DEZ.11 / JAN.12
2011 EINSCHLAUFEN Betrifft: Ein Bungalow in Santa Nirgendwo Impressum Nº 10.11 DER MUSIKZEITUNG LOOP 14. JAHRGANG Da wären wir also, kurz vor dem Jahresende, der vorliegenden Ausgabe mit Rückblicken auf und setzen an zu ein paar Momentbeschreibun- ihre aussergewöhnlichen Leben und Werke. Es P.S./LOOP Verlag gen über halbieren Gläsern. Die vergangenen bleibt dabei natürlich bei einer Auswahl, denn Postfach, 8026 Zürich zwölf Monate standen im Zeichen des Auf- es wären noch etliche andere Menschen aus dem Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 bruchs und der anhaltenden Krise. Während die Musikgeschäft zu nennen, allen voran Apple- [email protected] Menschen im Nahen Osten auf die Strasse gin- Gründer Steve Jobs, der mit dem iPod das ganze www.loopzeitung.ch gen, um ein längst verdientes Stück Demokratie Business umgekrempelt hat. Oder die ehemalige einzufordern, kämpften Europa und die USA Dylan-Freundin Suze Rotolo, die einst auf dem Verlag, Layout: Thierry Frochaux gegen den Zerfall von Währungen und den Kol- Cover von «The Freewheelin’ Bob Dylan» ver- laps der Finanzsysteme. So kam es, dass auf ein- ewigt wurde. Oder Clarence Clemons, der impo- Administration, Inserate: Manfred Müller mal die Notenbank-Chefs ungeahnte Berühmt- sante Saxofonist von Bruce Springsteens E Street heit erlangten und sozusagen zu Halbgöttern in Band. Ganz zu schweigen vom grossen Peter Redaktion: Philippe Amrein (amp), Grau avancierten. Echte Durchbrüche sind noch Alexander, von Gerry Rafferty («Baker Street»), Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe nicht auszumachen, und so bleibt vorderhand dem Kabarettsänger Georg Kreisler oder dem alles ist in nassen Tüchern, in Margarine, im ro- österreichischen Liedermacher Ludwig Hirsch. Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), ten Bereich. Sie alle werden schmerzlich vermisst und hinter- Yves Baer, Thomas Bohnet (tb), Eine Rückkehr zur Normalität ist gegenwärtig lassen Lücken im Klanguniversum. Mögen sie in Jean-Martin Büttner, Christoph Fellmann, nicht in Sicht, also bleibt uns einmal mehr nur Frieden ruhen. Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), der Rückblick – auf die Opfer eines Jahres. Heu- Es dauert nur noch wenige Tage, und das tur- Matthias Krobath (makr), Nino Kühnis (nin), er erwischte es mit Osama Bin Laden ausnahms- bulente Jahr 2011 ist endgültig abgeschlossen Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), weise auch einmal einen Bösen, ansonsten haben – und damit auch der 14. Jahrgang der Musik- Pete Mijnssen, Philipp Niederberger, Markus sich aber vor allem ganz viele Gute aus dem Le- zeitung «Loop». Das gewährt uns eine kurze Schneider, Martin Söhnlein, Kaspar Surber ben verabschiedet. Da wäre beispielsweise der Verschnaufpause, bevor es dann mit dem nächs- Popstar-Tod der Amy Winehouse, der uns diese ten Jahrgang weitergeht – hinein in eine Zeit, die Druck: Rotaz AG, Schaffhausen von John Lennon und Kurt Cobain her bekannte mit den Olympischen Sommerspielen und der Erinnerung an den Ort beschert, an dem wir die Fussball-Europameisterschaft sportliche Gross- Das nächste LOOP erscheint am 26. Januar Todesnachricht erhalten haben. Darob dürfen ereignisse bereit hält. In deren Schatten ziehen Redaktions-/Anzeigenschluss: 19. Januar 2012 jedoch nicht all jene Musikerinnen und Musi- auch wir unsere Kreise. Wir werden nicht ruhen. ker vergessen gehen, die ebenfalls 2011 verstor- Titelbild: Amy Winehouse ben sind. Einigen von ihnen gedenken wir in Guido Greenspan
Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 30 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] ABSPANN ZUR REVOLUTION verstand sich stets als performender Dichter, sein Konzept Zuletzt war sein basslasti- Mit Gil Scott-Heron verstarb nicht nur bezeichnete er als «Bluesology», mit dem Blues als Chiffre ger Bariton knorriger und der Black Experience. Als Vorbild galt ihm dabei Langston vernuschelter geworden, ein grosser afroamerikanischer Musiker, Hughes, der als Lichtgestalt der Künstlerbewegung «Har- weil ihm die Drogen die lem Renaissance» bereits in den Zwanzigerjahren eine solch Zähne ruinierten. Auf der sondern auch ein geradezu einzigartiger bluesbasierte Poetologie angelegt hatte. Bühne und bei Interviews Der Proto-Rap auf seinem berühmten, zornig-ironischen aber war er noch immer politischer Poet. Song «The Revolution Will Not Be Televised» (verewigt auf wach und selbstironisch. dem 1970 veröffentlichten Debüt «Small Talk at 125th & «Wenn man älter wird, Man kann nicht sagen, dass man mit Gil Scott-Herons Tod Lenox Ave») war zunächst als Text in einem Gedichtband passiert eben viel Scheis- nicht rechnen konnte. Jahrzehntelang hat er mit Drogen erschienen; entsprechend gab er sich da noch als Jazzpoet se», sagte er gegenüber der und Alkohol gekämpft, sass das letzte Jahrzehnt drogenbe- vor nervös perkussiver Kulisse. Doch schon auf «Pieces of englischen Zeitung «Guar- dingt immer wieder im Gefängnis und war zudem seit eini- a Man» (1971) trug er seine poetischen Skizzen aus dem dian». «Man kriegt Ärger, gen Jahren HIV-infi ziert – nicht gerade die Voraussetzungen afroamerikanischen Alltag und die sarkastische Politkritik man verliert ein paar Leute. für ein langes Leben. Dennoch kam die Meldung, dass einer in groovenden Songs und souligen Balladen vor. Vielleicht zerbricht die Ehe der wichtigsten afroamerikanischen Poeten und Musiker Dieser Mischung blieb er bis in die Achtzigerjahre treu – und der Kontakt zu Frau seiner Generation am 27. Mai in einem New Yorker Spital und schuf, meist begleitet von Keyboarder und Flötist Brian und Kind. Aber in welchem im Alter von 62 Jahren gestorben sei, überraschend. Denn Jackson – Klassiker wie «The Bottle», die bittere Anklage Leben wäre das nicht so?» in letzter Zeit hatte es so ausgesehen, als ob er wieder in die «Winter in America», das Anti-Atom-Stück «We Almost So gesehen könnte man nun Spur gefunden hätte. Lost Detroit» oder «B-Movie», die funkig-feurige Ab- auch Scott-Herons Tod als 2010 war Scott-Heron nach einer 16-jährigen Album- rechnung mit Ronald Reagan. Ab 1982 wurden Gil Scott- unvermeidliche Entwick- pause wieder aufgetaucht: «I’m New Here» riss schon im Herons Auftritte unzuverlässiger, und es erschien (bis zum lung verstehen. Die Trau- Titel den Neubeginn an. Der Produzent Richard Russell, erwähnten «I’m New Here») nur noch ein Album: das schö- rigkeit würde das jedoch zugleich Chef des britischen XL-Labels, hatte ihn 2007 im ne, unterschätzte «Spirits» von 1994, mit einem Aufruf an kaum mindern. Gefängnis dazu überredet. «I’m New Here» ist ein kurzes, seine Rapper-Epigonen, Verantwortung für die Community wunderbares Album. Zwischen schmerzlichen Blues- und zu übernehmen. Markus Schneider Soulcovern, gesprochenen Gedichten und karg moder- nistischen Beats skizziert es seine künstlerische Auto- biografi e, die er doch lässig in den grossen Zusammen- hang der afroamerikani- schen Community fügt. So erzählt er voll wehmütiger Wärme von seiner Jugend in Tennessee, wo er nach der Scheidung seiner Eltern – die Mutter war Bibliothe- karin und Chorsängerin, der jamaikanische Vater wurde in den Fünfzigerjah- ren der erste schwarze Fuss- ballprofi beim schottischen Spitzenclub Celtic Glasgow – bei der bürgerrechtlich engagierten Grossmutter aufwuchs. SOULIGE SKIZZEN
Scott-Heron, in Chicago geboren und seit den Sech- zigerjahren in New York zu Hause, hatte schon immer alle möglichen diaspori- schen Stile zwischen Jazz, Latin und Funk benutzt; später kam auch noch der HipHop dazu. Mit Eh- rentiteln wie «Godfather of Rap», den ihm Anhän- ger von Star-Rappern und -HipHoppern wie Chuck D (Public Enemy), Tupac Shakur oder Kanye West verliehen, hat er sich des- wegen nie wohlgefühlt – er SZENE FÜR MEHR ROCK’N’ROLL IM FUSSBALL!
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am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch TODESJAHR 2011 Nach dem Rückzug in die ländliche Abgeschiedenheit der englischen Provinz folgte gemeinsam mit dem Grafi ker und Filmemacher Julian House das programmatisch betitelte Spulenwerk «Broadcast and the Focus Group Investigate Witch Cults of the Radio Age». Auf dieser Klangcollage war der Song beinahe gänzlich verschwunden, und mit ihm auch weitgehend die Stimme von Trish Keenan. Die Kon- zerte, die Broadcast im Anschluss an diese Platte gaben – etwa beim vom Simpson-Erfi nder Matt Groening kuratier- ten ATP-Festival 2010 –, zeigten das Duo im Verbund mit House als Gesamtkunstwerker, die mit Filmprojektionen und erzählerischen Mitteln die Auftritte zu Happenings ausweiteten. Im Frühling 2011 hätten Broadcast erneut beim englischen ATP-Festival auftreten sollen – diesmal als Wunschband des Animal Collective. Durch Keenans Tod legte sich ein Schatten über das Festival. Viele der Bands er- innerten an die Künstlerin – beispielsweise Bradford Cox, der als Atlas Sound die letzte US-Tour von Broadcast eröff- net hat und sein neues Album «Parallax» der Verstorbenen trish keenan widmet. Trish Keenan (1968 – 2011) Eine weitere Erinnerung stammt von einem engen Freund Keenans: Er veröffentlichte online das Mixtape «Mind Im Jenseits schwebend Bending Motorway Mix», das sie ihm kurz vor ihrem Tod geschenkt hatte, und für das er sich nicht mehr bei Retrofuturistische Sounds, die Suche nach dem Okkulten, ihr bedanken konnte. Der Mix mit 17 ungehörten psyche- Geisterhaften, Verquasten – und eine schwebende, jensei- delischen Pop-Phantasien aus aller Welt verdeutlicht die tige Stimme: Dies waren die charakteristischen Merkmale Offenheit und die Neugier am Obskuren der Künstlerin, von Broadcast, die seit Mitte der Neunzigerjahre Visionen die mit ihrem Partner Cargill Formen sprengte – und die einer vergangenen Zeit entwarfen, die es so nie gegeben uns eines der abenteuerlichsten Gesamtwerk der jüngeren hat. Die Stimme, die das weit verzweigte Broadcast-Univer- Popgeschichte geschenkt hat. Until then. sum aus Weltall-Phantasien, verschrobenen Soundtracks, Radiofrequenzen und surrealen Automaten-Texten zusam- Benedikt Sartorius menhielt, ist zu Beginn des Jahres verstummt: Trish Keenan starb, geschwächt von der Schweinegrippe, an den Folgen einer Lungenentzündung im Alter von 42 Jahren. Ihr Label Warp würdigte Keenan als «unique voice, an extraordina- John Barry (1933 – 2011) ry talent and a beautiful human being» und erinnerte mit «Until Then» – dem wohl berührendsten Broadcast-Lied Der Mann vom Film überhaupt – an die Verstorbene. Trish Keenan, 1968 geboren, war neben ihrem Lebenspart- Gute Filmmusik, so wird oft behauptet, zeichnet sich da- ner Tim Cargill einziges konstantes Mitglied der Band, durch aus, dass man sie nicht bewusst wahrnimmt. Auf die dem experimentellen Kunstmilieu von Birmingham John Barrys Kompositionen trifft dies nur beschränkt zu. entstammt. In den fünfzehn Broadcast-Jahren entstanden Dafür sind die musikalischen Themen zu markant, der or- neben verschiedenen EPs nur gerade drei reguläre Alben – chestrale Klang zu auffällig. Selten gab sich der Engländer allesamt erschienen auf Warp Records –, die bei aller Lust mit dem rein funktionalen Aspekt, den jeder Soundtrack am Experiment den Popsong nie aus den Augen verloren. zu erfüllen hat, zufrieden. Er handelte sich damit zwar im- Am zugänglichsten und lieblichsten gerieten die versponne- mer wieder Probleme ein – Demos wurden abgelehnt, voll- nen Lieder auf «Haha Sound» (2003), am rohsten auf dem ständige Kompositionen durch andere ersetzt –, doch war Folgewerk «Tender Buttons» (2005). es eben auch dieser in den Vordergrund spielenden Musik zu verdanken, dass viele der Filme, bei denen er mitwirkte, unvergesslich blieben. John Barry wurde 1933 als Sohn einer Pianistin und dem Betreiber einer Kinokette im englischen York geboren. Ob- wohl die Voraussetzungen für seine spätere Karriere nicht besser hätten sein können, erlebte er seine Kindheit und die frühen Schulerfahrungen als beengend. An einer protestan- tischen Privatschule erhielt er Klavierunterricht. Die musi- kalische Sozialisierung war zunächst klassisch, doch nach Ende des Krieges begann sich Barry zunehmend für Jazz zu interessieren. 1954 wurde er in die Armee eingezogen, wo er in der truppeneigenen Band spielte. Er begann Trom- pete zu spielen und gründete nach seinem Austritt aus der Armee The John Barry Seven. Die Band hatte in England mehrere kleine und einen grossen Hit:«Walk, Don’t Run». Der Ohrwurm wurde später von The Ventures gecovert, bot sich ideal zur Untermalung rhythmischer Sportgym-
john barry bitte umblättern TODESJAHR 2011 nastik an und ist heute noch regelmässig auf DRS 1 zu hö- ren. 1960 erhielt John Barry die langersehnte Gelegenheit, zu einem Film die Musik zu komponieren. «Beat Girl» war zwar kein grosser Erfolg, doch zog der federnde Gitarren- sound des Titelstücks die Aufmerksamkeit der Produzenten des allerersten James-Bond-Filmes auf sich. Diese hatten zwar schon einen von Monty Norman komponierten Titel- song, doch gefi el ihnen das Arrangement nicht. Nachdem es John Barry bearbeitet hatte, wurde es zu jenem Klassi- ker, der in fast allen Bond-Filmen irgendwann auftaucht. Für Barry ermöglichte dieser Erfolg den Eintritt in die Filmindustrie. Er wurde auch für die weiteren Bond-Film verpfl ichtet. «Goldfi nger» war dabei für Shirley Bassey ein ebenso grosser Erfolg wie «You Only Live Twice» für Nan- cy Sinatra. Mit Unterbrüchen arbeitete Barry bis 1987 für die Bond-Produzenten, er schrieb daneben aber auch die Musik zu Filmen wie «Born Free», für die er gleich zwei martin rushent Produzenten avanciert: Er hatte EMI Records die Strang- Oscars erhielt: einen für die beste Musik und einen für den lers vermittelt – unter der Bedingung, dass er für ihre ersten besten Song. Alben verantwortlich sein dürfe. Von «Rattus Norvegicus» In den Sechziger- und Siebzigerjahren pfl egte John Barry führte sein Weg alsbald zu den Buzzcocks. Eigentlich hätte einen recht ausschweifenden Lebensstil. Er genoss die Frei- er mit Pete Shelley ein neues Buzz-Album zu Faden schla- heiten jener Zeit, heiratete nach einer ersten Scheidung Jane gen sollen. Aber inzwischen teilten Rushent und Shelley Birkin, von der er sich nach drei Jahren wieder trennte, und das Bedürfnis, Synthies in ihre Arbeit miteinzubeziehen. komponierte daneben wie ein Besessener. Für die Musik zu Zusammen bastelten sie einen geradezu revolutionären «The Lion in Winter» erhielt er 1969 seinen dritten Oscar, Pop-Sound, der Synthesizer mit Gitarren zusammenbrach- für Louis Armstrong schrieb er «We Have All the Time in te, aber im Gegensatz zu den damaligen Gepfl ogenheiten the World», für den Film «Asphalt Cowboy» den hypno- weder federleichten Disco-Sound noch gar provokative tischen Titelsong. Barry schaffte es dabei fast immer, ne- Suicide-Gewalttätigkeiten servierte, sondern an den kna- ben der rein atmosphärischen Filmmusik mindestens einen ckigen Ohrwürmern à la Buzzcocks festhielt und dazu erst Popsong im Soundtrack unterzubringen, der dann auch noch mächtig pfundete. Aufgrund dieser Aufnahmen be- prompt ein Hit wurde. Doch auch seine orchestralen Wer- kam Shelley von Island Records einen Solo-Deal offeriert ke setzten Massstäbe. «King Kong» von 1976 wäre wohl und löste die Buzzcocks auf. Ebenfalls aufgrund dieser ohne Barrys unheilverkündende, wagnereske Bläserkaska- Demos wurde Rushent sogleich als Produzent von Human den kaum zu ertragen, und auch die schlechtesten Bond- League angeheuert, fertigte mit diesen das Album «Dare» Filme profi tierten enorm von der Tonspur. an, ihr drittes, und kreierte damit quasi die Schablone für In den Achtzigerjahren wurde es ruhiger um den höfl ichen die nächsten paar Synthie-Pop-Jahre (und vieles, was heute Engländer, der mittlerweile – wohl auch aus fi skalen Grün- sonst noch so passiert). den – in der Nähe von New York lebte. Seine Musik wurde Altered Images, The Go-Gos und The Associates gehör- zunehmend elegischer, was ihm den Vorwurf der Einfalls- ten in der Folge zu den weiteren Rushent-Klienten, ehe er losigkeit und schliesslich auch eine Goldene Himbeere für 1984 sein Genetic-Studio samt Plattenlabel abstiess, um die schlechteste Filmmusik («Lone Ranger») eintrug. 1985 sich seiner Familie zu widmen (aus seinem Sohn James ist und 1991 erhielt er allerdings noch je einen Oscar für die seither Does It Offend You, Yeah? geworden). Gegen das Musik zu «Out of Africa» respektive «Dances with Wol- Ende der Neunzigerjahre begann er sich musikalisch wie- ves». In den letzten zehn Jahren seines Lebens hat John der zu engagieren, richtete sich ein neues Studio ein, aber Barry keine Filmmusik mehr komponiert. Er trat gelegent- Veröffentlichungen aus seiner Werkstatt waren selten, die lich als Dirigent auf, gab vereinzelte Interviews und erhielt Namen eher zufällig: Killa Kela, Hazel O‘Connor, Does It noch weitere Preise. Von 1978 bis zu seinem Tod war er Offend You, Yeah?, Carl Barât, The Pipettes. Er wird sich mit Lauri Barry verheiratet. John Barry hatte vier Kinder gesagt haben, dass es nicht unbedingt noch einen Produ- und verstarb am 31. Januar in einem Spital in Glen Cove. zenten brauchte, der die Achtzigerjahre im neuen Jahrtau- Nicht nur Filmliebhaber haben ihm einiges zu verdanken. send lupenrein rekreieren konnte.
Martin Söhnlein larry wild man fi sher Hanspeter Künzler Martin Rushent (1948 – 2011) Der Produzent als Pfundskerl
Es gehört zu den grossen Mysterien des neueren Popge- schehens, dass Pete Shelleys «Homosapien» (sic) nicht allüberall als wegweisender Klassiker gefeiert wird, gera- de jetzt, da Elektro im Stil der frühen Eighties allüberall aufgewärmt wird, ohne jede Angst vor den musikalischen Salmonellen, die darin fl euchen. Nur schon die Maxi-Sin- gle vom Titelstück ist eine wahre Wundertüte von dubbig pfundigem Elektro-Drive. Produziert hat dieses Edelstück Martin Rushent. Nach einer Lehrzeit als Toningenieur, während der er unter anderem an Alben von der Sensatio- nal Alex Harvey Band, Gentle Giant und Stone The Crows herumgeschraubt hatte, war Rushent vor Kurzem zum das Attribut «Wild Man». Seine ausserordentlich kräftige Stimme mit einem Hang zum Dramatischen kommt aber in Familie und Schule nicht gut an. Er wird wegen uner- laubten Singens aus der Schule geworfen. Als der Sechzehn- jährige seine alleinerziehende Mutter von drei Kindern mit einem Messer angreift, liefert sie ihn in eine Nervenheilan- stalt ein. Die Diagnose paranoide Schizophrenie wird ihm nun für den Rest des Lebens anhaften. In den Anstalten wird er nicht nur mit Beruhigungsmitteln, sondern auch mit Schocktherapie behandelt. Die Gegenkultur der Sechzigerjahre öffnet Outsider-Musi- kern wie Fischer die Türen, die kurz vorher noch in die In- situtionalisierung führten. Schräges von Tiny Tim, Captain Beefheart und anderen mehr ist nun angesagt. Larry, der einem inneren Drang folgt und sich lautstark über seine Stimme ausdrückt, wird nun plötzlich gehört und geliebt. Für ein immer zahlreicheres Publikum singt er «Merry Go Round» und «Monkeys Versus Donkeys» im legendären Whisky à GoGo am Sunset Strip, aber auch im Vorpro- gary moore gramm von Iron Butterfl y und den Mothers of Invention. Gary Moore (1952 – 2011) Zappa adelt ihn 1968 mit der Doppel-LP «An Evening with Wild Man Fischer», ironischerweise mit einem Co- Er hatte den Blues ver, auf dem der Sänger einer älteren Pappmaché-Dame ein Messer an den Hals hält. Als Gary Moores erste Band, das Bluesrock-Trio Skid Das Kokettieren mit der Gewalt kippt aber auch für Zappa Row, 1969 in Dublin das Vorprogramm für Peter Green’s in bitteren Ernst, als Fischer in einem seiner gefährlichen Fleetwood Mac bestritt, erkannte Green das explosive Ta- Anfälle dessen kleine Tochter Moon Unit zu attackie- lent des damals 17-jährigen Nordiren. Er lud ihn für eine ren versucht. Danach will Zappa nichts mehr mit seinem Jamsession in sein Hotelzimmer. Später, als Green der Mu- Schützling zu tun haben. Mehrere Jahre lang tourt Wild sik den Rücken kehrte, überliess er dem Youngster seine Man Fischer durch die USA. In den Achtzigern Jahren ver- 1959er Gibson Les Paul Standard für einen Spottpreis. hilft ihm das Komikerduo Barnes&Barnes mit dem Album Moore bedankte sich 1995 für Gitarre und Inspiration mit «Pronounced Normal» zu einem Comeback. seinem Tributalbum «Blues for Greenie». «Derailroaded» zeigt 2006 einen entgleisten, von Paranoia Wie sein Lehrmeister besass Gary Moore ein unglaubliches und dem Leben auf der Gasse und in billigen Absteigen Feeling, er war auch ein vorzüglicher Techniker. Ein Stilist, gezeichneten Musiker. Bei Live-Auftritten vermag die Kult- der neben seinen zwanzig Soloalben vor allem durch seine fi gur Fischer noch immer das Publikum in ihren Bann zu gefühlsbetonten, lyrischen Beiträge auf den Thin-Lizzy- ziehen. Dennoch bleibt der schale Beigeschmack einer tra- Alben «Nightlife» und «Black Rose» in Erinnerung blei- gischen Figur, die das Rampenlicht sucht und dem Voyeu- ben wird. Gemeinsam mit Phil Lynott schrieb er deren Hit rismus ausgesetzt ist – einer Freakshow. «Parisienne Walkways» (1979). Mitte der Siebziger spielte Berührende Momente sind Szenen mit seiner Tante Jose- Moore auch Jazzrock mit Colosseum II, zwei Dekaden spä- phine, die ihn von der Strasse geholt hat und ihn kurz vor ter verstärkte er Jack Bruce und Ginger Baker im uninspi- ihrem Tod bei sich wohnen lässt. Als einzige Familienan- rierten Cream-Abklatsch BBM. gehörige und mit eigenen Drogenerfahrungen scheint sie Gary Moore wurde am 4. April 1952 in Belfast geboren. einen direkten Draht zum verängstigten, von inneren Dä- Mit 16 lernte er Phil Lynott kennen und stiess zu Skid Row. monen verfolgten Neffen zu haben. Um sie herum wird der Die kurze, doch mehrmals fortgesetzte musikalische Liai- grosse und oft gewalttätige Mann zum sanften, wenn auch son der beiden reichte bis Thin Lizzy und darüber hinaus. verlorenen Kind. Auf ihrem Sterbebett verspricht er, seine Mehrmals holte Lynott seinen Lieblingsgitarristen zu Lizzy Krankheit fortan behandeln zu lassen. Die letzten Jahre zurück. 1985 nahmen beide den Hit «Out in the Fields» verbringt Fischer in einem Wohnheim – psychisch stabiler, auf, wenige Monate später war Lynott tot. Wie sein Ju- aber auch ohne die manischen Schübe, die früher einen gendfreund starb auch Gary Moore im Schlaf – 58-jährig, Grossteil seiner Kreativität ausmachten. Am 16. Juni 2011 während eines Ferienaufenthaltes an der Costa del Sol. stirbt er mit 66 Jahren an Herzversagen. «Deinen Stil weiter zu entwickeln, ist eine Lebensaufgabe», verriet Moore dem «Guitar Player» 2008. Tatsächlich wur- Pete Mijnssen de er nie müde, den Blues neu zu entdecken und mit seinem jackie leven bitte umblättern virtuosen Spiel Vorbildern wie B. B. King, Willie Dixon und Peter Green Tribut zu zollen.
Tony Lauber Larry Wild Man Fischer (1944 – 2011) Ein Leben neben den Geleisen
Als Frank Zappa und Wild Man Fischer 1967 erstmals aufeinandertreffen, hat Fischer fünf von seinen 21 Jahren schon in Nervenheilanstalten verbracht. Im Dokumentar- fi lm «Derailroaded» wird Larry Fischer als introvertierter Junge und Einzelgänger geschildert. Inspiriert von Paul Anka, soll er sich schon früh in den Kopf gesetzt haben, ein Popstar zu werden. Soul-Monument So- lomon Burke entdeckt ihn mit 15 Jahren und verpasst ihm SZENE