Sylvie Marchenoir (Dijon)

Die kritische Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution oder Voraussetzungen einer Selbstbehauptung: Therese Forster-Huber (1764–1829)

Therese Forster-Hubers Verbindung mit dem Naturforscher und dem Literaten , ihre Freundschaft und Feindschaft mit Karoline Schlegel-Schelling, ihre prominente Stellung im Cotta-Verlag als Mor- genblatt-Redakteurin und ihre Popularität als Erzählerin haben ihr einen zeit- genössischen und posthumen Ruf und Ruhm gesichert, sie jedoch zugleich in Polemiken verwickelt, die sich in der Wissenschaft bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fortgesetzt haben. Ludwig Geigers Biographie von 19011, die heute als unzulänglich betrachtet wird, blieb die einzige; die meisten Briefe von Therese sind lange unveröffentlicht geblieben; auch von den Erzählungen, Roma- nen, Reisebeschreibungen usw. gab es bis Anfang der 1990er Jahre keine neueren Ausgaben. Die Erfassung ihrer Schriften stand aus, ebenso wie eine wirkliche Bewertung ihrer Tätigkeit und ihrer Schriften. Das Interesse an feministischen Studien hat aber ab 1989 zur Neuausgabe der Werke und Briefe geführt und die Veröffentlichung von einigen Studien mit objektiveren biographischen Hinwei- sen erlaubt.2

1 Ludwig Geiger, 1764 bis 1829. Leben und Briefe einer deutschen Frau, Stutt- gart: Cotta 1901. 2 Therese Forster-Huber, Romane und Erzählungen [= Reprint], hrsg. von Magdalene Heuser, Hildesheim: Olms 1989 ff. (= Frühe Frauenliteratur in Deutschland. Hrsg. von Anita Runge). Therese Forster-Huber, Briefe, Bd. 1–9. Hrsg. von Magdalene Heuser und [ab Bd. 5] Petra Wulbusch, Tübingen: Niemeyer 1999 ff. Andrea Hahn (Hrsg.): Therese Huber. Die reinste Freiheitsliebe, die reinste Männerliebe: ein Lebensbild in Briefen und Erzählungen zwischen Aufklärung und Romantik. Berlin: Henssel 1989. Andrea Hahn, Bernhard Fischer (Hrsg.), „Alles von mir!“: Therese Huber (1764–1829), Schriftstellerin und Redakteurin. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 1993. Magdalene Heuser, „Georg und Therese Forster – Aspekte einer gescheiterten Zusammen- arbeit“. In: Literarische Zusammenarbeit. Hrsg. von Bodo Plachta. Tübingen: Niemeyer 2001, S. 101–119. Carola Hilmes, „Georg Forster und Therese Huber: Eine Ehe in Briefen“. In: Das literari- sche Paar. Le couple littéraire. Intertextualität der Geschlechterdiskurse. Intertextualité et discours des sexes. Hrsg. von Gislinde Seybert. Bielefeld: Aisthesis 2003, S. 111–135. Ulrike Bergmann, Die Mesalliance. Georg Forster: Weltumsegler, Therese Forster: Schrift- stellerin, Frankfurt am Main: Edition Büchergilde 2008.

11 Alle biographischen Studien betonen die Bedeutung der Französischen Revo- lution im Leben und im Werk von Therese Forster-Huber. Schon früh versuchte die junge Frau – sie war erst 25 Jahre alt, als die Revolution ausbrach –, sich revo- lutionäre Grundsätze anzueignen. Als Tochter eines aufgeklärten Göttinger Uni- versitätsprofessors, dann als Frau eines Revolutionärs in und schließlich als Frau eines liberalen Journalisten im Schweizer Exil erlebte sie die Revolution als einen begeisternden, wenngleich oft grausamen Alltag, aber auch ständig als einen Gegenstand der Reflexion und der Diskussion. Die kritische Auseinander- setzung mit der Französischen Revolution wurde zur Notwendigkeit sowohl im alltäglichen Leben als auch im Werk der jungen Autorin. Die wichtigsten Etappen der Auseinandersetzung entsprechen demnach verschiedenen Lebensphasen, die in der vorliegenden Studie kommentiert werden: 1. die Jugend in Göttingen vor der Französischen Revolution, die eine aufge- klärte Bildung aufweist; 2. die Ehe mit Georg Forster, die durch den Kampf um die individuelle Freiheit inmitten der Revolution gekennzeichnet ist; 3. die Ehe mit Ludwig Ferdinand Huber, die den Anfang einer literarischen Lauf- bahn im politischen Exil ermöglicht; 4. die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution im Werk durch die Veröffentlichung des ersten Romans Die Familie Seldorf.

1. Jugend in Göttingen: eine aufgeklärte Bildung vor der Französischen Revolution

Therese Forster-Huber ist 1764 in Göttingen als Tochter des Altphilologen Chris- toph Gottlob Heyne geboren. In einem autobiographischen Zeugnis aus dem Jahre 1803, „Unsere Geschichte“ betitelt und nicht zur Veröffentlichung, wohl aber zur Lektüre für ihre Kinder bestimmt, schrieb sie über ihre eigene „trübe“ Kindheit: Ich war meiner Mutter Liebling gar nicht, ich war hässlich […] Bis in mein dreizehntes Jahr erinnere ich mich gar nicht, dass mir jemals wer gesagt hat, ich habe Verstand oder sei drollig […] Gegen meine Mutter hatte ich nie Zärtlichkeit, bald beleidigte sie meine Sinne, meinen Verstand, mein Gefühl.3 Therese Heyne hatte keine enge, herzliche Beziehung zu ihrer Mutter; sie erhob sogar bittere Vorwürfe gegen sie: die Mutter sei unhäuslich, liederlich, faul gewe-

3 Emil Geiger, Therese Huber 1764 bis 1829. Leben und Briefe einer deutschen Frau, Stuttgart: Cotta 1901, S. 2–3.

12 sen und habe Hausfreunde gehabt: „Sie war gar keine Hausfrau, wir wurden in Schmutz und Unordnung erzogen, in so einem Grade, dass Ungeziefer uns plagte, und wir weder ganze Hemden noch Schuhe hatten.“4 Therese war nicht fühllos und war sich der beschränkten häuslichen Verhältnisse bewusst, zum Beispiel wenn sie über den Tod ihrer Mutter (1775) bemerkte: Sie starb an der Schwindsucht, aber so unbeschreiblich beschränkt, unfein waren unsere häuslichen Verhältnisse, dass wir Kinder, der Knabe von vierzehneinhalb Jahren und wir beiden Mädchen, noch immer mit unseren beiden Eltern in einem Zimmer schliefen, und das bis in der Todesnacht unserer Mutter; man weckte uns eine halbe Stunde vor ihrem Tode nur auf.5 Solche Jugenderlebnisse führten nicht zu einer Mythisierung der Familie. Aber die Beziehung zu ihrer Stiefmutter Georgine Brandes (152–1834), die nur zwölf Jahre älter war als Therese Heyne, war dann herzlich und freundschaftlich. The- rese half ihr, acht jüngere Geschwister großzuziehen. Ihr Vater Christoph Gottlob Heyne übte großen Einfluss auf sie aus. Sie schrieb noch viel später 1810 an ihren Schweigersohn Emil von Herder über ihren Vater: „Er war mein Idol. Ich habe mich nie im Leben seiner geschämt, er war immer wie er sein sollte, milde, würdig in seinem Zorn, engelgütig.“6 Der Vater, der sich ganz seiner wissenschaftlichen Arbeit und seinem Beruf widmete, verlangte unbedingten Gehorsam. Durch ihn hatte Therese jedoch die Gelegenheit, zu lesen und an Gesprächen mit Göttinger Gelehrten, Studenten und auswärtigen Besu- chern teilzunehmen, die im Hause verkehrten. Später drängte der Vater zur Ehe mit einem solchen Besucher, dem berühmten Naturforscher Georg Forster, und korrespondierte dann mit dem Schwiegersohn. In den schweren Zeiten ihrer Ehe mit Forster und in den politischen Krisenjahren versuchte Therese immer, ihren Vater zu verschonen und ihn nicht durch ihr Verhalten zu beunruhigen. Heyne verstarb erst 1812 (als Therese selbst schon 48 Jahre alt war und seit 27 Jahren das Elternhaus verlassen hatte). Bis zu dem Zeitpunkt genoss sie immer ein gewisses Ansehen als Tochter des Gelehrten Heyne – nicht als Witwe oder als eigenstän- dige Berufsschriftstellerin. Die große Vaterfigur als „Idol“ blieb also für Therese Forster-Huber, wie für die meisten Frauen des 19. Jahrhunderts bestimmend, und wurde dann auf den Ehemann und den Sohn projiziert. Die fiktionale Welt ihres Romans Die Familie Seldorf sollte später diese Bindung der Frau an den Vater und ihre Einbindung in die patriarchalische Familie problematisieren. Über ihre Erziehung und die Tatsache, dass die Kinder in diesem Profes- sorenhaus sich selbst überlassen waren, schrieb Therese Heyne: „Da über die

4 Geiger, S. 3. 5 Geiger, S. 6. 6 Geiger, S. 15.

13 Anwendung unserer Zeit gar keine Aufsicht war, bestand nun vom neunten Jahre an ungefähr meine Hauptbeschäftigung im Lesen der damals häufig werdenden Übersetzungen englischer Romane.“7 Sie hatte schon früh mit Schreiben ange- fangen: „Ich schrieb ebenso früh wie ich las, das heißt vom vierten Jahre an, aber dass ich entschieden Aufsätze machte, Briefe geschrieben hätte, weiß ich erst genau von meinem sechsten, das heißt im Jahr 70.“8 Die Grundlagen ihrer Bildung erhielt sie im Elternhaus in Göttingen, wo sie leichten Zugang zu den Beständen der väterlichen Bibliothek hatte, wovon sie reichlich Gebrauch machte. Sie war wesentlich Autodidaktin in dem Sinne, dass sie ihr Wissen aus Büchern schöpfte. Nach dem Tod der Mutter 1776 gab ihr Vater sie vorübergehend in ein französisches Pensionat in Hannover, wo sie im Haus von Georg Friedrich Bran- des, dem Vater ihrer Stiefmutter, wohnte. Über ihre Bildung schreibt sie 1816: Ich las, las, las und schwatzte mit meinem Vater, der mich über spekulative Gegenstände alles schwatzen ließ, las alles, was mir im Lesen vorgeführt wurde nur nichts als klassisches. Das langweilte mich […] Ich hörte Archäologie von meinem Vater sprechen, Naturgeschichte von Blumbach [= Johann Friedrich Blumenbach], Anatomie u Medizin von meinem Bruder [= Karl Heyne (1762–1796)], Politik Staatengeschichte von meinem Onkel Brandes − mit dem saß ich spät in der Nacht und ersannen Reden, die wir auf dem Schaffot halten wollten, wenn wir wie Algemoor sterben dürften.9 Sie besuchte also nur informellen Privatunterricht und keine echte Bildungs­ in­stitution – abgesehen von den zwei Jahren in der französischen Pension in Han- nover, als ihr Vater wieder heiratete. Obwohl sie eine Autodidaktin war, übte sie später den Schriftstellerberuf aus und ihre literarische Tätigkeit ermöglichte ihr, nach zweimaliger Verwitwung den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu ver- dienen sowie ihnen Ausbildung und Versorgung zu ermöglichen. Entscheidend für das weitere autodidaktische Lernen waren nämlich die beiden Heiraten mit gebilde- ten Männern.

2. Ehe mit Georg Forster: der Kampf um die individuelle Freiheit inmitten der Revolution

Thereses erster Mann war der Naturforscher, Ethnologe und Reiseschriftsteller Georg Forster (1754–1794), der in den Jahren 1772–1775 an der zweiten Weltum- segelung James Cooks teilgenommen und wichtige Beiträge zur vergleichenden

7 Geiger, S. 5. 8 Geiger, S. 5. 9 Eckart Kleßmann, Universitätsmamsellen. Fünf aufgeklärte Frauen zwischen Rokoko, Revo- lution und Romantik, Frankfurt am Main: Eichborn 2008 (= Die Andere Bibliothek. Bd. 281), S. 95.

14 Länder- und Völkerkunde der Südsee geliefert hatte. Die 1778/80 erschienene Reisebeschreibung (dt.: Reise um die Welt) hatte den jungen Autor sofort berühmt gemacht. Seit dieser Zeit stand er in regem Aus- tausch mit den wichtigsten Vertretern der Aufklärung in Deutschland. So ver- kehrte er im Haus des Altertumswissenschaftlers in Göttingen und lernte die zehn Jahre jüngere Therese Heyne kennen. Auf die überraschend schnelle Verlobung mit Georg Forster, der sich durch die Verbindung mit der Göttinger Professorentochter vielleicht besseren Zugang zur Universitätslaufbahn in Deutschland erhoffte, folgte gleich nach der Heirat 1785 die Übersiedlung nach Polen (Wilna in Litauen), wo Forster eine Professur für Naturgeschichte hatte. Therese bemühte sich intensiv, wie ihre Briefe aus den Wilnaer Jahren an ihre Stiefmutter zeigen, eine gute Hausfrau und Ehefrau zu sein: sie führte den verschuldeten Haushalt so sparsam wie möglich, wid- mete sich ganz ihren hausfraulichen Aktivitäten (ihr erstes Kind war geboren) und nahm regen, auch kritischen Anteil an Georgs Gedanken und Plänen. Sie beschäftigte sich auch intensiv mit der fremden Umgebung und den Landessit- ten – beide Forsters sprachen kein Polnisch, in Gesellschaft wurde jedoch Fran- zösisch gesprochen. Ihr Polenerlebnis verarbeitete Therese zunächst in ausführli- chen Briefen in die Heimat, dann in den Briefen einer reisenden Engländerin aus Polen (1789 entstanden). Weitere Expeditionspläne für Georg scheiterten, doch konnten die Forsters schon 1787 Wilna verlassen, was sie „mit dem Entzücken eines freigelassenen Gefangenen“ taten, wie Therese in der späteren Biographie Forsters Leben (1829) schrieb. Schon bei der vorzeitigen Rückkehr nach Göt- tingen (1787) und der Übersiedlung nach Mainz, wo Georg endlich wieder eine feste Anstellung als Oberbibliothekar der Universität Mainz fand (jedoch unter seinen Qualifikationen), traten Spannungen zwischen Therese und Georg offen auf. Therese liebte Georg nicht, fühlte sich im Sexualverkehr von ihm erniedrigt. In einem Brief von 1794 schrieb sie kurz nach Forsters Tod: „[…] aber wo ich seine Sinnen berührte, musste ich mit den Zähnen knirschen. Ich sah mich end- lich vor eine Hündin an, die das Männchen niederwirft.“10 Sie konnte die verworrene Finanzlage trotz ihrer sparsamen Haushaltsführung nicht ausgleichen (erst nach Georgs Tod erfuhr sie das Ausmaß seiner Schul- den). Sie empfand seine wachsende Unzufriedenheit, seine Melancholie und seine oft unrealistischen Ansprüche als eine drückende Last. Doch blieb sie mit ihm zusammen. 1786 bis 1792 gebar sie vier Kinder, von denen zwei starben. Georg Forster war oft unterwegs. Von Mainz aus unternahm er im Frühjahr 1790

10 Brief an Caroline Michaelis-Böhmer vom 25. Februar 1794. In: Therese Huber. Die reinste Freiheitsliebe, die reinste Männerliebe: ein Lebensbild in Briefen und Erzählungen zwischen Aufklärung und Romantik. Hrsg. von Andrea Hahn. Berlin: Henssel 1989, S.71.

15 gemeinsam mit dem jungen Alexander von Humboldt eine ausgedehnte Reise, die ihn in die Österreichischen Niederlande, nach Holland, England und führte. Seine Eindrücke schilderte er in dem zwischen 1791 und 1794 erschienenen drei- bändigen Werk Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790. Das Buch enthielt kunst- historische Betrachtungen. Aber wie 15 Jahre zuvor in der Südsee, so galt auch auf dieser neuen Reise sein Hauptinteresse wieder dem sozialen Verhalten der Menschen. Volksaufstände in Flandern und Brabant und natürlich die Revolution in Frankreich hatten Forsters Interesse geweckt. Seine Reise in diese Gebiete sowie in die Niederlande und England, wo die bürgerlichen Freiheiten vergleichs- weise weit entwickelt waren, sollte ihm helfen, sich sein eigenes politisches Urteil zu bilden. Er war damals bereits ein überzeugter Gegner des Ancien Régime. Wie viele andere deutsche Gelehrte hatte auch er den Ausbruch der Revolution im Jahr zuvor als konsequente Folge der Aufklärung begrüßt. Bereits am 30. Juli 1789, kurz nach Bekanntwerden des Sturms auf die Bastille, hatte er seinem Schwiegervater Heyne geschrieben: „Schön ist es aber zu sehen, was die Philo- sophie in den Köpfen gereift und dann im Staate zustande gebracht hat. […] Also ist es doch der sicherste Weg, die Menschen über ihre Rechte aufzuklären; dann gibt sich das übrige wie von selbst.“11 Am 21. Oktober 1792 besetzten französische Truppen unter General Custine das Kurfürstentum Mainz. Georg Forster gehörte zu den Männern, die schon zwei Tage nach der Besetzung den Jakobinerclub „Freunde der Freiheit und Gleichheit“ gründeten. Therese konnte als Frau keine Jakobinerin werden, aber sie nahm an allen häuslichen Diskussionen teil und teilte die meisten politischen Ansichten ihres Mannes. Ab Anfang 1793 war Georg aktiv an der Gründung der Mainzer Republik beteiligt, welche die erste auf demokratischen Grundsätzen aufgebaute Republik auf deutschem Boden war. Forster wurde Vize-Präsident der provisorischen Verwaltung und ließ sich als Abgeordneter in den Rheinisch- Deutschen Nationalkonvent wählen. Von Januar bis März 1793 war er Redakteur von Die neue Mainzer Zeitung oder Der Volksfreund. In seinem ersten Artikel schrieb er: „Die Pressefreiheit herrscht endlich innerhalb dieser Mauern, wo die Buchdruckerpresse erfunden ward.“12 Die Freiheit dauerte allerdings nicht lange. Die Mainzer Republik existierte nur bis zum Abzug der Franzosen im Juli 1793. Forster hielt sich damals schon nicht mehr in Mainz auf. Als Abgeordneter des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents, des ersten demokratischen Parlaments in Deutschland, war er nach Paris entsandt worden, um die Angliederung der

11 Brief an Heyne vom 30. Juli 1789. In: Johann Georg Forsters Briefwechsel. Bd. 1. Hrsg. von Therese Huber geb. Heyne. : Brockhaus 1829, S. 819. 12 Die neue Mainzer Zeitung oder der Volksfreund, Nr. 1, 1. Januar 1793.

16 allein nicht lebensfähigen Mainzer Republik an Frankreich zu beantragen. Der Auftrag wurde aber durch die Rückeroberung von Mainz durch die Truppen der anti-französischen Koalition abgebrochen. Aufgrund eines Dekrets von Kaiser Franz II., das die Zusammenarbeit deutscher „Untertanen“ mit der französischen Revolutionsregierung unter Strafe stellte, verfiel Forster der Reichsacht und konnte nicht mehr nach Deutschland zurückkehren. Völlig mittellos und ohne seine Frau, die ihn zusammen mit den Kindern schon in Mainz verlassen hatte, blieb er in Paris. Dort trat die Revolution gerade in die Phase der Schreckens- herrschaft, der Terreur des Wohlfahrtsausschusses unter Maximilien de Robes- pierre. Forster wurde sich nun des Unterschieds bewusst zwischen dem Anspruch der Revolution, das Glück der Menschheit zu befördern, und der revolutionären Praxis, die über das Glück und das Leben des einzelnen Menschen grausam hin- weggehen konnte. Noch bevor die Terrorherrschaft ihren Höhepunkt erreichen sollte, starb Georg Forster im Januar 1794, noch nicht 40-jährig, in einer kleinen Dachwohnung an einer Lungenentzündung. Thereses Beziehung zu Georg hat bis vor kurzem einen Schatten auf ihre Beurteilung in der Literaturgeschichte geworfen. In Georg Forsters Ehetragödie von Paul Zincke (1915) wurde sie der Treulosigkeit beschuldigt, sie habe Forster in Mainz wegen eines anderen Mannes im Stich gelassen. Und doch vernach- lässigte Forster seine Familie wegen seiner politischen Pläne, er machte riesige Schulden, erhob ständig hohe Ansprüche und erlaubte sich Seitensprünge – ver- mutlich auch mit Caroline Michaelis-Böhmer13, die in Mainz zeitweilig bei Fors- ters wohnte – dies wurde aber in den Forster-Biographien nie als „Treulosigkeit“ abgehandelt. Die neuen Ausgaben von Forsters und Thereses Briefen haben aber hier vieles richtig gestellt. Forster war sich wohl seiner Mängel bewusst. Die Zer- rüttung der Ehe und Thereses Unzufriedenheit trugen dazu bei, dass Therese selbständig wurde und sich als Frau vom ungeliebten, patriarchalen Ehemann befreite, um eine Liebesheirat einzugehen. Als aufgeklärte Leserin und Frau eines Revolutionärs war sie sich schon ihrer Rechte bewusst. Die Ereignisse in Frankreich wurden zu Hause diskutiert. Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (franz. Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne) war zum Beispiel schon im September 1791 von der französischen Frauenrechtlerin Olympe de Gouges verfasst worden, um sie der französischen Nationalversammlung zur Verabschiedung vorzulegen. Sie for- derte darin die volle rechtliche, politische und soziale Gleichstellung der Frauen.

13 Caroline Schelling, geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel, verh. Schelling (* 2. Sep- tember 1763 in Göttingen; † 7. September 1809 in Maulbronn) zählte zu der als Universitäts- mamsellen bekannten Gruppe Göttinger Professorentöchter und gilt als Muse verschiedener Dichter und Denker der Romantik. Sie hat Briefe, Rezensionen, Übersetzungen und auch Fragmente von Romanen und Aufsätzen geschrieben, die meistens nicht gedruckt wurden.

17 Die Schrift war eine Reaktion auf die Erklärung der Menschen- und Bürger- rechte, die am 26. August 1789 im Zuge der Französischen Revolution verkündet worden war. Allerdings galten die darin enthaltenen Rechte und Pflichten nur für „mündige Bürger“. Mündige Bürger waren zu diesem Zeitpunkt nur als Männer definiert. Frauen hatten kein Wahlrecht, keinen Zugang zu öffentlichen Ämtern, keine Berufsfreiheit, keine Eigentumsrechte und keine Wehrpflicht. Therese Forster-Huber sollte auch ihrerseits für diese Frauenrechte kämpfen, sowohl in dem eigenen Leben als auch in ihrem literarischen Werk. Am 20. September 1792 verabschiedete der französische Konvent ein Gesetz, das die zivile Ehescheidung zum ersten Mal in der französischen Geschichte legalisierte. Dieses sehr liberale Ehescheidungsgesetz sah die Möglichkeit einer Scheidung aufgrund des einseitigen Wunsches eines der Eheleute vor, ohne dem jeweils anderen die Schuld an der Scheidung zuzuweisen. Die Ehescheidung konnte auch aus bestimmten Gründen wie „Unsittlichkeit, Grausamkeit, Geis- teskrankheit, Verurteilung aufgrund bestimmter Verbrechen, Fahnenflucht von mindestens zwei Jahren oder Auswanderung“ erfolgen. Das Ehescheidungsge- setz spiegelte den Freiheitsgedanken der Revolution nieder, da die Ehe als ein Akt der Freiheit angesehen wurde und dementsprechend auch die Möglichkeit einer Auflösung gegeben sein sollte. Der Gesetzeserlass führte umgehend zu einem überproportionalen Anstieg an Scheidungen, die in den meisten Fällen von Frauen eingereicht wurden. Die Unterschiede zwischen den sozialen Schich- ten und den Berufsgruppen waren allerdings massiv. So waren Auflösungen von Ehen im Adel und bei Frauen häufig verbreitet, die aufgrund der finanziellen und familiären Situation von ihrer Autonomie profitieren konnten. Für Frauen des Bürgertums traf dies nur selten zu. Dennoch war Therese Forster eine der ersten deutschen Frauen, die sich scheiden lassen wollten. Sie interpretierte das Scheidungsrecht als Frauenrecht. Georg Forster willigte in die von seiner Frau geforderte Scheidung ein, in der Hoffnung auf ein freundschaftliches Verhältnis. Seine Briefe an Therese bezeugen, dass er diese Hoffnung nie aufgab. Doch zu Scheidung kam es nicht mehr, da Georg am 10. Januar 1794 verarmt und einsam in Paris starb.

3. Ehe mit Ludwig Ferdinand Huber: der Anfang einer literarischen Laufbahn im politischen Exil

In Mainz begann Thereses Beziehung zu dem sächsischen Legationsrat und Schriftsteller Ludwig Ferdinand Huber (1764–1804), der als Mitarbeiter und Freund von Forster seit 1790 bei ihnen im Hause wohnte. Mit ihm hatte Therese schon Kinder, als ihre zerrüttete Ehe mit Forster noch nicht geschieden war.

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