen scharfer Gegner (RGG4 3, 54; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 9 Anm. 58). 2 Die Edition des Briefs durch K.-H. Jügelt, Philipp Jacob Spener und die Universität Rostock, in: F.-H. Beyer, H. Fritzsche, J. Langer (Hgg.), Widersprechen und Widerstehen. Theo- logische Existenz heute. FS Ernst Rüdiger Kiesow, Rostock 1991, 209–215 basiert auf A, ist aber wegen der großen Anzahl von Lesefehlern unbrauchbar. 380 Briefe des Jahres 1690

Göttliche gnade, friede, heil, leben und segen in unsrem liebsten Heiland JESU Christo! HochEhrwürdig, Großachtbar und Hochgelehrter. Insonders Hochgeehrter Herr Schwager3 und in dem HERRN Vielgeliebter Bruder.

5 Es ist mir dessen beliebtes von H. M. Sauren4 zwahr wol, iedoch, wie es nicht wol anders müglich war, mit einigem verzug eingehändiget worden. Des guten mannes elend hat mich billich hertzlich afciret, doch hofe ich, er werde nicht umsonst hier gewesen sein, noch sich die reise haben reuen laßen, in dem ihm einige liebe widerfahren. Der HERR versorge ihn ferner u. laße 10 es um den Rhein nach seinem willen widerum in denjenigen stand kommen5 (davon zwahr noch ietzt das ansehen fast entfernet ist), daß er bey den seinigen widerum seine übrige tage möge zubringen und sich des außgestandenen ergötzen. Im übrigen hat mich die fr[eundliche] notifcation der glücklichen über- 15 kunft nach Rostock billich erfreuet, u. danke ich dem HERRN mit demsel- ben davor: habe auch eher auf das auß Leipzig in der Durchreise abgelaßene6 zu antworten nicht nötig geachtet. Widerhole nunmehr dabey solchen wunsch von hertzen, daß der treuste Himmlische Vater, deßen hand geliebten H[errn] Schwager an diese stelle geführet, nun auch allen erwünschlichen 20 segen ertheilen wolle. Er stärcke deßen leibeskräften und laße die luft sowol selbs alß den lieben angehörigen also zuschlagen, daß sie von solcher großen änderung keinen mercklichen abgang der gesundheit spühren: Er laße sie auch das jenige vergnüglich7 fnden, was sie zu dieses lebens nothdurft be- dörfen mögen, und neige die hertzen aller derer, so das ihrige dabey zu thun 25 haben, zu beobachtung aller billichkeit: Er neige das gemüth aller collegen zu demselben in brüderlicher liebe, um mit gesamter hand das werck des HER- REN desto kräftiger zu treiben und dadurch auch ihre universitet durch seinen segen desto mehr aufzubringen: Sonderlich erhalte u. vermehre er die verliehene so natur= alß geistesgaben, bei der profession und Superintendenz

23 /sie/.

3 Die Bezeichnung „Schwager“ kann sehr weit gefaßt werden. In welcher (verwandtschaftli- chen o.ä.) Beziehung Fecht zu Spener stand, ist unklar. Fechts Frau stammte aus Straßburg, ebenso wie auch die Familie Speners mütterlicherseits. 4 Vielleicht Nicolaus Sauer (get. 5. 2. 1660); geb. in Frankfurt a. M., nach dem Jurastudium in Gießen, Straßburg und Altdorf war er im Jahr 1688, vermittelt durch Spener, Informator in Sorau (Dölemeyer, 166 [Nr. 535]; Steinmeyer 1, 439; 2, 483; Klewitz/Ebel, 89; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 37 Anm. 7). Seine Studien beendete er mit einer Inauguraldisputation am 14. 2. 1693: N. Sauer, Disputatio inauguralis juridica De Patria, Altdorf: Heinrich Meyer 1693 (dort eine Aufzählung seiner Studienorte und eine Erwähnung seiner Sorauer Tätigkeit). 5 Die durch den Einfall des französischen Heeres stark in Mitleidenschaft gezogene Gegend Südwestdeutschlands, vor allem am oberen Mittelrhein. 6 Nicht überliefert, wird aber in Brief Nr. 54, Z. 13, erwähnt. 7 Im Sinne von „genügend“ (DWB 25, 471). Nr. 84 an Johann Fecht 12. 9. 1690 381 vieles fruchtbares außzurichten, bey dieser die untergebene prediger also zu 30 regiren, daß sie die heerde des HERRN treulich weiden8, bey jener viele dazu zubereiten, daß sie dermaleins in kirchen und schulen Gott wolgefällige dienste leisten mögen und derselbe die freude habe, viele von sich dazu ge- schickt gemacht zu sehen, die nicht nur gelehrt, sondern auch gottselig ge- sinnet9, manche andere neben sich zu Gott führen, zu einem ruhm auch noch 35 auf den künftigen tag des HERREN10. An den Hertzog von Mekelburg11 habe auf die anzeige auß Leipzig12 auch nicht wol zu schreiben vermocht, weil erst hören müßte, was man auß eigner bewegnus13 thun würde; so habe auch ietzund keine andere ursach oder ge- legenheit, an Ihr[o] D[u]r[ch]l[auch]t einen brief abzulaßen, hingegen um 40 dieser sache willen, da noch würcklich keine klage ist, in antecessum vorerin- nerung zu thun, dürfte vielleicht eher widrige impressiones machen. Daher ich vor rathsamer achte, dass ich nichts eher thue, biß, so zwahr nicht zu ge- schehen wünsche, M[ein] H[och]g[ehrter] Schw[ager] klage hätte, daß es mit der besoldung nicht fortwollte, da mich so schuldig halte, alß willig erklähre, 45 an S. Hochf. Dlt. deswegen zu schreiben, so auch nicht ungnädig genommen werden kan, nach dem man mich zu einigem werckzeug der intendirten vocation gebraucht hat14. Die nachricht von der guten universitet Rostock ist mir betrüblich, und begreif ich die ursachen dero abgangs15 nicht völlig16: in dem sonsten [die] 50 situation, der statt, so widerum zimlich erbauet hofe, größe und, wie auch meine, wolfeile17 der victualien, neben dem alten großen ruf, sie solte bißher

33 habe < haben.

8 Vgl. 1Petr 5,2. 9 Die Zusammengehörigkeit beider hat eine lange Tradition (z. B. Erasmus von Rotterdam, Philipp Melanchthon); beispielhaft für Spener bei der Empfehlung zur Anstellung eines Lehrers: „commendavi […] studiosum ab eruditione et pietate pariter commendabilem“ (Ad Rech 1, Bl. 322v). Weiter zur Sache s. C.-W. Kang, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit. Die Reform des Theo- logiestudiums im lutherischen Pietismus des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts, Gießen 2001. In den Streitigkeiten, die im Sommer 1689 in Leipzig entbrannt waren, war den Pietisten vorgehalten worden, sie verzichteten auf die Gelehrsamkeit zugunsten der Frömmigkeit. 10 Das Ende der Zeit mit der Ankunft Christi zum jüngsten Gericht (vgl. 1Thess 5,2). 11 Herzog Gustav Adolf von Mecklenburg-Güstrow (s. Brief Nr. 3 Anm. 1). 12 S. Z. 16, mit Anm. 6. 13 Im Sinne von „Bewegung“ (DWB 1, 1774). 14 Zur Mitwirkung Speners bei Fechts Berufung nach Rostock s. Briefe Nr. 4 und Nr. 5; ebenso Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 84, Z. 37 f, und Nr. 88. 15 Im Sinne von „Gebrechen“, „Schwäche“ (DWB 1, 43). 16 Von September 1689 bis September 1690 gab es keinerlei Immatrikulationen an der Uni- versität Rostock (http://matrikel.uni-rostock.de/semlist.action?nav=stud_matrik​ el1419_1650; Zugrif am 8. 2. 2013); das Gleiche galt auch schon für die Wintersemester 1687/88 und 1688/89, während sich in den Sommersemestern 1688 und 1689 68 und 110 Personen immatrikuliert hatten (vgl. F. Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Stuttgart 1904 [Nachdruck, Berlin 1994], 292). 17 Wohlfeilheit, Billigkeit (DWB 30,1116). 382 Briefe des Jahres 1690

in aufnehmen18 wider gebracht haben. Zwahr begreif ich wol, daß die miß- helligkeit der Theologischen Fakultet19 zimlichen schaden thun kan, iedoch 55 hätte nicht gemeint, daß auß derselben sozureden die gantze ruin20 derselben folgen sollte: Ich wäre auch der meinung, wo man dieses also fnden solte, daß es die mißhellige parteyen obligirte, um des gemeinen besten willen beider- seits ein übriges zu thun und sich mit einander, so gut es sein könte, zu ver- einigen. Und wünsche ich hertzlich, daß mein MHh. Schw[ager] so glücklich 60 werden möchte, der gesegnete werckzeug21 zu sein, zu solcher freundlichen versöhnung: μακάριοι ὁι εἰρηνοποιοὶ.22 Ich solte auch hofen, nachdem derselbe neue dahin gekommen, mit keinem wort vorhin auf eine oder an- dere seite sich des streits theilhaftig gemacht und, wie ich das vertrauen trage, mit beiden wol stehen wird, deßen interposition23 solte soviel mehr nachtruck 65 haben. Versichre dieses dabey, daß bereits vor guter zeit dieses ein stück der anligen ist, die ich unsrem Himmlischen vater ofters vortrage und, wo ich etwas dazu zu thun müglich sehe, so aber nicht ist, und schon einmal im ver- gebenen versuch gethan habe, mich deßen hertzlich freuen würde, alß dem des Apostels wort, Gal 5,1524, stets in dem sinne ligen. 70 Was ferner gemeldet wird von dem fall, wo ihres orts nicht zu subsistiren25 müglich wäre, wünsche, daß solcher nie erfolge und also dergleichen sorge nicht nötig seye; wo es aber geschehe, halte mich noch allezeit zu gleicher liebe verbunden. Indeßen ist an vielen orten alle hofnung gleich auch blatt26 abgeschnitten, wo die resolution, sich des predigens gantz abzuthun27, bleibet. 75 Wie denn in Wittenberg die Professores, da nun ietzt, weil H. D. Schelwig28, nach dem man 2 jahr seinetwegen gewartet, nicht dimittiret wird, widerum die stelle ofen ist, zu dem predigen auch gehalten sind.

60 /werden/ : . 62 wort ] + .

18 Im Sinne von „Gedeihen“, „Aufblühen“ (DWB 1, 697). 19 Auf Grund des Hinweises, daß Spener vermittelnd eingegrifen habe (Z. 67 f), werden wohl die seit Jahren andauernden Streitigkeiten (über die Deutung der Erbsünde) zwischen Franz Wolf und seinen Kollegen gemeint sein. Vgl. dazu die Briefe an Wolf (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 128 und Bd. 2, Brief Nr. 6) und an Justus Christoph Schomer(us) (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 7). 20 Im 17. Jd. im Femininum möglich (DWB 14, 1475). 21 Altertümliches Genus „der Werkzeug“ möglich (DWB 29, 419). 22 Selig sind die Friedfertigen (Mt 5,9). 23 Standort zwischen (den streitenden Parteien). 24 Gal 5,15 (Luther 1545: „So jr euch aber vnternander beisset vnd fresset / So sehet zu / das jr nicht vnternander verzeret werdet.“). 25 Bleiben. 26 Im Sinne von „völlig“ oder „rein“ (wie „blutt“); vgl. „blatt und bloß“ (DWB 2, 76 und 2, 194). 27 Im Sinne von „etwas aufgeben“ (DWB 1, 139). 28 Samuel Schelwig, Rektor und Pfarrer in Danzig (s. Brief Nr. 7 Anm. 1). – Zu seinem mutmaßlichen Wechsel s. Brief Nr. 7, Z. 2 f. Nr. 84 an Johann Fecht 12. 9. 1690 383

Die Altorfsche professio primaria29 soll nun, wie vor gewiß berichtet werde, durch H. Sontag30, bißherigen Superint[endentem] und profess[orem] zu Schleusingen, ersetzet worden sein. 80 Was im übrigen von dem elend unsrer kirchen wegen der zerrüttung der gemüther under den Theologen gemeldet wird, ist die lautere wahrheit und mir schon lang ein solcher kummer, daß ich unsrer gantzen kirchen nichts gutes drauß weißagen kan, sondern desto schwehrere gerichte sorge, oder daß wir unser gebäu, das ohne das klein gnug und schadhaft ist, endlich selbs 85 niderreißen werden. Daß von denen, die die controversen hauptsächlich lie- ben, und von denen, welche die praxin treiben, beiderseits einiges mensch- liches zuweilen begangen werde, zweife ich nicht, sondern seuftze bald über dieses, bald über jenes, kan aber nicht gnug helfen31: doch fnde jener afec- ten heftiger, ihre anschläge gewaltsamer und ihre absicht weniger rein. Obs 90 dann geschihet, daß der HERR denselben mehr zu der andern undertruckung zuließe, so dörfte es zu dieser reinigung dienen, daß solches feur der trübsal32, wo auch gefallen an sich selbsten vorhanden gewest und man jener gewalt- samkeit nicht mit gnugsamer liebe und gedult getragen, sondern auch den menschen hervorgucken laßen, solches alles verzehre und sie desto auser­ 95 wehlter mache: da ich alßdann ihnen den sieg von dem HERRN wider die, welche sich feischlichen arms gegen sie mißbraucht, gewiß zuzusagen ge- traue. Ich bekenne, daß zur beforderung der rechtschafenen gottseligkeit nach der schrift und auch unsern Symbolischen büchern, nun soviele jahr alle meine absichten, arbeiten, predigten, schriften und rathschläge gerichtet 100 habe, daher wol weiß, auch ihrer vielen ein dorn in den augen33 zu seyn: Indessen aestimire ich auch alle studia Academica, selbs die Polemica34, und wolte nicht, daß unsre kirche eines einigen deßelben entrathen solte, wie ichs auch ohne dero schaden nicht glaube, geschehen zu können, nur daß alles zu dem rechten zweck gerichtet, iedem gleichsam sein pensum, was ihm am 105 nutzlichsten zukomt, angewiesen, das studium exegeticum den übrigen vor-

81 Was ] [Beginn Abdruck D]. 81 im übrigen ] – D. 83 /mir/. 91 andern ] – D1. ​

29 Es galt, die durch den Tod Johann Sauberts am 29. 4. 1688 freigewordene Professur erneut zu besetzen. 30 Christoph Sonntag (28. 1. 1654–6. 7. 1717), Superintendent in Schleusingen; geb. in Weida, nach dem Studium in Jena 1675 Erzieher der Söhne des Grafen von Ranow und Bieberstein, zugleich Hofprediger, dann Pfarrer in Oppurg, 1685 Superintendent in Schleusingen, 1690 erster Professor und Senior in Altdorf. Er trat in der Universität an die Stelle von Johann Saubert (Gustav Georg Zeltner, Vitae Theologorum Altorphinorum A Condita Academia Omnium Una Cum Scriptorum Recensu, Nürnberg 1722, S. 448–467; ADB 34, 642). 31 Ohne sie ausdrücklich zu nennen, denkt Spener hier vermutlich an die Auseinanderset- zungen in Leipzig zwischen den „Pietisten“ und deren orthodoxen Gegnern. 32 Sir 2,5. 33 Sprichwörtlich (Wander 1, 679; Nr. 56). 34 Vgl. dazu Speners Ausführungen in „De impedimentis“ (s. Anm. 36), 219–221. 384 Briefe des Jahres 1690

gezogen35 und die rechtschafene pietet zum grunde geleget, das ist, dahin getrachtet werde, daß alle diejenige erstlich wahre Christen werden und bleiben, welche zu der Theologie sich appliciren. 110 Wie ich dieses alles in der praefatione ad Tabb. Hodosoph. neulich auß- geführet36, wiewol auch unverschuldeter weise sich dieselbe von underschied- lichen leiden muß. Also erkenne ich selbs an underschiedlichen Academicis leute, die ich so hoch und vor so treue diener Gottes halte alß andere, so außer solcher lebens art dem HERREN dienen. Wo ich hingegen under 115 diesen einige fnde, welche das rechtschafene Christenthum eifrig treiben, und vernehme, daß sie außer den schrancken gehen wolten37, thut mir solches nicht nur leid, sondern, soviel der HERR gnade verleyhet, suche auch diesel- ben freundlich zu erinnern und sie auf die pficht der nicht argwöhnischen liebe und sanftmuth zu weisen, damit sie nicht durch ihre unordenliche af- 120 fecten dem studio pietatis einen schandfeck anhängen und hindernus setzen. Was im übrigen solche collisiones und sonderlich der bey vielen fast mehr und mehr überhand nehmende haß gegen alle, welche jenes hoch preisen, vor böses in und außer der kirchen stifte, habe ich auch neulich in meiner rettung gegen Hartnacken38 meine wehemütige, aber gewiß gegründete, klagen ge- 125 führet. Das bekenne, wo ich bey anderer religion gebohren und erzogen wäre, daß dieses ärgernus mir einen solchen nebel vor die augen machen würde, daß, ob auch unsrer lehr grund in vielem einsähe, dannoch unsre kirch vor die jenige nicht erkennen könte, zu dero mich verfügen müste. Ja, wo die arme 130 Quacker39 ein scheinbar argument gegen uns brauchen wolten, möchte es dieses sein, es müße sich ja bey ihnen die wahre erleuchtung des geistes und rechte gottseligkeit vor allen fnden, und sie die wahre kirche, gegen uns ge- halten, sein, in dem man, wo nur von der erleuchtung des geistes u. göttlichem

112 /an/ : . 113 vor ] – A. 114 solcher ] solchen: D1. ​115 diesen: diesem: D1. ​ 117 f /die/selben < selben. ​ 121 im ] in: D1. 132 /fnden/. ​ 133 göttlichem ] göttlichen: D1. ​

35 Vgl. „De impedimentis“ (s. Anm. 36), 223–228. 36 Ph.J. Spener, De Impedimentis Studii Theologici, in: Tabulae hodosophicae […] Joh. Conradi Dannhaweri […] Hodosophia Christiana, unpag. Vorrede; Abdruck: Cons 1, 200–239; deutsche Übersetzung: KGS 1, 1012–1079; ein Separatdruck wurde von dem Leipziger Theo- logieprofessor Johann Gottlob Pfeifer vorgelegt: Philipp Jakob Spener, Praefatio, Tabulis Hodo- sophicis B. Dannhaveri Praemissa, De impedimentis studii theologici, Leipzig 1736 (zur Heraus- geberfrage dieser Ausgabe s. Wilhelm Abraham Teller, B. Philipp Jacobi Speneri D. Praefatio, in: Neues Magazin für Prediger 1. 1792, S. [24–30] 24). 37 Außerhalb der gebotenen Ordnung (vgl. auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 124, Z. 40–44); zur hier angesprochenen Sache s. Briefe Nr. 76, Z. 268 f, und Nr. 79, Z. 325–328. 38 Spener, Rettung. – Zu Daniel Hartnack s. Brief Nr. 20 Anm. 1. 39 Quäker (s. Brief Nr. 9 Anm. 18). Nr. 84 an Johann Fecht 12. 9. 1690 385 wandel geredet wird, solches stracks vor Quackerisch halte40, und ihnen also dieselbe als gleichsam ihr eigenthum heim weise. Wir möchten jenes alten 135 worte widerhohlen: „Domine, in quae nos tempora!“41 Das betrübteste ist, daß fast auch die mittel, so man wider dieses übel gebrauchen möchte, nicht mehr zulänglich scheinen wollen: daher zwahr, alles dienliche vorzukehren und zu versuchen, der HERR aber vornehmlich ohne aufhören anzurufen ist, daß er sich seines Zions erbarmen42 und deßen brüche heilen43, die es 140 treulich mit seiner ehre meinen, erhalten, schützen und stärcken, die neben guter meinung sich nicht allezeit in ihren schrancken zu halten wißen, durch seine gnade auf die rechten wege leiten, welche er aber, muthwillig sich dem guten zu widersetzen, erkennen möchte, entweder zurückhalten und ihnen die hände binden oder (so er ja an allen thun wolte) auf ihm bekande art 145 beßern, die bißherige ärgernußen aber abthun, hingegen seine gnade aufs neue reichlicher über seine kirche außgießen wolte. Im übrigen bin ich durch meinen Tochtermann, H. L. Rechenbergen44 auß Leipzig, berichtet worden, daß MHh. Schw. gegen ihn gemeldet, nach den zeiten Lutheri in dem vorigen seculo einige exempla collegiorum privatorum 150 gefunden zu haben45; solte nun mir davon eine wenige anzeige freundlich geschehen können, würde mir solches vor eine sonderbare liebe achten, so- vielmehr wann auch nach gethaner vertröstung etwas nachricht dem publico davon gegeben werden könte. Ich habe dergleichen exercitia sehr nutzlich geachtet und erfahren, aber halte sie nicht bloß nothwendig46, noch allezeit 155

134 /also/. 136 Das ] Daß: A. 142 guter ] + ihrer guten: D. 145 an ] – D. 146 aber ] + an: D1; alle: D2+3. ​147 wolte ] [Ende Abdruck D]. 154 /sehr/.

40 Diese Klage wird ähnlich von Spener immer wieder vorgetragen (z. B. Spener, Pia Desideria 1676, S. 17 [PD 18, 24–28]; hier jedoch auf „die ernste innerliche Gottseligkeit“ bezogen; Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 20, Z. 108–111; Spener, Erzehlung, S. 22 f). In Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 17, Z. 19–24, bespricht er den Vorwurf, den Conrad Tiburtius Rango in seinem Buch „Neue Quäckerey in der Quietisterey, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1686“ vorgetragen hatte: der Quietismus sei weigelianisch. 41 Polycarp, Bischof von Smyrna, zugeschrieben: „O deus, in (ad) quae nos tempora reservasti, ut ista patiamur!“ 42 Vgl. Ps 102,14. 43 Vgl. Jer 8,22. 44 Adam Rechenberg, Professor in Leipzig (Brief Nr. 2 Anm. 10). 45 Bekannt geworden sind die „Collegia“, die Martin Bucer in Straßburg eingerichtet hatte, durch einen Fund Johann Schilters im Jahr 1691 (vgl. dazu J. Wallmann, Bucer und die Collegia pietatis, in: ders., Pietismus-Studien, [88–104] 98–101). „Vorstufen“ der Collegia pietatis im 16. Jh. werden vorgestellt in: W. Bellardi, Die Vorstufen der Collegia pietatis bei Philipp Jacob Spener, Gießen 1994, 28–106. 46 Vgl. die im Jahr 1690 erschienene Schrift: Gründliche Erörterung Der Frage/ Ob die Collegia pietatis nothwendig / und nützlich / Oder aber unnöhtig [sic!] / unnützlich/ ja gar schädlich seyen? Veranlasset Durch ein neulich herauß gegangenes Send=Schreiben​ Hn. Ph. Lud. Hannekenii […] Eilfertigst aufgesetzt von Pio Desiderio, o. O. 1690. – Näheres zum Anlaß und Verfasser s. Brief Nr. 56, Überlieferung D mit Anm. 2. 386 Briefe des Jahres 1690

an allen orten thunlich. Mit dieser thesi getraue so zu bestehen, daß wider solche mit grunde nichts aufgebracht werden möge. In Hamburg wüßte ich nicht, daß nechst eine vancanz zu S. Jacob47 gewe- sen, dahin H. L. Förtsch48 berufen werden können. Sonsten gönne ich den- 160 selben dem Herrn Marggrafen49 also, daß wo durch GOttes gnade die lande widerum in den stand kämen, daß etwas eingerichtet würde, dieser alßdann das instrument sein könte; nach dem der wehrte Fürst, alß viel mir wissend ist, sonst niemand mehr haben wird. Was aber sonsten bißher in Hamburg passirt wegen der eydsformul50, ist 165 betrüblich; und halte ich nicht davor, daß sich in langer zeit ein ministerium eine sache undernommen habe, die nicht nur ihrer kirche und obrigkeit, sondern der gantzen Evangelischen kirchen so präjudicirlich seye. Ist gewiß- lich des pessimi exempli, und kan auf allerley weise böses nach sich ziehen. Der HERR wende auch daselbs ab, was seiner ehre entgegen wäre, und gebe 170 uns indeßen gedult, diese dinge anzusehen und ihm alles in kindlicher gela- ßenheit zu empfehlen. Ich aber verbleibe schließlich nechst treuer ergebung in des Himmlischen vaters mächtige obhut und heilige regirung Meines Hochg[ehrten] H[errn] Schwagers und in Christo Bruders zu gebet 175 u. fr[eundlichen] diensten williger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 12. Sept[ember] 1690. Dem HochEhrwürdigen, Großachtbaren und Hochgelehrten, Herrn Johann 180 Fechten, der H. Schrift vortrefichen Licentiato und bey Hochlöbl. Univer-

161 daß ] + .

47 Die Hamburger Hauptkirche Jacobi. Zu dieser Zeit war Johann Friedrich Mayer (zu diesem s. Brief Nr. 90 Anm. 6) dort Hauptpastor. 48 Michael Förtsch (24. 7. 1654–24. 4. 1724), Hofprediger des Markgrafen Friedrich VII. Ma- gnus von Baden-Durlach; geb. in Wertheim, nach dem Studium in Straßburg, Jena und Helmstedt 1681 Ruf als Münsterprediger in Straßburg, dem er wegen der Übernahme des Münsters durch die Katholiken nicht folgen konnte, stattdessen Hofprediger und Professor in Durlach, 1686 Dr. theol. in Gießen, 1688 Superintendent in Lahr, 1689 Flucht nach der Zerstörung Durlachs durch französische Truppen als Begleiter von Markgraf Friedrich Magnus (zu diesem s. Anm. 49) nach Lörrach und Basel, 1695 Theologieprofessor und Superattendent des Stifts in Tübingen, 1703 Prälat in Lorch, 1705 Theologieprofessor und Generalsuperintendent in Jena (ADB 7, 195; J[ohann] C[hristoph] K[öcher], Viri Magnifci summeque reverendi Domini Michaelis Foertschii SS. Theol. Doctoris, et in academia salana professoris primarii, ordinis sui senioris, civiumque Isenacensium inspectorum Vitam scripta ac merita in ecclesiam exponit, Jena 1723; S. F. Gehres, Kleine Chronik von Durlach, 2. Theil, Mannheim 1827, 131–133). 49 Markgraf Friedrich VII. Magnus von Baden-Durlach (23. 9. 1647–25. 6. 1709), 1677 Über- nahme der Regierung, ab 1670 verheiratet mit Augusta Maria von Holstein-Gottorf (H. Fenske, Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 5, Stuttgart 2007, 366). 50 Zum Religionseid, der in Hamburg eingeführt werden sollte, s. Brief Nr. 32. Nr. 84 an Johann Fecht 12. 9. 1690 387 sitet zu Rostock professori publico ordinario, auch dasigen creyses treu- wachsamen Superintendenten. Meinem insonders Hochgeehrten Herrn Schwagern und in dem HERRN wehrten Brudern. Rostock. 388 Briefe des Jahres 1690 85. An [ein Mitglied des Reichskammergerichts in Wetzlar?]1 Dresden, 12. September 1690

Inhalt Hält die Feier eines katholischen Gottesdienstes in einer evangelischen Kirche für problematisch, v. a. wegen der Messe, die am Altar gefeiert wird. – Schlägt vor, die Angelegenheit vor dem immerwährenden Reichstag entscheiden zu lassen. Überlieferung K: Halle a. S., AFSt, F 13: II, Nr. 21. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 290–291.

Die vorgelegte frage wegen begehrten coëxercitii der papistischen religion in der den Evangelischen durch den friedenschluß2 eingeräumter kirchen be- kenne von zimlicher consideration und wichtigkeit zu seyn, und will fast bedencklich fallen, nachdem man von der andern seite nicht leicht einen 5 fußbreit uns weiter, als man nothtringlich thun muß, zu unserm Gottesdienst einzuräumen pfeget und sich so bald darüber ein gewissen machet, daß wir denselben so leicht weichen wolten, sonderlich, da nicht allein die cantzel zur predigt, so noch leichter, sondern auch ein altar zur messe3 und also einem abgöttischen dienst und einer an sich selbst unrechten sache gefordert wird, 10 welches allezeit die verstattung des päpstischen exercitii schwerer als anderer

1 Bei der Ansiedlung des Reichskammergerichts (s. Anm. 5) war es zu Streitigkeiten zwischen der lutherischen Bevölkerung und den mit dem Gericht zuziehenden katholischen Bürgern gekommen, v. a. weil der (evangelische) Dom von den Katholiken mitbenutzt werden sollte (A. Baumann, Advokaten und Prokuratoren. Anwälte am Reichskammergericht [1690–1806], Köln 2006, 94 f). Kontakte Speners zu Geistlichen in Wetzlar sind nicht bekannt. Es könnte sich deswegen beim Adressaten um ein Mitglied des Kammergerichts handeln. Mit Johann Ulrich Zeller stand Spener im Briefkontakt (s. Brief Nr. 12), der allerdings in Frankfurt lebte (s.d.). Mögliche Adressaten sind auch Erich Mauritius, der mit nach Wetzlar kam (F.-W. von Ulmen- stein, Geschichte und topographische Beschreibung der kaiserlichen freyen Reichsstadt Wetzlar, Bd. 2, Wetzlar 1806, 300), ebenso Huldrich von Eyben (aaO, 301) (zu diesem s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 30 Anm. 24). 2 In Wetzlar war nach der Übersiedlung des Reichskammergerichts die Ausübung der drei im Westfälischen Frieden zugelassenenen Konfessionen durch den Rat gestattet worden (F. Schul- ten, „… zwo religionen beyeinander unter eynem dach …“. Die Geschichte der simultanen Nutzung des Wetzlarer Domes nach den Akten den ehemaligen Marienstifts, in: Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins 42, 2004, 85–142), so daß hier Spener wohl an diesen erinnert. 3 Das Abendmahl ist nach katholischer Lehre ein Meßopfer, bei dem der Opfertod Christi immer wieder (nach)vollzogen wird (TRE 1, 128–131; zur reformatorischen Kritik s. Luther, De captivitate Babylonica [WA 6, 512.7–9]: „Tertia captivitas eiusdem sacramenti Est longe impiissimus ille abusus, quo factum est, ut fere nihil sit hodie in Ecclesia receptius ac magis per- suasum, quam Missam esse opus bonum et sacrifcium.“). – Der Wetzlarer Dom besitzt in der Tat zwei Altäre. Nr. 85 an [ein Mitglied des Reichskammergerichtsin Wetzlar?] 12. 9. 1690 389 religionen machet: da wir aber, wie wir mit gedult solches leiden müssen, wo es zu ändern nicht in unsern händen stehet, aufs wenigste mit williger ein- räumung jenes nicht zu befordern und uns also so fern der schuld theilhaftig zu machen haben: daher es eine sehr notable beforderung unsers Gottesdien- stes seyn müßte, zu dero erhaltung man in jenes begehren und doch mit ver- 15 wahrung des gewissens gehellen4 dörfte. Indessen deucht mich, daß die sache nicht von hochpreißlichem Cammer- gerichte5 so wol auszumachen, als vielmehr vor das gesamte reich und den reichstag6 zu verweisen wäre, wodurch die Herren Camerales unserer religion sich sowol der invidiae7 bey ihren Herren Collegis entbrechen, als auch nach- 20 mal den etwa daraus folgenden entschluß, so nicht anders als nach reifesten deliberationen und communicationen geschehen kan, ohne ihre fernere ver- antwortung annehmen könten. Der HErr HErr aber gebe selbst die weisheit von oben8, in allen andern und auch dieser sache seinen willen zu erkennen, befördere kräftiglich bey 25 allen seine warheit und lasse sie auch in die hertzen derjenigen tringen, welche sie noch nicht erkennen. Dreßden, den 12. Sept[ember] 1690.

4 Zustimmen (DWB 5, 2373). 5 Das Reichskammergericht, 1495 gegründet, war das oberste Gericht des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, seit 1689 nach der Zerstörung Speyers durch französische Truppen in Wetzlar ansässig (A. Baumann, [wie Anm. 1], bes. 93–98). 6 Der immerwährende Reichstag in Regensburg, seit 1663 ständige Vertretung der Reichs- stände in Regensburg (K. O. von Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, 51–68; W. Fürn- rohr, Der Immerwährende Reichstag zu Regensburg. Das Parlament des Alten Reiches, Kallmünz 21987; A. Schindling, Die Anfänge des immerwährenden Reichstags zu Regensburg, Mainz 1991; H. Neuhaus, Das Reich in der Frühen Neuzeit, München 22010, 74–77). 7 Mißgunst, Parteihaß. 8 Vgl. Jak 3,17. 390 Briefe des Jahres 1690 86. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 16. September 1690

Inhalt Will auf den am Vortag erhaltenen Brief gleich antworten. – Hat noch nichts vom Branden- burgischen Hof zu seiner Berufungsangelegenheit gehört und betont erneut, daß er nicht von sich aus von Dresden weggehen könne, weil er von Gott dorthin berufen sei; die Gewißheit des göttlichen Willens sei dem vorzuziehen, was einem selbst als das Beste erscheine. – Möchte gerne bei passender Gelegenheit etwas über die fromme Familie von der Asseburg hören. – Zitiert aus einem Brief von [Caspar] Sagittarius, in dem dieser inständig darum bittet, Petersen möge sein Versprechen einhalten, den Chiliasmus und andere strittige Themen nicht von der Kanzel zu verkündigen. – Wird bei dieser Frage nicht von der Ansicht der Freunde abweichen. – Fragt nach dem Gerücht, man schaue sich in Lüneburg schon nach einem Nachfolger Petersens als Superintendenten um; läßt [Johanna Eleonora] und [August Friedrich] Petersen grüßen, ebenso ­[Ludwig Friedrich] Barthol. – [P. S.:] Meldet den Tod von Martin Michael(is), Katharina Regina Wild und Anna Elisabeth Eberhard, sowie die schwere Krankheit von Conrad Hieronymus Eberhard. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 474–477.

JESUM Lucem nostram et praesidium! In ipso dilectissime Frater et Compater. Accepi heri Tuas2 et, cum credam avide Te expectare, de quibus quaesivisti, sine mora respondeo. 5 Brandeburgica aula hactenus siluit3, sed moneor negotium serio tractatum iri Serenissimo Electore ad suos reverso4. Me quod attinet propositum in neutram partem muto: Sponte abire aut abitum meum instanter urgere ob θείον5 vocationis praesentis satis agnitum nequeo: Si vero serio vocer, volun- tatem Divinam ex eo agnoscam, in quam partem ὁ καρδιάρχης6 eorum corda 10 flexurus est, penes quos dimittendi est facultas7. Ita non erravero rem direc- tioni eius permittens, qui omnia rectissime disponit: et certior eius sum vo- luntatis, quam si eam aestimare ex eo mallem, quod mihi optimum visum. Si

10 quos: cj ] quas.

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Der Brief Petersens ist nicht überliefert. 3 Spener wartete auf die Nachricht vom Brandenburger Hof, ob er eine ofzielle Berufung als Propst an die Nicolaikirche in Berlin-Cölln erhalten werde (s. dazu Brief Nr. 59, Z. 6–22). 4 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (zu diesem s. Brief Nr. 1 Anm. 1), der sich zu dieser Zeit im Schwarzwald bei seinem Heer aufhielt (s. Heyne, Feldzüge, 143–145). 5 Das Göttliche. 6 Der die Herzen beherrscht, d. h. Gott. 7 Nämlich sein jetziger Dienstherr Johann Georg III. von Sachsen. Nr. 86 an Johann Wilhelm Petersen 16. 9. 1690 391 vero me Deus Brandenburgicis Terris adducat, certo confido ostium ibi mihi divina gratia futurum patentius quam alibi, nempe si non proprio arbitratu illuc ivero. 15 De pientissimis Asseburgiis8 suo tempore etiam resciscere aveo, quas nobis spes faciant. Caeterum quid a me D. Sagittarius, Prof[essor] Jenensis9, vir, si quis alius est, candidus et pius, qui nuper edita Epistola ad Wieglebium et Langejanum10 pietatis causam tutatus et odia inde resultantia non veritus est, petierit, ascrip- 20 tis ipsius verbis indico11: „Ich vernehme, daß Herr Dr. Petersen seine privat=​ Gedancken seiner zusage zuwider von neuen auf die Cantzel bringet12 und dadurch zu neuen querelen anlaß giebet. Fürwahr, ich liebe, lobe und re- spectire diesen Mann: Aber was er mit seinem sonderbahren Chiliasmo und einigen andern lehren13 Gott vor einen großen dienst thue, kan ich gleich­ 25 wohl auch nicht sehen. Gestehet er, daß es keine zur Seeligkeit nöthige Glaubens Articul (sie seyn es ja wahrhafftig nicht), solte er sich denn nicht derselbigen enthalten14? Ich bitte um Christi willen, schleünig es ihm zu schreiben, auch gedencken, daß ich darum umständig15 gebeten hätte.“ Equidem quantum quidem per Christum mihi dabuntur vires pro eorum 30 verae fidei et pietatis causa decertabo et fortiter decertabo: sed si huic causae illi, qui itidem id unice deberent agere, singularibus suis Doctrinis scandala excitant, prostituere videntur communem causam. „Mann muß sich zwar das ansehen nicht schrecken laßen (u. warlich es hat mich nicht geschrecket), aber man muß doch auch pro Christiana prudentia viel in consideration auch auf 35 die äußerliche feinde der wahrheit selber sehen, alß die schon anfangen pub­ lice zu frolocken.“ Haec ille.

30 vires ] [in K doppelt].

8 Der Kontakt Petersens zur Familie von der Asseburg (zu dieser s. Brief Nr. 47 Anm. 1–7) war vermutlich durch Julius Franz Pfeifer entstanden, als diese noch verarmt in Magdeburg lebte (s. dazu Matthias, Petersen, 258 f; Einzelheiten zur Familie s. aaO, 257). 9 Caspar Sagittarius (23. 9. 1643–9. 3. 1694), Professor für Geschichte in Jena; geb. in Lüneburg, nach dem Studium 1668 Rektor in Saalfeld, 1671 Umzug nach Jena und 1674 Geschichtsprofessor ebd., 1678 Dr. theol. (RE3 17, 334–337; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 48 Anm. 1). 10 C. Sagittarius, Epistola Ad Cl. M. Io. Hier. Wieglebium, Thuringum, Et Petr. Jacob. Langei- an, Luneburgensem, Jena: J. Z. Nisius 1690. – Vgl. zu dieser Schrift die Erwähnung A. H. Franckes in seinem Brief vom 21. 8. 1690 an Spener (Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 8, Z. 20 f, mit einer inhaltlichen Zusammenfassung in Anm. 16). 11 Der Brief von Sagittarius an Spener ist nicht überliefert. 12 Zur Zusage Petersens, sich auf der Kanzel nicht über den Chiliasmus zu äußern und sich auf den gekreuzigten Christus zu konzentrieren, s. Brief Nr. 26, Z. 12–14, mit Anm. 7, und Nr. 38, Z. 21–24. Ofenbar hatte Spener Sagittarius von diesem Versprechen berichtet. 13 Im Zusammenhang mit dem Chiliasmus die besondere Auferweckung der Märtyrer (vgl. dazu Brief Nr. 38, Z. 18–61). 14 Vgl. die ganz ähnlich lautenden Hinweise Speners in den Briefen Nr. 19, Z. 19 f, und Nr. 77, Z. 71 f. 15 Im Sinne von „eindringlich“, „inständig“ (s. DWB 23, 1177). 392 Briefe des Jahres 1690

Mi frater, nosti, qui meus ab antiquo circa hanc causam sensus, ob amico- rum sententia haud abludens. 40 Aliunde autem cum mihi scribitur16 Lunaeburgenses iam de novo, ita fama, ferento Superintendente solicitos, id valde me habet solicitum, cum et Tua causa et communis, ac propria mihi cordi est. Regat nos omnes Dominus suo spiritu, cui cum optima Joanna17 et filio18 commendatus. Vale ac Bartolum19 nostrum cum familia saluta, esse iucundum iter precare.

45 Scrib. Dresdae, 16. Sept[embris] 1690. Vester in Domino integerrimus PJSpenerus, D. Mppria. [P. S.:] 50 Qui nuper mortem significavi pii nostri Michaelis20, qui sororis meae21 gener fuit et Tuae satis cognitus, nunc excessum significo sororis meae D. Wildi uxoris22, et optimae Eberhardiae viduae Francofurt[ensi]23. Filius autem huius, medicus24, graviter aegrotat. Oremus Patrem coelestem, qui pro suo consilio suis illum restituat.

16 Nichts ermittelt. 17 Johanna Eleonora Petersen geb. von Merlau (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). 18 August Friedrich Petersen (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 19 Ludwig Friedrich Barthol; zu ihm und dem Aufenthalt seiner Familie in Lüneburg s. Brief Nr. 38 Anm. 24. 20 Martin Michael(is) (s. Brief Nr. 11 Anm. 53). 21 Agatha Dorothea Stoll geb. Spener (s. Brief Nr. 13 Anm. 18). – Martin Michael(is) hatte ihre Tochter Anna Dorothea geheiratet. 22 Katharina Regina Wild geb. Spener (1652–29. 8. 1690), seit 1671 mit Johann Ulrich Wild verheiratet (Harraeus, 19). 23 Anna Elisabeth Eberhard, Mutter von Anna Elisabeth Kißner (s. Brief Nr. 11 Anm. 49). 24 Conrad Hieronymus Eberhard, Arzt in Frankfurt (s. Brief Nr. 11 Anm. 50). Nr. 87 an [einen Geistlichen] 18. 9. 1690 393 87. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 18. September 1690

Inhalt Beantwortet die Frage aus einem zweiten Brief des Adressaten, ob sich ein Geistlicher um einen besonders vorbildlichen frommen Lebenswandel bemühen müsse. – Speners Antwort lautet: 1. Was durch das Doppelgebot der Liebe bestimmt ist, gilt für Pastoren genauso wie für alle anderen Christen. – 2. Man kann vom Pastor mehr erwarten, weil er die Heilige Schrift besser kennt. – 3. Als Vorbild für die Gemeinde darf er keinen Anstoß erregen; dies gilt auch für Ver- haltensweisen, die an sich nicht sündig sind, durch die sich aber einfache Leute verleiten lassen; verweist auf das paulinische Wort, nach dem zwar alles erlaubt sei, aber nicht alles nutze und erbaue. – 4. Der Pastor darf sich nicht mit Unwissenheit herausreden und muß den Schaden bedenken, den er als schlechtes Vorbild anrichten kann. – Verweist auf die Gefahr, daß kon- fessionelle Gegner mit ihrer Kritik an sündhaften Pfarrern zugleich die Kirche selbst angreifen und Gemeindeglieder allmählich zum Atheismus geführt werden können. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 1, Frankfurt a. M. 1709, S. 393–395.

Altera epistola2 hanc inprimis quaestionem proponebat: „an necesse sit, ut in Pastore Ecclesiae, qui typus gregis3 esse debet, non commune, sed prorsus singulare pietatis studium requiratur, ita ut non sufficiat, si pie et honeste ut alii vivat, sed speculum et exemplum singularis pietatis ac virtutis esse debeat?“ Huic ut satisfiat, ita sensum meum explico. 5 1. Pastor cum Christianus sit communia habet cum aliis Christianis officia, quae ab omnibus exigunt, quicquid ab homine virtute Spiritus S[ancti] hac in vita adhuc praestari potest. Unde cum eo spectet amor Dei ex toto corde et tota anima4, ac adeo quantus in hominem hic cadit, quo maior esse non potest, cum eodem spectet studium servandi divina praecepta, quod iterum 10 intensissimum exigitur: cum eodem spectet imitatio Christi, exempli per- fectissimi, sed denuo universalis: apparet Pastoris et auditorum circa ipsa Chri- stianismi officia idem esse debitum, nec ab alio plus vel minus requiri, quibus omnibus eadem praescripta est regula. 2. Habet pastor officia aliqua sibi peculiaria, qualia etiam inter auditores 15 diversa vitae genera sunt, illa in eo potissimum occupantur, quod muneris causa istam decet plus circa coelestia et aeterna occupari, Scripturae medita- tioni diligentiori vacare, precibus plus temporis assignare atque ita tabulae primae operibus saepius incumbere, quam vocatio specialis reliquis auditori-

1 Der Gebrauch der lateinischen und v. a. griechischen Sprache läßt den Schluß zu, daß der Empfänger ein Theologe ist. Nach Z. 1 hat er mehrfach an Spener geschrieben. 2 Beide Briefe sind nicht überliefert. 3 Vgl. 1Petr 5,3 (jedoch nicht nach der Vulgata, wo „forma“ statt „typus“ steht). 4 Vgl. Lk 10,37; Dtn 6,5; Lev 19,8. 394 Briefe des Jahres 1690

20 bus permittit: Si enim omnibus virginibus5 Apostolus praecipit, et quidem in oppositione ad coniuges μεριμνᾶν τὰ τοῦ κυρίου, πῶς ἀρήσῃ τῷ κυρίῳ,6 et τὸ εὔσχημον καὶ εὐπάρεδρον τῷ κυρίῳ ἀπερισπάστως7: cur non pari vel potiori iure idem exigamus ab iis, qui cultui sacro singulari modo se dicarunt? 3. Quia pastor iubetur typus esse gregis8, ab eo utique requiritur non solum, 25 quicquid omnes alii in sua etiam vita exprimere debent, sed hoc etiam, ut ea caveat diligentissime, ex quibus alii offendiculi occasionem capiant. Sunt enim quaedam in humana vita ex genere licitorum, cum mali in se nihil habeant adeoque animo pio facta peccato vacant, cum vero proxime ab illis absint, quae revera mala sunt, prudentia singulari opus est illa agere, nec ab his in- 30 quinari: hanc vero prudentiam nec omnibus nec plerisque inesse satis novi- mus, cum ergo ita comparatum sciamus, ut auditores, simpliciores praesertim, pastorum suorum vitam tanquam typum sibi praestituere soleant, his longe quam aliis magis incumbit, ut abstineant non ab iis solum, quae leges divinas violant, sed, quae cum his propiora sint, occasionem facile praeberent intuen- 35 tibus, ut licere sibi exemplo credant, quae cum iis, quae pastor egit, non nihil convenire sibi imaginantur, saltem in confinio mali constituti, ne gressus in illud declinet, aegre caveant. Unde cum aliis iter facientibus per varios sub- inde anfractus compendia quaerere integrum sit, qui ea prudentia pollent, ut vitare possint pericula aut ab illis pedem confestim retrahere norint, ille 40 neutiquam probandus esset, qui sibi conscius, quod vestigia sua multi sibi sequenda proponant, semitas paulo periculosiores iniret, in quibus ipse qui- dem satis passibus suis prospicere nosset, nec tamen eandem circumspectio- nem a sequentibus promittere sibi valeret: unde potius, si fidi hodegi elogion9 mereri vult, necessitatem sibi impositam intelliget tutissimo semper, et qui- 45 dem qui universis tutus sit, tramite ingrediendi. Hoc sibi dictum putent omnes animarum duces, et cum ab ista regula Apostoli, πάντα μοι ἔξεστιν, ἀλλ’ οὐ πάντα συμφέρει. πάντα μοι ἔξεστιν, ἀλλ’ οὐ πάντα οἰκοδομεῖ10, nec alii excipiantur, prae caeteris tamen se illi astrictos agnoscant, adeoque per- suasi licere aliis, quae sibi non licent, non a malo solum, sed a leviori etiam 50 mali specie abstineant. 4. Alio sensu etiam plus a ministro Evanglii requiri dicere possumus, ut sensus sit, quae ab isto peccantur, culpam semper coram Deo et Ecclesia graviorem contrahere. Qui enim in tractatione verbi divini aetatem exigit, voluntatem Domini penitius introspicit, certe introspicere debet, unde sicuti

5 Hier sind – nach der biblischen Vorlage – die Unverheirateten beiderlei Geschlechts ge- meint; vgl. dagegen „coniuges“ (Verheiratete). 6 Nach 1Kor 7,32 (Luther 1545: „[sich zu sorgen], was den [sic!] HErrn angehöret / wie er dem HErrn gefalle“). 7 1Kor 7,35 (Luther 1545: „Sondern dazu / das es fein ist / vnd jr stets vnd vnuerhindert dem HErrn dienen könnet.“). 8 S. Anm. 3. 9 Das Lob eines treuen Leiters. „Odegos“ und „elogion“ sind griechische Fremdworte. 10 1Kor 10,23 (Luther 1545: „Jch hab es zwar alles macht / Aber es fromet nicht alles / Jch hab es alles macht / Aber es bessert nicht alles.“). Nr. 87 an [einen Geistlichen] 18. 9. 1690 395 plura ab eo exiguntur, cui plura concredita sunt11, ignorantia peccata ipsius ut 55 aliorum non aeque elevare potest, sed cognitio uberior ea magis aggravat, ad- eoque ille δαρήσεται πολλάς12. Accedit ratio scandali exemplo longe magis noxii, si hoc ex nostro ordine datur, ac ab aliis dati: qua causa quod ab alio patratum inter leviora referri poterat, a persona Ecclesiastica ex proposito (nam infirmitatibus nostris, ut alii etiam condoleant, convenit) commissum a 60 facinore parum abest, muneris, quod gerit, sanctitate culpam, qua profanatur, plurimum augente. Ut de aliis sequelis peccatorum nostri ordinis non dicam, utpote quod ad- versarii ipsam Ecclesiam et doctrinam convitiandi inde sumunt occasionem, quod auditorum aliqui paulatim ad Atheismum13 ducuntur, ex eo, quod pastor, 65 quae reprehendit, ipse agat, serio vix hominem loqui autumantes et eadem causa de omnibus etiam aliis, quae inculcat, eandem suspicionem concipientes, quod ipsi ita peccantes Spiritum S[anctum] expellunt, in cuius tamen lumine et virtute munere suo fungi deberent, sine ipso autem finem praestitutum neutiquam assequentur, quippe prudentia vera, quae desuper est, ea causa 70 destituti. Sed plura cumulare necesse non est, cum ex his facile pateat, quo sensu plura a Theologo quam aliis exigi possint debeantve. DOMINUM vero ve- neremur, qui nobis Pastores semper det secundum cor suum et, quos dedit, magis magisque ab omnibus inquinamentis carnis et spiritus mundet, ut do­ 75 ctrinae puritatem conversationis sanctitas ornet, ipsique se et auditores salvos faciant. 18. Sept[embris] 1690.

57 πολλάς: cj ] πολλιὸ: D.

11 Vgl. Lk 12,48. 12 Lk 12,47 (Luther 1545: „Der wird viel streiche leiden müssen“). 13 Spener meint hier wie andernorts einen praktischen Atheismus, der im täglichen Leben nicht nach Gott fragt (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 124, Z. 107–174). 396 Briefe des Jahres 1690 88. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 19. September 1690

Inhalt Spricht sich positiv über [Julius Franz] Pfeifer aus, mit dem er in Leipzig und Dresden zu- sammengetrofen ist; kann diejenigen nicht verstehen, denen er mißfallen hat; hat ihm Ratschläge für das Studium gegeben. – Freut sich, daß der Adressat seiner Einschätzung der Zeitverhältnisse folgt. – Betont, daß in der gegenwärtigen Zeit der bedrängten Kirche besonders rechtschafene und in der gesunden Lehre bewanderte Männer nötig sind und daß Rechtschafenheit und reine Lehre ohnehin Schwestern sein müssen. – Stellt fest, daß die gesunde Lehre nicht dort zu fnden ist, wo man der eigenen Phantasie anstatt der heiligen Schrift folgt; wenn die Lehre nutzen soll, muß sie im Inneren des Menschen verankert sein und sich durch Früchte, die durch den Heiligen Geist gewirkt werden, zeigen: dazu gehört es, Eigenliebe, Ehrsucht, Bequemlichkeit und üble Lust abzulegen und umgekehrt sich zu bemühen, sein Leben nach dem himmlischen Willen auszurichten; eine Verbindung von Wahrheit und Heiligkeit würde für die Kirche glückliche Früchte bringen. – Beklagt, daß das Streben nach Frömmigkeit unter den Verdacht der Häresie gerät. – Weist die Gerüchte zurück, in Sachsen habe sich eine neue Sekte gebildet, die von der reinen Lehre abweiche und sich der eingesetzten Ordnung widersetze; beklagt einige, die im im Übereifer über das Ziel hinausschießen, die aber nicht bestraft, sondern sanft zur Ordnung zurückgeführt werden sollten. – Wünscht, daß Gott die Kirche davor bewahren möge, die Wahr- heit unter dem Vorwand der Frömmigkeit zu verletzen und die Frömmigkeit aus Eifer um die Orthodoxie zu unterdrücken. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 706–707.

Gratus etiam ille fuit, cuius amore scriptae vestrae, Pfeifferus noster2, in quo, quam me candor et pietas vere ἀνυπόκριτος3 temperatusque decenti modestia zelus, et superiori anno, cum me Lipsiae4 affaretur5, etiam nuper mihi praesens esset6, delectaverit, exprimere satis nequeo saepeque miratus sum, fuisse, 5 quibus ille valde displiceret, nisi quod eo vivimus seculo, quo vix alia plerisque placent, quam quae seculum sapiunt. Suggessi iuveni, et volenti et ad vestrum

1 Es wird sich um einen der Geistlichen aus dem Umfeld von Lüneburg handeln, die mit Spener korrespondierten. Das ergibt sich daraus, daß er mit der Formulierung „Pfeiferus noster“ die gleiche Formulierung verwendet wie in Brief Nr. 77, Z. 113. Julius Franz Pfeifer gehörte in den Freundeskreis Petersens in Lüneburg. Spener muß sich und die Leipziger Ereignisse in gewisser Weise verteidigen. 2 Julius Franz Pfeifer (s. Brief Nr. 77 Anm. 48). 3 Ungeheuchelt. 4 Leipzig. 5 Wohl bei Speners Leipzigaufenthalt vom 2. 9. bis ca. 9. 9. 1689 (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 97 Anm. 4). 6 Spener berichtet am 26. 7. 1689 in seinem Brief an Rechenberg, [Julius Franz] Pfeifer sei bis jetzt in Dresden gewesen (Ad Rech 1, Bl. 291r); vielleicht war er auch im Jahr 1690 wieder in Dresden. Nr. 88 an [einen Geistlichen] 19. 9. 1690 397 optimique parentis7 desiderium, quae studiis ipsius conducere credidi consilia, nec non de illis monui, quae hoc imprimis tempore a cultore genuinae pieta- tis prudentia requirit: quae cuncta ille et avida hausit aure8 et animo promto suscepit, unde nec diffido spei omnium nostrum responsura, quae ab ipso, si 10 divina, uti non dubito, accedat benedictio, quondam expectemus: qui enim possit Pater benignissimus destituere filialia desideria eius, cui id unum in votis est, ut ipsi placeat et obsequium suum praestare valeat? Gratum denique mihi fuit ex Tuis9 sensum vestrum pariter cognoscere, qui cum meo plane idem est: nempe si ullo, hoc certe aevo opus esse Ecclesiae 15 nostrae ad angustias redactae Viris, qui probitatem cum sinceritate doctrinae coniunctam serio promovere studeant: ita enim omnino opus est (utinam omnes agnoscerent et, qui fatentur, ut id fiat, omnia sua studia impenderent) sinceritatem doctrinae et probitatem sorores esse, quae nunquam divellendae. Sinceritas doctrinae si absit et homo extra scripturae divinae semitas eva- 20 getur suam secutus phantasiam, quam probitatem credit, genuina non est. Vicissim doctrinae puritas, si etiam servetur, quamvis forte non semper sine altera diu servari possit, sine vera et pectori intimo infixa pietate ad salutem non proficit, quin potius meliorum gnaros adeoque maioribus beneficiis coe­ litus mactatos gravius damnat. Unde cum fidei prima sit cura, ante omnia 25 divinam veritatem, ex divinis tamen certius oraculis quam hominum scriptis necesse est, solicito oculo introspici vel potius hauriri animo: Ubi primum vero veritas illa non tam humana industria in cerebro effigiata, quam Spiritus divini virtute ipsis cordis penetralibus impressa fuerit, non possunt non inde progerminare huius radicis fructus copiosissimi, imprimis reliquorum caput 30 amor Dei et studium indefessum abnegato proprio amore, honore, commodis, voluptate, ad voluntatem coelestem pro viribus omnem vitam ducendi, quae sola germana pietas est. Ex hoc dein coniugio veritatis et sanctitatis foecundis- simo innumeri foetus nascuntur in aeternitatem durantes. Ah, felicem Ec- clesiam nostram, si huius generis multos numeraret! 35 Quo vero omnes tales evadant, nostri utique studii est, qui ordini sacro adscripti sumus, ut quicquid in nobis est, impendamus sedulo. Ast quam in- felici vivimus aevo, quo ipsum pietatis studium licet absque ullo praeiudicio veritatis excultum (uti tempore Lutheri10 nostri Graecas Hebraicasve callere literas) ab haeresi parum abesse multis videtur, quod certe probrum huius 40 aetatis gravissimum est.

7 Franz Julius Pfeifer (gest. 1719), Kaufmann in Lauenburg, 1698 Kirchenjurat, 1703 Be- gründer einer Druckerei; von 1692 bis 1693 war Bartholomäus Crasselius, Bruder von Johann Crasselius (zu diesem s. Brief Nr. 35 Anm. 1) in seinem Haus als Informator angestellt (W. v o n Meding, Lauenburg. Zur Geschichte des Ortes, Amtes, Herzogtums, Frankfurt a. M. u. a. 2008, 324, 424, 484). 8 Formelartig: „(mit den Ohren) gierig verschlingen“ (vgl. Vergil, Aenaeis 4, 359; Ovid, Meta- morphosen 13, 787; 14, 309). 9 Der Brief ist nicht überliefert. 10 Martin Luther (1483–1546). 398 Briefe des Jahres 1690

Ita rumor ille, qui totam Germaniam11 pervasit, de nova in Misnia12 exorta secta13, vix alii causae suam debent originem. Nihil enim, de quo mihi constet (constare autem debet omnino, quid geratur), hactenus post varias delationes 45 compertum est, quo vel puritas doctrinae, Evangel[icae] Eccl[esiae] pretiosum depositum, vel ordinis ex praecepto divino servandi religio violata essent: sed si quid a quoquam aberratum fuit, zelus fuit ex optimo principio, quem initio intra cancellos prudentiae continere difficillimum est, nec omnium: ast, qui excessus eius generis sunt, non animadversione gravi, sed leni in ordinem re­ 50 ductione egent: quamvis forte isti etiam exiguo sunt numero, pene universa autem, quae fama antiquo suo iure circumtulit, fabula fuerunt aut rerum etiam bonarum, in aliam plane speciem conversarum, sinistrae interpretationes et criminationes. Credo tamen et confido non semper tales nebulas14 vero offu- sum iri, sed solem istis depulsis omnia illa specie oculis stiturum, quae nihil 55 ficti agnoscit: uti toties vidimus calumnias diu foveri vel occultari, verum non potuisse. Invocemus Dominum indefinenter, qui adsit Ecclesiae suae nec vel verita- tem praetextu pietatis levissime temerari vel pietatem orthodoxiae et pro hac zeli colore opprimi patiatur. Nec patietur sane, quia DEUS est, suaeque 60 promissionis memor! Vale. Dresdae, d. 19. Sept[embris] 1690.

11 Deutschland. 12 Meißen, hier: das Kurfürstentum Sachsen. 13 Das Gerücht, es habe sich in Leipzig eine pietistische Sekte gebildet (s. Briefe Nr. 76 Anm. 37 mit weiteren Verweisen auf Erwähnungen der Angelegenheit). 14 Das Bild von Nebel und Wolken, durch die am Ende die Sonne wieder dringen kann, ver- wendet Spener wiederholt, wenn er auf die schwierige Entwicklung der Leipziger pietistischen Unruhen zu sprechen kommt (vgl. ähnlich in den Briefen Nr. 50, Z. 3, Nr. 51, Z. 73, und Nr. 54, Z. 57), aber auch schon in Bezug auf die Gerüchte zu einer Separation in Frankfurt (s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 35, Z. 21 f). Nr. 89 an [einen Bekannten] 20. 9. 1690 399 89. An [einen Bekannten]1 Dresden, 20. September 1690

Inhalt Bestätigt die Klage, daß diejenigen, die sich um die Frömmigkeit bemühen, verlästert und ver- achtet werden, und verweist auf die entsprechenden Voraussagen im Neuen Testament. – Zur ersten christlichen Lebensregel, der Selbstverleugnung, gehört auch die Übernahme des Kreu- zes. – Weltlich gesinnte und nur am Buchstaben klebende Leute ohne das Licht des Heiligen Geistes halten die Veränderung des Menschen für Teufelswerk und stehen in Gefahr, den Heiligen Geistes zu lästern. – Ermahnt, keinen Anlaß dafür zu geben, sondern sich um die Gottseligkeit und gleichzeitig um die reine Wahrheit zu bemühen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 821–823.

Was die klage anlangt, wie die lästerungen, verachtung und haß der gemeine lohn seyen, damit die welt die jenige ihrer seits ablohnet, welche sich, von GOtt gerühret, zur rechtschafenen gottseligkeit und dero übung führen lassen und alsdann ihr selbs mit exempel und vermahnung gern dienen wolten, ist mir die wahrheit derselben gnug und auch aus eigener erfahrung von ziem- 5 licher zeit bekant. Aber gelobet seye unser theurster Erlöser, der uns solches lang zuvor gesagt hat, damit wir uns, wann es komme, nicht darüber ärgern. Nur ists nöthig, daß wir allezeit auch in solchem leiden auf ihn und sein wort sehen. Wann wir dann hören in demselben, daß es nicht anders seyn könne, als daß die welt das jenige hasse, was nicht ihr, sondern von GOTT erwehlet2 10 und also aus ihr heraus gezogen seye, und das exempel unsers Heylandes vor augen haben, dem es nicht anders gegangen3, so befremdet unsern neuen menschen das jenige nicht, was dem alten nicht wol schmecket. Vielmehr erkennet jener, daß dieses wort des HERRN so wol erfüllet und von unsrem glauben angenommen werden müsse, als andere göttliche wort stets erfüllet 15 werden und sich unser glaube an dieselbe hält. Und sind wir mit dieser bedingung von dem HErrn unter seine jünger aufgenommen worden, daß, so bald wir uns selbs nach seiner ersten regel verläugnet haben, wir uns gefast machen müssen, auch seyn creutz, so davon

4 alsdann ] alsodann: D1. ​19 davon ] daran: D1. ​

1 Der Adressat dürfte ein Gemeindeglied eines Geistlichen sein, der sich kritisch gegen die pietistische Bewegung geäußert und diese als Zauber‑ und Teufelswerk verdammt hat (Z. 31, 50, 56). Er steht Spener nahe. Ob der später in Hamburg aufgekommene Vorwurf der Zauberei gegen den Pietismus (s. Anm. 9) schon in dieser Zeit dort verwendet wird, läßt sich nicht feststellen. 2 Vgl. Joh 15,19. 3 Vgl. Joh 15,18. 400 Briefe des Jahres 1690

20 unabsonderlich ist, auf uns zunehmen4, so wollen wir uns nicht entziehen, wann auch solche bedingung bey uns platz fnden solle: der gewissen versi- cherung, je ähnlicher wir unsrem vorgänger auch in diesem stück werden, je ein mehrer maß der gnaden hier, so dann auch dorten der herrlichkeit, seye uns von dem libsten Vater bestimmet. Der zugleich in aller solcher prüfung 25 unsers glaubens und gedult5 uns kräften gnug ertheilen wird, unsre probe außzustehen und in unsrer schwachheit zu überwinden. Daß ist je gewißlich war! Daß ferner die blinde welt (wolte GOTT, es machten sich nicht zu weilen solcher schuld auch blinde leiter6, die aber damit zeugen, was sie sind, schul- 30 dig) die änderung eines menschen zu einem andern sinn und rechtschafenen Christenthum vor zauberwerck halte, ist schrecklich, aber muß auch nicht fremd seyn. „Der natürliche mensch“ (dahin gehöret nach der glosse Lutheri „aller mensch ausser der gnade“, das ist, ausser der wahren göttlichen erleuch- tung, „mit aller vernunft, kunst, sinnen und vermögen, auch aufs beste ge- 35 schickt“7) vernimmt nichts vom Geist GOttes, es ist ihm eine thorheit, und kan es nicht erkennen, denn es muß geistlich gerichtet seyn“. Nun ist ja die kraft der wiedergeburt und erneuerung in einer gläubigen seele etwas des Geistes GOttes und seine wahre gnädige würckung: Wie solte dieselbe dann ein natürlicher mensch, ein auch sehr (ja, in der schrift) gelehrter mann, da 40 er das licht des heiligen Geistes nicht hat und selbs nicht in erfahrung rechter göttlicher würckungen in seiner seelen stehet, sondern sein lebenlang allein an einem unfruchtbaren müßigen buchstäblichen wissen kleben geblieben ist, aber die kraft des Geistes immer in sich gehindert hat, vernehmen und be- greifen können die kraft GOTTES, wo er den seinigen ein neues hertz und 45 einen neuen sinn schencket, das feischerne hertz ihnen gibet und hingegen das steinerne von ihnen nimmet8? Von welcherley ein solcher mensch wol mag oft gehöret, gelesen, auch wol geredet haben, da er doch die sache selbs niemal warhaftig eingesehen hat. Indessen ists, wie oben gesprochen, recht erschrecklich, GOTTES werck 50 zu zauber= und also teufels=​werck machen9. Als dorten unser Heyland einen teufel durch den fnger GOTTES aus getrieben und seine feinde ihn be- schuldiget, er thue solches durch Beelzebub, der teufel Obristen, zeiget er an, dieses seye eine lästerung in den heiligen Geist, die ihnen nimmermehr ver-

26 gewißlich ] gewßilich: D1. 29 zeugen ] zeigen: D2+3. 32 seyn ] seyen: D1. ​ 36 seyn ] seyen: D1. ​45 und ] + hin: D1. ​53 den ] dem: D1. ​

4 Vgl. Mt 16,24 parr. 5 Hebr 6,12. 6 Vgl. Mt 15,14. 7 Randglosse zu 1Kor 2,14 (WA.DB 7, 93). Spener verweist darauf schon in: „Allgemeine Gottesgelehrtheit“ 1, S. 17 (Spener, Studienausgabe, Bd. I/2, 47.1–4; s. a. KGS 1, 290). 8 Vgl. Ez 11,19; 36,26. 9 Im Jahr 1703 verwendet Sebastian Edzard das gleiche Vorwurfsmotiv: S. Edzard, Die Gott- losigkeit Des Pietistischen Schwärmer Haufens, Wittenberg: Christian Gerdes 1702, S. 32 f. Nr. 89 an [einen Bekannten] 20. 9. 1690 401 geben werden solte10. Der gleichen will ich zwar von dieser art lästerern nicht sagen, in dem ich in ihr hertz nicht sehen kan11, aber die sache selbs anlangend 55 kommt diese sünde, des heiligen Geistes werck dem zauber=geist​ zuzuschrei- ben, mit jener sehr überein. Uns kommet also zu, daß wir, wo wir in der forcht des HERRN, ihm treulich zu dienen, vorgenommen haben, auf solchem wege ernstlich fort- fahren, darbey vorsichtig wandlen, daß wir uns weder mit einigem aber- 60 glauben oder gemeinschaft eines irrthums selbs hindernüß setzen und den- jenigen, welche gern gelegenheit zu lästern suchen, dieselbe geben, vielmehr bey der reinen warheit der Gottseligkeit und bey der Gottseligkeit der reinen warheit fest anhangen, von der welt und dero lästerungen uns nicht müde machen lassen, hertzlich aber vor diejenige beten, so uns um des guten willen 65 zu wider sind, daß der liebste Vater im himmel sich ihrer erbarme und ihnen die augen öfne, zu sehen wie gefährlich sie sich selbs, wieder den stachel leckende12, verwunden, ob sie endlich selbs dasjenige, dem sie zu wider ge- wesen, nach dem sie es erkant, künftig befordern oder der HERR ihnen die hände binde, sich nicht weiter mehr zu versündigen. Wo wir auf diesem wege 70 fortfahren, so wird uns wol seyn und endlich jenes Apostolische erfüllet werden: „Selig ist der mann, der die anfechtung erduldet, denn, nach dem er bewähret ist, wird er die crone des lebens empfahen, welche GOTT ver- heissen hat, denen die ihn liebhaben.“13 etc.

1690, 20. Sept[ember]. 75

62 denjenigen ] dem jenigen: D1. ​61 f dasjenige ] daß jenige: D1. ​71 seyn ] seyen: D1.

10 Vgl. Mt 12,22–32. 11 Vgl. 1Sam 16,7. 12 Apg 9,2. 13 Jak 1,12. 402 Briefe des Jahres 1690 90. An [Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf in Wien]1 Dresden, 23. September 1690

Inhalt Berichtet von den Hamburger Auseinandersetzungen um den Religionseid und dessen Folgen für die evangelische Kirche insgesamt. – Kündigt eine Delegation aus Hamburg an den Kaiserhof an, die (ebenso wie sie auf dem Hinweg in Dresden mit Spener gesprochen hat) auch mit von Zinzendorf wird reden will. Überlieferung K: AFSt, Halle a.S., F 13: II, Nr. 35. D: Ph.J. Spener, Letzte Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (²1721), S. 318–321.

JEzo aber deucht mich, daß mir eine Gelegenheit zur hand komme, Eu. Exc. anlaß zu geben, sich in einiger wichtigen angelegenheit um die kirche nicht übel zu verdienen: Sie werden mir aber zu gut halten, daß ich den ganzen Grund eines wichtigen Geschäfts tiefer herholen muß. 5 So wird nun erinnerlich seyn, daß mein geliebter Schwager Herr Horbius2 vor 5 ½ jahren zum Pastorat zu S. Nicolai in Hamburg berufen worden, da er noch durch Gottes Gnade stehet: Vor ihm aber ist dahin gekommen Herr Winckler3, vormahliger Superint[endent] zu Wertheim und nun Pastor zu S. Michaelis daselbst4, nach ihm aber Pastor zu S. Catharinen H[err] 10 D. Hinckelmann5, der eine weil hofprediger und Superint[endent] zu Darm- statt war. Wie nun diese 3 von Gott mit stattlichen Gaben ausgerüstet sind, also haben sie mit zusammen gesetztem Eyfer auf das rechtschafene u[nd] ernstliche Christenthum getrieben und ungemeinen Eintruck in die herzen gefunden, daher sie auch in sonderer autorität und liebe bey den Gemeinden 15 stehen. Wie aber leyder bey dergleichen selten ohne anderer misgunst abge- het, so hatt sichs bald gezeiget, daß einige geglaubet, es gehe ihnen so viel an

6 5 ½ ] sechste halb : D2. ​

1 Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf (9. 10. 1662–9. 7. 1700), kursächsischer Gesandter in Wien; Rat und Kammerherr in Kursachsen, Vater Nikolaus Ludwig von Zinzen- dorfs, des Gründers der Herrnhuter Brüdergemeine (Zedler 62, 1134; Bittner/Gross, 449–455 u. ö.; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 41 Anm. 1). – Zur Empfängerbestimmung: Der Adressat, der mit „Exzellenz“ angesprochen wird (Z. 1, 129, 160), ist Gesandter am Wiener Kaiserhof. Daß die Hamburger Gesandten, von denen Spener redet, in Dresden waren, und er aus diesem Umstand ableitet, daß sie den Adressaten in Wien aufsuchen werden (Z. 157–160), macht die Empfängerbestimmung wahrscheinlich. 2 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 3 Johann Winckler, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 9 Anm. 1). 4 Gemeint ist Hamburg. 5 Abraham Hinckelmann, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 45 Anm. 42). Nr. 90 an [Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf] 23. 9. 1690 403 ihrem Ruhm ab, alß andern zuwächst. Sonderlich alß H[err] D. Mayer6, so gewohnt gewesen, wo er wäre, den applausum allein zu haben, dahin kam und solchen wegen der andern, bey denen mehr kraft u. Geist ist, nicht erlangen kunte, so hatt anderer Wiederwillen sich mehr gestärcket, und haben bereits 20 vor 2 Jahren Christliche freunde gemercket, daß die übrige des Ministerii an diese drey sich gern machten: dazu sie aber keine Gelegenheit, weil an ihrer Lehr und leben nichts zu desideriren stehet, funden. Endlich wurde folgende Gelegenheit im neulichen Martio gesucht, daß von dem Seniore7 ein Conventus angesagt wurde, allein mit dieser Anzeige, 25 daß man von Stiftung brüderlicher Einigkeit handlen wolte. Als man bey- sammen, that jener den Vortrag und begehrte einer abgefaßten Eydes Formul von allen unterschrieben zu werden, alß welches das beste Mittel der einigkeit wäre8. Wie nun H. Winckler der nechste nach ihm und ein sehr aufrichtiger Mann, daher am wenigsten argwöhnisch ist, bewegte ihn der Nahme der 30 brüderlichen Einigkeit9, daß er, was drunter steckte, nicht gewahr wurde, und subscribirte stracks mit einer wenigen restriction10. H. Horbius solte der nechste seyn, war aber wegen unpäßlichkeit nicht verhanden11, darauf folgte H. Dr. Hinckelman, der gleich tiefer sahe, was es damit zu bedeuten habe, und recusirte12 die subscription. H. D. Mayer, so folgte, aber seines lebens 35 wegen wenig hofnung zu ihm gefast werden kan13, unterschriebe nicht allein sondern verursachte, daß die andern alle unterschrieben, einige, die den zweck wohl erkandten und selbst vor augen haben mögen, andere durch der

6 Johann Friedrich Mayer (6. 12. 1650–30. 3. 1712), Hauptpastor in Hamburg; geb. in Leipzig, nach dem Studium in Leipzig und Straßburg 1672 Sonnabendprediger in Leipzig, 1673 Super- intendent in Leisnig, 1678 Superintendent in Grimma, 1684–1687 Theologieprofessor in Witten- berg, 1686 berufen zum Hauptpastor an St. Jacobi in Hamburg, seit 1687 gleichzeitig Professor in Kiel, 1701 Generalsuperintendent von Schwedisch-Vorpommern und gleichzeitig Professor in Greifswald; seit ca. 1687 einer der heftigsten Gegner des Pietismus (ADB 21, 99–108; D. Blau- fuss, Der Theologe Johann Friedrich Mayer, in: W. Kühlmann [Hg.], Pommern in der frühen Neuzeit, Tübingen 1994, 319–347; V. Gummelt, Johann Friedrich Mayer. Seine Auseinanderset- zung mit Philipp Jacob Spener und August Hermann Francke, Habil. masch., Greifswald 1996; ders., Der Maßlose: Johann Friedrich Mayer, in: I. Grabe u. a. [Hgg.], Greifswalder theologische Profle, Frankfurt a. M. 2006, 45–56; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 33 Anm. 1). 7 Samuel Schultze, Senior des Hamburger Predigerministeriums (s. Brief Nr. 32 Anm. 2). 8 Zu der Eidesformel s. Brief Nr. 32 Anm. 3. 9 Winckler unterstreicht sein „friedliebendes Gemüthe“ und die „Aufrichtigkeit meines Hertzens“, weswegen er keinen Argwohn hegte, als er den Revers zur Unterschrift vorgelegt bekam (Johann Winckler, Sendschreiben [zum Religions=Eid]​ 1690, in: N. N. [Hrsg.], Abdruck […] Herrn Johann Winckler / […] / Abgelassenes Send=​Schreiben / Worinnen die Ursachen / warumb die geschehene SUBSCRIPTION deß REVERSES, rescindiret worden / angezeiget. Von einem guten Freund zum Druck befodert. Frankfurt 1690, A2–B4). 10 Zu einschränkenden Formulierungen mit der Unterschrift Wincklers s. Rückleben, Niederwerfung, 111. 11 Gegenwärtig (DWB 25, 522). 12 Verweigern. 13 Johann Friedrich Mayer hatte sich von seiner Frau scheiden lassen (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 33 Anm. 12), und ihm wurde nachgesagt, er habe Afären (J. H. Horb schreibt am 19. 3. 1690, Mayer sei „ein beständiger Ehebrecher“; Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 70r). 404 Briefe des Jahres 1690

übrigen autorität bewogen und nicht einsehende, was die Sache auf sich habe. 40 H. Winckler, alß er drauf zu hauß die Sache reificher erwoge, erkennete nunmehr, was dahinder steckte, beschwerte sich über diejenige, so ihn über- eylet, und revocirte seine subscription durch ein eingeschicktes Schreiben14, in welchem er seine Gewißensangst über die Sache vorstellete. Es bestunde aber die materie des eydes hauptsächlich in den folgenden 45 formalien, wenn es heist, nachdem sie sich nochmalen nach ihrem erstgelei- steten Eyd zu den Symbolischen büchern bekand (davon bey niemand kein zweifel ist) daß sie auch solten „die einige zeit her bekannt gewordene Pseudophilosophos, Antiscripturarios15, laxiores Theologos16 und andere fa- naticos, namentlich Jacob Böhmen17, auch Chiliasmum tam subtiliorem quam 50 crassiorem18, verwerfen, ihre anhänger vor keine brüder erkennen, sie nicht entschuldigen, ihnen weder selbst noch durch andere keinen Vorschub thun etc.“19 Da dann zu mercken ist, was gute Freunde von der subscription abgehalten. 1. Weil dergleichen Confession zu machen keinem ministerio zukommt, 55 sondern der ganzen kirche, sonderlich dem magistrat. 2. Weil die wort sehr zweifelhaft und obscur sind, wen man durch die Pseudophilosphos, Antiscripturarios, sonderlich aber laxiores Theologos (dar- über man sich noch niemal zur gnüge zu erklähren vermocht) und andere fanaticos verstehe. 60 3. Weil auch das wort Chiliasmus subtilior u. crassior sehr zweifelhaft und einige unter dem subtiliori mit begreifen wollen alle hofnung künftiger beßerung der kirchen, welche bisher, GOtt lob, viele gottselige u. tapfere Theologi behauptet und noch behaupten. 4. Weil man Jacob Böhmen (welchen gleichwohl keiner unter diesen 65 dreyen billiget, ja gar zwey pro concione20 einigemal wieder ihn geredet) zu verdammen bedenckens tragen mag, da ihn unsere kirche noch niemahl pu- blice condemniret und desgleichen viele, auch Christliche Theologi, anstehen, ihn zu verdammen, weilen sie seine dunckle Redensarthen nicht begreifen, auch ihn selten einige gelesen oder zu lesen zeit haben und also ihn weder

14 Wincklers Schreiben, in dem er seine Unterschrift unter den Hamburger Religionseid widerruft, ist gedruckt in: Sendschreiben (s. Anm. 9). 15 Gegner der (Heiligen) Schrift. 16 Lockerere, d. h. weniger strenge, Theologen. 17 Jakob Böhme, mystischer Spiritualist (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). 18 Der grobe und der feine Chiliasmus. Zur Defnition von Chiliasmus s. Krauter-Dierolf, 108–111. – Hintergrund für diese Verwerfung im Religionseid sind die chiliastischen Lehren Johann Wilhelm Petersens (s. [Johann Friedrich Mayer], Abgenöthigte Schutz=Schrift​ [s. Brief Nr. 137 Anm. 13], S. 7; weiter dazu: Krauter-Dierolf, 90–92). 19 Wörtliches Zitat aus dem Hamburger Religionseid (s. etwa Rückleben, 380). 20 Vor der Versammlung, Gemeinde. Nr. 90 an [Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf] 23. 9. 1690 405 annehmen noch verwerfen, sondern damit zufrieden seyen, sein lesen zu 70 mißrathen21. 5. Da hingegen hier nicht allein so wol omnis, quicunque illo nomine22 von einigen verstanden würde, Chiliasmus und Böhme verworfen, sondern auch geschwohren werden müßte, alle die, welche nicht gleiches verworfen, vor keine brüder zu erkennen, wodurch solche materien müsten alß zur Seeligkeit 75 nothwendig determinirt werden, welches unsere kirche zu thun sich niemahls unterstanden hatt; auch nicht understehen kan, indem, was Chiliasmum an- langt, der fast bey allen Patribus der ersten seculorem zu fnden ist, dadurch auch dieselbe alle, alß welche contra fundamentum fdei23 gelehret hätten, verdammet werden müsten24. 80 Diese dinge sind nun der wichtigkeit, daß die 3 solch Jurament25 nicht lei- sten wollen, wie ich selbst auch solches nimmermehr zu thun und der ganzen kirchen so sehr zu praejudiciren getraute. Die andere hingegen trangen darauf und brachten responsa vor sich zuwegen26 von Wittenberg, Greifswalde, Kiel und Lübeck. Hierauf cassirte zwar der magistratus das jurament, aber das mi- 85 nisterium wolte sich dazu nicht verstehen, noch es cassiren laßen, sondern suchten jene drey aller orthen mehr und mehr suspect zu machen, weil sie sich nicht dazu verstehen wolten. Endlich ließen sie die Responsa gar truc- ken27, da zwar wiederum, als H. Horbius auf der canzel eine bewegliche re- monstration28 gethan, magistratus denselben truck confsciren ließe: weil 90 hingegen jene auf den Canzeln immer mehr die Sache trieben, scheinet es, daß sich magistratus wolle intimidiren29 laßen, daß er den 3 zumuthet, sich mit den andern zu vereinigen, welches aber sonderlich, nachdem sie eine ge- neraliorem formulam30 aufgesezt, solche aber nicht angenommen worden, nicht anders geschehen kan, alß, wo sie wieder ihr Gewißen zu jener formul 95

92 3 ]3en: D.

21 Spener umschreibt hier seine eigene Weise, mit Böhmes Schriften umzugehen. Auf welche anderen Theologen dies exakt ebenso zutrift, bleibt unklar. 22 Jeder, egal mit welchem Namen (bezieht sich auf den Chiliasmus). 23 Gegen die Grundlage des Glaubens. 24 Spener führt diesen Gedanken aus in: Erfordertes Theologisches Bedencken / über den von Einigen des E. Hamburgischen Ministerii publicirten Religions=​Eyd, 1690, S. 12 f. – Als Beispiele für Anhänger des Chiliasmus nennt Spener unter anderem Papias, Iustin Martyr, Irenaeus, Melito von Sardes, Victorinus von Pettau, Tertullian, Clemens Alexandrinus, Korakion, Lactanz, Sulpicius Severus und Apollinaris von Hierapolis (aaO, S. 13; s. a. Krauter-Dierolf, 115). 25 Eid. 26 D. h.: Sie schaften für sie günstige Gutachten herbei. 27 Vier Theologische Respona, Auf einige Deß Hamburgischen Ministerii Fragen, abgedruckt in: Acta pietistica Oder Kurtzer Begrif der gesamten Schriften / so beydes vor als wider die so genante Pietisten zu Leipzig / Hamburg / Giessen / und anderer Orten publiciret worden, Nr. XIII, Frankfurt a. M.: Thomas Michael Götze 1691. 28 Einspruch. 29 Erschrecken, einschüchtern. 30 Eine allgemeiner (gehaltene) Formulierung. 406 Briefe des Jahres 1690

sich verstünden, so sie nicht thun können, daher ich so wohl bey der ham- burgischen alß andern Evangelischen kirchen auß solcher Sache viel böse sequelen31 sehe, welchen zu steuren oder vorzubeugen wohl ein heiliges gutes werck wäre. 100 Ich will iezt nicht sagen von dem, das etwa ziemlich ofenbahr, was für privat afecten in dem wercke stecken und wol alles auß der ursache herkom- me, die man nicht sagt, sondern gebe allein hochvernünftig zu bedencken, wie dieses eine Sache pessimi exempli32 vor die ganze kirche. 1. Daß ein ministerium ohne vorhergehende Communication dergleichen 105 eine Confessionem fdei33, so eine art der librorum symbolicorum34 ist, und nicht nur diese wiederhohlet, sondern dieselbe weiter extendiret35, aufsezet und seine membra und successores36 dazu vereydet: welches ein ofenbahrer Eingrif in die jura Ecclesiae und Magistratus37 ist, also, daß ich auch keiner solchen Confession um der ursache willen underschreiben wolte, wo sie auch 110 nichts in sich faste, alß was ich selbst billiche, dergleichen vermeßenheit nicht mit meinem exempel zu bestärcken. 2. Wäre es auch ein Eingrif der Evangelischen kirche gethan, wenn gleich der magistratus selbst zu hamburg dergleichen Confession aufsezte und vor- schriebe, ohne mit andern Evangelischen Ständen geschehene Conferenz, 115 dadurch sonderlich andere, so nicht einstimmeten, von der geistlichen Brü­ der­schaft außgeschloßen würden. Als welches ein formlich schisma veranlaß- te, wie dann das hiesige Hochlöbl[iche] Churhauß, so doch das directorum in rebus Evangelicis38 in dem Reich hatt, sich dergleichen nimmer under- standen, daher in vorigem seculo die Formula Concordiae erst nach langen 120 deliberationen, viel conferenzien, revisionen und correctionen publiciret, und doch diejenigen, welche sie nicht annehmen würden, von der brüderschaft nicht außgeschloßen worden sind. Und ob auch in diesem seculo Chur- Sachsen durch seine Theologos einige Controversias laßen außmachen, hatt man doch solche decisiones (obwohl einige Theologi dergleichen verlangt) 125 nimmermehr in einen religions Eyd inseriren laßen, noch diejenige von der Brü­der­schaft unserer kirche excludirt, die dieselbe nicht annehmen39. Wie

122 diesem ] diesen: K.

31 Folgen. 32 Des schlimmsten Beispiels. – Spener zitiert hier wörtlich aus dem Brief von Johann Winck- ler vom 19. 3. 1690: „Es ist res pessimi exempli […]“ (Halle a.S., AFSt, D 68, Bl. 110). 33 Glaubensbekenntnis. 34 Symbolischer Bücher, Bekenntnisschriften. 35 Ausweitet. 36 Mitglieder und Nachfolger. 37 Die Rechte von Kirche und Magistrat. 38 Der sächsische Kurfürst als Direktor der protestantischen Reichsstände (K. O. v. Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1993, 51). 39 Z. B. bei dem sog. Kenosis-Streit zwischen den Gießener und Tübinger Theologen und bei dem synkretistischen Streit (s. Brief Nr. 32 Anm. 9 u. 10). Nr. 90 an [Georg Ludwig Graf von Zinzendorf und Pottendorf] 23. 9. 1690 407 solte sich dann ein particular staat, der aufs wenigste mit einem Churfürsten nicht gleiche autoritet hat, eine solche Sache unterstehen, dadurch der übri- gen Kirchen so viel praejudiciret wird. Auß solchem wird Ew. Exc. selbst se- hen, wie wichtig das geschäft und dem Evangelischen wesen daran gelegen 130 seye, daß die motus componiret40 würden. Von dem Rath zu Hamburg hatte ich gewünscht, daß mit mehrerem ernst auf der cassation41 gestanden, und das übrige Ministerium durch zulängliche Mittel sich selbs des mit unrecht angemaßten zu begeben, hingegen die an- dern drey mit frieden zu laßen angehalten worden wäre, wie ich versichert 135 bin, wo deßen eyfer mit rechtem Nachtruck éclattirte42, daß die meiste ohne das zurück treten und wenige, so etwa autores des gantzen wercks, der for- mulae inhaeriren43 würden, so sich auch geben müßten. Ich sehe auch nicht, wie anders der Sache aus dem Grunde geholfen werden könte, alß das Ma- gistratus dergleichen nochmal thue, solennius die cassation verrichte, und der 140 bürgerschaft mit Andeutung der ursache davon part gebe44, den dreyen keine neue formulam auftringen laße, sondern die andern mit diesen in friede zu stehen anhalte oder, wo sie einen gegründeten Argwohn, daß sie nicht in der Lehre richtig seyen, zu haben meynten, solches vor dem Magistrat auszufüh- ren anweise, da denn diese drey allerdings Rechenschaft zu geben schuldig 145 sind und parat seyn werden, alß die ihnen nichts bewust sind, darüber sie sich zu fürchten hätten. Hiermit würde das böse praejudicium45 von der kirche weggenommen, die unschuldige geschüzet, denen es bereits ein unverschul- deter vorwurf seyn würde, wo sie eine neue formul ad instantiam der andern von sich stellen müsten, einiger machinationes46 ofenbahrer heraus kommen, 150 künftiger vermeßenheit unruhiger Leute, in dem ministerio ein zaum an- geleget, der magistrat in dem Gebrauch des ihm zukommenden Rechts be- kräftiget, die kirche beruhiget und ein gut Exempel auch an andere Ort gegeben, hingegen viel ander noch besorgendes Unheil kräftig abgewendet. Wie ich auch, als billich besorget vor das beste der kirchen, Gott hierum 155 hertzlich anrufe.

134 des ] das: K. 136 meiste ] meisten: D. 139 könte ] konnte: K.

40 Die Unruhen beigelegt werden. 41 Aufhebung; Ungültigmachung. 42 Bekannt, ruchbar werden (G. Strauss [Hg.], Deutsches Fremdwörterbuch, Bd. 5 [bearb. v. O. Basler], 2. Auf.Berlin u. a. 2004, 37). 43 An der Formel hängen (kleben). 44 Nachricht geben. 45 Vorentscheidung. 46 List, Kunstgrif. 408 Briefe des Jahres 1690

Weilen dann itzo zwey abgeordnete von hamburg (der eine zwar H. D. S[imon]47 auch einen bruder im ministerio48 hatt) an den Kayserlichen hof gehen, alß die hie durchgereiset und mir zugesprochen haben, daher nicht 160 zweife, daß sie auch E. Exc. aufwarten werden, achte ich, daß dieselbe un- serer kirchen einen nüzlichen dienst leisten könten, wo sie Gelegenheit er- grifen, von solcher materie auch mit solchen Männern zu reden, und ihnen, was das interesse des Evangelischen Wesens und sonderlich ihrer eignen statt mit sich bringe, nach derselben in allen solchen dingen beywohnendem 165 lichte nachtrücklich vorzustellen geruhen wolten: worum ich auch, so dann um mehnagiren49 dießes vertraulichen berichts hiemit gehorsam gebeten haben will. Der Herr regiere auch das ganze Werck, wie es zu seinen H[eiligen] Ehren, der erhaltung der Wahrheit und Friedens, auch Abwendung alles ärgernüßes 170 am dienlichsten ist. 23. Sept[ember 16]90.

157 itzo ] ietzo: D2. ​157 f <(der eine H. D. S[imon] auch einen bruder im ministerio hatt)> ] – D. 164 beywohnendem] beywohnenden: D¹. 165 worum ] warum: K. 165 f ] – D.

47 Gestrichen in K. Der Name ist erschlossen über den Bruder unter den Geistlichen Ham- burgs. Er paßt zu dem gestrichenen Wort. Nichts weiteres zu ihm ermittelt. 48 Zum geistlichen Ministerium in Hamburg gehörte Franz Simon (4. 4. 1638–10. 10. 1709), Pastor an St. Georg; geb. in Hamburg, 1670 Pastor in Allermöhe und 1679 in St. Georg (J. A. R. Janssen, Ausführliche Nachrichten über die sämmtlichen evangelisch-protestantischen Kirchen und Geistlichen der freyen und Hansestadt Hamburg und ihres Gebiethes, Hamburg 1826, 141.214; H. von Schade, Hamburger Pastorinnen und Pastoren seit der Reformation, Bremen 2009, 246). 49 Vom franz. Wort „menager“ abgeleitet im Sinne von „rücksichtsvoll, schonend behandeln“. Nr. 91 an [einen Amtsbruder] 23. 9. 1690 409 91. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 23. September 1690

Inhalt Kann der Meinung des Adressaten nicht widersprechen, daß in der evangelischen Kirche das Christentum sich im Grunde noch nicht richtig etabliert habe, weil man zwar die Hauptirrtümer abgeschaft, aber die Wahrheit nicht ins Herz aufgenommen habe. – Beklagt die neue Scholastik, die an die Stelle der biblischen Einfalt getreten sei und die es bewirke, daß viele Theologen ihrer Aufgabe als Hirten der Gemeinde nicht nachkommen können. – Hält den (organisierten) Widerstand gegen die Frommen für ein Ärgernis für die Schwachen. – Zeigt die Folgen dieses Widerstands auf. – Macht Mut, den göttlichen Willen weiter zu predigen, das mögliche Leiden zu ertragen und in der Fürbitte zusammenzustehen. – Ist der Meinung, daß die Widerwärtig- keiten angesichts schwerer Nöte in der Zukunft nur Kinderproben sind. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 823–826.

Die mit der meinigen einstimmende klage über das allgemeine verderben, ist leider allzu gnug gegründet, ja ich sorge, wir, die wir es ziemlich einsehen, sehen dannoch den gantzen grund desselben nicht tief genug: daher es hart lautet, was derselbe schreibet, aber ich auch nicht wol widersprechen kann: „daß das Christenthum bey uns Evangelischen nicht so wol gefallen, als nie- 5 mal gnugsam aufgerichtet worden seye“2: Freylich sind wir leyder, nachdem die haupt=​irrthüme der lehr waren abgeschaft und dieser reinigkeit erlangt worden, zu frühe still gestanden, da man hätte fortfahren und darauf bedacht seyn sollen, wie alles in der kirche nach allen ständen also eingerichtet würde, daß die wahrheiten, die nach dem buchstaben von den vorigen irrthumen 10 waren gerettet worden, auch durch des heiligen Geistes kraft in die hertzen gebracht und diese, dazu geschickt zu seyn, bereitet würden. Dieser ursach wegen, sorge ich, habe uns bißdaher an dem segen gemanglet, den wir von GOtt bedürfen, weil man sich ins gemein mit dem buchstaben vergnüget hat und GOTT selbs damit hat abspeisen wollen, ohne daß man ihn lernen im 15 geist und in der wahrheit anbeten3, ja insgemein wenig davon weißt4, was

12 seyn ] seyen: D1. ​14 man ] wan D2. ​

1 In Z. 54–56 macht Spener Mut, in der Verkündigung fortzufahren, dem Volk Gottes Willen vorzutragen. Dies läßt auf einen Amtsbruder als Adressat schließen. Der gesamte Ton des Briefes weist ihn als einen Spener und seiner Frömmigkeit nahestehenden Kollegen aus, der deswegen gegen Widerstände zu kämpfen hat (Z. 75–82). 2 Der Brief des Adressaten, aus dem Spener zitiert, ist nicht überliefert. 3 Joh 4,23. 4 Nebenform von „weiß“ (DWB 30, 748). 410 Briefe des Jahres 1690

solches seye, oder wol gar vor Enthusiasterey5 hält und ausgiebet, was über das jenige gehet, was unsere kräften sich vor concepten6 in dem hirn machen können7, die gewiß so weit von göttlichen wirckungen, als das wahre liecht 20 von den schimmern eines faulen holtzes entfernet und unterschieden sind. Jemehr auch unsre Theologie wiederum von der Biblischen einfalt8, darzu sie der liebe Lutherus9 zu bringen sich bemühet, hat anfangen von lüstrenden köpfen10 auf die alte scholastic11 geführt zu werden, so hat alles, was aus der schrift und nach dero anleitung aus der erfahrung von einigen gottseligen, 25 von dem innern wesen und dem werck des heiligen Geistes in den glaubigen bezeuget worden, mit so viel heftigerem eyfer vor Enthusiasterey und Quackerey12 müssen ausgerufen werden13, so viel weniger solche leute zu diesen seligen würckungen tüchtig sind und daher gemeiniglich lästern, was sie nicht wissen. Daher fndet sich freylich, wie gantz wol bemercket worden, 30 auch bey unsrem stande das verderben nicht weniger, sondern so groß als bey anderen ist, kan auch nicht wol anders seyn, dann welche unter uns keine wahre Christen sind (ach, daß doch die zahl derselben nicht allzu groß wäre!), können alsdenn die ihnen anbefohlene gar schwehrlich den weg führen, den sie selbs nie recht eingesehen haben, wann sie dann unter ihren amts=​brüdern 35 andere sehen, durch dero exempel sie sorgen, beschämet zu werden, und sie doch ihrem feischlichen leben noch nicht abschied zu geben gedencken, neiden und hassen sie dieselbe und trachten, sie in verdacht der heucheley, sonderlichkeit oder gar heimlicher ketzerey zu bringen, damit derselben ex- empel ihnen darnach nicht weiter möge vorgerücket werden: ja, sie suchen 40 sich wol gar mit einander zu verbinden, um die andere zu unterdrucken und also der verdrüßlichen leute abzukommen. Dieses ärgert die schwache14, hält, welche einen guten trieb zur gottseligkeit bekommen haben, mächtig zurücke, besteifet die boßhaftige in ihrer boß-

18 dem ] den: D1. ​20 den ] dem: D2+3. ​25 den ] dem: D1. ​31 seyn ] seyen: D1. ​

5 Vgl. Brief Nr. 76, Z. 180. 6 Begrife, Vorstellungen. 7 Eine für Spener ungewöhnliche Formulierung; vielleicht ist hier eine Wendung aus dem Brief des Adressaten aufgenommen worden. 8 Zu Speners Ausführungen mit den Leitbegrifen „theologia scholastica“ und „biblische Theologie“ bzw. „Einfalt“ s. Spener, Pia Desideria 1676, S. 23–34 (PD 25,11–27,28). 9 Martin Luther (1483–1546). 10 Vgl. die Formulierung „lüsternde ingenia“ in Spener, Pia Desideria 1676, S. 35 (PD 27,36). 11 Zur Kritik Speners an der scholastischen Theologie s. u. a. „De impedimentis“ (s. Brief Nr. 84 Anm. 36; Cons. 1, 212). 12 Als Schimpfwort unter dem Verweis auf die Lehre der Quäker (zu diesen s. Brief Nr. 9 Anm. 18); etwa: Conrad Tiburtius Rango, Neue Quäckerey in der Quietisterey / Das ist / Kurtze Beschreibung des Ursprungs / Lehre / und jetzigen Zustandes / der alt-neuen Schwärmerey / der … Quietisten / von D. Michael Molinos erreget / Derer Ungrund zeiget/ und dafür jeder- männiglich warnet, Frankfurt a. M. und Leipzig 1688. 13 S. Anm. 5. 14 Vgl. Röm 14,13; 1Kor 10,32; 2Kor 6,3. Nr. 91 an [einen Amtsbruder] 23. 9. 1690 411 heit, sonderlich aber bekräftiget die Atheisten in ihrer gottlosigkeit15, daß sie mit einander auf alles Christenthum nichts, sondern es vor erdicht pfafen=​ 45 geschwätz halten, da, die so davon profession machten, selbs nicht thäten (und also auch nicht glauben müsten), was sie sagten, die jenige aber, die es thäten, vor einfältige tropfen oder gefährliche heuchler von den amts=​brüdern aus- geschrien würden. Hieran ligt gewiß der gröste verfall alles unsers wesens, und ich sorge es seye der letste stoß, dem wir unserem baufälligen hause16 selbs 50 geben, das besorglich zum meisten theil bald vollend ligen, der HERR aber aus den übergebliebenen und aufgehabenen17 steinen dasselbe besser auf- führen wird18. So stehen wir jetzt: wir müssen aber nicht darüber müde werden19 oder die hände sincken lassen, sondern fortfahren, den willen unsers GOttes dem volck 55 vorzutragen, sie hörens oder lassens, und es werde ihnen ein geruch des todes zum tode oder des lebens zum leben20: auch willig seyn, darüber zu leyden, so viel der himmlische Vater über uns zur probe unsers glaubens und gedult verhängen will: Dann die sache, warum es zu thun, ist je werth, und der je- nige, um dessen ehr willen wir leiden sollen, alles leyden mit freuden vor ihn 60 zu erdulden, unendlich würdig. Wir thun aber wohl, so viel unser die hertz- liche resolution haben, uns nicht von dem strohm der ärgernüssen mit hin- reissen zu lassen, in welchem äusserlichen stand wir auch leben möchten, daß wir mit den jenigen zwahr, so sich widersetzen, hertzliches erbarmen tragen und, ihnen die bekehrung von GOTT in liebe zu erbitten, trachten, unter uns 65 aber so viel hertzlicher zusammen halten aus inniglicher liebe, unsern kum- mer bey und gegen einander vertraulich außschütten, so dann mit und vor einander unabläßig beten21, daß der HERR drein sehen22 und seiner elenden sich erbarmen wolle23. Ich weiß, wir wollen siegen oder der HERR wird vielmehr selbs in uns siegen, ob wir auch in der welt den nahmen der über- 70 wundenen tragen müssen: aber unsre palmen24 und triumph sol uns gewiß weder teufel noch seine braut25 nehmen.

46 profession ] prefession: D1. ​48 den ] dem: D1. ​55 unsers ] unser: D1. ​57 seyn ] seyen: D1.

15 Vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6, Z. 102–104. 16 Dieses Bild verwendet Spener auch an anderer Stelle, z. B. in einem Brief vom 5. 6. 1686 (Bed. 4, 492; Frankfurter Briefe, Bd. 7). 17 Im Sinne von „aufgehoben“ (DWB 1, 653). 18 Vgl. Brief Nr. 79, Z. 65 f. 19 Vgl. Gal 6,9. 20 Vgl. 2Kor 2,16. 21 Vgl. 1Thess 5,17. 22 Vgl. Ps 21,10 und Weish 3,7. 23 Vgl. Jes 49,13. 24 Spener spielt hier auf die Vision in der Apk an, wo die Menge der Geretteten mit Palmen in den Händen vor dem Thron Gottes stehen (Apk 7,9). 25 Die „Braut des Teufels“ kann bei Luther bedeuten: die „Welt“ (WA 28, 33.26; 41, 757.2), 412 Briefe des Jahres 1690

Gelobet seye GOTT und der Vater unsers HERRN JESU CHRISTI, der Vater der barmhertzigkeit und GOTT alles trostes, der uns tröstet in allem 75 unsren trübsall26, ja, der uns freudigen muth gibet, daß wir uns, ob noch nicht vollkommen, freuen, dannoch nicht mehr viel betrüben über die mahlzeichen seines Sohns27, indessen auch immer nach jenem grad der freude in seiner kraft streben, daran ers auch seinen kindern nicht wird manglen lassen, wo er das leyden auch auf einen höhern grad solte kommen lassen, nach dem 80 uns insgesamt biß daher noch keine andere als menschliche versuchungen und gleichsam kinder=​proben28 (weil er uns nemlich nur noch als kinder ansihet und also tractiret) betrofen haben, da uns aber die versicherung von seiner treue gewiß ist, daß zu schwehrern proben ein kräftiger geist gegeben werden solte29. Nun, er wird und wolle alles wol machen30!

85 1690, 23. Sept[ember].

die nicht auf Gottes Wort hören will (WA 47, 536.7); sie ist damit die falsche Kirche (WA 16, 1.19); schließlich kann sie auch für die Vernunft stehen (WA 39 I, 27.16 f; 47, 842.16). Die Identifkation mit der Welt fndet sich auch in der Auslegung Johann Arndts zu Ps. 73 (Johann Arndt, Außlegung des gantzen Psalters Davids, Lüneburg: Stern 1699, S. 642). 26 2Kor 1,3. 27 Vgl. Gal 6,17. 28 Wiederholt bei Spener (s. Briefe Nr. 44, Z. 16, mit Anm. 6). 29 Vgl. Joh 14,17.26.31. 30 Ps 37,5. Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 413 92. An Johann Hirsch in Fraustadt1 Dresden, 29. September 1690

Inhalt Entschuldigt sich für die späte Antwort. – Bedankt sich für die freundschaftlichen Worte Hirschs. – Bittet, sich vorher zu melden, falls er einen Besuch in Dresden plane. – Lobt die Li- teratur, die Hirsch liest und weist besonders auf Arndts „Wahres Christentum“ hin. – Empfehlt vor allem die Lektüre der Heiligen Schrift. – Freut sich über Hirschs geistliches Wachstum und bespricht dessen Art, den Sonntag zu feiern. – Hält private Zusammenkünfte zur wechselseitigen Erbauung für hilfreich, warnt aber vor dem möglichen Schaden, der entsteht, wenn man sich besonders für Spitzfndigeiten interessiert. – Macht Mut zur Sonntagsheiligung, weist aber darauf hin, daß die individuellen Lebensumstände keine festen Regeln ermöglichen. – Weist eine Miß- deutung von 1Tim 5,8 zur Begründung der Sonntagsarbeit zurück. – Hält die Kritik an dem Versuch, sich um eine christliche Vollkommenheit zu bemühen, für ein Zeichen von Faulheit und Ungeistlichkeit. – Bespricht die Vor‑ und Nachteile des freien und des vorformulierten Ge- bets. – Kann der Bitte Hirschs, eine Sammlung von Gebeten zu erstellen, nicht entsprechen, weist aber auf [Johann] Arndts „Paradiesgärtlein“ und [Christian Samuel] Teubers „Gebetbuch“ hin. – [P. S.:] Läßt die Fraustädter Amtskollegen grüßen und kündigt die Sendung seines Predigtbandes „Wider die Liebe der Welt“ an. Überlieferung D1: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 826–834.2 D2: Samuel Schelwig, Itinerarium antipietisticum, Stockholm 1695, S. 91–100. K: Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 94–96.3

1 Johann Hirsch, ein blinder Leinweber in Fraustadt (geb. 1657). In seinem Brief vom 5. 8. 1690 (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35r–41r) berichtet er, er sei 33 Jahre alt (Bl. 41v) und von Beruf Leinweber, in seinem Haus fänden regelmäßige Trefen mit bis zu sechs Leuten statt, bei denen die gehörte Predigt wiederholt und in der Bibel gelesen werde (Bl. 36v; vgl. Valentin Ernst Löscher, Timotheus verinus, 1. Bd., Wittenberg: S. Hannauer 1718, S. 786, der schreibt, Hirsch habe seit 1690 ein Collegium pietatis geleitet); Hirsch betont (Bl. 38r), häufg den Gottesdienst zu besuchen und sich nicht von der Kirche separieren zu wollen (Th. Wotschke, Ein Spenerfreund in Fraustadt, in: Grenzmärkische Heimatblätter 5, 1929, 182–190). 2 Spener fügt am Ende des Abdrucks D1 an: „NB. Es hat Herr D. Schelwig seinem itinerario Antipietistico p. 91 u.f. diesen brief antrucken lassen, aber so vitiose, daß er an unterschiedlichen orten keinen richtigen verstand hat. Weil ich nun keine copiam desselben behalten oder doch diese nicht fnde, habe nur nach gutdüncken, wie es vermuthe, geheissen zu haben, corrigiren müssen.“ Der von Spener approbierte Text ist also D1, der deswegen als Leittext zu gelten hat, auch wenn D2 früher ediert wurde; zur Provenienz der Abschrift K s. Anm. 3. 3 In einer Notiz in Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 54r–v fndet sich – in der gleichen Handschrift wie die Kopie des Briefes – folgende Bemerkung: „So wie mir von e[inem] meiner hiesigen guten Freunde erzehlet worden, hat selbige M. Weber t[unc] t[emporis] [d.i.: damals] Pastor in Ollersdorf, ¼ weges von hier, ietzt aber Pastor in Schlichtingsheim, 2 Meilen von hier, mit Manier geborget bekommen, abgeschrieben, u. solche D. Schellwigen nach Dantzig zu geschickt. Obgleich dies[er] gute H. M[agister] zur selbigen Zeit e[in] Anti-Pietista gewesen, so hat ihn doch der liebe G[ott] durch s[eine] gnade so weit kommen lassen, daß er ietzund e[in] gr[oßer] Patron des Seel. H. Speners, wie nicht weniger derer H. Theologorum Hallensium ist. Nur dieses ein- zige hat er noch an sich, daß er neml. e[ine] etwas gar zu große Sparsamkeit (ich möchte es den Geitz nennen) in summo Gradu an sich hat. Die beßere Erleuchtung in dem worte der wahrheit hat er zweifels ohne dem Umgange s[eines] H. Schwieger Sohnes, dem H. M. Häntschel, so sein Collega in der Kirche u. zugleich das Rectorat verwaltet, zu dancken. Denn dies[er] ist nicht nur 414 Briefe des Jahres 1690

Göttliche gnade, friede, licht, trost und leben, in unserm treusten Heylande Jesu Christo. In demselben vielgeliebter freund. Ob mir wol deßelben liebreiches schreiben4 bereits vorigen monath zu hän- 5 den gekommen, habe dennoch nicht füglich ehe antworten können, nachdem die menge der an mich einlaufenden briefe nicht leicht schleunige antwort zugiebt, es seye denn sache, daß die verzögerung der antwort die frucht derselben gantz aufheben würde, da also unverzöglich geantwortet werden muß, ausser diesem fall ist mirs nichts neues, erst nach virtel-, halben‑ u. 10 gantzen jahren zu antworten5. Indessen kan er sich versichern, daß mir dessen schreiben von hertzen angenehm gewesen und mich auf unterschiedliche Art gefreuet habe: Es hat mich zum allerfordersten erfreuet das aus dem gantzen briefe gegen mich hervor leuchtende gute vertrauen und liebe. Wie denn ich mich zu dehmü­ 15 thigen dancke dem himmlischen Vater verbunden erkenne vor diese gnade, daß er mich unter deme, da ich sonsten auch von mancher leute fast feind- seeligem gemüthe gegen mich oft hören muß, damit tröstet, wenn er mir da und dorten wissend werden lässet, daß er auch Christliche hertzen zu mir neiget und mit einer reinen liebe erfüllet6. Indem solches zu doppeltem trost 20 gereichet, eines theils, weil daraus ersehe seine güte, daß er seines knechtes arbeit in schriften nicht ungesegnet seyn lässet, weil unbekanter persohnen liebe gegen mich nicht wohl andern grund haben kan, als daß der Herr durch meine schriften derselben seelen gerühret und er also in mir schwachen auch

5 dennoch: D1 + D2 ] demnach: K. 5 ehe ] eher: K. 8 da ] wenn: K. 8 f werden muß ] – K. ​ 9 diesem: D13; D2 ] diesen: D11. ​9 mirs ] – K. 9 neues, ] + daß: K. 9 nach ] noch: D11. ​ 10 zu ] erst: K. 10 antworten ] antworte: K. 11 er sich ] ich: K. 13 das ] daß: K. ​ 13 den: D11. ​16 auch ] noch: K. 16 f feindseeligem ] feindseeligen: D11 + D2. 18 dorten ] dorther: K. 19 doppeltem ] doppelten: D11. ​20 güte, daß er seines ] daß s. güte dero armen: K. ​21 lässet ] lasse: K. 23 er ] ie: K.

Verbis, d.m. factis ein frommer Diaconus u. Rector. Mit s[einen] Untergebenen tractiret er auch im Christenthume nebst Lutheri Catechismo des H. Freylinghausens Defnitiones zur grundlegung der Theologie.“ Auf Grund der Erwähnungen von Friedrich Weber (1658–1739), Georg Chris- toph Hentschel (1678–1748) und J. A. Freylinghausens „Defnitiones“ (1717) ist diese Abschrift nach 1717 vorgenommen worden. Die Ortsbezeichnung „von hier“ mit der Entfernungsangabe „Schlichtingheim“ und Ollersdorf [= Ulbersdorf], beide im Kirchenkreis Fraustadt gelegen, weist darauf hin, daß die Abschrift dort vorgenommen wurde. An 29 Stellen entspricht K dem Text von D2 gegen D1, so daß es denkbar ist, daß K die – nicht mehr vorhandene – Abfertigung vorlag, weil einige Sätze nur in K überliefert sind (zur Wahl von D1 als Leittext s. Anm. 2). – Zur Entlastung des textkritischen Apparats werden die vielen Abkürzungen in K nicht notiert. 4 S. Anm. 1. 5 Vgl. ähnliche Ausführungen in: Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 24, Z. 1–14, Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 131, Z. 4–16, Bd. 3, Nr. 105, Z. 4–22, u. ö. 6 Vgl. ähnlich Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 35, Z. 12–17, u. ö. Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 415 kräftig gewesen7 sey8 (womit ich mich gegen die anfechtunge, mannigmahl so weniger frucht meiner arbeit, die bey den gegenwärtigen sehe9, etwas auf­ 25 richte), andern theils, weil ich gewiß bin, daß die jenigen, so mich in GOTT lieben, auch vor mich andächtig zu bethen nicht unterlassen, welches mir die gröste wohlthat ist, so erzeiget werden kann! Daher mich auch ihm zu freundlichem danck vor gegen mich geschöpftes vertrauen und bezeugte vorbitte verbunden erkenne: hingegen auch meiner liebe und seiner für dem 30 HErrn zu gedencken versichere. Nechst dem wünschete, daß auch dem gegen mich gefaßetem vertrauen ein genügen leisten könnte. Ob denen wol an meiner seiten eben mit willen nichts ermangeln lassen solle, so dazu gehöret, so kan doch nicht vieles ver- sprechen, so gar ob mir wohl dessen hieherkunft nicht unangenehm seyn und 35 ich zur liebe mich willig bezeugen würde, daß fast zu besorgen habe, daß ihn, nach dem er mich gegenwärtig gesprochen, die angewandte mühe und ver- drüßlichkeit reuen möchte: Jedoch will denselben damit nicht gantz abge- schräcket, sondern dahin erinnert haben, wenn es gegen solche zeit gehen und uns der HErr noch so lange lebendig lassen solte, vorhin in der furcht des 40 HErren wol zu überlegen, ob dergl. bey habendem zustande übernehmende beschwerde durch das jenige, was bey mir zuwarten, wiederum ersetzet zu werden, zu hofen wäre10. Ob nun aber mich die gegen mich selbs bezeigte liebe, so viel mehr, weil sie nichts irrdisches auf beyden seiten zum grunde hat, hertzlich freuet, so 45 freuet mich doch noch mehr die an demselben aus dem schreiben, ausser welchem er mir sonst unbekant gewesen, in reicher maß11 erkante göttliche gnade, und preise den wunderbahren, weisesten und gütigsten Vater, welcher zum zeugnüß seiner weißheit und güte den mangel seines äusserlichen ge-

24 kräftig ] mächtig: K. 24 mannigmahl ] wo manchmal: K ] vor mannigmahl: D2. ​ 25 weniger ] wenige: K + D2. 25 die ] – K + D2. 25 den ] dem: D2. 27 andächtig ] – K. ​ 28 gröste ] größeste: K. 29 freundlichem ] freundlichen: D2. 30 erkenne ] erkennet: K ] erkennen: D2. ​30 f und seiner für dem HErrn ] und seiner für den HErren: D2. 32 gefaße­tem ] gefasseten: D3. ​34 solle ] sollte: K. 35 seyen ] D11; sey: K. 36 bezeugen ] erzeigen: K ] bezeigen: D2. 36 besorgen ] sorgen: K. 38 denselben damit ] damit denselben: K. ​ 41 habenden: D11. ​41 übernehmende ] üb. verharrende: K. 42 zuwarten ] zu Worten: D2. ​ 45 irrdisches ] erreichtes: K. 45 seiten ] theilen: K. 45 zum ] zu: D11. ​47 welchem ] welchen: D11. ​

7 Vgl. 2Kor 12,9. 8 Hirsch hatte ausdrücklich auf seine Lektüre von Schriften Speners hingewiesen, „die mich erbauen in meinem Christenthume“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35r). – Vgl. ähnliche Bemerkun- gen Speners in Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 137, Z. 31–36. 9 Zur Klage über die scheinbar fruchtlose Arbeit in Dresden s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 45, Z. 63–65, Nr. 80, Z. 4–12, Nr. 124, Z. 7–11, u. ö. 10 Hirsch hatte den Plan geäußert, daß er „in etlichen Jahren“, wenn sein, jetzt achtjähriger, Sohn etwas verständiger sei, um ihn zu begleiten, er sich „aufs wenigste 1 oder 2 wochen bey ihm [scil. Spener]“ aufhalten wolle (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35r). 11 Die Maß (DWB 12, 1727). 416 Briefe des Jahres 1690

50 sichts, mit so viel innerlichem liechte aus gnaden ersetzet hat. Ich verehre dessen väterliche vorsorge, die denselben zu dergleichen büchern gebracht, in welchen er nechst der heiligen schrift, als dem hauptbuch aller bücher, den aus dieser gelegten grund, ferner befestigen und vieles darauf bauen können. Wie denn alle gerühmte bücher mir selbst auch allezeit sehr angenehm gewe- 55 sen sind12. Des theuren Arndts13 Wahres Christenthum14 bekenne, daß es den meisten andern menschlichen schriften weit vorziehe und mich nicht wol erinnere, daß mir einiges anders vorkommen, davon so viele zeugnüssen der jenigen hätte, welche durch dessen anleitung zu einem rechtschafenen thätigen und 60 wahren Christenthum, wie des buchs titul lautet, durch würckung GOttes gekommen wären. Wie ich von diesem einigen weiß. Jedoch wundere mich nicht, daß es vielen auch ein dorn in den Augen seye und wol gar zuweilen harte worte darwieder gebraucht werden, die ursache ist, weil es dem alten Adam15 nicht schmeichelt, sondern ihn mit GOttes wort also angreifet, daß 65 er sich nicht weiter mit falsch eingebildetem vertrauen auf Christi verdienst (so denselben nicht angehet, sondern allein den menschen, welcher stets in wahrer busse stehet und jenem den krieg mit ernst angekündiget hat) mit dem äusserlichen GOttes=​dienste (dessen, wo er von dem innerlichen abgesondert wird, heucheley, recht in ihrer blösse vorgestellet, wird) trösten und beruhigen 70 kan. Dahero kan das buch keinem von hertzen gefallen, welcher nicht mit ernst entschlossen hat, den göttlichen erkanten willen anzunehmen und nach demselben sich ohne ausnahm zurichten; wann dann dieses feisch und blut16 schwer ankömmt und sein todt ist, so ist sich nicht zu verwundern, daß sich viele vor diesem buch, so in GOttes nahmen ihren todt von ihnen fodert, 75 fürchten, die aber ruchloß sind, es allerdings lästern: Indessen bleibet es recht- schafenen seelen ihre einige freude, und halten sie sich demselben verbunden, daß es ihnen ihre schändliche gestalt, in Adam schändlich gnug vorstellet, weil

50 viel ] + mehr: K + D2. 50 innerlichem ] innerlichen: D2. 51 väterlichen: D11. ​ 51 denselben ] demselben: D11 + D2. 51 büchern ] Bitten: D2. 52 welchen ] welchem: D2. ​ 52 hauptbuch ] Kunst=​Buch: D2. 53 aus ] an: D2. 56 Arendts: D2. 57 wol erinnere ] wolt erinnern: D2. 58 anders ] andere: K. 58 viel: K. 59 hätte ] habe: K. 62 gar ] – K. ​ 63 darwieder ] dagegen: K + D2. 65 eingebildetem ] eingebildeten: D11 + D2. 66 stets ] nun: K. ​ 67 hat) + oder: K ] denn: D2. ​ 68 dem ] den: D11. 70 keinem ] a. k.: K. ​ 71 ernst ] + sich: K + D2. 72 wann dann ] Nachdem nun: K ] folglich: D2. 77 schändlich ] scheußl.: K.

12 Hirsch nennt eine erstaunliche Anzahl von Büchern, die er sich besorgt hatte und die ihm vorgelesen wurden. Spener führt sie im Folgenden auf. 13 Johann Arndt, Erbauungsschriftsteller (s. Brief Nr. 13 Anm. 5). 14 J. Arndt, WChr. 15 Der mit der Erbsünde belastete nichtwiedergeborene, natürliche Mensch (vgl. M. Luther, Vorrede zum Römerbrief, WA.DB 7, [2–27] 18 f). Ausgangspunkt der Metapher ist die Gegen- überstellung von Adam und Christus in Röm 5, 14 und 1Kor 15,22 f, nach der durch Adam die Sünde und durch Christus die Gnade in die Welt gekommen ist. 16 Vgl. 1Kor 15,50. Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 417 es hingegen auch ihnen ihre schöne gestalt in Christo weiset und den Weg, auf dem sie dazu gelangen mögen, zeiget17. Dieses sel. Arndten, so dann auch D. Lütkemanns18, der auch mit grosser kraft geschrieben, schüler und jünger 80 ist auch der von demselben belobte D. Müller19 gewesen, dessen schriften auch vielen die augen aufgethan und sie erwecket haben, auch hofentlich noch ferner viele frucht bringen werden. Es war mir aber sonderlich lieb, zu- vernehmen, daß auch unsers theuren Lutheri20 schriften nicht unbekant21, sonderlich seine werthe Kirchen=​Postill22, die wir nicht nur deßwegen so viel 85 höher zu schätzen haben, weil GOTT durch seinen dienst uns in unsern vor=​ eltern das liecht des Evangelii aus den fnsternüssen des Papstums wieder herfür gebracht und aufgehen hat lassen, sondern weil er auch in ihn ein solches reiches maaß des Geistes geleget hat, daß seine schriften voller kraft sind und sonderlich nach der Apostel zeit wenige gleichermassen, die leben- 90 dige kraft des glaubens werden erkant und beschrieben haben, wie ihn der HErr dieselbe hat einsehen und andern zeigen lassen. Unter seinen gesamm- ten schriften aber ist wohl seine Kirchen=Postill​ eine der besten, wie er sie

78 hingegen auch ihnen ] ihnen a. hingegen ] K ] ihnen hingegen auch: D2. 80 der ] den: D2. ​ 82 vielen ] viel: D2. 83 viele ] vielen: D2. 85 die wir nicht ] wie wir denn sol. lehrer: K. ​ 87 den fnsternüssen ] dem fnsternüß: K. ​ 88 hat ] – K. ​ 88 ihn ] ihm: D2 + K. ​ 90 sind ] – D11 + D2. 91 ihn ] ihm: D2. 92 dieselbe ] dieselbigen: D2 + K.

17 Vgl. dazu v. a. in: WChr, Erstes Buch, Kap. 1–3. 18 Joachim Lütkemann (15. 12. 1608–18. 10. 1655), geb. in Demmin; nach dem Studium in Greifswald und Straßburg 1639 Archidiakon und Professor in Rostock, 1649 Hofprediger und Generalsuperintendent in Wolfenbüttel und 1653 Abt von Riddagshausen (H. Lütkemann, D. Joachim Lütkemann. Sein Leben und sein Wirken, Braunschweig u. Leipzig 31908; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 39 Anm. 10). – Sein Werk „Der Vorschmack Göttlicher güte [sic!], Wolfenbüttel: Bißmarck 1653“ wurde von Hirsch nicht erwähnt, erscheint jedoch häufg im Zusammenhang von Erbauungsbüchern, die Spener empfehlt; im ersten Frankfurter Collegium pietatis, das 1670 gegründet worden war, wurde es ebenfalls gelesen (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 116, Z. 13–15). 19 Heinrich Müller (18. 10. 1631–23. 9. 1675), Professor in Rostock, bedeutender Erbauungs- schriftsteller; geb. in Lübeck, nach dem Studium in Rostock und einer akademischen Reise 1653 Archidiaconus an St. Marien, zugleich Adjunkt der Philosophischen Fakultät in Rostock, 1660 Dr. theol. und Professor der griechischen Sprache in Rostock, 1662 Pastor an St. Marien und Theo- logieprofessor, 1671 außerdem Superintendent in Rostock (LL 8, 270 f; Frankfurter Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 135 Anm. 1). – Hirsch hatte erwähnt: 1. H. Müller, Geistliche Erquickstunden oder Dreyhundert Hauß= und Tisch=Andachten,​ Frankfurt a. M.: Balthasar Christoph Wust, 1667; zunächst in drei Teilen erschienen: Rostock 1664, 1665 und 1666 (Näheres, auch zu verschiedenen Aufagen, s. O. Krabbe, Heinrich Müller und seine Zeit, Rostock 1866, 231) und 2. H. Müller, Evangelische Schluß=Kette​ und Kraft=Ker​ n, Oder Gründliche Außlegung der gewöhnlichen Sonntags-Evangelien, Frankfurt a. M.: Balthasar Christoph Wust 1672 (Näheres, auch zu ver- schiedenen Aufagen, s. O. Krabbe, aaO, 220). 20 Martin Luther (1483–1546). 21 Hirsch berichtet, er besitze Luthers „Kirchen-Postille“ und die „Tischreden“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35v). 22 M. Luther, Kirchen-Postille, 1522 (WA 10 I). 418 Briefe des Jahres 1690

selbst sein liebstes buch genant23, darinnen er mit reicherm Geist die göttliche 95 warheit vorgestellet hat und so viel weniger er, der sonst oft in predigten befndlicher künsten und wol=​redenheit zeiget, so viel mehrere kraft emp- fndet davon ein andächtiger leser. Taulerum24 anlangend, hat derselbe zwar zu einer zeit gelebet, wo das Papstum in dicker fnsternüß gestecket ist, jedennoch siehet und fndet man 100 in demselbigen mehr liecht, als man sich von solcher zeit hätte versprechen oder versehen sollen, und dienet dieser Christliche lehrer zum zeugnüß, wie GOTT zu allen zeiten die seinigen erhalten habe, daß die auch ihrer zeit gemeine irrthümer das liecht ihres wahren glaubens so nicht auslöschen mögen. Wie auch gewiß ist daß unser lieber Lutherus (so er selbst bekennet) 105 solchem Taulero nicht wenig seiner erkäntnüß gedancket habe25; ich habe mich auch etzliche mahl darüber verwundert, daß mir exempel vorgekom- men, daß einige ungelehrte und einfältige solche schriften besser und un- gehinderter als gelehrte verstanden haben. Von der lieben Alt=Väter​ 26 bü- chern, ist nicht ohne, daß wenige in unserm teutschen zu haben, unterweilen 110 möchten vielleicht einige derselben nicht ohne nutz auch von den unsrigen gelesen werden, indem der Gottseligen leute (so vielmehr sie von den jetzt in streit gezogenen dingen wenig gewußt, noch davon gehandelt oder zuhandeln nöthig gehabt, dahero allein diejenigen dinge meistens getrieben, die zur stärckung des glaubens und der liebe dienlich sind) schriften meistentheils in 115 einer mehreren einfalt von allen materien gehandelt haben, als nach der zeit geschehen ist. Jedoch ists nicht ohne, daß sie auch den menschen an vielen orten sehen lassen, so wir aber mit gedult an ihnen zu tragen, nicht aber des-

94 reicherm ] reichem: K. 95 weniger er, der ] wenige andere: K. 96 mehrere ] mehrerer: D2. ​99 man ] + auch: D2. 100 demselbigen ] demselben: D2 + K. 103 gemeine ] gemeinen: K. 103 so nicht ] nicht gantz: K. 103 auslöschen ] ausleschen: D2. 107 einfältige ] + leuthe: K. 109 teutschen ] Teutsch: D2. 110 möchten vielleicht ] vielleicht möchten: D2 + K. 111 in] im: D2. 113 dahero ] daß sie: K. 114 der ] – K. 116 ist ] + da die Schul Theologie, die auß dem Pabstthum entstanden fast e. gantz andere Art eingeführet hat, dero er sich a. noch fast schwerer entbricht. Deßwegen aber jene nicht weniger Eindruck in die Herzen andächtiger leser fnden.: K. 116 den ] dem: D2.

23 WA 23, 279.13 f u. 281.1 f. 24 Johann Tauler (ca. 1300–1361), Straßburger Dominikaner, Mystiker. Zu Speners Hoch- schätzung Taulers s. Spener, Pia Desideria (s. Anm. 25) und seine Vorrede zu einer Ausgabe von Taulerpredigten (Frankfurt a. M. 1681 mit Vorrede vom 13. 9. 1680); Weiteres s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 150 Anm. 9. – Hirsch schreibt: „habe a[uch] etl[iche] Predigten lesen hören auß des h. Tauleri alten Edition, u. begehre mirs a. zur Zeit zu schafen“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35v). 25 Spener zitiert die Briefe Luthers an Spalatin in: Spener, Pia Desideria 1676, S. 140 f [PD 74.10–75.8]. 26 Hirsch schreibt: „Wünsche a[uch] wenn der altväter ihre Schriften, wo sie uns leyen möchten nützl. seyn, auß dem lateinischen ins deutsche möchten kommen. Denn es sind kräf- tige worte darinnen, wie ich in des Augustini handbüchel vernehme, da ich so wunderlich dazu kommen bin“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 35v–36r). Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 419 wegen das gute zu verwerfen haben27. Hat er nun etwas von denem selben schriften bißhero gelesen, so wird er auch das reiche maß des Geists in demselben zum preiß GOttes erkant und dem HERREN, vor die durch seine 120 diener erzeigte gnade zu dancken, nicht vergessen haben. Indeßen trage ich doch auch zu ihm das gute vertrauen (und hätte dabey auch die erinnerung zu thun), daß er werde solchen allen menschlichen schriften sich haben lassen angelegen seyn, die Göttliche schrift vor zu zie- hen, in dem dieses buch, das allein nothwendigste buch ist, der andren nutze 125 aber fürnehmlich darinn stehet, daß sie uns eine handleitung seyn müssen, zu der schrift immer näher und tiefer zu kommen, so denn uns das jenige aus derselben zu zeigen, was der gütige GOTT jedem seiner diener durch seinen heiligen Geist aus der schrift zu erkennen gegeben hat, und wir es etwan ohne solche beyhülfe und anderer anzeige nicht hätten gefunden. Weswegen 130 wir freylich solche wohlthat widerum mit danck gegen GOtt auch zu ge- brauchen, aber doch keines menschen schriften dessen eigenen worten vor- zuziehen je mehr und mehr zu trachten haben, daß wir anderer bücher we- niger mehr bedürfen und selbst ungehindert stets im Göttlichem worte fort kommen mögen. Wozu sonderlich dienlich ist, daß man in der Bibel nicht 135 geschwinde und viel auf einmahl lieset, sondern sich gewehnet, neben der- jenigen lesung, da man insgemein gantze oder mehrer capitel zusammen nimt, sie auch auf eine andere art zu lesen: Da man nehmlich von versicul zu ver- sicul gehet und bey einem jeglichen nachdencket, was darinnen die meinung des heiligen Geistes seye: Was vor lehren, lebens=regeln,​ trost, vermahnung 140 und dergleichen zu unserer und anderer erbauung darinnen stecken, sich bemühe und also gleichsam einen jeden versicul so käue28, daß er uns als eine lebendig machende speise in dem innerlichen stärcke, welcher nutzen von

118 gute ] + in ihnen zugleich: K. 118 verwerfen ] eckeln: K. 118 denem selben ] derenselben: D12+3 ] denenselben: D2. 118 Hat er nun etwas von denem selben ] Wenn derselbige ferner uns. gottseeligen Scriverii, so neul. von Magdeburg nach Quedlinburg berufen worden: K. 119 schriften ] schriftlich: D2. 119 bißhero ] – D1. 120 demselben ] denselben: D12+3. ​123 solchen allen ] allen solchen: D2 + K. 124 seyn ] seyen: D11. ​ 125 allein ] + uns: K. 125 nothwendigste ] ein nothwendiges: D2. 125 andren ] andere: D2. ​ 126 fürnehmlich ] + allein: K. 126 seyn ] seyen: D11. ​127 kommen ] + u. ein zu kriegen: K. ​ 128 jedem ] jeden: D2. 128 jedem seiner ] jedem treuen: K. 128 seinen ] seinem: D11 ] den: K. ​131 wir freylich ] freylich wir: D2. 131 wohlthat ] wolthaten: K. 131 mit ] uns a.: K. ​ 131 mit danck ] – D2 ] danckbar: K. 131 auch ] – K. 132 schriften ] Schrift: K. ​ 132 eigenen ] einigen: K. 132 eigenen worten ] eigenem wort: D12+3. ​132 f vorzuziehen, ] + ja: D2 + K. ​ 134 im ] in: D2. ​ 135 mögen ] können: K. ​ 137 mehrer ] mehrere: K. ​ 138 Da ] Daß: K. 138 nehmlich ] neml. sd. in dem N. T. fast nur : K. 140 vermahnung ] Ermahnung: K. 141 stecken ] stecke: D2. 141 f sich bemühe ] – D2 + K. 142 jeden ] jeglichen: D2. 142 käue ] kenne: D2. 143 innerlichen ] innerl. Menschen: K.

27 Vgl. ein ähnlich abgewogenes Urteil gegenüber den Kirchenvätern und ihren Schriften in Brief Nr. 9, Z. 72–77. 28 Der in der Meditationsliteratur verwendete Begrif ist „ruminatio“ (vgl. Sträter, Medita- tion, 56 f, 62 f, 65, 87, 102, 160–162 u. ö.). 420 Briefe des Jahres 1690

dem geschwinden lesen nicht so reichlich folgen kan. Wo man aber also damit 145 umgehet, ob wir auch in einer stunde nicht gar viel versicul durchbrächten, bin ich versichert, es werde dennoch mit mehr nutzen geschehen, als ob man so viel capitel obenhin gelesen. Damit kömt man in die schrift allgemach tiefer, und bedarf immer so viel weniger anderer bücher, die wir zwar nie- mahls aus den Händen deswegen gar zu legen haben29. 150 Wie ich dann oben bedeuteter massen Göttlicher güte über demselben preise, welche ihn zu vielen erbaulichen büchern gebracht, aus welchen derselbe sein Christenthum stärcken könne, so bezeuge ich auch, daß ich mich gefreuet habe, aus seinem schreiben gesehen zu haben, daß er auch, was er gelesen, nicht an sich unfruchtbahr seyn lassen und dadurch so viel inbrün- 155 stiger und begieriger worden, in dem guten immer ferner zu wachsen, wel- ches ein sicheres anzeigen ist eines recht gelegten grundes, da hingegen der zu dem geistlichen nicht immer mehr hunger und durst hat, sich damit ver- rathet, daß er noch niemahls desselben geschmack geschmecket habe. Denn wer dieses wasser schmecket, dürstet immer wieder darnach; sonderlich sehe 160 ich gerne, daß derselbe sich die liebe Sontags=fey​ er lässet hertzlich angelegen seyn30, wie denn derselbe einmahl der gesegnete Tag des HERREN und uns zur wohlthat von GOTT gegeben ist, daß, da wir die übrige zeit ziemlichen theils zur arbeit gleichsam verdammt sind, aufs wenigste der liebe Sontag ausgenommen bleibet, da wir so zu reden in unsere alte Paradiesische ruhe 165 mit einer befreyung von unsern täglichen frohn=diensten​ gesetzet werden, um macht zu haben, den gantzen tag mit geistlichen dingen und, was bereits zu jener Ewigkeit gehöret, umzugehen31. Und bin ich versichert, wer eine

144 dem ] den: D2. 144 lesen ] Leser: D2. 144 kan ] mag: K. 145 wir ] man: K. ​ 145 durchbrächten ] durchbrächte: K. 146 dennoch ] demnach: K. 147 gelesen ] + hätte: D2 ] hat: K. 147 in die schrift allgemach ] allgemach in die Schriften: D2 + K. 148 anderer ] andere: D2 + K. 148 f niemahls ] niemalen: K. 149 aus den Händen deswegen gar ] deswegen gar aus denn [sic! in D2] Händen eben: D2 + K. 151 ihn ] ihm: D2. 152 könne ] können: K. ​ 156 recht ] wol: K. 157 sich ] + fast: K. 157 f verrathet ] verrathen: D2. ] verräth: K. ​ 158 desselben ] rechten: D2 + K. 159 wer ] wen: D12 ] wem: D13. ​160 feyer ] Feuer: D2. ​ 160 die liebe Sontags=​feyer ] des lieben Sonntags feyer: K. 160 lässet ] – K. 161 seyn ] seyen: D11 ] + läßet: K. 162 zur ] zu gr.: K. 162 ziemlichen ] ziemlich: D11 + D2. 163 arbeit gleichsam ] gleichs. zur Arbeit: K. 164 unsere ] unserer: D2. 165 frohn=diensten​ ] Ehren Diensten: D2.

29 Hier wird einem Laien die Bibellektüre in ähnlicher Weise empfohlen wie den Theologie- studenten in den Collegia Philobiblica (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23, Z. 66–72.107–116) oder in der persönlichen Lektüre der Bibel (s. etwa „De impedimentis studii theologici“ [Cons. 1, 225] und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 69, Z. 47–51). 30 Hirsch hatte berichtet, daß er jeden Sonntag drei Predigten besuche und sich anschließend mit vier bis sechs Personen trefe, um die Predigt nachzubesprechen oder in der Bibel zu lesen (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 36v, 37r). 31 Speners Vorstellung vom Sonntag und der Sonntagsheiligung zeigt der Briefwechsel mit Sebastian Schmidt (Frankfurter Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 49, 53, 54, 56, 58, 68 und 71) und anderen Korrespondenten (etwa Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 77 und 119); vgl. auch Spener, Ein- fältige Erklärung). Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 421 zeitlang mit sonderbahrer sorgfalt seinen Sabbath recht halten wird, wird bald einen nicht geringen wachsthum in dem Geistlichen bey sich spühren. Es gefället mir auch wohl, daß derselbe, so wohl solches tages die öfentli- 170 chen predigten feißig besucht (wie wir denn die öfentliche predigten aus vorwand der privat-andacht ja nicht versäumen oder uns einiger ursachen willen, wie scheinbahr32 sie seyn möchte, von der gemeine trennen sollen33), als auch ausser solcher zeit mit andern Christlichen freunden die erbauung suchet34. Denn wir auch dieses mittel, so das Gottselige gespräch unter 175 Christlichen mit=​brüdern ist und von GOTT herrliche verheissung des se- gens hat, nicht zuverachten, ob gleich wir dessen übung alle zeit also anzustel- len haben, daß aller böser schein, fürwitz und, was der an sich guten sache einen ungleichen nahmen machen könte und einiger orten gemacht hat, nach möglichkeit vermieden und alles nur dahin hauptsächlich gerichtet werde, in 180 der einfalt des glaubens gestärcket und zu bringung dessen früchte aufgemun- tert zu werden. Ich zweife auch nicht, er werde auch dieses noch hinzuthun, seine eigene andacht für sich selbst in prüfung seiner betrachtung der Gött- lichen, in der vorigen woche empfangenen wohlthaten und verrichteten guten oder bösen, so dann vorbereitung zu der instehenden wochen anzustel- 185 len, als welches den übrigen übungen nicht wenig kraft giebet. Ferner kann ich auch nicht anders, als billigen dessen feiß in der übrigen wochen, so wohl den öfentlichen GOttesdienst mit zu besuchen35, als zu hause sich mit den seinigen in der Gottseligkeit zu üben36. Und hat sich derselbe von denjenigen nicht irre machen zu lassen, welche, die woche allein zur leiblichen arbeit 190 bestimmet zu seyn, wider solche geistliche wercke einwenden: Denn es ist wol wahr, daß der HERR zu unserer strafe die wochen=arbeit​ uns auferleget hat: Aber es hat durchaus die meinung nicht, daß man in der woche so wenig mit geistlichen, als des Sontags mit weltlichen dingen umzugehen, macht hätte,

170 f öfentlichen ] öfentliche: D2. 171 wir denn ] denn wir: K. 171 öfentliche ] öfentlichen: D2. 171 predigten ] versamlungen: K. 173 seyn ] seyen: D11. ​175 mittel ] + der selben: K. 176 verheissung ] Verheissungen: D2. 177 ob gleich ] obzwar allezeit: D2. ​ 177 gleich wir ] wir gleich allezeit: D2. 177 alle zeit ] – D2. 180 vermieden ] vermindern: D2. ​180 werde ] werden: K. 182 dieses noch ] noch dieses: D2. ] – noch: K. 183 andacht ] + sol. tage: K. 186 den ] denen: D2. 188 f sich mit den seinigen ] mit den seinigen sich: K. ​ 190 arbeit ] von G.: K. 191 seyn ] seyen: D11. ​

32 Einleuchtend (DWB 14, 2436). 33 Vgl. Hirschs betonter Hinweis: „Aber mit Absicht durch solch[es] belieben ist nicht gerichtet abzuweichen von der gr[oßen] versammlung. Denn mir kann Zeugnüß geben beyde Priester bey uns u[nd] a[uch] viel anders Volck, wie daß ich alle wochen 5 mal […] die Kirche besuche“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 38r). 34 S. Anm. 30. 35 Hirsch berichtet, daß er „nebst den 3 Predigten am Sonntage, a[uch] 2 WochenPredigten hören kan“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 36v). 36 Hirsch schreibt: „Ich wolte a[uch] alle tage dreymal mit m[einem] gantzen Volcke vor den Tisch treten u. beten“ (Halle a.S., AFSt, D 6, Bl. 37r). 422 Briefe des Jahres 1690

195 sondern der siebende tag wird von andern 6 also abgesondert, daß derselbige mit denen dingen, so zur nahrung gehören, nichts zu thun haben solle. Hin- gegen werden diese auf die andern 6 tage verwiesen, so viel nehmlich jedem von solcher Arbeit obliget. Wie nun einige in einer solchen dienstbahrkeit ihrer arbeit stehen, als zum exempel gantz arme leute, taglöhner, dienstbothen, 200 so sonderlich bey harter Herrschaft dienen, daß sie an solchen tagen in der wochen zu den besondern geistlichen übungen in öfentlicher kirchen oder zum lesen nicht kommen können, sondern sich solche zeit mit ihrem gebeth und inneren andacht vergnügen, so denn des abgangs in der wochen am Sontag sich wieder zu erhohlen, nach vermögen sich befeißen müssen und 205 damit ohne sünde sind. So sind hingegen andere in solchem stande, da sie ihre berufs=​arbeit und, was die liebe des nechsten erfordert, also in der wochen verrichten können, daß ihnen noch zeit übrig bleibet zu geistlichen, so öfent- lich als zu hause anzustellenden übungen. Diesen ist es nicht nur erlaubet, daß sie, was sie also von ihrer nöthigen arbeit erübrigen können, auch in der 210 woche an das geistliche anwenden, sondern wo sie so gar auf das irrdische verpicht sind, daß sie um mehrers gewinst und verdienst willen, ohne welchen sie doch mit den ihrigen nach nothdurft leben könten, in der wochen sich keine zeit zu ihrer seelen abbrechen wollen, ist es eine betrübte anzeigung, daß ihre seele des reiches GOttes und seiner gerechtigkeit37 wenig achte und 215 besorglich der bauch ihr GOtt38 seye; dahero von ihrem Christenthum man sich nicht viel versprechen kann, auch gewiß ist, daß das gebot von der arbeit der sechs tage39, nicht so wohl der haupt=antrieb​ in ihrer seele seye, als der geitz40 und anhängigkeit an das irrdische, da sie doch allein jenes zum deck=​ mantel nehmen. Welche bewandnüß es auch mit dem spruch 1.Timoth. 5,841 220 hat, welchen gewiß ihrer mehrere fast unrecht erklähren und mißbrauchen, als den verstand des Apostels recht fassen. Wie dann einmahl derselbe denen eltern nimmer diese last aufgebürdet hat, daß sie müsten, auch mit versäu-

197 andern ] ander: D11–3. ​197 jedem ] jeden: D2. 198 solcher Arbeit obliget ] sol. arbeiten obliegen: K. 201 besondern ] besonders: D2. 203 inneren ] innere: D2. 203 andacht ] + unter ihrer Arbeit: K. 203 abgangs ] abgans: D11. ​204 müssen ] + nach vermögen: K. ​ 205 sind ] – D11. ​205 solchem ] solchen: D11. ​205 da ] daß: D2. 211 mehrers ] – K. ​ 211 gewinst und verdienst ] Gewinsts und Verdiensts: D2. ] Gewinns u. mehrers verdinstes: K. ​ 212 nothdurft ] + mit den ihrigen: K. 213 seelen ] + Erbauung: K. 215 GOtt seye ] G. ist: K. ​215 ihrem ] ihren: D11. ​215 man ] – K. 216 gebot von der ] Gebet bey der: D2. ​ 218 doch ] darnach: D2 + K. 218 zum ] zu: D11. ​219 nehmen ] machen: K. 220 welchen ] welchem: D2. 221 den ] dem: K. 221 f denen eltern nimmer ] nimmermehr den Eltern: K. ​ 222 müsten ] musten: D2 + K.

37 Vgl. Mt 6,33. 38 Phil 3,19. 39 Das dritte Gebot des Dekalogs (Ex 20, 8–11; 23,12; Dtn 5,12–15 u. ö.). 40 Im Sinne von „Habgier“ (DWB 5, 2811). 41 1Tim 5,8 (Luther 1545: „So aber jemand die seinen / sonderlich seine Hausgenossen / nicht versorget / der hat den glauben verleugnet / vnd ist erger denn ein Heide.“). Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 423 mung einiger ihrer geistlichen pfichten, also arbeiten, daß sie den kindern grosse schätze und reichthum sammlen42 und hinderlassen, oder ärger als die heiden gehalten werden solten: Nachdem er wohl gewußt, wie unser Heyland 225 vielmehr die sorge schätze zu sammlen seinen Christen verboten43, als anbe- fohlen habe; daher er selbst gleich 1.Timoth. 6 v. 944 die begierde reich zu werden vor sehr gefährlich und den Christen für hinderlich hält; sondern, wo wir ja diese worte von der pficht der eltern gegen die kinder verstehen wolten, würde das versorgen der seinigen in nichts anders bestehen, als in 230 sorgfältiger auferziehung derselben, wie in dem geistlichen zur furcht GOt- tes, also in dem eusserlichen, zu einer solchen arbeit und lebens=​art, daß sie dermahleins GOTT und dem nechsten dienende sich selbst ernehren können, und nicht der gemeine künftig eine last werden dürften. Wo man aber den ort des Apostels feißig einsiehet, wird man gar fnden, daß er nicht so wohl 235 von schuldigkeit der eltern gegen ihre kinder, als der kinder gegen ihre alte verlebte eltern handele, wo man sonderlich den 4. verß45 ansiehet, und ist also die meinung des Apostels vielmehr, weil damahls witwen in der gemeine zu dem geistlichen dienst der armen, krancken und fremden gebrauchet und hingegen von der gemeine ernähret worden, daß er Timotheo zeiget, was er 240 vor wittwen dazu wählen solte, nehmlich solche, welche niemand haben und verlassen sind. Welche aber kinder oder nefen haben, da sollen diese ihre kinder oder nefen erstlich lehren, ihre eigene häuser Göttlich regieren und ihren eltern gleiches vergelten, das ist, daß sie ihre mütter und großmütter selbst versorgen und die last nicht lassen auf die gemeine fallen: Darauf saget 245 er: Wenn aber einer nicht wolte die seinigen, seine mutter oder großmutter versorgen, sondern die gemeine dabey beschwehrete, derselbe sey ärger als ein heyde46, welche aus der natur gelernet, von ihren eltern sich nicht zu entzie- hen. Diese erklährung dörfte wol der absicht des Apostels am gemässesten

226 sorge schätze ] Sorge=​Schätze: D2. 227 v.9 ] – K. 228 gefährlich ] geführlich: D2 ] gefährl.: K. 228 den Christen ] dem Christenthume: K. 229 ja diese ] je dies.: K. ​ 230 versorgen ] Vorsorgen: D2. 230 der seinigen ] denjenigen: D11 ] der Jenigen: D2. ​ 231 derselben ] derselbigen: K. 231 dem ] den: D11 + D2. 232 dem ] den: D2. 232 daß ] da: K. 233 können ] könten: D2 + K. 235 feißig ] feißiger: K. 237 alte verlebte ] alte erlebte: D12 ] erlebte: D13 ] – K. 237 eltern ] + so alt u. verlebt: K. 237 also ] + dies.: K. ​ 239 dem ] den: D11 + D2. 239 geistlichen ] Christlichen: D2 + K. 241 niemand ] einig: D2. ​ 243 lehren ] lernen: K. 246 seine ] e.: K. 247 dabey ] damit: D12+3 + D2 + K. ​ 249 gemässesten ] gemächstesten: D11. ​

42 Vgl. 2Kor 12,14. 43 Vgl. Mt 6,19. 44 1Tim 6,9 (Luther 1545: „Denn die da Reich werden wollen/ die fallen in versuchung vnd stricke/ vnd viel törichter vnd schedlicher Lüste/ welche versencken die Menschen ins verderben vnd verdamnis.“). 45 1Tim 5,4 (Luther 1545: „So aber eine Widwe kinder oder Nefen hat/ solche las zuuor lernen jre eigene Heuser göttlich regieren/ vnd den Eltern gleiches vergelten/ Denn das ist wolgethan vnd angeneme fur Gott.“). 46 1Tim 5,8. 424 Briefe des Jahres 1690

250 scheinen. Aber auch die gemeine auslegung von der schuldigkeit der eltern gegen die kinder brächte die meinung nicht mit sich, welche zu beschönung des geitzes daraus gezogen werden will: Insgemein bleibet es bey dieser regel: Wie die seele das vornehmste an uns und wir nicht so wol um des zeitlichen als geistlichen und ewigen lebens willen erschafen und in der welt sind, also 255 muß auch das geistliche unser hauptwerck in dem gantzen leben bleiben; das irrdische aber als ein nebenwerck angesehen seyn, daher immer jenem nach- gehen. Ich billige auch von gantzem hertzen, was derselbe bey sich befndet, daß es nehmlich mit dem eusserlichen in unserm GOttesdienst nicht ausgemacht 260 seye, sondern daß innerliche vornehmlich dazu gehöre, und daher Gott der ein Geist ist47, ein aufrichtiges hertz, und demnach dieses von uns erfordere, daß unsere stäte absicht, unser stetswehrender innerlicher GOttesdienst seyn muß: Ich bekenne, daß dieses feisch und blut sehr sauer ankömmet, da es hingegen demselben so sauer nicht wird, einige stunde oder zeit auf eusser- 265 liche geistliche übungen zu wenden. Indeßen fordert GOTT jenes einmahl von uns und will sich hingegen mit diesen von uns nicht abspeisen lassen. So ists auch denjenigen durch seine gnade nicht unmöglich, welchen es einmahl ein rechter ernst ist. Denn ob wir wol gerne bekennen, daß der höchste grad, welchen wir, als lang wir noch in dem feisch leben, erreichen, sehr weit von 270 der vollkommenheit, die das gesetz erfordert, zurück bleibe, so wissen wir dennoch, und trauen es der güte unsres himmlischen Vaters zu, daß er es den seelen, welche ihm gern gefallen wollen, nicht lasse an kräften manglen, es dahin zu bringen, daß sie in einer kindlichen einfältigen aufrichtigkeit, seine ehre wahrhaftig suchen, und sich dazu gewöhnen können, bey welchen er 275 um CHristi willen mit ihrer schwachheit gedult tragen, und gefallen an ihnen haben wolle: Daher abermahl die meiste entschuldigung der unmöglichkeit eines thätigen Christenthums eine ausfucht des feisches ist, damit es seine faulheit bedecken und sich von seiner schuldigkeit vergebens loßwürcken will48. Gott aber und rechtschafene Christen, welche solches wohl sehen

250 scheinen ] seyn: D2 + K. 251 die ] – D2. 256 nebenwerk ] + u. so Übung des Gehorsams gegen G. u. der liebe gegen den Nechsten, als Erwerbung uns. Nothdurft: K. ​ 256 seyn ] seyen: D11 ] werden u.: D2 + K. 256 jenem ] jenen: D11. ​259 dem ] den: D11 + D2. ​260 daher ] baher: D11. ​261 demnach ] dennoch: D2. 261 erfordere ] fordere: K. ​ 262 absicht ] + in alle dem, was wir thun schlechter Dings zu sr. Ehre u. ihm zu wolgefallen gerichtet sey: wel. absicht: K. 264 demselben ] + endl.: K. 264 stunde ] Stunden: K. ​ 264 f eusserliche geistliche ] euserl. als geistl.: K. 266 diesen ] diesem: D12+3 ] dies.: K. 268 ob wir wol ] obwol wir: K. 269 dem feisch ] den Fleische: D2. 269 erreichen ] erreichet: K. ​ 270 bleibe ] bleiben: D11. ​271 er es ] ers: K. 274 gewöhnen ] gewähnen: D11 ] gewinnen: D2. ​274 können ] könne: D2. 275 gefallen ] wolgefallen: K. 275 ihnen ] ihm: D11. ​ 276 wolle ] will: K. 278 bedecken ] bedecke: D2.

47 Vgl. Joh 4,24. 48 Die Frage nach der christlichen Vollkommenheit ist eines der bedeutendsten Streitthemen des frühen Pietismus. Die hier skizzierte Erläuterung des Themas wird von Spener andernorts weit ausgeführt (s. z. B. Brief Nr. 7). Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 425 lassen sich damit nicht betrügen, sondern verstehen allemahl, wo man sich 280 entschuldiget, man könne nicht, daß es vielmehr heisse, man wolle nicht. Ich komme nunmehr auf das gebeth49, da ich zum besondersten nochmahls dem himmlischen Vater dancke, welcher ihm den Geist der gnaden und des gebeths50 bereits in zimlicher maaß51 gegeben haben muß, daß er viele dinge in solcher materie erkennet, welche nicht von allen, wie sichs geziehmet, 285 erkant zu werden pfegen: Wie nehmlich in unserem gebet hertz und mund einstimmen müße, wo dasselbige ein GOTT recht wohlgefälliges opfer52 seyn solle und daß das gebeth, nicht eben an das buch gebunden seye, sondern ob wohl der gebethbücher gebrauch, wo er recht eingerichtet wird, auch seinen nutz haben kan, daß gleichwohl das vornehmste gebet aus dem hertzen selbst 290 zu GOTT aufsteigen und durch die eigene erkäntnüß unserer bedürfnüß, gewircket werden müsse. Ich sehe auch gerne, daß er sich in den psalmen und sonsten in der schrift befndliche kurtze stoß=​gebethlein, wohl bekant macht; und derselben feißig gebraucht, wie sie denn ihre Göttliche kraft haben und dahero anderen vorgezogen werden müssen. Wann aber derselbige 295 von mir etliche von denen vorgeschlagenen materien, aus lauter dergleichen biblischen formuln zusammen gesetzte gebethe verlanget53, muß ich mich entschuldigen, nicht daß einem Christlichen freunde zugefallen eine arbeit nicht gerne aufnehmen wolle, da ich hofe, daß eben dieser brief ein anders von mir zeugen möge; sondern weil ich bekenne, daß meine gabe nicht seye, 300 aus andern formuln ein gebeth zu setzen, ob ich mich unterschiedliche mahl dessen bemühet, so will es doch nicht wohl von statten gehen; sondern ich muß vielmehr aus dem hertzen selbst mit mehrer freyheit, wie mir GOtt die materie und angelegenheit es eingiebet, meine worte fassen: Da ich bekenne, daß die redens=​arten zwar nicht aus der schrift genommen sind (aufs we- 305

282 nunmehr ] nun: K. 282 besondersten ] fordersten: D2 + K. 283 dem ] den: D11. ​ 287 dasselbige ] dasselbe: D2. 287 ein GOTT ] G. e.: K. 288 solle ] soll: D2. 290 nutz ] Nutzen: D2 + K. 291 unserer bedürfnüß ] uns. Bedürfens: K. 292 müsse. ] + Wie er auch wohl bemercket, daß manches in Psalmen, also auch in anderen Gebethbücheren stehe, welches wir mit Warheit von uns nicht sagen und nachsprechen können, sondern auslassen oder in einen andern Verstande gebrauchen müssen.: D2 ] Wie er a. wohl bemercket, daß manches in Psalmen, also a. in anderen Gebethbücheren stehe, wel. wir mit Warh. von uns nicht sagen und nachsprechen mögen oder können, sondern aussenlassen oder in e. andern Verstande gebrauchen müssen.: K. ​ 292 sich ] + die: K. 292 in ] darin: D2. 293 in ] – K. 298 einem ] meinem: K. ​ 299 wolle ] wolte: D2. 300 zeugen ] zeigen: D2 + K. 301 formuln ] + zusammen: K. ​ 301 mich ] + wol: K. 302 bemühet ] bemühe: K. 304 es ] darin: D2 + K.

49 Hirsch hatte in langen Ausführungen seine Gedanken zum Gebet ausgebreitet (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 38r–40v). 50 Sach 12,10. 51 Die Maß (s. Anm. 11). 52 Vgl. Röm 12,1. 53 Hirsch hatte von Spener (ebenso wie kurz vorher auch von Christian Scriver) eine Art Sammlung von Gebeten erbeten (Brief vom 5. 8. 1690; Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 39r–v). 426 Briefe des Jahres 1690

nigste gehen die gedancken nicht eben dahin), aber selbst versichere mich, daß sie Göttlichen worte gemäß sind54. Wie also die gaben unterschiedlich sind, so schätze ich die jenige hoch, denen aus der übung die vorher von anderen heiligen auch gebrauchte formuln stets zufallen, und GOTT sie also 310 in ihnen würcket. Ich kan mir aber solche nicht geben und weil ich, was meinen eigenen gebrauch anlanget, durch einen solchen zwang vielmehr meine andacht stöhren würde, fnde ich rathsamer, auch hierinnen demjeni- gen zu folgen, wie mich GOttes Geist selbst darinnen leitet; zweifele auch nicht, daß dessen liebe diese meine entschuldigung nicht übel nehmen werde, 315 als die auf der wahrheit gegründet ist, sondern vielmehr sich entweder selbst vergnügen mit denen aus eigener andacht zusammengesetzten Davidischen stoß=​Gebethlein oder sich anderer arbeit gebrauchen; da ich unter allen ge- beths=​formuln, die meisten aus Johann Arndten paradieß=gärtlein​ 55 die be- sten und kräftigsten zu seyn fnde und deswegen vor anderen recommandire. 320 Ich bin auch bereit, nach dem der vor etlichen monaten verstorbene Christ- liche Propst zu Berlin, Herr Teuber56, nicht lange vorher drucken lassen ein Göttliches gebetbuch57 (wie er es nennet), da alle solche Biblische formuln und ihre titel auch nach den bitten des Vaterunsers zusammen getragen sind, solches, wenn mir wege gezeiget werden, wie es am besten zu überschicken 325 wäre, mitzutheilen, ob villeicht solches zu diesem zweck dienlich seyn möch- te. Ich rufe aber vornehmlich und schließlich den himmlischen Vater demü- thigst an, der noch ferner den Geist des gebeths ihm reichlich verleihen und selbst, was ihm gefällig, in ihm wircken, hingegen seine tägliche opfer vor 330 sich und andere, einen süssen geruch58 für seinem angesicht seyn lassen, ferner den mangel der eusserlichen augen, mit seinem innerlichen seelen lichte,

306 aber selbst versichere ] die Sachen aber selbst versichern: D2 + K. 307 Göttlichen worte ] Gs. Wort: K. 309 anderen ] andere: D11. ​312 f demjenigen ] denjenigen: D2 + K. ​ 316 de­nen ] den: K. 316 zusammengesetzten ] zusammensetzenden: K. 317 Gebethlein ] gebethen: K. 319 seyn ] seyen: D11. ​319 vor anderen ] für andere: D2. 321 lange ] lang: D13. ​324 überschicken ] überschücken: D11. ​325 seyn ] seyen: D11. ​330 für ] vor: K. ​ 330 seinem ] seinen: D11 + D2 ] s.: K. 330 seyn ] seyen: D11. ​331 seinem ] seinen: D11 + D2 ] s.: K.

54 Zum freien Gebet im Pietismus s. J. Wallmann, Frömmigkeit und Gebet, in: GdP 4, [83–101] 88–92. 55 J. Arndt, Paradiß Gärtlein / Voller Christlicher Tugenden: wie dieselbige in die Seele zu pfantzen/ Durch Andächtige / lehrhafte und tröstliche Gebet / zu ernewerung des Bildes Got- tes / zur ubung des wahren lebendigen Christenthumbs, Magdeburg: Schmied 1612 (in späteren Aufagen häufg an die „Vier Bücher von Wahrem Christenthum“ angebunden). 56 Christian Samuel Teuber (s. Brief Nr. 59 Anm. 5). 57 Chr. S. Teuber, Ein Göttliches GebetBuch Psalm 27/ 8. Mein Hertz hält dir vor Dein Wort. Wobey: Etliche Schrift=Sprüche​ zum Bibel=Catechismo,​ Frankfurt a.O: In Verlägung Des Her- außgebers 1690. 58 Vgl. Phil 4,18. Nr. 92 an Johann Hirsch 29. 9. 1690 427 desto überfüßiger ersetzen, ihn in allen guten wercken59, seinen willen zu- thun, fertig machen und in ihm, was vor ihm gefällig ist, durch JESUM CHRISTUM schafen60, so dann auch zu ertragung der auferlegten last ge- ziemende gedult verleihen wolle, womit in die Göttliche treue obhut zu allem 335 Christlichen wohlwesen deroselben mit seinem hause und Christlichen freunden befehlende, verbleibe meines vielgeliebten freundes zu gebet und liebe williger etc. Philipp Jacob Spener, D.

Dreßden, den 29. September Anno 1690. 340 [P. S.:] Wenn ich etwas zu senden gelegenheit bekomme, oder mir dieselbe an die hand gegeben wird, so schicke auch meine predigten wider die liebe der Welt61, da die frage mit erörtert ist, von wiederkehr derer wider in die welt verfochtenen. Ihren Christlichen Predigern62, ob wohl unbekant, bitte auch 345 bey gelegenheit einen brüderlichen gruß anzuzeigen.

332 f seinen willen zuthun ] zu thun seinen willen: K. 334 so dann ] sondern: D2. 335 die Göttliche treue ] der Göttlichen treenn: D11+D2 + K. 336 allem ] allen: D11 + D2. ​ 336 deroselben ] denselben: D12+3 + K. 336 seinem ] seinen: D2 ] s.: K. 337 befehlende ] empfehlende: K. 339 Philipp Jacob Spener, D. ] – D1 + D2. 340 Dreßden ] – D11+2. ​ 342 dieselbe ] dieselbige: K. 345 verfochtenen ] verpfochtenen: D11.

59 Kol 1,10. 60 Vgl. Hebr 13,21. 61 Ph.J. Spener, Die Von dem H. Johanne 1. Epist. II/ 15.16.17 Den Kindern Gottes verleidete Liebe der Welt / Nochmahl zu hertzlichen derselben ablegung in dreyen Predigten vorgestellet, Frankfurt a. M.: Zunner 1690 (erneut gedruckt: KGS III, Anhang, 4–6; Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. IX.2.3). – Hirsch hatte das Buch in einem Katalog gefunden und dies in seinem Brief erwähnt (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 37v). 62 Johannes Lehmann (1640–1701) und Michael Schön (1636–1703), Geistliche an der ev. Kirche „Kripplein Jesu“ (von Valerius Herberger gestiftet) (zu diesen beiden s. Samuel Friedrich Lauterbach, Fraustädtisches Zion. Das ist Historische Erzehlung desjenigen, Was sich von An. 1500 biß 1700 im Kirch=​Wesen zu Fraustadt in der Cron Pohlen, zugetragen, Leipzig: Joh. Fr. Gleditsch und Sohn 1711, S. 587–682 [Lehmann] und S. 683–688 [Schön]; die Identifkation dieser Geist- lichen erfolgt nach dem Brief Speners an Hirsch vom 16. 10. 1691). 428 Briefe des Jahres 1690 93. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau1 Dresden, 2. Oktober 16902

Inhalt Bittet um die Unterlagen über die Untersuchung der pietistischen Unruhen in Leipzig für das zweite erbetene Gutachten. – Stellt alle Schlußfolgerungen und Entscheidungen der Leitung Gottes anheim. Überlieferung A: Dresden, SächsHStA, Loc 10330/03, Bl. 112.3

Göttliche gnade, friede, heil und segen zu aller hohen wolfahrt und gesegneter regierung! Durchleüchtigster Fürst, Gnädigster Churfürst und Herr. Nachdem auff E. Churf. Drlt. gnädigsten befehl ich in unterthänigstem ge- 5 horsam mein pflichtmäßiges bedencken über den so genannten Pietismum den 14. Jun. eingegeben4, darinnen aber mich auff die gute hoffnung, daß auch die damal noch währende inquisition5 nichts hauptfälliges, so die jenige, die ich nach meinem gewißen unschuldig glaube, graviren könte, mit sich bringen würde, in dero auch noch zu stehen ursach habe, bezogen, und aber 10 solche acta vor einiger zeit auß Leipzig eingesandt, sodann von E. Churf. Drlt. dreyen Jureconsultis6 zu dero rechtlichem bedencken zugestellet worden sind, hingegen ich vermuthe, daß solche dieselbe bereits durchgesehen und ihr underthänigstes gutachten darauß gefaßet haben werden, in entstehung deßen aber, wegen des einen seiter erfolgten ableibens7, sodann des andern abrei-

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). – Er hielt sich nach der Rückkehr vom Feldzug gegen Ludwig XIV. von Frankreich vornehmlich auf Schloß Hartenfels in Torgau auf, um Spener nicht mehr trefen zu müssen. 2 Präsentationsdatum. 3 Die Adresse fndet sich auf einer unpaginierten Seite vor Bl. 124. 4 Es ist mehrfach überliefert: SächsHStA Dresden, Loc 10329/07, Bl. 11–25; Loc. 10330/03, Piet. betr. 1690, (Bl. 36r–63v und Bl. 63/1b [= Adresse]); das Gutachten ist abgedruckt in: Bed. 3, 777–805. 5 Zu den Verhören der an der pietistischen Bewegung Beteiligten, hier vornemlich der studen- tischen und bürgerlichen Besucher der Konventikel, s. Briefe Nr. 16 Anm. 42 u. Nr. 30, Z. 6–37. 6 Die beiden juristischen Mitglieder des Dresdner Oberkonsistoriums waren Johann Georg Nicolai (s. Anm. 7) und Johann Georg Börner (s. Anm. 8), dazu kam der Appellationsrat Dr. Jakob Born (1638–1709), dessen Gutachten, zusammen mit demjenigen von Börner am 10. 11. 1690 präsentiert wurde (SächsHStA Dresden, Loc 10330/03, Bl. 68r–104v). 7 Johann Georg Nicolai (3. 9. 1618–16. 9. 1690), Oberkonsistorialrat in Dresden; geb. in Dres- den, nach dem Jurastudium in Wittenberg und Promotion zum Dr. iur. in Altdorf 1647 Rückkehr nach Dresden, als kursächsischer Rat in verschiedenen Angelegenheiten tätig, 1677 Oberkon- Nr. 93 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 2. 10. 1690 429 se8, die acta ohne das eine weil ligen würden, habe underthänigst zu bitten, 15 ob nunmehr E. Churf. Drlt. gnädigst geruhen wolten, daß solche nunmehr auch mir communiciret werden möchten, zu verordnen9, um auß denselben zu ersehen, ob bey vorigem meinem underthänigsten bedencken, wie hoffe, zu bestehen und solches ferner darauß zu bestärcken oder einiges auß dem nach­gefolgten zu ändern, ursach finden würde. Wie nun solches zu meines 20 gewißens in so wichtiger sache beruhigung dienet, also habe solcher gnädig- sten willfahrung getroste zuversicht. Den Himmlischen Vater, deßen ehre in dem gantzen werck so sehr alß in einigem geschehen kan, interessiret und also daßelbe eines der wichtigsten, so in berathschlagung genommen werden könten, ist, rufe ich demüthigst an, 25 E. Churf. Drlt. und alle darüber anstellende deliberationes mit seinem Geist also zu regiren, daß die beforderung seiner ehre, der wahrheit reinigkeit, der Kirchen erbauung und ruhe, der gantzen lande wolfahrt dardurch kräftig erhalten und der gesegnete schluß dieses geschäfts ein stück des ruhms der beglückten regirung und segens dero Churfürstlichen hohen hauses werde. 30 Ich aber nechst inniglicher empfehlung in die heilige hut des Allerhöchsten verbleibe E. Churf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster Philipp Jacob Spener, D. 35 Mppria. Deme Durchlaüchtigsten Fürsten und Herren, Herrn Johann Georgen dem Dritten, Herzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berge, auch Engern und Westphalen, des H. Römischen Reichs Ertzmarschallen und Churfürsten, Landgrafen in Thüringen, Marggrafen in Meißen, auch Ober= und Nider=​ 40 Lausitz, Burggrafen zu Magdeburg, gefürstetem Grafen zu Henneberg, Grafen in der Marck, Ravensperg und Barby, Herren zum Ravenstein etc. Meinem gnädigsten Churfürsten und Herren. Präs., 2. Octobris Ao. 1690.

sistorialrat (Zedler 24, 546; LP: Samuel Benedikt Carpzov, Treuer und frommer knechte Gottes Seeliger Tod/ sanfte Rast/ und herrlicher Lohn, Jena: J. Z. Nisius, 1690). 8 Johann Georg Börner (9. 8. 1646–2. 5. 1713), Oberkonsistorialrat in Dresden; geb. in Dresden, nach dem Jurastudium in Leipzig und Wittenberg 1670 Rückkehr nach Dresden, als Jurist tätig, 1678 Dr. iur. in Gießen, 1689 Oberkonsistorialrat in Dresden, 1692 Hofrat; Schwiegersohn des früheren Oberhofpredigers Martin Geier (Zedler 4, 385; LP: Polycarp Kunad, Der in seinem Tode Ihm selber klüglich rathende Kirchen= und Ober=​Consistorial-Rath Ward an dem Exempel Des Weyland Hoch-Edlen … HERRN Johann George Börners, Hochberühmten Icti, Dresden: Harpter, Leipzig: Fleisch 1713). 9 Die Akten wurden Spener am 6. 10. 1690 zugeschickt (SächsHStA Dresden, Loc 10330/03, Piet.betr. 1690 f). 430 Briefe des Jahres 1690 94. An Ahasver Fritsch in Rudolstadt1 Frankfurt a. M., 6. Oktober 1690

Inhalt Verweist auf seinen letzten Brief an Fritsch. Überlieferung R: J. S. Semler, Hallische Sammlungen zur Beförderung theologischer Gelehrsamkeit, 1. Stück, Halle a.S. 1767, 109.

Er hat schon eher geantwortet, als er den letzten Brief 2 bekommen. – Ihres Herrn Archidiaconi3 quaestiones4 sind nicht darinnen beantwortet worden etc.

1 Ahasver Fritsch (16. 12. 1629–24. 8. 1701), Kanzler in Rudolstadt; geboren in Mücheln bei Merseburg, nach dem Jurastudium in Jena 1657 Informator am Hof von Schwarzburg-Rudolstadt, seit 1661 Hof‑ und Justizrat, 1687 Kanzler in Rudolstadt, im Briefwechsel mit Spener seit 1674, Erbauungsschriftsteller (DBA 352, 369–402; ADB 8, 18 f; LL 4, 41 f; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 17 Anm. 1, und Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 163 Anm. 1). 2 Der letzte überlieferte Brief Speners an A. Fritsch ist vom 7. 10. 1689 datiert (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 104). 3 Johann Michael Andreä (27. 4. 1657–11. 12. 1711), Archidiaconus in Rudolstadt; geb. in Herschdorf, nach dem Studium in Leipzig und Jena (nach längerer Krankheit) 1685 zweiter Dia- conus, 1686 Archidiaconus und 1696 Oberpfarrer in Rudolstadt, seit 1707 zugleich Assessor des Konsistoriums im Fürstentum Rudolstadt (LP: Ludwig, Heinrich Christoph, Der letzte Buß=​ Tag Des Hoch=​Ehrwürdigen und Gottselig=​Hochgelahrten Herrn Johann Michael Andreä […], Rudolstadt o. J.). 4 Ohne nähere Hinweise auf deren Inhalt ist nicht zu ermitteln, ob die Antwort später noch erfolgte und ob sie überliefert ist. Nr. 95 an Anna Elisabeth Kißner 9. 10. 1690 431 95. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 9. Oktober 1690

Inhalt Hat in diesem Jahr mehr Todesfälle in der Verwandtschaft und der (Frankfurter) Freundschaft zu beklagen als in früheren Jahren; dazu gehört auch der Tod von [Anna Elisabeth Eberhard]; kon- doliert und verweist Frau Kißner und ihre Familie auf den Trost Gottes. – Hoft, daß [Conrad Hieronymus] Eberhard bald wieder gesund wird. – Läßt seiner Nichte [Anna Dorothea] Mi- chael(is) Geld zukommen. – Gibt Anweisung zur Verteilung von Schriften, die von ihm verfaßt worden sind. – Ist froh, daß die Unterlagen über die letzten Verhöre der Pietisten in Leipzig deren Unschuld bewiesen haben. – Berichtet vom Segen, der durch [August Hermann] Franckes Wirk- samkeit in Erfurt ausgeht. – Wartet auf weitere Nachrichten aus Hamburg. – Beklagt [Johann Wilhelm] Petersens ungeschicktes Verhalten in Lüneburg und befürchtet, daß dieser entlassen werden wird. – Berichtet von der neuen Anstellung [Ludwig Friedrich] Barthols in Muskau, erwartet jedoch Anfeindungen durch den dortigen Superintendenten [Martin Francisci]. Überlieferung K: Halle a. S., AFSt, D 107, S. 388–395.

Von Jesu Christo, dem überwinder des Todes und fürsten des lebens Gnade und frieden, trost, heil, leben und, was er uns worden ist, in Zeit und Ewigkeit. In demselben hertzlich geliebte Frau und Schwester.

Wie mich der Himmlische Vater dieses Jahr nach seinem gütigen Rath von 5 mehreren Todesfällen der mir auch nach dem feisch nahe angehörigen hat hören laßen2, alß zu andern Jahren geschehen, also ist auch von anderen lieben Christlichen Freunden auß ihrem Franckfurt noch nie so öftere TodesPost eingelaufen, darunter nunmehr ihre liebe Seelige Mutter3 auch zählen muß. Jedoch sey der Nahme des HErrn gleichermaßen und zu allen zeiten ge- 10 priesen, er gebe oder nehme4, was wir lieben, denn er bleibet in beyderley derjenige, welcher er ist, nemlich der allein und allezeit gute Gott und Vater. Daß meiner geliebten Schwester und übrigen sämtlichen geschwistern dieser fall nach der natur tief zu hertzen werde geschnitten haben, kann ich leicht ermeßen, auch darauß etlicher maßen abnehmen, wie mir so dieses, als ande- 15 rer Christlicher freundte und freundinnen in ihrer Stadt, mit welcher der Herr

1 Anna Elisabeth Kißner, Arztwitwe in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 97–101. 96–99. 106–109. 112–117. 118–121) in: Nebe, Dresdner Briefe, 297 f. 2 Im Brief vom 8. 9. 1690 an Adam Rechenberg (Ad Rech 1, Bl. 406r) berichtet Spener vom Tod des Sohnes und der Ehefrau von Johann Ulrich Wild (zu diesem s. Brief Nr. 11 Anm. 91), nämlich Carl Leopold (gest. 6. 3. 1690) und Katharina Regina geb. Spener (s. Brief Nr. 86 Anm. 22), ebenso vom Tod Martin Michael(is), dem Schwiegersohn Agatha Dorothea Stolls geb. Spener (s. Anm. 12). 3 Anna Elisabeth Eberhard (s. Brief Nr. 11 Anm. 49). 4 Vgl. Hi 1,21. 432 Briefe des Jahres 1690

Herr mich vor andern genauer verbunden hat, bißheriges ableiben zu gemüth gestiegen ist. In deßen dancke ich auch Gott, daß ich weiß, wie deßen leben- diger Trost ihre Seele dermaßen erfüllet habe, daß sie von mir einiges trost- 20 worts nicht nöthig hat und gedencke ich noch allezeit mit freuden der gött- lichen Kraft, welche ich an ihr den nachmittag, nach dem abschied ihres seeligen Herrn5 erkannt und mich an ihr gestärcket habe. Daher mich versi- chere, es werde solche mächtige hand auch diesesmal sie dermaßen gehalten haben, daß der Schmertze der Natur den Geist um nichts niederzutrücken 25 vermocht, sondern sie mit ruhiger Seele, was sie geliebet, demjenigen Vater, welchen sie noch mehr liebet, überlaßen haben und noch stäts überlaßen würde, so dann auch die liebe ihrige6, so viel derer schwächre seyn möchten, an ihr nöthige stärckung gefunden haben werden. Also wende ich mich vielmehr zu Gott, dem Vater der barmhertzigkeit und Gott alles trostes7, 30 demselben mit ihnen zum fordersten demütigst danckende vor alles gute, so er deroselben seeligen Mutter jemahl erzeiget, da er sie nicht allein ein ziemliches alter erreichen laßen, deßen meiste zeit sie aufs wenigste, daß sie dem ihrigen abwarten mögen, zugebracht, nebenst dem auch in allerley stücken in dem zeitlichen, an Kinder und sonsten seinen Seegen spühren und 35 genießen laßen, sondern vornehmlich in dem Geistlichen und an ihrer Seel ihr viel Gnade erzeiget hat, da er sowohl von jugend auf seine erkanntnüs aus seinem wort ihr beybringen laßen, alß ihr eine Seele, welche begierde und freude zu und an Göttlichen dingen hette, verliehen alß sonderlich je mehr und mehr auf allerley weise innerlich und eußerlich durch seinen geist, wort, 40 Christliche freunde, die ihrige selbst und mancherley Creutz, zu sich näher gezogen, die welt in allem ihr verleidet, hingegen den in sie vor langem auß- gestreuten Saamen zu einer reichen Saat und endlichen ernde aufwachsen und reifen werden lassen, durch dero Exempel aber auch so inner alß außer ihrem Hauße viele manchmahl kräftig gerühret und endlich nunmehr an 45 ihrem Ende ein zimliches als in sie gelegten gnadenmaaßes geofenbahret, sie in ihrer Schwachheit mit sich selbst gestärcket und zuletzt ihr leben mit see- ligem einschlafen gecröhnet, also sie aus der fnsternus in das licht, auß der Schwachheit in die Kraft, auß der Arbeit in die wahre ruhe8 (die ihr hier wenig zu gut kommen wollen), auß dem Tod in das leben versetzet hat. Er 50 bleibe über alles das, was er gleichwie durch sie an uns auf einigerley maß, also vornehmlich an ihr selbst guts gethan hat und noch ferner ewiglich thun wird, unendlich gelobet und gepriesen. Er verleyhe nun dem abgematteten

5 Johann Kißner (9. 2. 1645–24. 5. 1678); geb. in Frankfurt a. M., nach dem Medizinstudium in Jena und Leiden und einer Europareise 1670 Arzt in Frankfurt (Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, 47; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 46 Anm. 51). 6 Anna Elisabeth hatte noch eine Schwester (Katharina Elisabeth Eberhard; s. Brief Nr. 30 Anm. 29) und zwei Kinder (Anna Elisabeth und Conrad Hieronymus; s. Brief Nr. 11 Anm. 47), dazu einen Bruder (s. Anm. 10). 7 2Kor 1,3. 8 Vgl. Hebr 4,3. Nr. 95 an Anna Elisabeth Kißner 9. 10. 1690 433 leichnahm auch eine unzerstöhrte ruhe, die Seele aber tröste er und erquicke in seiner hand und Schooß mit der uns noch unbegreifichen süßigkeit des Friedens und Ruhe in ihm, darein sie eingegangen, biß auf jenen Tag der 55 ofenbahrung der göttlichen herrlichkeit und aller auserwehlten in der seligen auferstehung der gerechten9 und frölichsten zusammenkunft aller Kinder Gottes, die wir uns etwa hie mit Thränen voneinander haben trennen müßen. Ich rufe aber seine Väterliche Güte ferner inniglich an, welche zum aller- fordersten in ihrer aller hertzen die lebendige erkanntnüs seines allerliebsten 60 und besten willens auch in diesem Stück kräftig versieglen, den trost auf das tiefste gründen und sie stäts vielmehr auf das, was ihre seele auch darinnen ermuntern und zu dem Herrn außrichten mag, alß was sie wegen des natür- lichen schmertzes und leidenden verlustes niederschlagen möchte, sehen lehren, nechstdem ihnen insgesamt das jenige, was er ihnen bißher in einer 65 treuen Mutter gewesen, in und an sich selbst werden, seyn und bleiben, also den zugefügten Schaden mildiglich ersetzen, den letzten seegen, so sie in Göttlicher Kraft den ihrigen samt und sonders zugesprochen, ohn abgang völlig an allen erfüllen, ihrer aller hertzen stäts in bißheriger liebe ohne eini- gen anstoß oder bruch vereiniget erhalten und sie insgesamt wie mit allen 70 andern arten menschlicher glückseligkeit, alß viel er ihnen nützlich erkennet, beseligen, also auch durch seinen H. Geist stäts auf seinen wegen also führen wolle, daß keines unter ihnen zurückbleibe, sondern sie alle ihre seelige Mutter an dem Ort der Freuden fnden und ewig unzertrennet bleiben mö- gen. Wann aber geliebter Schwester sonderlich anfangs die meiste last auf den 75 halse fället, so stärcke er sie als ein mächtiger Gott mit doppelter Kraft und nöthiger weißheit, die aufgetragene mutterstelle zu aller wahrem heil zu ver- treten und das göttliche werckzeug zu ihrem besten zu werden. Wie nun alles dieses aus wahrem grunde der Seelen wünsche, so versichere mich auch, der Herr werde thun, was wir nach seinem willen verlangen. 80 Den werthen herrn Bruder10 anlangende, deßen kranckheit zugleich be- richtet worden, versichre mich auch, was ich ebenfals wünsche und bißher gebeten habe, daß der Himmlische Vater denselben wiederum werde zu ihrer aller und vieler anderer trost aufgerichtet haben. Er stärcke ihn ferner und heilige die, wie ich hofe, wieder geschenckte gesundtheit zu seinen Ehren 85 und vieler menschen bestem. Im übrigen habe zu bitten, von dem assignirten geld der 180 Thlr.11 auch 20 Thlr. unserer lieben Frau Michelin12 samt freund[lichem] gruß zuzusenden,

9 Lk 14,14. 10 Conrad Hieronymus Eberhard, Arzt in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 50). 11 Im vorausgegangenen Brief an Anna Elisabeth Kißner spricht er von 170 Talern, die er für notleidende Menschen in Frankfurt und Umgebung anweist (s. Brief Nr. 74, Z. 42). 12 Anna Dorothea geb. Stoll (s. Brief Nr. 13 Anm. 17), die Ehefrau von Martin Michael(is) (zu diesem s. Brief Nr. 11 Anm. 53). 434 Briefe des Jahres 1690

davon ihr selbst zu seiner zeit werde nachricht geben, von wem sothane wohl- 90 that komme13. Es wird auch H. Zunner14 von einem Lateinischen tractat15 2 Exemplaria, und so viel von einem Teutschen, dazu ich nur die praefation gemacht16, zu- gestellet haben, von diesen letzten bitte eins sich selbst zuzueignen, von den ersten eins dem Herrn bruder zuzustellen, und auch mit den 2 übrigen nach 95 belieben zu thun. Von hiesigem zustand habe wenig zu berichten; ich empfehle alle meine Sache getrost in die Vatershand meines Gottes und sorge wenig. Habe nun nechst auch die acta der letzten scharfen inquisition gegen die pietisten in Leipzig17 zu durchlesen gehabt und mich gefreuet, daß Gott abermal dero 100 unschuld laßen ofenbahr werden, indem nichts wider sie aufgebracht oder sie des imputierten schuldig befunden worden. Ob ich wol nicht versichern kann, daß damit denjenigen eine gnüge werde geschehen seyn, welche sie mit gewalt zu kätzern machen und haben wollen. Indeßen lebet Gott und ist ein gerechter Richter18. Ach, daß wir nicht mit unrecht an seinen Kindern sein 105 schweres Gerichte reitzen! Zu Erfurth giebt Gott meinem Herrn M. Francken, so nun daselbst pre- diger19, stattlichen Seegen, und tringt Göttliches wort auf ungemeine art bey alten und Jungen durch. Laßet uns den Herrn davor preisen und bitten, daß es aller orten in seinem Seegen ungehindert fortlaufen möge. 110 Von Hamburg warte noch, welchen ausschlag der gütigste vater endlich der Sache seiner Kinder geben werde, der sie je nicht laßen wird20. Nirgend aber scheinets gefährlicher zu stehen alß in Lüneburg, da unser l[ieber] H. D. Petersen wohl dörfte den kürtzern ziehen, wie es verlautet, daß

13 Zu ähnlichen fnanziellen Unterstützungen der Familie, die durch die Zerstörung von Worms ihre Habe verloren hatte, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 66, Z. 9–22; Michaelis hatte im Frühjahr 1690 ein Rektorat in Darmstadt übernommen (s. Brief Nr. 30, Z. 46–50, mit Anm. 17), nun mußte seine Witwe unterstützt werden. 14 Johann David Zunner, Speners Verleger in Frankfurt (s. Brief Nr. 27 Anm. 16). 15 Als einziger größerer lateinischer Text Speners aus dem Jahr 1690 ist „De impedimentis studii theologici“ bekannt; es handelt sich dabei zwar um eine Vorrede zu den von Spener her- ausgegebenen „Tabulae Hodosophicae Dannhaueri“, der Text kann aber durchaus als selbständiger Traktat bezeichnet werden (s. Brief Nr. 22 Anm. 4). 16 Die letzte vorausgehende bekannte Vorrede Speners ist am 27. 11. 1689 geschrieben zu der Schrift „Christliches Gespräch eines Kindes mit seiner lieben Mutter / Worinnen die Ubung des wahren Christenthums bestehe / und wie es zu führen seye, Schneeberg: Chr. Zeuner 1690“ (Grünberg Nr. 250; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 39 Anm. 23) 17 Die letzten Verhöre von Studenten zum Pietismus fanden bis zum 9. 8. 1690 in Leipzig statt (Verhöre von Andreas Friedel) (SächsHStA, loc 10329, Bl. 161). 18 Jer 11,20. 19 August Hermann Francke (s. Brief Nr. 16 Anm. 32), war am 2. 6. 1690 als Diaconus an der Erfurter Augustinerkirche ordiniert worden (s. Brief Nr. 51 Anm. 46). 20 Die Auseinandersetzungen um den Religionseid in Hamburg (s. Brief Nr. 32), bei denen vor allem die Freunde Speners Johann Heinrich Horb (s. Brief Nr. 32 Anm. 1), Abraham Hinckel- mann (s. Brief Nr. 45 Anm. 42) und Johann Winckler (s. Brief Nr. 9 Anm. 1) in Schwierigkeiten geraten waren. Nr. 95 an Anna Elisabeth Kißner 9. 10. 1690 435 sich die stättischen um einen andern Superintendenten umsehen21. Ich be- daure in solchem fall so wohl ihn u. den gebrauch seiner gaben, welcher 115 schwerlich so bald mehr möchte anzubringen seyn, alß das daraus auch auf andere mitfallende ärgernüs, so ich vorsehe. Doch er ist der Herr, thut u. ver- hengt nicht, was uns, sondern ihm gut dünckt. Meinerseits hätte hertzlich gewünschet, man wäre bey der einfältigen Predigt von Jesu Christo, dem gecreutzigten, geblieben22 und hätte sich nicht selbst anstoß gemachet mit 120 meinungen, die aufs wenigste keinem zur Seeligkeit nötig sind. H. Bartol23 wird hingegen nach Muskau in der OberLausitz zum Grafen von Callenberg als hofcapellan berufen24. Wo es zwar auch einigen Sturm, wie vorsehe, geben, aber der HErr helfen wird25. In deßen treue, trost, regierung und Seegen das gantze liebe hauß, ge- 125 schwister und Kinder26 empfehlende verbleibe Meiner werthesten Schwester und frauen zu Gebet u. Christlicher liebe wil- liger Dreßden, den 9. Octob. 1690. P. J. Spener, D. 130 Mppria. Dreßden, den 9. Octob[er] 1690. Frauen, Frauen Annae Elisabeth Kißnerin, gebohrnen Eberhardin, Wittiben, in Franckfurth am Mayn. 135

21 Zu dem Gerücht, man suche in Lüneburg schon einen Nachfolger für Johann Wilhelm Petersen, s. Brief Nr. 86, Z. 40–42. 22 Vgl. die wiederholten Ermahnungen Speners an Petersen und dessen Zusagen, sich auf den gekreuzigten Christus in seinen Predigten zu konzentrieren und sich auf der Kanzel nicht über den Chiliasmus zu äußern, s. Briefe Nr. 26, Z. 14–16, mit Anm. 7, Nr. 38, Z. 21–23, und Nr. 86, Z. 21–37. 23 Ludwig Friedrich Barthol (s. Brief Nr. 38 Anm. 24). 24 Zu der Berufung Barthols durch Curt Reinicke (II.) von Callenberg s. Brief Nr. 77, Z. 3–9. 25 Der Superintendent Martin Francisci (s. Brief Nr. 77 Anm. 17) hatte im September den seit Herbst 1689 als Hauslehrer beim Grafen Callenberg angestellten und pietistisch gesinnten Daniel Otto Ziesler verhört und das Ergebnis an die Leipziger Theologische Fakultät geschickt (Leube, Pietistische Bewegung, 215). 26 S. Anm. 6. 436 Briefe des Jahres 1690 96. An eine vornehme Person in Schweden1 Dresden, 13. Oktober 1690

Inhalt Freut sich über die Nachrichten aus Nordeuropa, wo eine größere Gottesfurcht herrscht als in Deutschland. – Beklagt die Widerstände gegen das Gute und die darüber ausgestreuten Gerüchte, es seien Sekten und Irrtümer entstanden. – Macht dem Adressaten Mut, trotz feindlicher Angrife durch die Welt Christus nachzufolgen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 362. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 322–323.

Aus den Nordischen Reichen und provinzien wünsche ich in übrigen auch hertzlich, allezeit mit freuden zu hören, daß die denselben von GOtt vor andern landen reinere und mit weniger untermischung der widrigen freyer anvertraute Evangelische Wahrheit viele reiche Früchten der Gottseeligkeit 5 u[nd] heiligen wandels ie mehr und mehr bringe, alß welches auch die höchstschuldige Danckbarkeit ist: von dergleichen zwar in dießen teutschen quartiren3 ich nicht nach wunsch gar vieles insgemein zu rühmen vermag: doch mangelts nicht, daß Gott nach seiner überschwenglichen Güte nicht, sonderlich von unterschiedlichen jahren hin und wider etzlicher so prediger 10 als anderer Christen gemüther kräftiger alß sonsten gerühret hätte, jene, die lehre von dem rechtschafenen und thätigen christenthum mit mehrerem eyfer zu treiben, dieße aber, dieselbe auch mit ernstlicherm Fleiß alß sonst zu beleben. Jedoch hats Satan hinwider auch an sich nicht mangeln laßen und gesucht, 15 mit desto mehr angelegenheit durch allerley hindernüßen, sonderlich sein gewöhnliches mittel vieler grausamer Lästerungen, solches gute zu unter- trucken oder, die sich darinnen üben, desto mehr endlich müde zu machen. Wie ich auch nicht zweife, daß bis in Schweden auch vor Ew[re] Wohl- geb[orene] Tug[endreiche] (?) dergleichen Gerücht aus teutschland von eini- 20 gen secten und irrthumen (welcher titul leider nunmehr gemeinigl[ich] der übung der rechtschafenen Gottseligkeit beygelegt zu werden pfeget) ge- kommen sein werde4. Man hatt sich aber darüber nicht zu befremden, wo

1 Die Empfängerzuweisung fndet sich im Regest von LBed. 3,322. Ofenbar kennt Spener den Adressaten nicht persönlich (s. Z. 26 f). – Der Name ist auf der rechten oberen Ecke von K notiert, aber unleserlich gestrichen. 2 Auf Grund der letzten Zeilen von Speners Hand muß es sich um eine Kopie handeln, die in Speners Repositur lag und als Druckvorlage von LBed. verwendet wurde. 3 Das Gebiet des Alten Reiches. 4 Die Gerüchte, die auf Grund der pietistischen Bewegung in Leipzig ins Land gestreut wurden (s. dazu Briefe Nr. 16, Z. 104–159, Nr. 54, Z. 46–58, Nr. 61, Z. 10–16, Nr. 68, Z. 139–186, Nr. 88, Z. 42–56, Nr. 97, Z. 73–168, u. ö.). Nr. 96 an eine vornehme Person 13. 10. 1690 437 der feind alles guten, seine alte wafen allemahl widerum aufs neue gegen daßelbe, wo es kräftiger aufgehen will, zu gebrauchen, sich angelegen sein läßet, noch sich solcher mahlzeichen unsers hochgeliebten und hochgelobten 25 Heylands zu schämen. Wie mich daher zu deme, was mir von Ew. Wohlgeb. Tug. gerühmet worden ist, deßen unzweifenlich versehe, daß, wie auch deroselben Christli- cher Entschluß seyn wird, ihrem Erlöser in seinen Fußstapfen und nach seinen regeln, ohnerachtet wie solches der welt gefallen oder misfallen 30 möchte, nachzufolgen, sie nicht weniger, wo sie von andern, welche der Herr in einiger Prüfung ihres Glaubens und Gedult um der übung des guten willen hält, dergleichen höret, davon Christlich zu urtheilen verstehe, alß die nicht anders als auch diese hauptregel des Christenthums gefasset haben kan, daß der welt freundschaft Gottes Feindschaft5, hingegen dero haß das beste seiner 35 dienere Zeugnus und kennzeichen seye: daher wir zwahr solchen haß nicht vermeßentlich reitzen, aber auch nicht mit einiger Verlezung unsrer Pficht aus zu vieler Furcht der Menschen fiehen wollen, alß wißende, wir dienen einem solchen HErrn, welcher nicht allein alle zu seinen ehren anwendende mühe, sondern auch zustoßende ungelegenheit, gefahr oder verachtung herr- 40 lich zu vergelten vermag u. pfeget p[erge]. 13. Oct[ober 16]90.

39 ehren … 90 ] Von Speners eigener Hand.

5 Jak 4,4. 438 Briefe des Jahres 1690 97. An Königin Ulrike Eleonore von Schweden in Stockholm1 Dresden, 15. Oktober 1690

Inhalt Bedauert die noch andauernde Krankheit der Königin und sagt seine Fürbitte zu. – Berichtet ausführlich über die pietistischen Unruhen in Leipzig und die Anschuldigung, eine neue Sekte, die der Pietisten, begründet zu haben; alle Anklagen konnten als unbegründet zurückgewiesen werden, aber das kursächsische Konventikelverbot regelt mögliche Zusammenkünfte. – Beklagt die aus Neid und Mißgunst entstandenen Widerstände. Überlieferung A: Kopenhagen, Rigsarkivet, Arkivnummer 202, Løbenummer 33.2 D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 412–416.

Gnade, friede und leben von unserm GnadenKönige, LebensGott und friedefürsten CHRISTO JESU! Durchleuchtigste, Großmächtigste Fürstin, Gnädigste Königin und Frau. Der ich zu andernmahlen, so oft vor E. Kön. Myt. mit meiner unwürdigen 5 schrift zu erscheinen mich understanden, allezeit mit freuden die feder er- grifen habe3, bin nicht in abrede, daß solches jetzt mit einiger wehemuth und betrübnus thue, nachdem von E. Kön. Myt. annoch immer nach des Aller- Höchsten willen fortwährender unpäßlichkeit die berichte einlaufen4. In solchem deroselben dem feisch nach nicht angenehmen zustande, wo davor 10 hielte, daß E. Kön. Myt., wie Sie sich in diese übung dero glaubens und gedult gegen ihren Allerliebsten Himmlischen vater zu verhalten hätte, von andern zuspruch und unterricht bedörfte, würde ich das in deroselben theure Seele von obenherab gelegtes reichliches gnadenmaaß nicht gnugsam erkennen, auß welchem es an innerlichem liecht und trost in solcher schule Gottes nicht 15 manglen kan. Indeßen werden E. Königl. Myt. mir verstatten, wo ich vor dero

7 immer ] + . 15 ich ] + .

1 Königin Ulrike Eleonore von Schweden (11. 9. 1656–6. 8. 1693), Tochter König Friedrich III. von Dänemark und Schwester der sächsischen Kurfürstin Anna Sophia, seit 1680 verheiratet mit Karl XI. von Schweden (Europäische Stammtafeln NF 1, Tafel 32; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 79 Anm. 1). 2 Der Brief wurde nach der in Kopenhagen liegenden Ausfertigung ediert in: O. Malmström, Ett bref från Spener till drottning Ulrika Eleonora d.ä., in: Kyrko-Historie 14, 1913, 6–13. 3 Der vorliegende Brief ist das vierte Schreiben Speners an die Königin, das bekannt ist (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 79, Bd. 3, Briefe Nr. 10 und Nr. 120). 4 Von einer Krankheit war im letzten bekannten Brief Speners an die Königin (Dresdner Brie- fe, Bd. 3, Brief Nr. 120) noch keine Rede; s. aber im vorliegenden Band Brief Nr. 143, Z. 9–21. Nr. 97 an Königin Ulrike Eleonore von Schweden 15. 10. 1690 439 augen gegen unsern grundgütigen Gott und geber aller guten gaben5 das jenige außschütte, was die meinung dessen ist, so ich täglich nicht nur zu ei- nem mahl vor dem thron der gnaden6 suche: wie ich dann auch hiemit meine knie gegen denselbigen beuge7, daß er allezeit über dero theure person mit aller Himmlischen gnade kräftiglich walte: ist es seinem allerheiligsten 20 rath gemäß, alß dem wir alles unser wollen und wünschen zu unterwerfen haben, so erhalte er dieselbe auch noch in diesem lande der lebendigen8 lange zeit zu seiner heiligen ehre, dero innigst geliebten Königlichen Gemahls Myt.9 langwihriger10 vergnügung, der Königlichen Prinzen und Prinzeßin- nen11 so freude als in gottseliger auferziehung nötiger hülfe, dero gesamten 25 Reiche und underthanen erwünschtem trost und auch aller, welche ander- wertlich die göttliche gnade in deroselben geziehmend veneriren, erfreulicher versicherung, daß er dero verlangen nicht verachte und laße also anderer gebet und wünsche vor dero langes leben dem vielleicht eigen beywohnen- dem Paulinischen verlangen einer ehenden versetzung in die vollkommen- 30 heit12 noch lange vortringen13: damit aber das längere verbleiben in dieser irdischen hütte14 zu anderer bestem deroselben nicht selbsten zu beschwehr- lich werde, so erzeige er auch dieses mal ein neues zeugnus seiner wunder- macht und güte in nicht allein erleichterung der biß daher auferlegten last und leibes beschwehrden, sondern, wo es sein H. wille ist, wunderthätiger 35 vollkommener widererstattung der ersten gesundheit und völliger kräften: er zeige auch selbs diejenige mittel, welche er in der natur dazu zu segnen be- stimmet hat, und seye der rath der jenigen, die rathen sollen, und die kraft der artzneyen, welche gebrauchet werden: vornehmlich aber laße er täglich von seinem hohen gnadenthron15 seinen geistlichen segen aufs mildeste über 40 dero geheiligte person außfießen16 und seines Himmlischen Geistes kraft in deroselben wachsen, daß also, soviel mehr der aüßere mensch in dieser ver- wesung abgenommen hat, soviel mehr der innere von tag zu tag erneuert17

17 des/sen/ < de. 19 denselbigen ] denselben: D. 19 theure ] theuren: D.

5 Vgl. Jak 1,17. 6 Hebr 4,16. 7 Vgl. Phil 2,10. 8 Hi 28,13 u. ö. 9 König Karl XI. von Schweden (4. 12. 1655–15. 4. 1697), seit 1672 selbständig regierend, seit 1680 mit Ulrike Eleonore verheiratet (Europäische Stammtafeln NF 2, Tafel 80; SBL 20, 650–655). 10 Im Sinne von „lange während“ (DWB 12, 185). 11 Karl (XII.) (27. 6. 1682–11. 12. 1718), Hedwig Sofe (26. 6. 1681–22. 12. 1708) und Ulrike Eleonore (7. 2. 1688–5. 12. 1741) (Europäische Stammtafeln NF 2, Tafel 80). 12 Vgl. Phil 1,23. 13 Altertümlich im Sinne von „Übergewicht erhalten vor“ (DWB 26, 986 f). 14 Vgl. 2Kor 5,1–4. 15 Vgl. Röm 3,25; Hebr 4,16; 9,5. 16 Vgl. Mal 3,10. 17 Vgl. 2Kor 4,16. 440 Briefe des Jahres 1690

worden seye und ferner erneuert werde: daß dero gesegnete Seele mit immer 45 durchtringenderem auge die ewige liebe ihres Himmlischen vaters und al- lerliebsten Heilandes in dero hertzen mit allen dero unzählichen früchten und gaben, ja der wahrhaftig empfangenen seeligkeit, einsehe und sie insgesamt mit soviel festerem glauben immer faße: daß Sie auch dieselbe stäts emp- fndlicher18 in sich fühle, daher aber stündlich hinwider in soviel feurigere 50 liebe entbrenne: daß sie auß eigner erfahrung in der hofnung stäts mehr be- festiget werde und damit alle beschwehrde des wartens der göttlichen hülfe leicht überwinde: daß sie durch das feur auch dieser prüfung19 sich so viel- mehr von aller anhängigkeit einiges irdischen gereiniget und das gold aller von dem HERREN gewürckter tugenden dardurch soviel heller und gläntzender 55 bey sich befnde: daß Sie durch die tägliche übung der übergebung des ei- genen willens in den göttlichen und gedultiger aufnehmung der zugesandten proben, ie länger ie mehr dem göttlichen willen gleichgesinnet, die jenige vollkommenheit erreiche, alß viel der allein gantz vollkommene in dieser unvollkommenheit seinen kindern von jener auß gnaden zutheilet: Endlich, 60 daß er Sie durch alles solches in der zeit nach seiner weißheit immer mehr und mehr zu jener herrlichen ewigkeit und darinnen zugedachter krohne seliglich bereite, in dero sie vor seinem und des Lammes stuhl20 ohne ende und mit unbegreificher wonne prange. Wie nun dieses mein auß tiefstem grund der seele vor E. Kön. Myt. gethaner wunsch ist, ich auch denselben 65 ihm gefällig, stets fortzusetzen, die gnade von seiner ewigen güte zu bitten habe, so laße er vor allem dero eigne tägliche, ja stündliche gebete und fehen vor sein angesicht erhörlich kommen und es derselben weder an dem Geist der gnaden und des gebets21, noch an der erfüllung, nimmermehr manglen, auf daß auch nach dieser immer fort dero freudige danckopfer nicht weniger 70 aufsteigen, gnade fnden und dem HERREN ein süßer geruch22 werden, um des willen, der alle unsre opfer mit dem seinigen angenehm gemacht hat und machet. Weil in dem übrigen nicht wol zu zweifen habe, daß auch vor E. Kön. Myt. ohren ein gerücht erschollen seye von einer in diesen Churfürstlichen 75 Landen und nahmentlich auf der universitet Leipzig entstandener neuen secte einiger leute, so von andern spottsweise Pietisten genannt23 worden sind:

45 durchtringenderem ] durchtringendem: D. ​ 46 /in dero hertzen/. ​ 49 /in sich/. ​ 49 feurigere ] feuriger: D2. ​63 tiefstem ] tiefster: A. 65 /ihm gefällig/. 65 /die gnade/. ​ 70 /gnade/. 73 /habe/.

18 Im Sinne von „spürbar“, „fühlbar“ (DWB 3, 430). 19 Vgl. Spr 17,3. 20 Der Thron Gottes, der gleichzeitig auch der Thron Christi, des Lammes (Gottes), ist; vgl. Apk 7,15.17. 21 Sach 12,10. 22 Vgl. Phil 4,18. 23 Die Gerüchte, die auf Grund der pietistischen Bewegung in Leipzig ins Land gestreut wur- den (s. dazu Briefe Nr. 16, Z. 10–154, Nr. 54, Z. 46–58, Nr. 61, Z. 10–16, Nr. 68, Z. 139–181, Nr. 97 an Königin Ulrike Eleonore von Schweden 15. 10. 1690 441 da auch nicht fehlen kan, weil ich weiß, daß E. Kön. Myt. nichts mehr alß des Reiches Gottes wolstand24 angelegen ist und sie also deßen wolfahr25 am meisten erfreuet, das widrige aber meistens betrübet, daß dieselbige über der- gleichen nachricht, wo solche glaubwürdig vorgestellet worden, einigen 80 kummer empfunden haben werden: so erkühne mich, mit E. Königl. Myt. gnädigster erlaubnus und zu verhofender dero vergnügung26 den gantzen grund oder vielmehr ungrund alles solches ungleichen gerüchtes vorzustellen. So hats nun mit allem diese bewandnus: daß nemlich von etzlichen jahren her auf gedachter universitet Leipzig mehrere studiosi Theologiae haben ange- 85 fangen zu erkennen, daß ihnen eine feißigere undersuchung der H. Schrift selbs, sonderlich in ihren grundsprachen, zu ihren studiis nötiger seye, alß sie insgemein von ihren praeceptoribus meistens waren bißdahin angewiesen worden27. Hievon, als sie sich darinnen übeten, schöpfeten sie ungemeinen nutzen, und wuchs also die begierde, in diesem studio zuzunehmen, so viel- 90 mehr, alß sie funden, daß alle übrige ihre studia, darauf sie sich vorhin gele- get, ob wol auch nutzlich und in gewißer maaß28 nötig, dannoch dem feiß, an die schrift selbs angewandt, nicht gleich gewesen wären. Sonderlich gab der HERR das vorige jahr einem Magistro, August Hermann Francken29, von Lübeck gebürtig, die gnade, daß, wie er gründlich gelehrt und von hertzen 95 gottsförchtig ist, er etzliche collegia mit andern studiosis gehalten, worinnen er ihnen einige episteln Pauli also erklähret30, daß er sonderlich die wahre gottseligkeit und dero pfichten ihnen darauß mit großer kraft vorgestellet: darauß erfolgte, daß nicht allein die zahl seiner zuhörer von tag zu tag zu- nahm, sondern auch mehrere studiosi gerühret, ihr leben in allen stücken 100 mercklich zu ändern anfengen. Dieses ungewöhnliche machte so bald zimlich aufsehen, und fanden sich bald ohne zweifel erstlich solche leute, so M. Francken neideten, die von diesen personen, die die collegia besuchten, viel übels, ja manche seltzame und spöttische sachen so erdichteten alß auß- brachten, da ihnen auch, weil sie allein von der gottseligkeit redeten und 105 profession31 machen wolten, der nahme der Pietisten gegeben worden ist.

77 /auch/. 78 wolfahr ] wolfahrt: D. 89 /als sie sich darinnen übeten/. 103 /die die collegia besuchten/. 106 /ist/.

Nr. 88, Z. 42–56, Brief Nr. 96, Z. 14–26, u. ö.). – Zur Beschreibung des Begrifs „Pietisten“ als Spottname s. Brief Nr. 76, Z. 247. 24 Im Sinne von „Wohlfahrt“ oder „Glück“ (DWB 30, 1181). 25 Mögliche Form für „Wohlfahrt“ (DWB 30, 1111). 26 Das, was genügt (vgl. DWB 25, 473). 27 Das im Sommer 1686 entstanden Collegium philobiblicum (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 23). 28 Die Maß (DWB 12, 1721). 29 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 30 Zu den verschiedenen Veranstaltungen zu neutestamentlichen Texten s. vom Orde, Beginn, 359–378. 31 Im Sinne von „Bekenntnis“. 442 Briefe des Jahres 1690

Weil nun auch vornehme leut, ja selbs Theologi dem ungegründeten gerücht und außgesprengten fabeln allzuleicht glauben zustellten32, wurde M. Francken sein collegium verboten, die sache alß sehr gefährlich hieher an das OberCon- 110 sistorium berichtet und eine inquisition angestellet. Ob nun wol in dieser sache sehr viele personen examiniret worden33, so konte doch nichts der an- geschuldigten puncten weder auf gedachten M. Francken, noch andre seine freunde gebracht werden. Darauf von dem octobri an, da die obige inquisi- tion sich geschloßen, war es zimlich still, biß in den Februarium dieses jahrs, 115 und weil M. Franck verreiset war, so trieben hingegen andere fromme Magi- stri, sonderlich einer, Schade34, so etzliche sehr erbauliche tractätlin auch trucken laßen35, das werck fort und continuirten die collegia mit gutem success. Weil aber sonderlich der widrigen böse nachrede von denselbigen viel auch auß den burgersleuten bewegte, daß sie, was es in der wahrheit vor eine 120 bewandnus mit der sachen hätte, begihrig wurden und sich underschiedliche derselben, samt den studiosis, in den collegiis zuzuhören, einfunden, so dann einige mahl etzliche von christlichen burgersleuten under sich zusammen kamen, von der Christlichen erbauung undereinander zu handlen, so erhub sich erst recht die unruhe, und wolte Gott, daß nicht manche deren, welche 125 so wol das gute an sich selbs lieben, alß wo einige unordnung vorgienge, dieselbe mit sanftmuth beßern solten, das meiste dazu beygetragen hätten. Wie dann nicht allein in das gantze land, daß nunmehr eine neue secte in Leipzig aufgekommen seye, ausgebrochen, ja fast gantz Teutschland davon erfüllet worden ist, sondern auch die sache wurde mit solchen heftigen be- 130 richten in unser OberConsistorium gebracht, daß man nicht anders dencken sollen, die kirche stünde in größster gefahr, darauf auch in dem Martio durch Churfürstlichen befehl alle solcherley versamlungen ernstlich verboten36, sodann, von allem scharfe inquisition anzustellen, befohlen worden ist. Inde- ßen hielte mans an den meisten orten vor eine gewiße sache wegen einer 135 dergleichen neuen gefährlichen secte und wurden auf den Cantzeln oftmals die leute vor solcher verführung gewarnet, mit großer betrübnus der jenigen, die wußten, wie so wenig grund alle die erzehlungen hätten, ob man schon auch ein gantzes register der irrthume, welche diese leute lehrten, vorzeigte37. Nunmehr aber ist von etzlichen monaten auch diese andere scharfe inquisi-

107 ungegründeten ] ungegründetem: D. 126 da/zu/ : da. 128 /ja/ : . ​ 131 durch ] auf: D.

32 Im Sinne von „überreichen“, „geben“, hier: „schenken“ (DWB 32, 852). 33 Vgl. Francke, Streitschriften, 20–70. 34 Johann Caspar Schade, Kandidat der Theologie in Leipzig (s. Brief Nr. 24 Anm. 5). 35 S. Brief Nr. 24 Anm. 7. 36 Das kurfürstliche Edikt vom 10. 3. 1690, das das Abhalten von Konventikeln unter Strafe stellte (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 37 Zu diesem Zeitpunkt war noch kein förmliches Register der pietistischen Irrlehren angelegt worden, sondern Spener meint hier vermutlich das immer wieder auftretende Vorwurfsprofl mit den Stichworten Perfektionismus, Chiliasmus und Enthusiasmus (vg auch Brief Nr. 104 Anm. 11). Nr. 97 an Königin Ulrike Eleonore von Schweden 15. 10. 1690 443 tion zu ende gebracht38, da ich aber nach verlesenen solchen acten39 E. Kö- 140 nigl. Myt. versichern kan, daß nicht das geringste entweder von falscher lehr oder anderen unziehmlichen thaten auß aller undersuchung auf diese Christliche leute, die solang so üble nachrede haben leiden müßen, gebracht worden seye: sondern alles bestehet darinnen, daß sie sich die handlung der schrift emsiger laßen angelegen sein und auch ihr leben mehr und mehr von 145 der welt abgezogen haben, so dann zu solchem ende, um sich in dem geist- lichen zu erbauen, zusammen gekommen seind, iedoch auf den Churfürst- lichen befehl auch solche übungen eingestellet haben. Ob ich nun wol nicht versichern kan, daß nicht die jenige, welche stäts behauptet haben, daß eine neue secte aufgekommen wäre, noch nicht friedlich sein, sondern ihre 150 meinung ferner zu behaupten suchen werden, so bleibet doch dieses an sich selbs gewiß, daß die angeschuldigte personen nicht schuldig sind deßen, was sie bezüchtiget worden, sondern mehr um des guten willen von ihren wid- rigen haben leiden müßen. Dieses ist der gantze nach bestem meinem gewißen abgefaßter verlauf der 155 gantzen sache, auß deßen einsehung und gegenhaltung des jenigen, was ver- muthlich E. Kön. Myt. sonsten von der sache gehöret haben möchten, diesel- be gnädigst ersehen werden, wie es noch auch zu unserer zeit pfege herzu- gehen, sobald durch Gottes gnad einiges orts sich etwas gutes kräftig hervorzuthun anfanget, nemlich daß sobald viele sind, die theils auß unwi- 160 ßenheit, theils auß bösen afecten sich dargegen setzen und, weil es nicht wol anders geschehen kan, mit falschen und erdichteten aufagen oder verkeh- rung deßen, was an sich gut ist, daßelbige suchen underzutrucken, daher auch die regenten mit allerley vorwand dagegen anzufrischen. Jedoch leßet Gott nicht immer alles zu, sondern es kommet endlich die getruckte unschuld und 165 wahrheit durch deßen gnade an die helle Sonne und überwindet: welches auch in dieser sache zugeschehen, dem Himmlischen vater und deßen heiliger regirung allerdings zutraue. Ich habe aber letzlich underhänigst zu bitten, daß E. Kön. Myt. diese weitläuftige erzehlung nicht ungnädig aufnehmen, sondern es deme zu- 170 schreiben wolle, daß ich nicht gezweifelt, daß dieselbe selbs die wahre be- wandnus der gantzen sache einzunehmen begihrig sein, und hingegen auch auß dero erkantnus des Heiligen Gottes wunderbare regirung hertzlich preisen werde. Derselbe wolle ferner über diejenige, welche ihn hertzlich suchen, mit kräftiger gnade walten, die wahre lehr und die ungefärbte gott- 175 seligkeit mächtiglich schützen und immer bey mehrern durchtringen laßen,

144 /seye/ : . ​ 145 2mehr ] [In A durch Tintenkleks unlesbar]. ​ 146 /welt/. ​ 160 /an­fanget/ : .

38 S. Brief Nr. 95 Anm. 17. 39 Die Akten, die Spener im Herbst 1690 erhielt und die die Grundlage für sein Gutachten vom 15. 10. 1690 (dazu s. Brief Nr. 93) war. 444 Briefe des Jahres 1690

wie solches am kräftigsten in seiner ordnung iedes orts geschehen könne, mittel und arten zeigen, allen dahin anwendenden feiß reichlich segnen, den jenigen, welche das gute hindern, die augen öfnen, die hertzen ändern oder 180 die hände binden und also mit stäter beforderung des reiches seines Sohnes den jenigen seinen kindern, welche solche vor allem andern ernstlich ver- langen, täglich neue ursachen freudiger dancksagung geben, in allem solchen aber bezeugen, daß er unser noch nicht vergeßen habe40, sondern der rechte Gott zu Zion wohne41. 185 In deßen heilige obhut, regirung und segen deroselben hohe person, samt Seiner Königlichen Mayestet, und gantzem Königlichen hause, mit treuestem hertzen schließlich empfehlende verharre E. Königl. Myt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster. Philipp Jacob Spener, D. 190 Mppria. Dreßden, den 15. Octobr. 1690.

188 unterthänigster ] [Ende Abdruck D].

40 Vgl. Jes 49,15. 41 Joel 3,22. Nr. 98 an [einen Bekannten] 17. 10. 1690 445 98. An [einen Bekannten]1 Dresden, 17. Oktober 1690

Inhalt Hat durch das Schreiben des Adressaten von [Ludwig] Brunnquells Tod erfahren; war mit ihm freundschaftlich verbunden (u. a. durch Annahme der Patenschaft bei einem Kind), weil er bei diesem keine Angrife auf fundamentale Artikel des Glaubens wahrnehmen konnte; vertritt aber nicht dessen [chiliastische] Lehre. – Stellt fest, daß die wahre Frömmigkeit von weltlich gesinnten Leuten als Enthusiasmus bezeichnet wird; wer sich nicht eines Besseren belehren läßt, ist zu bedauern. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 30. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 307.

Des S. Hn. Brunquells2 tode habe aus gethaner anzeige3 zu erst erfahren. Ob nun aber dieser gute mann einige meinungen gehabt, die ich nicht auf mich nehmen könte4, sondern seiner verantwortung allein zu überlaßen habe, so habe doch an ihm, alß lang ihn gekennt, viel gutes wargenommen und hertz- lich geliebet. Daher er auch das vertrauen zu mir getragen und mich zu ge- 5 vattern gebeten hat5. Auch würde ich mich nimmermehr dahin haben brin- gen laßen, mich des ienigen, wie man gegen ihn verfahren, nach dem er, was ihm begegnet, geklaget, theilhaftig zu machen. So vielmehr nachdem wir, wo der grund des glaubens ohnverletzt bleibet, da ich aber denselben niemal von ihm verletzen gehöret, einige andere meinungen, ob sie irrig wären, an an- 10 dern mit gedult und sanftmuth am verantwortlichsten tragen. Der Herr er- quicke ihn in der ewigkeit aller seiner leiden und seye auch der hinderlassenen getreuer vater. Wo ich im übrigen wißen solte, wo sich die seinige befnden, solte es mir lieb sein. Daß im übrigen es noch stäts leute gibet, welche die wahre gottseligkeit vor 15 Enthusiasterey und, die sie treiben, vor verdächtig in der lehr außgeben, ist sich nicht zu befremden; denn die welt ändert ihre art nicht, und wie könte derselben das ienige gefallen, was sie nicht verstehet, noch in solchem stand

1 Vermutlich jemand, der Brunnquell örtlich, aber auch in seiner theologischen Position nahestand. 2 Ludwig Brunnquell (s. Brief Nr. 30 Anm. 26). 3 Wenn damit der Brief des Adressaten an Spener gemeint ist, in dem er vom Tod Brunnquells berichtet, muß dieser schon vom Ende des Jahres 1689 stammen. 4 Spener meint den von Brunnquell vertretenen Chiliasmus (vgl. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 19 Anm. 36), der dessen vorübergehende Entlassung aus dem Pfarrdienst in Württemberg verursachte. 5 Vermutlich der am 3. 1. 1680 in Besingheim geborene Jakob; Brunnquell hatte im Jahr 1678 Spener in Frankfurt besucht (Cramer, BWPfB I,2, 92 [Nr. 387]; Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 58, Z. 1–4). 446 Briefe des Jahres 1690

begreifen kan, aber eben deswegen unbillich lästert. Indeßen bleibet weiß 20 weiß, wann auch hundert blinde es vor schwartz declariren und, die es nicht glauben wollen vor blind und thöricht schelten, bey andern aber eben damit ein erbarmen erwecken. Jedoch ist dieses am meisten zu betauren, daß zu weilen einfältige dardurch geärgert und in gemeinschaft der sünde mitgezo- gen, aufs wenigste um den nutzen, den sie zu weilen aus gottseligen, ihnen 25 aber verdächtig gemachten büchern schöpfen könten, gebracht werden. Es wird aber einmahl die zeit kommen, daß Gott drein sehe und seine wahrheit und dero versprecher von ihren feinden mit dieser schande und jener ehre rette. Dreßden, den 17. Octob[er] 1690. Nr. 99 an [einen Bekannten] 8. 11. 1690 447 99. An [einen Bekannten]1 Dresden, 8. November 1690

Inhalt Bestätigt daß der schlimme Zustand der Kirche ein Zeichen für die in Kürze zu erwartende Hilfe Gottes ist; freut sich darüber, daß die Brüder sich überall dafür erheben. – Gesteht, daß man des Lebens überdrüssig werden könnte, wenn man sieht, daß die wahre Frömmigkeit als Verbrechen angesehen wird und ihr nachzustreben selbst bei denen, die eigentlich Lehrer und Vorkämpfer für die Frömmigkeit sein sollen, in schlechterem Ruf steht, als sich der Welt anzupassen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 203.

Spes Tua, quam significas, et optimo isto omine epistolion obsignasti Tuum2, quod salvum faciet tandem Dominus populum suum et hereditati suae bene- dicet: quod exaudiet preces suorum atque eos liberabit ἐν τάχει3, mirum in modum me delectavit, cum et ea sit, qua ego moerorem de Ecclesiae nostrae, qui nunc est, misero habitu solari, et ne illi succumbam, me erigere soleam: 5 quae vero nos valde afficiunt, eadem ex aliorum quoque ore audire nos iuvat et exhilarat. Imo hoc non ultimum spei nostrae fundamentum, quod ea ab implemento propius absit, reputo, quod ubique in spem hanc fratres erectos toties audio huncque animorum motum a communi, quo reguntur, coelesti spiritu merito arcesso. 10 Absque illo vero, si esset, nos vitae nostrae taedere posset, quo seria, quae secundum veritatem est, pietas crimen habetur et ei studere quam seculo con- formari4 apud illos etiam peius audit, qui eiusdem Doctores et Promachi esse deberent. Verum aderit suis dominus, nec semper honorem suum impune conculcari feret vindex iustissimus. 15 Vale huius gratia, qui suos uti oculi pupillam curat et fovet5. 8. Novembr[is] 1690.

1 Der Adressat ist ein guter Bekannter, der Speners Klagen und Hofnungen angesichts des derzeitigen Zustands der Kirche teilt. 2 Nicht überliefert. 3 In Kürze (Lk 18,8); den ganzen Satz im Anklang an Lk 18,7 f. 4 Vgl. Röm 12,2. 5 Vgl. Dtn 32,10; Ps 17,8. 448 Briefe des Jahres 1690 100. An [einen Bekannten]1 Dresden, 10. November 1690

Inhalt Bedankt sich für den Brief und das beigefügte Bekenntnis. – Sieht den Einwand der Kritiker voraus, das einfache Bekenntnis „Ich bin Christ“ sei unzureichend und zu unpräzise; dies ist nicht verwunderlich bei solchen, die trotz aller Gelehrsamkeit die Wirksamkeit des Geistes Gottes nicht erfahren haben. – Beklagt die Entwicklung verschiedener Konfessionen. – Verweist auf seine Ausführungen in der Schrift „Laubachisches Denckmahl“. – Beklagt das unbedingte Festhalten an einer bestimmten Konfession als blinden Eifer, der mit unbescheidenem Auftreten Schaden anrichtet und Möglichkeiten der Befriedung vergibt. – Erwartet eine Vereinigung der Christen als Verwirklichung der Verheißung Christi [für eine bessere Zukunft der Kirche], die auf die rechte Art und zur rechten Zeit von Gott gegeben wird. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 1, Halle a.S. 1711 (21721), S. 198–200.

Dieses mal gibt mir gelegenheit zu gegenwärtigen zeilen das vor etzlichen monaten an mich abgegebene freundliche briefein2 mit beygefügter be- trachtung des besten glaubensbekantnusses. Ich habe dieses zu zweyenmalen durchlesen, und solches nicht ohne vergnügung. 5 Wie wir zwar zu einer zeit leben, da man alles, auch das beste, ja dieses wol am allermeisten, zu verkehren bemühet ist, so zweife nicht, daß es richter geben wird, die mit widriger neigung davon urtheilen, die wahre religion zu weit ausgespannet achten und die ableinung solches einwurfs vor ungnugsam erklären werden: und wie könten diejenige, welche warhaftig das innerste 10 dieser einfältigen bekantnus „ich bin ein Christ“ nicht verstehen, wie gelehrt sie auch sind nach dem buchstaben, diejenige lehren, über welche die unter- schiedliche partheyen streitig sind, auszuführen und zu vertheidigen, anders thun, als dasjenige nicht vor gnugsam achten, was viele vielleicht selbs als des geistes wirckungen allerdings nicht bey sich fnden und, wo an diesem alles 15 solte gelegen seyn, sich selbs damit verdammen müßten, da sie hingegen in den dingen, worinnen die vernunft das meiste vermag, meister bleiben? Ich unterschreibe willig mit, es seye dieses warhaftig das beste glaubens bekantnus, und ach, wie wünschte so hertzlich, daß es auch das einige ge-

2 abgegebene freundliche: cj ] abgegebenes freundliches: D.

1 Der Brief, auf den Spener antwortet, ist schon vor einigen Monaten eingetrofen (Z. 1 f); es könnte sein, daß bisher ein – unregelmäßiger – Briefwechsel mit dem Adressaten stattfand. Der Verfasser ist jedenfalls in einem gedanklichen Umfeld zu suchen, das über die konfessionellen Grenzen hinaus das wahre Christsein zu fnden glaubt. Es handelt sich eher um einen Laien als um einen Geistlichen. 2 Nicht überliefert. Nr. 100 an [einen Bekannten] 10. 11. 1690 449 blieben wäre und allerley noth nicht andre mehrere eingeführet hätte. Indes- sen bin ich gewiß, daß mich selig mache, daß ich ein Christ bin, nicht aber 20 daß ich Evangelisch=Lutherisch​ bin, ohne so fern ein Christ seyn in jenem stecket und solcher beysatz etwas von dem gemeinen namen näher determi­ nirt, nachdem andre die kraft desselbigen in den lehrstücken durch gewisse irrthume schwächen und gleichwol jenen führen. Daher ich auch vor meh- rern jahren in meinem Laubachischen denckmahl den namen eines christen 25 allen andern vorgezogen und, ob wir uns wol Lutheri3 auch nicht schämen, jenen dannoch vor unsre höchste würde geachtet, ja, daß er widerum der einige werden möchte, hertzlich gewünschet habe. Wie dann meine wort p. 128. 129 also lauten: „Indessen halten wir4 den namen ‚Christ‘ viel höher als den namen ‚Lutherisch‘ und jenen führen wir mit freude und hertzlichem 30 ruhm, da wir diesen aus noth brauchen müssen, aber durch vereinigung der gantzen christenheit zur göttlichen warheit gern denselben aufgehaben5 sehen würden.“6 Ich weiß, daß auch einige diese meine worte vor vermessen achten werden, aber ich habe nicht ursach, mich sie reuen zu lassen, und bin gewiß versichert, daß alsdann erst die christenheit in rechtseligem stande seyn 35 würde, wo die unterscheids namen7 mit der ursach ihrer notwendigkeit auf- höreten: welche auch darinnen unglückselig sind, weil leider so viele alleinig an denselben haften und daher bey einer gemeinde, die diesen oder jenen namen trägt, halten bloß als bey einer gewissen parthey oder faction, die sich unter einem gewissen namen gegen andere zusammen gethan hat, nicht aber 40 eigenlich wegen der warheit der göttlichen lehr selbs, welche sie führe, davon manchmal die gleichwol auf den namen verpichteste8 den wahren grund nicht verstehen: daher nachmal aller ihr eifer nicht anders als blind seyn kan, aber gemeiniglich desto unbescheidener ist und den grössesten schaden thut: ja ursach ist, daß unter denen, welche unter dem einigen wahren christlichen 45 glaubens bekantnus zusammen treten könten, und aus ansehung dessen, was einige unziemlich dazu geficket, solches widerum willig, um zu der göttli- chen einfalt zu kommen, ablegen solten, gleichwol weil man allein, bey der partey zu halten, resolviret ist, nicht friede gestiftet oder der riß geheilet werden kan, bis der HErr kommen und seine verheissung erfüllen wird: Ach, 50 daß wir nahe dabey wären, daß es an dem abend recht licht, und die fnsternus und nebel der menschlichen meinungen durch des himmlischen lichts der warheit, die eine ist und einen christen macht, strahlen vertrieben würden!

3 Martin Luther (1483–1546). 4 Hier gegenüber der Vorlage ausgelassen: „freylich“. 5 Möglich für „aufgehoben“ (DWB 1, 653). Vgl. Spener, Laubachisches Denckmahl [s. Anm. 6], S. 129 und EGS 1, 898: „aufgehoben“. 6 Philipp Jakob Spener, Laubachisches Denckmahl oder Lehre von dem Weg zum Himmel- reich und dem Nahmen der Christen, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner, 1683, zweite Predigt (mit neuer Paginierung). S. 128 f (EGS 1, [823–940], 898). 7 Die Namen der einzelnen Konfessionen. 8 Von „verpichen“ bzw. „verpechen“, d. h. (mit Pech) verkleben, hier: (untrennbar) verbunden (vgl. DWB 25, 958). 450 Briefe des Jahres 1690

So aufs wenigste endlich gewiß geschehen wird, wir aber dessen zeit und art 55 in gedult und demuth des liebsten Vaters weißheit, güte und warheit über- lassen wollen. etc. Dreßden, den 10. Nov[ember] 1690. Nr. 101 an Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel 11. 11. 1690 451 101. An Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel in Wolfenbüttel1 Dresden, 11. November 1690

Inhalt Bedankt sich für die langjährige Verbundenheit und das Angebot der Unterstützung im Zusam- menhang von Speners Streit mit dem sächsischen Kurfürsten. – Bittet um den göttlichen Segen und Beistand für das Leben des Herzogs und für dessen Pfichten und Möglichkeiten praktischer Nächstenliebe, die ihm durch seinen Stand gegeben sind. – Berichtet von dem Zerwürfnis mit Johann Georg III. von Sachsen, das vor zwei Jahren begonnen hat und weiterhin anhält, und von denjenigen, die deswegen ermutigt wurden, ihren schon lang gehegten Widerstand gegen ihn ofen erkennen zu geben. – Glaubt, daß die Angrife gegen [August Hermann] Francke und seine Freunde eigentlich ihm gelten. – Rechnet damit, daß dies auch an anderen Orten seine Gegner ermutigt, ihn anzugreifen, und beteuert, daß er sich mit seinen Möglichkeiten dafür ein- setzt, aufrichtig der evangelischen Kirche zu helfen, und daß er keine neue Konfession will, die Vereinigung der Konfessionen menschliches Vermögen aber übersteigt. – Benennt zwei Punkte seiner Lehre, die andere angreifen: (1.) Die Heiligung als Frucht des wahren Glaubens an die von Gott geschenkte Rechtfertigung. – (2.) Kein Geistlicher kann ein fruchtbarer Diener Gottes sein, wenn er nicht wiedergeboren ist und ein vorbildliches Leben als Christ führt; ohne das Licht des Heiligen Geistes ist keine wahre Gotteserkenntnis möglich und man ist für das geistliche Amt unfähig; die Gemeindeglieder sollen die Lehre der Geistlichen nach ihrem Gewissen prüfen; bei dem, der dieses verbieten will, ist das antichristliche Wesen des römisch-katholischen Amtsver- ständnisses zu fnden. – Ist überzeugt davon, daß der Herzog seinen Ausführungen zustimmt, und erwartet weitere Angrife, vor denen er sich aber nicht fürchtet. – Ist gewiß, daß Rudolf August ihm seine ofenen Worte nicht übel nimmt. – Erwartet einen künftigen besseren Zustand der Kirche, zu dem auch der Herzog beitragen mag. – Bittet um Unterstützung zweier Adliger mit Namen „Ammazzone“ bei der Suche nach einer geeigneten Anstellung. Überlieferung A: Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. Extrav. 126.2, 48r–53v.

Göttliche gnade, friede, segen und leben von unsrem Gnadenkönige, Friedefürsten, segensquelle und lebens Gott Christo JESU! Durchlaüchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr. Wie ich bereits von mehrern jahren E. Hochf. Drlt. gegen mich tragender hohen gnade auf underschiedliche weise versichert und daher zu demütigem 5 danck verbunden worden bin2: also hat sich deroselben gnädigste sorgfalt

1 Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel (16. 5. 1627–26. 1. 1704); geb. in Hitzacker, 1666 Regierungsübernahme, bekannt durch seine Liebe zu den Wissenschaften, pieti- stisch gesinnt und seit etwa 1680 in losem Briefkontakt mit Spener (vgl. Speners Brief an diesen vom 22. 4. 1680 [Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 102]) (J. H. Lerche, Herzog Rudolph August und die Stillen im Lande, JGNKG 66, 1968, 172–177; F. Wagnitz, Herzog Rudolph August von Braunschweig-Wolfenbüttel. Der Pietist auf dem Welfenthron, Wolfenbüttel 1991; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 3 Anm. 6). 2 Spener hatte seine Schrift „Die allgemeine Gottesgelehrtheit“ Herzog Rudolf August mit einer Zuschrift vom 1. 4. 1680 gewidmet. 452 Briefe des Jahres 1690

gegen mich neulich aufs neue hervorgethan, da E. Hochf. Drlt. auf einge- nommenen bericht3, ob würde ich, von hier zu entweichen, getrungen, mir zu deroselben meine underthänigste zufucht zu nehmen und auch gnädigsten 10 schutz zu leisten, unverdienter weise gütigst anerbieten laßen. Ich habe billich zu stärckung meines glaubens des jenigen heilige regirung, welche alle hertzen in seinen händen hat4, demütigst zu veneriren und, wohin seine göttliche kraft dero hertz auch zu meinem trost hin gelencket, deßen väterlichen güte zum fordristen mit demütigstem danck zuzuschreiben gehabt: nechst dem 15 habe aber auch E. Hochf. Drlt., alß des göttlichen werckzeugs, hohe gnade underthänigst zu erkennen, solche zu preisen und geziehmenden danck in allem gehorsam abzustatten, daß dieselbe meinem, zwahr ohne das gefaßten, underth[tänigen] vertrauen, so ich auf solchen fall bey mir geschöpfet, so gnädigst zuvorkommen und mich damit zu meiner soviel festern zuversicht 20 zu dem, welcher den seinigen aller orten hülfe zu verschafen wiße, auf- muntern wollen. Die Himmlische güte seye auch davor allezeit ein reicher vergelter und nehme vor seinen gnadenthron5, was sie, an mir und meinigen zu thun, gnädigst gesonnen war, als würcklich geleistet an und vergeße nimmermehr 25 dero treue, sondern laße derselben mit allem zeitlich[em], geistlichem und ewigem segen gedacht werden, gleichwie hier in diesem leben, also an dem herrlichen tage, wo die bücher alles deßen guten und bösen, was hier ge- schehen ist, werden aufgethan werden6. Er seye mit seinem Geist in derosel- ben stäts kräftig mit liecht, trost, freüde und kraft, zu täglich neuen früchten 30 der gerechtigkeit7 und des innwendigen menschen8 ohnabläßigem wachs­ thum. Er gebe auch dem eüßerlichen soviel stärcke, als ihm nothwendig ist zu diesem leben und seinem H[eiligen] Dienst. Er laße dero hohen stand immer neue gelegenheit sein, zu seines nahmens ehre und der gemeinen wolfahrt, auch mancher betrangten hülfe vor andern so viel mehr außzurichten, alß 35 Sie durch seinen heiligen rath über andere erhoben sind, und würdige Sie ofters, zu dergleichen dingen zu gebrauchen, da deßen herrlicher nahme auch an deroselben vortrefich verherrlichet werde, woran auch ihre herrlich- keit in zeit und ewigkeit (da Ihnen allezeit wol seye!) liget. Nun, der HErr der

9 /zu/ : . 38 Ihnen < Ihr.

3 Der Herzog hatte schon im Mai 1688 über Hermann von der Hardt um einen ausführlichen Bericht gebeten, wie es dazu gekommen sei, daß Spener beim sächsischen Kurfürsten in Ungnade gefallen sei (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 51, Z. 9–51). – Hier handelt es sich um einen jüngeren Bericht, in dem ofenbar gestreut wurde, Spener werde des Landes verwiesen. 4 Vgl. Ps 33,15; Spr 21,1 (vgl. auch EG Nr. 354, Strophe 1, und Nr. 398 Strophe 2). 5 Übliche biblische Bezeichnung für den Thron Gottes (z. B. Ex 25, 17–22; 26, 34; Jes 16,5; Hebr 9,5). 6 Vgl. Apk 20,12. 7 2Kor 9,10. 8 Vgl. Eph 3,16. Nr. 101 an Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel 11. 11. 1690 453 wahrheit wirds an keiner der verheißungen manglen laßen, die er mit großer zahl ertheilet hat. 40 Es frischet mich aber E. Hochf. Drlt. auch durch gemeldte gnädigste vor- sorge bezeügte gnade dahin an, daß vor deroselben, meinen gantzen zustand in underth. vertrauen außzuschütten, nicht bedencken habe. So ist nun dero- selben ohne das noch erinnerlich, wie es bereits gegen 2 jahr gehet, daß mein gnädigster Churfürst und Herr9 wegen auß amtspficht und schuldiger treue 45 gethaner schriftlichen erinnerung, da sonderlich andere sich der gelegenheit, das in widerwillen gesetzte gemüth zu erbittern, zu mißbrauchen, nicht er- manglet, einen unwillen gegen mich gefaßt, mich nicht weiter zu hören, sich fest vorgesetzet und auf solchem vorsatz bißher beharret hat10. Sobald dieses kund worden, erregte solches sobald die gemüther derer, welche längsten mit 50 mir übel zufrieden waren und nun sich an den jenigen zu machen, den sein amt gegen alles unrecht kräftig schützen möchte, solang alß ich einen rüc- kenhalt11 hätte, geförchtet hatten, daß sie sich nun der gelegenheit, mich zu trucken oder wol gar meiner loß zu werden, willig gebrauchen wolten, und zwahr ins gemein meistens leute, so meiner profession sind. 55 Hiezu gab ferner anlaß, daß der große applausus M. Francken12 und einiger andrer freunde, so in Leipzig collegia Biblica hielten u. alles meistens auf die übung der gottseligkeit trieben, ihrer viele auf vielerley weise in die augen stach, auch wol etzliche mögen davor gehalten haben, es seye zeit, daß man wehre, ehe der methodus, die Theologie meistens allein auß der Bibel zu 60 lernen, mehrere gemüther einnehmen und vielleicht dadurch, woran einige mehr sich verliebet und sich groß damit machen wolten, in geringern werth kommen möchte. Was darauß vor bewegung entstanden, wie es fast gantz Teütschland erfüllet hat, also ists E. Hochf. Drlt. nicht unbekannt. Da hieße es aber bald, daß dergleichen auf underschiedliche weise von mir 65 herkäme13, sonderlich weil M. Franck und etzliche andere, gegen die es erst- lich gienge, mit mir bekant waren und von mir hochgeachtet wurden14, so- dann, weil nicht anders gewißens halben konte, alß vor die jenige mehrmal reden mußte, hingegen wider sie mich nicht mit andern declariren konte, welche ich von denjenigen, die ihnen zu mächtig waren, in vielen stücken 70 fälschlich angeklaget zu sein hielte, diese klagen aber mehr, alß ich wünschen mögen, statt funden hatten. Wie also einige nicht ohne wahrscheinligkeit ver- muthet, in etlicher gemüth seye die sache vornehmlich gegen mich gespitzet

44 /es/. 47 /zu mißbrauchen/. 51 /waren/. 58 /ihrer viele/. 68 /konte/. 71 /zu sein hielte/ : . 72 /hatten/.

9 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 10 Vgl. Brief Nr. 147 Anm. 3. 11 Rückhalt (DWB 14, 1362). 12 August Hermann Francke (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 13 Vgl. Brief Nr. 31, Z. 13–15, mit den Begrifen „Erzpietist“ und „archipietista“ für Spener. 14 Vgl. Brief Nr. 16, Z. 113–117. 454 Briefe des Jahres 1690

und würde ich in dem andern gemeinet, geschehe wol ofenbahr, daß von 75 etzlichen die angeschuldete meinetwegen härter angesehen und ich hinwider mit ihren dingen graviret wurde: wie noch fast biß daher geschihet und in Leipzig ein und ander nicht underleßt, mich bey jeder gelegenheit, auch wol ofentlich, anzugreifen15, mit soviel weniger scheu, nach dem man mich, ohne schutz zu stehen, glaubet. Worauß dann auch an außwärtigen orten 80 andern, die das hertz sonsten schwehrlich würden genommen haben, der muth gegen mich gewachsen ist. Wie nun fast in dem gantzen land die so genannte Pietisten alß eine son- dere secte auf den cantzlen traduciret werden16, so habe ich gewißens halben in neulichem Julio auf unsrem fast= und bußtage auch solche durch das land 85 außgesprengte verleumdung ofentlich, ob wol ohne heftigkeit, widerleget17, darüber gar verklagt worden bin18. In dem gantzen land, sorge ich, daß die meiste so meines ordinis sind19, mir in ihrer seele nicht gut seyen, ob wol der HERR sie helt, daß sie nicht eben außbrechen dörfen, deßen güte gleichwol auch so weit mit demüthigstem danck zu preisen habe, daß sie mir auch 90 ohngesucht bißher sovielen schutz verliehen hat, daß es zu würcklicher ver- folgung nicht hat annoch außschlagen sollen. Wo ich aber mein gewißen aufs sorgfältigste prüfe, ob ich solchen leuten zu dergleichen widrigkeit selbs ursach gegeben hätte, so kan ich wahrhaftig nicht sagen, daß mich solches darüber verdammte, sondern gibet mir vielmehr zeugnus, daß mit willen 95 niemand (alß der ich die leute von altem her u. auß langer erfahrung kenne, also wol weiß, vor wem ich mich am meisten zu hüten habe) zu beleidigen,

79 /orten/. 82 /fast/. 87 /seyen/ : .

15 Vgl. Brief Nr. 104, Z. 10–28, mit Anm. 6 u. 11. 16 Vgl. Briefe Nr. 16, Z. 125–130, Nr. 45, Z. 19, Nr. 60, Z. 15–17, Nr. 68, Z. 153–166, und Nr. 72, Z. 66 f. 17 Speners Predigt vom 11. 7. 1690 über den Predigttext Jos 7,6–12 ist überliefert in: Spener, 463–488. Spener knüpft an die Niederlage der Israeliten an, die der göttliche Bann nach der Sünde Achans verursacht hatte (Jos 7, 11), und bezeichnet als die beiden Hauptsünden seiner Zeit die „falsche einbildung eines unfruchtbaren und doch vor seligmachend gehaltenen Glaubens und die entheiligung des Sabbaths“ (S. 483). Er benennt den Streitpunkt so: „Treibet man auf die haltung der göttlichen gebot / und zeiget / wie dieselbe zu halten nöthig / und zwar nicht auf voll- kommene art und nach der strenge des gesetzes / aber unvollkommen / wie GOtt nach der güte des Evangelii mit seiner kinder schwachen gehorsam ein vätterlich vergnügen und gedult haben will / zu halten müglich seye / ob wir wol die schrift und die Symbolische bücher von solcher materie klar vor uns haben / wird solches von vielen als aufs wenigste halb=​Papistisch / da man gleichwol den Papisten auch in solcher materie zur gnüge widerspricht / gehalten und in verdacht gezogen: Und wolte GOtt / es ladeten nicht manche die diese lehr selbst eifrig treiben solten / hierinnen viele schuld auf sich / in dem sie sie nicht mit Ernst und sorgfalt so viel als nöthig ist / vortragen / ja wol andern / so viel sie noch aus respect der Symbolischen bücher thun dörfen / darinnen widersprechen! Es ist aber gewiß alles dieses eine unserer hauptsünden / und der grund so vieler andern.“ – Weiteres s. Brief Nr. 83 Anm. 3. 18 Dazu und zu Speners Vorladung vor das kursächsische Geheimratskollegium s. Brief Nr. 83, Z. 2. 19 D. h. die Geistlichen. Nr. 101 an Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel 11. 11. 1690 455 sondern etwa mit mehr angelegenheit, alß vielleicht andere meiner condition gethan haben, dero selben guten willen zu erhalten, getracht [sic!] habe. Daher sinds gantz andere ursachen, nicht allein absonderlich, daß es vielleicht auch an dergleichen personen nicht manglen wird, die es so gern nicht gesehen, 100 daß ich auß der fremde hieher gerufen worden, alß hätte man in dem land nicht tüchtige leute gnug20; sondern insgemein die jenige, welche, wie auch anderwerts mancher unsres ordinis ungunst zugezogen habe und, wo ich sein werde, sie zuziehen werden. Hie versichre zum allerfordersten E. Hochf. Drlt, so zwahr hofentlich sich deßen ohne das selbs von mir versichert halten wird, 105 daß meine intention, der Evangelischen kirchen nach meinem wenigen ver- mögen, gabe und stand etlicher maßen zu helfen, vor Gottes angesicht auf­ richtig und redlich seye: Also suche ich nicht, wie mich einige in verdacht halten, eine neue religion21 aufzurichten oder einen einigen neuen glaubens- articul zu machen, der ich vielmehr, daß wir soviele religionen bekommen 110 und soviele articulos vielleicht allzugenau determiniret haben, bedaure und gewiß so wenig zu dero vermehrung helfen werde, alß ich lieber der religio- nen, wo es bey mir stünde, weniger sehen und eine auf dem grund der ein- fältigen wahrheit und gottseligkeit beruhende vereinigung, welche aber aller menschen kräfte übertrifet, wünschen würde. Also bleibe ich, wie alle 115 meine schriften gnugsam zeugen, in allen puncten einig und allein bey der Evangelischen kirchen lehr, nur daß ich verlange und drauf treibe, daß die- selbe auch gantz und ohne abbruch vorgetragen, in die hertzen gebracht und dero kraft in dem gantzen leben wahrhaftig gezeiget werde, welches, nötig zu sein, mir auch niemand leugnen darf. 120 Wo ich aber alles forsche, was mich, auch auß meiner lehre, andern so ver- haßet mache, fnde ich vornehmlich zwey articul: Der eine ist, der mir nicht nur einerley standes leute heftig zuwider macht, daß ich, nachdem unsre Evangelische lehr auß Gottes wort in unsern Symbolischen büchern die rechtfertigung von der heiligung zwahr underscheidet, aber sie auch gantz 125 genau mit einander verbindet, hingegen einem todten glauben die rechtfer- tigung allerdings abspricht, auf diese lehre ernstlicher und öfter treibe, alß es den meisten, welche vor ihren alten Adam22 bey allem dienst der sünden, dannoch ihren trost haben wollen, gelegen ist: Weil ich, so oft ich gelehret, wie die gerechtigkeit pur allein ein gabe Gottes in Christo JESU seye, die der 130 glaube so gar allein annehme, daß deßen früchte ohne das gottselige leben durchauß solches mittel nicht sind, hingegen sobald dabey zeige, was art der wahre glaube seye, von welchem wir bekennen, daß er uns allein gerecht

99 /absonderlich/. 129 ihren < gern.

20 Dazu schon im Brief an Seckendorf am 29. 5. 1684 (Bed. 3, 661), als dieser zum ersten Mal sondierte, ob Spener sich als Oberhofprediger nach Dresden berufen lasse. 21 Im Sinne von „Konfession“. 22 Nach Röm 6,6 für den sündigen Menschen. 456 Briefe des Jahres 1690

mache, nemlich daß er ein solches göttliches liecht seye, welches in keinem 135 hertzen platz habe, so der fnsternus noch dienen will, und sobald den jenigen, welcher die gnade Gottes lauter umsonst empfangen hat, zu einem gantz anderen menschen machet von hertz, muth, sinn und folglich auch gantzem leben, mit außtrücklicher bezeugung, welcher glaube nicht also geartet seye, seye kein wahrer göttlicher glaube, noch mache gerecht. Diese lehr immer zu 140 hören, weiß ich wol, daß sie vielen, so sie dannoch nicht leugnen können, in der schrift und unsren glaubensbüchern23 gegründet zu sein, in ihrer seelen unerträglich ist: dann sie verstöhret ihnen allezeit ihre ruhe, welcher sie in der sicherheit des feisches bey dem sündlichen leben gern genießen wolten: Sonderlich wann sie hören, wann ich den Evangelischen trost reichlich er­ 145 theile und ihn hoch erhebe, wie ich versichert bin, daß niemand darüber klagen könne, aber dabey allemal auch hören müßen, was die beschafenheit der jenigen seye, die sich deßen nach göttlicher ordnung annehmen dörften: weil sie ihr gewißen sobald überzeuget, daß sie noch nicht einmal die resolu- tion zu faßen getrauen, in ein bußfertiges leben zu treten. Daher ob ich wol 150 in meinen predigten mich nimmermehr harter wort zu gebrauchen pfege, ihrer viele die heftigste strafpredigten, wo so gar auch scheltwort vorfallen, gedultiger tragen, weil sie immer meinen, sie fnden noch zu letzt einen trost vor sich, wenn sie jene angehöret, alß meine predigten, in denen der auf die buß und den lebendigen glauben starck verclausulirte trost so bewandt ist, daß 155 ihnen allemal das gewißen widerspricht, so oft sie sich deßen annehmen wollen. Alß lange sie also zur rechtschafenen buß sich nicht entschließen, so quälet sie diese göttliche wahrheit, die ich doch ohne underlaß treiben muß, dermaßen, daß der haß, welchen sie gegen jene nicht außzulaßen vermögen, auf mich fallet. 160 Der andere articul, so mir aller der jenigen, so in unsrem so genannten geistlichen stande stehen und aber feischlich gesinnet sind, haß zuzeucht, ist der jenige, daß ich keinen vor einen gnugsam tüchtigen diener Gottes, der in seinem amt recht fruchtbar sein möchte, erkenne, alß welcher auch ein recht- schafener, widergebohrner Christ ist, nicht allein ein ehrbar, sondern von der 165 welt gereinigtes und nach den reglen Christi eingerichtetes leben führet, und also von ihnen, soviel alß sie von andern haben wollen, ja, in gewißer maaß noch mehrers fordere, ja, gar lehre, daß ohne das wahre liecht des H. Geistes, so aber bei keinen feischlichen menschen sein kan, nicht einmal eine wahre erkantnus Gottes, geschweige dann eine gnugsame tüchtigkeit zu dem H. amt 170 vorhanden seye24: wozu noch gemeiniglich kommet, daß ich mit unsrem Lu- thero der gemeinde zugebe, daß sie die lehre ihrer prediger selbs nach Gottes wort zu prüfen befugt und ihnen, auf ihr bloßes wort ohne überzeugung der

163 /recht/. 171 /zu/gebe.

23 Die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche. 24 Mit dieser Frage hatte sich Spener schon in der in Anm. 2 genannten Schrift beschäftigt. Nr. 101 an Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel 11. 11. 1690 457 gewißen auß Gottes wort, nicht zu glauben schuldig, ja, auch dero fehler in bescheidenheit und liebe an ihnen zu bestrafen25 berechtigt seyen26. Wie nun leider viele maximen der Römischen Clerisey27 (in denen doch das hertz des 175 Antichristenthums bestehet) bey manchen der unsrigen tief in dem hertzen stecket, so schmertzet solches in der Seelen, wo sie diese lehre, so ihrem ge- suchten interesse so schnurstracks entgegen stehet, oftmal hören müßen. Und wie können die jenigen, welchen ihr gewißen stäts diesen heimlichen vor- wurf thut, daß es ihnen in ihrem gantzen leben eigenlich um ihre ehre, lust 180 und reichthum zu thun seye28 und sie also noch niemahl, sich selbs oder die welt zu verleugnen29, angefangen haben, anders alß mit großem widerwillen das jenige lesen oder hören, wodurch ihnen so wol die seligkeit bey solcher bewandnus abgesprochen, alß auch ihre tüchtigkeit zu ihrem amt zweifelhaft gemacht, hingegen der ruhm, den sie von ihrer erudition, eußerlichen gaben 185 und dergleichen hernehmen, so mächtig nidergeschlagen wird? Welches ih- nen gewißlich gleichsam an das leben gehet. So vielmehr wann sie hören müßen, daß sie die herrschaft über die gewißen nicht haben sollen und kein neues Papstum auf einige weise under uns gestattet werden dörfe, deßen subtilere art gleichwol in sovielen hertzen stecket. Da dörfte es also nicht 190 manglen an solchen, welche davor halten möchten, daß ich ein allgemeiner feind des ordinis sacri30 geachtet werden müßte, der ich denselben allzu stricte an den gehorsam der gebote Christi verbinde und deßen gewalt auch nach deßen regeln abmeße: da mich gleich wol niemand beschuldigen kan, daß ich nicht die würde und heiligkeit des amts hoch preise und die eltisten, 195 die wol fürstehen, doppelter ehre werth erkenne, ja, sage, daß man ihnen mehr, alß die welt glaubet, schuldig seye31, ob ich wol nicht zugeben will, daß der stand selbs die fehler der personen rechtspreche oder gnug bedecke. Ich bin deßen in meiner seelen versichert, da E. Hochf. Drlt. nach dero erleuchtetem verstand, etwas der sache nachzusinnen, geruhen, daß sie bey 200 sich selbs erkennen werden, wie wahrhaftig keine andere alß diese ursachen des haßes gegen mich seye. Welches mich zwahr, ob ich wol der jenigen, so sich gegen mich vielleicht schriftlich und mündlich noch immer mehr auf- machen werden, viele vor augen sehe, so getrost machet, daß, ob ich wol sorglich den eußerlichen schutz von denen, von welchen man ihn zu warten 205

189 dörfe < s. 203 mehr ] + . 204 /viele/. 204 /ob/.

25 Im Sinne von „tadeln“ (vgl. DWB 19, 712). 26 M. Luther, Das eyn Christliche versamlung odder gemeyne recht und macht habe, alle lere tzu urteylen und lerer tzu berufen, eyn und abtzustzen, Grund und ursach aus der schrift (1523) (WA 11, 408–416). 27 Die römisch-katholische Geistlichkeit. 28 Zu diesem Vorwurf ausführlich in „De impedimentis“ (Cons. 1, 204). 29 Vgl. Mt 16,24–26 Parr. 30 Der geistliche Stand. 31 Vgl. 1Tim 5,17. 458 Briefe des Jahres 1690

hätte, nicht erwarten darf, ich mich dannoch in gerechter sache, und da es gewiß um die göttliche ehre zu thun ist, nicht förchte, sondern es gehe mir in der welt darüber, wie es wolle, vor dem HERRN HERRN und den glau- bensaugen, den sieg davon zu tragen, versichert bin, auch mehr die jenige, so 210 sich an mir versündigen, aber gewißlich ihre seelen damit verletzen, bedaure, alß mich wegen des künftigen ängstige. Dann dabey muß es doch bleiben, daß Gott noch richter auf erden seye: welches ein gnugsamer trost ist, wo er mit glauben, den er selbs allezeit kräftig erhalten und stärcken wolle, ergrifen wird. 215 E. Hochf. Drlt. werden mir aber gnädigst zugut halten, daß so freymütig mein anligen vor derselben außschütte, nachdem mich doppeltes dazu auf- muntert, weil mir einstheils wie dero hoher verstand, mit deme sie tief in die bewandnus unsrer zeit und der kirchen zustandes einsehen, also dero redliche begierde und verlangen, daß alles recht hergehen möchte, andrentheils dero 220 gnädigste zuneigung gegen mich, gnugsam bekant ist, und ich also weiß, daß Sie von allem Christ-klüglich zu urtheilen vermag, und dabey in liebe ur- theilen wird. Der große Gott erhalte dieselbe noch lange zeit nicht allein vielen andern und under denselben mir zum trost, sondern auch zu der freude, noch der- 225 maleins unsre kirche (wie dann der HERR gewißlich seine ehre nicht immer stecken laßen wird) durch deßen seine mächtige und alle hindernußen, wann die zeit da ist, kräftig durchreißende hand in beßeren und seeligern stand gesetzet zu sehen32. Ach, daß Er nach seinem heiligen rath auch Ihre hand stärcke und sie würdige, ein trefiches mitwerckzeug seines grossen wercks zu 230 werden, um damit die edleste crohne allem dem übrigen, so Seine Himmli- sche güte bißher durch Sie außgerichtet, aufzusetzen. Es geschehe! Nachdem ich zwahr allzu weitläufg, was mich selbs angehet, vor E. Hochf. Drlt. gnädigsten augen vorgestellet, so machet mich das unterthänigste ver- trauen gegen derselben güte so kühn, daß auch auf ersuchen, anderer mir 235 geklagte noth vorzutragen, mich understehe. Es sind mir nemlich von Berlin auß zu underschiedenen mahlen recommendiret worden zween Brüder, Ammazzone genannt33, deren vater der Estensischen familie34 etwas verwandt gewesen, der religion wegen aber auß Italien entwichen seye, und solche beyde Söhne gezeuget und bey unsrem glauben erzogen habe. Es wären auch 240 diese bereits in denen jahren, da Sie Gott und vornehmen leuten dienen könten, auch von jenem mit dergleichen qualiteten und tugenden begabet, daß ihr diese nicht ohne nutzen sein würden, hingegen wären sie auch so Christlich gesinnet, daß sie nicht an allen orten, als die ihr gewißen auch auß

221 dabey < der. 239 /und bey unsrem glauben erzogen/. 243 Sie ] .

32 Speners Hofnung auf einen künftig besseren Zustand der Kirche (s. Krauter-Dierolf). 33 S. auch Briefe Nr. 106, Z. 36–38, und Nr. 137, Z. 62 f. 34 Mitglieder einer adligen Familie (s. Brief Nr. 109 Anm. 9). Nr. 101 an Herzog Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel 11. 11. 1690 459 gehorsam zu befecken sich nie entschließen könten, fort zu kommen ver- möchten. Sie würden aber theils eben deswegen, da sie sich emporzubringen 245 die weltwege zu brauchen bedenckens hätten, ziemelich hindangesetzt, theils mit großer dörftigkeit getruckt, die eine soviel schwehrere last werde, alß weniger sie dieselbe eußerlich von sich spühren ließen, und sie zu ofenbah- ren schämeten. Soviel ist mir bereits von einem jahr her und etwa drüber ihrentwegen berichtet worden, alß der ich sie nicht selbsten kenne. Nun 250 wurde aufs neue von jemand, ob zwahr einem Reformierten, angelangt, ich möchte doch solcher personen gegen E. Hochf. Drlt. in underthänigkeit ge- dencken und sie deroselben hohen gnade und mildigkeit mit demuth recom- mendiren alß solche, die wahrhaftige glieder Christi wären und in ihrem gantzen leben, diesem treulich zu dienen, gedächten. Auf underschiedlich 255 widerholte solche anlangungen habe endlich nicht underlaßen wollen, E. Hochf. Drlt., dero gnädigstes gemüht gegen alle, so Gott lieben, davon mir diese leute sonderlich recommendiret worden sind, mir ohne das gnugsam bekant, von diesen personen, soviel an mich gebracht worden, hinwider zu hinderbringen, ob dieselbe hierdurch eine gelegenheit einer wol angewandten 260 gnade antrefen, jene aber sich in ihrem verlaßenen stand etwas erleichtert erfreuen möchten. Wormit dero hohe person und gantzes hohes hauß in des grundgütigen Gottes heilige obhut, schutz und milden segen treulichst erlaßende verbleibe

E Hochf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam underthänigster 265 Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 11. Nov[ember] 1690. 460 Briefe des Jahres 1690 102. An Johann Georg Kulpis in Stuttgart1 Dresden, 20. November 1690

Inhalt Ist vom Dresdner Oberkonsistorium beauftragt worden, den Streit zwischen [Johann Benedikt] Carpzov und der Württembergischen Kirche zu untersuchen. – Schickt die vom Oberkon- sistorium angeforderte Eingabe Carpzovs nach Stuttgart und wünscht, daß der Streit nicht ver- schärft wird; eine persönliche – abweichende – Meinung gelte es stehen zu lassen, auch wenn eine Einigung in Lehrfragen zu wünschen wäre. – Wiederholt seine Bitte, daß die neu eröfnete Möglichkeit für württembergische Theologiestudenten, in Sachsen studieren zu dürfen, durch diese Angelegenheit nicht wieder zurückgenommen wird. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 37. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 323–324.

Meine vorige antwort2 gieng summarisch dahin, daß ich mit unserm gehei- men rath und Praesid[enten] Hr. Knochen3 absonderlich privatim erstlich aus der sache geredet, nachmal aber sie in dem collegio, da neben mir kein ander geistlicher assessor alß Hr. D. Carpzovii bruder4 proponiret: da dann, weil man 5 lieber alle occasiones einiger collisionen in unsrer Evang[elischen] kirchen vermieden sehe, das vorgegangene ungern vernommen, nach dem aber nie- mand sonsten von der sache noch etwas wißend gewesen, mir nichts anders wider zu antworten aufgegeben worden, alß daß die sache gebührend under- suchet und alles das ienige vorgenommen werden solte, was man zu beybe- 10 haltung guten vertrauens under unsren gesamten kirchen vorträglich erken- nen würde. Wie dann darauf von Herr D. Carpzovio5 seine erklährung, um der sachen völlige information zu haben, erfordert worden, welche er auch nach abgeschicktem meinem brief eingesandt hat6, und mir solche commu- nicirt worden.

11 D. ] S.: K. ​

1 Johann Georg Kulpis, Vizedirektor des Stuttgarter Konsistoriums (s. Brief Nr. 43 Anm. 1). 2 Brief Nr. 43. 3 Hans Ernst von Knoch(e), Geheimer Rat und Präsident des Dresdner Oberkonsistoriums (s. Brief Nr. 83 Anm. 1). 4 Samuel Benedikt Carpzov, Superintendent in Dresden (zu diesem s. Brief Nr. 2 Anm. 3), Bruder von Johann Benedikt Carpzov, dessen Predigt den Streit hervorgerufen hatte (s. Brief Nr. 43, Z. 11–15). 5 Johann Benedikt Carpzov, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 43 Anm. 6). 6 Nicht überliefert. Nr. 102 an Johann Georg Kulpis 20. 11. 1690 461

Weilen aber, so bald unser H. Praesident mit S. Churf. D[urc]hl[aucht]7 zu 15 felde gieng8, wolte man sich in dem collegio nichts weiter resolviren, so vielmehr, weilen anfangs in hofnung stunde, er werde noch vor endigung der campagne widerum herein kommen. Nachdem nun Gott denselbigen glück- lich widerum herein gebracht, und nach hinwegräumung der gehäuften unverzögerlichen geschäften derselbe uns widerum ordenlich beywohnen 20 können, so ist nun vergangenen montag von dem geschäft widerum auf meinen vortrag gehandelt und beliebet worden, daß dieser aufsatz Herr D. Carpzovii von mir an E. Exc., nach dero gutbefnden communication davon zu thun, gesendet werden möchte. Auß welchem man in dem übrigen zu erhellen achtet, daß die predigt zwahr gehalten und die controvers (so wir 25 unsers orts underblieben zu sein, allerdings verlangten) auf die cantzel ge- bracht worden, iedoch in der sache selbs D. Carpz[ov] underschiedliche im- putationes von sich abgeleinet habe: hingegen beruft er sich auch darauf, daß man jener seits in der angeführten disputation9 eben so wol vorher in publi- cum mit außgebrochen seye. Daher man vielleicht am rathsamsten thun 30 möchte, beiderseits dahin zu trachten, daß, ob man die H[erren] Theologos, so zwahr zu wünschen, nicht in eine völlige einigkeit in den streitigen puncten bringen möchte, hingegen niemandem, was er wahr glaubet, zu bekennen verboten und dem gewißen gewalt angethan werden darf, aufs wenigste die controversen weder exacerbiret10, noch, in publicum zu einigem 35 ärgernus außzubrechen, gestattet werden. Wohin ich selbs von grund der Seelen inclinire und auch nicht zweifen will, daß nach müglichkeit insgesamt allhier darnach getrachtet werden solle, da, wo ihres orts dergleichen ge- schiehet, alle weiterungen unschwer verhütet werden können. Welches der Gott des friedens11 selbsten geben wolle. 40 Hiebey widerhole billich, was auch neulich bezeuget, daß „mir und allen andern Christlichen hertzen, denen die wahre wolfahrt der gesamten Evan- gelischen kirchen, dazu die contesseratio12 under derselben glieder sonderlich nötig ist, ernstlich anligt, sehr leid sein würde, wann diese begebenheit dem sehr nutzlichen instituto, stäts einige stipendiaten sumptibus publicis13 auch an 45

35 controversen ] controversien: D. 39 verhütet ] verhüten: D1.

7 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 8 Am 17. 5. 1690 berichtet Spener an Adam Rechenberg, daß von Knoche beauftragt worden sei, den Kurfürsten auf seinem Feldzug gegen Ludwig XIV. und das französische Heer zu begleiten (Ad Rech 1, Bl. 486v). Mitte Oktober 1690 war Johann Georg III. in seine Residenz nach Torgau zurückgekehrt, die er gegen Dresden ausgetauscht hatte, um Spener nicht begegnen zu müssen (vgl. Heyne, Feldzüge, 149; Rech ad Spener, Bl. 15r). 9 Johann Wolfgang Jäger, Disputatio theol. de statu ecclesiae primitivae, et modernae (s. Brief Nr. 43 Anm. 13). 10 Angestachelt, verschärft. 11 Röm 16,20 u. ö. 12 Freundschaft. 13 Auf öfentliche Kosten. 462 Briefe des Jahres 1690

andern orten und universiteten der Evangelischen kirchen zu halten (als welche das vertrauen desto kräftiger erhalt), einiges praejudiz oder hindernus machen solte: maßen diese ursach dazu noch nicht genug wäre und deswegen billich die gute zuversicht zu faßen stehet, daß S. Hochf. Dhl. und dero Hoch- 50 löbl. Consistorium14 sich von der so klüglich nach reifer deliberation vor- malen genommenen resolution durch dieses incidens nicht abhalten, noch irre machen laßen werden. Hingegen bin versichert, daß aus Gottes segen von solcher versendung dermaleins land und kirche nicht geringen nutzen geni- ßen wird“:15 so der Herr auch erfülle.

55 Dreßden, den 20. Nov[ember] 1690.

14 Herzog Friedrich Carl von Württemberg-Winnental (s. Brief Nr. 43 Anm. 18) und das Württembergische Konsistorium (s. Brief Nr. 43 Anm. 2). 15 Hier handelt es sich um ein nahezu wörtliches Zitat aus Brief Nr. 43, Z. 42–55. Nr. 103 an [Gräfn Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg?] [Herbst] 1690 463 103. An [Gräfn Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg in Stolberg?]1 Dresden, [Herbst] 16902

Inhalt Geht davon aus, daß die Entfernung vom Hof und die Stille ihres jetzigen Aufenthalts der Adressatin helfen, geistlich zu wachsen. – Betont die Notwendigkeit, sich in Ruhe auf das Wort Gottes einzulassen, damit es seine Wirksamkeit entfalten kann. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 421 f.

Ich zweife auch nicht, aus dero erkanter gottseliger begierde, ihr leben wahr- haftig dem himmlischen Vater nach seinem wohlgefallen zu heiligen, es werde deroselben seele die jetzige entfernung von dem hof 3 und freyheit von mancher eitelkeit, welcher derselbe sonderlich winterszeit unterworfen ist und uns wiederum jetzo vorstehen mag, hertzlich angenehm seyn, hingegen 5 solche von dem HErrn HErrn gegönnete mehrere einsamkeit und stille zu dem geistlichen wachsthum feißig angewendet werden. Dann wie das heilige wort GOttes das einige wahre mittel der heiligung unsrer seelen ist, so will zu dessen recht fruchtbarer und durchtringender wirckung fast erfordert werden, daß man in eine mehrere stille des gemüths komme, als gemeiniglich das leben 10 derjenigen, welche auch wider ihren willen unterschiedlichem dienst der eitelkeit unterworfen sind, die das hertz nicht anders als verunruhigen kan, zugibet. Stehet man dann in einer solchen stille, so sihet man je mehr und mehr in dem liecht des göttlichen worts das in uns daraus strahlende liecht und kan aus dem wort des lebens an dem innern menschen und in dem leben 15 des Geistes trefich gestärcket werden und wachsen. Wie hingegen eine seele, die durch die eusserliche zerstreuungen, sonder- lich allerley welt-eitelkeit, zu einer stille zu kommen nicht vermag, zu der-

1 Im Regest von D ist ein „adliges Fräulein“ als Empfängerin genannt; wenn mit dem in Z. 3 genannten Hof der kurfürstliche in Dresden gemeint ist, ist sie von dort abgereist. In Z. 18 wird die Eitelkeit thematisiert. Dies alles könnte zu der Information des Briefes A. H. Franckes an Spe- ner vom 4. 10. 1690 passen, in dem er fragt, ob die „Gräfn von Stolb[erg]“ noch in Dresden sei, und mitteilt, er habe ihr „eine pred[igt] von der verleugnung“ geschickt (Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 9, Z. 26–18, wo in Anm. 5 vermutet wird, es handele sich um Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg). – Sophie Eleonore von Stolberg-Stolberg (6. 8. 1669–3. 11. 1745), Tochter von Christoph Ludwig I. von Stolberg-Stolberg; zeitlebens unverheiratet; sie baute eine umfangreiche Leichenpredigtsammlung auf und hinterließ nach ihrem Tod viel Schmuck (J. Bepler, C. Niekus Moore, Zur Erinnerung und Erbauung. Sophie Eleonore Gräfn zu Stolberg-Stolberg [1669– 1745] und ihre Leichenpredigtsammlung, in: Ph. zu Stolberg-Wernigerode und J.-W. zu Stolberg- Stolberg, Stolberg 1210–2010, Dößel 2010, 175–187; Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 5 Anm. 5). 2 Nach Z. 3–5 wohl im Herbst vor Anbruch des Winters. 3 Wohl der kurfürstliche Hof in Dresden. 464 Briefe des Jahres 1690

gleichen sich wenig geschickt befndet, denn obwol das göttliche wort allezeit 20 seine kraft hat und ein feuer ist, so die hertzen entzündet, so kan es doch ein solches unruhiges hertz so wenig entzünden, als ein feuer das holtz, so man nur dann und wann an dasselbe hält, aber gleich wieder wegthut, oder um das feuer damit herum fähret, dahingegen einige zeit erfordert würde, da das holtz stille gehalten, von dessen kraft ergrifen werden könte. Ich trage auch das 25 gute vertrauen, daß meine wertheste in dem HErrn so wol diese gelegenheit eines solchen guten sorgfältig wahrgenommen haben und noch ferner wahr- nehmen, als auch in der that den nutzen davon etwas empfunden haben und noch ferner durch GOttes wirckung empfnden werde: darum ich auch des himmlischen Vaters güte hertzlich anzufehen nicht vergessen solle, welche sie 30 allezeit durch dessen Geist weißlich führen wolle, daß sie von den ärgernüssen in der welt befreyet, in kindlichem gehorsam seiner gebote stäts erfunden, auch anderen selbs zu einem lob= und folg=​würdigen exempel werde. Nun er, der GOtt des friedens, heilige sie durch und durch, und ihr geist gantz, samt der seele und leib müsse behalten werden unsträfich auf die zu- 35 kunft unsers HErrn JEsu Christi. Getreu ist der, der sie rufet, welcher wirds auch thun4. 1690.

4 1Thess 5,23 f. Nr. 104 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 21. 11. 1690 465 104. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau1 Dresden, 21. November 1690

Inhalt Sieht sich gezwungen, die wiederholten Angrife Johann Benedikt Carpzovs bei dem Kurfür- sten zu melden, vor allem, nachdem dieser ihn unrechtmäßig im Namen des Dekans der Theo- logischen Fakultät Leipzig, zwar ohne Namensnennung, aber für jeden erkennbar, angegrifen hat. Weist darauf hin, daß das Oberhofpredigeramt dadurch geschädigt werde, zumal seine Ortho- doxie seit Jahren bekannt sei. – Bittet darum, derartige Invektiven zu verbieten. Überlieferung A: Dresden, SächsHStA Dresden, Loc 10330/02, Bl. 34 u. 39.2

Göttliche gnade, friede, rath und heil in Christo JESU zu allem hohen wolwesen und gesegneter regirung! Durchlaüchtigster fürst, Gnädigster Churfürst und Herr. Ob zwahr gehofet habe, wie es nimmer mehr dazu kommen solle, daß E. Churf. Drlt. sonderbaren schutzes ich gegen jemand, am allerwenigsten 5 meines standes, bedörfen oder bey deroselben einige beschwehrde underthä- nigst abzulegen haben würde: so werde doch, selbs auß ansehen meines auß des Allerhöchsten Gottes gnade und E. Churf. Drlt. beruf 3 tragenden amtes, genötiget, mit diesen zeilen meine angelegenheit demütig zu hinderbringen. Es ist nunmehr fast gegen4 das jahr, daß D. Johann Benedict Carpzovius5, 10 bey E. Churf. Drlt. universitet Leipzig professor Theologiae ordinarius und pastor zu S. Thomae, auf underschiedliche art (ietzo nicht vornemlich zu gedencken harter privatschreiben und discursen6, so gleichwol widerum zu meiner wißenschaft7 gekommen) sich gegen mich sehr widrig zu bezeugen angefangen, sonderlich in mehreren predigten solche dienge vorgebracht hat, 15 die von dem meisten auditorio, außtrücklich und besonders gegen mich zu

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). – Johann Georg hielt sich in diesem Winter vornehmlich auf Schloß Hartenfels in Torgau auf. 2 Dem Brief ist das in Anm. 8 genannte Programm beigelegt (mit den Blattnummern 35–38). 3 Im Sinne von „Berufung“. 4 Im zeitlichen Sinne zu verstehen (DWB 5, 2212); hier: „seit einem Jahr“. 5 Johann Benedikt Carpzov, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 43 Anm. 6). 6 Stellvertretend für etliche Nachrichten, die Spener aus Leipzig erhalten hatte, wie Carpzov über den Pietismus, ihn selbst und seine Freunde sprach, sei hier die Nachricht von Adam Re- chenberg in seinem Brief an Spener vom 20. 9. 1690 genannt: Am 17. 9. habe Carpzov gehöhnt, Christian Gotthelf Birnbaum sei mit seiner akademischen Ausbildung nicht zufrieden gewesen und sei deswegen nach Frankfurt zu Spener gereist, um dort die „fromme Art zu lehren“ zu lernen (Rech ad Spener, Bl. 16r). 7 Im Sinne von „Kenntnis“ (DWB 30, 781). 466 Briefe des Jahres 1690

gehen, aufgenommen worden sind, so ich bißdahin um friedens willen mit gedult ertragen und mich damit, daß uns ohne unser verschulden niemand unsern guten nahmen (wie es auch in der that ist) verletzen oder nehmen 20 könne, getröstet habe. Wenn es aber nunmehr dahin gekommen, daß derselbe alß Decanus der Theologischen Facultet der autor des beyligenden pro- grammatis8, so vor dem neulichen festo Lutheri under dem nahmen des Rectoris Magnifci9 (der, wie ich berichtet, solches nicht vorher gesehen) angeschlagen worden ist, sein solle, indem diesem aber mehrere dergleichen 25 dinge stehen, welche, wie ich verständigt werde, insgemein alß inculpationes10 gegen mich angesehen werden11, auch daß sie wahrhaftig auf mich gerichtet seyen, auß andern seinen reden und predigten etwa nicht schwehr zimlich darzuthun sein möchte: damit aber meine durch Gottes gnade erhaltene gute existimation12 nicht wenig angegrifen wird: so habe zwahr anfangs auch 30 gedacht, am besten zu sein, daß in der stille allein dem HERRN HERRN wie sonsten meine sache befehle und auch dergleichen angrife verschmertzte, ne convitia, si irascerer, agnita viderentur13, weil ich ohne das versichert bin, daß meine unschuld in allen solchen dingen allen cordatis14 und unpassionirten gnugsam kund seye, und ob einige eine weil sich durch dergleichen beschul- 35 digungen einnehmen ließen, auch diese nach und durch überzeugung der zeit derselben ungrund erkennen werden. Aber in ferner Christlicher überlegung habe endlich befunden, weil das bloße stillschweigen vor eine schuldiggebung u. anzeige eines bößen oder nicht gnug versicherten gewißens, so dann vor eine verachtung oder mißtrauen in dero hohen Churfürstlichen schutz von 40 vielen möchte angesehen, so dann mein anbefohlenes amt je länger ie mehr beschimpfet werden, daß beßer seye, E. Churf. Drlt. in underthänigster de-

24 /ist/. 29 /habe/ : . 37 /weil/ : .

8 Rector Academiae Lipsiensis ad recolendam Reformationis Ecclesiasticae Memoriam Utriusque Reipublicae Proceres et Cives Academicos in Templum Academicum invitat [1690]. 9 Rektor war zu diesem Zeitpunkt Johannes Olearius (zu diesem s. Brief Nr. 31 Anm. 1). 10 Anschuldigungen. 11 Spener wird in dem Programm nie namentlich genannt, aber die Kritikpunkte an den Pie- tisten werden aufgezählt: Man lehne das gründliche Theologiestudium ab; der öfentliche Gottes- dienst genüge nicht und man erwarte von dem Pfarrer, daß er die Leute zur weiteren Erbauung nach Hause einladen und sie zudem besuchen müsse, um ihr Leben zu überprüfen; man lehre die Möglichkeit, das Gesetz vollkommen zu erfüllen, ebenso den Chiliasmus und die Hofnung auf eine allgemeine Judenbekehrung vor dem Jüngsten Tag; dazu würden die Lehren derer, die von den wichtigsten Theologen als Fanatiker verurteilt worden seien, hoch geachtet (hierbei werden einerseits Namen genannt, andererseits wird durch die Formulierung „sutoria theologia“ auch indirekt auf Jakob Böhme verwiesen). Auf diese Weise, so folgert Carpzov, könne man keine neue Reformation erwarten, vielmehr müsse alles Böse entfernt werden („tot mala […] ejici“). Martin Luther sei der „dritte Elias“, nach dem kein weiterer zu erwarten sei. 12 Ruf. 13 Damit Zurechtweisungen nicht bestätigt zu sein schienen, wenn ich zürnte. 14 Verständig. Nr. 104 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 21. 11. 1690 467 muth solches mir bißher widerfahrne zu denunciiren15: welches auch mit soviel getrosterem hertzen zu thun vermag, alß den sein gewißen loßspricht, und ich wie vor der Höchsten Göttlichen Majestet also auch E. Churf. Drlt. und der gantzen Kirchen wegen meiner lehr, dieselbe nach der H. Schrift 45 und auch der erklährung unsrer Symbolischen bücher geführt zu haben (deßen zeugnus mir meine auch bereits, ehe ich in diese lande gekommen bin, an das liecht gegebene schriften erstatten, wie dann nicht ein articul sein wird, davon nicht meine bekantnus jenes gemäß längsten in denselben abge- leget hätte, und wo in denselben etwas unrichtiges oder verdächtiges anzutref- 50 fen gewesen, die Theologi dieser lande bey meinem beruf 16 erinnerung zu thun oder doch nicht underschiedliche jahre zu schweigen gehabt hätten), so dann daß gegen die löbliche kirchenordnung dieser lande17 mich nichts un- derstanden, mit freudigem gemüth zu stehen getraue. In dem ich aber diese denunciation in underthänigster demuth thue, so 55 stelle es in E. Churf. Drlt. eigenes gnädigstes ermeßen, ob Sie dero hohem respect, des mir anvertrauten geistlichen amtes würde und der kirchen bestem anständiger achten möchten, allerdings die sache ungeahndet zu laßen, wo ich alßdann willig bin, von denen, die mir auch unrecht thun, in christlicher gedult zu leiden und es auf die höchste hülfe, die nicht außbleibet, endlich 60 ankommen zu laßen; oder ob Sie gnädigst befnden solten, wie das werck einiger ahndung würdig wäre, daß aldann E. Churf. Drlt. dero hohes miß- fallen darüber auf beliebige art zu bezeugen, mich in fernern gnädigsten schutz zu nehmen, dergleichen unbefugte angrife inskünftige ernstlich zu verbieten und, wo jemand einiges gegen mich, meine lehr und leben zu haben 65 vermeinte, solchen an E. Churf. Drlt. (dero ich stündlich, von allem in schul- digem gehorsam rechenschaft zu geben, durch Gottes gnade mich nicht ent- blöde) zu verweisen gnädigst geruhen wolten. Darum auch in solchem fall underthänigst hiemit bitte: und schließlich dem großen Gott die regirung alles deßen und abwendung alles müglichen ärgernußes in deßelben theure 70 obhut und mildesten segen aber dero hohe person, hauß und regirung, treulichst empfehlende verbleibe E. Churf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam underthänigster Philipp Jacob Spener, D. Mppria. 75 Dreßden, den 21. Nov[ember] 1690. Dem Durchleüchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Johann Georgen dem Dritten, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Bergen, auch Engern und

15 Anzeigen (hier nicht im pejorativen Sinne gemeint). 16 Berufung (s. Anm. 3). 17 Die sächsische Kirchenordnung von 1580 (Sehling 1.1, 359–457). 468 Briefe des Jahres 1690

Westphalen, des H. Römischen Reichs ErtzMarschallen und Churfürsten, 80 Landgrafen in Thüringen, Marggrafen zu Meißn, auch Ober= und Nider Lausitz, Burggrafen zu Magdeburg, gefürsteten Grafen zu Henneberg, Grafen zu der Marck, Ravensperg und Barby, Herrn zum Ravenstein p. Meinem gnädigsten Churfürsten und Herren.

79 /auch Engern und Westphalen/. Nr. 105 an [Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth] 2. 12. 1690 469 105. An [Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth in Bayreuth]1 Dresden, 2. Dezember 1690

Inhalt Freut sich, daß die Heirat [Christiane Eberhardines von Brandenburg-Bayreuth] mit [Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg] nicht zustande gekommen ist. – Hält eine gemischtkonfessionelle Heirat für eine große Versuchung. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 158–159.

Gleichwie mich bis daher das erschollene gerücht einer vorstehenden heyrath Sr. Churf. Durchl.2 mit Ew. Hochfürstl. Durchlauchtigkeit in eine innige wehemuth und kummer gesetzet, daher täglich zu mehrmalen den himmli- schen Vater um abwendung solcher schweren gefahr demütigst angefehet habe3: also hat mich um so viel hertzlicher erfreuet, daß widerum vernom- 5 men, daß die göttliche allmächtige güte Sr. Churfürstl. Durchl. und Ew. Hochf. Durchl. hertzen dahin kräftig gelencket, daß solche vorschläge nunmehr unterlassen blieben. Der ewigen hertzenslenckenden kraft des grossen GOttes sey demütigster danck, die Ew. Hochf. Durchl. vor schwerer versuchung bewahret hat, indem 10 gewißlich das elend einer ungleichen religions heyrath, sonderlich mit einer papistischen person4 und die daher entstehende vielfältige gefahr nicht gnug- sam überdacht oder ausgesprochen werden kan.

1 Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth (29. 12. 1671–4. 9. 1727), Tochter von Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth, 1693 verheiratet mit Friedrich August (dem Starken) von Sachsen (F. O. Stichart, Galerie der Sächsischen Fürstinnen, Leipzig 1857, 403–429; Eu- ropäische Stammtafeln NF 1, Tafel 52). – Zur Empfängerermittlung: Ihr Vater Markgraf Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth hatte seine Tochter zunächst als Gattin von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz (zu diesem s. Anm. 2) vorgesehen (P. Haake, Christiane Eberhardine und August der Starke. Eine Ehetragödie, Dresden 1930, 6). 2 Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz (19. 4. 1658–8. 6. 1716), seit 1679 als Johann Wilhelm II. Herzog von Jülich und Berg, seit 1690 Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz und Herzog von Pfalz-Neuburg, 1678 verheiratet mit Erzherzogin Maria Anna Josepha von Österreich (20. 12. 1654–4. 4. 1689), strenger Vertreter des römischen Katholizismus, seit dem 29. 4. 1691 ver- heiratet mit Anna Maria Lucia de’ Medici (11. 8. 1667–18. 2. 1743) (ADB 14, 314–317). – Er hatte im Juni 1690 um die Hand Christiane Eberhardines angehalten (H.-J. Böttcher, Christiane Eberhardine. Prinzessin von Brandenburg-Bayreuth, Kurfürstin von Sachsen und Königin in Polen, Gemahlin August des Starken, Dresden 22011, 45 f). 3 Vgl. die gleiche Einschätzung einer solchen gemischtkonfessionellen Heirat in Frankfurter Briefe, Bd. 5, Briefe Nr. 30, Nr. 33, Z. 35–46, Nr. 69, Z. 81–83, Nr. 90 und Nr. 119. 4 Eine Person römisch-katholischen Glaubens. 470 Briefe des Jahres 1690

Der HErr HErr regire sie ferner in allen stücken wie in diesem kräftiglich 15 und weislich und versorge dieselbe nach seiner güte also, daß man auch noch künftig so viel hertzlicher, vor diese abwendung zu dancken, ursach fnde. Den 2. Dec[ember] 1690. Nr. 106 an Johann Wilhelm Petersen 13. 12. 1690 471 106. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 13. Dezember 1690

Inhalt Freut sich darüber, aktuelle Nachrichten über die Situation der Petersens erhalten zu haben. – Kondoliert zum Tod [Georg] Petersens. – Ermahnt erneut, anderen seine Sondermeinungen nicht aufzudrängen. – Berichtet vom Besuch von Lascaris und der unerfüllten Hofnung, etwas über die Meinung der griechisch-orthodoxen Kirche zur Zukunft der Kirche zu erfahren. Ist mit den Aussagen im Schreiben Petersens [an den Patriarchen Dionysios] nicht einverstanden, will sich aber nicht in fremde Schriften einmischen. – Hat das adlige Brüderpaar Amazzones an Herzog Rudolf August von Wolfenbüttel empfohlen. – Will glauben, daß die Hamburger Kon- troverse beigelegt ist, vermag der Dauerhaftigkeit des Friedens nicht zu trauen; bleibt bei seiner Meinung, die durch ähnliche Aussagen von [Johann Caspar] Sagittarius und [Johann] Fischer zu den Schriften Jakob Böhmes und zum Chiliasmus bestätigt wird; hält sein bisheriges Verhalten gegenüber Autoren, die der Heterodoxie verdächtigt werden, für richtig. – Bittet um nähere Informationen über die Familie von der Asseburg und stimmt der Meinung zu, daß auch Frauen besondere geistliche Erfahrungen haben können, und daß es auch noch heute extraordinäre Ofenbarungen geben kann; fragt nach tragbaren Begründungen für die Überzeugung des Ehe- paars Petersen, daß die Ofenbarungen [Rosamunde Juliane von der Asseburgs] göttlichen Ur- sprungs sind. – [P. S.:] Zu den Verhandlungen über eine mögliche Berufung nach Brandenburg gibt es keine neuen Nachrichten; die Angaben der Bibelstellen helfen dem Patriarchen von Konstantinopel nichts, weil er eine andere Aufteilung der Texte kennt; fragt, woher die Nachricht vom Tod [Johann Heinrich von] Schönaus nach Lüneburg gelangt ist; bittet darum, die Beilage von Susanne Spener an [Heinrich Wilhelm] Scharf weiterzuleiten. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 478–486. D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 3, Frankfurt a. M. 1709, S. 692–693 (Z. 52–101).

Gratiam, pacem et salutem, quae coelo detulit, verbum caro factum2! In hoc dilectissime Frater et Compater. Quo diutius non literis solum vestris, sed etiam omni nuncio de rerum ve- strarum statu mihi carendum fuit, quod inprimis propter aliorum literas ne- scio, quae sinistra augurantes, solicitudinem meam non parum auxerat; eo 5 gratiores fuere duae3, quas non multo intervallo accepi. Optimo Parenti Tuo4 beatam non invideo ἀνάλυσιν5 (et quis invideret piis votorum suorum complementum tot plerumque suspiriis expetitum, hoc

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Joh 1,14. 3 Beide Briefe des Ehepaars Petersen sind nicht überliefert. 4 Georg Petersen (gest. 1690); kaiserlich-lübeckischer Notarius in Lübeck, der während der Verhandlungen, die zum Westfälischen Frieden führten, sich mit der Lübecker Gesandtschaft in Osnabrück aufhielt und dort seine Frau Magdalene geb. Praetorius kennenlernte, wo Johann Wil- helm Petersen geboren wurde (s. Matthias, Petersen, 19, 21). Über ihn ist kaum etwas bekannt. 5 Aufösung; hier: Tod. 472 Briefe des Jahres 1690

inprimis moestissimo iudiciorum tempore!), Vobis vero condoleo et solatium 10 Patris coelestis vivum, nec non ut ipse, quod per Parentum fidelem esse hac- tenus solitus erat sua gratia esse, pergat, imo fiat eo efficacius, ex animo precor. Sit seni pientissi[mo] quem hic oculis nondum conspectum ibi in gloria vi- debimus, aeternum optime! Vobis etiam, uti hoc in seculo fieri potest, bene, donec omnibus idem obtingat, quod in beatitudinem antegressis fratribus 15 contigit, hoc est sine mutatione aeternum sit optime? Interim eorum, quos hic coluimus, sit in benedictione et ita servabitur, memoria. Cellis non obtinuisse, quid quaesiverant adversarios, τοῦ καρδιάρχου6 vene- ror pie gratiam7: uti vero istis ex animo precor spiritum pacis et charitatis8, ita Te per amorem Domini nostri rogo, ut in iis, quae salutem omnium concer- 20 nunt, urgendis, nullis cedas minis, nulli periculo, in iis vero, quae fide viva destitutos licet agnita nihil iuvant, ignorata fidelibus non obsunt, inculcandis non tam sequare instinctum Tuum aliis communicandi, quae accepisse censes, quam prudentiae regulam, infirmioribus solidos cibos obtrudere vetantem9. Crede mihi, hanc si ingradiare viam, non Te unquam subibit poenitudo, quae 25 vix emaneret, incendium hac occasione ortum, si plura corriperet, non am- plius restinguendum et, quae servari poterant, depostulaturum. Ὁ κύριος δώῃ σοι σύνεσιν ἐν πᾶσιν10. Lascaris11 nobis iam adest, sed, ut ingenue fatear, plura mihi de eo promi- seram. Interrogatus de sensu Ecclesiae Graecae circa futura Ecclesiae adhuc 30 fata, ita respondet, ut sibi satis non constare videatur, nec eum probe callere. Vidi scriptum tuum12 nec non lateri. In hoc non nego me vidisse, quae scripta serio nollem, et scandalo Orientalibus, aut omnino fallor, cedent, imo

6 Herzensherrscher; ein von Spener wiederholt gebrauchter Begrif, der aber kein biblischer Terminus ist. 7 Für Lüneburg war das Konsistorium in Celle zuständig, wo die Klage über Petersens Heterodoxie anhängig war. Zu den Anschuldigungen der Lüneburger Geistlichen in Celle in der ersten Jahreshälfte s. Brief Nr. 49 Anm. 10. Am 29. 7. 1690 beklagt sich der Lüneburger Rat, Petersen habe gegen das Edikt Herzog Georg Wilhelms von Braunschweig-Lüneburg-Celle vom 10. 5. 1690, das den Streit zu Ende bringen sollte, verstoßen, so daß für den 28. 8. durch die fürst- liche Regierung in Celle eine weitere Verhandlung zur Beilegung des Streits angesetzt wurde, die allerdings auf den 25. 9. verschoben werden mußte; im Vorfeld dazu verfaßte Petersen eine erneute Verteidigungsschrift (Matthias, Petersen, 251). 8 Die Formulierung „Geist des Friedens“ fndet sich in Eph 4,3 und 1Thess 5,23, sachlich erscheint „Geist der Liebe“ in 2Tim 1,7, die beide Begrife einschließende Form „Geist des Friedens und der Liebe“ ist biblisch nicht nachgewiesen, jedoch der „Gott der Liebe und des Friedens“ (2Kor 13,11). 9 Vgl. ähnlich in Brief Nr. 51, Z. 36–44, mit Anm. 26. 10 2Tim 2,7 (Luther 1545: „Der HErr aber wird dir in allen dingen verstand geben.“). 11 Schon am 14. 8. 1690 (Brief Nr. 77, Z. 107–111) erwähnt Spener Lascaris als jemanden, der durch Deutschland reist, um Almosen für sich zu sammeln. Am 25. 11. 1690 kündigt Adam Re- chenberg Lascaris’ Besuch bei Spener in Dresden an (Rech ad Spener, Bl. 36r), und am 9. 12. 1690 berichtet Spener vom Gespräch mit diesem (Ad Rech 1, Bl. 363r). 12 Vgl. den Hinweis Speners auf ein „scriptum tuum ad Dion. patr. graeco sermone concin- natum“ in Brief Nr. 137, Z. 57 f. Nr. 106 an Johann Wilhelm Petersen 13. 12. 1690 473 si, quae de Occidente Evangelico bona illis fuit opinio, eam pessundare pos- sunt. Nec vero mihi in aliena Scripta potestatem vendico, unde reddo Graeco et divinae providentiae permitto, quem illa successum consiliis dare velit. 35 Nob[ilissimos] Amazonios13 Serenissimo Duci Brunsvicensi14 initio per Clariss[imum] Hardtium15, tum propriis literis commendavi16: responsum vero adhuc praestolor, cuius etiam mihi data est fides. Hamburgensium controversiam17 compositam lubens intellexi precorque Deum, ut promovendo sine impedimentis bono illa pax etiam serviat. Nescio 40 tamen, quid sperem de amicitiae constantia apud eos, quorum non idem finis est. Mihi adhuc minantur: quid vero futurum divinae permitto directioni. Amicorum instantium suasu ita sententiam meam declaravi18. A responso meo me nec latum posse recedere unguem, utpote veritate divina nixo: cum vero thesin illud exhibeat, nec ad hypothesin descendat, nolle me Hamburgenses 45 eo peti, si formulam suam eiusque scopum ita explicent, ut sub quaestionibus eorum facta non contineantur. Me non respondere ad quaestiones, nec de eo teneri, qui sint, qui, quod quaestiones notant, commisierint. Videbo, quid ea re effeceres. Si pergunt lacessere, ipsorum maiori damno id fore praevideo, unde famae suae et pudori rectius consulerent potius silentium servantes. 50 Porro non solum D. Sagittarius19, quem scio toto pectore esse Θεόφιλον20, in Teutonicum21 et in Chiliasmum durius statuit, verum etiam Ven[erandus] Fi- scherus, Gen[eralis] Sup[erintendens] Livon[iensis]22 in Judicio de quaestioni- bus Hamburgensibus23, ubi diserte ait, hunc ex Sacra Scriptura non esse evinci adeoque erroneum esse, in Teutonico vero negari non posse, quod 55 crassi errores contineantur, qui fundamentum fidei convellant, si non totam scripturam evertant, optandumque fuisse, cum autore scripta simul tumulata esse: licet ob hoc ad quaestiones ipsas respondeat non contra votum Hambur-

52 verum etiam ] Vidi: D; Beginn Abdruck D]. 52 f Ven[erandus] Fischerus, Gen[eralis] Sup[er­ ­ intendens] Livon[iensis] in Judicio ] Venerandi N. iudicium: D. 54 hunc ] Chiliasmum: D.

13 Näheres zu diesem adligen Brüderpaar s. Brief Nr. 101, Z. 232–262 (vgl. auch Brief Nr. 137, Z. 62 f). 14 Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel (s. Brief Nr. 101 Anm. 1). 15 Hermann von der Hardt, Professor in Helmstedt (s. Brief Nr. 27 Anm. 1). 16 Brief Nr. 101, Z. 232–262. 17 Der in Hamburg entbrannte Streit um den Religionseid (s. Brief Nr. 32 Anm. 3). 18 Philipp Jakob Spener, Erfordertes Theologisches Bedencken, über den von Einigen des E. Hamburgischen Ministerii publicirten Neuen Religions-Eid, o. O. 1690, datiert vom 18. 8. 1690. 19 Caspar Sagittarius, Professor in Jena (s. Brief Nr. 86 Anm. 9). 20 Gott liebend. 21 Jakob Böhme, der den Beinamen „Philosophus Teutonicus“ beigelegt bekommen hatte; zu Böhme s. Brief Nr. 30 Anm. 22; zur Abwehr Böhmes im Hamburger Religionseid s. Brief Nr. 32 Anm. 3. 22 Johann Fischer, Generalsuperintendent in Riga (s. Brief Nr. 25 Anm. 1). 23 J. Fischer, Erfordertes Bedencken Über den publicirten neuen Religions=​Eyd Eines E. Mi- nisterii in Hamburg, o. O. 1690. 474 Briefe des Jahres 1690

gensium amicorum. Cum vero hunc virum noverim, qui regnum Dei hacte- 60 nus maiori Zelo et successu, quam quisquam alius hactenus mihi cognitus, magnaque cum prudentia promoverit, ex hoc intelliges, quam iudicium illius, qui etiam libros tuos legit et chymiae non est ignarus, mihi denuo novum iniecerit timorem, ne qua in re communicando erroribus, si qui tales sunt, me contaminem: unde magis magisque in sensu meo confirmor, cum a sententia 65 condemnatoria formido religiosa me abstrahat, me recte facturum, si nullo modo autorem suspectum probem, nec lectionem ipsius aliis suadeam24. Ad ea transeo, quae et aliunde hactenus mihi de Nobilissima Assenburgia Domo allata et abs te confirmata sunt25. Sed quam vellem ea quoque in re certam habere πληροφορίαν26. Testem, si necesse sit, Deum invocare possem, 70 quod nemini dona coelitus data eorumque, quam communis est, abundantio- rem mensuram invideam, sed ubicunque illa deprehendo sincera laetitia per- fundar: nec offendit me, si infirmorem sexum pro libertate sua summus rerum arbiter praecipue ornat, quin saepe gavisus sum, cum observavi in illo quam nostro pietatis sensum teneriorem: nec Ius DOMINI in dubium voco, quo 75 minus hodie aeque ac olim fecit, immediate animabus se revelare posset, et quis, quaeso, nisi impudentissimus id ausit? nec porro de virginis piae since- ritate diffido aut de dolo ullo malo suspicor, cuius omnem metum mihi tollit commendata totius Domus simplex pietas: nec in iis, quae de ipsa ab amicis communicata vel ab ipsa ad alios scripta vidi, quicquam offendi, quod sancti- 80 tatem aut veritatem divinam laederet. Cum vero non minoris periculi sit fi- dem tanquam divinae revelationi adhibere, quae non est, quam illi, quae vera est eandem derogare, quod statuam, mecum hactenus luctatus sum, nec tamen eluctatus. Cum vero περὶ τοῦ θείου27 Te Tuamque pientissimam Johannam28 credas plane convictos, scire pervelim, quibus argumentis (haec non omnino 85 infallibilia esse oportet) convicti sitis et quid circa ea, quae revelationi Divinae tribuuntur observaveris, quae natura et profundae meditationi assueta anima phantasia ludos faciente et isti imponente ex se producere non posset. Nec enim inficias eo, cum, quae ipsius legi, sua pietate et simplicitate mihi proba- ta sint, non tamen me invenisse, quae homo sacrae lectioni intentus sine ulla 90 inspiratione ex suo animo sacris conceptibus impleto non aeque ita concin- nare posset vel, ut paucis dicam, quod divinum Spiritum extraordinario modo

59 qui ] quod: D. 62 tuos ] – K. 62 chymiae ] [Lücke in K; ofenbar vom Abschreiber nicht entzifert]. ​65 recte ] recta: D. 69 possem ] possum: D. 73 quin ] quia: D. 74 voco ] revoco: D. 82 quod ] quid: D. 84 convictos ] convictas: K. 84 non ] enim: D. 85 revelationi Divinae ] divinae revelationi: D. 88 enim ] non: K.

24 Diese Einstellung fndet sich vor allem in der Frage nach dem Umgang mit Texten Jakob Böhmes (s. etwa Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 6, Z. 1–14) oder des Quäkers Robert Barclay (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 20, Z. 26–33). 25 Die Familie von der Asseburg (s. Brief Nr. 77 Anm. 46 u. 47). 26 Gewißheit. 27 In Bezug auf Gott; über Gott. 28 Johanna Eleonora Petersen (s. Brief Nr. 146 Anm. 1). Nr. 106 an Johann Wilhelm Petersen 13. 12. 1690 475 autorem necessario exposceret. Haec ita cum habeant, amo eas, quarum mihi praedicata est pietas, atque quotidie coelestem Patrem invoco, qui virgineam istam animam, si superno lumine hactenus irradiavit opus suum porro in ipsa vel per ipsam perficiat aut, si naturae aliqua nobis non satis cognita virtus (uti 95 certe nos multa ea in re latere possunt) hactenus imposuisset, ne patiatur op- timam aut per ipsam alios falli, mihi vero eam largiatur prudentiam, ut nec miscear negotio, unde Ecclesiae aliquid metuendum, nec tamen desim divino operi, si quod ille moliretur, multo minus (in quo diligenter mihi caveo) ei obnitar. Faciat ergo DOMINUS, quod ipsi placitum est, suoque nos omnes 100 spiritu regat sapientissime. Vale cum desideratissima tua Johanna, cui alia vice respondebo et suavissimo Frid[erico] Augusto nostro29. Scrib., Dresdae, 13. Dec[embris] 1690. Vester omni pietate 105 PhJSpenerus, D. Mppria. [P. S.:] Negotium de mea ad Brandeburgicos translatione30 iterum sub incude est. Oremus DOMINUM, qui suae nos voluntatis faciat certos, cum eius obsequio 110 animum paraverit. Allegationes capitum et versuum Biblicorum in Tua commentatione ad patr. Constant. Graecis vix inservient, qui alias agnoscunt partitiones31. Cum nuper dicerem Schaenavium Tigurinum32, qui librum edidit33, fatis concessisse erat, qui contradiceret. Unde vobis de eius constat morte?34 115

99 quod ] quid: D. 101 sapientissime ] [Ende Abdruck: D].

29 August Friedrich Petersen (s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 30 Zu den Bemühungen, Spener nach Berlin zu berufen s. Briefe Nr. 57, Nr. 59, Z. 6–22, u. ö. 31 Wohl noch eine Bemerkung zu dem Schreiben Petersens an den Patriarchen Dionysios (s. Anm. 12). 32 Johann Heinrich von Schönau (1654–1689), aus Zürich stammend; von 1683 bis 1686 Auf- enthalte bei den Labadisten in Wieuwerd, Kontakt zu Johann Jakob Schütz und Christian Fende in Frankfurt a. M. (K. Bütikofer, Der frühe Zürcher Pietismus, AGP 54, Göttingen 2009, 11, 374–376 u. ö.; Deppermann, Schütz, 320) 33 J. H. von Schönau, Betrachtungen Uber Die geheimbe Fürbilder / der Sechs Tage der Welt-Erschafung und des siebenden Tages der Ruhe / gedeutet auf die vielfältigen Bedienungen und Begegnungen der Kirch / von Anfang biß ans Ende der Welt; und auf die Wege / welche Gott hält / in Bekehrung und Heiligung eines jeden Gläubigen / Den geliebten Kindern Gottes […] fürgestellt, Zürich: Simler 1688. – Spener hatte über Johann Jakob Schütz auf Wunsch von Schönaus ein Exemplar dieses Werkes erhalten (s. Deppermann, Schütz, 320; in der BS nicht vorhanden). 34 J. H. von Schönau war Ende August oder Anfang Sepember 1689 auf der Rückreise nach Zürich in Meiningen verstorben (Bütikofer, [wie Anm. 32], 11). 476 Briefe des Jahres 1690

Inclusas uxoris meae35, quae vos amanter salutat, ad Ven. Scharfium36 quaeso cura.

35 Susanne Spener (s. Brief Nr. 11 Anm. 21). 36 Heinrich Wilhelm Scharf, Superintendent des Kloster Lüne (s. Brief Nr. 39 Anm. 16). Nr. 107 an [einen Geistlichen?] 15. 12. 1690 477 107. An [einen Geistlichen? in Sachsen]1 Dresden, 15. Dezember 1690

Inhalt Dankt für die Nachricht über Menschen in der Heimat des Adressaten, die vom Wort Gottes angerührt worden sind. – Wundert sich nicht über Widerstände, die sich an der Zusammenkunft verschiedener Personen im Haus eines Predigers entzündet haben. – Weiß nicht, ob Nachrichten darüber nach Dresden gelangt sind, und stellt fest, daß das Konventikelverbot des kursächsischen Oberkonsistoriums rechtens ist, wenn man es explizit auf die gemeinten Fälle bezieht. – Beant- wortet Fragen (1.) zum Verständnis der Rede von der Schwachheit in den paulinischen Briefen. – (2.) zur Auslegung von 1Tim 5,8. – Lobt den Quedlinburgischen Katechismus. – Bespricht die Gewohnheit einiger Menschen, zu den Predigten eines bestimmten Geistlichen zu reisen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 834–840.

Ich dancke dem treuen Vater in kindlicher demuth, daß er mir auch aus denselben eine neue freude gegeben, daraus2 zu vernehmen, daß auch ihres orts mehrere seelen aufgemuntert werden, aus der sicherheit aufzustehen und dasjenige, was das einige nothwendige ist3, sich auch vor allem andern angelegen seyn lassen. Und worüber sollen wir uns mehr und inniglicher 5 freuen, als, wo wir sehen oder hören, daß das reich GOttes, so da nicht in worten und aus der schrift nach der vernunft gemachten concepten, sondern in kraft und geist4, daß die in dem Göttlichen wort vorgestellte wahrheit auch tief in die hertzen eingedrucket werde, bestehet, an mehrern orten mit gewalt durchbricht und die heucheley der jenigen, welche die rechtschafene Gott- 10 seligkeit der heucheley und scheinheiligkeit gemeiniglich beschuldigen, desto mehr ofenbahret und beschämet? Deme auch, was sich schon demselbigen widersetzet, nichts dermassen wird widerstehen können, daß es nicht endli- chen durchbrechen müsste. Indessen befremdet mich dieses nicht, was derselbe meldet, daß bereits auch 15 ihres orts der sich etwas mehr als vorher hervorthuende eifer der welt schon so in die augen sticht, daß sie nach ihres fürsten5 art und erblickten funcken

1 kindlicher ] kidlicher: D1. ​4 allem ] allen: D2+3. ​9 werde ] werden: D1. ​

1 Die in Z. 25 f erwähnte – einmalige – Zusammenkunft hat in einem Pfarrhaus stattgefunden. Speners ausführliche, auch lateinische Zitate aus der theologischen Literatur lassen einen Geist- lichen als Adressaten annehmen. Vermutlich ist es der Pfarrer, in dessen Haus das Trefen statt- gefunden hat; er befürchtet Schwierigkeiten, falls darüber nach Dresden berichtet worden ist (Z. 34–36). 2 Der Brief des Adressaten (vgl. den Hinweis auf das P. S. in diesem Schreiben: Z. 193 f). 3 Vgl. Lk 10,42. 4 Vgl. 1Kor 4,20. 5 Der Fürst dieser Welt, also der Teufel (s. Joh 12,31; 16,11). 478 Briefe des Jahres 1690

gern mit allerley lästerungen auslöschen wolte. Dann was wolten wir uns anders von ihr versehen, als was ihrer art gemäß ist, nehmlich eines hasses 20 gegen das gute, dardurch sie, ihr wesen wegen des gegensatzes in scham gesetzt zu werden, sorget, und dergleichen mittel, solchen haß auszuüben, die darzu dienlich sind? Nun mag die wahrheit dem guten nicht schaden thun, so muß es also mit lügen und verleumden versucht werden: wie an allen orten die exempel zeigen: daß wir sagen mögen, es werde an allen orten einerley spiel 25 getrieben, nur mit verwechselung6 der personen. Was man gegen die be- sprachung7 fünf Christl[icher] personen, sonderlich in eines predigers hauß8 (den dabey gewesen zu seyn vermuthe), welche auch nur einmal geschehen, auch nur mit einem vernünftigen schein reden oder aufbringen könne, sehe ich nicht: und da man die sache genauer zu untersuchen würdig geachtet, 30 haben sich solche leut solches auch nicht leid seyn zu lassen, weil ihre un- schuld dero mich versichert halte, durch die genaueste, aber aufrichtige und gerechte forschung nur desto ofenbahrer werden muß, welches zur beför- derung des guten vermittels Göttlicher güte heilsamlich ausschlagen kan. Daß zwar etwas davon hieher9 gebracht solte seyn worden, ist mir nicht das 35 geringste wissend, jedoch kan es auch nicht wiedersprechen, nicht geschehen zu seyn, als dem, was in den geheimen rath10 kommet, selten kund wird. Was den Churfürstlichen befehl wegen der conventiculorum, so nach Leipzig er- gangen, anlanget11, lässet mein zustand, weil ich selbs in dem kirchenrath12 sitze, nicht zu, davon zu schreiben: gnug ists, daß, wo die wort in ihrem rigor13 40 bleiben, man sich nicht zu beschwehren und, wo dergleichen conventicula, wie sie daselbs bezeichnet (ob aber dergleichen also gehalten worden, über- lasse ich andern) gehalten worden wären, sie mit gutem fug mögen verboten werden: wo man aber die sache weiter ausdähnet, beruft man sich vergebens auf solches patent. 45 Die gethane fragen anlangend, so diene darauf: 1.) 2.Corinth. 12,914 wird nicht eine sündliche „schwachheit“ verstanden, dann es an sich ungereimt ist, daß sich Paulus derselben solte rühmen und

27 zu seyn ] zuseyen: D1. ​34 seyn ] seyen: D1. ​36 den ] dem: D1. ​38 mein ] meinen: D1. ​ 42 mögen ] mügen: D1. ​

6 Umtausch, Tausch (DWB 25, 2152). 7 In dieser Form in allen drei Aufagen, aber doch wohl im Sinne von „Besprechung“, denn „Besprachung“ bedeutet im Frühneuhochdeutschen „Verhör“ oder „Vernehmung“ (Chr. Bau- feld, Kleines Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, Berlin 1996, 30). 8 Nicht ermittelt. 9 Nach Dresden. 10 Der Geheime Rat des Kurfürstentums Sachsen. 11 Das Konventikelverbot des sächsischen Kurfürsten vom 30. 3. 1690 (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 12 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 13 Unbeugsamkeit, Härte. 14 2Kor 12,9 (Luther 1545: „Las dir an meiner Gnade genügen / Denn meine Kraft ist in den Schwachen mechtig“). Nr. 107 an [einen Geistlichen?] 15. 12. 1690 479 gutes muths darüber seyn oder, wie es gar lautet, „wohlgefallen“ dran haben: Da wir hingegen seine sehnliche klage darüber Rom 715 lesen, und ja niemand an der sünde freude haben oder ruhm suchen darf: so könte auch die Gött- 50 liche kraft in derselben nicht vollendet werden. Daher, die auf die sündliche schwachheit eine absicht haben wollen, eine fernere wort=blum​ darinnen suchen, daß die schwachheit heisse die erkäntnüß seiner menschlichen schwachheit, wie Herr D. Calovius16 schreibet: „Alii agnitionem infrmitatis facere ad perfectiorem gratiae exhibitionem intelligunt.“17 Es ist aber zu weit 55 gesucht und will es Herr D. Calovius selbs lieber von dem leiden des Apostels vernehmen18. Und solchen verstand werden wir an andern orten fnden, nehmlich daß die schwachheit des Apostels heisse so wol seine verächtliche und unansehnliche gestalt nach dem eusserlichen, als allerley leiden einstheils eusserlich der verfolgungen seiner feinden, anderntheils innerlich in anfech- 60 tungen, deren er sich nicht gnug erwehren oder frey machen konte. Dieser verstand wird gnug erhellen, wo wir die stellen einsehen, 1.Cor. 2,3; 2.Cor. 10,10.11; 11,21.29.30, Gal 4,1319. Die sich gewiß zu den sündlichen schwachheiten allerdings nicht schicken. Daher auch unser liebe Lutherus20 es auf das leiden des Apostels ziehet. Zwar bey 2.Cor 11,2921 hat er diese 65 randgloß: „Mit dem schwachen im glauben thät und ließ er viel, daß er wol andere macht hatte, wie er 2. Corinth. 9,12 sagt, und brante, das ist, es verdroß ihn hart, wenn man die schwachen ärgerte“22. Da er zwar in dem ersten wort die schwachheit des glaubens verstehet, die daher sündlich ist, aber bey dem Apostel nimmt ers an, als von seinem hertzlichen mitleiden mit der andern 70 schwachheit geredet, welches gewiß nicht eine sündliche schwachheit ist. Anders wo redet er deutlich von dem leiden, als bey 2. Cor. 12,923: „mit

48 seyn ] seyen: D1. ​50 ruhm ] rurm: D1. ​55 perfectiorem ] perfectionem: D1 (D2+3 lesen nach dem Text Calovs). 57 wir ] mir: D3. ​63 11, : cj ] – D.

15 Röm 7; bes. V. 24 (Luther 1545: „Jch elender Mensch / wer wird mich erlösen von dem leibe dieses todes“). 16 Abraham Calov (s. Brief Nr. 33 Anm. 21). 17 A. Calov, Biblia Novi Testamenti Illustrata, Bd. 2 (Auf. 1719), S. 520b. 18 Gegen Hieronymus und Martin Chemnitz betont Calov: „Sed infrmitas hic de iis, quae patiebatur Apostolus, accipitur“ (Calov, Biblia [wie Anm. 17], S. 520b. 19 1Kor 2,3 (s. Anm. 40); 2Kor 10,10 f (Luther 1545: „SO gewis die warheit Christi in mir ist / so sol mir dieser Rhum in den lendern Achaia nicht gestopft werden. Warumb das? Das ich euch nicht solte lieb haben? Gott weis es“), 2Kor 11,21 (Luther 1545: „Das sage ich nach der vnehre / als weren wir schwach worden. WOr auf nu jemand küne ist [Jch rede in torheit] dar auf bin ich auch küne“), V. 29 (s. Anm. 23), V. 30 (s. Anm. 31), Gal 4,13 (s. Anm. 25). 20 Martin Luther (1483–1546). 21 2Kor 11,29 (Luther 1545: „Wer ist schwach / vnd ich werde nicht schwach? Wer wird geergert / vnd ich brenne nicht?“). 22 WA.DB 7, 167. 23 2Kor 12,9 (Luther 1545: „Vnd er hat zu mir gesagt / Las dir an meiner Gnade genügen / Denn meine Kraft ist in den Schwachen mechtig. Darvmb wil ich mich am allerliebsten rhümen meiner schwacheit / auf das die kraft Christi bey mir wone“). 480 Briefe des Jahres 1690

diesen worten tröstet CHRISTUS alle, die in schwachheit oder leiden sind, denn er kan seine stärcke in uns nicht beweisen, wir seyen denn schwach und 75 leiden.“24 Sonderlich aber erklähret er sich über Gal. 4,1325, Tom. 6, Altenb., f. 786a26: „Wenn Sanct Paulus hie von der schwachheit nach dem feisch redet, will er nicht gemeinet noch verstanden haben eine kranckheit oder anfech- tung zur unkeuschheit, sondern er redet von der leiblichen verfolgung, so er dazumahl hat leiden müßen. Er nennets aber eine schwachheit nach dem 80 feisch, daß er sie der kraft und stärcke des Geistes entgegen setzet.“ Wieder- um: „Siehe solche leibliche trübsalen und verfolgung nennet er schwachheit nach dem feisch, darum redet er von leiblicher noth und leiden: als wolt er sagen: zur zeit, als27 ich das Evangelium bey euch Galatern predigte, war ich mit viel und mancherley unfall und widerwertigkeit beladen und umgeben, 85 da musst ich mich auf allen seiten für listen und gefahr besorgen, von Juden, Heyden und falschen brüdern: Da war allenthalben angst und noth, auß- wendig streit, inwendig forcht, zittern und zagen, mangel, kummer und ar- muth m.f.w.“28, darauf er auch diesen ort, 2.Cor. 12,929, anführet30 und auf solchen verstand erklähret, von dessen so gegründeter außlegung wir zu 90 weichen nicht ursach haben. Es gehen auch davon andere unsere Christliche lehrer nicht ab: als wenn in der Weimarischen Bibel die wort 2.Cor. 11,3031 so gloßiret werden: „meiner schwachheit, daß ich um des Evangelii willen so viel mühe, gefahr, widerwertigkeit und ungemach außgestanden.“32 Wieder- um 2.Cor. 12,9: „Es gereichet mir zu ehren, daß ich durch dich, ob du gleich 95 ein schwacher wol geplagter mensch und täglich vielen anfechtungen unter-

85 listen ] lüsten: D1. ​89 solchen ] solchem: D1. ​91 Weimarischen: cj ] Weinmarschen: D1; Weinmarischen: D2+3. ​

24 WA.DB 7, 169. 25 Gal 4,13 (Luther 1545: „Denn jr wisset / das ich euch in schwacheit nach dem feisch / das Euangelium geprediget habe / zum ersten mal“). 26 M. Luther, Altenburger Ausgabe, Bd. 6, Sp. 786a (vgl. WA 40 I, 634.32–635.1). 27 M. Luther [wie Anm. 26]: „da“. 28 M. Luther, [wie Anm. 26], Sp. 786a (vgl. WA 40 I, 635.18–23). 29 2Kor 12,9 (wie Anm. 23). 30 M. Luther, [wie Anm. 26], Sp. 786b (vgl. WA 40 I, 635.29). 31 2Kor 11,30 (Luther 1545: „So ich mich je rhümen sol / wil ich mich meiner schwacheit rhümen“). 32 Biblia, Das ist: Die gantze Heilige Schrift, Altes und Neues Testaments […] auf gnädigste Verordnung Des Durchleuchtigsten Fürsten und Herrn, Hern Ernsts, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg etc. von etlichen reinen theologen dem eigentlichen Wort=​Verstand nach erkläret, Nürnberg: Endters Erben 1720, (neue Paginierung ab Jesaja) S. 762b. – Die Bibel wird auch „Kurfürstenbibel“ oder „Ernestinisches Bibelwerk“ genannt und wurde zum ersten Mal im Jahr 1641 von W. Endter, Nürnberg, verlegt. Es folgten bis zum Jahr 1768 dreizehn Aufagen (R.- D. Jahn, Die Weimarer Ernestinische Kurfürstenbibel und Dilherr-Bibel des Endter-Verlags in Nürnberg [1641–1788]. Versuch einer vollständigen Chronologie und Bibliographie, Köln 1986; E. Koch, Das Ernestinische Bibelwerk, in: R. Jacobsen u. H.-J. Ruge [Hgg.], Ernst der Fromme. Staatsmann und Reformer, Bucha 2002, 53–58). Nr. 107 an [einen Geistlichen?] 15. 12. 1690 481 worfen bist“33: nochmal, „schwachheit meiner vielfältigen trübsalen“34 und, Gal. 4,13, schwachheit, „ohne äusserlichem pracht35 und glantz, unter viel haß und anstoß in schlechter36 verachter gestalt“37. So redet auch Flacius38 über Gal. 4,13: „Forte etiam suas cruces et pericula commemorat, in quibus per- rexerit eos docere: p.p.“39, da er den ort 1.Cor 2,340 angeführet: „ut recte 100 queas intelligere varias cruces et afictiones, quibus perpetuo exercebatur adeo ut eo nihil esset abiectius, si externam speciem inspexisses“41. Herr D. Calovii zeugnüß ist bereits angeführet, dazu ich noch das andere aus ihm setze über Gal. 4,13, wo er die schwachheit des Apostels also ansiehet: „Agit de suae personae infrmitate despicatui habita, tum quod vilis, abiectus et contemtus 105 venerit, tum quod variis contumeliis, persecutionibus ac periculis obnoxius fuerit“42. Unter den ältern erklehret der liebe Aegid[ius] Hunnius43 den ort 2.Cor. 11,30: „In infrmitate sua, id est in laboribus, quos sustinuit, in mole- stiis, quas devoravit, in periculis, quae adiit, in tribulationibus, quas sensit, in huius vitae incommoditatibus, quas propter Evangelium44 Christi expertus 110 est“45. Es ist aber die sache so klahr und ofenbahr, daß es nicht vielmehr zeugnüssen bedörfen wird, ich würde auch diese nicht angeführet haben, wo wir nicht zu einer solchen zeit lebten, da man so schwer eine auch best ge- gründete erklährung annehmen will, wo sie nicht mit anderer lehrer zeug- nüssen befestiget wird. 115 Bleibet also dabey, die „schwachheit“ heisse hie nicht eigenlich sündliche schwachheit, sondern das leyden der verfolgung und der anfechtung, dazu noch die natürliche schwachheit des Apostels wird zu setzen seyn, daß nem- lich dieselbe, nach welcher dem feisch das leyden allezeit widrig und bitter

108 11,30 ] 13,30: D. 110 expertus ] expertas: D1. ​118 seyn ] seyen: D1. ​

33 Biblia [wie Anm. 32], S. 763b. 34 Ebd. 35 Der Pracht (DWB 2, 283). 36 Im Sinne von „schlicht“, „einfach“, „dem Kostbaren entgegengesetzt“ (DWB 15, 523). 37 Biblia [wie Anm. 32], S. 770b. 38 Matthias Flacius Illyricus (3. 3. 1520–11. 3. 1575), lutherischer Theologie, geb. in Albona/ Istrien, strenger Gnesiolutheraner, 1557 Theologieprofessor in Jena, 1561 amtsenthoben; Begrün- der der lutherischen Kirchengeschichtsschreibung (J. Matešic´ [Hg.], Matthias Flacius Illyricus. Leben und Werk, München 1993; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 9 Anm. 37). 39 Matthias Flacius Illyricus, ΤΗΣ ΤΟΥ ΥΙΟΥ ΘΕΟΥ ΚΑΙΝΗΣ ΔΙΑΘΗΚΗΣ ΑΠΑΝΤΑ. Novum Testamentum Iesu Christi Filii Dei, ex versione Erasmi, innumeris in locis ad Graecam veritatem, genuinumque sensum emendata, Basel 1570, S. 900a. 40 1Kor 2,3 (Luther 1545: „Vnd ich war bey euch / mit schwacheit / vnd mit furcht / vnd mit grossem zittern“). 41 Flacius, [wie Anm. 39], S. 900a. 42 A. Calov, Biblia [wie Anm. 17], S. 608b. 43 Aegidius Hunnius (s. Brief Nr. 7 Anm. 9). 44 Bei Hunnius ist ergänzt: „Iesu“ (wie Anm. 45), S. 346. 45 Aegidius Hunnius, Commentarius In Posteriorum Epistolam D. Pauli Apostoli ad Corin- thios posthumus, Wittenberg: Bechthold Rab und Clemens Berger 1605, S. 345 f. 482 Briefe des Jahres 1690

120 ist (so gar daß auch unser Heyland, der ohne sünde war46, eine schwachheit in ansehung und fühlung seines leiden empfunden hat, Matth. 26,39, Johan. 12,27; 13,2147) noch nicht also durch den geist überwunden gewesen, daß er mit lauter freudigkeit das leyden hätte mögen tragen, sondern gefühlet hat, wie schwehr es ihm falle. Welche schwachheit gleichwol an sich selbs nicht 125 sündlich ist. Wo aber einige diesen spruch dannoch von den sündlichen schwachheiten verstehen und damit sich in ihrer sicherheit stärcken wollen, mögen sie wol zusehen, daß sie nicht mit dem ruhm ihrer schwachheit vor den heiligen augen GOttes ihre sünde noch dazu vermehren. 2.) Was den andern ort anlangt, 1.Tim 5,848, bin ich nicht in abrede, daß 130 ihn biß dahin anders, nemlich von der sorge der eltern vor die kinder, ver- standen habe, daß jenen oblige, gleichwie die kinder in der forcht GOttes zu erziehen, also auch ohne geitz, ungerechtigkeit und versäumung der liebe des nechsten in dem zeitlichen also vor sie zu sorgen, daß sie mögen wol erzogen werden und nicht, wo die eltern nachläßig und faul wären, auch alles das ih- 135 rige verthäten, der gemeinde zur last über den halß fallen49: Ich habe aber von kurtzer zeit aus anderer veranlassung den text anders anfangen einzusehen50, daß ich nun fast nicht zweife, es werde von der versorgung alter und unver- möglicher eltern geredet und diese den kindern befohlen. Welches der gantze context und die absicht des Apostels, die da war, zu zeigen, welche 140 witwen aus der gemeinde gütigkeit unterhalten werden solten, mit sich bringet: sonderlich v. 451, da außtrücklich davon geredet wird, daß „die wit- wen“ nicht dazu gezogen werden solten, „die kinder und nefen haben“: da heist es „solche“52 (nicht die witwen, sondern kinder und nefen, wie es dann der pluralis ist, da von der witwe in singulari geredet wird) „laß zuvor“ (ehe 145 sie die kirche beschwehren) „lernen, ihre häuser göttlich regieren“ (zu wel- cher gottseligkeit auch das folgende gehöret) „und den eltern gleiches ver-

122 12,27; 13,21 ] 12,27.13.21: D1. ​131 oblige ] obligen: D1. ​

46 Vgl. Hebr 4,15. 47 Mt 26,39 (Luther 1545: „Vnd gieng hin ein wenig / fel nider auf sein Angesichte / vnd betet / vnd sprach / Mein Vater / Jsts müglich / so gehe dieser Kelch von Mir / Doch nicht wie Jch wil / sondern wie Du wilt“); Joh 12,27 (Luther 1545: „JTzt ist meine Seele betrübet. Vnd was sol ich sagen? Vater hilf mir aus dieser stunde. Doch darumb bin ich in diese stunde komen“); Joh 13,21 (Luther 1545: „DA solchs Jhesus gesagt hatte / ward er betrübet im Geist / vnd zeugete / vnd sprach / Warlich / warlich / Jch sage euch / Einer vnter euch wird mich verrhaten“). 48 1Tim 5,8 (Luther 1545: „So aber jemand die seinen / sonderlich seine Hausgenossen / nicht versorget / der hat den glauben verleugnet / vnd ist erger denn ein Heide“). 49 Sprichwörtlich im Sinne von „beschwerlich werden“ u.ä. (vgl. DWB 10, 251; Wander 2, 282). 50 Der Anlaß war wohl der Brief an Johann Hirsch vom 29. 9. 1690 (Brief Nr. 92, Z. 219–257). 51 1Tim 5,4 (Luther 1545: „So aber eine Widwe kinder oder Nefen hat / solche las zuuor lernen jre eigene Heuser göttlich regieren / vnd den Eltern gleiches vergelten / Denn das ist wolgethan vnd angeneme fur Gott“). 52 Das griech. Wort μανθανέτωσαν („sie sollen lernen“) ist 3. Pers. Imperativ pl. Nr. 107 an [einen Geistlichen?] 15. 12. 1690 483 gelten“, also wie sie, da sie sich nicht selbs versorgen konten, von den eltern unterhalten worden, ihnen in ihrem unvermöglichen53 stande auf gleiche weise begegnen. Auf dieses zeigt der Apostel ferner, welches hingegen eine rechte und also der gemeinen wolthat würdige witwe seye, v. 5.654; darauf, 150 v. 7 55, erinnert er, daß sie dergleichen wol in acht nehmen sollen. Endlich, v. 8 56, folget die ursach, warum man sich, sonderlich von seiten der kinder gegen ihre alte müttern, dergleichen treue solle lassen angelegen seyn. Weil so gar, wer die seinige nicht versorge, „ärger als ein Heyde“ seye und „den glauben verläugnet“ habe, also vor keinen Christen gehalten werden könne. 155 Wo dann die absicht vornehmlich gerichtet ist auf die pficht der kinder gegen die eltern, aber die worte gehen doch allgemeiner und drucken die pficht eines jeden gegen seine haußgenossen aus. Diese sache fnde nun so klar, daß mich verwundere, solche nicht eher war- genommen zuhaben. Ich sehe aber, daß auch andere unserer Christlichen 160 lehrer diesen rechten verstand weisen. Also redet Hunnius, daß der Apostel hie diejenige strafe57, welche ihren müttern und großmüttern, so von alter unvermöglich worden, die schuldige liebe nicht erweisen. Also über v. 4 gloßiren die Weymarische also: „So aber eine witwe kinder oder nefen (kindes kinder) hat, solche (kinder oder nefen) lasse zuvor (ehe die kirche 165 angelanget werde, ihre mutter oder großmutter mit dem allmosen zu ver- sorgen) lernen, ihre eigne häuser göttlich regiren (ihren müttern oder groß- müttern die nothdürftige handreichung zu leisten) und denen eltern (von denen sie erzogen sind)58 gleiches vergelten (sie ernehren und versorgen, gleichwie die eltern ihnen zuvor auch gethan haben, ehe sie erwachsen)“59; 170 bey v. 8 aber erklären sie die haußgenossen insgemein, „eltern, kinder und bluts=​freunde“60. Also auch Flacius gedencket bey v. 4 dieses61: „eiusmodi liberos recte ab ea educatos grandesque illius viduae praesertim in eius senec- tute curam suscipere debere, eamque enutrire, ne sit necesse, Ecclesiam Dei gravari sumptibus“; v. 8 setzet er auch die witwen und kinder zusammen, die 175 an einander die liebesthaten erzeigen solten. Letzlich Herr D. Sebastian

147 konten ] könten: D1. ​153 seyn ] seyen: D1. ​153 Weil ] will: D1. ​168 denen ] derer: D1 (Die Weimarer Bibel liest: „den“). 174 enutrire ] enutrie: D1. ​

53 Schwach; nicht im stande, unfähig (etwas zu tun) (s. DWB 24, 2067 f). Der Begrif ist nicht auf die (wirtschaftliche) Vermögenslosigkeit einzuschränken. 54 1Tim 5,5 f (Luther 1545: „Das ist aber eine rechte Widwe / die einsam ist / die jre hof- nung auf Gott stellet / vnd bleibet am gebet vnd fehen tag vnd nacht. Welche aber in wollüsten lebet / Die ist lebendig tod“). 55 1Tim 5,7 (Luther 1545: „Solches gebeut / auf das sie vntaddelich seien“). 56 S. Anm. 48. 57 Im Sinne von „tadeln“ oder „zurechtweisen“ (DWB 19, 712). 58 Die Klammern sind erläuternde Einschübe Speners. 59 Biblia [wie Anm. 32], S. 804. 60 Ebd. 61 M. Flacius, (wie Anm. 39), S. 1060b. 484 Briefe des Jahres 1690

Schmidt62 in seiner Paraphrasi stimmet bey v. 4 auch bey und bey v. 7 para- phrasirt ers mit feiß also: „dieses gebiete nicht allein den witwen selbs, son- dern auch ihren kindern, nefen und anverwandten m.f.w.“63 Sihe also ins- 180 gesamt nicht, was ferner solcher erklährung mit ziemlichem schein entgegen gesetzet werden könte. Ich komme nun auf den Quedlinburgischen Catechismum64, da mir aber leid ist, daß nicht gnugsam und nach verlangen antworten kann. Ich habe denselben damal, als ich den meinigen edirte, von einem guten freund gelehnt 185 gehabt und gelesen, vor mich selbs aber zu bekommen nicht vermocht. Wie mir derselbe so trefich wol gefallen, habe ich in der selbs angeführten vor- rede bezeuget65: ob ich aber in dem lesen auch einige stellen bemercket hätte, daran ich angestanden wäre, weiß ich mich nicht zu entsinnen, indem seither so viel jahr verfossen, da mir alles ausgefallen: aufs wenigste muß es nichts 190 von einiger wichtigkeit gewesen seyn, indem ich sonsten ohne beyerinnerung, denselben zu recommendiren, ohne zweifel um die zeit, da ich ihn neulich66 gelesen, würde bedenckens gehabt haben. Damit ich endlich auch das P. S. und die darinnen vorgestellte materien berühre, laß ich wol gelten, daß einiger Christlichen personen ausreisen nach 195 NN zu Herr NN67 predigten andern ungewöhnlich vorkommen wird: wo aber die predigt ihres orts dadurch nicht versäumet wird, kan solches niemand verwehret und mit gutem grund dargegen gesprochen werden: nur wird sehr zu hüten seyn, daß man nicht mit allzu vielem ruhm der erbauuung aus der fremden predigt sich den haß der einheimischen prediger zuziehe, und diese 200 jenen zur verkleinerung der ihrigen scheinbar ziehen könten. Sodann wolte ich auch wünschen, daß solche gute freunde es nicht eben ordinarie thäten, sondern allein zu weilen, um die ungleiche urtheil etlicher massen zu ver- meiden. Also auch wie niemand Hrn. NN verwehren kan, daß er Christliche freunde in der nachbarschaft besuche, so ists auch nicht zu wehren, denselben 205 in dem hause zu beherbergen. Jedennoch wolte auch da rathen, daß die be- suchungen von andern, wann er zu ihnen kommt, so viel geschehen, daß es

180 ziemlichem ] ziemlichen: D1. ​184 denselben ] demselben: D1. ​190 seyn ] seyen: D1. ​ 191 denselben ] demselben: D1. ​198 seyn ] seyen: D1. ​198 allzu vielem ] allzuvielen: D1. ​

62 Sebastian Schmidt, Theologieprofessor in Straßburg (s. Brief Nr. 22 Anm. 102). 63 S. Schmid, In D. Pauli Ad Colossenses Epistolae Commentatio […]. Accedunt eiusdem Autoris Paraphrases […] nec non prioris & posterioris ad Thessalonicenses: prioris Timotheum, et eius, quae ad Philemonem: ac denique etiam Cantici Mariae, Hamburg: Benjamin Schiller 1696, S. 397: „Haec praecipue non tantum viduis ipsis, sed et liberis ac nepotibus ac cognitis earum“. – Ein Druck der Paraphrasen zu 1Tim vor 1690 konnte nicht ermittelt werden. 64 Catechismus: auß gottlichem Wort und Schriften Lutheri einfältig erklärt […] Für die Christlichen Gemeinen zu Quedlinburg gestellet Vom Ministerio daselbst, Quedlinburg: Ockel, [1642]. 65 Spener, Einfältige Erklärung, S. a3v [recte wohl: b3v]. 66 Im Sinne von „erst vor kurzem“ oder „kurz vorher“ (DWB 13, 674). 67 Weder der Prediger noch sein Wirkungsort konnten ermittelt werden. Nr. 107 an [einen Geistlichen?] 15. 12. 1690 485 das ansehen gewinnen möchte, ob nehme er sich durch dergleichen besu- chungen, da sie ofters vorgenommen würden, einen theil des lehramts an dem ort, welcher seine ordinari lehrer hat, davon dero klagen über solchen eingrif einen starcken schein haben würden. Daher solches also einzurichten, 210 daß diesen nicht zu viel gelegenheit, sich zu beschwehren, gegeben werde, in dem sonsten die hieraus mit dem übrigen Ministerio entstehende mißhellig- keiten und unruhe leicht mehr ärgernüß und schaden verursachen möchte, als erbauung und nutzen von solchen zusprüchen Christlich zu hofen wäre. Insgesamt aber bleibet dieses wol die regel, wie in den dingen, welche, und so 215 fern sie als nothwendig von GOtt erfordert werden, um des vorwands des daher nehmenden ärgernüsses willen, nichts zu unterlassen ist, so hats doch etwas eine andere bewandnüß mit den dingen, die nicht bloß nothwendig sind und da, was davon zu hofen, zur noth auch noch auf andere wege sich ersetzen lässet, nemlich daß man darüber, um andern nicht eine gelegenheit 220 zum ärgernüß, so uns und viel andere verunruhigen und an anderem guten hindern möchte, zu geben, sich zu weilen auch dessen zu entschlagen oder es doch zu mäßigen hat, worvon man sonsten, wo jene sorge und gefahr nicht wäre, gute erbauung hofen könte. Welches ich der regel der liebe und Christ- lichen klugheit allerdings gemäß zu seyn erachte: insgesamt aber das elend 225 unserer zeit beseuftze, in dero man bey dem guten, ob mans thun dörfe und wie mans, um nicht anzustossen, anzugreifen habe, vielmehr bedenckens haben muß, als die böse nicht bedörfen, wo sie, böses zu thun, sich vor- nehmen. Ach, der HErr sehe von himmel darein, erhöre die deswegen zu ihm auf­ 230 steigende seuftzer und schafe endlich eine solche hüfe68, daß man getrost lehren, und das gelehrte practiciren möge: in dessen gebe er uns gedult, der hülfe zu erwarten, und weißheit, uns in die zeit zu schicken69. 1690. 15. Dec[ember].

214 solchen ] solchem: D1. ​231 hülfe ] hüfe: D3.

68 Vgl. Ps 12,6. 69 Vgl. Röm 12,11; Eph 5,16. 486 Briefe des Jahres 1690 108. An Johann Christoph Bilefeld in Delitzsch1 Dresden, 17. Dezember 1690

Inhalt Bedankt sich für die Übersendung der Dissertation Bilefelds und freut sich, diesen als Mitkämpfer für das Reich Gottes kennengelernt zu haben. – Wünscht ihm den göttlichen Segen für die durch den erlangten Doktorgrad erweiterten Möglichkeiten, die Erkenntnis Gottes unter den Menschen zu fördern. – Hat sich über das in der Dissertation behandelte Thema gefreut und ist überzeugt davon, daß der Kirche geholfen sei, wenn mehr Geistliche erkennen, daß die Er- leuchtung durch den Heiligen Geist über die reine Buchstabenerkenntnis hinaus für den wahren Glauben nötig ist. – Ist entschlossen, [Daniel] Hartnack nicht noch einmal zu antworten, und hat gehört, daß dieser von anderen zum Streit angestachelt werde. – Traut dem geschlossenen Frieden im Hamburger Predigerministerium nicht, weil er nur äußerlich ist; befürchtet weitere Mißhelligkeiten gegen [Johann Heinrich] Horb und sich selbst. – Berichtet von seiner Mahnung an [Johann Wilhelm] Petersen, seine neu gewonnenen Erkenntnisse nicht öfentlich vorzutragen, sondern sich auf die Verkündigung von Rechtfertigung und Heiligung zu beschränken; lobt dessen rechtschafenen Ernst. – Reagiert auf die Klage Bilefelds, Prediger würden daran gehin- dert, sich um die Erbauung der Gemeinde zu sorgen, und wirbt dafür, geduldig zu bleiben und nicht dadurch Anstoß zu erregen, daß zur Förderung der Erbauung zwar nützliche, aber nicht notwendige Dinge verkündigt und Handlungen vorgenommen werden. Überlieferung A: Hamburg, SUB, Sup. ep. 4, 26, Bl. 5r–8v. D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 682–684 (Z. 18– 83. 102–125).

Von unsrem Himmlischen Adventskönig JESU CHRISTO göttliche gnade, friede, heil, leben und segen! HochEhrwürdig, Großachtbar und hochgelehrter. Insonders Hochgeehrter Herr und in dem Herrn wehrter Bruder.

5 Wie vorhin die anderwerts her geschehene nachricht der gesegneten ver- richtung und zurückkunft2, also das eigne liebe handschreiben3 und über- sandte disputation4 haben mich hertzlich erfreuet und vergnüget, nachdem solches alles mich mehr und mehr versichert, an demselben einen recht treuen und zuverläßigen freund, bruder und mitbeforderer des reichs Gottes 10 zu dieser zeit, da sonsten deroselben zahl je länger je mehr nahe zusammen

1 Johann Christoph Bilefeld, Pastor primarius in Delitzsch (s. Brief Nr. 72 Anm. 1). 2 Die Rückkehr von Bilefelds Reise nach Kiel, wo er von Heinrich Opitz promoviert worden war (s. Anm. 4); Spener hatte es unterstützt, Kiel anstelle von Leipzig zu wählen (s. Brief Nr. 72, Z. 88 f). 3 Nicht überliefert. Es handelt sich wohl um die Antwort auf Speners Brief vom 28. 7. 1690 (= Nr. 72). 4 J. C. Bielefeld, Theologia pia unice vera, Quam Cum Paulo ad Titum I,1 aßerit […] Praeside Viro Maxime Reverendo ac Celeberrimo Dn. Henrico Opitio […] Pro obtinendo Gradu ac Privilegiis Doctoris Theologi [sic!], Kiel: J. Reumann 1690 (es sind zwei unterschiedliche Drucke bekannt). Eine weitere Aufage wurde später besorgt: Halle: Henckel 1710. Nr. 108 an Johann Christoph Bilefeld 17. 12. 1690 487 gehet, zu wißen, mit dem ich mich allerdings vereinigen könne. Daher wie ich solches vor die größste wolthat erkenne, die uns der Himmlische vater erzeiget, da er uns sehen läßet, daß sein reich mehr und mehr durchbricht und also sein nahme immer weiter verherrlichet wird, welches freylich uns eine großere freude sein solte, als was uns in eigener person betrift, also dancke 15 ich billich seiner ewigen güte, so oft alß er mich durch dergleichen zeugnus erfreuet werden leßet. Dieses mahl preise ich aber auch dieselbe vor die demselben erzeigte gött- liche gnade, daß nach gesegnetem schluß der in seinem beystand wolgeführ- ten academischen studien nunmehr auch die gebührende würde durch dero 20 gütige verfügung ertheilet worden, sie demütigst anfehende, dieselbe auch dahin zu richten, daß die verliehene gaben durch dieses ofentliche zeugnus und ehrentitul zu soviel mehrerem nutzen mögen tüchtig gemachet werden, nachdem wir zu einer solchen zeit leben, da um der menschen willen, die, auf das eußerliche zu sehen, sehr gewohnt, wir auch nicht alles das jenige, 25 was dergleichen eußerliches ist, verachten dörfen, sondern es nur zu seiner rechten frucht und zweck zu richten haben. Es laße also der Himmlische Doctor des gantzen menschlichen geschlechts, Christus Jesus, denselben einen solchen doctor sein und lange zeit bleiben, der, was er von ihm in seines geistes liecht gelernet, in seiner kraft auch andere mit nachtruck u. frucht 30 lehre; er gebe immer mehr hellen schein in deßen hertz, daß durch ihn und das in ihn gelegte liecht in viel tausend seelen entstehe die erleuchtung von der erkantnus der klahrheit Gottes in dem angesicht Jesu Christi. Die disputation hat mir sehr wol gefallen, so wol wegen der materie selbs alß dero würdigen außführung. Der HERR laße sie auch einen guten saamen 35 sein, der eine schöne saat und endlich reife ernde erwachsen mache bey ihrer vielen5. Und bin ich gewiß, wo diese wahrheit, welche darinnen auß Gottes wort kräftig behauptet wird, in viele hertzen tief eintringen solte, so würde bald unsrem so genanten geistlichen stand, durch deßen beßerung aber auch in kurtzem der gantzen wahren kirchen kräftiglich gerathen werden6; da hin- 40 gegen jetzt, wie bey den zuhörern7 dieses eine ursach ist des verderbens, daß sie die bloße buchstäbliche erkantnus vor den wahren glauben halten und darauß selig werden wollen, also dieser irrthum und mißbrauch großen theils auch darauß entstehet, daß soviele prediger das liecht des H[eiligen] Geistes so wenig achten, daß sie kaum daran gedencken, noch ihnen dasselbige nötig 45 zu sein glauben und also, wie sie fast allein auß dem natürlichen liecht gött-

18 Dieses ] [Beginn Abdruck: D]. 18 aber ] – D. 18 dieselbe ] göttliche güte: D. ​ 18 f göttliche ] – D. 20 /studien/ : . 21 gütige ] gütigen: D1. ​35 dero ] der: D. ​ 39 /geistlichen/. 40 kurtzem ] kurtzen: D. 44 /soviele/ : . 46 /fast/.

5 Vgl. Mt 13,3–8. 6 Spener hatte schon 1675 in den Pia Desideria die Besserung der Kirche vorzugsweise mit der Besserung des geistlichen Standes in Verbindung gebracht. 7 Die Gemeinde, die den Predigten und Lehren der Geistlichen zuhört. 488 Briefe des Jahres 1690

liche dinge handlen, sie weder recht selbs in eigner erfahrung verstehen, noch andern mit gnugsamem grunde beyzubringen vermögen8. Nun, Gott wird sich seiner kirchen in der that erbarmen und sein liecht auß der fnsternus9 50 und in die fnsternus wider heller hervorscheinen und durchleuchten laßen, ob zwahr vielleicht mit vorhergehender starcker widersetzung der fnsternus, so aber die oberhand nicht allezeit behalten muß. Was anlangt meinen widersacher Hartnacken10, habe deßen bogen gese- hen11, werde aber weder denselben, noch, so er noch etwas weiters herauß- 55 geben solte, würdigen, ferner eine feder dargegen anzusetzen, wie ich bey dem vorigen scripto12 nötig erachtet13, nachdem die damaligen anklagen giftiger und doch scheinbarer14 gewesen sind, alß daß sie mit bloßer ver- achtung hätte können abweisen. Ich habe Gott mehrere jahr vor seine seele ernstlich gebeten, so zu thun, auch noch nicht underlaße, ob wol leider fnde, 60 noch zur zeit wenig vor ihn erhalten zu haben, wie es dann eine schwehre sach ist, ein solches gemüth zu erweichen. Daß andere hinder ihm gesteckt und ihn animiret haben, hat er dem H. Gen[eral]Superint[endenten] Sandha- gen15, alß ihm solcher vorhaltung thun mußte, bekannt. Vielleicht sind aber auch einige, welche ihn mehr zurück halten können u. sollen und solches, ob 65 sie wol wollen deßen schein haben, nicht mit aufrichtiger liebe gethan. Der HERR hat mich manches laßen erfahren, daß nicht alles gold ist, was gleißet16, noch redlichkeit, was man davor vorgibet; er gibt mir aber auch die gnade, daß ich mich solches nicht laße befremden, sondern mich erinnere, was David längst gesprochen, Ps. 118, 8.917, weßen wir uns zu versehen haben.

48 gnugsamem ] gnugsamen: D. ​ 53 Hartnacken ] N. N.: D. ​ 55 solte ] + . ​ 55 /feder/ : <..?>. 62 f dem H. Gen[eral]Superint[endenten] Sandhagen ] N. N.: D. 65 sie ] + . 69 längst ] längsten: D.

8 Bilefeld betont in seiner Dissertation die Notwendigkeit der durch den Heiligen Geist er- leuchteten Vernunft beim Verstehen der Bibel. Spener hatte im ersten „pietistischen Streit“, der Kontroverse mit Johann Conrad Dilfeld, eben dieses betont (s. J. Wallmann, Spener und Dilfeld. Der Hintergrund des ersten pietistischen Streites, in: Wallmann, Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock, 197–219). 9 2Kor 4,6. 10 Daniel Hartnack, Rektor in Schleswig (s. Brief Nr. 20 Anm. 1). 11 D. Hartnack, Vertheidigung Derer Weder zur Ungebühr noch ungleich beygebrachten Allegaten à pag. 200 usque ad fn[em]: wider eine Neulichst alhie angelangte Schrift […], Altona 1690 (Grünberg Nr. 426; vgl. auch Moller 2, 304 f). 12 D. Hartnack, Anweisender Bibliothecarius Der Studirenden Jugend (s. Brief Nr. 45 Anm. 36). 13 Spener, Rettung. 14 Sichtbarer, deutlicher erkennbar (DWB 14, 2434). 15 Caspar Hermann Sandhagen, Generalsuperintendent in Gottorf (s. Brief Nr. 51 Anm. 18). Von dem Briefkontakt zwischen ihm und Spener in diesem Jahr, der auch in Brief Nr. 81, Z. 149 f, bezeugt ist, ist nichts überliefert. 16 Sprichwörtlich (Wander 1, 1789 Nr. 47). 17 Ps 118,8 f (Luther 1545: „Es ist gut, auf den HERRN zu vertrauen, und nicht sich verlassen auf Menschen. Es ist gut auf den HERRN vertrauen und nicht sich verlassen auf Fürsten“). Nr. 108 an Johann Christoph Bilefeld 17. 12. 1690 489

In Hamburg ist mir lieb, daß die irrungen in dem ministerio sich zimlich 70 geleget haben18, ob zwahr nicht weiß, ob zu hofen, daß under leuten, die in der that nicht alle einen zweck wahrhaftig haben, vermöge eine rechte be- ständige einigkeit immer erhalten zu werden. Indeßen ist doch gut, wann es noch eußerlich zusammenhelt und das ärgernus der ofentlichen trennung nicht noch schwehrer wird, wiewol doch sorge, daß einmahl die jenige, so 75 nicht rechtschafen vor Gott sind, andere, welchen es um diesen lauterlich zu thun ist, wider ihren danck an vielen orten außstoßen und, da man sich von ihnen nicht trennen will, sich selbs trennen werden. Von einigen guten freunden an solchem ort hätte in etlichen stücken mehrere vorsichtigkeit gewünschet; es ist aber der nahme des friedens bey den Christlichen gemü- 80 thern so werth u. angenehm, daß man vor denselben zuweilen andere miß- liche dinge, so von andern darunder verborgen werden, nicht gnugsam sihet oder erkennet. Mein Schwager, H. Horbius19, ist noch nicht auß seiner un- gelegenheit, noch auch ich sicher vor dem angrif 20. Was zwahr dieses anlangt, habe mich in gerechter sache nicht zu fürchten, so sind die personen auch 85 nicht darnach, indeßen ist mir doch leid, wo mit ofentlichen streitschriften unsre arme kirche verunruhigt und den feinden eine freude gemachet wird. Was H. D. Petersen21 anlangt, habe ihm wol manchmal angelegen, wo ihm Gott, wie er davor helt, weitere wahrheiten, alß wir übrige noch nicht er- kennen könten, zu erkennen gegeben hätte, daß er doch damit an sich halten 90 und derjenigen, die sie nicht zu begreifen vermögen, mit derselben vortrag, der kirche aber mit denen darauß entstehenden unruhen schohnen sollte22. Ach, laßet uns den articul der rechtfertigung u. heiligung, daran unser gantzes Christenthum liget, immerfort den leuten einpredigen, damit werden wir was außrichten, und wer darinnen seinem Gott wird getreu erfunden werden, 95 dem solle es nicht manglen an dem, was er ihm weiter nötig fndet. Indeßen liebe ich den Mann von grund der seelen und weiß, daß es ihm ein recht-

70 In Hamburg ] Es: D. ​ 70 ministerio ] + N.: D. ​ 70 zimlich ] wieder: D. ​ 73 /immer/. ​ 73 /es/. ​ 74 /ofentlichen/. ​ 76 /lauter/lich : lich. ​ 77 /an vielen orten/. ​ 80 /bey/ : . 83 erkennet ] Ende Abdruck: D].

18 Die Auseinandersetzungen um den „Religionseid“, den zu unterschreiben der Senior von den Geistlichen in Hamburg gefordert hatte (s. Brief Nr. 32 Anm. 3). 19 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 20 Zu der Annahme, man wolle mit dem Widerstand gegen die Hamburger Freunde Speners eigentlich diesen trefen, s. schon im Brief Hermann von der Hardts an Spener vom 20. 2. 1689 (LB Karlsruhe, K 325, Bl. 87r). – Am 7. 11. 1690 schreibt Johann Winckler an Spener, das Hamburger Predigerministerium habe den Streit um den Religionseid beigelegt, aber Johann Friedrich Mayer wolle eine Erwiderung auf Speners Gutachten verfassen (Winckler an Spener am 11. 10. 1690; AFSt, Halle a.S., D 66, Bl. 89r). – Zu dem Vorwurf, Spener sei der Vater der Unruhe, äußert sich auch Adam Rechenberg in seinem Schreiben an Johann Christoph Bilefeld vom 6. 12. 1690 und weist diesen zurück (SUB Hamburg, sup.ep. 4° 16, Bl. 30). 21 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 22 S. Brief Nr. 26, Z. 14–16 (s. dort weitere Hinweise in Anm. 7). 490 Briefe des Jahres 1690

schafener ernst, daher ich nachmal mit einem u. andern an ihm, gedult ge- tragen zu werden, billich u. nötig halte. Der Herr zeige uns in allen stücken 100 seinen willen an uns und andere, denselben ohne eigenen willen zu erkennen und zu thun, so er auch nach seiner treue thun wird. Was zuletzt angefüget wird, wie man gleichsam einem lehrer thür u. thor zu der erbauung sperre23, ist freylich wahr u. eines der betrübtesten stücke des elends unsrer zeit; laßt uns aber versichert sein, Gott übe damit unsern glau- 105 ben, gedult und demuth24, auch verleugnung unsres eigenen willens, hingegen werde er nicht mehr von uns erfordern, alß er uns vermögen25 gegeben hat. Es will uns also obligen, unsre gedult hierinnen auch zu zeigen und uns in die zeit so fern zu schicken26, daß wir nichts deßen underlaßen, was bloßerdings zu der seelen heil erfordert wird, da wir dann eher alles ungewitter auf uns 110 außbrechen laßen müßen, alß darinnen zu weichen, hingegen in denjenigen dingen und gewißen übungen, dero gebrauch uns zwahr sehr nutzlich zu sein vorkommt, und wir die freyheit dazu gern auf alle mügliche weise erkaufen wolten, die aber nicht bloßerdings nothwendig sind, der unglückseligkeit unsrer zeit und der ruhe der kirche, dero verunruhigung gemeiniglich mehr 115 schaden thun kan, alß sonsten die verhofte erbauung nutzen schafen möch- te27, soviel nachgeben, daß wir die dinge, dazu wir von denen, welche vor- nehmlich mit darzu zu reden haben, die erlaubnus nicht erlangen können, solang nachlaßen und, was wir dardurch suchen, auf andere uns noch freyge- laßene wege, obs uns schon mehr mühe gibet und wir auf die andere weise 120 mehr außzurichten hofen, zu ersetzen uns nach müglichkeit bemühen: In- deßen zu dem HERRN seuftzen und, mit sehnlichem verlangen zu bitten, nicht aufhören, daß er endlich die hülfe verschafe28, daß man getrost lehren und, was seine ehre erfordert, ohne soviele hindernus und zurückhalten auß- richten möge! Welches er gewiß noch (zeit und art bleibt ihm heimgestellet) 125 thun wird, so wahr er Gott ist. Amen. In deßen Heilige obhut u. segen schließlich von grund der seelen emp- fehlende verbleibe

99 uns < und. 102 Was ] [Beginn Abdruck: D]. 104 unsern ] unserm: D1. ​110 denjenigen ] demjenigen: D1. ​125 Amen ] [Ende Abdruck: D].

23 Vermutlich hatte Bilefeld über das Konventikelverbot und andere Einschränkungen der Wirksamkeit der Leipziger Pietisten, mit denen er selbst in Verbindung stand (Leube, Pietistische Bewegung, 20 f), geschrieben. 24 Vgl. Kol 3,12. 25 Vgl. 1Kor 10,13. 26 Vgl. Röm 12,11; Eph 5,16. 27 Spener meint hier vermutlich das von ihm selbst mit unterzeichnete Konventikelverbot vom 30. 3. 1690 (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 28 Vgl. Ps 12,6. Nr. 108 an Johann Christoph Bilefeld 17. 12. 1690 491

E. HochEhrw. zu gebet und liebediensten [sic!] schuldigwilliger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. 130 Dreßden, den 17. Dec[ember] 1690. Dem HochEhrwürdigen, Großachtbar und Hochgelehrten, Herrn Johann Christoph Bilefelden, der H. Schrift Doctori, auch Pastor. primar. und der Delitzischen Superintendenz treufeißigem Adjuncto, meinem Hochgeehrten Herrn und in dem Herrn geliebten Brudern. 135 492 Briefe des Jahres 1690 109. An Gottfried Wilhelm Leibniz in Hannover1 Dresden, 21. Dezember 1690

Inhalt Freut sich über Leibniz’ wohlbehaltene Rückkehr von der erfolgreichen Italienreise und bespricht neue Erkenntnisse über älteste genealogische Informationen zum Welfenhaus. – Lobt die fran- zösischen Genealogen, die sich in ihren Veröfentlichungen nicht auf ungesicherte Traditionen stützen, sondern zuverlässige Quellen anführen. – Freut sich, daß seine Einschätzung über [Mi- guel de] Molinos und die Quietisten durch [Gilbert] Burnets Bücher bestätigt wird; glaubt, daß die angebliche Unordnung, die durch die mystische Theologie erregt werde, nur ein Vorwand war, gegen Molinos vorzugehen, der den Weg zu einer grundlegenden Reform der katholischen Kirche bahnte, indem er auf die innere Frömmigkeit hinwies, um so die Fundamente der rö- misch-katholischen Einrichtungen zu untergraben; die mystischen Ideen seien bisher geduldet oder sogar gelobt worden, sie (allein) hätten nicht dazu geführt, die Autorität und das feste Vertrauen auf die kirchlichen Ordnungen zu untergraben; vermutet hinter dem Widerstand die Macht der Jesuiten, die keine andere als die eigenen Meinungen zulassen; aus dem, was ihm aus dem Buch von Molinos bekannt ist, entnimmt er, daß dessen Art der Meditation zum Handeln führt; dies wird durch das Gegenwerk [Paolo] Segneris bestätigt; wünschte sich größeren Einfuß der Quietisten in der römisch-katholischen Kirche, durch den das aus äußerer Pracht bestehende Gebäude zum Einsturz gebracht werden könne; empfehlt alles Gott an. – Bedankt sich für die Unterstützung, die Leibniz Speners Sohn [Johann Jakob] hat zuteil werden lassen und noch wei- terhin anbietet. – Läßt Minister in Hannover grüßen. Überlieferung A: Hannover, LB, LBr 883, Bl. 63–66.2 D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 1, Frankfurt a. M. 1709, S. 168–169 (Z. 32–74).3

Gratiam, pacem et quicquid JESUS noster caelitus detulit! Vir Nobilissime et Excellentissime, Domine et Fautor Honoratissime. Non vestrum modo ex Italia felicem reditum, sed et itineris in indagandis monumentis historicis successum prosperum laetus ex epistola, quae ad manus 5 meas nupera aestate delata est4, cognovi. Gratulor publico, inprimis vero Principum vestrorum domui Serenissimae, de huius origine et Germanici

1 Gottfried Wilhelm Leibniz (1. 7. 1646–14. 11. 1716), Jurist, Politiker, Philosoph der Frühauf- klärung. Seit 1669/70 bestand ein Briefwechsel zwischen Leibniz und Spener (zum Beginn ihrer Bekanntschaft s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 38, Z. 21–29; E. C. Hirsch, Der berühmte Herr Leibniz. Eine Biographie, München 2000 [32007]; weitere Literaturangaben s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 82 Anm. 1). 2 Der Brief wurde mehrfach ediert: H. Lehmann, Gottfried Wilhelm Leibniz im Briefwechsel mit Philipp Jacob Spener von 1686 bis 1700, JBrKG 14, 1916, 146–148; Deutsche Rundschau 184, 1920, 364–367 (deutsche Übersetzung); Leibniz, Akademieausgabe I.5, Nr. 163. 3 Falsches Datum in: D: 12. 12. 1690. 4 Der Brief von Leibniz an Spener vom Ende Juni 1690 (Leibniz, Akad.-Ausg., I.6 Nr. 346). Nr. 109 an Gottfried Wilhelm Leibniz 21. 12. 1690 493 cum Italico rami connexione luci clariori exposita5. Si ultra Hugonem ascen- dere licuisset6, potuisset forte de aliarum stirpium cognatione statui, sed suf- ficiat eousque rem plane redegisse ad liquidum, cum, qui hactenus scripserant, plerumque plus traditioni (cui veritas raro comes est) quam indubiis docu- 10 mentis debuerint: quod vitium genealogiarum nostrarum fere commune est, nec semel a me notatum, cum tamen, quo corrigerem, in mea vel etiam plurium manu non sit positum. Unde non diffiteor, cum Francicam nobilita- tem nostrae alioqui nullo iure praeferrem, non tamen me potuisse non lauda- re scriptorum vel historicorum Francicorum ἀκρίβειαν7, qui stirpis texentes 15 genealogiam pudori sibi ducunt, singulos gradus certis documentis non pro- basse vel saltem coniecturas talibus statuminasse rationibus, quae a certitudine propius absint: cum nostrae hactenus prodire solitae sint, sine probationibus, et vix alia quam scribentium fide quoad maximam partem subnixae. Haud ambigo vero, Tua cura, si exemplum in vestra familia Celsissima statueretur, 20 edita eius deductione tali, quae solis indubiis niteretur fundamentis, alias, quod imitarentur, habituras, aemulatione veritatis indagationi studios[i]ori omnino proficua. Memini Aspermontios, quorum nunc in Reckheimio ramo successio haeret8, ad Atestinos9 suam quoque retulisse originem, cuius schema impres- sum10 ad me missum est: forte tamen haud aeque facile futurum, deductioni, 25 ut plena fieret, fides. Me quod concernit, a pluribus iam annis studia ista, delicias quondam meas, non e manibus solum deponere, sed etiam ex animo dimittere iussere11, quae me alio vocant curae, unde rarius vel cogitatione aliqua ad ea redire licet: qua

16 /non/. 22 habituras < habituros. 22 studios[i]ori: cj ] studiosori: A.

5 Zu den Bemühungen von Leibniz, nähere Informationen über die Herkunft der Braun- schweiger Herzöge zu erhalten, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 42, Z. 16–18. 6 Vielleicht Hugo Markgraf von Tuszin, der von den zeitgenössischen Genealogen als Vater von Azzo von Este identifziert wurde, der seinerseits als Stammvater des jüngeren Welfenhauses galt (zu Azzo: Philipp Julius Rehtmeier, Braunschweig=Lüneburg​ ische Chronica, Braunschweig: Detlefsen 1722, S. 6; zu „Hugo von Toscana und Meiland“, aaO, S. 10) (H. Eckert, Gottfried Wilhelm Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium. Entstehung und historiographische Bedeu- tung, Frankfurt a. M. 1971, 12). 7 Sorgfalt. 8 Das Grafenhaus Aspremont-Lynden, dessen Besitzungen ursprünglich in Lothringen in der Nähe von Metz lagen; 1556 wurde die Herrschaft Reckheim (in der Nähe von Mastricht) gekauft, 1632 wurde sie von Kaiser Ferdinand II. zur Grafschaft mit Sitz‑ und Stimmrecht im westfälischen Grafenkollegium erhoben (Genealogisches Staats-Handbuch, 66. Jahrgang, Frank- furt a. M. 1835, 383–385). 9 Zur Adelsfamilie Este s. Zedler 8, 1972–1980 und L. Chiappini, Gli Estensi. Mille anni di storia, Ferrara 2001. – Zum Interesse Leibniz’ an dieser Familie im Zusammenhang seiner genealogischen Forschungen zum Welfenhaus s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 42 Anm. 9. 10 Vermutlich: Johannes Holtacker, Compendium historicum genalogicum, das ist: Kurtze Beschreibung […] des Aspermontischen Hauses, o. O. 1680. 11 Zu Speners Entschluß, sich aus Zeitmangel zukünftig nicht mehr mit genealogischen Ar- beiten zu beschäftigen, s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 46, Z. 59–72, und Bd. 3, Brief Nr. 42, Z. 11–15. 494 Briefe des Jahres 1690

30 causa etiam quae in scriniis fuerant chartae hactenus aliis commisi, si in illis reperirent, quod scire aliorum interesset. De Molinosio12 perplacuit celeb[erimi] Burneti relatio13, ex qua in senten- tia mea confirmari visus sum, aliam condemnationis αἰτίαν14, aliam fuisse πρόφασιν15: cum enim excessus vel ἀταξίαι16 in Mystica Theologia hanc 35 constituerent illam pressam esse: nimirum quod apparuerit virum perspica- cem, cum talia animo concepisset, quae universam religionem Pontificiam17 in alium redigerent ordinem, cui operi nec ipse nec tempus angustum suffi- ceret, callido consilio viam tantum sternere voluisse reformationi maximi momenti, subrutis paulatim Papaeae οἰκονομίας18 fundamentis praecipuis

32 De ] [Beginn Abruck D].

12 Miguel de Molinos (29. 6. 1628–28. 12. 1696), geistiger Vater und Hauptvertreter des Quietismus; geb. in Muniesa in der spanischen Provinz Teruel, Kleriker in Valencia, wo er am Jesuitenkolleg studierte, 1663 Reise nach Rom, dort 1675 Veröfentlichung des Buches „Guida spirituale“ (s. Anm. 20), 1685 Festnahme und am 3. 9. 1687 Verurteilung durch die katholische Inquisition zur öfentlichen Abschwörung und lebenslanger Haft (TRE 23, 203–205; M. Rod- riguez, El pensiamento de Molinos, Madrid 1992; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 137 Anm. 15, und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 41 Anm. 23). – Zu Speners Stellung zu Molinos s. vom Orde, Quietismus, 106–118. 13 Gilbert Burnet, Three letters concerning the present state of Italy: I. Relating the afair of Molinos, and the Quietists […] being a supplement to Dr. Burnet’s letters, o. O. 1688. Die deutsche Übersetzung: G. Burnet, Die eigentliche Beschreibung Des gegenwärtigen Zustandes in Italien/ Insonderheit vom Anfang und Fortgang des Quietismi und Lebenslaufes des Molinos […], zu vollständiger Ausführung der Reise=​Beschreibung des englischen Theologi […] Gilberti Burnets […]/. Jetzo aber aus dem Frantzösischen theils auch Italiänischen ins Teutsche übersetzet von M[agister] J[ohann] G[eorg] P[ritius], Leipzig: Gleditsch 1688. Schon vorher hatte er ver- öfentlicht: Dr. Burnet’s travels: or letters containing an account of what seemed most remarkable in Switzerland, Italy, France, and , etc., Amsterdam1687 (zu Molinos: 2. Buch, S. 14–16); die deutsche Übersetzung lautet: Des berühmten Englischen Theologi, D. Gilberti Burnets, Durch die Schweitz, Italien […] im 1685. und 86. Jahre gethane Reise, Und derselben Curieuse Beschreibung, Worinnen enthalten […] insonderheit Eine nützliche Erzehlung des Ursprungs und Fortgangs der neuen Secte der Quietisten […], anfänglich in Englisch= nachgehends Fran­ tzösisch= jetzo aber wegen seiner Würde in deutscher Sprache beschrieben, Leipzig: Gleditzsch 1687 (Weiteres dazu s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 44 Anm. 7). Spener konnte kein Englisch und mußte sich auf die französische, italienische oder deutsche Übersetzung verlassen. – Gilbert Burnet (15. 9. 1643–17. 3. 1715); geb. in Edinburgh, nach dem Studium und Reisen nach Holland und Frankreich, wo er mit Vertretern anderer Konfession zusammentraf, 1664 Pfarrer in Saltoun, East Lothian, 1669 Professor in Glasgow, wo er die interdenominationalen Vermittlungsversuche des dortigen Erzbischofs Robert Leighton unterstützte, 1675 Kaplan in London und Betätigung als kirchenhistorischer Schriftsteller, 1686 ausgedehnte Reise über den Kontinent, 1687 lebte er in den Haag, 1689 Bischof in Salisbury (TRE 7, 428 f; Th.E. S. Clarke, H. Foxcroft, A Life of Gilbert Burnet, London 1907). Spener könnte mit Burnet gesprochen haben, als dieser sich auf der Durchreise von der Schweiz nach Holland in Frankfurt aufhielt (s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 170, Z. 33–36, mit Anm. 10). 14 Ursache. 15 Vorwand, Anschein. 16 Unordnung. 17 Die römisch-katholische Konfession. 18 Ordnungen, Einrichtungen. Nr. 109 an Gottfried Wilhelm Leibniz 21. 12. 1690 495 mentibusque hominum ab aestimatione nimia exterioris cultus et opinione 40 operis, ut loquuntur, operati19 ad internam religionem sensim reductis: prae- videbat enim, hoc si succederet, ultro multa dimissum iri, quae nulla vi alioqui paterentur sibi homines extorqueri, exteriorum nimio adhuc amore fascinati. Sane, nisi tale quid deprehendissent iudices (quod etiam propalare non con- sultum fuit, ne aliis ansa praeberetur ista maiori solicitudine indagandi, quod 45 studium sine suo damno nunquam suscipi norunt), aegre adducor, ut credam propter aliquas circa contemplationem sententias novas tantos motus excita- turos illos fuisse, qui hactenus in mysticis pleraque eadem cum huius placitis vel laudaverant vel tolerant, imo universim circa res Ecclesiae, ut opinantur, autoritatem et fidem decretis firmatam non convellentes suis religiosis liber- 50 tatem non exiguam concedunt, ut licite alii ab aliis dissentiant, imo se invicem refellant. Si vero omnino illa de mystica Theologia controversia virum et sectatores evertit, nescio, an hoc etiam in argumentum trahere debeam poten- tiae Jesuitarum, qui nisi a sua societate proditam nullam novam sententiam invalescere ferunt, tanquam a se omne arbitrium sentiendi dependeret. 55 Quantum ego quidem Molinosii evolvi libellum20, licet non desint alia quo- que, in quibus an inter Mysticos, quos sequatur, habuerit, mihi non satis con- stat, credidi tamen praecipuum, quo a plerisque abit, illud fuisse dogma, a contemplatione, quae passiva solum est, ad meditationem, quae in agendo consistit, non iterum transeundum esse, cui thesi inprimis Segnerius21 ipso 60 titulo scriptum opposuit suum22. Quicquid vero de sensu ipso sit, et licet haud negari queat, Mysticae Theologiae non ab hoc solum, sed ab aliis etiam saepe immixta esse talia, a quibus puram servari decebat, si tamen mei res fuisset voti, optassem sectam illam Quietistarum23, isto si nomine hi dici debent, maxi-

44 Sane ] Satanae: D. 45 indagandi < inagandi. 48 /illos/. 48 f | hactenus … universim |. ​ 55 invalescere ] + . 61 ipso ] isto: D.

19 Opus operatum, scholastische Formel zur Wirksamkeit der Sakramente (s. Brief Nr. 64 Anm. 2). 20 Miguel de Molinos, Guía espiritual, 1675, kritisch hg. v. J. Ignacio Tellechea Idigoras, Madrid 1977 (TRE 23, 205; Näheres dazu s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 137 Anm. 18). – August Hermann Francke besorgte auf Veranlassung Speners eine lateinische Übersetzung: D. Michaelis De Molinos, Sacerdotis, Manuductio Spiritualis, Leipzig: Wächtler 1687, eine deutsche Überset- zung des „Guida spirituale“ wurde 1699 von Gottfried Arnold herausgegeben. – Spener besaß die italienische Ausgabe Venedig 1685 (BS 12°, 158 Nr. 259). 21 Paolo Segneri (21. 3. 1624–9. 12. 1694), italienischer Jesuit; geb. in Nettuno, 1653 Priester- weihe, vor allem tätig als Volksmissionar in der Toskana, 1692 Prediger am päpstlichen Hof (BBKL 9, 1320 f; LThK3 9, 399). 22 P. Segneri, Concordia tra la fatica e la quiete nell’ orazione, Florenz 1680 (Bologna 21681); der Jesuit Maximilian Rassler besorgte eine lateinische Übersetzung: Concordia laboris cum quiete in oratione, München 1706. 23 Die Anhänger von Molinos wurden Quietisten genannt (F. Nicolini, Il quietismo a Roma e in Italia, Neapel 1948; M. Petrocchi, Il quietismo italiano del Seicento, Rom 1948; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 22 Anm. 25). 496 Briefe des Jahres 1690

65 mam Papatus partem occupasse: hoc enim facto, magnam molem eorum corruituram fuisse certus sum, quae hactenus veritati purius agnoscendae in Ecclesia, pompis externis et cerimoniis praecipue delectari solita, obstiterant, unde sperari potuisset pro nobis, quod nunc non potest. Verum aliud cum fata voluerint, horum etiam sapientiam merito nostris antehabemus cogitationi- 70 bus, persuasi optimum esse, quod fieri voluit OPTIMUS: quamvis non desint, qui nescio, quam firmis rationibus existiment, ignem istum nondum extinc- tum, sed sub doloso cinere latitantem impetu aliquando novo erupturum, forte non pari facilitate restinguendum. Sed faciet DOMINUS, quod nomini suo gloriosum sapientissime intellexerit. 75 Filium quod concernit meum24, cum medico studio se consensu meo ap- plicuisset, inde rerum naturalium indagatione profundiori et Matheseos ali- quibus partibus capi ab annis aliquot coepit, ita ut medicinae cura minus tangi amplius videatur. Perspecta eius in has res ὁρμή25 naturali et aliqua apti- tudine studiorum illorum nonnulli periti monuere, ne retraherem in istas 80 unice pronum; unde hactenus indulsi, ut instinctum sequeretur, modo se pa- raret, qui aliquando DEO et proximo utiliter inserviret. Pro praestito ei, cum nuper Hannoveram transiret26, beneficio gratias merito ago maximas et illum etiam favorem praedico, quod Serenissimo vestro principi27 innotescendi commoditatem tua commendatione conciliare volueris, si in laboratorio ve- 85 stro aliquod temporis spatium certis operationibus dare animus esset. Agnosco talem hanc conditionem, quae nisi alia obstarent, omnino apprehendenda foret, vix tamen iuvenis res illud iam ferre existimo. Cum enim plures opinio- ne menses in itinere Belgico studiis eatenus sepositis exegerit, nuperrime redux necessitas ipsum urget iisdem iterum aliqua cum quiete incumbendi, 90 inprimis vero fidem programmate publico curiositatum naturalium studiosis datam liberandi eorumque expectationi diuturniori, quantum licet, satisfa- ciendi: inprimis quia non adeo longe abest terminus itineris, quod Illustris- simi Comitis Schwarzburgici sumtu28, nisi aliter DEUS disponat, inire debet adeoque, quicquid adhuc otii superest, illis iam impendere curis necesse habet, 95 quae quam domi nullibi rectius peragunter. Non aegre feres, Vir Excellentis-

65 /partem/. 65 magnam < magnum. 65 /molem/ : . 66 /fuisse/. 69 f cogitatio- nibus, ] + . 71 /istum/. 71 non/dum/. 74 intellexerit ] [Ende Abdruck: D]. ​ 78 videatur. 89 necessitas < necesse. 89 /ipsum urget/ . .

24 Johann Jakob Spener, ältester Sohn Speners (s. Brief Nr. 110 Anm. 1). 25 Andrang, hier: Drang. 26 J. J. Spener hatte auf seiner Studienreise nach Holland Leibniz in Hannover besucht; für den Fall, daß er auf der Rückreise wieder dorthin kommen sollte, lädt Leibniz ihn ein, eine zeitlang im fürstlichen Labor zu arbeiten (Leibniz an Spener am 13. 10. 1690; Leibniz, Akad.-Ausgabe, I.5 Nr. 124). 27 Herzog Ernst August von Braunschweig-Calenberg (20. 11. 1629–23. 1. 1698), ab 1692 Kurfüst von Braunschweig-Lüneburg („Kurhannover“) (ADB 6, 261–263; NDB 4, 608 f). 28 Graf Albert Anton von Schwarzburg-Rudolstadt (2. 3. 1641–15. 12. 1710), 1662 regierender Graf in Rudolstadt, Förderer der Wissenschaften (ADB 1, 205). Nr. 109 an Gottfried Wilhelm Leibniz 21. 12. 1690 497 sime, quod beneficio Tuo filius ista vice frui non potest, nec hanc ob causam aliquid favori, quo hactenus in eum Te ferri gavisus sum, decedere patiere. Vale publico bono et, si licet, Excellentiss[imis] et Perillustr[ibus] proceribus vestris Grootio29, Goerzio30, Buschio31 meae observantiae et pietatis interpres esse dignare. 100 Scrib. Dresdae, ipsa bruma[le] A. S.32 1690. Nobiliss. T. Exc. ad pia vota et ofcia addictissimus Philippus Jacobus Spenerus D. Mppria.

Dem HochEdeln, Vesten und Hochgelehrten Herrn Gottfried Wilhelm 105 Leibnitzen, Vortrefichem Jureconsulto und Hochfürstlich Braunschweig Lüneburgischen hochansehnlichem Rath. Meinem insonders großgönstigen Hochgeehrten Herren. Hannover.

97 /patiere/ : <…?>.

29 Freiherr Otto Grote zu Schauen (25. 12. 1636–5. 9. 1693) Geheimer und Kammerpräsident in Hannover; geb. in Sonderburg, nach dem Studium in Helmstedt und Leiden und einer euro- päischen Bildungsreise 1665 Geheimer und Kammerat in Hannover, 1679 Landdrost von Gruben- hagen, 1680 Vorsitzender des Kammerats in Hannover, 1683 Kammerrat ebd. Spener korrespon- dierte im Jahr 1683 mit diesem (s. Frankfurter Briefe, Bd. 6; ADB 9, 758–762; Wilhelm Rothert, A. Rothert, M. Peters [Hgg.], Hannoversche Biographie, Bd. 3, Hannover 1916, 141–152). 30 Friedrich Wilhelm Graf Schlitz genannt von Görtz (25. 4. 1647–26. 9. 1728); geb. in Schlitz, 1685 Braunschweig-Lüneburger Geheimer Rat, 1695 Kammerpräsident und 1703 Oberhofmar- schall in Hannover, 1684 bis 1699 Landschaftsgesandter an verschiedenen europäischen Höfen (J. R. Wolf, In fremden Diensten. Die Freiherren Johann [1644–1699] und Friedrich Wilhelm [1647–1728] von Schlitz gen. von Görtz, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF, Bd. 71, 2013, 99–130; L. von Lehsten, Die hessischen Reichstagsgesandten im 17. und 18. Jahrhundert, Bd. 2, Darmstadt und Marburg 2003, 490–494). 31 Albrecht Philipp von dem Bussche (1639–1698), Hannoverscher Geheimrat (Zedler, 4, 2007; NDB 3, 73). 32 Tag der Wintersonnenwende nach dem gregorianischen Kalender war der 21. 12. 498 Briefe des Jahres 1690 110. An Johann Jakob Spener in Leipzig1 Dresden, 22. Dezember 1690

Inhalt Dankt für die Aufistung und lobt Gott dafür, daß Johann Jakob auf seinen Reisen behütet blieb. – Beklagt sich über fehlende Nachrichten und zu wenige Informationen über die fnanzielle Situation des Sohnes. – Ermahnt ihn, nicht durch Nachtarbeit und übermäßige Anstrengungen seine Gesundheit zu schädigen, dagegen persönliche Frömmigkeitsübungen zu verrichten und den Gottesdienstbesuch nicht zu versäumen; die Dinge, die dem ewigen Leben dienen, sind aller Gelehrsamkeit und Weisheit vorzuziehen. – Beteuert, daß er keine Schuld daran hat, daß die durch Anordnung des Dresdner Oberkonsistoriums im Kurfürstentum erbetenen Kollekten für zwei holländische Kirchen und diejenige für Stolberg im Rheinland noch nicht abgeliefert sind. – [P. S.:] Fragt nach der Person, die bei der Verbrennung [Quirinus] Kuhlmanns in Moskau anwesend gewesen sein soll. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 168.

Mi fli. Fecisti, quod Tuarum erat partium, cum nuper itineris Tui ad me transmisisti ordinem2. Divinam benignitatem merito veneror, quae Te duxit reduxitve periculis, quae varia semper itinera solent comitari3, valide discussis et ange- 5 lico comitatu Tibi circumdato. Aegre vero tuli, si, quid in Tua potestate fuit, ut contraheres, quod in tot menses iter protractum est, saltem eius, ubi subinde degeres, certiores nos saepius reddere Te omnino decebat, ne toties per bene multum tempus de conditione Tua ambigere et solicitudine aliqua teneri fuisset necesse. Tum 10 molestum admodum mihi contigit, quod pro alio mutuo sumpta pecunia mercatorum me exposuisti importunitati, quod non fieri aut mature me de totius negotii ratione edoceri, ut haberem, quod mercatoribus reponerem, oportebat4. Disces vero hoc etiam exemplo mercari cautius, et amicorum desideriis non negabis operam et laborem, sed in procurando argento (extra

1 Johann Jakob Spener (1669–20. 1. 1692), ältester Sohn Speners; geb. in Frankfurt a. M., seit Anfang November 1686 Studium in Leipzig; er wohnte bei seinem Schwager Adam Rechenberg (DBA 201, 38 f; LP: Stolberg Nr. 2615; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 70 Anm. 1). 2 Spener meint wohl einen Bericht über Johann Jakobs Reise (zu dieser s. Anm. 3). 3 Die Bildungsreise, die Johann Jakob Spener seit dem Juni 1690 unternommen hatte und die ihn u. a. nach Hamburg (s. J. H. Horb an Spener; Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 35 und Nr. 37), zu Leibniz nach Hannover und nach Holland geführt hatte (s. auch Brief Nr. 109 Anm. 25). 4 Spener berichtet im Briefwechsel mit Adam Rechenberg, daß die Kaufeute Brummer ihm wieder geschrieben hätten, und wundert sich über die Gleichgültigkeit von Johann Jakob, der ihm nichts von dieser Angelegenheit geschrieben habe (Ad Rech 1, Bl. 365v [5. 12. 1690]); nach dem Brief vom 9. 12. 1690 [Ad Rech 1, Bl. 363r) scheint Johann Jakob für Freunde gebürgt zu haben (vgl. auch A. Rechenberg an Johann Christoph Bilefeld am 6. 12. 1690 [SUB Hamburg, sup.ep. 4° 16, Bl. 30r]). – Es gab in Leipzig eine angesehene Kaufmannsfamilie Brummer. Nr. 110 an Johann Jakob Spener 22. 12. 1690 499 casum charitatis erga egenos aut necessitatis extremae) pro aliis fidem tuam 15 non interpones, quam vides parentibus etiam facessere negotium. Caeterum restitutus studiis Tuis, ut promissorum liberes, quantum poteris, fidem, et in commilitonum usum, quae Dei gratia didicisti, fideli opera transferas, merito a Te peto. Ita tamen, ut valetudinis Tuae, cuius non semper, quae necessaria esset, 20 curam gerere diceris, rationem habeas, nec vigiliis aut laboribus nimiis pluri- bus annis destinatas vires intra pauciores prodigus consumas, quod sine offen- sa Dei, cui vitam debemus, fieri nequit. Addo hoc etiam, ut studiis Tuis tantum impendas temporis atque operae, quantum sufficit, nec vero pietatis exercitiis, lectioni, meditationi, precibus, cultui publico quicquam subtrahas, persuasus 25 pietatem eruditioni omnique scientiae longe praeferendam et ea, quae hanc vitam tantum iuvant vel ornant, neutiquam comparanda illis, ex quibus aeter- num nobis bene esse debet, adeoque eorum etiam curam in omnibus primam esse decet. Huius paterni moniti toties repetiti unquam Te oblivisci nolim, nisi aeternum poenitere velis. 30 Quae pro duabus Hollandicis Ecclesiis (cui tertia Stolbergensis5 prope Mosae6 traiectum accessit) colligi debet, stipem quod attinet7, velim, ut Vene- randus Colerus8 Te internuncio, et addito meo nomine, salute resciscat: iam a biennio eius collectionem Electorali autoritate9 a Protosynedrio10 omnibus Superintendentibus intimatam, sed ne quidem mediam horum partem adhuc 35 illam publicasse vel argentum collatum transmisisse, unde quod inter tres partiendum est, nisi omne argentum una sit, transmitti nequit. Causantur moniti numerum collectarum imperatarum tantum esse, ut non nisi cum tractu temporis expediri possint. Ultra annum rem duraturam facile praevidi, nunquam vero credidissem in tertium usque annum dilatum iri: Nec vero mea 40 aliqua intercedit culpa. In ipsa Lipsia vestra nondum publicata est, saltem nulla huc remissa summa. Ita habent, quod certo sperent Ecclesiae, sed mora opus est.

5 Stolberg im Rheinland. 6 Der Fluß Maas (Orbis latinus 2, 632). 7 Schon im Sommer 1688 hatte der Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Stolberg darum gebeten, eine Kollekte für seine arme Gemeinde durchführen zu lassen. Spener antwortete ihm am 14. 8. 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 83) mit dem Hinweis, nicht mit einer baldigen Erfüllung der Bitte rechnen zu können. Es handelt sich wohl um die gleiche Kollekte (s. Z. 31 f). – Zu Kollekten, die holländischen Kirchen zugedacht waren, ist nichts bekannt. 8 Johann(es) Coler (15. 1. 1647–19. 7. 1707), lutherischer Prediger in Amsterdam; geb. in Düsseldorf, nach dem Studium in Gießen und Straßburg 1671 Prediger in Mühlheim/Ruhr, 1679 in Weesp (Niederlande) und im gleichen Jahr in Amsterdam, 1693 in ’s-Gravenhage (s. J. H. Horb an Spener am 14. 3. 1693; Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 102, S. 270), wichtigster früher (kritischer) Biograph Spinozas (Biographisch woordenboek van protestantsche godgeleerden in Nederland, hg. von J. P. de Bie, Teil 2, ’s-Gravenhage 1919, 165–170, Nieuw Nederlandsch Biografsch Woordenboek, Amsterdam 1974, 7. Teil, 309 f. 9 Eine Kollekte im Kurfürstentum Sachsen (s. Anm. 7). 10 Das Dresdner Oberkonsistorium (s. Brief Nr. 6 Anm. 13). 500 Briefe des Jahres 1690

Vale et quod Tuarum est partium strenue age.

45 Dresdae, die 22. Decembr[is] anno 1690. P. S .: Si recte memini, praesens hic significasti, Te locutum esse homini, qui, cum Kuhlmannus combureretur11, rogo, astiterit: Hunc ut mihi nomines, velim.

11 Quirinus Kuhlmann (25. 2. 1651–4. 10. 1689), bedeutender Barocklyriker und religiöser Schwärmer; geb. in Breslau, nach dem Studium in Jena Aufenthalt in Leiden, wo er 1674 unter dem Einfluß der Schriften Jakob Böhmes eine Bekehrung zum religiösen Propheten vollzog, seitdem auf zahlreichen Reisen durch Europa um die Sammlung von Anhängern bemüht, schließ- lich in Moskau als Ketzer verbrannt (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 81 Anm. 31). Nr. 111 an Anna Elisabeth Kißner 30. 12. 1690 501 111. An Anna Elisabeth Kißner in Frankfurt a. M.1 Dresden, 30. Dezember 1690

Inhalt Wünscht nach überstandener Krankheit Gottes Kraft und Weisheit, die familiären Aufgaben nach dem Tod der Mutter gut zu verrichten. – Befürchtet, daß er in Streit mit den Gegnern der Frömmigkeit [in Hamburg] gezogen wird; vertraut darauf, daß die gute Sache am Ende siegreich bleibt. – Freut sich über die Ansätze zum Guten in Erfurt, vor allem über [August Hermann] Franckes Arbeit mit Kindern; es ist aber Widerstand zu befürchten. – Berichtet von den Ofenbarungen [Rosamunde Juliane] von der Asseburgs; kann keinen Betrug erkennen, will aber um größere Klarheit beten. – Beklagt, daß [Johann] Winckler seine Meinung in dem Hamburger Streit geändert hat. – Berichtet von den andauernden Schwierigkeiten [Johann Wilhelm] Petersens in Lüneburg. – Hat es nun akzeptiert, daß sein Sohn [Johann Jakob] sich lieber mit Naturwissenschaften und Mathematik als mit der Medizin befaßt. – Bedankt sich für die Nachricht über [Johann Gottfried?] Packbusch und weist eine Spende für die Witwe Ecclitius an. – Berichtet vom Fortgang der Verhandlungen zwischen dem brandenburgischen und dem sächsischen Kurfürsten über seine Berufung nach Berlin. – Grüße, auch von seiner Frau, an die ganze Familie Kißner. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 107, S. 396–411.

Jesum, unser wahres alles! In demselben hertzlich geliebte Schwester. Ich preise billich mit ihr unsern gütigsten Vater, der sie und ihr liebes hauß auch nach der seeligen lieben Mutter todt2 zu neuen proben dero gedult in zusendung unterschiedlicher Kranckheiten (davon nichts alß erst auf jüngste 5 unsere Jungfer Müllerin3 anzeige gewußt) geführet, in denselben kräftig bey- gestanden und sie alß der gütige und mächtige Gott aufs neue wiederum insgesamt aufgerichtet hat, also tödtet er und machet lebendig4, beides nach seiner ewigen gnade5. Er stärcke nun nicht allein die aufs neue wiederum beschehrte Kräfte mit abwendung auf viele zeit alles deßen, was denselben 10 widrig seyn möchte, sondern verleyhe auch seine gnade in seines Geistes

1 Anna Elisabeth Kißner, Arztwitwe in Frankfurt a. M. (s. Brief Nr. 11 Anm. 1). – Teilabdruck (Z. 39–41. 54–61. 82–102. 111 f. 120–125. 145–164. 174 f) in: Nebe, Dresdner Briefe, 298–300. 2 Anna Elisabeth Eberhard (s. Brief Nr. 11 Anm. 49), die am 30. 8. 1690 gestorben war (s. Brief Nr. 95, Z. 9). 3 Anna Sybilla Müller (s. Brief Nr. 11 Anm. 70). 4 Vgl. 1Sam 2,6. 5 Nach einem Brief Anna Elisabeth Kißners vom 17. 12. 1690 (Gräfiches Solms-Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII NO. 11, Bl. 40r–41v) an die Gräfn Benigna von Solms-Laubach war sie selbst krank gewesen; in der Familie habe es zwei Todesfälle gegeben (wer die zweite Person neben der Mutter war, ist nicht ermittelt). 502 Briefe des Jahres 1690

Kraft, dieselbige zu den Ehren Gottes nun wiederum ungehindert und mit Gottseeliger Sorgfalt anzuwenden und damit die abermal in solchen Schwachheiten gethane gelübde treulich zu bezahlen; daran und also der 15 stäten fortsetzung der an ihnen allen bißher so vielfältig erwiesenen güte er es auch gewißlich nicht ermanglen laßen wird. Sonderlich gebe er meiner werthen Schwester alß neuer Haußmutter doppelte Kraft, weißheit und gedult zu ertragung der Liebe Last und hingegen ihrem geliebten H. Bruder6 die erkanntnus seines willens in dem ehrlichen vorhaben, dieselbe in der that 20 zu wehlen, die ihm zu einer wahren gehülfn in seinem Rath verordnet ist; welche wahl freilich nicht in Menschlicher Klugheit wolgetrofen werden kann, sondern von ihm selbst, der das innere und das künftige einsiehet, re- gieret werden muß. Ob nun nicht sehe, daß sonsten meine Liebe auch in dieser Sache viel oder anders erweisen könnte, so ermangle gleichwohl nicht, 25 dem Herrn dieselbe treulich vorzutragen. Er wirds wohl machen7 und führen. Die Klage über die unbilligkeit derjenigen, welche die Christliche Erbau- ung aufgehoben wißen wollen, ist gerecht und wichtig, wird aber sorglich noch immer schwerer werden, hingegen das seuftzen der armen8 zu Gott so viel gewißer durchtringen. Wie es sich dann mehr und mehr zu einem hef- 30 tigen und ofenbahren kampf anläßet, da zwar streit in der Kirchen an sich selbst niemahls ohne ärgernuß zu seyn pfeget, aber dieser hofentlich wegen des aufs wenigste endlich erfolgenden herrlichen Sieges eine gelegenheit vieles guten seyn mag. Mich anlangend grauset mir so vielmehr davor, nach- dem ich sehe, daß, wo mich Gott noch in der Welt einige zeit laßen will, ein 35 großes theil des schwalls derjenigen, so sich dem guten wiedersetzen und ein neues Papstum unter uns, wo sie es vermögen, gern aufrichten wollen, auf mich loßbrechen wird. Sie weiß, daß ich frieden liebe und auch meine natür- liche art dahin mehr sich neiget, aber ich sehe schon vor mir, daß viele mich vornehmlich zu ihrem wiedersacher erwehlen, den sie in solcher Sache, die 40 allgemein ist, und ich nochmahl nicht als meine eigne laßen kann, anzugreif- fen Lust haben. Geliebte Schwester wird gehöret haben, wie unsere liebe freunde, H. Winckler9 und H. D. Hinckelmann10 den frieden mit dem mini- sterio in Hamburg gesucht und (Gott gebe zu ihrem und der Kirche nicht Schaden, sondern Nutzen!) erhalten haben11. Also liegts nunmehr fast alles

44 erhalten: cj ] erthalten.

6 Conrad Hieronymus Eberhard, Arzt in Frankfurt a. M., der sich nach einer geeigneten Frau umschaute (s. Brief Nr. 11, Z. 97–100, mit Anm. 50). 7 Ps 37,5. 8 Vgl. Ps 12,6. 9 Johann Winckler, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 9 Anm. 1). 10 Abraham Hinckelmann, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 45 Anm. 42). 11 Die Befriedung des Streits um den vom Hamburger Senior geforderten Religionseid (s. Brief Nr. 32 Anm. 3), der beigelegt zu sein schien (dazu s. Briefe Nr. 106, Z. 39 f, und Nr. 108, Z. 70–73). – Adam Rechenberg beklagt in seinem Brief vom 23. 12. 1690 an Johann Christoph Bilefeld, Winckler und Hinckelmann seien „von H. Horbio abgetreten“ (SUB Hamburg, sup.ep. Nr. 111 an Anna Elisabeth Kißner 30. 12. 1690 503 auf unserm guten Herrn Horben12, und soll ferner die feder öfentlich gegen 45 mich geführet werden13, obschon der Magistrat dem ministerio seine displi- centz14 darüber bezeuget15, mein bedencken in solcher materie16 (so mich freuet, derselben auch solches vergnüge[n] gegeben zu haben, und auch seither mit schuldigen danck gegen Gott von andern Orten gehöret habe, daß es nicht ohne Seegen geblieben sey und unterschiedliche fromme gestärcket, 50 einige böse hingegen geschrecket habe) ist denjenigen, so die neue Gewißens- herrschaft aufrichten wollen, aller orten ein unleidlicher dorn in den Au- gen17, indem es in einfalt dasjenige aufdecket, was sie verborgen haben wollen, daher können sie es nicht vertragen. Ich bleibe, so es bey mir stehet, gern außer dem Gemänge18. Werde ich aber mit gewalt hineingerißen, weiß ich 55 nicht, was ich dencken solle, warum der HErr mich wieder allen willen in den streit geführet werden laße, wo ich mich, ich wolle oder wolle nicht, auß noth wehren müste. Vielleicht will er mir aber Kraft geben, auf andere arth endlich die muthwillige feinde anzugreifen und zu zeigen, daß noch ein armer und bey den stoltzen verachteter David einen großen Goliath zu boden 60 legen möge, da er in dem nahmen des Herren ihm entgegen gehet19. Aufs wenigste wird gegentheil verursachen, daß man mit lauterer wahrheit ihre Tücke, da sie stäts, was sie im hertzen haben, zu verbergen trachten, je länger je mehr ofenbahre, welches schon so viel ist, alß Sie überwinden. Ach, laßet uns beten, daß der HErr selbst drein sehe20 und entweder jene bekehre, damit 65 sie von selbst unterlaßen, sich der warheit zu wiedersetzen, oder seinen die- nern die weißheit, muth und Kraft gebe, die ihnen in diesem Kampf nötig

61 Aufs: cj ] Auf.

4° 16, Bl.. 32r). Horb selbst hatte sich ofensichtlich bei Spener über den „Privatpakt“ der beiden beschwert, so daß dieser ihm verboten hatte, Weiteres zu schreiben, was diesen betrübe (s. Horb an Spener 20. 12. 1690 [Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 49; S. 145]). 12 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). 13 Am 9. (vielleicht 3.?) 10.1690 schreibt Winckler an Spener: „Gestern wurde berichtet, daß Ministerium beschloßen, des geliebten Bruders und anderer consilia zu refutiren […].“ (Halle a.S., AFSt, D 66, Bl. 87r). In seinem Brief vom 23. 12. 1690 berichtet er an Johann Heinrich May (zu diesem s. Brief Nr. 55 Anm. 1) in Gießen, man habe vor, das „Consilium“, d. h. das „Erforderte Bedencken“ (s. Anm. 16) Speners zu widerlegen (SUB Hamburg, sup.ep. 4° 16, Bl. 255r). Dies geschieht mit der Schrift: Abgenöthigte Schutz=Schrift:​ Worinnen Wider die harte und un- gegründete Beschuldigungen Herrn D. Philipp Speners / etc. etc. Ihren Revers und Religions=​ Eyfer verthädiget Das Ministerium in Hamburg, Hamburg 1691. Sie wurde von Johann Friedrich Mayer (zu diesem s. Brief Nr. 90 Anm. 6) verfaßt, dem Predigerkollegium vorgelesen und von diesem approbiert. 14 Mißfallen. 15 Geffcken, 66 f. 16 Philipp Jakob Spener, Erfordertes Theologisches Bedencken, über den von Einigen des E. Hamburgischen Ministerii publicirten Neuen Religions-Eid, o. O. 1690. 17 Redensartlich für „unbequem, lästig sein“ (s. Wander 1, 679, Nr. 56). 18 Hier: „Das Gewirre eines Kampfes“; vgl. „Handgemenge“ (DWB 5, 3275). 19 Vgl. 1Sam 17,45. 20 Vgl. 1Sam 24,16; Klgl 3,50. 504 Briefe des Jahres 1690

ist, um seine Ehre zu retten; sodann daß eine zeitlang auß jenem besorglichen ärgernus durch den Sieg der guten Sache wiederum ersetze. Es gewinnet je 70 länger je mehr daß ansehen einer großen Scheidung, und da wir stets alle trennung nach vermögen vermeiden, alß welche der Liebe nicht gemäß ist, werden sich andere von uns trennen, da sie aber ihr gericht deswegen tragen sollen und werden. Wolte ich alles vernünftig überlegen, würde ich mir manchen kummer und Sorge machen, der Herr aber giebt mir gnade, mich 75 deßen zu entschlagen, also daß ich nur warte, was er selbst schicken wird, da es nicht manglen solle, daß er nicht alsdann allemal auch zeigte, was sein wille an mich seyn werde. Er sey gelobet, der den Ruhm und Zeugniß von seinen Kindern allezeit behalten wird, daß er alles wol gemacht, wo er sie nicht nach ihrem, sondern seinem Rath führet. Amen. Wo es dienlich, einigen 80 Christlichen Seelen von diesem part zu geben21 befunden würde, stelle es dero Christlichen ermeßen heim. Zu Erfurth gehet das werck des HErrn durch H. D. Breithaupt22 und H. M. Francken23, welchen der HErr noch mehr Collegas zu treuen mitarbei- tern geschencket hat24, mit ungemeinen Seegen von statten, und zeiget sich 85 Göttliche Kraft an sehr zarter Jugend mit großer verwunderung25. Der HErr hat ihnen noch bißher fried und ruhe gegeben; doch fänget der feind an, wie er denn nicht anders kann, die zähne zu blecken26; der Herr wird aber nicht eher seinem zorn einen außbruch gestatten, alß biß die zarte saat etwas wird erstarcket seyn. 90 Seine güte, weißheit und Kraft ist unaussprechlich und wird sich mehr und mehr hervorthun: auch vielleicht in gantz außerordentlichen dingen: Wie dann vor einiger zeit durch mehrere zeugen, die so gotselig alß nicht alber27 sind, von einem gewißen ort oftere nachricht bekommen von einem Adeli- chen hauß, da eine witwe und 3 töchter in großer Stille und Einsamkeit le-

68 besorglichen: cj ] besorgliche. 94 töchter: cj ] töchtern.

21 Nachricht geben. 22 Joachim Justus Breithaupt, Senior des Predigerministeriums in Erfurt (s. Brief Nr. 13 Anm. 1). 23 August Hermann Francke, Diaconus in Erfurt (s. Brief Nr. 16 Anm. 32). 24 Francke nennt als Vertraute unter den Geistlichen: Johann Silvester Hesse (Francke-Brief- wechsel, Brief Nr. 7, Z. 58 f), Heinrich Süße, der ofenbar auch selbst mit Spener im Briefwechsel stand (aaO, Z. 61–63), und Johann Lorenz Pfeifer (aaO, Z. 79). 25 Vgl. dazu den Bericht Franckes an Spener in seinem Brief vom 15. 7. 1690 (Francke- Briefwechsel, Brief Nr. 7, Z. 44–47); zum „Kinderexamen“ s. Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 10, 74–78. 26 Sprichwörtlich (Wander 5, 490 Nr. 138). – Francke hatte in einem Brief vom 30. 12. 1690, der nicht überliefert ist, an Spener berichtet, „daß der himmel schon über und über schwartz sey“ (s. in seinem Brief vom 8. 1. 1691 an Spener [Francke-Briefwechsel, Brief Nr. 11, Z. 10 f]). 27 Einfältig, töricht (DWB 1, 201 f). Nr. 111 an Anna Elisabeth Kißner 30. 12. 1690 505 ben28, da die eine verwunderungswürdige ofenbahrungen hat29, weil ihr bey 95 ofenen augen und völligen Sinnen ihr heiland mehrmahl erscheinet, daß Sie wie außer sich selbst ist und man nichts als Hallelujah, Hosianna und freuden- wort von ihr höret, auch sobald, was ihr dictiret wird, schreiben muß. Sie verstehet oft selbst nicht, was sie schreibet, biß nachmahl auf unterschiedli- ches Nachlesen puncten und commata dazwischen gesetzet werden und der 100 verstand käntlich wird. Wie ich nun in dergleichen dingen mich nicht gern übereyle, so warte mit verlangen, was der Herr endlich zeigen werde: Vor betrug habe keine Sorge, ob aber einiges natürliches von der Phantasie mit dabey sey, unterscheide noch nicht, wie wohl ich 2 graduirte Theologos30 weiß, so mit ihr in der Stille (und zwar der eine von guter zeit) umgegangen 105 und die mir auch diese furcht benehmen wollen, hingegen sich des Göttlichen wunders überzeugt achten. Sie helfe mit uns, den HErrn anrufen, der uns nicht wolle in versuchung geführet werden laßen, sondern wo seine hand in der Sache ist, dieselbige kräftiger und kenntlicher laßen durchbrechen und seiner Kirchen zeigen, wie er ihrer gedencken, jedoch nicht zugeben, daß 110 auch unter der gestalt eines himmlischen liechts sich ein irrliecht hervorthue. Nun er kennet unsere Schwachheit und wird diejenige, die willig sind, an ihm fest zu bleiben, nicht laßen berücket werden. Von dem Hamburgischen zustand habe oben etwas gemeldet31. Der liebe H. Winckler dauret mich hertzlich und wundere mich, wie es komme, daß 115 er so oft sich ändert und nicht bey einer festen resolution zu bleiben weißt32, wie ihm dann der getrofene vergleich mit dem Ministerio schon selbst leid thun solle33. Der Herr führe den Mann, welcher es gewißlich redlich meinet, selbst nach seinem Rath und mit seinem Geist.

103 Phantasie: cj ] Pfantasie. 106 furcht: cj ] furch. 107 helfe: cj ] helfen.

28 Im Jahr 1690 lebte die Familie von der Asseburg noch in Magdeburg, bevor sie im März 1691 nach Lüneburg zur Familie Petersen zog (Matthias, Petersen, 259, 264); Näheres zur Familie s. Brief Nr. 77 Anm. 46 u. 47. 29 Rosamunde Juliane von der Asseburg (November 1672–8. 11. 1712), geb. in Eggenstedt, in der Nähe von Oschersleben, das siebte von zehn Kindern einer nach dem Tod des Vaters bei der Schlacht von Fehrbellin im Jahr 1675 verarmten Familie; in den 1680-er Jahren lebte sie mit ihrer Familie in Magdeburg, begraben auf dem Gut Jahnishausen bei Dresden, wo sie nach der Lüneburger Zeit von Marie Sophie von Reichenbach (zu dieser s. Brief Nr. 45 Anm. 41) auf- genommen worden war; seit ihrem siebten Lebensjahr soll sie Visionen gehabt haben (Matthias, Petersen, 256–264; M. Trippenbach, Rosamunde Juliane von der Asseburg. Die Prophetin und Heilige des Pietismus, Sangerhausen 1914). 30 Einer der beiden ist wohl Johann Joachim Wolf, Diaconus an St. Ulrich in Magdeburg, der vermutlich der Adressat von Brief Nr. 47 ist. Er hatte im Jahr 1681 bei Christian Kortholt den Grad eines Lizentiaten erworben. 31 S. Z. 41–54. 32 Nebenform von „weiß“ (DWB 30, 748). 33 Zu der von Winckler zunächst geleisteten und später wieder revozierten Unterschrift unter den Hamburger Religionseid s. Brief Nr. 32 Anm. 5. 506 Briefe des Jahres 1690

120 H. D. Petersen34 versichert, daß er der 1000 Jahr und ersten Auferstehung nicht mehr auf der Cantzel meldung thue, seine gegner aber führen in dem refutiren wider fürstl[lichen] befehl fort35. Er hat eben jetzt noch die größe- sten Schwehrigkeiten wegen einer Schrift an den Rath, da er mit harten worten sich über eine ungerechtigkeit wegen einer copulation, so ihn ohn- 125 gehört abgesprochen worden, beschwehret36. Der HErr helfe auch darauß. Meinen Sohn37 anlangend bedarf sie keiner entschuldigung, und ist übrig gnug, daß er dieselbe sprechen können38. Daß er nun auf die naturalia und mathematica mehr geleget, bekenne, daß endlich auf einreden guter und ver- ständiger leute eingewilliget, welche sehen, daß er bey der medicin wegen der 130 ungewißheit keine ruhe vor sein gemüth fnden würde, und die ungemeine zuneigung zu den andern studiis vor einen göttlichen fnger achten wolten, zumalen in denselben zu dem gemeinen besten nicht weniger als mit der medicin gethan werden könte. Der Herr heilige seine studia, so solle mich gnügen. 135 Was von H. Packbusch39 gemeldet worden, hat mich auch hertzlich er- freuet, und werde ich seinen Vetter, H. L. Birnbaum40, davon zu seinem ver- gnügen part geben; Gott stärcke mehr und mehr, was er in ihn geleget. Die Nachricht wegen Frau Ecclitiin ist mir leid; der Herr stehe ihr bey und sey ihr so tröster als regierer und versorger41. Ich bitte, ihr in meinem und andern

​123 Schwehrigkeiten: cj ] Schwehrigkeit.

34 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 35 Vgl. Matthias, Petersen, 240 f und (zu anderen Auseinandersetzungen) 250–252. 36 Es geht um die Trauung von Hinrich Leopold Harting und Ilsabe Dorothea Günter. Jo- hann Gabriel Sandhagen provozierte damit weitere Auseinandersetzungen mit Petersen, indem er Petersen das Recht bestritt, als Superintendent die Trauung bei einem Bürger zweiter Klasse durchzuführen (s. Matthias, Petersen, 246–252). 37 Johann Jakob Spener (s. Brief Nr. 110 Anm. 1). 38 Johann Jakob Spener war bei seiner Reise nach Holland ofenbar auch in Frankfurt gewesen. 39 Vielleicht Johann Gottfried Packbusch (16. 12. 1664–18. 8. 1706), geb. in Leipzig; seine Mutter Clara Sophia, verheiratet mit Christian Packbusch, war eine Schwester Christian Gott- helf Birnbaums (zu diesem s. Anm. 40), also dem Schwiegersohn Speners. Packbusch hatte eine peregrinatio academica unternommen und könnte sich auch in Frankfurt aufgehalten haben (Zedler 26, 68). 40 Christian Gotthelf Birnbaum (29. 5. 1651–15. 9. 1723), Superintendent in Colditz; geb. in Dresden, während seines Studiums 1678/79 in Gießen Besuch bei Spener in Frankfurt, 1687 Superintendent in Colditz und 1694 in Grimma, 1703 Pfarrer in Prenzlau und 1709 in Neu- Ruppin; seit 1688 mit Elisabeth Sybille Spener verheiratet (LP: Johann Julius Levecke, Abriß Eines rühmlich Gebohrnen, Glücklich Erzogenen und gnädig Erhöheten Lehrers In der Wehrten Per- son, Des […] Herrn Christian Gotthelf Birnbaum, Neuruppin: Müller 1723; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 8 Anm. 2). 41 Am 20. 1. 1691 berichtet Anna Elisabeth Kißner in einem Brief an Gräfn Benigna von Solms-Laubach, Frau Ecclitius sei arm und krank. Benigna hatte ihr Korn geschickt (Gräfiches Solms-Laubach’sches Archiv, Signatur: Rubr. XVII No. 11, Bl. 50 f). Der Waisenhausvorsteher Nathanael Ecclitius war am 19. 3. 1690 gestorben (s. Brief Nr. 45 Anm. 44), was den beklagens- werten Zustand seiner Witwe erklärt. Nr. 111 an Anna Elisabeth Kißner 30. 12. 1690 507

Nahmen 10 Thlr. (wie H. Arnold42 vielleicht schon wird anzeuge gethan 140 haben) fr[eundlich] zuzustellen. Und es auf unsre rechnung aufs neue zu setzen; da es von der alten Summe, sonsten vor nothleidende bestimmet43, nicht abgezogen werden solle. Hofe, solle bald noch mehrers von einer Christlichen vornehmen frauen vor sie folgen. Hiemit komme nun zuletzt wiederum auf meine Sache, da mich Gott aufs 145 neue in einen zweifel meines hiesigen verbleibens setzet44, indem abermahl der Churfürst45, ohne einige neue veranlaßung, es wäre denn Sache, wie ei- nige meinen, daß leute, so um ihn sind, ihm in den ohren liegen und seine reputation vorschützen, die nicht zugebe, daß er mich stäts also laßen solte46, sich gegen einen hohen Minister beschwehret47, man möchte ihm doch rath 150 schafen, weil er meinetwillen aus seiner residenz bleiben müste48, dieser hat geantwortet, wie sichs geziehmet, und muste selbst auf erfordern zu ihm nach Torga49 und kam vor 8 tagen wieder, des Churf[ürsten] verlangen wäre, wann ich nur das predigen gar einstellen wolte (so bitter und kräftig ist die wahr- heit, daß man fürcht, wo sie erschallen solle, ob man schon sie selbst nicht 155 höret), so solte mir dannoch alles, was ich jetzt habe, gereichet werden, wo aber nichts zu erhalten (dann er auch nicht zufrieden seyn will, daß ich, wenn er hier wäre, von der Cantzel bliebe), so wolle er weichen und müste seine residenz ändern; jedoch will er mich nicht austrücklich abdancken. Weil nun die brandenburgische oferten50 werden nechst wiederholet werden, wo sol- 160 cher Churf[ürst]51 an den unsrigen um meine Dimission schreibt, achte, daß sie unschwehr folgen und solches das Mittel, den Churfürsten in Ruhe zu setzen, seyn werde. Gott giebt mir (davor ihm hertzlich und demütigen danck sage) eine stäte gelaßenheit und freudigkeit in der gantzen Sache, durch die versicherung, was er werde geschehen laßen, werde das beste seyn. Bleibe ich 165 also hier, so sehe es an, daß der HErr nicht allein mir mehrere proben der gedult aufegen wolle, sondern mir auch noch einigen durchbruch in dem

155 solle ] + (.

42 Vielleicht Adam Arnold, Bäcker in Frankfurt (s. Brief Nr. 30 Anm. 33). 43 Zu der Sammel‑ und Spendentätigkeit Speners für Notleidende in Frankfurt und Umge- bung s. Brief Nr. 45, Z. 41–53, mit Anm. 18. 44 Zu den Überlegungen, Spener von Dresden wegzuberufen, s. Brief Nr. 57. 45 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 46 So schon gleich zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Kurfürsten (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 121 f, u. ö.). 47 Unklar, wer gemeint ist. 48 Vgl. das Schreiben von Johann Georg III. an den Geheimen Rat am 21. 2. 1691: „Euch ist zur gnüge bekanndt, was vor Mißvergnügen Wir wieder Unsern OberhofPrediger Dr. Spenern geschöpfet, sogar, daß Wir auch dieserwegen nicht allein Unsere Residenz und den Gottesdienst alda zu meiden […] gemüßiget worden seyn“ (SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 1r). 49 Johann Georg III. hielt sich auf Schloß Hartenfels in Torgau auf. 50 S. Anm. 44. 51 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 508 Briefe des Jahres 1690

guten, aufs wenigste auch einen verzug geben werde: führet er mich aber nach Berlin, ob ich wol vieles leiden auch daselbst bereits vorsehe, versichere 170 mich, daß er mir eine ofenere Thür zeigen wolle und mehrern Seegen be- stimmet haben werde. Daher wo mirs in meine freye hände zu wehlen ge- stellet werden solte, nicht wüste, welches zu wehlen hätte, ohne daß mich wegen vorigen berufs göttlicher versicherung nicht befugt achte, nach an- dern zu trachten. Gott gibt auch meiner lieben haußfrauen52 ein zufriedenes 175 hertz, daß ihr die Sache nicht zu schwehr wird. Er schafe aber selbst seinen willen, gebe ihn uns zu erkennen und vollbringe ihn an und durch uns. Sie wolle mit Christ[lichem] hertzen bey Gott auch in dieser Sache um seine gnade treulich anhalten. Er aber halte sie samt gantzen lieben hauße und allen ihres orts, so ihn un- 180 verrückt lieben, in seiner väterlichen gnade und laße ihnen mit dem neuen Jahr auch seine güte neu erscheinen mit neuem Liecht, Kraft, Gnade, Friede, trost, Freude und Seegen zu täglichem dancken in der zeit biß zu der stehen- den Ewigkeit, dazu er uns immer bereiten wolle. Amen. Ich bleibe mit hertzlichem Gruß von meiner lieben Haußfrauen, so ander- 185 mal antwortet Meiner hertzlich geliebten Schwester zu gebet und Christ. liebe verbundener P. J. Spener. Mppria. Dreßden, den 30. Dec[ember] 1690.

190 Frauen, Frauen Annae Elisabeth Kißnerin, gebohrne Eberhardin, Wittiben in Franckfurt am Mayn.

52 Susanne Spener (s. Brief Nr. 30 Anm. 38). Nr. 112 an [einen Geistlichen] 1690 509 112. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 16902

Inhalt Bedankt sich für den Brief, in dem der Adressat seinen Willen bekundet, persönlich und in seinem Amt Gott wohlgefällig zu handeln. – Bestätigt, daß rechtschafene Theologie und recht- schafenes Wesen untrennbar zusammengehören. – Beklagt diejenigen, die lieber den Sinn des Wortes Gottes verdrehen, als dessen Wahrheit anzuerkennen; ermuntert, diesen zu helfen, die Wahrheit zu erkennen und für die Erleuchtung durch den Heiligen Geist zu danken. – Macht Mut, Gott treu zu sein und durch die von ihm geschenkte Kraft sich wechselseitig im Glaubens- leben zu unterstützen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 172–173.

Wie mich vorhin3 der an mich gebrachte ruhm dessen rechtschafenen feisses, vor GOtt gefällig zu wandlen und in dessen kraft sein amt treulich zu führen, eine zeitlang nicht wenig erfreuet, so hat mich noch so vielmehr vergnüget, aus dessen angenehmen schreiben4 jüngst hin eben solches zeugnüß zu neh- men und also in voriger guter meinung gestärcket worden zu seyn. 5 So ists freylich an dem, wie derselbe aus der wahrheit urtheilet und sich auf eigne erfahrung berufet, wie die wahre erkäntnüß GOttes und rechtschafe- ne Theologie sich von dem rechtschafenen wesen, das in Christo JEsu ist5, und dem redlichen feiß, nach göttlichen geboten sein leben zu führen, nicht trennen lasse, noch ausser diesem zu fnden seye: welche wahrheit wir entwe- 10 der zugeben oder dem klahren wort GOttes widersprechen müsten. Wie wünschete aber so hertzlich, daß nicht derjenigen so viele wären, welchen diese gleichwol als eine frembde lehre vorkommet und kein be- dencken haben, das gegentheil zu setzen, aber eben damit dem göttlichen wort, als welches sie lieber gantz anders trähen6, als der wahrheit platz geben 15 wollen, zu widersprechen. Gleich wie wir aber mit solchen leuten hertzliches mitleiden tragen und nach vermögen uns bemühen sollen, ob wir sie auch hieran mehr und mehr überzeugen und zu gleicher erkäntnüß mit sanftmuth bringen möchten: also dancken wir billig dem himmlischen vater, so uns diesen nöthigen grund in seinem liecht hat einsehen lassen, freuen uns auch 20

1 Vermutlich ein (junger?) Geistlicher, von dem Spener schon gehört hatte, bevor er Post von diesem erhalten hatte (Z. 1–5). 2 Eine genauere Datierung ist nicht möglich. 3 Im Sinne von „vormals“, „zuvor“ (DWB 26, 1200). 4 Nicht überliefert. 5 Vgl. Eph 4,21. 6 Drehen, wenden. 510 Briefe des Jahres 1690

mit gleichem demüthigstem danck gegen denselben, so oft er uns mehrere Christliche mitbrüder bekant werden lässet, welchen er auch die augen zu erkäntnüß dieses geheimnüsses, so nicht in einer hohen vernunft-subtilität, sondern Christlicher einfalt bestehet7, öfnet, daß sie nachmals nicht weniger 25 dem H[eiligen] Geist in sich sein werck zur heiligung kräftig lassen, als daß die bemühet sind, ihren verstand und feiß zur handlung göttlicher dinge an- zuwenden. Lasset uns also dem HErrn treu bleiben und die früchte solcher erkäntnüß in der mitgetheilten kraft zu bringen befissen seyn, als versichert, wer da 30 habe, dem werde in göttlicher ordnung mehr gegeben werden8, und der gü- tigste vater werde sein werck in uns immer fortsetzen und seliglich vollenden: wozu wir uns auch stäts in brüderlicher liebe mit hertzlichem erinnern, auf- muntren und einander auch mit gebet kämpfen helfen wollen; wie ich mich meiner seits darzu verbunden bekenne, hingegen gleicher liebe wiederum 35 versehe. Der HErr aber selbs verbinde uns je mehr und mehr in einigkeit des geistes mit dem bande des friedens9. 1690.

21 denselben ] demselben: D1+2.

7 Vgl. 1Kor 2,1–5. 8 Vgl. Mt 13,12 Parr. 9 Vgl. Eph 4,3. Nr. 113 an [einen Laien] 1690 511 113. An [einen Laien]1 Dresden, 16902

Inhalt Bedankt sich für den Brief, der das, was Spener über den Adressaten gehört hat, bestätigt. – Ist überzeugt, daß in der lutherischen Kirche die christliche Wahrheit gemäß der Heiligen Schrift bekannt wird. – Sieht sich verpfichtet, für die Menschen in der eigenen Kirche zu beten, daß sie mit dem Bekenntnis zum wahren Glauben auch die rechten Früchte im Leben zeigen, und für die Angehörigen anderer Konfessionen, daß sie die Wahrheit erkennen, damit die christliche Kirche nach der göttlichen Verheißung wieder vereinigt wird. – Spricht sich für die Gewissens- freiheit in Glaubenssachen aus und lehnt jeden Überzeugungsversuch unter Druck ab. – Geht davon aus, daß viele verloren gehen, obwohl sie zur lutherischen Kirche gehören, die die christliche Wahrheit am reinsten bekennt, und daß in anderen Kirchen auch wahre Gläubige zu fnden sind. – Hält es aber für nötig, daß die eigene Kirche auf deren Übereinstimmung mit dem göttlichen Wort hin zu überprüfen ist, und man sich derjenigen anschließen soll, die die Wahrheit am klarsten vertritt. – Empfehlt dem Adressaten und seinen Bekannten, dies ernsthaft zu bedenken. – Hält den Vergleich der Vielfalt der Blumen in der Schöpfung mit der Vielfältig- keit der Konfessionen für unangebracht, weil die Unterschiedlichkeit in der Natur vom Schöpfer gegeben ist, die verschiedenen Bekenntnisse aber eine Folge der verderbten menschlichen Ver- nunft sind; es gibt nur eine göttliche Wahrheit. – Beklagt mit dem Adressaten das Verderben in allen Konfessionen, mahnt aber zur Übung der Liebe gegenüber den Andersgläubigen und zur Vorsicht vor allzu heftiger Reaktion gegenüber dem Irrglauben; verweist auf die göttliche Gerechtigkeit, die diesen zuläßt. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 252–258.

Es ist mir aus dem an mich gesandten3 sehr angenehm gewesen der gegen mich tragenden freundlichen liebe, davor und vor daraus hergefossenen Christlichen wunsch ich hertzlichen danck sage, versichert zu werden: so hat mich auch solches darinnen vergnügt, daß dessen gemüth so vielmehr daraus lernen kennen, welches mir bereits von andern gerühmt worden4, dieses 5 schreiben aber mir eine weitere bekräftigung gegeben hat, in der guten von demselben gefasten meinung zu bleiben, daher auch mein vergnügen mit dieser antwort bezeugen und hinwieder die gelegenheit, mein hertz gleichfals gegen ihn auszuschütten, nicht versäumen wollen, der guten zuversicht ge- lebende, daß er nicht weniger in liebe und sanftmuth auch meine antwort 10

1 Der Brief des Adressaten ist der Erstkontakt zu Spener, auch wenn dieser von ihm gehört hatte (Z. 5–7). Die Anrede „mein geliebter Freund“ (Z. 92 u. 122) läßt auf einen Laien schließen. Der Adressat hatte in seinem Brief wohl zum Ausdruck gebracht, daß er in theologischen Sachen eine andere Meinung als Spener vertitt (Z. 14 f könnte direkt aus dessen Brief entnommen sein). Nach Z. 92–103 gehört er vielleicht zu einer anderen als der lutherischen Konfession. 2 Eine genauere Datierung ist nicht möglich. 3 Der Brief des Adressaten ist nicht überliefert. 4 Unbekannt, um wen es sich hierbei handelt. 512 Briefe des Jahres 1690

aufnehmen werde, und den himlischen Vater dabey inbrünstig anfehende, der, was unter uns in liebe geschihet, nicht ungesegnet bleiben lassen wolle. Daß derselbe sich gegen mir5 einer Christlichen sanftmuth und solchen hertzens versihet, daß ich auch andere, so mit mir von göttlichen dingen nicht 15 einerley gedancken haben, mit liebe tragen könne, hofe, daß er solches auch allezeit in der that fnden werde. Dann ob ich wol dem himmlischen Vater demüthigst danck zu sagen habe, welcher unsrer Evangelischen kirchen die gnade gethan, daß wir nicht allein, so zwahr das allervornehmste ist, sein heil. wort in der schrift der Propheten und Apostel haben6, aus welchem ein jeder 20 ohne verbindung an menschen selbs nach dem maaß der göttlichen gnade seinen glauben gründen kan, sondern daß er auch durch treue werckzeuge seiner gnade aus solchem seinem wort solcher unsrer kirchen die glaubens=​ lehre so deutlich, gründlich und einfältig hat vorstellen lassen, dieselbe auch bißher erhalten hat, daß ich bezeugen kan, biß daher in derjenigen lehr, 25 welche unsre kirche insgemein bekennet, nichts dergleichen gefunden zu haben, was der göttlichen schrift entgegen wäre, wie ich mich von andern Partheyen7, so sich getrennet, überzeuget halte, in dero bekäntnüssen und lehre angetrofen zu haben. Daher ich nicht allein verpfichtet bin, bey solcher meiner kirchen zu 30 bleiben und dem beruf des Evangelii würdiglich zu wandeln, sondern auch, als viel an mir ist, den himmlischen Vater demüthigst anzurufen, daß er so wohl in meinem und aller anderer, sich eusserlich zu unsrer kirchen beken- nenden hertzen diejenige göttliche wahrheiten, welche unsre lehr aus gött- lichem wort in sich fasset, lebendig und kräftig durch seinen geist versieglen 35 und zu vieler frucht segnen, als auch bey andern, vornemlich aber in ihrem hertzen, das liecht gleicher wahrheit aufgehen lassen und, wie er ein einiger GOtt ist, dermaleins auch in einem glauben8 sich allen, die ihn suchen, hell ofenbahren und der betrüblichen trennungen ein ende machen wolte; daß wir uns doch erfreuen möchten der erfüllung der verheissung, Zach. 14,99: 40 „zu der zeit wird der HErr nur einer seyn, und sein nahme nur einer.“ So er gewiß noch nach seiner wahrheit leisten wird. Indessen kommet weder mir noch einigem menschen zu, über anderer gewissen sich die herrschaft zu nehmen und also GOtt in sein recht einzu- greifen, sondern in demuth und liebe zwahr bey aller gelegenheit die wahr- 45 heit, dero wir uns überzeuget befnden, andern, bey welchen wir, einige irrthume zu sehen glauben, willig vorzustellen, ob durch unseren dienst sol- ches liecht auch ihren seelen deutlicher einleuchten wolle, wo sie aber, solches

22 solchem ] solchen: D1. ​34 seinen ] seinem: D1. ​39 9: cj ] 7. 45 welchen ] welchem: D1. ​

5 Zur Möglichkeit der Benutzung des Dativs bei „gegen“ s. DWB 5, 2205. 6 Vgl. 2Petr 3,2. 7 Konfessionen. 8 Vgl. Eph 4,5 f. 9 Sach 14,9. Nr. 113 an [einen Laien] 1690 513 nicht erkennen zu können, bezeugen, sie demjenigen in liebe und gebet zu befehlen10, der allein der lehrer der hertzen ist: Daher ich an aller beträngnüß derjenigen, so vor irrig gehalten werden, und an allem eusserlichen zwang, 50 welcher allezeit heuchler, niemals aber rechtglaubige machet, ein hertzliches mißfallen habe11, und mir leid thut, was ich gehöret, demselbigen vor diesem begegnet zu seyn12, ich mich aber zu dergleichen niemals verstehen könte, sondern allen eifer der wahrheit mit liebe der menschen und mit sanftmuth, so die art des geistes Christi ist13, weißlich vermischet zu werden verlange. 55 Nechst deme, so bekenne auch, ob mir wol biß hieher noch keine ge- meinde bekant worden, dero lehr und glaubens=bekäntnüß​ von mehr reinig- keit wäre als unsre Evangelische kirche14, daher ich so fern in derselben die kirche CHristi sichtbar achte, daß dannoch die seligkeit so gar nicht schlech- ter dings an die eusserliche gemeinschaft unsrer kirchen binde, daß so wol 60 einstheils hertzlich beseuftze, wie besorglich aus den früchten zusehen, daß bey den allerwenigsten, die eusserlich in unsrer gemeinde leben, der wahre glaube unsrer göttlichen lehr in ihren seelen seye, daher sie mitten in der wahren kirche verlohren gehen, nicht weniger als so viel tausend Juden vor deme, welche doch des eusserlichen volck GOTTES glieder gewesen waren, 65 verdammt worden sind; also hingegen anderntheils mich versichere, daß unter andern haufen15, bey denen ich die reine wahre lehr nicht erkenne, von dem gütigsten himmlischen Vater noch ein starcker heiliger saamen16 erhalten werde, der, da es ihm an der buchstäblichen erkäntnüß der wahrheit mangelt, dannoch die göttliche grund=​wahrheiten, an denen unser heil haftet, in gött- 70 lichem liecht fassen und also in denselben sein heil erkennen könne. Daher seye es ferne, daß ich unsern theuren könig JEsum so arm halten solte, daß er keine andre genossen seines gnadenreichs haben solte, als die in den engen gräntzen der so genannten Lutherischen kirchen leben, da doch sein reich sich über die gantze welt erstrecket und er unter den vielen zerstreueten allein aber 75

52 demselbigen ] denselbigen: D1. ​75 den ] dem: D1. ​

10 Zum Gebet für die Irrgläubigen s. Spener, Pia Desideria, 1676, S. 114 f (PD 62,22–31) und zur Liebe ihnen gegenüber s. aaO, S. 117 (PD 63,22–35). 11 Vgl. die Ausführungen Speners zur Anwendung von Zwang in Gewissensangelegenheit in seiner Schrift: Christliches Bedencken über die Fragen: 1. Was eine Obrigkeit zur Rettung ihres Gewissens bei ihren Untertanen, so anderer Religion sind, zu tun habe. 2. Ob in Religionssachen einige Gewalt gebraucht und die Freiheit des Gewissens gekränkt werden dürfe. 3. Ob die in solchen Sachen aufgerichteten Verträge, Zusagen und Eidschwüre verbindlich seien, o. O., 1683 u. 1684 (Wiederabdruck: EGS 1, 1135–1240) (Grünberg Nr. 191). Vgl. auch Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 32, Z. 43–61, und Bd. 3, Brief Nr. 67, Z. 28–38. 12 Unbekannt, worum es sich handelt. Nach der Überlieferungsvariante von D2 und D3, kann es sein, daß nicht nur der Adressat, sondern mehrere Menschen mit Zwangsmitteln zur Konver- sion gedrängt wurden. 13 Vgl. Gal 5,22. 14 Spener meint damit immer die lutherische Kirche. 15 Gemeint sind hier Konfessionen. 16 Vgl. Jes 6,13. 514 Briefe des Jahres 1690

gar genau kennet, welche wahrhaftig die seinige sind. Solche alle auch, in welchen haufen sie eusserlich leben, rechne ich mit wahrheit zu der wahren kirchen und also auch zu uns: wie sie dann nothwendig in den grund=​wahr- heiten (die bey allen kindern GOTTes eine seyn müssen) mit uns einstimmen, 80 ob sie wohl vieles dessen, so uns GOtt zu erkennen gegeben hat, nicht er- kennen oder sonsten andere hindernüssen haben, sich eusserlich zu uns zu verfügen. Da dann der himmlische Vater selbs mit vieler seiner kinder schwachheit gedult träget und der HErr JEsus in den tagen seines feisches17 seine jünger vor gläubig erkant hat, obwol nicht wenige irrige meinungen 85 sich bey ihnen gefunden haben, so will uns ja geziehmen, ein nicht anderes hertz gegen andere, auch wohl in unterschiedlichen (nur daß der grund CHristus fest stehe) irrende zu tragen, auch zu glauben, es wisse der liebste Vater mittel und wege, das füncklein des wahren glaubens=liechts,​ ob es klein wäre, mitten in der fnsternüß einiger irrthume, bey den jenigen, so nicht 90 weiter zu kommen vermocht haben, also zu erhalten, daß sie18 jenes licht nicht gantz auslöschen muß und sie also selig werden. Indessen wird doch mein geliebter freund mir nicht vor übel halten, ja, es selbs vor billich erkennen, daß ich nicht nur wünsche, sondern vor nöthig achte, daß gleichwohl ein jeder, obschon die eusserliche gemeinschaft der 95 kirchen die sache nicht ausmachet, verbunden seye, nach dem vermögen, als ihm GOtt gibet, die jenige gemeinde, in dero er stehet, darinne zu prüfen, ob ihre lehre allerdings mit göttlichem wort übereinkomme oder nicht, so dann auch andere gemeinden, als viel er davon begreifen kan, ob er bey der seinigen oder diesen mehr wahrheit oder irrthume fnde, und sich nach sol- 100 cher prüfung und hertzlichem gebet zu entschliessen, bey welcher seine seele der göttlichen wahrheit und gnade am gewissesten seyn könne, alsdann GOtt die ehre zu geben und diejenige zu wehlen, bey dero er die lauterste wahrheit fndet. Dann obwohl die jenige, welchen nicht weiter zukommen vermocht und keine reinere gemeinde als die ihre gewust, auch in den irrigen 105 gemeinden, darinnen sie gebohren und erzogen sind, wann der heilige Geist das licht des glaubens, obwohl in kleinerem maaß, erhält, selig werden mögen und ihnen vor GOtt die irrthume ihrer gemeinden nicht zugerechnet werden; so hats doch eine andere bewandnüß mit denjenigen, welche bey ihren ge- meinden die irrthume der lehr nach feißiger forschung fnden und andere 110 gemeinden wissen, welche die lehre reiner haben, daß ich nehmlich, wo sie unerachtet dessen gleichwohl bey den ihrigen bleiben wolten, ihren zustand nicht anders als gefährlich erachten müßte, indem ihnen vor Gott die gemein- schaft solcher irrthume mit recht zu geschrieben werden könte; so vielmehr, da sie sich auf eine absonderliche art derselben mittheilhaftig machen. Fer-

89 einiger ] einige: D3. ​102 1zu ] – : D2+3. ​

17 Hebr 5,7. 18 Bezieht sich auf „fnsternüß“ (Z. 89). Nr. 113 an [einen Laien] 1690 515 ner ob wohl ein kind GOttes, da dasselbe solcher orten lebte, wo es allerdings 115 keinen haufen haben könte, mit welchem es sich vereinbarte und insgemein seinen dienst GOTT leistete, wiederum von solcher einsamkeit keinen haupt=​schaden hat oder sein dienst GOtt mißfällig wird, halte ich dannoch göttlichem willen und ordnung gemäß, daß jedes, dem GOtt den weg zeiget, zu einer gemeinde sich zuverfügen, da er mit keinem irrthum und bösem 120 gemeinschaft haben darf, solchem göttlichen winck zu folgen schuldig wäre. Mein geliebter freund wird dieses, wie es aus hertzlicher liebe geschrieben ist, also auch so wol in der liebe aufnehmen, als auch vor dem angesicht Gottes Christlich überlegen, was ihme und andern, bey denen derselbe etwas vermag, vor dem HErrn HErrn zu seiner seelen mehrer erbauung und 125 stärckung das vorträglichste seye, welches auch insgesamt uns allen stäts zu zeigen, ihn in demuth anrufe. Das gleichnüß der unterschiedlich=​färbigen blumen und unterschiedener art der gewächse, die deswegen einander nicht hassen, sondern alle eines GOttes geschöpfe bleiben, und derselben unterschied seinen reichthum mehr 130 ofenbahret und also seine ehr verherrlichet, anlangende, bekenne ich, daß ich nicht wohl begreife, wie sichs in die materie recht fügen wolle, ob es wohl auch mehr19 gehöret habe. Dann wir müssen gedencken, nicht allein solche blumen und gewächse, sondern auch ihr unterscheid selbs, ihre farben, geruch und dergleichen sind alle von GOtt und dessen wercke, daher sie alle um und 135 vor sich selbs seine ehre verkündigen und vergrössern. Was aber die unter- schiedliche meinungen in der religion anlangt, sind solche nicht von GOtt, dann in jeglichen puncten ist die wahrheit nur eine und alle andere meinun- gen die davon abgehen, sind irrig, daher sie nicht GOttes wirckung, sondern früchten der menschlichen verderbten vernunft und fnsternus oder des lü- 140 gen=​geists20 eingebungen seyn müssen: folglich auch an sich selbs GOTT nicht verherrlichen können, in dem sie seinem licht und willen zuwider sind. Indessen müssen sie freylich so fern auch zufälliger weiß etwas zu göttlicher ehre thun, daß dessen güte, gerechtigkeit und weißheit darauß mehr erhellen muß, wann GOtt alle solche irrthume also gleichwohl regieret, daß nicht nur 145 ihr gegensatz die wahrheit so wohl ofenbahrer macht, sondern auch sie die wahrheit nicht untertrucken, ja auch in einigen seelen das noch übrige licht- lein nicht auslöschen müssen. Sonsten lässet sich das gleichnus wohl gebrau- chen, wie ichs, selbs geführet zu haben, mich errinnere von den unterschied- lichen natur= und gnadengaben, die alle von Gott in die menschen nach 150 seinem wohlgefallen geleget sind21, da dieses freylich seine ehre hoch erhebet,

121 göttlichen ] göttlichem: D1. ​123 2auch ] – D1. ​130 unterschied ] unterscheid: D2+3. ​

19 Im Sinne von „häufger“ oder „öfter“ (DWB 12, 1881). 20 Vgl. die Bezeichnung des Teufels als „Vater der Lüge“ (vgl. Joh 8,44). 21 Vgl. Spener, Ev. Glaubenslehre, 1131 f. 516 Briefe des Jahres 1690

daß dergleichen unzähliche gaben alle außfüsse von ihm und dannoch sehr voneinander unterschieden sind: da auch keiner den andern um seiner gabe willen, welche der seinigen nicht gleich, sondern anders ist, urtheilen, be- 155 neiden oder hassen, sondern alles Gott in seinen gaben und geschöpfen preisen solle. Aber da fndet sich nun ein grosser unterschied gegen22 dem vorigen: denn weil dieser unterscheid wahrhaftig von GOTT ist, so würde es wider dessen willen streiten, da man solchen unterscheid trachten, ja nur wünschen wolte, aufzuheben und sie alle so zu reden zu einer farb oder art 160 zu bringen, da sie doch Gott unterschieden haben will, weil ihm alle als sein werck gefallen: hingegen die viele meinungen in der religion anlangend, weil allezeit nur die wahrheit von GOtt ist, die irrige meinungen aber nicht, so ist zwahr unrecht, wo der jenige, der die wahrheit hat, den andern, der irret, deswegen hassen sollte, da er ihm doch liebe schuldig ist, oder da er ihm des- 165 wegen zwang anthun wolte, da doch damit der sache nicht gerathen würde, aber das ist nicht unrecht, wo er seinen irrthum hasset, deswegen mit der person aus liebe ein erbarmendes mitleiden träget und, auf liebreiche art ihn von seinem irrthum abzuziehen und also so zu reden alle blumen zu einer farb (nach dem hier nur eine einige von GOTT) zu bringen, als womit er, 170 wann alle zu einerley glauben des sohns GOTTes endlich kämen, die ehre des HErrn so vielmehr befordern würde. Wann in übrigen derselbe seine hertzliche wehmuth über das allgemeine verderben, welches sich gar bey allen theilen und secten fnde, bezeuget, ist mir solches auch ein zeugnüß seiner aufrichtigen liebe zu GOTT und dem 175 nechsten, dann wo liebe ist, thut es einem wehe, wo dem geliebten zu wider oder schaden geschihet: wie wir auch die exempel so wohl an Christo als andern heiligen haben, wie sehr ihnen zu hertzen gegangen, wann sie haben sehen müssen, daß GOttes ehre freventlich verletzet worden und die men- schen sich muthwillig das verderben über den halß gezogen23 haben. Indessen 180 will ich nicht zweifen, derselbe werde sich auch in diesen, ob wol an sich heiligen bewegungen, mäßigen. Dann wir haben über das elend unsers nech- sten uns aus liebe also zu betrüben, daß hingegen solche betrübnüß die glaubige freude, welche wir an GOtt und seiner gegen uns so reichlich sich hervor thuenden gnade haben sollen, nicht niederschlage. Ja, die gnade, die 185 der HErr uns erzeiget, dero wir etwa auch bey ein und andern Christlichen brüdern gewahr werden, die weißheit, güte und langmuth GOttes, die wir auch noch über die böse selbs zu walten sehen, dasjenige, was uns GOtt noch auf das künftige verheissen hat, und wir also billig aus seiner wahrheit erwar-

153 den ] dem: D3. 155 alles ] aller: D1. 156 unterscheid ] D3. 162 meinungen ] meinung: D3. ​168 seinem ] seinen: D1.

22 Im Sinne von „im Verhältnis zu“ bzw. „entgegen“ (DWB 5,2204). 23 Redewendung, die an die Vorstellung vom Jochträger, der eine schwere Last zu tragen hat, anknüpft (DWB 10, 251 f). Nr. 113 an [einen Laien] 1690 517 ten, sind nicht weniger hertzlicher freude würdig, als das ansehen des bösen uns betrübet. Ich halte auch, wir haben uns je länger je mehr darzu zu geweh- 190 nen, dem göttlichen willen auch darinnen ähnlich zu werden, daß, weil derselbe dieses und jenes annoch zuzulassen beliebet, ob er wol das böse selbs hasset, auch den menschen, der es nicht besser haben will, in sein verderben hinlaufen lässet, ob er wol in göttlicher liebe ihm gern sein heil gönnete, wir auch in dem haß gegen das böse, so denn liebe gegen den nechsten, beharren, 195 aber doch über das jenige böse, was wir zu geschehen sehen, unser hertz in ruhe setzen, daß, weil es der heil. und gerechte GOtt zuzulassen beliebet, wir uns auch darüber zu ruhe geben und nicht, wo wir uns die an sich selbs Christliche traurigkeit zu sehr einnehmen liessen, das ansehen von uns geben, ob wären wir nicht nur mit der menschen sünde, sondern auch GOttes ver- 200 hängnüß nicht völlig zu frieden: So wissen wir, daß wir in jenem leben, weil wir göttlichem willen allerdings sollen gleich seyn, keine traurigkeit fühlen werden, ob wir auch der verdammten, wann schon unsre nechste bluts=​ freunde unter denselbigen wären, quaal ansehen, weil die liebe der göttlichen gerechtigkeit diesen austruck der liebe in dem erbarmen und mitleiden wird 205 gleichsam verschlungen haben: So ists auch also nicht unrecht, da wir auch hie mehr und mehr dahin zugelangen trachten, nicht zwahr daß das erbarmen vor der zeit bey uns getilget, aber dennoch die daher entstehende betrübnüß, wo sie unsre freudigkeit in Gott schlagen oder doch mindern wolte, mit vor- stellung göttlichen gerechten willens in der regierung alles dessen, was ge- 210 schihet, gemäßiget und der HErr in allem von uns gepriesen werde. Ach, er gebe uns allen nicht allein in diesem, sondern insgesamt in allen dingen, sei- nen willen genau einzusehen, und wircke ihn selbs in uns, als ohne welches wir mit allem, was wir thun wolten, vergebens seyn würden. Dieses, geliebter freund, ists, was aus gelegenheit des mir angenehmen 215 briefes habe wieder antworten wollen: so ich nicht zweife, daß derselbe in liebe aufnehmen und daraus meinen sinn besser einsehen werde. Der HErr aber, der es alleine kan, vereinige aller derer, die nach ihm verlangen, hertzen zu einem sinn in Christo JEsu, erleuchte alles, wo noch fnsternüß ist, mit seinem liecht und lasse die liebe neben der wahrheit unsers gantzen lebens 220 meisterin seyn. Wormit in die ewige liebe dessen, der die liebe selbs ist, zu völliger erkänt- nüß der wahrheit und gleichförmigkeit seines willens emmpfehlende. 1690. 518 Briefe des Jahres 1690 114. An [einen Geistlichen?]1 Dresden, 16902

Inhalt Freut sich, daß der Adressat für ihn betet. – Erläutert den Unterschied zwischen „Geist“ und „Seele“ mit Hilfe zweier Erklärungsmodelle. – Kann die Vorstellungen von [Valentin] Weigel, den Rosenkreuzern, von Paracelsus und Jakob Böhme zu dieser Frage nicht beschreiben, weil er alle zu wenig kennt. – Hält es für ein pädagogisches Mittel Gottes, besondere geistliche Er- fahrungen nicht dauerhaft zu machen. – Bedauert seine eigene geringe Innigkeit beim Beten. – Macht Mut, seine Gedanken schriftlich niederzulegen. – Warnt davor, sich nach besonderen Erfahrungen von Leid um Christi willen zu sehnen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 326–330.

Zum fördristen sage Christlichen danck vor den hertzlichen wunsch und gebet vor mich, so mir sonderlich das erste schreiben, mit nicht geringer meiner in dem lesen gefühlter bewegung, vorgestellet, die übrige aber auch mit wenigerem wiederhohlet haben3. Es kan mir in der that keine grössere 5 wolthat von jemand wiederfahren als mit hertzlichem gebet, und zwahr vor- nemlich um erkäntnüß göttlichen willens und kraft zu dessen vollbringung: gegen welchem ich die übrige alle, so nur vornemlich vor langes leben, gute gesundheit und glücklichen wolstand meiner und meines hauses geschehen, nichts anders als viel geringer achte. Sonderlich hat mich nicht wenig er- 10 freuet, daß solcher erste wunsch in etlichen stücken also eingerichtet gewesen, als wäre demselben vorgestanden, was vor kampf mich damahls und bald darauf betrofen4. Nun, der HErr gebe uns allezeit den geist der gnaden und des gebets5, wann wir vor sein angesicht treten, daß wir in dessen liecht ver-

8 meiner ] meine: D1+2. ​9 nichts ] nicht: D1. ​

1 Der Adressat ist wohl schon länger mit Spener im Briefkontakt, weil Spener mit diesem Brief gleich mehrere Schreiben beantwortet (Z. 2–4). Er neigt zum spiritualistischen, evt. auch enthusiastischen Christentum. Es wird wohl ein Geistlicher sein, dem Spener eine Stelle aus der Altenburger Lutherausgabe zum Nachschlagen angeben kann (Z. 31). 2 Eine genaue Datierung ist nicht möglich. 3 Die Briefe des Adressaten sind nicht überliefert. 4 Da der Adressat und die Datierung von dessen Briefen unbekannt sind und auch der vor- liegende Brief nur ein Jahresdatum trägt, läßt sich nicht genau festlegen, worauf Spener anspielt. Es ist denkbar, daß die Auseinandersetzung mit dem sächsischen Kurfürsten im Frühjahr 1689 und der im daraufolgenden Sommer entfammte Streit über die Pietisten gemeint sind. Dann wäre der erste Brief des Adressaten in den ersten Monaten des Jahres 1689 geschrieben worden. 5 Sach 12,10. Nr. 114 an [einen Geistlichen?] 1690 519 stehen, was und wie wir beten sollen6, auch solches stets also thun, wie es vor seinem ganden=​thron7 angenehm ist. 15 Ich komme so bald auf die frage von „unterscheid des geistes und der seelen“, davon aber vergnüglicher8 antworten zu können wünschete. Unter allem, die ich davon gesehen zu haben erinnere, fnde ich diese beyde mei- nungen am gegründesten, unter welchen auch, welche erwehlet wird, keine der richtigen glaubens=lehr​ zuwider seyn wird, und ich also jeglichem gern 20 überlasse, welche er in seiner überlegung vor die gegründeste halten und er- wehlen wolle. Die eine ist diese, daß „die seele“ heisse das andere theil des menschen, wie es dem leib entgegen stehet und so fern es in seiner natur allein betrachtet wird: „geist“ aber seye die neue natur in den wiedergebohrnen, wie sie nach der schrift redens=art​ 9 dem feisch entgegen gesetzet wird. Also 25 wäre bey einem unwiedergebohrnen seel und leib und kein geist, dahin wir die wort Judä v. 1910, „die keinen geist haben“, ziehen möchten: aber bey einem wiedergebohrnen fndet sich neben seel und leib als den beyden na- türlichen wesentlichen theilen noch auch der geist oder die neue art und natur aus der wiedergebuhrt. Die andere ist unsers wohlverdienten mannes 30 GOttes Lutheri11, die er über das Magnifcat T. 1. Alt., f. 758, oder T. 1., Jens., f. 47912, vorgestellet13 und den menschen abtheilet nach dem gleichnüß des tempels Salomonis, wo sich das allerheiligste, heilige und vorhof befand, in geist, seel und leib14. Aber also, daß jene beyde dem wesen nach eines seyen und also die seele solchen nahmen führe, wie sie mit irrdischen, zeitlichen 35 und vernünftlichen dingen umgehet, der geist aber seye zwahr dem wesen nach wiederum die vorige seele, aber wie sie allein mit göttlichen und ewigen dingen umgehe, daher in derenselben, wie in dem allerheiligsten kein ander liecht seye, als der HErr selbs, da hingegen die seele ihr vernunft=liecht​ hat. Daher in dem geist GOtt, glaube und alles göttliche sich bey den glaubigen 40 fnde, da hingegen bey den unglaubigen solche höchste kraft gleichsam lähr bleibe. Welche erklährung mich nicht wenig vergnüget15, daß auch nicht fnde, was derselben wohl entgegen zu halten wäre: daher wäre „der geist“

22 heisse ] heisset: D2+3. ​

6 Vgl. Röm 8,26. 7 Thron Gottes (s. Brief Nr. 44 Anm. 11). 8 Vgl. Anm. 15. 9 Die Art, sich auszudrücken (DWB 14, 473). 10 Jud 19. 11 Martin Luther (1483–1546). 12 M. Luther, Magnifcat (WA 7, 550.20–551.24). 13 Vgl. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 199, Z. 34–46, und Bd. 3, Brief Nr. 90, Z. 91–100, ebenso: Ph.J. Spener, Lauterkeit Des Evangelischen Christenthums, Anderer Theil, Halle a.S.: Waisenhaus, S. 329 f. 14 WA 7, 551.15–24. 15 Im Sinne von „befriedigen“ (DWB 25, 463). 520 Briefe des Jahres 1690

dasjenige, was bey einigen andern lehrern „der grund der seelen“16 oder auch 45 „das lautere wesen der seelen“17, darinnen allein GOtt wohne, genennet wird. Im übrigen sehen wir eben aus diesem exempel, weil wir das jenige, was in uns ist, ja, was wir selbs sind, so gar nicht recht verstehen, da man doch meinen solte, daß wir aus eigner erfahrung, was wir seyen, zur gnüge erken- nen müsten, daß wir uns dann so viel weniger einbildung machen dörfen, 50 von uns selbs dinge, die ausser uns sind, sonderlich aber das göttliche zu ver- stehen: Der Herr gebe uns dann selbs ein liecht dazu. Was Weigelius18, die Rosencreutzer19, Theophrastus20 und J. Böhme21 von solchem unterschied halten, weiß ich nicht, ohne daß mich deucht, gehört zu haben, ob hielte J. Böhme die seele eigentlich vor das vornehmste in dem 55 menschen, so auch ewig bey GOtt seyn werde, den geist aber vor etwas, das aus dem gestirn in dem menschen sich fnde und in die seele wircke22, daraus die vernunft und dero bilder herkämen, jedoch weiß ich nicht, ob ich recht, was davon erzehlet worden, gefaßt habe. Weigelii Postill23 habe ich nicht, auch nie gelesen: unterschiedliche andere 60 seine schriften aber sind mir verehret worden24: ich habe aber auch keine zeit daran zuwenden gefunden. Von den Rosencreutzern habe niemals etwas gründliches vernommen, daher auch nicht zu urtheilen vermag.

16 So etwa Christian Hoburg, Der Sicherste Weg Zum Reich GOttes / Und dessen würck- lichen Erhöh= und Befestigung in dem Grund der Seelen / Kraft der wahren Wiedergeburt Oder Erneuerung im Heil. Geist, Frankfurt a. M.: A. Luppius 1684; die Formulierung fndet sich auch häufg bei Johann Georg Gichtel. 17 So Arndt, WChr, 3. Buch, 6. Cap., S. 49. 18 Valentin Weigel (7. 8.[?]1533–10. 6. 1588), lutherischer Pfarrer in Zschopau; seine erst post- hum edierten Schriften wurden von der lutherischen Orthodoxie als spiritualistisch bekämpft (RGG4 8, 1331; J. O. Opel, Valentin Weigel, Leipzig 1864; vgl. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 154 Anm. 2). 19 Die Rosenkreuzer sind eine fktive Gemeinschaft zur Reform von Kirche und Gesellschaft, die von Johann Valentin Andreae beschrieben wurde (M. Brecht, Johann Valentin Andreae. 1586–1654. Eine Biographie. Göttingen 2008, 65–92; C. Gilly, Die Rosenkreuzer als eu- ropäisches Phänomen im siebzehnten Jahrhundert und die verschlungenen Pfade der Forschung, in: ders. [Hg.], Rosenkreuz als europäisches Phänomen, Amsterdam und Stuttgart 2001, 19–56). 20 Paracelsus, eig. Theophrast Bombast von Hohenheim (10. 11. 1493–24. 9. 1541), Natur- forscher, Arzt und Laientheologe mit einer mystischen Ausprägung seiner Theologie, in der Folge- zeit von Valentin Weigel, Jakob Böhme u. a. geschätzt (RGG4 6, 908 f; H. Schipperges, Paracelsus, Freiburg/B., 1983; J. Te l le, Parerga Paracelsica. Paracelsus in Vergangenheit und Gegenwart, Stuttgart, 1992; S. Golowin, Paracelsus, München 1997 [Ndr. Darmstadt 2008]). 21 Jakob Böhme, mystischer Spiritualist (s. Brief Nr. 30 Anm. 22). 22 Vgl. „siderischer Geist“ in J. Böhme, De tribus principiis, II. Cap., 4.7; IV. Cap. 17. 23 Valentin Weigel, Kirchen Oder Haußpostill / Uber die Sontags und fürnehmbsten Fest Evangelien durchs gantze Jahr / auß dem rechten Catholischen und Apostolischen Grunde und Brunnen Israelis vorgetragen und geprediget, Newenstatt [= Halle]: Johann Knuber 1618 (= Valentin Weigel, Sämtliche Schriften. Neue Edition, hg. u. eingeleitet von Horst Pfeferl, Bd. 12, Erster Teilband, Stuttgart 2010). 24 In der Bibliotheca Speneriana fnden sich 18 Titel von Weigel (BS 4° 387 und 388). Nr. 114 an [einen Geistlichen?] 1690 521

Gleichfalls was Theophrastum betrift, ob ich wol eine zeitlang seine werck in einem folianten25 gehabt, habe ich sie doch kaum eingesehen: solte er 65 dessen schuldig seyn, was ich oft von ihm gehöret und gelesen, wäre er auch des lesens nicht werth: aber auf blosse beschuldigung habe ich niemand zu urtheilen oder zu verdammen. Gleicher massen habe ich vor mehrern jahren in Jacob Böhmen kaum ein halbes tractätlein, so mir zu dem ende geschickt worden, gelesen, weil ich aber 70 nichts verstehen konte, so habe es auch wider zurücke gesandt und seither mich nicht wieder darüber machen wollen26. Doch nehme ich mir billig die macht nicht, einen frembden knecht zu richten27, noch die dinge, welche ich, nicht zu verstehen, selbs bekennen muß, zu verurtheilen. Indessen bleibe ich bey meiner lieben Bibel und trachte daraus einfältig zu lernen und nachmals 75 andere zu lehren, was ich und andere zu glauben und zu thun haben: dieses versichere ich mich, daß ichs in der heiligen und unverdächtigen schrift zur gnüge habe und also nichts ausser derselben zu meiner seligkeit nöthig seyn könne: Werde ich im gebrauch dieses pfundes vor dem HErrn treu erfunden werden28, so ist mirs genug, und solte mir auch etwas weiteres nöthig seyn, 80 würde mich der himmlische Vater schon dazu führen. Dieses ist die regel, nach dero ich mich richte und andere auch gern darauf weise, als versichert, daß ich auf solche weise mich weder selbs noch andere verführe, hingegen mich auch nicht mit unzeitigem urtheilen versündige, als welche sünde ich vor schwehrer halte, als sie ihrer viele anzusehen pfegen, und mich deswegen 85 sorgfältig davor hüte, deswegen, was ich nicht gründlich verstehe, unbeur­ theilet lasse, damit ich nicht entweder einer seits unwissend etwas an sich gutes verdamme, noch anderseits etwas in dem grunde irriges billige und mich also der schuld desselben theilhaftig mache: Der HErr gebe uns allen allezeit auch in dieser sache seinen geist, seinen willen recht zur erkennen und bey 90 der einfalt seines worts sorgfältig zu bleiben, er leite uns auch selbs aus seinem wort durch denselben in alle uns zu jederzeit nöthige wahrheit29.

85 sie ] – D1+2. ​

25 Welche Ausgabe dies war, läßt sich nicht mehr feststellen. In der Bibliotheca Speneriana fnden sich: Philosophia De Limbo, Aeterno Perpetuoque Homine Novo Secundae creationis ex Jesu Christo Dei Filio, Magdeburg: Johann Francke 1618, und Auslegung des Vater Unsers ave maria und magnifcat (BS 4° 387). Bei der letzteren Schrift dürfte es sich um die ca. 1525 erschienene Schrift „De Salve regina et magnifcat“ handeln (vgl. dazu: U. Gause, Paracelsus. Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie, Tübingen 1993, 47–60). 26 Die Weigerung, Böhme und seine Schriften zu beurteilen, erscheint in Briefen Speners sehr häufg. Welche Schriften er jedoch – wenigstens teilweise – gelesen hat, variiert. Am 13. 1. 1681 schreibt er, er habe Böhmes „Weg zu Christo“ ganz und die „Beschreibung der drey Principien“ etwa zur Hälfte gelesen, andere Werke eingesehen (s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 147, Z. 102–105; Bd. 5, Brief Nr. 4, Z. 1–5), so etwa das „Mysterium Magnum, Oder Erklärung uber das Erste Buch Mosis“ (s. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 28, Z. 49 f). 27 Vgl. Röm 14,4. 28 Vgl. Lk 19,17; 1Kor 4,2. 29 Vgl. Joh 16,3. 522 Briefe des Jahres 1690

Daß mein voriges schreiben30, in dem ich etwas gemeldet wegen der mir gegebenen nachricht über die sonderbahre rührung und mitgetheiltes liecht, 95 freundlich aufgenommen, ist mir lieb: doch wolte ich nicht, daß derselbe die wiederentziehung solches süssen geschmacks einem mißbrauch und eigner verschuldung zuschriebe. Dann ob wol solche ursach auch müglich ist, so traue ich doch seiner aufrichtigkeit und bekanter sorgfalt, in dem gehorsam des HErrn stets einher zu gehen, dieses zu, daß er auch mit solcher gabe 100 werde sorgfältig umgegangen seyn: so gleichwol auch dessen prüfung über- lasse. Es ist aber dieses die weise unsers liebsten Vaters, daß er, wann er seinen kindern dergleichen zucker zu schmecken gegeben oder sie einen sonderba- ren blick hat sehen lassen, seine gabe bald wieder zurücke ziehe und sie wol in mehr dürre oder fnsternüß fallen lasse. Dann seine weißheit hat es also 105 verordnet, daß dorten31 erst der beständige genuß seiner süßigkeit und an- schauen seines liechts folgen solle, hier müssen wir uns vergnügen, wo uns der HErr nur etwa einiges mahl einen trauben aus Canaan sehen und ein beerlein kosten lässt zur aufmunterung, stärckung und entzündung des verlangens nach Canaan selbs32. Daher so und dasjenige, was wir zugeniessen kaum an- 110 gefangen, widerum zurück gezogen wird, haben wir weder gegen unsern Vater zu murren, noch auch das vertrauen fallen zu lassen, gleich ob wäre es eine anzeigung des von uns wieder abgewendeten väterlichen hertzens, wel- ches uns gleichwohl nicht weniger liebet, wo es uns in dem dunckeln führet, als einige mahl mit einem strahl uns erfreuet. Ich hofe auch, er werde sich 115 gantz wohl drein schicken und sich der hand des HERRN überlassen, von ihro nach ihrem rath, nicht aber menschlichem wohlgefallen, geführet zu werden. Daß derselbe mein weniges gebet hoch achtet, ist seine liebe: nun versiche- re zwahr, daß ich in demselben seiner nicht vergesse, aber wie menschen die 120 beschafenheit meines gebets nicht wissen, so muß ich mich dannoch vor GOtt derselben schämen, als der ich nicht nur nicht allezeit, sondern kaum jemahls denjenigen grad der brünstigkeit oder andacht bey meinem gebet spühre, der sich bey den allermeisten kindern GOTTES fndet. Ich muß mich also damit vergnügen33, daß bey aller kälte des gebets und umschweifung der 125 gedancken dannoch dieses versichert bin, daß ich wahrhaftig dasjenige, was vor mich und andere bitte, auch also von GOTT verlange: Welches, wie mir mein hertz in der wahrheit zeugnüß gibet, das einige ist, das mich tröstet, daß

103 ziehe ] zu ziehen: D1. ​104 lasse ] zu lassen: D1. ​112 eine ] ein: D1+2.

30 Von den überlieferten Briefen aus den Jahren 1689 (s. Anm. 4) und 1690 läßt sich keiner identifzieren, der hier gemeint sein könnte. 31 Im ewigen Leben. 32 Spener spielt hier auf Erzählung über die Rückkehr israelitisher Kundschafter aus Kanaan an, bei der sie Trauben als Beweis für den Reichtum des Landes mitbrachten (Num 13,24). 33 Vgl. Anm. 15. Nr. 114 an [einen Geistlichen?] 1690 523 der himmlische Vater um seines Sohns vorbitte willen34 solches nicht gar ver- schmähen werde. Daher auch, wie elend mir mein gebet vorkommt, ich mich dannoch von dessen fortsetzung nicht abhalten lassen, sondern dem HERRN 130 allemahl die opfer bringen will, wie sie zu bringen vermag, und gern heiliger und reiner bringen wolte. Ich erkenne wohl, daß dieser mangel nicht ohne meine schuld, aber, die hindernüssen alle zu fnden und sie wegzuräumen, habe noch nicht vermocht. Der HERR aber wird seine barmhertzigkeit nicht von mir wenden35 und mich ihm mehr und mehr gefällig machen, welches 135 ich seiner väterlichen güte billig zutraue, die sich durch so viel proben zu allen zeiten über mich gezeiget hat. Christlicher mitbrüder gebet aber wird mir auch vor meine person und amt den vornehmsten vorschub thun und, was meinem bitten manglet, in göttlicher kraft ersetzen: daher solches auch vor die größte wolthat halte, welche mir von jemand mag erzeiget werden, 140 und darum bey allen, die mich lieben, bitte. Daß derselbe aber berichtet, er habe alles sein schreiben weg geleget, wäre mir nicht lieb, sondern wolte lieber, da er einen einfuß36 dazu bey sich spühret, er folgte auch solcher begierde. Wie dann oftmahls in dem schreiben die beste betrachtungen geschehen, wie ich an meinem eignen exempel auch 145 noch in jüngern jahren erfahren habe37: Und ob man nicht eben allezeit schreibet, daß man dergleichen andern oder zu dem truck mitheilen will, so bleibet doch noch der zweck einer seits der übung an sich selbs, da oft, wo man durch die feder etwas ausfiessen lässet, der zufuß reichlicher gehet, sich hingegen stopfet, wo man jene hemmet, anderseits hats auch diesen nutzen, 150 daß man künftig es wiederum durchlesen und sich dessen erinnern kan, was uns GOtt zu andernmahlen vor erkäntnüß gegeben hat, welches auch eine nicht geringe aufmunterung ist. Daß derselbe das creutz Christi hoch hält, ist Christlich und wohl gethan, in dessen wird vorsichtigkeit von nöthen seyn in dem verlangen nach dem- 155 selben, um darinnen so wohl maaß zu halten, als auch GOtt nichts vorzu- schreiben. Wie ich dann in GOTTes wort nirgend fnde, daß sich die liebe kinder GOttes selbs einiges innerliches oder eusserliches creutz gewünschet oder sonderlich verlanget, wohl aber sich allezeit getrost darauf gefasst ge- halten und, wann es sie betrofen hat, es geduldig getragen oder gar desselbi- 160 gen gefreuet haben. In diesen schrancken rathe ich auch am allerliebsten zu bleiben, damit nicht unvermerckt in der begierde des creutzes sich eine ver- suchung GOttes antrefen lassen möchte. Also ist uns genug, daß wir beten, daß der wille unsers himmlischen Vaters gleich wie von uns, also auch an uns

34 Vgl. Joh 17,9. 35 Vgl. 1Chr 17,13. 36 Im Sinne von „Impuls“ (DWB 3, 179). 37 Möglicherweise denkt Spener an seine in der Studentenzeit verfaßten „Soliloquia“, die erst posthum ediert wurden: Philipp Jakob Spener, Soliloquia et Meditationes sacrae, hg. J. G. Pritius, Frankfurt a. M.: Zunner und Jung 1716. – Auch das Schreiben des Adressaten braucht keine Ver- öfentlichung zum Ziel gehabt zu haben. 524 Briefe des Jahres 1690

165 erfüllet werden möge38, es seye nun, daß er uns durch creutzes oder andere wege, welches wir seiner weißheit heim geben und mit recht heim geben sollen, führen wolle, als zu beydem in kindlicher gelassenheit bereit. Nun, der treueste Vater setze noch ferner in ihm sein gutes angefangenes werck fort auf den tag JEsu Christi39, sonderlich rüßte er ihn aus mit weiß- 170 heit, gegen jedermann zu handeln, wie sichs gebühret, auch gegen die welt, sie weder unvorsichtig zu reitzen, noch ihr liebkosend gleichförmig zu wer- den40, so denn mit kraft in allem durchzutringen und reiche früchte der empfangenen gnade41 zu seinem preiß zu tragen. 1690.

38 Vgl. die dritte Bitte des Vater-Unsers (Mt 6,10). 39 Phil 1,6. 40 Vgl. Röm 12,2. 41 Vgl. Röm 1,5. Nr. 115 an eine vornehme Person 1690 525 115. An eine vornehme Person1 Dresden, 16902

Inhalt Ermutigt, angesichts von Krankheit und Altersgebrechen auf Gott zu vertrauen. – Verweist auf dessen Hilfe in der Vergangenheit und die Hofnung auf den göttlichen Beistand in Anfechtung und Kampf am Ende des Lebens. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 338–340.

Den Zustand deroselben aus dem letzten3 habe ich also angesehen, daß er dem eusserlichen ansehen nach sehr elend seye, dann was kan elender gedacht werden, als nach innerlichem und eusserlichem, seinem eignen urtheil nach zu allen verrichtungen untüchtig oder ungeschickt zu werden (wie die klage lauten wolte), da man sagen solte, daß man in solchem stande vergebens in 5 der welt wäre und dasjenige nicht mehr leisten könte, wozu uns doch leben und alles gegeben worden ist? Indessen versichere gleichwohl, wo man solchen beklagten zustand mit andern augen, nemlich denjenigen, die nicht den schein, sondern die wahr- heit tief einzusehen vermögen, ansiehet, daß die sache eine gantz andere 10 gestalt gewinne. Wie ich dann in solchem zustand eine erfüllung dessen wahr- nehme, was der H[eilige] Paulus 2.Cor.4,164 von der von tag zu tag zuneh- menden erneuerung des inneren menschen bey und unter der täglichen verwesung des eusserlichen menschen gelehret hat. Aber ach, seliger verlust an etwas geringers, welcher in einem viel edlern ding mit zunahm göttlichen 15 liechts und kraft ersetzet wird! Dergleichen sehe ich aber wahrhaftig an derselben erfüllet: Dann worüber sie klaget, daran sie abgang leide, und auch das innerliche dahin zehlet, gehöret wahrhaftig nur zu dem eusserlichen. Wie dann gedächtnüß, ungehinderter gebrauch der gedancken in gebet und in betrachtung und in dergleichen zwahr in der seele sind und so fern innerlich, 20 sie gehören aber doch noch zu dem eusserlichen menschen, wie demselben das rechte innerliche, das ist der geist und das göttliche in uns, entgegen ge-

19 1in ] im: D2+3. ​

1 Der Adressat bzw. die Adressatin ist eine vornehme Person (nach dem Personalpronommen in Z. 17 vermutlich eine Frau), die an zunehmender Altersschwäche leidet. Diese ist durch einen erst kurz zurückliegenden Vorfall (Krankheit?) (Z. 37) noch verstärkt worden. Spener scheint ihre Frömmigkeit gut zu kennen. 2 Nicht näher bestimmbar. 3 Dieser Brief ist nicht überliefert. 4 2Kor 4,16 (Luther 1545: „DArumb werden wir nicht müde / sondern ob vnser eusserlicher Mensch verweset / So wird doch der innerliche von tage zu tage vernewert.“). 526 Briefe des Jahres 1690

setzt wird, welches unser liebe Lutherus einiges orts mit dem allerheiligsten in dem tempel, wo GOtt wohne, die übrige kräften der seelen aber mit dem 25 heiligen vergleichet5. Nun, was dieselbe klagen können, wird sich alles allein ziehen auf die gedachte seelen=kräften,​ die von dem leiden der natur auch das ihrige mit empfnden: Indessen bleibet glaube, liebe und hofnung6, die drey göttliche haupt=​wirckungen, in dero geist viel zu tief eingetruckt, als daß das verwesen des eusserlichen menschen dieselbe berührte, sondern alles, 30 was es thun kan, kommt nicht weiter, als daß deroselben ausfüsse und wirckungen in die eusserliche seelen=kräften​ gehindert werden, daß sie sich der schätze, die sie doch in sich hat, nicht allemal besinnen, vielweniger sich derselben erfreuen und etwas davon empfnden kan. Indessen bleiben sie nichts destoweniger in ihrer kraft oder nimmet diese wol gar zu als ein feur, 35 das in sich selbs desto mehr sich erhitzet, als die eusserliche ausbrüche ver- stopfet sind. Dessen mag sie ein neues zeugnüß sehen, an dem, wie sie in ihrem neulichen so harten und anderm tödtlich geschienenem anstoß eine solche freudigkeit des geistes bey sich gefühlet, daß ihr ihr zustand nicht so elend als andern geschienen. 40 Ob nun dann die menschliche furcht sich sonderlich über das künftige ängsten will, wo wir endlich die macht der anfechtung nicht mehr überstehen würden können, sondern davon überwunden werden müssen, so mögen wir dannoch auch die kraft derselben unschwehr überwinden, wann wir ge- dencken, wie auch aller unser voriger sieg, in dem, was bereits überstanden 45 ist, nicht unser, sondern GOttes werck gewesen sey. Dann wäre es vorher unsre kraft gewesen, mit dero wir überwunden, so möchten wir sorge haben, wenn unsre kräften abnehmen, daß wir des sieges nicht mehr versichert seyn könten. Aber dem HErrn sey danck, der uns erkennen hat lassen, daß so oft wir gesieget, aller solcher sieg wahrhaftig sein werck in uns gewesen seye. 50 Weil dann derjenige, von dem der sieg allezeit kommen muß, nicht schwächer wird, ob wol unsre kräfte abnehmen, so bedarfs je keine sorge, daß die feinde unser mächtig werden würden, denen wir nicht mehr gewachsen seyen: dann sie haben ja vielmehr mit unsers GOttes kraft als mit uns zu thun: jene aber nimmt nicht mit uns ab, sondern weiset sich in den schwächsten am 55 mächtigsten7, ja, suchet eben darin ihre ehre. So stehet uns die treue unsers Vaters so fest, die uns berufen hat zu der gemeinschaft seines Sohnes8, daß sie uns unmüglich über unser oder vielmehr ihr vermögen in uns versuchet werden lassen kan9, sondern alles zum guten ende bringen muß.

29 daß ] – D3. 37 ihrem ] ihren: D3. 37 geschienenem ] geschiehnem: D1. ​ 54 sondern ] sonder: D3.

5 Marin Luther, Magnifkat (WA 7, 550.20–551.24) (s. Brief Nr. 114 Anm. 11). 6 1Kor 13,13. 7 Vgl. 2Kor 12,9. 8 Vgl. 1Kor 1,9. 9 Vgl. 1Kor 10,13. Nr. 115 an eine vornehme Person 1690 527

Diese treue mag dieselbe so viel hertzlicher und gewisser trösten, als sie nicht nur von derselben so vieles gehöret, sondern, was noch mehr bekräf- 60 tiget, an sich selbs bereits erfahren hat. Wie also ihr getreue Heyland so viele jahr und in so manchem kampf beygestanden und den sieg verschafet hat, so ist jeglicher sein bißheriger beystand und sieg deroselben ein unfehlbare versicherung auch der fortsetzung seines guten wercks in ihr biß zu dessen völliger ausführung10. Und wie er dann bißher dieselbe zum zeugnüß seiner 65 wunder gesetzet, so solle sie gewiß auch ein exempel und zeugnüß seiner güte und unbetrüglichen treue nicht weniger werden und bleiben. Also wollen wir in aller unser schwachheit ihm dannoch also treu verbleiben, daß wir, da wir sonst nichts anders vermögen, uns ihm überlassen und also alles gar auf ihn ankommen lassen, nur indessen nach seiner gnade seuftzende und der stunde 70 der mehrern hülfe in gedult erwartende. Sie wird kommen und nicht aussen bleiben, ob sie aber verzeucht, so wollen wir in seiner kraft ihr harren, sie wird gewißlich kommen und nicht aussen bleiben, ja, auch ihr verzug wird sich, selbs eine wolthat gewesen zu seyn, zu seiner zeit weisen. Also wollen wir nichts sorgen, sonderlich vor das künftige, sondern in allen 75 dingen lassen unsere bitte im gebet und fehen mit dancksagung vor GOtt kund werden11. Er wirds je recht machen und, da das meiste des kampfs über- wunden ist, seine ermüdete kämpfer mit seiner kraft nicht verlassen. Dabey bleibts, und wir werden fnden, daß uns solche hofnung nicht habe zu schanden12 werden lassen, sondern ihn noch in der ewigkeit davor vollkom- 80 men preisen. 1690.

10 Vgl. Phil 1,6. 11 Phil 4,6. 12 Vgl. Röm 5,5. 528 Briefe des Jahres 1690 116. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16902

Inhalt Bedankt sich für die Zuneigung des Adressaten, möchte den Vatertitel nicht persönlich, aber in seiner Amtsfunktion in Anspruch nehmen; freut sich, daß Menschen durch seine Schriften ge- segnet werden. – Gratuliert zum Ruf in eine neue Gemeinde und wünscht göttlichen Segen und eine gute Gemeinschaft mit den Kollegen und der Gemeinde. – Hält die Konfrmation für ein wichtiges Mittel zur Erbauung; beschreibt deren Einrichtung in den Frankfurter Landgemeinden; in der Stadt selbst wird sie privat gefeiert; wünscht ihre Einführung an allen Orten. – Lobt das Briegische Ausschreiben, auch wenn es von Kollegen kritisiert wird. – Skizziert die Durchfüh- rung von Hausbesuchen, damit sie keinen Anstoß geben; die Prediger sollen engere Freundschaft mit Frommen schließen und deren Freundschaft untereinander fördern. – Schlägt gesonderte Trefen mit Jugendlichen nach dem ersten Abendmahlsgang vor, um sie im Katechismus zu unterrichten; macht Mut, Möglichkeiten zur Erbauung der Gemeinde zu entdecken und um- zusetzen. – Hält den Beichtpfennig für problematisch, kann aber seine ersatzlose Abschafung nicht befürworten, weil er ein Teil des Einkommens der Geistlichen ist; schlägt stattdessen eine Sonderspende vor, die je nach Vermögen gegeben werden kann; erinnert das Ministerium daran, bei der Einführung neuer Regeln sich mit dem Magistrat abzusprechen. – Ergänzt die in seinem Buch vom „Geistlichen Priestertum“ vorgenommenen Literaturhinweise. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 635–640.

Ich habe zum fördersten freundl[ich] danck zusagen vor das gute vertrauen und liebe, so durch den beylegenden vaters=titul​ 3 (den ich zwahr nicht so wohl vor meine person, nach welcher ihn vielmehr einen bruder als sohn tractiren solle, als nach meinem amt anzunehmen habe) zubezeugen beliebet 5 hat. Ist etwas durch meine arme schriften zu desselben erbauung geschehen, so erkenne ich die güte unsers himmlischen Vaters, dero es allein zuzuschrei- ben und sie darüber danckbarlich zu preisen, mir aber nichts von solchem ruhm zuschreiben, zulassen habe: doch venerire auch seine väterliche güte, welche mich zuweilen, wann ich sonsten so gar wenig frucht aus meiner arbeit 10 zusehen meyne und mich darüber betrübe, durch eine und andere, welche davor halten, durch mich in dem guten gestärcket worden zu seyn, und dessen gegen mich meldung thun, aufmuntert, um nicht allzu viel von dem, was mir vor augen schwebet, niedergeschlagen zu werden.

1 Der Adressat ist ein Amtsbruder, der durch die Schriften Speners beeinfußt ist (Z. 5–8); er ist vor kurzem in ein geistliches Amt einer Stadt berufen worden (Z. 14–21), die weder in Kur- sachsen noch in Hessen liegt (Z. 22–25). Er nennt Spener Vater (Z. 2), was dieser jedoch nur in seiner Amtsfunktion annimmt. Er hat wohl vor über das „geistliche Priestertum“ zu predigen (Z. 146–148). 2 Eine genauere Datierung ist nicht möglich. 3 Zu dieser Fragestellung s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 126, Z. 1–12, und Nr. 139, Z. 1–11. Nr. 116 an [einen Amtsbruder] 1690 529

Nechst dem habe auch freundl[ich] zu gratuliren zu dem angedeuteten neuen beruf zu der kirchen zu N.4, den himmlischen Vater demüthigst an- 15 fehende, daß er wolte die verliehene gaben des geistes immer vermehren und dero treuen gebrauch mit vielem tausend segen in erhaltung der anvertrauten seelen beseligen: dazu er auch nicht nur die leibes und gemüths kräften lang- wierig5 erhalten, sondern auch, um so viel ungehinderter alles gute fort zu- setzen, die hertzen der wehrten Herrn Collegen und gantzer Christlicher 20 gemeinde mit demselben liebreich vereinigen wolle. Die öfentlich eingeführte confrmation der erstmahls communicirenden halte ich sehr erbaulich. Hie zu lande in Sachsen haben wir sie nicht, wie es etwa auch an andern erbaulichen anstalten mangelt: aber in dem Heßischen um Franckfurt herum ist sie von altem im gebrauch, daher ich die zeit über, 25 als ich an diesem ort Senior gewesen bin, erhalten habe, daß solcher ritus, ob er wohl nur in einem einigen fecken6, der stadt angehörig, im brauch gewe- sen, in allen dörfern eingeführet werden muste. In der stadt aber, weil man nicht durchtringen konte, wurde sie darnach bey einzelen oder etzlichen in den häusern privatim verrichtet7. Da ich weiß, daß es bey den meisten nicht 30 ohne grosse bewegung abgegangen, wann ihnen hertzlich zugesprochen, das gelöbnüs von ihnen abgenommen und der segen des Herren mit gebet auf sie geleget worden; sonderlich gieng es ihnen zu hertzen, da sie ihres in der tauf durch die paten abgelegten verspruchs beweglich erinnert und, daß sie nunmehr selbst mündlich sich dazu bekennen solten, gefordert, des taufbunds 35 pfichten aber auch erklähret worden. Daher ich wünschete (wie auch vor mir andere Christliche Theologi gethan8), daß dergleichen confrmation wohl eingerichtet an allen orten möchte eingeführet werden. Das Christ=​Fürstl. Briegische ausschreiben von Amad[deo] von Friedele- ben, das ist Abraham von Franckenberg9, einem Schlesischen edelmann, 40 ediret10, hat viel schöne dinge in sich, obs wohl auch mit bedacht gelesen

4 Nicht ermittelt. 5 Was lange währt und beharrt (DWB 12, 185). 6 Gemeint ist Bonames (Wallmann, Spener, 219). 7 Zu der Konfrmation in den hessischen Dörfern im Umfeld von Frankfurt und der Einfüh- rung in den zur Stadt gehörenden Orten s. Wallmann, Spener, 219 f. 8 Z. B. die Theologen in Straßburg (Wallmann, Spener, 31; dort mit weiteren Hinweisen auf andere Theologen). 9 Abraham von Franckenberg (24. 6. 1593–25. 6. 1652), Spiritualist; geb. im Gut Ludwigsdorf bei Oels/ Schlesien, nach dem Jurastudium in Leipzig, Wittenberg und Jena und der Hinkehr zur spiritualistischen Frömmigkeit Verzicht auf Ämter und Ehe, 1617 Privatmann auf dem elterlichen Gut Ludwigsdorf, 1623 Bekanntschaft mit Jakob Böhme, dessen erster Biograph er wurde, Her- ausgeber der Werke Böhmes (LL 3, 471 f; H. Jaumann, Bio-bibliographisches Repertorium, Bd. 1, Berlin 2004, 276; H. Schrade, Abraham von Franckenberg, Diss. phil. Heidelberg 1923 [masch.]; J. Bruckner, Abraham von Franckenberg. A bibliographical Catalogue with a short list of his library, in: Beiträge zum Buch‑ und Bibliothekswesen 25, Wiesbaden 1988; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 80 Anm. 5). 10 Abraham von Franckenberg (Hg.), Christ-Fürstliches Bedencken und Ausschreiben, Von Nothwendiger Ergreifung derjenigen Mittel, wodurch Gottes gerechtes Gerichte, gefasster 530 Briefe des Jahres 1690

werden muß: es ist aber lang vielen unsers ordens11 ein dorn im auge gewesen und, weil es von einem reformirten Fürsten12 ausgegangen, verworfen worden: Ich habe aber darinnen viel göttliche wahrheiten erkannt und bin in 45 vielen kräftig überzeuget worden, wann ich die gemeine der leute praxin dagegen halte, daß es einmahl ins gemein mit der leute Christenthum so be- schafen seye, wie es darinnen beschrieben wird: hingegen wie der Herr Herr ein mehrers von allen und auch von uns, die wir andere anweisen sollen, er- fordere. Ach, daß er uns auch die weißheit, wie alles solches zu werck am 50 füglichsten zurichten seye, und kraft, solches auch zuthun, verleyhe. Privat-ermahnungen und häußliche besuchungen anlangende, sind dersel- ben unterschiedliche arten: einige geschehen besonderer ursachen wegen, wo nehmlich ein prediger, sonderlich beichtvater, von einer person oder gantzer haußhaltung weiß, daß es damit nicht beschafen, wie es solte, und er sie nicht 55 so wohl zu sich fordern, als die erinnerung lieber selbst bey ihnen thun will. Was nun diese anlangt, wird es so grosse difcultät damit nicht haben, noch leicht jemand seyn, der solche macht dem prediger disputirte, ohne daß die jenige, welche den zuspruch leiden sollen, sich oft darüber mißvergnügt bezeugen. Was aber die jenige besuchungen anlangt, welche sonst um der 60 gemeinen erbauung willen geschehen, hat es mehr bedencken und ist deß- wegen auch grössere vorsichtigkeit nöthig. Ich rathe allezeit, daß ein prediger zufodersten acht gebe, was er in seiner gemeinde bald vor die beste seelen und, die am meisten das wort des Herrn lieben und sich der gottseligkeit befeißen wollen, erkennen kan: um alsdenn auf mittel und wege zu dencken, daß sie 65 entweder auf veranlassung selbst weiter kundschaft mit ihm suchen oder wie er, sich bekant zu machen, gelegenheit fndet. Wo er nun zu einer kundschaft gekommen, so wünsche ich, daß, so viel er kan und es ohne andern bösen schein geschehen mag, er auch mit dero guten willen sie besuche und sie hinwiederumb ihn: aber daß solche visiten allemahl zu einer gelegenheit ge-

60 willen ] willig: D3. ​

Zorn, und endliche Strafe (Über itzige Welt) Mit rechtem Ansehen erkennet: Auch endlich, Wo nicht abgewendet, doch etlicher massen abgemildert werden möge. Zu Heylwärtiger Er- innerung und höchstnöthiger Verbesserung des so ubel bedieneten Christenthums, Amsterdam 1646 (zu weiteren Auflagen s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 101 Anm. 15). – Der Inhalt wird zusammengefaßt in: J. Wallmann, Schlesische Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts. Die Schriften des Liegnitzschen Landeshauptmanns David von Schweinitz (1600–1667), in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte, NF 86, 2007, [45–98], 91 f; D. Meyer, Entstehung und Wirkung des Briegischen Bedenkens von 1627, in: J. Harasimowicz, A. Lipińska (Hgg.), Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim: materiały międzynarodowej konferencji naukowej zorganizowanej w dniach 8–10 grudnia 2005 r. w Muzeum Miedzi w Legnicy, Legnica 2007, 153–163 (s. Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. [93] Anm. 5). 11 Gemeint sind die Geistlichen. 12 Herzog Johann Christian von Brieg (1591–1639), Herzog von Brieg, Liegnitz, Wohlau und Ohlau; seit 1609 selbständig regierend, seit dieser Zeit zum Calvinismus tendierend, zu dem er sich 1614 öfentlich bekannte; in den Wirren des 30-jährigen Krieges zur Flucht aus seinem Herrschaftsgebiet gezwungen (ADB 14, 189–200). Nr. 116 an [einen Amtsbruder] 1690 531 braucht werden, sich mit einander in dem Herrn zu ermuntern und zu er- 70 bauen. Wo man nun nur mit etlichen wenigen in einer solchen Christlichen familiarität stehet und sich dergleichen klüglich gebrauchet, gibt GOtt immer gnade, daß mehrere nach und nach eben dasselbe suchen und in weniger zeit ein prediger eine feine zahl solcher leute bekomme, die zu weilen mit ihm und wiederumb er mit ihnen, umgehet, damit er die privat=erbauung​ üben 75 kan. Er thut auch wohl, wo er unter solchen Christlichen gemüthern selbst eine freundschaft stiftet, daß auch sie einander mehr in dem Herrn kennen lernen, eines auf das andere in liebe acht geben, einander freundlich besuchen und sich also auch mit einander stärcken. Dieses halte ich vor das erste zu unserer zeit gnug: ists aber dahin gebracht, so zeiget der HErr immer weiter, 80 was zuthun, und öfnet eine thür nach der andern. Doch haben wir uns an meisten orten zu hüten, daß wir weder auf einmahl ihrer viele zu uns kom- men lassen, noch auch dergleichen bey andern veranlassen, sondern, daß alle conversationen mit wenigen und also ohne vieles aufsehen geschehen. Dann ob es wohl so viel besser wäre und mit weniger mühe mehr ausgerichtet 85 werden könte, wo wir, was wir mit eintzlen oder wenigen handlen, zugleich mit mehrern handlen dörften und ins gesamt auch solche absonderliche ver- samlungen nicht wenigen nutzen haben: so leben wir doch zu einer solchen zeit, die uns an wenig orten dergleichen zugibet, und muß man also durch dergleichen anstalten etwa sorgen, mehr hindernüß des guten zu erregen, als 90 dasselbe zu fordern: daher wir gleichsam mit einem umschweif und mehrern mühe das jenige auszurichten suchen müssen, was zwahr auf andere art, wo man gerade zugehen dörfte, mit mehr frucht geschehen würde. Wo auch eines predigers umgang bey andern erbaulich befunden wird, wird solches bald kund, und werden die meiste seelen, daran etwas auszurichten ist, all- 95 gemach selbs gelegenheit suchen oder geben, daß sie dergleichen geniessen mögen: die wir aber auch alsdann willig anzunehmen und uns derselben zu gebrauchen haben. Mit der jugend liesse sich vielleicht dieses practisiren, daß so wohl von denen, die das erstemahl zum tisch des Herren gegangen oder gehen sollen 100 (so die gelegenheit geben kan) als andern, welche in dem öfentlichen cate- chißmus examine zu erscheinen pfegen, einige veranlasset werden, in der woche zu einer gewissen stunde bey dem prediger sich einzufnden, da man dann eine zeitlang den catechismum mit ihnen treiben kann, um sie auf das sonntags=​examen desto besser vorzubereiten (welche ursache niemand ver- 105 werfen kan), allgemach aber möchte neben solcher catechetischen unter- richtung auch ein examen der predigt mit ihnen angestellet und bey allem solchen acht gegeben werden, wie uns GOtt mit seinem fnger von einem auf das andere leitet: weder ihme vorzulaufen, noch auch, wo er uns selbs die anlaß eines guten gibet, davon zurück zubleiben. Daher auch in allen 110 solchen dingen niemand entweder etwas gewisses sich vornehmen, noch auch andern rathen kan: sondern ein kluger prediger sihet allemahl auf die re- gierung seines GOttes, wann, wo und wie ihm dieselbe zur erbauung selbs 532 Briefe des Jahres 1690

eine thür öfne, wartet auf solche mit hertzlichem gebet und braucht sich 115 darnach derselben mit sorgfalt und dancksagung. Der Herr gebe uns aber allezeit dazu die zulängliche weißheit von dem thron seiner heil[igen] höhe. Ich komme auf den beichtpfennig13: davon unter uns etwa unstreitig, daß er nicht simpliciter verwerfich oder eine Simonie14 sey, aber hingegen ist auch nicht zu leugnen, daß gleich wie vieler mißbrauch, dessen wir uns zu 120 schämen haben, oft dabey vorgehet, also auch insgesamt aufs wenigste ein böser schein nicht weit davon ist und manche andacht dadurch verstöhret wird. Daher wir ihn unter die dinge zehlen, die vielmehr aus noth wegen mangel anderer mittel zur unterhaltung der prediger toleriret und gedultet werden, als zu loben sind. Hingegen, wo der prediger nöthige sustentation15 125 auch an demselben hänget, würde derselbige unrecht thun, welcher ihnen das jenige ohne andere ersetzung entzöge, ohne welches sie nicht nothdürftig16 leben könten, da sie sich doch von dem evangelio nehren sollen17. Wie aber bey dessen abstellung der abgang durch etwas anders ersetzt werden könnne, ist keine sache, von welcher insgemein kan etwas gesagt werden: sondern an 130 jeglichem ort muß man sehen, wie sichs da practisiren lasse. Daher ich kein ander mittel sehe, als wo das ministerium, daß sie gern eine änderung dar- innen verlangten, unter sich einig würde, daß als denn mit dem magistrat und der gemeinde die sache freundlich überleget würde, was vor zulängliche vor- schläge beiderseits gemacht, und darüber mit einander etwas geschlossen 135 werden könte. Mein unvorgreificher vorschlag wäre, daß eine ordnung ge- macht würde, nach welcher zu halben oder gantzen jahren sonderlich bey dem neujahr jede person, so zu dem tisch des Herrn gehet, etwas gewisses seinem beichtvater zur verehrung brächte oder sendete, so bey den geringern nach dem jenigem, was sie ohne das jetzt des jahrs bey der beicht zugeben 140 pfegen, eingerichtet, bey den übrigen vermöglichern aber in dero discretion gesetzt würde, von dero meisten auf solche weise eher mehr als weniger gegen dem, was sie nun zu geben pfegen, zu hofen wäre. Doch nach dem jedes orts bewandnüß ist, mögen leicht noch andere zulängliche mittel gefun- den werden. Aufs wenigste wünschte ich hertzlich, daß wir auch dieses an- 145 stosses und mißstandes möchten auf gute manier in unser kirchen loß werden. Ist noch übrig von der materie des geistlichen Priesterthums zu antworten, welche ich allerdings würdig halte, vor der gemeinde nachdrücklich davon gehandelt zu werden, weil darbey unserer vornehmsten pfichten erbaulich

122 die dinge ] diejenige: D2+3.

13 Vgl. ähnliche Ausführungen in Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 19, Z. 254–274, Nr. 71, Z. 41–80, Nr. 138, Z. 1–35, Nr. 140, Z. 11–48. 14 Käufichkeit eines kirchlichen Amtes, benannt nach Simon Magus (Apg 8,5–24). 15 Ernährung; Unterstützung. 16 Nicht übermäßig, aber hinreichend (DWB 13, 929). 17 Nach 1Tim 5,17 f sollen die Ältesten und Lehrer von ihrer Arbeit in der christlichen Ge- meinde leben können. Nr. 116 an [einen Amtsbruder] 1690 533 gedacht werden kan. Von autoribus aber weiß ich keine andere weiter für- zuschlagen nechsten18 Viliz19 (dessen tractätleins anderer theil auch hernach 150 heraus gekommen20) und denjenigen, die in meinem citirt21, als daß P. Egar- dus22, der auch viel anderes geschrieben, ein gantzes tractätlein davon hinter- lassen, so in Holland absonderlich gedruckt23 und nachmahl in Franckfurt in dem 3. theil seiner schriften24, 1683, einverleibt worden. Daher nichts anders mehr dazu zu thun weiß als zubeten, daß unser unmäßlich gesalbte Hohe- 155 priester25 ein reiches maaß seiner salbung auf meinen werthen Herrn auch dießmal wolle fiessen lassen, diese materie des aus der salbung uns mitge­ theilten priesterthums nach seiner wahrheit und in seiner kraft also der ge- meinde vorzutragen, daß sie ihre rechte und pfichten nicht allein gründlich lernen erkennen, sondern sich derselben treulich in dem gantzen leben an- 160 nehmen: er lasse auch, wo die arbeit andern durch den truck gemein gemacht werden wird, dieselbe mit vielem seegen von oben herab beseliget und frucht- bar gemacht werden. 1690.

18 Wohl im Sinne von „nächst“. 19 Johann Vilitz, Regale Sacerdotium, Das ist: Die hochnötige und zugleich anmütige heilsame Lehre / Von dem Geist= und Königlichem Priesterthumb / In dreyen Punct= und Predigten […] fürgetragen, Quedlinburg: Johann Ockel 1639 (weitere Aufagen 1640, 1654, 1664), von Spener im Jahr 1670 erneut herausgegeben (s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 89, Z. 77 f, mit Anm. 12; Grünberg Nr. 273). – Johann Vilitz (Vielitz) (1601–1680), zuletzt Pfarrer in Quedlin- burg, Schwiegervater von Heinrich Ammersbach (Jöcher 4, 1606). 20 J. Vilitz, Continuatio regalis sacerdotii, Das ist: Fernere Außführung der hochnötigen und zugleich anmuthigen heilsamen Lehre Von dem Geist= und Königlichem Priesterthumb / Fromme und Gottselige Liebhaber dieser schönen Lehre in ihrer Meinung zu stärcken / und hin- gegen den feindseligen Wiedersprechern das Maul zu stopfen, Halberstadt: Andreas Kohlwalds Witwe 1664. 21 Spener, Das Geistliche Priesterthum. – Mit unterschiedlich langen Zitaten kommen u. a. zu Wort: Martin Chemnitz, Johann Arndt, Matthias Hoë von Hoënegg, Johann Gerhard, Johann Tarnow, Salomo Glassius, Johann Conrad Dannhauer, Joachim Lütkemann, Theophil Groß- gebauer, Heinrich Müller und Balthasar Bebel. 22 Paul Egard (1578/79–1655), holsteinischer Pfarrer (seit 1610 in Nortorf) und Erbauungs- schriftsteller (A. Tholuck, Lebenszeugen der lutherischen Kirche aus allen Ständen vor und während der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Berlin 1859, 397–406; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 120 Anm. 18). 23 P. Egard, Geistlich Königlich Priesterthum Christi; Nach der H. Schrift, an welches Erkänt- niß und Übung gelegen, Amsterdam 1678. Die Bibliographie folgt Moller, Cimb. lit. 1, 153. Ein Exemplar dieser Ausgabe ist bisher in keiner Bibliothek nachweisbar. 24 P. Egard, Geistreiche Schriften, Dritter Theil, Gießen: Albrecht Otto Faber 1683 (hg. von Ph.J. Spener; Grünberg Nr. 235; s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 8 Anm. 37); Speners Vor- rede dazu ist abgedruckt in: EGS 2, 137–152. Das „Geistlich-Königliche Priesterthum“ ist der achte Text dieses Sammelbandes mit der Titelangabe „Frankfurt 1682“. 25 Christus als der Hohepriester (Hebr 5,5). 534 Briefe des Jahres 1690 117. An einen Prediger1 Dresden, 16902

Inhalt Ermuntert, an der Erbauung der Kirche mitzuarbeiten angesichts deren Verfalls und solcher Prediger, die diese Aufgabe versäumen oder sogar einreißen statt aufzubauen. – Macht Mut, seinem Vorsatz treu zu bleiben, auch wenn er Widerstände erfahren wird. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 691 (3. Auf.: S. 691 f).

Wir haben ja wol ursach, so wol desto ernstlicher die erbauung der kirchen zu treiben, als wir derselben fall immer tiefer einsehen und so vieler gewahr werden, welche an statt des bauens etwa mehr einreissen oder doch versäu- men, daher jeglichem treuen prediger obligen will, daß er so zu reden nicht 5 allein vor sich, sondern vor andere säumige, die vorher gewest sind oder noch leben, zugleich arbeite und sorge, als auch einander die hand zu bieten und sich durch nichts (wie sonsten des satans gemeines3 kunststück ist, allerley zu versuchen, wo etliche mit ernst zusammen setzen, daß er seinem reich von ihnen desto mehr abbruch sorgen muß, um sie von einander zu trennen und 10 das brüderliche band wo nicht aufzulösen, doch losch4 zu machen) von ge- meinschaftlicher beforderung des guten abhalten zu lassen. Weil uns aber, wo wir treu unserm HErrn, der nicht ohne leiden sein amt geführet hat, in unserm amt bleiben, nichts anders vorstehet, als daß wir eben um solcher ursach willen etwas seiner leiden müssen theilhaftig werden5, so 15 haben mich seine wort sonderlich erfreuet, wann er meldet, den schluß gefast zu haben, keine hitze der trübsal6, wie groß sie auch seyn möchte, sich ab- schrecken zu lassen. Ach werther bruder, lasset uns allezeit an solchen vorsatz und gelübde vor GOtt gedencken, weil es leicht dazu kommen kan, daß man darauf fest stehen und also etwas, ja wol etwa vieles, leiden oder, mit Dema 20 die welt lieb gewinnende7 und sich derselben maximen gleich stellende, den ruhm seiner treue vor Gott und gläubigen hertzen verliehren muß: Da aber jenes auf alle weise ehe8 zu wehlen ist. Wir sind einmal in der zeit, da aller

1 Neben dem Regest von D erweist sowohl der Inhalt insgesamt als auch die Anrede in Z. 17 den Adressaten als einen Prediger. 2 Eine nähere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Im Sinne von „allgemeines“ (DWB 5, 3170). 4 In dieser Form nicht nachweisbar, s. aber „lasch“ für „träge“, schlaf“, „matt“ (DWB 12, 210). 5 2Kor 1,7; vgl. auch Phil 3,10. 6 Vgl. „Feuer der Trübsal“ in Sir 2,5. 7 Demas, ein vom Glauben abgefallener Mitarbeiter des Paulus (2Tim 4,2). 8 Im Sinne von „zuerst“ (prius) (DWB 3, 38). Nr. 117 an einen Prediger 1690 535 treuer diener JEsu Christi losung bleiben muß mit Paulo9: „durch ehre und schande, durch böse gerüchte und gute gerüchte, als die verführer und doch wahrhaftig u.s.f.“10 Wie er dann solches vorgesehen haben muß und gegen 25 dergl[eichen] hitze und anfechtung sich aus des Heiligen Geistes trieb mit dem gedachten vorsatz gewapnet hat, welches auch die beste vorbereitung ist, also hofe, er werde denselben auch täglich erneueren, um ihn so viel tiefer in seine seele einzutrucken und mit demselben kräftig zu überwinden: dazu ich auch, gleicher liebe mich versehende, mein schwaches gebet damit fort- 30 zufahren hertzlich anbiete. 1690.

9 Der Apostel Paulus. 10 2Kor 6,8. 536 Briefe des Jahres 1690 118. An [einen Amtsbruder in Kursachsen]1 Dresden, 16902

Inhalt Den Kirchenordnungen ist auf Grund der Autorität der Kirche und der Obrigkeit zu gehorchen, sie selbst sind an die Heilige Schrift gebunden; es kann aber nichts ausdrücklich als verboten gelten, nur weil es nicht in den Ordnungen erwähnt ist. – Die Heilige Schrift beinhaltet als vom Heiligen Geist inspiriertes Wort alles, was für die christliche Erkenntnis und die Erbauung der Menschen nötig ist. – Betont die Freiheit eines christlichen Predigers, im Rahmen der vorgege- benen Ordnungen Veränderungen zugunsten von Glaube und Seligkeit der Zuhörer herbei- zuführen. – Weist darauf hin, daß ein Prediger verpfichtet ist, sich an obrigkeitliche Verbote zu halten, auch wenn diese an sich nützliche Einrichtungen betrefen, wenn nämlich problematische Folgen erwartet werden können. – Beklagt es als Mißbrauch der Kirchenordnungen, wenn alles Neue verboten wird, selbst wenn es der Ehre Gottes dient. – Hält die Faulheit der Geistlichen für eine Hauptursache dieses Widerstandes. – Freut sich über die Übungen, mit deren Hilfe der Adressat die Frömmigkeit seiner Gemeindeglieder fördern will, gibt aber zu bedenken, daß ein drittes Katechismusexamen für Kinder die Eltern verärgern könnte. – Das kurfürstlich-sächsische Konventikelverbot bezieht sich auf ganze bestimmte Arten von Zusammenkünften und darf nicht auf alle Formen bezogen werden. – Ist der Meinung, daß die Sonntagsheiligung als Hilfe, aber nicht als Einschränkung verstanden werden soll; die politische Obrigkeit kann keine Ordnungen erlassen, die sich speziell auf das Leben der Christen beziehen. – Begründet den zu beobachten- den Mangel bei der Sonntagsheiligung mit folgenden Überlegungen: 1. Prediger beziehen sie nur auf die Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst. 2. Andere, wirklich sündhafte Handlungen und Veranstaltungen werden durch die öfentlichen Ordnungen zugelassen. – Nennt als Beispiel das Schießen und seine Begleitumstände; will den Besuch von Schänken eingeschränkt wissen. – Verweist auf die Notwendigkeit, dies in Predigten zu erläutern. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 763–768.

Gel[iebter] bruder, wir leben nicht allein sonsten auch in andern stücken in betrübter zeit, son- dern hauptsächlich in dieser absicht, weil wir fast das gute meistens mit mehr forcht thun müssen, als andere das böse so ungescheuet thun. Es sind die 5 kirchen=​ordnungen von den lieben alten hertzlicher meynung und zu gutem nutzen verfasset und eingeführet, sie verbinden uns auch, daß wir denselben, weil sie nichts wider Gottes gebot setzen, gehorsam leisten sollen als ord- nungen der kirchen, dero kinder und glieder wir uns bekennen, und da alle- zeit die autorität der hohen obrigkeit, so sie unter ihrem nahmen gemeinig-

1 Der Adressat ist ein Amtsbruder (vgl. Z. 118), der seine Gemeinde im Sinne pietistischer Frömmigkeit fördern will und dazu auch entsprechende Veranstaltungen einrichtet (Z. 105–107). Vermutlich ist es ein kursächsischer Geistlicher, weil Spener dezidiert auf das Konventikelverbot (s. Z. 122–129 mit Anm. 13) und die kursächsische Ordnung (Z. 182) verweist. 2 Da das Konventikelverbot (s. Brief Nr. 51 Anm. 39) schon vorliegt (Z. 125), muß der Brief nach dem 10. 3. 1690 geschrieben sein. Nr. 118 an [einen Amtsbruder] 1690 537 lich publiciren lässet, dazu kommet: Und würde der jenige unrecht thun, 10 welcher solche brechen und darwider thun wolte. Aber dieses ist ein grosser mißbrauch, wo man denselben dergleichen ansehen geben will, als müsse man nicht nur denselben nachgeleben3 und thun, was sie befehlen, sondern dörfe auch nichts weiter thun oder vornehmen, als was dieselbe uns austrücklich befehlen, daher, als wären sie nicht nur eine regel, sondern eine vollkom- 15 mene und adaequate regel alles dessen, was wir in unserm amt zu thun haben; Daß also gleich wie wir, was glaubens=sachen​ anlangt, an die heil[ige] schrift verbunden, daß wir nicht nur ab autoritate afrmativa und negativa4, sondern auch negata5 aus derselben argumentiren dörfen und nichts von geistlichen dingen zu unserm heyl glauben müssen, was nicht in derselben enthalten ist 20 und daraus erwiesen werden kan, wir nicht weniger die kirchen=ordn​ ungen dermassen ansehen müsten, daß wir auch nichts weiter zu thun macht hätten. Da hingegen ein unendlicher unterscheid unter dem göttlichen wort und menschlichen, ob wohl weißlichst gemachten, ordnungen bleibet. Dann was jenes anlangt, weil es herkommt von dem Heil[igen] Geist, der als ein all- 25 wissender geist nicht nur insgemein alle wahrheit erkennet, sondern auch vorsehen hat können, was zu jeder zeit zu erkennen nöthig seyn würde, so hat er die schrift also eingerichtet, daß niemahl nichts vorkommen kan, da er nicht bereits vorher das jenige, so zu dessen entscheidung gehöret, nach seiner allwissenheit in die göttliche bücher vor die jenige, die mit sorgfalt darinnen 30 forschen würden und alsdenn die nothdurft darinnen fnden solten, ein- bringen hätte lassen. Da hingegen die Christliche leute, so die kirchen=​ord- nungen verfasset haben, weil sie gleichwohl menschen sind, unmöglich haben alles vorsehen und, was zu jederzeit zu der erbauung der seelen, die endlich der beste zweck aller verordnungen seyn muß, nützlich oder nöthig wäre, 35 erkennen und darauf die verordnungen richten können: sondern es ist von ihnen gnug, daß, was sie eingesetzet, gehalten und demselben nachgelebet wird. Indessen nehmen sie ihnen die macht nicht (als welche vor menschen zuviel seyn würde, wo man sich derselben anmaßen wolte), unsre gewissen auch also zu verbinden, daß wir, wann wir nach unsrem gewissen unsren an- 40 vertrauten dieses oder jenes zur erbauung ersprießlich fnden, welches auch die kirchen=​ordnung nicht verbeut, eben um der ursach willen, weil sie es gleichwohl auch nicht vorschreibe, solches unterlassen müsten. Welche auto- rität ihren ordnungen zu geben und damit allen übrigen wachsthum in dem guten oder fernern gebrauch der von GOtt nicht umsonst, sondern zu der 45 anvertrauten erbauung ertheilter gaben (wider Jac. 4,176) zu unterschlagen,

35 beste ] letzte: D3. ​

3 „Geleben“ ist Verstärkung des Verbums „leben“ (DWB 5, 2928). 4 Autorität, die etwas bestätigt bzw. ablehnt. 5 Vorenthalten, d. h.: nicht vorkommend. 6 Jak 4,17 (Luther 1545: „Denn wer da weis guts zu thun / vnd thuts nicht / dem ists sünde.“). 538 Briefe des Jahres 1690

die liebe alte nimmermehr werden in die gedancken gebracht haben, sondern wir vielmehr wider die ehrerbietung, so wir ihnen schuldig sind, sündigen würden, wann wir ihnen solches beymessen wolten. 50 Also bleibet einem Christlichen prediger frey, in den dingen, welche die kirchen=​ordnung nicht oder nicht nach allen stücken determiniret, alles das jenige zum heyl und besserung seiner zuhörer zu thun, was er denselben noch nöthig fndet. Hiemit meine ich nicht, daß uns predigern verlaubt seye, selbst eigener gewalt neue und solche anstalten zu machen, welche andere verbin- 55 den könten, als wozu eine mehrere macht, nemlich welche verbindliche ge- setze machen und geben mag, erfordert würde. Und wer sich dessen anneh- men und andern etwas auftringen wolte, dazu er aus Gottes wort und der kirchen=​ordnung die anweisung nicht hat, würde damit billich abgewiesen, als der die schrancken seines amts überschritte. So lang aber ein prediger mit 60 seinen zuhörern, alten und jungen, vielen oder wenigen, zu dieser zeit an jenem ort mit dieser oder jener methodo handelt, was insgemein die pfichten seines amts sind, mit lehren, vermahnen, strafen, trösten und dergleichen7, ob wohl die determinationes solcher übungen in den kirchen=​ordnungen nicht stehen, kan er deßwegen nicht als dero übertreter angesehen werden, sondern 65 er gebraucht sich des allgemeinen in Gottes wort und den kirchen=​ordnun- gen ihm gegebenen rechts, seine zuhörer durch Gottes wort zum glauben und der seeligkeit zu führen, auf alle mügliche und ihm nicht austrücklich ver- botene weise. Hiebey bin ich nicht in abrede, weil es müglich ist, daß ein auch treumei- 70 nender prediger zuweilen an einem ort einige an sich nicht unrechte übungen angefangen hätte, die unvermeidenlich möchten andere ungleiche dinge nach sich ziehen8, so er nicht merckte, daß die obere, sonderlich die in den beyden ständen9 die allgemeine aufsicht haben, darüber zu erkennen macht haben, ob dergleichen (was nemlich etwas mehr in das ofentliche gehet) an solchem 75 orth rathsam oder nicht, und wo sie dieses letztere fnden, zu inhibiren, wo alsdann ein prediger dergleichen verbote auch nachzuleben und, was er durch solche anstalten gesucht, so viel müglich durch andere zuersetzen, verbunden ist. Wie dieses also meines erachtens die regel in dieser gantzen sache seyn 80 solte, so beklage sonderlich, daß nunmehr der jenigen so viele sind, die ob- gedachter massen die kirchen ordnungen zu weit spannen und sie als einen rigel allem dem jenigen, was ein mehrer feiß noch ausrichten könte und solte, mit schwehrer verantwortung vorschieben und also, was jene nicht aus- trucken und jedes orts die vorige nicht gethan, vor verboten erklähren wol-

7 Vgl. kompiliert 2Tim 3,16 und 4,2. 8 Vgl. eine entsprechende Einschätzung in Bezug auf die Konventikel in Leipzig in Brief Nr. 15, Z. 22–58. 9 Im „Regier-“ und „Lehrstand“ der von Spener akzeptierten Gesellschaftsordnung in drei Ständen. Nr. 118 an [einen Amtsbruder] 1690 539 len10. Daher wir sehen, daß oft das beste unter dem verhaßten nahmen der 85 neuerung (gerade als bestünde nicht unser gantzes Christenthum in einer stäten erneuerung und wachsthum) verworfen werden will: Wordurch wahr- haftig der Satan durch die hindernüß, damit mans ja nicht weiter bringe, als es jetzt stehet (da wir leider alle über den elenden verderbten zustand, den wir vor augen sehen, zu klagen ursach haben) allzu grossen vortheil über uns 90 gewinnet und die ehre Gottes gefährlich schmählert. Wolte GOtt aber, daß dieser sache, dero gefahr wir vor augen sehen, so leicht gerathen werden könnte: Da ich hingegen nicht leugne, daß zu dieser zeit wenig hofnung, daß auch diesem verderben nachtrücklich gesteuret werden könne, daran gemeiniglich, die in unserm stande leben, grossen theils 95 die haupt=​ursach oder vielmehr hindernüß sind. Dann, weil es ihrer vielen nicht gelegen ist, etwas über das ihnen austrücklich anbefohlene und, welches sie ohne einsehen der obern nicht unterlassen dörfen oder auch davon sie zeitlichen nutzen haben, weiter an ihren gemeinden zu thun, sondern lieber ruhe suchen, so muß auch anderer feiß, welcher ihre säumigkeit etlicher 100 massen beschämen möchte, hintertrieben werden, dazu man keinen schein- barern11 vorwand haben kan, als daß es der kirchen=​ordnung nicht gemäß. Ach, der HErr sehe doch dermahleins drein und befördere selbst, was zu seinen ehren dienet. Daß ich also auf die jenige dinge komme, die in dem ersten schreiben12 105 enthalten sind, kan ich mit wahrheit sagen, daß mich die erzehlung der von demselben mit seinen zuhörern angestellten übungen hertzlich erfreuet, und ich keine sehe, die ich nicht billig lobte, und lieber an allen orten, wo dazu tüchtige leute sind, eingeführt, als bey demselben gehemmet haben wolte. Ob aber gel[iebter] bruder dabey ruhig gelassen oder nicht sorglich einiges davon 110 niedergeleget möchte werden, traue ich nicht aus betrachtung dieser zeit zu versichern. Das dritte Catechismus=​examen mit den kindern sehe ich zwahr nicht wohl, wie es nur mit einem schein inhibiret werden möchte, es wäre dann sache, daß derselbe die kinder dazu obligirte, daß sie auch das dritte mahl 115 kommen müsten und sich die eltern beschwehrten, daß sie ihre kinder selbs nicht so oft entrathen könten: Was aber die jenige anlangt, da die eltern zu- frieden sind (wie wir ohne das in unsrem amt das meiste mit denen zuthun haben, die gerne mit sich handeln lassen wollen) will ich ja nicht hofen, daß denenselben ihre erbauung werde versagt werden. Was aber betrift die alte, 120 weiß ich nicht, wie viel ich versprechen kan, daß es dabey bleiben werde, wo einige, die was vermögen haben, dem wercke zu wider sind. Verbothene conventicula sind zwahr nicht, da ein öfentlicher lehrer, ob zwahr in seinem hauß, mit seinen kirch= oder beicht=​kindern handelt: aber

10 Vgl. dazu die Klage Speners, man dehne das Konventikelverbot auch auf die Situation aus, „wo 2 oder 3 Personen sich von Göttlichen dingen besprechen“ (s. Brief Nr. 45, Z. 13 f). 11 Einleuchtend (DWB 14, 2436). 12 Nicht überliefert. 540 Briefe des Jahres 1690

125 da auch das Chur=​Fürstl. Sächsische edict13 allein wider gewisse und umb­ schriebene14, an sich selbst, weil darinnen unrechtes vorgehen sollte, unzuläß- liche zusammenkünfte gerichtet ist, hat man doch gnug erfahren, wie es von vielen als ein verboth aller Christlichen versamlung zur erbauung angesehen und weiter getrieben werden wollen. Also ist dieses der punct, an dem ich 130 meistens anstehe, nicht zwahr, daß ich nicht selbst dergleichen hertzlich wünsche, sondern weiß, wie ihrer viel in solchem werck anders gesinnet sind. Was aber ferner anlangt, wo mit den beicht=kindern​ gehandelt und ihnen, die beicht verstehen zu lernen, an hand gegangen wird, bekenne, daß nicht sehe, daß mit einigem vernünftigen schein solches verworfen werden könte. 135 Jedoch bekenne wiederum, daß wir doch zu unsrer zeit zuweilen sehen, der- gleichen zugeschehen. Ich komme so bald auf das andere schreiben15, da wegen der sonntags=​feyr gefragt wird. Wie möchte aber so hertzlich wünschen, daß auch darinnen vergnüglich16 antworten könte. Ich bin selbst der meinung, daß uns Christen 140 eine ernstliche heiligung des sabbaths oblige, ob ich wohl dieselbe mehr in dem innerlichen als eusserlichen suche, da dieses hingegen das hülfsmittel von jenem ist, daher diese heiligung nicht unter die ceremonialia, mit einigen unserer zeit Theologen17 setzen kann18: neben dem bin auch versichert, wer eine zeitlang den sabbath recht, wie sichs geziehmet, feyren würde, solte aus 145 eigner erfahrung u. nutzen seiner seel erkennen, wie solches geboth uns vielmehr eine wolthat als last seye, daß uns Gott von unsrer arbeit, dazu wir verdammt sind19, einen tag frey geben will, wo wir unsrer seelen wohlthun mögen20. Daher ich auch öfentlich die materie hertzlich treibe und die leute vermahne, daß sie ihrer seelen diese liebe nicht versagen sollen21. Indessen, ob

13 Das kurfürstliche Edikt vom 10. 3. 1690, das das Abhalten von Konventikeln unter Strafe stellte (s. Brief Nr. 51 Anm. 39). 14 Es wird im Konventikelverbot (s. Anm. 13) genau defniert, was gemeint ist: „zu leipzig nicht allein von Studiosis, sondern auch von Bürgers=​Leuten, ja allerdings Weibes=​Personen / fürnehmlich Sonntags / bedenckliche Conventicula und Privat=​Zusammenkunften / unter dem Vorwandt der gemeinen Erbauung und Beförderung des Christenthums“, bei denen „allerhand neuerliche / und in der rechtgläubigen Evangelischen Kirche bisher ungewöhnliche Dinge“ vorgenommen würden, die „zu allerhand gefährlichen consequentien“ führten. „Dergleichen unbefugte und gefährliche Zusammenkünfte“ seien „gäntzlich“ einzustellen. 15 Nicht überliefert. 16 Im Sinne von „genügend“ (DWB 25, 471). 17 Johann Fecht (s. Brief Nr. 84 Anm. 1) war der Meinung, die Sabbatgesetzgebung des Alten Testaments sei eine reine Zeremonialordnung und deswegen für die christliche Gemeinde nicht mehr von Belang, sondern lediglich ein Adiaphoron (J. Fecht, Schediasmata Sacra. Seu exercita- tionum singularium liber, Frankfurt u. Speyer: Christophorus Olfen 1688); Näheres zur Sache s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 77). 18 Über die Frage nach der Sonntagsheiligung diskutiert Spener schon mit Sebastian Schmidt kontrovers (Frankfurter Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 49, 53, 54, 56, 58, 68 und – teilweise – Nr. 71), 19 Vgl. Gen 3,17–19. 20 Nach Ex 20,8–10. 21 In seiner Bußpredigt vom 11. 7. 1690 nannte Spener die Entheiligung des Sabbats als eine Nr. 118 an [einen Amtsbruder] 1690 541 wohl dadurch zu wege gebracht wird, daß diejenige, denen es um ihrer see- 150 ligkeit ein ernst ist, sich diese feyr mit den ihrigen werden lassen angelegen seyn, sehe ich doch keine hofnung nicht, daß wir es zu dieser zeit und unsrer orten dahin annoch bringen werden, durch öfentliche anstalten allein, das zur entheiligung gehöret, abzuhelfen, sondern es wird diese eine von denjenigen sünden bleiben, dawider wir vergebens schreyen. Die ursachen dessen, neben 155 denjenigen, welche auch andre sünden insgemein hegen, sind diese 1. Weil nunmehr der Theologorum nicht wenige, die von der verbindlich- keit des sabbaths in dem N[euen] T[estament] gar gelinde reden und ohne die ofentliche zusammenkunft die leute zu wenig anderem verbinden wollen. Wie nun solche meinung, als der freyheit gar angenehm, die gemüther bald 160 einnimmt, als brauchen es diejenigen, die sonst helfen könten und solten, viel darzu, daß sie unter dem vorwand, die gewissen in der freyheit nicht zu kräncken, alles leicht verstatten, was man verlangt. 2. Weil auch die policeyordnung22 insgemein, selbs dieser landen, ob zwahr die gröbeste arthen der entheiligung verbiethen, dannoch ohne zweifel um 165 der leute hertzens=​härtigkeit willen23 unterschiedliches zulassen, welches ich glaube, sündlich zu seyn: also daß ich die weltliche gesetze nicht ansehe als eine regel dessen, was in dem gewissen und vor Gott recht oder nicht recht seye, sondern was die obrigkeit (so es nicht nur mit Christen, sondern mit menschen zu thun hat) ihren unterthanen unter strafe will verbothen oder 170 ohne strafe will zugegeben haben. Wo nun aber solche gesetze sind, da wirds schwehr und an meisten orten unmüglich, die sache weiter zubringen. Daher richten wir nichts aus als bey denjenigen, denen es recht um Gott ein ernst und, welche in ordnung zuhalten, wir nicht einmahl obrigkeitlichen gewalts noth haben, sondern ihnen nur Gottes willen vorhalten dörfen: gegen die 175 übrige fnden wir selten hülf bey den obrigkeiten über dasjenige, was ihre gesetze in sich haben. Also das schießen anlangend, achte ich es selbs der rechtschafenen heili- gung gantz ungemäß zu seyn, sonderlich wegen desjenigen, so gemeiniglich darbey vorzugehen pfeget: weßwegen auch in dem Reich unterschiedliche 180 Theologi in etlichen Reichsstädten es abgebracht haben: Nach dem es aber in der Chur=​Fürstl[ichen] ordnung in gewisser massen nachgegeben wird24, so richten wir nichts dagegen aus: Also auch das gehen in die schencken könte zwahr auf eine solche weise geschehen, daß es unstrafbar wäre, wo der, so zu hause sich nicht erquicken kan, was zu seiner stärckung nöthig, zu sich nehme, 185

173 als ] – D1+2. der Hauptsünden gegen Gott (Spener, Bußgebet, S. [463–488] 484; vgl. auch die in Frankfurt und in Dresden gehaltene Predigt in: Spener, Ev. Glaubenslehre, S. 1170–1184). 22 Die öfentliche Ordnung (vgl. DWB 13, 1981, 1984). 23 Vgl. Mt 19,8. 24 Vgl. dazu – mit entsprechenden Zitaten aus verschiedenen kursächsischen Verordnungen – Benedikt Carpzov, Iurisprudentia ecclesiastica […], Bd. 2, Leipzig: T. Ritzsch 1655, S. 381 f. 542 Briefe des Jahres 1690

aber es wird doch kaum einmal so damit umgegangen, daß es nicht sündlich wäre. Indessen sorge ich sehr, daß auch darinn der weltliche arm an meisten orten zur seite nicht stehen, sondern es bey dem gesetze lassen wird, welche etlicher 190 massen der sache nur schrancken gesetzet haben. Daher ich in dieser bewand- nüß nicht mehr von uns weiß, als daß wir göttlichen willen davon öfentlich und auch absonderlich bey jeglicher gelegenheit unsern zuhörern vortragen, den nutzen und schaden zeigen, sie beweglich vermahnen und warnen, die obere treulich erinnern und, was sie vor verantwortung dabey haben, ihnen 195 weisen, dabey hertzlich beten und über dasjenige seufzen, was wir nicht ändern können, aber eben deswegen dem, der es allein kan und zu seiner zeit thun wird, empfehlen. Und zwahr können wir solches endlich mit so viel ruhigerem gewissen thun, weil ohne das durch die obrigkeitliche hülfe nicht vielmehr als nur das eusserliche ärgernüß abgestellet, zu der seelen heil selbs 200 aber wenig gethan werden kann: ob denn nun wohl eben solche abstellung des ärgernüßes von uns auch zu wünschen und wir uns zuerfreuen haben, wenn es erhalten werden kan, verliehren wir dannoch in dem hauptwerck etwa so vieles nicht, ob auch jenes zurück bleibet, also daß ich sorge, daß, welche erst durch eusserliche gewalt von dem übermäßigen trunck müssen 205 abgehalten werden, dörften diejenige stunden, die sie sonsten dahin anwen- den werden, doch auch so zubringen, daß, ob sie eben nicht so viel sünde thun, dannoch ihre seele auch von der feyer wenig nutzen haben mag. Da hingegen, welche der gnade u. dem worte Gottes so viel platz bey sich lassen, daß sie den sabbath recht zu ihrer seelen erbauung heiligen können, ohne 210 zwang sich selbs von dergleichen abziehen. Und diese sinds fast allein, die wir aus unsern zuhörern noch erretten, und dörften sorglich derer wenige end- lich aus der zahl deren andern, die so viel eusserlichen zwangs nöthig haben, erhalten werden. Womit ich aber, wie nochmahl bezeuge, nicht gesagt haben will, als ob die obrigkeit nicht auch nach müglichkeit hand anlegen solte zu 215 abschafung dessen, was ärgernüß erwecket, dabey es freylich bleibet, sondern nur allein zeige, daß der verlust solcher hülfe das vornehmste unsers amts noch nicht aufhebe. Der Herr aber gebe selbs allen in allen ständen, seinen willen zu erkennen auch zuverstöhren die befestungen25 des sünden=​reichs und hingegen seinem 220 reich so viel freyern platz zumachen. Ja, er schafe selbs, was menschen nicht vermögen und rette zu seiner zeit mit beförderung alles lang=gehinderten​ guten seine ehre mächtiglich! 1690.

25 2Kor 10,4. Nr. 119 an [einen Prediger] 1690 543 119. An [einen Prediger]1 Dresden, 16902

Inhalt Warnt vor verschlagenen Leuten, die gegen solche Pfarrer juristisch vorgehen, die ihnen zu Recht etwas vorhalten. – Rät, in öfentlichen Predigten allgemein nicht über Verfehlungen einzelner Personen zu reden, sondern diese persönlich aufzusuchen und bei Renitenz den Superintendenten einzubeziehen. – Weist darauf hin, daß die Geduld zum Amt eines Geist- lichen gehört. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 20.

Ich bitte dieses als eine perpetuam regulam3 zu halten, daß ein christlicher Prediger sich unter menschen bey seinen zuhörern vor niemand mehr zu fürchten, daher auch mit niemand vorsichtiger umzugehen habe, als mit denjenigen, die die böseste, darbey aber verschlagen und kühne sind, dann wie schuldig sie sind, wo der pfarrherr in dem modo agendi4 und einigen 5 umständen sich nur am wenigsten bey ihnen verstosset, so kriegen sie vortheil und bedürfen nur einen schlauen juristen zur seiten zubekommen, so ver- liehret der pastor manchmal bey aller seiner treue vor dem richter. Ich wünschete anders, aber fnde es also in der erfahrung. Daher ich christliche brüder allezeit am allerangelegensten erinnere, sich 10 nur in dem ofcio elenchtico publico5 wohl vorzusehen, und zwar auch alles andere, was sie reden, wie billich, vor GOtt reifich zu überlegen, aber was zu diesem gehöret, wann es singularibus personis6 gelten solle, jegliches wort zehenmal zubedencken, ehe sie es aussprechen, damit sie es nicht in der that an statt besserens schlimmer machen und auch sich selbs viele unruhe herbey 15 ziehen. Das rathsamste ist, dergleichen böse menschen so viel öfterer priva- tim, auch wol mit zuziehung eines guten freundes, ernstlich vorzunehmen, und wann dieses nichts verfanget, zwar auf der cantzel die sünden ernstlich zu strafen, aber die umstände, so auf ein individuum gehen, auszulassen und die person lieber vor den Superintendenten zu bringen, ob derselbe etwas 20 selbs ausrichten könte oder es endlich, vor das consistorium zu weisen, nöthig achtete. In diesem process verstösset man sich nicht, und wo noch etwas aus- zurichten ist, so muß es durch diesen weg geschehen. Indessen weiß ich wohl,

1 Der Adressat ist ein Prediger ohne leitende Aufgabe, den Spener auf den Superintendenten als nächst höhere geistliche Instanz hinweist (Z. 20). 2 Keine genauere Datierung möglich. 3 Fortwährende Regel. 4 Die Art zu handeln; die Handlungsweise. 5 Im öfentlichen Amt des Widerlegens bzw. Überführens (von Sünde). 6 Für einzelne Personen. 544 Briefe des Jahres 1690

wie wehe es eines treuen Predigers seele thue, wo man so viele seine sorge 25 vergebens und endlich undanck zu lohn siehet, darüber etwa die seufzer starck aufsteigen. Lasset uns aber gedencken, daß die gedult nicht weniger ein stück unsers amts als unsre arbeit, auch von GOtt in gnaden angesehen werde; so dann daß dieser nicht so wol die seligkeit unsrer zuhörer, die sein werck ist, als unsre 30 treue, nichts von unsrer seite zu unterlassen, was von uns dazu geschehen mag, von uns erfordere und belohnen wolle, ob ein grosses theil, ja die meiste der uns anvertrauten, unser werck an sich vergebens machten. So gebe Er uns allezeit das licht, seinen willen recht zu erkennen, und die kraft, denselben zu vollbringen, so solle uns genügen.

35 1690. Nr. 120 an [einen Amtsbruder] 1690 545 120. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16902

Inhalt Lobt den Fleiß des Adressaten, katechetische Übungen für Junge und Alte durchzuführen, mahnt aber, die Unterrichtsmethode der Situation anzupassen. – Erläutert seine Vorstellung von einem sinnvoll aufgebauten Katechismusunterricht. – Fragt nach der sonntäglichen Hausübung mit Erwachsenen, rät sie weiter zu erhalten oder wieder einzuführen; gibt Hinweise zu ihrer Ge- staltung. – Beantwortet einige Fragen aus dem letzten Brief des Adressaten: (1.) Das Amt eines Geistlichen geht über das Predigen hinaus, (2.) in manchen Gemeinden sind die verschiedenen Aufgaben unter den Kollegen aufgeteilt. (3.) Aufgaben, die mit Stolgebühren besoldet werden, sind nicht ungefragt für einen Kollegen zu übernehmen. (4.) Vor allem ist die Erbauung der Gemeinde zu fördern. (5.) Deswegen hat der Geistliche die Freiheit, Kranken einen geistlichen Dienst zu tun, wobei (6.) zu beachten ist, daß er sich aus Verantwortung für die ganze Gemeinde vor ansteckenden Krankheiten schützen und sich nicht über Gebühr belasten soll; zudem ist dem zuständigen Geistlichen nötigenfalls der Vorrang einzuräumen. – Erläutert seine eigene Vorgehensweise in Frankfurt. – Ermuntert, dem eigenen Gewissen zu folgen, auch wenn andere Einwände erheben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 69–73.

Es ist mir der aus dessen brief 3 hervorleuchtende rühmliche feiß, durch catechetische unterrichtung alten und jungen die erkäntnüs Gottes beyzu- bringen, gantz angenehm: weiß auch an dem überschriebenen nichts zu de- sideriren, ohne daß derselbe selbs in der erfahrung fnden wird, daß sich niemal auf einer art so gar bestehen lasse, daß nicht (sonderlich wo man 5 immermehr der jugend wachsthum gewahr wird) stäts bald in diesem, bald jenem sich eine änderung von selbs an die hand gebe. Daher man erstes mahl nicht unrecht thut, da man so zu reden per genera- lissima4 nur gehet, wann auch gantze hauptstück auf ein oder ein paar mahl genommen werden: Ist aber der grund etwas gelegt, so bleibet man billich bey 10 jedem hauptstück länger bestehen und nimmet die vornehmste materien feißig durch: biß, wann diese auch bekanter worden, nachmal alles absonder- lich mit mehr feiß durchgegangen wird; wo alsdann die von mir gethane

9 paar ] par: D1+2. ​11 jedem ] jederm: D1+2. ​

1 Ein Amtsbruder in einem Ort mit mehreren Geistlichen, der ohne Rücksicht auf eigene Gefährdung (durch ansteckende Krankheiten; Z. 113–126) seinen Amtsgeschäften nachgeht. Er hat eine Hausinformation (eine Art Collegium pietatis) am Sonntagabend eingeführt, in dem der Kleine Katechismus Luthers anhand der Katechismustabellen Speners besprochen wird. Spener antwortet auf mehrere Briefe. 2 Eine nähere Datierung konnte nicht ermittelt werden. 3 Nicht überliefert. 4 Im Sinne von „sehr allgemein“, „nicht ins Detail (gehend)“. 546 Briefe des Jahres 1690

austheilung in die pensa5 sich also zeigen wird, daß man mit einem ieden gar 15 wol eine stunde ausbringen kan, ja, es kaum absolviren wird. Jedoch, wie an- gesprochen, die übung und beobachtung des auditorii gibt immer maß und zeiget, was dann und wann zu thun, ohngebunden an gantze genaue regeln. Gleichwol ist diese einige erinnerung auch feißig in acht zu nehmen, daß ja getrachtet werde, nicht allein den leuten eine wissenschaft6 in den verstand 20 zubringen, sondern auch durch treuhertzige erinnerungen, nach dem eine materie gehandelt, alte und junge unter den zuhörern dazu zubewegen, daß sie feißig in acht nehmen, wie sie jede materie zu der übung ihres christen- thums anzuwenden und GOtt um die gnade dessen anzurufen haben, mit stäter warnung, daß alles übrige lernen ausser diesem würde vergebens und 25 umsonst seyn. Diese mehrmahl wiederholte erinnerungen bleiben nicht ohne ihre kraft. Was ferner betrift die unterrichtung der älteren, war mir hertzlich lieb, daß GOtt so viele seelen berühret, welche sich willig dessen hauß information ergeben: ich weiß aber nicht, ob die klage über die unwissenheit und zugleich 30 wiedersetzligkeit der alten, so über sie in dem andern schreiben7 geführet wird, anzeigen solle, daß jene sonntags=​abend übung gefallen wäre, so mir nicht lieb seyn solte, oder ob diese klage allein über andere eintzele vorgefor- derte gehe. Wo die gedachte übung noch stehet oder durch Gottes gnade wiederum eingeführet werden kan, so wolte ich wolmeinend rathen, in 35 derselben also fortzufahren, daß, welche dazu kommen, so bald den nutzen und die erbauung bey sich gewahr werden können. In den theoreticis nicht weit zu gehen, ja, kaum so weit als bey der jugend, nach dem die alte, unwis- sende in der wissenschaft8 ihnen vorher unbekanter dinge zu zunehmen, viel untüchtiger sind als noch zarte gemüther. Daher ichs vor gut hielte, wenn in 40 einer jeden versamlung so zu reden nur eine, zwo oder drey wichtige posi- tionen von unsern glaubens=puncten​ vorkommen, dann auch die einfältigste etzliche wenige stück und wahrheiten auf einmahl begreifen können, zu- weilen aber durch die menge irre gemacht werden. Das meiste aber könte bestehen, daß man ihnen nachmal zeigete, wie diese oder jene wahrheit und 45 lehr ihnen in ihrem leben zu einer heiligen führung desselben oder zu einem trost nützlich seyn könne, so dann daß man ihnen macht gebe und sie dazu anreitzte, wann einer unter ihnen an etwas zweifel hätte, solte er nur fragen und seine scrupel sagen, welche man so bald benehmen wolle; ich weiß aus der erfahrung, daß die leute, solches zu thun, gemeiniglich erstlich sehr scheu

15 f angesprochen ] voran gesprochen: D2+3. ​45 ihrem ] ihren : D1. ​

5 Ph.J. Spener, Tabulae catecheticae, quibus quinque capita catechismi minoris […] Lutheri et subnexa tabula oeconomica, in certa pensa distributa […], Frankfurt a. M.: B. C. Wust 1683 (wei- tere Aufagen: 1687 und 1691). 6 Im Sinne von „Wissen“ oder „Kenntnis“ (DWB 30, 781). 7 Nicht überliefert. 8 S. Anm. 6. Nr. 120 an [einen Amtsbruder] 1690 547 sind, wann man aber nur erstlich einen oder andern privatim dazu ermuntert, 50 daß ers wagt, und ihm nachmal, ob ers wol nicht gar fein trift, freundlich begegnet, so werden auch die andere ziemlich behertzt, und gibt eine feine gelegenheit, ihrer unwissenheit zu helfen. Was andere einfältige oder viel- mehr unwissende anlangt, so sich zu gebung der rechenschaft ihres glaubens nicht einstellen wollen, wolte ich sie am liebsten freundlich dahin vermahnen, 55 daß sie sich bey dem ordinari catechismus examine9 desto feißiger einfnden solten, nur zu zuhören und acht zu geben, dann ob sie dahin nicht kommen möchten, daß sie alsdann mit worten sich ausdrucken könten, wirds gleichwol nicht ermangeln, daß sie einen solchen concept ihrer einfalt gemäß von den ihnen nötigen wahrheiten fassen, der ihnen zu ihrem glauben und seligkeit 60 gnugsam ist. Der Herr gebe auch zu allem diesen nötige weißheit. Ich komme nun so bald auf das anliegen des letzten briefes10 und er- klähre meine meinung dahin: 1. daß jeglicher Prediger jedes orts berufen seye nicht allein zu dem amt der öfentlichen lehr, so in dem predigen bestehet, sondern auch allen übrigen 65 stücken der geistlichen erbauung an der anvertrauten gemeinde, welche die göttliche ordnung also zusammen verbindet, daß menschliche ordnung die- selbe nicht dermassen trennen kan, daß einem das recht zu gewissen dingen ungekräncket gelassen, zu andern aber eingeschräncket oder gar allerdings benommen wäre; wie ich auch nicht zweifele, daß dessen vocation ins ge- 70 mein auch lauten wird auf die gesamte verwaltung des evangelischen kir- chenamts. 2. Indessen ist nicht bloß dahin zuverwerfen, sondern ein stück mensch- licher, aber gleichwol nicht allezeit unnützlicher ordnung, daß an unterschied- lichen orten die amtsverrichtungen getheilet und einige dieser, andere andern 75 stellen beygefüget werden, worinnen theils gesehen wird, daß einiger ge- schonet werde, damit die last der arbeit sie nicht allzu sehr drucke, welche ursach ihr christliches und unsträfiches fundament hat, theils sonderlich an den orten, wo Prediger ein ziemliches theil ihrer unterhalt von den so genan­ ­ ten accidentien11 herhaben müssen (so zwar nirgends im schwang zu seyn, 80 sondern alle Prediger mit gnugsamen ordentlichen besoldungen versorgt zu werden, zu wündschen stünde), daß unter denselben eine solche gleichheit gemachet werde, bey dero sich keine des andern wegen über mangel zube- schwehren hätte.

60 ihrem ] ihren: D1. ​68 f dingen ungekräncket gelassen, zu andern aber eingeschräncket oder gar ] und er derselben: D1. ​

9 Neben der „Sonntagabendübung“ (Z. 31), zu der Spener hier Durchführungshinweise gibt, scheint in der Gemeinde des Adressaten ofenbar noch eine Katechismusübung als „ofzielle Gemeindeveranstaltung“ durchgeführt zu werden. 10 Nicht überliefert. 11 Die sog. Stolgebühren, d. h. die Gebühr, die die Geistlichen bei der Durchführung der Kasualien erhielten. 548 Briefe des Jahres 1690

85 3. Also lebt man an solchen orten billich nach der gedachten ordnung, so viel nemlich diese beyde ursachen erfordern und mit sich bringen. Hingegen wer sich zum exempel in einige verrichtungen ziehen lassen wolte, die seinem looß nicht zugefallen, und daran der andere collega seine ergötzlichkeit12 haben solte, sündigte wieder die liebe und erregte ärgerliche streit13, über sich 90 aber zöge er den verdacht des geitzes14: anderseits wer einen andern, so ohne diß mit seinen verrichtungen gnug zu thun, wieder seinen willen und gele- genheit ohne nothfall wollte zu den arbeiten nötigen, welche ihm nicht zu kommen, würde gleichfals denselben mit unrecht beschwehren. 4. Indessen hebet diese ordnung der menschen das göttliche recht, so der 95 Prediger zu der gantzen gemeinde erbauung hat, nicht auf: sondern er behält in seinem amt dasselbe immer fort, wie man pfegt zu reden actu primo15, ja, kan sich dessen niemal völlig begeben: daher komts auch zu dem actu secun- do16 und würcklicher übung, nicht allein in dem blossen nothfall, so dann, wann er sehen sollte, daß die übrige das ihnen anbefohlene untreulich ver- 100 walteten und der gemeinde schaden dadurch geschehen liessen, sondern auch wo andere ursachen ohnverletzt der angeführten fundamenten gedachter ordnung dergleichen ihm in seinem gewissen rathen und die liebe ihn dazu einladet. 5. Zu diesem fall setze ich nun das jenige, was mein werther Herr von sich 105 bezeuget, daß also derselbe in seinem gewissen wol fug hat (es wäre denn sache, daß er ausdrücklich bey der vocation, so aber nicht vermuthe, seine freyheit hätte lassen einschrencken), auf erfordern einiger krancken, bey welchen, etwas gutes auszurichten, gehofet wird, beyzuspringen und mit seinem dienst zu erbauen und also, was in seinem (nicht nur geistlichen 110 priesterthum, worauf wir uns in diesem fall zubeziehen nicht nötig haben, sondern auch) allgemeinen pfarramt enthalten ist, aus gewissen ursachen zu üben. 6. Indessen achte ich unterschiedliche cautelen dabey dienlich zu seyn: (1.17 Hat derselbe sich auch wol nach den kräften seiner natur zu prüfen, ob 115 dieselbe leicht zu einem gefährlichen abscheu, entsetzen und schrecken über gewisse kranckheiten bewogen werden könne oder nicht, wäre das letztere, weil solche naturen zu fassung der ansteckenden seuchen der bequemste zunder sind, und er sich seiner gemeinde, als lang es natürlicher weise müglich ist, zu conserviren schuldig bleibet, hat er seine durch die ordnung gemachte 120 befreyung als eine göttliche wohlthat und verwahrung anzusehen, hingegen

89 ärgerliche ] ärgerlichen: D2+3. ​91 diß ] daß: D1. ​114 den ] dem: D1. ​

12 Hier im Sinne von „Vergütung“ bzw. „Belohnung“ (DWB 3, 882). 13 Die Streit (DWB 19, 1309). 14 Im Sinne von „Habgier“ (DWB 5, 2811). 15 Erste, vorrangige Handlung, hier: „Vorrangigkeit“. 16 Zweite, nachrangige Handlung; „Nachrangigkeit“. 17 Die mit Klammern versehenen Zifern lassen sie als Unterpunkte zum Punkt 6 erkennen. Nr. 120 an [einen Amtsbruder] 1690 549 würde es eher eine versuchung Gottes werden, da ihn der Herr von solcher gefahr von selbsten durch seine providenz in gedachter menschlicher ordnung befreyet, wann er sich in dieselbe begeben wolte: ist aber das erste, so ist er so viel versicherter, sein dem nechsten hierinnen leistender liebes=​dienst seye göttlichem willen so viel gemässer, da er ihm auch in der natur die tüchtigkeit 125 dazu gegeben. (2. wolte ich gern sehen, das derselbe verhütete, damit nicht allzu viel und ihm besorglich zuletzt unträgliche last aufgebürdet würde, so man darnach nicht so leicht wieder abweltzen kan, nach dem sie einmal über- nommen worden: daher in der forcht des Herrn darauf zusehen wäre, sich selbs gleichsam gewisse regeln zu machen, zu was vor personen man etwa 130 zugehen vorhabe, zum exempel mit denen man vorhin bekant worden, da sonderbare anfechtungen wären und dergleichen: auf daß man, wo der zulauf zu starck werden wolte, sich desto füglicher zurück halten könnte. (3. Son- derlich wolte ich rathen, daß derselbe, wo er zu jemand erfordert würde, da es noch einige zeit hat, verlangte, daß man zu erst den ordinarium und beicht- 135 vater erfordern und sein amt mit zusprechen, absolviren und communiciren verrichten lassen wolte, nicht allein, daß er sich des accidentis wegen nicht zubeschwehren habe, so zwar ohne das, verhütet seyn zu worden, gern gese- hen habe, solches aber dadurch so viel bekannter werden würde, sondern auch, damit aller schein der verachtung des ordinarii ausbliebe; aber sich 140 gleich erböte, so bald der ordinarius würde sein amt verrichtet haben, alsdenn auch ein oder andermahl ihnen zuzusprechen und mit seiner gaben zu dienen. Wo derselbe sich dermassen bezeuget und also nicht leicht ausser sonderbar- ster ursach oder euserster noth vor dem ordinario sich einstellet, dazu er wichtige rationes hat, so wird er theils nicht so viel erfordert, theils der un- 145 willen des ordinarii und dessen verachtung praecaviret18, theils ihm die last auch so fern erleichtert werden, weil sie mit jenem getheilet bleiben, als der das meiste zu übernehmen schuldig ist: in dessen behält mein werther Herr dannoch die gelegenheit bey den seelen, welche aus wahrer erkäntnüs der gnade Gottes in ihm seinen zuspruch verlangen, etwas gutes auszurichten, und 150 vermindert gleichwol dabey die jenige ungemächlichkeiten, die ihn sonst wegen seiner willfärigkeit am meisten trucken würden. Dieses ists auch, wie ich mich in Franckfurt verhalten, wo die ordnung ist, daß jeglicher seine beichtkinder in der kranckheit bedienet und auch com- municiret, und zwahr, da bey gesunden tagen, den beichtvater ohne einige 155 ursach zu ändern, frey bleibet, die krancke hingegen ordentlich an den in gesunden tagen gebrauchten beichtvater angewiesen werden, daß nemlich, wo mich jemand ausser meinen beichtkindern in seiner kranckheit erfordern ließ, dessen beichtvater nicht kranck oder abwesend war, ich mich allezeit entschuldiget und begehrt, daß man erst den beichtvater fordern solte, wo 160

135 f beichtvater ] beichvater: D1. ​157 beichtvater ] beuchtvater: D1. ​

18 Abzuwenden versuchen; vorbeugen. 550 Briefe des Jahres 1690

derselbe sein amt erstlich verrichtet hätte, so wolte als denn auch hertzlich gern zu zeiten, wenn der beichtvater nicht zugegen sein werde, auch meinen liebesdienst denselben erweisen, wie ich dann solche leute nachmal willig und, wo ich es angelegt gesehen, zu weilen mehrmal besucht habe. Hingegen 165 konte wieder dieses von niemand nichts gesprochen werden, so viel mehr weil ohne diß in Franckfurt die ordenliche amts=​verrichtungen ohne entgeld zu- geschehen und keine accidentia verlangt zu werden pfegen. Wie dann (4. damit auch zu continuiren seyn wird, daß nichts von solcher ausser=ordent​ - lichen bedienung genommen und damit aller böser schein, so sonsten das gute 170 durch ärgernüß allerdings verderben würde, vermeidet werde. 7. Wann aber auf diese weise alles angerichtet wird, sehe ich nicht, wie mein geliebter bruder hierinnen entweder sein gewissen beschwehrte oder, da, da ihn GOtt (davor zwar hertzlich bitte, das es nicht geschehe) nach sei- nem weisen rath über seiner liebe in kranckheit fallen lassen solte, er in 175 demselben einen vorwurf haben würde (indem dagegen die reine absicht des wercks, so aus der liebe Gottes und des nechsten geschehen, siehe 1.Joh. 3,1619, einen unbeweglichen trost giebet und das gewissen stillet) oder andern leuten, dawieder zu reden, ziemliche ursach gegeben würde. Daher er sich davon nicht abwendig machen zu lassen hätte, wann andere, 180 so die kraft der liebe und dero pficht nicht gnug verstehen und unzeitig vor denselben sorgen oder durch solch exempel, daß sie dergleichen nicht thäten, beschämet zu werden förchten, mit ihrem urtheil solches bestraften. Dann dessen müssen wir in der welt gewohnen, so bald wir auch das allerbeste thun, was man nicht eben von allen täglich siehet, darüber uns beurtheilen und 185 richten zu lassen: weil wir aber, was wir in der forcht des Herrn thun, nicht thun der welt, sondern dem Herrn zugefallen, kehren wir uns, so unser ge- wissen wol gegründet ist, an solches urtheil nicht, sondern sind zu frieden, daß GOtt unser hertz kennet und unser thun in seiner gnade gethan billichet, so dann rechtschafene christen, die tiefer einsehen, auch nicht übel davon 190 halten. Der himmlische vater zeige auch demselben, hierinnen seinen heil[igen] willen mit gnugsamer überzeugung der seelen denselben zuerkennen, regiere ihn mit christlicher klugheit, verbinde mit ihm das hertz der amts=​brüder, bewahre ihn in aller geist= und leiblichen gefahr und seegne wie seine übri- 195 ge ordentliche amts=, also auch liebes=​wercke zu vieler seelen gewinn. 1690.

161 hertzlich ] herlich: D1. 166 diß ] daß: D1. 170 ärgernüß ] ärgernünß: D1. ​ 171 wie ] – D1. 173 2da ] – D2+3. 185 weil ] wenn: D2. 188 billichet ] gebilliget: D2+3. ​ 192 gnugsamer ] gungsamer: D1.

19 1Joh 3,16 (Luther 1545: „DAran haben wir erkand die Liebe / das er sein Leben fur vns gelassen hat / Vnd wir sollen auch das Leben fur die Brüder lassen.“). Nr. 121 an [einen Kandidaten der Theologie] 1690 551 121. An [einen Kandidaten der Theologie]1 Dresden, 16902

Inhalt Berichtet, schon als Student Theophil Großgebauers Buch „Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion“ mit Gewinn gelesen zu haben. – Weist das Gerücht zurück, er habe das Beichtwesen grundsätzlich kritisiert; verweist darauf, daß die Privatbeichte von den Reformatoren als sinn- voll beibehalten wurde, hält sie aber nicht für eine Voraussetzung zur Teilnahme am Abendmahl, weil sie keine eine göttliche Einsetzung, sondern eine Kirchenordnung ist. – Unterscheidet die Vergebung bei der Rechtfertigung eines Menschen und im täglichen Leben als Christ. – Die Absolution ist eine Bekräftigung der Sündenvergebung. – Sie dient bei der Vergebung täglich geschehender Sünden und zur geistlichen Stärkung. – Wer unbußfertig zur Beichte kommt, erhält keine Sündenvergebung. – Benennt Ursachen für die mangelhafte Durchführung der Beichte: die geringe Anzahl der Prediger, die kurze Zeit, die ihnen für jeden Beichtwilligen zur Verfügung steht, das fehlende Kirchengericht. – Macht Mut, alles, was möglich ist, zur Ver- besserung der Kirche durchzuführen und auf den himmlischen Segen zu warten. – Verneint die Notwendigkeit, den Zeitpunkt seiner Bekehrung zu kennen. – Kann nicht erkennen, daß es für alle gelten soll, wenn man seine eigene Bekehrung als positiv erlebt hat. – Stellt Nutzen und Schaden von Bekehrungsberichten nebeneinander. – Hält die Beichte vor dem Abendmahl für eine hilfreiche Kirchenordnung, aber nicht für eine von Gott gebotene Voraussetzung zur Sündenvergebung. – Weist darauf hin, daß der Binde‑ und Löseschlüssel der ganzen Kirche und nicht den Geistlichen gehört. – Mahnt den Adressaten, mit den Geistlichen seines Orts über diese Frage nicht zu streiten. – Unterstreicht die Notwendigkeit, auch in der Schule die wahre Gottseligkeit intensiv zu behandeln. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 194–199.

1 Der Adressat kennt die Schriften Theophil Großgebauers (Z. 2 f, 42, 124) und evt. auch englische Erbauungsschriften (Z. 142 f); vermutlich handelt es sich um einen Theologiestudenten oder Predigtamtskandidaten, der schon gepredigt hat (Z. 41) und evt. unterrichtet (Z. 218 f), aber nicht zur Geistlichkeit seines jetzigen Aufenthaltsortes gehört, mit denen er nicht in Streit geraten soll (Z. 210–212). Spener sind die dortigen Amtskollegen alle unbekannt (Z. 211). Auf Grund der ansprochenen Fragen nach der genauen Datierung und Art der Bekehrung (Z. 141–144) und der Notwendigkeit des Beichtgangs für „bekehrte“ Leute (Z. 186–208) könnte der Adressat zum Kreis der jungen Pietisten gehören. Auch die Mahnung, die Kirchenordnungen Wert zu schätzen, paßt dazu (Z. 195–197). Der Adressat kann nicht in Erfurt sein, wo im Jahr 1690 Bekehrungsgeschich- ten niedergeschrieben wurden. Auch der im Jahr als Hilfsdiaconus nach Sorau gekommene Johann Georg Böse kommt als Adressat nicht in Frage, weil Spener Geistliche in Sorau kennt. 2 Genaueres Datum nicht ermittelt. 552 Briefe des Jahres 1690

Verhalte hiemit nicht, daß ich vor dem bereits 1662 noch als ein studiosus des S. Hrn. Großgebauers3 Wächterstimm4 nicht ohne viele bewegung und nut- zen gelesen5, deswegen auch oftmals bißdaher christlichen guten freunden zu recommendiren nicht bedenckens gehabt habe. Jedoch bin auch nicht in 5 abrede, wie ich des lieben mannes christlichen eifer und redliche intention hertzlich liebe, auch die estim, die ich von ihm mache, in der vorrede zu seinen predigten über die Epistel an die Epheser, gnugsam bezeuget habe6, dabey auch noch bleibe: daß gleichwol zuweilen eins und anders vorsichtiger von ihm gesetzt worden zu seyn verlanget hätte: wie wir ohne das von einem 10 menschlichen scribenten niemal nichts anders zu erwarten haben, als daß zu- weilen unter vielem guten auch etwa einiges versehen sich fnden möge: weswegen wir aber liebe leute, denen GOtt gaben gegeben und welche, dieselbe treulich anzuwenden, befissen gewesen, nicht zu verachten haben, iedoch gleichwol auch nicht bloß an ihren worten ungeprüfet hangen dörfen. 15 Nun zu dem beichtwesen selbs zu kommen, ists freylich auch meine öf- tere klage, daß dasselbe wie das meiste alles in ziemlichem verderben stehe, daher etwa wol die worte von mir gehöret worden, so einige fast ungleich aufgenommen haben, „daß wir an vielen orten von dem beichtwesen nicht viel mehr als den mißbrauch nur hätten“, indeme bey dem grossen haufen 20 aus dem, wie sie das werck ansehen, nur ihre sicherheit geheget, wenig aber gebessert werden7, zu wider der absicht unsrer lieben vorfahren, aus dero sie in unsren kirchen die privat-absolution behalten haben8. Ich bekenne auch, daß unsre privat-absolution in und mit den ietzigen umständen, daß sie von allen, die zu der H[eiligen] communion gehen wollen, ob sie sich auch keiner 25 absonderlichen sünden, gegen welche sie sonderbahren trosts bedörften, bewust wären, erfordert wird und als zu einer nothwendigkeit worden ist, nicht göttliche einsetzung seye: wie sie dann auch langsam nach und nach in die kirche eingeführet und in diesen stand gekommen ist: daher wir sie vor eine kirchen=​ceremonie und anordnung halten, an welche wir wie an ande-

3 Theophil Großgebauer (24. 11. 1627–8. 7. 1661), geb. in Ilmenau (Thüringen); nach dem Studium in Rostock (1650 Magister) 1653 Diaconus in Rostock, 1661 Veröfentlichung seiner Schrift „Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion“ (s. Anm. 4), beeinfußt durch innerlutheri- sche Reformbestrebungen und englische Erbauungsliteratur, die auch auf Spener wirkte (DBA 427, 256–261; Leube, Reformideen, 74–77; Schmaltz, 22–24; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 19 Anm. 16). 4 Th. Großgebauer, Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion, Frankfurt a. M.: J. Wild 1661 (2. Auf.: Frankfurt u. Leipzig: J. Wild 1667). 5 S. Wallmann, Spener, 159; vgl. auch die Vorrede (s. Anm. 6): EGS 2, 203. 6 Th. Großgebauer, XXVI geistreiche und erbauliche Predigten über die Epistel Pauli an die Ephesier, Frankfurt und Leipzig: Joachim Wild 1689. Die Vorrede Speners vom 17. 9. 1688 ist abgedruckt in: EGS 2, 196–204. 7 Die Formulierung in Z. 18 f läßt sich im Wortlaut bei Spener nicht fnden, die Klage über den Mißbrauch der Beichte jedoch etwa in: Spener, Evangelische Glaubenslehre, S. 516–520. 8 In den lutherischen Bekenntnisschriften wurde die Privat‑ bzw. Ohrenbeichte nicht abge- schaft (s. CA XI [BSLK 63.5–64.3]; ArtSmal.: „Von der Beicht“ [BSLK 453.1–15]). Nr. 121 an [einen Kandidaten der Theologie] 1690 553 re gleicher art gebunden seynd9. Indessen bleibt gleichwol die privat-absolu- 30 tion an sich selbs eine göttliche einsetzung, ausser dergleichen dazu gesetzten umständen betrachtet; und ist ihre nothwendigkeit am größten bey denjeni- gen, welche sich in ihrem gewissen hart angeklagt, und aus göttlicher gnade gefallen zu seyn, befnden, daher solches trosts des Evangelii zur vergebung ihrer sünden und dero versicherung bedörfen10. Ob sie dann nun auch ausser 35 solchem fall und bey denjenigen gebraucht wird, die nicht eben allemal ausser GOttes gnade gefallen sind und erst wiederum darinn aufgenommen werden sollen, wie in unsrem ietzigen zustand solche im schwang ist, kan ich sie gleichwol nicht, wie der Herr zu thun scheinet, verwerfen und gantz unnütz- lich halten. Wie ich dann das dilemma von den bußfertigen und unbußferti- 40 gen, so derselbe in der predigt gebraucht zu haben meldet und solches auch von S. Herrn Großgebauern geführet worden, nicht bündig halte. Dann ob ein bußfertiger kraft seines glaubens so bald die vergebung der sünde vor GOtt empfängt, ist deswegen die absolution bey ihm nicht vergebens11, sondern vielmehr dieses die güte unsers himmlischen Vaters, der unserm 45 glauben auf mehrere art zu hülfe kommet und, obwol demselben so bald die gnade und das verdienst seines Heylandes, folglich die vergebung seiner sünden geschencket wird, ihn doch noch durch fernere mittel stärcket, gleichwie nachmal durch das H. Abendmahl also auch vorher durch die ab- solution. So wenig ich also schliessen kan, daß in dem Heil. Abendmahl die 50 vergebung der sünde uns nicht zugeeignet und versieglet werden könne, weil wir ohne glauben solches nicht würdig geniessen mögen, und aber der glaube so bald die vergebung der sünden erlangt: so wenig können wir der absolution solches auch absprechen, weil es der glaube bereits erlangt habe. Wir haben das exempel auch bey der tauf, da ja unter erwachsenen niemand 55 zu derselben gelassen wird, als welcher, so viel wir erkennen, bereits den glauben empfangen hat, folglich auch bereits der vergebung theilhaftig ist,

42 Großgebauern ] Großgebäuern: D1. ​49 1durch ] auch: D1. ​

9 In seiner Predigt „Des Beichtwesens in der Evangelischen Kirchen rechter Gebrauch und Mißbrauch. In einer Buß=​Predigt den 7. Aug. Anno 1695 […] vorgestellet, Cölln an der Spree 1695“ [Nachdruck: Spener, Schriften, Bd. X, S. 201–305], S. 37–45, beschreibt er die Entwick- lung des Beichtwesens in der Geschichte der Kirche: Zur Apostelzeit habe man keine Beichte als Voraussetzung zur Teilnahme am Abendmahl gekannt. Diese sei erst später, vor allem im Zu- sammenhang der Wiederzulassung der Abgefallenen bei den Christenverfolgungen, hinzugetreten und habe dann in der katholischen Kirche als Mittel der „Herrschaft über die Gewissen“ gedient. Vgl. ähnlich in: Spener, Glaubenstrost 1, 864–866. 10 In der Predigt vom „Beichtwesen“ (s. Anm. 9) betont Spener, daß die Beichte der Erbauung dient, wenn sie nach der kirchlichen Absicht durchgeführt wird. Sie will Gewissenstrost und Ab- solution gewähren und durch sie wird es ermöglicht, die Gemeindeglieder besser kennenzulernen und sie seelsorgerlich zu begleiten (S. 45–51). 11 Th. Großgebauer, Wächterstimme (Auf. 1667), S. 155: „Der zum Beichtstul kombt / der ist entweder bußfertig oder unbußfertig: ist er bußfertig / so hat er schon Vergebung seiner Sünden bey GOTT / und der Heilige Geist eignet ihm die Vergebung zu durch das Wort GOTTES. Ist der Mensch unbußfertig / so hillft [sic!] ihm des Priesters Absolution nichts.“ 554 Briefe des Jahres 1690

und dannoch halten wir die taufe nicht vergebens, sondern sagen, daß da- durch der mensch von sünden abgewaschen werde. 60 Die sache aber besser zu fassen, müssen wir gedencken, daß die vergebung der sünden zweyerley seye oder in doppeltem verstand genommen werde: Also heisset vergebung der sünde diejenige göttliche handlung, da Gott einem menschen, der noch biß dahin ausser seiner gnade und also seine sünden ihm behalten, gewesen, auf seine buß dieselbe vergiebt, wo der mensch aus einem 65 ungerechten ein gerechter wird: diese geschiehet bey erwachsenen allezeit durch den glauben des bußfertigen vor GOttes gericht und wird alsdann etwa durch die absolution versichert. Nechst dem heißt aber auch vergebung der sünden solcher einmaligen vergebung fortsetzung: dann wie wir in dem na- türlichen augenblicklich des göttlichen einfusses zu unsrer erhaltung und 70 lebens bedörfen, also müssen auch alle göttliche wohlthaten in uns augen- blicklich fortgesetzt und so zu reden aufs neue gegeben werden. Also diesen augenblick ist mein glaube so wol eine göttliche wirckung in mir, als er bey der ersten entzündung gewesen, da ich jetzt in göttlicher gnaden stehe, ist diese so wol jetzt ein ausfuß so zu reden aus GOtt auf mich, als sie es den 75 ersten augenblick meiner bekehrung war: nicht anders, als wo ich etliche stunden in der sonnen stehe, sowol in dem letzten augenblick das liecht und der strahl der sonnen auf mich schiesset, als es bey dem ersten bescheinen geschehen war. Also bedarf ich sowol diesen augenblick, da ich doch in GOttes gnade und genuß der vergebung stehe, daß mir GOtt seines Sohns 80 verdienst zur vergebung meiner sünden zurechne und also die sünde vergebe, als da er mich in seine gnade aufnahm. Daß man deswegen sichs nicht unge- reimt muß lassen vorkommen, wo man sagt, daß einem, der in einer steten vergebung stehet, die sünde vergeben werde: wie wirs ja nicht vor ungereimt halten, daß Christus bey seinen gläubigen bereits wohne und dannoch immer 85 widerum in dem wort und Sacramenten zu ihnen komme. Wann wir also wiederum zu unsrer beicht kommen, bekenne ich, daß ein bußfertiger, der sich von schwehren fällen bekehret hat, sobald in seiner buß durch den glauben die vergebung vor GOttes gericht erlangt habe, und, wo er auch, zu der absolution zu kommen, die gelegenheit nicht hätte, nichts 90 destoweniger eine vollkommene vergebung geniessen würde: indessen wird in der absolution, wo er dazu kommet, die vergebung ihm bekräftigt und aufs neue, wie oben erklähret, die sünde vergeben. Was auch diejenige anlanget, welche nun eine zeitlang in der widergeburt treulich gewandelt haben, daß sie aus der gnade Gottes nicht wider gefallen 95 sind, wann sie zu dem heil[igen] Abendmahl gehen wollen und also bey dem beichtstuhl sich einzustellen haben, bringen sie zwar keine sünden mit sich, die in dem ersten verstand der vergebung bedörften, daß sie erst aus GOttes zorn in die gnade kommen müsten, weil die gnade GOttes, in der sie stehen, augenblicklich ihre sünden tilget und ihre schwachheit=​fehler (denn boßhaf-

58 und ] un: D1. ​91 ihm ] ihn: D1+2. ​ Nr. 121 an [einen Kandidaten der Theologie] 1690 555 tige und herrschende sünden kommen ihnen in solchem stand nicht zu) ihnen 100 nicht vor GOtt zugerechnet werden (nachdem bey denen, die in Christo JEsu sind, keine verdammung und also kein göttlicher zorn gegen sie ist, Rom 8,112), indessen kommen sie nicht vergebens zu dem beichtstuhl, sondern wie sie zwar nicht der buß der gefallenen, welche eine neue bekehrung erfordert, jedoch der buß der stehenden, und also täglicher reu und leid und glaubens, 105 bedörfen, bringen sie eine an sich selbs verderbte natur, und solche aufs wenigste mit vielen schwachheit=​fehlern beladen, mit sich, daher sie nicht allein geistlicher stärckung und raths bedörfen, daß die einwohnende sünde, wie sie allezeit darnach trachtet, die herrschaft über sie nicht wiederum er- lange, sondern auch trostes gegen solche ihre sünden, dero sie ihr gewissen 110 beschuldigt: und diese werden ihnen dann auch in der absolution vergeben oder die stets über sie, so lang sie in der gnade stehen, waltende vergebung fortgesetzt oder widerholet. Was aber unbußfertige anlangt, ists freylich wahr, daß die sünde denselben nicht gelöset werden, es wäre dann sach (so gleichwol bey GOtt nicht unmüg- 115 lich ist), daß bey einem, so noch unbußfertig zu der beicht gekommen war, durch beweglichen zuspruch eines gottseligen Predigers oder vielmehr die kraft GOttes in demselbigen, sein hertz erst zu solcher zeit gerühret und die busse gewircket, er also folglich zur vergebung fähig gemacht würde. Ich achte, daß hiemit die gantze materie ziemlich deutlich werde vorgestel- 120 let seyn, hofe auch, mein Herr werde nach feißigen überlegen mir beyfall geben und sehen, daß auch in diesem stück der beichtstuhl nicht eben ver- gebens seye, noch durch den geführten einwurf gantz aufgehoben werde. Indessen beklage mit demselben und Seel. Herrn Großgebauern oft gnug, in was mißbrauch die an sich selbs nicht verwerfiche ordnung des beichtstuhls 125 bey uns leider stehe, dessen viele ursachen ofenbahr gnug an dem tag ligen, als die zu wenige anzahl der Prediger, die insgemein allzu kurtze zeit, so zu der beicht gewidmet, die mangelnde gnugsame gelegenheit, sich des innerli- chen zustands der beichtkinder und ihrer tüchtigkeit zu erkundigen, der mangel des billich bey jeglicher gemeinde befndlichen kirchengerichts, so in 130 dem fall, daß der Prediger an eines tüchtigkeit zweifel bekäme, darüber zu urtheilen hätte und dergleichen. Wolte GOtt, es wäre aber solchen ursachen so leicht abgeholfen, als sie unschwer erkannt werden, oder vielmehr es stünde nicht in unsern kirchen in solchem zustand, daß auch kaum hofnung übrig ist, daß ohne ausserordentliche göttliche hülfe die viele hindernüssen 135 des guten solten weggeräumet und daß meiste in bessern und recht GOtt gefälligen stand gesetzt werden. Jedoch müssen wir an solcher besserung jeg- licher seines orts soviel arbeiten, als wir können, und des himmlischen seegens

100 solchem ] solchen: D1. ​

12 Röm 8,1 (Luther 1545: „SO ist nu nichts verdamlichs an denen / die in Christo Jhesu sind / die nicht nach dem Fleisch wandeln / sondern nach dem Geist.“). 556 Briefe des Jahres 1690

zu der zeit erwarten, die der HErr bestimmet haben wird, sich seines Zions 140 zuerbarmen13. Ach, daß sie nahe wäre. Amen! Ich komme nun sonderlich auf die andere frage, „ob es bloß nothwendig seye, daß ein mensch müsse die zeit und stunde seiner bekehrung wissen“, so derselbe aus einigen Englischen autoren mag entlehnet haben14. Ich bin aber nicht in abrede, daß ich nicht schlechterdings mit einstimmen kan. Von 145 denjenigen, welche in ofenbarlich bösem und lasterleben eine zeitlang ge- standen sind, gebe ich gern zu, daß nicht wol müglich, daß sie nicht solten die zeit ihrer buß und bekehrung eigentlich wissen können, weil die änderung allzu kanntlich. Ich will auch nicht widersprechen, daß gleichfals bey andern, die noch in einem sittlichen leben, dannoch nach der welt und ausser der 150 gnade gewandelt haben, geschehen möge, daß sie durch eine plötzliche gele- genheit gerühret worden und GOtt also bald sein werck so kräftig in ihnen führet, daß abermahl die starcke änderung ihnen empfndlich gnug ist. Ich halte es aber auch müglich seyn, daß bey solchen leuten, die vorher lang nach der gemeinen art dahin gelebet und sich gute Christen gedüncket zu seyn 155 (von welchem stand sie doch nachmalen fnden, daß er nicht rechtschafen gewesen), der gütige Vater allgemach sein werck anfänget und forttreibet, daß das buchstäbliche wesen erst lebendig wird und alsdenn das neue wesen nach und nach zunimmet. Wo endlich der mensch bey sich gewahr wird, gar ein anderer zu seyn als er gewesen war, und also den unterscheid gantz mercklich 160 fndet, auch göttliche gnade darüber preiset, aber nicht sagen könte, zu wel- cher zeit so zu reden der durchbruch in das leben geschehen seye. Hiewider wird aus GOttes wort nichts gebracht werden können, daher getraute nicht, schwachen, aber redlichen hertzen einen scrupel über die aufrichtigkeit ihrer buß zu machen, welche gleichwol, die zeit zu determinieren, nicht ver- 165 möchten. Was die eigne erfahrung anlangt, darauf sich Christliche hertzen auch auf die andere seite berufen mögen, achte ich solchen schluß zu schwach: indem einer den weg wol erfahren hat, welchen GOtt ihn geführet, daraus aber nicht folget, daß er deswegen auch alle andere auf gleiche weise geführet habe oder 170 nothwendig führen müsse. Sondern er behält in diesem und allem andern dergleichen dingen seine freye hand, mit jedem zuverfahren, wie es seiner güte und weißheit gemäß ist. Daher ich die beschreibungen der bekehrung ein und anderer personen nach allen particulariteten nützlich, aber auch einigen dero mißbrauch schäd- 175 lich halte: jenes, in dem in jeder göttlichen leitung sich viele zeugnüssen göttlicher güte und weißheit zum preiß GOttes und unserer stärckung an- trefen lassen: dieses aber, wann sich andere vergebene scrupel drüber machen und, weil sie nicht alles gerade also bey sich fnden, ihre widergeburt in zweifel ziehen wollen oder auch wann sie andere, mit denen der HErr nicht

13 Vgl. Ps 102,14. 14 Genaue Belege sind nicht möglich. Nr. 121 an [einen Kandidaten der Theologie] 1690 557 eben gleichen process, wie mit ihnen gehalten, in verdacht darüber ziehen 180 wollen. Also bin ich hingegen zu frieden, wo ich bey mir oder andern die zeugnüssen und proben der wahren widergeburt antrefe, ob ich wol die art und ordnung der göttlichen wirckung nicht ausrechnen kan: sondern ist mir gnug, den wind kräftig zu fühlen, dessen erstes anblasen mir unvermerckt geblieben, Joh 3,815. 185 Was die letzte frage anlangt, „ob der Prediger einem bußfertigen, in der gnade stehenden menschen könne die sünde vergeben oder ob ein solcher allein das heil[ige] Abendmahl zu bitten habe“, so denn, ob der spruch Joh 20,2316 und Matth. 18,1817 mit einander vor gleichstimmig zu halten seyen: so ist das erste stück davon bereits erklähret, wie einem, dem auch die sünde 190 vergeben sind, die sünde immer wieder vergeben werden können. Das ande- re anlangend, so ist die frage entweder von dem göttlichen recht bloß dahin, da oben gestanden ist, daß weder von GOtt die nothwendigkeit der absoluti- on vor empfangung des heil. Abendmahls befohlen worden, noch eine solche loßsprechung einem in der gnade stehenden an sich selbs nöthig seye, oder es 195 wird gefragt von unserer kirchenverfassung, dero doch auch ein kind der kirchen sich nicht gern widersetzet, sondern sich der mutter anordnungen, als lange sie nicht dem himmlischen vater entgegen sind, willig bequemet: da würde aufs wenigste, ordentlicher weise solches zu thun und allein das heil. Abendmahl ohne absolution zuverlangen, nicht gebilliget werden: doch 200 möchte etwas zuweilen auch ausser der ordnung passiret werden, wie unser liebe Lutherus18 aus solcher freyheit, selbs einigemahl ohngebeicht das Abend- mahl empfangen zu haben, bekennet19. Betrefend das dritte, so vergleiche ich den spruch Joh. 20,23, vielmehr mit Matth. 1620 als mit Matth. 18,18. Wiewol es doch endlich etlichermassen auf eines hinaus lauft. Weil auch, was die 205 Apostel und Prediger anlangt, deroselben gewalt, sünde zu vergeben, eigent- lich der kirchen gut ist, so sie zwar als die haußehre durch ihre verordnete haußhalter dispensiret. Dieses wäre meine, obwol einfältige, doch, wie nicht zweife, gegründete meynung von vorgelegten materien. Dabey freundlich zu bitten habe, sich 210

204 23 ] – D1. ​204 Matth. 18, 18 ] Matth. 18: D1. ​

15 Joh 3,8 (Luther 1545: „Der Wind bleset wo er wil / vnd du horest sein sausen wol / Aber du weist nicht von wannen er kompt / vnd wo hin er feret. Also ist ein jglicher / der aus dem Geist geborn ist.“). 16 Joh 20,23 (Luther 1545: „Welchen jr die sünde erlasset / den sind sie erlassen / Vnd welchen jr sie behaltet / den sind sie behalten.“). 17 Mt 18,18 (Luther 1545: „Warlich ich sage euch / Was jr auf Erden binden werdet / Sol auch im Himel gebunden sein. Vnd was jr auf Erden lösen werdet / Sol auch im Himel los sein.“). 18 Martin Luther (1483–1546). 19 Luther, Werke (Altenburger Ausgabe, Bd. 7, S. 10b = WA 26, 216, Anm. zu Z. 22). 20 Mt 16,19 (Luther 1545: „Vnd wil dir des Himelreichs schlüssel geben / Alles was du auf Erden binden wirst / Sol auch im Himel gebunden sein / Vnd alles was du auf Erden lösen wirst / Sol auch im Himel los sein.“). 558 Briefe des Jahres 1690

mit dem predigamt ihres orts21, davon mir zwar kein mensch bekannt, nicht zustossen, woraus leichtlich ärgernüs entstehen kan. Versehe mich aber, daß sie vielleicht beyderseits, wo man einander recht verstehet, mit mir einig seyn werden und es einigen streits nicht bedörfen. Nun, der GOtt des friedens22 215 verleihe, daß wir alle einerley gesinnet23 seyen und, als viel geschehen kan, einerley rede führen24; dazu Er uns in einigkeit des geistes mit dem band des friedens verbinden wolle25. Was letztlich angehenget worden ist, von der begierde der lehr der wahren gottseligkeit auch in der schul ernstlich zu treiben, halte ich selbs vor eins der 220 nöthigsten dinge, damit so bald die zarte gemüther, ehe sie noch in die welt gantz verfochten, ihrem GOtt geheiliget und mit dessen seliger erkänntnüs erfüllet werden: hiezu sind demselben, solches nach der regel göttlichen worts und der reinen lehr zubewerckstelligen, alle, die die ehre GOttes, wie sich geziehmet, lieben, alle gelegenheit willig an hand zu geben, verbunden. Der 225 aber, dessen ehre es betrift, trete selbs mit herbey und regiere sein und aller andern hertzen dahin, daß mit zusammengesetzten feiß und eifer die von dem HErrn so theuer erlösete26 seelen ihm mit sorgfalt zugeführet werden, damit sein vor alle vergossenes blut27 an keinem einigen verlohren gehe. 1690.

223 wie ] + sie: D1+2.

21 Nicht ermittelt. 22 Röm 16,20; Phil 4,9; 1Thess 5,23. 23 Röm 15,5. 24 Vgl. 1Kor 1,10. 25 Vgl. Eph 4,3. 26 Vgl. 1Kor 6,20. 27 Vgl. Mt 26,28 Parr. Nr. 122 an [einen Geistlichen] 1690 559 122. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 16902

Inhalt Legt als Antwort auf die Frage nach der bedingten Absolution neben seinen eigenen Über- legungen einen kürzlich geschriebenen Brief zum gleichen Thema bei. – Unterscheidet dreierlei Gruppen von Menschen, die um Absolution bitten: 1. die erkennbar Bußfertigen, 2. diejenigen, an deren Bußfertigkeit kein begründeter Zweifel besteht, 3. solche, bei denen die Ernsthaftig- keit der Buße in Zweifel gezogen werden muß, auch wenn kein ofensichtliches Fehlverhalten vorliegt. – Rät, nur bei der dritten Gruppe die Absolution so zu formulieren, daß sie nur unter bestimmten Bedingungen gültig ist, und empfehlt, in Predigten die Absolution zu erklären; weist darauf hin, daß die Beichte immer an diese Bedingungen geknüpft ist. – Verweist auf die gültigen Kirchenordnungen, die jederzeit einzuhalten sind, und darauf, daß sich die Deutung von Worten mit deren Gebrauch verändern könne. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 206–208.

Ich habe dasjenige, was wegen der absolutionis conditionatae3 an mich ge- langet4, wol verstanden und sende hingegen, was in dergleichen casu nechst5 einem andern geantwortet6, wo die frage von der lehr selbs war, ob derglei- chen conditionatae absolutiones vor irrig zu halten: welcher streit zwischen einem Superintendenten und Diacono entstanden7, da jener vermeinte, daß 5 dieser ihn refutiret hätte. Was aber die praxin selbs anlangt, so wolte ich einen unterscheid machen unter dreyerley leuten, unter denen 1. welcher buß ich, soviel als unter menschen müglich, erkenne. 2. Die ich nicht so erkenne, aber gleichwol auch keine wichtige ursach zu zweifeln von ihnen habe. 3. Von denen ich billich 10 sorge, daß sie unbußfertig seyn möchten, aber sie gleichwol, weil keine ofen- bahre laster verhanden8 sind, von der gemeinschaft nicht können ausgeschlos-

8 1. ] – D1. ​

1 Die im Brief verhandelten Themen Beichte, Absolution und Abendmahl erweisen den Adressaten als Geistlichen. Dazu wird Spener häufg von solchen befragt, die der pietistischen Frömmigkeit nahestehen. 2 Eine genauere Datierung läßt sich nicht vornehmen. 3 Absolution, die nur unter Erfüllung bestimmter Bedingungen gültig ist – in der Regel wohl, die in der Beichte angesprochene Sünde künftig zu unterlassen. 4 Die briefiche Anfrage ist nicht überliefert. 5 Im Sinne von „ganz vor kurzem“, „jüngst“ (DWB 13, 133). 6 Vielleicht ist es das Gutachten, das direkt im Anschluß an diesen Brief abgedruckt ist: Bed. 1 II, 208–213. 7 Die Streitsituation, auf die der beigelegte Brief bezogen war, ist nicht bekannt. 8 Gegenwärtig, wirklich (DWB 25, 522). 560 Briefe des Jahres 1690

sen, in besser verfasten gemeinden aber biß zu einigen mehreren proben ihrer buß würden aufgeschoben werden9. 15 Was diese letztere anlangt, denen wolt ich die absolution conditionat sprechen, samt beweglicher erinnerung. Bey den beyden ersten arten aber könte am sichersten die formula absolut lauten und hingegen, was vor sorge dabey seyn möchte, dardurch ersetzet werden, daß in denen predigten die sach getrieben und jederman gnug unterrichtet werde, was vor verstand die wort 20 haben. Dann dabey bleibets einmal, alle absolution, sie werde mit worten gefast wie sie wolle, wie sie gleichwol von einem menschen kommet, ist sua natura conditionata10: und kan ich auch von einem, den ich wol zukennen meyne, betrogen werden, daher ich nicht unfehlbar weiß, welcher der ver- gebung wahrhaftig fähig seye, ob ich wol von einigen mehr hofnung oder 25 gewißheit als von dem andern haben kan. Wann aber solte die kirchenordnung der conditionatae formulae wider- sprechen oder die superiores dieselbe verbieten, so wäre ich schuldig auch die formulam absolutam allezeit zubehalten. In dem 1. in der that und vor GOtt die formula, ob sie absoluta oder conditionata, keinen unterscheid nicht hat, 30 massen bey beyden der bußfertige gewiß, der unbußfertige nicht die verge- bung erlangt. 2. Erklähre ich die formulam in den predigten gnugsam, wie sie allezeit den verstand habe, daß sich niemand als aus eigner schuld betriegen kan11. Also 3. werden die wort nicht in anderm verstand gebraucht, als man, sie zu verstehen, sich ausdrücklich vernehmen lassen. Ob dann 4. es hart 35 lautet, absolute zu reden, da mans conditionate verstehet, folget wol, daß man sua sponte12 sich lieber derjenigen formul gebrauchen möchte, welche mit dem verstand am eigentlichsten überein kommet: wo wir aber nicht eigenes willens thun dörfen, ist uns gnug, daß wir unsern verstand declariret haben: Wir brauchen ja auch im exorcismo13 solche wort, die in ihrem rigore14 falsch 40 und erschrecklich sind, schützen aber unsrer kirchen gebrauch damit, daß die wort nicht, wie sie lauten, sondern allein von der geistlichen gewalt über die in sünden gebohrne verstanden würden, und wir sie also und nicht anders

33 anderm ] andern: D1. ​39 im ] in: D1. ​40 erschrecklich ] unerschrecklich: D1. ​

9 Spener verweist häufg auf die für die Erbauung der Gemeinde ungenügende Verfassung der Kirche (z. B. Bed 2, 650 [1685]; Ph.J. Spener, Von der Unwürdigen Communion, ediert in: K. vom Orde, Ein unveröfentlichter Traktat Philipp Jakob Speners. Von der Unwürdigen Communion aus dem Jahr 1681, PuN 39, 2013, [ 193–241], S. 221, Z.399 – S. 223, Z.473). 10 Ihrer Natur nach bedingt. – Ursache ist die Unmöglichkeit, dem Mitmenschen ins Innere zu schauen (vgl. Bed. 1 I, 85 u. ö.). 11 Ein Beispiel für Speners Erläuterungen und Ermahnungen zur Absolution in Predigten fndet sich in: Spener, Glaubenstrost, 866–875. 12 Freiwillig, absichtlich. 13 Die bei der Taufe gebrauchte Exorzismusformel: „Fahr aus, Du unreiner Geist, und gib Raum dem heiligen Geist“ (Taufbüchlein, BSLK 538, 18 f); eine etwas andere Form fndet sich im Taufbüchlein 1526 (WA 19, 540.4–6). 14 Strenge, Härte. Nr. 122 an [einen Geistlichen] 1690 561 gemeynet haben wolten. Da es aber heist, verba valent usu15 und zwar nicht nur usu communi16, sondern auch peculiari in certo argumento oder mate- ria17. 5. Ists nicht ohn, daß durch den gebrauch der formulae conditionatae 45 unterschiedliche mehr bewogen werden, zu sorgfältigerer prüfung, daher sie, wo wir in freyheit stehen, vorzuziehen wäre: wo wir aber gemessene ordnung vor uns haben, mag dero überschreitung und daher folgende weiterung mehr schaden, als daßjenige, was wir suchen, nutzen würde: und hat man auf die vorgedachte art dasjenige zu ersetzen, was man durch den gebrauch der for- 50 mulae conditionatae nicht thun darf. Dieses wäre meine meynung, welche ich sicher zu seyn glaube. Der HErr gebe uns allezeit, seinen willen kräftig zuerkennen, und mache seine kirche mehr und mehr frey von demjenigen, was einigerley massen die erbauung schwächet. 55 1690.

50 ersetzen ] versetzen: D1+2.

15 Lateinisches Sprichwort: „Worte erhalten ihre Bedeutung durch ihren Gebrauch“ (vielleicht im Anklang an Horaz: „Verba valent sicut nummi“ (Horaz, Epistulae, 1,1,74). 16 Nach allgemeiner Verwendung. 17 Nach der besonderen (Verwendung) in bezug auf einen bestimmten Inhalt oder Materie. 562 Briefe des Jahres 1690 123. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 16902

Inhalt Hält die Skrupel vor dem unwürdigen Abendmahlsgenuß geradezu für ein Zeichen der Würdig- keit des Teilnehmenden; Weltmenschen machen sich kein Gewissen beim Genuß des Abend- mahls. – Zählt verschiedene Ursachen für Anfechtungen auf: Neben geistlichen können Depres- sionen vorkommen, die natürlich veranlagt sind oder körperliche Ursachen haben. – Weltliche Menschen werden vornehmlich durch Angst um ihren Besitz in Unruhe versetzt, geistliche Leute durch Sorgen um ihr Seelenheil, die aber als von Gott zugelassene Läuterungsmaßnahmen verstanden werden können. – Benennt als mögliche geistliche Ursachen für die Depressionen die Angst vor einer unwürdigen Abendmahlsteilnahme und ein gesetzliches statt evangelisches Verständnis vom Abendmahl. – Rät, 1. das Abendmahl als Heilsmittel Gottes zu verkündigen, das unabhängig von begleitenden Gefühlen wirksam ist, 2. auf die Kraft hinzuweisen, die vom Abendmahl ausgeht und vom menschlichen Empfnden unabhängig ist, 3. auf mögliche kör- perlichen Ursachen hinzuweisen, die für eine geistliche Anfechtung verantwortlich sein können, 4. den geistlichen Nutzen zu betonen, wenn Gott solche Skrupel zuläßt, 5. die angefochtene Person zu ermutigen, sich an Gottes Gnade genügen zu lassen, und 6. trotz der Bitte um Befrei- ung von diesem Übel, sich Gottes Willen zu ergeben. – Bespricht einen Fall von Holzfrevel: 1. Prangert die Unterdrückung der Untertanen durch die Obrigkeit als Ungerechtigkeit vor Gott an. – 2. Lehnt ofene Empörung ab. – 3. Beklagt, daß die Obrigkeit nicht genügend Verant- wortung für die Untertanen wahrnimmt. – 4. Ruft dazu auf, lieber Mangel zu leiden, als gegen die göttliche Ordnung zu verstoßen. – 5. Verweist aber auf biblische Beispiele, in denen Verstöße gegen den Willen Gottes als Schwachheit geduldet wurden. – 6. Mag in der Notsituation eine solche Tat nicht als Sünde zu betrachten. – 7. Stellt fest, daß es unter Theologen unterschiedliche Meinungen zum Mundraub gibt. – 8. Hält die Sünde der Untertanen gegenüber der Sünde der Unterdrückung der Obrigkeit für geringer. – Weist auf das Beispiel der Israeliten beim Auszug aus Ägypten hin. – Der arme Dieb soll darauf hingewiesen werden, daß es besser ist, zu leiden und die Notlage Gott anzubefehlen, der Geistliche, dem der Diebstahl gebeichtet wurde, ist an das Beichtgeheimnis gebunden. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 218–224.

Die erste Person, dero erschreckliche angst bey dem Heil[igen] Abendmahl und daher entstehende anfechtung vorgestellet worden, achte ich in seligem zustande zu seyn. Nicht allein aus dem übrigem guten zeugnüß, so ihr gege- ben wird, welches sie zwar der natur zuschreiben wolle, aber aus guten proben 5 ihr gewiesen werden könne, daß es aus der würckung der gnade seye: sondern auch eben aus diesem zustand und anfechtung selbs, so sich bey keinem welt- menschen auf gleiche weise fnden würde, als welche entweder, weil sie das Heil. Abendmahl, dessen sie sich gebrauchen, gering achten, nichts durch

1 Dem gesamten Kontext zufolge ist der Adressat ein Geistlicher. Der ab Z. 126 f besprochene Fall eines Holzfrevels durch einen Landwirt könnte ein Hinweis darauf sein, daß der Geistliche auf dem Land oder in einer kleinen Stadt amtiert. Näheres ist nicht zu bestimmen. 2 Eine genauere Datierung ist nicht möglich. Nr. 123 an [einen Geistlichen] 1690 563 dessen hoheit bewogen werden und also ihre ängsten ehe über anders als dasselbige empfnden würden oder, wo sie solche ängsten gefühlet, wenig 10 begierde mehr darnach trügen. Was aber die ursach ihrer anfechtung selbs anlangt, achte ich sie nicht eine zu seyn, sondern theils natürlich, theils geistlich. Natürliche ursach (wie ich vernehme, daß auch Medici über sie zu rath gefragt worden) wird wol seyn entweder insgesamt ein melancholisches und schwehrmüthiges temperament 15 oder einige miltz=beschwer​ ung3, dazu auch bey weibs=personen​ einige mutter=​zustände4 kommen können5: Daher ihre natur zweifelsfrey itzo alle- zeit zu einiger schwermuth und angsthaftigkeit wird geneigt seyn, also daß sie entweder niemal auch in leiblichen dingen zu einer kräftigen empfndli- chen freude komme oder, wo dieses geschiehet, gemeiniglich alsdann desto 20 mehrere schwermuth darauf folge. Wo nun diese naturen sich fnden, da ist der zunder vorhanden, der jeden funcken der angst geschwind fasset: und wird allezeit bey solchen leuten geschehen, daß sie etwas haben müssen, in welchem ihre betrübnüß und angst sich übe. Was leute anlangt, welche gantz weltlich gesinnet sind, da wird gemeinig- 25 lich geitz6 und furcht des mangels dasjenige seyn, das sie quälet und wol gar zum selbsmord treibet, oder es wird sich etwas anderst, womit sie sonderlich der welt verhaftet sind, hervor thun, daran sie ihre folter haben müssen, oft- mals so starck, daß auch der verstand darüber noth leidet. Es ofenbahret sich aber in solchem zustand gemeiniglich, was vorher in ihrem hertzen verborgen 30 und dessen vornehmste absicht gewesen. Wo dann einige sind, denen das geistliche ihre vornehmste sorge gewesen, wird sichs insgemein zeigen, daß

21 folge ] erfolge: D2. ​

3 Ein Anfall von der Hypochondrie, die in Schwermut und Melancholie ausartet; die Milz wird als Sitz der Hypochondrie angesehen (Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 2. Theil, Wien 1811, 1345 und 3. Theil, S. 212); vgl. auch Epilepsia hypochondriaca (Zedler 8, 1405). Ausführlich mit diesem Krankheitsphänomen setzte sich der pietistische Arzt Georg Ernst Stahl in Halle auseinander: G. E. Stahl, De Vena Portae Porta Malorum Hypochondriaco-Splenetico-Sufocativo-Hysterico-Colico-Haemor- rhoidariorum […] Sub Praesidio Dn. Georgii Ernesti Stahl […] Publicae disquisitioni proponet Joachimus Petrus Gaetke, Halle a.S.: Chr. Henckel [1698]. 4 Hystericus oder uterinus afectus, ein Mutterzustand. So werden alle Krankheiten und Be- schwerden genannt, die von der Gebärmutter herkommen, die sich etwa als Unruhe der Nerven zeigen (Onomatologia medica completa oder Medicinisches Lexicon das alle Benennungen und Kunstwörter welche der Arzneywissenschaft und Apoteckerkunst [sic!] eigen sind deutlich und vollständig erkläret zu allgemeinem Gebrauch herausgegeben von einer Gesellschaft gelehrter Ärzte mit einer Vorrede begleitet von Herrn D. Albrecht von Haller, Ulm, Frankfurt und Leipzig: Gaumische Handlung 1755, S. 808). 5 Dieser medizinische Hinweis läßt keine Schlüsse auf das Geschlecht der angefochtenen Per- son zu. Spener formuliert hier grundsätzlich. Der durchgehende Gebrauch der femininen Form des Pronomens bezieht sich auf „Person“ in Z. 1, allenfalls könnte die Formulierung „dieser angefochtenen“ (Z. 119) dennoch auf eine Frau schließen lassen. 6 Im Sinne von „Habgier“ (DWB 5, 2811). 564 Briefe des Jahres 1690

bey denselben etwas geistliches die materia ihrer angst werden muß, durch welches feuer sie der HErr läutert: weswegen alsobalden, wo einige mit einer 35 art dergleichen ängsten betreten werden, solches aufs wenigste stracks ein zeugnüß ist, daß ihnen das geistliche nicht wenig angelegen seye: Daher ich immer die beste gedancken von solchen angefochtenen, eben um der anfech- tung selbs willen, fasse. Was dann die geistliche ursachen anlanget, mögen dero unterschiedliche 40 seyn: 1. Die hochhaltung des heiligen Abendmahls an sich selbs, in erwegung nicht allein der theueren, darinnen anerbottenen güter, sondern vornehmlich wegen der gefahr der unwürdigen niessung, welche die seele alsbald mit ei- nem starcken eindruck vorstellet. 45 2. Daß die liebe person sich gewohnet haben muß, solches liebesmahl des HErren nicht so wohl anzusehen, wie der HErr die sünder und krancken darzu rufe7, als nach der angehengten drohung, gegen dessen mißbrauch; also daß, ob ich wohl nicht zweifen will, daß sie das Evangelium von diesem gnadenmahl verstehen werde, sie doch immermehr zuneigung fndet zu der 50 gleichsam gesetzlichen als Evangelischen betrachtung desselbigen: Also, ob sie wohl befragt, von der kraft des heiligen abendmahls erkennen und bekennen wird, daß dieselbe nicht von uns herkomme, sondern von der gnade unsers Heilandes und seines leibs und bluts selbs, die da von uns nicht die heiligkeit oder gesundheit erfordern, sondern dieselbe uns geben wollen, so wird man 55 dannoch fnden, daß die natürliche schwehrmuth, da sie solchen trost ihr nicht gantz wegnehmen kan, aufs wenigste solchen mit dergleichen sorge vermischet, daß er seine kraft bey ihr in der empfndung verliehret und daher, wider ihr bekäntnüß, der concept von dem heiligen mehr gesetz- lich als Evangelisch seyn wird. Wann sie nun also die hohe würdigkeit dessen, 60 wohin sie sich verfügen will und aus den funcken des glaubens darnach ein hertzliches verlangen träget, sich vorstellet, kehret das gemüth sich alsobald nicht so wohl zu der betrachtung der gnadenschätze, als zu der vorstellung der eignen unwürdigkeit mit einer starcken forcht, nicht gnug bereitet zu seyn; weil nun die kranckheit der schwehrmuth wie ein feuer gleich alles, was dazu 65 bequem anzündet, so bald solche sorge als etwas ihr gemeses ergreifet, so bricht um solche zeit, je billicher sie diese sorge hält, alle die gewalt der kranckheit in diese angst aus, die sie denn nicht allein hindert, daß sie den trost aus solchem trostmahl nicht fühlen kan, sondern auch die natur gantz niedergeworfen wird, daß es müglich ist, daß sie in ohnmacht sincke, der 70 verstand sich nicht völlig besinne und alles folge, was bey den heftigsten äng- sten, die die gantze natur bestreiten, folgen kan, und solches etwa so viel länger und heftiger oder weniger und kürtzer, theils als sie sich die gefahr der

58 f gesetzlich ] gesetz=: D1+2. ​

7 Vgl. Lk 5,31. Nr. 123 an [einen Geistlichen] 1690 565 unwürdigen niessung mehr oder weniger vorgestellet, theils nach dem der leib mit den kranckheits=​dünsten mehr oder weniger angefüllet ist. Aus allem diesem aber traue ich, ofenbahr gnug zu seyn, daß die liebe 75 seele bey solchem zustand wohl stehe und, ob wohl der süsse geschmack des trosts, so sonsten des glaubens vergnüglichstes zeugnüß wäre, ausbleibet8, daß dennoch so wohl die begierde, welche sie immer darzu treibet, als auch die angst selbs ihren verborgenen glauben gnugsam weise. Dahero ich nichts anders zu rathen wüsste, als 80 1. daß man sie suchte, je mehr und mehr dahin zubringen, die vorbereitung zu dem heiligen abendmahl nicht auf solche ängstliche weise sich vorzustel- len, sondern immer zugedencken, daß dieselbe nicht unser werck, sondern GOTTes würckung in uns sey und also, wo wir diese nicht muthwillig hin- dern, ohne zweifel von dem HErrn selbs in uns gewürcket werde werden. 85 Also wo die seele nur trachtet, alle boßheit von sich abzulegen, so bey denen, die in solcher anfechtung stehen, sich würcklich fnden wird, und den redli- chen vorsatz zu fassen, mit willen den HErrn nicht wiederum zubeleidigen, so seye unfehlbahrlich die rechte GOtt gefällige bereitung, ob wohl weder, was die reue der vergangenen sünden, noch den glauben anlangt, die ver- 90 langte fühlung zu spühren ist, vielmehr das hertz wie gantz unempfndlich scheinet. Jemehr sie diese wahrheit recht in das hertz drucken wird, und zwahr also, daß sie in der praxi darnach, so viel der zustand des leibes solches zu- lässet, sich anschicket, so viel wird ihrer angst gesteuret werden. 2. Muß sie auch stets dahin erinnert werden, daß sie der ursach wegen 95 solches heilige mahl nicht unterlasse, sondern es wohl würdig halte, einen solchen strauß darüber auszustehen und zu glauben, daß dennoch ihr innerer mensch so viel kraft darvon geniesse als der eusere mensch von der natürli- chen speise, die er zu sich nimmt, wann der geschmack durch einen kranck- heits=​zufall verdorben ist. 100 3. Soll ferner dazu kommen, daß man ihr zeige, obwohl ihre anfechtung auch geistlich ist, daß dennoch der leibliche zustand die meiste kraft der angst gebe: Hingegen 4. daß GOTT ihre natur in solchen stand gerathen und sie noch in solchem kampf lasse, nicht aus ungnaden, sondern aus väterlicher liebe und wohl- 105 meinen, als der erkant haben muß, daß zu ihrer demüthigung, verwahrung vor sicherheit und anderem geistlichen nutzen derselbe ihr vorträglicher seyn müsse, als wornach sie zwahr ohne zweifel verlangen wird, in empfndlichem trost und freude zustehen. Deßwegen

80 wüsste ] wisste: D1. 86 bey ] + bey: D1+2. 97 solchen ] solchem: D1. ​ 104 solchen ] solchem: D1+2. ​108 empfndlichem ] empfndlichen: D2+3. ​

8 Vgl. ganz ähnlich in Brief Nr. 131, Z. 52–57. 566 Briefe des Jahres 1690

110 5. sie sich mehr und mehr dazu resolviren muß, sich an der übrigen gnade GOttes und dero versicherung genügen zu lassen9 und also auch damit kindlich zu frieden zu seyn, wenn auch solche last von ihr nicht genommen werden solte. Folglich 6. hat sie zwahr um die befreyung solcher last nach GOTTES willen zu 115 bitten, vielmehr aber um göttlichen beystand, um dem HErrn in dem kampf stäts getreu zubleiben und sich allemahl gegen ihn zu erklähren, daß vielmehr sein als ihr will vollbracht werden möge10. Den himmlischen Vater als den GOTT des trosts rufe ich an, daß er sein gutes werck in dieser angefochtenen immer befestigen, ihr seinen willen le- 120 bendig zu erkennen geben, unter aller angst sie zu weilen mit einem gnaden- blicklein erfreuen, wo es ihr nützlich, sie wiedrum zu völliger ruhe und empfndlichkeit11 bringen, wo solches nicht seyn soll, sie dennoch stäts an der hand führen, so dann alle, die mit ihr umgehen, mit der weißheit, so ihnen zu deroselben besten nöthig ist, erfüllen und also auch an und in ihr seinen 125 nahmen verherrlichen wolle um JESU CHRISTI willen. Was den andern casum anlanget, wegen des ackermannes, so aus euserster noth seiner hohen Obrigkeit, um seine gaben abzustatten, holtz entwendet, bekenne ich, daß derselbe unvergleichlich schwehrer ist, ja wol einer der schweresten, die mir jemal vorgekommen sind. Ich fasse meine gedancken in 130 folgende sätze: 1. Wo die Obrigkeit den unterthanen mehr last aufeget, als die wahre gemeine wohlfahrt erfordert und sie ertragen können, thut sie nicht, was ihr zukommet und wozu GOtt ihr eigentlich das recht gegeben, indem sie zu der unterthanen besten, nicht aber ihrem verderben verordnet ist. Ist also alles 135 solches ein raub vor GOTT und die höchste ungerechtigkeit, was dermassen den unterthanen mit gewalt ausgepresset wird, und weil hingegen dergleichen ungerechtigkeit fast durch und durch an allen orten im schwang gehet, giebt mirs ein sehr trauriges zeichen, daß wir aller orten grausamen gerichten GOttes nahe seyn mögen, da der HERR der herrscher auch die stühle der 140 Regenten erschrecklich umstürtzen mag12, von denen so viel ungerechtigkeit ausgegangen ist. 2. Indessen haben sich die unterthanen um der ursach willen weder an der Obrigkeit mit empörung zuvergreifen, noch auch denenselben dasjenige zu entziehen, was ihnen abgefordert wird. Dann, ob die Obrigkeit mit dem 145 fordern sündiget, so kommet ihnen dennoch der gehorsam zu13. Daher eben so wenig erlaubt ist, daß sie sich an andern dingen, welche der Obrigkeit zu-

110 übrigen ] übergen: D1+2. ​114 last ] – D2+3. ​120 f gnadenbilcklein: D2. ​

9 Vgl. 2Kor 12,9. 10 Vgl. Lk 22,42. 11 Im Sinne von „Gefühl“, „Empfänglichkeit“ (DWB 3, 430). 12 Vgl. Lk 1,52. 13 Vgl. Röm 13,1. Nr. 123 an [einen Geistlichen] 1690 567 ständig sind, vergreifen, sondern solches bleibet an sich selbs ein diebstal und sünde. 3. Zwar wo bei der Obrigkeit etwas Christliches ist, so haben die unter- thanen ihre hülfe, und auf gnugsame demonstration blosser unmüglichkeit 150 würden ihnen die lasten erleichtert werden: wir erfahren aber leider, daß solche arme leute nirgend gehöret oder erhöret werden, sondern sie werden noch wol hart über alles suchen angelassen oder aufs wenigste damit abge- wiesen, wo man einem etwas nachliesse, beriefen sie sich alle darauf. Daher stehen sie im eussersten elend, sollen unmügliche dinge thun und sehen nichts 155 anders als die extrema vor sich. 4. Indessen erfordert die ordnung und regel des gewissens, daß solche leut dergleichen alles, auch hunger und blösse, lieber ausstehen und die sache GOtt befehlen, indessen in seinen wegen bleibende, was er über sie verhengen wolle. Dieser weg ist der sicherste und solle man billich in demselben bleiben. 160 Indem um des guten, seiner erhaltung willen das an sich böse nicht zu thun ist. 5. Indessen wie wir sehen, daß GOTT der HERR mit einigen seiner gläubigen so wol unwissenheit als in schwehren anfechtungen vorgegangnen sünden grosse gedult getragen hat, als, da er die mehrere weiber bey den Vä- 165 tern des A. T., die gleichwol aus der ersten einsetzung gar ein anders wissen sollen, und vermuthlich ihr gewissen sie manchmal deswegen mag gerühret haben, getragen, auch wegen der last der anfechtung dem lieben Job14 vieles harte zu gut gehalten hat, schliessen wir daraus, daß es müglich seye, daß ein mensch in einer stäten sünde stehe, entweder einer unwissenheit oder, daß er 170 von der gewalt einer innerlichen und eusserlichen noth, die ihm zu über- winden zu schwer wird, und dannoch solche ihm, da er in dem übrigen ein redliches hertz vor GOTT hat, nicht zur boßheit, sondern schwachheit zu- gerechnet und er also nicht gantz von den gnade ausgeschlossen werde. So wolte ich in diesem fall auch glauben, daß der gütigste himmlische Vater, dem 175 seiner kinder noth und schwachheit so bekant ist als zu hertzen gehet, mit dergleichen armen einige gedult trage. Daher, wo ein solcher mensch in dem übrigen nach allem vermögen sich Christlich bezeuget und an sich die zeichen eines kindes GOTTes weiset, sich dieses unordentlichen15 mittels nicht anders als zu der eussersten noth und 180 abstattung der auferlegten last gebrauchet, hingegen an nichts anders bey sich und den seinigen das dazu gehörige ersparen könte, sondern bey der blossen nothdurft bleibet, dieses auch, zu dergleichen genöthiget zu werden, vor seyn gröstes elend hält, anstatt dessen er lieber ander schweres leiden wolte, aber nicht anders seyn und der seinigen armes leben zu retten siehet, so gläube ich, 185

161 das ] daß: D1. ​

14 Hiob. 15 Im Sinne von „gesetzwidrig“ (DWB 24, 1218). 568 Briefe des Jahres 1690

daß der Vater der barmhertzigkeit16 mit ihm gedult tragen17 und seine gnade nicht entziehen, hingegen ihm hülfe zuschicken werde, ihn auch aus solcher versuchung endlich zu retten. 6. Dergleichen nun zu glauben verursachet mich, daß ich nicht davor halte, 190 daß leicht eines solchen menschen gewissen zur gnüge werde überzeuget werden, daß diese sache mit solchen umständen vor GOTT sünde sey, son- dern ob er wol auf das klahre wort nicht antworten kan, so wird gleichwol immer die ansehung der noth ihm eine ausnehmung machen. Nun ist zwar nicht ohn, daß solches bloß dahin an sich selbs von der sünde nicht ent- 195 schuldigte, indem jede sünder sich fast einige einbildungen, daß ihr thun nicht so unrecht seyn würde, machen, indessen thuts doch so viel, daß es nicht mit einem völligen wiederspruch des gewissen geschiehet, was er thut, und solche ausnahme dieses falles hat ihre scheinbare gründe, um dero willen GOTT ihnen eine unwissenheit mehr zu gut hält. 200 7. Dann unterschiedliche auch Christliche lehrer in den gedancken sind, daß in der eussersten hungersnoth einer macht habe, von des andern gütern seinen hunger zu stillen18, indem die abtheilung der güter, als zu des mensch- lichen geschlechts wohlfart eingeführet, die bedingung solcher eussersten noth in sich fasse oder vielmehr ausnehme. Ob dann wol andere solchem 205 ausspruch widersprechen19 und auch solche vor sünden halten, wie denn sie aufs wenigste zugeben, daß GOTT mit einer solchen der seinigen schwach- heit gedult trage. Mit diesem fall kommet aber der unsrige nahe überein. Ja, 8. solte man davor halten, daß diese sünde gegen die Obrigkeit so viel geringer wäre, weil sie wahrhaftig von GOTT nicht das recht hat, die unter- 210 thanen mit zu schweren lasten zubelegen, dahero auch die Obrigkeit das erste unrecht, und zwar das allerschwehreste, auf ihrer seit begehet, ob dann wol dasselbe die unterthanen, wie oben gemeldet, ihrer pficht nicht gantz entbin- det, ist gleichwol die sünde dessen so viel geringer, welcher der ungerechten Obrigkeit aus ihrem eigenen das ungerecht abgeforderte abstattet, als einem 215 andern, der einem aus eusserster noth das seinige nimmet. 9. Erinnere ich mich des exempels der Israeliten, die, als ihnen die Egyptier vor ihre lange dienste keinen lohn gegeben, noch hätten geben werden, als zur compensation ihres verdienstes von denenselben gold, silber und anders

204 ausnehme ] annehme: D2+3. ​204 solchem ] solchen: D1+2. ​214 ihrem ] ihren: D1+2. ​

16 2Kor 1,3. 17 Vgl. Röm 9,22. 18 Z. B. Wolfgang Musculus, der den Diebstahl, um den Hunger zu stillen, mit dem Hinweis auf Spr 6,30 f für weniger schuldhaft hält (Wolfgang Musculus, Loci communes sacrae Theologiae, iam recens recogniti et emendati, Basel: Johannes Herwag 1564, S. 108). 19 Speners Lehrer Johann Conrad Dannhauer läßt auch den Hunger nicht als Begründung für Diebstahl zu (Dannhauer, Catechismusmilch 2, S. 292). Nr. 123 an [einen Geistlichen] 1690 569 dergleichen entlehneten und ihnen entwandten20. Denn ob wol solches aus- drücklich von Gott befohlen worden und daher die sache gantz recht mach- 220 te, so wir hie nicht sagen können, so sehen wir, daß gleichwol die entziehung dessen, was einem andern zugehöret, und er seine schuldigkeit zurück hält, eine sache seye, die der göttlichen gerechtigkeit nicht bloß ungemäß und also zuweilen gantz ohne sünde seye, gleichwie, da sie GOtt selbs befehlet, zu andernmalen aber und in mangel solcher autorität die sünde so viel geringer 225 mache, indem die sache nicht bloß in ihrer natur so böse, daß sie nicht in einigen umständen gar recht seyn könte. Alles dieses zusammen gefaßt, mag endlich so viel ausrichten, ob wol die regel hart gegen den zustand dergleichen armen mannes lautet, daß dennoch von seinem heil nicht gantz zu desperiren: daher der Prediger mit bitten und 230 erinnern, alles andere lieber zu leiden und zu versuchen, anzuhalten und ihn auf die regel zu weisen hat, sich aber mit demjenigen, was zu erleichterung der sünden angeführet worden, so fern trösten mag, daß er dergleichen person nicht eben bloß abweisen oder von den gnadenmitteln ausschliessen dörfte, welches er ohne das nicht wohl thun könnte, ohne, nachdem er die ursach 235 würde anzeigen müssen, ihn damit gegen seine amtsgebühr, da ihm die sache im beichtstul vertrauet worden, der Obrigkeit zu denunciiren. Der HErr gebe nicht allein selbs denjenigen, die mit der sache umzugehen haben, diejenige weisheit, die aus ihm ist, mit den armen gewissen also zu handeln, wie es denselben selig seyn mag, sondern schafe solchen bedrängten 240 den vornehmsten rath darinne, daß er die obrigkeitliche personen und re- genten mit erkäntnüß dessen, wozu sie verordnet seyen, und mit liebe gegen ihre unterthanen erfülle, womit alle dergleichen ungerechtigkeit hinfallen und, von solchen zweifelhaften fällen zu fragen, nicht mehr ursach seyn wird.

1690. 245

224 zu ] in: D2+3. ​234 ausschliessen ] auschliessen: D1. ​237 beichtstul ] beichstul: D1.

20 Vgl. Ex 12,35 f. – Unter den Theologen wurde häufg über die Bewertung der Annahme der „spolia Ägyptiorum“ gestritten. J. C. Dannhauer hielt sie, mit der gleichen Begründung wie Spener, nicht für einen Diebstahl (Dannhauer, [wie Anm. 19], S. 290 f). 570 Briefe des Jahres 1690 124. An [einen Geistlichen in Sachsen]1 Dresden, 16902

Inhalt Rät, wie der Adressat sich einigen Frauen gegenüber verhalten solle, deren Unzucht in der Beichte bekannt wurde. – Ist dankbar für die Sündenerkenntnis und Bußbereitschaft desjenigen, der gebeichtet hat, und hoft, daß dieser dadurch ein gutes Beispiel sein und nicht wieder rückfäl- lig wird. – Sieht den seelsorgerlichen Auftrag des Adressaten gegenüber den beteiligten Frauen nicht nur in der allgemeinen Ermahnung auf der Kanzel über die Unzucht, sondern im Versuch, persönlich mit ihnen zu sprechen, was entweder bei der Beichte oder im persönlichen Gespräch im Studierzimmer geschehen kann. – Nimmt dem Adressaten die Sorge, er könne damit das Beichtgeheimnis brechen. – Denn 1. sei das Vergehen den Beteiligten ohnehin bekannt, eine Anzeige wegen Öfentlichkeitmachung der Angelegenheit würde sich nur gegen die Klägerin selbst wenden. – 2. habe der Betrofene den Beichtvater sogar beauftragt, mit den Frauen zu sprechen. – 3. müßte die Ernsthaftigkeit seiner Buße in Zweifel gezogen werden, wenn der Be- trofene einem solchen Gespräch des Pfarrers nicht zustimmte. – Rät das seelsorgerliche Gespräch auch dann zu suchen, wenn derjenige, der gebeichtet hat, nicht einverstanden ist. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 239–242.

Ich habe aus desselben neulichem3 den überschickten casum wohl verstanden, wie nemlich Ucalegon4, nach dem er mehrmal über den mangel der andacht in dem gebet und viele hertzensangst geklaget, endlich, von seinem gewissen getrieben, seine schwehre sündenfälle, sonderlich verübter feischlicher un- 5 zucht, reuig gebeichtet und geklaget, da nun die frage seye, wie den jenigen weibspersonen, welche mit ihm gesündiget, zu helfen und sie zur wahren buß zu bringen seyen, als welches denselben auch obliege, nach dem er aller derselben beichtvater nicht weniger seye als dessen, der nunmehr seine sünde erkant habe. 10 Hiebey ist billich zum allerfördersten göttliche barmhertzigkeit danckbar- lich zu preisen, die den armen menschen, welchen der teufel so lange in seinen stricken aus einer sünde in die andere geführet, zur bußfertigen erkänt- nüß gebracht und, nüchtern zu machen, angefangen hat, mit so wol demütig-

1 Vielleicht ist der Adressat ein sächsischer Geistlicher, weil Spener den Dresdner Super- intendenten Samuel Benedikt Carpzov (zu diesem s. Brief Nr. 2 Anm. 3) um Rat fragt und dabei den Namen des Adressaten verschweigt (Z. 50 f), vermutlich weil jener ihn kennen könnte. 2 Eine nähere Datierung ist nicht möglich. 3 Der Brief des Adressaten ist nicht überliefert. 4 Konsilienpseudonym. Der Name ist aus Homers Ilias bekannt; es handelt sich um einen Ältesten in Troja (Homer, Ilias 3, 148), dessen Haus bei der Eroberung der Stadt in Brand gesteckt wurde (Vergil, Aeneis 2, 311 f); nach den Satiren Juvenals (3, 198 f) ist er ein Synonym für „einen Nachbarn, dessen Haus in Flammen steht“ (M. Stoevesandt, Art. „Ukalegon“, in: Der Neue Pauly, hg. von: H. Cancik, H. Schneider, M. Landfester, Brill Online, 2013. Zugrif 13. 6. 2013 http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/ukalegon-e1224180). Ob Spener diesen Namen (wörtlich: „ohne Sorge“) mit Bedacht wählt, bleibt Spekulation. Nr. 124 an [einen Geistlichen] 1690 571 ster bitte, daß dieselbe ferner über ihn walten u. ihn nimmermehr in die vorige sünden fallen lassen, hingegen seine buß bis an sein ende erhalten und 15 ihn zu einem gesegneten werckzeug machen wolle, der andere neben sich auf ihm zukommende art auch aus dem verderben ziehen helfe und nach ver- mögen sein voriges böses leben mit so viel besserm exempel inskünftige wiederum ersetze als auch sorgfältigem feiß und aufsicht auf den bußferti- gen, dem der teufel nach Luc.11,245, noch ferner nachzustellen, schwehrlich 20 unterlassen wird, daher so viel feißigere und oftere erinnerungen an ihn nöthig seyn werden, damit er stäts auf seiner hut stehe, sich nicht aufs neue wiederum in dergleichen oder andere grobe sünden ziehen lasse, sondern mit gebet und vorsichtigkeit gegen seinen nunmehr besser erkannten feind kämpfe. 25 Was aber die von ihm angeschuldigte weibspersonen anlanget, mit welchen er gesündiget, ligt E. WohlEhrw. allerdings ob, daß sie als beicht=vater​ sich ihrer seelen treulich annehmen und sie zu retten suchen. Was nun auf der cantzel geschehen kan, so fern als man die leichtfertigkeit daselbs ohne ärger- nüß anderer strafen darf, mag noch nicht gnug thun, sondern ist allerdings 30 eine absonderliche handlung mit jeglicher von nöthen. Was den beichtstul anlangt, nach dem die anstalten wegen zeit und ort beschafen wären6, solte wol solche gelegenheit die beste scheinen, soviel mehr, weil um solche zeit von denen, die zur beicht kommen, zu hofen ist, daß, wo ihre gemüther je- mahlen tüchtig, etwas zu ihrer buß mit ihnen fruchtbarlich zu handeln, sie 35 alsdenn zum bequemsten dazu seyn möchten: weil aber insgemein zeit und ort also bewandt, daß man nicht mit gnugsamer geheim und doch auch nach- drücklich mit dergleichen bey solcher gelegenheit handlen kan, so muß auch wol solche gedancken fahren lassen. Bleibet also dieses einige mittel übrig, daß E. WohlEhrw. diese unzüchtige weibspersonen jegliche besonders und, um 40 verdacht zu vermeiden, nicht allzubald eine nach der andern in dero museum7 berufe und diese ihre verübte leichtfertigkeit aufs beweglichste fürhaltende dero busse zu befördern suche. Dann, nachdem E. Wohlehrw. die gantze ge- meinde und in derselben auch diese seelen anvertrauet sind, kan ihr nicht verwehret werden, daß sie neben ihren ofentlichen verrichtungen auch an 45

14 nimmermehr ] immermehr: D2. 18 besserm ] bessern: D1+2. 20 nachzustellen ] nachstellen: D1+2. ​43 befördern ] fördern: D2+3. ​44 anvertrauet ] antvertrauet: D1. ​

5 Lk 11,24 (Luther 1545: „WEnn der vnsauber Geist von dem Menschen ausferet / So durch- wandelt er dürre stete / sucht ruge / vnd fndet jr nicht. So spricht er / Jch wil wider vmbkeren in mein Haus / daraus ich gegangen bin.“). 6 Zu Speners Klage darüber, auf Grund der äußeren Bedingungen der seelsorgerlichen Auf- gabe während der Beichte nicht recht nachkommen zu können, s. etwa Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 102, Z. 154–161, Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 136, passim; vgl. auch die Eingabe des Frankfurter Predigerministeriums vom 15. 11. 1681 (Sachsse, 81–90). 7 Bibliothek, Studierzimmer. 572 Briefe des Jahres 1690

den seelen absonderlich so viel trachten zu arbeiten, als dero heil erfordert. Dahero sie zu solchem privat-anspruch recht haben. Ich sehe zwahr, daß E. WolEhrw. sich drüber scrupel machen, daß es wider das sigillum confessionis8 laufen und dasselbe violiren9 würde. Aber ich sehe 50 es nicht, habe auch mit unsern Hrn. Superintendente10 mit verschweigen des nahmens geredet, welcher mit mir gleicher meinung ist. Dann es ist das sigil- lum confessionis zu nichts anders eingeführt als zur versicherung desjenigen, welcher seine sünde gebeichtet hat; daher der beicht=vater​ seiner auf alle weise schonen muß, daß ihm seine bekäntnüß11, welche er Gott in dem 55 beichtvater gethan, nicht zum schaden in der welt gereiche und dardurch andere, ihrem hertzen luft und dem gewissen rath zu schafen, abgeschreckt werden möchten. Nun ist 1. das factum Ucalegontis der jenigen person, mit dero er gesün- diget, bereits bekant, daher der beicht=​vater seine schande niemand aufdecket 60 und ihn in schimpf bringet, sondern er gebrauchet sich allein seiner buß zu beforderung der buß der jenigen, die etwa ohne dieses in unbußfertigkeit verlohren gehen möchte. Sie hingegen kan hieraus nichts gegen jenen an- fangen: Wie dann, da eine so frech seyn und Ucalegonti, ihn deswegen vor der Obrigkeit solcher difamation12 wegen zu befangen, drohen möchte, 65 E. WohlEhrw. ihr so bald vorhalten kan, daß sie nothwendig abgewiesen werden müste und sich neben der sünde an GOTT und ihrer seele mit solcher klage auch in der welt zu schanden machen, hingegen nichts ausrichten würde, alldieweil derselbe vor keiner Obrigkeit, was er mit ihr jetzo privatim zu ihrer seelen besten handle oder, was Ucalegon ihm gebeichtet, auszusagen 70 oder auszustehen haben, sondern wer dergl[eichen] von ihm fordern wolte, so bald abgewiesen werde, sie aber eben damit erst in schande, aufs wenigste den eussersten verdacht, ofentlich gerathen würde: dessen sie nichts befahren, sondern hingegen auch ihrer bekäntnüß treuen stillschweigens, wo sie schweige, sich versichern könte. 75 Hiezu kommt 2. Ucalegontis eigener consensus13, ja bitte, solche sünde den andern personen vorzuhalten: daher seine beicht nicht mehr als eine blosse beicht, sondern eine bitte an seinen beicht=vater​ über eine seiner, ja auch des beicht=​vaters, so dann tertii seelen angelegene sache anzusehen ist. Also hat der Prediger nicht nur aus der natur der vertrauten sache, die der person, mit 80 welcher er redet, so wohl als jenem bekant ist, recht, mit derselben zu ihrer

51 mir ] mit: D1. ​52 versicherung ] sicherung: D1+2. ​54 seine ] sein: D1. ​54 welche ] welchen: D1; welches: D2. ​60 ihn ] ihm: D1+2. ​71 werde ] werden: D1. ​

8 Beichtgeheimnis. 9 Verletzen. 10 Samuel Benedikt Carpzov, Superintendent in Dresden (s. Brief Nr. 2 Anm. 3). 11 Die Bekenntnis (DWB 1, 1417). 12 Bekanntmachung, Ausbreitung (mit negativer Tendenz). 13 Zustimmung. Nr. 124 an [einen Geistlichen] 1690 573 besserung zu handlen, sondern er verrichtet es auch als eine von dem beicht=​ kind übernommene commission14: Und wie also Ucalegon sich mit fug zu beschwehren hätte, wann E. WohlEhrw. zu seinem unglimpf das vertraute andern, die nichts davon wissen, ausschwätzen solte, welches auch wegen des interesse publici15 ungestraft nicht bliebe16, so hat er hingegen macht, nicht 85 allein sich seines und zu seiner favor17 gerichteten rechtes zu begeben, son- dern auch deroselben etwas aufzutragen, welches zu seiner eigenen seelen mehrer beruhigung dienet. Wie dann 3., wenn Ucalegon auch nicht aus freyem willen solchen zu- spruch zugäbe oder darum bäte, er von E. WohlEhrw. selbs dazu zu persuadi- 90 ren und, wie ihm allerdings oblige, auch vor der jenigen, die er mit verführet, buß und zurechtbringung zu sorgen, mit nachdruck zu weisen wäre: indem sonsten ohne solches ein starcker verdacht in die aufrichtigkeit seiner buß zu setzen und ihm ins künftige neue gewissensangst wegen dieser unterlassung zu sorgen seyn würde; da hingegen, wo er, was von seiner seite zu der andern 95 person besserung zu thun vermocht, gethan hätte, solches sein gewissen so vielmehr beruhigen würde. Ob dann nun, wo er gleichwol nicht drein consentiren18 wolte, ich alsdann, nicht so wohl weil es bloß dahin nothwendig und das sigillum sich in seinem rigor19 bis dahin erstreckte, als vielmehr um vermeidung bösen scheins, rathen 100 wolte, nichts desto weniger die unzüchtige leute vorzubescheiden und jeder aufs glimpfichste und beweglichste zuzusprechen, wie man auf solche art, davon man menschen nicht rechenschaft geben dörfte, in erfahrung kom- men, daß sie mit jemand (hie würde gleichwohl die person verschwiegen, und kan sie auf Ucalegonta nicht kommen, es sage es ihr dann ihr gewissen und 105 verdamme sie also selbs) auf dergleichen art in unzucht vergangen hätte: man bete sie um GOttes willen, daß sie solche sünde bußfertig erkennen und entweder ihm, ihrem beicht=​vater oder aufs wenigste (massen man nicht eben blosser dings die bekäntnüß20 zu fordern hat) ihrem GOtt hertzlich bekennen und das gantze leben in wahrer buß führen wolle. Sie lasse nun 110 solchen zuspruch bey sich fruchten oder nicht, so hat der beicht=vater​ das seinige gethan und muß das übrige göttlicher gnaden=würckung​ überlassen, was etwa zu einer zeit, weil das hertz noch zu hart gewesen, nicht hat an- schlagen wollen, daß es zu einer bessern stunde durchdringe und etwas aus-

89 aus freyem ] ausfreyen: D1; aus freyen: D2. ​90 zugäbe ] zu gebe: D1+2. ​

14 Auftrag, Bestellung. 15 Die hinzukommende Öfentlichkeit. 16 Zu den unterschiedlichen Formen von Unzucht und ihrer diferenzierten Art der Bestrafung im Kurfürstentum Sachsen s. die Kirchenordnung von Kurfürst August von Sachsen aus dem Jahr 1580 (Sehling I 1, 388 f). 17 Gunst. 18 Zustimmen. 19 Strenge, Härte. 20 S. Anm. 11. 574 Briefe des Jahres 1690

115 richte: wie dann auch nachmahl mit stätem so gebet als achtgebung bey jeder gelegenheit auf die seelen, die in gefahr sind, fortgefahren werden muß. Nun der HErr HErr, dessen die seelen sind und der sie durch das blut seines Sohnes erkauft hat21, segne meines geliebten bruders sorge auch vor diese seelen, zeige selbs seinen willen, gebe die nöthige weißheit und lasse das 120 wort, daß er in seinen mund legen wird, so kräftig seyn, auch diese verirrete auf den rechten weg zu bringen, um an ihren, auch vieler anderer durch ihn zur seligkeit geführten seelen heil in zeit und ewigkeit freude zu geniesen. 1690.

116 fortgefahren ] fortfahrhen: D1. ​117 HErr HErr ] Hr. Hr.: D1; HErr Herr: D2. ​121 ihren ] ihnen: D1.

21 Vgl. Apk 5,9. Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 575 125. An [einen Predigtamtskandidaten in Sachsen]1 Dresden, 16902

Inhalt Erläutert seine Meinung über die Zulassung zum Abendmahl. – 1. Die Teilnahme Unwürdiger ist nicht verboten, wie das Beispiel von Judas Ischariot beim ersten Abendmahl zeigt. – 2. Sie wird es erst, wenn man den Teilnehmenden zur Sünde anstachelt. – 3. Die Würdigkeit eines anderen Menschen kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. – 4. Es müssen Rahmenbedingungen geschafen werden, die die Teilnahme Unwürdiger verhindern. – 5. Das Urteil liegt in der Hand der Gesamtgemeinde, nicht in der eines Einzelnen (z. B. von Geistlichen). – 6. Weil die Ein- berufung der Gesamtgemeinde in schwierigen Fällen unüblich ist, wäre ein Kirchengericht mit Vertretern aus allen Ständen zu bestellen; in der Realität übernimmt das Konsistorium die Ent- scheidung. – 7. Im Konfiktfall zwischen Prediger und Gemeindeglied muß ein Kirchengericht mit Vertretern aus allen Ständen zusammengestellt werden. – 8. Der Prediger soll sich mit einer Verkündigung und Seelsorge begnügen, die dem Gemeindeglied die eigene Verantwortung vor Augen stellt. – 9. Er soll sich mit dem Urteil eines Kirchengerichts abfnden. – 10. Äußerliche Ehrbarkeit ist kein Zeichen der Würdigkeit. – 11. Wenn dies beachtet wird, macht sich der Geist- liche nicht schuldig, wenn er das Abendmahl an Unwürdige austeilt. – 12.–14. Nennt biblische Beispiele, die diese Überlegungen stützen. – Beschwört den Adressaten, seine Skrupel fallen zu lassen, um die Vorurteile gegen die Pietisten nicht noch zu schüren und sich der Möglichkeit, in ein geistliches Amt zu kommen, nicht zu berauben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 251–261 (3. Auf.: S. 252–262).

In der sache der gestattung der leute zum H[eiligen] Abendmahl bin ich folgender sätze bey mir gewiß3: 1. Daß die admittirung der unwürdigen communicanten nicht ausdrücklich verboten und in sich selbs eine sünde seye: wie wir denn kein einiges gebot deswegen aufzuzeigen vermögen und leicht zu erweisen ist, daß die wort, 5 welche oft hieher gezogen werden, aus Matth. 7,64 hievon nicht handeln: und wo es an und in sich selbs sünde wäre, würde der HErr JESUS, als dessen willen und thun dem gerechten willen seines Himmlischen Vaters niemal

1 Der Adressat wirkt seit relativ kurzer Zeit (Z. 314 f) im Bereich einer wohl frommen Herr- schaft (Z. 318–320.350 f). Er ist noch nicht ordiniert (Z. 294 f) und gehörte vermutlich zu den jungen Pietisten in Leipzig im Jahr 1689; er vertritt die pietistische Frömmigkeit ziemlich radikal (Z. 329, 351–354). Es könnte Daniel Otto Ziesler sein, der seit 1690 Hauslehrer bei Graf Curt Reinicke II. von Callenberg war (Briefwechsel Spener-Francke, Brief Nr. 28 Anm. 5). 2 Eine genauere Datierung ist nicht möglich. 3 Eine ausführliche, in weiten Teilen vergleichbare, Darlegung seiner Position über die Zu- lassung Unwürdiger zum Abendmahl fndet sich in Speners Traktat „De Communicatione In­ dignorum“ aus dem Jahr 1681, zum erstenmal veröfentlicht in: K. vom Orde, Ein unveröfent- lichter Traktat (s. Brief Nr. 122 Anm. 9). 4 Mt 7,6 (Luther 1545: „JR solt das Heiligthum nicht den Hunden geben / vnd ewre Perlen solt jr nicht fur die Sew werfen / Auf das sie die selbigen nicht zutretten mit jren Füssen / Vnd sich wenden / vnd euch zureissen.“). 576 Briefe des Jahres 1690

entgegen gewesen, den Judam5 nimmermehr zu seinem ersten Abendmahl 10 gelassen haben, so er gleichwol bekantlich gethan hat. 2. Wie aber die unwürdige empfangung des Heil. Abendmahls an sich sünde, der heiligkeit des leibs und bluts des HErrn verkleinerlich und ihnen6 selbs schädlich ist, so wird auch die admittirung der unwürdigen so fern zur sünde, gleichwie sonsten auch sünde werden kan, wo man das böse, so man 15 verhüten sollen und können, zulässet. Daher solche admittirung so viel sünde an sich hat, als dem bösen, dem gesteuret hätte werden sollen und können, nicht mit gnugsamen feiß gesteuret worden ist. 3. Wie die würdigkeit zu dem Heil. Abendmahl etwas innerliches und also dem menschen nichts sichtbares ist, ob sie wol meistentheils an ihren äusser- 20 lichen früchten oder zeichen erkant werden kan7, diese aber sich auch bey arglistigen heuchlern dermassen fnden mögen, daß sie lang auch denen, die feißig acht geben, verborgen bleiben und diesem die augen verkleiben8 können, so fordert GOTT weder von Predigern noch der gantzen kirchen, daß sie alle unwürdige ausschliessen müßten oder dessen huld vor ihm zu 25 tragen hätten. Dann wie er uns (ja so gar selbs den Aposteln und Apostolischen männern, die sich auch an personen verstossen und von denselben betrogen werden könten: siehe Ap. Gesch. 8,9.13.19.20; 13,5.13; 15,37.389) die kraft nicht gegeben hat, in die hertzen der menschen zu sehen, als welches ihm allein zukommt10, so fordert er auch von uns dasjenige nicht, was solche kraft, 30 in die hertzen hinein zu sehen, zum fundament hat. 4. Indessen ist die gesamte Christliche kirche verbunden, allen feiß anzu- wenden und also auch diejenige anordnungen zu machen, durch welche, als viel unter menschen geschehen kan, die unwürdigen abgehalten werden möchten. 35 5. Es gehöret nicht zu der Erkenntnüß des Predigers allein oder des ge- samten predigamts, sondern der gantzen kirchen, zu urtheilen, wer vor un- würdig zu dem Heil. Abendmahl zu lassen oder davon auszuschliessen seye: wie dann die Sacramenten und darinnen liegende güter, vergebung der sün- den und andere dergleichen keine güter sind, die dem predigamt allein, 40 sondern der gantzen kirchen zustehen und, ob sie wol durch die Prediger dispensiret werden, sind diese doch auch in solcher handlung nicht nur bloß GOttes, sondern auch der kirchen diener und διάκονοι, daher der kirchen die macht bleibet, so wol insgemein auf ihre diener acht zu geben, wie treulich sie mit ihrer verwaltung umgehen oder nicht, als auch, wo unter dem diener

37 lassen ] halten: D3. ​

5 Judas Ischariot, der Verräter Jesu (vgl. Lk 22,19–21, v. a. aber Joh 13,17–30). 6 Die (unwürdigen) Kommunikanten. 7 Vgl. Mt 7,16. 8 Nebenbildung in älterer Zeit zu „verkleben“ (DWB 25,656). 9 Apg 8,9.13.19 f; 13,5.13; 15,37 f. 10 Vgl. 1Sam 16,7. Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 577 und demjenigen, der eines solcher güter verlanget und recht dazu praetendi- 45 ret11, hingegen jener ihn dessen nicht fähig hält, mißhelligkeit entstehet, daß nicht der diener, sondern die kirche darinnen Richter ist: der diener aber bleibt dieser ausspruch in seinem amt unterworfen und muß demselben folgen, er seye dann ofenbahrlich und unwiedersprechlich wider GOTT. Wie wir auch von unserm weisesten Heyland JESU uns nicht einzubilden haben, 50 daß er die cognition12 und macht, zu dem genuß der kirchengüter zulassen oder nicht zulassen, solte in einer gemeinde einem mann oder auch einem ordini13 überlassen haben, da wir doch wissen, daß wir Prediger auch men- schen, unsren afecten und schwachheiten unterworfen sind, daher einige aus ungnugsam gegründetem eifer, andere aus boßheit möchten leute von der 55 gemeinschaft der heiligen güter zu ihrem nachtheil ausschliessen, denen dieselbe doch gebührte. Welches gewißlich der weisheit unsers Oberhaupts14 nicht gemäß wäre, indem dadurch seine gemeinde und dero glieder dem ei- gensinn oder auch wol boßhaftiger regiersucht in eine denselben gefährliche dienstbarkeit gegeben würden. Wie nicht zu läugnen stehet, daß es niemal in 60 der kirchen, nicht nur in dem Papstthum, sondern auch unsrer kirchen, an exempeln gemanglet habe solcher leute, welche auf beyderley art sich ihrer macht entweder aus eigentlicher boßheit, wann sie feindschaft und rach haben ausüben wollen oder aus eigensinnigem eifer mißbrauchet haben. Welches die weißheit selbs freylich wol vorgesehen und also ihrer wenigen 65 über ihrer viele keine dergleichen dem mißbrauch so leicht unterworfene gewalt gegeben haben kan. Hingegen ist die von derselben intendirte ord- nung, daß die kirche Richterin über alle ihre glieder bleibe, dergleichen miß- brauch nicht unterworfen. Um solcher ursach und macht der kirchen willen, ob wol die Apostel aus ihrem vielfältigen vorzug, manches zu thun, gewalt 70 gehabt haben, was uns Predigern heut zu tag nicht zugestanden werden kan, sondern, weil sie aus unmittelbahrem trieb und liecht des Heil. Geistes in ihrem amt handelten und nicht fehlen konten, so sehen wir dannoch, daß der liebe Apostel 1. Cor. 515 und 2. Cor 216, ob er wol nach Apostolischer macht von dem blutschänder, ihn auszuschliessen und wiederum anzunehmen, ge- 75 schlossen, dannoch die versamlung der kirchen darzu erfordert hat, daß sie ihre macht dabey brauchten. 6. Die kirche hat nun ihre gewalt zu üben, selbs oder durch darzu verord- nete. Die erste art wäre wol die beste und der ersten kirchen am gemässesten, daß in wichtigen fällen und die ihre schwehrigkeit haben, die gesamte ge- 80

62 gemanglet habe solcher leute ] solcher leute gemanglet habe: D2+3. ​

11 Vorgeben, vorschützen. 12 Kenntnis. 13 Stand in der Gesellschaftsordnung (s. Anm. 17). 14 Gemeint ist Christus; vgl. Kol. 1,18. 15 1Kor 5,1–5. 16 2Kor 2,6. 578 Briefe des Jahres 1690

meinde zusammen erfordert würde und über ihren angeschuldigten bruder oder schwester richtete, ob sie ihn nach dem jenigen, was über ihn geklaget, und ob er zu dem genuß der güter der seligkeit zu lassen seye oder nicht, gezweifelt wird, aus dem, was sie alle von ihm wissen, noch vor einem bruder 85 und also der gemeinschaft fähig erkennen wollen oder nicht: bey welchem ausspruch ein Christlicher Prediger am sichersten beruhen könte und solte. Wo aber solche art nicht üblich, noch in übung leicht gebracht werden kan, so muß doch die übung der kirchen=rechte​ geschehen durch verordnete: da wäre abermal die einfältigste manier, daß bey jeder gemeinde ein ordentliches 90 kirchen=​gericht von der gemeinde verordnet würde, so nechst den Predigern aus personen der gemeinden, dazu auch der obrigkeitliche stand mit zu zie- hen, bestünde, welche aus von der übrigen kirchen habender gewalt über die beschafenheit der mitbrüder zu richten und die beklagte zuzulassen oder auszuschliessen hätten. Die gemeine art aber ist nun diese, daß solche gewalt 95 von den consistoriis, so aus Predigern und entweder obrigkeitlichen personen oder solchen, die die Obrigkeit an ihre stelle gesetzet, auch durch dieselbe den haußstand17 repraesentiren lässet, exerciret wird: massen alle Prediger, wo zwischen ihnen und den zuhörern diferenz ist, daselbs sich bescheids zu er- holen haben. Ob ich nun wol nicht läugne, daß diese art, weil der dritte stand 100 nicht unmittelbar dabey sein werck hat, mir nicht so wol als die vorige gefällt, als welche der ersten einfalt viel gemässer sind, so hat sich dennoch ein Pre- diger in gegenwärtigem zustand derselben zu unterwerfen, indem er an die gemeinde gewiesen ist, zu dieser aber keinen andern weg als diesen, die kirche auch kein ander gericht als dieses in dieser zeit in ihrem nahmen verordnet 105 hat. 7. Wo nun [ein] Prediger an den gliedern seiner gemeinde keinen mangel hat, sondern sie selbs vor würdig erkennet, bedarfs keines weitern um- schweifs, sondern, weil ihm die verwaltung der schlüssel und der Sacramen- ten ordentlicher weise von der kirchen, jedoch mit nöthigen vorbehalt ihrer 110 oberobsicht und richterlichen autorität, anvertrauet ist, so ertheilet er die anvertraute güter an diejenige, die er würdig hält und welche dieselbe ver- langen, auch als lange niemand widerspricht. Wo es aber an solche kommet, welche er, unwürdig zu seyn, sorget, so gehet sein ampt wol so weit, denselben die gründe, die er hat von ihrer unwürdigkeit, beweglich vorzustellen und 115 ihnen, wie gefährlich oder schädlich ihnen dasjenige sein würde, wovon sie doch ihr heil suchten, nach allem vermögen weisende zu trachten, sie davon abzuhalten. Lassen sie sich nun in der güte aus überzeugung, daß sie un- würdig seyen, abweisen, so ist die sache wiederum gut. Wollen aber diese sich

83 zu lassen ] zu zulassen: D2; zuzulassen: D3. ​106 [ein]: cj ] – D. 112 widerspricht ] wi= widersprcht: D1. ​

17 Die dreigliedrige Gesellschaftsordnung mit der (politischen) Obrigkeit („Wehrstand“), dem geistlichen Stand („Lehrstand“) und dem Haustand („Nährstand“). Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 579 nicht vor unwürdig halten, sondern meinen, ihre buß gnug zubezeugen, und fordern also die güter, die allen gliedern der kirchen gemein sind, so gewinnet 120 die sach eine gantz andere gestalt, dann da ist der Prediger, weil der andere wiederspricht, nicht mehr richter in der sache, sondern das gericht kommt auf die kirche, und hat es der Prediger an dieselbe zubringen, nicht aber ei- genes gutdünckens zuverfahren, dann sonsten braucht er sich einer gewalt, die nicht ihm, sondern einem dritten zukommet. Es wäre denn die sache so of- 125 fenbahr, wie unwürdig die person seye, daß niemand christvernünftiger sol- ches läugnen könte, zum exempel, es begehrte iemand die communion, da man ofenbahr sihet, daß er keinen verstand hat, oder er wäre damal truncken oder er verstünde bekantlich den allernöthigsten grund des glaubens nicht oder er bekennete selbs, er wolte sich nicht bessern, er wolte nicht verzeihen 130 und was mehr dergleichen fälle seyn können, da niemand an der unwürdigkeit zweifeln möchte. Denn wo dergleichen sich fände, weil der Prediger unfehl- bar der kirchen ausspruch weißt18, daß sie nach göttlicher ordnung unmüglich anders auf des menschen unbußfertigkeit sprechen könte, so kan er ihn so bald excludiren, aber hat es billich so bald auch der kirchen oder gehöriger 135 orten anzugeben und, warum er solchen menschen nicht admittiren dörfen, anzuzeigen, dahin gehöret auch dieses, wann in unterschiedlichen kirchen- ordnungen dergleichen fälle benamset seyn, da der Prediger die personen nicht admittiren solle: so ist von der kirche alsdann das urtheil voran gespro- chen. 140 8. Wann aber der Prediger die person zwar unwürdig hält aus solchen ur- sachen, die noch so klahr oder ausgemacht nicht sind, zum exempel, er will dieses und jenes vor sünde erkannt haben, die der andere nicht davor erken- nen will, und darinnen recht zu haben meinet: wann er die bekantnus einiger sünden, deren man, sich von dem andern versichert zu seyn, meinet, erfordert, 145 der andere aber bleibet in dem leugnen: wann er die erkantnuß der Christli- chen religion bey ihm nicht vor gnugsam hält, mit dero jener gnug zu thun meinet: wann er den andern vor unbußfertig hält, weil er bereits so oft den verspruch nicht gehalten, dieser aber, seinem verspruch glauben zugestellt zu werden, fordert und was dergleichen fälle sind: so hat nicht nur der Prediger 150 nicht macht, selbs in dieser sache zu sprechen, sondern, wo der spruch der gemeinde und also des consistorii wieder seine meinung ausfällt, daß diese die person vor bußfertig angenommen haben wollen, die er unwürdig hält, die- sem alsdann gehorsam zu folgen und sein gewissen alsdann nicht vorzuschüt- zen. Dann wie zu erst gezeiget, weil die zulassung eines unwürdigen nicht an 155 und vor sich selbs sünde ist, da sie ohne sünde niemal geschehen könte und also nicht mehr von einem jeglichen erfordert wird, als daß er so viel an ihm ist und ohne verletzung anderer ordnungen geschehen kan, sich befeisse,

147 ihm ] ihn: D1. ​

18 Nebenform von „weiß“ (DWB 30, 748). 580 Briefe des Jahres 1690

nicht mit eigenen willen einen zu seinem schaden dazu zulassen, so ist ihm 160 dieses nicht sünde, wo er seiner meinung, die die person vor unwürdig achtet, renunciret und den ausspruch des andern, der dazu recht hat, von ihm annim- met: So nimmt er ihn nicht an als einen unwürdigen wider die göttliche ordnung, sondern den sein richter vor würdig erkannt, damit aber in gewisser maaß19 die verantwortung, wo in dem urtheil gefehlet wäre, auf sich genom- 165 men hat. So in den ersten n. 7 benanten fällen20, da die unwürdigkeit unläug- bar ist, nicht statt hätte, noch ein widriger spruch das gewissen binden könte. 9. Weil die würdigkeit der person in der wahren buß und glauben bestehet, so kommet die prüfung der würdigkeit so wol bey dem Prediger als kirchen- gericht nechst der erkäntnüß der allernöthigsten stücke des glaubens auf die 170 buß und glauben an. Nachdem aber diese wiederum dinge sind, die in dem hertzen ligen, müssen sie durch dero kennzeichen und wirckungen sich of- fenbahren und daran erkant werden: diese sind aber vornehmlich zwey: ein- mal die bekäntnüß, wo man in der beicht und etwa auf ferner befragen seine reue, glauben und guten vorsatz bezeuget, so dann das leben, so sich auch von 175 andern sehen lasset. Dieses letztere kennzeichen gibt dem vorigen seine mehrere kraft und, wo wir an einem menschen ein gutes leben sehen, ja, in gewisser maaß21, wo wir nur kein wiedriges leben an ihm sehen, welches die bekäntnüß ofenbahrl[ich] lügen strafte, so haben wir nicht wider die liebe desselben wort und bekäntnüß in zweifel zu ziehen. Also, wann eine person 180 sich dem prediger darstellet mit aller bezeugung der buß und dero stücke in der beicht, verspricht auch ihre besserung so wol insgemein, als wo man über einige bekäntliche sünden dergleichen von ihr forderte, in solchen absonder- lichen stücken, und ferner dero leben nichts ärgerliches an sich hat, so ist der Prediger verbunden, als eine wahrhaftig busfertige dieselbe zu zulassen, es kan 185 auch der kirchen, wo sie darüber befragt würde, urtheil nicht wohl anders fallen. Dann weil uns menschen nicht, sondern allein GOtt, zukommet, in die hertzen unmittelbahr zu sehen22, so sind wir verbunden, auf die äusserliche zeichen zu sehen und sonderlich den worten zu glauben, wo nicht die wich- tigste ursachen dagegen vorhanden sind. 190 10. Es ist zwahr dabey nicht zu leugnen, daß es müglich seye, ja, etwa oft geschehe, daß ein eusserlich von lastern befreytes leben auch bey solchen sich fnde, die wahrhaftig nicht widergebohren sind, wie wir dergleichen auch bey Heiden und Türcken sehen, dero seine eusserliche tugenden allen in die augen geleuchtet haben, ja, wir haben billich wider den ienigen mißverstand 195 zu eifern, da ihrer so viele dergleichen eusserliches leben als ein gnugsames

159 einen ] einem: D1. ​165 benanten ] benamten: D1. ​168 wol ] – D1. ​181 wol ] – D1. ​

19 Die Maß (DWB 12, 1727). 20 S. Z. 125–140. 21 S. Anm. 18. 22 S. Anm. 10. Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 581 zeugnüß ihres rechtschafenen Christenthums ansehen und mit dem ver- trauen auf dasselbige sich betriegen: daher zu eines jeglichen eigener prüfung dieses gehöret, sein leben recht zu untersuchen, ob es nicht nur eusserlich, sondern aus GOttes kraft geführet werde, um seines glaubens versicherung zu bekommen23; es geziehmet sich auch den Predigern, daß sie zu solcher 200 prüfung ihren zuhörern behülfich seyen und ihnen zeigen, wie viel das Christenthum innerlich über jene eusserliche erbarkeit erfordere, auch sie darauf, was nemlich der grund und bewegende ursach ihres lebens seye, fragen und den vorsatz dessen bey ihnen zu solchen stücken fordern. Wo sie sich aber dazu verstehen, kan er nicht weiter treiben, sondern muß das beste 205 von ihnen hofen, als lange das gegentheil ihm nicht ofenbahr vor augen liget: indem er nicht zum richter der hertzen, sondern zum verwalter der göttlichen gnaden=​güter verordnet ist, welche er allen denen muß widerfahren lassen, die sich nicht unwürdig gemacht haben, der gemeinde glieder zu heissen. 11. Wann aber das unbußfertige hertz sich durch klahre zeugnüssen ofen- 210 bahret und die so vielmalige zusagungen, die immer falsch befunden worden, den glauben der künftigen selbs schwächen, der Prediger auch die gradus admonitionum24 in obacht genommen hat, so hat er in GOttes nahmen als- dann die sache an die kirche oder consistorium zu bringen und dero aus- spruch oder hülfe zu suchen und zu erwarten. Wormit er dann sein gewissen 215 beruhigen mag und nicht sorgen darf, daß die zulassung der unwürdigen nach allem diesen angewandten feiß, sie recht würdig zu machen, ihm vor GOTT verantwortung geben oder zur sünde zugerechnet werden mögen. 12. Die wahrheit dieser dinge und sätze desto besser einzusehen, haben wir unterschiedliche refexiones zu machen: 1. Wie unser liebste Heyland sich bey 220 dem ersten Abendmahl verhalten, da er nicht nur den Judam, in welchen gar der Teufel bereits gefahren war25, wissentlich dazu lässet, weil seine that noch nicht zu ofenbahrem ärgernüß und vollstreckung gekommen war, sondern auch bey den übrigen jüngern dergleichen gedult brauchet, dero man sich wundern solte: indem er sie auch dazu admittirt, da sie nicht allein in grosser 225 unwissenheit des geheimnüsses seines todes und in irriger einbildung von dem irrdischen reich Meßiae stunden26, sondern, welches der hertzenkündiger27 wohl wußte, das hertz voller ehrgeitz hatten, der so bald diese H[eilige] hand- lung vorbey war, in ofenbahren zanck ausbrach28: zu geschweigen, was noch in solcher nacht und folgenden tag von Petro und den übrigen Aposteln vor- 230

23 Vgl. dazu den Traktat von Daniel Dyke „Nosce te ipsum“ bzw. „The Mystery of Selfe- Deceiving“ (1614), den Spener schon in seiner Jugend gelesen hatte (Näheres dazu: Sträter, Sonthom, 102–111). 24 Die Schritte der Ermahnung (nach Mt 18,15–17). 25 Vgl. Lk 22,3. 26 Vgl. Apg 1,6 f. 27 Apg 15,8. 28 Vgl. Lk 22,24. 582 Briefe des Jahres 1690

gegangen ist29 und wie erschrecklich sie sich geärgert haben. Damit uns der HERR weisen wollen, daß es nicht so wol als eine gnaden=​belohnung und stärckung der bereits heiligen und frommen, als vielmehr artzney der krancken, wo nur noch etwas von dem leben oder einiger wahrer guter wille 235 übrig ist, angesehen werden müste. 13. Was Paulum anlangt, dessen göttliche weisheit allen Predigern zum ex- empel dienet, da er über den mißbrauch bey dem heiligen Abendmahl gegen die Corinthier eifert, ob er wol in der gantzen epistel gnug zu erkennen giebet, daß in derselben gemeine allzuviele gewesen, bey denen keine kraft 240 GOttes, sondern allein eine äusserliche profession30 des Christenthums, ja, nicht bey allen ein gantz ehrbares leben, sich befunden, so befehlet er gleich- wol eigentlich allein den communicanten selbs, daß sie sich prüfen solten31, und strafet nicht so wol die nachläßigkeit der Prediger, die die würdigkeit der communicanten prüfen solten, als den ofenbahren und ärgerlichen miß- 245 brauch, so in der gemeinde vorgieng. Was aber den einigen blutschänder anlangt32, wolte er denselben aus der gemeinde wegen des öfentlichen ärger- nüsses ausgeschlossen haben. Wolten wir die wort 1. Cor. 5,1133, daß sie auch mit einigen nicht essen solten, auch von der communion verstehen, davon sie gleichwol nicht handlen, so würde doch die ausschließung abermahl keine 250 andere betrofen haben als ofenbahr34 lasterhafte personen. Sonsten sehen wir nicht, daß er andere ausschliesse, sondern immer nur haben will, daß man an der besserung und mehrer reinigung arbeiten solte. Wer aber damal noch als ein glied der gemeinde erkant wurde, derselbe war auch der gemeinschaft des heiligen Abendmahls fähig, indem damal allezeit die gantze gemeinden 255 (nicht nur wie bey uns ietzt dieser, bald jener) miteinander zu communiciren pfegten, ohne die35 noch nicht getauft waren oder unter gewissen censuren wegen ihrer begangnen fälle stunden. Also wer sich zu Christo bekennte, zu der Gemeinde hielte und nicht mit solchen sünden, welche diese ärgerten, die ausschliessung aus der gemeinde verschuldete, wurde zu dem heiligen Abend- 260 mahl verstattet, die übrige prüfung aber jedes gewissen überlassen, ohne was die lehrer mit unterricht und erinnerung vor vorschub dabey gethan haben.

255 wie ] – D1. ​

29 Die dreimalige Verleugnung Jesu durch Petrus (Mt 26,69–72 Par.) und die Flucht der Jünger bei der Gefangennahme Jesu (Mt 26,56; Mk 14,50). 30 Bekenntnis. 31 Vgl. 1Kor 11,28. 32 Vgl. 1Kor 5,1–5. 33 1Kor 5,11 (Luther 1545: „Nu aber habe ich euch geschrieben / jr solt nichts mit jnen zu schafen haben / nemlich / So jemand ist / der sich lesset einen bruder nennen / vnd ist ein Hurer / oder ein Geitziger / oder ein Abgöttischer / oder ein Lesterer / oder ein Trunckenbold / oder ein Reuber / Mit dem selbigen solt jr auch nicht essen.“). 34 Im Sinne von „unverhüllt zu tage liegend und gezeigt“ (DWB 13,1172). 35 Im Sinne von „außer denen, die“ (DWB 13, 1217). Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 583

14. Nachdem die heilige taufe nicht geringer heiligkeit ist als das heilige Abendmahl, sehen wir gleichwol, wie die liebe Apostel diejenige, welche sich zu CHRISTO bekennten und mit nichts widriges ihrem Bekäntnüß den glauben benahmen, so bald zu der tauf annahmen: wie wir sehen Apostel 265 Geschicht 8,37.3836, da Philippus den Cämmerer so bald auf sein bekäntnüß taufet: wo auch zu mercken, daß er nicht in sein hertz sehen können, sondern deswegen saget: „Glaubest du von gantzem hertzen, so mags wol seyn“: als aber dieser den glauben bekennet, so tauft er ihn, zwar absolute, aber so, daß doch, weil sich die kraft der taufe auf die condition des glaubens gründete, 270 die versicherung solcher kraft so fern conditionata37 war: daß, wann der Cämmerer ein heuchler gewesen, so wir zwahr nicht zu sorgen haben, ihm seine tauf nicht genutzet haben würde, also mußte er in seinem gewissen auch die condition seines glaubens dabey haben. So ein exempel von dem ist, wo- von ich zuweilen sage, daß die kraft aller absolution, wie absolut auch die 275 formul lauten möchte, an sich selbs conditionata seye38, und sich das gewissen des absolvirten, wo es sich den trost appliciren solle, in sich seiner buß muß versichern können. Also auch Apostel Geschicht 8,1339 wird Simon der zauberer bald getauft, von dem gleichwol unterschiedliche in den gedancken sind, daß er ein heuchler gewesen: wie wir aber ja v. 13 seinen glauben ei- 280 gentlich von einem wahren glauben verstehen, muß er doch in einem gerin- gen anfang bestanden seyn, aus dem, was so bald Petrus v. 22.2340 von ihm zeuget. Da doch kein zweifel ist, daß er zwischen solcher zeit zu der heiligen communion werde gelassen worden seyn. Wiederum Apostel Geschicht 16,3341 kommets mit dem kerckermeister in etlichen stunden so weit, daß er 285 und alle die seinigen getauft werden. Daß wir also sehen, wie der liebe Apo- stel willig die gnaden=​mittel, aus denen die kraft des neuen menschen her- kommen oder vermehret werden muß, allen habe wiederfahren lassen, dero unwürdigkeit nicht ofenbahr vor augen gestanden.

262 14. ] 13. : D1. ​264 zu ] in: D1. ​270 2die ] vie: D1. ​275 absolution ] absotion: D1. ​

36 Apg 8,37 f (Luther 1545: „Philippus aber sprach / Gleubestu von gantzem hertzen / So mags wol sein. Er antwortet / vnd sprach / Jch gleube / Das Jhesus Christus Gottes Son ist. Vnd er hies den wagen halten / vnd stiegen hin ab in das wasser / beide Philippus vnd der Kemerer / vnd er teufet jn.“). 37 Bedingt; hier: unter der Bedingung, daß der Kämmerer glaubte. 38 S. Brief Nr. 122, Z. 15–25. 39 Apg 8,13 (Luther 1545: „Da ward auch der Simon gleubig / vnd lies sich teufen / vnd hielt sich zu Philippo. Vnd als er sahe die Zeichen vnd Thatten / die da geschahen / verwundert er sich.“). 40 Apg 8,22 f (Luther 1545: „Darumb thu Busse fur diese deine bosheit / vnd bitte Gott / Ob dir vergeben werden möchte der tuck deines hertzen. 23Denn ich sehe / das du bist vol bitter galle / vnd verknüpft mit vngerechtigkeit.“). 41 Apg 16,33 (Luther 1545: „Vnd er nam sie zu sich / in der selbigen stunde der nacht / vnd wusch jnen die Strimen abe / Vnd er lies sich teufen / vnd alle die seinen also balde.“). 584 Briefe des Jahres 1690

290 Wie ich mich nun alles dessen versichere, daß es göttlicher ordnung gemäß, so erinnere und bitte ich denselben mit hertzlicher angelegenheit, er wolle doch diese sache vor dem angesicht des HERRN und mit gebet ferner über- legen, seinen scrupeln, so nicht nur denselben bißher gequälet, sondern auch andern zum anstoß gereichen, abhelfen lassen, zu der ordination sich ver- 295 stehen und seine treue gegen die gemeinde nicht in einer dergleichen aus- schliessung derselben von dem mittel der gnaden, biß er ihrer widergeburth nach seinen gedancken gnugsame zeugnüssen habe, sondern in einer hertz- lichen sanftmuth und gedult, den wenigen anfang des guten bey ihnen auf allerley weise und also auch durch die kraft des lebendigmachenden leibes 300 und bluts unsers Heilandes zu mehrerm wachsthum zu bringen erweissen. Hierinnen wird er thun, was göttliche ordnung von ihm erfordert, und glaube er, es seyen auch die geister der Propheten andern unterthan42, also daß keiner auf seiner meinung, es seye dann das ofenbahrste wort GOTTES ver- handen43, so hie nicht ist, dermassen bestehen dörfte, daß er nicht auch an- 305 derer christlicher mit=​brüder gedancken zu attendiren und derselben platz zu geben hätte. Und ob auch noch einiger scrupel bey ihm übrig seyn möchte, so kan er dannoch so wichtig nicht seyn, als die demselben entgegen gesetzte ursachen seynd. Förchtet er sich also vielleicht auf einer seite in der gemein- schaft der sünde der unwürdigen niessung einiger leute zukommen, so 310 förchte er sich nicht weniger, seinem gewissen die schwehre last der vielen ärgernüssen, die, wo er in seiner resolution fortfahren wolte, folgen würden und die ihm zu seiner zeit härter als man jetzo gedencken kan, drucken möchte, aufzuladen. Er ärgerte damit die seelen der gemeinde, welche ihn sonsten aus seiner lehr zu lieben angefangen, aber hiedurch sehr zurück ge- 315 stossen und nidergeschlagen wird, da er sie insgesamt als unwürdige und, so viel er noch sehen könte, unwiedergebohrne tractirte, welches fromme hertzen eusserst schmertzen, manche zu verzweifungs=​gedancken bringen, rohe aber noch mehr verstocken wird. Er ärgerte seine gnädige herrschaft44 und schlüge das gute vertrauen, so künftig ein werckzeug noch vieles guten 320 seyn könte. Er ärgerte viele andere amts=​brüder, auch aus der zahl derer, welche es redlich meinen und nach allem vermögen ihre treue anzuwenden trachten, aber über das gerüchte von ihm nicht wenigen anstoß und hinde- rung werden ausstehen müssen. Es würde damit dem feiß der gottseligkeit einen bösen nahmen machen, daß es hiesse, dieses wären endlich die früchten 325 dieses studii, daß man zuletzt auf solche extrema verfele, womit wahrhaftig unglaublicher schaden verursacht, viel tausend seuftzen erreget, schwache

312 ihm ] ihn: D3. ​319 schlüge ] schlage: D1. ​

42 1Kor 14,32. 43 Gegenwärtig, wirklich (DWB 25, 522). 44 Nicht ermittelt; vgl. aber den Hinweis in Anm. 1. Nr. 125 an [einen Predigtamtskandidaten] 1690 585 sehr niedergestossen und böse zu so viel mehr lästerung erreget werden würden. Und weil derselbige eine zeitlang in N. N.45 sich aufgehalten, wüsste er nicht, was den jenigen, so die so genannten Pietisten mit gewalt zu ketzern 330 und verwirrern der kirchen machen wollen, vor eine angenehmere post46 kommen könte, als wo sie dessen exempel als eines, der mit unter jene Secte gehörte, anführen und damit die billigkeit ihrer sorge, was endlich aus diesem wesen werde werden, mit grossem schein erweissen dörften: Wie dann gewiß die sache so vieler unschuldigen durch denselben, dafern man, wie ich aber 335 besseres hofe, auf einigen sinn beharren wolte, am allergefährlichsten gravirt und verwundet werden würde: Mein in dem HErrn geliebter gedencke doch, ob nicht die last aller dieser ärgernüssen und ungemachs, davon keines aus- bleiben kan, dafern er die resolution nicht ändert, unvergleichlich grösser seyn und, wo das gewissen solche einmahl fühlen würde, es vielmehr ängsten 340 dörfte als die besorgte gemeinschaft an anderer sünden, die zwahr vergebens geförchtet wird, und er nichts als nur vermuthung und sorge vorwenden kan. Daß er doch ja vielmehr die gewisse als ungewisse gefahr scheue und dem exempel unterschiedlicher hertzen folge, welche eine zeitlang sich mit glei- chen scrupeln geplagt, aber nunmehr dieselbe also gedämpfet, daß sie mit 345 demuth, sanftmuth und gedult ihr heiliges amt, nicht wie sie gern wolten, sondern wie sie zu dieser zeit vermögen, nunmehr verwalten47 und erfahren, wie sie damit mehr guts, als wo sie ihren scrupuln nachgehänget hätten, aus- richten. Deren exempel derselbe so viel sicherer folgen kan, nachdem ihn der HErr zu einer solchen herrschaft geführet, die ihm in seinem amt alle müg- 350 liche hülfe leisten wird. Dabey er auch dieses noch erwege, weil bey behar- rung auf bisheriger meinung nichts anders als die dimission erfolgen kan, so dann er an keinem einigen48 ort mehrere freyheit als auch an diesem hofen darf und also ohne dienst zeit lebens bleiben müsste, wie in der stunde des todes und an jenem tage sichs verantworten lassen würde, da nicht nur hie- 355 durch aller gute anfang, zu dem GOtt bey dieser gemeinde gnade gegeben, mit ärgernüß niedergeschlagen, sondern seine von oben verliehene gaben auf lebenszeit unfruchtbahr gemacht werden würden: Solte es nicht dermaleins heissen: Matth. 25,2449: „HERR, ich wuste, daß du ein harter mann bist etc.“ Gewißlich, ich in solchem stande besorgte mich dieses urtheils sehr. 360

331 angenehmere ] angenehme: D1. ​337 dem ] den: D1. ​342 geförchtet ] geförcht: D1. ​ 349 derselbe ] derselben: D1. ​349 ihn ] ihm: D1. ​353 einigen: cj ] eigenen: D1–3. ​

45 Vermutlich ist Leipzig gemeint. 46 Nachricht, Botschaft (DWB 13, 2020). 47 Zu den Pietisten, die in ein geistliches Amt gefunden hatten, gehörten z. B. Paul Anton und Andreas Achilles. 48 Im Sinne von „einzig“ (DWB 3, 207). 49 Mt 25,24. 586 Briefe des Jahres 1690

Der HERR regiere ihn also durch seinen Geist, daß wir dasselbe nicht sorgen dörfen. Wie ich dann ihn demüthigst anfehe und solches ferner thun werde, daß er nicht nur insgesamt denselben im leben und amt mit seinem heiligen Geist zu vieler frucht regieren, sondern auch sonderlich diese scrupel 365 kräftig aus seiner seelen reissen oder sie überwinden helfen, hingegen seinen willen auch in diesen stücken wie zu gegenwärtiger zeit sein werck weißlich zu treiben seye, erkennen lassen, dazu aber aller guter freunde, welche es mit demselben und der kirchen treulich meinen, einrathen in seiner seelen kräf- tig machen wollen, damit also in seinem segen dessen dienst lange zeit an der 370 gemeinde GOTTES viele früchten der ewigkeit bringe, folglich er sich und, die ihn hören, selig mache. Besser weiß ichs nicht zu wünschen, daher mit solchem wunsch der ewigen liebe GOttes treulich erlasse etc. 1690.

368 seiner ] seinen: D1. ​369 wollen ] wolle D2. Nr. 126 an [einen Amtsbruder] 1690 587 126. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16902

Inhalt Beklagt die Umkehrung der Werte in der neueren Zeit und verweist auf das gute Gewissen an Stelle des menschlichen Lobs; die Zukunft wird zeigen, wozu die Angrife dienen. – Bespricht die Frage des Adressaten, ob es sinnvoll sei, auf die Erhebung von Beichtgeld zu verzichten: Es wäre besser, wenn diese Gebühr wegen einer angemessenen Pfarrbesoldung nicht mehr nötig wäre; sie ist erlaubt, aber nicht geboten; ein Aussetzen des Beichtgeldes sollte mit den Amts- kollegen vor Ort abgestimmt und nicht gegen diese durchgesetzt werden; Arme sollten nicht abgehalten werden, zur Beichte zu kommen, wenn sie die Gebühr nicht bezahlen können; schlägt vor, das eingenommene Geld an Bedürftige zu spenden, aber nicht so, daß ihm geistlicher Hochmut beigemessen werden könne. – Stimmt ein in die Bitte an Gott, der Not der Kinder Gottes ein Ende zu setzen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 322–324.

Derselbe wolle sich nicht befremden lassen, wann bey einigen sein thun lauter heucheley und die einfalt in predigen stümpeley heissen muß3: Dann es ist schon lange, daß wir leider das rechte wörterbuch so gar auch in dem gemeinen bürgerlichen leben, geschweige in dem Christenthum, davon die vernunft nichts fasset, verlohren haben und also so viele laster den nahmen 5 der tugenden tragen, diese aber mit dem nahmen der laster sich beladen lassen müssen. Aber wohl uns, wo wir gelernet haben, von einem menschlichen

4 dem ] den: D2. ​

1 Der Adressat ist ein Geistlicher, der wohl zu den Pietisten gerechnet wird (s. die Anklage Z. 1 f mit Anm. 3). Daß Spener nicht (wie andernorts) bei der Thematisierung des Beichtgeldes auf die sächsische Generalordnung von 1580 verweist (s. dazu Anm. 10), läßt darauf schließen, daß der Adressat nicht in Sachsen zu fnden ist. Die mögliche Kenntnis des Namens Beckmann (zu diesem s. Anm. 12) könnte in den Großraum Hamburg führen (allerdings fällt auf, daß im vorliegenden Brief nicht Abraham Hinckelmann genannt wird, der in dem in Anm. 12 genannten Brief an Dornemann zum gleichen Thema in einem Atemzug mit Beckmann erwähnt wird); sollte Z. 67–69 einen Wunsch des Adressaten aufnehmen, ließe dieser sich vielleicht im Umfeld Johann Wilhelm Petersens fnden. Nach Z. 55 f könnte er verheiratet sein. Denkbar ist der Oldesloer Pfar- rer Zacharias Rebe (1678 Studium in Gießen, gest. 10. 4. 1709), dessen jüngerer Bruder Friedrich (zu diesem s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 76 Anm. 1) ein enger Gefährte August Hermann Franckes war; Francke war während seines Aufenthaltes in Hamburg extra nach Oldesloe gereist, um bei Zacharias Rebe das Abendmahl zu empfangen (A. H. Francke an Hermann von der Hardt am 21. 11. 1688; LB Karlsruhe, K. VI). 2 Das Datum ist nicht näher bestimmbar. 3 Hauptvorwürfe gegen die Pietisten waren Heuchelei (z. B. Briefe Nr. 80, Z. 30 f, und Nr. 91, Z. 37 f) und Ablehnung theologischer Gelehrsamkeit (vgl. etwa Briefe Nr. 72 Anm. 42 und Nr. 84 Anm. 9). 588 Briefe des Jahres 1690

tage4 gerichtet zu werden, vor ein geringes zu halten und uns von der men- schen urtheil nicht verunruhigen zu lassen, daß ist, weder wo dasselbe ange- 10 nehm fällt, uns darinnen zugefallen, noch wo es widrig ist, uns drüber zu ängsten. Gnug ist, wo uns unser gewissen und in demselben das zeugnüs des Geistes GOttes loßspricht, so uns wichtiger seyn muß als alles schelten und loben der welt. Der Herr hat mich selbs von5 mehrern jahren in dieser schul gehalten, daß einiges in derselben habe erfahren, auch noch täglich meine 15 lection darinnen recitiren muß6. Danck seye aber dem liebsten Vater, der mich darinnen geübet hat und noch übet, aber gewißlich zu meinem gegenwärti- gen und künftigen nutzen. Wie daher auch denselben versichern kan, daß die zeit kommen werde, da auch geliebter bruder seinen GOtt deswegen hertzlich preisen, daher er aber auch so viel williger der prüfung desselben 20 sich jetzund bequemen und geduldig aushalten wird. Die frage der beichtpfennige wegen betrefende, so erkläre ich mich mit wenigem also: 1. besser wäre es, wir hätten bey unsrer kirche keine beicht- pfennige, indem, ob sie wohl an sich nicht unrecht, dannoch viele gelegenheit und schein des bösen sich dabey fndet. Daher zu wünschen, daß die Prediger 25 insgesamt auf andere und solche art mit besoldungen versorget würden, daß sie derselben gar nicht bedörften, sondern ohne sie nothdürftig7 leben könten8. 2. Wo ein Prediger eines orts mit den seinigen ohne dieselbige sich nothdürftig nicht ausbringen kan und die gemeinde auf andere art ihn nicht erhalten will, so fndet er sich dazu allerdings genöthiget, dieselbe zu nehmen. 30 3. Wer aber auch ohne dieselbe auf andere weise zu leben weist9 und sich bey solchem nehmen einen scrupel machet oder aufs wenigste von dem nicht nehmen mehrere erbauung hofet, mag mit recht, sie zu nehmen, nicht an- gehalten werden. Wie auch keine kirchenordnungen jemand dazu nöthigen, sondern damit gnug haben, sie zu erlauben10. Nun stehet einem frey, seiner 35 freyheit sich zugebrauchen oder nicht. 4. Wo ihrer mehrere an einem ort an dem dienst des HErrn stehen, können viele ursachen seyn, die einen, welcher lieber dieselbe nicht nehme, sie zu nehmen persuadiren mögen, als nemlich der collegarum, die sich durch solch exempel beschämet zu werden sorgen, widrigkeit und daraus besorgende ärgernüssen, die (wie auch erfahren

18 seinen ] seinem: D1. ​25 würden ] worden: D1. ​

4 Gemeint ist ein Gerichtstag (vor einem menschlichen Gericht) (vgl. DWB 21, 45). 5 Im Sinne von „seit“ (eine zeitliche Ausgangsstelle bezeichnend; vgl. DWB 26, 757). 6 Spener bezieht sich wohl auf seine seit dem Februar 1689 währende Lage, als Oberhof- prediger beim sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. in Ungnade gefallen zu sein (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 73–132, mit weiteren Stellen in Anm. 25). 7 Nicht übermäßig, aber hinreichend (DWB 13, 929). 8 Zur Notwendigkeit der Stolgebühren überhaupt für die Einkünfte eines Pfarrers s. Brief Nr. 120, Z. 78–80. 9 Nebenform von „weiß“ (DWB 30, 748). 10 Z. B. die von Kurfürst August von Sachsen erlassene Generalordnung aus dem Jahr 1580, Nr. 26 (Sehling 1.1, 444). Nr. 126 an [einen Amtsbruder] 1690 589 worden) zunehmende menge der beichtkinder aus einiger solcher absicht des 40 sparens und erfolgender mißbrauch und dergleichen. Also das zu weilen die daher entstehende ungelegenheiten leicht den von dem nicht nehmen hof- fenden geistlichen nutzen übertrefen mögen. Daß deßwegen einem, welcher dergleichen seines orts vorsihet, zu diesen unsern verwirrten zeiten fast lieber einrathen wolte, nach der andern exempel auch zu nehmen, es seye dann sach, 45 das er sich durch ein votum solcher freyheit begeben hätte11 oder andere scrupel des gewissens fühlte, die er nicht zu überwinden vermöchte. 5. Wo sich aber ein Christlicher Prediger, sie zunehmen, resolviret, so wird er gleichwol acht geben auf die personen, die ihm vorkommen, um die arme und, die das wenige geld schwehr entrathen, zu überheben, in dem die ex- 50 empel deren, welche die armen etwa dazu genötiget, der gantzen sache die übelste nachrede gemacht, daher dergleichen am feißigsten zumeiden, ja billich ist, solche leute, von denen man sorgen muß, daß sie aus mangel geldes ihre devotion aufschieben würden, voran dessen, daß man nichts von ihnen begehre, zu versichern. 6. Wo er nun solches gelds ohne der seinigen mangel 55 entrathen kan und will es an arme anwenden (wie der selige Herr Beck- mann12 in Hamburg gethan) kan ihm solches niemand wehren, noch hat er sich, wo er nur sonsten sich vorsichtig bezeuget und nach Matth.6.13 alles, was einiges pralens ziemlichen schein hätte, sorgfältig verhütet, das jenige anfech- ten zu lassen, wann die welt nach ihrer art das gute übel beurtheilet, dann sie 60 kan nicht anders, hingegen muß sie uns damit von dem jenigen nicht ab- bringen, was wir nach reificher überlegung das thunlichste und beste befun- den haben. Nun, der HErr gebe uns wie in diesem also in allen andern stücken, was seines willens und seiner ehr das gemässeste seye, zu erkennen, zu folgen und 65 seines schutzes uns dabey zugetrösten, daran es uns auch nicht manglen solle. Dem hertzlichen wunsch, daß doch dermaleins der HErr den jammer seines Zions ansehen und auf ihm bekante art alles bessern, sonderlich aber schafen wolle, daß man getroster lehren möchte, setze ich mein Amen bey: und ver- sichere, es seye dieses auch mein innbrünstiges und tägliches verlangen und 70 seuftzen zu GOTT, so dann daß mir unzweifelich seye, derselbe werde das je länger je mehr über hand nehmende seuftzen seiner zerstreuten kinder nach solcher hülfe bald vor sein angesicht kommen lassen und sie also in

53 billich ist ] es ist billig: D2+3. ​72 länger ] läuger: D1.

11 Heinrich Dornemann hatte sich durch einen Eid verpfichtet, kein Beichtgeld zu nehmen; vgl. dazu die Bemerkungen Speners in seinem Brief vom Frühjahr 1688 (Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 58). 12 Detlev Beckmann (1645–18. 7. 1684); geb. in Tondern, 1673 Diaconus in Itzehoe und 1680 in Hamburg (Moller 1, 34; Jensen, 87). – Zu dessen Umgang mit dem Beichtgeld s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Briefe Nr. 58, Z. 53 f, mit Anm. 6, und Nr. 71, Z. 81–84. 13 Mt 6,1–6.16–18 (Geistliche Übungen wie Almosengeben, Fasten und Beten sollen nicht vorgenommen werden, um damit vor den Menschen zu prahlen). 590 Briefe des Jahres 1690

einer kürtze retten14 zum preiß seiner ewigen güte, weißheit und wahrheit. etc.

75 1690.

14 vgl. LK 18,7 f. Nr. 127 an [einen Geistlichen?] 1690 591 127. An [einen Geistlichen?]1 Dresden, 16902

Inhalt Stellt fest, daß die Art und Weise, wie der Sabbat zu heiligen ist, sowohl unter den reformierten als auch unter den lutherischen Theologen umstritten ist; bedauert die öfentlich geführte De- batte. – Hält das Sabbatgebot für ein positives Moralgesetz, das nicht wie die Zeremonialgesetze aufgehoben werden kann. – Hält die Möglichkeit, sich ungehindert mit geistlichen Dingen beschäftigen zu können, für die wichtigere Begründung zur Feiertagsheiligung als die Ruhe von der Arbeit. – Dazu ist die Unterlassung äußerer Arbeiten nur die nötige Voraussetzung. – Notsituationen erfordern auch am Sabbat den Abbruch geistlicher Handlungen. – Hoft, daß er hat helfen können. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 36–38.

Was den Sabbath anlangt, so ists an dem, daß solche controvers, so wol von verbindlichkeit des sabbaths in dem N. T. an sich selbs als auch von der art dessen feyer, in diesem seculo nicht allein unter den Reformirten3, sondern auch den unsrigen4 viel disputiret worden, also, daß sich unsre berühmte Theologi ziemlich zweyen5, wie auch einige ofentliche schriften davon vor 5 dem tag ligen6. Welche ursach mich beweget, daß ich lieber sehe, daß von sothaner controvers nicht viel ofentlich disputiret werde7; als dessen folge ich gesehen, gemeiniglich gewesen zu seyn, daß die menschen sich nur daraus eine ihren seelen und erbauung nachtheilige freyheit zu nehmen pfegen. Bin hingegen versichert, wo man die leute nur dahin bereden könte, eine zeitlang 10 GOTT zu ehren, den sabbath recht heiliglich zu zubringen, daß die eigne erfahrung solche heiligung ihnen aufs herrlichste recommendiren und den

2 von ] – D1.

1 Es könnte sich um einen Geistlichen handeln, weil Spener vom gemeinsamen Lehrer Dann- hauer („unser Dannhauerus“, Z. 18) redet. Spener weist auf kein besonderes Werk Dannhauers hin, sondern darauf, was dieser zu sagen „pfegte“ (Z. 19); möglicherweise ist der Adressat also ein Kommilitone Speners, der Redeweise und dem Argumentationsduktus nach eher ein einfacher Pfarrer. Ob die „Seele“, der Spener hoft geholfen zu haben (Z. 80–82), der Adressat oder jemand anderes (ein Gemeindeglied?) ist, bleibt ofen. 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Eine Aufzählung reformierter Theologen, die sich mit dem Thema befaßten, fndet sich in: Johann Fecht, Exercitatio III. Doctrinae de Sabbatho, in: ders., Schediasmata Sacra (wie Anm. 6). 4 Die lutherischen Theologen. 5 Im Sinne von „sich entzweien“, „sich streiten“ (DWB 32, 989). 6 Zuletzt war erschienen: Johann Fecht, Schediasmata Sacra Seu Exercitationum Singularium Liber, Frankfurt u. Speyer: Christophorus Olfen 1688, S. 537–832. – Zu Johann Fecht s. Brief Nr. 84 Anm. 1. 7 Vgl. ähnlich in Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 68, Z. 5–18, und Bd. 3, Briefe Nr. 77, Z. 30–33, und Nr. 119, Z. 1–8. 592 Briefe des Jahres 1690

gütigen rath des himmlischen Vaters, so zu unsrer eigenen seelen besten solche ruhe uns gegönnet, dermassen zu erkennen geben würde, daß es vieles sub- 15 tilen disputirens nicht mehr bey denen, welchen es um das geistliche zu thun ist, nöthig seyn würde. Indessen geb ich gern zu, daß die obligatio sabbathi8 nicht seye legis natu- ralis9, wohl aber moralis positivae10, wie unser D. Dannhauerus11 zu reden pfegte12. Also lasse ich des vorgelegten Syllogismi conclusion13 passiren und 20 unterschreibe ihr14 selbs. Wann aber das argument also formiret würde: „was den ceremonial-gesetzen weichet, ist auch nicht moral; die feyr des sabbaths weichet den ceremonial-gesetzen, daher ist sie nicht moral“, so leugne ich den minorem, wo das „weichen“ in seinem eigentlichen verstand gebraucht wird, nemlich daß dessen obligation selbs aufgehoben werde; ob wol einiges wei- 25 chen in dem verstand möchte zugegeben werden, da des einen gebotes werck einem andern in gewisser maaß15 vorgezogen wird, in welchem verstand hin- gegen der erste satz falsch seyn würde. Die sache aber besser zu verstehen, wird vornehmlich nöthig seyn, daß wir bedencken, worinnen die moralität des sabbaths bestehe; da ich sie nicht ei- 30 genlich setze in der ruhe des leibs oder der unterlassung der leiblichen ar- beiten an und vor sich selbs16, sondern in dem: Nachdem der mensch in diesem jetzigen leben nicht allezeit unmittelbar mit GOtt und geistlichen dingen umgehen kan, sondern durch die irrdische geschäfte daran nicht wenig gehindert wird (sonderlich, da diese nach dem fall gar zur straf und 35 mehrer beschwehrde worden sind17), daß GOtt dem menschen einen tag dazu verordnet hat, da er, als viel müglich ist, allein mit göttlichen und geistlichen dingen umgehe und sich also göttlichen wirckungen zu seiner heiligung freyer darstelle. Dieses halte ich in dem N. T. das hauptwerck der sabbat=​ feyer und ist desselben art am gemässesten. 40 Was aber betrift die eusserliche unterlassung der arbeit, welche in dem A. T. nach solches Testaments art so viel eigenlicher mit in das gebot an und vor sich selbs gehöret, sehe ich jetzt nur an als ein mittel, an jenem vornehmsten,

8 Verbindlichkeit, das Sabbatgebot einzuhalten. 9 Naturrecht. 10 Ein gegebenes Moralgesetz; es ist allgemein verbindlich im Gegensatz zu dem Zeremonial- gesetz, das nur für das Judentum bindend ist. 11 Johann Conrad Dannhauer, Speners wichtigster theologischer Lehrer in Straßburg (s. Brief Nr. 13 Anm. 11). 12 Etwa: „Gleichwol aber bleibt das Gebott vom siebenden tag indefnite ein moral positiv Gebott / das ist ein solches Gebott / welches auß dem freyen willen gottes entsprungen / der ihm diesen belieben lassen“ (Dannhauer, Catechismusmilch 1, S. 563). – Die Sabbatfrage beantwortet Dannhauer aber anders als Spener. 13 Schlußfolgerung des Syllogismus. 14 „Unterschreiben“ mit Dativ im Anklang ans Lateinische und Französische möglich (DWB 24, 1801). 15 Die Maß (DWB 12, 1727). 16 Dies ist Dannhauers Meinung (s. Dannhauer, [wie Anm. 12], S. 563–565). 17 Vgl. Gen 3,17–19. Nr. 127 an [einen Geistlichen?] 1690 593 was geboten wird, weniger gehindert zu werden. Nun alle exempel, die an- geführt werden, heben das hauptwerck des sabbaths und die beschäftigung des gemüths mit göttlichen dingen und betrachtungen nicht auf; also weichet 45 dieses gebot andern nicht, sondern sie lassen nur einigen eusserlichen wercken neben sich platz, dero unterlassung etlicher massen das gebotene in dem A. T. nach dessen Testaments art war, aber uns in dem N. T. nicht eben verbindet und also nicht zu der moralität des tags oder gebots gehöret: wie dann nichts ungereimtes ist zu statuiren, daß GOtt sonderlich in solches gebot zu demje- 50 nigen, was eigenlich moral ist und allezeit aus der ersten einsetzung ver- bindlich gewesen, in dem eigenlichen so genannten alten Testament oder Levitischen dienst einige weitere determinationes hinzu gesetzt, so deswegen nicht moral worden sind und also als etwas ceremoniales andern verrichtun- gen hat weichen können. Also wo ich die sache auf diesen fuß setze, daß der 55 wahre zweck und inhalt des gebotes seye, die absonderung eines tags unter sieben zu geistlichen verrichtungen, dem dienst GOttes und unsrer seelen heiligung, die also nach sich ziehet die unterlassung der ordenlichen wochen= und irrdischen geschäften, nicht als das hauptwerck, sondern nur als ein mittel desselben, davon deswegen allezeit nicht mehr erfordert wird, als so viel 60 jene heiligung bedarf, so fället die gantze kraft des arguments weg, indem die arbeit der Priester bey den opfern und die beschneidung mit zu den geistli- chen verrichtungen gehören und dieselbe nicht stöhren. Was aber die noth=​wercke anlanget, als das ausraufen der ähren bey den jüngern18, die ziehung des ochsen aus einem brunnen19, stöhren auch diesel- 65 be das haupt=​werck nicht, ob sie wol die ruhe etzlicher massen unterbrechen. Wie also das gebet und die predigt göttlichen worts ohne zweifel zu den moral=​wercken gehören und doch niemand sagen wird, wo zum exempel eine gantze gemeinde in solcher heiligen handlung begrifen wäre oder je- mand in dem gebet vor GOTT läge und geschähe indessen ein grosses un- 70 glück, das schleunige rettung bedörfte, daß man nicht auch solche heilige wercke unterbrechen und zu jenem liebes=wer​ ck schreiten dörfte. Also dörften wir doch nicht sagen, daß der dienst GOttes an sich dem liebes=​ dienst des nechsten weiche: sondern GOtt hat alle seine gebot also weißlich in einander gegattet20, daß dero wercke neben einander stehen und allezeit 75 getrachtet werden solle, dem einen also abzuwarten, daß das andere nicht gar aufgehoben werde. Solches aber heißt nicht eigenlich ein „weichen“, da- durch des einen verbindlichkeit aufhörte, indem nur beider gehorsam klüg- lich zusammen gesetzt wird. Hiemit hofe ich einer seele, dero es bloß um die erkäntnüß göttlichen 80 willens und wie göttlicher zweck am besten zu erhalten seye, zu thun ist, zu ihrer beruhigung gnug zu geschehen: ob aber leuten, welche gern in allem

18 Vgl. Mt 12,1–8. 19 Vgl. Mt 12,11; hier ist jedoch von einem Schaf die Rede; Spener verwechselt dies ofenbar mit einer anderen Sabbatrede Jesu, in der vom Ochsen die Rede ist (Lk 13,15). 20 Eng miteinander verbinden; zusammenordnen (DWB 4, 1500). 594 Briefe des Jahres 1690

widersprechen, jemal mit etwas gnug geschehe, stehet dahin. Der HErr gebe uns selbs das liecht zu prüfen, welches in allem uns nöthigem seye der gute, 85 der wolgefällige und der vollkommene wille GOttes21 und denselben treulich zu vollbringen. 1690

21 Vgl. Eph 5,10. Nr. 128 an [einen Laien] 1690 595 128. An [einen Laien]1 Dresden, 16902

Inhalt Versteht den Gottesdienstbesuch als ein Zeichen der christlichen Gemeinschaft, hält aber den Besuch sämtlicher Wochengottesdienste für unnötig und betont die Bedeutung der Bibellektüre in der Familie. – Will den Sinn der vierten Bitte des Vaterunsers auf die leiblichen Güter be- schränkt wissen, kennt aber die semantischen Probleme des griechischen Begrifs für „täglich“. – Gesteht, daß man den (bei Lk fehlenden) Schluß des Vaterunsers weglassen kann, ohne sich zu versündigen, plädiert jedoch, ihn ins Gebet aufzunehmen. – Hält es für möglich, daß Ananias und Saphira (Apg 5) das ewige Heil zuteil wird, auch wenn sie als Strafe für ihre Sünde gegenüber den christlichen Geschwistern einen plötzlichen Tod erlitten. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 78–80.

Ich komme auf die vorgetragene scrupul und fragen: 1. Ob wegen der täglichen predigten die mit denen haußgenossen nützliche lesung zu unterlassen oder vielmehr jene hindan zu setzen seyen? Hierauf antworte ich, daß wir alle verbunden seyen, die ofenliche ver- sammlungen und predigten gern zu besuchen (wohin der angeführte ort, 5 Hebr. 10,253, weiset), damit wir uns keinerley weise von der gemeinde trennen. Solche besuchung aber ist sonderlich nothwendig auf den lieben sonntag und ob wol dessen nicht einiger, dennoch vornehmster zweck, daß der Gottesdienst solchen tag von der gantzen versammlung verrichtet werde. Damit ist zwahr nicht aufgehoben, daß man auch die woche gleich wie zu 10 hause, also auch in der kirchen mit göttlichem wort umgehe und also dieje- nige, deren übriger zustand und beruf ihnen solche musse lässet, sich mehr- mal dabey einfnden, so wol um eigener erbauung als auch anderer guten exempels willen. Indessen ists nicht dahin gemeinet, gleich ob jeder Christ, der GOTT hertzlich dienen will, täglich sich dahin befeissen müste, daß er 15 keine predigt versäume, als wozu GOTT unser gewissen nirgend verbunden hat. Vielmehr werden deßwegen an grossen orten täglich predigten gehalten, nicht als wolte man jedermann zu solchen täglichen predigten verbinden, sondern daß sich die leute, jeder nach seiner gelegenheit, eintheilen, dieser den einen, der andere einen andern tag die kirche zu besuchen. Ob nun wol 20 insgemein der ofenliche Gottesdienst dem absonderlichen billich vorgezogen

1 Daß der Adressat ein Laie ist, ergibt sich zum einen durch die Frage nach Möglichkeit der häuslichen Andacht als Ersatz für den Wochengottesdienst, vor allem aber wegen der Notwendig- keit der ausführlichen sprachlichen Erläuterungen der vierten Vater-Unser-Bitte (Z. 33–69). 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Hebr 10,25 (Luther 1545: „vnd nicht verlassen vnsere Versamlung / wie etliche pfegen / Sondern vnternander ermanen / Vnd das so viel mehr / so viel jr sehet / das sich der tag nahet.“). 596 Briefe des Jahres 1690

zu werden verdienet, so kan doch manchmal eine nützliche geistliche übung zu hause mir und andern meinigen so erbaulich seyn, daß ich dieselbe einer predigt, um solche zeit gehalten, mit gutem gewissen vorziehen darf. Da also, 25 wie ich nicht zweife, derselbe die übung des lesens mit seinem hauß von guter frucht fndet, können gantz wol einige tage in der woche ausgesetzet werden, nicht in die predigt zu kommen, sondern dieselbe zu der mehrern erbauung seines hauses anzuwenden. Wann auch gesagt wird, daß der glaube „aus der predigt“4 komme, müssen wir nicht bloß allein an die jenige predigt 30 gedencken, welche von der cantzel geschiehet, sondern alles lesen und hören des göttlichen worts gehöret zu solcher predigt und wird mit darunter ver- standen, ob wol jene ofentliche predigt die allgemeinste art und mittel ist. 2. Wird gefragt von dem verstand der vierdten bitte des Vater unsers. Da ich, wie ich mich unterschiedlich in meinen schriften erkläret habe, 35 dabey bleibe, daß durch „das tägliche brod“ die leibliche nahrung5, wie unser Catechismus es erkläret6, gemeinet werde: halte es auch für billich, weil wir nicht läugnen können, daß wir der zeitlichen nahrung von GOtt bedörfen, daß wir GOtt auch die ehre thun, ihn darum anzurufen und ihm auch darum zu dancken; wie ich es dann für einen hochmuth und verachtung Gottes 40 achtete, wissen, daß man etwas von GOtt nöthig habe und das er, uns zu geben, willig seye und ihn darum nicht bittlich ersuchen wollen. Daher ich davor halte, die auch das leibliche aus der vierdten bitte ausgeschlossen wissen wollen, werden dennoch nicht verlangen, daß man GOTT nicht um das leibliche, auf kindliche art anzurufen, schuldig seye, sondern ich glaube 45 vielmehr, daß sie die sache wol zugeben, aber in dem Vater unser diese bitte nicht enthalten zu seyn, sondern dasselbe allein die geistliche und also vor- nehmste güter zu begreifen, achten werden. Was dann solche bitte selbs be- trift, ist nicht ohn, daß die meiste alte Lehrer es also verstehen, daß nicht das leibliche, sondern himmlische brod gemeinet seye7, wie auch unser liebe 50 Lutherus selbs, Tom. 1, Altenb., f. 898, solche erklärung gebraucht hat. Der gantze streit kommt her über ein griechisch wort, dessen verstand etwas zweifelhaftig ist9, in dem es heissen kann „ein überwesentlich brod“ (so wäre

4 Röm 10,17. 5 Spener, Einfältige Erklärung, S. 636; Spener, Catechismus=Predig​ ten, S. 405 f. 6 Martin Luther, Der kleine Katechismus (BSLK 513.35–514.10). 7 Tertullian, De oratione, Kap. 6 (lt./dt. Ausgabe: Fontes christianae, Bd. 76); Cyprian, De Oratione domenica, XVIII-XXI (MLP 4, 531–534) betont den Bezug zum Brotwort in Joh 6,51, weist die Deutung auf das irdische Brot aber nicht zurück. Origenes läßt allein die geistliche Deutung zu (Origenes, Περι εὐῆς, XXVII, 1–16; es bleibt aber unklar, ob Spener die Schrift, die erst im 17. Jd. näher bekannt wurde, kennen konnte), ebenso Augustinus (De sermone Domini in monte, Buch II, 25–27; MPL 34, [1229–1307] 1279–1281). 8 Martin Luther, Der Erste Theil aller Bücher und Schriften […] Martini Lutheri (Altenburger Ausgabe), S. 89a (WA 2, 105.28–106.19). 9 Das Adjektiv ἐπιούσιος, das bedeuten kann „auf den folgenden Tag“, „bis zum folgenden Tag ausreichend“ und „zum Leben hinreichend“ (Pape 1, 967), aber auch „überwesentlich“, d. h. „übernatürlich“ (W. Bauer, K. Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin 61988, 601). Nr. 128 an [einen Laien] 1690 597 es also nichts leibliches) oder auch „ein tägliches“ oder „morgendes brod“10 (in welchem verstand es auf das leibliche seine absicht hat). Wie nun die ge- lehrte über solche deutung nicht einig sind, also entstehet daher solche un- 55 terschiedliche erklärung: daher einige gar am liebsten alle beide arten, das geistliche und leibliche brod zugleich in der bitte verstehen wollen, da mirs hingegen fast schwehr vorkommet, solche unterschiedliche dinge in einem wort zubegreifen. Ich aber bleibe am liebsten bey der allergemeinsten er- klärung von dem zeitlichen11; nicht daß ich, an dem zeitlichen mehr als an 60 dem geistlichen gelegen zu seyn, achtete, sondern weil ich am liebsten das Vater unser für dasjenige gebet, welches alle unsre nothdurft ins gesammt in sich begreift, halte und aber in den andern bitten wohl gelegenheit fnde, da das geistliche oder seelen=​brod mit drunter verstanden werden kann als in der andern und dritten bitte, nicht aber fnde ich eine andre bitte, wo ich das 65 leibliche brod mit begreifen könte12. Indessen lasse ich den andern ihre ge- dancken, nur daß gleichwol auch des irrdischen, dessen wir von GOtt bedür­ fen, nicht allezeit vergessen und GOtt die ihm daraus gehörige ehre nicht entzogen werde. Was auch den schluß des Vater unsers anlanget, so bey Luca nicht zu fnden, 70 so ist zu mercken, daß Christus das Vater unser zu zweyen malen vorgespro- chen: in der bergpredigt, Matth. 613, und nachmal allein seinen jüngern, Luc. 1114, da er das letzte mal den vorigen schluß nicht wiederholet15; indem er nicht ein eigenlich stück des gebets als gebets ist, sondern ein lob=spruch​ zu stärckung des glaubens, der deßwegen nach dem Luca zu weilen ohne sünde 75 ausgelassen werden könte, aber billich ordenlich nach dem Mattheo darzu gesetzt werden solte, mit solchem lob= und danck=spruch​ GOtt die ursache der erhörung vorzustellen, unser vertrauen mit demselben zu stärcken und ihm gleich voran für seine güte zu dancken. 3. Das exempel Anania und Sapphira, Apost. Gesch. 516, belangend, fnde 80 ich nicht, daß uns die gewißheit dero seligkeit oder verdamnüß nöthig seye. Diese letztere ist zwahr vielmehr zu sorgen, indem die wort, welche Petrus

10 Die Vulgata übersetzt das gleiche griechische Wort in Mt 6,11 mit „supersubstantialis“ (überwesentlich) und in Lk 11,3 mit „quotidianum“ (täglich). 11 So auch die modernen sprachwissenschaftlichen Deutungen (vgl. W. Foerster, Art. ἐπιού- σιος, in: G. Kittel u. a. [Hg.], Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Bd. 2, Stuttgart 1935, 587–595). 12 Diese Argumentation entspricht exakt derjenigen in: Dannhauer, Catechismusmilch 7, S. 156. 13 Mt 6,9–13. 14 Lk 11,2–4. 15 Der liturgische Spruch, den Luther in den ihm vorliegenden Versionen des Mt (s. a. Vulgata) übersetzt (Luther 1545: „Denn dein ist das Reich / vnd die Kraft / vnd die Herrligkeit in ewig- keit Amen.) fndet sich nicht in der Überlieferung des Lk und ist nach Erkenntnissen moderner Untersuchung der Textüberlieferung auch in Mt sekundär; allerdings wurde die Doxologie wohl von Beginn an mit gebetet (TRE 34, 510.42–46). 16 Apg 5,1–11. 598 Briefe des Jahres 1690

von dem, daß satanas sein, des Ananiä, hertz erfüllet habe17, gebrauchet, die eigenliche bosheit in dessen hertzen ziemlich scheinen anzudeuten. Indessen 85 wo N. N.18 nicht eigenlich darauf beharren wollen, mag ihn vielleicht dazu bewogen haben, daß er Ananiam angesehen als einen sonsten wahrhaftig glaubig gewesten (wie dann zu solcher zeit, da das Christenthum so bald lauter verfolgung und gefahr vor sich hatte, nicht leicht leute aus blosser heucheley dazu getreten seyn mögen), da nun der wahre glaube sonsten bey 90 ihm gewesen, möchten einige diesen betrug, da er sich auf das künftige ei- nen noth=​pfennig zurück behalten wollen und die schwehre der sünden nicht so erkannte, noch etlicher masssen für eine schwachheit und daß dieser tod „zu dem verderben des feisches“ ( daß aber der geist am tag des HErrn JEsu noch selig würde, nach der redens=​art Pauli, 1. Cor. 5,519) gemeint gewesen, 95 halten. Aber wie gedacht, die verdammnüß der armen leute mag wol mehrern grund in dem text haben. Der HERR lasse aufs wenigste das jenige gericht, das an denen personen ofentlich verübet worden, noch jetzund jederem zu einer heiligen furcht dienen. 1690.

17 Apg 5,3. 18 Nicht ermittelt. Vielleicht ein Prediger, der diese Stelle ausgelegt hat. 19 1Kor 5,5 (Luther 1545: „ihn zu übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist selig werde am Tage des HERRN Jesu.“). Nr. 129 an [eine verheiratete Frau] 1690 599 129. An [eine verheiratete Frau]1 Dresden, 16902

Inhalt 1. Es gibt keine biblische Vorschrift zur Häufgkeit des Abendmahlgangs. – 2. Eine oftmalige Teilnahme an der Abendmahlsfeier ist nützlich. – 3. Die Teilnahme am Abendmahl in der frühen und der römisch-katholischen Kirche. – 4. Luthers Rat, drei bis viermal jährlich zum Abend- mahl zu gehen, und Speners Sorge, eine häufgere Teilnahme würde bei der inneren Haltung mehr schaden als nutzen. – 5. Verweist auf die Gewohnheit von [Johann] Schmidt in Straßburg und von einem Frankfurter Kaufmann, monatlich daran teilzunehmen. – 6. Beklagt die oft nur ohne Andacht zelebrierten Abendmahlsfeiern der Gegenwart. – 7. Bestätigt die geistlichen Kräfte, die dem Wiedergeborenen durch das Abendmahl erwachsen. – 8. Lobt die Sehnsucht nach häufgerer Teilnahme. – 9. Wünscht sich den Schutz solcher Gemeindeglieder vor falschen Verdächtigungen. – 10. Rät ab, von dem Recht Gebrauch zu machen, wenn Mitchristen An- stoß daran nehmen. – 11. Tröstet mit dem Hinweis, daß Gott die Christen nicht nur durch das Abendmahl geistlich stärken kann. – 12. Rät unter den jetzigen Bedingungen davon ab, häufger zum Abendmahl zu gehen. – 13. Verweist vor allem auf die Verdächtigungen im Zusammenhang mit dem Begrif „Pietismus“. – 14. Ermahnt, die rechte christliche Liebe zu zeigen, indem sie Rücksicht auf die Schwachen nimmt und ihren Wunsch nach häufger Abendmahlsteilnahme zurückstellt. – 15. Berichtet von seinem Rat an eine Jungfrau in Frankfurt, in verschiedenen Kirchen am Abendmahl teilzunehmen, damit die oftmalige Teilnahme nicht so erkennbar wird. – 16. Rät, sich eher Zeit zu nehmen, unabhängig vom Abendmahl über Leiden und Sterben Christi zu meditieren; verweist dabei auf eine Schrift Ahasver Fritschs. – 17. Spricht der Adressatin den Segen Gottes zu, wenn sie aus Liebe andern Menschen gegenüber sich so verhält. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 138–142.

Es ist 1. eine ausgemachte sache, daß uns unser liebste Heyland keine gewisse zeit noch zahl gesetzet hat, wann und wie oft wir seines H[eiligen] Abend- mahls uns theilhaftig machen solten; daher weder insgemein ein gewisses gesetz für alle gegeben werden darf, noch auch ich rathsam halte, daß einer ihm selbs eine solche ordnung machte, bey dero er allzu praecise bliebe und, 5 sich davon auszusetzen, ein gewissen machte, indem einiges gutes dadurch gehindert werden möchte.

1 Die Adressatin ist verheiratet (Z. 151 f) und gehört zu den Anhängern der Spenerschen Frömmigkeit. Sie lebt in einer Stadt, in der die Möglichkeit besteht, bei verschiedenen Pfarrern zum Abendmahl zu gehen, sonst hätte er das Beispiel von (vielleicht) Johanna Eleonora von Merlau (s. Anm. 19) nicht bringen können (Z. 144–149). Die Adressatin lebt weder in Frankfurt, weil Spener ihr von der dortigen Situation erst berichten muß (Z. 41–44, 139–141), noch – aus gleichem Grund – in Leipzig (Z. 114–117), sie hat aber von den dortigen Vorgängen ver- nommen. – Vielleicht geht der Brief nach Quedlinburg. Am 4. 5. 1692 bespricht Spener einen Traktat eines dortigen Hauptmanns [Adrian Adam von Stammer?], der sich mit dem Abendmahl beschäftigt (LBed. 1,8–12). 2 Eine nähere Bestimmung des Datums ist nicht möglich. 600 Briefe des Jahres 1690

2. Indessen hat nicht allein unser liebste Heyland damit, wann es heißt „so oft ihrs trincket“3 gewiesen, daß es eine sache seye, die mehrmal geschehen 10 solle; sondern die vortrefichkeit der güter, die uns darinnen gereichet werden, der trefiche nutze, welchen dieselbe bey uns wircken sollen, und die schul- dige pficht, seinen todt oft zu verkündigen4, sollen uns von sich selbs zu oftmaliger begehung dieses gedächtnüß=, liebes= und lebens=mahl​ treiben. 3. Daher haben die ersten Christen gemeiniglich täglich, oder so oft sie 15 ihre versammlungen hielten5, sich auch mit diesen himmels=schätzen​ zu stärcken gepfeget; um so wol gegen die täglich obschwebende verfolgungen sich zu wapnen, als auch so oft neue kraft zu dem göttlichen leben zu er- langen. Wie aber nach der zeit der eifer zu dem geistlichen mächtig erkaltet, so wurde auch dieses göttliche mahl je länger je weniger mehr gebraucht, daß 20 es endlich eines gesetzes bedorfte, so noch in dem Pabsthum behalten wird, daß jeder Christ aufs wenigste einmal sich gegen die osterliche zeit dabey einfnden muste. Wie aber der erkaltende eifer der menschen in der nach- lassung solches heiligen wercks die ursach gewesen, so erkenne ich es doch zugleich mit als ein stück der H. providenz GOttes, die es also gefüget, daß, 25 nachdem die meiste fast gantz irrdisch worden und also zu der würdigen niessung kaum jemal geschickt waren, auch der gebrauch des seltener worden, damit aufs wenigste es eben daher weniger mißbrauchet würde. 4. Unser liebe Lutherus6 hat nachmals nicht durch ein gebot, sondern rath 30 veranlasset, daß in unserer kirchen gemeiniglich das H. Abendmahl von den meisten des jahrs zu 3 oder 4 malen genossen wird7 (wie wäre aber zu wün- schen, daß allemal mit bußfertiger würdigkeit!), und bekenne ich, daß ich nicht wünschte, daß die gewohnheit insgemein mehrere mal8 eingeführet hätte, nachdem ich, wie wir die leute befnden, sorgen müste, daß die oftere 35 wiederholung nicht so viel bey einigen zu ihrer geistlichen stärckung nutzen bringen, als wegen der allermeisten stäter unwürdigkeit mehrern schaden schafen möchte. 5. Indessen ist weder verboten noch gantz ungebräuchlich in unserer kirche, daß einige fromme Christen auch mehrmal sich dabey einfnden: wie mich 40 noch erinnere von dem alten S[eligen] Herr D. Schmidten zu Straßburg9, der alle monat sich bey dem tisch des HErren einfand; dergleichen ich auch in

3 1Kor 11,25. 4 Vgl. 1Kor 11,26. 5 Vgl. Apg 2,46. 6 Martin Luther (1483–1546).. 7 M. Luther, Vorrede zum Kleinen Katechismus (BSLK 506.8–11). 8 D. h.: Eine häufgere Teilnahme. 9 Wohl Johann Schmidt, zuletzt Theologieprofessor in Straßburg (s. Brief Nr. 41 Anm. 4). Nr. 129 an [eine verheiratete Frau] 1690 601

Franckfurt einen kaufmann10, so mein beicht=​kind, hatte: da gab es zwahr auch allerley reden darüber, sonderlich wegen der person, jedoch suchte niemand die sache selbs zu hindern. 6. Ich zweife auch nicht, daß mehrere gute hertzen sich öfters bey dieser 45 H. mahlzeit einfnden würden, wo die anstalten der begehung derselben an den meisten orten besser zur andacht, vorstellung und danckbarer verkündi- gung des todes JEsu Christi eingerichtet würden und also die seelen mehrere aufmunterung zu und von solchem H[eiligen] werck fühleten: dahingegen jetzt alles oft sehr kalt hergehet und jeder fast mühe hat, sich nur selbs zur 50 andacht aufzumuntern, welches aber gleich wie den nutzen vermindert, also auch das verlangen darnach sehr zurücke hält; wie mir ein und anderer christlicher seelen anligen und kummer in solcher sach bekant und oft in meinen schooß ausgeschüttet worden: da aber, solchen gebrechen auch zu helfen, in eines oder andern macht und anstalt nicht stehet. 55 7. Es ist kein zweifel, daß der oftmalige würdige gebrauch des H. Abend- mahls freylich von stattlicher kraft ist und eine aus Christo wiedergebohrne seele aus dem leib und blut ihres Heylandes, die voller himmlischen und gött- lichen kräfte sind, jedesmal zu ihrer erneuerung und stärckung einen neuen einfuß und geistliche nahrung bekommet, zu erfüllung dessen, was der 60 liebste Heyland sagt, Joh. 6,55 u.f.: „Mein feisch ist die rechte speise und mein blut ist der rechte tranck. Wer mein feisch isset und trincket mein blut, der bleibet in mir und ich in ihm. Wie mich gesand hat der lebendige Vater, und ich lebe um des Vaters willen, also wer mich isset, der wird auch leben um meinet willen.“11 65 8. Daher wo keine andere hindernüß ist, eine seele, welche gern in dem innern wesen wachsen will, diese ihre anerbotene gnade erkennet und gele- genheit dazu hat, wol thut, wo sie zum oftern und so vielmal als ihrs werden kan und sie durch einen hunger dazu getrieben wird, sich dieser gnade ihres Erlösers theilhaftig machet, weil uns je geboten ist, nach dem wachsthum zu 70 streben und uns also nach müglichkeit aller dazu dienlichen mittel zu ge- brauchen. 9. Wo dann eine solche seele, solte es auch zum oftersten geschehen, dieser ihrer freyheit und rechts sich gebraucht, solle sich billich niemand dran ärgern, solches einer scheinheiligkeit oder sonderlichkeit12 beschuldigen, sondern 75 denjenigen ihre gnade gönnen, die der HErr mehrmal derselbigen würdiget. Ja, es haben Prediger auch für sie zu reden und andere vor frevel=​urtheil zu

42 einen ] einem: D1. ​

10 Etliche Kaufeute in Frankfurt gehörten auch nach Speners Weggang zu seinem Freundes- kreis. Wer hier gemeint ist, ist nicht ermittelt. 11 . Joh 6,55 f 12 Bei Spener häufg eine Bezeichnung für eine Vorstufe zum Separatismus, jedoch noch lediglich im Sinne von „besonderen Meinungen“ (s. Dresdner Briefe, Bd. 2, Brief Nr. 113, Z. 27 mit Anm. 4). 602 Briefe des Jahres 1690

warnen: wie ich in Franckfurt auch mehrmal ofenlich und absonderlich gethan habe13. Wer hingegen übel urtheilet, versündiget sich in der that 80 schwehrlich. 10. Indessen kan es fälle geben, wo die liebe ein anders erfordert und haben will, daß wir uns auch in gewissen stücken einiges geistlichen vortheils be- geben, wo wir sehen, daß andere, ob wol ihrer schuld, davon mehr schaden nehmen würden. Wir sehen die kraft der liebe an dem theuren Paulo, bey 85 dem sie zu diesem hohen grad kam, Rom. 9,314, daß er auch um seiner brüder, der Juden, willen, wo es nemlich müglich wäre, und dadurch für sie gnug gethan werden könte15, verbannet zu werden gewünschet. Ob nun dann solcher heroische grad nicht bey allen ist, so wird doch aufs wenigste der grad erfordert, daß wir um verhütung unsers nechsten geistlichen schadens und 90 ärgernüsses willen16, sonderlich wo solches auch schwache betrift, bereit seyn, nicht zwahr an unserm heyl selbs schaden zu leiden, aber doch einer weitern stärckung und erquickung um derselben willen aus liebe zu entrathen. 11. Davon hofe auch nicht, daß eine solche seele sonderlichen nachtheil leiden solle, nicht allein, weil wir gleichwol auch aus der geistlichen niessung 95 des leibes und bluts unsers Heylandes eben so wol eine herrliche kraft und stärckung, ja das meiste dessen, was die Sacramentliche geben kan (die frucht betrefend), erlangen und daher der andern ofteren wiederholung nicht blosser dings bedürftig sind (wie man ja in entstehung17 aller gelegenheit zu dem Sacrament sich ohne verlust der seeligkeit mit jenem vergnügen kan), 100 sondern auch, weil ich der göttlichen güte und weißheit allerdings gemäß befnde, daß sie einer solchen seelen, so aus einer wahren liebe und schonen des nechsten sich einiges stücks ihres trosts williglich begiebet, was sie dar- innen verliehret, auf andere ihr bekannte art kräftig wisse zu ersetzen, daß ihr doch in der that nichts mangeln muß, nachdem je, ob wol wir an dem 105 gebrauch aller mittel von unsrer seiten nach aller müglichkeit gebunden sind, sie hingegen sich nicht daran bindet, sondern würcket, wann, durch was und wie sie will. 12. Voraus gesetzt nun dieser dinge, halte ich dafür, ob ich wol derselben zu dero geistlichem wachsthum die oftere wiederholung der seligen com- 110 munion hertzlich gönnete, daß sie dannoch bey gegenwärtiger dieser zeit umständen GOTT gefälliger thun werde, sich derselben noch jetzt zu ent- halten, als sich ihres rechts zu gebrauchen und also auch aus liebe der andern lieber etwas zu entrathen, als andern sich versündigen anlaß zu geben.

100 und ] un: D1. ​

13 Zur Häufgkeit der Abendmahlsteilnahme s. z. B. Spener, Ev. Glaubenslehre 1, 420. 14 Röm 9,3 (Luther 1545: „Jch habe gewündschet verbannet zu sein von Christo / fur meine Brüder / die meine Gefreundte sind nach dem Fleisch“). 15 Im Sinne von „Genugtuung erhalten“. 16 Vgl. Röm 14,13. 17 Im Sinne von „Mangel“, „Ermangelung“ (DWB 3, 634) Nr. 129 an [eine verheiratete Frau] 1690 603

13. Die ursachen sind ziemlich ofenbahr; dann nachdem es durch einiger widriger leute theils practiquen, theils unbesonnenen eifer, dahin gekommen 115 ist, daß das gantze land, ja Teutschland mit dem gerücht einer neuen secte, des Pietismi, erfüllet worden ist18; welches gerücht so wol schwache sehr nieder- schläget und irre machet, als einigen boßhaftigen gelegenheit zu vielen läste- rungen und andern sünden ursach giebet, will nun christliche klugheit und liebe erfordern, daß seelen, die ihr heyl ernstlich suchen, sonderlich die bereits 120 in den verdacht dergleichen vermeinter secte geraten sind, sich sehr vor- sichtig auführen und zwahr deßwegen, um der welt zu gefallen, nichts der- jenigen pfichten unterlassen, die sie ihrem GOTT schuldig und die ihnen zu ihrer geistlichen stärckung nöthig sind; aber was alles übrige anlangt, so noch, ohne an GOtt sich zu versündigen und sich allzu sehr zu versäumen, unter- 125 lassen werden kan, in demselben desjenigen sich enthalten, so zu neuen nach- reden oder vermehrung der vorigen, auch zu neuem streit anlaß geben könte, davon gewiß andere, sonderlich schwache, schaden nehmen möchten. 14. Weilen dann nun die gar oftere empfangung des H. Abendmahls eins theils nach vor ausgeführtem nicht bloß nothwendig, andern theils aber, 130 sonderlich weil sie von deroselben allein geschehe, nicht nur einigen schwa- chen selbs einige scrupul machen und sie, was ihnen zu thun wäre, in zweifel setzen, sondern auch das geschrey von den Pietisten aufs neue vermehren und gleichsam einen neuen deroselben glaubens=​articul bey denen, welche gern alle gelegenheit aufassen, machen, und also nur zu mehr sünden anlaß 135 geben würde, so sehe ichs an als ein exempel desjenigen falles, wo die liebe erfordert, auch sein mehreres geistliches dem nechsten zu besten nachzuset- zen. 15. Ich erinnere mich dabey eines falles in Franckfurt, da auch eine frembde jungfrau19 mehrmal und, wo es müglich wäre, alle monat zu communiciren 140 verlangte, daß ich es deroselben um der ursach willen, weil sonsten auf sie die nachrede einer sonderlichkeit bereits gefallen war, mißrathen, ohne daß sich nachmal das mittel fand, daß, weil ich, ihr beicht=​vater, in zwo kirchen bey beicht und dem heiligen Abendmahl zu seyn pfegte, sie in beyden kir- chen communicirte, da solches oftmalige weniger von der gemeinde beob- 145 achtet worden und zu urtheilen ursach geben konte. Hingegen sehe ich kein mittel nicht, wie dergleichen bey deroselben sich aufs wenigste zu dieser zeit

115 widriger ] widrigen: D3. ​122 auführen ] aufführen: D1+3. ​135 aufassen ] auffassen: D1+3. ​

18 Zum Aufkommen des Namens „Pietismus“ und dem Sektenvorwurf s. Briefe Nr. 54, Z. 46–59, Nr. 68, Z. 139–156, Nr. 72, Z. 55–63; Brief Nr. 76, Z. 231–278, Nr. 88, Z. 42–56 u. ö. 19 Es ist nicht auszuschließen, daß Johanna Eleonora Petersen geb. von Merlau (zu dieser s. Brief Nr. 146 Anm. 1), gemeint ist, die im Jahr 1675 nach Frankfurt a. M. gekommen war. Schon vorher hatte sie mit Spener über das Abendmahl korrespondiert (Frankfurter Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 152, Z. 69–96, und Nr. 165, Z. 1–13). 604 Briefe des Jahres 1690

practiciren liesse, massen was man vornehmen wolte, noch mehr difcultäten geben würde. 150 16. Daher nochmal dabey bleibe, daß dieselbe am rathsamsten vor ihre und anderer seelen thun würde, wo sie, es wäre denn sache, daß dero werthester ehe=​herr20 sich gleichfals resolvirte, etwa ein oder zweymal weiter des jahres sich einzustellen, es bey bisheriger von sämmtlichen gebrauchter ordnung liessen und sich dieselbe communion allezeit so viel hertzlicher zu nutze 155 machten; hingegen wo sie ausser dem sich zu einem innigen verlangen solcher seelen=​speise getrieben fünden, einige tage sich dazu aussehen, da sie etwa mit einigen christlichen seelen der ihrigen, sich die betrachtung des bittern leidens und sterbens ihres Heylandes liessen mehr als sonst angelegen seyn, an dieselbe und den hertzlichen danck davor mit andacht, lesen, beten und sin- 160 gen und also zur verkündigung seines todes (dazu sonderlich das Sacrament eingesetzet ist) mehr zeit anzuwenden: welches dann das sonderbarste mittel ist, auch ohne brod und wein den leib und blut Christi geistlich zu geniessen und sich damit zu stärcken. Wie dann der christliche Jurist Herr D. Ahasverus Fritsch21 ein tractätlein von der geistlichen niessung geschrieben22 und mir 165 communiciret hat, so ich aber nicht erfahren, ob es seit wenigem23 gedruckt möchte worden seyn. 17. Auf diese weise, wie dieselbe anderer aus liebe schonen wird, versiche- re ich mich, daß ihrer lieben seelen an nichts, wessen sie bedörftig ist, einiges abgehen solle, hingegen der HErr die seltenere communion und öftere geist- 170 liche niessung zu ihrem verlangten wachsthum gnugsam segnen werde. Unser treueste JEsus gebe auch hierinnen seinen willen mit festigkeit und versiche- rung zu erkennen, heilige sie immer sammt den ihrigen und allen, die ihres orts ihn hertzlich lieben, mehr und mehr, und bringe doch dermaleins (ach, daß es bald geschen möchte!) seine kirche in den stand, wo man weniger 175 sorge bey verrichtung des guten haben und ihm freyer in allen stücken dienen, auch seiner gnade reichlicher geniessen möge24. 1690.

160 zur ] zu: D3.

20 Nicht ermittelt, s. aber die Überlegungen in Anm. 1. 21 Ahasver Fritsch, Kanzler in Rudolstadt (s. Brief Nr. 94 Anm. 1). 22 Ahasver Fritsch, Kurtze Anleitung zur geistlichen COMMUNION, Wie ein andächtiger Christ vermittelst andächtiger Leß= und Betrachtung des bittern Leidens und Todes des HErrn JEsu CHRISTI / das heilige Nachtmahl geistlicher Weise / täglich oder des Sonntags zu Hause / oder in der Kirchen fruchtbarlich gebrauchen und communiciren könne; zu Erbauung des Neben Christen abgefasset, Jena: Johann Gollner 1691. 23 Wohl im Sinne von „vor kurzem“. 24 Anklang an Speners Hofnung auf einen künftig besseren (Zu‑)stand der Kirche, hier nur sehr zurückhaltend formuliert. Nr. 130 an [einen Unbekannten] 1690 605 130. An [einen Unbekannten]1 Dresden, 16902

Inhalt Weist auf das Beispiel [Abraham] Calovs, der während der Predigt die Bibel auf der Kanzel auf- geschlagen hatte. – Benennt die Vor‑ und Nachteile, wenn Predigthörer während der Predigt die Bibel benutzen. – Beklagt, daß es Leute gibt, die gegen die Möglichkeit der Erbauung am Althergebrachten festhalten. – Befürchtet einen bevorstehenden Kampf von feischlich gesinnten Predigern, dem nur Christus ein Ende setzen kann, und macht Mut, sich diesem zu stellen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 175 f.

Was das aufschlagen der sprüche in der kirch anlangt, so ist entweder die rede von dem Prediger oder von den zuhörern. Was jenen anlangt, wo wir auf menschen sehen wollen, wie es nun mehr leider dahin gekommen, daß man meistens auf dieselbe sihet, so solte des berühmten Herrn D. Calovii3 ex- empel vorgehalten werden, der, wie ich höre, die gantze predigt durch die 5 Bibel vor sich ofen ligen gehabt und fast immer darinnen geblättert4. Was aber die zuhörer betrift, leugne ich nicht, daß es gut und unnütz sein kan: dieses, wo man darüber auf die predigt nicht acht gibet, sondern sich mit aufschlagen und lesen daran hindert; jenes, wo man einstheils den text sich sonderlich vor augen leget, um acht zu geben, wie solcher nach und nach 10 in der predigt erkläret wird; andern theils, wo man nur die haupt-sprüche aufschlägt und bloß zeichnet, dazu wenig zeit erfordert wird, um nachmal zu hause dieselbe wiederum nachzulesen und zubetrachten: es seye dann, daß der Prediger auch einen von solchen sprüchen mit mehr feiß erklärete, da man solchen auch vor augen behalten und auf die erklärung mit gutem nutzen 15 acht geben könte. Wo also damit verfahren wird, kan niemand zeigen, daß eine hindernüß5 eines guten daraus erfolgte, wol aber wird solche übung das gepredigte, was die sprüche anlangt, desto mehr in das hertz drucken.

1 Wegen des Hinweises auf Abraham Calov könnte der Adressat ein Geistlicher sein, was jedoch für eine sichere Bestimmung nicht ausreicht. – In Hamburg hatte Johann Winckler (zu diesem s. Brief Nr. 9 Anm. 1) den Unmut des Seniors Samuel Schultze (zu diesem s. Brief Nr. 32 Anm. 2) erregt, weil er die Bibel mit auf die Kanzel nahm und diese dort aufschlug (Geffcken, 55). Al- lerdings wird bei Gefcken nicht gesagt, wann es zu diesem Streit kam. 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Abraham Calov, zuletzt Theologieprofessor in Wittenberg (s. Brief Nr. 33 Anm. 21). 4 In dem Brief, der in LBed. 3,577 f abgedruckt ist, berichtet Spener, Calov habe dies in der Vorrede zu einer Handbibel geschrieben. In der „Handbibel“ (Biblia […] Nebenst einer Vorrede […] Calovii, Lüneburg: J. Stern 1683) ermuntert Calov dazu, daß man das, „[…] was geprediget wird / in der heiligen Bibel aufschlage / und nachforsche […].“ Davon daß er selbst die Bibel auf der Kanzel aufgeschlagen liegen habe, wird nichts gesagt. 5 Die Hindernis (DWB 10, 1410). 606 Briefe des Jahres 1690

Sind nun leute, welchen nichts gefält, als was sie von ihren Eltern gesehen 20 oder selbs gethan haben, denen können wir nichts bessers aufdringen, es ist aber auch billich, daß hinwiederum sie andern dasjenige lassen, was sie zu ihrer erbauung dienlich fnden: wir aber müssen uns nicht wundern, wann alles gute seine splitter-richter6 haben muß. Und wie könte es gut seyn, wo es allen gefele? Der HERR gebe uns nur gnade, an dergleichen urtheil uns 25 nicht also zu kehren, daß wir die hand von dem guten abziehen oder etwas von dem eifer nachlassen wolten. Es gewinnet ohne das das ansehen, daß es bald zu einem harten kampf sich bereiten möchte, da diejenige, so feischlich in dem geistlichen stand gesinnet sind, mit aller gewalt an allen orten die anders gesinnete werden mit ver- 30 leumdungen, verdachten und auf andere weise suchen zu unterdrucken; vielleicht auch anfangs es damit weit bringen; bis endlich, wann der HErr seiner diener glauben und gedult wird zur gnüge geprüfet haben7, ein seliger sieg und durchbruch erfolgen und diejenige, so sich dem guten widersetzet haben, werden (ach, der HErr gebe, zu ihrer wahren busse!) zu schanden 35 werden. Auf solchen kampf lasset uns uns gefaßt machen, wo wir ihn an brüdern sehen, uns daran nicht ärgern, noch, wo wir dazu gefordert werden, befremden lassen8, sondern getrost und freudig9 vor dem HERRN kämpfen und leiden. 1690.

6 Ausgehend von Mt 7,3–5 fester Begrif für jemanden, der andere tadelt, ohne daran zu denken, daß er selbst Fehler hat (s. DWB 16, 2670). 7 Vgl. 2Thess 1,4; Apk 13,10. 8 Vgl. 1Petr 4,12. 9 Jos 1,9. Nr. 131 an eine hohe Standesperson 1690 607 131. An eine hohe Standesperson1 Dresden, 16902

Inhalt Bedankt sich für den Brief, in dem deutlich wird, daß die Untertanen in Güte zum Gehorsam geführt werden sollen, und hoft, daß diese dafür dankbar sind. – Freut sich über den Segen, der durch das Werk von NN geschieht, hoft aber auf die notwendige Vorsichtigkeit, um keinen Anlaß zur Lästererung über die Frömmigkeit zu geben. – Freut sich über die Nachricht einer besonderen Geisterfüllung beim Abendmahl. – Wünscht auch der Schwester die Fortdauer einer solchen Erfahrung, weist aber auf vielleicht nachfolgende geistliche Dürrezeiten hin. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 418–420.

Ich habe mich aus ihrem schreiben3 der christlichen resolution zu erfreuen gehabt, daß dieselbe sich entschlossen, bey ihren unterthanen alles nach müg- lichkeit mit güte zu versuchen, ob sie damit endlich gewonnen und zu wil- liger beobachtung ihrer schuldigkeit gebracht werden möchten4: Auch wol gar in zweifelhaften fällen lieber anderwerts her entscheid zu holen, als nach 5 eigenem gutdüncken gegen dieselbe zu verfahren; nicht allein dadurch allen verdacht der partheylichkeit von sich abzuwenden, sondern auch sich selbs zu verwahren, damit eigne liebe in eigner sache nicht unwissend das gemüth übervortheile. Zu diesem gottseligen entschluß gebe der himmlische Vater seine gnad und erfülle dero hertz allezeit wie mit liebe also auch mit der er- 10 käntnüß seines willens, was in allen fällen demselben am gemäßesten seye, um an derselben eine richtschnur alles thuns zu fnden. Er lasse aber auch solche liebreiche begegnüß in den hertzen der unterthanen von solcher kraft seyn, daß sie vielmehr auch zur billigkeit und gehorsam gelencket und also beyder- seits seelen mit desto festerer liebe und vertrauen gegen einander verbunden, 15 eben damit aber auch das leben leichter gemacht und so viel mehrerem segen, welcher bey liebe und frieden sich fndet, platz gegeben werde. Dieses ist

1 Die Adressatenzuweisung erfolgt nach dem Regest in D und entspricht dem Inhalt des Briefes. Der Adressat oder die Adressatin hat eine fromme Schwester (Z. 45 f) und hat selbst eine besondere charismatische Erfahrung beim Abendmahl gemacht (Z. 29–31). – Die Adressatin könnte Gräfn Ursula Regina von Callenberg geb. Friesen sein, die zu dem frommen Freundeskreis Speners gehörte. Neben der hier beschriebenen Frömmigkeit paßt auch die Tatsache, daß es in der Herrschaft Callenberg wiederholt Auseinandersetzungen mit den Untertanen gab (H. Graf v. Arnim, W. A. Boelcke, Muskau. Standesherrschaft zwischen Spree und Neiße, Frankfurt a. M./ Berlin/ Wien 1978, 83–85); Z 1–4 könnte dazu passen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gräfn noch zwei ledige Schwestern (s. Anm. 8). 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Nicht überliefert. 4 Vgl. Anm. 1. 608 Briefe des Jahres 1690

dasjenige, was noch immer fort mit meinem armen gebet von dem himmli- schen Vater zu erbitten mir angelegen seyn lassen werde. 20 Unsern lieben N. N.5 anlangend, so freue ich mich so wol, daß der HErr seinen umgang nicht ungesegnet lässet, als ist mir sehr lieb, daß allerseits ge- bührende vorsichtigkeit gebraucht werde, die GOTT noch ferner geben, hingegen alles dasjenige kräftig abwenden wolle, wodurch, welche der gott- seligkeit nicht eben hold sind, etwas von derselben zu lästern anlaß nehmen 25 könten. Wie nun dieses zur antwort des an mich gethanen dienet, so habe nun ferner zu bezeugen die innigliche freude, welche ich über dasjenige schreiben, so mir N. N. in freundlichem vertrauen communiciret6, gefasset habe, da ich gesehen, mit was ungemeiner bewegung der HErr HErr deroselben seele 30 nechstmal7 bey dem heiligen Abendmahl gerühret und eines dergleichen empfndlichen geschmacks seiner süßigkeit gewürdigt hat. Gelobet seye der gütigste Vater, der, ob er uns übrige nicht alle mit gleichem geschmack er- füllet (wie ich mich leider dergleichen nicht rühmen kan, aber vielleicht mich vielmehr selbs darüber anzuklagen, als über seine güte zu beschwehren habe), 35 dannoch einige unserer brüder und schwestern mit derselbigen beseliget: Dar- über wir uns inniglich zu erfreuen haben, nicht allein aus liebe zu denselben und, weil wir wegen der gemeinschaft des Geistes alles gute andern mit- gliedern geschehen, als uns selbs wiederfahren anzusehen haben, sondern auch weil es uns stärcket in dem glauben, da wir sehen, wie sich der HErr gegen 40 unterschiedliche auch in diesem stück nicht unbezeugt lasse, sondern sich denselben empfndlich ofenbare; ja auch, da wir daraus die hofnung schöp­ fen, daß uns derselbe auch etwa zu seiner zeit, wo es zu seiner ehre und unsrer seelen heil dienlich seyn werde, etwas von solchem geschmack zu kosten geben werde. 45 Wie ich mich darüber, sonderlich aber auch über dero werthesten Fräulein schwester8 kräftigen zug inniglich erfreue, und den geber alles guten9 inbrün- stig anrufe, daß er seine gnade auch in diesem stück des friedens und der freude in dem H. Geist10 durch fortsetzung solcher empfndlichkeit, da es seinem rath gefällig, noch lange seliglich fortsetzen, auch weißheit verleihen 50 wolle, derselben, als lang sie währet, zu eigner und anderer kräftiger erbauung und aufmunterung sich beyderseits treulich zu gebrauchen und also ihrem GOTT die frucht seiner gabe zu bringen: Also habe dabey auch freundlich

5 Sollten die Überlegungen in Anm. 1 zutrefen, könnte es sich um Daniel Otto Ziesler handeln, der seit 1690 Hauslehrer beim Grafen Curt Reinicke II. von Callenberg war (Näheres s. Brief Nr. 125 Anm. 1). 6 Nicht überliefert. 7 Im Sinne von „neulich“ (DWB 13, 141). 8 Sollte die Adressatenzuweisung zutrefen (s. Anm. 1), handelt es sich um Henriette Amalia (1668–1732) und Johanna Christina (1671–1694) von Friesen (zu diesen s. E. von Friesen, Geschichte der reichsfreiherrlichen Familie von Friesen, 1. Bd., Dresden 1899, 236 f und 239 f). 9 Vgl. Jak 1,17. 10 Röm 14,17. Nr. 131 an eine hohe Standesperson 1690 609 erinnern wollen, sich an ihres himmlischen Vaters weise nicht zu stossen, wenn derselbe bald solche freude und süssen geschmack wiederum zurücke ziehen11, ja, wol gar an statt jener genossenen güter und liechts fnsternüß, 55 dürre des geistes und mehrere unempfndlichkeit eine gute zeitlang fühlen und erfahren lassen wolte. Denn ob ich wol nicht widersprechen will, daß er nach seinem willen und weißheit einige seelen die meiste zeit in freudiger empfndlichkeit führen mag, so ist doch das mehr gewöhnliche, daß dieselbe nicht immer währet, sondern oft allein die bereitung einer seelen werden 60 muß, die der HErr nachmals in schwehrere sichtung, anfechtung und ver- lassung will geführet und sie darinn mehr geläutert werden lassen: Ja, es ist zuweilen ein zucker, damit er die seinen zu seiner liebe locket, aber solchen, nachdem er sie zu sich gezogen, wieder wegnimmt und sie folgend mit hartem und fast schwartzem brodt zu speisen anfängt: Welches aber einer 65 seele, da sie an jenem geschenck so hertzlich vergnügen empfunden, zu be- greifen sehr schwehr ankommet und oftmal viele klagen verursachet, in der that aber gewißlich der väterlichen weißheit allerdings gemäß ist. Also ists sehr nützlich, daß man sich die sache voran bereits nicht frembde seyn lässet, noch die beständigkeit der freude, so man einmal geschmecket, einbildet, sondern 70 glaubet, daß man solche leicht wiederum verliehren könne und vermuthlich an desto schwereren kampf geführet werde werden. Wo man also gedencket, so bereitet man sich auch so viel hertzlicher auf das künftige, ärgert sich nicht, wenn man dessen wiederum entbehren muß, was man als ein nur auf eine gewisse zeit gelehntes gut anzusehen gelernet, und gibet sich zu aller zeit 75 desto williger in die hand seines Vaters, ihm frey stellende, ob er uns im liecht oder fnsternüß führen wolle, nur daß ers bleibe, der uns wahrhaftig führe. So führe er uns denn alle stets nach seinem rath und wolgefallen, daß er uns mit ehren annehme.

1690. 80

65 einer ] eine: D¹+².

11 Vgl. ganz ähnlich in Brief Nr. 123, Z. 75–79. 610 Briefe des Jahres 1690 132. An [Christoph Bernhard in Dresden?]1 Dresden, 16902

Inhalt Freut sich über die Nachricht über die Vorsätze des Vizekapellmeisters [Christian Ritter]. – Erläutert seine Meinung zum Tanzen: 1. Wer tanzt, obwohl er daran zweifelt, daß es erlaubt ist, sündigt. – 2. Der Skrupel gegenüber dem Tanzen hat seine Ursache nicht im schwachen irrenden Gewissen, sondern ist Ausdruck der Abscheu vor der Welt‑ und Eigenliebe. – 3. Schickt sein Gutachten zum Tanzen aus dem Jahr 1680 mit. – 4. Will seine Meinung niemandem aufdrängen und nennt einige Grundregeln anhand von Bibelversen. – Hält es nicht für erlaubt, daß ein christlicher Musiker zu der in der Frage beschriebenen Art von Tanzen aufspielen darf. – Glaubt, daß das [schwedische] Königspaar, an dessen Hof der Musiker wirkt, sich dessen Anliegen nicht verschließen wird. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 496–502.

Gleich wie derselbige sich noch wohl zu erinnern weiß, als wegen des N. N. Vice-Capellmeisters3 mit mir geredet wurde, daß ich demselben seine über das tantzen und den gebrauch der music4 dabey aufgestiegene scrupel, welche ich vor gute regung des Heil. Geistes erkenne, ihm nicht benehmen 5 könte, sondern ihn vielmehr darinnen bestärcken müste, also ist mir lieb ge-

5 also ] als: D3. ​

1 Der Adressat hatte vermutlich persönlichen Kontakt zu Spener, weil Spener an ein Gespräch erinnert, das der Adressat wenigstens mitgehört hatte (Z. 1 f). Beide haben sich mehrfach getrofen, so daß der Adressat die Briefe des Kapellmeisters zeigen konnte (Z. 5–7). Der Brief könnte an den Dresdner Hofkapellmeister Christoph Bernhard gerichtet sein. – Zu diesem: (1. 1. 1628– 14. 11. 1692), geb. vermutlich in Kolberg/ Pommern, 1648 Sänger bei der Dresdner Hofkapelle, 1650 Italienreise und danach Musikdirektor am Johanneum in Hamburg, 1674 Rückkehr nach Dresden als Vizekapellmeister und Musiklehrer der kursächsischen Prinzen Johann Georg (IV.) und Friedrich August, 1680 Hofkapellmeister. Er schuf die Trauermotette für Heinrich Schütz. Sein Schüler war möglicherweise der Stockholmer Vizekapellmeister Christian Ritter (zu diesem s. Anm. 3) (ADB 2, 456–458; NDB 2, 117; BBKL 1, 537 f; MGG2, 2, 1399–1404; I. Totzke, Christoph Bernhard [1627/28–1692]. Ein Schütz-Schüler aus Danzig, in: Westpreußen-Jahrbuch, Bd. 58 [2008], 35–48). 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden. 3 Vermutlich Christian Ritter (ca. 1645/50– nach 1727), Vizekapellmeister in Stockholm; seine Lebensdaten sind nur lückenhaft rekonstruierbar: möglicherweise war er Schüler von Christoph Bernhard (s. Anm. 1) in Dresden, danach ist er als Kammerorganist und (1672) Hoforganist in Halle (Saale) bezeugt; spätestens ab 1680 hielt er sich in Schweden auf, von wo er 1683 nach Dresden zurückkehrte und unter Chr. Bernhard Vizekapellmeister und Kammerorganist war; 1688 hielt er sich wiederum in Stockholm auf (Riemann, Musik-Lexikon, Bd. 2, 8. Auf., Berlin und Leipzig 1916, 934; R. Buchmayer, Christian Ritter. Ein vergessener deutscher Meister des 17. Jh., in: C. Mennicke [Hg.], Riemann-Festschrift. Gesammelte Studien. H. Riemann zum 60. Geb., Leipzig 1909, S. 354–380). 4 Vgl. die ähnlichen Ausführungen in Brief Nr. 166, Z. 97–111. Nr. 132 an [Christoph Bernhard?] 1690 611 wesen, daß mein hochgeehrter Herr kürtzlich mir mit vorzeigung des christlichen mannes eigener briefe5 seine gedancken und meynung deutlicher zu erkennen geben wollen, wie ich denn nicht in abrede bin, aus denselben eine hertzliche freude über die gottseelige resolution und eine liebe gegen dessen wehrte person, gefasset zu haben. 10 So kan auch numehr so viel gründlicher auf alles antworten, welches ich dann in der furcht des HErrn in das folgende zusammen fasse. 1. Wo ein scrupel des tantzens wegen in ein gemüth kommet6, so ist ein solcher mensch bald gewissens halber verbunden, sich dessen zu enthalten, ob auch schon das tantzen an sich nicht sünde wäre. Dann dieses ist die kraft des 15 gewißens, wann es auch schon irret, da ein jeder, wer dagegen thut, sich damit versündiget, dann er thuts mit zweifel, Rom. 14,237, und weil er thut, was er, GOTT zu wider zu seyn, glaubet, so ist schon bereits dieses sünde, wider Gottes willen thun wollen. 2. In dessen sehe ich diesen scrupul nicht an als eine schwachheit eines 20 irrenden gewissens, sondern der eckel, welchen der ehrliche mann an dem tantzen hat, ist gegründet auf den allgemeinen regeln des rechtschafenen Christenthums, deren nothwendige folgen, unter welche diese auch gehöret, leyder viel weniger menschen, die sich doch mit dem munde zu jenen beken- nen, recht einsehen oder denselben folgen, daher ich GOtt hertzlich dancke, 25 wo er einige tiefer in solche materie eintringen läßet und ihre hertzen zu allem haß der welt=​liebe rühret. Doch bin ich nicht in abrede, daß ich zu der zeit dieser verderbnüß nicht eben allen diesen scrupel mache, bey denen er sich nicht selbs fndet, sondern vielmehr auf diejenige principia und grund=​ lehren der verleugnung sein selbs8, der ablegung der weltliebe9, der absagung 30 aller eitelkeit, der nachfolge CHristi und dergleichen treibe, welche in der kraft schon dasjenige in sich fassen, das uns das tantzen verbietet und, wo jene recht ins hertze tringen, dieses von selbs fallen muß. Die ursach ist diese, ei- nestheils weil die unterlassung des tantzens, wo sonsten das hertz mit liebe der welt und dero eitelen wesens annoch erfüllet bleibet, wenig zum wahren 35 Christenthum oder, GOtt zu gefallen, thun möchte. Wie also ein medicus bey einem gantz verdorbnen leib nicht gern die eußerliche schäden, grätze oder dergleichen angreift, sondern nur gnug hat, daß dieselbe nicht eben allzuge- fährlich überhand nehmen und allzu arg werden, in dessen seine hauptsorge darauf gehet, innerlich den leib zu reinigen von allen verdorbnen und un- 40 gesunden feuchtigkeiten, als versichert, wann dieses geschehen, daß jene eu- ßerliche unreinigkeit an der haut, geschwähre und dergleichen, selbs wegfallen

5 Die Briefe des Kapellmeisters sind nicht überliefert. 6 Vgl. ähnlich in Brief Nr. 166, Z. 128–141. 7 Röm 14,23 (Luther 1545: „Wer aber darüber zweiuelt / vnd isset doch / Der ist verdampt / Denn es gehet nicht aus dem glauben“). 8 Vgl. Mt 16,24 Parr. 9 Vgl. 1Joh 2,15. 612 Briefe des Jahres 1690

und von innen geheilet werden werden; so achte ich auch das rathsamste und beste zu seyn, daß wir die liebe der welt und dero geprängs aus dem hertzen 45 innerlich ausfegen, hingegen eine heilige liebe GOttes und der geistlichen güter in dieselbe pfantzen, als den anfang davon machen, den leuten allein etliche euserliche ausbrüche der weltliebe mit zwang zuverbiethen, welche von sich sebst fallen werden, wann es innen erstlich recht stehet: andern theils, weil ich die wenigste noch in diesem stande fnde, auf einer seyt des tantzens 50 unrecht, weil es eben in der schrift nicht austrücklich verboten stehet, zu erkennen, andern theils, wo sie es erkenneten, mit der rechtschafenen reso- lution durchzubrechen und der welt schmach darüber nicht zu achten: Bey welchen also mit mehrerer verbietung des tantzens dannoch nichts anders ausgerichtet würde, als daß sie künftig nur desto schwehrer sich versündigten, 55 da sie, was sie jetzt in mehrer unwissenheit und also mit weniger sünde thun, nachmal wegen stärckeren widerspruchs des gewissens mit mehrer schuld thun würden. Daher mache ich solchen leuten von freyem keine unruhe ins gewissen, sondern fahre stäts fort, ofentlich und absonderlich bey begebender gelegenheit dasjenige zu treiben, was die allgemeine pfichten unsers Chri- 60 stenthums seyen und wie eine seele, so wiedergebohren ist und GOtt gefallen solle, gesinnet seyn müße: welche pfichten alle, wie sie dem buchstaben nach in der schrift stehen, von niemand widersprochen werden können: hingegen wo sie nicht ins hertz kommen, obgedachter massen eine eußerliche enthal- tung gewisser dinge, wenig nutzte, daher mit diesen, biß jenes folge, gedult 65 getragen werden muß, wo sie aber die seele lebendig rühren, so bald einen solchen eckel dergleichen einer übung der eitelkeit würcken werden, daß es nicht weniger gewalt gebrauchte, sie zum tantzen zubringen, als man vorhin nöthig gehabt hätte, sie davon abzuhalten. Doch unterlasse ich nicht, mehrmal unser heutiges tantzen auch in ofentlichen predigten unter die dinge, die zu 70 der weltliebe gehören, zu referiren10, denen die acht geben, zu mehrerem nachdencken anleitung zu geben. Wo mich aber jemand fragt, erfordert Christenthum und amt, meine meynung ofenhertzig zu sagen und es eines solchen gewißen ferner zu überlassen. Also nicht weniger, wo mich jemand der seinigen wegen [um] rath fraget, rathe ich nach meinem gewißen und 75 schmeichele keinem. So viel mehr aber kommet mir dann zu, daß ich dieje- nige seelen, die der HErr selbs gerühret, nicht sicher machen solle, sondern vielmehr zeigen, wie recht sie daran sind, solcher weltförmigkeit sich abzu- thun, und sie also in den vermeinten scrupuln stärcken: wie ich mich hin- gegen eines schwehren gerichts Gottes schuldig achtete, wo ich ein kind 80 GOttes, so des Vaters Geist, einiger bande der eitelkeit zu befreyen, angefan- gen hat, aufs neue wiederum mit denselben helfen wolte. 74 [um]: cj ] – D1–3. ​

10 Belege von Ausführungen in Predigten gegen das Tanzen fnden sich in: Spener, Catechis- mus=​Predigten, 73, und Spener, Ev. Lebenspfichten 2, 422. In Bed. fnden sich weitere ausführ- liche Äußerungen zum Tanzen (v. a. das Gutachten aus dem Jahr 1680, s. u. Anm. 14). Nr. 132 an [Christoph Bernhard?] 1690 613

3. Diese frage selbs anlangend, so formiret sie NN also: „Was zu halten seye von dem heutigen ordinari tantzen, da ein mannsbild mit einer weibs=​person auf hochzeiten oder sonst nach dem schall und klang der instrumenten oder geschrey, so toll und dämisch herum springt, oder da 85 man mit poßirlichen verkleidungen und seltzamen geberden in balletten sich so zieret11 und den leib verstellet und dabey die edle music, so zu GOttes ehre gewidmet, mißbrauchet.“ Woraus also zu sehen, daß nicht von dem tantzen in abstracto und, wie man sich eine gewisse ideam12 davon formiren könte, sondern von demselben, wie 90 es in der gemeinen praxi üblich und, wo es fast am besten hergehet, nicht leicht ohne dergleichen dinge bleibet, welche auch diejenige vor mißbräuche achten, die es sonsten in seinem allgemeinen concept13 vor erlaubet halten, gehandelt werde. Nun auf die frage getraue ich mit getrostem hertzen zu sprechen, daß 95 solches tantzen eine weltliche eitelkeit, sündlich und daher rechtschafenen kindern GOttes es unanständig seye. Weil ich aber vor mehrern jahren un- gefähr anno 1680 oder 1681 diese materie in einem responso gehandlet14, so habe ich lieber dasselbe von wort zu wort mitschicken, als ein neues machen wollen zum zeugnüß, daß ich solche sache so bedächtig15 überleget, daß im 100 geringsten nicht ursach fnde, davon zu weichen: meyne auch, es seye dieser mein ausspruch mit solchen gründen des Christenthums befestiget, daß einer seele, dero es ein ernst ist, ihres GOttes willen recht zu erkennen, genug dar- innen geschehe, desselben überzeuget zu werden, ob wol welt=hertzen​ nie- mal und mit nichts genug geschehn kan, denen es allein darum zu thun ist, 105 nicht mit gehorsam den willen des Vaters zu lernen, sondern seine lüste, von denen man niemal zu lassen sich fest vorgesetzt, mit allerhand vorwand zu bemänteln und zu vertheidigen. 4. Ich bin zwahr nicht in abrede, daß auch christliche lehrer unsrer kirchen von solcher frage zuweilen anders geredet haben16, so wenig aber meine 110 meinung jemand aufzutringen verlange oder begehre, daß sie weiter ange- nommen werde, als sich das gewissen durch die kraft der gründe göttlichen worts überzeuget fnde, so wenig werden auch andere christliche lehrer (in- dem es wider die art unserer religion17, die nicht auf menschen autorität be- stehet, streiten würde) verlanget haben, daß ihre meinung anderer gewissen 115 eine regel bleibe; zumalen auch dero antworten gemeiniglich also lauten, daß

11 Im Sinne von „schmücken“ (DWB 31,1171). 12 Vorstellung. 13 Begrif. 14 Das Gutachten aus dem Jahr 1680 (Bed. 2, 484–495). 15 Im Sinne von „reifich überlegend“ (wie „consideratus“) (s. DWB 1, 1218). 16 Nach Bed. 2, 489 f, wurde von lutherischen Theologen in Antithese zu den Reformierten das Tanzen „nicht an und vor sich selbs“ als Sünde verstanden. Spener verweist dabei auf Dann- hauer, Catechismusmilch 2, 448 f, ebenso auf Erasmus Sarcerius und Jesper Rasmussen Brochmand. 17 Konfession, d. h. die lutherische Konfession; im Gegensatz zur römisch-katholischen hat die menschliche (d. h. kirchliche) Autorität keinen Begründungscharakter in der Lehre. 614 Briefe des Jahres 1690

man sie vielmehr auf das tantzen, in seinem general concept gerichtet, an- nehmen muß, und keiner ein dergleichen tantzen, wie es mit etlichen epi- thetis18 oben characterisirt worden, zu billigen sich unterstehen wird. 120 Was die sprüche aus der schrift anlanget, handeln sie durchaus von einem dergleichen tantzen, davon die frage lautet, nicht und erweisen also mehr nicht, als daß einiges gewisses tantzen könne erlaubt gehalten werden, davon keine frage nicht ist. Wann auch theils einige aus voreingenommenem ge- müth, theils andere vielleicht aus boßheit allerley zu behauptung oder ent- 125 schuldigung des in frag gezogenen tantzens vorbringen, so achte ich, man dörfe nur diese reglen in acht nehmen, so werde sich bald antwort auf alles geben. 1. Ein Christ darf nichts thun, das nicht „aus glauben“ gehet, Rom. 14,2319, und also davon er in seiner seele eine gewisse überzeugung hat, daß es GOtt gefalle. 2. Ein Christ darf nichts thun, davon er nicht sagen kan, daß 130 ers thue „zu GOttes ehre“, 1. Cor. 10,3120, so dann 3. „in dem nahmen JEsu Christi“, Col 3,1721. Daher 4. wird ein Christ nichts zu thun macht haben, da nicht der zweck seye, entweder die ehre GOttes unmittelbar und nach der ersten tafel oder das wahre beste des nechsten im geistlichen oder leiblichen oder unsere geistliche oder leibliche nothdurft: wie ich dann ausser diesen 135 stücken nichts weiter dem zweck, warum uns GOtt in die welt gesetzet hat, gemäß fnde. 5. Er ist auch verbunden, alle seine zeit also anzuwenden, daß er GOtt davor rechenschaft zu geben wisse, und also keine stunden liederlich mit willen zuzubringen. 6. So dann sich vor allem, auch schein des bösen zu hüten und 7. sein leben zu stätigen übung zu machen der bestreitung22 der 140 liebe der welt, die in „augen=lust,​ feisches=​lust und hofärtigem leben“ be- stehet, 1.Joh. 2,15.1623. Wie mir nun diese reglen fest stehen, so wirds schwehr werden, daß einer, bey dem noch einige scham vor GOtt ist, sich zu sagen unterstehe, daß er aus versichertem glauben zu GOttes ehre und in dem nahmen JESU CHRISTI 145 tantze. Es wird schwehr werden zu zeigen, wie göttlicher dienst, des nechsten wahrer nutze und auch unser geistlich oder leibliches wahre beste durch das tantzen befordert werde. Es wird schwehr werden, den zeit=​verlust abzulei- nen, oder GOtt vor solche verderbnüß rechenschaft zu geben. Will man davor halten, der leib bedörfe zu seiner gesundheit eine bewegung, das ge-

18 Anfügungen. – Gemeint sind die näheren Bestimmungen, welche Art von Tänzen gemeint ist (Z. 83–87). 19 Röm 14,23 (s. Anm. 7). 20 1Kor 10,31 (Luther 1545: „Jr esset nu oder trincket / oder was jr thut / so thut es alles zu Gottes ehre.“). 21 Kol 3,17 (Luther 1545: „Vnd alles was jr thut / mit worten oder mit wercken / Das thut alles in dem namen des HErrn Jhesu / Vnd dancket Gott vnd dem Vater durch jn.“). 22 Hier im Sinne von „Streit gegen“. 23 1Joh 2,15 f (Luther 1545: „HAbt nicht lieb die Welt / noch was in der welt ist. So jemand die Welt lieb hat / in dem ist nicht die liebe des Vaters. Denn alles was in der Welt ist / (nemlich des Fleisches lust1 / vnd der Augen lust / vnd hofertiges Leben) ist nicht vom Vater / sondern von der welt“). Nr. 132 an [Christoph Bernhard?] 1690 615 müth eine erfrischung, welches ich nicht leugnen will, so erfordert abermal 150 die regel, daß solche gesucht werden in dergleichen dingen, da der wenigste schein des bösen ist, da hingegen derselbe bey dem tantzen am allerstärcksten ist, aufs wenigste, weil auch die stärckste verfechter des tantzens nicht leugnen können, daß die allermeiste täntze voller sündlichen üppigkeit stecken, wel- ches dem gesamten tantzen bey rechtschafenen seelen einen üblen nachruhm 155 gibet, daher man ja lieber die bewegung des leibes und erquickung des gemü- thes in andern dingen suchen solle, welche mit solchem bösem schein nicht dermassen erfüllet sind. Und letzlich, wer traut sich wol zu widersprechen, daß nicht, was der Apostel der liebe der welt zuschreibet, bey unserm tantzen sich allezeit fnde, ja, gleichsam gantz unabsonderlich davon seye? Dann bey 160 den gemeinsten täntzen und gröbsten volck ist die feisches=lust​ grob genug zu sehen: wo es ehrbarer hergehet, regieret aufs wenigste augen=​lust und hofart: Ja, was ist fast das künstlichste tantzen anders als die auführung eines götzen, der sich selbs in seinen zierlichen prächtigen bewegungen wohlgefäl- let und anderer augen zur verwunderung und belieben darstellet, auch solches 165 recht zum zweck setzet? Da wissen wir aber, daß es längst geheissen, wo die liebe der welt seye, da habe die liebe des Vaters nicht statt24. Wobey es wol bleiben wird. Wo also die obgedachte reglen wohl in acht genommen werden, bin ich versichert, daß eine gottsfürchtige seele so wol einen eckel an dem tantzen fassen, als auch materie genug fnden werde, aus denselben auf alles 170 zu antworten, was zum behuf der tantz=​lust angeführet werden möchte. 5. Wann es nun mit dem tantzen eine solche bewandnüß, wie ich mich dann dessen gewiß versichert halte, so folget von selbsten gantz leicht die ant- wort auf die andre frage: Ob ein rechtschafener christlicher Musicus, dem seiner seelen seligkeit ein rechtschafener ernst ist, sich mit gutem gewissen 175 bey dergleichen könne gebrauchen lassen oder auch mit verlust seiner zeitli- chen wohlfahrt, um GOTT nicht zu beleidigen und sein gewissen nicht zu beschwehren, dasselbe zu meiden habe? Nemlich daß das erste verneinet, das andere bejahet werde. Indem es eine in dem Christenthum ausgemachte sache ist, daß man nicht nur das böse nicht 180 selbs thun, sondern auch sich anderer sünde nicht theilhaftig machen und dazu behüfich seyn dörfe. Weil dann die täntzer bekantlich sündigen und unsre täntze übungen einer weltlichen üppigkeit sind, so kan keiner ohne verletzung seines gewissens dazu helfen: sondern muß es auch auf alle gefahr von ungunst, haß und hindernüß seines eusserlichen glücks ankommen lassen. 185 Daher ich mich über die christliche resolution NN. von grund der seelen erfreue und ihn nicht anders als zur beständigkeit darinnen stärcken kan. Zwahr so viel man menschlicher weise vorsehen kan, solte man sagen, daß er eben nicht sondere gefahr davon zu erwarten habe: in dem nicht allein der

157 bösem ] bösen: D2+3.

24 Vgl. Anm. 23. 616 Briefe des Jahres 1690

190 Hochlöbliche König und die gottselige Königin25 ( so ich nunmehr von dem würdigen Cron-Printzen26 auch verstanden zu haben mich freue) von sich selbs zu dieser und anderer weltlichen eitelkeit keinen lust27 nicht haben, sondern auch viel zu christlich sind, als daß zu sorgen wäre, daß sie eine per- son, so ihrem gewissen nach eine sache zu thun nicht vermag, deßwegen 195 ungnädig ansehen solten. Daher ich mich versichere, da er in dem nahmen des HERRN nicht nur sich aller solcher gemeinschaft des tantzes entschlagen wird, sondern auch gar, so viel er könte, sein mißfallen daran gegen andere bezeugte oder wol gar seine bitte, der music mit dem aufwarten bey den täntzen zuschonen, damit nicht diejenige, welche etwa morgens mit ihren 200 stimmen und instrumenten den Gottesdienst ziehren sollen, mit eben densel- ben abends solcher dem Herrn mißfälligen eitelkeit aufwarten dörften, an die Königliche Majest. richtete, daß solches nicht ohne frucht abgehen würde. Dann entweder wird GOtt, so die hertzen in seinen händen hat, so viel seegen geben, daß das theure königliche hertz so vielmehr von dem unrecht des 205 tantzens überzeuget und vielleicht bewogen werde, an dem hof und sonsten, solches üppige wesen gar abzustellen oder doch ja in die enge zu spannen (was solte nun dieses dem christlichen mann vor eine freude seyn, wann der Aller- höchste seine gute intention zu abwendung so vieles bösen kräftig segnete und wie viel seegen würde solches auf ihn ziehen!) oder aufs wenigste wird 210 derselbe unfehlbar vor seine person und hofentlich auch andere, deren ge- müther der Herr auch rühren möchte, eine mehrere und autorisirte freyheit, wider sein gewissen zu nichts angestrenget zu werden, erhalten. Zwahr muß er sich gewiß dieses dabey vorbilden, daß es der böse feind28, dem er in solcher sache keinen guten dienst leistet, ihm nicht schencken, sondern er desselben 215 zorn wider sich fühlen müssen werden. Dann ob ich ihn wol in allem fall der königlichen ungnade frey zusprechen getraue, so wirds doch nicht an solchen leuten manglen, welche entweder selbs an dieser eitelkeit wolgefallen haben oder dero interesse darunter stecket, die deßwegen ihn neiden, anfeinden und, wo sie ihm schaden können, an ihrem bösen willen es nicht manglen werden 220 lassen. Indessen weiß derselbe, daß diese ohne den willen des himmlischen vaters und desselben verhängnüß nichts vermögen, er sich hingegen dessen gnädigen beystandes, so dann daß es seelig seye, um des guten willen zu ley- den, zu getrösten hat. Der HERR bekräftige ihn immer mehr und mehr, gebe ihm seinen willen mit vollkommener überzeugung zu erkennen, verleyhe 225 weißheit, alles klüglich zu beforderung des guten anzugreifen, und regiere die hertzen aller hohen zu treuer anwendung ihrer gewalt in bestreitung der

25 Wohl das schwedische Königspaar Ulrike Eleonore (zu dieser s. Brief Nr. 97 Anm. 1) und Karl XI. von Schweden (s. Brief Nr. 97 Anm. 9). – Vgl. dazu Anm. 3. 26 Karl (XII.) von Schweden (s. Brief Nr. 97 Anm. 11). 27 „Der Lust“, in oberdeutschen Sprachausprägungen möglich (DWB 12, 1314; E. Martin, H. Lienhart, Wörterbuch der elsässischen Mundarten, Bd. 1, Straßburg 1899, 620a). 28 Der Teufel (vgl. Luthers Morgensegen: „daß der böse Feind keine Macht an mir fnde“; BSLK 521.34 f). Nr. 132 an [Christoph Bernhard?] 1690 617 welt=​eitelkeit und insgesamt richte er die gantze sache dahin, daß seine ehre dardurch befordert, manchem bösen gewehret und in vielen seelen desto mehr eckel gegen die üppigkeit erwecket werde. Dieses wäre dasjenige, so ich in der forcht des HERRN auf das vorgestell- 230 te anligen zu antworten nöthig gefunden, so ich NN zu communiciren und ihn, daß seines lieben nahmens und intention vor GOTT zu gedencken nicht säumig seyn werde, in meinem nahmen freundlich zuversichern bitte. 1690. 618 Briefe des Jahres 1690 133. An [Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar in Weimar?]1 Dresden, 16902

Inhalt Freut sich über die zustande gekommene Berufung des Hofpredigers. – Ermahnt dazu, auf diesen als Verkündiger des Wortes Gottes zu hören. – Will das Vertrauen des fürstlichen Adressaten mit seiner Fürbitte, in der Heiligung zu wachsen, beantworten. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 662 f.

Ich habe gerne vernommen, daß das berufs=​geschäft wegen NN3 zur richtigkeit gelanget, dabey ich den himmlischen Vater nicht weniger demü- thigst anrufe, daß er auch auf solches das siegel seines rufs in reichem segen trucken, den mann, den er sendet, mit dem geist der weißheit und des ver- 5 standes, mit dem geist des raths und der stärcke, mit dem geist der erkäntnüß und der furcht des HErrn4 herrlich ausrüsten, die worte des lebens, so zu E. Hochfürstl. Durchl. und aller so hoher als übriger anvertrauten personen leben kräftig seyn mögen, in seinen mund legen, also durch ihn mit ihrem hertzen reden und dieselbe allezeit zu seinem gehorsam lencken, insgesamt 10 aber und in allen stücken seinem amt denjenigen nachtruck selbs geben wolle, daß keine der seelen, für die er zu sorgen hat, verlohren gehe. Wann aber zur frucht solches geistlichen amts nicht allein die treue des Predigers, sondern auch deren, die ihn hören, folgsame aufnehmung des gött- lichen worts erfordert wird, indem das „wort der Prediger nichts hilft, wo 15 nicht glauben, die so es hören“ (Hebr. 4,25) oder, wie es nachtrücklich in seiner sprach lautet6, wo es nicht durch den glauben mit denjenigen ver- 16 denjenigen ] denenjenigen: D3. ​

1 Vielleicht Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar (22. 6. 1664–10. 6. 1707), seit 1683 regierender Herzog, zusammen mit seinem Bruder Wilhelm Ernst (30. 11. 1662–26. 8. 1728). – Zur Empfängerbestimmung: Im Jahr 1690 kam es am Weimarer Hof zum Wechsel in der Hof- predigerstelle (s. Anm. 3). Die im Regest von D genannte Zuschreibung („fürstliche Person“) und die Anrede „E. Hochfürstl. Durchl.“ (Z. 7, 22, 50 u. 54) sind Indizien für den hochadligen Stand des Adressaten. 2 Nicht ermittelt. 3 Vielleicht Adam Pretten (24. 12. 1649–22. 10. 1691), Hofprediger und Konsistorialassessor in Weimar; geb. in Naumburg, 1677 Pfarrer in Gutmannshausen, 1683 Hofdiaconus und 1690 an- stelle des 1689 verstorbenen Theophil Röser Hofprediger in Weimar (ADB 55, 1277; Gottfried Albin Wette, Historische Nachrichten Von der berühmten Residentz=​Stadt Weimar, Weimar 1737, S. 189 f). 4 Jes 11,2. 5 Hebr. 4,2. 6 Gemeint ist die Sprache des Verfassers des Hebräerbriefes: Das hier verwendete griech. Wort συγκεκερασμένους ist das Partizip Perfekt zu dem Verb συγκεράννυμι („zusammenmischen“). Nr. 133 an [Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar?] 1690 619 menget wird7, und also tief in die seele derselben eintringet, die es hören: so sehe ich bereits aus demjenigen, daß E. Hochfürstl. Durchl. so angelegenlich einen rechtschafenen und von GOtt zu seinem wahren dienst ausgerüsteten Hofprediger verlanget und daher so viel lieber eine weile, biß der HErr einen 20 solchen zeigte, warten wollen, in dem unterthänigsten hertzlichen vertrauen, daß E. Hochfürstl. Durchl. solchem angehenden Hofprediger nicht allein im übrigen mit gnaden zugethan bleiben, sondern auch allezeit dem amt des Heil. Geistes, der unsre seelen durch das wort der himmlischen wahrheit, so dieselbe von der welt und aller derselben befeckung bekehret, selig machen 25 will, bey sich selbs den ziemenden raum geben werde. Es muß nach göttlicher ordnung das wort, so die seelen selig machen solle, in dieselbe allerdings ge- pfantzet werden, daher will erfordert werden, es nicht nur allemal mit andacht anzuhören, sondern auch, wenn es zuweilen unser feisch und blut zu unsrer heilsamen gesundheit mit einigen schmertzen und göttlicher traurigkeit an- 30 greifen solte, mit sanftmuth anzunehmen und stäts dem Heil. Geist, der dadurch wircken will, durch gottselige betrachtung desselben platz bey sich zu lassen, damit er es immer tiefer eintrucke, nicht nur in den verstand und gedächtnüß, sondern selbs in das hertz hinein8. Denn wo seinen wirckungen dermassen raum gegeben wird, so macht er unsre seelen mehr und mehr gött- 35 lich gesinnet, daß die wahrheit des Evangelii in dieselbe mit himmlischem glauben eingetrucket und das gesetz des HErrn selbs mit lebendigen buch- staben in einer liebe gegen dessen heiligkeit und sorgsamen feiß nach dem- selben das gantze leben aus danckbarkeit vor die empfangene gnade der selig- keit anzustellen, eingeschrieben wird, da bleibet der saame GOttes in der 40 seele, bewahret uns vor aller herrschaft der sünden und machet, daß wir nicht nur hörer, sondern auch thäter des worts9 und also nicht zwahr durch, jedoch in der that selig werden. Daß nun solches die löbliche absicht E. Hochfürstl. Durchl. für sich und alle hohe ihrige gewesen, lebe ich der tröstlichen zuversicht und versehe mich, 45 daß auch die christliche resolution längst gefasset seyn werde, das werck des HErrn in sich durch diesen seinen diener kräftig fortsetzen zu lassen und allezeit dessen, der in dem wort von oben her mit uns redet, willen freudig anzunehmen. Welches ich auch aus dem unterthänigsten vertrauen, das E. Hochfürstl. Durchl. durch dero gnädigstes bezeugen gegen mich verur- 50 sacht, demüthigst erinnert und gebeten haben will. Ich rufe endlich den himmlischen Vater, der zu allem pfantzen und begiessen selbs das gedeyen

18 sehe ] stehe: D3. ​21 in dem ] indem: D1.

7 Vgl. dazu die ganz ähnlichen Ausführungen in: Theophil Großgebauer, Treuer Unterricht von der Wiedergeburt, in: Großgebauer, Drey Geistreiche Schriften, 2. Auf. Rostock 1667, S. 466 f. 8 „Verstand“ (intellectus), „Gedächtnis“ (memoria) und „Herz“ (cor) beschreiben die Seelen- kräfte und sind Zentralbegrife der Meditation (vgl. Sträter, Meditation, 122). 9 Vgl. Jak 1,22. 620 Briefe des Jahres 1690

geben muß10, fehentlichst an, daß seine allmächtige und stärckeste gnade E. Hochfürstl. Durchl. theure seele durch die kraft seines heilsamen worts 55 mehr und mehr demselben in der that gleichgesinnet machen, sie mehr und mehr von allem, was ihm mißfällig ist und den süssen geschmack des göttli- chen trostes hindert, reinigen, hingegen in der kraft des blutes JEsu Christi der vergebung aller sünde11 versichert mit liebe der täglichen ernstlichen heiligung, ohne welche wir den HErrn nicht sehen können12, erfüllen, sol- 60 chen vorsatz niemal wiederum unterbrochen werden lassen, zu dessen erfül- lung aber und beständigkeit täglich von oben herab neue gnade mittheilen und also insgesamt den paulinischen wunsch an deroselben und gantzem Hochfürstl. hauß erfüllen wolle, welchen ich dem theuren Apostel nach- spreche und übrige wünsche (dabey es auch an meinem täglichen gebet nicht 65 mangeln solle) dieses mal damit beschliesse, I. Thess. 5,23.2413: „Er, der GOtt des friedens heilige euch durch und durch, und euer geist gantz samt der seele und leib müsse behalten werden unsträfich auf die zukunft unsers HErrn JESu Christi. Getreu ist er, der euch rufet, welcher wirds auch thun.“ Er thue es dann! Amen.

70 1690.

10 Vgl. 1Kor 3,6–8. 11 Vgl. 1Joh 1,7. 12 Hebr 12,14. 13 1Thess 5,23 f. Nr. 134 an [Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen] 1690 621 134. An [Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen in Dresden]1 Dresden, 16902

Inhalt Bedauert, daß die meisten Menschen ihre in der Taufe geschenkte Wiedergeburt verlieren, geht aber von der durch Gott gegebenen Möglichkeit der Rückkehr zur Taufgnade aus, die eine Motivation für ein ernsthaft geführtes Leben in Frömmigkeit ist. – Tröstet angesichts der Sorge, am Lebensende besonders angefochten zu werden. – Ermahnt, sich in Zeiten der Gesundheit der Gnade zu versichern durch die Bitte um Sündenvergebung und den Vorsatz, das Leben nach Gottes Willen zu gestalten. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 880–882.

Daß in hohem stande gemeiniglich von jugend auf mehr die liebe der welt und dero eitelkeit denen, welche gleichwol in der taufe denselben ein vor allemal und auf das gantze leben abgesaget haben, eingepfantzet werde, ist zwahr hertzlich zu betauren, aber so vielweniger zu verwundern, weil wir leider dergleichen auch in dem gemeinen stande und leben gewahr werden: 5 daß es vielleicht eine seltene sache ist, daß einige in ihrer durch die tauf emp- fangenen wiedergeburt beharren, sondern die meiste erst wiederum in dem zugenommenen alter einer neuen wiedergeburt durch das göttliche wort vonnöthen haben. Hingegen preisen wir billich die gütigkeit und treue unsers himmlischen Vaters, welcher nicht nur die jahre der unwissenheit3 mit grosser 10 langmuth übersihet, sondern aus den seelen, die sich in der jugend durch den allgemeinen strohm der exempel in die welt mit hinreissen lassen, diejenige, welche er noch fndet, daß sie seiner gnade platz geben werden, jede zu der bequemsten zeit wiederum so kräftig ziehet, daß sie sich aufs neue von der welt entreissen lassen und der neue mensch nachmal in ihnen durch göttliche 15 kraft gebohren wird; obs wol gemeiniglich nicht ohne schwehrere geburts=​ schmertzen abgehet, ja, der treue Vater oft eusserliches creutz zu der ersten bereitung der hertzen gebraucht. Wie aber die seelen, welche auf solche art

1 Der Brief ist an eine „hochfürstliche Durchlaucht“ geschrieben (Z. 34). Die Identifzierung der gedruckten Predigt (s. Anm. 6) spricht dafür, diese unter den Hörern dieser Predigt zu fnden. Es ist demnach stark zu vermuten, daß der Brief an Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen ge- richtet ist. Daß Spener der Dresdner Kurfürstin schreibt, läßt sich angesichts seiner angespannten Verhältnisses mit dem Kurfürsten Johann Georg III. durchaus denken. – Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (1. 9. 1647–1. 7. 1717), Tochter von Friedrich III. von Dänemark (Stichart, Galerie, 389–396; Europäische Stammtafeln NF 1, Tafeln 55 und 85; F. Blanckmeister, Kurfürstin Anna Sophie von Sachsen, Phöbe 1890, 140–156; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 2 Anm. 10). 2 Nicht genauer datierbar. 3 Vgl. Apg 17,30. 622 Briefe des Jahres 1690

in hertzlicher buß wiederum zu ihrer ersten tauf=gnade​ und bund sich zu- 20 rück begeben, versichert sind, daß ihnen auch die vorige sünden und eitelkeit ihrer unwissenheit vor GOTT um Christi willen nicht mehr zugerechnet werden, also lassen sie die ihnen wiederfahrne gnade sich so wol zum grunde eines ewigen trosts auf ihr gantzes leben als kräftigem antrieb einer so viel ernstlichern übung der gottseligkeit gereichen und machen von nichts meh- 25 reres werck, als wie sie für solche überschwengliche güte sich nur wiederum dem allerliebsten Vater danckbar gnug erzeigen möchten. Weil sie auch aus voriger erfahrung an sich selbs gelernet, welches die vornehmste hindernüssen ihres Christenthums bey ihnen gewesen oder welche versuchungen und ge- legenheiten ihnen am gefährlichsten gefallen sind und sich also solche er- 30 fahrung in dem übrigen leben zu desto mehrer vorsichtigkeit dienen lassen, so preisen sie wiederum die liebe dessen, der ihnen auch einige vorige irr- wege aufs neue zu ihrem besten (nemlich desto sorgfältiger bewahrung ihrer selbs) gereichen lässet: So zwahr ihnen auch allerdings nöthig seyn will. Was im übrigen E. Hoch=​Fürstl. Durchl. anligen anlanget, daß an dem 35 letzten ende der satan den kindern GOttes am gefährlichsten zusetzen möch- te, daraus die forcht entstehet, ob man in solcher schwachheit ihm zu wider- stehen vermögen werde oder nicht vielmehr zu sorgen habe, alsdann erst überwunden zu werden und sein heil zu verliehren, so ist eben solches anligen vieler anderer kinder GOttes, dabey ich aber folgendes zu beobachten nöthig 40 halte. Erstlich zwahr, daß unsre meiste sorge diese müsse seyn, annoch bey guten und gesunden tagen in den stand uns zu setzen, da wir unsers gnaden=stands​ und kindschaft, folglich des glaubens, an welchem jene hangen, eine wahre versicherung in unsern seelen haben mögen: Worzu gehöret, daß uns unser 45 hertz, ob es wol uns unsre schwachheit weiset, dannoch dasjenige zeugnüß nach redlicher prüfung gebe, daß wir einen aufrichtigen vorsatz, unserm GOTT und Erlöser nach seinen geboten treulich zu dienen, immer in unsrer seelen behalten, denselben täglich vor seinem angesicht erneuen, so oft wir dessen erkaltung oder, dawider aus übereilung gesündiget zu haben, bey uns 50 gewahr werden, uns so bald nicht allein mit glauben in dem blut JESU Christi waschen4, sondern den vorsatz aufs neue befestigen und nach allem vermögen aus demselben unser leben zu führen befissen seyen. Dann wo dieser ungeheuchelte und thätliche vorsatz und also die dardurch sich ereig- nende kindliche liebe unsers Vaters, dero überzeugung wir wol bey uns er- 55 langen können (obs auch schon an der empfndung des glaubens manglet) sich fndet, da haben wir aus solchem die unfehlbare versicherung, daß wir in dem stand der kindschaft und also in dem glauben stehen, wo uns folglich aller Evangelische trost, den der treueste Vater seinen kindern so reichlich in sei- nem wort mitgetheilet hat, mit allem recht gebühret: Ist nun eine seele ihres 60 gnaden=​stands versichert in ihrem leben, so ist sie gewiß auch versichert, daß

4 Vgl. 1Joh 1,7. Nr. 134 an [Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen] 1690 623 ihr letzter kampf nicht anders als selig und siegreich seyn könne. Dieses ist eine unwidersprechliche folge der 1. Cor. 10,135 so hoch gerühmten treue, aus dero GOTT uns nicht über unser vermögen versuchet will werden lassen, dero hingegen schnurstracks entgegen wäre, wo er eine seele, die ihm nach ihrem maaß biß dahin treulich zu dienen bemühet gewesen war, und er ihr 65 so lang, als sie gleichsam noch selbs einige kräften gehabt, beygestanden hätte, um diejenige zeit, da sie am schwächsten wird, über sie dergleichen anfechtungen kommen lassen wolte, denen zu widerstehen und sie zu über- winden, sie nicht kräften gnug bey sich fnde. Welches so wahr unmüglich ist, als GOtt sich und seine treue nicht verleugnen kan: Daher ichs auch so 70 wol sonsten hin und wieder als sonderlich in der getruckten predigt von der seligkeit der Christen an und in ihrem tode6 getrieben und behauptet habe, daß solcher letzte kampf bey den kindern GOttes nicht so wol mehr ein kampf als ein blosser sieg seye. Weswegen dann GOTT um solche zeit ent- weder dem satan keine weitere macht gestattet, ihnen mit anfechtungen zu- 75 zusetzen, oder doch sie alsdann mit seiner kraft also stärcket, daß ihr sieg am letzten desto herrlicher werde. Wo aber noch ein solcher kampf bevorstehen solte, so geziehmet sich vorhin bey gesunden tagen die vorbereitung dazu zu machen, nicht allein nichts mit willen zu thun, was wir sorgen müsten, daß uns solches um dieselbe zeit angst machen möchte, sondern vornemlich uns 80 in dem bund des Evangelii und dessen wahrer erkäntnüß recht zu gründen: daß wir nemlich wissen, unsre seligkeit bestehe durchaus nicht in der voll- kommenheit unsrer heiligung und werde uns also auch durch dero mangel nicht entzogen, sondern sie seye das blosse gnadengeschenck unsers himm- lischen Vaters, welches er unserm glauben an Christum JEsum lauter und 85 umsonst geschencket hat, daher es bey denen, die in dem glauben stehen, nicht heissen wird, was sie eigenlich gutes oder böses gethan haben, daß dar- an das urtheil über sie hangen solte, sondern was sie von dem Vater ge- schencket empfangen und ob sie solches in Christo JEsu und mit demselben behalten haben: haben sie dann nun diesen, so sind alle ihre sünde als ein 90 nebel von der sonne augenblicklich verzehret, und berufen sie sich auf die zusage ihres Vaters, daß an denen, die in Christo JEsu sind, nichts verdamm- liches7 und keine verdammung seyn solle, da sie hingegen wissen, daß die versicherung ihres glaubens und daß sie in Christo JEsu seyn, nicht an dem lige, daß sie nicht das feisch an sich hätten oder dessen schwachheiten an sich 95 fühlen müsten, sondern allein daran, daß sie nicht nach dem feisch wandeln,

5 1Kor 10,13 (Luther 1545: „Es hat euch noch keine / denn menschliche Versuchung be- tretten. Aber Gott ist getrew / der euch nicht lesset versuchen / vber ewer vermögen / Sondern machet / das die Versuchung so ein ende gewinne / das jrs künd ertragen.“). 6 Diese Formulierung entspricht wörtlich dem Eingangssatz zum ersten Punkt in Speners „Erklärung“ dieser Predigt: Der Kinder Gottes Seliger Todt / auf das Fest der Reinigung Mariae 1689 aus dem ordentlichen Evangelio Luc. II, 22–23 in der Churfürstlichen Schloß=Capelle​ zu Dreßden betrachtet, Leipzig: Reinhard Wächtler [1689]. 7 Vgl. Röm 8,1. 624 Briefe des Jahres 1690

sondern nach dem geist8 und also nicht unter jenes, sondern dieses regiment gestanden sind. Wolte also der teufel um solche zeit diese oder jene sünde oder wol gar dero ziemliches register vorhalten, provociren wir mit allem 100 recht, daß wir nicht nach dem gesetz gerichtet werden sollen, sondern nach der gnade JEsu Christi, der das gesetz erfüllet hat, denn wir seyen nicht unter dem gesetz, sondern unter der gnade9: Dessen unbetrügliches zeugnüß wir aus unserm glauben, dessen aber aus der aufrichtigkeit unsers vorsatzes, nach allem vermögen unserm HErrn zu dienen, der durch die fehler der unwis- 105 senheit und schwachheit nicht aufgehoben wird, haben und es daher ziehen können. Also haben wir uns nur allein lassen angelegen seyn, daß wir die kraft des Evangelii, sonderlich aber des ganden=bunds​ in der tauf je länger je mehr gründlich verstehen lernen, daher uns auch die davon handlende bücher 110 nechst der heiligen schrift angenehm seyen sollen. Wo solches Evangelium recht lebendig in unsern seelen wird, da ist alsdann der glaube derjenige schild, mit welchem wir alle feurige pfeile des bösewichts auszulöschen vermögen10, da hingegen die meiste macht der anfechtung daraus kommet, wo wir uns gegen des gesetzes ansprüche nicht mit der gnaden=lehr​ zu wapnen gelernet 115 haben. Nun, der HErr, der treu ist, wird an allen seinen kindern, wie in ihrem gantzen leben also auch in dero letzten kampf es an nichts dessen ermanglen lassen, was zu dero erhaltung und vollkommenem sieg nöthig ist. Er lasse es auch ferne von uns seyn, daß wir anders von ihm gedencken wolten.

120 1690.

8 Vgl. Röm 8,4. 9 Vgl. Röm 6,14. 10 Vgl. Eph 6,16. Nr. 135 an [einen Geistlichen] 1690 625 135. An [einen Geistlichen]1 Dresden, 1690

Inhalt Kondoliert zum Tod der Ehefrau des Empfängers. – Hält die anklagende Vermutung einiger, die Frau sei wegen der Pfege eines Verwundeten gestorben, für ungerecht. – Rät nicht ab, auf eine weitere Ehe zu verzichten, aber warnt davor, diesen Entschluß mit einem Gelübde zu bekräftigen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 887 f.

Das einige2, so mir in desselben brief 3 betrüblich mögen vorkommen, war die anzeige der wegnehmung der gottseligen ehegattin4. Wann ich aber be- dencke den seligen wechsel deroselben und die gerühmte proben ihres glaubens und gedult, damit der HErr ihren wandel gezieret hat, so dann den trost, welchen ich sehe, daß auch der GOtt des trostes5 in dessen liebe seele 5 eingefösset hat: so will lieber mit demselben sagen: der HErr hat gegeben, der HErr hat genommen, der nahme des HErrn seye gelobet in ewigkeit6. Er seye gelobet für alles, so er der seligen je in der zeit erzeiget und nun in der ewigkeit auch erzeiget: er sey gelobet für das gute, so derselbe an ihr in der ehe genossen: er seye gelobet, daß sich der HErr mit seiner kraft und trost in 10 seinem hertzen bereits an statt der seligen abgeleibten darstellet und ihm an- fänget, selbs dasjenige zu seyn, was er ihm vorhin durch diese geliebte seele gewesen war, dero er hingegen ihr gutes, so sonsten als an demselben gethan, in jener ewigkeit herrlich vergelten und ihr verlangen und bitte für denjeni- gen, in dessen liebe sie abgeschieden ist, und solche liebe, als die nichts feisch- 15 liches ist, dorten nicht allerdings abgeleget haben kan, in vollkommener dessen wolfarth und dero so vermehrung als erhaltung, so lang biß auf den frölichen tag der ewigen vereinigung erfüllen wolle. Das urtheil derjenigen, so die schuld des todes dem werck der liebe, an dem verwundeten erzeiget, zuschreiben, ist denjenigen leicht zu überwinden, 20 welche, wann wahrhaftig solches liebes=​werck die ursach gewesen wäre, ge- dencken, daß wir auch für die brüder zuweilen das leben lassen sollen7: daß aber die welt solches nicht verstehet, haben wir uns nicht zu verwundern, weil

1 Der ganze Inhalt des Briefes läßt erkennen, daß der Adressat ein Geistlicher ist. Seine Frau ist ofenbar bald nach der Pfege eines Verwundeten (Z. 19 f) gestorben. 2 Im Sinne von „einzig“ (unice) (DWB 3, 210). 3 Nicht überliefert. 4 Nicht ermittelt. 5 Röm 15,5. 6 Hi 1,21. 7 1Joh 3,16. 626 Briefe des Jahres 1690

es nothwendig über ihren begrif ist, als die nichts von derjenigen kraft je 25 gespühret oder gefühlet hat, wovon dieses alles allein kommen muß. Was nun anlangt den vorsatz, aus angedeuteten ursachen und liebe gegen seine gemeinde ferner in einsamkeit und ausser der ehe das leben zu führen, weil ich nicht zweife, daß derselbe nach feißiger prüfung seiner selbs und aller umstände, auch eifrigem gebet werde gefasset seyn worden, kan ich 30 denselben nicht unbilligen, als der ich oft gewünschet, daß mehrere unter uns, welchen GOtt die gabe gegeben, sich derselben zu der kirchen bestem gebrauchen solten, wo nur an allen orten dergleichen gelegenheit sich fnden möchte, in solchem stande das leben so wol ohne anderer anstoß, als auch mit nichts zu grosser und an verrichtung des guten selbs hinderlicher unbe- 35 quemlichkeit, zu führen. Jedoch wolte bitten und erinnern, solchen vorsatz weder mit allzugewisser und verbindlicher betheurung, noch viel weniger mit einigem, allerwenigsten solennen gelübde zu bestärcken und sich also die freyheit aufs künftige nicht allerdings abzuschneiden. Dann weil wir der künftigen dinge nicht wissend sind, so mögen solche fälle begeben, da einmal 40 die änderung des standes wahrhaftig zu unserem geistlichen oder leiblichen besten, ja auch unsers amts fruchtbarlicher verwaltung möchte nützlicher seyn. Wo man nun alsdann solches vor augen, sich aber seine freyheit also benommen hat, daß man ohne scrupel des gewissens oder auch anderer anstoß davon nicht abtreten darf, woran man sich einmal verbunden, gehets nicht 45 ohne schwehre gedancken, ja manchmal gewissens=​ängsten ab. Daher am besten ist, in solchen dingen in der furcht des HErrn dasjenige wehlen, was wir der ehre GOttes und erhaltung des zwecks, dazu wir gesetzet sind, das vorträglichste nach der gottseligen überlegung und gebet befunden haben: aber solche wahl allemal auf das gegenwärtige allein zu setzen, so dann so 50 lange uns GOtt nicht solche ursachen, welche die vorige überwiegen, auf- stossen lassen würde: und deswegen allezeit eine freye hand vor Gott und menschen, den vorsatz aus guten bewegnüssen zu ändern, zu behalten. So lebt man mit weniger sorge oder furcht des künftigen und gehet allezeit einher wie jedesmal der HErr uns selbsten führet. 55 Dessen güte ich auch hertzlich anrufe, daß, wie ich diesen vorsatz von deroselben hergekommen nicht zweifen will, sie denselben stäts also mit dero hand leite, dabey zu bleiben und sich dessen zu der erhaltung des guten vor augen habenden zwecks zu gebrauchen, wo aber eine änderung vorträg- licher seyn würde, ihm auch dero willen deutlich zu verstehen gebe.

60 1690. Briefe des Jahres 1691

Nr. 136 an Paul Anton 8. 1. 1691 629 136. An Paul Anton in Rochlitz1 Dresden, 8. Januar 16912

Inhalt Bedankt sich für das aufmunternde Schreiben Antons und stimmt dessen Feststellung zu, daß der Kampf der Christen vor dem Anbruch des Reiches Gottes stärker werde; freut sich über den größeren Eifer der Geistlichen und den geistlichen Hunger vieler Gemeindeglieder, wodurch die Hofnung auf eine künftige Besserung der Kirche wächst. – Bestätigt, daß die Widerstände nicht nur von ofensichtlich Bösen ausgehen, sondern auch von den scheinbar Frommen und denen, die die wahre Frömmigkeit verdächtigen, weil sie Angst haben, die reine Lehre zu verlieren; beklagt, daß die meisten Widerstände von den Geistlichen ausgehen. – Erwartet trotz heftiger Kämpfe den Sieg Gottes. – Berichtet, daß seine berufiche Zukunft noch nicht entschieden ist. – Bedankt sich für die Übersendung des Druckes von Antons Disputation anläßlich seiner Promotion zum Lizentiaten. – Gruß an Antons Frau Johanna Elisabeth. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 81, S. 121–127. D1: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 840–842 (Z. 12–97). D2: Fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Leipzig 1750, S. 175– 182.

JESUM Zum Liecht, Kraft, Leben und Stärckung des innern Menschen, zum Erhalter, Versorger und Artzt des äußern, zum Regierer und Seegen aller Verrichtungen, zum Rath in allen zweifelhaften fällen, zum Trost in allem Anliegen, zur Freude in diesen sonst betrübten Zeiten, zum 5 Lehrer seines Willens an Ihn und die anvertraute, zur Kraft deßen vollbringung und zum beständigen Einwohner deßen Seele und seines gantzen Hauses zu diesem und allen folgenden Jahren, biß er gar alles werde in der ofenbahrten und herrlichen Ewigkeit!

In demselbigen hertzlich geliebter bruder, Hochgeehrter Herr. 10 Nechst diesem kurtzen, aber von Grund der Seelen gehenden Wunsch, den der HErr HErr nicht unerfüllet laßen wird, sage ich freundlichen danck vor

7 Einwohner ] Vermehrer: D2. 7 Seele ] Sache: D2. 8 diesem ] diesen: K. 11 diesem ] diesen: D2. 11 gehenden ] gethanen: D2. 12 sage ich ] Ich sage: D1 [Beginn D1]. ​ 12 freundlichen ] hertzlichen: D2.

1 Paul Anton, Superintendent in Rochlitz (s. Brief Nr. 29 Anm. 1). 2 In allen Überlieferungen fndet sich das Datum 8. 1.; allerdings schreibt Spener in seinem Brief vom 19. 1. 1691 an Paul Anton, er habe ihm „gestrigen tages“ geschrieben (Brief Nr. 140, Z. 5). Es ist also nicht auszuschließen, daß der vorliegende Brief eigentlich am 18. 1. geschrieben ist. 630 Briefe des Jahres 1691

die neuliche brüderliche aufmunterung, so ich nicht ohne bewegung gelesen habe3. Es ist freylich an dem, daß wir insgemein alle Christen, absonderlich 15 wir Prediger, zum Kampf berufen sind, aber diese itzige zeit scheinet noch vor andern zu erfordern, daß wir uns auf schwerere angrife gefaßt machen. Das reich Gottes will mehr und mehr durchbrechen, und hat der Herr hin und wieder vieler an manchen orten aus unserm Stande Hertzen bey einiger zeit gerühret, zu erkennen, daß die vorige Lauligkeit nichts tauge und wir zur 20 Rettung unserer Seelen ein mehreres thun müßen, als die meisten bißher gethan, sonderlich aber hat er in vielen andern Seelen einen ungemeinen Hunger und durst erwecket nach der kräftigen Speise, daß sie sich nicht mehr mit der Oratorie und menschlichen Kunstworten4 abspeisen laßen wollen, sondern verlangen, daß das wort des Herrn mit Geist und Kraft5 vorgetragen, 25 erkennen auch bald einen unterscheid unter den treuen und untreuen Hir- ten6. Wie denn gewiß diese Regung der gemüther zwar vor mehrern Jahren ziemlich käntlich angefangen hat, aber je länger je mehr zunimmet und nicht allein das verlangen nach neuer ferneren beßerung7 brünstig machet, so auch 30 in so viel tausend Seufzern, die sich fast nicht mehr dämpfen laßen, daß sie nicht in ofentlichen laut ausbrechen, biß daher sich bezeuget hat, sondern auch denen, die auf das werck des Herrn8 sehen (neben einigen Dingen, da der Herr auch außer der ordnung sich will anfangen, den Seinigen kund geben zu wollen9), die gewißeste versicherung giebet, daß sich der liebste 35 Heyland seiner armen braut erbarmen wolle und ihre Gestalt beßern. Dieses werden nun nicht allein fromme Hertzen gewahr und immer be- giehriger, nechst freudiger Erwartung der vertrösteten Hülfe des Herrn10,

13 neuliche ] deutliche: D2. 13 aufmunterung ] Ermunterung: D2. 16 angrif ] D1. ​ 19 tauge ] taugen: D1. 24 vorgetragen ] zu verstehen: D2. 25 f unter den treuen und untreuen Hirten ] und das Trauen und Vertrauen hiezu: D2. 28 käntlich ] deutlich: D2. 29 das verlangen nach neuer ferneren ] die Klagen nach meiner: D2. 30 Seufzern ] seufzen: D1. ​ 32 werck ] Wort: D2. 33 will ] scheinet: D1. 33 kund ] + zu: D2. 34 zu wollen ] – K. ​ 36 nun nicht ] nicht nur: D1. 37 vertrösteten ] tröstenden: D2.

3 Der Brief Antons ist nicht überliefert. Der letzte bekannte Brief Speners an ihn stammt vom 18. 3. 1690 (Nr. 29), es dürften in der Zwischenzeit jedoch weitere Schreiben wechselt worden sein. 4 Predigten in rhetorisch kunstvoller Form. 5 Vgl. 1Kor 2,4. 6 Vgl. der Sache nach Ez 34. 7 Das Stichwort „Besserung“ ist ein Schlüsselbegrif für Speners Theologie wie der Titel der „Pia Desideria“ („zur Besserung der wahren Evangelischen Kirche“) und seine „Hofnung auf künftig bessere Zeiten bzw. einen besseren Zustand der Kirche“ zeigen (zur letzterer s. Krauter- Dierolf, 41–51). 8 Vgl. 1Kor 15,58; 16,10. 9 Vielleicht sind hier schon die Ofenbarungen von Rosamunde Juliane von der Asseburg gemeint; vgl. dazu die Überlegungen Speners in seinem Brief an Anna Elisabeth Kißner vom 30. 12. 1690 (Brief Nr. 111, Z. 84–105). 10 Vgl. Ps 12,6. Nr. 136 an Paul Anton 8. 1. 1691 631 sondern auch der Fürst der Finsternüß11 merckt es allerdinges wohl und su- chet, sich nach Vermogen zu wiedersetzen. Daher rüstet er sich nicht weniger: die ofenbar bösen mag er nun leicht, weil sie ohne das allerdings in seiner 40 Gewalt stehen, nach seinem Willen haben, zu ofenbahren und wißentlichen Lügen, Lästerungen, Verleumdungen und gewaltsamen Verfolgungen: was andere sind, die, ob sie nicht rechtschafen vor Gott12, dannoch einige Ehr- barkeit und Frömmigkeit in sich haben, sucht er auf andere weise an sich zu ziehen mit Furcht vor die reine lehre, die in Gefahr, und vor den Respect des 45 PredigAmbts, so in abusum13 kommen möchte, oder mit leichtglaubiger Annehmung aller von gottseeligen Leuten und dero Vornehmen bößlich aus- gedachte Lästerungen, dadurch sie zu einem blinden Eyfer entzündet werden und darin allerdings recht zu haben meinen: Damit hält er sie nicht allein ab, daß sie zu dem rechtschafenen Wesen in Christo JESU14 niemal kommen, 50 sondern vielmehr daßelbige auch den andern verdächtig halten, hassen und ieglicher nach seinem Vermögen zu hindern suchen. Die meiste aber, die er zu seinen Werckzeugen gebraucht, sind leider leute unsers Ordens15, die das gute mit doppelter Verbindlichkeit befördern solten: aber einige sind ohne das in der Seelen dem guten feind, und befürchte ich, der Theologus, so vor ei- 55 nigen Jahren de Atheismo Theologorum Lutheranorum schreiben wollen16, das ich aber hertzlich abgerathen, würde viele Wahrheiten geschrieben haben, und seyn manche allzu weit von allem, was nur einiger maßen eine Wahrheit ist, entfernet: andere, so es noch auf ihre Art nicht so böse meinen, sorgen abermahl nicht allein vor die Reinigkeit der Lehre (grade als wenn dieselbe 60 durch die ernstliche Gottseeligkeit gehindert und nicht vielmehr vortrefich gefordert würde), sondern theils es würde ihre vorige Trägheit, wo andere nur

40 ohne das ] ohnedem: D2. ​ 41 wißentlichen ] meisterlichen: D2. ​ 42 gewaltsamen Verfolgungen ] gewaltsamer verfolgung: D1 + D2. 46 abusum ] abnehmen: D1 + D2. ​ 47 dero ] dem: D2. 47 f ausgedachte ] ausgedachten: D1; ausgedachter: D2. 49 darin ] darinnen: D1 + D2. 50 dem ] den: D2. 50 JESU ] – D2. 51 den ] – D1. 51 daßelbige auch den andern verdächtig halten ] durch selbige auch an andern unbedächtig hetzen: D2. ​ 52 suchen ] suchet: K. 53 seinen Werckzeugen ]seinem Werckzeug: D2. 54 f ohne das in der Seelen dem guten ] ohnedem den Seelen der Guten: D2. 55 dem ] den: D11. ​55 befürchte ] förchte: D1; fürchte: D2. 57 das ] den: D1 + D2. 58 seyn ] seyen: D1. 58 allem ] allen: D11. ​ 58 nur ] uns: D2. 60 Reinigkeit ] Einigkeit: D2. 62 gefordert ] gefördert: D2. 62 vorige ] feige: D2.

11 Der Teufel; keine biblische Wendung, aber weil der Teufel als „Fürst dieser Welt“ (Joh 12,31) und die (gottferne) Welt als „Finsternis“ (Joh 12,46) bezeichnet werden, liegt ein Anklang an die biblische Sprache vor. 12 Apg 8,21. 13 Mißbrauch. 14 Vgl. Eph 4,21. 15 Geistliche. 16 Wahrscheinlich handelt es sich um denjenigen, an den Spener am 12. 5. 1684 schreibt und dessen Manuskript er begutachtet (Cons. 3, 455–459). Schon damals wollte der Adressat seinen Namen verschwiegen wissen, so daß es verständlich ist, wenn Spener auch hier den Namen nicht nennt. 632 Briefe des Jahres 1691

mehr thäten, oder Unwißenheit, wo die zuhörer weiter geführet würden, dardurch zu schanden werden, theils weil ihr eigen Leben nicht eben mit den 65 rechten Regeln CHristi überein kommt und bey einem auch erbaren Wandel eigene Ehre, Nutzen und lust die Herrschaft behält, daher abermahl die furcht, sie würden nichts mehr gelten, wo andere, so viel weiter zu kommen, nicht nur sich bestrebten, sondern auch deßen Nothwendigkeit zeigeten. Ob nun also wohl aus unterschiedenen principiis und motiven, sind doch alle 70 solche wahrhaftig dem Wachsthum des guten von hertzen zuwieder: und also wiedersetzen sie sich entweder bereits oder werden sich künftig, wo es zu einem mehreren Ernst kommen wird, zu wiedersetzen anfangen. Also siehet geliebter Bruder, wo wir die Sache auch nur nach menschlicher vernunft ansehen, daß es nicht anders müglich seye, als daß der kampf immer 75 so viel heftiger werden müße als das gute zunimmet und deßen nachfolger in dem eifer wachsen: daß vielleicht das bißherige nur noch vorspiele mag heißen gegen das Jenige, was folgen wird. Indeßen ist uns gleichwohl der Sieg gewiß, ob wir wohl ort und zeit nicht bestimmen können und nicht wissen, ob wir in der zeit oder in der Ewigkeit unßern Triumpf zu erwarten haben, 80 ohne daß uns dießes auch sicher bleibet, daß, wo nicht wir, doch unsere mit- brüder, wann wir nicht mehr da solten seyn, sondern von der welt über- wunden, von dem Kampfplatz abgetrieben zu seyn scheinen, noch in der zeit ihre siegeslieder dem, der auf dem thron sitzet, singen werden17. Dieses macht uns muthig und getrost und muntern wir uns billig unter einander hertzlich 85 auf, damit keiner müde werde, noch aus furcht die hände sincken laße18. So laßet uns also mit glauben, geduld, gebet und hofnung, als welche unsere einige wafen sind19, rüsten, daß wir, wann das böse (wie es von dem feind gemeinet ist, an sich aber gute und seelige) stündlein20 komt, alles wohl aus- richten und das feld behalten21 mögen, der bey uns ist, ist einmal größer, denn 90 der in der welt ist22, trotz daß dießer ihm den Sieg disputire23. So hat uns

66 eigene ] immer: D2. 67 furcht ] + eingehet: D1. 69 also wohl ] wol also: D13; also viel: D2. ​71 künftig ] heftig: D2. 72 Ernst ] Erweis: D2. 73 geliebter ] vielgeliebter: D1. ​ 76 daß ] da: D2. 78 ort ] art: D1. 80 daß ] dem: D2. 81 seyn ] seyen: D11. ​83 werden ] wollen: D2. 88 gute und seelige ] gut und seelig: D2. 89 einmal ] viel: D2. 90 daß dießer ] diesem der: D2.

17 Vgl. Apk 14,3 (vgl. auch Apk 7,9–14). 18 Vgl. Ez 21,7. 19 Vgl. die in Eph 6,14–20 beschriebene „geistliche Wafenrüstung“. 20 Mit dem „bösen Stündlein“ ist (nach der Luther 1545) die Anfechtungssituation überhaupt, vielleicht auch der Jüngste Tag gemeint (vgl. WA 45, 44.5–9, wo der gedankliche Zusammen- hang zu 2Thess 2,8 hergestellt wird). Das „selige Stündlein“ wird in der lutherischen Tradition durch Andreas Fabricius auf den Tod des Christen bezogen (Andreas Fabricius, Das letzte selige Stündlein, Eisleben: Andreas Petri 1571). 21 Vgl. Eph 6,13. 22 Der Teufel. 23 Im Sinne von „abdisputieren“, „abstreiten“ (DWB 1, 18). Nr. 136 an Paul Anton 8. 1. 1691 633 unßer liebster Jesus, eine weil unßern glauben zu stärcken, hier und dar eini- ge siege, die vor der welt augen fast unansehnlich sind, aber gewiß göttlicher kraft zeugnuß geben, erhalten laßen, damit wir auch zukünftig niemahl zaghaft werden, als wormit wir allein unsern Sieg, der versprochen ist, ver- derben könten. Davor uns der Herr bewahren und hingegen, so vielmehr die 95 Gefahr zu nehmen mag, seine Kraft von oben uns24 auch so viel reichlicher geben wird. Amen Hallelujah! Meinen gegenwärtigen zustand anlangend, davon vielleicht das Gerücht auch zu ihm mag gelanget seyn, melde ich nur dieses, daß mir unser Himm- lischer Vater die Gnade thue mit freudigem Gemüthe zu erwarten, wie es 100 derselbe mit mir schicken wolle, und dasjenige bereits voran vor göttlichen unfehlbaren willen zu erkennen, was der Ausschlag ohne mich über mich geben wird. Solle ich hie zu lande ferner bleiben, so sehe es an als ein Zeug- niß, entweder daß mich Gott noch länger in der Geduld Schule üben oder meine Arbeit inskünftige kräftiger seegnen wolle: Heißt er mich aber durch 105 eine Dimission nach berlin gehen, so bin versichert, daß der Herr beschloßen haben müße, mir daselbs, es zwar ohne zweifel auch unter nicht geringern Kampf, eine weitere Thüre zu öfnen25 und zu mehreren guten, als etwa ietzt noch gedencken kann, gelegenheit zu geben. Also führe er seinen Willen, ohne auf das unsrige zu sehen, nach seinem Rath aus, so solle uns genügen! 110 26.הוא יעשה Vor die übersandte Disputation sage fr[eundlich] danck27. Ach, daß wir nicht auch itzt, unsere Mutter zu richten, Uhrsach hätten. Ich glaube wol, daß sich ietzt noch feine illustrationes dazusetzen ließen, die aber die kräftigsten wären, möchten sorglich noch ietzt von andern zu schwer zu verdauen und 115 also dieser damit zu schonen seyn. Hiemit denselben samt seiner auch von mir in dem Herren geliebten Ehe- liebsten28 in des gütigsten Himmlischen Vaters treue Obhut, milden Seegen und heilige Regierung hertzlich überlaßende verbleibe

91 liebster ] liebste: D1. 92 göttlicher ] göttliche: D2. 93 zukünftig ] hinküftig: D1; hier künftig: D2. 94 f verderben ] verliehren: D2. 95 bewahren ] bewahre: D1 + D2. ​ 97 Hallelujah ] [Ende Abdruck D1]. 99 ihm ] ihnen: D2. 100 freudigem ] freudigen: D2. ​ 101 und ] wo: D2. 101 voran ] woran: D2. 102 mich ] noch: D1. 103 Solle ] Soll: D2. ​ 105 seegnen ] seyn lassen: D2. 107 daselbs ] dasselbe: D2. 107 es ] ob: K [unsicher]. ​ 110 das unsrige ] den unsrigen: D2. 112 Disputation ] Dissertation: D2. 112 fr[eundlich] ] viel: D2. 114 feine ] seine: D1. 115 von andern ] vor andere: D2. 115 f und also dieser damit zu schonen ] – D2.

24 „Von oben“ als durchgängige biblische Formulierung für die göttliche Herkunft. 25 Vgl. Apk 3,8. 26 Er wirds wol machen (Ps 37,5). 27 Paul Anton, De Autoritate Ecclesiae qua Mater est. Positiones Theologicae ex Hos II. vers. 2 pontifciis oppositae, Christophorus Günther: Leipzig 1690. 28 Johanna Elisabeth Anton (s. Brief Nr. 29 Anm. 5). 634 Briefe des Jahres 1691

120 Meines Hochwerten Herren und Bruders verbundener Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 8. Jan[uar] 1691. [P. S.:] 125 H. M. Fiedlern29 und H. M. Nörnern30 grüße ich hertzlich in dem Herren und bin jenem noch auf sein neuliches31 samt überschickten mir lieben tractätlein32 zu antworten schuldig33. Der Herr erhalte sie noch immerfort, wie biß daher in Einigkeit des Geistes zu so viel reicherem Amts Seegen. Dem HochEhrwürdigen, großachtbahren und hochgelehrten Herrn Paulo 130 Antonio, der H. Schrift vortrefichem Licentiato, und Treueyfrigen Pastori der Kirchen zu Rochlitz, auch dasiger dioeces wachsamen Superintendenten. Meinem insonders hochgeEhrten Herrn und in dem HERRN geliebten Brudern. Rochlitz.

120 Hochwerten ] hochgeehrten: D2. ​ 120 Bruders ] + zu Gebet und Liebe: D2. ​ 125 Nörnern ] Cörnern: D2. 126 und ] nur: D2. 132 hochgeEhrten ] hochzuehrenden: D2.

29 Kaspar Fiedler (20. 10. 1649–15. 5. 1719), Archidiaconus an der Kunigundenkirche in Roch- litz; geb. in Rochlitz, nach dem Studium in Leipzig 1676 Magister in Leipzig und Diaconus in Rochlitz, 1679 Archidiaconus ebendort (Jöcher 2, 1093; Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 172). Spener hatte wohl schon im Jahr 1687 Briefkontakt mit ihm (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 136). 30 Georg Nörner (1. 9. 1644–8. 9. 1698), Diaconus in Rochlitz; geb. in Zwickau, nach dem Studium in Wittenberg seit 1678 Diaconus in Rochlitz (Dietmann, Priesterschaft I.3, S. 833). 31 Nicht überliefert. 32 Caspar Fiedler, Der Mit Heiligem Wandel und Gottseligem Wesen geschickte und ge- schmückte Christ / Oder Rechtschafene Fromme / Das ist: Kurtze Anleitung / Welcher gestalt ein wiedergebohrnes Kind Gottes die Gottseligkeit lieben und üben; die Gottlosigkeit hassen und lassen soll: […] [Leipzig]: Johann Christian Laurer 1691. – Sein Werk „Der Erleuchtete Catechismus-Prediger; Oder kurtze Anleitung, welcher gestalt der güldene Catechismus Lu- theri zu eigner Hauß-Andacht […], Leipzig: Fromann 1689“, das den Mitgliedern des Dresdner Oberkonsistoriums, also auch Spener gewidmet ist, wird nicht gemeint sein, weil Spener betont von „neulich“ (Z. 126) spricht. Vermutlich ist das Erscheinungsjahr des erstgenannten Werkes vordatiert worden. 33 Nicht überliefert. Nr. 137 an Johann Wilhelm Petersen 15. 1. 1691 635 137. An Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg1 Dresden, 15. Januar 1691

Inhalt Berichtet vom Stand der Dinge seiner möglichen Berufung nach Berlin. – Bedankt sich für die Informationen über Rosamunde Juliane von der Asseburg und skizziert seine Haltung zu außergewöhnlichen Ofenbarungen. – Wünscht, daß Petersen sich in der Auseinandersetzung mit seinen Kollegen würdig verhält. – Erwartet die Gegenschrift [Johann Friedrich] Mayers und verdeutlicht, was er über David Joris weiß. – Berichtet vom Besuch und der Weiterreise Lascaris. – Ermuntert Petersen, [Justus Christoph] Schomer zu beraten, falls dieser nach Witten- berg berufen werden soll. – Bittet um Petersens Meinung zu Lk 18,8. – Erwähnt die Erfurter Freunde. – [P. S.] Hat seinen 56. Geburtstag gefeiert und läßt [Matthias] Metzendorf, [Johann Christian] Lange und [Heinrich Wilhelm] Scharf grüßen. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, A 196, S. 487–491.

JESUM, Deum et DOMINUM, Mentis lumen, Spiritus virtutem, cordis incolam, desideriorum complementum, vitae robur, consiliorum ducem, actionum autorem, adversorum solatium, laborum benedictionem ipsamque salutem hoc et omnibus aliis annis secuturis usque in aeternitatem. 5 In ipso dilectissime et Venerande Frater atque Compater. De me quid statuat Deus, nondum liquet. Penes quem mei dimittendi potestas est2, me abire utique optaret, sed missionem impertiri timet, nec ego salva religione vocationis, quae me huc traxit, eandem petere valeo3. Vicissim Brandenburgici, nisi obtinendae certi illam, pro me petere dubitant: ast nisi 10 periculum faciant, vix aliquid fiet. Ego interim divina gratia, tanq[uam] de me non ageretur, tranquillus vivo et omnem causam illius commendo directioni, qui non potest non omnia facere optime, et certe eo magis faciet, quo minus me moveo. Hic si me subsistere iubet, non refugio patientiae Scholam, et spero benedictionem laboribus novam et largiorem haud defore: Si Beroli- 15 num4 migrandum sit, certus sum expectare me etiam illic, quae me exerceant, sed et, qui protegat, Deum: adeoque Spes est patentiorem portam ibi fore promovendae aedificationi: Mecum orate caelestem Patrem, ne patiatur me vel ire vel remanere praeter ipsius voluntatem, cui simpliciter obsequi omini-

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). 2 Der sächsische Kurfürst Johann Georg III. (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 3 Zum Hinweis auf die Göttlichkeit des Rufes nach Dresden s. Brief Nr. 77 Anm. 36. 4 Berlin. 636 Briefe des Jahres 1691

20 no desidero. Tuis votis et, quibus me confortare voluisti, προσφωνήσι5 gratias repono maximas, de hoc Te vicissim certum esse iubens, quod divino benefi- cio agnosco, iudicia, quae nos expectant et quae meliora subsequentur, licet de iis non persuasus, quae tibi firmissima sunt. Non minus fuere grata, quae de pientissima Rosamunda memorasti6. Non 25 invideo, quod Te θεῖον7 observasse testaris: sed nec aegre quisquam tulerit: quod non convictus in negotio tanti momenti calculum addere adhuc ne- queam: quae hucusque legi nullam adhuc fecere mali suspicionem, sed nec facere plenam fidem luminis coelestis prophetici. Nec enim quicquam adhuc oculos subiit meos, quod non absque dictamine immediato homo pius im- 30 primis scripturae non imperitus ex suo corde veritate quidem divina tincto scribere posset. Naturam quidem in illa nobilissima virgine talia operari pos- se Tibi non probatur: ego vero istius vires nos nondum omnes perspexisse, certus sum: unde coelesti θεοπνεύστει8, ut aliquid tribuam, ingenue fateor me moveri difficillime posse, nisi longe fulgentiores istius radii promicent: cum 35 quanti momenti res ea sit, mecum merito expendam et longe facilius peccari posse a me credam assensu quam ἐποχή9. Interea ne time me, quod non capio, damnaturum, imo certus esto precibus me quotidie causam commendare DOMINO, qui nec quenquam falli, nec si lucem extraordinariam aetati no- strae destinavit, ei vel a me vel quovis alio tenebras obiici patiatur, sed consilii 40 sui omnes certos omnino faciat, qui ei se submittere parati sunt. Idem Te etiam porro ducat Spiritu suo et contra adversantes praesidio sit10. Quod illi, quos expressisti, contra superiorum mandatum contra mille annos detonant, et quod Tu illius observans linguam cohibes, facitis Tu quod Te, illi quod se dignum est. Deus vero erit arbiter et gratiam largietur, ut magis ma- 45 gisque pectora, quae ipsius amore et fide impleas, invenias εὔθετα11. Quid D. Meierus12 contra me editurus sit13, adhuc expecto. Mallem equi- dem Ecclesiae Scriptis eristicis non obiici scandala, sed in aciem obtorto

20 προσφωνήσι: cj ] προσφωνήσεσι: K. 26 momenti: cj ] monenti: K. 39 a me: cj ] ame: K. ​ 46 editurus: cj ] edituus: K.

5 Anrufung, Gebet. 6 Rosamunde Juliane von der Asseburg, Visionärin, die im Haus Petersens lebte (s. Brief Nr. 111 Anm. 29). – Spener hatte Petersen um nähere Informationen über sie gebeten (s. Brief Nr. 86, Z. 16 f). 7 Das Göttliche. 8 Göttlich inspiriert. 9 Zurückhaltung. 10 Zur Anklage der Kollegen Petersens über dessen Verkündigung des Millenniums und der Auferstehung der Märtyrer s. Briefe Nr. 19, Nr. 26 u. ö. 11 Gut besetzt, gut geordnet. 12 Johann Friedrich Mayer, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 90 Anm. 6). 13 Abgenöthigte Schutz=Schrift ​ / Worinnen Wider die harte und ungegründete Beschuldi- gungen Herrn D. Philipp Speners [sic!] / etc. etc. Ihren Revers und Religions=Eyfer​ verthäidiget Das MINISTERIUM in Hamburg. Hamburg 1691. – Zur Verfasserschaft Mayers s. Spener, Freyheit der Glaubigen, S. 15. Nr. 137 an Johann Wilhelm Petersen 15. 1. 1691 637 collo tractus forsitan iubente Domino faciam, ut sentiant vim aliquam verita- tis: non semel expertus gratiam supernam, quae, quoties ad certamen me duxit, victorem eduxit. De Davido Georgio14, quem in libro meo observave- 50 ris, locum15, velim, ut indices, cum eius non recorder. Ingenue autem fateor me de ipso hactenus non potuisse bene sentire, ex solis illis, quae Basileae16 contigere, ubi talia post ipsius mortem reperta feruntur, ob quae impostor iudicatus, et qui raro exemplo ex sepulcro extraheretur indicibus visus est dignus. Huic iudicio vel sententiae unquam contradictum vix constabat. Sed 55 permittam post hac hunc etiam suo iudici. Lascaris17 scriptum tuum ad Dion[ysium] patr[iarchem] graeco sermone concinnatum18 mihi etiam porrexit et secum sumsit. Nunc in itinere homi- nem esse, ut Venetias19 petat, autumo, sed quando in Graeciam20 venturus, haud ausim promittere, cum bellum Turcicum21 transitum hodie reddat om- 60 nino difficillimum.

50 Davido ] Doo: K.

14 David Joris (David Georg) (ca. 1501–25. 8. 1556), prophetisch-charismatischer Täuferführer; geb. vermutlich in Flandern, nach seiner Gesellenzeit ca. 1520 in England und Frankreich seit 1624 wohnhaft in Delft, eifriger Verfechter der Reformation, nach Protest gegen eine Hexen- verbrennung Verbannung, 1534/35 Empfang der Erwachsenentaufe, nach dem Untergang des Münsteraner Täuferreiches führender Vertreter der Täufer, 1539 wohnhaft in Antwerpen, von 1544 an lebte er inkognito in Basel (TRE 17, 238–242; RGG4 4, 574; Gottfried Arnold, Historia Von Des berufenen Ertz=​Kätzers David Joris oder Georgi Lehr= und Leben, o. O. 1713; G. K. Waite, David Joris and Dutch Anabaptism, Waterloo/ Ontario 1990; D. H. Shantz, David Joris, Pietist Saint: The Appeal to Joris in the Writings of Christian Hoburg, Gottfried Arnold, and Johann Wilhelm Petersen, in: Mennonite Quarterly Review 78, 2004, 415–432). – Er wird in der „Abge- nöthigte(n) Schutz=​Schrift“ genannt [unpag.; Dv]; schon am 9. 2. 1689 berichtete Johann Heinrich Horb aus Hamburg, es werde erzählt, Petersen empfehle Joris (Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 18). 15 Spener, Freyheit der Glaubigen, S. 54. 16 Basel. – Er wurde drei Jahre nach seinem Tod (1559) nach Bekanntwerden seiner eigentli- chen Identität exhumiert und zusammen mit seinen Büchern verbrannt. 17 Mercurius Lascaris (s. Brief Nr. 77 Anm. 43 und Brief Nr. 106, Z. 27–35, mit Anm. 11). 18 Ein Schreiben Petersens an den Patriarchen Dionysios ist nicht überliefert. – Vermutlich ist Dionysios IV. Muselimes gemeint, der von 1671–1694 mit Unterbrechungen sechs Mal als Patriarch amtierte, aber ausgerechnet in der Zeit zwischen 1688 und 1692 nicht. Daß der Brief dennoch an diesen gerichtet sein kann, läßt sich damit erklären, daß der Überbringer Lascaris sich schon mindestens seit 1688 in Nordeuropa aufhielt. Dionysios war stark involviert in den Streit zwischen Moskau und Konstantinopel um die Vorherrschaft über die Metropolie Kiew (W. v o n Scheliha, Russland und die orthodoxe Universalkirche in der Patriarchatsperiode 1589–1721, Wiesbaden 2004, 130 f; G. Podskalsky, Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft [1453–1821]. Die Orthodoxie im Spannungsfeld der nachreformatorischen Konfessionen des Westens, München 1988, 400). 19 Venedig. 20 Griechenland. 21 Türkisch. 638 Briefe des Jahres 1691

In causa Amazonii22 scripsi ad Sereniss. Brunsvicensem23, facta etiam spes responsi, sed nondum impleta. De Schomero24 vestro Witebergam25 evocando agitur26: Si consilia iuvare 65 posses, de Academia hac merere optime. Rogo etiam, si vacat, ut sensum tum de loco πολυθρυλλήτω27 Luc XIIX,828 mihi exponas, cuius certam ad rem mihi usus futurus esset: nam qui omnem futurae aetatis melioris spem eiciant, hunc locum firmius tenent quam suam Hercules clavam29: extorquenda ergo sunt manibus, quibus abutuntur, arma. 70 Erfurtensibus amicis30 tempestas imminet gravis. Regat eos Spiritu pruden- tiae et roboris DOMINUS31, cui servimus. Vale cum Tuis et perge amare Vestri amantissimum Ph.J.Spenerum, D. 75 Mppria. Dresdae, 15. Jan[uarii] 1691 post absolutum a biduo divina gratia annum ae- tatis 5632. Benedictus sit DOMINUS, qui roborat infirmos33. Si vero diutius vivendum sit, faxit, ut prioris aetatis ἡττήματα34 ultima resarciat. Salveat Mezendorfius35 vester et Langius36 in Domino, nec non Scharfius37, cui cum 80 potero respondebo38. Dem HochEhrwürdigen, Großachtbahren u. Hochgelahrten HErrn Johann Wilhelm Petersen, der h. Schrift vortrefichen Doctori und der Christlichen

​68 eiciant: cj ] eicrant: K (viell. ist auch zu konj.: eiciunt). 76 Über der Zeile von der gleichen Kopistenhandschrift eingefügt: „A. 1635 13. Jan. natus“.

22 S. Brief Nr. 106, Z. 36–38. 23 Im Brief an Herzog Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel: Brief Nr. 101, Z. 232–263. 24 Justus Christoph Schomer, Theologieprofessor in Rostock (s. Brief Nr. 55 Anm. 24). 25 Wittenberg. 26 Am 28. 10. 1690 fragt A. Rechenberg Spener nach Schomer im Kontext von Berufungsfragen (Rech ad Spener, Bl. 11r–v). 27 Viel besprochen, berühmt. 28 Lk 18,8. 29 Die Keule ist ein Attribut des aus der griechischen Sage bekannten Herkules. 30 August Hermann Francke (zu diesem s. Brief Nr. 16 Anm. 32), Joachim Justus Breithaupt (zu diesem s. Brief Nr. 13 Anm. 1) und ihr pietistischer Freundeskreis. 31 Vgl. Jes 11,2. 32 Spener hatte am 13. 1. 1691 seinen 56. Geburtstag gefeiert. 33 Vgl. Ez 34,16. 34 Plural zu der (attischen) Variante von ἥσσημα (Niederlage). 35 Matthias Metzendorf, Pfarrer in Lüneburg (s. Brief Nr. 30 Anm. 19). 36 Johann Christian Lange, Hauslehrer in der Familie Petersen, involviert in die pietistischen Streitigkeiten in Leipzig (Brief Valentin Albertis an den sächsischen Kurfürsten vom 14. 1. 1691 (SächsHStA Dresden, loc 10329, Bl. 344v; Matthias, Petersen, 300). 37 Heinrich Wilhelm Scharf, Superintendent des Klosters Lüne (s. Brief Nr. 39 Anm. 16). 38 Nicht ermittelt. Nr. 137 an Johann Wilhelm Petersen 15. 1. 1691 639

Kirchen zu Lüneburg Treueyfrigen Superintendenten. Meinem Insonders hochgeEhrten HErrn Gevattern39 und in dem HErrn geliebten bruder.

Lüneburg. 85

39 Spener war Patenonkel von Petersens Sohn August Friedrich (zu diesem s. Brief Nr. 38 Anm. 35). 640 Briefe des Jahres 1691 138. An einen Freund1 Dresden, 16. Januar 1691

Inhalt Grüßt mit der biblischen Seligpreisung für die Verfolgten. – Tröstet den Freund mit der Allmacht Christi gegenüber den Angrifen der Feinde. – Endet mit einem Gebet um die Ofenbarung der Macht Christi und seiner Hilfe. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 181 f.

Μακάριοι δε δεδιωγμένοι ἕνεκεν δικαιοσύνης, ὅτι ἀυτῶν ἐστιν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν. Μακάριοι ἐστε, ὅταν ὀνειδίσωσιν ὑμᾶς, καὶ διώξωσι, καὶ εἴπω- σιν πᾶν πονηρὸν ῥῆμα καθ’ ὑμῶν ψσευδόμενοι ἕνεκεν ἐμοῦ. Χαίρετε καὶ ἀγαλλιᾶσθε, ὅτι ὁ μισθὸς ὑμῶν πολὺς ἐν τοῖς οὐρανοῖς οὕτως γὰρ ἐδίωξαν 5 τοὺς προφήτας τοὺς πρὸ ὑμῶν2. Haec Tibi etiam dicta crede, uti revera dicta sunt, mi Frater, omnemque contra hostes quoscunque, quos certe humanitus formidabiles experiemini, et experiemur nos etiam omnes, in eo praesidium colloca, qui iussit verbum suum annunciare publice et privatim, pascere agnos et oves3, et huius causa 10 seculi expectare odia4, convitia omnesque alios odiorum effectus, quousque Patris coelestis permissio benignissima probandae nostrae fidei hostibus habe- nas laxat. Vivit certe JESUS et ad dextram Patris regnat omnesve inimicos scabellum suorum pedum ponet5. Sint potentes, qui nos impugnant, dum sciamus, quod omnipotens sit, qui pugnat in nobis: sint astuti, nos vero sim- 15 plices et infantes, dum nobiscum est sapientissimus, qui dolos perspicit et retia solvit: sint ira in nos incensi gravissima, dum nos suae bonitatis certos reddit, qui ipsa est benignitas: insultent nobis et modo hanc modo aliam cladem ita permittente imperatore nostro summo inferant, ut victores aliquandiu videan- tur et se iactent, certe cum non una aggressione et conflictu videbimur victi, 20 vincemus praelio decretorio, vincemus bello, quod tam certum est, ut absque temeritate epinicion6 hoc quoque tempore cum Prophetis canere et trium-

1 Nach dem Regest in D ist der Adressat ein Freund, vermutlich ein Theologe, wie die Anrede „mi frater“ (Z. 6) und der Gebrauch der lateinischen Sprache und die griechischen Bibelzitate annehmen lassen. 2 Mt 5,10–12 („Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und ver- folgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.“). 3 Vgl. Joh 21,15–17. 4 Vgl. Joh 15,18. 5 Vgl. Ps 110,1; auf Christus bezogen: Apg 2,36, Hebr 1,13 u. Hebr 10,12 f. 6 Griechisches Fremdwort: Siegespreis. Nr. 138 an einen Freund 16. 1. 1691 641 phum si non agere, profecto meditari et eius laetitiam spe praecipere valeamus. Et si recte arbitremur, prospicere possumus, magis magisque non tantum Babylonem7 lacertos moventem, sed quicquid in Ecclesia vera et ipso huius ordine sacro hypocritarum est, conspirantes ad bellum adversus Jesum et, quae 25 in ipso est, ἀλήθειαν8,9 unde, quod nunc paratur, de summa rerum decernet: verum licet quae contra hostes tam potentes et numerosos copiae parantur, tam paucae sint, et non alia coram seculo specie, quam David in Goliathi fuit oculis10, Gideonis Manus coram Midianitarum multitudine11, unus omnium hostium potentiae prosternendae sufficit imperator noster, qui veniet, videbit, 30 vincet12, nos vero ipso cum triumphabimus. Hac fiducia freti eamus in hostem, seu potius intrepido pectore expectemus eius insultus, nec vulneribus terrea- mur, nec labore lassemur, nec si anceps certamen videatur, concidamus animis, sed erectis capitibus pugnemus armis a duce nostro sacratis et spiritualibus, verbo Dei, fide, confessione, spe, patientia, precibus13. 35 Tu vero, JESU noster, potentiam Tuam vel tandem ostende et exere, nec patere confundi Tibi confisos, in omnibus vero largire servis Tuis prudentiam, non quae huius mundi est, sed Spiritus Tui, ut quae nos subinde agere velis, iam cedere, iam instare, iam perrumpere, intelligamus, et laeti voluntatem Tuam perficiamus. Certe facies, quod Te dignum est, et gloriam vindicabis 40 Tuam, ἄξιος λαβεῖν τὴν δύναμιν, καὶ πλοῦτον, καὶ σοφίαν, καὶ τιμὴν, καὶ ἰσχὺν, καὶ δόξαν, καὶ ἐυλογίαν.14 Amen. Fiet. Dresdae, d[ie] 16. Jan[uarii] 1691.

7 Babel als biblisches Bild für die antichristliche Macht, nach evangelischem Verständnis die römisch-katholische Kirche. 8 Wahrheit. 9 Vgl. Joh 14,6. 10 Vgl. 1Sam 17. 11 Vgl. Ri 7 (bes. V.2). 12 Vgl. Caesar: „Veni, vidi, vici.“ (Plutarch, Caesar, 50,3). 13 Vgl. Eph 5,10–18. 14 Apk 5,12 („[Das Lamm] ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“). 642 Briefe des Jahres 1691 139. An Johann Jakob Spener in Leipzig1 Dresden, 19. Januar 1691

Inhalt Bedankt sich für die Neujahrswünsche und wünscht ihm die nötigen körperlichen und geistigen Kräfte für Herausforderungen im Neuen Jahr. – Ermuntert ihn, neben den Kenntnissen in den irdischen Dingen sich um die ewigen zu bemühen. – Mahnt, nicht nach weltlicher Ehre und Reichtum zu suchen und neben dem Fleiß bei den Studien das innere Ziel seines Handelns zu überprüfen. Überlieferung D1: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 169. D2: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 2, Frankfurt a. M. 1709, S. 177.

Mi fli. Grata mihi fuere, quae ex filiali amore felicitati huius anni dicasti, vota2: Im- pleat vero illa Pater coelestis Optimus, uti suae gloriae, Ecclesiae bono et nostrae saluti conducere sapientissime intelligit. Idem Tibi etiam annum hunc 5 cum multa serie sequentium ita decurrere iubeat, ut nulla sine nova gratia lux oriatur, nulla nisi relicta post se benedictione nova occidat. Largiatur corpori etiam, quae laboribus sufficiant, vires, animo, qui re- spondeat studiis, vigorem: imprimis vero profectus Tuos non tam augeat quam sanctificet et gloriae suae servire faciat. Quid enim profuerit naturae omnia 10 nosse arcana et, quicquid subtilitas ingenii invenire potest, callere ad unguem, imo ad inveniendum valere ἀγχινοίᾳ3 et foecunditate, quae in hominem ca- dat, maxima, nisi anima ultra res huius seculi elevata, aeternorum ante cuncta reliqua illustrata cognitione, accendatur desiderio. Ad haec, si sapis, omnia tua diriges, debitam illis diligentiam impendens, quibus etiam hominibus prod- 15 esse aliis valeas, sed cuncta demum ad finem illum ultimum prudenter referens. Unde quicquid apud Te paterna autoritas valet, valere autem debet pluri- mum, non minus cura, ut anima Tua spiritualibus bonis et virtute impleatur quam in notitia rerum huius seculi proficiat, et circa haec etiam occupatus non illud quaere, ut in mundo aliquando emineas, celebritatem nominis acquiras 20 vel divitias cumules aut naturali duntaxat inclinationi obsequare, sed ut id unum ante oculos semper sit eoque omnia dirigas, quo divina gloria in veri- tatis manifestatione promoveatur et proximo opera Tua prosit: ad quod praeter

7 corpori ] – D1. 11 foecunditate ] facunditate: D2. 15 referens ] referes: D2.

1 Johann Jakob Spener, ältester Sohn Speners; er beschäftigte sich neben der Medizin mit zahlreichen anderen naturwissenschaftlichen Fragen (s. Brief Nr. 110 Anm. 1). 2 Ein Brief mit Neujahrsgrüßen Johann Jakob Speners ist nicht überliefert. 3 Scharfsinn. Nr. 139 an Johann Jakob Spener 19. 1. 1691 643 industriam studiorum frequens cordis exploratio, quem hoc sibi in iis, quae agis, scopum praefigat, et ardentes preces omnino necessaria sunt. Deus suo Te regat spiritu, ut non hic solum, verum etiam aeternum de Te nobis laetari 25 liceat. Vale in DOMINO. Dresdae, 19. Januarii 1691.

28 Dresdae ] Die: D1. 644 Briefe des Jahres 1691 140. An Paul Anton in Rochlitz1 Dresden, 19. Januar 1691

Inhalt Bittet für einen Nefen von Christian Gerber um ein von der Stadt Rochlitz vergebenes Stipendi- um für den Schulbesuch. – Begründet dies nicht nur mit der Armut von dessen Mutter, sondern auch mit dem rechtschafenen Christentum Gerbers. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 81, S. 129–131.

Göttliche Gnade, friede, licht, heil und seegen von unßerm allerliebsten Heiland Jesu. Hochwürdiger, Großachtbar und Hochgelahrter Insonders Hochgeehrter Herr und in dem Herrn geliebter Bruder.

5 Ob ich wohl gestrigen tages an denselben bereits geschrieben2, so werde doch zu diesen Zeilen von neuem veranlaßet durch H. M. Christian Gerbers3, treufeißigen pfarherr in Lockwitz allernechst hiebey. Dieser hat mich be- richtet4, daß er seine Schwester5, einer armen predigers witwe Sohn, Joh. Caspar Oberdorfer6, in der schul [in] Grimme7 habe. Weil aber die mutter die 10 mittel zur kost schwerlich werde aufzubringen vermögen und sich alßo um eine Gnadenstelle bewerben müße, seye ihr anzeige geschehen, daß die lob- liche stadt Rochlitz daselbs eine stelle habe, so sich auf ostern erledigen würde, und man nicht wüste, daß dieselbe deßwegen bereits iemand in Vor- schlag hätte. Daher er mich gebeten, an MhH. Superintendenten zu schreiben 15 und zu bitten, ob derselbe so gut seyn und auch vorgedachten Waysen bey E.

6 neuem: cj ] neuen: K. 14 Superintendenten: cj ] Superintendentz: K.

1 Paul Anton, Superintendent in Rochlitz (s. Brief Nr. 29 Anm. 1). 2 Dazu s. Brief Nr. 136 Anm. 2. 3 Christian Gerber (27. 3. 1660–2. 3. 1731), Pfarrer in Lockwitz; geb. in Görnitz, nach dem Stu- dium in Leipzig Informator in Dresden, 1684 Mag. in Wittenberg, 1685 Pfarrer in Rothschönberg und 1690 in Lockwitz; Anhänger Speners und Verfasser u. a. der pietistischen Sammelbiographie „Historia der Wiedergebohrnen in Sachsen, 4 Bde, 1725–1729“ (ADB 8, 718 f; F. Blanckmei- ster, Der Pfarrer von Lockwitz. Christian Gerber, Leipzig 1893). 4 „Mich berichten“ im Sinne von „mich unterrichten“ (DWB 1, 1522). 5 Vorname unbekannt; sie war die Witwe des 1689 gestorbenen Caspar Oberdorfer (Obendorf) (zu diesem s. Grünberg, Pfarrerbuch 2, 653). 6 Johann Caspar Oberdorf(er) (Obendorf) (1675 geb.); geb. in Lobstädt, 1690 Gymnasium in Grimma und imm. in Leipzig, 1695 Mag. in Leipzig, 1705 Substitut in Possendorf bei Dresden, 1707 Pfarrer in Gohlis bei Riesa, 1710 Diaconus in Liebenwerda (PfBKPS 6, 352). 7 Die Fürstenschule Grimma, gegründet im Jahr 1550 als eine der drei sächsischen Für- stenschulen. Nr. 140 an Paul Anton 19. 1. 1691 645 wohlEhrw. rath intercediren möchte. Wäre es nun möglich, daß ohne hindan- setzung eines dazu berechtigten dieser dürftige knab zu dieser stattstelle ge- langen könte, solte mirs selbs angenehm seyn, und hätte ich freylich zu bitten, ob beliebig wäre, mit einem kräftigem Vorwort die sache gehöriges orts zu recommendiren. 20 Wozu mich sowohl die betrachtung des verlaßenen Zustandes der Mutter beweget als das Ansehen des H. M. Gerbers, den ich vor vielen andern liebe als einen, an dem ich gefunden, daß er das rechtschafene und innere Chri- stenthum beßer als die meisten andere einsihet, und ich also hofe, daß der HErr seinen Dienst ferner seegnen werde: weswegen ich seine billiche Ver- 25 langen, nach meinem Vermögen zu secundiren, mich soviel mehr verbunden achte. Der HErr regiere aber auch solches geschäft nach seinem guten und gnädigen Willen. Und ich nechst hertzlicher Erlaßung in des himmlischen Vaters treue Obhut zu allem Seegen verbleibe

E. HochEhrw. zum Gebet u. fr. Liebe williger 30 Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 19. Jan[uar] 1691. Dem WohlEhrwürdigen, Großachtbaren und Hochgelahrten Herrn Paulo Antonio, der Heil. Schrift vortrefichen Licentiato, treueyfrigen Pastori zu 35 Rochlitz und dasiger Dioeces wachsamen Superintendeten. Meinem inson- ders Hochgeehrten Herrn und in dem Herrn viel geliebten Bruder. Rochlitz.

27 guten: cj ] güten: K. 646 Briefe des Jahres 1691 141. An [Johann Heinrich Horb in Hamburg]1 Dresden, [Ende Januar] 16912

Inhalt Gibt zu bedenken, daß das Versicherungswesen nicht nur nach weltlichen Aspekten zu beurteilen ist. – Begründet die Zulässigkeit von Versicherungen mit der durch die zweite Tafel des Dekalogs geforderten Nächstenliebe und der von Gott geschenkten Klugheit, die kein Mißtrauen gegen Gott ist. – Weist die Argumente zurück, man würde dabei wie beim Glücksspiel sein Vermögen aufs Spiel setzen, anstatt durch Arbeit sein Geld zu verdienen. – Hält es für nötig, sich an die von der Obrigkeit festgesetzten Zinssätze zu halten, die im Versicherungsfall für genügend Kapital sorgen; gibt zu bedenken, im Notfall die Rückzahlung von Zinsen zu erlassen oder zu mindern. – Begründet, warum das Sezieren von menschlichen Körpern aus Gründen der medizinischen Erkenntnis hilfreich ist. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 364–368.

Was die assecurationes3 anlangt, vermeine ich, daß ein Theologus nicht bloß dahin davon als einer weltlichen sache urtheilen könne. Meinen gedancken nach wird alles darauf beruhen, ob solche assecurationes entweder ein dem publico4 nützliches und dem for der kaufmannschaft nöthiges mittel oder

5 eine ] ein: D1+2. ​

1 Johann Heinrich Horb, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 32 Anm. 1). – Zur Emp- fängerbestimmung: Dieses Schreiben ist die Antwort auf Horbs Bericht und Bitte in seinem Brief vom 10. 1. 1691: „Unser l. H. Dunte hat bey jüngstem Sturm auf der See grossen Schaden erlitten, indem er fast alle Schife verassecurirt, das ist, er nimmt von jeglichem Kaufmann pro Cento, so viel die Waaren in dem Schif belaufen, 10, 15, bis 20 und mehr Thaler, da sie glückl. angekommen, wohin sie verlangen. Gehen aber die Schife zu Grunde, so muß er denen Kauf­ leuten allen Schaden gut thun, so dismahl ein grosses betragen. Daher mich verlangt, meines l. Br. Christl. Gutachten zu vernehmen, ob ein Christ solchen Hazart thun u. dergl. Handlung continuiren könne u. ob auch ein Kaufmann, der s. Waaren also assecuriren läst, nicht wieder das Vertrauen auf Gott sich versündige.“ (Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 50, Bl. 152v–153r). – Bei dem Kaufmann Dunt handelt es sich wohl um Gustav Dunt (1638–1693), vielleicht auch um seinen Bruder Gerhard (1637–1693), die eine Armenschule („Dunte’sche Schule“) in Hamburg einrichteten. An deren Gründung war Johann Winckler beteiligt (C. Tietz, J. Wincklers Beitrag zur Errichtung der Hamburger Armenschulen, in: J. S. Steiger, S. Richter [Hgg.], Hamburg. Eine Metropolregion zwischen Früher Neuzeit und Aufklärung Berlin 2012, [105–118], 114; der testamentartige „Letzte Wille“ Gustav Dunts mit genauer Aufstellung der Vermögensverhältnisse ist abgedruckt in: Geffcken, 257–259). 2 Der Brief muß zwischen den Briefen Horbs vom 10. 1. und 11. 2. 1691 geschrieben worden sein. In diesem letzteren schreibt er: „Für die beide consilia sage herzl. Dank, sie haben mich sehr contentiret, wiewol mich bei dem ersten dünkt, daß die Begierde, reich zu werden, der Grund aller Handlungen in Hamburg sei, darin ich mich nicht zu schicken weiß“ (Herrnhut, R. 23.A.3.a, Nr. 51, Bl. 157r). 3 Versicherungen. 4 Der Öfentlichkeit. Nr. 141 an [Johann Heinrich Horb] [Ende Januar] 1691 647 nur eine erfndung so geitziger als vermessener leute, die grossen vortheil 5 suchten oder als ein spiel alles wagen wolten, seyn, das publicum aber ohne verlust derselben wol entrathen könte. Wäre dieses letztere, so würden sie al- lerdings zu verwerfen seyn, als die ohne das aufs wenigste nicht den besten schein haben. Das erste aber justifcirte sie allerdings. So will mir auch fast vorkommen, als wann das erste eher platz haben solte: nemlich daß an einem 10 ort, da grosse handlungen sind und nach dero erhaltung getrachtet wird, dieselbe sehr befordern möge, wo leute, die von grossem capital sind, sich fnden, an welche andere handels=leute,​ dero gantzer ruin an einem oder anderem verlust hängen, und wo dero nach einander mehrere zu grunde giengen, solches der kaufmannschaft ein stoß thun würde, sich adressiren 15 und damit aus der gefahr des verderbens sich retten mögen. Indem daraus geschehen wird, daß die meiste grosse verlust alsdann nicht so wol solche trefen, welche so bald ruiniret würden, wo sie anders ihnen prospiciren5 haben wollen als solche, die bey grösserem vermögen einige stösse auszuhalten vermögen. Aus dieser ursach kommet mirs vor, daß die assecurationes ein 20 mittel des fors der handlung seyen, ob ich wol bekenne, daß, als ich der hand- lung nicht kundig bin, nicht wisse, ob mich vielleicht in solchen gedancken betriegen möchte. Solte es aber also bewandt seyn, so will ich nicht zweifen, daß dieselbe so wol als andere weltliche und politische ordnungen dem Christenthum nicht zuwider seyen. 25 Dann was die gemeine leibliche wolfahrt und die mittel derselben, unter denen die handlung ein nicht geringes ist, erhält und befordert, ist der liebe gemäß, die hingegen die seele ist der übung des Christenthums nach der andern tafel6: ferner was der liebe gemäß ist, ist auch dem Christenthum selbs nicht zu wider. Was dagegen eingewendet werden könte, meine ich nicht so 30 wichtig zu seyn, daß das gegentheil geschlossen werden solte. Es gehet aber solches theils diejenige an, so das ihrige assecuriren lassen7, theils die assecu- ranten8. Was jene anlangt, hat es den schein eines mißtrauens gegen GOTT. Aber es ist allein der schein und schliesset das christliche vertrauen die menschliche klugheit, so lang sie sich dergleichen mittel gebraucht, die sonst 35 GOTT nicht zu wider sind, nicht aus. Wann es also GOTT und dem schul- digen vertrauen auf ihn nicht zu wider ist, daß man in einer gefahr ein theil seines vermögens auf künftige fälle zurück behalte und nicht eben alles auf einmal in die schantz schlage9, wie Jacob, 1.Mos. 32,710, sein heer in solcher absicht abtheilte, so ists auch nicht entgegen, wann ich einen andern in die 40

5 Vorsorge tragen. 6 Die „zweite Tafel“ des Dekalogs, die v. a. die sozialethischen Gebote enthält (s. Ex 20,13–17). 7 Die Versicherungsnehmer. 8 Die Versicherer. 9 Sprichwörtlich: „aufs Spiel setzen“ (Wander 4, 102 Nr. 14). 10 Gen 32,7 (Luther 1545: „DJe Boten kamen wider zu Jacob / vnd sprachen / Wir kamen zu deinem bruder Esau / vnd er zeucht dir auch entgegen mit vier hundert Man. Da furcht sich Jacob seer / vnd jm ward bange / Vnd teilet das Volck das bey jm war / vnd die schafe / vnd die rinder / vnd die kamel / in zwey Heere“). 648 Briefe des Jahres 1691

gemeinschaft der gefahr nehme, damit mich nicht dieselbe allerdings zu boden stosse. Was die assecuranten anlangt, möchte denselben dreyerley entgegen ge- halten werden, einmal daß es nicht christlich wäre, das seinige dermassen in 45 gefahr und hazard11 zu setzen, da mans so leicht verliehren könte, weil man ja mit dem, was göttliche güte einem jeglichen beschert hat, also umzugehen habe, daß man ihr auch davor rechenschaft geben könne: aber es wird dieser einwurf bald widerleget durch so viele exempel, daran niemand zweifen kan, daß die sache erlaubt seye, der fälle, da man das seinige in grosse gefahr 50 hingibet. Ja, wo es wider das Christenthum wäre, sein leibliches vermögen in gefahr verlusts zu geben, so würde alle seefahrt unrecht seyn, neben so vielen andern lebens=​arten, da das brodt mit vieler gefahr erworben werden muß und deren doch das menschliche geschlecht nicht wol entrathen kan. Das andere, das entgegen gehalten werden möchte, wäre, daß der assecurant 55 ohne seine arbeit etwas gewinnen wolle. Es wird aber auch die schwachheit dieses einwurfs daraus erhellen, wann wir bedencken, daß zwar jeglicher Christ seine zeit nicht mit müßiggang zubringen, sondern etwas redliches arbeiten solle, darinnen er GOTT und dem nechsten diene, welches gebot die assecuranten so wol angehet als andere Christen, jedoch daß dieses nicht 60 nothwendig folge, daß jedem seine nahrung und was dazu gehöret, aus seiner eigenen arbeit kommen müsse: sondern es kan einer mit gutem gewissen von den mitteln leben, die er durch anderer arbeit erwirbet, dabey er aber seine zeit zu andern christlichen und nützlichen verrichtungen, daß er nicht müßig seye, anzuwenden verbunden ist. So wird niemand leicht daran zweifen, daß 65 wider diese christliche regel nicht gesündigt werde, wo zwey eine compagnie machen, da der eine die mittel dazu schösse, ob er wol nicht mitarbeiten kan, der andere hingegen seine arbeit dabey leistete: da gleichwol jenem durch dieses arbeit von seinen mitteln gewinn kommet. Das schwehrste 3. möchte seyn, daß der gewinn enorm und nicht nach den 70 reichs=​satzungen, wie viel man von ausgelehntem geld zu nehmen habe, eingerichtet seye. Nun ists nicht ohne, daß es einen schein einer grossen unbillichkeit habe. Wann aber hingegen dieses vorausgesetzt wird, daß die assecurationes dem gemeinen besten in beforderung der kaufmannschaft, welche nachmal so viele menschen erhalten muß, nöthig und also den geset- 75 zen nicht zu wider seyen, daher auch die regenten dieselbe billigen, so wird damit alles dasjenige, was darzu nöthig ist, es wäre dann ofenbarlich GOttes wort zu wider (dieses aber defniret nirgend die proportion des gewinns, sondern überläßt solches den regenten, wie sie dieselbe nach bewandnüß zeit, ort und geschäfte der gerechtigkeit und billichkeit gemäß fnden), zugleich 80 mit gut geheissen und erlaubt gemacht. Nun wird leicht begreifich seyn, daß

48 viele ] viel: D2.

11 Hasard, Glücksspiel, Wagnis (DWB 10, 523). Nr. 141 an [Johann Heinrich Horb] [Ende Januar] 1691 649 ohne dergleichen grossen und gegen andere arten der handlung übermässigen vortheil nicht allein schwehrlich jemand zu der assecuration sich verstehen, sondern auch niemand lang dabey bestehen könte. Indeme menschlicher weise nicht wol müglich ist, daß ein assecurant nicht dann und wann unglück habe: Da würde aber ein auch oftmaliger sonst gewöhnlicher gewinn von 85 vielen schifen, die mit glück überkämen, etwa kaum in mehrern jahren einen einigen verlust wiederum ersetzen können, sondern ein mann fast nothwen- dig, GOtt bewahre dann das seinige auf fast ausserordenliche und im gemei- nen leben kaum gewöhnliche weise, in kurtzem ruiniret seyn müssen. Deme aber auch dadurch vorgekommen werden muß, daß, ob GOTT auch einige 90 unglückliche fahrten geschehen liesse, wo nur etzliche andere durch dessen gnade geriethen, derselbe noch immer in dem stand bleiben könte, daß er dem nechsten und darinnen dem publico ferner zu dienen vermöchte, indem die grössere öftere gewinne den einmaligen schaden wiederum ersetzen. Indessen wird ein solcher assecurant, im fall er wahrhaftig christlich ist, 95 gleichwol aus trieb seines gewissens seinen gewinn auch also zu moderiren wissen, daß die liebe nicht verletzet werde: Nemlich dafern ihm GOTT meistens glück gibet und also sein reichthum ungemein zunehme, daß er durch den starcken gewinn leicht andern schaden wieder zu ergäntzen hätte, daß er so wol sonsten desto mehr gelegenheit suche, an nothdürftigen die 100 werck der liebe so viel reichlicher zu erweisen (als wohin aller überfuß, den GOTT gibet, meistens von ihm gemeint ist), als auch da er unter denjenigen, welchen er mit seiner assecuration gedienet und von ihnen ein ehrliches be- kommen, einige fnden solte, die dasjenige, was sie ihm ex pacto12 haben geben müssen, schwehr truckte, er auch alsdenn etwas seines rechts sich be- 105 gebe und, wie man bey benöthigten schulden der pension oder zinsen wegen zu thun schuldig ist, ihnen wieder von demjenigen zuwende, was ihm sonsten das recht an sich selbs unzweifenlich zuspräche: In welcher bewandnüß die liebe allezeit billich meisterin bleiben solle. Der HErr aber gebe selbs, seinen willen in allen stücken zu erkennen, und erfülle die hertzen mit liebe, so muß 110 alles nothwendig wol und ihm gefällig gehen. Was die frage des anatomirens13 wegen anlangt, wäre meine meinung diese: 1. Dem menschlichen leib, als welcher ein tempel des H. Geistes14 gewesen oder doch hat seyn können, gebühret seine ehre noch in gewisser maaß15 nach dem tod, daß er also nicht als ein aaß des viehes anzusehen und zu tractiren 115 ist.

12 Vertraglich. 13 Horb hatte in seinem Brief vom 10. 1. 1691 (s. Anm. 1) gefragt: „So kommt mir auch meines Sohnes annadomiren so schinderisch u. sündl. für, einen Cörper, nach Gottes bilde erschafen, also übel zuzurichten, daß mirs von Hertzen ein Eckel, u. darum auch bitte, seine Gedancken mir zu eröfnen.“ 14 1Kor 6,19. 15 Die Maß (DWB 12, 1727). 650 Briefe des Jahres 1691

2. Daher wo man mit todten cörpern schimpfich und mit einer eigenli- chen grausamkeit umgehen wolte, ich auch solches nicht könte billigen, sondern sehe es an, daß es zu beschimpfung des schöpfers gereichen würde. 120 3. Wo aber solche zerschneidungen und durchwühlungen der menschlichen cörper wahrhaftig zu diesem ende geschehen, die innerliche bewandnüß derselben zu erlernen und in der erkäntnüß derselben zuzunehmen, damit man durch dieselbe nachmal so viel tüchtiger werde, zu der lebendigen leiber gesundheit so viel gewisser zu rathen: So halte ich alle diejenige mittel, die zu 125 einem solchen an sich selbs nöthigen und nützlichen zweck nothwendig sind, auch göttlichem willen, der diesen will, nicht entgegen und deßwegen mit gutem gewissen zu practiciren. 4. Also bleibet mir dieses argument, was dem todten cörper nicht schadet, nicht nur weil er nichts fühlet, sondern ohne das der verwesung zuerkant ist 130 und also demselben nichts dran gelegen ist, ob er in seiner gestalt mit an ein- ander hängenden gliedern oder zerstücket in dieselbe eingehet, hingegen vielen lebendigen leibern nützlich seyn kan, solches ist nicht nur an sich nicht unrecht, sondern auch zu nicht mißrathen. 5. Daher wo ich selbs zum exempel nach GOttes willen einigen schaden 135 oder kranckheit bekommen solte, welche entweder ungemein oder doch ver- muthung wäre, daß nach dem tod in inspection meines cörpers solte andern, sonderlich medicis zu ihrem unterricht, davon künftig auch andere in curen nutzen haben könten, diensam erachtet werden, würde ich die öfnung eher selbs befehlen als verbieten, und solte mir lieb seyn, nachdem ich nach mei- 140 nem todt sonst mit meinem leibe niemand nutzen kan, wo aufs wenigste dessen untersuchung dem nechsten nutzete. Daß ich also davor halte, wie den todten cörpern an sich selbs damit nichts unrechts oder schaden geschihet, daß auch die lebende, wo sie wissen solten, daß mit ihren leibern etwas der- gleichen vor wäre, sich dessen mit gutem fug nicht zu beschwehren: Wor- 145 innen ich niemand nichts aufbürde, welches ich nicht auch eben so wol selbs an mir zu geschehen zu frieden wäre: Welcherley zumuthungen am allerwe- nigsten verdächtig zu achten sind. 6. Wie es also zwahr einen schein einer grausamkeit hat, auch noch dazu nicht ohne grosse schmertzen abgehet, daß man einem lebenden einen arm, 150 schenckel oder dergleichen glied ablöset, wo es schneidens und brennens gibet, so aber alles gerechtfertiget wird durch die erhaltung des lebens bey demjenigen, dem solches abgelöset wird: Also wird auch aller schein der grau- samkeit, so sich bey dem zerfeischen der todten und unempfndlichen cörper fndet, meines erachtens gnugsam damit purgiret, weil die erhaltung der ge- 155 sundheit bey mehrern lebenden, die dardurch gesucht wird, dessen wol würdig ist. 7. Indessen sollen doch diejenige, so damit umgehen, auch sich so darbey bezeugen, daß sie gedencken, es seyen cörper ihrer art, kein gespött darmit treiben und insgesamt nichts anders darinnen suchen, als was der wahre zweck 160 ist. Welchen vor augen habende sie so gar auch bey solchem werck zu unter- Nr. 141 an [Johann Heinrich Horb] [Ende Januar] 1691 651 schiedlichen guten betrachtungen gelegenheit fnden können und sie nicht zu versäumen haben. Dieses wären meine gedancken über diese fragen. Der HErr aber mache uns selbs in allem seines willens gewiß.

1691. 165 652 Briefe des Jahres 1691 142. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in [Torgau]1 Dresden, 22. Januar 1691

Inhalt Übersendet eine Petition aus den schlesischen Fürstentümern Schweidnitz und Jauer wegen der dortigen Unterdrückung der Evangelischen. – Zeigt am Beispiel der Beilagen, wie diesen die im Westfälischen Frieden zugesagten Rechte allmählich entzogen werden. – Verweist auf das Vor- gehen von Vater und Großvater Johann Georgs zugunsten der schlesischen Evangelischen und bittet, auch über die schlesische Angelegenheit zu sprechen, wenn die evangelischen Fürsten sich trefen, um die antifranzösische Allianz zu beraten. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 38. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 324–325.

Die schwehre betrangnus in Religionssachen, so die Evangelische Stände in Schlesien außtehen müßen2, hat verursachet, daß an Ew. Churf. Dhl. einige derselben auß den fürstenthümern Schweidnitz und Jauer durch mich, deme sie deswegen die mitkommende nachricht zugesandt und, E. Churf. Dhl. dero 5 noth beweglich vorzustellen, ersuchet haben, ihre underthänigste zufucht nehmen. So erhellet nun aus dem beyschluß, was nicht allein in einem absonderli- chen casu wegen einer Adelichen wittwen, so ihre töchtere zu Papistischer auferziehung extradiren sollen3, vorgegangen, sondern auch was vor geheime 10 instruction an alle hauptleute von Kays[erlichem] hof wegen der Tutelar=​ sache4 ergangen seye, dero bewerckstelligung nicht viel weniger als eine of- fenbahre, ob wol allmähliche reformation nach sich zeucht. Es gehet auch den betrangten so viel mehr zu hertzen, wann in Kays. resolution, was den Evan- gelischen in dem Oßnabrückischen friedenschluß erlangt worden5, nicht

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). – Zur Verlegung seiner Residenz nach Torgau s. Brief Nr. 147 Anm. 2. 2 Zu der Bedrängnis der Evangelischen in Schlesien s. Brief Nr. 5, bes. Anm. 7. 3 Nichts Näheres dazu ermittelt. 4 Vormundschaftssache. 5 Im Westfälischen Frieden wurde in Art. V, § 38–41 des „Friedensinstruments von Osna- brück“ vom 24. 10. 1648 den Fürstentümern Liegnitz, Brieg, Münsterberg, Oels und Wohlau, sowie der Stadt Breslau die freie Religionsausübung gewährleistet (K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Teil II, Tübingen, 2. Auf. 1913, 411). – Daß in den Erbfürstentümern Glogau, Jauer und Schweidnitz jeweils eine evangelische Kirche („Friedenskirchen“) erbaut werden durfte (s. dazu aaO, § 40), war v. a. dem Einsatz der Schweden zu verdanken (G. A. Benrath [Hg.], Quellenbuch zur Geschichte des evan- gelischen Kirche in Schlesien, München 1992, 123). Nr. 142 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 22. 1. 1691 653 mehr will vor eine obligation ex pacto6, sondern bloße Kays. und Königl. 15 clemenz7 angesehen werden, da sie sorgen, daß sie in kurtzem um alles sich darauf beziehende kommen möchten. Wann denn Ew. Churf. Dhl. nechst dero hochseligem herrn Vatern8 und GroßHerren Vatern9 biß dahin sich der noth solcher betrangten Evangeli- schen in Schlesien höchstrühmlich auf alle mügliche weise angenommen 20 haben, dazu auch vor andern ständen das meiste recht deroselben zukom- met10, so tragen jene betrangte samt mir das unterthänigste vertrauen, daß Ew. Churf. Dhl. auch dieses mal wege fnden möchten, wie mit Intercessionen und kräftigen remonstrationen an Kays. hof der lauf der Jesuitischen Con- siliorum11, davon alles her kommen mag, nachtrücklich underbrochen werden 25 möchte: dazu man jener seits dieses mal eine bequeme gelegenheit zu sein hofet bey der vorstehenden zusammenkunft der mehreren alliirten Mach- ten12, daferne Ew. Churf. Dhl. durch die jenige, so sie dahin gnädigst abord- nen möchten, dieser materie gedencken ließen, ob in mehrerem nahmen dergleichen instanz13 geschehen könte, daran dermaleins eine erleichterung 30 des bißherigen kummers unsren Religions=​verwandten in solchen landen erlanget werden möchte. Wie nun in dem übrigen, E. Churf. Dhl. nichts vor- zuschreiben, mich undernehme, so vergnüge14 mich, die noth der jenigen, welche zu derselben, da sie es nicht ofentlich thun dörfen, durch andere ihre underthänigste zufucht nehmen, mit demütigem respect zur gnädigsten wi- 35 ßenschaft hiermit gebracht zu haben15. Der große Gott und höchste herr seiner kirchen nehme sich derselben selbs mächtiglich an, lencke das hertz unsers Oberhaupts, des Römischen Kaysers16, zu gütigster und mitleidender ansehung der seufzen seiner durch des cleri consilia betrangten Evangelischen underthanen, erfülle E. Churf. Dhl. und anderer unserer kirch hoher Häupter 40 gemüther noch ferner mit gottseligem eifer und liebe vor und gegen die getruckte glaubensgenoßen, gebe selbs darzu durch seinen H. Geist rath und nachtruck und vergelte allen, was sie hierinnen zu beforderung seiner ehre

6 Eine vertraglich festgelegte Verpfichtung. 7 Gnade, Milde. 8 Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen (31. 3. 1613–22. 8. 1680), 1656 regierender Kurfürst in Sachsen. 9 Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen (5. 3. 1585–8. 10. 1656), 1611 regierender Kurfürst in Sachsen. 10 Die sächsischen Kurfürsten hatten das Direktorium des Corpus evangelicorum im Alten Reich inne (K. O. v. Aretin, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1993, 51). 11 Spener sah hinter den gegenreformatorischen Bemühungen in Schlesien vor allem die Je- suiten als treibende Kraft. 12 Im Februar trafen sich die Kriegsgegner Frankreichs zu einer Konferenz im Haag (Theatrum Europaeum, Bd. 14, S. 27; Pufendorf-Briefwechsel, 306, Brief Nr. 199 Anm. 13). 13 Heftiges Bitten, Drängen; vom lat. „instantia“. 14 Im Sinne von „zufrieden stellen“, „das, womit man sich begnügt“ (DWB 25, 464. 466). 15 Im Sinne von „zur Kenntnis bringen“ (vgl. DWB 30, 781). 16 Kaiser Leopold I. (s. Brief Nr. 5 Anm. 7). 654 Briefe des Jahres 1691

und erleichterung anderer gefahr vornehmen, mit tausendfältigem geistlich= 45 und leiblichem Segen. Worzu und insgesamt in deßen heilige Obhut und weiseste regierung von tiefstem grund der Seelen dero hohe Person, Churhauß und Lande emp- fehlende verharre E. Churf. Durchl. zu gebet und demütigem gehorsam underthänigster

50 Dreßden, den 22. Jan[uar] 1691. Nr. 143 an [Königin Ulrike Eleonore von Schweden] 3. 2. 1691 655 143. An [Königin Ulrike Eleonore von Schweden in Stockholm]1 Dresden, 3. Februar 1691

Inhalt Hoft, daß sich Ulrike Eleonores Gesundheitszustand gebessert hat, und sagt weitere Fürbitte zu. – Beschreibt die Bemühungen der Katholiken in Schlesien, durch Übergrife auf die evan- gelischen Kinder die Gegenreformation zu realisieren. – Bittet den schwedischen König, sich der bedrängten Evangelischen in Schlesien anzunehmen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 804–806 (2. Auf.: S. 804–805).

JEsum zum licht, kraft, leben und stärckung des inneren menschen, zum erhalter, versorger und heilsamen artzt des eusseren, zum regierer aller anschläge, zum segen aller verrichtungen, zum trost und erleichterung aller beschwerden und anligen, zur freude in denen sonst betrübten zeiten und zum beständigen einwohner der seelen in diesem 5 und vielen folgenden jahren, bis er gar alles werde in der ofenbarten und herrlichen ewigkeit! Durchleuchtigste, großmächtigste Königin, gnädigste Königin und Frau. Wie dieses, wofern E[ure] Kön[igliche] Maj[estät] gegenwärtige zeilen in einem auch nach dem leiblichen erfreulichen zustand und durch des himm- 10 lischen Vaters güte von der vorigen unpäßlichkeit2 völlig aufgerichtet an- trefen solten, neben allen andern, welche, was des Allerhöchsten güte an dero theuren person geschenket habe, erkennen, auch mir die innigste vergnügung und neue ursach, den GOtt des lebens davor demüthigst zu preisen, geben würde, also versichre mit unterthänigster devotion, daß solcher wunsch ein 15 stück meines mehrmaligen gebets täglich seye. Wann es aber auch in göttli- chem wort heisset, Ps. 4l: „Wol dem, der sich des dürftigen annimmet, den wird der Herr erretten zur bösen zeit. Der HErr wird ihn bewahren und beym leben erhalten und ihm lassen wol gehen auf erden und nicht geben in seiner feinde willen. Der HErr wird ihn erquicken auf seinem siegbette3, du hilfest 20 ihm von aller seiner kranckheit etc“.4 So erkühne mich hierbey, E. K. M. in unterthänigstem gehorsam eine ge- legenheit an hand zu geben, durch das annehmen einiger dürftigen5 sich

1 Königin Ulrike Eleonore von Schweden (s. Brief Nr. 97 Anm. 1). 2 Vgl. dazu Brief Nr. 97, Z. 31–33. 3 Gemeint ist – nach dem Bibeltext: „Siechbette“. 4 Ps 41,1–4. 5 Im Sinne von „bedürftig“ (DWB 2, 1731). 656 Briefe des Jahres 1691

dieser theuren verheissungen theilhaftig zu machen oder, da dieselbe (wie ich 25 inniglich wünsche) bereits dero erfüllung durch wider erlangung völliger gesundheit aufs neue genossen hätte, ein wirckliches danckopfer dem grossen GOtt darinnen zu bringen. Ich zweife nicht, daß E. K. M. zimlicher massen die grosse betrangnus unsrer Evangelischen glaubens=​genossen in Schlesien, welche sie unter vorwand Kays. autorität von dem päpstischen clero von 30 mehrern jahren haben leiden müssen und welche von zeit zu zeit zunimmet, bekant worden seye6. Eines der gefährlichsten stücke, dardurch derselbe zum allerfordristen den adel allgemach durch dero kinder zu ihrer kirchen zu bringen trachtet und alsdann mit den übrigen leicht fertig zu werden hofet, ist wol dasjenige, daß denen verwayßten kindern so bald papistische vor- 35 münder verordnet und diesen dieselbe zur auferziehung überlassen werden sollen: wordurch geschehen wird, daß, wofern der Allerhöchste nicht sonder- lich steuret, in nicht so langer zeit, das meiste des adels durch diese verordnung in das papstum gezogen und damit vollends die übrige reformation desto leichter gemachet werden wird. Aus dieser consideration und forcht sind von 40 einigen der Evangelischen in den Fürstenthümern Schweidnitz und Jauer (nachdem sie ohne gefahr sich selbs unmittelbar an hohen orten nicht an- melden oder ihren kummer nicht ausschütten dörfen) an mich diese innla- gen7 gekommen, und bin gebeten worden, nicht allein bey meinem gnädig- sten Churfürsten und Herrn8 dero noth amtshalben beweglich vorzustellen, 45 sondern auch nach der pficht, mit dero jeglicher prediger der gesamten Evangelischen kirchen verbunden seye, wo ich gelegenheit wüßte, an andern höhern orten ihrer betrangnus meldung zu thun, solche liebe ihnen zu er- zeigen. Wann ich nun mich versichert halte, wo auf einigen hohen Potentaten an dem Kays. hof zu erleichterung dieser armen betrangten viele refexion 50 gemachet zu werden, gehofet werden könne, so werde solches die hochlöbl. cron Schweden seyn, welche sich nicht nur auch sonsten des Evangelischen wesens in Teutschland kräftig angenommen, sondern auch vor andern meh- rers recht hat, die festhaltung desjenigen, was sonderlich von deroselben auf dem Oßnabrügischen tage den Evangelischen Schlesiern zu gut erhalten 55 worden ist9, zu fordern, und auch in diesem stück nichts wider sothanen friedensschluß geschehen zu lassen: so habe geglaubet, daß mich nirgend mit mehrerem fug in solcher sache adressiren könte. Wann mir aber noch niemal einiger weg an S[eine] Königl[iche] Maj[estät]10 selbst ofen gewesen, so habe

6 Näheres zum Versuch der Rekatholisierung Schlesiens durch die Habsburger und Speners Bemühungen, die Evangelischen durch seine Verbindungen zu fürstlichen Häusern zu unter- stützen, s. Briefe Nr. 5 u. Nr. 142. 7 Eine Petition, die er auch an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen mit einem Begleitbrief weitergeleitet hatte (Brief Nr. 142, Z. 2–4). 8 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (Brief Nr. 1 Anm. 1). – Zu dessen besonderer Verantwortlichkeit für unterdrückte Evangelische im Reich s. seine Stellung als Vorsitzender des Corpus evangelicorum s. Brief Nr. 142 Anm. 10. 9 Zu den Vereinbarungen über Schlesien im Westfälischen Frieden s. Brief Nr. 142, Anm. 5. 10 Karl XI. von Schweden (s. Brief Nr. 97 Anm. 9). Nr. 143 an [Königin Ulrike Eleonore von Schweden] 3. 2. 1691 657 mich derjenigen gnädigsten admission11, da E. K. M. dero unterthänigsten diener, dieselbe mit gehorsamen schreiben anzugehen, bisher verstattet, auch 60 hierinnen zu gebrauchen in der forcht des Herrn erkühnet: hiemit also E. K. M. in unterthänigster demuth anfehende, sie geruheten sich der hertz- lich betrangten und geängstigten eltern und kinder in Schlesien schwere noth und seelen=​gefahr zu hertzen gehen zu lassen und bey dero werthesten Herrn Gemahls Königl. Maj., dero zu beforderung der ehre GOttes, der Evangeli- 65 schen warheit und gerechtigkeit von selbsten geneigtes gemüth ohne das rühmlichst bekant ist, vorzustellen. Da nicht zu zweifen ist, daß S. K. M. samt dero erleuchteten ministris, da solche von gewärtigem12 zustand diese ge- gründete nachricht einnehmen, mittel und wege zu fnden wissen, wie etwa diese betrangnus durch dero hohe interposition13 einige erleichterung er- 70 langen möchte14. Ihres orts sind einige in den gedancken gewesen, daß bey gegenwärtiger conferenz mehrerer der protestirenden machten in dem Haag15 vor sie, mit einem mehrern nachtruck, als andere bisherige intercessiones gewesen, müglich seyn werde, sie bey dem Kays. hof vor die manutenenz16 ihrer religions=​freyheit zu verbitten: mir will aber nicht zukommen, etwas 75 dergleichen vorzuschlagen, sondern damit vergnügt, dieser geängsteten noth etlicher massen bekant gemacht zu haben, solle alles S. K. M. u. dero consilii hocherleuchtetem befnden in unterthänigster demuth überlassen und allein den himmlischen Vater, welcher alle hertzen in seinen händen hat, ferner fehentlich anrufen, daß er sich in seiner in schwerer noth an meisten orten 80 stehenden kirchen mächtiglich annehmen, die hertzen derjenigen, so seine warheit aus unwissendem eifer zu untertrucken suchen, zu der erkäntnus dessen, was sie thun, seliglich bringen, die übrige aber, die mit seinem licht begnadet und mit so gewalt als ansehen ausgerüstet hat, mit weisheit und eifer ferner ausrüsten wolle, auf alle mügliche gütliche art der anderswo lei- 85 denden glaubensgenossen sich anzunehmen, darbey aber glücklichen fortgang mit freuden zu sehen und dardurch so vielmehr segen auf ihre cronen u.

11 Zutritt, Audienz. 12 Wohl im Sinne von „vor Augen (sein)“ oder „gewahr (sein“) (vgl. DWB 6, 5349, dazu auch 4763). 13 Einschaltung, Einmischung. 14 Der schwedische Gesandte am Wiener Kaiserhof hielt daraufhin von Karl XI. eine Instruk- tion, datiert vom 7. 3. 1691, die mit den Worten beginnt: „Wir werden von gutter Hand berichtet, waß gestalt sowohl in denen Kayserl. Erblanden überall, als auch absonderlich in Schlesien die Bedrängnüß der Evangel. Glaubensgenossen von Tag zu Tag zunimbt […].“ Im weiteren Verlauf wird der Gesandte angewiesen, sich vor allem mit den sächsischen Gesandten ins Benehmen zu setzen und ganz ofensichtlich auf die Eingabe verwiesen, die Spener an den schwedischen Hof übermittelte (s. Z. 42 f). Die Instruktion ist abgedruckt in: Siegismund Justus Ehrhardt, Presby- terologie des Evangelischen Schlesiens, Teil 4: Evangelische Kirchen= und Prediger=​Geschichte der Stadt und des Fürstenthums Ligniz, Ligniz 1789, S. 131 f. 15 Zu der Konferenz der Kriegsgegner Frankreichs s. Brief Nr. 142 f Anm. 12. 16 Obrigkeitlich gewährter Schutz für umstrittene (Besitz‑)Rechte (Deutsches Rechtswörter- buch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 9, bearb. von H. Speer u. Chr. Kimmel, Weimer 1996, 182). 658 Briefe des Jahres 1691

thronen an ziehen: als woran es gewißlich von GOttes seiten aus seiner war- heit unmüglich manglen kan. Wann nun E. K. M. auch ihres hohen orts durch 90 liebreiche vorbitte an solchem segen theil erlangen werden, so lebe der tröstlichen zuversicht, daß dieselbe, was aus unterthänigstem vertrauen mich unterstanden habe anzubringen, nicht anders als gnädigst aufnehmen werden. Der HErr HErr aber erfülle das gantze Königl. haus mit allem himmlischen segen von oben zum exempel und freude aller derer, die seine heilige warheit 95 lieben. In dessen ewige güte, süsse liebe, mächtige stärcke und weise regierung, von grund der seelen empfehlende verharre E. K. M. etc. Dresden, den 3. Febr[uar]1691. Nr. 144 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar 3. 2. 1691 659 144. An Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar in Quedlinburg1 Dresden, 3. Februar 1691

Inhalt Bedankt sich für den freundlichen Brief und sagt die weitere Fürbitte zu. – Wünscht den gött- lichen Schutz in der kommenden Zeit. – Berichtet von Widerständen, die sich schon vor mehr als zwanzig Jahren gegen ihn erhoben haben. – Ist sich der Hilfe Gottes in allen Schwierigkeiten gewiß. – Würde die Äbtissin und [Christian] Scriver gerne in Quedlinburg besuchen, wird aber keine Gelegenheit dazu fnden. Überlieferung A: Magdeburg, Landesarchiv, Rep A 20, IV, 48, Bl. 19–21.

JESUM, das a und das o2! Hochwürdigste, Durchläuchtigste Fürstin, Gnädigste Fürstin und Frau! Vor die nochmalen auß E. Hochw. Drlt. nechstem3 gegen mich heraußleuch- tende gnädigste zuneigung und darauß gefoßenen herrlichen Neujahrs- wunsch sage ich billich unterthänigsten danck, mit der versicherung, ob 5 zwahr die bißher gegen mich bezeugte gnade mir nichts meinerseits zu er- widern vermocht, noch dergleichen auf das künftige zu tun hofen kan, daß dannoch bißher nicht underlaßen habe, dero wehrtesten nahmen vor den thron der gnaden4 zu bringen, und alles, wordurch dero hohen person vol- kommenlich in Gott wol sein mag, zu erbitten, damit auch allezeit ferner 10 fortfahren solle. Diesesmahl faße auch meinen wunsch in einfältige kürtze, wünschende unsren theuren JESUM zum liecht, kraft, leben und stärckung des innern menschen, zum erhalter, versorger und artzt des eußern, zum regier5 aller anschläge6, zum segen aller verrichtungen, zum schutz in aller gefahr, zum 15 trost in allem anligen, zur freude in den sonst betrübten zeiten und zum be- ständigen einwohner der Seelen zu diesem und vielen folgenden jahren, biß

7 /daß/.

1 Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, Äbtissin des Stifts Quedlinburg (s. Brief Nr. 18 Anm. 1). 2 Der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets „Alpha“ und „Omega“; sie stehen für Anfang und Ende und für die alles umfassende Wirklichkeit, auf Gott bezogen in Apk 1,8; 21,6. 3 Im Sinne von „letztem“ (DWB 13, 133). – Der Brief der Äbtissin ist nicht überliefert. 4 Vgl. Röm 3,25; Hebr 4,16; 9,5. 5 Mögliche Form für „Regierer“ oder „Regent“ (DWB 14, 527). 6 Im Sinne von „Plan“, „Absicht“, „Vorhaben“ (DWB 1, 440). 660 Briefe des Jahres 1691

er gar alles werde in der ofenbahrten herrlichen ewigkeit7. Nun, der uns heißet in seinem nahmen wünschen und beten8, spreche sein kräftiges Amen9 20 hiezu um der vorbitte seines Allerliebsten Sohnes willen10. Was ferner E. Hochw. Drlt. gedencken wegen einiger widerwärtigkeit11, so mich zuweilen betrefe, und dero gnädigste compassion12 darüber bezeugen, habe mich auch davor zu unterthänigstem danck verbunden zu erkennen. So ist nicht ohn, daß vor 20 und mehr jahren es nicht gemangelet hat an vielen, 25 die mir gern zuwider gewesen und, wo sie vermocht mir zu schaden, ver- langen getragen haben13, da mich meistens dieses betrübet hat, daß under denselbigen gemeiniglich sich auch leute meines ordinis14 befunden, ja wol andre gegen mich angefrischet haben. Jedannoch hat der gütigste vater allen denselbigen niemal mehr gegen mich verhänget, alß daß sie es bey haß, miß- 30 gunst, übelm nachreden und lästern bleiben laßen mußten, weiter aber nicht gehen dorften. Daher nun von langer zeit dem theuren Apostel Paulo, under den ich sonsten wol weiß, wie tief ich mich zu setzen habe, seinen spruch abzulehrnen gehabt habe und mein gantzes leben fast deßen praxis gewesen ist: „Durch böse gerüchte und gute gerüchte“15. Wie aber diese art der leiden 35 noch von den geringsten und gleichsam nur kinderproben sind16, also daß mich der gütigste vater zu schwehrerm nicht muß starck gnug zu sein erkannt haben, so habe under allem solchen seine Himmlische gnade demütigst zu preisen, welche nicht allein meiner schwachheit dermaßen geschohnet, son- dern auch under allem stäts ein ruhiges und freudiges gemüth17, so dann zum 40 oftern in ofenbahrung meiner unschuld einigen sieg verliehen hat: weswe- gen, wo mich beschwehrete, unrecht thun würde, hingegen zu unabläßigem danck verbunden bin.

22 bezeugen, ] + . 23 /auch/. 36 /gnug/.

7 Vgl. Eph 1,23. 8 Vgl. Joh 15,16. 9 Aus dem Hebräischen stammendes Bekräftigungswort der Versicherung des vorher Gesag- ten, v. a. in der Liturgie und am Ende des Gebets; es gehört zum gleichen Stamm des hebräischen Wortes für „Vertrauen“, „Zuversicht“, „Glaube“; vgl. 2Kor 1,20. 10 Vgl. Joh 17,9. 11 Vermutlich hatte die Äbtissin Spener auf die Auseinandersetzungen um den Pietismus an- gesprochen, in denen Spener eine tragende Bedeutung zugemessen wurde (vgl. Brief Nr. 31, Z. 15 u. ö. 12 Mitleiden. 13 Spener denkt hier wohl insbesondere an seine Auseinandersetzung mit Georg Conrad Dil- feld, der zwanzig Jahre zuvor ausgebrochen war; zu diesem und seinem Streit mit Spener s. Brief Nr. 20 Anm. 6.; vielleicht meint er aber auch die Gerüchte, die gegen ihn und die Pietisten in Frankfurt erhoben worden waren (vgl. Frankfurter Briefe, Bd. 3 und 4). 14 Geistliche. 15 2Kor 6,8. 16 Vgl. dazu Briefe Nr. 44, Z. 6, mit Anm. 6 und Nr. 91, Z. 81. 17 Vgl. Brief Nr. Nr. 11, Z. 31–33, mit Anm. 12. Nr. 144 an Äbtissin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar 3. 2. 1691 661

Was das außgebrochene und auch biß an E. hochw. Drlt. gelangte gerücht einiger meiner mutation anlanget18, ist es weiter gegangen, alß in der wahrheit war: dann, ob wol bey einer Hohen person von guter zeit ein verdruß meiner 45 gewesen19, an andern hohen ort aber auch einiges verlangen nach mir sich befunden haben mag20: so ist es doch, weil ich mich zu salvirung meines ge- wißens bloß passive hielte und weder zu noch von thun wolte, zu einigem ernst oder würcklichem trachten niemal gekommen, vielmehr gewinnet mehr und mehr das ansehen, daß göttlicher rath sein möchte, noch ferner in voriger 50 meiner stelle zu bleiben21: deme ich mich ohne das lauterlich überlaßen, wil- lig, nirgend zu verharren und nirgend hinzugehen, andres alß seine hand mich leitet, welches ich allezeit das sicherste und gesegneteste zu sein befunden habe. Der HERR wird alles wol machen22. Im übrigen einmal die gnade zu haben, E. Hochw. Drlt. selbs underthänigst 55 ihres orts aufzuwarten, wo auch die freude genießen würde, meinen wehrten freund, H. Scriverium23, zu sehen, würde mir selbs ein nicht geringes ver- gnügen geben, aber ich sihe menschlicher weise bey gegenwärtigem meinem zustand allerdings keine hofnung, so glücklich zu werden, alß der ich hier angebunden bin und wol einige jahr und tag kaum iemahl außer Dreßden 60 komme. Wormit in des Himmlischen vaters treue obhut, milden segen und heilige regirung von grund der Seelen empfehlende verbleibe E. Hochw. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster Philipp Jacob Spener, D. 65 Mppria. Dreßden, den 3. Febr[uar] 1691. Der Durchläuchtigsten, Hochwürdigsten Fürstin und Frauen, Frauen Annen Dorotheen, des Keyserlichen freien Stifts zu Quedlinburg Abbatißin, Hertzo- gin zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, Landgräfn in Thüringen, Marggräfn 70 zu Meißen, gefürsteter Gräfn zu Henneberg, Gräfn zu der Marck und Ra- venspurg, Frauen zu Ravenstein etc. Meiner gnädigsten Fürstin und Frauen. Quedlinburg.

51 f /willig/. 58 /geben/. 59 zustand ] + .

18 Zu den Überlegungen, Spener von Dresden nach Berlin zu berufen, s. Briefe Nr. 57, Nr. 59, Z. 6–22, Nr. 74, Z. 14–24 u. ö. 19 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen, der seit dem Februar 1689 mit Spener zerstritten war (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 32, Z. 72–120, mit Anm. 25). 20 Der kurbrandenburgische Hof (s. Brief Nr. 57, Z. 12–15). 21 Bis dahin hatte der sächsische Kurfürst sich verweigert, Spener die Dimission zu erteilen (s. Brief Nr. 57 Anm. 10). 22 Ps 37,5. 23 Christian Scriver, seit 1690 Oberhofprediger in Quedlinburg (s. Brief Nr. 18 Anm. 9), wohin er von Spener selbst empfohlen worden war (s. Brief Nr. 18, Z. 25–80). 662 Briefe des Jahres 1691 145. An [Johann Wilhelm Petersen in Lüneburg]1 Dresden, [vor 6. Februar] 16912

Inhalt Bespricht die [in Lüneburg] gebrauchte deutsche Übersetzung des „Te Deum“, die er an etlichen Stellen für theologisch fragwürdig hält. Glaubt, daß sie eine frühe Form darstellt, die in die An- fänge der Reformationszeit zurückweist und vielleicht durch die Hussiten geprägt ist. – Schlägt vor, sie in der Liturgie durch die Übersetzung Luthers zu ersetzen, jedoch sorgsam, damit keine Unruhe in der Gemeinde entsteht. Überlieferung D1: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 124–126. D2: Johann Wilhelm Petersen, Lebensbeschreibung, 1717 (21719), S. 152 (Z. 1–9. 47–60).

Was das gesang3 anlangt: „O GOTT wir loben dich“4, ist mir solches biß dahin gantz unbekant gewesen5; ich bin aber mit geliebtem bruder einer Meynung 1. daß derselbe noch vor Luthero6 oder in der ersten Zeit seiner reforma- 5 tion von jemand gemachet worden, welches die art der teutschen rede zeiget,

1 das ] den: D2. 2 geliebtem ] geliebten: D2. 4 1. ] – D2. 4 derselbe ] dasselbe: D1. ​ 4 seiner ] der: D2.

1 Johann Wilhelm Petersen, Superintendent in Lüneburg (s. Brief Nr. 26 Anm. 1). – Zur Emp- fängerbestimmung: In Lüneburg fand eine Auseinandersetzung um eine falsche, aber herkömm- lich verwendete, Übersetzung des „Te Deum“ statt, die Petersen kritisierte (zu den näheren Umständen s. Anm. 2). 2 Petersen hatte am 6. 2. 1691 bei den Kollegen des Predigerministeriums vorgeschlagen, den Text des „Te Deum“ im sonntäglichen Gottesdienst „in der Stille unter der Hand“ (Petersen, Lebensbeschreibung, 149) zu ändern (aaO, 152). Dies entspricht ziemlich genau dem Vorschlag Speners in Z. 68–70, so dass davon auszugehen ist, dass Petersen schon vor seinem Vorstoß beim Predigerkollegium sich Speners Gutachten erbeten und es auch erhalten hatte. Die Angelegenheit wird noch am 15. 6. 1690 im Lüneburger Predigerministerium verhandelt (s. Matthias, Petersen, 306). 3 Eine altertümliche Form im Neutrum (DWB 5, 3796). 4 Die deutsche Übersetzung des „Te Deum“. Es wird in der kirchlichen Tradition Ambrosius von Mailand zugeschrieben (TRE 33, 23–28). 5 Es handelt sich dabei um die Version im „Deutsch kirchenampt“, die von Thomas Müntzer verfaßt wurde (s. Sehling I/1, 472–497). Das „Te Deum“ mit den von Spener problematisierten Übersetzungsteilen fndet sich auf S. 489. 6 Die Übersetzung des „Te Deum“ in Prosaform von Martin Luther fndet sich in WA 50, 265.41–266.31; zur gebundenen Form s. M. Jenny, Luthers Geistliche Lieder und Kirchen- gesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe (Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers, Bd. 4), 276–284; Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien, hg. von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Edition des deutschen Kirchenlieds, bearb. von D. Garbe und H.-O. Korth, Abt. III, Bd. 1, Teil 2, Text- band, S. 51 f, Notenband, S. 56–58. Nr. 145 an [Johann Wilhelm Petersen] [vor 6. Februar] 1691 663 so mit der jenigen reinigkeit, welche in den geistlichen schriften zimlicher massen von Luthero den anfang genommen, nicht übereinkommet. Wohin sonderlich die formuln „ehrwürdiget7, „wir ermahnen dich“8, „wir segnen dich“9 etc. zu ziehen sind, welche der red=art,​ die darnach aufgekommen, nicht gemäß scheinen. 10 2. Weil aber in der Böhmischen brüder10 gesangbuch (der edition 1639, p. 41211) ein gesang stehet, so auch aus dem Te Deum laudamus von Valentin Schultzen, einem Studioso, der 1574 gestorben12, gesetzt worden und also anfangt: „O GOTT wir loben dich, bekennen dich“, dessen melodie auch zimlich schwehr ist, ob ich wohl nicht weiß, ob sie mit der bey ihnen bekann- 15 ten übereinkomme, möchte eine vermuthung seyn, ob nicht auch diese ver- sion aus dem Böhmischen durch einen andern geschehen und älter seyn möchte. 3. Die redens=​art13 „wir ermahnen dich“14, gegen GOTT gebraucht, kommet durchauß mit unser teutschen sprach=art​ nicht überein, und hat 20 dasselbe wort in dem gebrauch nie den jenigen verstand, daß mans gegen GOtt anwenden könte. So ist auch das wort „segnen“15 nunmehr in einem solchen gebrauch, und zwahr allein übrig geblieben, in dem wirs gegen16 GOTT nicht gebrauchen mögen. Ob wohl dahin stünde, ob solches nicht hätte können auch so gebraucht werden, wie in dem hebreischen das wort 25 von GOTT und gegen GOTT gebraucht wird. Nach dem aber unser 17ברך

7 übereinkommet. ] + Als: D1. 8 die ] + in der Übersetzung des Liedes gebrauchte: D2. ​ 8 ehrwürdiget ] ehrwürdiger: D2. 9 etc. ] – D2. 9 sind ] [Ende Abdruck D2]. 21 in dem ] indem: D11. ​

7 „Die lobliche samlung aller deiner boten ehrwirdiget sich einen waren got.“ Das „ehr- wirdiget“ ist die Übersetzung des „laudat“. 8 „O herr wir vormanen dich, du woltest deinen getreuen behülfig sein“. Das „vormanen“ ist eine Übersetzung des „quaesumus“. 9 „Wir gesegnen dich waren got nun und zu allerzeit.“ Mit „gesegnen“ wird das lateinische „benedicimus“ übersetzt. 10 Eine an die hussitische Reformbewegung anknüpfende, aber gewaltfreie vorreformatorische Bewegung, die sich von der römisch-katholischen Kirche trennte (1467) und sich später der lu- therischen Reformation näherte, aber im Streit zwischen Philippisten und den Gnesiolutheranern sich stärker calvinistisch orientierte (RGG4 1, 1789–1791; E. Peschke, Kirche und Welt in der Theologie der Böhmischen Brüder, Berlin [Ost] 1981). 11 Kirchengesänge, darinne die Hauptarticul des Christlichen glaubens kurtz verfasset und aus- geleget sind: ietzt abermahls von newem durchsehen und gemehret, Lissa 1639, S. 412–416 (Zu diesem Gesangbuch s. Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Bd. 1, Leipzig 1864, 726–730). 12 Valentin Schultz (gest. 1574) aus Posen; er hat drei Lieder zum Böhmischen Gesangbuch (s. Anm. 11) beigesteuert. Spener hatte die Angaben zu seiner Person aus diesem Gesangbuch, S. 483. 13 Redeweise; Art, sich auszudrücken (DWB 14, 473 f). 14 S. Anm. 8. 15 S. Anm. 9. 16 D. h. „in bezug auf Gott“. 17 Segnen; in bezug auf Gott im Sinne von „loben“; vgl. das griech. εὐλογέω. 664 Briefe des Jahres 1691

gegen GOTT gebraucht wird, in dem teutschen ברך Lutherus, wo das Wort das wort „loben“ an die stelle gesetzt hat, so nun allein im gebrauch geblieben, so liesse sich jenes nicht wohl einführen. 30 4. Das härteste ist, wann es heisset, Christus habe das feisch angenommen „zu erlösen alle auserwehlte menschen“, da doch das lateinische solches nicht hat18. Und weil in dem obgedachten böhmischen19 auch dieses stehet: „Daß du erlösest alle außerwehlten“20 (in welchem auch darnach folget: „Du wol- lest nun allen denen hülfe thun, die du mit deinem blut theuer erkauft 35 hast“21, da in dem lateinischen stehet „famulis tuis“, dadurch die gläubige verstanden werden, hingegen hie alle die, die erkauft sind, da dann scheinet, daß auch daselbs die erkaufung allein auf solche gläubige gezogen werde22), so meine ich nicht ohne ursach dafür zu halten: Daß erstlich eine Böhmische version des Te Deum laudamus werde gemacht seyn worden unter den Hu- 40 ßiten23, die sich ziemlichen theils nachmal zu den Reformirten geschlagen, und auch frühe von ihnen einiges, so mit diesen übereinkommet, geheget war worden: Aus dieser mag nun ein älterer die eine übersetzung in schlechterem teutschen versucht haben, die nachmahl obgedachter Valentin Schultz in eine reinere sprach gebracht, welche version folgends bey ihren kirchen scheint 45 behalten worden zu seyn. So viel weniger ist also zu zweifen, daß wohl unter solchen worten die meinung des absolutismi24 stecken werde, und zwahr selbs aus der absicht der verfasser. Wie wir dann nicht eigenlich sagen können, daß unser Heyland „die Auserwehlte“ zu erlösen gekommen seye, als welches weniger gesagt wäre, als die wahrheit ist, in dem der nechste zweck der 50 menschwerdung Christi gehöret zu dem articul der erwerbung des heils, die allgemein ist25, und darnach das heil erst auf wenige, so da glauben, restrin- giret wird, durch die verstossung der gnade, welche von den mehrern ge-

47 wir ] [Beginn Abdruck: D2]. 47 Wie wir dann nicht eigenlich sagen können ] Wir können auch nicht sagen: D2. 49 nechste ] – D2. 50 menschwerdung ] + JEsu: D2. 50 erwerbung ] Erweckung: D2. 50 die ] der: D2. 51 darnach ] – D1. 51 auf ] + die: D2. 51 so da glauben ] – D1.

18 In der lat. Vorlage heißt es: „Tu ad liberandum suscepturus hominem non horruisti virginis uterum“. Das „hominem“ wurde in Lüneburg nach dem Text von „Deutsch kirchenampt“ (s. Anm. 5) mit „auserwelte menschen“ übersetzt. 19 S. Anm. 11. 20 Kirchengesänge, S. 414. 21 AaO, S. 415. 22 Der lateinische Text lautet: „tuis famulis subveni, quos pretioso sanguine redemisti“. Im Text, wird das „tuis famulis“ (deinen Dienern) mit „denen“ übersetzt: „allen denen hülfe thun: die du mit deinem Blutt theuer erkauft hast.“ 23 Vorreformatorische Reformbewegung, die von dem Prager Jan Hus ausging (TRE 15, 710–735; RGG4 3, 1961–1963). 24 Das „decretum absolutum“ (doppelte Prädestination) der reformierten Lehre. 25 Vgl. die Aussage über die umfassende Versöhnungstat Christi in Joh 3,16 (vgl. auch 2Kor 5,19) und SD XI (BSLK 1069, 15: „Ut humanum genus vere redimeretur atque cum Deo per Christum reconciliaretur“). Nr. 145 an [Johann Wilhelm Petersen] [vor 6. Februar] 1691 665 schihet. Und ob man ausnehmen wolte, daß gleichwohl nicht dabey stehe „allein die auserwehlte“, so dann daß die schrift auch also rede „er wird sein volck selig machen“26, „er läßt sein leben für die schaafe“27 u.s.f., welche art 55 wir selbs also erklähren, daß wir nicht lassen ein „allein“ darzwischen setzen: So machet doch dieses lied und die stelle in demselben verdächtig, weil in dem lateinischen „hominem“28 stehet, so das gantze menschliche geschlecht bedeutet, da der übersetzer die redens=​art nicht vergebens also geändert ha- ben wird. 60 5. Was aber die folgende stelle anlangt: „ist allen außerwehlten geöfnet das reich der himmel“, ließe sich darmit entschuldigen, weil in dem lateinischen auch stehet „credentibus“29, und in Lutheri version „allen Christen“30. 6. Aus allem aber folget, daß in einer Evangelischen kirchen wir lieber an statt dessen gesangs, so aufs wenigste nicht ohne verdacht eines irrthums und 65 in der sprach unbequem ist, die in der meisten unserer kirche übliche reinere und unverdächtige übersetzung unsres theuren Lutheri zugebrauchen haben: Daher wohl gethan seyn würde, wo man solchen gesang, jedoch mit wenig- stem geräusch oder viel wesens davon zu machen, daran die schwache sich stossen möchten, allgemach abgehen lasse und sich mit den andern begnüge. 70 Der HERR aber gebe uns insgesamt, wo wir seine lobgesänge singen wollen, solche hertzen, die erst mit seinem lob erfüllet seyen, welches nachmal durch den mund außbrechen solle. 1691.

52 f von den mehrern geschihet ] die mehrern von sich stossen: D 2. 53 ausnehmen ] excipiren: D2. ​53 gleichwohl ] + in der Übersetzung: D2. 53 stehe ] stünde: D2. 54–56 so dann […] darzwischen setzen: ] – D2. 59 f da der übersetzer die redens-art nicht vergebens also geändert haben wird ] welches der Übersetzer auch also würde gegeben haben, wenn er nicht in seinem Hertzen den particularismum geheget hätte: D2 [Ende Abdruck: D2].

26 Mt 1,21. 27 Joh 10,15. 28 S. Anm. 18. 29 „aperuisti credentibus regna caelorum“. 30 In der gebundenen Form: „all christen zum himmel bracht“; die Version von WA 50 (s. Anm. 6) formuliert: „den gleubigen das himelreich aufgethan.“ 666 Briefe des Jahres 1691 146. An [Johanna Eleonora Petersen in Lüneburg]1 Dresden, 9. Februar 1691

Inhalt Versichert die Familie von der Asseburg seiner christlichen Liebe. – Erkennt an, daß Gott frei ist, auch auf außerordentliche Weise zu reden, möchte aber mehr Gründe haben, um dies für die Ofenbarungen [Juliane Rosamunde von der Asseburgs] anzunehmen. – Bittet um die göttliche Erkenntnis, natürliche und geistliche Ursachen nicht zu verwechseln. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 799.

Das gottselige Asseburgische hauß2 bitte ich meiner christlichen liebe und gebets zu versichern: Weiter kan ich noch nicht gehen, sondern muß still stehende warten, ob mir der HErr weiter zeigen möchte, was sein werck in aller solcher sache oder nicht seye: als der ich des HErrn freyheit, zu thun und 5 sich zu ofenbaren, was und wie er will, keine maaß3 noch schrancken zu setzen mich vermesse, aber, etwas als so gantz ausserordenliche ofenbarung anzunehmen, dergleichen gründe vor mich billich erfordere, welche mein gewissen, welches der warheit und dero kraft, wo sie sich zeiget, zu wider- stehen nicht verlanget, zur gnüge überzeugen. 10 Der HErr regiere uns alle, weder seinem werck zu widersprechen, noch einiges der natur vor sein licht anzunehmen, so beyderseits gefährlich seyn könte. So lasse er also diejenige, die seinen willen gern erkennen wollen, auf keine seite in versuchung geführet werden: sondern sein licht, welches alle fnsternus vertreibet, je länger je kräftiger durchbrechen.

15 Den 9. Febr[uar] 1691.

1 Johanna Eleonora Petersen geb. von Merlau (25. 4. 1644–19. 3. 1724); geb. in Frankfurt a. M., seit 1680 verheiratet mit J. W. Petersen (zu diesem s. Brief Nr. 26 Anm. 1), Vertreterin des Chiliasmus und der Wiederbringungslehre, als theologische Schriftstellerin wirkend (Matthias, Petersen; Albrecht, Petersen; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Nr. 101 Anm. 1). – Zur Emp- fängerbestimmung: Die in Z. 1 genannte Familie von der Asseburg war seit November 1690 mit dem Ehepaar Petersen bekannt und siedelte Anfang März 1691 nach Lüneburg über (s. Brief Nr. 111 Anm. 28). 2 Zur Familie von Asseburg s. Brief Nr. 77 Anm. 46 u. 47. 3 Die Maß (DWB 12, 1727). Nr. 147 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 2. 3. 1691 667 147. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau1 Dresden, 2. März 1691

Inhalt Beglückwünscht den Kurfürsten auf schriftlichem Wege zu seiner Wiedergenesung, nachdem er keine Audienz erhalten hat. Wünscht bleibende Gesundheit und Wohlergehen für die Familie und das ganze Kurfürstentum Sachsen. Will weiter für ihn beten. Überlieferung A: Dresden, SächsHStA, Loc 7169/07, Des Churfürstl. Sächs. Ober-HofPredigers, Herrn Dr. Speners Abzug aus Dreßden betr., Anno 1691, Bl. 9r–10v. K: Dresden, SLUB, Mscr. Dresd. c 30, Bl. 151. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1711 (21721), S. 282 f (Z. 1–31.35).

Gnade, friede, heil und leben Von unserem treüsten Heyland JESU, der alles solches mit seinem blut erworben hat! Durchlaüchtigster fürst, Gnädigster Churfürst und Herr. Was bey E. Churf. Drlt. vielmehr mit eigener demütiger aufwartung bey Dero jüngsten erfreülichen anwesenheit alhier (dafern nicht sorgen müßen, 5 daß meine gegenwart annoch beschwehrlich sein mögen2) abzulegen vor ein glück geachtet hätte, unterstehe mich nun mit gegenwärtigen zeilen unter- thänigst zu verrichten3: dem Himmlischen Vater, von deme allein leben und alles gutes herkommet, hiemit inniglichst danckende, welcher nach seiner Väterlichen güte E. Churf. Drlt. widerum zimlicher maßen, wie erfreülich 10

4 vielmehr ] – D. 4 demütiger ] demütigen: K. 9 inniglichst ] demüthigst: D.

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 2 Johann Georg III. hatte am 21. 2. 1691 an den Geheimen Rat in Dresden geschrieben: „Euch ist zur gnüge bekanndt, was vor Mißvergnügen Wir wieder Unsern OberhofPrediger Dr. Spenern geschöpfet, sogar, daß Wir auch dieserwegen nicht allein Unsere Residenz und den Gottesdienst alda, zu meiden […] gemüßiget worden seyn.“ (SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Bl. 1r). – Zum Empfangsort Torgau s. Anm. 3. 3 Der Brief wurde von Emanuel Willius nach Torgau besorgt und zunächst zurückgehalten, bis der Kurfürst eine „gar gute humeur“ hatte. Dieser Eindruck war am 6. 3. entstanden – freilich ein Fehlurteil, denn der Kurfürst reagierte so: „Ich mag von diesem mann nichts mehr sehen noch hören, ihr aber öfnet den brief und sehet was drinnen ist, es ist ab; nicht nötig daß ihr mihr wieder darauß referirt.“ (Brief von Willius aus Torgau an den Geheimen Rat in Dresden vom 8. 3. 1691; SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Bl. 8v). – Auf der Rückseite des hier vorliegenden Briefes notiert Willius: „kein mittel mehr übrig zu sein scheinet, alß daß dem Churfrst. Willen gehäget werdte, undt ich bin in aller devotion Eurer Excell. und gnaden. PS. Eben nun da dieses geschloßen schreiben Churfrst. Dhl. Expresse nach reiche, u. frage was doch Dhl. Dr. Spenern geschrieben hette, ob ich den inhalt deß schreibens außführl. erzehlt, alleine keine andere antwortt drauf erhalten, denn es wer guth! Torgau den 8. Martii, […] Emanuel Willius.“ 668 Briefe des Jahres 1691

berichtet worden bin, von einiger bißheriger beschwehrde und unpäßlichkeit aufgerichtet4 und also des landes hofnung über dieselbe aufs neüe bekräf- tiget hat: Nebens dem denselben auch von grund der Seelen demüthigst anfehende, daß Er als der Höchste artzt und erhalter des lebens nechst übri- 15 gem aller art geistlichem und auch die hohe regierung angehendem milden segen vor dißmal vornehmlich seine lebendigmachende kraft über E. Churf. Drlt. aufs neüe außgießen, damit, was noch von voriger beschwehrde übrig sein möchte, völlig hinwegnehmen, die widergeschenckte kräften lange fri- sten5 und täglich vermehren, zu dero Gott=gefälliger​ anwendung gnade ver- 20 leyhen, alles fernere ungemach und gefahr mächtiglich abwenden, an dero- selben einen theüren Landesvater dero Churfürstenthum und gesegnetes haupt dero hohen FAMILIE erhalten und, was insgesamt zu Deßen Göttlicher Mayestet vor Dero vollkommenes leiblich=, geistlich= und ewiges wolerge- hen ich auf meinen knien täglich zu mehrern malen (so Er alleine sihet) nach 25 der kraft des geistes, alß mir iedesmal gegeben wird, fehen, vollkommenlich erfüllen wolle. Er, der gütigste vater, der uns zuversichtlich zu beten befohlen und gnädiglichst zu erhören verheißen hat6, laße keines solcher wort verge- bens auf die erde fallen7, sondern setze Sie zum segen zeitlich und ewig um JESU, seines liebsten Sohnes, willen! 30 In deßen göttliche obhut, stärckung, erhaltung und regirung Dieselbe samt gantzem hohem hause treülich empfehlende verbleibe E. Churf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster Philipp Jacob Spener D. Mppria.

35 Dreßden, den 2. Mart[ii] 1691. Dem Durchlaüchtigsten Fürsten und Herren, Herrn Johann Georgen dem Dritten, Hertzogen zu Sachßen, Jülich, Cleve und Berge, auch Engern und Westphalen, des H. Römischen Reichs ErtzMarschallen und Churfürsten, Landgrafen in Thüringen, Marggrafen zu Meißen, auch Ober= und Nider 40 Lausitz, Burggrafen zu Magdeburg, gefürstetem Grafen zu Henneberg,

11 bißheriger ] bisherigen: K. 13 Nebens ] nebst: D. 13 denselben ] demselben: D2. ​ 14 f übrigem < übrigen ] übrigen: K. 16 vornehmlich ] fürnehml.: K; vornemlichen: D. ​ 18 kräften ] kräfte: K + D. 21 theüren ] treuen: D. 24 knien ] keinen: A. 24 mehrern malen ] mehrermahlen: K; mehrerem mal: D. 25 vollkommenlich ] vollkommen: D. 26 der ] Ihr: K. 26 gütigste ] gütigster: K. 28 Sie ] sie: D. 30 deßen ] + treue: D. 31 hohem ] hohen: K + D. 31 verbleibe ] [Ende Abdruck D].

4 Zur angeschlagenen Gesundheit Johann Georgs III. s. a. Pufendorf, Briefwechsel, Brief Nr. 199 Anno 19 (S. 306). 5 Im Sinne von „sparen“ (parcere) (DWB 4, 218). 6 Vgl. Mt 7,7 Parr. 7 Vgl. Mt 10,29. Nr. 147 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 2. 3. 1691 669

Grafen zu der Marck, Ravensperg und Barby, Herrn zum Ravenstein etc. Meinem gnädigsten Churfürsten und Herrn. Praes[entatum] den 7. Martii 1691. 670 Briefe des Jahres 1691 148. An den kurfürstlich-sächsischen Geheimen Rat in Dresden1 Dresden, 11. März 16912

Inhalt Lehnt erneut ab, dem Verlangen von Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen nachzugeben und von sich aus seine Oberhofpredigerstelle aufzugeben. – Verweist auf den göttlichen Ursprung der Berufung durch den Kurfürsten vor fünf Jahren, der er gehorsam sein muß, wenn er sich nicht versündigen will. – Betet dafür, daß der Kurfürst und seine Minister so von Gott geführt werden, daß das Beste für Gottes Reich entsteht und keine Gewissen verletzt werden. Überlieferung K1: Dresden, SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Bl. 18r–19v.3 K2: Dresden, SLUB, Mcsr. Dresd. c 30, Bl. 155v–156v. D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 852–854.

P. P. Nachdem aus dero Mittel4 durch des p. H. Directoris5 und p. H. OberCon- sistorii Praesidenten6 E. Exc. mir hinterbracht worden, daß unser durchl[auch]t[igst]er Churfürst u. herr7 nachdrücklich verlange, daß zu ver- 5 meidung allerley Inconvenientien8 ich zu eigener resignation meines tragen- den OberhofPredigeramts möchte disponiret werden9, auch darüber meine

1 P. P. ] – K2 + D. 2 p. ] – D. 2 p. ] – D. 5 eigener ] eigne: D1. ​

1 Der Geheimrat des Kurfürstentums Sachsen in Dresden. Eine Liste der im Jahr 1688 in den Rat ordinierten Personen fndet sich in: Johann Gottlob Horn, Nützlicher Sammlungen Zu einer Historischen Hand=Bibliothec​ von Sachsen und dessen incorporirten Landen Fünfter Theil, Leipzig: Wolfgang Deer 1730, S. 549 f. 2 In allen Aufagen von D fndet sich die Datierung 14. 3. 1691. Auf den Abschriften K1 und K2 ist das korrekte Datum vermerkt, das durch den Hinweis in Z. 59 f sicher ist. Die Vokation zum kursächsischen Oberhofprediger war am 11. 3. 1686 in Frankfurt eingegangen (s. Speners Brief an Johann Georg III. von Sachsen vom 15. 4. 1686 [Bed. 3, 691]). 3 Die Adresse auf Bl. 19v ist von Speners Hand. 4 Im Sinne von „Mitte“ oder „Zentrum“ (DWB 12, 2381). 5 Nikolaus (II.) von Gersdorf (s. Brief Nr. 53 Anm. 3). 6 Hans Ernst von Knoch(e), Präsident des Oberkonsistoriums in Dresden (s. Brief Nr. 83 Anm. 1). 7 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 8 Unannehmlichkeiten. 9 In seinem Schreiben an den Geheimen Rat vom 3. 3. 1691, weist er an, „[…] Ihr wollet un- gesäumbt dahin bedacht seyn und mit zuziehung Unsers OberConsistorii und KirchenRaths, alles zu dem ende dirigiren, damit ohne anderweites fernere aufsehen er, Dr. Spener, disponiret werden möge, sein bißheriges ambt zu quittiren. In betrachten wie nun erwehnet ist, wir denselben darbey weder wißen noch mehr hören wollen.“ (SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 6r–v). Nr. 148 an den kurfürstlich-sächsischen Geheimen Rat 11. 3. 1691 671 gedancken sondiret worden, so habe zwar so bald diese nach einfalt meines Herzens in unterthänigem gehorsam mündlich von mir gegeben, aber auch diese zeit über neben dem, daß der heiligen direction des alles in händen habenden großen u. allmächtigen GOTTES so viel ofter u. herzlicher emp- 10 fohlen, der ganzen Sache in Seiner furcht ferner nachgedacht u., was ich zu thun vermöchte, reifich erwogen: fnde aber allerdings nach allen überlegen nichts anders, als was auch jedesmahl mündlich erkläret10; nemlich, wie ich einmahl mit guten gewißen zu einer solchen freywilligen resignation mich nicht verstehen könte11. Dann, wie willig und schuldig ich bin, Sr. Chf. Dlt. 15 gn[ä]d[ig]sten willen in allen dingen, welche nicht Gottes sind, zu gehorsa- men12, so gehöret diese Sache gleichwohl unter die lezte art13. Ich bin zu meinem amt nicht aus eigener Wahl oder, daß ich etwas darzu cooperiret, sondern von Gott durch das Churf. vocationsSchreiben berufen14 u. demnach von der H. Dreyeinigkeit, in dero Nahmen die berufungen ge- 20 schehen müßen, an diese Stelle gesendet worden, daran ich bißher nach ver- liehenen Kräften, treulich zu arbeiten, mich befißen: Hingegen von dersel- ben, wo mich Gott nicht selbst austreibet, fnde ich mich nicht bemächtiget, eigenen willens mich selbst los zu machen oder dazu zu helfen, sondern achte mich vielmehr schuldig, lieber in gedult alles endlich abzuwartten. Und 25 weil meine dimission, ohne dergleichen verschuldet zu haben (maßen mir solches gezeiget zu werden, nicht hofe oder es zu erwartten hätte), nicht ohne Sünde und beleidigung deßen, deßen diener ich aus seinem höchsten beruf bin, geschehen kann, auch sie ofenbahrlich nicht allein viele vieler Menschen seufzen, sondern auch ärgernüs, sodann manche ungleiche urtheil in und 30 außer Landes bey unsern und andern Religionsverwandten, ja noch bey der Nachwelt erregen wird, so kann Ich ohne verlezung meines gewißens, und mich aller solcher Schuld selbst vor Gott theilhaftig zu machen, nicht selbst etwas darzuthun: sondern wo der HERR HERR ein anderes (nemlich mich

7 worden ] werden: D2–3. ​12 allen ] allem: D. 13 was ] auch: D. 13 auch: cj ] mich: K1 + K 2 + D. 13 jedesmahl ] jenesmal: D2+3. ​14 guten ] gutem: D2+3. ​16 sind ] seynd: K2. ​ 21 gesendet ] gesand: D. 24 eigenen ] eigen: D. 26 f mir solches ] solches mir: D. 30 und ] uns: D1. ​

10 Ein Refex auf diese Erklärung dürfte der Brief des Geheimen Rates an den Kurfürsten vom 28. 2. 1691 sein, in dem sehr deutlich gemacht wird, daß Spener sich auf seine göttliche Berufung beziehe und nicht gewillt sei, von sich aus zurückzutreten. In diesem Brief wird der Kurfürst be- schworen, nachzugeben. Darüber hinaus stehe es nicht in der Macht des weltlichen Gremiums, sondern des Oberkonsistoriums, diese Angelegenheiten zu klären (SächsHStA Dresden, Loc 7129/07, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 2r–4v). 11 Zum Hinweis auf die Göttlichkeit des Rufes nach Dresden s. Brief Nr. 77 Anm. 36. 12 Altertümlich im Sinne von „gehorsam sein“ (DWB 5, 2539). 13 Vgl. – in der Sache – Apg 5,29. 14 Das Vokationsschreiben vom 1. 3. 1686, unterzeichnet vom sächsischen Kurfürsten (ab- schriftlich überliefert, Halle a.S., AFSt, C 145: 1). Es traf am 11. 3. 1686 in Frankfurt a. M. ein (s. Anm. 2). 672 Briefe des Jahres 1691

35 anderswo zu haben) über mich nach Seinem heiligen Rath, der allezeit gut ist und auch das böse zum besten zu wenden weiß, bestimmet haben solte, muß ichs zum wenigsten auf eine solche weise erwarten, daß ich nicht nur keiner christlicher Leute Thränen, sondern vornehmlich keine verantworttung vor GOTTES strengen Gericht, vor der welt, vor den Nachkömmlingen und in 40 meinem Gewißen auf mich lade, sondern bey dergleichen Erfolg mit reiner Seele dahin gehen möge, wohin mich GOTTES heiliger Rath, den ich daraus erst schließen müste, weiter senden würde. Weil nun davor halte, daß einem ganzen hochpreißlichen Collegio so wohl, wie Ich die Sache nach fernerer Überlegung befunden, zu wissen, als auch 45 solches schriftlich zu haben, angenehm seyn möchte, habe ich nicht nur mich erkühnen wollen, sondern selbst meine unterth[änige] u. gehorsame Schul- digkeit erachtet, mit diesen zeilen meine vorige, einige mahl mündlich ge- thane resolution, weil nicht dieselbige zu ändern vermag, zu wiederholen. Das ganze geschäft aber, dabey nichts weiter zu thun vermag, empfehle ich 50 in demuth, kindlicher gelaßenheit u. herzlichem gebet dem herrn aller herren und obristen Bischof aller seiner diener, Ihn anfehende, Se. Churf. Dh. und alle dero hohe Ministros auch in dieser wichtigen angelegenheit also zu re- gieren, daß Sein rath und Reich am besten befördert u. alle verlezung der Gewißen abgewendet, hingegen Seegen über kirche und lande gezogen 55 werde. Wormit auch solcher heiligen Regierung GOTTES so dann theurem Seegen deroselben hohe Personen u. häuser schlüßlich empfehlende ver- bleibe: p.p. Dreßden, den 11. Martii 1691, an welchem Tage vor 5 Jahren die hohe Churf. 60 vocation mir erstmals in die hände gekommen. Philipp Jacob Spener, D. p. Denen Hoch= und und Wolgebohrnen, Hochwürdigen, HochEdelgebohr- nen und HochEdlen, Vesten, Hochgelehrten Herrn Herren, Seiner Chur- fürstlichen Durchleücht. zu Sachsen Hochpreißlichen geheimen Raths Direc- 65 tori und gliedern. Meinen gnädigen Herrn und Hochgeneigten Patronen.

38 christlicher ] christlichen: K1 + D. 39 strengen ] – D. 39 den ] denen: K. 42 müste ] müße: K2; muste: D1. ​44 fernerer ] ferner: D. 46 unterth[änige] ] unterthänigkeit: D. ​ 47 meine ] meiner: D1. ​48 dieselbige ] dieselbe: K2. 58 p.p. ] u.s.w. D. ] [Ende Abdruck D]. ​ 62–65 Denen […] Patronen ] [Von Speners Hand]. Nr. 149 an [Samuel von Pufendorf] [Ende 3. 1691] 673 149. An [Samuel von Pufendorf in Berlin]1 Dresden, [Ende März 1691]2

Inhalt Wollte das Manuskript zur Frage nach dem Verhältnis der beiden protestantischen Konfessionen zueinander noch mehrfach durchlesen, um ein begründetes Urteil fällen zu können. – Lobt das Anliegen und die kluge Art der Behandlung des Themas, bezweifelt jedoch die Realisierung der Union, wenn nicht Gott auf wunderbare Weise eingreift. – Widerrät nicht die Publikation der Schrift, schlägt aber vor, den Autor nicht zu benennen, um dem möglichen Widerspruch entgegenzuwirken, hier es handle sich nur die Meinung eines Laien. – Hält die Versuche [von G. W. Molanus und H. Barckhaus] zur Beförderung der Union auch für unbrauchbar und weist auf seine wiederholt öfentlich geäußerte Ablehnung der reformierten Lehre der doppelten Prädestination hin; berichtet von den Gesprächen mit Rojas de Spinola. – Äußert sich zu den Ausführungen über das Thema „Bund“ im Manuskript. – Weist auf die Disputation von [Samuel von] Voss unter dem Vorsitz von [Georg] Calixt dazu hin. – Benennt einige schwierige Stellen im Manuskript. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina 1, Frankfurt a. M. 1709, S. 98–100.

Viri Excellentissimi disquisitionem de consensu et dissensu Protestantium3 cum semel legissem, unam lectionem sufcere non credidi, ut sententiam de ea ferrem rogatus, nec etiam, isthoc si desideratum non fuisset, temperari mihi

1 Samuel von Pufendorf (8. 1. 1632–26. 10. 1694), Staatsrechtslehrer in Lund und schwedischer Hofhistoriograph; geb. in Dorf-Chemnitz, 1661 erster deutscher Professor für Natur‑ und Völkerrecht in Heidelberg, Sekretär und Historiker Karls XI. von Schweden, 1687 Geheimer Rat des Kurfürstentums Brandenburg in Berlin, 1694 in den Freiherrenstand erhoben (DBA 986, 96–105; H. Dreitzel, Samuel Pufendorf, in: H. Holzhey, W. Schmidt-Biggemann [Hgg.], Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4.2, Basel 2001, 757–812; K. von Beyme, Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300–2000, Wiesbaden 2009, 110–127; s. a. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 21 Anm. 15, und Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 38 Anm. 1). – Zur Empfängerzuweisung: Der zweite Teil des Titels des später publizierten Buches (s. Anm. 3) ist in Z. 1. ersichtlich. Durch die Briefwechsel zwischen Spener mit Adam Rechenberg und diesem mit Pufendorf kann der Text sachlich und zeitlich genau eingeordnet werden. Weil Pufendorf die Gutachten erbeten hat, ist er der Empfänger, auch wenn in Z. 1 von ihm als einem „vir excellentissimus“ die Rede ist. 2 Am 17. 2. 1691 schreibt Spener, er habe jetzt begonnen zu notieren, was ihm bei der Lektüre des Pufendorfschen Manuskripts (s. Anm. 3) aufgefallen sei (Ad Rech 1, Bl. 609v). Am 17. 3. 1691 bedankt sich Pufendorf bei Rechenberg für die Weiterleitung des Manuskripts (s. dazu Anm. 4) und für das am 7. 3. erhaltene Gutachten Veit Ludwig von Seckendorfs (Pufendorf, Briefwechsel, Brief Nr. 200, S. 306 f). Von Speners Gutachten ist nicht die Rede, obwohl das Thema „Bund“ verhandelt wird, das auch Spener, wenn auch knapp, thematisiert (s. Z. 47–54), so daß zu diesem Zeitpunkt dessen Text wohl noch nicht vorlag. Der späteste Zeitpunkt der Abfassung ist deshalb die zweite Märzhälfte 1691. 3 Es handelt sich um das Manuskript des posthum erschienenen Werks: Samuel von Pufen- dorf, Jus Feciale Divinum Sive De Consensu Et Dissensu Protestantium Exercitatio Posthuma. Lübeck 1695. 674 Briefe des Jahres 1691

ab iterata lectione potuissem, qua proprio desiderio prudenter excogitata 5 penitius inspiciendi satisfacerem4. Summam rei quod attinet, non solum autoris finem probo (et quis bonus non probaret consilium, quo humano generi nova felicitas, si divina accedat benedictio, dissidiis religiosis sublatis aut mitigatis pararetur), verum etiam laudo sapientiam, doctrinae sacrae peritiam, in vitandis variis impedimentis 10 circumspectionem et consiliorum dexteritatem, ut de dictionis tersae elegan- tia, tam multa in breve compendium compingendi artificio et rationum acu- mine nihil dicam. Si vero de successu interroges, quam vellem felicem aeque sperare ac opto? Ast si animorum habitum, inprimis qui apud illos invenitur, qui aliis concordiae et pacis studio praelucere deberent, considero, spes fere 15 decollat, quocunque consilio mentes affectibus carnis turbatas vel commotas, nisi ἀπὸ μηχανῆϛ ὁ Θεός5, ita sedatum iri, ut admittant, quae quantulumcun- que recedunt a placitis eorum, quos zelus (nescio annon quandoque ἄζηλος6) ex utraque parte nobilitavit et quorum vestigiis unice insistere magnam con- stantiae laudem vulgo obtinet. Interim absit, ut ex hac solicitudine omnem de 20 remediis malorum cogitationem vel consultationem abiiciendam et aegrotan- tem Ecclesiam cum infidis aut imperitis medicis suis prognosticis relinquen- dam censeam, quin potius Viro, quem publicae salutis cura tangit, dignum existimo, de talibus eo magis cogitare, quo debilior spes superest, an vel tan- dem viam, quae nulli adhuc tentata et prioribus commodior, qua ad metam 25 perveniatur, reperire liceat, vel supremo rerum arbitro placeat, nobis non opinantibus subito universam rerum machinam convertere et, quae humanitus superari nequeunt, obstacula removere: ut iam nihil dicam pulchrum esse et elogio dignum de salute publica serio deliberasse et in commune contulisse sententias, si etiam temporum infelicitas consilia omnia diu irrita reddat. 30 Unde neutiquam dissuasero scriptum hoc publicae exponi et luci et censu- rae, ex quo et proficiant, quibus malorum oculis omnium obversantium me- dela cordi est, et in quo dentes frangant, quibus omnis de pace mentio aegre facit: ut tamen ipse libelli titulus fateatur autorem Theologiae studia non professum7, cum ab isto genere sacrorum antistites nullo colore exigere pos- 35 sint, ut pari religione, qua ipsi tenentur, circa singulas formulas occupentur. Forte etiam profuerit, quantum fieri potest, Autoris nomen serio celari, ut ad lectionem omnes absque ullo praeiudicio ac ita tanto liberius accedant, nec isto cognito ad hanc occupatum iam animum adferant.

4 Pufendorf hatte den Manuskriptentwurf (s. Anm. 3) an Adam Rechenberg geschickt, der ihn an Spener zur Begutachtung weitergeben sollte (Pufendorf an Rechenberg am 6. 12. 1690, in: Pufendorf, Briefwechsel, Brief Nr. 196, Z. 22–32, S. 298). Aus dem Briefwechsel zwischen Rechenberg und Spener geht hervor, daß auch Veit Ludwig von Seckendorf das Manuskript erhalten sollte. 5 S. Brief Nr. 54 Anm. 17. 6 Ohne Eifersucht. 7 Wohl der Titel des Manuskripts, der – auf diese Anregung Speners hin? – geändert wurde, so daß dieser Hinweis auf dem Titelblatt des Drucks fehlt. Nr. 149 an [Samuel von Pufendorf] [Ende 3. 1691] 675

Si de specialibus dicendum fuerit, cum alia placuerint, testor placuisse ta- men ante omnia, quae adversus irritos et omnino imprudentes duorum 40 Theologorum conatus adferuntur8, et quae demum absoluto decreto Refor- matorum9 opponuntur: de quibus vere dixerim ita sensum meum expressum esse, quem pluries (inprimis postquam Episcopus Thinensis Francofurti de altero negotio mihi locutus esset10) aliis exposui11, ut, quod addam demamve, vix habeam, id vero fateor non parem mihi, quae animo concepi, explicandi 45 facultatem concessam esse, cujus hic exosculor σαφήνειαν12 et ἔμφασιν13. Ad systema delineatum accedo, quod omnem Theologiam foederis notioni includit14, quae nec nostris Theologis omnino insolita est: et memini D. Ca- lixtum15 vel eius ductu Nobiliss. Vossium16 de pactis DEI cum homine scripis- se17, quae quidem tractatio ad manus non est, ut inspicere possem. Cum vero 50 plurium et quidem non uno affectu occupatorum oculis exponendum sit opus hoc, Celeberr. autor aegre non feret paulo liberius me de iis monentem, quae

8 Gemeint sind Gerhard Wolter Molanus, Abt des Klosters Loccum, und Hermann Barck- haus, Oberhofprediger in Hannover (s. Pufendorf, Briefwechsel, Brief Nr. 197 Anm. 5). Pufendorf bezeichnet die Vorschläge der beiden als „närrisch“ (aaO, Z. 20 f). Zu Speners Beschäftigung mit Molanus’ Bemühungen um die kirchliche Einigung s. den – vermutlich an diesen gerichteten – Brief vom 2. 1. 1683 (Cons. 3, 382–385; Frankfurter Briefe, Bd. 6). – Die hier zum Ausdruck gebrachte Befriedigung, daß Pufendorf zu den Bemühungen der beiden gleicher Ansicht wie er ist, formuliert Spener auch in seinem Brief an Rechenberg vom 29. 1. 1691 (Ad Rech 1, Bl. 619r). 9 Die Lehre der doppelten Prädestination zum Heil oder zur Verdammnis. Sie wurde von lutherischer Seite als ein Fundamentalartikel der Reformierten angesehen, der eine Vereinigung beider Kirchen unmöglich mache. 10 Christoph (Christobal) de Rojas y Spinola (um 1626–1695), katholischer Unionstheo- loge; geb. in Roermond, aus einer kastilianischen Adelsfamilie stammend, Franziskaner in Köln, 1666 Bischof von Knin/ Dalmatien (Thina), 1685 Bischof von Wiener Neustadt (J. Bahlcke, Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, Stuttgart 2005, 102; Näheres s. Frank- furter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 188 Anm. 64; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 28 Anm. 3). – Zur Begegnung zwischen Spener und Spinola s. Bed. 4, 141–144, Speners Brief vom 21. 8. 1683 (abgedr. in O. Clemen, Zwei unveröfentlichte Briefe Philipp Jacob Speners an Veit Ludwig von Seckendorf vom 16. 7. 1683 und 21. 8. 1683, in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 7, 1903, 39–44) (alle in: Frankfurter Briefe, Bd. 6) und vom 13./23. 4. 1689 an Leibniz (Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 42, Z. 57–74). 11 Z. B. Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 193, Z. 59 f; Spener, Ev. Glaubenslehre 1, 234–236; 2, 1302 f, und Ev. Glaubenstrost 1, 467–469. 12 Klarheit, Deutlichkeit. 13 Nachdruck. 14 Dieses Thema scheint Pufendorf besonders am Herzen gelegen zu haben, denn er thema- tisiert Seckendorfs Kommentar dazu in seinem Brief an Adam Rechenberg vom 17. 2. 1691 (s. Anm. 2); vgl. auch Speners Ausführungen dazu in seinen Schreiben an Rechenberg vom 24. 2. 1691 (Ad Rech 1, Bl. 605r). 15 Georg Calixt (1586–1656), zuletzt Theologieprofessor in Helmstedt (TRE 7, 552–559; Braunschweigisches Biographisches Lexikon, hg. von H.-R. Jarck, D. Lent u. a., Braunschweig 2006, 129 f; Näheres s. Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 21 Anm. 20). 16 Samuel von Voss (26. 8. 1621–19. 7. 1674); geb. in Luplow/ Mecklenburg, nach dem Studium in Rostock, Helmstedt und Straßburg zuletzt Generalsuperintendent in Rostock (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 92 Anm. 22). 17 Georg Calixt, De pactis quae Deus cum hominibus iniit […] Tractatus […] publice defendit Samuel Voss, Helmstedt: Hennig Müller 1654. 676 Briefe des Jahres 1691

vel mihi scrupulum movere vel aliis materiam contradicendi, quantum prae- video, praebere possent. Ita erunt, qui conquerantur materias non paucas nec 55 levis momenti hic sive omissas esse sive vix tactas, de quibus tamen sensum clarius in ipso systemate exprimi veritatis intersit, e[xempli] c[ausa] de viribus seu potius ἀδυναμία18 hominis naturali circa spiritualia, de peccato eiusque differentiis, de lege et Evangelio diversoque horum ad salutem nostram habi- tu et, quae huius generis forte plura possent adduci. 60 Unde expendendum relinquo, cum inprimis circa ista Protestantes maxima ex parte consentiant, hinc inde plura interseri circa ista argumenta. In tracta- tione status primaevi pluries fere haesi, nec dubito haesuros alios. E. g. cum p. 7119, quod tam pauca de illo ad nos deverint, isti adscribitur causae, quia protoplasti pudore amissi decoris parcius de pristina felicitate locuti fuerint: 65 hoc, fateor, mihi verosimile non videri, cum poenitentes potius pluries de amissa beatitudine sua posteris locutos et suam deplorasse culpam credendum sit. P. 76: imago divina in intellectu collocatur, quod vix concedent Theologi, cum ex utraque parte illam lapsu periisse asseratur. P. 74: De modo vel ratione immortalitatis forte conduxerit nonnihil adhuc cogitari: Nec non p. 72. de 70 amore Dei et proximi, cuius aliquis naturalis habitus concreatus eo ipso, quia cum excellenti sanctitate homo conditus fuit. P. 77: Mosen20 ex sola traditio- ne, quae ante se gesta refert, habuisse, assertio periculo vacare non videtur: sed utique necessarium illis etiam, quae primitus ex traditione hausta fuerant, θεόπνευστον21 accessisse. Conf. 2. Petr. 1,2122, P. 79. non adeo etc.

74 θεόπνευστον: cj ] θεόπνευσιν: D.

18 Unvermögen. 19 Hier und bei folgenden Seitenangaben handelt es sich jeweils um die Manuskriptseiten, die mit dem später gedruckten Buch nicht übereinstimmen. 20 Mose. 21 Von Gott eingehaucht, inspiriert. 22 2Petr 1,21 (Luther 1545: „Denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem willen erfur bracht / Sondern die heiligen menschen Gottes haben geredt / getrieben von dem heiligen Geist.“). Nr. 150 an Paul Anton 1. 4. 1691 677 150. An Paul Anton in Rochlitz1 Dresden, 1. April 1691

Inhalt Berichtet von der bevorstehenden Entscheidung, ob er in Dresden bleibt oder nach Berlin berufen wird. – Möchte Anton noch einmal trefen, sollte er nach Berlin wechseln. – Kündigt seine Schrift „Freiheit der Gläubigen“ gegen [Johann Friedrich] Mayers „Abgenöthigte Schutz- Schrift“ an. – Sendet zwei Briefe von zwei Amtskollegen zurück, die er schon in seine Fürbitte eingeschlossen hat. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 81, S. 133–136.

Jesum, den gecreutzigten mit aller seiner Leiden Kraft, Verdienst und Sieg, auch unserer beyden Heiligung!2 In demselben hertzl. geliebter HErr und Bruder. Von meinem Zustand kan noch nicht die volkommene Nachricht schreiben, sondern erwarte des letzten Schlußes3 stündl[ich]. Es sind nun bey 5 oder 6 5 Wochen (weil es sonsten eine Weile gantz stille gewesen), daß S[eine] Chur- fürstl[iche] Durchl[aucht]4 aufs neue dermaßen unruhig worden, daß sie von dem Geheimen Rath5 begehrt, mich zu eigener resignation mit Anerbietung in dem Zeitlichen stattlicher Conditionen zu disponiren6: Meine resolution blieb immer, ich könte, als meiner vocation gewis7, von selbsten nicht resigni- 10 ren, wolte ich mich nicht der darinn vorgehenden Sünde, entstehenden Aergernis, böse Urtheil und Verantwortung bey der Posterität8 theilhaftig machen. Es hat der geheimte Rath unterschiedl[iche] bewegliche remon- strationes mit Zuziehung des KirchenRaths ergehen laßen9, aber vielmehr nur harte Antwort bekommen10. Daher veranlaßet worden, weil man an Chur=​ 15 Brandenb[urgischer] seiten nicht geglaubt, etwas meinetwegen auszurichten,

1 Paul Anton, Superintendent in Rochlitz (s. Brief Nr. 29 Anm. 1). 2 Der Brief wurde in der Passionszeit geschrieben. 3 Im Sinne von „Beschluß“, „Entscheidung“ (DWB 15, 866). 4 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 5 Der kursächsische Geheime Rat (s. Brief Nr. 148 Anm. 1). 6 Vgl. das Schreiben des Kurfürsten an den Geheimen Rat vom 3. 3. 1691 (s. Brief Nr. 148 Anm. 9). 7 Zum Hinweis auf die Göttlichkeit des Rufes nach Dresden s. Brief Nr. 77 Anm. 36. 8 Nachwelt. 9 Samuel Benedikt Carpzov hatte als Mitglied des Oberkonsistoriums in einem Schreiben vom 6. 3. 1691 versucht, beruhigend auf den Kurfürsten einzuwirken (SächsHStA Dresden, Loc 7129/07, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 15r–v), das Oberkonsistorium als Ganzes schrieb am 9. 3. 1691 (a. a. O., Bl. 16r–17r) und der Geheime Rat am 14. 3. 1691 (a. a. O., Bl. 11r–14r). 10 Schreiben des Kurfürsten vom 18. 3. 1691 an den Geheimen Rat (SächsHStA Dresden, Loc 7425/09: Ecclesiast., Bl. 1–3, Bl. 1–3). 678 Briefe des Jahres 1691

daß ein Winck dahin gegeben würde, und also nunmehr ein Churfürstl. Schreiben an unsern Churfürsten vorige Woche gekommen, mich derselben zu überlaßen11. Also wird sich in weniger Zeit zeigen müßen, wohin mich 20 der HErr hin haben wolle. Ich habe bisher mit ruhigem hertzen und fröhli- chem Gemüth (so ich vor des himml[ischen] Vaters vornemste Wohlthat achte) erwartet, was derselbe über mich verordnet habe, nicht von hier ver- langende und hingegen auch willig anderwerths hin zu folgen. Wie auch in meinem Gebet es allezeit dahin gerichtet, daß weder mein, noch feinde oder 25 freunde Wille, sondern der Wille und Rath des allein guten Gottes geschehen möge12: als gewis, wo ich hier bleibe, so würde mir Gott neben der Übung der Gedult auch noch Seegen verleyhen, wo er mich aber anderwerts hinführ- te, unzweifelich daselbst eine ofene Thüre zu dem Guten zeigen oder vie­ leicht etwas bereitet haben, davon ich ietzo noch nicht gedencken könne. Also 30 bin ich des unzweifenlichen Vertrauens, welches geschicht, ist das beste: Je- doch die hofnung in dem Brandenburgischen ietzigen Ansehen nach beßer, wo man nicht dermaßen von seiten unsers Cleri gegen die Übung der Gott- seeligkeit wüten dörfe. Und wer weiß, was Gott noch vor andre wichtige Dinge vorhaben mag. Dabey bleibts, er wirds so wohl gut machen, als ers 35 allezeit gut gemacht hat. Ihm sey Preiß davor, auch davor, daß er uns diesen festen Trost gibt. Gehets nun, wie ich gedencke, annoch fort, so wünsche selbs, geliebten Bruder noch mahl zu sehen, fnde aber keine fügliche Gelegenheit als zu Colditz, dahin ich, geliebt es Gott, vor dem Abzug zu kommen gedencke, 40 iedoch ietzt annoch keine Zeit determiniren kan, aber zur reichten Zeit sol- ches thun will13. Meine Antwort gegen H. D. Mayers14 Schutz oder vielmehr Lästerschrift15 hofe in der Leipzigischen Meße16 heraus zu seyn17, und achte der freyheit der gewißen in unsrer kirche nicht wenig an solcher materie gelegen zu seyn.

32 dermaßen: cj ] die meisten: K. 43 Leipzigischen: cj ] Leipzischen: K.

11 Schreiben des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg (zu diesem s. Brief Nr. 151 Anm. 1) an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen vom 21. 3. 1691 mit der Bitte, Spener für das Propsteiamt an St. Nicolai in Berlin freizustellen (Aland, Spener-Studien, 107; eine Kopie des Schreibens fndet sich in: SächsHStA Dresden, Loc 7129/07, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 25r). 12 Vgl. Lk 22,42. 13 Am 21. 4. 1691 schreibt Spener an Adam Rechenberg, am kommenden Tag werde er nach Colditz abreisen, dort sieben Tage bleiben und anschließend zu Veit Ludwig von Seckendorf nach Meuselwitz weiterreisen (Ad Rech 1, Bl. 576r). 14 Johann Friedrich Mayer, Hauptpastor in Hamburg (s. Brief Nr. 90 Anm. 6). 15 Mayer, Abgenöthigte Schutz=​Schrift (s. Brief Nr. 137 Anm. 13). 16 Die Leipziger Messe fand jeweils vom 3. bis 4. Sonntag nach Ostern, also vom 10. 5.– 17. 5. 1691 statt (vgl. Paul Jacob Marperger, Beschreibung der Messen und Jahr-Märckte, Leipzig 1711 [Ndr. Frankfurt a. M. 1968], S. 314 f). 17 Spener, Freyheit der Gläubigen. Nr. 150 an Paul Anton 1. 4. 1691 679

Die beyden briefe18 sende mit fr[eundlicher] bedanckung der Communi- 45 cation: versichere, daß bereits beyder eine gute zeitlang vor Gott gedencke. Möchte aber wißen, wo der Ort gelegen, da H. Reisenberg19 stehet. Auf die materien zu antworten leidet die zeit nicht, und mag vieleicht, wenn mich Gott näher führet, desto leichter geschehen. Indeßen bitte einen hertzl. Gruß abzulegen und nebst liebreicher Empfehlung deßen und geliebter Haußehre20 50 in des himmlischen Vaters treue Obhut zu allem Seegen und göttl. Regirung verbleibe Meines werthesten HErrn und Bruders zu Gebet und Liebe verbundener PJ Spener, D. Mppria. 55 Dresden, den 1. April 1691. S[alvo] T[itulo]21 HErrn, HErrn Paul Anton, der H. Schrift gewürdigsten Licentiato und Treueyfrigen Superintendenten zu

Rochlitz. 60

18 Die Briefe sind nicht überliefert. Einer der Adressaten ist Reisenberg (s. Anm. 19), der andere ist nicht ermittelt. 19 Nicht ermittelt. 20 Johanna Elisabeth Anton (s. Brief Nr. 29 Anm. 5). 21 Mit Vorbehalt des richtigen Titels. 680 Briefe des Jahres 1691 151. An Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Potsdam1 Dresden, 6. April 1691

Inhalt Bedankt sich für die Berufung als Propst und Konsistorialrat nach Berlin und erkennt dies als göttlichen Willen an. – Begründet seine Weigerung, aus eigenem Willen die Stelle in Dresden zu verlassen, mit der Bindung durch Gottes Berufung. – Verspricht, mit Treue und Fleiß seiner neuen Aufgabe nachzukommen. – Wünscht dem brandenburgischen Kurhaus und der kurfürst- lichen Familie den göttlichen Segen. Überlieferung A: Berlin, GStA Rep. 9 K Lit. K.2

Von unserm gecreutzigten Ehren Könige JESU CHRISTO auß seinem theuren Verdienst alle göttliche gnade, kraft, leben, friede, heil, sieg und segen zu allem hohen wolwesen und beglückter Landesregirung! Durchleuchtigster Fürst, Gnädigster Churfürst und Herr.

5 Daß E. Churf. Drlt. so wol von jetzigen meines gnädigsten Herrn Churf. Drlt.3, meine wenige person Deroselben zu überlaßen, freundlich verlangen wollen, alß nunmehr wircklich zu einer Rathsstelle in Dero Consistorio und vacirender Probstey und inspection der Evangelischen Kirchen zu S. Nicolai in dero Residenz Statt Berlin gnädigst zu vociren geruhet4, habe ich billich 10 alß einen heiligen und gütigen winck des Allerhöchsten, der nach seinem rath und wolgefallen seine diener versetzet und zu dem, was er beschloßen hat, allemal alles richtet, mit demüthigster veneration angesehen: Auch zum aller- fordersten solche in allem waltende Himmlische providenz, welche vor mich sorget, in Teutschland hin und her mich bißher geführet hat und meiner hof- 15 nung nach mir unter E. Churf. Drlt. hochlöblicher regirung eine ofenere

1 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (11. 7. 1657–25. 2. 1713), ab 1688 Kurfürst von Brandenburg und ab 1701 Friedrich I. König in Preußen (Europäische Stammtafeln NF 1, Tafel 131; W. Neugebauer, Friedrich III./I., in: F.-L. Kroll [Hg.], Preußens Herrscher. Vom ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2006, 113–133; F. G ö s e , Friedrich I. [1657–1713]. Ein König in Preußen, Regensburg 2012). 2 Abdruck in: Aland, Spener-Studien, 110. 3 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 4 Am 21. 3. 1691 wurde die Anfrage des brandenburgischen an den sächsischen Kurfürsten verfaßt, Spener die Dimission zu erteilen. Der Brief ist abgedruckt in: Aland, Spener-Studien, 107; eine Kopie des Schreibens fndet sich in SächsHStA Dresden, Loc 7169/07, Bl. 25r. – Die Propsteistelle von St. Nicolai, die mit der Funktion eines Konsistorialrates verbunden war, in (Berlin‑)Cölln war durch den Tod von Christian Samuel Teuber (zu diesem s. Brief Nr. 59 Anm. 5) vakant geworden. Nr. 151 an Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg 6. 4. 1691 681 thür5 der beforderung des guten anweiset, mit tiefster demuth, danck und preiß Lebenslang zu erkennen. Nechst dem habe auch E. Churf. Drlt. unterthänigsten danck hiemit ab- zustatten, daß dieselbe nicht allein gnädigste refexion auf meine unwürdige person machen, ohngeachtet der eine zeitlang, weil ich, auß voriger göttlicher 20 vocation eigenmächtig außzugehen, mir ein gewißen gemacht6, dazwischen gekommener difculteten bey der einmal gefaßten gütigsten absicht beharren, mich von jetziger stelle selbs ledig machen, und nunmehr zu beiden wichtigen ämtern mit Versicherung aller Churfürstlichen gnade gnädigst berufen wollen. 25 Weswegen des Großen Gottes durch E. Churf. Drlt. an mich gebrachten heiligen willen billich mit demüthigstem gehorsam mich underwerfe und also mit deßen anrufung und in seinem nahmen das gnädigst auftragende underthänigst annehme: mit der jenigen schuldigen erklährung, daß, wo mich der gütigste vater kürtzlich7 darin bringen, und E. Churf. Drlt. mir würcklich 30 die angedeutete stelle gnädigst anvertrauen wird, ich solche functionen und daher dependirenden Verrichtungen mit aller treue, feiß und sorgfalt nach bestem gewißen, alß der HERR HERR mir auf hertzliches gebet gnade und kraft verleyhen wird, abzuwarten, mir eüßerst angelegen sein laßen wolle und werde. Wie mich dann auch deswegen so fordersam, als bey einer familie und 35 dergleichen änderung müglich ist, zu fernerem gnädigsten befehl in Berlin unterthänigst darstellen solle. Nechst dem und schließlich rufe ich die Himmlische güte fehenlich und inbrünstig an, daß dieselbe dieses ihr eigen berufs-werck ferner kräftig auß- führen und die jenige nötige gaben, welche ich noch nicht habe, von oben 40 herab mildigst mittheilen, mein amt in der kraft seines H. Geistes an allen Seelen, die mir anvertrauet werden sollen, zu dero erwünschter erbauung und heiligung stattlich segnen und mir dazu alle Zeit das wort, so ich zu reden haben werde, in mund legen, so dann ferner in die hertzen pfantzen, dardurch aber E. Churf. Drlt. gegen mich gefaßtes gnädigstes Vertrauen in allen stücken 45 an mir dero diener zu dero Vergnügung erfüllen: So dann auch sonsten ins- gesamt das von Ihro bißher so hoch begnadete Churhauß Brandenburg in Ihrer väterlichen gerwahrsame erhalten und mit allem erwünschten for be- kröhnen, E. Churf. Drlt. theure person samt dero Churfürstlichen Fr. Gemah- lin8, Prinzen und Prinzessin9 mit aller Seel und leibes wolfahrt vergnüglichst 50

5 Vgl. Apk 3,8. 6 An dieser Haltung zu der Frage, ob er sein Amt quittieren sollte, hielt er seit dem Beginn des Streits mit dem Kurfürsten fest (s. Brief Nr. 77 Anm. 36). 7 Im Sinne von „in kurzem“ (DWB 11, 2851). 8 Kurfürstin Sophie Charlotte (20. 10. 1668–1. 2. 1705), Tochter von Ernst August von Braun- schweig-Lüneburg, dem späteren Kurfürsten von Hannover, seit dem 8. 10. 1684 verheiratet mit Friedrich III. von Brandenburg (NDB 24, 593 f; Europäische Stammtafeln NF 1, Tafel 156). 9 Friedrich Wilhelm (14. 8. 1688–31. 5. 1740), der spätere König in Preußen Friedrich Wil- helm I. („Soldatenkönig“) und Luise Dorothea Sophie (29. 9. 1680–23. 12. 1705), spätere Gemahlin von Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel (Europäische Stammtafeln NF 1, Tafel 156). 682 Briefe des Jahres 1691

beseligen, dero so eigner lande regirung alß vor das gesamte reich und ge- meine wesen führende consilia und expeditiones trefich segnen und sie in allen stücken zu einem kräftigen werckzeug seiner herrlichkeit und ehre machen wolle. Mit welchem von grund der Seelen zu ihm, dem einigen geber 55 aller guten und aller vollkommenen gaben10, thuenden wunsch, so auch nunmehr absonderlich meines gebetes stück sein solle, und empfehlung in die obwaltende göttliche gnadenhut verharre E. Churf. Drlt. zu gebet und demütigem gehorsam unterthänigster Philipp Jacob Spener, D. 60 Mppria. Dreßden, den 6. April. 1691. Dem Durchlaüchtigsten fürsten und Herren, Herrn Fridericus den Dritten, Marggrafen zu Brandenburg, des H. Römischen Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürsten, zu Magdeburg, in Preußen, zu Cleve, Jülich, Berge, Stettin, 65 Pommern, der Cassuben und Wenden, auch in Schlesien zu Crossen und Schwibus Hertzogen, Burggrafen zu Nürnberg, Fürsten zu Halberstatt, Minden und Cammin, Grafen zu der Marck und Ravensberg, Herrn zum Ravenstein, und der lande Launburg und Bütow etc. Meinem gnädigsten Churfürsten und Herrn.

70 Cöln an der Spree.

10 Vgl. Jak 1,17. Nr. 152 an Franz Julius Lütkens 20. 4. 1691 683 152. An Franz Julius Lütkens in Cölln1 Dresden, 20. April 1691

Inhalt Berichtet über veschiedene Bemühungen in den vergangenen Jahren, ihn in die Mark Branden- burg zu berufen. – Kann noch nicht sagen, wann er sein neues Amt antreten wird. – Wünscht sich eine gute brüderliche und freundschaftliche Beziehung zu Lütkens. – Erhoft geistliche Frucht für seine neue Aufgabe. Überlieferung E: Halle a.S., AFSt, A 143: 60.2 D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 780–782.

Von unserm gecreutzigtem und auferstandenem Heiland JESU CHristo, alle deßen leiden, Verdienste und seiner auferstehung kraft! Hochehrwürdig, großachtbar und Hochgelehrter. Insonders Hochgeehrter Herr und in dem HERREN werther Bruder.

Wo ich je in meinem leben erfahren habe, daß, was Gott einmahl beschloßen 5 habe, endlich auch durch vielen umschweif 3 dannoch von statten gehen müße, so ist es gewiß darinnen geschehen, daß der Allerhöchste meinen ar- men dienst der Evangelischen Märckischen kirchen bestimmet haben muß und solches endlichen durch alle hindernußen durchgebrochen ist. Es sind mehrere jahre, da durch ein privatschreiben ich sondiret worden zu der Ge- 10

7 darinnen ] darin: D. 8 haben muß < hat. 9 /und solches/.

1 Franz Julius Lütkens (21. 10. 1650–12. 8. 1712), Propst und Konsistorialrat in Cölln; geb. in Dellien (Sachsen-Lauenburg) und aufgewachsen in Lüneburg, nach dem Studium in Wittenberg und Jena 1674 Hofmeister in Büllingen und Lehrer in Hamburg (enge Kontakte zu Esdras Edzard und in Lüneburg mit Caspar Hermann Sandhagen), 1676 Rektor in Brandenburg/Havel, 1679 Diaconus in Magdeburg (befreundet mit Christian Scriver), 1684 Erster Pfarrer in Stargard, 1686 zugleich kurfürstlicher Rat und Assessor des Konsistoriums, 1686 Superintendent in Hinterpom- mern; 1687 Propst und Konsistorialrat in Cölln, 1704 Hofprediger, Konsistorialrat und Professor in Kopenhagen (Georg Gottfried Küster, Lebens-Beschreibung / Des weyland Hoch=Wür​ digen und Hochgelahrten Herrn D. Frantz Julii Lütkens […] Aus Zuverläßigen Nachrichten abgefasset, Salzwedel: Campe 1727; ADB 19, 700). 2 Im Gegensatz zu anderen mit füchtiger Schrift geschriebenen Entwürfen von Briefen Speners entspricht die Handschrift in diesem Schreiben den Abfertigungen. Allerdings legt die Adressatennotiz in Z. 70 anstelle einer ausgeführten Adresse, sowie die große Zahl von Korrektu- ren und Einfügungen die Vermutung nahe, daß Spener ihn noch einmal geschrieben hat und die vorliegende Fassung als Kopie in seiner Repositur hinterlegt hat. Diese Beobachtung entspricht auch der Tatsache, daß sich im Konvolut Halle a.S., AFSt, A 143, eine ganze Anzahl von Entwürfen Speners fnden läßt, die aus seiner Repositur stammen. Allenfalls könnte die Abfertigung in späterer Zeit wieder in die Repositur Speners gelangt sein. 3 Im Sinne von „Umweg“ (DWB 23, 1126 f). 684 Briefe des Jahres 1691

neral-Superintendenz der Marck, so nach D. Pelargi4 todt nicht wider ersetzet worden5, berufen möchte werden, so damal auf dem tapet solle gewest sein, ob mich dazu verstehen würde6. So sind in diesem monat zwey jahre, daß von wegen S[einer] Churf. Drlt. nach dem todt des S[eligen] H. Propst Schraders7 15 wegen deßen succession erstmahls mit mir geredet worden8: u. hingegen über 3.viertel jahr, daß nach abermaligem abgang des S. H. Propst Teubers9 der antrag solcher stelle aufs neue widerholet worden ist10. Es schiene aber im- mer, der HERR würde nichts drauß werden laßen, weil ich, auß einer voca- tion eigenen willens außzugehen, mir allezeit ein gewißen gemacht und 20 hingegen, ohne gewiße resolution von meiner seite zu einer vocation zu gelangen, kaum hofnung seyn konte11. So hats aber die göttliche weißheit dannoch endlich also zu regiren gewußt, daß es jüngsthin ohne mein gering- stes zuthun under beyden Durchleuchtigsten Churfürsten12 über mich zur richtigkeit kommen und ich deroselben werthen kirchen gewidmet werden 25 sollen13. Wie ich mich nun der gewißheit göttlichen rufs darauß sovielmehr

11 /todt/ : . 12 berufen möchte werden ] – D. 12 /solle/. 12 /sein/. 13 /würde/ : . ​ 16 3.viertel ] ¾: A. ​ 17 /aufs neue widerholet worden ist/ : . ​ 22 | endlich |. 23 | under beyden Durchleuchtigsten Churfürsten über mich |.

4 Christoph Pelargus (5. 8. 1565–10. 6. 1633); geb. in Schweidnitz, nach dem Studium in Frankfurt a.O. 1586 Professor ebd. und 1595 zugleich Generalsuperintendent der Mark Branden- burg und 1614 zugleich Oberpfarrer an St. Marien in Frankfurt (LP: Theophil Ebert, Christianum Moriendi Artifcium. Das ist: Christliche SterbeKunst […] In einer Christlichen LeichPredigt […] Christophori Pelargi, Frankfurt/O.: Michael Koch 1633; ADB 25, 328–330; Fischer, Pfarrerbuch 2.2, 625). – Die Generalsuperintendentur war seit dem Tod von Pelargius unbesetzt geblieben. 5 Näheres dazu s. W. Ribbe, Brandenburg auf dem Weg zum polykonfessionellen Staatswesen (1620–1688), in: G. Heinrich (Hg.), Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, [267–292] 269, und J. M. Ruschke, Paul Gerhardt und der Berliner Kirchenstreit, Tübingen 2012, 43. 6 Vgl. dazu den Brief Speners vom 14. 12. 1680 (Frankfurter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 174). In diesem geht es um eine mögliche Berufung in die Mark Brandenburg; das dazu gehörende, nicht von Spener stammende, Regest in Cons. 3, 358 vermutet, daß es um eine Aufgabe als Professor und Superintendent in Frankfurt a.O. gehe, was der – viele Jahre zurückliegenden – Funktion entspricht, die Pelargus inne hatte. 7 Johann Ernst Schrader (13. 5. 1638–26. 3. 1689), zuletzt Propst an St. Nicolai in Berlin; geb. in Helmstedt, nach dem Studium in Altdorf, Jena, Leipzig und Wittenberg 1665 Hofprediger in Herzberg, 1668 Archidiaconus und 1685 Propst an St. Nicolai in Berlin (Fischer, Pfarrerbuch 2.2, 781; Daniel David Heimbucher, Die Auferstehung Christi / und Der Gläubigen / als Der selige Trost getreuer Lehrer und Prediger, Berlin: Salfeld 1689; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45 Anm. 14). 8 Zu den Bemühungen, Spener als Nachfolger Schraders nach Berlin zu ziehen, s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45, Z. 27–57. 9 Christian Samuel Teuber (s. Brief Nr. 59 Anm. 5). 10 Dazu s. die Briefe Nr. 57 und Nr. 59, Z. 6–22. 11 Vgl. Brief Nr. 77 Anm. 36. 12 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1) und Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 13 Kurfürst Johann Georg III. bat den sächsischen Geheimen Rat mit Schreiben vom 26. 3. ​ 1691, zu eruieren, wie der Übergang Speners von Sachsen nach Brandenburg rechtmäßig durch- Nr. 152 an Franz Julius Lütkens 20. 4. 1691 685 versichere, weilen ich das geringste dazu nicht contribuiret, sondern mich bloß passive gehalten habe, also dancke ich billich der güte meines Himmli- schen vaters, der mich seines willens aufs neue versichert und nunmehr an das vierte ort14, sein Evangelium zu predigen, außsendet, alß zu dem ich das kindliche vertrauen trage, es werde mir ihres orts, wohin er mich verordnet, 30 auch einigen geistlichen segen bestimmet haben: und nach dem er S. Churf. Drlt. hertz, mich zu berufen, geneiget, wolle er nicht weniger daßelbe auch dahin kräftigst lencken, die hofende frucht meines ministerii mit dero ho- hem schutz zu befordern. Weil mich aber GOtt gedachter maßen zu dero kirchen führet und ich 35 mich under andern auch billich darüber sonderlich freue, an E. Hochehrw[ür- den], von dero brüderlichen liebe und freundschaft bereits von etlichen jahren her gnugsame proben empfangen15, theils, was das Churfürstliche Consistorium anlanget, einen werthen spezial collegam, theils in dem geist- lichem kirchenamt einen treuen mitarbeiter an der der Berlinischen nechst 40 verschwesterten Cöllnischen gemeinde, in beiden einen wolmeinenden an- weiser deßen, der fremde ankomt u. also anleitung bedarf, ins künftige zu- haben, als zu dero gewogenheit das billiche sonderbare vertrauen trage, so habe meiner gehorsamen schuldigkeit erachtet, mit diesen zeilen E. Hoch- ehrw. (an die vorhin nicht schreiben wollen, daß ich mich in nichts einmisch- 45 te, ehe der göttl. wille sich völlig geofenbaret hätte) anzugehen, dieselbe meiner seits aller brüderlichen confdenz und aufrichtigkeit von mir zu ver- sichern, wie mir dann eine freude seyn solle, da uns der Herr also zusammen führet, wo er mir auch zu einigen angenehmen brüderlichen liebe= und freundschaft=​diensten die gnade ertheilen wird, so dann hinwiderum von 50 deroselben eine freundliche fortsetzung bißher gegen mich getragener afec- tion zu bitten: deßen mich aber auch schon zu voran zuversichtlich getröste. Wie bald ich mich ihres orts einfnden könne oder solle, kan noch nicht gewiß determiniren, in deme die darvon erforderte nachricht, sodann nötige päße, allererst erwarte, es wird aber auch vor dem nechsten monat nicht ge- 55 schehen, oder ich mich mit meiner familie ehr zur reise schicken können. Der HERR HERR mache mich tüchtig, in der kraft seines geistes an dem ort, wohin er mich verordnet, frucht zu schafen, und verleyhe mir die gnade,

28 | aufs neue |. 30 /trage/ : . 32 wolle er ] – A. 33 | kräftigst |. 33 dero ] seinem: D. 33 f hohem ] hohen: D. 39 /werthen/. 40 /treuen/. 41 f | in beiden […] anleitung bedarf |. 45 ( ] – A. 45 in ] – A. 45 f | (an die […] geofenbaret hätte) |. ​ 48 /der Herr/ : . 49 /auch/. geführt werden könne (SächsHStA Dresden, Loc 7169, Bl. 24r–v u. 27v), nachdem die Anfrage des brandenburgischen Kurfürsten vom 21. 3. 1691 (abgedr. Aland, Spener-Studien, 107) einge- trofen war. 14 Das Neutrum „das Ort“ ist in Mundarten nachgewiesen (DWB 13, 1350; vgl. E. Martin, H. Lienhart, Wörterbuch der Elsässischen Mundarten, Bd. 1, Straßburg 1899, 70b). 15 Zu einer schon länger bestehenden Verbindung zwischen Lütkens und Spener in den vor- hergehenden Jahren ist bisher nichts bekannt. 686 Briefe des Jahres 1691

denjenigen, neben und mit welchen ich arbeiten solle, allezeit gefällig mich 60 bezeugen zu können, wie dann, was dazu dienet, an mir nicht mit willen er- mangeln laßen werde, auch mich dazu schuldig erkenne. Womit dieselbige in des grundgütigen Gottes treue obhut, milden segen und weise regirung zu allem geist= und leiblichem wolwesen hertzlich emp- fehlende und dero angesicht selbs bald mit freuden zu sehen verlangende 65 verbleibe E. HochEhrw. zu gebet und diensten schuldigwilliger Philipp Jacob Spener, D. Mppria. Dreßden, den 20. Apr[il] 1691.

70 H. propst Lütkens.

60 bezeugen ] bezeigen: D2. Nr. 153 an das Berliner Predigerministerium 20. 4. 1691 687 153. An das Berliner Predigerministerium1 Dresden, 20. April 1691

Inhalt Berichtet von seiner erneuten Berufung zum Propst und Konsistorialrat nach Berlin, auf die sich der brandenburgische und sächsische Kurfürst geeinigt haben. – Ist sich der Göttlichkeit des Rufs gewiß und erhoft eine gleiche Einschätzung von den neuen Kollegen; versichert sie der Reinigkeit seiner Lehre, der Vorbildlichkeit seines Lebens und der brüderlichen Liebe und ver- weist sie auf seine Frankfurter Erfahrungen hin, ein Predigerministerium leiten und im Frieden beieinander halten zu können. – Empfehlt die neue Zusammenarbeit Gott an. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 854 f.

Es kan denselben nicht verborgen seyn, daß der Durchlauchtigste Churfürst zu Brandenburg2 etc. etc. vor einigen wochen mich wie zu seinem Rath in dem Consistorio, als auch zu der Probstey und der Inspection der kirchen zu S. Nicolai in dero statt berufen habe. Nun sind zwar bereits 2 jahr, daß nach dem todte des sel. Herrn Probst Schraders3 Seiner Churfürstl. Durchl. in der 5 stille erstmals meine meinung, ob einem gnädigsten beruf folgen möchte, vernehmen lassen4. Aber nach abermaligem abgang des sel. Herrn Probst Teubers5 wurde von drey virtel jahren der gnädigste antrag solcher stelle wiederhohlet6. Indessen schiene immer, der HERR würde nichts draus wer- den lassen, weil ich, aus einer gewiß göttlichen vocation, eignen willens auß- 10 zugehen, mir allezeit ein gewissen gemacht7, hingegen, ohne gewisse resolu- tion von meiner seiten zugeben, zu einer vocation zugelangen, nicht wol

6 meinung ] meinungen: D1. ​7 abermaligem ] abermaligen: D1. ​

1 Das Predigerministerium in Berlin bestand aus den Geistlichen von St. Nicolai und St. Marien (W. Wendland, Siebenhundert Jahre Kirchengeschichte , Berlin u. Leipzig 1930, 25 f). In der Nicolaikirche amtierten Daniel Bandeco (1631–1715; seit 1690 zweiter Pfarrer), Andreas Rittner (1646–1721; seit 1685 dritter Pfarrer), in der Marienkirche waren Daniel David Heimburger (1647–1691; seit 1685 zweiter Pfarrer bzw. Archidiaconus), Johann Georg Zeitz (1647–1695; seit 1685 dritter Pfarrer bzw. zweiter Diaconus) und Johann Schindler (1656–1711; seit 1685 vierter Pfarrer bzw. dritter Diaconus) (Fischer, Pfarrerbuch 1, 7–9; 2.1., 308; 2.2, 702. 748. 991). – Spener widmete den Kollegen Bandeco und Rittner seine Schrift „Behauptung Der Hofnung künftiger Besserer Zeiten“ (Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1693). 2 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 3 Johann Ernst Schrader (s. Brief Nr. 152 Anm. 7). 4 Im Frühjahr 1690 hatte der kurbrandenburgische Geheimrat Franz von Meinders (zu diesem s. Brief Nr. 57 Anm. 1) die Aufgabe erhalten, zu sondieren, ob Speners sich nach Berlin berufen lasse (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45, Z. 27–47). 5 Christian Samuel Teubner (s. Brief Nr. 59 Anm. 5). 6 S. Brief Nr. 59, Z. 7–9. 7 S. Brief Nr. 77 Anm. 36. 688 Briefe des Jahres 1691

hofnung gefast werden könte. Es wuste es aber doch die göttliche weißheit, nachdem sie es einmal beschlossen, also zu regieren, daß es jüngsthin ohne 15 mein geringstes zuthun unter beyden Durchlauchtigsten Churfürsten8, über mich zur richtigkeit gekommen, und ich derselben werthen kirchen gewid- met habe werden sollen. Wie ich mich nun der gewißheit göttlichen rufs daraus so vielmehr ver- sichere, weilen ich das geringste darzu von meiner seiten nicht contribuiret9, 20 sondern mich bloß passive gehalten habe, also dancke ich billig der güte meines himmlischen Vaters, der mich seines willens versichert und je mehr und mehr mir zeiget, daß ich nicht an einem, sondern am mehreren orten, das Evangelium zu predigen10, verordnet seye, dabey ich das kindliche ver- trauen zu dessen güte trage, er werde mir ihres ortes, wohin er mich sendet, 25 auch einigen geistlichen segen bestimmet haben. Wann dann nun von dem großen GOtt und in dessen nahmen von unserm gnädigsten Churfürsten und Herrn11 die vocation empfangen, auch dieselbe mit unterthänigstem respect angenommen habe12, so hofe auch EE. W. WolErwürden werden solchen meinen empfangenem beruf nicht weniger vor göttlich erkennen und ein 30 brüderliches vertrauen gegen mich schöpfen. Wie ich von meiner seite dazu mich schuldig bekenne; hinwiderum versichere, daß mich also durch die gnade GOttes zu bezeugen gedencke, daß weder die Christliche gemeinde an der reinigkeit meiner lehr, noch sorgfältigem feiß exemplarischen lebens, noch meine wehrteste Herrn Collegen an Collegialischer einigkeit und 35 brüderlicher liebe etwas mangel bey mir fnden sollen. Dieses hofe so viel gewisser zuversprechen, nachdem bereits dessen proben zu zeigen vermag, als der von Straßburg nach Franckfurt am Mayn zum Seniore Ministerii und also praeside conventus Ecclesiastici13 (da erst 3l jahr alt war14, und die 4 nechste nach mir alle über 60 jahr waren15) berufen worden, mich aber vermittelst 40 göttlicher gnade also gegen das gesamte Ministerium bezeuget, daß sie nicht

13 könte ] konte: D1+2. 15 beyden ] bey den: D1. 25 dem ] den: D1. 27 unterthänigstem ] unterthänigsten: D1. 28 W. ] + W.: D1. 32 f an der ] ander: D1. 35 brüderlicher ] brüderliche: D1. ​

8 Der brandenburgische und der sächsische Kurfürst. 9 Zu der Haltung, in Berufungsfragen keine eigene Initiative zu ergreifen, s. v. a. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 64, Z. 10–23, im vorliegenden Band Brief Nr. 86, Z. 6–8, u. ö. 10 Zu dieser wiederholt formulierten Feststellung s. a. Briefe Nr. 154, Z. 11–13, Nr. 155, Z. 7–9, und Nr. 159, Z. 10 f. 11 Gemeint ist schon Speners neuer Landesherr, Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg. 12 S. Brief Nr. 151. 13 Vorsitzender des Kirchenkonvents (Predigerministeriums). 14 Spener, geb. 1635, hatte am 20. 7. 1666 sein Amt als Senior des Frankfurter Prediger- ministeriums angetreten. 15 Bei seiner Ankunft in Frankfurt hatte Spener elf Kollegen; davon waren zwei über 60 Jahre alt: Georg Philipp Licht(en)stein (geb. 26. 3. 1606) und Johann Conrad Mohr (geb. 23. 5. 1606). Die nächstältesten Pfarrer waren Gerhard Münch (geb. 21. 7. 1607) und Johann Balthasar Ritter (IV.) (geb. 11. 9. 1607) (Wallmann, Spener, 204). Nr. 153 an das Berliner Predigerministerium 20. 4. 1691 689 allein bald eine liebe und vertrauen gegen mich gewonnen, sondern auch die gantze 20 jahr unter uns eine unzerstörte einigkeit erhalten worden ist; so ohne friedfertiges gemüth unmöglich gewesen wäre. Wie nun dergleichen meiner seits nach der gnade GOttes, so mir beystehen wird, versichere, also trage das liebreiche vertrauen, das EE. WohlEhrwürden auch ihrer seits willig 45 seyen werden, mit liebe und brüderlicher einigkeit mit mir zusammmen zu setzen, damit daß werck des HErrn durch solche treue zusammensetzung desto kräftiger von uns gemeinschaftlich getrieben und so viel reicherer segen von oben herab16 erlanget werden möge, darum auch meines orts hiermit freundlich bitte. 50 Der Gott des friedens17 bringe uns nicht allein nach seinem willen bald zusammen, sondern vereinige uns mit dem band des friedens in einigkeit des Geistes18, lehre uns in allen stücken seinen willen an uns und die uns anver- traute erkennen, gebe uns ferner kraft, denselben getrost und mit nachdruck zuerfüllen, und schenke uns neben den unsrigen alle die seelen derer, welche 55 unsrer treue und sorge anbefohlen sind, mit denselben dermahleins vor den thron GOttes mit freuden zuerscheinen. Wormit schließlichen in des himmlischen Vaters treue obsicht, milden seegen und weise regierung hertzlich erlassende und dero angesicht bald selbst mit freuden zusehen verlangende, verbleibe u.s.f. 60 20. Apr[il 16]91.

58 obsicht ] absicht: D1.

16 Vgl. Jak 1,17. 17 Röm 16,20; Phil 4,9; 1Thess 5,23. 18 Vgl. Eph 4,3. 690 Briefe des Jahres 1691 154. An Bürgermeister und Rat zu Berlin1 Dresden, 18. Mai 1691

Inhalt Empfehlt sich Bürgermeister und Rat von Berlin als neuen Geistlichen, der der weltlichen Ob- rigkeit den nötigen Respekt entgegenbringen will. – Wie in Frankfurt a. M. will er mit Gottes Segen zum Wohlergehen der Stadt mit beitragen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 856–857.

Nachdem der Durchlauchtigste Churfürst von Brandenburg2, unser gnädig- ster Herr, von dato 28. Mart. mich wie zu seiner Consistorial=​Rath stelle also auch der Propstey und inspection der kirchen zu S. Nicolai in dero statt Berlin gnädigst berufen3, ich auch aus erkantem göttlichen willen, nach von 5 jetzigem meinem gnädigsten Churfürsten und Herrn4 geschehener überlas- sung meiner person5, zu solchem beruf mich gehorsamst verstanden habe und an deme bin, dem zufolge mich unter dem geleite GOttes ihres orts zu- verfügen: so habe meiner schuldigkeit erachtet, mit diesen zeilen gegen E[ure] WolEdl[e] Herrl[ichkeiten] und Weißh[eiten] meinen gehorsam, observanz 10 und respect zu bezeugen und in dero wehrte gunst mich bester massen zu recommendiren. Ich erkenne mehr und mehr, daß meines himmlischen Vaters wille und rath über mich seye, nicht an einem, sondern an mehrern orten sein wort und Evangelium zuverkündigen6, wie nun mit demselben als einem

4 erkantem ] erkanten: D1. ​8 diesen ] diesem: D1. ​

1 Bürgermeister und Rat waren zu diesem Zeitpunkt Levin Scharden (19. 03. 1638– 12. 01. 1699), Christian Schröder (gest. 27. 10. 1694), Christoph Schmidt (1631–21. 10. 1711) und Andreas Weber (5. 5. 1605–13. 04. 1694) (I. Materna, W. Ribbe u. R. Baudisch, Geschichte in Daten – Berlin, München 1997, 294). 2 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 3 Kurfürst Friedrich III. an Spener am 28. 3. 1691: „Und wir dan wegen eurer Uns gerühmten sonderbaren pietät moderation und anderen guten theologischen qualitäten, wie auch eures ex- emplarischen lebens und wandels halben g[nädig]st gesonnen, euch in Unsere Dienste zu nehmen, und zu Unserem Consistorialraht, auch Probsten und Inspectorem bey der St. Nicolai Kirchen in Unserer Residentz Stat in Berlin in gnaden zu vociren“ (Halle a.S., AFSt, A 159: 23; Abdruck in: Aland, Spener-Studien, 107 f, allerdings mit Vermerk, dieses Schreiben sei nicht abgeschickt worden). 4 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 5 Kurfürst Johann Georg III. an Kurfürst Friedrich III. am 29. 3. 1691: „Was an Unß, Ew. L[ie]bden untern 21. dieses auß Cölln an der Spree wegen Überlaßung Unsers Oberhofpredigers Dr. Speners […] abgelaßen. Daßelbe haben Wir zu recht erhalten. […] So haben Wir auch vor diesmahl nicht anders, dann in Dero hierunter gethanes freund-Vetterl. ansuchen willigen können […].“ (Aland, Spener-Studien, 108 f). 6 Vgl. ebenso Brief Nr 153, Z. 21–23, Nr. 155, Z. 7–9, und Nr. 159, Z. 10 f. Nr. 154 an Bürgermeister und Rat zu Berlin 18. 5. 1691 691 weisen und gütigen rath hertzlich zu frieden bin, also freue mich auch, nach seiner anweisung vor diesesmal in ihrer werthen statt mein weniges pfund in 15 göttlichem seegen treulich anzuwenden7, und gehe, auf göttlichen ruf mich hertzlich verlassende, mit getrostem hertzen dahin, wo mich der HERR HERR unzweifentlich gehen heisset. E. WohlEdl. Herrl. und Weißh. versichere alles dessen, was sie gegen sich von einem diener GOttes in ihrer statt verlangen mögen: wie auch verhofe 20 noch jetzo das zeugnüß von einem Hochweisen Rath zu Franckfurt am Mayn, unter dem ich 20 jahr als Senior ihres Ministerii gestanden bin8, zu haben, daß denselben in nichts in ihre gerechtsame9 eingegrifen oder zu einiger klage gegen mich ursach gegeben, sondern mich vermittels göttlicher gnade also verhalten habe, daß, als mich der allerhöchste von ihnen nahm und hieher 25 führte, solcher mich nicht so gar gern, sondern allein aus gehorsam gegen göttlichen willen von sich gelassen hat. Den himmlischen Vater rufe ich demüthigst an, welcher gleich wie über E. WohlEdl. Herrl. und Weißh. alle arten seines himmlischen segens in geistlichem und leiblichem wolwesen, sonderlich friedlicher und beglückter regierung der anvertrauten statt, mildig- 30 lich ausgiessen, also auch mich, seinen knecht, welchen er zu denselben sen- det, von oben herab dermassen ausrüsten wolle, daß die Evangelische kirche10 dero statt von dem wort, so er durch mich auch verkündigen lassen wird, viele selige erbauung in seinem segen geniessen, E. WolEd. Herrl. und Weißh. aber auch alle verlangte vergnügung davon schöpfen möge. Welches alles 35 auch aus vertrauen gegen den erkanten göttlichen beruf von seiner väterli- chen güte so viel unzweifenlicher erwarte und nechst hertzlicher deroselben, ihrer amts=​verrichtungen und eigener häuser empfehlung in des allerhöch- sten treuen schutz, milden segen und weiseste regierung verbleibe m. f. w.

Dreßden, den 18. Maji. 1691. 40

14 gütigen ] gütigem: D3. ​16 göttlichem ] göttlichen: D1. ​17 getrostem ] getrosten: D1. ​ 40 1691 ] 1601: D2+3.

7 Vgl. das Gleichnis Jesu von den anvertrauten Pfunden in Lk 19,13–25. 8 Spener war von 1666 bis 1686 Senior der lutherischen Predigerministeriums der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main. 9 Das Recht, Vorrecht. – Hier ist das Oberaufsichtsrecht des Frankfurter Rats über die lu- therische Kirche gemeint. 10 Gemeint ist die lutherische Kirche. 692 Briefe des Jahres 1691 155. An Christian Feustel in Plauen1 Dresden, 22. Mai 1691

Inhalt Berichtet von den Umständen, die zu seiner Berufung als Propst und Konsistorialrat nach Berlin geführt haben. – Wird auch künftig mit den christlichen Freunden in Sachsen verbunden bleiben. – Hält die Schwierigkeiten, in denen sich Feustel befndet für Zeichen der Trübsale der letzten Zeit. – Freut sich über die Nachricht guter Früchte, die Feustels Katechismusexamen zeitigt. – Kann nicht bestätigen, daß dieser Plauen mit Sodom verglichen habe. – Sendet Ex- emplare seiner Schrift „Freiheit der Gläubigen“ mit; eines soll an [Georg Andreas] Crusius weitergeleitet werden. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, D 81, S. 117–120.

Von dem Thron der Majestädt unsers triumphierenden himmelskönigs JESU allen reichen Abfuß seines Geistes u[nd] deßen heilige Gaben2. WohlEhrwürdig, Großachtbahrer u. wohlgelehrter. Insonders vielgeEhrter HErr u. in dem HErren geliebter Bruder.

5 Meine vor dem Abzug wenig übrige zeit leidet ietzo nicht weitläuftiges Schreiben oder Antwort3. Es hat dem himmlischen Vater gefallen, mich nochmal zu versichern, daß er mich verordnet habe, nicht an einem, sondern mehrern Orten sein Wort zu verkündigen4: Nachdem er zugelaßen, daß der von unserm Durchlauchtig- 10 sten Churfürsten5 gegen mich über eine aus Trieb des Gewißens (u. nach dem Exempel meiner Seel. Antecessorum H. D. Wellers6 u. H. D. Geiers7, die den modum mehrmahl practiziret), schriftl[ich] gethane Erinnerung vor 2 Jahren gefaßte Unwillen8 dahin endl[ich] ausgebrochen, sich von mir gantz loß zu machen u. dem Geheimen Rath anzubefehlen, mich dahin zu disponiren, daß

12 practiziret: cj ] practisiret: K.

1 Christian Feustel (1655/56–10. 8. 1729), Archidiaconus in Plauen; geb. in Zwickau, nach dem Studium in Leipzig 1688 Archidiaconus in Plauen, 1705 Superintendent in Weida (Thüringen), 1720 Superintendent in Grimma (Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 168; Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 13 Anm. 1). 2 Der Brief wurde in der Woche vor Pfngsten geschrieben. 3 Briefe Feustels an Spener sind nicht überliefert. 4 Vgl. ebenso Briefe Nr 153, Z. 21–23, Nr. 155, Z. 7–9, und Nr. 159, Z. 10 f. 5 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 6 Jakob Weller von Molsdorf, zuletzt Oberhofprediger in Dresden (s. Brief Nr. 33 Anm. 8). 7 Martin Geier, zuletzt Oberhofprediger in Dresden (s. Brief Nr. 18 Anm. 11). 8 Spener berichtet mehrfach ausführlich über den Beginn des Zerwürfnisses zwischen dem Kurfürsten und ihm (Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 32, Z. 73–132, Nr. 48, Z. 77–118, Nr. 51, Z. 9–71, Nr. 120, Z. 47–76; Ad Rech 1, Bl. 324r–326v; LBed. 3, 400 f). Nr. 155 an Christian Feustel 22. 5. 1691 693 selbst abdanckte, in welchem fall eine ansehnl[iche] pension zu genießen 15 haben soll: Ich wolte aber mich dazu nicht verstehen, damit mich nicht der darinn beygehenden Sünde, Ärgernißes u. böser Urtheile theilhaftig machte, sondern die dimission lieber selbst erwarten. Ob nun wohl der Geheime Rath gründliche und bewegliche Remonstrationes that9, blieb der Churfürst bey seinem proposito: bis endl. Chur Brandenburg sich der Gelegenheit zu seiner 20 lang gehabten intention gebrauchte10 u. ins Mittel schlug11, meine Überla- ßung suchende, sie auch so bald erhielte12. Welches mir unser Churfürst in einem, in dem übrigen gütigst abgefaßten Schreiben13 (darin meiner hauß- frau14 die sonst nach meinem todt versprochene GnadenGelder von dato solches dimissionsRescripts zu genießen, assignirt worden) notifcirte, u. 25 stracks darauf die Churbrandenb[urgische] vocation zur ConsistorialRath- Stelle u. Probstey der Evangelischen kirchen in Berlin einlief 15. Diese nahm so bald als göttl. Willens überzeugt an und werde, geliebt es Gott, zu Ende der Pfngstfeyertage mich dahin erheben. Ich erkenne den gütigsten u. weisesten Rath meines himmlischen Vaters über mich in dieser Sache, der mich nicht 30 allein ausführet aus den etwa stellenden Netzen vieler falschen Brüder dieses landes, sondern auch scheinet eine weitere Thür der beforderung des Guten ienes Orts zu öfnen, welches ich mir von seiner Vaters Treue gemäs versiche- re: auch von dem Churfürsten16 weiß, daß nicht allein er sonsten viele re- genten Tugenden an sich hat, sondern vorneml., ob er wohl reformirt ist17, 35 dennoch auch die Erbauung unserer kirche18 hertzlich verlanget und gern fördert. Vieleicht hat mir Gott daselbst mehr Seegen bestimmt, als ich oder andre dencken können, aufs wenigste hat er mein hertz mit freudigem Glau-

19 that: cj ] thaten: K. 37 fördert: cj ] fordert: K.

9 Spener denkt vermutlich an das Schreiben des Geheimen Rates in Dresden an Kurfürst Johann Georg III. vom 14. 3. 1691, in dem sie diesen bitten „nach herzlicher anrufung Gottes“ seine starre Haltung in der Angelegenheit zu Spener zu überdenken („So werden E. Chf. Dlt. dero […] erleuchtetem verstande nach, von selbst befunden, wie unmöglich bey dem Geheimen Rath, damit fortzukommen sey.“ (SächsHStA Dreden, Loc 7169, Speners Abzug betr. 1691, Bl. 11–14). 10 Die – zunächst geheimen – Verhandlungen zwischen dem kurbrandenburgischen Hof und Spener begannen schon wenige Wochen, nachdem dieser in Ungade gefallen war (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45, Z. 27–47) und wurden im Frühjahr 1690 und dann 1691 erneut auf- genommen. 11 Redensartlich im Sinne von „vermitteln“, „als Vermittler auftreten“ (DWB 12, 2385). 12 S. Briefe Nr. 151 bis Nr. 154. 13 Das Demissionsreskript vom 31. 3. 1691 (SächsHStA Dresden, loc 10330, Phil. Jak. Spener betr. 1686 f; Halle a.S., AFSt, D 89, S. 51; Abdruck: Joachim Friedrich Feller, Monumenta varia inedita, Drittes Trimester, Jena: Joh. Felix Bielcke 1714, S. 168 f). 14 Susanne Spener (s. Brief Nr. 30 Anm. 38); zu dem Gnadengeld s. Brief Nr. 160 Anm. 6. 15 Anfrage des Kurfürsten von Brandenburg an den Kurfürsten von Sachsen mit Bitte um Di- mission Speners im Schreiben vom 21. 3. 1691 (s. Brief Nr. 151 Anm. 4). 16 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 17 Das brandenburgische Kurfürstenhaus war seit der Konversion Johann Sigismunds im Jahr 1613 reformiert, der größte Teil der Landesbevölkerung jedoch lutherisch. 18 Die lutherische Kirche. 694 Briefe des Jahres 1691

ben erfüllet, dahin zu gehen, wohin er mich sendet. Hofe auch, treuer Mit- 40 brüder Gebete sollen mich begleiten u. mir ferner das ienige erhalten helfen, was ich bedarf u. doch vor mich nicht würdig bin. Ich hinwieder, ob mich wohl der HErr von Sachsen dem leibe nach aus- gehen heißet, verlaße solches nicht mit dem Gemüth, noch liebe oder Gebet: sondern wie ich der gantzen kirche und absonderl[ich] der mir bekant ge­ 45 wordnen christl. freunde bisher mit treuem hertzen vor Gottes Angesicht gedacht, also werde hinkünftig weder ienes unterlaßen, noch einiges von diesem vergeßen: verlange aber auch eben des wegen von diesen iemalige Nachricht des algemeinen u. dero Zustandes, um mich darnach zu richten. Zeiget mir auch der HErr HErr Gelegenheit, außer landes denienigen gutes 50 zu thun, die es treu mit ihm meinen, u. etwa gar zu deroselben Gaben meh- rern Gebrauch erweisen zu können, will auch solche nicht mit Willen ver- säumen. Die beklagte geliebten Bruders Wiederwärtigkeiten anlangend19, befremdet mich dero Nachricht nicht, noch wird derselbe sich sie befremden laßen: weil 55 uns alles von unserm heyland längst vorgesagt ist20 und die Welt sich nicht ändern wird. Ja, ietzige Drangsalen mögen vieleicht allein der Anfang seyn, u. wir haben uns auf schwerere noch gefaßt zu machen, iedoch wird der HErr kraft und endl. Sieg verleyhen. Laßet uns nur nicht müde werden21 oder die hände sincken laßen22, sondern ohneracht der Welt haßes23 in dem Guten u. 60 allen deßen uns möglicher übung fortfahren, zwar Vorsichtigkeit brauchen, aber unter dero vorwand nicht menschenfurcht uns zur versaumung deßen, was wir noch ausrichten mögen, bewegen laßen, und alsdann mit gedult die leiden, damit Gott unsern Glauben prüfen will, übernehmen. Er ist treu und wird uns nicht über vermögen laßen versucht werden24, so ist er mächtig, die 65 feinde zurückzuhalten und allweise, derselben tücke zu begegnen. Recht muß doch recht bleiben, und dem werden endlich alle fromme hertzen zufallen25, so dann der HE[rr] selbst seine sache gegen die MenschenKinder ausführen. Das Specimen der frucht des feißes bey dem Catechetischen Examine26 hat mich hertzlich erfreuet, der HErr laße nicht allein bey dieser Jungfer, sondern 70 allen übrigen dieselbe immer reichlicher aufwachsen zu erbauung seines

19 Worum es sich genau handelt, ist nicht bekannt. Vielleicht hängen die Vorwürfe mit den Gerüchten zusammen, die Spener in Z. 73 f andeutet. 20 Mk 10,30; vgl. auch 2Tim 3,12. 21 Eph 3,13 u. ö. 22 Vgl. Ez 21,7. 23 Vgl. Joh 15,18. 24 Vgl. 1Kor 10,13. 25 Ps 94,15. 26 Feustel hatte sich schon im Jahr 1689 bei Spener erkundigt, wie man ein Katechismus- examen am Hilfreichsten einrichten könnte (s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 13, Z. 55–59); das hier angesprochene „Specimen“ ist wohl die – unbekannte – Jungfer, von der Feustel ofensicht- lich berichtet hatte. Nr. 155 an Christian Feustel 22. 5. 1691 695

Reichs, daß, da die alten meisten sich nicht mehr beßern wollen, das an- wachsende alter eine reinere Kirche erleben und formiren möge. Daß derselbe mir Plauen als ein Sodoma27 beschrieben haben solte, ist eine pure calumnie, und weiß ich mich nichts anders aus allen diesen briefen zu erinnern, als daß denn und wenn einige Christliche vorhaben zu der Erbau- 75 ung gerichtet, mir communicirt und mein Rath verlangt worden, so dann mag einige mahl etwas von klagen untermischt worden seyn, wie jenen wider- standen oder doch nicht geziemlich an hand gegangen worden seye. Die zeit leidet aber ietzt nicht mehr, ohne daß hierbey lege ein exemplar meiner apologiae wider H. D. Mayern28, und das andere an H. Crusium, sub- 80 stit. pastorem zu Schöneck29, so nicht weit von ihnen seyn vermuthe30, mit gelegenheit zubestellen bitte, weil an denselben selbst nicht schreiben kann, wormit göttlicher Gnaden, Schutz, Regierung und Segen treulich erlaßende verbleibe

E. WohlEhrw. zu gebeth und liebe willig 85 Ph.J. Spener, D. Mppria. Dreßden, den 22. Maij. 1691. Dem WohlEhrwürdigen, Großachtbaren und Wohlgelahrten Herrn M. Chri- stian Feusteln, treufeißigem ArchiDiacono der Christlichen Gemeinde zu 90 Plauen. Meinem HochgeEhrten Herrn und in dem Herrn geliebten Bruder. Plauen. Samt einem päcklein, Lit. A31.

27 Sprichwörtlich für einen Ort, der durch lasterhafte Menschen geprägt ist (nach Gen 13,13). 28 Spener, Freyheit der Glaubigen; gegen die im Namen des Hamburger Predigerkollegiums von Johann Friedrich Mayer verfaßte „Abgenöthigte Schutz=Schrift“​ (s. Brief Nr. 137 Anm. 13; zu Mayer s. Brief Nr. 90 Anm. 6). 29 Wohl Georg Andreas Crusius (1660–1697). Er korrespondierte mit Hermann von der Hardt. In seinem Brief vom 11. 10. 1687 (LB Karlsruhe, K 319, III) berichtet Crusius, er sei durch die Predigten, Katechismusexamina und Schriften Speners in seinem Christentum bestärkt worden und habe die wahre Praxis des Christentums im Umgang mit diesem erlebt. Seinen Sohn schickte er später zu A. H. Francke auf die Lateinschule der Glauchaischen Anstalten. – Zu G. A. Crusius s. Grünberg, Pfarrerbuch 2.1, 112. 30 Schöneck (bei Klingenthal) liegt ca. 17 km südöstlich von Plauen im Vogtland. 31 Vermutlich die in Z. 79–81 genannten Beilagen. 696 Briefe des Jahres 1691 156. An Kurprinz Johann Georg von Sachsen in [Torgau?]1 Dresden, 25. Mai 1691

Inhalt Will sich nach der persönlichen Begegnung auch schriftlich vom Kurprinzen verabschieden. – Empfehlt ihn dem geistlichen Beistand seines Nachfolgers an und will die Gelegenheit nutzen, letzte Ermahnungen zu erteilen. – (1.) Erinnert ihn an seine Predigten, die die Wahrheit der Heiligen Schrift und der symbolischen Bücher verkündigen, und legt ihm nahe, den Tag mit der Bibellektüre zu beginnen. – Empfehlt über die Bibellektüre hinaus, erbauliche Bücher zu lesen. – 2. Legt ihm das regelmäßige, persönlich formulierte Gebet nahe und ermuntert zum Gottesdienstbesuch. – 3. Ermahnt zum vorbildlichen christlichen Leben, das einem Fürsten wegen seiner öfentlichen Stellung besonders zukommt. – 4. Legt ihm den notwendigen Fleiß für seine fürstliche Aufgabe nahe. – 5. Warnt vor unchristlichen Beratern. – 6. Malt ihm das Selbst- verständnis eines christlichen Fürsten vor Augen, der der Wohlfahrt seines Volkes dienen soll, und rät ihm, christlich gesinnte Regierungsbeamte zu suchen. – 7. Verweist ihn darauf, auch schon in jungen Jahren daran zu denken, daß er sich einmal vor Gott zu verantworten hat. – Wünscht ihm ein langes Leben, die göttliche Bewahrung in seinen Unternehmungen, v. a. im bevorstehenden Feldzug, und künftighin eine vorbildliche Ehe. Überlieferung K: Dresden, SLUB, Mscr. Dresd., c 30, Bl. 161r–166r (Z. 1–326.334). D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 857–865.

Von unserm durch Leiden in seine herrligkeit eingegangenen Heylande Jesu Christo alle seiner Leyden verdienste und seiner herrligkeit kraft und leben! Durchleuchtigster Fürst, Gnädigster Chur Printz und Herr.

5 Ob ich wohl jüngsthin zu Coßdorf 2 die gnade gehabt, Eu[re] ChurPr[intz- liche] D[urc]hl[auchtigkeit] leztes mahl zu sehen und von deroselben damahl unterth[änig]st abschied nehmen können, so hat doch theils die gemüths bewegung bey mir, theils die zeit solches damahl mir nicht wohl verstatten wollen, sondern habe also, was mir obgelegen, mit dero gnädigsten Erlaubnis 10 schriftl[ich] zu verrichten mir vorgenommen. So habe nun zum fördersten

1 Kurprinz Johann Georg (18. 10. 1668–27. 4. 1694), seit dem 12. 9. 1691 Kurfürst Johann Georg IV. von Sachsen (E. Vehse, Geschichte der Höfe des Hauses Sachsen, Vierter Theil, Hamburg 1854, 167–204; D. Döring, Johann Georg III. – 1680–1691 – und Johann Georg IV. – 1691– 1694, in: F.-L. Kroll [Hg.], Die Herrscher Sachsens, München 2007, [160–172] 167–170). – Der Brief ist Johann Georg zugewiesen durch die Anmerkung am Ende von K: „An ChurPrinz Johann Georgen den 4ten zu Sachsen p.p.“ (Z. 335). 2 Koßdorf; auf der Strecke zwischen Torgau, wo Kurfürst Johann Georg in dieser Zeit residier- te, und Dresden gelegen; Spener hatte vermutlich bei seiner Reise nach Colditz und Meuselwitz Koßdorf besucht (zu Speners Reise s. Brief Nr. 150 Anm. 13). Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen 25. 5. 1691 697

Eu. ChurPr. Dhl. unterth[änig]sten danck zu sagen vor alle zeit meines anwe- sens in diesen landen bezeigte hohe gnade u[nd] gnädigstes vertrauen, deßen mehrere zeugnißen verspühret habe und billig des allerhöchsten himmlischen vaters gnade gegen mich auch daraus zu demütigstem danck erkannt, daß deßelbigen mächtige hand dero herz gegen mich kräftig geneiget hat. Solte 15 nun sein heil[iger] Rath gewesen seyn, mich länger dieses orts zu laßen, würde mir solches auch eine freude erwecket und meine hofnung (daferne Er, der große Gott, mein leben so lang hätte erstrecken wollen), dermahleins under Eu. ChurPr. Dhl. Regierung mehr gelegenheit u. vorschub, das gute zu befördern, zu fnden, mich hofent[lich] künftig nicht betrogen haben. 20 Wann aber alles unser Thun nicht in unserer Macht, sondern unter deßen höchsten Regierung allein stehet, der gleichwohl alles, es habe vor Menschen ein ansehen, wie es wolle, recht macht und aufs weißlichste schicket, und aber deßen heil. Vorsehung es also gefüget, daß von S[eine]r Ch[ur]f[ürstlichen] Dhl.3 an des Churfürsten von Brandenburg Dhl.4 ich überlaßen nunmehr von 25 den Sächs[ischen] zu den Brandenb[urgischen] Evangel[ischen] Kirchen ge- hen soll5, bin ich des guten vertrauens, daß Eu. ChurPr. Dhl. diesen, des al- lerhöchsten Rath, welchen ich zur überzeugung des gewißens gnügl[ich] er- kant habe6, sich auch nicht werden misfallen laßen, sondern damit friedl[ich] seyn und, was derselbe schicket, vor das beste halten. Wann ich aber damit 30 auch die von Eu. ChurPr. Dhl. mir gdst. anvertraute dero besondere Seelen sorge u. beichtvater amt ablegen u. demjenigen, welchen die himmlische güte nunmehr an meine stelle anweißen wird7 (u. mit aller nötigen weißheit und Geistes Kraft darzu ausrüsten wolle), überlaßen solle, so versehe mich, daß mir gdst. zugelaßen werde seyn, bey diesem abschiede meine lezte amts Er- 35 innerungen aus treuen hertzen u. mit unterth[änig]stem respect zu thun. Da ich zu Erst vor Gottes heil. augen bezeuge, wie ich bis daher Eu. Chur- Printzl. Dhl. wahres Seelenheyl innigl[ich] verlanget u. gesuchet habe, auch herzl[ich] wündsche, daß ich mehrere Kraft u. Weißheit darzu bey mir ge- funden hätte u. niemahlen von mir in solcher meiner Pficht, u. zwar auch 40 gehabter herzlicher intention, nichts wäre versäumet worden (da ich aber meiner Schwachheit mir wohl bewust, solcher meiner Versäumnis u. Fehler,

11 Dhl ] – D. 12 bezeigte ] bezeugte: D. 16 seyn ] seyen: D1. ​23 recht ] räth: K. ​ 27 diesen ] – K. 30 seyn ] seyen: D1. ​36 unterth[änig]stem ] unterthänigsten: D1. ​ 39 wündsche ] wünschete: D.

3 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 4 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 5 Zur Berufung Speners als Konsistorialrat und Propst an St. Nicolai in Berlin s. Briefe Nr. 151 bis Nr. 154. 6 Zur Gewissensfrage bei dieser Berufung s. Brief Nr. 153, Z. 10 f, mit Anm. 7. 7 Als Nachfolger Speners im Oberhofpredigeramt und als kurfürstlicher Beichtvater war Georg Green (8. 7. 1636–22. 8. 1691) bestimmt (zu diesem s. Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 45 Anm. 3), nach dessen schnellem Tod erhielt Johann Samuel Carpzov schließlich dieses Amt (zu diesem s. W. Sommer, Die lutherischen Hofprediger in Dresden, Stuttgart 2006, 239–248). 698 Briefe des Jahres 1691

die das scharfe auge Gottes in meinem amte, wo ich mehr hätte thun sollen u. können, vergebung von seiner himmlischen u. väterl[ichen] Güte bitte u. 45 auch von Eu. ChurPr. Dhl. gutmüthigkeit8 hofe), daß gleichwohl diejenige lehre, welche ich die zeit meines anwesens ofent[lich] u. absonder[lich] ge- trieben habe, dem wortte Gottes u. unsern Symbolischen Büchern in allen stücken wahrhaftig gemes seye u. ich das Vertrauen trage, wie andere also auch zum förderisten Eu. ChurPr. Dhl. werden aus der Prüfung aus der heil. 50 Schrift, auf welche ich zu jederzeit alle meine zuhörer, hohe u. niedere, zu weißen pfege, solche derselben also gemes befunden haben und stets befn- den. Wie nun zwar nicht verlange, daß jemand, wer der auch wäre, das ge- ringste um meinetwillen annehme oder glaube, sondern alles nach Gottes wort prüfe; so habe doch unterth[änig]st zu bitten, Eu. ChurPr. Dhl. geruhe- 55 ten, sich derjenigen dinge, so Sie die wenige zeit über von mir gehöret, oft- mahlen zu erinnern u. solche immerdar gegen die heil. Schrift zu halten und, da Sie sie darinne gegründet erkennen, sie durch fernere Betrachtung so viel tiefer in die Seele einzudrucken, sonderl[ich] aber das allein unbetrügliche wortt Gottes in der Schrift sich vor allem am hertzlichsten angelegen seyn zu 60 laßen und zu glauben, daß solches dasjenige sey, welches wie insgesamt Christen, also auch vor andern die Fürsten, nimmer aus den augen kommen laßen sollen. Sie machen also mit Ihrem Gott und Herrn den jenigen bund, daß derselbe, als viel mögl[ich] ist, alle morgen der erste sey, welchen Sie mit sich in seinem Wort reden laßen u. Sie hinwiederum mit demselben in deßen 65 betrachtung u. in dem gebeth reden. Sie glauben, es sey die heil. Schrift nicht nur das jenige, worinnen mann das gute, was mann thun solle u. zu hofen hat, zu lernen vor sich sehe, sondern auch aus dem mann, wo man recht mit umgehet, die kraft her nimmet des glaubens u. deßen heil. Früchte. Sie sey aber auch herzl. erinnert, allezeit also die Schrift zu lesen als das wort der 70 höchsten Majestet, vor der sich alles demütigen mus, und also mit wahrer demuth, Ehrerbietigkeit, andacht und herzlicher begierde, was man gelesen hat, sobald nach vermögen mit schuldigem gehorsam in die übung zu brin- gen. Wo sich nun Eu. ChurPr. Dhl. erstl[ich] gewehnen, die heil. Schrift selbst 75 dermaßen fruchtbarl[ich] zu lesen, werden Sie mit soviel mehr Nuzen alsdann auch andere bücher christl[icher] leute lesen können, da Sie vor allen andern sich diese beide arten der bücher recommendiret seyn zu laßen haben, eines theils welche die Schäze des heils u. der güter der wahren Christen deutl[ich] u. beweg[lich] vorstellen, andern theils welche derselben Ihre christl. u. auch 80 Fürstl[iche] Pfichten aus göttl[ichem] wortte, so aller Stände norm bleibet,

56 u. ] um: 59 seyn ] seyen: D1. ​64 demselben ] denselben: D1. ​68 heilige: D1; heiliger: D2+3. ​68 sey ] seyen: D. 70 der ] dero: D. 77 seyn ] seyen: D1. ​77 eines ] ein: D1; eins: D2. ​

8 Im Sinne von „wohlwollender Gesinnung“ oder „Nachsicht“ bzw. „Geduld“ (DWB 9, 1473). Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen 25. 5. 1691 699 zeigen: jene zur aufmunterung u. Stärckung des glaubens, diese zu Gott gefäl- liger Einrichtung des lebens, welche beyde sich nicht von einander trennen laßen. 2. Weil aber Eu. ChurPrinz. Dhl. versichert ist, daß so wenig Sie als einiger Mensch das gute aus eigenen Kräften zu thun vermöge oder auch seinem 85 Werck einen verlangten Success geben könne, sondern daß alles von dem himmlischen Vater erlanget werden müße, so werden Sie sich auch angelegen seyn laßen, vor demselben immer mit Ihrem gebeth zu erscheinen u. dieses vor das kräftigste Mittel zu halten alles andern Ihr nötigen gutes, und zwar daß das gebeth nicht allein geschehe mit dem Munde, sondern vornehml[ich] 90 mit dem herzen (daher auch rathsam ist, es nicht allein bey den gebethen, die aus dem buche gelesen oder aus der Gedächtnis9 recitiret werden zu laßen, sondern oftmahl die angelegenheiten dem liebsten Vater aus eigenem herzen und mit eigenen einfältigsten wortten, die ihm am angenehmsten sind, vor- zutragen) und allezeit mit Vorstellung, daß mann vor dem höchsten Monar- 95 chen über himmel u. Erden, gegen welchen alles hohe in der Welt nichts anders als Staub u. asche sich halten mus, in dem gebeth stehe oder liege, welches alsdenn eine innigliche Ehrerbietung, demut u. andacht in der Seele wircken u. hingegen das gebeth recht erhörl[ich] machen wird. Ob nun schon Eu. ChurPr. Dh. versichert seyn mögen, daß vor dieselbe wie vor das ge- 100 samte hohe Churhauß viel 1000 Personen tägl[ich] bethen, unter welchen kein zweifel ist, daß nicht manche andächtige u. eyfrige bether sich befnden, dero gebeth an sich selbst nicht anders kann, als dem himmlischen Vater an- genehm seyn10, so glaube Sie dennoch darbey, daß Ihr eigen gebeth nichts destoweniger vor Gott nothwendig sey, deßen bestärckung allein von anderer 105 vorbitte kommet, diese hingegen bey des eigenen gebeths Versäumnis nichts zu erlangen vermag. Weil aber nicht allein ein jeweiliges u. zu gewißen zeiten geschehendes gebeth nötig ist, sondern Christus fordert, daß wir allezeit be- then sollen11, so wird auch dieses euserst nötig seyn, sich zu gewehnen, außer der gewöhnl[ichen] bethzeit zum öfteren des Tages unter allen andern ge- 110 schäften das herz zu Gott mit einem blick oder Seufzen zu erheben u. mit wenig Wortten oder gar ohne Wortt seine gnade u. beystand zu erbitten. Wie diese stück, die betrachtung göttl. worts und das gebeth, zu den jenigen Pfichten gehören, welche unmittelbar dem allerhöchsten Gott Eu. ChurPr. Dhl. schuldig sind u. alle Tage gewiße zeit, vornehmlich aber der liebe Sontag 115 (deßen eyferige u. völlige heiligung nicht nur durch den öfentlichen, sondern

82 nicht ] mit: D1. ​85 vermöge ] vermögen: K. 88 demselben ] denselben: D1. ​92 recitiret ] reciret: D1. ​100 seyn ] seyen: D1. ​101 1000 ] tausend: D. 104 seyn ] seyen: D1; seye: D2. ​ 104 glaube ] glauben: K. 106 hingegen ] hergegen: D. 109 seyn ] seyen: D1. ​113 dem jenigen: D1. ​

9 Die Gedächtnis (DWB 4, 1927). 10 Vgl. 1Tim 2,1–3. 11 Vgl. 1Thess 5,16 f. 700 Briefe des Jahres 1691

eben sowohl besondern Gottesdienst12 billig mit euserster angelegenheit re- commendire, hingegen wo solche in acht genommen werden wird, unend- lichen Seegen in geistlichem, ja auch gewißer maße13 leibl[iche]m, von dem 120 großen Gott davor zu zusagen getraue) darzu gewiedmet werden müßen, so wird Eu. ChurPr. Dhl. nicht weniger sich angelegen seyn laßen. 3. Die früchte des göttl. worts und deßen Würckung in allen stücken bey sich zu bezeigen. Da hat Sie mit allen andern hohen in der welt gewis zu glauben u. sich vorzustellen, je auf eine höhere Stufe in der Zeit Sie der aller- 125 höchste gesezet hat, so viel näher habe Er Sie ihm14 selbst gemacht, hingegen sehe Er auch soviel genauer vor andern Menschen auf alles Ihr Thun u. Lassen, ja erfordere von Ihnen nichts weniger als von gemeinen Leuten, nachdem Sie Ihm vor mehrere empfangene wohlthaten auch vor andern mehr zum gehor- sam verbunden seyen: Da sey also keine einige lebens Pficht von Gottesfurcht, 130 andacht, demuth, zufriedenheit in allem, gedult, Sanftmuth, Nüchterkeit, Keuschheit, Wahrheit, Fleiß und wie sie alle heißen mögen, welche die grö- ßeste in der Welt nicht mit gleicher Verbindligkeit angehe, wie Sie von den geringern erfordert werden; weswegen Sie Ihr Stand in nichts von solcher Schuldigkeit befreye, sondern diese vielmehr noch schärfe: sonderlich nach 135 dem großer Herren ganzes leben nach allen seinen stücken jedermann in die augen leuchtet u. weder gutes noch böses an denselben verborgen seyn kan; daher Ihr gutes Exempel alsdann so viel mehrere zu treuer u. löblicher Nach- folge treibet, hingegen jede begehende Sünde so viel schwerer ärgernis und Schaden bringet, deswegen aber von Gott soviel heftiger gestrafet wird. Sie 140 tragen das göttl. bilde an sich15, da Ihnen der große Gott einen theil seiner gewalt u. Ehre anvertrauet hat, daher aber auch fordert, daß Sie daßelbe auch also zieren, sein bild in allen Christ= und Fürstl. Tugenden an sich mehr u. mehr leuchtende zu bekommen: Denn wo dieses nicht geschiehet, sondern große Herren den Sünden freventl[ich] dienen, schänden Sie zu schwerster 145 Verantworttung solches bilde an sich selbsten u. verunehren Gott, der es nicht ungerochen16 läßet. Hingegen ist es das ziehmlichste17, daß derjenige, so in einem Lande der vornehmste an Stand u. Würde ist, auch der Vornehmste an wahren Tugenden sey.

119 gewißer ] gewiße: K. 119 leiblichen: D1. ​122 früchte] früchten: D. 123 bezeigen ] zeigen: D. 127 erfordere ] er fordere: D. 129 seyen ] seyn: K. 131 sie ] – K. 134 noch schärfe ] nachschärfe: D1. ​135 großer ] gresser: D1. ​144 Herren ] Herrn: D1. ​ 146 ziehmlichste ] zierlichste: K.

12 Gemeint sind unterschiedliche Formen der privaten Andacht, die Spener empfehlt. 13 Die Maß (DWB 12, 1727). 14 Hier in refexiver Funktion im Sinne von „sich“ (DWB 10, 249). 15 Vgl. Gen 1,27; Jak 3,9. 16 Ungerächt; zur starken Flektion des Verbes s. DWB 14, 21. 17 Im Sinne von „geziehmend“, „gebührend“, „billig“ (s. DBW 31, 1118). Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen 25. 5. 1691 701

Hierzu gehöret 4tens auch diese betrachtung, daß der von Gott verordneter Fürsten leben nicht in einem Müßiggang oder wohlleben bestehe, sondern 150 vielmehr in einem steten feiß u. geschäft; denn weil anderer leute verrich- tungen mit wenigerm umgehen, derjenigen aber, die der Herr Herr am höch- sten gesezet hat, vorsorge auf ganze Lande u. soviel 1000 menschen gerichtet seyn soll, so erfordert nothwendig Ihr Stand von Ihnen nicht weniger, sondern mehr als der niedere Stand, wollen Sie anders, wie Sie schuldig sind, dem 155 jenigen Zweck einigerleymaßen gnug thun, zu dem Sie der Herr verordnet hat. Wie nun solches vornehml. plaz hat bey den jenigen, welche würckl[ich] in Regierung stehen, denen Gott nicht frey giebet, die Regierung alleine auf die Räthe und Bediente ankommen zu laßen, sondern dermahlen eins von Ihnen, wie Sie selbst derselben abgewartet haben, Rechenschaft fordern18, 160 hingegen alles, was versäumet worden, auf ihre eigene Verantworttung an- kommen wird: so gehet es doch auch auf gewiße weise die jenige an, so allein in der anwartschaft der Regierung stehen, daß Sie bereits ihre vorige zeit sorgfältig dahin anwenden, wie Sie sich in allen dingen, welche zu der Klug- heit eines Regenten gehören, u. in allerley Tugenden, unaufhörlich üben 165 mögen, damit Sie sich bereiten, wo Sie der Herr HERR zu seiner Zeit auf den Thron sezet, alsdenn bereits darzu tüchtig zu seyn, was der Regenten stand erfordert, um nicht in Ermangelung der nötigen Weißheit sich mehr von andern regieren zu laßen u. alsdann allzu theuer Lehrgeld mit schaden der Regierung geben. Eu. ChurPr. Dhl. verstehet von selbsten, daß dieses jezo 170 deroselben gegenwertiger Zustand seye, und wird sich also, so lieb deroselben ist, dermahleins eine gesegnete Regirung zu bekommen, angelegen seyn la- ßen, jezige zeit dahin anzuwenden mit Lesen, erkundigen u. allerley löbl[ichen] übungen, damit man zu rechter zeit darzu bereit werde, was das werck des ganzen lebens dermahleins seyn wird. 175 Weil 5tens einer der größesten anstöße wie anderer Menschen also vor- nehml. großer Herren ist, daß Sie so viele, ja die allermeiste Exempel vor sich haben nicht von tugenthaften Leuten, sondern an welchen das meiste zu strafen ist, so will hingegen wieder solches ärgernis die beste und kräftigste Verwahrung seyn, sich allezeit vorzustellen, daß sowohl großer fürsten als 180 anderer leute leben durchaus nicht nach dem jenigen, wie manns bey andern, wer die auch seyn mögen, siehet, sondern nach der Regul Göttl. Wortes, welches allen Ständen Ihre Pfichten vorschreibet, geführet werden müste u. daß daher die auch allgemeine gewohnheit, ob sie alle höfe, ja alle lande, er- füllet hätte, nichts desjenigen, was göttlicher seinen Christen vorgeschriebener 185

150 Müßiggang ] Müßigang: D1; mißigang: D2. ​151 anderer ] andere: D1. ​153 1000 ] tausend: D. 158 denen ] den: K. 159 dermahlen eins ] dermaleins: D1+3; denmaleins: D2. ​ 162 auch ] – D2+3. ​166 HERR ] – K. 177 viele ] viel: K. 177 vor ] um: D. 183 allen Ständen ] allem stände: D1. ​

18 Vgl. Mt 12,36. 702 Briefe des Jahres 1691

Ordnung zuwieder wäre, auctorisire oder recht machen könne; daher in der frage, ob etwas zu thun sey oder nicht, durchaus nicht, obs andere (wärens auch die höheste u. ansehnlichste in der Welt) zu thun pfegten, sondern ob es Göttl. willen gemäs sey, zu untersuchen ist u. daraus geurtheilet werden 190 solle. Wie ich auch von Eu. ChurPr. Dhl. mich deßen gehorsamst versehe, daß Sie längst gelernet, durch die Exempel hindurch allemahl auf die rechte Regel zu sehen, daher auch fehentl[ich] zu bitten habe, sich auch künftig durch kein ungleiches19 Exempel jemahl von der Regel abziehen zu laßen. 6. Wann der Allmächtige nach seinem Rath Eu. ChurPr. Dhl. zu würckl. 195 Regierung sezen wird, habe ich das kindl[iche] vertrauen zu seiner ewigen güte, daß Er deroselben auch alle darzu nötige gottseel[ige] weisheit verleihen werde. Ich meines wenigen orts recommendire voran diese beyde wichtigste Regeln, deren die eine die Unterthanen angehende ist, daß deroselben Wohl- fahrt der hauptzweck eines Regenten sey u. wo deßen vermeintes interesse u. 200 jene einander begegnen20, daß jener billig dieses weichen solle, aldieweilen nicht die unterthanen um des Regenten, sondern dieser um jener willen in der Welt ist: Die andere betrift die gesamte hohe u. niedere bediente u. würde darinnen bestehen, daß mann in dero wahl allezeit hauptsächl[ich] auf die Gottseligkeit zu sehen und zu glauben habe, daß je treuer einer seinem 205 Gott sey, je treuer werde er auch seiner herrschaft dienen, dahingegen wer sich kein gewißen machet, wißentl[ich] wieder Gott zu sündigen, sich auch kein Bedencken machen wird, wo Er seinen Vortheil siehet, seiner herrschaft etwas zu versäumen. Welche Regel Eu. ChurPr. Dht. auch auf diese Stunde zu observiren nötig ist, daß Sie nehml[ich], da Sie, einige Ihrer diener zu 210 wehlen, willens sind, immer nicht nur auf übrige geschickligkeit oder, wie mann sich nach der Welt mode zu schicken gelernet habe, sehe sondern wie das gemüthe eines jeden beschafen sey, ob es Gott u. die Tugend hauptsächl. liebe oder seine fortun, Nuzen oder Ehre zu seinem Gözen u. Endzweck gemachet habe: an den ersten werden Eu. ChurPr. Dht. niemalen fehlen, an 215 der leztern art aber niemahlen beständige Treue fnden. Ein Kennzeichen aber dieser leztern art ist unter andern dieses, wo bedien- te Ihren Herren zu einigen Sünden rathen, anlaß geben, ja auch wo die herren selbsten solches verlangen, Ihnen willig darzu helfen. Da mögen Eu. ChurPr. Dht. dieses als eine gewiße Warheit sich fest eindrucken, wo jemand 220 Ihrer bedienten Sie jemahl zu einigem unrechten veranlaßet, sein Wohlgefal- len daran bezeiget oder darzu geholfen, sovielmehr gar darzu gerathen hätte oder ins künftige dergleichen thun würde, der sey warhaftig kein treuer

186 auctorisire ] autorisiren: D. 199 hauptzweck ] hauptwerck: D1. ​202 niedere ] niedrige: D. ​ 214 habe ] haben: D1. ​221 bezeiget [ bezeuget: D.

19 Hier wohl im Sinne von „ungehörig“, „ungesittet“ oder aber auch einfach „übel“, „schlimm“ (DWB 24, 972). 20 Im Sinne von „entgegentreten“ (DWB 1, 1284). Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen 25. 5. 1691 703 diener, denn Er liebet E. ChurPr. Dhl. u. Ihre wahre Wohlfahrt nicht, da doch die liebe der grund aller Treue ist, sondern er suchet allein Ihre gnade um seines vortheils willen u. trachtet sie auch mit dero Schaden zu erlangen oder 225 zu erhalten. Wo aber Eu. ChurPr. Dhl. einige fnden werden, welche mit unterthänigstem respect, wo etwas Gott misfälliges vorgegangen wäre oder vorgehen solte, lieber dieselbe selbst erinnern oder doch ihr misfallen bezeu- gen u. nichts damit zu thun haben wolten, von denen können Sie sich un- fehlbahr solcher Treue versehen, daß Sie ihnen alles auch wichtigste ver- 230 trauen dörfen, indem Sie es wahrhaftig treu mit derselben u. Ihrer Wohlfahrt meinen. Wird Eu. ChurPr. Dhl. diese Regel ihr ganzes lebenlang feißig in acht nehmen und also mit David aus dem 101. Psalm21 (welchen Sie sich samt den 6., 7., 8. u. 9. Capiteln des buchs der weisheit22 zu oftmaliger Verlesung recommendiret seyn laßen wollen) gern fromme diener haben, daher diese 235 allen andern vorziehen, so traue von Gott zu versprechen, daß Sie ein sonder- bahr gesegneter Regent werden werden. Zu allen diesen Erinnerungen seze noch diese: 7. als zum Siegel, daß Eu. ChurPr. Dhl. sich bereits bey diesen ihren noch jüngeren Jahren gleichwohl erinnern der ungewißheit des lebens u. dermahl­ 240 eins gewis folgenden abschiedes, um alles Ihr leben also vor Gott zu führen, wie Sie an deßen Ende verlangen würden, solches geführet zu haben. Diese betrachtung, da Sie stets erwegen werden, wie Sie auf dem Wege zur Ewigkeit seyen, wird ein steter antrieb seyn, das jenige treul[ich] zu thun, was in der Ewigkeit seine belohnung erwarttet, u. das jenige sorgfältig zu vermeiden, was 245 alsdann Strafe leiden mus: u. solches soviel mehr, wo Sie noch beysezen, daß mit diesem Leben der Stand u. alle irdische hoheit aufhöre u. die Seele des größesten Monarchen vor dem unparteyischen Richter mit keinem mehrern Vortheil erscheine als des ärmsten bettlers, daher sie alle nicht nach voriger Würde u. dero unterscheid, sondern nach ihrem glauben u. wercken gerichtet 250 werden sollen: daß also die Seele nichts anders dahin mit sich bringet, als was sie aus göttl. Würckung in sich hat u. sie des fernern genußes der ewigen herrlichkeit u. seligen gemeinschaft mit der seeligsten DreyEinigkeit fähig machet. Gnädigster ChurPr. u. Herr, diese Erinnerungen, welche gewis aus einem 255 dero theure Seele u. Ihr ewiges wohl herzl. liebenden Gemüthe fiessen, mögen vor Gottes heil. angesichte der Schluß meines an Eu. ChurPr. Dhl. bis daher in meiner Schwachheit vollbrachten amts seyn, u. stehe ich in dem unterthänigsten vertrauen, daß Sie dieselbige nicht nur in gnaden aufnehmen,

227 misfälliges ] mißgefälliges: D. 229 wolten ] wollen: D. 232 lebenlang ] lebenslang: K. ​ 236 f sonderbahr ] sonderbarer: K. 240 jüngere: D1. ​243 zur ] zu der: D. 244 seyen ] seyn: K. ​ 252 genußes ] geniesses: D. ​ 256 theure ] theurer: K. ​ 258 Schwachheit ] schwachhet: D1. ​

21 Ps 101. 22 Weis 6–9. 704 Briefe des Jahres 1691

260 sondern auch mit feiß erwegen u. etwa mehrmahl zu steter Erinnerung, welche ohne Frucht aus Gottes Seegen nicht bleiben wird, ansehen werden. Wie denn also nochmahl Eu. ChurPr. Dhl. vor des himmlischen Vaters al­ sehen­den Angesicht in herzlicher demuth bezeuge, daß Sie das wort des Herrn, so Sie auch aus meinem, seines armen dieners, Munde angehöret 265 haben u. Ihre Seele selig machen kann, sich die Tage ihres Lebens angelegen seyn laßen wollen, also schlüße endl[ich] mit inniglichem Wundsche u. Ge- beth zu dem Vater des Liechts, von welchem alle gute und alle vollkommene Gabe kommen23, daß derselbe nach seiner ewigen güte mit aller gnade u. Segen über Sie walten wolle! Er als der Gott des Lebens friste24 Ihr leben nach 270 seinem Wohlgefallen lange zeit, daß Sie erreichen oder überschreiten mögen die Jahre ihrer hohen Vorfahren, und solches bey steter gesundheit, als viel zu der Ehre Gottes auch darinne dienl[ich] seyn wird: Er wende deswegen ab alle gefahr u. umgebe Sie stets mit der starcken wache seiner himmlischen Heer- scharen25, sonderl. auf allen Reisen und Expeditionen, an sonderbaresten aber 275 auch diesesmahl in gegenwärtigem zuge26, davon Er zu rechter zeit eine frö- liche, siegreiche u. gesunde Wiederkunft bescheren wolle. Er laße auch alles übrige christfürstl. Vornehmen immer nach Wundsch in seinem Seegen glückl[ich] gerathen, daß über steten gesegneten Success Ihre theure Seel sich immer zu erfreuen ursache fnde. Er laße sonderlich den vorstehenden Hey- 280 rath27 mit dero verlobten Königl[ichen] Princeßin hoheit28 zu rechter zeit mit allem vergnügen vollzogen u. ein Exempel einer unter hohen Personen son- derbarst nach allen stücken, was mann von dem Reichthum der Göttl. milde darzu verlangen möchte, gesegneten Ehe u. Ursach täglicher Dancksagung vor dem Thron deroselben, werden. Sonderl. aber wolle Er, der heil. Gott, das 285 werck seiner heiligung in Ihr[er] wehrthesten Seele immer durch des heil. Geistes gnade aufs kräftigste vollführen, daß, wie Sie einmahl aus Ihm wie- dergebohren sind29, das aus der wiedergeburth erstmahl gewürckte gute im- mer in gleicher Würckung fortgesezet werde: Er laße aus seinem licht das licht seiner und seines Willens lebendiger Erkäntnis in deroselben tägl. vermehret

279 erfreuen ] freuen: D.

23 Vgl. Jak 1,17. 24 Im Sinne von „schonen“ oder „retten“ (DWB 4, 218). 25 Engel (vgl. Lk 2,13). 26 Der bevorstehende erneute Feldzug gegen das französische Heer unter Ludwig XIV. 27 Der Heirat (DWB 10, 891). 28 Johann Georg war seit Juli 1687 mit der dänischen Prinzessin Hedwig Sophie (28. 8. 1677– 13. 3. 1735) verlobt. Zwei Briefe Speners an sie (Dresdener Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 166 [1. 12. 1687], und Bd. 2, Brief Nr. 78 [23. 7. 1688]) sind überliefert. Zu dem 1691 geschlossenen und 1692 wieder gelösten Ehepakt verfaßte Spener ein Gutachten (Halle a.S., AFSt, A 109, Bl. 78r–83v). 29 In der Taufe; zu Speners Vorstellung der Taufwiedergeburt s. K. vom Orde, Speners Auf- fassung von Taufe, Wiedergeburt und Konfrmation, JHKG 63, 2012, 45–59. Nr. 156 an Kurprinz Johann Georg von Sachsen 25. 5. 1691 705 u. Sie mit Kraft aus der höhe30 zu deßen Volbringung stets aufs neue erfüllet 290 werden, zum wachsthum der Früchte des geistes31, der liebe, der freude, des friedens, der gedult, der freundligkeit, der gütigkeit, des glaubens, der Sanft- muth, der Keuschheit, hingegen zu Tilgung aller dem menschen angebornen Liebe der Welt in Augenlust, Fleischeslust und hofärtigem leben32. Er erfülle Sie mit dem Geist der gnaden u. des gebeths33, damit Ihre tägl. Rauchopfer in 295 Bitten und Dancksagungen vor seinem Thron mögen angenehm seyn: Er öfne Ihr die Geheimnißen seines worts, wo Sie damit umgehen, u. gebe demselben die nötige Kraft zu Ihrer mehrern Erleuchtung u. heiligung: Er laße Sie ge- nießen seiner väterl[ichen] süßen liebe, u. in derselben tägl. mit dem Blut Jesu Christi von allen Sünden gereiniget34, von deßen allgütiger Vorbitte vertret- 300 ten35 u. alles solches durch den heil. Geist bey dero zu wege gebracht werden, daß Ihro niemaln mangele an irgend einem geistl[ichen] Guthe, so zu dero heil, Trost, Stärckung u. Freude in Ihrem Gott dienen mag, daß dahere36 das Reich Gottes, so bestehet in gerechtigkeit, Friede u. Freude in dem heil. Geist37, immerfort in Ihrem herzen bis zur ewigen ofenbarung fest gegründet 305 bleibe. Weil aber auch der allgewaltige Gott dieselbe dermahleins zu einem großen Regenten bestimmet hat, so bereite Er Sie auf das jenige, was Ihr dermahleins obliegen wird u., wenn es darzu kommet, rüste Er Sie aufs neue aus mit dem Geist der Weißheit und des Verstandes, mit dem Geist des Raths und der Stärcke, mit dem Geist der Erkäntnis und der Furcht des Herrn38, ja, 310 mit derjenigen Weißheit, durch welche herrschen die Fürsten u. alle Regenten auf erden39, u. stehe Ihr in allen stücken kräftig bey, damit alsdenn sein heil. Nahme u. Reich40 vortref[ich] durch Sie befördert u. so vieler 1000 Unter- thanen herzl[ich]e hofnung in dero, unter Ihrer Regierung genießender völ- liger Wohlfarth volkommentl[ich] erfüllet werde: Damit auch dermahleins die 315 Nachwelt dero würdige Person u. Zeit zu rühmen habe, Sie aber auch nach in Göttl. Kraft geführtem Leben u. Regierung in die unendl. Freude u. herr- ligkeit Ihres herrn, da endl. alle Wündsche zußammen fießen, eingehe41. Wie

293 dem ] den: D. 293 angebornen ] angebohrne: D1. ​296 seinem ] seinen: D1+2. ​ 296 öfne ] eröfne: D. 297 Ihr ] ihn: D1. ​302 einem ] einen: D1. ​303 Ihrem ] ihren: D1. ​ 303 daher: D. 313 1000 ] tausenden: D. 314 Ihrer ] ihro: D. 317 geführtem ] geführten: D1. ​

30 Lk 24,49. 31 Eph 5,9. 32 Vgl. 1Joh 2,16. 33 Sach 12,10. 34 Vgl. 1Joh 1,7. 35 Vgl. Röm 8,26 f. 36 Zu dieser seltenen Form s. DWB 2, 684. 37 Röm 14,17. 38 Jes 11,2. 39 Spr 8,16. 40 Vgl. Mt 6,9 f. 41 Vgl. Mt 25,21. 706 Briefe des Jahres 1691

dieses das innigl. gebeth dero werthesten Fr[au] Mutter Hoheit42 (welche der 320 gütigste Gott u. Vater als ein theures stück Ihr[er] ChurPr. Dhl. wohlfahrt lange zeit erhalten u. Ihro alle an deroselben sorgfältigen Erziehung angewan- te Treue, auch noch über Sie wachende Sorgfalt, herrl[ich] vergelten wolle), sodann des ganzen landes, auch bis daher das meinige nach meiner Pficht gewesen ist, so werde Ich auch abwesend, als lang der Herr Herr mich leben 325 laßen wird, nicht weniger als ob noch in voriger stelle stünde, damit fort- fahren u. will mich auch hierdurch nochmahlen darzu verbunden haben, alß der schlüßl[ich] nechstendl[icher] Empfehlung in des himmlischen Vaters ewige huld u. weißeste Regierung zu allem hohen leibl[ichen], geistl. u. ewigen wohlseyn verharre

330 Eu. ChurPrinzl[licher] Dhl. zu gebeth u. demütigem gehorsam unter­th[ä­ nig]ster Ph[ilipp] Jac[ob] Sp[ener] Mppria. Dr[eßden], am 25. Maj. 1691.

335 [Notiz des Kopisten:] An Prinz Johann Georgen den 4ten zu Sachsen pp.

320 Gott u. ] – D. 320 ChurPr. ] Churfürstlichen: D. 321 sorgfältigen ] sorgfältige: K. ​ 325 stünde ] stunde: D1. ​326 haben ] [Ende Abdruck D].

42 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). Nr. 157 an Kurprinz Friedrich von Sachsen 25. 5. 1691 707 157. An Kurprinz Friedrich August von Sachsen in [Torgau ?]1 Dresden, 25. Mai 1691

Inhalt Schreibt wegen der Kürze der letzten persönlichen Begegnung einen ausführlichen Abschieds- brief. – Bedankt sich für Aufmerksamkeit, die ihm als Beichtvater des Prinzen geschenkt wurde, und entschuldigt sich gleichzeitig, wenn er diese Aufgabe nicht sorgfältig genug wahrgenommen hat. – Ermahnt anhand von drei mal drei Pfichtenkatalogen, wie der Prinz sich gegenüber Gott, dem Nächsten und sich selbst verhalten soll. – Erinnert ihn an die in der Taufe geschenkte Seligkeit und segnet ihn, indem er auf die Gaben der einzelnen Personen der Trinität hinweist. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 3, Halle a. S. 1702 (21708; 31715), S. 865–871.

Göttliche gnade, friede, leben und regierung von unserem in seine herrlichkeit eingegangenen Heyland JESU CHRISTO! Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Fürst und Herr. Die kurtze und unbequemlichkeit des orts, als sonsten jüngsthin zu Coßdorf 2 die gnade gehabt, Ew. Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit letztesmahl zu se- 5 hen, haben mir nicht zugelassen, geziehmenden unterthänigsten abschied zunehmen, sondern habe deswegen solches schriftlich zu thun mit dero gnädigster erlaubnüß verspahren müssen: Stehe aber in guter hofnung wie auch unterthänigster bitte, Ew. Hochfürstliche Durchlauchtigkeit geruhen die zeit zu nehmen, da sie anderer gedancken frey, das jenige, was noch dieses 10 mahl schreibe, mit bedacht zulesen und zu hertzen zuziehen. Da ich dann erstlich unterthänigsten danck sage vor alle bißherige gegen mich bezeigte gnade, vertrauen und gestatteten zuspruch, so mich allezeit hertzlich gefreuet hat, und ich solche gnädigste zuneigung Ew. Hochfürstli- chen Durchlauchtigkeit gegen mich als ein zeugnüß Göttlicher würckung mit 15 demüthigstem danck gegen den himmlischen Vater angesehen habe, so dann auch dero fortsetzung zuversichtlich hofe. Wann aber der jenige grosse GOTT, welcher macht hat, allemahl auf ihm beliebende weise seine diener da oder dorthin zuversetzen, mich nunmehr von hier anderwerts hinsendet,

1 unserem ] unsern: D1. ​9 geruhen ] geruchen: D1. ​16 demüthigstem ] demütigsten: D1. ​ 19 anderwerts ] anderwers: D1. ​

1 Kurprinz Friedrich August von Sachsen („August der Starke“) (12. 5. 1670–1. 2. 1733), 1694 Kurfürst von Sachsen, 1697 Konversion zum Katholizismus und als August II. König von Polen (Näheres s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 84 Anm. 3 und Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 15 Anm. 1). 2 Zu Speners Besuch in Koßdorf s. Brief Nr. 156 Anm. 2. 708 Briefe des Jahres 1691

20 dessen heiliger führung ich auch mit freudigem gehorsam und hertzlicher zuversicht eines mehrern an andern orten mir bestimmten segens nechstens folgen werde3, hingegen damit wie mein übriges predigamt also auch die über Ew. Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit mir gleichfalls anvertrauet geweste beichtvaters sorge abzulegen habe, so habe mit diesem vorher Ew. Hochfürst- 25 lichen Durchlauchtigkeit nochmahl hertzlich versichern wollen, daß dasjeni- ge, was dieselbige die zeit über von mir so wohl in predigten als besondern zusprüchen gehöret, nicht allein aus treuer begierde, gleich wie alle mir an- vertraut gewesene also auch Ew. Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit seele zu erkantnuß und beliebung des allein guten Göttlichen willens zubringen, her- 30 gefossen, und nach sorgfältiger prüfung gewißlich dem heiligen geofenbahr- ten wort GOttes gemäß gefunden werde werden. Ich erkenne dabey meine schwachheit und muß aus derselben sorgen, daß manches zu Ew. Hochf. Durchl. wie auch anderer erbauung mit mehrerem feiß und weißheit hätte sollen von mir vorgenommen und verrichtet werden, daran es aber annoch 35 gemanglet hat: daß deswegen unterthänigst zu bitten habe, daß Ew. Hochf. Durchl. mir in gnaden vergeben wolle, was auch hierinnen jemahl von mir mag versäumet seyn worden, dessen vergebung aber auch zum fördersten von meinem himmlischen Vater und seiner barmhertzigkeit4 zu erbitten und zu erwarten habe. Hingegen setze auch diese unterthänigste bitte hinzu, daß sich 40 gleichwohl Ew. Hochf. Durchl. zum öftern des etwa angehörten guten, sonderlich aber derer zu unterschiedlichen mahlen GOTT, dem HErrn, in mir, seinem diener, vornehmlich bey und nach letzter kranckheit gethaner zusagungen zu dero erfüllung gegen den, welchem sie geschehen sind und der künftig davon rechenschaft fordern wird5, treulich erinnern und daran 45 nicht ein geringes gelegen zu seyn glauben wolle. Es werden Ew. Hochfürstliche Duchlauchtigkeit mir gnädigst vergönnen, daß zu diesem beschluß6 meines getragenen beichtvater=amts​ annoch einige regeln deroselben hinterlasse, dero feißige beobachtung dero leben dem Al- lerhöchsten hertzlich angenehm machen und vielen segen herbey ziehen 50 wird. Wie nun unsre pfichten sich in drey abtheilen, so fern wirs darinnen mit GOTT, mit uns selbs und mit dem nechsten zu thun haben, so mögen alle ihre gewisse regeln erfordern. Was dann anlangt die pfichten, damit Ew. Hochfürstl. Durchlauchtigkeit 55 dem grossen GOTT verbunden sind, würden sich solche in drey regeln ab- theilen lassen, deren die erste ist: sich GOttes heiliger gegenwart zu allen

30 dem ] den: D1. ​38 meinem ] meinen: D1. ​40 öftern ] ofter: D1. ​

3 Die Berufung in das Amt des Propsts und Konsistorialrats in Berlin. 4 Vgl. 2Kor 1,3. 5 Vgl. Mt 12,36; Röm 14,12; 1Petr 4,5. 6 Im Sinne von „Schluß“, „Abschluß“ (lat.: fnis) (DWB 1, 1581). Nr. 157 an Kurprinz Friedrich von Sachsen 25. 5. 1691 709 zeiten zu erinnern und gewiß zu glauben, daß seine augen stets auf alle menschen, auch die er in der welt so hoch gesetzet hat, aber von denselben einen nicht weniger als von andern leuten ernstlichen gehorsam und furcht erfordert, gerichtet seyen, und auf dero gedancken, wort und wercke7 acht 60 gebe, als welche dermahleins vor sein gericht gebracht werden sollen. Wo diese erinnerung stets geschiehet, da wird die seele mit einer heiligen ehrer- bietung gegen diese gegenwart ihres GOttes erfüllet und betrachtet alles, was sie thut. Die andere regel solle billich seyn, das Göttliche wort nicht nur feißig, wo 65 man kan, zuhören, sondern auch in der heiligen Schrift täglich zu lesen und den jenigen tag vor unglücklich zu gebracht zu halten, da man seinen GOtt nicht mit sich in seinem worte hätte reden lassen. Wie nun aber solches lesen auch mit andacht und ehrerbietung, auch vorsatz des gehorsams täglich ge- schehen solle, also muß sonderlich der liebe Sontag zu sothaner übung un- 70 aussetzlich angewendet werden, als dessen rechte heiligung den seegen auf die gantze woche ziehet, wo er aber entheiliget wird, einiger fuch daher er- wartet werden muß. Die dritte regel recommendiret billich das liebe gebeth, welches täglich nicht allein der anfang des tages, sondern auch aller vornehmenden verrich- 75 tungen seyn solle, hingegen aller wahre seegen an demselben hänget: Wie dann nichts auf GOTT gefällige art geschehen kan, was man ohne gebeth vornimmet. Wo bey sonderlich die falsche einbildung gemieden werden muß, welche zu weilen einige denen hohen standes personen zu machen unter- stehen, gleich ob bedürfte es dieser gebets nicht, weil so viele vorbitten von 80 andern vor sie geschehen. Wo aber jemand Ew. Hochfürstl. Durchl. jemahl etwas dergleichen beybringen wolte, so haben sie denselben billich vor einen untreuen menschen, so dieselbe um ihre wohlfart bringen wolle, zu achten und dero gerechten eifer gegen ihn spühren zulassen. Wie nun diese regeln ein zimliches stück der pfichten gegen GOTT, von 85 dem doch alle seligkeit zu erwarten und also sein dienst allem andern vor- zuziehen ist, in sich fassen, so bestehen hingegen die pfichten gegen sich selbs nicht weniger in drey regeln. Die 1. ist, daß Ew. Hochfürstl. Durchl. den von GOtt verliehenen verstand immer mit mehrern nützlichen und die so geistliche als leibliche, deroselben 90 selbsten und anderer wohlfahrt angehenden wissenschaften8 zu perfectioni- ren suchen. Dann wie der verstand an dem menschen nach dem natürlichen das edelste ist, dessen vollkommenheit aber in vieler erkäntnüß wichtiger und

58 denselben ] demselben: D1. ​65 seyn ] seyen: D1. ​67 unglücklich ] unglückliche: D1. ​ 76 seyn ] seyen: D1. ​82 denselben ] demselben: D1. ​

7 Vgl. den Abschnitt über die Beichte in Martin Luthers Kleinem Katechismus (BSLK 517.34; 518.20,36 f). 8 „Wissenschaft“ im Sinne von „Kenntnis“ (DWB 30, 781). 710 Briefe des Jahres 1691

nöthiger dinge bestehet, so ist eines hohen Fürsten sonderbahrste zierde, an- 95 dere auch wie von stande, also nicht weniger mit erkäntnüß wichtiger und zu GOttes ehre und der gemeinen wohlfahrt dienlicher dinge zu übertrefen. Daher alles dahin gerichtete studiren eine der anständigsten übungen einer hohen person seyn solle. 2. Die andere regel betrift den leib, weil nun dieser allezeit also gehalten 100 werden muß, damit er stets eine wohnung des heiligen Geistes9 seyn, und zu allen löblichen verrichtungen geschickt und fertig bleiben möge, also will nöthig seyn, daß er allezeit mäßig und keusch gehalten, hingegen alle trunckenheit und unzucht als solche laster gefohen werden, welche GOttes Geist vertreiben, den verstand verfnstern, die gesuntheit schwächen, den leib 105 verunreinigen und dem Göttlichen zweck unserer erlösung und heiligung schnur stracks entgegen seyn. Daher auch billich das sechste Capitel der epistel an die Corinthier10 oft und andächtig zu lesen ist. 3. Weil unser leben eine gabe GOttes und keine sache ist, damit wir nach belieben umzugehen hätten, so erfordert GOtt als der HERR desselben, daß 110 man mit dem leben vorsichtig umgehe und sich nimmer in muthwillige ge- fahr begebe, als der sonsten, wo wir in der gefahr schaden leiden, von uns selbs schwehre rechnung fordern wird. Diese regeln wollen Ew. Hochfürstl. Durchl. samt den andern sorgfältig sich angelegen seyn lassen und sonderlich auch bey dieser letzten bedencken, wie 115 oft sie bißher GOtt versucht, dadurch aber mit fallen, störtzen und auf an- dere weise in ofenbahre lebens=gefahr​ gerathen, aber von der Väterlichen güte gnädig wieder erhalten worden sind. Es fordert aber GOtt, daß die biß- herige exempel seines sonderbahr geleisteten schutzes in dergleichen gefahr nicht zur sicherheit mißbrauchet, sondern ein antrieb werden, hinkünftig in 120 reiten und allen andern mit so vielmehr vorsichtigkeit sich zu moderiren, damit der HErr nicht dermahleins einen traurigen fall, von dem man oft nicht weit entfernt gewesen, verhängen möchte. Ich setze noch die pfichten gegen den nechsten hinzu, die in den folgen- den regeln bestehen, daß 1. bitte, Ew. Hochfürstl. Durchl. wollen sich zum 125 grund des meisten lebens dieses vorstellen, daß kein mensch, wie hoch er in der welt seyn möchte, um sein selbs willen lebe, sondern alle um des nechsten willen: Daher Fürstliche personen sich dieses auch fest einzutrucken haben, daß ihr gantzes leben durchaus nicht zu eigenem wohlgefallen geführet, sondern nothwendig gleich wie zur ehre GOttes, also nechst derselben zu 130 dem besten des nechsten gerichtet werden müsse: wes wegen ihre gröste

98 seyn ] seyen: D1. ​100 seyn ] seyen: D1. ​102 seyn ] seyen: D1. ​104 schwächen ] schwachen: D1. ​106 seyn ] seyen: D1. ​106 epistel ] episteln: D1. ​110 muthwillige ] muthwilliger: D1. ​126 seyn ] seyen: D1. ​129 nothwendig ] nothmendig: D1. ​

9 Vgl. 1Kor 6,19 (hier: „Tempel des Heiligen Geistes“). 10 1Kor 6,12–20. Nr. 157 an Kurprinz Friedrich von Sachsen 25. 5. 1691 711 freude billich seyen solle, wo sie nach gelegenheit ihres standes vielen gutes zu erzeigen vermögen. 2. Wird auch dieses eine regel seyn, daß man dem nechsten gutes zu er- zeigen habe, nicht allein in leiblichen dingen, so viel GOtt gelegenheit vor- kommen lässet, sondern auch darinnen, mit gutem exempel vorzugehen und 135 sich hingegen sorgfältigst zu hüten, damit ja niemand je ein ärgernüß nehmen möge. Und weil hoher personen leben so viel ofenbahrer ist, daß unzähliche augen auf sie gerichtet sind, die alles ihr böses und gutes genau beobachten, so will E. Hochfürstl. Durchl. so vielmehr gewissens wegen obligen, auf alles ihr thun genau acht zu geben, damit ja niemand je darinnen anstoß fnde, 140 sondern vielmehr alle zu Christlicher tugend durch dero exempel aufgemun- tert werden. 3. Weil E. Hochfürstl. Durchl. ihres standes wegen mehrere bediente nöthig haben, so ist billich diese auch eine wichtige hauptregel, daß in der wahl nicht allein auf andere qualitäten, sondern hauptsächlich auf die wahre Gottselig- 145 keit gesehen werde, wie der kluge König David gern fromme diener hatte in dem 101. Psalmen11 (so ein Psalm ist, den alle hohe oftmahls zu betrachten und in das hertz zu fassen haben), dann wer seinen GOtt aufrichtig fürchtet, dem kan man gewiß zutrauen, daß er auch seiner herrschaft allezeit getreu seyn werde: Wer aber nicht rechtschafen gottselig oder nach GOtt gesinnet 150 ist, wie er in allem nach antrieb der natürlichen verderbnüß nach eigener ehr, nutzen oder lust trachtet, also ists unmöglich, daß er seiner herrschaft weiter getreu seye, alß so weit es jenem seinem hauptzweck gemäß ist. Also kan man sich nimmermehr einer solchen aufrichtigen und beständi- gen treue versehen, wie bey den warhaftig gottseeligen. Sonderlich können 155 Ew. Hochfürstl. Durchl. ein gewisses zeugnüß der frömmigkeit und also auch treue ihrer bedienten daran fnden, ob sie derselben jemahl gelegenheit oder reitzung zu einigem unrecht geben, dazu rathen, ihr wohlgefallen daran be- zeugen und also dazu selbs beforderlich sind oder das gegentheil thun und ihr mißfallen über das, was dem willen GOttes nicht gemäß ist, zuerkennen ge- 160 ben. Was leute sind, an denen man das erste fndet und die also das böse selb- sten belieben12 und ihre Herrn mit dazu reitzen, diese begehen die gröste und höchst sträfiche untreue, als die den genuß von ihrer Herrn gunst und also ihr eigen interesse der herrschaft wahrem wohlwesen vorziehen, daher man in wichtigen dingen sich nimmermehr auf dieselbige gleich wie auf die, von 165 denen man weiß, daß es ihnen um das gewissen und um GOTT redlich zu- thun seye, verlassen darf. Hingegen welche so gar nicht zu dem bösen helfen, daß sie vielmehr mit allem respect und bescheidenheit zu bequemer zeit dar-

133 seyn ] seyen: D1. ​136 ein ] eines: D1. ​155 warhaftig ] warhaftigen: D1. ​157 derselben ] denselben: D1. ​164 wahrem ] wahren: D1. ​164 vorziehen ] verziehen: D1. ​

11 Ps 101. Ein Psalm, in dem David über seinen Umgang mit seinen Mitmenschen redet. 12 Im Sinne von „lieben“ (DWB 1, 1447). 712 Briefe des Jahres 1691

über erinnerung thun, von denen ist man versichert, daß sie ihre herrschaft 170 aufrichtig lieben und also in allem gehorsam stets dero wahres bestes befor- dern werden. Durchlauchtigster Printz, diese dreymahl drey reglen empfehle ich nochmal zu meinem abschied aus unterthänigster treue und hertzlichem verlangen nach E. Hochfürstl. Durchl. geistlichen, leiblichen und ewigen heyl, dazu sie 175 gewiß in göttlicher gnade vieles beytragen und sie sich versichern können, wo sie werden treulich nach demselben einher gehen, daß der himmlische Vater sie auch ferner auf richtigem wege führen und, was ihro weiter nöthig seyn mag, seinen willen ofenbahren werde. Wie ich nun dabey versichre, daß auch abwesend nicht weniger, vor die- 180 selbe bey unsrem getreuesten Vater zu beten, mir angelegen seyn lassen und in ermanglung anderer gelegenheit aufs wenigste in diesem stück meine unterthänigste devotion noch fortsetzen werde, so verlange wol inniglich, daß ich stets hören möge, daß E. Hochfürst. Durchl. auf richtiger bahn der Christlich= und Fürstlichen tugenden, auf welchen sie von seiner ewigen 185 güte, sonderlich durch gottselige vorsorge Dero Durchl. Fr[au] Mutter Ho- heit13 treulich angewiesen werden, rühmlich fortfahren und vor allen denen mütterlichen vermahnungen stets bey sich platz lassen, damit neben meinem armen gebet ich auch vor dieselbe mit freudigem gemüth und versicherter hofnung sie wiederum in der ewigkeit mit noch grössern freuden zusehen, 190 meine danckopfer vor den thron der gnaden14 bringen möge. Nun, der allmächtigste grosse GOTT und himmlische Vater bleibe auch unaufhörlich deroselben treuester Vater, versorge sie mildiglich, erhalte ihr leben, leibes und gemüths kräften nach seinem willen lange zeit ohne anstoß, umbgebe sie zu solchem ende mit einer starcken wache seiner mächtigen 195 himmels=​Fürsten15 und ziehe deroselben seele allezeit kräftiglich zu seinem Sohn. Unser treueste Heyland JEsus CHristus seye in brüderlicher treue alle- zeit ihr liebreichster Heyland, reinige sie täglich mit seinem blut von ihren sünden16, vertrete sie mit seiner allgültigen vorbitte vor seinem Vater17, mache und bereite sie zu einem herrlichen werckzeug seiner ehre in seinem gnaden- 200 reich, erfülle sie deswegen mit einer aufrichtigen begierde, solche auf alle weise nach ihrem stand eyfrig zu befördern und solche würde allem übrigen ruhm und reputation in der welt vorzuziehen. Der wertheste heilige Geist,

173 hertzlichem ] hertzlichen: D1. ​176 demselben ] denselben: D1+3. ​178 seyn ] seyen: D1. ​ 178 seinen ] seinem: D1. ​180 seyn ] seyen: D1. ​183 auf richtiger ] aufrichtiger: D1. ​ 187 meinem ] meinen: D1. ​

13 Kurfürstin Anna Sophia von Sachsen (s. Brief Nr. 134 Anm. 1). 14 Hebr 4,16. 15 Gemeint sind die Engel; vgl. dazu den Erzengel Michael, der als „Fürst“ bezeichnet wird (Dan 10,13.21, 12,1, und dies aufnehmend Jud 9 und Apk 12,7). 16 Vgl. 1Joh 1,7. 17 Vgl. Joh 17,9. Nr. 157 an Kurprinz Friedrich von Sachsen 25. 5. 1691 713 welcher über sie in der heiligen Taufe reichlich ausgegossen worden ist, stelle ihr in ihrer werthen seele solchen tauf=bund,​ so wol was die darinnen erlangte seligkeit und heyls=​güter18, als auch dero pficht und gelübde anlangt, 205 also vor, daß er niemal aus ihrem gedächtnüß komme, sondern stets so die kräftigste stärckung des glaubens, als auch nachdrücklichster antrieb zur wahren gottseligkeit bleibe, um in dessen würcklichen genuß immer zustehen: Er erfülle ihren verstand immerdar mit lebendiger erkäntnüß seiner und seines gütigsten willens: er lencke ihr hertz kräftig zu dem gehorsam seiner gebote, 210 in ihrem gantzen leben niemahl zu thun, was deroselben vor sich wol gefeh- le oder was die seiner heiligkeit widrige welt zuthun pfeget und sie etwa von andern (wer dieselbige auch seyn mögen) zugeschehen sehen, sondern allein, was ihr HErr und GOTT, dessen wille allein der meister unsers lebens seyn muß, fordert und also insgesammt sich nicht nach exempeln, welche uns auf 215 allerley weise leicht verführen mögen, sondern nach seinem wort zurichten. Er treibe sie also innerlich an zu allem guten und unterdrucke in ihr, was seinem trieb widerstehen möchte: Er seye in ihr ein Geist der gnaden und des gebets19, in ihrer seelen allezeit zu würcken, was sie der himmlischen gnade theilhaftig machet, und die gottgefällige seufzer: Er bewahre sie vor allem, 220 was ihr seel und leib befecken und sie seiner seligen einwohnung unfähig machen würde: Er seye ihr rath in zweifelhaften sachen, der zaum, sie zurück zu halten, wo sie sich sonsten in gefahr würden begeben, der friede ihres hertzens: Er tilge in ihr alle liebe der welt und dero eitelkeit, um zu der liebe ihres getreuesten GOTTes stets tüchtig zu bleiben. 225 Die gantze heilige Dreyfaltigkeit ergiesse alle ihre gnade über sie reichlich aus, zu werden ein kräftig instrument dero verherrlichung, der Evangelischen kirchen20 zierde, des gesamten reiches21 wohlgefallen, der hohen eltern freude, dieser lande22 trost und der jenigen, welche auch deroselben zur regierung werden nach des HErrn willen anvertrauet werden, wahre glückseligkeit, end- 230 lich aber auch in die vollkommene herrlichkeit nach hier genossenem vielen seegen einzugehen. Nun, der HErr HErr, zu dem alle unsre gebete und wünsche gehen, spreche auch also, wie wir bitten und ferner bitten werden, und lasse ja und Amen23 seyn.

Dreßden, den 25. Maj. 1691. 235

209 ihren ] ihrem: D1. 213 seyn ] seyen: D1. 217 unterdrucke ] terdrucke: D1. ​ 227 instrument ] instrumens: D1. ​234 seyn ] seyen: D1.

18 Zu Speners Vorstellung der Taufwiedergeburt s. K. vom Orde, Speners Aufassung von Taufe, Wiedergeburt und Konfrmation, JHKG 63, 2012, 45–59. 19 Sach 12,10. 20 Gemeint ist die lutherische Kirche. 21 Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, das sog. „Alte Reich“. 22 Sachsen. 23 2Kor 1,20. 714 Briefe des Jahres 1691 158. An [einen Schwager]1 Dresden, 26. Mai 1691

Inhalt Beklagt den Streit unter den Predigern am Wirkungsort des Adressaten. – Kennt das umstrittene Werk [Ahasver] Fritschs nicht und schätzt diesen seit vielen Jahren als Freund. – Seine Klagen über den geistlichen Stand werden von vielen verständigen Menschen geteilt. – Teilt mit, daß die von Fritsch verwendeten Zitate aus den „Pia Desideria“ nicht von ihm, sondern aus den an- gehängten Bedenken stammen. – Beteuert, daß er den Streit des Ministeriums nicht schlichten kann. Überlieferung K: Halle a.S., AFSt, F 13: II, Nr. 18. D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1711 (21721), S. 286 f.

Daß das Ven[erandum] ministerium ihres orts2 mit einander in zwistigkeit gerathen, ist mir leid, alß der ich billich verlangte, daß aller orten alles in guter harmonie und eintracht, alß die in geist= und weltlichem alles guten bestes mittel ist, da hingegen mißhelligkeit alles verderbet, stehen möchte. 5 Das angezogene büchlein Hr. D. Fritschii3 ist mir meines besinnens nicht vor augen gekommen, noch mir deswegen, was er darinnen tractire oder auch, was damit vorgegangen, bekannt. Ihn selbs aber anlangend, bin nicht in ab- rede, daß ihn vor einen meiner liebsten freunde4 und aus der zahl derer, die es in seinem ordine5 mit dem reich Gottes und deßen beförderung am red- 10 lichsten und eyfrigsten meinen, auch viel gutes beygetragen haben, erkenne und deswegen hochhalte; ihm selbs ein wercklein von dem mißbrauch und

1 einander in ] iemanden: K. 5 D. ] Doct.: D.

1 In K fndet sich die Marginalie „D. Hofmann“, die zwar gestrichen, aber lesbar ist. Nach Z. 37 handelt es sich um einen „Schwager“. Der Begrif ist allerdings im Sprachgebrauch Speners sehr weit gefaßt und kann etwa auch eine „Verwandtschaft“ bedeuten, die ihren Ausgangspunkt in einer übernommenen Patenschaft hat. Der Adressat ist promoviert und Mitglied eines Prediger- ministeriums. Er lebt damit an einem Ort mit mehreren Geistlichen. Diese fühlen sich durch die Ausführungen A. Fritschs angegrifen (Z. 39–41). Der explizite Hinweis auf Deutschland in Z. 43 könnte darauf hinweisen, daß der Adressat in einer elsässischen, sich unter französischer Vorherrschaft befndlichen Stadt lebt. Verschiedene Träger des Namens „Hof(f)mann“, die aus der Spenerkorrespondenz bekannt ist, passen nicht zu dieser Charakterisierung. 2 Nicht ermittelt. 3 Ahasver Fritsch, Tractätlein / von Christ=schuldiger​ Erbauung deß Nächsten durch gottselige Gespräche, Leipzig: Johann Heinichen 1690. – Zur Begründung, daß es sich um dieses Werk Fritschs handelt, s. Anm. 14. 4 Ahasver Fritsch, Kanzler in Rudolstadt (s. Brief Nr. 94 Anm. 1), seit 1674 mit Spener im Briefkontakt. 5 D. h. unter den Juristen bzw. Angehörigen des regierenden Standes. Nr. 158 an [einen Schwager] 26. 5. 1691 715 rechten gebrauch der klagen über das verdorbene Christenthum dediciret6 und viele seiner tractätlein in Franckfurt zum truck befordert habe7: weiß mich auch nicht zu erinnern, daß jemalen etwas in seinen schriften gelesen hätte, so entweder der orthodoxiae nicht gemäß oder der kirchen besten 15 hinderlich oder dem ministerio an sich selbs schimpfich wäre. Dann ob er hin und wieder über deßen membra, welche ihren stand mit dem leben nicht ziehren, mit wehmuth klagen mag und immer lehr und wandel beisammen haben will, hat er dieses mit allen Cordatis8, auch Theologis gemein und dienet vielmehr solchem orden zur ehre, wann rechtschafne leute in demsel- 20 ben selbs ihr mißfallen an denjenigen, welche anders, alß sichs geziemet, sich auführen, ofentlich bezeugen und also die schuld von dem gesamten ordine allein auf die schuldige weltzen. Jedoch kan von dem angegebenen tractat aus gedachter ursache gar nicht urtheilen, ob er darinnen zu weit gegangen sein möchte oder nicht, obwol 25 nicht in abrede bin, daß noch so lange die praesumtio9 bey mir vor ihn wäre. Die abgetruckte worte sind auch nicht mein, sondern bey meiner allegirten vorrede über Arndii postille10 sind zwey bedencken über dieselbe von zweyen guten freunden11, alß sie sub nomine piorum desideriorum absonderlich ge- truckt wurde12, angehengt, aus dero einem dieser pass13 hergenommen ist, wie 30 es auch austrücklich hier also allegiret wird, aus dem erforderten bedencken14. Jedoch möchte ich wol kein bedenckens gehabt haben, gleiche wort von dem mann, welchen ich obgedachter maßen aestimire, zu gebrauchen. Indeßen ist

19 allen ] allem: K. 20 solchem ] solchen: K. 20 f demselben ] denselben: K. 22 auführen ] aufführen: K.

6 Spener, Der Klagen Mißbrauch. 7 Vor allem in den Jahren zwischen 1676 und 1678 publizierte Fritsch bei Johann Georg Walther in Frankfurt. Zu seinem Werk „Jesus, Alles in allem“ (Frankfurt a. M.: J. G. Walther 1676) schrieb Spener eine Vorrede (EGS 2, 107–113). 8 Verständige. 9 Vermutung, Hofnung, Vorurteil. 10 Vorrede zu Johann Arndt, Postilla, Das ist: Geistreiche Erklärung Der Evangelischen Texte / […] Sampt einer dreyfach=​durchgehenden Betrachtung über die gantze Passions=​Historia. Erster Theil / Vom Advent biß auf Trinitatis, Frankfurt a. M.: J. D. Zunner 1675. 11 Johann Heinrich Horb, Erfordertes Bedencken Auf Hn. Philipp Jacob Speners / […] Teut- sche Vorrede zu deß seligen Arndii Postill: Eines Evangelischen Theologi und Superintendenten, in: Spener, Pia Desideria 1676, S. 163–314 (Spener, Studienausgabe I/1, 258–333) und Joachim Stoll, Ferneres Bedencken Eines andern Christlichen Wolerfahrnen Theologi, in: Spener, Pia Desideria 1676, S. 315–344 (Spener, Studienausgabe I/1, 334–350). – Zu J. H. Horb s. Brief Nr. 32 Anm. 1, zu Joachim Stoll s. Brief Nr. 13 Anm. 17. 12 Spener, Pia Desideria 1676. 13 Passus; Abschnitt. 14 Auf S. 66 des in Anm. 3 genannten Werkes wird im Abschnitt mit der Überschrift „Von anstellung einiger so genanten Collegiorum pietatis auf Academien“ (S. 65–68) u. a. auf Speners Ausführungen in den Pia Desideria (Spener, Pia Desideria 1676, 126–128 = PD 68.18–69.29 = Spener, Studienausgabe I/1, 222.24–224.31) und auf Horbs angehängtes Bedencken (Spener, Pia Desideria 1676, S. 253 = Spener, Studienausgabe I/1, 302 f) aufmerksam gemacht. 716 Briefe des Jahres 1691

dieses vor sich selbs, daß ein lob, so man einem mann auch nach seinem ver- 35 dienst giebet, nicht so bald alles, was derselbe jemahls geschrieben hatte, nachdem wir uns, menschen zu sein, bekennen müßen, billichen würde. Bey gegenwärtiger bewandnus wird mein hochgeehrter Herr Schwager selbsten sehen, daß ich hiebey nichts zu thun wiße, und Vener. ministerium, so ich brüderlich in dem HErrn grüße, auch in der furcht des HErrn wol 40 erwegen, ob es sich an einen autorem machen wolte, der vermuthlich von ihren streitigkeiten nichts gewust oder noch wissen mag: es wäre dann sache, daß er selbs in seiner schrift etwas irriges oder unrechtes docirte, wo zwar zu vermuthen, daß er nicht lange auch in Teutschland unangegrifen würde ge- blieben sein. 45 Der HErr HErr aber gebe selbs die weißheit, zu erkennen, was der kirche das nützlichste seye, wende ab alles ärgernüs und laße insgesamt ihre an seiner gemeinde thuende arbeit nicht ohne reichen seegen der ewigkeit bleiben. 26. Maj[i 16]9115.

15 Das Datum ist von Speners Hand. Nr. 159 an Johann Knauth 26. 5. 1691 717 159. An Johann Knauth in Dippoldiswalde1 Dresden, 26. Mai 1691

Inhalt Verabschiedet sich am Ende seines Dienstes in Dresden. – Bittet um Mithilfe bei der Suche nach einer neuen Stelle für den Geistlichen Christian Beuthner. Überlieferung A: Basel, Universitätsbibliothek, Handschriften, G I 29: Bl.108r–110r.

Von unsrem zur rechten des vaters sitzenden Ehrenkönig JESU Christo allen Himmlischen segen und seines H. Geistes reichen abfuß! WolEhrwürdiger, Großachtbar und Wolgelehrter. Insonders Hochgeehrter Herr und in dem HERREN geliebter Bruder.

Der ich mich erinnere, von demselben bald nach meiner ankunft in diese 5 lande mit gutem wunsch bewillkommt worden zu sein2, solle billich auch nicht von hier ohne schriftlich genommenen abschied meine reise antreten. Wann es dann dem Himmlischen vater nach seinem gütigen u. weisen rath gefallen hat, mich von hier widerum anderwertlich hin zu senden und also zu zeigen, daß er mich verordnet habe an mehrern orten sein Evangelium zu 10 verkündigen3, welchem befehl ich mit getrostem hertzen folge und etwa mit leichterem hertzen auß Dreßden außziehe, alß darinnen eingegangen bin: so empfehle ich billich alle wehrte freunde, so ich hinder mir laße, Gott und dem amt seiner gnade, mit versicherung, daß der jenigen, welche mich der HERR hiezulande hat kennen laßen, auch abwesend nicht vergeßen wolle: under 15 welcher zahl meinen geehrten H. mitbruder zu bleiben, und daß auch deßen nahmen vor den HERRN zu bringen nicht underlaßen werde, hiemit versi- chere. Der gütigste vater in dem Himmel laße ihm deßen person, amt und hauß immerfort […] in seine theure […] empfohlen sein: Er stärcke deßen gemüths= und leibeskräften annoch lange zeit mit abwendung aller widrig- 20 keit: Er laße es ihm in allem vornehmen gelingen und gieße alle arten seines

16 zahl ] + . 19 Bei beiden Lücken sind Worte über der Zeile eingefügt, aber durch Beschneiden des oberen Blattrandes nicht mehr erkennbar.

1 Johann Knauth (3. 7. 1630–29. 1. 1716), Senior in Dippoldiswalde; geb. im Schloß Moritzburg bei Dresden, nach dem Besuch der Fürstenschule in Meißen und dem Studium in Königsberg und Wittenberg (Mag. 1. 5. 1654) 1655 Substitut und 1657 Pfarrer in Cölln bei Meißen, 1671 in Roßwein, 1682 Dippoldiswalde (Johann Conrad Knauth, Das Ehren=​volle Alter […] HERRN M. Johann Knauths, Dresden 1716). 2 Ein Brief Knauths an Spener ist nicht überliefert. 3 Zu dieser Formulierung s. a. Briefe Nr. 153, Z. 21–23, Nr. 154, Z. 11–13, und Nr. 155, Z. 7–9. 718 Briefe des Jahres 1691

segens über ihn mildiglich auß; Er laße die kraft seines geistes in seiner Seelen immer stärcker werden, so wol zu des eignen innern menschen wachs­ thum, alß reicherer amtsfrucht: Sonderlich führe er sein werck durch deßen 25 dienst also kräftig, daß er sich selbs u., die ihn hören, möge thätlich selig machen. Nechst diesem wunsch, so zum fr[eundlichen] abschied in einfalt des hertzens hinderlaße, understehe mich gegen denselben eines guten freundes, nemlich H. Christian Beuthners4, zu gedencken, welcher, wie er auch sonsten 30 einige mahl seine noth mir geklaget, also nechst5 meldung gethan, daß under H. Obr[ist] Leut[nant] von Nostitz6 eine pfarrstell ledig wäre, mit welcher er die jenige, an dero er ietzt, Gott under einem truck zu dienen, klaget, wo es deßen h. regierung gefele, gern vertauschen wolte, aber, bekannt zu werden, einiger recommendation nötig hätte. Weil nun, mit dem H. Obr.Leut. be- 35 kannt zu sein, die ehre nicht habe u. mich also, selbs zu schreiben, nicht un- derstehen darf, aber von ihm verstanden habe, daß Mein werther Herr sol- ches orts in einiger kundschaft stehe, so erkühne mich, dieses guten freundes hiemit gegen denselbigen einige freundliche meldung zu thun, daß ich auß dem jenigen, wie auß schreiben und weniger conversation den mann zu 40 kennen vertraue, hofe, daß eine gemeinde an ihm einen Christlichen und treuen hirten haben werde: wie dann sein gemüth sich gegen mich also ge- öfnet, daß ich erkannt, daß er seinem Gott gern mit rechter treue dienen wolte, nicht vergnügt7 eben seine besoldung zu verdienen, sondern wahr- haftig auch in seinem amt an den seelen frucht zu schafen, bey welcherley 45 endlicher intention, es Gott auch nicht an segen manglen laßet. Solte nun Mein Hochg. Herr, wie ich hofe, in gleicher meinung von ihm sein und durch ein gutes wort an gehörigem ort seine hofnung und verlangen secun- diren können und der HERR HERR durch die regirung der hertzen seinen segen darzu verleyhen, hätte mich sovielmehr deßen zu freuen, weil mir mein 50 abzug auß dem lande fernere hofnung, ihm sonsten zu beßerer anwendung seines dienstes zu befordern, benimmet. Doch geschehe in allem der heilige allein gute wille des selbs allein guten, den wir in allem unsrem verlangen billich außgenommen haben wollen.

38 ich ] . 45 /es/. 45 Gott ] + .

4 Christian Beuthner (9. 6. 1656–30. 10. 1740), Pfarrer in Strießen bei Großenhain; geb. in Brand, nach dem Studium in Frankfurt a.O. und Leipzig (imm. 1671) Informatorentätigkeit, 1684 Pastor in Strießen und 1695–1732 Pfarrer in Dorfchemnitz, emeritiert nach Erblindung (Erler, 29; Christian Gotthold Wilisch, Kirchen=Historie​ Der Stadt Freyberg Und Der in dasige Super- intendur [sic!] eingepfarrten Städte und Dörfer […], 2. Theil, Leipzig: Friedrich Lanckischen Erben 1737, S. 286). 5 Im Sinne von „vor kurzem“, „jüngst“ (DWB 13, 134). 6 Vielleicht Caspar Christoph von Nostitz und Ullersdorf (18. 5. 1645–5. 2. 1697), kursächsi- scher Obrist-Leutnant (Zedler 24, 1372). 7 Im Sinne von „zufrieden (gestellt) sein“ (DWB 25, 465 f). Nr. 159 an Johann Knauth 26. 5. 1691 719

In deßen treue obhut, milden segen und weise regirung schließlich von grund der seelen empfehlende verbleibe 55 Meines Hochg. Herrn und wehrten Bruders zu gebet und liebe schuldigwil- liger Philipp Jacob Spener, D. Mppria.

Dreßden, den 26. Maji. 1691. 60 Dem WolEhrwürdigen, Großachtbaren und Wolgelehrten Herrn Johann Knauthen, treufeißigem Pastori und Seelsorger der Christlichen gemeinde zu Dieppolswalde. Meinem Hochgeehrten Herren und in dem HERREN geliebtem Bruder.

Dieppolswalde. 65 720 Briefe des Jahres 1691 160. An Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen in Torgau1 Dresden, 2. Juni 1691

Inhalt Kündigt seine Abreise am kommenden Tag an und schreibt deshalb diesen Abschiedsbrief. – Ver- weist den Kurfürsten auf dessen Gewissen bezüglich des Zerbruchs ihres Verhältnisses; für sich selbst hält er daran fest, sein Amt nach den Anforderungen und gemäß Bibel und Bekenntnis- schriften geführt zu haben. – Sagt dem Kurfürsten auch künftig seine Fürbitte zu und erhoft für diesen die Leitung des Heiligen Geistes und erneute Gesundheit. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Letzte Theologische Bedencken 3, Halle a.S. 1702 (21708; 31715), S. 871 f.

Göttliche gnade, friede, heyl und leben mit reichem maß des heiligen Geistes durch JEsum Christum, unsern treusten Heyland. Durchlauchtigster Fürst, Gnädigster Churfürst und Herr. Weil es an dem ist, daß nunmehr nach von E. Churf. Durchl. an des Churfür- 5 sten von Brandenburg Durchl.2 erfolgter meiner überlassung und erhaltener vocation3, aus allen concurrenzen, aber erkantem göttlichen willen4, morgen- den tag von hier aus meine reise im nahmen des HErrn fortsetzen5 werde, so habe solches nicht ohne zugleich von E. Churf. Durchl. hiemit unterthänigst nehmenden abschied ins werck richten sollen. Da mich dann zum fördersten 10 unterthänigst bedancke vor alle diese zeit über mir und den meinigen er- zeigte gnade und daraus hergefossene, auch noch ferner gnädigst versicherte mehrere gutthaten6, dero der HERR HERR ein vergelter seyn wolle.

4 des ] das: D1. ​6 erkantem ] erkanten: D1. ​

1 Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (s. Brief Nr. 1 Anm. 1). 2 Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (s. Brief Nr. 151 Anm. 1). 3 Zu Berufung Speners als Konsistorialrat und Propst an St. Nicolai in Berlin s. Brief Nr. 151 u. ö. 4 Zur Bedeutung der Gewißheit, nach dem göttlichen Willen beim Wechsel von Sachsen nach Berlin zu handeln, s. Brief Nr. 77 Anm. 36. 5 Durch das hier verwendete „fortsetzen“ ist das Wort „Reise“ als „Lebensreise“ zu verstehen. 6 Johann Georg hatte in seinem Dimissions-Rescript an Spener vom 31. 3. 1691 geschrieben: „Auf daß ihr aber noch ausser Unsern Diensten Unsern [sic! Recte: Unsere] euch und den Eurigen zutragende Gnade erkennen und deroselben gesichert seyn möget; Als haben Wir verordnet, daß neben denen Reiß=​Unkosten, auch die eurer Hauß=​Frauen sonst versprochene Gnaden=Gelder,​ nicht allein von dato an dieses gnädigsten Dimissions-Rescripts, aus Unserer Fleisch=Steuer=​ ​Casse zu denen gewöhnlichen Quatember-Zeiten gegen Quittung jährlich bezahlet, sondern auch damit ad dies vitae continuiret, und ihr unweigerlich abgefolget werden sollen.“ (Halle a.S., AFSt, D 89, S. 51; Joachim Friedrich Feller, Monumenta varia inedita, 3. Trimester, Jena: Joh. Felix Bielcke 1714, S. 168 f); vgl. dazu Brief Nr. 155, Z. 23 f. Nr. 160 an Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen 2. 6. 1691 721

Die innere ursachen zu meiner dimission gefasten entschlusses habe nicht zu untersuchen, sondern E. Churfürstl. Durchl. eigenem gewissen, und was Gott darinnen noch zuerkennen geben werde, zu überlassen7: Dabey aber vor 15 dem angesicht des allsehenden grossen GOttes, vor dessen richtstuhl wir stehen müssen8, und ich nicht weiß, wann ich davor erscheinen solle, E. Churf. Duchl. gewiß versichere, daß in gantzem meinem getragenen amt (ob ich mich wol vor des Höchsten richters thron nicht zu rechtfertigen ver- mag, sondern derselbe noch viel ein mehrers, als ich gethan habe, nehmlich 20 mehrern ernst und mehrere klugheit, von mir gefordert hat) ich gleichwol es in allem mit E. Churf. Durchl. seele in predigten und übrigen zusprüchen treulich gemeinet und alles aus unterthänigster liebe, treuster absicht und nach dem trieb meines gewissens, als vor GOtt frey von allen intriguen, gethan, auch keine andere lehr deroselben oder der gesamten gemeinde, ofentlich 25 oder absonderlich, jemal vorgetragen habe, als welche nach bester meiner erkäntnüß gleich wie der heiligen schrift also auch den Symbolischen bü- chern, dazu ich verbunden9, nach allen puncten gemäß ist, dessen auch GOTT dem König der warheit, der gantzen kirchen und E. Churf. Durchl. rechenschaft zu geben10 allezeit bereit11 bin. 30 Ob dann wol übriges mein amt hiermit unterthänigst niederlege, so werde mich dannoch zu allen zeiten verbunden erkennen, nicht weniger als bißdaher vor E. Churfürstl. Durchl. vor dem thron der gnaden12, als lange ich lebe, zu bitten und zu seuftzen, daß der grosse GOTT, der HERR aller HERRN, der nach seinem wolgefallen dieselbe hochgesetzet und ihro vieles anvertrauet hat, 35 nicht allein nach seinem heiligen willen dieselbe ferner erhalten, dero ge- sundheit fristen13 und bißherige beschwehrden14 mildern oder gar hinweg nehmen, sondern auch so dero hohes hauß mit allem müglichen segen über- schütten als dero regierung in allen stücken beglücken wolle. Vornehmlich aber gebe er doch in dero theure seele seinen heiligen Geist in gnugsamer 40 maaß15, durch ihn, wie sie vor seinem heiligen angesicht in derselben stehen mögen, wahrhaftig zuerkennen, sich von allem, so ihm mißfällig ist, buß- fertig zureinigen und in den jenigen stand zukommen, wo sie täglich alsdann

26 bester ] besten: D1. ​

7 Nach dem Zerwürfnis mit Spener im Februar 1689 hatte der Kurfürst diesen nicht länger als Oberhofprediger behalten wollen und auch nicht eingelenkt, sondern seine Residenz gemieden (s. Brief Nr. 111 Anm. 48 u. ö.). 8 Vgl. Röm 14,10; 2Kor 5,10. 9 Durch die Ordination. 10 Vgl. Röm 14,12; 1Petr 4,5. 11 Vgl. 1Petr 3,15. 12 Vgl. Röm 3,25; Hebr 4,16; 9,5. 13 Im Sinne von „aufsparen“ (parcere) (DWB 4, 218). 14 Zur angeschlagenen Gesundheit des Kurfürsten s. Brief Nr. 147 Anm. 4). 15 Die Maß (DWB 12, 1727). 722 Briefe des Jahres 1691

mit freuden ihr angesicht zu dem himmlischen Vater aufrichten, durch das 45 blut JEsu Christi abgewaschen werden16 und mit beruhigtem hertzen ihre lebens=​zeit ihm dienen, endlich aber zu seiner zeit in die herrlichkeit seliglich eingehen mögen. In welcher dieselbe dermaleins gewiß zusehen, das vornehmste ist, damit meine aus tiefstem grund der seelen gehende wünsche versigle: und nechst 50 schließlicher empfehlung in die schützende, erhaltende und regierende gnade des Allerhöchsten verharre u.s.w. Dreßden, den Pfngstdienst[ag] als den 2. Jun[i] 1691.

45 beruhigtem ] beruhigem: D1. ​50 erhaltende ] enthaltende: D1.

16 Vgl. 1Joh 1,7. Nr. 161 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 723 161. An [einen Amtsbruder in Sachsen]1 Dresden, [Frühjahr] 16912

Inhalt Freut sich darüber, daß der Streit um das Christspiel beigelegt ist. – Will dennoch einige Anmer- kungen zu dieser Art von Spielen anbringen, die er selbst für abschafungswürdig hält. Stimmt der Kritik des Amtsbruders zu und weist auf andere, die ebenso denken. – Bedauert, daß der Adressat nicht mit seinem Superintendenten geredet hat, bevor er seine Bedenken in der Predigt angesprochen hat. – Kritisiert den heftigen Stil der zweiten Predigt, der mehr schaden als nutzen könnte, und mahnt, überzeugen, nicht aber befehlen zu wollen. – Hält es für eine theologische Klugheit, Vorgesetzte einzubinden, auch wenn diese den Erfolg einer Verbesserung für sich selbst verbuchen. – Wünscht, daß die Gemeinde erkennt, daß die Bemühungen der Geistlichen nicht durch eigenen Eifer, sondern durch den Rat Gottes begründet sind. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 II, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 30–33.

So sehr mich betrübet hat, aus dessen letztem von dem 27. pass[ato]3 zu ver- nehmen von der aus gelegenheit des so genannten heiligen Christs4 entstan- denen ungelegenheit und mißfelligkeit, so hertzlich hat mich erfreuet, da hinwieder von dero glücklichen beylegung vergnügliche nachricht empfan- gen habe, davor billich die göttliche güte preise. 5 Ob nun also wol eben um dieser ursach willen, nachdem der stein geho- ben5, die beantwortung unterlassen könte, so habe doch nicht unrathsam, sondern vielmehr der schuldigen liebe gemäß gehalten, daß ich in fröhlichem vertrauen mein hertz in solcher sach in dessen schooß ausschütte. So ists nun an dem, daß wir beyde in der sache allerdings einstimmig sind und mit andern 10 vornehmsten Theologis billich behaupten, daß das so genannte Christ= oder Ruprechtsspiel6 ärgerlich seye und also eine sache, die unserm christenthum

8 fröhlichem ] fröhlichen: D1. ​

1 Wegen der Hinweise auf die Abschafung der Sitte des Christspiels in Leipzig und andernorts (Z. 16 f) kann davon ausgegangen werden, daß der Adressat ein sächsischer Geistlicher ist. 2 Weil Spener die „neulich“ (Z. 30) gehaltene Predigt zum 4. Advent erwähnt, ist der Brief wohl in den ersten Wochen des Jahres 1691 geschrieben worden. Zudem ist davon auszugehen, daß der Adressat die in der Weihnachtszeit aufgeführten Christ‑ bzw. Ruprechtsspiele zum Anlaß für seine umstrittenen Predigten nahm. 3 Nicht überliefert. 4 Auch „Christkind“; Figur, die in den weihnachtlichen volkstümlichen Auführungen er- scheint; in weiblicher Besetzung läßt sie erkennen, daß sie eine christliche Umdeutung von Frau Holle ist. 5 Im Sinne von „einen Anstoß oder Schwierigkeit beheben“ (vgl. DWB 18, 1995). 6 Ruprechtsspiele, vor allem in der Form von Umzugsspielen in der Vorweihnachtszeit, waren in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts so ausgeartet, dass sie vielerorts in Sachsen öfentliche Beschwerden hervorriefen, weswegen Obrigkeiten und Schulleitungen dieses Unwesen ein- 724 Briefe des Jahres 1691

nicht anständig gehalten werden solle. Daher es auch durch GOttes gnade mehr und mehr abkommet und wenig jahre vergehen, daß es nicht an einigen 15 orten abgeschaft würde: wie es auch vor unterschiedlich mehrern jahren in Leipzig abgestellet worden, dazu Herr D. Carpzov7 viel contribuiret haben solle, also auch in Freyberg und anderswo8. Wie auch versichert werde, daß es in N. N.9 eben so wol künftig unterbleiben solle, damit auch der Hr. Su- perint[endent]10 wol zufrieden seye und selbs dazu helfen werde. 20 Daher ich auch die erste predigt, worinnen das unrecht solches wesens angezeigt und gestraft worden11, allerdings billiche, nur dabey demselben zu bedencken anheim gebe, ob nicht vielleicht so viel besser gewesen wäre, auch vor derselben, weil es eine sache angienge, zu dero abschafung eine nach- drückliche autorität und also mehrere zusammensetzung sonderlich diensamst 25 gewesen, mit dem Hrn. Superintendenten die sache zu überlegen, damit solcher etwa selbs zu erst, dem unwesen zu steuren, disponiret hätte werden mögen: ob ich wol nicht weiß, was davon zu hofen gewesen wäre. Was aber die andere predigt12 und darinnen gezeigte commotion13 anlan- get, bin ich nicht in abrede, daß ich mich nicht dazu resolviret hätte. Zwar 30 habe ich nicht nur in Franckfurt, sondern auch hier (noch erst neulich den 4. Adv.) jährlich gegen dieses unwesen geeifert14, damit ich einigen leuten solches verleidete, daher es allezeit vor dem fest15 geschehen, wie ich auch allemal darüber die Regenten erinnert, was ihrer pficht dabey seye: ob aber schon damit nicht mehr ausgerichtet, als daß immer einige gute hertzen sich 35 bewegen lassen, dergleichen einzustellen, sondern habe dannoch hören

20 worinnen ] worin: D2+3. ​21 demselben ] denselben: D1. ​

zudämmen versuchten. In Zittau etwa wurde im Jahr 1700 dazu eigens „der Heilige=​Christrat“ eingeführt (A. Müller, Die sächsischen Weihnachtsspiele nach ihrer Entwicklung und Eigenart, Sächsisches Volkstum, Bd. 7, Leipzig 1930, 47–49). Vgl. auch die kritischen Anmerkungen zu „dem sogenandten heiligen Christ“ in: Wilhelm Ernst Tentzel, Monatliche Unterredungen einiger guten Freunde […], Leipzig: Fritsch 1692, S. 514 f. 7 Johann Benedikt Carpzov, Theologieprofessor in Leipzig (s. Brief Nr. 43 Anm. 6). 8 Zur Abschafung solcher Sitten in Leipzig und Freiberg wurde nichts ermittelt (vgl. aber ähnliche Hinweise bei Tentzel; s. Anm. 6). Noch im Jahr 1722 warnt Paul Christian Hilscher in einer Predigt vor dem „Aberglauben, welcher bey dem so genannten H. Christ=Umbgang​ ge- schicht“ (P.Chr. Hilscher, Der Weyhnachts=Aberglaube,​ Nach seiner Art, Ursprung, Betrug und Abschafung, Nebst einer Vermahnung an die Jugend, sich davor zu hüten, Dresden und Leipzig: Joh. Christoph Mieths sel. Erben 1722, S. 7). – Hilscher (1666–1730) gehörte zu den Studenten, die im Zusammenhang der pietistischen Unruhen in Leipzig im Jahr 1689 verhört wurden (Francke, Streitschriften, 9, 25–48), war jedoch Mitglied des Leipziger Collegium philobiblicum, das sich ab 1691 dezidiert vom Pietismus distanzierte (Illgen 2, 8 u. 20). 9 Der Wirkungsort des Adressaten. 10 Nicht ermittelt. 11 Nicht überliefert. 12 Nicht überliefert. 13 Erregung, Aufregung. 14 Beispiele dafür sind: Spener, Ev. Lebenspfichten 1, 89; Spener, Ev. Glaubenslehre 103. 15 Vor Weihnachten. Nr. 161 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 725 müssen, daß immer dergleichen wiederholet worden, wie noch heuer allhier geschehen ist, so habe gleichwohl niemal rathsam befunden, deswegen auf der Cantzel zu schelten, damit es nicht das ansehen gewinne, da doch vor solches jahr nichts mehr weiter zu thun ist, daß ich vielmehr über meinen respect, daß mir nicht stracks gehorsamt16 worden wäre, als lauterlich über 40 GOttes ehr und die erbauungen eiferte, welcher verdacht gleichwol uns auf alle weise zu vermeiden ist, wollen wir nicht vieles in unserm amt sonst ver- derben. Wie dieses meine regel ist, dero ich folge, so rathe auch allen guten freunden, gleiches zu thun, nun hofe nicht, daß jemand die folge gereuen solle. Sonderlich halte ich davor, was solche mißbräuche anlangt, die lange 45 eingewurtzelt sind, ja, auch noch neben der gewohnheit und exempel der alten unterschiedliches haben, so man noch vor dero behauptung oder ent- schuldigung vorbringen kan und vorzubringen pfeget (wie es dem so ge- nannten heiligen Christ17 auch daran nicht mangelt), habe man zwar derosel- ben unrecht aufrichtig und beweglich vorzustellen, aber mit grosser gedult 50 eine gute zeit zuzusehen und den leuten frist zu gönnen, biß sie eine solche ihnen vorhin unbekannte sache gnug fassen können: daher, wo sie sich nicht stracks geben, durchaus nicht rathsam ist, bald mit heftigkeit in sie zu dringen oder das ansehen zu geben, ob wolte man so bald pro imperio18 ihrem gewis- sen vorschreiben: dann in diesem fall wird sichs insgemein geben, daß sie sich 55 nur destomehr widersetzen, dahingegen, wo man dabey bleibet, einmal eine sache zur überzeugung vorzustellen, darnach ihnen, sich zubedencken, zeit zu lassen, ein andersmal wiederum nachzudrucken und langsam dazu zukom- men, daß man ein hartes urtheil spreche, auch diejenige endlich gewonnen werden, welche, so man gleich anfangs zu starck in sie gedrungen und sie 60 verurtheilet hätte, ihren kopf so aufgesetzet haben würden, daß kaum iemal mehr etwas bey ihnen auszurichten gewesen wäre. Mir sind etwa zeit meines amts von beyderley exempel vorgekommen, daher ich weiß, wormit am be- sten durchzukommen seye. Weswegen auch freundlich und brüderlich bitte, zu glauben, daß alles, sonderlich das öfentliche strafen der art seye, wie die 65 purgantia19 bey den Medicis, dabey diese allezeit mehr als bey andern artzen- eyen acht zu geben ursach fnden, damit nicht an statt des nutzens vielmehr schaden erfolge und also das strafamt zwar nicht zu unterlassen, aber alles wol zu überlegen, ob, wann und wie iedesmal dasselbe zu führen seye, daher alles stäts dahin zu richten, damit die erbauung würcklich erfolgen möge, und 70 derselben eine gute zeit zuwarten, hingegen zu dergleichen bestrafungen, die nur als zum zeugnis über die zuhörer geführet werden, nimmermehr zu-

44 nun ] und: D3. ​44 daß ] – D2. ​65 daß ] das: D1. ​

16 Altertümlich im Sinne von „gehorsam sein“ (DWB 5, 2539). 17 S. Anm. 4. 18 Vermöge der Gewalt zu gebieten; gebieterisch. 19 Abführmittel. 726 Briefe des Jahres 1691

kommen, als nach langwiehrigem und vergebenem anderem versuchen, wo nunmehr fast alle übrige hofnung verschwinden will. 75 Es gehöret auch zu der christlichen und theologischen klugheit, wo man einige dinge siehet, die einer besserung bedörfen, aber dieselbe am kräftig- sten publica autoritate20 geschiehet und einer einen superiorem21 über sich hat, daß man gern die sache also anstelle, daß diesem eine freundliche vor- stellung geschehe, wie dieses oder jenes gebessert werden möchte, und ihm 80 also zeit lasse, die sache vorzunehmen und als vor sich selbs alsdann dasjenige zu thun, was wir zugeschehen verlangen. Wie ich dann, wo ich etwas nützli- ches gesehen habe, nachmal gern einem andern, sonderlich superiori, die ehre lassen solle, daß durch ihn es vornemlich geschehe, ob auch meiner nicht dabey gedacht würde, nur daß es gleichwol von statten gehe: wie ich ja ohne 85 das meine ehre in nichts suchen darf, sondern mich freuen solle, wann das gute geschiehet, durch wen es auch GOtt verrichtete: so vielmehr weil nach- mal, wo, obwol durch unsre anzeige, durch andere einige mißbräuche abge- stellet werden, auch der allezeit dabey befndliche unwillen ebenfalls nicht mehr uns, sondern die obere trift, hingegen uns, zu tragen, wo die obere uns 90 stecken liessen, wol zu schwer fallen möchte. Ja, ich fnde rathsam, zuweilen einige, die nicht eben an sich selbs sonderlich brünstigen eifer zu dem guten hätten, eben damit dazu zubewegen, daß man ihnen gelegenheit an die hand gebe, wie sie etwas dergleichen thun könnten, davon sie einigen guten nah- men erlangten, sonderlich, wo sie vor sich wahrnehmen mögen, daß wir 95 solches auf uns hätten richten können, ihnen aber willig gewichen seyen. Wie denn allerley zuversuchen ist, wann wir einmal uns hertzlich resolviret haben, GOttes ehre lauterlich in allem zu suchen, wie wir andere zu mitarbeitern bekommen mögen, auch durch dieses mittel, daß die meiste ehre nicht auf uns, sondern auf sie komme: Woran uns hingegen nichts gelegen, sondern 100 gnug ist, daß das gute selbs geschehe, als die wir nicht uns, sondern GOtt und seine ehre darinnen gesucht haben und suchen haben sollen. G[eliebten] Bruder versichere ich, diese einfältige reglen, welche er in der furcht des HErrn betrachtende wolgegründet fnden wird, mögen manchmal nicht wenig nutzen schafen und gehören mit zu der göttlichen klugheit der chri- 105 sten. Der HErr aber gebe uns selbs, zu allen zeiten seinen willen und, was zu dem zweck, wozu er uns verordnet hat, das ersprießlichste seye, zu erkennen, und befestige uns sonderlich, daß wir auf dem jenigen guten weg, auf dem wir einmal eingetreten sind, beständig fortwandeln, daß unsre gemeinde aus 110 unsrer beständigkeit und stets ungeändertem bezeugen, daß, was wir thun,

80 sache ] + solches: D1+2. ​85 wann ] wenn: D2+3. ​92 daß ] das: D1. ​102 Bruder ] b.: D1; bruder: D2. ​107 das ] daß: D1+2. ​

20 Mit öfentlicher Autorität. 21 Oberen, Vorgesetzten. Nr. 161 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 727 nicht aus einer einmaligen hitz, vielweniger heucheley. sondern wohlüber- legten rath und in GOtt gegründeten unveränderlichen vorsatz geschehe, erkennen und sich dardurch stattlich erbauen mögen. Ach ja, er verleihe uns die gnade so vielmehr, nachdem wir zu einer solchen zeit leben, da gewißlich bey dem verwirrten zustand alle weißheit, die nicht göttlich, viel zu gering 115 ist, uns in unserm seelen=​gefährlichem amt zu regieren. 1691.

116 seelen=gefährlichem ] seelengefährlichem: D1–2. 728 Briefe des Jahres 1691 162. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, [Frühjahr]2 1691

Inhalt Freut sich über die guten Nachrichten aus der Stadt des Adressaten. – Sagt ihm die weitere Fürbitte zu. – Sieht jedoch Gefahren aufziehen, die von römisch-katholischer Seite herrühren. – Ermuntert, sich allein auf Gott zu verlassen. – Ermahnt, im Eifer für die Frömmigkeit zwischen dem, was notwendig und was nützlich ist, zu unterscheiden, um das aufkommende Gute nicht durch Unbedachtsamkeit zu behindern. – Will diese Mahnungen nicht als Anschuldigung verste- hen, weil er die Situation des Adressaten nicht genügend kennt. – Hält die Weise, wie Christspiele durchgeführt werden, für schändlich, will aber das Schenken an Weihnachten nicht verbieten, weil damit auf einfache Weise etwas von der Art Gottes zu Ausdruck gebracht werden kann. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 460–463.

Ich versichere, daß mir alle seine briefe eine sonderbare freude erwecket, daß sagen kan, von keinem ort eine zeitlang dergleichen bekommen zu haben, die mich so hertzlich erquicket, als von ihrer gesegneten stadt. Dem HErrn HErrn seye danck, der uns auch auf diese art hertzlich stärcket und unter 5 mancherley dingen, so da menschlicher weise niederschlagen solten, auf­ richtet, indem er zeiget, ob aus seinem gericht durch der menschen boßheit oder säumigkeit an den meisten orten seinem wort, wo es mit kraft durch- brechen will, rigel vorgeschoben werden und sein lauf würcklich gehemmet wird, daß es doch der fürst dieser welt3 nicht an allen orten dahin bringen 10 solle, sondern er noch da und dort, so viel die zeiten seines gerichts solches noch zugeben, mehrmal zeiget, daß er noch HErr bleibe und dem mensch- lichen muthwillen mit seiner kraft zu widerstehen vermöge. Ich bleibe deswegen auch zu freundlichem danck verbunden vor die oft- malige communication dergleichen erfreulichen nachrichten, so mir und

14 nachrichten ] nachrichts: D1+2. ​

1 Es handelt sich um einen Amtsbruder (s. Z. 39, 91, 114) in einer Stadt (Z. 3). In seinem Um- feld leben römische Katholiken (Z. 28). Spener kennt die Situation dort nicht gut (Z. 92–94), hat aber auch schon von anderen über die Entwicklung gehört. Wegen der Erwähnung des „Christ- spiels“ (Z. 105 mit Anm. 13) ist es denkbar, daß der Adressat in Sachsen lebt. Es könnte sich um einen Pfarrer in der Oberlausitz handeln, wo die beiden Klöster Marienstern und Mariental und das Domstift Bautzen katholisch waren, während sich der größere Teil der Bevölkerung der Oberlausitz zum Lutherum bekannte (zu den Auseinandersetzungen, die dadurch entstanden, daß die Äbtissin des Klosters Marienstern das Patronatsrecht auch über die lutherischen Gemeinden ausübte, s. Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 140 Anm. 4). 2 Der Hinweis auf die „nechst“ (Z. 36) gehaltene Neujahrpredigt und die Behandlung der Frage nach den Weihnachtsbräuchen sprechen dafür, daß der Brief relativ bald im Jahr 1691 ge- schrieben wurde. 3 Biblische Bezeichnung für den Teufel (vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11). Nr. 162 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 729 andern vertrauten freunden, die den fortgang des reiches GOttes lieben, alle- 15 zeit freude erwecket haben. Ich versichere auch, daß ich derjenigen, welcher nahmen mir bekant gemacht worden, oder aufs wenigste der allermeisten, gedencke, mich also in dem geist, als viel an mir ist, mit ihren seelen vereini- ge und sie mehrmal vor Gott bringe. Ach, daß die zahl so groß werden möchte, daß sie keine gedächtnüß4 mehr fassen könte! 20 Wann ich aber nun vernehme von der gefahr, so sich nach dessen brief und auch anderer nachricht bey ihnen gegen das biß daher nach wunsch von statten gegangene gute erhebet, wundere mich über die sache nicht, dann ich wohl weiß, wo mit kraft durchgetrungen wird, daß der fürst dieser welt seine gantze natur umkehren müste, oder man hat sich widerstands gewiß von 25 ihm zu versehen, nur daß der HERR einiger orten längere ruhe davor gönnet, an andern aber die proben der gedult eher fordert. Ich sehe auch die gefahr vor menschlichen augen groß, sonderlich wo man von Römischer seiten5 im geringsten gewahr werden solte, daß einigen ihrer gemeinde wäre auch etwas beygebracht worden: und ist je bey ihnen die widrigkeit so groß gegen die 30 praxin des rechtschafenen Christenthums, als sie immermehr bey uns seyn kan (wiewol sie ihnen auch besser als uns anstehet und ihren als den unsrigen principiis gemässer ist), wie nicht allein das exempel des Molinos gezeigt hat6, sondern zwey brüder und Canonici in N. N.7, so noch beyde leben werden, dessen zeugnüß seyn können, als welche von ihren leuten um des christlichen 35 eifers willen vieles, ja gefängnüß leiden müssen, also daß ich nechst hörte, daß sie als nichts ausrichtende sich fast bloß zu einem meisten stillen leben nunmehr begeben. Daher ich mir von N.8 nicht viel gutes versehen kan: aber G[eliebter B[ruder] thut wohl, daß er sein vertrauen allein auf den HErrn HErrn setzet, dessen die sache ist, und hat mich sonderlich erfreuet, als sahe, 40 daß er seinen trost aus dem 46. Ps.9 nimmet, welchen auch ich auf nechsten Neuenjahres tag ofenlich den gottseligen seelen zum grunde ihrer hofnung auf die mehr und mehr einbrechende gerichte gegeben oder angewiesen habe10. Also haben wir uns gewiß zu versichern, daß wir an ihm einen solchen HErrn haben, dessen macht nicht unmüglich, dessen güte überschwenglich 45 und dessen wahrheit uns unbetrüglich ist.

4 Die Gedächtnis (DWB 4, 1927). 5 Von Seiten der römisch-katholischen Kirche. 6 Miguel de Molinos, Hauptvertreter des Quietismus, durch die römisch-katholische Inqui- sition zu lebenslanger Haft verurteilte (s. Brief Nr. 109 Anm. 12). 7 Vermutlich ist das Brüderpaar gemeint, das nach der Lektüre von Werken Johann Arndts sich für eine biblische, die Frömmigkeit betonende Theologie einsetzte (s. Frankfurter Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 78 Anm. 1; dort weitere Stellen, an denen Spener die beiden erwähnt; es ist noch der Hinweis zu ergänzen aus: Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 22, Z. 11–18). 8 Nicht ermittelt. 9 Psalm 46; er beginnt mit dem Bekenntnis: „GOtt ist vnser Zuuersicht vnd Stercke / Eine Hülfe in den grossen Nöten / die vns trofen haben.“ (Luther 1545). 10 Es kann nur die Neujahrpredigt des Jahres 1691 gemeint sein, die jedoch nicht überliefert ist. 730 Briefe des Jahres 1691

Indessen wird derselbe nicht anders als in liebe aufnehmen, daß ich aus liebreicher fürsorge für denselben und die beforderung des durch ihn von GOTT angefangenen guten11 freundlich erinnere, in allen dingen nach müg- 50 licher vorsichtigkeit also zu gehen, daß nicht dermaleins das gewissen einen vorwurf machen und dadurch angst erwecken möchte, wo man sehen müste, daß eine selbs gemachte hofnung, mehrers auszurichten, dasjenige gute, dessen man mit mehr freyheit länger geniessen können, wo man jener zu starck inhaerirte, allerdings niederschlüge oder uns mit gewalt aller freyheit 55 entsetzte. Wie nicht in abrede bin, daß in allen dingen die christliche erbau- ung angehende, einen unterschied mache unter denjenigen, welche bloß nothwendig und die nicht nothwendig sind, aber diese in gewisser maaß12 nützlich geachtet würden. Wie uns nun zu keiner zeit erlaubt ist, etwas an sich selbsten böses zu thun, also auch nicht, das blosser dings nothwendige zu 60 unterlassen, sondern ehe man sich hiezu resolvirte, müste man eher alles dran setzen. Was aber die dinge anlanget, die an sich selbs betrachtet sehr nützlich, aber nicht bloß nothwendig sind, wie ich davor halte, daß man in denselben, wo uns nichts im weg stehet, welches mehr schaden sonsten dem guten thun würde, eben so wol verbunden seye, alle gelegenheit, und zwahr wie sie nach 65 allen umständen am nützlichsten angestellet werden kan, zu ergreifen, um mit willen nichts gutes zu versäumen: also kan doch hinwieder nicht anders als glauben, daß in dem fall, wo wir zu solchen zeiten und an solchen orten leben, da dem guten mit grosser heftigkeit widerstanden werden wird, so wir aus betrachtung der personen und anderer umstände etwa leicht vorsehen 70 können, die regel der christlichen klugheit, wie sie auf die liebe GOttes und des nechsten gegründet ist, mit sich bringe, daß wir alle anstalten einrichten, nicht so wol, wie sie sonsten, wo man gantz frey wäre, am nützlichsten und erbaulichsten scheinen möchte, als wie man hofnung haben kan, dieselbe länger und mit wenigerem widerstand zu continuiren und also allgemach und 75 successu temporis13 ungehindert dasjenige auszurichten, was man lieber bald ausrichten möchte, aber sich dessen unterstehende leicht gar um die gelegen- heit fernerer erbauung bringen würde. Indem wo wir durch unsren an sich guten eifer, der ohne fernere erweckung alle gelegenheit des guten, auch auf die nachtrücklichste art ergreifen wolte, uns und andere in den stand setzen, 80 wo wir alsdann weder diesen mehr mit unsrem pfund dienen, noch sie unser geniessen könten, göttliche ehr und des nechsten heil, dero beforderung wir uns gleichwol zum zweck vorgesetzt hatten, mehr dadurch gehindert, am kräftigsten aber also befordert würden, wo wir in allen dingen, wie fern mit auszulangen, in der furcht GOttes reifich überlegen, und alsdann alles also

61 betrachtet: cj ] betracht: D.

11 Vgl. Phil 1,6. 12 Die Maß (DWB 12, 1727). 13 Nach und nach. Nr. 162 an [einen Amtsbruder] [Frühjahr] 1691 731 anstellen, daß dem ansehen nach zwahr etwas zuweilen versäumet schiene, so 85 wir aber auf andere art und gleichsam durch einen umschweif wieder ein- zubringen suchen: und also den widersachern, da sie von der macht sind, uns die hände gar zu binden, so lange weichen, biß sie uns auch das bloß noth- wendige zu unterlassen oder böses zu thun nöthigen wolten: Dann wann es dahin kommet, so ist zeit, daß wir den HErrn auch mit unsrem leiden preisen. 90 G[eliebter] B[ruder] wird dieses alles nicht so ansehen oder aufnehmen, als beschuldigte seine bißherige actiones, so ich auch nicht thun kan, als deme die umstände alles dessen, was bißher von demselben vorgenommen worden, wenig weiter, als derselbe selbs mir nachricht geben, bekant sind, daher ohne vermessenheit solche nicht beurtheilen könte, sondern ich melde dieses allein 95 aus liebreicher fürsorge und erfahrung, wie es denen zu muth zu seyn pfege, bey denen der HErr einen hertzlichen eifer erwecket hat, daß nemlich der- selbige sich sehr schwehr halten lassen, um die sache in der furcht des HErrn desto feißiger zu überlegen, was zu thun seyn möchte, je nachdem von N. N.14 etwas kommen solte, auch nach demselben das bißherige zu über- 100 dencken. Er aber, der die weißheit selbsten ist, gebe die weißheit, die vor ihm ist, in allem solchen stäts seinen willen an uns und die uns anvertraute also einzusehen, daß wir weder zur rechten noch zur lincken davon abgehen. Nechst dem treibet mich auch eben solches brüderliche vertrauen dahin, daß wegen des sogenanten H. Christs meine meinung zu ferner gottseliger 105 prüfung vorstelle15. So bin nun mit demselben allerdings einig, daß es unzim- lich und dem Christenthum so schimpfich als schädlich seye, was mit dem vermumten Christkindlein vor spiel getrieben und dadurch den kindern (zu- geschweigen der abgötterey, da die arme kinder einen solchen götzen und oft liederlichen gesellen, den sie aber vor Christum halten sollen, anbeten und 110 mißbrauchs göttlichen worts) gantz ungleiche und auf viele zeit schädliche gedancken von Christo gemacht werden, daher ich so hier als in Franckfurt fast jährlich dawider geprediget habe16, daß auch unterschiedliche solches unterlassen: wo aber G. B. alle die den kindern um solche zeit gebende leib- liche gaben bloß dahin verwerfen wolte, könte ich nicht beypfichten: indem 115 nicht allein in solcher sache an sich nichts böses ist, sondern, junge kinder vermittels der leiblichen freude auch zu der geistlichen freude zu leiten, dessen eltern auch nicht vergessen sollen vielmehr der art GOttes, wie er mit uns handelt, gemäß als zuwider zu seyn, erkant werden wird, wann wir son- derlich bedencken, wie derselbe mit den Juden in dem A. T., die er als noch 120 weniger verständige kinder hielte, umgegangen ist und sie immer durch leib- liche gaben zu was höhers geführet hat. Aufs wenigste würde, wo man ja einiges ungemach dabey fnde, die sache lieber mit solcher vorstellung zu mißrathen, als bloß dahin vor eine schwehre sünde zu verdammen seyn. Hin-

14 S. Anm. 8. 15 Es geht um die Unsitten im Zusammenhang der Weihnachtszeit (s. Brief Nr. 161). 16 S. Brief Nr. 161 Anm. 14. 732 Briefe des Jahres 1691

125 gegen wo einige sache, dero sündlichkeit man nachmal nicht gnugsam zu überführung der gewissen erweisen kan, allzuhoch getrieben wird, ist nicht zu sagen, wie viel solches auch bey noch guten gemüthern verderbe und niederschlage. Lasset uns aber in allem solchem unaufhörlich zu dem liebsten Vater seuftzen, daß er uns durch seinen Geist in allen stücken der lehre und 130 des lebens regiere. Ach, er thue es doch um seiner ehre willen. 1691. Nr. 163 an [eine junge Frau] [Erstes Halbjahr] 1691 733 163. An [eine junge Frau]1 Dresden, [Erstes Halbjahr] 1691

Inhalt Bespricht die Fragen der Adressatin nach der natürlichen Gotteserkenntnis, nach der Vergewisse- rung der Wahrheit des göttlichen Wortes, nach der Bedeutung des Gefühls für den Glauben und nach der Furcht vor dem Todeskampf. – Geht von einer gewissen natürlichen Gotteserkenntnis aus, die aber nicht zur Heilserkenntnis führen kann. – Begründet die Wahrheit der heiligen Schrift durch ihre innere Konsistenz und durch die erfahrene Gewißheit der Märtyrer. – Betont, daß der Glaube ein Werk des Heiligen Geistes ist, der aber die Wahrheit des Wortes Gottes be- zeugt, das dann feißig zu lesen ist. – Verdeutlicht, daß das Gefühl kein notwendiger Beweis für den Glauben sein muß. – Tröstet, daß Gott seine Kinder in der Zeit, in der sie besonders schwach sind, nicht verlassen wird. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 32–38.

Ich fnde in dem vorgelegten anligen, daß alles auf diese 4 puncta sich ziehen lassen möchte: 1. Ob und wie GOtt aus der natur und den geschöpfen er- kannt werden könte? 2. Woraus wir der wahrheit göttliches wortes versiche- rung hätten? 3. Wie man sich in die unempfndlichkeit des glaubens zu schicken? 4. Ob man sich nicht meistens vor dem letzten todes-kampf zu 5 fürchten hätte. Was nun erstlich die natürliche erkäntüß GOttes anlangt, so ist dieselbe doppelt. Denn erstlich fndet sich bey einem jeglichen menschen ein funcke dieser erkäntnüß von natur, der gleichsam mit ihm gebohren wird, also daß ein jeder, als lang er nicht durch muthwillige boßheit auch denselben auslö- 10 schet, wo er nur in sich gehet, so bald einen solchen gedancken fndet, daß ein GOtt oder höchstes und alles regierendes wesen seye. Dieser gedancken, erkäntnüß oder funcke ist noch etwas weniges von dem herrlichen liecht der in der schöpfung angeschafenen erkäntnüß GOttes; welches wir sonsten leider in dem fall verlohren haben. Es ist die sache gegründet Rom. 1,192, da 15 in dem grund=​text stehet, das erkäntnüß GOttes3 oder „das erkannte Gottes ist ofenbahr in ihnen“4: das ist, inwendig in dem hertzen ist schon etwas von

1 Es handelt sich um eine junge Frau (Z. 235), mit der Spener vor einigen Wochen gesprochen hatte (Z. 232 f). Die Anrede „Jungfrau“ läßt erkennen, daß es keine Adlige ist. Sowohl die Themen, die im Brief verhandelt werden, als auch die Tatsache, daß Spener es ofenbar nicht für nötig hält, Theologen wie Nikolaus Hunnius und Johann Arndt näher beschreiben zu müssen, sind Hinweise darauf, daß er bei der Empfängerin eine bestimmte theologische Grundbildung erwarten kann. 2 Röm 1,19 (Luther 1545: „Denn das man weis / das Gott sey / ist jnen ofenbar / Denn Gott hat es jnen ofenbart“). 3 Das Neutrum „das Erkenntnis“ ist möglich (DWB 3, 869). 4 Τὸ γνωστὸν τοῦ θεοῦ φανερόν ἐστιν ἐν αὐτοῖς. 734 Briefe des Jahres 1691

einer erkäntnüß, sonderlich ists zu erweisen aus Rom. 2,155, wo stehet, daß das werck des gesetzes auch in der Heiden, welche von der besondern gött- 20 lichen ofenbahrung nichts gehabt, hertzen eingeschrieben seye, und zwahr mit einer solchen kraft, daß deswegen das gewissen sie auch beschuldige, wo sie darwider thun; dieses werck des gesetzes kan nun nicht in ein hertz einge- schrieben seyn, ohne daß zum grund dessen auch muß die erkäntnüß eines GOttes, den man zu förchten habe, ligen und also ebenfalls eingeschrieben 25 seyn. Wie nun dieses die innerliche natürliche erkäntnüß ist, so kommt zu derselben oder ist vielmehr eine stärckung derselben diejenige natürliche erkäntnüß, welche aus ansehen und vernüftiger betrachtung der göttlichen geschöpfe ausser uns erlanget wird: Wenn es wiederum heisset Rom. 1,206: „GOttes unsichtbahres wesen, das ist seine ewige kraft und Gottheit, wird 30 ersehen, so man des wahrnimmt an den wercken, nemlich an der schöpfung der welt.“ Denn wo man alle die geschöpfe und dero herrliche ordnung mit bedacht ansihet, gibts sich selbst, daß solches weder ungefähr also könne worden seyn, noch ungefähr also erhalten werden, sondern daß ein wesen seyn müsse von unendlicher kraft und weißheit, welches alle die übrige ge- 35 macht und in eine solche ordnung gesetzet habe, so dann sie noch heut zu- tage in derselben erhalte. Dieser schluß ist so ofenbahr nothwendig, daß das gegentheil von menschlichem verstand nicht begrifen werden kan. Wie mich entsinne mit einem eigentlichen und scharfsinnigen Atheo gehandelt zu haben7, der zwahr die folge leugnete, aber doch selbst bekannte, daß, wie nicht 40 eben ein erstes wesen seyn müste, sondern immer eines aus dem andern und dieses wieder aus einem andern und so ohne ende fortzufahren, hergekom- men seye, nicht gefasset werden könte, daß also, was die wahrheit anlangt, nemlich daß ein Gott und höchstes wesen seye, obwol auch, was die völlige erkäntnüß dessen anlangt, solche über unsern menschlichen verstand gehet, 45 gleichwol insgemein von dem menschlichen verstand eher und leichter an- genommen wird, als das gegentheil. Dieses ist nun die doppelte göttliche natürliche erkäntnüß, aber sie ist sehr unvollkommen und zeiget uns nur das göttliche wesen selbst samt etlichen desselben ofenbahrsten eigenschaften, und zwahr auch in diesen allein die sache insgemein, da hingegen noch vieles, 50 was die art derselben anlanget, verborgen bleibet, sie ist auch nicht so fest, daß sie nicht durch die sündliche verderbnüß und angebohrnen unglauben oft mit allerhand zweifel wanckend gemacht würde, sonderlich aber erstrecket sie sich nicht zur erkäntnüß GOttes, wie er unser vater seye, zur erkäntnüß

5 Röm 2,15 (Luther 1545: „damit / das sie beweisen / des Gesetzes werck sey beschrieben in jrem hertzen / Sintemal jr Gewissen sie bezeuget / da zu auch die gedancken / die sich vnternander verklagen oder entschüldigen“). 6 Röm 1,20. 7 Im Brief vom 7. 4. 1681 (Frankfurter Briefe, Bd. 5, Brief Nr. 34, Z. 46) redet Spener – in anderem Kontext – mit der gleichen Formulierung von einem „scharfsinnigen Atheo“. Es wird dabei wohl die gleiche Person gemeint sein, genauso wie in Frankfurter Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 183, Z. 22–28, und LBed. 1,334 (undatiert). Nr. 163 an [eine junge Frau] [Erstes Halbjahr] 1691 735 seines sohnes JESU Christi, noch zur erkäntnüß des H[eiligen] Geistes, folg- lich auch nicht zur erkäntnüß unsers heyls und des weges, wie wir zu dem- 55 selben gelangen müsten, also daß kein mensch aus derselben selig werden kan, sondern bey aller solcher natürlicher erkäntnüß bleibet der mensch also ge- artet, wie er Eph. 4,188 beschrieben wird. Indessen dienet sie doch zu einer handleitung und ist gleichsam der erste vorberuf GOttes, damit von ihm das hertz zu der annehmung der göttlichen fernern ofenbahrung in dem wort 60 bereitet wird, da hingegen ohne diese vorerkäntnüß GOttes die übrige ofen- bahrung schwehrlicher eingelassen werden würde; sie dienet auch diejenige, so noch ausser der gnade stehen, aufs wenigste etlicher massen durch eine furcht Gottes vom bösen abzuhalten und hingegen zu einem ehrbaren leben anzutreiben: sonderlich aber, welches der Apostel vornemlich ausdrücket, 65 diejenigen unentschuldbahr zu machen, die, ob sie, Gott nicht aus seinem wort zuerkennen, unmittelbahr die gelegenheit gehabt, ihm nicht aufs we- nigste nach der maaß solcher natürlichen erkäntnüß zu dienen, sich haben angelegen seyn lassen. Was 2. die versicherung der wahrheit des göttlichen wortes oder der 70 H. Schrift anlangt, hat mir zum fördersten sehr wohl gefallen die art des er- weises, dero sich der S. D. Nic. Hunnius9 in seiner Epitome credendorum gebraucht10, da er also schliesset, weil auch die natur lehre, daß man GOtt dienen solle, dabey aber auch, daß man ihm dienen müsse auf art und weise, wie ers selbst verlange, nach dem auch kein herr von seinem knechte einen 75 gehorsam nach des knechts willen, sondern nach seiner eigenen vorschrift annehme; so seye allerdings der göttlichen weißheit und güte gemäß, alldie- weil die wenige natürliche erkäntnüß zum rechten dienst GOttes nicht zu- länglich seye, daß sich denn der HErr, wie er bedienet seyn wolle, dem menschlichen geschlecht längst geofenbahrt haben müste. Weswegen man 80 unter allen denen, die in der gantzen welt sich einer göttlichen ofenbahrung rühmen, zu suchen habe, welcher vorgeben das gegründeste seye. Darauf er

57 natürlicher ] natürlichen: D2+3. ​

8 Eph 4,18 (Luther 1545: „welcher verstand verfnstert ist / vnd sind entfrembdet von dem Leben / das aus Gott ist / durch die vnwissenheit / so in jnen ist / durch die Blindheit jres hertzen“). 9 Nikolaus Hunnius (1585–1643), bedeutender Vertreter der lutherischen Orthodoxie; geb. in Marburg, nach Studium in Wittenberg (1612 Dr. theol.) 1617 dort Professor, 1624 Superintendent in Lübeck (TRE 15, 707–709). 10 N. Hunnius, Epitome credendorum oder kurtzer inhalt christlicher lehre, so viel einem christen davon zu wissen und zu glauben hoch nötig und nutzlich ist, auß Gottes Wort verfasset, Wittenberg 1627 (Titelblatt: 1628). In Speners Bibliothek befand sich ein Exemplar der Ausgabe von 1664 (BS 8°, 274). Spener wertet im Folgenden den Abschnitt aus Kap. 1 („Alles / was ein Christ zu seiner Seligkeit wissen und gleuben mus / sol einig unnd allein aus der Bibel das ist/ aus den Prophetischen und Apostolischen Schriften gelernet werden“) aus, in dem die Frage behandelt wird: „Ob die rechte Biblische Bücher gewißlich das eigentlich Wort GOttes in sich begreifen“. 736 Briefe des Jahres 1691

zeiget, wie grossen vorzug die Heil. Schrift, welche von den Christen vor göttliche ofenbahrung gehalten wird, vor der Heiden Oraculis, der Türcken 85 Alcoran11 und der Juden Talmud habe, daß also entweder in der gantzen welt keine wahrhaftige göttliche ofenbahrung sich fnde, so der göttlichen weiß- heit und güte gedachter massen allerdings entgegen wäre, oder es muß solches die H. Schrift seyn. Nechst dem so haben wir herrliche zeugnüssen der wahr- heit der Schrift in und an derselben selbst, wenn wir erwegen die hoheit der 90 darinnen vorstellenden geheimnüssen, die, ob sie in dem übrigen über der vernunft begrif gehen, gleichwol mit der majestät, heiligkeit, gerechtigkeit und güte Gottes, wie die vernunft selbst uns solcher eigenschaften überzeu- get, allerdings überein kommen, die heiligkeit der darinnen uns vorgetrage- nen lehr und, welche dieselbe von den menschen erfordert, aber auch die 95 mittel darzu gibet, welche weit übertrift aller Philosophorum betrachtungen von den tugenden und der menschlichen gesetzgeber gesetze, dahero nicht anders als von dem, der der allerheiligste ist, herkommen kan, die schöne übereinstimmung der heiligen männer GOttes, welche die bücher der H. Schrift an unterschiedenen orten und zu unterschiedenen zeiten be- 100 schrieben haben und dennoch einander nirgends widersprechen, sondern wo man einen widerspruch zu fnden meinet, nach feißiger untersuchung alles endlich nur darauf ankommet, daß sie einerley mit unterschiedenen worten sagen, so denn einer dasjenige, so der ander nicht hat ersetzet, hingegen etwa, was der andere bereits gnug gesagt, übergehet (woraus so gar keine mißhel- 105 ligkeit zu schliessen, daß es vielmehr ein zeugnüß ist, daß ein geist sie alle regieret und ein stück der wahrheit durch diesen, ein anders durch den andern ofenbahren habe wollen, dabey weniger verdacht ist, als ob alle einerley wort gebraucht hätten, da man gedencken mögen, ob es einer von dem andern abgeschrieben haben möchte), ferner die so einfältige und doch gravitetische 110 redens=​art12 der schrift, da nichts angemaßtes von menschlicher kunst dabey zu sehen ist und doch nichts mangelt an kräftiger austrückung der wahrheit, die viele weissagungen, dero erfüllung theils bereits in der schrift selbs wie- derum befndlich ist, theils aus anderer erfahrung gezeiget werden kan, die sonderbahre kraft derselben, wenn durch dero wort so manchmahl leute also 115 bekehret worden sind, daß sie selbst bekennen müssen, wie sie etwas himm- lisches aus dero wirckung in sich zu ihrer völligen änderung gefühlet haben, das zeugnüß so vieler heiligen und märtyrer, deren jene ihre heiligkeit der heiligenden kraft des wortes zugeschrieben, diese aber dero wahrheit mit ihrem blut freudig versiegelt haben. Diese dinge alle haben wir als stattliche 120 zeugnüß der wahrheit göttlichen worts anzusehen, welche, ob sie wol an sich selbst den göttlichen glauben davon nicht wircken, dennoch das gemüth eines

107 wollen ] wolle: D2+3. ​111 ist ] – D2+3. ​

11 Der Koran. 12 Redeweise; Art, sich auszudrücken (DWB 14, 473 f). Nr. 163 an [eine junge Frau] [Erstes Halbjahr] 1691 737 menschen, so er sie feißig erweget, so weit bringen können, daß er aufs wenigste eine gute hofnung von solchem Bibel=buche​ fasset und es alsdann also liset, daß er keinen solchen widerwillen dagegen dazu bringet, welcher dessen wirckung in ihm hindern möchte; vielmehr, wo er alsdenn dasselbe 125 liset, so viel leichter sich dadurch einnehmen lässet. Was aber den glauben selbst anlangt, mit welchem wir endlich die schrift vor GOttes wahrheit annehmen, muß solcher eine wirckung des H. Geistes selbst seyn, welcher, ob zwahr aus der schrift und dero kraft denselben in den seelen derjenigen, die dero wort ohne widersetzlichkeit, daher obige vorberei- 130 tung sehr nützlich seyn kan, anhören oder lesen, entzündet, daß es also ge- schehe, was 1. Joh. 5,613 bezeuget wird, nemlich daß der geist, der H. Geist, seye, der da zeuget, daß geist, nemlich das wort GOttes, das Heil. Evangelion, wahrheit, eine göttliche wahrheit seye. Auf dieses zeugnüß kommts in unse- rer seel an und müssen wir nun, dasselbe zu erlangen, das wort desto feißiger 135 lesen (denn je feißiger wir es lesen, je mehr empfnden wir seine kraft und stärcket sich solches zeugnüß) und den himmlischen vater um seine gnaden=​ wirckung hertzlich anrufen, sodenn, was wir von seiner wahrheit bereits erkannt, gleich mit solcher danckbahrkeit annehmen, daß wir in gehorsam dero frucht bringen. Denn je feißiger wir uns bezeugen, den willen des 140 himmlischen vaters zu thun, so viel mehr werden wir inne, daß die lehre von GOtt seye, Joh. 7,1714. 3. Von der unempfndlichkeit des glaubens auch mit wenigem zugedencken, ist solche eine gemeine klage mancher auch rechtschafenen Christen und eines ihrer schwehrsten leiden wegen der ängsten, welche dabey sich zu fn- 145 den pfegen. Ich fnde aber, bey solcher materie vornehmlich diese stücke zu beobachten. 1. Es kan der glaube seyn, wo er nicht empfunden wird, so wol als das leben bey einem, der in tiefer ohnmacht liget. Denn es ist der glaube eigentlich in dem geist, das ist in der höchsten kraft der seelen, wo GOtt wohnet als in dem alten allerheiligsten und deswegen kein liecht darinnen ist 150 als das seinige, die empfndlichkeit aber des glaubens, als dessen auswirckung, ist in der seele (wie sie nach unsers lieben Lutheri erklährung über das Ma- gnifcat dem geist entgegen gesetzt wird15) und also in deren eusseren kräften, wohin die gedancken, gedächtnüß, phantasie und also auch die refexion dessen, was wir erkennen, gehöret. Daher kan geschehen, daß der glaube also 155 in dem geist verborgen bleibe, daß die wirckung oder ausfuß der empfnd-

13 1Joh 5,6 (Luther 1545: „Dieser ists / der da kompt / mit Wasser vnd blut / Jhesus Christus / Nicht mit wasser alleine / sondern mit wasser vnd blut. Vnd der Geist ists / der da zeuget / das Geist warheit ist.“). 14 Joh 7,17 (Luther 1545: „So jemand wil des willen thun / der wird innen werden / ob diese Lere von Gott sey / oder ob ich von mir selbs rede.“). 15 Martin Luther, WA 7, 550,20–551,24. – In einem Brief aus dem Jahr 1687 (Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 199), in dem es um eine vergleichbare Thematik geht, weist Spener ebenfalls auf diese Unterscheidung Luthers hin (dort Z. 34 f; vgl. auch Dresdner Briefe, Bd. 3, Brief Nr. 129, Z. 14–39). 738 Briefe des Jahres 1691

lichkeit desselben zurück gehalten wird, und er nur in dem innersten ist und daher uns verborgen bleibet. 2. Indessen kennet man ihn doch alsdann an andern wirckungen, als zum exempel an dem brünstigen und inniglichen 160 verlangen nach demselben, in welchem er wahrhaftig, ob wol verborgen, stecket, wie der selige Arnd16 schön zeiget, Wahr. Christenth. 2, 5317, so dann an dem feiß der heiligung, eifrigen ernst, GOtt treulich zu dienen, eckel an der welt und dero hertzlichen verleugnung, freude an dem guten, haß des bösen oder traurigkeit darüber, samt allen übrigen früchten des geistes, welche 165 die schrift von den kindern GOttes rühmet, denn wo diese oder doch der ungeheuchelte eifer darnach sich in einer seele fndet, dessen sie gar leicht eine überzeugung bey sich, ob wohl der glaube unmittelbahr unempfndlich bleibet, fühlen kan, da kann sie so gewiß schliessen, daß der glaube auch bey ihr seyn müsse, als ich von einem baum, an dem ich gesunde und reife 170 früchte sehe, mich versichert weiß, daß auch die wurtzel, die in der erde ver- borgen liget, gut und gesund seye. Also wird der glaube empfndlich in seinen wirckungen mit nicht weniger gewißheit, als ob man ihn selbst empfünde. 3. Weswegen, wer in solcher unempfndlichkeit stehet, zum allerfordristen sich wohl zu prüfen hat, einsteils ob er etwa in einer solchen unwissenheit der 175 Christlichen articul, die zu dem grund unsers glaubens gehören, stehen möchte, wo er also auch nicht empfnden kan, was er wahrhaftig nicht hat, andern theils ob er in sünden wider das gewissen lebe, bey welchen er alles liechtes des H. Geistes unfähig und also in der that kein glaube bey ihm wäre, in welchem fall er sich nicht so wol um die empfndlichkeit des glaubens, als 180 erstlich um denselben selbst, zu bekümmern haben würde. Ist ihm aber der mensch selbs bewust, daß er aufs wenigste dem buchstaben nach die nöthige erkäntnüß habe und nechst dem, daß sein gewissen mit herrschenden sünden nicht beladen seye, so hat er GOtt zwahr auch um seinen trost und die gnade der empfndlichkeit hertzlich zu bitten und sich aller müglichen mittel, die 185 zu der stärckung des glaubens gehören, zu gebrauchen, aber dabey sich gött- lichem willen, welcher, so er uns etwas versagt, nicht weniger gütig ist, als da er uns dasselbe gewähret, mit demüthigem gehorsam zu unterwerfen und sich an der übrigen gnade, sich aller insgesamt unwürdig achtende, begnügen zu lassen18: so dann die versicherung göttlicher gnade und, daß er ohnerachtet es 190 an dem empfnden mangelt, dennoch den wahren glauben in dem grund der seelen habe, darinne zu suchen, daß er sich in allen stücken der heiligung so viel ernstlicher befeißige, welche die unfehlbahre frucht des tief verborgenen glaubens ist.

157 ist und ] – D1. ​190 grund ] gründe: D3. ​

16 Johann Arndt, Erbauungsschriftsteller (Brief Nr. 13 Anm. 5). 17 Arndt, WChr., 2. Buch, 53. Kapitel. – In diesem Kapitel behandelt Arndt genau das von Spener hier besprochene Problem der geistlichen Anfechtungen. 18 Vgl. 2Kor 12,9. Nr. 163 an [eine junge Frau] [Erstes Halbjahr] 1691 739

4. Ich komme endlich auf den 4ten puncten, ob man sich nicht meistens vor dem letzten kampf des todes zu fürchten habe, wie ich weiß, daß meh- 195 rere Christliche hertzen in solcher angst stecken und fast in ihrem gantzen leben aus solcher furcht in gewisser maaß19 knechte seyn müssen. Nun ists so fern wahr, daß an dem, wie der letzte todes=kampf​ abgehet, die seelige oder unseelige ewigkeit hänget, und also hat man sich sofern vor demselben zu förchten oder sich vielmehr in seinem gantzen leben darauf zu bereiten. Weil 200 aber die meinung gemeiniglich diese ist, daß man förchtet, ob man schon etwa sein lebenlang sich nach allem vermögen des rechtschafenen glaubens und dessen früchten befissen hätte, so möchte noch am letzten ende der satan der seele nicht nur hart zusetzen, sondern sie auch in solcher schwachheit endlich überwinden, so getraue ich getrost zu sagen, daß solche sorge vergebens seye 205 und es der väterlichen güte GOttes allzunahe würde geredet seyn, wo man sagen oder sorgen wolte, daß derselbe seine schwache kinder um eine zeit, wenn sie am schwächsten sind, in dergleichen versuchungen und anfechtun- gen wolte gerathen lassen, welche ihnen zu schwehr seyn solten: vielmehr ist es seiner treue allerdings gemäß, daß er derselben bey ihrer letzten noth mit 210 allen anfechtungen schone oder sie alsdenn unfehlbar mit einer solchen kraft ausrüste, daß sie nicht mehr überwunden werden: Ja, ich halte es der göttli- chen so hochgepriesenen vaters liebe zuwider, wo man sagen wolte, daß dieselbe einen einigen, so biß an den letzten kampf getreu an sie gehalten hätte, in demselben erst wolte fallen und dem satan in seine gewalt gerathen 215 lassen: das seye ferne von uns, dergleichen dem frommen Gott zuzutrauen! Daher ich die worte des lieben Pauli, 2.Tim. 4,720: „ Ich habe einen guten kampf gekämpfet, m.f.w.“, die er geschrieben, da er dem letzten kampf nahe war und ihn doch noch nicht angetreten hatte, also annehme, daß er damit bezeuge, der kampf, als fern er nemlich gefahr an sich habe, seye bereits voll- 220 endet, ehe es noch an den letzten komme, hingegen was wir den letzten kampf nennen, seye bey den kindern GOttes vielmehr bereits ein stück dero sieges, als noch zu ihrem kampf zurechnen. Denn wenn es dahin kommet und ohne das ihre kräften leibes und gemüthes mehr brechen, so kämpfen sie nicht so wohl mehr, als GOTT kämpfet und sieget in ihnen. Weswegen 225 glaubige kinder GOttes sich nicht so wohl um diesen letzten künftigen kampf zu bekümmern, als darnach zu trachten haben, wie sie in der gnade ihres GOttes und in dem glauben mögen erfunden werden, um in einem guten stand die letzte stunde anzutretten, da es ihnen aus der treue ihres vaters an dem sieg unmöglich fehlen kan. 230

194 puncten ] punct: D2; punt: D3. ​

19 Die Maß (DWB 6, 1721). 20 2Tim 4,7 (Luther 1545: „Jch hab einen guten Kampf gekempfet / Jch hab den Lauft volendet / ich hab glauben gehalten.“). 740 Briefe des Jahres 1691

Wie dieses meine gedancken in gegenwärtiger, in der forcht des HErrn über obige fragen anstellende betrachtung sind, also werden sie auch die summe meiner neulichen reden, dero mich sonsten nicht eben völlig erinnern könte, seyn, ich hofe auch, sie sollen durch Gottes gnade meiner in dem 235 Herrn werthen Jungfrauen gemüth vergnügen oder doch zu fernern gottsee- ligen gedancken und völliger beruhigung anlaß geben. Den himmlischen vater aber rufe auch hiemit demüthigst an, der dieselbe in kräftiger wirckung seines H. Geistes vollbereiten, stärcken, kräftigen, gründen21 und das in de- roselben angefangene und biß daher fortgesetzte werck im glauben und 240 dessen vielfältigen früchten der gerechtigkeit vollenden wolle auf den tag JEsu Christi22. 1691.

232 anstellende ] anstellender: D2+3.

21 1Petr 5,10. 22 Vgl. Phil 1,6. Nr. 164 an [einen frommen Laien] [Erstes Halbjahr] 1691 741 164. An [einen frommen Laien]1 Dresden, [Erstes Halbjahr] 16912

Inhalt Bedankt sich für das Zutrauen, das der Adressat zu ihm hat, und gesteht, daß es weltlich ge- sinnte Pfarrer gibt, beklagt aber gleichermaßen, daß ernsthaft Fromme den Schwachen einen Anstoß bieten. – Bedauert, daß am Wohnort des Adressaten separatistische Haltungen zu fnden sind. – Bestätigt die Richtigkeit der Antwort des Adressaten auf die Frage nach der Teilnahme am Abendmahl bei einem sündhaften Prediger. – Begründet die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Amt und Person. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 4, Halle a.S. 1702 (21709; 31715), S. 344–347.

Dessen geliebtes habe ich nicht nur wohl empfangen3, sondern auch mich in lesung dessen erfreuet, so wohl wegen dessen gegen mich bezeugter liebe und guten vertrauens, als auch daraus erkanter rechtschafener intention, in den wegen des HErrn treulich einher zu gehen und weder zur rechten noch zur lincken aus zuweichen4. Dergleichen bey guten freunden gewahr zu werden, 5 erfreuet mich so vielmehr, als mich sonsten betrübt, daß so vielfältig aus den rechten schrancken ausgeschritten wird und da der welthaufe ohnbedachtsam nach seinen lüsten wandelt und, damit er auch einen trost habe, alles sein ver- trauen auf den äusserlichen GOttesdienst und bloß eingebildeten glauben setzet, hingegen derjenigen auf der andern seiten auch unterschiedlich sich 10 fnden, so die mittelstrasse nicht zu trefen wissen, sondern, da sie hertzlich verlangen, GOtt getreulich zu dienen, auch deßwegen im übrigen auf ihr leben sorgfältig achtung geben, sich das ärgernüß, so sie von den bösen in unsern gemeinden, vornehmlich aber den feischlichen predigern, nehmen, sich zu dergleichen resolution der trennung bringen lassen, dadurch sie selbst 15 ihre mehrere stärckung hindern, die gewissen der schwachen5 nicht wenig

7 ohnbedachtsam ] ohnbedachsam: D1. ​10 unterschiedlich ] unterschiedliche: D2+3. ​

1 Der Adressat gehört zu den Bekannten Speners, die von der kirchenkritischen Frömmigkeit beeindruckt sind. Vermutlich ist der Adressat noch verhältnismäßig jung oder noch nicht lange mit dieser Frage beschäftigt, so daß Spener ihn auf sein Werk „Der Klagen Mißbrauch“ (1685) hinweisen muß (s. Z. 24 f). 2 Eine genauere Eingrenzung der Abfassungszeit des Briefes kann nicht vorgenommen werden, solange der Adressat nicht bekannt ist. Durch das kursächsische Konventikelverbot und die nach wie vor zu befürchtenden Unruhen um den aufkommenden Pietistmus könnte der Brief in die erste Hälfte des Jahres 1691 zu datieren sein, aber auch eine Datierung in die ersten Monate von Speners Berliner Aufenthalt ist nicht auszuschließen. 3 Nicht überliefert. 4 Vgl. Dtn 5,32 u. ö. 5 Vgl. 1Kor 8,7–12. 742 Briefe des Jahres 1691

verletzen, den lästerern wider die gottseligkeit scheinbahre vorwände und einwürfe an die hand geben und also, wenn sie ihr gewissen rein zubehalten trachten, vielmehr das ihrige und anderer beschweren. Ich habe dergleichen 20 exempel zu Franckfurth am Mayn gehabt, wo einige meiner liebsten freunde (wie denn die christlichste personen dieser versuchung am meisten unter- worfen seyn, auf diese gedancken gerathen sind), wordurch aber ich sorge, daß der lauf der gottseligkeit mehr gehindert als gefordert worden6: Daher ich die anlaß7 genommen, daß tractätlein zu schreiben von der klagen über 25 das verdorbene Christenthum rechtem gebrauch und mißbrauch8. Nun sehe aus dessen briefen nicht gern, daß eben dergleichen scrupel auch ihres ortes bey einigen ansetzet, und sorge, daß dem werck des HErrn in be- forderung des rechtschafenen wesens in Christo JEsu9 leicht dadurch einiger anstoß gemacht werden könne, so der HErr in gnaden abwenden wolle. 30 Daher auf die frage: „Ob ein Christ GOttes ehre was vergebe, wenn er von einem prediger, der nicht in der rechtschafenen erkäntnüß Christi stehet, das abendmahl empfähet und ob er dadurch sich der sünden des predigers theil- haftig mache“, gantz wohl von demselben geantwortet zu seyn glaube. Wie denn kein eintziges der angeführten argumenten ist, so ich nicht allerdings 35 bündig und kräftig zu seyn glaubte, auch wohl alle hie und dorten in dem gedachten tractat berühret haben mag10. Einmahl die trennung und daher entstehendes ärgernüß ist ein so grosses übel, daß nimmermehr durch den verhoften nutzen, da man seyn mißfallen an den bösen predigern durch das enthalten bezeugen wolte, wieder ersetzet werden kan; Wie ich vielleicht 40 selbst aus der erfahrung genug gelernet habe und desto hertzlicher aller orten davor warne; deßwegen sorge, ob wohl aus gutmeynendem eyfer einige Christliche seelen solche ärgernüssen veranlassen, daß sie doch, da sie der- gleichen vorsehen können, ein grosses theil der sünden, die daher entstehen, mit auf ihre verantwortung vor GOtt laden. 45 Das führende argument von dem unterscheid, den man zu machen habe, unter person und amt, ist kräftig und dieser unterscheid nicht ein gesuchter außfucht11, sondern in der wahrheit gegründet und in der schrift bestätiget. Wir wissen, was es mit den priestern in dem alten Testament zu den zeiten Jeremiae und nachmahl Christi vor eine bewandtnüß gehabt, wie nemlich 50 kaum ein stand in so schwerer verderbnüß gestanden als eben der ihrige, wie deswegen auch Jeremias, Johannes der täufer und Christus ihrer nicht ge- 21 christlichste ] christliche: D3. ​

6 Zur Separation in Frankfurt a. M. s. Brecht, Spener, in: GdP 1, 317–319; Deppermann, Schütz, 180–206. 7 Die Anlaß (DWB 1, 392 f). 8 Spener, Der Klagen Mißbrauch. 9 Vgl. Eph 4,21. 10 Spener, Der Klagen Mißbrauch, S. 94–99. 11 „Ausfucht“ ist als maskulines Substantiv nicht nachgewiesen; vielleicht geht Spener von dem lat. Äquivalent „praetextus“ (Vorwand) aus. Nr. 164 an [einen frommen Laien] [Erstes Halbjahr] 1691 743 schonet, sondern ihre laster und böse führung ihres amts heftig gestrafet, niemahl aber die leute von ihrem amte abgezogen haben: Wie denn dessen nicht das geringste vestigium12 zu fnden wäre; ja, wo unser Heyland und die propheten davor gehalten hätten, daß man sich der gottlosen priester amts, 55 um der ehre GOttes nichts zu begeben und sich ihrer sünde nicht theilhaftig zu machen, entziehen solte, würden sie selbst nicht einmahl in den tempel gekommen seyn, als in dem alle hauptverrichtungen des GOttesdienstes bey den priestern stunden. So halte ich, es werde ein jeder dieses begreifen, daß er eines königes beamten, ob er auch wüßte, daß er nicht nur sonsten laster- 60 haft wäre, sondern auch in seinem amt ungerechtigkeit verübete, dennoch in solchen dingen, die nicht unrecht sind, zu pariren13 und sich seines amtes zu gebrauchen schuldig seye, wormit er sein amt zwar, nicht aber seine person billichet, ja, es wird nicht geleugnet werden, daß man solches auch den be- amten schuldig seye, die nicht eben auf beste weise zu dem amt gekommen 65 wären, so lange sie gleichwohl solches amt tragen und sie der HErr in dem- selben dultet, also nicht gestatten würde, daß zu gefährlicher folge einige unterthanen, denen ers nicht aufgetragen, seine beamten gleichsam absetzen und ihm also in sein recht eingreifen wolten, da sie vielmehr ihre klagen an ihn zu bringen gehabt hätten. Welches argument auf böse und auch wohl 70 nicht auf göttliche art berufene prediger so viel stärcker gehet, weil man in jenem exempel noch eine scheinbahre entschuldigung haben möchte, wenn der HErr solcher beamten gottlosigkeit wüste, daß er sie nicht leiden würde, daher die jenigen, die es wüsten, von seinem willen praesumiren14 könten, er fordere nicht, daß man ihnen gehorsam seye; weil aber unser Heyland alles 75 weiß, wie es um die jenigen stehet, die in seinem äuserlichen reiche seine diener sind, und sie also wissentlich, aus ihm bekanten, aber gewiß unsträf- lichen ursachen, bey dem dienst seiner gemeinden in denen jetzigen zeiten des gerichtes lässet, so ist so viel weniger verantwortlich, da wir sie durch unsre entziehung gleichsam ihres amtes entsetzen wolten, als lang der HErr 80 nicht selbst oder durch die, welchen er die macht und aufsicht anvertrauet hat (bey denen man seine beschwerde, sein gewissen zuerleichtern, anbringen möchte), sie entsetzet. Es ist auch das jenige wohl erinnert, daß nicht jeglicher, der sich eines bösen in seinem amt gebrauchet, sich dadurch seiner boßheit theilhaftig mache, sondern der jenige allein komt in die gemeinschaft seines 85 unrechts, welcher schuld dran ist, daß derselbe in dem amt stehet und, da er daraus gesetzt werden solte, noch darinnen gelassen wird: In dero hand aber nicht stehet, die sache nach göttlicher verordnung zu ändern, denen kan auch solches nicht imputiret15 werden, daß sie sich dessen gebrauchen, dahin sie

56 um ] und: D1. ​60 f lasterhaft ] lasteraft: D1. ​74 f er fordere ] erfordere: D1. ​

12 Spur. 13 Folge leisten, gehorchen. 14 Sich herausnehmen, wagen. 15 Zurechnen. 744 Briefe des Jahres 1691

90 GOttes ordnung insgemein gewiesen hat. Damit begeben sie also der ehre ihres Gottes gantz nichts, man wolte denn sorgen, es geschehe solches da- durch, daß sie diejenigen vor diener Christi erkenneten, welche, solche zu seyn, nicht würdig wären. Aber es folget dieses nicht, denn sonsten müste es auch folgen in dem weltlichen stand. Wir wissen, daß wir die Könige und 95 Regenten als GOttes diener und also als solche, die sein bild an sich tragen, halten und eben aus solcher ursach ihnen gehorsamen16 sollen, und deren doch viele sind, die, was ihr leben und regierung anlanget, vielmehr des teufels bild an sich tragen. Solte ich nun damit der göttlichen ehre was be- geben, weil ich mich eines predigers diensts, der selbsten seines amts schand- 100 feck wäre, gebrauche, weil seine unehre auf GOTT zurück gienge, wenn man ihn vor seinen diener erkennete, so müste der jenige auch göttlicher ehre etwas begeben, der einem gottlosen Herrn als einem diener GOttes unterthan ist und ihn als seinen Herrn ehret, ja, sich seines schutzes gebrauchet: und gleichwohl weiset der liebe Apostel Paulus nicht allein alle Christen an den 105 gehorsam und verehrung der heydnischen Obrigkeiten17, sondern schützet sich auch mit der appellation an den gottlosen tyrannen Neronem18 wieder seine feinde19. Daher durch dergleichen göttlicher ehre nichts begeben wer- den kan. Es bedarf aber nicht, mit mehreren ausgeführet zu werden, und habe ich aus dem in dem brief angeführten zur gnüge gesehen, daß derselbe die 110 sache, wie sichs geziemet, recht gefasset habe, so mögen hingegen, wo einige an meiner einstimmung gezweifelt hätten, diese zeilen zu derselben zeugnüß genug seyn: und kan aus obig angeführten meinem tracktätlein20 ein und anders, wo es nöthig gehalten würde, ferner ersehen werden. Ich rufe den himmlischen Vater demüthigst an, welcher so wohl diesen 115 lieben seelen, so mit diesem scrupel angefochten werden, als allen andern, welche auch in der gleichen gerathen möchten (als worzu leider unserer zeit die gelegenheit allzuviel vor augen stehet und sich fast täglich verneuert), seinen heiligen rath und willen also zuerkennen und in das hertz geben wolle, daß sie ihrer und anderer gewissen schonen und aus seiner gnade, durch 120 obwohl unwürdige hände mit nicht weniger reichem maaß, was zu ihrer er- bauung und zu ihres innern menschen wachßthum nöthig ist, empfangen, als sie solches von reinern händen verlangten: Er sehe aber auch seine gesamte kirche mit gnaden an, gebe endlich lauter hirten nach seinem hertzen und räume also selbst die ursach solcher anstösse hinweg.

125 1691.

112 tracktätlein ] trackätlein: D1; tractätlein: D2. ​121 ihres ] ihrer: D3.

16 Altertümlich im Sinne von „gehorsam sein“ (DWB 5, 2539). 17 Röm 13,1–6. 18 Nero (37–68), römischer Kaiser von 54–68. 19 Vgl. Apg. 25,10. 20 S. Anm. 8. Nr. 165 an [einen Amtsbruder] [Erstes Halbjahr] 1691 745 165. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, [Erstes Halbjahr] 16912

Inhalt Benennt einige Gründe, wieso er den Adressaten für geeignet hält, die ihm angetragene Stelle anzunehmen. – Bespricht die Gegenargumente. – Betont, daß er dem Adressaten nichts anweisen kann, sondern daß er ihm die Entscheidung überlassen muß. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 534–537.

Es leuchtet mir am allerfördersten dieses starck ein, daß die beförderung nach- er N. N.3 ohne einiges gesuch von selbsten angetragen wird, welches, obs nicht eine gewisse versicherung der wahrhaftig göttlichen berufung allein gibet, doch eine starcke praesumtion4 deroselben machet und nicht anders als durch sehr wichtige gegengewichte überwogen werden kan. 5 2. Sehe ich die stelle also an, als welche eines rechtschafenen mannes sonderlich nöthig habe, und zwahr bey dem eine Christliche klugheit, grosse moderation, liebe des friedens und herliche gottesfurcht neben der ohne dem erforderten erudition sich fnden müsse. Dann weil andere religions=​ver- wandte5 sich daselbs auch antrefen lassen und man es zuweilen mit ihnen zu 10 thun bekommen mag, nicht zwahr mit ihnen viel disputat anzufangen, als welches ohne nutzen abgehen würde, sondern sonsten alles von denselben den unsrigen besorgliche abzuwenden, so wird einem mann hauptsächlich obligen, gleichwie seine gemeinde auf allerley weise in der erkanten wahrheit zu befestigen und vor irrthum zuverwahren, also absonderlich auf die wid- 15 rige also acht zu geben, daß weder einestheils, wo sie etwas gegen die unsrige machiniren wollten, ihnen solches angehe, noch anderntheils sie ohne noth

8 herliche ] herrliche: D2 ] hertzliche: D3. ​

1 Der Adressat lebt in einem herrschaftlichen Gebiet, nicht in einer freien Reichsstadt, hat aber keinen unmittelbaren Umgang mit dem Herrscherhaus (Z. 32 f). Seiner Herrschaft ist er wegen eines erhaltenen Stipendiums verpfichtet (Z. 62 f). Spener kennt dessen jetzige gemeindliche Situation kaum (Z. 50 f), hat aber von der Frömmigkeit der Herrschaft, die den Adressaten in ein geistliches Amt berufen will, gehört (Z. 26 f). In deren Gebiet leben auch Reformierte (Z. 9 f). Es liegt nicht weit vom jetzigen Wirkungsort des Adressaten entfernt (Z. 69 f). Spener hält den Adressaten für geeignet, die angebotene Stelle, vermutlich ein Hofpredigeramt (Z. 32–49) an- zunehmen (Z. 6–9). 2 Der Brief ist mit großer Wahrscheinlichkeit noch in der Dresdner Zeit geschrieben, weil Spener mit keinem Wort auf seine eigene laufende Berufung nach Berlin eingeht. Genaueres ist nicht ermittelt. 3 Der Ort, an den der Adressat berufen werden soll. 4 Annahme, Vermutung. 5 Reformierte. 746 Briefe des Jahres 1691

gereitzet und fremde hülfe zu suchen veranlasset würden, als welches unsrer kirchen keinen nutzen schafen möchte. Weswegen hitzige leute an solche ort 20 sich nicht schicken, sondern die da wissen mit Christlicher klugheit, sanft- muth und moderation ihr amt zuführen. Wie nun diese qualitäten sich nicht eben bey allen, da es sonsten an studiis nicht mangelt, fnden, so haben dieje- nige bey welchen man dieselbige antrift, wie ich mich dann derselben bey meinem werthen Herrn in guter maaß versehe, zu solchen stellen sich ge- 25 brauchen zu lassen desto mehr ursach. 3. Von der hohen herrschaft6 habe ich allezeit ein Christliches gemüth und sonderbahre liebe zu dem predigtamt rühmen gehöret, daher kein zweifel ist, da sie einen mann bekommen, bey dem sie sehen, daß es ihm wahrhaftig um die ehre GOttes und erbauung der kirchen zu thun seye, daß sie ihm werden 30 mit sonderbarer gnade zugethan seyn, u[nd] alles, was zur beförderung des guten in seinem amt dienlich vorgeschlagen werden wird, willig mit ihrer autorität secundiren, auch gegen alle widrige schützen. Was die vorwendende ungewohnheit mit hohen personen umzugehen betrift, wird solche in kurtzer zeit vergangen seyn und sonderlich bey einer solchen gütigen herr- 35 schaft, so selbs einen muth einsprechen wird, an statt derselben eine freymü­ thigkeit erlanget werden. So sollen wir prediger ohne das, ob wirs auch mit hohen personen zu thun haben, uns nicht aller hofmanier in dem umgang mit ihnen bequemen, sondern, weil wir als GOttes diener mit ihnen handeln, fern von höfscher vanität und schmeicheley, ob wohl nöthigen unterth[äni- 40 gen] respect erweisen, dannoch dabey in allem uns bezeugen nach der regel der uns zukommenden Christlichen einfalt und Theologischen gravität. Da- her wie unsre lehr bey hohen personen nicht anders seyn darf oder wir ihnen einander gesetz und Evangelium zu predigen haben als den bauren, also ge- ziehmet sich auch unsrem nöthigen umgang mit denselben zwar keine bäu- 45 rische grobheit, aber auch nichts, das nach schmeicheley oder welt-manier schmecket; zu welcher art ein Christlicher Theologus gar bald kommet: und versichere ich, daß grosse Herren von dergleichen Theologis selbs mehr halten, als von denen, die völlige höfing abgeben, sich aber eben dardurch destomehr verächtlich machen. 50 4. Daher ob ich wohl bekenne, daß so eigentlich nicht wisse, wie weit die gelegenheit der erbauung sich an jetziger stelle erstrecke, vermuthe doch, daß in angetragener stelle leicht mehr vermittels an hand habender gnädiger herr- schaft durch GOttes segen auszurichten seyn möchte. An welchem punct gleichwol meines erachtens in aller frage des berufs am allermeisten gelegen 55 und von demselben am gewissesten auf ja oder nein zu schliessen ist. Indem ich es göttlicher weißheit und güte allerdings gemäß halte, daß dieselbe bey

24 Herrn ] HErrn: D1. ​43 und ] un: D1. ​47 Herren ] HErren: D1. ​51 stelle ] stellen: D1. ​

6 Die berufende Herrschaft ist nicht ermittelt. Nr. 165 an [einen Amtsbruder] [Erstes Halbjahr] 1691 747 jeden, welchen sie einige gaben gegeben hat, deroselben reichlichsten ge- brauch intendire. Aus allem diesem bekenne, daß ich nicht wohl anders als auf die folge bey mir incliniren kan. Dem mögen nun nicht mit nachdruck entgegen gehalten 60 werden, die andre vorgekommene scrupel, dann 1. was anlangt die verpfichtung an jetzige herrschaft7 und vormahlen ge- nossenes stipendium, so solle bald folgen, wozu dasselbe allein obligire. 2. Die der jetzigen gemeinde tragende liebe ist auch noch nicht gnugsam, anderwärtlichen ruf zu hinterziehen, sonst hätte GOtt keine macht, einen 65 beliebten prediger iemalen zu versetzen. So wird sich mein werther Herr auch an solche ursach nicht zu starck binden wollen, nachdem derselbe gestehet, zu anderwärtiger vocation, aber in dem lande, geneigt gewesen zu seyn. 3. Betrefend die änderung von luft, speiß, tranck und dergleichen fnde dieselbe fast gering8, indem es nicht viel meilen anträgt, da das clima wenig 70 diferiret, und also natürlicher weise wenig gefahr zu besorgen ist, nebens dem, daß wir ohne das, wir seyn, wo wir wollen, in GOttes hand leben, weben und sind9, der aller orten unsern odem bewahret. 4. Das anligen wegen der angehörigen (wie ohne das solche rationes fami- liares10 in der sache GOttes ein geringes momentum bey mir haben) movirt 75 mich auch nicht vieles: denn ich habe selbs erfahren (wie dergleichen auch göttlicher güte und wahrheit gemäß ist), daß wo man auf göttlichen geheiß11 von vielen guten freunden gar in weit entlegene fremde lande in gläubigem vertrauen zeucht, der HERR HERR solcher leute, zu denen man kommt, hertzen also zu regieren weiß, daß von vorhin gantz unbekannten leuten al- 80 sobald an der vorigen stelle nicht weniger freunde treten müssen, daß man sage, GOtt sorge für uns, wolle aber eben deswegen haben, daß wir in dem glauben an ihn gern gehorsamen12 und auf nichts anders als sein werck sehen sollen. Hiezu kommt, daß denen lieben kindern an der beförderung in jetzi- gem lande nicht schädlich seyn kan, ob auch der vater mit hohem Consens13 85 anders wohin dem beruf folgte. Weil ich nun die sache auf diese weise ansehe, so gehet mein weniger rath dahin, mein hochgeehrter Herr überlegte nochmals alles in der forcht des HErrn und prüfte sich vor dessen angesicht und mit hertzlicher anrufung um seine heilige regierung, ob er bey sich selbs zu einiger fernern gewißheit 90

66 Herr ] HErr: D1+2. ​76 habe: cj ] – D1–3.

7 Die jetzige Herrschaft des Adressaten ist nicht ermittelt. 8 Im Sinne von „sehr gering“; „fast“ wird neben anderen Adverbien als Verstärkung ver- wendet (DWB 3, 1349). 9 Apg 17,28. 10 Begründungen mit der Familie. 11 „Der Geheiß“ ist mundartlich (DWB 5, 2370). 12 Im Sinne von „gehorsam sein“ (DWB 5, 2539). 13 Übereinstimmende Verabredung. 748 Briefe des Jahres 1691

kommen könte, solte nun, wie ich vermuthe, das hertz nach der folge14 sich neigen, so würde alsdann von nöthen seyn, an jetzigen Landes=Herr​ n sich zu wenden, die gethane anmuthung samt denen ursachen, welche göttlichen willen anzuzeigen schienen, demselben vorzustellen und wegen habender 95 obligation15 in dero gnädigsten entschluß zu setzen, ob sie auch darinnen göttlichen rath erkennen und zu folge dessen die dimission ertheilen wolten oder nicht. Was nun alsdann vor eine resolution erfolgen würde, nach dem wolte ich, da es meine sache wäre, mich richten und vor den befehl dessen, der die hertzen in händen hat16 und regiret, annehmen. 100 Dieses sind meine gedancken über das geschäft, so ich auf verlangen habe überschreiben sollen, damit aber desselben gewissen nichts vorzuschreiben gedencke, sondern eigener fernerer überlegung und entschluß überlasse. Der HErr aber, dessen wir alle und allen orten sind, regire deroselben gemüth, auch die hertzen aller derer, die dazu zu reden haben, und also das gantze 105 werck, auf welcher seiten er weißlich erkennet, daß seine ehre und der kirchen wohlfahrt am nachdrücklichsten mag befordert werden! 1691.

14 Die Befolgung, das sich Bequemen (des Rufs) (DWB 3, 1872). 15 Verpfichtung; Gebundensein. 16 Vgl. Spr 21,1. Nr. 166 an einen Prediger [Erstes Halbjahr] 1691 749 166. An einen Prediger1 Dresden, [Erstes Halbjahr] 16912

Inhalt Freut sich über die briefichen Nachrichten, nach denen eine geistliche Bewegung in der Ge- meinde des Adressaten entstanden ist. – Bespricht den Nutzen von Hausbesuchen. – Hält den Anbau von Tabak nicht für sündlich und trägt medizinische und ökonomische Gründe für dessen (mäßigen) Gebrauch vor; die Gefahr des Mißbrauchs kann hier ebensowenig wie bei alkoholi- schen Getränken als Gegenargument verwendet werden. – Kann die Profession der Pfeifer und Spielleute nicht für gut heißen, weil damit meist sündhaftes Verhalten verbunden ist. – Sieht bei den Gastwirten die große Gefahr, sich zu versündigen, und rät, sich noch andere Einkünfte zu verschafen, damit sie nicht um des Einkommens willen andere zur Sünde verleiten. – Skizziert seine Kritik am Tanzen, gesteht aber, daß es nicht verboten werden kann. – Kritisiert die am Sonntag stattfndenden Märkte und beklagt, daß auch von Theologen die Sonntagsheiligung auf den Gottesdienstbesuch beschränkt wird. – Freut sich über die Nachricht, daß der Adressat mit Einverständnis der leitenden Geistlichen eine Übung (collegium pietatis) eingerichtet hat. – Auch wenn sie nicht öfentlich lehren sollen, wünscht er das Reden der Frauen über den Glauben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707, 31712), S. 678–684.

Wie mir alle seine bisherige briefe3 freude verursachet, wann aus denselben einstheils dessen redliche intention und auch beständigkeit in derselben dem HErren einen treuen arbeiter abzugeben, theils dazu von dessen väterlichen güte ertheilten segen und success vernommen habe; so kan auch versichern, daß abermahl dessen letztes4, so zwahr nunmehr einige monate bey mir liget, 5 gleiche wirckung bey mir gehabt: und wie solte uns anders mehr freuen, als wo wir hören, daß die ehre GOttes kräftig befordert werde, darum ja die welt stehet, und wir alle leben? Daß er also meldet, es wolle auch seines orts das Christenthum gar einander ding werden, als es gewesen seye, und gingen vielen die augen recht auf, ist eine sache, davor wir GOtt zu dancken haben: 10 nicht zwahr als ob wir ein ander Christenthum, als der HErr selbs mit lehr und exempel gewiesen, aufbringen solten, welches ferne seye5, sondern daß demselben der viele unfath und zuweilen schmincke, damit sichere leut dasselbe gantz zu einer andern gestalt gebracht haben, abgewischet und es

1 Nach dem Regest von D ist der Adressat ein „Prediger“, der Spener schon öfter geschrieben hat (Z. 1) Er steht den Vorschlägen Speners zur Verbesserung der Kirche nahe und hat – mit Genehmigung der Obrigkeit – eine „Übung“ (Z. 181), also ein Collegium pietatis, eingerichtet. Dies läßt den Schluß zu, daß der Adressat nicht in Kursachsen zu suchen ist. 2 Dieser Brief ist aus Dresden geschrieben, da gesagt wird, der Traktats David Heermanns sei „allhier“ gedruckt worden (Z. 142 f mit Anm. 15 u. 16). 3 Nicht überliefert. 4 Nicht überliefert. 5 Floskelhafter Ausruf, mit dem man etwas zurückweist, womit man nichts zu schafen haben will; er wird wiederholt von dem Apostel Paulus im Römerbrief verwendet (Röm 3,4.6.31 u. ö.). 750 Briefe des Jahres 1691

15 wiederum in der ersten und ihm zukommenden gestalt den augen vorgestel- let werde, wo es zwahr freylich ihrer vielen gantz etwas neues scheinet. Daß auch der streit zwischen geist und feisch6 heftiger werde, viele an manchen dingen, die sie vorhin gering geachtet oder wohl gar gebilliget haben, einen geziemenden eckel zu bekommen, andere hingegen, die jenige, welche nicht 20 mehr mitmachen wollen, mehr zu hassen angefangen, ist auch ein gutes zei- chen und muß es aller orten also hergehen, wo etwas kräftig durchtringen solle. Die beschriebene haus=​besuchungen gefallen mir nach allen umständen, und kan ich gewiß in GOttes nahmen versichern, daß wie alles andere, also 25 sonderlich auch dieses werck, in dem HErren gethan, unmüglich ohne vielen segen bleiben könne. Ach wolte GOtt, daß dergleichen an allen orten ge- schehe, ja, daß es nur an vielen orten denen, welche es thun wolten, gestattet würde! Und dannoch bleibets dabey, wo nicht mit absonderlichen handlungen die frucht der allgemeinen verrichtungen befordert wird, so wird diese sehr 30 sparsam seyn. Daß es auch meistentheils an den hauptpersonen, nemlich den haus-vätern und haußmüttern in jeglichem hauß gelegen seye, wie viel oder wenig ausgerichtet werde, ist gewiß und deßwegen die pficht, die ihnen obliget, solchen leuten treulich und ernstlich einzuschärfen: indessen mang­ lets auch nicht an exempeln (und hofe ich, derselbe werde auch seines orts 35 dergleichen gefunden haben), daß durch GOttes gnade in einigen häusern, wo wenig gutes an eltern und herrschaften sich fndet, einige von kindern und gesinde nicht nur erhalten, sondern wol gar kräftiger als andere zuweilen gerühret werden, indem sie der gütigste Vater so viel hertzlicher gegen die stäts vor augen habende ärgernüssen verwahret. Da wolte nun rathen, nicht 40 allein neben der allgemeinen treue an solchen seelen auch noch absonderli- ches zu versuchen, wo man gelegenheit machen kan, sie etwa zu sich zubrin- gen oder bey der beicht ihnen so viel hertzlicher zuzusprechen, sondern auch um derselben willen die besuchung der häuser, darinnen sie sind, ob wohl die hausväter desselben nicht würdig wären, nicht zu unterlassen. Dann da sie 45 noch (ob wohl aus feischlichen ursachen, um auch vor gute Christen ge- halten zu werden) die besuchung leiden mögen, müssen wir gedencken, daß, was von unsrer arbeit an ihnen nicht fruchte, an den andern aufs wenigste fruchten und unsre mühe ersetzen könne. Wolte man aber gedencken, daß man sie durch solche besuchung und freundlichen zuspruch in der sicherheit 50 stärcke und also ihr böses bekräftige, hielte ich dannoch, daß solches nicht so erheblich seye, die sache deswegen zu unterlassen, nach dem auch unser Hei- land zu Phariseern und schriftgelehrten, deren heucheley er kante, gekom- men ist; es kan auch der discurs also eingerichtet werden, daß alsdenn nicht nur, was von kindern und gesinde bereits gutes in sich hat, gestärcket werde, 55 sondern die haußväter selbs zur besserung ihres lebens durch ofenbahrung ihrer heucheley, welche sie zuweilen selbs nicht kennen, gebracht, aufs we-

6 Vgl. Röm 7,3. Nr. 166 an einen Prediger [Erstes Halbjahr] 1691 751 nigste, daß man ihr leben nicht billige, überzeuget und desto unentschuldbah- rer gemacht werden. Auf die absonderl[iche] fragen zu kommen, ist die erste wegen des taback=​ bauens, von dem ich nicht in abrede bin, daß mit geliebtem bruder nicht 60 einerley meinung seye, noch solchen bau vor sündlich halten könte, auch die daran arbeiten, davon nicht abhalten wolte. Es ist nicht allein das gewächs an sich so wol ein geschöpfe GOTTES als andere, sondern auch dem menschl[ichen] geschlechte nutz. Und ob wohl nicht ohn ist, daß der aller- meiste taback unnützlich: und mit sünden gebrauchet wird, höre ich (der aus 65 eigner erfahrung nichts weiß, noch ie dergleichen getruncken habe) doch so von medicis als andern leuten, daß dessen mäßiger gebrauch so wohl der gesundheit gewisser leute vorträglich, als einigen, so zum exempel auf denen schifen dienen, fast nothwendig seye, nicht weniger in dem krieg oftmahls denen, so ihre speisen nicht nach der gesundheit haben können, vielen vor- 70 theil thue: wie also derselbe seinen nutzen hat, so kan auch einem ort und land daran zu seiner mehrern nahrung viel gelegen seyn, daß des jenigen eine ziemliche quantität gebauet und bereitet werde, so an andere orte verführet einiges geld in das land bringet: wie mir orte bekant sind, deren meiste ein- kunften aus taback bestehen, so nach den Niederlanden7 verführet8 wird. Da 75 also der taback ein an sich nützliches gewächs ist, so mag der mißbrauch desselben, wie sehr er auch eingerissen ist, den bau und bereitung nicht sündlich machen, als lange die bauende und bereitende zu dem mißbrauch nicht selbs mit helfen: So wenig als wein zu bauen, bier zu brauen, branten- wein zu brennen, vor unrecht geachtet werden mag, ob wohl von allen 80 denselben wo nicht das meiste, doch gewiß nicht viel weniger als dasselbe, mehr zum miß= als rechten gebrauch angewendet wird. Daher ich (nicht zu reden von denen, welche den taback bauen) auch deren unterschiedl[iche] fromme männer gekant habe und weiß, die sich mit taback spinnen ernehret: Ja, mir ist ein exempel bekant eines gantz Christl[ichen] mannes, der, da er 85 vorhin wirthschaft getrieben, sich wegen der vielen sünden, dazu er näher mitwircken muste, dieselbe fortzusetzen nicht getrauet, sondern eine taback=​ stube, wo dergl[eichen] gesponnen u. bereitet wird, angefangen hat9. Daher wünschen wolte, daß dem guten mann, so in einfalt seines hertzens damit bißher umgegangen ist, das gewissen nicht so schwehr gemacht, sondern er 90 vielmehr dahin angewiesen würde, solche creatur Gottes zu dem menschl[ichen] gebrauch zu bereiten und Gott zu bitten, daß er dieselbe vielmehr zum rechten gebrauch heiligen als mißbrauchet werden lassen wolte: nachmal aber

66 habe ] halbe: D1. ​

7 Niederlande; dazu gehören für Spener neben Holland auch Belgien und das Gebiet des Niederrheins. 8 Im Sinne von „an einen anderen Ort führen“ (DWB 25, 359). 9 Spener meint den Frankfurter Tabakspinner Johann Friedrich Hilbert (s. Brief Nr. 11 Anm. 98). 752 Briefe des Jahres 1691

dessen regirung alles zu überlassen, so wol als ein wein=gärtner​ es dahin geben 95 muß, wie der von ihm mit saurer mühe erbaute wein wol oder übel ange- wandt werde werden, so aber auf seine verantwortung nicht kommet. Was aber anlangt die pfeifer und dergleichen spielleute10, deren gantze profession allein zur eitelkeit und hegung der theils ofenbar sündl[ichen] theils aufs wenigste sehr zweifelhaftigen wollüsten dienet, bekenne ich, daß 100 ich derselben zustand nicht zu rechtfertigen weiß, noch fnde, was ich zu beruhigung meines eigenen gewissens vor sie sagen kan: so sorge, wo sie noch zuweilen einige geistliche lieder aufspielen, daß solches wegen der umstände, so dabey vorgehen, mehr eine entheiligung des göttlichen nahmens als ein gottesdienst zuhalten seye: dazu auch erinnerter massen kommet, daß sie ihre 105 meiste sünden an dem sontag begehen und sich von dem teufel zu werck- zeugen brauchen lassen, wo je bey jemand solchen tags eine göttl[iche] wirckung aus dem wort ein wenig angesetzet hätte, solche sein gantz durch weltl[iche] wollust zu untertrucken11: daher halte, daß derselbe sich mehr zu freuen als zu betrüben habe, daß einer solcher leute ihn seiner sünden-sorge 110 entladen, ob wol noch hertzlich vor ihn zu beten, daß er ihm seine eigne angelegen seyn lassen wolle. Die wirthe betrefend, ists freylich auch so, daß wir wenig professionen haben, welche mehr mit lauter sündl[ichen] wesen verbunden sind als diesel- bige, es seye dann sache, daß sie sich bloß darauf legen, den reisenden die 115 nöthige pfege und aufwartung zu leisten. Wie aber zu rathen oder zu helfen, weiß ich nicht, und kommets alles auf die rührung der gewissen solcher leute selbs an: hingegen sehe auch nicht, wie in diesen verdorbenen zeiten ein gastwirth, sonderl[ich] an einem ort, da ihrer mehrere sind, sein leben von seiner wirthschaft allein führen könne, wo er nicht mit etwas anders einen 120 theil seines brodts erwerben kan, er lasse sich dann auch zu einem werckzeug und gehülfen anderer boßheit gebrauchen. Da weiß ich wol, was vor ein harter kampf entstehen muß bey den meisten, denen der wille ihres Gottes vorgetragen wird und sie sehen, daß ihnen damit das meiste entgehe, wovon sie ihren gewinn suchen, und sorge also, es werden wenig seyn, von denen 125 nicht wahr wird, was Matth. 19,2212 von jenem jüngling stehet: Indessen stehet uns auch nicht frey, etwas dessen zu ändern oder nachzulassen, was GOtt von seinem willen bezeuget, die welt glaube es oder nicht. Absonderl[ich] das tantzen anlangend13 habe ich in der vorrede der ver- leideten weltliebe meine meinung zur gnüge vorgestellet14, wie ich freylich

10 Vgl. dazu die ähnlichen Ausführungen in Brief Nr. 132. 11 Zu Speners Überlegungen zur Sonntagsentheiligung wegen Zerstreuung s. Briefe Nr. 118, Z. 137–187, und Nr. 127, Z. 1–39. 12 Mt 19,22 (Luther 1545: „Da der Jüngling das wort höret / gieng er betrübt von jm / Denn er hatte viel Güter.“). 13 Vgl. auch die Ausführungen zum Thema in Brief Nr. 132, Z. 13–171. 14 Ph.J. Spener, Die Von dem H. Johanne 1. Epist. II/ 15.16.17 Den Kindern Gottes verleidete Liebe der Welt (s. Brief Nr. 80 Anm. 4). Nr. 166 an einen Prediger [Erstes Halbjahr] 1691 753 auch davor halte, ob einiger unsträf[icher] gebrauch des tantzens seyn und in 130 der theoria eingebildet werden könte, daß dannoch aufs wenigste alles unser gemeines tantzen zu dem mißbrauch gehöre. Indessen gehörets unter die je- nige stücke, derer mehrere sind, welche wir nicht abzuschafen vermögen und wir allezeit unsren gemeinden den willen Gottes von allem also vorzustellen haben, daß aufs wenigste die seelen, welche GOtt fürchten und ihr heil su- 135 chen, sich dergl[eichen] eitelkeit enthalten u. sich nicht damit befecken: Bey den übrigen, bey denen auch sonst nichts rechtschafenes von dem Christen- thum ist, werden wir ohne das nichts ausrichten, noch sie sich ihre lust neh- men lassen: ja, ob sie dieses unterliessen, wäre dannoch nichts ausgerichtet, da nicht vorher auch in den hauptstücken ein rechter grund bey ihnen geleget 140 wäre. Hiebey, was die wirthe anlanget, fället mir ein, daß jetzt ein tractat eines Lausitzischen pfarrherrn15 allhier gedruckt wird, von dem guten und bösen Scholtzen16 (wie sie die wirthe, schencken oder caupones17 nennen), da also solcher profession pfichten und sünden weitläuftig fürgestellet werden. 145 Ist noch übrig der punct wegen der sontagsmärckte, welche ich auch er- kenne ein ärgernüß und stück der sabbaths-entheiligung zu seyn. Nun ists an dem, daß Christl[iche] obrigkeiten am besten rathen könten und auch solten, durch verlegung derselben auf die wochen=​tage (dergl[eichen] auch in hiesigen landes=​gesetzen heilsamlich verordnet18, ob zwahr solche verord- 150 nung nicht aller orten in schwang gekommen oder wiederum abgegangen, hingegen hofnung ist, daß kürtzl[ich] der sache kräftiger gerathen werden möchte), wo aber solches nicht geschihet, sondern die obrigkeit verstattet die sache, können wir nicht weiter, als die gewissen gründl[ich] zu unterrichten und ihnen den schaden und verlust, welchen sie durch versäumniß des 155 göttl[ichen] an solchem tage an der seele leiden, ob solcher oder der hofende zeitliche gewinn grösser seye, beweglich vorzustellen, auch mit diesem erin- nern nicht müde zu werden, ob endlich der HErr aufs wenigste dieses und jenes hertz noch kräftig rühren möchte. Wir haben aber in solcher materie auch so viel behutsamer zu gehen, nach dem unter unsern vornehmen Theo- 160 logen einige sind, welche die sontags=märckte​ nicht vor verboten achten, ja,

15 David Heermann (3. 12. 1655–31. 10. 1720), Pfarrer in Lichtenberg; geb. in Ober-Biehle, nach dem Studium in Leipzig und Wittenberg Informator in Görlitz, 1684 Pfarrer in Lichtenberg und 1708 in Troitschendorf (G. F. Otto, Lexikon der seit dem funfzehenden [sic!] Jahrhunderte verstorbenen und jeztlebenden Oberlausizischen Schriftsteller und Künstler, 2. Bd., 1. Abt. Görlitz 1802, 57 f). 16 M[agister] D[avid] H[eermann], Der gute / gewissenhafte / aufrichtige auch gerechte / und der entgegen gesetzte böse / Gewissenlose / betrügliche und ungetreue Scholtze Oder Dorf=​Richter, Dresden und Leipzig: Christoph Mieth 1692. 17 Schankwirt. 18 Die kursächsische Polizeiordnung vom 22. 6. 1661 ordnet an, daß Jahr‑ und Wochenmärkte, die auf Sonntage fallen, auf einen Werktag zu verlegen sind, weil sonst der Gottesdienstbesuch vernachlässigt werde (Johann Christian Lünig, Codex Augusteus, Oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici, Leipzig: Gleditzschens seel. Sohn 1724, Anderer Theil, Sp. 1566). 754 Briefe des Jahres 1691

fast gar alle sabbaths=​pficht kaum auf etwas anders setzen als die öfentl[iche] versamlungen und dero besuchung; so mich manchmal nicht wenig betrübet, der ich hingegen glaube, nachdem alles geistliche gute durch das göttliche 165 wort in uns gewircket werden muß, zu dessen frucht aber, wo es gnugsam durchtringen solle, eine beständigere betrachtung als in einem stündlein, so man vor mittags in der kirche zubringet, ausgerichtet werden kan, nothwen- dig ist, daß die völlige anwendung des gantzen tages zu geistl[ichen] übungen eines der trefichsten beforderungs=mittel​ des Christenthums seyn würde. 170 Ach, daß der HErr doch allen zu erkennen gäbe, warum wir in der welt sind, so würde man gewiß vieles anders thun und lassen, als leider jetzo geschihet, da das wahre hauptwerck das nebenwerck seyn muß, das zeitl[iche] aber zum haupt=​werck gemachet wird. Dieses wären meine wolmeinende gedancken über die vorgelegte fragen, 175 so ich dessen und seiner freunde fernerer Christl[ichen] prüfung überlasse, der HErr aber selbs mache uns in allen stücken gewiß, zu verstehen, was seines willens an uns und unsre anvertraute seye, sonderlich in den jetzigen so ver- wirrten zeiten, wo man manchmahl kaum sihet, wie man das jenige zu werck richten könne, was man thun solle und oft mit dem unterstehen desselben 180 nur noch mehr gefahr und schaden als nutzen zu schafen sorgen muß. Was letzl[ich] derselbe auch berichtet vor der jenigen übung19, welche mit beliebung der Christl[ichen] obrigkeit (die der HErr davor zeitlich und ewig segnen wolle und wird) angefangen worden, mit den jenigen, welche sich ferner in Gottes wort zu üben vor andern begierde haben, dasselbige feißiger 185 zu handlen, kan ich nicht sagen, wie hertzlich mich solches erfreuet und ein zeugnüß gegeben hat, wie der liebste Vater gleichwol, obs schon an den meisten orten mit allen neuen anstalten, die man zu mehrer erbauung vor- nimmet, nicht fort will, sondern der teufel und die welt sich denselben mit allzuvielem successu widersetzet, dannoch hier u[nd] dar gnade zu seiner 190 diener aufrichtiger absicht gibet, daß sie etwas ausrichten und nicht gehindert werden müssen: dessen ewige güte seye darüber inniglich gepriesen und de- müthigst gebeten, mit gleichem segen dero arme diener auch anderer orten nach und nach zu beseligen, sonderl[ich] aber geliebten bruders treu an seiner gemeinde, und solcher folgsamen seelen=​feiß mit überschwencklicher gnade 195 zu überschütten, daß er diese sehe von tag zu tag wachsen in der lebendigen erkäntnüß und dero unzählicher früchten: hingegen sein pfund, mit dem er treulich wuchert20, täglich wachsen, biß er dorten die völlige erndte seiner mühesamen saat mit freuden einsamle. Ich versichre mich dabey, es werde der liebste Vater auch ihm und den guten seelen so wol die weißheit, wie sie alles 200 ohne anstoß fortsetzen und mit nichts dem ohn zweifel auf sie laurenden

167 vor mittags ] vormittags: D3. ​189 zu seiner ] zuseiner: D1. ​

19 Ein Collegium pietatis, wie sich aus den folgenden Ausführungen erkennen läßt. 20 Vgl. Lk 19,16. Nr. 166 an einen Prediger [Erstes Halbjahr] 1691 755 lästerer anlaß geben, als auch freudige beständigkeit, die daher besorgende verachtung und widersetzung der ungleichgesinnten mit sanftmuth u. zu- friedener gedult zu tragen, hingegen sich durch nichts müde machen zulassen, endl[ich] auch diesem exempel bey einigen andern der benachbarten eine erbaul[iche] nachfolge verleihen. Ach, wie wollen wir uns freuen, wann, wo 205 nicht alle, doch immer mehrere, von dem schlaf der vorigen sicherheit21 und unachtsamkeit aufwachen und die zahl der jenigen zunehme, die sich mit ernst auf die künftige trübsalen schicke: damit, wo uns der HErr in den ofen der scharfen feuerprobe werfen wird, nicht alles verrauche und sich, nur schaumgold22 gewesen zu seyn, verrathe, sondern vieles die probe aushalte 210 und wahres gold erkant werde. Dem scrupel wegen des redens der weiber in ihrer versamlung23, wo es bey dem blossen herlesen und antworten bleibet, ist von demselben gantz zur gnüge abgeholfen: daß nichts dazu zu setzen nöthig. Dann der GOtt der ord- nung, so den weibern diese ehrerbietung gegen die männer anbefohlen hat, 215 sich des lehrens in der gemeinde nicht anzumassen24, schliesset sie hingegen nicht aus, gleichwie von dem feiß, sein wort feißig zu lernen, also auch ihres glaubes rechenschaft auf erforderung vor andern zu geben: und weil dann in Christo JEsu kein mann noch weib ist25, so haben wir den befehl, da die weiber von etwas gewisses ausgeschlossen werden, nicht weiter zu dehnen, als 220 er eigentl[ich] lautet. Nun, der HErr gebe je mehr und mehr, daß alles sein volck weissage26. In dessen heil. gnade, kräftigen schutz, reichen segen und weise Geistes regierung, denselben samt seiner gottsel[igen] haus=gemeinde​ 27, dero auch vor dem Herrn gedencken will, und sie dessen zu versichern bitte, aus treuem 225 hertzen empfehle. etc. 1691.

223 heil. ] heiligen: D2 ] heilige: D3.

21 Zu dieser in der lutherischen Orthodoxie gebräuchlichen Formel vgl. z. B. das Lied von Johann Heermann (1585–1647): „Wach auf, o Mensch, o Mensch, wach auf, vom tiefen Schlaf der Sicherheit“ (Fischer-Tümpel 1, 266 f, Nr. 321), ebenso die Ausführungen zum 10. Sonntag nach Trinitatis in: Johann Gerhard, Postilla […] Ander Theil, Jena: Tobias Steinmann 1613, S. 187 f. 22 Flittergold, vergoldetes Papier (DWB 14, 2371). 23 Gemeint ist die Übung (collegium pietatis), die vom Adressaten eingerichtet wurde (Z. 181–183). – Zu den kritischen Rückfragen über die „predigenden Frauen“ in Speners Frankfurter Collegium pietatis und seinen Antworten s. Frankfurter Briefe Bd. 3, Brief Nr. 46, Z. 306–318. Zu der Frage nach der Rolle der Frau in der Gemeinde s. Ph.J. Spener, Das Geistliche Priesterthum, Frage 60 f (Spener, Studienausgabe I/1, 471 f). 24 Vgl. 1Kor 14,33 f. 25 Vgl. 1Kor 11,11. 26 Vgl. Num 11,29. – Im Zusammenhang der Frage nach dem Reden der Frauen in der Ge- meinde wird häufg auch auf die Ankündigung der weissagenden Töchter in Joel 3,1 hingewiesen. 27 Vermutlich sind hier die Familienangehörige und das im Haus arbeitende und lebende Per- sonal des Adressaten gemeint und nicht das in Z. 181 erwähnte Collegium pietatis. 756 Briefe des Jahres 1691 167. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16912

Inhalt Weist den Vorschlag [Johann Melchior] Stengers zurück, bei der Frage, ob das Gesetz voll- kommen erfüllbar ist, zwischen dem mosaischen und dem christlichen Gesetz zu unterscheiden, und betont die Vergebung aller Sünden auf Grund der Gnade Christi. – Bestätigt die Meinung des Adressaten, daß man nichts von Gott durch stürmisches Bitten ertrotzen soll. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707,31712), S. 189 f.

Die frage anlangend: Ob GOtt von denen wiedergebohrnen auch die voll- kommene erfüllung des gesetzes erfordere, so ists diejenige difcultät, wes- wegen Herr Stenger3 einen unterscheid unter Mosis und Christi gesetz ge- macht hat4, welcher aber von andern Theologis heftig widerfochten worden5, 5 und nicht nöthig, sondern vielmehr der schrift entgegen ist. Dann GOttes durch Mosen gegebenes gesetz, wie es der austruck göttlicher unveränderli- cher gerechtigkeit ist, also ist es unveränderlich, und kan, was die verbindung desselben anlangt, nicht das geringste dran remittiret6 werden. Daher wir mit wahrheit sagen, GOtt fordere nach dem gesetz auch noch von den wiederge- 10 bohrnen dessen vollkommene erfüllung, also daß, was sie dagegen auch un- vermeidlich sündigen, wahrhaftig sünde ist, so es nicht wäre, wo nicht alles von ihnen noch gefordert würde: Aber wo sie nach der gnade, die ihnen mitgetheilet ist, dem gesetz, ob wol einen unvollkommenen, doch redlichen

1 Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der Adressat ein Amtsbruder. Die vorausgesetzte Kenntnis der Auseinandersetzung zwischen J. M. Stenger (zu diesem s. Anm. 3) und dem Erfurter Prediger- ministerium (s. dazu Anm. 4) stützt diese Vermutung. 2 Eine genauere Datierung kann nicht vorgenommen werden; es ist auch denkbar, daß der Text im zweiten Halbjahr 1691 in Speners Berliner Wirksamkeit geschrieben wurde. 3 Johann Melchior Stenger (26. 9. 1638–7. 3. 1710), Inspektor in Wittstock; 1666 Diaconus an der Erfurter Predigerkirche, 1670 Verwicklung in einen Streit mit dem Erfurter Prediger- ministerium, der ihm die Amtsentlassung einbrachte, Ende 1671 Garnisonprediger in Berlin, 1673 Inspektor in Storkow, 1676 Pfarrer und Inspektor in Wittstock; trotz Stengers Neigung zu heterodoxen Positionen konnte er sich der Wertschätzung Speners erfreuen (Näheres s. Frank- furter Briefe Bd. 1, Brief Nr. 64 Anm. 1; Dresdner Briefe, Bd. 1, Brief Nr. 90 Anm. 27). 4 Stenger hatte im Zusammenhang des sog. „Stengerschen Streites“ (s. dazu U. Sträter, Phil- ipp Jakob Spener und der „Stengersche Streit“, PuN 18, 1992, 40–79) eine Erklärung abgeliefert mit dem Titel „Vom Unterscheid zwischen Mosis und CHristi Geboten“ (abgedruckt in: Censura Stengeriana, Erfurt 1671, S. 182–189). 5 Die theologische Fakultät in Wittenberg in ihrem Bedenken zu Stengers Lehre (abgedruckt in: Censura Stengeriana, S. [208–235] 213–218), ebenso, wenn auch kürzer, die Fakultät in Jena (abgedruckt in: aaO, S. [237–257] S. 256 f. Das von Spener verfaßte Bedenken des Frankfurter Pre- digerministeriums (Bed. 3, [15–62] 39–45) weist diese Unterscheidung ebenfalls zurück (vgl. auch die Privatschreiben Speners Frankfurter Briefe, Bd. 1, Briefe Nr. 75, Z. 103–110, und Nr. 79). 6 Erlassen, mildern. Nr. 167 an [einen Amtsbruder] 1691 757 und kindlichen gehorsam leisten, so träget er mit ihnen gedult, und nach der gnade des Evangelii nimmt er solchen gehorsam an und vergibt um Christi 15 willen solchen gläubigen, was noch dran mangelt7. Also ist die obligation8 nicht aufgehoben, aber gnade versprochen denen, die sie auch nicht erfüllen können. Wie ein eigenthums-herr an seinen pachtmann das gut einthut und einen gewissen pacht setzt: da er dann solchen selbst nicht mindert, sondern, ob etwa mißjahr sind, mit einem wenigern sich vergnügen läst, ohne des- 20 wegen an der schuldigkeit selbst etwas nachzulassen, daher es der pachtmann allezeit für eine gnade zu halten hat, nicht aber daß er dißmal nicht mehr wäre schuldig gewesen. Also mit wenigem, wir haben die Evangelische dispensati- on9, davon zuweilen Christliche lehrer geredet, nicht zu suchen in schwä- chung der verbindlichkeit (darum bleibt der mangel annoch sünde), sondern 25 in gütiger annehmung oder acceptation von seinen kindern des auch man- gelhaften, vermittels der vergebung. Hiedurch zweife nicht, daß allen scru- peln begegnet werden könne. Von der frage zu reden, ob ein gottloser mensch durch unbedingtes und ungestümes anhalten von Gott das gebetene in zorn erhalten könne, so bin 30 gantz auch der meinung und ist die sache aus den angeführten und mit ein- ander verglichenen orten 1.Sam. 8,5 seq.10, Hos. 13,1111, Ap. Gesch. 13,2112 gnug erweißlich. Ja, es mag wol auch bey sonst frommen geschehen, wo sie sich durch ihre ungeduld übernehmen lassen und mit gewalt etwas von GOtt erzwingen wollen, daher der ihnen obligenden demuth und kindlichen un- 35 terwerfung vergessen, daß ihnen GOtt solches gebe, aber zu einem schweh- ren leiden. Ich werde selbs einige mahl in meinen schriften davon meldung gethan haben; kan aber dißmahl es nicht fnden: doch sihet dahin etwas in der leichpredigt 2. theil. p. 148.14913.

1691. 40

32 5 seq. ] – D1. ​32 11 ] – D1. ​32 21] – D1.

7 Vgl. ähnliche Ausführungen über mögliche Vollkommenheit und Sündlosigkeit in Frank- furter Briefe, Bd. 4, Brief Nr. 100, Z. 422–429; Bd. 5, Briefe Nr. 1, Z. 47–73, und Nr. 156, Z. 80–96; Dresdner Briefe, Bd. 3, Briefe Nr. 35, Z. 193–229, Nr. 57, Z. 131–172, Nr. 83, Z. 6–25, Nr. 96, Nr. 124, Z. 53–65, und Nr. 140; im vorliegenden Band, Briefe Nr. 7, Z. 15–34, Nr. 16, Z. 70–87, und Nr. 22. 8 Verpfichtung. 9 Sündenerlaß (Habel/Göbel, Mittellateinisches Glossar, 116); eig.: Genaue Einteilung. 10 1Sam 8,5 f (Luther 1545: „vnd sprachen zu jm / Sihe / Du bist alt worden / Vnd deine Söne wandeln nicht in deinen wegen / So setze nu einen König vber vns / der vns richte / wie alle Heiden haben. Das gefel Samuel vbel / das sie sagten / Gib vns einen König der vns richte / vnd Samuel bettet fur dem HERRN.“). 11 Hos 13,11 (Luther 1545: „Wolan / Jch gab dir einen König in meinem zorn / Vnd wil dir jn in meinem grim wegnemen.“). 12 Apg 13,21 (Luther 1545: „Und von da an baten sie um einen König; und Gott gab ihnen Saul, den Sohn des Kis, einen Mann aus dem Geschlechte Benjamin, vierzig Jahre lang.“). 13 Spener, Leichpredigten 2, 148 f. 758 Briefe des Jahres 1691 168. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16912

Inhalt Würde sich wünschen, mit dem Adressaten auch in der anstehenden Thematik einer Meinung zu sein. – Erläutert, wieso in 1Petr 4,8 die Nächstenliebe und nicht die Gottesliebe gemeint sein kann. – Betont die Vorgängigkeit des Glaubens vor der Liebe und verweist dazu auch auf katholische Theologen. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (21707; 31712), S. 17–23.

Ich habe die zugestellte theses und den Petrinischen ort 1.Petr. 4,83 in der furcht des HErrn reifich erwogen4. So kan geliebter Bruder aus der liebe, wie denselben liebe, sich versichert halten, daß mir eine mehrere freude seyn würde, wo ich mit demselben auch in dieser sache einstimmig seyn und zum 5 schutz gegen andere mit beytreten könte. Nachdem ich aber aufrichtig, wie ich dieselbe fnde, bekennen solle, so kan nicht anders sagen, als daß die vorgebrachte erklährung der Apostolischen wort deroselben eigentliche absicht nicht seye und daher, wo ein harter wi- dersacher solte auftreten, nicht behauptet werden könte. Dann I. redet Petrus 10 ofenbahrlich allein von der liebe des nechsten: „vor allen dingen aber habt untereinander eine brünstige liebe, denn die liebe decket auch der sünden menge“. Wo wir sehen, es werde austrücklich geredet von der liebe, welche die brüder untereinander haben sollen, und von eben derselben liebe bezeu- get, daß sie der sünden menge decke. Da wir also diese liebe nicht ursach 15 haben, weiter auszudähnen als der verstand derselben in dem ersten stück des verses gelautet hat. So vielmehr weil ohne widerspruch Sprüchw. 10,125 von solcher liebe allein geredet, und solches zur gnüge durch den gegensatz be- zeuget wird: „Haß erreget hader, aber liebe decket zu alle übertretung“6, daß man nemlich um derselben willen mit dem nechsten nicht hadert oder

2 wie ] womit ich: D2+3. ​

1 Diese Zuweisung ist auf Grund der Anrede „Bruder“ (Z. 2, 137, 174) sicher. Er war ofenbar angeklagt worden (Z. 173–175), eine falsche Lehre zu vertreten (Z. 5, 173–180), und hatte ein Thesenpapier zur Auslegung von 1Petr 4,8 an Spener geschickt. Nach Z. 3–5 könnte es sich um einen näheren Bekannten Speners handeln; die Anfrage dürfte keine amtliche Bitte gewesen sein. 2 Ein genaueres Datum konnte nicht ermittelt werden. Deswegen ist es auch denkbar, daß dieser Brief in die Berliner Zeit gehören könnte. 3 1Petr 4,8 (Luther 1545: „SO seid nu messig vnd nüchtern zum Gebet. Fur allen dingen aber habt vnternander eine brünstige Liebe / Denn die Liebe deckt auch der sunden menge.“). 4 Das übersandte Thesenpapier ist nicht überliefert. 5 Spr 10,12. 6 S. Anm. 3. Nr. 168 an [einen Amtsbruder] 1691 759 zancket, sondern ihm alles zuvergeben gantz willig ist. In welcher absicht man 20 sagen könte, daß diese worte noch eine absicht auch auf die erste erinnerung des verses haben, wo es geheissen: „so seyd nun mäßig und nüchtern zum gebet“. Weil denn dem gebet auch sonderlich haß und zorn zuwider ist, in- dem der Apostel I. Tim. 2,87 befehlet „aufzuheben heilige hände ohne zorn und zweifel“, so fordert hingegen unser Petrus, daß sie wie auch sonsten aus 25 gemeiner schuldigkeit, also auch um des gebets willen (damit auch die wort I. Petr. 3,78 zu vergleichen wären) „solten brünstige liebe untereinander ha- ben“9, denn solche liebe decket auch der sünden menge und also reinige sie das gemüth dessen der beleidiget worden ist, aber aus liebe dem bruder ver- geben hat, von der unruhe und zorn, welche sonsten, wo die liebe nicht 30 meister ist, aus der beleidigung entstehet und den menschen zum gebet un- tüchtig machet. Dieser satz, daß hier geredet werde von der liebe des nechsten und daß das decken seye die vergebung der beleidigung und der sünden des nechsten, ist so ofenbahr, daß, ob wol der andere verstand, daß die liebe auch unsere sünden vor GOtt decke und also mit in die rechtfertigung einfiesse, 35 denen Papisten zu ihrer hypothesi trefich dienete und daher auch solcher spruch von etlichen derselben gegen uns gebraucht zu werden pfeget, den- noch fast die gelahrteste und redlichste unter ihnen den andern verstand be- halten, daß die liebe des nechsten gebrechen decke. Wobey in acht zunehmen ist, auch von mir allezeit als eine haupt=​regel 40 angesehen wird, daß zwahr eines jeden orts verstand so weit zu nehmen und auszudähnen seye, als so wol die glaubens=regel​ oder analogie10, als auch der ort selbs zugiebet, aber dennoch daß sich solches nicht so weit extendiren lasse, wo die zusammenfügung eines texts und andere dessen umstände dessen verstand selbs einiger massen restringiren. 45 2. Bekenne ich, daß mir auch die redens-art11, „daß die liebe vor Gott die sünde“, ob zwahr durch die glaubens=hand​ „decke“ oder dero vergebung erlange, sehr hart vorkomme, und ich sorge, daß sie sich gegen einen, so die wort nach ihrer schärfe examiniren wolte, sonderlich der gern gelegenheit an dem andern suchte, nicht gnung behaupten lasse. Dann die schrift sagt wol, 50 daß „der glaube durch die liebe thätig seye“, Gal. 5,612 nicht aber, daß die liebe durch den glauben wircke. So ist, wo wir die rechte ordnung der natur

21 worte ] wort: D1+2. ​28 decket ] decke: D3. ​50 dem ] den: D1. ​

7 1Tim 2,8. 8 1Petr 3,7 (Luther 1545: „DEsselbigen gleichen jr Menner / wonet bey jnen mit vernunft / Vnd gebt dem weibischen / als dem schwechsten Werckzeuge / seine Ehre / als auch Miterben der gnade des Lebens / Auf das ewere Gebet nicht verhindert werden.“). 9 1Petr 1,22. 10 Analogia fdei: In Anlehnung an Röm 12, 6 entstandene Formel für die lutherischen Lehre, wie sie in den Schriften des Konkordienbuchs enthalten ist. 11 Im Sinne von „Formulierung“ oder „die Art, sich auszudrücken“ (DWB 14, 473 f). 12 Gal 5,6. 760 Briefe des Jahres 1691

in der bekehrung ansehen, nicht die liebe, sondern der glaube das erste, welches in dem menschen gewircket wird, und glaubet der mensch nicht so 55 wol deswegen, weil er GOtt bereits liebet, sondern daher fängt er an GOtt zu lieben, weiln er an ihn zu glauben und ein hertzliches vertrauen zu ihm zu fassen angefangen hat. Dahingegen als lang der mensch seinen GOtt noch ausser glauben ansihet als einen strengen und erzürnten richter, er ihn nicht lieben kan, sondern sich bey ihm vielmehr ein haß gegen denselben fndet, 60 den der glaube erst wegnimmt. Daher mögen wir wol den glauben der liebe kraft, nicht aber die liebe des glaubens leben nennen, als welches er in sich selbs bereits hat, weil er selbs eine kräftige wirckung des lebendigen Geistes aus dem lebendigen wort ist und also seine ihm eigne kraft, sonderlich mit welcher er die gerechtigkeit JEsu Christi ergreift, nicht aus der liebe, sondern 65 aus sich und der wirckung des Geistes hat. Daher nicht eigentlich und, wo die worte stricte und scharf genommen werden, der liebe beygeleget werden kan, daß sie, obwol durch die glaubens=hand​ die sünde bedecke, indem solches werck in der schrift von Paulo dem glauben in gegensatz gegen alle wercke, dazu auch der glaubige in CHristo JEsu geschafen ist, und also auch gegen 70 die liebe zugeeignet wird, daher er nicht als das werckzeug der liebe, durch welche dieselbe uns rechtfertigte (dann dieses wäre es gleichwol, wo sie die sünde vor GOttes gericht deckete), angesehen oder genennet werden darf. 3. Wo man aber den nahmen der liebe weiter ausdähnen und also rechnen will, wie er insgesamt, sonderlich wo wir von der liebe gegen GOtt reden, alle 75 pfichten gegen GOtt in sich fasset, als welche nach der summa in demjenigen begriefen werden, „du solt GOtt deinen HErrn lieben von gantzem hertzen, von gantzer seelen, und von allen kräften“13, so ist nicht ohn, daß alsdann der glaube, wie er eine tugend ist, auch mit in der liebe allgemeinen concept14 stecket, wie auch deswegen unser Lutherus15, was unter solchem allgemeinen 80 gebot der liebe befohlen wird, in der erklährung des ersten gebots erklähret: „Wir sollen Gott über alle dinge fürchten, lieben und vertrauen“16, zu wel- chem letztern ohne wiederspruch der glaube gehöret, und so möchte man dann, wo die liebe die gantze wirckung des Heil. Geistes in der seele eines kindes Gottes, wie dieselbe sich gegen Gott erstrecket, bedeutet, einigerley 85 massen sagen, daß die liebe, nemlich nach dero absonderlichen stück, wie sie vielmehr von GOtt etwas annimmet und also, so fern sich gegen ihn neiget, das ist in dem glauben, also, nachdem sie eigentlich die liebe heisset, die sünde decke. Aber wir werden in der schrift, wo sie eigentlich in sede pro- pria17 von dieser materie redet, solches wort in solchem allgemeinem verstand

62 bereits ] bereit: D2+3. ​71 rechtfertigte ] rechtfertige: D3. ​

13 Mk 12,30.33; Lk 10,27. 14 Begrif. 15 Martin Luther (1483–1546). 16 M. Luther, Kleiner Katechismus, Erklärung zum ersten Gebot (BSLK 507.42 f). 17 Wörtlich „im eigenen Heim“; gemeint: „im eigentlichen Sinne“. Nr. 168 an [einen Amtsbruder] 1691 761 nicht leicht fnden, sondern immer also, daß sie vielmehr dem glauben ent- 90 gegen gesetzt und contradistinguiret werde, als denselben in sich begreife. Auch ist um dieser ursache willen so viel weniger also zureden, daß die liebe durch die glaubenshand die sünde decke, weil in diesem werck und bedec- kung der glaube noch dazu nicht eigentlich als eine tugend, sondern allein als ein von Gott geordnetes mittel anzusehen ist, welches nichts thut, sondern 95 allein empfängt: dahingegen die liebe in solchem allgemeinen verstand auf alle weise als eine tugend und etwas nicht sowol empfangendes als wirckendes angesehen werden müste. 4. Daher wolte ich bitten, solche gebrauchte redens=art,​ wo ferner davon gehandelt werden solte, nicht so wol zu behaupten, als nur zu entschuldigen 100 und allein zu zeigen, daß die meinung nichts irriges und wider unsre Evan- gelische wahrheit streitendes gewesen seye, da gleichwol geliebter bruder sich gern solcher redens=​art künftig enthalten wolle, nachdem er sie so vielen wichtigen bedencken unterworfen sehe und fnde, daß sie auch von denen zuhörern leicht anders, als er sie gemeinet, weil ohne weitläuftige erklährung 105 wol niemand auf solchen verstand kommen würde, angenommen werden könte. 5. Indessen ists gnung, daß doch die redens=art​ nicht in sich selbs und in allem verstand irrig seye und mit einigen fast gleichlautenden orten und re- dens=​arten der schrift sich etwas vergleichen lasse. Als wann 1. Joh. 4,17.1818 110 stehet, daß „die liebe die furcht austreibe“, und auch „eine freudigkeit mache auf den tag des gerichts“, welches dann durch den glauben geschehen muß, daß also dieses ein exempel wäre, wo in gewisser maaß19 der liebe zugeschrie- ben würde, was doch dem glauben eigentlich zukommet. Zwahr ist nicht ohne, daß unterschiedliche der vornehmsten Theologen auch dieses orts die 115 liebe nicht verstehen wollen von unsrer liebe, sondern von der versicherung der göttlichen liebe oder, wie diese von dem glauben angenommen wird, indessen hat gleichwol unser wolverdiente Theologus Aegid. Hunnius20 kein bedencken, diese liebe von unserer liebe und also den spruch auf solche meinung zuverstehen21. Also Dan. 4,2422 lauten die worte Danielis auch hart: 120 „mache dich loß von deinen sünden durch gerechtigkeit, und ledig von deiner missethat durch wolthat an den armen, so wird er gedult haben mit deinen sünden“, wo dann der gerechtigkeit und allmosen, so zu der liebe gehören, dasjenige zugeschrieben wird, was der busse und dem glauben zukömmet.

114 zukommet ] zukömmet: D2+3. ​

18 . 1Joh 4,17 f 19 Die Maß (DWB 12, 1727). 20 Aegidius Hunnius (s. Brief Nr. 7 Anm. 9). 21 Ae. Hunnius, Thesaurus Apostolicus Complectens Commentarios in omnes Novi Testamenti Epistolas Et Apocalypsin Iohannis, Wittenberg: Meyer und Zimmermann 1705, S. 1116. 22 Dan 4,24. 762 Briefe des Jahres 1691

125 Noch härter lautets Tob. 4,1123: „die allmosen erlösen von allen sünden, auch vom todt, und lassen nicht in der noth“. Ob wir nun wol das Büchlein Tobiae nicht unter die vollgültige bücher der schrift setzen24, so trachten gleichwol unsre Theologi auch diese wort in einen gesunden verstand zu ziehen, daher die Weimarische auslegung also lautet: „diejenige welche aus wahrem glauben 130 und gehorsam gegen GOTTes gebot gern allmosen geben, werden hinwie- derum vor sünden und einem bösen ende behütet.“25 Daß also der spruch also angenommen wird, daß von der liebe gesagt werde, was nicht derselben, sondern aus anderer schrift stellen zeugnüß, deme mit derselben vereinigten glauben eigentlich zukommet. Mit diesen exempeln will nicht zweifeln, daß 135 aufs wenigste bey denenjenigen, welche Christliche liebe bey sich haben, ausgerichtet werde werden, daß sie um solcher gebrauchten formul willen, ob sie wol ihre schwehrigkeiten hat, geliebten Bruder falscher lehre, nachdem er sich erklähret, nicht weiter beschuldigen können. Jedoch müste sie nicht weiter gebraucht und vielmehr entschuldigt als schlechter dings vertheidiget 140 werden, damit man allen möglichen anstoß Christlich und klüglich vermeide: um so vielmehr nachdem alles, was man mit dieser erklährung des sprüchleins Petri zum antrieb der heiligung suchen möchte, durch andere unanstößige redens=​arten zur gnüge mag ausgedruckt und vorgestellet werden. Daher 6. den spruch Luc. 7,4726 „ihr sind viel sünde vergeben, denn sie hat 145 viel geliebet“, nimmermehr rathen wolte, auf die vorgehabte weise zuerkläh- ren, daß der liebe die vergebung der sünden zugeschrieben würde, welches nicht allein obigen difcultäten unterworfen bliebe, sondern der gantzen ordnung des textes und der rede Christi nicht gemäß ist: In dem, wo man die gantze rede ansiehet, erhellen wird, daß unser Heyland dem Simoni27 zeigen 150 will, daß er diese sünderin wol mit sich umgehen lassen dörfe, wie sie gethan, jener aber es ihm übel aufgenommen hatte, weil sie nun nicht mehr vor eine sünderin zu halten, sondern alle ihre sünden bereits vergeben seyn, welches er dem Phariseer aus der liebe des weibes zur gnüge erweiset und also damit die liebe nicht zur ursach der vergebung der sünden, sondern zu dero frucht 155 und kennzeichen machet. Wie dann dieser verstand, daß das ὃτι genommen

129 Weimarische ] Weinmarische: D1. ​134 zukommet ] zukömmet: D2+3. ​147 bliebe ] bleibe: D2. ​

23 Tob 4,11. 24 Das Buch Tobias gehört zu den Apokryphen des Alten Testaments, die in der Reformations- zeit aus dem alttestamentlichen Kanon ausgeschieden wurden, weil sie nur in griechischer und nicht in hebräischer Sprache überliefert sind. Für Martin Luther gehörten sie zwar nicht zur Heiligen Schrift, waren aber nützlich zu lesen, während sie in der reformierten Kirche vollständig ausgeschieden wurden. 25 Die sog. „Weimarer“ oder „Kurfürstenbibel“: Biblia Das ist: Die gantze Heilige Schrift Altes und Neues Testaments. Verteutscht von […] Martin Luther, 12. Auf., Nürnberg 1720, 2. Teil, S. 327 (Näheres zu dieser Bibel s. Brief Nr. 107 Anm. 32). 26 Lk 7,47. 27 Der Pharisäer namens Simon, zu dem Jesus eingeladen war (s. Lk 7,40). Nr. 168 an [einen Amtsbruder] 1691 763 werde nicht causaliter, sondern consecutive28 und daß unser Heyland aus der liebe, die ihr wiederfahren, vergebung der sünden folgere, so deutlich in dem text gegründet ist, daß, wo auch nichts anders der andern erklährung in dem weg stünde, dieses sie zuverlassen bereits gnung wäre, daß sie mit der gantzen folge der rede Christi nicht so bequem wie die vorige übereinkommet. Daher 160 auch selbs unter denen Papisten die berühmtere lehrer dieselbe mit uns er- kennen, wozu sie die ofenbahre kraft der wahrheit nöthiget. Gerh. in Conf. Cathol. L. 2, P.3. art, 16. c.3, p. 3229 u.f. 30 führet zum exempel an nechst Gregorio Magno, dem Römischen Bischof 31, Dionys. Carthusiano32 u. Ly- rano33, unter denen letztern Melch. Canum34, Did. Stellam35, Alf. Salmero- 165 nem36, Fr. Toletum37, Tirinum38: Wie auch so fern Barradium39, daß derselbe bekennet, diese erklärung seye dem context und zweck der gleichnüß am gemäßesten. Dazu auch noch Corn. Jansenius40 zu setzen wäre. Welcher ur- sache wegen es sich nicht schicken wolte, dem spruch einen andern verstand anzwingen wollen, der aufs wenigste denen Papisten einige mehrere gelegen- 170 heit wider uns geben möchte, da sie guten theils selbs diejenige erklährung zugeben, die ihnen den geringsten vortheil nicht lässet. 7. Was das factum Collegae anlanget, so hätte billich, ehe die sache vor die gemeinde gebracht worden, geliebter bruder drüber besprochen werden

28 ὅτι ἠγάπησεν πολύ („denn sie hat viel geliebt“). 29 Was diese Seitenangabe zu bedeuten hat, bleibt unklar (vgl. die Angaben der Ausgabe des Werkes, das in Speners Bibliothek war; s. dazu Anm. 30). 30 Johann Gerhard, Confessio catholica, Frankfurt und Leipzig: Christian Gensch 1679, S. 1264B; das dreiteilige Werk war zum ersten Mal in den Jahren 1634 bis 1636 erschienen; in Speners Bibliothek befand sich die Ausgabe aus dem Jahr 1679 (BS 2°, 107), nach der die in Anm. 31 bis Anm. 37 vorgenommenen Belege folgen. 31 Gerhard, Confessio, S. 1264B. – Gregor der Große (ca. 540–604), 590 Papst (RGG4 3, 1257 f). 32 Gerhard, ebd. – Dionysius der Kartäuser (1402–1471, Kartäusermönch, fruchtbarer theo- logischer Schriftsteller (RGG4 2, 861 f). 33 Gerhard, ebd. – Nikolaus von Lyra (ca. 1270/1275–1349), Franziskaner und bedeutender Exeget (RGG4 6, 334). 34 Gerhard, ebd. – Melchior Cano (1509–1560), ein spanischer Dominikaner, Teilnehmer am Tridentinum (RGG4 2, 52 f). 35 Gerhard, ebd. – Diego de Estella (1524–1578), spanischer Franziskaner, Mystiker, betont die Askese, Verfasser eines Lukaskommentars (G. Bleiberg, M. Ihrie, J. Pérez [Hgg.], Dictionary of the Literature of the Iberian Peninsula, Bd. 1, Westport/USA 1993, 571 f). 36 Gerhard, ebd. – Alfonso Salmeron (1515–1585), spanischer Theologe und Mitbegründer des Jesuitenordens, Verfasser umfangreicher Bibelkommentare (RGG4 7, 800). 37 Gerhard, Confessio, S. 1265A. – Francisco Toledo (1532–1596), spanischer Jesuit, Kardinal (BBKL 12, 288–291). 38 Gerhard, ebd. – Jacques Tirinus (1580–1636), aus Belgien stammender Jesuit (Sommervo- gel-Backer 1, 769 f). 39 Gerhard, Confessio, S. 1265A.‑ Sébastien Barradas (1543–1615), portugiesischer Jesuit (Sommervogel-Backer 1, 42 f; BBKL 1, 379 f). 40 Cornelis Jansen (1585–1638), Schulhaupt der katholischen Reformbewegung, die (gegen die Jesuiten) konsequent die augustinische Gnadenlehre vertrat (TRE 16, 502–509). 764 Briefe des Jahres 1691

175 sollen, um die eigentliche meinung der gebrauchten worte zu hören: Indeme ihme dannoch darnach freygestanden wäre, nach angehörter erklährung, wo er nichts destoweniger der gemeinde einen andern verstand des spruchs ein- zunehmen nöthig geachtet hätte, diese von dem, wie sie ihn verstehen solten, zu unterrichten und hingegen die andere erklährung, aber mit liebe und 180 bescheidenheit abzuleinen. Im übrigen hofe ich, geliebter bruder werde auch aus diesem exempel und eigener erfahrung erkennen, wie nothwendig ihm seye, auch in der erkläh- rung der schrift sehr behutsam zugehen, um denenjenigen, so ihm auf alle wort acht geben und besorglich wenig liebe gegen ihn haben mögen, nicht 185 eine gelegenheit zu geben, daß sie mit ziemlichem schein denselben in ver- dacht irriger lehr ziehen und damit die frucht seines dienstes nur destomehr hindern oder verringern, wo nicht gar denselben in mehrere gefahr bringen könten. So vielmehr, weil keine einige lehr, so zu der heiligung, die wir treiben sollen, erfordert wird, genennet werden kan, die wir nicht aus solchen 190 sprüchen erweisen können, die in eben gleichem verstand auch von den lehrern unsrer kirchen, aufs wenigste allzeit etlichen aus derselben zahl, ge- führet würden; dero einstimmung man zwahr nicht bedarf zu der gründung seines oder auch der zuhörer glaubens, wol aber zu einem schild gegen die beschuldigung aufsätziger richter. Dann wie wir um dieser willen oder ihnen 195 zu gefallen weder etwas falsches lehren, noch nothwendige wahrheiten ver- schweigen dörfen, so haben wir uns doch zu hüten, daß wir ihnen nicht ohne noth und unvorsichtig einiges schwerdt in die hand geben, so sie nachmal gegen uns gebrauchen könten. Ich weiß zwahr auch wol, daß mit aller solcher vorsichtigkeit nicht gnung verhütet werden könne, daß nicht gehäßige ge- 200 müther auch das best ausgedruckte zuverdrehen vermögen, und sich dessen unterstehen solten, aber aufs wenigste mögen wir durch solche Christliche vorsichtigkeit ihnen viele gelegenheit benehmen und, wo sie dannoch uns nicht unangetastet lassen, ihnen mit nachdruck antworten, sodann tröstet uns unser gewissen alsdenn in solchem fall so vielmehr. 205 Der HErr aber gebe uns selbs in solchem allem den Geist der weißheit und der klugheit41, so wol in allen stücken seine wahrheit zuerkennen, als auch dieselbe also vorzutragen, daß denen, die auf die gerechten lauren, die we- nigste anlaß übrig bleibe: Er lasse aber auch mehr und mehr die liebe in den hertzen tief einwurtzeln, welche auch am besten verhüten wird, daß auch aus 210 unterschiedlichen meinungen gleichwol kein streit zwischen brüdern oder unruhe in der kirchen entstehe: das thue doch er, der der GOTT der liebe42

184 ihn ] ihm: D1+2. ​195 zu gefallen ] zugefallen: D1+2. ​207 gerechten ] gerechte: D3.

41 Vgl. Jes 11,2. 42 Vgl. 1Joh 4,8.16. Nr. 168 an [einen Amtsbruder] 1691 765 ist, vermittels des Geists der liebe und der wahrheit43, um unsers königs der wahrheit44 JEsu Christi willen Amen. 1691.

43 Vgl. Joh 14,17.26. 44 Vgl. Joh 18,37. 766 Briefe des Jahres 1691 169. An [einen Amtsbruder]1 Dresden, 16912

Inhalt Beklagt den schnell aufkommenden Heterodoxieverdacht. – Freut sich, daß der Adressat durch seine Erklärung die Gegner beruhigen konnte, bespricht diese aber dennoch kritisch. – In 1Petr 4,8 wird lediglich von der brüderlichen Liebe, aber nicht von der allgemeinen Menschenliebe gesprochen, vor allem muß die Rede von der Liebe, die die Menge der Sünde zudeckt, aus ihrem literarischen Kontext heraus gedeutet werden; warnt davor, einer gleichlautenden Formulierung völlig unterschiedliche Bedeutungen zu unterlegen. – In der Heilsordnung geht der Glaube der Liebe voraus; ohne Erkenntnis der Gnade Gottes kann es keine uneigennützige Liebe geben. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 1 I, Halle a.S. 1700 (²1707; ³1712), S. 23–25.

Was mit N. N.3 ferner vorgegangen, ist mir hertzlich leid, wegen des bey der gemeinde leicht entstehenden ärgernüsses und weil wir zu einer zeit leben, da der vorwand der laedirten orthodoxie (ob dieses auch nimmermehr erwie- sen wird) so bald lermen erreget und denen, welche sich doch aus feischli- 5 chen afecten und in solcher absicht dessen gebrauchen, alsobalden gehör und gunst bey denen bringt, die aus unverstand eifern, deren unter denjenigen, so auch sonsten nicht böse, sich viele fnden. Weil aber dabey so bald gemeldet worden, daß N. N. auf die erklährung auch acquiescirt, dancke ich GOtt und wünsche, daß dieser sturm der erste 10 und letzte seyn möge, zweife auch nicht, geliebter bruder werde auch aus dieser erfahrung, so viel sorgfältiger alle wort, die geredet werden, wahr- nehmen und auf die wage legen, damit auch laurer4 nichts übel auszulegen fnden. Im übrigen habe dessen abermalige declaration, so viel als mein zu- stand zugelassen, erwogen und fnde die sache also: 15 1. In der declaration hat sich derselbe gnugsam gerettet, daß seinem sinn keine heterodoxie kan beygemessen werden, sondern bey seiner gethanen bekänntnüß bleibet der articul von der rechtfertigung allerdings in seiner rei- nigkeit nach GOttes wort und unsern Symbolischen büchern. 2. Indessen bin nicht in abrede, daß gleichwol die bey dem ort 1.Pet. 45 20 angeführte erklährung dem text nicht gemäß oder, von dem Heil[igen] Geist gemeinet zu seyn, erkennen kan. Indem nicht allein das erste, nemlich die

1 Es handelt sich um einen Amtsbruder (Z. 10, 48 u. 93), der wegen einer umstrittenen Aus- legung von 1Petr 4,8 angegrifen worden war, aber durch eine Erklärung die Gegner beruhigen konnte. Näheres konnte nicht ermittelt werden. Allerdings wird diese Bibelstelle auch in den pie- tistischen Zusammenkünften in Leipzig im Herbst 1689 behandelt (Francke, Streitschriften, 24). 2 Dieser Brief steht im Zusammenhang mit Brief Nr. 168. 3 Vielleicht der Adressat vom Brief Nr. 168. 4 Horcher, Späher (DWB 12, 356). 5 1Petr 4,8 (Luther 1545: „SO seid nu messig vnd nüchtern zum Gebet. Fur allen dingen aber habt vnternander eine brünstige Liebe / Denn die Liebe deckt auch der sunden menge.“). Nr. 169 an [einen Amtsbruder] 1691 767 vermahnung des Apostels nicht von aller, vielmehr allein der brüderlichen liebe handelt, wie es an sich klahr, sondern auch die folgende wort können dieses orts nicht als eine allgemeine thesis von aller liebe genommen werden. Dann ob ich wol bekenne, daß zuweilen, etwas speciales zuerweisen, auf eine 25 allgemeine proposition6 kan angewendet werden, so sehe doch weder die nothwendigkeit dieses orts, noch daß sichs schicken wolle. Dann weil der Apostel zur bruder=liebe​ vermahnet, so war ihm, solcher vermahnung ein gewicht zu geben, allgnung, daß der erweiß von etwas hergenommen seye, so der bruder-liebe allein zukommet; hingegen ist allerdings keine anzeige da, 30 daß der Apostel ohne noth seinen erweiß noch weiter her aus der allgemeinen natur der liebe hätte hernehmen wollen. Das vornehmste aber ist dieses, daß uns nicht frey stehet, die redens=art​ 7 von deckung der sünden menge zuer- klähren, wie wir wollen, sondern, nachdem etwa bey niemand wird in zweifel gezogen werden, daß der Apostel auf den spruch Proverb. 10,128 als 35 an die verstreute Juden schreibend (denen Salomonis schriften bekannt wa- ren) seine absicht habe. Da zeiget sich ofenbahrlich, weil es ein gegensatz dessen ist, was daselbs stehet, „haß erreget hader“, daß die deckung der sünde oder übertretung nichts anders sagen wolle, als die liebe verursache, daß man des nechsten fehler mit sanftmuth und gedult übertrage und also decke, daß 40 man nicht deßwegen mit demselben zu hadern anfange, als welches dem haß zukommt. Dieses praedicatum nun schicket sich nicht zu den übrigen arten der liebe, und also sehen wir aus dem praedicato, was vor ein subjectum ge- meinet seye. Wolte man aber sagen, daß eben solches praedicatum auch von den andern gesagt werden könte, so geschiehet solches in sensu plane aequi- 45 voco9, nur daß es endlich eine phrasis wäre. „Die liebe GOttes gegen uns decket der sünden menge“, das ist, sie vergibet sie aus gnaden. Unsre liebe gegen Gott solle auch nach geliebten bruders meinung der sünden menge decken in dem verstand, daß sie durch den Glauben die göttliche vergebung annehme. Endlich die bruder=liebe​ bedecket auf angeführte weise. Hier 50 hören wir zwahr eine redens=art,​ aber in allen dreyen propositionibus in solchem ungleichen verstand, daß in der wahrheit nichts als der fall der wort einerley ist unter dreyerley meinung. So will sich hingegen nicht wol fügen, dem Heil. Geist, zuzuschreiben, daß derselbe in einer proposition unter einer phrasi dreyerley gantz unterschiedene sensus intendiret hätte. Daher ich 55 meine, klahr gnung zu seyn, da nichts dieser difcultäten sich fndet, wo wir den gantzen spruch allein von der liebe des nechsten verstehen, daß wir auch bey demselben allein bleiben und ihn nicht weiter extendiren10 sollen. Würde

25 auf: cj ] auch: D. 42 zukommt ] zukömmt: D2+3. ​47 der ] aller: D2+3.

6 Hauptsatz, Darlegung, Thema. 7 Im Sinne von „Formulierung“ oder „die Art, sich auszudrücken“ (DWB 14, 473 f). 8 Spr 10,12 (Luther 1545: „Hass erreget hadder / Aber Liebe deckt zu alle vbertrettunge.“). 9 Im völlig gleichlautenden Sinn. 10 Ausweiten. 768 Briefe des Jahres 1691

er aber weiter extendiret, möchte es nicht anders entschuldiget werden als per 60 accommodationem11, wie man zuweilen bey einem spruch gelegenheit nimmet, von einer materie zu handlen, die man bekennt, nicht eigentlich in dem spruch zu stecken. In welcher sache man gleichwol auch sehr behutsam seyn muß. 3. Was anlangt, ob glaube oder liebe erst bey dem menschen seye, bekenne, 65 daß noch nicht davon weichen könne, da ich jenem den vorzug gegeben. Zwahr gebe ich zu, daß auf erkäntnüß der güte einer sache natürlich die liebe erfolge, daß man sagen solte, wo der erst in der bekehrung stehende mensch GOtt anfängt zuerkennen, daß sein wesen das höchste gut seye, daß nothwendig alsobald eine liebe gegen denselben folgen müste. Aber ich bitte 70 zuerwegen, daß alle unsre liebe nunmehr so verdorben seye, daß sie natürlich die eigenliebe zum grunde hat. Daher mag göttliches wesen unserm verstand nach allen seinen eigenschaften, nach denen es an sich das höchste gut ist, vorgestellet werden, wie es will, so wird doch, als lang der mensch wegen seiner sünden aus der anklage seines gewissens dasselbe also ansihet, daß es ihn 75 verdammen wolle, unmüglich eine liebe gegen dasselbe erwecket werden, sondern allezeit vielmehr der haß bleiben. Das macht, wir lieben in unser verderbnüß nicht dasjenige, was und sofern es an sich selbs, sondern was uns vor unsre person gut ist oder gehalten wird. Daher, ehe der mensch GOtt lernet erkennen, daß er ihm gnädig seye und seine sünde vergeben wolle, so 80 zu dem glauben gehöret, ist ihm unmöglich, dasjenige nur etlicher massen zu lieben, was er ansihet, als zwahr an sich selbs, nicht aber ihm gut: ja alles, was in GOtt herrlich ist, schrecket ihn, weil nemlich alles zu seiner straf mit wircken solle, so gar Gottes güte und barmhertzigkeit erwecket bey ihm keine liebe, sondern verdreust ihn, daß Gott gegen andre so gnädig seye und 85 er doch dessen nicht geniessen solle. Also bleibet der haß allezeit und wächst wol gar, biß er erstlich durch den glauben seinen GOtt und, was in demselben ist, also erkennet und ergreifet, wie er nicht nur in sich, sondern auch ihm selbs, gut seye. Vor diesem ist aus ansehung der verdorbenen eigenen lieb nicht zu begreifen, wie die geringste eigentliche liebe gegen GOtt in dem hertzen 90 seyn könne. Bleibet also dem glauben nicht allein die ehre, daß er allein die gnade und seligkeit annehme, sondern daß die liebe erst auf denselben folge und seine frucht seye. Aus diesem wird geliebter bruder meine meinung gantz deutlich sehen und hofentlich deroselben grund erkennen, von mir aber in liebe aufnehmen, da 95 ich nicht einerley gedancken mit demselben haben können, daß die meinige ofenhertzig darstelle. Der HErr aber gebe immer mehr und mehr sein liecht in unsre seelen, in allen stücken seine wahrheit also zuerkennen, wie es uns zu seiner verherrlichung, eigener und anderer erbauung nöthig ist. 1691.

11 Durch Anpassung. Nr. 170 an [einen kursächsischen Geistlichen?] 1691 769 170. An [einen kursächsischen Geistlichen?]1 Dresden, 16912

Inhalt Übersendung eines Gutachtens, ob ein Stiefvater die Witwe seines Stiefsohns Witwe heiraten darf. Überlieferung D: Ph.J. Spener, Theologische Bedencken 2, Halle a.S. 1701 (21708; 31713), S. 526.

WAs derselbe von dem 25. pass.3 an mich gelangen lassen4, habe empfangen, den casum in der furcht des HErrn erwogen und darauf meine hofentlich wohlgegründete meinung abgefasset: welche ich hiebey übersende5. Könte es ohne beyder personen mercklichen nachtheil und verletzung ihrer gewissen geschehen, daß die sache unterbliebe und derselbige sich eine andere ge- 5 hülfn6 erwehlte, so würde es so fern zu rathen seyn, damit unberichteten7 nicht ein anstoß und ärgernüß gesetzet würde8. Wo aber beyde ihrer resolu- tion9, einander zu heyrathen, gnugsame christliche ursachen, wie in dem schreiben angeführet worden, zu haben glauben, so haben sie in GOttes nahmen sich gehörigen orts anzumelden und zu versuchen, ob sie die dis- 10

1 Nicht ermittelt. Auf Grund der lateinischen Zitate im Gutachten könnte es sich um einen Theologen handeln. Die Bezüge auf kursächsische Verordnungen im mitgeschickten Gutachten sprechen dafür, daß dieser in Sachsen wirkt (dazu Anm. 2 und 5). 2 Die Jahreszahl befndet sich bei dem Gutachten Speners (s. Anm. 5); die in Anm. 1 vermutete Adressatenbeschreibung läßt den Schluß zu, daß Spener dessen Erstellung noch in seine Dresdner Zeit zu datieren ist. 3 passato [mense]. Gemeint ist der 25. des vergangenen Monats. 4 Das Schreiben, in dem Spener um ein Gutachten (dazu s. Anm. 5) gebeten wurde, ist nicht überliefert. 5 Das Gutachten zur Frage, „Ob in casu, da ein stief=​vater seines stief=​sohns wittib heyrathen wolle, die dispensation statt fnde.“ ist abgedruckt in: Bed. 2, 523–526; ohne das mit- gesandte Schreiben ist es wieder abgedruckt in: [J.Ph. Odelen], Allerhand ausserlesene rare und curiose theologische und juristische bedencken von denen heyrathen mit der verstorbenen frauen- schwester, schwester-tochter, brudern-wittwe, brudern-tochter u.d.m. zusammen getragen von D. I. P. O. A. F., Frankfurt und Leipzig 1733, S. 128–132. – Spener weist darauf hin, daß es weder ein göttliches Gebot in der Bibel gibt, nach dem eine solche Ehe eindeutig verboten ist, noch zwingende Schlußfolgerungen aus biblischen Geboten (z. B. Lev 18,8) abgeleitet werden könnten. Er nennt verschiedene theologische Gutachten (darunter solche, die von kursächsischen Kon- sistorien verfaßt wurden) und Aussagen von Theologen zur Sache (auch die sächsische Landes- ordnung von 1555), die sich für oder gegen eine solche Ehe aussprechen. Zudem berichtet er, wie in einigen Orten in solch einer Situation verfahren wird. Er rät dazu, sich am zuständigen Ort einen Dispens geben zu lassen. 6 Gehilfn, nach Gen 2,18 für „Ehefrau“. 7 Solche, die keine (näheren) Informationen über die Angelegenheit haben. 8 Dies wird auch im Gutachten ausführlich behandelt (Bed. 2, 325). 9 Entscheidung. 770 Briefe des Jahres 1691

pensation10 zu erhalten vermöchten. Der stifter der ehe11 und, der alles in seinen händen hat, regiere auch diese gantze sache auf eine oder andre weise, wie er zu seinen ehren und der interessenten12 zeitlich und ewiger wohlfarth, solches ersprießlich zu seyn, erkennet. 15 Hiemit GOtt treulich empfohlen.

10 Eine amtliche Befreiung, einer bestimmten Ordnung Folge leisten zu müssen. 11 Gott (vgl. Gen 2,24). 12 Im Sinne von „Beteiligten“. Verzeichnis der Fundorte

Handschriften

Basel, Universitätsbibliothek Handschriften G I 29: Brief Nr. 159 Berlin, Geheimes Staatsarchiv Rep. 9 K Lit. K: Brief Nr. 151 Coburg, Staatsarchiv LAJ Nr. 232: Brief Nr. 79 Dresden, Landeskirchenarchiv Best. 12: Briefe Nr. 46, 73 Dresden, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Loc 10330/02 Brief Nr. 104 Loc 10330/03 Brief Nr. 93 Loc 7169/07 Briefe Nr. 147, 148 Loc 7425/09 Brief Nr. 53 Dresden, Sächsische Landes‑ und Universitätsbibliothek Mscr. Dresd. c 30 Briefe Nr. 147, 148, 156 Gotha, Forschungsbibliothek A 297: Brief Nr. 79 Gießen, Universitätsbibliothek Handschriften 127: Brief Nr. 25 772 Verzeichnis der Fundorte

Halle a. S., Archiv der Franckeschen Stiftungen A 143: Briefe Nr. 50, 152 A 159: Briefe Nr. 31, 36 A 196: Briefe Nr. 38, 39, 42, 49, 59, 77, 86. 106, 137 D 66: Brief Nr. 92 D 81: Briefe Nr. 29, 136, 140, 150, 155 D 107: Briefe Nr. 11, 30, 45, 60, 74, 95, 111 F 13: Briefe Nr. 17, 31, 32, 36, 43, 52, 61, 85, 90, 96, 98. 102, 142, 158 Hamburg, Staats‑ und Universitätsbibliothek Sup.ep. 4°, 16: Briefe Nr. 56, 128 Sup.ep. 4°, 52 Brief Nr. 81 Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek LBr 883: Brief Nr. 109 Karlsruhe, Landesbibliothek K 321: Briefe Nr. 27, 41, 51 Kiel, Universitätsbibliothek SH 406, A4 Brief Nr. 81 Kopenhagen, Rigsarkivet Arkivnummer 202, Løbenummer 33 Brief Nr. 97 Magdeburg, Landeshauptarchiv Rep. A 20, Tit. IV, Nr. 48: Briefe Nr. 18, 144 München, Bayerische Staatsbibliothek Autogr. Sp. Nr. 100 Brief Nr. 68 Rostock, Universitätsbibliothek Mss. var. 12430 Brief Nr. 84 Rothenburg o.d.T., Stadtarchiv A 1464: Briefe Nr. 2, 14 Verzeichnis der Fundorte 773

Schwerin, Landeshauptarchiv 1 B 23/05, Nr. 2692: Briefe Nr. 3, 4, 23 Tartu (Estland), Universitätsbibliothek Handschriftenabteilung, MS 46, Nr. 160 Brief Nr. 76 Tübingen, Universitätsbibliothek Mc 344: Brief Nr. 54 Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek Cod. Guelf. Extrav. 126.2 Brief Nr. 101

Drucke

Blanckmeister, Franz, Spener in Chemnitz. Beiträge zur Sächsischen Kirchengeschichte, 36, 1927: Briefe Nr. 46, 73 Erbauliches Send=Schreiben D. Philipp Jcaob [sic!] Speners von Lesung heiliger Schrift, auf Verlangen einiger dem Druck übergeben von einem In JESU Lobenden, Halle a.S. 1733: Brief Nr. 35 Fortgesetzte Sammlung von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Leipzig 1750: Brief Nr. 136 Gründliche Erörterung Der Frage / Ob die Collegia pietatis nothwendig / und nützlich / Oder aber unnöhtig [sic!] / unnützlich / ja gar schädlich seyen? Veranlasset Durch ein neulich herauß gegangenes Send=Schreiben Hn. Ph. Lud. Hannekenii […] Eilfertigst auf- gesetzt von Pio Desiderio, o. O. 1690: Brief Nr. 56 Petersen, Johann Wilhelm, Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, […] Als Zeugens der Warheit Christi und seines Reiches, nach seiner grossen Oeconomie in der Wiederbringung aller Dinge. […], [Halle] 1717 (21719): Brief Nr. 145 Schelwig, Samuel, Itinerarium antipietisticum, Stockholm 1695: Briefe Nr. 7, 92 Spener, Philipp Jakob, Tabulae Hodosophicae, seu Celeberrimi et de ecclesia praelare me- riti Theologi D. Joh. Conradi Dannhaweri […] Hodosophia Christiana in tabulas redacte, Frankfurt a. M. 1690: Brief Nr. 22 Spener, Philipp Jakob, Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten, Bd. 1–4, Halle a.S. 1700–1702 (21707–1709; 31712–1715): Briefe Nr. 5. 8. 9. 10. 15. 33. 35. 40. 44. 55. 57. 58. 62. 63. 64. 66. 67. 76. 79. 80. 82. 83. 84. 89. 91. 92. 103. 107. 108. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 141. 145. 148. 153. 154. 156. 157. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170 774 Verzeichnis der Fundorte

Spener, Philipp Jakob, Letzte Theologische Bedencken, Bd. 1–3, Halle a.S. 1711 (21721): Briefe Nr. 1. 17. 18. 19. 24. 31. 32. 34. 36. 40. 43. 47. 50. 52. 61. 65. 69. 70. 79. 85. 90. 96. 97. 98. 100. 102. 105. 142. 143. 146. 147. 152. 158. 160 Spener, Philipp Jakob, Consilia et Iudicia Theologica Latina, Bd. 1–3, Frankfurt a. M. 1709: Briefe Nr. 6. 13. 16. 20. 21. 26. 28. 37. 48. 54. 71. 75. 78. 87. 88. 99. 106. 109. 110. 138. 139. 149 Personen

Achan 454 Asseburg, Gertr(a)ud von der, geb. von Achilles, Andreas​ 40, 585 Albensleben ​ 198, 348 Alberti, Valentin ​72 f, 127, 162, 164, 211, Asseburg, Helena Lukretia von der ​198, 339, 638 348 Amazzones, von (adliges Brüderpaar) ​458, Asseburg, Rosamunde Juliane von der 74,​ 473, 638 198 f, 348, 505, 630, 636 Ambrosius von Mailand​ 662 Athanasius ​ 205, 418 Ammersbach, Heinrich ​ 533 Augustinus ​23, 100, 106, 418, 596 Ananias und Saphira (Apg) ​597 f Ayrer, Caspar ​ 45, 319 Andreä, Johann Michael ​430 Ayrer, Elisabeth ​ 45 Andreae, Johann Valentin ​ 520 Anhalt-Köthen, Anna Eleonora, Fürstin Baden-Baden, Ludwig Wilhelm, Markgraf von 41 von 293 Anhalt-Köthen, Emanuel, Fürst von ​ 41 Baden-Durlach, Augusta Maria, Mark- Anna Ursul ​ 49 gräfn von, geb. Holstein-Gottorf ​386 Anton Paul ​Nr. 29, 136, 140, 150; Baden-Durlach, Friedrich VII Magnus, S. 40, 111, 138, 161, 211, 313, 338, Markgraf von ​9, 379, 386 585 Baier, Johann Wilhelm ​56, 121, 122 Anton, Johanna Elisabeth, geb. Olearius ​ Balduin, Friedrich ​ 22, 70, 97, 158 131, 633, 679 Bancelin, François ​ 176 Apollinaris von Hierapolis ​ 405 Bandeco, Daniel ​ 687 Aquila​ 308 Bansa, Anna Catharina, geb. Heimann 44​ Arcularius, Johann David​ 47 Bansa, Johann Matthias ​48, 137 Aristoteles ​ 333 Barckhaus, Hermann​ 675 Arminianer (Arminianismus) ​175, 193, Barclay, Robert ​ 247, 474 226, 267, 337 Barnabas ​ 141 Arminius, Jacobus ​ 193 Barradas, Sébastien ​ 763 Arndt, Johann​ 55 f, 97, 250, 412, 416 f, Barthels (Frau) ​269, 321 426, 520, 533, 715, 729, 733, 738 Barthels, Anna ​269, 321 Arnold, Adam ​48, 137, 507 Barthels, Heinrich ​ 269 Arnold, Gottfried 44,​ 112, 256, 286, 318, Barthels, Remigius (Remy) ​ 269, 321 495, 637 Barthol, Ludwig Friedrich 169,​ 260, Arnold, Johann Gerhard ​224 343–345, 392, 435 Aspremont-Lynden, Grafen von ​493 Bathseba (Ehefrau Davids) ​ 290 Asseburg, Auguste Dorothee von der ​198, Bauer, Katharina ​ 43 348 Bauer, Reinhard ​ 43 Asseburg, Christian Christoph von der 348 Baur von Eysseneck, Anna Maria ​43 Asseburg, Familie von der 391, 474, 504 f, Baur von Eysseneck, Heinrich Carl 43​ 666 Baur von Eysseneck, Johann Vincenz ​ 43 776 Register

Baur von Eysseneck, Johannes Achilles 43 Brandenburg, Sophie Charlotte, Kurfürstin Baur von Eysseneck, Maria Juliana von 43​ von, geb. Herzogin von Braunschweig- Bebel, Balthasar ​ 533 Calenberg​ 221, 681 Bechmann, Friedemann ​ 121 Brandenburg-Bayreuth, Christian Ernst, Becker, Christian ​ 195, 196, 318 Markgraf von ​ 469 Beckmann, Detlev ​587, 589 Brandenburg-Bayreuth, Christiane Behming („Jungfer“) (→ Lehming) Eberhardine, Prinzessin von ​ Bengel, Johann Albrecht​ 43 Nr. 105 Berckau, Heinrich ​ 72, 134 Braunschweig-Calenberg, Ernst August, Berg, Nikolaus ​ 56 Herzog von ​ 496, 681 Berliner Predigerministerium ​ Braunschweig-Lüneburg-Celle, Georg Nr. 153 Wilhelm, Herzog von ​171, 203, 472 Bernhard, Christoph ​Nr. 132 Braunschweig-Wolfenbüttel, Rudolf Betke (Beets), Heinrich ​76 August, Herzog von Beuthner, Christian ​ 718 Braunschweig-Wolfenbüttel, Rudolf Beyer (Herr Dr.) ​331 August, Herzog von ​Nr. 101; S. 79, Bilefeld, Christian​ 310, 316 121, 122, 124, 129, 209, 210, 473, 638 Bilefeld, Johann Christoph ​Nr. 72, Breckling, Friedrich ​ 244 108; S. 498, 502 Breithaupt, Joachim Justus ​Nr. 13; Birnbaum, Christian Gotthelf ​ 47, 115, S. 211, 216 f, 264, 272, 368, 504, 638 317, 465, 506 Breving, Johann 23,​ 70, 87, 93 f Birnbaum, Christina Charlotta ​47 Brieg, Johann Christian, Herzog von ​530 Birnbaum, Elisabeth Sybille, geb. Spener ​ Brochmand, Jesper Rasmussen (Caspar 47, 506 Erasmus) ​ 101, 613 Bleibtreu, Johann Philipp (auch: Meyer, Bromley, Thomas ​244, 251 f Aaron)​ 42 Brummer (Leipziger Kaufmannsfamilie) ​ Böhme, Jakob ​ 135, 144, 147, 149–151, 498 168, 211, 252, 282, 286 f, 404 f, 466, Brunnquell, Ludwig (Scaturigius) ​85, 136, 473, 474, 500, 520 f, 529 192, 445 Böhmische Brüder​ 663 f Bucer, Martin​ 385 Böhmisten ​ 135, 287 Bülow, Wolfgang Anton von​ 124 Born, Jakob ​ 428 Bürgermeister und Rat zu Berlin ​ Born, Martin ​ 315 Nr. 154 Börner, Johann Georg​ 19, 428 f Burnet, Gilbert ​ 494 Borschmidt (Frau)​ 50 Bussche, Albrecht Philipp von dem ​497 Böse, Johann Georg ​ 551 Büttner, Johann Georg ​ 47 Brandenburg, Friedrich III., Kurfürst von ​Nr. 151; S. 221, 238, Caesar, Gaius Julius ​ 641 241 f, 260, 265, 266, 285, 507, 678, 681, Calixt, Friedrich Ulrich ​213, 435 684, 685, 687 f, 690, 693, 697, 720 Calixt, Georg ​345, 675 Brandenburg, Friedrich Wilhelm (I.), Callenberg, Curt Reinicke (II.), Graf von ​ Prinz von (Der „Soldatenkönig“) ​ 260, 343, 344, 435, 575, 608 681 Callenberg, Ursula Regina, geb. von Brandenburg, Friedrich Wilhelm, Friesen, Gräfn von ​ 343, 607 Kurfürst von ​ 238 Calov, Abraham ​67, 70, 100, 150, 151, Brandenburg, Georg Wilhelm, 168, 285, 479, 481, 605 Kurfürst von​ 256 Calvisius, Seth ​ 81 Brandenburg, Johann Sigismund, Cano, Melchior ​ 763 Kurfürst von ​ 175, 693 Care, Andreas ​ 40 Brandenburg, Luise Dorothea Sophie, Carpzov, Johann Benedikt ​6 Prinzessin von​ 681 Personen 777

Carpzov, Johann Benedikt (II.) 6, 142, Eberhard, Conrad Hieronymus 45,​ 50, 58, 184 f, 228, 232, 315, 460 f, 465, 466, 134, 193, 269, 322, 392, 432, 502 724 Eberhard, Katharina Elisabeth ​137, 269, Carpzov, Samuel Benedikt ​6 f, 18, 19, 60, 322, 432, 435 71, 263, 460, 570, 572, 677, 697 Ecclitius (Frau) ​ 506 Chemnitz, Martin ​157 f, 314, 479, 533 Ecclitius, Christian Gottfried 50,​ 194 Clemens Alexandrinus ​ 405 Ecclitius, Nathanael ​50, 194, 506 Coler, Johann(es) ​ 499 Ecclitius, Philippina Margaretha ​ 194 Comenius, Johann Amos ​ 256 Edzard, Esdras ​ 228, 683 Cramer, Daniel ​ 156 Edzard, Sebastian ​ 400 Crasselius, Bartholomäus ​ 397 Egard, Paul ​ 533 Crasselius, Johann ​Nr. 35; S. 397 Ehrhardt, Johann Jacob ​ 42 Crusius, Georg Andreas ​ 695 Elers, Heinrich Julius ​ 40 Cyprian ​ 596 Emmel, Johann ​ 77 Endter, Johann Andreas ​ 79 Danckelmann, Daniel Ludolf von ​ 266 Endter, Wolf Moritz ​ 79 Dänemark, Friedrich III., König von ​ 373, Erasmus von Rotterdam ​ 381 438, 621 Erfurter Rat der Stadt Nr.​ 52 Dänemark, Georg, Prinz von ​ 330 Este (Adelsfamilie) ​458, 493 Dänemark, Hedwig Sophie, Prinzessin Este, Azzo von ​ 493 von​ 704 Estella, Diego de 763​ Dannhauer, Johann Conrad ​4, 28, 57, 68, Eyben, Huldrich von ​ 388 93, 95, 114, 128 f, 205, 232, 257, 314, 384, 434, 533, 568 f, 591, 592, 597, Fabricius, Andreas ​ 632 613 Fecht, Johann, Nr. 84; S. 9, 11, 109, Dassov, Nicolaus ​ 19 110, 224, 540, 591 Dassov, Theodor, ​ 17, 19 Feller, Joachim ​ 72, 102 David (atl. König) 290,​ 426, 488, 503, Fende, Christian ​192, 321, 475 641, 703, 711 Ferdinand II., Kaiser ​ 493 Demas ​ 534 Festus (röm. Statthalter) 245​ Deutschmann, Johann Nr.​ 16 Feustel, Christian ​Nr. 155 Dieckmann, Johann ​ 20 Fichard, Hans Christian ​43 Dilfeld, Georg Conrad ​87, 488, 660 Fichard, Johann Maximilian von ​43 Dionysios IV. Muselimes, Patriarch von Fiedler, Kaspar ​ 634 Konstantinopel ​472, 475, 637 Fischer, Johann Nr.​ 25; S. 115, 473 f Dionysius der Kartäuser ​763 Flacius Illyricus, Matthias 157,​ 481, Dornemann, Heinrich​ 587, 589 483 Dornkrell von Eberhertz, Jacob ​124 Fleischer, Tobias Nr​ . 76 Dorsche, Johann Andreas​ 115 Flemming, Heinrich Heino von ​ 237 Dorsche, Johann Georg​ 232 Förtsch, Michael ​ 386 Drabicius (Drabik), Nikolaus ​ 256 Fox, George ​ 32 Dreier, Christian​ 237 Francisci, Martin ​ 344, 435 Dunt, Gerhard​ 646 Francke, Anna, geb. Gloxin ​ 372 Dunt, Gustav​ 646 Francke, August Hermann ​ 17, 40, 62 f, Durie, John ​ 101 72 f, 111, 129 f, 133, 134, 141 f, 155, Dyke, Daniel, 581 161, 169, 206, 211, 211, 217, 264, 271 f, 280, 313, 331, 338, 360 f, 371 f, Eberhard genannt Schwind, Johann 391, 434, 441 f, 453, 463, 495, 504, Hieronymus ​ 45 587, 638, 695 Eberhard, Anna Elisabeth, geb. Ayrer ​44, Francke, Johannes Simon ​ 77, 142 f 45, 269, 319, 322, 392, 431, 501 Franckenberg, Abraham von ​ 529 778 Register

Franckenstein, Christian Gottfried 295 f, Gleditsch, Johann Friedrich ​223, 224 300 Gleiner, Gottlieb Benjamin ​34, 40, 134. Frank, Christoph​ 371 155, 317, 372 Frankreich, Ludwig XIV., König von ​ 176, Gloxin, Henrich ​ 372 183, 334, 337, 377, 428, 461, 704 Glück, Johann Ernst ​ 117 Freiesleben, Johann Bartholomäus ​ Goliath ​ 503, 641 Nr. 69 Görlin, Anna Katharina, geb. Humm ​ 137 Freylinghausen, Johann Anastasius ​ 414 Görlin, Johann ​ 137 Friedel, Andreas ​40, 372, 434 Grabow, Georg ​324, 326 Friedleben, Amadeus von (→ Francken- Graßer, Catharina, verw. Perschbecher, berg, Abraham von) geb. zum Damm ​49 Friedrich III., Kaiser ​ 255 Graßer, Johann ​ 49 Friesen von (Familie) ​ 287 Green, Georg ​ 697 Friesen, Carl Freiherr von ​71, 150, 168, Gregor der Große ​763 191 Gregor von Nazianz ​ 257 Friesen, Heinrich Freiherr von ​ 202 Großgebauer, Theophil ​551, 552 f, 555, Friesen, Henriette Amalia, Freifrau von ​ 619 608 Grote zu Schauen, Otto, Freiherr von ​497 Friesen, Johanna Christina, Freifrau von ​ Grotjahn, Henricus​ 116 608 Grünthal von (Familie) ​76, 77 Fritsch, Ahasver ​Nr. 94; S. 50, 74, 604, Guld(t)e, Johann ​47, 135 714–716 Fritsch, Johann Friedrich ​ 223 Habichhorst, Andreas Daniel​ 90 Fritsch, Thomas ​ 224 Hamel, Eberhard​ 34 Fuchs, Paul von ​264 f Hanneken, Philipp Ludwig​ 228–230, 233, 235, 267, 321, 360, 385 Gaulicke, Christian ​ 169 Hardt, Hermann von der Nr.​ 27, 41, Geheimer Rat des Herzogtums Württem- 51; S. 33, 62, 155, 317, 346, 370, 371, berg ​ 53 473, 489, 452, 587, 695 Geheimer Rat des Kurfürstentums Haro, Alonso López de ​297 Sachsen Nr​ . 148; S. 111, 184, 219, Harting, Hinrich Leopold ​ 506 302, 311, 376, 454, 460, 478, 507, 677, Harting, Ilsabe Dorothea, geb. Günter ​ 506 684, 692 f Hartnack, Daniel ​Nr. 20, 28; S. 193, Gehming (Jungfer) (→ Lehming) 207 f, 226, 267, 310, 337, 373, 374, 384, Geier, Martin​ 82, 429, 692 488 Gemmingen, Weiprecht von ​ 286 Hassel, Johann Heinrich ​Nr. 79 Gerber, Christian ​ 644 f Hattenbach, Johann Georg ​ 40 Gerdes, Henning Johann ​46, 310, 315 Haub (Frau) ​ 48 Gerhard, Johann​ 22, 70, 97 f, 99, 156, Hauptmann, Georg ​ 274 158, 168, 533, 755, 763 Hedinger, Johann Reinhard ​ 181 f Gersdorf von (Familie) ​ 287 Heermann, David 749,​ 753 Gersdorf, Henriette Catharina, Baronin Heermann, Johann ​ 755 von 150, 187, 191, 219, 287 Heigel, Johann 76–79,​ 123 Gersdorf, Nicolaus (II.), Baron von ​15, Heigel, Johann (Bäcker) 76,​ 77, 123 177, 191, 219, 670 Heiler, Günter ​ 48 Gerth (Gers, Gerthius), Johann Heinrich ​ Heimburger, Daniel David ​ 687 116, 211, 315 Heine, Matthias ​ 199 Gerwig, Lorenz ​ 94 Heinich, Johann ​ 40 Gichtel, Johann Georg ​244, 286, 520 Helmont, Franciscus Mercurius van 247,​ Gideon (atl. Richter) ​641 329 Glassius, Salomon​ 156, 533 Personen 779

Hemming, Nicolaus (Hemmingsen, Niels) ​ Hubner ​ 7 70, 99, 100 Hude, Hermann von der 256​ Henrici, Johann Rudolf ​50 Hugenotten ​174, 176, 225 Hentschel, Georg Christoph ​ 413 f Hülsemann, Johann ​ 310 Herberger, Valerius​ 427 Humm, Anton ​ 137 Herbst (Frau), geb. Mohl ​46 Hunnius, Aegidius ​ 22, 92, 99, 101, 481, Herzog, Johann Ernst​ 302 483, 761 Hesse, Johann Silvester ​ 504 Hunnius, Nicolaus ​ 733, 735 Hessen-Darmstadt, Elisabeth Dorothea, Hus, Jan​ 664 Landgräfn von ​ 233 Hussiten, 663 Hessen-Darmstadt, Ernst Ludwig, Land- Huth, Christoph ​ 77 graf von ​ 228, 233 Hessen-Darmstadt, Magdalena Sybille ​ 53 Imhof, Georg Paul 298​ Hessen-Kassel, Friedrich, Landgraf von ​ Imhof, Jakob Wilhelm Nr.​ 68 681 Imhof, Wilhelm (III.) ​ 298 Hieronymus ​ 479 Irenaeus ​ 405 Hilbert, Anna Elisabeth ​ 50 Hilbert, Anton​ 50 Jacobi, Adam Christoph ​ 18 f, 71 Hilbert, Johann Friedrich ​50, 751 Jäger, Johann Wolfgang ​ 185, 461 Hilbert, Maria Elisabeth, geb. Purgold ​ 50 Jansen, Cornelis ​ 763 Hildebrandt, Joachim ​167, 170 Jentsch, Abraham 14​ Hilliger, Johann Wilhelm ​Nr. 46, 73; Jeremias (atl. Prophet) ​742 S. 47 Jesuiten ​258, 495, 653 Hilscher, Paul Christian ​ 724 Johannes der Täufer ​ 742 Himsel, Gebhard ​ 116 Johannes Markus ​ 141 Himsel, Ingbor Elisabeth​ 116 Jonas, Justus ​ 210 Hinckelmann, Abraham ​144 f, 194, 267, Joris, David (Georg, David) ​637 268, 320, 369, 402 f, 434, 502, 587 Judas Ischarioth ​576, 581 Hiob ​ 567 Juden ​153, 356 f, 480, 513, 602, 731, 736, Hirsch, Johann Nr​ . 92; S. 482 767 Hoburg, Christian ​ 247, 520 Jung, Johann Heinrich ​41, 135, 187, 193 Hochstetter, Andreas Adam ​181, 182, 184 Jungen, Anna Maria zum ​298 Hochstetter, Johann Andreas ​ 181 Jungen, Daniel zum ​ 298 Hoë von Hoënegg, Matthias​ 146, 150, Jungen, Johann Maximilian zum ​ 297 f 533 Justin Martyr ​ 405 Hofmann D. (Schwager) ​ 714 Hogel, Immanuel (Emanuel) ​264 Karigs, Elisabeth​ 169 Hogel, Zacharias d. J. 217, 264 Katholiken, römische (Papisten; Papstum; Hohenheim, Theophrast Bombast von „Babylon“) ​14, 20, 22 f, 32, 55, 58 f, 71, (→ Paracelsus) 78, 94, 96, 227, 253, 258, 286, 336 f, Holstein-Sonderburg, Elisabeth 340, 346, 349, 353, 388, 454, 457, 469, (→ Sachsen-Weimar, E. von) 494, 553, 613, 641, 652, 656, 729, 759, Holtzhausen, Johann Christoph​ 47, 228 763 Holtzhausen, Johann Moritz 48,​ 269 Kirch, Gottfried ​ 372 Horb (Sohn) ​ 649 Kißner, Anna Elisabeth Nr.​ 11, 30, 45, Horb, Johann Heinrich ​Nr. 32, 33, 60, 74, 95, 111; S. 21, 187, 198, 244, 141; S. 87, 118, 269, 320, 321, 369, 282, 291, 293, 304, 392, 630 373, 402 f, 405, 434, 489, 498 f, 502, Kißner, Anna Elisabeth (Tochter) 44,​ 269, 503, 637, 715 322, 432, 435 Horb, Sophia Cäcilia, geb. Spener​ 144 Kißner, Conrad Hieronymus 44,​ 269, Horn, Friedrich Wilhelm von​ 32 322, 432, 435 780 Register

Kißner, Johann 39, 137, 432 Ludecus (Lüdke, Lüdecke), Christian Klauer, Christian ​ 47, 77 Philip​ 345 Klimper, Johann Georg ​318 Luther, Martin ​4, 17, 19, 20, 23, 25, 27, Knauer, Samuel ​Nr. 15; S. 40 36, 76, 96, 103 f, 122, 127, 152 f, 210, Knauth, Johann ​Nr. 159 255, 257, 280, 284, 335 f, 385, 397, 400, Knefel, Abraham ​ 14 410, 411, 414, 416, 417 f, 449, 466, Knoch(e), Hans Ernst von 479 f, 518, 519, 526, 545, 557, 596, Knoche, Hans Ernst von ​Nr. 83; S. 18, 597, 600, 616, 662–665, 709, 737, 762, 184, 219, 460, 461,670 760 Knorr von Rosenroth, Christian ​ 247 Lutheraner (lutherische Kirche, „die Uns- Köpke, Balthasar​ 71, 93, 130, 248, 345 rigen“) ​22, 70, 97, 105–108, 129, 152 f, Korakion ​ 405 253, 266, 274, 322, 349, 388, 418, 449, Kortholt, Christian ​Nr. 81; S. 82, 121, 457, 513, 591, 613, 631, 675, 691, 693, 198, 255, 347, 505 713, 728, 745, 759 Kotter, Johannes​ 256 Lütkemann, Joachim ​ 417, 533 Kregel, Johannes ​ 256 Lütkens, Franz Julius ​Nr. 152 Kröhner (Kröner), Joseph 7,​ 60 Lyser, Polycarp (II.) ​98, 158 Kromayer, Augustin Friedrich​ 217, 264 Marcien, Lorenz ​ 49 Kuhlmann, Quirinus ​ 150, 500 Masius, Hektor Gottfried ​314 Kulpis, Johann Georg ​Nr. 43, 102; Mauritius, Erich​ 388 S. 370 May, Johann Heinrich ​Nr. 55, 56; S. 44, 90, 235, 267, 268, 321, 360, 503 Labadisten ​ 475 Mayer, Johann Friedrich ​21, 149, 386, Lactanz ​ 405 403, 404, 489, 503, 636, 678, 695 Lado (Ladovius, Ladau), Matthias ​113, Mecklenburg-Güstrow, Gustav Adolf, 114, 115 Herzog von ​Nr: 3, 4, 23; S. 36, 37, Lado, Johann (Heinrich) ​ 113 381 Lange, Johann Christian​ 40, 638 Medici, Anna Maria Lucia de‘ ​469 Lange, Nikolaus ​32 f Meinders, Franz von Nr.​ 57; 260, 265, Langeian, Petrus Jacobus 391​ 266, 287 Lascaris (Lascarius), Mercurius 347​ f, 472 f, Meinig, Martin ​ 63 637 Meisner, Balthasar ​ 168 Leade, Jane​ 251 Meisner, Johann George ​ 17, 18 f Lehmann, Georg ​6, 60, 139, 344 Meisner, Johann(es) 18,​ 19 Lehmann, Johannes ​ 427 Melanchthon, Philipp​ 99, 381 Lehming (→ Gehming, Behming,) Melito von Sardes ​ 405 („Jungfer“)​ 49 Merian, Matthäus ​223 Leibniz, Gottfried Wilhelm ​Nr. 109, Merlau, Johanna Eleonora von (→ Peter- S. 247, 498, 675 sen, Johanna Eleonora) Leighton, Robert ​ 494 Metzendorf, Matthias , 135, 348, 638 Leopold I., Kaiser ​4, 15, 227, 653 Mey(e)r, Aaron (→ Bleibtreu, Johann Lersner, Johann Maximilian ​42, 137 Philipp) Leutwein, Christian Philipp 269,​ 320 Meyer, Aaron (→ Bleibtreu, Johann Licht(en)stein, Georg Philipp ​ 688 Philipp) Lichtenberger, Johannes ​ 255 f Michael(is), Anna Dorothea, geb. Stoll ​ Lindner (Magister)​ 131 392, 433 Liscow, Salomo ​ 112 Michael(is), Martin 45​ f, 135, 392, 431, Löscher, Caspar ​68 f, 232, 233 433 Lubin, Eilhard (Lübben, Eilert) ​158 Michael, Johann Martin ​ 47 Lucius, Johann Andreas​ 71 Misler, Johann Hartmann ​Nr. 75 Personen 781

Misler, Johann Nikolaus 324 Olearius, Johannes ​Nr. 31, 36; S. 72, Mitternacht, Christoph ​ 47 92, 131, 164, 466 Moebius, Georg ​72, 361 Opitz, Heinrich ​ 313, 486 Mohr, Anton Christian ​ 47 Origenes​ 596 Mohr, Johann Conrad ​ 688 Osiander, Johann Adam ​ 185 Molanus, Gerhard Wolter ​ 675 Osiander, Lucas ​ 156 Molinos, Miguel de ​494–496, 729 Otho (Otto), Johann Heinrich ​ 58 Möller, Caspar​ 124, 134, 317 Mose ​99, 103 f, 676, 756 Packbusch, Christian ​ 506 Müller, Anna Sybilla ​47, 193, 267, 501 Packbusch, Clara Sophia, geb. Birnbaum ​ Müller, Daniel​ 224 506 Müller, Heinrich ​ 417, 533 Packbusch, Johann Gottfried ​506 Müller, Jacob ​ 47 Palow, Philipp ​ 22 Müller, Johann Ernst ​ 40 Papias​ 405 Münch, Gerhard ​ 688 Papisten (→ römische Katholiken) Münch, Johann Anselm ​ 48 Paracelsus (Hohenheim, Philippus Theo- Müntzer, Thomas​ 662 phrastus Aureolus Bombastus von) 45​ , Musculus, Wolfgang​ 568 520 f Passmann, Hieronymus ​ 34 N. (Unbekannte Empfänger) ​Nr. 5, Patrick, Daniel ​ 48 8, 17, 19, 21, 22, 24, 34, 40, 44, 58, Patrick, Elisabeth, geb. Schmidt ​ 48 61. 62, 63, 64, 66, 78, 82, 85, 87, Patrick, Georg Friedrich ​48 88, 89, 91, 96, 98, 99, 100, 107, 112, Paulus (Apostel) ​13, 72, 58, 93, 100 f, 107, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 141, 245, 254, 335, 360, 370, 439, 394, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 478–480, 525, 534, 535, 582, 620, 660, 127, 128, 129, 130, 131, 135, 138, 744, 749, 760 158, 163, 164, 165, 166, 167, 168, Pelargus, Christoph ​256, 684 169, 170 Peters, Franz Wilhelm ​ 42 Nagel, Melchior​ 48 Peters, Thomas ​ 42 Nathan (atl. Prophet) ​ 290 Petersen, August Friedrich 170,​ 172, 182, Neefe, Arnold Christoph ​ 197 202, 260, 348, 392, 475, 639 Neitzschütz, Magdalena Sybille ​ 221 Petersen, Familie ​505, 636, 638 Neitzschütz, Ursula Margarethe, Baronin Petersen, Georg ​ 471 von​ 221 Petersen, Johann Wilhelm Nr.​ 26, 38, Nero (röm. Kaiser) ​744 39, 42, 49, 59, 77, 86, 106, 137, 145; Neumann, Johann Caspar​ 302 S. 31, 62, 84 f, 124, 135, 194, 198 f, 208, Nicolai, Johann Georg​ 19, 71, 428 209, 214, 268, 321, 322, 434 f, 396, Nikolaus von Lyra ​763 404, 489, 506, 587, 666 Nörner, Georg​ 634 Petersen, Johanna Eleonora Nr.​ 146; Nostitz, Caspar Christoph von ​718 S. 118, 120, 170, 172, 182, 194, 202, Nostradamus, Michel de ​ 256 208, 260, 268, 321 f, 348, 392, 474, 603, 638 Oberdorfer (Frau), geb. Gerber ​644 f Petersen, Magdalene, geb. Praetorius ​ 471 Oberdorfer, Johann Caspar 644​ Petrus (Apostel) ​ 581, 582, 583, 597, 758 f, Oberdorfer, Kaspar​ 644 762, 767 Ochs, Elisabethe, geb. Clemm ​ 137 Pfalz, Elisabeth von der, Äbtissin ​ 247 Ochs, Johann Christoph 137,​ 213, 269 f Pfalz, Johann Wilhelm, Kurfürst von der ​ Ochs, Johann d. Ä. ​ 137 469 Oesterreich, Maria Anna Josepha, Erz- Pfalz-Birkenfeld, Christian II., Pfalzgraf herzogin von ​ 469 von​ 278 782 Register

Pfalz-Birkenfeld, Johann Carl, Pfalzgraf Rebe, Zacharias ​ 587 von ​ 278 Rechenberg, Adam ​ 5, 7, 40 f, 42, 46, Pfalz-Veldenz, Leopold Ludwig, Graf von ​ 60, 62 f, 68, 73, 86 f, 92, 111, 117, 228 131, 138 f, 142, 164, 179, 183 f, Pfeifer, August ​348 191, 210–212, 216, 224, 237, 268, Pfeifer, Franz Julius ​397 296, 302, 307, 322, 324, 347, 364, Pfeifer, Johann Gottlob ​ 384 374, 472, 376, 381, 385, 396, 431, Pfeifer, Johann Lorenz ​504 461, 465, 472, 489, 498, 502 f, 638, Pfeifer, Julius Franz ​199, 348, 391, 397 673–675, 678, 692 Pfuel, Johann Ernst ​Nr. 10; S. 11 Rechenberg, Jacob Dittrich ​ 47 Philippus (Apg.) ​ 583 Rechenberg, Susanna Katharina ​42 Pietisten (Pietismus, pietistisch) 40​ f, 49, Reformierte (reformiert) 152,​ 153, 62, 69, 72–74, 92, 111, 112, 124, 129 f, 174–176, 225, 254, 266, 459, 530, 591, 134, 139, 140, 141, 144, 169, 190 f, 613, 664, 675, 693, 745, 762 205, 213, 225, 226, 235, 240, 247, 263, Reichenbach, Marie Sophie, Baronin von ​ 267, 269, 271, 280, 300, 311 f, 320, 194, 204, 267 f, 346, 505 329, 338 f, 344, 352, 360 f, 364, 371 f, Reineck, Catharina Elisabeth ​319 376, 381, 383, 398, 399, 428 f, 434, Reineck, Hermann ​ 319 435 f, 440–443, 453, 454 f, 466, 488, Reinhold, Jakob ​ 27 490, 518, 538, 551, 559, 563, 575, Reisenberg (Herr) ​ 679 585, 587, 603, 638, 660, 724, 741 Reißner, Adam ​ 45, 137, 244, 256 f Polycarp von Smyrna ​ 385 Reuchlin, Johannes ​ 45 Popp, Anton ​ 49 Rhetz, Johann Friedrich von ​ 266 Popp, Catharina ​ 49 Richter, Georg ​ 111 Popp, Juliana Catharina 49​ Rist, Johann ​ 332 Poppelieren, Johann von den​ 47, 77 Ritter (IV.), Johann Balthasar ​ 688 Pordage, John ​ 251 Ritter (V.), Johann Balthasar ​ 47 Praetorius, Elias (Pseudonym für: Ritter, Christian ​610, 615 f → Hoburg, Christian) ​ 246 f Rittmeyer, Johann ​ 214 Praetorius, Stephan 151,​ 289, 290 Rittner, Andreas ​ 687 Prasch, Johann Ludwig Nr.​ 65; S. 274 Rivinus, Tilemann Andreas ​ 162 Pretten, Adam ​ 618 Römische Katholiken (→ Katholiken, Promnitz, Siegmund Siegfried, Graf von ​ römische) 304 Rosenkreuzer ​ 520 Protestanten ​96, 673, 676 Röser, Jakob ​ 81 Püchler, Michael ​135 f, 282–288 Röser, Theophil​ 618 Pufendorf, Samuel von ​Nr. 149; Rothe, Abraham ​ 344 S. 237 Rothenburger Rat der Stadt Nr.​ 2, 14 Quäker (Quäkerei) ​ 32 f, 211, 233, 247, Rudrauf, Kilian ​ 314 322, 336, 365, 384 f, 410, 474 Rümpler, Johann ​ 317 Quietisten (Quietimus) ​385, 410, Runckel, Johann Vincent 193,​ 267 494–496, 729 Sachsen, Anna Sophia, Kurfürstin von ​ Rahel (Jungfer) ​ 49 Nr. 134; S. 18, 192, 257, 302, 341, 373, Rango, Conrad Tiburtius ​ 19, 385, 410 438, 706, 712 Ranow und Bieberstein, Graf von​ 383 Sachsen, Friedrich August, Kurprinz Rappolt, Friedrich ​ 102 f, 104, 105 von (August der Starke) Nr.​ 157; Rassler, Maximilian ​ 495 S. 18, 131, 469, 610 Raumburger, Anton​ 50 Rebe, Friedrich​ 587 Personen 783

Sachsen, Johann Georg (IV.), Kur- Scharden, Levin ​ 690 prinz von ​Nr. 156; S. 18, 40, 205, Scharf, Heinrich Wilhelm ​173, 194, 268, 221, 610 476, 638 Sachsen, Johann Georg I., Kurfürst von ​ Schefer, Johann Peter ​39, 134, 187, 193 150, 653 Schefer, Johannes (Angelus Silesius) ​ 287 Sachsen, Johann Georg II., Kurfürst von ​ Schellendorf, Johanna Margarethe, Baronin 653 von ​49, 202, 204, 221, 346 Sachsen, Johann Georg III. Kurfürst Schellendorf, Maximilian, Baron von 202​ von ​Nr. 1, 53, 93, 104, 142, 147, Schelwig, Samuel Nr.​ 7; S. 382, 413 160; S. 19, 37, 87, 122, 133, 238, 240, Schertzer, Johann Adam ​ 185 261, 264 f, 302 f, 311, 322, 344, 347, Schild, Johann Philipp ​321 377, 390, 453, 461, 507, 588, 621, 635, Schilter, Johann​ 385 638, 656, 661, 670–672, 677 f, 680, 684, Schindler, Johann ​ 687 688, 690, 692 f, 697 Schleif (Jungfer) ​ 49 Sachsen, Magdalene Sibylle, Kurfürstin Schleswig-Holstein, Philipp Ludwig, von 18 Herzog von ​ 302 Sachsen-Gotha(‑Altenburg), Ernst, Herzog Schleswig-Holstein-Gottorf, Christian von 73, 156, 210 Albrecht, Herzog von ​373 Sachsen-Lauenburg, Julius Franz, Herzog Schleswig-Holstein-Gottorf, Friederike von 4 Amalie, Herzogin von ​373 Sachsen-Merseburg, Christian I., Herzog Schlitz genannt von Görtz, Friedrich von 311 Wilhelm, Graf von ​497 Sachsen-Weimar, Anna Dorothea, Schlosser, Johann Philipp ​152, 268, 321 Äbtissin in Quedlinburg ​Nr. 18, Schmid, Johann Adam ​139, 179, 181 144 Schmidt (Frau) ​ 49 Sachsen-Weimar, Elisabeth, Herzogin, geb. Schmidt, Christoph ​ 690 Holstein-Sonderburg ​ 80 Schmidt, Johann 179,​ 181, 600 Sachsen-Weimar, Johann Ernst II., Herzog Schmidt, Johann Adam ​139, 179, 181 von 80 Schmidt, Johann Andreas ​ 122 Sachsen-Weimar, Johann Ernst, Schmidt, Sebastian 102,​ 158, 174, 176, Herzog von Nr.​ 133 420, 483 f, 540 Sachsen-Weimar, Wilhelm Ernst, Herzog Schmidt, Silvester ​ 48 von 618 Schomer, Justus Christoph ​232, 382, 638 Sachsen-Zeitz, Moritz, Herzog von​ 73, Schön, Michael ​ 427 210 Schönau, Johann Heinrich von 475​ Sagittarius, Capar 391,​ 473 Schöning, Hans Adam von ​ 237 Sagittarius, Christfried ​ 77 Schrader, Johann Ernst ​260, 264, 684, 687 Salemann, Elisabeth, geb. Himsel​ 116 Schreiter, Christoph Daniel ​ 111 f Salemann, Joachim (jun.) ​ 115 Schröder, Christian ​ 690 Salemann, Joachim (sen.) ​115 f Schultz, Valentin ​ 663 f Salmeron, Alfonso​ 763 Schultze, Samuel ​ 144, 145, 320, 403, 605 Salomo (atl. König) ​158, 519, 767 Schumann, Joachim ​ 315 Sandhagen, Caspar Hermann ​209, 286, Schumann, Joachim Martin 92,​ 138, 139, 310, 315, 355, 373, 374, 488, 683 141, 160, 272, 310, 315 Sandhagen, Johann Gabriel ​ 506 Schütz, Heinrich ​ 610 Sarcerius, Erasmus​ 613 Schütz, Johann Jakob 31,​ 51, 192, 266 f, Saubert, Johann​ 383 320, 475 Sauer, Nicolaus ​ 380 Schwartz, Adelheit Sybille ​ 348 Sauerbier, Johann Matthias ​ 372 Schwartz, Josua 373,​ 374 Schade, Johann Caspar ​40, 111, 112, 169, Schwarzburg-Rudolstadt, Albert Anton, 338, 361, 372, 442 Graf von ​ 496 784 Register

Schweden, Hedwig Eleonore, Königin Spener, Johann Jakob (Sohn) Nr.​ 110, von 116 139; S. 496 f, 506 Schweden, Hedwig Sofe, Prinzessin von ​ Spener, Philipp Reinhard ​ 299 439 Spener, Susanne ​42, 46, 137, 213, 322, Schweden, Karl (XII.), Prinz von ​439, 616 380, 476, 508, 693, 720 Schweden, Karl XI., König von ​20, 438, Spener, Wilhelm Ludwig ​Nr. 48; 439, 616, 656 f, 673 S. 44, 50 f, 115, 179, 213, 268 Schweden, Ulrike Eleonore, Königin von Sperling, Paul Friedrich ​302 Schweden, Ulrike Eleonore, Königin Spinola, Christoph (Christobal) von ​Nr. 97, 143; S. 81 f, 616 de Rojas y ​675 Schweden, Ulrike Eleonore, Prinzessin Spinoza, Baruch de ​ 499 von ​ 439 Spizel, Gottlieb (Theophil) ​46, 94, 297 Schwenckfeld, von Ossig, Caspar ​ 45, 274 Stahl, Georg Ernst ​ 563 Schwenckfelder ​ 274, 288 Stamm (Frau) ​Nr. 67 Scriver, Christian ​ 81 f, 198, 199, 344, 419, Stammer, Adrian Adam von ​ 599 425, 661, 683 Staphorst, Andreas ​ 320 Se(i)bold, Lorenz ​ 286 Starck, Johannes​ 47 Seckendorf, Veit Ludwig von ​73, 150, Statius, Martin ​ 149, 151, 289, 290, 291 210, 223, 224, 455, 673–675, 678 Stein, Conrad ​ 45, 137 Seebisch, Johann ​ 116 Stenger, Johann Melchior ​86 f, 170, 373, Seeligmann, Friedrich​ 302 756 Segneri, Paolo ​ 495 Stolberg, Christine Eleonore, Gräfn von ​ Seidel, Georg ​195 f, 318 202, 204, 346 Seidenbender, Johann Friedrich ​43 Stolberg, Friedrich Wilhelm, Graf von ​ Seneca, Lucius Annaeus ​213, 333 202 Setegast, Johannes ​44, 50, 137 Stolberg-Gedern, Christine, Gräfn Siebenhaar, David ​ 198 von ​Nr. 80; S. 41, 187 Siebenhaar, Malachias ​ 198 Stolberg-Gedern, Ludwig Christian, Graf Simon (Dr.) ​ 408 von ​ 366, 364 Simon (Pharisäer) ​ 762 Stolberg-Stolberg, Christoph Ludwig I., Simon Magus ​ 532, 583 Graf von​ 463 Simon, Franz ​ 408 Stolberg-Stolberg, Sophie Eleonore, Siricius, Michael Gräfn von ​Nr. 103 Solms-Laubach, Benigna, Gräfn von ​ Stolberg-Wernigerode, Heinrich Ernst, Nr. 70; S. 47, 187, 319, 321, 501, 506 Graf von​ 41 Solms-Laubach, Carl Otto, Graf von 304​ Stoll, Agatha Dorothea, geb. Spener 45,​ Solms-Laubach, Friedrich Ernst, Graf von ​ 58, 164, 392, 431 39, 304 Stoll, Joachim ​ 45, 58, 164, 715 Solms-Laubach, Heinrich Wilhelm, Graf Stoll, Ludwig Joahim Nr.​ 37 von ​ 304 Storr (Frau) ​ 268 Solms-Laubach, Johann Friedrich, Graf Storr, Johann Christian​ 268 von 304 Storr, Johann Philipp ​ 268 Sondershausen, Johann Conrad ​ 47 Stösser Edler von Lilienfeld, Gottfried ​312 Sonntag, Christoph ​ 383 Sulpicius Severus ​ 405 Sozinianer (Sozinianismus) 193,​ 254, 226, Süße, Heinrich ​ 504 258, 337 Symmachus ​ 308 Sozzini, Fausto​ 193 Spalatin, Georg ​ 418 Tarnow, Johann ​ 533 Spener, Christian Maximilian ​ 117 Tauler, Johann ​ 418 Spener, Elisabeth Sibylle (→ Birnbaum, Tertullian ​ 405, 596 Elisabeth Sibylle) Personen 785

Teuber, Christian Samuel 260, 265, 426, Wiedertäufer ​ 226, 254 680, 684, 687 Wiegleb, Johann Hieronymus 391​ Textor, Conrad ​267 f, 321 Wild, Carl Leopold ​ 431 Theodotion ​ 308 Wild, Johann Ulrich ​49, 77, 235, 392, Theophilus (Lk; Apg) ​ 245 431 Thieme, Clemens ​Nr. 50; S. 40 Wild, Katharina Regina, geb. Spener ​49, Thomasius, Christian ​ 115 392, 431 Timotheus​ 335, 370, 423 Williardts, Caspar ​ 44 Tirinus, Jacques​ 763 Williardts, Christian Gottlieb ​ 44 Toledo, Francisco ​ 763 Willius, Emanuel ​ 667 Trautmann (Fischer)​ 50 Winckler, Johann Nr.​ 9; S. 41, 144, Tuszin, Hugo, Markgraf von 493​ 145, 269, 320, 369, 402–404, 406, 434, 489, 502, 503, 505, 605, 646 Uchelen, Seger von ​ 45 Wolf, Johann Joachim ​Nr. 47; S. 505 Wolf, Franz ​ 382 Veiel, Elias Nr.​ 54; S. 156 Württemberg, Eberhard Ludwig, Herzog Veltheim, Valentin​ 121 von ​ 53, 186 Victorinus von Pettau​ 405 Württemberg, Georg Friedrich, Herzog Vilitz, Johann ​ 533 von 185 Virginius, Adrian ​ 117 Württemberg, Karl Maximilian, Herzog Voss, Samuel von ​675 von 185 Württemberg-Winnental, Friedrich Carl, Waldeck, Georg Friedrich, Graf von ​ 237 Herzog von ​53, 186, 462 Walther, Johann Georg ​50, 715 Walther, Margarethe, verw. Traudt ​ 50 Zeiß (Zeise), Christoph Philipp ​21–23, Walther, Maria Elisabeth, geb. Mann​ 50 136 Walther, Michael​ 68 f Zeitz, Johann Georg ​ 687 Wartenberg, Ernst Christian ​ 372 Zeller, Christoph ​ 128 Weber Andreas ​ 690 Zeller, Eberhard ​31–34, 51–54, 320, 369, Weber, Friedrich ​ 413 f 370 Weck, Anton ​ 150 f, 168 Zeller, Johann Ulrich Nr.​ 12; S. 388 Wedel, Georg Wolfgang Nr.​ 71 Ziesler, Daniel Otto ​131, 435, 575, 608 Weidenheim, Caspar Johann ​116 Zinzendorf und Pottendorf, Georg Weigel, Erhard​ 122 Ludwig, Graf von Nr.​ 90 Weigel, Valentin​ 520 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von ​ Weigelianer (weigelianisch) ​247, 385 150, 219, 402 Weinich, Johann Jakob ​192, 268, 321 Zühl, Eberhard Philipp ​40, 41, 364, 372 Weller von Molsdorf, Jakob ​128, 150, Zunner, Johann David ​76, 123, 192, 296, 168, 692 299, 434 Welsch, Hieronymus ​182 Zunner, Maria Margaretha geb. Schmid ​ Werthmüller (Obrist) ​ 297 123 Westphal, Heinrich​ 40 Orte

Ägypten ​308, 569 Dänemark ​ 339, 342 Altdorf ​ 383 Dannenberg ​124 Altenburg ​Nr. 35; S. 155 Danzig ​Nr. 7; S. 151, 382 Altona ​Nr. 20, 28; S. 193, 207, 226, Darmstadt ​45, 46, 135, 286, 402, 434 267, 310 Delitzsch ​Nr. 72, 108; S. 311 Amberg ​77 Den Haag ​653, 657 Amsterdam​ 354 Deutschland (Heiliges Römisches Reich Antwerpen ​44 Deutscher Nation) 68​ , 71, 225, 254 f, Augsburg ​177 299, 300, 347, 348, 349, 365, 371, 378, 398, 436, 442, 472, 603, 656, 680, 716 Babel/Babylon ​14, 253, 280, 340, 349, Dippoldiswalde ​Nr. 159; S. 719 353, 641 Döbeln ​268 Baden ​293 Dordrecht ​192 Bautzen ​728 Dresden ​Nr. 1, 83, 132, 134, 148; S. 3, Bayreuth ​Nr. 79, 105 18, 19, 41, 60, 72, 87, 111, 115, 122, Belgien ​751 129, 131, 140, 142, 146, 149, 151, Berlin ​Nr. 57, 149, 153, 154; S. 198, 160, 168, 179, 184, 194 f, 202, 208, 240, 264, 320, 326, 345, 347, 390, 426, 219, 221, 237–240, 260, 263, 266, 268, 458, 475, 635, 661, 678, 680 f, 684, 272, 276, 287, 293, 302 f, 305, 312, 685, 687, 690, 693, 697, 708, 720, 745, 318, 327, 344, 347, 352, 372, 396, 756, 758 415, 428, 455, 460 f, 463, 472, 477 f, Billingshausen ​192, 268, 321 499, 507, 541, 570, 572, 635, 661, Brandenburg ​3, 7, 82, 152, 174, 175, 320, 667, 670 f, 677, 692 f, 696, 707, 717, 347, 390, 391, 475, 677 f, 684 749, 769 Braunschweig ​Nr. 27; S. 125, 493 Durlach ​9, 110, 224 Braunschweig-Lüneburg ​7, 350 Breslau (Wrocław) ​652 Ems (Bad) ​ 319 Brieg (Brzeg) ​652 England ​ 33, 556 Erfurt Nr.​ 13, 52; S. 40, 55, 206, 211, Caesarea ​245 217, 264, 271, 272, 360, 371, 434, 441, Calw ​ 9, 110 504, 551, 638, 756 Celle ​203, 209, 344, 472 Estland​ 116 Cham ​77 Europa ​ 299 Chemnitz ​Nr. 46, 69, 73; S. 47, 134, 196 f Fehrbellin ​345 Collditz ​47, 678, 696 Franken ​321 Cölln ​Nr. 152; S. 320, 390, 680, Frankfurt a. M. Nr. 11, 12, 30, 45, 60, 685 74, 95, 111; S. 21, 33, 41, 42, 44, 47, 49, 56, 58, 73, 93, 123, 128, 137, 142, Orte 787

168, 176, 190, 192 f, 194, 224, 229, Kanaan ​ 522 231, 233, 235, 237, 239, 241, 268, 270, Karlsruhe ​224 277, 296, 297, 299, 319, 320 f, 326, Kiel ​Nr. 81; S. 82, 121, 272, 347, 371, 329, 392, 398, 431, 433 f, 465, 502, 405, 486 506 f, 529, 533, 541, 549, 571, 599, Kiew ​637 601–603, 660, 670, 671, 675, 688, Königsberg ​237, 313 691, 715, 724, 731, 742, 751, 755, 756 Konstantinopel ​637 Frankfurt a.O. 684 Kopenhagen ​Nr. 7; S. 101, 314, 341, Frankreich ​3, 68, 175 f, 225, 255, 347, 438 378, 653 Koßdorf​ 696, 707 Fraustadt ​Nr. 92 Köthen ​ 41 Freiberg ​ 724 Laubach Nr​ . 70; S. 41, 47, 135, 193, 267 Gedern ​Nr. 80; S. 41 Lausitz​ 753 Gießen ​Nr. 55, 56; S. 146, 184, 185, Leiden ​193 230, 267, 285, 314, 321, 360, 406, 503 Leipzig ​Nr. 15, 31, 36, 37, 48, 50, 110, Göppingen ​ 370 139; S. 6–8, 39, 40, 41, 60, 71–73, 74, Gotha​ 372 92, 102, 111 f, 122, 127, 129 f, 131, Gottorf ​310, 355, 373, 488 133 f, 139, 141 f, 154, 161 f, 169, 179, Goxweiler ​ 346 184, 190, 191, 194, 202, 205, 208, 211, Greifswald ​19, 20, 405 213, 219, 224 f, 231, 232, 235, 240, Griechenland ​ 637 244, 255, 256, 263, 264, 268, 270–272, Grimma​ 644 285, 295–297, 300, 310 f, 312 f, 315, Güstrow ​Nr. 3, 4, 23 329, 336, 337, 338, 344, 352, 361 f, 364, 371–373, 376, 380 f, 383, 385, Halle/Saale ​413, 563 396, 398, 428, 434, 435 f, 440–442, Hamburg ​Nr. 9, 32, 33, 141; S. 30, 33 f, 460, 465, 478, 486, 490, 498, 499, 538, 51, 86, 118, 134, 145, 179, 268, 285, 540, 575, 585, 599, 638, 723 f, 766 320, 336, 369, 370, 373, 386, 399, 402, Leisnig ​ 302 403, 406 f, 408, 434, 473, 489, 498, 502, Liegnitz​ 288 503, 505, 587, 589, 605, 636, 695 Loccum (Kloster) 675​ Hannover Nr​ . 109; S. 3, 496, 498, Lockwitz​ 644 675 London ​ 307 Heidelberg​ 46, 268, 269 Lübeck ​40, 118, 133, 211, 360, 372, 405, Helmstedt ​Nr. 41, 51; S. 121, 146, 441 207, 212–214, 285, 344, 370, 473, Lüne (Kloster) ​ 194, 268, 476, 638 675 Lüneburg ​Nr. 26, 38, 39, 42, 49, 59, Hessen​ 285, 320, 528, 529 77, 86, 106, 137, 145, 146; S. 119, Hessen-Darmstadt ​230, 233,267, 286 135, 172, 182, 184, 194, 199, 203 f, Hessen-Kassel ​3 208, 209, 260, 322, 348, 392, 396, 434, Hildesheim ​212, 216, 217 435, 472, 489, 505 f, 638, 662, 664 Holland → Niederlande Hollstein ​310 Magdeburg Nr​ . 47; S. 74, 82, 198 f, 391, 505 Italien​ 492 Marburg ​ 99 Marienberg (Kloster) 214​ Jahnishausen​ 268, 346 Marienthal (Kloster) ​728 Jauer (Jawor) 652,​ 656 Marienstern (Kloster) 728​ Jena ​Nr. 71; S. 121, 122, 162, 285, 344 f, Mecklenburg ​ 224, 310 391, 473 Meiningen ​475 Jerusalem ​258, 340, 355 Meißen ​268, 398 788 Register

Metz 176 Schweidnitz (Świdnica) ​ 652, 656 Meuselwitz ​150, 678, 696 Smyrna ​385 Moritzburg ​ 221 Sorau ​551 Moskau ​637 Speyer ​389 Münsterberg (Ziębice) ​652 Stade Nr​ . 75; S. 20, 329 Muskau ​ 260, 435 Stettin (Szczecin) ​Nr. 10; S. 11 Stockholm ​Nr. 97, 143; S. 116, 210, Nantes ​175 f 211, 266, 315 Narva ​ 115 Stolberg Nr​ . 103 Naumburg ​ 224 Stolberg (Rheinland) ​ 499 Niederlande ​ 254, 496, 498 f, 506, 533, 751 Stolp​ 21, 302, 336 Niederwiesa ​318 Straßburg ​68, 114, 128, 176, 179, 181, Norwegen​ 342 241, 304, 314, 380, 385, 484, 529, 592, Nürnberg ​Nr. 17, 68; S. 7, 60, 79, 600 123, 151, 168 Stuttgart ​Nr. 43, 102; S. 186

Oels (Oleśnica) ​652 Teplitz (Teplice) 194,​ 208, 260, 268 Oldeslohe ​587 Torgau Nr.​ 53, 93, 104, 142, 147, 156, Österreich ​77 157, 160; S. 347, 461, 465, 507, 652, Ostfriesland ​ 360 667, 696,707 Trient ​20 Pegau ​ 73 Tübingen ​34, 145, 146, 184, 185, 268, Plauen ​Nr. 155; S. 695 285, 370, 406 Pommern ​ 136, 170 Potsdam Nr​ . 151 Ulm Nr​ . 54; S. 11 Ungarn Nr​ . 78 Quedlinburg ​Nr. 18, 144; S. 198, 344 f, 419, 484, 599, 661 Venedig ​637 Vogtland ​695 Riga Nr. 25 Rochlitz Nr.​ 29, 136, 140, 150; S. 40 Waldenburg ​320 Rostock Nr​ . 84; S. 9, 90, 109, 224, Weimar ​Nr. 133; S. Wertheim ​192, 402 380, 381 Wetzlar ​Nr. 85; S. 286, 389 Rothenburg o.d.T. Nr. 2, 14; S. 7 Wien Nr​ . 90; S. 177, 657 Rudolstadt ​Nr. 94; S. 604, 714 Wiesbaden ​269, 321 Wißmar (Wismar) 45​ f, 135, 139, 272, Sachsen ​Nr. 107, 118, 124, 125, 310, 315 161, 170; S. 7, 68 f, 71, 73, 87, Wittenberg ​Nr. 6, 8, 16; S. 17, 21, 69, 145, 146, 194, 202, 208, 212, 231, 74, 97, 99, 146, 162, 232, 240, 285, 261, 271, 285, 293, 305, 311, 376, 382, 405, 605, 638, 756 398, 406, 478, 499, 528, 529, 573, Wohlau (Wołów) ​652 587, 713, 720, 723, 728, 749, 769 Wolfenbüttel Nr​ . 101; S. 344 Sachsen-Merseburg ​311 Worms ​43, 135, 196, 267 f, 321, 434 Salzwedel ​116 Württemberg ​34, 52 f, 181, 285, 370, 445, Schlesien ​Nr. 5; S. 177, 274, 288, 529, 462 652 f, 656 f Wurzen Nr​ . 24; S. 112 Schleswig ​310, 373, 488 Schleusingen ​ 383 Zeitz ​73, 194 Schlieben ​18 Zerbst ​347 Schöneck​ 695 Zirchow ​ 21, 136 Schulpforte​ 224 Zittau ​724 Schweden ​Nr. 96; S. 20, 81, 210 Zürich ​ 475 Bibelstellen

Genesis (Gen) Deuteronomium (Dtn) 1,27 700 5,12–15 422 2,18 769 5,32 741 2,21 170 6,5 393 2,24 770 23,12 57 3,17–19 540, 592 32,10 447 13,13 695 34,9 292 15,1 243 22,8 347 Josua (Jos) 32,7 647 45,26 f 356 1,9 606 7,6–12 322, 454 7,11 454 Exodus (Ex) 12,35 f 569 Richter (Ri) 15,26 269 20,8–11 422 7 641 20,8–10 540 20,13–17 647 1. Samuel (1Sam) 23,12 422 25,17–22 124, 453 2,6 501 25,17 188 8,5 f 757 26,34 124, 453 16,7 401, 576 28,3 292 17,45 503 17 641 24,16 503 Levitikus (Lev) 18,8 769 2. Samuel (2Sam) 19,8 393 27,10 59 11,1–12,15 290

Numeri (Num) 1.Buch der Chronik (1Chr) 11,29 65, 755 17,13 523 13,24 523 15,39 f 102 f Hiob (Hi) 30,3 57 1,21 431, 625 28,13 439 790 Register

Psalmen (Ps) 54,4 358 64,10 189 12,6 178, 191 f, 264, 340, 66,6 266 485, 490, 502, 630 17,8 447 18,5 290 Jeremia (Jer) 21,9 264 8,22 385 21,10 411 11,20 434 33,15 172, 452 18,18 191 37,5 161, 412, 502, 633, 20,11 191 661 31,33 95, 98 38 290 41,1–4 655 46 729 Klagelieder (Klgl) 67,2 85 3,50 264, 503 73 412 75,4 188 80,20 85 Hesekiel (Ez) 85,11 366 11,19 400 94,15 694 21,7 632, 694 101 703, 711 34 630 102,14 385, 556 34,16 191, 638 110,1 640 36,26 400 110,2 208 37, 1–14 85 112,2 226 118,8 f 488 119,24 103 Daniel (Dan) 119,35 85 4,24 761 119,52 200 10,13 712 126,1 356 10,21 712 12,1 712 Sprüche Salomos (Spr) 6,30 f 568 Hosea (Hos) 8,16 705 13,11 757 10,12 758, 767 13 371 17,3 410 21,1 452, 748 Joel (Joel) Jesaja (Jes) 3,22 444 3,1 755 6,13 513 8,14 119, 272, 358 11,2 11, 114, 172, 292, 618, Sacharja (Sach) 638, 705, 764 2,5 304 16,5 452 12,9 80 30,15 505 12,10 4, 37, 148, 188 f, 341, 40,1 f 322 425, 440, 518, 705, 49,13 411 713 49,15 444 14,9 512 49,23 4 Bibelstellen 791

Maleachi (Mal) 12,22–32 401 12,33 95 3,10 439 12,36 701, 708 13,1–8 37 Weisheit Salomos (Weish) 13,3–8 487 13,12 parr. 510 3,7 411 15,14 400 16,19 557 Tobias (Tob) 16,24–26 457 16,24 f 96 4,11 762 16,24parr. 400, 611 16,64 356 Jesus Sirach (Sir) 18,15–17 581 18,18 557 2,5 383, 534 18,23–35 124 19, 13–17 86 19,8 541 35,13 210 19,22 752 20,22 359 2. Makkabäer (2Makk) 19,26 225 19,28 250 6,14 349, 356 23,8 259 23,10 259 Matthäus (Mt) 24,1–29 355 24,30 355 1,21 665 24,37 355 5,9 382 25,21 705 5,6 f 96 25,24 585 5,44 96 25,31 355 5,17 f 94 26,28 par 558 5,16 366 26,39 258, 359, 482 5,10–12 640 26,42 359 6,1–6 589 26,56 582 6,9–13 597 26,69–72 par 582 6,9 f 242, 705 6,10 524 6,11 597 Markus (Mk) 6,16–18 589 4,14 246 6,19 423 10,30 694 6,33 4, 422 12,30 760 7,3–5 606 12,33 760 7,6 575 13,30 349 7,7 par 668 14,50 582 7,13 f 26 7,16 576 7,22 4 Lukas (Lk) 7,24 95 f 1,3 245 10,29 668 1,6 96 10,37 96 1,17 131 11,30 99 1,52 566 12,1–8 593 1,74 f 95, 346 f 12,11 593 2,13 3, 704 792 Register

2,14 5 12,31 229, 477, 631, 728 5,31 564 12,46 631 7,40 762 13,17–30 576 7,47 762 13,21 482 10,27 760 13,34 101 10,37 393 14,6 88, 641 10,42 477 14,15 105 11,2–4 597 14,17 412, 765 11,3 597 14,21 105 11,24 571 14,26 412, 765 12,47 395 14,30 728 12,48 395 14, 31 412 13,15 593 15,4 f 95 14,14 433 15,5 54 14,26 97 15,10 105 14,33 97 15,12 101 17,25 356 15,16 660 17,31 356 15,18 334, 399, 640, 694 18 354 15,19 399 18,7 f 354, 447 16,3 521 18,8 209, 354, 357, 447, 16,11 229, 477, 728 638 16,13 169 19,13–25 691 17,9 523, 660, 712 19,16 754 17,17 88, 199, 348 19,17 521 18,37 765 22,3 581 19,34 312 22,19–21 576 20,23 557 22,24 581 21,15–17 640 22,42 566, 678 21,15 f 328 24,49 188, 705 Apostelgeschichte (Apg) Johannes (Joh) 1 203 1,14 471 1,6 f 581 1,47 96 2,36 640 3,6 95 2,46 600 3,8 557 4,32 96 3,16 664 5,1–11 597 3,21 96 5,3 598 4,23 409 5,29 671 4,24 424 7,58 f 96 5,44 245 7,59 f 96 6,51 596 8,5–24 532 6,55 f 601 8,9 576 6,60 261 8,13 576, 583 7,17 737 8,19 f 576 8,34 96 8,21 631 8,36 96 8,22 f 583 8,44 515 8,37 f 583 10,15 665 9,2 401 12,27 482 9,16 187 Bibelstellen 793

12,9 356 8,37 187, 226 12,19 356 9 213 13,5 576 9,3 602 13,13 576 9,5 213, 346 13,21 757 9,22 568 15,7 103 10,2 122 15,8 581 10,4 98 15,9 103 10,17 596 15,10 98, 100–103 11,33 177 15,37–40 141 12,1 f 96 15,37 f 576 12,1 148, 425 16,33 583 12,2 447, 524 17,30 621 12,3 188 17,28 747 12,6 23, 759 23,26 245 12,11 485, 490 24,3 245 13,1–6 744 24,16 96 13,1 566 25,10 744 14,4 521 26,3 357 14,10 721 26,25 245 14,12 708, 721 14,13 161, 410, 602 14,17 366, 608, 705 Römer (Röm) 14,23 611, 614 1,5 524 15,5 558, 625 1,16b 152 16,20 461, 558, 689 1,19 733 f 1,20 734 1. Korinther (1Kor) 2,15 734 3,4 749 1,9 526 3,6 749 1,10 558 3,25 69, 188, 439, 659, 723 1,12 96 3,31 749 1,23 85, 167 4,3 f 98 2,1–5 510 4,5 f 95 2,2 167 5,5 527 2,3 479, 481 5,14 337, 416 2,4 292, 630 5,19 94, 100 2,5 115 6,6 103, 250, 455 2,14 400 6,14 103, 624 3,2 203, 209 7 250 3,6–8 620 7,3 750 3,6 37, 246, 311 7,7b 254 4,2 36, 521 7,14a 254 4,4 96, 254 7,15 f 93 4,20 477 7,24 479 5,1–5 577, 582 8,1 555, 623 5,5 598 8,3 103 5,11 582 8,4 101 6,12–20 710 8,26 f 705 6,19 332, 649, 710 8,26 358, 519 6,20 558 8,34 101 7,1–7 58 794 Register

7,9 59 10,21 479 7,23 280 10,29 479 7,32 394 10,30 479 7,35 394 11,29 479 8,7–12 741 11,30 479 f 8,9 161, 257, 372 11,31 346 10,13 490, 526, 623, 694 12,9 346, 415, 478–480, 10,23 394 526, 566, 738 10,31 614 12,14 423 10,32 410 13,11 472 11,11 755 11,25 600 Galater (Gal) 11,26 600 11,28 582 2,4 132 13,10 f 130 3,2 98 13,13 526 3,13 103 14,32 584 3,21 103 14,33 f 755 3,25 103 15 371 4,13 479–481 15,22 f 416 5,4 290 15,50 416 5,6 759 15,58 630 5,14 22 16,10 630 5,15 382 5,20 95 5,22 513 2. Korinther (2Kor) 6,2 99, 101 1,3 62, 187, 194, 412, 432, 6,9 411 568, 708 6,17 412 1,7 534 1,12 96 Epheser (Eph) 1,20 660, 713 2,6 577 1,3 62, 366 2,16 411 1,4 95 3,3 95, 158 1,17 292 3,18 96 1,23 660 4,1 f 212 2,5 96 4,6 91, 488 2,20 153 4,16 96, 439, 525 3,13 694 5,1–4 439 3,15 152 5,10 721 3,16 452 5,15 95 3,19 366 5,17 96 3,20 346 5,18 f 305 4,1 95 5,19 664 4,3 37, 88, 189, 341, 472, 6,3 410 510, 558, 689 6,8 535, 660 4,5 f 512 7,1 96 4,13 250 7,10 12 4,15 f 95 9,10 452 4,18 735 10,4 542 4,20–24 96 10,10 f 479 4,21 509, 631, 742 Bibelstellen 795

5,1 96 5,21 286 5,8 f 96 5,23 f 14, 464, 623 5,9 f 102 5,23 95, 365, 472, 558, 689 5,9 705 5,24 350 5,10–18 641 5,10 594 2. Thessalonicher (2Thess) 5,16 485, 490 6,13 632 1,3–10 209 6,14–20 632 1,4 606 6,16 624 1,8 214 2,1 215 2,8 632 Philipper (Phil) 2,13 95 1,6 28, 122, 524, 527, 730, 740 1. Timotheus (1Tim) 1,9–11 96 1,23 439 1,9 100 2,8 94 2,1–3 699 2,10 439 2,4 177 2,15 96 2,8 759 2,20 f 335 5,4 423, 482 2,27 171 5,5 f 483 3,10 534 5,7 483 3,12 249 f 5,8 422 f, 482 3,15 249 5,17 457 3,19 422 5,17 f 532 4,6 527 5,22 161, 362 4,9 558, 689 5,23 f 341 4,18 426, 440 6,9 423

Kolosser (Kol) 2. Timotheus (2Tim) 1,9–12 96 1,17 472 1,10 427 2,7 262, 472 1,18 577 2,21 96 3,12 490 2,13 188 3,16 165 3,12 694 3,17 614 3,14–17 200 4,12 96 3,16 538 3,17 96 4,2 534, 538 1. Thessalonicher (1Thess) 4,7 739 2,10 96 4,8 4 2,11 f 96 3,12 f 96 Titus (Tit) 4,3 95 4,13–18 209 2,14 95 4,16 f 214 f 5,2 381 1. Petrus (1Petr) 5,16 f 699 5,17 411 1,3 62 796 Register

1,13–15 95 5,6 737 1,14 102 5,19 246 1,22 759 1,23 95 Hebräer (Hebr) 2,5 104 2,24 95 1,13 640 3,7 759 4,2 12, 618 3,15 721 4,3 432 4,1 f 96 4,12 f 37 4,1 327 4,15 30, 482 4,5 708, 721 4,16 69, 188, 340, 439, 659, 4,8 758, 766 712, 721 4,12 606 5,5 533 5,2 381 5,7 514 5,3 393 5,12–14 203, 209 5,6 205 5,13 f 71, 249 5,10 366, 740 6,12 400 9,5 69, 124, 188, 439, 452, 659, 721 2. Petrus (2Petr) 9,14 95 1,3 f 95 10,12 f 640 1,4 291 10,25 595 1,21 676 11,6 346 3,11 96 12,14 13, 620 3,2 512 13,21 95, 428

1. Johannes (1Joh) Jakobus (Jak) 1,7 13, 620, 622, 705, 712, 1,12 401 722 1,16 325 1,8 250 1,17 4, 25 f, 68, 91, 176, 2,3–6 70 297, 439, 608, 682, 2,3 f 105 689, 704 2,3 70 1,21 f 12 2,15 f 614 1,21 95 2,15 611 1,22 13, 619 2,16 705 3,9 700 2,34 105 3,17 4, 366, 389 3,7 102 4,4 437 3,9 95 4,17 537 3,13 334 3,16 550, 625 Judasbrief (Jud) 3,22 99 3,23 102 9 712 4,1 199 19 519 4,8 764 4,16 764 Apokalypse Johannes (Apk) 4,17 f 761 5,3 98–100, 102, 105 1,8 659 5,4 96 3,8 6,33, 681 5,9 574 Bibelstellen 797

5,12 641 18,4 362 7,9–14 632 19 214 7,9 411 19,11–21 355 7,15 440 19,11 214 7,17 440 20 214 12,7 712 20,2 208 13,7 353 20,4 f 84 13,10 14, 606 20,4 84 f, 119 14,3 632 20,10–11 214 14,12 14, 171 20,12 452 17,5 14, 253 21,6 659 Sachen

Das Sachregister bezieht sich auf die Bände „Dresdner Briefe, Bd. 1–4“. Es erschließt Zusammenhänge, die nicht durch das Orts‑ und Personenregister erkennbar werden, benötigt diese Register jedoch als Ergänzung. Dopplungen gegenüber diesen können nicht ausgeschlossen werden. Die Stichworte orientieren sich einerseits an den im Text vorkommenden Begrifen, sind andererseits auch systematische Formulierungen der vor- kommenden Themen und Sachzusammenhänge. Sie beziehen sich in der Regel auf den edierten Text, nicht aber auf die Regesten und kommentierenden Apparat. Unterbegrife (mit Spiegelstrich) helfen, die Überschaubarkeit von Begrife, die häufg vorkommen, zu verbessern. Querverweise sollen Dopplungen im Register vermeiden helfen, können aber nicht völlig ausgeschlossen werden. Die römische Zahl bezieht sich jeweils auf den Band, die arabische auf die Seitenzahl (zu weiteren Hinweisen s. Einleitung). Verweise auf das Personenregiser (PR) beziehen sich auf die Register in allen Bänden.

Abendmahl ​I 24, 165, 526, 607–609, 797; Adam II 17 f, 596; III 591 f, 596; IV 553 – alter ​I 21; II 35; III 225; IV 337, 416, – Anmeldung, persönliche ​II 382 f; 455 III 617–619 s. a. Mensch, alter – Ausschluß vom Abendmahl ​I 124 f, 817; – und Christus ​III 49 f III 21, 568; IV 115 – und Eva ​II 532; III 360 – am Dresdner Hof ​I 148 Adel, Adlige (Fürsten; Höfe) ​I 118, 244, – Genuß von Wein ​III 385 f 343, 383 f, 386 f, 708 f; II 328, 332; – Häufgkeit der Teilnahme ​I 615; III 234–236, 586 IV 599–604 s. a. Obrigkeit, Umgang mit den – Teilnahme bei einem unwürdigen Untertanen Pfarrer​ IV 742–744 Adiaphora ​I 770; II 447; IV 245, 394, 540 – Verzicht auf Teilnahme ​I 315 Adoption als Kind Gottes ​I 299 – Würdigkeit der Teilnahme ​I 125, 615 f; Akademischer Grad ​I 172 f, 206; III 329, II 570; III 620–622; IV 562, 564 f, 464 f, 471 575–583 s. a. Titel, akademische, Doktortitel – Verständnis der Reformierten ​I 210, Akkomodation des Heiligen Geistes 481; IV 174 f an den Stil der biblischen Schreiber ​ – Zulassung zum Abendmahl ​II 357, 597 f II 261 f Abfall vom Glauben ​I 764 Allgegenwart Gottes ​II 536–541 Abschied von Frankfurt ​I, 3–8, 12–14, Alter(sgebrechen) ​III 133, 306 87 f, 97, 222, 256, 297 Altes Testament ​ I 93 Absolution ​I 199, 240, 797 f; II 16–18, Älteste in der Gemeinde ​I 200, 600; II 83, 83–85, 549 f, 578, 596–598; IV 557, 94; III 306; IV 225 559–561 Amt, Rückzug aus dem ​III 587–589 – in Frankfurt ​I 5, 598 Amtsführung Speners ​I 795–798 Sachen 799

Amtswechsel I 247–249 Babel, lutherische Kirche als ​I 79; IV 253 Analogia fdei I​ 626, 666; II 458, 551; Babel, römisch-katholische Kirche als ​ III 157, 160, 333, 543, 580; IV 23, 108, I 284, 286 f, 426 f, 433 f, 453; II 118, 369, 759 340 f, 391 f; IV 14, 280, 349, 353 f Andacht, persönliche ​III 33–36 s. a. OR Anfechtung, Angefochtene ​ I 368, Badekuren ​ I 22 521–527, 615 f, 738, 772–776; II 21, – verschiedener Personen ​I 22 122, 166, 390, 446, 455, 488–490, 492, – Speners ​I 22, 75, 159, 455, 544 521; III 59, 141, 273, 287, 412–426, Beichte ​I 5; II 17 f, 382 f, 578 f, 596–598; 446 f, 494, 540, 585, 604 f; IV 291, 415, III 617–620; IV 552–556, 571 480 f, 526, 535, 549, 562–567, 609, – in Frankfurt ​I 599 f 622–624, 632, 738 f s. a. Absolution Anmeldung zur Beichte ​II 382 f s. a. Anmeldung zur Beichte Annahme durch Gott an Kindes Statt ​ s. a. Privatbeichte I 299 f; IV 248 Beichtermahnung ​ II 16–18 Anrede mit Titeln ​I 175 Beichtgeheimnis I​ 465; IV 569, 572 Antichrist I​ 79, 174, 252, 406, 666–668, Beichtpfennig, Beichtgeld II 86–88, 255 f, 679, 739, 770, 801–803, 808 f; II 217, 300–304, 575 f, 579 f, 584 f; IV 532 588 f 270, 313, 432, 601; III 28, 58, 89; Beichtstuhl, Speners Haltung dazu III 306; IV 147 f, 457 IV 240, 266 Antwort, verspätete auf Briefe ​I 71, 78, Beichtvater ​I 143 f, 199 f, 255, 367, 465; 178, 155, 158, 163, 190, 282, 323, 350, II 16–18 366, 409, 458, 468, 489, 584; II 20, – Brief vom Beichtvater ​I 465 22, 145, 185, 259, 268, 346, 356, 381; – für andere Geistliche ​I 199 III 87, 432, 450; IV 39, 68, 121, 160, Beichtvaterbrief Speners an Kurfürst 190, 207, 310, 349, 351, 367 Johann Georg III. von Sachsen und APAP ​ II 341 seine Folgen ​III 171–174, 207 f, 223, Apokryphen ​III 501; IV 307 f, 762 225, 227–230, 243–245, 251–253, 395 f, Apostasie s. Exil statt Apostasie 545–549; IV 219–222‑ 240, 264, 453, Apostolische Sukzession I​ 393 507, 661, 692, 721 Arbeitsbelastung​ Beichtvaterwechsel ​I 143 f, 251, 255; – die von der Andacht abhält ​ II 565–567; III 391; IV 195 f, 318 I 137–139 Bekehrung der Ingermanländer ​I 52 f, – der Geistlichen ​I 447 f, 806 f; II 127 681 f – Speners​ I 584 Bekehrung, bekehrt, Bekehrter ​I 8, 226, Armen‑ und Waisenhaus in Frankfurt ​ 287, 395, 420, 428, 454, 564–568, II 46–48, 52 f 718–721, 774; II 129, 260 f, 392, 446, Atheismus ​I 410, 646; II 519–524; III 28 f, 497, 515, 529, 537–540, 589; III 437, 71 f; IV 395, 411, 631 633; IV 12, 289 f, 411, 554–557, 619, Auferstehung​ 736, 760, 768 – Christi, was sie dem Gläubigen gibt ​ s. a. Judenbekehrung(en) I 24 Bekenntnis ​I 211, 456, 551; II 99, 154 f, – der Gerechten ​IV 214 370, 483 f, 498, 551; III 9, 162, 201, – der Märtyrer 312, 383; IV 64, 109, 230, 301, 749 s. Märtyrer – athasianisches​ I 214 Aufstand der Untertanen ​II 568 f; IV 566 f, – besonderes (Püchler) III​ 574 f, 580 f 607 – lutherisches ​IV 79, 449 Äußeres Wohlergehen ​ II 488–490 – persönliches ​ I 483 f Auswendiglernen von Katechismen und Bekenntnisse, Bekenntnisschriften I​ 185, Bibelsprüchen​ I 621 551, 565 f, 568; IV 128, 335 f, 368, 383, 406 800 Register

– ihre Annahme ​IV 145 f, 283–285 Bibelinterpretation ​I 626; III 463 f – lutherische I​ 94, 251, 268, 381, 568, Bibelkommentar ​ I 439 696 Bibelkommentar aus Lutherschriften ​ – reformierte ​I 185, 211; II 310 I 418; III 465 f; IV 76–79, 122 f s. a. Symbolische Schriften Bibelkommentare ​II 170 f; IV 155 Berufung ​I 689–691; II. 318–321, 322 f; Bibellektüre, Bibellesen ​I 446, 617; III 480; IV 239–241, 277, 390 f II 29 f; III 33 f, 551, 622 f; IV 154–159, – Beratung (Gutachten) Speners ​I 133, 326–328, 419 f 304–310, 327–329, 337–349, 400–402, – kursorische III​ 103–120 508–520, 723–726, 792–794; II 204, Bibelstudium ​I 92 f, 121, 437 f 280 f, 315 f, 452, 472, 503–507, – akademisches ​I 122, 497 f, 503, 548, 556–558; III 74–79, 130–137, 146–152, 628, 661, 671, 683, 384; II 293 237–243, 363, 408 f, 425; IV 360, Bibelübersetzung ​ III 114 745–748 – ins Wendische/Sorbische ​ III 4 f – Speners nach Berlin ​III 229 f; – Luthers ​IV 20, 257 IV 237–243, 260 f, 264–266, 320, 347, Biblische Sprachen ​IV 157 359 f, 390 f, 475, 507 f, 633, 635 f, 661, Biblischer Sprachstil ​I 734 f; II 262 f, 406; 677 f, 680–694, 697, 709, 717, 720 III 292–295 – Speners nach Dresden ​I 16, 35–37, Bierbrauen ​ IV 751 50–52, 55, 71, 73, 75, 92, 136 f, 151, Blut Christi, Tropfen vom ​IV 257 f 156, 159, 190, 304, 347, 377, 450, 541; Branntwein brennen IV​ 751 III 546; IV 238, 241, 265, 277, 359, Buchstäbliche Erkenntnis (Wahrheit u. ä.) ​ 508, 671, 677 I 225, 284, 320, 325, 429, 748, 830 f; – Speners nach Frankfurt a. M. ​IV 241, II 38 f, 122, 348, 535, 540, 559, 587; 688 III 33, 64, 115, 154, 183, 288, 335, 437, – Speners nach Lübeck ​III 228 f, 253, 494, 603, 633; IV 26, 257, 335, 400, 299, 337 f 487, 513, 556 – Speners nach Stockholm ​III 304–309, s. a. Erkenntnisse 545; IV 210 Bund Gottes mit Israel (Alttestamentlicher Berufungsvorschläge Speners ​I 77; Bund) II​ 489; IV 290 II 433–436 Bundestheologie ​ IV 675 Beschneidung​ IV 290 Buße, Bußfertigkeit, Bußfertige I​ 124 f, Besessenheit ​I 64; III 286 f 141, 199 f, 239 f, 287, 299, 381 f, 414, s. a. Teufel und Dämonen 427, 454, 451, 472, 545 f, 564, 622, 774, Besetzungen von Ämtern; Speners Invol- 796 f, 805, 814, 816–818, 834; II 17 f, vierung (s. a. Berufung) und Empfeh- 83–86, 147, 163, 196, 260, 440, 468, lungen ​I 115, 193 f, 290 f 499, 540, 550, 568, 572–574, 596 f; Besoldung der Prediger ​I 229 f; II 5, 11, III 57, 59, 142, 184, 203, 289, 303, 377, 579; III 122–124 420, 504, 542, 599 f, 606–608, 621, Bestattung ​ II 570 f 632; IV 53, 289 f, 358, 456, 553–557, Besucher (bei Spener) 559–561, 570–573, 579–581, 583, 600, – in Dresden ​I 65, 162, 109 f, 192, 505, 621 659; II 95, 362, 412; III 223; IV 72, 124, 131, 139, 179, 181, 191, 194, 208, 274, Caesaropapie ​ I 235 347 f, 380, 396, 408, 637 Cathedra Lutheri ​I 58 – in Frankfurt a. M. I​ 160; IV 176 Chiliasmus, Chiliasten ​IV 144, 147, 209, Bewegung, körperliche IV​ 615 322, 344, 373 f, 391, 404 f, 435, 442, s. a. Spaziergänge 445, 473 Bibel s. Heilige Schrift s. a. Millennium Bibelaufschlagen auf der Kanzel ​IV 605 Christentum​ Bibelausgaben​ I 622 – inwendiges ​I 57; II 20 Sachen 801

– rechtschafenes ​I 19 f, 238, 302, 358, Duelle, Duellwesen ​I 131, 193, 403, 457, 386, 420, 425, 518, 588, 590, 624, 661, 477; II 371 721, 800; II 39, 102, 232, 258, 333, 498, 500, 544, 560, 578, 600 Gottebenbildlichkeit des Menschen ​I 26, – tätiges ​I 86, 202, 589, 791; II 459; 165, 438–440; II 537; III 361; IV 227, IV 25, 424, 436 326, 676 – wahres ​I 118, 218 f, 388, 404, 588, 605; II 497; III 221, 234. IV 25, 96, 246, 416, Ecclesia plantata et plantanda I​ 429 611 Ecclesiola in ecclesia I​ 429, 451, 625 Christspiel IV​ 723–727, 731 Edikt(e) Christus​ – Dresdner, Konventikel betrefend ​ – als erstgeborener Bruder des Glauben- IV 169, 190, 211, 226, 231, 300 f, 338, den ​ I 26 362, 372, 442, 478, 490, 540 – seine Teilhabe an der göttlichen Natur ​ – verschiedene ​I 283; II 371, 514 IV 291 Ehe ​I 690, 834; II 223–227, 273; III 56 f Collegium – Streitigkeiten ​I 5, 532, 582 – academicum III​ 334; IV 229, 715 – und Ehelosigkeit eines Pfarrers ​IV 278, – antiatheisticum​ II 519 626 – in Dresden ​I 459 Ehefrau(en) ​ I 834 – in Frankfurt a. M. ​I 94 – Susanne Spener als Vorbild ​I 44, 88 – in Hamburg ​II 251 – von Geistlichen II​ 38; III 32–43, 598 f – hermeneuticum-exegeticum ​ III 478 f Eherecht ​II 593 f; IV 769 f Collegium philobiblicum​ Ehescheidung ​I 133–135; II 117 – allgemein und in Leipzig ​I 91–96, 254, Ehrgeiz, der Ehefrauen von Geistlichen ​ 319–322, 324, 374 f, 403, 435–443, I 249 457, 459, 497 f, 677 f; II 70, 115 f, 211, Einfalt, christliche, biblische I​ 84, 86 f, 243, 275; III 12–15, 100 f; IV 161 f, 205, 104, 223, 246, 305, 378, 580, 655, 657; 337 f, 339, 441 II 47, 80, 220, 341, 414, 449, 500–502, – in Jena ​I 695; II 169 529; III 79, 109, 256, 279, 370, 372, – in Wittenberg I​ 674–676, 695, 742; 416, 522, 542, 549, 557 f, 577, 597, 625; II 169 IV 230, 246, 252, 333, 346, 358, 410, Collegium pietatis I​ 543 f; II 464 f; 418, 421, 424, 435, 448 f, 503, 510, 512, III 312, 566 f; IV 213, 231, 385 f, 749, 521, 547, 578, 587, 671, 718, 736, 746, 754 f 751 – unter Amtsbrüdern​ I 543 f Einheit s. Einigkeit – in Frankfurt a. M. ​I 12, 278 f; IV 231, Einigkeit I​ 268, 299 f, 469, 609, 194, 235 f 730; II 125, 183; IV. 141, 161, 368, – in Hamburg ​II 459, 461 375 – bei Günther Heiler ​I 738 – christliche I​ 210; II 24, 221, 416, 462 f; – bei Heinrich Georg Neuß ​II 479 III 221; IV. 674 s. a. Konventikel – der Geistlichen ​II 129; III 87, 205, 614 f; IV. 140, 403, 489, 634, 688 f Dämonen​ I 460 – des Geistes I​ 13, 69, 84 f, 106, 112, 124, Däumeln ​I 11; II 587; III 546; IV 191 213, 266, 295, 297, 314, 370, 455, 574, Deutsche Sprache, ihre Verwendung ​ 582, 749; II 138, 157, 256, 366, 414, I 442; II 111 f 429, 552; III 139, 443, 611 f, 625; IV 37, Diebstahl​ IV 67 f 75, 88, 189, 341, 368, 510, 558, 689 Dimission ​II 320 – in der Kirche I​ 555; II 27; III 590; Doktortitel ​I 172, 206; II 619 f; IV 487 IV. 128, 183 s. a. akademischer Grad, akademische – der Lehre III​ 262; IV 461, 631 Titel s. a. Uneinigkeit 802 Register

Einkünfte der Prediger I 682 f; II 5, 8–12, 323, 417, 574, 614; III 124, 134–136, 87–89, 303 196, 273, 437, 473–475, 568, 599, 631; Einsamkeit ​ IV 278 IV 78, 100, 275, 429, 490, 529, 534, Eitelkeit ​I 203, 316, 349, 388, 437, 523, 547 f, 693–695, 746 548 f, 780; II 54, 186, 221, 263, 580 f; – persönliche (einzelner Menschen) I​ 16, III 9 f, 38, 41; IV 245, 316, 463, 611 f, 18, 30, 40, 43, 61, 65, 98, 101–103, 613, 622, 752 f 105, 134, 138, 143 f, 202, 224, 228 f, – der Welt ​I 62, 72, 118, 159, 201–203, 239, 246, 254, 307–309, 321 f, 378, 223, 277, 294, 302, 386, 388, 523, 530, 394, 422, 476, 593, 635, 649, 772, 798, 698 f, 708 f, 712; II 38, 119, 146, 332, 827; II 89, 95, 111, 138, 161, 177 f, 205, 454, 581, 591 f; III 40, 72, 498 f, 522, 225 f, 230–232, 256, 273, 277, 411, 427, 586; IV 245, 613, 616 f, 621, 713 442, 507, 525, 553, 565, 574, 599, 617; Elenchus ​I 536, 801–804, 813, 815; III 33, 40, 104–111, 113–115, 117–120, II 237 f, 308, 501, 582; III 124, 606 f, 195, 362, 429, 447, 522, 524, 528, 597, 611; IV 543 600, 605, 609, 622, 626 f, 629; IV 36 f, s. a. Nominalelenchus 161, 233, 301, 419–421, 442 f, 484, 515, Eltern in Ehren halten ​III 382 f 528, 537, 539 f, 542, 546, 588, 591, 595, Empfehlungsschreiben, Empfehlungen 606, 608, 681, 691, 708, 768 (von Personen) ​I 115, 194, 255, 291, – in öfentlichen Kirchenveranstaltungen ​ 323, 329, 339, 360 f, 367 f, 403, 412, I 280 451, 464, 487, 515, 648–650, 689 f, 691, – private I​ 102, 279 f, 796; III 195; 715 f, 753; II 52, 119, 223, 318, 320, IV 531 377; III 74, 94, 241, 433, 434 f, 470; Erbauungsliteratur ​III 179 f; IV 698 f IV 315, 347, 458, 473, 718 – englische ​I 391, 790 f; IV 556 Empfndsamkeit ​I 219; II 548; III 517 f, Erbsünde ​I 21; II 461 521, 584; IV 565, 608 f, 622 f, 737–739 Ergötzlichkeiten ​ I 699 s. a. Gefühle Erkenntnis(se) Englische Schriften, erbauliche s. Erbau- – neue theologische ​II 146 ungsliteratur, englische – Speners, besondere ​III 255; IV 345 f Enthusiasmusvorwurf ​II 559; III 199; – wahre, lebendige I​ 16, 177, 231, 333, IV 336, 410, 442, 445 364, 379, 501, 521, 622, 713, 719 f, 752, – bei Tauler und Kempis ​III 484 756, 821; II 222, 333, 405 f, 490, 501, Entzündung des Glaubens ​I 293, 300, 422; 522, 559; III 22, 68, 195, 335, 355, 425, II 238, 261, 336; III 141, 627; IV 248 f, 553, 596, 603; IV 329, 456, 509, 549, 554, 737 623, 713, 735, 742, 754 Erbauung ​I 86 f, 97, 174, 216, 220, 231 f, s. a. Buchstäbliche Erkenntnis 232, 235, 270, 295, 312, 320, 329, 355, s. a. Gotteserkenntnis, natürliche 364 f, 372, 381 f, 390, 396, 398, 447, s. a. Wille Gottes, seine Erkenntnis 512, 532, 548 f, 555, 628, 655, 675, 697, Erleuchtung I​ 8, 68, 95, 333, 417, 466, 700, 792–794, 809–815, 818; II 71, 490, 499, 551, 576, 590, 660, 663, 717, 205, 295, 298, 303 f, 357, 382, 455, 492, 736; II 277, 370, 410, 486, 498, 523; 503, 515, 530, 549, 585, 596, 617 f, III 54 f, 79, 182, 288, 419, 626, 632; 620 f; III 5, 63 f, 122 f, 125, 131 f, 140, IV 36, 91, 352, 457, 517, 705 149, 180 f, 201 f, 334 f, 429, 434 f, 445, – unmittelbare I​ 64, 643; III 556 f 509, 563, 567, 610 f; IV 56, 59, 64 f, 142, – aus dem Wort Gottes ​I 682; II 445; 196, 240, 255, 261, 300, 361, 442, 485, III 50, 113 502, 529, 532, 561, 635, 725, 727, 730 f, – durch den Heiligen Geist I​ 29, 56, 68, 746, 754 f 93, 196, 326, 442, 500, 570, 602, 609, – der Gemeinde, der Kirche ​I 239, 344, 620, 629, 642, 662, 678, 721, 732, 748; 354, 503, 555, 614, 620–624, 721, II 171 f, 226, 328, 384 f; III 30 f, 193, 725, 767, 799, 803; II 163, 220, 288, Sachen 803

335, 418, 463, 489, 549, 596; IV 26, Familie Spener II​ 13–15, 28–36, 133–136, 129, 225, 335 f, 384, 400, 456, 487 f 360–362, 443 f, 450 f, 476 f; III 32–43, Erlösung 66–69; IV 200 f, 498–500, 642 f – durch Christus ​I 23 f – Nachrichten aus der ​I 106 f, 115, 123, – Speners Erkenntnis dazu ​IV 345 131, 169 f, 173, 182 f, 273–275, 294, Ermahnung ​I 775 f, 810–812, 816 f 370 f; II 51 f, 57 f, 70, 272, 378, 388, – von der Kanzel ​II 237 f; IV 543 f, 392 f, 411 f, 441, 450 f, 476 f; III 93, 459; 724–726 IV 47, 213, 268, 496 f, 506 Erneuerung, des Menschen ​I 26, 138, – Familie Spener, Besucher, Präzeptoren 165, 303, 415, 529, 545, 558, 825; u. a. der s.​ Besucher in Dresden II 165, 328, 383, 470; III 6, 136, 165, Fastnacht ​ I 294 193, 280, 290, 292, 401, 542, 584, 626; Faulheit ​I 708, 833 IV 54, 98, 248 f, 400, 439 f, 525, 535, Feiertage, katholische I​ 799 f 539, 601 Feinde Speners am Dresdner Hof ​II 374 Erniedrigung Christi ​II 531 f Festtage, hohe christliche ​II 231 f Erschafung (Schöpfung) des Menschen ​ Figuralmusik, italienische ​I 549 f III 347, 360 f Formulierungen, orthodoxe II​ 445 Erschöpfung von Geistlichen ​III 630–632 Frauen s. Reden von Frauen Erzieher ​ III 633 Freiheit Erziehung ​I 306, 460–463, 523, 834; – des Evangeliums, evangelische, II 460–463; III 494, 525, 585 f; IV 158 f, christliche II​ 217, 289 f, 446; III 283, 248, 274, 423, 439, 656 295, 344, 359, 383, 462 f; IV 286 – christliche ​ I 820–822 – Gottes I​ 340; II 418, 605; IV 666 Evangelium ​ I 381 – persönliche ​I 160, 279, 307, 369, 645, Examina von Predigtamtskandidaten ​ 667, 731, 780; II 48, 211, 219, 249, I 195, 254, 529; II 111 f; III 436; IV 18 f, 295 f, 298, 305, 377, 445, 460–462, 602, 129 607, 615; III 39, 124, 134, 140, 160, Exegese ​I 94, 325, 457, 459, 628, 662, 163, 220, 262, 273, 289, 358, 519, 523, 671, 674 f, 677 f, 736; II 41, 233; III 478 586, 588 IV 32, 56 f, 63, 203, 463, 474, – Beispiele und Einzelfragen I​ 626; 541, 557, 588 f, 591, 601, 626, 753 II 249 f – der Kirche ​I 770; II 237, 270; III 271, – als theologische Disziplin I​ 628, 674; 365; IV 350 III 333 f, 436 f; IV 90, 162, 212 f, 308 – für Konventikel ​I 279; II 162. III 261; s. a. Theologie, exegetische IV 63, 226, 490 Exil statt Apostasie ​II 155 – der Meinungen I​ 279 f Exkommunikation ​II 363 f, 568 – der Religion, der Konfession I​ 184; Exorzismusformel in der Taufe ​IV 560 f II 217. IV 657 – Speners I​ 16, 101, 417, 609, 645, 697, Fähigkeit 764; II 65, 219, 264, 303, 375, 520; – menschliche (allgemein) ​I 111, 207 f, III 109, 263, 301; IV 32, 169, 278 283, 365, 460, 500, 569, 641, 670, 763; s. a. Gewissensfreiheit II 13, 18, 66, 361; III 292 f; IV 577 Freunde und Bekannte in Frankfurt a. M. – menschliche (in geistlichen Dingen) ​ und Umgebung I​ 12–14, 48, 59–61, I 26, 38, 388, 565–572, 615, 622 f; II 39, 98, 101, 107, 109, 128 f, 144, 165–167, 66, 79, 123, 125, 260 f, 263, 513, 523, 255 f, 259, 270, 291 f, 373–376, 566; III 6, 54, 336, 416, 446 f, 464, 503; 634–638, 745, 747; II 52 f, 55, 190–192, IV 555, 713, 738 209 f, 342–344, 393–396, 452 f, 494, – Speners persönliche I​ 37, 102; 681 f; III 171, 319, 455 f, 458–460; IV 332 IV 42–44, 47–50, 135, 137, 506 f Fall Babels, Speners Erkenntnis ​IV 346 Freundschaft III​ 512, 603 f, 625 – kollegiale ​ I 4 804 Register

– mit Reformierten ​II 465 Gaben Freundschaften Speners ​I 75, 297 f – außerordentliche ​I 394; IV 199, 350, Friede unter den christlichen Kon- 474 fessionen ​ III 485 f – des Heiligen Geistes, geistliche ​I 29, s. a. Union 568, 657, 694; II 80, 490, 562. III 176, s. a. Reunion 328, 350, 623; IV 82, 529 Friedenskirchen in Schlesien ​IV 652 – persönliche ​I 21, 26, 43, 68, 76, 84, Fromme (Sammlung und Stärkung) ​ 89 f, 101, 104, 157, 160, 163 f, 173, I 190 f 208, 220, 246, 255, 306–308, 310, Frömmigkeit 325, 340 f, 348, 360, 395 f, 398, 408, – Eifern für die ​II 553 f 425, 428, 442, 450, 500, 515 f, 518, – und Gelehrsamkeit ​I 276; III 68; IV 72, 553–555, 581 f, 631, 636, 649 f, 663, 315, 325, 329, 381, 441, 499, 745 670, 684, 761, 790, 793, 797, 815; Frucht (geistliche) ​I 159, 203, 226, 244, II 63, 102, 161, 164, 167, 280, 318, 248 f, 548, 774; II 139, 257, 445 f, 499 f, 337, 364, 376, 426, 458, 472 f, 492, 547, 556, 563, 595; III 283, 468 f, 603; 503–505, 518, 530, 545, 548, 553, IV 352 f, 528 555, 619; III 28, 35, 75 f, 88, 106 f, – in Berlin ​IV 508, 678, 693 115, 120, 127, 134, 136, 147, 152, 161, – in Dresden ​I 11, 73, 83, 294; II 4, 115, 181, 186, 188, 199, 242, 263, 282, 298, 467; IV 99 f, 239, 265, 305 f, 359, 415, 314, 316 f, 351, 391, 408, 425, 453, 678 501 f, 522, 537, 572 f, 582, 588, 596, – in Frankfurt a. M. ​I 98 f, 830–835 610, 626, 631; IV 17, 47, 74, 267, 272, – in Sachsen ​I 151, 159, 169, 253 f, 294; 299, 303, 311, 402, 426, 435, 457, 487, II 51, 142, 350; III 92, 178, 452, 562 f; 515 f, 529, 537, 549, 552, 585. IV 306 f, 415 – Speners ​I 18, 89, 101, 178, 298; III 147, – unter sächsischen Geistlichen ​I 254, 256; IV 241, 425, 455, 681 295; II 79, 115 Gartenarbeit, als Zerstreuung ​IV 278 Früchte des Glaubens (persönliche) ​I 441; Gastwirte ​ IV 752 f IV 70 Gebet ​I 524; II 20, 226; III 34, 420 f; Fürbitte I​ 156, 202, 245, 262, 273, 287, IV 334, 425 f, 709, 757 575, 821; II 31 f; III 193 f; IV 699, 709 – frei formuliertes ​II 30; IV 699 – für Irrgläubige ​IV 513 – Speners eigenes Gebet ​IV 522 f – für Spener ​I 12, 73, 75, 84, 98, 101, s. a. Fürbitte 111, 131, 156, 159, 243, 245, 250, Gebetbücher ​IV 426, 699 283, 298, 379, 585; II 21, 92, 139, 351; Gebetszeiten ​I 21; II 31 III 145 f, 265 f, 540 f; IV 191 f, 518, 523 Gebote Gottes ​IV 70 – Speners für andere ​I 19 f, 69, 99, 103, Geduld ​I 159 f, 287, 318, 454, 472, 546, 111, 156, 165, 266, 283, 297 f, 336, 712, 586, 684, 749, 828; II 59, 236, 271, 314, 749, 827; II 139, 175, 324, 326 f, 374, 374, 378, 432, 466, 473, 486; III 59, 379, 393, 491; III 9, 55, 249 f, 270 f, 626; 84, 87, 178, 205, 223, 225, 287, 441; IV 655, 659, 668, 679, 694, 717, 721, IV 350, 633, 641 729 Gefühle, als Kennzeichen für den wahrhaft – Speners für die Obrigkeit ​IV 3 Wiedergeborenen ​ I 218 f Fürsten, ihre Verantwortung IV​ 701 f, s. a. Empfndsamkeit 709–711 Gegenwart Gottes, heute und in der Zu- s. a. Obrigkeit kunft ​ I 546 Fürstenhöfe s. a. Adel ​II 563 f Gehorsam s. a. Adel – der Gemeinde gegenüber ihrem Geist- lichen​ II 296–299 Gabe des Heiligen Geistes ​I 246, 565; – gegenüber Vorgesetzten ​ II 32 III 328, 350. Sachen 805

– im Leben der wahrhaft Wiedergebore- 504; IV 54, 94, 96, 155, 258, 352, 515, nen​ I 218 f 517, 569, 756 Geist, heiliger ​I 24, 69, 381, 565 f, 622, – menschliche vor Gott ​I 545; III 357 802; II 260 f; III 335, 417, 626; IV 514, – zugerechnete ​I 63, 120, 300; II 458; 712 III 26, 50, 185, 281; IV 54, 94, 98, 249, – sein Maß ​I 4, 21, 29, 99, 294, 324, 350, 455 352, 360, 378, 385, 393, 411, 437, 451, Gericht Gottes ​I 24, 80, 85–87, 118, 144, 588, 676, 767, 772; II 192, 221, 226, 165, 187, 190, 195, 197, 203, 220, 225, 235, 240, 246, 273, 384, 530; III 251, 235, 262, 284, 287 f, 291, 332 f, 353, 335; IV 37, 56, 419, 720 f 357, 384, 393, 395 f, 414 f, 451, 456, – sein Wirken ​I 95, 548, 566, 571, 748; 472, 500, 515, 529, 547, 586, 603, 616, II 260 f, 405 f. III 287 f, 292, 448, 484; 668, 694, 708, 719, 731, 744 f, 752, 805, IV 103, 329 819, 829, 833; II 11, 16, 37–39, 46 f, Geistliche, ihre Aufgaben ​III 234; 52, 82, 84, 92, 103, 122, 128 f, 138 f, IV 547–549, 578 142, 164, 168, 184, 188, 203, 218, 253, – im Verhältnis zur Gesamtgemeinde ​ 258, 267, 271, 294, 353, 368, 387, 391 f, IV 576 f 415, 422, 424, 434 f, 437, 440, 445, 465, – nach Speners Wunsch ​I 20, 245 f, 468, 484, 487, 515, 523, 532, 539, 544, 500, 748–750, 780–783, 795–798; 547, 550, 587, 602, 607; III 11, 24, 47, II 65 f, 296–299, 496 f, 577 f; III 189; 59, 61, 84, 89, 106, 145, 184, 213, 220, IV 393–395, 456 f 234, 267, 271, 281, 318, 323, 390, 395, Geistlicher Stand ​I 191 f; II 294; IV 240, 399, 427, 468 f, 491, 499, 505, 513, 552, 395, 487, 539, 631, 660, 715 566 f, 589, 615 f, 743; IV 4, 14, 53 f, 85, Geiz (als Habgier) ​I 624; II 89, 256, 557, 104, 134, 172, 214, 267, 287, 337, 340, 575, 580 f, III 125, 427; IV 422, 424, 349 f, 352, 355 f, 358, 363, 365, 371, 482, 548, 563, 647 383, 434, 472, 554, 566, 612, 636, 672, Gekreuzigter Christus, Predigt ​I 397 709, 728 f, 760 f Gelassenheit I​ 451, 752, 756, 793, 824; Gerichtsstreitigkeiten unter Christen ​I 66; III 422, 585, 589; IV 278, 524 II 124–126, 163 Geld, Umgang mit II​ 360 f Gesang, in der Kirche I​ 548–550 Gelehrsamkeit ​ III 427–430 – lateinischer ​ I 808–815 Gelübde II​ 229–231, 255 f, 300; IV 57, 59, s. a. Lieder 284, 625 f s. a. Musik s. a. Ordinationsgelübde Gesangbuch ​ I 617 Gemeinschaft Geschlechtsverkehr, vorehelicher II​ 162 f – der Christen im ewigen Leben ​I 27 Geselligkeit(en), Teilnahme an III​ 40 f – des Glaubenden mit Christus ​I 25 f Gesetz Genealogische Forschung ​I 142, 152 f, – Gottes ​IV 70, 289 178–180, 263–265, 350 f, 478; II 244 f; – das Halten I​ 544; III 185 f, 448 f, 458 f, III 216 f; IV 295–298, 492–494 482, 563 f, 567, 635; IV 93–108, 254 f Gerechtigkeit – Moses und Christi ​IV 756 – Christi ​III 6, 263, 513; IV 52 f, 70, 102, – oder Evangelium predigen I​ 425. 201, 760 III 605–608 – christliche I​ 63, 369, 425, 427, 588; Gesetz und Evangelium I​ 791 II 333, 422, 440, 544; IV 53, 94 – Verhältnis zueinander ​IV 38, 105, 321 – des Gesetzes ​III 48, 97, 106 Gestirne ​III 301–303, 501 – des Glaubens ​IV 93, 201 Gesundheit Speners I​ 45–47, 59 – einhaftende II​ 458; III 384; IV 102 Gesundheittrinken I​ 215 f; II 447 – gesetzliche I​ 369, 425 Gewissen I​ 5, 28, 34, 51 f, 56, 69 76, 88 f, – Gottes ​I 287, 762, 821 f; II 21, 122, 267, 125 f, 141, 156, 172, 192, 196, 200, 466; III 90, 107, 184 f, 287, 482, 493, 202 f, 212, 215, 223, 226, 237, 247 f, 806 Register

251, 253, 309, 328 f, 332 f, 341, 346 f, – in Glaubensdingen ​I 333, 657, 757; 378, 387, 398, 401, 412, 415, 417, II 313; IV 147 f, 275, 280, 284, 288, 502 425, 448, 471, 480–482, 484, 509 f, s. a. Freiheit 517–519, 526, 536, 539 f, 545, 548, Gewissenszwang (Herrschaft anderer über 566, 593, 595, 599, 611 f, 615, 617 f, das Gewissen) ​I 7, 79, 699 f; II 63, 256, 626, 640, 657, 667, 689, 698–700, 474, 483, 613–617, 620; III 28, 79, 170, 716, 723 f, 735, 756 f, 765, 757, 343, 542; IV 30, 267, 280, 287 f, 503, 781 f, 791–794, 796, 799 f, 802, 807, 512 809–811, 813, 815, 821, 831 f; II 11 f, Glaube I​ 37, 55, 76, 172, 199 f, 213, 186, 17–19, 32, 47, 54, 63, 83 f, 109, 118, 277, 283, 288, 300, 401, 438, 440 f, 123, 125, 146, 154, 188, 197 f, 214, 459, 503, 545, 548, 564, 586, 616, 628, 219 f, 224, 228–232, 237, 243, 256, 681 f, 762, 764, 778; III 183, 288, 382, 280, 300, 374 f, 454, 459, 472 f, 475, 412–418, 513 f; IV 22, 70, 87 f, 90 f, 93, 482, 486, 492, 499–501, 504, 520, 100, 104, 106 f, 167, 225, 261, 327–329, 537, 539–541, 544, 548, 553, 558, 561, 350, 372, 391, 397, 473, 495, 499, 514, 568, 573, 579, 582, 584 f, 588, 594, 554, 624, 636, 760 f 596–598, 610, 621; III 10, 51, 61, 77 f, – eingebildeter II​ 554; IV 26, 376 98, 122, 126, 134, 136, 146, 148, 152, – Ergreifen des gegenwärtigen und zu- 156, 159, 161, 181, 207, 259, 273, 281, künftigen ​ I 21 289, 295, 300, 302, 308, 343, 358, 361, – im Verhältnis zu Werken II​ 554 365, 392, 405, 417, 425, 441 f, 453, – Kennzeichen des I​ 219 503, 510, 516, 522, 524, 528 f, 541 f, – seine gottgewirkte Entzündung I​ 300; 551, 553, 557 f, 575, 580 f, 586, 588, III 627; IV 53 608, 611 f, 618–620, 628; IV 15, 30, – tätiger II​ 416, 457, 499 f; III 281, 420, 33, 35, 53, 58 f, 68, 88, 99, 106, 115, 516; IV 759 f 119, 128 f, 135 f, 140 f, 145, 147, 149, – wahrer und lebendiger oder toter ​ 153, 161, 169, 217, 222, 230 f, 275, I 381–383, 425, 437, 438, 446, 527, 283, 287 f, 339, 347, 388 f, 400, 404 f, 623; II 416, 445 f, 499, 554; III 183, 456 f, 461, 466, 537, 541 f, 548, 550, 382, 418, 514, 608, 627; IV 26, 54, 280, 553, 555, 567–570, 572 f, 579–585, 335, 455 f, 487, 513 588 f, 595 f, 599, 611–613, 615 f, 626, Glaubensbekenntnis ​ IV 448 f 648–650, 702, 711, 721, 730, 732, 734, Glaubensfüchtlinge, französische II​ 112 738, 741–744, 748, 751–753, 764, 768 f Glaubensgewißheit I​ 764; II 263; III 279, – eines Beichtvaters ​I 199 f, 240, 598, 413, 418–420; IV 176, 738 797; II 358, 550, 582, 598 Gnade ​ II 526 – Speners ​I 13, 36, 47, 64, 79 f, 81, 88, – Gottes ​ I 564 135, 137, 151, 216, 236, 245, 294, 304, – ihr Maß I​ 21, 88, 201 f, 222, 294, 657, 346, 391, 421, 426 f, 430 f, 460, 509, 695, 753; II 192, 319, 332, 438, 359, 517 f, 531 f, 593, 637, 699, 791, 831; 548, 553; III 93, 192, 257, 384, 421; II 10, 107, 219, 261, 303, 341, 392, 476, IV 37, 332, 352, 400, 425, 432, 438, 504; III 51, 74, 80, 172, 190, 244 f, 251, 512 264, 302, 422, 546, 548, 560, 574, 581, Gnadenbund (Gottes mit den Christen, 621; IV. 31, 78, 172, 220 f, 240, 242, neuer Bund) I​ 19, 23, 299 f, 586, 734; 245, 300, 311, 312 f, 322, 376, 428 f, II 406; III 42, 586, 596; IV 159, 621, 453 f, 666, 671 f, 681, 684, 687, 692, 623, 713 697, 721, 752 Gnadengabe I​ 16, 36, 76, 335, 393, 544, Gewissensfreiheit ​IV 541, 678 667, 682, 738; II 75, 148, 250, 280 f, – in exegetischen Fragen I​ 645, 796 346, 377, 407; III 50, 87, 253, 298, 394; – in ethischen Fragen ​III 523; IV 613 f IV 515 Goldwäscherei ​ II 135 Gottes Wort, äußerliches Hören I​ 576 Sachen 807

– regelmäßiger Umgang damit ​I 231, 526 Gratulationsschreiben Gottesdienst, äußerlicher ​II 497 f – anläßlich einer Geburt ​II 305 Gottesdienstbesuch (Predigtbesuch) ​ – anläßlich von Amtsantritten I​ 67–70, I 383 f; IV 595 f 132–135, 156, 178; III 442 Gotteserkenntnis, natürliche ​II 537, 402; Griechischunterricht ​I 734–736; IV 158 f IV 733–735 Grund der Seele ​III 416; IV 520 – wahre ​I 567; IV 509, 733–735 Gutachten Gottesgelehrte ​I 38, 326, 494; II 235 – des Frankfurter Predigerministeriums ​ Gotteslästerung I 187 f, 267 – Anklage der ​II 375, 587; III 285–289 – Speners ​I 62–65, 81 f, 140 f – Gedanken der ​I 522; III 605 – zu Speners Berufung nach Dresden ​ Göttliche Natur, Teilhabe an der II​ 20 I 73, 75 Gottseligkeit, rechtschafene und tätige, – Speners zu den Leipziger Pietisten ​ wahre (pietas; Frömmigkeit), fromm ​ IV 301, 362, 372, 377, 428 f, 434, 442 f I 10 f, 16, 18 f, 21, 36, 38, 43, 52, 98, Güter, zeitliche und irdische I​ 25 101, 125, 137, 159, 175, 207, 225, 253, Gütergemeinschaft in der christlichen 268, 273 f, 277, 281, 303, 324, 335 f, Urgemeinde I​ 393; IV 258 364, 378, 384, 386, 388, 392 f, 401 f, 421, 452, 471, 489, 501 f, 511, 514, 527, Habgier s. Geiz 543, 547 f, 581, 585, 590, 608, 615, 629, Handaufegung ​ I 392 f 641, 650, 662 f, 660, 663, 686 f, 693, Haß gegen die Sünde II​ 548 f 709 f, 713, 720 f, 727, 742, 749, 768, Hausandacht (Hausgottesdienst) IV​ 596, 777, 779, 782, 786, 790, 797, 822; II 5, 750 12, 24, 29, 42, 66, 71, 75, 95, 107, 116, Hausbesuche I 102; III 139 f; IV 530 f, 750 f 132, 142, 170, 182, 200 f, 208 f, 212, Hauswirtschaft II 225 221, 231 f, 235, 248, 252, 289, 326, Hebräische Sprache, Unterricht ​IV 158 f 329, 336, 347, 368, 370, 376–379, 393, – Vermögen, sie zu lernen ​II 252 404, 408–410, 414, 420, 455, 470 f, Heftigkeit in der Redeweise I​ 311–313, 474–476, 479, 489, 500, 509 f, 520, 544, 357, 391, 393, 395, 397 f, 419–421, 431, 549, 551, 554 f, 559 f, 600, 602; III 7, 9 f, 536 f, 539, 544, 612, 614, 812 f; II 174, 13, 25, 39, 51, 54, 64, 67–69, 77, 92 f, 431; III 252, 373, 612 119, 130, 134, 138, 143, 146, 150, 152, Heiden, heidnisch ​I 196, 734, 763; II 154, 157 f, 163, 175 f, 183, 186, 195, 200 f, 163, 515; III 595; IV 333, 356, 423, 204, 229, 235, 264, 279, 283, 291, 293, 580, 734, 736 300, 303, 308, 313, 335, 373, 381, 390, s. a. Türken 394–396, 401, 413, 427–430, 435, 437 f, Heilige Schrift ​I 89, 93, 112, 185, 196, 453, 462 f, 467, 469, 471, 476, 478 f, 210, 223, 239, 268, 280, 315, 317, 320, 481 f, 516, 525 f, 531, 538, 540, 546, 378, 404, 406 f, 413, 437, 439, 446, 459, 549, 563 f, 567 f, 584, 597, 603–605, 469, 498, 503 f, 564 f, 572, 589 f, 621 f, 610, 615, 619, 627; IV 4, 12, 20, 28, 628 f, 643 f, 646, 656, 661 f, 666, 671, 54, 63, 68 f, 71 f, 74, 80, 84, 96, 108, 675, 677, 686, 702, 732, 734–736, 767, 119, 122, 124, 127, 129, 159, 169, 182, 774, 780, 786, 826, 830; II 41, 188, 188, 194, 198, 201–203, 209, 226, 241, 196 f, 250, 261–264, 284, 308, 375, 247, 252, 261, 264, 267, 291, 301, 309, 405 f, 423, 431, 471, 500, 521, 535, 539, 315, 325–329, 334, 338, 344 f, 347, 362, 543, 555; III 4–6, 13, 21 f, 30 f, 33, 63 f, 365 f, 368 f, 371 f, 381, 383 f, 391, 393, 90, 104–120, 159 f, 176, 182, 185, 193, 396 f, 399, 401, 404, 410, 418, 421, 436, 263, 279, 281–283, 291–294, 333–335, 439, 441, 445–447, 453, 455, 463, 474 f, 343, 346 f, 363, 367 f, 396, 413, 419, 482, 497, 499, 502, 530, 555, 558, 584, 428, 437, 442, 462, 481, 513, 543, 568, 607, 611, 616, 619, 622, 625 f, 631, 653, 571 f, 593, 628, 634 f; IV 25, 28, 71, 74, 666, 702, 711–713, 729, 731, 742 79, 90, 105 f, 108, 115, 124, 130, 167, 808 Register

194, 213, 251, 258, 287, 326, 328 f, Hofnung eines künftig besseren Zustands 332 f, 335 f, 360, 383, 393, 393, 397, der Kirche I​ 102, 104, 284 f, 433, 645 f, 419 f, 473, 512, 537 f, 735–737 739; II 21, 142, 163, 258, 294, 314, Heiligkeit 423 f; III 85 f, 213, 235, 256, 259 f, 366 f, – des Amtes, der Kirche I​ 548, 803; 469, 566 f; IV 167 f, 209, 225, 340, 346, IV 23, 395, 457 353, 458, 472, 502, 604, 606, 630 f, 638 – des Lebens ​I 25, 63, 207, 232, 420, s. a. Verbesserung von Christentum, 501, 524, 565, 588, 623, 710, 742, 829; Kirche und Schule II 333, 475; III 8, 420; IV 329, 395, 397, s. a. Verheißungen 436, 564, 676, 736 Hofgemeinde in Dresden I​ 42 f – Gottes ​II 544; III 185, 280 Holzfrevel ​ IV 566–569 – Gottes, der Sakramente usw. I​ 749; Homiletik I​ 628 f, 671, 675; III 14, 110, IV 12, 104, 251, 327, 576, 583, 619, 334 f 713, 736 Homiletische Übungen I​ 460; II 75, 119; Heiligung ​I 21, 120, 173, 202, 223, 277, III 14, 335 413, 425, 545 f, 565, 567, 588 f, 624, Hurerei 633, 709, 721, 761; II 333, 539, 544, – in Frankfurt I​ 5 555; III 108, 183, 185, 263, 280, 362, 381 f, 384, 399–401, 417 f, 420, 437, Imitatio Christi III​ 50; IV 393 513 f, 551, 580; IV 13, 30, 51, 54, 70, s. a. Nachfolge Christi 93, 95, 108, 201, 209, 242, 251, 333 f, Injurienprozeß I​ 66, 195, 428 f, 464–467, 341, 352, 455, 463, 510, 593, 620, 623, 535 f 681, 704 f, 710, 738, 762, 764 Innerer Mensch II​ 445 – innere ​ I 425 Innewohnung Christi im Gläubigen ​ – Speners Erkenntnis dazu IV​ 345 f II 537.539 Heirat Inspiration – für einen Pfarrer ​IV 278 – der Bibel, der biblischen Schreiber ​ – gemischtkonfessionelle ​ IV 469 f I 572 f; II 262–264; III 291–296 Heiratswillige ​ II 613–618 – von Paulus Inspiration I​ 763 f Heraldik ​ I 478 Investitur​ II 320 Heterodoxie ​ I 246 Irrtümer, Umgang mit I​ 640 Heterodoxieverdacht III​ 283 f, 568; IV 25, Ius episcopale I​ 235 127, 368, 764, 766 – in Frankfurt a. M. I​ 5 – durch Theologen ​II 282 f, 457–459, 508; IV 21 f Johannesapokalypse I​ 404–408, 411, 667; Heterodoxievorwurf ​I 687, 748; II 559 f, II 375; III 16–22 600; III 128, 159, 189, 262, 604 Juden(tum) II​ 531 f – gegen die Pietisten ​III 158, 482, 569; Judenbekehrung(en) IV 225, 271, 300, 313, 339, 362, 371 f, – in Frankfurt a. M. I​ 5, 603 434, 585 – allgemeine (endzeitliche) I​ 315 f, 407, – gegen Spener ​III 191 f, 201–203, 411, 645–647, 739 440–443; IV 88, 127 f, 373 – allgemeine (endzeitliche) (Speners Heuchelei Erkenntnis) IV​ 346 – als Vorwurf gegen die Frommen s. a. Konvertiten, aus dem Judentum (Pietisten) IV​ 365, 410, 587 Jugendunterricht ​ IV 531 f – der Buchstabenchristen IV​ 335, 396 Hochmut I​ 277, 430, 454; II 432; III 40, Kampf des Glaubens I​ 522–526 200, 518 f, 521, 586; IV 100, 201, 245 Kanonikat ​ III 300 – geistlicher I​ 226; II 79; III 185, 402; Kanzelabkündigungen, Zivilrecht IV 596 ­betrefend​ II 219 f Sachen 809

Kanzelmißbrauch (mit eigenen Anliegen) Kirchen‑ und Schulwesen ​I 659–664 III 121 f Kirchenälteste ​ II 94 Katechismus ​I 18–21, 621 f Kirchenbau ​III 474 f, 599 f – Dresdner Kreuzkatechismus ​I 257 f, Kirchenbuße ​II 161 f, 572–574 497, 594, 766; II 81, 158, 189, 238, 382 – öfentliche ​ I 238–240 – Luthers ​I 251, 621, 766 Kirchengericht ​II 82 f, 596 f; IV 578 – Quedlinburger ​ IV 484 Kirchengeschichte ​ I 671 Katechismuserklärung Speners II​ 149 Kirchenordnungen ​I 228, 675, 682, 797; Katechismusübungen bzw. ‑examen ​ II 81, 86, 255 f, 300 f, 311, 566, 579, II 369 f, 381 f; IV 113, 539, 545 f, 694 f 585, 593, 613–621; IV 467, 536–539, – in Dresden bei Spener ​I 204, 257 f, 552 f, 560, 576, 588 295, 412 f, 477, 497, 593, 692 f, 753; Kirchenväter (= „Altväter“) ​I 80, 196, II 5 f, 70, 92, 110 f, 116, 131, 147, 149, 662; II 41, 44, 62, 153 f, 196, 316, 406, 159, 162, 181, 189 f, 238 f, 243, 349 602, 610; III 75, 323, 324, 368, 499; – in Frankfurt a. M. ​I 112, 126 IV 32, 405, 418 f – in Gießen ​III 531 f; IV 229–231, 267 Kirchenverfassungen ​ I 244 – in Sachsen I​ 131, 294 f, 355 f, 447, 456, Kirchenversammlung, aus allen Ständen ​ 477, 497, 594, 765 f; II 6, 70, 76, 81, I 124 116 f, 131 f, 158, 161 f, 180 f, 189, 243, Kirchenwesen, in Frankfurt a. M. I​ 4 f 337, 349, 369, 387, 501; III 482 Kirchgang, nach der Entbindung ​II 613 f – in Schweden ​I 685 f Klage, über die allgemeine Situation in der Katechismusunterricht (Methode) ​I 112, Zeit ​ III 503–505 126, 301, 364 f, 445 f, 503, 621 f, 766; Klageschrift, zur Verbesserung des II 382; III 62–64; IV 545–547 Kirchenwesens in Frankfurt a. M. I​ 5 f Kenosisstreit IV​ 146, 184 f, 285, 406 Kleider(pracht) ​I 5, 779–783; III 127, Ketzermacherei ​I 605 f; II 600; III 28; 516–522 IV 22, 292, 336, 410, 434 s. a. Luxus, bei Kleidern Kinder ​I 102, 412, 445 f, 497, 736, 766, Kleiderordnung, als Zeichen des Standes ​ 821; II 110 f, 181, 460–463, 493; III 38, II 592 63 f, 295, 515, 585 f, 595 f; IV 114, 370, Kloster (Klöster) I​ 388; IV 225 504, 539, 656, 731, 747, 750 Kollekten Kinderglaube​ III 416 – für arme Gemeinden ​II 351 f; IV 499 Kirche – für Kirchenbauten ​I 157 – bestehende und zu pfanzende (plantata Kometen ​ III 301–303 et plantanda) ​I 429 Kommentare zur Bibel ​IV 157 f – derzeitiger Zustand ​I 308, 426 f, 451; Komödie ​I 699; II 54 II 294; III 61 f, 141, 322; IV 534, 539 s. a. Oper – erste ​I 238, 393, 615; II 549, 574, 597 f; s. a. Theater und Oper IV 528, 577 Kondolenz(‑schreiben) I​ 117 f, 194; – ihr gefährlicher Zustand ​I 264 II 240 f; III 399 f, 490–492, 515 f – in Bedrängnis, im Gericht ​I 284, 432 f; Konfessionen ​IV 455, 512 f, 514–514 II 121, 128, 294; IV 149, 349 Konfrmation I​ 20, 393; IV 528 – lutherische ​I 414 f, 610; IV 275, 384 f, Konkordienformel IV​ 127, 145, 284, 406 512 f Konsistorialarbeit, in Dresden I​ 43, 195 – sichtbare I​ 611; II 195; IV 513 Konsistorium, allgemeine Aufgaben II​ 83 – unsichtbare ​I 611; II 195; IV 513 f Kontemplation ​ I 777 – unterdrückte (unter der Herrschaft mit Kontroversen, in der Theologie IV​ 383 anderer Konfession) III​ 147, 475, 496 f Kontroverstheologie, in der Predigt I​ 501 – wahre ​I 147, 611, 730; II 183; III 84, Konventikel ​ I 738 549; IV 253, 384, 487, 513 f, 641 – pietistische I​ 279 f; III 609 f; IV 62–66, s. a. Verderben, der evangelischen Kirche 74, 129–131, 134, 141 f, 169, 190, 211, 810 Register

226, 338, 362, 421, 442, 478, 531, 539 f – körperliches ​ I 24 f s. a. Freiheit für Konventikel – Speners​ IV 359 f Konversion – wegen der Frömmigkeit ​IV 334 – zum evangelischen Glauben ​I 717–721, Liebe, als christliches Hauptgebot ​I 7, 89, 732, 755–757; II 152–154; IV 513–515 103 f, 138, 172, 176, 223 f, 232 f, 249, – zum Katholizismus ​I 617; II 155; 302 f, 354 f, 377, 395, 466, 471, 509, IV 293 f 511, 527, 531, 551, 555, 645, 687, 743, Konvertiten 748 f, 757, 762, 775, 782, 800; II 44, – aus dem Judentum ​III 324 65, 113, 168, 170 f, 174, 274, 282, 286 f, s. a. Judenbekehrung(en) 303, 323, 401, 416, 459, 463–465, 518, – zum ev. Glauben I​ 352–355; II 427 f; 520, 555, 573, 575, 582, 588, 591, 602, III 323 f; IV 225 605–610, 616; III 34–41, 128, 154, 157, Koran ​ IV 736 221, 276, 281, 296, 300, 323, 400, 451, Korrespondenz ​ I 40 f 462, 484, 502, 516 f, 612; IV 32, 35, 54, Korruption​ III 406 70, 100 f, 103, 275, 288, 321, 326–326, Krankenbesuch I​ 816 f; IV 548–550 393, 512 f, 517, 526, 548, 602 f, 607, Krankheit III​ 165–168; IV 525 f 705, 767 – als Erziehungsmittel Gottes ​I 693 f, 827 – auch gegen „Recht“ ​II 323 – als satanisches Werkzeug ​I 788 f – Gottes, Christi I​ 209, 588, 802, 827; Krankheiten, Speners und in dessen II 226, 401, 445, 549, 551; III 36, 141; Familie ​I 45–46, 59, 205, 252, 271 f, IV 366, 622, 625, 739, 767 292; II 420, 450 – im Verhältnis zum Glauben ​IV 759– Kräuter, Verwendung als Heilmittel ​II 18 f 763, 766–768 Kreatur, neue ​III 516 – unordentliche ​I 775, 781; II 41, 222, Kreditnehmer ​ III 620 f 376 f, 400; III 518; IV 325 Kreuz Christi, als Leiden der Gläubigen ​ – zu Gott, Christus I​ 26, 28, 209 f, 219, IV 523 f 232, 248, 302, 379, 388, 395, 527, 531, Krieg(swesen) II​ 604–610; III 10 743; II 66, 168, 315, 434, 544, 549; Kurfürstenbibel s. „Weimarer Bibel“ III 7, 22, 34 f, 38, 280, 378, 417, 517, 521; IV 107, 176, 255, 280, 393, 379, Landtag, in Kursachsen I​ 652, 660, 397, 550, 611, 622, 713, 730, 758–763, 693–695, 732, 751, 753, 765; II 6, 70, 767 76, 81, 116, 131, 147, 158, 161, 180 f, – zur Kirche ​II 66; III 630 f; IV 119 238, 369 – zwischen Eheleuten III​ 400, 525 Laster ​I 328, 414, 633, 742, 833; II 86, Lieder, geistliche, im Gottesdienst u. ä. ​ 283, 497 f, 580, 582; III 124, 336, 600; I 808–815; II 59, 261 IV 253, 556, 559, 580, 582, 587, 710, s. a. Gesang 743 s. a. Musik, im Gottesdienst Lästerung​ IV 399–401 Lutherische Kirche I​ 195–197 – des Heiligen Geist ​IV 400 f – deren Gefahr I​ 414 f, 432 f – in Frankfurt a. M. ​I 5 Lutherische Konfession ​IV 613 f Lateinische Sprache ​II 13, 134 Luxus​ II 163 Leben, ewiges (über das irdische hinaus) ​ – im Hofeben s. Adel, Adlige I 23 f – bei Kleidern I​ 5, 369 Lediger Stand ​I 231 f – bei Schmuck ​I 44 Lehre ​ IV 397 s. a. Kleider(pracht) Lehrwiderlegung, gegen Katholiken ​ s. a. Pracht I 801–803 Leib, Seele, Geist, ihre Verhältnis zuein- Machtmißbrauch, der Obrigkeit I​ 383 f ander ​ I 826 f Märkte (Jahrmärkte) IV​ 753 f Leiden​ I 27–30 Sachen 811

Märtyrer, Auferstehung der I 407 f; II 375 f; Mystische Theologie s. Theologie, III 89 f, 98, 368; IV 84 f, 118 f, 167, 202 f, mystische 209, 214, 268, 506, 636 Medikamente ​I 145, 258, 271 Nachfolge Christi ​I. 387, 389, 624, 709, Meditation ​ I 198 721; II 328, 332, 547. III 183, 256, 264, Medizin, ihre Erkenntnisse ​I 761 f 281, 386. IV 365, 611 Meineid s. a. Imitatio Christi – in Frankfurt a. M. ​I 5 Nächstenliebe ​I 232, 248, 250, 255, 302 f, Mensch 395, 526 f, 567, 773, 775, 781 f; II 33, – alter ​I 25; II 333; III 290, 527 65, 89–92, 105, 133, 226 f, 283, 401, – äußerer ​I 301; III 136, 491, 584 406, 410, 473, 551, 555, 581, 591, – innerer I​ 137 f, 165, 223, 232, 256, 605–608; III 39, 41, 126, 280, 317, 301, 303, 367, 541, 591, 615 f, 635, 748; 381, 517, 521, 574; IV 70, 97, 100, II 166, 445, 461, 581; III 33, 47, 80, 82, 104, 127, 201, 230, 369, 393, 422 f, 154, 235, 290, 317, 358, 447, 516, 521; 482 f, 485, 496, 516 f, 549 f, 593, 602 f, IV 365, 525 647–649, 676, 710 f, 730, 758–763, 767 – neuer I​ 21, 93, 218, 299–301, 721; Naturrecht ​ I 784–787 II 261, 333; III 290, 516, 527; IV 248 f, Neue Schöpfung ​I 300, 569; III 293, 516 291, 336, 399, 583, 621 Neuer Mensch s. Mensch, neuer Menschwerdung Christi, Erniedrigung ​ Neues Testament ​I 93; II 170 II 531 f Neujahrswünsche I​ 262, 264, 266, 293, Messe, katholische ​IV 388 732, 743; II 13, 29, 37, 51, 87, 494; Messen, in Frankfurt a. M. und Leipzig ​ III 9–11, 60, 66, 80, 127, 565; IV 3–6, I 74, 76, 79, 324, 351, 410, 436, 533, 44, 68, 80 f, 508, 642, 659 738; II 14, 74, 134, 164, 178, 209, 211, Nominalelenchus ​ II 237 319, 474, 519; III 228, 231, 248, 319, – in Brandenburg III​ 611–613 374, 453, 471; IV 93, 122 f, 208, 219, 296 f, 373, 678 Oberhofpredigeramt Speners und dessen Millennium ​III 90, 367 f; IV 84 f, 167 f, Aufgaben ​I 3, 15–17, 42–44, 73, 83 f, 182, 208 f, 214, 261, 268, 345, 347, 506, 100 f, 146, 252, 289 636 Oberkonsistorialrat(saufgaben) I​ 260 f – Anhänger des M. I​ 79 f Obrigkeit I​ 117, 652, 660, 804 f, 809 f, s. a. Chiliasmus 816, 818 f; II 163, 305, 560, 591, Mit Ernst Christen sein ​I 203, 302, 589; 605–608; III 10, 139, 543 f; IV 743 f III 22, 313, 342, 568, 604; IV 4, 64, – Einbezug in geistliche Fragen IV​ 726 247, 346, 436 – katholische ​ I 799 f Mitteldinge ​ II 297 – Magistrat als ​I 69 Mitwirkung, menschliches zum Heil ​ – Monarch als I​ 33 I 567 f, 570; II 260 f, 554 – als Säugamme II​ 575; IV 4 s. a. Synergismusvorwurf, gegen Spener – Streit mit der II​ 568–571; III 364 f s. a. Synergisten – Umgang mit Untertanen I​ 117 f, 235, Moral, Entscheidungsfndung ​II 62 f 383, 640, 663, 701, 716, 805, 818 f; Moralleben ​II 498; IV 333 II 571; III 10, 229, 503 f; IV 4, 566–569, Mundraub ​ IV 568 607, 702 Musik – verantwortlich für die Kirche ​I 33, 235 – im Gottesdienst ​I 550, 811 f – weltliche I​ 235, 701–703, 816–819; – als Tanzmusik ​IV 610–617, 752 IV 541 f, 566–569 s. a. Gesang – weltliche, nicht zu Bekehrungsver- s. a. Figuralmusik suchen nutzen I​ 681 f s. a. Lieder 812 Register

Ofenbarung Gottes I 29, 196, 437, 661, IV; 72, 141 f, 361, 371 721, 785–787; II 171, 249, 262, 400 f; Philosophie ​I 274, 555, 570, 662, 685; III 25, 256, 367, 500 II 405, 505; III 292, 323, 332 f; IV 74, Ofenbarungen, besondere, unmittelbare ​ 129 f, 213, 736 III 31, 197–201, 419, 499–501, 556 f, – aristotelische ​ I 685 559 f; IV 74, 199, 252, 256, 348, 474 f, – cartesianische ​ I 685 505, 636, 666 – heilige, der heiligen Dinge ​III 151, 293, s. a. Träume 323; IV 26, 129 Oper ​ III 498 f Philosophiestudium ​ III 333 f s. a. Komödie Philosophische Fakultät in Wittenberg ​ s. a. Theater und Oper I 54–56 opus operatum I​ 5, 20, 358; II 549 f, 578, Pietismus, Pietisten 597; III 241; IV 280, 495 – als (polemische) Bezeichnung ​IV 71, Oratio, meditatio, tentatio (Luther zum 111, 139, 225 f, 300 f, 311–313, 320, Theologiestudium) I​ 230; III 335; 338, 360–363, 371 f, 376 f, 399 f, 428, IV 27 436 f, 440–444, 453–455, 585, 603, 660, Ordinationsgelübde ​ IV 128 f 741 s. a. Gelübde – in Frankfurt a. M. ​I 278–281 ordo salutis ​IV 53 f – in Leipzig ​III 327 f, 396, 452 Orientalische Sprachen ​II 233 Pietistische Unruhen, von Leipzig aus- Orthodoxe Formulierungen II​ 445 f gehend ​III 470 f, 481, 508–510, 538, Orthodoxie 563, 569; IV 338, 383 – falsche ​ I 748 Politisches Geschäft ​I 823 f – rechte ​ II 551 Portoerlaß, in Dresden ​I 40 f Pracht ​I 708, 780 Papocaesarie​ I 235 s. a. Luxus Papst ​I 235, 406 Prädestination, doppelte, bei den Papsttum ​III 71 f; IV 280, 417 f, 494–496 Reformierten ​I 210, 493; II 526–529; s. a. PR III 612; IV 175, 664 – in der evangelischen Kirche IV​ 502 Praxis des christlichen Lebens im Theo- Parochie, ihre Notwendigkeit I​ 200, 600 logiestudium u. a. ​III 437 f, 478 Patenschaft(en) II​ 311 f, 393, 620; IV 529 Predigeramt ​II 547 f; IV 276 f – Speners ​I 12, 128, 144, 175, 247, 262, Predigerentlassung​ II 560 f 270, 290 f, 327, 329, 352, 368, 376, Predigermangel, in Sachsen ​II 93 f 486 f, 609; II 47, 51, 53, 145, 150, 160, Predigerministerium, in Dresden ​II 130 177, 323, 380; III 95, 129, 171, 210, – seine Würde ​ I 66 260, 319, 321, 340, 356, 451, 457, 535; Predigerseminar ​ III 153 f IV 43, 47, 50, 135, 170, 182, 194, 202, Predigt(en) 260, 445, 639 Predigten I​ 68, 566; II 4, 311, 369; Pennalismus ​I 477, 497 III 292, 294 Perfektionismus ​II 482; IV 442 – als Bibelauslegung ​III 112 f, 115 f s. a. Sündlosigkeit – Speners, erwähnte I​ 3, 10, 44, 46, 59, s. a. Vollkommenheit 127, 131 f, 140, 191, 204, 244, 337 f, Perikopenbindung ​ III 142 350, 358, 366, 369, 371, 382, 398, 486, Pfarramt, Überlastung ​I 198 f 533, 589, 633 f, 652, 633, 663, 695, 701, Pfarrhaushalt ​ III 598–601 746, 754, 826; II 49, 52, 80, 170, 185, Pfngstfest, seiner rechte Feier ​II 228 f 191, 208 f, 221, 327; III 85, 141, 172, Philologie ​I 95, 437, 675; II 233; III 154, 207 f, 244, 253, 268, 303, 444, 450, 466, 333 f; IV 74 f 547, 605; IV 322 – Vorwurf, Francke beschäftige sich nur s. a. Probepredigten mit ihr​ Sachen 813

Predigtinhalte I 65, 283, 324 f, 451, 501 f, III 231, 303, 321, 352, 444 f, 456 f, 492, 748; II 308. 510, 520, 605; IV 23, 47, 70 f, 86, 89, Predigttexte, ihre Wahl ​III 321 f 93 f, 129, 142, 192 f, 208, 210, 231, 248, Predigtvorbereitung ​ IV 277 257, 364, 368, 427, 532 f, 673–676, 678, Predigtweise ​I 364 f, 382, 460; II 80; 695, 752 III 111 f – einfältige ​ IV 587 Quäkereivorwurf II​ 559 f; IV 336, 365, Priestertum. geistliches, allgemeines ​I 104; 410 III 162, 608–610; IV 64, 532 f Privatbeichte ​II 484, 549, 578; IV 552 f Rakower Katechismus ​I 595 s. a. Absolution Rebellion s. Aufstand der Untertanen s. a. Beichte s. a. Untertanen Privaterbauung s. Erbauung, private s. a. Obrigkeit, Umgang mit den Privatkommunion ​ I 616 Untertanen Privatleben, Rückzug ins ​III 587 f Rechtfertigung ​II 458; III 418, 437; Probe, von Glaube, Treue, Geduld I​ 29, IV 255, 759 f 42, 248, 433; II 21, 47, 451, 600; – aus Glauben ​I 63, 299–301, 529; III 141, 191 f, 202, 213, 317; IV 188, II 553 f; III 382, 437, 580 238, 305, 359, 400, 411 f, 440, 501, 507, – aus Gnade ​IV 25 557, 560, 625, 660, 729 – durch Christus ​I 545; IV 70, 248 f Probepredigten, von Studenten u. a. ​ – Speners Erkenntnis dazu IV​ 345 I 460; II 148, 504; III 18 f – und Heiligung, Verhältnis zueinander ​ Professur, theologische ​III 75 f, 434, III 263 f, 381 f, 384 f, 418; IV 53 f, 108, 436–438 209, 455 f, 489 Propheten, falsche I​ 611 Rechtfertigungslehre (‑artikel) ​I 63, 120, Prophetie ​ III 499–501 791; II. 543 f; III. 92 f; IV. 22, 101, 128, – biblische ​ II 57 254, 314, 336 f, 766 Proselyten, vom Judentum zum Christen- – mißverstanden und falsch gelehrt ​ tum ​ III 323–324 II 457, 543 f, 555; III 185 f, 382; IV 30, Prozeßwesen I​ 195, 464–467; II 124 f, 128 f 163, 357 f, 568–570 – im Verhältnis zur katholischen Lehre ​ Publikationen I 120, 469, 564 f; III 448 f; IV 22 f, 93 f – anderer Autoren ​I 18–21, 79, 112, Rechtsstreit, mit der Gemeinde ​ 129, 133, 152 f, 178 f, 356, 380, 410, II 356–359 460, 469, 492, 495, 506, 544, 762, 790; Reden von Frauen, in den Collegia pietatis ​ II, III-8, 170, 173–175, 177, 183 f, 187 f, IV 755 199, 202, 236 f, 242, 244, 251, 266, Reformation 269 f, 277, 284 f, 290–293, 375 f, 379, – neue ​I 384, 419; II 126, 258, 421 f, 430–432, 437, 485, 523, 525 f; III 7 f, 434 f, 494, 515, 547, 598; III 149, 614 20, 183, 213, 321 f, 423, 455, 474, 500 f, – Sachsen als ihr Mutterland I​ 17 510, 532 f, 535; IV 69, 71, 95, 101, 112, Reformierte ​I 183; III 139 f, 405–407, 124, 185, 208, 210, 213, 223 f, 226 f, 473 f, 612; IV 153 248, 251, 255, 533, 633 f, 687, 695, 714, – als Flüchtlinge in lutherischer Ge- 763 meinde und Gottesdienst II​ 307–312 – Speners ​I 59, 73 f, 107, 128 f, 141, 152, – in Frankfurt a. M. I​ 182 f, 251 160, 179 f, 196, 205, 231, 256 f, 300, – und ihre Lehre IV​ 174–178 326, 351, 371, 380, 413, 426, 463, 486, Reichtum​ II 581 f 503, 530, 533 f, 563 f, 569 f, 572–574, Reinheit II​ 108, 509; IV 20 589, 634, 701, 746, 754, 762 f; II 52, – der Glaubenden I​ 29, 544, 710; II., 14. 71, 79 f, 129, 148, 163 f, 177, 191, 209, III 517; IV 254 244, 327, 458, 525, 536, 540, 553, 586; 814 Register

– der Lehre ​I 79, 83, 117, 196, 580, 623; Schöpfung, Geschöpf ​I 23, 105, 138, 483, II 23, 26, 194, 197 f, 283, 309, 459, 551, 752, 772, 786; II 19, 222, 402, 537, 464, 475, 551; III 61, 163, 202, 276, 539; III 26, 183, 286, 302 f, 347, 360, 278, 411, 610; IV 63, 70, 87, 140, 142, 517, 555 f, 566 f, 595; IV 515 f, 751 285, 288, 334, 336, 344, 368, 370, 395, Schulaufsicht ​ II 127 397 f, 409, 429, 513, 558, 631, 663, 688 Schulbesuch Speners ​IV 326 s. a. Unreinheit der Welt Schulen, Schulwesen ​I 659–662; III 478 f; Reisen Speners ​I 9 f, 19, 140, 161, 234, IV 159, 324–329, 558 410; II 204, 207–209, 216 f, 269, 336; Schulmeister ​ II 559 III 353, 398, 410, 432 f, 450, 466; Schwachheit ​ IV 479–482 IV 122, 194, 268, 271, 396. D99, 678, – körperliche ​ I 24 696, 707, 717, 720 – seelische ​ I 27 Rekonversion Schwachheitssünden ​IV 554 f, 567 – vom evangelischen zum katholischen Seele und Geist, Unterscheidung von ​ Bekenntnis ​ I 317 III 415–418, 584 f; IV 519 f – vom katholischen zum evangelischen Seelsorge ​I 5, 795 f, 816 f Bekenntnis I​ 619 f; III 341–344; – bei Angefochtenen ​I 615 f, 820–822 IV 293 f – an Geistlichen ​I 225–227; II 20 f Religionseid, Hamburger ​IV 144–148, – in der kurfürstlich sächsischen Familie ​ 269, 285, 320, 369, 386, 402–408, 434, I 15–17 473 f, 489, 502 f, 505 – bei Kranken ​I 557–559, 825–827 Reue ​I 564; II 548 f; IV 53 – bei Sterbenden ​I 22–31 Reunion, von Katholiken und Pro- – an Trauernden ​ I 117 f testanten ​I 119 f, 210, 494; II 3 f, 140 f; Seelsorgegespräch ​ IV 571 f III 219–221, 589; IV 673–676 Sektenvorwurf ​II 416; III 98 Rhetorik ​I 364 f, 629, 675 – gegenüber den Pietisten ​IV 72 f, 191, Riten, Einführung neuer ​II 296–299, 225 f, 263 f, 300, 312 f, 322, 339, 362, 613–621 371 f, 377, 398, 442 f, 454 Römerbriefvorrede Luthers ​II 499, 554; Selbstliebe ​I 527; II 90–92, 377; III 517 f, III 187; IV 210, 335 521; IV 20 Römisches Reich ​I 405 f – der Theologen ​ I 550 Römisch-katholische Kirche I​ 405 f Selbstprüfung ​I 202, 383, 414, 527, 576, – ihr Untergang ​I 453 782, 797; II 17 f, 35, 332, 383, 406, 425, s. a. PR 550, 596; III 35 f, 42, 152, 172, 182, 280, 425, 513 f, 518 f, 596; IV 581, 626, Sabbatheiligung s. Sonntagsheiligung 738 Sakramente, äußerlicher Genuß ​I 576 Selbstverleugnung ​I 172, 203, 387, 415, Salzburger Exulanten I​ 495 f, 532; II 156 790, 822; II 38, 332, 416, 460; III 183, Satan s. Teufel 238, 336, 428, 517, 604; IV 188, 397, Satanisches Wirken, in besonderen Ereig- 399 f, 457, 490, 611 nissen ​ I 788 f Selignennung von Verstorbenen ​ Schaden Josephs ​I 398; II 24; III 504 II 511–513 Schaden, der kursächsischen Kirche ​II 4 f Separatismus, Separation ​I 220, 560 f, 605 f, Schlüsselamt, der Kirche ​I 21; II 81–86, 625, 640; II 480 f, 493; IV 741 f 164, 364; IV 577 – in Frankfurt a. M. ​I 6 f, 85–90, 104, Scholastische Theologie s. Theologie, 186, 279, 315; II 354; III 158 f; IV 231, scholastische 742 Schöpfer s. a. Sonderling, Sonderlichkeit – drei Personen der Gottheit als ​I 214 Septuaginta​ IV 307–309 – Gott als ​II 19; III 303, 527 Sezieren von menschlichen Leichen ​ IV 649–651 Sachen 815

Simonie IV 532 479–482, 517, 541–543, 553–555, 557, Simultaneum ​I 479–482; IV 388 f 565, 567–573, 575 f, 580–582, 584 f, Sittengesetz ​ I 21 598, 612, 615, 620, 624, 676, 702, 712, Sonderling, Sonderlichkeit ​I 605 f; II 481; 738, 742 f, 751, 756–763, 767 f III 609; IV 410 – gegen den Heiligen Geist II​ 589 f; s. a. Separatismus, Separation III 287 f Sonntagsheiligung ​I 131, 768; II 30 f, 89 f, – unbekannte ​ III 201 162, 289–295, 514 f; III 356–363, 543, s. a. Schwachheitssünden 619, 768; IV 153, 376, 420–424, 454, Sünde, ihr Maß ​I 174, 284, 454, 719; 540–542, 591–594, 699 f, 709, 752–754 II 9, 271, 294, 314, 468; III 220, 271; – in Frankfurt a. M. ​I 5 IV 349, 356 Spaziergänge​ IV 278 Sündenfall ​II 537; III 26, 50, 347, 556; s. a. Bewegung, körperliche IV 676 Spenden, für Bedürftige ​I 372 f, 485 f, Sündenvergebung ​I 28 f, 120, 199, 423 f, 531 f, 634, 744; II 53, 338, 491; III 126, 427, 545 f, 622; II 17 f, 30 f, 84, 93, 130, 169, 246–248, 267, 318, 507 f; IV 43, 482, 550, 597; III 6, 184 f, 377, 447, 134 f, 192, 196, 267 f, 321, 433 f, 506 f 513; IV 13, 53, 98, 100, 107, 553–557, Spenerianismus, Spenerianer ​I 579; II 415, 576, 620, 698, 708, 757, 759, 762 f, 767 f 417 Sündigen, mutwillig ​II 482; IV 335 Spielsucht ​ I 833 – wirklich ​I 21; III 390 Spolia Aegyptiorum​ IV 569 Sündlosigkeit, ihre Möglichkeit für Stadt und Land ​IV 246 Christen ​II 482; III 185 Ständeordnung ​II 591 f; III 518 f s. a. Perfektionismus Status confessionis ​I 770 s. a. Vollkomenheit, christliche Stellenbesetzungen s. Besetzung von Superintendentenamt ​ II 557 Ämtern Symbolische Bücher I​ 94, 185, 251, 268, Stifte, evangelische ​I 387 f, 590 f; II 221 f 381, 565 f, 568; II 193–199, 217, 282, Stiftungen, mildtätige, Frankfurt a. M. ​I 6 337, 500, 543 f; III 381, 423, 442, 448 f, Stolgebühren ​IV 547, 587 458, 482, 564, 568, 571, 574 f, 580 f, Stoßgebet I​ 525; II 30 635; IV 22, 25, 32, 71, 87, 96 f, 128 f, Strafamt der Geistlichen III​ 600 145 f, 284 f, 335 f, 368, 383, 404, 406, Streit 455, 467, 698, 721, 766 – um theologische Fragen ​II 22–27 s. a. Bekenntnisse, Bekenntnisschriften – in der lutherischen Kirche ​I 554 f, 580, Synergismusvorwurf gegen Spener ​ 620, 630 f I 562–574; II 163 f, 260 f – um Lieder in Erfurt ​I 769–771; II 59 f Synergisten ​ I 568 – unter Theologen ​II 22–24, 25–27 s. a. Mitwirkung, menschliches zum Streitfälle​ II 65 f Heil Streitigkeiten in Predigerministerien ​ Synkretismus I​ 481, 672 I 630–632 Synkretistischer Streit IV​ 146, 285, 344 f, Studium, Beratung ​I 207 f, 273, 276 406 Sünde(n) ​I 21, 125, 176, 199 f, 215 f, 219, Synode, zur Beratung über die Verbes- 302, 386, 415, 425, 427, 438, 501, serung der Kirche ​IV 224 f 544–546, 566 f, 589, 622, 700, 794, 796 f, 810, 832 f; II 17 f, 105, 256, 482, Tabakanbau und ‑genuß IV​ 751 f 548–550, 573, 597, 615; III 6 f, 36, Talmud ​ IV 736 47–50, 183–185, 201, 287–289, 358, Tanzen ​I 698; IV 610–617, 752 f 377, 390, 401, 430, 516–518, 528, 595, Taufe I​ 19 f, 23, 147 f, 276 f, 299, 301, 386, 599, 606 f, 619, 635; IV 13, 32, 38, 529, 622, 713, 720; II 35; III 5–7, 123 f, 53 f, 93 f, 98–100, 102–105, 107, 246, 143, 278 f, 593–596; IV 159, 327, 529, 250, 254, 290, 335, 352 f, 362, 394 f, 581, 621, 624 816 Register

– von Erwachsenen ​IV 553 f – persönliche ​IV 245 f, 313 Taufgelübde ​ I 386 s. a. Akademischer Grad Taufwiedergeburt ​III 143, 593 f; IV 326, s. a. Anrede mit Titeln 704, 713 Todesfälle, Erwähnungen von ​I 44 f, 117 f, Teufel (Satan; Fürst dieser Welt) ​I 25, 58, 126, 159, 165, 186 f, 205, 255 64, 68, 83, 104, 156, 187, 184, 244, 246, Todesfurcht ​III 513 f; IV 305, 739 f 248, 355, 386, 420, 423, 438, 460, 461 f, Todessehnsucht ​ IV 305 522, 563, 583, 708, 750, 758, 760, 788, Todesstrafe bei Gotteslästerung II​ 587–590 608, 687, 812, 832–834; II 35, 92, 94, Trägheit 103, 105, 122, 167, 283, 288, 357, 371, – des Fleisches ​II 333, 462, 501 377, 445, 497, 524, 547, 559 f; III 6, – im christlichen Leben ​III 400–403 145, 183–185, 188, 201, 286 f, 289, 367, Transsubstantiation ​I 478, 693, 799 417, 424, 459, 566, 618, 624; IV 24, 37, Trauer ​ III 400 73, 134 f, 162, 226, 229, 239, 252, 261, Träume ​I 544–546, 758–760, 763; II 540; 265, 291, 305, 337, 365, 400, 411, 436, III 77–79 458, 477, 515, 534, 539, 570 f, 581, 598, s. a. Ofenbarungen, besondere, un- 616, 622, 624, 631 f, 728 f, 739, 752, 754 mittelbare Teufel und Dämonen, Pakt mit ihnen ​ Treue Gottes ​I 28 f I 461 f; III 286 Trinitätslehre ​ III 279 s. a. Besessenheit Trinken​ I 215 Theater und Oper ​I 698–700; II 53 f, – unmäßiges ​I 356, 821, 833 f; II 86, 162, 61–63, 146 f, 186, 374 f 580 s. a. Komödie s. a. Trunkenheit s. a. Oper Trost Theologen ​ I 93 – angesichts einer schwierigen Gemeinde ​ Theologie ​IV 453, 509 I 225 – aristotelische ​ II 100 – bei Sterbenden ​I 22–31, 557–559; – biblische ​I 497, 548; II 5, 275, 293; III 375–379, 446 III 436; IV 128 – in schwierigen Zeiten ​III 492–494 – exegetische ​I 671; III 333 f; IV 383 f Trunkenheit ​I 344; II 17 f, 86, 580, 641; s. a. Exegese IV 542, 710 – historische ​ I 671 s. a. Trinken, unmäßiges – mystische ​I 601, 729, 777 f; II 69, 242, Türken ​I 407; II 587, 610; III 595; IV 580, 405; III 26, 295; IV 93, 494 f 736 – polemische ​II 563; III 334; IV 383 s. a. Heiden – als philosophische Sache ​IV 129 Tugend(en) ​I 55 f, 419, 708 f, 763; II 63, – scholastische ​I 497, 548, 671, 685, 736; 66, 401 f, 461, 498, 544, 554, 570, 580; II 5, 275, 293; III 100, 291, 295, 437, III 54, 293, 386; IV 239, 333, 458, 464, 572; IV 128, 309, 410 580, 587, 693, 700 f, 712, 736 Theologiestudium ​I 38, 661–663; II 5, – Christi ​I 68, 125, 588, 710 384 f, 498; III 13 f, 30 f, 176, 332–336, – christliche, geistliche ​I 118, 208, 232, 436, 571 f; IV 26–28, 74, 90 f, 200 f, 315, 257, 383, 386, 566, 591, 623, 633, 652, 333 710, 714, 744, 762, 835; II 33, 71, 170, – in Württemberg ​ I 669–673 465; III 13, 40, 221, 292 f, 308; IV 54, Theologische Fakultäten, in Sachsen ​ 106, 325, 335, 393, 440, 700, 702, 711. I 36–39, 57 f, 121 f – Glaube als Tugend ​IV 760 f Theopneustie der biblischen Schreiber ​ I 93, 262 f, 384, 569, 572 f, 763 f; II 263; Übungen, geistliche ​I 369 III 113, 291 f, 428 Umgang, mit anderen Menschen ​II 33 f Titel Unbußfertigkeit ​ II 83 – akademische ​II 473 Sachen 817

Uneinigkeit I 694; II 256, 357. III 462, – des geistlichen Standes I​ 192 f, 344, 661; 614–616, 119 III 614; IV 335, 383 s. a. Einheit – der oberen Stände ​IV 325 Union, zwischen Lutheranern und – der Theologiestudenten ​ III 334 Reformierten ​I 185, 209–213, 216 f, Verdienst Christi ​I 63, 120, 323; II 140, 267 f, 316, 469–472, 489–493, 550 f, 145, 151; III 184, 204, 216, 592; IV 26, 605, 608; II 156–158, 173–176, 183 f, 70, 104, 201, 554 199, 288, 340, 365 f, 465; III 589 f Vereinigung, des Christen mit Christus ​ Universitäten ​I 40 f, 92 f, 121 f, 197, 324 f, I 26 f; IV 291 413, 456 f, 459 f, 494, 628, 661 f, 675, Verfolgung ​ IV 640 f 683, 736; II 40 f, 96–102; IV 17 – von Christen I​ 397 s. a. Theologische Fakultäten – von Frommen ​III 605 Unreinheit der Welt ​I 208 – wegen Heterodoxieverdacht II​ 474 f s. a. Reinheit – von Lutheranern in Schlesien ​II 414– Unruhe 418; III 58 f, 270–274, 364 f, 476 f, – im Predigeramt IV​ 276 f 652–654, 364 f, 476 f; IV 652–658 – in Bezug auf den eigenen Glauben ​ – von Lutheranern in Ungarn I​ 286–288, I 176 f 331–334, 349 f, 453 f, 472 f, 586, 668, Untertanen​ II 570 828 f; III 213 – Verhalten gegen Obrigkeit ​I 118, 804, – der französischen Protestanten I​ 719 818 f; II 568 f; III 504 – der Quietisten I​ 694, II 202 s. a. Aufstand der Untertanen – der Waldenser ​ I 671 f Unversöhnlichkeit ​I 64; II 85; III 620 f Vergütungen s. a. Versöhnung – bei Gutachtertätigkeit ​I 81 Unwissenheit Verheißung(en) ​I 285, 438, 546, 586, 588, – der Geistlichen II​ 498 705, 753; II 39, 57, 196, 203, 314, 350, – der Gemeindeglieder ​I 225 374, 421, 426, 496; III 59, 167, 176, Unzucht ​II 162; III 600; IV 570–574, 710 225, 250, 366 f, 500, 547, 550, 562; – in Frankfurt a. M. ​I 5 IV 107, 194, 201, 346, 358, 398, 449, 453, 668 Vateranrede III​ 570, 633 f; IV 528 – des erhörten Gebets I​ 250 Vater-Unser – des ewigen Lebens I​ 24 – der Schluß ​IV 597 – biblische, für die Zukunft I​ 102 f, 285, – Vierte Bitte ​II 533–535; IV 596 f 646; II 128. Verbesserung, Christentum, Kirche und s. a. Hofnung eines künftig besseren Schule ​I 5 f, 84, 102, 157, 235, 343, Zustands der Kirche 646; II 5, 128, 139, 142 f, 163, 421, Verkündigung 434, 468, 472, 515, 547, 553, 557, 598; – des Evangeliums I​ 381, 622 659–664; III 259, 368, 469, 505, 603, – Speners I​ 89, 100 614; IV 275, 324–329, 337, 353, 505, Verleumdung IV​ 322, 376 487, 555, 630 Vernunft ​I 23, 37, 138, 425, 643, 661 f, s. a. Hofnung eines künftig besseren 668, 685, 731, 785 f; II 9, 18, 262, 401 f, Zustands der Kirche 454, 501; III 100, 416, 418; IV 400, Verderben 448, 736 – der Gesellschaft ​I 104, 248, 280, 388, Verordnungen, obrigkeitliche ​I 149, 390, 429, 661, 708, 819; IV 333 180, 238 f, 252 f, 290, 412 f, 447, 675, – der evangelischen Kirche ​I 79; II 497 f; 682, 799, 831; II 4 f, 7, 89, 111, 189, IV 334 f, 383, 447 231, 443, 501, 571, 574; III 383, 391; – der katholischen Kirche ​I 729 IV 541, 647, 656, 753 – des einzelnen Menschen ​I 28, 103, 384, Versicherungswesen ​ IV 646–649 588, 702 Versöhnung 818 Register

– als Amt Christi II​ 333; III 390 f, 621 Vorsicht, Vorsichtigkeit, gegenüber – als Aufgabe des Christen ​II 85, 357, Menschen, in bestimmten Situationen ​ 566, 621 I 104 – als Aufgabe eines Menschen ​II 574, 597 – Gottes als Vater ​I 467, 588; IV 378 Wachstum im Glauben (in der Frömmig- – Opfer Christi als V. I 223; III 184, 378, keit; geistliches Wachstum) ​I 18, 93, 513; IV 107 103, 105, 137, 139, 165, 176, 255, 281, Verstand als menschliche Fähigkeit ​I 201, 295, 358 f, 367, 379, 414, 437, 541, 544, 291, 365, 566–571, 576, 721, 735, 826; 589, 615, 725, 752; II 51, 79, 115, 190, II 20, 195, 261 f, 311, 400–402, 405, 198, 286, 289, 293 f, 324, 332, 479, 483, 539; III 15, 33, 41, 48, 63 f, 110, 114, 501 f. III 82, 136, 154, 256, 283, 358, 153, 285, 416 f, 428, 478, 577, 632, 709; 455, 463, 482, 514, 524 f, 529, 596, 605, IV 12, 56, 257, 329, 457 f, 510, 546, 626, 633; IV 28, 192, 249–251, 275 f, 563 f, 579, 619, 676, 709 f, 713, 734, 768 328, 420 f, 439, 463, 537, 539, 584, Verwandtschaft ​ III 512 601 f, 604, 632, 705, 754. Visitation ​I 228, 236 Waisenhaus, in Frankfurt a. M. ​II 52 – in Frankfurt a. M. ​I 6, 228 Wechselseitige Seelsorge (Ermahnung), im – in Sachsen ​II 143 f, 199 f, 255, 367, 465 Collegium philobiblicum ​I 95, 321 Völlerei, in Frankfurt a. M. ​I 5 Weihnachtsgeschenke ​ IV 721 f Vollkommenheit ​ I 589 f Weimarer Bibel ​IV 480, 483 – christliche ​II 79; IV 21–24, 54, 70 f, Weinanbau ​ IV 751 93–108, 130, 248–251, 254 f, 336 f, Weissagung, Gabe der ​I 246 424 f, 440, 454 s. a. Zukunftsweissagung – der Gesetzeserfüllung ​I 544; III 280 f, Welt, als böses Leben ​I 21, 25, 28, 66, 68, 448 f; IV 756 f 72, 159, 202 f, 207, 209, 215 f, 220, 223, s. a. Perfektionismus 239, 244, 277, 302 f, 320, 384, 387–390, s. a. Sündlosigkeit 414 f, 450, 501 f, 527, 543, 546, 561, Vom Kopf ins Herz ​I 225; II 406; III 64, 575.577, 583, 630, 663, 669, 683, 702 f, 493; IV 12, 156 f, 329, 333, 619 707–709, 713, 748–750, 821, 831, 833 f; Vorbild II 35 f, 38, 54, 80, 92, 129, 164, 221 f, – Geistliche und ihre Familien als V. I 69, 232, 273, 305, 333, 415–417, 454, 463, 229, 246, 307, 564, 625, 779–781; 500, 540, 562, 573, 580, 582; III 31, II 282, 293, 557, 580; III 39.242, 394, 38, 41, 54, 61 f, 71 f, 119, 127, 142, 145, 479, 528, 634; IV 59, 172, 393–395, 147, 183 f, 200, 234, 284, 336, 377 f, 464 385 f, 400, 452, 459, 478, 481, 492–494, – Gläubige als V. I 30, 90, 103, 118, 186, 499, 521 f, 524–528, 541, 553 f, 563, 220, 232, 302 f, 369, 374, 379, 388, 576, 566, 568, 571, 586, 596 f, 604 f, 614, 590, 624, 709 f, 717–721, 835; II 562; 624, 626; IV 12, 26 f, 85, 149, 200, 229, III 163, 176, 235, 471; IV 365 f, 432 246, 254, 264, 313, 332, 334, 338, 357 f, – Spener und Familie als V. I 44, 88, 102, 362, 364 f, 399–401, 427, 432, 437, 594; IV 688 443, 445, 447, 456 f, 459, 464, 477, 524, Vorgesetzte​ I 138–140 534, 550, 556, 558, 562 f, 588 f, 603, Vorreden Speners ​I 73, 131 611–615, 617, 619, 621, 625, 632, 641 f, Vorsehung Gottes ​I 37, 50, 172, 183, 213, 694, 713, 728 f, 738, 741, 746, 752, 754 318, 401, 419, 455, 630 f, 684, 760; Weltliche Autoren ​ I 734–736 II 57, 118, 148, 155, 271, 315, 360, 370, Weltliebe I​ 30, 201, 277, 335, 501 f, 523 f, 379, 470 f; III 17, 176, 243, 273, 564; 527, 546, 708 f, 719 f, 721, 780, 820 f; IV 4, 16, 69, 123, 152, 172, 200, 212, II 38 f, 123, 377, 490, 581 f; III 36, 127, 217, 264, 308, 473, 549, 600, 680, 697 378, 478, 493; IV 61, 364 f, 611 f, 614 f, 621, 705, 713 Sachen 819

Weltverleugnung (‑verachtung, ‑absage) – für Spener I​ 4, 36, 51 f, 73, 75, 159, I 29, 62, 232, 335, 386, 591, 709, 773; 489, 585; II 470. III 223, 305, 524, 589. II 332; III 336, 494, 515, 586, 597; IV 69, 238 f, 242, 261, 331, 347, 475, IV 439, 457, 611 635 Werben, von Soldaten ​II 609 Wissenschaftliche Arbeit, zur Ehre Gottes ​ Werke ​I 63, 120, 165, 289 f, 369, 387, 414, II 13, 133 567–569, 594; II 230, 298 f, 553–555; Wohnen, Wohnung Speners I​ 10 f, 47 III 7, 185, 280 f, 390; IV 25, 52, 54, 70, Wunder, übernatürliche ​III 348 f 94, 98, 104 f, 336, 427, 703, 760 f Werkgerechtigkeit​ II 555 Zauberei ​I 460, 788 f Werkstätte des Heiligen Geistes Zechen ​ II 162 – der einzelne Mensch ​I 742; IV 129, Zeit, Umgang mit der ​I 232, 699, 708; 201 II 360 f; IV 614 – Schulen und Universitäten ​I 121, 457, Zeiteinteilung und ‑mangel ​I 198–200; 629, 661, 663; III 31; IV 17 II 127 Wiedergeburt, Wiedergeborene ​ I 21, Zensur​ I 313 23 f, 218, 299–301, 369, 425, 499, 529, Zeugnis, vom Beichtvater II​ 95 564–568, 710, 764, 774; II, 79, 149, Zölibat ​I 72, 131; III 523–525; IV 56–59 416, 260 f, 499, 509, 554; III 47 f, 129, Zukunftsweissagung III​ 500 f; IV 255 142 f, 292 f, 430, 437, 448, 633; IV 22 f, s. a. Weissagung 54, 70, 98, 102 f, 107, 129, 248 f, 290 f, Zurückgezogenes Leben Speners II​ 117 326, 333, 336, 400, 456, 584, 621 Zustimmung Speners durch andere Brüder ​ Wiedertaufe, Wiedertäufer ​I 147 f, 595; II 257 IV 253 f Zwang – in Ulm IV​ 226 – in Glaubensangelegenheiten III​ 28 Wille als menschliche Fähigkeit ​ – zur Konversion abgelehnt II​ 153 f, 286 f; I 565–571; II 261 IV 513, 516 Wille Gottes, seine Erkenntnis ​I 169, 277, Zweifel im Glauben ​I 522–525, 772–774; 346, 348, 401, 413, 415, 546; II 66, 253, III 413–417 280, 406, 408, 470, 556, 559; III 50, 67, 193, 463, 522; IV 613 Schlüssel zu den zeitgenössischen Sammlungen von Ph. J. Speners Bedenken und Briefen

Bed. 1 I 138–142 129 175–176 130 17–23 Nr. 168 364–368 141 23–25 169 418–420 131 32–38 163 421–422 103 172–173 112 460–463 162 189–190 167 496–502 132 252–258 113 526 170 302–313 58 640–642 80 314–315 62 662–663 133 326–330 114 880–882 134 338–340 115 887–888 135 534–537 165 620–622 63 635–640 116 Bed. 3 678–684 166 772–774 Nr. 8 691(–692) 117 775–776 10 763–768 118 776–777 44 817 64 Bed. 1 II 817–818 82 818–819 83 20 Nr. 119 820–821 84 30–33 161 821–823 89 65–69 55 823–826 91 69–73 120 826–834 92 194–199 121 834–840 107 206–208 122 840–842 136 218–224 123 842–844 79 239–242 124 848–852 57 251–261 (252–262) 125 852–854 148 322–324 126 854–855 153 856–857 154 Bed. 2 857–865 156 865–871 157 36–38 Nr. 127 871–872 160 78–80 128 95–98 35 Schlüssel zu den zeitgenössischen Sammlungen 821

Bed. 4 324–325 142 325–327 36 124–126 Nr. 145 353–354 61 344–347 164 483–484 1 659–663 9 484–485 24 666–669 15 638–639 50 669–670 5 687–692 65 670–671 33 780–782 152 672–674 66 799 146 674 67 803–804 47 674–682 76 804–806 (805) 143 682–684 108

Cons. 1 LBed. 1 98–100 Nr. 149 23 Nr. 19 168–169 109 198–200 100 392–393 54 205–208 40 393–395 87 221–224 79 405–409 75 335–336 70 390–391 69 396–397 18 Cons. 2 21–24 Nr. 13 LBed. 2 126 21 168 110 158–159 Nr. 105 169 139 282–283 147 177 139 335–336 70 177–178 48 341–343 79 181–182 138 389–390 34 203 99 412–416 97

Cons. 3 LBed. 3 686–687 Nr. 71 217–218 Nr. 52 688–692 16 283–286 17 692–693 106 286 158 694 26 287–290 32 695–696 20 290–291 85 703–706 28 294–297 31 706–707 88 307 98 708 37 310–312 43 708–710 6 318–321 90 769 78 322–323 96 323–324 102