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ZEITSCHRIFT! Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte ISSN 0342–4316!

80. Jahrgang 2011! FÜR BAYERISCHE! HERAUSGEBER:! Im Auftrag des Vereins für bayerische Kirchengeschichte: Rudolf Keller, Lehrberg (Aufsatz-! KIRCHENGESCHICHTE! teil–Schriftleitung) · Gerhard Philipp Wolf, Pegnitz / Wolfgang Huber, Marburg (Rezensionen! – Redaktion) · Dietrich Blaufuß, Erlangen (Rezensionen).! Die Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte erscheint jährlich. Der Bezugspreis beträgt! 30 Euro. Mitgliedern des Vereins für bayerische Kirchengeschichte wird sie kostenlos abge-! geben. Die Zeitschrift ist durch jede Buchhandlung zu beziehen oder direkt beim Verein für! bayerische Kirchengeschichte, Veilhofstraße 28, 90489 Nürnberg, E-Mail: [email protected].! 80. JAHRGANG 2011! Zuschriften, Anfragen und Manuskripte für den Aufsatzteil sind zu richten an Pfarrer Prof.! D. Dr. theol. habil. Rudolf Keller, Obere Hindenburgstraße 42, 91611 Lehrberg (Tel.! 09820/912500, Fax 09820/912555, E-Mail: [email protected]).! Anfragen und Besprechungsexemplare für den Rezensionsteil und Rezensions-Manuskripte! für die Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 2012 sind zu senden an Pfarrer Wolfgang! Huber, Georg-Voigt-Str 89, 35039 Marburg, Tel.: 06421/23387, Email: wolfgang.huber@uni-! versitaetskirche.de. !

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Müller, Gerhard: Die Bekennende Kirche in der Provinz Sachsen im Frühjahr 1938.! Besprochene Werke! Ein Bericht des Coburger Pfarrers Hans Rößler ...... ! 420! Ackermann/Schmid/Volkert (Hg.):! Zeiß-Horbach, Auguste: Die Spur eines anderen Geistes. Der evangelische! Bayern. Vom Stamm zum Staat. [FS Andreas Kraus] (Eberl)...... ! (Nr. 1728) . . . ##! Dorfpfarrer Arthur Windisch (Tambach / Einberg) im Nationalsozialismus . . . . 435 ! ! Baumgart: Universitäten im konfessionellen Zeitalter (Köpf) ...... ! (Nr. 1706) . . . ##! Miszellen:! [Birken]: Briefwechsel zwischen Birken und! Catharina Regina v. Greiffenberg (Blaufuß) ...... ! (Nr. 1714) . . . ##! Schwarz, Andrea: Laudatio auf Prof. Dr. Wolfgang Sommer anlässlich seiner! Auszeichnung mit dem Wilhelm-Freiherr-von-Pechmann-Ehrenpreis! Blaufuß (Hg.): Wilhelm Löhe. Erbe und Vision (Koch) ...... ! (Nr. 1738) . . . ##! am 20. Juli 2011 ...... ! 462! Blickle/Schmauder (Hg.):! Mediatisierung der oberschwäbischen Reichsstädte (Gößner) ...... ! (Nr. 1723) . . . ##! Huber, Wolfgang: Zu den Editionen der Schriften Argulas von Grumbach und ! Borst: Meine Geschichte (Fuchshuber-Weiß) ...... ! (Nr. 1697) . . . ##! Johannes Schwanhausers ...... ! 466! Brecht: Adam Weiß – Der Crailsheimer Reformator (Huber) ...... ! (Nr. 1719) . . . ##! Blaufuß, Dietrich: Auf dem Weg zur Löhe-Bibliographie! ...... ! 482! Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert (Huber) ...... ! (Nr. 1704) . . . ##! Huber, Wolfgang: Anmerkungen zur Kitzinger "Paul-Eber-Bibel" (1562) ...... ! 466! Cordes: Hilaria evangelica academia [Reformationsjubiläum 1717]! (Hohenberger) ...... ! (Nr. 1713) . . . ##! Dopsch/Freund/Schmid (Hg.):! Buchbesprechungen! Bayern und Italien [FS Kurt Reindel] (Eberl) ...... ! (Nr. 1729) . . . ##! Redaktion: Gerhard Philipp Wolf / Wolfgang Huber! [Fink]: Kunstverlag Josef Fink/Lindenberg (Sammelrezension) (Wolf) . . .! (Nr. 1749) . . . ##! Fix: Glaubensgenossen in Not (Dokumentation) (Zeiß-Horbach) ...... ! (Nr. 1746) . . . ##! 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ...... Nr. 1696–1717)! ##! Ganzer: Die religiösen Bewegungen im Italien! 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ...... (Nr. 1718–1725)! ##! des 16. Jahrhunderts (Gößner) ...... ! (Nr. 1708) . . . ##! Geiger: The Life, Work and Influence of Wilhelm Löhe (Blaufuß) ...... (Nr. 1739) . . . ## 3. Bayerische Kirchengeschichte! ! ! Genthe: Auf Luthers Spuren (Wolf) ...... ! (Nr. 1751) . . . ##! 3.1. Übergreifend ...... Nr. 1726–1729)! ##! Hägglund: Chemnitz – Gerhard – Arndt – Rudbeckius (Blaufuß) ...... ! (Nr. 1711) . . . ##! 3.2. Bis 1500 ...... Nr. 1730–1732) ## ! ! Hauschild: Suchet der Stadt Bestes [Hansestadt Lübeck] (Huber) ...... ! (Nr. 1718) . . . ##! 3.3. 1500–1789 ...... Nr. 1733–1734)! ##! Hein, Markus/Junghans (Hg.): Franz Lau (1907–1973) (Huber) ...... ! (Nr. 1725) . . ##! 3.4. 19. Jahrhundert ...... Nr. 1735–1741)! ##! Hein, Martin: Weichenstellungen der ev. Kirche! im 19. und 20. Jahrhundert (Huber) ...... ! (Nr. 1743) . . . ##! 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert ...... Nr. 1742–1748)! ##! Heinz/Faatz (Hg.): „Für die Erneuerung der Welt“.! Katholische Schüler im 2. Weltkrieg (Fuchshuber-Weiß) ...... (Nr. 1717) . . . ## 3.6. Kunst / Archäologie ...... Nr. 1749–1751)! ##! ! ! Heißmann (Hg.): ...mitten unter euch.! 200 Jahre Dekanat Windsbach (Keller) ...... ! (Nr. 1748) . . . ##! Bericht über die Vereinsarbeit 2010/2011 ...... ! ##! Hohmann (Hg.): Chronik der jüdischen Schule zu Tann (Rhön)! (Fuchshuber-Weiß) ...... ! (Nr. 1737) . . . ##! Personenverzeichnis ...... ! ##! Hövelmann/Nitsche (Hg.):! Ortsverzeichnis ...... ! ##! Orte der – Nürnberg [Journal 1] (Wolf) ...... ! (Nr. 1750) . . . ##! Hubel/Schneidmüller (Hg.): Aufbruch ins zweite Jahrtausend (Köpf) . . . .! (Nr. 1696) . . . ##! Hundsnurscher (Bearb.):! Investiturprotokolle der Diözese Konstanz [16. Jh.] I–III (Weiß) ...... ! (Nr. 1721) . . . ##! Jahrbuch für fränkische Landesforschung Bd. 69 (2009) (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1727) . . . ##! Kaufmann: Geschichte der Reformation (Huber) ...... ! (Nr. 1699) . . . ##! Kemper/Schneider (Hg.): Goethe und der Pietismus (Blaufuß) ...... ! (Nr. 1715) . . . ##! Krauss: Evangelisch in München – Karl Buchrucker (Herz) ...... ! (Nr. 1741) . . . ##! ! !

Laubach: Reichsvizekanzler Georg Simon Seld im Dienst! Anschriften der Verfasser von Beiträgen! der Kaiser Karl V. und Ferdinand I. (Weber) ...... ! (Nr. 1707) . . . ##! [Lorenzkirche Nürnberg]: Evang.-Luth. Kirchengemeinde ! Professor Dr. Friedrich Beißer, Jakob-Steffan-Straße 55, 55122 Mainz! St. Lorenz (Hg.): St. Lorenz in Nürnberg (Wolf) ® s. [Fink] ...... ! (Nr. 1749) . . . ##! Professor Dr. Werner K. Blessing, Ludwig-Thoma-Straße 27a, 91054 Erlangen Lorentzen: Bugenhagen als Reformator der öffentlichen Fürsorge (Wolf) .! (Nr. 1703) . . . ##! ! Marahrens: Zur Lage der Kirche. Die Wochenbriefe (Keller) ...... ! (Nr. 1724) . . . ##! Studiendirektor i. R. Pfarrer Dr. Dietrich Blaufuß, Schwalbenweg 21 b,! 91056 Erlangen! Melanchthon: Melanchthons Briefwechsel/ Bd. T 10,! Bd. T 11, Bd. T 12 (Keller) ...... ! (Nr. 1700,! Professor Dr. Lukas Bormann, Universität Erlangen-Nürnberg, Fachbereich Theologie,! 1701, 1702) . . ##! Kochstraße 6, 91054 Erlangen! Meyer: Die Christianisierung Frankens [Sankt Kilian] (Fuchshuber-Weiß)! (Nr. 1730) . . . ##! Pfarrer Dr. Thomas Hohenberger, Döbra–Schwarzenbacher Straße 8,! Michel/Straßberger (Hg.): Eruditio – Confessio – Pietas (Sommer) ...... ! (Nr. 1710) . . . ##! 95131 Schwarzenbach am Wald! Müller: Die Würzburger Judengemeinde im MA (Fuchshuber-Weiß) . . . .! (Nr. 1732) . . . ##! Oberkirchenrat Dr. Hans—Peter Hübner, Landeskirchenamt,! Paulus: Das Pfalzgrafenamt in Bayern (Eberl) ...... ! (Nr. 1731) . . . ##! Katharina-von-Bora-Str. 11–13 (vormals Meiserstraße 11–13), 80333 München! Reitzenstein: Lexikon fränkischer Ortsnamen (Wolf) ...... ! (Nr. 1726) . . . ##! Pfarrer Wolfgang Huber, Georg-Voigt-Straße 89, 35039 Marburg! Roepke (Hg.): St. Paul Odessa (Wolf) ® s. [Fink] Rez...... ! (Nr. 1749) . . . ##! Pfarrer und Studiendirektor i. R. Armin Rudi Kitzmann, Kastelburgstraße 17,! Rosenstock (Bearb.): Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817! 81245 München! (Fuchshuber-Weiß) ...... ! (Nr. 1736) . . . ##! Professor D. Dr. Rudolf Keller, Pfarrer, Obere Hindenburgstraße 42, 91611 Lehrberg! Rymatzki: Hallischer Pietismus und Judenmission (Blaufuß) ...... ! (Nr. 1722) . . . ##! Professor Dr. jur. Drs. theol. h.c. Christoph Link, Rühlstraße 35, 91054 Erlangen! Santifaller: Das Trientner Domkapitel [...] im späten MA (Eberl) ...... ! (Nr. 1698) . . . ##! Scheible: Kurfürst Ottheinrich (Huber) ...... ! (Nr. 1705) . . . ##! Landesbischof em. Prof. Dr. Gerhard Müller D.D., Sperlingstraße 59,! 91056 Erlangen! Schmid (Hg.): Die Säkularisation in Bayern 1803 (Eberl) ...... ! (Nr. 1735) . . . ##! Pfarrer i. R. Dr. Hermann Reiner, Rathsberger Straße 47, 91054 Erlangen! Schmidt: Virtuelle Büchersäle. Lektüre und Zensur gelehrter! Zeitschriften an der römischen Kurie 1665–1765 (Marti) ...... ! (Nr. 1712) . . . ##! Dr. Stefan Rhein, Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Collegienstraße 54,! Slenczka, Björn: Das Wormser Schisma der Augsburger! 06886 Lutherstadt Wittenberg! Konfessionsverwandten (Keller) ...... ! (Nr. 1709) . . . ##! Studiendirektor i. R. Dr. Hans Rößler, Froschlach 14, 91564 Neuendettelsau! Sommer: Friedrich Veit. Kirchenleitung zwischen ! Archivdirektorin Dr. Andrea Schwarz, Landeskirchliches Archiv, Veilhofstraße 28,! Kaiserreich und Nationalsozialismus (Schneider) ...... ! (Nr. 1744) . . . ##! 90489 Nürnberg! Tittmann: Haßfurt. Der ehemalige Landkreis (Eberl) ...... ! (Nr. 1742) . . . ##! Prof. Dr. Manfred Seitz, Universität Erlangen-Nürnberg, Lukasstraße 7,! Töllner: Eine Frage der Rasse? (Blaufuß) ...... ! (Nr. 1747) . . . ##! 91088 Bubenreuth! Uhrmann: Das Herzogsschwert der Fürstbischöfe von Würzburg (Eberl)! (Nr. 1733) . . . ##! Professor Dr. Wolfgang Sommer, Sonnenstraße 45, 91564 Neuendettelsau! Volkmar: Die Heiligenerhebung Bennos von Meißen (1523/1524) (Eberl)! (Nr. 1720) . . . ##! Pfarrer PD Dr. Matthias Westerhoff, Jahnstraße 67, 95030 Hof! Vordermayer: Antisemitismus und Judentum! bei Clemens Brentano (Fuchshuber-Weiß) ...... ! (Nr. 1716) . . . ##! Pfarrerin Dr. Auguste Zeiß-Horbach, Wilhelm-Löhe-Straße 9, 91564 Neuendettelsau! Wenz: Hegels Freund und Schillers Beistand.! Friedrich Immanuel Niethammer (Keller) ...... ! (Nr. 1740) . . . ##! Wenz: Friedrich Immanuel Niethammer (1766–1848).! Beiträge zu Biographie und Werkgeschichte (Keller) ...... ! (Nr. 1740) . . . ##! Wüst (Hg.)./Riedl (Red.): Aufbruch in die Moderne?! Bayern, das Alte Reich und Europa an der Zeitenwende um 1800! (Fuchshuber-Weiß) ...... ! (Nr. 1734) . . . ##! Zeiß-Horbach: Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus (Huber) . . . .! (Nr. 1745) . . . ##! 502 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 503

1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte (Nr. 1696–1717) oder frühen 11. Jh. gegenüber. Für dieses Voraussetzungen“ beruht (S. 36). In seiner Gliederungsprinzip führt er neben dem umfassenden Auseinandersetzung vor al- Hubel/Schneidmüller (Hg.): Aufbruch ins zweite Jahrtausend (Köpf) (Nr. 1696 – Borst: Meine „Ende des Dualismus von Christentum lem mit der französischen Literatur kommt Geschichte (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1697) – Santifaller: Das Trientner Domkapitel [...] im und Heidentum in Europa“ (S. 18) und Goetz zu dem Ergebnis: „Insgesamt gibt es späten MA (Eberl) (Nr. 1698) – Kaufmann: Geschichte der Reformation (Huber) (Nr. 1699) – dem dadurch gegebenen Wegfall äußerer demnach keinerlei Anzeichen für einen [Melanchthon]: Melanchthons Briefwechsel/ Bd. 10, Bd. 11, Bd. 12 (Keller) (Nr. 1700, 1701, Feinde drei Momente der inneren Ordnung größeren sozialen Wandel in allen Teilen 1702) – Lorentzen: Bugenhagen als Reformator der öffentlichen Fürsorge (Wolf) (Nr. 1703) – an: 1. das Wirken des Königtums als „Ord- Europas, der damit nicht gänzlich geleug- Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert (Huber) (Nr. 1704) – Scheible: Kurfürst Ottheinrich nungsmacht“, „als Garant der weltlichen net werden soll, doch um 1000 jedenfalls (Huber) (Nr. 1705) – Baumgart: Universitäten im konfessionellen Zeitalter (Köpf) (Nr. 1706) Ordnung“ (S. 20–25), 2. die „Verselbstän- anscheinend keine überwältigenden Aus- – Laubach: Reichsvizekanzler Georg Simon Seld im Dienst der Kaiser Karl V. und Ferdinand I. digung der Kirche“, d.h. ihre rasche Wand- maße annahm.“ (S. 49) Und: „Nichts (Weber) (Nr. 1707) – Ganzer: Die religiösen Bewegungen im Italien des 16. Jahrhunderts lung „von einer missionierend-werbenden spricht bislang dafür, dass es wirklich ge- (Gößner) (Nr. 1708) – Slenczka, Björn: Das Wormser Schisma der Augsburger zu einer herrschend anordnenden Instituti- lingt, um 1000 überall einen sozialen Wan- Konfessionsverwandten (Keller) (Nr. 1709) – Michel/Straßberger (Hg.): Eruditio – Confessio on“ (S. 25–28), und 3. „die Ausbildung del zu entdecken.“ (S. 50) – Pietas (Sommer) (Nr. 1710) – Hägglund: Chemnitz – Gerhard – Arndt – Rudbeckius (Blaufuß) neuer familiärer Strukturen im Adel der In den folgenden neun Beiträgen versu- (Nr. 1711) – Schmidt: Virtuelle Büchersäle. Lektüre und Zensur gelehrter Zeitschriften an der europäischen Reiche“ (S. 28f). Demnach chen Spezialisten, mehr oder weniger auf römischen Kurie 1665–1765 (Marti) (Nr. 1712) – Cordes: Hilaria evangelica academica erlebten die Menschen um das Jahr 1000 das Gesamtthema bezogen Wandlungen [Reformationsjubiläum 1717] (Hohenberger) (Nr. 1713) – [Birken]: Briefwechsel zwischen „das Ende einer Zeit“: der bisherigen Be- und Neuerungen um das Jahr 1000 auf ih- Birken und Catharina Regina v. Greiffenberg (Blaufuß) (Nr. 1714) – Kemper/Schneider (Hg.): drohung von außen und Instabilität im In- ren Arbeitsgebieten herauszuarbeiten. Goethe und der Pietismus (Blaufuß) (Nr. 1715) – Vordermayer: Antisemitismus und Judentum neren (S. 29). Die Überlegungen des Vf. Cord Meckseper (S. 51–72) nennt an der bei Clemens Brentano (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1716) – Heinz/Faatz (Hg.): „Für die Erneuerung sind zwar anregend, in ihrer Allgemeinheit seit 1010 erbauten Kirche St. Michael in der Welt“. Katholische Schüler [...] im 2. Weltkrieg (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1717). freilich kaum überzeugend. Bereits der Hildesheim verschiedene „bauliche Inno- Hinweis auf die Kreuzzüge und die fort- vationen“ (S. 51), z.B. die sog. „ausgeschie- dauernden Kämpfe im Osten widerlegt die dene“ Vierung (S. 53), an der Burg den HUBEL, ACHIM / SCHNEIDMÜLLER, BERND sen muss. Bereits die kurze Einleitung (der Vorstellung, nach der Jahrtausendwende Wohnturm (S. 57), an der Bischofsstadt ge- (Hg.): Aufbruch ins zweite Jahrtausend. überarbeitete Text des Eröffnungsvortrags) habe die Politik vor allem noch das Ziel ge- wisse „ganzheitliche Merkmale“ (S. 57). Innovation und Kontinuität in der Mit- Bernd Schneidmüllers stellt aber die Frage habt, „den Frieden zu gestalten“ (S. 19). – Zusammenfassend stellt er die Neuerungen te des Mittelalters (= Mittelalter-For- wieder her („Aufbrüche ins zweite Jahr- Die Fragwürdigkeit solch allgemeiner Ar- unter die vagen Begriffe „einer ganzheitli- schungen 16). Ostfildern: Jan Thorbe- tausend?“) und nimmt die Antwort vor- gumente und zugleich der französisch- chen Bauauffassung“ und „Ausdifferenzie- cke Verlag, 2004. 360 S., geb., 32 Abb. u. weg: „Um es gleich zuzugeben: Heinrich westeuropäischen Zweiteilung des Mittel- rung von Ganzheitlichkeit“ (S. 59). Be- Karten. – ISBN 3-7995-4267-8. II. hatte wohl kaum entscheidenden Anteil alters deckt Hans-Werner Goetz in einem zeichnend ist übrigens, „dass der skizzierte an einem gloriosen Aufbruch ins zweite auf die Erforschung der Gesellschaftsge- Wechsel der Architekturauffassung in kei- Die bayerische Landesausstellung des Jahrtausend.“ (S. 13); „Man wird dem schichte gerichteten Beitrag auf („Gesell- ner zeitgenössischen Schriftquelle dezidiert Jahres 2002 in Bamberg, die an den Herr- Wechsel vom ersten zum zweiten Jahrtau- schaftliche Neuformierungen um die erste angedeutet oder gar diskutiert erscheint“ schaftsbeginn Kaiser Heinrichs II. (1002– send christlicher Zeitrechnung kaum den Jahrtausendwende?“, S. 31–50). Die Zwei- (S. 61). – In einem materialreichen, dichten 1024) vor tausend Jahren erinnern sollte, Charakter einer umstürzenden Zeitenwen- teilung hat in der vor allem an Strukturen Überblick behandelt Frank G. Hirschmann hat ein wissenschaftliches Kolloquium an- de zubilligen.“ (S. 14). interessierten französischen Geschichts- den „Ausbau der Kathedralstädte im frü- geregt, dessen Ergebnisse zum größten Teil Unter den elf abgedruckten Vorträgen wissenschaft eine längere Tradition, wurde hen 11. Jahrhundert“ (S. 73–116), wobei er im vorliegenden Band gesammelt sind. sind zunächst zwei ganz verschieden vor- aber – im Kontext einer intensiven Diskus- zunächst Mauerbauvorhaben, Dombauten Nachdem zwei Jahre zuvor der Beginn des gehende Studien der allgemeinen Frage sion – 1989 von Guy Bois in seiner Mono- sowie Stifts-, Kloster- und Hospitalgrün- dritten Jahrtausends nach Christus viel nach einem Auf- oder Umbruch um das graphie „La mutation de l‘an mil“ durch dungen in den damals bestehenden 40 Ka- Aufmerksamkeit der Historiker, zumal der Jahr 1000 gewidmet. Klaus van Eickels die Behauptung einer „feudalen Revoluti- thedralstädten des Deutschen Reichs vor- Mediävisten, auf die vermutete Bedeutung („Zeitenwende oder Mitte des Mittelalters? on“ um 1000 wirkungsvoll zugespitzt. Bois stellt, sodann nach von den Bauherren vor- des Jahres 1000 gelenkt hatte, wurde die Lebens- und Ordnungsvorstellungen im entwickelt seine These an dem Dorf Lour- gegebenen „gestalterischen Leitlinien“ Bamberger Tagung unter das Thema: „Auf- Umbruch des 11. Jahrhunderts“, S. 15–30) nand im Mâconnais, nördlich von Cluny, fragt (S. 95) sowie die Rolle von Bischöfen, bruch ins zweite Jahrtausend?“ gestellt. Im stellt der in Deutschland üblichen Dreiglie- argumentiert aber, wie Goetz zu Recht be- aber auch von Klerikern ihrer Umgebung, Titel des vorliegenden Bandes ist aus der derung (Früh-, Hoch-, Spätmittelalter) die tont, weniger auf dem Wege der „Mikro- von Herrschern und – selten – anderen Per- Frage allerdings eine Behauptung gewor- im übrigen Europa bevorzugte Zweiteilung historie“, sondern in einem „hochtheoreti- sonen (Adeligen, Juden) als Bauherren the- den, die sich eine Überprüfung gefallen las- mit der Annahme einer Zäsur im späten 10. schen Essay“, der „auf (unbewiesenen) matisiert (105). Abschließend fasst er 504 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 505 knapp zusammen, in welchen Kathedral- ab und erlebe erst anderthalb Jh. später, in bildete Zäsuren, die in der geschichtlichen zeugendokument, das der kriegsbegeister- städten sich im frühen 11. Jh. besonders der zweiten Hälfte des 11. Jh., einen Wie- Wirklichkeit selten eine wichtige Rolle ten Naivität der HJ-Generation den kriti- stark Ausbaumaßnahmen feststellen lassen derbeginn. Dieser Vorstellung widerspricht spielen. Aber auch die Regierungszeit schen Spiegel eines von zivilen Werten be- (S. 112–116). – Einen geschichtlich noch Rolf Bergmann in seinem Überblick: „Die Heinrichs II. erweist sich als arm an – wo- stimmten Nachkriegsbewusstseins entge- weiter ausholenden Überblick über Emanzipation der Volkssprache im Lichte möglich durch den Herrscher angeregten – genhält und so den 8. Mai 1945 als den „Münzprägung, Silberströme und Berg- der Überlieferungsgeschichte“ (S. 227–257). weiterwirkenden Neuerungen. Wer jedoch „Beginn einer Geschichte menschlichen bau“ – zugleich eine sehr aufschlussreiche Er kommt zu dem Ergebnis: „Die Lücke die Beiträge als Einblicke in bestimmte Be- Zusammenlebens“ deuten kann – weit ent- Einführung in diesen Themenkreis – bietet deutschsprachiger Überlieferung von an- reiche der mittelalterlichen Lebenswirk- fernt vom staatsmännischen Habitus einer Heiko Steuer (S. 117–149). Erst im letzten derthalb Jahrhunderten (ca. 900 bis ca. lichkeit vor, während und nach der Herr- Politikerrede. Ein ausführliches Nachwort Abschnitt seiner Ausführungen geht er nä- 1050) existiert nicht, insofern aus dem 10. schaft Heinrichs ohne Fixierung auf den des Hg. Gustav Seibt beschließt den Band. her auf den „Umbruch um 1000“ ein, den und frühen 11. Jahrhundert Textdenkmäler Gedanken an eine „Zeitenwende“ liest, der Seibt, von Borst promovierter Publizist er als „Innovationsschub“ bezeichnet (S. und vor allem Glossierungen und Glossare wird durch sie reich belehrt werden. Das und Kulturwissenschaftler, war bis zu des- 138). – Die Tatsache, dass von 1002 bis 1018 handschriftlich überliefert sind.“ (S. 240) gilt nicht nur von den kirchengeschichtlich sen Tod eng und freundschaftlich mit ihm zahlreiche Kriege zwischen Heinrich II. Dabei handelt es sich allerdings um zwei- unmittelbar bedeutsamen Arbeiten etwa verbunden. Borst vertraute ihm Ende Feb- und dem Polenherzog Boleslaw Chrobry sprachige Texte; auch „im 11. Jahrhundert über Bischofsstädte, Kirchenbauten oder ruar 2005 einen Ausdruck seiner „Ge- stattfanden, erweckt Interesse an der Er- und bis weit ins 12. Jahrhundert hinein ist Bildwerke mit biblischen Motiven, sondern schichte“ an, die sich nach seinem Tod 2007 richtung neuer Burgen in jener Zeit. Joa- die volkssprachige Überlieferung mehr selbst über scheinbar so fernliegende The- als Datei auf seinem PC fand. Bei der Her- chim Henning behandelt dieses Thema be- oder weniger eng in die lateinische einge- men wie Heiko Steuers Überblick über die ausgabe in Buchform waren nur „winzige sonders mit den Mitteln der Archäologie bettet [...]. Den eigentlichen »Aufbruch in materiellen Grundlagen der Geldwirt- Versehen“, wie Seibt schreibt, auszubes- und der Dendrochronologie (S. 151–181). – die Schriftlichkeit«, den »volkssprachlichen schaft. Der aufmerksame Leser findet auch sern. – Auch der Verlag meldet sich zu Lässt sich auch in der bildenden Kunst eine Literarisierungsprozeß«, bringt erst das 13. hier manche kirchengeschichtlich wichtige Wort und berichtet auf dem hinteren Deck- Zäsur um 1000 feststellen? Bernd Mohn- Jahrhundert.“ (S. 242) – In den Bereich von Informationen. Bedauerlich ist allerdings, blatt, auf welch besondere Weise Buch und haupt (S. 183–203) bemüht die von Wolf- „Wissenstransfer und Wissensformen“ dass ein Beitrag fehlt, der kirchengeschicht- Verlag zueinander fanden. gang Kemp und anderen in die Kunstge- führt Volkhard Huth (S. 259–282), der an liche Aspekte jener Zeit im Zusammenhang Die Autobiographie verbindet die per- schichte eingeführte rezeptionsästhetische zwei berühmten Objekten – dem Bamber- darstellt. [1696] sönliche Lebensgeschichte des 1925 in Un- Betrachtungsweise und untersucht an drei ger »Sternenmantel Kaiser Heinrichs II.« Ulrich Köpf terfranken geborenen Borst, deren Anfän- Werken – der 1015 gegossenen Hildeshei- und einem Vers auf dem heute in Paris auf- ge bis zum Beginn des Studiums 1945 in die mer Bronzetür, einer Wiener Elfenbeintafel bewahrten Basler Antependium – einen „Familiengeschichte“ eingeflochten sind, mit der Himmelfahrt Christi aus dem spä- „Eindruck davon [...] vermitteln“ möchte, in der Folge mit zehn weiteren Zweigen ten 10. Jh. und der Wandmalerei in der Ba- „mit welcher Art von Wissens- und Ratio- BORST, ARNO: Meine Geschichte. Hg. und der Geschichtswissenschaft, in denen der silika St. Georg auf der Insel Reichenau – nalitätskultur man im Umfeld Heinrichs II. mit einem Nachwort versehen von Gus- Vf. geforscht und veröffentlicht hat. Der die Rezeptionslenkung mit dem Ergebnis, zu rechnen hat.“ (S. 281) – Im letzten, be- tav Seibt. Lengwil: Libelle Verlag, 2009. Textaufbau zeigt, wie die Mehrdeutigkeit dass „sich gerade in der ottonischen Kunst sonders umfangreichen Beitrag untersucht 124 S., geb. – ISBN 978-3-905707-26-7. des Titels zu verstehen ist: Possessivprono- um 1000 derartige Innovationen häufen“, Ekkehart Rotter, von einer zwischen 1007 men und Nomen „Meine Geschichte“ be- die dem Betrachter „Rezeptionsvorgaben“ und 1024 geschriebenen Bamberger Hand- „Meine Geschichte“ umfasst die ersten ziehen sich auf die Lebensgeschichte des liefern (S. 195). – Aus der gelehrten Litera- schrift der „Historia Romana“ des Landol- zwei Drittel des Buches. Hierauf folgt der Vf., auf das Fach Geschichte, das er als sei- tur greift Wolfgang Haubrichs (S. 205–226) fus Sagax mit der ersten schriftlichen Er- Wiederabdruck eines Textes, der die Auto- nes empfindet, und auf die ihm eigentümli- die um 1007/08 in erster Redaktion im ot- wähnung des Propheten Mohammed in biographie von Borst ergänzt, erstmals er- che Art, Geschichte zu betreiben. Kunst- tonischen Frauenkloster Quedlinburg ent- Deutschland ausgehend, die „Wahrneh- schienen in der FAZ vom 5. Mai 1995. Er voll sind die drei Geschichtshorizonte inei- standenen, lateinisch geschriebenen mung der muslimischen Welt im deutschen vereint die Aufzeichnungen des 20jährigen nander verwoben, gleichzeitig sind vertikal „Quedlinburger Annalen“ heraus und Reich des 11. Jahrhunderts“ (S. 283–344). Unteroffiziers, der das Kriegsende 1945 in die verschiedenen Lebenskreise, Arbeits- weist die in ihnen verarbeiteten Stoffe der Wer sich vom Titel des Bandes leiten Norditalien erlebte, mit den Reflexionen felder und Werke Borsts darein geflochten. germanischen Heldensage nach. – In den lässt und in ihm nach Erkenntnissen über des 70jährigen Emeritus von 1995. Der von Diese Art Polygramm spiegelt die Gesamt- gängigen deutschen Literaturgeschichten eine einschneidende Bedeutung der Wende dem unerfahrenen jungen Burschen lako- existenz des Vf. und erzeugt gleichzeitig wird die Auffassung vertreten, die dünne vom ersten zum zweiten Jahrtausend nach nisch im Landserjargon verfasste Bericht einen besonderen intellektuellen Reiz. Die schriftliche Überlieferung volkssprachiger Christus sucht, der wird schwerlich befrie- mischt sich mit der rückblickenden Ein- Sprache beeindruckt durch ihren Schliff Literatur reiße mit dem Erlöschen des Ka- digt werden. Das ist nicht überraschend; schätzung des hochgelehrten Historikers. und ihre Verdichtung. Leichthin aufgebau- rolingergeschlechts am Beginn des 10. Jh. denn runde Jahreszahlen sind künstlich ge- Daraus entsteht ein ganz besonderes Zeit- te Gegensätze werden in der Schwebe ge- 506 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 507 halten und überraschend wieder aufgelöst, 1970er Jahre genügend Anlass zur Polemik kret wie auf der historischen Metaebene. schichte als dem integrativen Bestandteil stimmige Bilder ersetzen Umschreibungen. gegeben, als er sich vom wissenschaftlichen Als nach dem Abschied aus der Universität ihrer conditio humana leben wollen. Die – Aufgrund des originellen Aufbaus, der Dogmatismus, der sich in der Sozialge- die Diskussionen mit Kollegen und Stu- „Geschichte“ wird sie berühren und inspi- kunstreich gewirkten Binnentextur und schichte breitgemacht hatte, abgestoßen denten weniger werden, wendet er sich an- rieren. [1697] des unverwechselbaren Sprachgestus über- fühlte und unter den erratischen Sprüngen deren ‚Gesprächspartnern‘ zu. Er führt sei- Elisabeth Fuchshuber-Weiß ragt die „Geschichte“ die Autobiographien der Bildungspolitik litt. Folgerichtig trat er ne „Totengespräche“ – die Toten hätten anderer gelehrter Zeitgenossen bei weitem. damals den Rückzug an, 1990 endgültig als „mehr mitzuteilen und weniger einzuwen- Borsts außerordentliche Bedeutung als Emeritus. den“. Eine besondere geistige Nähe fühlt er Mediävist steht längstens fest, die epoche- Der bei Borst typische Einklang von äu- seit 1975 zu Hermann dem Lahmen, vor SANTIFALLER, LEO: Das Trientner Domka- machende Wirkung seiner Werke ist durch ßerem Lebensweg, innerer Haltung und fast 1000 Jahren Benediktinermönch im pitel in seiner persönlichen Zusammen- vielfache Auflagen im öffentlichen Be- dem Habitus als Historiker ist in der Auto- Kloster Reichenau. Der Gelähmte, der setzung im späten Mittelalter (Mitte 14. wusstsein verankert. Auch die besondere biographie besonders deutlich zu spüren. einst die ihm auferlegten Grenzen von Ort Jahrhundert bis 1500). Aus dem Nach- Schreibkunst, die sie prägt, ist bekannt. Deshalb zeichnen gerade auch persönliche und Zeit durch seinen Schaffensdrang und lass hg. und mit einer Einleitung verse- Dies wurde durch hohe Auszeichnungen Aspekte die „Geschichte“ aus. Der Ton seine Geisteskraft überwand, wird ihm zu hen von Klaus Brandstätter (= Veröf- bestätigt, ebenso durch die Aufnahme des wird sehr persönlich und wahrhaftig, so- einer Art „Vorbild“ für die eigene Lebens- fentlichungen des Südtiroler Landesar- Vf. in hochkarätige wissenschaftliche Gre- bald eigene Gefühle und Empfindungen form. Wie Hermann schlägt er immer wie- chivs, Band 9). Bozen: Verlagsanstalt mien und Stiftungen. Horst Fuhrmann und zum Ausdruck kommen. Eine melancholi- der eigenwillig und hartnäckig neue Wege Athesia, 2000. 198 S., br. – ISBN 88- Rudolf Schieffer haben es in ihren Nachru- sche Grundstimmung durchzieht diese Pas- ein, übersteigt souverän Fachgrenzen und 8266-053-2. fen kenntnisreich gewürdigt. sagen, doch klingt darin eher die bewusste besitzt gleichzeitig die Fähigkeit, loszulas- Auch in vielen Textstellen der „Ge- Absage an die vordergründige Geschäftig- sen. Der geistige „Ritt in andere Gefilde“ Die in den 30er Jahren erarbeiteten Bio- schichte“ wird spürbar, was Borst an Exzel- keit, die Enge und die Zwänge des Wissen- beflügelt ihn – wie Hermann ein Universal- graphien der Trientner Domherren wurden lentem für die Wissenschaft geleistet hat, schaftsbetriebs an als die resignative Entsa- gelehrter. veröffentlicht, weil die Forschung von wenn er z. B. auf seine Bücher innerhalb der gung eines Wissenschaftlers. Konsequent Es fällt schwer, Borsts „Geschichte“ an- Emanuele Curzel die Trientner Domherren Fachzweige und Lebenskreise eingeht. widmet Borst sich denn auch im nachuni- gemessen zu würdigen. Sie ist sein Ver- bis 1348 biografisch erfasst hat und die Ar- Gleichwohl reflektiert er seine Stellung und versitären Leben mit Unterstützung ge- mächtnis, und jede Einschätzung bleibt beiten Santifallers in der Erforschung der Leistung stets bescheiden und sachbezogen. lehrter Gesellschaften wie den Monumenta hinter ihrer Qualität zurück. Am nächsten Domkapitel methodisch entscheidende Die Hochschulorte Göttingen, Münster, Germaniae Historica und der Heidelberger kommt ihr das Nachwort des Hg. Gustav Weichenstellungen gegeben haben. Von Erlangen und Konstanz waren nacheinan- Akademie selbstgewählten mediävistischen Seibt. Kongenial ergänzt es das letzte Werk den ursprünglich 500 erfassten Domherren der die Stationen, wo er tätig war und blei- Themen, vorrangig angesiedelt im Bereich des verstorbenen akademischen Lehrers wurden durch zeitliche Begrenzung auf das bende Standards setzte. Treffend charakte- von Zeit und Zahl. Grundlagen- und Quel- und Freundes. Es gehört unbedingt mit zur Spätmittelalter in vorliegender Arbeit nur risiert er akademische Lehrer wie Percy lenforschung beschäftigen ihn. Das häusli- Lektüre. 300 berücksichtigt. Die Bedeutung des ös- Ernst Schramm und Herbert Grundmann che Arbeitszimmer in Konstanz wird zum Denkt man über den Adressatenkreis terreichischen Gelehrten Santifaller für die sowie Weggefährten und Freunde, darunter Schaffensmittelpunkt. Er bewältigt, auf sich des Buches nach, lassen sich drei Gruppen Domkapitelforschung und speziell für die der geschätzte Waldemar Besson, die den gestellt und ohne den Hilfsapparat eines skizzieren. Zunächst ist das Buch selbstre- Trientner wird in der Einleitung umfassend akademischen Weg prägten und begleiteten. Lehrstuhls, ein ungeheures Arbeitspensum. dend eine spannende, vertiefende „Begleit- beschrieben. Nach der Darstellung der Immer wieder streift er kurz das Verhältnis Seine Vitalität, so „zerbrechlich“ er sie auch lektüre“ zu den wissenschaftlichen Arbei- Forschungsentwicklung werden die Bio- zu seinen Studenten – ein Professor, der empfindet, hilft ihm dabei. Liebevoll steht ten Borsts (Katharer, Ideengeschichte der graphien der Domherren geboten, die al- nicht Lehrbuchwissen vermitteln, sondern ihm seine einfühlsame, aufgeschlossene Sprachtheorien, Nürnberger Sebaldusle- phabetisch nach ihren Familiennamen ge- achtsames historisches Arbeiten und histo- Frau Gudrun zur Seite. genden, mönchisches Leben im Mittelalter, ordnet sind. Wichtig sind dabei die in vielen risches Bewusstsein lehren wollte. Immer wieder reflektiert er sein Ver- Geschichte des Kalenders usw.), daher ist Fällen vorangestellte kurze Zusammenfas- Seine Rückblicke verraten eine genaue, ständnis von mittelalterlicher Geschichte es Kirchen- und Kulturhistorikern, Theo- sungen der Familiengeschichten. Die zahl- analytische Beobachtungsgabe, die die sub- und vom historischen Arbeiten. Das Be- logen und Mediävisten sehr zu empfehlen. reichen Bezüge zu Schwaben und die hohe jektive Perspektive nicht scheut. Manches streben ist, historisches Geschehen „aus Wer sich für den Wissenschafts- und Uni- Anzahl von Domherren bürgerlicher Her- wird mit subtiler Ironie, manches in anek- einer anthropologischen Mitte“ heraus zu versitätsbetrieb, speziell in der Mediävistik, kunft überraschen dabei. Die wertvolle dotischer Zuspitzung vorgetragen, man- begreifen. Dabei ist ihm Dietrich Bonhoef- in der 2. Hälfte des 20. Jh.s interessiert, Arbeit endet mit einer chronologischen ches auch mit Skepsis beurteilt, doch nie fer ein wichtiges Vorbild, der sich „allen wird es ebenfalls mit viel Gewinn lesen. Auflistung der Domherren, einer chrono- fehlen Respekt und Taktgefühl. Dabei hät- Arten von Ideologie“ widersetzte. Ebenso Schließlich gilt die Empfehlung all den logischen Aufstellung der Dignitäre, einer te es für ihn angesichts der „bleiernen“ wichtig ist der dialogische Ansatz – kon- Zeitgenossen, die bewusst mit der Ge- Übersicht ihrer Herkunftsdiözesen, einem 508 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 509

Quellen- und Literaturverzeichnis sowie schrei ber , der Augs bur ger mit tel alters, nach ihrer um strit te nen Zu ge- die Re for ma tions ge schichte in den größe- einem Orts- und Personenregister. Die Or ga nist Bern hard Rem, die alt bayeri sche hörig keit zu Mit tel alter oder Neu zeit und ren Kon text. In Wie der aufnahme seiner Forschung hat mit diesem Werk ein wert- Ade li ge Ar gu la von Grum bach werden nach ihrer inter natio na len und öku meni- einleitenden Über legungen hebt Kauf mann volles Arbeitsinstrument an die Hand be- porträtiert, genauso Kämpfer für die Papst- schen Dimen sion. Im ersten Hauptteil (S. noch ein mal her vor, wie sehr sich durch die kommen, für dessen Erscheinen man dank- kirche wie Johan nes Cochläus oder Huma- 33–151) skiz ziert er die poli tisch-recht- Reforma tion „das, was Kir che heißt, ver- bar sein muss. [1698] nisten wie Hutten und Erasmus. Natürlich lichen, öko nomisch-sozia len, geistes- und ändert“ habe (S. 715). Die grund sätz liche Immo Eberl kom men auch Karl stadt, der den (ebenfalls men ta li täts ge schicht lichen so wie (hier be- Tren nung von Kle ri kern und Laien sei auf- aus führ lich dar ge stellten) „linken Flügel“ reits im Blick auf Luther) die theo logi schen ge hoben wor den, „das Re pertoire der sinn- der Reformation nach haltig in spi rier te, und „Vor aus setzun gen der Re for ma tion“. Das lichen Ap per zep tions formen der Re ligion“ der als Rädelsführer des Bauern kriegs von größte Gewicht bildet na tür lich der zen- wurde „er heb lich re du ziert“ (S. 716). KAUFMANN, THOMAS: Geschichte der Re- den Wit ten ber gern überschätzte Tho mas trale Teil II (S. 153–608), der die „Refor ma- Gegen über dem Seh-, Schmeck- und Tast- formation. Frankfurt und Leipzig: Ver- Müntzer, aber auch Melanchthon, Zwingli tion im Reich“ von 1517 bis zum Augs bur- sinn so wie den rituell-kör per lichen Voll zü- lag der Weltreligionen im Insel Verlag, und die Straß burger Theo logen ihrer Be- ger Reichs tag 1530 bzw. zur Witten berger gen dominierte nun weit aus der Hör sinn, 2009. 954 S., geb., zahlr. sw. Abb. – ISBN deutung angemessen vor. Die fundamen - Kon kor die 1536 beschreibt. Der Vf. be- ge richtet auf die Predigt und (im lutheri- 978-3-458-71024-0. talen Aus ein ander set zun gen um die Auto- schränkt sich also bewusst auf den Rahmen schen Be reich) die Musik. Evange lische rität der Heiligen Schrift und die kirchliche des römisch-deut schen Rei ches, von dem Kirch lich keit war er heblich un schein ba rer An Reformationsgeschichten herrscht Hierarchie, um Zwang, Ge wis sens frei heit auch die Ereignis dynamik für ganz Europa als die spätmit telalter liche und die durch die kein Mangel. Gleichwohl halten Interes - und Gewalt, um Taufe und Abendmahl aus ging – im Unterschied etwa zu neue ren Gegen refor ma tion er neu erte rö misch- sierte angesichts der (frei lich mittler weile wer den ein drück lich vor Augen ge führt. – Dar stel lun gen aus dem eng lisch-amerika ni- katholische. Es hatte sich seit Luther das umstrittenen) fundamentalen Be deu tung Prot ago nist der Dar stel lung bis 1521/22 ist schen Raum von Diarmaid Mac Culloch Be wusst sein entwickelt, dass „die wahre dieser Epoche immer wieder neu Ausschau na tür lich Luther, dessen öffent lich keits- (Reforma tion. Europe‘s house divi ded, niemals mit der real-existieren den Kirche nach Büchern, die lebendig, zu ver läs sig und wirk same Schrif ten immer wieder ausführ - 1490–1700. London 2003; deutsch: iden tisch sein kön ne“ (S. 717). Die Refor- kritisch prä sen tie ren, wie es in den Augen licher re fe riert wer den. Doch Kauf mann München 2008) bzw. Thomas Brady (Ger- ma tion hat dem „zur Un mit tel bar keit der der aktu el len For schung „eigentlich ge- hält bei aller spür ba ren Sym pathie histori- man histories in the age of re formations, Got tes bezie hung be frei ten Christen men- wesen ist“. Dieses Werk aus der Feder des sche Di stanz. Seine Dar stel lung ist wohl- 1400–1650. Cam bridge 2009). Diese dehn- schen zu gleich die Bin dung an eine un- Göt tinger Kir chen historikers (Jg. 1962), der tuend klar und ge lassen. Sie ist weder apo- ten den je den falls für Deutsch land eta blier- schein bare Kirche und die Distanzie rung von 1996 bis 2000 den Lehrstuhl für Neu ere loge tisch dar um be müht, Luthers Gegen- ten historiographi schen Be griff aus und von ihr er mög licht“ (S. 718). In einem üppi- Kir chen ge schich te an der Uni versität Mün- warts bedeu tung zu unter strei chen, noch sub su mier ten unter ihn auch den der Kon- gen End noten appa rat finden sich die Quel- chen inne hatte, beeindruckt schon von sei- darauf fixiert, vermeintliche, von Luther fes sio na li sie rung. – Im drit ten Haupt teil lenbelege und die Lite ra turhinweise zur nem Äußeren her: Es er scheint in einer pro- selbst oder seinen Ver ehrern gestrickte Le- mit dem Titel „Die Unwider rufl ich keit der Über prü fung und Weiter arbeit (S. 723–796). mi nen ten religions ge schicht lichen Reihe, gen den auflösen zu müssen. Kauf mann Re forma tion“ (S. 609–709) be schreibt Kauf- Hilf reich sind auch die Bio gram me aus ge- die sich an die gebildete All ge mein heit rich- schil dert den Wit ten ber ger Uni ver si täts- mann neben ihrem Ausbau in Städten und wähl ter histori scher Per so nen (S. 797–828), tet. Und es han delt sich trotz des opu len ten pro fessor in der eska lie renden causa mit der Ter ri to rien die Span nungen im Reich bis ein Glos sar (S. 829–836) und eine die Jahre Seiten um fangs um einen klein for ma tigen, Papst kirche als „Opfer und Täter“ zu gleich. zum Schmal kal di schen Krieg 1546/47, den 1414 bis 1598 umfassende Zeittafel (S. 837– schö nen Band auf Dünn druck papier, zu Ohne Mar tin Luther, ohne sein ra di kales, „lan gen Weg zur katho lischen Re form“ bis 842). Er schöp fen de Ver zeich nis se der Ab- dem man auch nach der ersten Lektüre (wie bei seinem „Vorläufer“ Jan Hus) in der zum Kon zil von Trient so wie die Aus ein- kür zun gen, der Literatur, der Ab bil dun gen noch ger ne grei fen wird. – Kauf mann nutzt „Liebe zur Kirche“ wur zeln des, überaus ef- ander set zun gen um das Inter im bis zum so wie Re gister der Per so nen, Orte und Sa- den Raum, um schlag licht artig von wich ti- fekt vol les theo logisch-publi zisti sches En- Augs bur ger Re li gions frieden von 1555. Er chen sind bei diesem Autor selbstver ständ- gen Ein zel phä no me nen oder her vor - gage ment wäre der bis ins Alltagsleben schließt diesen Teil mit einem Ab schnitt lich. Ein fein gliedriges Inhalts ver zeichnis tretenden Ak teu ren zu er zäh len, sehr an- hinein reichende „Um bruch“ der Re for ma- über die ent ste hen den „Kon fes sions kul tu- (S. 941–954) er schließt das Werk auf vor- schaulich etwa vom Gang der frü hen städ ti- tion nicht denkbar. – Kaufmann ord net die ren“, die Deutsch land „stär ker als je des an- bild liche Weise. Fazit: In Kauf manns Re- schen Re forma tio nen in Wit ten berg und vielen ein zel nen Phä no mene, Ge scheh nis se dere euro päi sche Land“ spal teten und bis forma tions geschichte spielt die Theo logie Zürich, von De mon stra tionen gegen Sym- und De tails auf ver schie denen Hand lungs- in die in di vidu ellste Ebene hin ein „elemen- die ihr gebührende Rolle, ohne dass all die bole und Re prä sen tan ten der tra di tionellen ebe nen und Le bens berei chen stets souve rän ta re Aspekte des menschlichen Da seins auf an de ren Perspektiven etwa der Politik-, So- Kirch lichkeit, wie sie beispielsweise in und re flek tiert in die Zu sam men hänge ein . je ihre Weise regulier ten und ge stal teten“ zial-, Wirt schafts-, Medien-, Men ta li täts- Magdeburg stattfanden. Flug schrif ten ver- In sei ner Ein lei tung (S. 11–32) the matisiert (S. 708). Ein kur zer Epi log über die „Re for- und In sti tu tio nen ge schichte zu kurz kä- fasser aus dem Laien stand wie (aus dem er en ga giert die Fra ge nach der Kon ti nui tät ma tion und das latein europä ische Christen- men. Wer sich in das Pan orama der deut- heuti gen Bayern) der Nürn ber ger Rats- zu den Re for ma tions be mühun gen des Spät- tum“ (S. 711–719) ver ortet dann noch mals schen Re for mation in den Jahren 1517 bis 510 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 511

1555 versenken will, wer nach zuverlässiger seiner Handschrift. Melanchthon hat dazu beiden evangelischen Theologen Martin Bewunderung für Nürnberg und dessen Aus kunft auf der Basis des gegen wär ti gen auch in einem Postskript zu einem Brief an Bucer aus Straßburg und Johannes Pistori- gelehrte Einwohner kommt auch in einem For schungs standes ver langt, dem sei dieses Veit Dietrich den Rat des Nürnberger Arz- us aus Nidda in Hessen, mit denen zusam- Brief vom 22. Oktober 1541 deutlich zum le ben dig und an spruchsvoll ge schriebene tes Dr. Johannes Magenbuch, Andreas Osi- men Melanchthon gegen Artikel des Re- Ausdruck. Diese Stadt sei einer Universität Buch nach drück lich emp foh len. Unter den anders Schwiegervater, erbeten (2659 [5]). gensburger Buchs votierte (2681; 2685; vergleichbar (2832). vielen Re for ma tions geschich ten seit Ranke Der gefragte Mediziner gab auch eine Ant- 2694; 2697f u.ö.). Auf katholischer Seite In Regensburg zeichnet sich auch eine wird es einen hervor ragen den Platz einneh- wort, die Hieronymus Besold, Osianders waren außer Eck noch beteiligt Julius von neue Beschäftigung mit dem Thema des men. [1699] späterer Schwiegersohn, überbracht hat Pflug und Johannes Gropper, einer der Au- Abendmahls ab. Melanchthon legt dem Wolfgang Huber (2668). Der in Nürnberg geschätzte Wit- toren des Regensburger Buches. Das Reli- hessischen Landgrafen sieben Grundsätze tenberger Professor erhielt sogar vom Rat gionsgespräch führte nicht zu einer Ver- vor (2720) und kritisiert die Transsubstan- der Stadt ein Angebot, einen Arzt zu schi- ständigung, sondern zu einem Scheitern. tiationslehre und andere „Subtilitäten“ cken, wofür Melanchthon jedoch dankt. Melanchthon gibt zu diesen Ereignissen in (2721). Das Abendmahl sei „allein zur MELANCHTHONS BRIEFWECHSEL, Band T 10. Die Einladung des Rates, auf der Heimrei- seinen Briefen, Dokumenten und Reden Niessung eingesetzt“ (1722, Z. 4f). Texte 2605 – 2865 (1541), bearbeitet von se über Nürnberg zu reisen, hat Melanch- nach vielen Seiten Auskunft. Sogar an die Von Regensburg aus bleiben auch die Christine Mundhenk, Marion Bechtold, thon nicht angenommen (2777). Es war Adresse des Kaisers selbst richtet Melanch- ganz gewöhnlichen Themen auf der Tages- Matthias Dall’Asta, Heidi Hein und Si- eine lange Zeit, die er trotz dieser Widrig- thon eine Stellungnahme, bittet um Entlas- ordnung. Der Wittenberger Professor mone Kurz (= Melanchthons Brief- keiten in Regensburg verbracht hat. Die sung und verweigert dem Regensburger schreibt eine Bitte um ein Stipendium für wechsel. Kritische und kommentierte Nummern des Briefwechsels 2643a bis Buch seine Zustimmung (2700; 2713). Er Petrus Schmidt (Faber) aus an Gesamtausgabe. Im Auftrag der Hei- 2778 aus diesem Zeitraum füllen die Seiten formuliert auch eingehende Berichte über Markgraf Georg von Brandenburg-Ans- delberger Akademie der Wissenschaften 86 bis 450, machen also den größten Teil das Gespräch (2705). Nicht alles, was er bach (2772). An Sebastian Heller in Ans- hg. v. Heinz Scheible, Bd. T 10). Stutt- des ganzen Bandes aus. Für den Rest des konzipiert hat, ist auch beim Kaiser einge- bach schreibt Melanchthon eine Empfeh- gart – Bad Canstatt: frommann-holz- Jahres hat Melanchthon seinen Arbeits- reicht worden (2720a, früher 2715). Diese lung für den Ungarn Matthias Dévai, der boog, 2009. 640 S., geb., Ln.. – ISBN platz und Wohnort Wittenberg kaum noch Dokumente zeigen die ganze Entwicklung Unterstützung von Markgraf Georg erbit- 978-3-7728-2479-1. verlassen. der Verhandlungen auf dem Reichstag und tet (2859). Wir erleben also Melanchthons Die beiden herausragenden und auf das Bemühen um theologische Verständi- Beziehungen zu den heute bayerischen Ge- Für Philipp Melanchthon waren im Jahr Reichsebene bedeutenden Reisen führten gung, die nicht möglich war. Sie zeigen bieten auch im Jahr 1541 mit. 1541 zwei Ereignisse von besonderem Ge- Melanchthon in wichtige Aufgaben. In auch die herausragende Bedeutung, die Die Edition ist in der sorgfältigen Weise wicht: am Beginn das Religionsgespräch Worms disputierte er im Januar 1541 öf- dem Wittenberger Professor auf dieser fortgesetzt worden, die wir schon kennen. von Worms, wo er sich schon vom 1. No- fentlich mit Johannes Eck, dem er schon in hoch offiziellen Ebene zukommt. Bei den einzelnen Stücken erkennt man an vember 1540 bis 19. Januar 1541, also ins- Augsburg bei den Verhandlungen zum Melanchthon schreibt in dieser Zeit manchen Stellen auch die Bedeutung der gesamt 80 Tage lang aufgehalten hat, und Reichstag begegnet war. Das Religionsge- auch nach Nürnberg an Veit Dietrich und bayerischen Archive für die Überlieferung dann das Religionsgespräch in Regensburg, spräch war von wichtigen Zeitgenossen be- lobt die Nürnberger Bemühungen um die der Handschriften. Auch von daher kann wo er vom 26. März bis zum 26. Juli, also sucht und stand unter der Leitung von Ni- Gunst des Kaisers. Entgegenkommen in man diesem Band manches entnehmen. – vier Monate lang, verweilte und tätig war. kolaus Granvella. Als päpstlicher Nuntius weltlichen Dingen könnte Karl V. vielleicht Heinz Scheible als Herausgeber erinnert in Auf dem Weg nach Regensburg verletzte er war Tommaso Campeggio, der Bruder des besser gewinnen, als die unzuverlässigen seinem Vorwort an den am 7. September sich zwischen Waldsassen und Tirschen- bekannteren Lorenzo Campeggio, anwe- Bündnisse. Der Nürnberger Pfarrer war 2008 verstorbenen langjährigen Vorsitzen- reuth die rechte Hand so sehr, dass deren send. Die evangelischen Teilnehmer waren zweitweise auch in Regensburg anwesend, den der Melanchthon-Kommission, Pro- volle Funktionsfähigkeit nie mehr erreicht bis in den Dezember zu keinem Gespräch ist aber wegen seiner Dienstpflichten vor- fesser Dr. Gottfried Seebaß, und seine Ver- wurde, wie Camerarius in seiner Biogra- eingeladen, worüber sich Melanchthon be- zeitig abgereist (2731). Melanchthon rech- dienste für dieses große Editionsprojekt phie aufgrund der Information durch den schwerte und seine Abreise ankündigte. So net damit, dass die Städte zu Stellungnah- bei der Heidelberger Akademie der Wis- Patienten (2672) später berichtet hat. Der war das Gespräch mit Eck im Januar ein men zum Regensburger Buch gebeten wer- senschaften. [1700] Reisewagen war durch die Schuld des Kut- letzter Fortschritt, aber weiter kam man den und gibt den Theologen in Augsburg Rudolf Keller schers umgestürzt. Melanchthon diktiert dabei nicht. – Der Kaiser vertagte den und Nürnberg Argumente für die Beant- seine ersten Briefe aus Regensburg oder er Reichstag nach Regensburg. In der Ableh- wortung an die Hand (2733f). Er entwirft schreibt mit der linken Hand. Ob es eine nung des Regensburger Buches zur Recht- und formuliert ein Schreiben der Reichs- Verstauchung oder ein Bruch war, ist nicht fertigungslehre trafen sich Melanchthon stände Augsburgischer Konfession an Kai- MELANCHTHONS BRIEFWECHSEL, Band T 11. exakt diagnostiziert worden, aber man sieht und Eck, wenn auch von gegensätzlichen ser Karl V. (2750f), und formuliert eine Texte 2866 – 3126 (1542), bearbeitet von die Behinderung ab diesem Zwischenfall an Seiten. Melanchthon zur Seite standen die Denkschrift (an den Kaiser [2752]). Seine Matthias Dall’Asta, Heidi Hein, Simone 512 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 513

Kurz und Christine Mundhenk (= Me- die verstreut in den Textbänden publizier- deutschen Übersetzung seiner Loci, die fin Melanchthons geheiratet (3073). Er lanchthons Briefwechsel. Kritische und ten Regesten sind dort nach verschiedenen 1542 in Wittenberg erschien, ist ein theolo- wird am 21. Februar 1543 in Wittenberg kommentierte Gesamtausgabe. Im Auf- Kriterien leicht durchsuchbar und stehen gisches Votum, das Beachtung verdient für einen Dienst als Diaconus in Gräfen- trag der Heidelberger Akademie der allen Interessierten zur Verfügung“ (S. 8). (2921). hainichen ordiniert. – An Dietrich schreibt Wissenschaften hg. v. Christine Mund- Das ist natürlich für alle, die das nutzen Uns interessieren an dieser Stelle beson- Melanchthon auch wegen Matthäus Vogel, henk, Bd. T11). Stuttgart – Bad Can- wollen und können, ein großer Fortschritt, ders die Beziehungen Melanchthons in die den er sehr empfiehlt (3054 [4]), weil er an statt: frommann-holzboog, 2010. 414 S., den man mit großem Dank anerkennen Gebiete des heutigen Freistaats Bayern. Er ihm Freude hat. Auch für Veit Örtel aus geb., Ln. – ISBN 978-3-7728-2534-7. will. Diese Mitteilung verdient besondere führte einen regen Briefwechsel mit dem Windsheim verwendet er sich bei Dietrich Hervorhebung. markgräflich-brandenburgischen Kanzler (3058). Örtel war Professor in Wittenberg. Sämtliche bisher vorliegenden Bände Das Jahr 1542 verbringt Melanchthon Sebastian Heller in Ansbach. Ihm empfiehlt Für Veit Dietrich und in dessen Namen der Edition von Melanchthons Briefwech- weitgehend in Wittenberg. Dadurch tritt er am 6.2.1542 dessen Verwandten Caspar schreibt Melanchthon eine Vorrede zu Lu- sel (seit 1977 22 Bände) wurden von Heinz nach dem Jahr 1541 mit den großen Zeit- Beyer, der aus Wittenberg nach Schwabach thers Kommentar zum Propheten Micha, Scheible als Herausgeber verantwortet. Die räumen auf Reisen der Professor in seinem heimkehrt (2884a), der von 1537 bis 1542 gerichtet an Nikolaus von Amsdorf, den neun Regestenbände und bisher drei In- beruflichen Beziehungsgeflecht deutlich in Wittenberg studiert hat und für dessen evangelischen Bischof von Naumburg, in dexbände hat er federführend bearbeitet, und vielseitig vor das Auge des Lesers. Von Ehe mit Sibylle Beyer, Melanchthons Mün- Zeitz (3070). Dies ist ein beachtenswertes dann kamen andere Mitarbeiterinnen und vielen ganz verschiedenen Seiten wird er del und Tochter des ehemaligen kursächsi- Kompendium der wichtigen Merkmale der Mitarbeiter in der Forschungsstelle dazu. um Rat und um Stellungnahme gebeten. Er schen Kanzlers Christian Beyer, er sich bei Kirche im Kontrast zum Erleben in der da- Mit dem vorliegenden Band erscheint nun korrespondiert mit wichtigen Fürsten, mit Heller einsetzt (3038). Die Ehe kam jedoch maligen Gegenwart. Amsdorfs Wahl wird erstmals Christine Mundhenk, die Leiterin Kollegen wie mit Studenten in gleicher erst am 12. Mai 1545 zustande. Caspar dankbar zur Kenntnis genommen und Se- der Forschungsstelle, verantwortlich als Weise. Immer wieder wird er tätig als Rat- Beyer wurde 1548 Bürgermeister in Schwa- genswünsche ausgesprochen. Dietrichs Herausgeberin. Im November 2009 ist die geber und Vermittler in Stellenbesetzungs- bach und ab 1558 Brandenburgischer Ver- Verbundenheit mit Luther soll hier klar Übergabe erfolgt als „letzter Akt des Ge- fragen und Stipendiensorgen. Hier ist die walter in Kloster Sulz. Sebastian Heller zum Ausdruck kommen; Luther hatte den nerationenwechsels in der Melanchthon- Frage von Herzog Albrecht von Preußen starb am 29. Oktober 1542, wie Melanch- Text, den Dietrich herausgab, selbst vorher Forschungsstelle“. „Die Melanchthon- wegen der Besetzung der Rektorenstelle an thon von Veit Dietrich erfährt (3085). – durchgesehen. Dietrich hat sich bei Melan- kommission der Heidelberger Akademie der neu gegründeten Universität Königs- Melanchthon schreibt an Georg Karg in chthon für diesen Text ausdrücklich be- der Wissenschaften hat Berndt Hamm, berg besonders hervorzuheben (2890; 2956; Oettingen und ermuntert ihn zum Bleiben dankt (3085). Die Kritik an den gegenwär- den“ – inzwischen pensionierten – „Inha- 2964). Sein Kurfürst fordert ihn auf, bei der (2963). Karg wurde später Superintendent tigen Bischöfen und das Lob Luthers hat ber des Lehrstuhls für Neuere Kirchenge- Reformation der Universität Leipzig mit- in Ansbach und nahm als solcher am Dietrich auch bei Erscheinen des Buches schichte an der Universität Erlangen- zuwirken, falls Herzog Moritz ihn dazu Wormser Religionsgespräch 1557 teil. – noch einmal dankend gegenüber Melanch- Nürnberg, als neues Mitglied berufen und auffordert (2894). Melanchthon muss sich Melanchthon bekommt Nachricht von thon erwähnt (3092); Luther hat sich darü- so die theologische Kompetenz wieder ver- mit Schriften Schwenckfelds befassen, wor- Herzog Ottheinrich von Pfalz-Neuburg ber gefreut, wie Melanchthon später noch stärkt“ (S. 7f). Die Edition erfolgt ansons- um ihn der hessische Landgraf bittet (2885; über die Einführung der Reformation einmal mitteilt (3102). – Melanchthon ten unverändert nach den bekannten 2892; 2906). Der hessische Landgraf bittet (2997a) und schickt einen Glückwunsch nimmt die Empfehlung von fünf Augsbur- Grundsätzen und Gepflogenheiten. Melanchthon auch um Unterstützung in zurück (2997b). ger Stipendiaten durch den Augsburger Rat Besondere Aufmerksamkeit verdient den Problemen wegen der Doppelehe Melanchthon schreibt an Sigmund Ei- entgegen (3086). Zehn Tage später be- die Nachricht: „Als Beitrag der Heidelber- (2923; 2931; 2939f). sen in Weiden und lobt in der Empfehlung schreibt Wolfgang Musculus aus Augsburg ger Akademie der Wissenschaften zum Besondere Aufmerksamkeit verdient dessen Bruder Erasmus Eisen, der in Wit- diese Stipendiaten in einem Brief an Melan- Melanchthon-Gedenkjahr 2010 sind in Zu- die Vorrede an den Leser zur Koranausga- tenberg studiert und Unterstützung chthon genauer (3093a). – An Hieronymus sammenarbeit mit dem Trierer „Kompe- be des Theodor Bibliander, die in Basel bei braucht (3024a). – Melanchthon lobt bei Baumgartner in Nürnberg richtet Melan- tenzzentrum für elektronische Erschlie- Johannes Oporinus gedruckt wurde (2973). Hieronymus Baumgartner in Nürnberg chthon eine Empfehlung für Leonhard ßungs- und Publikationsverfahren in den Auch dies ist ein Zeugnis für die allgemeine den aus Kitzingen stammenden Pfarrer Kettner aus Hersbruck, den er für geeignet Geisteswissenschaften“ und dem Verlag Wertschätzung, deren sich Melanchthon Paul Eber in Wittenberg, der seine Privat- für ein Pfarramt hält (3098). Melanchthon Frommann-Holzboog alle bisher erschie- wie auch Luther erfreut haben. Auch Lu- schüler ausgezeichnet betreut (3043). – Im- empfiehlt Hieronymus Wolf als Rektor der nenen Regesten von „Melanchthons Brief- ther verfasste eine Vorrede zu dieser Aus- mer wieder schreibt er an Veit Dietrich in Ägidienschule (3102). – Auch an den Nürn- wechsel“ in eine Datenbank überführt gabe (WA 53, 561-572). Natürlich ist klar, Nürnberg. Bei ihm setzt er sich ein für Le- berger Prediger Andreas Osiander (3099) worden, die im Internet über die Home- dass beide mit Kritik am Islam – wie an je- onhard Wagner aus Ornbau bei Gunzen- und an Johannes Sutelius (3055) in Schwein- pages der Forschungsstelle und des Verlags der Abweichung von der christlichen Leh- hausen (3044). Wagner hat in Melanchthons furt richtet der Wittenberger ein Schreiben. erreichbar ist. Die Bände MBW 1 – 9 und re – nicht sparen. Auch die Vorrede zur Haus gelebt und dort auch eine Hausgehil- – Johannes Brenz in Schwäbisch Hall lässt 514 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 515

Melanchthon wissen, dass auch er es be- chenordnung hält Melanchthon allerdings vom Regensburger Religionsgespräch sen hat, durch Joachim Mörlin (3376 und grüßen würde, wenn Brenz sich zur Durch- nicht zurück. schon kannte, ist der stärkste Gegner dieses 3378). Melanchthon schätzt Löners Bedeu- führung der Reformation der theologischen Der Leser erkennt aus dieser Aufzäh- vom Erzbischof geförderten, aber dann tung für Nördlingen deutlich höher ein als Fakultät der Universität Leipzig für ein bis lung der genannten Namen und Beziehun- nicht zum Zug gekommenen Reformati- für Naumburg. zwei Jahre dorthin begeben würde (3105), gen, welchen Einfluss Melanchthon weit onsprojekts, für das sich Melanchthon zu- In Nürnberg gibt es 1543 Debatten über was jedoch nicht geschah. über Wittenberg hinaus hatte, sicher auch nächst große Hoffnungen gemacht hat. Ein die Ordination und die dabei dort vorgese- Mehrere Schreiben befassen sich mit der dadurch gefördert, dass er in hohen fürstli- hoch interessantes Feld öffnet sich in den hene Handauflegung. Osiander in Nürn- Einführung der Reformation in der Reichs- chen und sogar kaiserlichen Diensten ge- Dokumenten aus Melanchthons Feder, die berg legte Wert auf die Handauflegung, stadt Regensburg. An Johannes Forster, da- braucht wurde. Der Editionsband hat nun natürlich in Beziehung zu setzen sind zu Veit Dietrich war jedoch lediglich vom mals Propst von St. Lorenz in Nürnberg, alle diese Texte in hervorragender Darbie- dem ganzen historischen Vorgang, der sich Nürnberger Rat berufen und nicht ordi- der 1542/43 wegen der Einführung der Re- tung in die Hand des Benutzers gelegt. Die in diesen Monaten vollzieht. niert. Dietrich hat von Melanchthon eine formation in Regensburg eingesprungen Herausgeberin und ihr Mitarbeiterstab ha- Über das Umfeld kurz nach der An- Stellungnahme erbeten und im Oktober ist, schreibt Melanchthon, dass Hierony- ben ein gutes Stück der Bearbeitung dieser kunft in Bonn berichtet Melanchthon an 1543 auch von Leipzig aus erhalten (3329). mus Nopp nach Regensburg kommen wird Korrespondenz vorgelegt. Die Überliefe- in Leipzig (3238), an Er hatte die Frage mit Luther besprochen, (3094). Auch gegenüber dem der Reforma- rung der einzelnen Texte wird sauber und seine Wittenberger Kollegen und an seinen der von dem Ritus der Handauflegung tion hilfreichen Regensburger Ratskonsu- nachvollziehbar dargestellt. Daraus lässt Sohn (3239 – 3244). An diesem Beispiel meinte, die frühe Kirche sei viele Jahrhun- lenten Johannes Hiltner lobt er diesen sich entnehmen, wie viel Material auch in kann man sehen, wie unterschiedlich die derte ausgekommen, ohne diesen Ritus zu Theologen Nopp (3096). Den Regensbur- bayerischen Archiven und Bibliotheken Überlieferung dieser Briefe erhalten ist, beachten. Die Berufung der Kirche sei ger Rat bittet er um Geduld bis zur An- verwahrt wird. [1701] wie unterschiedlich solche Briefe rezipiert wirklich und eigentlich zu ehren. Einige kunft von Nopp in der Fastenzeit 1543 Rudolf Keller wurden. Während der Brief an Paul Eber Wochen später geht Melanchthon in einem (3096). Der Rat dankt dem Wittenberger (3239) nur aus einer Abschrift bekannt ist, Brief an Dietrich noch einmal auf die Frage Professor für die Gewinnung von Nopp gibt es von dem Brief an Luther viele Ab- ein (3356) und liefert auch ein Gutachten und bittet ihn, dass er dafür sorgen möge, schriften, Drucke und sogar Übersetzun- über die Handauflegung mit (3357). In dem dass Nopp seine Stelle auch bald antritt. MELANCHTHONS BRIEFWECHSEL, Band T 12. gen, die über ganz Europa verteilt sind, Gutachten holt Melanchthon historisch Außerdem bittet der Rat um Beaufsichti- Texte 3127 – 3420a (1543), bearbeitet darunter auch solche, die in München und weit aus. Melanchthon schätzt die auf die gung der Regensburger Studenten in Wit- von Matthias Dall’Asta, Heidi Hein Nürnberg erhalten geblieben sind. Das Berufung folgende Handauflegung, hält sie tenberg (3109). – An Pfalzgraf Wolfgang und Christine Mundhenk (= Melanch- lässt sich anhand der Edition nun bestens aber nicht für zwingend erforderlich. Je- von Zweibrücken in Neumarkt in der thons Briefwechsel. Kritische und kom- nachvollziehen. Auch der Brief an Caspar denfalls lehnt er es ab, dass man sich von Oberpfalz richtet Melanchthon ein freund- mentierte Gesamtausgabe. Im Auftrag Cruciger (3241) ist vielfach abgeschrieben amtierenden Bischöfen [in katholischen liches Schreiben (3122). der Heidelberger Akademie der Wis- und gedruckt worden. Hier erfährt man, Bistümern] ordinieren lässt. Melanchthon Mit diesen ganz verschiedenen Schrift- senschaften hg. v. Christine Mundhenk, dass die Kirchenordnung für die Kölner findet Trost in der Gewissheit, dass die Ga- stücken an Menschen in den Territorien Bd. T 12). Stuttgart – Bad Canstatt: Reformation dem Nürnberger Vorbild ben, die Christus seiner Kirche hinterlassen des heutigen Bayern haben wir zwar nicht frommann-holzboog, 2011. 533 S., geb., folgt, womit die Brandenburg-Nürnbergi- hat, in der Kirche wirksam sind, in der das etwas für den Autor in Wittenberg Typi- Ln. – ISBN 978-3-7728-2535-4. sche Kirchenordnung Osianders von 1533 Evangelium recht erklingt; die Gaben des sches herausgegriffen, aber dem heutigen gemeint ist. Geistes und das wahre Amt wirken in der Leser doch deutlich vor Augen führen In der Biographie Melanchthons bringt Melanchthon hilft dazu, dass die Stadt Kirche. Darin sieht Melanchthon einen können, welcher Art die Beziehungen in das Jahr 1543 wieder einen ausgiebigen Nördlingen den Naumburger Pfarrer Cas- Trost. unser Gebiet damals waren. Natürlich hat- Aufenthalt in einer fremden Stadt. Er ver- par Löner als Superintendent bekommt Die Wittenberger Theologen geben ein te Melanchthon in anderen Gegenden lässt Wittenberg am 17. April und ist erst (3300). In Nördlingen werde Löner drin- Zeugnis über die Ordination von Hierony- Deutschlands auch noch ganz andere Be- am 15. August wieder zurück. Ziel seiner gender gebraucht als in Naumburg. In mus Nopp für Regensburg am 15. Oktober ziehungen, ja sogar weit über die deutschen Reise war die Stadt Bonn, wo er zur Mitar- Nördlingen könne Löner Beistand von Jo- 1543 (3349). Die im Vorjahr vollzogene Grenzen hinaus bis zu Leonhard Stöckel in beit an der „Kölner Reformation“ gebeten hannes Brenz aus dem nahen Schwäbisch Empfehlung dieses Kandidaten nach Re- Bartfeld im damaligen Oberungarn, der worden war, ein Projekt des Kölner Erzbi- Hall erfahren. Löner will dem Ruf nach gensburg ist also zu einem Abschluss ge- heutigen Slowakei. Stöckel wollte die Kir- schofs Hermann von Wied. Zwei Personen Nördlingen folgen (3306). Melanchthon kommen. – Weit über die Grenzen hinaus chenordnung für Kurbrandenburg ins La- haben ihn begleitet: Hieronymus Schreiber gibt ihm einen Empfehlungsbrief an den befasst sich Melanchthon auch mit dem teinische übersetzen und so für andere Ge- und Justus Jonas d.J. In Bonn war auch Rat der Stadt mit auf den Weg (3347). Spä- kirchlichen Leben in Siebenbürgen und der biete nutzbar machen (3051). Mit seiner Martin Bucer an der Arbeit beteiligt. Jo- ter hilft Melanchthon zur Wiederbesetzung Kronstädter Kirchenordnung, die 1543 Kritik an vielen Zeremonien in dieser Kir- hannes Gropper in Köln, den Melanchthon der Stelle in Naumburg, die Löner verlas- auch in Wittenberg gedruckt wurde (3310). 516 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 517

Siebenbürgen steht für Melanchthon na- In einem außergewöhnlich detaillierten Im III. Kapitel (S. 114–198), das zu- Beichte und Krankenbesuchen über Schu- türlich ganz unter dem Blickwinkel der Einleitungskapitel (S. 1–61) lässt der Vf. gleich einen sehr soliden Forschungsüber- le, Armenfürsorge und Hospitalbau etc.) Türkengefahr (3309), weil es der am wei- dieser von Prof. Dr. Harry Oelke (LMU blick zum jungen Bugenhagen darstellt, das gesamte Gemeinwesen betrafen, kann testen in den Osten ragende Teil Europas München) betreuten Diss. die beiden er- fragt der Vf. nach Bedeutung und Stellen- der Autor die Kirchenordnungen „in allen mit evangelischer Lehre ist. Die Türkenge- kenntnisleitenden Forschungsansätze er- wert der „Guten Werke“ in dessen exegeti- ihren Teilen als Inpflichtnahme, in Skandi- fahr beschäftigte ja Melanchthon immer kennen: 1. Die Profilierung von Bugenha- schen Werken bis 1521, deren Beurteilung navien sogar ausdrücklich als Selbstver- wieder. Auch für diese Texte lohnt sich ein gens Fürsorgekonzept kann nur im verglei- sich unter dem Einfluss von Erasmus und pflichtung des christlichen Herrschers“ in- Blick auf die Überlieferung. In deutschen chenden Kontext der Armutsproblematik Luther und in der Auseinandersetzung mit terpretieren (S. 431). Archiven ist wenig darüber zu finden. vom Spätmittelalter bis in die Reformati- den altgläubigen Kontroverstheologen Jo- In der abschließenden theologischen Umso besser, dass in der jetzt vorgelegten onszeit hinein gelingen. 2. Ein stringentes hannes Cochlaeus und Thomas Morus her- Bewertung der Fürsorgekonzepte Bugen- Edition an den Grenzen nicht haltgemacht Quellenstudium hat andererseits im Dialog auskristallisiert. Beim Verhältnis von Glau- hagens (S. 435–452) unterstreicht der Autor wird, sondern alle Texte Melanchthons er- mit den Forschungsansätzen der Gegen- be und Werken hat sich Bugenhagen eng an die eigenständige Profilierung des Theolo- fasst worden sind. – 1543 war auch das Jahr, wart die Schlagworte um Konfessionalisie- Luthers Freiheitsschrift orientiert, aber gen in der Zuordnung von Glaube und in dem die Sprecher des Schmalkaldischen rung, Modernisierung und vor allem der „optimistischer als Luther“ (S. 145) die Werken. In der Weiterentwicklung von Lu- Bundes sich beim Senat der Republik Ve- „Sozialdisziplinierung“ zu hinterfragen. Notwendigkeit guter Werke und die Fähig- thers Rechtfertigungslehre kann Bugenha- nedig für die dort verfolgten Evangelischen Beiden Fragestellungen ist der Autor in keit des Einzelnen zur Nächstenliebe un- gen optimistisch folgern, dass der erlöste einsetzten (3268). Auch Luther hatte nach überzeugender Weise gerecht geworden. terstrichen. Sünder [...] wahrhaft gute Werke tun kann“ Venedig geschrieben. Matthias Flacius Illy- In einem ersten Teil sondiert Lorentzen Der zweite Teil dieser gründlichen Un- (S. 436). Trotzdem hat er unter realistischer ricus, der Neffe von Baldo Lupetino in Ve- die „Theologische Fürsorgemotivation vor tersuchung (S. 209–434) gilt der detaillier- Einschätzung des Menschen als „fehlbaren nedig, hat diese Dokumente nach Venedig und nach der Reformation“ (S. 63–208). ten Vorstellung und Kommentierung von und erlösungsbedürftigen Geschöpfs“ überbracht und sich dafür eingesetzt. Me- Dabei geht er dem in der Forschung oft „Bugenhagens Fürsorgemodell“ in Orga- (S. 438) von den ethischen Konsequenzen lanchthon schreibt auch an Johannes Bap- postulierten Wechsel von mittelalterlicher nisation und diakonischen Leistungen – Bucers (unter Einsatz der Kirchenzucht) tista Egnatius in Venedig, den er schätzt „Werkgerechtigkeit“ zu freier Hilfsbereit- aufgezeigt am Vergleich der verschiedenen Abstand genommen. (3294). – Auch an Johannes Calvin, damals schaft aus christlicher Liebe nach und legt Kirchenordnungen aus der Feder des Po- Das sorgfältig erarbeitete Quellen- und in Straßburg, richtet Melanchthon ein dann die organisatorischen Pläne und dia- meranus. Es gelingt Tim Lorentzen der Literaturverzeichnis (S. 453–497) spricht Grußschreiben (3273). konischen Leistungen von Bugenhagens überzeugende Nachweis, dass allein auf- ebenso für die hervorragende Qualität die- Damit sind einige Einblicke in den ge- zahlreichen Kirchenordnungen dar. An- grund der „Vielfalt der Handlungsmög- ser Dissertation wie die akribisch durchge- wichtigen Band gegeben. Die hier berühr- hand der vor allem in Norddeutschland lichkeiten“ (S. 307) im diakonischen Be- haltene Quellenarbeit (allein die im An- ten Themen sind zum großen Teil in sich verbreiteten Almosenbretter macht er de- reich (Vf. bevorzugt den Begrifff „Fürsor- merkungsapparat geleistete Übersetzungs- sehr reizvoll und können an dieser Stelle ren bisher kaum erkannten Wert als histo- ge“ gegenüber dem im 19. Jh. verallgemei- arbeit aus den niederdeutschen und däni- nur knapp angerissen, aber nicht wirklich rischer Quelle deutlich: Illustration des nerten Begriff „Diakonie“) der pauschal in schen Quellen ist ein Beleg für die mühe- erfasst werden. Die Leser sind eingeladen, Verhältnisses zwischen Spende und Ver- der Forschung angenommene „sozialdiszi- volle Leistung des Autors! Ist die Überset- selbst von dem in diesem Editionsband rechnung zugunsten des Spenders im Jen- plinierende Zugriff der Obrigkeit auf die zung lateinischer Passagen ein Tribut an bestens ausgebreiteten Material Gebrauch seits. Das „Lazarusmotiv“ in der nachre- Unterschichten“ für die Reformationszeit den Verlust humanistischer Sprachen- zu machen und den angeschnittenen Fra- formatorischen Zeit verrät nach dem Vf. so nicht zutrifft. Stichprobenartig vermag kenntnisse in der Theologie?), daneben gen historisch, theologisch, geistesge- zwar das Ende der Jenseitsvorsorge, be- der Autor zudem die Vielfalt der diakoni- auch die schlüssige Interpretation und die schichtlich, politisch auf die Spur zu gehen. deutet jedoch keineswegs einen „General- schen Einzelmaßnahmen bewusst zu ma- glänzende stilistische Darstellung. Lorent- [1702] angriff gegen die Guten Werke. Daran, dass chen. Selbst die hygienische Vorsorge in zens Arbeit bietet eine Fülle von Anregun- Rudolf Keller entsprechende Versäumnisse einmal be- den Spitälern sah Bugenhagen als eine Form gen, die „Fürsorgethematik“ im Reforma- straft würden, hielten auch die Reformato- praktischer Nächstenliebe. So setzte sich tionszeitalter bis in ikonographische De- ren fest“ (S. 77). Andererseits kann er nach- der Pomeranus z.B. auch für die Anerken- tailstudien hinein fortzusetzen. Der in weisen, dass sowohl Sebastian Brant als nung des Hebammenberufes in der christ- Oberfranken angesiedelte Rezensent legt LORENTZEN, TIM: Johannes Bugenhagen als auch Johannes Geiler von Kaysersberg das lichen Gemeinde ein. Das Problem der großen Wert auf die Feststellung, dass Tim Reformator der öffentlichen Fürsorge Almosen nicht mehr im Rahmen der per- nachhaltigen Witwen- und Waisenversor- Lorentzen mit dieser Arbeit der kirchen- (= Spätmittelalter, Humanismus, Refor- sönlichen Jenseitsvorsorge sondern im gung hat Bugenhagen immerhin erkannt, historischen Forschung alle Ehre angetan mation, Bd. 44). Tübingen: Mohr Sie- Kontext der „chaotischen Situation der Ar- wenn er auch keine Lösung bereitstellen hat! [1703] beck, 2008. 536 S., geb., mit 22 sw. Abb., men- und Krankenfürsorge in Straßburg“ konnte. Da die vielfältigen in den Kirchen- Gerhard Philipp Wolf – ISBN 978-3-16-149613-4. thematisieren (S. 113). ordnungen aufgezeigten Dienste (von der 518 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 519

BURKHARDT, JOHANNES: Das - en“ (d.h. evangelischen) Glauben. Diese ig- nis“ (S. 199). Ein Buch voller unkonventio- bisch-fränkisch-bairischen Zentren Neu- jahrhundert. Deutsche Geschichte zwi- noriere im Grunde die Erkenntnisse von neller Erklärungen und Erkenntnisse! burg, Lauingen, Hilpoltstein, Burglengen- schen Medienrevolution und Institutio- Forschern wie Ernst Walter Zeeden, Wolf- Theologische und ereignisgeschichtliche feld, Sulzbach und Weiden-Parkstein) muss- nenbildung 1517–1617. Stuttgart: W. gang Reinhard oder Heinz Schilling zum Informationen sind in anderen Büchern ge- ten seine Schulden übernehmen, um nicht Kohlhammer, 2002. 244 S., br. – ISBN Zeitalter der Konfessionalisierung und pro- wiss besser und im Detail bequemer zu be- von Bayern annektiert und rekatholisiert zu 978-3-17-010824-7. duziere eben selber einen die historische kommen. Aber Burkhardt, der gängige werden. Ottheinrich dankte ab und bezog Wahrnehmung überformenden „Mythos“: Blickweisen und Sprachregelungen in Frage seine Residenz in Weinheim. In der Kur- Das Buch des mittlerweile emeritierten dass nämlich die römisch-katholische Kir- stellt, sollte ergänzend herangezogen wer- pfalz zog die Reformation im Frühjahr 1546 Augsburger Historikers ist, obwohl seit sei- che (nach dem Tridentinum) in größerer den. [1704] unter Pfalzgraf Friedrich (1482–1556) ein. nem Erscheinen nicht gerade wenige Werke Nähe zur Alten Kirche stehe (S. 115; vgl. Wolfgang Huber Diesen ließ Ottheinrich gewähren, obwohl zur Sache weiter auf den Markt gekommen auch S. 79) und damit eine höhere Legitimi- er selber nach dem Tod Pfalzgraf Ludwigs sind, eine der bemerkenswertesten Gesamt- tät besäße als die beiden evangelischen Kon- (1478–1544) die Kurwürde hätte beanspru- darstellungen des Reformationsjahrhun- fessionen. Im dritten Teil wendet sich Burk- chen können. Der Schmalkaldische Krieg derts geblieben. Es eignet sich gewiss eher hardt den „Staatsbildungsprozessen“ im SCHEIBLE, HEINZ: Kurfürst Ottheinrich, ein und das Interim machten die Reformation in für „Fortgeschrittene“, denn der Vf. prä- Reich des Reformationsjahrhunderts zu Mann des Kairos (= Förderkreis Leben- den pfalzgräflichen Gebieten zwischenzeit- sentiert die Geschehnisse, Personen und und skizziert dabei geschickt die Entwick- dige Antike, 12). Ludwigshafen/Rhein: lich wieder rückgängig. Der Fürstenauf- Entwicklungen aus ungewohnter Perspek- lungen der Politik-, Institutionen-, Wirt- Hennecke, 2007. 46 S., br. – ISBN 978-3- stand und der Passauer Vertrag 1552 ermög- tive und setzt eigene, instruktive Akzente, schafts- und Kommunikationsgeschichte. 9810361-3-1. lichten Ottheinrich dann die Rückkehr in die vor dem Hintergrund vermeintlicher Überzeugend legt Burkhardt dar, dass gera- das von den kaiserlich-spanischen Truppen Selbstverständlichkeiten ihre Relevanz ge- de der Passauer Vertrag 1552 und der Augs- Das kleine Heft präsentiert ein (wie geplünderte Neuburg. Seine Residenz stellte winnen. Für Burkhardt, der Erkenntnisse burger Religionsfrieden 1555 das Römisch- könnte es bei diesem Autor anders sein!) er kunstvoll wieder her. Die von ihm 1554 medienwissenschaftlicher Forschung auf- deutsche Reich, oft gescholten wegen seines fundiertes Lebensbild des in Amberg gebo- erlassene neue Kirchenordnung orientierte nimmt, war die Reformation, der er sich im mittelalterlichen Ursprungs und seiner ek- renen Neuburger Pfalzgrafen (1502–1559). sich an der Württembergischen Kirchenord- ersten Teil zuwendet, von Anfang an ganz latanten Rückständigkeit, politikfähig und In seiner kurzen Zeit als Heidelberger Kur- nung von Johannes Brenz, im Lehrteil an wesentlich ein Medienereignis. Sie benötig- friedenstauglich gemacht haben, im Unter- fürst (1556–1559) hat er „große“ Geschichte der auf Melanchthon zurückgehenden te, gebrauchte und beförderte den Buch- schied etwa zu den modernen Nationalstaa- geschrieben. Scheible zeichnet in seinem Mecklenburgischen Kirchenordnung. Als druck für ihre massenwirksame Publizistik, ten England und Frankreich, die in dersel- Vortrag aus dem Jubiläumsjahr 2002 den Ottheinrich 1556 die lang erwartete Regent- wozu auch die Verbreitung der Luther-Bi- ben Zeit von Bürgerkriegen zerrissen wa- Weg des Wittelsbachers, von dem doch so schaft in der Kurpfalz mit der Kurwürde bel gehörte. Und das neue Medium des ren! Das Reich hat nach Burkhardts Auffas- wenig authentische Äußerungen überliefert zufiel, führte er hier sofort die aktuelle Neu- Drucks brauchte seinerseits einen Gegen- sung effektive Institutionen der Konflikt- sind, höchst anschaulich nach. Ein lebens- burger Kirchenordnung ein. Die Universität stand von solchem Gewicht wie die Refor- bewältigung ausgebildet, die die Antagonis- froher, kunstsinniger Renaissancefürst, der Heidelberg wurde im humanistischen Sinne mation – angefangen mit Luthers öffentli- men zwischen den Ständen, den Fürsten „mit der Zeyt“ (so sein persönlicher Wahl- umgestaltet. Die Kirchenordnung war eine chem Auftreten 1517, der sich anschließen- und dem Kaisertum sowie die Gegensätze spruch) ging, tritt vor die Augen der Leser- gemäßigt lutherische, freilich wirkte in ihr den Flugschriftenbewegung und dann auch der drei Konfessionen friedlich und kon- schaft. Verhältnismäßig spät, erst im Jahr mit der Entfernung der Bilder und Nebenal- mit der Erhebung des „Gemeinen Mannes“ struktiv zum Ausgleich brachten. Der Drei- 1542, schloss sich Ottheinrich der Reforma- täre ein zwinglianischer Zug. In der Kur- -, um zum entscheidenden öffentlichen ßigjährige Krieg kam tatsächlich über tion an, womit er sich den Unwillen seiner pfalz lehrten fortan „Theologen aus den ver- Kommunikationsmittel der Neuzeit zu Deutschland wegen der „ungelösten Kon- übermächtigen Nachbarn und Verwandten, schiedensten Richtungen und Nationen“ werden. Im zweiten Teil nimmt Burkhardt fliktkonstellationen“ außerhalb des Reiches der Herzöge von Bayern zuzog. Otthein- (S. 33) nebeneinander, was nach dem Tod den Prozess der parallelen evangelisch(-lu- (S. 199). Ganz deutlich trugen „die beiden rich orientierte sich an der „konservativen“ Ottheinrichs zu heftigen Auseinanderset- therischen), römisch-katholischen und re- militanten Extremparteien, die radikalpro- lutherischen Kirchenordnung der fränki- zungen führte und die Kurpfalz auf den re- formierten „Konfessionsbildung“ in den testantisch-calvinistische Internationale schen Markgraftümer Brandenburg-Ans- formierten Weg brachte. Mit dem großarti- Blick. In seiner intensiven Auseinanderset- und ihr in dieser Zeit beispiellos aktionisti- bach und der Reichsstadt Nürnberg und be- gen „Ottheinrichsbau“ des Heidelberger zung mit der Forschung kritisiert Burk- sches römisch-jesuitisches Gegenstück“ ih- auftragte Andreas Osiander mit der Ausar- Schlosses setzte sich der allzu kurz regieren- hardt mit Recht die in der Literatur allent- ren Antagonismus ins Reich hinein. Sie beitung der Pfalz-Neuburger Kirchenord- de Kurfürst ein bleibendes Denkmal. halben anzutreffende, oft unreflektiert, ge- durchbrachen alle zuvor mühsam aufge- nung. Der Bruch mit den bayerischen Her- Ein Hinweis zum Schluss: Wer nach der legentlich aber auch bewusst verwendete bauten Sicherungen und brachten „die zögen, seinen wichtigsten Geldgebern, führ- Lektüre des kleinen Scheible-Beitrags de- Terminologie von der „alten“ (d.h. römisch- reichstreue Mittelpartei der Lutheraner und te zum Bankrott Ottheinrichs. Die Land- tailliertere Auskunft sucht, greife zu diesem vortridentinischen) Kirche und vom „neu- der gemäßigten Reichskirche in Bedräng- stände der „Jungen Pfalz“ (mit den schwä- Buch: Pfalzgraf Ottheinrich. Politik, Kunst 520 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 521 und Wissenschaft im 16. Jahrhundert, hg. eingehender die Gründung Helmstedts (S. me der frühneuzeitlichen deutschen Uni- folger und Bruder. Umfangreiche Quellen- von der Stadt Neuburg an der Donau [Kon- 117–139), die Rolle des Rostocker Theolo- versitäten vertiefen möchte. [1706] auswertung ist mit der neueren Literatur zept und Redaktion von Barbara Zeitel- gen David Chytraeus bei dieser Gründung Ulrich Köpf verbunden. Seld gestaltete die Reichspoli- hack], Regensburg 2002 (ISBN 3-7917- (S. 141–202), das am Beispiel Helmstedts tik im Spannungsfeld kaiserlicher und stän- 1802-9). Die in ihm versammelten Beiträge erkennbare Verhältnis von Universitätsau- discher Interessen mit. Er agierte, während nehmen viele Einzelaspekte zu Ottheinrich tonomie und landesherrlicher Gewalt im das Konzil von Trient tagte, auf den wich- in den Blick, dem Band fehlt aber ein so ge- späten 16. Jh. (S. 203–237), das Zeugnis der LAUBACH, ERNST: Der Reichsvizekanzler tigen Reichstagen und handelte mit den schlossenes Porträt, wie Scheible es bietet. Helmstedter Matrikel von der Frühzeit der Georg Sigmund Seld im Dienst der Kai- Passauer Vertrag und den Augsburger [1705] Universität bis 1600 (S. 239–272) und die ser Karl V. und Ferdinand I. (= Schriften Religionsfrieden aus. Unter Kaiser Ferdi- Wolfgang Huber wirtschaftliche Situation ihrer Professoren des Vereins für Reformationsgeschichte nand übte Seld seinen Einfluss vor allem im am Ausgang des 16. Jh. (S. 273–295). Auch 212). Gütersloh: Gütersloher Verlags- Geheimen Rat, bei der Abfassung diploma- an der Universität Würzburg interessieren haus, 2011. 144 S., br. – ISBN 978-3- tischer Schreiben und in schriftlichen kai- den Vf. vor allem die Anfänge (zwei Beiträ- 579-05768-2. serlichen Gutachten aus. Dass Seld ihr BAUMGART, PETER: Universitäten im kon- ge: S. 311–332, S. 333–362) sowie die Mit- Hauptverfasser ist, arbeitet Laubach auf fessionellen Zeitalter. Gesammelte Bei- wirkung Karl von Dalbergs an Bildungsre- Die Reichsvizekanzler des 16. Jahrhun- verdienstvolle Weise heraus. Außerdem träge (= Reformationsgeschichtliche formen im Hochstift Würzburg mit der derts waren Rechtsexperten und Politiker hielt Seld für die bayerischen Herzöge, sei- Studien und Texte 149). Münster: Universität im Mittelpunkt (S. 363–379). aus der zweiten Reihe, die im engen Um- ne Heimatstadt Augsburg und die Firma Aschendorff, 2006. X + 519 S., kt., 14 Neben den beiden Gründungen des kon- feld der Kaiser agierten und gerade deshalb Fugger die Verbindung zum Kaiserhof. Abb. – ISBN 3-402-03817-8. fessionellen Zeitalters würdigt Baumgart bis heute lohnende Forschungsobjekte Niemals freilich spielte Seld die Rolle auch die erste evangelische Neugründung sind. Die von Ernst Laubach vorgelegte eines leitenden Ministers wie etwa der Bay- Der Würzburger Neuzeithistoriker Pe- (1527) Marburg (S. 389–422) und die 1702 Studie zu Tätigkeit und Person des gebür- er Leonhard von Eck oder der ältere Gran- ter Baumgart hat in vier Jahrzehnten zahl- von Jesuitenorden eingerichtete Breslauer tigen Augsburgers Georg Sigmund Seld vella. Seld strebte dies offenbar auch nie an. reiche grundlegende Beiträge zur Ge- Leopoldina (S. 423–443). (1516–1565) zeigt das Handlungsspektrum Persönlich war er ein erasmisch geprägter schichte der deutschen Universität zwi- Der Vf. ist allerdings nicht nur Kenner eines bürgerlichen Juristen bei Hofe zwi- Humanist, der auf den Reformbedarf der schen Reformation und Aufklärung ver- der genannten Universitäten. Seine Beiträ- schen Kanzleiarbeit und den Brennpunk- römischen Kirche hinwies, und von katho- fasst, die an den unterschiedlichsten Orten ge über Helmstedt und Würzburg führen ten der Reichspolitik. Es umfasste eine lischen wie protestantischen Ständen als veröffentlicht sind und deshalb bisher im- nicht nur durch den Vergleich der beiden, Vielzahl eng verknüpfter Bereiche: vom kompetent und integer geachtet wurde. mer wieder mühsam aufgesucht werden sondern auch durch ihre exemplarische Metier des Juristen und Fachmanns für Laubach hat die erhaltene Korrespondenz mussten. Wenn er nun 16 wichtige Aufsät- Behandlung zu allgemeineren und weiter- Rechtsfragen des Reiches bis hin zu Aufga- geschickt auswertend integriert. Die Über- ze (darunter auch einen bisher unveröf- führenden Einsichten. Ebenfalls umfassen- ben, die heutzutage einem Regierungsspre- setzung der zahlreichen französischen und fentlichten) in einem Sammelband ab- der angelegt ist eine Studie über Gottfried cher obliegen würden. Auch der Einsatz als lateinischen Zitate würde die Lesbarkeit druckt, erleichtert er dem, der sich mit der Wilhelm Leibniz und den Pietismus um Dolmetscher für den französischsprachi- der interessanten Biographie für ein breite- Universitätsgeschichte der Frühen Neuzeit 1700 als Hinführung zu den Reformbe- gen Kaiser Karl V. und als Diplomat gehör- res Publikum erhöhen. [1707] beschäftigt, die Arbeit beträchtlich und strebungen dieser Zeit, die Gemeinsamkei- te dazu. Eine Behördenstruktur wie sie Wolfgang Weber lässt zugleich den inneren Zusammenhang ten von Pietismus und Aufklärung deut- heute üblich ist, war erst in Ansätzen sicht- seiner Forschungen erkennen. lich macht (S. 445–469). Eingeleitet wird bar. Im Mittelpunkt von Baumgarts univer- der Band durch weiter ausgreifende Auf- Seld kam nach dem Studium in Padua, sitätsgeschichtlichen Arbeiten stehen zwei sätze über „Die deutschen Universitäten Bologna – wo er im Jahr 1538 promovierte GANZER, KLAUS: Die religiösen Bewegun- Gründungen des späten 16. Jh., die wegen im Zeichen des Konfessionalismus“ (S. – und Bourges (Frankreich) über den Hof gen im Italien des 16. Jahrhunderts (= ihrer Entstehung und ihres gegensätzlichen 5–30) und „Humanistische Bildungsre- Herzog Ludwigs X. von Bayern-Landshut Katholisches Leben und Kirchenreform konfessionellen Charakters zum Vergleich form an deutschen Universitäten des 16. 1547 als „qualifizierter Sachbearbeiter” im Zeitalter der Glaubensspaltung 63). herausfordern: das lutherische Helmstedt Jahrhunderts“ (S. 31–60), beschlossen (S. 17) in die Kanzlei Karls V. Bald trat er als Münster: Aschendorff, 2003. VII + 82 und das katholische Würzburg. Verglei- durch einen vom Mittelalter bis in die Ge- kaiserlicher Sprecher vor deutschen Fürs- S., br. – ISBN 3-402-02984-7. chende Darstellungen sind der Gründung genwart führenden Überblick über „Die ten in Aktion. Unter beiden Monarchen der beiden Universitäten (S. 61–83) und ih- Universität als europäische Bildungsinsti- Karl V. und Ferdinand I. diente er als Die schmale Monografie widmet sich rer kaiserlichen Privilegierung (jeweils im tution“ (S. 473–489). Die großartige Auf- Reichsvizekanzler. Laubach arbeitet her- den unterschiedlichen religiösen Reform- Jahre 1575) gewidmet (S. 85–101). In fünf satzsammlung ist für jeden unentbehrlich, aus, dass Selds Einfluss unter Karl V. weni- strömungen, die in italienischen Städten weiteren Studien untersucht der Vf. noch der sich in die Geschichte und die Proble- ger ausgeprägt war als unter seinem Nach- und Regionen der frühen Neuzeit wirksam 522 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 523 waren. Ausgangspunkt der Darstellung ist gen in Italien, die ein breites Spektrum von nen, für alle Konfessionen charakteristi- Am Wormser Religionsgespräch war das Aufkommen des Renaissance-Huma- Reform- und Frömmigkeitsanschauungen schen Prozess der Konfessionalisierung am Philipp Melanchthon auf evangelischer Sei- nismus in den italienischen Stadtstaaten des repräsentierten und doch keinen offenen Ende des 16. Jh. Das Panorama, das der Vf. te führend beteiligt. Unter den evangeli- späten Mittelalters, das auf eine reformbe- Bruch mit der römischen Kirche anstreb- am Beispiel Italiens entfaltet, rückt Vor- schen Kolloquenten befand sich auch Ge- dürftige Kirche, Religion und Theologie ten. Ins Visier der Kurie gerieten diese gänge, die aus deutscher Perspektive häufig org Karg, der brandenburg-ansbachische einwirkte. So strahlten schon im 15. Jh. Persönlichkeiten und ihre Anhänger ab der kaum wahrgenommen werden, unter Ein- Generalsuperintendent. Auf der katholi- Reformideen auf das Mönchtum, aber auch Jahrhundertmitte durch die Neuorganisati- beziehung der italienischsprachigen For- schen Seite war Petrus Canisius, der Pro- auf das Papsttum aus. Gegen Ende des on der Inquisitionsbehörde (unter maß- schung eindrucksvoll ins Zentrum. vinzial der oberdeutschen Provinz der So- 15. Jh. verband sich das Wirken des Buß- geblicher Beteiligung von Gian Pietro [1708] cietas Jesu, dabei, der für Altbayern und predigers und Dominikaners Girolamo Carafa / Paul IV.), die Rechtfertigungsde- Andreas Gößner die dort durchgeführte Festigung des Ka- Savonarola in Florenz mit humanistischen batte auf dem Trienter Konzil und die Ein- tholizismus hohe Bedeutung hatte, weshalb Reform impulsen. Letztere erfuhren auch führung des Index der verbotenen Bücher. ihm der merkwürdige Titel des zweiten durch die Rezeption des Erasmus von Seit den 1540er und 50er Jahren waren die Apostels der Deutschen beigelegt worden Rotterdam in Italien Nahrung. Dies bildete Vertreter des italienischen „Evangelismo“ SLENCZKA, BJÖRN: Das Wormser Schisma ist. Diese Namen machen deutlich, dass das den Nährboden für unterschiedlichste bzw. die „Spirituali“ zunehmend Repressi- der Augsburger Konfessionsverwand- Thema unmittelbar in die Zentren der Ge- „Persönlichkeiten, Zirkel und Gruppie- onen ausgesetzt, wovon auch Morone, ten von 1557. Protestantische Konfessi- schichte von Reformation und Katholi- rungen“ (S. 12), auf deren Genese und Trä- Contarini und Pole sowie der päpstliche onspolitik und Theologie im Zusam- scher Reform auf dem Gebiet des heutigen ger der Vf. eingeht. Dabei finden auch Ge- Protonotar Pietro Carnesecchi (als Häre- menhang des zweiten Wormser Religi- Bayern hineinragt. stalten wie Bernardino Ochino, Juan tiker 1566 hingerichtet) betroffen waren. onsgesprächs (= Beiträge zur histori- Das Wormser Religionsgespräch war Valdés, Pietro Martire Vermigli usw. wie- Die Repressalien führten insgesamt zu schen Theologie 155). Tübingen: Mohr der letzte Versuch, eine Verständigung in derholt Erwähnung, die das weite Spek- „eine[r] Verarmung der italienischen Kul- Siebeck, 2010. 545 S., Ln., geb. – ISBN der Glaubensfrage auf Reichsebene zu er- trum dissentierender Theologie repräsen- tur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun- 978-3-16-150100-5. reichen, aber dieser Versuch ist gescheitert tieren. – In ganz Italien entstanden daneben derts“ (59), was auch nicht aufgefangen und führte zum Schisma unter den Augs- verschiedene Bruderschaften und religiöse wurde durch die Gründung von neuen Or- Mit seiner in Berlin eingereichten Dis- burger Konfessionsverwandten. Es gelingt Laiengemeinschaften (schon vor 1515 das densgemeinschaften und Kongregationen sertation hat Vf. eine hohe Beachtung ver- dem Vf., eine differenzierte Sicht der als „Oratorium der göttlichen Liebe“ in Rom) (Jesuiten und Oratorium Philipp Neris), dienende Leistung vorgelegt – das sei gleich „Gnesiolutheraner“ bezeichneten Gruppe sowie Ordensgemeinschaften (Theatiner, die sich besonders Seelsorge und Erzie- zu Beginn festgehalten. Sein Vorteil ist, dass von Theologen unter den Schülern Luthers Ursulinen, die benediktinische Reform- hungs- bzw. Bildungsaufgaben zuwand- Benno von Bundschuhs Studie von 1988 und Melanchthons vorzustellen, sie nicht kongregation von Santa Giustina in Padua), ten. (vgl. meine Besprechung in ZBKG 58, in so großer Abhängigkeit von Matthias die sich den neuen Idealen verpflichteten. Mit dem Tridentinum wurden die ur- 1989, S. 222–224) das gleiche Thema mate- Flacius Illyricus, dem Hauptkontrahenten Beachtlich ist die Zahl kirchlicher Würden- sprünglich durch den Humanismus beein- rialreich behandelt hat. Dennoch war die des Einigung erstrebenden Melanchthon, träger, die sich unter den Schlagworten flussten und vielfach vom individuellen erneute Bearbeitung sinnvoll und – wie sich darzustellen, wie das oft geschehen ist. Da- „Evangelismo“ und „Spirituali“ subsumie- Frömmigkeitsstreben getragenen religiösen zeigt – lohnend. Slenczka hat ein Thema durch ergibt sich eine differenziertere Sicht ren lassen und Kirchenreformanliegen und Bewegungen Italiens, die sich durchaus mit behandelt, zu dem der Anmarschweg auch dieser einzelnen Gestalten. Damit leistet ein intensiviertes Frömmigkeitsanliegen dem am Beispiel der süddeutschen Han- für Historiker vom Fach nicht gerade kurz Vf. einen wichtigen Beitrag zum Verständ- vertreten haben. Eines der Leitthemen die- delsmetropole und Reichsstadt Augsburg ist. Deshalb gehen auch viele Fachleute an nis der ganzen Epoche und ihrer einzelnen ser Gruppierungen bildete die Rechtferti- als „frühkonfessioneller Pluralismus“ (H. diesem Thema lieber still vorbei. Dem Vf. Repräsentanten. Nur zu oft ist mit Etiket- gungsthematik. – Eine Zäsur für die italie- Zschoch, 1996) bezeichneten Milieu ver- ist es dennoch und gerade so gelungen, ein tierungen der Vertreter dieser Generation nischen Reformrichtungen und ihre Ver- gleichen lassen, massiv eingedämmt. So ist Buch vorzulegen, das äußerste historische deren wahre Leistung letzten Endes unter- treter bedeutete das Regensburger Religi- es für Ganzer „eine Tragik, dass die religiö- Präzision und Feinarbeit an den Quellen belichtet geblieben. Dass für das Scheitern onsgespräch von 1541, die Positionen zur sen Aufbrüche im Italien der ersten Hälfte mit einer angenehm lesbaren sprachlichen der Einigung die Frage der Stellungnahme Rechtfertigungslehre der hier in vorderster des 16. Jahrhunderts […] auf lange Sicht Gestalt verbindet. Archivalien und Quellen zum Osiandrismus und die Haltung der Linie teilnehmenden Kardinäle Giovanni nicht zum Tragen kamen“ (S. 81). Und der wie ältere und neuere Sekundärliteratur württembergischen Theologen maßgeblich Morone und Gasparo Contarini stießen im Vf. kontrastiert die „schöpferische Aufge- sind bestens aufgenommen und verarbeitet. verantwortlich sind, kommt überzeugend Kardinalskollegium in Rom auf Skepsis. schlossenheit“ der vortridentinischen Zeit Es ist im Rahmen einer Buchbesprechung zum Ausdruck. Melanchthons klare Ab- Beide – wie auch der Kardinal Reginald mit der „Festungsmentalität“ der nachtri- nicht möglich, alle Facetten dieses Werkes weisung der Lehren Zwinglis ist hier zu Pole – waren Schlüsselfiguren in sich bil- dentinischen Epoche (S. 81). Der bezeich- auszuleuchten. Deshalb sollen hier nur ei- verorten, obwohl er als Sprecher der Wit- denden Reformkreisen und -gruppierun- nete Vorgang deckt sich mit dem allgemei- nige Aspekte angedeutet werden. tenberger wenig später einer ihm oft ange- 524 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 525 kreideten Verständigung mit Calvin näher corea-Studien zur Geschichte der Re- chenumbruch für den kirchengeschichtli- Thomasius. Umstrittene Religions- und kam. Vf. arbeitet klar heraus, was ein Schis- formation und der Lutherischen Ortho- chen Übergang zur Neuzeit zu markieren Gewissensfreiheit“ (S. 223–247) wird die- ma eigentlich bedeutet. Auf diesem Hinter- doxie, Bd. 12). Leipzig: Evangelische versteht. Dabei werden die Überschnei- ser Epochenumbruch zwischen Orthodo- grund wird freilich erst recht verständlich, Verlagsanstalt, 2009. 436 S., geb. – ISBN dungspotentiale von Pietismus und Früh- xie und Frühaufklärung im Verständnis was die Überwindung dieses Schismas in 978-3-374-02725-5. aufklärung in ihrer gemeinsamen Front- von Theologie und Kirche besonders mar- den Verhandlungen auf dem Weg zur Kon- stellung zur Orthodoxie besonders auch kant, wenn er zu Christian Thomasius fest- kordienformel (1577) eigentlich geleistet Aus einer kleinen Tagung im Frühjahr dort deutlich, wo es um die Frage geht, wer stellt: Es ist „der konsequente Versuch des hat. 2007 in Großbothen, südöstlich von Leip- im Falle theologischer Kontroversen ei- Frühaufklärers, nicht nur das Recht und Der Band ist in der angesehenen Reihe zig gelegen, ist ein stattlicher, inhaltsreicher gentlich zu entscheiden habe. Carpzov die Rechtswissenschaft aus dem Begrün- „Beiträge zur historischen Theologie“ er- Aufsatzband geworden, der für die Theo- wandte sich strikt gegen die Meinung Spe- dungszusammenhang einer christlichen schienen und trägt daher auch alle Vorzüge logie und Frömmigkeitsgeschichte der ners, der im Streitfall auch die Obrigkeit Offenbarungsreligion und damit von der einer komfortablen Ausstattung. Differen- Frühen Neuzeit wichtige neue Akzente eingeschaltet sehen wollte. Carpzov vertrat Theologie zu befreien, sondern zuletzt ... zierte Register sind wirkliche Hilfen, und Perspektiven setzt. Das Tagungsthema dagegen „das theologisch begründete der Theologie überhaupt jede wissenschaft- schnell an gesuchte Informationen zu ge- lautete: „Johann Benedikt Carpzov (1639– Selbstbild eines orthodoxen Predigers als liche und der Kirche jede eigenständige ge- langen. Auffallend wenige Druckfehler un- 1699). Spätorthodoxe Universitätstheolo- eines allein der göttlichen Wahrheit ver- sellschaftspolitische Legitimität abzuspre- terstreichen die Qualität der vorliegenden gie, Gelehrten- und Predigtkultur an der pflichteten Wächters über die offenbarten chen – mit der historisch fatalen Folge, Leistung. Man spürt in diesem Buch, was Wende zur Neuzeit.“ Der früh verstorbene Heilslehren ...“ (S. 45). Christian Thomasi- dass Theologie und Kirche ihre politische der Vf. im Vorwort (S. VII) sagt: „Schismen Leipziger Kirchenhistoriker Günther War- us hat später die Destruktion des orthodo- Verantwortung über eine lange Zeit in der sind selten Ruhmesblätter in der Geschich- tenberg hatte wesentlichen Anteil an der xen Kirchenbegriffs weiter ausgebaut. Mit Regel nur herrschaftsaffirmativ, nicht aber te der Kirche. Die Beschäftigung mit dem Zusammenkunft dieses Forscherkreises seinem neuen Kirchenrechtsverständnis, selbständig-kritisch wahrnehmen konn- Wormser Schisma der Augsburger Konfes- und der Veröffentlichung ihrer Beiträge. des sog. rationalen Territorialismus, unter- ten“ (S. 223). „Es hat bis ins 20. Jh. gedau- sionsverwandten von 1557 habe ich jedoch Für die komplexe Übergangszeit von Or- minierte er das theologische Selbstver- ert, dass die Evangelischen Kirchen in als sehr lohnend erlebt – nicht nur wegen thodoxie, Pietismus und Frühaufklärung ständnis der lutherischen Orthodoxie an Deutschland wieder ihr eigenes Kirchesein des Erkenntnisgewinns im Blick auf die nimmt die Gestalt des Leipziger Pfarrers an neuralgischer Stelle. „Denn gerade das in und die Notwendigkeit eines eigenen kirch- theologie- und kirchengeschichtlichen Ent- St. Thomas und Theologieprofessors Jo- der Predigt öffentlich geübte und gegebe- lichen Rechts entdeckt haben und der Staat wicklungen nach dem Augsburger Religi- hann Benedikt Carpzov (II.) und seine nenfalls auch obrigkeits- und sozialkriti- sein Verhältnis zur Kirche in einer freiheit- onsfrieden, sondern auch wegen der Ernst- Stellung in der Geschichte der Leipziger sche Wächteramt, wie Carpzov es ... vertei- lichen Form organisiert hat.“ (S. 247) haftigkeit, mit der von allen Seiten in pietistischen Bewegung eine Schlüsselrolle digte, prägte sein Selbstverständnis als lu- Die Reihe der gewichtigen Aufsätze sei- Worms die Auseinandersetzungen um die ein, die für ihn selbst wie für seine Gegner, therisch-‚orthodoxer’ Prediger auf grund- en nur noch jeweils mit ihren Titeln ge- Wahrheit des Glaubens geführt worden vor allem Philipp Jakob Spener und Chris- legende Weise. Mittelfristig führten die mit nannt, die allesamt neue und weiterführen- sind. Möge sich davon auch den Leserin- tian Thomasius, in diesen Aufsätzen zu der Etablierung des aufgeklärten Absolu- de Forschungen präsentieren. Günther nen und Lesern dieses Buches etwas ver- neuen Erkenntnissen und weiterführenden tismus engstens in Zusammenhang stehen- Wartenberg hat die Carpzovs als mittel- mitteln.“ – Als Rezensent habe ich in die- Horizonten geführt hat. den Entwicklungen dazu, dass das theolo- deutsche Gelehrtenfamilie der Frühen sem Buch viel gelernt und empfehle diese Mit der Trias von eruditio, confessio gische Straf- und Wächteramt nicht nur Neuzeit knapp gezeichnet (S. 63–72); sein Lektüre sehr. Der Preis von 109 Euro trägt und pietas wird an die in der älteren Pietis- sukzessive eingeschränkt, sondern letztlich Vortrag wurde nach seinem Tod von seiner wahrscheinlich mit dazu bei, dass das Buch mus- und predigtgeschichtlichen For- vollends ausgeschaltet wurde. In der Folge Tochter zur Druckfassung gebracht. Von nur von einem erlesenen Benutzerkreis re- schung übliche Verfallsperspektive über bewegten sich dann sowohl der deutsche Wartenberg ging auch die Anregung aus, zipiert werden kann. [1709] die Spätorthodoxie als toter Gelehrsamkeit lutherische Pietismus als auch die deutsche die Tagungsbeiträge auf das 600jährige Rudolf Keller angeknüpft und zu einer neuen Sicht auf protestantische Aufklärung ganz überwie- Jubiläum der Universität Leipzig 2009 zu- die Orthodoxie und vor allem ihrem Fröm- gend in ‚staatsfrommen’ Bahnen.“ (S. 44f) zuspitzen, so dass mit Detlef Döring ein migkeitsverständnis fruchtbar zu machen Auch zur Predigtkultur und zur Bedeu- kompetenter Beitrag über die Stellung der versucht. Der Mitherausgeber Andres tung der Memoria in der lutherischen Or- Universität Leipzig innerhalb der wissen- MICHEL, STEFAN / STRASSBERGER, ANDRES Straßberger leitet den Band mit einer ge- thodoxie und ihrer Kritik in Pietismus und schaftsgeschichtlichen Entwicklungen der (Hg.): Eruditio – Confessio – Pietas. lehrten Studie über Aspekte im Leben und Aufklärung hat Straßberger gewichtige 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts vorliegt Kontinuität und Wandel in der lutheri- Werk Johann Benedikt Carpzovs ein (S. Forschungen vorgelegt (S. 261–314), die zu (S. 73–91) und Andreas Gößner die Theo- schen Konfessionskultur am Ende des 19–60), in der er unter dem Dreischritt der weiteren Erkundungen ermuntern. logische Fakultät Leipzig zur Zeit Carp- 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann eruditio, confessio und pietas die Leipziger In dem Beitrag von Markus Matthias zovs (1684–1699) dargestellt hat (S. 93–106). Benedikt Carpzovs (1639–1699) (= Leu- Vorgänge im ausgehenden 17. Jh. als Epo- „Johann Benedikt Carpzov und Christian Dietrich Blaufuß berichtet kenntnisreich 526 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 527

über den Briefwechsel zwischen Johann der Orthodoxie, ihre Text- und Hörerori- siologie, Gotteslehre – häufig verbunden, so ist Sonnenklar, daß hierzu Toleranz und Benedikt Carpzov und Gottlieb Spizel in entierung, herausstellen. Freilich ist es eine verglichen, konfrontiert mit Antworten Freyheit unentbehrlich ist. Aber eben so Augsburg (S. 107–124). Schon 1975 hatte er pietas, die nicht vorwiegend auf die subjek- der Reformation oder des nachreformato- nöthig ist sie dem Schriften=Richter. Ohne die Forschungen von Hans Leube aus der tive Erbauung des Einzelnen wie in Pietis- rischen Luthertums. Kirchenväterverständ- die Toleranz, oder die Freyheit der Presse, ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, des mus und Aufklärung zielt, sondern in der nis ebenso wie das Gegenüber von Sozinia- hat entweder derselbe die nöthigen Eigen- Bahnbrechers der Orthodoxieforschung Erbauung der Gemeinde Gottes, der Kir- nismus und orthodoxem Luthertum wer- schaften eines solchen Richters nicht; oder im 20. Jahrhundert, herausgegeben und che zum Ruhme Gottes, ihr Schwergewicht den behandelt. (Zu dem Sozinianismus- wann er sie hat, so kan er sie nicht ausüben. seitdem mit eigenen Beiträgen und Editio- hat. Joachim Jakob stellt Carpzovs „Au- Beitrag ist festzuhalten, dass die hier S. 129 […] Auch sey es ferne, daß ich eine ver- nen nicht nur die Pietismusforschung, son- ßerlesene Tugendsprüche“ von 1685 vor (S. genannte, S. 131 als Werk von „insgesamt nünftige Censur der Schriften für verwerf- dern auch die Orthodoxieforschung we- 315–328) und Katrin Löffler gibt von ger- 505 Seiten“ genannte und besprochene, der lich halte.“ Dieses Zitat stammt aus Johann sentlich gefördert. Über die hebraistischen manistischer Seite einen fundierten Ein- Universität Oslo im Jahr 1992 als Maschi- Jakob Breitingers 1748 entstandener Vorre- Studien in Leipzig am Ende des 17. Jahr- blick in das riesige Corpus der Leichenpre- nenschrift eingereichte, 1993 approbierte de zu den von ihm herausgegebenen Frey- hunderts und Carpzov als Alttestamentler digten Carpzovs im Vergleich mit denen Dissertation wohl 1993 in Kristiansand ge- müthigen Nachrichten Von Neuen Bü- und seine Auseinandersetzung mit Richard von Valerius Herberger (S. 329–361). Mit druckt ist [XII + 533 S.] – Exemplar in Kö- chern, einer Schweizer Rezensionszeit- Simon berichten Stefan Michel (S. 125–148) Michael Beyers interessanten Beobachtun- nigl. und Univ.-Bibl. Kopenhagen, Sign. schrift, die von 1744 bis 1763 in Zürich er- und Sascha Müller (S. 149–160). Ernst Koch gen an den Leichenpredigten Carpzovs (S. US4-B4137). Zur Schriftauslegung und schien. Breitingers Plädoyer für Toleranz widmet sich der epochal bedeutsamen Geg- 363–382), dem ein sehr verdienstliches Ver- Wort Gottes-Theologie (Johann Gerhard) und Pressefreiheit enthält eine Fülle von nerschaft zwischen Johann Benedikt Carp- zeichnis seiner in 7 Bänden vorliegenden – dies etwa in Auseinandersetzung mit Aussagen, die für die Aufklärungsfor- zov und Philipp Jakob Spener auf gründ- Leichenpredigten (S. 383–404) sowie einem Hermann Rahtmann – kommen promi- schung und das Konstrukt des einschlägi- licher Quellengrundlage (S. 161–182) und dazugehörigen Namensregister angefügt nente Vertreter der lutherischen Orthodo- gen Epochenbilds topische Valenz besitzen. kommt zu dem Ergebnis, dass die beiden ist (S. 404–408), schließt dieser gehaltvolle xie zu Wort (Balthasar Meisner). Drei Vor- Zeitschriften und Zeitungen, die sich seit Theologen „an einem Wendepunkt agier- Aufsatzband, der für die theologische züge des Sammelbandes sind festzuhalten: der Wende zum 18. Jh. generell wachsender ten, der weit mehr bedeutete, als sich an der Frühneuzeitforschung, insbesondere Or- Die Beiträge sind gut belegt. Stilistisch sind Beliebtheit erfreuten, standen auch in pro- Oberfläche theologischer Positionen und thodoxieforschung, neue Forschungser- die Texte ebenfalls gut nachvollziehbar. testantischen Ländern oft im Visier der Argumente zeigte. Er betraf das Gesamtge- gebnisse und weiterführende Perspektiven Und schließlich beachtet Hägglund bei Zensur, deren grundsätzliche Berechtigung füge der Theologie und ist in seiner Tiefe in bereithält. [1710] sorgsamer Sicht auf Details auch in der ge- selbst von den Anhängern einer Pressefrei- der einfachen Alternative Pietismus versus Wolfgang Sommer gebenfalls zu korrigierenden Literatur (S. heit nicht in Frage gestellt wurde. Sie war Orthodoxie nicht zu begreifen“ (S. 182). 105f) immer auf die durchgehenden, über- aber, wie der obige Textauszug zeigt, der Susanne Schuster stellt die Kontroverse greifenden Perspektiven. [1711] Autorität der Vernunft unterzuordnen, wie zwischen Carpzov und August Hermann Dietrich Blaufuß immer man diese verstand. Bernward Francke im Zusammenhang der Leipziger HÄGGLUND, BENGT: Chemnitz – Gerhard Schmidt wendet sich in seiner unter dem Unruhen dar (S. 183–202) und edierte am – Arndt – Rudbeckius. Aufsätze zum Patronat Hubert Wolfs verfassten Disserta- Schluss des Bandes auch das bedeutsame Studium der altlutherischen Theologie. tion den im Umfeld der römischen Kurie Pfingstprogramm 1691 von Carpzov (S. Hg. von Alexander Bitzel und Johann SCHMIDT, BERNWARD: Virtuelle Büchersäle. entstandenen oder in deren Rezipienten- 411–430). Albrecht Beutel lenkt den Blick Anselm Steiger (= Texte und Studien Lektüre und Zensur gelehrter Zeit- kreis verbreiteten Zeitschriften zu, eine äu- auf die Konturen der orthodoxen Predigt- zum Protestantismus der 16. bis 18. Jh. schriften an der römischen Kurie 1665– ßerst verdienstvolle Themenwahl, die den lehre (S. 251–260), indem er das klassische 1). Waltrop: Spenner, 2003. II + 266 S., 1765. Paderborn – München – Wien – Horizont der Aufklärungsforschung auf Lehrbuch der lutherisch-orthodoxen Ho- br. – ISBN 978-3-933688-93-4. Zürich: Ferdinand Schöningh, 2009. 459 das katholische Italien ausweitet und der miletik, das „Hodegeticum“ von 1652 von S., geb. – ISBN 978-3-506-76864-3. Einlösung eines wissenschaftlichen Desi- Carpzov senior, das sein Sohn 1675 erneut Zu einer vernachlässigten Epoche der derats gleichkommt. Selbst der mehrfach herausgab, einer genauen Analyse unter- lutherischen Theologiegeschichte bieten „Bey Untersuchungen muß Freyheit (z.B. S. 134, Anm. 389) hervorgehobene zieht. Damit kann er die immer wieder un- die von 1971/72 bis 2001 erstmals erschie- herrschen; der forschende Geist muß durch Mangel an Vorarbeiten zur Geschichte der besehen wiederholten Vorurteile über die nenen Beiträge Bengt Hägglunds nach wie keine vor Augen liegende Ruthe forchtsam kurialen Theologie hielt den Vf. nicht ab, Predigt in der lutherischen Orthodoxie vor lehrreiche Einsichten. Martin Chem- gemachet werden. […] Der vernünftigste den bis jetzt auch infolge erschwerten (logisch-abstrakter Charakter und begriffs- nitz, Johann Gerhard, Flacius Illyricus, Zweck der Scribenten kan nur die Vermeh- Quellenzugangs vernachlässigten Gegen- spaltende, schulmeisterliche Methoden- dann auch Johann Arndt sind themenge- rung von Erkänntniß und Tugend seyn. Da stand zu behandeln. vielfalt) deutlich zurückweisen und die pi- bend, aber auch theologische Fragen im ein jeder nach seiner eigenen Einsicht da- Schmidts Buch besteht aus einer Einlei- etas als oberstes Ziel aller Predigtarbeit in Längsschnitt wie Pneumatologie, Ekkle- von reden muß, wann er diesen Zweck hat, tung, aus einem ersten, Gelehrte Zeitschrif- 528 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 529 ten und ihre römischen Leser betitelten nunfttraktat schon vor seinem Erscheinen Schmidt Leser gelehrter Zeitschriften, vor Gallikanismus, des Jansenismus und des Hauptkapitel (S. 35–207) und aus einem in der englischen Originalsprache in fran- allem Mitarbeiter römischer Gelehrter, Bi- Episkopalismus, die Verteidigung der zweiten Teil über Gelehrte Zeitschriften zösischer Übersetzung erschienen war. bliothekare und Bibliotheksbesitzer, aus- päpstlichen Superiorität sowie kurialer und römische Zensur 1665–1765 (S. 211– Verdienstvoll sind die Unterscheidung von findig und kann den Zensoren einen Platz Machtansprüche, ferner die Bekämpfung 357), ferner einer Zusammenfassung mit statischem und dynamischem Wissen so- in der Gelehrtenrepublik zuweisen (S. der protestantischen Rechtfertigungslehre. Ausblick (Gelehrtes Rom – Gelehrte Leser wie die Hervorhebung der Beziehung von 199f). Rom war die wichtigste Residenz- Die von den römischen Autoritäten ausge- – Gelehrte Zeitschriften; S. 359–370) und Historie und Kontroverstheologie (S. 143), stadt des katholischen „pio letterato“, den hende Kirchengeschichte war, nicht anders einem Anhang mit Texten und Dokumen- die für die Geschichte frühneuzeitlicher die Treue zur römischen Kirche auszeich- als die ihrer inner- und interkonfessionel- ten (S. 373–391). Neben den üblichen Ver- Historiographie äußerst nützlich ist und nete: „Dabei ist die pietas durchaus in ei- len Gegner, die Magd der Kontroverstheo- zeichnissen (Abkürzungen, Literatur) be- bislang allzu selten festgestellt wurde (S. nem doppelten Wortsinn zu verstehen: Als logie (S. 327), wie das antigallikanische finden sich unter den „Indices“ eine tabel- 139). Zwar stehen in Schmidts Monogra- katholische Gläubigkeit ebenso wie als Lo- Werk Giuseppe Agostino Orsis und mehr larische Übersicht zur römischen Zensur phie die Bibliotheken der oft mit Zensur- yalität gegenüber dem Papsttum und dem noch Domenico Berninis Istoria di tutte gelehrter Zeitschriften (S. 396–405), des maßnahmen beschäftigten Kardinäle (S. Sozialsystem der Kurie.“ (S. 202) Selbst der l’Eresie (1705) bezeugen, die dem Ge- Weiteren ein Verzeichnis historischer Per- 151 und 445; Girolamo Casanate!) im Mit- römische Index zählte, wie angedeutet, schichtsbild der kurialen Zensoren nahe sonen (S. 441–459), das auf die von Hubert telpunkt, beiläufig erscheinen aber auch die zum Grundinventar der Litterärgeschichte komme (S. 325). Wolf herausgegebene Prosopographie des Ordensbibliotheken als wichtige Um- (S. 204). Schmidt benennt vier Aussagenfelder, DFG-Projekts Römische Inquisition und schlagplätze romtreuer Gelehrsamkeit (z.B. Im zweiten Teil der Monographie be- die von der Zensur gelehrter Zeitschriften Indexkongregation sowie auf die zu erwar- S. 163, Anm. 82). Tatsächlich spielten Buch- schäftigt sich Schmidt mit der römischen hauptsächlich betroffen waren: die Anfänge tende, das 16. und das 17. Jh. umfassende produktion und Bibliotheken der zentra- Zensur und ihrer Geschichte, mit auf den der Kirche in den ersten vier Jh. (1), Häresi- Fortsetzung verweist. listisch organisierten Kapuziner, wohl auch Index gesetzten Enzyklopädien (Johann en des Hoch- und Spätmittelalters (2), die Das Eingangsmotto, das den Mélanges die Jesuiten südlich und nördlich der Alpen Heinrich Altsted) und den ins Schussfeld Reformation und die Angriffe auf das d’histoire et de littérature (Paris 1700) von bei der Distribution kurialer Wissensbe- der Kritik geratenen Zeitschriften, z.B. den Papsttum (3) sowie die mit der Ursprungs- Noël d’Argonne [Vigneul-Marville] ent- stände eine wichtige Rolle, die zu erfor- Leipziger Acta eruditorum. Nach einem treue gegebene Kontinuität der römischen nommen ist, leitet die Studie Schmidts mit schen freilich nicht zum Arbeitsprogramm langwierigen Verfahren, in das lokale und Amtskirche (4). Doch kann von einer Ab- einer enthusiastischen Selbstbeschreibung Bernward Schmidts gehörte. Am Rand sei- kuriale Zensurinstanzen verwickelt waren, schottung Roms von der damals zeitgenös- der Gelehrtenrepublik ein, deren Idealbild en etwa die Bücherschenkungen von Do- wurde das renommierte deutsche Periodi- sischen Gelehrsamkeit nicht die Rede sein: durch die Zensur getrübt wird, die aber menico Passionei (1682–1761) an die Lu- kum, über welches die mit der Zensur be- Man zeigte keinerlei Hemmung, protestan- zweifellos zum Betrieb frühneuzeitlicher zerner Kapuziner erwähnt, als dieser in der fassten Kardinäle durchaus unterschiedli- tische Literatur zu lesen; Zensoren arbeite- Gelehrsamkeit gehört. Im Vorwort um- Zentralschweiz das Amt des apostolischen cher Meinung waren, in das Verzeichnis ten an gelehrten Zeitschriften mit, ersparten schreibt Schmidt den Gegenstand, beklagt Nuntius innehatte. verbotener Bücher aufgenommen, wo es sich aber differenzierte Auseinandersetzun- zu Recht die bisherige Vernachlässigung Zu Recht beschränkt sich Schmidt, auch bis zum Jahr 1948 verblieb. Indexsekretär gen mit der bei ihnen verfemten Literatur; der lateinsprachigen Zeitschriften durch im Blick auf Rom, auf einzelne einigerma- Tommaso Agostino Ricchini, der sich um die Jurisprudenz und, wie angedeutet, die die Forschung, mahnt Zurückhaltung im ßen überblickbare Themenbezirke, deren den Index von 1758 verdient machte, wa- Naturwissenschaften waren von der Zensur Gebrauch des Begriffs ,Frühaufklärung‘ Behandlung aber dennoch ein recht umfas- ren die Zeitschriften grundsätzlich ver- ohnehin nicht betroffen. Die römischen an, tritt der häufigen Fixierung auf den sendes Bild der Tätigkeit kurialer Gelehrter dächtig, weshalb er diese Literaturgattung Theologen „waren in nicht wenigen Fällen deutschen Sprachraum entgegen und ord- ergibt. Da manche Zeitschriften Werke von generell verbieten wollte. gleichermaßen in der Theologie wie auch in net die Zeitschriften sowie den Index ver- Jansenisten und Protestanten bekannt Von zentraler verfahrenstechnischer der Gelehrtenrepublik zuhause, man könn- botener Bücher der in letzter Zeit wieder- machten, waren sie sowohl Zielscheiben Bedeutung waren die Zensurgutachten, in te durchaus von einer ,doppelten Staatsbür- holt behandelten ,Historia literaria‘ zu (S. der Bücherzensur als auch den Zensoren denen Verbotsanträge auf unterschiedliche gerschaft‘ sprechen.“ (S. 368). Schmidt wirft 67 und 369), der schon die Hg. der Periodi- willkommene Informationsquellen. Päpste Weise begründet wurden. Sie bezogen sich daher die Frage auf, „wie sich die grund- ka in ihren Vorreden die gelehrten Journale (Clemens XI. und Benedikt XIV.) förder- vor allem auf kontroverstheologisches sätzlich offene und umfassende Wissens- gerne zurechneten. Die Materialfülle zwang ten Akademien. Gelehrte Italiener wie An- Schrifttum, theologische Polemik im All- kultur der Respublica literaria zu derjeni- Schmidt zur Auswahl: Behandelt werden tonio Magliabechi (1633–1714), der auch gemeinen sowie auf die Bibelexegese und gen der (katholischen) Theologie verhielt, der Journal des Sçavans, der Giornale de’ ein Briefpartner des Augsburger Polyhis- schenkten, anders als vielleicht erwartet, die zumindest in ihrer scholastischen Form Letterati, die Leipziger Acta eruditorum, tors Gottlieb Spizel war, unterhielten Kon- dem frühaufklärerischen Rationalismus keine derartige Offenheit zeigen konnte.“ Pierre Bayles Nouvelles de la République takte zu protestantischen Gelehrten und und den Naturwissenschaften auffallend (ebd.). Er unterstreicht den beklagten Man- des Lettres sowie die Bibliothèque univer- versorgten interessierte Landsleute mit In- wenig Beachtung. Im Mittelpunkt zensori- gel theologiegeschichtlicher Vorarbeiten, selle et historique, in der John Lockes Ver- formationen aller Art. In Rom macht scher Aktivität standen die Abwehr des der eine Verortung der kurialen Theologie 530 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 531 erschwert oder gar verunmöglicht. Geht ten und vor allem von Ricchinis Liste der Sorgfältig und mit viel Aufwand wird gebe (vgl. epd-Meldung im Sonntagsblatt. man vom Idealbild der Gelehrtenrepublik zu expurgierenden Bücher, lehrreich gegenwärtig das 500-jährige Reformations- Evangelische Wochenzeitung für Bayern, als dem Resultat einer apologetischen schließlich ein Quellenanhang, der Ein- jubiläum 2017 vorbereitet. Die Evangeli- Jg. 67 [2011], Nr. 34, S. 9). Selbstdarstellung aus – trotz des unterstell- blick gewährt in die Gutachtertätigkeit von sche Kirche in Deutschland (EKD) hat Auf evangelischer Seite werden die Be- ten freien Wissensaustauschs gab es nämlich Zensoren (u. a. des Kapuziners Ludwig 2008 eine „Lutherdekade“ ausgerufen und denken durchaus von namhaften Theolo- Kanonisierungstendenzen –, stellt man fer- Neustadt [recte Ludwig von Neustadt]). will in dem Jahrzehnt bis zum großen Jubi- gen geteilt. Im Vorfeld des Besuches von ner die vielleicht unvermutet größere, lite- Dem hohen historiographischen Niveau läum das Anliegen der Reformation und Papst Benedikt XVI. in Deutschland im rarische Duldsamkeit der römischen Theo- von Schmidts Dissertation entspricht die insbesondere Martin Luthers in der Öf- Herbst 2011 erschien eine Sammlung von logen in Rechnung und zählt die Theologie geringe Zahl von Transkriptions- und fentlichkeit wieder deutlicher zu Bewusst- Statements, in denen sich führende evange- zu den übrigen Wissensfeldern, verringert Druckfehlern sowie anderer Ungereimt- sein bringen. So gibt es neun Themenjahre, lische Christen wie Ulrich Wilckens oder sich der Unterschied zwischen weltlicher heiten: Dissertationen entstanden in der die mit den Gedenkjahren zu den herausra- Hans G. Ulrich zu Wort melden, um kon- Wissenschaft bzw. Gelehrtenrepublik auf Frühen Neuzeit nicht, wie (S. 69) ange- genden reformatorischen Persönlichkeiten fessionelle Gräben zu schließen und mitei- der einen und der Gottesgelehrsamkeit auf nommen, nach der Disputation, sondern Johannes Calvin zu seinem 500. Geburts- nander den christlichen Glauben zu beken- der anderen Seite. So würde noch besser fast ausnahmslos als Einladungsschriften tag (2009) und Philipp Melanchthon zu sei- nen (vgl. Dominik Klenk [Hg.], Günther verständlich, warum man „den römischen zur disputatio, also vor deren Abhaltung. nem 450. Todestag (2010) eingesetzt haben. Beckstein, Ulrich Parzany u.a.: Lieber Bru- Gelehrten nur gerecht (wird), wenn man Der Informationsgehalt und die Menge der Inzwischen wird aber ganz grundsätzlich der in Rom! Ein evangelischer Brief an den ihre konfes sionelle Prägung ebenso ernst Zeitschriften wurde lange vor der zweiten der Sinn einer Jubiläumsfeier des Reforma- Papst, Knaur Taschenbuch Verlag, Mün- nimmt wie ihre Zugehörigkeit zur Gelehr- Hälfte des 18. Jh. grundsätzlich in Zweifel tionsgedenkens 2017 angemahnt. Norbert chen 2011). Prominente Vertreter der re- tenrepublik“ (S. 364). Ähnliches gilt in der gezogen (vgl. die anderslautende Aussage Lammert, seit Oktober 2005 Präsident des formatorischen Bekenntnisse schreiben an Frühen Neuzeit übrigens für die konfessio- S. 223), Gottfried Arnold stand dem Pietis- Deutschen Bundestages, bemängelt aus ka- den Papst und trauen ihm zu, dass er kraft nellen Gegner. Dass in den Klöstern und mus nicht nur nahe (S. 442), sondern ging tholischer Perspektive ganz offen die Aus- seines Amtes evangeliumsbezogene The- Ordensschulen gelehrten Konventualen der als Vf. der Unparteyischen Kirchen- und richtung von Feierlichkeiten aus histori- men als gemeinsames Anliegen von evan- Zugang zum säkularen Wissen und zu des- Ketzerhistorie und radikaler Pietist in die schem Anlass einer tiefen Konfessionsspal- gelischer und katholischer Kirche im Land sen Repräsentanten verschlossen sein konn- Geschichte ein, und Christoph August tung Europas in einer Zeit, die gerade um- der Reformation und damit in der deut- te (aber nicht musste), spricht selbst in ih- Heumann war Professor der Litterärge- gekehrt auf Verständigung und Miteinan- schen Öffentlichkeit zu befördern hilft. rem Fall nicht gegen eine Teilhabe an der schichte an der philosophischen, nicht an der setzt. Das Jubiläum sei der ökumeni- Geistliche Ökumene, ethische Klarheit, (oft nur in privilegierten Sektoren aufge- der theologischen Fakultät der Universität schen Arbeit diametral entgegengerichtet politische Verantwortung der Christen, nommenen) Wissensproduktion. Die von Göttingen (S. 449). und sollte in seiner Konzeption dringend Vernunft des Glaubens, christliches Men- Schmidt zur Diskussion gestellte „doppelte Bernward Schmidt bereichert die bis- überdacht werden. Zu Hilfe kommt ihm schenbild, Kampf gegen die Armut, Auf- Staatsbürgerschaft“ römischer Gelehrter lang protestantismuslastige Geschichte der dabei der Regensburger Bischof Gerhard trag zur Mission, Christuszentrierung des geht, so gesehen, fließend in den Begriff ei- frühneuzeitlichen Historia literaria durch Ludwig Müller, Vorsitzender der Ökume- Christentums sind dabei die Gebiete der ner graduell verschiedenen Partizipation eine katholische Gelehrte und Länder ein- nekommission der Deutschen Bischofs- gemeinsamen Schnittmengen. Auch die über. Die Partizipationsform der von der beziehende Arbeit, und dies in einer ver- konferenz. In einem Gespräch mit dem Forderung, Luthers Bann zu lösen, wird römischen Kirche und ihren Tochterinstitu- ständlichen Sprache, die dennoch der Dif- Evangelischen Pressedienst (epd) vertrat er dabei nicht vergessen. tionen kontrollierten Wissensfelder im ge- ferenziertheit der dargestellten Sachverhal- die Meinung, dass die konfessionelle und Freilich lässt sich der entstandene Wi- lehrten Gesamtgeschehen im Einzelnen zu te gerecht wird. [1712] liturgische Spaltung der Kirche als wider- derstreit um das Reformationsjubiläum beschreiben ist eine Aufgabe der Zukunft. Hanspeter Marti natürlich erkannt werden müsse. Es bringe 2017 an dieser Stelle nicht klären, aber er Schmidts Monographie gibt den Blick frei nichts, wenn 2017 der Protestantismus als zeigt zumindest so viel, dass Reformations- auf dieses Neuland, was u.a. in der auch für vorweggenommene Moderne gegenüber jubiläen immer schon das Verhältnis der künftige Untersuchungen wünschenswer- dem Katholizismus dargestellt werde. Auf Konfessionen stark beeinflusst haben und ten geographischen Reichweite zum Aus- dem Weg zu einer größeren evangelisch- dass der zeitpolitische Hintergrund einer druck kommt (vgl. S. 304 Anm. 63). CORDES, HARM: Hilaria evangelica acade- katholischen Gemeinschaft gehe es nicht Jubiläumsfeier im Selbstverständnis der ei- Verdienstvoll ist die Veröffentlichung mica. Das Reformationsjubiläum von um „Rückkehr-Ökumene“ gegenüber den genen Konfession eine wesentliche Rolle diverser Quellentexte zur Aufhebung des 1717 an den deutschen lutherischen Protestanten oder um ein „Nachholen der gespielt hat. Die Reformationsjubiläen Journal des Sçavants (1665), darunter von Universitäten (= Forschungen zur Kir- Reformation“ auf katholischer Seite. Es dienten der Vergewisserung protestanti- Auszügen aus der Histoire critique des chen- und Dogmengeschichte 90). Göt- gehe um wechselseitige Integration, damit scher Überzeugungen, beschrieben den journaux von Denis François Camusat, zur tingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006. es am Ende nicht Verlierer und Gewinner, Zustand reformatorischer Lehre und Indizierung weiterer gelehrter Zeitschrif- 361 S., geb. – ISBN 978-3-525-55198-1. sondern vertiefte Einsicht auf beiden Seiten Kirchlichkeit, profilierten das jeweils vor- 532 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 533 herrschende Lutherbild ihrer Zeit und ga- vergleichender Quellenarbeit kritisch be- siv die Beziehungen der Stadtgeistlichkeit von der Sichtweise der lutherischen Ortho- ben richtungsweisende Impulse für mögli- leuchtet. So kann festgestellt werden, in zur akademischen Lehrerschaft gepflegt doxie bestimmt. Zwar bleibt die heilsge- che Neuorientierungen. Insofern ist es not- welche Richtung die Reformationsdeutung wurden und umgekehrt wie stark die Aka- schichtliche Dimension der Reformations- wendig und eine Aufgabe des theologischen und die Luther-Deutung bei der zweiten demiker durch Predigtdienste ins Gemein- ereignisse im Verständnis der Historiogra- Nachdenkens, genauestens darüber Re- Säkularfeier im deutschen Luthertum ten- deleben integriert waren. phie weitgehend bestehen, doch mischen chenschaft abzulegen, welche Intentionen dierten. Der erste, historische Teil der Ar- In den akademischen Jubiläumsschrif- sich jetzt schon Anzeichen einer immanen- mit derartigen Jubiläumsfeiern verbunden beit widmet sich darum den privaten und ten herrschen historiographische Aspekte ten Deutung der Geschichte in die Betrach- sein und erreicht werden sollen. offiziellen Initiativen, die für die Planung der Reformation, die Deutung der Person tungsweisen ein. Als der alles beherrschen- Die historischen Recherchen von Harm und Durchführung des Reformationsjubi- Martin Luthers und die Darstellung der de Protagonist wird verstan- Cordes zum Reformationsjubiläum 1717 läums von 1717 im lutherischen Deutsch- Errungenschaften der Reformation vor. den, so dass selbst so enge Mitarbeiter wie bekommen hier einen interessanten aktuel- land maßgeblich waren, während der zwei- Dabei wird bisweilen ein differenziertes Philipp Melanchthon übergangen oder nur len Gegenwartsbezug und können helfen, te Hauptteil den theologischen Aspekten Bild von Entstehung und Verlauf der Re- eingeschränkt als Reformatoren gewürdigt wegbegleitende theologische Profile einer nachgeht, die in den Jubiläumsschriften an- formation entwickelt, das bereits deutlich werden. Die theologischen Differenzierun- angemessenen Jubiläumskultur reformato- gesprochen wurden. über die herkömmliche Darstellung der lu- gen innerhalb der protestantischen Bewe- rischer Geschichtsereignisse zu entwi- Der Vf. erläutert die Vorgeschichte des therischen Orthodoxie hinausweist. Die gung bleiben unberücksichtigt und stehen ckeln. Jubiläums in politischer Hinsicht wie auch überkommenen Topoi der Reformations- noch vor ihrer akademischen wie kirchli- Die an der Johannes Gutenberg-Uni- im theologischen Urteil der damaligen geschichtsschreibung und der Luther-Deu- chen Rezeption, von reformierten Theolo- verstität Mainz entstandene Dissertation Zeitgenossen. Repräsentativ für das deut- tung werden allenfalls in Gemeindeveran- gen wie Huldrych Zwingli und Johannes befasst sich insbesondere mit dem Refor- sche Luthertum untersucht der Vf. dann staltungen und Festpredigten kolportiert. Calvin wird ganz geschwiegen. mationsjubiläum 1717 und ist von ihrem die Jubiläumsfeiern an den zwölf Universi- Dennoch wird zwischen akademischer „Alles in allem“, so resümiert Cordes Blickwinkel auf die deutschen lutherischen täten Wittenberg, Leipzig, Jena, Tübingen, Theologie und gemeindlicher Glaubens- seine Studien, „zeugen die Feierlichkeiten Universitäten gerichtet. Das hat natürlich Rostock, Greifswald, Kiel, Königsberg, praxis eine enge Verbundenheit demonst- zum Reformationsjubiläum von 1717 an auch damit zu tun, dass für die Reflexion Helmstedt, Gießen, Halle und Altdorf, riert wie sie bei den Jubiläumsfeiern späte- den deutschen lutherischen Universitäten und Beurteilung des Reformationsgesche- wobei die Reihenfolge bereits eine Wertung rer Jahrzehnte und Jahrhunderte nicht von der Vorherrschaft der lutherischen Or- hens vornehmlich das akademische Umfeld des Autors auf der Einordnungsskala von mehr zu erreichen war. thodoxie, neben der nur vereinzelt der lu- zur Stellungnahme herausgefordert war. lutherisch-orthodox bis reformatorisch- Es gehört weiterhin zu den Eigenheiten therische Pietismus als zeitgenössische Re- Die Besonderheit des 200-jährigen Refor- fortschrittlich widerspiegelt. Auffällig ist der zweiten Säkularfeier des Reformations- formbewegung hervortritt. Trotz dieser mationsjubiläums 1717 rührt aber vor al- in jedem Fall, dass die Feiern zum 200. Jah- jubiläums 1717, dass die aktuelle politische einheitlichen theologischen Grundströ- lem davon her, dass es an der Schnittstelle restag des Thesenanschlags nahezu voll- und kirchliche Lage kaum kritisch reflek- mung weist die inhaltliche und formale Ge- von lutherischer Orthodoxie und lutheri- ständig ohne reformierte Beteiligung statt- tiert wird, wozu auch eine bewusste Zu- staltung des Festes eine Anzahl von Varian- schem Pietismus eine geistesgeschichtliche fanden, was die tiefen Gräben innerhalb rückhaltung mit Kritik am konfessionellen ten auf. Zwar gibt es einen festen Kanon Umbruchssituation repräsentiert. Im Ge- des Protestantismus im ausgehenden Zeit- Gegenüber beigetragen haben dürfte. We- von Themen, […]. Doch im einzelnen ist gensatz zur ersten Säkularfeier 1617, die alter des Konfessionalismus eindrücklich der den Jesuiten als treibende Kraft der Ge- Raum für erste Kritik am Reformator, und den Geist der lutherischen Orthodoxie at- offenbart. 1617 war eine gemeinsame Jubi- genreformation wird Beachtung geschenkt, die Reformation wird auch als historisches mete und das Reformationsgedächtnis im läumsfeier von Lutheranern und Refor- noch den Päpsten, die nach dem Tridenti- und nicht allein als kirchliches Ereignis eigentlichen Sinne erst auf den Termin des mierten noch möglich und 1817 war sie num die römisch-katholische Kirche unter wahrgenommen“ (S. 308). Es ist vor allem Thesenanschlags am 31. Oktober konzent- dann wieder neu möglich. dem Anspruch einer durchgeführten Re- das Verdienst der pietistischen Vertreter, rierte, sowie im Gegenüber zur dritten Sä- Im Luthertum bzw. in den lutherischen form leiteten. Lediglich alte Urteile und dass die Reformation dem Maßstab der kularfeier 1817, die mit den klaren Idealen Universitätsstädten freilich fiel die Wer- Vorurteile werden gegen die römisch-ka- Schrift unterstellt und die Autorität Lu- der späten Aufklärung verbunden war, bung für die 200-Jahr-Feier der Reformati- tholische Kirche wiederholt. Man setzt thers demgegenüber relativiert wird. fehlt für die 200-Jahrfeier der Reformation on auf gute Resonanz. Hinsichtlich der nicht auf Auseinandersetzung, sondern be- Das umfangreiche Quellenverzeichnis im Jahr 1717 eine eingehende kirchenhisto- Durchführung muss allerdings festgestellt müht sich um historische Präzisierung und (S. 311–340) zeigt, mit welchem Fleiß und rische Würdigung. Dieses Desiderat behebt werden, dass es nur dort zu gelungenen versucht mancherorts durch neue Editio- welcher Akribie die Ergebnisse der vorlie- die vorliegende Studie. Die nahezu in Ver- Feierlichkeiten kam, wo einzelne Professo- nen einzelner Lutherschriften den histori- genden Arbeit gewonnen wurden. Die gessenheit geratenen „Hilaria Evangelica“, renpersönlichkeiten die Vorbereitung fe- schen Kontext der Reformation besser aus- Darstellung ist ganz vorzüglich gelungen, die Ernst Salomon Cyprian zum Reforma- derführend in die Hand nahmen. Auch die zuleuchten. Sowohl die Deutung der Refor- sie ist übersichtlich, klar und gut zu lesen. tionsjubiläum von 1717 herausgegeben hat, Aufnahme des Jubiläums in den Kirchen- mationsgeschichte als auch die Deutung der Vielleicht kann sie auch im Hinblick auf die werden systematisch ausgewertet und mit gemeinden war abhängig davon, wie inten- Person Luthers sind jedoch noch deutlich gegenwärtig durchgeführte Lutherdekade 534 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 535 das Bewusstsein schärfen, dass Reformati- nen überreiches Werk unnötig zu erschwe- sprung des seit Jahrzehnten mit der Materie „wirkungsmächtigste[n] Literatur- und onsfeierlichkeiten unter hoher theologi- ren! Denn dort wird stichhaltig informiert umgehenden Hartmut Laufhütte wird oh- Kulturmanager des 17. Jahrhunderts im scher und gesellschaftlicher Verantwortung über den Briefwechsel („der für die litera- nehin uneinholbar sein; Laufhüttes Bitte an deutschsprachigen Raum […], dazu ein stehen. [1713] tur- und kulturwissenschaftliche For- „besser als er selbst kundige(.) Leser(.)“ überaus produktiver gelehrter Poet“ Thomas Hohenberger schung interessanteste“), seinen vorliegen- dürfte ins Leere laufen … (S. XXXVI). (S. XIV). In der Korrespondenz mit Catha- den Umfang, die beiden Korrespondenten, Auch über das ‚formale’ Vorgehen, die rina von Greiffenberg, der „bedeutendste[n] das Zustandekommen des Kontaktes bei- Anordnung und Gestaltung der Texte so- deutschsprachigen Autorin des 17. Jahr- der und die „Themen und Gegenstände“, wie die Gestaltung der Apparate und Kom- hunderts“, kommt natürlich von Birkens BIRKEN, SIGMUND VON: Der Briefwechsel über die „anspruchsvolle Sprachgestal- mentare kann getrost auf die Einleitung religiös-theologische Prägung immer zum zwischen Sigmund von Birken und tung“, Informationen zum Lebensalltag verwiesen werden (S. XXX-XXXVI). Zu Ausdruck. Vorsichtig wägend ist die Rede Catharina Regina von Greiffenberg, hg. und das wissenschaftliche Bemühen um Einzelproblemen wie Trennung von Text von „instruktive[n] Einblicke[n] in die sich von Hartmut Laufhütte in Zusammen- Catharina von Greiffenberg (S. XIII– und Erläuterungen in zwei Bände, Verzicht damals anbahnende Subjektivierung luthe- arbeit mit Dietrich Jöns und Ralf Schus- XXIX). auf Anmerkungsziffern und -buchstaben, rischer Religiosität in Richtung auf den Pi- ter. Teil I: Die Texte; Teil II: Apparate Nun liegt also die Korrespondenz vor: Kursivdruck etc. ist ohnehin die Editorik etismus des 18. Jahrhunderts hin, zu der und Kommentare (= Sigmund von Bir- 147 im Nachlass Sigmund von Birkens er- zuerst gefragt. Dem Rezipienten wird nicht beide Partner beigetragen haben“ ken, Werke und Korrespondenz 12/ haltene Briefe von Greiffenbergs und eine wenig Mühe abverlangt. Die Entscheidung (S. XXIV). Gewiss sind noch erheblich I-II; = Neudrucke deutscher Literatur- „noch größer[e]“ ermittelbare (nicht immer fiel für ‚unberührte’ Brieftexte (abgesehen vielfältigere Beobachtungen in diesem werke, Neue Folge 49–50). Tübingen: vorliegende) Anzahl von Schreiben des von neu formuliertem Briefkopf, Zeilen- Kontext zu machen – man gehe nur den Max Niemeyer, 2005. XXXVIII + 410 S. Nürnberger Poeten: „den Daten nach zähler und Hinweisen auf Seiten- und Lebensläufen etwa der zu von Birken in bzw. XII + S. 411–993, 12 sw. Abb., Fa- lückenlos, dem Wortlaut nach partiell, hin- Blattwenden). Bis in die Orthographie und Beziehung tretenden Theologen nach denbroschur. – ISBN 3-484-28049-2. sichtlich der erörterten Inhalte weitgehend Zeichensetzung wurde möglichste Vor- (Friedrich Ferber/Nürnberg St. Lorenz [zu] rekonstruieren.“ Was dies an ungeheu- lagentreue angestrebt – einige Abbildungen [1621–1676], S. 539; Christoph Sowitsch/ Die Vorstellung der Edition des Brief- erer Recherche-Arbeit bedeutet, entnehme lassen dies erkennen. Für die Gestaltung Oedenburg [† 1692]. S. 991; Johann Leon- wechsels zwischen Sigmund von Birken man der dichten Darstellung der das episto- der Apparate und Kommentare gilt ein hard Rinder/Creußen [† 1681], S. 579) und und Catharina Regina von Greiffenberg er- lographische Material von Birkens stützen- Doppeltes. Möglichst allen erreichbaren wende sich seiner umfangreichen religiösen folgt reichlich spät. Indes: einzigartige den, ergänzenden, präzisierenden, ja z.T. Spuren für Quellenbeschreibung, Textkri- Dichtung zu. Und Catharina von Greiffen- Werke erfordern eigentlich ebensolche Be- überhaupt erst sichtbar machenden weite- tik, allgemeine Einordnung und Einzeler- bergs durch die erhebliche politische Irrita- handlung. Und die Erarbeitung des zwölf- ren Quellen (S. XX; vgl. auch S. XXXIV läuterung ist nachgegangen (gelegentlich tionen hervorrufende Eheschließung um- ten (Doppel-)Bandes von Sigmund von unten) und passim den Apparaten und in den Einzelerläuterungen auch weitere gestoßener Plan einer ganz der „Deoglori“ Birkens Werke- und Korrespondenzausga- Kommentaren. Freilich bietet hier der Schreiben; s. S. 569f); neun Zeilen Text hingegebenen Lebensweise rief erhebliche be kann man nicht einfach ‚lesen’ – man Nachlass Sigmund von Birkens schlechthin können schon einmal 46 Zeilen Kommen- auch theologische Erörterungen hervor … müsste es nahezu buchstabieren, zum unvergleichliche Möglichkeiten. Und hier tar erfordern (Nr. 14). Entscheidend ist da- Die Erforschung der Kirchen- und Nachvollzug vieler handschriftlicher Bele- waren Bearbeiter mit selten anzutreffender bei aber zum anderen die Selbstbeschrän- Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jahrhun- ge am besten im Germanischen National- Ausdauer am Werk. Nie zweifelhaft war ih- kung: „Der Zeilenkommentar soll die […] derts, nicht nur Nürnbergs, gewinnt aus der museum Nürnberg beim Archiv des Peg- nen die unentbehrliche, jeder Mühe werte Texte interpretierbar machen, nicht sie in- vorliegenden 1044 Seiten umfassenden Edi- nesischen Blumenordens, wo der Nachlass Ermittlung des Briefwechsels als Dialog- terpretieren.“ Und das Material sorgt da- tion eine schier nicht in Kürze zu benen- Sigmund von Birkens verwahrt ist. Jeden- Geschehen: „Die Wahrnehmung der Art für, „daß der Kommentator zu tun hat“ nende Fülle nicht nur von Interpretations- falls handelt es sich um ein Werk, das Zei- des Zusammenspiels von Brief und Gegen- (S. XXXVf). möglichkeiten, sondern schlicht zunächst ten und Epochen auch sich ändernder For- brief war für die Rekonstruktionsarbeit von Das Interesse des Leserkreises der von Fakten etwa nur über Beziehungsnetze, schungsrichtungen überdauern wird. In größtem heuristischen Wert.“ (S. XXX) ZBKG wird sich gewiss mehr auf Sigmund aber auch zu literarischen Abhängigkeiten ZBKG 59 (1990), S. 364–367, ist bereits die Die 187 und zusätzlich 21 a-, b-Num- von Birken (1626–1681) richten. Bis ins und zur Frömmigkeitspraxis der Zeit. Den 1989 durch Hartmut Laufhütte hg. ‚Selbst- mern epistolograpischen und anderen Ma- „Evangelische Gesangbuch“ hinein ist er Weg dahin lasse man sich nicht durch ge- biographie’ auch mit Blick auf das Gesamt- terials (z.B. 40 Seiten umfassend ein ‚Gut- mit seinem Lied „Jesus, deine Passion will wisse offen gebliebene Wünsche wie ein Bi- unternehmen der von-Birken-Ausgabe achten’, Nr. 39a) für den Zeitraum 1663 bis ich jetzt bedenken“ präsent. Von Johann belstellenregister und Abbildungsverzeich- vorgestellt worden. Nun kann entschieden 1681 wartet jetzt auf eine der Geduld, Michael Dilherr gefördert wirkte er in nis, ausführlichere Seitentitel, Wiederho- auf die „Einleitung“ des vorliegenden Ban- Hartnäckigkeit und Ausdauer der Bearbei- Nürnberg, Wolfenbüttel, Rostock, Nürn- lung des jeweiligen (gekürzten?) Briefkop- des verwiesen werden. Sie nicht zu lesen ter angemessene Rezeption durch die Nut- berg, Bayreuth und wieder Nürnberg. Die fes in Teilband II, auch gelegentlich nicht hieße, sich viele Wege in ein an Informatio- zer. Der Erkenntnis- und Wissensvor- Germanistik würdigt ihn als einen der schnell zu findenden Literaturhinweis 536 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 537

(S. 632, Z.5 s. S. 963 sub Windischgrätz) Theologen, Germanisten und einer Medi- tionen enthalten. Die z.B. im Umfeld des Ziel der Veröffentlichung war es, Zeug- verdrießen. Die Ausstattung des Werkes ist zinhistorikerin kann nur als hier fruchtbar Wiener Kongresses entstandene, extrem ju- nisse junger katholischer Christen aus der ansonsten mit fünf Schrifttumsverzeichnis- und verheißungsvoll praktiziert bezeichnet denfeindliche Satire „Märchen vom Schnei- Zeit des Nationalsozialismus einschließlich sen und einem Incipit-Register der Dich- werden. Der junge Goethe tritt entschie- der Siebentodt“ bedient sich keiner anderen des 2. Weltkriegs vorzulegen. Die jungen tungen durchaus komfortabel. den in den Vordergrund – Reflex der Quel- als klischeehafter, z.T. dem Grobianismus Männer waren Schüler am Würzburger bi- Auch für die kirchengeschichtliche Ar- lenlage? [1715] entlehnter Mittel, um gegen die bürgerliche schöflichen Studienseminar Kilianeum und beit ist diese Ausgabe des Briefwechsels Dietrich Blaufuß Emanzipation des Judentums zu polemisie- gehörten zu den Gymnasiastengruppen der zwischen Sigmund von Birken und Catha- ren. Die Judenfeindlichkeit verrät sich dabei Schönstattbewegung. Diese in der Um- rina von Greiffenberg für die einschlägige als die christlich geprägte Langzeitvorstel- bruchzeit kurz nach Beginn des 1. Welt- Zeit und Thematik nicht zu übergehen. lung von den Juden als den Christusmör- krieges in Schönstatt bei Vallendar nahe [1714] VORDERMAYER, MARTINA: Antisemitismus dern. Aber auch in Brentanotexten, wo jü- Koblenz gegründete Bewegung ausdrück- Dietrich Blaufuß und Judentum bei Clemens Brentano (= dische Figuren nicht negativ konnotiert lich marianisch geprägter Spiritualität hatte Forschungen zum Junghegelianismus sind, lassen sich diese nicht konkret bestim- in den 1930er-Jahren Fuß im Bistum Würz- 4). Frankfurt/M. – Berlin u.a.: Peter men und bleiben im Klischee kleben. Da burg gefasst. Drei Präfekten des Kiliane- Lang, 1999. 300 S., kart., 4 sw. Abb. – jedoch, wie die Vf. nachweist, die Verwen- ums gewannen Herz und Seele ihrer dort KEMPER, HANS-GEORG / SCHNEIDER, Hans ISBN 3-631-34475-9. dung des überlieferten literarischen Typus untergebrachten Schüler dafür. Diese woll- (Hg.): Goethe und der Pietismus (= vom „Juden“ nicht mehr aktuell war, war ten am Würzburger Neuen Gymnasium Hallesche Forschungen 6). Halle: Fran- Die unter dem Brentano-Experten Kon- Brentanos literarische Auseinandersetzung Abitur machen und dann Priester werden. ckesche Stiftungen, bzw. Tübingen: rad Feilchenfeld als Dissertation verfasste mit dem Judentum auch nicht mehr zeitge- Die gemeinsame spirituelle Arbeit stand Niemeyer, 2001. VIII + 278 S., Faden- Studie widmet sich der jüdischen Thematik mäß. unter dem Idealbild des aus der Antike broschur. – ISBN 978-3-447-06342-5 bei Brentano. Die Vf. untersucht die volks- Die Arbeit ist literaturgeschichtlich, stammenden Mythos vom ver sacrum. bzw. 978-3-484-84006-5. tümlich-romantischen Arbeiten des Dich- textkritisch wie biographisch fundiert. Christlich anverwandelt wurde daraus die ters und seine religiösen Schriften nach jü- Schon das erste Kapitel mit seinem histori- Vorstellung, die Erneuerung eines Volkes Die liegengebliebene Anzeige des Do- dischem bzw. antijüdischem Gedankengut. schen Überblick zur wissenschaftlichen und der katholischen Kirche müsse von ei- kumentationsbandes einer Tagung von Auch Brentanos überlieferten Bibliotheks- Auseinandersetzung mit Brentano aus an- ner Jugendgeneration ausgehen, die im 1999 soll nicht untergehen: Autoren und bestand unterzieht sie einer diesbezüglichen tisemitischer und aus jüdischer Perspektive Dienst Gottes und durch unbedingte, op- Themen bürgen für ‚längere’ Geltung des Sichtung und befasst sich zudem mit seinen ist einer eingehenden Lektüre wert. In der ferbereite Hingabe an die Gottesmutter hier Vorgetragenen. Paul Raabe, Hans persönlichen jüdischen Kontakten und de- Folge überzeugt die Vf. vor allem durch Maria den Wandel bewirke. Bald erwies Schneider, Burkhard Dohm, Horst Weigelt, ren Niederschlag in Texten und Briefen. So ihre Fähigkeit, trotz des mehrpoligen, dif- sich, dass das Ideal des „Heiligen Früh- Gustav Adolf Benrath, Hans-Georg Kem- ambivalent – mehrschichtig wie Werk und ferenzierten Ansatzes eine klare Struktur lings“ sich nur im Gegensatz zur herr- per, Christian Soboth, Hans-Jürgen Schra- Leben – erscheint auch Brentanos Haltung durchzuhalten. So kommt sie zu einleuch- schenden NS-Ideologie entfalten konnte. der und Günter Niggl: selbstredend publi- zum Judentum. Laut Vf. in strumentalisiert tenden Resultaten. Ihrer Einstufung von Die Kilianisten waren als Nicht-HJ-Mit- zistisch einschlägig ausgewiesen, z.T. (als er das Thema, und zwar abhängig von sei- Brentanos Haltung zum Judentum und de- glieder Repressalien ausgesetzt, später wur- Archivar, Paul Peucker oder in der Qualifi- nem Standort innerhalb zeitpolitischer Ab- ren literarischem Ertrag kann man ohne de das Kilianeum beschlagnahmt und in das kationsarbeit, Thilo Daniel) hart bei den läufe sowie, verbunden damit, innerhalb Einschränkung folgen. Schade, dass das Polizeipräsidium samt Gestapozentrale für Quellen arbeitend. Dem Thema sich nä- von Lebensabschnitten, die mit besonderen Buch in der Brentano-Forschung seit dem Unterfranken umgewandelt. Die jungen hernde Studien behandeln frühere Gestal- menschlichen Bindungen und Begegnungen Erscheinen nicht umfassender rezipiert Männer wurden zum Reichsarbeitsdienst, ten und Lokales wie dann auch Pietistisches verknüpft waren. Gleichwohl ist das Thema wurde. [1716] zur vormilitärischen Ausbildung und im engeren Sinn Übersteigendes, aber dies Judentum eine Konstante seines Werks. Elisabeth Fuchshuber-Weiß schließlich zur Wehrmacht eingezogen. thematisch höchst einschlägig (Christa Ha- Ambivalenz und Instrumentalisierung ge- Das Buch zeigt, wie die Handvoll jun- brich, „Alchemie und Chemie in der pietis- hen dabei so weit, dass er z.B. die Figur des ger Leute, die sich als die ver sacrum-Ge- tischen Tradition“, S. 45–77). Mit Gottfried ‚Ewigen Juden‘ einerseits zur Selbststilisie- neration verstanden, mit marianisch-christ- Arnold, der von Klettenberg, Lavater und rung benutzt, andererseits für antijüdische HEINZ, WILHELM / FAATZ, MARTIN (Hg.): lichem Korpsgeist, Mut und Gottvertrauen Jung-Stilling fällt der Blick auf Goethe lei- Schelte einsetzt, etwa in der berühmt-be- „Für die Erneuerung der Welt“. Katho- eine eigene, politikferne, vom Glauben be- tende und ‚begleitende’ Werke (Autoren) rüchtigten „Philister“-Abhandlung. Auch lische Schüler und das Ideal „Heiliger seelte Perspektive für sich und ihr Volk zu und Gestalten. Einzelne inhaltliche Aspek- erweist sich, dass Brentanos Texte vor dem Frühling“ im 2. Weltkrieg. Würzburg: entwickeln versuchten. Sie setzten innere te [Genie-Religion, (Radikal-)Pietismus] Hintergrund der mehrfachen Verflechtun- Echter, 2010. 216 S., kart., Abb. – ISBN Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Bruderlie- schließen den Band. Das Miteinander von gen so gut wie keine konkreten Konfigura- 978-3-429-03237-1. be gegen die äußeren, mehr als widrigen 538 Buchbesprechungen: 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 1. Allgemeine Kirchengeschichte / Universalgeschichte 539

Umstände. Aus erstmals veröffentlichten erläuternde Texte. Der sorgfältig erstellte 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte (Nr. 1718–1725) Zeugnissen – u. a. Briefe zur Gruppenar- Anhang enthält alle wichtigen Zusatzinfor- beit, Briefe von der Front, Tagebuchnoti- mationen (Glossar wichtiger Abkürzungen Hauschild: Suchet der Stadt Bestes [Hansestadt Lübeck] (Huber) (Nr. 1718) – Brecht: Adam zen sowie nach 1945 aufgezeichnete Le- und Begriffe, Hinweise zum Personentab- Weiß – Der Crailsheimer Reformator (Huber) (Nr. 1719) – Volkmar: Die Heiligenerhebung bensbilder von Gefallenen der Gruppe – leau, Anmerkungs-, Quellen-, Literatur- Bennos von Meißen (1523/1524) (Eberl) (Nr. 1720) – Hundsnurscher (Bearb.): gehen die inneren Beweggründe klar her- und Abbildungsverzeichnis, Angaben zu Investitionsprotokolle der Diözese Konstanz [16. Jh.] I-III (Weiß) (Nr. 1721) – Rymatzki: vor. Die emphatische Haltung und das im- den Autoren). Insgesamt liefert das Buch Hallischer Pietismus und Judenmission (Blaufuß) (Nr. 1722) – Blickle/Schmauder (Hg.): mer wieder aufscheinende Pathos der jun- einen weiteren aufschlussreichen Beitrag Mediatisierung der oberschwäbischen Reichsstädte (Gößner) (Nr. 1723) – Marahrens: Zur Lage gen Kandidaten bezeugen ihren Schwung, zur Erforschung der Situation von Pries- der Kirche. Die Wochenbriefe (Keller) (Nr. 1724) – Hein, Martin/Junghans (Hg.): Franz Lau ihr inneres Feuer und ihre Glaubensfestig- teramtskandidaten in der NS-Zeit und im (1907–1973) (Huber) (Nr. 1725). keit. auch wenn mancher Sprachduktus, 2. Weltkrieg, wird doch deren spezielle Art manche Formulierung vom zeitgleich übli- der Nichtanpassung an das System klar er- chen nationalsozialistischen Stil verfärbt kennbar. Gleichzeitig zeigt es eindrucks- HAUSCHILD, WOLF-DIETER: „Suchet der Stadt buch 2010) und der Geschichte seiner Hei- sind. Das ver sacrum-Ideal gab durch voll, wie Religiosität und spirituelle Hinga- Bestes“. Neun Jahrhunderte Staat und matstadt. Vorliegender Band, der auch einen selbstlose Kameradschaftlichkeit und Gott- be jungen Menschen Trost und Zuversicht Kirche in der Hansestadt Lübeck, hg. von Lebenslauf Hauschilds (S. 9f) und eine voll- vertrauen Halt in Schule, Schützengraben in einer ethisch verwahrlosten, dem Chris- Antjekathrin Graßmann und Andreas ständige Bibliographie (S. 283–302) enthält, und Lazarett und bewährte sich besonders tentum entfremdeten Welt spenden und Kurschat. Lübeck: Schmidt-Römhild, legt davon eindrucksvoll Zeugnis ab. im Chaos der letzten Kriegstage. Der Blick, Sinngebung vermitteln konnten – Ansporn 2011. 312 S., geb., mit Porträtfoto des Au- Bereits im Jahr 1981 hat Hauschild eine den die beiden Hg. abschließend in die und Vorbild auch für katholische Gläubige tors. – ISBN 978-3-7950-5200-3. bis heute gültige „Kirchengeschichte Lü- Nachkriegszeit und auf die weitgehend sä- heute, wie die Hg. meinen. Auch deshalb becks“ veröffentlicht, dabei aber das 20. Jh. kularisierte Gegenwart richten, bekräftigt war es ihnen (beide sind hohe Geistliche Ursprünglich als Festschrift zum 70. Ge- ausgespart. Diese Lücke schließen zwei den aus ihrer Sicht hohen ethischen Wert der Diözese Würzburg) wichtig, an die ver burtstag des Autors am 7. August 2011 ge- wichtige Beiträge dieses auf die Hansestadt und die aktuelle Bedeutung des Ideals. sacrum-Generation unter den Kilianisten plant, musste der Sammelband nun als Ge- konzentrierten Sammelbands wenigstens Die Veröffentlichung mischt in gelun- zu erinnern. [1717] denkbuch erscheinen. Prof. Hauschild, Sohn ansatzweise: „Kirche und Nationalsozialis- gener Weise zeitgenössische Zeugnisse und Elisabeth Fuchshuber-Weiß eines Pastors am Lübecker Dom, starb am mus in Lübeck“ (S. 245–257) und „Kirche in 17. März 2010. Im Jahr 1968 war er zum Lübeck nach 1933 zwischen Anpassung und Pfarrer ordiniert worden. Von 1971 bis 1982 Widerstand“ (S. 259–282). Das inhaltliche lehrte er Theologie an der Universität Mün- Schwergewicht des Buches bildet aber zwei- chen, dann bis 1984 als Ordinarius in Osna- fellos die Reformationszeit. Neun der insge- brück und anschließend in Münster. Als samt 16 Beiträge beschäftigen sich mit The- Oberkirchenrat der EKD von 1974 bis 1977, men dieser Epoche, wobei wiederum das zuständig u.a. für die theologische Ausbil- Wirken Bugenhagens hervorgehoben wird. dung und die Zeitgeschichtsforschung, hatte Daneben tritt auch die Reformation in Os- Hauschild auch die Herausgabe des „Kirch- nabrück (mit der Würdigung von Hermann lichen Jahrbuchs“ wieder aufgenommen. Bonnus, S. 129–148), in Mölln (S. 149–154) Wer ihn nicht vom Studium her kannte, dem und in Lauenburg (S. 155–168) in den Blick. ist vielleicht sein zweibändiges, bereits wie- Die Artikel „Zum Verhältnis Staat – Kirche derholt aufgelegtes Lehrbuch der Kirchen- im Lübeck des 17. Jahrhunderts“ (S. 169– und Dogmengeschichte ein Begriff, von 187) sowie „Luthertum als Begriff kirchli- manchen auch der „Hauschi“ genannt. Als cher Identität am Beispiel Lübecks im 19. Forscher hat sich Hauschild – wie sein Leh- Jahrhundert“ (S. 189–198) und „Die Reform rer Georg Kretschmar (1925–2009) – neben der Lübecker Kirchenverfassung im 19. der Patristik, die sein eigentliches Fach war Jahrhundert“ (S. 199–244) nennen im Titel – eben vor allem der kirchlichen Zeit- ausdrücklich das Spannungsfeld, das Hau- geschichte zugewandt (vgl. ZBKG 2008, schild besonders interessierte. S. 369–371, Nr. 1593). Ganz speziell galt sein Die beiden den Band eröffnenden Arti- Interesse aber auch Johannes Bugenhagen kel markieren diese Perspektive in einem (vgl. seinen letzten Beitrag im Lutherjahr- Längsschnitt: „Christentum und Bürgertum 540 Buchbesprechungen: 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte 541 in der Hansestadt. Ein Rückblick auf 800 und im 17. Jh. „eine Festung der Orthodo- BRECHT, MARTIN: Adam Weiß – Der Crails- von Adam Weiß, die ihm schwere Repressi- Jahre Lübecker Kirchengeschichte“ (S. 11– xie“ war (S. 189). Im 19. Jh., als der kleine heimer Reformator. Mit Beiträgen von onen ersparte, wie sie andere evangelische 27) und „Geistliches Zentrum der Stadt: 825 Stadtstaat im preußisch dominierten Winfried Dalferth und Folker Förtsch Theologen der Markgraftümer von Seiten Jahre Dom zu Lübeck“ (S. 29–42). Der erste Deutschland marginalisiert war, bekannte (= Historische Schriftenreihe der Stadt des Landesherrn zu ertragen hatten, wird Beitrag wurde 1976 der letzten autonomen man sich allerdings weniger aus theologi- Crailsheim 10). Crailsheim: Baier, 2011. von Brecht leider nicht benannt. Mit dem Synode vorgetragen, unmittelbar vor dem scher Überzeugung zum Luthertum, son- 58 S., Hardcover, zahlr. farbige Abb. – Herrschaftsantritt Markgraf Georgs des Beitritt der Jahrhunderte lang selbständigen dern vor allem „weil es zu den geschicht- ISBN 978-3-942081-08-5. Frommen 1528 wurde Weiß zu einem füh- Lübecker evangelischen Kirche in die neue lichen Selbstverständlichkeiten“ gehörte renden Theologen des Territoriums, das sich Nordelbische, die 2012 in die neue Evange- (S. 198). Die Trennung von Staat und Kirche Nur wenigen ist bewusst, dass die Evan- zusammen mit der mächtigen Reichsstadt lisch-Lutherische Kirche in Norddeutsch- in Lübeck wurde nach verschiedenen Re- gelische Landeskirche in Württemberg zu Nürnberg an der Wittenberger Reformation land aufgehen wird. Unter den drei Kom- formen freilich erst 1921 durch Vorschrift einem großen Teil aus fränkischen Landen orientierte. Als brandenburgischer Superin- plexen „Bürgerkirche – Staatskirche – Kon- der Weimarer Reichsverfassung vollzogen. besteht und ganze Dekanate bis in die Na- tendent hatte Weiß die bischöfliche Aufga- fessionskirche“ fasst Hauschild wissen- In der Zeit des Nationalsozialismus wa- poleonische Zeit hinein zu den von Ansbach be, die Neuordnung des Kirchenwesens in schaftlich exakt und darstellerisch souverän ren die sog. Deutschen Christen bestrebt, die aus regierten Markgraftümern von Bran- Crailsheim und seinem Umland durchzu- die Entwicklung und die theologisch-kir- auch die Lübecker Kirchenleitung „okku- denburg gehörten. Die vor 200 Jahren will- führen und zu überwachen. Als Prediger chenrechtliche Problematik zusammen. pierten“ (S. 251), diese Trennung im Grunde kürlich gezogenen Grenzen wurden freilich und Seelsorger begleitete er Markgraf Georg Dieser Aufsatz ist das Musterbeispiel einer rückgängig zu machen. Sie wollten die Kir- durch die unterschiedliche Entwicklung un- auf die Reichstage zu Speyer 1529 und historischen Besinnung, wie sie auch im chenorganisation dem Staat gleichschalten, ter den dominierenden Einflüssen des Pie- Augsburg 1530. Außer seiner in Crailsheim Blick auf anstehende Strukturreformen und sie in die Reichskirche einfügen und die Re- tismus im Bereich Neu-Württembergs bzw. erhaltenen, ursprünglich dem Pfarrkapitel Kirchenfusionen geboten ist. ligiosität der nationalsozialistischen Ideolo- der konfessionell-lutherischen Erweckung vermachten Bibliothek sind von Weiß kaum Bei der Lektüre der reformationsge- gie anpassen. Die Lübecker Kirche war tief im neubayerischen Bereich vertieft. Diese persönliche Zeugnisse, vor allem auch keine schichtlichen Beiträge drängt sich für Süd- gespalten: Von 28 Pastoren gehörten 14 dem für ein breites Publikum bestimmte Biogra- Predigten und theologische Schriften erhal- deutsche immer wieder der Vergleich mit Pfarrernotbund an, während etwa Bischof phie, die einen Reformationsfest-Vortrag ten. – Eine Würdigung des Autors Martin Nürnberg auf. In der „kaiserlichen Stadt“ Balzer mit der Gestapo zusammenarbeitete des seit 1975 in Münster lehrenden, aber im- Brecht von Dekan W. Dalferth (S. 41–43) Lübeck wurde die Reformation durch die und bewusst Pfarrer, die NS-Parteimitglie- mer Württemberg und seiner Kirchenge- sowie eine Zeittafel (S. 45–51) und eine Bib- Bürgerschaft gegen den regierenden Rat und der waren, nach Lübeck holte. Zu diesen ge- schichte verbunden gebliebenen Emeritus liographie (S. 53–58) zu Weiß und zur das – freilich „geistlich und politisch unfähi- hörte übrigens auch Karl Friedrich Stell- wiedergibt, erinnert an Jahrhunderte lang Crailsheimer Reformation, beide zusam- ge“ – Domkapitel durchgesetzt. Die evange- brink, der dann mit dem Nationalsozialis- bestehende Zusammengehörigkeiten. Mark- mengestellt von Stadtarchivarf Förtsch, be- lische Bewegung entfachte 1529/30 unter mus brach und als evangelischer Pastor zur graf Kasimir von Brandenburg berief den schließen dieses kleine, auch Nicht-Würt- anderem einen besonders öffentlichkeits- Gruppe der „Vier Lübecker Märtyrer“ ge- Crailsheimer Handwerkersohn Adam Weiß temberger ansprechende Buch. [1719] wirksamen „Singekrieg“, natürlich in nie- hörte, die 1943 hingerichtet wurden. (um 1490–1534) im Jahr 1521 an die Pfarr- Wolfgang Huber derdeutscher Sprache (Der Kirchengesang Hauschilds Beiträge zur Kirchenge- kirche seiner Heimatstadt. Weiß hatte in Ba- in der Reformationszeit, S. 117–127). Die schichte seiner Heimatstadt zeigen exempla- sel und Mainz studiert und an der Universi- Einführung der lutherischen Reformation risch, wie wichtig die gewissenhafte histo- tät als Professor gelehrt. Dem Humanismus wurde erst möglich in der eingetretenen Fi- risch-theologische Prüfung aktueller kirchli- hatte er sich geöffnet und dann auch der VOLKMAR, CHRISTOPH: Die Heiligenerhe- nanzkrise, die die Ratsaristokratie zu Zuge- cher Entscheidungen ist und welches Resis- Botschaft Luthers. Als „sehr früher Reprä- bung Bennos von Meißen (1523/1524). ständnissen gegenüber der Bürgerschaft tenzpotential im christlichen Bekenntnis sentant der Reformation“ wandte sich Weiß Spätmittelalterliche Frömmigkeit, lan- zwang. Durch Bugenhagen eh schon „kon- liegt. Sie stellen eine eindringliche Mahnung 1522/23 „erstaunlicherweise“ zuerst an desherrliche Kirchenpolitik und refor- servativ“ geprägt, nahm sie dann auch noch dar, dass Kirche sich nicht unkritisch gesell- Zwingli in Zürich, um Rat für seinen Weg matorische Kritik im albertinischen eine streng obrigkeitlich regulierte Form an, schaftlichen Trends anpassen darf, sondern als evangelischer Pfarrer einzuholen (S. 23). Sachsen in der frühen Reformationszeit als die alte Ratsherrschaft die sog. Wullen- ihre besondere Aufgabe und ihre Identität Dann freilich suchte Weiß den Schulter- (= Reformationsgeschichtliche Studien wever-Unruhen beendete und das Heft des gerade im Gegenüber zu den übermächtigen schluss mit den benachbarten reformatori- und Texte, Band 146). Münster: Aschen- Handelns wieder vollständig an sich riss. Kräften und Strömungen der Zeit zu suchen schen Theologen: mit Rurer in Ansbach und dorff, 2002. VI + 230 S., br., 11 Abb., 2 Nachdem Hauschild „Die Abwehr der Re- hat. Das Studium dieses Gedenkbandes, des- schließlich vor allem mit Brenz in Hall. An Tabellen – ISBN 978-3-402-03810-9. katholisierungspolitik Karls V. 1548–50“ sen Beiträge sich um die Kirchengeschichte Ostern 1526 wurde in Crailsheim erstmals (S. 99–116) beschrieben hat, hebt er auch einer Hansestadt drehen, ist darum auch für das Abendmahl evangelisch gefeiert – also Die Arbeit entstand als Magisterarbeit hervor, dass Lübeck eine „Hochburg eines Süddeutsche lehrreich und spannend. [1718] ein Jahr später als etwa in Ansbach oder an der Universität Leipzig und wurde zur streitbar profilierten Gnesioluthertums“ Wolfgang Huber Feuchtwangen. Die vorsichtigere Haltung Drucklegung nochmals überarbeitet. Der 542 Buchbesprechungen: 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte 543

Kult Bennos von Meißen hatte um 1270 HUNDSNURSCHER, FRANZ (Bearb.): Die In- Ausstellung von Proklamations- und In- In der Einführung des dritten Teilbands seinen Anfang in der Stadt Meißen durch vestiturprotokolle der Diözese Kons- vestitururkunden für die vom jeweiligen ordnet die Bearbeiterin Dagmar Kraus die Bischof Withego I. (gest. 1293, Bischof seit tanz aus dem 16. Jahrhundert – Teil I: Patronatsherrn dem Bischof von Konstanz Investiturprotokolle in ihren verwaltungs- 1266) genommen, der die Gebeine Bennos Aach – Kurzenbach (= Veröffentlichun- bzw. seinem Stellvertreter präsentierten mäßigen Zusammenhang ein und legt eine erhoben und in eine Tumba im Zentrum gen der Kommission für geschichtliche Geistlichen mit den dabei anfallenden Ge- Übersicht über die Gesamtreihe der Kons- des Domes umgebettet hatte. Obwohl sich Landeskunde in Baden-Württemberg A bühren vermerkt. tanzer Investiturprotokolle von 1426–1623 der Meißner Domklerus bemühte, die 48/1). Stuttgart: W. Kohlhammer, 2008. Unter einem Investiturprotokoll wird mit Index vor. Auch die Angaben zur ar- Wunder des hl. Benno in Mirakelbüchern XVI + 514 S., geb. – ISBN 978-3-17- der schriftliche Niederschlag der Ausübung chivischen Erschließung der Bände, ihrer zu sammeln, wurde das Benno-Grab nicht 020795-0. des kanonischen Investiturrechts auf geist- Auswertung, Edition und Aufbewahrung zu einem Ziel großer, überregionaler Wall- HUNDSNURSCHER, FRANZ (Bearb.): Die In- liche Pfründen durch den Bischof von im Erzbischöflichen Archiv in Freiburg fahrten. Die Wallfahrer kamen überwie- vestiturprotokolle der Diözese Kons- Konstanz oder durch seinen Generalvikar werden hier gegeben. Die Investiturproto- gend aus dem westlichen Teil der Diözese tanz aus dem 16. Jahrhundert – Teil II: verstanden. Diese Protokolle sind in den kolle bestehen aus zwei nachträglich zu- Meißen und der Diözese Merseburg. Die Lachen – Zwiefaltendorf (= Veröffentli- Auslaufregistern des beim Konstanzer Ge- sammengebundenen Heftserien der „Pro- Markgrafschaft Meißen bildete dabei das chungen der Kommission für geschicht- neralvikariat angesiedelten, seit dem 15. klamationsregister“ und der „Absenzregis- Kerngebiet des Kultes. Herzog Georg von liche Landeskunde in Baden-Württem- Jahrhundert belegten Investituramts (of- ter“. Die Form der Regestierung wird aus- Sachsen und das Meißner Domkapitel er- berg A 48/2). Stuttgart: W. Kohlham- ficium inuestiturarum) aufgezeichnet. Ne- führlich erläutert. reichten 1499 die Einleitung des Kanonisa- mer, 2008. X + 578 S., geb. – ISBN 978- ben den Proklamations- und Investiturver- Eine Reihe von Verzeichnissen erleich- tionsprozesses, der 1523 mit der Heilig- 3-17-020796-7. merken enthalten sie auch andere Einträge tert die Benutzung des umfangreichen sprechung seinen Abschluss fand. Die poli- KRAUS, DAGMAR (Bearb.): Die Investitur- zur Pfründenbesetzung und -verwaltung, Quellenmaterials. Die Auflistung der Pro- tisch treibende Kraft dieses Prozesses war protokolle der Diözese Konstanz aus soweit diese in den Aufgabenbereich der klamations- und Absenzregister (S. 1137– Herzog Georg von Sachsen, dessen Ein- dem 16. Jahrhundert – Teil III: Einfüh- Notare des Investituramts fielen (z.B. Ab- 1143) dient der Auffindung der nach Orten fluss auf die geistlichen Institutionen seines rung, Verzeichnisse, Register (= Veröf- senzgenehmigungen; Genehmigungen für und Pfründen angeordneten Editionsein- Landes dabei sichtbar wurde. Es kam trotz fentlichungen der Kommission für ge- Tragaltäre; Aufträge an die Dekane der träge in den chronologisch angelegten Ori- der Schrift Luthers gegen die Erhebung der schichtliche Landeskunde in Baden- Landkapitel, Resignationen oder Eidesleis- ginalhandschriften. Ein Verzeichnis der Reliquien 1524 zu keinen offenen evangeli- Württemberg A 49). Stuttgart: W. Kohl- tungen entgegenzunehmen etc.). Handschriften nach Jahrgängen (S. 1145– schen Protesten. Herzog Georg ließ eine hammer, 2010. XXIV + 844 S., geb., 46 Der lateinische Text wird jeweils in re- 1213) mit Titel, Archivsignatur, Laufzeit Vita Bennonis durch seinen Hofkaplan Hi- sw. Abb., 1 farb. Karte – ISBN 978-3- gestenartiger, die Einträge auf den reinen und Schreibern schließt sich an, deren Zu- eronymus Emser schreiben, die lange Zeit 17-020797-4. Sachinhalt reduzierender Form ediert. Die stand und Charakter durch 46 Abbildun- das Benno-Bild bestimmte. Die Heiligspre- Darbietung der Quellen folgt dem Modell gen dokumentiert wird. Hier können zu- chung Bennos zeigte die Qualität der tradi- Im Jahr 2010 fand das monumentale der Edition der „Investiturprotokolle der dem Auskünfte über die Kurienverwal- tionellen Frömmigkeit im frühneuzeitli- Editionsprojekt der Investiturprotokolle Diözese Konstanz aus dem 15. Jahrhun- tung, das Kurienpersonal und die durch chen Sachsen. Herzog Georg hat nicht nur der Diözese Konstanz aus dem 16. Jahr- dert“, die Manfred Krebs 1938 bis 1954 das bischöfliche Investiturrecht erzielten die reformatorischen Bestrebungen abge- hundert (Jahrgänge 1518–1527, 1530–1599) her ausgegeben hatte. Die zusammengehö- Einkünfte gewonnen werden. Das Ver- lehnt und bekämpft, sondern ist ihnen auch mit einem umfangreichen Einführungs- rigen, im Original in zeitlichem Abstand zeichnis der Dekanate (S. 1237–1269) gibt durch Reformversuche entgegen getreten. und Registerband seinen Abschluß. Wegen eingetragenen Proklamations- und Investi- die Zugehörigkeit der in der Edition ent- Da nach dem Tode Herzog Georgs der der großen Ausdehnung der Diözese wer- tureinträge eines Präsentationsvorgangs haltenen Orte zu den Landdekanaten der sächsische Katholizismus endete, ist die den um die 1700 Pfarrkirchen und damit werden jeweils zu einem Abschnitt zusam- Diözese wieder. Das Patrozinienverzeich- Nachwirkung dieses gewagten Versuches weite Teile des heutigen Baden-Württem- mengefaßt. Die im Original chronologisch nis (S. 1255–1269) verweist von den alpha- nicht feststellbar. Der Vf. hat ein wichtiges berg, der Schweiz und Vorarlbergs sowie angeordneten Einträge sind wegen der bes- betisch aufgelisteten Heiligen auf die in den Thema der sächsischen Kirchengeschichte eines kleinen Teils des heutigen bayerischen seren Übersichtlichkeit ortsweise zusam- Investiturprotokollen genannten Orte, in aufgegriffen und mit seiner Arbeit der Lan- Südwestens (in den Dekanaten Isny, mengestellt. Innerhalb jedes Ortseintrags denen ihnen geweihte Kirchen oder Altäre desgeschichte seiner Region einen guten Lindau, Stiefenhofen) erfaßt. Die Einlei- sind die Angaben nach Pfründen (Pfarrei, belegt sind. Umfangreiche Orts- (S. 1275– Dienst geleistet. [1720] tung und die Edition der Texte wurden von Kaplaneien etc.) geordnet. Die Einführung 1425) und Personenregister (S. 1427–1876) Immo Eberl dem 2007 verstorbenen Erzbischöflichen der Reformation in einem Ort wird durch erschließen das reiche Quellenmaterial. Archivdirektor in Freiburg/Breisgau Franz das Abbrechen der Einträge nach der ka- Selbstverständlich sind zahlreiche Bezüge Hundsnurscher erarbeitet. In den nun nonischen Investitur des letzten katholi- auch nach Bayern enthalten. Mit dem Re- edierten Amtsbüchern der bischöflichen schen Geistlichen markiert. gister wird die kaum zu überschätzende Kurie in Konstanz wurden vorwiegend die 544 Buchbesprechungen: 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte 545 prosopographische Quelle erschlossen, die Niemeyer, 2004. XIV + 554 S., Faden- Halle lebend, unterstützte noch von Riga 19. Jahrhunderts ist durch neuere Untersu- den zwischen 1518 und 1599 im Bistum broschur. – ISBN 978-3-447-06346-3 aus das „Institutum Judaicum“ (S. 67, Anm. chungen aus unterschiedlichsten historio- Konstanz präsentierten Seelsorgeklerus so- bzw. 978-3-484-84011-9. 108; S. 385). Diese instruktive und wichtige grafischen Perspektiven inzwischen gründ- wie die Inhaber von Nominations- und Pa- Arbeit beleuchtet Beziehungen von Juden lich revidiert worden, mannigfache Desi- tronatsrechten erfasst. Das Sachregister Lange erkannt ist die Notwendigkeit, und Christen weit über Halle hinaus. derate bleiben dennoch. An diesen Befund dient der raschen Orientierung über zent- „Halle“ und die Franckeschen Stiftungen [1722] knüpft der Band an. rale Quellenbegriffe (S. 1877–1915). Die als Werk von August Hermann Francke Dietrich Blaufuß Der Schwerpunkt der hier versammel- „Sachthematischen Verweise“ (S. 1917– und seinen Mitarbeitern zu sehen und zu ten Beiträge liegt auf dem oberschwäbi- 1933) erleichtern durch ausgewählte Leit- bewerten. Diverse Studien etwa zu Christi- schen Raum, in dem die ehemaligen Reichs- wörter oder Leitwortbündel (z.B. Bauern- an Richter und Joachim Lange liegen vor. städte in die neuen Mittelstaaten Baden, krieg, Bruderschaften, Pfarreigründungen Mit der 2001 abgeschlossenen Hallischen BLICKLE, PETER / SCHMAUDER, ANDREAS Württemberg und Bayern integriert wur- und Separationen, Rechnungswesen, Re- theologischen Dissertation dürfte das Stan- (Hg.): Die Mediatisierung der ober- den. Für die bayerische Territorialgeschich- formation und Abfall vom alten Glauben) dardwerk zu dem in vieler Hinsicht inter- schwäbischen Reichsstädte im europäi- te interessant sind dabei die vorübergehend die gezielte Benutzung der Sach-, Orts- essanten, schon ab 1717 als Informator an schen Kontext (= Oberschwaben – Ge- (vgl. in diesem Band die mit eigenen Beiträ- und Personenregister. Der Nachdruck ei- den Schulen tätigen Johann Heinrich Cal- schichte und Kultur 11). Epfendorf: bi- gen gewürdigten Vorgänge besonders in ner Karte des Bistums Konstanz mit Ein- lenberg (1694–1760) vorliegen. Nicht zu- bliotheca academica, 2003. 301 S., geb. Ulm und Ravensburg) und dauerhaft zu tragung der Grenzen der Archidiakonate letzt die Verarbeitung immensen hand- – ISBN 3-928471-38-4. Bayern gekommenen Reichsstädte (vgl. die und Dekanate vor der Reformation dient schriftlichen Materials macht die vorlie- in diesem Band in eigenen Beiträgen be- der Orientierung der Benutzer. genden Quellenstudien wertvoll. Damit Der Band dokumentiert die Ergebnisse handelten Städte Kempten und Lindau). Die Konstanzer Investiturprotokolle ruhen unsere Kenntnisse über das „Institu- einer Ravensburger Tagung aus Anlass des Ausgangssituationen und Herausforderun- bieten reiches Quellenmaterial für eine tum Judaicum“ auf sicherer Grundlage. 200jährigen Gedenkens an die Mediatisie- gen beim Herrschaftswechsel werden Fülle von wissenschaftlichen Fragestellun- Anfang, Entwicklung und „Freundes- rung der oberschwäbischen Reichsstadt schon deutlich, wenn man nur Kemptens gen: zur Prosopographie, zur Bildungsge- kreis“ des „Institutum Judaicum“ greifen Ravensburg. Der Verlust reichsstädtischer Charakter als Doppelstadt von ehemaliger schichte, zur Mobilitätsgeschichte, zur weit über die Themenformulierung hinaus Autonomie traf im Zuge der Abwicklung evangelischer Reichsstadt und fürstäbtli- Ausbildung einer Sakrallandschaft, zur Re- bzw. markieren immer den auf die Anstal- des Heiligen Römischen Reiches durch cher Residenzstadt oder Lindaus Intermez- formation und Konfessionalisierung, zur ten selbst bzw. auf die Freundeskreise zu- Napoleon in mehreren Schüben immerhin zo unter fürstlich Bretzenheimischer, dann Orts- und Territorialgeschichte. Im Mittel- kommenden Anteil der Mitwirkung an Be- noch 51 Reichsstädte. Die Facetten des österreichischer Herrschaft zwischen 1803 punkt steht aber natürlich die Bedeutung mühungen etwa um Proselyten, um Sym- Verlusts ihres Rechtsstatus im Rahmen der und 1806 genauer in Augenschein nimmt. für die Erforschung des spätmittelalterlich- pathisanten, Werber (Traktatverteilung) Verfassung des Heiligen Römischen Rei- In den Blick geraten am Beispiel der ver- frühneuzeitlichen Klerus. Man kann dem und Sponsoren – schließlich im Rahmen ches (Mediatisierung) und ihrer Einbin- schiedenen Reichsstädte auch mannigfache Editor Franz Hundsnurscher und der Be- eines auch Europa übersteigenden „Netz- dung in zumeist noch spätabsolutistisch kultur- und mentalitätsgeschichtliche Phä- arbeiterin Dagmar Kraus kaum genug dan- werkes“. Die luzide Auswertung der Hin- regierte und zentralistisch verfasste Fürs- nomene; dazu zählen in der Epoche um ken für ihre entsagungsvolle Arbeit an die- weise auf Sponsoren und das Verfolgen von tenterritorien (Munizipialisierung) wird in 1800 auch die konfessionellen Gegebenhei- sen zentralen Quellentexten, die nun der Spuren der ermittelten Empfänger der den siebzehn Einzelstudien des Sammel- ten in vielen Reichsstädten, in denen sich Wissenschaft in vorbildlicher Weise er- „Halleschen Berichte“ (S. 532) führt zu ei- bandes in allgemeiner Weise und anhand Relikte konfessionalistischer Prägung er- schlossen zur Verfügung stehen und sicher nem ungeheuer weiten Mosaik der so dar- zahlreicher Fallbeispiele diskutiert. Die halten hatten, die in den sie umgebenden zahlreiche Arbeiten anregen werden. zustellenden Freundeskreise – bis nach Stadtforschung zu den alteuropäischen aufgeklärt-absolutistischen Fürstenstaaten [1721] Russland, ja, Indien reichend; „Universal- Kommunen hat diese Vorgänge lange Zeit teils schon überwunden waren. Dieter J. Weiß reform“? ebenso unterschiedlich bewertet wie dies Über die oberschwäbischen Reichsstäd- Ein eindrückliches Beispiel aus dem die Zeitgenossen der Mediatisierung um te hinaus wird der Blick in diesem Sammel- heute bayerischen Bereich ist etwa der 1800 getan haben: Die Urteile schwankten band auch auf vergleichbare Mediatisie- „Fall“ Christian Friedrich Gotthold († Ok- zwischen nostalgischer Verklärung bzw. rungs- bzw. Munizipialisierungsprozesse RYMATZKI, CHRISTOPH: Hallischer Pietis- tober 1735) aus Heiligenstadt/Oberfranken Idyllisierung des Alten auf der einen Seite in anderen, traditionell von autonomen mus und Judenmission. Johann Hein- (S. 247–249). Schwabach, und bis hin zur Feststellung unreformierbarer Städten geprägten Regionen Europas rich Callenbergs Institutum Judaicum Nürnberg kommen des weiteren speziell in Rückständigkeit in ökonomischer und po- (Schweiz, Niederlande sowie Teile Öster- und dessen Freundeskreis (1728–1736) den Blick (S. 370–375; S. 486). Und der aus litischer Hinsicht auf der anderen Seite. reichs und Frankreichs) gelenkt. Besonders (= Hallesche Forschungen 11). Halle: Burgbernheim stammende Johann Loder Diese vielfach klischeehafte Wahrnehmung dieser breit angelegte Vergleich verdeut- Franckesche Stiftungen bzw. Tübingen: (* 3.1.1687, † 5.9.1775 Riga), einige Zeit in der Reichsstädte des späten 18. und frühen licht die Besonderheiten der oberschwäbi- 546 Buchbesprechungen: 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte 547 schen Reichsstädte im Unterschied zu an- laisen). In den Jahren 1934 bis 1947 gab er tanen Art gehalten, denkt breit über seinen seine breiten Schultern die Last genommen, deren hergebrachten Formen kommunaler allwöchentlich seine Wochenbriefe an die Vorgänger nach, formuliert das Bedenkli- die die Pfarrer und ihre Häuser in der Zeit Autonomie. Signifikante Unterschiede Pfarrerschaft seiner Landeskirche und be- che deutlich, weiß aber doch auch den pas- des Kirchenkampfes haben tragen müssen“ werden deutlich im Rechtsbewusstsein freundete Kirchenleute heraus (Auflage bis tor pastorum, der Schlimmeres von der (S. 46). Die Rolle des Bischofs als oberster (etwa gegenüber Reich und Kaiser) oder in zu 1100 Stück). Teilweise ließ er sich für Landeskirche fernzuhalten wusste, gebüh- Repräsentant des deutschen Protestantis- Bezug auf die fiskalische Situation der diese wöchentliche Verpflichtung auch rend zu würdigen. „Es geht nicht darum, mus in der schweren Zeit stellt Hirschler Stadtstaaten (massive Verschuldung spezi- durch andere zuarbeiten, aber letzten En- ihn zu entschuldigen, auch nicht – wie es sehr klar kritisch („verheerend“) dar. „Da ell der oberschwäbischen Reichsstädte). des erschienen diese Wochenbriefe in sei- manche mit lockerer Hand tun – Anwalt er gleichzeitig mit großem Nachdruck die Gleichwohl lassen sich aber beim Vergleich ner Verantwortung. Es waren die Jahre in beim Jüngsten Gericht zu spielen. Ich muss Bindung an die Heilige Schrift und an das verschiedener Beispielstädte und Regionen der Zeit des Nationalsozialismus, die für versuchen, ihn zu verstehen, das was ich Bekenntnis einschärft, sowie die kirchli- auch analoge Aspekte im Vollzug des Ver- die Kirche eine unvergleichliche Heraus- schlimm bei ihm finde, selbstkritisch wahr- chen Belange mit Vehemenz verteidigt hat, lusts kommunaler Freiheitsrechte bzw. Pri- forderung bedeuteten. zunehmen und auszuhalten, und eine Be- war er für die Vertreter des NS-Regimes vilegien feststellen (behördliche Umstruk- Thomas Jan Kück hat sich der Aufgabe urteilung zu versuchen“ (S. 13). Hirschler ein fremdbestimmter Unsicherheitsfaktor. turierungen, Wechsel bzw. Kontinuitäten gestellt, diese Dokumente zu sammeln, ist sich im Klaren: „Deshalb bedarf unser Er selbst und seine Familie haben immer lokaler Eliten). Trotz der tiefen Einschnitte vollständig zu edieren und zu kommentie- Hinsehen der selbstkritischen Reflektion“(S. damit gerechnet, dass er demnächst festge- in den Veränderungsprozessen des frühen ren. Er berichtet aus seiner Göttinger Stu- 9). „Die Wochenbriefe … sind interessante nommen würde. – Es ist nötig, Landesbi- 19. Jahrhunderts zeigt sich in der mittel- dienzeit: „Im Seminar für niedersächsische Dokumente aus dem Verwirrspiel jener schof D. Marahrens in dieser ›durchwach- fristigen Perspektive auch der vielfache Kirchengeschichte gab es eine außeror- Zeit, in dem der Landesbischof zwar nicht senen Weise‹ wahrzunehmen. Er hat seine Nutzen für die untersuchten Städte, die im dentlich lebhafte Diskussion über Marah- dauernd wie ein Fels, manchmal auch leicht Kirche zusammengehalten und gibt uns Verlauf des 19. Jh. als Zentren staatlicher rens und die hannoversche Landeskirche in taumelnd, aber doch weiterhin aufrecht in zugleich Grund erschrocken zu sein. Gott Mittelbehörden und in ökonomischer Hin- der NS-Zeit, zu der auch namhafte Zeit- der Brandung steht und für Pfarrer und wird andere Gedanken haben. Auch über sicht neue Bedeutung erlangten. So lassen zeugen eingeladen waren. Die Aussprache Gemeinden die einzige halbwegs verlässli- uns.“ (S. 46f) Das sind gewiss persönliche sich die Vorgänge um 1800 stets nur als ein war kontrovers. Das Thema wirkte polari- che Orientierung bietet und sich durch- Einschätzungen, die man aber durchaus auf vielschichtiger Vorgang begreifen, in dem sierend. Die Diskussion ließ niemanden setzt“ (S. 15f). „Beim Lesen der Briefe habe sich wirken lassen sollte. die ehemaligen Reichsstädte und ihre Bür- unbeteiligt. Marahrens fand Befürworter ich mich oft gefragt, was hättest du wohl an Auch der Archivdirektor fragt nach ger nicht nur Verlierer, sondern in vielen und Gegner, Ankläger und Verteidiger“. Marahrens´ Stelle in dieser oder jener Situ- dem Inhalt der Briefe: „Was prägt das evan- Bereichen auch Gewinner waren. [1723] Aber der Editor stellt zugleich auch fest: ation gemacht? Habe ich im Bischofsamt gelische Bischofsamt? Die nach dem Ersten Andreas Gößner „Wie ein Steinbruch wurde der Gesamt- eigentlich jemals Vergleichbares erlebt? Weltkrieg verabschiedete Kirchenverfas- corpus benutzt, der wegen seines enormen Mir ist sehr bald klar geworden, dass die sung, die für die hannoversche Landeskir- Volumens groß genug war, um ausreichend NS-Zeit mit den immer neuen – verdeckten che das Bischofsamt einführte, antwortete Material für Zitate zu liefern. Auf diese und offenen – Erpressungssituationen, ih- sehr eindeutig: Sine vi, sed verbo – nicht MARAHRENS, AUGUST: Zur Lage der Kir- Weise konnten die verschiedenen Positio- rer Gleichschaltungsbegeisterung, der durch Gewalt, sondern durch das Wort ist che. Die Wochenbriefe von Landesbi- nen oder Thesen jeweils mit eigenen Wor- Ideologisierung aller Lebensbereiche, un- die Kirche zu leiten. Durch Predigten, Ver- schof D. August Marahrens 1934 – 1947, ten von Marahrens belegt werden“ (S. 7). vergleichbar ist. Dergleichen habe ich in öffentlichungen und durch Vermitteln in hg. und bearb. von Thomas Jan Kück. Das ist der Ausgangspunkt, von dem aus den Jahren meines bischöflichen Dienstes Konfliktfällen hat der Bischof zu wirken. Mit Geleitworten von Horst Hirschler der Editor an die große Aufgabe gegangen nicht einmal annähernd erlebt. Ich muss August Marahrens, der erste Landesbischof und Hans Otte. Bände 1 – 3, Göttingen: ist, eine Gesamtedition in drei stattlichen mich also für mein Verstehen auf eine an- Hannovers, nahm diesen Auftrag ernst, das Vandenhoeck & Ruprecht 2009. Geb., Bänden vorzulegen. „Wir sind Herrn Su- dere Welt einstellen“ (S.12). Mit diesen Zi- zeigen die vorliegenden ›Wochenbriefe‹ in Hardcover, zusammen 1899 S. – ISBN perintendent Dr. Thomas Kück sehr dank- taten ist der Geist angedeutet, in dem eindrucksvoller Weise“ (S. 48). 978-3-525-55320-6. bar, dass er sich dieser Aufgabe gestellt hat Hirschler über seinen Vorgänger nach- Es ist an dieser Stelle nicht möglich, in- und mit Unterstützung des Archivdirek- denkt. Er würdigt: „Landesbischof D. Au- haltlich auf die Menge des vorliegenden August Marahrens (1875 bis 1950) war tors unserer Landeskirche Herrn Dr. Hans gust Marahrens ist ohne Zweifel darin ein Materials im historischen Kontext wirklich von 1925 bis 1947 Landesbischof in Han- Otte diese Edition zustande gebracht hat“ bedeutender Bischof gewesen, dass er seine einzugehen. Man muss sich klar machen, nover. Er war als Sprecher des deutschen – so schreibt der hannoversche Altbischof Kirche und die Pfarrerschaft in schreckli- dass ja diese Briefe hektographiert und zum Luthertums und dienstältester deutscher Horst Hirschler in seinem Geleitwort (S. cher Zeit durch sein ungewöhnlich intensi- Versand gebracht werden mussten, dann Landesbischof eine „kirchenpolitische 47). Dem ist nichts hinzuzufügen. ves seelsorgerliches und brüderliches Ver- aber alle Pfarrhäuser erreichten. „Inhaltlich Schlüsselfigur in der Deutschen Evangeli- Hirschlers Geleitwort ist in der diesem halten zusammengehalten hat.“ Er macht beginnen die Wochenbriefe in der Regel schen Kirche seiner Zeit“ (Carsten Nico- Autor eigenen sehr persönlichen und spon- sich ein Zitat zueigen: Marahrens „hat auf mit einer Meditation über einen biblischen 548 Buchbesprechungen: 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 2. Außerbayerische Territorialkirchengeschichte 549

Spruch aus einer der Lesungen des Sonn- neue Fragestellungen aufgetaucht sind und der gemeinsam mit Ernst Bizer 1964 eine vor Günther Wartenberg Laus Tätigkeit als tags. Seit dem 1. Advent 1935 setzte Marah- in der aufgrund der sehr kontrovers disku- Reformationsgeschichte Deutschlands in Professor an der Universität Leipzig (S. 99– rens zusätzlich über jeden Brief in Groß- tierten Zusammenhänge ein neuer Schub der Reihe „Die Kirche in ihrer Geschichte“ 106) knapp umreißt und in einem Anhang buchstaben den biblischen Wochen- von Forschungen in Gang gekommen ist. veröffentlicht hat. Kaum jemand weiß, dass die Themen der von Lau betreuten Diplom- spruch.“ Marahrens legte großen Wert auf Auf die Gesamtlage in Bayern ist an dieser er als Pfarrer der Bekennenden Kirche und arbeiten auflistet (S. 107f). Den Band rundet die brüderliche Gemeinschaft in der Für- Stelle nicht einzugehen, aber doch drängen als „Landessuperintendent“ in den schwie- der leicht korrigierte Wiederabdruck der bitte. Diesem Thema wendet er sich immer sich auch Vergleiche auf. Die in Hannover rigen Jahren 1945 bis 1947 eine führende „Bibliographie Franz Lau“ ab (S. 109–126), wieder zu. „Es war Bestandteil seines vorgelegte Quellenedition mit Dokumenten Rolle in der sächsischen Landeskirche ge- den Wartenberg bereits 1976 veröffentlich- Amtsverständnisses, die Pastoren der Lan- des damaligen Landesbischofs können wir spielt hat, um dann in der frühen DDR als te. deskirche im Gebet füreinander zusam- aus Bayern nur mit Respekt und Anerken- Kirchenhistoriker nachhaltige Akzente zu Auch wenn der plötzliche Tod von Hel- menzuführen“ (S. 57). Der Bischof ver- nung zur Kenntnis nehmen. Was in diesen setzen. Anlässlich seines 100. Geburtstags mar Junghans am 16. Mai 2010 eine ur- stand seine Briefe als „persönliches Wort“ Texten zur Debatte steht, ist ja nahe ver- veranstalteten Helmar Junghans (1931– sprünglich beabsichtigte lebensvollere Port- oder als „wöchentliches Gespräch“. „Er wandt, aber doch deutlich zu unterscheiden 2010) und Günther Wartenberg (1943–2007) rätierung seines Lehrers verhindert hat (im ließ die Pastoren an seinem bischöflichen und auch wieder in Beziehung zu setzen zu ein Kolloquium, das sich mit dem Leben ih- Rahmen einer Würdigung Laus als „Vorsit- Handeln teilhaben, trug zu deren Mei- den Vorgängen in Bayern. res akademischen Lehrers und der „Breite zender der Arbeitsgemeinschaft für sächsi- nungsbildung über die kirchenpolitische Am Ende der drei monumentalen Bän- seines Wirkens“ (S. 14) beschäftigte. Die sche Kirchengeschichte“), so tritt in diesem Lage wesentlich bei und erfuhr rückwir- de mit insgesamt 1899 Seiten findet man Beiträge werden in diesem kleinen Band do- Gedenkband doch ein in vieler Hinsicht au- kend auch eine nicht unerhebliche Selbst- nicht ein übliches Register. „Zugleich sollte kumentiert. ßergewöhnlicher Theologe vor Augen. Un- vergewisserung. … Aus heutiger Sicht wür- die Präsentation der Briefe ein modernes Zunächst wendet sich Junghans „Franz ter den Bedingungen von zwei Diktaturen de man sich mehr Aufklärung und weniger Arbeiten mit ihnen ermöglichen, sodass Lau als Kirchenhistoriker“ zu (S. 15–25). hatte er sich im öffentlichen Amt als Pfarrer versteckte Hinweise in den Briefen wün- sich eine CD-Rom-Version nahelegte. Mit Dann berichtet Markus Hein von dessen und Professor zu bewähren. schen.“ (Kück, S. 58) Dass Marahrens auch Suchbegriffen oder anderen Funktionen durchaus spannungsvollem Verhältnis zu Deutlich wird an Laus Beispiel auch, wie weit über die Grenzen seiner Landeskirche kann nunmehr auf die Gesamtheit der Brie- seiner sächsischen Landeskirche, der er le- not es tut, den Weg historischer Personen hinaus Amtsbrüder in „gleichgeschalteten“ fe zugegriffen werden“ (S. 7). Das ist also benslang tief verbunden war (S. 27–38). individuell zu untersuchen, um ihnen zu- Landeskirchen in ihrem Kampf um das Be- die Form, in der alle Registerarbeiten auf- Holger Berwinkel stellt Laus Engagement mindest annäherungsweise gerecht zu wer- kenntnis der Kirche gefördert und gestützt gehoben und überboten sind. Diese CD- für den „Neubeginn der kirchlichen Arbeit den. So war Lau im Jahr 1940 zusammen hat, muss man sich bewusst machen. Mit Rom ist am Ende des 3. Bandes in eine Ta- in Dresden 1945“ dar (S. 39–56) und veröf- mit anderen, noch nicht in ein gesichertes diesen zusammenfassenden Hinweisen sche eingelegt. Ein wunderbares Hilfsmit- fentlicht dazu Dokumente aus Laus Hand- Anstellungsverhältnis gekommenen sog. kann der Inhalt dieses Gesamtcorpus nur tel für jeden Bearbeiter, falls er diese Form akten, aufbewahrt im Landeskirchenarchiv „Pastoren“ seiner Kirche aus dem Pfar- sehr grob angedeutet werden. Aber mehr des modernen Arbeitens beherrscht. Dresden (S. 51–56). Laus Arbeit als Präsi- rernotbund (und der sächsischen Bekennen- ist an dieser Stelle nicht zu leisten. [1724] dent des Gustav-Adolf-Werkes wird von den Kirche) ausgetreten. Seit dessen Mitar- Es verdient hohe Beachtung, dass in der Rudolf Keller Wilhelm Hüffmeier gewürdigt (S. 57–66); beit im Landeskirchenausschuss 1935 hatte Hannoverschen Landeskirche diese Editi- wobei der Hinweis fehlt auf das Porträt von er mit ihm und seinen Führungspersonen on vorgelegt worden ist. Die angeführten Ingetraut Ludolphy: Franz Lau (1907–1973). grundsätzliche Probleme und vermisste an- Zitate zeigen den Geist, in dem das gesche- Kirchenhistoriker und Anwalt evangelischer gesichts des drohenden Kriegseinsatzes die hen ist. Möge das vorgelegte Werk nun HEIN, MARKUS / JUNGHANS, HELMAR (Hg.): Diaspora, in: Lutherische Kirche in der Solidarität mit den jungen Pfarrern. Nun – auch benutzt und intensiv bearbeitet wer- Franz Lau (1907–1973). Pfarrer, Super- Welt. Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes freilich unter der Beteuerung, keine theolo- den, nicht nur als Steinbruch für die Aus- intendent und Kirchenhistoriker. Kol- 48 [2001], S. 205–218). Sodann gelangen gischen Zugeständnisse zu machen – ließ er schmückung eigener Thesen, sondern als loquium zu Leben und Werk am 22. besondere Betätigungsfelder Laus zur Dar- sich von der deutsch-christlich beherrschten zusammenhängende Quelle, in der ein Text Juni 2007 in der Sächsischen Akademie stellung: Dieter Auerbach erinnert an „Franz Kirchenleitung einer Pfarrstelle zuweisen. manche anderen mit beleuchtet und umge- der Wissenschaften zu Leipzig (= Her- Lau als Domdechant des Hochstifts Mei- Ein Schritt, der so gar nicht in das geläufige kehrt! bergen der Christenheit, Sonder- ßen“ (S. 67–72), Detlef Döring an Lau als Schwarz-Weiß-Bild passt, sondern ange- In der Evangelisch-Lutherischen Kirche band 17). Leipzig: Evangelische Ver- Mitglied der Sächsischen Akademie der messen differenzierend, mit allen konkreten in Bayern hat seit 2006 eine Phase der erneu- lagsanstalt, 2011. 136 S., br. – ISBN 978- Wissenschaften (S. 73–79) und Klaus Fit- Umständen und Aspekten, ins Auge gefasst ten vermeintlich kritischen Aufarbeitung 3-374-02730-9. schen an Lau als Herausgeber des „Hand- und verstanden werden will! Auch Laus der Rolle ihres Landesbischofs D. Hans buchs zu Freikirchen und Sekten“ (S. 81– Mitarbeit unter der SED-Herrschaft als Meiser in der Zeit des Nationalsozialismus Außerhalb Sachsens ist Franz Lau wohl 88). Schließlich stellt Michael Beyer „Franz Professor in der Theologischen Fakultät begonnen, durch die unter anderem auch fast nur noch als Luther-Forscher bekannt, Lau als Schriftausleger“ vor (S. 89–97), be- Leipzig, als Kirchenhistoriker in der Akade- 550 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.1. Übergreifend 551 mie der Wissenschaften, als nüchterner For- logie (und da vor allem die Luther-For- torisch belegter Erklärungsversuche (mit bietet die räumliche Orientierung. – Die scher und als dem christlichen Bekenntnis schung) „im Sinne eines Resistenzpotenti- gelegentlich abstrusen Fehldeutungen) ent- Überlieferungssituation kann als durchaus verpflichteter Theologe, der sich mit den als“ (S. 90) gegenüber den herrschenden scheidet sich der Autor für die etymolo- heikel eingestuft werden. Gleichwohl ge- Thesen marxistischer Historiker entschie- Ideologien und Machthabern zur Wirkung gisch gesicherte, gelegentlich auch höchst- lingt bei aller Vorsicht eine überzeugende den, aber vorsichtig auseinandersetzen kommt. Der Pfarrer und Kirchenhistoriker wahrscheinlich anzunehmende Ableitung. Interpretation der „sogenannten Grün- musste, verlangen eine umsichtige Wahr- Franz Lau gehört zu Recht in die Reihe der Weitergehende ortskundliche Informatio- dungsurkunde“. Und weil der Vf. in seine nehmung und subtile Beurteilung. Bei Lau sächsischen Landesbischöfe, auch wenn er nen sind über das ausführliche Literatur- Überlegungen zur Entstehungssituation – das ermöglichen die Beiträge dieses Ban- diesen Titel niemals innehatte. verzeichnis (S. 254–278; leider integriert gleichzeitig das theologische und spirituel- des – lässt sich die spannende Entdeckung [1725] mit dem Quellenverzeichnis) zu beziehen. le Umfeld einbezieht, in dem sich die Re- machen, wie das Schrift-Studium, die Theo- Wolfgang Huber Der immense Aufwand an Quellenstudium formbewegung der Augustinerchorherren in diesen Detailforschungen – auch wenn entfaltete, und dabei auch den verkehrspo- man die Mithilfe von Archivaren und Kol- litisch interessanten Standort des Stifts be- legen berücksichtigt -, verdient höchste rücksichtigt, erhalten die ersten etwa 100 Anerkennung! Ein auch für Kirchenhisto- Jahre der Triefensteiner wie die der Au- riker und Ortspfarrer (Kirchengemeinden) gustinerchorherrn in Franken überhaupt nützliches Instrumentarium, das im Hin- klarere Konturen. blick etwa auf Orts- oder Kirchenjubiläen Ebenfalls einer geistlichen Kommunität zuverlässige Auskünfte vermittelt! widmet sich Helmut Flachenecker in “Die 3. Bayerische Kirchengeschichte [1726] Karmeliten oder Frauenbrüder im Hoch- Gerhard Philipp Wolf stift Würzburg“. In einem Längsschnitt 3.1. Übergreifend (Nr. 1726–1729) werden die vier unterfränkischen Karmeli- tenniederlassungen Würzburg, Vogelsburg Reitzenstein: Lexikon fränkischer Ortsnamen (Wolf) (Nr. 1726) – Jahrbuch für fränkische Lan- über , Neustadt/Saale und Schwein- desforschung Bd. 69 (2009) (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1727) – Ackermann/Schmid/Volkert (Hg.): JAHRBUCH FÜR FRÄNKISCHE LANDESFOR- furt vorgestellt. Von ihrem ursprünglichen Bayern. Vom Stamm zum Staat [FS Andreas Kraus] (Eberl) (Nr. 1728) – Dopsch/Freund/ SCHUNG, Band 69 (2009). Hg. vom Zen- Sitz auf dem Karmel im Hl. Land ver- Schmid (Hg.): Bayern und Italien [FS Kurt Reindel] (Eberl) (Nr. 1729. tralinstitut für Regionalforschung an drängt, erreichten die Brüder kurz nach der Universität Erlangen-Nürnberg – 1252 auch Würzburg und gründeten im Sektion Franken: Friedrich-Alexander- Stadtzentrum ihr erstes Kloster. Die ande- REITZENSTEIN, WOLF-ARMIN FRHR. V.: Le- nen beiden Auflagen seines „Lexikon(s) Universität Erlangen-Nürnberg, 2009. ren Klöster im Hochstift folgten. Anstelle xikon fränkischer Ortsnamen – Her- bayerischer Ortsnamen“ (1. Aufl. Mün- XII + 228 S., geb., sw. Abb.- ISBN 978- des ursprünglichen Eremitendaseins bilde- kunft und Bedeutung: Oberfranken, chen: C.H.Beck, 1986; erweiterte Aufl. 3-940049-10-0. ten nun Predigt, Seelsorge und die Aner- Mittelfranken, Unterfranken. München: 1991) als Basiswerk nicht mehr zur Verfü- kennung als Bettelorden das Fundament. C.H. Beck, 2009. 288 S., geb., mit 9 Teil- gung standen, scheiterte das Projekt, für Wilhelm Störmer befasst sich in den Doch die Karmeliten konnten ihren geistli- karten und 1 Übersichtskarte, – ISBN die einzelnen Regierungsbezirke Ergän- „Beobachtungen zu den Anfängen der Au- chen Verrichtungen nicht unangefochten 978-3-406-59131-0. zungsbände herauszubringen. So führte gustinerchorherrenbewegung in Franken. vom örtlich zuständigen Weltklerus nach- eine erweiterte Neuausgabe 2006 zum „Le- Das Chorherrenstift “ mit den gehen, so dass die Würzburger Bischöfe Als studierter Altphilologe, Historiker xikon der Ortsnamen von Oberbayern, Anfängen dieses Stifts am rechten Mainu- unterstützend eingriffen. Als die histo- und Germanist bringt der Vf. die besten Niederbayern und Oberpfalz“ und 2009 fer gegenüber Lengfurt unweit südlich von risch-kulturell bedeutendste Hinterlassen- Voraussetzungen für ein Engagement in die die anzuzeigende Veröffentlichung zu den . Spätestens 1102 wurde schaft der Karmeliten stuft der Vf. die Kir- bayerische Ortsnamenforschung ein, der er fränkischen Regierungsbezirken. es durch Bischof Emehard von Würzburg che in Bad Neustadt/Saale mit ihrer Ba- sich in mehr als 40 Jahren kontinuierlicher Der Vf. konzentriert sich bei den ein- den Kanonikern übergeben. Die Studie er- rock- und Rokoko-Ausstattung ein. Hier Forschung verschrieben hat. Bereits 1970 zelnen Ortsartikeln konsequent chronolo- schließt die adeligen Schenker und frühen spiegelt sich im Bildprogramm von Hoch- promovierte er an der LMU München mit gisch auf die ältesten Quellenbelege, die am Besitzverhältnisse des Stiftes, erhellt Her- altar und Kanzel eindrucksvoll und an- seinen „Untersuchungen zur römischen sichersten „seine Bestandteile erkennen“ kunft und religiösen Standort des Grün- schaulich das speziell karmelitische – den Ortsnamengebung“, und einen Einblick in lassen (S. 9). Bei den Veränderungen in der ders Gerung und seiner direkten Nachfol- alttestamentarischen Propheten Elias mit sein vielfältiges Oeuvre bietet allein das Li- späteren Schreibweise berücksichtigt er ger und bemüht sich um eine Klärung der Maria verbindende – Geschichtsbild des teraturverzeichnis (S. 268!) vorliegender auch dialektale (oft schwer zu transkribie- frühen Beziehungen zwischen Stift und Ordens und seine besondere Spiritualität. Veröffentlichung. Da die längst vergriffe- rende) Formen. Nach der Wiedergabe his- geistlichen Oberherrn. Eine Lageskizze – Der Beitrag ist auch als Appell gedacht, 552 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.1. Übergreifend 553

Wirken und Erbe der Karmeliten in Fran- (W. Leiser 1977) aus, die auf altes Herkom- kungen zu einem interdisziplinären Doku- len greifbaren ordnungspolitischen Maß- ken nicht zu vergessen. men treffen. Diese Spannung verleiht der mentations- und Erschließungsprojekt“ nahmen der Ellinger Ordensobrigkeit und Ute Feuerbach stellt in „Das Volkacher Gerichtsreform ihr eigenes, in die Zukunft kündigt Werner Wilhelm Schnabel eine di- zum andern das barocke Bau- und Bild- Salbuch als Teilfaksimile. Eine Edition“ weisendes Potential. Wichtig ist der Ab- gitale Veröffentlichung an, die historische programm der Ellinger Landkomture. Was diese herausragende fränkische Rechts- schluss des Beitrags: die Edition der insge- Bilder und Daten zur „Athena Norica“ die Ordnungspolitik angeht, wird gezeigt, quelle (1504) mit ihren nahezu 130 farbigen samt 30 Kapitel der frühneuhochdeutsch präsentieren und kommentieren wird. Sie dass die Ellingische „Policey Ordnung“ Miniaturen vor und rekapituliert insbeson- geschriebenen Gerichtsordnung. wird als DVD-ROM im Buch- und Me- von 1685 alle Züge eines zeitgenössisch ak- dere die hochinteressante Rezeptionsge- Attila Tósza-Rigó forscht über „Die dienhandel zu kaufen sein. Befördert wur- tuellen Regelwerks aufweist. Sie ist um schichte, die bereits im 18. Jh. einsetzt. Rolle des Donauhandels im Nürnberger de die Projektidee durch die besonders gute Rechtssicherheit für die Untertanen be- Dem Archivale galten vielfältige histori- Wirtschaftsleben. Beziehungen zwischen Überlieferungssituation des Altdorfer Bil- sorgt und berücksichtigt die diversen Aus- sche Interessen (Stadtgeschichte, lokale den Wirtschaftseliten Pressburgs und derschatzes. Gleichzeitig sollte dem Man- prägungen des Alltagslebens. Die Befunde Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Nürnbergs im 16. Jahrhundert“. Haupt- gel abgeholfen werden, dass bisher keine werden als „frühmoderne Ordnungspoli- „Rechtsvolkskunde“, Rechtsarchäologie quelle von Rang ist das Verbotsbuch der geeignete Sammlung vorliegt und dass die tik“, „frühmoderner Policeystaat“ und und -ikonographie etc.), es genoss und ge- Stadt Pressburg. Darin sind aus Warenlie- Selbstdarstellung der Universität in Bildern „vormoderner Rechtsstaat“ eingestuft. Für nießt eine anhaltend hohe Aufmerksam- ferungen stammende Finanzansprüche ei- auch im Fall Altdorfs noch vergleichsweise die letztere Zuweisung fehlen aber neben keit. Umso erfreulicher ist es, dass nun – nes Gläubigers gegen einen Schuldner auf- wenig erforscht ist. An drei Darstellungsty- der postulierten Rechtssicherheit, soweit mitinitiiert durch eine Tagung zum Volka- gezeichnet – in Form von Veräußerungs- pen (Topographie und Hochschuleinrich- ersichtlich, weitere Ansätze zur Begren- cher Stadtjubiläum 2008 – eine wissen- verboten auf bewegliche und unbewegliche tungen, Porträts des Lehrpersonals, Prezi- zung der staatlichen Gewalt, für die der schaftlich kommentierte Edition und ein Habe, die alle notwendigen personalen und osen) erläutert der Vf. den umfassenden Terminus stehen könnte. – Das Ellinger bibliophiler Teilfaksimiledruck des Sal- finanziellen Angaben enthalten (Name und Bestand und den hohen Rang der Bildquel- Bauprogramm wird als Architekturmeta- buchs in Buchform vorliegen, so dass die Herkunft der Handelspartner, jährliche len. Ist das Projekt abgeschlossen, eröffnet pher rationalen Fürstenhandelns gedeutet, schöne, reichhaltige Quelle noch intensiver Verbotszahlen, Schuldsummen, Verbotsin- die Sammlung angesichts der interessanten deren formale Sprache durch das Bildpro- für Forschungszwecke genutzt werden halte). Die Verbote wurden zwischen 1538 medialen Aufbereitung eine avancierte gramm vor allem der Residenz bewusst kann. und 1566 ins Buch eingetragen. Grafiken Forschungsperspektive für die Wissen- vertieft und gestützt wird. Denkt man an Einer weiteren Rechtsquelle, ihrem veranschaulichen die diversen Sachverhal- schaftsgeschichte der Altorphina und bie- Konzeption und Ausführung anderer früh- Umfeld und ihrem Initiator gilt Hiram te. Bei den Handelsbeziehungen von Ober- tet gleichzeitig vielseitige Erschließungs- neuzeitlicher und barocker Plananlagen, Kümpers Aufsatz „Johann III. von Eich deutschland nach Nordwestungarn entlang möglichkeiten auch für Nachbardiszipli- handelt es sich um eine eher späte Manifes- (1445–1464) und seine Gerichtsreform. Ein der sog. „Donauroute“ waren v.a. Bürger nen. tation fürstlichen Herrschafts- und Reprä- Beitrag zur Geschichte des gelehrten Rechts aus Pressburg Wirtschaftspartner der ober- Wolfgang Wüsts Frage „Ellingen. Die sentationswillens. Insgesamt jedoch kann in Franken“. Das Lebensbild des weniger deutschen Kaufleute. Der Vf. rekonstruiert Ballei Franken und der Deutsche Orden – man dem Fazit des Beitrags folgen, dass der bekannten 50. Eichstätter Bischofs hebt die herausragende Rolle Nürnbergs in die- kulturelles und politisches Modell einer Ellinger Ordensstaat in seiner ordnungs- seine fundierte juristische und frühhuma- sem Geflecht und kann die Geschäftsver- verlorenen Lebenswelt in der Region?“ ist politischen Realität und in seiner Architek- nistische Bildung hervor, kennzeichnet ihn bindungen einigen dort ansässigen Famili- doppeldeutig: Geht es um ein kulturelles tursprache dem Vergleich mit den benach- als bemerkenswerte Figur im Umkreis der en zuweisen. Sie entstammten der alten und politisches Gedankenexperiment in ei- barten weltlichen Fürstentümern und Großen von Reich und Kirche und zeigt patrizischen Oberschicht oder waren – ner Lebenswelt, die nun verloren ist, oder Reichsstädten standhält. ihn als aktiven Gestalter geistlicher Institu- mehrheitlich – rührige Mitglieder des zwei- geht es um ein konkretes kulturelles und Einer couragierten Frau, die der Obrig- tionen in seinem Hochstift und vor allem ten Standes, die Vermögensmehrung und politisches Gestaltungsmuster, das einer keit die Stirn bot, widmet sich Alison Row- als Reformer weltlichen Rechts. Gewisser- sozialen Aufstieg auch dieser Handelstätig- nun verlorenen Lebenswelt den Stempel land in „Die ‚Flohfrau von Bettenfeld‘. maßen das Vorspiel seiner „großen“ Ge- keit verdankten. Ihre gegenseitigen Verbin- aufgeprägt hat? Ausgangspunkt der Unter- Strategien des Widerstandes in einem frän- richtsreform waren ein Privileg Friedrichs dungen geschäftlicher und verwandtschaft- suchung ist die abschätzige Beurteilung des kischen Hexenprozess des 17. Jahrhun- III. von 1446 für die Stadt Eichstätt zur licher Art kann der Vf. ebenfalls erschlie- Zustands geistlicher Staaten am Ende des derts.“ Anhand von Quellen aus dem Stadt- Verfahrenserleichterung bei Strafsachen ßen – insgesamt bildet seine Studie einen Alten Reiches durch aufgeklärte bildungs- archiv Rothenburg ob der Tauber werden gegen später so genannte „Landschädige“ weiteren wichtigen Beitrag zur Erfor- reisende Zeitgenossen und die marginale die ‚übliche‘ Anklage sowie der gar nicht und die Rats- und Stadtgerichtsordnung schung von Nürnberger wirtschafts- und Beachtung dieser Staaten in der späteren übliche Verlauf und Ausgang eines Hexen- von 1457. Die sich an letztere zeitlich di- sozialgeschichtlichen Kontakten entlang Geschichtschreibung, u. a. der sog. „neuen prozesses gegen eine reichsstädtisch-ro- rekt anschließende Gerichtsordnung zeich- der europäischen West-Ost-Handelsachse. Moderne“. Im Zentrum der Aufmerksam- thenburgische Untertanin aus der Land- net sich durch eine bemerkenswert frühe Unter dem Titel „Bildquellen zur Ge- keit steht die Kommende Ellingen. Be- wehr geschildert. Gegenstand der Anklage Rezeption „gelehrter Rechtsgrundsätze“ schichte der Universität Altdorf. Bemer- trachtet werden zum einen die in den Quel- war eine Verleumdung wegen angeblichen 554 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.1. Übergreifend 555

Flohzaubers. Der Prozess fand zwischen der Miltons Text geschickt adaptierte, Beziehung dabei asymmetrisch, denn ers- Eine Reihe von Autoren greift in ihren Ende Juli und 1. Oktober 1652 statt. Fünf wirkte der weltläufige, gebildete Benjamin teren galt der Status der eigenen Kultur als Beiträgen einzelne Quellen auf. Dabei wer- Verhöre, das letzte mit Daumenschrauben, Stillingfleet, mit dem Smith eng befreundet überlegen. Ertrag ihrer umfassenden, eth- den neu entdeckte Urkunden Kaiser Fried- brachen den psychischen und physischen war. Für die Analyse des Oratoriums zieht nologisch wie ethnographisch akribisch richs II., die Geschichte von Kloster Banz Widerstand der Sechzigjährigen nicht. Sie die Vf. die vom Komponisten selbst ge- dokumentierten Forschungen waren Be- im späten Mittelalter, ein Exorzismus auf beharrt auf ihrer Unschuld, verteidigt sich kürzte Fassung von 1774 heran und unter- richte, Zeichnungen, Präparate und weitere der Festung Rosenberg, die Testamente der so verbal geschickt wie anhaltend wider- sucht den Aufbau sowie drei Stücke (Fina- „Trophäen“ aus den besuchten Regionen. Kurfürsten Friedrich III. und Ludwig VI. spenstig und bringt den Stadtrat überdies le, zwei Arien). Detailliert weist sie nach, All das wurde ins Staatliche Museum für von der Pfalz, die kurbayerische Bildungs- mit der Schilderung einer Engelsvision in dass Smith, je nach Sujet, entweder Hän- Völkerkunde München verbracht – heute politik im Zeitalter der Aufklärung, ein ös- Bedrängnis. Vor so viel Obstination kapitu- dels kompositorische Traditionslinie ge- dessen dichtester Sammlungsbestand zur terreichischer Bericht des Jahres 1805 über liert die Obrigkeit. Der Prozess endet mit konnt fortsetzte oder eine neue Richtung Ethnographie Südamerikas. [1727] die bayerische Situation am Hof, in Regie- der Haftentlassung der Beschuldigten, einschlug, die sich am empfindsam-galan- Elisabeth Fuchshuber-Weiß rung, Armee und Finanzen, die Gesandt- nachdem sie Urfehde geschworen hat. – ten Stil orientierte und künftige, frühklassi- schaftsberichte des Hochstifts Freising, ein Der Beitrag zur Frauen- und Genusge- sche Tendenzen Haydns vorwegnahm. Die Statusbericht des Regensburger Bischofs schichte zeigt eine als Hexe angeklagte Frau Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Profil- Valentin Riedel von 1847 und zuletzt die nicht in der häufig propagierten Opferrolle zeichnung des Komponisten und ergänzt ACKERMANN, KONRAD / SCHMID, ALOIS / Staatsauffassung von Kronprinz Rupprecht und liefert mit den Erläuterungen zur En- gleichzeitig das Bild der englischen und eu- VOLKERT, WILHELM (Hg.): Bayern. Vom von Bayern untersucht. Einigen dieser gelsvision auch eine Skizze zur lutherischen ropäischen Musikkultur im Übergang vom Stamm zum Staat. Festschrift für And- Aufsätze sind die behandelten Quellen als Volksfrömmigkeit. Schade, dass bei der Barock zur Klassik. Nicht immer geschickt reas Kraus zum 80. Geburtstag (= Edition im Anhang beigefügt. Eine eigene deutschen Fassung des Beitrags nicht noch platziert sind die englischen Zitate. Das Schriftenreihe zur bayerischen Landes- Stellung in Bezug auf den Umfang und die genauer auf Orthographie sowie Tempus- deutsch-englische Sprach-Switching (!) in- geschichte, Band 140, 1–2). München: thematische Behandlung nimmt der Beitrag und Modusgebrauch geachtet wurde. nerhalb eines Satzgefüges stört den Lese- C.H. Beck, 2002; geb., Band 1: XIX + von Helmut Rankl zur Demographie der Die Studie von Magdalena Käpplinger fluss. 498 S., 1 Farbabb., 1 Abb.; Band 2: VI + ober- und niederbayerischen Städte und widmet sich in „Paradise Lost – Ein Orato- Der Beitrag „Mit den Augen des Frem- 655 S., 28 Abb. – ISBN 978-3-406- Märkte in der Frühneuzeit mit über 50 Sei- rium von John Christopher Smith (1712– den. Die Erforschung der indigenen Bevöl- 10721-4. ten ein. Rankl stellt neben der demographi- 1795). Ein Franke und sein ‚Verlorenes Pa- kerung Brasiliens durch Johann Baptist schen Entwicklung auch die zu dieser ge- radies‘ als Mittler zwischen Tradition und von Spix (1781–1826) und Carl Philipp Die zweibändige Festschrift zum 80. hörenden Quellen umfassend vor. Er hat Fortschritt“ dem Werk eines in England tä- Friedrich von Martius (1794–1868). Vor- Geburtstag von Andreas Kraus ist nicht damit eine mustergültige Untersuchung tigen Musikers und Komponisten mit Ans- aussetzungen, Arbeitsweisen, Einstellun- nur eine Hommage an den Jubilar, sondern zur bayerischen Demographiegeschichte bacher Wurzeln. Der in Ansbach am 7. Ja- gen“ von Klaus Guth beschließt den Band. gleichzeitig auch eine Bilanz der bayeri- geliefert. nuar 1712 getaufte Johann Christoph Im Mittelpunkt der in etwa mentalitätsge- schen Landesgeschichtsforschung zu Be- Eine Anzahl von Beiträgen widmet sich Schmidt war Sohn des gleichnamigen Mu- schichtlich-handlungstheoretisch-inter- ginn des 21. Jahrhunderts. In insgesamt 52 der Wissenschaftsgeschichte. Neben Dar- sikers, der 1716 Händel nach London be- kulturell angelegten Untersuchung stehen Beiträgen wird diese in großer thematischer stellungen über die Edition der Regesten gleitete und 1720 seine Familie nachholte, zwei enzyklopädisch gebildete, vielseitig Spannbreite vorgestellt. Zeitlich reichen der Herzöge von Bayern stehen Ausfüh- die sich in England Smith nannte. Auf- interessierte, fränkische Naturwissen- die Beiträge von einem Artikel über die rungen über die Ergebnisse der Untersu- grund der hohen musikalischen Begabung schaftler, gebürtig aus Höchstadt an der bayerischen Synoden des 8. Jahrhunderts chungen des Historischen Atlasses von des jungen Smith nahm Händel ihn als Aisch (Spix) und Erlangen (Martius). Im bis kurz vor die Wende zum dritten Jahr- Bayern zur Kirchen- und Klostergeschich- Schüler an. Nach der Grundausbildung Auftrag von König Max I. Josef reisten sie tausend. Die durch die Vorgaben der Hg. in te. Zu dieser Gruppe sind auch die Beiträge vertiefte Smith jun. seine Studien andern- nach Brasilien. Das Interesse des Vf. gilt ihrem Umfang ähnlich gestalteten Beiträge über die wissenschaftliche Arbeit in den orts, unterrichtete selbst und legte bereits vorrangig dem Blick der beiden Forscher sind zu einem Teil unmittelbar Epochen frühneuzeitlichen bayerischen Klöstern 1729 eine erste Komposition vor. Er etab- auf die Indianerstämme, um deren Arbeits- zuweisen, während andere Beiträge die mit Thierhaupten und Prüfening zu rech- lierte sich im reichen englischen Musikle- weisen und Einstellungen zu rekonstruie- Epochengrenzen überspringen und große nen, aber auch der Beitrag über Max Pet- ben als Musiklehrer, war rechte Hand ren. Bekanntlich nimmt in einer fremden Zeiträume vergleichend überblicken. Da tenkofer als Mitglied der Bayerischen Aka- Händels, Organist und Komponist und Lebenswelt der Wissenserwerb über das sich der Jubilar in seinen eigenen Arbeiten demie der Wissenschaften, die Abhandlung starb 1795 allseits geschätzt in Bath. Von Sehen den obersten Rang neben den ande- mit umfassender Quellenarbeit und mit der zur Sozialgeschichte der deutschen Studen- besonderer Qualität ist sein Oratorium ren Wahrnehmungsmodi ein, so auch hier. Wissenschaftsgeschichte befasst hat, wid- ten im 19. Jahrhundert bis hin zur Untersu- „Paradise Lost“, dem das berühmte Epos Zwischen den beiden Franken und den In- met sich die überwiegende Zahl der Beiträ- chung der Wirkung von Kardinal Faulha- von Milton zugrunde liegt. Als Librettist, dianern gestaltete sich die intersubjektive ge diesen beiden Themenbereichen. ber in der Geschichtsschreibung im Beitrag 556 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.2. Bis 1500 557 von Walter Ziegler. Der Kreis der Autoren alter vorstellt. Stephan Freund behandelt 3.2. Bis 1500 (Nr. 1730–1732) bildet einen Who is who der bayerischen die Formen und Wege bayerisch-italieni- Landesgeschichte, doch geht er weit über scher Kommunikation im Früh- und Meyer: Die Christianisierung Frankens [Sankt Kilian] (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1730) – Paulus: den Kreis der Landeshistoriker hinaus. Die Hochmittelalter. Rudolf Schieffer greift die Das Pfalzgrafenamt in Bayern (Eberl) (Nr. 1731) – Müller: Die Würzburger Judengemeinde im beiden Bände werden durch ein umfassen- Kaiserkrönung Karls des Großen im Zu- MA (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1732). des Orts- und Personenregister erschlos- sammenhang mit der Stellung von Erzbi- sen, wobei das Schriftenverzeichnis des schof Arn von Salzburg auf. Erwin Frauen- Jubilars einen umfassenden Überblick über knecht stellt die Nicolaiten und Häretiker MEYER, OTTO: Die Christianisierung Fran- als akademischer Lehrer unterstreicht – ein dessen Wirken in der Erforschung der bay- aufgrund eines Briefes von 1111 in den kens. Sankt Kilian vor dem Hintergrund Verzeichnis der vielen von ihm betreuten erischen Landesgeschichte, aber auch der Mittelpunkt seiner Untersuchung, Giusep- des irischen Einflusses auf das frühmit- Dissertationen und Magisterarbeiten. deutschen Geschichte ermöglicht. Ein ab- pe Fornasari die Persönlichkeit von Petrus telalterliche Europa. Mit einem Schrif- Anlass für die Herausgabe des Bänd- gerundetes, treffliches Werk liegt dem Le- Damiani. Christian Lohmer geht ebenfalls tenverzeichnis. Hg. von Klaus Arnold, chens war ein noch ungedruckter Aufsatz ser vor, das Anregungen und Ergebnisse in auf Petrus Damiani ein, jedoch auf dessen Ernst-Günter Krenig und Jürgen Peter- Meyers über Sankt Kilian, mit dessen Ge- reicher Fülle liefert. [1728] Darstellung in der benediktinisch-salzbur- sohn (= Veröffentlichungen der Gesell- stalt und Rolle er sich zeitlebens befasst Immo Eberl gischen Ikonographie im Zeitalter der Ge- schaft für fränkische Geschichte, Reihe hatte. Das Manuskript wurde von den Hg. genreformation. Lothar Kolmer untersucht XIII, 47). Würzburg, 2006. 62 S., kart, behutsam für den Druck bearbeitet und die Problematik des „gerechten Krieges“ in sw. Porträtfoto. – ISBN 3-86652-047-6. mit einem fortlaufenden Kommentar ver- der Kriegsrhetorik des 14. Jh. Franz Fuchs sehen, der gleichzeitig den aktuellen For- DOPSCH, HEINZ / FREUND, STEPHAN/ stellt mit Arriginus von Busseto einen itali- Im Studienbuch der Rezensentin, die im schungs- und Editionsstand wiedergibt. SCHMID, ALOIS (Hg.): Bayern und Itali- enischen Humanisten in Franken vor. Würzburg der 1960er-Jahre ihr Geschichts- Allen, die Meyer als Wissenschaftler und en. Politik, Kultur, Kommunikation (8.- Claudia Märtl zeigt die Liberalitas Baioari- studium aufnahm, findet sich beim ersten akademischem Lehrer begegnen durften, 15. Jahrhundert). Festschrift für Kurt ca am Beispiel von Enea Silvio Piccolomini. Wintersemester der Eintrag „O. Meyer / sei diese Schrift als Erinnerung und Ergän- Reindel zum 75. Geburtstag (= Zeit- Der Beitrag von Alois Schmid behandelt Proseminar zur mittelalterlichen Geschich- zung seines Œuvres empfohlen. Gleichzei- schrift für bayerische Landesgeschichte, die Ansprüche Bayerns auf das Herzogtum te“. Über 100 Teilnehmer drängten sich da- tig zeigt sie – auch denen, die nicht zu sei- Beiheft 18, Reihe B) München: C.H. Mirandola bei Verona im 17. Jahrhundert. mals, dicht gestaffelt im aufsteigenden nen Schülern zählten – angesichts der Viel- Beck, 2001. VIII + 318 S., 1 farb. Abb. Heinz Dopsch fasst abschließend die Ta- Hörsaal, in der Veranstaltung. Es herrschte falt der Titel, was alles man über mittelal- kt. – ISBN 3-406-10818-0. gung unter der Überschrift „Bayern und das ganze Semester hindurch gespannte terliche und fränkische Geschichte erfahren Italien“ zusammen. Die Festschrift schließt Aufmerksamkeit. Zum Handapparat ge- kann. [1730] Die Festschrift für Kurt Reindel geht mit dem Verzeichnis der Veröffentlichun- hörte ein bibliophil gemachtes Büchlein, Elisabeth Fuchshuber-Weiß auf eine Tagung in Salzburg zurück, für die gen von Kurt Reindel seit 1995 und einem das sich die junge Studentin, wie viele an- die Beziehungen zwischen Bayern und Ita- Personen- und Ortsregister. Sie untersucht dere Erstsemester auch, sofort anschaffte, lien zum Thema gewählt wurden. Nach der die Beziehungen zwischen Bayern und Ita- und das heute noch zu ihrem Bücherbe- Laudatio auf Kurt Reindel durch Stephan lien mit ihrem personellen und wirtschaft- stand gehört. Es war Meyers „Clavis Me- PAULUS, CHRISTOF: Das Pfalzgrafenamt in Freund folgen zwölf Beiträge fast gleicher lichen Austausch und der immer wieder diaevalis“, der Schlüssel zum Mittelalter. Bayern im Frühen und Hohen Mittelal- Länge. Die Thematik derselben ist fast aus- feststellbaren Auswirkung der italienischen Die kleine Erinnerung soll zeigen, wie ter (= Studien zur bayerischen Verfas- schließlich der mittelalterlichen bayerisch- Kultur auf Bayern. Mit diesem Gesamtthe- präsent Otto Meyer nicht nur in der Wis- sungs- und Sozialgeschichte, Band 25). italienischen Geschichte entnommen. Peter ma würdigt sie den Jubilar in einer seinem senschaft war, sondern auch in der Lehre, München: C. H. Beck, 2007. LVI + 429 Segl behandelt das Verhältnis zwischen Werk zukommenden Weise und bietet gute und wie er nicht nur etablierte Junghistori- S., geb.- ISBN 978-3-7696-6875-9. Bayern und Italien im Mittelalter, während Einblicke in das Verhältnis zwischen Bay- ker, sondern auch Anfänger, die noch we- Wolfgang Störmer die alten Übergänge von ern und Italien zwischen der Spätantike nig Ahnung hatten, für mittelalterliche Ge- Der Vf. hat mit seiner 2005 in München Bayern nach Italien mit den Transitproble- und dem 17. Jh. [1729] schichte begeisterte. Meyers herausragende abgeschlossenen Dissertation das bayerische men zwischen Spätantike und Hochmittel- Immo Eberl Verdienste um die Mittelalterforschung Pfalzgrafenamt zwischen 830 und 1248 neu und die fränkische Landesgeschichte sind untersucht. Er geht dabei auch auf die in den in dem kleinen Band verzeichnet. Geord- übrigen Stammesherzogtümern bestehen- net nach dem Erscheinungsdatum findet den Pfalzgrafenämter vergleichend ein. sich die Fülle seiner Schriften, einschließ- Während für ihn die Kontinuität des Amtes lich der Gedenkschriften zu seinem Able- zur Spätantike nicht beweisbar ist, sieht er ben, und – was nochmals seine Qualitäten seine Herkunft im Amt des „comes palati- 558 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.3. 1500–1789 559 nus“. Der Vf. betrachtet den Pfalzgrafen Gleich die Ersterwähnung der jüdischen der Stadt geborgen werden konnten. zugleich. Die zahlreichen, schönen Abbil- auch weder als Leiter des Königsgerichts Gemeinde zu Würzburg 1147 ist verbun- Gleichzeitig reicht die Darstellung über dungen unterstreichen den Wert des Bu- noch als Leiter einer eigenen Kanzlei neben den mit einem Pogrom, dem ihre Mitglie- Stadt und Hochstift Würzburg hinaus, ches. Empfohlen wird es Fachleuten aus der königlichen, sondern nur als juristisch der ausgeliefert waren. Mindestens 22 Ju- wenn Quellen und Ereignisse auf größere den historischen Wissenschaften, aus Theo- erfahrenes Bindeglied zwischen der Öffent- den wurden von einer aufgebrachten Men- Zusammenhänge verweisen, und neben der logie und Judaistik und all denen, die Erin- lichkeit und dem König. Während er selbst ge – in der Stadt anwesende Kreuzfahrer Geschichte der jüdischen hat sie stets auch nerung an jüdisches Leben für wertvoll die minderschweren Fälle entschied, legte er und Einheimische – umgebracht: wegen ei- die Geschichte der sie flankierenden und und wichtig erachten. Den Freunden - die wichtigen dem König vor. Der Vf. be- nes angeblichen Mordes an einem Unbe- einschnürenden nichtjüdischen Gesell- fränkischer Kunst und Geschichte e. V. sei zieht sich hier auf die Aussagen von Hink- kannten, der den Namen „Dietrich“ erhielt. schaft im Blick. für die Aufnahme des Buches in die Studi- mar von Reims in seinem Werk „De ordine In hässlicher Regelmäßigkeit war die jüdi- Das Ergebnis ist eine packende, lesens- enreihe gedankt. [1732] palatii“. Paulus stellt das Pfalzgrafenamt als sche Gemeinde Würzburgs fortan Ziel von werte Schilderung auf dem aktuellen For- Elisabeth Fuchshuber-Weiß im 9. Jh. entstandenes Königsamt dar, das es Missachtung und Verfolgung, aber sie er- schungsstand, umfassend und detailliert aber sicher nicht in jeder Pfalz gegeben hat. lebte auch ein „goldenes Zeitalter“ im Damit nähert sich Paulus der Auffassung Hochmittelalter, und danach Phasen der von Georg Waitz an, der das Pfalzgrafenamt inneren Erholung und äußeren Ruhe. Erst als in ottonischer Zeit als Gegengewicht zu die konfessionalistische Politik der Gegen- den Herzögen entstanden ansah. Die Auf- reformation, im Hochstift besonders scharf sicht des Pfalzgrafen über das Reichsgut im judenfeindlich gestaltet durch Fürstbischof jeweiligen Herzogtum erscheint Paulus bis Julius von Echter, beendete die seit dem 12. ins 11. Jh. möglich, wobei er diesem Amt Jh. währende jüdische Präsenz. Die Deh- 3.3. 1500–1789 (Nr. 1733–1734) gleichzeitig eine stammesbildende Funktion nung des jüdischen Mittelalters bis in die zusprach. In der Salierzeit begann sich nach historische Periode des Frühabsolutismus Uhrmann: Das Herzogsschwert der Fürstbischöfe von Würzburg (Eberl) (Nr. 1733) – Wüst ihm das Amt des Pfalzgrafen langsam vom rechtfertigt der Vf., Ordinarius für Katho- (Hg./ Riedl (Red.): Aufbruch in die Moderne? Bayern, das Alte Reich und Europa an der Zei- Königtum zu lösen. Paulus hat durch sein lische Theologie in Würzburg, mit der Tat- tenwende um 1800 (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1734). Werk das Amt des Pfalzgrafen nicht nur sache, dass Echters Zerstörung des jüdi- neuerlich im Rahmen des Herzogtums Bay- schen Friedhofs – er ließ darauf das Julius- ern beleuchtet, sondern dabei eine wertvolle spital errichten – das endgültige Aus für die UHRMANN, FRANK: Das Herzogsschwert gotische Zeremonialschwert ist heute als Ergänzung für die Verfassungsgeschichte Judengemeinde bedeutete, die dort seit der Fürstbischöfe von Würzburg. Studi- das fränkische Herzogsschwert bekannt, zwischen der Merowingerzeit und dem 1147 ihre Toten bestattet hatte. en zum Bedeutungswandel und zur Re- das sich auch auf Münzen, Siegeln und Hochmittelalter geliefert. Es wäre begrü- Die Rekonstruktion des Gemeindele- zeptionsgeschichte vom Mittelalter bis Grabmälern der Würzburger Fürstbischö- ßenswert, wenn sich Paulus in weiteren Un- bens vor dem ersten überlieferten Pogrom zur Gegenwart (= Mainfränkische Studi- fe, aber auch in Nachbildungen als deren tersuchungen auch mit dem Pfalzgrafenamt (ab ca. 1100) und dessen Geschichte in der en, Band 76). Würzburg: Freunde Main- Grabbeigaben seit dem späten Mittelalter in anderen Herzogtümern beschäftigen nachfolgenden Zeit bis zum Ende der Re- fränkischer Kunst und Geschichte e.V., findet. In der schriftlichen Überlieferung würde. [1731] gierung Echters ist also Gegenstand der 2007. 131 S., kt., 1 farb. Abb. – ISBN wurde das Schwert erstmals in der kurz vor Immo Eberl vorliegenden Monographie. Es ist die erste 978-3-9800538-4-6. 1200 entstandenen Vita Adalberonis epi- zusammenhängende Geschichte dieser scopi erwähnt. Bildliche Darstellungen des ganz besonderen Kommunität im ange- Die vorliegende Untersuchung wurde Herzogsschwertes finden sich erst ab dem zeigten Zeitraum, und sie beschreibt, welch als schriftliche Hausarbeit im Rahmen der 16. Jh. Das Herzogsschwert wurde von der herausragende Bedeutung dieselbe inner- ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Forschung bereits eingehend untersucht. MÜLLER, KARLHEINZ: Die Würzburger Ju- halb des Judentums für dessen Tradition, Gymnasien 2005 abgeschlossen. Der Vf. Im zweiten Kapitel wird das Her- dengemeinde im Mittelalter. Von den Spiritualität, Kultur und Bildung all die hat seine Arbeit in drei Kapitel eingeteilt, zogsschwert als Antiquität im Zeitraum Anfängen um 1100 bis zum Tod Julius Jahre über hatte. Sie glänzt durch eine pro- die das Herzogsschwert zwischen dem 18. zwischen Säkularisation und Gegenwart Echters (1617) (= Mainfränkische Studi- funde Kenntnis des jüdischen, von dem Jahrhundert und der Gegenwart vorstellen. behandelt. Deutlich wird dabei die bis in en 70). Würzburg: Freunde Mainfränki- geltenden Gesetz, der „Halacha“, bestimm- Das erste Kapitel widmet sich dem Her- die Gegenwart anzutreffende starke Ab- scher Kunst und Geschichte e. V., 2004. ten Eigenlebens und bezieht auch den sen- zogsschwert in der Zeit der Würzburger lehnung der Säkularisation in Würzburg, in 395 S., geb., zahlreiche Abb. – ISBN sationellen Fund der über 1500 Grabsteine Fürstbischöfe. Das um 1460 vom Würz- deren Zusammenhang das Herzogsschwert 3-9800538-0-6. und Grabsteinfragmente ein, die 1987 in burger Fürstbischof im Auftrag gegebene nach München abtransportiert wurde. Im 560 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.3. 1500–1789 561

19. und zu Beginn des 20. Jh. wurde das gen-Nürnberg, 2010. VII + 256 S. geb., Wolfgang E. J. Weber, Augsburger Kul- Den Bogen ins nachrevolutionäre Herzogsschwert immer wieder aus breiten zahlreiche Abb. – ISBN 978-3-940049- turhistoriker, weist in „Geburtswehen der Frankreich schlägt der Aufsatz „Revolution Kreisen der Bevölkerung nach Würzburg 11-7. Moderne. Politische Ideen zu Umbruch und was dann? Französische Revolutionäre zurückgefordert, was aber aus Befürchtung und Revolution um 1800“ nach, dass sich in der Kritik Sainte-Beuves“ von Thomas separatistischer Neigungen in Franken ver- Eine witzige Karikatur auf dem Ein- die Jahre zwischen 1789 und 1815 in den Nicklas, Historiker in Reims. Der Beitrag weigert wurde. Auch nach dem Ende der band umschließt das Buch als ikonographi- Köpfen französischer Zeitgenossen aus- ist, von Sainte-Beuve (1804–1869) her zu Monarchie blieb das Herzogsschwert da- sche Klammer. Reichsadler und bayerischer drücklich als Revolutionsjahre eingeprägt urteilen, weitgehend als eine Paraphrase des her in München. Das dritte Kapitel befasst Löwe stehen einander auf einem Denkmal haben. Ihre Wahrnehmung und Deutung Dictums Le style c’est l’homme zu lesen. sich mit dem Herzogsschwert als Politi- gegenüber und touchieren sich in Augen- betraf dabei vorrangig die politischen Ver- Sainte-Beuve war als kritischer Literat ge- kum. Durch die Ausstellung Franconia höhe. Der Löwe hält Reichs- und Rauten- hältnisse, egal, ob sie auf Seiten der Revolu- neigt, die Schriften der 1789er-Revolutio- Sacra 1952 und vor allem durch die For- wappen in den Tatzen. Gleich wird er den tionäre und Napoleons standen oder an näre nach ihrer ästhetischen Qualität zu be- schungen des Kunsthistorikers Max von Adler vom Denkmal schubsen. Darunter den alten Zuständen festhalten bzw. deren urteilen und daraus ihre Geschichtswirk- Freeden begann man sich in Franken an das mühen sich Mönche und Nonnen ab, in Restauration durchsetzen wollten. Als Be- samkeit abzuleiten. Dabei kommt er zu für Herzogsschwert und seine Geschichte zu Truhen und Koffern Geld herbeizuschaf- obachter und Erklärer der Ereignisse trat, die Autoren nicht immer schmeichelhaften erinnern. Es folgten die Ausstellungen zum fen, das für den erhöht postierten, mit hei- den überlieferten Publikationen nach, eine Schlussfolgerungen. Doch auch er selbst 800. Jahrestag der Güldenen Würzburger schender Geste auf sie blickenden staatli- sozial breit gefächerte Gruppe von Auto- war eine schillernde Person, die sich zwi- Freiheit 1968 und die Kiliansausstellung chen Kommissär bestimmt ist. Neben dem ren mit unterschiedlicher intellektueller schen Liberalismus und Bonapartismus ein- 1989. In allen Ausstellungen nahm das Kommissär steht ein bayerischer Soldat Reichweite auf den Plan. Ihnen allen war richtete und als „Linker des Empire“ ein- Herzogsschwert eine besondere Stellung mit Gewehr und Säbel, was die gezeigten bewusst, dass sie eine Umbruchzeit mit ei- stufte. Ab 1849 rechnet er mit der 1789er- ein. Sein politisches Gewicht gewann es je- Machtverhältnisse unterstreicht. Unschwer ner ganz speziellen Dramaturgie erlebten. Revolution ab, wobei er das kultivierte Mi- doch im Zuge der Diskussionen über die erschließt sich, worauf die Karikatur an- Dieses Bewusstsein wurde an bestimmten lieu des Ancien Régime als Maßstab nimmt. Rückgabe der fränkischen Kulturschätze. spielt. Es ist die Säkularisation von 1803. Indikatoren festgemacht, wobei der Vf. Protagonisten und Projektionsflächen sei- Aus politisch durchsichtigen Gründen Die Szene gehört in das europäische auch bisher eher wenig beachtete wie den ner Untersuchung sind der Abbé Sieyès, widmete sich vor allem die SPD in Franken Schauspiel um 1800, in dem Tradiertes und Zusammenbruch der tradierten Verkehrs- Condorcet, Desmoulins, Saint-Just und ihre in wiederholten Eingaben der Forderung Neues in vermischten Kräftefeldern neben- formen, die Instabilität der öffentlichen Schriften. Sie gerät zur Abrechnung, weil nach Rückführung des Herzogsschwertes, einander, gegeneinander und hierarchisch Meinung, die Verlagerung der Erziehung die Männer nach Sainte-Beuves Einschät- aber auch anderer Kunstschätze nach Fran- zueinander im Spiel sind und miteinander aus dem christlich-kirchlichen in den säku- zung schlechte Texte lieferten. Man kann ken. Der Vf. macht deutlich, dass das Be- um Positionierung und Orientierung rin- lar-staatlichen Bereich oder den Bruch mit die Revolution nicht ungeschehen, aber sondere am Herzogsschwert dessen Stel- gen. Dieser Umbruchphase und ihren Fol- der tradierten Zeit- und Geschichtsauffas- man kann die Revolutionäre klein machen, lung als Propagandamittel im 15. Jh. sei, die gewirkungen widmet sich der vorliegende sung als wichtige Faktoren der Wahrneh- indem man ihr Talent als Autoren klein es in der Gegenwart zurückgewonnen Aufsatzband, Ertrag einer historisch-inter- mung und Deutung anführt. Immer ging es macht. Da es ihm, so Nicklas, darum zu tun habe. Der Vf. hat eine zusammenfassende, disziplinären Tagung in Kloster Banz. Für um Orientierungsverluste, der innere war, den „guten Stil“ und den „guten Ge- interessante Abhandlung über das Her- die inhaltliche Klammer der Aufsatzsamm- Kompass war abhanden gekommen. Kaum schmack“, derer Frankreich durch die Re- zogsschwert in Franken vorgelegt. Leider lung sorgt die Einleitung des Hg. Wolfgang erwähnt hingegen werden Faktoren der volution verlustig ging, wiederzugewinnen, wird dabei dieses alleine untersucht und Wüst. Knapp und treffsicher werden die politischen Ökonomie. Sollten sie außer- kann die Trennung zwischen Literatur und keine Verbindung zu vergleichbaren Zime- Intentionen und Themenbereiche der Bei- halb des Horizonts der Zeitgenossen gele- Politik aufgehoben werden. Damit schafft lien hergestellt, was ermöglicht hätte, das träge vorgestellt. Ein Orts- und Personen- gen haben? – Die notwendig auf sehr allge- sich die literarische Analyse ihr eigenes Ge- Herzogsschwert umfassender zu bewerten. register am Ende des Bandes dient zusätz- meiner Ebene stehende Abhandlung skiz- schichtsbild. Doch in dem Transformati- [1733] lich der Erschließung. Was nun die Bespre- ziert gleichwohl gut nachvollziehbar, wel- onsprozess bleibt die Geschichtswissen- Immo Eberl chung der Beiträge anbelangt, so werden che Handlungen und Ereignisse als revolu- schaft außen vor. Sainte Beuves Ansatz er- WÜST, WOLFGANG (Hg.) / RIEDL, TOBIAS hier, obwohl alle eine Würdigung verdien- tionär erfasst, medial aufbereitet und in hellt weniger das Revolutionsgeschehen als (Red.): Aufbruch in die Moderne? Bay- ten, aus Platzgründen solche herausgegrif- ihrer Tragweite gewertet wurden. Man vielmehr seine Beziehung dazu im Frank- ern, das Alte Reich und Europa an der fen, bei denen eines der Tagungsanliegen, kann sie als den Auftakt der Aufsatzreihe reich der beginnenden 1850er Jahre – auch Zeitenwende um 1800 (= Franconia. überregionale und über die eigentliche verstehen und in diesem Sinne an ihren De- dies ein weiterwirkender Aspekt. Beihefte zum Jahrbuch für fränkische Umbruchphase hinausweisende Tendenzen terminanten messen, ob und inwieweit Der Umgang mit Baudenkmälern und Landesforschung, 2). Zentralinstitut für und Zusammenhänge zu erforschen, be- auch andernorts vergleichbare Sachverhalte historischen Kunststilen ist Thema des Regionalforschung – Sektion Franken: sonders deutlich zum Ausdruck kommt. als Indikatoren eines Umbruchs verstan- Aufsatzes „Imaginationen des Mittelalters Friedrich-Alexander-Universität Erlan- den wurden. im 19. Jahrhundert: zum Kunstschaffen 562 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 563

König Ludwigs I. von Bayern“ der Mediä- so durchexerziert, dass die unvermeidli- hausarchitektur eine besondere Anzie- auf. Aufgrund seiner thematischen Breite vistin Gisela Drossbach. An Beispielen der chen sozialen Spannungen, die mit dem hungskraft aus, sprach man ihr doch einen und Tiefendimension treten zahlreiche Bautätigkeit unter Ludwig I. weist sie nach, technischen Wandel einhergingen, trotz al- Ewigkeitswert zu (Schultze-Naumburg). Spannungsfelder und Verbindungslinien dass die Hinwendung zu vergangenen ler Friktionen letztlich austariert und über- Aneignung und Transformation durch das zwischen den Polen klar zutage. Ebenso Stilepochen für den Monarchen Ausdruck wunden werden konnten. Voraussetzungen bürgerlich-urbane Milieu erfolgten bei wird ein breites Spektrum an Folgewirkun- seiner eklektizistischen Kunstauffassung waren die im Gegensatz zu Frankreich ganz unterschiedlichen Bauaufgaben, wie gen und Interferenzen aufgezeigt. Apro- und seiner restaurativen Politik war. Insbe- sanfte Regelung der Machtfrage mit dem die Vf. an ausgewählten Beispielen und pos: Vielleicht hätte ein Beitrag zur Rezep- sondere an der Restaurierung und Purifi- Kompromiss „King in Parliament“ sowie Abbildungen anschaulich belegt. Sie weist tion der Umbruchzeit im früher so genann- zierung der mittelalterlichen Dome zu Re- die Kontinuitätswahrung im Verlauf sozio- ferner darauf hin, dass diesen Prozess eine ten Heimatkunde- und im heutigen Ge- gensburg und Speyer sowie an den neu er- ökonomischer Umstrukturierungen und gegenseitige Durchdringung im gesamten schichtsunterricht gut in das Aufsatzen- richteten Münchener Sakralbauten St. Lud- daraus resultierend die Bereitschaft, Expe- deutschsprachigen Raum begleitete. Eine semble gepasst? Wie zeigt sich und wohin wig und St. Maria in der Au erweist sich, rimenten und Innovationen offen und lern- umfassende Monographie zum Thema weist das didaktische Interesse an dem dass historistisches Kunstwollen und poli- bereit zu begegnen. “Experimentelle Of- Heimatstil in Deutschland liegt bislang Thema? Die Regionalforschung sollte sol- tisches Programm des Königs eng verfloch- fenheit“ und „problemlösendes Lernen“, nicht vor. Mit ihrer anregenden, kundigen che Fragen nicht ausklammern. Es geht im- ten sind. Neoabsolutismus und Mittelalter- wiesen, so der Vf., auch heute noch den Zusammenstellung hat die Vf. gründliche merhin neben Folgewirkung und Interfe- rezeption stellen keinen Gegensatz dar. „Weg in die Zukunft“. Pionierarbeit geleistet. Ein Endlektorat renz auch um die Erschließung künftiger Letztere führt zu handwerklich wie künst- Architekturgeschichtliches zwischen ca. hätte manchen Textstellen gutgetan. historischer Ressourcen an den Schulen. lerisch qualitätsvollen Anverwandlungen, 1890 und 1914 bietet Andrea Groß M.A. in Zusammenfassend lässt sich hervorhe- Die Quellen dort sprudeln nicht. u. a. bei der Gestaltung der Innenräume „Heimatstil zwischen Tradition und Mo- ben: Mit vereinfachenden Gegenüberstel- [1734] durch Ausmalung oder durch Glasfenster, derne – eine Analyse im deutschsprachigen lungen der Art Tradition – Moderne oder Elisabeth Fuchshuber-Weiß woran gleichzeitig deutlich wird, was von Raum“. Der Beitrag geht von deutschen, Moderne – Antimoderne räumt der Band mittelalterlicher Architektur, Religion und österreichischen und Schweizer Veröffent- Herrschaft als wichtig gedacht wurde: Lo- lichungen, darunter so grundlegende wie gik des Bauens, Bekenntnis zur katholi- die von Mebes (1908) und Baudin (1909) schen Konfession sowie zum sakralen sowie das 2005 erschienene Standardwerk Herrschertum und nationale Einheitsidee. von Crettaz-Stürzel, aus. In der Fachlitera- – Die eine oder andere Abbildung oder Ar- tur wird der Begriff „Heimatstil“ in unter- chitekturzeichnung hätte den interessanten schiedlichen architektonischen Kontexten 3.4. 19. Jahrhundert (Nr. 1735–1741) Beitrag noch anschaulicher gemacht. Eine gebraucht, zeichnet sich aber in allen Ver- letzte Durchsicht hätte ihm gutgetan. Nicht wendungen dadurch aus, dass er eine regio- Schmid (Hg.): Die Säkularisation in Bayern 1803 (Eberl) (Nr. 1735) – Rosenstock (Bearb.): Die uneingeschränkt z. B. erschließen sich die nal inspirierte, traditionalistische For- unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817 (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1736) – Hohmann (Hg.): Textunterstreichungen und manche Ge- mensprache zugrunde legt. Existenzielle Chronik der jüdischen Schule von Tann (Rhön) (Fuchshuber-Weiß) (Nr. 1737) – Blaufuß (Hg.): dankenfolgen in Ziffer 3 und 5 des Beitrags; Sinngehalte lieferten Agrarromantik und Wilhelm Löhe. Erbe und Vision (Koch) (Nr. 1738) – Geiger: The Life, Work and Influence of die Angaben zu Goethes Aufsatz „Von Lebensreformbewegung, Historismus und Wilhelm Löhe (Blaufuß) (Nr. 1739) – Wenz: Hegels Freund und Schillers Beistand. Friedrich deutscher Baukunst“ (Titel, Erscheinungs- Jugendstil wurden durchsetzt und über- Immanuel Niethammer (Keller) / Friedrich Immanel Niethammer (1766–1848). Beiträge zur jahr, Zitat) sind ungenau. wunden. Biographie und Werkgeschichte (Keller) (Nr. 1740) – Krauss: Evangelisch in München – Karl „Die Industrialisierung als soziale Er- Die Vf. unterscheidet den „Ersten“ vom Buchrucker (Herz) (Nr. 1741). findung. Innovation und soziales Experi- „Zweiten Heimatstil“. Dies hilft angesichts ment in Großbritannien 1780–1840“ be- der Vermischung, Durchdringung und wertet der Erlanger Historiker Karl H. Überlagerung der Formen, die vielfältigen SCHMID, ALOIS (Hg.): Die Säkularisation in Bayern veranstalteten 2003 ein gemeinsa- Metz in seinem knappen, spannenden Es- Ausprägungen zu gliedern. Bayern 1803. Kulturbruch oder Moder- mes Symposion zu Fragen der Säkularisati- say unter dem Gesichtspunkt eines Vor- Insgesamt kann man den Heimatstil in nisierung? (= Zeitschrift für bayerische on in Bayern. Elf Beiträge sind davon im gangs, von dessen Verlaufsmustern Staaten die Architektur der vernakularen Moderne Landesgeschichte, Reihe B 23). Mün- vorliegenden Werk abgedruckt. Die Säku- mit sekundären Industrialisierungsprozes- einordnen. Zum einen wurde beim Bauen chen. C.H. Beck, 2003. XIV + 398 S., larisation wird dabei von den verschiedens- sen profitieren könnten. Technische Erfin- auf die Architekturüberlieferung der Zeit geb. – ISBN 978-3-406-10664-4. ten Seiten her betrachtet. Hans Maier be- dung braucht sozioökonomische Einbet- vor der Industrialisierung und Technisie- handelt die Entwicklung des Rechtsbegriffs tung, wenn sie funktionieren soll, so die rung zurückgegriffen – auf das „Um 1800“ Die Bayerische Akademie der Wissen- Säkularisation. Sein Hinweis auf die 1803 Auffassung. In Großbritannien wurde das (Mebes). Zum anderen übte die Bauern- schaften und die Katholische Akademie in freigesetzten Kräfte besteht zu Recht. Man- 564 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 565 fred Weitlauff geht den Ereignissen und ROSENSTOCK, DIRK (Bearb.): Die unterfrän- fassbarkeit entzogen – der bei den gläubi- den Quellen abgeleitet werden, angemes- Problemen der bayerischen Säkularisation kischen Judenmatrikeln von 1817. Eine gen Juden übliche synagogale Name aus sen. Dabei wird einmal mehr auch das ins nach, während Alois Schmid die Säkulari- namenkundliche und sozialgeschichtli- dem eigenen und dem angehängten Rufna- kollektive Bewusstsein der deutschen sationspolitik im Kurfürstentum Bayern che Quelle. Würzburg: Schöningh 2008 men des Vaters wechselte von Generation Sprachgemeinschaft eingegangene Pseudo- des 18. Jh. näher betrachtet. Reinhard Stau- (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs zu Generation –, wurde in dem sog. Matri- wissen von einer einschlägig jüdischen Na- ber und Eberhard Weis untersuchen die Würzburg, Bd.13). 352 S., 9 Tab., 8 sw. kelparagraphen angeordnet, dass sie einen mentypik als ein ideologisches Konstrukt Politik von Montgelas, Stauber im Vorfeld Abb., kart. – ISBN 978-3-87717-797-6. „bestimmten“, d.h. festgelegten Familien- entlarvt. Es gibt keine ausschließlich jüdi- der Säkularisation 1798–1803, Weis im Be- namen anzunehmen hätten. Der traditio- schen Namentypen, es gibt eine aus ver- zug auf die Klöster Bayerns. Michael Kauf- Die Veröffentlichung, erarbeitet von nelle und der „bestimmte“ Name sowie schiedenen Bedingungen, z.B. dem literari- mann stellt die Säkularisation der Abtei dem pensionierten Vor- und Frühge- weitere Angaben zu den erfassten Juden schen Zeitgeschmack (Namen nach Blu- Metten als konkreten Einzelfall vor. Karl schichtler Dirk Rosenstock, ist Fundament waren in Matrikelbögen einzuschreiben. men, Edelsteinen, Ritterfiguren) ableitbare Hausberger behandelt die Frage nach den und Fundgrube zugleich für einen bislang In seiner stilsicher formulierten, fun- Namenvielfalt. Die Namen der dominan- Folgen der Säkularisation, die aus der eher vernachlässigten Zweig der Onomas- dierten Einleitung erläutert der Bearb. die ten (Sprach-)Kultur und der jüdischen Reichskirche zum Vaticanum I führten. tik, die Erforschung jüdischer Personenna- Voraussetzungen und das Procedere bei Kultur vermischten sich, das geht auch aus Wolfgang Frühwald behandelt die Säkula- men, sowie für sämtliche damit verknüpf- der Erstellung der Listen und zeichnet den unterfränkischen Matrikeln eindeutig risation und ihre Auswirkungen auf den bare Forschungsfelder. Standardwerke wie gleichzeitig den Prozess der ambivalenten hervor. Von jüdischer Tradition motivierte Bildungsbereich und die Literatur. Win- z.B. M. Gottschalds Deutsche Namenkun- Namengenese, d.h. der an staatliche Aufla- neu gefundene Namen und statistische Be- fried Müller stellt die Frage nach einem de (6. Aufl. 2006) oder W. Seibickes Die gen gebundenen Namenwahl durch die Ju- sonderheiten hierbei gibt es durchaus, was bayerischen Sonderweg in der Säkularisati- Personennamen im Deutschen (2. Aufl. den selbst bzw. deren „Nachbesserung“ die vom Bearb. erstellten Häufigkeits- und on, der keineswegs als sicher gelten kann, 2008) widmen dem Thema wenige Zeilen, durch den für das Judenwesen zuständigen Rangfolgetabellen zu den erfassten Namen während sich Werner K. Blessing ihren ge- die Arbeiten Dietz Berings werden wenig Landesdirektionsrat, nach. Er weitet diese belegen. Die Abweichungen ändern aber sellschaftlichen Folgen widmet. Katharina rezipiert, auch, weil sie sich vornehmlich Darstellung zusätzlich aus, indem er der am Gesamtbefund nichts. Weigand wendet sich im abschließenden dem pervertierten Umgang mit den Namen unterfränkisch-bayerischen Handhabung Herzstück der Publikation sind die in Beitrag dem Streit der Wissenschaft und der Juden innerhalb der deutschen Sprach- der „Judennamenfrage“ deren Regelung in alphabetischer Reihenfolge nach den Land- der Öffentlichkeit über die Säkularisation gemeinschaft widmen (Polemik, Ausgren- den deutschen Ländern sowie in Frank- und Herrschaftsgerichten des Untermain- und ihren Folgen zu. – Es überrascht, dass zung, Stigmatisierung; vgl. z.B. ders.: Die reich an die Seite stellt. Bekanntlich wurde kreises sortierten Matrikeln. Da das vorge- im vorgelegten Band kein Beitrag die unter Namen der Juden und der Antisemitismus. die „Frage“ im Zuge der staatlich angeord- gebene Matrikelformular neben den Rubri- König Ludwig I. beginnende teilweise In: Namenforschung. Ein internationales neten Emanzipation allerorten administra- ken „Bisheriger Name“ und „Neu ange- Rücknahme der Säkularisation in Bayern Handbuch zur Namenforschung. 2. Teil- tiv von oben nach unten geregelt. Innerhalb nommener Name“ die weiteren Rubriken durch die Wiederbegründung zahlreicher band, 1996, S. 1300–1310). Gerade für der Judengesetzgebung der deutschen Län- „Nahrungsstand und Gewerb“, „Tag der Klöster näher behandelt hat. Auch zeigt Franken gibt es hier noch Forschungsauf- der freilich war der bayerische, bis 1861 Eintragung in die Matrikel“ sowie die brei- der Band insgesamt, dass eine einheitliche gaben zu erledigen. So ist die Würzburger geltende Matrikelparagraph einmalig. te Rubrik „Bemerkungen“ vorsah, liefern Darstellung der Vorgänge von 1803 und ih- Veröffentlichung ein wichtiger Markstein. In den Erläuterungen zu den von ihm die Tabellen, die von den Beamten geführt ren Folgen kaum möglich ist. Einerseits Untersuchungsgebiet ist der 1814 an zu Recht als „Namenschatz“ bezeichneten wurden und bei deren Einträgen bisweilen bleibt der von der Aufklärung erzeugte, Staatsbayern gelangte Untermainkreis, in 1114 unterschiedlichen Namen des Na- der sog. Vorgänger der Judengemeinde mit- sinnlose Kulturbruch. Andererseits entwi- etwa das heutige Unterfranken. Ausgangs- mencorpus der Matrikeln beschränkt der half, der seine Glaubensbrüder gegenüber ckelten sich die neuen Staaten des 19. Jahr- punkt ist das Judenedikt von 1813. Dessen Bearb. sich auf eine Zuweisung der Namen den staatlichen Behörden vertrat, eine Be- hunderts mit ihren Verfassungen und Aus- Ziel war es, die Randgruppe der Juden vor zu vier weitgefassten Kategorien, die in der standsaufnahme vom Stichtag, spiegeln die prägungen auf den Trümmern der Kultur allem aus den neu hinzugewonnenen Ge- historischen Namenforschung ursprüng- soziale Rangfolge wie die ökonomischen und der Politik des mehr als 800 Jahre dau- bieten systematisch zu erfassen, in den Un- lich der Unterscheidung nach der Entste- und familiären Verhältnisse der verzeichne- ernden Alten Reiches. Der ultramontanen tertanenverband einzupassen, indem man hung der Namen dienten (Herkunfts-, Va- ten Personen und geben aufgrund des Zeit- Kirche des Papstes wurden so neue Mög- sie den Untertaneneid schwören ließ, und ter-, Berufs- und Willkürnamen, wobei die punkts der Schutzbrieferteilung Hinweise lichkeiten gegeben. Mit diesem Sammel- durch Auflagen ihren Anteil an der Ge- Kategorie Berufsnamen noch aufgefächert auf deren vorherige Rechts- und Lebens- band wird ein wertvolles Werk vorgelegt, samtbevölkerung auf dem status quo zu ist). Dies lässt sich auf die nicht „gewachse- lage. Die Faksimile-Beigaben – es handelt das viele Ansätze zu neuen Gedanken und halten. Da die Familiennamen der Juden nen“ Namen nicht ohne weiteres übertra- sich um ein leeres Matrikelformular, um neuen Arbeiten bietet. [1735] die erwünschte bürokratische Haltbarkeit gen, ist hier aber angesichts der darauf auf- Schutzbriefe, um die Angaben eines (Bad) Immo Eberl nicht immer garantierten und sich deshalb bauenden spannenden Nameninterpretati- Kissinger Schutzjuden und die Nieder- bei Polizei- und Kriminalsachen der Er- onen und –geschichten, die stringent aus schrift geschworener Eide auf König und 566 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 567 bayerische Verfassung – machen den Erfas- Sobibor deportiert 1942/43) und G. Kessler raum. Ferner enthält sie eine Aufstellung Mit der 2005 am Wartburg Theological sungsvorgang anschaulich und vermitteln (1883–1963), die sich um die jüdische Fa- der Grabinschriften des örtlichen jüdischen Seminary in Dubuque/Iowa (USA) erfolg- gleichzeitig eine Vorstellung von der nicht milienforschung verdient gemacht hatten, Friedhofs von 1934, die auch die Generati- ten Gründung der „International Loehe einfachen Editionsaufgabe des Bearb. beschließt den Anlagenteil. – Der Anhang onenfolge der Bestatteten wiedergibt und Society“ hat die wissenschaftlich-theologi- Der eingangs betonte hohe Wert der bietet u. a. vier sehr exakte Register (Perso- gleichzeitig deren Verwandtschaftsverhält- sche Beschäftigung mit Wilhelm Löhe, dem Veröffentlichung für breit angelegte ono- nen, Ortsnamen, Berufe, Sachbegriffe). nisse rekonstruiert. Ein historischer Abriss einflussreichen fränkischen Pfarrer des 19. mastische Untersuchungen liegt darin, dass Fazit: Onomastik, Sozialgeschichte und des Hg. am Ende des Bandes skizziert die Jahrhunderts, ein neues Zentrum erhalten. sie nicht nur Material für eine linguistische jüdische Genealogie erhalten durch diesen wesentlichen Ereignisse der Gemeindege- Die in diesem Zusammenhang stattgefun- Auswertung und Systematisierung der Na- Band unverzichtbare Informationen und schichte, zeitgenössische Fotos vermitteln dene Tagung war die erste dieses Gremi- men bereitstellt und eine Quelle für na- wichtige Impulse, die über den regionalen eine Vorstellung vom Leben in der Ge- ums (Konferenzveröffentlichung „Wilhelm mengeographische Studien in dem erfass- Horizont hinausreichen. Nicht unerwähnt meinde. Löhe and His Legacy“, CThMi 33. Chica- ten Areal und darüber hinaus ist. Zudem soll bleiben, dass die Buchform der Veröf- Die Chronik, das Herzstück des Büch- go 2006, Nr. 2). Der vorliegende Band do- gibt sie aufgrund der genealogischen und fentlichung einer digitalen Edition vorzu- leins, wurde ab 1879 von den drei nachein- kumentiert die zweite dieser Tagungen, er- weiteren Angaben Aufschlüsse über die ziehen ist, zumindest aus Sicht der Rezen- ander amtierenden Lehrern der jüdischen weitert durch zwei zusätzliche Beiträge Geschichte einzelner jüdischer Familien sentin. Systematisches Lesen, Querlesen, Schule handschriftlich aufgezeichnet. Sie (weitere Tagungen im Drei-Jahres-Turnus und hilft bei deren Rekonstruktion, und sie Nachschlagen, Abgleichen, Blättern etc. ist nicht nur Zeugnis des kleinstädtischen sind geplant, die dritte fand vom 26. bis 30. lässt Folgerungen über den soziokulturel- gestalten sich beim gedruckten Medium al- Schul- und Alltagslebens mit seinen beson- Juli in Fort Wayne/ Indiana statt). Anlass len Habitus der Juden und ihres nichtjüdi- lemal komfortabler als beim digitalen. Ein deren jüdischen Akzenten, sondern spie- für die zweite Tagung war die 200. Wieder- schen Umfelds zu. Einmal mehr bestätigt Dank deshalb auch dem Stadtarchiv Würz- gelt auch, aus der Perspektive der Chronis- kehr des Geburtstags Löhes. sie auch das Assimilationsdilemma, das der burg, das den Band in seine angesehene ten, Ereignisse auf überregionaler Ebene Die ausführliche Einleitung des Bandes postabsolutistische Staat den Juden auf- Veröffentlichungsreihe übernommen hat. bis hin zur Reichsgeschichte. Deutlich (S. 13–31) dokumentiert Planung und Vor- zwang. Sie konnten die Integration nur um [1736] wird, wie sich jüdisches Selbstverständnis geschichte der Zusammenkunft und führt den Preis eines Identitätsverlusts, hier der Elisabeth Fuchshuber-Weiß definierte und wie die positive Identifikati- in die Grundlagen der Löhe-Forschung ein, Aufgabe ihrer Namentradition und –auto- on Jahr um Jahr aufgrund widriger politi- zu denen in erster Linie die „Gesammelten nomie durch den verordneten Übertritt in scher und wirtschaftlicher Verhältnisse und Werke“ (hg. von Klaus Ganzert) einschließ- das bürgerliche Namenlager, erlangen. einer anschwellenden völkisch-antisemiti- lich der inzwischen durch D. Blaufuß erar- Dass das Tragen eines festliegenden Famili- HOHMANN, JOACHIM S. (Hg.): Chronik der schen Propaganda immer mehr zerstört beiteten Register zu den Bänden 3.1 und 4 ennamens andererseits für die Juden in der jüdischen Schule zu Tann (Rhön). Mit wurde. Entrechtung, Vertreibung und Er- sowie die 1991 begonnene Ergänzungsreihe im bayerischen Untermainkreis wie überall einer kurzen Geschichte der israeliti- mordung der jüdischen Bürger Tanns im gehören. Ferner wird auf die im Erscheinen sich durchsetzenden Moderne Vorteile mit schen Gemeinde und zeitgenössischen NS-Staat setzten – wohl unwiderruflich – begriffene Studienausgabe (bisher zwei sich brachte, versteht sich von selbst, auch Lichtbildern. Frankfurt/M. – Berlin u.a.: den Endpunkt des Zusammenlebens. Bände 2006 und 2011), auf Archive und wenn der Matrikelparagraph eindimensio- Peter Lang, 1997. 189 S., 11 sw. Abb., 4 Es ist das große Verdienst von Hg. und Spezialbibliotheken und das Problem einer nal die staatlichen Interessenlagen vertrat. Tab., kart. – ISBN 3-631-32175-9. Verlag, die vollständige Chronik samt Be- möglichen Rekonstruktion von Löhes eige- Die umfangreichen, sehr sorgfältig er- gleittexten und -materialien veröffentlicht ner Bibliothek verwiesen. Die Themen- stellten Anlagen sowie der gesamte Anhang Im Vorwort umreißt der 1999 verstor- zu haben. Sie wird Erinnern ermöglichen schwerpunkte des Bandes spiegeln neben ergänzen den Band sehr gut. Erstere um- bene Hg. – vormals Historiker, Sozialwis- und Erinnerung wachhalten, nicht nur in biographischen Erkundungen die Schwer- fassen ein alphabetisches Ortsregister zu senschaftler und Ordinarius für Soziologie Tann. [1737] punkte seines theologischen Denkens und den Matrikeln mit Angabe der Gerichtszu- – kurz den Schauplatz und die wichtigen Elisabeth Fuchshuber-Weiß der von ihm gezogenen Konsequenzen in gehörigkeit (1817) und der heutigen Ge- Anliegen der Veröffentlichung. Die jüdi- der kirchlichen Praxis sowie die weltweite meinde- und Landkreiszugehörigkeit und sche Gemeinde zu Tann, einer heute hessi- Wirkungsgeschichte Löhes wider. ermöglichen den direkten Zugriff auf die schen Kleinstadt bei Fulda in der Nord- Jobst Reller widmet sich der biographi- einzelne Ortsmatrikel. Ein Glossar erklärt rhön, bestand genau 201 Jahre: 1740 ge- schen Frühzeit („Bekehrung und geistli- heute ungebräuchliche Bezeichnungen der gründet, wurde sie 1941 mit der Vertrei- BLAUFUSS, DIETRICH (Hg.): Wilhelm Löhe. cher Durchbruch bei Löhe“ (S. 199–218), Listenspalte „Erwerb“. Auch die vom Lan- bung der letzten jüdischen Bürgerin ausge- Erbe und Vision. ILoeS | Loehe Theo- Lothar Vogel in teilweise Aufnahme dieser desdirektionsrat v. Halbritter abgezeichne- löscht. Die Chronik reiht die Gemeinde- logical Conference II Neuendettelsau Aspekte dem theologischen Bildungsgang te Anweisung zur Anlage der Listen ist jahre zwischen 1879 und dem November- 22. bis 26. Juli 2008 (= LKGG 26). Gü- („Von der Erweckung zur Wiederentde- wiedergegeben. Ein Exkurs über die Ge- pogrom 1938 aneinander, historische tersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2009. ckung der Konfession“, S. 219–238). Mit nealogen A. P. Czellitzer (geb. 1871, nach Nachträge bis 1991 erweitern den Zeit- 381 S., br. – ISBN 978-3-579-05781-1. der Liturgik und in diesem Zusammenhang 568 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 569 auch der Abendmahlstheologie und der Es liegt nahe, dass biographische As- hältnisses zu den im 19. Jh. entstandenen Sommer im Vorwort zu sprechen, mit Amtslehre beschäftigen sich die Beiträge pekte zu Löhe auch in anderen Themenzu- amerikanischen Synoden – der etwas pro- Recht als „Meilenstein in der neueren Lö- von Manfred Seitz („Gottesdienst und li- sammenhängen zur Sprache kommen, so vozierend klingende Titel zum Beitrag von he-Forschung“ bezeichnet werden. Er ver- turgische Sprache bei Wilhelm Löhe“, S. bei Th. Strohm. Löhes Amtslehre spielt na- M. J. Lohrmann entstammt einem Brief schafft Zugang und Anregung zu weiterer 33–49), Thomas H. Schattauer („Reclai- turgemäß auch bei J. Albert und J. T. Pless Löhes von 1853 (S. 298, Anm. 9). Nach wie Beschäftigung mit Leben und Werk des ming the Christian Assembly as Commu- eine Rolle, und im Beitrag von D. Blaufuß vor der Beachtung wert ist der Aufweis, berühmten Pfarrers von Neuendettelsau. nio. The Significance of the Lord’s Supper liegt auf der Abendmahlstheologie ein ei- dass Löhes Ekklesiologie im Ansatz eine [1738] in the Work of Wilhelm Löhe“, S. 50–66) gener Akzent. Es sind nicht allein historio- staatsfreie Kirche ins Auge fasst (R. Kel- Ernst Koch und Klaus Raschzok („Das geistliche Amt graphische Zugänge zu Löhe, die die ein- ler). nach Wilhelm Löhe. Impuls in eine amts- zelnen Beiträge bestimmen. Bei M. Seitz Im Einzelnen machen Differenzen in vergessene Kirche”, S. 80–109). Wie ange- und K. Raschzok gewinnt die Praktische der Deutung Löhes auf Erörterungsbedarf sichts von Löhes Theologie nicht anders zu Theologie, bei Chr. Weber die missionari- aufmerksam. So verdient wohl Löhes Ver- GEIGER, ERIKA: The Life, Work, and Influ- erwarten, gilt ein weiterer Schwerpunkt sche Praxis erkenntnisleitendes Interesse hältnis zu Luther und den lutherischen Be- ence of Wilhelm Löhe (1808–1872). der Ekklesiologie (Wolfhart Schlichting, und macht damit auf eine bis in die Gegen- kenntnisschriften eine genauere historio- Translated by Wolf Knappe. Saint Louis: „Kirche – Bekenntnis – Pluralität bei Wil- wart reichende Wirkungsgeschichte des graphische Untersuchung (vgl. u.a. W. Concordia Publishing House, 2010. helm Löhe“, S. 127–149; Dietrich Blaufuß, Neuendettelsauer Pfarrers aufmerksam. Schlichtings Ausführungen und die späte- XVIII + 272 S., br., Abb. – ISBN 978-0- „’Extra Lutheranismum nulla salus’? Wil- (Raschzok spricht in diesem Zusammen- ren Irritationen über die Eschatologie in- 7586-2666-0. helm Löhe jenseits von Konfessionalis- hang von „einer – immer noch – amtsmü- nerhalb der amerikanischen Synoden, an mus“, S. 150–175; Rudolf Keller, „Kirche den Kirche“, S. 100 und S. 107, und weist deren Gründung Löhe Anteil hatte). Anre- 2003 erschien im Freimund-Verlag der im Sinn des lutherischen Bekenntnisses. auf die Unangemessenheit der Übertragung gend sind W. Schlichtings Beobachtungen “Gesellschaft für Innere und Äußere Mis- Löhes Vorstellung von freier Kirche“, politisch-soziologischer Grundbegriffe auf zu Löhes Wertung der Abendmahlslehre sion im Sinne der Lutherische Kirche e.V.“ S. 178–198). Mit dem Themenbereich Dia- die Ekklesiologie hin, S. 108f) Th. H. als „Materialprinzip“ lutherischer Theolo- die derzeit greifbare, umfassende Löhe- konie / Innere Mission befassen sich Hans Schattauer (S. 65f) und D. Blaufuß betonen gie (S. 143–145). Künftiger Forschung mag Biographie, wissenschaftlich verantwortet, Schwarz („Wilhelm Löhe zu sozialen Fra- die Bedeutung der communio-Theologie auch der Wunsch nach Berücksichtigung aber auch einem breiteren Leserkreis zuge- gen seiner Zeit“, S. 239–247), Jürgen Albert Löhes für die aktuelle ökumenische Debat- des Echos Löhes bei seinen Zeitgenossen dacht. Erika Geiger hat einen breiten Über- („Löhe und Wichern“, S. 248–258) und te. Th. Strohms Darlegungen zur gegen- und in der theologischen Öffentlichkeit blick über Leben und Werk des Neuendet- Theodor Strohm („Wilhelm Löhes Ver- wärtigen Situation der Diakonie zeigen seiner Zeit sowie der Einbettung in die ge- telsauers erarbeitet, dabei auch immer die ständnis der Diakonie der Kirche und die über Kontinuitäten zu Löhes Ansatz hin- sellschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge Ausgewogenheit bezüglich von Löhes Ar- Wirklichkeit der Diakonie heute“, S. 259– aus auch die tiefen Differenzen, die letzt- seines Werkes mitgegeben sein, wie es an- beitsgebieten im Auge behaltend. Gewiss 281). Beiträge zur außerdeutschen Wir- lich in der Ekklesiologie eine wichtige satzweise im Beitrag von J. Albert gesche- nicht nur Kapitel 6 bis 9 zur Amerika- kungs- und Rezeptionsgeschichte Löhes Wurzel haben (S. 277ff) und angesichts der hen ist. Arbeit haben dazu geführt, eine englische haben Christian Weber („Löhe im Kongo. gegenwärtig beherrschenden Interessenla- Die angestrebte Quellennähe der Bei- Ausgabe des Werkes anzustreben: „Mis- Missionarische Perspektiven gegen den ge trotz aller Appelle nicht einholbar sind. träge einschließlich des Bezugs auf nach sion in North America“, „Between Work Pessimismus“, S. 67–79), John T. Pless Was den Zugewinn des Bandes für die Abschluss der Gesammelten Werke zu- in the Congregation and among Emig- („The Lively Use of Loehe. Kenneth Kor- Forschung betrifft, mag vielleicht die Be- gänglich gemachte Texte ermöglicht es, der rants“, „Struggle for a Lutheran Church“, by’s Contribution to a Renewed Reception teiligung und der Hinweis auf amerikani- Entfaltung der Themen zu folgen und „From the Missouri Synod to the Iowa Sy- of His Pastoral Theology in the Lutheran sche Beiträge zur Löhe-Forschung in man- gleichzeitig zu neuen Fragen zu führen. nod“ (S. 83–142 und S. 227–232; deutsche Church – Missouri Synod”, S. 110–126), cher Hinsicht eine Überraschung sein (vgl. Hinzu kommt, dass der Inhalt dieser Do- Ausgabe: S. 129–210 und S. 340–344). Ame- Craig Nessan (“Wilhelm Löhe und die z.B. die S. 55, Anm. 14 aufgelisteten Titel). kumentation der Tagung von 2008 sich gut rikanischerseits wird gewürdigt, dass Löhe Iowa Synode. Missionskorrespondenz J. T. Pless erschließt mit seinen Darlegun- erschließen lässt, weil ihr stark aufge- in den USA nun endlich weit über die 1852–1872”, S. 282–293), Martin J. Lohr- gen neue aussagekräftige Quellen zu Löhes schlüsselte fünf Register beigegeben sind, „Three Books about the Church“ hinaus mann („’A Monument to American Intol- Werk. Erinnert wird daran, dass – abgese- die auch die Quellen und die verwendete bekannt werden kann (vor S. I). In Rev. Dr. erance’. The Iowa Synod’s ‚Open Ques- hen von der bekanntermaßen unbefriedi- Literatur berücksichtigen (S. 336–372). Wolf Dietrich Knappe, nach dem Zweiten tions’ in their American Context“, S. 294– genden Situation der Erschließung des Weiterhin an Löhe Interessierte finden als Weltkrieg in die USA ausgewandert, war 306) und Dean Zweck („The Influence of Briefwechsels (R. Keller, S. 177) – Löhes Beilage als praktisches Werkzeug ein Zei- ein kompetenter Übersetzer gefunden. In Wilhelm Löhe / Neuendettelsau on the Lu- Berliner Tagebuch nach wie vor nicht voll- lenlineal zu den „Gesammelten Werken“. Zusammenarbeit von „Gesellschaft für In- theran Church in Australia”, S. 307–330) ständig veröffentlicht ist (S. 214). Wichtig Der mit großer Sorgfalt erarbeitete und re- nere und Äußere Mission im Sinne der Lu- beigesteuert. ist die differenzierte Erörterung seines Ver- digierte Band kann, um mit Wolfgang therische Kirche e. V.“ und „International 570 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 571

Loehe Society“ sowie den beiden Verlagen, WENZ, GUNTHER: Friedrich Immanuel er“ (S. 14 in 2). Beide Werke – der Akade- hammers Jenaer Jahre sind die produktiv- dem Freimund-Verlag und dem Concordia Niethammer (1766–1848). Theologe, mievortrag wie auch die Monographie – sten Jahre in seinem Denken und Schaffen. Publishing House gelang schließlich das Religionsphilosoph, Schulreformer und werden hier sachgemäß gemeinsam bespro- „Aber aufs Ganze gesehen bleibt Nietham- Vorhaben. Kirchenorganisator (= Bayerische Aka- chen, weil sie doch eng zusammen gehören. mer der einmal eingeschlagenen Richtung Der Band unterscheidet sich in der An- demie der Wissenschaften. Philoso- Seit der Monographie von Günther treu, auch wenn er sie nach der Jenaer Zeit lage kaum von der deutschen Fassung. Eine phisch-Historische Klasse. Sitzungsbe- Henke (München 1974) ist Niethammer nicht mehr in erster Linie als an praktischer Verringerung der Satzprobleme ist die richte Jg. 2008, Heft 1). München: Ver- nicht oft thematisiert worden. Interesse für Vernunft orientierter Religionstheoretiker, Konzentrierung der Abbildungen in einem lag der Bayerischen Akademie der Wis- ihn besteht in der Philosophiegeschichte, sondern als Praktiker vernünftiger Religi- Anhang (S. 230–251). Das Quellen- und senschaften in Kommission beim Verlag hatte er doch in Jena mehr als zehn Jahre on und Moral verfolgte“ (S. 176 in 2). Im Literaturverzeichnis ist selbstredend aktu- C. H. Beck München, 2008. 114 S., kart., doziert. In den hier vorzustellenden Bän- Wechsel von Jena nach Würzburg und dann alisierend ergänzt (S. 259–261). Neu hinzu- Abb. – ISBN 9873769616453. [= 1] den geschieht die Darstellung ausdrücklich über Bamberg nach München sieht Wenz gefügt ist „Wilhelm Löhe. A Bibliography WENZ, GUNTHER: Hegels Freund und Schil- im geistesgeschichtlichen Blickwinkel. Ma- eine zweite Zäsur in Niethammers Leben. of Literature in English“ von Craig L. Nes- lers Beistand. Friedrich Immanuel Niet- ximilian Graf von Montgelas hatte Niet- Wenz zeichnet den inneren Entwick- san and Lauren Tilley. Diese Arbeit enthält hammer (1766–1848) (= Forschungen hammer in seiner Münchener Zeit in die lungsgang des Denkens von Niethammer 81 Autoren und Editoren, die z.T. mit meh- zur systematischen und ökumenischen Regierungsgeschäfte einbezogen. So half er und seinen Einflüssen durch Lehrer und reren Titeln vertreten sind. Sie wurde erst- Theologie, Bd. 120). Göttingen: Van- dazu, dass Bayern ein konfessionsparitäti- Kollegen sensibel nach und konfrontiert mal auf der zweiten Tagung der „Internati- denhoeck & Ruprecht, 2008. 235 S., scher Staat werden konnte, was nach dem am Ende Karl Johann Friedrich Roth und onal Loehe Society“, der „Loehe Theologi- geb., Hardcover, Abb. – ISBN 978-3- Zuwachs zu Bayern durch den Reichsde- Niethammer im Jahr 1848. Ersterer – der cal Conference“ II 2008 Neuendettelsau 525 56348-9. [= 2] putationshauptschluss vom 25. Februar „Beschützer der Erweckungsbewegung der vorgestellt [s. Rezension Nr. 1738] und er- 1803 auf der Tagesordnung stand. Zivil- bayerischen Kirche“ (M. Simon) wurde laubt nun auch allgemein einen guten Zu- Die an zweiter Stelle genannte Mono- rechtlich sollten die evangelischen Einwoh- vom neuen König in den Ruhestand ge- griff auf Löhe-Quellen und -Literatur in graphie widmet der Münchener systemati- ner des Landes gleichgestellt sein. So wurde schickt. Niethammer starb im Alter von 82 englischer Sprache – selbstredend nicht sche Theologe „Der Evangelisch-Lutheri- die Selbständigkeit der Evangelischen Kir- Jahren. Was wäre gewesen, wenn die bei- vollständig, aber repräsentativ (S. 262–272, schen Kirche in Bayern aus Anlass ihrer che abgesichert – freilich dem römisch-ka- den intensiver zusammengearbeitet hätten? mit Register von „Authors, Editors“). zweiten Säkularfeier“. Der zuerst genannte tholischen summus episcopus aus dem Aber mit solchen Fragen begibt sich Wenz Hier ist das Bestreben der „Internatio- Band ist ein Akademievortrag, der über das Hause Wittelsbach unterstellt. Daran ein in Gefilde, die über das hinaus gehen, was nal Loehe Society“ zum Zuge gekommen, Münchener Akademiemitglied des 19. Jahr- Fragezeichen zu setzen, lag nicht in Niet- ein Historiker ermitteln soll. Geht es hier Löhe-Forschung zu internationalisieren. hunderts handelt. Wenz bezeichnet Niet- hammers Gesichtskreis. Zur völligen Selb- um einen Wunsch, der an den Münchener Es bewährte sich die besondere Verbin- hammer als einen der „Gründerväter“ die- ständigkeit konnte es erst nach dem Ende Gelehrten aus einer anderen Zeit herange- dung der beiden in der Löhe-Forschung ser Kirche. Wenn man 1808 für ein Grün- der Monarchie (1918) kommen. Wenz will tragen wird? Oder welchem Sinn dient es, tätigen Institutionen, der „Gesellschaft für dungsdatum hält, kann man ihn so nennen, nicht das wiederholen, was andere schon diese Fragen zur Vermittlung zwischen Er- Innere und Äußere Mission im Sinne der besser passt die im ersten Titel genannte über Niethammer gearbeitet haben: „Die weckung, Frömmigkeit und Kritischer Lutherische Kirche e.V.“ (seit 1873 mit Jo- Bezeichnung „Kirchenorganisator“, denn Perspektive“, in der Wenz sich Nietham- Wissenschaft in den Raum zu stellen? Im hann Deinzers Löhe-Biographie; 2011 mit Gründervater war er ja nur für eine damals mer zuwendet, ist nicht auf dessen prakti- Akademievortrag hat Wenz deutlicher un- zwei grundlegenden Veröffentlichungen) neue Rechtsform im Gebiet des jungen Kö- sches Wirken gerichtet. „Die Aufmerksam- terstrichen, dass Niethammer selbst auch und der „International Loehe Society“ (seit nigreichs, während evangelische Kirchen keit richtet sich ausschließlich auf den The- eine Entwicklung und Öffnung zur Erwe- 2005). Deren beide co-presidents der ame- auf diesem Gebiet seit der Reformation be- oretiker, näherhin auf die literarischen ckungsfrömmigkeit durchlaufen hat. Noch rikanischen Seite, Prof. Craig Nessan standen. Und schon die Reformation wollte Hauptwerke, in denen Niethammers Den- von einer Rede des neuen protestantischen (2005–2008) und Prof. John Pless (seit ja ihrem Selbstverständnis nach keine ken und die Entwicklung, die es genom- Oberpredigers in Würzburg hat Wenz be- 2008), waren aktiv an dem Unternehmen „Gründung“ sein, sondern eben Reforma- men hat, thematisiert sind“ (S. 18 in 2). stätigt, dass es umstritten ist, ob es sich da- beteiligt. Letzterer steuerte ein Vorwort bei tio. Dass Niethammer nun ausgerechnet in Niethammer ging es um das Verhältnis von bei um eine christliche Predigt oder um (S. IX f) wie auch der Verlag das Interesse den Jenaer Atheismusstreit involviert war, Vernunft und Offenbarung (S. 18 in 2). Die eine philosophische Rede handelt (S. 90 in an der Sache ausdrücklich betonte (S. XI). verdient aufmerksames Interesse ebenso enge Berührung mit dem Denken von Kant 1). In München sollte sich das ändern. Sei- [1739] wie sein Wirken für die Gestaltwerdung der wird klar herausgearbeitet, die den in nen lutherischen Kantianismus, bzw. das Dietrich Blaufuß bayerischen Landeskirche an ihrem Neube- Württemberg geborenen und dann in Jena Kantisch geprägte Luthertum konnte er je- ginn unter der Krone Bayerns. „Kaum einer tätigen Niethammer geprägt hat. In Jena doch nicht mehr theoretisch explizieren. hatte auf ihre anfängliche Entwicklung und konnte er sein Interesse für Kant intensiver Wenz findet: „In der Sündenlehre und der Organisation so maßgeblichen Anteil wie pflegen als vorher im Tübinger Stift. Niet- auf sie bezogenen Lehre von der Versöh- 572 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.4. 19. Jahrhundert 573 nung haben sich – gewiss auch unter dem sich nichts einzuwenden ist (S. 91f in 1 = S. lung bzw. zu unterschiedlichen Strömun- teil geworden waren, geriet bald darauf in prägenden Einfluss Luthers und seiner S. 176f in 2. – S. 112–114 in 1 = S. 217–218 in gen innerhalb der bayerischen Landeskir- Vergessenheit. Schriften – in Niethammers Denken die 2). Der Akademievortrag fand am 14. De- che oder der Inneren Mission gibt. Darüber Etwas irritierend auf den ersten Blick ist entscheidenden Wendungen vollzogen, die zember 2007 statt. Das Vorwort zur Mono- hinaus hat für Krauss Buchruckers Biogra- die dreifache Zielsetzung des Buches: Nicht hinausweisen über die Jenaer Entwürfe, graphie wurde am 1. April 2008 unterzeich- phie exemplarischen Charakter: „[...] seine nur die Biographie Buchruckers soll be- ohne deshalb deren Ansatz grundsätzlich net. Der Akademievortrag bietet noch Herkunft, Sozialisation und seine weiteren schrieben werden, sondern auch noch, an- zu verwerfen“ (S. 114 in 1). Wenz spricht mehr historische Details, von denen sich Lebensstationen sind auch typisch für die- knüpfend an Buchruckers Werdegang und von einer „strukturellen Krise des aufge- die Monographie dann ganz abhebt. Wenz jenigen, die gegen Ende des 19. Jahrhun- seine Hauptaktivitäten, die damalige Situa- klärten Bewusstseins, die tiefer reichte als schreibt einen eleganten Stil. Leichte Kost derts über das Oberkonsistorium die Kir- tion der evangelischen Kirche in München mancher Kantianer dies zu ermessen ver- ist diese Lektüre allerdings keineswegs. chenpolitik bestimmten.“ (S. 13) bzw. die Entwicklung der bayerischen Di- mochte“ (S. 218 in 2). „Dass Schrift und [1740] Buchruckers Qualifikationen liegen laut akonie. Den beiden letztgenannten The- Bekenntnis in Niethammers systemati- Rudolf Keller Krauss in seinen fundierten theologischen menfeldern wird dann auch von Krauss re- schem Denken je den Status einer durch Kenntnissen, seinem Talent als Prediger, lativ breiter Raum (70 bzw. 45 Seiten bei schieren Entschluss anzuerkennenden das ihn die jeweils passenden Worte finden insgesamt etwa 180 Seiten fortlaufenden Wahrheitsautorität eingenommen hätten, lässt, seinem Organisationstalent und sei- Textes) eingeräumt. Die Integration in die lässt sich nirgends erkennen“ (S. 113 in 1). KRAUSS, MARITA: Evangelisch in München. nen Fähigkeiten zu moderieren und die Biographie Buchruckers gelingt der Auto- Der Weg Niethammers durch die Tü- Karl Buchrucker (1827–1899). Wegbe- Brücke zwischen scheinbar konträren Po- rin gut. Demgegenüber werden die Buch- binger und Jenaer Jahre und von Würzburg reiter der bayerischen Diakonie. Mün- sitionen zu schlagen. Darüber hinaus kenn- ruckers Münchner Dekanszeit vorausge- in die Landeshauptstadt tritt dem Leser chen: Volk, 2009. 224 S. geb. zahlr. Abb. zeichnen ihn großer Arbeitseifer, Interesse henden 46 Lebensjahre durchaus informa- dieser beiden Bücher vor Augen als ein – ISBN 978-3-937200-64-4. an wissenschaftlicher Arbeit und Aufge- tiv, aber deutlich kürzer (34 Textseiten) geistesgeschichtlich an einem Wendepunkt schlossenheit für die sozialen Probleme abgehandelt, was insofern die Relationen stehender, der aber den Bruch vermied. Eine herausragende Persönlichkeit zu seiner Zeit, was sich vor allem in seinem etwas verschiebt, als Buchrucker vor An- Wenz ist für seine beiden Bände zu danken, würdigen, die sich in der zweiten Hälfte Engagement im Dienste der Inneren Missi- tritt seiner Tätigkeit als Münchner Dekan weil er dadurch einer gerechten Beurtei- des 19. Jh. in vielfältiger Weise um die bay- on niederschlägt. So führte ihn, der aus ei- alle entscheidenden Prägungen erhalten lung Niethammers den Weg ebnet und erische Landeskirche verdient gemacht und nem fränkischen Pfarrhaus stammte, sein und die entsprechenden Qualifikationen auch der bayerischen Kirche Einblick gibt diese entscheidend mitgeprägt hat, ist das Weg über das Studium in Erlangen, an das erworben hatte, die ihn dann zu seinem er- in eine wichtige Epoche ihrer (Geistes-) Anliegen von Prof. Marita Krauss, die an sich einige Wanderjahre anschlossen, zu folgreichen weiteren Wirken befähigten. Geschichte, die oft nur wenig zur Kenntnis der Universität Augsburg Bayerische und seiner ersten Pfarrstelle nach Oberlaim- Abgerundet wird das sorgfältig redigierte genommen wird. „Wie immer man den Schwäbische Landesgeschichte lehrt. bach (bei Scheinfeld), dann für ein Jahr- und kaum Druckfehler aufweisende Werk, geistigen Rang Niethammers beurteilen Um die Gestalt Karl Buchruckers mög- zehnt als Stadtpfarrer nach Nördlingen, das zudem noch durch zahlreiche gut ge- mag – dass er für einige der ganz Großen lichst plastisch dem Leser vor Augen zu bevor er 1873 in München Dekan wurde. wählte Abbildungen besticht, durch einen seiner Epoche einflussreich, ja mit nicht führen, hat Krauss auf der Basis eines in- 1885 wurde er in das Oberkonsistorium die wesentlichen Elemente enthaltenden wenigen von ihnen in Freundschaft ver- tensiven Quellenstudiums (vgl. die um- berufen, rückte dort 1892 zum ersten geist- Anhang. Hier finden sich auch die Anmer- bunden war, ist unbestreitbar“(S. 9 in 1). fangreiche Bibliographie S. 211–218) des- lichen Oberkonsistorialrat auf, um schließ- kungen, die freilich als Fußnoten zum Text Diese Einschätzung spürt man Wenz in sei- sen Lebensweg nachgezeichnet, wobei sie lich 1897 die nach dem Tod Adolf Stählins dem Leser lästiges Blättern erspart hätten. nen beiden Arbeiten ab. Sie sind am besten immer wieder zeitgenössische Quellentex- verwaiste Stelle des Oberkonsistorialpräsi- Fazit: Ein in jeder Hinsicht lesenswer- komplementär zu lesen. Historische Ar- te zu Wort kommen lässt, wodurch der Le- denten, für die er vorgeschlagen war, aus tes Buch, das die Persönlichkeit Karl Buch- beiten über Niethammer und sein prakti- ser einen sehr anschaulichen Eindruck vom Altersgründen abzulehnen. Im Jahr darauf rucker in all ihren Facetten vorstellt und sches Wirken setzt er voraus und geht des- damals herrschenden Zeitgeist erhält. trat er, körperlich geschwächt, auf eigenen tiefe Einblicke nicht nur in die Geschichte halb auf die konkrete Lebensgeschichte Krauss´ in einem flüssigen Stil gehaltene Antrag in den Ruhestand und verstarb der bayerischen Landeskirche im 19. Jh. Niethammers nur ganz am Rande ein. Eine Darstellung gewinnt dadurch noch einmal schon im Januar 1899. Er, der sich zu Leb- vermittelt. [1741] ausdrückliche Äußerung des Verfassers, an Qualität, dass die Vf. jeweils kurz, aber zeiten allgemeiner Wertschätzung erfreute Ulrich Herz wie er die beiden verschiedenen Druck- fundiert und, falls nötig, differenziert den und dem verschiedene hohe Ehrungen zu- werke, die im gleichen Jahr erschienen sind, dieser Biographie zugrundeliegenden Hin- zueinander in Beziehung gesetzt wissen tergrund beleuchtet, z.B. indem sie lokale möchte, ist mir nicht erkennbar. Wohl ist und regionale Verhältnisse an den unter- festzustellen, dass kleine Passagen sogar in schiedlichen Dienstorten Buchruckers be- beiden Bänden identisch sind, wogegen an schreibt oder Erläuterungen zur Entwick- 574 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 575

3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert (Nr. 1742–1748) Theologie im 19. Jahrhundert“ (Gütersloh Neben solchen institutionengeschichtlich 1984). Mit den aus den Jahren 1990 bis 2007 ausgerichteten Untersuchungen wendet Tittmann: Haßfurt. Der ehemalige Landkreis (Eberl) (Nr. 1742) – Hein, Martin: Weichenstel- stammenden Beiträgen des vorliegenden sich Hein auch drei Persönlichkeiten zu, lungen der ev. Kirche im 19. und 20. Jahrhundert (Huber) (Nr. 1743) – Sommer: Friedrich Veit. Buches versucht Bischof Hein, „von der die ebenfalls den Vergleich mit entspre- Kirchenleitung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (Schneider) (Nr. 1744) – Zeiß- aktuellen Gegenwart aus zurückzufragen chenden historischen „Typen“ etwa des Horbach: Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus (Huber) (Nr. 1745) – Fix: Glaubensge- und geschichtlich bedingte Entwicklungen bayerischen „Kirchenkampfs“ nahelegen. nossen in Not (Dokumentation) (Zeiß-Horbach) (Nr. 1746) – Töllner: Eine Frage der Rasse? nachzuzeichnen“ (S. V). Die Linien, die Zunächst schildert Hein den Weg eines (Blaufuß) (Nr. 1747) – Heißmann: ... mitten unter euch. 200 Jahre Dekanat Windsbach (Keller) sich anhand der einzelnen kirchenhistori- Pfarrers, der den religiösen Sozialisten an- (Nr. 1748). schen „Weichenstellungen“ ziehen lassen, gehörte: „Hermann Schafft in den Jahren verknüpft Hein dann tatsächlich in einem 1918 bis 1938“ (S. 81–94). Dann widmet er programmatischen Artikel. In diesem gibt sich mit dem Artikel „Hans von Soden und TITTMANN, ALEXANDER: Haßfurt. Der ehe- ern, dessen Verwaltungsstrukturen im 19. er der zentralen Formel der geltenden die ´Judenfrage´“ (S. 111–134) der inoffi- malige Landkreis (= Historischer Atlas und 20. Jh. in diesem Raum vom Vf. ab- Grundordnung der EKKW nichts weniger ziellen Führungsfigur der Bekennenden von Bayern. Teil Franken, Reihe I, Heft schließend erörtert wurden. Es sind auch als die gegenwärtig quasi normative Inter- Kirche in Kurhessen-Waldeck. Der Patris- 33). München: Kommission für bayeri- für jeden Ort des Raumes Statistiken für pretation. Der Autor ist sich der Konzen- tiker und Neutestamentler ist an der Seite sche Landesgeschichte, 2003. XLVI + die Zeit um 1900 und am Ende des Alten tration auf den Bereich seiner Landeskirche Rudolf Bultmanns als Hauptverfasser des 646 S., geb., 14 Abb., 7 Skizzen, 2 Kar- Reiches um 1800 mit den einzelnen Herr- bewusst. Trotzdem ist er davon überzeugt, Marburger Gutachtens zum sog. Arierpa- tenbeilagen – ISBN 3-7696-9696-4. schaftsträgern und ihren Rechten und Be- dass „gerade die regionale Kirchenge- ragraphen berühmt geworden – im Gegen- sitzungen zusammengestellt und damit ein schichtsschreibung allgemeine Entwick- über zu den Erlanger Theologen Paul Der vorliegende Band des Historischen vollständiger Überblick geschaffen wor- lungen exemplarisch aufweisen und an- Althaus und Werner Elert. Nationalliberal Altas von Bayern führt diesen im Bereich den. Die Ergebnisse der Untersuchung schaulich machen kann und darin eine be- eingestellt konstatierte Hans von Soden im von Franken um einen gewichtigen Band wurden auch in zwei Karten visuell erfasst. sondere Bedeutung besitzt“ (S. V). Mit der Blick auf die „Judenfrage“ bereits vor 1933 fort. Derselbe widmet sich dem Gebiet des Das Werk vervollständigt die Reihe Fran- Bekundung dieser Prämisse zollt Bischof „nicht nur einen Regelungsbedarf, sondern alten Landkreises Haßfurt, das ein Stück ken im Historischen Atlas von Bayern und Hein allen, die Kirchengeschichte treiben konzedierte auch ein staatliches Regelungs- des Maintals westlich von Bamberg um- reiht sich würdig in diese für die Landesge- oder Archivarbeit leisten, Anerkennung recht, das freilich seine Grenzen haben fasst, an das sich nördlich ein Teil des Haß- schichte bedeutsame Reihe ein. [1742] für ihren Dienst. Keine Selbstverständlich- musste“ (S. 119). Geleitet von seinem theo- gaues und südlich das Steigerwaldvorland Immo Eberl keit! logischen und politischen Liberalismus lag anschließen. Der Main bildete bis ins 19. Hein beginnt mit einem „Beitrag zum ihm an einer strikten Trennung von Kirche Jh. hinein die entscheidende Verkehrsader Verhältnis von Staat und Kirche im 19. und Staat, die sich „in gegenseitiger des Raumes. Der Band beschreibt die his- Jahrhundert“ und legt die Hintergründe, Achtung und Freiheit gegenüberstehen“ torische Entwicklung des ehemaligen HEIN, MARTIN: Weichenstellungen der evan- den Verlauf und die Ergebnisse der „Jes- (S. 133). Keiner dürfe in den Bereich des Landkreises bis zur Gebietsreform 1972. gelischen Kirche im 19. und 20. Jahrhun- berger Konferenz im Jahr 1849“ dar (S. 17– anderen übergreifen. Darum wurde von Das Frühmittelalter wurde in diesem Ge- dert. Beiträge zur Kirchengeschichte und 34). Die hier bereits erstrebte Selbständig- den Marburgern die Übernahme des staat- biet von den Bischöfen von Würzburg und Kirchenordnung (= Arbeiten zur Kir- keit der Kirche kam freilich erst durch die lichen Arierparagrafen in die Kirche abge- dem Kloster Fulda bestimmt. Daneben be- chengeschichte 109). Berlin–New York: Kriegsniederlage und Revolution 70 Jahre lehnt. Zugleich aber, befindet Hein kritisch, stand nachweislich Reichsgut und, wie die de Gruyter, 2009. VIII + 260 S., geb., Ln. später. Es folgen die Skizze „Wilhelmini- war die „Einsicht in die unaufgebbare Soli- Burg Theres beweist, auch Besitz der Ba- – ISBN 978-3-11-020530-5. scher Protestantismus. Der Zusammen- darität von Christen und Juden“ (S. 133) benberger. In den späteren Jahrhunderten hang von Politik, Kirche und Theologie an Hans von Soden nicht gegeben. Das gilt stießen im Untersuchungsgebiet die Hoch- Der Band versammelt 13 Vorträge und der Wende zum 20. Jahrhundert“ (S. 35–52) auch von Bernhard Heppe (1897–1945), ei- stifte Würzburg und Bamberg zusammen. Aufsätze des Bischofs der Evangelischen und dann – aufschlussreich für den Ver- ner weiteren Schlüsselgestalt im „Bruder- Obwohl im 15. Jh. zahlreiche kirchliche Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). gleich mit den Verhältnissen in anderen Re- bund kurhessischer Pfarrer“ (S. 135–144). Besitzungen an den regionalen Adel ver- Martin Hein (geb. 1954), der im Jahr 2000 gionen – die beiden Studien: „Geistliche Heppe fungierte als dessen Geschäftsfüh- pfändet waren, gelang es Würzburg im 16. dieses Amt übernahm, war von 1979 bis Leitung und Einheit der Kirche. Zur Vor- rer. Hein erinnert an seinen Lebensweg, Jh. von den Zentren Haßfurt, und 1982 Mitarbeiter der unter Leitung von geschichte und Einführung des Bischofs- der in der Kriegsgefangenschaft tragisch Prölsdorf aus seinen Herrschaftsraum aus- Professor Gerhard Müller herausgegebe- amtes in der Evangelischen Landeskirche endete. Mit den Untersuchungen „Beken- zubauen, während Bamberg seinen Besitz nen Osiander-Gesamtausgabe in Erlangen. von Kurhessen-Waldeck“ (S. 53–78) sowie nende Kirche und Schule im Nationalsozi- nur im Raum Zeil bewahrte. Anfang des Hier promovierte er mit der Dissertation „Das Jahr 1933 in der Evangelischen Lan- alismus“ (S. 145–160) und „Die evangeli- 19. Jh. gelangte das gesamte Gebiet an Bay- „Lutherisches Bekenntnis und Erlanger deskirche in Hessen-Kassel“ (S. 95–109). sche Kirche und der 2.Weltkrieg“ (S. 161– 576 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 577

178) nimmt Hein schließlich die Alltagsge- der Grundordnung der EKKW von 1967: und Hanau. Später wurde den Kirchenge- kenntnisse bewusst aufnehmender Bischof schichte des sog. Dritten Reiches in den Was heißt: „... in der Vielfalt der überliefer- meinden die Bekenntnishoheit eingeräumt. theologische Impulse für die Gegenwart Blick. ten Bekenntnisse der Reformation zu einer Nach der Annexion Kurhessens durch und die Zukunft setzt. Gleichwohl wird – Die 1934 durch staatlichen Druck ent- Kirche zusammengewachsen“? (S. 209–228) Preußen und der Zusammenlegung der drei gerade vor dem Hintergrund einer künftig standene EKKW blieb keine „intakte“ Kir- Die heute in der EKKW gültige Antwort Konsistorien nach Kassel erlebte die Lan- eventuell gegenüber den Landeskirchen che, auch wenn die Auseinandersetzungen auf diese Frage hat Hein bereits im Jahr deskirche die Abspaltung der „hessischen noch stärker gemachten EKD und weite- nicht so erbittert geführt wurden und nicht 1990, als er Studienleiter am Predigersemi- Renitenz“. Die theologischen und liturgi- ren Kirchenfusionen – zu fragen sein, ob ein solcher Grad von „Zerstörung“ sich nar Hofgeismar war, geliefert. Sie ist von schen Neuaufbrüche nach dem Ersten nicht etwa doch, vor allem in ökumenischer einstellte wie in anderen Landeskirchen. Aktualität über die EKKW hinaus. Aus- Weltkrieg, die Erfahrung des Kirchenkamp- Hinsicht das Prädikat „evangelisch“ (auf Am 29. Juni 1934 war vom Landeskirchen- führlich setzt sich Hein mit Wilhelm Mau- fes und der Neuorganisation der EKKW Englisch noch problematischer: „evangeli- tag, der zuvor den Zusammenschluss der rer (1900–1982) auseinander, der, bevor er nach dem Zweiten Weltkrieg führten cal“), das eben die Konfessionsbezeichnun- beiden Landeskirchen von Hessen-Kassel 1951 den Lehrstuhl für Historische Theolo- schließlich dazu, dass in den 1960er Jahren gen „lutherisch“ und „reformiert“ als his- und Waldeck in Übereinstimmung mit Na- gie in Erlangen übernahm, seit 1946 als der Grad erreichter Gemeinschaft innerhalb torisch obsolet ablösen soll, zu unspezi- men und Bereich des NSDAP-Gaus zu Propst von Oberhessen und Schmalkalden, der Landeskirche auch theologisch-konfes- fisch und vage ist. Werden durch die Preis- „Kurhessen-Waldeck“ beschlossen hatte, also der lutherischen Kirchengebiete der sionell zum Ausdruck gebracht werden gabe etwa des „Lutherischen“ nicht doch der Kasseler Pfarrer Karl Theys (1881– EKKW, fungierte (vgl. NDB 16, 442–444). sollte. Die Feststellung der Präambel zeugt wesentliche Anliegen reformatorischer 1957) zum Bischof gewählt worden. Die Maurer versuchte in der Tradition August davon: Die EKKW „ist vor allem durch das Theologie aufgegeben, die mit der römisch- Mehrheit der Pfarrer und der Gemeinden Vilmars (1800–1868), unter Bezug auf das Augsburgische Glaubensbekenntnis und katholischen Kirche oder den Ostkirchen hatte freilich diese Wahl von Anfang an als durch die Reformation formal gesetzte die von ihm aufgenommenen altkirchlichen Verbindungen aufrechterhalten, vor allem illegal abgelehnt. Theys trat noch im selben Recht die EKKW als eine lutherische Kir- Symbole geprägt und in der Vielfalt der in den Fragen des Amtes oder des Herren- Jahr zurück. So musste sich die EKKW che zu definieren. Er sprach der kompli- überlieferten Bekenntnisse der Reformati- mahls? Was ist mit dem reichen, freilich in nach Kriegsende neu organisieren, was zierten konfessionellen Entwicklung Kur- on zu einer Kirche zusammengewachsen“. die Zeit vor Aufklärung und Rationalismus Hein in dem Artikel „Auf der Suche nach hessens, insbesondere der gewaltsam durch Die historisch entwickelte heterogene Kon- zurückführenden Traditionsschatz lutheri- neuer Ordnung. Der Weg der evangeli- den Kasseler Landgrafenhof betriebenen fessionsstruktur Hessens wird nun als Stär- scher Spiritualität und Ästhetik, der noch schen Landeskirche von Kurhessen- Calvinisierung, ihre Legitimität ab, weil sie ke aufgefasst und selbstbewusst interpre- ferner rücken würde? Ist nicht unser deut- Waldeck in den Jahren 1945–1947“ darstellt das rechtmäßige Bekenntnis, das mit der tiert als Modellfall „innerevangelischer sches Verständnis von „evangelisch“, glo- (S. 179–207). Die EKKW wählte 1945, da Confessio Augustana 1530 abgelegt wurde, Ökumene“, in Entsprechung zur Leuen- bal gesehen, doch ein „provinzielles“ und Hans von Soden herzkrank starb, Adolf relativierte. Während nach dem Dreißigjäh- berger Konkordie. Hein plädiert dafür, inhaltlich zu einseitig vom Rationalismus, Wüstemann (1901–1965) zu ihrem ersten rigen Krieg das Kirchenwesen Oberhessens nicht rückwärtsgewandt-statisch von „Be- Biblizismus und Pietismus her bestimmt? allgemein anerkannten Bischof. In den Jah- um Marburg durch den landgräflichen Hof kenntnisstand“ zu reden, sondern von „Be- Sich mit dieser Thematik weiter gründlich ren 1945 bis 1947 entschied die EKKW sich nach Jahrzehnten quälender Auseinander- kenntnisgrundlage“. Es geht ihm darum, historisch, dogmatisch und praktisch-theo- also für ein deutlich anderes Leitbild als setzungen offiziell als ein lutherisches aner- Offenheit zu behalten, um mit dem Blick logisch auseinanderzusetzen, gibt das etwa ihre hessische Schwesterkirche, die kannt wurde, entstand im größeren Landes- auf die Gegenwart und die Zukunft die fak- selbstverständlich mit einem Nachweis der „Evangelische Kirche in Hessen und Nas- teil eine eigene Sondertradition, die später tisch gewachsene Einheit der konfessionell Erstveröffentlichung sowie einem Perso- sau“ (EKHN) unter „Kirchenpräsident“ als „niederhessisch-reformiert“ bezeichnet heterogenen Landeskirche nicht zur Dispo- nen- und Ortsregister versehene Buch von Martin Niemöller, der freilich als solcher wurde. Deren Kennzeichen waren das Bre- sition zu stellen. Martin Hein nachhaltige Anregung, auch nicht weniger autoritär war, als er dies wohl chen gewöhnlichen Brotes beim Abend- Zwei Arbeiten Heins aus dem Jahr 2001 außerhalb Hessens. [1743] mit dem Titel „Bischof“ gewesen wäre. Bis mahl und die rigide Durchsetzung des Bil- rahmen die in diesem Band versammelten Wolfgang Huber heute ist die Gesprächs- und Konfliktkul- derverbots. Dagegen fanden in ihr die Prä- „Beiträge zur Kirchengeschichte und Kir- tur innerhalb der EKKW – die sich übri- destinationslehre Calvins und der Heidel- chenordnung“ ein: die dogmatische Vor- gens, wie Hein andernorts unterstrich, in- berger Katechismus keinen Eingang. Als verständigung „Jesus Christus und die Kir- nerhalb der EKD in der Tradition Martin später noch das Gebiet um Hanau, das seit che“ zu Beginn (S. 3–13) und die Kasseler SOMMER, WOLFGANG: Friedrich Veit. Kir- Bucers explizit als „Kirche der Mitte“ ver- 1818 uniert war, zu Kurhessen kam, war Antrittsvorlesung „Kirchengeschichte im chenleitung zwischen Kaiserreich und steht – geprägt durch den allseitigen Willen eine dritte „Kirchengemeinschaft“ im Be- Religionsunterricht“ (S. 231–243), die den Nationalsozialismus (= Arbeiten zur zu Vermittlung und Konsens. reich der Landeskirche gegeben. Dieser he- Abschluss bildet. Kirchengeschichte Bayerns 90). Nürn- Wie oben bereits angesprochen, münden terogenen konfessionellen Situation Rech- Fazit: Es ist spannend zu lesen, wie ein berg: Verein für bayerische Kirchenge- die historischen Untersuchungen Heins in nung zu tragen, behalf man sich im 19. Jh. mit der Kirchengeschichte vertrauter, mit schichte, 2011. 318 S., geb., zahlr. sw. seine wichtige Untersuchung zur Präambel mit drei Konsistorien, in Kassel, Marburg ihren Methoden arbeitender und ihre Er- Abb. – ISBN: 978-3-940803-06-1. 578 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 579

Der emeritierte Neuendettelsauer Kir- macht handle“ (zit. S. 12 u. S. 59). Veit war poraregion mit Sitz in Weilheim, wo er nung von Staat und Kirche ein und für eine chenhistoriker und ehemalige Vorsitzende zudem an der Gründung und Gestaltung seine spätere Frau Hildegard Süskind, die Zusammenarbeit beider auf vertraglicher der Historischen Kommission des Deut- des Deutschen Evangelischen Kirchenbun- Tochter eines Gutspächters, kennenlernte. Grundlage (S. 53f). Auch die Notwendig- schen Nationalkomitees des Lutherischen des 1922 maßgeblich beteiligt, hielt sogar 1886 bis 1887 war Veit Stadtvikar in Mün- keit einer Reform der Kirche erkannte er Weltbundes Wolfgang Sommer, der u.a. be- die Festpredigt bei der Gründungsfeier und chen (S. 30–34). Nach dem ebenfalls mit und sprach in diesem Zusammenhang so- reits 2010 eine Monographie zu Wilhelm war praktisch während der gesamten Zeit sehr gutem Ergebnis bestandenen zweiten gar davon, dass die Kirche einer „Demo- Freiherr von Pechmann vorgelegt hat, hat des Bestehens des Kirchenbundes Präsi- Examen und der Hochzeit – aus der Ehe kratisierung“ bedürfe (zit. S. 54, vgl. S. 57). sich anlässlich des 150. Geburtstages 2011 dent des Kirchenbundesrates (S. 14). gingen drei Söhne hervor – übernahm er Maßgeblich war er dann an der Fertigstel- einer bislang weitgehend vernachlässigten Schließlich engagierte er sich auf internati- seine erste reguläre Pfarrstelle in Schwar- lung der bayerischen Kirchenverfassung Gestalt der Kirchengeschichte des ersten onaler Ebene, etwa im Lutherischen Welt- zenbach an der Saale. Bereits 1892 erreichte beteiligt, die am 10. September 1920 verab- Drittels des 20. Jahrhunderts zugewandt. konvent (ebd.). Eine kurze Übersicht über ihn ein Ruf auf eine Pfarrstelle in der Lan- schiedet wurde; am selben Tage wurde Veit Der von 1917 bis 1933 amtierende bayeri- die einschlägige Literatur rundet die Ein- deshauptstadt. Hier gelang ihm ein konti- zum Kirchenpräsidenten gewählt (S. 57– sche Oberkonsistorialpräsident bzw. – ab leitung ab (S. 18–20). nuierlicher Aufstieg auf der kirchlichen 62). Auf nationaler Ebene bekannte er sich 1921 – erste und einzige bayerische Kir- Auf den nächsten knapp 90 Seiten zeich- Karriereleiter: von der fünften über die zu einem festen Zusammenhalt des deut- chenpräsident Friedrich Veit war offenbar net Sommer vor allem an Hand der sich im vierte und zweite zur ersten Pfarrstelle und schen Protestantismus im Rahmen eines sogar in der Galerie der kirchenleitenden Landeskirchlichen Archiv Nürnberg be- zum Amt des Stadtdekans (1906); 1915 Kirchenbundes, eine einheitliche Reichs- Persönlichkeiten im Münchner Landeskir- findlichen handschriftlichen Memoiren den wurde er als Oberkonsistorialrat Mitglied kirche lehnte er hingegen im Interesse einer chenamt zunächst lange Zeit vergessen Lebensweg Veits nach. Veit wurde 1861 in der Kirchenleitung, zweieinhalb Jahre spä- Wahrung der geschichtlichen Eigenart der worden; erst 2009 wurde sein Porträt auf- Augsburg als Sohn eines Lehrers geboren. ter Präsident des Oberkonsistoriums Landeskirchen, vor allem aber aus konfes- gehängt (S. 17). Dies verwundert insbeson- Der Vater war politisch streng monarchis- (S. 35–50). sionellen Gründen ab (S. 63–69). dere deswegen, weil sich Veit, wie Sommer tisch gesinnt, verehrte sowohl die Wittels- In den kirchlichen und theologischen Frühzeitig wandte er sich gegen die bereits im Vorwort hervorhebt, frühzeitig bacher als auch die Hohenzollern. Auch Auseinandersetzungen zwischen Liberalen Ideologie der völkischen Bewegung und der großen Herausforderung auf Grund kirchlich war er, der jahrelang dem Kir- und Konservativen in der Landeskirche be- warnte vor den „hässlichen Formen eines des wachsenden Einflusses des Nationalso- chenvorstand seiner Gemeinde angehörte, mühte Veit sich um Vermittlung (S. 42–44, alles Maß übersteigenden Antisemitismus“, zialismus gestellt und verschiedene Schritte konservativ, stand dem Neuluthertum Wil- vgl. S. 53). In München unterhielt er viel- teilte zugleich aber das gängige judenfeind- unternommen habe, „um Pfarrer und Ge- helm Löhes nahe. Der Bildung und den fältige Kontakte zu namhaften Persönlich- liche Vorurteil von den die übrige Völker- meinden vor dieser drohenden Gefahr zu Künsten, insbesondere der Musik, gegen- keiten der Gesellschaft, u.a. zu Gelehrten, welt „auflösenden und zerstörerischen warnen“ (S. 9). über waren die Eltern, die noch vier jünge- Medizinern, Malern, Musikern, Dichtern, Kräften“ Israels, „die wie ätzendes Gift“ In einer kurzen Einleitung nennt Som- re Kinder groß zogen, aufgeschlossen. Schauspielern, Juristen, Philologen, Offi- wirkten (zit. S. 70f). Der Staatskirchenver- mer weitere Gründe, warum sich eine Be- Nach Absolvierung des humanistischen zieren und Abgeordneten (S. 47). Seine trag von 1924, der erste einer evangelischen schäftigung mit Veit lohnt. Angesichts der Gymnasiums studierte Veit Theologie an Einstellung zum Kriegsbeginn 1914 scheint Landeskirche, war ein Erfolg für Veit (S. Tatsache, dass in Bayern seit einiger Zeit den lutherisch geprägten Fakultäten in Er- ambivalent gewesen zu sein, jedenfalls 72–76). Er öffnete sich dem ökumenischen sogar die Kreisdekane/-dekaninnen den langen und Leipzig, interessierte sich aber nicht frei von Sorge (S. 48). In seiner Pre- Gedanken, wollte jedoch nicht, dass dieser Titel Regionalbischof/-bischöfin tragen, auch für Philosophie, Naturwissenschaf- digt anlässlich des 400. Reformationsjubi- gegen den Konfessionsgedanken ausge- und angesichts des viel beachteten Antra- ten, Geschichte und Kunstgeschichte. Eine läums 1917 in Nürnberg fielen die „Kon- spielt wird (S. 76). Schule und Bildung la- ges des Nürnberger Pfarrers Dieter Schlee intensivere Beziehung zur wissenschaftli- zentration auf den theologischen Luther“ gen ihm sehr am Herzen, wobei er sich ei- an die Frühjahrssynode 2011, den erst 1933 chen Theologie scheint der Verbindungs- und „das völlige Fehlen irgendwelcher na- nerseits gegen eine Neuauflage der geistli- eingeführten Titel Landesbischof wieder student der „Uttenruthia“, der in Leipzig tionaler Töne“ auf (S. 51, vgl. S. 53). Das chen Schulaufsicht, andererseits gegen eine durch den Titel Kirchenpräsident/-in zu regelmäßig die „Motette“ der Thomaner Ende des Krieges und der Monarchie er- „Bildung ohne Frömmigkeit“ wandte (zit. ersetzen, ist die konsequente Ablehnung besuchte, trotz hervorragendem Examen füllte Veit, der noch im Frühjahr 1918 die S. 65f). Auf dem sogenannten vaterländi- des Bischofstitels durch Veit von einer ge- nicht entwickelt zu haben, gab allerdings Truppen an der Front besucht hatte, mit schen Kirchentag in Königsberg 1927 wissen aktuellen Brisanz. Veit sah in dem ab 1919 gemeinsam mit seinem früheren Bitterkeit, jedoch besaß er offenbar die Fä- warnte er vor „zwei Überspannungen“ (zit. „Verlangen nach Bischöfen“ ein „stark ge- Erlanger Lehrer, dem Neutestamentler higkeit zur Selbstkritik und stellte sich S. 77), nämlich des Volkstums und des Staa- fühlsmäßiges und bewußt oder unbewußt Theodor Zahn, die „Neue Kirchliche Zeit- rasch auf die neuen Verhältnisse ein (S. 54– tes; Staat und Kirche müssten im Sinne Lu- von katholischen Anschauungen her beein- schrift“ heraus (S. 20–29). Veit strebte ins 56), wenn er auch nach wie vor „die mon- thers einander zugeordnet und voneinan- flußtes Moment, als ob es sich um eine hö- Gemeindepfarramt. Nach Besuch des Pre- archische Spitze des Staates“ für „dem der unterschieden werden (S. 77–82). Ohne here Art der Seelsorge und gesteigerte digerseminars in München wurde er zu- deutschen Empfinden“ am angemessensten sich vom konfessionellen Luthertum abzu- Wirksamkeit der geistlichen Amtsvoll- nächst Reiseprediger für eine große Dias- hielt (zit. S. 56). Er trat jetzt für eine Tren- wenden, sah er in der neuen dialektischen 580 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 581

Theologie ein „Hoffnungszeichen“ im Sin- Im zweiten Teil des Buches werden Der „Verein zur Abwehr des Antisemitis- tantismus, nationales Denken, Nationalis- ne einer „Neubelebung der biblischen Pre- Quellen „zum kirchenleitenden Wirken mus“ (VAA) entstand im Jahr 1890 in Re- mus, Nationalprotestantismus, Antijudais- digt“ (zit. S. 82). Er würdigte den Staat von von Friedrich Veit“ dokumentiert, teilwei- aktion auf den durch Hofprediger Adolf mus oder Antisemitismus. Weimar als einen verlässlichen Vertrags- se auch eingeleitet und kommentiert (S. Stoecker (1835–1909) und den Historiker Nach einem Einleitungskapitel zur partner der Kirche und übte Kritik an einer 109–307): Auszüge aus seinen 1945 verfass- Heinrich von Treitschke (1834–1896) ent- „Zielsetzung und Struktur der Arbeit“, zur verantwortungslosen Feindschaft diesem ten Memoiren, die sich auf die Zeit 1915– fachten „Berliner Antisemitismusstreit“. Forschung und Quellenlage (S. 11–36) gibt gegenüber (S. 88). 1930 beziehen, und Erinnerungen von 1934 Der christlich verbrämten, rassistischen die Vf. in Kap. II einen „Überblick über die Gegen Ende der ersten deutschen De- an das Münchner Predigerseminar aus den Agitation widersprachen zunächst bekann- Vereinsgeschichte“ (S. 37–178). Hierbei mokratie warnte er eindringlich vor einer Jahren 1884–1900; diverse Predigten aus te Berliner Honoratioren mit der sog. kommen auch die Aufgaben, die Mitglie- parteipolitischen Betätigung der Pfarrer den Jahren 1912, 1917, 1920, 1925 und „Notabeln-Erklärung“ im November 1880. derstruktur, die Arbeitsweise, die Wirkung und geriet wegen seiner Kritik an der völ- 1930; die bayerische Kirchenverfassung Führend dabei war Theodor Mommsen und die Wahrnehmung des VAA zur Dar- kischen Ideologie in die Schusslinie der na- von 1920 (mit einer Einleitung von Hans- (1817–1903), der auch knapp zehn Jahre stellung. In Kap. III (S. 179–261) analysiert tionalsozialistischen Zeitschrift „Der Stür- Peter Hübner) und der Staatskirchenver- später den Gründungsaufruf zum VAA die Vf. dann „Werte und Einstellungen im mer“ (S. 91f). Dass er sich frühzeitig, klar trag von 1924; Vorträge bzw. Reden zum mitunterzeichnete. Initiiert und durch sei- VAA“, bevor in Kap. IV „Evangelische und eindeutig gegen die Nationalsozialis- Thema „Kirche und Schule“ auf dem Stutt- ne ganze Bestehenszeit getragen wurde der Pfarrer und Theologen im VAA“ exempla- ten insgesamt bzw. gegen die sogenannte garter Kirchentag 1921, zur Eröffnung der VAA vor allem von liberal eingestellten risch in den Blick genommen werden (S. „nationale Revolution“ gestellt hätte, ge- Landessynode und zum Jubiläum der Con- Einzelpersönlichkeiten, besonders aus dem 263–425). Das Buch schließt mit einer m.E. ben die angeführten Quellen aber wohl so fessio Augustana 1930 sowie Neujahrsbe- Milieu des protestantischen Bildungsbür- allzu knappen (dazu noch an das Ende von doch nicht her. Hier erwecken manche trachtungen auf die Jahre 1924 und 1926. gertums. Dem in der Bismarck-Ära wieder Kap. III eingeordneten) „Würdigung der Formulierungen des Buches womöglich et- Die Texte vermitteln einen authentischen „salonfähig“ (S. 40) gewordenen und mo- Vereinsarbeit“ (S. 424f) und mit einem um- was zu hohe Erwartungen. Grundsätzlich Einblick in das kirchenpolitische und theo- bilmachenden Antisemitismus – der Begriff fangreichen Verzeichnis der ungedruckten nationalkonservativ eingestellt, war Veit logische Denken Veits insbesondere in der wurde übrigens erst in dieser Zeit geprägt und gedruckten Quellen und der Literatur offenbar stets sehr auf Ausgleich und Zu- Zeit der Weimarer Republik. Wünschens- (vgl. S. 37f) – wollten sie durch Aufklärung (S. 427–462). Warum Register fehlen, ist – rückhaltung bedacht. Ebenso sollte man wert gewesen wären daneben Quellen aus der Öffentlichkeit entgegentreten, durch gerade angesichts des gewissenhaft ausge- Veits vorzeitigen Rücktritt am 11. April der bzw. über die Zeit des Nationalsozia- Publikationen, durch Veranstaltungen. Gut breiteten Materials – unverständlich und 1933 vielleicht doch nicht zu sehr im Sinne lismus. Zahlreiche ganzseitige Fotos sowie vierzig Jahre bestand der VAA. Im Juli mehr als nur ein Schönheitsfehler. Namen eines Opfers der neuen politischen Verhält- Register dienen der Leserfreundlichkeit 1933 wurde er aufgelöst, 1934 das Vereins- wie Bezzel, Pechmann oder Meiser muss nisse interpretieren. Der bereits 72-Jährige des empfehlenswerten Buches. archiv von der Gestapo „gestohlen“ (S. man doch nachschlagen können (um sie hatte ohnehin vorgehabt, im Oktober sein [1744] 178). Es ist seither verloren. Die Vf. musste dann eventuell eben auch im Register nicht Amt aufzugeben (S. 100). Auch kann man Thomas Martin Schneider sich darum ihr Material aufwendig erschlie- vorzufinden)! fragen, warum Veit, der das „Dritte Reich“ ßen. Neben den Publikationen des Vereins, Aufschlussreich sind die Ergebnisse der noch überlebte – er starb 1948 in Bayrisch- von denen die regelmäßig erscheinende Untersuchung, von der Sache her freilich zell – und etwa an dem Abbruch der Zeitschrift „Mitteilungen“ (seit 1925 „Ab- bedrückend: Der VAA blieb immer nur ein Münchner Matthäuskirche durch die Nati- ZEISS-HORBACH, AUGUSTE: Der Verein zur wehrblätter“) am aufschlussreichsten war, Sammelbecken einzelner engagierter Per- onalsozialisten 1938 Anstoß nahm (S. 105), Abwehr des Antisemitismus. Zum Ver- spürte sie auch Nachlässe und Personalak- sönlichkeiten; seine Aktivitäten hingen von offenbar keinen Zugang zur Bekennenden hältnis von Protestantismus und Juden- ten wichtiger Mitglieder auf und wertete der Initiative einzelner ab. Der Archivar Kirche fand; jedenfalls erfährt man nichts tum im Kaiserreich und in der Weimarer sie aus. Die Untersuchung zeichnet – trotz Georg Winter (1856–1912), der seinen Ein- über ein entsprechendes Engagement oder Republik. Leipzig: Evangelische Ver- mancher notgedrungen bleibender Lücken satz für den VAA in Marburg begann, ist entsprechende Äußerungen. Außer seinem lagsanstalt, 2008. 462 S., kt. – ISBN 978- im Detail – ein umfassendes und kohären- dafür ein typisches Beispiel (S. 93). Und Freunde Wilhelm von Pechmann (vgl. etwa 3-374-02604-3. tes Bild des VAA. Die angestrebte (und er- diese „Einzelkämpfer“ (so S. 266 im Blick S. 62), der ja dem Nationalsozialismus be- reichte) Lebendigkeit der Darstellung führt auf evangelische Theologen im VAA) wa- merkenswert kritisch gegenüberstand, Die Leipziger Doktorarbeit der bayeri- allerdings gelegentlich zu Redundanzen ren fast alle, wie die Vf. anknüpfend an die fühlte er sich etwa auch dem späteren schen Theologin (vormals Gemeindepfar- und Brüchen, und mancher vermisst mög- Forschungen ihres Leipziger Lehrers Kurt Reichskirchenausschussvorsitzenden Wil- rerin in Buch am Forst, nun Wissenschaft- licherweise auch ausführliche theoretische Nowak (1942–2001) unterstreicht, durch helm Zoellner, der sich von der nationalso- liche Mitarbeiterin in Neuendettelsau) Problematisierungen der Begriffe, die die „die liberale Theologie“ oder „den Kultur- zialistischen Befriedungspolitik vereinnah- stellt einen wichtigen Beitrag zur weiteren Vf. ständig verwendet und (unter Hinweis protestantismus“ geprägt. Dem VAA ge- men ließ, eng verbunden (vgl. S. 144 und S. Aufklärung eines der finstersten Kapitel in auf die Literatur) als geklärt voraussetzt: lang es – anders als seinen viel aggressiver 149). der Geschichte des Protestantismus dar. Theologischer Liberalismus, Kulturprotes- operierenden Widersachern – eben nicht, 582 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 583 eine Bewegung in Gang zu setzen und der von vielen Mitgliedern des VAA wurde die schriftsteller ist dabei: Gustav Freytag folgte Protestanten“ (anstelle von „nicht- zunehmenden Infizierung der Gesellschaft eigentliche jüdische Identität als dem Deut- (1816–1895), der erst im Alter und viel- arische Christen“ oder der heute gebräuch- durch den Antisemitismus entgegenzuwir- schen wesensfremd, rückständig, ja sogar leicht durch die Liebe zu seiner jüdischen lichen Bezeichnung „Christen jüdischer ken. Eine Geschichte des „Scheiterns“ (S. schädlich aufgefasst. Dieser bestürzende Frau sich eines Besseren besinnt und aktiv Herkunft“ beweist der Verfasser sein Ge- 424) also? Tatsächlich endeten die Arbeit Befund ist von der Vf. klar herausgearbei- wird. Oder der Nürnberger Hauptprediger spür für sprachliche Benennungen im Sin- und das Leben von Georg Gothein (1857– tet. Er sollte zur historischen Einordnung Christian Geyer (vgl. Zeiß-Horbachs Bei- ne der Opfer. 1940), des jahrzehntelangen Vorstandsmit- und Bewertung etwa der ebenfalls von ras- trag in ZBKG 2007) oder der in Bremen Die vorgelegte Arbeit beinhaltet nicht glieds, der von 1909 bis 1933 auch als Ver- sistischen Stereotypen geprägten Äußerun- tätige Emil Felden (1874–1959), der aus einfach nur eine Dokumentation der Ar- einsvorsitzender fungierte, in bitterer Resi- gen Hans Meisers aus dem Jahr 1926 unbe- Elsass-Lothringen stammte. Vielleicht am beit der beiden Hilfsstellen in Nürnberg gnation. Der letzte Vorsitzende – ein Zent- dingt mit herangezogen werden, die ähn- meisten beeindruckt der seiner Zeit, seiner (Leitung: Pfarrer Johannes Zwanzger) und rumskatholik, in der Nachkriegsbundesre- lich wie die Stimmen im VAA sich eben Kirche und der zeitgenössischen Israel- München (Leitung: Hans Werner Jordan), publik zum Minister aufgestiegen: Heinrich gegen einen gewälttätigen Antisemitismus Theologie weit vorauseilende Heidelberger die die bayerische Landeskirche 1938 ge- Krone (1895–1989) – agierte praktisch nur richteten. Sie hatten ja – Meiser wurde da Pfarrer Hermann Maas (1877–1970). Der mäß dem Vorbild der Bekennenden Kirche noch, um den Verein aufzulösen. von den feindlichen Nationalsozialisten Vf. ist zu danken, dass sie an diese Men- („Büro Pfarrer Grüber“ in Berlin als Hilfs- Die „Kulturprotestanten des VAA“ richtig verstanden – diese Intention: dem schen erinnert. Auch wenn ihr Engagement stelle für betroffene Protestanten) eröffnet (S. 20) nahmen vor allem Anstoß an der Ir- grassierenden Antisemitismus vom christ- in seinem Ziel gescheitert ist, so bleibt es hatte. Leitthema der gesamten Arbeit ist rationalität des Antisemitismus, der einer lichen Glauben her Grenzen zu setzen (vgl. doch ein wertvolles Beispiel und eine Mah- der Begriff „Kirchliche Ambivalenzen“. vom Christentum sittlich geprägten Nation die Beiträge von Gerhard Müller in ZBKG nung für die Zukunft. [1745] Karl-Heinz Fix benennt in diesem Zusam- nicht anstünde. Andererseits war es dem 2008 bzw. von Lukas Bormann in ZBKG Wolfgang Huber menhang folgende Ambivalenzen: VAA darum zu tun, keinesfalls in die 2009), ihn allerdings nicht – was sicher not- 1. Die kirchliche Akzeptanz antisemiti- Schublade „philosemitisch“ gesteckt zu wendig gewesen wäre – prinzipiell, pau- scher Positionen in der Gesellschaft im Ge- werden, was ihn nach damaliger Auffas- schal und plakativ in publico abzulehnen. genüber zum Festhalten der Landeskirche sung diskreditiert hätte. Darum auch die Die Arbeit über den VAA wirft ein be- FIX, KARL-HEINZ: Glaubensgenossen in an der vollwertigen Mitgliedschaft der ge- doch überraschend große Distanz zu jüdi- zeichnendes Licht auf die übermächtigen Not. Die Evangelisch-Lutherische Kir- tauften „Nichtarier“. schen Organisationen, besonders auch Geistesströmungen der Zeit, denen sich che in Bayern und die Hilfe für aus ras- 2. Das Schweigen der Landeskirche aus zum CV (Central-Verein deutscher Staats- seine Mitglieder entgegenstellten, denen sie sischen Gründen verfolgte Protestanten. Angst um den Fortbestand der eigenen In- bürger jüdischen Glaubens). Die meisten sich aber auch nicht entziehen konnten. So Eine Dokumentation (= Die Lutheri- stitution und der lange aufrecht erhaltene Mitglieder des VAA waren geprägt vom entsteht die Frage: Können solche vom sche Kirche – Geschichte und Gestalten Glaube an das legitime Handeln des natio- deutsch-nationalen Denken, das allerdings Antisemitismus verunreinigten, aber sich 28). Gütersloh: Gütersloher Verlags- nalsozialistischen Staates im Gegenüber zu nicht auf (rassistisch begründete) Ausgren- von diesem distanzierenden Haltungen haus, 2011. 382 S., br. – ISBN 978-3- der einzigartigen finanziellen Ausstattung zung und Diffamierung gerichtet war, son- dann mit dem pauschalen Etikett Antise- 579-05783-5. der Hilfsstellen für die aus rassischen dern auf Integration in die Rechtsgemein- mitismus belegt werden? Im Fall Meisers Gründen verfolgten Glaubensgenossen schaft des Staates über alle anderen Unter- hat man dies getan, und mancher oder man- Mit der vorgelegten Dokumentation durch landeskirchliche Mittel. schiede hinweg. Ihnen ging es um die che (kirchliche Institution) dabei die Gele- wird ein deutschlandweit einzigartig um- 3. Das Schweigen der Kirchenleitung möglichst weitgehende kulturelle Assimi- genheit genutzt zur (für sie „billigen“) De- fangreicher Aktenbestand des Landes- gegenüber dem Massenmord an den Juden lation des Bevölkerungsteils jüdischer monstration eigener „political correctness“! kirchlichen Archivs Nürnberg zugänglich im Gegenüber zu der im reichsweiten Ver- Herkunft an die christlich geprägte bür- Auguste Zeiß-Horbachs stellt in ihrem gemacht, der die Errichtung und Arbeit der gleich besonders erfolgreichen Arbeit der gerliche Mehrheitsgesellschaft. Den bereits Buch jedenfalls Persönlichkeiten vor, die es Hilfsstellen der bayerischen evangelischen bayerischen Hilfsstellen. oben genannten Georg Winter etwa be- sich auch mit ihren eigenen Vorurteilen Landeskirche für im Dritten Reich verfolg- Um diese Ambivalenzen deutlich zu wegte als „Zukunftsvision für das deutsche und Klischees nicht einfach gemacht haben. te, sog. „nichtarische Christen“ belegt so- machen, wählt Fix folgenden Aufbau: Der Judentum ... die ´völlige Amalgamierung Es sind Menschen mit Widersprüchen, mit wie über das Schicksal einzelner Betroffe- erste Teil der Arbeit hat Einleitungscharak- mit dem Geiste des deutschen Volkes´“ Spannungen, mit Fehleinschätzungen und ner Aufschluss gibt. Die Arbeit geht zurück ter (S. 17–70): In Kapitel I „Kirchliche Am- (S. 99). Fehlern, keine Lichtgestalten. Es sind je- auf eine Initiative von Kirchenrat Ivo Hu- bivalenzen. Der Weg zu den Hilfsstellen Bei ihren Verlautbarungen waren auch doch Menschen, die sich engagiert haben, ber. Die bayerische Landeskirche zeigte ihr für die „Glaubensgenossen in Not“ (S. 17– Wortführer des VAA keineswegs davor ge- auch wenn ihr Einsatz in seiner Motivation Interesse durch Bereitstellung von finanzi- 26) wird kurz das Bemühen einer Minder- feit, Stereotypen über „das Judentum“ bzw. und in seinem Grad an „political correct- ellen Mitteln. Mit dem gewählten Titel heit von protestantischen Theologen und „die Juden“ (und entsprechend auch über ness“ nach heutigen Maßstäben wiederum „Glaubensgenossen in Not“ sowie der Be- Laien seit 1933 beschrieben, ihre Kirche „das Deutschtum“) weiterzugeben. Auch zu kritisieren wäre. Ein berühmter Roman- zeichnung „aus rassischen Gründen ver- zum Widerspruch gegen das Unrecht an 584 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 585 jüdischen Mitbürgern und sog. „nichtari- Für Kapitel I und II des Dokumen- des Verhaltens der Kirchenleitung seit 1933 aus. Der breiten Diskussion um den Arier- schen“ Christen zu bewegen. Dies führte tenteils wird eine nicht näher erklärte, un- und der mentalen Prägung der bayerischen paragraph widmet sich ein weiteres Kapitel schließlich 1938 zur Gründung der Hilfs- terschiedliche Systematik der ausgewählten Pfarrerschaft nicht zu erwarten war.“ und bereitet so die Darstellung kirchlicher stellen für rassisch verfolgte Christen. Lei- Texte verwendet. Kapitel I beinhaltet Texte (S. 18) ‚Möglichkeiten’ des Umgangs mit dem der fällt dieser historische Überblick kurz aus der Weimarer Republik, in denen sich Die Frage nach einer Erklärung des an- Arierparagraphen auch in der Volksmissi- aus (S. 18–24). Gerade im Hinblick auf das Pfarrer und Theologen zur „Judenfrage“ gesichts des „ambivalenten Kurses“ der on vor. Der Fall Lipffert ist sozusagen die dargebotene umfangreiche Quellenmateri- äußern, Kapitel II betrifft die Zeit des Na- Kirchenleitung von Fix als überraschend – umfangreiche! – ‚Einleitung’ für den al und unter der Perspektive, dass die vor- tionalsozialismus. Anders als in Kapitel I bezeichneten Engagements der bayerischen Blick auf kirchenleitendes Überlegen und gelegte Arbeit dem Autor zufolge nicht nur wird hier nicht nur die kirchliche Binnen- Landeskirche zugunsten ihrer rassisch ver- Handeln in der zweiten Hälfte der Dreißi- Kirchenhistorikern, sondern auch interes- sicht dokumentiert, sondern es werden folgten Kirchenmitglieder muss die For- ger Jahre. Fünf Einzelfälle werden dann sierten Laien und Schülern als Arbeits- auch Zeitungsartikel der nationalsozialisti- schung weiter beschäftigen. Die Feststel- vorgeführt. grundlage dienen soll, wäre eine vertiefen- schen Presse wiedergegeben: lung des „Überraschenden“ alleine kann Die reichhaltige Darstellung schöpft de Einordnung und Erklärung der Zusam- Kapitel I. Weimarer Republik: A. Stim- noch nicht das letzte Wort in der Wahrneh- umfassend aus dem Landeskirchlichen Ar- menhänge hilfreich gewesen. Dagegen bie- men aus der Pfarrerschaft, B. Stellungnah- mung der „Kirchlichen Ambivalenzen“ chiv in Nürnberg (vgl. S. 435–445). Man tet Kapitel II „Einleitung in den Doku- men Erlanger Theologen, C. Gemäßigte sein. Eine Antwort hierauf berührt auch begegnet unausweichlich der die Kirche mententeil“ (S. 27–70) ausführliche Infor- Stimmen. die Frage nach der Beurteilung der kir- begleitenden Gefahr unsachgemäßer Ver- mationen zu den ab S. 71 dargebotenen Kapitel II. Nationalsozialismus: A. Zei- chenleitenden Entscheidungen von Lan- haltens gegenüber staatlichen Vorgaben, einzelnen Dokumenten. Dennoch wären tungsartikel zum Boykott jüdischer Ge- desbischof Hans Meiser während der NS- mitunter von der Kirchenleitung eilfertiger auch hier ab und an weitere Kurzinforma- schäfte, B. Bayerische Stimmen zum sog. Zeit, wie der Autor selbst bereits im Vor- befolgt als vom Staat verlangt (vgl. das Bei- tionen hilfreich (z.B. zur „Hohenecker Arierparagraphen in der Kirche, C. Angrif- wort anmerkt. Das Buch regt außerdem an spiel Michael Zwanzger, S. 425). Konferenz“). fe des „Stürmer“ auf Pfarrer. zu weiterführender regionalgeschichtlicher Entstehungs- und Betreuungskontext Der zweite Teil der Arbeit beinhaltet Sehr informativ sind die unter III. dar- Spurensuche. Insbesondere im Pfarrarchiv der Arbeit (durch die Professoren Wolf- die Dokumentation (S. 71–352). Das Be- gebotenen Dokumente, v.a. diejenigen, die der Christuskirche München-Neuhausen gang Kraus und Berndt Hamm, 2003 Diss. sondere des dreiteiligen Dokumententeils die Schritte zur Errichtung der Hilfsstellen könnten sich weitere Spuren der Arbeit der phil. Koblenz / Philologie und Kulturwis- besteht darin, dass er nicht nur die unmit- sowie die Tätigkeitsberichte der beiden Münchner Hilfsstelle finden. Ein Perso- senschaften) und die theologiepolitische telbar zum Archivbestand der Hilfsstellen Leiter betreffen. Hier ist auch die zuvor im nenregister einschließlich biographischer Lage zur Zeit ihrer Publikation im Jahr für „nichtarische Christen“ gehörenden Einleitungsteil erfolgte Kommentierung Angaben sowie ein Ortsregister tragen zur 2007 werden einmal einer, auch dem Vf. für Texte wiedergibt, sondern mit dem Jahr (S. 41–70) sehr hilfreich zum besseren Ver- guten Verwendbarkeit der nicht nur regio- seinen Gegenstand wichtigen mentalitäts- 1918 einsetzt. Grund hierfür ist das Ziel ständnis. Dieses Kapitel beinhaltet folgen- nalgeschichtlich bedeutsamen Dokumen- geschichtlichen Durchleuchtung zu unter- des Autors, den Umgang der bayerischen de Themen: III. Die Hilfsstellen für „nicht- tation bei. [1746] ziehen sein (was heute noch nicht möglich evangelischen Landeskirche und ihrer Ver- arische“ Christen: A. Schritte zur Errich- Auguste Zeiß-Horbach ist). Es war die Zeit intensiver Bemühun- treter mit der sog. „Judenfrage“ seit 1918 tung der Hilfsstellen, B. Tätigkeitsberichte, gen um einen christlich-jüdischen Dialog. darzustellen. Darüber hinaus erfolgt keine C. Reflexion und Kritik der Arbeit; IV. In der Folgezeit verdichtete sich die Dis- weitere Begründung für die spezifische Einzelfälle; V. Anfragen und Unterstüt- kussionslage hin zu öffentlichkeitswirksa- Auswahl der Autoren und die Systematik zung außerhalb der Hilfsstellen; VI. Zeit- TÖLLNER, AXEL: Eine Frage der Rasse? Die men Akten des Streites um Meiser-Geden- der vorgelegten Texte. Dies wäre allerdings genössische Listen der Hilfe Suchenden. Evangelisch-Lutherische Kirche in Bay- ken, auch des Ausgrenzens messianischer zur Orientierung des Lesers weiterführend Fix weist bereits im Eingangsteil darauf ern, der Arierparagraf und die bayeri- Juden (nicht nur in Bayern). Bei den Meiser gewesen. Beispielsweise stellt man sich die hin, dass der von ihm gewählte Weg der schen Pfarrerfamilien mit jüdischen betreffenden Entehrungsakten der Ent- Frage, warum die Äußerungen Wilhelm Kontrastierung der in der bayerischen evan- Vorfahren im „Dritten Reich“ (= KoGe nennung von Haus und Straßen entstand von Pechmanns hier nicht wiedergegeben gelischen Landeskirche vorhandenen Hal- 36). Stuttgart: Kohlhammer, 2007. 467 der Eindruck, dass sie kirchlicherseits aktiv sind, sondern nur im Eingangsteil erwähnt tungen zur „Judenfrage“ mit dem Ent- S., br. – ISBN 978-3-17-019692-6. vorangetrieben (Augustana-Hochschule werden. Besonders interessant ist der durch schluss der Kirchenleitung zur Einrichtung Neuendettelsau / Prof. Utzschneider), kir- die Dokumentation ermöglichte Vergleich von zwei Hilfsstellen für rassisch verfolgte In sechs Kapiteln behandelt Vf. die chenamtlich ungedeckt ‚gebilligt’ (Nürn- der Äußerungen Erlanger Theologen vor Christen in Nürnberg und in München in komplexe Thematik Arierparagraph – bay- berg / Regionalbischof Nitsche) und kir- 1933 mit deren Stellungnahmen zur An- eine Art Aporie führt: „Dabei wird sich zei- erische Pfarrfamilien – ELKB. „Begriffli- chenleitend vorschnell hingenommen wur- wendung des Arierparagraphen in der Kir- gen, dass die entschieden positive bayeri- che Klärungen“ leiten über zu Beispielen den (München / Landesbischof Friedrich). che im Jahr 1933. sche Antwort auf die Bitte um Errichtung antisemitisch / antijudaistisch votierender Töllners Studien verdanken „persönliche einer Hilfsstelle im Herbst 1938 angesichts bayerischer Theologen und darüber hin- Ermutigung und hilfreiche Tipps“ (S. 13) 586 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.5. Zeitgeschichte / 20. Jahrhundert 587 einem lange an solchen Entehrungsakten seinem Stil und seiner Denkweise an diese land und diente Jahrhunderte lang als wurde, während viele andere ab 1810 ja nur Interessierten. Selbstredend sind seit etwa Aufgabe heran geht. Vom spirituellen Es- Grabstätte der Hohenzollerndynastie. In fortsetzten, was in der vorbayerischen Zeit dem Jahr 2000 unternommene Studien say bis zur einfachen Schilderung des Ge- der Neuen Abtei ist das Religionspädago- schon gewesen war. nicht verantwortlich für Vorgänge acht und meindelebens mit seinen Einzelbereichen gische Zentrum untergebracht, in dem In einem ersten Hauptteil werden alle mehr Jahre später. Diese Vorgänge zeigen sind ganz verschiedene Hände und Köpfe jährlich Tausende von Lehrerinnen und Kirchengemeinden vorgestellt, im zweiten aber inzwischen, dass u.a. in Sachen Mei- da am Werk gewesen. Und natürlich ist Lehrern aus ganz Bayern an religionspäda- kommen „Übergemeindliche Angebote im ser-Äußerungen von 1926 und 1943 viel auch durch die Verschiedenheit der histori- gogischen Fortbildungen teilnehmen. Die Dekanat“ zur Sprache. Im dritten Haupt- umfassender, mindestens mit Vorlage der schen Traditionen und der sehr verschiede- vom CVJM getragene Jugendburg Wern- teil geht es dann schließlich um die „Insti- Texte jeweils in toto, anzusetzen gewesen nen Kirchengebäude ein breites Spektrum fels ist vielen jungen Menschen insbeson- tutionen und Werke“, die in alphabetischer wäre. Die Frage des historischen Verste- zu finden. dere durch die KonfiCamps bekannt“ Reihenfolge dargestellt werden. Es handelt hens von Tun und Unterlassen bei kom- Das Gebiet des Dekanats Windsbach (Hermann Vorländer, S. 9). Der Band ver- sich um Selbstdarstellungen der Werke in promissloser, tödlicher Diktatur ist an jede umfasst Einrichtungen, die für das kirchli- folgt nicht in erster Linie wissenschaftliche heutiger Sicht. Dass man darin nicht über- zeitgeschichtliche Arbeit zu stellen. Vf. che Leben in Bayern eine hohe überörtli- Information, sondern ist für die Hand der all mit der Messlatte des Historikers mes- reicht gelegentlich seine Ratlosigkeit über che Bedeutung haben. Die in diesem Be- Bevölkerung und der dort lebenden Ge- sen darf, und dass man historische Infor- unterbliebene Zustimmung oder nicht zu reich gewachsenen Institutionen und Wer- meindeglieder bestimmt. Wichtige Gebäu- mationen an dieser Stelle oft vermissen klärende, weil nicht zu erwartende NS- ke kommen demzufolge in diesem Deka- de und Personen sind auch durch gut aus- wird und gelegentlich korrigieren könnte, Kritik an den Leser weiter. Nicht zu über- natsbuch auch vor. Ob das dem kirchlichen gewählte Bilder dokumentiert. sei nur angemerkt. Es sind auch mehrfach gehende textreiche Anmerkungen hemmen Lebensgefühl vor Ort entspricht und ob Herbert Reber bietet den historischen nicht die führenden Köpfe der Institutio- den Lesefluss. Indes, der respektablen Ar- nicht die örtlichen Kirchengemeinden ne- Einstieg: „Vorher bis 1810 und danach. nen, die hier zur Feder greifen, sondern je- beit ist eines zu wünschen: eine sehr kriti- ben den Werken der Landeskirche doch ein Kirche und Kirchen im Dekanat Winds- mand aus dem Mitarbeiterstab, dem diese sche Leserschaft. sehr eigenes Leben führen, wird man fra- bach von den Anfängen bis heute“ (S. 13– Aufgabe anvertraut wurde. An vierter Stel- [1747] gen können. Die sehr unterschiedlich ge- 29). Er holt weit aus und stellt auch die le stehen Karten und Übersichten mit ver- Dietrich Blaufuß prägten Werke unterstehen ja auch nicht frühchristliche Entwicklung zwischen dienstvollen Informationen, die man gerne der Dienstaufsicht durch den Dekan. Zwi- Würzburg und Eichstätt allgemeinver- schnell zur Hand nehmen kann. – Alles in schen den Buchdeckeln dieses Bandes ist ständlich vor. In diesen Kontext zeichnet er allem ein schön gestalteter und imponie- das alles eng verbunden. „Von den übrigen sodann die „re – forma – tio“ und die da- render Informationsträger für die Hand HEISSMANN, HORST (Hg.): ... mitten unter bayerischen Dekanaten hebt sich Winds- durch geschaffene und bis heute spürbare der Allgemeinheit. Schon allein die Bilder euch: 200 Jahre Dekanat Windsbach. Ge- bach durch einige Besonderheiten heraus: Neuordnung ein. Der Abschnitt „Im neu- sind wertvoll. Um der historischen Aspek- schichte, Kirchengemeinden & Einrich- Nirgendwo sonst gibt es auf so engem en Bayern“ zeichnet dann die Entstehungs- te willen, die im Band enthalten sind, stel- tungen. Neuendettelsau: Erlanger Verlag Raum so viele bedeutende kirchliche Ein- geschichte des Dekanats Windsbach ab len wir ihn hier kurz vor. für Mission und Ökumene, 2009. 187 S., richtungen. Den 15 Gemeindepfarrern ste- 1810 nach. Windsbach ist eben ein Deka- [1748] geb., zahlr. Abb. – ISBN 978-3-87214- hen 50 Kollegen in Diensten und Einrich- nat, das tatsächlich 1810 neu geschaffen Rudolf Keller 801-8. tungen gegenüber. Fast 100 Ruheständler und ihre Frauen bzw. Witwen wohnen ins- Der vorliegende Band, redigiert von besondere in Neuendettelsau. ... Die Dia- Hermann Vorländer, ist 22 Jahre nach dem konie Neuendettelsau bildet mit über 6000 von Günther Zeilinger herausgegebenen Mitarbeitenden die größte Arbeitgeberin in Buch: Windsbach, ein Dekanat in Franken der ganzen Region. Das Centrum >Missi- (Erlangen 1987), eine Bestandsaufnahme on EineWelt< pflegt im Auftrag der Lan- all dessen, was in dem mittelfränkischen deskirche partnerschaftliche Beziehungen Landdekanat im kirchlichen Leben heute zu 22 Kirchen in Afrika, Asien, Ozeanien verbucht werden kann. Das ist eine sehr und Amerika. Die Augustana-Hochschule unterschiedlich angelegte und gehaltene gilt als eine der wichtigsten theologischen Berichterstattung aus dem Leben aller Kir- Ausbildungsstätten in Deutschland. Der chengemeinden, in der Regel geschrieben Windsbacher Knabenchor reist zu Konzer- von den örtlichen Pfarrerinnen und Pfar- ten in alle Kontinente. Das herrliche Müns- rern. Auch darin kommt schon die Vielfalt ter in Heilsbronn gehört zu den bedeu- der Gaben zum Ausdruck, dass jeder mit tendsten Zisterzienserklöstern in Deutsch- 588 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.6. Kunst / Archäologie 589

3.6. Kunst / Archäologie (Nr. 1749–1751) dessen Werk in umfangreichen Bänden Füssen mit der weitergehenden Anregung ediert hat. im Anhang, diese „highlights“ unter dem [Fink]: Kunstverlag Josef Fink/Lindenberg (Sammelrezension) (Wolf) (Nr. 1749) – Genthe: Aspekt von „Themenreisen“ aufzusuchen Auf Luthers Spuren (Wolf) (Nr. 1750) – Hövelmann/Nitsche (Hg.): Orte der Reformation – Aus der Reihe „Kulturdenkmale in Baden- („Die Romantische Straße im Spiegel der Nürnberg [Journal 1] (Wolf) (Nr. 1751). Württemberg“ sei lediglich auf zwei Veröf- Jahrhunderte“; Kleine Kunst & Kultur fentlichungen aufmerksam gemacht: die Führer. 2000 – ISBN 978-3-933784-59-9). Baugeschichte des ehemaligen Klosters der [Kunstverlag Josef FINK / Lindenberg] So vergegenwärtigt etwa der Heimatpfle- Augustinereremiten und der späteren Unter der kaum mehr zu überblickenden (Sammelrezension) ger Johannes Steinhauser in einem sehr an- „Dreifaltigkeitskirche Konstanz“ (Heft 6/ Vielfalt der Veröffentlichungen zum Ja- sprechenden, mit aussagekräftigen Detail- 2007. – ISBN 978-3-89870-431-1) mit de- kobsweg kann sich der bereits in 4. Aufl. Spätestens seit Erscheinen der ersten bei- fotos und historischen Skizzen unterlegten taillierten Berichten zu den archäologi- (2008 – ISBN 978-3-933784-16-2) vorlie- den gewichtigen „Synagogen-Gedenkbän- Band die Geschichte des Gerberhandwerks schen und bauhistorischen Untersuchun- gende spirituelle Reisebegleiter von Wolf- de“ Bayern in den Jahren 2007 und 2010 [hg. in Wangen von den Anfängen im 15. Jh. Bis gen wie zur Restaurierung der von Kaiser gang Schneller behaupten („Der Jakobsweg von Wolfgang Kraus/ Berndt Hamm/ Meier zum Niedergang Ende des 19. Jh. („Rot- Sigismund im 15. Jh. in Auftrag gegebenen nach Santiago de Compostela“), weil er ba- Schwarz: Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz ...; und Weißgerber in Wangen – der Stadt am „Konzilsfresken“ bis zur gegenwärtigen nale Betrachtungen und effekthaschende s. Rez. Nr. 1619 in: ZBKG 77 (2008), S. 413f; Wasser“, o.J.,176 S., geb. – ISBN 978-3- Funktion des Gotteshauses als „City-Kir- Platitüden vermeidet. Eingebettet in Gebe- Bd. 2: Mittelfranken; s. Rez. Nr. 1669 in: 89870-272-3). Gut verständlich werden die che“. te und geistliche Betrachtungen des Erzbi- ZBKG 79 (2010), S. 214–220; Bd. 3: Unter- alten Handwerkstechniken und Zunftord- Heft 7 dieser Reihe versteht sich als schofs von Santiago de Compostela Julián franken in Planung] hat der 1996 in Linden- nungen erklärt wie die Häusergeschichte Zeugnis für die vergangene Mühlentraditi- Barrio Barrio (auch Vf. des Geleitwortes) berg (Allgäu) gegründete Kunstverlag Josef der einzelnen Gewerbetreibenden sorgfäl- on („Mühle Langenbrettach“. 2007. – ISBN konzentriert sich der Autor – seit 1978 Pil- Fink auch die Leser der ZBKG auf sich auf- tig nachgezeichnet wird. Daneben stellt der 978-3-89870432-8). Es beschreibt die seit gerführer auf dem Jakobsweg – auf die merksam gemacht. Hat sich der Verlag zu- „Allgäuer-Sennereiführer – Juwelen der 1988 durchgeführte gelungene Umsetzung wichtigsten kultur- und frömmigkeitsge- nächst in zaghaften Anfängen auf die Orts- Allgäuer Käseherstellung“ (2003) eine ge- eines denkmalpflegerischen Konzepts an schichtlichen Informationen, ausgehend und Heimatgeschichte des Allgäus konzen- glückte Verbindung zwischen Natur- und dem zu Beginn des 17. Jh. errichteten Re- von Le Puy in Südfrankreich bis zum Ziel triert, so greift das Verlagsprogramm der Wanderführer sowie Käsekunde dar (ISBN naissancebaus. der Pilgerwanderung. letzten Jahre gleichsam in konzentrischen 978-3-89870-130-1). Mit liebevoll ausgewählten Detailfotos Kreisen auf die breitgefächerten Aspekte und –zeichnungen, kindgerechten Erklä- Ungewöhnliche Einblicke in die medizin- der Kunst- und Kulturgeschichte weit über Die von der „Hermanus-Gemeinschaft“ in rungen sowie museumspädagogischen und sozialgeschichtliche Vergangenheit Oberschwaben hinaus aus: für 2011 sind Altshausen hg. Einführung in Leben, Den- Aufgabenstellungen und Bastelanleitungen Münchens bietet die Veröffentlichung von etwa vorangekündigt: ein Führer durch das ken und Werk des hochgelehrten „Her- bemüht sich der Verlag, Jugendlichen Wolfgang Burgmair und Wolfgang Locher Berliner Bode-Museum sowie eine Fest- mann des Lahmen“ – Graf von Altshausen Kunst- und Kulturgeschichte anschaulich anlässlich des 850. Stadtjubiläums („Medi- schrift zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskir- (2. Aufl. 2007 – ISBN 978-3-89870-277-5) näherzubringen, so z.B. in der von Ina zinhistorischer Stadtführer München – Von che). Neben Stadtchroniken und Kunstfüh- gilt dem körperlich schwerstbehinderten Schönwald geschriebenen Veröffentlichung den Anfängen bis zur Gegenwart“. 2008. – rern entstanden und entstehen Ausstel- Mönch von Kloster Reichenau, der im 11. „Kleine Kulturgeschichte(n) für Kinder – ISBN 978-3-89870-378-9). In fünf Spazier- lungskataloge, Monographien über zeitge- Jh. eine Weltchronik verfasst und darin Schnaittach (2006. – ISBN 978-3898703628), gängen durch die alten Stadtviertel (Ha- nössische Künstler, Untersuchungen zur seine eigene Vita eingezeichnet, sich mit in dem von Elke Oswald verfassten reich- cken-, Anger-, Kreuz- und Graggenauer- Religions- und Frömmigkeitsgeschichte, Musiktheorie (Notenschrift), den kompli- bebilderten „Spaziergang für Kinder von viertel) und das im 19. Jh. entstandene Kli- daneben Festschriften und Tagungsbände zierten Vorgängen der mittelalterlichen der Basilika durch Weingarten – Komm ich nikviertel verfolgen die Autoren anhand sowie klein- und großformatige Kirchen- Zeitmessung (Komputistik) und dem da- zeige dir die Stadt!“ (2009. – ISBN 978-3- übersichtlicher Straßenskizzen und alter führer – inzwischen eine beachtliche Fülle mit zusammenhängenden Bau von Astro- 89870-613-1) oder bei Karin Berkemann Fotografien die Spuren zu ehemaligen Ins- von Publikationen, die in einer Sammelre- labien gewidmet hat. Seine Verehrung in „Siehst Du mich? – Die Marburger Elisa- titutionen der Sozialfürsorge seit dem 12. zension nur exemplarisch angezeigt und Kunst und Frömmigkeit kommt dabei bethkirche (nicht nur) für Kinder (2008. – Jh. (Spitäler, Seelhäuser, Bäder) und infor- summarisch vorgestellt werden können. ebenso zur Sprache wie die Jahrzehnte lan- ISBN 978-3-89870-434-2). mieren kenntnisreich über Ärzte und Stra- Ein Programmschwerpunkt des Verlags gen Forschungsbemühungen des bekann- ßennamen im Klinikviertel. kreist nach wie vor um die Kunst- und ten Mediävisten Arno Borst (1925–2007), Originell ist die Präsentation kulturge- Stellvertretend für die vom Verlag ge- Kulturgeschichte Oberschwabens und sei- der Hermann den Lahmen zu seinem Ge- schichtlicher Epochen anhand von Sehens- pflegte und geförderte Präsentation von ne vielfältigen Facetten – Volks- und Hei- sprächspartner und Vorbild für sein Selbst- würdigkeiten entlang der 350 km langen Kulturlandschaften mag der von Hans-Ot- matkunde im besten und weitesten Sinne. verständnis als Historiker gewählt und „Romantischen Straße“ von Würzburg bis to Mühleisen hg. Band „Kunst am Kaiser- 590 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.6. Kunst / Archäologie 591 stuhl“ (2. Aufl. 2008 – ISBN 978-3-89870- Geschichte des weltweiten Christentums, sehends. Der Abriss des Gotteshauses HÖVELMANN, HARTMUT/ NITSCHE, STEFAN 284-3) stehen, der dem Leser kunsthistori- der Volksfrömmigkeit und in der Kunstge- konnte zwar durch den Widerstand der Be- ARK (Hg.): Orte der Reformation – sche Kleinodien (von der Romanik bis zur schichte bis heute, während im Katalogteil völkerung verhindert werden, sie brannte Nürnberg (Journal 1). Leipzig: Evange- Gegenwartskunst) in evangelischen und (S. 143–370) die einzelnen Ausstellungsob- aber im Mai 1976 vollständig aus, wobei lische Verlagsanstalt, 2011. 96 S., br., m. katholischen Kirchen dieses Landstrichs in jekte präzise beschrieben werden. der Verdacht auf Brandstiftung nie geklärt zahlr. farb. Abb. – ISBN 978-3-374- Wort und Bild vermittelt. werden konnte. Die 1992 neu gegründete 02848-1. Die ästhetische Erfahrung von Natur und „Deutsche Evangelisch-Lutherische Kir- Mit fast 300 Seiten ist (in einer Reihe ent- deren künstlerische Umsetzung veran- che in der Ukraine“ und die bayerische Im Kontext des Reformationsgedenk- sprechender Publikationen) der von Wolf- schaulicht der großzügig gestaltete Band Landeskirche erreichten nach langen Ver- jahres 2017 hat sich die Evangelische Ver- gang Manecke / Johannes Mayr und Mark über den 1953 im Allgäu geborenen Land- handlungen mit der Stadtverwaltung die lagsanstalt Leipzig entschlossen, mit einer Vogl hg. Band „Historische Orgeln in schaftsmaler Kilian Lipp (2006/160 S. – Übergabe des Grundstücks zur Nutzung. neuen Magazinreihe die historischen Stät- Oberschwaben – Der Landkreis Ravens- ISBN 978-3-89870-305-5). Die Kosten für den Wiederaufbau der Kir- ten des Protestantismus in Deutschland burg“ (2006. – ISBN 978-3-89870-250-8) Dass sich der Verlag auch um Fragestel- che mussten ausschließlich von der bayeri- (von Greifswald bis Augsburg), in der ein veritables Nachschlagewerk. Unter den lungen und Probleme der modernen Ge- schen Landeskirche finanziert werden. Schweiz (Basel, Bern, Zürich und Genf) größeren Darstellungen zur Geschichte sellschaftspolitik kümmert, belegt die aus- Claus-Jürgen Roepke schildert in seinem und im Elsass (Straßburg) aufzusuchen und einzelner Klöster und Abteien verdient be- führliche Nachzeichnung der politischen Beitrag zur „Baugeschichte der St. Pauls einer breiten Leserschaft näherzubringen. sonders die von Hans Ulrich Rudolf hg. und wirtschaftlichen Dimensionen und die Kirche“ (S. 12–29) die weiteren Initiativen Nachdem sich der Rat der Stadt Nürnberg Darstellung „Die Benediktinerabtei Wein- Charakterisierung der wichtigsten „Draht- von 2005 bis zur Wiedereinweihung im bereits 1525 für die Einführung der refor- garten – Zwischen Gründung und Gegen- zieher“ um die Einführung des Euro: Jahre 2010, nachdem bereits 2002 das an- matorischen Lehre entschieden hatte, lag es wart 1056–2006“ (2006. 120 S. – ISBN 978- Christoph Wehnelt, „10 Jahre Euro – Wie grenzende Gemeindezentrum seiner Be- nahe, mit der Spurensuche Luthers und sei- 3-89870-292-8) Beachtung mit einer aus- er wurde, was er ist“ (2008. 264 S. – ISBN stimmung übergeben worden war. Vom ner Anhänger in der fränkischen Reichs- führlichen Rekapitulierung der Kloster- 978-3-89870-526-4). gleichen Vf. stammen u.a. Beiträge zu den stadt den Auftakt zu dieser neuen Maga- und Kirchenbaugeschichte sowie der Hl.- Christusbildern und zum Geläut des Got- zinreihe zu setzen („Journal 1“). Die Vor- Blut-Verehrung. Reich illustriert werden Zwei neuere Publikationen verdienen ab- teshauses sowie ein sehr informativer Ab- satzkarte liest sich wie eine Programm- die Schätze der mittelalterlichen Bibliothek schließend besondere Erwähnung, weil sie riss zur deutschen Kulturgeschichte in übersicht zur geplanten Reihe. dokumentiert, die Viten der einzelnen Äbte in engerer Beziehung zur Kirchengeschich- Südrussland (S. 50–71). Das vorliegende reichbebilderte Heft ist dargeboten und die seelsorgerlichen Funk- te der bayerischen Landeskirche stehen: in drei Kapitel eingeteilt: „Stadtführung“ tionen der Benediktinerpatres in der Ge- In deutscher und russischer Sprache er- Wegen seines reichen Informationsgehaltes (S. 12–37) – „Reformationsgeschichte“ (S. genwart aufgezeigt. schien 2010 die von Claus-Jürgen Roepke und der ausgezeichneten Qualität der foto- 38–71) – „Kirchen der Stadt“ (S. 74–94). im Auftrag der Deutschen Evangelisch- grafischen Abbildungen (Gegenüberstel- Von den einladenden und großzügigen Das Kruzifix-Urteil des Bundesverfas- Lutherischen Kirche in der Ukraine (DEL- lung von alten und neuen Aufnahmen z.B.) Stimmungsbildern im Vorspann abgesehen sungsgerichts von 1995 mit den darauffol- KU) hg. Festschrift zur Wiedereinweihung sowie der vorbildlichen Veranschaulichung (mit einer knappen wie liebevollen Einfüh- genden Reaktion in breiten Gesellschafts- der Kirche „St. Paul Odessa – Kirche, Ge- (Baupläne, isometrische Darstellungen, rung in Dialekt und Volkscharakter der kreisen, die in den Debatten regelmäßig meinde, Glaube, Partner“ (167 S. – ISBN Längs- und Querschnitte) verdient der von Nürnberger), führt der erste Teil anhand auftauchenden Verwechslungen von Kreuz 978-3-89870-634-6). Die erste lutherische der Evang.-Luth. Kirchengemeinde St. Lo- einer übersichtlichen Detailskizze zur und Kruzifix einerseits, andererseits der Kirche in Odessa wurde im Oktober 1827 renz hg. große Kirchenführer „St. Lorenz Nürnberger Altstadt an die Stätten und neumodische Trend, Kreuze als „Schmuck- als schlichtes Gotteshaus eingeweiht, das in Nürnberg“ (2011. 113 S. – ISBN 978-3- Plätze, die in der Reformationszeit Bedeu- objekt“ zu tragen, waren wesentliche Im- allerdings nach einem schweren Erdbeben 89870-679-7) mit Beiträgen ausgewiesener tung erlangten (z.B. Dürerhaus, Hl. Geist pulse für eine breit angelegte Ausstellung (1838) baufällig geworden ist. Nach einer Spezialisten besonders herausgehoben zu Spital, Egidienplatz). im Jahre 2003 im „Diözesanmuseum für umfassenden Umgestaltung durch den werden. Thomas Schauerte stellt Albrecht Dürer christliche Kunst“ (Erzbistum München- deutschen Architekten Hermann Scheu- als Repräsentanten der Malerei in der Re- Freising), der sich der Verlag in einem statt- rembrandt wurde der Neubau mit neugoti- Nach diesem überblicksartigen Tour formationszeit vor (S. 24–27), wobei sich lichen Katalog angenommen hat: „Kreuz schen und neuromanischen Stilelementen d’horizon durch das bisherige Programm jedoch der Künstler weniger als „bekehrter und Kruzifix – Zeichen und Bild“ (2. Aufl. am 1. November 1897 zum geistlichen und Sortiment darf man gespannt sein, wel- Katholik oder engagierter Protestant als 2005. 375 S. – ISBN 978-3-89870-217-1). Zentrum für die rund 10000 deutschen Lu- chen deutschen (und europäischen) Kultur- vielmehr christlicher Humanist“ (S. 27) er- Der Aufsatzteil (S. 11–141) bietet eine Fül- theraner in der ukrainischen Stadt. Infolge landschaften sich der Verlag in den kom- weist. Unter der etwas zu plakativen Über- le von Informationen zu den unterschied- des Siegeszugs der Bolschewisten wurde menden Jahren zuwenden wird! [1749] schrift „Der Aufdecker“ (S. 28–31) charak- lichsten Kreuz- und Kruzifixformen in der die Kirche 1937 geschlossen und verfiel zu- Gerhard Philipp Wolf terisiert Hartmut Hövelmann den Nürn- 592 Buchbesprechungen: 3. Bayerische Kirchengeschichte ZBKG 80 (2011) ZBKG 80 (2011) 3.6. Kunst / Archäologie 593 berger Reformator Andreas Osiander als GENTHE, HANS-ALBERT (Hg.): Auf Luthers damaligen Zeit, Martin Bräuer kontrastiert Im Schlussteil macht Lothar Tautz (S. singulären Verteidiger der Juden im 16. Jh. Spuren unterwegs – Eine Reise durch „Wallfahrten im 16. Jh.“ (S. 79–82) mit 105–106) auf den seit 2008 bestehenden gegen den Vorwurf der Blutbeschuldigung. Deutschland, die Schweiz und Italien (= heutigen Pilgerreisen und vergleicht „Klös- „Lutherweg“ zwischen Wittenberg und Das gilt unbestritten für den christlichen Bensheimer Hefte 110). Göttingen: ter und Orden im 16. Jh.“ mit dem Kloster- Eisleben aufmerksam. Humanisten, während der Theologe und Vandenhoeck & Ruprecht, 2010. 115 S., leben der Gegenwart (S. 87–90), während Der vorliegenden Publikation, die we- Prediger Osiander sich sehr wohl der nega- mit 32 farb. Bildseiten, br. – ISBN 978- Paul Metzger einen kurzen historischen niger als Reisebuch anzusprechen und eher tiven Argumentationsmuster wie seine re- 3-525-87200-0. Abriss über die Entstehung des Ablasshan- in die biographischen Literatur zu Martin formatorischen Kollegen bediente. Horst dels und die Bedeutung des Ablass in der Luther einzureihen ist, hätte man eine Brunner stellt in einem konzisen Porträt Zum Lutherjubiläum 1996 hat Hans Jo- katholischen Kirche heute vorlegt (S. 83– sorgfältigere Lektorierung gewünscht! An Hans Sachs als Poeten der Reformations- chen Genthe (von 1962 bis 1992 Dozent 86). sachlichen Fehlern fällt auf: Dass der zeit vor (S. 32–35). für NT an der Predigerschule in Erfurt) Walter Fleischmann-Bisten wirft einen Mönch Martin Luder bereits 1512 seinen Im zweiten Teil entfaltet Berndt Hamm eine kenntnisreiche und flüssig geschriebe- kritischen Blick auf Entstehung und Ge- Namen mit „Luther“ wiedergegeben ha- in einem umfangreichen Beitrag (S. 40–54) ne Lutherbiographie im Kontext der deut- schichte des Papsttums, das als Institution ben soll (S. 7), findet keinen Rückhalt in die Wechselwirkung von Humanismus und schen Lutherstätten geschrieben (Benshei- bis heute das größte Hindernis auf dem der neueren Lutherforschung (Korrektur Reformation in der Noris, die Anfänge der mer Hefte 77, Göttingen 1996. ISBN 978- Weg der Ökumene darstellt (S. 91–94). im Beitrag von Hans-Martin Barth, S. 96!). reformatorischen Bewegung als Lese- und 3-525-87168-3). In der vorliegenden Veröf- Dass die konfessionellen Kontroversen um Der kriegerische Kontrahent von Papst Ju- Predigtbewegung bis zur breiten Gemein- fentlichung hat der gleiche Vf. die Stationen den „katholische[n] und de[n] evangeli- lius II. war nicht Heinrich XII. von Frank- dereformation und schildert Haltung und von Luthers Romreise (1510/11) noch ein- schen Luther“ (S. 95–98) ausgereizt sind reich (S. 59), sondern Ludwig XII. (so rich- Entscheidungen des Nürnberger Rats in mal rekonstruiert und eine Reihe von Ver- und mit Blick auf das Lutherjubiläum 2017 tig: S. 61). Anerkennenswert ist dagegen den Jahren 1524/25. An den Gründer des bindungslinien zu Personen und Ereignis- sinnvollerweise nur gefragt werden kann, das dreigliedrige Sach-, Orts- und Na- ersten Gymnasiums (im Jahre 1526) – Lu- sen der Reformationszeit gezogen (S. 7–73) was Luthers Botschaft in der Vielstimmig- mensregister, das ein rasches Nachschlagen thers Mitstreiter Philipp Melanchthon – – immer auch unter dem Aspekt, welche keit der Christenheit und im Dialog mit erleichert. [1751] und seine damaligen Bildungsziele erinnert kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten der der gesamten Menschheit zu sagen hat, ver- Gerhard Philipp Wolf Johannes Friedrich („Der Schulerfinder“, Augustinermönch auf seiner Romreise vor deutlicht Hans-Martin Barth. S. 56–59). Äußerst informativ ist der Bei- Augen haben konnte oder nicht: z.B. in trag von Dominik Radlmaier (S. 60–67) Nürnberg das sog. „Männleinlaufen“ im über die Geschichte des Nürnberger Buch- Turm der Frauenkirche (seit 1509), in drucks von der Reformationszeit bis zum Augsburg die Fuggerei. In Bologna darf die Barock, während Nadja Bennewitz den Erinnerung an Ecks Disputation von 1515 mutigen Kampf der Äbtissin Caritas Pirck- über das Zinsnehmen nicht fehlen, in Tri- heimer gegen die Auflösung ihres Klosters ent an die Proklamation Maximilians (von nachzeichnet (S. 68–71). 1508) zum römischen Kaiser ohne päpstli- Im dritten Teil widmet sich Jürgen che Krönung und an das spätere Trienter Körnlein der Geschichte der Hauptkirchen Konzil. Hans-Albert Genthe hat im Au- in der Noris (S. 76–89), abschließend re- gust 2010 mit vier Pilgerbrüdern vom Er- flektiert Stefan Ark Nitsche (S. 90–93) über furter Augustinerkloster aus Luthers Pil- die Bedeutung der Kirche in der Gesell- gerreise nachvollzogen und die Spurensu- schaft der Gegenwart. Besonders hervor- che von Hans Jochen Genthe mit sehr aus- zuheben sind die ausgezeichnete Qualität sagekräftigen und stimmungsvollen Foto- der fotografischen Abbildungen und die grafien illustriert. weiterführenden Literaturhinweise. Alles Im Anschluss an den Hauptteil dieser in allem: ein gelungener Auftakt zu dieser Veröffentlichung werden in Kurzbeiträgen neuen Magazinreihe, der sich zur Reisevor- einige mit Luthers Romreise thematisch bereitung bestens eignet (wegen des Groß- zusammenhängende Aspekte abgehandelt: formats weniger als Reisebegleiter). Man so konzentriert sich Gerhard Simon („Rei- darf auf die Fortsetzung der Reihe gespannt sen im Zeitalter der Reformation“, S. 74– sein! [1750] 78) auf die verschiedenen reisenden Perso- Gerhard Philipp Wolf nengruppen und deren Reiseumstände zur