FDP – 04. WP Gemeinsame Sitzung des Bundesvorstandes und der Fraktion: 19. 11. 1962

19. November 1962: Gemeinsame Sitzung des Bundesvorstandes und der Fraktion

ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-745. Überschrift: »Kurzprotokoll der gemein- samen Sitzung von Bundesvorstand und Bundestagsfraktion vom 19. November 1962 in Nürnberg«. Zeit: 11.15–13.55 Uhr. Vorsitz: Mende. Entschuldigte Fraktionsmitglieder: Atzenroth, Burckardt, Busse, Flitz, Hamm, Kiep-Altenloh, Kühn, Rademacher, Schnei- der, Löbe, Reichmann.1 Entschuldigte Mitglieder des Bundesvorstands: Lüders2, Haas3, Engelhard4, Wedel5.

Sitzungsverlauf: A. Bericht des Fraktions- und Parteivorsitzenden Mende über die »Spiegel«-Affäre mit anschließender Aussprache insbesondere über die Frage des Rücktritts der freidemokra- tischen Bundesminister.

[A.] Dr. Mende: Es ist keine Demonstration, daß diese Tagung in Nürnberg stattfindet. Der Grund liegt vielmehr darin, daß verhindert werden soll, daß Wahlkampfverpflichtungen in dieser sitzungsfreien Woche wegen dieser Sitzung nicht erfüllt werden können. Dr. Klaus Dehler6: Da Minister Haas erkrankt ist, begrüßt er die Anwesenden als am- tierender bayerischer Landesvorsitzender. Er bittet, eindeutige und klare und nicht viel interpretierbare Entscheidungen zu treffen. Dr. Mende: Er begrüßt insbesondere den Ehrenvorsitzenden Dr. Maier7. Die Sitzung soll 14 Uhr abgeschlossen werden, damit man in der Presse nicht sagen kann, wir haben uns gestritten. Zu dem »Spiegel«-Verfahren ist zu sagen, daß die Untersuchung unter Federführung des Justizministers weitergeführt wird. In dem Gespräch, das mit der CDU geführt wurde, gab es keine Diskussion über die Versetzung von Staatssekretär Strauß8 in den Wartestand, da dieser die Verpflichtung hatte, Dr. Stammberger zu informieren. Um- stritten war dagegen die Ablösung von Staatssekretär Hopf9, da die Frage ungeklärt war, ob er der Letztverantwortliche ist. Deshalb hat man ihn nur bis zur völligen Auf- klärung beurlaubt.

1 Emde kam später. 2 Marie-Elisabeth Lüders, 1919–1930 MdR (DDP), 1953–1961 MdB (FDP), Ehrenvorsitzende der FDP. 3 Christian Albrecht Haas, Minister der Justiz des Freistaates Bayern (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Bayern, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 4 Edgar Engelhard, Senator für Wirtschaft und Verkehr sowie Zweiter Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Hamburg, Mitglied des Bundesvor- standes der FDP. 5 Fritz Wedel, MdL Saarland (FDP/DPS), Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 6 Klaus Dehler, MdL Bayern (FDP), Bezirksvorsitzender der FDP in Mittelfranken, stellvertretender Landesvorsitzender der FDP in Bayern. 7 Reinhold Otto Maier, 1945–1953 Ministerpräsident des Landes Württemberg-Baden bzw. Baden- Württemberg (FDP/DVP), Ehrenvorsitzender der FDP. 8 Walter Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz. 9 Volkmar Hopf, Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.

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Die Äußerung des Kanzlers bei der Abreise nach den USA über Hopf wurde von uns so ausgelegt, daß Adenauer zu der Auffassung gekommen ist, daß die Verantwortung bei Minister Strauß10 liegt. Es folgte dann der SPD-Antrag, der die Ablösung von Minister Strauß fordert. Die FDP-Landesverbände haben zu diesem Zeitpunkt bereits einmütig die Meinung vertreten, daß eine Zusammenarbeit mit Minister Strauß nicht mehr zu- mutbar ist. Somit ist das Ziel unumstritten. Es wurden jedoch verschiedene Wege vor- geschlagen: 1. ultimative Forderung nach Ablösung von Strauß, 2. Anstoß zur Regierungsumbildung geben. Bundesvorstand und Bundestagsfraktion müssen nun gemeinsam entscheiden, welche Form gewählt werden soll. Von dem Wunsch der FDP nach Ablösung von Minister Strauß hat er Minister Krone11 informiert. Das Gespräch fand in sachlicher Atmosphä- re statt. In Berlin hat Dr. Mende erklärt, daß die FDP kein Ultimatum zu stellen beabsichtigt, sondern daß es ihr um Vorschläge für eine verbesserte Regierungsarbeit geht. Am Sonnabend fand ein Gespräch mit Adenauer statt, der berichtete, daß die Kubakrise keinesfalls beigelegt sei. Es besteht der Eindruck, daß eine amerikanische Landung im- mer noch möglich ist. Nach wie vor befinden sich sowjetische Düsenbomber in Kuba.

300 000 amerikanische Soldaten stehen Gewehr bei Fuß. In bezug auf Berlin hat man sich offenbar auf die Zusammensetzung der Zugangsbehörde geeinigt. Die Vertreter von Bundesrepublik und SBZ sollen darin vertreten sein. Dr. Mende hat den Bundeskanzler auf ein Zeitungsinterview hingewiesen, das Strauß gegeben hat. Strauß äußerte dabei, daß im Untersuchungen vorgenommen worden seien und Schränke versiegelt wurden. Diese Meldung hat Gerstenmaier12 sofort dementiert. Weiterhin hat Dr. Mende auf das schlechte Benehmen von Strauß bei dem Empfang des Präsidenten in Schloß Brühl hingewiesen. Der Zustand des Verteidi- gungsministers auf dem Höhepunkt der Kubakrise hätte diesem nicht die Möglichkeit gegeben, verantwortlich zu handeln, wenn das erforderlich geworden wäre. Der Kanz- ler hat sehr kritische Worte über Strauß gebraucht, sah sich aber nicht in der Lage, Strauß abzulösen. Nach dieser Erklärung des Bundeskanzlers wurde die Sitzung abge- brochen und ein Kommuniqué darüber verfaßt. Einige Stunden später fand dann eine erneute Besprechung in einem größeren Kreis statt. Dabei äußerten sich von Brenta- no13, Wacher14 und Schütz15 sehr scharf gegenüber der FDP. Krone hielt sich jedoch zurück. Von Kühlmann wies darauf hin, daß man zu Strauß, als dem höchsten Vorge- setzten der Bundeswehr, kein Vertrauen mehr haben könne. Dr. Mende wies auf die Äußerung von Sebastian Haffner16 hin, der gesagt hat, daß sich Strauß in England keine 24 Stunden mehr halten könne. Von Brentano äußerte, daß die CDU, wenn die FDP ultimative Forderungen stellen würde, mit der SPD zusammenginge. Das wurde vom Kanzler scharf zurückgewiesen. Weiterhin hat Adenauer Döring bestätigt, daß das Ab- kommen in bezug auf seine Kanzlerschaft bis Herbst 1963 gelten würde.

10 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Bundesminister der Verteidigung. 11 , MdB (CDU), Bundesminister für besondere Aufgaben. 12 , MdB (CDU), Bundestagspräsident. 13 , MdB (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 14 Gerhard Wacher, MdB (CSU), Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. 15 Hans Schütz, MdB (CSU), stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. 16 Sebastian Haffner, Journalist und Historiker.

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Um 21 Uhr erhielt Dr. Mende eine Mitteilung von Dr. Ackermann17, daß die CDU bereit sei, nach der sitzungsfreien Woche mit der FDP über den Fortbestand der Koali- tion zu verhandeln. Der Vorstand ist jedoch der Meinung, daß eine solche Verzögerung die Partei nicht verträgt. Dr. Mende hat am Donnerstag den Landesverbänden ein Tele- gramm geschickt und mitgeteilt, daß er eine Weiterarbeit in dieser Koalition unter den augenblicklichen Umständen nicht mehr für möglich hält. Kiesinger18 brachte in einem Telefongespräch mit Dr. Mende am Sonntag seine Sorge zum Ausdruck, daß die FDP in Nürnberg einen Paukenschlag macht. Dr. Mende hat ihm erwidert, daß die FDP nicht an ein Ultimatum denkt. Die FDP ist für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der CDU, jedoch ist eine Umbildung erforderlich. Nach diesem Telefongespräch fand kei- ne weitere Kontaktaufnahme mit der CDU statt. Nachdem Dufhues19 eine Erklärung zur Umbildung der Regierung abgegeben hatte, sah auch er sich gezwungen, auf der wehrpolitischen Tagung der FDP auf diese Frage einzugehen. Döring: Er hat gestern morgen noch mit Dufhues gesprochen, der auch der Meinung ist, daß Strauß untragbar ist, und daß entsprechende Schritte der FDP erwartet werden. Döring bittet, diese Mitteilung nicht weiterzutragen. Dufhues hat schließlich darum gebeten, daß die FDP auf die Erweiterung der personellen Fragen auf die Person des Bundeskanzlers verzichtet. Man sollte jedoch die Stellung des Bundeskanzlers auch nicht über den Herbst 1963 hinaus zementieren. Dr. Mende: Er bittet, einmütig zu handeln und sich auf eine gemeinsame Aussage auch in den Wahlversammlungen zu beschränken. Darüber hinaus sollten keine eigenen Interpretationen gegeben werden. Er verliest den Entwurf eines vom Vorstand be- schlossenen Kommuniqués, wonach die FDP-Minister heute ihren Rücktritt erklärt haben, um eine Umbildung der Regierung zu ermöglichen. Dr. Imle: Ist die Frage Hopf mit Adenauer besprochen worden? Dr. Mende: Die Frage wurde von uns angesprochen. Adenauer ist jedoch nicht darauf eingegangen. Weyer20: Wann treten unsere Bundesminister zurück? Dr. Stammberger: Sobald Bundesvorstand und Fraktion den entsprechenden Beschluß gefaßt haben, werden die Minister ein Telegramm über ihren Rücktritt absenden. Dr. Maier: Das Kommuniqué ist gut, aber man sollte besser sagen, daß die FDP- Minister »unverzüglich zurücktreten« werden, denn eine gewisse würdige Form muß gewahrt werden. Außerdem ist ein Minister noch nicht zurückgetreten, wenn er tele- graphisch seinen Rücktritt erklärt hat, da der Rücktritt auch angenommen werden muß. Dr. Dehler: Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung und dem Grundgesetz kann ein Minister jederzeit seinen Rücktritt erklären. Der Bundeskanzler muß dann die Rücktrittserklärung an den Bundespräsidenten weiterleiten. Der Vorstand hat die For- mulierung, daß der Rücktritt bereits erfolgt ist, gewählt, um ein Faktum zu schaffen. Dr. Kohut: Er hält den Entwurf der Erklärung für ausgezeichnet und spricht sich gegen eine Verwässerung aus. Der Kanzler ist nach seinen Erklärungen in der »Spiegel«-

17 Eduard Ackermann, Leiter der Pressestelle der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 18 , Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg (CDU). 19 Josef Hermann Dufhues, MdL Nordrhein-Westfalen (CDU), Vorsitzender der CDU Westfalen- Lippe, geschäftsführender Bundesvorsitzender der CDU. 20 Willi Weyer, Minister für Inneres sowie Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Landes Nord- rhein-Westfalen (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen, Mitglied des Bundes- vorstandes der FDP.

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Angelegenheit aber auch nicht mehr tragbar. Daher sollte man nach Möglichkeit auch diesen beseitigen, wenn unsere Unterhändler dazu eine Möglichkeit sehen. Opitz: Er bittet, nur den Vorschlag des Fraktionsvorstandes zu diskutieren. Dr. Menne: Ein Resultat, nachdem unsere Minister zurücktreten und Strauß bleibt, ist nicht in seinem Sinne. Er bemängelt, daß bereits in den Zeitungen steht, was wir heute beschließen sollen. Die Amerikaner sehen mit Unruhe, daß es schon wieder zu einer Regierungskrise kommt. Dr. Mende: Die Alternative, daß entweder Strauß geht oder die FDP aus der Koalition ausscheidet, war in der Fraktion unumstritten. Die CDU hatte, nachdem sie von dieser Haltung der FDP unterrichtet war, 5 Tage Gelegenheit, Strauß aus der Regierung zu- rückzuziehen, oder diesen zu veranlassen, von sich aus zurückzutreten. Dr. Klaus Dehler: Wir haben uns für den bayerischen Wahlkampf diese Entwicklung nicht gewünscht. In den Zeitungen wird aber nun die Frage gestellt, ob die FDP umfällt oder nicht. Daher begrüßt er die präzise Aussage des Kommuniqués, denn eine staats- politische Entscheidung ist notwendig. Man sollte aber den Namen Strauß erwähnen und sagen, daß eine Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich ist. Scheel: Man muß unterscheiden zwischen dem, was wir beschließen, und dem, was wir im Kommuniqué sagen. Es ist nicht erforderlich, daß wir starke Formulierungen ge- brauchen, aber der beschrittene Weg muß konsequent zu Ende geführt werden. Aus der Formulierung geht das eindeutig hervor und jeder weiß, daß es hier um die Person von Strauß geht. Er akzeptiert daher die vom Vorstand gefundene Form der Rücktrittser- klärung und wir sollten dabei bleiben. Dr. Mende: Es ist nicht unbedingt notwendig, daß die Rücktrittserklärung telegra- phisch erfolgt. Hier kann auch eine andere Form gefunden werden. Weyer: Die Partei braucht heute die klare Entscheidung; er glaubt auch nicht, daß die Minister die gefundene Form nicht akzeptieren. Ein klarer Entschluß wertet die FDP auch in den Landeskabinetten auf. Er hat mit Meyers21 darüber gesprochen. Zoglmann: Die Entschließung ist gut ausgewogen. Wir haben damit einen guten Start für kommende Verhandlungen. Dr. Ilk22: Sie unterstützt die Ausführung von Dr. Klaus Dehler. Sie befürchtet, daß in den Zeitungen herauskommt, daß Strauß in der Regierung bleibt. Dr. Mende: Wir müssen hier unterscheiden zwischen dem Beschluß, den Bundesvor- stand und Fraktion veröffentlichen, und dem Inhalt der Wahlreden. In der Erklärung sollten wir nichts übersteigern. Alles andere gehört in die Wahlreden. Mertes: Er findet die Erklärung klar und gut und es spricht vieles dafür, den Namen Strauß nicht zu erwähnen, wenn er auch das Anliegen der bayerischen FDP versteht. Es erscheint ihm besser, wenn man den Ministern besser den Dank der FDP als das Ver- trauen ausspricht, was zu Überlegungen Anlaß geben könnte, daß das umstritten ist. Dr. Mende: Wenn man von »Dank« spricht, so sieht das so sehr nach Abschied aus. Mauk: Man sollte zusätzlich die CDU ansprechen, daß sie im Interesse der Sache ent- sprechend handelt. Dr. Bucher: Er hält es nicht für erforderlich, den Namen Strauß zu erwähnen. Dr. Mai- er hat formal recht, jedoch muß die Konsequenz klar herauskommen.

21 , Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen (CDU). 22 Herta Ilk, 3. November 1949–1957 MdB (FDP), Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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Dr. Aschoff: 1. Wir sollten uns nicht zu sehr mit der Grammatik im Zusammenhang mit der Erklärung beschäftigen. Über das Ziel besteht kein Zweifel. Jedoch sind hierzu Vorleistungen von uns erforderlich. 2. Der jeweilige Wahlkampf sollte unsere Entscheidung nicht beeinflussen. Man kann aber doch etwas härter formulieren und zum Beispiel zum Ausdruck bringen, daß das Vertrauen in die ordnungsgemäße Staatsführung erschüttert ist. 3. Der Rücktritt der Minister erfolgt nicht auf Verlangen der Fraktion, sondern aus eigenem Entschluß der Minister. Carlo Graaff23: Wir sollten unsere Diskussion nicht nur auf den »Spiegel« abstellen, sondern auf die Gesamtbelastung durch die Person Strauß. Wie er soeben gehört hat, werden die von der SPD geleiteten Landesregierungen dem Sozialpaket im Bundesrat zustimmen, obwohl die SPD das Sozialpaket nicht will. Die Sozialdemokraten hoffen aber auf eine offene Feldschlacht im Parlament zwischen FDP und CDU. Daher sollte das Sozialpaket in das Kabinett zurück. Dr. Mende: Wir sollten die Themen hier nicht ausweiten, im übrigen besteht keine Möglichkeit, das Sozialpaket, das bereits dem Bundesrat zugeleitet wurde, wieder ins Kabinett zurückzunehmen. Dr. Achenbach: Wir sollten in der Erklärung zum Ausdruck bringen, daß wir gegen ein Minderheitenkabinett sind. Dr. Mende: Wir sollten uns nicht zu viel vornehmen und keine neuen Dogmen aufstel- len. von Kühlmann: In dem Entwurf von der Erklärung wurde von persönlichen Belastun- gen gesprochen, es sollte »personelle Belastungen« heißen. Dr. Mende: Wird entsprechend geändert. Dr. Haußmann24: Er verliest eine Resolution der Nord-Württemberger FDP, die eine Fortsetzung der Koalition mit Strauß ablehnt. Dr. Haußmann hat Bedenken, sofort den Rücktritt der Minister zu erklären, zumal diese verpflichtet sind, die Geschäfte weiter- zuführen. Damit ist die Aktionsfähigkeit der Minister beschränkt. Dr. Mende: Dr. Haußmann hat offenbar die letzten Änderungen noch nicht vorliegen. Daher verliest Dr. Mende noch einmal die überarbeitete Erklärung. Dr. Leuze25: Es ist keine Frage, daß Strauß nicht mehr tragbar ist. Draußen macht sich aber ein Mitleid mit den Staatssekretären bemerkbar. Er stellt die Frage, warum die FDP aus der Koalition austreten will, wenn sie sich selbst für so notwendig in der Regierung hält. Wir sollten uns vor Zwangsvorstellungen hüten und die Rücktrittsfrage nicht so häufig angreifen. Die Bundesminister werden auf diese Weise abgewertet, obwohl sie in keiner Weise verschlissen sind. Das wirkt auch poli- tisch nicht gut. Dr. Mende: Die Minister fühlen sich keineswegs schlecht behandelt und haben dem Kommuniqué zugestimmt.

23 Carlo Graaff, Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes Niedersachsen (FDP), Landesvorsit- zender der FDP in Niedersachsen, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 24 Wolfgang Haußmann, Minister für Justiz sowie Stellvertretender Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg (FDP/DVP), Landesvorsitzender der FDP/DVP in Baden-Württemberg, Mit- glied des Bundesvorstandes der FDP. 25 Eduard Leuze, Minister für Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg (FDP/DVP), stellvertreten- der Landesvorsitzender der FDP/DVP in Baden-Württemberg, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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Scheel: Hierzu muß man auch die andere Seite hören und er möchte dazu erklären, daß die Bundesminister physisch nicht mehr bereit sind, in der Regierung zu bleiben. Er spricht sich daher für eine klare Formulierung mit aller Konsequenz aus. Es ist das Anliegen der CDU, diese Angelegenheit über den 25. November hinauszuschieben, aber nicht das unsrige. Eine bessere Form des Kommuniqués als die vorgelegte ist nicht möglich. Mischnick: Es muß alles unterbleiben, was den Eindruck erwecken kann, daß eine Mei- nungsverschiedenheit zwischen den Ministern und der Fraktion besteht. Den Namen Strauß sollte man nicht erwähnen, um spätere Möglichkeiten nicht kaputt zu machen. Heute hat die FDP die letzte Möglichkeit, klare Verhältnisse zu schaffen. Dr. Stammberger: Er billigt und begrüßt die klare Entscheidung des Vorstandes. Wenn in dieser Erklärung den Ministern das Vertrauen ausgesprochen wird, so besagt das noch nichts über ein Wiedereintreten in ein neues Kabinett, welchen Schritt er sich noch einmal genau überlegen müßte. Lenz: Er hat in den letzten Wochen auf dem Standpunkt gestanden, daß die CDU in dieser Angelegenheit am Zuge ist. Jetzt ist er jedoch zu der Auffassung gekommen, daß man nur wie vorgeschlagen zu einer Regierungsneubildung kommen kann. Daher hält er die vorgeschlagene Erklärung für den richtigen Weg. Dr. Starke: Die Minister treten deshalb zurück, weil die Partei die Konsequenzen zieht. Man sollte sagen, daß Adenauer bereits mitgeteilt wurde, daß die FDP eine Regierungs- umbildung anregt, und daß die Minister zurückgetreten sind. Den Namen Strauß sollte man erwähnen, denn die Aktion wird wegen Strauß gemacht. Im übrigen wehrt er sich dagegen, daß er zurückgezogen worden ist, sondern er selbst erklärt seinen Rücktritt. Er hat Bedenken dagegen, wegen der anstehenden schwierigen Entscheidungen die Geschäftsführung noch für einige Zeit weiter wahrzunehmen. Dr. Mende: Die Anregung von Dr. Starke, daß in das Kommuniqué aufgenommen wird, daß die Auffassung der FDP dem Bundeskanzler bereits mitgeteilt wurde, wird berücksichtigt. Die Minister sollten in jedem Fall gemeinsam handeln. Daher sollten sie auch alle die Geschäftsführung wahrnehmen oder keiner der Minister tut es. Dr. Leverenz26/Weyer: Wir sollten hier nur über die Entschließung sprechen. Dr. Stammberger: Aus optischen Gründen hält er es für erforderlich, daß man bald zum Schluß kommt. Dr. Imle: Wir sollten nicht zu viel in die andere Partei hineinreden und Strauß auch nicht erwähnen. Er stellt den Antrag auf Schluß der Debatte. Dr. Mende: Nachdem die Abberufung von Strauß abgelehnt wurde, gibt es für die FDP keine Alternative mehr. Dr. Borttscheller27: Er akzeptiert den Vorschlag, daß man nicht von Strauß spricht, sondern von der personellen Belastung. Dr. Hamm: Er verliest eine eigene Formulierung zu dem 1. Teil des Kommuniqués. Dr. Mende: Das kann man besser in den Versammlungen sagen.

26 Bernhard Leverenz, MdL Schleswig-Holstein (FDP), Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, Landesvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. 27 Georg Borttscheller, Senator für Häfen, Schifffahrt und Verkehr der Freien Hansestadt Bremen (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Bremen, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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Glahn28: Wir sollten den Namen Strauß nennen, da dieser die zentrale Figur in der Auseinandersetzung ist. Ansonsten ist die Entschließung gut. Dr. Diemer: Sie spricht sich für die vorliegende Formulierung aus, denn es wird hier klar zum Ausdruck gebracht, daß wir uns von Strauß distanzieren. Dr. Mende: Er spricht seinen Dank gegenüber Kohl29 und allen, die am Wahlkampf in Hessen mitgewirkt haben, für die Aufmunterung aus, die die Partei durch den Ausgang der Wahl in Hessen bekommen hat. Kohl: Er dankt seinerseits für die Mithilfe der Abgeordneten im Wahlkampf. Dr. Ilk: Es liegt ihr nicht so sehr daran, daß man den Namen Strauß in dem Kommuni- qué unbedingt erwähnt. Das braucht auch nicht zu sein, wenn man die Formulierung von Dr. Starke wählt. Weber: Nord-Württemberg hat eine klare Entscheidung gewünscht, die nicht in der Weise eingeschränkt wurde, wie sie in der persönlichen Auffassung von Dr. Haußmann zum Ausdruck kam. Lüder30: Er hat in der Presse gelesen, daß man erwogen hat, Dr. Starke aus dem Kabi- nett zurückzuziehen, wenn Strauß zurücktreten soll. Sander: Er fragt nach den Namen der neuen Minister. Dr. Mende: Besprechungen dieser Art haben nicht stattgefunden. Rubin31: Man sollte die Absätze 2 und 3 des Entwurfes des Kommuniqués umstellen. Dr. Mende: Er verliest die neue Formulierung des Kommuniqués, wenn man die Er- gänzungen von Dr. Starke und die von Rubin angeregte Umsetzung berücksichtigt. (Zuruf: Keine Umstellung, wie von Rubin gewünscht, vornehmen!) Dr. Mende: Er verliest daraufhin das Kommuniqué, verändert durch die Ergänzungen von Dr. Starke. Scheel: Bedenken. Dr. Starke: Er verteidigt seine Formulierung. Dr. Hamm: Er macht einen weiteren Formulierungsvorschlag. Dr. Mende: Wenn man die Formulierung von Dr. Hamm akzeptiert, so würde das Meldungen bestätigen, nach denen wir die CDU unter Druck setzen. Dr. Hamm: Er bittet um Abstimmung seiner Formulierung. Dr. Mende: Er läßt abstimmen. Die Formulierung von Hamm wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Daraufhin stellt Dr. Mende das Kommuniqué in der jetzt bestehenden Form zur Abstimmung und fragt, in welcher Form (Namensaufruf oder gemeinsame Abstimmung) die Abstim- mung erfolgen soll. (Zuruf: Gemeinsame Abstimmung!) Die Abstimmung ergibt die Annahme ohne Gegenstimme bei 3 Enthaltungen (Dr. Leuze, Schmidt, Dr. Starke).

28 Fritz Glahn, Minister für Finanzen und Wiederaufbau des Landes Rheinland-Pfalz (FDP), Landes- vorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 29 Heinrich Kohl, MdL Hessen (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Hessen, Mitglied des Bundes- vorstandes der FDP. 30 Wolfgang Lüder, Vorsitzender des Liberalen Studentenbunds Deutschlands, nicht stimmberechtigtes Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 31 Hans Wolfgang Rubin, Bundesschatzmeister der FDP, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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Zoglmann: Er bittet Dr. Starke, seine Bedenken, die sich ja nur auf einen Teil der For- mulierung beziehen, zurückzustellen und mit der Mehrheit zu stimmen. Dr. Starke erklärt sich dazu bereit. Dr. Mende: Er läßt die Abstimmung wiederholen und stellt einstimmige Annahme bei einer Enthaltung (Dr. Leuze) fest. Das Ergebnis dieser Sitzung wird er Dr. Adenauer, von Brentano, Dufhues und Kiesin- ger mitteilen. Zoglmann: Wir sollten den Koalitionspartner sofort telefonisch informieren. Es wäre nicht gut, wenn die genannten Adressaten das Ergebnis dieser Sitzung durch die Agen- turen erfahren würden, daher sollten Bundesvorstand und Fraktion jetzt gemeinsam essen, während er die Telefongespräche führt. Um 15 Uhr wird dann das Kommuniqué der Presse mitgeteilt (vgl. »fdk« Nr. 129/62 (T) vom 19.11.1962 [s. Anlage]).

[Anlage:] »fdk« Nr. 129/62 (T) Nürnberg, den 19. November 1962 Pressemitteilung Bundesvorstand und Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei unter Vor- sitz von Dr. haben heute in Nürnberg folgende Erklärung abgegeben: Deutschland braucht eine starke und handlungsfähige Bundesregierung. CDU/CSU und Freie Demokraten verfügen im Deutschen Bundestag über eine breite Mehrheit für eine vorausschauende und konstruktive Außen- und Innenpolitik. Ihre Zusammenarbeit entspricht dem Willen der Mehrheit der deutschen Wähler. Sie muß deshalb fortgesetzt werden. Die weltpolitische Lage und die Lage unseres geteilten Vaterlandes und seiner geteilten Hauptstadt erfordern eine Bundesregierung, die frei von personellen Belastungen allein dem Wohle des deutschen Volkes dient. Deshalb ist eine Umbildung der Bundesregie- rung notwendig. Diese Auffassung der Freien Demokratischen Partei ist dem Bundeskanzler und ihrem Koalitionspartner mitgeteilt worden. Die der FDP angehörenden Bundesminister sind heute zurückgetreten, um damit die Voraussetzung für Verhandlungen über die erforderliche Regierungsumbildung und über die Fortsetzung der Zusammenarbeit von CDU/CSU und Freien Demokraten zu schaffen. Bundesvorstand und Bundestagsfraktion der Freien Demokraten sprechen den Bun- desministern Lenz, Mischnick, Scheel, Dr. Stammberger und Dr. Starke Dank und Ver- trauen aus.

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