111 GRÜNDE, DEN SV WALDHOF 07 ZU LIEBEN ​Tilo Dornbusch & Martin Willig 111 GRÜNDE, DEN SV WALDHOF MANNHEIM 07 ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an den großartigsten Fußballverein der Welt

WIR SIND DER ZWÖLFTE MANN, FUSSBALL IST UNSERE LIEBE! INHALT

SO ETWAS WIE EIN VORWORT ODER EINE LIEBESERKLÄRUNG! . . . . 9 TILOS VORWORT ...... 11

1 . ANFANGSJAHRE BIS ZU DEN WELTKRIEGEN ...... 13 . Weil man sich nicht verstellt – Weil man die Waldhof-Buwe hatte – Weil das Stadtderby gegen den VfR Mannheim über 100 Jahre alt ist – Weil man die dominiert hat und etliche Rekorde in ihr hält – Weil man um die süddeutsche Meisterschaft beschissen wurde – Weil man sich schon früh Expertise aus dem Mutterland des Fußballs geholt hat – Weil man schon früh brasilianisch gespielt hat – Weil man auch Handballer mitspielen lässt

2 . NACHKRIEGSZEIT BIS ZWEITE LIGA ...... 31 . . Weil sich die Tribüne am Alsenweg in Luft aufgelöst hat – Weil Klaus Sinn mittags etwas essen muss – Weil ein Hammel die Mannschaft auseinanderriss – Weil Deutschland ohne den Waldhof 1954 kein Weltmeister geworden wäre – Weil man 40 Jahre lang ununter- brochen in der höchsten Spielklasse gekickt hat – Weil man keine Lust hatte, unter diesen Bedingungen deutscher Meister zu werden – Weil man schon sechsmal den Verein mit dem VfR Mannheim fusionieren wollte – Weil man Borussia zu den ersten beiden Meister- schaften verholfen hat

3 . SIEBEN JAHRE ...... 45 Weil man eigentlich der beste Erstligist Deutschlands und der Welt ist und überhaupt – Weil man fast einmal im UEFA-Cup gelandet wäre – Weil man im ersten Bundesligajahr gleich groß aufgespielt hat – Weil Frau Kobberger die Ersatzmutti für alle war – Weil man nur aufgrund einer absoluten Pechsträhne wieder aus der Bundesliga abstieg – Weil man den kuriosen Rekord Nummer eins hält – Weil man schon früh Kontakte nach China geknüpft hat – Weil Ulf Quais-

4 ser das Tor so selten traf – Weil man den kuriosen Rekord Nummer zwei hält – Weil man mit keine Rast machen will – Weil Christian Wörns so blutjung war – Weil es ohne Schiedsrichter nicht geht – Weil man einfach mal in Grün aufgelaufen ist – Weil man den kuriosen Rekord Nummer drei (vielleicht auch vier) hält – Weil man es als einziger Verein geschafft hat am 12.05.1984 NICHT zu treffen

4 . DER EWIGE ZWEITLIGIST ...... 71 . . Weil man eigentlich der beste Zweitligist der Welt ist und über- haupt – Weil man mal mit elf Hollerieths gespielt hat – Weil Uli sich verplappert hat – Weil der Stadionsprecher einem Drillinge machen kann – Weil Eike Immel keinen Gedanken daran verschwendete, dass der Waldhof absteigt – Weil man auch hier einen Rekord hält – Weil man 2001 beinahe wieder in die Bundesliga aufgestiegen wäre – Weil man zweimal den Bock zum Gärtner gemacht hat – Weil der Stadion- sprecher keinen Kaffee trinken kann – Weil der Waldhof auch höchste Rückstände noch umbiegen kann – Weil man sich ganz schlecht bei Herbert Grönemeyer bedient hat

5 . IN DEN NIEDERUNGEN DES DEUTSCHEN FUSSBALLS ...... 89 Weil ein Zuschauer des SVW das Zeitspiel revolutioniert hat – Weil man ein Jahr Baden-Württemberg durchgestanden und dabei einiges erlebt hat – Weil Jürgen Klopp mit brennenden Müll- tonnen begrüßt wurde – Weil man nach 13 Jahren beinahe triumphal in den Profifußball zurückgekehrt wäre – Weil man fast den Spieler Lúcio verpflichtet hätte – Weil man im badischen Pokal seit 13 Jah- ren verflucht ist – Weil man für die unteren Ligen einen sehr hohen Zuschauerschnitt hat und die auch noch stehen statt sitzen – Weil der Vollidiot den besten Kopfball von aus dem Winkel geholt hat

5 6 . BERÜHMTE SPIELE ...... 107 . . Weil man beinahe mal den Tschammerpokal gewonnen hat – Weil Walter mit Nagel im Bein am besten spielte – Weil man schon lange kein gutes Verhältnis zu den Offenbacher Kickers hat – Weil man beim Waldhof noch Einfluss auf das Spiel nehmen kann – Weil man einen Weltrekord für Zuschauer in der Oberliga hält – Weil man aus »Der Schlacht vom Bieberer Berg« gelernt hat – Weil nicht jeder Trainer die Halbzeit gegen den Waldhof überlebt – Weil man Offenbacher Spieler beim Wort nimmt – Weil Paul Lipponer Diego Maradona zuvorkam – Weil der SVW mal Leverkusen aus dem DFB- Pokal geworfen hat – Weil es der Waldhof gegen Darmstadt 98 in der Relegation spannender als spannend gemacht hat

7 . AUS DER FANKURVE ...... 127. . . Weil man den Fandachverband »PRO Waldhof« hat – Weil der Verein ein Schmelztiegel ist – Weil der »Cuxhavener Jung« mehr als 113.618 Kilometer Vereinsliebe auf dem Buckel hat – Weil kein anderer Verein seine Fans so leiden lässt – Weil man die blonde Rächerin zu Hilfe rufen kann – Weil es den Waldhof-Livestream gibt – Weil Waldhof- Fan sein ein Statement ist – Weil man auch Fans aus dem Zaun befreit – Weil man aus der schlimmsten Beleidigung eine Tugend macht – Weil man auch in München dem Waldhof huldigt – Weil es die Radiosendung »DoppelPass on Air« gibt

8 . PLÄTZE, STADIEN, ATTRAKTIONEN ...... 153 Weil man einen Stadtteil bekannt gemacht hat – Weil der Waldhof nicht im Stadtteil Waldhof spielt – Weil es den Gründungsort noch gibt – Weil es den ersten Platz noch gibt und dort auch noch gespielt wird – Weil der nächste Platz des SVW auch noch zu erahnen ist – Weil man die erfolgreichsten Zeiten in einem anderen Bundesland erlebt hat – Weil man jahrzehntelang tatsächlich im Stadtteil Waldhof spielte – Weil man im Mannheimer Stadion einen Gille Galle hatte – Weil der Fritz nichts wegwerfen kann

6 9 . SPIELERLEGENDEN ...... 169 Weil Albert Brückl einen Engel hat – Weil der Waldhof seine Helden nicht vergisst – Weil Hanno Balitsch nach 15 Jahren zurückkam – Weil man mit Atilla einen echten »Killer« in den Reihen hatte – Weil Waldhof Mannheim als Viertligist einen Spieler zur Weltmeisterschaft entsandte – Weil man den Rastelli161 der Fußballkugel hervorgebracht hat – Weil die mehr als 150 Tore Bernd Bartels’ nicht reichten – Weil man Dätsch Lohrmann hatte – Weil der Walzeduftl einen (Bomben-) Schuss gehabt hat …oder auch nicht – Weil Ludwig Siffling seine Zähne verlor – Weil man den ersten Spieler überhaupt in die DDR verkaufte

10 . TRAINER, PRÄSIDENTEN UND PERSÖNLICHKEITEN . . . . . 197. Weil man mit einem Graf verbandelt ist – Weil man mit Klaus Schlappner ein echtes Kurpfälzer Original in seinen Reihen hatte – Weil der Waldhof auch bei der WM 54 dabei war – Weil man bei nicht beim Essen sprechen durfte – Weil man auch mal Schwarzgeld zugesteckt bekommt – Weil man immer noch zum Walter gehen kann – Weil man Walter Spagerer hatte

11 . DIVERSES ...... 217 . . . Weil man den Vereinsnamen verkauft, sich dann aber besonnen und das ganze rückgängig gemacht hat – Weil mittwochs keine Zeit hatte – Weil das Waldhof-Schiff eine Havarie überlebt hat und wieder fährt – Weil man eine einzigartige Torhymne hat – Weil der Tod zweimal auf dem Motorrad zuschlug – Weil Bernd Bartels »nur Scheiß« gemacht hat – Weil Kalle Bührer oft den Kopf hin- halten musste – Weil der ehrliche Jürgen Sundermann am kürzesten ­währte – Weil man eine besondere Beziehung zur Brauerei Eichbaum hat – Weil man das »Taxiunternehmen« Jarosinski hatte – Weil dem FC Bayern die Umkleiden nicht gut genug waren – Weil man auch in besonderen Fragen geholfen bekommt – Nachtrag: oder Grund Nummer 112

7 Wir danken allen Helfern, Quellen und Unterstützern, die uns geholfen haben dieses Buch möglich zu machen. Ohne euch wäre es niemals entstanden.

Ein besonderer Dank gebührt Ivo Jurlina, der das ganze Werk Korrektur las und wichtige Anmerkungen gemacht hat – Danke! So etwas wie ein Vorwort oder eine Liebeserklärung!

in Anruf des Pressesprechers des SV Waldhof, Domenico Mari- Enese, war die erste »Begegnung« mit einem Medium, an das ich mich schon immer mal wagen wollte, aber es irgendwie nie richtig hinbekam. Versucht, die Anfrage schon abzusagen, hatte ich das zufällige Glück, dass auch mein Kollege Tilo von der Idee dieses Formats von Beginn an begeistert war und wir die Idee, das Buch zu realisieren, nicht scheitern lassen wollten. Keiner traute sich so ein Projekt alleine zu, aber gemeinsam würden wir es irgend- wie umsetzen. Ehrlich gesagt: Ohne Tilo wäre dieses Buch dann auch nicht wirklich zustande gekommen. Er legte in diese Arbeit fast so viel Herzblut, wie bei seinem Fandasein … Ich danke ihm jedenfalls an erster Stelle ganz besonders für die vielen intensiven Redaktionsstunden, Ideen und Austausche zu den Storys! Mein besonderer Dank gilt weiterhin den vielen »Waldhöfern«, die mir mit ihren Geschichten bereitwillig Rede und Antwort standen! Auch über den Verein selbst konnten wir noch so einiges erfahren und lernen. Die Arbeitsteilung kam mir übrigens sehr entgegen: Tilo verschriftlichte die von mir geführten Interviews mit Zeit- zeugen aus der langen Geschichte der Blau-Schwarzen. Allein von der Rechtschreibung her war mir das eine große Unterstützung. Sätze wie z. B. »Konn dea Deitsch?«, »Hosch du die Zäh hausse?« oder »Monnemer!« konnten so erfolgreich ins Hochdeutsche über- setzt werden … Einige werden sich fragen: Da fehlt aber doch noch diese und jene Geschichte? Klar, alles kann niemand wissen und wir schon gar nicht. Dieses Buch soll vor allem eine Unterhaltungsliteratur sein, von und über Geschichten des SV Waldhof, die nie vollständig sein können, weil der Verein immer weiter neue Geschichten schreibt, bis hin zum Europapokal. Obwohl: Das Wort »Pokal« ist schon län- ger ein Reizwort bei den Fans, kommt im aktuellen Vokabular also

9 gar nicht vor. Pokal, was ist das? Schaut einfach mal nach, warum das so ist. Hier im Buch werdet ihr eventuell eine Antwort darauf finden. Bei meinen Reisen in den vielen Jahren in direkter Begleitung der zahlreichen Anhänger des Vereins, am Rande der Spiele und mittendrin, immer mal mehr und weniger verzweifelt und be- geistert, habe ich fast alles kennengelernt. Ich begleite einen Verein, bei dem Leidensfähigkeit zur Faszination, aber nie zur Langeweile wird. Wo es keine Floskel ist, wenn von der »Waldhof-Familie« ge- sprochen wird. Der gemeine Waldhof-Fan zeichnet sich dadurch aus, dass er sein Herz vollmundig auf der Zunge trägt. Diese direkte Ansprache, mal markant-ironisch-provokant, macht ihn zu etwas Besonderem: authentisch, liebenswürdig und glaubhaft. Waldhof- Fan zu sein bedeutet: Emotion, eine Mischung aus Verzweiflung, Sprachlosigkeit, Einfachheit, Hoffnung, Leidenschaft, Leidens - fähigkeit, unbändigem Optimismus, unbändigem Pessimismus, bedingungsloser Liebe, Tradition, Raute im Herzen und niemals Langeweile. Dieser Verein weist als seine Legende Otto Siffling, den »Held von Breslau«, aus. Der ruhmreiche Weltmeistertrainer von 1954, Josef »Seppl« Herberger, ist nach seinem »Ausflug« zu den »Hew- wel«* nun nicht nur auf den Seppl-Herberger-Platz auf dem alten Waldhof wieder heimgekehrt. Was die beiden unterscheidet, habe ich in folgendem Spruch einmal versucht zu beschreiben:

Ruhm ist nicht die automatische Vorstufe zur Legende Mögen die Waldhof-Fans und diejenigen, die es noch werden wollen, ein wenig Freude an diesem Buch finden. Martin Willig im Sommer 2017

* Anm: »Hewwel« ist die liebevolle Beschreibung des Lokalrivalen VfR Mannheim.

10 Tilos Vorwort

ls mich Martin im Sommer 2016 ansprach, ob ich ihm bei Adiesem Buch helfen könne, war ich sofort Feuer und Flam- me. Schon lange spielte ich mit dem Gedanken etwas Bleibendes in schriftlicher Form zu hinterlassen, habe mich aber auch nie als Autor irgendwelcher Fiktion gesehen. Als Waldhöfer kam diese Möglichkeit also genau richtig, um Hobby mit der Leidenschaft zu verbinden. Schnell hatte ich in meinem Kopf Dutzende Gründe gesammelt und dachte: Klasse, 70 hast du schon im Kopf, der Rest wird folgen. Schließlich kann man kein Buch über den Waldhof schreiben, ohne die Waldhof-Buwe, Schlappner oder den Ober- liga-Zuschauer-Weltrekord 2011 zu erwähnen. In der seit einigen Jahren laufenden Traditionsdebatte im Fußball sind es genau diese Geschichten, die den Mythos um einen Verein erst schaffen; ein genauerer Blick auf die Geschichte eines jeden Clubs lohnt sich. Zurück zur Arbeit am Buch: Bei genauerer Betrachtung wur- den aus den Dutzenden Gründen eher etwas mehr als 20 und diese waren schnell geschrieben. Man kann den Schaffensprozess nach- träglich in drei Phasen unterteilen: Enthusiasmus – komplette Ver- zweiflung und letztlich Akzeptanz. Mit jedem geschriebenen Grund ergaben sich bei der Recherche neue Aspekte, und manchmal half einem einfach der Zufall. Jetzt ist es fertig, und mir bleibt es noch vorbehalten, mich bei allen zu bedanken, die an der Entstehung irgendwie mitgewirkt haben, allen Quellen, Tippgebern und Vor- arbeitern. Insbesondere aber meiner Frau Claudia, die mich in der stressigen Zeit des Buches ertragen musste und sogar Korrektur las. Für sie als Nicht-Fußballfan muss das die Hölle gewesen sein. Zu- sammenfassend kann ich die Arbeit an dem Buch mit einem Zitat von Johnny Knoxville aus der Serie Jackass beschreiben:

»That was fun, let’s never do that again« Mannheim, im Sommer 2017

11 P.S.: Alle hier zitierten Fakten und Aussagen wurden, falls sie nicht im Interview mit uns geäußert wurden, von uns nach bestem Wis- sen und Gewissen gefunden und verwendet. Wir können allerdings gerade bei den Fakten aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht immer sicher sein. Falls sich Fehler eingeschlichen haben sollten, sei es uns verziehen.

12 KAPITEL 1 ANFANGSJAHRE BIS ZU DEN WELTKRIEGEN 1. Grund

Weil man sich nicht verstellt

Der SV Waldhof ist ein Verein der Arbeiter. Oftmals unterstellt man diesen grobschlächtiges Benehmen oder unanständige Verhaltens- weisen. Meist wird aber einfach die ehrliche Art vieler Arbeiter als taktlos oder ungebildet aufgefasst. Man hat einfach keine Ver- wendung für Schnickschnack, man sagt, was man denkt, und han- delt wie man fühlt. So ist es vielleicht zu erklären, warum der Wald- hof 1934 vom Rechtswart der Gauliga Baden, Dr. Bialon, verwarnt wurde: »Die disziplin- und würdelosen Vorfälle bei dem Pflichtspiel der Gauligavereine 1.FC und SV Waldhof am 18. d. M. (18.02.1934 – Anm. d. Verf.) habe ich […]gem. §7 der Rechts- und Strafordnung aufgegriffen.«1 Vorausgegangen war eine 1:4-Niederlage gegen den FCP. Der SV Waldhof war in dieser Saison verwöhnt. Man war als Meister der vorher existierenden Rhein/Saar in der neu ge- schaffenen Gauliga Baden gestartet, da wollte man natürlich zei- gen, was man konnte. Sportlich lief es auch, im Vorfeld der Saison hatte man den großen Karlsruher FV geschlagen und war selbst seit September unbesiegt. Da musste die Niederlage wohl ganz schön am Selbstbewusstsein ge- kratzt haben, so sehr, dass man unsportlich wurde. »Wenn ein Kön- ner wie Siffling ein Dribbling durch Aufheben des Balles mit beiden Händen und Wegschlagen auf den Flügel beendet, dann ist das kein Spielwitz, sondern ein Unfug, der mit Sport nichts zu tun hat.«2, schrieb ein Berichterstatter zu den Vorkommnissen. Interessanter- weise schob er aber deutlich hinterher, dass dies nicht nur die Schuld der Blau-Schwarzen gewesen sei, »weil eine Mannschaft schließlich immer so spielt, wie es der Schiedsrichter zuläßt.«3, man stelle sich ein ähnliches Statement heute vor. Gerade wenn man, wie der Autor, dem zu laschen Schiri ein Drittel des Berichts widmet.

14 Sei’s drum, die begangenen Unsportlichkeiten wie Treten, Be- leidigungen und Dreck werfen waren für den SV Waldhof keine gute Werbung, im Publikum saßen allerlei Größen des Sports und der Gauregierung. Aber manchmal schlägt beim Sport halt durch, wie man fühlt. Ehrlich eben.

2. Grund

Weil man die Waldhof-Buwe hatte

In der neuen Gauliga Baden spielte der Waldhof natürlich gleich eine gewichtige Rolle. In der ersten Saison 1933/34 erreichte man sogar das Halbfinale um die deutsche Meisterschaft gegen Schalke 04, das nach langem Gleichstand schließlich mit 2:5 verloren wurde. Danach schwächelte man eine Saison lang etwas in der Liga und wurde hinter dem VfR Mannheim und dem VfL Neckarau sogar nur dritte Kraft im Mannheimer Fußball. Die Dreißiger waren aber insgesamt geprägt durch eine starke Offensive, aus der vor allem Otto Siffling herausstach. Bei aller Stär- ke, der SV Waldhof hatte seine Mühe in der Liga, mit neuen Kon- kurrenten wie dem FC und SC Freiburg, Phönix Karlsruhe und dem Karlsruher FV, sowie dem VfB Mühlburg. Die Qualifikation für die Endrunde war keine sichere Sache, und als Otto Siffling nach schwerer Krankheit verstarb, sah es erst mal düster für die Blau- Schwarzen aus. Doch brachten die Verantwortlichen beim SV Waldhof im Jahr darauf eine völlig neue, junge Truppe zusammen. Dies war kein Zu- fall, die A-Jugend des Vereins hatte 1936 die Rheinbezirksmeister- schaft und die Gaumeisterschaft gewonnen, das Höchste, was es für Jugendmannschaften überhaupt zu erreichen gab. Ebenfalls be- legte die A-Jugend beim »Internationalen Jugend Turnier« des VfR Pforzheim 1937 den dritten Platz und gewann das Turnier 1938

15 sogar. Im Teilnehmerfeld standen unter anderem Schalke 04, TeBe , der 1.FC Nürnberg und der Hamburger SV. Das Turnier glich damit eher der inoffiziellen deutschen Jugendmeisterschaft. In der Saison 1939/40 versuchte man es also mit jungen Talenten wie Eberhard, Fanz und Seppl Erb, der das Erbe Otto Sifflings -an treten sollte. Für diesen Mut wurde man auch prompt belohnt, mit der bis dato besten Saison, die der Verein jemals spielen sollte. Zum Ende standen der Vizepokalsieg und das Erreichen des Halbfinals um die deutsche Meisterschaft zu Buche. Als sich von der oben genannten Jugendmannschaft dann viele Spieler in der A-Elf wiederfanden, staunten die Reporter nicht schlecht. Kaum ein Spieler war ihnen bekannt, und teilweise wur- den sie sogar mit Jugendspielern des TSV Fürth verwechselt, die ihre Partie vor den Herren ebenfalls in Blau-Schwarz ausgetragen hatten. Als diese Mannschaft dann überragend spielte, war ihnen das Lob der Fachpresse sicher: »Sie spielten ihren Stil mit soviel Witz und Verstand, so lebhaft und kampffreudig, daß ihnen der Beifall der Nürnberger in der ersten Halbzeit gehörte«4, schrieb der Kicker über das 0:0 der Buwe in Nürnberg. Der Altersdurchschnitt der Waldhöfer war insgesamt zehn Jahre unter dem der Franken5. Die Jungs spielten aber auch in der kompletten Gruppenphase frech auf und gewannen gegen die mit 7:2 und gegen die Offenbacher Kickers mit 2:1. Das reichte für die Endrunde um die deutsche Meisterschaft. Dort traf man in auf Schalke 04, die dann doch etwas zu groß waren. Der Waldhof spielte aller- dings lange Zeit nur zu zehnt, da sich Ludwig Siffling früh an der Schulter verletzt hatte und nur als Statist auf dem Platz stand. Dass man gerade auf Schalke traf, war beileibe kein Zufall. In der Fach- presse galten Schalke und Waldhof als DIE Mannschaften mit der besten Jugendarbeit Deutschlands. Mit 3:1 schied man also aus dem Wettbewerb aus, im Spiel um Platz drei gab es allerdings noch mal ein Highlight: Im Berliner Olympiastadion sah alles zunächst nach einem klaren Sieg für den

16 Gegner Rapid Wien aus, zur Halbzeit stand es 4:2, doch kurz nach Wiederanpfiff verkürzte Eberhard auf 4:3, ehe Erb das 4:4 machen konnte. In der Verlängerung passierte nichts mehr, und so blieb es bei dem Spektakel. Im Gegenzug gewann Schalke in einem schwa- chen Endspiel gegen den Dresdner SC mit 1:0, und die Zuschauer riefen: »Waldhof Deutscher Meister! Waldhof Deutscher Meister!«6 Die Neuansetzung der Buwe, seltsamerweise in Wien, gewann Rapid mit 5:2. Der Mythos um die Waldhof-Buwe war geboren, vielleicht auch deshalb, weil der Krieg die so talentierte Mannschaft auseinanderriss; wer weiß wie es gekommen wäre, hätte man sich 1933 nicht für den Nationalsozialismus entschieden. Das Andenken an die Mannschaft bleibt bestehen, und jedes Mal, wenn jemand fragt: »Wie haben die Buwe gespielt?« fühlt man diesen wohligen Schauer, der mit einer großen Geschichte verbunden ist. Die Waldhof-Buwe bleiben für immer, und das sind ihre Namen: Hubert Fischer, , Georg Siegel, Franz Sättele, Werner Bauder, Karl Ramge, Ludwig Siffling, Reinhold Fanz, Gus- tav Adam, Seppl Erb, Erich Grab, Ludwig Günderoth, Hans Ebe- rhardt, Willi Pennig, Hans Mayer

PS: Eigentlich wäre die Geschichte der Waldhof-Buwe hier schon fertig erzählt. Doch 40 Jahre später wiederholte sich das Ganze. Die A-Jugend des SVW gewann die deutsche Meisterschaft 1980 in ihrer Altersklasse im Finale gegen Schalke 04 mit 2:1. Auf dem Weg dorthin hatten sie bereits Bayer Leverkusen, den 1. FC Kaisers- lautern und den 1. FC Nürnberg ausgeschaltet. In der Finalmann- schaft standen ganze acht Spieler, die später im Profikader den Auf- stieg in die Erste Bundesliga 1983 und zum Teil sieben Jahre Ver- bleib darin möglich machten. History repeats itself.

17 3. Grund

Weil das Stadtderby gegen den VfR Mannheim über 100 Jahre alt ist

Es gibt viele bekannte Derbys in Fußballdeutschland. Manchmal geht es um die Vormacht in einer Region, beispielsweise wenn und Offenbach aufeinandertreffen. Oder es geht um die geistige Fortführung jahrhundertealter Rivalitäten, wenn Würt- temberg (VfB Stuttgart) und Baden (Karlsruher SC) aufeinander- treffen, natürlich inklusive des zugehörigen Brimboriums drum herum. Für viele Kenner ist es jedoch das Stadtderby, das wirklich den Ruf eines Derbys verdient. Jeder kennt es, man geht am nächsten Tag zur Arbeit, und der Kollege, Freund oder Sitznachbar ist eben Fan der anderen Mannschaft der Stadt. Wenn diese am Wochen- ende sogar gewinnen konnte, kann das wochenlanges Schulterein- ziehen und schwere Demütigungen für den Unterlegenen bedeuten. Dies alles und noch viel mehr spielte wohl auch beim ersten gro- ßen Derby der späteren Rivalen VfR Mannheim und SV Waldhof Mannheim eine Rolle. Das besagte Spiel fand am 17.05.1914 auf dem heute nicht mehr existenten »V.f.R. Sportplatz bei der Eich- baumbrauerei« statt. Die Vorzeichen für ein rassiges Derby mit der David-gegen- Goliath-Symbolik standen nicht schlecht. Der damals mächtige VfR war erst 2,5 Jahre zuvor aus der Fusion von Mannheimer Fuß- ball-Club 1897, Union VfB Mannheim und der Mann- heimer Fußballgesellschaft 1896 hervorgegangen und 1913/14 Westkreismeister geworden, gegen Mannschaften aus Mannheim, , Kaiserslautern, Neunkirchen und Metz. Da war der SV Waldhof eigentlich kein Gegner, die Blau-Schwarzen waren ge- rade erst in den Westkreis aufgestiegen und galten klar als unter- legen. Die bisherigen Vergleiche der unteren Mannschaften bei-

18 der Vereine waren ausgeglichen, und die Stadt war gespannt auf das erstmalige Aufeinandertreffen der Ersten Mannschaften. Der General-Anzeiger schrieb hierzu: »Waldhof […] hat die Meister- schaft der A-Klasse seines Bezirks mit großem Vorsprung und in überlegenem Stil errungen.«7 Ebenfalls trat man in Bestbesetzung bei den »Hewwel« an. Namen aus der grauen Vorzeit wie Lidy, Schwärzel und Strauch wurden nicht geschont, obwohl es nur ein Freundschaftsspiel war, schließlich ging es um den Ruf des Vereins in der Stadt. Von besonderem Interesse war das Spiel auch deswegen, weil man dem SV Waldhof nach seinem Abschneiden im Aufstiegsjahr zuvor einiges zutraute. So erhoffte man sich Rückschlüsse über die Stärke der Mannschaft im nächsten Jahr. Man kann natürlich auch spekulieren, ob es die erklärte Absicht der als »Proleten« diffamier- ten Waldhöfer war, dem »Geldverein« VfR eins auszuwischen, ge- lebter Klassenkampf sozusagen. Das Spiel endete ohne Happy End für Blau-Schwarz und mit 4:0 für den VfR. Über den Spielverlauf ließen sich keine Quellen finden, wie auch generell wenig über die Jahre 1914 –1919 zu finden ist. Die Menschen hatten vielleicht einfach Besseres zu tun. Ebenfalls ist über die Zuschaueranzahl nichts bekannt. Wahrscheinlich wird sie recht hoch gewesen sein, bedenkt man, dass zu den späteren Spielen der beiden immer zwi- schen 20.000 und 25.000 Menschen den Weg ins Stadion fanden. Es ist eben doch etwas Besonderes, so ein Stadtderby.

4. Grund

Weil man die Gauliga Baden dominiert hat und etliche Rekorde in ihr hält8

Nach Machtübernahme der NSDAP im Jahre 1933 wurde der Staat Weimarer Republik in allen Belangen verändert und zum totali-

19 tären »Führerstaat« umgebaut. Diese Reformen machten auch vor dem Sport und dem Fußball im Speziellen keinen Halt. Schon bald wurde die der Sportverbände angegangen. Der seit 1927 bestehende Süddeutsche Fußball- und Leichtath- lektik-Verband (SFuLV) wurde aufgelöst und die Neugliederung sollte sich an den 16 politischen »Gauen« orientieren. Der Waldhof startete ab der Saison 1933/34 in der »Gauliga 14 – Baden«, die zehn Plätze umfasste, dabei auch etliche Hochkaräter, wie den VfR Mannheim, VfL Neckarau, VfB Mühlburg, Freiburger FC, 1. FC Pforzheim, Phönix Karlsruhe & Karlsruher FV sowie die Spielvereinigung Sandhofen. Generell war die Fußballhoch- burg Mannheim in den kompletten elf Spielzeiten der Gauliga mit acht verschiedenen Mannschaften vertreten, wobei der VfR und der SVW die erfolgreichsten Mannheimer Vertreter waren und die Plätze eins (VfR) und zwei (SVW) der »Ewigen Tabelle der Gauliga Baden« belegen. Völlig verständlich also, dass bei einer solchen Zugehörigkeit et- liche Ereignissen mit dem Waldhof verbunden sind. Hier die inte- ressantesten: Der erste Hattrick: Drei Tore hintereinander in einer Halbzeit gab es in der Ligageschichte 29-mal. Den ersten erzielte Willi Schä- fer für den SVW am 14.10.1933 im Spiel gegen den 1. FC Pforzheim. Das Spiel endete 4:0. Die meisten Treffer in 24 Stunden: Normalerweise haben die heutigen Profis ein paar Tage Pause zwischen zwei Spielen. Regel- mäßig kommt es zu Diskussionen zwischen den Vereinen und Ver- bänden, sollten die Pausen aufgrund des Europapokals oder durch Länderspiel zu kurz sein. Der SV Waldhof spielte am 26. Dezember 1939 gegen die FG Kirchheim. Bereits am vorigen Tag hatten beide Vereine schon gespielt. Der Waldhöfer Spieler Ludwig Siffling -er zielte in beiden Spielen jeweils drei Tore. Spieler, der in jeder Saison spielte: Ludwig »Gimbel« Günderoth, als einziger Spieler der Gauliga überhaupt lief Ludwig Günderoth

20 in jeder Saison mindestens einmal für den SV Waldhof auf und er- zielte in 117 Spielen 44 Tore Spieler mit den meisten Spielen am Stück: Ernst Heermann be- stritt von 1933 bis 1939 ALLE 90 Spiele in der Gauliga für den SV Waldhof. Weiterhin hält er den Rekord für die meisten Einsätze in der Gauliga für den SVW (117) und wurde 26-mal in die badische Auswahl berufen – Rekord! Wer weiß, in welche Höhen er diese Re- korde noch geschraubt hätte, wäre er nicht 1942 im Krieg gefallen. WM-Teilnehmer: Hier gab es nur einen einzigen badischen Spieler, der zu den Turnieren 1934 und 1938 fuhr: Otto Siffling. Ebenfalls nahm Siffling als einziger Kurpfälzer am Fußballturnier der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin teil. Dabei siegte die deutsche Elf mit 9:0 gegen Luxemburg. Bei der 0:2-Niederlage gegen Norwegen stand Siffling in der Startelf. Lange hielt sich das Gerücht, dass Adolf Hitler über die Niederlage so erbost gewesen sein soll, dass der bisherige Reichstrainer seinen Hut nehmen musste und den Weg für keinen Geringeren als Seppl Her- berger freimachte. Über den Ausnahmespieler Siffling wird noch an anderer Stelle in diesem Buch geschrieben. Spiel mit den meisten Treffern: Insgesamt fielen bei fünf Partien jeweils 17 Tore. Viermal davon endete das Spiel 17:0 für eine Mann- schaft. Das erste Mal am 26.12.1939. Der Waldhof gewann gegen die FG Kirchheim (siehe oben). Erfolgreich für den SVW waren: Schneider (4 Tore), Erb, Bielmeier, L. Siffling (jeweils 3), Günde- roth, Heermann (je 2). Spiel mit den meisten Zuschauern: In der Großstadt und Fuß- ballhochburg Mannheim wollten natürlich viele Zuschauer die Spiele der Topmannschaften sehen. Den Rekord für die komplette Gauliga Baden hält die Partie SV Waldhof gegen VfR Mannheim am 13.11.1938, insgesamt 22.010 Zuschauer wollten diese Partie sehen. Fairerweise muss man aber erwähnen, dass im Vorfeld der Partie noch das Spiel VfL Neckarau gegen SpVgg Sandhofen im

21 Rahmen einer sogenannten »Doppelveranstaltung« ausgetragen wurde. Zum Vergleich: Die Partie SC Freiburg gegen SpVgg Wieh- re sahen nur 26 Zuschauer. Wahrscheinlich war es am 13.02.1944 zu kalt für Fußball. Verein mit den meisten Zuschauern: Bis heute hat der SV Wald- hof eine treue Fanbase. Dass dies damals schon so war, zeigt folgen- de Zahl. Von allen Vereinen der Gauliga Baden hatte der SV Wald- hof die meisten Zuschauer: 411.887 Menschen wollten die Spiele der Blau-Schwarzen insgesamt sehen. Erfolgreichster Verein: Die Autoren hätten nicht gedacht, dass sie dies noch mal schreiben dürften: Der SV Waldhof holte insgesamt sechs von zwölf Meistertiteln der Gauliga und damit die Meisten. Da fünf Titel an den VfR Mannheim und einer an den VfL Neckarau gingen, wurde der Titel insgesamt nur von Mannheimer Vereinen geholt. Pfff … von wegen Bayern München. Erfolgreichster Trainer: War der »Meistermacher« Hans Tauch- ert. Dieser holte insgesamt drei Gaumeisterschaften: 1934, 1936 und 1937. In den sieben Jahren als Cheftrainer holte Tauchert außerdem alle vier möglichen Titel der -Saar und wurde als Handballtrainer der Waldhöfer Deutscher Meister 1933. Verrückteste Aufstellung: Beim Spiel gegen die KSG Walldorf/ Wiesloch/Sandhausen am 06.02.1944 trat der SV Waldhof mit ins- gesamt nur sieben Spielern an. Kurioserweise gewann man trotz- dem mit 4:2.

5. Grund

Weil man um die süddeutsche Meisterschaft beschissen wurde

Als klammer Arbeiterverein ist der SVW nicht gerade mit Titeln gesegnet, sieht man von regionalen Trophäen mal ab. Auch in der

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