Vier Spuren Für Ein Halleluja " Ich Bin Nicht John
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STORY: IRON & WINE © PPVMEDIEN 2011 ICH BIN NICHT JOHN " LENNON, DER ZEUG ÜBER SEINE MUTTER INS MIKRO BRÜLLT.“ Vier Spuren für ein Halleluja FOTO: PIPER FERGUSON,IRON GETTY IMAGES AND WINE 34 SOUNDCHECK 06|11 WWW.SOUNDCHECK.DE © PPVMEDIEN 2011 Ehemals Universitätsdozent, SOUNDCHECK: Sam, nervt es nicht, ständig dann Indie-Folk-Geheimtipp, auf deinen Bart angesprochen zu werden? Sam Beam: Das geht schon klar. Na ja, ich den- jetzt Chartstürmer: Wir haben ke, dass es langweilig ist, aber es macht mich mit Sam Beam (besser bekannt nicht wütend. Ich hätte ehrlich gesagt, bevor ich als Musiker aktiv war, nicht gedacht, dass als Iron & Wine) über sein neues man mit Gesichtsbehaarung so viel Aufmerk- Album „Kiss Each Other Clean“, samkeit erregen kann. Es scheint fast so, als wäre ich der erste bärtige Mensch auf diesem Homerecordings und mehr Planeten. Dabei bin ich bloß zu faul, mich zu gesprochen. rasieren – wie ein Haufen anderer Leute auch. Aber wahrscheinlich ist es einfacher, über Bärte zu schreiben als über Musik. ine der Mythen des Musikgeschäfts lau- tet: Nur mit Entschlossenheit und Durch- SC: Dann lass uns also über Musik sprechen. E hal tevermögen bringt man es zu musika- Wie ist dein aktuelles Album „Kiss Each lischem Erfolg. Von wegen. Sam Beam (alias Iron Other Clean“ entstanden? & Wine) dachte jahrelang nicht im Traum daran, Beam: Wir haben diesmal viel in den Engine dass seine Songs eine größere Menge von Leu- Stu dios in Chicago aufgenommen. Das Vorgän- ten interessieren könnten und unternahm infol- geralbum „The Shepherd’s Dog“ ist ja komplett gedessen auch keine wirklichen Anstrengun- in meinem Haus entstanden. Dieses Mal wollte gen, um als Musiker Fuß zu fassen. Bis ein Iron- ich aber mehr Live-Tracking mit der Band um- &-Wine-Titel zufällig auf der Compilation eines setzen. Und mein Aufnahmeraum ist dafür ein- obskuren US-amerikanischen Kulturmaga zins fach nicht geeignet. Ich wohne in diesem alten lan dete. Die per Vierspur-Recorder erstellte Auf- Farmhaus in den Bergen, außerhalb von Austin, nahme ließ 2001 das legendäre Sub-Pop-Label Texas, und mein Studio besteht im Prinzip aus (Nirvana, Soundgarden …) aufhorchen. Wir ha- einem runden Raum mit Holzboden und sehr ben Beam, der es mittlerweile mit seinen Alben hoher, gewölbter Decke. Außerdem gibt es zu bis auf Platz zwei der US-Charts schafft, im jeder Seite – um die umliegenden Berge sehen Berliner Club Berghain zum Gespräch getroffen. zu können – Fenster. Der Raum ist also denkbar BIO G R A FIE 2001 nimmt das legendäre Label Sub Pop Pseudonym Iron & Wine mit feinsten Indie- (Nirvana u.a.) Sam Beam unter seine Fittiche Perlen beglückt. Nach dem genialen 2007er- – worauf der damals 26jährige seinen Job als Release „The Shepherd’s Dog“ schaffte Beam Dozent an der University of Miami hin- es jetzt mit dem Album „Kiss Each Other schmeißt und die Welt fortan unter dem Clean“ bis auf Platz zwei der US-Charts. WWW.SOUNDCHECK.DE/ STORY: IRON & WINE © PPVMEDIEN 2011 ungeeignet für Band-Recordings. Wenn man ein men habe. Musik war damals für mich nichts SC: Mir ist aufgefallen, dass dein neues Al- Instrument zur Zeit aufnimmt, funktioniert es. weiter als ein Hobby. Im Prinzip ging es mir bloß bum wesentlich beschwingter daherkommt … Dann kann man sogar einen sehr einzigartigen darum, meine Kompositionen festzuhalten, um Beam: Wobei das, glaube ich, täuscht. Die The- Sound erzielen. Aber wenn die ganze Band zu- sie nicht zu vergessen. men der Texte haben sich nicht groß geändert. Es sammen spielt, geht gar nichts mehr. geht um das Leben – gut und böse, süß und sauer SC: Du hast damals in der Filmbranche gear- … Die Leute sagen, sie hören in meinen Songs SC: Welche Geräte stehen in deinem Home- beitet, oder? eher recht Schwermütiges. Aber gleichzeitig ist, studio? Beam: Ja. Und Musik ist generell für mich bloß da gebe ich dir Recht, die Musik viel heiterer. Vie- Beam: Ein Pro-Tools-Digi-002-Setup, plus ein ein kreatives Feld unter vielen. Es geht mir zu- le Stücke sind in Dur geschrieben worden. Und paar Outboard-Kompressoren und -EQs. Ich habe nächst einmal nur darum, Dinge zu erschaffen. das Album ist definitiv tanzbarer. Es gibt einige einen Universal Audio 1176 und ein Manley-EQ, Als ich mir den Vierspur-Recorder besorgte, war nostalgische R-&-B-Elemente. Vieles von dem, und dieses Mal kamen auch ein paar Focusrite- das letztlich nur ein weiterer Grund, wieder et- was in den Sechzigern auf Labels wie Motown Preamps zum Einsatz. Aber das meiste kommt was zu kreieren. Eine notwendige Ursache/Wir- oder Stax veröffentlicht wurde, ist ja in Dur kom- ALBUM „Kiss Each Other Clean“ Wieder einmal arbeitete Sam ICH GEHE MIT EINER Beam mit Producer Brian Deck " (Modest Mouse, Gomez …) zu- AUFNAHME GERN UM WIE sammen. Vergangen sind die Ta ge des eher gehauchten denn ge- sungenen Indie-Folks in höchs ter MIT EINEM GEMÄLDE.“ Reduk tionsstufe. Iron-&-Wine- Songs klangen noch nie so sehr nach Pop – aber auch noch nie derart vielschichtig durchdacht. tatsächlich aus dem Computer. Ich nutze Pro kungsbeziehung sozusagen. Meinen Lebensun- poniert worden. Und: Diesmal gibt es mehr echte Tools gern als kreatives Werkzeug. Obwohl: Dies- terhalt habe ich mir zu der Zeit noch in der Film- Vocal-Arrangements statt simpel gestrickter Har- mal wurde eigentlich relativ wenig editiert. Aber industrie verdient. Licht, Produktion, Aus stattung monien. Das heißt, anstatt die Lead-Vocals bloß in das sage ich nicht, weil ich stolz drauf wäre, son- und so weiter. Als das Album dann veröffentlicht einen Akkord aufzusplitten, haben wir zusätzliche dern einfach, weil es so war. Ich gehe mit einer wurde, ich aber noch nicht von der Musik leben Melodien eingearbeitet, die den Hauptgesang un- Aufnahme gerne um wie mit einem Gemälde. Das konnte, habe ich Kamera, Drehbuch und Filmge- terstützen. heißt, ich fliege zum Beispiel nach Chicago, schichte an der University of Miami unterrichtet. schneide ein paar Spuren mit, schleppe das Mate- rial nach Hause, höre zwei Wochen später noch SC: Warum der Wechsel an die Uni? mal rein, lösche Parts, nehme Overdubs auf … Da- Beam: Weil ich Vater geworden war und meine nach geht es dann vielleicht wieder nach Chicago, Kinder noch sehen wollte. Bei den Zeitabläufen um eine Horn-Section hinzuzufügen und so wei- in der Filmbranche hätte das nicht funktioniert. ter. Es kommt kaum vor, dass meine ersten Ideen auf einem Album landen. Es dauert eine ganze SC: Wie ging es dann weiter? Weile, bis ich weiß, wo es hingehen soll. Beam: Sub Pop wurde auf mich aufmerksam – und mein Leben änderte sich. Jetzt habe ich mir SC: Ein Studio zu mieten und dann in, sagen mein eigenes Studio zugelegt, und ich kann ar- wir, zwei Wochen eine komplette Produktion beiten, wie es mir gefällt. Ich muss mich nicht in einem Stück durchzuziehen – das wäre selbst beschränken, weil ich zum Beispiel – wie nichts für dich? bei meinem zweiten Album – nur Geld für eine Beam: Doch. Mein Album mit Calexico ist ja in Woche Studio habe. Es entspricht mir viel eher, vier Tagen entstanden. Und mein zweites Album etwas aufzunehmen und es dann später in Ruhe „Our Endless Numbered Day“ ist in einer Woche noch einmal hervorzukramen und zu verändern. aufgenommen worden. Der Entstehungsprozess Was nicht heißen muss, dass man am Ende mit von „Kiss Each Other Clean“ ähnelt insofern wie- einem besseren Resultat dasteht. Das ist wahr- der mehr dem von meinem Debüt, das ich auf scheinlich eine Charakterfrage. Wie gesagt: Ich einem Vierspur-Recorder von Tascam aufgenom- mache gern Dinge. 36 SOUNDCHECK 06|11 WWW.SOUNDCHECK.DE © PPVMEDIEN 2011 SC: Du machst einen sehr ruhigen und aus- Aber da gibt es eine bestimmte Offenheit und geglichenen Eindruck. Würdest du sagen, – mir fällt gerade kein besseres Wort ein – dass Iron-&-Wine-Songs deinen Charakter Leichtigkeit, die ich in beiden Titeln hören kann. in gewisser Weise wiederspiegeln? Beam: Meine frühen Songs waren fast aus- SC: Du spielst heute mit einer kompletten schließlich Liebeslieder. Das hat zu der Zeit si- Band, anders als noch zu Zeiten deines sehr cher meinen Charakter ganz gut getroffen. reduziert gehaltenen Debüts … Wenn meine frühen Titel eher relaxed und ea- Beam: Das sind vor allem Musiker aus der Chi- ICH H A BE K A MER A, DREHBUCH UND F" ILMGESCHICHTE UNTERRICHTET.“ sy-going rüberkamen, lag das aber zunächst cagoer Szene, die ich über die Band Califone einmal schlicht an den beschränkten techni- kennen gelernt habe. Ich mache jetzt seit etwa schen Möglichkeiten: Mir standen nur eine einer Dekade ernsthaft Musik. Innerhalb der Vierspurmaschine, eine Gitarre und ein Banjo ersten zwei, drei Jahre ist mir aufgefallen, wie zur Verfügung. Ich hatte nun mal kein Drumset. klein die sozialen Zirkel im Musikgeschäft sind. Mit der Zeit sind meine Songs dann, denke ich, Das ist schon eine erstaunliche Szene. immer vielseitiger und surrealer geworden. Das reflektiert meine Persönlichkeit wahrscheinlich SC: Siehst du dich eigentlich als Teil einer besser. Aber eines kann ich definitiv sagen: Ich musikalischen Bewegung? schreibe Songs nicht, um mich zu therapieren Beam: Das fragen mich eine Menge Leute. Und – das ist kein Plastic-Ono-Band-Ding. Ich bin ich stehe auch unheimlich auf die eher organi- nicht John Lennon, der Zeug über seine Mutter sche Musik, die in den letzten Jahren so in den ins Mikro brüllt. USA veröffentlicht wurde. Aber ich glaube nicht, dass das eine Bewegung ist, wie man sie zum SC: Gab es eigentlich für den Song „Glad Beispiel mit den Laurel-Canyon-Acts aus den Man Singing“ eine bestimmte Referenz? Mich Sechzigern in Verbindung bringt. Ehrlich gesagt erinnert der Track stark an Bobbi Humphreys gibt es nur einen Zeitpunkt, in dem ich mich als 1973er-Album „Blacks and Blues“. Teil der Musikszene fühle: Wenn ich mal wieder Beam: Der Name sagt mir jetzt nichts.