Das Wappen von Füssen

Eine Hypothese zur Darstellung der Geschichte von Füssen aus Anlaß der Landes-Ausstellung Bayern / Italien

Gemessen daran, daß die Geschichte von den meisten vergleichbar kleinen Städten wenig zu berichten weiß, ist die Quellenlage von Füssen recht gut. Nur über die eigentliche Stadtwerdung, also über bedeutsame Ereignisse im 13. Jahrhundert gibt es auch hier nur wenige verbürgte Nachrichten.

Wen wundert es, daß deshalb aus dieser Zeit eine Reihe kaum überzeu- gender Geschichten erzählt wird, wie z.B. die von dem schwerhörigen Wap- penmaler, der anstatt eines Dreifußes, wegen der vielen Schuster in der Stadt, drei Füße gemalt habe oder von der Namensentwicklung aus der Lage der Stadt an den Füßen der Berge. Nun hat sich inzwischen ja einige Klarheit herstellen lassen zur Herleitung des Namens aus dem lateinischen Wort für die Lechschlucht, „fossae“ oder aus dem Wort für eine wärmende Herberge „foetes“. Es ist auch vieles klar geworden über die frühere Besiedlung unseres Landes durch Rhäter, nicht durch Kelten, den Bau und Verlauf der „Via Claudia“ (nicht immer so, wie manche Protagonisten dies gerne gewollt hät- ten), über den Erzabbau und über das eigentliche Wirken des Dolmetschers und Entwicklungshelfers Magnus, später St. Mang genannt. Es sollte jedoch auch nicht auf Dauer hingenommen werden, daß die offizielle Geschichts- darstellung über die Entstehung von Füssen immer noch völlig unbewiesene und unbeweisbare Tatsachenbehauptungen über unser Wappen und die Stadterhebung rapportiert, so als gäbe es keine anderen Vermutungen und bessere Erklärungen. Die Landes-Ausstellung Bayern / Italien hat hier mög- licherweise den richtigen Anlaß für eine längst fällige Korrektur geliefert.

Die erste historisch dokumentierte Bebauung in Füssen erfolgte nämlich von Rom aus und die gesamte Entwicklung der Stadt wurde immer wieder aus der Verbindung über die mittleren Alpenpässe neu belebt. Aus dem Süden, aus Italien, kamen nicht nur die Erbauer der Via Claudia, sondern kommt auch der Name der Stadt, kommen die ersten schriftlichen Benennungen, die ersten uns bisher bekannten, seßhaft gewordenen Bewohner und, sicher die ersten kulturellen und zivilisatorischen Impulse. Aber auch - und das soll hier als These gesetzt werden- vermutlich das Wappen der Stadt.

Nach der offiziellen, aber durch rein gar nichts belegten Geschichtsschrei- bung der Stadt, soll Rudolf von Habsburg, ein wehrhafter, kulturell aber weniger auffälliger Hochadeliger aus einem Schweizer Geschlecht, der zwar

2

als erster Habsburger König des Deutschen Reichs war, aber nie Kaiser, Seine wichtigsten Besitzungen und Burgen am Rhein hatte und in der Pfalz, der nachweislich nie in Füssen war und sich Zeit seines Lebens auch sonst nicht mit Füssen beschäftigt hat, ausgerechnet dieser König Rudolf von Habs- burg soll Füssen zur Stadt erhoben und ihr ein Wappen verliehen haben! Die- ses Wappen in den kaiserlichen Farben der Staufer, schwarz und gold, ein angeblich redendes Wappen, das aber, nähme man diesen Ausdruck ernst, ziemlich dummes Zeug daher redet (zu Füßen der Berge, was für ein neumo- discher Werbespruch? am Drei-Ländereck, wieso dann die Füsse? und wel- che Länder? Tirol gab es erst seit 1280 und Bayern reichte auch erst seit 1268 bis hierher, bleibt also das Fürstbistum ). Und übrigens, seit wann reden Wappen denn im Dialekt? Dargestellt sind doch ohne Zweifel Beine und keine Füße.

In Wirklichkeit handelt es sich bei den drei sich um ein kleines Dreieck der- henden Beinen keineswegs um ein „redendes“ Wappen, eine heraldische Eigenproduktion einer damaligen PR-Agentur, sondern ganz eindeutig um ein uraltes, vermutlich mythologisches Symbol, eine Art Sonnenrad, gleichzeitig das Wappen der Insel Sizilien, wo Rudolf nie war und das keine Ähnlichkeit hat mit irgendeinem anderen Wappen, das er jemals in seinem Leben ver- liehen hat. Die dreieckige Insel im Mittelmeer schmückt sich zudem noch mit dem Haupt der Medusa und dort sind die Farben rot und gold (oder gelb). Von dort aus könnte diese Wappenfigur durch die Römer oder die Normannen auch auf die Isle of Man geraten sein. Ansonsten tritt diese Figur vor dem 13. Jahrhundert nirgends anders auf als auf griechischer oder etruskischer Ke- ramik und dies auch bereits in vorchristlicher Zeit. Sehr wohl aber gibt es eine Reihe anderer, vermutlich ebenfalls mythologisch begründeter Dreipass-Figu- ren, so die drei Hasen, die drei Mohren oder die keltischen drei Göttinnen, ebenfalls aus vor-christlicher Zeit. Weiß man nun, daß die vorrömische Be- völkerung unseres Landes, die Rhäter, in enger Verbindung zu den Etruskern standen, so ist der eine Weg zur Erklärung des Wappens und seiner Herkunft aus dem Süden offen.

Der zweite und noch viel wahrscheinlichere Weg allerdings beginnt direkt in Sizilien, bei dem in Italien geborenen dortigen König und späteren Kaiser des Römischen Reichs deutscher Nation, dem Staufer Friedrich II und führt mit so hoher Stringenz unmittelbar nach Füssen, daß es verwunderlich erscheint, daß die örtliche Geschichtsschreibung diesen Weg noch nicht einmal in Anführungszeichen erwähnt.

3

Alle anderen Erklärungen zur Herkunft des Füssener Wappens, zusammen- fassend dargestellt von Schattmeier im Jahrbuch von Alt Füssen von 1979, wirken im Vergleich mit dieser Deutung willkürlich und ohne logische Über- zeugungskraft. Bliebe nur die Klärung der Frage, wie Füssen ausgerechnet zum Wappen von Sizilien kommen konnte. Vermutlich hat dieses nicht schon ein Rhäteraus Etrurien mitgebracht oder ein römischer Soldat, der aus Sizilien stammte, sondern es könnte durchaus auch ganz normal verliehen worden sein und zwar zur Zeit der Entstehung der Stadt, des Baus der ersten Stadt- mauer und evtl. bereits der ersten Teile des Hohen Schlosses.

Nun gut, der im mutmaßlichen Jahr der Wappenverleihung, 1280, schon 67- jährige Rudolf von Habsburg war, wie Ettelt schreibt „den Städten sehr zu- getan“, aber welcher Herrscher war das in dieser Zeit nicht und wie will man mit solchen wachsweichen Argumenten konkrete Fakten begründen. Gewiß, Füssen erhält in dieser Zeit (vielleicht 1285, vielleicht aber auch schon früher) eine Stadtmauer, und kurze Zeit später wird zum erstenmal ein Bürger von Füssen genannt, also wird die Erhebung zur Stadt wohl kaum später gewesen sein, möglicherweise aber doch deutlich früher. So berichtet der nicht immer zuverlässige Freiherr von Hormayr, daß schon 1236 den Füssener Bürgern der Zoll erlassen wurde zur Finanzierung der Stadtmauer. Urkundlich unbe- stritten nachgewiesen ist jedoch, daß im Jahre 1230 begonnen wird die ohne- hin schon recht große Klosterkirche noch einmal deutlich zu erweitern, zu ei- ner der damals größten Kirchen weit und breit, wobei mit Sicherheit bereits der West-Chor und vermutlich auch die gesamte Südflanke einer Stadtmauer als unverzichtbarer Abschluß des Klostergeländes (Kloster = claustrum = Ab- geschlossenheit) und damit auch der Stadt entsteht.

Im Jahr 1244 wird in einer Klosteraufzeichnung zum erstenmal eine - brücke (vermutlich noch ganz oder teilweise aus Holz) erwähnt und es wer- den (lt. Ettelt) Häuser in der „Vorstadt“ dokumentiert. Damit dürfte damals wohl auch die Lechhalde ausgebrochen worden sein, die es vorher vermutlich nicht gab und deren Steine gebraucht wurden für den Bau der Stützpfeiler. Alle diese Entwicklungen decken sich vollständig mit dem starken konjunk- turellen Aufschwung, den in dieser Zeit der Kreuzzüge der Staufer und des gleichzeitig aufblühenden Handels über die Alpenpässe auch Füssen erlebt haben dürfte. Dabei muß mangels verläßlicher Zeugnisse zunächst offen blei- ben wie die Brücke vor Feindeinwirkungen geschützt werden konnte und auf welche Weise die nun nach Westen und Süden massiv bewehrte Klosterklau- sur nach Norden zum Schloßberg und nach Osten zur Stadt hin gesichert

4

worden ist. Man darf aber als sicher voraussetzen, daß das Kloster, so wie alle anderen Klöster auch, einen abgeschlossenen Klausurbereich gebildet hat und auch, daß die, im Verhältnis zu der damals noch recht geringen Ein- wohnerzahl von vielleicht 1.500 Personen, riesengroße Kirche für das Volk geöffnet war, von der Stadt aus also ein ganz normaler Zugang bestand, ver- mutlich, wie heute, über die St.-Mang-Gasse und den Kirchen-Vorplatz. Al- lerdings lag der damals dort gelegene Friedhof sicherlich um einige Meter hö- her als der Vorplatz heute und es gab auch keinen Durchgang in Richtung Faulenbach, so daß dieser Kircheneingang schon etwas eigenartig anmutet. Die Fundamente des massiven Kirchturms sind jedenfalls sicherlich wesent- lich später erst ausgegraben worden, vermutlich im Zusammenhang mit dem barocken Kirchenbau und der rückwärtige Kirchenzugang und einzige Flucht- weg aus der Kirche sogar erst ca. 1860.

Es kann in dem hier darzustellenden Zusammenhang offenbleiben, ob nicht die steilen Wände der früheren Steinbrüche auf der Südseite der Rittergasse und der gut erkennbare Torbogen-Ansatz in der Rückwand des dortigen frü- heren Rathauses ebenso Teile eines ersten Mauerrings der Stadt nach Nor- den hin sind, wie der Turm und das frühere Stadttor mit dem eigenartigen al- ten Namen Kappenzipfel, nach Osten. Der wohl beste Kenner der Füssener Geschichte, Sigismund Schmid jedenfalls hat so etwas schon vermutet.

Im Jahr 1338 muß die Stadtmauer jedenfalls schon wieder wegen Altersschä- den umfangreich repariert werden. Könnte diese Mauer also nicht doch um ei- nige Jahrzehnte älter sein als heute angenommen wird, oder könnte es evtl. einen Vorläufer unserer heutigen Stadtmauer gegeben haben, etwa zum Schutz des merowingischen Königshofs, der hier u.a. von dem verdienten Heimatforscher Dr. Guggemos vermutet wurde. Im Süden, zum Fluß hin, gab es jedenfalls sicherlich keine Zugänge zu den Klostergebäuden wie sie der barocke Herkommer-Bau heute zeigt, sondern das Klostergelände dürfte bis zum 1340 zum erstenmal genannten Lechtor von der geschlossenen hohen Mauer abgeriegelt worden sein, die heute noch hinter dem kleinen Antiquitä- tenladen an der Lechhalde verläuft. Die dann die Halde aufwärts folgenden Kellerfenster des Klosters im Ochsenaugen-Format und die größere Mauer- dicke einer Grundmauer belegen jedenfalls auch heute noch, was man auch aus alten Stichen weiß,, daß nämlich alle früheren Klostergebäude sämtlich mit Unterkellerung oben auf dem Felsplateau standen, das sich im Osten bis zum Kappenzipfel erstreckt und, daß das Kloster natürlich auch von der Seite des Flusses her keinen Zugang hatte. Sollten dieselben Mönche, die um das

5

das Jahr 1200-1230n.Chr. eine so großartige Klosteranlage bauen, zur Kom- plettierung ihres Schutzes die Mauer über den Baumgarten vergessen haben, die auf ihrem eigenen Grundstück, dem Altwik, sicherlich zumindest als Ruine aus der Römerzeit noch vorhanden gewesen sein dürfte.

In diesen Jahren der Staufer-Herrschaft gab es eine große Zahl von Über- querungen der Alpen mit mehr oder weniger starker militärischer Bedeckung, war Friedrich II. doch eigentlich Italiener und auch sein Sohn, Konrad IV mehr dort unten als im deutschen Teil des Reichs. Und es gab, mit neuen Kennt- nissen in der Baukunst aus den Kreuzzügen (und wie viele sagen, mit einer Vielzahl entführter syrischer und palästinensischer Baufachleute), zahlreiche neue Brückenbauten, Burgen- und Stadtgründungen auch auf unserer Seite der Pässe, wie z.B. in Bern, Zürich, Bregenz, Lindau, Wangen oder Isny, aber auch im unmittelbaren nördlichen Einzugsbereich von Füssen, so z.B. in Ulm, Donauwörth, Augsburg, Landsberg, München, , und Schongau. Nahezu als letzte Handlung vor seiner Abreise nach Italien tauscht Konradin noch die Vogteirechte über die Stadt Donauwörth ein gegen die von Füssen. Und da soll Füssen, die Grenzfestung am Zugang zu den Alpen- pässen, mit Kloster und Bischofssitz, mit der einzigen Brücke weit und breit, noch keine Stadt gewesen sein, was er, der Herzog von Schwaben, mit einem Federstrich hätte ändern können?

Etwa 40 Jahre nach dieser für Füssen so glücklichen Zeit des Aufschwungs unter den Staufern, im Jahr 1268, stirbt er, als Letzter von ihnen, in Neapel unter dem Richtschwert, mitten in der „kaiserlosen der schrecklichen Zeit“, die erst 1273 mit der Wahl Rudolfs von Habsburg zum Deutschen König endet. Füssen erhält in den Folgejahren nun auch das Hohe Schloß, das verteidi- gungstechnisch die Stadt beherrscht (vermuteter Baubeginn 1269 durch Her- zog Ludwig II. von Bayern als behaupteter Erbe der Staufer, fertiggestellt durch den Bischof selbst, ca. 1322). Es ist urkundlich belegt, daß der Burg- berg „Altwik“ schon 1183 vom Augsburger Bischof dem Füssener St. Mang- Kloster geschenkt worden war. Dabei blieben der Weiterverkauf und aus uner- findlichen Gründen auch die Bebauung (vermutlich nur des westlichen Teils, des Baumgartens, ausdrücklich untersagt. Dieser Berg und dieses Schloß ha- ben dem König Rudolf von Habsburg also ebensowenig jemals gehört wie der gesamte Lechrain, den sich nun Bayern und das neugegründete Tirol teilten. Die Lage des Hohen Schlosses und der Zeitpunkt seiner Erbauung haben aber sicherlich auch die Erweiterung des Klosters, den Bau der Lechbrücke und die Schließung des Stadtmauer-Rings wesentlich mit bestimmt, denn we-

6

gen seiner beherrschenden Lage ist eine militärische Sicherung des gesam- ten Ensembles nur möglich mit diesem Schloß und keinesfalls ohne es.

Es stellt sich daher die Frage, ob nicht doch noch eine Menge Mauerreste aus der Zeit der Römer auf diesem Berg übrig geblieben war oder in der Zeit der Ostgoten, der Merowinger, der Karolinger, der frühen Welfen oder gar der Staufer neu entstanden sein könnte, die sämtlich an wichtigen Stellen der Ge- schichte von Füssen auftauchen, aber angeblich, auch nach dem neuen Büchlein von Dr. Zeune über das Hohe Schloß, hier keinerlei Spuren hinter- lassen haben sollen? Gab es nicht auch vor Rudolf von Habsburg schon ge- nügend Anlaß zum Bau oder zur Reparatur einer Stadtmauer und evtl. auch zur Stadterhebung? Und ist nicht in dieser Zeit dann auch das Land Tirol entstanden, als neuer und zunächst durchaus expansionsdurstiger Nachbar, der auf jeden Fall das alleinige Sagen und damit die Zolleinnahmen auf den mittleren Alpenpässen behalten und nicht mit Bayern teilen wollte? Nein, hier soll zunächst keine Gegenthese aufgestellt werden zur Baugeschichte der Stadtmauer oder gar des Hohen Schlosses. Das muß neuen Funden in Ur- kunden oder im Gelände überlassen bleiben, es soll aber klargestellt werden, daß auch in der Zeit der Staufer viele politische Impulse wirksam geworden sind, die alle auf ganz andere Gründungspaten der Stadt hinweisen als ge- rade auf den ersten Habsburger, der im Rahmen seiner bekannten Revindi- kationspolitik in unserer Gegend, wie z.B. in Augsburg, Kempten, Memmin- gen, Wangen, Donauwörth und Kaufbeuren, aber auch in Ravensburg, Ulm, Esslingen, oder Heilbronn lediglich alte Rechte wiederhergestellt und neu be- stätigt hat, auf Gründungsväter, die nicht nur halbe Adler als Wappen verlie- hen haben und die vor allem eine ganz andere, weit vernünftigere Herleitung des unzweideutig staufischen Füssener Stadtrechts, der Viertel-Verfassung und auch des Wappens unserer Stadt zulassen.

Rein verkehrstechnisch begann in dieser Zeit erst (wieder?) der Wagenver- kehr über die Alpen, wo es bisher, nach dem weitgehenden Verfall der Via Claudia, nur noch Saumpfade gab. Im Jahr 1290 wird die erste Fuhre über den Reschenpaß nach Füssen gemeldet und kurz darauf setzt auch bereits die Umleitung dieses Verkehrs ein, vom höher gelegenen Reschenpaß (der Oberen Straße) durch die Ausbaumaßnahmen in der Eissackschlucht (Stich- wort Kunter-Schlucht) und durch den wachsenden Einfluß der neugegrün- deten Städte München und Innsbruck, auf den Brennerpaß (die Untere Stras- se). Diese Revolution im Verkehrswesen, zusammen mit der außerordent- lichen Verbreiterung der Palette der gehandelten Güter in Folge des Auf-

7

blühens der oberitalienischen Städte und dem Beginn einer deutlich spürba- ren meteorologischen Warmzeit, muß sich jedenfalls noch einmal als ausser- ordentliches Konjunkturprogramm zugunsten der Stadt Füssen erwiesen ha- ben, denn die Menge der zu transportierenden Waren, und damit der Zoll- und Handels-Einnahmen, konnten sich urplötzlich gegenüber dem bisherigen Saumverkehr, durch Träger und auf Pferderücken, vervielfachen. Damals wur- de erstmalig der Drehschemel im Wagenbau eingeführt und damit eine Len- kung der schweren Transportwagen ermöglicht, die vorher bestenfalls mittels eines Reibnagels im Achsschemel um Kurven herumbugsiert werden konnten (daher auch die keineswegs besonders klugen, geraden Straßen der Römer) und es gab auch die ersten Bremsen, was sowohl den Bau der Fuhrwerke als auch der Straßen revolutioniert haben muß. Wohl in der Folge davon entstand neben dem bereits bekannten feudalen Geleitrecht die zunftartige Organisa- tion des Rodwesens, beides ohne große Spuren in der von Schriftgelehrten beherrschten bisherigen Geschichtsschreibung zu hinterlassen.

Dieser bislang völlig unbekannte Verkehrsdruck erzwang den Bau von Brük- ken, wofür zuerst Regensburg, bald danach aber auch Innsbruck, Füssen und Augsburg Beispiele liefern, wo bisher für die geringen Zahlen von Lastenträ- gern, Saumtieren und Reitern, Fähren oder selbst Furten durchaus ausge- reicht hatten. Für den Bau von unterschlächtigen Mühlen wurde in Füssen in dieser Zeit begonnen mit Maßnahmen zur Bändigung des Flusses am Schwalbenlech. Der Verkehr lief jetzt nicht mehr über die Spitalgasse und die Huterhalde hoch durch die Hutergasse oder an der Stadt vorbei in Richtung Theresienstraße und Wachsbleiche, sondern über die Lechhalde mitten durch die Stadt. In dieser Zeit entstand wohl auch erst die Reichenstraße, die er- kennbar nur im Bereich des Stadtbrunnens von alten gotischen Giebelhäusern begleitet wird. Der tief in den Fluß hineinreichende Felssporn vor dem Kloster, früher vermutlich der Anlandepunkt der Fähren, wurde vielleicht schon beim Bau der ersten Brücke abgetragen, die Flößerei nahm einen ungeahnten Auf- schwung beim Weitertransport der Waren und vor allem von Baumaterial für das aufstrebende Augsburg lechabwärts. Füssen war jetzt nicht mehr nur ein Bollwerk zum Schutz des Eingangs in die Alpen, sondern ein früher Verkehrs- knotenpunkt mit wirtschaftlicher, kultureller und militärischer Bedeutung für das gesamte Reich, nördlich und südlich der Alpen.

Eigentumsrechtlich hatte Konradin von gerade 1266 (vor sei- ner Abreise nach Italien und in seinen Tod) Füssen gegen die Stadt (!) Donau- wörth eingetauscht und die Vogteirechte über den gesamten Lechrain an den

8

bayrischen Herzog Ludwig II. übertragen, einen Freund der Staufer, seinen Onkel und bis dahin sein Vormund. Füssen, die damals angabegemäß größte Stadt im Allgäu, wird in dieser Urkunde zwar nicht erwähnt, aber sie war, wie mehrfach dokumentiert und wie man aus ihrer Lage vermuten darf, seit lan- gem im Eigentum der Staufer, die ja, wie auch die Stadt selbst, schwäbisch waren. Ganz richtig schreibt daher die Stadt Füssen in ihrer Darstellung der Baugeschichte der Stadt, daß die bedeutende Reichenstraße mit ihrer „spin- delförmigen Ausweitung“ typisch sei für staufische Stadtgründungen und in den Urkunden des Klosters findet sich auch eine Bestätigung alter Rechte aus dem Jahr 1222 durch den Stauferkaiser Friedrich II. Das Aussterben dieses Herrschergeschlechts von europäischer Bedeutung wird sicherlich zu großen Umschichtungen in den Eigentumsrechten geführt haben. da aber erst Kaiser Heinrich VII., ein Luxemburger, in seinem Todesjahr 1313 die Vogtei u.a. über Füssen an das Hochstift Augsburg (die landesherrliche Seite des Fürst- bistums) verpfändete, muß die Stadt auch zu dieser Zeit noch immer im Reichsbesitz gewesen sein. Füssen war also offensichtlich, spätestens seit 1280 eine Reichsstadt, was nichts anderes bedeutet als eine Stadt, die dem Reich gehörte.

Außer dem Habsburger, dem man weder eine besondere Zuständigkeit für, noch ein eigenes Interesse an, dieser Stadterhebung nachsagen kann, kom- men also offensichtlich noch eine ganze Reihe weiterer souveräner Fürsten für die Stadterhebung und die Verleihung des ungewöhnlichen Wappens in Frage, so z.B. der bayerische Herzog Ludwig II. als Onkel und Reichsvikar nach Konradins Tod, Meinhard II. von Tirol, der zweite Ehemann der Mutter von Konradin, der Königin Elisabeth, und damit Erbanspruchsberechtigter nach deren Tod im Jahr 1273 oder Heinrich (VII.), der älteste Sohn und Stell- vertreter Friedrichs II. als deutscher König. Aber durchaus auch Konrad IV., geboren in Sizilien, der Vater Konradins, und vor allem - und dies ist meine These – Friedrich II. selbst, Großvater von Konradin und nachweislich Grün- der von 39 Städten im Süden und Südwesten von Deutschland. Dieser Kaiser des Deutschen Reichs, geboren in Italien und als König von Sizilien pendelnd über die Alpen, war zwingend angewiesen auf die Sicherung der Paßstraßen, war zweifelsfrei Eigentümer des Königslandes in und um Füssen, war Vogt des Hochstifts Augsburg, und mit seinen vielfältigen kulturellen Interessen kommt er durchaus auch noch für eine weitere Entwicklung in Füssen in Fra- ge, nämlich für die Einführung des Lautenbaus. Jener ist nämlich sicher auf arabische Ursprünge zurückzuführen und stammt in unserer Gegend vermut- lich auch aus dem arabisch geprägten Sizilien, dem Herkunftsland von Fried-

9

rich. Von ihm gibt es persönliche Schenkungen, mehrere Urkunden und nicht nur die Grundzüge der Stadtplanung, sondern auch der Viertel-Verfassung der Stadt entsprechen staufischem Muster. Auch von seinem Sohn und Stell- vertreter in Deutschland, dem unglücklichen König Heinrich (VII.) sind min- destens zwei Urkunden erhalten, die unmittelbar Füssen betreffen, weit mehr als von allen anderen Herrschern dieser Periode.

Weiß man nun, daß die Wappenfarbe der Staufer schwarz-gold war und kennt man das Wappen von Sizilien, der dreizackigen Insel, (griechisch: Trinakia), das schon im Altertum ein „Dreifuß“ war, dann dürften damit genügend Argu- mente vorgetragen sein, um auch für das Wappen unserer Stadt den Ur- sprung im Süden zu suchen. Wären die „Kaiserfarben“ schwarz-gold aber ein zusätzlicher Hinweis auf die Reichsunmittelbarkeit einer Stadt, dann wäre auch dies eine wichtige neue Erkenntnis, zumal die offizielle Geschichts- schreibung bisher ohne jedes sachliche Argument behauptet, Füssen sei nie reichsunmittelbar gewesen..

Wer aber als Kaiser ein Wappen verleiht, in seinen eigenen Farben, mehrfach für das Kloster urkundet und möglicherweise Füssen auch persönlich kannte, der dürfte wohl auch Einfluß genommen haben auf andere für die Stadt be- deutsame Entwicklungen, wie den Bau der Lechbrücke, der Stadtmauer und evtl. sogar auf den Bau des Hohen Schlosses auf dem alles überragenden Altwik, der damals durchaus noch Mauerreste aus römischer Zeit getragen haben dürfte und sicher die Mauern der Michaelskirche, der möglicherweise ältesten, sicher aber unbekanntesten Kirche von Füssen. Ettelt läßt in seiner „Geschichte der Stadt Füssen“ bei diesen Fragen nicht immer die sonstige Prägnanz seiner Argumentation erkennen, wenn er z.B. die Unterschiede zwi- schen einer Stadt des Reiches und einer Freien Reichsstadt erläutert oder wenn er den Verlust der Stadterhebungs-Urkunde als Beweis dafür heran- zieht, daß Füssen nie Freie Reichsstadt war. Nicht nur Knussert war in die- sem Punkt einer diametral entgegengesetzten Meinung. Zudem stellt Knus- sert als einer unter wenigen den für diese Frage bedeutsamen Zusammen- hang mit den Kreuzzügen her, die die Alpenpässe auch für den Handel wieder öffneten und deren erfolgreichster wiederum von Sizilien ausging und unter der Führung von Friedrich II. stand.

Man wird bei der Lektüre der Mutmaßungen über die Vergabe der Stadtrech- te und des Wappens an Füssen den Eindruck nicht los, daß hier die Stadtge- schichte einfach durchgepaust wurde, nach der Vorlage von Memmingen,

10

Isny, Kaufbeuren, Jengen oder Kempten und, daß nicht gewertet wurde, daß Füssen, wie sonst nur Augsburg, Bregenz oder Kempten eine gesichert 1000 Jahre ältere Vorgeschichte hat, zudem ein ganzes Wappenbild wie sonst nur auch wiederum Augsburg, Bregenz oder Innsbruck und ein so altes Symbol wie sonst keine Stadt, weit und breit.

Im Jahr 1235 zieht Friedrich II. mit großem Gepränge, mit Kamelen, Löwen, Leoparden, syrischen Tänzerinnen und einem arabischen Orchester, aber oh- ne viel Militär, von Aquileia kommend, über die Alpen nach Mainz. Welchen Paß wird er wohl genommen haben? Wohl kaum, wie bei seiner ersten Reise einen Schweizer Paß. Weit eher, auf der kürzesten Verbindung, einer immer noch durchgehenden römischen Straße folgend, den Reschen- oder den Brennerpaß. Immerhin ist er nachgewiesen in Bozen und Brixen und dann wieder wieder in Weilheim, am Gunzenlee und in Augsburg. Er kann also sehr wohl den Fernpaß genommen haben und wäre damit über Füssen gekommen oder, wie sein Großvater Friedrich Barbarossa, den Zirler Berg und dann über Seefeld, Mittenwald und Partenkirchen in das nur kurz vorher gegründete Landsberg. Es wird sich ja wohl auch heute noch feststellen lassen, wo dieser erstaunliche Zug verlaufen ist. Und wie war es mit dem Rückweg nach Italien, 1237, mit 1.000 Rittern, von Augsburg aus? Vieles spricht dafür, daß Friedrich II., der Städtegründer, damals auch selbst in Füssen war. Mit der Klärung die- ser Nebenfrage wäre dann wohl auch unstrittig, woher Füssen sein eigenarti- ges und unverwechselbares Wappen hat, passend, zur höchsten und südlich- sten Stadt in unserem Land, zur bedeutendsten Schloßanlage im Allgäu, zum ältesten benannten Berg der Alpen, dem Säuling, das älteste aller bekannten Wappenbilder und eines der schönsten zudem.

Füssen, den 30. Januar 2012

P.A. Bletschacher