Einleitung Dialekte in Bayern Bairisch Schwäbisch FränkischBairisch

Fränkisch SchwäbischDialekte in Bayern Handreichung für den Unterricht Neuauflage 2015

Mit 2 DVDs

1 Dialekte in Bayern Einleitung

Karte: Dialektlandschaften in Bayern Kleiner Bayerischer Sprachatlas (KBSA) Grafik: M. Renn

2 Dialekte in Bayern Handreichung für den Unterricht

2., erweiterte und aktualisierte Auflage 2015 Impressum Dialekte in Bayern

Dialekte in Bayern Die Erstausgabe dieser Handreichung (2006) wurde im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk von einem Arbeitskreis am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) erstellt:

Leitung des Arbeitskreises: Hermann Ruch Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB)

Mitglieder: Siegfried Bräuer Grundschule Winklarn-Thanstein PD Dr. Rupert Hochholzer seit 2008 Prof. an der Universität Doris Jenetzky Gymnasium Marktbreit Dr. Ulrich Kanz seit 2014 König-Karlmann-Gymnasium Altötting Franziska Scheule-Walter Simpert-Kraemer-Gymnasium Krumbach Dr. Alfred Wildfeuer seit 2014 Prof. an der Universität

Beiträger zur Neuauflage 2015: Siegfried Bräuer Oberviechtacher Dialektprojekt Melanie Eibl Graduiertenschule Sprache & Literatur, LMU Christian Ferstl Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft, Tirschenreuth Dr. Monika Fritz-Scheuplein Unterfränkisches Dialektinstitut Dr. Gottlieb Gaiser M. A. Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP) Dr. Nobert Göttler Bezirksheimatpfleger von Oberbayern Christine Heimerer Katholische Universität Eichstätt Dr. Christoph Henzler Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten e. V. Dr. Ulrich Kanz König-Karlmann-Gymnasium Altötting Dr. Stephan Kellner Bayerische Staatsbibliothek PD Dr. Almut König Unterfränkisches Dialektinstitut Prof. Dr. Werner König Universität Augsburg Hans Kratzer Süddeutsche Zeitung Fitzgerald Kusz Nürnberg Conrad Pietschmann Dossenberger-Gymnasium Günzburg Dr. Monika Raml Katholische Universität Eichstätt Ingrid Ritt Wertebündnis Bayern, MundART WERTvoll Prof. Dr. Anthony Rowley Kommission für Mundartforschung, München Hermann Ruch Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) Dr. Ludwig Schießl Oberviechtacher Dialektprojekt Karl Teofilovic Dr. Helmut Wittmann Ministerialdirigent a. D., Seeon

Auftraggeber und Herausgeber der Neuauflage: Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Salvatorstraße 2, 80333 München

Zusammenstellung, Redaktion, Menüstruktur DVD 2006/2015: Hermann Ruch (ISB)

Gestaltung, Satz: Agentur2 GmbH, München

Druck: MDV Maristen Druck & Verlag, 84095 Furth

Vertrieb: Broschürenbestellportal der Bayerischen Staatsregierung (www.bestellen.bayern.de) Abgabe der Premiumausgaben (mit DVD) nur an Schulen und Bildungseinrichtungen solange Vorrat reicht

Internet: Die Handreichung sowie zusätzliche Hörproben sind auf der Homepage des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) abzurufen: www.isb.bayern.de.

Das Staatsinstitut hat sich bemüht, sämtliche Abdruckrechte einzuholen. Wo dies nicht gelungen ist, können berechtigte Ansprüche im üblichen Umfang auch nachträglich geltend gemacht werden.

2., erw. u. aktual. Aufl. München, August 2015 Dialekte in Bayern Inhalt

Grußwort des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 5 Grußwort des Bayerischen Rundfunks 6 Einführung 7 Zur Einstimmung: Testen Sie Ihre Dialekt-Kenntnisse! 9 Bayern. So reden wir! 10 Der „Dienstag“ – mal so, mal anders 14

Teil I: „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks 15 Bayerischer Rundfunk, Arbeitskreis Dialekt

Folge 1: Echt bayerisch – Mundarten im Freistaat 19 Folge 2: Im Wandel der Geschichte – Sprachräume in Bayern 23 Folge 3: An Isar, Inn und Donau – Dialekt in Ober- und Niederbayern 27 Folge 4: Von Regensburg bis zum Fichtelgebirge – Dialekt in der Oberpfalz 31 Folge 5: Von Ansbach über Bayreuth bis Coburg – Dialekt in Mittel- und Oberfranken 35 Folge 6: Vom Spessart nach Thüringen – Dialekt in Unterfranken 40 Folge 7: Zwischen Donau-Ries und Allgäu – Dialekt in Schwaben 44 Folge 8: Mundart grenzenlos – Bayerns Dialekte im Ausland 49 Folge 9: Mehrsprachigkeit als Chance – Dialekt und Schule 53 Folge 10: Mediale Sprachwelten – Dialekt in Fernsehen, Radio und Zeitung 57

Die Tüte heißt nicht immer „Tüte“! 62

Teil II: Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte 63

Sprache und Dialekt in Bayern. Grundbegriffe und Entwicklungslinien 64 Rupert Hochholzer

Dialekt und Schule. Vom Nutzen der Mehrsprachigkeit 80 Rupert Hochholzer

Dialekt und Lehrplan. Ein Überblick 88 Ulrich Kanz

Ebbes zum nei- und nauchgugga – und loosa. Bibliographische Hinweise 94 Melanie Eibl / Hermann Ruch

Dialekt macht schlau! 104

Teil III: Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle 105

Einführung / Übersicht 106

Bairisch 108 Siegfried Bräuer, Alfred Wildfeuer

Fränkisch 149 Doris Jenetzky

Schwäbisch 193 Franziska Scheule-Walter

3 Einleitung Dialekte in Bayern

Teil IV: Dialektförderung – Projekte und Akteure 231

Los amol! Schau zua! Drigg drauf! Dialekt im Bayerischen Rundfunk 232 Karl Teofilovic

Bayern: Geschichte, Sprache und Kultur – digital, vernetzt, spartenübergreifend 244 Stephan Kellner

Was macht UDI? Dialektförderung in Unterfranken 252 Monika Fritz-Scheuplein, Almut König

„Sprache im Fluss“. Dialektforschung im Altmühl-Jura-Raum 262 Monika Raml, Christine Heimerer

Dialektpflege zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das „Oberviechtacher Dialektprojekt“ 276 Siegfried Bräuer, Ludwig Schießl

Auf den Spuren des Wortklaubers. Die Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft und ihr 286 Förderpreis für Seminararbeiten an bayerischen Gymnasien Christian Ferstl

„Freude an der Mundart wecken und verstärken“. Ein Projekt des Bayernbunds aus dem Chiemgau 296 Helmut Wittmann

„Wer spricht schon Dialekt?“ Ein P-Seminar am Dossenberger-Gymnasium-Günzburg 320 Conrad Pietschmann

Dem Schwäbischen einen Wohnsitz geben: Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten e. V. 330 Christoph Henzler

„MundART WERTvoll“. Ein Projekt im Wertebündnis Bayern 332 Ingrid Ritt

Partner der Dialektförderung – im Überblick 334 Hermann Ruch

Teil V: Dialektdichtung 343

Was kann Dialektdichtung, was Literatur in der Standardsprache nicht kann? 344 Ergebnisse einer Podiumsdiskussion Gottlieb Gaiser

Mei Sprouch, meine Lyrik 356 Fitzgerald Kusz

Buch- und Hörempfehlungen – Literaturrätsel 358

Teil VI: Sprache, Heimat, Werte 361

Wir können alles. Außer Norddeutsch 362 Werner König

Neue Werte hinzufügen. Vorschläge für eine zeitgemäße Heimatpflege 376 Norbert Göttler

Erhalt der Mundart – Was ist zu tun? 386 Anthony Rowley

Bayernhymne 390

4 Dialekte in Bayern Geleitwort des Bayerischen Bildungsministers

„Marmalaadnamala“, Die Pflege der bayerischen Dialekte ist in „Ruassln“, „Loam­ Artikel 131 der Bayerischen Verfassung fest siada“ oder „Draler“. verankert. Das Kultusministerium unterstützt „Trudschala“, „Veich- diesen Auftrag nach Kräften. Ganz besonders fuada“, „Oascheim“ begrüße ich daher die weitreichende Aktuali­ oder „Brooz“. Schule & sierung der Handreichung „Dialekte in Bay­ Wir, die Elternzeitschrift ern“, die in einem umfänglichen neuen Kapi- des Kultusministeriums, tel auf die großen Dialektförderprojekte der stellte in der Ausgabe letzten Jahre aufmerksam macht und erneut 4/2013 die Lieblingswör- allen bayerischen Schulen zur Verfügung ter aus den Heimatdialekten der Redaktions- gestellt wird. Sie betont den Nutzen der inne- mitglieder vor. Das Ergebnis zeigt, dass die ren Mehrsprachigkeit und leistet durch ihre Sprachen der bayerischen Regionen leben- Modelle und Anregungen einen innovativen dig sind. Wie könnte man eine Aussage bild- Beitrag zur Pflege der Dialekte in der Schule licher, klingender und zugleich emotionaler und im Unterricht – von der Grundschule bis ausdrücken als in der Sprache der Heimat? zur Oberstufe des Gymnasiums.

Zugegeben: In Zeiten der Globalisierung Ich freue mich sehr über die beiden DVDs, und einer hohen Mobilität der Menschen ha- die in der Handreichung für den Unterricht ben die bayerischen Dialekte keinen leichten erschlossen werden. Sie enthalten alle Bei- Stand. Das Standarddeutsche und die Welt- träge der vom Bayerischen Fernsehen mit sprache Englisch beherrschen den öffentli- großem Erfolg ausgestrahlten Sendereihe chen Diskurs. Allein: Wer Mundart spricht, „Dialekte in Bayern“; ein eigens für diese verweist auf seine Herkunft, gewinnt Identität Pub­likation erstelltes Auswahlmenü ermög- und verfügt über eine unschätzbare sprach- licht den zielgerechten Einsatz in der Schule. liche Ressource. Die Filme bieten eine in jeder Hinsicht lehr- reiche, dabei stets unterhaltsame Reise durch Mundart als „Sprachbarriere“ anzusehen, die bay­erischen Sprach- und Kulturlandschaf- die den Erfolg in Schule und Beruf behin- ten – eine Heimatkunde der besondern Art, de­re, führt in die Irre. Die Ergebnisse natio- von der ich als Schüler sehr profitiert hätte! naler Schulleistungsvergleiche beweisen das Gegenteil. Länder wie Bayern, Baden- Ich wünsche der Handreichung „Dialekte in Württemberg und Sachsen, die stark von Bayern“ ein breites und nachhaltiges Echo. einer lebendigen mundartlichen Kommuni- Allen, die beim Bayerischen Runfunk und am kation geprägt sind, belegen dort stets die ISB an ihrer Entstehung mitgewirkt haben, ersten Plätze – in allen Testbereichen. gilt mein herzlicher Dank. Den Trägern und Dialekt macht offensichtlich schlau! Initiatoren der in diesem Band beschriebenen Mundart-Projekte versichere ich meine Die moderne Hirnforschung bestätigt das Wertschätzung. kognitive Potenzial von Dialektsprechern und hebt das bereichernde Element der zusätz- München, im Juli 2015 lichen sprachlichen Register hervor: Kinder aus Familien, in denen Dialekt gesprochen wird, lernen früh, zwischen verschiedenen Sprachebenen zu unterscheiden und ihren so gewonnenen Sprachreichtum zu nutzen. Hierdurch wächst ihr sprachanalytisches Dr. Ludwig Spaenle Verständnis und Denkvermögen, von dem Bayerischer Staatsminister für Bildung sie auch später profitieren werden. und Kultus, Wissenschaft und Kunst

5 Geleitwort des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Ein Vorschlag für eine Der Bayerische Rundfunk will für alle in Bay- Mutprobe: samstagmor- ern lebenden Menschen Programm machen gens in Bad Tölz, Fürth und dabei ganz unterschiedlichen Vorstellun­ oder Würzburg in eine gen von „Heimat“ Rechnung tragen: Dialekt Bäckerei gehen, „Bröt- ist nicht Brauchtum, sondern tagtägliche Re- chen“ bestellen und am alität! Hieraus resultiert eine Querschnitts- Ende „Tschüss!“ sagen. aufgabe, die nicht in eine Programmnische Mit an Sicherheit gren- verbannt werden darf. Deshalb nehmen wir zender Wahrscheinlich- uns der Aufgabe sowohl in Formaten an, die keit wird ein Raunen eher von traditionsbewussten Zuschauern ge- durch die Bäckerei gehen und vielleicht wird schätzt werden, wie auch in Sendungen, die sogar der ein oder andere Wartende mehr sich gezielt an unser junges Publikum richten, oder weniger deutlich zum Ausdruck bringen: „Heimatsound“ zum Beispiel. Die Bandbreite „Semmel“ heißt das, „Weggla“ oder „Kipf“. unseres Angebots ist groß. Der Beitrag „Los Und natürlich „Servus!“ oder „Ade!“. Aber amol! Schau zua! Drigg drauf! – Dialekt im nicht „Tschüss!“. Bayerischen Rundfunk“ in dieser Handrei- chung zeigt dies kompakt und anschaulich. Beim Dialekt wird es gerne emotional – natürlich. Denn es geht um die eigenen Ganz ausdrücklich hat sich das Bayerische Wurzeln. In einer harmlosen Bestellung von Fernsehen in der Sendereihe „Dialekte in „Brötchen“ steckt dann schnell einmal mehr: Bayern“ mit dem Thema auseinandergesetzt. die Veränderung des eigenen Ortes oder Die Sendereihe wurde ab 2003 mit sehr guter Stadtviertels, die Globalisierung, für man- Zuschauerresonanz im Bayerischen Fernse- che gar der Verlust der „guten alten Zeit“. hen sowie in BR-alpha ausgestrahlt. Sprachlicher Purismus und die nostalgische Beschwörung der Vergangenheit helfen je- Es freut mich deshalb sehr, dass die erfolg- doch nicht weiter, wenn man den Eigenwert reiche Handreichung von 2006 nun in einer des Dialekts wachhalten will. Zeitgemäße erweiterten und aktualisierten Fassung vor- Dialektpflege ist gefragt. liegt. Die Verwendung der Handreichung und der Filme unserer Sendereihe im Unterricht Der Anteil der Dialektsprechenden nimmt ab, an allen bayerischen Schulen ist ein wert- doch glaubt man den Dialektpflegern von voller Beitrag zu einer zeitgemäßen Dialekt- Aschaffenburg bis Berchtesgaden, ist Bayern pflege. Möglich gemacht wurde dies durch noch vergleichsweise besser gestellt als an- die gemeinsame Anstrengung von Vertretern dere Regionen. Bei aller nicht zu leugnenden des Bayerischen Staatsministeriums für Bil- Globalisierung von Lebensstilen ist gleichzei- dung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, tig eine Rückbesinnung auf Heimat und Dia- des Staatsinstituts für Schulqualität und Bil- lekt zu beobachten. Bemerkenswert ist etwa, dungsforschung (ISB) sowie des Bayerischen wie „in“ es in der bayerischen Musikszene Rundfunks. Allen Beteiligten gilt mein herz- mittlerweile ist, im Dialekt zu singen. Der licher Dank. Bayerische Rundfunk darf stolz darauf sein, in seinen jungen Formaten in Fernsehen, München, im Juli 2015 Hörfunk und Online diesen Trend früh beglei- tet und gefördert zu haben. So muss es auch sein: Die regionale Vielfalt Bayerns darzu- stellen, der Eigenart Bayerns gerecht zu wer- Bettina Reitz den, ist ein expliziter Auftrag aus dem Baye- Fernsehdirektorin des Bayerischen rischen Rundfunkgesetz. Rundfunks

6 Dialekte in Bayern Einführung

Einführung Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Rupert Hoch- holzer, der wissenschaftliche Berater der BR-Filmreihe und Mentor des ISB-Arbeits- Die 2005 von einem Arbeitskreis am Staats­ kreises von Anfang an, skizziert die histori­ institut für Schulqualität und Bildungsfor- schen Entwicklungslinien dieses Spannungs- schung (ISB) im Auftrag des Bayerischen feldes und erläutert die zentralen Fachbe- Staatsministeriums für Unterricht und Kultus griffe und didaktischen Konzepte der gegen- erarbeitete Handreichung, die nun in einer wärtigen Dialektdiskussion. Dr. Ulrich Kanz erweiterten und aktualisierten Neuauflage erörtert den Stellenwert der Mundart in den vorliegt, richtet sich an alle bayerischen Schu- bayerischen Lehrplänen und will auf diese len und ist deshalb schulartübergreifend Weise Mut machen, sich des Themas anzu- angelegt. Ziel der Publikation ist es, der nehmen. In diesem Zusammenhang wird Mundart in der Schule den ihr gebührenden auch auf die neue Lehrplangeneration in Stellenwert einzuräumen. Zugleich soll die Bayern, den LehrplanPLUS, hingewiesen. Verbundenheit der Schülerinnen und Schü- Eine Auswahlbibliographie gibt einen breit ler mit ihrer bayerischen Heimat gestärkt wer- gestreuten Überblick über bewährte und den gemäß Artikel 131 der Bayerischen Ver- neuere Literatur zum Thema Dialekt und fassung. möchte auf diese Weise die Dialektförderung in den Schulen unterstützen. „Dialekt macht Im Gegensatz zur Sprachbarrierendiskussion schlau!“ heißt es im Artikel von Hans Kratzer, seit den sechziger Jahren gehen die Auto- der im Nachgang zu den Ergebnissen von ren davon aus, dass der Dialekt ein durchaus PISA die Bedeutung der Mundart für die Auf- differenziertes und somit höchst leistungsfä- fassungsgabe und das Denken der Schüler­ higes Sprachsystem darstellt. „Dialekt und innen und Schüler hervorhebt. Hochsprache!“ lautet die pädagogische For- derung, die für eine bewusste Ausbildung Teil III gibt vielfältige konkrete Anregungen der so genannten inneren Mehrsprachigkeit für den Unterricht, aufsteigend vom vorschu- plädiert und sich auf den aktuellen Stand der lischen und Primarbereich bis hin zum Abitur, Lern- und Sprachforschung berufen kann. getrennt nach den drei großen Dialekträu- men Bayerns: dem Bairischen, Fränkischen Teil I der Handreichung beschreibt die 10-tei- und Schwäbischen. Nach einer Einführung lige Sendereihe des Bayerischen Rundfunks und Übersicht über alle Unterrichtseinheiten „Dialekte in Bayern“, die seit ihrer Erstaus- wird eingangs der Unterkapitel das Basiswis- strahlung 2003/2004 großes Interesse hervor- sen zum jeweiligen Dialektraum zusammen- ruft und den Premiumausgaben der Neuauf- gefasst, Auswahlbibliographien unterstützen lage erneut auf zwei DVDs beiliegt – ergänzt die Weiterarbeit. Die Unterrichtsvorschläge durch Auswahlmenüs, die einen zielgerich- verstehen sich als exemplarische Modelle teten Einsatz im Unterricht ermöglichen. Die und laden zur Nachahmung ein. Sie folgen Handreichung erschließt die Sendereihe für dem Leitbild eines schüler- und handlungs- den Unterricht. Filmprotokolle und Screen- orientierten sowie integrativen und fächer- shots erlauben eine rasche Orientierung. verbindenden Deutschunterrichts, zahlreiche Fragen und Aufgaben zu den Filmen, The- Materialien erleichtern ihre Umsetzung. men zur Vertiefung und Weiterarbeit sowie Hinweise auf ergänzende Materialien und Teil IV der Neuauflage stellt Projekte und Kontaktadressen runden das Bild ab. Akteure der Dialektförderung aus allen Re- gionen des Freistaats vor. Der Bogen reicht Teil II enthält grundlegende Aufsätze zum bis vom Unterfränkischen Dialektinstitut (UDI) in unsere Zeit nicht immer einfachen Verhält- in Würzburg, über die Katholische Univer- nis „Dialekt und Schule“. Der Regensburger sität Eichstätt („Sprache im Fluss“) und das

7 Einführung Dialekte in Bayern

„Oberviechtacher Dialektprojekt“ bis hin senschaftler Prof. Dr. Werner König wehrt nach Schwaben (Schwäbisches Literatur- sich dabei vehement gegen die mitunter im- schloss Edelstetten e. V.) und Oberbayern, mer noch anzutreffende Diskriminierung von wo 2010-2014 das Pilotprojekt des Bayern- Mundartsprechern. Dr. Norbert Göttler, bunds „Freude an der Mundart wecken und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, macht verstärken“ neue Maßstäbe für die Mundart- Vorschläge für eine zeitgemäße Heimatpflege förderung in Kindertageseinrichtungen und plädiert mit Blick auf den Wandel des und Schulen setzte wie derzeit „MundART Heimatbegriffs im Laufe der Geschichte für WERTvoll“ im Rahmen des Wertebündnis eine moderne, offene Definition, die im Zeit- Bayern. Die Beiträge machen deutlich, dass alter der Globalisierung auch das Fremde Dia­lektförderung eine gesamtgesellschaft- einschließt und als Bereicherung empfindet. liche Aufgabe ist und nur im Zusammen- Prof. Dr. Anthony Rowley, Leiter der Kommis­ spiel mit außerschulischen Akteuren gelin- sion für Mundartforschung an der Bayeri­ gen kann: Eltern, Vereinen, Verbänden sowie schen Akademie der Wissenschaften, macht wissenschafltlichen, kulturellen und öffent- Vorschläge zum Erhalt der Dialekte unter lichen Einrichtungen wie etwa dem Baye- Berücksichti­gung des Sprachwandels, der rischen Rundfunk. Aufgeschlossene und tat- regionale Mundarten in die Defensive drängt. kräftige Partner der Dialektförderung wie der Am Ende steht mit gutem Grund die Bayern- Förderverein Bairische Sprache und Dialekte hymne, die auch als pädagogischer Auftrag e. V. (FBSD), die Bayerische Landeskoordinie­ gelesen werden kann. rungsstelle Musik (BLKM), der Bayerische Landesverein für Heimatpflege oder der Die Handreichung sowie zusätzliche Hör­ Bayerische Club werden deshalb am Ende proben zu den Unterrichtsmodulen sind auch des Kapitels vorgestellt. auf der Homepage des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) Teil V widmet sich der Dialektliteratur in Bay­ abzurufen, um die Nachhaltigkeit der Publika- ern, die in hohem Maße dazu geeignet ist, die tion zu sichern, die wie die Erstauflage mög- Freude an der Auseinandersetzung mit der lichst großen Nutzen stiften möge. Der Ver- Mundart zu fördern. In einer Podiumsdiskus- trieb erfolgt über das Broschüren­bestellportal sion kommen die Autoren Friedrich Brandl der Bayerischen Staatsregierung, um auch aus der Oberpfalz, Gerhard C. Krischker aus interessierten Bürgerinnen und Bürgern Ober- und Helmut Haberkamm aus Mittelfran- und außerschulischen Akteuren der Dialekt­ ken sowie Josef Wittmann aus Oberbayern förderung den Zugriff zu ermöglichen. zu Wort. Sie berichten von persönlichen Er- fahrungen als Mundartschriftsteller und dis- Der Dialekt vermittelt Heimat und Identität, er kutieren dabei auch grundsätzliche Fragen integriert und bereichert. Manchmal sind es der Mundartliteratur wie ihre Möglichkeiten nur wenige Laute, die das Gefühl von Heimat und Grenzen, Probleme der Schreibweise so- und landsmannschaftlicher Identität vermit- wie die Zukunft des Dialekts und seinen Stel- teln können. „Der Dialekt ist eigentlich das Ele- lenwert im Unterricht. Gedichte der Autoren ment, in dem die Seele Atem schöpft“, heißt machen das Gesagte deutlich. „Mei Sprouch, es bei Goethe. Helfen wir mit, es zu pflegen. meine Lyrik“ lautet der Titel eines Essays, den freundlicherweise Fitzgerald Kusz zur Ver- fügung gestellt hat. München, im Juli 2015

Teil VI der Neuauflage setzt sich mit dem Hermann Ruch (ISB) Themenfeld „Sprache, Heimat, Werte“ aus- einander und klärt die hier anzutreffenden Verbindungen. Der Augsburger Sprachwis-

8 Dialekte in Bayern Test zur Einstimmung

Zur Einstimmung: Testen Sie Ihre Dialekt-Kenntnisse! Kennen Sie diese Wörter?

Niederbayerisch/ Ober, Unter- Oberpfälzisch und Mittelfranken Obacht, heit is hai Ruassln Saamala mang Seidel Beia Marmalaadnamala Trudschala da Död Erdöpfe ozullts Buddlasbaa Mohschei Frägga Laabla Schinoos Veichfuada Moidl

Schwäbisch Oberbayerisch Krot/Brooz Oascheim Drialer nächt a Loamsiada Dua ned rumbeffzgern. a Schaffal Hagemeisa So a Brenntn! gimpisch

a Zwickabussi Er schlääft si ei.

Scheene Wuckerl

In d`Lettn steign

Aus: Schule & Wir, Ausgabe 3/2014, S. 15

 Auflösung bei: www.km.bayern.de, Suchwort: Dialekträtsel

Ein interaktives Dialekt-Rätsel bietet seit 2008 der „Host mi?“-Quiz der Redaktion „Wir in Bayern“ des Bayerischen Rundfunks: www.br.de, Suchwort: Host mi. Bei Host mi? Von A bis Z werden mittlerweile über 1.000 Dialektwörter aus allen Teilen Bayerns in einem einminütigen Film von Prof. Anthony Rowley, Leiter der Kommission für Mundartforschung an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, sprachwissenschaftlich erklärt. „Lust auf Heimat“ ist das Ziel von „Host mi?“. Mitarbeit erwünscht. Senden auch Sie alte und neue Dialektwörter ein und stellen Sie die Sprach­ gemeinschaft auf die Probe!

9 Bayern. So reden wir! Dialekte in Bayern

Bayern. So reden wir!

Hans Kratzer

Wie langweilig wäre es, wenn alle Bayern Wienerisch in Rattenberg daheim Hochdeutsch sprechen würden. Dann In der Fernsehserie „Kommissar Rex“ wuselt wären so wunderbare Ausdrücke wie schaine ein Hund herum, der detektivische Fähigkei- graine Blaime längst ausgestorben. Sogar die ten besitzt. Zu ihm gesellt sich ein Repräsen- US-Sängerin Anastacia beneidet das Land tant des Wiener Schmähs, der Kriminal- um die Vielfalt seiner Sprachmelodien: „Man Assistent Höllerer. Wenn er den Hund vor steigt nach einer Stunde Fahrt aus dem Auto, dem Verzehr eines Schweinsbratens mit und die Menschen sprechen völlig anders als Sauerkraut warnt, dann klingt das so: an dem Ort, an dem man losgefahren ist. Ich A Schwäänas mit Kraat is nix fia di, do liebe das.“ Wir auch! Hier einige Beispiele: kriagst läächt Baaweh!

Dieses satte Wienerisch ist aber nicht nur in Blueberry Hill im Oberland Wien zu hören, sondern auch – aufgemerkt – in einem Dorf im Bayerischen Wald. Die Ort- Wie werden die Soldaten der 3. US-Armee schaft Rattenberg ist eines der ganz wenigen gestaunt haben, als sie nach dem Kriegsende Sprachgebiete in Deutschland, in dem Wie- im Mai 1945 das bayerische Oberland durch- nerisch gesprochen wird. Für die Rattenber- kämmten. Da sprachen die Bauern in der ger ist das nicht immer lustig. Örtliche Ver- Miesbacher Gegend doch glatt das gleiche käuferinnen, die auswärts arbeiten und an dunkle rollende „R“ wie sie selber. Man stelle der Kasse acht Euro näänadrääßig verlangen, sich einfach vor, wie dieses „R“ dem Sänger werden gerne mal dumm angeredet: Schatzi, Johnny Cash in seinem Hit „Burning Ring of na häärst, wos wüüst ... So reagieren Gloiffln, Fire“ über die Zunge gleitet. Dieses „R“, das die keine Ahnung haben, welch einen kultu- in Bayern ansonsten ungebräuchlich ist, ver- rellen Schatz das wienerische Idiom in Rat- wendet ein Oberländler, wenn er Kirch sagt tenberg darstellt. und Wörter wie Berg, Dorf und fahrn. Auch die Isarwinkler neigen dazu. So reden die Wiener und die Rattenberger: A Schwäänas mit Kraat is nix fia di, do Ein weiteres prägendes Element der Mies- kriagst läächt Baaweh! (Schweinefleisch mit bacher Mundart kennen die Menschen im Kraut ist nichts für dich, da bekommst du Isarwinkel freilich nicht. Jenes „L“ nämlich, Bauchweh!) das an die englische Standardaussprache erinnert (hill, bill, thrill). Es ist eine Mies­ bacher Spezialität: Um ellfe geht da Stillwong Nürnberger Knedla und auf Dillz. (Um elf Uhr geht der Stellwagen Fürther Knedli nach Tölz.) Die Miesbacher pfeifen auf die L-Vokalisierung. Deshalb wird bei ihnen aus Ein Fürther Fußballfan lästert: Der Glubb is der Hölle nicht die Hej, sondern die Hill, aus a Debb. Ein Nürnberger grantelt zurück: Und viel wird vill, aus der Mühle die Mill, wobei die Fädder sin die Bläidstn. Nürnberger und das „L“ mindestens so dunkel wie im Fürther, mal küssen und mal schlagen sie Englischen betont wird. sich. Zum Glück reden sie ähnlich, kleine Unterschiede gibt es natürlich schon: Die So klingt‘s in Miesbach: In da Hill gibt‘s koa Nürnberger Knedla heißen in Fürth Knedli, Mill! (In der Hölle gibt es keine Milch!) aus den Maadla werden Maadli.

10 Dialekte in Bayern Bayern. So reden wir!

Im Großraum Nürnberg dominiert der ost- In dem Dorf Altreichenau sagen die Men- fränkische Dialekt, der aber mit nordbairi- schen gre-os zu groß und Fle-ong zu Fliege. schen und oberpfälzischen Elementen ge- Auffallend ist auch die Besonderheit in Wör- würzt ist (aus guud wird goud). Und vielleicht tern, die das mittelhochdeutsche iu enthiel- auch noch mit einer Prise Wienerisch, hinein- ten. „Teufel“ klingt in Breitenberg wie de- gestreut vom Trainer Max Merkel, der mit ofö. Ein schönes Beispiel für die Veränderung dem Club 1968 Meister wurde, aber ein ver- des ô in e-u liefert auch das wunderbare alte baler Haudrauf war. Wenn in Nürnberg einer Volkslied „s‘Annamirl z’Hausstoa“. despektierlich Oarschloch sagt, könnte durch- aus der alte Merkel der Urheber dieser Wie- Im Volkslied heißt es: Sieben Kinder und ner Schimpfwortspezialität gewesen sein. koa Breod, is an Annamirl sei Deod. (Sieben Kinder und kein Brot, das bedeutet Annamirls Mit den anderen ostfränkischen Dialekten Tod.) teilt das Nürnbergische vor allem die weiche Aussprache der Konsonanten p und t, wes- halb der Nürnberger von einem briima Beim „Kini“ daheim wird Dadord spricht, wenn ihm der Sonntagskrimi Schwäbisch gschwätzt gefallen hat, Allmächdnaa. Um richtiges Nürnbergerisch zu hören, sollte man dem Auch wenn‘s keiner glaubt: In der Heimat Dichter Fitzgerald Kusz lauschen, der diesen der Bayern-Ikone Ludwig II. ist der bairische Dialekt zur Kunst erhoben hat. So dichtet Dialekt selten zu hören. In der Gegend um Fitzgerald Kusz: die Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein, also im „Königswinkel“, Wennsd aff di weld kummsd reden die Einheimischen überwiegend gräichsd vuä deim geburds- Schwäbisch. Die für Ludwig II. gerne ver- daddum ä schdernlä wendete Bezeichnung Kini ist keineswegs wennsd schdirbsd ä kreizlä: ortsüblich, sie stellt vielmehr eine impor- wos willsdn meä? tierte Dialektform dar.

In der Füssener Gegend spricht man lie- Breitenberger Diphthong- ber respektvoll vom Kcheenig Ludwig. Das Herrlichkeit klingt natürlich anders als das prototypische Schwäbisch aus der Region Stuttgart. Das Die 2100 Einwohner zählende Gemeinde liegt zum einen am „R“, das in Bayerisch- Breitenberg im Passauer Hinterland wurde Schwaben an der Zungenspitze gerollt, in erst im 17. Jahrhundert besiedelt. Eine Baden-Württemberg aber weit hinten im abgelegene Gegend war es trotzdem. Die Mund gebildet wird. Das „K“ wird wie in Breitenberger gebrauchen wie die Nachbar- Tirol als kch ausgesprochen: I bi kchrankch. orte Neureichenau, Thalberg, Germannsdorf, Bei den Vokalen ist typisch das lange „o“ Untergriesbach und Wegscheid Lautungen, in Wörtern, die im Standarddeutschen ein die sonst nirgendwo zu hören sind. Das au haben, wie in oo (auch), koofe (kaufen), mittelhochdeutsche ô wird in Breitenberg gloobe (glauben) oder Ooge (Auge). Auf- und Umgebung als e-u ausgesprochen: fallend ist der Gleichklang mit dem Berline- Die Menschen sagen re-usn (Rose), khe-oun rischen. (Korn), e-ustan (Ostern), de-ud (tot), De- (Dorf) und re-ut (rot) – der Strich zwischen Eine Klage aus dem Königswinkel: I bi den Vokalen ist eingefügt, damit klar wird, kchrankch, i kchã mi it buckche. (Ich bin dass der Diphthong eu nicht als oi gespro- krank, ich kann mich nicht bücken.) chen wird.

11 Bayern. So reden wir! Dialekte in Bayern

Vokalparadies Bayerwald griffe aus der Landwirtschaft sind über Jahr- hunderte hinweg unverändert weitergegeben Kein Dialektgebiet bietet eine solche Vielfalt­ worden. Sprachliche Unterschiede zur öster- an Ausdrücken und Tönen wie der Bayeri­ reichischen Seite gibt es kaum. sche Wald. Allein dort gibt es 21 verschiedene Mundartgebiete. Wird einem viel zu viel Ge- Alles in allem zählt die Zugspitzgegend zu fühl attestiert, so verschmäht man bereits im den interessantesten Dialektgebieten, weil vorderen Bayerwald das leicht zu artikulie- sie sich von den übrigen Landesteilen stark rende Münchnerische vui zvui Gfui (viel zu viel unterscheidet. Die Werdenfelser Mundart ist Gefühl) und bevorzugt das anspruchsvollere eine Mischung aus Mittel- und Südbairisch veij zveij Gfeij, das in Regen als väi zväi Gfäi sowie Alemannisch. Zu den Besonderheiten nasaliert wird. Die Einheimischen setzen die gehört das gotische Lehnwort enk für euch, Nasen- und Stirnnebenhöhlen virtuos als Re- das sonst bereits ausgestorben ist. sonanzkörper ein. Die schönen grünen Blu- men blühen in Blaibach bei Bad Kötzting als So klingt Südbairisch an der Zugspitze: Gehma schöüne gröüne Blöüme und in Bodenmais Mareina! (Komm, machen wir Brotzeit!) am Fuße des Arber mit einem offenen ai nicht minder schön: schaine graine Blaime. Spitzbübisches in Hof Der Vokalreichtum ist außergewöhnlich. 24 Zwielaute und 16 Selbstlaute prägen die „Die Klangfarbe der Hofer ist rauh, für das Bayerwald-Mundarten, wogegen das Stan- Ohr des Fremden fast roh.“ Das schrieb darddeutsche mit gerade mal drei Zwielauten 1924 der Nürnberger Heribert Kaiser in sei- und acht Selbstlauten arm dran ist. Es gibt ner Dissertation „Die Mundart von Hof an Sätze, die voller Sprachmelodie, aber auch der Saale“. Verdunkeln und Verdumpfen der voll kompliziertester Nasalierung sind. Wenn quietschfidelen hellen Laute sei an der Tages- man sie hört, glaubt man mitten im Bayer­ ordnung: Die Aufforderung „bring“ wird zu wald eine Mischung aus Französisch und breng, der Zwirn zum Zwern und das Mäd- Portugiesisch zu vernehmen. chen Irmgard zur Ermgard. Und: Was dumpf ist, klingt noch schauriger, wenn es richtig So reden die Meister der Nasalierung unterm lang ist. Dei Moo koo scho rei! (Dein Mann Arber: Ooi gengand oi, ooi eu und ooi ooui! kann ruhig hereinkommen!) – das ist eine (Einige gehen hinauf, einige hinaus und ei- durchaus freundlich gemeinte Einladung. nige hinunter!) Aus dem Lob „Ausgezeichnet!“ wird im nördlichsten Zipfel Bayerns ein Ho, des geht scho! (Ja, das geht schon!) Rund um die Zugspitze Die Hofer Sprache hat etwas Spitzbübisches. Gehma Mareina! Zugegeben, das klingt itali- Auf die Frage nach der Befindlichkeit fällt enisch, aber trotzdem entstammt diese melo- oft der Ausspruch Na scho (Ja, schon). Zum dische Wendung dem Wortschatz der Mitten- Hofer Gemüt gehört auch das Tiefstapeln: walder und Garmischer Bevölkerung. Weiter A wengla wird als doppelte Verkleinerung nördlich, in Oberau und Oberammergau, sagt gern gebraucht. Das -la hängt man an alles man Marend machen (Brotzeit machen). – so klingt sogar das dunkle Oaschla (Ärsch- lein) a wengla putziger. Die Sprache in dieser Gegend hat sich nur sehr langsam weiterentwickelt, weil die in Ausdruck höchsten Lobes in Hof: Der macht Bergtälern und auf Gebirgshöhen lebenden scho sei Zeich. (Der macht schon sein Zeug.) Menschen nicht mobil waren. Vor allem Be-

12 Dialekte in Bayern Bayern. So reden wir!

Geheimsprachen in Schillingsfürst Prostituierten, die sich im Dunstkreis der Illegalität am liebsten geheim verständigten. Für Männer, die weder der Askese noch der Der Bauarbeiter heißt im Jenischen Hirtlings- Athletik zuneigen, hält unsere Sprache die buckler, abgeleitet vom Wort Hirtling (Stein) Attribute dick, dumm und gefräßig bereit. In und buckeln (hart arbeiten). Die Milch wird manchen Orten Mittelfrankens beschreibt man Gleisi genannt, und die Kuh, die Gleisi gibt, diesen Makel nur indirekt und viel geheimnis- ist entsprechend das Gleisidrampel. voller: Bekaan will immer achle dijejne und schuure laaf! Das heißt: Dieser Mensch will Das Lachoudische in Schopfloch wurzelt wie- viel essen, aber nur wenig arbeiten. Ein wei- derum im Jiddischen, das die dortige Bevöl- teres Beispiel: Ich hob an Dannegoul, a Dan- kerung im 19. Jahrhundert gesprochen hat. negoules und gimmel Häniefes verkannicht! Viele Juden waren damals Viehhändler, die Übersetzt heißt das: Ich habe einen Hahn, eine aus ihrem Jiddisch und aus dem Hebräischen Henne und drei Hasen verkauft. eine Geschäftssprache entwickelten, die für Außenstehende unverständlich war. Noch Zu hören sind solche Sätze in den Orten heute reden die Schopflocher Lachoudisch – Schopfloch und Schillingsfürst, den Ober- die jungen sogar als Geheimsprache auf dem zentren alter Geheimsprachen, die dort Schulhof. immer noch gepflegt werden. Jenes Idiom von Schopfloch wird Lachoudisch genannt, So klingt Lachoudisch: Bekaan Suss is a jenes von Schillingsfürst heißt Jenisch. Das Massik! (Dieses Pferd ist ein Quälgeist!) Jenische ist eine Variante des Rotwelschen, Was schuckt die Bore? (Was kostet die Kuh?) die als eine Ur-Geheimsprache gilt. Sie rei- chert den Ortsdialekt mit Wörtern aus ver- schiedenen Fremdsprachen an. [Aus: Hans Kratzer. Jetzt reden wir!, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 287 vom 13./14. Das Rotwelsche war im Mittelalter die Spra- Dezember 2014, R 19. Illustration unten ebd. che der Bettler, der Schausteller und der © Süddeutsche Zeitung Photo]

Illustration: Hassan Al Mohtasib, Quelle: Sprechender Sprachatlas von Bayern

13 Varietäten: Der „Dienstag“ Dialekte in Bayern

Zi(n)stag, Aftermontag, Mer(ch)tag, Er(ch)tag ... Der „Dienstag“ – mal so, mal anders

Karte: Manfred Renn / Werner König: Kleiner Bayerischer Sprachatlas. München 2006, S. 102 © 2005 Deutscher Taschenbuch Verlag, München

14 Dialekte in Bayern

Teil I Dialekte in Bayern – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Folge 1: Echt bayerisch – Mundarten im Freistaat

Folge 2: Im Wandel der Geschichte – Sprachräume in Bayern

Folge 3: An Isar, Inn und Donau – Dialekt in Ober- und Niederbayern

Folge 4: Von Regensburg bis zum Fichtelgebirge – Dialekt in der Oberpfalz

Folge 5: Von Ansbach über Bayreuth bis Coburg – Dialekt in Mittel- und Oberfranken

Folge 6: Vom Spessart nach Thüringen – Dialekt in Unterfranken

Folge 7: Zwischen Donau-Ries und Allgäu – Dialekt in Schwaben

Folge 8: Mundart grenzenlos – Bayerns Dialekte im Ausland

Folge 9: Mehrsprachigkeit als Chance – Dialekt und Schule

Folge 10: Mediale Sprachwelten – Dialekt in Fernsehen, Radio und Zeitung

Die Tüte heißt nicht immer „Tüte“!

15 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

„Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Bayerischer Rundfunk, Arbeitskreis Dialekt

 Die Sendereihe im Überblick Rundfunks gewidmet, die in Zusammen- arbeit der Redaktion Hochschulen und Wei-  Inhalt, Aufbau, Benutzung der DVDs terbildung (Dr. Michael Zehetmair / Corinna Benning) mit den renommiertesten Dialekt-  Die DVDs im Unterricht forschern der bayerischen Universitäten entstand und vom November 2003 bis Feb-  Folge 1: Echt bayerisch – ruar 2004 erstmals ausgestrahlt wurde – mit Mundarten im Freistaat großem Erfolg. Folge 2: Im Wandel der Geschichte – Sprachräume in Bayern Folge 1 der Sendereihe entwirft ein anschau- Folge 3: An Isar, Inn und Donau – liches Bild der Dialektlandschaften in Bay- Dialekt in Ober- und Niederbayern ern und legt die sprachwissenschaftlichen Folge 4: Von Regensburg bis zum Fichtel- Grundlagen für einen reflektierten Umgang gebirge – Dialekt in der Oberpfalz mit dem Thema „Dialekt“ im Unterricht. Folge 5: Von Ansbach über Bayreuth Gleichzeitig werden die Schülerinnen und bis Coburg – Dialekt in Mittel- Schüler erstmals mit Ansätzen und Metho- und Oberfranken den der Dialektforschung konfrontiert, die in Folge 6: Vom Spessart nach Thüringen – der gesamten Sendereihe eine große Rolle Dialekt in Unterfranken spielen. Folge 2 zeichnet die geschichtlichen Folge 7: Zwischen Donau-Ries und Allgäu – Entwicklungslinien der bayerischen Dialekte Dialekt in Schwaben nach. Die Folgen 3-7 gewähren einen leben- Folge 8: Mundart grenzenlos – digen Einblick in die Dialekträume Bayerns: Bayerns Dialekte im Ausland Nieder- und Oberbayern, Oberpfalz, Franken Folge 9: Mehrsprachigkeit als Chance – und Schwaben. Sprachliche Merkmale, Kul- Dialekt und Schule turgeographisches und die Verwendung des Folge 10: Mediale Sprachwelten – Dialekt in Dialekts im Alltag kommen dabei ebenso zu Fernsehen, Radio und Zeitung Wort wie Fragen des Sprachprestiges oder die zunehmende Dominanz der Standard-  Ergänzende Materialien und bzw. Hochsprache. Da bairische Dialekte auch Angebote, Kontaktadressen in Österreich, Südtirol, der Tschechischen Re- publik und in Oberitalien gesprochen werden, besucht Folge 8 auch Gegenden jenseits der Die Sendereihe im Überblick bayerischen Landesgrenzen. Folge 9 nimmt das in der Vergangenheit mitunter span- Dialekte sind so alt wie die Sprache selbst. nungsreiche Verhältnis „Dialekt und Schule“ Dialekte drücken ein Gefühl von Heimat aus, in den Blick und plädiert für das Lernziel der vermitteln Identität und Zugehörigkeit zu ei- Mehrsprachigkeit. Folge 10 schließlich trägt ner bestimmten Region, zu einem bestimm- dem Medienzeitalter Rechnung und unter- ten Ort. Bairisch, Fränkisch und Schwäbisch – sucht den Gebrauch des Dialekts in Fernse- das sind die drei Dialektgruppen in Bayern. hen, Radio und Zeitung. Auch hier wird eine Ihnen ist die zehnteilige, je 30-minütige Sen- lehrreiche und unterhaltsame Entdeckungs- dereihe „Dialekte in Bayern“ des Bayerischen reise durch den Freistaat geboten.

16 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Inhalt, Aufbau, Benutzung Themen, Sendedaten und Autoren: der DVDs

Folge 1: Echt bayerisch – Mundarten im Freistaat Die beiden DVDs der Handreichung enthalten Erstausstrahlung: 14. November 2003 alle Filme der Sendereihe. Mit Blick auf die Autorin: Anette Englert Bedürfnisse des Unterrichts werden daneben Folge 2: Im Wandel der Geschichte – 80 didaktisch relevante Filmkapitel mit defi- Sprachräume in Bayern niertem Ende und 110 Standbilder angebo- Erstausstrahlung: 21. November 2003 ten. 53 Menütafeln ermöglichen eine differen- Autorin: Michaela Kloiber zierte und benutzerfreundliche Orientierung.

Folge 3: An Isar, Inn und Donau – Dialekt in Ober- und Niederbayern Ebene 1 führt nach einem automatisch Erstausstrahlung: 28. November 2003 ablaufenden Intro zum Hauptmenü, das Autorin: Friederike Kühn die Anwahl der gewünschten Folge erlaubt.

Folge 4: Von Regensburg bis zum Fichtelgebirge – Ebene 2, das sog. Einzelfilmmenü, Dialekt in der Oberpfalz Erstausstrahlung: 12. Dezember 2003 bietet die Optionen: Autoren: Sonja Vodicka / Martin Hardung  Filmstart – zeigt den Film in voller Länge  Kapitelmenü – führt zum entsprechenden Folge 5: Von Ansbach über Bayreuth bis Coburg – Auswahlmenü Dialekt in Mittel- und Oberfranken  Standbilder – führt zum entsprechenden Erstausstrahlung: 19. Dezember 2003 Autorin: Susanne Bauer-Schramm Auswahlmenü  Hauptmenü – führt zurück zum Hauptmenü Folge 6: Vom Spessart nach Thüringen – Dialekt in Unterfranken Ebene 3 bietet folgende Auswahlmenüs: Erstausstrahlung: 16. Januar 2004  Filmkapitel – zeigt die zur Auswahl Autorin: Elke Hardegger stehenden Filmausschnitte

Folge 7: Zwischen Donau-Ries und Allgäu –  Standbilder – zeigt die zur Auswahl Dialekt in Schwaben stehenden Einzelaufnahmen Erstausstrahlung: 23. Januar 2004 Beide Auswahlmenüs können ggf. aus meh- Autorin: Monika Sarre-Mock reren Seiten bestehen. Ein Positionierungs- rahmen signalisiert den jeweiligen Standort. Folge 8: Mundart grenzenlos – Bayerns Dialekte im Ausland Erstausstrahlung: 30. Januar 2004 Ebene 4 besteht aus dem jeweiligen Film- Autorin: Saskya Kamphuis kapitel oder Standbild. Am Ende eines Filmkapitels springt die DVD automatisch Folge 9: Mehrsprachigkeit als Chance – zurück zur Ausgangsebene. Bei einem Dialekt und Schule Standbild ist dies durch Aktivierung der Erstausstrahlung: 13. Februar 2004 Autor: Nikolaus Wiesner Option „zurück“ möglich.

Folge 10: Mediale Sprachwelten – Dialekt in Fernsehen, Radio und Zeitung Erstausstrahlung: 20. Februar 2004 Autor: Nikolaus Wiesner

Sendekonzept und Redaktionsleitung Bayerisches Fernsehen: Dr. Michael Zehetmair Wissenschaftliches Konzept der Sendereihe und Koor- dination: PD Dr. Hochholzer, Universität Regensburg

17 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Die Navigation über eine handelsübliche der in der Handreichung vorgeschlagenen Fernbedienung geschieht mittels folgender Fragen und Aufgaben), der stets eine Tasten und Befehle: Besprechung der Ergebnisse im Plenum folgen sollte; • Anwahl eines Untermenüs nach  Vertiefung von Einzelaspekten anhand aus- links, oben, unten, rechts gewählter Filmkapitel oder Standbilder. MENU • unterbricht einen Film, ein Filmkapitel und führt zurück zur Ausgangsebene Filmkapitel wie Standbilder erlauben eine ge- • führt zurück zum Hauptmenü zielte Abfrage und Vertiefung von Informati- TITLE • führt stets zurück zum Hauptmenü onen und tragen dadurch den Bedürfnissen ENTER • führt zum ausgewählten Untermenü eines ergebnisorientierten Unterrichts Rech- • aktiviert „Hauptmenü“, „weiter“, nung. Sie heben die Flüchtigkeit des Medi- „zurück“ bei Filmkapitel oder Standbild ums Film auf und ermöglichen die konzen- • ermöglicht Fortsetzung nach Pause / trierte Auseinandersetzung mit einer isolier- Step oder Stop ten Fragestellung. Es werden visuelle und PAUSE / STEP • unterbricht Wiedergabe, ermöglicht akustische Impulse gegeben, die die Schüle- Standbild bei Film oder Filmkapitel rinnen und Schüler für das jeweilige Thema STOP • unterbricht Wiedergabe, kein Bild aufschließen und zur Verbalisierung sowie FAST FF / FR • schneller Vor- oder Rücklauf Mitarbeit motivieren. Nicht zuletzt die Phase der Rechenschaftsablage kann durch die Be- schäftigung mit einzelnen Filmkapiteln oder Die DVDs im Unterricht Standbildern eine neue Qualität gewinnen.

Die Sendereihe „Dialekte in Bayern“ wurde Um eine möglichst Gewinn bringende Arbeit für ein breites Fernsehpublikum produziert. mit den DVDs zu ermöglichen, die am ein- Es ist deshalb ratsam, sie frühestens ab der drucksvollsten mit Hilfe eines Beamers prä- 6. Jahrgangstufe einzusetzen – von der Ver- sentiert werden, werden nachstehend die wendung ausgewählter Standbilder oder Folgen der Sendereihe ausführlich vorge- Filmkapitel einmal abgesehen. Die Filme bie- stellt. Die Darstellung fasst dabei zunächst ten wertvolles Ton- und Bildmaterial, das in den Inhalt der jeweiligen Sendung zusam- vielerlei Hinsicht geeignet ist, die Schüler­ men und führt in die in Frage stehende The- innen und Schüler für das Thema „Dialekt“ matik ein. Das Filmprotokoll bietet einen zu interessieren. Da die Filme ein vielfältiges raschen Überblick über die Filmsequenzen, Spektrum an Fragestellungen entwickeln, die Einstellungen und Bildfolgen zu thema- können sie in ganz unterschiedlichen thema- tischen Einheiten bündeln. Die grau hinter- tischen Zusammenhängen das schulische legten Zeilen stellen die anwählbaren Film- Angebot bereichern helfen. An die Vorbe- kapitel dar, einzelne oder zusammengefasste reitung von Schülerreferaten oder die Ab- Filmsequenzen. Es folgen Fragen /Aufgaben fassung einer Facharbeit ist dabei ebenso zum Film einschließlich des Erwartungshori- zu denken wie an die Frei- und Projektar- zonts. Bei den Folgen 5 und 6 werden in die- beit, Vertretungsstunden oder die Intensi­ sem Zusammenhang ein Kreuzworträtsel vierungsstunden am Gymnasium. und ein Multiple-Choice-Test an die Hand gegeben. Themen zur Vertiefung und Weiter- Für den Einsatz im Unterricht bieten die arbeit und zusätzliche Hinweise runden das beiden DVDs folgende Möglichkeiten: Angebot ab, das bewusst ein fächerübergrei- fendes bzw. fächerverbindendes Inhaltsspek-  Vorführung eines vollständigen Films mit trum entwirft und von den Lehrkräften auf die anschließender Auswertung in Einzel-, Part- jeweilige unterrichtliche Situation, Ziel- und ner- oder Gruppenarbeit (ggf. auf Grundlage Altersgruppe zugeschnitten werden sollte.

18 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 1 Echt bayerisch – Mundarten im Freistaat

Folge 1 der Sendereihe „Dialekte in Bay- die Standardsprache als voll ausgebilde­ ern“ zeigt die Bedeutung des Dialekts für tes Sprachsystem, wird die Bewertung der den Mundartsprecher und informiert über Sprachsysteme heute aufgehoben. Dialekt ist die Lage des Dialekts in Bayern. Er macht nicht minderwertiger als die anderen Sprach- mit grundlegenden Konzepten der neue- ausprägungen, sondern einfach in anderen ren Dialektforschung (Modell des sprach- Situationen angebracht. Die Reflexion von lichen Kontinuums, Varietäten im Sprach- Sprechsituationen und die Förderung des system Deutsch, innere Mehrsprachigkeit) situationsadäquaten Sprechens stellen so- vertraut und fordert die Schule dazu auf, mit eine zentrale Aufgabe der schulischen die Verwendung von Dialekt neu zu be- Spracherziehung dar. werten. Darüber hinaus wird auf die ästhe- tische Qualität des Dialekts eingegangen. Übrigens: Gerade in Bayern trifft man wegen historischer und geographischer Gründe auf ganz besonders viele unterschiedliche Dialekt- Zwischen Aschaffenburg und Berchtesgaden, ausprägungen: Bairisch (in Ober- und Nie- zwischen Lindau und Hof leben rund zwölf derbayern und der Oberpfalz), Schwäbisch- Millionen Menschen und die meisten spre- Alemannisch (links des Lechs), Ostfränkisch chen Dialekt. Laut einer Allensbacher Um- (in fast ganz Franken), Rheinfränkisch (rund frage (1998) beantworteten zwei Drittel der um Miltenberg), Thüringisch (Henneberger Befragten, dass sie die Mundart aus der Ge- Raum) und Hessisch (im Spessart). gend sprechen. Solche Erhebungen schei- nen zu beweisen, dass kein dramatischer Rückgang des Dialekts stattfindet. Trotzdem ist eine allmähliche und kontinuierliche An- Buchempfehlung passung an die Standardsprache, das so ge- nannte Hochdeutsche, zu erkennen – beson- ders im Ballungsraum München.

Realistisch betrachtet wird man den reinen Dialektsprecher heute kaum noch finden, denn wo gibt es ihn noch, den Einödbauern im abgelegenen Tal, der Zeit seines Lebens nur auf seinem Hof im engsten Kreis seiner Familie lebt? Die meisten Sprecher in Süd- deutschland verfügen über mehrere Sprach- varietäten, also Dialekt, Umgangssprache Kleiner Bayerischer Sprachatlas und Standardsprache, die sie je nach Ge- Koenig, Werner / Renn, Manfred sprächssituation und -partner einsetzen. Dies Deutscher Taschenbuchverlag, geschieht gemäß dem Modell des sprach- München, 3., korrig. u. überarb. Aufl. 2009 lichen Kontinuums in aller Regel unbewusst. ISBN 3-42303-328-2 Während der Dialekt früher (noch in den 70er (derzeit vergriffen, aber preiswerte Rest­ Jahren des vergangenen Jahrhunderts) als exemplare im Online-Buchhandel) defizitäre Sprache angesehen wurde und

19 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Landschaftsbilder / Begrüßung auf Schwandorf-Nordbairisch, 1 Pfaffenhofen-Schwäbisch, -Mittelbairisch, Coburg-Oberostfränkisch, (2:42) Miltenberg-Unterost­fränkisch – Vielfalt der Dialekte in Bayern 2 München Marienplatz / Landschafts- und Städtebilder / Ludwig I. / Volkstanz u. Ä. – Sprache im Wandel, Funktion von Dialekt 3 Knödel, Karotten, Blaukraut, Brötchen, Marktverkäufer – Vordringen der Hochsprache 4 Bayerische Fahnen / Rundschreiben des Fördervereins Bairische Sprache und 2 Dialekte e. V. / Statement Vorsitzender H. Triebel – Ziele der Dialektschützer (0:51)

5 Zeitungsartikel „Fall Florian“ und „Sprachkrise im Landtag“ – Dialekt in der Schule, Dialekt im Landtag

6 Gstanzlsingen im Bierzelt – Dialektprestige, Mundart ja oder nein?

7 Bayerische Landschaft – Verschwinden des reinen Dialektsprechers

8 Walhalla / München: Säulenhalle Glyptothek, Reiterstandbild und Gemälde 3 Ludwig I., Königsplatz mit Glyptothek und Propyläen, Residenz, Monopteros (0:05) im Englischen Garten – Bairisch mit „y“ und „i“

9 Dialektkarte Bayern 4 10 Statement Prof. Greule (Uni Regensburg) – Ursachen der Dialektvielfalt (2:01)

11 Straße / Tierarzt Dr. Brunhold bei der Arbeit – Alltagsbeispiele für angewandte 5 Mehrsprachigkeit (4:44)

12 Schaubild / Statement PD Dr. Hochholzer (Uni Regensburg) – Modell des sprachlichen Kontinuums, Gleichwertigkeit von Dialekt und Standardsprache

13 Porträt J. A. Schmeller, Bilder aus Leben und Werk – Entstehung der 6 bayerischen Dialektforschung (1:54)

14 Arbeitsräume Bayerische Akademie der Wissenschaften, Arbeit am Baye- 7 rischen Wörterbuch, Statements Prof. Rowley – Dialektforschung heute (4:29)

15 Landschaft / Schaubild – Varietäten im Sprachsystem Deutsch

16 Mädchenkoffer, Kamm, Kuchen, dazwischen Äußerungen in Nord- und 8 Mittelbairisch, Schwäbisch, Oberost- und Unterostfränkisch – Dialektvielfalt, (0:26) Mehrsprachigkeit

17 Anwesen, sich öffnendes Tor, Einfahrt Bus Theater EigenArt / Theater- 9 proben / Statement Regisseur Josef Berlinger – Dialekt im Drama (2:40)

18 Landschaft, Kühe / Statement Prof. Greule – Bedeutung des Dialekts für den Dialektsprecher, Stirbt der Dialekt aus?

19 Bauernhof / div. Landschafts- und Städtebilder / Beginn Abspann / Verabschie- dung durch Mundartsprecher in verschiedenen bairischen Dialekten – Dialekt als natürliche Sprachform und eigenes Sprachsystem

20 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Fragen /Aufgaben zum Film – Erwartungshorizont

1. Beschreibe die gegenwärtige Situation des Dialekts in Bayern. Drei Viertel der Bevölkerung geben an, ihren Heimatdialekt zu sprechen, aber: Vordringen der Standardsprache, Anpassung des Dialekts

2. Welche Ursachen hat das Vordringen der Standardsprache? Gesellschaftlicher Wandel, Mobilität der Menschen, Zuzug v. a. in städtischen Ballungsräumen wie München, Auflösung abgeschlossener Sprachräume, Einfluss der Medien (nicht im Film)

3. Welche Funktion erfüllt der Dialekt für den Dialektsprecher? Vermittlung des Gefühls von Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Region, zu einem Ort; Vermittlung von Heimat; Stiftung von Identität

4. „Blaukraut oder Rotkohl?“ – „Semmel“ oder „Brötchen“? Bewerte das Vordringen der Standardsprache in den Alltag und kläre dabei dein eigenes Verhältnis zum Dialekt. (freie Antwort)

5. Welche Forderungen erhebt der Vorsitzende des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte e. V.? Setze dich mit ihnen auseinander. Berücksichtige dabei die gegenwärtige Situation des Dialekts in Bayern. Schutz der bairischen Mundarten durch Aufnahme in die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, Dialekterziehung in der Schule auch für Kinder nicht-bayerischer Herkunft, Aufnahme dialektaler Texte in Schulbücher

6. „y“ oder „i“? Wer ersetzte die ältere Schreibung „Baiern“ durch „Bayern“? Was waren die Beweggründe und wo zeigen sich diese in der Architektur? In welchen Wissenschaften gilt nach wie vor die Schreibung „Baiern“? Was ist damit gemeint? Wer: Ludwig I. (1825-1848); Beweggründe: Begeisterung für die antike Kultur Griechenlands; Architektur: z. B. klassizistische Bauten Leo von Klenzes am Münchner Königsplatz, Walhalla bei Regensburg; „Baiern“: Volkskunde (für den Volksstamm der Baiern), Sprach- wissenschaft (für die bair. Sprache)

7. Nenne die drei großen bayerischen Dialekträume. Welche angrenzenden Dialekträume gibt es?  Dialekträume: Bairisch (Mittelbairisch, Nordbairisch), Schwäbisch, Ostfränkisch  angrenzende Dialekträume: Thüringisch (im Nordosten); Rheinfränkisch, Hessisch (westlich der Spessart-Barriere); Alemannisch (westlich des Lechs)

8. Woher kommt die dialektale Vielfalt? Größe und räumliche Verschiedenartigkeit des Flächenstaats, Vielzahl der Außengrenzen zu nichtdeutschen Sprachräumen (Nordbairisch  Tschechisch, Südbairische  Italienisch, Ladinisch und Slowenisch)

9. Erläutere am Beispiel des Sprachverhaltens des Tierarztes Dr. Brunhold das Modell des sprachlichen Kontinuums. Abhängig vom jeweiligen Gesprächspartner und der jeweiligen Sprechsituation wechselt der Tierarzt vom Dialekt und der Umgangssprache in die Standard- bzw. Hochsprache. Diese Übergänge vollziehen sich bei kompetenten Sprechern unbewusst und fließend.

21 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

10. Varietäten: Ordne folgende Aussagen und Begriffe einander zu. Finde ähnliche Beispiele.

„Guten Tag“ oder „Grüß Gott“ (1) Dialekt (4) „hi“ (2) Umgangssprache (5) „Glück auf“ (3) Standardsprache (1) „Griaß God“ (4) Soziolekt (2) „Tach“ oder „Servus“ (5) Fachsprache (3)

11. Wie wird das Verhältnis von Dialekt und Standardsprache in der heutigen Sprachwissen- schaft gesehen? gleichwertig, keine Abwertung des Dialekts

12. Wie sollte die Schule mit Dialektsprechern umgehen? keine Abwertung, sondern Förderung der Fähigkeit zu einem situationsadäquaten Sprach- verhalten im Sinne des Konzepts der inneren Mehrsprachigkeit

13. Beschreibe die Ziele, Methoden und Schwierigkeiten bei der Erstellung des Bayerischen Wörterbuchs.  Ziele: Dokumentation des Lebens- und Sprachwandels in Bayern  Methoden: Sammlung von Sprechproben und Materialien durch über das Land verstreute Gewährsleute (z. B. Studenten, ältere Mundartsprecher), Sichtung und Katalogisierung in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Verfassen der Wortartikel  Schwierigkeiten: Aussterben der echten Mundartsprecher, Unterscheidung von echtem und falschem Dialekt, beschleunigter Sprachwandel

14. Warum spielt das Theater EigenArt Mundartstücke? Glaubwürdigkeit und Vielschichtigkeit von Personen und Milieus, Nuancenreichtum, Ausdruckssicherheit von Autor, Regisseur und Schauspielern

15. Was ist älter: Dialekt oder Standardsprache? Dialekt = natürliche Sprache des Menschen; Standardsprache wurde erst vor 200 Jahren im Rahmen der Einführung der allgemeinen Schulpflicht als künstliche Norm gesetzt

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Ursachen des Sprachwandels  Zur Sachdimension des Films vgl. den Aufsatz  Die Europäische Charta der Regional- oder „Sprache und Dialekt in Bayern“ von Rupert Minderheitensprachen: Theorie, Praxis, Wertung Hochholzer in Teil II dieser Handreichung.  Dialekt und Schule – der Fall Florian  Zur Darstellung der Dialekträume in Bayern  Dialekt im Landtag – die Diskussion um die vgl. das Kartenmaterial der Handreichung. Dialektsprecherin Marianne Schieder  Zum Thema „Mehrsprachigkeit als Chance –  Der Philhellene Ludwig I. Dialekt und Schule“ vgl. Folge 9 der Sendereihe  Aktuelle Jugendsprache: Merkmale und „Dialekte in Bayern“. soziale Funktion  Dialekt im Drama (an ausgewählten Beispielen)  Einschätzungen des Dialekts – eine Umfrage

22 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 2 Im Wandel der Geschichte – Sprachräume in Bayern

Der Film zeichnet die Entwicklung der 8. Jahrhundert wie Aufzeichnungen des Dialekte in Bayern nach, von den Anfän- „Vater unser“, die aus allen drei Sprach- gen bis zur Gegenwart. Gleichzeitig wer- räumen überliefert sind. den Arbeitsweisen und Zielsetzungen der wissenschaftlichen Dialektforschung In den folgenden Jahrhunderten entwickeln beschrieben. sich die Dialekte auseinander. Der Grund: Die Menschen werden sesshaft, bauen Höfe, bewirtschaften ihr Land. Und kommen nicht Streichmatz, Zibeleskäs oder Matte – für das weit herum, höchstens in die nächsten Dör- hochdeutsche Wort Quark gibt es in Bayern fer. Sie müssen sich nicht anpassen an Men- mehr als 20 Dialektbezeichnungen. In die- schen, die anders sprechen. Berge, Flüsse, ser Vielfalt spiegelt sich eine jahrtausende- Seen und politische Grenzen behindern die alte Sprachgeschichte. Manche Ausdrücke Ausbreitung sprachlicher Veränderungen. Es sind im Alltag entstanden wie das Wort Top- entstehen neue Sprachräume, die die Viel- fen, das von dem Topf kommt, in dem er her- falt der Dialekte begründen. Im 15. Jahrhun- gestellt wurde. In den Wörtern stecken aber dert können sich Menschen aus entfernteren auch die Einflüsse der verschiedenen Völker, Gegenden Bayerns kaum noch verstehen. die auf bayerischem Boden siedelten. So weit haben sich die Dialekte auseinander entwickelt. Noch im 18. Jahrhundert spricht Die ersten Bewohner Bayerns, von deren auch der Gebildetste Dialekt, selbst am kai- Sprache man etwas weiß, sind die Kelten der serlichen Hof. Friedrich Nicolai, ein Berliner so genannten Latènezeit ab 500 vor Chris- Journalist, berichtet 1781 aus Wien, was eine tus. Die Spuren der Kelten sind vor allem bei österreichische Gräfin zu einer bairischen Ortsnamen nachweisbar: Ratisbona, die alte sagte: „Liebe! Solltens halt nit so schlecht Bezeichnung für Regensburg, ist beispiels- deutsch sprechen. Sprechen immer ‚die Koa- weise keltisch. Der Einfluss der Römer ist serinn; muß haaßen die Kaaserinn’.“ leichter erkennbar. Die lateinische Sprache lässt sich nicht nur in hochdeutschen Wör- Eine einheitliche gesprochene Hochsprache tern finden, sondern auch in vielen Ausdrü- entsteht Ende des 19. Jahrhunderts auf der cken des Dialekts. Im Allgäu heißt die Toch- Bühne. Die Klassiker in Dialekt vorgetragen – ter fehl, von filia. Canalis, die Röhre, hat dem das geht nicht. 1898 treffen sich Theaterdirek- Kännel, der Dachrinne, den Namen gegeben. toren und Germanistikprofessoren, um eine einheitliche Sprache für die Bühne festzule- Mit dem Zusammenbruch des römischen gen und geben ihre Regeln in einem Buch Reiches im 5. Jahrhundert dringen Germa- heraus. Ursprünglich nur für die Bühne konzi- nen in das Gebiet südlich der Donau ein: piert, wird der so genannte „Siebs“ zur Norm Alemannen, aber auch Franken und Thürin- für eine allgemeine deutsche Aussprache. Im ger. Östlich des Lechs bildet sich eine neue Glauben, das sei das bessere Deutsch, legen Völkerschaft, die Baiern. Germanisch ist nun viele ihre Dialekte ab. die beherrschende Sprache. Die Dialekte von Franken, Alemannen und Baiern unterschei- den sich kaum. Das zeigen Quellen aus dem

23 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Diesem Trend etwas entgegensetzen – das ihres Dorfes beherrschen. Tausende Dialekt- ist das Ziel der Wissenschaftler, die am Baye- wörter, grammatische Formen sowie Laute ha- rischen Sprachatlas mitarbeiten: Seit 20 Jah- ben sie aufgeschrieben. 12 Bände des Sprach- ren fahren sie von Ort zu Ort und befragen atlas sind bereits erschienen, rund 40 werden Menschen, die noch die Mundart ihrer Region, es am Ende sein.

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Dialektforscherin Dr. Edith Funk (Uni Augsburg) unterwegs – Aus- sterben differenzierter Dialekte, Methoden und Ziele der Dialektforschung

2 Karte: Wörter in verschiedenen Regionen für „Quark“ – Ursachen für Sprachvielfalt

3 Mythische Landschaft / Statement Prof. Werner König (Uni Augsburg) – 1 Bayern nach der Eiszeit, Entwicklung des Sprachapparats des Menschen (2:12) 4 Spielszene im Wald / Karte: keltische Ortsnamen – Kelten in Bayern 5 Spielszene am Limes – Römer in Bayern, Begriffe lateinischen Ursprungs

6 Landschaft / Spielszenen u. a. / Statement Prof. Alois Schmid (LMU München) – 2 Vordringen der Germanen, Entstehung der Baiern (5:11) 7 Spielszene / alte Bücher / „Vater unser“ / Dr. Funk bei der Feldforschung – Dialektstand in frühgermanischer Zeit im Vergleich mit heute 8 Kirche / Bibliothek / Abrogans / germanische Messer / Karte – Vom Germanischen zum Althochdeutschen bis zur 2. Lautverschiebung

9 Bayerische Landschaften / Statement Prof. König / hist. Handschrift – 3 Ausdifferenzierung der bairischen Dialekte, Ursachen des Sprachwandels, (1:49) Sprachsituation im 15. Jh.

10 Dialektproben aus Schwaben, Niederbayern und Mittelfranken

11 Pferdegeschirr, Geräte aus der Landwirtschaft – Zusammenhang Wortschatz und Dingwelt

12 Leere Buchseiten, früher Buchdruck / Statement Prof. König / Lutherbibel, 4 Porträt Luther / Stadtpanorama, Fachwerkhäuser / Buch Nicolai / Notizen (3:01) Schmellers – Vereinheitlichung der geschriebenen Sprache, Entstehung des Neuhochdeutschen

13 Theaterinnenraum / Statement Prof. König / Buchtitel „Deutsche Bühnen- 5 aussprache“ (Siebs) – Vereinheitlichung der gesprochenen Sprache (1:31)

14 Dr. Funk beim Abhören von Tonbandaufnahmen, Statement / Fotografien 6 alter Gerätschaften und Gewährspersonen / Wörtereingabe am PC / Statement (7:47) Dr. Funk / Seiten aus dem Bayerischen Sprachatlas, Einzelbände / Statement Prof. König / Arbeit an Sprachkarten / Statements Prof. König, Dr. Funk / Ton- band mit Dialektproben / Abspann – Arbeitsweisen der Dialektforschung, Bayerischer Sprachatlas, Dialekt heute, Verbindung Dialekt und Leben

24 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Fragen /Aufgaben zum Film – Erwartungshorizont

1. Warum gibt es in Bayern so viele Dialekte? Entstehung aus dem Alltag, jahrtausendealte Sprachgeschichte; Einfluss verschiedener Völker (Kelten, Römer, Germanen), die im Verlauf der Geschichte auf bayerischem Boden siedelten

2. Was unterscheidet die Sprachorgane des homo sapiens vom Affen? Der tiefer gelegene Kehlkopf

3. Nenne zwei bayerische Städtenamen, die sich aus dem Keltischen herleiten. (Kampódunon), Regensburg (Ratisbona)

4. Nenne Dialektbeispiele, die den Einfluss des Lateinischen verraten. z. B. filia (lat.)  fehl = Tochter (Allgäu); canalis (lat.)  kännel = Dachrinne (Allgäu)

5. Wie lautet die gängige Meinung über den Ursprung der Baiern? Die Baiern waren kein geschlossener Stamm, sondern entstehen als Mischvolk aus unter- schiedlichen germanischen Stämmen, die sich nach dem Rückzug der Römer auf dem Gebiet des heutigen Bayerns niederließen.

6. Wie gestaltet sich die sprachliche Situation nach dem Abzug der Römer? Vordringen des Germanischen – relativ einheitliche Dialekte

7. Welche Rolle spielen die Klöster in der deutschen Sprachgeschichte ab dem 8. Jh.? Stätte des Übergangs zur Schriftlichkeit, Abkehr vom Lateinischen und Hinwendung zur (dialektalen) Volkssprache, Dialekte = Basis der Hochsprache

8. Wie heißt das älteste deutsche Sprachdenkmal? Wie erklärt sich sein Titel? Worin besteht sein Inhalt? Abrogans (lat.) = erstes Wort dieses Wörterbuchs

9. Beim Übergang vom Germanischen zum Althochdeutschen im 5.-7. Jh. verändern sich z. B. maken zu machen, water zu Wasser, slapen zu schlafen. Wie nennt man dieses Phänomen? Welche Bedeutung hat es für den deutschen Sprachraum und Bayern?  Phänomen: 2. Lautverschiebung  Bedeutung: Teilung des deutschen Sprachraums in niederdeutsch (= Nord, Beibehaltung des alten Lautstands) und hochdeutsch (= Süd, neuer Lautstand)  Bayern: gehört zum Hochdeutschen

10. Welche Ursachen führen zur Ausdifferenzierung der ursprünglich relativ einheitlichen bayerischen Dialektlandschaft vom 8.-15. Jh.? Welche Folgen hat dies für die kommunikative Reichweite der gesprochenen Sprache?  Ursachen: Sesshaftwerdung – Kleinräumigkeit des menschlichen Verkehrs – natürliche und politische Grenzen  Folgen: eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit der Menschen

25 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

11. Welche Bedeutung haben ab Beginn der Neuzeit Buchdruck und Lutherbibel für die geschriebene und gesprochene Sprache?  geschriebene Sprache: Vereinheitlichung – Übergang zum Neuhochdeutschen – Anpassung des Niederdeutschen an das Hochdeutsche  gesprochene Sprache: Im Norden Anpassung an das Neuhochdeutsche, im Süden Dominanz der regionalen Dialekte bis ins 19. Jh.

12. Wann, wo und warum entsteht eine einheitliche deutsche Hochsprache? Welche Folgen hatte dies?  Wann: Ende des 19. Jahrhunderts  Wo: im Bereich des Theaters  Grund: Angst vor Verunglimpfung klassischer Texte durch vom Dialekt bestimmte Aussprache der Schauspieler  Folgen: Beginn des Niedergangs des Dialekts

13. Welcher Methoden bedient sich die moderne Dialektforschung? Interviews vor Ort mit Mundartsprechern, Erfassung des Sprachmaterials mittels Lautschrift und Tonband, fotografische Erfassung historischer Sachkultur (z. B. Werkzeuge) für die Zu- ordnung versunkener Begrifflichkeiten, Auswertung des Sprachmaterials mit Hilfe des PC und eines speziellen Codierungssystems

14. Mit welchen Problemen haben die Mitarbeiter am Bayerischen Sprachatlas zu kämpfen? Vereinbarung von Aufzeichnungs- und Auswertungskonventionen (Kartierung, Symbole, Kommentare), Materialfülle, Schwierigkeit der Erstellung großflächiger Dialektkarten, Kom- plexität der Darstellung (Kommentare, Beleglisten, Fülle der Karten), Aussterben verlässlicher Mundartsprecher bzw. Niedergang des Dialekts im Allgemeinen

15. Welche Bedeutung hat das Projekt „Bayerischer Sprachatlas“? Widerspiegelung der Sprach-, Kultur- und Alltagsgeschichte der Bayern im Spiegel der Sprache, Sprachatlas als kollektiver Erinnerungsspeicher und Instrument der Identitätsstiftung

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Stimmapparat des Primaten und des Menschen  Zur Sachdimension des Films vgl. das Unterkapitel  Kelten und Römer in Bayern „Sprache im Wandel der Zeiten“ des Aufsatzes  Der Streit über den Ursprung der Bayern „Sprache und Dialekt in Bayern“ von Rupert Hoch-  Die kulturelle Bedeutung der Klöster im Mittelalter holzer in Teil II dieser Handreichung.  Die Erfindung des Buchdrucks und seine Folgen  Zur 2. Lautverschiebung vgl. den Abschnitt für Sprache, Massenkommunikation und Politik „Basiswissen“ im Kapitel „Bairisch“ von Teil III.  Der Einfluss der Lutherbibel auf die deutsche  Eine komprimierte einbändige Taschenbuchaus- Literatur bis heute (an ausgewählten Beispielen) gabe des Bayerischen Sprachatlas, der Kleine  Der Wandel der deutschen Bühnensprache Bayerische Sprachatlas (KBSA), erschien Ende 2005 im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv).

26 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 3 An Isar, Inn und Donau – Dialekt in Ober- und Niederbayern

Folge 3 der Sendereihe thematisiert die und geht der Frage nach der Zukunft dieser Mundart im Isar-Donau-Raum, die sich his- Mundart nach. Denn obwohl Bairisch als der torisch entlang der Achse München – Wien beliebteste unter den deutschen Dialekten herausgebildet hat und heute noch in Ober- gilt, ist es ausgerechnet in der Landeshaupt- und Niederbayern sowie in weiten Teilen stadt aus der Mode gekommen, Bairisch zu Österreichs gesprochen wird. Sprachwis- sprechen. Eine Studie des Sprachforschers senschaftler nennen sie „Mittelbairisch“. Bernhard Stör von der Ludwig-Maximilians- Universität hat ergeben, dass der Dialekt im Charakteristisch für das Mittelbairische, das Großraum München vom Aussterben be- viele für das eigentliche „Boarisch“ halten, ist droht ist. Kinder Bairisch sprechender Eltern die Vokalisierung des „L“. Statt „viel zuviel reden oftmals nur noch Hochdeutsch – eine Gefühl“ sagen Ober- und Niederbayern „vui für manchen Bayern alarmierende Entwick- zvui Gfui“ oder auch „vei zvei Gfei“. Dass lung, die v. a. einer zunehmenden Mobilität das „L“ nach Vokal aufgelöst wird, ist ein der Menschen und dem Einfluss der Medien sprachliches Phänomen, das die Oberpfälzer, geschuldet ist. Vor diesem Hintergrund ver- die ja auch Bairisch sprechen, nicht kennen. wundert es nicht, wenn Fördervereine die Pflege der heimischen Mundart propagieren Der Film stellt die Merkmale und Eigen- und Kinder zu bewussten Dialektsprechern heiten des (mittel-)bairischen Dialekts heraus erziehen wollen.

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Bauernhof in Ach, Österreich / Bauer bei Fahrt mit Fahrrad ins bayerische Burghausen / Gespräch mit Freund – Dialekt an der Grenze Niederbayern / Österreich

2 Sprachkarte / Städtebilder und Landschaften – Nordbairisch, Mittelbairisch und Südbairisch, Achse München – Wien

3 Zug / Statement Prof. Hermann Scheuringer (Uni Wien) / Hauptbahnhof 1 Passau: Zugansage von Sprecherin aus Bayern, ICE – Gemeinsame und (2:34) unterschiedliche Merkmale des mittelbairischen Dialektraums, A-Aussprache

4 Schwenk Bayerischer Wald: Kirchdorf, alter Bauernhof, Gespräch im Dialekt 2 über Kauf eines Autos oder Motorrads mit vielen „Had i und dad i“ – (1:19) helles A für E/Ä und dunkles O

5 Landschaft / Sprachproben aus Bodenmais (Bayer. Wald), Salzweg bei 3 Passau, Prien am Chiemsee, Germering bei München, Obermühltal (Obb.) (2:17) zur Bezeichnung unterschiedlicher Begriffe – Vielfalt des Mittelbairischen (Laut-/ Wortebene)

27 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

6 Eichkätzchen, Blätter, Wald, Bäume / Prof. Ludwig Zehetner (Uni Regensburg) 4 beim Verlesen eines Textes, Statement / Bauernhaus, Huhn, Ei, Steine, (2:34) Leiter, Geiß, Kühe, Kirchturmuhr, weißer Flieder, Holzscheite, Hühner mit Eiern / Statement Prof. Zehetner – Fülle der Zwielaute (Diphthonge), sprachgeschichtliche Ursachen

7 Regensburg: Mittelalterliche Hausfassade, Gasthaus in Regensburg, Schild, 5 Speisekarte / Gespräch zu Spezialitäten, Servieren von Dampfnudeln und (1:29) Pichelsteiner – Verkleinerungsformen / Diminutive (Krügerl, Haferl)

8 Lederhose, Haferlschuhe, Schuster beim Reparieren von Schuhen / Sprach- 6 karte / Sprachproben wie in Sequenz 5 – L-Vokalisierung, unterschiedliche (1:23) Ausprägung („vui“, „vei“, „vüü“)

9 Straße / Sprachforscher Dr. Bernhard Stör (LMU München) bei Autofahrt 7 übers flache Land, Statement / Mädchen in Schwabhausen bei München, Be- (6:50) grüßung der Oma mit „Hallo“, Interview mit Mädchen und Oma zum Dialekt / Straße / Realschule in München-Obermenzing, Befragung der Schüler zum bairischen Dialekt, Nachsprechen von Mustersätzen / Abensberg (Niederba- yern): Glockenspiel, Häuserzeilen, Schüler im Hof der Realschule, Gespräche im Dialekt, Referat in bemühtem Hochdeutsch, Statement Lehrer Dr. Wild- feuer zur Dialektsituation – Niedergang des (Orts-)Dialekts v. a. in Städten und bei der Jugend

10 Gotzing: Wirtshausschild, Gasthaus „Gotzinger Trommel“, Sitzung des 8 Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte e. V., Statement Vorsitzender (2:02) Hans Triebel – Ziele der Dialektschützer

11 Landschaft bei Gossersdorf (Niederbayern, nahe Oberpfalz): Ortsansichten, 9 Gespräch Vater und Sohn Obermeier, König-Ludwig-Devotionalien im (4:35) Hause Obermeier, Statement, spielende Kinder im Garten, Spielen der „Brunnenszene“ und der Szene im Schlafgemach aus dem Märchen „Der Froschkönig“ (Protznkönig) – Vordringen des Mittelbairischen ins Oberpfälzische, Dialekterziehung

12 Kirchturm, Ortsansichten Gossersdorf / Landschaften / Abspann – Sprache, Denken, Erlebniswelt

28 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Fragen /Aufgaben zum Film – Erwartungshorizont

1. Welchen Dialekt sprechen die Österreicher? Bairisch

2. In welche Unterdialekte lässt sich das Bairische einteilen? Nordbairisch, Mittelbairisch, Südbairisch

3. Zu welchem bairischen Sprachraum gehören Ober- und Niederbayern? Was unterscheidet ihn von den anderen bairischen Sprachräumen? Mittelbairisch = größter und bevölkerungsreichster Sprachraum, den viele für das eigentliche Bairisch halten

4. Nenne den Fachbegriff für „Grundmundart“! Basisdialekt

5. Wie heißt der „Rettich“ auf Bairisch? Radi

6. Erkläre kurz, was ein „Zwielaut“ ist? Nenne ein Beispiel für einen Zwielaut aus dem Bairischen! Ein Zwielaut ist eine Verbindung aus zwei Vokalen. Das Bairische hat z. B. den Zwielaut „oa“.

7. Wie bezeichnen Sprachwissenschaftler solche Zwielaute? Diphthonge

8. Warum weist das Bairische viel mehr Zwielaute auf als die Standardsprache? Das Bairische hat viele Zwielaute aus älteren Sprachstufen des Deutschen bewahrt und im Laufe der Sprachentwicklung eigene Zwielaute entwickelt.

9. Nenne einige bairische Verkleinerungsformen, die sich auf Speisekarten in Bayern finden! Reherl, Schwammerl, Lüngerl, Haferl

10. Erkläre das mittelbairische Phänomen der L-Vokalisierung! Im Mittelbairischen wird das L nach Vokal zu einem i aufgelöst, so wird z. B. aus „viel zuviel Gefühl“ „vei zvei gfei“ oder „vui zvui gfui“.

11. Nenne Gründe für den Schwund der Ortsdialekte! Mobilität der Menschen, Einfluss der Medien, Zuzug, Eltern sprechen nicht Dialekt mit Kindern

12. Welche Aufgaben hat der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte e. V.? Erhalt und Pflege der Mundarten

13. Wie viele Zwielaute hat der Dialekt von Gossersdorf im Bayerischen Wald? Wie viele hat die Standardsprache? Gossersdorf: 24 Zwielaute; Standardsprache: 3 Zwielaute

14. Woran v. a. erkennt man die sprachliche Nähe Gossersdorfs zur Oberpfalz? Zunahme der ou-Laute

29 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Lautwandel beim Übergang vom Mittelhoch-  Zur Sachdimension des Films vgl. die Einleitung zum Neuhochdeutschen des Kapitels „Bairisch“ in Teil III dieser Hand-  Mundart und Volkslied – Geschichte, Funktion, reichung. Motive (z. B. der Wilderer, Legende Jennerwein)  Zur Dialektsituation in München siehe  Kraftbayrisch – Georg Queri vor Gericht Stör, Bernhard (1999): Die mundartlichen Verhält-  & Co – Mundart in der populären nisse in der Region München. 2 Bde. (= Europä- Musik der Gegenwart ische Hochschulschriften: Reihe 1. Deutsche Spra-  Förderverein Bairische Sprache und Dialekte e. V. che und Literatur. Bd. 1715). Frankfurt a. M.  Bayern und seine östlichen Nachbarstaaten –  Zu Oberbayern siehe Norbert Göttler (Hrsg.) Geschichte und Gegenwart (2014): Oberbayern. Vielfalt zwischen Donau und  Sigi Zimmerschied und Bruno Jonas – Alpen. Bilder und Texte jenseits von Klischees. zwei Kabarettisten aus Passau München. Volk Verlag.  Gerhard Polt – Dialekt und Zeitkritik  Zu Niederbayern siehe Teja Fiedler (2. Aufl. 2007):  Dialekt im Neuen Volksstück der 1970er Jahre Gebrauchsanweisung für Niederbayern.  Dialekt in München – eine Umfrage München. Piper Verlag; Gerald Huber (2007):  „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen Kleine Geschichte Niederbayerns. Regensburg. meiner Welt“ – die Sprachphilosophie Friedrich Pustet. Ludwig Wittgensteins  Ober- bzw. Niederbayern – Klischees und Wirklichkeit

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30 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 4 Von Regensburg bis zum Fichtelgebirge – Dialekt in der Oberpfalz

Der Film führt in den Nordosten Bayerns Diphthonge, d. h. ou-Laute in der Sprache. und beschäftigt sich mit dem Oberpfäl- Dass das jedoch reine Ansichtssache ist, zischen, das seit Gottsched unter einem zeigt die englische Literatur, in der eben jene schlechten Ruf zu leiden hat und vielen ou-Laute als besonders vornehm empfun- reichlich exotisch anmutet. Dialektfor- den werden. Je weiter man Richtung Norden schern hingegen bietet sich eine bis heute kommt, desto stärker sind sie in ihrer Ausprä- lebendige Kulturlandschaft, in der es viel- gung. Dies hat sowohl historische als auch fältige Entdeckungen zu machen gibt. landschaftlich bedingte Gründe.

Im Gegensatz zu vielen Behauptungen stirbt Im Jahre 1794 reiste der Literaturpapst und der Oberpfälzer Dialekt nicht aus. Er ist nur Aufklärungsphilosoph Johann Christoph im Wandel begriffen. Aktuelle Beispiele von Gottsched auf der Suche nach dem lupen- so genanntem produzierten Dialekt finden reinen Deutsch durch Deutschland. „Das sich bei modernen Musikbands und traditio- rauhe Land der Oberpfalz mit seinem rauhen nellen Mundartmusikern. Der natürliche Dia- Dialekt“ bewegte ihn dazu, ein „Klagelied“ lekt dagegen ist heute wie gestern Ausdruck zu verfassen, dessen diffamierender Beige- und Mittel zur Identitätsfindung des dörf- schmack bis heute das Ansehen der Ober- lichen Lebens. pfälzer Sprache beeinträchtigt. Möglicher- weise hat es auch den Kabarettisten Bruno Auch in der Sprachwissenschaft nimmt die Jonas dazu veranlasst, die Sprache der Ober- Oberpfalz einen wichtigen Platz ein. Hier ent- pfälzer als einen „linguistischen Feldver- stand das erste Dialektwörterbuch Deutsch- such“ zu bezeichnen. lands, das Glossarium Bavaricum von Jo- hann Ludwig Prasch, und noch heute finden Das typische und angeblich hässliche Sprachwissenschaftler im nördlichen Bayern am Oberpfälzer Dialekt: Die auffallenden reiches Anschauungsmaterial für ihre Studien.

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Holzfäller in Windischeschenbach, Gespräch im Dialekt der nördlichen 1 Oberpfalz – Sprechprobe Oberpfälzisch (0:39)

2 Landschaft, Dorfansicht / Titelinsert / Landkarte mit Sprachregionen Bayerns, 2 Zoom auf Oberpfalz, Wegweiser Regensburg-Nürnberg / Holzfäller bei der (3:27) Arbeit, über dem Wald kreisender Raubvogel / Fahrt durch Herbstwald mit Kutsche (Gottsched-Gedicht), Felslandschaft, Dorfszene / Bayerische Akade- mie der Wissenschaften, Statement Prof. Anthony Rowley – gestürzte Diph- thonge, Dialektbewertung als soziales Phänomen

31 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

3 Klosterkirche Waldsassen: Begrüßung durch Mundartkünstler Norbert 3 Neugirg, Zeigen des Oberpfälzer Sprachraums auf Brücke mittels Karte (1:49) unterbrochen durch Begrüßungssätze aus Nabburg, Cham, Amberg, Sulz- bach-Rosenberg und Neumarkt – Gliederung des Sprachraums Oberpfalz

4 Neumarkt: Kirche und Stadtansichten, Kreisheimatpfleger Rudi Bayerl beim 4 Einkauf in einer Bäckerei von sog. Katholischen und Lutherischen (Küchel), (2:53) Statement, Küchel (groß) / Autofahrt bei Regen, Frage an einen Hirten nach dem Weg, Fahrt nach Traunfeld an der Grenze der Oberpfalz zu Mittelfranken: Küche eines Bauernhofs, Bäuerin beim Herausbraten von Kücheln in Fett, Statement Bayerl – Dialekt und Konfession, Sprach- und Brauchtumsgrenze zwischen Oberpfalz und Franken

5 Regensburg: Jugendstilvilla, Sitz des Bezirksheimatpflegers der Oberpfalz, 5 Dr. Franz-Xaver Scheurer auf der Treppe und am Schreibtisch, Stadtansicht, (2:55) Statement während Autofahrt über Reichsstadt und Umland, Gespräch mit dem Schriftsteller Josef Fentl bei der Steinernen Brücke – Heimatpflege und Sprachpflege, Stadt- und Umlanddialekt

6 Autofahrt / Dr. Scheurer beim Spaziergang im Grünen, Statement – 6 Theorie der abgestuften Lautlandschaft (1:23)

7 Murach bei Oberviechtach: Wirtshaus, Treffen des heimatkundlichen 7 Arbeitskreises, Suche nach typischen Redewendungen der Oberviechtacher (2:11) Mundart für Wörterbuch, Statement Initiator des Arbeitskreises – Dialekt- forschung, Renaissance des Dialekts, Code-Switching

8 Gruppe Los Dos beim Proben eines Mundartstücks, Gespräch mit den 8 Mitgliedern, Bandmitglieder beim Schminken, Statement Bandmitglieder, (4:16) Auftritt mit Mundartsong und Salsa – musikalische und emotionale Qualität des Oberpfälzischen

9 Altfalter: Festzug zum 125-jährigen Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr / 9 Turnhalle: Festrede, Kabarettprogramm der Altneihauser Feierwehrkapell’n , (3:27) Dialektsprüche aus Waldsassen und Altfalter mit Übersetzung ins Hochdeut- sche, Statements N. Neugirg und Feuerwehrmann – Hochdeutsch, Komik und kommunikative Reichweite des Dialekts

10 Furth im Wald: Haus im Grünen, Heimatschriftsteller Josef Fentl zu Besuch 10 bei der Malerin Irmgard Jeserigk, Illustrationen zu Märchen von F.-X. Schön- (2:41) werth, Gespräch zwischen Dichter und Malerin, J. Fentl beim Lesen von Märchentexten, Statement J. Jeserigk über Sujetwahl / Dr. Scheurer beim Griff nach Büchern von Schönwerth, Statement – F.-X. Schönwerth

11 Glossarium Bavaricum (1689) von J. L. Prasch, Bayerisches Wörterbuch von 11 J. A. Schmeller / Bayer. Akademie der Wissenschaften: Prof. Anthony Rowley (2:14) beim Blättern im Glossarium, Statement, Prof. Rowley bei der Arbeit am Nachfolgeband des Schmeller, Statement / Landschaft, Kutschenfahrt / Abspann – Oberpfalz in der Sprachwissenschaft

32 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Fragen /Aufgaben zum Film – Erwartungshorizont

1. Johann Christoph Gottsched (1700-1766) hat eine sehr subjektive Sichtweise des Nord- bairischen. Wie äußert er sich über den nordbairischen Sprachraum? Was ist für Gottsched das Deutsche schlechthin? Gottsched bereiste Mitte des 18. Jahrhunderts die Oberpfalz. Er ließ kein gutes Haar an Land und Leuten. Das Sächsische war ihm Inbegriff des Deutschen.

2. Ob eine Sprache schön klingt, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Welche Laute kennzeichnen das Nordbairische? Welche Position vertritt Prof. Rowley bezüglich der „hässlichen Laute“?  Kennzeichnend für das Nordbairische sind die ou-Laute (auch ej).  Die Bewertung des Dialekts hängt von der subjektiven Einschätzung ab. Häufig erfolgt eine soziale Einschätzung.

3. Der nordbairische Sprachraum lässt sich untergliedern. Welche Binnengliederung des nord- bairischen Sprachraumes kann ausgemacht werden? Raum um Waldsassen, Nabburg, Cham, Amberg, Sulzbach-Rosenberg, Neumarkt; „Sprach- insel“ Regensburg

4. Welche Erklärungen werden für die Entstehung der unterschiedlichen Sprachregionen bzw. Sprachgrenzen geliefert?  historische Verwaltungsgrenzen (siehe Raum Waldsassen)  konfessionelle und herrschaftliche Grenzen (siehe Raum Neumarkt)

5. „Heimatpflege ist in besonderer Weise Sprachpflege.“ Wie begründet der Bezirksheimat- pfleger der Oberpfalz seine Aussage?  Heimat ist mit Identität gleichzusetzen.  Identität findet man am ehesten in der eigenen Sprache.  Sprachpflege und Sprachforschung sind deshalb wesentliche Aufgaben der Heimatpflege.

6. Was versteht man unter der Theorie der „abgestuften Lautlandschaft“? Was sind ihre Kennzeichen? Theorie: Die Theorie der „abgestuften Lautlandschaft“ stellt einen Zusammenhang zwischen Landschaft und Sprachlandschaft her. Kennzeichen:  Der ou-Laut vermindert sich nach Süden hin.  Der Süden der Oberpfalz ist offener für das modernere Mittelbairisch.  Dieses Phänomen wird auf das auslaufende Mittelgebirge des Oberpfälzer bzw. Bayerischen Waldes zurückgeführt.

7. Eine neue Sicht der Dialektpflege. Welche Intentionen verfolgt die Arbeit am Oberviechtacher Wörterbuch? Neben dem historischen Wert eines Dialektwörterbuchs wirkt sich die gleichzeitige Beherr- schung von Dialekt und Standardsprache positiv auf die sprachliche Entwicklung einer Person aus.

33 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

8. Was bedeutet der Begriff „Code-Switching“? Der Begriff „Code-Switching“ kennzeichnet einen Sprecher, der fähig ist, sich auf verschie- denen sprachlichen Ebenen (Kontinuum von der Mundart bis hin zur Standardsprache) zu bewegen, und sich dadurch auf die jeweilige Sprachebene seines Gesprächspartners adäquat einlassen kann. Die Fähigkeit des Code-Switchings erweitert grundsätzlich die sprachliche Kompetenz.

9. Warum verwendet die Gruppe Los Dos den oberpfälzischen Dialekt? vertrauter als Hochsprache, Rundheit und Weichheit der Sprache, emotionale Qualität der Diphthonge (ähnlich dem Portugiesischen und Spanischen) sowie deren Schönheit und Bodenständigkeit, Dialekt als Ausdruck einer gemütlich-entschleunigten Lebensart

10. Welche Bedeutung hat Franz-Xaver von Schönwerth (1810-1886) für die Oberpfalz? Sammlung und Aufzeichnung von Sagen, Märchen und Erzählungen in der Volkssprache, bedeutender Volkskundler, Streiter für die Gleichberechtigung von Dialekt und Hochsprache

11. Der Regensburger Johann Ludwig Prasch (1637-1690) und der in Tirschenreuth geborene Johann Andreas Schmeller (1785-1852) können als Väter der Mundartforschung bezeichnet werden. Welche Ziele verfolgen beide Mundartforscher? Welche Werke hinterließen sie?  Ziele: Dokumentation des eigenen Dialekts, Aufwertung des Dialekts gegenüber der Hochsprache  Werke: Prasch schuf das erste Dialektwörterbuch Deutschlands und Europas und stellte Parallelen zu den klassischen Sprachen her, vorwiegend für die Oberpfalz; Schmellers Wörterbuch galt dem gesamten bairischen Raum.

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Wolfram von Eschenbach – Minnesänger aus  Zur Sachdimension des Films vgl. die Einleitung der Oberpfalz des Kapitels „Bairisch“ in Teil III dieser Hand-  J. Ch. Gottsched und die sprachliche Situation in reichung. Deutschland Mitte des 18. Jahrhunderts  Zur spannenden und wechselvollen Geschichte  Das Kloster Waldsassen der Oberpfalz als oft umkämpftes Grenz- und  Neumarkt i. d. Oberpfalz: Sprach- und Brauch- Durchgangsland zwischen Franken und Böhmen tumsgrenze zwischen Oberpfalz und Franken siehe Anna Schiener (2011): Kleine Geschichte der  Regensburg – Geschichte einer Reichsstadt Oberpfalz. Regensburg. Friedrich Pustet, sowie das  Sprachgrenze Regensburg – Umland reich bebilderte Heimatbuch von Bernhard Setz-  Oberpfälzisch in Musik und Literatur aus wein (2. Aufl. 2013): Die Oberpfalz. Weites Land. Vergangenheit und Gegenwart (Beispiele) Weite Blicke. Amberg. Buch- und Kunstverlag  Glossarium Bavaricum (1689): Das erste Dialekt- Oberpfalz. wörterbuch Europas von Johann Ludwig Prasch  Johann Andreas Schmeller – Leben und Werk  Franz-Xaver von Schönwerth – Leben und Werk  Oberpfälzisch im Bayerischen Wörterbuch

34 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 5 Von Ansbach über Bayreuth bis Coburg – Dialekt in Mittel- und Oberfranken

Folge 5 der Sendereihe informiert, wie Renommierte Dialektforscher und Mitarbei- das Reich der Franken entstand, wie es ter am Sprachatlas von Mittelfranken und zum heutigen Mittel- und Oberfranken dem Ostfränkischen Wörterbuch wie Dr. Al- kam und warum Fränkisch korrekterweise fred Klepsch (Uni Erlangen), Dr. Alexander Ostfränkisch heißt, das von den Sprach- Mang (Uni Erlangen) und Dr. Eberhard Wag- wissenschaftlern in Ober- und Unterost- ner (Uni Bayreuth) führen in die Vielfalt des fränkisch unterteilt wird. Auf einer Reise fränkischen Dialekts ein. Nürnbergerisch, von Feuchtwangen über Ansbach nach eine eigene Mischung aus Oberostfränkisch Erlangen weiter nach Bamberg, Bayreuth und Oberpfälzisch, bietet dabei eine spezielle und Münchberg bis nach Coburg wird die Sprachgeschichte. Auf einem Abstecher nach fränkische Dialektvielfalt vorgestellt, wer- Schopfloch werden wir in eine „Geheimspra- den die Grenzen zu benachbarten Dialekt- che“ eingeweiht – Lachoudisch. gebieten gezogen – mit zahlreichen Ge- schichten über das fränkische Leben.

„Wu die Hasen Hoosn haaßn und die Hosen Buchempfehlung Huusn haaßn.“ Franken ist ein bunter Fle- ckerlteppich an Dialekten, so vielfältig wie die Geschichte der Franken, die ihren Anfang im 5. Jahrhundert bei den Ripuariern und Saliern findet. Wie war das mit dem König- reich des Syagrius und warum spielt Karl der Große eine so wichtige Rolle bei der Entwick- lung Frankens? Wie hört sich das Fränkisch von heute an?

Die Zuseher begleiten eine Theatergruppe aus Baiersdorf bei ihren Proben, beobach- ten die Zubereitung eines Apfelstrudels auf Hirschaiderisch, nehmen an einer Stadtbe- sichtigung in Coburger Mundart teil, statten zwei Bauern in Münchberg einen Besuch im Kuhstall ab und vieles mehr. Der blau-weiße Wilhelm Busch – aff fränggisch BR-Bus fährt durch ganz Mittel- und Ober- Zweisprachige Ausgabe franken – von der Ostgrenze des Nürnber- Günter Stössel ger Raums und der Nordbairischen West- Verlag Edelmann, Nürnberg 2007 schranke bis zur Steigerwald- und Coburg- Obermain-Schranke. Das sind die Grenzen ISBN 978-3-87191-332-7 zwischen dem nordbairischen und dem un- EUR 16,90 terfränkischen Dialekt.

35 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Autofahrt durch fränkische Landschaft und Dörfer, Statements in verschiedenen Dialekten Mittel- und Oberfrankens / Bayernkarte, Zoom auf Mittel- und Oberfranken, Grenzen des Dialektraums – Oberostfränkisch

2 Karte: Frühes Frankenreich u. a. unterbrochen von historischen Spielszenen 1 und Stichen / Statement Dr. Alfred Klepsch (Uni Erlangen) / Gemälde: Karl der (2:45) Große / Statement Dr. Klepsch / Karte: Entstehung von Unterfranken, Oberfran- ken, Mittelfranken / Gemälde: Ludwig I. / Statement Dr. Klepsch / Karte: angren- zende Dialektgebiete – Geschichte Frankens, Ostfränkisch und Westfränkisch

3 Abendliche Fahrt nach Coburg / Anneliese Hübner rezitiert eigene Gedichte 2 im oberostfränkischen Dialekt unterbrochen von Stadtansichten / Autofahrt (6:52) nach Laubersreuth bei Münchberg: Bauernhof, Gespräch über neuen Kuh- stall / Fahrt nach Hirschaid Richtung Bamberg: Garten, Küche, Erläute- rungen zum Backen eines Apfelstrudels / Statement Dr. Eberhard Wagner (Uni Bayreuth) unterbrochen von Sprechproben – Merkmale und Varianten des Oberostfränkischen im Raum Coburg, Bamberg, Bayreuth

4 Wald von unten, Fahrt zur Nordbairischen Westschranke / Landkarte / Wiese, 3 Statement Dr. Alexander Mang (Uni Erlangen) – Nordbairische Westschranke (1:59)

5 Nürnberg: Kirche, Burg, hist. Stadtplan, Spielszene: Briefe der Kaufmanns- 4 familie Baumgartner (16. Jh.), Ägidienviertel: Gegenwart, hist. Ansichten / (6:31) Fahrt nach Kalchreuth: Garten, Küche, Erläuterungen eines Kochrezepts im Dialekt des Nürnberger Übergangsraumes / Nürnberg: Fachwerkhaus, Stu- denten in einer Kneipe beim Schafkopfspiel, Statement Student – Nürnberger Stadtmundart, Mundart im Nürnberger Übergangsraum

6 Straße, Insert, Landkarte, Fahrt nach Feuchtwangen: Stadtansichten, Heimat- 5 museum innen, Mundartdichterin Mimi Kern erzählt von der Feuchtwanger (3:50) Kanne, hist. Schlafzimmer – Südostfränkisch (Feuchtwangen)

7 Landschaft, Insert, Landkarte, Fahrt nach Ansbach: Erläuterung der Gründe, 6 warum Ansbach Sitz der Regierung von Mittelfranken ist und nicht Nürnberg, (1:40) unterlegt mit Stadtansichten – Oberostfränkisch (Ansbach)

8 Kirche, Landschaft, Insert, Landkarte, Fahrt nach Baiersdorf nördlich von 7 Erlangen: Probe eines Laientheaters, Proben im oberostfränkischen Dia- (1:28) lekt / Statement Dr. Klepsch – Oberostfränkisch (Baiersdorf)

9 Statement Dr. Klepsch zum Oberostfränkischen unterbrochen von Mundart- 8 proben aus Sequenz 6 - 8 – Vergleich der Mundarten der Region (1:48)

10 Landschaft, Insert, Landkarte, Häuser, Fahrt nach Schopfloch zwischen 9 Feuchtwangen und Dinkelsbühl: zwei Männer auf jüdischem Friedhof, (0:52) Gespräch über Viehhandel – Lachoudisch, Einfluss des Jiddischen

11 Laubwald von unten, Autofahrt über Land, Ansichten fränkischer Dörfer und Landschafen / Abspann – Der Franke, Franken, Fränkisch

36 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Multiple-Choice-Test zum Film

 Unterstreiche / markiere die richtige(n) Antwort(en):

1. Wie nennen Mundartforscher den Dialekt, der in Ober- und Mittelfranken gesprochen wird? Mittelfränkisch – Oberfränkisch – Fränkisch – Oberostfränkisch – Obermittelfränkisch – Mitteloberfränkisch

2. Welche Sprachlinien bilden die Grenze dieses Sprachraums? Nürnberger Übergangsraum – Mittelfränkische Schranke – Steigerwaldschranke – westbayerische Mittelschranke – oberfränkische Ostschranke – nordbairische Westschranke

3. Welcher Dialekt war wahrscheinlich der Ursprung des heutigen Fränkisch? hessisch-fränkischer Mischdialekt – westfränkischer Dialekt – französisch-hessischer Mischdialekt – thüringisch-fränkischer Mischdialekt – rheinhessischer Dialekt

4. In welchen Bundesländern wird „Westfränkisch“ gesprochen? Rheinland-Pfalz – Thüringen – Niedersachsen – Saarland – Hessen – Brandenburg – Baden-Württemberg

5. Was zeichnet die Gedichte von Luise Hübner aus Coburg aus? der echte Coburger Dialekt – die besonders korrekte Hochsprache – der auffällige Misch- dialekt – der Wechsel zwischen Hochsprache und Dialekt – das „Augenzwinkern“, mit dem sie über ihre Heimat schreibt – die Verehrung für ihre Heimat – die kulinarischen Details – die historische Genauigkeit

6. Was sagt der Bauer aus Laubersreuth über seinen neuen Stall? die Kühe machen hier viel mehr Dreck als zuvor – die Kühe bekommen hier mehr Junge – er findet ihn toll – seine Kinder wollten ihn – er hatte zunächst Bedenken – er muss die Kühe mit einer Bürste reinigen – seine Kinder hatten Bedenken – man kann sich nicht darüber beschweren – die Kühe reiben ihre Hälse an einer Bürste – er war von Anfang an davon überzeugt

7. Welche Zutaten gehören in den Apfelstrudel á la Hirschaid? Äpfel – Rosinen – Backpulver – Sultaninen – Mehl – Wasser – Öl – Eier – Salz – Zimt – Mandeln – Milch – Zucker – Safran – Butter – Nüsse – Rahm – Puderzucker – Margarine

8. Wie sagt man in Bamberg für „heimkommt“? haamkimmt – hemmkümmt – hemmkimmt – hoamkümmt – haamkümmt – hoamkimmt – hejmkümmt

9. Was ist für die Bamberger Mundart kennzeichnend? Sie hat Gemeinsamkeiten mit dem Coburger Dialekt. Es ist eine Mischung aus drei benachbarten Dialekten. Sie ist nah an der Hochsprache. Sie weist keinerlei Gemeinsamkeiten mit anderen fränkischen Mundarten auf.

37 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

10. Welche Laute sind die nordbairischen Kennlaute, die östlich der nordbairischen Westschranke gesprochen werden? ou – au – ä – ej – oa – ü

11. Wodurch entstanden an der nordbairischen Westschranke die Unterschiede zwischen den Dialekten benachbarter Dörfer? Einfluss der Stadt Nürnberg auf das umliegende Land Kirchenorganisation des Mittelalters Reisen der Händler Landschaftliche Prägungen

12. Wie nennt man im Kalchreuther Dialekt Kartoffeln? Petterla – Bodaggn – Ärpfl – Aardepfl – Ärbirn – Grumbern – Puräh

13. Bei welchen Gelegenheiten sprechen junge Leute oft noch Dialekt? in der Wirtschaft – in der Schule – auf dem Sportplatz – in der Universität – in jeder Situation – beim Einkaufen in der Stadt – bei Dorffesten – beim Telefonieren mit Fremden – beim Kartenspielen – beim Besuch eines Amtes – beim internationalen Jugendaustausch

14. Was war das „Kanzleile“? Büro – ein Raum, in dem es Würmer gab – Wohnraum – Wiege – Küche – Schlafzimmer

15. Warum ist Ansbach Regierungssitz von Mittelfranken? Die Ansbacher gewannen einen Krieg gegen die Nürnberger. Der Kaiser schickte die Hohenzollern als Markgrafen nach Ansbach. Die Nürnberger trieben die Hohenzollern samt des Gerichts nach Ansbach, weil sie so viel Ärger machten. Die Hohenzollern waren schon immer Burggrafen in Ansbach.

16. In welchem Ort ist der Dialekt der Hochsprache am nächsten? Feuchtwangen – Ansbach – Baiersdorf

17. Was bedeutet das Verb „diwern“ aus dem Ansbacher Dialekt? wildern – dumm schauen – flüstern – kreischen – laufen – stehen

18. Aus welcher Sprache stammen Fremdwörter wie „diwern“ im Ansbacher Dialekt? Latein – Französisch – Englisch – Jiddisch – Griechisch

19. In welcher Stadt befindet sich die Regierung von Oberfranken? Ansbach – Nürnberg – Bayreuth – Baiersdorf – Schweinfurt – Bamberg

Hinweis: Dieser Multiple-Choice-Test könnte auch in Form eines klasseninternen Wettbewerbs (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) ausgetragen werden. Nach Ausfüllen der Fragebögen wer- den diese anhand einer Musterlösung von den Schülern gegenseitig kontrolliert und bepunktet. Jede richtige Antwort ergibt einen Punkt. Insgesamt können max. 40 Punkte erreicht werden.

38 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

! Multiple-Choice-Test zum Film – Lösungen

1. Oberostfränkisch 2. Steigerwaldschranke, nordbairische Westschranke 3. thüringisch-fränkischer Mischdialekt 4. Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg 5. der echte Coburger Dialekt, der Wechsel zwischen Hochsprache und Dialekt, das „Augenzwinkern“, mit dem sie über ihre Heimat schreibt 6. seine Kinder wollten ihn, er hatte zunächst Bedenken, man kann sich nicht darüber beschweren, die Kühe reiben ihre Hälse an einer Bürste 7. Äpfel, Sultaninen, Mehl, Wasser, Öl, Salz, Zimt, Zucker, Butter, Rahm 8. haamkümmt 9. Die Bamberger Mundart ist nah an der Hochsprache. 10. ou, ej 11. Kirchenorganisation des Mittelalters 12. Ärbirn 13. in der Wirtschaft, auf dem Sportplatz, bei Dorffesten, beim Kartenspielen 14. Schlafzimmer 15. Die Nürnberger trieben die Hohenzollern samt des Gerichts nach Ansbach, weil sie so viel Ärger machten. 16. Baiersdorf 17. flüstern 18. Jiddisch 19. Bayreuth

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Projekt: Sammlung und Beschreibung von Sprach-  Zur Sachdimension des Films vgl. die unterschieden an der Steigerwald- und nord- Einleitung des Kapitels „Fränkisch“ in Teil III bairische Westschranke dieser Handreichung.  Entwicklung des Frankenreichs  Zur Landesausstellung „200 Jahre Franken in  Entstehung der heutigen Verwaltungsbezirke Bayern“ vom 04. April bis 12. November 2006  Nürnbergs Aufstieg zur Frankenmetropole im Museum Industriekultur Nürnberg siehe  Geschichte des Nürnberger Ägidienviertels www.hdbg.de/franken2006/index.html.  Fränkische Mundartliteratur in Geschichte  Einen informativen Überblick über die „vielher- und Gegenwart rige“ Geschichte des Landes zwischen Spessart  Fränkisches Kabarett und Fichtelgebirge, zwischen Donau und Main bie-  Juden in Franken tet Anna Schiener (2. Aufl. 2007): Kleine Geschichte  Spuren des Jiddischen in Dialekt und Hochsprache Frankens. Regensburg. Friedrich Pustet.  Franken und Altbayern – ein schwieriges Verhältnis

39 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

FOLGE 6 Vom Spessart nach Thüringen – Dialekt in Unterfranken

Die sechste Folge der Sendereihe „Dia- können. Was früher als das Ende der Welt lekte in Bayern“ zeigt, wie man im nörd- erschien, löst sich heute immer mehr auf. lichsten Regierungsbezirk von Bayern Der Austausch auf beiden Seiten ruft alte spricht und lebt. Der Zuseher begegnet Erinnerungen wach, die den gemeinsamen einer äußerst lebendigen und vielfältigen historischen Sprach- und Kulturraum auf- Sprach- und Kulturlandschaft, die durch leben lassen. ihre Außengrenzen zu Hessen, Thüringen und Baden-Württemberg geprägt ist. Zu Der unterostfränkische Dialekt, so benennen den besonderen Charakteristika gehört ihn die Sprachwissenschaftler, ist in Würz- die Germersheimer Linie, bekannt auch burg und Umgebung zu hören. Wie in alten als „Appel-Apfel-Linie“. Zeiten führt der Würzburger Nachtwächter in urwürzburger Mundart durch die Gassen der Stadt. Er lässt Geschichte lebendig werden in Die Appel-Apfel-Linie im westlichen Unter- einer Sprache, die heute mehr auf dem Land franken markiert eine bedeutende Sprach- gesprochen wird als in der Stadt. Gerade die raumgrenze, die die oberdeutschen Mund- stadtnahen Gemeinden pflegen ihren Dialekt arten von den mitteldeutschen trennt, erklärt im täglichen Leben und besonders bei tradi- Frau Dr. Krämer-Neubert, Dialektologin am tionellen Festen. Sie bestimmen ihn sogar, unterfränkischen Dialektinstitut in Würzburg. betont der Dialektologe Dr. Gunther Schunk Doch als Hessen fühlen sich die Menschen von der Universität Würzburg, der die Her- in Miltenberg noch lange nicht. Die im Film ausbildung sog. Regiolekte beobachtet. Auch vorgestellte Bäckerfamilie Hench zum Bei- wenn sich Sprache durch räumliche und sozi- spiel, die hier schon über Jahrhunderte hin- ale Mobilität wandelt und umbaut, bleibt sie weg Brot backt, pflegt nicht nur das Hand- doch stets Ausdruck mainfränkischer Iden- werk, auch der Dialekt gehört wie selbstver- tität. Ein Unterfranke will schließlich zeigen, ständlich zu ihrem täglichen Leben. „Auch woher er kommt. wenn wir das ‚r‘ nicht so rollen können wie die Würzburger und unsere Sprache hessisch gefärbt ist, Unterfranken sind wir dennoch“, Buchempfehlung erklärt Thomas Hench bei seiner Arbeit in der Backstube. Dour de Frångn Anders zeigt es sich an der Grenze zu Thürin- Uderzo, Albert / gen. Die ehemalige deutsch-deutsche Tren- Goscinny, René nung konnte den gemeinsamen Dialekt nicht Ehapa Comic spalten. Menschen aus dem thüringischen Collection, Mendhausen erzählen bei einem Spaziergang 2004 durch ihr Dorf von ihren unterfränkischen Wurzeln. Der Jäger Mock aus Rothausen, auf ISBN der unterfränkischen Seite, geht heute noch 3-7704-2295-3 mit 82 Jahren jeden Tag auf die Jagd und ist EUR 10,00 froh, dass sich die Tiere wieder frei bewegen

40 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Dorf am Main, Herbst, Ansicht Würzburg, Landschaft / drei Mundart- proben / Sprachkarte mit Angabe der drei Großmundarten des Unterost- fränkischen sowie der angrenzenden Dialektgebiete (Hessen, Thüringen) – Unterostfränkisch, Vielfalt des Sprachraums Unterfranken

2 Autofahrt durch den Spessart nach Miltenberg: Stadtansicht vom Main aus, 1 Gassen mit Fachwerkhäusern / Bäckerei Hench: von außen, Backstube, Bäcker (5:31) bei der Arbeit in der Backstube, zwei Sprechproben / hist. Karte: Miltenberg und Spessart / Wald / hist. Karte: Würtzburg und Umgebung / Waldlandschaft / hist. Karte: Maintz / Mainzer Rad (Detail) / Miltenberger Wappen mit Mainzer Rad im Museum von Miltenberg / Backstube: Statement Bäcker über Bayern und Miltenberg, Formen von Brezen, Statements über Nähe zu Baden-Würt- temberg und Hessen, Arbeit am Backofen, Brotkorb / Laden: Verkaufsszenen / Esszimmer: Tischgebet und Essen in der Familie Hench – Miltenberg: Verhältnis zu Bayern, Hessen, Baden-Württemberg; unterfränkische Identi- tät, Vielzahl der Ortsdialekte, Tradition und Dialekt, Erziehung zum Dialekt

3 Schwenk über Spessart / Arbeitszimmer im unterfränkischen Dialektinstitut: 2 Statement Dr. Krämer-Neubert mit Sprachkarte – Appel-Apfel-Linie (1:38)

4 Sprachkarte: Grabfeld, Henneberger Raum, Thüringen / Grenzpfahl, Grenz- 3 schranke, Wald, verfallende Grenzanlagen / Statement Kreisheimatpfleger (1:29) zur Situation vor und nach 1989 und zur sprachlichen Situation im ehema- ligen Grenzgebiet – dialektale Gemeinsamkeiten Unterfranken-Thüringen, Erfahrungen vor und nach 1989

5 Landschaft mit Wolken / Karte mit Rothausen (Ufr.) und Mendhausen (Thür.) / 4 Landschaft / Zoom auf Mendhausen, zwei Männer sprechen über dialektale (2:46) Ausdrücke, Dorfmuseum, Gespräch über Brauchtum und Mundart (thürin- gisch oder unterfränkisch) – Dialekt und Brauchtumspflege östlich der bayerisch-thüringischen Grenze, Identität durch Sprache

6 Landschaft / im Haus von Jäger Mock in Rothausen (Ufr.) / Fahrt in den Wald 5 mit Ehefrau auf Traktor / Statement Ehefrau / Ortsansicht mit Kirchturm, (2:38) Fachwerkhäuser / Landschaft – Dialekt westlich der bayerisch-thüringischen Grenze, Dialektverfall?

7 Dorfansicht in der Vorderrhön / Heimatpflegerin Cilly Pigor beim Vorlesen 6 in der Mundart, dazu Untertitel in Hochdeutsch / Kutschfahrt / Backbleche mit (5:11) Rhöner Spezialitäten, Essen am Tisch, Gespräch über den Dialekt, Schüssel mit Kartoffelsuppe – Dialekt in der Vorderrhön

8 Würzburg: Stadtrundgang mit Nachtwächter, Festung Marienberg / Randers- 7 acker: Winzerei und Weinkeller, Statement Winzer König, Öchsleprüfung (4:16) am Maischetrog – in und um Würzburg, Sprachwandel und seine Ursachen

9 Weinberg mit Sonne, Dorfansichten / Statement Dr. Schunk / Gochsheim bei 8 Schweinfurt: Erntedank, Umzug, Volksfest, Straßentanz / Statements Winzer (3:26) König und Cilly Pigor / Abspann – Regiolekt in Unterfranken

41 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

? Fragen /Aufgaben zum Film – Kreuzworträtsel

1. Eine der wichtigsten Sprachgrenzen Deutschlands verläuft durch Unterfranken, sie wird auch „Appel-Apfel-Linie“ genannt. Wie heißt sie noch?

2. Wie nennt die Mundart-Dichterin Cilly Pigor aus Unsleben in der Vorderrhön eine Karotte?

3. Wie nennt man in Miltenberg ein Brötchen?

4. Wie sagt man in Rothausen für Brot?

5. Der Nachtwächter von Würzburg erzählt die Geschichte des Namens einer Weinstube. Wie heißt diese?

6. Welcher Teil im Wappen von Miltenberg weist noch auf dessen Geschichte hin, bevor die Stadt 1816 zu Bayern kam?

7. Im Raum Würzburg hat sich durch den Einfluss von umliegenden Dörfern ein relativ einheitlicher Dialekt herausgebildet. Wie nennt man eine solche Sprachvariante, die in einem größeren Gebiet gesprochen wird?

8. Wie sagt man in der Vorderrhön zur Kartoffelsuppe?

 Trage alle Antworten (ohne Leerstellen) in die Kästchen ein. Umlaute werden aufgelöst (z. B. ü = ue, ä = ae, ö = oe). Wenn du alle Fragen richtig beantwortest hast, erscheint das Lösungswort in den grau hinterlegten Kästchen. Lösungswort

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

 TIPP! Das Lösungswort ist der Name eines Übergangsgebiets in Unterfranken, in dem die Sprache durch das Thüringische beeinflusst ist.

42 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

! Kreuzworträtsel – Lösungen Lösungswort

1. G E R M E R S H E I M E R L I N I E

2. R U N K E L

3. W A S S E R W E C K

4. B R U O T

5. M A U L A F F E N B A E C K

6. M A I N Z E R R A D

7. R E G I O L E K T

8. A A R D A E P F E L S U P P

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Miltenberg – Geschichte einer Handelsstadt  Weitere Informationen und Unterrichtsmodelle am Untermain zum Dialekt in Unterfranken finden sich im Kapitel  Der Spessart – Geschichte, Bedeutung und „Fränkisch“ in Teil III dieser Handreichung. Probleme  Zum Angebot für Schülerinnen und Schüler sowie  Der Main als Handels-, Kultur- und Sprachraum Lehrkräfte des Unterfränkischen Dialektinstituts  Der Rhein-Main-Donau-Kanal: Geschichte, (UDI) an der Universität Würzburg siehe den Bei- Bedeutung und Kritik trag von Monika Fritz-Scheuplein und Almut König  Grenzerfahrungen während des Kalten Krieges in Teil IV dieser Handreichung.  Sprachproben entlang der Appel-Apfel-Linie  Zum Dialekt in Unterfranken siehe: Kleiner  Bräuche: Bedeutung und Funktion Unterfränkischer Sprachatlas (2007), Wörterbuch  Fasching in Veitshöchheim von Unterfranken (3. überarb. u. erw. Aufl. 2008),  Natur und Kultur in der Rhön Sprachatlas von Unterfranken zum Dialekt und Dia-  Das Bistum Würzburg in Vergangenheit und lektverhalten junger Erwachsener (2014). Bibliogra- Gegenwart phische Angaben hierzu bei Eibl/Ruch in Teil II die-  Studieren an der Universität Würzburg ser Handreichung.  Sprachunterschiede zwischen Stadt und Land  „Main und Meer“ lautete der Titel der Landesaus-  Regiolekte – Entstehung und Funktion stellung 2013 des Hauses der Bayerischen Ge-  Ursachen des Sprachwandels schichte, zu der ein opulenter Katalog erschienen  Mainfränkische Identität ist: www.hdbg.de/main.

43 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

FOLGE 7 Zwischen Donau-Ries und Allgäu – Dialekt in Schwaben

Die Sendung nimmt mit auf eine Reise gruppe in Pfaffenhofen an der Roth und durch Bayerisch-Schwaben. Nach einem Dr. Barbara Sallinger in Krumbach, die Her- Überblick über den Dialektraum führt der ausgeberin des „Heimatmagazins“. Dabei Film zunächst nach Augsburg, wo – wie in werden ganz unterschiedliche Bemühungen allen größeren Städten – zunehmend we- dokumentiert, den schwäbischen Dialekt niger Dialekt gesprochen wird, zumal von hochzuhalten. Dies ist ein wichtiges Anlie- Jugendlichen. Mittelschwaben, das - gen, haben doch Sprachwissenschaftler der rainische Gebiet und das nördliche Ries Universität Augsburg herausgefunden, dass sind weitere Stationen auf dieser Reise, vor allem die Mittelschwaben in Bezug auf die im Allgäu endet, wo die Sprachgrenze ihren Dialekt ein geringes Selbstwertgefühl zum Niederalemannischen verläuft. haben. Sprachprestige ist eine Art Mode und abhängig von Faktoren wie der Wirtschafts- kraft oder der touristischen und kulturellen Der Lech, eine alte Herrschaftsgrenze und Attraktivität einer Region. Zur Zeit der ein- häufig als Trennlinie zwischen dem Schwä- flussreichen Fugger wurde Schwäbisch als bischen und dem Bairischen gesehen, bildet schön und nachahmenswert empfunden – zumindest nördlich von Augsburg bis zu das ist heute oftmals nicht mehr so. seiner Mündung in die Donau eine klare Sprachgrenze: Links des Lechs spricht man Die Allgäuer dagegen sprechen ihre ver- schwäbisch, rechts bairisch. So trennt der schiedenen Dialekte mit Stolz. Im südwestli- Fluss das Hääs vom Gwaund, das Giggerle chen Allgäu stoßen wir auf eine klare Sprach- vom Scherzl. grenze – das Ostschwäbische wird vom Nie- deralemannischen abgelöst. Als Schwaben Fährt man nach Norden und besucht den Rie- oder gar Alemannen fühlen sich die Allgäuer ser Krater, dann hört man dort durchgängig nicht, wenn schon dann eher als Bayern. Das eine schwäbische Mundart. Nördlich des Ries erklärt auch, warum schwäbische Ausdrü- allerdings findet man das Drei-Sprachen-Eck, cke zunehmend durch bairische ersetzt wer- wo die drei Großdialekte Schwäbisch, Frän- den. Diese Entwicklung wird von Sprachwis- kisch und Bairisch aneinander stoßen. senschaftlern durchaus kritisch gesehen. So macht das Stüble der Stub’n Platz, die Alpe Südlich von Augsburg ist der Lech weit we- wird zur Alm und das Fleischküchle zum niger eine klare Sprachgrenze. Westlich des Fleischpflanzerl. Lechs, in Mittelschwaben, spricht man ganz klar Schwäbisch, doch im lechrainischen Ge- Bedeutet dies nun einen Identitätsverlust biet zwischen Lech und Ammersee gibt es für die Allgäuer oder ist es einfach eine na- ein sprachliches Übergangsgebiet, in dem türliche Sprachentwicklung in einer mobi- von West nach Ost die schwäbischen Sprach- len Gesellschaft? Diese und andere Fragen elemente stufenweise abnehmen, die bai- beantworten Prof. Werner König, Dr. Edith rischen Anteile entsprechend zunehmen. Funk und Dr. Manfred Renn vom Bayerischen Sprachatlas für Schwaben an der Universi- Der Film besucht den Mundartdichter Poldl tät Augsburg sowie Brigitte Schwarz von der Schuhwerk in Türkheim, eine Laienspiel- Merkdatei im Stadtarchiv Kempten.

44 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Straßenszenen, Überblendung mit Titel und Autorin / Lech: Flussland- schaft / Sprachkarte: Bayern / Sprachkarte: Bayerisch-Schwaben – Dialekte in Bayern, Bayerisch-Schwaben

2 Augsburg: Fußgängerzone, Marktszenen / Sprachkarte: „Hääs“ – „Gwaund“ / 1 Bäckerei, Backofen / Laden: Frage nach Dialektausdruck für ‚Brotanschnitt’ / (2:50) Sprachkarte: „Giggele“ / Backstube: Plätzchen werden gemacht / Laden: Frage nach Dialektausdruck für ‚Plätzchen’ / Sprachkarte: „Laiblein“ / Laden: Statement Bäcker Mayer – Augsburg, Vordringen der Hochsprache, Sprach- grenze Lech, Vielfalt des Schwäbischen, Jugend und Dialekt

3 Bayerischer Sprachatlas, Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben: Prof. König 2 bei der Arbeit, Landkarte mit grünen und roten Punkten / Landstraße: Dialekt- (3:46) forscher bei Fahrt über das Land, Gespräch mit Einheimischen, ältere Frauen wiederholen vorgegebene Sätze, Dokumentation in Lautschrift der Antwor- ten / Autofahrt auf Landstraße / Universität Augsburg: Wissenschaftlerin vor Schrank mit Wortkarten, Karteikarte: „Mann“, Buchrücken des Sprachatlas Bayerisch-Schwaben, zwei Sprachforscher beim Durchblättern des Sprachat- las am Schreibtisch, Statement: Dr. Funk erläutert Eintragungen anhand aus- gewählter Wortlisten und Sprachkarten / Kuhstall: Kinder beim Füttern von Ferkeln – Dialektforschung: Ziele und Methoden, Bayerischer Sprachatlas, Sprachwandel

4 Trick: dynamische Landkarte (von Augsburg nach Norden, im Mittelpunkt 3 der Lech) / Flusslandschaft / Statement Prof. König vor Lech / Hühnerstall: (2:29) Bäuerin füttert Hühner / Flusslandschaft / Sprechproben zur Bezeichnung der Begattung von Hühnern links und rechts des Lechs mit entsprechender Sprachkarte / Sprachforscher vor Dialektkarten für den Kleinen Bayerischen Sprachatlas – Sprachgrenze Lech, Dialektforschung

5 Fluss (Lech) / Nördlingen: Totale von oben, Stadtmauer, Schwenk zum 4 Rieser Krater, Felder, Sonnenblumen / Landkarte: Drei-Sprachen-Eck nördlich (2:58) des Donauries / Demonstration der Sprachunterschiede durch Sprecher aus Westheim, Heroldingen und Wemding / Landschaft / Bauernhof, Grenzstein in der guten Stube bei Wemding / Stadtturm von Oettingen, Stadtansichten, Bürgerhäuser, Statement Fischermeister Wagner – Nördlich des Ries, Drei- Sprachen-Eck, Ursachen für Sprachunterschiede

6 Trick: dynamische Landkarte (von Augsburg nach Süden), im Mittelpunkt der 5 Lech – Mittelschwaben, Lechrain / Landschaftsschwenk / Statement Dr. Funk vor (8:11) Landschaft / Küche: Bäuerin in Niederraunau bei Krumbach beim Zubereiten von Maultaschen (grüne Krapfen) mit Enkelin / Statement Dr. Funk vor Land- schaft / Bauernstube mit Kamin, Zoom auf Buch ’s Wintersinna von Poldl Schuh- werk, Lesung / Kerzenfabrik in Krumbach, Herstellung und Bemalen von Kerzen, Heimatmagazin, Statement Dr. Barbara Sallinger (Herausgeberin) / Landschafts- und Dorfansichten / Statement Nikolaus Maucher (Theatermacher), Szenenaus- schnitt Mundarttheater der Laienspielgruppe Pfaffenhofen an der Roth – Mittelschwaben, Einstellung zum Dialekt, Prestige und Pflege des Dialekts

45 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

7 „Merkdatei“ im Stadtarchiv Kempten: Dialektforscherin Brigitte Schwarz 6 (Wörterbuch Bayerisch-Schwaben) bei der Arbeit, Statement – (1:16) Reichtum der schwäbischen Mundart, Arbeitsweisen der Dialektforschung, „Merkdatei“ Kempten

8 Waldlandschaft im Allgäu / Statement Dialektforscher Dr. Manfred Renn zur 7 Sprachgrenze Schwäbisch-Niederalemannisch, eingeblendet Sprachkarte – (0:37) Sprachgrenze Oberschwäbisch-Niederalemannisch

9 Landschaft / Atelier des Malers Werner Specht, Vortrag eines Liedes im 8 heimischen Dialekt mit Gitarre, Statement zum Dialekt / Nebel über Wald / (5:46) Käseherstellung in einer Sennerei in Hopfen, Käselaibe bei der Reifung, Statement: Senner / Fahne „Frisch wie das Allgäu“ / Wirtshäuser (außen) / Gaststube / Speisekarten / Verkehrsschilder / Statement Dr. Renn über Ur- sachen des Vordringens des Bairischen / Landschaftsschwenk / Bergwan- derer in den Alpen / Abspann – Allgäu: Vielfalt des Dialekts, Identität des Allgäuers, Vordringen des Bairischen

? Fragen /Aufgaben zum Film – Antworten

1. An welche Dialekträume grenzt das Schwäbische?  Norden: Ostfränkisch  Nordost: Nordbairisch  Westen: Mittelbairisch  Südwest: Niederalemannisch

2. Nenne Ursachen für die Tendenz zur deutschen Standardsprache, wie sie in Großstädten und somit auch in Augsburg zu beobachten ist.  Wandel der (Stadt-) Gesellschaft  Einfluss der Medien

3. Nenne Varianten für „Brotanschnitt“ und „Plätzchen“, wie sie in Augsburg zu hören sind.  „Brotanschnitt“: Kipferl, Kipfle, Giggerl, Giggele  „Plätzchen“: Plätzle, Loible, Laible, Leckerle

4. Welche Aufgaben erfüllt der Bayerische Sprachatlas, Teil Bayerisch-Schwaben, der Universität Augsburg?  Erhebung des ältesten noch erfassbaren Sprachzustands  präzise Informationen zur geographischen Laut- und Begriffsverteilung (Wo sagt man wie?)  Sprachmuseum: Erhebung von Begriffen für Tätigkeiten, die es heute nicht mehr gibt, v. a. aus dem landwirtschaftlichen Bereich

46 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

5. Welcher Methoden bedient sich die moderne Dialektforschung?  Flächendeckende Interviews mit verlässlichen Mundartsprechern, zumeist auf dem Land  Lautschriftliche Aufzeichnung (zunächst oft auch mit Tonband) der Dialektproben  Zusammenstellung der Ergebnisse zu einem Stichwort  Erstellen von Sprachkarten über Vorkommen und Verbreitung der jeweiligen Dialektausdrücke (einschl. Kommentar zu Zweifelsfällen o. Ä.)

6. Wie entstand die Mundartgrenze entlang des Lechs?  politische Grenze: Sprachentwicklungen im Mittelalter, die sich an der Westgrenze des Herzogtums Bayern aufgestaut haben  Naturgrenze Lech  Bewusstseinsgrenze aus der Sicht der Bevölkerung

7. Wie heißt es links und rechts des Lechs, wenn der Hahn seine Hennen begattet?  links: „Der dappet seine Henna“  rechts: „Der Gockel kragelt d’Henna“

8. Welche „Sprachen“ stoßen nördlich des schwäbischen Rieses aufeinander? Schwäbisch, Bairisch, Fränkisch

9. Welche Gründe sind für die Sprachsituation im sog. Drei-Sprachen-Eck verantwortlich?  ausgedehnte Waldgebiete als natürliche Grenze zwischen den Dörfern  unterschiedliche Kultur- und Herrschaftsräume sowie Religionen  Handel und Heirat nur mit Partnern der gleichen Konfession

10. Welche Einstellungen zum Dialekt dokumentiert der Film?  Bayern: Stolz, Selbstbewusstsein („mia san mia“)  Schwaben: Distanz, Gefühl der Minderwertigkeit („hässliche Sprache“)  innerhalb des Schwäbischen: Allgäuer und Rieser positiver und souveräner als Mittel- und Nordschwaben

11. Welche Folgen der Geringschätzung von Dialekt werden im Film genannt?  Abwertung der Menschen, die Dialekt sprechen  Verlust an Identität und Selbstachtung

12. Was sind die historischen Gründe für ein defizitäres Selbstwertgefühl der Schwaben?  politische Zersplitterung durch die Jahrhunderte  Verhinderung der Ausprägung eines schwäbischen Wir-Gefühls angesichts ehemals ca. 150 (!) selbstständiger Territorien

13. Welche Vorzüge des Dialekts gegenüber der Standardsprache werden genannt?  Überlegenheit wegen größerer Ausdrucksmöglichkeiten  Facettenreichtum des Dialekts

14. Nenne schwäbische Varianten für „junge Frau“ und gib deren Herkunft an.  Mädchen  maget (mhd.)  Fehl  filia (lat.)  Sputtel  putella (ital.)

47 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

15. Gibt es eine Allgäuer Mundart? Welche Sprachgrenze ist im Südwesten des Allgäus zu beobachten? Durch welche Lautunterschiede ist sie markiert?  Allgäuer Mundart? Nein: Allgäuerisch besteht aus mehreren Mundarten.  Sprachgrenze: Oberschwäbisch – Niederalemannisch  Lautunterschiede: Hous  Huus / Hüüs; Zeit  Zitt

16. Nenne Beispiele für das Vordringen bairischer Ausdrücke im Allgäu. Wie ist dieser Vorgang zu erklären? Beispiele: Häusle  Häusl, Süpple  Supperl, Stüble  Stub’n, Plätzle  Platzl, Haxe  Hax’n, Alpe  Alm

Ursachen des Sprachwandels:  Prestige des Bairischen höher als das des Schwäbischen  Politik: Schwaben nur einer von sieben bayerischen Regierungsbezirken  Medien: überwiegend in München angesiedelt, verbreiten Bairisch als zweite Normsprache (neben dem Hochdeutschen), Schwäbisch kaum präsent  Gesellschaft: natürlicher Sprachwandel in einer mobilen Gesellschaft

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit:  Augsburg – Metropole im Wandel  Der Bayerische Sprachatlas, Teil Bayerisch-  Das Drei-Sprachen-Eck nördlich des Ries – Schwaben: Intention, Entstehung, Arbeit an Porträt einer Sprachlandschaft ausgewählten Einträgen  Das Vordringen des Bairischen – Belege und  Schwäbisch in den Medien Ursachen  Schwäbische Liedermacher und Kabarettisten  „Frisch wie das Allgäu“ – Werbestrategien einer  Sprachgrenze Lech – eine linguistische Tourismusregion Spurensuche  Sprachgrenze Ostschwäbisch/Niederalemannisch  Höhepunkte der schwäbischen Literaturgeschichte  Schwäbisches Mundarttheater – gestern und heute Hinweise:  Schwäbische Identität – Analyse ausgewählter  Weitere Informationen und Unterrichtsmodelle Medien zum Schwäbischen finden sich im Kapitel  Das Nördlinger Ries „Schwäbisch“ in Teil III dieser Handreichung.  Dialektpflege an ausgewählten Beispielen  Den Übergang zum alemannischen Sprachraum  „Heimatmagazin“ von B. Schallenberger – beleuchtet Sequenz 2 von Folge 8 der Filmreihe Porträt einer Zeitschrift „Dialekte in Bayern“.

Buchempfehlung

Kleine Geschichte Schwabens Rolf Kießling Friedrich Pustet, Regensburg 2. Aufl. 2009

ISBN 978-3-79172-231-3 EUR 14,95

48 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 8 Mundart grenzenlos – Bayerns Dialekte im Ausland

Folge 8 besucht Franken, Bayern und Auf dem Weg in den Süden verweilen viele Schwaben jenseits der bayerischen Bayern gerne in Südtirol; die Landschaft ist Grenzen, deren Mundart manchmal attraktiv, die Sprache vertraut. Ganz unkom- durchaus bekannt vorkommt. Kein Wun- pliziert kann man sich verständigen, wenn der, denn politische Grenzen sind selten man sich auf die Mundart einigt. Und doch identisch mit Sprachgrenzen. Der Film ist auch dort etwas anders als in Bayern. zeigt Sprache als Spiegel der Kulturen Durch die Politik einmal zu Italienern ge- und machtpolitischer Strukturen und macht, können die ehemaligen „Bajuwa- begibt sich auf eine Spurensuche nach ren“ jetzt drei Sprachen sprechen: Italienisch, Gemeinsamkeiten und Unterschieden Deutsch und eine südtirolerische Mundart, grenzüberschreitender Kulturräume. die als südbairischer Dialekt gilt. Inzwischen leben die Menschen hier ganz selbstver- ständlich mit ihrer Mehrsprachigkeit. Die Alemannen, in Bayern eher bekannt als Schwaben, sind hier zu Lande eine absolute Wörter, die in Bayern längst untergegan- Minderheit. Dafür gibt es außerhalb Bayerns gen sind, findet der Dialektforscher noch in umso mehr (ca. sieben Millionen); die an den Sprachinseln. Im Trentino besuchen wir Bodensee grenzenden Länder zählen fast Lusern und das Fersental, um das klingende ausschließlich zum alemannischen Sprach- Urbairisch zu hören, das Cimbrische. Fast raum. Sind sich die Dialekte ähnlich? Fühlen wie auf einer Sprachinsel leben eine Hand- sich Franzosen aus dem Elsass und „Schwy- voll Deutsche mit tschechischer Nationali- zerdütsch“ sprechende Schweizer und Ös- tät im Egerland in der Nähe von Karlsbad. terreicher aus Vorarlberg durch die gemein- Ihre Mundart, das Fränkische, zu bewahren same Sprache miteinander verwandt? war nicht leicht, dennoch ist es ihnen gelun- gen. Die erschwerten Bedingungen haben die Wer weiß schon, dass fast alle Dialekte in Sprache verändert, aber die wachsende posi- Österreich – sprachwissenschaftlich gesehen tive Konnotation der deutschen Sprache be- – zum Bairischen gehören? Und weil fast das stärkt die Menschen, ihren Dialekt weiterzu- ganze Land diese Mundart spricht, haben die geben und ihn lebendig zu halten. Österreicher den Bayern etwas voraus: Man- che Wörter, die in Bayern als Dialektwörter Als Experten begleiten die Reise: Dr. Inge- gelten, wie zum Beispiel Kren, zählen in Ös- borg Geyer (Österreichische Akademie der terreich zur Hochsprache, denn in Österreich Wissenschaften), Prof. Hermann Scheurin- gibt es den Konkurrenten namens Meerret- ger (Universität Wien), Prof. Anthony Rowley tich nicht. In der Sendung hören wir den Bau- (Bayerische Akademie der Wissenschaften). ern im Innviertel zu, lernen aber auch die Städter im Wiener Kaffeehaus kennen – weit weg vom bayerischen Stammland und den- noch bairisch sprechend!

49 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Dialog zweier Fischer auf Brücke / Schlagbäume, Grenzschilder, histo- rische Wegweiser an Landesgrenzen (Österreich, Italien, Tschechien) / Insert: Verbreitung der bairischen Mundarten – Sprache / Mundart als Verbindungs- medium über politische Grenzen hinweg

2 Ein Österreicher und ein Schweizer bei der Fahrt im Ruderboot auf dem 1 Bodensee, Unterhaltung in alemannischer Mundart / Landschaftsbilder (3:06) Bodensee – alemannische Dialektlandschaft

3 Zwei Männer auf dem Weg zur Waldarbeit, Fällen eines Baumes / historische 2 Spielszene: Transport von Waren auf Flussschiff / Stift Reichersberg: (3:31) Gebäude außen und innen, Bayerischer Saal, Gemälde Kurfürst Max Joseph, Bayerischer Saal / Feldweg: Unterhaltung in bairischer Mundart zwischen zwei Bauern aus Niederbayern und Oberösterreich – Bairisch: historische Ausbreitung, West- und Ostbairisch, Innviertel

4 Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Gebäude außen mit 3 Schriftzug, innen: Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika, (4:38) Karteikästen, Dialektologin bei der Arbeit / Statement Dr. Geyer (West- und Ostbairisch) / Passau: Stadtansichten / Wien: Passauerplatz, Stephansdom, Weingut „Passauer Hof“, Statement Prof. Scheuringer (Stellenwert der bai- rischen Mundart in Österreich), Wiener Kaffeehaus innen: Umfrage zum bairischen Dialekt, Wiener Stadtbezirke: Hietzing, Ottakring und Sievering (Schriftzüge) / Landschaftsbilder Chiemgau, Ortsschilder Hitzing, Otterkring und Siferling / Statement Prof. Scheuringer (Nord-, Mittel-, Südbairisch) – Bairisch in Österreich: West- und Ostbairisch; Wienerisch; Nord-, Mittel- und Südbairisch

5 Apfelplantage in Südtirol, Unterhaltung in bairischer Mundart / Landschafts- 4 bilder Südtirol / Kloster Neustift in Südtirol: Gebäude außen, Unterhaltung (4:40) zweier Priester in der südtirolerischen Ausprägung der bairischen Mundart im Innenhof, Kirche innen / Berge am Abend / Hörfunkstudio „Radio Südti- rol 1“, launiger Sprachkurs „Südtirolerisch leicht gemacht“ / Bozen: Stadtan- sichten, zweisprachige Straßenschilder, Südtiroler im Wirtshaus – Bairisch in Südtirol

6 Ruinen der Festung „Fort Oberwiesen“ in Oberitalien / Sprachinsel Lusern: 5 Landschaftsbilder, Gemälde: Heilige Familie, Frau beim Vorlesen eines (6:43) Märchens in cimbrischer Mundart, Kinder in Grundschule, Unterricht in cimbrischer, deutscher und italienischer Sprache, Landschaftsbild, Frau mit Kraxe, Statement Prof. Rowley (bairische Mundart in deutschen Sprachinseln in Oberitalien) – Sprachinsel Lusern, Cimbrisch 7 Fersental in Oberitalien: Gebirgsschlucht mit Brücke, Schafherde mit Hüter, Bäuerin mit Kuh in Landschaft und bei der Arbeit im Stall, Kuhstall: Unterhal- tung zweier Bäuerinnen in der Mundart, Bäuerin beim Melken, Gespräch in der Küche, Statement Prof. Rowley – Sprachinsel Fersental, Mundart und Identität, Probleme bei Bewahrung der Mundart

50 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

8 Egerland: Landschaftsbilder / Statement Josef Iser (1945 nach der Vertrei- 6 bung der Deutschen „zurückgehalten“) über die Probleme der Bewahrung (4:36) der deutschen Sprache, begleitet von Dorfszenen, historischer Fotografie (Buben vor Radio) / Frau Iser beim Singen in nordbairisch-fränkischer Mund- art / Gespräch Mutter und Sohn (leicht tschechisch eingefärbt) / Josef Iser in seinem Garten / Küche: Familie Iser im Gespräch beim Apfelstrudel, Platte mit Apfelstrudel / Abspann – Nordbairisch-Fränkisch im Egerland, Mundart und Identität, Probleme der Sprachbewahrung

? Fragen zum Film – Antworten

1. Wie weit reichen die bairischen Mundarten?  Schwäbisch: Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Frankreich  Fränkisch: bis in die Niederlande, auch Tschechien  Bairisch: Österreich, Südtirol, Sprachinseln in Oberitalien, auch Tschechien

2. Wie viele Menschen sprechen Alemannisch? In welchen Ländern leben sie?  Anzahl: ca. 7 Millionen  Länder: Deutschland, Österreich (Vorarlberg, Bezirk Reutte), Liechtenstein, Schweiz , Frankreich (Elsass), Italien (Vintschgau)

3. Was bedeutet „Schwyzerdütsch“? Sammelbegriff für alle in der Schweiz gesprochenen alemannischen Dialekte

4. Welche Faktoren führen zur Ausbreitung des bairischen Dialektraums im Mittelalter?  Ostsiedlung der Bajuwaren  Verbreitung des Christentums  Klostergründungen  Flüsse (Isar, Inn, Donau) als Verkehrs- und Handelswege

5. „Dult“, „Kirchtag“, „Kirtog“, „Kirchwei“ – westbairisch oder ostbairisch? Dult = west- oder altbairisch (auch alemannisch); alle anderen = ostbairisch

6. „Kren“ und/oder „Meerrettich“ – welchen Stellenwert hat der bairische Dialekt in Österreich im Vergleich zu Bayern?  Österreich: nur „Kren“  hoher Status des Dialekts, starke Beeinflussung der Hochsprache aufgrund staatlicher Eigenständigkeit und dialektaler Homogenität Österreichs  Bayern: „Kren“ überlagert von „Meerrettich“  Dialekt in der Defensive gegenüber Hochsprache aufgrund dialektaler Heterogenität Bayerns und Deutschlands bzw. durch Dominanz der Hochsprache

7. Welche Unterschiede kennzeichnen das Mittel- und Südbairische? Geben Sie zwei Beispiele und nennen Sie den sprachwissenschaftlichen Fachbegriff. „koid“, „wuid“ vs. „kalt“, „wild“ = L-Vokalisierung

51 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

8. Seit wann gehört Südtirol zu Italien? Zu welchem Staat gehörte es vorher? Was war der Grund für die Abtrennung? Südtirol gehört seit 1919 zu Italien. Vorher war es Teil von Österreich-Ungarn. Nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde Südtirol im Frieden von St. Germain-en-Laye Italien zugesprochen.

9. Welchen Stellenwert hat heute Deutsch in Südtirol? Gemäß dem verbesserten Autonomiestatut von 1972 Gleichwertigkeit mit dem Italienischen, seit 1989 gleichberechtigt auch als Amtssprache, de facto aber Dominanz des Italienischen; Italienisch = Pflichtfach für alle Schüler ab der Grundschule

10. Wie heißt die südlichste bairische Mundart? Wo wird sie gesprochen? Cimbrisch, Lusern in Oberitalien

11. Welche Probleme erschweren die Bewahrung der bairischen Mundart in den oberitalienischen Sprachinseln?  Vergangenheit: Verlust von Mundartsprechern durch Flucht und Tod während des Ersten und Zweiten Weltkriegs  Gegenwart: Abwanderung der Jugend in die Täler und Städte aus wirtschaftlichen Gründen, fehlender Wortschatz für die moderne Welt, Vordringen des Italienischen

12. Warum interessieren sich Sprachforscher für Sprachinseln wie Lusern und das Fersental? Sprachinseln bewahren einen historischen (hier: hochmittelalterlichen), andernorts nicht mehr existierenden Sprachstand und erlauben unersetzbare Rückschlüsse auf die jeweilige Sprachentwicklung.

13. Warum gibt es nur mehr wenige Spuren des Nordbairisch-Fränkischen im Egerland? CSSR: Vertreibung der deutschen Bevölkerung und Tschechisierung des öffentlichen Lebens nach 1945

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Der Bodensee – Drehscheibe der Kulturen  Zu den Merkmalen des Bairischen, Fränkischen  Siedlungs- und Sprachgeschichte Österreichs und Schwäbischen siehe die jeweilige Einleitung in  Das Innviertel zwischen Bayern und Österreich Teil III dieser Handreichung.  Stift Reichersberg  Mundartmusik aus Österreich – attraktive Filme  Passau und Österreich zum Thema „Bairisch in Österreich“ präsentiert die  Wienerisch – Beispiele aus dem Alpenrock vierteilige Serie Alpenrock des Bayerischen Rund- (Ambros, Danzer, EAV, Falco u. a.) funks. Über die Stilrichtung Alpenrock, die mit den  Autonomiestatut in Südtirol: Geschichte, Theorie Namen Hubert von Goisern und Attwenger ver- und Praxis bunden ist, informiert ein gleichnamiger Beitrag  Bairische Sprachinseln in Oberitalien: Geschichte bei Wikipedia. Weiterführende Literaturangaben und Gegenwart ebd.  Deutsche und Tschechen – ein schwieriges Kapitel  Zur sprachlichen Situation in Südtirol siehe auch der europäischen Geschichte Folge 9 der Sendereihe.  Nachbar Tschechien

52 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 9 Mehrsprachigkeit als Chance – Dialekt und Schule

Die vorletzte Folge der Sendereihe be- schen versucht, tut sich keinen Gefallen. Um schäftigt sich mit der Frage, wie es um das Sprachbewusstsein und die Spracher- die Mundarten des Freistaats an Bayerns werbsfähigkeiten von Kindern und Jugend- Schulen bestellt ist. Der Dialekt wurde in lichen fördern zu können, sollten sie in min- den siebziger und achtziger Jahren oft als destens einem Sprachsystem vollkommen zu minderwertiges Sprachsystem angese- Hause sein, besser noch in zwei, wie im Film hen. Seit längerem aber wendet sich das nicht nur PD Dr. Hochholzer von der Universi- Blatt. Vielerorts sind engagierte Bemü- tät Regensburg fordert. hungen zu entdecken, die Mundart von dieser Unterstellung zu befreien. Hinter- Ein Blick nach Südtirol an die südliche grund dieses Wandels ist die Einsicht Grenze des altbayerischen Sprachgebiets be- in den vielfältigen Nutzen der inneren schließt die Sendung. Südtirol ist durch seine Mehrsprachigkeit, die in der Sprachwis- Geschichte hinsichtlich der Mehrsprachigkeit senschaft und Pädagogik zusehends an und dem Umgang mit Sprache gezwungen Bedeutung gewinnt. gewesen, neue und effektive Wege zu gehen. Ein Besuch in Meran zeigt, wie fortgeschrit- ten die Denkweisen in Bezug auf Spracher- Der Film beschreibt eingangs ein in der Ver- werb im südlichsten deutschsprachigen Land gangenheit durchaus konfliktreiches Verhält- sind und welch entscheidende Rolle der Dia­ nis und zeigt sodann Schulen, die sich in vor- lekt dabei spielt: Wer die Zukunft seiner Kin- bildlicher Weise der Förderung der Mund- der fördern will, sollte ihnen Selbst- und art annehmen. In der Grundschule Wink­ Sprachbewusstsein mit auf den Weg geben. larn-Thanstein (Oberpfalz) steht das Projekt „Mundartliches Schreiben“ im Mittelpunkt, in der Realschule St. Ursula in Würzburg geht Buchempfehlung es um die Sprach- und Dialektreflexionen ei- ner 10. Klasse. Die generelle Frage nach dem Erwerb von Sprache und Kommunikations- fähigkeit wird am Beispiel einer multiethni­ schen Grundschule in Regensburg erörtert.

Die Ergebnisse bestätigen ein altes Gesetz in neuer Form: Wer gute Grundlagen hat oder mehrsprachig aufwächst, tut sich später leichter, neue Sprach- und Kommunikations- formen zu lernen. Ein Dialekt ist ein vollstän- dig und variantenreich ausgebildetes Sprach- system, genauso wie die so genannte Hoch- Variation im Deutschen sprache. Deswegen kann die Antwort auf die Barbour, Stephen / Stevenson Patrick alte Frage „Dialekt oder Hochsprache?“ nur de Gruyter, Berlin, New York 1998 lauten: „Dialekt und Hochsprache!“ Wer zum Beispiel die ersten Jahre seines Lebens mit ISBN 3-11-014581-2 einem Dialekt aufgewachsen ist und ihn dann EUR 24,95 in der Schule gegen die Hochsprache zu tau-

53 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Bayerische Landschaften und Stadtansichten, historische Klassenszene – Dialekt und Schule

2 Statement PD Dr. Hochholzer – Dialekt und Schule gestern und heute 1 (1:12)

3 Bayernkarte / Grundschule Winklarn-Thanstein (Oberpfalz): Schüler gehen 2 in eine Klasse, Projekt „Mundartliches Schreiben“, Statement Rektor Sieg- (5:52) fried Bräuer, Mädchen trägt ein Elfchen in Mundart vor und präsentiert es am Overhead, Statement Bräuer, Kinder bei der gemeinsamen szenischen Inter- pretation eines Sprechgesangs im Dialekt, Statement Bräuer (Forderungen) – Dialektförderung in der Grundschule

4 Bayernkarte / Würzburg, Realschule St. Ursula, 10. Klasse: Gruppenarbeit zur 3 Bedeutung und zum Gebrauch von Dialekt, Analyse von Videoaufnahmen, (7:24) Statement Lehrerin Maria Stumpf über Vorteile einer bewussten Dialektför- derung in der Schule, Fortsetzung der Videoanalyse, Statement Stumpf über den Nutzen von Mehrsprachigkeit, Gespräch mit den Schülerinnen über das Übertragen des „Faust“ ins Fränkische, Vorlesen von Teilen des „Faust“, Statement Stumpf über Bedeutung des Elternhauses für das Sprechen im Dialekt, Klasse deklamiert – Dialektförderung in der Realschule, Bedeutung des Elternhauses

5 Bayernkarte / Regensburg: Straßenbild / multiethnische Grundschule Hohes 4 Kreuz: Kinder verschiedener Nationalitäten bei der Arbeit in kleinen Gruppen, (3:04) Statement Lehrerin Ursula von Reusner über Voraussetzungen für eine opti- male Sprachförderung, Schüler bei der Partnerarbeit – Voraussetzungen für einen optimalen Spracherwerb in der Grundschule

6 Meran: Stadtansichten, Grundschule, Kinder auf dem Schulhof / gemischt- 5 sprachige Familie im Supermarkt / Wohnzimmer: Statement Lehrer Franz (7:36) Lanthaler über kindlichen Spracherwerb / Familie im Supermarkt / Wohnung: Statement Lanthaler über Wandel der Einstellung zum Dialekt / Landschaft / Supermarkt / Wohnung: Statement Lanthaler über Fehler beim Umgang mit dem Dialekt / Gebirgslandschaft im Herbst / Abspann – Südtirol, Nutzen der Mehrsprachigkeit

54 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

? Fragen zum Film – Antworten

1. Welchen Wandel in der Einstellung zum Dialekt beschreibt PD Dr. Hochholzer in seinem Statement am Anfang des Films?

Früher:  Dialekt: defizitäres, minderwertiges Sprachsystem  Schule: Ablehnung und Unterdrückung des Dialekts, Hinführung zur Standardsprache alleiniges Ziel Heute:  Dialekt: eigenständiges, voll ausgebautes Sprachsystem  Schule: Akzeptanz und Förderung von Dialekt parallel zur Hinführung zur Standardsprache

2. Mit welchen Methoden versucht die Grundschule Winklarn-Thanstein den Dialekt zu fördern? Welche Wirkungen sind zu beobachten?

Methoden:  Identifikation mundartlicher Ausdrücke  Vergleich mit Wörtern der Standardsprache (mittels Wort- und Bildkarten)  Gemeinsamer Sprechgesang im Dialekt  Schreiben und Vortrag von Dialektdialogen und Dialektgedichten (Elfchen)  (vorläufiges) Ignorieren von Rechtschreibregeln der Standardsprache Wirkungen:  Abbau von Sprech- und Schreibhemmungen  Erhöhung der Motivation und Kreativität  Steigerung des Dialekt- und Selbstbewusstseins  Förderung der Persönlichkeitsentwicklung

3. Welche Forderungen erhebt der Grundschullehrer Siegfried Bräuer zur Förderung des Dialekts in der Schule?  Bildung von Arbeitsgemeinschaften  Verbesserung der Lehrerfortbildung  Dialektförderung als Unterrichtsprinzip

4. Welche Methoden werden an der RS Würzburg zur Förderung des Dialekts gewählt? Welche Ziele werden verfolgt?

Methoden:  Produktion und Analyse von Videos zum Gebrauch von Standardsprache und Dialekt im Alltag (nach Sprechsituationen)  Umfrage zu Dialektausdrücken  Übersetzung des Anfangsmonologs von Goethes „Faust“ ins Fränkische  Beschreibung der Stimmung Fausts im Dialekt Ziele:  Abbau von Hemmungen im Dialekt zu sprechen und zu schreiben  Verbesserung eines situationsadäquaten Sprachgebrauchs  Erweiterung der Ausdrucks- und Verstehensmöglichkeiten  Förderung der Mehrsprachigkeit – Erhöhung des Sprachbewusstseins

55 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

5. Welche Rolle spielt das Elternhaus für den Dialektgebrauch?  Kinder aus Familien, in denen Dialekt gesprochen wird: relativ leichter Erwerb von Zweisprachigkeit und flexiblem Sprachgebrauch  Kinder aus ausschließlich Standardsprache sprechenden Familien: meist keine aktive Anwendung von Dialekt, lediglich passive Rezeption

6. Welche Voraussetzungen benötigt nach Meinung der Grundschullehrerin Lisa von Reusner eine optimale Sprachförderung?  Kein Leistungszwang  Abbau von Versagensängsten  Lernen in der Gruppe und im Spiel  Kleine Lerngruppen

7. Warum ist Südtirol vorbildlich in der Förderung der Mehrsprachigkeit? Familie: viele gemischtsprachige Familien (dt./it.) Gesellschaft: zwei offizielle Landessprachen (dt./it.) Schule:  Abholung der Kinder, wo sie sich sprachlich befinden  Akzeptanz des Dialekts in den Schulen, keine Abwertung der Primärsprache  Dialekt als Grundlage für weiteren Spracherwerb  Anpassung der Lehrmethoden an den natürlichen Spracherwerb der Kinder  Langsame Hinführung zur Standardsprache  Hohe Fehlertoleranz  Hochwertung der kommunikativen Fähigkeiten  Dialekt + Hochdeutsch + Italienisch = Modell für Mehrsprachigkeit

8. Was bedeutet innere und äußere Mehrsprachigkeit? Wie hängen beide zusammen?  Innere Mehrsprachigkeit = differenzierte Fähigkeiten in der Muttersprache (einschl. Dialekt)  Äußere Mehrsprachigkeit = Fähigkeiten in einer oder mehreren Fremdsprachen  Zusammenhang: Wer gut in der Muttersprache ist, lernt auch gut eine Fremdsprache.

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit: Hinweise:  Dialekt und muttersprachlicher Unterricht im  Die im Film gezeigten Unterrichtsmethoden des 19. Jahrhundert Projekts „Kreativ schreiben“ der Grundschule  Basil Bernstein und die Folgen – die Sprach- Winklarn-Thanstein werden in den Unterrichtsein- barrieren-Diskussion der 1960er und 1970er Jahre heiten 1-6 im Kapitel „Bairisch“ von Teil III dieser  Bayern: Der Fall Florian (1999) Handreichung ausführlich dargestellt.  Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung  Zur Vertiefung der Themen „Dialekt und Schule“  Dialektdidaktik heute bzw. „Innere und äußere Mehrsprachigkeit“  Sprachvariation im heutigen Deutsch im Oberstufenunterricht siehe die beiden Auf-  Das Konzept der inneren und äußeren sätze von Rupert Hochholzer in Teil II dieser Mehrsprachigkeit Handreichung.  Südtirol – Eldorado der Mehrsprachigkeit

56 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

FOLGE 10 Mediale Sprachwelten – Dialekt in Fernsehen, Radio und Zeitung

Die letzte Folge der Sendereihe beschäf- Werden die Einwohner Bayerns also zu Op- tigt sich mit den Gründen für die zahl- fern einer zumindest zum Teil selbstinsze- reichen Bayernklischees und erörtert die nierten Kommerz- und Museumskultur? Fest Stellung des Dialekts in den Medien. Dür- steht, dass alle, Bayern, Franken und Schwa- fen wir in den Medien so reden, wie uns ben, in den Medien mit ihrer Mundart ein Pro- der Schnabel gewachsen ist? Dazu sagen blem haben, sofern sie nicht Kabarett oder Ottfried Fischer, Fitzgerald Kusz, Christian Comedy machen – der Grund dafür liegt aber Stückl und Gerd Rubenbauer ihre Mei- nicht nur in der modernen Medienwelt. Fitz- nung. Seitenblicke zum Thema eröffnen gerald Kusz und Ottfried Fischer deuten an, darüber hinaus Frank-Markus Barwasser dass Bayern zumindest sprachlich einen kol- alias Erwin Pelzig, Herbert Achternbusch, lektiven Minderwertigkeitskomplex hat. Zwar Franz Beckenbauer, Erkan und Stefan so- klagen Franken und Schwaben ab und zu über wie die Regensburger MundArtAgeh. eine angebliche Überfremdung durch das Alt- bairische, doch der eigentliche und gemein- same Feind scheint ein diffuses, angebliches Bayern ist ein schönes Land. Konservativ und Hochdeutsch, das durch den Äther dringt. fortschrittlich, traditionsbewusst und eigen- willig. Seine Mundarten werden in den Me- Österreicher und Deutschschweizer gehen im dien genauso bewundert wie belächelt. Man Vergleich zu den Süddeutschen in Fernsehen begibt sich deshalb auf ein heikles Terrain, und Hörfunk stolz und selbstbewusst mit ih- wenn man von Bayern und seinen Dialekten ren Mundarten um. Das heißt nicht, dass der in den Medien spricht: Wer sich damit be- Dialekt ein Allheilmittel wäre, so wie es man- schäftigt, merkt schnell, dass er es mit einem che Ewiggestrige propagieren, aber – und berühmt-berüchtigten Phänomen zu tun hat – auch das versucht der Film zu verdeutlichen – dem Klischee, konkret mit jenem Bild Bayerns etwas mehr Selbstvertrauen und weniger als Mischung aus drolligem Anachronismus Verkrampfung im Umgang mit der eigenen und der Sehnsucht nach einer heilen Welt. Mundart wären nicht nur wünschenswert, sondern auch sinnvoll: Als alte Meister des Das Thema stellt sich allerdings nicht so ein- höheren Schmarrns und des absurden Hu- fach dar, wie der Titel der Sendung vermu- mors wissen die Bayern um die Zusammen- ten lässt: Um die Frage nach der Stellung der hänge von Denkweise, sprachlichem und kre- Mundarten des Freistaats in den Medien zu ativem Ausdruck. Nicht nur in den Medien. beantworten, gilt es, die letzten zwei Jahr- hunderte bayerischer Geschichte zu befragen und Ursachenforschung zu betreiben: Das reicht vom norddeutschen Vorurteil über den grobschlächtigen Bayern bis zur eigenen Will- fährigkeit, Klischees zu bedienen und die da- zugehörigen Bilder und Sätze zu liefern. Auch wirtschaftliche Aspekte dürfen nicht unter- schätzt werden, wenn es darum geht, das Bild eines Landes in den Medien zu formen.

57 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

1 Intro / Schwenk über Chiemsee am Abend, später überblendet mit Blasen gefüllt mit bayerischen Klischeebildern / Bayerischer Löwe / Schwenk über Nürnberg / Ständer mit Ansichtskarten aus Bayern / Neuschwanstein in einer Schneekugel / Seepanorama mit Schwänen – Bayernklischee und Realität

2 Filmklappe, Filmteam bei Dreharbeiten in Bad Tölz zu „Der Bulle von Tölz“, 1 Statement Ottfried Fischer – Hochdeutsch als Sprachnorm der Medien, (4:15) Ausdrucksmöglichkeiten des Dialekts 3 Plakate Volkstheater München, Statement Intendant Christian Stückl / Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Mundart und Klischee 4 Szenenausschnitt „Komödienstadel“ / Statement O. Fischer – Bayernklischee: Inhalte und Funktionen 5 Bierzelt: Karl Moik begrüßt den Münchener OB Christian Ude zur Sendung „Musikantenstadl“ anlässlich des Münchner Oktoberfests 1999 / Ausschnitte aus dem „Musikantenstadl“: vor der , in der Olympiahalle – Bayernklischee im Fernsehen 6 Statements O. Fischer und Fitzgerald Kusz / Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Vielseitigkeit des Dialekts

7 Künstlergarderobe, Auftritt Frank- Markus Barwasser als Erwin Pelzig – 2 Dialekt als authentische und kritische Kunstform (1:04)

8 Landschaft mit Zaun, Maibaum, Gasthaus von Josef Bierbichler in Ambach am Starnberger See, Dorfkirche in Andechs / Statement Herbert Achternbusch – Dialekt und Selbstbestimmung

9 Historische Stadtansichten von München / S-W-Film über Einzug der 3 Wiesnwirte mit Münchner Kindl beim Münchner Oktoberfest / Statement: (2:15) Ch. Stückl / Filmriss – Entstehung des Klischees von Bayern

10 BR-Sendung „Quer“: Gespräch zwischen Moderator Christoph Süß, Hans 4 Triebel (Förderverein Bairische Sprache und Dialekte) und dem Kabarettisten- (2:18) duo Erkan und Stefan / Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Bairisch alt und neu

11 Bayer. Rundfunk: Studiogelände, Sendeturm, Satellitenschüsseln, Sprecher 5 vor Mikrofon, Oszillograph, volkstümliches Minikarusell / Statement F. Kusz / (2:49) BR-Studio: laufendes Magnettonband, Mischpult, Autorin Ingrid Kellner, Mischpulte, Statement I. Kellner / Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Dialekt im Radio

58 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Filmsequenzen Kapitel Nr. Bildebene – Thema Nr.

12 Spielfilm „Der Schuh des Manitu“, Ausschnitt mit Michael „Bully“ Herbig und Christian Tramitz, Dreharbeiten / Filmriss – Dialekt, Komik, Minderwertig- keitsgefühle des Dialektsprechers

13 München: Rathausturm, Statue von „Blasius“ alias Sigi Sommer / Statement 6 Journalistin Eva-Maria Fischer / verschiedene Regionalzeitungen auf Stapel / (1:35) Statement E.-M. Fischer / Süddeutsche Zeitung und verschiedene Regional- zeitungen auf Stapel /Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Dialekt in der Presse

14 Löwe bei Münchener Residenz / Bayerndevotionalien und Kitschgegen- 7 stände: Maßkrug mit Rautenwappen, Wolpertinger, Kuhglocken, Kitschuhren, (2:18) Laptop in Lederhose / Statements F. Kusz und O. Fischer / Luftaufnahmen Schloss Johannesburg, Bayreuther Eremitage, Residenz Würzburg, Land- schaft, Augsburg, Voralpenlandschaft, Hohenschwangau, Flusslandschaft am Abend / Zwei einander zuprostende Maßkrüge vor Landschaft – Minderwer- tigkeitskomplex des Dialektsprechers

15 Statement BR-Sportjournalist Gerd Rubenbauer (Plädoyer für Dialekt) / An- 8 kunft Franz Beckenbauer am Flughafen, Stationen aus seiner Karriere, State- (4:12) ment F. Beckenbauer vor Staatswappen mit Kaiserkrone (Spieleranalyse als Beispiel für Beckenbauer-Bairisch) / leerer Thron mit Baldachin im Thronsaal von Schloss Nymphenburg mit O-Ton Achternbusch aus Off / München: Königsplatz und Staatsoper / Büsten in der Kehlheimer Ruhmeshalle, Statue Ludwig I. / Statements Ch. Stückl und F. Kusz – Plädoyer für selbstbewussten Umgang mit Dialekt

16 Sonnenuntergang am Starnberger See, Abendrot, Kreuz für König Ludwig II. / 9 Regensburg: Steinerne Brücke, Donau, Dom / MundArtAgeh: Auftritt Raith- (3:32) Schwestern mit anschl. Statement (Mundart und Jugend), Auftritt Josef Menzl und Rudolph Stieglitz mit anschl. Statement (Mundart und Klischee) – Regensburger MundArtAgeh

17 Kinder bei Johannisfeuer im Karwendel unterlegt mit O-Ton O. Fischer / Abspann, Filmriss – Bedeutung des Dialekts für den Menschen

59 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

? Fragen zum Film – Antworten

1. Welche Bedeutung kommt heute dem Dialekt in den Medien zu?  Ansehen rückläufig  Norm zunehmend Standardsprache  Dialekt abgedrängt in Nischen  Dialekt als Teil des Bayernklischees

2. Was sind die Ursachen für die heutige Stellung des Dialekts in den Medien?  Mobilität der Gesellschaft  Veränderung der bayerischen (Stadt-)Gesellschaft  Vordringen der Hochsprache auch in ländliche Gebiete  Orientierung an städtischen und internationalen Sprach- und Geschmacksmustern (v. a. Jugend)  Dominanz der Stadt über das Land im Industriezeitalter  Kommerzielle Interessen der Medien  Wahrnehmung des Dialekts als rückständiges Ausdrucksmedium

3. Sollte man den Dialekt aus den Medien verbannen? Nein, denn Dialekt ist  voll ausgeprägtes Sprachsystem,  ermöglicht Identifikation,  fördert Identitätsbildung.

4. Welche Aspekte enthält das von vielen Medien vermittelte Bayernbild? Welche Werte werden damit verbunden?  Bayern = Tracht, Brauchtum, Bierseligkeit, ungetrübter Frohsinn, Skurrilität, Wirtshaus, Ludwig II., Natur und unberührte Landschaft, Dorf etc.  Werte = Tradition, Natur, Heimat, Gemeinschaft, Harmonie, Eigensinn, Gesundheit, „gutes Leben“, heile Welt, Vor-Moderne u. a.

5. Was ist eigentlich ein Klischee? Welche Funktionen erfüllt es nach Ottfried Fischer? Klischee = stereotyper, formelhaft wiederholter Ausdruck Funktionen: + : ermöglicht Identifikation durch Wiedererkennung – : verstellt kritischen Blick, verstärkt Ablehnung gegenüber dem Anderen

6. Welchen Stellenwert hat der Dialekt in der Presse?  Dialektkolumne aus dem Feuilleton ins Lokale verbannt  Noch immer nachgefragt im Feuilleton: Kolumnen über Dialektkünstler  Dauerbrenner: humorige Beiträge  Generell: wachsende Schreibhemmung im Dialekt seitens vieler Journalisten

7. Welche Ursachen hat der Minderwertigkeitskomplex vieler Mundartsprecher?  Fehlendes Selbstbewusstsein  Modernisierung der Lebens- und Arbeitswelt  Dominanz der Hoch- und Standardsprache in den Medien  Franken und Schwaben: zusätzlich Dominanz Altbayerns und des Altbairischen

60 Dialekte in Bayern „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks

Themen zur Vertiefung und Weiterarbeit:  Was ist eigentlich (Bayern-)Kitsch?  Bayernklischees – Präsentation und Analyse  Der Kaiser – das Phänomen Franz Beckenbauer  Der Kult um Ludwig II.  Laptop und Lederhose – Analyse einer aktuellen  Strategien der Bayernwerbung Metaphorik  „Der Bulle von Tölz“ – Analyse einer TV-Erfolgs-  Die Kehlheimer Ruhmeshalle – Entstehung und serie mit Ottfried Fischer Intention  Volkstheater München: Intention und Programm  Die Regensburger MundArtAgeh – ein Porträt  „Komödienstadl“ / „Musikantenstadl“ – Erfolgs- geheimnisse zweier TV-Dauerbrenner  Fitzgerald Kusz – Kritische Mundartdichtung Hinweise: aus Franken  Zur Rolle des Dialekts im Fernsehen und Hörfunk  Frank- Markus Barwasser alias Pelzig – Mundart- siehe www.br.de > Themen > Bayern. kabarettist aus Franken  Zum Münchner Volkstheater siehe  Herbert Achternbusch – Kunstanarchist aus www.muenchner-volkstheater.de. Oberbayern  Ein besonders für Schulen geeignetes Beispiel  Genese des Bayernbildes – Bayern im Spiegelbild fränkischen Kabaretts stellt Frank-Markus Barwas- von Zeitgenossen sers CD Erwin Pelzig – P.I.S.A. dar. Random House  Stefan und Erkan – zwei erfolgreiche Comediens Audio, Juni 2003. aus München-Nord  Dem Problem „Dialekt als soziales Stigma“ sind  Dialekt im Radio – früher und heute die Unterrichtsmodelle 13 (im Unterkapitel  „Der Schuh des Manitu“ – Analyse eines „Bairisch“) und 7 (im Unterkapitel „Schwäbisch“) Blockbusters von Teil III dieser Handreichung gewidmet. Mit der  Dialekt in der Presse – Stellenwert und Textsorten Analyse einer Werbekampagne beschäftigt sich  Ludwig Thoma als Journalist Modell 5 im Kapitel „Fränkisch“.

Dirndl und Lederhose – Klischee oder gelebtes Brauchtum? Foto: Claus Posch © Süddeutsche Zeitung Photo

61 „Dialekte in Bayern“ – eine Sendereihe des Bayerischen Rundfunks Dialekte in Bayern

Scharmitzel, Staritzel, Stranitzel, Rogel … Die Tüte heißt nicht immer „Tüte“!

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Kommission für Mundartforschung, München)

62 Dialekte in Bayern

Teil II Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Sprache und Dialekt in Bayern. Grundbegriffe und Entwicklungslinien Rupert Hochholzer

Dialekt und Schule. Vom Nutzen der Mehrsprachigkeit Rupert Hochholzer

Dialekt und Lehrplan. Ein Überblick Ulrich Kanz

Ebbes zum nei- und nauchgugga – und loosa. Bibliographische Hinweise für die Beschäftigung mit den bayerischen Dialekten Melanie Eibl / Hermann Ruch

Dialekt macht schlau! Hans Kratzer

63 2 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Sprache und Dialekt in Bayern. Grundbegriffe und Entwicklungslinien

Rupert Hochholzer

mittel unterliegt sie einer weitgehenden  Zu den nachfolgenden Ausführungen Normierung, die über öffentliche Medien siehe Folge 1 und 2 der Sendereihe und Institutionen, vor allem aber durch „Dialekte in Bayern“. das Bildungssystem kontrolliert und vermit- telt wird. Die Beherrschung der Standard- sprache gilt als Ziel aller sprachdidakti- Im Freistaat Bayern leben heute (2015) über schen Bemühungen.1 12 Millionen Einwohner auf einer Fläche von über 70.000 Quadratkilometern. Nach einer Umgangssprache: Dieser Terminus findet Allensbacher Umfrage spricht auch heute vor allem in der deutschen Germanistik für noch die überwiegende Mehrheit der Bevöl- den großen und heterogenen Bereich von kerung (ca. drei Viertel) den Dialekt ihrer Re- Sprachvarietäten zwischen Standardsprache gion. In den städtischen Ballungsräumen ist einerseits und kleinräumig gebundenen Dia- allerdings seit Jahrzehnten ein allmählicher lekten andererseits Verwendung. Umgangs­ und kontinuierlicher Wandel im Sprachge- sprache wird meist als eine Art Ausgleichs- brauch festzustellen. Es zeigt sich die Ten- varietät zwischen Standardsprache und Dia- denz, dass Ortsdialekte, wie sie etwa in Mün- lekt verstanden, die zwar deutliche regionale chen in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch Färbung, jedoch keine extremen Dialektis- von der Mehrheit der Bewohner gesprochen men aufweist. Das traditionelle Verständnis wurden, immer mehr zugunsten einer Um- von Umgangssprache ist insofern proble- gangssprache verdrängt werden, die an eine matisch, als sich keine linguistisch eindeutig Standardsprache nördlicher Prägung ange- nachweisbare eigene Varietät zwischen Dia- lehnt ist. Dagegen spricht in den ländlichen lekt und Standardsprache nachweisen lässt.2 Gebieten Bayerns immer noch die Mehrzahl einen ausgeprägten Dialekt. Dialekt (synonym gebraucht mit Mundart) ist eine sprachliche Varietät mit begrenzter In dieser Skizze der sprachlichen Situation in räumlicher Geltung, die sich vor allem in der Bayern wird eine Reihe von Fachausdrücken Aussprache und im Wortschatz von der sie für Sprache und Dialekt verwendet, die einer überdachenden Standardsprache unterschei- genaueren Erklärung und Einordnung bedür- det. Der Dialekt ist ein Sprachsystem, das zu fen. Die wichtigsten sollen hier zunächst defi- anderen Dialekten ein hohes Maß an Ähnlich- niert werden: keit aufweist, sodass eine – zumindest teil- weise – wechselseitige Verstehbarkeit mög- Standardsprache (auch Hochsprache, Nati- lich ist, wenn auch die Abgrenzbarkeit zwi- onalsprache): Die deskriptive Bezeichnung schen Dialekten oft schwierig ist. Dialekte für die historisch legitimierte, überregionale, sind älter als die Standardsprache, oft ent- mündliche und schriftliche Sprachform der wickelte sich der schriftliche Standard einer sozialen Mittel- und Oberschicht. In diesem Sprache aus mehreren gesprochenen Dia- Sinn wird Standardsprache weitgehend syn- lekten. Im Sinne offiziell normierter orthogra- onym verwendet mit der eher wertenden Be- phischer und grammatischer Regeln weisen zeichnung Hochsprache. Entsprechend ihrer Dialekte aber keine Schriftlichkeit bzw. Stan- Funktion als öffentliches Verständigungs- dardisierung auf.3

64 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Dass diese Begrifflichkeiten nicht nur Grund- Von daher stellt sich die Frage, inwieweit Spra- lage für sprachwissenschaftliche Diskussio­ che und Dialekt der Pflege bedürfen und ob nen sind, sondern auch alltagssprachlich dies auch als öffentliche Aufgabe zu begrei- häufig und zum Teil wertend gebraucht wer- fen ist, etwa im Bereich schulischer Bildung: den, zeigte der lang anhaltende Streit um den Stellenwert der Dialekte im Freistaat, die vom so genannten Fall Florian ausging. Dem Ot- Dialektpflege terfinger Schüler war vorgeworfen worden, dass er Schwierigkeiten habe sich verständ- Der Begriff „Dialektpflege“ geht von lich auszudrücken, da bei ihm zu Hause nur einem bestimmten „Dialektideal“ aus Dialekt gesprochen würde. Die Sache wurde und beinhaltet die Annahme, dass in der publik und beschäftigte schließlich sogar den Sprachrealität von diesem Ideal abgewi- Bayerischen Landtag. Nachdem 150.000 Un- chen wird. Wird diese Abweichung vom terschriften vom Förderverein Bairische Spra­ angenommenen Ideal als Bedrohung für che und Dialekte e. V. für den Erhalt der bai- den Fortbestand des Dialekts aufgefasst, rischen Mundart als Kulturgut gesammelt werden Versuche unternommen, die Ab- worden waren, gab die Kultusministerin im weichung durch sprachpflegerische Be- Januar 2001 vor dem Bildungsausschuss ei- mühungen zu beheben.4 Voraussetzung nen Bericht zur Lage der Dialekte in Bayern. für Dialektpflege ist die Aufwertung des Dialekts in Kunst, Kultur und Gesellschaft, Hintergrund der Debatte war sicher auch, vor allem aber in der Schule. Die Ausrich- dass viele, die ihrerseits noch selbstverständ- tung von Dialektpflege ist allerdings ab- lich mit dem Dialekt ihrer Region aufgewach- hängig vom Verständnis des Begriffs sen sind, das Verschwinden, wenn nicht so- „Dialekt“ (vgl. Modell des sprachlichen gar das Aussterben des Dialekts beklagen. Kontinuums, s. u.). Wird der ursprüng­ Beispiele aus dem Wortschatz: Brötchen für liche und reine Ortsdialekt als Ziel von Semmel; Pfifferlinge für Reherl. So sorgte Dialektpflege angesehen, so stellt sich auch die Dialektprägung einer Oberpfälzer die Frage, wie dieses Ziel angesichts der Landtagsabgeordneten in der Öffentlichkeit überwiegenden Mündlichkeit des Dialekts für Unruhe, als ihr bei der Neubesetzung des und fehlender Normierung durch Dia­lekt­- Vorsitzes des Bildungsausschusses unver- grammatiken erreicht werden kann und ständliche Sprache vorgeworfen wurde. soll. In schulischem Zusammenhang soll- te Dialektpflege eher im Sinne der Förde- Ende 2013 löste ein Statement des Direktors rung einer umfassenden Sprachkompe- der Realschule Penzberg im „Radio Ober- tenz und Variationsfähigkeit als Teil des land“ erneut eine breite Dialektdiskussion Konzepts der inneren Mehrsprachigkeit aus. „Der Dialekt sei am besten in der Fa- (s. u.) verstanden werden. Dialektpflege milie aufgehoben, habe aber im Unterricht kann auch als Teil von Sprachkritik das nichts verloren“, so der Tenor der Stellung- Sprachbewusstsein schärfen. nahme, die sich gegen die Forderung des Präsidenten des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) richtete, der sich Sprache ist also mehr als ein bloßes Kom- für eine verstärkte Pflege des Dialekts in der munikationsmittel, Sprache ist Ausdruck von Schule eingesetzt hatte. 14 Jahre nach dem Identität und vermittelt darüber hinaus das Fall Florian erreichte wieder eine Landtagsan- Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. frage das Kultusministerium, die umfängliche Die Vielschichtigkeit des Begriffs „Sprache“, Antwort des Ministeriums ist der Landtags- wie sie in der alltäglichen Verwendung be- drucksache 17/567 vom 28. Februar 2014 zu gegnet, zeigt sich auch in zahlreichen sprach- entnehmen. wissenschaftlichen Definitionsversuchen:

65 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Im Idealfall verfügt ein Sprecher des Deut- Sprache schen über möglichst viele Varietäten des Deutschen und ist im Sinne innerer Mehr- Auf kognitiven Prozessen basierendes, sprachigkeit in der Lage, je nach Situation gesellschaftlich bedingtes, historischer und Gesprächspartner, die angemessene Entwicklung unterworfenes Mittel zum Sprachform zu wählen. Ausdruck bzw. Austausch von Gedanken, Vorstellungen, Erkenntnissen und Infor- Unverzichtbares Grundwissen für jede mationen sowie zur Fixierung und Tradie- Sprachreflexion sind nicht nur die Bezeich- rung von Erfahrung und Wissen. In die- nungen von Sprachvarietäten, sondern auch sem Sinn bezeichnet Sprache eine art- die genaue Vorstellung darüber, was mit dem spezifische, dem Menschen eigene Aus- Begriff „Sprache“ gemeint sein kann. Das drucksform, die sich durch Kreativität, ist insofern besonders wichtig, da jeder auf- die Fähigkeit zu begrifflicher Abstraktion grund seiner Sprachverwendung über ein und die Möglichkeit zu metasprachlicher gewisses Maß an Laienwissen auf diesem Reflexion von anderen Kommunikations- Gebiet verfügt. Durch unsere Alltagserfah- systemen unterscheidet. Die Vieldeutig- rungen wissen wir etwa, dass Sprache ein keit des Begriffs „Sprache“ – als Sprache, sehr vielschichtiges Phänomen ist. So ist die Sprechen, Sprachfähigkeit oder Einzel­ Tatsache, dass es eine Vielzahl von Dialekten sprache verstanden – wird in der Sprach- im deutschsprachigen Raum gibt, wohl den wissenschaft abhängig von Theoriever- meisten bekannt. Ebenso spürt jeder, der sich ständnis und Erkenntnisinteresse durch für sprachliche Fragen interessiert, dass es Abgrenzung von Teilaspekten differenziert zwischen der Standardsprache und den Dia- betrachtet.5 lekten eine Zwischenform gibt, die auch im alltäglichen Sprachgebrauch als Umgangs- sprache bezeichnet wird. In der sprachwis- senschaftlichen Forschung wurden in der Damit wird angedeutet, was jedem Sprach- Vergangenheit vor allem die zwei Pole Dia­ benutzer klar ist. Sprache begegnet in der lekt und Standardsprache einer genauen Realität nicht als einheitliches und unver- Analyse unterzogen; der mittlere Bereich änderbares System, sondern als in sich dif- Umgangssprache, der sprachwissenschaft- ferenzierbares Gebilde, wie in der folgenden lich kaum abzugrenzen ist, wurde lange Zeit Abbildung angedeutet werden soll: wenig beachtet.

Standardsprache: „Guten Tag“, „Grüß Gott“ Fachsprache: „Guten Morgen, Kommilitonen“ Umgangssprache: „Servus“

Sprachsystem Deutsch Dialekt: „Griaß God“

66 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Vorstellungen, die man sich von Sprache Dazu trägt wohl auch der nicht eindeutig bildet, haben Auswirkungen auf den Umgang verwendete Begriff Hochdeutsch bei. Wäh- mit Sprache, wie durch folgendes Beispiel rend aus sprachwissenschaftlicher Sicht verdeutlicht werden soll: damit die von der zweiten Lautverschiebung betroffenen hochdeutschen Dialekte Bairisch, Alemannisch, Ostfränkisch sowie Thürin- Standardsprache gisch, Sächsisch und Mosel-, Rheinfränkisch im Gegensatz zu den niederdeutschen Umgangssprache Dialekten gemeint sind, wird Hochdeutsch in sprachsoziologischem Sinn als wertender Dialekt Gegensatz zum Dialekt verstanden.

In der Dialektologie hat man die Schichtung Nimmt man ein abgestuftes Modell von der Sprache durch die so genannten Dialekt- Sprache an, so sind mit den Stufen häufig stufen veranschaulicht: auch Bewertungsaspekte verknüpft. Denn die unterste Stufe von Sprache wäre dann –  Reines dialektfreies Standarddeutsch auch historisch betrachtet – der Dialekt. Aus  Standarddeutsch mit Dialektanklang den Dialekten hat sich zwar die normierte  Dialektal gefärbte Umgangssprache Standardsprache, das Schriftdeutsche, ent-  Abgeschwächter Dialekt (überörtlich) wickelt und schon deshalb ist den Dialekten  Reiner Dialekt6 eine gewisse Wertschätzung entgegenzu- bringen, dennoch schwingt bei einem Stu- Eine ähnliche, allerdings auf vier Stufen fenmodell immer mit, dass Dialekte demnach reduzierte Einteilung nimmt Wiesinger vor: anderen Stufen unterlegene Sprachformen seien, da sie kein vollständig ausgebildetes  Standardsprache: öffentlicher Gebrauch, Sprachsystem aufwiesen. Gestützt werden größte kommunikative Reichweite solche Annahmen etwa durch die Beobach-  Umgangssprache: deutlich regionale tung, dass in einigen Dialekten nicht alle Bindung, meidet aber Dialektmerkmale auf Zeitstufen existieren, z. B. im Bairischen das phonetisch-phonologischer Ebene, alltägliche fehlende Imperfekt. Sprache der mobilen mittleren und höheren Sozial- und Bildungsschichten Solche angeblich defizitären Sprachsysteme  Verkehrsdialekt: regional verbreitet, städtisch werden natürlich auch schlechter bewertet. beeinflusst; Verwendung im alltäglichen, In diesem Zusammenhang wird man an die auch im halböffentlichen Gespräch Sprachbarrierendiskussion der 70er Jahre  Basisdialekt: ländlich, stark lokal gebunden, des letzten Jahrhunderts erinnert, die durch von geringer kommunikativer Reichweite7 eine zum Teil unsachgemäße Übernahme der Thesen Basil Bernsteins auf deutsche Um den Bewertungsaspekt in den Hinter- Sprachverhältnisse entstand. Entsprechend grund zu rücken, wird in der vorliegenden der so genannten Defizithypothese ist der Handreichung ein neueres Modell von Spra- Dialekt eine defizitäre Sprache, während die che favorisiert, das der sprachlichen Realität hoch bewertete Standardsprache ein voll in Süddeutschland wesentlich näher kommt, ausgebildetes Sprachsystem darstellt. Die das Modell des sprachlichen Kontinuums.8 auch heute noch häufig anzutreffenden Be- Es bezieht sich auf den einzelnen Sprecher wertungen von Dialekten als minderwertiger und kann die schon erläuterte innere Mehr- Sprache und vor allem die damit verbundene sprachigkeit ins Bild setzen. Abqualifizierung von Dialektsprechern hängen wohl mit solchen Vorstellungen zusammen.

67 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Sprachliches Kontinuum

Dialekt dialektnahe Umgangssprache standardnahe Umgangssprache Standardsprache

Situation 1: privater Anlass Situation 2: offizieller Anlass

Mit dem Ausdruck Kontinuum wird ange- der ein Sprecher eine dialektnahe Sprache deutet, dass zwischen den Ausprägungen wählt, die auch der seiner Gesprächspartner von Sprache keine trennscharfen, sondern entspricht, ist bei einem offiziellen Anlass, fließende Übergänge existieren. In Abhän- etwa einem Vortrag oder einer Rede, eine gigkeit von der Situation gleiten die Spre- standardnahe Ausdrucksweise angebracht. chenden ohne spürbare Abstufungen in of­ fiziellere oder ungezwungenere Ausdrucks- Dialektologie in Bayern weisen hinüber. Dies gilt vor allem für den mündlichen Sprachgebrauch. Sinnvoll er- Wie in Folge 1 der Sendereihe „Dialekte in scheint es, die Kategorie Umgangssprache Bayern“am Beispiel eines Code switchenden weiter zu untergliedern in standardnahe Tierarztes gezeigt wird, unterscheiden sich und dialektnahe Umgangssprache, da die Dialekt und Standardsprache vor allem im meisten deutschen Sprecher auch im Alltag Bereich der Aussprache und des Wortschat- eine solche Abgrenzung registrieren. zes. Die Sammlung und wissenschaftliche Auswertung des Dialektwortschatzes hat in Ein solches Modell hat auch Vorteile bezüg- Bayern eine lange Tradition. So sammelte der lich der Bewertung von Sprachsystemen. 1785 in Tirschenreuth in der Oberpfalz gebo- Seit langem fordert man nämlich – nicht nur rene und in der Hallertau aufgewachsene Jo- für die Schule – eine Aufhebung der Dicho- hann Andreas Schmeller die Sprachbrocken tomie richtiges / falsches bzw. gutes / schlech­ des Bayerischen und wurde so zum bedeu- tes Deutsch zu Gunsten einer situationsange­ tendsten bayerischen Sprachwissenschaftler messenen / situationsunangemessenen im 19. Jahrhundert. Sprachverwendung. Das Modell eines sprach- lichen Kontinuums berücksichtigt aber eben jene Situationen. Durch die Darstellung der verschiedenen Sprachvarietäten auf einer Ebene wird ein anderes Verständnis der Be- wertung von Sprache ausgedrückt. Dialekt ist hier nicht minderwertiger als die anderen Ausprägungen, sondern einfach in anderen Situationen angebracht. Dies ist ein wichtiger Hinweis für die Schule!

Durch die beiden Pfeile des Schaubildes (s. o.) wird angedeutet, dass ein und der- selbe Sprecher sich je nach Situation und Gesprächspartner auf der Ebene zwischen Dialekt und Standard bewegen kann, voraus- gesetzt, er beherrscht die unterschiedlichen Varietäten einer Sprache. Während bei Situa- tion 1 eine private Atmosphäre herrscht, bei Johann Andreas Schmeller 1785–1852 (Aus: Brunner 1971)

68 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Schmellers grundlegendes Werk Die Mund­ Basierend auf den Forschungsergebnissen arten Bayerns grammatisch dargestellt er- des Bayerischen Wörterbuchs und des schien im Jahre 1821. In den Jahren von Bayerischen Sprachatlas lässt sich zusam- 1827 bis 1838 folgten die vier Bände seines menfassend und interpretierend eine aktuelle Bayerischen Wörterbuches, das bis heute ein Karte der Sprachräume in Bayern erstellen. Standardwerk der Dialektologie geblieben ist. 1827 begann der mittlerweile ehrenhalber Beim Blick in die Karte11 mag zunächst ver- promovierte Schmeller mit seinen Vorle- wundern, dass das Wort bairisch hier mit i sungen an der Universität München. Eine geschrieben wird. Die heute geläufige Schrei- Berufung zum Professor für altdeutsche resp. bung mit y wurde erst im Jahre 1825 einge- altgermanische Sprachen und ihre Literatur führt, durch Ludwig I., der als großer Freund erfolgte 1828. Schmellers Lehrtätigkeit dau- Griechenlands nicht nur in ganz Bayern Ge- erte jedoch nur noch ein halbes Jahr, dann bäude im Stil griechischer Tempel erbauen übernahm er eine Stelle an der Bayerischen ließ, sondern auch den griechischen Buchsta- Staatsbibliothek und wurde zugleich in die ben y für den Namen seines Landes verord- Bayerische Akademie der Wissenschaften nete. Die ältere Schreibung mit i wird aber gewählt. Erst 1846, nachdem er in seiner heute noch verwendet, wenn in Volkskunde Stellung als Bibliothekar zahlreiche alte und Sprachwissenschaft vom Volksstamm Texte ediert hatte (den Heliand, die Carmina der Baiern oder deren Sprache die Rede ist. burana und den Tatian), wurde Schmeller zum zweiten Mal an die Universität be- rufen und widmete sich der histo- rischen Grammatik der deut- schen Sprache, der Dia- lektologie und der Hand- schriftenkunde. 1852 er- lag er der Cholera.9

In der Tradition Schmel- lers steht auch die Kom- mission für Mundartenforschung bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die seit 1912 Mund- artwörter sammelt und mittlerweile über 12 Millionen Belege der bayerischen Kul- tur- und Sozialgeschichte gesammelt hat. In dem auf 11 Bände angelegten Baye- rischen Wörterbuch wird der Wort- schatz der bairischen Dialekte in Bay­ ern in ihrer ganzen Vielfalt doku- mentiert, die Wortbedeutungen wer- den in ihrer historischen Entwicklung und ihrer heutigen geographischen und sozialen Verteilung mit Bele- gen, mit Redensarten, Verglei- chen, Sprichwörtern, Rätseln aus literarischen Quellen und aus der lebendigen Rede des Karte: Manfred Renn / Werner König: Volkes veranschaulicht.10 Kleiner Bayerischer Sprachatlas. München 2006, S. 16

69 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Sprache im Wandel der Zeit

Die Dialekte, wie sie heute in Bayern gespro- Damit aber Sprache im heutigen Sinn über- chen werden, gehen auf eine sehr lange hi- haupt entstehen konnte, mussten in der storische Tradition zurück, die bis in die Zeit langen Entwicklungsgeschichte der Homini- der Völkerwanderung reicht, aber erst mit der den zunächst die anatomischen Vorausset- beginnenden Schriftlichkeit im 8. Jahrhun- zungen zum Sprechen entwickelt werden. dert n. Chr. belegt werden kann. Besiedelt war Durch einen Vergleich des Stimmapparates der Raum des heutigen Bayerns allerdings von Primaten und des Menschen zeigt sich schon Jahrtausende zuvor, wie zahlreiche ar- etwa, dass der Mensch das einzige Säugetier chäologische Funde dokumentieren. Wie die ist, das nicht gleichzeitig trinken und atmen Sprache der Bevölkerung in Bayern in vor- kann, da der Kehlkopfdeckel einen dichten geschichtlicher Zeit geklungen hat, ist aber Verschluss bildet und die Position des Kehl- wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. So kopfes dies verhindert. Dieser vermeintliche bleiben die Annahmen über den Beginn der Nachteil ist aber durch die verbesserte Arti- Sprachfähigkeit des Menschen, das Existieren kulationsfähigkeit des menschlichen Stimm- einer oder mehrerer Ursprachen und die Pha- apparats mehr als aufgewogen, weil durch sen der Entwicklung hin bis zu den modernen sie erst das Hervorbringen differenzierter und hoch entwickelten heutigen Sprachsyste- Sprachlaute und die Ausbildung einer kom- men bislang mehr oder weniger hypothetisch. plexen Sprache ermöglicht wird.12

Der Stimmapparat des Primaten und des Menschen (Abb. in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier ND 1 / 2004: Die Evolution der Sprachen, S. 13)

70 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Obwohl in der frühen Menschheitsgeschichte den Zusammenhang und die Abstammung bezüglich der Entstehung von Sprache und der einzelnen Sprachen darzustellen, etwa Einzelsprachen noch vieles im Dunklen liegt, wie es der Sprachwissenschaftler August hat man schon im 19. Jahrhundert versucht, Schleicher (1821-1868) unternommen hat:

Stammbaum der indogermanischen Sprache (Abb. in: Spektrum der Wissenschaft, Dossier ND 1 / 2004: Die Evolution der Sprachen, S. 57)

71 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Gesichertes Wissen hinsichtlich der auf etliche Siedlungs-, Gewässer-, Berg- und bayerischem Boden gesprochenen Sprachen Gebirgsnamen zurückführen lassen: erhalten wir erst zur Keltenzeit, auf die sich

Keltische Namen in Bayern

Ganz Bayern hat einmal zum keltischen Amper /Ammersee, Inn, Glonn, Mindel. Kulturkreis gehört, den die Archäologen Nicht sicher als keltisch zu erweisen Latènezeit nennen. Er soll von der Mitte sind die Namen der Flüsse Eger, Röslau, des 1. Jahrtausends bis ungefähr Christi Pegnitz, Regnitz, Saale, Wörnitz, Zenn, Geburt gedauert haben. Zumindest für Regen, Naab, Isar, Iller, Lech, Würm; das südliche Bayern können die Archäo- sie haben aber eine sichere indogerma- logen für diese Zeit auch ein städtisches nische Etymologie. Zentrum ausmachen: das Oppidum Auch im Bereich der Berg- bzw. Gebirgs- Manching beim heutigen Ingolstadt an namen sind keltische Ursprünge anzuneh- der Donau. Es lag am Schnittpunkt der men, so etwa bei der bei Ptolemaios über- westlichen und östlichen Machtgruppie- lieferten Gabreta silva, die auf den Böhmer- rungen der Kelten. wald bezogen wird und mit keltisch *gab­ Im Namen des Donauzuflusses Paar, der ros ‚Bock‘ verbunden wird. Der Böhmer- ursprünglich das Oppidum zerschnitt und wald wäre demnach ein ‚Wald mit Steinbö- noch von den Erbauern oder Bewohnern cken‘ gewesen. Neuere Forschungen haben der Siedlung umgeleitet wurde, ist mög- auch die Namen der Berge Arber, Osser, licherweise der ursprüngliche keltische Lusen im Bayerischen Wald als keltisch er- Name von Manching erhalten. Nimmt man weisen können. Zu den keltischen Bergna- nämlich die Ausgangsbedeutung ‚einge- men kann man auch den Namen des heili- friedete und befestigte Fläche‘ für das vor- gen Berges der Bayern, nämlich Andechs romanische Wort *barra an, ist es durch- zählen. Er enthält das keltische Verstär- aus möglich, dass die Benennung des kungspräfix ande- und vielleicht das vor- Oppidums auf den vorbeifließenden Fluss romanische Wort *daksia für die Eibe (*An­ übertragen wurde, ein Vorgang, der sich dedaksia > *Andaksia, a.1068 Anadehsa). donauabwärts, bei dem Oppidum auf dem Als Siedlungsnamen keltischer Herkunft in Michelsberg über Kelheim wiederholt. Bayern können gelten: Boiodurum, heute Den Namen dieser keltischen Ansiedlung Passau; Sorviodurum, heute Straubing; überliefert der antike Geograph Ptolemaios ebenso Bedaio, jetzt Seebruck am Chiem- in der Form Alkimoennís. Ohne Zweifel see. Kellmünz an der Iller (Bayr. Schwaben) lebt dieser Name in der Bezeichnung des und Kallmünz (im Kreis Regensburg) gehen Flusses weiter, der hier in die Donau auf den gleichen Ursprung *Kalamantia, mündet und schon im 8. Jahrhundert im zurück. Obwohl angeblich ohne keltische Zusammenhang mit den Plänen Karls des Funde, trägt Kempten im Allgäu den kel- Großen für einen Rhein-Donau-Kanal als tischen Namen Kambódunon in der Bedeu- Alcmona erwähnt wird; es handelt sich um tung ‚befestigte Siedlung an der Fluss- die jetzige Altmühl. krümmung‘. Auch zwei kleinere Orte wie Keltische Namen in Bayern sind ferner Kareth bei Regensburg (< *Karrinos = Stein- Donau / Danubius, Main / Moinos und weg) und Mittich (< *Medika) bei Passau weitere Gewässernamen: Tauber, Iff haben ihren keltischen Namen bewahrt. (< *Epia), Lohr, Kondrau, Ucha, Pfreimd, Luhe, Chamb, Laaber, Abens / Abusina, (Originalbeitrag Prof. Albrecht Greule, Regensburg)

72 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Wesentlich greifbarer als die keltischen Be- und Mondsee (bairisch). Im alemannischen lege sind die zahlreichen sprachlichen Spu- Sprachraum traten vor allem die Schreib- ren, die die Römer in Bayern hinterlassen schulen der Klöster St. Gallen und Reichenau haben. Bis heute ist der Einfluss des Latei- hervor. Zunächst sind die schriftlich fest- nischen auf die deutsche Sprache wirksam gehaltenen Zeugnisse aus dieser Zeit aus- und vor allem in verschiedensten Bereichen schließlich religiöse Texte. Die deutschen des Wortschatzes spürbar. Glossierungen dienten vor allem der Er- schließung des Lateinischen. Im Laufe der ersten Jahrhunderte wurde die Nordgrenze des römischen Reichs stark von den nach Süden vorstoßenden Glossen Germanen bedroht, die letztlich auch nicht durch den Limes aufgehalten werden konn- Übersetzungen oder Worterklärungen, ten. Im 3. Jahrhundert waren die germa- die zum Teil in deutscher Sprache zwi- nischen Stämme der Alemannen, Franken schen die Zeilen oder neben die latei- und Thüringer bis zur Donau gelangt, wäh- nischen Texte notiert wurden, um diese rend im nordöstlichen Teil des heutigen inhaltlich zu erschließen. Die Glossen Bayerns slawische Bevölkerungsgruppen wurden oft mit dem jeweiligen Text siedelten, wie dies slawisch-deutsche abgeschrieben oder in Glossaren ge- Mischnamen bezeugen. sammelt. Die Abfassung von Glossen reicht bis in die Antike zurück, bis ins Nach Odoakers Abzugsbefehl für die roma- 14. Jahrhundert sind mehr als eintau- nische Bevölkerung im Jahre 488 waren es send Handschriften mit deutschen Glos- die germanischen Stämme der Alemannen, sen erhalten. Die Untersuchung von Baiern und Franken, die sich hier ansiedelten. Glossen ergibt wichtige Daten für die Ihre Entstehung stellte man sich lange Zeit Sprach- und Kulturgeschichte. als Einzug eines geschlossenen Stammes- verbandes vor. Für die Baiern, deren Stam- mesbildung in der Gotengeschichte des So steht denn auch ein lateinisch-althoch- Jordanes aus dem Jahr 551 erwähnt wird deutsches Wörterbuch am Anfang der Schrift- (Im Osten der Suaben leben die Bajuwaren überlieferung, der in der 2. Hälfte des 8. Jahr- – Ab oriente baiubaros), nimmt man aber hunderts entstandene Abrogans (benannt heute an, dass viele ethnische Splittergrup- nach dem ersten Worteintrag (abrogans dhe­ pen unterschiedlichster Herkunft ihre Ethno- omodi. humilis = ‚bescheiden‘), von dem eine genese bestimmten. im frühen 9. Jahrhundert in Regensburg ge- schriebene Handschrift erhalten ist. Die Alemannen, Baiern und Franken unter- schieden sich damals sprachlich noch kaum Die frühe deutsche Sprachgeschichte ist voneinander, die Differenzierung der einzel- zunächst stark von kirchlichen Gebrauchs- nen hochdeutschen Dialekte schritt erst in texten geprägt. Karl der Große, für den das den kommenden Jahrhunderten weiter fort. Christentum das Fundament der Reichskul- tur darstellte, hatte in seiner admonitio ge­ Erste und wichtigste Träger der Sprachge- neralis von 789 angeordnet, dass die christ- schichte Bayerns waren in der althochdeut- lichen Grundgebete in ihrer volkssprachigen schen Zeit (750 –1050) zunächst die Klöster und nicht lateinischen Version unters Volk ge- in Bamberg, Fulda, Würzburg (fränkisch) bracht werden. Aus dieser Zeit sind uns meh- sowie Freising, Regensburg, Tegernsee rere Varianten des Vater unser erhalten:

73 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

a) Alemannisches „Vater unser“ St. Gallen, 8. Jahrhundert Althochdeutsch ist eine Sammelbe- zeichnung der heutigen Wissenschaft Fater unseer, thu pist in himile, uuihi für die hochdeutschen regionalen namun dinan, qhueme rihhi din, uuerde Schreibsprachen Alemannisch, Bairisch, uuillo diin, so in himile sosa in erdu. Ostfränkisch, Rheinfränkisch und prooth unseer emezzihic kip uns hiutu, Mittelfränkisch, die zwischen dem 8. und oblaz uns sculdi unseero, so uuir oblazem 11. Jahrhundert schriftlich überliefert uns sculdikem, enti ni unsih firleiti in sind. Eine gemeinsame deutsche Schrift- khorunka, uzzer losi unsih fona ubile.13 sprache wie heute gab es in dieser Zeit noch nicht. b) Ostfränkisches „Vater unser“ Aus der althochdeutschen Tatian-Über- setzung, Fulda um 825 Die Texte zeigen auch einen bestimmten Stand der so genannten 2. Lautverschiebung. Fater unser thu thar bist in himile, si Diese Erscheinung wird gemeinhin als giheilagot thin namo, queme thin rihhi, Grundlage für die Einteilung der deutschen si thin uuillo, so her in himile ist so si her Dialekte in erdu; unsar brot tagalihhaz gib uns  oberdeutsch, hiutu, inti furlaz uns unsara sculdi, so uuir  mitteldeutsch und furlazemes unsaren sculdigon; inti ni  niederdeutsch gileitest unsih in costunga, uzouh arlosi angesehen, die sich im Großen und Ganzen unsih fon ubile.14 bis heute erhalten hat. c) Bairisches „Vater unser“ Die deutsche Dialektlandschaft hat sich im Freising, 9. Jahrhundert Laufe der Sprachgeschichte durch die zuneh- mende Sesshaftwerdung immer weiter dif- Pater noster qui es in celis. Fater unser, ferenziert. Neben äußeren Einflüssen auf die du pist in himilum, kawuuihit si namo din, Sprachraumbildung (Berge, Flüsse, politische piqhueme rihhi din, uuesa din uuillo, Grenzen) wird die Veränderung von Sprache sama so in himile est, sama in erdu. pilipi in der Wissenschaft als grundlegende Uni- unsraz emizzigaz kip uns eogauuanna, versalie angesehen. Sprache entwickelt sich enti flaz uns unsro sculdi, sama so uuir zwangsläufig in der Zeit. flazzames unsrem scolom, enti ni princ unsih in chorunka, uzzan kaneri unsih fona allem sunton.15

Diese frühen Zeugnisse aus der althoch- deutschen Zeit unterscheiden sich in Ein- zelheiten, etwa im Wortschatz. In der frän- kischen Version wird das nördliche Wort costunga (lat. temptatio ‚Versuchung‘), in den beiden anderen Texten dagegen chorunga und khorunka verwendet. (Vgl. ähnlich uuihi und kawuuîhit gegenüber giheilagôt für sanctificetur.)

74 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Karte der deutschen Mundarten (vereinfacht) nach König, Werner (1978): dtv-Atlas zur deutschen Sprache. München, S.138

75 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Ein wichtiger Impuls für die Vereinheitlichung Sprachwandel der neuhochdeutschen Schriftsprache war Luthers Bibelübersetzung, das wichtigste Lebende Sprachen sind ständig im Buch des 16. Jahrhunderts. Obwohl Luther Wandel. Auch ohne äußere Einflüsse – selbst aus dem niederdeutschen Sprach- ein Beispiel aus der Geschichte dafür raum stammte, schrieb er seine Übersetzung ist die Eroberung Galliens durch die in hochdeutscher Form und entsprach damit Römer, die einen vollständigen Sprach- durchaus der gängigen Tendenz, das Nieder- wechsel bewirkte – verändert sich die deutsche zugunsten der südlichen Sprach- Sprache durch ihren Gebrauch. Die formen aufzugeben. Auch die wirtschaftlich Veränderung ist meist unbeabsichtigte starken Reichsstädte im Süden Deutschlands Nebenwirkung menschlicher Kommuni- trugen ihren Teil zur Entstehung des Neu- kation. Sprachwandel ist der Grund, hochdeutschen bei. warum die Franzosen nicht mehr latei- nisch sprechen und die Deutschen nicht Während die Schreibsprache allmählich ver- mehr althochdeutsche oder mittelhoch- einheitlicht wurde und man sich bei der Aus- deutsche Sprachformen verwenden. sprache an der Schrift orientierte, verwen- Sprachwandel ist also eine universale dete der überwiegende Teil der Bevölkerung Eigenschaft der Sprachen. Die Sprech- bis weit ins 19. Jahrhundert hinein dia­lektale weise des einzelnen Menschen ist ebenso Sprechweisen. Wie das Beispiel der Anspra- veränderlich wie jeder andere Bereich che des österreichischen Kaisers Franz II. vor menschlichen Lebens. Auch wenn bayerischen Offizieren in Kempten im Jahre mancher Sprachpurist diese Tatsache 1814 zeigt, war die Verwendung des Dialekts bedauert, kann gegen den Wandel nichts in der gesprochenen Sprache bis in höchste unternommen werden. Die Sprache Gesellschaftskreise selbstverständlich, aller- bleibt erst stehen, wenn die Gesellschaft dings hat man auch zu dieser Zeit den Dialekt stagniert.16 mit Bewertungen versehen: „Liebe! Solltens halt nit so schlecht deutsch sprechen. Spre- chen immer die Koaserinn, muß haaßen die Der Prozess des Sprachwandels führte Kaaserin.“17 schließlich dazu, dass im 15. Jahrhundert in Bayern keine wechselseitige Verstehbarkeit Die zunehmende Standardisierung des Deut- der entfernteren Dialekte mehr bestand. schen, bei der die Einführung der allgemei- nen Schulpflicht im 18. Jahrhundert eine Im Bereich der Schriftsprache ist ab dem entscheidende Rolle einnahm, muss man 16. Jahrhundert eine starke Vereinheit- sich als einen sehr langwierigen Prozess vor- lichungstendenz zu beobachten. Die regio- stellen. Eine einheitlich gesprochene Hoch- nal geltenden Schreibsprachen, die bis da- sprache entstand schließlich im 19. Jahrhun- hin sehr nah an den gesprochenen Varianten dert auf der Bühne, wo man die Klassiker angesiedelt waren, erfuhren durch die Erfin- nicht durch die negativ bewerteten Dialekte dung des Buchdrucks und den aus der Re- belasten wollte. Das im Jahre 1898 erschie- formation entstandenen politischen und ge- nene Aussprachewörterbuch von Theodor sellschaftlichen Umwälzungen weitreichende Siebs Deutsche Bühnensprache wurde Änderungen, indem die kleinräumigen Merk- bald, obwohl ursprünglich lediglich für die male durch überregionale Sprachformen er- Bühnenaussprache vorgesehen, zur allge- setzt wurden. Immer mehr orientierte sich die mein verbindlichen Norm. Da man im Glau- Aussprache in den folgenden Jahrhunderten ben war, dass dies das bessere Deutsch sei, an der Schrift. legten viele daraufhin ihren Dialekt ab.

76 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Die Entstehung der Aussprachenormen

Die relativ einheitliche Schreibsprache um oder negativ besetzten Regionalsprachen 1800 erlebte geographisch die unterschied- stand. Goethe, der sich am Theater in lichsten Aussprachen. Wir wissen, dass Weimar um eine solche Ausspracheform Schiller geschwäbelt und Goethe sein bemühte, berichtet über sein Nöte mit Frankfurterisch nie verleugnet hat. Im den Schwaben, Österreichern und Sach- niederdeutschen Bereich richtete man sen und lobt die Norddeutschen. Er fordert nach der Übernahme der hochdeutschen die lautreine Aussprache aller Buchstaben. Schreibsprache die Aussprache an der Am Ende des 19. Jahrhunderts laufen zwei Schreibung aus. Es war hier leichter, das Auffassungen parallel: 1. Das beste Hoch- Ideal der Schreiblautung zu verwirklichen, deutsch wird in Norddeutschland gespro- da die niederdeutsche Mundart vor allem chen. 2. Das beste Hochdeutsch wird im aufgrund des abweichenden Konsonantis- ernsten Drama auf der Bühne gesprochen. mus nicht aufs Hochdeutsche hin zurecht­ Davon gingen die Theaterdirektoren und geredet werden konnte. Aber auch im mit- die Germanisten aus, die sich 1898 in Ber- teldeutschen Raum (weniger im Süden) lin versammelten, um über eine einheitliche bemühten sich die Sprachgelehrten, das Aussprache zu beraten. Der tatsächliche Ideal der Schreiblautung durchzusetzen: Gebrauch an guten Bühnen sollte kodifi- In ihren Grammatiken gibt es auch noch ziert werden, und dem sollten die mit nie- im 19. Jahrhundert Sammlungen von derdeutschen Lautwerten ausgesprochenen Wortkontrastpaaren (fühlen ≠ fielen), die Buchstaben der im hochdeutschen Raum dazu dienen sollten, die verbreitetsten entstandenen Schreibsprache entsprechen. Aussprachegewohnheiten, die nicht der Noch 1898 erscheint die Deutsche Bühnen­ Schreiblautung entsprachen, auszumerzen. aussprache von Theodor Siebs, die bis in Wie z. B. die entrundete Aussprache von ö die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts allei- (als e), Verwechslung von b und p, d und t niges Vorbild war. sowie die Aussprache des -g- als ch. Mit der Entstehung der klassischen Tragö- die kurz vor und nach 1800 bestand für die Bühnenaufführungen die Notwendigkeit

einer Ausspracheform, die frei von Wert- Werner König (2001): dtv-Atlas zur deutschen Sprache, urteilen über den immer irgendwie positiv München. 13. Aufl., S. 109f.

Auch durch die rasante Entwicklung der verschwinden, hat man in den letzten Gesellschaft hin zu einer Mediengesellschaft Jahrzehnten mit großem Aufwand einen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bayerischen Sprachatlas erarbeitet. Die wurden die Dialekte immer weiter zugunsten ersten Bände des umfangreichen Projekts überregionaler Sprachformen norddeutscher sind mittlerweile erschienen. Ziel der Prägung zurückgedrängt. Unternehmung ist es, die in Bayern ge- sprochenen Dialekte zu erfassen und zu Da auch für das im Vergleich zu anderen dokumentieren. Einen Eindruck von den deutschen Sprachregionen immer noch stark Ergebnissen der Arbeiten am Bayerischen dialektgeprägte Bayern zu befürchten ist, Sprachatlas gibt der  Kleine Bayerische dass die Dialekte zurückgehen oder sogar Sprachatlas (dtv 2005):

77 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

„Kleiner Bayerischer Sprachatlas“ (KBSA)

Der KBSA vermittelt in einem kompakten bezogene Sprachgeschichte vom Band einen populären Überblick über die Indogermanischen und Germanischen Dialekte im gesamten Freistaat Bayern. Der über die Frühstufen des Deutschen bis in Atlas ist in den letzten Jahren an der Univer- die jüngste Zeit beschrieben. Thematisiert sität Augsburg federführend von Manfred werden darin auch das Verhältnis von Dia- Renn und Werner König am Sprachatlas lekten und Hochsprache in der Vergangen- von Bayerisch-Schwaben (SBS) erarbeitet heit und Gegenwart sowie das Verhältnis worden. Dies geschah in enger Zusammen- der Dialekte zueinander, was wiederum arbeit mit den fünf anderen regionalen eine regional unterschiedliche Vitalität und Sprachatlas-Projekten in Bayern (an den Uni- Überlebenschance der Dialekte bedingt. versitäten Bayreuth, Erlangen, Passau und Der Hauptteil besteht aus farbigen Flächen- Würzburg), die in den letzten zwei Jahr- karten und darauf bezogenen Kommen- zehnten unter dem Titel Bayerischer Sprach­ tartexten, welche allgemein verständlich atlas die Dialekte der verschiedenen Regi- und dennoch wissenschaftlich korrekt ab- onen in wissenschaftlicher Weise erhoben gefasst sind. Dabei geht es überwiegend haben und jetzt dabei sind, sie in umfang- um die Vielfalt und die Unterschiede im Be- reichen Atlaswerken darzustellen. Für den äu- reich des dialektalen Wortschatzes, wobei ßersten Südwesten des Freistaats basiert der im Kommentar die etymologischen Zusam- KBSA außerdem auf Material des Vorarlber­ menhänge nicht zu kurz kommen; etwa ger Sprachatlasses (VALTS). ein Drittel der Kartenthemen sind den In einem ausführlichen, mit Skizzen illust- Unterschieden in der Lautung und in den rierten Einleitungsteil wird die auf den Raum grammatischen Formen gewidmet.

Mit diesem kurzen Überblick über die Ent- 6 Nach Rein 1991, S. 27. wicklung der Sprache in Bayern sollte der 7 Wiesinger 1980, S. 177-194. besondere Stellenwert der Dialekte für die über 1200 Jahre währende bayerische 8 Vgl. Barbour / Stevenson 1998, S. 150f., Sprach- und Kulturgeschichte hervorgeho- Durell 1998, S.1-16; Hochholzer 2003.

ben werden. Es wäre zu wünschen, dass die 9 Vgl. ausführlich zu Schmeller: Brunner 1971. nachfolgenden Generationen sich dieser 10 Tradition nicht nur bewusst sind, sondern Bayerisches Wörterbuch im Internet: www.bwb.badw.de. die sprachlichen Eigen- und Besonderheiten auch bewahren. Dazu soll die vorliegende 11 Die Charakteristika der einzelnen Sprachregionen Handreichung für die bayerischen Schulen in Bayern werden in Teil III dieser Handreichung ihren Beitrag leisten. jeweils am Anfang der Unterkapitel beschrieben. 12 Nach Spektrum der Wissenschaft, Dossier ND 1 / 2004: Die Evolution der Sprachen, S. 13. Zur Entstehung Anmerkungen der Sprache vgl. Müller 2002, S. 223-240. 1 Nach Bußmann 2002, S. 648. 13 Althochdeutsches Lesebuch 1979, S. 11.

2 Ebd. S. 718. 14 Eggers 1991, S. 258.

3 Ebd. S. 162. 15 Althochdeutsches Lesebuch 1979, S. 34.

4 Nach Greule 1989, S. 415ff. 16 Vgl. Crystal 1995, S. 328.

5 Nach Bußmann 2002, S. 616. 17 Nicolai 1785, S. 306. Zit. nach König 2001, S. 133.

78 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Literatur König, Werner (1997): Phonetisch-phonologische Regionalismen in der deutschen Standardsprache. Konsequenzen für den Unterricht ‚Deutsch als Adamzik, Kirsten (2001): Sprache: Wege zum Fremdsprache‘? In: Stickel, Gerhard (Hrsg.): Verstehen. Tübingen / Basel. Varietäten des Deutschen. Regional- und Umgangs- sprachen. Jahrbuch für deutsche Sprache 1996. Barbour, Stephen / Stevenson, Patrick (1998): Berlin / New York, S. 246-270. Variation im Deutschen. Soziolinguistische Perspekti- ven. Übersetzt aus dem Englischen von Gebel, König, Werner (2001): Zu einigen Entwicklungen der Konstanze. Berlin / New York. Augsburger Sprache seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Fremd und eigen. Untersuchungen zu Bayerns Mundarten (1991). Dialektproben mit Grammatik und Wortschatz des Uralischen und Indoger- Kommentaren und einer Einführung in die Verbrei- manischen. Hg. v. Eichner, Heiner u. a. Wien, S. 129-153. tung und Verwendung des Dialekts in Bayern von König, Werner / Rein, Kurt / Wagner, Eberhard / Löffler, Heinrich (1994): Germanistische Soziolingu- Zehetner, Ludwig. Hg. v. Küpper, Wolfgang. istik, 2., überarb. Aufl. Berlin. München. Müller, Horst M. (Hrsg.) (2002): Arbeitsbuch Braune, Wilhelm / Ebbinghaus, Ernst (1979): Linguistik. Paderborn. Althochdeutsches Lesebuch. 16. Aufl. Tübingen. Nicolai, Friedrich (1785): Beschreibung einer Reise Brunner, Richard (1971): Johann Andras Schmeller. durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Sprachwissenschaftler und Philologe. Innsbrucker Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Beiträge zur Sprachwissenschaft Band 4. Innsbruck. Religion und Sitten. 5. Band. Berlin und Stettin: Über Sprache in Wien: 14. Abschnitt, S. 306. Bußmann, Hadumod (Hrsg.) (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktual. u. erw. Aufl. Niebaum, Hermann / Macha, Jürgen (1999): Stuttgart. Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Germanistische Arbeitshefte 37. Tübingen. Crystal, David (1995): Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache. Übers. und Bearb. der dt. Ausg. von Rein, Kurt (1991): Bayerns Mundarten. Eine Einführung Stefan Röhrich. Frankfurt a. M. in Verbreitung und Verwendung. In: Bayerns Mund- arten. Dialektproben mit Kommentaren von König, Durrell, Martin (1998): Zum Problem des sprachli- Werner / Rein, Kurt / Wagner, Eberhard / Zehetner, chen Kontinuums im Deutschen. In: ZGL 26, S. 1-16. Ludwig. Hg. v. Küpper, Wolfgang. München, S. 8-35.

Greule, Albrecht (1989): Mundartpflege. Erkundun- Renn, Manfred / König, Werner (2006): Kleiner gen und Definitionsversuch. In: Günter Bellmann Bayerischer Sprachatlas. München. zum 60. Geburtstag. Hg. v. W. Putschke u. a., Marburg, S. 415-426. Wagner, Eberhard (1987): Das fränkische Dialektbuch. Mit einem Beitrag von Reinhard Rascher. München. Hochholzer, Rupert (2003): Einstellungen zu Dialekt und Konzeptionen von Sprache bei Deutschlehrerin- Wiesinger, Peter (1980): „Sprache“, „Dialekt“ und nen und Deutschlehrern. In: Oberviechtacher „Mundart“ als sachliches und terminologisches Heimatkundliche Beiträge, Band 6, S. 95-105. Problem. In: Dialekt und Dialektologie. Ergebnisse des internationalen Symposions „Zur Theorie des Hochholzer, Rupert (2004): Konfliktfeld Dialekt. Das Dialekts“. Marburg / Lahn 1977. Hg. v. Göschel, Verhältnis von Deutschlehrerinnen und Deutsch- Joachim u. a., Wiesbaden, S. 177-198. lehrern zu Sprache und ihren regionalen Varietäten. Regensburg. Zehetner, Ludwig (1985): Das bairische Dialektbuch. Unter Mitarbeit von Eichinger, Ludwig M. / Rascher, König, Werner (2001): dtv-Atlas zur deutschen Reinhard / Rowley, Anthony / Wickham, Christopher J. Sprache. 13. Aufl. München. München, veränderte Neuaufl. Regensburg 2005.

79 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Dialekt und Schule. Vom Nutzen der Mehrsprachigkeit

Rupert Hochholzer

nahe zu bringen. Dies ist erforderlich, damit  Zu den nachfolgenden Ausführungen sich Einstellungen aufbauen können, die ein siehe Folge 9 der Sendereihe funktionales kommunikatives Nebeneinander „Dialekte in Bayern“. von Standardsprache, Norm und Sprachvari­ etäten ohne falsche Schulmeisterei und auf­ fällige Sprachverfallsklagen ermöglichen.“ 1 Um angemessen mit dem vielschichtigen und komplexen Thema „Dialekt“ in der Es geht also in der Schule im Grunde um Schule umgehen zu können, benötigen den Aufbau von positiven Einstellungen Lehrerinnen und Lehrer Hintergrundwissen zu Sprache und Dialekt, die wiederum zu den regionalen Varietäten des Deutschen. eine unverzichtbare Grundlage für den Er- In diesem Zusammenhang soll im Folgenden werb und die Perfektionierung der Mutter- auch dargestellt werden, wie es dazu kom- sprache, aber auch für das Lernen von men konnte, dass der Dialekt, die natürliche Fremdsprachen bilden. Herkunftssprache vieler Kinder, immer noch als Problem für die Schule angesehen wird. Daneben ergibt sich aus der weit über tau- send Jahre alten Sprachkultur und Sprach- Nicht zuletzt die Einschätzung des Dialekts geschichte in Bayern die Verpflichtung, die als defizitäres Sprachsystem hat neben an- nachfolgenden Generationen für den Wert deren Gründen dazu geführt, dass viele dialektaler Sprache zu sensibilisieren und Eltern mit ihren Kindern heute nicht mehr ihre identitätsstiftende Funktion zu erkennen, Dialekt sprechen wollen, um den Kindern eine Verpflichtung, die auch in Artikel 131 der angeblich bessere Bildungschancen zu er- Bayerischen Verfassung festgehalten wird. möglichen und ihnen zu ersparen, was viele selbst in ihrer Schulzeit hinsichtlich ihres Natürlich soll darüber hinaus nicht vergessen eigenen, dialektal geprägten Sprachgebrauchs werden, dass es selbstverständlich auch wei- an Kritik erlebten. Letztlich kennen und spre- terhin Aufgabe der Schule ist, den Schülern chen in vielen Regionen Bayerns – besonders den Weg zur deutschen Standardsprache zu in den städtischen – immer weniger Schul- eröffnen, ohne allerdings die primäre Spra- kinder den Dialekt ihrer Heimatregion. Die che, den Dialekt, abzubauen. Für eine zeitge- größtenteils irrige Auffassung vom Dialekt mäße Unterrichtspraxis muss demnach gel- als Sprachbarriere soll mit Hilfe der vorlie- ten, was Klotz / Sieber wie folgt feststellen: genden Handreichung durch ein modernes Verständnis von Sprachvarietäten und ihrem „Ein Deutschunterricht, der auch Dialekte Verhältnis zueinander ersetzt werden. Bis und andere Varianten ernst nimmt, orien- heute ist es nämlich der Linguistik, der Dia- tiert sich an den Sprachbenützern, also an lektologie und der Schule nicht gelungen, dem, was diese selbst nutzen, an dem, was ausbaufähig ist. Daraus – und nicht „die Grundkenntnisse über die Vielfältigkeit aus welchen ‚-tümeleien‘ auch immer – des Deutschen einer breiten, vor allem auch resultiert die Wertschätzung der Dialekte schulischen und bildungspolitisch wachen und anderer Varianten, die Wertschätzung Öffentlichkeit in differenziert sachlicher Weise der inneren Mehrsprachigkeit.“ 2

80 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Problemaufriss

Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts spricht ist erst vor kurzem im Bayerischen Landtag immer noch die Mehrheit der bayerischen formuliert worden.6 Hintergrund für die zum Schülerinnen und Schüler, wenn sie ihre Teil heftig geführte öffentliche Diskussion Schullaufbahn beginnt, Dialekt oder eine um den Stellenwert des Dialekts in Bayern dialektal geprägte Umgangssprache. In ihrer war und ist die Sorge, dass eine Sprachform, Schulzeit sollen die Kinder und Jugendlichen die in Bayern und darüber hinaus seit über dann die deutsche Standardsprache in Wort tausend Jahren existiert, bald zum Ausster- und Schrift fehlerfrei erlernen, wie es auch ben verdammt sei. zahlreiche offizielle Verlautbarungen zu Recht fordern. Gleichwohl kann eine moderne und sehr mobile Gesellschaft nicht von einer aus- Allerdings ist die sprachwissenschaftliche schließlichen Dialektpflege ausgehen, da Diskussion, ob die Zielnorm Deutsche der Umgang mit Dialekten als Teil des deut- Standardsprache überregional oder regional schen Sprachsystems immer auch die deut- ausgeprägt sein sollte, derzeit noch keines- sche Sprache als Ganzes in den Blickwinkel falls entschieden.3 Während sich nach einer rückt. Es ist nicht zu übersehen, dass eine heftigen Diskussion in den 1980er Jahren Standardsprache wichtige Funktionen inner- das plurizentrische Verständnis von natio- halb der Kultur einer Sprachgemeinschaft nalen Varietäten in Deutschland, Österreich übernimmt. Für die Schule steht die einigen- und der Schweiz allgemein durchgesetzt de Funktion neben der Funktion der Stan- hat und den „politisch motivierten bundes- dardsprache als normativer Bezugsrahmen deutschen Alleinvertretungsanspruch“4 für die Orientierung ihrer Sprecher wohl im relativierte, gestaltet sich die Frage nach Vordergrund, während die Prestigefunktion der sprachlichen Variabilität innerhalb ebenso wie die separierende Funktion zur Deutschlands schwieriger, da für die Natio- Abgrenzung gegenüber anderen Sprachen nalvarietät der Bundesrepublik Deutschland eher in den Hintergrund treten sollten.7 wenigstens zwei regionale Standards unter- schieden werden können: der nördliche und Um sowohl der Standardsprache als auch der südliche Gebrauchsstandard.5 den Dialekten die ihnen zustehende Bedeu- tung beizumessen, erscheint das der vor- Solange jedoch diese Standardvarianten liegenden Handreichung zugrunde liegende nicht kodifiziert sind, stellt sich für die Schule Konzept der inneren Mehrsprachigkeit als weiterhin die äußerst schwierige Aufgabe, tragfähiges Fundament für einen zeitge- angesichts sprachlicher Variation, die in mäßen schulischen und privaten Umgang jeder natürlichen Sprache auftritt und die mit Sprache. Innere Mehrsprachigkeit meint jedem Sprecher täglich begegnet, die stan- nichts anderes als die Fähigkeit eines Men- dardsprachliche Norm zu vermitteln, die auch schen, innerhalb seiner eigenen Mutterspra- als Bewertungsgrundlage für mündliche und che zwischen Dialekt und Standard, zwischen schriftliche Schüleräußerungen herangezo­ Fach- und Umgangssprache, zwischen locke- gen wird. Aus diesem Grunde muss jedem rem und sachlichem Stil wechseln zu können. Lehrenden das problematische Verhältnis Der bewusste Umgang mit der eigenen Spra- zwischen Standardsprache und Dialekt in che ist u. a. auch eine wichtige Vorausset- seiner Auswirkung für die Schule klar sein. zung für das Erlernen von Fremdsprachen.

Die Zielvorgabe, den Schülern eine standard- sprachliche Norm beizubringen, aber gleich- zeitig die vorhandenen Dialekte zu bewahren,

81 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Ziel der Handreichung Von den Anfängen des deutsch- sprachigen Unterrichts bis In Teil III der vorliegenden Handreichung zur Sprachbarrierendiskussion werden deshalb an vielen Stellen Anregungen gegeben, wie Schüler lernen, sich ihres Spätestens nach Ablösung der lateinischen Sprachgebrauchs bewusst zu werden und Sprache als vorherrschender Schul- und ihn situationsangemessen zu gestalten. Unterrichtssprache durch die deutsche Muttersprache im 17. und 18. Jahrhundert Vor diesem Hintergrund ist die Handreichung begegnen Lehrkräfte in der Schule sprach- „Dialekte in Bayern“ einer Reihe von grund- licher Vielfalt innerhalb der Muttersprache legenden Zielsetzungen verpflichtet: und müssen sich damit auseinander setzen. Trotz mancher Forderungen nach einer  Es geht um den Aufbau von positiven einheitlichen deutschen Standardsprache Spracheinstellungen: Lehrer und Schüler für die Schulen blieben nämlich über Jahr- sollen mehr als bisher den Wert ihrer eigenen hunderte hinweg die regionalen Sprach- Herkunftssprache schätzen lernen. varietäten des Deutschen, die Dialekte,  Eng damit verbunden ist ein affektives Ziel: wichtigstes Kommunikationsmittel in Schule die Freude an der eigenen Sprache und am und Gesellschaft. heimischen Dialekt.  Es geht um die Ausbildung und Stärkung Zum Problem wurde das Verhältnis zwischen von Sprachbewusstsein, das als Grundlage den Dialekten und der Standardsprache für von Sprachenlernen angesehen wird. die Schule erst dann, als im 18. und 19.  Es geht um Sprachwissen, das über bloßes Jahrhundert im Zuge nationaler Vereinheit- grammatisches Wissen hinausgeht und lichungsbestrebungen auch die Normierung Wissen über das deutsche Sprachsystem und und Vereinheitlichung von Nationalsprachen den Sprachgebrauch beinhaltet. Es umfasst angestrebt und die Einheitlichkeit einer neben dem Wissen um allgemein mögliche streng normierten Sprache als unabdingbare sprachliche Strukturen und Bauformen auch Forderung für die Schule aufgestellt wurde. das Wissen über Gemeinsamkeiten und Durch Sprachratgeber, Wörterbücher und Verschiedenheiten von Sprachen sowie die normative Grammatiken sollte sichergestellt Rolle und den Wert von Sprachen. Sprach- werden, dass die Standardsprache in ihrer wissen bedeutet zum Beispiel auch das mündlichen wie schriftlichen Ausprägung Wissen um die Bezeichnungskonventionen Zielnorm für richtiges, gutes und schönes von deutschen Dialekten, ist aber auch die Deutsch sei. Voraussetzung dafür, Begriffe wie Hoch­ deutsch, Standarddeutsch oder auch Mut­ Allerdings war um diese Zeit die Verwendung tersprache inhaltlich füllen und in ein Bezie- der Standardsprache soziologisch betrachtet hungsnetz stellen zu können. auf eine sehr kleine bildungsbürgerliche Gruppe beschränkt, die weitaus meisten Um die Vielfalt und Komplexität dialektaler Sprecher gebrauchten fast durchweg einen Sprache wenigstens in Ansätzen zu zeigen, ausgeprägten Ortsdialekt. Erst im Laufe des sind in den Unterrichtsvorschlägen und 19. und 20. Jahrhunderts setzte sich die Projektideen zahlreiche kultur- und sozial- Standardsprache in weiten Bevölkerungs- wissenschaftliche Aspekte zu finden. Damit kreisen als Schriftsprache durch. Damit ist wird deutlich gemacht, dass Dialekte keine aber nicht gemeint, dass sich die Standard- von den Menschen, von der Gesellschaft, kompetenz auch im Bereich der mündlichen Kultur und Politik losgelösten Phänomene Sprachbeherrschung etabliert hätte. Viel- sind, sondern vielmehr durch sie bestimmt mehr wurde die Standardsprache als Gegen- und geprägt werden. stand und Medium der Spracherziehung

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und des Sprachunterrichts aufbereitet und allem auf sprachliche Defizite des restrin- ihre Durchsetzung als zentrales Lehr- und gierten Codes abzielte. Die Kritik an Bern- Lernziel angestrebt. Bis heute kann gelten, steins Thesen entzündete sich vor allem an dass die Standardsprache zwar grundle- der unzulässigen Gleichsetzung von Sprache gende Zielnorm des Deutschunterrichts und Denken, wenn etwa mangelnde sprach- ist, dass aber die Mehrheit der deutschen liche Explizitheit oder sprachliche Strukturie- Sprachgemeinschaft immer noch regionale rungsmängel als Mangel der Denkstruktur Varietäten (etwa eine regional geprägte angesehen werden. Umgangssprache) als vorwiegende Sprech- weise bevorzugt. In Deutschland hatte man Bernsteins Thesen vielfach verkürzt dahingehend interpretiert, Gegen die alleinige Dominanz der Standard- dass man die Dialekte mit dem restringier- sprache erhob sich schon früh Widerspruch. ten Code gleichsetzte, indem man unkritisch Die wichtigste und nachhaltigste Kritik an die englischen Sprachverhältnisse auf hie- der einseitig standardsprachlichen Ausrich- sige übertrug. Ein anderer Kritikpunkt an der tung formulierte 1867 Rudolf Hildebrand, der Defizithypothese wurde vor allem durch den bemängelte, dass den Dorfschullehrern das amerikanischen Soziolinguisten William Hochdeutsche ihr neues Latein geworden Labov formuliert und betraf die Tatsache, und dies eine Sprache sei, die vom Lehrer dass bestimmte Sprachgebrauchsformen ebenso hoch bewertet würde, wie sie den zum Maßstab erklärt und zur nicht hinter- Schülern fremd sei. Hinsichtlich des Um- fragten Norm aller Mitglieder der Sprach- gangs mit den Dialekten in der Schule gab gemeinschaft erhoben wurden. Labovs Dif- es, für den gesamten deutschen Sprach- ferenzhypothese interpretierte die Unter- raum gesprochen, keine einheitliche Linie; schiede zwischen den Codes nun nicht mehr die Bandbreite war gespannt von Forde- als Mangel, sondern als Andersartigkeit. rungen nach Ausrottung von Dialekten8 über das Zulassen von Dialekt bei gleich- Der kompensatorische Sprachunterricht, der zeitiger Hinführung zum Standard (kontras- im Gefolge der Defizithypothese darauf ab- tive Ansätze9) bis hin zum Dialekt lernen zielte, den Kindern letztlich sozialen Aufstieg in der Schule.10 durch Erlernen des elaborierten Codes zu ermöglichen, konnte das vermeintliche Die wohl folgenreichste Station in der Ge- Dialekt-Problem nicht beseitigen. Den Lehre- schichte des Dialekts in der Schule ist die rinnen und Lehrern sollte im Sinne der so genannte Sprachbarrierendiskussion,11 Differenzhypothese allerdings bewusst ge- die in den 1960er und 1970er Jahren ent- macht werden, dass sie es bei dialektalen brannte, als man die Thesen des Engländers Sprachformen nicht zwangsläufig mit sprach- Basil Bernstein zunächst kritiklos auf deut- lichen Mängeln, sondern vielmehr mit ande- sche Sprachverhältnisse übertrug. Bernstein ren Sprachgebrauchsformen zu tun haben. unterschied zwischen dem so genannten elaborierten Code, der dem normalen Sprach- Innerhalb der Sprachwissenschaft führte die gebrauch der Ober- bzw. Mittelschicht ent- Auseinandersetzung mit den Thesen Bern- spricht, und dem restringierten Code der steins schließlich zur Ausbildung eines neuen Unterschicht. Der elaborierte Code hebt sich Wissenschaftszweiges, der Soziolinguistik. nach Bernstein in Explizitheit, grammatischer In den ersten Jahren der neuen Disziplin rich- Korrektheit und logischer bzw. argumenta- tete sich das Interesse der Soziolinguisten tiver Strukturiertheit vom restringierten Code auf den Einfluss der soziologischen Faktoren ab und ist in diesen Bereichen dem restrin- Schicht bzw. Klasse auf Sprache und Sprach- gierten Code weit überlegen. Daraus entstand gebrauch. Mit dem heute oft für Soziolingu- die so genannte Defizithypothese, die vor istik synonym verwendeten Begriff Varietä-

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tenlinguistik rückten weitere außersprach- Das Konzept der inneren und liche Faktoren wie Alter, Geschlecht, Beruf, äußeren Mehrsprachigkeit Zugehörigkeit zu religiösen oder politischen Vereinigungen ins Blickfeld. Die Bezeichnung Nicht nur die moderne Gesellschaft, sondern Varietät ersetzte ältere wie Code oder Sozio­ auch das einzelne Individuum ist durch Spra- lekt und sollte darüber hinaus ein möglichst chenvielfalt bestimmt, da heute Mehrspra- wertfreies Verständnis von Gruppenspra- chigkeit die (erwünschte) Zielgröße darstellt. chen signalisieren. Neben dem Erwerb einer oder mehrerer Sprachen und Dialekte im familiären Umfeld Bezüglich der öffentlichen Rezeption sozio- kommen die Kinder spätestens in der Schule linguistischer und varietätenlinguistischer mit Fremdsprachen wie Französisch und Eng- Forschungen in Deutschland drängt sich der lisch in Berührung. Mehrsprachigkeit in Be- Verdacht auf, dass die Diskussion auf dem zug auf andere Sprachen ist also ebenso wie Stand der Bernsteinschen Defizittheorie der Wechsel von Sprachen innerhalb der stehen geblieben ist und schließlich auch Muttersprache heute oft pragmatische Rea- dazu geführt hat, dass Dialekte als sprachlich lität. reduzierte Systeme und als Sprache der unteren Schichten bis heute als minder- Die Vielfalt von Sprachen und Sprachvari- wertig angesehen werden. Diese verkürzte anten wird ergänzt durch eine Vielzahl von Sichtweise von Dialekt hatte sich schnell in Sprachregistern und Sprachvarietäten, da den Köpfen festgesetzt und lässt die Konstel- die meisten Menschen ihren Sprachgebrauch lation Dialekt und Schule bis heute als pro- je nach Situation, Gesprächspartner und blematisch erscheinen. Vielfach hat die Dis- kommunikativen Zwecken variieren. So ist es kussion auch dazu geführt, dass in dialektge- durchaus normal, bei offiziellen Anlässen, bei prägten Regionen alle Probleme des Sprach- Vorträgen und Referaten etc. eine der Stan- erwerbsprozesses mit der Dialektsprachigkeit dardsprache nahe Form zu wählen, während begründet wurden. die Verwendung des heimatlichen Dialekts Verbundenheit und Nähe zum Gesprächs- Wie schon angedeutet, wurde und wird diese partner ausdrücken kann. Die Fähigkeit zu Sichtweise nach wie vor in der Öffentlichkeit sprachlicher Variation ist also eine wichtige propagiert und verleitet nicht selten besorgte grundlegende Kompetenz, die zwischen- Eltern dazu, Dialekt – die Sprache mit der menschliche Kommunikation wesentlich sie selbst noch aufgewachsen sind – im Um- erleichtern, aber auch bereichern kann. gang mit ihren Kindern zu vermeiden. Die anhaltende Diskussion um den Stellenwert Diese Vielfältigkeit sprachlicher Erfahrungen, des Dialekts könnte aber auch dazu führen, die wir täglich erleben, wird durch das Kon- dass mancher stark dialektal geprägte Spre- zept der inneren und äußeren Mehrsprachig- cher sich in seiner Person angegriffen fühlt keit zum Ausdruck gebracht. In der Soziolin- und deshalb dazu neigt, den Dialekt als Ge- guistik besteht heute überwiegend Einigkeit gensatz zur Standardsprache aufzufassen darüber, dass nichts dafür spricht, zwischen und eine einseitige Dialektpräferenz, getarnt innerer und äußerer Mehrsprachigkeit zu un- als Dialektpflege, zu betreiben. Deshalb terscheiden.12 Die Bedeutung der Mehrspra- erscheint es angebracht, sich dem Dialekt chigkeit hebt auch der Europäische Referenz- vorurteilsfrei zu nähern, d. h. seine Vorzüge rahmen für Sprachen hervor: herauszustellen, aber auch auf problemati- sche Aspekte hinzuweisen, wie etwa die Ab- und Ausgrenzung Anderssprechender.

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„Ziel ist eine kommunikative Kompetenz, Wenn auch die Vorrangstellung der Standard- zu der alle Sprachkenntnisse und Sprach- sprache als Kommunikationsmittel mit der erfahrungen beitragen und in der die größten Reichweite weiterhin das Konzept Sprachen miteinander in Beziehung ste­ innerer Mehrsprachigkeit für die Schule be- hen und interagieren. In verschiedenen stimmt, sollte die Ausbildung eines ausge- Situationen können Menschen flexibel auf prägten Sprachbewusstseins grundlegendes verschiedene Teile dieser Kompetenz zu­ Ziel des Sprachunterrichts und der Sprach- rückgreifen, um eine effektive Kommuni­ förderung sein – und dies sollte nicht nur für kation mit einem bestimmten Gesprächs­ das Fach Deutsch, sondern für alle Unter- partner zu erreichen. Zum Beispiel können richtsfächer gelten. Gesprächspartner von einer Sprache oder einem Dialekt zu einer oder einem ande­ Für die Förderung der inneren Mehrspra- ren wechseln und dadurch alle Möglich­ chigkeit in der Schule lässt sich eine Reihe keiten der jeweiligen Sprache oder Vari­ von Gründen ausmachen: etät ausschöpfen, indem sie sich z. B. in einer Sprache ausdrücken und den Part­  Nach dem gegenwärtigen Stand der Sprach- ner in der anderen verstehen. Man kann erwerbsforschung spricht vieles dafür, dass auch auf die Kenntnis mehrerer Sprachen eine mehrsprachige Erziehung (und dies zurückgreifen, um den Sinn eines ge­ trifft sowohl für die innere wie für die äußere schriebenen oder gesprochenen Textes Mehrsprachigkeit zu) die sprachliche, kogni- zu verstehen, der in einer eigentlich unbe­ tive und soziale Entwicklung der Kinder posi- kannten Sprache verfasst wurde; dabei tiv beeinflusst. Besonders von Vorteil ist das erkennt man zum Beispiel Wörter aus durch aktive Mehrsprachigkeit zwangsläufig einem Vorrat an Internationalismen, die ausgeprägte Sprachbewusstsein. In Hinblick hier nur in neuer Gestalt auftreten.“ 13 auf das weiter zusammenwachsende Europa ist dieses Sprachbewusstsein, das auch als Diese Sichtweise betont also eindeutig die Sprachdifferenzbewusstsein wahrgenommen zwei Seiten sprachlicher Bildung: Die Aus- wird, eine wichtige Grundlage für die mutter- bildung und Verfeinerung der Muttersprache sprachliche Sprachkompetenz, aber auch für in Form innerer Mehrsprachigkeit und das das Erlernen von Fremdsprachen. Erlernen weiterer Sprachen als äußere Mehr- sprachigkeit, die auch sprachenübergrei- Das Sprachdifferenzbewusstsein betrifft fende Mehrsprachigkeit genannt wird.14 beispielsweise die differenzierte Wahrneh- mung verschiedener sprachlicher Formen, Innerhalb der inneren Mehrsprachigkeit die anhand der Unterschiede zwischen sollte aus didaktischer Sicht jedoch unbe- Standardsprache und Dialekt schon früh dingt zwischen verschiedenen Varietäten trainiert werden kann. Im Bereich des Schrift- und den Stilebenen unterschieden werden. spracherwerbs wird unter dem Stichwort Während die regionalen Varietäten (Dialekte Phonologische Bewusstheit die Bedeutung und dialektal geprägte Umgangssprachen) dieser Wahrnehmungsfähigkeit mittlerweile der unterschiedlichen räumlichen Verteilung allgemein anerkannt. (vgl. Landkarte deutscher Dialekte) entspre- chen, werden die so genannten soziolektalen Die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ein Kind Varietäten von unterschiedlichen sozialen durch den bewussten Wechsel zwischen Dia­ Gruppen verwendet (Jugendsprache, Fach- lekt und Standardsprache erwirbt, können sprachen etc.). Davon wiederum zu unter- auch beim Erwerb einer Fremdsprache ge- scheiden sind die formellen und informellen winnbringend genutzt werden. Dazu bedarf Stilebenen, die in unterschiedlichen Kommu- es allerdings einer grundlegenden Neubewer­ nikationssituationen angebracht erscheinen. tung von Fehlern im Spracherwerbsprozess.

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Noch nicht völlig geklärt ist die Frage, ob Auch daraus leitet sich die Aufgabe für die frühe innere und äußere Mehrsprachigkeit aus Schule und speziell des Deutschunterrichts neurophysiologischer Sicht Vorteile für den ab, die innere Mehrsprachigkeit der Schüle- Spracherwerb mit sich bringt. Es ist gut mög- rinnen und Schüler aktiv zu fördern. lich, dass frühe Mehrsprachige beim Wech- seln zwischen den verschiedenen Sprach- systemen lediglich auf ein neuronales Netz Folge 9: Dialekt und Schule zurückgreifen, während Personen, die eine Zweitsprache erst später erlernt haben, auf Bei der Konzeption der Sendereihe Dialekte verschiedene Areale im Gehirn angewiesen in Bayern wurde aus den oben genannten sind. Beim Lernen weiterer Sprachen würden Gründen heraus eine eigene Sendung dem dann die frühen Sprachenlerner auf dieses Thema Dialekt und Schule gewidmet, nicht eine Netz wiederum zurückgreifen. Beispiele zuletzt um zu zeigen, dass der Erwerb inne- von Personen, die in ihrer frühen Kindheit rer Mehrsprachigkeit und die Bewahrung von mit einem Dialekt und einer dazu distanzier- Dia­lekten auch zu Beginn des 21. Jahrhun- ten Standardsprache aufwachsen, lassen ver- derts als wichtige gesellschaftliche Aufgabe muten, dass dies ihre Sprachentwicklung po- angesehen wird. In der Sendung wird Mehr- sitiv beeinflusst. sprachigkeit als Chance begriffen und an ei- nigen Beispielen gezeigt, wie man in ver- Erwiesen ist immerhin, dass Kinder im Vor­ schiedenen Schularten und -stufen auf die schulalter bessere Fähigkeiten der Imitation Dialekte­ eingehen kann. als Schulkinder besitzen, eine insgesamt größere Flexibilität und Spontaneität auf- weisen und darüber hinaus weniger Hem- Anmerkungen mungen haben zu sprechen. Der frühe Er- 1 Klotz / Sieber 1993, S. 6. werb verschiedener Sprachen bringt über- 2 Klotz / Sieber 1993, S. 8. dies nicht nur Vorteile im Bereich der Aus- sprache, sondern auch im Bereich der Lexik 3 Vgl. Debus 1997, S. 3-8. für idiomatische Wendungen. Aus diesen 4 Vgl. Bußmann 2002, S. 482; Ammon 2005. Gründen ist es nahe liegend, die innere 5 Zur Diskussion um den Standard Nord und Mehrsprachigkeit neben der äußeren stärker Süd siehe König 1996 und Barbour / als bisher zu fördern. Stephenson 1998.

 In sprachpsychologischer Hinsicht ist es sinn- 6 „Pflege und Erhalt der in Bayern gesprochenen voll, die primäre Sprache der Kinder nicht Mundarten“. Bericht im Landtag 14.1.2001. abzuwerten und zu versuchen, sie abzutrai- 7 Vgl. Dittmar 1997, S. 202. nieren. Wer seine eigene Sprache verleugnet 8 Man vergleiche entsprechende Literaturtitel und verdrängt, vergisst, dass Dialekte auch wie Ludolf Wienbarg: Soll die plattdeutsche identitätsstiftende Funktion haben. Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres beantwortet.  Nicht zuletzt sprechen sprachkulturelle und Hamburg 1834. sprachhistorische Fakten für die Bewahrung 9 Zum konstrastiven Ansatz in der Dialektdidaktik der Dialekte, die als Träger einer über tau- vgl. Hochholzer 2004, S. 263-266. send Jahre alten Sprachtradition auch in der Schule besonderes Augenmerk verdie- 10 Auf diese Auffassung geht etwa der Rahmen- nen. Keinesfalls sind Dialekte als minderwer- plan Niederdeutsch zurück, der für das Bundes- tige Sprachsysteme anzusehen. Vielfach er- land Mecklenburg-Vorpommern das Erlernen von niederdeutschen Dialekten vorsieht. weisen sie sich sogar, etwa im semantischen Bereich, der Standardsprache überlegen. 11 Vgl. Hochholzer 2004, S. 254ff.

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12 Oksaar 2003, S. 31. „Pflege und Erhalt der in Bayern gesprochenen Mundarten“. Rede der Bayerischen Staatsministe- 13 Europäischer Referenzrahmen für Sprachen. rin für Unterricht und Kultus, Monika Hohlmeier, Lehren, Lernen, beurteilen. Berlin 2001, S. 17. anlässlich des Berichts zu Pflege und Erhalt der 14 Zum Begriff der „Mehrsprachigkeit“ vgl. in Bayern gesprochenen Mundarten im Ausschuss Wandruszka 1990. für Bildung, Jugend und Sport des Bayerischen Landtags (41. Sitzung) am 14.1.2001. Hg. v. der Pressestelle des Kultusministeriums. Literatur Rahmenplan Niederdeutsch. Hg. v. Ministerium für Ammon, Ulrich [Zusammen mit Bickel, Han / Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Ebner, Jakob u. a.] (2005): Variantenwörterbuch Mecklenburg-Vorpommern. des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechten- www.bildung-mv.de/export/sites/bildungsserver/ stein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. downloads/rp-niederdeutsch.pdf Berlin / New York. (Zugriff am 20.5.2015)

Barbour, Stephen / Stevenson, Patrick (1998): Wandruszka, Mario (1990): Die europäische Variation im Deutschen. Soziolinguistische Sprachgemeinschaft: Deutsch – Französisch – Perspektiven. Übersetzt aus dem Englischen Englisch – Italienisch – Spanisch im Vergleich. von Gebel, Konstanze. Berlin / New York. Tübingen.

Der Deutschunterricht, Heft 3 / 2002: Sprachbewusstsein. Zum Thema „Mehrsprachigkeit und Neurowissen- Der Deutschunterricht, Heft 1 / 2004: schaften“ siehe folgende Verweise: Sprachvariation im heutigen Deutsch. „Mehrsprachigkeit im Gehirn“: Forschungsprojekt Dittmar, Norbert (1997): Grundlagen der der Universität Basel (http://pages.unibas.ch/ Soziolinguistik – Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. multilingualbrain/deutsch.html) Tübingen (= Konzepte der Sprach- und Literatur- E. Wattendorf u. a. (2001): Different languages wissenschaft 57). activate different subfields in Broca’s area. In: Hochholzer, Rupert (2004): Konfliktfeld Dialekt. NeuroImage, 13(6): 624. Das Verhältnis von Deutschlehrerinnen und R. Franceschini u. a. (2002): Learner Acquisition Deutschlehrern zu Sprache und ihren regionalen Strategies (LAS) in the Course of Life. A Langu- Varietäten. Regensburg. age Biographic Approach. In: Interactive CD-Rom Klotz, Peter / Sieber, Peter (Hrsg.) (1993): L3-Conference, Second International Conference Vielerlei Deutsch. Umgang mit Sprachvarietäten on Third Language Acquisition and Trilingualism, in der Schule. Stuttgart. Fryske Akademy, Ljouwert / Leeuwarden (NL).

König, Werner (1997): Phonetisch-phonologische R. Franceschini, D. Zappatore, C. Nitsch (2003): Regionalismen in der deutschen Standardsprache. Lexicon in the Brain. What Neurobiology Has to Konsequenzen für den Unterricht ‚Deutsch als Say about Languages. In: J. Cenoz, B. Hufeisen, Fremdsprache‘? In: Stickel, Gerhard (Hrsg.): U. Jessner (eds.): The Multilingual Lexicon. Varietäten des Deutschen. Regional- und Um- Dordrecht (NL), S. 153-166. gangssprachen. Jahrbuch für deutsche Sprache W. Stadelmann: Sprachunterricht im Dienst der 1996. Berlin / New York, S. 246-270. mehrsprachlichen Bildung. In: i-mail 3 / 2004 Oksaar, Els (2003): Zweitspracherwerb. Wege (Download bei: www.tirol.gv.at; Zugriff am zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen 20.05.2015). Verständigung. Stuttgart.

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Dialekt und Lehrplan. Ein Überblick

Ulrich Kanz

Die Verfassung des Freistaates Bayern  Bildungs- und Erziehungsauftrag schreibt in Art. 131 Abs. 3 die Erziehung der  Übergreifende Bildungs- und Erziehungsziele Schüler in der Liebe zur bayerischen Heimat  Fachprofile vor. Damit verbunden sind die Vermittlung  Grundlegende Kompetenzen und das Bewusstmachen für die Besonder- (Jahrgangsstufenprofile) heiten und Eigenarten der in Bayern gespro-  Fachlehrpläne chenen Dialekte, deren historische Werte und vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten in spezi- Die auf dieser Grundlage erarbeiteten Lehr- fischen Kommunikationssituationen. pläne für die einzelnen Schularten werden nach Genehmigung durch das Bildungsmini- Die bayerischen Lehrpläne aller Schularten sterium schrittweise in Kraft gesetzt. Die Im- weisen dem Deutschunterricht die bedeu- plementation beginnt mit der jeweils nied- tungsvolle Aufgabe zu, die Schüler zu einem rigsten Jahrgangsstufe, im folgenden Schul- korrekten und angemessenen Gebrauch der jahr kommt die nächste hinzu und so weiter. Standardsprache in Wort und Schrift hinzu- Beim 8-jährigen Gymnasium zum Beispiel führen. Dass dabei in den Lehrplänen auch wird sich die Einführung des neuen Lehr- die Auseinandersetzung mit der Mundart ex- plans über acht Jahre erstrecken. In den hö- plizite und implizite Berücksichtigung findet, heren Jahrgangsstufen wird demnach noch mag auf den ersten Blick verwundern. Da je- einige Jahre nach den alten Lehrplänen un- doch Dialekt und Standardsprache die beiden terrichtet werden. Pole bilden, innerhalb derer sich alles sprach- liche Wirken vollzieht, ist gerade auch im Ein wesentliches Element des LehrplanPLUS Deutschunterricht unter dem Gesichtspunkt stellt seine durchgängige Kompetenzorientie­ der Herausbildung einer „inneren Mehrspra- rung dar, die das Ziel hat, Wissen und Kön- chigkeit“ eine gezielte und von fachlich fun- nen mit in einer Vielzahl variabler Anwen- dierter Vorbereitung getragene Auseinander- dungssituationen zu verbinden und Schüler setzung mit dem Dialekt notwendig. zu verantwortlichem Handeln zu befähigen. Gerade für das Thema Mundart ist die Ver- Seit dem Schuljahr 2011/2012 werden für alle bindung von Wissen, Können und Handeln allgemein bildenden bayerischen Schulen in lebensweltlich relevanten Bezügen eine sowie für die beruflichen Schulen Lehrpläne positive und wünschenswerte neue Perspek- erarbeitet, denen ein einheitliches und schul- tive. Mundart wird nicht nur als reiner Lern- artübergreifendes Lehrplanmodell und Lehr- stoff begriffen, sondern als Teil der Unter- plankonzept zugrunde liegt, der Lehrplan- richtssprache. Die damit verbundene Aufwer- PLUS. tung kann bereits heute am neuen Lehrplan für die Grundschule abgelesen werden, der Die am ISB entwickelte neue Lehrplangene- im Schuljahr 2014/15 für die Jahrgangsstu- ration orientiert sich an den in der Kultusmi- fen 1 und 2 in Kraft getreten ist. Im Schuljahr nisterkonferenz beschlossenen Bildungsstan- 2015/16 folgt Jahrgangsstufe 3, 2016/17 Jahr- dards (www.iqb.hu-berlin.de/bista) und weist gangsstufe 4. für alle Schularten fünf Ebenen auf:

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Grundschule schiede von Sprachen entdecken beschrei- ben die Grundschüler Unterschiede zwischen Das Fachprofil Deutsch für den neuen Grund- gesprochener und geschriebener Sprache schul-Lehrplan verdeutlicht den Stellenwert hinsichtlich verschiedener Parameter und der Mundart in der Grundschule im Abschnitt vergleichen Dialekte, um Gemeinsamkeiten Selbstverständnis des Faches Deutsch und und Unterschiede zu entdecken und sprach- sein Beitrag zur Bildung. Die Mundart wird liche Vielfalt wertzuschätzen. dabei neben den verschiedenen Mutterspra- chen der Schüler als Bereicherung gesehen. In den Jahrgangsstufen 3 und 4 nutzen die „Sie geben den Impuls für einen freudvollen Grundschüler unter anderem auch den Dia- und aufgeschlossenen Zugang zu Sprache lekt zur Erweiterung ihres Wortschatzes ( und Literatur und unterstützen die Wertschät- 1.1 Verstehend zuhören), setzen ihre Sprech- zung kultureller Vielfalt.“ Betont wird der be- absichten mit angemessenem Wortschatz sondere emotionale Bezug der Schülerinnen in der persönlichen Sprachvarietät um ( und Schüler zu ihrer jeweiligen Erstsprache 1.2 Zu anderen sprechen) und erweitern ihr und ihrer Mundart. Auch wird die Bedeutung Sprachbewusstsein durch die Auseinander- der Mundart für ein nuancenreiches und dif- setzung von Gemeinsamkeiten und Unter- ferenziertes Sprechen explizit hervorgehoben schieden verschiedener Sprachen und ( Fachprofil, 2.3 Sprechen und Zuhören). Sprachebenen ( 4.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Sprachen ent- Konkretisiert wird dies anhand mehrerer decken). Kompetenzerwartungen im Fachlehrplan. So sollen Schülerinnen und Schüler in den Jahr- Generell gilt, dass das Thema Mundart in gangsstufen 1 und 2 ihre Sprechabsichten mehr oder minder allen Kompetenzbereichen in ihrer persönlichen Sprachvarietät umset- des Faches Deutsch aufgegriffen werden zen und sich hierbei auch des Dialekts bedie- kann. Das für alle Schularten weitgehend nen ( 1.2 Zu anderen sprechen). Im Lern- identische Kompetenzstrukturmodell des bereich  4.2 Gemeinsamkeiten und Unter­ Faches macht dies deutlich:

Kompetenzstrukturmodell des Faches Deutsch – Grundschule

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Mittelschule Rechtschreibunterricht an, der durch die Be- handlung dialektbedingter Problembereiche Der gegenwärtig geltende Lehrplan für die der Laut-Buchstaben-Zuordnung die individu- Haupt- bzw. Mittelschule aus dem Jahr 2004 elle Rechtschreibung verbessern kann. definiert die Pflege der deutschen Sprache in schriftlicher und mündlicher Form als eine zentrale Aufgabe aller Fächer. Dabei ist Real- und Wirtschaftsschule der Mundart angemessen Raum zu geben ( Kap. I, Grundlagen und Leitlinien; Mit der Einführung der sechsstufigen Real- 4.7 Sprachliche Bildung). schule hat sich der Stellenwert der Mundart im neuen Lehrplan für die Realschule im Jahr Konkretisiert wird dies im Fachprofil 2001 verbessert. So wird das Thema Mund­ Deutsch: Trotz der Fähigkeit, sich in der art in allen Jahrgangsstufen (außer der 9. Standardsprache zu verständigen, wird der Jahrgangsstufe) explizit berücksichtigt. Da- Mundart ein Wert für die Identität der Schüler bei steht in den Jahrgangsstufen 5 bis 7 der zugemessen, weshalb ihrem Einbezug in den mündliche Sprachgebrauch im Mittelpunkt. Unterricht besondere Bedeutung zukommt. Mit steigenden Anforderungen sollen die Dabei wird angestrebt, den Dialekt durch Schüler zunächst die unterschiedliche Ver- den Vergleich mit der Standardsprache und wendung von Standardsprache und Dialekt anderen Sprachvarietäten des Deutschen erproben, die unterschiedlichen Wirkungen im Sinne der „inneren Mehrsprachigkeit“ von Dialekt und Standardsprache erfahren als Teil des gesamten Sprachsystems zu er- und diese zunehmend angemessen anwen- fassen. Dem gleichen Ziel dient die Gegen- den ( 1 Sprechen und zuhören). überstellung mit der zu erlernenden Fremd- sprache als Brücke zu einer „äußeren Mehr- Auch in den Bereichen  2 Schreiben und sprachigkeit“.  3 Sprache untersuchen und gramma­ tische Strukturen beherrschen bietet der Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Ziele Lehrplan implizite Möglichkeiten der Aus- bieten sich vor allem in  1 Sprechen, einandersetzung mit dem Dialekt, so z. B. z. B. bei der situationsgemäßen Äußerung durch kreativen Umgang mit Sprache beim der eigenen Meinung ( 1.1) und dem spie- Verfassen von Texten oder der Nutzung der lerischen Umgang mit der Sprache ( 1.3). Vielfalt und Anschaulichkeit der Sprache. Auch der Zugang zur Literatur kann durch Gleiches gilt für den Bereich  4 Mit Texten mundartliche Texte erfolgen ( 2 Lesen und und Medien umgehen. Die Freude am Lesen Mediengebrauch). literarischer Texte kann auch durch die Be- schäftigung mit mundartlicher Literatur ge- Konkret thematisiert wird der Dialekt in fördert werden. der 5. Jahrgangsstufe, in der die Verwen- dung verschiedener Sprachebenen, z. B. In der 8. Jahrgangsstufe wird die Unterschei- je nach Sprecher Schriftsprache, Umgangs- dung von Standard-, Umgangssprache und sprache oder Dialekt, als Gestaltungsmittel Mundart hinsichtlich ihrer Verwendungsmög- der wörtlichen Rede untersucht werden soll lichkeiten als Teil des Grundwissens angege- ( 4.1). In der 9. Jahrgangsstufe geht es ex- ben. Hierfür sollen die Schüler Unterschiede plizit um die metasprachliche Auseinander- zwischen Umgangssprache, Dialekt und setzung um die Wirkung und Angemessen- Standardsprache sowie die spezifischen heit verschiedener Sprachebenen ( 4.1). Verwendungsmöglichkeiten erkennen und situationsangemessen einsetzen ( 3). Die- Eine bewusste Auseinandersetzung mit der ser metasprachliche Ansatz wird in der eigenen Mundart bietet sich außerdem im Abschlussklasse noch einmal aufgegriffen

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und weiterverfolgt, indem Bedeutung und sprache bereits in der 6. Jahrgangsstufe vor- soziokulturelle Aufgabe der Dialekte bespro- gesehen. In der Jahrgangsstufe 10 werden chen werden ( 3). die Merkmale und Leistungen verschiedener Sprach- und Stilebenen reflektiert. Ein ähnliches Bild zeigt der neue Lehrplan für die bayerische Wirtschaftsschule, der In den Jahrgangsstufen 11/12 heißt es: Die im Schuljahr 2014/15 in Kraft gesetzt wurde. Schülerinnen und Schüler ... Auch hier ist an vielen Stellen von einer be-  untersuchen und reflektieren ausgewählte wussten Auseinandersetzung mit den un- Probleme der Gegenwartssprache, indem terschiedlichen Sprachvarietäten die Rede, sie sich z. B. mit der Vielfalt von Sprachva- darunter auch dem Dialekt ( Fachprofil rietäten, Sprachwandel, aktuellen Entwick- Deutsch 2.2). lungstendenzen des Deutschen und dem Ein- fluss digitaler Medien auseinandersetzen. Sie nutzen die Kenntnis sprachphilosophischer Gymnasium Positionen (z. B. Sprachkrise der Moderne) zur differenzierten Auseinandersetzung mit Der seit dem Jahr 2004 eingeführte Lehr- sprachkritischen Fragestellungen (z. B. Mög- plan für das 8-jährige Gymnasium macht das lichkeiten und Grenzen der kognitiven Funk- Thema Mundart in der 8. Jahrgangsstufe tion von Sprache). zum Gegenstand des Unterrichts. Unter  untersuchen und reflektieren auf der Basis  8.3 sollen die Schülerinnen und Schüler kommunikationstheoretischer Grundlagen den Eigenwert der Mundarten erkennen das Gelingen bzw. Misslingen von Kommuni- und deren Merkmale und Leistungen unter- kation. suchen. Dies soll auch anhand literarischer  untersuchen und reflektieren den Zusam- Beispiele geschehen. menhang zwischen der sprachlich-stilisti- schen Gestaltung eines Texts und deren Wir- Nicht ausdrücklich erwähnt, aber impliziert kung bzw. deren Funktion für die Textkohä- ist Mundart in der 9. Jahrgangsstufe in  renz. 3 Sprache untersuchen, verwenden, gestal­ ten. Die Schüler sollen zu praktischer Stilistik angeleitet werden und orthographische Phä- FOS/BOS nomene sowie grammatische Strukturen in funktionalen Zusammenhängen untersuchen. Obwohl das Thema Mundart in den Lehrplä- Sie beschäftigen sich mit der situativen Ver- nen für die Fach- und die Berufsoberschule wendung von Sprach- und Stilebenen und von 1998 nicht ausdrücklich erwähnt wird, sollen diskriminierenden Sprachgebrauch ergeben sich dennoch vielfältige Möglich- erkennen und beurteilen. keiten der Umsetzung implizit vorhandener Lehrplanvorgaben. Das Thema Mundart ist im geltenden Lehr- plan für das Gymnasium an vielen Stellen So schreibt das Fachprofil der beiden Schul- in  1 Sprechen,  2 Schreiben und  arten für den mündlichen Sprachgebrauch 4 Sich mit Literatur und Sachtexten ausein­ die Vermittlung situationsgerechter Kommu- andersetzen impliziert. So auch auch im Ent- nikation in Alltag, Studium und Beruf vor. wurf für den neuen LehrplanPLUS, der im Der muttersprachliche Unterricht soll dazu April 2015 erstmals veröffentlicht wurde. Im befähigen, Sprachebenen einzuhalten. Die Lernbereich  4 Sprache und Sprachge­ bewusste Auseinandersetzung mit den ver- brauch untersuchen und reflektieren ist hier schiedenen Sprachebenen des Deutschen die Unterscheidung ausgewählter Merkmale kann Sicherheit in deren situativer Anwen- und Leistungen von Dialekt und Standard- dung vermitteln ( 2 Mündlicher Sprachge­

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brauch). Auch bei den zahlreichen Möglich- Stellung ein wie die Verwendung des Hoch- keiten des kreativen Schreibens können die deutschen“ ( 3.1 Sprechen und Sprach- Schüler mit unterschiedlichen Sprachebenen gestaltung). experimentieren ( 3 Schriftlicher Sprach­ gebrauch, 3.4 kreatives Schreiben und Ge­ stalten). Wie in der Oberstufe des Gymnasi- Fazit und Ausblick ums können im Literaturunterricht mundart- liche Texte aufgegriffen und behandelt wer- Dem Thema Mundart kommt in den Lehrplä- den. nen der bayerischen Schulen ein positiv kon- notierter Stellenwert zu. Hierbei ist der Lehr- plan für die Förderschulen mit dem Förder- Berufs- und Berufsfachschule schwerpunkt Geistige Entwicklung hervorzu- heben, welcher dem Dialekt im Unterricht Der Fachlehrplan Deutsch für die Berufs- die gleiche Bedeutung wie der Standardspra- und Berufsfachschule (2009) greift das che zugesteht. In allen anderen untersuchten Thema Dialekt in der 10. Jahrgangsstufe auf. Rahmen- und Fachlehrplänen wird dieser Im Kompetenzbereich Sprache und Sprach­ Status immerhin in abgeschwächter Form gebrauch wird der situationsbezogene Um- gewährt. Dabei steht Dialekt vor allem im gang mit Sprachvarietäten insbesondere im mündlichen Sprachgebrauch in der Grund- beruflichen Alltag auch unter dem Aspekt der schule, an der Realschule und an der Unter- Dialektverwendung thematisiert ( 10.4). In und Mittelstufe des Gymnasiums im Vorder- allen Jahrgangsstufen der Berufs- und Berufs- grund. fachschule stellen die Auseinandersetzung und die Unterscheidung der verschiedenen In der Realschule und der gymnasialen Mit- Sprachebenen des Deutschen einen wesent- telstufe wird Mundart im Bereich der Sprach- lichen Teil der Lehrpläne dar. lehre thematisiert. In der Oberstufe des Gym- nasiums wird Mundart nicht ausdrücklich berücksichtigt, dennoch ergeben sich, ent- Förderschule sprechend für FOS und BOS, vielfältige Mög- lichkeiten der Behandlung mundartlicher Einen zentralen Stellenwert besitzt das Themen im Unterricht. Thema Mundart in den Förderschulen. Dies zeigt sich z. B. an den Ausführungen im Fach- Die bayerischen Lehrpläne stellen die ver- profil Deutsch des Lehrplans für die Förder- bindliche Grundlage für eine vielfältige schulen für die Grundschulstufe, Förder- Auseinandersetzung mit dem Thema schwerpunkt emotionale und soziale Entwick- Dialekt dar, die sich im Umgang und in der lung (2001), die identisch mit denen des Lehr- Auseinandersetzung mit den regionalen plans für die Grundschule sind. Danach wird Mundarten ergibt. Im Zuge der Orientierung der Mundart für die Identität vieler Schüler der kommenden Lehrpläne hin zu einem ein besonderer Wert zugestanden und wer- kompetenzorientierten Unterricht wird der in den deren spezifische Kommunikationsmög- den Lehrplanentwürfen der Grundschule lichkeiten anerkannt. erkennbare Stellenwert der Mundart weiter aufgewertet. In den Lehrplänen für den Förderschwer- punkt Geistige Entwicklung – Grund- und Mundart im Aufwind. Diese erfreuliche Ten- Hauptschulstufe (2003) erfährt das Thema denz kann sich in Zukunft auf eine gewich- Mundart eine besonders weitgehende Be- tige Vorgabe berufen: rücksichtigung: „Das Sprechen regionaler Dialekte nimmt im Unterricht die gleiche

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„Verschiedene Erstsprachen der Schüle­ Ebenen und bietet vielfältige Zusatzinforma- rinnen und Schüler werden bei der Vermitt­ tionen und Materialien zur Umsetzung der lung sprachlicher Bildung ebenso als Berei­ Lehrpläne. Einzelne Lehrpläne können direkt cherung gesehen wie von Kindern und miteinander verglichen werden. Umfang- Jugendlichen gesprochene Mundarten, mit reiche Suchroutinen erlauben eine schnelle welchen sie über zusätzliche sprachliche Recherche zu allen Fragen des Lehrplans, Register verfügen. Beides stärkt die Sprecher so auch zum Stellenwert des Dialekts in den selbst, gibt Impulse für einen freudvollen und Lehrplänen aller Schularten. aufgeschlossenen Zugang zu Sprache und Literatur und unterstützt die Wertschätzung Einen kompakten Einblick in die Konzeption kultureller Vielfalt“ – der neuen bayerischen Lehrplangeneration vermitteln die Beiträge des ISB-Jahrbuchs so die Bekanntmachung Sprachliche Bildung: 2010, abzurufen auf der Homepage des Pflege und Erhalt der deutschen Sprache als Staatsinstituts. Das Jahrbuch dokumentiert Aufgabe aller Schularten und Fächer des die Beiträge und Ergebnisse der Fachtagung Bayerischen Staatsministeriums für Bildung Lehrplanarbeit zwischen Bildungsstandards und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom und Unterrichtsentwicklung, zu der das 17. Juni 2014, nachzulesen im Amtsblatt des Bayerische Staatsministerium für Unterricht Staatsministeriums Nr. 10/2014, S. 98f. und Kultus im November 2010 Vertreter der Landesinstitute und Kultusministerien der Länder eingeladen hatte. Die Publikation bie- Hinweis tet die Möglichkeit, sich mit dem allgemeinen Diskussionsstand der Lehrplanentwicklung Alle Lehrpläne für die bayerischen Schulen auseinanderzusetzen und sich über die aktu- sind auf der Homepage des Staatsinstituts ellen Lehrplanarbeiten in Bayern zu informie- für Schulqualität und Bildungsforschung ren. Weiterführende Aufsätze zum Thema (ISB) einzusehen: www.isb.bayern.de. Die sind im ISB-Jahrbuch 2011 nachzulesen so- neue Lehrplangeneration (LehrplanPLUS) wie in der Zeitschrift Schulverwaltung wird in diesem Rahmen in Form eines neu- Bayern Heft 4 und 5/2011 sowie 2/2012. Eine artigen Lehrplaninformationssystems (LIS) Zwischenbilanz der Lehrplanarbeit zieht das präsentiert: www.lehrplanplus.bayern.de. ISB-Info 1/2015 mit dem Schwerpunktthema: Dies ermöglicht einen Zugang auf mehreren LehrplanPLUS.

Startseite des neuen Lehrplaninformationssystems (LIS)

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Ebbes zum nei- und nauchgugga – und loosa. Bibliographische Hinweise für die Beschäftigung mit den bayerischen Dialekten

Melanie Eibl / Hermann Ruch

Das Thema Dialekt spielt in allen Deutsch- Wörterbücher Lehrplänen in Bayern eine wichtige Rolle. Der Beitrag von Ulrich Kanz zu dieser Handrei- Das erste wissenschaftliche Mundartwörter- chung zeigt, dass dies für alle Schularten gilt, buch überhaupt ist Johann Andreas Schmel- beginnend in der Grundschule bis hin zum lers Bayerisches Wörterbuch, erschienen von Abitur, Tendenz steigend: 1872 bis 1877, zuletzt wieder aufgelegt 2007 im Oldenbourg Verlag. Die Auseinandersetzung mit dem Dialekt vor Ort, in der Region oder auf Landesebene im Unterricht setzt einschlägige linguistische und landeskundliche Kenntnisse voraus, zu- mal in der Sekundarstufe und insbesondere in W- und P-Seminaren, die dialektalen The- men gewidmet sind. Hierbei bieten sich für Lehrkräfte und Schüler ganz unterschiedliche Werke an, die sich im Grad ihrer Wissen- schaftlichkeit sowie hinsichtlich ihrer Erstel- lungsweise, Aufbau und Form unterscheiden.

Für jeden größeren Dialektverband Bayerns aber auch für regionale und einzelne Orts- mundarten lassen sich sowohl in gedruckter als auch digitaler Form vielerlei Werke finden, die die schulische Arbeit unterstützen, für das jeweilige Thema sensibilisieren und das er- In der Tradition Schmellers steht das von forderliche Sachwissen bereitstellen sowie der Kommission für Mundartforschung an – so steht zu hoffen – das Interesse an der der Bayerischen Akademie der Wissen- Mundart stärken. schaften erarbeitete Bayerische Wörterbuch (BWB), das den modernen wissenschaft- Im Folgenden werden Empfehlungen zu dia- lichen Anforderungen und Standards ver- lektologischer sowie volks- und heimatkund- pflichtet ist – ein Langzeitprojekt. Seit 1995 licher Literatur gegeben. Dass es sich dabei erscheint das Wörterbuch in Teillieferungen, nur um eine kleine Auswahl der Literatur be- zwei Bände (A – Bazi; be – Boxhamer) sind ziehungsweise um ausgewählte Hinweise bereits publiziert, das erste Heft des dritten auf online verfügbare Informationen han- Bandes (Prä – brechen), erschien im Herbst deln kann, versteht sich an dieser Stelle von 2013. Das Wörterbuch erfasst den Wortschatz selbst. Im Einzelfall und bei Detailfragen hilft der bairischen Dialekte vom frühen Mittel- sicher die Kontaktaufnahme mit dem Heimat- alter bis zur Gegenwart. Die Sprachformen pfleger bzw. dem Heimatpflegeverein der je- der Vergangenheit werden aus literarischen weiligen Stadt oder Region weiter. Quellen gewonnen, das Bairische der Gegen-

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wart wird hauptsächlich durch schriftliche telbayerischen Zeitung enthält und in bislang Befragung von Dialektsprechern erhoben. In drei Bänden Wörter und Wendungen aus den dem Projekt geben gegenwärtig etwa 500 Ge- Dialekten und der regionalen Hochsprache in währspersonen aus Oberbayern, Niederbay­ Altbayern sammelt und unterhaltsam erläu- ern und der Oberpfalz Auskunft über Sachzu- tert. „Zehetner gelingt es, jedes Kapitel zu ei- sammenhänge, Verwendung und Bedeutung ner kulturhistorischen Miniatur gerinnen zu von Wörtern und Redensarten. lassen, welche ihren Wert nicht zuletzt des- halb lange behalten wird, da auch unzähli- Ebenfalls an der Bayerischen Akademie der ge Alltagsbeobachtungen (oder besser: Wissenschaften wird das Ostfränkische Wör- -hörungen) mit eingeflossen sind“ (Bayern terbuch erarbeitet. 2007 ging daraus das im Buch 1/2011). Handwörterbuch von Bayerisch-Franken (HWBF) hervor, für das Alfred Klepsch und Ähnlich unterhaltsam und gleichzeitig lehr- Eberhard Wagner verantwortlich zeichnen. reich: Ausgesprochen Bairisch. Von Mong- Über den Wortschatz des Fränki- schen in- dratzerln, Tschamsterern und anderen formieren des Weiteren, dabei auch für ein sprachlichen Kostbarkeiten (2012) von Hans breites Publikum verständlich und nützlich: Kratzer, ein anekdotenreiches Brevier vom das Wörterbuch von Mittelfranken (2. Aufl. Vergessen bedrohter bairischer Wörter, das 2001), auf der Grundlage des Sprachatlas auf den beliebten Sprachkolumnen („Kratzers von Mittelfranken an der Universität Nürn- Wortschatz“, auch online) des SZ-Redakteurs berg-Erlangen zusammengestellt von Gun- fußt und auch für den Unterricht gute Dienste ter Schunk, Alfred Klepsch, Horst Haider leisten kann. Munske u. a., sowie das im Unterfränkischen Dialektinstitut (UDI) erarbeitete Wörterbuch von Unterfranken. Eine lexikographische Be- Sprachatlanten standsaufnahme (3. Aufl. 2008) von Monika Fritz-Scheuplein, Almut König u. a. Neben der lexikographischen Behandlung von Sprachdaten, welche die unterschied- Das gesamte Schwäbische wurde wissen- lichen Bedeutungen von Wörtern aufzeigt, schaftlich erstmals von Hermann Fischer er- gibt es die Möglichkeit, sprachliche Aus- fasst und in sechs Bänden zwischen 1904 und drücke sowie deren räumliche Verteilung 1936 als Schwäbisches Wörterbuch publi- mittels Sprachatlanten aufzuzeigen: ziert. Der heutige Wortschatz von Bayerisch- Schwaben ist in dem von Werner König un- Die wohl umfassendste Materialsammlung ter Mitarbeit von Brigitte Schwarz herausge- für den gesamten bayerischen Raum erfolgte gebenen Dialektwörterbuch von Bayerisch- in den 1980er- und 1990er-Jahren. Im Zuge Schwaben. Vom Allgäu bis zum Ries (2. Aufl. des Projekts Bayerischer Sprachatlas (BSA), 2014) festgehalten. der aus den Teilprojekten Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben, Nordostbayern, Mittel- Bairisches Deutsch. Lexikon der deutschen franken, Unterfranken, Niederbayern sowie Sprache in Altbayern des Regensburger Dia­ Oberbayern besteht, wurde flächendeckend lektforschers Ludwig Zehetner bietet eine der gesamte Sprachschatz Bayerns gesam- übersichtliche Sammlung des bairischen melt und in Form von Sprachkarten festge- Wortschatzes und ist 2013 bereits in 4. Auf- halten. Die Sammlungen des BSA wurden in lage erschienen. Zur Hinführung zu dem von der Onlinedatenbank BayDat publiziert, wel- Zehetner beschriebenen Dialektraum sei die che eine leichte Zugänglichkeit des Materials seit 2009 in der Regensburger edition vulpes und Abfragen unter unterschiedlichsten Ge- erscheinende Reihe Basst scho! des Autors sichtspunkten ermöglicht. Alle Nutzer werden empfohlen, die Sprachkolumnen aus der Mit- hier gut bedient.

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Die im Universitätsverlag Winter erscheinen- 2013 folgte der Sprechende Sprachatlas für de Reihe Schriften zum Bayerischen Sprach- Bayerisch-Schwaben, 2014 der Sprechende atlas informiert über die Geschichte des Pro- Sprachatlas für Niederbayern. Ein entspre- jekts, seine Methoden und Ergebnisse. Zu- chendes Angebot für Unterfranken ist in letzt erschienen: das Handbuch zum Sprach- Planung. atlas von Mittelfranken (2013) von Horst Haider Munske und Andrea Mathussek sowie Der Sprechende Sprachatlas Bayerischer Sprachatlas von Unterfranken zum Dialekt Wald und Böhmerwald (SBuB) ist auf der und Dialektverhalten junger Erwachsener Homepage der Philosophischen Fakultät der (JuSUF), 2014 mit einer CD-ROM vorgelegt Universität Passau abzurufen und als CD von Almut König. auch im Handel erhältlich.

Als „kleine Brüder“ und populärwissen- schaftliche Ausgaben des BSA sind der Grammatik Kleine Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben (KSBS), 2007 in 2. Aufl. im Augsburger Dieser Bereich der Sprachbetrachtung Wißner-Verlag herausgegeben von Werner wird gemeinhin von Schülern wenig ge- König und Manfred Renn, der Kleine Unter- schätzt. Mit Ludwig Merkles Bairischer fränkische Sprachatlas (KUSs), 2007 im Grammatik, die vor allem auf die Laut- und Universitätsverlag Winter vorgelegt von Formenlehre des Bairischen eingeht, könnte Almut König, Monika Fritz-Scheuplein, es aber durchaus Spaß machen, sich mit den Claudia Blidschun und Norbert R. Wolf, sowie grammatischen Strukturen des Bairischen der Kleine Bayerische Sprachatlas (KBSA) zu beschäftigen. Ein gescheites und amü- von Manfred Renn und Werner König anzuse- santes Buch, das durch seine plastischen und hen, der seit 2009 als dtv-Taschenbuch in manchmal auch drastischen Beispiele Ver- 3. Auflage vorliegt. Hier wie dort finden sich gnügen bereitet und selbst dem mit der bestens kommentierte Farbkarten, die den bairischen Sprache gut Vertrauten noch eine Reichtum der bayerischen Dialektland- Menge beibringt. Erstmals erschienen 1975 schaft augenfällig dokumentieren. wurde es rasch zu einem Standardwerk und liegt seit 2005 in einer überarbeiteten Neu- auflage vor.

Überblicksdarstellungen

Das fränkische Dialektbuch Eberhard Wag- ners und Das bairische Dialektbuch Ludwig Zehetners können auch von interessierten Laien mit Gewinn gelesen werden und wid- men sich den wichtigsten Teilaspekten der je- weiligen Dialektregion: Geschichte und räum- liche Verbreitungen, Laut- und Formenlehre, Wortschatz, Dialekt in der Schule, Erfor- Hörproben: Die dem KBSA zugrunde schung der Dialekte und Dialektliteratur. liegenden Tondokumente wurden 2006 neu aufgenommen und aufbereitet und sind Gerald Hubers Hubers Bairische Wortkunde seit 2008 als Sprechender Sprachatlas von (2013) beruht auf der gleichnamigen Sende- Bayern in der Bayerischen Landesbibliothek reihe des Autors im Bayerischen Rundfunk. Online (BLO) über das Internet zugänglich, Das Buch unternimmt einen heiteren Streif-

96 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

zug durch die bairische Sprache und ihre Geschichte, die auch für Schüler gut lesbar ist. Gerald Huber wurde dafür mit der Tassilo- Medaille des Fördervereins Bairische Spra- che und Dialekte e. V. ausgezeichnet.

Einen ebenso kurzweiligen Überblick über die bairische Dialektlandschaft bietet das Taschenbuch aus der beck’schen Reihe Bairisch. Das Wichtigste in Kürze (2012) von Hans Ulrich Schmid, vormals Mitarbeiter am Bayerischen Wörterbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München und seit 2003 Professor für Historische Deut- sche Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig. Mit Hilfe der von Dietz-Rüdiger Moser 1985 begründeten und seit 2015 von Gerd Holzhei- mer im Münchner Allitera Verlag in frischem Flurnamen Layout herausgegebenen Kulturzeitschrift Literatur in Bayern kann man sich über Sollten Schülerinnen und Schüler selbst als Neues, wie etwa die kritischen Volksstücke Feldforscher tätig werden wollen, so bietet es der Oberfränkin Kerstin Specht, und Altes, sich an mit ihnen Orts- oder Flurnamenkunde beispielsweise Texte von Lena Christ oder zu betreiben. Hierbei können folgende Ange- Ludwig Thoma, informieren. Die Universi- bote von Nutzen sein: das vielbändige Histo- tätsbibliothek Regensburg bietet Digitalisate rische Ortsnamenbuch (HONB) der Kommis- älterer Ausgaben an. sion für bayerische Landesgeschichte an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Wer sich einen Überblick über alle Epochen die von Michael Henker und Wolf-Arnim Frei- der bayerischen Literaturgeschichte und herr von Reitzenstein herausgegebene Reihe damit auch der Mundartliteratur in Bayern Bayerisches Flurnamenbuch des Hauses verschaffen möchte, der sollte nach wie vor der Bayerischen Geschichte (1992ff.) sowie zu dem 1987 von Albrecht Weber herausge- die Ortsdatenbank der Bayerischen Landes- gebenen Handbuch der Literatur in Bayern biblio­thek Online (BLO) und die Bereiche greifen. Zusätzlich können die einschlägigen Orte und Karten des neuen bayerischen Kapitel im von Max Spindler begründeten Kulturportals bavarikon. Handbuch der bayerischen Geschichte zur Hand genommen werden, das neben der po- litischen und gesellschaftlichen Geschichte Mundartliteratur auch die kulturelle Entwicklung Bayerns be- rücksichtigt und bei C. H. Beck erscheint. Wer sich mit dem Reichtum der Mundartdich- 2007 wurde die Neubearbeitung mit Teilband tung in Bayern beschäftigt, findet seit Juli IV.2 abgeschlossen. 2012 im neuen Literaturportal Bayern viel- fältige Informationen aus Vergangenheit und Eine kompakte Gesamtdarstellung der Ent- Gegenwart. Auf neun verschiedenen Wegen wicklung der Literatur in Bayern, die bis in wird ein anschauliches Bild der Literaturland- die unmittelbare Gegenwart reicht, wird der- schaft Bayern entworfen. zeit von Prof. Klaus Wolf (Universität Augs- burg) vorbereitet, der seit 2015 bei Pustet die Reihe Editio Bavarica herausgibt, die entle-

97 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

gene und verstreute Texte aus Bayern bereit- schienen sind die Audio CDs: Die Liebe, Der stellt und erschließt. Für die bairische Gegen- Tod, Der Rausch, Die Freiheit. Willy Michl, wartslyrik hat dies 2014 der Sammelband Va- der Kraudn Sepp oder Gerhard Polt sind hier stehst me. Bairische Gedichte aus 40 Jahren ebenso zu hören wie Georg Ringsgwandl, getan, im lichtung Verlag im oberpfälzischen Harald Grill oder Gustl Bayerhammer. Viechtach herausgegeben von Eva Bauern- feind, Hubert Ettl und Kristina Pöschl. Dialektpflege und Dialektologie Als handliches und übersichtliches Nach- schlagewerk wird man das von Alfons Hier wird man schnell im verdienstvollen Schweiggert und Hannes S. Macher heraus- Verlagsprogramm der edition vulpes in gegebene Buch Autoren und Autorinnen in Regensburg fündig, die u. a. das Jahrbuch Bayern. 20. Jahrhundert (2004) gern zur Hand der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft nehmen, eine wohlkonzipierte Mischform aus verlegt, seit 2005 herausgegeben von Chris­ Lexikon und Literaturgeschichte seit dem tian Ferstl. Das Jahrbuch 2008 trägt den Aufbruch in die Moderne. Neben Erzählern, Titel „Dem Dorfschullehrer sein neues Lyrikern oder Dramatikern wurden dabei Latein …“ und beinhaltet eine Sammlung auch Journalisten, Historiker oder Essayisten von Beiträgen, die sich mit dem Stellenwert aus allen Teilen des Freistaats in die Auswahl und der Bedeutung des Dialekts in Erziehung, aufgenommen. Ein informatives, kompaktes Unterricht und Wissenschaft auseinanderset- und obendrein gut lesbares Handbuch, das in zen. Das Titelzitat stammt aus dem Jahr 1867 keiner Bibliothek fehlen sollte. und erinnert an die Klage des Lehrers und Sprachwissenschaftlers Rudolf Hildebrand, Mundartliteratur zum Hören von bayerischen der bereits 1867 kritisierte, dass selbst den Autorinnen und Autoren gibt es mittlerweile Dorfschullehrern das Hochdeutsche ihr neues auch in zahlreichen Hörbüchern, die ein au- Latein geworden und dies eine Sprache sei, thentisches Literatur- und Spracherlebnis die vom Lehrer ebenso hoch bewertet würde, vermitteln. Im Angebot von ars vivendi zum wie sie den Schülern fremd sei. Beispiel finden sich Hörbücher von Fitzgerald Kusz (Schweig, Bub! / Horch. Ein Mundart- Wie kann der Dialekt angesichts der Über- Hörbuch) und Helmut Haberkamm (Komm, macht der Standardsprache bewahrt wer- süßer Tod / Gidderbarri: Ein Dorf in Liedern den? Das Jahrbuch 2008 der Schmeller- & Dexden / Hinnerwidder & redur), mit Gesellschaft eignet sich ebenso als Antwort denen auch im Unterricht die Beschäftigung auf diese Frage wie das 2012 erschienene mit dem Dialekt gefördert werden kann. Im und aus den Erfahrungen des Oberviechta­ Literaturunterricht kann dies zudem durch cher Dialektprojekts hervorgegangene Hand- historische Aufnahmen geschehen, z. B. mit buch Dialektpflege in Bayern von Ludwig Karl Valentin. Gesamtausgabe Ton 1928-1947 Schießl und Siegfried Bräuer, das die Grund- (Box-Set, CD+DVD, Trikont 2014) oder mit lagen und Formen einer zeitgemäßen Dialekt- den Audio CDs Oskar-Maria Graf: Verbrennt pflege klärt und zahlreiche Beispiele aus der mich! Geschichten, Erinnerungen und Ge­ Förderpraxis in Gesellschaft und Schule vor- spräche. Gelesen vom Autor (Dhv 2008). stellt. Im dritten Kapitel werden Vorschläge zur konzeptionellen Umsetzung einer moder- Eine hochgelobte (Hör-)Enzyklopädie mit nen Dialektpflege gemacht. Eine themenbe- Gedichten, Kurzgeschichten, Essays, Musik, zogene Bibliographie und ein umfängliches Songs und Sketchen, Radiofeatures, Sound- Literaturverzeichnis runden diesen praxis- collagen, Film-Tonspuren und O-Tönen bie- orientierten Leitfaden ab. tet der Münchener Trikont-Verlag in der Reihe Stimmen Bayerns (2011ff.) an. Bisher er-

98 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Über die Dialektpflege des Unterfränkischen Globalisierung, die Rückbesinnung aufs Regi­ Dialektinstituts in Würzburg kann man sich onale, Lokale, nicht als fahrenden Zug zum in den Sendbriefen des UDI informieren, die Draufspringen anschaut. Sondern das die- im Beitrag des Monats stets auch ein dialek- sem Trend und dem diffusen ‚Heimatgefühl‘ tologisches Thema abhandeln. Über die Akti- Rechnung trägt, es interessiert begleitet, vitäten des Fördervereins Bairische Sprache herausfordert, ihm auf den Grund geht – und und Dialekte e. V. informieren dessen Rund- auch einfach mal seine Gaudi damit hat.“ briefe, die neben Vereinsnachrichten eine Literarisches und Sprachliches sind stets mit große thematische Bandbreite abdecken und im Heft. dabei, dem Vereinszweck entsprechend, die bairischen Mundarten in den Mittelpunkt stel- Die Vierteljahresschrift aviso. Zeitschrift für len. Beide Publikationen stehen auch online Wissenschaft und Kunst in Bayern wird vom zur Verfügung. Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst heraus- Eine wahre Fundgrube einschlägig relevanter gegeben und ist auf der Website des Staats- Themen bietet die Schriftenreihe des Regens- ministeriums auch online einzusehen. Heft burger Dialektforums, herausgegeben von 4/2011 war dem Thema Heimat gewidmet Rupert Hochholzer und Ludwig Zehetner, in und enthält die lesenswerte Polemik Sprach­ der seit 2002 Aufsätze und Berichte aus dem heimat und Heimatsprache von Reinhard Bereich der Dialektologie erscheinen, die weit Wittmann, der 30 Jahre lang die Literatur­ über die Region Regensburg/Oberpfalz hin­ sendungen im Hörfunk des Bayerischen ausreichen. Sprachwissenschaftliches im en- Rundfunks betreut hat und daher weiß, wo- geren Sinn steht dabei neben Themenheften, von er spricht. die u. a. das Verhältnis von Dialekt und Lite- ratur (Bd. 10), von Mundart und Medien (Bd. Ein breites Panorama der bayerischen Ge- 16) und von Dialekt und Religion (Bd. 20) be- schichte und Kultur entwerfen die Publikati- leuchten. onen des Hauses der Bayerischen Geschichte (HdBG) in Augsburg: die Kataloge zu den all- jährlichen Landesausstellungen sowie die Heimat Bayern attraktive Reihe EDITION BAYERN, die seit 2009 die frühere HdBG-Reihe Hefte zur Baye­ Im Freistaat gibt es zahlreiche Vereine und rischen Geschichte und Kultur fortführt und Verbände, die sich um die Pflege der bayeri­ mit Regional- und Sonderheften das jewei- schen Geschichte und Kultur bemühen und lige Thema abhandelt und mit attraktivem dabei neben den aktuellen Belangen der je- Bildmaterial vor Augen führt. Von der Ge- weiligen Region auch die bayerischen Mund- schichte der Eisenbahn in Bayern bis zu Karl arten im Blick haben. Einen guten Eindruck Valentin, von Bayerns Trachten zu Olympia hiervon vermitteln zum Beispiel die Zeit- 1972 in München und der reichen Industrie- schriften Schönere Heimat des Bayerischen kultur im Freistaat reicht der weit gespannte Landesvereins für Heimatpflege e. V., Die thematische Bogen. Sonderheft 08/2015 der Oberpfalz des Oberpfälzer Kulturbunds oder EDITION widmet sich den bayerischen Dia- der Oberpfälzer Waldverein mit Die Arnika. lekten und ist wie alle Hefte der Reihe auch im Internetauftritt des HdBG präsent, der bei Seit 2011 erscheint vierteljährlich die Zeit- BaVaria und im Bildarchiv wertvolle histo- schrift MUH – Bayerische Aspekte, ein Ma- rische Dokumente erschließt. gazin „für bayerisches Wesen und Unwesen, bayerische Kulturen und Unkulturen, Gemüt- lichkeit und Ungemütlichkeiten. Ein Magazin, das einen Trend in Zeiten der galoppierenden

99 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

zum Thema Dialekt in Hadumod Bußmanns Lexikon der Sprachwissenschaft (4. Aufl. 2008) an. Anschaulich und knapp informie- ren die Texte und Farbtafeln des von Werner König besorgten dtv-Atlas Deutsche Sprache über die Vielfalt der deutschen Mundarten. Der bekannte Atlas liegt seit 2011 bereits in der 17. Auflage vor.

Einen vertieften Einblick in die Teilgebiete und Arbeitsfelder der Dialektologie ermög­ licht Hermann Niebaums und Jürgen Machas Einführung in die Dialektologie des Deut- schen. Für die 3. Auflage 2014 dieses Grund- lagenwerks wurde das Buch erneut in wei- ten Teilen überarbeitet, ergänzt und aktuali- siert. Unter Einbeziehung der neuesten For- Empfehlenswerte Neuerscheinungen aus schungsliteratur entsteht ein umfassendes dem weiten Bereich der Bavarica werden Bild der heutigen Sicht auf die deutsche Dia- zweimal jährlich in Bayern im Buch. Litera- lektlandschaft. Die historische Dimension tur aus Altbayern, Schwaben und Franken der Sprachentwicklung wird dabei gebüh- in Kurzrezensionen vorgestellt, zusammen- rend berücksichtigt. getragen vom Sankt Michaelsbund, Landes- verband Bayern e. V., in Zusammenarbeit mit In ihrem Studienbuch Variation im Deut- der Bayerischen Staatsbibliothek, Landes- schen (1998) führen Stephen Barbour und fachstelle für das öffentliche Bibliothekswe- Patrick Stevenson die wichtigsten Forschungs- sen. Sachliteratur und Schöne Literatur aus ergebnisse hinsichtlich der soziolinguisti­ und über Bayern spielen dabei eine wichtige schen Dimensionen der deutschen Gegen- Rolle, darunter auch Neuerscheinungen zu wartssprache zusammen und setzen sich da- den bayerischen Dialekten. bei mit den verschiedenen Forschungsansät- zen auseinander. Themenschwerpunkte sind Einen weitgehend vollständigen Überblick u. a. die historischen Grundlagen der Ent- über das Schrifttum aus und über Bayern wicklung der deutschen Standardsprache, – Handschriften, Bücher, Aufsätze aus Zeit- die regionale und soziale Verteilung der ver- schriften und Sammelwerken, dabei auch schiedenen Sprachformen, die Herausbildung elektronische Angebote aller Art – ermöglicht eines sprachlichen Kontinuums zwischen die Bayerischen Staatsbibliothek, die auf Dialekt und Standardsprache sowie die Mehr- ihrer Website die unterschiedlichen Fundorte sprachigkeit in Deutschland und der Schweiz. zum Sammelschwerpunkt Bavarica zusam- menführt. Einen Überblick über den aktuellen Stand der dialektologischen Forschung bieten die Akten des 3. Kongresses der Internationalen Dialekte in Deutschland – Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen und global (IGDD), die 2011 unter dem Titel Dynamik des Dialekts – Wandel und Variation im Franz Stellt man das Thema Dialekt in Bayern in ei- Steiner Verlag von Elvira Glaser, Jürgen Erich nen größeren, dabei auch methodologischen Schmidt und Natascha Frey herausgegeben Zusammenhang, bieten sich als erste Orien- wurden. tierungshilfe die einschlägigen Stichwörter

100 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Aus dem Bereich der Fachzeitschriften für Literatur den Deutschunterricht ist auf folgende The- menhefte aufmerksam zu machen, die reich- Barbour, Steven / Stevenson, Patrick (1998): haltiges Material und Konzepte für den Un- Variation im Deutschen. Soziolinguistische terricht bereitstellen: Sprachvariation im heu­ Perspektiven. Berlin / New York. tigen Deutsch (Der Deutschunterricht 1/2004), Mundart (Deutschmagazin 4/2008). Mit der Bauernfeind, Eva / Ettl, Hubert / Pöschl, Kristina Wiederkehr von Heimat in der deutschspra- (Hrsg.) (2014): Vastehst me. Bairische Gedichte aus chigen Kinder- und Jugendliteratur beschäf- 40 Jahren. Viechtach. tigt sich der Aufsatz Neue Heimat. Regiona­ lität, Provinzialität und das Dorf in der Stadt Becker, Susanne Helene (2014): Neue Heimat. – zum ethnographischen Erzählen in der ak­ Regionalität, Provinzialität und das Dorf in der Stadt – zum ethnographischen Erzählen in der tuellen Kinder- und Jugendliteratur (JuLit aktuellen Kinder- und Jugendliteratur. In: JuLit 2/2014) der Literaturwissenschaftlerin und 2/2014, S. 40-44. -didaktikerin Susanne Helene Becker.

Bußmann, Hadumod (Hrsg.) (4. Aufl. 2008): Eine kompakte Einführung in die Thema- Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart. tik Sprache und Diskriminierung bietet das gleichnamige Themenheft 6/2011 von Der Ferstl, Christian (Hrsg.) (2009): Jahrbuch der Deutschunterricht, in dem Péter Maisz und Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft 2008. Stephan Elspass anhand von Fallbeispielen „Dem Dorfschullehrer sein neues Latein …“. zeigen, wie Dialektsprecher in Deutschland Beiträge zu Stellenwert und Bedeutung des Dia- zum Opfer von sozialer Benachteiligung wer- lekts in Erziehung, Unterricht und Wissenschaft. den können. Eine Philippika gegen die Stan- Regensburg. dardsprachen- und Homogenitätsideologie, Fischer, Hermann (1904-1936): Schwäbisches ein Plädoyer für die sprachliche Vielfalt! Wörterbuch, weitergeführt von Wilhelm Pfleiderer. 6 Bde. Tübingen. Über die prekäre Lage vieler Sprachen und dabei besonders von Dialekten weltweit in- Fritz-Scheuplein, Monika / König, Almut / Krämer- formiert JL / JournaLIPP Nr. 3/2014 der Neubert, Sabine / Wolf, Norbert Richard (3. Aufl. Graduiertenschule Sprache & Literatur der 2008): Wörterbuch von Unterfranken. Eine lexiko- Ludwig-Maximilians-Universität München, graphische Bestandsaufnahme. Würzburg. Klasse für Sprache, vormals Linguistisches Internationales Promotionsprogramm (LIPP). Glaser, Elvira / Schmidt, Jürgen Erich / Frey, Die Ausgabe stellt die Vorträge des 19. LIPP- Natascha (Hrsg.) (2011): Dynamik des Dialekts – Symposiums vom Juli 2013 zum Thema Ge­ Wandel und Variation. Akten des 3. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie fährdete Sprachen – Endangered Languages des Deutschen (IGDD). Stuttgart. zusammen und ist auf der Website der Uni- versitätsbibliothek München einzusehen. Das Hinderling, Robert / König, Werner u. a. (Hrsg.) Symposium beschäftigte sich mit drei Kom- (1996ff.): Bayerischer Sprachatlas. Heidelberg. plexen: 1. der Beschreibung und Analyse ge- fährdeter Sprachen; 2. den Zielen, Methoden Henker, Michael / von Reitzenstein, Fhr. Wolf- und Absichten der Sprachdokumentation so- Armin (Hrsg.) (1992ff.): Bayerisches Flurnamen- wie, 3., mit den Auswirkungen sprachpoli- buch. Augsburg. tischer Maßnahmen auf die Entwicklung und den Lebendigkeitsgrad einer Sprache. Vom Hochholzer, Rupert / Zehetner, Ludwig (Hrsg.) Bairischen im Zeitalter der Globalisierung (2002ff.): Regensburger Dialektforum. Regensburg. wurde dabei auch gesprochen. [Schriftenreihe]

101 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Huber, Gerald (2. Aufl. 2013): Hubers bairische Niebaum, Hermann / Macha, Jürgen (3. Aufl. Wortkunde. Wissen woher Wörter kommen. 2014): Einführung in die Dialektologie des Deut- München. schen. Tübingen.

König, Almut / Fritz-Scheuplein, Monika / Renn, Manfred / König, Werner (3. Aufl. 2009): Blidschun, Claudia / Wolf, Norbert Richard (2007): Kleiner Bayerischer Sprachatlas. München. Kleiner Unterfränkischer Sprachatlas. Heidelberg. Schießl, Ludwig / Bräuer, Siegfried (2012): König, Almut (2014): Sprachatlas von Unterfranken Dialektpflege in Bayern. Ein Handbuch zur Theorie zum Dialekt und Dialektverhalten junger Erwachse- und Praxis. Regensburg. ner (JuSUF), m. CD-ROM. Heidelberg. Schmeller, Johann Andreas (2007): Bayerisches König, Werner (17. Aufl. 2011): dtv-Atlas Deutsche Wörterbuch, bearbeitet von G. Karl Frommann. Sprache. München. 2 Bde. München. [Nachdruck der 2. Aufl. 1872- 1877] König, Werner / Renn, Manfred (2. Aufl. 2007): Kleiner Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben. Schmid, Hans Ulrich (2012): Bairisch. Das Augsburg. Wichtigste in Kürze. München.

König, Werner (Hrsg.) (2. Aufl 2014): Dialektwörter- Schunk, Gunther / Klepsch, Alfred / Munske, buch von Bayerisch-Schwaben. Augsburg. Horst Haider u. a. (2. Aufl. 2001): Wörterbuch von [Bearbeiterin: Brigitte Schwarz] Mittelfranken. Eine Bestandsaufnahme aus den Erhebungen des Sprachatlas von Mittelfranken. Kommission für bayerische Landesgeschichte Würzburg. (Hrsg.) (1951ff.): Historisches Ortsnamenbuch von Bayern. München. Schweiggert, Alfons / Macher, Hannes S. (Hrsg.) (2004): Autoren und Autorinnen in Bayern. Kommission für Mundartforschung (Hrsg.) 20. Jahrhundert. Dachau. (1995ff.): Bayerisches Wörterbuch. München. Spindler, Max u. a. (Hrsg.) (1981ff.): Handbuch der Kommission für Mundartforschung (Hrsg.) bayerischen Geschichte. München. (3. Aufl. 2007): Handwörterbuch von Bayerisch- Franken. Bamberg. Wagner, Eberhard (1987): Das fränkische Dialekt- buch. München. Kratzer, Hans (2012): Ausgesprochen Bairisch. Von Mongdratzerln, Tschamsterern und anderen Weber, Albrecht (Hrsg.) (1987): Handbuch der sprachlichen Kostbarkeiten. München. Literatur in Bayern. Vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart. Geschichte und Interpretationen. Maitz, Péter / Elspass, Stephan (2011): „Dialekt- Regensburg. freies Sprechen – leicht gemacht!“ Sprachliche Diskriminierung von deutschen Muttersprachlern Zehetner, Ludwig (4. Aufl. 2013): Bairisches in Deutschland. In: Der Deutschunterricht 6/2011, Deutsch. Lexikon der deutschen Sprache in S. 7-17. Altbayern. Regensburg.

Merkle, Ludwig (2005): Bairische Grammatik. Zehetner, Ludwig (1985): Das bairische Dialekt- München. buch. München.

Munske, Horst Haider / Mathussek, Andrea (2013): Zehetner, Ludwig (2009ff.): Basst scho! Handbuch zum Sprachatlas von Mittelfranken. Regensburg. [3 Bde.] Heidelberg.

102 Dialekte in Bayern Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte

Internet Regensburger Dialektforum: www.uni-regensburg.de/forschung/ aviso. Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in dialektforum Bayern: www.km.bayern.de Sprechender Sprachatlas von Bayern: www.bayerische-landesbibliothek-online.de > bavarikon. Kultur und Wissensschätze Bayerns: Sprechender Sprachatlas www.bavarikon.de

Universität Passau – Sprachraumforschung: Bayerische Akademie der Wissenschaften – www.phil.uni–passau.de/fr/die-fakultaet/lehrs- Kommission für Mundartforschung: tuehle-professuren/germanistik/deutschesprach- www.bwb.badw.de wissenschaft/forschung.html

Bayerische Dialektdatenbank – BayDat: Unterfränkisches Dialektinstitut: www.baydat.uni-wuerzburg.de www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de

Bayerische Landesbibliothek Online (BLO): www.bayerische-landesbibliothek-online.de Abbildungen

Bayerische Staatsbibliothek – Bavarica: © 2008 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, www.bsb-muenchen.de/literatursuche/ München sammelschwerpunkte/bavarica © 2005 Deutscher Taschenbuch Verlag, München © 2015 BUCH&media, München Förderverein Bairische Sprache und Dialekte e. V.: © 2014 Trikont, München www.fbsd.de

Fränkisches Wörterbuch: www.fraenkisches-woerterbuch.phil.fau.de

Haus der Bayerischen Geschichte: www.hdbg.de

Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft e. V.: www.schmellergesellschaft.de

Kratzers Wortschatz: www.sueddeutsche.de

LIPP – 19. Symposium 2013: https://lipp.ub.lmu.de/issue/view/28

Literaturportal Bayern: www.literaturportal-bayern.de

Literatur in Bayern. Kulturzeitschrift: „Es gibt nix und niemanden, der kingt wie Kofelgschroa. www.literaturinbayern.de Die Band aus Oberammergau zählt zum Ergreifendsten, www.uni-regensburg.de/bibliothek was die Popmusik der vergangenen Jahre hervorgebracht hat.“ (FAZ), Trikont DVD 2014 Ostfränkisches Wörterbuch: www.ostfraenkisches-woerterbuch.de

103 Dialekt und Schule – Grundlagen und Konzepte Dialekte in Bayern

Dialekt macht schlau!

Hans Kratzer [Aus: Süddeutsche Zeitung vom 18.07.2005, S. 37, gekürzt]

Die alte These, dass die Mundart die Sprach- beherrschen, das zuständige Zentrum im Ge- fähigkeit der Kinder verbessert, bekommt hirn besser ausbilde. „Der Dialekt ist für ein durch die neue Pisa-Studie Aufwind. Dem- Kind die optimale Voraussetzung für jegliche nach trainieren Dialektsprecher vor allem weitere Entfaltung auf sprachlichem Gebiet.“ Auffassungsgabe und abstraktes Denken. Dazu passt die These von Reinhold Steinin- ger, dass der Gebrauch des Dia­lekts rapide In der Sprache der Münchner Jugendlichen zurückgehe, die Beherrschung der Schrift- kommt er nicht mehr vor, die Radio- und sprache aber in gleichem Maße abnehme. Fernsehsender meiden ihn wie die Pest, in vielen Firmen, Elternhäusern, Schulen und Interessant ist in diesem Zusammenhang Universitäten gilt er als primitiv und unzeit­ eine Untersuchung der Universität Olden- gemäß. Doch jetzt hat die aktuelle Pisa-Studie burg, die Aufsätze von Dritt- bis Sechstkläss- dem Dialekt überraschend zu neuer Aufmerk- lern über Jahre hinweg auswertete und zu samkeit verholfen. Dass im Bildungsvergleich dem Ergebnis kam, dass die Dialektsprecher ausgerechnet Dialekt-Regionen wie Bayern, 30 Prozent weniger Rechtschreibfehler pro­ Baden-Württemberg, Sachsen und Österreich duzierten. ganz oben stehen, hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Sogar die mundartlich wenig Der Germanist Rupert Hochholzer vom inspirierte Bildzeitung titelte etwas ratlos: Regensburger Dialektforum führt das gute Macht uns der Dialekt so schlau? Pisa-Ergebnis der Bayern dennoch nicht allein auf den Dialekt zurück. Es gebe zwar Tatsächlich lassen wissenschaftliche Unter­ starke Hinweise, dass er eine bedeutende suchungen den Schluss zu, dass Kinder, die Rolle spiele, aber den wissenschaftlichen mit dem Dialekt aufwachsen und sich dann Beweis im Feldversuch zu erbringen, das erst die Standardsprache aneignen, eine grö- sei sehr aufwändig und teuer. Für Hochholzer ßere Sprachkompetenz entwickeln. Heinz-­ ist der Dialekt nur ein Mosaikstein des baye- Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deut- rischen Pisa-Erfolgs. „Dazu kommen sicher- schen Philologenverbandes, nennt folgenden lich noch intakte Familienstrukturen, die Ver- Grund für dieses Phänomen: „Dialektspre- ankerung in der Tradition und die gute wirt- cher lernen früh, zwischen verschiedenen schaftliche Situation im Freistaat.“ Sprachebenen zu unterscheiden. Das trai- niert die Auffassungsgabe und das abstrakte Ein großes Manko sieht Hochholzer in dem Denken.“ Nach Ansicht von Josef Kraus, Umstand, dass das Erlernen von Sprachen dem Präsidenten des Deutschen Lehrerver- immer noch ein Randthema sei. „Zwar sagen bandes, profitieren Dialektsprecher vor allem die Politiker, es sei ganz wichtig, Sprachen zu in Deutsch und Mathematik von ihrem guten lernen, aber die Realität schaut anders aus.“ sprachanalytischen Verständnis. In Deutschland dominiere immer noch die einsprachige Ausrichtung des Nationalstaats Ludwig Zehetner, der an der Universität Re- aus dem 19. Jahrhundert: „Ein Staat, eine gensburg bairische Dialektologie lehrt, ver- Sprache.“ Eine Ideologie, die auch National- weist überdies auf jüngste Erkenntnisse in sozialisten und Kommunisten rigoros ver- der Hirnforschung. Aus denen gehe hervor, fochten – zu Lasten der Mehrsprachigkeit dass sich bei Kindern, die mehrere Sprachen und der Dialekte.

104 Dialekte in Bayern

Teil III Dialekte im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle

Bairisch Siegfried Bräuer, Alfred Wildfeuer

Fränkisch Doris Jenetzky

Schwäbisch Franziska Scheule-Walter

105 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern

Einführung

Die folgenden Unterrichtsbeispiele sind als Als grundsätzliche Orientierungshilfe schulartübergreifende Modelle anzusehen, dient die Einteilung in die Altersstufen wie das Thema „Dialekt“ in den Deutsch-  vorschulischer Bereich / Primarstufe, unterricht integriert werden kann, vom vor-  Sekundarstufe I und schulischen und Primarbereich bis hin zur  Sekundarstufe II, Sekundarstufe II. Gegliedert nach den baye- wobei zahlreiche Unterrichtsvorschläge für rischen Dialekträumen werden vielfältige die Sekundarstufe I auch auf höhere Jahr- Anregungen geboten, die inhaltlich wie me- gangsstufen übertragen werden können – thodisch übertragbar sind, wie der nachste- eine entsprechende Passung vorausgesetzt. henden Zusammenschau zu entnehmen ist. Da sich die Bezeichnungen für die Lernbe- Die Kapitel zum Bairischen, Fränkischen und reiche des Faches Deutsch in den verschie- Schwäbischen fassen zunächst das jeweils er- denen Schularten unterscheiden, einigte forderliche Basiswissen zusammen und ver- man sich auf die Begriffe: weisen auf die grundlegende Sekundärlitera-  Sprechen tur. Daran anschließend findet der Leser eine  Schreiben Übersicht über die jeweiligen Module. Das  Sprachbetrachtung Angebot berücksichtigt alle Altersstufen –  Literatur und Sachtexte ausgehend von überwiegend imitativen Lern-  Medien situationen wie dem Sprechen von Versen und Gedichten über das Schreiben von Die Beschreibung der Unterrichtsverläufe, Mundartdialogen und -texten bis hin zur Ana- die dem Leitbild eines schüler- und hand- lyse von dialektalem Sprachmaterial oder die lungsorientierten sowie integrativen Deutsch- Erörterung komplexer Sachtexte. Absicht der unterrichts verpflichtet sind, folgt gängigen Verfasser war es, ein möglichst breites me- Artikulationsschemata. thodisches Spektrum zu erschließen und da- bei zentrale Lernbereiche des Faches Deutsch abzudecken und miteinander zu vernetzen. Mit gekennzeichnete Materialien sind als Hörbeispiele auf der Homepage des Staats- Die Darstellung der Unterrichtsmodelle folgt instituts für Schulqualität und Bildungsfor- einem einheitlichen Schema: schung (ISB) abzurufen: www.isb.bayern.de.  Altersstufe  Lernbereich des Faches Deutsch  Art des Unterrichtsgegenstandes  Lerninhalt (mit Begründung der Auswahl)  Lernziele  Medien / Material (ggf. Zusatzinformationen)  Lehr- und Lernprozess  Quellenangaben / ggf. weiterführende Literatur

106 Übersicht über sämtliche Unterrichtseinheiten

Bairisch Fränkisch Schwäbisch 1 Sprechvers „Annermirl, Zugger- 1 Standardsprache – Dialekt: Text- 1 Sprechvers / Brauchtum dirl, gej mit mir in d‘Schlejer“: vergleich „Max und Moritz“, Vortrag, vom Klopferstag: Erlernen eines Erklärung einer Redewendung, Inszenierung Gedichts und seines kulturellen Rollensprechen, szenische Inter- 2 Merkmale des Fränkischen: Zusammenhangs, Vortrag, Realisie- pretation, Singen Vortrag, Arbeit an „Wi i a Schul- rung des Brauchs 2 Kirchweihlied „Dou drunt‘n aaf mädla war“ (L. Scherer) da Bruck“: Erfassen des Inhalts und kulturellen Hintergrunds, Singen und Begleitung mit Orff-Instrumentarium 3 Mundartliche Begriffe zum Thema „Herbst“: Phantasiereise, Verschriften Primarbereich

/ und Ordnen der Begriffe nach Sach- zusammenhängen 4 Mundartgedicht von H. Zöpfl:

Vorschule inhaltliche und formale Erschließung, Vortrag 5 Wirkung von Mundart und Standardsprache: Gedichtvergleich (Zöpfl, Stempel, Ripkens) 6 Elfchen zum Thema „Herbst“: Schreiben und Vortrag

7 Vornamen als Schimpfwörter: 3 Dialekt als eigene Sprache, 2 Dialekt im Bauernstück („Der analytische und spielerische Aus- Probleme der Schreibung: Quiz, Doosoahrig“): Sprachtest, sprach- einandersetzung mit einer Streit- Arbeit an „Asterix uff Meerfräng- wissenschaftliches Arbeiten, szene, Schreiben und szenische gisch“, Erstellen eines Dialekt- szenische Interpretation, Verfassen Präsentation eines Streitdialogs wörterbuchs einer Parallelszene 8 Mundartforschung – J.A. Schmeller: 4 Einstellungen zum Dialekt: 3 Fächerübergreifendes Unter- Arbeit mit einem biographischen Sketch (E. Pelzig), Statistik, Schüler- richtsprojekt: „Berblinger – Der Sachtext sowie Eintrag im „Baye- befragung, Sachtext, Gedicht Ikarus von Ulm“. Analyse verschie- rischen Wörterbuch“ (auch Sek. II) (auch Sek. II) dener Ausgangstexte, Erarbeitung 9 „Der Rattenfänger von Hameln“: 5 Dialekt in den Medien: eines Schattenspiels mit Musik und Schreiben, Gestaltung und Präsenta- Analyse der Werbekampagne von Gesang sowie einführenden Texten tion eines Mundartcomics Baden-Württemberg und von 4 Schüler als Sprachforscher: 10 Wert und Grenzen der Dialekte: TV-Sendungen, Gestaltung einer Passantenbefragung mit Fragebogen Analyse einer Szene aus dem Zei- Werbekampagne für das Fränkische (auch Sek. II) Sekundarstufe I chentrickfilm „Findet Nemo“ und (auch Sek. II) 5 Duett in schwäbischer Mundart: verschiedener Mundarttexte, Schü- 6 Franken in Mundartgedichten: Übertragung einer Mundartkantate lerbefragung, Arbeit mit Definitionen Gedichtvergleich (Krischker, aus dem Rokoko (S. Sailer) in einen aus Lexika / Internet, Textproduktion Haberkamm, Bach), Arbeit mit Film modernen Sprechgesang (Rap) 11 Dialekte im deutschsprachigen und Karte (auch Sek. II) (auch Sek. II) Raum: Analyse zeitgenössischer 6 Der Konjunktiv der direkten Mundartlieder, Auswertung einer und indirekten Rede: Vergleich der Dialektkarte, Diskussion der Vor- und schwäbischen und nhdt. Grammatik Nachteile von Dialekt (auch Sek. II) (auch Sek. II)

12 Die bairischen Mundarten – 7 Dialekt im Drama: Vergleich 7 Ansehen und Funktion des multimedial: Arbeit mit multimedia- eines Dramas des Naturalismus mit Dialekts: Diskussion und Problem- len Sprachatlanten auf CD-ROM „Schweig Bub!“ (F. Kusz) erörterung anhand von Sachtexten oder im Internet 8 Dialekt im Gedicht: Gedicht- 13 Dialekt als soziales Stigma?: vergleich zum Thema „Sehnsucht“ Analyse der TV-Serie „Königlich (Haberkamm, Eichendorff) Bayerisches Amtsgericht“ und eines Sekundarstufe II Dramenauszugs von F. X. Kroetz, Diskussion: Dialekt / Sozialprestige

107 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Bairisch

Basiswissen*

Bairisch schlechthin? Franziska Scheule-Walter spricht in ihrem Beitrag vom Schwäbischen als Phantom, Verschriftlichung dies kann auch auf das Bairische übertragen Bairisch in historischen und werden. Im Folgenden soll anhand einiger regionalen Bezügen herausragender Merkmale versucht werden, diesen äußerst vielschichtigen Sprachraum Bairisch in Bayern, Österreich zu erläutern und zu gliedern, wobei der Ein- und Südtirol fachheit halber häufig der Begriff Bairisch für diese große Dialektgruppe verwendet wird. Sprachliche Merkmale des Bairischen Verschriftlichung Bibliographie Bairisch ist primär eine vor allem mündlich ge- brauchte Sprache, eine schriftlich normierte, präskriptive Rechtschreibung und Grammatik existieren nicht. Ansätze zu einer Normierung Bairisch schlechthin? wurden bisher nicht weiter ausgebaut. Wirft man einen Blick in die Bavarica-Abteilungen Spricht der interessierte Laie von Bairisch, größerer Buchhandlungen, liest regionale Ta- meint er meist die aus Radio oder Fernsehen geszeitungen oder befragt Schüler in dialekt- bekannte, häufig „weichgespülte“, d. h. in geprägten Regionen nach ihrer Sprachver- ihrer sprachlichen Eigenständigkeit stark wendung beim Abfassen von kurzen persön- reduzierte Form des Bairischen, die zudem lichen Mitteilungen (sowohl handschriftliche in vielen Fällen an die in und um München als auch solche per E-Mail oder SMS), so fällt gesprochene Dialektvariante angelehnt ist. auf, dass geschriebenes Bairisch eine Reali- Der gesamtbairische Dialektraum, die größte tät darstellt, die im Umfang in den letzten Jah- Mundartlandschaft Europas, ist jedoch durch ren deutlich gestiegen sein dürfte. Dies führt eine sehr große Varianz gekennzeichnet, zu dem auf den ersten Blick paradoxen Phä- die in ihrer jeweils bodenständigsten Aus- nomen, dass der Abnahme der mündlichen prägung zu gegenseitigen Verständigungs- Dialektverwendung eine Zunahme der schrift- schwierigkeiten innerhalb des Sprachraums lichen Verwendung gegenübersteht. führen kann. Ein Bairisch Sprechender aus der nördlichen Oberpfalz wird sich mit einem Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Bairisch Sprechenden von einer norditalie- dem Bairischen wurde ein hochkomplexes In- nischen Sprachinsel wohl nur verständigen strument zur Verschriftlichung von Mundart- können, wenn sie sich beide bis zu einem ge- proben entwickelt, wobei die dabei verwen- wissen Grad der Standardsprache annähern. dete Zahl an Zeichen die Anzahl der Buchsta- Dieses Beispiel soll illustrieren, dass es kein ben des herkömmlichen Alphabets um ein Bairisch an sich gibt, sondern nur unzählig Vielfaches übersteigt. In der folgenden Dar- viele Dialektvarianten, die sich anhand be- stellung soll ein Kompromiss zwischen ex- stimmter Merkmale zu einer Gruppe zusam- akter Darstellung des Bairischen und guter menfassen lassen. Lesbarkeit angestrebt werden. Es wird das

108 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

normale Alphabet verwendet, ergänzt um Die deutschen Mundarten lassen sich in drei Zeichen, die für die Darstellung des Dialekts Großräume einteilen. Das Niederdeutsche und dessen Lesbarkeit unabdingbar sind: ist durch das Fehlen der 2. Lautverschiebung und der neuhochdeutschen Diphthongierung Vokale: gekennzeichnet (wat ‚was‘, Appel ‚Apfel‘, å verdumpfter a-Laut, der in etwa zwischen Hus ‚Haus‘). Das Oberdeutsche hat an der standardsprachlichem a und o liegt 2. Lautverschiebung ganz teilgenommen, (z. B. åcht ‚acht‘, Kåtz ‚Katze‘) an der neuhochdeutschen Diphthongierung á überoffener a-Laut, deutlich heller zum Teil (Apfel, Mus neben Maus).2 Das Mit- als standardsprachliches a teldeutsche nimmt eine Zwischenstellung (Kás ‚Käse‘, Schmánkerl) ein, es hat die 2. Lautverschiebung teilweise, ia Verbindung aus zwei Vokalen die neuhochdeutsche Diphthongierung ganz (= Diphthong), wird gleitend, d. h. ohne durchgeführt (dat neben das, z. B. Maus). Unterbrechung des Atemstroms ge- sprochen (Briada ‚Brüder‘, miad ‚müde‘) Das Bairische führte als Teil des oberdeut- ei, ea, ai, au, ui, ua, oi, oa, ou1 schen Sprachraums die zweite, hochdeutsche weitere Diphthonge, siehe Anmerkung Lautverschiebung durch, die germanischen zu ia (Geid ‚Geld‘, vadeana ‚verdienen‘, Verschlusslaute p, t, k wurden je nach laut- Laid ‚Leute‘, Schui ‚Schule‘, licher Umgebung zu Frikativen (f, ff, s, ss, Bruada ‚Bruder‘, zoin ‚zahlen‘, ch)3 oder Affrikaten (pf, z, kch)4, wobei die Goas ‚Geiß‘, roud ‚rot‘) Affrikate kch innerhalb des Bairischen heute nur noch im Südbairischen greifbar ist, frü- Konsonanten: her allerdings für das ganze Bairisch gegolten kh / kch haben dürfte. Als Relikt der ehemaligen Affri- der k-Laut ist im Anlaut vor Vokal meist kate findet sich heute in den bairischen Unter- deutlich behaucht (khemma ‚kommen‘), dialekten noch die behauchte Form von k im im Südbairischen in allen Positionen Anlaut (khemma, khinna ‚kommen, können‘). (nicht nur vor Vokal und im Anlaut) meist sogar deutlich gerieben Die Diphthongierung der mittelhochdeut- (kchemmen ‚kommen‘, schen Langvokale î, û, iu zu neuhochdeutsch Schpekchkchnedl ‚Speckknödel‘) ei, au, eu (mîn > mein, hûs > haus, hiute > n (hochgestellt und klein) heute) nahm vom Bairischen ihren Ausgang, eigentlich geschwundener Konsonant, war somit eine „bairische Erfindung“ des bewirkt aber in vielen Gebieten deutlich 11. Jahrhunderts (oder früher), die prägend nasale Aussprache des vorausgehenden für die Ausbildung der Standardsprache Vokals (Mon / Mån ‚Mann‘, war. Gerade das Bairische hatte in früheren schon/schån ‚schon‘) Zeiten deutliche Impulse für die Entwicklung der Standardsprache gegeben, erst in früh- neuhochdeutscher Zeit übernahm das Ost- Bairisch in historischen und mitteldeutsche ab etwa dem 15. Jahrhundert regionalen Bezügen die dominierende Rolle für die Ausbildung der Standardsprache. Das Bairische wird in der deutschen Mund- artlandschaft der oberdeutschen Dialekt- gruppe zugeordnet. Das Schwäbische im Bairisch in Bayern, Österreich Südwesten und das Ostfränkische im Norden und Südtirol stellen die nächsten Verwandten dar. Verglei- che hierzu die Sprachkarte auf der Umschlag­ Das Bairische gliedert sich heute in die innenseite oben. Subdialekte Nordbairisch (das hauptsächlich

109 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

in der Oberpfalz verbreitet ist, aber auch verschmolz. In Niederbayern und Oberbayern die nördlichen Ränder Nieder- und Ober- gilt daher vei zvei Gfei oder vui zvui Gfui für bayerns umfasst)5, Mittelbairisch (in den ‚viel zuviel Gefühl‘, in den mittelbairischen größten Teilen Nieder- und Oberbayerns, in Gebieten Österreichs und in einem kleinen Nieder- und Oberösterreich, im Burgenland Streifen im südöstlichen Niederbayern vor und teilweise im Salzburger Land und in der allem vi zvi Gfi oder vü zvü Gfü. Steiermark) und Südbairisch (in Tirol, Südti- rol, Kärnten, in reiner Form in Bayern nur im  Das Südbairische ist durch den durchgängi- Werdenfelser Land, zudem in archaischen gen Erhalt der Affrikate kch für germanisch Varianten in norditalienischen Sprachinseln): k charakterisiert (kchloa, Kchnecht ‚klein, Knecht‘). Der Konsonant L bleibt nach Vokal  Das Nordbairische ist durch die so genann- erhalten, das Südbairische stellt sich hier ten gestürzten Diphthonge (ou für mittel- näher zum Nord- als zum Mittelbairischen. hochdeutsch uo in Wörtern wie Brouda, Khou, Khoucha ‚Bruder, Kuh, Kuchen‘) und Folgende Karte zeigt den gesamtbairischen durch den Erhalt von postvokalem L (Göld, Dialektraum. Die schraffierten Flächen kenn- vül ‚Geld, viel‘) gekennzeichnet. zeichnen Übergangsgebiete zwischen den einzelnen Subdialekten. Außerhalb des ge-  Das Mittelbairische hat ua für mittelhoch- schlossenen Sprachraums in Bayern, Öster- deutsch uo (Bruada, Khua, Khuacha), auf- reich und Südtirol gibt es bairische Sprach- fallend ist zudem die so genannte Liquiden- inseln in Norditalien, Tschechien, Slowenien, vokalisierung nach Vokal, bei der der Rumänien, in der Ukraine, Peru und Brasilien. Konsonant L in einen Vokal umgewandelt Die Internetseite  www.sprachinselverein.at wurde oder mit dem vorausgehenden Vokal bietet hierzu ausführliche Informationen.

WIEN

MÜNCHEN

Karte: Prof. Hermann Scheuringer (Universität Wien)

110 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

Sprachliche Merkmale die Mass, der Ratz, der Schneck, der Scho- des Bairischen kolad, die Schoß, der Schubladen, das Teller, das Tunell, regional auch das Honig (z. B. Für alle bairischen Dialekte ist die häufige heute noch im Bayerischen Wald). Verdumpfung des Vokals a zu offenem oder geschlossenem o charakteristisch (Wossa, Manche standardsprachlichen Wörter ha- Dog / Tog, Bod ‚Wasser, Tag, Bad‘), sie gren- ben im Bairischen z. T. ein andere Bedeutung, zen sich damit von ihren nördlichen und wie z. B. mit Fleiß ‚mit voller Absicht‘, Kasten westlichen Nachbarn (Ostfränkisch und ‚Schrank‘, die Leute ‚nähere Verwandtschaft, Alemannisch) ab. Eltern‘, Dirn ‚Magd‘. Solche Bedeutungsabwei- chungen zeigen sich in Bayern stellenweise Ein weiteres Spezifikum stellt der ausge- sogar in geschriebener Standardsprache. prägte Diphthongreichtum6 des Bairischen dar, es übertrifft die Standardsprache in Im Bereich der Morphologie und Syntax der Anzahl dieser Laute um ein Vielfaches sind neben weiteren zahlreichen Erschei- (z. B. Woad / Woid, ois, Schui, Bruada / Brouda, nungen vor allem das fast gänzliche Fehlen schnei, waiß, Haus, roud / road, vodeana des Präteritums als Erzählvergangenheit ‚Weide, alles, Schule, Bruder, schnell, weiß, (die Funktion wird vom Perfekt übernommen) Haus, rot, verdienen‘). und Abweichungen in der Verbalflexion (z. B. in weiten Teilen Niederbayerns: 1. Pers. Pl. Der gesamtbairische Sprachraum ist ne- mia káfma ‚wir kaufen‘, 2. Pers. Pl. es káfts ben den skizzierten lautlichen Entwicklun- ‚ihr kauft‘, 3. Pers. Pl. se káfand ‚sie kaufen‘) gen durch eine Fülle von Wortschatzeigen- auffällig. Die Wortstellung weicht in Neben- tümlichkeiten gekennzeichnet. Als bairische sätzen und bei mehrgliedrigen Prädikaten Kennwörter, d. h. ursprünglich nur in diesem (z. B. bei der Stellung Hilfsverb-Modalverb- Sprachraum vorkommend, gelten u. a: Partizip II) z. T. von der Standardsprache ab. aft 7 (oftad) ‚dann, anschließend, danach‘; ankenten ‚anzünden‘; aper ‚schneefrei‘; Bu- Im Osten, Südosten und Süden grenzt das del / Ladenbudel ‚Ladentisch‘; Bussl ‚Kuss‘; Bairische an slawische und romanische Dult 8 ‚Volksfest‘; Ertag 9 (Irta, Iada) ‚Dienstag‘; Sprachen sowie an das Ungarische. Zahl- es und enk ‚ihr‘ und ‚euch‘; Fasching; Kirch- reiche Wörter und grammatikalische Struk- tag (Kirta, Kiada) ‚Kirchweihfest‘; Kranewit turen haben aus diesen Sprachen ihren Weg ‚Wacholder‘; Maut 10 ‚Wegezoll‘; Nudelwalger in bairische Mundarten gefunden. Aus dem ‚Nudelholz‘; Pfinztag 11 (Pfinzta) ‚Donnerstag‘; Slawischen wurde z. B. Kren in das Bairische Pfoad 12 ‚Hemd‘; Rauchfang ‚Kamin‘; Rogel entlehnt, in den Mundarten des Bayerischen ‚Tüte; Plastiktüte‘; Scher ‚Maulwurf‘; Zecker Waldes finden sich u. a. folgende Wörter, (Zega) ‚Tragekorb‘. die slawischen Ursprungs sind: Dowanikl ‚Steinpilz‘, Pumperral ‚Löwenzahn‘, Scha- Manche dieser Kennwörter sind aus dem lupm / Khalupm ‚heruntergekommenes Haus‘, alltäglichen Sprachgebrauch fast verschwun- Woia ‚Leitseil des Fuhrmanns‘. den, andere haben sich sogar über das Bairische hinaus verbreitet, wie z. B. aper, Romanischer Herkunft sind wohl Nebensatz- Bussl und Maut. Auffallend ist zudem im anschlüsse wie Der Mann / Die Frau / Das Kind, Bereich der Lexik der häufig beobachtbare der / de / des wo dort gestanden ist. Diese Unterschied zur überregionalen Standard- zweigliedrigen, diskontinuierlichen Relativpro- sprache im grammatischen Geschlecht bei nomen dürften aus norditalienischen Mund- Substantiven. Es heißt im Bairischen z. B. arten in das Bairische eingesickert sein. Im der Akt, der Butter, das Cola, das Eck, der Bereich der Lexik stellen z. B. Fatschenkindl Einser, die Gaudi, die Husten, das Marmelad, und Gschpusi romanische Entlehnungen dar.

111 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Anmerkungen

* Verfasser: Dr. Alfred Wildfeuer Reiffenstein, Ingo (2003): Aspekte einer Sprachge- 1 Lokal kann die Anzahl der Diphthonge noch deut- schichte des Bayerisch-Österreichischen bis zum lich höher sein, eine entsprechende Verschriftli- Beginn der frühen Neuzeit. In: Besch, Werner u. a. chung sollte dann erfolgen, da sie Phoneme, d. h. (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Ge- bedeutungsunterscheidende Laute, darstellen. schichte der deutschen Sprache und ihrer Erfor- 2 Im Alemannischen ist bis heute die neuhochdeut- schung. Dritter Teilband. Berlin / New York, sche Diphthongierung unterblieben. S. 2889 - 2942. 3 So z. B. in Wasser (vgl. engl. water). Reiffenstein, Ingo (2003): Aspekte einer baye- 4 So z. B. in Apfel (vgl. engl. apple). rischen Sprachgeschichte seit der beginnenden 5 Vereinzelt finden sich noch Sprecher des Nord- Neuzeit. In: Besch, Werner u. a. (Hrsg.): Sprach- bairischen in Böhmen. geschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deut- 6 Ein Diphthong ist eine Verbindung aus zwei Voka- schen Sprache und ihrer Erforschung. Dritter Teil- len. Die Standardsprache kennt die gesprochenen band. Berlin / New York, S. 2942 - 2971. Diphthonge ai, au, eu, die schriftsprachlich z. T. unterschiedlich realisiert werden (Kaiser neben Schatz, Josef (1907): Altbairische Grammatik. Reiter, Haus, Beute neben Mäuse). Laut- und Flexionslehre. Göttingen. 7 Vgl. engl. after. Schmeller, Johann Andreas (1872 -1877): 8 Aus gotisch dulths oder dolths. Bayerisches Wörterbuch. 2., von G. Karl 9 Aus gotisch arjausdags, das kirchengriechisch Frommann bearbeitete Auflage. München. Areo¯s hêméra ‚Tag des griechischen Kriegsgottes (7. Neudruck 2007) Ares‘ fortsetzt. 10 Aus gotisch mota. Schmidt, Wilhelm (2004): Geschichte der deut- 11 Aus gotisch pinte¯dags, das griechisch pémpte schen Sprache. Ein Lehrbuch für das germanis- heméra ‚der fünfte Tag‘ fortsetzt. tische Studium. Erarbeitet unter der Leitung 12 Aus gotisch paida. von Helmut Langner und Norbert Richard Wolf. 9. Auflage. Stuttgart.

Sprachatlas von Niederbayern (2003). Band 2, Literatur Wortgeographie I: Der Mensch und sein Umfeld. Hg. v. Hans-Werner Eroms, bearbeitet von Rose- Greule, Albrecht / Hochholzer, Rupert / Wildfeuer, marie Spannbauer-Pollmann. Heidelberg. Alfred (2004): Die bairische Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Grammatik, Lexik und Pragma- Weinhold, Karl (1867): Bairische Grammatik. tik. Festschrift Ludwig Zehetner. Regensburg. München.

Kluge, Friedrich (2002): Etymologisches Wörter- Wiesinger, Peter (1970): Phonetisch-phonologische buch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Untersuchungen zur Vokalentwicklung in den deut- Seebold. 24. Auflage. Berlin / New York. schen Dialekten. Band 1: Die Langvokale im Hoch- deutschen. Band 2: Die Diphthonge im Hochdeut- König, Werner (2011): dtv-Atlas Deutsche Sprache. schen. München. 17. Auflage. München. Zehetner, Ludwig (2013): Bairisches Deutsch. Renn, Manfred / König, Werner (2009): Kleiner Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. Bayerischer Sprachatlas. 3. Auflage München. 4. überarbeitete Auflage. Regensburg. Kranzmayer, Eberhard (1956): Historische Laut- geographie des gesamtbairischen Dialektraumes. Wien.

Küpper, Wolfgang (1991): Bayerns Mundarten.  Zur Vertiefung der Thematik eignen Dialektproben mit Kommentaren. München. sich die Folgen 3, 4 und 8 der Film- Merkle, Ludwig (2005): Bairische Grammatik. reihe „Dialekte in Bayern“. Neuausgabe. München.

112 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

Bairisch – Unterrichtsmodelle im Überblick

1 Vorschulischer Bereich / Beginn der 8 Sekundarstufe I / II: Primarstufe: Mundartforschung – J. A. Schmeller Sprechvers „Annermirl, Zuggerdirl ...“ Die Schüler lernen Schmeller als Mundart- Die Schüler interpretieren einen leicht forscher kennen und üben sich im Umgang verständlichen Sprechvers, erklären eine mit einem biographischen Sachtext sowie regionaltypische Redewendung und üben einem Eintrag im „Bayerischen Wörterbuch“. sich im Vortrag. Am Ende wird der Sprech- 9 Sekundarstufe I: vers gesungen. „Der Rattenfänger von Hameln“ 2 Primarstufe: Die Schüler gestalten einen eigenen Mund- Kirchweihlied „Dou drunt‘n aaf da Bruck“ artcomic, den sie dann in verteilten Rollen Die Schüler erfassen Inhalt und kulturellen vortragen. Sie erkennen bei ihrer Arbeit die Hintergrund des Liedes und begleiten es Beziehungen zwischen Phonem und Gra- auf dem Orff-Instrumentarium. phem sowie die Gründe, warum es keine 3 Vorschulischer Bereich / Primarstufe: normierte Schreibung des Dialekts gibt. Mundartliche Begriffe zum Thema „Herbst“ 10 Sekundarstufe I: Die Schüler unternehmen eine Phantasie- Wert und Grenzen der Dialekte reise und nehmen die Jahreszeit mit unter- Die Schüler erörtern die Thematik anhand schiedlichen Sinnen wahr. Sie finden mar- verschiedener Mundarttexte, ausgehend von kante Begriffe, verschriften sie und ordnen einer Szene aus dem Zeichentrickfilm „Findet sie nach Sachzusammenhängen. Nemo“, den Ergebnissen einer Befragung 4 Primarstufe: sowie Definitionen in Lexika und im Internet. Analyse und Vortrag eines Mundartgedichts 11 Sekundarstufe I / II: Die Schüler dekodieren die in Mundart Dialekte im deutschsprachigen Raum geschriebenen Wörter des Gedichts Die Schüler übersetzen Mundartlieder von „A Buamahosntaschn“ (H. Zöpfl), erfas- BAP, Haindling o. a. und werten eine Dialekt- sen dessen Reimschema und lernen die karte des deutschsprachigen Raums aus. Aufzählung als Stilmittel kennen. Sie üben Sie werden sich dadurch der Vorteile und sich im lautgetreuen Sprechen und im Einschränkungen des Dialekts bewusst. klanggestaltenden Vortrag. 12 Sekundarstufe II: 5 Primarstufe: Die bairischen Mundarten – multimedial Wirkung von Mundart und Standardsprache Die Schüler beschäftigen sich mit multime- Gedichtvergleich: „A Buamahosntaschn“ dialen Sprachatlanten auf CD-ROM oder im (H. Zöpfl) – „Kinderkram“ (H. Stempel) Internet und werden für Sprachunterschiede 6 Primarstufe: in der Region sensibilisiert. Sie erfahren ihre Gedichte in Mundart schreiben eigene Sprache als Varietät und lernen Die Schüler schreiben ein Elfchen zum Merkmale bairischer Dialekte kennen. Thema „Herbst“ und tragen es sinnbetont 13 Sekundarstufe II: vor. Sie bringen dabei Typisches der Jahres- Dialekt als soziales Stigma? zeit zur Sprache und erkennen die Gesetz- Die Schüler analysieren einen Ausschnitt aus mäßigkeit der vorgegebenen Gedichtform. der TV-Serie „Königlich Bayerisches Amts- 7 Sekundarstufe I: gericht“ und einen Dramenauszug von F. X. Vornamen als Schimpfwörter Kroetz und beschreiben dabei die verschie- Die Schüler setzen sich analytisch und denen Sprachebenen. Sie setzen sich mit szenisch mit einer Streitszene auseinander, dem Sozialprestige des Dialekts auseinander schreiben und spielen einen Streitdialog und und erweitern dadurch ihre Fähigkeiten für entwickeln Empathie. eine situationsadäquate Sprachverwendung.

113 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

1 Vorschulischer Bereich / Primarstufe: Sprechen

Sprechvers Hinführung  Originale Begegnung mit einem Früchte Lerninhalt tragenden Schlehenzweig „Annermirl, Zuggerdirl,  Erarbeitung der Merkmale der Schlehe: gej mit mir in d‘Schlejer“ spitze, scharfe Dornen; bittere, dunkle Früchte; bizarrer Zweig Begründung der Auswahl  Einbettung der Redewendung „in d‘Schlejer Dieser Sprechvers ist weit verbreitet und gej“ in die Lebenswirklichkeit inhaltlich gut vermittelbar. Da er dialogisch Info: Früher sammelten die Menschen am angelegt ist, bietet er sich zum Rollenspre- Lande die Früchte des Schlehdorns, um sie in chen und szenischen Spiel an. Der Text ent- einem Ballon mit Alkohol anzusetzen. Daraus hält keine regionaltypischen Wörter und entstand ein herbsüßer Likör, der gern einem ist somit weithin verständlich. Auch das Gast aufgetischt wurde. Der Schlehdorn gilt Transponieren in andere Mundarten dürfte auch als bewährtes Hausmittel bei Durchfall. kein Problem darstellen. Textbegegnung Lernziele Die Schüler  Inhaltlich:  erklären den Vorgang „in d‘Schlejer gej“, Gedichtvortrag (M1) durch den Erzieher / Leh-  geben den Inhalt des Sprechverses mit rer (Dramatisierung durch Mimik und Gestik) eigenen Worten wieder, Impuls: Wenn du das Gedicht zeichnen  sprechen Wörter und Text lautgetreu nach, müsstest, was wäre auf dem Bild zu sehen?  nehmen den Sprechrhythmus des Schüler strukturieren Inhalt. Gedichts auf,  Phonetisch:  dramatisieren den Inhalt durch Modulation Gedicht Zeile für Zeile durch Nachsprechen der Stimme, erlernen lassen  stellen den Inhalt szenisch dar. Gesamtes Gedicht durch Sprechvariationen einüben: einzeln, paarweise, in Gruppen, Mäd- Medien / Material chen – Buben abwechselnd sprechen lassen  Schlehenzweig mit Früchten (Original / Bild)  Text des Gedichts Durchdringung des Gedichts „Annermirl Zuggerdirl“ (M1)  Klanggestaltend  Lied „Annamirl Zuckerdirl“ Gedicht in Rollen gliedern und spielen www.isb.bayern.de; Stimme des Buben modulieren (bettelnd, Noten und Text bei Herbert Wittl fordernd, bittend, drohend usw.) (s. Quellennachweis / Literatur) Reaktion des Mädchens variieren  Text „Rosemarie, der Kinderwong is hi“ (M2) (weinerlich, ängstlich, ablehnend usw.)  Sinnentnehmend Lehr- und Lernprozess Wirkung der Worte analysieren: Vorarbeit Impuls: Wie würdest du es sagen, um das  Begegnung mit der Mundart: Mädchen zu überreden? „Wej song mir?“oder Erwartete Reaktionen beschreiben „Ich sag‘ Fliege, mai Oma sagt Flejng.“ Impuls: Was geht in dem Annermirl vor, Gegenüberstellung Mundart – wenn der Bursch ihm droht? Standardsprache Wie wird sie reagieren?  Abzählreime1 Gefühle des Mädchens beschreiben

114 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

Ausklang Quellennachweis / Literatur Sprechvers „aufführen“  M1 / M2: Pröls, Ilsebill (2001):  Sprechvers als Lied singen Der Ochs im Luftballon. Nabburg, S. 19 und 21. Weiterarbeit Pröls, Ilsebill (1999): Arbeit am Gedicht: „Rosemarie, der Das oberpfälzische Leneven- Kinderwong is hi“ (M2) 2 tentum. Gereimte und unge- reimte Spiele aus dem Volks- gut der Oberpfalz. In: Heimat Nabburg. Jg. 19. Nabburg. Anmerkung Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungs- 1 Die Erarbeitung eines Abzählreims in Mundart forschung (Hrsg.) (2000): Musik in der Grund- wird in der ISB-Handreichung „Musik in der schule. Unterrichtsbeispiele zu neuen Inhalten Grundschule“ dargestellt  Bairisch 5 . im Lehrplan 2000. München.

2 Zur Methodik der Dialektförderung in der Grund- Wittl, Herbert (2003): Hupf mit da Durl. schule siehe Folge 9 „Dialekt und Schule“ der Bayerische Kinderlieder aus der Oberpfalz. Filmreihe „Dialekte in Bayern“, Filmkapitel 2 und 4. edition buntehunde. Regensburg.

M1 Annermirl, Zuggerdirl

Annermirl, Zuggerdirl, gej mit mir in d‘Schlejer! I ko a niad, i ko a niad, i ho a weje Zejer. I ko niad iwer d‘Stauern steing. Woat, i wüll de driwerdreim!

(Ilsebill Pröls)

M2

Rosemarie, der Kinderwong is hi. Kaf da halt an neier! Der is ma z‘deier. Kaf da halt an altn! Der wird niad lang haltn.

(Ilsebill Pröls)

115 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

2 Primarstufe: Sprechen, Singen

Kirchweihlied Hinführung  Bild von der Kirchweih Lerninhalt  Gespräch über Kirchweihbräuche: „Dou drunt‘n aaf da Bruck“1 Die religiösen Bräuche (z. B. der „Zachäus“), das Festtagsessen früher und heute (z. B. Begründung der Auswahl Erntedankfest), die fröhliche Ausgelassenheit Mundart und Brauchtum bedingen sich ge- (Musik und Tanz um den Kirchweihbaum) genseitig. Gerade im mundartlichen Liedgut sowie die Tradition des Wirtshausgehens spiegelt sich das Brauchtum wider. Was den können angesprochen werden. Text und die Melodie angeht, ist das Lied ein-  Lehrer zeigt einen Beutel mit Geld und gängig und leicht aufnehmbar. Zudem bietet erklärt, wie wichtig für die Burschen das es zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten. Kirwagöld war.

Lernziele Die Schüler Überleitung: Über das Kirwagöld gibt es eine  erfassen den Text inhaltlich, Geschichte und ein Lied.  wissen über das „Kirwagöld“ Bescheid und lernen den kulturellen Hintergrund kennen, Erarbeitung  sprechen Wort und Text lautgetreu,  Text:  nehmen Rhythmus und Melodie des Klären der Situation von Strophe 1 (M4), Liedes auf, Wiedergeben des Inhalts, Umsetzung in  begleiten das Lied auf dem Orff-Instrumen- ein Bild, Vergleich mit Bild 1 (M3) tarium,  Lautbild:  empfinden das Kirchweihfest als Anlass der Impuls: Seine Freunde sprechen über ihn. Freude, die sie durch Singen und Musizieren Vorsprechen und Nachsprechen der 1. Strophe zum Ausdruck bringen. Sprechvarianten: Die Freunde flüstern, machen andere laut darauf aufmerksam usw. Medien / Material  Rhythmus:  Bild vom Kirchweihtanz, Impuls: Die Freunde zeigen auf ihn und evtl. mit Kirchweihbaum rufen: „Dou schauts den o!“  Geldbeutel Sprechen eines Rhythmusbausteins  Bildergeschichte zu den drei Strophen „Dou drunt aaf da Bruck“ des Liedes (M3) Sprechvarianten  Lied: „Dou drunt‘n aaf da Bruck“ (M4)  Melodie: www.isb.bayern.de Impuls: Die Buben singen den Kameraden aus.  Kleines Schlagwerk des Orff-Instrumen- Vorspielen und Vorsingen des Liedes tariums Wechsel der Sozialform Impuls: Einer singt ihn aus, dann zwei ... Lehr- und Lernprozess und es werden immer mehr. Vorarbeit  Begegnung mit der Mundart in Form von Gestaltung Versen und Gedichten  Impuls: Die Buben entschließen sich ihren (siehe Bairisch Unterrichtsmodell 1) Kameraden mitzunehmen und ziehen  Im Fach Religionslehre kann das Thema singend los. „Kirchweih“ behandelt werden. Marschieren und / oder Klatschen zum Lied

116 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

 Ein Teil der Klasse begleitet das Marschieren Quellennachweis / Literatur durch die Instrumente des kleinen Schlag- M3: Schülerarbeit Grundschule Thanstein. werks (Trommel auf 1, Triangel auf 1 und 2, Klanghölzer wie 2. Takt usw.) M4: Wax, Johann (1988): Gäih, sing ma oans!  (Auch Hinweise zur Musiktheorie wären Ein Liederbuch des Bezirks Oberpfalz. Schärding. möglich: Wesen des Zweivierteltakts) Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungs- forschung (Hrsg.) (2000): Musik in der Grund- Weiterarbeit schule. Unterrichtsbeispiele zu neuen Inhalten  Weitere Strophen des Liedes im Lehrplan 2000. München.  Zweistimmiges Singen Well, Christoph / Well, Hans / Michl, Reinhard  Liedbegleitung mit dem Orff-Instrumen- (1993): Sepp Depp Hennadreck. Lustige bayrische tarium Kinderlieder ausgesucht von der Biermösl Blosn.  Zeichnen eines Schlussbildes (vgl. M3, Bild 3) München. (Auch als CD erhältlich) Well, Christoph / Well, Hans / Well, Michael / Anmerkung Michl, Reinhard (2001): Zing, Zang, Zing. Sepp Depp Hennadreck II. Lustige bayrische Kinder- 1 Komponist des Liedes und Verfasser des lieder und Tänze ausgesucht von der Biermösl Textes sind unbekannt. Blosn. München. (Auch als CD erhältlich)

M3 Bildergeschichte

1 2

3

117 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

M4

118 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

3 Vorschulischer Bereich / Primarstufe: Sprechen, Schreiben

Erarbeitung mundartlicher Begriffe  Auch der Umgang mit Clustern zu einem Sachthema sollte vorausgehen.

Lerninhalt Hinführung Cluster1 zum Thema „Hiarschd“  Begegnung der Schüler mit einem Foto, das den Herbst verkörpert Begründung der Auswahl Schüler versprachlichen ihre Erfahrungen Die Aufnahme des Themas „Herbst“ knüpft mit dem Herbst. an die Erfahrungswelt der Kinder an. Die Entwicklung eines Clusters ist eine über Zielangabe alle Jahrgangsstufen hinweg wirksame Me-  „Hiarschd“ thode, die Erfahrungen mit einer Sache ins Gedächtnis zurückzurufen, das Wissen meh- Erarbeitung rerer Schüler zusammenzutragen und Inhalte  Impuls: Mir macha etz an Hiarschd- geordnet darzustellen. Vor allem wenn mit schbaziergang! Sprache kreativ umgegangen werden soll, Phantasiereise bei leiser Musik2 stellt das Cluster eine wertvolle Art der freie Schüleräußerungen zu ihren Stoffsammlung dar. „Erlebnissen“  Impuls: Etz schreima aaf, wos ma g‘seng, Lernziele Die Schüler g‘hert und g‘schbiert ham.  lassen sich auf die Phantasiereise „Spazier- Schüler notieren wesentliche Begriffe gang im Herbst“ ein, auf Wortkarten und heften sie ins  nehmen den Herbst mit unterschiedlichen Cluster-Grundmodell. Sinnen wahr (Schwerpunkte: sehen, hören und spüren),

 belegen den Herbst mit markanten Begriffen, waht roud  verschriften die Begriffe (Grundsatz: Schreibe, was du hörst!),  ordnen die Begriffe nach Sachzusammen- Hirarschd Bladln hängen.

Wind danzn Medien / Material  Foto, das die Erscheinung und Stimmung des Herbstes ausdrückt  Musikstück, das sich für eine herbstliche Das Notieren der Wörter auf Karten stellt die Phantasiereise eignet, z. B. Antonio Vivaldi, Schüler zugleich vor das Problem der Ver- Motiv Herbst, vgl. Akademiebericht 354. schriftung. Die Schüler sollen schreiben, was CD Musik hören 2 sie hören. Ihre Mundart soll möglichst laut-  Karten zum Beschreiben getreu wiedergegeben werden. Es gibt keine  Orff-Instrumentarium verbindliche Verschriftung.

Lehr- und Lernprozess  Impuls: A weng a Ordnung deaft ma Vorarbeit no ainebringa!  Im Vorfeld müssen die Schüler gelernt ha- Schüler ordnen Begriffe, die zusammen- ben, sich auf eine Phantasiereise zu begeben. gehören, zu.

119 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

 Beispiel Ausklang  Schüler vertonen Phänomene im Herbst roud (z. B. „Bladln danzn im Wind“) mit dem Orff-Instrumentarium.

Hirarschd Bladln Weiterarbeit  Ganz gleich, ob man ein sprachliches Thema danzn (Beispiel: Schreiben eines Elfchens, siehe Bairisch 5 ) oder ein Sachthema (Beispiel: Spielzeug früher) bearbeiten möchte, im- mer bietet sich ein Cluster als Vorarbeit an  Um den Mundartwortschatz (als begriffliches (Beispiel: Spielzeug früher – Hedschergaal, Wortmaterial zum Thema und zur Entlastung Dogga, Graisl usw.). bei der Verschriftung) zu festigen, könnte das Cluster in ein „Mundartheft“ eingetragen Anmerkung werden. 1 Böttcher, Ingrid (Hrsg.) (1999): Kreatives Schreiben. Grundlagen und Methoden. Beispiele für Fächer Durchdringung des Wortschatzes und Projekte. Schreibecke und Dokumentation.  phonetisch: Lesen und Sprechen der Wörter Berlin, S. 53f. in den unterschiedlichsten Formen, z. B. 2 Weitere Anregungen zum Einsatz von kräftig sprechen – leise flüstern. (Hier ist auch Phantasiereisen beim kreativen Schreiben: die Arbeit an einzelnen Lauten möglich, z. B. Böttcher, S. 55f. an den verschiedenen a-Lauten.)  inhaltlich: Bilden von Sätzen unter Einbezie- Quellennachweis / Literatur hung der einzelnen Begriffe, z. B. „Roude Akademie für Lehrerfortbildung und Personal- Bladln danzn im Wind“ führung (2001): Praxisbausteine für Musik.  klanggestaltend: Der Inhalt der Sätze wird Grundschule. Lernbereich: Musikmachen (mit CD). durch die Stimmführung verdeutlicht. Akademiebericht 354. Dillingen.

waht fägt dahi danzn gölwe

Wind Bladln

pfeift goldne

Hirarschd

safte

drong Baam s‘Obst sejß

bejng se roudbackert schwar

120 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

4 Primarstufe: Literatur, Sachtexte, Sprechen

Erarbeitung eines Mundartgedichts Die Schüler „entziffern“ das Wort (evtl. durch halblautes Sich-Vorsprechen) und vermuten, Lerninhalt dass es sich um einen in Mundart geschrie- „A Buamahosntaschn“ benen Text handelt. von Helmut Zöpfl Textbegegnung Begründung der Auswahl  Inhaltlich: Der Reiz des Gedichts „A Buamahosntaschn“ Der Text des Gedichts (M5) wird den liegt zum einen darin, dass es direkt an die Schülern vorgelegt. Erfahrungswelt des Kindes anschließt. Zum Sie versuchen sich diesen selbstständig anderen bietet eine einfache Struktur sehr inhaltlich zu erschließen. viele Gestaltungsmöglichkeiten, z. B. das Schüler lesen das Gedicht dem Nachbarn / Gedicht nachzugestalten oder weitere Be- einer Gruppe / dem Plenum laut vor und griffe zu verschriften. Da die Sprache Helmut ordnen Schreibweise und Klangbild Zöpfls im oberbayerischen Raum anzusiedeln einander zu. ist, empfiehlt es sich ggf., den Text auf die Lehrer lässt Textvorlage umdrehen: eigene Mundart zuzuschneiden und lautliche An welche Dinge kannst du dich erinnern? Unterschiede herauszuarbeiten – Unterschied Schüler zählen Gegenstände auf. zwischen Mittelbairisch und Nordbairisch. Lehrer legt die erinnerten Gegenstände konkret auf und die Schüler benennen sie. Lernziele Die Schüler Nun werden die Gegenstände von den  dekodieren die in Mundart geschriebenen Schülern gemäß der Abfolge im Gedicht Wörter, vor ihren Augen angeordnet.  sprechen die in Mundart geschriebenen  Phonetisch: Wörter lautgetreu, Schüler kennzeichnen gleich klingende  erfassen das Reimschema, Versenden farbig und benennen das  erkennen, dass die Aufzählung als Stilmittel Reimschema. verwandt wurde, Anhand der konkreten Gegenstände kann  sagen das Gedicht klanggestaltend auf. das Gedicht nun eingeübt werden.

Medien / Material Durchdringung des Gedichts  Text: „A Buamahosntaschn“ (M5)  Impuls: Wir haben die Gegenstände nach-  Konkrete Gegenstände bzw. einander aufgelegt. H. Zöpfl hat in seinem Bilder zum Gedicht Gedicht ein ähnliches Verfahren verwendet. Schüler: Aufzählung Lehr- und Lernprozess Schüler unterstreichen die aufgezählten Be- Hinführung griffe und erkennen, dass die nicht unterstri-  Der Lehrer zeigt seine prall gefüllten Hosen- chenen Wörter die Begriffe näher erklären. taschen und leert sie aus. Impuls: Der letzte Satz passt eigentlich nicht Gespräch über die zum Vorschein kommen- in die Aufzählung. den Dinge Schüler: Dieser Satz ist eine Zusammen-  Impuls: „A Buamahosntaschn“ (Gedichttitel fassung. Der Verfasser des Gedichts staunt als geschriebenes Wort an der Tafel) über die Menge des Tascheninhalts.

121 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Ausklang Quellennachweis / Literatur Aufführen des Gedichts  M5: Zöpfl, Helmut (2001): Zum g´sund lachen. Schüler spricht das Gedicht und holt die 16. Auflage. Rosenheim, S. 53. (leicht gekürzt) Gegenstände aus der Hosentasche.

Weiterarbeit / Hausaufgabe  Schüler schreiben selbst ein Gedicht zum Thema „Mei Hosntaschn“. (Dieser Schritt bietet einen neuen Ansatz, auf die Verschriftung einzugehen.)

M5

A Buamahosntaschn

Zwoa Nägl, zwoa krumme, a Eiweckglasgumme, a Bärndreckstanga, a Fadn, a mordslanga, a paar flache Stoana, a Ball, a kloana, a hohla Schlüßl zum Pfeifn, a Kaugummistreifn, a Taschnmesserl, a Kreidnresterl, a Schiaßbudnrosn, a laare Blechdosn, a Stückl a Schnur, a eigroste Uhr, a Verschluß von a Flaschn: Des hat alls Platz in am Buam seiner Hosntaschn.

(Helmut Zöpfl)

122 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

5 Primarstufe: Literatur und Sachtexte, Sprechen

Wirkung von Mundart und Lehr- und Lernprozess Standardsprache Hinführung  Gedicht „A Buamahosntaschn“ (M5) Lerninhalt Wiederholung der in der vorausgehenden Vergleich der Gedichte Unterrichtseinheit erarbeiteten Kennzeichen „A Buamahosntaschn“ von des Gedichts H. Zöpfl und „Kinderkram“  Überleitung: Das Gedicht „A Buamahosn- von H. Stempel / M. Ripkens1 taschn“ stammt von Helmut Zöpfl. Hans Stempel und Martin Ripkens zwei an- Begründung der Auswahl dere Autoren, haben auch in die Hosentasche Die Gedichte „A Buamahosntaschn“ und eines Buben geschaut und ihre Beobach- „Kinderkram“ greifen denselben Inhalt auf, tungen und Gedanken dazu aufgeschrieben. somit drängt sich ein Vergleich geradezu auf. Auch wird das Stilmittel der Aufzählung Textbegegnung in „Kinderkram“ ähnlich verwandt. Der  Inhaltlich: Lehrer trägt Gedicht (M6) vor. wesentliche Unterschied besteht in der Schüler äußern sich spontan zum Inhalt Verwendung von Mundart und Standard- der Hosentasche. sprache. Eine Abweichung liegt auch in der Mehrmaliges Lesen bringt den Inhalt näher. Intention: Während „Kinderkram“ die Gegen-  Impuls: Viele Dinge in Stempels / Ripkens stände als nutzlos, eben als Kram abtut Hosentasche kennst du, bei manchen musst und viel lieber das saubere Taschentuch in du überlegen. der Hosentasche sieht, vermittelt „A Buama- Schüler zählen bekannte Gegenstände auf, hosntaschn“ das Gefühl der Anerkennung, unbekannte werden geklärt. zumindest was die Menge angeht.  Impuls: Wir legen die Gedichte von Zöpfl und Stempel / Ripkens nebeneinander und Lernziele Die Schüler vergleichen sie.  reaktivieren Inhalt, Aufbau und Stilmittel des Ergebnis des Vergleichs: Gedichts „A Buamahosntaschn“,  Zöpfl schreibt in Mundart und Stempel in  erkennen den ähnlichen Aufbau des Gedichts der „Hochsprache“. „Kinderkram“ (Stilmittel Aufzählung, jedoch  Das Stilmittel „Aufzählung“ wird in paarweise; kontrastiver Schlusssatz), beiden Gedichten verwandt.  identifizieren die Sprache im Gedicht  Stempel / Ripkens zählen pro Verszeile „Kinderkram“ als „Hochsprache“, zwei Dinge auf.  sehen eine belehrende Wirkung („sauberes  Zöpfl beschreibt manche Dinge näher. Taschentuch“) in „Kinderkram“,  Einen zweizeiligen Schlusssatz haben  erkennen in Ansätzen, dass die Mundart beide Gedichte. persönliche Nähe beinhaltet. Textdurchdringung Medien / Material  Impuls: Was Stempel / Ripkens von den Din-  Text: „A Buamahosntaschn“ (M5) gen in der Hosentasche halten, erfährst du  Text: „Kinderkram“ (M6) bereits in der Überschrift seines Gedichts.  Text: „Rumpelkammer“ (M7) Schüler: „Kram“ ist unnützes Zeug. „Kinderkram“ braucht nicht ernst genommen zu werden.  Impuls: Du erfährst auch, was sie viel lieber in der Hosentasche sähen.

123 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Schüler: „Ein sauberes Taschentuch“ Weiterarbeit  Impuls: Dieses Gedicht könnte im Struwwel-  Ein dem „Kinderkram“ ähnliches Gedicht ist peter stehen. „Rumpelkammer“ (M7), ebenfalls von Hans Schüler: ... belehrend. Stempel und Martin Ripkens. Es bietet sich  Impuls: Helmut Zöpfl sieht das anders. die Übertragung des Gedichts in Mundart Schüler: „Des hat alles Platz in am Buam an. Die Gegenstände in der 2. und 3. Strophe seiner Hosntaschn.“(Diese Aussage ist ein können durch andere ersetzt werden. Dies Ausdruck des Staunens, evtl. ein Zeichen wäre ein Ansatz zur Differenzierung. der Anerkennung.)  Impuls: Was würde jemand sagen, der Anmerkung die Dinge vor sich liegen sieht – wie letzte 1 Die Idee dieses Gedichtvergleichs wurde gefunden Stunde? – Schüler: Wahnsinn, was da in: Müller, Andrea (2001): Die bairische Mundart im alles reinpasst. Was der alles braucht. Deutschunterricht der Grundschule – Bedeutung, Ein richtiger Bub! Möglichkeiten, Grenzen, aufgezeigt an ausgewähl- ten Lernbereichen in einer 4. Jahrgangsstufe. Durchdringung im Hinblick auf Mundart Unveröffentlichte Hausarbeit. Alteglofsheim. und Standardsprache  Impuls: Du hast vorhin festgestellt, dass Quellennachweis / Literatur Zöpfl in der Mundart schreibt. Du kennst jetzt den Grund dafür ... M5: siehe Bairisch 4

Schüler: Zöpfl sind die Dinge wichtig. M6 / M7: Stempel, Hans / Ripken, Martin (1984): Für den Buben sind sie von persönlicher Kinderkram / Rumpelkammer. In: Baumgärtner, Bedeutung. (Evtl. Rückgriff auf Stempel / Alfred Clemens / Röhm, Ilse / Thiermann, Franz- Ripkens „Kinderkram“: Die Standardsprache Josef: Lesen und erleben. Lesebuch für bayerische wirkt hier sachlich belehrend.) Grundschulen. 2. Schuljahr. Bochum, S. 35 u. 58.

M6 M7 Kinderkram Rumpelkammer

Taschenmesser, Luftballon, Was die Großen nicht mehr lieben Trillerpfeife, Kaubonbon, oder achtlos von sich schieben, Bahnsteigkarte, Sheriffstern, landet oft zu unserm Jammer Kuchenkrümel, Pflaumenkern, in der dunklen Rumpelkammer. Bleistiftstummel, Kupferdraht, Alte Hüte, alte Töpfe Kronenkorken, Zinnsoldat, und verbeulte Puppenköpfe, ja, sogar die Zündholzdose Regenschirme, Reisetaschen findet Platz in Peters Hose. und zerrissene Gamaschen. Nur das saubre Taschentuch Findet nicht mehr Platz genug. Christbaumkugeln, Faschingsnasen, und gesprungne Blumenvasen, (Hans Stempel, Martin Ripkens) Vogelbauer, Bügeltücher, und verspeckte Bilderbücher.

Was die Großen nicht verstehen oder achtlos übersehen, grade das sind oft die Sachen, die uns Kindern Freude machen.

(Hans Stempel, Martin Ripkens)

124 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

6 Primarstufe: Schreiben

Gedichte in Mundart schreiben  können Typisches des Herbstes in Mundart benennen, Lerninhalt  bringen das dialektale Wortmaterial zum Verfassen eines Herbst-Elfchens Herbst in Gedichtform,  tragen das selbst geschriebene Gedicht Begründung der Auswahl lautgetreu und sinnbetont vor. Das Elfchen steht für nur eine Möglichkeit der Umsetzung des kreativen Schreibens Medien / Material in Gedichtform. Zahlreiche Alternativen, z. B.  Lied: „Ihr Bladln, wöllts ihr danzn?“ Abecedarium, Akrostichon, Rondell, bieten (Mundartversion zu „Ihr Blätter, wollt sich ebenfalls als motivierende Aufhänger ihr tanzen?“) (M8) www.isb.bayern.de der Auseinandersetzung mit dem Dialekt an.  Bild mit bunten Laubbäumen Beurteilt man die Schreibformen nach dem  Musik zur Jahreszeit, z. B. Vivaldi: Schwierigkeitsgrad, so rangiert das Elfchen „Die vier Jahreszeiten“ etwa im mittleren Bereich. Während beim  Beispiele für Elfchen und Akrostichon (M9) Abecedarium lediglich Wörter mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben gefunden Lehr- und Lernprozess werden müssen, erfordert das Elfchen ein Vorarbeit größeres Wissen um die Bedeutungen  In einer vorausgehenden Unterrichtsein- der Wörter. heit erarbeiten sich die Schüler die mundart- Grundsätzlich bietet es sich an, mit einfa- liche Begriffswelt des Herbsts (Hiarschd) in chen thematischen Wortsammlungen Form eines Clusters ( Bairisch 3 ). ( Bairisch 3 ) und Gedichtformen, z. B.  Es wird vorausgesetzt, dass die Schüler wis- einem Schneeballgedicht, zu beginnen und sen, wie ein Elfchen aufgebaut ist. Sie haben allmählich das Anspruchsniveau zu steigern. bereits Elfchen in der Standardsprache ge- (Wortsammlungen haben zudem den Vor- lesen und geschrieben und auf ihre Wirkung teil, dass verstärkt auf die Verschriftung ein- hin untersucht. gegangen werden kann.) Als Ziel muss aber im Auge behalten werden, dass die Schüler umfangreichere Texte in Mundart schreiben, Info: z. B. eine Fabel, ein Märchen, eine Erzählung. Das Elfchen ist ein Gedicht, das aus Das Schreiben von Dialogen oder Mundart­ 11 Wörtern besteht. Ingrid Böttcher1 comics kann dies vorbereiten ( Bairisch 8 ). skizziert das Wesen des Elfchens so: Das Elfchen wurde deshalb exemplarisch ausgewählt, da es eine äußerst anregende 1. Zeile: ein Wort – ein gefundenes und kreative Form des schriftsprachlichen Wort / Thema / Idee / Gefühl / Ausdrucks darstellt. Zum einen ermöglicht Stimmung ... das Elfchen die Gedanken sehr weit und ver- 2. Zeile: zwei Wörter – Wozu kann dichtend schweifen zu lassen. Andererseits das erste Wort passen? bietet es ein stilistisch klar umrissenes Ding, Person ... Bauprinzip, das den Grundschülern Orien- 3. Zeile: drei Wörter – Wo oder wie ist das tierung gibt. in Zeile 2 genannte? Was tut es? 4. Zeile: vier Wörter – noch mehr darüber! Lernziele Die Schüler 5. Zeile: ein Wort – abschließendes Wort:  wissen über den Aufbau eines Elfchens Pointe, Gegensatz, Wertung ... Bescheid,

125 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Einstimmung  Vortragen der Gedichte:  Singen des Liedes „Ihr Bladln, wöllts ihr Untermalung mit der zu Beginn einge- danzn?“ (M8) spielten Musik

Einstieg  Bewerten der Gedichte:  Impuls: Bild mit bunten Laubbäumen Schüler zählen Merkmale des Elfchens auf Die Schüler versprachlichen ihre Beobach- (auch ein schriftlich ausformulierter Kriterien- tungen und Eindrücke über den Herbst. katalog bietet sich an) und beurteilen, ob die Kriterien eingehalten wurden. Erarbeitung Zum Schluss erfolgt eine Bewertung  Impuls: Du weißt, wie ein Elfchen des Gesamteindrucks. aufgebaut ist. Wiederholung der Struktur der Gedicht- Ausklang form Elfchen (siehe Info), gleichzeitig wird  Vertonen der Gedichte mit dem Orff-Instru- der Aufbau skizziert: mentarium  Szenische Darstellung

Weiterarbeit  Hier bieten sich die eingangs erwähnten Gedichtformen, z. B. Akrostichon (M9) und Rondell, an.

Anmerkung

1 Böttcher, Ingrid (Hrsg.) (1999): Kreatives Schreiben. Grundlagen und Methoden. Beispiele für Fächer und Projekte. Schreibecke und Dokumentation. Berlin, S. 58.  Impuls: Der Lehrer schreibt in die erste Zeile das Wort „Hiarschd“. Quellennachweis / Literatur Schüler erkennen, dass diese Gedichtform M8: Patho, Klaus / Schuhmann, Reinhard (1993): auf das Thema „Hiarschd“ anzuwenden ist. Musik 1 / 2. Musik- und Bewegungserziehung.  Reaktivierung des Vorwissens über den Herbst: Regensburg, S. 54. Du kennst schon einige „Herbstwörter“. M9: Siegfried Bräuer, Winklarn. Schüler rufen ihr Wissen über den Herbst ins Gedächtnis zurück; dabei sollten die Bräuer, Siegfried (2003): Kreatives Schreiben in Ergebnisse des vorher erarbeiteten Herbst- der Mundart. Darstellung eines Projekts. In: Ober- Clusters einbezogen werden. viechtacher Heimatkundliche Beiträge. Bd. 6.  Verfassen eines Elfchens in Partner- Zur Situation des Dialekts in Schule und bzw. Gruppenarbeit. Hier bietet sich eine Gesellschaft. Oberviechtach. Differenzierung an:  völlig freies Schreiben  Struktur wird vorgegeben  Wortmaterial wird ganz oder teilweise vorgegeben  Schreibkonferenz: Hier können die Schüler ihre Gedichte überarbeiten.

126 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

M8 „Ihr Blätter, wollt ihr tanzen?“ – in Mundart übertragen

„Ihr Bladln, wöllts ihr danzn“, so hod a gfragt da Wind. „Ja, ja, mir mechdn danzn, ja, ja, mir mechdn danzn, gej hol uns glai und gschwind.“

Dou is a eij in Bladln und hod ses gholt zum Danz. Maij ham se gfreit de Bladln, ja, ja, de buntn Bladln und ham se higem ganz.

Etz danzns wej de Wüldn, de Bladln und da Wind, ja, ja, so wej de Wüldn, ja, ja, so wej de Wüldn, und frain se wej a Kind.

M9 Beispiele für Elfchen und Akrostichon

Hiarschd Hiarschd is ejtz.

bunte Bladln I gfrai me.

gölwe braune roude An de Baam san bunte Bladln.

ja wejs da Wind verwaht Roude, gölwe und goldne.

schej Schej is, wenn da Wind waht.

Christina, halt dai Ham.

Host as?

Dou gemma niad hoam!

127 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

7 Sekundarstufe I: Sprachbetrachtung, Sprechen

Vornamen als Schimpfwörter  Impuls: Da fallen oft böse Wörter! Schüler: „Du Aff!“ „Du Sau!“ „Du Hirnochs!“ Lerninhalt „Du Depp!“ etc. Hörszene: „Dou gejht‘s houch her!“ Sprachbegegnung  Vorstellen der Hörszene „Dou gejht‘s Begründung der Auswahl houch her!“ (M10) Das Phänomen, mit jemandem zu streiten Schüler analysieren die Hörszene. und ihn zu beschimpfen, ist den Schülern Ergebnis: sehr vertraut. Umso spannender ist es, einen  Zwei streiten sich. Blick auf das Wortmaterial, das hierfür in der  Anlass für den Streit ist die schlechte Mundart Verwendung findet, zu werfen. Die Laune des einen. Beschränkung auf die Vornamen grenzt die  Sie beschimpfen sich gegenseitig. sprachlichen Mittel deutlich ein, was einer  Ein Wort gibt das andere. exakten Analyse sehr entgegenkommt.  Sie verwenden bestimmte Schimpf- wörter, z. B. „Säftl“. Lernziele Die Schüler  Zum Schluss versöhnen sie sich wieder.  artikulieren ihre Erfahrungen mit dem  Lesen des Dialogs (M11) mit verteilten Rol- Streiten und Beschimpfen, len: In einem ersten klanggestaltenden Lesen  lesen den Dialog lautgetreu und klang- soll das Streiten herausgearbeitet werden. gestaltend,  Impuls: Bestimmte Wörter würde ich beson-  charakterisieren die mit diesen Schimpf- ders betonen. wörtern belegten Menschen, Schüler: Lätschnbene, Schalastern, Säftl,  wissen, dass es sich bei diesen Schimpf- Stasl, Steffl, Urschl, Schoscherl wörtern um Vornamen und Zusammen-  Impuls: Begründe deine Auswahl! setzungen mit diesen handelt, Schüler: Mit diesen Wörtern kann man  setzen die Schimpfwörter beim Schreiben andere besonders gut beschimpfen. und Spielen eines Dialogs bewusst ein,  Begriff: Schimpfwörter  reflektieren den Gebrauch von Schimpf- Die Schimpfwörter werden optisch hervor- wörtern. gehoben; evtl. ergänzen um weitere Wörter aus dem Wortschatz der Schüler, z. B. Hiasl, Medien / Material Gore, Maigl  Mitschnitt eines Dialogs: Zwei streiten sich www.isb.bayern.de Sprachanalyse  Arbeitsblatt mit Dialog (M10)  Inhaltliche Klärung der Schimpfwörter (M11)  Arbeitsblatt für Sprachuntersuchung (M11) Impuls: Welche besonderen Eigenschaften  Gerät für die Aufzeichnung eines selbst hat ein Mensch, den man als Letschnbene, gesprochenen Dialogs als ... bezeichnet? Schüler charakterisieren die hinter den Lehr- und Lernprozess Schimpfwörtern stehenden Personen, z. B. Hinführung dass ein „Lätschnbene“ ein schlecht gelaun-  Impuls: Du hast sicher schon einmal gestritten! ter, missmutiger, langweiliger Mensch ist. Schüler berichten von ihren Erfahrungen mit  Sprachliche Analyse des Wortmaterials dem Streiten. (Mit wem, warum, Verlauf, Impuls: Alle diese Schimpfwörter sind Gefühle, Ausgang) Abkürzungen.

128 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

??? Schimpfwort Bedeutung Stefan Steffl unhöflicher, unge- hobelter, mürrischer Mensch

Da den Schülern die „alten“ Abkürzungen für Sprachanwendung die Vornamen vermutlich nicht geläufig sind,  Schüler schreiben selbst eine Streitszene, in bietet es sich an, einen Namen herzuleiten, der sie derartige Schimpfwörter verwenden. z. B. Steffl  Stef  Stefan.

Spracherkenntnis Quellennachweis / Literatur Die linke Spalte der Tabelle führt zur Ein- M10 / M11: Siegfried Bräuer, Winklarn. sicht, dass es sich bei den Schimpfwörtern um Abkürzungen von Vornamen bzw. um Maras, Rainer / Ametsbichler, Josef / Zusammensetzungen mit abgekürzten Eckert-Kalthoff, Beate (2003): Handbuch für die Unterrichtsgestaltung in der Grundschule. Vornamen handelt. Planungshilfen – Strukturmodelle – didaktische und methodische Grundlagen. Donauwörth. Weiterarbeit  Schüler reflektieren den Gebrauch von Schimpfwörtern mit Blick auf den Belei- digten und entwickeln dabei empathische Einstellungen.

M10

Dou gejht’s houch her

Wai: Du Lätschnbene, wos machst denn hait fir a Gfrieß?

Mo: Halt doch du dai Mal, du Schalastern!

Wai: Bi doch du staad, du alter Säftl!

Mo: Wenn i so a Stasl war wej du, gangert i zerscht niad unter d’Laid.

Wai: Du Steffl, du derfast amal Maniern lerna.

Mo: Wennst a a nasche Urschl bist, bist ma zamdem de Lejbst.

Wai: I moch de ja a, mai Schoscherl.

129 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

M11

Wir untersuchen Schimpfwörter

Herkunft Schimpfwort Wie sind die Personen?

Benedikt Lätschnbene missmutig, schlecht gelaunt, langweilig Scholastika Schalastern bösartig Josef Säftl etwas dumm, naiv Anastasia Stasl groß gewachsen, lang, dürr Stefan Steffl unhöflich, mürrisch Ursula Urschl naiv, schlampig Georg Schoscherl etwas dumm, naiv Matthias Hiasl einfältig, dumm Margarete Maigl tollpatschig, naiv

130 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

8 Sekundarstufe I / II: Umgang mit Sachtexten

Mundartforschung Lehr- und Lernprozess Vorarbeit Lerninhalt  Die Schüler sollten mit dem Wesen der Johann Andreas Schmeller – Lautschrift vertraut sein. (Hinweis auf den der „Begründer“ der bayerischen Englischunterricht.) Mundartforschung Hinführung Begründung der Auswahl  Sich mit der Person Schmellers bzw. mit Da jeder Dialekt historisch gewachsen ist, dem „Bayerischen Wörterbuch“ auseinander- erscheint es unverzichtbar, einen Blick in die zusetzen, kann zwei Gründe haben: Mundartforschung und deren Geschichte zu werfen. Dabei stößt man auf Johann Motive, die von der Sprache herrühren: Andreas Schmeller, 1785 in Tirschenreuth  Beschäftigung mit verschiedenen geboren, den Mundartforscher schlechthin. Wörterbüchern Seine wichtigsten Bücher, „Die Mundarten  Welche Aussagen macht Schmeller zu Bayerns grammatisch dargestellt“, 1821 er- einem bestimmten Wort? schienen, und die vier Bände des von 1827  Wann kann man ein Wort als Mundart- bis 1837 veröffentlichten „Bayerischen Wör- wort bezeichnen? terbuchs“, zählen noch heute zu den Stan- (Abgrenzung der Mundart zur Standard- dardwerken der Mundartforschung. Bei die- sprache hin) sen Werken handelt es sich nicht nur um die Dokumentation sprachwissenschaftlicher Er- Motive, die sich aus der Person Schmellers kenntnisse, jedes Stichwort ist zugleich in herleiten: einen geschichtlichen und volkskundlichen  deutsche oder bayerische Sprachforscher Kontext eingebettet. (Sprachwissenschaftler) in der Vergangen- heit (Schmeller wird als „bayerischer Lernziele Die Schüler Grimm“ bezeichnet)  kennen wesentliche Stationen im Leben  Geschichte der Dialektforschung Schmellers (Kurzbiographie),  bayerische / oberpfälzische Schriftsteller  eruieren den Aussagewert eines Lemmas des  Mundartautoren „Bayerischen Wörterbuchs“,  bedeutende Oberpfälzer  sammeln über Schmeller als Autor exem- plarisch Erfahrungen, Ganz gleich, welchen Ansatz man wählt,  schätzen die Bedeutung Schmellers als es werden sich immer folgende drei Aspekte Mundartforscher ein. herauskristallisieren:  die hoch interessante Persönlichkeit Medien / Material Schmellers und ihre Biographie  Arbeitsblatt mit Biographie Schmellers (M12)  der Sprachwissenschaftler Schmeller  Auszug aus dem „Bayerischen Wörterbuch“ (Linguist und Sprachkundler) (M13)  der Literat Schmeller  Text des Gedichts „Der Klappermichl zu Daran wird sich die Struktur des Unter- Neunkirchen“ (M14) www.isb.bayern.de richts sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich  evtl. Porträt Schmellers auf Folie der Arbeitsform (arbeitsteilige Gruppen-  evtl. ein Band des „Bayerischen Wörterbuchs“ arbeit) orientieren.

131 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

Erarbeitung Ausklang  Schmellers Biographie (M12):  Die Präsentation wird einem ausgewählten Es bietet sich an, den als unstrukturierten Publikum vorgeführt. Text dargebotenen Lebenslauf in Tabellen-  Einbindung in den Bereich „Projekte“ der form umzuwandeln. So können Schmellers schuleigenen Homepage ärmliches Elternhaus, die schulische Lauf- bahn, sein militärischer Werdegang, die pä- Weiterarbeit dagogischen Ambitionen und seine Karriere  Erstellen einer Porträtreihe, z. B. bedeutende als Sprachwissenschaftler auch grafisch bayerische / oberpfälzische Persönlichkeiten hervorgehoben werden.  namhafte bayerische Sprachforscher /  Schmeller als Sprachwissenschaftler (M13): Dialektforscher Gemäß dem Hauptwerk Schmellers, dem  literarische Zeugnisse bayerischer / „Bayerischen Wörterbuch“, ergibt sich der oberpfälzischer Mundartautoren Arbeitsauftrag: Analysieren Sie das Lemma „Ofen“! Quellennachweis / Literatur Welche verschiedenen Informationen bietet M12: Siegfried Bräuer auf der Basis der Darstel- Schmeller zu diesem Stichwort? Zusätzlich lungen von Brunner, Dünninger und Schreiegg. können auch Schmellers Aussagen zur Lau- tung des Buchstabens „a“ analysiert werden. M13: Schmeller, Johann Andreas (2002): Vgl. Schmeller, Die Mundarten Bayerns Bayerisches Wörterbuch. Sonderausgabe. grammatisch dargestellt (1821), München München, Sp. 44. 1929, Nr. 62, 63, 66, 67, 102, 106, 110 und 122. M14: Kapfhammer, Ursula / Kapfhammer, Günther (1997): Oberpfälzisches Lesebuch. Vom Barock zur  Schmeller als Autor (M17): Gegenwart. Regensburg, S. 140f. Auch wenn sich Schmellers literarisches Brunner, Richard J. (1987): Johannn Andreas Werk als eher bescheiden erweist, erscheint Schmeller. Leben und Wirken des bayerischen es dennoch sinnvoll darauf einzugehen, nicht Mundart- und Sprachenforschers. In: Oberpfälzer zuletzt weil dadurch das Nordbairische ange- Heimat. Beiträge zur Heimatkunde der Oberpfalz. sprochen wird. Bd. 31. Weiden. Arbeitsaufträge: Dünniger, Eberhard (1981): Johann Andreas 1. Lesen Sie das Gedicht „Der Klappermichl Schmeller und die Oberpfalz. Beiträge zur zu Neunkirchen“ und geben Sie den Inhalt Geschichte und Landeskunde der Oberpfalz. des Gedichts stichpunktartig wieder! Heft 21. Regensburg. 2. Welche Laute erscheinen für das Nord­- bairische typisch? Lohmeier, Georg (1985): Den Bayern aufs Maul geschaut. Aus Johann Andreas Schmellers  Zusammenschau der Ergebnisse der Wörter- und Tagebüchern 1785 -1852. München. Gruppenarbeit, z. B. in Form einer Power- Schreiegg, Anton (1963): Johann Andreas point-Präsentation, ggf. Einbindung eines Bil- Schmeller. Leben und Werk. Nordgau-Schriftreihe. des von Schmeller bzw. eines Hörbeispiels Heft 2. Kallmünz.

132 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

M12 Johann Andreas Schmeller – ein biographischer Streifzug

Johann Andreas gercorps des Illerkreises zog er 1814 gegen Napo- Schmeller wurde leon in den Krieg. Dieser brachte ihn u. a. nach Pa- am 6. August ris; auch hier konnte er seine sprachlichen Studien 1785 in Tirschen- fortsetzen. In diese Zeit fiel ein Aufsatz mit dem Titel reuth als Sohn „Soll es eine allgemeine europäische Verhandlungs- eines Korb- sprache geben?“. Darin äußerte Schmeller die Bitte, flechters und zu- dass man sich bei den Verhandlungen in Wien nicht gleich kleinen nur französisch verständigen solle, sondern Eng- Landwirts gebo- lisch, Deutsch und Russisch als Sprachen der Diplo- ren. Kaum zwei matie gleichberechtigt daneben stünden. Schmeller Jahre alt, zog die war es nach Beendigung der Napoleonischen Kriege kinderreiche weiterhin gestattet im militärischen Dienst zu ver- Familie nach Rim- bleiben. berg bei Pfaffen- hofen in der Hal- Im Februar 1816 stellte Schmeller der Bayerischen lertau. Anfänglich Akademie der Wissenschaften sein Konzept eines unterrichtete ihn „bairischen Idiotikons“ (Mundartwörterbuch) vor. Da der Vater, bis der Pfarrer von Rohr auf ihn aufmerk- Kronprinz Ludwig ebenfalls von diesem Vorhaben sam wurde. Johann Andreas besuchte nun die angetan war und es finanziell unterstützte, erhielt öffentliche Schule in Pörnbach und später die Latein- Schmeller den offiziellen Auftrag. Bereits zwei Jahre schule im Benediktinerkloster in Scheyern. Das später zeigten sich erste Ergebnisse, eine gramma- Vorrücken der französischen Truppen bewirkte, tische Darstellung der bayerischen und der oberpfäl- dass er im August 1796 die Klosterschule verlassen zischen Mundart. 1821 erschien das erste wichtige musste. Auch der anschließende Besuch des Gym- Werk zum Laut- und Formenstand der bayerischen nasiums in Ingolstadt endete mit der Auflösung Mundart, „Die Mundarten Bayerns grammatisch dar- dieser Einrichtung. So ging er im Herbst 1799 nach gestellt“. Ab 1827 folgte Band für Band des bekann- München und besuchte dort das Wilhelmsgym- testen und bedeutendsten Werks Schmellers mit nasium. Auf sich allein gestellt, brachte er sich dem Titel „Bayerisches Wörterbuch“. Sehr viele bai- durch Nachhilfestunden fort. In diesen Jahren rische Mundartwörter werden darin nach einem von wurde er mit dem Gedankengut der Aufklärung Schmeller selbst entwickelten System aufgelistet, (Rousseau) konfrontiert. hinsichtlich Bedeutung und Herkunft untersucht, literarisch belegt sowie kulturhistorisch eingebettet. Von den Anschauungen Pestalozzis fasziniert, machte er sich 1804 in die Schweiz auf, fand jedoch Öffentliche Ehrung erfuhr Schmeller, der nie ein in Pestalozzis Erziehungsanstalten keine Anstellung. wissenschaftliches Studium absolviert hatte, als er Daraufhin ging er als Söldner nach Taragonna. Der von 1826 an Vorlesungen an der Universität in Aufenthalt in Spanien brachte ihm nicht nur mili- München halten konnte. Im März 1827 erfolgte die tärische Erfahrungen; auch diese Lebensphase be- Verleihung der Ehrendoktorwürde, 1828 die Ernen- gleiteten die Auseinandersetzung mit fremden Spra- nung zum ordentlichen Professor. Jedoch übernahm chen und sprachwissenschaftliche Studien. 1808, in er schon bald eine Stelle als Bibliothekar an der die Schweiz zurückgekehrt, gründete er mit Samuel Bayerischen Staatsbibliothek. 1846 kehrte er als Hopf, einem Schüler Pestalozzis, eine Lehr- und Er- Ordinarius des Lehrstuhls für altdeutsche Sprache ziehungsanstalt. Aufgrund der unruhigen Zeiten und Literatur an die Universität zurück. hatte die Schule jedoch nur kurzen Bestand. Weitere Lehrtätigkeiten, an einer landwirtschaftlichen Schule Schmellers Verbundenheit mit seiner bayeri- in der Nähe von Bern und einer Töchterschule in schen Heimat, die herausragende Vielsprachigkeit Konstanz, schlossen sich an. Die Liebe zum Vater- und das unermüdliche und äußerst versierte land veranlasste ihn schließlich 1813 in die Heimat Schaffen waren es, die ihn zu einem derartigen zurückzukehren. Als Oberleutnant im freiwilligen Jä- Lebenswerk befähigten.

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M12 Arbeitsaufträge zur Biographie Schmellers

 Listen Sie markante Stationen bzw. Phasen in Schmellers Leben tabellarisch auf! (Die Jahreszahlen mögen als Orientierung dienen.)

 Welche Aussagen lassen sich über Schmellers schulische Bildung machen?  Bis 1816 führte Schmeller ein sehr bewegtes Leben. Begründen Sie diese Behauptung!

 Betrachtet man die Zeit bis 1816 als Lebensphase, in der sich Schmeller selbst zu finden suchte, erkennt man drei grundlegend verschiedene Neigungen. Erläutern Sie diese Aussage!

 J. A. Schmeller war Autodidakt. Gehen Sie dieser Tatsache nach!

 J. A. Schmeller zählt zu den bedeutendsten Oberpfälzern. Belegen Sie diese Aussage!

 Erläutern Sie Schmellers wissenschaftliche Laufbahn!  Welche zwei Werke zur Mundart darf man noch heute zu den Standardwerken zählen? Womit setzen sie sich inhaltlich auseinander?

 Welche Stellung nimmt Schmeller in der Geschichte der Mundartforschung ein?

M13 Auszug aus J. A. Schmeller: Bayerisches Wörterbuch

134 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

M14

Der Klappermichl zu Neunkirchen

I da Sitzwal wan wul baranand Da Boubma u Maidla vil; Si heitn da Kurzwal allahand U spilatn a Pfandtagspil. Gantz hinta‘n Uafm natzt mitn Kuapf A staialts Weibl ba‘n Erdäpfltuapf.

„Was tout des Pfaad? wei sagts ma‘s frisch! Aa diar is‘s, Hansatn Lipp!“ „Des Pfaad, des bringt is dau har aan Tisch ‘s Klappamichl sa Gripp!“ U wei‘s des heian, wiad allna laid - Des Pfaad aba gheiat a fruma Maid.

Da Michl is gstarbm als gunga Saldat, Vaa langa Gauan schou, U wal ar i‘n Gra kai Rou haut ghatt, Sua habmsn i‘s Bai-Häusl tau. Wenn a Bißl si reiat da beimsch Wind, Sua klappat u wemmata, wei a Kind.

D‘Maad geit am Freithuaf aune Gspreitz, Si greißt‘n Michl gaa fei, Si huglt‘n af, macht dramal ‘s Kreutz, U tragtn am Bugl wul eii. U weis‘n da seagng, wean‘s alle starr, Und alla Gsichta san aschafar.

„Eitz kneits enk nidar u bets ma schleats Fün Michl sa aarma Sal!“ Sua sagt di Maad, u si betn was reats, Bis af di Alt i da Hall. „Du alta Kappm, bed a dazou! U sagh: Herr gib im di eiwi Rou!“

„Mirkts af, sagt di Alt, füa was dea waizt, Dear is af eiwi valaan! Ea haut mi vafeiat, u haut mi varaizt, U haut mi sa Kind agschwaan. ‘s glabts wul nemads, wei wei ain gschiat, U drüm vazei i‘n ma Letta niat.“

Eitz gänga‘s alla, u riedn ara zou; Dau vazeitn di alt Haut: „Herr gib mein Michl die eiwi Rou!“ Da sturzt a, u wemmat laut. Nau, habm‘s sa Bainar i‘n Sarg einigfaßt, Eitz haut a sa Rou, etz haut a sa Rast.

(Johann Andreas Schmeller)

135 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

8 Sekundarstufe I / II: Umgang mit Sachtexten

Mundartcomic Erarbeitung  Einteilung in Arbeitsgruppen Lerninhalt  Auftrag, die Sprechblasen des Comics (M16) „Der Rattenfänger von Hameln“ im Dialekt auszufüllen und den Comic farblich zu gestalten Begründung der Auswahl  (Zur Unterstützung kann der Text Dialekt tritt vor allem mündlich zutage. der Sage ausgeteilt werden, dabei Manchmal erscheint es aber nötig, Dialekt wird aber eventuell die Kreativität niederzuschreiben, um ein interessiertes der Schüler eingeschränkt.) Publikum zu erreichen. Die im Unterschied zur Standardsprache fehlende Normierung Anmerkung: In mehrheitlich dialektgepräg- hat für den Schreibenden den Vorteil der ten Klassen kann dies meist problemlos ohne größeren Freiheit für kreatives Gestalten. Zu- vorausgehende Anleitung durchgeführt dem können Schüler angesprochen werden, werden. In eher standardsprachlich sozia- für die die Beachtung der Schreibrichtigkeit lisierten Klassen muss in einer Vorstunde ein unüberwindliches Hindernis beim Erstel- eventuell die Schreibung des Dialekts thema- len von Texten darstellt. Wichtig ist daher der tisiert werden, indem z. B. Mundartgedichte ausdrückliche Hinweis zu Beginn der Schreib- aus der Region präsentiert werden. phase, dass es keine falsche Schreibung gibt. Die Schüler sollen schreiben, wie sie es für Präsentation der Ergebnisse ihren Heimatdialekt angemessen halten.  Vortragen der Comics mit verteilten Rollen  Präsentation der fertigen Comics im Klas- Lernziele Die Schüler senzimmer oder Schulhaus. Basierend auf  erkennen durch die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen mit dem Dialektcomic kann dem geschriebenen Dialekt dessen Wert, in einer Folgestunde gemeinsam mit den  erfassen die Beziehungen zwischen Phonem Schülern überlegt werden, welche Vorteile und Graphem, die Normierung einer Rechtschreibung für  verstehen, warum es keine normierte Schrei- den Schreiber und den Leser hat. Unterstüt- bung des Dialekts gibt. zend können hier entweder Kopien ältere Texte präsentiert werden, die vor der Recht- Medien / Material schreibnormierung gedruckt wurden, oder  Folie mit bildlicher Darstellung des Ratten- Texte, die die gültige Rechtschreibung be- fängers, abzurufen bei Google-Bildsuche wusst vernachlässigen. Um Verständnis für  Text der Sage (M15) die Notwendigkeit einer schriftsprachlichen  Arbeitsblatt mit vorgezeichnetem Comic Norm zu schaffen, kann man als einfachere (M16) Vorgehensweise Dialekttexte vorlesen las- sen. Die Schüler werden erkennen, dass dies Lehr- und Lernprozess länger dauert und schwieriger ist als das Le- Hinführung sen eines standardsprachlichen Textes. Auch  Folie mit der Darstellung des Rattenfängers dies zeigt die Notwendigkeit einer normierten als Einstieg Schriftsprache.  Wiedergabe der Sage mit eigenen Worten durch die Schüler Anregungen zur Weiterarbeit  Vorlesen der Sage (M15) durch die Lehrkraft Als weitere kreative Bearbeitung des Comics oder Wiedergabe von CD / Band (z. B. selbst kann von den Schülern eine Fortsetzung ge- erstellte Aufnahme eines guten Vorlesers) zeichnet und geschrieben werden, wobei

136 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

sich eine fächerübergreifende Zusammen- Quellennachweis / Literatur arbeit mit dem Kunstunterricht anbietet. M15: Das Hirschgraben Sprachbuch, Realschule Auch die Umwandlung in eine andere Bayern, 6. Schuljahr, Cornelsen 2001, S. 16f. Textsorte (z. B. in einen Zeitungsbericht) kann angeregt werden. M16: Zeichnung Florian Brandl, Realschule Bad Aibling.

M15

Brüder Grimm: Die Kinder zu Hameln

Im Jahr 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an, weshalb er Bundting soll geheißen haben, und gab sich für einen Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm einig und versicherten ihm einen bestimmten Lohn. Der Rattenfänger zog demnach ein Pfeifchen heraus und pfiff, da kamen alsobald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wären keine zurück, ging er hinaus und der ganze Haufen folgte ihm und so führte er sie an die Weser; worauf ihm alle Tiere folgten und hineinstürzend ertranken. Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, reute sie der versprochene Lohn und sie verweigerten ihn dem Mann unter allerlei Ausflüchten, sodass er zornig und erbittert weg- ging. Am 26. Juni, auf Johannis- und Paul-Tag, morgens früh sieben Uhr, nach andern zu Mit- tag, erschien er wieder, jetzt in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut und ließ die Pfeife in den Gassen hören. Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein vom vierten Jahr an, in großer Zahl gelaufen, worunter auch die schon erwachsene Tochter des Bürgermeisters war. Der ganze Schwarm folgte ihm nach und er führte sie hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Dies hat ein Kindermädchen gesehen, welches mit einem Kind auf dem Arm von fern nachge- zogen war, danach umkehrte und das Gerücht in die Stadt brachte. Die Eltern liefen haufen- weis vor alle Tore und suchten mit betrübten Herzen ihre Kinder; die Mütter erhoben ein jämmerliches Schreien und Weinen. Von Stund an wurden Boten zu Wasser und zu Land an alle Orte herumgeschickt, zu erkun- digen, ob man die Kinder oder auch nur etliche gesehen, aber alles vergeblich. Es waren im Ganzen hundertdreißig verloren. Zwei sollen, wie einige sagen, sich verspätet haben und zurückgekommen sein, wovon aber das eine blind, das andere stumm gewesen, also das blinde den Ort nicht hat zeigen können, aber wohl erzählen, wie sie dem Spielmann gefolgt wären; das stumme aber den Ort gewiesen, ob es gleich nichts gehört. Ein Knäblein war im Hemd mitgelaufen und kehrte um, seinen Rock zu holen, wodurch es dem Unglück entgan- gen; denn als es zurückkam, waren die andern schon in der Grube eines Hügels, die noch gezeigt wird, verschwunden. Die Straße, wodurch die Kinder zum Tor hinausgegangen, hieß noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Bungelose (trommel-, tonlose, stille), weil kein Tanz darin geschehen noch Saitenspiel durfte gerührt werden. Ja, wenn eine Braut mit Musik zur Kirche gebracht ward, mussten die Spielleute über die Gasse hin stillschweigen. Der Berg bei Hameln, wo die Kinder verschwanden, heißt der Poppenberg, wo links und rechts zwei Steine in Kreuzform sind auf- gerichtet worden. Einige sagen, die Kinder wären in eine Höhle geführt worden und in Sieben- bürgen wieder herausgekommen.

137 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

M16

138 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

10 Sekundarstufe I: Sprachbetrachtung, Schreiben

Lerninhalt  Lehrer stellt Fragen dazu, z. B. in Bezug Wert und Grenzen der Dialekte auf die Wirkung oder den Anlass der Dialekt- verwendung in dieser Szene. Begründung der Auswahl Kinder aus einem dialektalen Umfeld erfah- Erarbeitung 1 ren vor allem in städtisch geprägten Klassen-  Auftrag an die Schüler, in ihrem häuslichen gemeinschaften verschiedene Reaktionen Umfeld Jugendliche und Erwachsene nach auf ihre Primärsprache. Um der Gefahr der einer Erklärung des Begriffs „Dialekt“ zu Zurückweisung durch die Mitschüler und befragen und diese zu notieren einem eventuell daraus resultierenden Ver-  Sammlung der Antworten im Unterricht stummen, was den Erwerb und den Ausbau  Suche nach Definitionen für den Begriff der Standardsprache erschweren dürfte, in Lexika und im Internet mit anschließen- entgegenzutreten, sollte bei Kindern eine der Vorstellung Sensibilisierung und eine Wertschätzung für regionale Sprachformen entwickelt wer- Erarbeitung 2 den. Eine konkrete Auseinandersetzung mit  Ausgabe verschiedener Mundarttexte dem Dialekt ist daher wichtig. Dies kann  Einübung des Vorlesens der Texte z. B. durch das Aufspüren von mundart- in Gruppen lichen Elementen im häuslichen Umfeld  Versuch einer Übersetzung initiiert werden. Anmerkung: Das Sammeln von Texten kann den Schülern auch als Hausaufgabe gestellt Lernziele Die Schüler werden. Aus der Erkenntnis, dass ein Vor-  erkennen, was Dialekt ausdrücken kann, lesen deutliche Schwierigkeiten bereiten kann  gewinnen die Einsicht, dass viele Situationen und eine wortweise Übertragung in die Stan- den Einsatz des Dialekts rechtfertigen, dardsprache oft nicht möglich ist oder die  erfahren, wo die Grenzen dialektnaher Textaussage verfälscht, soll die Einsicht erfol- Sprachformen liegen, gen, dass die Dialekte nicht einfach reduzierte  entwickeln ein situationsadäquates Sprachformen des Deutschen darstellen, Sprachverhalten. sondern eine Eigenständigkeit aufweisen.

Medien / Material Erarbeitung 3  DVD „Findet Nemo“  eigene Textproduktion in Gruppen und  Mundarttexte nach Wahl (z. B. Gedichte, Vorstellen der Ergebnisse Erzählungen aus Lehrwerken), Anmerkung: Die Textproduktion in Grup- ggf. M17 und M18 pen kann sehr motivierend sein. Die Schü-  Aufnahmen von gesprochenen Mundart- ler brauchen nicht auf Schreibnormierungen texten aus verschiedenen Dialektland- achten, können also keine Rechtschreib- schaften (ggf. mit Hilfe des Kollegiums fehler im klassischen Sinne machen. Nötig erstellt) sind aber formale oder inhaltliche Vorgaben zur Orientierung. Die Gedichte können z. B. Lehr- und Lernprozess in Form von Elfchen verfasst werden oder Hinführung man gibt Mundartgedichte als Muster vor,  Begegnung mit Mundart: Szene aus dem an die sich die Schüler halten können. So Zeichentrickfilm „Findet Nemo“, in der drei kann man das Gedicht „wos an weana olas Jungfische sich in verschiedenen deutschen en s gmiad ged“ (H. C. Artmann) in eine Dialekten unterhalten, wird eingespielt. andere Umgebung stellen, also z. B.

139 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

„wos an Abensberger olas en s gmiad ged“. Fremdsprachen wirken. Hieraus kann erkannt Eine weitere Anregung bietet das Gedicht oder vom Lehrer thematisiert werden, wel- „näbe“ von Rodja K. Weigand. Man kann chen Nutzen eine überregionale Standard- die Schüler ein Dialektgedicht entwerfen sprache hat bzw. warum die einzelnen Dialekte lassen, das eine mögliche Antwort des fikti- eine Normsprache als Überdachung brau- ven Adressaten, an den das Gedicht „näbe“ chen. gerichtet ist, darstellt.

Reflexion Quellennachweis / Literatur  Vorspielen gesprochener Mundarttexte aus M17: Weigand, Rodja K.: näbe. In: Hoffmann, verschiedenen Regionen Ferdinand / Berlinger, Josef (1978): Die neue  Vergleich der zu Beginn erhobenen oder ge- deutsche Mundartdichtung. Hildesheim, fundenen Definitionen des Begriffs „Dialekt“ Georg Olms Verlag, S. 101. und Auswahl einer geeigneten Definition M18: Artmann, H. C. : wos an weana olas en s gmiad ged. In: Reichert, Klaus (Hrsg.) (2003): Anmerkung: Texte aus linguistisch ferneren H. C. Artmann. Sämtliche Gedichte. , Dialektgebieten werden auf die Kinder wie Jung und Jung, S. 220.

M17

näbe

graua näbe wosd hischaugst graua näbe wira geschweazte muich so grau und durch den gä i zu dia mei feia.

i sig koane bleame und a an rinnstoa net koit is und doch gä i weils feia so brennt woast so schmerzhaft brennts.

(Rodja K. Weigand)

140 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

M18

H. C. Artmann

wos an weana olas en s gmiad ged: Was einem Wiener alles ans Gemüt geht: a faschimpöde fuasbrotesn eine verschimmelte Fußprothese a finga dea wos en fleischhoka en woef kuma is ein Finger der dem Fleischer in den Wolf gekommen ist drei wochleid und a trafik drei Wachleute und eine Trafik a giatlkafee met dischbost ein Gürtelkaffee mit Tischpost a schas med qastln ein Schaß mit Quasteln a eadöpfesolod ein Erdäplfelsalat da rudoef koal en da gatehosn der Rudolf Karl in der Gatehose de schdrossnbaunilustriade die Straßenbahnillustrierte a schachtal dreia en an bisoaa eine Schachtel Dreier in einem Pissoir a söbstbinda zun aufhenkn ein Selbstbinder zum Aufhängen a zqetschta rola en an autoküla ein zerquetschter Roller in einem Autokühler de muzznbocha med an nosnromö oes lesezeichn die Mutzenbacher mit einem Nasenrammel als Lesezeichen a schrewagatal en otagring ein Schrebergarten in Ottakring a foeschs gebis en da basena ein falsches Gebiß in der Bassena a zbrochns nochtgschia ein zerbrochenes Nachtgeschirr a r ogschöde buanwuascht eine abgeschälte Burenwurst a daunauschdrom zun fiassbodn ein Donaustrom zum Füßebaden a gashau zun aufrdan ein Gashahn zum Aufdrehen a kindafazara wossaleichn foxln ein Kinderschänder Wasserleichen Foxln wimmalagenten radeschöla kinokoatn Wimmerlagenten Radischäler Kinokarte a saffalade zun umhenkn eine Knackwurst zum Umhängen de frau nowak die Frau Nowak en hean leitna sei schwoga den Herrn Leitner sein Schwager en mozat sei notnschdenda den Mozart sein Notenständer qagln en essechundöö Quargeln in Essig und Öl es genseheiffö das Gänsehäufel a rodlbadii med dode eine Rodelpartie mit Toten es gschbeiwlad fua r ana schdeeweinhalle das Erbrochene vor einer Stehweinhalle und en hintagrund auf jedn foe: und im Hintergrund auf jeden Fall:

da liawe oede schdeffö! der liebe alte Steffel!

[Hinweis: Zur Erschließung der Austriazismen und der lokalen Bezüge siehe: www.epa.oszk.hu/00300/00384/00024/02.html]

141 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

11 Sekundarstufe I / II: Sprachbetrachtung, Literatur, Sachtexte

Lerninhalt  Schüler geben den Inhalt mit eigenen Dialektale Gliederung des Worten wieder. deutschsprachigen Raums Erarbeitung Begründung der Auswahl  Unterrichtsgespräch über die Vorteile des Der deutschsprachige Raum zeichnet sich Songschreibens in Dialekt (Natürlichkeit, durch eine starke dialektale Gliederung aus. Unmittelbarkeit, Lebendigkeit) Dialekt ist eine regionale Sprechweise, die  Die Stellung des Dialekts zur Standardspra- durch historische Entwicklungen in einer be- che wird thematisiert. Hier kann das Goethe- stimmten Landschaft aus früheren Sprachstu- Zitat „Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er fen des Deutschen entstanden ist. Häufig wird ist doch eigentlich das Element, in welchem die Natürlichkeit und Unmittelbarkeit der regi- die Seele ihren Atem schöpft“ in den Unter- onalen Ausprägungen der deutschen Sprache richt eingebracht und besprochen werden. betont, die sich daher auch für literarisches Anmerkung: Folgende Texte können zur Schreiben eignet. Der Dialekt stellt somit nicht weiteren Vertiefung und als Diskussions- nur sprachliche Realität dar, er bietet auch grundlage herangezogen werden: viele Möglichkeiten für kreatives Schaffen.  Hans König: Fränkisch für Zug‘reiste. Eine Einführung in die Erlanger Mundart Lernziele Die Schüler  Ingo Reiffenstein: Standardsprache und  entdecken, dass die deutsche Sprache große Dialekt: Sprachnorm und Variation regionale Unterschiede aufweist,  gewinnen die Einsicht, dass viele Situationen Weiterarbeit den Einsatz des Dialekts rechtfertigen,  Analyse dreier verschiedener Dialekte  lernen die Vorteile, aber auch die Einschrän- anhand der Texte von BAP, Haindling und kungen des Dialekts kennen, Hans König in Partner- oder Gruppenarbeit  arbeiten Unterschiede zwischen einzelnen  Einordnung der Texte in die deutsche Mund- Dialekten heraus und entwickeln Sprach- artlandschaft anhand der Folie aufmerksamkeit und situationsadäquates  Fixierung der Ergebnisse als Wandzeitung Sprachverhalten. oder als Tafelbild

Medien / Material Quellennachweis / Literatur Lieder „Mo, mah du“ von Haindling (M19)  M19: „Mo, mah du“, zit. nach und „Ne schöne jroos“ von BAP (M20); alter- http://golyr.de/songtext_353510.htm nativ können auch andere Mundartlieder ge- wählt werden, z. B. von Georg Ringsgwandl M20: „Ne schöne Jrooß 1980“, zit. nach www.bap.de (www.ringsgwandl.com) oder Ludwig Hirsch König, Werner (2011): dtv-Atlas Deutsche Sprache. (www.ludwighirsch.at). 17. Auflage. München, S. 230f.  Abdruck der Liedtexte auf Folie König, Hans (1997): Fränkisch für Zug‘reiste.  Folie zur dialektalen Gliederung des deutsch- Eine Einführung in die Erlanger Mundart. In: bsv sprachigen Raums (siehe Teil II) Sprachbuch 9 für die 9. Jahrgangsstufe an Gymnasien. 2. Auflage. München, S. 163f.

Lehr- und Lernprozess Reiffenstein, Ingo (1984): Standardsprache und Hinführung Dialekt: Sprachnorm und Variation. In: Bayerisches  Vorspielen des Lieds „Ne schöne jross“ oder Staatsministerium für Unterricht und Kultus: eines anderen Mundartliedes Schulreport H. 6. München.

142 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

M19 M20

Haindling BAP

Mo, mah du Ahn su 'em Daach, wo minge Kühlschrank jejähnt hätt, Mo, mah du ming Depris ahn mir klääfte, zähflüssig vollfett, ming Breeftäsch leer woor un wo absolut nix ahnliejen dät, A Pata steht am Wies´nrand wo ich zom zichste Mohl de Naas vun mir vollhatt, und hod a Sens´n in da Hand. trotzdämm für alles en Erklärung parat hatt, Er miassat etzt des Gros wegschneid´n, noh drei, vier Bier schon ahn dämm Punkt wohr, aba miad issa und lasst se treib´m. wo mir nix mieh jet mäht, daach ich: Do kimmt a oida Mo daher, Verdamp noch mohl, die Grübeltour bringk et nit, der Pata schreit: »Mo, do gehst her! die trick dich raff, die bringk dich runder wie sons nur jet, Du nimmsta etz de Sens in d´Hand die fuck dich aff bess zo dämm Punkt, und mahst de Wies´n bis zum Rand!« wo övverhaup nix mieh klapp. Der Mo schreit: »Ja, wer bin denn i?« Dann hängste nur noch römm un zweifels ahn dir Der Pata lacht und legt si hi: un wirfs dir alles, wat du finge kanns, vüür, »HÄHÄHÄHÄHÄHÄ!« bess sujar neidisch op die Type, die du sons nur beduhrs.

Hey, Mo! Ref: Mo, mah du! Ne schöne Jrooß ahn all die, die unfählbar sinn, Nana, Pata. vun nix en Ahnung hann, die ävver, immerhin Pata, mah du! su dunn als ob, weil op Fassade, Ja, maht denn a Pater aa? do stonn se halt drop. Ja, maht denn a Pater aa? Sog Mo, maht denn a Pater aa? 2) Na Mo, a Pata, der maht net. Dä Durchblickprofi uss dämm Bausparverein, A Pata, der maht net. rundömjebräunt, met Frau un Pudel doheim; Dirigiern duri gern – Rengdenge dingdong met singer Einbaukösch, die rustikal ess, ävver dennoch modern, Dirigiern dadi gern – Rengsenge singsong met singem Ralleystreifen Opel GT, 'ner Stehplatz-Mitte-Jahreskaat vum FC; Dirigiern duri gern – Rengdenge dingdong dä op Charles Bronson praatjemaate, akkurate Freizeit-Abziehbildheld, Dirigiern dadi gern – Rengsenge singsong dä Naach für Naach bess zom Projrammschluß em Sessel hängk, Ejodelehi! dä veezehn Daach Benidorm paradiesisch fingk, zwei Johr beim Bund wohr, weil ihm Männerkameradschaft jefällt. Mo, mah du! Dä freut sich jetz ald op sing Zokunf als Rentner, Mo, mah du! op dä Balkon met Liejestohl, denn do pennt er bess 'e die Löffel affjitt, die 'e selvs ald lang nit mieh hätt. Der Pata liagt am Wies´nrand und hod koa Sens´n in da Hand. Er muass aa net des Gros wegschneid´n. 3) Da oide Mo duad´s, den konna treib´m. Die ärm Säu hängen drin en Situatione, die nur erklärbar sins durch Hirnamputatione, Mo, mah du! die hann se noh und noh em Gleichschritt Richtung Schwachsinn jescheckt. Mo, mah du! Oh, leeven Orwell, 84 ess noh, Mo, mah du! t‘sinn sind mittlerweile nur noch vier läppsche Johr. Mo, mah du! Et läuf su ähnlich aff, nur unauffällig un vill raffinierter jemaat. Dä Trick, dä funktioniert janz zügig un reibungslos. Etappenweise Entmündigung klappt famos. (Aus: CD „Stilles Potpourri“, Freiwillig enjemaat un stekum zum Verblöden jebraat. Polydor / Universal 1984) Noch zo empfähle wöör dämm janze Komplott: Schenkt jedem einzelne doch 'ne Aufblasbar-Jott (uss Venyl) – abwaschbar, exakte Maße, verbraucherjerecht (jefühlsecht)!

(Aus: CD „Bess demnähx“, Musikant / EMI 1983)

143 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

12 Sekundarstufe II: Medien, Sprachbetrachtung

Lerninhalt Die bairischen Mundarten – Begegnung multimedial  Die Schüler können ihre Dialektkenntnisse anhand der Hörbeispiele des SNiB über- Begründung der Auswahl prüfen und ihre eigene Varietät mit anderen Das Bairische gliedert sich in die Subdialekte Varietäten vergleichen und Unterschiede Nordbairisch (v. a. Oberpfalz), Mittelbairisch herausarbeiten. Dies kann in Partner- oder (v. a. Nieder- und Oberbayern, Nieder- und Gruppenarbeit erfolgen. Oberösterreich) und Südbairisch (Tirol, Süd-  Die so gewonnene Einsicht in die eigene tirol, Kärnten, in reiner Form in Bayern nur Mundart kann den Schüler dabei unter- im Werdenfelser Land). Neben dieser Grob- stützen, dialektbedingte Abweichungen gliederung lassen sich Unterschiede in der zu erkennen und so zu einer situationsan- Lautung oder im Wortschatz gebietsweise gepassten Sprachverwendung zu gelangen. sogar von Ort zu Ort beobachten. Neue Auch ein sprachgeschichtlicher Diskurs ist multimediale Techniken erleichtern es, diese hier möglich. Anhand ausgewählter Beispiele kleinräumigen Unterschiede im Unterricht kann die Entwicklung vom Althochdeutschen zu thematisieren. zum Neuhochdeutschen aufgezeigt werden, die Mundartformen weisen hier meist eine Lernziele Die Schüler größere Nähe zu früheren Sprachstufen auf  werden für Sprachunterschiede sensibilisiert, als die Standardsprache. Schüler, deren Hei-  lernen, bereits vorhandenes Sprachwissen matort mit einem Belegort des SNiB iden- bewusst einzusetzen, tisch ist, können durch den Vergleich mit  erfahren die eigene Sprache als Varietät, den darin vorhandenen Sprachbeispielen die sich von anderen Sprachen unterscheidet, der älteren Gewährspersonen dazu angeregt  erkennen wichtige Unterschiede zur werden, Veränderungen in ihrem Dialekt Standardsprache, herauszuarbeiten.  werden auf sprachliche Unterschiede in der Region aufmerksam, Weiterarbeit  lernen die wichtigsten Eigenheiten der  Festigung der Thematik durch ein Rollenspiel bairischen Dialekte kennen. (Thema: Vorurteile gegenüber Dialektspre- chern) oder durch eine Diskussion (Thema: Medien / Material Gibt es richtigen oder falschen Dialekt?)  CD-ROM des Sprachatlas von Nieder-  Dialekterhebungen im eigenen Umfeld an- bayern (online: www.bayerische- hand eines in Gruppenarbeit erstellten Fra- landesbibliothek-online.de/sprachatlas) gebogens ( Schwäbisch 4 ) oder anhand  Folge 3, 4 oder 8 („Dialekte in Bayern“) ausgewählter Beispiele des SNiB  Digitaler Wenkeratlas (www.diwa.info)

Lehr- und Lernprozess Hinführung  Hörbeispiele des SNiB oder  Ausschnitte aus den Folgen 3, 4 oder 8 („Dialekte in Bayern“) oder  Diskussionsrunde zum Thema: Dialekt – noch zeitgemäß?

144 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

13 Sekundarstufe II: Literatur, Sprachbetrachtung

Lerninhalt Begegnung Dialekt als soziales Stigma  Schüler lesen den Textausschnitt „Gericht. Sitzungssaal“(M21) mit verteilten Rollen. Begründung der Auswahl Der bayerische Schriftsteller und Schauspie- Erarbeitung ler Franz Xaver Kroetz, selbst Dialektspre-  Schüler äußern sich zu den unterschiedlichen cher, verwendet in seinen Stücken den Dia- Sprachebenen der Protagonisten. lekt häufig, um die Einfachheit, mangelnde  Funktion und Stellung des Dialekts werden sprachliche Gewandtheit und Intelligenz sei- im Unterrichtsgespräch erarbeitet, z. B. durch ner Hauptfiguren darzustellen. Diese nega- Fragen wie „Welche Wirkung erzeugt die aus- tive Darstellung der Mundart in der Literatur schließliche Verwendung des Dialekts durch sollte im Unterricht thematisiert und auf ih- den Angeklagten Deigl beim Vorsitzenden ren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. des Gerichts und beim Staatsanwalt?“. Die Lektüre von Kroetz‘ Stück „Der Mensch  Schüler arbeiten in Gruppen die Kennzeichen Adam Deigl und die Obrigkeit“ eignet sich der Sprache Deigls, des Zeugen Hollreiser, hierzu besonders, da sein Protagonist nicht des Staatsanwaltes und des Vorsitzenden her- zuletzt wegen seiner standardsprachlichen aus, wobei sie die drei Ebenen Basisdialekt Defizite mit der Justiz in Konflikt gerät. (beim Angeklagten), Verkehrsdialekt (beim Zeugen) und Standardsprache (beim Vorsit- Lernziele Die Schüler zenden und beim Staatsanwalt) erkennen.  lernen verschiedene Sprachebenen (Basisdialekt, Verkehrsdialekt, Standard- Weiterarbeit sprache) kennen,  Diskussion oder  erkennen, dass die Verwendung von Dialekt  weiterführende Erörterung zum Thema: gelegentlich zur sozialen und intellektuellen Stehen die Verwendung von Dialekt Abwertung des jeweiligen Sprechers führt, und die Intelligenz eines Sprechers in  erweitern ihre Fähigkeiten in Bezug auf Zusammenhang? situationsadäquate Sprachverwendung. oder Finden Sie es angemessen, dass viele Medien / Material Zuhörer einen Sprecher aufgrund seines  Videoausschnitt aus der Verfilmung Dialektes auf- oder abwerten?) „Königlich Bayerisches Amtsgericht“ des Bayerischen Rundfunks Quellennachweis / Literatur Textausschnitt „Gericht. Sitzungssaal“ aus  M21: Kroetz, Franz Xaver (1989): Der Mensch dem Stück „Der Mensch Adam Deigl und die Adam Deigl und die Obrigkeit. In: Stücke II. Obrigkeit“ von Franz Xaver Kroetz (M21) Frankfurt am Main, S. 25-88, Textausschnitt S. 81-87. Lehr- und Lernprozess Hinführung  Darstellung unterschiedlicher Sprachebenen (Dialekt, Standardsprache) anhand einer Szene aus „Königlich Bayerisches Amtsgericht“  Schüler beobachten die voneinander ab- weichende Sprachverwendung des Richters, des Staatsanwaltes, des Angeklagten und des Zeugen.

145 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

M21 Franz Xaver Kroetz: Der Mensch Adam Deigl und die Obrigkeit (1989)

Schlußszene: Gericht. Sitzungssaal

Deigel auf der Angeklagtenbank, er trägt einen HOLLREISER schnauft tief. Also – eine Quittung – blauen schönen Anzug, dazu ein weißes Hemd und die hätt ich mir, glaub ich, schon geben lassen, eine passende Krawatte. Er sieht so wirklich wie bei soviel Geld, und keiner weiß, ob er morgen ein Schwerverbrecher oder ein dressierter Affe aus. noch lebt. Aber ich bin halt ein Büromensch gegen Er sitzt wie hingeleimt, aufrecht auf der Anklage- den Beilngrießer, der hat so manches Geschäft bank, beide Hände hängen schlaff herunter, sein mit Handschlag im Wirtshaus gmacht. Das is halt Gesichtsausdruck zeigt nur Verstörung, Verwirrung kein Vergleich. und Angst. VORSITZENDER nickt. Aber Sie hätten sich eine HOLLREISER Er ist sehr modisch gekleidet, vielleicht Quittung geben lassen. heller Trachtenanzug, den Hut in der Hand. Vielleicht HOLLREISER gezwungen, aber er ist ehrlich. Ja. der beste Mann in meinem Betrieb. Er hat das ganze VORSITZENDER Haben der Herr Staatsanwalt oder Lager unter sich ghabt, praktisch eine Vertrauens- der Herr Verteidiger an den Zeugen eine Frage? stellung, wenn man so sagen will. Er war Firmen- bote, in dieser Funktion war er mehrmals mit sehr STAATSANWALT ziemlich jung, nicht unsympa- hohen Beträgen – 10 bis 20 000 Mark – als Bankbote thisch. Keine weiteren Fragen, danke. Die Verhand- tätig. Alle Abrechnungen haben immer bis auf den lung wird meines Erachtens nur unnötig in die letzten Pfennig gestimmt, das Lager war sauber und Länge gezogen. Die Indizien von den Fingerab- ordentlich wie eine Küche. drücken bis hin zum Frischhaltebeutel sind vorhan- Pause den, des weiteren das Geständnis des Angeklagten, Also, mehr kann ich nicht sagen. Nur, ich kann es der Zeuge kann dazu keine erheblichen Aussagen einfach nicht glauben, daß es stimmt, was man ihm machen, danke. vorwirft. An Menschn totschlagen wegen Geld – VORSITZENDER Herr Verteidiger? nia. Ich kenn doch meinen Deigl, seit 20 Jahren BREI steht auf, kommt nach vorne. Herr Holl- in der Firma. reiser, Geschäfte wie das beschriebene, also mit Er schaut auf Deigl hin, nickt ihm freundschaftlich zu. Handschlag, sind die in Hofbrück, wie auch, das Deigl sitzt regungslos auf der Anklagebank. habe ich mir sagen lassen, auf anderen bayrischen VORSITZENDER Fest steht, dass er Geld zum Bau Dörfern noch üblich? seines Hauses dringend gebraucht hat. HOLLREISER Das probier ich ja zum erklären. Wenn HOLLREISER Nur zum leihen, und das hätt er mit man so eine Geschichte aus unserm Dorf hinaus- seinem ehrlichen Gesicht überall haben können. zieht in die Stadt, dann schaut alles ganz anders VORSITZENDER 16 000 Mark, mitten in der Nacht, aus. Solche Handschlaggeschäfte wie zwischen dem ohne Quittung, geschweige denn Schuldschein und Beilngrießer und dem Deigl sind gang und gäbe. – in einem Frischhaltebeutel? Herr Hollreiser, Sie Die Summe ist sehr hoch, natürlich, aber der haben Adam Deigl besser gekannt als Herr Beilngrie- Beilngrießer war kein armer Mann. ßer, hätten Sie – unter den beschriebenen Umstän- BREI Danke. Keine weiteren Fragen. den wohlgemerkt – Deigl soviel Geld geliehen? Hollreiser verbeugt sich vor dem Richtertisch und HOLLREISER sichtlich in der Zwickmühle. Ich bitte nimmt wieder Platz. Brei geht zurück auf seinen Platz Sie, Herr Rat, das is alles bloß zum verstehen, wenn hinter Deigl. man den Deigl kennt. Ohne seine Person ist das VORSITZENDER kramt in seinen Papieren. Ja, ich alles unverständlich – aber Sie kennen ihn halt glaube auch, daß wir die Verhandlung nicht unnö- nicht. Es gibt viele Menschen, die so sind wie er. tig in die Länge ziehen sollten. Wir haben immerhin Ich kenn einige, aber Ihresgleichen werden Men- noch Frau Deigl, Frau Beilngrießer, den Herrn Notar schen wie Adam Deigl immer ein Rätsel sein, aus Brechtl, Arbeitskollegen des Angeklagten, die Ver- einer andern Welt. nehmungsprotokolle, Sachverständigengutachten – VORSITZENDER Danke für die Belehrungen, aber schauen wir doch, daß wir die Zeugeneinvernahme ich habe Sie etwas gefragt, Herr Hollreiser: ja oder vor der Mittagspause abschließen können. nein! Er schaut Hollreiser aufmerksam an. Die große Uhr im Gerichtssaal zeigt 10.35 Uhr.

146 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Bairisch

Später, es ist 15.08 Uhr. Deigl sitzt da wie vorher. aus der Handtasche genommen und – weil kein STAATSANWALT Wie ich bereits vorausgesehen anderer Gegenstand da war – in einen zufällig he- habe, hat die gesamt Zeugeneinvernahme keine rumliegenden Frischhaltebeutel getan. Er legt das neuen Aspekte der Tat gebracht. Möglicherweise Papier ab, schaut zum Richtertisch. Es gibt hier war der Nachhilfeunterricht in bayrischer Volkskunde keinen Unbekannten, es gibt keinen Zweifel: Adam lehrreich, aber hier haben wir es mit einem ganz Deigl hat die Tat begangen. Er sagt es selbst, und wir klaren, ausreichend bewiesenen Fall zu tun, der haben es ihm bewiesen. meines Erachtens nach nicht mit Psychologie erklärt BREI Mein Mandant möchte eine Erklärung abge- und verwässert werden muß. Hier sprechen klare ben! Fakten, Indizien. Es gibt keine – ich wiederhole – DEIGL Sitzt und traut sich nicht. nicht eine einzige Spur, die darauf hinweist, daß sich BREI zu DEIGL: Jetzt reden Sie doch endlich, Herr um die fragliche Zeit eine andere Person als Adam Deigl! Sagen Sie, was Sie schon vor einem halben Deigl in dem Haus befunden hat – ja, befunden ha- Jahr hätten sagen sollen. Heraus mit der Wahrheit! ben kann! Vor Ihnen, Herr Vorsitzender, liegt die Tat- DEIGL sitzt zitternd vor Angst auf der Bank. Er traut waffe, der Sachverständige hat eindeutig bewiesen, sich kaum aufzuschauen. wer den Aschenbecher wie in der Hand hatte, näm- BREI Deigl, sagen Sie die Wahrheit! lich Adam Deigl und zwar so ... Er macht vor, wie DEIGL Mei ... man von oben in den Aschenbecher greift. So hält BREI Stehen Sie auf und laut und deutlich. man einen Aschenbecher nicht zum Ausdrücken ei- DEIGL Mei. Er steht langsam auf, schaut zu den ner Zigarette, sondern um jemanden zu erschlagen. Richtern. Des hobi oiwei scho gsogd, gleino, Er führt in der Luft den Schlag aus. wias mi vahafd ham, daßen ned umbrochd hob, Dann sucht man das Geld, das einem verweigert an Beilngrießa. worden ist, und weil man den schrecklichen Ort der BREI Weiter! Tat verlassen will, stopft man es in einen Frisch- DEIGL Oiso, daßes sog: I hob mid dem nix zdoa, haltebeutel. Zu Hause legt man sich schlafen und daßa umbrochd worn is, da Beilngrießa, gei. Er nickt spielt der Frau den glücklichen Menschen vor. sich selbst zu. Dea hod mi a no ausn Haus ausse Das ist auch der einzige Punkt, der mir darauf zu gfiard bis and Dia und pfiade ham ma ins no gsogd, schließen erlaubt, daß diese Tat zwar im Affekt be- wia gädn des, wenna scho dod gwen sei soi. Na, so gangen wurde, den Täter aber nicht sonderlich be- leids ma duad, Hea Dokta, awa i han nix zdoa mid eindruckt haben wird. Nun ja, in Anbetracht der Pri- dera Sach, wenis song soi, wias is. I hob erm nix do, mitivität des Angeklagten, seines begrenzten Denk- am Beilngrießa, beim bestn Wuin, Hea Dokta. vermögens und seiner sonstigen Persönlichkeits- VORSITZENDER mustert Deigl scharf. Sie wider- struktur ist es nicht auszuschließen, daß er sich in rufen Ihr Geständnis? einer Form von erheblicher Bauernschläue gedacht DEIGL Bidschen, wens erlaubt is. – Gei. hat: Jetzt hilft mir nur noch der große Unbekannte, VORSITZENDER Sie sind doch ein einfacher Mann, den auch einige Zeugen als Täter vorgeschlagen Herr Deigl, wenigstens versucht man das von allen haben. Dazu ist zu sagen, daß wir Juristen und Seiten zu beweisen. Wenn Sie widerrufen, dann keine Denker sind. Des weiteren haben wir das haben Sie – in jedem Fall – einmal gelogen, und Geständnis des Angeklagten – vielleicht erinnert er zwar recht ausgiebig. Tun das einfache Menschen? sich auch daran nicht mehr? Ich darf es vielleicht STAATSANWALT erhebt sich. Sie widerrufen gerade noch einmal vorlesen. im richtigen Augenblick – wenn ich Ihr Geständnis DEIGL auf der Anklagebank, hört jetzt zu. nicht vorgelesen hätte, hätten Sie wohl ganz drauf BREI flüstert: Sie müssen jetzt widerrufen, vergessen! Wieder einmal so ein „naiver“ Versuch, Deigl gell! ein umfassendes Geständnis in der Verhandlung zu STAATSANWALT Infolge der Weigerung, mir das widerrufen. Abgesehen davon, daß es bei der Geld zu überlassen, sind meine Worte immer hef- erdrückenden Beweislast nicht darauf ankommt, tiger geworden. Und als ich meinerseits ziemlich ob Sie gestehen oder nicht, ist Ihr Umgang mit der heftig wurde, gab Beilngrießer entsprechend zurück. Wahrheit meiner Meinung nach einem „einfachen“ Ich weiß es selbst nicht mehr genau, weil ich sehr Mann doch ziemlich wesensfremd. Derzeit gehe erregt war. Aber auf einmal hatte ich den Aschenbe- ich davon aus, daß es sich um einen Totschlag han- cher in der Hand und muß ihn den Beilngrießer wohl delt, aber wenn Sie so weitermachen, kommen wir so heftig auf den Kopf geschlagen haben, daß dieser vielleicht noch auf einen Mord heraus. Haben Sie blutend zusammenbrach. Dann habe ich das Geld ein Geständnis unterschrieben, das unwahr ist?

147 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Bairisch

DEIGL steht schlotternd da, ganz schüchtern, er Deigl schaut hilfesuchend in die Runde. Alle schauen nickt nicht mit dem Kopf dabei. Jo. Deigl mit verschlossenen, aufmerksamen Gesichtern BREI Erklären Sie auch dem Gericht, Herr Deigl, an. Deigl schaut zuletzt auf Brei. warum Sie ein unwahres Geständnis unterschrie- DEIGL Etza trau i mi nima. Er blickt anschließend zu ben haben. den Richtern. DEIGL Jo. I hobs em grod undaschrim, weile ma BREI starrt ihn an, dann geht er resignierend an sei- dengt hon, de gschdudiadn Herrn wern scho wissen, nen Platz zurück. Keine weiteren Fragen. Er sinkt auf wos fia mi guad is. seinem Stuhl zusammen. VORSITZENDER schüttelt den Kopf. Also ich bin Deigl dreht sich um, schaut seinen Verteidiger an, als mir nicht sicher, Herr Verteidiger, ob das für den wollte er sagen: Was hams denn? Angeklagten gut ist. Sicher, Sie haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, ein falsches Geständnis Später ... zu widerrufen, aber – es geht ja nicht nur um das VORSITZENDER ... scheint dem Gericht eine Ge- Geständnis, sondern um handfeste Beweise. fängnisstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten angemes- DEIGL hat aufmerksam zugehört; was der Vor- sen. Die Untersuchungshaft von 6 Monaten wird auf sitzende gesagt hat. Sie moana, Hea Dokta, es die Strafe angerechnet. Gegen das Urteil ist Revision waar bessa, i dad ned widaruafa, ha? beim Bundesgericht möglich. Sie haben – und die BREI drückt Deigl auf den Stuhl. Ruhe Deigl! Verteidigung wird Sie dabei beraten – ausreichend STAATSANWALT lächelt. Bei dieser veränderten Zeit zur Überlegung, ob Sie Revision einlegen oder Lage möchte ich noch ein paar Fragen an den das Urteil annehmen wollen. Angeklagten richten. DEIGL schaut ängstlich nach links und rechts. VORSITZENDER Bitte, Herr Staatsanwalt. Pause. Dann kommen ihm die Tränen in die Augen. STAATSANWALT verstehe ich Sie richtig, Ange- Er schüttelt den Kopf, läßt ihn unsicher hin und her klagter, daß Sie Ihr Geständnis nur dann widerrufen, kreisen. Mit hilfloser Geste: Is scho recht. Scho wenn das günstiger ist für Sie? recht. Nickt. Annehma, freile ... Er sinkt auf seiner DEIGL nickt, steht diesmal von selber auf, gutmütig: Bank zusammen. Aso is, Hea Dokta. Sie miaßns bloß song, wose doa VORSITZENDER Damit ist das Urteil rechtskräftig. soi. I foig aa ä. Bloß wissen miaßad is, wose doa Strafantritt also heute um 18.15 Uhr. Die Verhand- soi. Wennts es Eich einigen kannts mid meim Dokta, lung ist geschlossen. wosi doa soi – i bin a kloana Mo, sonsd nix. I bin a Das Gericht erhebt sich und verläßt den Saal. kloana Mo und dua, wia ma gschaffd werd vo de Deigl auf seiner Bank, dahinter Dr. Brei. Frau Deigl hochn Herrn! stürzt auf ihren Mann zu, wird aber von Polizisten STAATSANWALT nickt, er ist sichtlich von der zurückgehalten. Naivität Deigls schockiert. Ich habe keine Fragen BREI räumt seine Akten zusammen. Dieses Urteil mehr, danke. Allerdings scheint mir eine erheblich haben Sie sich selber zuzuschreiben. herabgesetzte Zurechnungsfähigkeit in jedem Deigl starrt mit glasigen Augen vor sich hin, wischt Fall vorzuliegen. sich mit der Hand die Augen aus, Frau Deigl gibt VORSITZENDER Tja, Herr Deigl, Sie machen ihm ein Taschentuch. es Ihrem Herrn Verteidiger nicht einfach! DEIGL Hosd aa gmoand, daße weniga kriag, ha? Brei sitzt hinter Deigl, er schaut vor sich auf den Da muaß da Bua ohne mi as Schuigeh ofanga, Tisch, Hand vor der Stirn. und as Derndl hod bei da Firmung koan Vata. Via VORSITZENDER Da der Angeklagte anschei- Johr und sechs Monad san lang, und midm Heisl nend nicht in der Lage ist, die Tragweite eines werds aan nixe wern, muaßd an Grund hoid vakaffa, Geständnisses bzw. seinen Widerruf intellektuell daß epps zun Zuasetzn hobds, wene ned do bin. verarbeiten zu können, sollte man doch zur Pause. Frau Deidl bekommt einen Weinkrampf. Faktenlage zurückkehren. DEIGL Awa wen man bedenkt, daße a lemslängli BREI kommt zu Deigl vor. Herr Deigl, Sie wissen häd kriagn kena, hama aa wida a Glick ghobd. Aso genau, was ein Geständnis ist, und niemand kann wars do grod Todschlog, weiles zuagem hob. Werd Ihnen helfen außer mir. Das Geständnis ist falsch. scho guad sei, wias is. De Doktan und Inspekta Sie hatten Angst und wollten es den hohen Herrn kenan ernare Gsetza. Und mid de Zeid findns erm recht machen. Aber es ist unwahr. Widerrufen Sie vielleicht do, den seibign, dern wirkle daschlong laut und deutlich! hod, mein Freind, an Beilngrießa.

148 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

Fränkisch

Basiswissen

Unterteilung des fränkischen unterschieden. Es weist allerdings nur wenig Sprachraums klare Unterschiede zu den anderen beiden ostfränkischen Mundarten auf, vielmehr gibt Zur Verschriftung es einige Gemeinsamkeiten mit beiden.2 Fränkisch in historischen und regionalen Bezügen Keines dieser Gebiete stellt einen homo- genen, in sich geschlossenen Mundartraum Abgrenzung des Fränkischen dar.3 Sie lassen sich vielmehr alle weiter gegenüber anderen Sprachräumen untergliedern und unterteilen. Eine beson- dere Rolle spielen hierbei die Übergangs­ Linguistische Eigenheiten des gebiete an den Grenzen zu den vier benach- Fränkischen barten Dialektgebieten, zum Bairischen, Besonderheiten Schwäbisch-Alemannischen, Hessischen und Thüringischen. Literatur

Zur Verschriftung

Unterteilung des fränkischen Wie in den Modellen dieses und der anderen Sprachraums Kapitel zu erkennen ist, verwenden Schrift- steller, die Mundarttexte verfassen, die Buch- Wenn man vom „Fränkischen“ spricht, staben des normalen lateinischen Alphabets, sind damit im Allgemeinen die Mundarten um den gesprochenen Dialekt niederzuschrei- gemeint, die in den nordbayerischen Regie- ben. Dabei spielt die subjektive Wahrneh- rungsbezirken Ober-, Mittel- und Unterfran- mung eine große Rolle und es gibt demnach ken gesprochen werden. Sprachwissenschaft- keine einheitliche Schreibung. In der Sprach- lich jedoch werden diese Mundarten als Ost- wissenschaft ist es jedoch nötig, eine ein- fränkisch bezeichnet und von anderen „frän- heitliche und genaue Form der schriftlichen kischen“ Mundarten unterschieden, nämlich Wiedergabe von Dialekt anzuwenden. vom Mittelfränkischen (Rheinisch) und Rhein- fränkischen (Pfälzisch und Hessisch).1 Die Bayerische Dialektdatenbank BayDat stellt neben Karten und Wortlisten als Er- Ostfränkisch wird unterteilt in das oberost- gebnis aus der laufenden Arbeit am Baye- fränkische und unterostfränkische Mund- rischen Sprachatlas4 auch eine Kleine Laut- artgebiet, getrennt durch die so genannte schriftkunde zur Verfügung.5 Hier wird die „Steigerwaldlinie“. Ersteres umfasst in etwa Lautschrift Teuthonista für dialektologische die Regierungsbezirke Mittel- und Oberfran- Zwecke vorgestellt, die dazu herangezogen ken, letzteres den Regierungsbezirk Unter- werden kann, Lautwerte differenziert darzu- franken. Eine Sonderstellung in Unterfranken stellen. Dies ist insbesondere dann notwen- nimmt der Raum um Aschaffenburg ein, der dig, wenn verschiedene Ausprägungen eines zum rheinfränkischen Mundartgebiet gehört. Dialekts dargestellt werden sollen. Neben Darüber hinaus wird das Südostfränkische den Buchstaben des normalen lateinischen

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Alphabets werden diakritische Zeichen ver- die Niederwerfung des „Thüringer Reiches“ wendet, um bestimmte lautliche Unterschei- durch Franken und Sachsen im Jahr 531 war. dungen auszudrücken. Da in diesem Kapitel aber nur allgemeine Phänomene beschrieben Dieses Reich umfasste wohl auch größere werden sollen, ist eine solch differenzierte Teile des heutigen Frankens und wurde Darstellung überflüssig. von verschiedenen Stämmen bewohnt, die aufgrund ihrer Herkunft als „Elbgermanen“ Ich verwende also die ebenfalls in der „Klei- bezeichnet werden. Durch die Niederwerfung nen Lautschriftkunde“ des BayDat darge- des Thüringerreiches gewann das Franken- stellte Dieth-Schrift für nicht sprachwissen- reich neuen Raum hinzu, der eine straffe schaftliche Dialekttranskription. Diese benützt Organisationsform erforderlich machte, und die Buchstaben des lateinischen Alphabets so gab es um 700 ein fränkisches Amtsher- mit folgenden Besonderheiten: zogtum mit Sitz in Würzburg. Doppelschreibung drückt langen Vokal aus, z. B. Neebel, Fraage, Bluume. „Für die Mundartforschung sind jedoch Darüber hinaus werden folgende diakritische weniger diese Daten wichtig als vielmehr Zeichen verwendet: die Feststellung, daß es in Franken etwa ` Gravis für Offenheit seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. in mehr ~ Tilde für Nasalierung oder weniger starker und sicher auch . untergesetzter Punkt bei Vokalisierung wechselnder Bevölkerungsdichte elbger- ´ Aigu für fremde Akzente manische Bewohner gegeben hat, deren Für die folgenden Darstellung wird im Sprache so etwas Ähnliches wie das Grunde nur die Doppelschreibung von Voka- ‚Urfränkische‘ gewesen sein muß.“9 len zur Veranschaulichung der Unterschiede und Besonderheiten benötigt. Die s-Laute Es ist vermutlich die Wurzel dessen, was werden nach den Regeln der neuen Recht- heute noch in den drei fränkischen Regie­ schreibung verschriftlicht. rungsbezirken­ zu hören ist. Die Mundart­ räume auf diesem Gebiet entstanden durch Mundartmischungen und sprachlichen Ostfränkisch in historischen Ausgleich, wobei diese Prozesse jeweils und regionalen Bezügen6 unterschiedlich schnell abliefen. Die drei fränkischen Regierungsbezirke erhielten ihre Die Bezeichnung „Ostfränkisch“ kommt da- Namen im Übrigen erst von König Ludwig I. her, dass man früher der Ansicht war, „die Zur Zeit der Napoleonischen Flurbereinigung im Ostteil des Frankenreiches lebenden Men- hießen sie noch Obermain, Untermain und schen seien alle Stammesfranken gewesen Rezatkreis. und in großen Wanderbewegungen vom Rhein hierher gekommen“7. Die Erforschung der fränkischen Dialekte führte jedoch zu der Abgrenzung des Fränkischen Erkenntnis, dass die einzelnen Sprachräume gegenüber benachbarten Sprach- unterschiedlich alt sind und ihre Entstehung räumen – Übergangsgebiete verschiedene Gründe hat. „Daß die Franken vom Rhein her in größerem Umfang Staats- Die beschriebenen Umstände der Entsteh- kolonisation betrieben und massenhaft ung der heutigen Mundartgebiete im frän- Siedler in unser Untersuchungsgebiet kischen Raum sind auch der Grund dafür, [Franken] gebracht haben, wird heute nicht dass sich das Ostfränkische nicht entlang mehr angenommen.“8 Man geht vielmehr bestimmter Grenzen klar von den benach- davon aus, dass ein wichtiges Ereignis für barten Mundarten absetzt, sondern dass die Entstehung der ostfränkischen Dialekte es vielmehr von Übergangsmundarten

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umgeben ist. Die Nachbarmundarten des Der Dialekt in diesem Raum hat zwar das Ostfränkischen sind: Bairisch, Schwäbisch- Unterostfränkische zur Grundlage, stimmt Alemannisch, Hessisch und Thüringisch. aber mehr mit dem Osthessischen und Thü- ringischen überein. Wichtige Unterschiede Von besonderer Bedeutung ist hier das zwischen Thüringisch und Fränkisch sind wie- Bairisch-fränkische Übergangsgebiet, das derum die Verkleinerungsform (-chen im Thü- sich zwischen dem Raum Amberg-Weiden ringischen statt -la im Oberostfränkischen), die und dem östlichen Einzugsbereich von volle Form von ‚Mann‘ als Monn gegenüber Nürnberg-Bayreuth erstreckt. Hier zeigen sich dem fränkischen Moo bzw. Muu oder Maa.13 sprachliche Merkmale des Nordbairischen wie die so genannten gestürzten Zwielaute (z. B. Boum für ‚Buben‘) oder die Verdump- Linguistische Eigenheiten fung von a zu o (z. B. Moo für ‚Mann‘).10 des Fränkischen

Insgesamt besteht im Nürnberger Raum ein Wagner beschreibt im Kapitel „Grammatik Verhältnis von etwa 50:50 von ostfränkischen des Fränkischen“ ausführlich und differen- und nordbairischen Elementen.11 Als wich- ziert Eigenheiten des Fränkischen.14 Hier tigste Unterschiede zwischen den beiden sollen lediglich die wichtigsten kurz darge- Gebieten nennt Sabine Krämer-Neubert12 stellt werden: Bruuder, Aamer, Schnee im Oberostfrän- kischen gegenüber Brouder, Oimer, Schnej Phonetisch im Nordbairischen für ‚Bruder‘, ‚Eimer‘ Als typisch fränkisch gilt die so genannte und ‚Schnee‘. „binnendeutsche Konsonantenschwächung“, also die Tatsache, dass p und t mit b und d Die weiteren Übergangsgebiete und Abgren- zusammenfallen und k in konsonantischen zungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Verbindungen zu g abgeschwächt wird  Schwäbisch in Franken: Bei Gunzenhausen mi- (während es im Anlaut vor Vokalen erhalten schen sich Nordbairisch, Schwäbisch und Ost- bleibt). Man sagt also beispielsweise fränkisch, so sagt man hier Bruader und Oimer Bolidiger für ‚Politiker‘. Zwischen Vokalen für ‚Bruder‘ und ‚Eimer‘. Wichtige Unterschiede wird g häufig zu ch, z. B. lüchen für ‚lügen‘. zwischen Schwäbisch-Alemannisch und Frän- kisch sind die Verkleinerungsform -che statt Auf der Ebene der Vokale gibt es innerhalb ostfränkisch -le / -la und das scht, schp im Inlaut des Ostfränkischen zahlreiche regionale des Schwäbischen, z. B. ischt für ‚ist‘ oder Unterschiede. Hier muss vor allem zwischen Reschpekt für ‚Respekt‘, das im Fränkischen Oberostfränkisch und Unterostfränkisch un- nur an den Rändern vorkommt. terschieden werden. Veranschaulichen lässt  Rheinfränkisch (Hessisch) in Franken: Um sich dies an den verschiedenen Versionen Aschaffenburg und im Brückenauer Raum eines Satzes, der das Fränkische angeblich wird rheinfränkisch gesprochen. Man sagt kennzeichnet: Wou die Hasen Hoosn und die Appel bzw. Abbel statt ostfränkisch Apfel Hosen Huusn haaßn (Wo die Hasen „Hoosn“ und Schäfchen statt Schäfle / la für ‚Apfel‘ und die Hosen „Huusn“ heißen). Diese Lau-­ und ‚Schäfchen / lein‘. tung gilt jedoch nur für den oberostfränki­  Thüringisch in Franken: Nördlich des Fran- schen Mundartraum, im unterostfränkischen kenwaldes orientiert man sich sprachlich müsste der Satz in etwa folgendermaßen mehr nach Thüringen als nach Franken. Die lauten: Wo die Hasen Hoosn und die Hosen Sprachgrenze zwischen dem Fränkischen und Housn hääßn. Im Südostfränkischen hinge- dem Thüringischen verläuft am Thüringer gen würde er wie folgt gesprochen werden: Wald und umfasst den Henneberger Raum. Wuu die Hasen Haasche und die Hosen Man sagt hier beispielsweise Bruut für ‚Brot‘. Hoosche heese.

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Als allgemeines Merkmal lässt sich vielleicht (‚ins Kino‘), nei’n Gsicht hau (‚ins Gesicht festhalten, dass häufig „gerundet“ wird, schlagen‘). Es ist unklar, ob nei im Sinne von was sich auch daran zeigt, dass a eher wie ‚hinein‘ nach vorn gezogen und mit in im o ausgesprochen wird. (Dieser zwischen a Sinne von ‚in den‘ verbunden wurde, also und o liegende Vokal wird hier mit o bezeich- ‚hinein in den‘ als nei in, und dann weiter zu net, manche Veröffentlichungen verwenden nei’n verschmolzen wurde, oder ob nei’n eine å zur Kennzeichnung.) Darüber hinaus sagt selbstständige Bildung darstellt. man auch ü für i (üme für ‚immer‘), ö für ü (Wöfl für ‚Würfel‘), oder ooi für eu (Hooi für Auch das Ostfränkische kennt zur Bildung ‚Heu‘).15 der Vergangenheit kein Präteritum sondern nur das Perfekt. Lediglich im äußersten Morphologisch Norden finden sich Formen des Imperfekts. Im Fränkischen wird, wie in anderen Dialek- ten auch, häufiger als in der Standardsprache Nördlich von Kronach, in weiten Teilen des die Diminutivform verwendet. Sie lautet Coburger Raumes und im nördlichen Würz- unterostfränkisch -le und oberostfränkisch burger Raum tritt die so genannte Perfekti- -la. Im Plural wird aus -la teilweise -li (z. B. vierung des Infinitivs nach bestimmten Hilfs- in Erlangen), teilweise bleibt die Singular- verben auf, z. B. Des komma scho gesooch form im Plural erhalten (z. B. in Nürnberg). (‚Das kann man schon sagen‘), Dos muäßte Aus -le wird im Unterostfränkischen im gehür (‚Das musst du hören‘) oder Dä Herr- Plural oft -lich (z. B. in Haßfurt). gott möicht i nit gsai (‚Der Herrgott möchte ich nicht sein‘). Im Fränkischen gibt es darüber hinaus Wör- ter, die den Plural mit Umlaut bilden, wo dies Syntaktisch in der Standardsprache nicht der Fall ist, z. B. Gegenüber der Standardsprache ergeben Hund – Hünd (‚Hund‘ – ‚Hunde‘). sich im Fränkischen auch Unterschiede be- züglich der Bildung der Fälle. Der Genitiv auf Die Infinitivendung -en wird in verschie- -s fällt, wie häufig in der Umgangssprache denen Formen abgeschwächt: Im Oberost- und in anderen Mundarten, praktisch weg fränkischen entfällt das e, wobei das n teil- und wird durch Ersatzformen umschrieben, weise verändert wird (hörn, lachng, groom meist durch von / vo + Dativ bzw. Dativ + für ‚hören‘, ‚lachen‘, ‚graben‘). Im Westen, Possessivpronomen, z. B. es Audo vo also um Rothenburg, Feuchtwangen-Dinkels- meim / mein Vader oder meim / mein Vader bühl und im Aschaffenburger Raum tritt -en sei Audo für ‚das Auto meines Vaters‘. als Endungsschwachlaut -a oder -e auf (laafe für ‚laufen‘, schlabbe für ‚schlappen‘). Im Un- Beim Maskulinum und Neutrum fallen darü- terostfränkischen und teilweise auch im Co- ber hinaus Dativ und Akkusativ zusammen. burger Raum entfällt die Endung ganz (laf / löf Die Endung der bestimmten und unbestimm- für ‚laufen‘, schlabb / schlobb für ‚schlappen‘). ten Artikel lautet hier einheitlich -n, z. B. Dan Karl sollt ma auf Saudrack palz (‚Den Die Flexionsendungen sind verhältnismäßig Kerl sollte man auf Saudreck pelzen‘) und einheitlich und kommen denen der Standard- Mit dan Karl id nex ouzefang (‚Mit dem Kerl sprache nahe. Die auffälligste der Konjuga- ist nichts anzufangen‘). tionsformen von „sein“ ist das unterostfrän- kische id für ‚ist‘. Aufgrund dieser Tatsache ist es im Hinblick auf die Präpositionen oft schwer zu entschei- Interessant ist auch das „Adverb“ nei bzw. den, ob ihnen derselbe Fall folgt wie in der nei’n in Wendungen wie nei sein Gardn Standardsprache oder nicht. Häufig gibt höckn (‚in seinem Garten sitzen‘), nei’n Kino es hier jedoch Abweichungen, wobei auf

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manche Präpositionen folgende Maskulina und Neutra einen anderen Fall aufweisen als Als Besonderheit können hier die im nachfolgende Feminina, z. B. ohne ihn (‚ohne Fränkischen gerne verwendeten „Flick- ihn‘) gegenüber ohne ihr (‚ohne sie‘). wörter“, wie z. B. orch (‚arg‘) oder gscheit (‚gescheit‘) für ‚sehr‘ genannt werden. Das Adverb wo wird auch als Relativprono- An dieser Stelle sei lediglich das beliebte men oder ergänzend zum Relativpronomen und vielfältig verwendbare Flickwort fei verwendet: es Maadla, (des) wo net danzn genauer betrachtet. Es rührt vom stan- koo für ‚Das Mädchen, das nicht tanzen dardsprachlichen „fein“ her, wird aber kann‘. im Fränkischen auf verschiedenste und oft kaum zu übersetzende Art verwendet. Beim Gebrauch von wenn, wie und dass So drückt fei im Satz Pass fei auf! Nach- kann die in der Standardsprache übliche druck aus, während Ich waaß fei net eher Satzfolge verändert werden, z. B. Du wenn „Ich muss es ehrlich gestehen, dass ich wos sechst, ... (‚wenn du etwas sagst, ...‘), es nicht weiß“ bedeutet. Ich soochs fei Der Bauer wie des kheert hot, ... (‚Als der meiner Mudda! beinhaltet eine Drohung Bauer das gehört hat, ...‘), Kronk ass i wer, mit Hinweis auf die damit verbundenen hätti net dengt (‚Dass ich krank werde, hätte Konsequenzen. ich nicht gedacht‘).

Häufig treten Formulierungen wie durch das oder durch das, dass für standardsprach- Besonderheiten19 lich ‚daher‘, ‚deshalb‘ oder ‚deswegen‘ auf, z. B. Er hot den Boll net neibrocht, durch des Neben den beschriebenen Übergangs­ hamma valorn (‚Er hat den Ball nicht ins Tor gebieten stellt die Tatsache, dass auf „frän- gebracht, deshalb haben wir verloren‘). kischem“ Gebiet hessisch (rheinfränkisch) ge- sprochen wird, wohl die größte Besonderheit Frankens, also der Regierungsbezirke Unter-, Lexikalisch Mittel- und Oberfranken, dar. Dies liegt daran, Wie in anderen Mundarten auch, gibt dass eine der bedeutendsten Sprachraum- es im Fränkischen zahlreiche Wörter grenzen durch Unterfranken führt. Es handelt aus dem Alltagsleben, die mit dem ent- sich um die so genannte Appel-Apfel-Linie sprechenden Wort der Standardsprache bzw. Germersheimer Sprachlinie, die das mit- nichts zu tun haben bzw. Wörter, die keine teldeutsche vom oberdeutschen Sprachge- Entsprechung in der Standardsprache biet trennt. So gehört beispielsweise Milten- haben, z. B. Puhl oder Sudel für ‚Jauche‘ berg zwar seit 1816 zu Bayern, es wird dort oder liidschäftig für ‚schlecht verarbei- aber hessisch gesprochen, weil die Region tet‘, ‚hinfällig‘, ‚von minderer Qualität‘ nördlich der Sprachlinie liegt. sowie Schoppenpfetzer für ‚eine Person, die gerne viel Wein trinkt‘. Es gibt ver- Darüber hinaus wird deutlich, dass die räum- schiedene, mehr oder weniger wissen- liche und soziale Mobilität der Menschen den schaftliche Sammlungen solcher Begriffe, Dialekt verändert, wenn auch nicht verdrängt. angefangen vom „Compact Miniwörter- In Mainfranken geht die Tendenz dahin, dass buch“16 über das „Wörterbuch von Unter- sich einzelne historische Ortsdialekte immer franken“17 bis hin zu den Großprojekten mehr einem Regionaldialekt annähern. Vor wie dem „Sprachatlas von Unterfranken“ allem um die großen Städte haben sich bzw. „Sprachatlas von Mittelfranken“ und Sprachvarianten gebildet, die in größeren „Sprachatlas von Oberfranken“18. Gebieten gesprochen werden.

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Anmerkungen Literatur Fritz-Scheuplein, Monika / König, Almut / 1 Vgl. Knoop 2001, S. 13. Krämer-Neubert, Sabine / Wolf, Norbert Richard 2 Krämer-Neubert 2004, S. 223f. (3. überarb. u. erhebl. erw. Aufl. 2008): Wörterbuch 3 Vgl. Knoop 2001, S. 20. von Unterfranken. Eine lexikographische 4 Der „Bayerische Sprachatlas“ wird herausge- Bestandsaufnahme. Würzburg. geben von Richard Hinderling, Werner König, Ludwig Eichinger, Hans-Werner Eroms, Horst Knoop, Ulrich (2001): Wörterbuch deutscher Haider Munske und Norbert Richard Wolf. Hier Dialekte. Köln. werden die zahlreichen Dialekte ganz Bayerns König, Almut / Fritz-Scheuplein, Monika / erfasst. Es handelt sich um ein Gemeinschafts- Blidschun, Claudia / Wolf, Norbert R. (2007): projekt von fünf bayerischen Universitäten, deren Kleiner Unterfränkischer Sprachatlas (KUSs). Forschungsergebnisse in sechs geographischen Heidelberg. Teilprojekten veröffentlicht werden. Der Atlas bietet eine repräsentative Auswahl aus dem Laut- König, Almut (2014): Sprachatlas von Unterfranken und Formenbestand sowie dem Wortschatz der zum Dialekt und Dialektverhalten junger Erwachse- Dialekte der jeweiligen Region. Die einzelnen Teil- ner (JuSUF), mit CD-ROM. Heidelberg. projekte des Bayerischen Sprachatlasses sind: I. Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben (SBS), Krämer-Neubert, Sabine: Sprachräume in Franken. Universität Augsburg In: Jahn, Wolfgang / Schumann, Jutta / Brock- II. Sprachatlas von Mittelfranken (SMF), hoff, Evamaria (Hrsg.) (2004): Edel und Frei. Fran- Universität Erlangen ken im Mittelalter. Augsburg, S. 223f. (= Veröffent- III. Sprachatlas von Unterfranken (SUF), lichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur Universität Würzburg 47/2004). IV. Sprachatlas von Nordostbayern (Regional- bezirke Oberfranken und Oberpfalz (SNOB), Küpper, Wolfgang (Hrsg.) (1991): Bayerns Mund- Universität Bayreuth arten. Dialektproben mit Kommentaren und einer V. Sprachatlas von Niederbayern (SNiB), Einführung in die Verbreitung und Verwendung Universität Passau des Dialekts in Bayern. München. VI. Sprachatlas von Oberbayern (SOB), Lenk, Ursula / Schmidt, Thea (1998): Allmächd! Universität Passau Fränkisch von A-Z (nicht nur) für Setta & Sottera! 5 z. B. über www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de/ München. seiten/arbeitshilfen.php 6 Soweit nicht anders angegeben beruhen die Anga- Wagner, Eberhard (1987): Das fränkische Dialekt- ben in diesem Kapitel auf Wagner 1987, S. 25-29. buch. München. 7 Ebd., S. 25. www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de 8 Ebd., S. 28. > Materialien 9 Ebd. 10 Vgl. Küpper 1991, S. 21. 11 Wagner 1987, S. 37. Weiterführende Links: 12 Krämer-Neubert 2004, S. 224. 13 Vgl. hierzu Krämer-Neubert (S. 224) und Knoop www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de (S. 18-24). Ausführlich werden die Übergangs- www.kulturatlas-oberfranken.de mundarten und der Verlauf der Sprachgrenzen bei Wagner beschrieben (S. 36-44). www.historisches-franken.de 14 Wagner 1987, S. 47-101. 15 Knoop 2001, S. 20. Dank an Luise Scherer und Christian Seynstahl 16 Lenk / Schmidt 1998. für die bereitwillige Unterstützung bei den Tonauf- 17 Fritz-Scheuplein u. a. 1997. nahmen für die folgenden Unterrichtsbeispiele. 18 Es handelt sich hier um Teilprojekte des „Baye- rischen Sprachatlas“ (siehe Anm. 4).

154 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

Fränkisch – Unterrichtsmodelle im Überblick

1 Grundschule: 5 Sekundarstufe I / II: Max und Moritz aff fränggisch Dialekt in den Medien Eine Mundartversion des vierten Streiches Ausgehend von der Werbekampagne des von „Max und Moritz“ (Lehrer Lämpel) wird Landes Baden-Württemberg unter dem Motto mit der Version in Standardsprache vergli- „Wir können alles außer Hochdeutsch“ wird chen und vorgetragen. Ein weiterer Streich ermittelt, welchen Stellenwert Mundart in von Max und Moritz wird inszeniert, wobei den Medien und dabei insbesondere im Fern- das Publikum auf die verwendete Sprache sehen hat. Die gewonnenen Erkenntnisse (Standardsprache – Dialekt) achtet. setzten die Schüler in einer selbst erstellten Kampagne für das Fränkische um. 2 Grundschule / Sekundarstufe I: Luise Scherer: „Wi i a Schulmädla war“ 6 Sekundarstufe I / II: Der Text wird gelesen und vorgetragen. Mundartlyrik / Mundarten in Franken Mit Hilfe eines Arbeitsblattes werden Drei Gedichte zum Thema Franken in Mund- wichtige Merkmale des Fränkischen im art werden verglichen und ihre Autoren Vergleich zur Standardsprache erarbeitet. vorgestellt. Die subjektiv wahrgenommenen sprachlichen Unterschiede in den drei Regie- 3 Sekundarstufe I: rungsbezirken Frankens werden ermittelt und Quiz mit Dialektwörtern /„Asterix uff Mee- mit den tatsächlichen Gegebenheiten mittels fränggisch 1“ einer Karte und eines Films verglichen. Über den Wortschatz lernen die Schüler Dialekt als eigene Sprache kennen. Anhand 7 Sekundarstufe II: eines Ausschnitts aus dem fränkischen Drama des Naturalismus / Asterix beschäftigen sie sich mit dem fränkisches Mundarttheater Problem der Schreibung von Mundart. Ausgehend von der Beschäftigung mit dem Schließlich wenden Sie ihre Erkenntnisse Naturalismus wird die Bedeutung von Dialekt bei der Erstellung eines „Fränkischen für die Darstellung des Milieus erarbeitet. Eine Wörterbuchs“ an. fränkische Version eines Auszugs aus einem Drama des Naturalismus wird mit einem origi- 4 Sekundarstufe I / II: när fränkischen Drama („Schweig Bub!“ von „Erwin Pelzig“ – Einstellungen zum Dialekt Fitzgerald Kusz) verglichen und die besondere Ausgehend von einem Sketch mit Erwin Funktion der Mundart erwogen. Pelzig wird die persönliche Einstellung der Schüler zu ihrem Dialekt erarbeitet. Mit Hilfe 8 Sekundarstufe II: der Ergebnisse einer älteren statistischen H. Haberkamm: „Vo weeng ‚Sehnsucht‘ Erhebung und einer von den Schülern selbst odder so“ / J. v. Eichendorff: „Sehnsucht“ durchgeführten Befragung wird ermittelt, Nach der Erschließung des romantischen wie die Haltung zum Dialekt allgemein ist. Gedichts wird das fränkische Gedicht im Ein Sachtext und ein Gedicht vermitteln Vergleich dazu analysiert. Dazu erfolgt eine weitere Aspekte zur Thematik. Umsetzung in die Standardsprache.

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1 Grundschule: Sprechen, Sprachbetrachtung

Mundartcomic Hinführung Begegnung mit Max und Moritz, Lerninhalt Vierter Streich im Original Max und Moritz aff fränggisch  Lautes Lesen des vierten Streichs  Reaktionen auf die Geschichte / kritisches Begründung der Auswahl Abwägen des Handelns der beiden Wilhelm Buschs Geschichten von „Max und Moritz“ sind allgemein bekannt und beliebt. Erarbeitung 1 Die Illustrationen regen die Fantasie der Kin- Begegnung mit der fränkischen Version (M1) der an und die Reime machen die Geschichten  Vortrag der Einleitung durch den Lehrer bzw. eingängig und verständlich. Die fränkische  Versuche der Schüler einzelne Abschnitte Version von Maximilian Kerner bleibt einer- paarweise zu sprechen und einzuüben seits nah genug am Original, so dass dieses bei Verständnisschwierigkeiten zur Hilfe ge- Erarbeitung 2 nommen werden kann, andererseits handelt Vergleich der beiden Versionen es sich um eine eigenständige Umgestaltung,  Vortrag der einzelnen Abschnitte, jeweils erst so dass Unterschiede klar hervortreten. im Original, dann in der Mundart  Äußerung spontaner Reaktionen: Was ist Lernziele Die Schüler „besser“? Warum?  lernen zwei Geschichten von Max und  Vergleich: Was wurde geändert? Warum? Moritz kennen,  äußern sich kritisch zum Verhalten der Vertiefung beiden „Lausbuben“,  ein weiterer Streich von Max und Moritz  lesen den Text auf Hochdeutsch und „ohne Worte“ (z. B. dritter Streich, „Schnei- Fränkisch laut, der Böck“, da dieser sich besonders gut zur  erkennen Unterschiede von zwei Versionen Inszenierung eignet) derselben Geschichte,  Inszenierung in Gruppen mit eigenen Worten  erfinden eigenständig einen Text zu einer  Bei Inszenierungen: Beobachtung der Spra- weiteren Geschichte von Max und Moritz che durch die Zuschauer – Wird eher Dialekt und stellen diese szenisch dar, gesprochen oder eher Standardsprache?  machen sich ihren eigenen Sprachgebrauch  Vergleich mit Originaltext; evtl. Ausgabe des im Alltag bewusst. Originaltextes als „Puzzle“, d. h. nicht in der richtigen Reihenfolge, die Schüler ordnen Medien / Material die Abschnitte den jeweiligen Bildern zu; Ver-  Max und Moritz, Vierter Streich – gleich mit den Inszenierungen Standardsprache und Fränkisch (M1) www.isb.bayern.de Weiterarbeit  Max und Moritz, weiterer Streich, ohne Text  Analyse des eigenen Sprechverhaltens: In  Max und Moritz, weiterer Streich, nur Text welcher Situation und mit wem spreche ich eher Dialekt bzw. Standardsprache? Lehr- und Lernprozess Vorarbeit Quellennachweis / Literatur Sammeln von Kenntnissen über Wilhelm  M1: Kerner, Maximilian (2001): Max und Moritz Buschs Geschichten aff fränggisch nach Wilhelm Busch. Cadolzburg. ars vivendi, S. 27-31.

156 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M1 Max und Moritz aff fränggisch – Verdder Schdreich

157 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

158 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

2 Grundschule / Sekundarstufe I: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung

Kindheitserinnerungen  Bild von Luise Scherer (Umschlagrückseite): Wie sieht die Frau aus? Wie alt ist sie? Was Lerninhalt tut sie? (Sie liest vor.) Was liest sie vor? Schulkinder früher und heute / (Geschichten von „früher“, aus ihrer Kindheit Unterschiede zwischen und Jugend) Hochdeutsch und Fränkisch  Bild von Luise Scherer (Titelseite): So hat sie damals ausgesehen. Warum schreibt sie wohl Begründung der Auswahl Geschichten und Gedichte über früher? (Sie Die Erinnerungen von Luise Scherer „Wi i schreibt ihre Erinnerungen an das alltägliche a Schulmädla war“ beschreiben wichtige Leben auf, damit Bräuche usw. nicht verges- Ereignisse im Alltag eines Schulmädchens sen werden, um ihren Kindern und Lesern ei- vor fast 80 Jahren. Die Schüler können nen Eindruck von damals zu vermitteln.) Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest-  Titel des Buches „Ahni vo sust“ – Was heißt stellen. Obwohl der Text in Mundart ver- das? („Enheim [Ort in Unterfranken] von fasst ist, ist er verständlich und es finden früher“, also ‚Enheim, wie es früher war‘.) sich für die Altersstufe geeignete Beispiele Die Frau schreibt also im Dialekt, warum tut zur Untersuchung von Besonderheiten der sie das? fränkischen Mundart. Erarbeitung 1 Lernziele Die Schüler „Wi i a Schulmädla war“ (M3)  lernen mit Luise Scherer eine Verfasserin von  Sie hat auch über die Zeit als Schulmädchen Texten in fränkischer Mundart kennen und geschrieben. Der Text heißt „Wi i a Schul- erfahren etwas über ihre Schreibmotivation mädla war“. Was könnte sie dazu aufge- (Festhalten von Lebensumständen und Ereig- schrieben haben? nissen von „früher“ um sie weiterzutragen),  Vortrag des Textes durch den Lehrer oder  vergleichen das Leben früherer Schulkinder Hörbeispiel mit ihrer eigenen Erlebniswelt,  Klären des Inhalts: Über was hat sie geschrie-  vergleichen Wörter in der Standardsprache ben? Warum wohl? Über was würdet ihr mit Dialektwörtern, heute schreiben?  lernen wichtige Merkmale des  Nochmaliger Vortrag des Textes mit Vorlage Fränkischen kennen,  Klären von inhaltlichen Einzelheiten  sammeln Dialektausdrücke.  Versuche einzelner Schüler, Abschnitte aus dem Text laut zu lesen Medien / Material  Bilder von Luise Scherer, Umschlagseiten Erarbeitung 2 des Buches „Ahni vo sust“ (M2) Merkmale des Fränkischen  Text: „Wi i a Schulmädla war“ (gekürzt) (M3)  Arbeitsblatt: Hochdeutsch und Mundart www.isb.bayern.de (M4) – Zuordnen des Mundartbegriffs aus  Arbeitsblatt: Hochsprache und Mundart (M4) dem Text und des entsprechenden Begriffs  Wandzeitung: Wortliste Hochsprache – der Standardsprache zu Bildern Mundart  Lösung vergleichen und auswerten  Vergleich und Beschreibung wichtiger Unter- Lehr- und Lernprozess schiede (Veränderung von Lauten / Wegfall Hinführung von Lauten; Verniedlichungsform -la ; spezi- Bilder von Luise Scherer (M2) elle Mundartbegriffe)

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 eventuell: Welche Besonderheiten fallen euch  Aufschreiben eigener Erlebnisse zu am Text sonst noch auf? Wo im Text kommen „Wi i a Schulmädla / Schulbu war“ die festgestellten Merkmale noch vor?  Vorstellen von Leuten, die Mundart schreiben / sprechen Vertiefung  Sammeln von Mundartbegriffen Quellennachweis / Literatur (Hausaufgabe) M2 / M3: Scherer, Luise (o. J.): Ahni vo Sust.  Erstellen einer Wandzeitung mit einer Lebenserinnerungen. Selbstverlag, Wortliste Mundart – Hochdeutsch Auszug S. 57- 59.

Weiterarbeit  Erstellen eines „Tests für Franken“ durch die Schüler (Liste mit Wörtern in Mundart, deren hochdeutsche Entsprechung gefunden wer- den muss)

M2 Bilder von Luise Scherer

Information zu Luise Scherer (von der Autorin selbst): Luise Scherer ist auf einem Bauernhof in Enheim aufgewachsen. Ihr Vater, Andreas Gebert, hat den Hof 1919 von seinem Vater übernommen. Aus dem Ahnenpass ist ersichtlich, dass die Vorfahren bis zum Jahr 1577 in den Kirchenbüchern vermerkt sind. Luise Scherer heiratete 1946 nach Obernbreit in eine Mühle. Ihre Schwes- ter hat in Enheim den Hof übernommen.

160 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M3

Wi i a Schulmädla war

Wenn ihr mir zuahorcht, kram i in meina Erinnerunga rum. Wunnert euch nit, wen i von hunertsta neis tausendsta kumm. Die Schulzeit in Ahni1 war a schäni Zeit, si liegt zurück gor arg, arg weit. An Ostermontog wara mir uff der Wisa unt Hosagageli derbei, schä und bunt. Alli Kinner von Dorf a Schmeßerei, a Hallo und a Gaudi war des fei.

Uner Lehrer Zeuner, zu sein Lob seis gsagt, fer uns Kinner hat er sich wos besonders ausdacht. A Ausflug war emal in Jahr, des war fer uns Kinner ganz wunnerbar. Mit an Lätterwoga gings über Land, zwä flotti Gäul wara da vorgspannt.

Ober des messt ihr noch wiß: Bevor der Ausflug gwast is, da sen mir zon Beckahans uff Gnodstadt2, der hat so 1930 rüm scho an Radio ghat und da it scho der Watterbericht kumma. Da hewa mir Schuelkinner ougnumma, wenn der Hans segt „as wetter bleibt schä“, na kenna mir getrost mit unnern Lehrer uff Ausflug gäh.

Noch wos möchte i derzähl, i entsinn mi noch heut, Silvesterabend wenn war, hewa in der Kerch alli Leut, elektrisch Licht hats nit gaba, jeds a a Kerzla oubrennt. Soa Lichterliskerch war schä, mer des heut nahmi kennt. As Schlittafoara war wunnerbar, Schnee hats gaba jedes Jahr. Mir hewa zamghalta, mir Schuelkinner all. A Einigkeit war, des it ke leerer Schall.

Di Zeit it verganga, es it a anneri kumma, wars Freud oder Leid, si kummt nehmi, dia Zeit.

1 „Ahni“ ist der Ort Enheim im Landkreis Kitzingen in Unterfranken. 2 Gnodstadt ist ebenfalls ein Ort im Landkreis Kitzingen.

161 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M4

Suche die Wörter, die Luise Scherer im Text „Wi i a Schulmädla war“ für die Bilder ver- wendet, und trage sie in die Tabelle ein, wie sie dort geschrieben sind! Überlege dir dann, wie das hochdeutsche Wort dafür lautet, und trage es ebenfalls in die Tabelle ein!

Fränkisch Hochdeutsch Unterschiede

Welche Unterschiede gibt es zwischen Fränkisch und Hochdeutsch? Trage sie in die vierte Spalte der Tabelle ein!

162 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

Lösungsvorschlag

Fränkisch Hochdeutsch Unterschiede

Wisa Wiese Laute verändert – Endung „e“ wird zu „a“ (offener); „ie“ (lang) wird zu „i“ (kurz)

Lätterwoga Leiterwagen Laute verändert – Endung „en“ wird zu „a“ („n“ entfällt / “e“ zu „a“ (offener)); „ei“ wird zu „ä“ (offener); „a“ wird zu „o“ („runder“)

Schlitta(fohra) Schlitten(fahren) Laute verändert – Endung „en“ wird zu „a“ (siehe oben); „a“ wir zu „o“ (runder)

Kerch Kirche Laute verändert – „i“ wird zu „e“ (offener); Laute entfallen – Endung „e“

Kinner Kinder Laute entfallen bzw. werden ver- ändert – „d“ entfällt / wird zu „n“

Kerzla Kerze Veränderung der Endung – Verniedlichungsform „-la“

Gäul Pferde/Gäule anderes Wort /Endung „e“ entfällt

Hosagageli Ostereier anderes Wort

Gaudi Freude/Spaß anderes Wort

163 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

3 Sekundarstufe I: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung

Mundartbegriffe / Mundart- Lehr- und Lernprozess wörterbuch / Mundartcomic Hinführung im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts Lerninhalt  Möglichkeit: Sammeln von Länderadjektiven Mundart als „Fremdsprache“/ etc. in der Fremdsprache. Franken/fränkisch Unterschiede zwischen Hoch- wird u. U. von den Schülern selbst genannt. deutsch und Fränkisch / Verschrif- In Klett, Green Line New 1 werden z. B. auf tung von Mundart S. 98 in Focus on English – a world language diese Bezeichnungen eingeführt, indem Begründung der Auswahl Kinder aus aller Welt vorgestellt und die Im Zusammenhang mit dem Erlernen der Sprachen genannt werden, die sie sprechen ersten oder zweiten Fremdsprache kann den oder lernen. Dabei kommt ein Junge aus Schülern bewusst gemacht werden, dass Nürnberg vor, der zu Hause und mit seinen ihnen mit dem Dialekt eine weitere „Spra- Freunden „a Franconian dialect“ spricht. che“ zur Verständigung zur Verfügung steht, Dies könnte sehr gut als Einstieg dienen. die jedoch nur in bestimmten Situationen  Ist „Fränkisch“ bzw. Dialekt im Allgemeinen angebracht ist. Es bietet sich in diesem Zu- eine „Sprache“? Was gehört zu einer Spra- sammenhang ebenfalls an, auf die Probleme che? (eigener Wortschatz, Grammatikregeln) der Verschriftung hinzuweisen. Gibt es all das im Fränkischen?

Lernziele Die Schüler Erarbeitung 1  lernen den Dialekt als eigenständige Quiz mit Dialektbegriffen „Sprache“ kennen,  Vorgabe von Dialektbegriffen und -ausdrü-  sammeln Dialektwörter und lernen cken durch die Lehrkraft, Erkennen / Erra- neue kennen, ten der standardsprachlichen Entsprechung  erkennen, dass manche Dialektausdrücke durch die Schüler. M5 bietet hierzu eine schwer in die Standardsprache zu über- Auswahl von Begriffen aus Unter-, Mittel- tragen sind, und Oberfranken.  lernen wichtige Merkmale des Fränkischen  Anschreiben von Wörtern in Mundart und im Vergleich zur Standardsprache kennen, Standardsprache an die Tafel  erstellen ein kleines „zweisprachiges“  Erarbeitung weiterer Mundartbegriffe und (oder mehrsprachiges) Wörterbuch, -ausdrücke durch die Schüler in Gruppen  erkennen Schwierigkeiten beim Übertragen  Weiterführung des Ratespiels durch die der Mundart in die schriftliche Form. Schüler (mit Tafelanschrift)

Medien / Material Erarbeitung 2  Liste mit fränkischen Begriffen für ein Wichtige Merkmale des Fränkischen Quiz (M5)  Vergleich von Mundart und Standardsprache  Auszug aus „Asterix uff Meefränggisch I. anhand der Tafelanschrift: Aus welchen Dour de Frångn“ (M6) Bereichen stammen die Wörter / Ausdrücke?  Lehrbuch für eine Fremdsprache (Alltag, teils landwirtschaftlicher Ursprung)  Arbeitsblatt zur Erfassung von Dialekt- Warum? (Dialekt als Alltagssprache) Fest- begriffen für ein Wörterbuch (M7) halten wichtiger Unterschiede zur Standard-

164 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

sprache (häufig auftauchende Veränderungen (Jeder Begriff / Ausdruck sollte auf einer sepa- auf Lautebene; eigenständige Wörter, vgl. raten Karte / einem separaten Zettel mit allen Basiswissen Fränkisch) festgelegten Angaben festgehalten werden,  Unterrichtsgespräch: Gibt es eine eigene so dass mehrfach genannte leicht aussortiert Grammatik im Fränkischen? und die verbleibenden alphabetisch sortiert Ggf. können die Schüler einige Phänomene werden können. M7 zeigt einen Vorschlag, selbst ansprechen; ansonsten Hinweis durch der als Kopiervorlage benutzt werden kann.) die Lehrkraft (vgl. Basiswissen Fränkisch,  Sichtung und (Aus-)Sortieren der gesammel- linguistische Eigenheiten) ten Begriffe / Ausdrücke  Erstellen des Wörterbuchs in Gruppen Erarbeitung 3 (alphabetisch), entweder handschriftlich nach Das Problem der Verschriftung von Mundart formalen Vorgaben (vgl. M7) oder am Com-  Analyse der Mundartbegriffe an der Tafel: puter Warum gibt es Abweichungen / Probleme bei der Verschriftung? (keine einheitliche Schrei- Weiterarbeit bung festgelegt, weil Mundart vor allem ge-  Vervielfältigung des Wörterbuchs, sprochen wird) Vorstellung (Verkauf) bei Schulfest o. Ä.  Auszug aus „Asterix uff Meefränggisch 1. Dour de Frångn“ (M6): Wie wird hier ge- Quellennachweis / Literatur schrieben? (lateinisches Alphabet, Verdoppe- M5: Lenk, Ursula / Schmidt, Thea (1998): Allmächd! lung von Vokalen zum Anzeigen von Länge, Fränkisch von A-Z (nicht nur) für Setta & Sottera! Sonderzeichen å für das fränkische „a“, das in München. der Aussprache zwischen „a“ und „o“ liegt) Fritz-Scheuplein, Monika / König, Almut / Krämer-  Vergleich mit Fremdsprache im Lehrbuch: Neubert, Sabine / Wolf, Norbert Richard (3. über- festgelegte Schreibung, Aussprache in Laut- arb. u. erhebl. erw. Aufl. 2008): Wörterbuch von schrift; Lautschrift als Möglichkeit der Wie- Unterfranken. Eine lexikographische Bestandsauf- dergabe von Dialekt? nahme. Würzburg.

Vertiefung M6: Goscinny, René / Uderzo, Albert: Asterix. Mund- art Band 54 (2004): Asterix uff Meefränggisch I. Erstellen eines „Fränkischen Wörterbuchs“ Dour de Frångn. Fränkisch von Fraas, Kai / Schunk,  Sammeln von weiteren Mundartwörtern und Günther / Wolf, Hans Dieter. Köln. Egmont Ehapa -ausdrücken in Gruppen bzw. als Hausauf- Verlag, S. 6. © 1965 GOSCINNY-UDERZO gabe für ein „Wörterbuch“: Welche Angaben sollen in das Wörterbuch: nur Dialekt – M7: Kopiervorlage Doris Jenetzky, Marktbreit. Standardsprache? Evtl. auch Fremdsprache? Schreibung der Dialektbegriffe? Aufnahme von Lautschrift?

165 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M5 Liste mit fränkischen Dialektwörtern

Abe = Klo Knorz / Gnuuds = runder harter Arschkitzel / Oeschkidsl = Hagebutte Brotanschnitt Äbiire (rb) = Kartoffel Läusmuckn = Sommersprossen Bäbber = Schnuller Lurzdötsch / = Linkshänder Beddsch (ofr) = Kappe Luedsdadsch Bletz = Beule Manschettn = Angst, Furcht Butzel = das kleinste müchten = stinken Schwein, das im Neigschmeggde (mfr) = Besucher, Wachstum zurück­- Zugereiste geblieben ist Nischl (ofr) = Kopf Butzen = Futterrübe Ölles = großer Kopf Dappen (ofr) = Hausschuhe Pfladschn (ofr) = unförmige, Dorfpatsche / = neugierige und nachlässig Durfbeddsche schwatzhafte Frau gekleidete Person Dschuggl (ofr) = Schweinchen, pfletschen / bflöidschn = weinen Ausdruck für ein Ranzen / Randse = Bauch Kind im Sinne von Rubfm (mfr) = Kleidungsstück „Ferkelchen“ rüffeln = schimpfen Duhla (ofr) = wunderliche Schanze = (Brot-)Korb Person Schrunzel = Falte Erpfl (ofr) = Kartoffel sellesmol = damals Fäänla (mfr) = billiges, schlecht selt = dort genähtes Kleid Suckl = Schwein fameln = dämmrig werden Tatschn = große Hände Forzaufleser (ofr) = die letzte Person Tocke / Döcht = Hut in einer Reihe Tuttanirla = etwas Unbe- oder beim deutendes Wandern Urschel = tollpatschige Frau Gaggerli (mfr) = Eier verhunzn (mfr) = verderben gicksen = mit dem Finger Waggerla (mfr) = kleines Mädchen, leise anstoßen Kosename für Grumbera = Kartoffel eine erwachsene haadschn (mfr) = schwerfällig Frau gehen sich wälgern = den Hang wie heurig = diesem Jahr ein Faß zugehörig hinabrollen Hedscher (mfr) = Schluckauf Wärschdlamoo (ofr) = Besitzer einer Hödscherlein = kleiner Fleischtopf Würstchenbude zum Kochen Wasenfranziska / = ungepflegte Frau Knätscher = langsamer, träge Wääsefrenz arbeitender zerren = streiten Mensch Ziewerla (mfr) = Küken knarfen = jammern züllen = saugen

(ofr = Oberfranken, mfr = Mittelfranken, rb = Raum Rothenburg; alle aus Lenk / Schmidt: Allmächd. ohne Angaben = Unterfranken; alle aus Fritz-Scheuplein et al.: Wörterbuch von Unterfranken)

166 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M6 „Asterix uff Meefränggisch 1“

167 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M7 Arbeitsblatt zur Erfassung von Dialektbegriffen

Fränkischer Begriff / Ausdruck: Fränkischer Begriff / Ausdruck:

Lautschrift: [ ] Lautschrift: [ ] Beispielsatz: Beispielsatz:

Standardsprache / Erklärung: Standardsprache / Erklärung:

Fränkischer Begriff / Ausdruck: Fränkischer Begriff / Ausdruck:

Lautschrift: [ ] Lautschrift: [ ] Beispielsatz: Beispielsatz:

Standardsprache / Erklärung: Standardsprache / Erklärung:

Mögliche Vorgabe zur formalen Gestaltung des „fränkischen Wörterbuchs“

Begriff Lautschrift Beispielsatz Standardsprache / Erklärung

168 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

4 Sekundarstufe I / II: Sprechen, Sprachbetrachtung, Sachtext

Mundart-Comedy / Mundartlyrik / Lehr- und Lernprozess Fragebogen Vorarbeit  Sekundarstufe I: entfällt Lerninhalt  Sekundarstufe II: bei Wahl von „Pelzig in Einstellung zur Mundart / Sachen Abitur: Deutsch“, Erarbeitung des Mundart und soziale Stellung dort zu Grunde liegenden und vorgetragenen Gedichts „Im Frühling“ von E. Mörike und Begründung der Auswahl Vortragsversuche durch die Schüler Erwin Pelzig, eine Schöpfung des Würzbur- (Themenkreis „Romantik“) ger Kabarettisten F.-M. Barwasser, ist bei Schülern der Alterstufe bekannt und beliebt. Hinführung Pelzigs „Freunde“ Hartmut und Dr. Göbel  Allgemein: Frage nach Barwasser / Pelzig, machen es möglich unterschiedlich stark Sammeln von Kenntnissen / Eindrücken mundartlich geprägte Sprecher zu verglei-  Sekundarstufe II: Analyse des bearbeiteten chen und die Wirkung der jeweiligen Sprech- Gedichts durch Erwin Pelzig, Dr. Göbel und weise zu analysieren. Davon ausgehend Hartmut; zunächst Anhören und Vortrag der machen sich die Schüler ihre eigene Einstel- drei im Vergleich zu Schülervorträgen; ge- lung zum Thema bewusst. nannte Analyseaspekte bewerten / vergleichen

Lernziele Die Schüler Erarbeitung 1  beschreiben die Sprechweise Charakterisierung von Pelzig / Hartmut / verschiedener Personen, Dr. Göbel  machen sich die Wirkung verschiedener  (nochmaliges) Anhören des Sketches, dabei Sprechweisen bewusst, Notizen zur Charakterisierung der drei  erkennen, dass Dialekt zu sprechen nicht Figuren Dummheit bedeutet,  Auswertung (1): Charaktere beschreiben  erkennen den Wert von Dialekt, Auswertung (2): Wodurch wird Charakter  machen sich ihre eigene und die allgemeine dargestellt? Einstellung zur Mundart bewusst, (Sprechweise: übertrieben standard-  führen eine Befragung zur Einstellung sprachlich, Norddeutsch bei Dr. Göbel / stark zur Mundart durch und werten die fränkischer Dialekt bei Hartmut/weniger stark Ergebnisse aus. dialektal geprägte Sprache bei Pelzig) Wer wirkt am sympathischsten? Wer steht am Medien / Material Ende am besten da, wer ist der „Klügste“?  evtl. Gedicht „Im Frühling“ von E. Mörike (Dr. Göbel verfügt zwar über das meiste  Sketch von F.-M. Barwasser (z. B. „P.I.S.A. – Wissen, wendet dieses aber oft eher „eng- Pelzig in Sachen Abitur“, Pirate Records stirnig“ an, während Pelzig über die größere 2003, Nr. 3: Deutsch) Gewitztheit verfügt und meist die treffende-  evtl. Radio-/TV-Interview mit F.-M. Barwasser ren Aussagen macht, auch wenn diese vor-  Fragebogen (M8) dergründig „dumm“ erscheinen.)  Sachtext: „Dialekt: Keine Sprachbarriere,  Welche Einstellung zum fränkischen sondern eine Bereicherung“ (M9) Dialekt wird vermittelt?  Statistische Erhebung zu Dialekt und Hoch-  Falls verfügbar: Interview mit F.-M. Barwas- sprache in Franken (M10) ser (z. B. „Unter vier Augen“; TV-Interview  Gedicht „dialekt“ von H. Schuhladen (M11) mit W. Schmidbauer, Bayer. Rundfunk):

169 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Was sagt F.-M. Barwasser selbst über die  Vortragsversuche drei Charaktere aus?  Bestimmung des Dialekts (Bairisch); Wie spricht er selbst? (Im Gegensatz zu Vergleich mit dem Fränkischen (siehe jeweils Schmidbauer: Betont standardsprachlich, Basiswissen zu Bairisch bzw. Fränkisch) nicht fränkisch)  Verfassen eigener Gedichte zum Thema Warum? Findet er Fränkisch schlecht? (B. will sich als Künstler von der Figur Pelzig Weiterarbeit unterscheiden.) Durchführung einer Befragung zum Thema in der Schule / am Ort Erarbeitung 2  Erstellen eines Fragebogens/Abänderung Einstellung zum (fränkischen) Dialekt des bereits verwendeten

 Ausfüllen eines Fragebogens zur Bewusst-  Durchführung der Befragung in der Schule , machung der eigenen Einstellung (M8, ein am Schul- bzw. Wohnort weiteres Beispiel für einen Fragebogen findet Auswertung, evtl. Erstellen von Grafiken sich  Schwäbisch 4 ) (Zusammenarbeit mit Mathematik / Informa-  Auswertung / Vergleich in Gruppen, dann tik), Vergleich mit Situation vor 20 Jahren im Plenum: Wie ist die Einstellung zum Fränkischen in der Klasse? Wie ist sie wohl Quellennachweis / Literatur im Allgemeinen? M8: Fragebogen Doris Jenetzky, Marktbreit.  Texte zur allgemeinen Einstellung Sekundarstufe I: Auswertung von (M9) M9: Hettler, Friedrich H.: Dialekt: Keine Sekundarstufe II: Ergebnisse einer Befragung Sprachbarriere, sondern eine Bereicherung. zum Thema „Dialekt und Hochdeutsch in Maximilianeum Nr. 9 / 2004, S. 31. Franken“ bzw. „Emotionale Bewertung M10: Wagner, Eberhard (1987): Das fränkische Dialekt – Hochdeutsch“ (M10): Auswertung Dialektbuch. München. C. H. Beck, S. 109 -111. und Zusammenfassung der Ergebnisse Die Nummerierung der ausgewählten Aspekte (evtl. Erstellen von Grafiken). Stimmen die wurde geändert (ursprünglich handelt es sich um Ergebnisse mit der eigenen Wahrnehmung Punkt 3 und 4) und die Rechtschreibung angepasst. überein? (Veröffentlichung von 1987!) M11: Schuhladen, Hans: dialekt (Gedicht). In: Beier, Heinz (1983): Bayerische Literatur in Vertiefung Beispielen. München. Bayerischer Schulbuch- Gedicht: „dialekt“ von Hans Schuhladen verlag, S. 462. (M11)  Erschließung des Inhalts: Einstellung zum Dialekt? Bedeutung des Dialekts? (Mundart als Teil der Identität, als „Heimat“)

170 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M8 Fragebogen zum Thema Dialekt

1. Kannst du Dialekt sprechen? ja nein weiß nicht Wenn ja, welchen:

2. Wie findest du deinen Heimatdialekt? schön es geht, andere Dialekte sind schöner ich habe keine Meinung dazu hässlich

3. Sprechen deine Eltern Dialekt? Wenn ja, welchen? Vater ja nein weiß nicht Mutter ja nein weiß nicht

4. Bei welcher Gelegenheit und mit wem sprichst du Dialekt?

5. Glaubst du, dass Dialektsprecher in manchen Situationen benachteiligt sind? Wenn ja, in welchen?

6. In welchen Situationen ist es deiner Meinung nach nötig, Standardsprache zu sprechen?

7. Wie sprichst du mit deinen Freunden? nur Dialekt Dialekt und Standardsprache nur Standardsprache etwas anderes (Umgangssprache, Jugendsprache o. Ä.) weiß nicht

8. Findest du es gut, wenn jemand bewusst Dialekt spricht, damit man erkennt, woher er kommt? ja nein weiß nicht

9. Nenne einige Merkmale deines Heimatdialekts! (z. B. Wörter, Aussprache, Satzstellung, Grammatik)

Heimatort:

10. In welchen Orten spricht man schon anders als in deinem Heimatort? Was ist anders? (Wörter, Aussprache, Grammatik ...)

171 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M9

172 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M10 Statistische Ergebnisse einer Befragung zum Thema Dialekt, 1987 (Auszug)

1. Dialekt und Hochdeutsch in Franken

Wenn für viele Bewohner der nördlichen Regierungsbezirke Bayerns der Dialekt, das Frän- kische, die eigentliche Muttersprache darstellt, stellt sich die Frage: Wie gut sprechen die Franken Hochdeutsch, jene Variante des Deutschen, die von vielen für das Deutsche schlecht- hin gehalten wird, die in den Schulen im In- und Ausland gelehrt, von den Medien und im Schriftverkehr allgemein benutzt wird? Um diese Frage zu klären, müssten (längere) Sprechproben eines Befragten mit geeigne- ten sprachwissenschaftlichen und statistischen Verfahren auf den Grad von Dialektalität bzw. Hochsprachlichkeit untersucht werden. Da dies im Rahmen einer Umfrage wie beim „Baye- rischen Dialektzensus“ nicht durchführbar ist, bleibt neben der Möglichkeit der (Fremd-)Ein- schätzung durch den Interviewer nur die (Selbst-)Einschätzung durch den Befragten selbst. Hier sollen die Ergebnisse der letzteren vorgestellt werden (die der Fremdeinschätzung wei- chen im Allgemeinen nur unwesentlich davon ab). Die Forscher fragten: „Wie gut können Sie Ihrer Meinung nach Hochdeutsch sprechen?“ Eine heikle Frage, gilt doch Hochdeutsch auch in Franken als die „richtigere“, „gebildetere“, „feinere“ usw. Sprachvariante; wer aber will unter diesem Aspekt schon zugeben, dass er das „bessere“ Deutsch nicht beherrscht, und somit – noch dazu vor einem Fremden, dem Inter- viewer – sozusagen Selbstkritik üben und sich gar unter die „Ungebildeten“, „Ungehobelten“ usw. selbst einreihen? Vorsichtig formulierte Auswahlantworten erleichterten den fränkischen Dialektsprechern die Antwort (nur weniger als ein halbes Prozent der Befragten antworteten überhaupt nicht). Es bleibt jedoch das Problem, inwieweit die Einstufung „geschönt“ ist, d. h., dass statt der tat- sächlichen eine „positivere“ Stufe der Sprachbeherrschung genannt wird. Doch selbst unter diesem einschränkenden Gesichtspunkt ist es erstaunlich, dass nur ein Zehntel (9,8 %) der- jenigen, die angaben, fränkischen Dialekt sprechen zu können, auch behaupteten: „Wenn ich Hochdeutsch spreche, merkt man mir meine sprachliche Herkunft nicht an.“ Rund zwei Fünftel meinten je: „Ich habe keine Schwierigkeiten, aber man merkt mir meine sprachliche Herkunft an“ (37,8 %) bzw. „Mein Dialekt kommt immer wieder durch“ (38,9 %). Doch 13,5 % kreuzten als Antwort an: „Ich habe Schwierigkeiten und spreche deshalb kaum Hochdeutsch“ und bekannten sich so als Nur-Dialektsprecher. Die Massierung der Antworten in den beiden mittleren Antwortmöglichkeiten erklärt sich wohl z. T. aus den oben genannten Problemen. Mögen deshalb auch die Prozentzahlen der Umfrage nicht das exakte Bild ergeben, so dürfte doch die Tendenz stimmen.

2. Emotionale Bewertung Dialekt – Hochdeutsch

Gestützt wird die obige Annahme durch eine Kontrollfrage: „Wenn Sie Hochdeutsch sprechen, was empfinden Sie dabei?“ Eine der Antwortmöglichkeiten lautete: „Ich finde die richtigen Worte nicht.“ Dieser Aus- sage stimmten 14,7 % der Angesprochenen uneingeschränkt zu, 28,2 % ließen sie noch mit Einschränkungen gelten. 57,1 % glauben, beim Hochdeutschgebrauch stets das richtige Wort zu treffen.

173 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Anderen überlegen fühlen sich nur 7,1 %, wenn sie Hochdeutsch verwenden, 12,7 % zögern, eindeutig zuzustimmen. 80,2 % jedoch streiten jedes Überlegenheitsgefühl beim Gebrauch des Hochdeutschen ab. 59,5 % fühlen sich, sprechen sie Hochdeutsch, nicht unbehaglich, ein Fünftel dagegen schon, ein weiteres Fünftel manchmal. Nur 35,2 % geben an, dabei völlig natürlich zu spre- chen, 22,4 % geben gewisse Verkrampfungen zu und 42,4 % fühlen sich in einer „sprachlichen Zwangsjacke“. Dass sie sich besser mit Hochdeutsch ausdrücken können, glauben 18,6 %, 20,2 % machen es von der Situation abhängig, 61,6 % ziehen den Dialekt vor. Ein Viertel (24,5 %) meint, dass man in der Hochsprache besonders sachlich sprechen könne, 46,2 % glauben dies nicht, 29,2 % entschieden sich für ein Jenachdem. Aufgrund dieser Tatsachen versteht es sich, dass nur knapp ein Drittel (15,7 % „ja“ / 17,2 % „eher ja“) besser Hochdeutsch sprechen möchten, während zwei Drittel (47,2 % „nein“ / 18,9 % „eher nein“) glaubten, auf besserer Hochdeutschkenntnisse verzichten zu können. Bessere Dialektkenntnisse wünschen sich nur 4 % der Befragten („eher ja“ 3%), 81,7 % sind mit ihren Dialektkenntnissen zufrieden, der Rest (11,3 %) eher auch. Wenn es jedoch um die Kenntnis des Ortsdialekts geht, klagt immerhin ein Drittel der Be- fragten (12,6 % „ja“ / 22,6 % „eher ja“) über Dialekt-Defizite, die es zu beheben gilt, 10,8 % ant- worteten mit einem „eher nein“ und 54,4 % mit absolut „nein“ im Hinblick auf ein Defizit. Die gute Kenntnis des Ortsdialekts scheint für die Franken besondere Bedeutung für die Kommu- nikation aber auch für die Anerkennung bei Bekannten, Freunden, Nachbarn usw. zu haben. Was diese Zahlen deutlich machen: Über die Hälfte der Befragten hat dialektbedingte Pro- bleme beim Gebrauch der Hochsprache. Die emotionale Bewertung des Dialekts ist relativ positiv, während die des Hochdeutschen eher neutral ist. Auch deshalb hat der Dialekt in Franken eine so große Bedeutung bei der mündlichen Kommunikation.

M11

dialekt

redn wia i mecht ko i nimma redn wia i soi mog i ned do homs mi fuatgschickd auf schui das i ebbs lean und iaz woas i net wea i bi wohi i ghea

(Hans Schuhladen)

174 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

5 Sekundarstufe I / II: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung, Medien

Werbekampagne für Lehr- und Lernprozess ein Bundesland, Fernsehen Hinführung „Wir können alles außer Hochdeutsch“ Lerninhalt  Spot bzw. Annonce bzw. Slogan Dialekt in den Medien  Reaktionen der Schüler; Was ist Ziel des Spots? Wie ist der Slogan zu verstehen? Begründung der Auswahl Welche Einstellung zum Dialekt kommt Mundart spielt in den Medien vor allem im zum Ausdruck? Bereich Unterhaltung eine Rolle. Fränkische Mundart kommt dabei im Gegensatz zum Erarbeitung 1 Bairischen allerdings eher selten vor. Da vor Konzeption und Wirkung der Kampagne allem das Fernsehen im Alltag der Schüler  Lesen des Textes zur Konzeption der eine große Rolle spielt, liegt es nahe, dieses Kampagne (M12) und Auswertung: Medium zum Gegenstand der Betrachtung Was sind die Ziele der Kampagne? zu machen. Welche Elemente umfasst sie? Bewertung der Kampagne durch die Schüler Lernziele Die Schüler  Lesen des Interviews aus Sonntag Aktuell:  analysieren eine Werbekampagne für das „Die Streber zeigen plötzlich Witz“ (M13) Bundesland Baden-Württemberg und be-  Auswertung: Erreicht die Kampagne urteilen diese kritisch, ihre Ziele? Wie steht Sebastian Turner  beschäftigen sich mit der Rolle von Mundart zum Dialekt? in den Medien,  erkennen, in welcher Art von Programmen Erarbeitung 2 Mundart vor allem eine Rolle spielt, Dialekt in den Medien  versuchen Ursachen für das geringe Vor-  Sichten des aktuellen Fernsehprogramms kommen des Fränkischen in den Medien durch die Schüler (in Gruppen) und Notieren zu finden, von Sendungen mit / in Mundart (M14)  erstellen eine Werbekampagne für  Auswertung: Welche Sender zeigen vor das Fränkische. allem Sendungen mit Mundart? Welche Art von Sendungen beinhalten Mundart? Medien / Material Welche Mundarten kommen vor allem vor?  Werbekampagne für Baden-Württemberg Gibt es Sendungen mit fränkischer Mundart? („Wir können alles außer Hochdeutsch“): Vgl. hierzu die Werbematerialien im Online- Vertiefung Shop der Landesregierung bzw. den Werbe-  Vorführung von Folge 10 der DVD film bei youtube. „Dialekte in Bayern“ („Dialekt in den  Informationen zu Inhalten, Gestaltung und Medien“) mit Leitfragen Zielen der Kampagne (M12)  Auswertung und Stellungnahme  Interview mit dem Geschäftsführer der ausführenden Werbeagentur (M13) Weiterarbeit  aktuelle Fernsehzeitschrift  Konzeption einer Werbekampagne für das  Arbeitsblatt (M14) Fränkische in verschiedenen Medien

175 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Quellennachweis / Literatur Hinweise M12 / 13: www.wir-koennen-alles.de/index2.html Zum Thema „Fränkisch in den Medien“ vgl. Wag- [aufgerufen am 17.03.2005] ner, S. 147-156. Zur Werbekampagne „Wir können

M14: Arbeitsblatt Doris Jenetzky, Marktbreit. alles außer Hochdeutsch“ siehe den Beitrag von Werner König in dieser Handreichung.

M12

Wie wir werben

Erfolgreich, weil menschlich

Mal ehrlich, Sie machen doch auch lieber dort Urlaub, wo Sie freundlich und offen aufgenommen werden, oder? Und als Fachkraft werden Sie bei gleichen Aufstiegs- und Verdienstchancen wohl eher in eine Region gehen, wo eine hohe Lebensqualität herrscht und sympathische Menschen leben.

Fakten und Emotionen

Neben harten Wirtschaftsdaten spielen heutzutage vor allem die sog. „weichen“ Faktoren eine immer entscheidendere Rolle im Wettbewerb um Touristen, Investoren, Fachkräfte und Führungspersonal. Des- wegen setzt unsere Kampagne ganz gezielt auf das emotionale Moment. „Erfolgreich, weil menschlich“ lautet denn auch die Kernbotschaft. Transportiert wird diese Aussage über den selbstironischen Slogan „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“, der binnen kürzester Zeit auch über unsere Landesgrenzen hinaus zum geflügelten Wort wurde.

„Immer einen Schritt voraus ...

Einen Schritt voraus sind wir den anderen auch mit unserer Art zu werben: Baden-Württemberg ist das erste Land, das hauptsächlich im Fernsehen wirbt. Mit 80 % unseres Media-Etats schalten wir Werbe- Spots, die zur besten Sendezeit laufen: immer im Umfeld der großen Nachrichtensendungen in ARD, ZDF, n-tv und einigen Regionalsendern. Außerdem zeigen wir die Filme in Programmkinos und auf Großbild- leinwänden in Flughäfen und Bahnhöfen. In den 40-sekündigen Spots werben erfolgreiche Baden-Würt- temberger für ihr Land. Sie haben alle auf ihrem Gebiet Höchstleistungen erbracht. Bei allem Fleiß und Erfolg sind sie jedoch sympathisch und menschlich geblieben.

... auf neuen Wegen.“

Flankiert werden die Spots von Anzeigen in Tageszeitungen und Zeitschriften, aber auch großen Events. Weitere Werbeaktivitäten richten sich direkt an die Zielgruppe der in- und ausländischen Investitionsent- scheider. Ein eigens entwickeltes „Investoren-Paket“ wird direkt an Entscheider, Multiplikatoren und potenzielle Investoren verschickt. Akzente setzen wir auch in der Verkehrsmittelwerbung: als erstes Land wirbt Baden-Württemberg auf Loks der Deutschen Bahn. „Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden- Württemberg“ prangt es auf den bundesweit und im benachbarten Ausland verkehrenden Zügen. Seit kurzem ist dieser Slogan ebenfalls in Berlin präsent. Großformatig wirbt Baden-Württemberg auf den „Touristen-Buslinien“ der Hauptstadt.

176 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M13

Die Streber zeigen plötzlich Witz

„Wir können alles, außer Hochdeutsch‘‘: Mit diesem Spruch versucht Baden-Württemberg sein Image aufzubessern. Jetzt startet die zweite Staffel der Werbespots. Über Humor im Südwesten sprach Sonntag Aktuell mit Sebastian Turner, Geschäftfsührer der Berliner Werbeagentur Scholz & Friends und Vater der Kampagne.

Sonntag Aktuell: Herr Turner, Ihre Kampagne hat das Schwäbische salonfähig, ja schick gemacht. Wie reagiert man bei Scholz & Friends in Berlin, wenn ein Mitarbeiter kommt, „der wo‘‘ plötzlich Schwäbisch schwätzt?

Turner: Das hören Sie hier überall, wir haben mehr Schwaben als Berliner an Bord.

Sonntag Aktuell: Woran liegt das?

Turner: Da zeigt sich, dass Baden-Württemberg ein sehr gutes Bildungssystem hat. Und mobil sind sie auch.

Sonntag Aktuell: Macht sich der Schwabe in Berlin oder Hamburg mit seinem Dialekt nicht dennoch lächerlich?

Turner: Das hängt davon ab, was er sagt. Aber manche fühlen sich unwohl. Das liegt daran, dass die Menschen im Südwesten eher Selbstzweifel haben. Wenn der Bayer vom Norddeutschen nicht verstanden wird, ist das ein Problem des Norddeutschen. Der Schwabe sucht die Schuld bei sich selbst.

Sonntag Aktuell: Und wie sieht‘s mit Ihren Schwäbischkenntnissen aus?

Turner: Das war meine erste Fremdsprache. Ich hab’ sie gelernt, als ich mit vier Jahren nach Stuttgart kam. Ich bin mit dem Gzälzhäfele scho d Kellerstaffle raghaglt.

Sonntag Aktuell: Dank Ihnen weiß die Welt jetzt, dass die Baden-Württemberger doch Humor haben.

Turner: Dass sie über sich selbst lachen können, das hätte man ihnen nicht zugetraut. Sie haben halt Qualitätshumor. Draußen stehen sie bisher aber im Ruf, eher die Karnevalsver- weigerer zu sein. Zu allem Überfluss sind sie auch noch erfolgreich. Das schafft mächtig Neid. Erinnern Sie sich: Wenn der größte Streber mal eine Vier bekam, freute sich die ganze Klasse. Und bisher haben sich alle gefreut, wenn das Musterländle mal weniger Autos verkauft hat. Da hatte jeder gesagt: Die brauchen das, sonst werden sie übermütig. Und jetzt sieht man die Schwaben plötzlich mit einem Schuss Selbstironie. Das schafft Sympathien.

Sonntag Aktuell: Allen Aussagen zufolge ist die Kampagne ein Erfolg. Wie messen Sie den?

Turner: Normalerweise stellt sich Werbeerfolg erst innerhalb von Jahren ein. Im Fall der Imagekampagne sehen wir aber schon nach einem Jahr Ergebnisse. Das ist wirklich außergewöhnlich.

Sonntag Aktuell: Was für Ergebnisse?

177 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Turner: In einer repräsentativen Umfrage hat sich gezeigt: Es ist die bekannteste Werbekampagne aller Länder. Und noch besser: 80 Prozent der Baden-Württemberger finden die Spots gut. Was uns noch mehr erfreut: In den anderen Bundesländern ist die Akzeptanz noch höher.

Sonntag Aktuell: Interessiert es einen Amerikaner oder Australier, ob wir Hoch- deutsch können?

Turner: Die Kampagne wurde in den USA sogar prämiert. Die Amerikaner halten ja alle Deutschen für bieder, ordentlich und tüchtig. Den Humorvorwurf machen sie uns allen nicht. Dank unserer Kampagne erkennen die Amis plötzlich, dass unter den Deutschen die Baden-Württemberger die freundlichsten sind. Ist ja auch die Wahrheit.

Sonntag Aktuell: Dass Ministerpräsident Teufel kein Hochdeutsch kann, stellt er immer wieder unter Beweis. Hat die Kampagne der CDU bei ihrem Wahlsieg geholfen?

Turner: Teufel beherrscht Hochdeutsch sehr gut passiv. Und als er die Kampagne zum ersten Mal sah, hat er schallend gelacht. Eine politische Note hat die Kampagne nicht. Dann wäre sie gescheitert, weil das Publikum so was erkennt und ablehnt. Die Spots hätten auch unter einer SPD-Regierung laufen können. Einer der größten Fans ist übrigens ein Berater von Schröder. Es gibt sogar grüne MdLs, die mit einem Anstecker der Kampagne auftreten.

Sonntag Aktuell: Sie verblüffen uns!

Turner: Humor kann man sich eben nicht entziehen.

Sonntag Aktuell: Also geht‘s weiter?

Turner: Klar, wenn die Baden-Württemberger etwas machen, machen sie es richtig. Das ist ihre Mentalität. Werbung ist nur langfristig sinnvoll. Deshalb geht es weiter.

Sonntag Aktuell: Haben Sie das Reservoir an schwäbischen Originalen langsam ausge- schöpft oder reicht es noch für ein paar Staffeln?

Turner: Bei zehn Millionen Bürgern und vielen Geburten habe ich keine Bedenken. Wir können ja die kleinsten Baden-Württemberger nehmen, die kommen hier ja praktischerweise schon ohne Hochdeutsch auf die Welt.

Das Gespräch führte Martin Gerstner. (Sonntag Aktuell, 29.04.2001)

M14 Arbeitsblatt – Welche Fernsehsendungen in dieser Woche beinhalten Dialekt?

Sender Sendezeit Titel Art der Sendung gesprochene(r) (Tag / Uhrzeit) (z. B. Jugendserie, Dialekt(e) Familienserie, Spiel- film, Kabarett, Krimi)

178 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

6 Sekundarstufe I / II: Sprechen, Sprachbetrachtung

Mundartlyrik/Dichterporträts Lehr- und Lernprozess Hinführung Erarbeitung der Gedichte Lerninhalt  Arbeitsteilige Gruppenarbeit (M15) Mundarten in Franken / Aufgabe: Erarbeitung der Aussage (unter Heimat Franken Einbeziehung spezieller Gestaltungsmittel) und Vortrag Begründung der Auswahl  Vortrag des jeweiligen Gedichts und Das Fränkische gibt es ebenso wenig wie das Erläuterung der erarbeiteten Aussage Bairische. Im Allgemeinen gehen die Schü- ler davon aus, dass sich das Fränkische in Erarbeitung 1 Unter-, Mittel- und Oberfränkisch unterteilen Vergleich der Gedichte, Selbstdarstellung lässt. Dass dem nicht so ist, lässt sich anhand der Dichter der gewählten Gedichte erkennen. Diese be-  Gemeinsamkeiten und Unterschiede bezüg- schäftigen sich darüber hinaus alle mit dem lich des Inhalts, Einstellung zu Franken Thema „Franken“. Anhand der Gedichte und  Untersuchen des jeweiligen Dialekts: der persönlichen Äußerungen der Dichter zu Woher stammt der Dichter wohl? ihrer Arbeit kann zunächst das Verhältnis zur Woran lässt sich das erkennen? „Heimat“ Franken thematisiert werden, wozu  Anhören der Gedichte zur Überprüfung sicher auch der Dialekt gehört.  Analyse der Dichterporträts in Gruppenarbeit (M16): Eindeutige Zuordnung zu einem Ort, Lernziele Die Schüler Einstellung des Autors zur Mundart und zu  lernen Gedichte und drei Dichter fränkischer seiner Arbeit Mundart kennen,  Vorstellen der Ergebnisse in Expertengrup-  analysieren verschiedene Einstellungen zur pen, Austausch über die unterschiedlichen fränkischen Heimat, Wirkungsabsichten, Einstellungen zur jewei-  erkennen, dass der fränkische Sprachraum ligen Mundart und zur Region sehr komplex ist und dass Sprachgrenzen  Besprechung im Plenum nicht gleich Verwaltungsgrenzen sind,  untersuchen die Ausprägungen des Erarbeitung 2 Fränkischen in ihren Heimatorten. Dialekte in Franken  Analyse einer Karte des fränkischen Medien / Material Sprachraums ( www.udi.germanistik.uni-  Gedichte (M15) www.isb.bayern.de wuerzburg.de) und Zusammenfassen der Krischker: wänni, Oberfranken, dargestellten Gegebenheiten in Worten Haberkamm: Ach Frankn, Mittelfranken,  Zuordnung der drei Dichter, Vergleich mit Bach: Vorschlag, Unterfranken den Gedichten; Vergleich mit eigenen Erfah-  Dichterporträts (M16) rungen / eigener Wahrnehmung  Karte zum fränkischen Sprachraum (siehe oben und auch die Homepage Vertiefung des Unterfränkischen Dialektinstituts:  Vorführung von DVD Folge 5 (Ober- und www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de ) Mittelfranken) bzw. Folge 6 (Unterfranken)  Sendung zum ober- und mittelfränkischen mit Leitfragen, z. B. Wie wird unser Schul- bzw. zum unterfränkischen Sprachraum ort / Wohnort eingeordnet? (DVD Folge 5 bzw. 6)  Auswertung und Stellungnahme

179 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Weiterarbeit Quellennachweis / Literatur Feldforschung der Schüler im eigenen  M15: Wohnort mit dem Kassettenrekorder: Bach, Engelbert: Vorschlag (Gedicht). In: Ders. Festlegen von Sätzen/Phrasen/Wörtern, (1992): Kee Wort zuviel. Gedichte und Geschich- die jeweils gesprochen werden sollen ten in unterfränkischer Mundart. Marktbreit. Verlag Aufnahmen vor Ort (möglichst verschie- Siegfried Greß, S. 42f. dene Ortschaften) Haberkamm, Helmut: Ach Franken (Gedicht). In: Auswertung: Vergleich mit Film, Ders. (1996): Frankn lichd nedd am Meer. Gedichte. Unterschiede in einzelnen Ortschaften? Cadolzburg. ars vivendi, S. 83. Persönliche Einstellung zum Dialekt Krischker, Gerhard C.: wänni (Gedicht). In: Ders. ( vgl. Fränkisch 4 ) (1994): fai obbochd. Gesammelte Dialektgedichte. Auswertung Bamberg. Bayerische Verlagsanstalt, S. 29.

Weiterführendes Projekt M16: Stoll, Dieter (Hrsg.) (1999): Selbstporträt. Zeichnen und Verfassen eines Comics in Literatur in Franken. Cadolzburg. ars vivendi, Zusammenarbeit mit Schulen aus verschie- S. 18-21, 58-61, 102-105. denen fränkischen (bayerischen) Sprach- Goscinny, René / Uderzo, Albert: Asterix. räumen in Anlehnung an „Asterix uff Mee- Asterix Mundart Band 54 (2004): Meefränggisch I. fränggisch 1. Dour de Frångn“: Dour de Frångn. Fränkisch von Fraas, Kai / Reise einer selbst erfundenen und gestalte- Schunk, Günther / Wolf, Hans Dieter. Köln. Ehapa ten Figur, nicht aus dem fränkischen Sprach- Comic Collection. raum, durch ganz Franken, dabei Erwerb von typischen „Souvenirs“ oder Spezialitäten und Begegnung mit dem lokalen Dialekt

M15

Helmut Haberkamm Gerhard C. Krischker Ach Frankn wänni

Ach Frankn, alda Schachdl wänni widdä hamkumm gisdmer Wärm, läßdmer mei Ruh. fo idaliän oddä fo sunsdwu Obber hinnerwidder mussi fodd un siich scho fo waidn un muß fremdgeh, ergndwu. mai aldnburch Ach Frankn, alds Haus main michlsbärch setzdmer zu, nimmsdmi auf, immer widder. maina domdüäm Obber innermoll haldis doo nedd aus nochädd griichi so a gfüül un iech noddl an meim Gidder. däs öäschd widdä fägeed Ach Frankn, alder Huud wänni äs öäschda häldsdmi warm, läßdmi kald blööda bäkannda gsichd dusdmer guud, gehsdmer am Geisd siich steigsdmer am Fragg – obber zärdli hald.

180 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M15 Engelbert Bach Vorschlag

Im Summer auf niet zu großm Fueß dorch Weifrankn.

Überall kann mer auf wos tret: Auf an Kafer, wua een neien Waach kummt. Auf a uugezäunts Blumabäit. Nei a grod ougfangens Weifest. Aber kaum mähr nei an Kuhadreck.

Auf dia Narvn von gribblia Winzer, in Angst vor Blitz und Uugewitter. Auf dia Scherbn von ara zerbrochena Liebschaft. Mittn nei a Wasserpfütschn, von letztn Ragala übri. Auf dia Schteeplattn im Hausgang von der Wertschaft. Und auf dia Trappeli im Kerchtorm, um zu guckn, ob der Summer hinter der Flußkehr weitergeht.

Mer könnt aa dia Föß nein Mee häng. Des kühlt sou schö. Vielleicht schwimmt a Fischla har, um an dia Zäächn zu schnulln.

Bei souviel Abwechslung mechts nexmähr aus, wenn een der Auftritt unter der Leut bloß nu leis gelingt.

181 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M16

Engelbert Bach verstarb am 4. November 1999.

182 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

183 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

184 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

7 Sekundarstufe II: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung

Drama des Naturalismus / Verhältnisses zueinander und ihrer Sprache fränkisches Mundarttheater (Herr Julius Wolff ist unflexibel, wirkt dumm, denn er spricht nur Mundart bzw. Umgangs- Lerninhalt sprache; Frau Wolff ist schlau, denn sie kann Mundart im Theater sich an die Standardsprache des Schriftstel- lers Dr. Fleischer anpassen.) Begründung der Auswahl  Wirkung der Sprache? Für das Drama des Naturalismus spielt die (Charakterisierung der Personen) realistische Wiedergabe der Sprache der Protagonisten eine wichtige Rolle. Die Rolle Erarbeitung 1 der Sprache als kennzeichnend für das Mi- Verschiedene Versionen einer Szene lieu kann im Vergleich mit dem fränkischen  Schüler schreiben in Gruppen einen Mundarttheater erarbeitet werden. weiteren kurzen Ausschnitt aus einem Drama des Naturalismus um: einmal in die Lernziele Die Schüler Standardsprache, einmal ins Fränkische  lernen Sprache als kennzeichnend für das (z. B. Anfangsszene aus „Der Biberpelz“ Milieu im Naturalismus kennen, bis zum Auftritt von Herrn Wolff oder eine  setzen einen Text des Naturalismus in die Familienszene aus „Die Familie Selicke“ Standardsprache und ins Fränkische um, von A. Holz und J. Schlaf) und bereiten  vergleichen die Wirkung der verschiedenen die Inszenierung vor. Versionen,  Inszenierungen: Original – Standardsprache –  machen sich bewusst, welches Milieu für Fränkisch (Es bietet sich an, Spieler und sie „typisch fränkisch“ ist, Sprecher zu trennen, so dass die Spieler sich  lernen ein Theaterstück in fränkischer ganz auf die Körpersprache und die Sprecher Mundart kennen. auf die Aussprache und Intonation konzen- trieren können.) Medien / Material Alternative: entsprechenden Ausschnitt aus  Ausschnitt aus „Der Biberpelz“ von einer Verfilmung „synchronisieren“ lassen, G. Hauptmann (M17) d. h. ohne Ton abspielen, Sprecher aus jewei-  weiterer Auszug aus diesem Drama oder aus liger Gruppe lesen dazu einem anderen Drama des Naturalismus  Zuschauer vergleichen jeweils Wirkung.  Auszug aus „Schweig Bub!“ von Fitzgerald  Auswertung: Welche Version ist am über- Kusz (M18) (evtl. Verfilmung von beiden) zeugendsten? Warum? Passt Fränkisch? Warum nicht so gut? Lehr- und Lernprozess Was müsste geändert werden, damit Vorarbeit Fränkisch passt?  Erarbeitung wichtiger Merkmale des Naturalismus Erarbeitung 2  Lektüre eines Dramas des Naturalismus Umsetzen der Szene in ein typisch oder Dramenausschnitts fränkisches Milieu  In Gruppen: Umschreiben der Szene und Hinführung Entwurf eines Milieus, in dem Fränkisch Ausschnitt aus „Der Biberpelz“ (M17) passen würde  Charakterisierung der vorkommenden  Jeweils Vorstellung, Auswertung: Warum Personen hinsichtlich ihres Auftretens, ihres passt Fränkisch so besser?

185 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Vertiefung Quellennachweis / Literatur Analyse eines Ausschnitts aus einem M17: Hauptmann, Gerhart (1963): Der Biberpelz. Theaterstück in fränkischer Mundart: Husum (= 186. Hamburger Leseheft), S. 39. „Schweig Bub!“ von Fitzgerald Kusz (M18)  Charakterisierung der Personen, Be- M18: Kusz, Fitzgerald (1997): Schweig Bub! Volks- stück. Letzter Wille: Ein Leichenschmaus in fünf schreibung des Milieus, Vergleich mit Akten. Frankfurt. Verlag der Autoren, S. 8-13. eigenen Entwürfen  Vergleich mit Drama des Naturalismus: Rolle der Mundart (kennzeichnend für Milieu, realistische Alltagssprache)  evtl. Ausschnitt aus DVD „Dialekte in Bayern“ Folge 10 mit F. Kusz

Weiterarbeit  Verfassen von eigenständigen „Kurzdramen“ in fränkischer Mundart

M17 Auszug aus G. Hauptmann „Der Biberpelz“ (3. Akt)

FLEISCHER. Guten Morgen, Frau Wolffen.

FRAU WOLFF. Guten Morgen, Herr Doktor, besuchen Sie uns ooch wieder amal?

FLEISCHER. Guten Morgen, Herr Wolff.

JULIUS. Schön juten Morjen, Herr Fleischer.

FRAU WOLFF. Na, sein Se willkomm‘n. Nehmen Se Platz!

186 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M18 Auszug aus F. Kusz „Schweig Bub!“

PERSONEN GERDA Die Leut sind selber schuld, wenn sie sich FRITZ, der Konfirmand alles gefallen lassen. Manche Lokale haben sogar GRETL, seine Mutter ein Beschwerdebuch. HANS, sein Vater TANTE Jetzt weißi wieder, wo‘s war. ONKEL WILLI ONKEL Was? TANTE ANNA TANTE Na, wo ma die Leberkniedlasuppen gessen GERDA, eine Bekannte ham. Mir sind doch vor acht Tag im „Roten MANFRED, ihr Mann Ochsen“ gwesen. Pause. Aber so wie die HANNELORE, eine Kusine (HANNA) selbergmachte, Gretl, hat die ned gschmeckt. Pause. Es geht halt nix über a selbergmachte BÜHNENBILD Leberkniedlasuppen. In am Wirtshaus sollt ma Ein Wohnzimmer aus dem Milieu der »kleinen sowas gar nimmer essen, da hauns Maggiwürfel Leute«. Im Hintergrund ein Blumenfenster, davor rein. Pause. Des möchti ned wissen, was da eine Anrichte und ein davor aufgestelltes Tischchen. alles drin is. Pause. Wemma amal in so a Küchen Auf dem Fensterbrett, der Anrichte und dem Tisch- von so am Wirtshaus reinschaun tät, tät ma chen türmen sich die Blumenstöcke und Geschenke, bestimmt kein Bissen mehr runterbringen! die Fritz erhalten hat. Einige größere Blumenstöcke ONKEL Jetzt hörst amal mit deiner Leberkniedla- stehen auf dem Fußboden. In der Mitte der Bühne suppen auf! ein Ausziehtisch, an dem neun bis zehn Personen MUTTER Schmeckts euch wenigstens? Pause. Platz haben. Es ist insgesamt für neun Personen Wenn nix gsagt, is gut. Pause. Da is fei noch gedeckt. Fritz sitzt in der Mitte. Der Platz an der mehr Suppen, die muß weg. Die Kniedla linken Stirnseite ist für den Pfarrer gedeckt, der kanni ned aufheben. noch nicht erschienen ist. GERDA Um Gotteswillen, normalerweis eß ich bloß Die Wände sind mit großmustrigen Tapeten die Hälft! tapeziert. Die Gäste sitzen vor vollen Suppentellern. MUTTER Heut is ja auch meim Fritzla sei Konfirma- Etwa eine Minute lang ist nichts zu hören außer tion, die hat er bloß amal in seim Leben. Heut den Essgeräuschen. kannst scho amal reinleuchten! GERDA Aber wenn ich morgen wieder auf die Waage kletter! Du mußt mir mal aufschreiben, ERSTER AKT was du alles reintust! TANTE A Muskatnuß und a Peterla muß drin sein. TANTE Du, wo hamma letzthin so a Leberkniedla- MUTTER Aufschreiben kanni des ned, des sagi dir suppen gessen? halt. Pause. So. tut amal eure Teller her, wenn ONKEL Da weiß ich nix davon. ihr noch a Suppen wollt, gleich is weg. Pause. TANTE Dich kamma gar nix fragen. Da, geh her, Bub, mei Konfirmandla, daßd ma ONKEL Was fragstn dann? fei noch an Teller Suppen essen tust, wo sich dei TANTE Des is nämlich gar ned so lang her, dass ma Mutter so a Plag gmacht hat! a Leberkniedlasupppen gessen ham. Ich glaub, TANTE Die Kniedla müssen halt an Gschmack ham, des war vor vierzehn Tag, wie ma unsern Ausflug wenn die kein Gschmack ned ham ... mitm Gsangverein gmacht ham. GERDA unterbricht Also weißt, normalerweis essen ONKEL Red doch ned, da hats doch gar ka Leber- wir sowas das ganze Jahr nicht! kniedlasuppen ned geben, bloß so a Kartoffel- TANTE Ich eß immer, was ma schmeckt. suppen mit nix drin. Das weißi noch ganz genau. ONKEL Des sieht ma. Des brauchst ned extra sagen! TANTE Ja, du hast recht. Jetzt weiß i‘s auch wieder: GERDA Weißt. Mein Mann und ich, wir müssen auf des war des blanke Wasser. unsre schlanke Linie aufpassen. ONKEL Sonst kanni ma nix merken, aber wenn mich TANTE Du wirst doch ned sagen, daß du dick bist was ärgert, merk i ma‘s schon. Pause. Weil sich Pause. Du könntst sogar noch a paar Pfündla keiner mehr was sagen traut, werden die Wirt vertragen. Pause. Was sollen da mir sagen, die immer unverschämter. Gretl und ich?

187 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

ONKEL Am besten gar nix. TANTE Schau mich an! Ich fühl mich auch wohl. TANTE Na du, du hast es einfach. Du kannst fressen Ich hab nix am Herz. Mei Kreuzweh kommt und saufen, wast willst und bleibst trotzdem a sowieso ned davon und Kopfweh kriegi bloß, zaundürrer Frecker! wenni amal ned zum essen komm. Pause. ONKEL Des is bloß der Neid der Besitzlosen! Wenni denk, wie andre Weiber in meim Alter GERDA Normalerweis trag ich Größe vierzig, beinander sind! Pause. Ich kann noch Bäum aber seit einem Jahr paßt mir kein Kleid nicht, ausreißen, aber mit nix im Magen könnti ned deswegen muß ich Größe zweiundvierzig amal a Blättla Papier ausnanderreißen! kaufen. Pause. Zugenommen ist schneller GERDA Schau, die Filmschauspielerinnen dürfen als wie abgenommen. ja auch nichts essen und denen gehts auch MUTTER Aber heut brauchst ned abnehmen. Was nicht schlecht! aufm Tisch kommt, wird gessen! Pause. Sonst TANTE Was arbeiten die schon? A bißla rumstehn hätt ma ja auch in a Wirtshaus gehn können, und blöd schaun. dann hätt sich jeder soviel bestellen können, ONKEL Aber wenns im Schulmädlasreport mit- wie er will! spielen, müssens schon was tun. TANTE Zweiundvierzig paßt mir schon seitm Krieg MUTTER Willi, heut is Konfirmation! nimmer! Von dera Abnehmerei halt ich nix! Ich ONKEL Der Pfarrer hat bestimmt dena Konfirman- könnt nix arbeiten mit nix im Magen! den im Konfirmandenunterricht gsagt, daß MUTTER Ich auch ned. Pause. Gerda, hilfst ma zweierlei Menschen gibt. amal, jetzt tun ma schnell die Kniedla rein, den VATER Des is auch nix, wenn die Weiber zu dürr Salat und den Braten. sind. Auf jeds Pfund kommts an. TANTE Ich stell schnell amal die Teller zam, daß MUTTER Hört auf! Des is ka Unterhaltung ned an schneller geht. Hopp, Willi, tu dein Teller her! einer Konfirmation! Daß ihr euch ned schämt! – ONKEL Da is fei noch was drin. TANTE Hättst di halt a bißla gschickt. Pause. Längere Pause. So, da is ja Zeit worden. Wie man ißt, so arbeitet man. GERDA Wenn man täglich Gewichtskontrolle macht, ONKEL Des mußt grad du sagen. kann man auch mal sündigen. ONKEL Essen is ka Sünd. A Sünd is, wemma a Mutter trägt die Teller in die Küche, Gerda folgt ihr. Essen wegwirft. Pause. Wennst so siehst, was die Leut alles wegwerfen, denkst dir manchmal: TANTE Ich muß was im Magen ham. Wenni nix eß, die werden blöd schaun, wenn amal andre kriegi bloß Kopfweh! Zeiten kommen. VATER Wie sagt ma? Essen und trinken, tät fei des TANTE Mir ham andre Zeiten mitgmacht. Mir Trinken ned vergessen. Also prost, trink ma mal! wissen, was des is, wemma nix zum beißen hat. ALLE Prost! Wohlsein! FRITZ In der Schul werfen fei a Haufen Kinder ihr Pausebrot weg. Mutter und Gerda kommen mit diversen Platten MUTTER Wenn der Vogel frißt, pfeift er ned! Halt aus der Küche zurück. dei Maul und eß gscheit. Pause. Tu fei fest essen! Des is heut dei Ehrentag. MUTTER Kaum simma draußen, fangen die Manns- FRITZ Ich kann nimmer. bilder es Saufen an! MUTTER Du wirst doch noch a Kniedla zwingen. VATER Du brauchst ja ka Bier ned hertun, wemmas Pause. Da hast noch eins! ned trinken darf! VATER Wie i so alt war wie du, habi gut und MUTTER Des war doch bloß a Spaß. Ich gönns gern meine fünf Stück gschafft! euch ja. Da habt ihr Kniedla. Solli euch gleich FRITZ Aber du hast doch amal gsagt – zwei geben? MUTTER Schweig! GERDA Mir bitte nicht! FRITZ Ihr habt die Kniedla ohne Fleisch TANTE Zwei werden mir heut ned langen! gessen, weils ka Fleisch ned geben hat. GERDA Weil wir grad über das Abnehmen MUTTER Schweigen sollst! gesprochen haben, ich finde, man fühlt sich FRITZ Ohne Fleisch täti auch soviel doch bedeutend wohler, wenn man kein Kniedla schaffen! Übergewicht hat. MUTTER Schweig, Bub, sonst wird dei Essen kalt!

188 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

8 Sekundarstufe II: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung

Gedichte in Mundart und Hinführung Standarddeutsch Joseph von Eichendorff: Sehnsucht  Füllen der Lücken von M19a mit passenden Lerninhalt Wörtern (entweder auf dem Arbeitsblatt Helmut Haberkamm: vorgegeben oder ohne Vorgabe). Da die „Gegenstücke“ wichtigen Merkmale der Epoche vorher er- arbeitet sein sollten, kann auf die Vorgabe in Begründung der Auswahl der Regel verzichtet werden. Helmut Haberkamm ( Fränkisch 6 ) hat  Vortrag, Auswertung und Korrektur im zu verschiedenen bekannten deutschen Ge- Plenum anhand M19b dichten „Gegenstücke“ in Mundart verfasst,  Wiederholung wichtiger Merkmale der neben dem hier exemplarisch behandelten Epoche anhand des Gedichtes, Erschließung „Sehnsucht“ von Eichendorff z. B. auch zu Rilkes „Herbsttag“ und Georges „Hälfte des Erarbeitung 1 Lebens“(alles in Haberkamm 1997: Frankn Begegnung mit der modernen Version in lichd nedd am Meer). Der Vergleich von Vor- Mundart (M20) lage und moderner Mundartversion kann  Inhalt klären, Vergleich mit der Vorlage: dazu dienen, die besondere Wirkung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede Mundart zu veranschaulichen. markieren; Auswertung (Der unbestimmten Sehnsucht nach der Ferne im Gedicht Lernziele Die Schüler Eichendorffs steht die Unzufriedenheit mit  lernen ein bedeutendes Gedicht deutscher der modernen Welt gegenüber, die aber nicht Sprache kennen und analysieren es, zu „Reiselust“ und Sehnsucht nach fernen  setzen sich mit einer modernen Fassung Ländern führt, sondern zum Rückzug; dabei des Gedichts in Mundart auseinander, bleiben wichtige Motive erhalten, z. B. die  übertragen das Mundartgedicht Töne aus der Ferne, die zwei Reisenden) in Standardsprache,  werden sich durch den Vergleich der Erarbeitung 2 beiden Versionen der besonderen Wirkung Umschreiben in die Standardsprache / der Mundart bewusst, Vergleich  verfassen selbst eine mundartliches  Umschreiben des Gedichts in die Standard- „Gegenstück“ zu einem weiteren Gedicht sprache (M21 zeigt eine Möglichkeit) in derselben Epoche. Gruppen- oder Partnerarbeit  Vortrag verschiedener standardsprachlicher Medien / Material Versionen und anschließend Vortrag der  Gedicht in der ursprünglichen Version, mundartlichen Fassung (ggf. Hörbeispiel) als Lückentext und vollständig (M19a/b)  unterschiedliche Wirkung bewerten; Funk-  Mundartgedicht (M20) www.isb.bayern.de tion des Dialekts? (Charakterisierung des ly-  Übertragung des Gedichts in die Standard- rischen Ichs als „einfachen“ Menschen mit sprache (M21) eingeschränktem Horizont)

Lehr- und Lernprozess Weiterarbeit Vorarbeit  Verfassen von eigenständigen „Gegenent-  Erarbeitung wichtiger Merkmale der würfen“ zu Gedichten der behandelten betreffenden Epoche (hier: Romantik) Epoche in Mundart

189 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

Quellennachweis / Literatur

M19a/b: Schmitt, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1978): M21: Übertragung Schülerarbeit, Gymnasium Romantik II. Stuttgart. reclam, S. 246 f. Marktbreit. M20: Haberkamm, Helmut (1997): Frankn lichd nedd am Meer. Gedichte. Cadolzburg. ars vivendi, S. 63.

M19a

Joseph von Eichendorff: Sehnsucht

Es schienen so golden die , Am ich einsam stand Und hörte aus weiter Ferne Ein im stillen Land. Das mir im Leib entbrennte, Da hab ich mir heimlich gedacht: Ach, wer da mitreisen könnte In der prächtigen !

Zwei junge Gesellen gingen Vorüber am Bergeshang, Ich hörte im sie Die Gegend entlang: Von schwindelnden Felsenschlüften, Wo die rauschen so sacht, Von , die von den Klüften Sich stürzen in die .

Sie sangen von , Von , die überm Gestein In dämmernden Lauben verwildern, Palästen im , Wo die Mädchen am lauschen, Wann der Lauten erwacht Und die verschlafen rauschen In der prächtigen .

Brunnen – Fenster – Fenster – Gärten – Herz – Klang – Marmorbildern – Mondenschein – Posthorn Quellen – singen – Sommernacht – Sommernacht – Sterne – stille – Wälder – Waldesnacht – Wandern

190 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Fränkisch

M19b M20

Joseph von Eichendorff Helmut Haberkamm

Vo weeng „Sehnsucht“ odder so Sehnsucht lang nooch Eichendorff

Es schienen so golden die Sterne, Die Sternle scheina so goldi, Am Fenster ich einsam stand Ich steh am Fensder, schau naus. Und hörte aus weiter Ferne Is Radjo duudld un meldmer Ein Posthorn im stillen Land. Zähfließndn Verkehr un Staus. Das Herz mir im Leib entbrennte, Hind heeri di Audobohn rauschn, Da hab ich mir heimlich gedacht: A Hubschrauber pfropferd un drächd Ach, wer da mitreisen könnte Zwaa Derhudzda in di Kopfglinigg nei. In der prächtigen Sommernacht! Die wenni etzt seecherd, werrerdsmer schlechd.

Zwei junge Gesellen gingen Zwaa Modoorroodfohrer sin dodd Vorüber am Bergeshang, Ieber di Ieberhoolspur bredderd. Ich hörte im Wandern sie singen Ihr Woogmän haddsi volldrehnd, Die stille Gegend entlang: Auf aamoll hadds scho gschebberd. Von schwindelnden Felsenschlüften, An Moddsdrumm Schlooch haddmer keerd, Wo die Wälder rauschen so sacht, Wie a Wildbooch drund in die Berch. Von Quellen, die von den Klüften Im weidn Boong haddsis ieber die Beschung kaud, Sich stürzen in die Waldesnacht. Bremsn hemm gwiedschd. Gebläg un Gwerch.

Sie sangen von Marmorbildern, Ihr Woogmän hadd weider gsunga, Von Gärten, die überm Gestein Wos waaßn iech, wos des woor. In dämmernden Lauben verwildern, Etz dämmerns doohie auf der Indensief, Palästen im Mondenschein, Nix zer wolln, ihr Weech sin goor. Wo die Mädchen am Fenster lauschen, Draus scheina di Sternle so goldi, Wann der Lauten Klang erwacht Ich schau vom Fensder naus in di Nachd. Und die Brunnen verschlafen rauschen Goddseidank mussi nedd verreisn. In der prächtigen Sommernacht. Is Fernsehbrogramm is heid widder a Brachd.

191 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Fränkisch

M21 Übertragung des Mundartgedichts in die Standardsprache

Von wegen Sehnsucht oder so lange nach Eichendorff

Die Sterne scheinen so golden Ich stehe am Fenster, sehe hinaus Das Radio dudelt/tönt und meldet mir zähfließenden Verkehr und Staus. Hinten höre ich die Autobahn rauschen, Ein Hubschrauber lärmt und trägt Zwei Verunglückte in die Kopfklinik. Wenn ich die jetzt sähe, würde mir schlecht.

Zwei Motorradfahrer sind tot Über die Überholspur gebrettert / gerast. Ihr Walkman hat sie vollgedröhnt / hat ihnen in die Ohren gedröhnt Auf einmal hat es gescheppert Einen riesigen Schlag hat man gehört, wie ein Wildbach unten in den Bergen In weitem Bogen hat es sie über die Böschung gehaut / geschleudert Die Bremsen haben gequietscht. Geschrei und Hektik.

Ihr Walkman hat weiter gesungen, Was weiß ich, was das war. Jetzt dämmern sie dahin auf der Intensivstation Es ist nichts zu machen, ihr Weg ist zu Ende Draußen scheinen die Sterne so golden Ich schau vom Fenster hinaus in die Nacht. Gott sei Dank muss ich nicht verreisen. Das Fernsehprogramm ist heute wieder eine Pracht.

192 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

Schwäbisch

Basiswissen

Das Schwäbische – ein Phantom? östlich des Lechs. Daher soll sich die Beschrei- bung dessen, was als Schwäbisch bezeichnet Vorab: Kann man Schwäbisch wird, hier ausdrücklich auf die Nennung von schreiben? markanten Merkmalen beschränken. Schwäbisch in historischen und regionalen Bezügen Der schwäbisch-alemannische Mundartraum innerhalb der deutschen Dialektgeographie Linguistische Eigenheiten des Schwäbischen Gibt es eigentlich einen Allgäuer Dialekt? Bibliographie

Das Schwäbische – ein Phantom?

Gemeinhin stellt man sich unter einem Dia- lekt wie dem Schwäbischen eine relativ ein- heitliche Sprachfläche vor, die sich von den Nachbardialekten wie dem Alemannischen, Fränkischen oder Bairischen durch scharfe Ränder abgrenzt. Das ist aber keineswegs der Fall. Es gibt zum einen nicht den einheit- lichen Sprachraum, zum andern auch nicht die scharfen Grenzen nach außen. Das Vorab: Kann man Schwäbisch Schwäbische ist in sich reich und vielfach ge- schreiben? gliedert, jede Sprachform hat ihre eigene Ver- breitung, und zu den Nachbardialekten sind Wie jeder Dialekt ist auch Schwäbisch keine breite Übergangsgebiete vorhanden; nur in genuine Schriftsprache. Die volkstümliche wenigen Fällen wie am Lech nördlich von schwäbische Mundartliteratur bringt sich da- Augsburg gibt es eine signifikante Trennlinie. her in schwer lesbaren Buchstabenfolgen des standardsprachlichen Alphabets zu Papier Die Sprachgrenzen des Schwäbischen sind (etwa Schtillgschtanda! für ‚Stillgestanden‘)1, bekanntlich nicht identisch mit den Grenzen die professionelle Dialektforschung hinge- Württembergs, Schwäbisch gibt es bis tief gen benötigt eine hochauflösende, komplexe nach Bayern hinein, hie und da sogar noch Lautschrift, die zu schreiben eine eigene

193 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Herausforderung darstellt. Hier soll ein Am Wortanfang und überall, wo es nicht Mittelweg zwischen den beiden Extremen zu Missverständnissen führen kann, steht st beschritten werden. Ich verwende für Dialekt- für die Aussprache scht. Die übrigen s-Laute ausdrücke das übliche Alphabet, lautliche werden nach den Regeln der neuen Recht- Nuancen werden durch folgende Sonder- schreibung verschriftlicht. zeichen2 kenntlich gemacht:

Vokale Schwäbisch in historischen und å dunkler, stark verdumpfter Vokal zwischen regionalen Bezügen a und o (z. B. frååge für ‚fragen‘) e (kleingedruckt) Siedlungsgeschichtlich firmieren die Sueben schwachtoniger e-Laut, im Allgäu regel- bzw. Alamannen als jener Verband germa- mäßig anstelle der standardsprachlichen nischer Stämme, der sich im späten dritten Endung -en gesprochen, z. B. saage, und vierten Jahrhundert im heutigen Süd- Wäägele für ‚sagen‘, ‚Wägelein‘ westdeutschland festzusetzen begann und a (kleingedruckt) sich hier allmählich mit der – spärlich vor- schwachtoniger a-Laut, wie er in Di- handenen – romanischen und den Resten der phthongen gesprochen wird, z. B. guat, li- keltischen Bevölkerung mischte. age für ‚gut‘, ‚lügen‘ ë in Richtung e bzw. ö gehende Aussprache Obwohl sprachgeschichtlich das gesamte des e, häufig vor r und l, z. B. Këlle, mërke Gebiet vom Ries bis ins Wallis, von den für ‚Kelle‘, ‚merken‘ Vogesen bis über den Lech als der schwä- n (hochgestellt und klein) bisch-alemannische oder westoberdeutsche nasale Aussprache des vorausgehenden Mundartraum gilt, gibt es klar benennbare Vokals, z. B. Zåun, Baan für ‚Zaun‘, ‚Bahn‘; Unterschiede zwischen Schwäbisch, das im das Zeichen steht auch dann, wenn da- Nordosten des Großmundartraumes gespro- nach ein erhaltener Nasalkonsonant (n chen wird, und dem Alemannischen im Süd- oder m) folgt, z. B. Båunm für ‚Baum‘ westen. Ein hervorstechendes Merkmal des Verdopplung · Alemannischen ist, dass die alten hohen steht für einen langen Vokal, z. B. leege Langvokale (etwa in bliibe, Zit, Huus, Hüü- für ‚legen‘ trennt aufeinander folgende ser / Hiiser) als Monophthonge erhalten ge- vokalische Silben, z. B. Frau·a, haue für blieben sind, während sie im Schwäbischen ‚Frauen‘ und ‚hauen‘ zu Diphthongen wurden (bleibe, Zeit, Hous, j oft nach hellen Vokalen als silbentrennen- Heiser). der Gleitlaut, z. B. Roije für ‚Reihe‘ Bezogen auf die politische Geographie er- Konsonanten streckt sich der schwäbisch-alemannische gg harter, aber unbehauchter Verschluss- Mundartraum heute von der ostfranzösischen laut, z. B. Glogga, egge für ‚Glocken, Region Elsass (Alsace) über die deutsch- ‚eggen‘ sprachige Schweiz, das Fürstentum Liech- ck harter Verschlusslaut mit Reibung tenstein, die südlichen zwei Drittel Baden- (gesprochen als kch) Württembergs, das österreichische Bundes- k und K land Vorarlberg und den Norden des Tiroler behauchter (kh) oder geriebener (kch) Bezirkes Reutte (Außerfern) bis knapp über k-Laut am Wortanfang die Grenzen des bayerischen Regierungs­ p, t bezirks Schwaben hinaus. harte, aber im Gegensatz zur Standard- sprache stets unbehauchte Verschluss- laute

194 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

Der schwäbisch-alemannische (etwa in Stick für ‚Stück‘) entrundet. Dagegen Mundartraum innerhalb kennt das Schwäbische den in der Standard- der deutschen Dialektgeografie sprache gänzlich ungeläufigen „Schwaben- laut å“. Zudem hat sich das Schwäbische ge- Östlich des schwäbisch-alemannischen genüber dem (Neu-)Hochdeutschen die alte Mundartraumes schließt sich die bairische Diphthong-Fülle bewahrt. Das schwäbische Dialektlandschaft an, die im Osten bis an den liaber miader Bruader für ‚lieber müder Bru- westslawischen, an den ungarischen und an der‘ klang schon im Mittelhochdeutschen so den südslawischen, im Süden an den roma- ähnlich. Die schwäbische Zunge sperrt sich nischen Sprachraum reicht. ferner gegen das stimmhafte s. Das s in lese (für ‚lesen‘) klingt wie das s im standard- Mehrere Kriterien bestimmen die Abgren- sprachlichen ‚lies‘. Diese Spezifika treffen zung zwischen Schwäbisch und Bairisch: aber auch auf das Bairische zu.  Dem hellen schwäbischen a (Daag, saage, mache) steht oft ein verdumpftes Außerhalb des Dialektraumes wird das mas- bairisches a gegenüber (Doog, song, sive Auftreten von sch-Lauten als besonders måcha). schwabentypisch wahrgenommen. Tatsäch-  Dem im Schwäbischen abgeschwächten lich wird auf Schwäbisch auch im Wortinnern Auslaut -e (etwa in Bråte, esse) steht oft das s vor p und t stets als sch gesprochen, das -en gegenüber (Brotn, essn). also Kaschper für ‚Kaspar‘ und du hosch für  Der schwäbischen Verkleinerungsformen ‚du hast‘. -le (Määdle, Käschtle) stehen die bairischen Formen -l und -erl gegenüber Morphologisch / Formen (Madl, Stamperl).3 Hinsichtlich der Wortgestalt weicht das Schwä- bische vielfach ab von der Standardsprache. Im Norden grenzt der schwäbisch-aleman- Am bekanntesten dürfte hierbei der schwä- nische Mundartraum an das Ostfränkische, bische Diminutiv -le sein, der anstelle von -lein hier gilt u. a. ebenfalls und -chen verwendet wird, z. B. bei Biable für  ie a-Verdumpfung als Abgrenzungs- ‚Büblein‘ oder Fläschle für ‚Fläschchen‘. kriterium (Daag gegen Dooch),  daneben aber auch die unterschiedliche Im Schwäbischen neigt man dazu, statt der Aussprache für den mhd. Laut ei. Im standardsprachlichen Präfixe er- und zer- Fränkischen tritt an seine Stelle ein a-Laut die Form ver- zu benutzen, z. B. verbroche (braat, haas, Ladä für ‚breit‘, ‚heiß‘, statt ‚zerbrochen‘ oder verkältet statt ‚erkäl- ‚Leiter‘), im Schwäbischen haben wir tet‘. Auch das Suffix -ig kommt im Dialekt dafür überwiegend broit, teils auch brait. häufiger vor als in der Standardsprache. Es ersetzt die Suffixe -erlich und -ern, etwa in fiichtig statt ‚fürchterlich‘ oder in silbrig Linguistische Eigenheiten des statt ‚silbern‘. Schwäbischen Bei der Genus-Bildung bevorzugt das Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen Schwäbische mitunter das Maskulinum ge- sich folgende Spezifika des schwäbischen genüber den anderen Genera. So heißt es Dialekts4 namhaft machen: der Butter statt ‚die Butter‘, der Semmel statt ‚die Semmel‘, aber auch durchgängig der Phonetisch / Laute Ketchup und der Jokurt. Die hochsprachlichen Umlaute ö und ü gibt es im Schwäbischen praktisch gar nicht. Sie Was die Tempus-Gestaltung angeht, so werden zu e (etwa in schee für ‚schön‘) oder i beschränkt sich das Schwäbische wie andere

195 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

oberdeutsche Dialekte auch häufig auf das in etwa ‚unverhältnismäßiger Aufwand‘ be- Perfekt als Vergangenheitsform (Des hau i deutet, oder hofale, das für ‚langsam‘ mit vornächt dau für ‚Das tat ich vorgestern‘) und der Nebenbedeutung ‚vorsichtig‘ verwendet bildet das Futur mit der entsprechenden Prä- wird), gibt es Wörter, die zwar in Standard- sensform samt Temporaladverb (Des dua i sprache wie im Schwäbischen existieren, moara für ‚Das werde ich morgen machen‘). aber jeweils gänzlich andere Bedeutungen haben. So hat der schwäbische Flecke nichts Die Konjugationstabelle für das Hilfsverb mit dem standarddeutschen ‚Fleck‘ zu tun, ‚sein‘ schaut also wie folgt aus, wenngleich sondern bedeutet ‚Ortschaft‘. Fiass sind nicht derartige Tabellen nie auf das gesamte nur die ‚Füße‘, sondern auch die ‚Beine‘, d Schwäbische zutreffen können (so gibt es Boiner hingegen entsprechen den standard- als Partizip Perfekt (od. II) von ‚sein‘ allein sprachlichen ‚Knochen‘. Peter Mangold hat im Ostschwäbischen auch verbreitet gwees, eine ganze Revue sog. false friends zusam- gweese, gwesd, gwäache.) mengestellt:

Verb Präsens Perfekt „Ein Schwabe lupft etwas vom Boden, wenn er etwas aufhebt, aber er hebt sein i bi i bi gwea etwas, wenn er etwas hält. Etwas, das

du bisch du bisch gwea lange hebt, das hält sehr lange. Der Schwabe läuft oder saut, wenn er zu Fuß er / sui / ’s isch er / sui / ’s isch gwea geht, aber er springt, wenn er schnell läuft. Ein (Seil) hüpfendes Kind juggd, mir send mir send gwea wenn es aber einem im Gesicht juckt, ihr send ihr send gwea dann beißt es.“5

dia send dia send gwea Gibt es eigentlich Allgäuerisch? Syntaktisch Einzelne in der Standardsprache übliche Kon- Der Selbstwahrnehmung der sog. Allgäuer junktionen werden im Dialekt durch andere zum Trotz dürfte die Allgäuer Mundart ein ersetzt. Die entsprechenden grammatikali­ Phantom sein. Im Süden des bayerischen schen Konstruktionen erscheinen aus stan- Regierungsbezirks Schwaben und im Südos- dardsprachlicher Sicht nicht einfach nur als ten des württembergischen Regierungs- anders, sondern als falsch; so etwa bei der bezirks Tübingen, also dort, wo man ge- Verwendung von wenn statt ‚wann‘ (Wenn meinhin das Allgäu verortet, wird nämlich kommsch? für ‚Wann kommst du?‘) oder von entweder Schwäbisch oder Alemannisch wie statt ‚als‘ (Wia i heit morga d Zeitung stu- gesprochen. Die Grenze verläuft nördlich diert hau ... statt ‚Als ich heute morgen die von Ravensburg und Wangen (je noch Zeitung studierte ...‘).Bei der Konstruktion In- Alemannisch), Leutkirch (Schwäbisch) und finitiv Vollverb + Infinitiv Modalverb weicht im Isny (Alemannisch), Immenstadt (Schwä- Dialekt zudem gerne die Reihenfolge der Wör- bisch) und Sonthofen (Alemannisch).6 ter von der Standardsprache ab, also Des hätt i solle kaufe statt ‚Das hätte ich kaufen sollen‘. Die Mundarten beiderseits dieser Grenze sind aber auch durch einige sprachliche Gemein- Lexikalisch samkeiten verbunden, die trotz der Unter- Neben den zahlreichen schwäbischen Wör- schiede vielleicht eine Ahnung geben von so tern, die im Hochdeutschen keine Entspre- etwas wie einem Allgäuer Dialekt. Eine sol- chung haben (etwa Umuaß, das seiner Kon- che Gemeinsamkeit ist insbesondere die Ver- struktion nach an lat. negotium erinnert und wendung des Adverbs allat bzw. allet für ‚im-

196 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

mer‘. In den umliegenden Dialektregionen ist Dialektproben mit Kommentaren und einer stattdessen die Form alleweil in Gebrauch. Einführung in die Verbreitung und Verwendung Auch die Verbreitung des Verbs sotzge bzw. des Dialekts in Bayern. München. sootzge für ‚Gurgeln in nassen Schuhen‘ König, Werner (Hrsg.) (1996ff.): Sprachatlas zu scheint eine Allgäuer Besonderheit zu sein. Bayerisch-Schwaben (SBS). Heidelberg. Das Nämliche gilt für die maskuline Substan- König, Werner / Renn, Manfred (2. Aufl. 2007): tivendung -ar, etwa in Måålar für ‚Maler‘, Kleiner Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben. oder für die feminine Plural-Endung auf ein Augsburg. volltoniges -a (Gabla, Kista). Andere allgäu- isch anmutende lexikalische Eigenheiten wie König, Werner (17. Aufl. 2011): die lateinischen Lehnwörter Feel (von lat. filia dtv-Atlas Deutsche Sprache. München. = Tochter ) für ‚Mädchen‘ oder Schumpe (von König, Werner (Hrsg.) (2. Aufl. 2014): Dialektwör- lat. iumentum = Zugvieh) für ‚Jungvieh‘ rei- terbuch von Bayerisch-Schwaben. Augsburg. chen bis weit nach Mittelschwaben (Richtung Pörnbacher, Hans (2002): Schwäbische Literatur- Ulm) oder in die Stauden (Richtung Augs- geschichte. Weißenhorn. burg) hinein. Insgesamt sind also die sprach- lichen Spezifika der – übrigens auch geogra- Renn, Manfred (1994): Die Mundart im Raum Augsburg. Untersuchungen zum Dialekt und zum phisch recht unscharfen – Landschaft Allgäu Dialektwandel im Spannungsfeld großstädtisch- aber doch zu spärlich, um von einem einheit- ländlicher und alemannisch-bairischer Gegensätze. lichen Allgäuer Dialekt reden zu können. Heidelberg.

Renn, Manfred (1999): Das Allgäuer Dialektbuch. Anmerkungen Augsburg. 1 Vgl. hierzu Schmid / Fischer 1993, S. 38. Renn, Manfred (2000): Die Dialekte im Allgäu. 2 Vgl. Renn 1999, S. 15f. In: „Droben im Allgäu, wo das Brot ein‘ End hat“. Katalog zur Sonderausstellung im Bauernhof- 3 Vgl. den vollständigen Kriterienkatalog ebd., S. 32. museum. Illerbeuren. 4 Ausführlicher in: Wzorek, Eva: Schwäbisches Schmid, Hermann / Fischer, Tilde (1993): Gschwätz unter der Lupe. In: Brenner u. a. 2003, Schnätterbäs ond Katzabaula. Allgäuer Kachlofa- S. 197-204. Gschichtla. Markt Rettenbach. 5 www.schwaebisch-schwaetza.de Wachter, Hermann (2001): Schwäbisches Wörter- > Schwäbische Unlogik büchle. Mundartwörter von A bis Z, Sprichwörter 6 Vgl. Renn 2000, S. 91. und Redensarten aus Bayerisch-Schwaben. Altusried.

Zorn, Wolfgang (Hrsg.) (1955): Historischer Atlas Literatur von Bayerisch-Schwaben. Augsburg.

Brenner, Dorothea u. a. (2003): Renaissance des Zwerch, Sepp (2008): Allgäuerisch von A bis Z. Dialekts? Tübingen. Dialekt-Wörter, gebräuchliche Begriffe und Redens- arten. Kempten. Fassl, Peter / Berndt, Hermann u. a. (Hrsg.) (1996): Keine laute Provinz. Zeitgenössische Lyriker und Mein Dank gilt Prof. Dr. Werner König und Erzähler aus dem Schwäbischen. Weißenhorn. Dr. Manfred Renn (beide Universität Augsburg) für ihre wertvollen Informationen sowie Herrn Greiter, Thomas J. (1998): Allgäuer Mundart. StD Josef Langer (Simpert-Kraemer-Gymnasium, Lingua Allgovia mit Allgäuer Wortschatz. Kempten. Krumbach) für seine unersetzlichen didaktischen König, Werner / Rein, Kurt / Wagner, Eberhard / Anregungen. Zehetner, Ludwig (1991): Bayerns Mundarten.

197 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Schwäbisch – Unterrichtsmodelle im Überblick

1 Grundschule: 6 Sekundarstufe I / II: Das Brauchtum vom Klopferstag Der Konjunktiv in der direkten und indirekten Das Sprüchle vom Klopfes Dag wird einge- Rede im Schwäbischen übt; brauchtumsgemäß sollen die Schüler Die Schüler vergleichen bekannte nhdt. am Klopfes Dag von Haus zu Haus ziehen Grammatikparadigmen mit der schwäbi­ und mit ihrem Sprüchlein um eine kleine schen Vereinfachung durch den berühmten Gabe (Süßigkeit) bitten. schwäbischen Konjunktiv mit häb bzw. dät.

2 Sekundarstufe I: 7 Sekundarstufe II: Arthur Maximilian Miller: Der Doosoahrig Ansehen und Funktion des Dialekts / Ein Ausschnitt aus dem Bauernstück wird Problemerörterung gelesen und szenisch dargestellt, darüber Die Schüler diskutieren auf der Grundlage hinaus soll die Verbreitung des Wortes von Sachtexten Ansehen und Funktion des ‚doosoahrig‘ (schwerhörig) anhand einer Dialekts und erörtern diese Themen schrift- Sprachkarte aus dem Sprachatlas von Baye- lich. risch-Schwaben illustriert werden.

3 Sekundarstufe I: Buchempfehlung Fächerübergreifendes Unterrichtsprojekt: Berblinger – Der Ikarus von Ulm Ausgangstexte sind u. a. „Der Schneider von Ulm“ (Leo Weismantel / Bertolt Brecht), „Bericht des Christian Wachter über den Flugversuch“ und „Dr Berblinger“ (Song von Hubert Endhardt). Die Schüler konzipieren ein Schattenspiel mit Musik / Gesang und ein- führenden Texten.

4 Sekundarstufe I / II: Schüler als Sprachforscher Schüler befragen Passanten mit Fragebogen zum Ansehen des Schwäbischen. Schwäbisches Kinderliederbüchle 5 Sekundarstufe I / II: Held, Dagmar / Wager, Wulf Duett in schwäbischer Mundart Silberburg-Verlag, Tübingen 2004 Das Duett des Marchtaler Prämonstratenser- paters Sebastian Sailer (1714–1777) „Kantate ISBN 3-87407-635-0 auf die Aderlässe“ wird in einen modernen EUR 11,90 Sprechgesang (Rap) übertragen.

198 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

1 Grundschule: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung

Sprechvers Übertragung durch die Autorin: „Holla, holla Klopfersnacht, Lerninhalt Gutes Jahr, gutes Jahr, Das Brauchtum vom Klopferstag Dass das Korn gedeiht, Dieses Jahr und in Zukunft, Begründung der Auswahl Dass es gut verkäuflich wird, Das Brauchtum vom Klopferstag war einst Schmalz im Kübel weit verbreitet, wird aber heute kaum mehr Ist auch nicht übel, praktiziert. Die Reimstruktur der „Klopfer- Behüte uns Gott vor der Totengrube.“ sprüche“ ist eingängig und das Erlernen des- halb besonders motivierend, weil man durch  Weitere „Klopfersprüche“ mit entsprechen- das Aufsagen eine kleine Gabe (Süßigkeit) er- den Melodien (M2) www.isb.bayern.de hält (vgl. das „trick or treat“ von Halloween).  Bastelmaterialien und Bastelanleitung für ein Holzhämmerchen Lernziele Die Schüler  pflegen das Brauchtum, Lehr- und Lernprozess  lernen historische Begebenheiten kennen, Vorarbeit  sprechen laut Mundartwörter und  Darbieten eines (fertigen) Hämmerchens den gesamten Text in den lautlichen und Erstellung eines Wortfelds zum Gegen- Bedingungen der schwäbischen Mundart, stand Hammer  internalisieren Sprechrhythmus und Inhalt  Aufnahme von hochsprachlichen und dialek- (auswendig aufsagen), talen Begriffen, Gegenüberstellung  realisieren einen alten Brauch in Eigen- tätigkeit. Begegnung  Überleitung zum Brauchtum des Klopferstags Medien / Material Was kann man alles noch mit einem Hämmer- Info: Nach altem Brauch gingen die Kinder chen machen? Wer kennt den Brauch vom am sog. Klopferstag, dem auf den ersten Klopferstag? Warum heißt der Klopferstag so? Advent folgenden Donnerstag, mit einem selbst gebastelten Holzhämmerchen von Hinführung Haus zu Haus, klopften an die Fenster-  Bastelstunde: Jedes Kind bastelt ein läden und erbaten sich unter Aufsagen eigenes Holzhämmerchen. ihres Sprüchleins eine kleine Gabe (Äpfel,  Mündliche Vorstellung des Brauchtum- Gebäck, Nüsse etc.) Sprüchleins (M1, M2)  Entschlüsseln des Inhalts Vers für Vers  Spruch aus dem Jahre 1817, Krumbach (M1)  Erklärung des Inhalts durch Einbettung in den historischen Zusammenhang „Holla, holla Klöpfinsnacht!  Abhängigkeit der Menschen von der Qualität Guats Jauhr, guats Jauhr, des Korns als Nahrungsgrundlage, Schweine- Daß Koara graut, schmalz als Nahrungsmittel etc. Huir und feart,  Mündliches Vorsagen und Nachsagen durch daß wohlfeil weart, die Schüler Schmalz im Kübel  Auswendiglernen durch lautes Sprechen, Isch au et übel, Sprechvariationen: einzeln, paarweise, in B’hüt uns Gott vorm Todtagrübl!“ Gruppen, Mädchen-Buben abwechselnd

199 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Durchdringung Weiterarbeit  Unterrichtsgang: Brauchtumsgemäß ziehen Beschäftigung mit regionalen Weihnachts- die Schüler am Abend des Klopferstags mit bräuchen ihrem selbst gebastelten Hämmerchen von Haus zu Haus und erbitten mit dem Aufsagen ihres Sprüchleins eine kleine Gabe. Hinweis: Es ist sicher sinnvoll, die Bewohner Quellennachweis / Literatur der Häuser an der geplanten Route über den M1: Sallinger, Barbara u. a. (Hrsg.) (1993): Krum- Besuch und das Ansinnen vorher gegebenen- bach. Vorderösterreichischer Markt / Bayerisch- falls schriftlich zu informieren. Schwäbische Stadt. Bd. II: Krumbach im Zwanzigsten Jahrhundert (1918-1992/93). Krumbach, S. 283.

Ausklang M2: Held, Dagmar / Wager, Wulf (Bearb.) (2004):  Nach der Rückkehr an die Schule werden Schwäbisches Kinderliederbüchle. Kinderlieder, die gesammelten Gaben gemeinschaftlich Spieltänze, Kniereiter- und Abzählverse. Tübingen, bei Kinderpunsch verspeist. S. 28f.

M2

»Klopfersprüche«

An den Donnerstagen vor Weihnachten ziehen die Kinder mit kleinen Sprüchle von Haus zu Haus, um süße Leckereien zu erheischen. Nicht nur in Bayerisch-Schwaben, sondern auch in Hohenlohe ist das heute noch Brauch.

Aus Tafertshofen bei Krumbach (aufgezeichnet von Dagmar Held 1992): Klopfa, klopfa, Hämmerle, Leitle gond ins Kämmerle, holat Äpfel und Birara, dass ma ka Vergeltsgott sa’!

Variante aus Deisenhausen: lch komme her und sage an, dass Christus der Herr bald kommen kann. Und wenn er kommt, ist Heil im Haus, holla, holla’s klopfat raus!

Variante aus Stoffenried und Hausen: Holla, holla’s klopfat raus, oder i schlag a Loch ins Haus, a Loch so groaß wia a Schtadeltor, drum, Bäure, hol dein Gretta vor. A Zelta oder a halba Sau, mir nemmat des it gar so gnau. Es muaß it glei a Schurz voll sei, mir schiebat au a bissle ei.

Aus Rottenburg am Nekar (aufgezeichnet von Erich Seemann in den 1920er Jahren): Klopfa, klopfa, Hämmerle dr Schnitzsack stoht em Kämmerle, dr Apfelkorb stoht au drbei, gib mr au a Stückle drei.

200 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

2 Sekundarstufe I: Sprechen, Sprachbetrachtung, Literatur

Mundart-Bauernstück Lehr- und Lernprozess Vorarbeit Lerninhalt  Begegnung mit der Mundart anhand eines „Der Doosoahrig“ Schwäbischtests (M3) von Arthur Maximilian Miller  Gemeinsame Auswertung

Begründung der Auswahl Hinführung Der vorliegende Dramenauszug eignet sich  Besprechung der semantischen Bedeutung besonders, weil hier die sprachwissenschaft- des Begriffs doosoahrig, Synonymfindung liche Analyse (historische Entwicklung, geo- graphische Verbreitung, semantische Bedeu- Begegnung tung) des Mundartbegriffs doosoahrig in Ver- Teil 1: bindung mit der praktischen Verwendung im  Vorstellen der Sprachkarte doosoahrig (SBS) Bauernstück gekoppelt werden kann.  Erklärung des Terminus „Wortgeographie“  Projektvorstellung: Sprachatlas von Baye- Lernziele Die Schüler risch-Schwaben, ein staatlich gefördertes  lernen die schwäbische Heimatdichtung Projekt des Lehrstuhls der Sprachwissen- Arthur Maximilian Millers kennen, schaft unter Prof. W. König, Augsburg  werden mit den Spezifika eines Mundart-  Vorführung DVD Folge 7 „Schwäbisch“ Bauernstücks vertraut (evtl. Vergleich mit hochsprachlichen Typenkomödien), Teil 2:  nähern sich den Methoden der Sprachwis-  Textbegegnung mit dem Bauernstück (M4) senschaft an (Wortgeographie, Phonetik,  Erste Leseversuche des Mundarttextes, read Semantik, Sprachgeschichte), and mumble: Gleichzeitiges murmelndes  arbeiten mit Sprachatlanten, Lesen durch alle Schüler (jeder für sich!)  dramatisieren den Inhalt durch Lesen mit  Begriffsklärung unbekannter Mundartwörter verteilten Rollen,  Dramatisieren des Inhalts durch Lesen mit  üben sich in der szenischen Darstellung / verteilten Rollen Interpretation,  Besprechung der dargestellten Problematik  verfassen selbstständig eine Parallelszene zu einem Mundartbegriff. Durchdringung  Dramaturgische Aufbereitung: Bühnenbild, Medien / Material Kostüme, Requisiten  M3: „Do you speak Schwäbisch?“ –  Szenische Aufführung vor der Klasse Schwäbischer Sprachtest  M4: „Der Doosoahrig“. Ausschnitt aus Ausklang einem Bauernstück von A. M. Miller.  Begegnung mit dem „Kleine(n) Bayerische(n) www.isb.bayern.de Sprachatlas“ der Universität Augsburg  Sprachkarte aus dem „Sprachatlas von (KBSA) Bayerisch-Schwaben“ (SBS) zur Illustration  Evtl. Exkursion: Besuch des Lehrstuhls und der Verbreitung des Wortes doosoahrig für des Forscherteams an der Universität Augs- ‚schwerhörig‘, Bd. 2, Karte 18, S. 334ff. burg, Besichtigung der Originalatlanten

201 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Weiterarbeit Quellennachweis / Literatur Selbstständiges Verfassen einer Parallelszene  M3: Langer, Josef: „Do you speak Schwäbisch?“ zu einem Mundartbegriff Schwäbischer Sprachtest zum fächerübergreifen-  Evtl. Aufführung der selbstverfassten Szene den Jahresprojekt „Schwäbisch In“ des Simpert- beim „Bunten Abend“ Kraemer-Gymnasiums, Krumbach.  Besuch einer Aufführung eines Mundart- M4: Der Schwabenspiegel. Jahrbuch für Literatur, stücks auf einer Bühne der Region Sprache und Spiel. Hg. v. Archiv für Literatur aus Schwaben. Augsburg 2000ff. Heft 1, S. 59-63.

M3

„Do you speak Schwäbisch?“ – Schwäbischer Sprachtest

Bitte ankreuzen!

»Ruaf« Schrei »strähla« strahlen Kruste einer Wunde kämmen Brotrinde straucheln

»Gfrett« Ärger »beiga« verbeugen Freude aufschichten Trauer niederknien

»Muckaschiss« Kleinigkeit »gruaba« ausruhen Mückenplage ausgraben Mückenstich umgraben

»Käatza« Kerze »hoile« leise Kinn heulen Kernobst unheimlich

»Oamuaß« unverhältnismäßiger »driala« trillern Aufwand jubilieren Griesbrei sabbern Pflaumenmus

»Gugg« Blick »allhui« allmächtig Tüte öfters Aussicht alternd

»Fäal« Fallobst »schiargar« schief kleine Wunde beinahe Fehler fertig

»nottla« rütteln »vursche« verzweifelt nörgeln vergesslich streicheln vorwärts

202 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

Bitte »übersetzen«!

»haina« »Dootle«

»hudla« »Baule«

»trätza« »Dribbl«

»nächtig« »Bilmes«

»zannig« »Verhau«

»ibersche« »Hagamoisa«

Noch ein Letztes ...

Sprechen Sie im Alltag schwäbischen Dialekt? Wohnort: nein, niemals Alter: ab und zu Beruf / Tätigkeit: ständig / stets Geschlecht:

Danke fürs Mitmachen!

M4

Der Doosoahrig Ausschnitt aus einem Bauernstück von Arthur M. Miller

Der „Doosoahrig“ ist der betagte Bauer Benedikt Seltmann, der sich dazu entschlossen hat, den Schwer- hörigen zu spielen, um sich in der Hausgemeinschaft, zu der neben seiner Tochter Rosina noch die Haus- hälterin Emmerenz und der Knecht Lorenz Brutscher zählen, etwas aus der Verantwortung zurückziehen zu können. Als Emmerenz jedoch den Verdacht schöpft, dass mit der „Doosoahrigkeit“ etwas nicht stimmt, sieht der Bauer sich veranlasst, Emmerenz in ein „Geheimnis“ einzuweihen:

Bauer: Hoi – d’Uhr isch stande blibe und haut doch grad no g’schnaklet! (zieht am Kästchen die Schublade auf und nimmt seine Taschenuhr heraus). Tatsächlich, in deare Minut! (Geht hin und öffnet die Schutzscheibe, um die Uhr aufzuziehen) Emmerenz (noch mehr verblüfft): Bauer – ! Bauer (fährt herum): Was stauhsch denn du no dau? Emmerenz: Diar hant dös Schnackle von der Uhr gheart – Diar hant g’merkt dass sa’s Schnackle aufg’heart haut – ? Bauer: Was hauni, du Lueder, du fiegnäschs! (nach einer Pause, während welcher er sie dann auffallend sanft ansieht) ... Komm hear, Emmerenz. – Komm hear! Emmerenz (kommt unsicher näher): Ja, Bauer – – Bauer: nimm dös it krumm, dass i di a Lueder g’haiße hau’. Luedere sind d’Weisbilder so und so, so haut se eiser Herrgott verschaffe, und dear weard g’wisst hau warum. – Du bischt zwanzg Jauhr aufm Hof, und seit d’Muetter g’storbe ischt, hauscht du’s ganz Sach verhebbt –

203 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Emmerenz: Was soll ietz dös aufemaul, Bauer – ? Bauer: Du bischt a rechts Weisbild, i kaa’mi auf di verlasse – und i verlass mi ietz au auf di – Emmerenz: Bauer, went Diar mir öbbes a’vertraue? Bauer: it meahr als wia du scho waischt. Los – aber verraut koim Mensche öbbes dervo’! Neamats, Emmerenz, ‚m Lorenz it, und earscht recht it dr Rosine. – Versprich mer dös! Emmerenz: Bauer, i bi ganz baff! Bauer: Dass miar so guet mitanand schwätze könnet, gell? Dua d’Hand hear, versprich – Emmerenz (verwundert und geschmeichelt): I versprich – Bauer: also bloß unter eis Zwaie: I hau’an Hearapparat. Emmerenz: Waas?! (besieht seinen Kopf um und um). Wo hand’r nau dean? Ma’sicht rum und num nix. Bauer: koi Mensch sicht dös. Dös ischt öbbes ganz Moderns – a atomarer Hearapparat. Emmerenz: (staunend): A atomarer Hearapparat? Jooram, was isch denn dös? Bauer: eabe oiner, dean wo ma it sicht. Inwendig isch dear. Verkläre ka’nen diar it, i verstand’n ja sell it. Aber es isch so: wenn i an ois vo deane Knöpfle druck dau an meim Häs ans ober, nau schnacklet’r ei’. Und wenn i am selle KnöpfIe rips, nau schnacklet’r aus. Und heare dua i mit deam wia a Luchs. Emmerenz (die Hände ringend): Ja, dass es dös geit – – – ja, dass es dös geit! Bauer: Heitzudag geits alls, Emmerertz, sogar Sache geit es, wo’s gar it geit – Emmerenz: A ber warum saget Diar dös de andere it, Bauer? Nau könnt ma doch oadele mit Ui schwätze! Bauer: Wenn i aufs Knöpfle druck, scho. Wenn i aber it na’druck, nau dätet sa glei sage: Lueg’n a’, dean Saukopf, dean verbockte, dear haut’s Oahr scho meah ausg’hängt. Und di maischt Zeit isch bösser, Emmerenz, wemma’s ausg’hängt haut. Emmerenz: Ja, Bauer, dös ischt ja a huerementige G’schicht! Bauer: Huerementig rum oder num! ’S Leabe ischt au a hurementige G’schicht. So, Emmerenz, ietz waischt es. Und was a Vertraue ischt, waischt au. Und wenn du miar a Silb raus – – lauscht vo deam, nau schlag i dr ’s Kreiz a, verstauhsch mi, Weisbild? Emmerenz: Um dauset Gotts Wille, Bauer! Bauer: So, und ietz rips i an meim Knüpfle, lueg hear, und ietz isch aus! Emmerenz: aber ’it hätt Ui no öbbes sage wölle – Bauer: Ha? Was hausch g’sait? Emmerenz: Öbbes ganz Wichtigs, wo Diar unbedingt wisse miesset. – – Bauer: i verstand nix, i verstand gar nix. Emmerenz: (verzweifelt): Bauer! (langt nach seinem Knopf an der Stallschlutte). Bauer: (schlägt ihr die Hand weg): Wegg dau! Mach ja koine Visemadentle! ’S Heare oder it Heare isch mei’ Sach, verstauhsch mi! Emmerenz (resigniert den Kopf schüttelnd): Es ischt öbbes Grausigs mit de Mannsbilder, und bsonders no mit deam ... !

Als schließlich auch Rosina von dem „atomaren Hörapparat“ erfährt, glaubt sie, ihren Vater nun zur Einwilligung zu ihrer Hochzeit mit dem Grundstücksmakler Egon Fuchs bewegen zu können, der sie mit schönen Worten umwirbt und verspricht, den Bauernhof in eine gewinnbringende Fremdenverkehrsein- richtung umzuwandeln, sobald der Bauer ihm die Hofübergabe vertraglich zusichert. Doch der „Doosoahrig“ ist raffiniert genug, den durch den Hochstapler drohenden Schaden vom Hof abzuwenden. In einem eigenen Vertragsentwurf spricht er Hof und Tochter – wie seit Langem beabsichtigt – seinem Knecht Lorenz zu. Der bereits als Betrüger bekannte Makler jedoch wird von der Polizei gefasst.

204 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

3 Sekundarstufe I: Sprechen, Schreiben, Literatur und Sachtexte

Fächerübergreifendes  erstellen einen Konzeptionsplan für die Unterrichtsprojekt gesamte Aufführung,  verfassen einen einführenden bzw. Lerninhalt abschließenden Text im Deutschunterricht, Berblinger – Der Ikarus von Ulm  üben gemeinsam mit Solisten und Chor das Mundartlied ein (Musikunterricht), Begründung der Auswahl  basteln ein Schattenspiel mit großer Das Thema „Fliegen“ kann in mehreren Leinwand, Overhead-Projektor und Fächern (Deutsch, Physik, Kunst, Musik, Folien (Kunstunterricht), Geschichte etc.) gewinnbringend behandelt  spielen Pantomime mit Requisiten, werden. Die Ergebnisse der Arbeit mehrerer passend zum parallel gesprochenen / Fächer werden dann für das Endprodukt, die gesungenen Text (Schulspiel, Kunst- Aufführung eines Schattenspiels mit Musik, unterricht, Deutschunterricht). Gesang und einführendem Text, nutzbar ge- macht. Die Geschichte des Ulmer Schneiders Medien / Material Albrecht Ludwig Berblinger (1770-1829) wur- Ausgangstexte: de von verschiedenen Interpreten thema-  Griechische Sage: Daidalos und Ikaros tisch behandelt (Christian Wachter, Bertolt  Leo Weismantel: Der Schneider von Ulm Brecht, Leo Weismantel, Hubert Endhardt  Bertolt Brecht: Der Schneider von Ulm u. a.) und bietet deshalb eine vielfältige Ein-  M5: Christian Wachter: Bericht über den sicht in den jahrhundertealten Traum des Flugversuch in handschriftlicher Chronik Menschen, fliegen zu können. Bei Berblinger  M6: Arbeitsblatt Übungsaufsatz: handelt es sich aber nicht um eine Sagen- Berichte verfassen gestalt im fernen Griechenland (Ikarus), son-  M7: Lösungsvorschlag, aus Schülerarbeiten dern um eine historisch fassbare, reale Ge- zusammengestellt stalt, nämlich um einen Schneider aus Ulm.  M8: Hubert Endhardt: Dr Berblinger Diese lokale Verortung des historischen (Text und Noten) www.isb.bayern.de Geschehens rückt die Problematik in den  M9: Beispiel einer Gesamtkonzeption Erfahrungsraum der Schüler. für Schattenspiel mit Musik und ein- führendem Text Lernziele Die Schüler  erfassen die Kerngeschichte in den unter- Bildfolien für das Schattenspiel, z. B.: schiedlichen Variationen,  Marc Chagall: Der Sturz des Ikarus  erkennen und verstehen Unterschiede in  Lotte Rosenbusch: Der Traum des Gestaltung und Gattung (Chronik, Gedicht, Schneiders von Ulm Geschichte, Sage, Bericht, Mundartlied),  Stiche aus zeitgenössischer Darstellung  verfassen einen Bericht,  Szenenfoto aus dem Film „Der Schneider  singen gemeinsam ein Mundartlied von Ulm“ (Musikunterricht),  setzen sich im Physik- und Kunstunterricht Akustische Einspielung: mit dem Thema „Fliegen“ auseinander,  Hubert Endhardt: Dr Berblinger  lernen im Geschichtsunterricht Berblinger www.isb.bayern.de im Kontext seiner Zeit kennen,  bereiten die Aufführung eines Schatten- spiels vor,

205 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Schattenspiel: 2. Untersuche, wie der Schneider an verschie-  Overhead-Projektor mit Bildfolien denen Stellen genannt wird! – Wie sehen der oder Beamer Erzähler, die Marktweiber, die Klugen, die  Schattenspiel-Leinwand „Leute in Ulm“ seinen Versuch? – Wie verhal-  Requisiten vgl. Schattenspiel-Konzeption ten sich die verschiedenen Gruppen? (M9): bewegliche Flügel, gebastelte Vögel / Mobile mit Vögeln, großes Nest, Kerze, Stoff, 3. Wie wird uns der Vorgang in Brechts Ge- Latten, Staffelei als Absprungrampe, evtl. dicht vermittelt? – Achte darauf, wie hier die standfeste Münster-Attrappe beteiligten Personen sprechen! – Wo wird auch hier erzählt? – Welche Worte werden Lehr- und Lernprozess wiederholt? – Was fehlt in der Darstellung, Vorarbeit / Projektplanung was wird anders dargestellt?  Absprache mit den beteiligten Fachlehrern (Physik, Geschichte, Kunst, Musik) 4. Brecht deutet mehr an, als er ausspricht.  Besprechung von parallelen Einheiten Untersuche, inwieweit durch die einzelnen zum Thema in anderen Fächern: Zeilen, Reime und Kehrreime Unausgespro- „Fliegen“ als physikalisches Thema (Physik- chenes für dich deutlicher wird! unterricht), „Fliegen“ in der bildenden Kunst (Kunstunterricht), die historische 5. Suche einen Satz in der Erzählung Weis- Figur des Berblinger (Geschichtsunterricht) mantels, der ein Thema anspricht, das die Er-  Deutschunterricht: Berichte verfassen zählung mit Brechts Gedicht gemeinsam hat!

Hinführung 6. Warum versucht der Bischof, mit allen Mit-  Bildimpuls: teln diese für die damalige Zeit einmalige Er- Marc Chagall: Der Sturz des Ikarus findung zu unterdrücken? – Welche Macht Was könnt ihr erkennen? hatte zur Zeit der Bauernkriege (1525) die Kir- Welche Geschichte wird erzählt? che? Schlage im Geschichtsbuch nach! Infor- Wer kann den Traum vom miere dich im Internet! Fliegen nachempfinden? Weshalb?  Lesen der griechischen Sage: Durchdringung Daidalos und Ikaros Übungseinheit: Berichte verfassen  Textbegegnung mit Christian Wachters Begegnung Bericht über den Flugversuch in hand-  Textbegegnung mit Leo Weismantel: schriftlicher Chronik (M5) Der Schneider von Ulm; zur Illustration:  Wiederholung der Merkmale des Berichtens Stiche aus zeitgenössischer Darstellung  Arbeitsblatt Übungsaufsatz: Berichte ver-  Vergleich mit Bertolt Brechts Gedicht: fassen (M6) Der Schneider von Ulm  Besprechung und Verbesserung der  Mündliche / schriftliche Bearbeitung der Schülerarbeiten Aufgaben und Fragen zu Brecht und  Lösungsvorschlag aus Schülerarbeiten Weismantel: zusammengestellt (M7)

1. Versuche dir aus der Erzählung von Weis- Vorbereitung des Schattenspiels mit Musik mantel den Hergang des Ereignisses zu ver- und einführendem Text: deutlichen! – An welcher Stelle wird von dem  Vorspielen des Mundartliedes Flugversuch erzählt, wie wird er vorbereitet, „Dr Berblinger“von Hubert Endhardt und was folgt darauf? – Welche Rolle spielt Was habt ihr verstanden? Wie beurteilt das „Gerede“? – Wie wird in diesem Ab- ihr die Bearbeitung des Themas auf diese schnitt erzählt? Weise? Ist Mundart hier angebracht?

206 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

 Textbegegnung: Hubert Endhardt Quellennachweis / Literatur „Dr Berblinger“ (Text und Noten) (M8) M5: Wachter, Christian: Bericht über den Flugver-  Gemeinsames Lesen und Sprechen such in handschriftlicher Chronik, o. O., o. J. des Textes  Begriffsklärung unbekannter Mundartwörter M6: Arbeitsblatt zum Übungsaufsatz: Bericht verfassen. Nach: Sprachbuch 6. Für die 6. Jahr-  Gemeinsames Singen: evtl. zusammen gangsstufe. Hg. von Heiner Ruf. Lehrerhandbuch. mit Toneinspielung oder Instrumental- München 1995, S. 37. begleitung durch den Lehrer (Deutschunterricht, Musikunterricht) M7: Langer, Josef: Lösungsvorschlag, aus Schülerarbeiten zusammengestellt.

Planung: M8: Endhardt, Hubert: „Dr Berblinger“,  Erstellen einer Gesamtkonzeption: Liedtext und Noten. siehe Beispiel einer Gesamtkonzeption M9: Langer, Josef: Beispiel einer Gesamt- für Schattenspiel mit Musik und ein- konzeption für Schattenspiel mit Musik und führendem Text (M9) einführendem Text.  Aufgaben / Fragen: Verfasst einen einführenden Text, der die Alle unter Medien / Material genannten Texte und Illustrationsvorschläge finden sich u. a. in: Lese- Thematik des Traumes vom Fliegen vorstellt zeichen. Lesebuch, 6. Schuljahr. Neuausgabe für und die Geschichte vom Berblinger angemes- Gymnasien in Bayern. Erarbeitet von Siegfried sen (in Mundart) einleitet (evtl. Interviewstil). Hein u. a. Stuttgart: Klett 1997, S. 83 - 98, bzw. Wie kann die parallele Aufführung von in: Kritisches Lesen. Lesebuch für das 5. Schul- Schattenspiel durch Pantomime und Lied- jahr. Hg. von Hermann Cordes u. a. Frankfurt / M.: darbietung als erzählendes Moment Diesterweg ²1974, S. 63 - 107, wo jeweils eine um- realisiert werden? Arbeitet ein Konzept fangreiche thematische Einheit zum „Menschheits- aus (Grundlage: Liedtext). traum Fliegen“ zusammengestellt wurde. Zusätz- Welche Requisiten werden benötigt? liches Bildmaterial zum „Schneider von Ulm“ ist Illustration der Geschichte durch Bildfolien abzurufen bei Google - Bilder. auf Overhead-Projektor? Anschließend: Buchempfehlung Was ließe sich verbessern bzw. anders gestalten? Besetzung?  Praktische Arbeit im Kunstunterricht, s. o.  Einübungsphase, Proben

Ausklang  Aufführung des fächerübergreifenden Beitrags, z. B. am Bunten Abend der Schule  Diskussion im Plenum: Was hat sich als gut und nützlich erwiesen, was war weniger hilfreich und gelungen? Kritik? Verbesserungsvorschläge?

Weiterarbeit Kleiner Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben  Vernetzung: Klassenzimmergestaltung – König Werner / Renn, Manfred Ausstellung über das Fliegen Wißner-Verlag, Augsburg 2. Aufl. 2007

ISBN 978-3-89639-595-5 EUR 14,80

207 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

M5

Bericht des Christian Wachter über den Flugversuch

DEN ZWEITEN TAG, an dem Donnerstag, den 30. Mai, nachmittags, will sich der König ein Vergnügen machen, weil sich ein Bürger von hier, namens Berblinger, ein Schneider seiner Profession, schon eine geraume Zeit zuvor beschäftigt hat, eine Fliegmaschine zu verfertigen, um auf eine Ankunft des Königs gänzlich parat zu sein, welches auch geschehen ist. Er bekommt von dem König die Erlaubnis, seine Kunst zu vollbringen, allein es mißlung ihm, wie mehrere tausend Zuschauer da waren, und man glaubte gänzlich, die Minute werde er fliegen, so brach ihm ein Flügel entzwei, musste seine Kunst also plötzlich zurücklassen und seinen zerbrochenen Flügel wieder reparieren. Bis auf den folgenden Tag ist er fertig geworden. Am Freitag, den 31. Mai, unter der Mittagzeit reiten er und zwei Trompeter in der Stadt umher, und der Künstler ruft es selber aus, bis abend vier Uhr wolle er seine Probe mit der Flugmaschine ablegen, und er mußte es tun, aufs Königs Befehl, also wie es 3/4 auf 5 Uhr gewesen ist, so wurde er von dem Herzog Heinrich von Wiblingen rauh angesprochen, seine Kunst in Bälde zu vollziehen. Er hat sich ein hölzernes Gestell gemacht, 24 Schuh hoch. Wie man geglaubt hat, es gehe wirklich an das Fliegen, so machte er einen Sprung in die Donau, das ist die ganze Kunst des Schneiders gewesen, denn die Schiffs- mannschaft sind schon mit ihren Schiffen paratschaft gestanden, die haben ihn herausgezogen.

(aus: Handschriftliche Chronik des Christian Wachter)

Quelle: Stadt Ulm, Stadtarchiv

208 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M6 Berichte verfassen: Übungsaufsatz

Verwende folgendes Material über Albrecht Ludwig Berblinger (1770-1829) und verfasse einen Bericht. Stelle dir dabei vor, du wärst Reporter und schriebest in der damaligen Zeit einen Bericht für die Zeitung im Lead-Stil.

Ein Reporter des Ulmer Stadtanzeigers führt am 23.05.1811 mit Berblinger ein Interview. Daraus folgende Ausschnitte:

R: Herr Berblinger, wie sind Sie auf den Gedanken mit dem Fliegen gekommen? B: Tja, eigentlich habe ich schon seit meiner frühesten Kindheit den Flug von Vögeln bewundert. Irgendwann wurde mir klar, dass der Mensch auch das Fliegen erlernen kann. Die anfänglichen Zeich- nungen und Pläne dazu sind dann im Sommer 1809 entstanden, und ein Jahr später habe ich meine erste Flugmaschine konstruiert. R: Können Sie uns etwas über den Bau Ihrer Flugmaschine verraten? B: Das Material ist ganz simpel. Ich habe aus geflochtenen Weiden ein Gerüst gebaut, mit Fischbein verstärkt und alles schließlich mit Leinen bespannt. R: Konnten Sie Ihr Fluggerät auch schon einmal testen? B: Oh ja! Selbstverständlich! Am Michelsberg habe ich die Maschine bereits einige Male ausprobiert. Allerdings heimlich. Immerhin bin ich damit schon drei bis fünf Meter weit geflogen. R: Aber wie wollen Sie es dann über die 40 Meter breite Donau schaffen? Das ist doch Ihr nächstes Vorhaben, wenn ich richtig informiert bin? B: Eigentlich wollte ich darüber nicht sprechen. Naja, sehen Sie, am Michelsberg war die Absprungstelle nur zwei Meter hoch. Meinen nächsten Flugversuch werde ich bei der Adlerbastei vornehmen, da ist das Donauufer etwa 13 Meter hoch. Dazu wollte ich noch einen sieben Meter hohen Sprungturm aufstellen lassen. So müsste die Strecke eigentlich zu schaffen sein. R: Wann dürfen wir denn mit dem Flug rechnen? B: Ach, ich hätte noch gerne einige Wochen gewartet, aber am Freitag in einer Woche, am 31., kommt ja der Herzog von Württemberg nach Ulm, und deshalb hat der Rat der Stadt mich gebeten, meinen Flug bereits an jenem Tag vorzuführen. R: Danke, Herr Berblinger, und Hals- und Beinbruch!

209 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Der große Tag ist da, und der Reporter des Ulmer Stadtanzeigers nimmt an der Flugvorführung teil. Hier einige seiner Notizen:

 15 000-20 000 Zuschauer an beiden Ufern der Donau  bereits mittags steht die Flugmaschine auf der Absprungrampe mit rot-weiß gestreifter Leinwand  15.30 Uhr: Herzog Heinrich von Waiblingen kommt mit seinem Gefolge  16.00 Uhr: B. steigt die Rampe hinauf; er ist mit eng anliegendem, buntem Zirkustrikot bekleidet; Anschnallen der Flügel; Hilfe durch zwei Soldaten; Flugvorbereitung: Wippen mit den Flügeln  anschließend Tänzeln auf der Stelle; Angst oder Unsicherheit des Flugkünstlers? Unruhe im Publikum  Herzog wirkt ungeduldig, ärgerlich; lautes Trompetensignal; Anlauf und elegantes Abheben von der Rampe  Begeisterung und Klatschen der Zuschauer  vier Sekunden später: Knattern und Krachen; Zusammenklappen der Flügel; senkrechter Sturz in die Donau

Auf dem Weg zur Redaktion muss sich der Reporter einen Weg durch die aufgeregte Menge bahnen. Dabei schnappt er folgende Gesprächsfetzen auf:

„Es ist doch nur ein verrückter Schneider! – Welch ein Betrug! – Immerhin ist er einige Meter weit geflogen – Ich will mein Eintrittsgeld zurück! – Was für eine Schande für unsere Stadt! – Wie ein abgeschossener Vogel ist er ... – Gott sei Dank haben ihn die Fischer ... – Warum die Flügel nur gebrochen sind? – Diesen Aufschneider sollte man öffentlich verprügeln! – Schneider, bleib bei deinem Handwerk! – Lass dich nicht wieder in unserer Stadt blicken!“

Der Reporter und du stehen nun vor dem Problem, das Wichtigste und Interessanteste für den Bericht auszuwählen und im Berichtstil zusammenzufassen!

Quelle: Stadt Ulm, Stadtarchiv

210 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M7 Lösungsvorschlag, aus Schülerarbeiten zusammengestellt

Gescheiterter Flugversuch eines Schneiders aus Ulm Sturz in die Donau überlebt

Ulm Am Freitagnachmittag versuchte der der mit einem eng anliegenden, 42 Jahre alte Schneider Albrecht bunten Zirkustrikot bekleidete Berblin- Ludwig Berblinger mit seinem selbst ger seine letzten Vorbereitungen auf gebauten Fluggerüst von der Adler- dem Sprungturm. Er wippte mit bastei aus über die Donau zu fliegen. seinen angeschnallten Flügeln, tän- Unter den Augen des Herzogs zelte auf der Stelle und hob elegant Heinrich von Waiblingen und von ca. von der Rampe ab. Wenige Sekun- 15-20 000 schaulustigen Zuschauern den später mussten die zunächst noch stürzte er jedoch schon wenige begeisterten Zuschauer jedoch mit- Sekunden nach dem Absprung in die erleben, wie Berblingers Flügel bra- Donau. Der von Fischern aus dem chen und dieser deshalb in die Donau Wasser gezogene Schneider erntete stürzte. Zum Glück konnten Fischer von vielen Augenzeugen für seinen den Schneider unverletzt aus dem Flugversuch nur Hohn und Spott. Wasser ziehen.

Schon seit seiner frühen Kindheit an Wie schnell die Begeisterung von hatte Berblinger den Flug der Vögel sensationsgierigen Zuschauern in bewundert. Als 40-Jähriger konstru- Hohn und Spott übergehen kann, ierte er seine erste Flugmaschine aus zeigten die meisten Reaktionen im geflochtenen Weiden, Fischbein und Publikum: Ein Bedauern über den Leinen. Damit unternahm er erfolg- missglückten Flugversuch und Mitleid reiche Flugversuche auf dem Ulmer mit Berblinger waren nur selten zu hö- Michelsberg, bei denen er von seiner ren. Stattdessen überwogen Stimmen, zwei Meter hohen Absprungstelle aus die von „Betrug“, „Schande für die aber nicht über drei bis fünf Meter Stadt“ oder einem „verrückten Schnei- hinauskam. der“ sprachen.

Für seinen Flug über die 40 Meter breite Donau am vergangenen Freitag- nachmittag glaubte der Schneider gün- stigere Voraussetzungen zu haben, da das Donauufer bei der Adlerbastei etwa 13 Meter hoch ist und dazu auch noch eine sieben Meter hohe Absprungrampe aufgestellt worden war. Gegen 16.00 Uhr traf

211 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

M8 „Dr Berblinger“

von Hubert Endhardt

1. Er hat sich draut von was die andre dreimt hand 4. Z’Ulm von dr Adlerbaschtei aus ischr gschtartat, Und hat sich selbr Fligl gea, Doch d’Fligl hand eahn net vrhebt. War bloß a Schneidr hat gwieß nia viel golta, Er isch ins Wassr keit, wär fascht vrsoffa. Doch groaße Dreim sind dau fir gloine Leit. Mit lange Schtanga hands eahn grad no griagt. Des war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, Des war dr Berblinger dr Ikarus von Ulm, Dr Voglmensch vom Schwaubaland, A jedr wär wohl geara mitm gfloga, Der fascht vrsoffa wär. doch net keit.

2. Wo andre sich nach Mädla d’ Köpf vrdreht hand, 5. Sie hand eahn ausglacht, wiaschte Sacha nauchgschria Dau hat’r bloß in Himml guckt, Und hoimlich doch a wenga gheilt. de Vögl nauchgschwärmt Haufa Fedra gsammlat Sie hättat geara gwisst wias Fliaga gau dät, Und junge Schpatza aus de Neschtr gschuggt. A jedr dreimt von deam, was er net ka. So war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, Machs wia dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, Der hat so fescht ans Fliega glaubt, Wenn d’schwimma kasch, bassiert dr nix, Dass fascht no ganga wär. brobier dein groaßa Traum.

3. Wenn andre nachts ihr Zwetschgawassr brennt hand, Nau ischr aufm Boda ghoggt Und hat bei Kerzaliacht aus Schtoff und Latta Ganz hoimlich seine Fligl zemababbt. Des war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm und hat wer gsait dr Albrecht schpinnt, nau hatr driber glacht.

212 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M9

Berblinger – Der Ikarus von Ulm Ein fächerübergreifendes Projekt: Deutsch – Musik – Physik – Kunst Beispiel einer Gesamtkonzeption für Schattenspiel mit Musik und einführendem Text (Spielzeit ca. 10-15 Minuten + Aufbau ca. 5 Minuten)

Können wir das folgende Projekt gemeinsam so schaffen? Welche Schritte sind notwendig? Was ließe sich verbessern? Besetzung?

Einführender Text: Dazu 2 Folien, z. B. Chagalls „Der Sturz des Ikarus“ und „Der Traum des Schneiders von Ulm“, mit Overhead-Projektor auf Leinwand projiziert Bedienung des Overhead-Projektors (OHP)/Beamers vor und während des Schattenspiels: Schüler 1 / Schüler Z (= Zweitbesetzung für Fall der Erkrankung!)

1. Folie (Ikarus, Mythos): OHP/Beamer vor der Leinwand an!, Mikrofon Schüler 2 / Z: Sehr verehrtes Publikum! Die Versuche der Menschen, sich in die Luft zu erheben und sich Träume der Freiheit zu erfüllen, sind uralt. Der griechische Mythos von Daidalos und Ika- ros ist ein Beispiel dafür. Doch aus Hybris wagte sich Ikaros auf dem Flug von der Insel Kreta zu nahe an die Sonne, stürzte ins ägäische Meer und starb. Schüler 3 / Z: Hybris hoißt auf Schwäbisch Übermuat. Und der duat bekanntlich selta guat! Schüler 2 / Z: lasst uns doch zunächst Hochdeutsch reden! Auch das Publikum jenseits von Donau, Kammel und Mindel will verstehn, worum es bei uns überhaupt geht!

2. Folie (Schneider von Ulm): OHP/Beamer, Mikrofon Schüler 4 / Z: So übermütig wie Ikaros im griechischen Mythos war der Schneider Albrecht Ludwig Berblinger im Jahre 1811 weiß Gott nicht mehr. Er wollte nur über die Donau fliegen. Aber warum eigentlich? Hören wir uns an, wie er sich wohl gegenüber Pressereportern kurz vor seinem Flugversuch geäußert hätte. 1. Pressereporter (Schüler 5 / Z): Herr Berblinger! Sie sind in der ganzen Stadt dafür bekannt, dass Sie die schönsten Kleider weit und breit machen. Warum wollen sie unbedingt auch noch über die Donau fliegen? Berblinger (Schüler 6 / Z): Große Träume sind da für kleine Leute! Schon seit meiner frühesten Kindheit habe ich den Flug der Vögel bewundert. Später wurde mir klar, dass auch für den Menschen das Fliegen nicht nur eine Zukunftsvision bleiben muss. Vor einem Jahr habe ich mein erstes Fluggerät konstruiert und habe mich damit fast fünf Meter in der Luft gehalten. 2. Pressereporter (Schüler 7 / Z): Verraten Sie uns etwas über den Bau des Fluggeräts!

213 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Berblinger (Schüler 6 / Z): Das Material ist ganz simpel. Ich habe aus geflochtenen Weiden, Latten und Fischbein ein Gerüst gebaut und alles schließlich mit Leinen bespannt. 2. Pressereporter (Schüler 7 / Z): Aber wie wollen Sie es damit über die 40 Meter breite Donau schaffen? Berblinger (Schüler 6 / Z): Ich springe von einer hohen, über dem Donauufer liegenden Bastei ab und lasse mir zusätzlich eine Absprungrampe aufstellen. 3. Pressereporter (Schüler 9 / Z): Hals- und Beinbruch, Herr Berblinger! Hoffentlich macht es Sie nicht nervös, dass 15-20 000 Schaulustige an beiden Ufern der Donau sitzen! Außerdem sehe ich gerade, dass sogar noch der Herzog von Württemberg mit seinem Gefolge erscheint. Mehrere Schüler: Herzog und Gefolge (kostümiert) erscheint (evtl. Trompetenfanfare des Gefolges). Sie nehmen auf der Bühne vor der Leinwand auf majestätische Weise Platz. Schüler 4 / Z: Der hochdeutschen Vorrede ist es nun genug. Verehrtes Publikum! Vor Berb- lingers Flug sehen Sie noch in unserem Schattenspiel, was Hubert Endhardt am Ulmer Schneider gefiel. Hubert Endhardt ist ein Liedermacher aus Schwa- ben. Hören Sie, was auch wir von ihm zu bieten haben!

Schattenspiel: Berblinger im Schattenspiel Schüler 10/Z, beim Flugversuch aber eine gestaltete Puppe

Lied von Hubert Endhardt, vorbereitet vom Schattenspiel (zeitlich parallel zu Gesang und Musiklehrer (mit Instrumentalbegleitung) Begleitung), vorbereitet von Deutsch-, Kunst- und Folgender Text nur leicht verändert Physiklehrer, weiteren Helfern 1. Sologesang (Schüler 11/ Z ): Overhead-Projektor / Beamer hinter der Er hat sich draut, von was die andre dreimt hand, Leinwand an! Umriss des Ulmer Münsters und und hat sich selbr Fligl gea. Donau im Schatten zu sehen („standfestes Münster War bloß a Schneidr, hat gwieß nia viel golta; im Kunstunterricht gestaltet, Flügel, Leinwand und Fluss mit helfenden Schülern erstellt) doch groaße Dreim sind dau fir gloine Leit. Berblinger mit zwei farbigen Flügeln, die er bewegt. (Träume evtl. durch Seifenblasen darstellbar) Refrain (Instrumentalbegleitung und Chor): So war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, dr Voglmensch vom Schwaubaland, der fascht vrsoffa wär.

Kurze Pause Overhead-Projektor aus, wie am Ende jeder Strophe! Am Anfang jeder neuen Strophe, nach Refrain OHP wieder an! Entsprechendes mit Beamer 2. Sologesang: Sich umarmende Liebespaare (mehrere Schüler) Wo andre sich nach Mädla d’Köpf verdreht hand, Gebastelte Vögel (Luftballons mit angeklebten dau hatr bloß in Himml guckt, de Vögl nauch­ Federn, Vogelmobile) gschwärmt, Haufa Fedra gsammlat und junge Großes Nest, Berblingers Pantomime textent- Schpatza aus de Neschtr gschuggt. sprechend!

214 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

Refrain (Chor): OHP / Beamer aus So war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, der hat so fescht ans Fliaga glaubt, dass fascht no ganga wär. (Kurze Pause) 3. Sologesang: OHP / Beamer an! Wenn andre nachts ihr Zwetschgawassr brennt hand, Wegen Darstellbarkeit veränderter Text (trinken statt nau ischr aufm Boda ghoggt und hat bei Kerzaliacht „brennen“) aus Schtoff und Latta ganz hoimlich seine Fligl Trinker: mehrere Schüler zemababbt. Gegenstände / Requisiten: Brennende Kerze, Stoff, Latten, zwei Fügel Pantomime Berblingers Refrain: Des war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm und hat wer gsait ‚dr Albrecht schpinnt‘, nau hatr dribr glacht. (kurze Pause)

OHP / Beamer aus! 4. Sologesang: OHP an! Z’Ulm von dr Adlerbaschtei aus ischr gschtartat, Gebastelte Puppe (mit gleichen Flügeln wie B. und doch d'Fligl hand eahn net vrhebt. Er isch ins Wassr ihm ähnlichen Profil, im Kunstunterricht hergestellt) keit, wär fascht vrsoffa. Mit lange Schtanga hands Absprungrampe: Staffelei – technische Konstruktion eahn grad no griagt. für Flug und Absturz der Puppe Fischer (mehrere Schüler), die mit langen Stangen die Berblinger-Puppe aus dem Wasser ziehen Refrain: OHP / Beamer aus! Des war dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm. A jedr wär wohl geara mitm gfloga, doch net keit. (Kurze Pause) 5. Sologesang: OHP / Beamer an! Sie hand eahn ausglacht, wiaschte Sacha nauch­ Pantomime: Berblinger gschria und hoimlich doch a wenga gheilt. Sie hättat Mehrere Schüler: Nachschreiendes, z. T. weinendes geara gwisst, wias Fliaga gau dät. A jedr dreimt von Volk deam, was er net ka. Ende Schattenspiel, OHP aus! Schlussrefrain: Machs wia dr Berblinger, dr Ikarus von Ulm, wenn d'schwimma kasch, bassiert dr nix, brobier dein groaßa Traum.

Abschließender Text: Alle mitwirkenden Schüler erscheinen vor der Leinwand auf der Bühne Schüler: liebes, verehrtes Publikum, macht es wie der Schneider von Ulm! lockert eure alltäglichen Zügel, nur der Fantasie wachsen Flügel! Schüler: im Dialekt hoißt des und net so metaphorisch gsait: Fliagat in dera Zeit id bloß übr da Hausdribbl na, liabe Leit! Schüler: Und schwätzat in Zukunft it bloß Hochdeutsch, Englisch, Französisch und Italienisch! Hand au a weang Muat zum Dialekt und der isch in unserer Europaregion schwäbisch! Schüler: am Schluss sagen „pfiade“, „servus“ und „ade“ – die 30 Überflieger der Klasse 6d!

215 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

4 Sekundarstufe I: Sprechen, Sprachbetrachtung

Fragebogen zu Ansehen und Hinführung Prestige des Schwäbischen  Überprüfung des eigenen Dialektwissens anhand einer schwäbischen Wortsammlung Lerninhalt (M10) Schüler als Sprach- bzw.  Ausmachen von Varianten innerhalb des Mundartforscher Dialektwortschatzes der Schüler

Begründung der Auswahl Begegnung Die Schüler ahmen die empirische Methode  Vorstellen der empirischen Sprachfor- der Sprachforschung nach und werden da- schungsmethode: Umfragen, Fragebögen durch mit den Spezifika und Problemen die-  Beispielfragebogen als Grundlage für die ser Methode vertraut (Auswertung). Erstellung eines eigenen Fragebogens be- sprechen, variieren, ergänzen oder abändern Lernziele Die Schüler (M11)  werden für die Subjektivität von Bewer- tungen des Dialekts sensibilisiert, Durchdringung  vergleichen das Schwäbische mit anderen  Selbstständige Erstellung eines eigenen Dialekten, Fragebogens  lernen Methoden der Sprachforschung  Im Rahmen eines Wandertags oder Unter- kennen, richtsgangs befragen die Schüler selbst Pas-  erkennen die Abhängigkeit der Dialekt- santen in ihrer Heimatgemeinde bzw. an ih- verwendung von der Sprechsituation, rem Schulort zum Ansehen des Dialekts.  vertiefen ihr affektives Verhältnis zum eigenen Dialekt. Ausklang  Auswertung der Fragebögen in der Schule Medien / Material  Präsentation der Ergebnisse auf einer  M10: Schwäbische Wortsammlungen Schautafel in der Pausenhalle oder im  M11: Fragebogen zum Prestige des Klassenzimmer Schwäbischen  Folge 7 oder 10 der DVD „Dialekte in Bayern“ Weiterarbeit Ausstellung der Ergebnisse in einem öffent- Lehr- und Lernprozess lichen Rahmen, beispielsweise in Gemeinde- Vorarbeit oder Stadtverwaltung  Vorführung der Folge 7 („Schwäbisch“) oder 10 („Dialekte in den Medien“) der DVD „Dialekte in Bayern“ und / oder : Quellennachweis / Literatur Gespräch über den Stellenwert des Dialekts  M10: Spies, Viktoria: Schwäbischer Dialekt. für die Schüler mit Hilfe folgender Leitfragen: In: Heimatmagazin 1/2001, S. 5.  Gibt es Dialektsprecher in meiner Umgebung? M11: Langer, Josef (2003): Fragebogen zum fächer- übergreifenden Jahresprojekt „Schwäbisch In“ des  Wann, wo und mit wem spreche Simpert-Kraemer-Gymnasiums, Krumbach. ich Dialekt?  In welchen Situationen würde ich lieber keinen Dialekt verwenden?  Was verbinde ich persönlich mit meinem Dialekt?

216 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M10 Schwäbische Wortsammlung 1 von Viktoria Spies

Äadbiera Kartoffeln kuia kauen äad schlecht gelaunt kähl eklig oder überempfindlich baischtig widerspenstig lais ungesalzen Briesbisla kurze Scheibengardinen Mäggala Kälbchen DägI, Diegele großer und kleiner Topf Noigale Rest im Glas Duranand Wirrwarr oder Mehlspeise nächtig gestern Fäal kleine Wunde naadätschala schön herrichten Fiedla Gesäß Oisa Geschwür foiga an etwas herumspielen oadele ordentlich Gurgommer Gurke pfludra auffliegen Gräamacha Stallarbeit pfurra aufbrausen, schimpfen Gässnägala Flieder Sutzel Schwein es giegalat es rumort Soichkachl Löwenzahn Hägel Stier saamadla schmeicheln Hollbeer Himbeere Schwäabl Zündhölzer Haber Hafer schäbs schief hähl glatt, rutschig Strähl Kamm Hafa Topf stähdle langsam Hagamoisa Ameisen trätza hänseln Hägger Schluckauf Weadaga Schmerzen häatschela verwöhnen Worb Sensenstiel heisala z. B. im Sand spielen Wähmiehle Maschine zum Getreidekorn hendadena hinten reinigen Haidder temperamentvolles Pferd Zoaranigl jähzorniger Mensch haina weinen Zäarla Tränen huudla schnell, aber ungenau Zickerle Bonbon ibersche oben drüber zwalga kneten iberboit reda jemanden in der 3. Person zannig unwirsch, schlecht gelaunt (wissat Ihr) anreden zwea, zwua, zwoia zwei Kämlakamer Kammer über der Küche (männl., weibl., sächl.)

217 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Schwäbische Wortsammlung 2 von Hermann Blösch

Neele, Nee Großvater, Großmutter Heala Kücken dreckead schlecht gelaunt Hoile doa heimlich tun Bettsoichla Löwenzahn Haia liacha Heu mit Harke aus dem Seages Sense Heustock ziehen Roller reppla Rundholz entrinden Wella Reisigbündel Gräble Bettritze Gaus, Gais Gans, Gänse flagga, schtraga sich hinlegen Gsod klein geschnittenes Stroh Fruucht groga Korn mahlen, grob als Lach fiara Jauche ausbringen Viehfutter Schtompa roda Baumstöcke roden Gschweines Dreschabfall, Spreu Wasa stecha Torf stechen Saublaudr aufgeblasene Schweineblase Flegelhänke Ende der Drescharbeiten mit Dribbl Hauseingangstreppe kleinem Fest

M11 Fragebogen zum Prestige des Schwäbischen

1. Sprechen Sie überhaupt noch im schwäbischen Dialekt?

nein, niemals ab und zu ständig

2. Falls Sie niemals Schwäbisch sprechen: Warum nicht?

Weil ich Schwäbisch nicht sprechen kann Weil ich das Sprechen im Dialekt grundsätzlich ablehne Weil ich Schwäbisch hässlich finde Weil man, wenn man Dialekt spricht, sich in der Öffentlichkeit als Mensch geringer eingeschätzt fühlt

3. Falls Sie überhaupt ab und zu Schwäbisch sprechen: Sprechen Sie in den folgenden Situationen eher Hochdeutsch oder Schwäbisch?

eher Hochdeutsch eher Schwäbisch In der Familie und mit Verwandten

Mit Freunden und Bekannten

Am Arbeitsplatz mit Kollegen

oder in der Schule mit Mitschülern Mit Vorgesetzten am Arbeitsplatz

oder mit anderen höher gestellten Personen Mit Ortsfremden und Ausländern

Wenn ich meine Gefühle ausdrücken will

218 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

4. Ist ihrer Meinung nach unser Mittelschwäbisch schöner, weniger schön oder ebenso schön wie die folgenden Mundarten?

schöner als weniger schön ebenso schön Das Schwäbische in

Württemberg Der schwäbische Dialekt

im Allgäu Fränkische

Mundarten Oberbayerische

Mundarten Niederbayerische

Mundarten

5. Halten Sie andere Mundarten für angesehener als das Schwäbische?

ja nein

6. Falls Sie ab und zu oder ständig die schwäbischen Mundart verwenden: Schreiben Sie hier bitte zwei bis vier Wörter aus dem Schwäbischen auf, die Sie häufig benutzen! Notieren Sie bitte auch die Bedeutung dieser Wörter!

Wörter aus dem Schwäbischen Bedeutung der Wörter

Bitte machen Sie abschließend noch folgende Angaben! Der Datenschutz bleibt dabei auch wegen Ihrer Anonymität gewahrt. Geschlecht: weiblich männlich

Alter: unter 25 Jahren zwischen 25 und 60 Jahren älter

Aufgewachsen im bayerischen Schwaben? ja nein

Wo leben Sie zur Zeit?

Ich lebe in der Stadt Krumbach. Ich lebe in einem Vorort Krumbachs (z. B. Niederraunau, Billenhausen ...). Ich lebe in einem anderen Ort des Landkreises Günzburg. Ich lebe in einem anderen schwäbischen Landkreis (z. B. Unterallgäu).

219 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

5 Sekundarstufe I / II: Sprechen, Schreiben Sprachbetrachtung, Literatur

Interpretation eines schwäbischen Hinführung Duetts aus dem Rokoko als Rap  Evtl. Besuch des Heimatklosters von Sebastian Sailer in Marchtal (heute Kloster Lerninhalt der Salesianerinnen) oder von „Kantate auf die Aderlässe“ des  Bad Schussenried, Ort der Erstaufführung Marchtaler Prämonstratenser- von Sailers biblischer Komödie „Die Schwä- paters Sebastian Sailer bische Schöpfung“ (Klosterbibliothek, Roko- (1714 -1777) kokirche)

Begründung der Auswahl Begegnung Bei diesem „Miniprojekt“ wird eine reizvolle Textbegegnung mit dem Originalduett Verbindung der modernen Lebensweltbezüge „Kantate auf die Aderlässe“ (M12) der Schüler mit der Kulturepoche des Barock  Stillarbeit: Lesen und Markieren unbekannter bzw. des Rokoko ermöglicht. Dialektbegriffe  Klärung unbekannter Begriffe mit Hilfe der Lernziele Die Schüler Begriffserklärungen auf dem Arbeitsblatt  werden mit der Mundartliteratur  Übertragung ins Neuhochdeutsche Sebastian Sailers vertraut,  kennen die Kulturepochen Barock und Welches Problem ergibt sich? Rokoko,  Für bestimmte Ausdrucksweisen v. a. im  stärken die affektive Komponente des affektiven Bereich gibt es keine neuhoch- eigenen Dialekts, deutsche Entsprechung  Wertschätzung  nehmen begründet Stellung, des Dialekts  verbessern ihre Diskussionsfähigkeit  Dramatisierendes Lesen mit verteilten Rollen und ihr Argumentationsvermögen,  übersetzen ein Rokoko-Duett in einen Durchdringung modernen Sprechgesang (Rap),  Diskussion zur Realisation des „Mini­  üben sich in der rhythmischen Inter- projekts“: Übertragung in Sprechgesang pretation und szenischen Darstellung Ließe sich das Duett in schwäbischer Mund- des Sprechgesangs. art in einen Rap übertragen? Wäre eine Auf- führung (Bunter Abend) denkbar? Medien / Material  Begründete Stellungnahme zur praktischen  M12: Arbeitsblatt mit Originalduett, Begriffs- Realisation des Projekts (mündlich oder erklärungen und Arbeitsanweisungen schriftlich) www.isb.bayern.de  Info zu Sebastian Sailers Werk in Kindlers Arbeitsaufträge: Literaturlexikon (KNLL)  Sucht Rap-Hintergrundmusik im Internet und bringt sie auf CD mit. Lehr- und Lernprozess  Übertragt das Duett in einen Rap, indem ihr Vorarbeit die Rolle des Bauern auf mehrere Bäuerinnen  Kurze Einführung: Info zum Verfasser und Bauern aufteilt. Nehmt die Musik auf Sebastian Sailer (KNLL-Artikel) oder CD bei der Rhythmisierung des Textes zu  Schüler informieren sich selber mit Hilfe Hilfe. An manchen Stellen müsst ihr den des Internets zu Sebastian Sailer bzw. der Text verändern, um ihn in einen Rhythmus Kulturepoche des Barock / Rokoko. einzupassen.

220 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

 Teilt die Rollen auf und erarbeitet gemein- Quellennachweis / Literatur schaftlich eine entsprechende Körpersprache M12: Sailer, Sebastian (2000): Schriften im Schwä- (Gestik, Mimik) für die Akteure. bischen Dialekte, neu hg. v. Oehler, Hans Albrecht.  Stellt das Endprodukt eurer Arbeit vor dem in- Weißenhorn, S. 260ff. ternen Klassenforum vor (Nachbesserungen). Schoeller, Wilfried F. (1996): Sebastian Sailer – Die Schöpfung der ersten Menschen, der Sünden- Ausklang / Weiterarbeit fall und dessen Strafe. In: Jens, Walter (Hrsg.): Ausarbeitung des Beitrags durch  Kindlers Neues Literatur Lexikon (KNLL). München. Requisiten, Kostüme, Bühnenbild Bd. 14, S. 602.  Aufführung des Rap vor einem externen Publikum, beispielsweise am „Bunten Weitenauer, Alfred (Hrsg.) (1968): Sebastian Sailers Schwäbische Schöpfung samt Sündenfall. Abend“ der Schule Kempten.

M12 Interpretation eines schwäbischen Duetts aus dem Rokoko als Rap

Sebastian Sailer: Kantate auf die Aderlässe

Das folgende Duett in schwäbischer Mundart stammt von dem in Weißenhorn geborenen Prämonstratenserpater Sebastian Sailer (1714 –1777) und ist ein Ausschnitt aus dessen „Kantate auf die Aderlässe“.

Begriffserklärungen:  Unter einem Aderlass versteht man in der Medizin die Entnahme einer größeren Blutmenge aus einer Vene des Menschen. Der Aderlass galt in der Antike, im Mittelalter und auch noch zu Lebzeiten von Sebastian Sailer als ein Allheilmittel bei verschiedensten Krankheiten.  Eine Kantate ist in der Musik ein aus Chorsätzen und Einzelgesängen, Duetten und Terzetten usw. bestehendes größeres Gesangswerk mit Instrumentalbegleitung.  Die „Kantate auf die Aderlässe“ von Sebastian Sailer, aus der das folgende Duett stammt, entstand in der Kulturepoche des Rokoko, d. h. in der Spätphase des Barock (ca. 1720-1780).

Diskussion (begründete Stellungnahme): 1. Ließe sich das folgende Duett in schwäbischer Mundart in einen Rap übertragen? (Vgl. Rap-Hintergrundrhythmus auf CD) 2. Könnte man die Rolle des Bauern auf mehrere Bauern / Bäuerinnen aufteilen und als Sprechgesang mit entsprechender Körpersprache (szenisches Spiel) aufführen? 3. Wenn ja: Traut ihr euch zu, daraus einen aufführungsreifen Beitrag zu erarbeiten? (Bunter Abend etc.) 4. Wer eignet sich und ist bereit, die Rollen und den rhythmisch zu sprechenden Text zu übernehmen?

221 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Duett

Bauer. Herr Doktor! krank bin ih, Doktor. Die Aderläß brauch. as beißt mih, und glimmt mih Bauer. Mih schticht as und grimmts. Doktor. Freund! schick nur zum Bader, Doktor. Nur d’Aderläß nimmts. lass öffnen ein Ader. Bauer. ih schtirb, wie ih g’schpür. Bauer. as Eassa got schleacht. Doktor. Laß Ader dafür. Doktor. S’ist d’Aderläß recht. Bauer. Jetz g’schpür ih’s im Maga. Bauer. ich ma nimma sauffa. Doktor. Ein Ader laß schlagen. Doktor. Laß Blut herauslaufen. Bauer. as brennt wia Gluat. Bauer. ich hau a baiß Bluat. Doktor. S’ist d’Aderläß gut. Doktor. Die Läße macht’s guat. Bauer. as schneidt wi a Measser. Bauer. Hau g’spia schau in Kübel. Doktor. Die Läß machts besser. Doktor. Die Läß hebt’s Uebel. Bauer. as schticht wi a Pfeil. Bauer. Jetzt fährt mar’s in Grind. Bauer. ih schwitz wi a Sau. Doktor. Zur Aderläß g’schwind. Doktor. Auf d’Aderläß trau. Bauer. Jetzt kommt mar’s in d’Auga. Bauer. Jetz kommt mar’s in d’Händ. Doktor. S’wird d’Aderläß taugen. Doktor. Zur Läße behend. Bauer. ich g’sieh nimma heall. Bauer. ih kas itt verleida. Doktor. Zur Aderläß schnell. Doktor. Thu d’Läße nicht meiden. Bauer. Jetz kommt as uff d’Blasa. Bauer. Jetzt kommt mar’s in d’Füeß. Doktor. Mußt halt Aderlassen. Doktor. Durch d’Aderläß büeß. Bauer. Jetz haun ih’s im Gr’friß. Bauer. Jetz wear ih ganz schteif. Doktor. Die Läß hilft g’wiß. Doktor. Zur Aderläß greif. Bauer. Jetz kommt mars in’s G’nick. Bauer. Jetz fährt mar’s in’s G’säß. Doktor. Zum Bader g’schwind schick. Doktor. Gut macht’s d’Aderläß. Bauer. Jetz hau ih’s im Bauch.

 Worum geht es in diesem Dialog zwischen Bauer und Doktor?  Welche Dialektbegriffe habt ihr nicht verstanden?  Wer kann sie erklären?  Übersetzt den Dialog in unsere heutige Standardsprache!  Welches Problem ergibt sich?  Lest mit verteilten Rollen und beachtet dabei die lautlichen Besonderheiten des Dialekts!

222 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

6 Sekundarstufe I: Sprechen, Schreiben, Sprachbetrachtung, Sachtexte

Sprachbetrachtung dialektaler Phänomene / Grammatik D’Dori hat gseht, ir Ma häb settige Läscht mit de Fieß, daß’r gar nimma aufschtau ka. Lerninhalt Läscht = lasten, Schmerzen Der Konjunktiv der direkten und settig = solchartig, derartig indirekten Rede im Schwäbischen Hindanach seis a beaser Fuaß. (Hinweis: Weitere Vergleichsbeispiele – hindanach = hinten, am Ende, letztlich phonetisch, morphologisch, syntaktisch, beas = böse, auch heimtückisch krank lexikalisch – finden sich in der Einleitung Basiswissen Schwäbisch.) Dr Doktr häb oh koin Wêat mea. Oh = auch Begründung der Auswahl Wêat = Wert Gerade die Bildung des Konjunktiv I und II macht den Schülern Probleme. Zur Veran- A paar Leit saget aber, d’Rosl häb schaulichung, Motivationsförderung und zum d’Symbadî, und die däb eam helfe kenne. tieferen Verständnis des Modus des Konjunk- Sympathie = Gabe des Heilens durch tivs werden die bekannten nhd. Paradigmen psychische Wechselwirkung, Gebet, mit den schwäbischen „Jokern“, der Vereinfa- Handauflegung etc. chung mit dät und häb verglichen D’Dori dät îr oh ebbas gea drfîr. Lernziele Die Schüler Die Dori würde ihr dafür auch etwas  begreifen und verstehen die grammatischen geben.“ Kategorien: Modus, Konjunktiv I und II,  formen die direkte in die indirekte Rede um,  vergleichen die neuhochdeutschen Formen Lehr- und Lernprozess des Konjunktivs mit der schwäbisch-aleman- Vorarbeit nischen Ausprägung.  Behandlung der grammatischen Kategorie „Modus“ Medien / Material  Info: „I dät scho gäre, aber î dues it!“ (M13) Hinführung www.isb.bayern.de  Schüler antworten auf die Fragen: Was gefällt euch an eurer Schule besonders? M13 Was gefällt euch nicht so gut?

„Das Feld der schwierigen und umständ- Begegnung lichen Möglichkeitsform (Konjunktiv), der  Arbeitsauftrag: Erfindet eure Traumschule direkten und indirekten Reden (er sei ..., er Beginnt so: Wenn es doch an unserer Schule habe ..., er hätte ..., er würde ...) hat der All- viel mehr Ferien gäbe ... gäuer einer großzügigen Flurbereinigung  Einführung des grammatischen Begriffs unterzogen und wesentlich vereinfacht. Konjunktiv I (Hefteintrag), Aufnahme von Der Joker ist dabei der berühmte ‚schwä- Beispielverben aus den Schülerarbeiten zur bische Konjunktiv‘ mit häb. Alles andere Traumschule löst er mit dät (täte) und sei.  Vervollständigung eines Paradigmas zu einem verwendeten Verb, z. B. gäbe

223 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Durchdringung Ausklang  Übung: Die Schüler erstellen Paradigmen  Sichtung weiterer Beispielsätze im Dialekt zu weiteren Verben (schriftlich). (siehe M13)  Wie würde sich der kleine Doane  Schriftliche / Mündliche Übertragung ins (schwäbisch für Anton) in seiner Dorfschule Neuhochdeutsche zu seiner Traumschule äußern? Wenns doch viel mehr Ferien gebe dät ..., Weiterarbeit dann dät i viel mehr Fraid hau ...  Übung: Dolmetschen zwischen Dialekt-  Die Irmi, seine Schwester, erzählt der Mutter sprechern und Nichtdialektsprechern von Antons Vorstellungen:  Interviews durchführen und danach Berichte Mama, dr Doane hat gseht/gsait, er häb viel verfassen (mündlich und schriftlich) mehr Fraid ...  Aufgabe: Übertragung des selbst erstellten Quellennachweis / Literatur Traumschultextes des Mitschülers / Bank- M13: Greiter, Thomas J. (1998): Allgäuer Mundart. nachbarn in die indirekte Rede (schriftlich) Lingua Allgovia mit Allgäuer Wortschatz. Kempten. Meine Mitschülerin XY sagte, sie hätte viel mehr Freude an der Schule, wenn ...  Einführung des grammatischen Begriffs Konjunktiv II (Hefteintrag) Aufnahme von Beispielverben aus den Schülerarbeiten zur Traumschule

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Allgäuer Mundart Lingua Allgovia mit Allgäuer Wortschatz Greitner, Thomas J. Verlag Tobias Dannheimer, Kempten 1998

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224 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

7 Sekundarstufe II: Sprechen, Schreiben, Sachtext

Problemerörterung  Begegnung mit der Mundart anhand eines Schwäbischtests, der Mundartvokabular ab- Lerninhalt fragt, indem er zu jedem Mundartbegriff Be- Ansehen und Funktion deutungsvarianten zur Auswahl anbietet (M3) des Dialekts  Gemeinsame Auswertung

Begründung der Auswahl Hinführung Beide Texte eignen sich, den eigenen Stand-  Gespräch über den Stellenwert des Dialekts punkt auszuloten, zu verbalisieren und für die Schüler selbst mit Hilfe folgender argumentativ zu vertreten, da er nicht nur Leitfragen: subjektive Aspekte des Dialekts darlegt, Gibt es Dialektsprecher in meiner Umge- sondern auch objektiv-wissenschaftliche bung? Erklärungen für Phänomene liefert. Wann, wo und mit wem spreche ich Dialekt? In welchen Situationen würde ich lieber Lernziele Die Schüler keinen Dialekt verwenden?  gewinnen Sensibilität für die Subjektivität Was verbinde ich für mich persönlich mit von Bewertungen des Dialekts, meinem Dialekt?  erkennen die Sprechsituationsabhängigkeit der Dialektverwendung, Begegnung  stärken die affektive Komponente gegenüber  Textbegegnung mit einem der zur Auswahl ihrem eigenen Dialekt, stehenden Sachtexte (M14/15)  diskutieren und argumentieren auf anspre-  Lesen des Sachtextes und Markieren von chendem Niveau, griffigen Thesen bzw. persönlich relevanten  verbessern ihre Urteilsfähigkeit und Stand- Stellen punktbildung,  Abfragen unmittelbarer Reaktionen auf den  vertiefen ihr Geschichtsbewusstsein und vorliegenden Text als erster Anstoß für eine wissen um ihre Herkunft, systematische Untersuchung des Textes  erörtern und argumentieren problembe- wusst. Durchdringung  Bewusstwerden der eigenen Position in Medien / Material einer Diskussion innerhalb der Klasse / des  DVD Folge 7 („Schwäbisch“) oder 10 Kurses („Dialekte in den Medien“)  Überprüfung der vorgebrachten Argumente  M3: „Do you speak Schwäbisch?“ (siehe auf ihre Überzeugungskraft und Plausibilität Unterrichtseinheit 2 www.isb.bayern.de) hin (Argumente aus dem Sachtext können  M14: Bauer, Peter: Eine Wärme, die im mit einfließen) Verborgenen liegt. Der heimische Dialekt im  Erstellen einer schriftlichen Stoffsammlung Wandel der Zeit zu einem vom Lehrer vorgegebenen Thema  M15: Burkhart-Funk, Edith: Selbstbewusst- (ebenfalls möglich: begründete Stellung- sein und Dialekt in der Krise nahme zu den Hauptaussagen des Sach- textes) Lehr- und Lernprozess  Ausführung einer vollständigen Problem- Vorarbeit erörterung (oder Teilausführung)  Vorführung DVD Folge 7 oder 10 und / oder:

225 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Mögliche Erörterungsthemen im Anschluss  Nehmen Sie zu folgender These kritisch Stel- an M14 / 15 sind: lung: „Soziale Anonymität, Identitätsverlust und Landflucht: All das ist nur aufzuhalten,  Nehmen Sie Stellung zu folgendem Zitat wenn der Mensch zu einer neuen regionalen aus einem Leserbrief in der „Augsburger Identität findet. Die Mundart könnte eines der Allgemeinen“ vom 5.1.2001: „Jedes Nach- wichtigsten Symbole sein, die diese Identität denken über Sprache und sprachliche Viel- definieren helfen“ (Edith Burkhart-Funk). falt könnte der lieblos Behandelten ein Stück verloren gegangener Würde zurückgeben – Ausklang nicht zuletzt ein gewichtiger Beitrag zur  Besprechung einzelner Schülerarbeiten Bewahrung unserer Menschenwürde.“ (auch Teilausführungen) im Plenum, Ver- besserungsvorschläge, Korrekturen  Erörtern Sie mögliche Gründe für die „fortwährende Entwürdigung und Gering- Weiterarbeit schätzung, und zwar nicht nur einer Sprache  Vorführung und Besprechung der DVD Folge (Dialekt), sondern vor allem derjenigen, die 7 oder 10 sie sprechen“. Quellennachweis / Literatur  Erörtern Sie die Bedeutung und Funktion M3: s. o. Schwäbisch 2 des Dialekts vor dem Hintergrund folgender These: „Denn was den Menschen ausmacht, M14: Bauer, Peter: Eine Wärme, die im Verbor- ist nichts anderes als seine Sprache; in ihr genen liegt. Der heimische Dialekt im Wandel. erinnern, denken, planen, fühlen, kommu- In: Mittelschwäbische Nachrichten Nr. 98 vom nizieren, handeln wir, in keinem Medium 28.04.2001, S. 38. sonst. Die Romantiker nannten die Mundart M15: Burkhart-Funk, Edith: Selbstbewusstsein nicht umsonst den Ausdruck der Seele eines und Dialekt in der Krise. In: Heimatmagazin Volkes.“ (Edith Burkhart-Funk). 1 / 2001, S. 6-8.

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226 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M14

Eine Wärme, die im Verborgenen liegt Der heimische Dialekt im Wandel der Zeit

Von unserem Redaktionsmitglied ihre Sprache in der Regel mit einem ausgeprägten Peter Bauer Stolz. Auf die Frage: „Aber in der Schweiz wird doch auch Deutsch gesprochen?“ kommt nicht selten die Antwort: „Nein, Schweizerdeutsch“. Niederraunau. Sie sagt es mit einem Lächeln, ganz Auffallend ist, dass dieser Stolz an die eigene entspannt. Und doch ist in ihren Worten so etwas Mundart gekoppelt ist mit einer jahrhundertealten, wie eine ruhige Entschlossenheit spürbar: „Nein, eigenständigen geschichtlichen Entwicklung. In ich schäme mich nicht mehr, dass ich Dialekt Mittelschwaben war dies ganz anders. „Wir haben spreche. Ich verteidige ihn.“ Die Sprache unserer uns hier immer in einer Randlage befunden“, be- Heimat: Die Niederraunauer Wissenschaftlerin tont Edith Burkhart-Funk. Teile gehörten rund 500 Dr. Edith Burkhart-Funk beschäftigt sich seit vielen Jahre zu den Vorderösterreichischen Landen, doch Jahren mit ihr. Sie denkt zurück an die 70er Jahre, Wien war weit weg. Mittelschwaben blieb in zahl- an den Beginn ihres Studiums in Augsburg: reiche Einzelterritorien zersplittert. Seit 1805 ist un- „Ich habe mich damals geschämt und meinen sere Region bayerisch, doch sie befindet sich wei- Dialekt versteckt.“ Heute versteckt sie ihn nicht ter am Rand. „Dies hat die Neigung gefördert, sich mehr. Der Dialekt Mittelschwabens: Edith Burkhart- einzuigeln“, erklärt Burkhart-Funk. „Oder man hat Funk hat seine Wärme, aber auch seine Würde versucht, sich einem Großen zu assimilieren. Das wiederentdeckt. Die Wärme des Dialekts, das Ge- muss scheitern, weil man vorgibt, etwas zu sein, fühl, in einer Sprache buchstäblich zu Hause zu was man nicht ist“, meint die Niederraunauerin. sein, wie viele spüren es noch in der Welt der Handys, des Internets und einer mit englischen Das unterschiedliche Prestige der Mundart in Ausdrücken durchzogenen Sprache? Der Dialekt der Schweiz und in Mittelschwaben macht sich hat es offensichtlich nicht leicht in unseren selbst in der Wissenschaft bemerkbar. Die Schwei- Tagen. Und in unserer Heimat Mittelschwaben zer begannen bereits sehr früh, ihre eigene Spra- hatte er es wohl noch nie ganz leicht. che zu erforschen. „In der Schweiz entstand bereits in den 1930er Jahren ein Sprachatlas“, er- „Nicht wenige Menschen bei uns finden ihre klärt Burkhart-Funk. Jahrzehnte vergingen, bis die Sprache hässlich“, erzählt Edith Burkhart-Funk. Idee, eine vergleichbare Bestandsaufnahme für Das merkt man selbst auf der Bühne. Spontan die Sprache Bayerisch-Schwabens zu machen, in denkt sie in diesem Moment ans Bauerntheater. unserer Region Gestalt annahm. An der Universität Volksstücke haben auch in Schwaben Tradition. Augsburg begann 1984 ein Forscherteam unter Aber viele Stücke wurden mitunter nicht im der Leitung von Professor Werner König mit den heimischen, schwäbischen Dialekt, sondern in Arbeiten, die immer noch nicht ganz abgeschlos- bayerischer Mundart aufgeführt. „Das Prestige sen sind. des Schwäbischen ist nie hoch gewesen“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin. Eine Feststellung, Edith Burkhart-Funk spielte bei dieser sprach- die durchaus erstaunlich ist, wenn man zum Bei- lichen Spurensuche eine wichtige Rolle. Ihre spiel in die Schweiz blickt. Das Schweizerdeutsche Augen leuchten, sie gerät ins Schwärmen, wenn und das Schwäbische: Beide gehören zum aleman- sie über ihre Arbeit spricht. Vielleicht weil sie den nischen Sprachraum, der sich von Württemberg nicht immer leichten, aber doch so faszinierenden bis ins Südtiroler Vinschgau erstreckt. Beide Spagat zwischen Mundart und Hochsprache jahr- Sprachen weisen große Ähnlichkeiten auf. Doch zehntelang selbst erlebt und gelebt hat. Als während in Schwaben stets eine Neigung zu Wissenschaftlerin ist die Hochsprache ihr alltäg- beobachten war, die eigene Mundart nicht an „die liches Medium geworden, als Niederraunauerin große Glocke“ zu hängen, pflegen die Schweizer sucht sie die heimelige Wärme der Mundart.

227 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

Die Antwort von Burkhart-Funk ist eindeutig: „Der Dialekt ist etwas Altehrwürdiges, Gewach- senes. Das schafft Selbstbewusstsein.“ An die El- tern appelliert sie, das Sprechen des Dialektes bei ihren Kindern nicht zu unterdrücken. „Hochspra- che und Dialekt können problemlos nebeneinander existieren. Das Hochdeutsche wird in der moder- nen Medienwelt ohnehin ohne Schwierigkeiten erlernt.“ Wie kann er aussehen, der Dialekt der Zukunft? „Die kleinräumigen Unterschiede zwi- schen den Ortschaften werden weiter verschwin- den“, meint sie. Aber als Regionalsprache werde die Mundart erhalten bleiben. Das Schwäbische sei, so Burkhart-Funk, vokalreicher als das Hoch- deutsche. Vokalreiche Sprachen werden zumeist als angenehm, als regelrecht warm empfunden. Die Wärme der heimischen Mundart: Viele ahnen nichts mehr von ihr. Aber vielleicht wird Sprachwissenschaftlerin Edith Burkhart-Funk diese Wärme in einer Zeit, die viele als gesichtslos bezeichnen, neu entdeckt. Der Dialekt wurde für sie zu einem Fixpunkt, zu dem sie sich schließlich bewusst bekannte. Dabei erfuhr sie aber auch, dass der Dialekt auf eine plastische Weise ein Spiegelbild der gesellschaft- lichen Veränderungen ist. Diese Veränderungen erfolgten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geradezu drastisch. Edith Burkhart-Funk, Jahrgang 1956, hat diesen Wandel in Niederraunau erlebt. Buchempfehlung Menschen, die ihren Ort zuvor nur ganz selten verließen, arbeiteten plötzlich in Orten, die weit von ihrer Heimat entfernt lagen. Fernseher und Radios standen bald in jeder Wohnung, das Telefon wurde zum Alltagsgegenstand. Dem Kabeltelefon folgte das Handy, dem Fernseher Computer und Internet. In dieser neuen Welt, die viele als Revolution der Kommunikation preisen, wird die Mundart offensichtlich immer mehr an den Rand gedrängt.

Hat sie eine Überlebenschance? Edith Burkhart- Funk ist davon überzeugt. „Natürlich sind wir in unserer gegenwärtigen Welt auf das Hochdeutsche als weitreichende, im deutschen Sprachraum universal gültige Sprache angewiesen“, räumt sie ein. Aber kann die Hochsprache so etwas wie Iden- Der Schwabenspiegel, Bd. 9 tität vermitteln? Romantiker nannten die Mund- Jahrbuch für Literatur, Sprache und Spiel. art einst den Ausdruck der Seele eines Volkes. Klaus Wolf (Hrsg.) Auch die Niederraunauer Sprachwissenschaftlerin meint, dass das Hochdeutsche im privaten Bereich Wißner-Verlag, Augsburg 2014 oft ein Gefühl der Distanz vermittle und mitunter farb- und gesichtslos wirke. Die schwierige Suche ISBN 3-95786-002-6 nach der eigenen Identität: Kann das Bekenntnis EUR 14,80 zur heimischen Mundart dabei helfen?

228 Dialekte in Bayern Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Schwäbisch

M15

Selbstbewusstsein und Dialekt in der Krise Edith Burkhart-Funk

Mit Freude las ich den Leserbrief in der „Augsbur- viel mehr unterschiedliche Vokale (Selbstlaute), ger Allgemeinen“ (vom 5.1.01) zu unserer Dialekt- und im Verhältnis zu den Konsonanten (Mitlauten) serie in der Zeitung, der in dem Satz gipfelte: ist das Schwäbische vokalreicher. Von vokalrei- Jedes Nachdenken über Sprache und sprachliche chen Sprachen behauptet man, sie seien „schön“. Vielfalt könnte der lieblos Behandelten ein Stück Das ist ein Grund, warum Opern am liebsten in verloren gegangener Würde zurückgeben – nicht Italienisch geschrieben wurden. Man denke auch zuletzt ein gewichtiger Beitrag zur Bewahrung an unsere nasalierten Vokale, die man am Fran- unserer Menschenwürde.“ Ähnliche Worte sagte zösischen so schätzt. In vielen Bereichen kom- der Sprachwissenschaftler Prof. Hinderling in einer plizierter als im Hochdeutschen ist auch unsere Gedenkrede zu Ehren des großen bayerischen Grammatik. Der Dialekt hat uralte Beugungs- Dialektforschers J. A. Schmeller: „Die Bedeutung formen bewahrt, „geschumpfen“, „gewiehen“, Schmellers sehen wir darin, dass er dem ein- „(ge)bauen“, „(ge)brunnen“ etc., auch alte Vokal- fachen Manne, der einfachen Frau, die vorher wechsel wie in „mich friert es“ - „dich fruirt es“, ob ihrer Sprache verspottet wurden, ihre Würde alte Konjunktiv formen wie „häb“ (habe), „däb“ zurückgegeben hat.“ Solche Worte zeugen von (tue), „wur“ (würde), „wot“ (wollte) etc. der tiefen Verletzung, die Dialekt sprechende Das gleiche gilt für den Wortschatz: Spricht Menschen schon seit Generationen erfahren. doch aus dem Wort ,,Koarahaus“ (Kornhaus) mehr Dies war auch ein bewegender Eindruck bei an kulturellem Erbe als aus dem assoziations- meinen langjährigen Dialekterhebungen. Die Ge- ärmeren „Dachboden“. Es gibt auch kein inner- währsleute in meiner schwäbischen Heimat war- sprachliches Kriterium, warum etwa „lupfa“ häss- en erfreut über die Aufnahmen, aber noch mehr licher sein soll als „hochheben“, der „Drieler“ erstaunt, dass man, so oft wörtlich, ihre „häss- als der ,,Esslatz“, die „Loibla“ als die „Plätzchen“, liche Sprache“ aufschreibenswert finden kann. der ,,Gumper“ als der ,,Ziehbrunnen“, die „Seges“ Im Bayrischen z. B. hörte ich solche Äußerungen als die „Sense“ oder warum unsere Verkleine- nie. Während dieser Aufnahmen, die alle Winkel rungsendung -le hässlicher sein soll als -chen, der Lautlehre, die ganze Grammatik eines Orts- aus welchem Grund soll „Mäuschen“ schöner dialekts durchforscht und weite Teile des Wort- klingen als „Meisle“? schatzes erfasst, erahnten viele erstmals etwas Wenn es keine innersprachlichen Gründe gibt von der Schönheit, Vielfalt und Komplexität ihrer für diese Geringschätzung, welche sind es dann? Sprache. Die Überraschung und Dankbarkeit der Schwer wiegen wohl historische Gründe. Schwa- Gewährsleute, dass man ihre Sprache für „wür- ben hatte, anders als etwa Bayern, keine zentrale dig“ befindet sie aufzuschreiben, ist zugleich Aus- Gewalt und damit keine so mächtige einheits- druck für eine fortwährende Entwürdigung und und identitätsstiftende Instanz. Es war zersplit- Geringschätzung, und zwar nicht nur einer Spra- tert in eine Vielfalt kleinster Territorien, mit häufig che, sondern vor allem derjenigen, die sie spre- wechselnden Herrschaften. Die historischen Kar- chen. Denn was den Menschen ausmacht, ist ten von Schwaben sind ein einziger Flickenteppich. nichts anderes als seine Sprache; in ihr erinnern, Statt diese Chance zu sehen und sie zu einem denken, planen, fühlen, kommunizieren, handeln bunten, vielgestaltigen Gewebe einer föderalen wir, in keinem Medium sonst. Die Romantiker Struktur auszubauen, sich gegenseitig in seiner nannten die Mundart nicht umsonst den Ausdruck jeweiligen Andersheit zu schätzen und zu beför- der Seele eines Volkes. dern, igelte man sich in seiner abgewerteten Klein- Lange habe ich über die möglichen Gründe heit ein. Oder noch schlimmer, man versuchte, dieser Geringschätzung nachgedacht; innersprach- sich einem „Großen“ zu assimilieren, was schei- liche können es nicht sein: Wir haben ein differen- tern muss, weil es nicht authentisch ist, weil man zierteres Vokalsystem als das Hochdeutsche, vorgibt, etwas zu sein, was man nicht ist. Wie ver-

229 Dialekt im Unterricht – Basiswissen, Anregungen und Modelle Dialekte in Bayern Schwäbisch

nichtend sich das auf das Selbstwertgefühl aus- Blüm regionale Färbungen beibehalten, auch wenn wirkt, ist klar. Ein Beispiel für traurige Versuche, sie Hochdeutsch reden. Das ist keineswegs ihr sich etwa dem als mächtig empfundenen Bai- Unvermögen, reinstes Bühnendeutsch zu spre- rischen zu assimilieren, sind die zahlreichen Volks- chen. Vielmehr bekommt ihr Bild gerade dadurch stücke, die lange Zeit bei uns in Schwaben in einmalige persönliche, menschliche, verbindliche bairischem Dialekt (!) aufgeführt wurden. Oft ge- Konturen. Sie bekennen sich zu ihrer Herkunft, nug wurden Stücke schwäbischer Autoren in ein zu ihren Wurzeln, zu ihrem „Bodenstand“, damit vermeintliches Bairisch übersetzt, unsere Schau- nimmt man sie auch als eigenständig und selbst- spieler mussten sich die Kehle verrenken und den bewusst wahr. Zuschauern wurde vermittelt, der „gute“, auf- Bei der Schwierigkeit vieler junger Menschen, führenswerte Dialekt ist nicht der eigene schwä- zu einer Identität zu finden, spielt auch eine Rolle, bische, sondern der bairische. Wenn überhaupt dass ihnen die Bedeutung ihrer Heimat, ihrer einer auf der Bühne schwäbisch spricht, ist es das Herkunft, ihrer Region vorenthalten wird, wenn Deppele, der Unsympath. ihnen – hier sei dieser romantische Wortschatz er- Freilich spielen auch die jeweiligen wirtschaft- laubt – die „Seele“, der Ausdruck und Klang dieser lichen Bedingungen eine Rolle: wenn eine Region Heimat, nämlich deren Sprache, schlechtgeredet reich ist, ist sie und damit ihre Sprache attraktiv. wird. Ich bin dort daheim, wo man meine Sprache Es ist kein Zufall, dass 1573 einer der ersten deut- spricht: wer überall zu Hause ist, ist es nirgends. schen Grammatiker, Laurentius Albertus, das In der anfangs zitierten Gedenkrede war auch schwäbische Augsburg als Sitz der „zierlichsten von sozialer Anonymität, Identitätsverlust und deutschen Sprache“ bezeichnet. In dieser Zeit Landflucht die Rede und: ,,All das ist nur aufzu- war Augsburg durch die einflussreichen Handels- halten, wenn der Mensch zu einer neuen regio- familien Fugger und Welser zu einem der mäch- nalen Identität findet. Die Mundart könnte eines tigsten Zentren der Welt geworden. Heute ist Mün- der wichtigsten Symbole sein, die diese Identität chen reich und damit (auch sprachlich) für viele definieren helfen.“ attraktiv. Oberbayern wurde für den Fremden- verkehr entdeckt, damit wurde auch die Sprache am Tegernsee beliebt. Niederbayern z. B. genießt solche Attraktivität noch nicht, deshalb ist auch Buchempfehlung seine Sprache nicht so attraktiv wie Oberbairisch oder was man dafür hält. Nun mag man zu dem Urteil kommen: gut, wenn niemand, auch wir selber nicht, unseren Dialekt schätzt, geben wir ihn doch auf und lehren unsere Kinder (wie es vielfach schon geschieht) nur noch Hochdeutsch; was verlieren wir denn schon! Ich meine, nichts weniger, als die eingangs angesprochene Würde. Damit ist keineswegs ge- sagt, dass die Kinder nicht auch Hochdeutsch lernen sollen, was sie in unserer kommunikations- offenen, medialen Welt ohnehin tun. Die beiden Sprachformen Dialekt und Hochsprache haben ihre je eigene, unterschiedliche Reichweite. Es ist ganz klar, dass in einer „globalisierten“ Welt, eine möglichst weitreichende, zumindest im deutsch- Dialektwörterbuch von Bayerisch-Schwaben sprachigen Raum „universal“ verständliche König, Werner (Hrsg.) Sprachform beherrscht werden muss. Dieser Vor- Brigitte Schwarz (Bearb.) teil des Hochdeutschen im öffentlichen, außer- familiären, überörtlichen und beruflichen Bereich, Wißner-Verlag, Augsburg 2. Aufl. 2014 diese enorme Reichweite wirkt im privat-mensch- lichen Bereich unverbindlich, distanzierend, mithin ISBN 978-3-89639-946-5 farb- und gesichtslos. Nicht umsonst haben erfolg- EUR 29,80 reiche Politiker wie Helmut Schmidt oder Norbert

230 Dialekte in Bayern

Teil IV Dialektförderung – Projekte und Akteure

Los amol! Schau zua! Drigg drauf! Dialekt im Bayerischen Rundfunk Karl Teofilovic

Bayern: Geschichte, Sprache und Kultur – digital, vernetzt, spartenübergreifend Stephan Kellner

Was macht UDI? Dialektförderung in Unterfranken Monika Fritz-Scheuplein, Almut König

Projekt „Sprache im Fluss“. Dialektforschung im Altmühl-Jura-Raum DialektförderungMonika Raml, Christine Heimerer Dialektpflege zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das „Oberviechtacher Dialektprojekt“ Siegfried Bräuer, Ludwig Schießl

Auf den Spuren des Wortklaubers. Die Johann-Andreas- Schmeller-Gesellschaft und ihr Förderpreis für SeminararbeitenProjekte an bayerischen Gymnasien Christian Ferstl

„Freude an der Mundart wecken und verstärken.“ Ein Schulprojekt aus Oberbayern Helmut Wittmann

„Wer spricht schon Dialekt?“ Ein P-Seminar am Dossenberger-Gymnasium-Günzburg Conrad Pietschmann

Dem Schwäbischen Dialekt einen Wohnsitz geben: Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten e. V. Christoph Henzler

„MundART WERTvoll“. Ein Projekt im Wertebündnis Bayern Ingrid Ritt

Partner der Dialektförderung – im Überblick Hermann Ruch Akteure 231 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Los amol! Schau zua! Drigg drauf! Dialekt im Bayerischen Rundfunk

Karl Teofilovic

„Die Sendungen des Bayerischen Rundfunks dienen der Bildung, Unterrichtung und Unter- haltung. Sie sollen von demokratischer Ge- sinnung, von kulturellem Verantwortungsbe- wusstsein, von Menschlichkeit und Objekti- vität getragen sein und der Eigenart Bayerns gerecht werden. Der Bayerische Rundfunk hat den Rundfunkteilnehmern einen objek- tiven und umfassenden Überblick über das internationale, das nationale und das baye- rische Geschehen in allen Lebensbereichen zu geben.“

So beschreibt das Bayerische Rundfunkge- setz von 1948 den Programmauftrag des Bay- Zentrale des Bayerischen Rundfunks in München erischen Rundfunks. Der „Eigenart Bayerns“ sollen seine Sendungen, seine Angebote also Durch seine flächendeckende Präsenz ist der gerecht werden. Auf diese Weise würde man BR so nah an den Menschen in Bayern wie das heute natürlich nicht mehr ausdrücken. kein anderes elektronisches Medienunter- Stattdessen würde man wohl eher das Wort nehmen im Freistaat. Der Bayerische Rund- „Charakter“ verwenden. Doch egal, wie man funk schafft dies nicht nur durch die Inhalte es letztlich nennt: Was Bayern insgesamt aus- und Formate seiner Sendungen, mit denen macht, was in Bayern passiert und was seine er berichtet, informiert und unterhält, son- Menschen bewegt, das spiegelt sich seit der dern auch mit Hilfe der Sprache, die hier Gründung des BR im Jahr 1949 jeden Tag in gesprochen wird. ganz vielfältiger Weise in seinen Angeboten. Im Bayerischen Rundfunk ist alles zu hö- Diese „Regionalität“ im Radio, im Fernsehen ren: von Hochdeutsch bis hin zu alten, sel- und im Internet ist die große Stärke des Bay- tenen Dialektvarianten. Der ganze sprachliche erischen Rundfunks. Sie bildet eine tägliche „Fleckerlteppich“ Bayerns tut sich hier auf. Richtschnur für alle Mitarbeiterinnen und Mit- Die Mundarten in Ober- und Niederbayern, arbeiter in der Zentrale in München, im Stu- Schwaben, Mittel-, Ober- und Unterfranken dio Franken in Nürnberg, im Studio Mainfran- sowie der Oberpfalz gehören ganz natürlich ken in Würzburg, im Studio Ostbayern in Re- zum seinem Wesen. Auch das ist Teil des gensburg und an weiteren 20 bayerischen Or- Auftrags des BR, der „Eigenart Bayerns“ ge- ten, an denen der Bayerische Rundfunk Kor- recht zu werden, auch das ist Teil der „Regi- respondentenbüros unterhält. onalität“, um die kulturelle Identität und die Traditionen Bayerns authentisch visuell und Am 2. Februar 2015 ging der neue Sender akustisch abzubilden. Wesentlicher Teil die- BR Heimat an den Start und bietet seither ein ses Bildungsauftrags ist die Dialektpflege. digitales Vollprogramm mit bayerischer Mu- Das heißt: Egal, wo man reinhört, reinschaut sik und Geschichten aus allen Landesteilen. oder hinklickt beim BR – Mundart ist überall.

232 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Volksmusik, Hörspiel, Kabarett, So nimmt zum Beispiel in der mittäglichen Comedy und Betthupferl – Dialekt Regionalsendung für Niederbayern und die im Radio Oberpfalz auf Bayern 1 der Kabarettist Toni Lauerer in seiner ganz speziellen Art das Le- Im Radio des Bayerischen Rundfunks (Bayern ben aufs Korn – unter dem Motto: „Opfälzer 1, Bayern 2, Bayern 3, BR-Klassik, B5 aktuell, Sicht der Dinge“. Lauerers Talent, das Alltäg- Bayern plus und das Jugendangebot Puls) liche mit seinem eigenen Witz zu würzen, hat sind die verschiedenen Mundarten des Frei- ihn zu einem der erfolgreichsten Humoristen staats schon allein durch die Sprachfärbung in Bayern gemacht. der Moderatorinnen und Moderatoren, der Korrespondentinnen und Korrespondenten Eine Institution in Franken ist das „Gschmarri sowie der Sprecherinnen und Sprecher zu zum Wochenende“, die Glosse von Klaus hören. Schamberger, die seit mehr als 30 Jahren fester Bestandteil der Regionalsendung „Mit- Ganz besonders deutlich wird das in den tags in Franken“ ist (Bayern 1). In seiner un- Volksmusiksendungen auf Bayern 1 und Bay- aufgeregten, aber immer klaren Diktion be- ern plus, wo neben der altbairischen Spra- schreibt und bespricht der Kolumnist, was che regelmäßig der fränkische Zungenschlag das Leben dem Franken und was der Franke in seinen unterschiedlichen Ausprägungen dem Leben in den Weg legt. Dabei versteht auftaucht. Das gilt auch für die regionalen es Schamberger, die Alltäglichkeiten und Be- Mittagsmagazine auf Bayern 1 sowie die ge- sonderheiten des Lebens im Dialekt auf den splitteten Regionalnachrichten zur halben Punkt zu bringen, samt einfallsreichen Neu- Stunde. schöpfungen von Namen und Begriffen – zum Beispiel das „Schobbing in the ciddy“ Auch die Unterhaltung im Radio des Bay- oder die „Dschank – I-Mäil“. erischen Rundfunks schöpft aus der Viel- falt der Dialekte Bayerns und bezieht da- Auf Bayern 3 läuft die Kult-Serie „Lothar und raus einen besonderen Reiz. So bietet das Franz“ des Comedien Chris Böttcher – fik- „Schmankerl“ jeden Samstagabend auf Bay- tive Gespräche zwischen dem „Erleuchte- ern 1 Kabarett mit Biss aus dem gesamten ten“ (Franz Beckenbauer) und dem „Irrlich- Freistaat – von Lindau bis Hof, von Aschaf- ternden“ (Lothar Matthäus). Die Spanne ihrer fenburg bis Berchtesgaden. Verschiedene Themen, die sie in „ihrem“ Dialekt bespre- Glossen und Comedys in den Hörfunkwel- chen, reicht von Frauenfragen bis zur Cham- len des BR leben sprachlich zum großen Teil pions League. ebenfalls von der Mundart, in der sie präsen- tiert werden. Um die Sprachschätze Bayerns regionen- übergreifend auch für unsere jüngsten Hö- rer erlebbar zu machen, gibt es einmal pro Woche das Mundart-„Betthupferl“. Jeden Sonntag um 19:55 Uhr wird es auf Bay- ern 1 im Dialekt gesendet. Damit sorgt der BR dafür, dass Kinder in ganz Bayern ihre „Betthupferl“-Geschichten in den unter- schiedlichen Dialektfärbungen hören können und auf diese Weise erfahren, wie reich die Sprachwelt Bayerns ist. Für seine Mundart- „Betthupferl“ hat der Bayerische Rundfunk Autoren und Sprecher verpflichtet, die Mut- Kabarettist Toni Lauerer bei der „Bayern 1-Sommerreise“ tersprachler im Dialekt der jeweiligen Regi-

233 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

onen sind. Neben anderen bekannten Stim- Oberpfalz beschäftigt. Der Bogen spannt sich men sind Stars zu hören wie Senta Berger, dabei von Autorenporträts über fränkische Luise Kinseher, Johanna Bittenbinder oder Musikgruppen bis hin zu aufwändigen frän- Barbara Dorsch. kischen Hörspielproduktionen. Berichte über die Mundart-Theaterszene und Mundart-The- atertage in Mittel-/Ober- und Unterfranken Pflege der Mundart – gehören ebenso dazu wie fränkische Wort- Tradition im Studio Franken kunde und Buchbesprechungen.

Einen ganz großen Stellenwert nimmt die je- In Zusammenarbeit mit dem „UDI“, dem Un- weilige Mundart selbstverständlich in den terfränkischen Dialektinstitut in Würzburg, Regionalstudios des BR ein. Besonders am entstehen Berichte über das Thema „Dialekt Beispiel Frankens wird deutlich, welches Au- in der Schule“ oder den Unterfränkischen genmerk der BR auf die Pflege des Dialekts Sprachatlas. In „MundArt: Ein Dialektmaga- legt. zin“ stehen weniger die „tümelnde“ Seite der Mundart im Mittelpunkt, sondern viel- Das Studio Franken – eine Art „kleines Funk- mehr die Vielfalt und Lebendigkeit des Dia- haus“ für das nördliche Bayern – blickt auf lekts in all seinen Facetten: erklärend, unter- eine große Tradition in der Pflege der frän- haltend, lebensnah. kischen und nord-oberpfälzer Mundart zu- rück. So kann sich das Studio die Förderung Das trifft – wenn auch in anderer Art und einer hochwertigen Dialektliteratur auf die Weise – auf die Sendung „Horch“ (Bayern Fahnen schreiben mit der Entdeckung von plus) zu, in der der Kabarettist Klaus Karl Autoren wie Wilhelm Staudacher, Fitzgerald Kraus viermal jährlich Newcomer aus der Kusz („Schweig Bub“) oder Helmut Haber- fränkischen Kleinkunstszene präsentiert: vom kamm. Diese Tradition setzt heute die Redak- Bühnenkünstler bis zum Theatermacher. tion Feature/Literatur/Unterhaltung mit einer Auch hier wird im Studio wie auf der Bühne Reihe von Sendungen fort. (wenn auch nicht ausschließlich) Dialekt ge- redet – unverfälscht und ungekünstelt.

Musik, Tradition, Kultur und Information – Dialekt auf Bayern 2 und Bayern 3

Dialekt spielt im Informations- und Kulturpro- gramm Bayern 2 ebenfalls eine gewichtige Rolle – unter anderem in „Musik für Bayern“ – gesplittet in Sendungen für Nord- und Süd- bayern, in „Zeit für Bayern“, „Bayern – Land und Leute“, das „Bayerische Feuilleton“, die „MundArt: Ein Dialektmagazin“ aus dem Studio Franken regelmäßige Informationssendung „Regio- nalzeit“ am Mittag oder die „Bayernchronik“. Eines der „Flaggschiffe“ ist „MundArt: Ein Dialektmagazin“, das sich sechsmal jähr- All diese Sendungen sind immer wieder lich in den „Fränkischen G’schichten“ (14-tä- mundartgeprägt – sowohl inhaltlich als auch gig, samstags von 19:05 bis 20 Uhr in Bay- in der Präsentation. „Musik für Bayern“ aus ern plus), mit den verschiedenen Aspekten dem Studio Franken bietet in unregelmäßiger des Dialekts in Franken und der nördlichen Folge ungewöhnliche Kombinationen von

234 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Musik und Dialekttexten durch die Präsenta- Mundartlandschaften im Internet tion von „Barden“ und Liedermachern, da- runter Günther Stössel und Wolfgang Buck aus Franken oder Los Dos y Compañeros aus der Oberpfalz.

Kultur- und Dialektpflege sowie die Förde- rung des künstlerischen Nachwuchses gehen Hand in Hand bei Bayern 3 – zum Beispiel bei der Sängerin Claudia Koreck, die in bai- rischem Dialekt singt. Koreck war 2007 New- comerin des Monats auf Bayern 3; ihr Lied „Fliang“ wurde damals zu einem großen Er- folg. Für Koreck war es der Start einer über- regionalen Karriere; mittlerweile ist sie ein fester Bestandteil der deutschen Musikszene.

Interaktive Karte mit bayerischen Bands auf BR.de Jugendprogramm Puls: trimedial und bayerisch Die bayerische Musikszene ist nicht nur auf Puls, sondern auch auf BR.de im Internet zu Ganz besonders stark hat sich Puls, das entdecken – und zwar in „Bayerns Mundart- trimediale junge Programm des Bayerischen landschaft“, einem multimedialen Onlinean- Rundfunks, der Nachwuchsförderung ver- gebot über die Dialekte in Bayern. Dabei kön- schreiben – in Musik, Film und Kultur ganz nen die Nutzer erfahren, wie unterschiedlich allgemein. Die Unterstützung ist vielfältig: sich die verschiedenen Mundarten anhören. Puls bringt „Newcomer“ über verschie- Und das nicht auf abstrakte oder trockene dene Ausspielwege (Internet, App, Digitalra- Art und Weise, sondern jung und dynamisch dio, Fernsehen) in die Wohnzimmer der User, durch Musikbeispiele, in denen junge Bands Hörer und Zuschauer, stellt sie bei Eigen- aus dem Freistaat so singen, wie ihnen „der veranstaltungen wie einer Lesereihe, einem Schnabel gewachsen ist“. Filmwettbewerb oder einem Festival auf die große Bühne neben internationale Stars. Ein Ob Regensburg, Kempten oder Nürnberg – wichtiger Schwerpunkt dabei sind Bands aus überall in Bayern gibt es junge Bands, die Bayern, die zum Teil im Dialekt singen. in ihrer bairischen, schwäbischen oder frän- kischen Mundart ihre Texte schreiben. Musik- Außerdem kommen die jungen Moderato- videos können per interaktiver Dialektkarte rinnen und Moderatoren von Puls aus ganz abgerufen werden. Außerdem gibt es Song- Bayern, was man auch in einem jungen Pro- texte im Dialekt und in hochdeutscher „Über- gramm hören soll und darf. Die Berichte und setzung“ sowie die wichtigsten Infos über die alle Beiträge in Puls sind nah an der Lebens- Musikgruppen und insbesondere ihren Dia- welt der jüngeren Generation und deshalb lekt. auch bewusst in deren Sprache.

„Puls ist das junge Programm des BR. Und Spiegel des Lebens in Bayern – zwar in echt. Die Musik bei PULS haut glei- das Bayerische Fernsehen chermaßen voll drauf wie daneben, glüht vor und randaliert, rummst und gstanzlt“ – so die Das Bayerische Fernsehen leistet einen Selbstbeschreibung. großen Beitrag zur Erhaltung und Verbrei-

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tung der regionalen Dialekte in Bayern. In mer wieder werden dabei auch Künstler und vielen Teilen des täglichen Programms spie- Künstlerinnen porträtiert, die im Dialekt sin- len die unterschiedlichen Mundarten eine gen. herausragende Rolle und sind häufig Haupt- thema von Sendungen oder Beiträgen aus In- Mundarten und dialektale Besonderheiten formation, Kultur, Bildung und Unterhaltung. sind darüber hinaus regelmäßig ein Thema in Interviews und Berichten der „Abend- Im Kulturmagazin „Capriccio“ beispiels- schau“ sowie der „Frankenschau“ („Frän- weise wird „Dialekt“ immer wieder themati- kisch als Verkaufsschlager“, „Fränkische siert. So gab es in den vergangenen Jahren Ortsnamen“, „Fränkische Schimpfworte“, beispielsweise die Reihe „Bairisch mit Ca- „Fränkisch an Schulen“). priccio“. Auch in unterschiedlichen Beiträ- gen berichtet „Cappricio“ über Sprachräume „Wir in Bayern“ sendet ein überaus erfolg- und Sprachhybride – beispielsweise die „Ge- reiches Dialekt-Quiz unter dem Titel „Host heimsprache“ Lachoudisch, die nur im mit- mi?“. Was ist ein Bumbmstöckla? Wo hat telfränkischen Dorf Schopfloch gesprochen man seine Schlozerl? Wie schmeckt ein wird und sich als eine Mischung aus Hebrä- Schambeeser? Wer hat mehr Spaß: Stroaf- isch, Fränkisch und Rotwelsch entwickelt hat. dax oder Pfloutsch? Und warum muss man Ein weiteres Beispiel ist ein Beitrag über den einen Buzzaschdenkl schlagen? – Fragen, die Niederbayerischen Sprachatlas, in dem ein eingefleischte „Host mi?“-Fans locker beant- großangelegtes Dialektprojekt der Universität worten können: Seit „Wir in Bayern“ im Mai Passau vorgestellt wurde, bei welchem Zeit- 2008 das bayerische Wörter-Raten ins Pro- zeugen zu alten Wörtern und ihrem Bedeu- gramm genommen hat, haben die Zuschauer tungswandel befragt wurden. Ähnliches fin- des Nachmittagsmagazins schon mehr als det sich in „laVita“. Das Magazin machte in tausend Dialekt-Rätsel gelöst. Fester Teil von einer seiner Sendungen eine wahre „Liebes- „Host mi?“ ist Prof. Anthony Rowley, der erklärung“ an den Dialekt. seit mehr als 20 Jahren an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am „Baye- rischen Wörterbuch“ arbeitet und am Ende der Sendung das Rätsel löst. Auf BR.de sind alle Fragen aus „Host mi?“ als Videos abruf- bar und können auf einer A-Z-Liste ausge- sucht werden. Einmal jährlich küren die Nut- zer und Fernsehzuschauer ihr liebstes „Host mi-Wort“.

Einen hohen Beliebtheitsgrad haben sich Serien wie „München 7“ oder „Im Schleu- dergang“ erworben, die unter anderem mit „Abendschau“ im Bayerischen Fernsehen Andreas Giebel, Christine Neubauer, Gisela Schneeberger, Gert Anthoff oder Udo Wacht- Auch die Magazine „Zwischen Spessart und veitl authentische Milieus und Mundartspre- Karwendel“ sowie „Schwaben und Altbay- cher in den Mittelpunkt stellen. ern“ greifen die Dialekte in Bayern auf so- wohl in der Berichterstattung über wissen- Dass Serien auch Heimatgeschichte vermit- schaftliche Arbeiten zu diesem Thema als teln können, ernsthaft, glaubwürdig und zu- auch in der unmittelbaren Darstellung von gleich unterhaltend, zeigt mustergültig die Initiativen zur Förderung des Dialekts, zum von 1989 bis 1992 für das Bayerische Fernse- Beispiel an Schulen oder Kindergärten. Im- hen in Szene gesetzte und seither oft wieder-

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holte Serie „Löwengrube – Die Grandauers chend reden nahezu alle Protagonisten in und ihre Zeit“. Die Filme spiegeln die Auswir- ihrer jeweiligen Mundart. kungen der Weltpolitik des 20. Jahrhunderts auf drei Familien aus München-Haidhausen Das Bergsteigermagazin „bergauf-bergab“ wider. Insbesondere, weil sie so authentisch sowie das Magazin „Freizeit“ stellen in ho- Zeitgeschichte aus verschiedenen Einzelper- hem Maße das „bayerische Lebensgefühl“ spektiven erleben lassen, erwiesen sie sich dar. Protagonisten dürfen und sollen sich als echte Publikumsrenner. dort in ihrer „Muttersprache“ ausdrücken – also in ihrem Dialekt. Die beiden Modera- toren (Michael Pause und Max Schmidt) tra- Frei von der Leber weg – gen mit ihren eindeutig bairischen Sprach- „quer“, „Jetzt red i“, wurzeln entscheidend zur Authentizität bei. „Unter unserem Himmel“ In der Unterhaltung stehen ebenfalls viele Sendungen aus den Genres Dokumentati- onen, Koch- und Musiksendungen, Kabarett und Comedy, fiktionale Serien und Volksthea- ter im Zeichen des Dialekts. Hier haben auch Übertragungen von Festen und Feierlich- keiten, die fest im bayerischen Jahreskalen- der verwurzelt und gleichzeitig an die regio- nalen Dialekte geknüpft sind, einen bestän- digen Platz.

Eine sehr erfolgreiche Sendung, in der Dialekt eine große Rolle spielt, ist „Unter Kabarettist Wolfgang Krebs als „Seehofer“ und unserem Himmel“. Da Sprache ein bedeu- Moderator Christoph Süß in „quer“ tender Bestandteil jeder Kultur ist, will das Bayerische Fernsehen dazu beitragen, künf- Im satirischen Politikmagazin „quer“ sind die tigen Generationen (wenigstens) einen Teil bayerischen Regionen und die dort lebenden der Vielfalt, Einzigartigkeit und Schönheit der Menschen zentrale Bestandteile. Äußerungen bayerischen „Sprachlandschaft“ weiterzuge- im Dialekt sind hier nicht nur willkommen, ben. Daher wird in „Unter unserem Himmel“ sondern explizit erwünscht. Zudem baut der auf die authentische Sprache der jeweiligen „dialekt-versierte“ Moderator Christoph Süß Protagonisten in den Dokumentationen größ- immer wieder Mundart in seine Rollenspiele ter Wert gelegt. Der unverfälschte Dialekt der ein. Dadurch und durch die gezielte regionale Gesprächspartner gehört unweigerlich dazu, Themenstreuung spiegelt sich fast in jeder da durch ihn die jeweilige regionale Mentali- „quer“-Folge die sprachliche Vielfalt Bayerns. tät auf den Bildschirm transportiert wird.

Das Gleiche gilt – vor allem wegen der Bei- Zum Thema wird der Dialekt in „Unter un- träge und Äußerungen der Zuschauer, die serem Himmel“ seit einiger Zeit in der Reihe hier zu Wort kommen – für die Bürgersen- „Wos host gsogt?“, die entlang der Dialekt- dungen „Jetzt red i“, „Bürgerforum live“ grenzen die Unterschiede der Sprachidiome und „Bayerntour“, die in den unterschied- und ihre Eigentümlichkeiten darstellt. Filme lichsten Regionen Bayerns stattfinden. „Un- dieser Serie thematisieren unter anderem die ser Land“, das Magazin für Landwirtschaft oberbayerisch-schwäbische, die niederbaye- und Umwelt, bewegt sich thematisch ganz risch-oberpfälzische und die oberpfälzisch- natürlich im ländlichen Bereich. Entspre- oberfränkische Sprachgrenze.

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„Landgasthäuser“ ist eine weitere Sendung, menführte. „Aus is, gor is, schod‘, dass‘ wor die sich intensiv den verschiedenen Regi- is“, resümierte der beliebte Gastgeber, des- onen Bayerns widmet und gleichzeitig die re- sen Sendung Kult war und für bayerische Ka- gionalen Dialekte hervorhebt. Dabei schaut barettisten wie zum Beispiel Monika Gruber, man den Wirten aus allen Teilen des Frei- Luise Kinseher oder Andreas Giebel zu einem staats „in den Kochtopf“. Ebenso widmet Sprungbrett in die Szene wurde. Ihre Solo- sich „Landfrauenküche: 7 Landfrauen aus programme erreichen über das Bayerische den 7 bayerischen Bezirken“ den regionalen Fernsehen ein breites Publikum. Gleiches gilt Kochkünsten und Spezialitäten. Selbstver- für den vom BR produzierten Bayerischen ständlich sprechen die Landfrauen ihren regi- Kabarettpreis, den häufig Künstler erhalten, onalen Dialekt. die mit ihrem Dialekt arbeiten.

In der „Grünwald Freitagscomedy“, einer Kabarett und Satire lebt von Sendung im Unterhaltungsprogramm des Mundart Bayerischen Fernsehens, präsentiert und moderiert Günter Grünwald seine Sendung durchgehend in seiner oberbayerischen Mundart. Grünwald, einer der bekanntesten und beliebtesten bayerischen Kabarettisten, trifft damit mitten ins bayerische Herz seiner Fangemeinde.

Dies kann auch von der Sendereihe „Kaba- rett aus Franken“ gesagt werden, die von Bernd Händel und Norbert Neugirg in unver- fälschtem Dialekt vorgestellt wird: fränkisch und oberpfälzisch. Die Gäste der Sendung bringen ihrerseits eine große Vielfalt an Di- Kabarettistin Monika Gruber alekten mit – darunter „außerbayerische“ Mundarten wie Kölsch oder Pfälzisch. Auch in den verschiedenen Kabarett- und Satiresendungen, mit denen sich nicht nur Das Komiker-Duo „Heißmann & Rassau“ das Bayerische Fernsehen, sondern der Bay- – mit den fränkischen Kabarettisten Vol- erische Rundfunk insgesamt einen Namen ker Heißmann und Martin Rassau – vertritt gemacht hat, spielen Dialekte eine tragende ebenso die fränkische Mentalität und Mund- Rolle. Darin treten Künstler aus ganz Bayern art, unter anderem in der gleichnamigen Sen- auf, deren Mundart ein wesentlicher Bestand- dung, mit Theaterstücken und eigenem Büh- teil ihrer Arbeit bzw. Bühnenfiguren ist. Dazu nenprogramm sowie in diversen Auftritten gehören Helmut Schleich (z. B. „Schleich- als Damen-Duo „Waltraud und Mariechen“, Fernsehen“), Django Asül (u. a. „Maibock- etwa im „Musikantenstadl“. anstich“), Christian Springer und Michael Altinger (beide u. a. „Schlachthof“), Werner Eine Hochzeit der Kleinkunst und Satire ist die Schmidbauer („Aufg‘spuit!“) oder Sebastian Faschingszeit, die das Bayerische Fernsehen Daller („SchleichFernsehen“). unter anderem mit der Sendung „Schwaben weissblau“ aus Memmingen begleitet. Dort Unvergessen: „Ottis Schlachthof“, der am wird großer Wert auf den schwäbischen Dia- 30. Dezember 2012 zum letzten Mal ausge- lekt gelegt, wobei auch die regionalen Unter- strahlt wurde und nach 17 Jahren noch ein- schiede innerhalb der schwäbischen Mund- mal Lieblingsgäste Ottfried Fischers zusam- art ein zentrales Thema bilden. Das fränkische

238 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Gegenstück ist „Fastnacht in Franken“ aus Die 2008 in Würzburg gestartete Reihe Veitshöchheim, in der sich Franken mit seinen „Heimatkrimi“, die einmal jährlich mit einem regionalen Eigenheiten und natürlich auch mit Film aus den unterschiedlichen Regionen Ba- seinen Dialekten ausgelassen zelebriert. yerns im Bayerischen Fernsehen Premiere und zahlreiche Preise erhalten hat, bezieht ihre Attraktivität durch die feste Verankerung Ein Stück (sprachliche) Heimat – im jeweiligen regionalen Umfeld. Den roten Dahoam is Dahoam Faden der Reihe bilden das Heimatgefühl der Figuren und ihre emotionale Auseinanderset- „Dahoam is Dahoam“ ist sich seiner Ver- zung mit dem Ort, an dem sie leben. Es geht antwortung bewusst, heimatliche Dialekte um Fragen von Verwurzelung, Beheimatet- als lebendige Sprache zu fördern, vor allem und Fremdsein. Die Geschichten werden di- auch deshalb, weil sich die werktägliche Se- rekt aus den einzelnen Regionen heraus er- rie als ein „Stück Heimat“ versteht. Bei der zählt – glaubwürdig, geerdet und im Dialekt. Rollenbesetzung legen die Macher großen Bei der Besetzung der BR-Heimatkrimis wird Wert darauf, dass die Schauspieler ihren – was die Hauptrollen betrifft – auf absolute muttersprachlichen Dialekt sprechen, zum Echtheit des Dialekts geachtet. Das Casting Beispiel oberbairisch, niederbairisch oder für Nebenrollen und kleine Rollen findet re- oberpfälzisch. Fränkisch wird durch den „zu- gelmäßig in den Regionen selbst statt. Dies agroasten“ Apotheker Bamberger repräsen- gilt auch für die „Allgäu-Krimis“ mit Kom- tiert. Um „Dahoam is Dahoam“ glaubwürdig missar Kluftinger, denen die Romane des in Mundart und Tradition zu halten, pflegen bekannten Autorenduos Klüpfel & Kobr zu- Redaktion und Produktion seit dem Start der grunde liegen: „Erntedank“ oder „Milchgeld“. Serie einen ständigen Austausch mit dem FBSD, dem „Förderverein Bairische Sprache Und auch im „Tatort“ betreibt der BR und Dialekte“. Ein ehemaliger Vorstand des Dialektpflege. Udo Wachtveitl und Miro Vereins ist fest als Berater in Sachen „Dia- Nemec sprechen als Leitmayr und Batic lekt“ und „Heimatpflege“ für die Serie tätig. münchnerisch. Bei der Besetzung der anderen Rollen werden immer wieder Darsteller mit bairischem Dialekt einbezogen. Bei der Heimatkrimis Konzeption des neuen „Franken-Tatorts“, erstmals gesendet am 12. April 2015, war die Lebensnähe der Sprache ebenfalls ein wichtiger Faktor.

BR-alpha: Dokumentationen und von heute

Der Bildungskanal des Bayerischen Rund- funks, BR-alpha, bietet klassisches Bildungs- fernsehen wie Telekolleg, Schulfernsehen oder Sprachensendungen, zum Teil mit der Möglichkeit, einen Abschluss zu erlangen. Zum Programm gehören auch spannende Sendungen zu Religion, Wissenschaft, Herbert Knaup als Kommissar Kluftinger im Zeitgeschehen und Musik – oder Dokumen- Heimatkrimi „Milchgeld“ tationen.

239 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

rungen über wienerisch bis zu ladinisch. Die Serie thematisiert den starken Wandel in der bayerischen Volksmusik: Noch vor 15 Jahren fiel den Zuhörern sozusagen fast das Bier- glas aus der Hand, wenn in der Volksmusik eine Jazz-Improvisation zu hören war. Das ist heute anders. Immer mehr Gruppen öffnen sich, verleiben sich Weltmusik in all ihren Ausprägungen ein – und das Konzept kommt an.

Vor diesem Hintergrund blickt „bäckstage Volksmusik“ hinter die Kulissen, besucht Mu- Szene aus „Hundsbuam – Die letzte Chance“ sikanten und Ensembles in ihren Proben- räumen, stellt Fragen nach deren Verständ- Ein Beispiel dafür, wie umfassend BR-alpha nis von Volksmusik, nach Tradition und Fort- den Begriff „Bildungsfernsehen“ versteht, schritt. Die Antworten sind so vielfältig wie ist der Dokumentarfilm „Hundsbuam – die die Musiker selbst und das Repertoire, das letzte Chance“ aus dem Jahr 2011. Darin sie spielen. Unter dem Begriff „Volksmusik“ geht es um eine Schulklasse der besonderen ist heute musikalisch viel mehr möglich als Art – die „Ganztagsintensivklasse“ (GIK) in früher. Das heißt: Offen sein für das ganze Wartenberg in der Nähe von Erding bei Mün- musikalische Spektrum, für die eigene Spra- chen. Sie besteht aus so genannten „hoff- che und den Dialekt. Unkonventionelle Instru- nungslosen Fällen“ – Schülern, die in ihrer mentierungen, schräge Besetzungen, viel Im- bisherigen Schule derartige Probleme hatten, provisation auf Basis der traditionellen Wei- dass es für sie dort keine Perspektive mehr sen – das sind die Zutaten, mit denen heute gab. In der GIK bekommen die 13- bis 16-Jäh- Volksmusik gemacht wird. „bäckstage Volks- rigen ihre „letzte Chance“. Sie sollen zu sich musik“ widmet sich diesen „Neu-Tönern“, finden, ihre Schule beenden und auf den Ar- die mit ihrer „unerhörten“ Musik fürs Volk beitsmarkt vorbereitet werden. Bedingung: auf den Bühnen von Wirtshäusern, Bretteln Wer rein will, muss wollen und dann durch- und Festzelten aufspielen. halten – bis zum Abschluss.

Ein Jahr lang hat Filmemacher Alexander BR-Bildungsprojekte – Riedel eine Schulklasse mit der Kamera be- Dialektförderung für junge gleitet. Herausgekommen ist ein berührender Menschen Dokumentarfilm über den respektvollen und konsequenten Umgang zwischen Lehrern Bildung und Wissen zu vermitteln, steht und Schülern in einem bewundernswerten mit im Zentrum der Arbeit des Bayerischen Schulprojekt, der aus dem Dialekt und den Rundfunks. Darum kümmern sich – neben dadurch ausgedrückten Emotionen der Prota- den Programmen, also vor allem BR-alpha gonisten heraus seine Authentizität gewinnt und Bayern 2 – besonders intensiv die Bil- und den Zuschauer in seinen Bann zieht. Die dungsprojekte, deren Angebote jedes Jahr „Hundsbuam“ sprechen „ihren“ Dialekt – un- mehrere Tausend junge Menschen und Leh- geschminkt und ohne Hemmungen. rer erreichen.

In „bäckstage Volksmusik“ auf BR-alpha Seit Jahren engagieren sich die Bildungspro- treten Musiker auf, die den Dialekt ihrer Hei- jekte des BR für den Erhalt der Mundart in mat sprechen – von bairisch in allen Schattie- Bayern und haben dafür zahlreiche Aktionen

240 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

„Earsinn“: Siegerklasse aus dem nieder- bayerischen Velden

gestartet – gemeinsam mit dem Bayerischen ben zu machen. In vier Minuten erzählen sie Kultusministerium sowie einzelnen Schu- darüber, was sie in ihren Familien oder mit len. So sind im Rahmen eines P-Seminars ihren Freunden erleben. Sie erzählen das al- Schülerinnen und Schüler des Dossenberger- les in ihrer ganz eigenen Sprache, in ihrem Gymnasiums in Günzburg der Frage nach- Sprachtempo, in ihrem Dialekt. Begleitet von gegangen, ob sich der Dialekt auf dem Rück- Coaches des BR geben sie so einen authen- zug befindet. Dazu haben sie einen Audio- tischen Einblick in ihr Leben: in breitestem guide erstellt, der den alltäglichen Gebrauch Schwäbisch oder tiefstem Niederbayerisch, sowie die Tiefen des schwäbischen Dialekts mit griechischer Färbung oder in türkischem beleuchtet. Themen waren unter anderem Deutsch. Im Vordergrund der Beiträge soll „Bauernleben in der Stadt“, „Wo der Schwab das Spiel mit dem Dialekt und den Einflüssen noch Schwäbisch spricht“ oder „Streifzug aus den Herkunftskulturen der Kinder stehen. durch Günzburg“ ( Handreichung Teil IV: Artikel Pietschmann). Alle Aktionen der BR-Bildungsprojekte werden im Internet auf www.br.de Regelmäßig führen die Bildungsprojekte in > Bildungsprojekte intensiv begleitet. Kooperation mit der Stiftung Zuhören und dem Bayerischen Kultusministerium den Schülerwettbewerb Earsinn durch, der sich an die 3. bis 7. Jahrgangsstufe richtet. Auf- BR schafft Gemeinschaft und gabe für die Kinder ist es dabei, mit Sprache, fördert regionale Kultur Klängen, Geräuschen und Musik Geschichten zu erzählen. Im Schuljahr 2010/2011 hieß das Motto: „Wie klingt`s, wo du lebst? Erzähl es uns in deinem Dialekt!“. Im Mittelpunkt stand die dialektale Vielfalt in Bayern und die Be- deutung des Dialekts für die Identifizierung der Menschen mit ihrer Heimatregion.

Das Projekt So reden wir gibt Schülerinnen und Schülern der 1. bis zur 8. Jahrgangs- stufe die Chance, Audiobeiträge über ihr Le- Große Party beim „Bayern 3-Dorffest“

241 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Die Verbundenheit der Menschen in Bayern Land in seiner ganzen Vielfalt ab (81 Pro- mit dem BR gründet zuallererst auf seinen zent) und vereint die Regionen unter einem Programmangeboten. Doch der Bayerische (Sende-)Dach (86 Prozent). Rundfunk ist auch „off air“ im gesamten Freistaat präsent und stiftet mit Aktionen der Das ist umso wichtiger, als die Menschen verschiedensten Art Gemeinschaftsgefühl. „Bayern“ insgesamt, ihr Leben im Frei- Dazu zählen – neben vielem anderen – die staat, ihre Region und deren Traditionen sehr BR-Radltour, das Bayern 3-Dorffest, die schätzen. Für 76 Prozent der Bayern ist es Bayern 1-Sommerreise, ein Musikfestival mit laut BR-Bayernstudie wichtig, die Traditionen jungen Bands im Münchner Funkhaus oder ihrer Heimat zu pflegen; vor allem für die Lauf 10!, eine sportliche Herausforderung or- jungen Bayern unter 30 Jahren (72 Prozent) ganisiert von der „Abendschau“, dem Baye- hat dies heute einen höheren Stellenwert als rischen Landes-Sportverband und dem Zen- noch vor wenigen Jahren. trum für Prävention und Sportmedizin der Technischen Universität München. Daneben Dementsprechend eng ist das Verhältnis der ist der Bayerische Rundfunk über seine Kul- Menschen zur heimatlichen Sprache. Das turprogramme Partner zahlreicher Festivals Sprechen von Dialekt empfinden die Men- und Veranstaltungen in Bayern und tritt auf schen laut der BR-Bayernstudie als einen diese Weise als Förderer regionaler Kultur sehr starken Ausdruck ihrer Identität und der auf. Verbundenheit mit ihrer Region. So sagen 66 Prozent „Dialekt ist mir wichtig“, für 44 Pro- zent ist er sogar „sehr wichtig“. In den letzten BR-Bayernstudie 2012: Jahren hat die Bedeutung des Dialekt-Spre- Bayerischer Rundfunk als chens noch zugenommen, was besonders für gesellschaftliches Bindeglied die 30- bis 49-Jährigen in Bayern zutrifft.

Das umfassende Engagement des Bayeri- Dadurch, dass der Bayerische Rundfunk schen Rundfunks für Bayern innerhalb und glaubwürdig den Charakter der unterschied- außerhalb seiner Angebote wird von den lichen Regionen Bayerns sowie des gesam- Menschen honoriert. Wie die BR-Bayern- ten Freistaats und seiner Bewohner abbildet, studie 2012 ergeben hat, genießt der Baye- wird er selbst zu einem Stifter regionaler rische Rundfunk einen Ruf als professionelles und bayerischer Identität. Diese tragende ge- und kompetentes Medienunternehmen, sellschaftliche Rolle hat sich der BR in den das für die öffentliche Meinungsbildung in mehr als 60 Jahren seines Bestehens durch Bayern eine zentrale Rolle spielt und gesell- seine qualitativ hochwertigen Programmin- schaftliche Werte vermittelt, die den Men- halte erworben. Aber auch dadurch, dass er schen wichtig sind. Daneben betrachten viele den Menschen – im ganz wörtlichen und Menschen den Bayerischen Rundfunk als damit sehr positiven Sinne – „nach dem wichtiges Bindeglied im Freistaat – vor allem Mund redet“. wegen seiner flächendeckenden Präsenz und seiner authentischen Berichterstattung aus allen Regionen, die eine seiner Kernkompe- Fotos tenzen ist. © Bayerischer Rundfunk/Wilschewski, Hofstetter, Kolibius, Sessner, Högner, Riedel, Durch diese Leistungen hält der BR nach Konvalin Meinung vieler Befragter (86 Prozent) die Tra- © BR/ARD/DEGETO/Keller ditionen und das Brauchtum der bayerischen Regionen lebendig. Er zeigt Bayern so, wie es heute wirklich ist (84 Prozent), bildet das

242 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Ihr liebstes „Host mi?“-Wort 2012

Aus insgesamt 215 „Host mi?“-Wörtern, die 2012 zu erraten waren, haben Prof. Anthony Rowley und „Host mi?“-Reporte- Bayerns Mundartlandschaft rin Karén Ohlsen gemeinsam mit den Junge Bands stehen auf Dialekt Hörerinnen und Hörern des Bayerischen www.br.de/themen/bayern/inhalt/kult- Rundfunks die fünf lustigsten Dialektaus- und-brauch/dialekt-bayern- drücke aus dem Bairischen gesucht – und musik100.html gefunden. Hier das Ergebnis:  34,1 %: bambaramankln (betrügen, Host mi? schwindeln) Das bayerische Wörter-Raten  28,5 %: Hamperer (vermögensloser Mensch, www.br.de/fernsehen/bayerisches- hat nichts zu melden, Nichtsnutz) fernsehen/sendungen/wir-in-bayern/  19,6 %: Levdutti (aufgedrehte, Person, host-mi/index.html bissl durchtrieben, Faxenmacher, kann man nicht ganz ernst nehmen, Diener) Heimat zum Hören, Nachrichten und  10,0 %: Schloderhoara (Hirschkäfer) kulturelle Beiträge aus allen Landes-  7,8 %: Heischnickl (Heuschrecke) teilen bietet der neue digitale BR- Radiosender BR Heimat: www.br.de/radio/br-heimat/index.html

Bildungsprojekte im BR www.br.de/unternehmen/inhalt/ bildungsprojekte/index.html

BR-Bayernstudie 2012: Wie die Bayern wirklich ticken www.br.de/nachrichten/bayernstudie- 2012-start-100.html Dem Volk auf‘s Maul gschaut: Prof. Rowley, Bayern: Highlights und Hintergründe Leiter der Kommission für Mundartforschung (BAW) an seinem Arbeitsplatz www.br.de/themen/bayern/inhalt/ highlights-hintergruende/index.html

243 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Bayern: Geschichte, Sprache und Kultur – digital, vernetzt, spartenübergreifend

Stephan Kellner

Im Juni 2002 ging die Bayerische Landes- Rückblick – die Macher bibliothek Online (BLO) ans Netz. Sie war da- mals das erste regionale kulturwissenschaft- Die BLO (Abb. 1) ist ein Gemeinschaftspro- liche Informationsportal in Deutschland. Seit- jekt unter Federführung der Bayerischen dem hat sich die BLO dynamisch weiterent- Staatsbibliothek (BSB) in München. Projekt- wickelt und ist zu einer zentralen Plattform partner sind die Universitätsbibliotheken für digitale Informationsinhalte zu Bayerns Augsburg, Regensburg und Würzburg, die Geschichte und Kultur geworden. Die Benut- Landesbibliothek Coburg sowie die Staatsbi- zerakzeptanz ist über die Jahre sprunghaft bliothek Bamberg. Die Entwicklung der BLO gewachsen. 2014 wurden mehr als zehn wurde anfangs vom Bayerischen Staatsmi- Millionen Zugriffe verzeichnet. Die BLO – nisterium für Wissenschaft, Forschung und fraglos eine Erfolgsgeschichte. Kunst gefördert.

Der Impuls zur Schaffung der BLO ging von Konzept den genannten bayerischen Bibliotheken aus, doch sollte die Kooperation nicht auf Biblio- Der BLO (www.bayerische-landes- theken beschränkt bleiben, sondern sparten- bibliothek-online.de) liegt ein modularer übergreifend um Partner im ganzen Land er- Aufbau zugrunde. Angeboten werden Text- weitert werden, vor allem natürlich aus den dokumente bzw. Literaturgattungen jedweder Gedächtniseinrichtungen wie Archiven und Art, Standbilder (darunter Fotos, Grafiken, Museen, aber auch aus Wissenschaft und Karten etc.), Tondokumente sowie Filme. Die Forschung. einzelnen Module sind jeweils für sich, teil- weise aber auch mit Hilfe zentraler Suchein- Unter diesem Aspekt war die Kommission stiege für Orte, Personen und Sachbegriffe für Bayerische Landesgeschichte bei der durchsuchbar. Die BLO wird vernetzt, d. h. Bayerischen Akademie der Wissenschaf- arbeitsteilig und spartenübergreifend von ten ein Partner der ersten Stunde. Sie hatte unterschiedlichen Partnern gepflegt und fort- schon frühzeitig eigene Pläne zur Bereitstel- laufend ausgebaut. lung von historischen Informationen im Inter- net entwickelt und unterstützte nachdrücklich Ziel ist es, eine organisatorisch-technische den kooperativen Aufbau und Betrieb Produktions- und Präsentationsplattform einer institutionen- und spartenübergreifen- zu schaffen, die multimediale Inhalte unter- den „Medien- bzw. Informationsplattform“. schiedlichster Anbieter zur Geschichte und Kultur Bayerns bestmöglich erschlossen im Der Kreis der Kooperationspartner der BLO Netz anbietet und dem interessierten Nut- ist seither stetig gewachsen, im April 2014 zer einen komfortablen Zugang eröffnet. Da- waren es 56, darunter Archive, Behörden bei sollen sehr unterschiedliche Zielgruppen und Ämter, weitere Bibliotheken, Museen, angesprochen werden, Forscher ebenso wie Universitäten, Forschungseinrichtungen und Lehrer und Schüler oder Medienvertreter. Vereine.

244 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Abb. 1 Bayerische Landesbibliothek Online (BLO) – Startseite

Diese breite fachliche und regionale Vernet- breit gefächertes, interdisziplinäres Ange- zung stellt sicher, dass zum einen möglichst bot an Informationen und Dokumenten zur alle relevanten Themen in qualifizierter Weise Geschichte und Kultur Bayerns unter einem abgedeckt werden, zum anderen, dass der „virtuellen Dach“ zu vereinen. regionale Aspekt nicht nur bei den Inhalten, sondern auch bei den Mitwirkenden, d. h. ihrem Standort, in angemessener Weise zum Inhalte Tragen kommt. Der Benutzer findet in der BLO elektronische Von Beginn an waren Fachwissenschaftler Angebote, für die es keine gedruckte Entspre- in unterschiedlicher Funktion und Form in chung mehr gibt, aber auch solche, die ur- das Projekt eingebunden. Seit Anfang 2004 sprünglich gedruckt waren, dann aber digita- ist diese Zusammenarbeit in einem wissen- lisiert wurden: schaftlichen Fachbeirat unter dem Vorsitz des Münchner Landeshistorikers Ferdinand  Ein wichtiges Element ist die Datenbank der Kramer institutionalisiert. Neben der Landes- Bayerischen Bibliographie mit ihren mehr als geschichte sind derzeit die Disziplinen Kunst- 600.000 Literaturnachweisen; sie weist auch geschichte, Sprachwissenschaft, Volkskunde Aufsätze nach. und Literaturwissenschaft vertreten.  Digitalisierte Fachliteratur und Quellen bilden einen großen Schwerpunkt. Hier Die Inhalte in der BLO werden grundsätz- finden sich zum Beispiel zentrale Werke der lich in von den Kooperationspartnern ver- bayerischen Landesgeschichte, darunter: antworteten und eigenständig nutzbaren  die Zeitschrift für bayerische Landesge- Modulen angeboten. Deren Eigenarten und schichte, die wichtigste landesgeschichtliche spezifisches Design bleiben damit erhalten. Zeitschrift Das gemeinsame Ziel aber ist, ein möglichst  der Historische Atlas von Bayern, eine

245 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

historisch-topographische Landesbeschrei- Bayerisches Wörterbuch & bung Bayerns vom Mittelalter bis zur Sprachatlanten Gegenwart  Lexika, wie Karl Bosls Bayerische Die Inhalte der BLO haben bislang ihren Biographie (1983/1988), ein Angebot der Schwerpunkt auf der Landesgeschichte, doch UB Regensburg finden sich darüber hinaus Informationen zu  Protokolle des Bayerischen Landtags Kunstgeschichte, Volkskunde und Musik. Mit aus dem Zeitraum 1429 bis 1669, für die interessanten Angeboten ist auch der Bereich Weimarer Republik (1919 bis 1933) und für Sprachwissenschaft vertreten. Man kann 1946/47 durch das Bayerische Wörterbuch von Jo-  Kartenmaterial hann Andreas Schmeller blättern, Mitte des  über 1.000 historische Karten, zumeist 19. Jahrhunderts erschienen und bis heute aus den Beständen der BSB, digitalisiert und ein Standardwerk für jeden, der sich für den georeferenziert von der UB Regensburg Dialekt in Bayern interessiert.  2.400 Ortsblätter der Katasteruraufnahme des 19. Jahrhunderts aus den Beständen des Bayerischen Landesamtes für Vermessung und Geoinformation  Bilder  Porträts aus der Regensburger Porträt- galerie, ein Projekt der UB Regensburg  Ortsansichten und Bilder aus der Ab- teilung Karten und Bilder der BSB  die volkskundliche Fotosammlung von Erika Groth-Schmachtenberger (1906–1992) aus der UB Augsburg

Historisches Lexikon Bayerns

Ein herausragendes Angebot der BLO stellt das Historische Lexikon Bayerns (www.histo- Abb. 2 Sprechender Sprachatlas – Dialektgebiete risches-lexikon-bayerns.de) dar. Dieses rein digitale wissenschaftliche Sachlexikon zur bayerischen Geschichte entsteht seit Februar Seit 2008 ist der Sprechende Sprachatlas von 2005 und ist seit Mai 2006 online. Bayern freigeschaltet (Abb. 2, www.sprach- atlas.bayerische-landesbibliothek-online. Als erste Epoche wurde die Weimarer Repu- de). Er bot erstmals großflächig Audio-Doku- blik bearbeitet, derzeit sind die Zeitabschnitte mente in der BLO an. Die diesem Projekt zu- Spätmittelalter und Nachkriegszeit in Bear- grunde liegenden Karten stammen aus dem beitung. Im Mai 2015 waren über 900 Artikel Kleinen Bayerischen Sprachatlas von Man- freigeschaltet. Sie alle wurden von ausgewie- fred Renn und Werner König. Der handliche senen Experten ihres Gebiets geschrieben, Band ist 2009 in 3. Auflage im dtv-Verlag von einer fachkundigen Redaktion redigiert erschienen und bietet mit mehr als 120 Kar- und von einem fachwissenschaftlichen Beirat ten und dazugehörigen Kommentaren einen begutachtet. Sie werden begleitet von Foto- wissenschaftlich fundierten und dennoch grafien, Originaltexten und Tondokumenten, auch für den Laien verständlichen Überblick die den Inhalt anschaulich machen. über die Vielfalt der Dialekte Bayerns. Die- ser populäre Atlas beruht auf dem Material

246 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Abb. 3 Sprechender Sprachatlas – „Sommersprossen“ von sechs vielbändigen Sprachatlanten, die stellt. Mitte Mai 2015 folgte folgt ein entspre- als wissenschaftliche Grundlagenwerke (ab chendes Angebot für Niederbayern, der Spre- 1984) an den germanistisch-sprachwissen- chende Sprachatlas für Unterfranken ist in schaftlichen Lehrstühlen der Universitäten Planung. Auch damit wird es möglich sein, Augsburg, Bayreuth, Erlangen, Passau und die Varietäten in der Dialektsprache auf regi- Würzburg erarbeitet wurden. onaler und lokaler Ebene feinkörnig zu ver- folgen. Im Sprechenden Sprachatlas von Bayern sind alle Karten des Prints enthalten, ange- reichert um Tondokumente aus 70 über ganz Literaturportal Bayern Bayern verteilten Orten, die für die Online- Version neu aufgenommen und aufbereitet Bislang fehlte im Internet eine umfassende wurden. Jede Karte ist den unterschiedlichen Plattform für die Literatur in Bayern, doch Formen eines Begriffs gewidmet, etwa den Mitte Juli 2012 hat sich das geändert: Zu die- Sommersprossen (Abb. 3). Die unterschied- sem Zeitpunkt ist das Literaturportal Bayern lichen Ausdrücke sind auf der Karte visuali- online gegangen (Abb. 4; www.literaturpor- siert und werden gleichzeitig durch ein Au- tal-bayern.de). Zentrales Anliegen dieses diodokument hörbar gemacht. So kann der neuen Angebots ist es, die Ortsbezüge von Nutzer die Vielfältigkeit des Dialekts unmit- Autorinnen und Autoren sichtbar zu machen, telbar erfahren. Diese Form der Präsentation also die literarische Topographie Bayerns zu stieß auf großes Interesse, seit seiner Frei- (be-)schreiben. Dies versucht das Literatur- schaltung ist der Sprachatlas ein stark nach- portal auf neun verschiedenen Wegen: gefragtes Angebot. In der Rubrik Autorinnen & Autoren finden Mitte 2013 wurde der Sprechende Sprach- sich Porträts von Schriftstellerinnen und atlas für Bayerisch-Schwaben ins Netz ge- Schriftstellern, die die literarische Landschaft

247 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Bayerns in der Vergangenheit geprägt haben dische Literaten. Gleichzeitig ist mit diesem oder sie in der Gegenwart gestalten. Gestar- Thema auch der Rahmen abgesteckt, in dem tet wurde mit rund 300 Biogrammen, die die sich das Literaturportal bewegt: Es interes- Basis für ein bislang noch nicht existierendes siert sich für den Blick von außen auf Bayern umfassendes Autorenlexikon bilden. Es wird ebenso wie für den von innen. wie die anderen Module zügig angereichert. Die beiden genannten Themen hat die Mon- Literarische Zeitschriften sind im zweiten acensia, das Literaturarchiv der Stadt Mün- Bereich vertreten. Auch wenn sich bereits chen, beigesteuert. Von diesem Kooperati- kurze Porträts von wichtigen Blättern wie der onspartner stammt auch das Thema Lena Jugend und dem Simplicissimus finden, liegt Christ in Oberbayern; hier wurde eine Aus- hier der Schwerpunkt derzeit noch überwie- stellung ins Internet gebracht. Auch damit gend auf aktuellen Periodika. zeigt das Portal seine Möglichkeiten, die na- türlich auch von anderen Partnern genutzt Literarische Nachlässe liegen an vielen Or- werden können. Ein weiteres Beispiel bilden ten in Bayern verstreut. Um auf diese Schätze die Texte, die bei einem deutsch-tschechi- aufmerksam und sie für Forscher und Laien schen Autoren- und Übersetzertreffen ver- leicht zugänglich zu machen, sind sie in lesen wurden, das das Literaturarchiv Sulz- einem eigenen Bereich versammelt, der bach-Rosenberg/Literaturhaus Oberpfalz mehr als 1.500 Nachlässe von Personen und veranstaltet hat. literarischen Einrichtungen umfasst. Die Da- ten dazu wurden in einer aufwändigen Um- Das Modul Literaturland bietet die Möglich- frage eigens erhoben und bilden das vorhan- keit, sich dem Thema über eine interaktive dene literarische Erbe weitgehend vollstän- Karte zu nähern. Dort finden sich kleine dig ab. Porträts der Literaturgeschichte einzelner Städte, aber auch Orte, an denen Literatur- Zwei weitere Module präsentieren die litera- geschichte geschrieben wurde. Spaziergänge rischen Einrichtungen des Freistaats wie und Wanderwege sollen Lust machen, den Literaturhäuser, Bibliotheken, Vereine, Spuren eines Dichters auch im wörtlichen Archive und Museen. Bald werden an die- Sinn zu folgen oder die Literaturgeschichte ser Stelle auch Buchhandlungen und Verlage einer Stadt zu Fuß zu erkunden. Ein beson- vertreten sein. Der Bereich Preise & Förde- ders ausführliches und schönes Beispiel ist rungen informiert über Förderungsmöglich- der Jean-Paul-Wanderweg in Oberfranken, keiten, Preise und Stipendien. der vom Verbundprojekt Oberfranken zur Verfügung gestellt wurde. In Sulzbach-Rosen- Neben diesen lexikalisch orientierten Teilen berg kann man den Spuren Walter Höllerers des Literaturportals Bayern bieten sich wei- folgen, in Augsburg durch die Kindheit und tere Möglichkeiten, sich dem Thema Literatur Jugend Bertolt Brechts streifen. in Bayern zu nähern. Für den thematischen Bereich steht das Modul Themen. Hier kann Zwei Bereiche im Literaturportal Bayern bil- sich der Nutzer unter bestimmten Blickwin- den aktuelle Ereignisse ab. Zum einen ist dies keln mit der Literarisierung von Landschaf- der bayernweite Veranstaltungskalender, ten vertraut machen. Der Bereich Sommerfri- zum anderen berichten die Redakteurinnen sche etwa versammelt zahlreiche Texte von und Redakteure des Portals im Blog über die Schriftstellern und Künstlern, die vor allem wichtigsten Neuigkeiten auf dem literarischen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Sektor. Besonders hier haben die Nutzer die Ferien im Alpenvorland verbracht haben. Möglichkeit, sich einzubringen, doch prinzi- Ein schöner Rausch bietet eine Palette von piell ist dies im gesamten Portal durch eine Wahrnehmungen Münchens durch auslän- Kommentarfunktion möglich.

248 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Auch sonst nutzt die Redaktion die Möglich- einzelne Einrichtungen oder aktuelle Ge- keiten des Web 2.0: Sie betreibt einen burts- oder Todestage. Fast überall laufen die Account auf Facebook und twittert fleißig, Tweets mit und bieten über aktuelle Informa- ein Newsletter informiert außerdem alle vier tionen weitere Einstiege an. Wochen über neue Angebote im Portal. Bereits im Vorfeld wurden die Porträts der Neben den redaktionellen Texten und den Gegenwartsautoren, der Städte, Institutionen Texten der Autoren setzt das Literaturportal und der Preise zurückgespielt, um Korrek- intensiv auf Bilder. Dabei leisten die Archi- turen und Ergänzungen zu ermöglichen. ve der Staatsbibliothek und der Monacensia gute Dienste, doch ebensoviel kommt von Alle Inhalte der Module sind intensiv unter- außen, aus den verschiedensten Quellen. Sie einander vernetzt. So kann man vom alle machen das Portal anschaulich, ebenso Autorenporträt des in Fürth aufgewachsenen die Audios und Videos. Schriftstellers Jakob Wassermann etwa zu seinem Nachlass, zu dem nach ihm benann- Das Literaturportal Bayern entsteht an der ten Preis, zu seinem Spaziergang und zu Bayerischen Staatsbibliothek; dort sind die einem Beitrag im Themenbereich klicken. Technik und die Redaktion angesiedelt. Außerdem sind zahlreiche externe Links ein- Partner ist, wie bereits erwähnt, die Mona- gebaut, etwa in den bayerischen Verbund- censia. Das Staatsministerium für Bildung katalog oder in rechtefreie Volltextangebote, und Kultus, Wissenschaft und Kunst trägt wenn möglich bei Nachlässen auch zu Digita- und begleitet das Projekt seit seinen Anfän- lisaten. Bei den Autorinnen und Autoren der gen, die Landeshauptstadt München unter- Gegenwartsliteratur führen Links etwa auf die stützt es, die Bayerische Sparkassenstiftung jeweilige Homepage oder zum Youtube-Video hat es großzügig gefördert. einer Lesung. Das Literaturportal Bayern ist nicht fertig. Die Startseite des Portals und der einzelnen Es lädt alle zur Mitarbeit ein, die die viel- Module haben den Charakter kleiner Schau- gestaltige Literaturgeschichte und Literatur- fenster, die auf unterschiedlichste Weise den landschaft Bayerns im Internet abbilden Nutzer dazu anregen wollen, sich ins Por- wollen, und ist offen für weitere Kooperati- tal hineinzuklicken, etwa durch Hinweise auf onen.

Abb. 4 Literaturportal Bayern – Startseite

249 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Zwischenbilanz Schwerpunkte, etwa zu Ludwig II., zum Okto- berfest oder zur Revolution und Räterepublik Die BLO hat sich etabliert. Die hohe Benutzer- von 1918/19. akzeptanz gibt der konzeptionellen und inhaltlichen Ausrichtung des Unternehmens Den größten Mehrwert bietet bavarikon bei recht. Gleichwohl bleibt eine Reihe von jenen Stücken, die wegen ihrer Fragilität der Herausforderungen. Sie betreffen neben der Öffentlichkeit nicht mehr gezeigt werden kön- Erweiterung der Inhalte vor allem die Daten- nen. An die zum Weltdokumentenerbe zäh- präsentation und die konsequente Weiter- lende Bamberger Apokalypse ist in diesem entwicklung der organisatorisch-technischen Zusammenhang zu denken, aber auch an Ur- Infrastruktur. Letzteres schließt auch die Ent- kunden wie die Goldene Bulle Kaiser Karls wicklung von Lösungen für die Nutzung der IV. von 1356. Die älteste Urkunde des Haupt- BLO bzw. von deren Inhalten auf Mobilgerä- staatsarchivs aus der Hand Karls des Großen ten ein. Ein erster Schritt in diese Richtung von 794 gehört hier ebenso dazu wie eine war die Entwicklung der Smartphone- frühe Handschrift des Nibelungenlieds aus Applikationen Ludwig II. – Auf den Spuren dem 13. Jahrhundert, die nun für alle zugäng- des Märchenkönigs (2011), Bayern in histo- lich bequem von zu Hause aus eingesehen rischen Karten und Dichterwege – Auf den und studiert werden können. Spuren von Jean Paul (beide 2013). bavarikon kommt den Nutzern auch durch eine Reihe optisch interessanter Features ent- bavarikon – das neue Kulturportal gegen: Zoomtechniken ermöglichen es bei- für Bayern spielsweise, sich Albrecht Altdorfers Alexan- derschlacht, Dürers Selbstporträt im Pelz- Die Zukunft der BLO hat bereits begonnen. rock oder die bayerische Königskrone von Seit Mitte April 2013 gibt es mit der Beta- 1806 ganz aus der Nähe anzusehen. Ebenso Version von bavarikon. Kultur und Wissens- die Gutenberg-Bibel oder Apians Bairische schätze Bayerns ein neues Kulturportal für Landtafeln. Mit Hilfe innovativer 3D-Technik den Freistaat, am 11. Mai 2015 wurde es für kann die Renaissance-Statue Judith mit dem den Regelbetrieb freigeschaltet (Abb. 5). Das Haupt des Holofernes von Conrad Meit in alle Portal fußt auf der BLO und stellt gleichzei- Richtungen gedreht werden, desgleichen 20 tig seine Weiterentwicklung dar. Derzeit 12 andere Exponate wie der Himmelsglobus von staatliche und städtische Einrichtungen ha- Heinrich Aboreus aus dem 16. Jahrhundert. ben sich hier zusammengeschlossen, um Eine Auswahl hochwertiger Stücke steht auch spartenübergreifend und intensiv vernetzt auf der App bavarikon 3D bereit. Und die Kunst, Kultur und Landeskunde Bayerns digi- Sammlung wächst! 60 3D-Digitalisate sind in tal zu präsentieren. Vorbereitung, 30 Vorhaben zur Neudigitali- sierung von rund 35.000 Objekten sind in die Die Internetpräsenz, die sich noch im Aufbau Wege geleitet. befindet, enthält bereits heute 205.000 Digita- lisate von Archivalien, Büchern, Handschrif- Das Kulturportal bavarikon ist ein Gemein- ten, Gemälden, Kupferstichen und weiteren schaftsprojekt der Bayerischen Staatsmini- Museumsobjekten. Datensätze zu Schlössern sterien für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Burgen, Karten und Fotografien sowie In- und Kunst sowie der Finanzen, für Landes- formationen zu Orten, Institutionen und Per- entwicklung und Heimat. Es ist Bestandteil sonen runden dieses einmalige Angebot ab. des Bayerischen Kulturkonzepts und wird von In erweiterter Form ist auch die Ortsdaten- beiden Staatsministerien großzügig finanzi- bank der BLO eingebunden, ebenso das Hi- ell unterstützt. Die Bayerische Staatsbiblio- storische Lexikon Bayerns und thematische thek trägt den laufenden technischen, redak-

250 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

tionellen und organisatorischen Betrieb und und natürlich kostenfrei. Ich begrüße es aus- ist Sitz der bavarikon-Geschäftsstelle. Die drücklich, dass die beteiligten Einrichtungen Entscheidung über Digitalisierungsvorhaben die bayerischen Kulturschätze – gerade die trifft der aus dreizehn Mitgliedern bestehende 3D-Objekte – niederschwellig im Netz an- bavarikon-Rat. bieten. Das ist ein unvergleichlicher Service für die Menschen. Und ich begrüße es, dass Bei der Freischaltung in den Regelbetrieb am die Arbeiten für bavarikon auch in die Deut- 11. Mai 2015 in der Bayerischen Staatsbibli- sche Digitale Bibliothek und das Projekt Euro- othek betonte Bildungsminister Dr. Ludwig peana einfließen.“ Spaenle: „Das Portal bavarikon bietet einen unschätzbaren Mehrwert für Wissenschaft- BSB-Generaldirektor Dr. Klaus Ceynowa lerinnen und Wissenschaftler ebenso wie für sekundierte: „bavarikon ist der Auftritt des kulturinteressierte Bürgerinnen und Bürger. Kulturstaates Bayern im digitalen Raum. Sie haben über die Digitalisate Zugriff auf die Gerade als Gemeinschaftsprojekt hat es das unermesslichen Kultur- und Wissensschätze Potenzial, die einzigartige kulturelle Tiefen- Bayerns und erhalten zugleich weiterfüh- dimension unseres Landes weltweit im Netz rende Informationen, weltweit, zu jeder Zeit zu präsentieren.“

Abb. 5 bavarikon – Startseite

251 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Was macht UDI? Dialektförderung in Unterfranken

Monika Fritz-Scheuplein, Almut König

Arbeitsfelder des Unterfränkischen Dialektinstituts (UDI)

Seit Frühjahr 2003 gibt es am Institut für Im Bereich Forschung wäre das UDI nicht deutsche Philologie der Universität Würzburg denkbar ohne den Sprachatlas von Unter- das Unterfränkische Dialektinstitut (UDI). franken (SUF), ein Forschungsprojekt des Gefördert durch die Kulturstiftung des Be- Freistaats Bayern und der Deutschen For- zirks Unterfranken führt das UDI geisteswis- schungsgemeinschaft, das von 1989 bis 2003 senschaftliche Forschungs- und Öffentlich- an der Universität Würzburg angesiedelt war. keitsarbeit auf wissenschaftlicher Basis zu- Die Arbeiten am SUF sind abgeschlossen, ein sammen. Als Kompetenzzentrum für Dialekt- sechsbändiges Kartenwerk zu den Bereichen forschung in Unterfranken leistet das UDI auf Lautung, Morphologie und Lexik liegt publi- zahlreichen Arbeitsfeldern einen wirksamen ziert vor (Wolf/Krämer-Neubert 2005ff.). Als Beitrag, um das Wissen über die regionale eines von sechs Teilprojekten zählte der SUF Sprache in den verschiedensten Nutzerkrei- zum Forschungsverbund Bayerischer Sprach- sen zu verbreite(r)n. atlas (BSA), der den Dialekt in allen Regie-

252 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

rungsbezirken des Freistaats erfasst und do- büchern, -geschichten, -gedichten, -kalendern kumentiert hat. Ergänzt wird der BSA durch aus ganz Unterfranken und benachbarter Re- die Bayerische Dialektdatenbank BayDat, die gionen sowie ein Video-, Foto- und Schallar- die Erhebungsdaten der sechs Teilprojekte chiv, die u. a. Fotos von alten landwirtschaft- des Bayerischen Sprachatlas BSA in elektro- lichen Geräten oder Tonbandaufnahmen der nischer Form an zentraler Stelle, dem Lehr- Dialektbefragungen für den SUF aus den Jah- stuhl für deutsche Sprachwissenschaft an der ren 1989-2006 enthalten. Ein Verzeichnis aller Universität Würzburg, zusammenfasst und Einsendungen ist einsehbar auf der Home- in Form einer Datenbank zukunftssicher spei- page des UDI: chert. Unter www.baydat.uni-wuerzburg.de www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de wird sie der Öffentlichkeit online zugänglich > Projekte / Mundartarchiv. gemacht. Neuigkeiten und Wissenswertes aus und Unter der Forschungsfrage „Spricht die Ju- über das UDI erfährt man über die Home- gend noch Dialekt?“ stellt der Sprachatlas page und im zweimal jährlich erscheinenden von Unterfranken zum Dialekt und Dialektver- Newsletter Würzburger Sendbrief vom Dia- halten junger Erwachsener (JuSUF) auf 160 lektforschen. Zudem ist das UDI regelmäßig Karten Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit Beiträgen und Infoständen bei Bezirks- zwischen dem Dialekt der jungen Erwachse- veranstaltungen und Fachtagungen vertre- nen und der Grundmundart dar, wie sie für ten sowie über das Dialekt-Telefon für Frage- den SUF erhoben wurden (König 2011). Ne- stellungen rund um das Thema Dialekt unter ben den Sprachdaten erhob der JuSUF auch 0931/3185631 oder per Mail unter info@un- die Meinungen der jungen Gewährsleute terfraenkisches-dialektinstitut.de erreichbar. zum Dialekt. Hier fiel besonders auf, dass die Mehrheit der Meinung ist, die Familie sei der Ort, an dem Dialekt gesprochen wird. Gleich- Das Schulprojekt „Fränki“ zeitig aber waren sich die Gewährsleute da- rüber einig, dass im Gespräch mit den Kin- Zwischen 2006 und 2012 betreute das UDI dern Dialektgebrauch tunlichst vermieden das vom Programm Denkwerk der Robert werden sollte. Bosch Stiftung geförderte Projekt Fränki – Schüler in Unterfranken erforschen ihren Eng miteinander verknüpft sind die zwei Ar- Dialekt, dessen Konzept im Rahmen eines beitsfelder Kulturarbeit und Öffentlichkeits- Workshops zusammen mit Lehrerinnen und arbeit. Hierzu zählen u. a. die Veröffentlichun­ Lehrern von neun unterfränkischen Gymna- gen des UDI, die für die breite Öffentlichkeit sien erarbeitet wurde. Ziel dieses Projekts und die dialektinteressierten Laien gedacht war es, Schüler der Mittelstufe über den sind. Als da sind: das Wörterbuch von Unter- Lehrplan hinaus an geisteswissenschaftliche franken (WUF), der Kleine Unter­fränkische Arbeitsfelder heranzuführen und sie dabei in- Sprachatlas (KUSs), die Gedicht­anthologie äs nerhalb eines eigenen Forschungsprojekts – gleiche mit Dialektgedichten von unterfrän- einer Dialekterhebung am Heimatort und der kischen SchülerInnen sowie das Ortsneck- Umgebung – mit Methoden des empirischen namenbuch Dreidörfer Narrn stehn auf drei wissenschaftlichen Arbeitens vertraut zu ma- Sparrn. chen. Fränki wurde in der Regel in der achten Jahrgangsstufe durchgeführt, denn dort ist Neben der ständigen Aktualisierung der Bi- das Thema Mundart im bayerischen Lehrplan bliographie zu den Dialekten Unterfrankens für das Fach Deutsch vorgesehen. In fünf Pro- unterhält und betreut das UDI auch verschie- jektjahren haben an Fränki insgesamt über dene Archive: Das Mundartarchiv als syste- 1300 Achtklässler und 50 Lehrkräfte aus un- matische Sammlung von Mundartwörter­ terfränkischen Gymnasien teilgenommen.

253 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Das Projekt setzte sich aus sechs Modulen terrichtsstunden in das Thema Dialekt und zusammen, die innerhalb eines Schuljahres in das dialektologische Arbeiten ein­geführt. von Schülern, Lehrern und Wissenschaftlern Mit einem zweistündigen Schulbesuch unter- durchlaufen wurden. stützte das UDI die Lehrkräfte.

Dieser Schulbesuch hatte zwei Themen- schwerpunkte:  In der ersten Stunde erarbeiteten die Schüler anhand einer Originalaufnahme aus den Dialektbefragungen für den Sprachatlas von Unterfranken den Begriff Forschung und erfuhren anhand eines Arbeitsblattes alle Schritte, die ein Forschungsprojekt beinhaltet (Formulierung einer Forschungshypothese etc.).  Der zweite Teil des Unterrichtsbesuchs be- schäftigte sich ausführlich mit dem Thema Logo des UDI-Schulprojekts Fränki der Fragebogenerstellung sowie dem Ab- lauf einer Befragung. Es wurde u. a. erläu- Im ersten Modul, der Lehrerfortbildung, ver- tert, wie man die Erhebungsfragen richtig mittelten UDI-Mitarbeiter sowie Gastdo- anordnet, wie man Fragen eindeutig formu- zenten den Lehrkräften der teilnehmenden liert und welche Hilfestellungen man einer Schulen grundlegendes Methodenwissen. Gewährsperson geben kann. Anschließend Während im ersten Projektjahr noch dialek- erarbeiteten die Schüler, welche Themenbe- tologisches Methodenwissen und dialektolo- reiche sich für eine Dialektbefragung eignen. gische Arbeitsverfahren wie Erhebung, Tran- Im Rahmen einer Gruppenarbeit mussten an- skription, Präsentation und Interpretation schließend die Schüler anhand eines vorge- von Sprachdaten im Mittelpunkt standen, gebenen Themenbereichs die verschiedenen orientierte sich der in die Fortbildung ein- Typen der Frageformulierung umsetzen und führende Gastvortrag ab dem zweiten Pro- im Rahmen einer kleinen Befragung im Klas- jektjahr immer am Thema des später stattfin- senverbund erproben. denden Schülertages. Ein weiterer Schwer- punkt der Lehrerfortbildung war die Planung Zum dritten Modul kamen die Schüler an und Vorbereitung der Unterrichtseinheiten, die Universität zum Schülertag. Hier wur- die an allen beteiligten Schulen inhaltlich und den sie einen Tag lang zu „Studierenden der methodisch einheitlich durchgeführt wer- Dia­lektologie“ und bekamen so die Möglich- den sollten, damit alle Schüler mit dem glei- keit, durch kurze Fachvorträge, einen Lernzir- chen Vorwissen in das Projekt starten. Hier- kel, kleine Forschungsaufträge und durch das für wurde der vom UDI erstellte Arbeitsauf- Mittagessen in der Mensa Universität vor Ort trag für den Schülertag vorgestellt und dis- zu erleben. Auf diesen Schülertag, der jedes kutiert. Im Anschluss wurden daraus gemein- Jahr unter einem anderen Motto stand, ha- sam mit den Lehrkräften eine oder mehrere ben sich die Klassen gezielt mit Arbeitsaufträ- Unterrichtseinheit(en) zum jeweiligen Thema gen zum jeweiligen Thema vorbereitet, deren erarbeitet. Ergebnisse sie im Rahmen von Kurzvorträ- gen und in einem Wettbewerb vor einer Jury Als zweites Modul folgte die erste Unter- präsentierten. richtseinheit in den Schulen. Hier wurden die Schüler von den Lehrkräften anhand der bei der Lehrerfortbildung erarbeiteten Un-

254 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Im vierten Modul nahmen die Schüler selbst Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten prä- die Rolle des Dialektforschers ein und führten sentierten Vertreter der einzelnen Klassen in eigenständig ihre Dialektbefragungen im einem ca. 15-minütigen Vortrag jeweils im Feld durch. Je nach Forschungshypothese sechsten Modul, dem Mini-Kongress, der mussten sie zunächst für ihre Erhebungen wieder an der Universität Würzburg statt- geeignete Gewährspersonen finden. Ausge- fand. Eine Jury, die aus UDI-Mitarbeitern, stattet mit Diktiergerät und dem von ihnen Vertretern der Robert Bosch Stiftung, des Be- erstellten Fragebogen erhoben sie in die- zirks Unterfranken, des Lehrstuhls für Didak- ser Phase die Sprachdaten, die sie im weite- tik der deutschen Sprache und Literatur so- ren Projektverlauf auswerten und interpretie- wie aus einem unparteiischen Gymnasial- ren würden. Wie die Erfahrungsberichte der lehrer bestand, bewertete die Vorträge und Schüler und Lehrer gezeigt haben, hat beson- Präsentationen nach einem festgelegten Kri- ders dieses Modul äußerst motivierend auf terienkatalog. Den von allen mit Spannung den weiteren Projektverlauf gewirkt. Zudem erwarteten Abschluss der Projektarbeit bil- berichteten die Schüler von positiven Aus- dete die Prämierung der besten Forschungs- wirkungen im Hinblick auf ihre soziale Kom- arbeiten. Dank der großzügigen Förderung petenz, wie etwa den Umgang mit (fremden) durch die Robert Bosch Stiftung musste in Menschen, oder die Stärkung ihrer Selbst­ der Regel keine Klasse mit leeren Händen sicherheit. nach Hause gehen, sondern konnte – gestaf- felt je nach erbrachter Leistung – einen will- Modul fünf führte die Schüler wieder zurück kommenen Geldbetrag für die Klassenkasse in die Klassenzimmer zur zweiten Unter- mitnehmen. richtseinheit an den Schulen, die sich mit der Auswertung ihrer Erhebungen und der Auf- Alle dem UDI übermittelten Forschungsbe- bereitung ihrer Ergebnisse für eine Präsenta- richte der in den fünf Projektjahren an Fränki tion beim abschließenden Mini-Kongress be- beteiligten Klassen hat das UDI in so ge- schäftigte. In welcher Form die Schüler ihre nannten Sondersendbriefen dokumentiert. Ergebnisse präsentieren wollten, war ihnen Sie sind für die Öffentlichkeit zugänglich im freigestellt. Auch in dieser Phase fand ein Sendbrief-Archiv auf der UDI-Homepage UDI-Schulbesuch statt, um die Klassen bei unter www.udi.germanistik.uni-wuerzburg.de. der Auswertung ihrer Befragungs­ergebnisse zu unterstützen. Nachdem die Klassen zu- nächst auf mögliche Probleme bei der Über- prüfung ihrer Hypothesen aufmerksam ge- macht wurden, erledigten sie anschließend in kleineren Gruppen Arbeitsaufträge: Sie zeichneten Dialektkarten, Kreis- und Balken- diagramme und trainierten und vertieften so das zuvor erläuterte Methodenwissen zur Da- tenauswertung. Der Schul­besuch endete mit Hinweisen zu den Inhalten ihres Forschungs- berichts und mit Tipps für die Präsentationen am Mini-Kongress. Für die Schüler und Lehr- kräfte begann danach die wohl arbeitsinten- sivste Projektphase, die nicht nur während des regulären Unterrichts, sondern vor allem in der Freizeit der Schüler stattfand. Logo des Unterfränkischen Dialektinstituts (UDI)

255 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

256 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Die Lehrerhandreichung Die einzelnen Themenblöcke sind jeweils in „Dialekt und …“ Material für Lehrer und Material für Schüler aufgeteilt. Die Materialien für Lehrkräfte ent- Die vom UDI erstellte und herausgegebene halten Hintergrundinformationen, genaue Lehrerhandreichung Dialekt und … (2007ff.) Definitionen, Beispielkarten oder -texte, von schließt eine „Versorgungslücke“, denn sie Lehrkräften erstellte und erprobte Unter- geht auf einen Vorschlag von Lehrkräften zu- richtseinheiten sowie weiterführende Hin- rück, die sich mehr Material speziell zum Dia­ weise. Das Material für Schüler umfasst ein- lekt in Unterfranken wünschten. Daher ist fache Definitionen, vereinfachte Dialektkar- sie nicht als Konkurrenz, sondern als Ergän- ten, Arbeitsaufträge, anhand derer die Schü- zung zur Handreichung Dialekte in Bayern ler verschiedene Untersuchungen selbst (2006/2015) aus dem ISB zu verstehen. Sie durchführen können, sowie etliche Frage­ liefert zwar Material, das speziell auf die Dia­ bogen, z. B. den Fragebogen Wie kommt lekte in Unterfranken abgestimmt ist, aller- Dialekt in den Medien vor? (siehe Anhang). dings zeigt die bayern- und deutschlandweite Jeweils am Kapitelbeginn stehen die ange- Nachfrage unter anderem auch von univer- strebten Lernziele, Unterrichtsvorschläge und sitären Instituten, dass sie sich nicht nur für eine Auflistung der vorhandenen Materialien. den Einsatz in Unterfranken und nicht nur für den Einsatz an Schulen eignet. Bestellung: Die 246 Seiten umfassende UDI- Lehrerhandreichung kann kostenlos als PDF- Die Inhalte der UDI-Lehrerhandreichung ba- Dokument per Mail beim UDI angefordert sieren auf den Vorträgen und Forschungsauf- werden. Ein detailliertes Inhaltsverzeichnis trägen der UDI-Schülertage. Diese Schüler- ist auf der UDI-Homepage unter Materialien/ tage haben seit 2004 jedes Jahr ein anderes Lehrerhandreichung einzusehen. Schwerpunktthema/Motto, so dass die Lehrer mit ihren Schülern das Thema Dialekt unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und erarbeiten können.

Derzeit besteht die UDI-Lehrerhandreichung aus zehn Kapiteln, die die Themenvielfalt der UDI-Schülertage widerspiegeln: 1. Dialekt 2. Medien 3. Dialekt und Medien 4. Werbung 5. Dialekt und Werbung 6. Dialekt und Theater 7. Dialekt und Lyrik 8. Dialekt und Film 9. Dialekt und Musik 10. Dialekt und Soziale Medien

Ein kurzer Abriss zum Urheberrecht, der über die wichtigsten rechtlichen Grundlagen infor- miert, wenn man bereits vorhandenes Mate­- rial­ (wie Liedtexte, Musik, Filme, E-Books etc.) bearbeiten oder verwenden will, findet sich in Kap. 9. Titelblatt der UDI-Lehrerhandreichung Dialekt und …

257 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Kindern meist sehr gut, z. B. durch die Ton- beispiele zweier Dialekt sprechender Mäd- chen aus Lübeck und der Oberpfalz, die über sich, ihre Familie, ihren Wohnort und ihre Hobbys erzählen, bestimmte Dialektmerk- male des Niederdeutschen und des Ober- deutschen im Unterschied zur Standardspra- che zu erkennen.

Anhand von Fotos verschiedener Personen- gruppen und Situationen (z. B. Familie beim Mittagessen, Pfarrer bei der Predigt, Senio- Dialekt und Lyrik renkaffeekränzchen) reflektieren die Kinder anschließend unter der Fragestellung „Wann spreche ich wie mit wem?“ über ihren eige- Das Grundschulprojekt nen und den Sprachgebrauch anderer. Hier- „UDI unterwegs“ bei kommen die Schüler meist schnell zu dem Ergebnis, dass ihre Großeltern mehr Dia- Basierend auf den zwei Vorlesungen im Rah- lekt sprechen als ihre Eltern und sie selbst, men der Kinder-Uni der Universität Würzburg dass sie in der Schule weniger Dialekt spre- im Januar 2007 unter dem Titel Ich sag‘ Le- chen als Zuhause und dass es Situationen ckerle, wie sagst du? und im Februar 2010 gibt, in denen man keinen Dialekt verwendet, unter dem Motto Hast du heute schon ge- wie etwa der Tagesschausprecher beim Ver- knaukt? Oder: Was es über Dialekte zu sagen lesen der Nachrichten oder der Pfarrer in der gibt bietet das UDI auf Anfrage auch Grund- Kirche. schulbesuche für die dritte und vierte Jahr- gangsstufe an. Zum Abschluss der Unterrichtsstunde geht es noch einmal genauer um den unterfrän- Abgestimmt auf den jeweiligen Schulort kischen Dialekt: In einem Quiz sollen die und den dort verwendeten Dialekt sollen die Grundschüler die Bedeutung einiger unter- Grundschüler zunächst durch das Vorlesen fränkischer Dialektwörter (z. B. Gackel, Küm- eines kurzen Mundartextes erkennen, was merlein oder pfatzen) erraten. Diese Aufgabe die Verschriftlichung von Dialekt so schwierig ist für die meisten Kinder zwar recht schwie- macht, da Dialekte in der Regel ja zur Ebene rig, aber anhand von Sprachkarten können der gesprochenen Sprache gehören. Gleich- die Grundschüler dann sehen, dass in den zeitig werden Merkmale herausgearbeitet, in einzelnen Dialektgebieten in Unterfranken denen sich der Dialekt von der Standardspra- unterschiedliche Wörter für die gleiche Sache che unterscheidet. verwendet werden und wie groß die Vielfalt der Dialekte in Unterfranken ist. Die regionale Gebundenheit von Dialekt wird den Schülern durch das Sammeln un- Mit seinem Grundschulprojekt strebt das UDI terschiedlicher dialektaler Begriffe für das demnach immer drei Lernziele beim meist Brötchen (wie Weck, Semmel, Rundstück einstündigen Schulbesuch an: und Schrippe) und ihre Verortung auf einer 1. In Deutschland gibt es drei große Dialekt- Deutschlandkarte vermittelt. Mit Hilfe von gebiete. Hörproben sollen die Kinder schließlich ein- 2. Der Dialektgebrauch ist abhängig von zelne Dialekte erkennen und verstehen, was Situation und Gesprächspartner. umso schwieriger wird, je weiter es in Rich- 3. Dialekte sind regional gebunden. tung Norden geht. Dennoch gelingt es den

258 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Aufkommender Langeweile durch z. B. Des- Fritz-Scheuplein, Monika (2008-2010): Das interesse am Thema wird durch die kindge- Schulprojekt Fränki. In: Klagenfurter Beiträge rechte und spielerische Vermittlung der Lern- zur Sprachwissenschaft. Akten der 10. inhalte vorgebeugt, zudem sind die Grund- Arbeitstagung für bayerisch-österreichische schüler stets aktiv in das Unterrichtsgesche- Dialektologie (Klagenfurt, 19.-22. September hen eingebunden. Bei einem längeren Schul- 2007). Wien, S. 77-85. (= KBS 34-36). besuch kann das Programm beliebig erwei- tert und ergänzt werden, z. B. mit einer klei- König, Almut (2011): Sprachatlas von Unter- nen Dialektbefragung von einheimischen Dia­ franken zum Dialekt und Dialektverhalten lektsprechern oder mit einer kurzen Lesung junger Erwachsener (JuSUF). Typoskript. eines einheimischen Mundartdichters. Würzburg.

König, Almut / Fritz-Scheuplein, Monika / Blidschun, Claudia / Wolf, Norbert Richard (2007): Kleiner Unterfränkischer Sprachatlas (KUSs). Heidelberg.

Lehrerhandreichung „Dialekt und …“ (2007ff.). Hg. von Claudia Blidschun, Monika Fritz-Scheuplein, Almut König, Norbert Richard Wolf und Ralf Zimmermann (Typoskript). Würzburg.

Titelfolie Kinderuni 2007 Sprachatlas von Unterfranken (2005ff.). Hg. von Norbert Richard Wolf und Sabine Krämer-Neubert. Heidelberg. 6 Bde. Bde. 1-2: Literatur Lautgeographie, Bd. 3: Formengeographie, Bde. 4-6: Wortgeographie. (= Bayerischer Fritz-Scheuplein, Monikam / König, Almut / Sprachatlas Regionalteil 3) Krämer-Neubert, Sabine / Wolf , Norbert Richard (Hgg.) (2012): Dreidörfer Narrn stehn Wörterbuch von Unterfranken (2008). Eine auf drei Sparrn. Ortsnecknamen in Unter- lexikographische Bestandsaufnahme. Zusam- franken. Würzburg. mengestellt von Monika Fritz-Scheuplein, Almut König, Sabine Krämer-Neubert und Fritz-Scheuplein, Monika / König, Almut / Norbert Richard Wolf. 3. überarb. u. erhebl. Wolf, Norbert Richard (Hgg.) (2011): äs glei- erw. Aufl. Würzburg. che. Schülergedichte zum UDI-Schülertag 2009 „Dialekt und Lyrik“. Heidelberg.

Fritz-Scheuplein, Monika / König, Almut (2009): Eine Lehrerhandreichung aus dem Unterfränkischen Dialektinstitut (UDI). In: Ulrich Kanz / Alfred Wildfeuer / Ludwig Zehetner (Hgg.): Mundart und Medien. Bei- träge zum 3. dialektologischen Symposium im Bayerischen Wald, Walderbach, Mai 2008. Regensburg, S. 87-92. (= Regensburger Dialektforum 16).

259 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Anhang: Fragebogen „Dialekt und Medien“

260 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

261 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

„Sprache im Fluss“. Dialekt erforschen und fördern im Altmühl-Jura-Raum

Monika Raml, Christine Heimerer

1. „Sprache im Fluss“ – Übersicht Hintergrund, Ziele, 1. „Sprache im Fluss“ – Hintergrund, Überblick Ziele, Überblick

2. Projektplanung und -durchführung Im Oktober 2010 wurde der Vertrag zum Dialektforschungsprojekt „Sprache im Fluss“ 2.1 Forschungsgebiet zwischen dem kommunalen Zusammen- 2.2 Projektphasen: Dialektbefragung 2010/11 schluss Altmühl-Jura e. V. und dem Lehr-

2.3 Personelle Ausstattung – stuhl Deutschdidaktik der Kath. Universität Projektteilnehmer Eichstätt-Ingolstadt abgeschlossen. Die Ko- finanzierung erfolgte durch den Kulturfonds 3. Pretest und Online-Befragung 2010 Bayern des Bayerischen Staatsministeriums 4. Ergebnisse der schriftlichen für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Die Befragung 2011 Konzeption und Durchführung des Drittmit- telprojekts übernahm Dr. Monika Raml (Wis- 4.1 Kindergärten senschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl 4.2 Grundschule Deutschdidaktik), unterstützt ab Februar 2012 durch die Projektmitarbeiterin Christine Hei- 4.3 Befragungen ab Jgst. 5 merer. 4.4 Lehrer/-innen und Erzieherinnen Der Auftrag der Drittmittelgeber lautete, die 4.5 Eltern Sprachkultur im Altmühl-Jura-Raum zu er- 5. Audio-Sprachatlas Altmühl-Jura fassen und zu aktivieren. Dies geschah so- wohl auf Basis der Dialektkenntnisse älterer 5.1 Befragung nach Altersgruppen Gewährspersonen als auch durch die Betei- 5.2 Verschriftlichung der Daten ligung junger Sprecher in Kindergärten und Schulen sowie deren Eltern, Erzieherinnnen 6. Maßnahmen zur Dialektbelebung 2010/11 und Lehrer/-innen. 6.1 „Dialekthauptstadt Bacham“ Zielsetzungen: Von besonderem Interesse 6.2 BR-Hörspielwettbewerb „Earsinn“ waren demzufolge Fragen nach Dialekterwerb 6.3 Literaturwettbewerb „Ortssage reloaded“ und -weitergabe sowie Informationen zur si-

6.4 „Shakespeare weiß-blau“und tuations- und adressatenabhängigen Beurtei- Flow-Theaterprojekt lung von Dialekt durch die Sprecher. Neben der Rolle von Bildungsinstitutionen (Schule, 7. Sprachkulturkalender 2012 Kindergarten) im Umgang mit Dialekt interes- 8. Zusammenschau und Ausblick sierte vor allem der Einfluss der elterlichen Einstellung auf die Dialektweitergabe: 9. Auswahlbibliographie  Sind die aktuellen wissenschaftlichen Er- kenntnisse und Vorgaben des Kultusmini- steriums bekannt, nach denen Dialekt heute nicht mehr als „Bildungshürde“, sondern

262 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Bereicherung im Sinne einer „inneren Mehr- Der Schul- und Kindergarten-Befragung ging sprachigkeit“ verstanden wird?1 ein Aufruf an alle interessierten Dialekt-  Wie wirken sie sich auf das Sprachverhalten sprecher mit Online- und Printfragebogen- von Kindern, Eltern und Institutionen aus? Befragung 2010/11 voraus. Die Ergebnisse  Wie ist es um das Prestige des Dialekts und aus der mündlichen Befragung wurden seine Entwicklung in der Region bestellt? als „Audio-Sprachatlas Altmühl-Jura“ im Internet zur Verfügung gestellt. Die Daten der mündlichen Befragungen sollten möglichst allen in der Region zu- gängig gemacht werden. Dazu wurde ein Audio-Sprachatlas für das Forschungsgebiet eingerichtet. Um eine nachhaltige Wirkung des Projekts „Sprache im Fluss“ zu erzielen, wurde ein neues Instrument zur Dialekt- Aktivierung für die elf Altmühl-Jura-Kommu- nen entwickelt – der Sprachkulturkalender 2012: Ein Jahr lang fanden Veranstaltungen zum Dialekt statt, ein Termin pro Monat und Gemeinde mit einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung. Thematisch und methodisch wurde dabei ein breites Spek- trum ausgelotet. Logo des Projekts

Die empirischen Befragungen, der Audio- Sprachatlas, der Sprachkulturkalender 2.1 Forschungsgebiet sowie eine Zusammenschau von Dialektakti- vierung und Schulkooperationen werden Das Forschungsgebiet in der Altmühl-Jura- hier im Überblick vorgestellt.2 Region entspricht mit einer Fläche von 896 km2 den elf Kommunen des Drittmittelgebers Altmühl-Jura e. V. – Altmannstein, Beilngries, Berching, Breitenbrunn, Denkendorf, Dietfurt, 2. Projektplanung und Greding, Kinding, Kipfenberg, Titting und -durchführung Walting. Von besonderem linguistischen Inte- resse ist das Aufeinandertreffen der Dialekt- Das Projekt wurde in zwei Phasen gegliedert: grenzen des Nordbairischen und Oberost- Nach der empirischen Erfassung von Dia- fränkischen im Projektgebiet. lektwissen und Dialektprestige innerhalb der Gesamtbevölkerung und Befragung an den Dort leben über 63.000 Menschen, seit der Schulen in Phase 1 galt die Phase 2 vor allem kommunalen Gebietsreform 1972 in elf Ver- der Dialektaktivierung durch die Implemen- waltungsgemeinschaften zusammenge- tierung entsprechender Veranstaltungen im schlossen und den Regierungsbezirken Ober- Forschungsgebiet mit medialer Begleitung. pfalz, Mittelfranken und Oberbayern zugeord- Bereits im Herbst 2010 wurde hierfür die net. Projekthomepage www.sprache-im-fluss.de eingerichtet. Topographisch markant sind der Verlauf des Rätischen Limes im Süden des Forschungs- Die Fragebögen wurden in einem mehrstu- gebiets, sowie der west-östliche Verlauf der figen Prozess geprüft, bevor sie zur empi- Altmühl, die in Dietfurt in den Main-Donau- rischen Datenerhebung eingesetzt wurden. Kanal mündet:

263 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

„Sprache im Fluss“ – das Forschungsgebiet

2.2 Projektphasen: Lehrer-, Eltern- und Schüler-Perspektive (ge- Dialektbefragung 2010/11 trennt in Grundschule und ab Jgst. 5) eruiert.

Für die Datenerhebung stellte die kleinteilige Im Frühjahr 2011 wurden Schüler, Lehrer und Gliederung der elf Gemeinden eine Heraus- Eltern flächendeckend an allen 29 Schulen forderung dar. Bei der mündlichen Befragung der Region und an sieben ausgewählten Kin- für den „Sprechenden Sprachatlas“ wurde dergärten befragt. angestrebt, 5–10 dialektsprechende Gewährs- personen pro Gemeinde entsprechend geo- graphisch verteilt zu rekrutieren. Insgesamt 2.3 Personelle Ausstattung hatten bis Februar 2011 bereits ca. 1.000 – Projektteilnehmer Dialektsprecher an Befragungen zu „Sprache im Fluss“ teilgenommen. Innerhalb der KU Eichstätt beteiligten sich die Lehrstühle bzw. Professuren für Didaktik Die auf diesem Weg gewonnenen Daten Kunsterziehung, deutsche Sprachwissen- wurden bei der Gestaltung modifizierter schaft, Musikpädagogik und -didaktik, Jour- Fragebögen zur Befragung an den Schu- nalistik und Geographie. Der Austausch fand len eingesetzt. Dort wurde neben den allge- sowohl auf Dozentenebene als auch mit den meinen Sozial-/Sprachdaten differenziert die Studierenden statt. Die Beteiligung von Lehr-

264 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

amtstudierenden am Projekt und die Befra- 3. Pretest und Online- gung von Lehrenden an den Schulen sollte die Bereitschaft zur unvoreingenommenen Befragung 2010 Auseinandersetzung mit dem Dialekt im Sprachunterricht fördern. Die ersten Pretests fanden an der KU Eich- stätt im Rahmen des Seminars „Sprachhei- Im Bereich der technischen Umsetzung dia- mat Bayern/Heimatsprache Bairisch“ (Win- lektgeographischer Darstellungen konnten tersemester 2010/11, M. Raml) statt. Die hier die Projektmitarbeiter auf Kontakte mit an- entwickelten Fragebögen wurden seminarin- deren Universitäten zurückgreifen: Dr.-Ing. tern und in Klassen der Grund- und Mittel- Andreas Donaubauer arbeitete zunächst mit schule Kipfenberg getestet und anschließend Studierenden des Lehrstuhls für Kartografie zum Einsatz für die schriftliche Befragung an und Geoinformatik der ETH Zürich an der Er- den Schulen 2011 modifiziert. stellung von Dialektkarten zum Forschungs- gebiet und richtete in der zweiten Projekt- Parallel dazu wurde bei Projektbeginn ein phase als Mitarbeiter der TU München die Fragebogen zur Paper-Pencil- und Online- Maske für den Audio-Sprachatlas der Alt- Befragung konzipiert, der sich an die ge- mühl-Jura-Region ein. samte Bevölkerung der Altmühl-Jura-Region richtete und von 29. November 2010 bis 25. Der Fokus auf soziolinguistische Fragestel- Februar 2011 online abrufbar war. lungen und Fragen nach dem Dialekterwerb der jungen Sprechergeneration ist zum ei- Ein Großteil der Teilnehmer an der Befragung nen in der deutschdidaktischen Ausrich- ist eng verwurzelt mit der Region und hat tung des beauftragten Lehrstuhls begrün- fast sein ganzes bisheriges Leben dort ver- det, zum anderen auch pragmatisch sinnvoll: bracht. Von rund 60 % der Befragten stam- Nur bei entsprechendem Interesse und Wis- men bereits die Eltern aus den Altmühl-Jura- sen nachfolgender Generationen ist der Fort- Gemeinden. Beinahe die Hälfte der Befragten bestand des Dialekts in der Region möglich. haben Partner aus der Region. Nur in Einzel- Die Sprachverwendung jüngerer wurde mit fällen werden außerhalb Bayerns geborene dem Dialektgebrauch älterer Sprecher abge- Partner genannt. Ebenso arbeiten die mei- glichen. Dies waren zum einen Gewährsper- sten der Befragten in einer der Altmühl-Jura- sonen über 60 Jahre, die als Dialektkenner Gemeinden oder im näheren Umkreis bzw. über die Gemeinden empfohlen wurden. Die in den jeweiligen Kreisstädten Eichstätt, Neu- mittlere Generation wurde über die Eltern- markt und Roth. Das Spektrum der genann- und Lehrerbefragung abgedeckt. ten Berufe bzw. Tätigkeiten ist breit gefächert und lässt zunächst keine Schlüsse über Kor- Die Befragung der Eltern sollte Aufschluss relationen von Berufen mit besonderer Prä- geben, welche Rolle sie bei der Dialektwei- disposition für die Auseinandersetzung mit tergabe spielen und zugleich entscheidende dem Thema zu. Auffällig häufig sind jedoch Informationen vermitteln: So können wissen- Berufe aus dem Dienstleistungssektor und schaftliche Hinweise über mögliche Vorteile Bildungskontext vertreten – letztere erklärbar beim späteren Fremdspracherwerb durch durch den Schulfokus der Studie. das frühe parallele Sprechen von Dialekt und Standardsprache durchaus Eltern zur Dialekt- Die geringe Zahl der negativen Selbstein- weitergabe an ihre Kinder bestärken. Ähn- schätzungen zur Dialektkenntnis lassen den liches gilt für neue schulpolitische Vorgaben: Schluss zu, dass sich vorwiegend Dialekt- Die neuen Lehrpläne in Bayern befürworten kundige und -interessierte durch den Aufruf die Auseinandersetzung mit dem Dialekt an zur Online-Befragung angesprochen fühlten. den Schulen.

265 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Die positive Einstellung zur Mundart basiert 4. Ergebnisse der schrift- offensichtlich auf guten Erfahrungen im privaten wie beruflichen bzw. schulischen Be- lichen Befragung 2011 reich: Rund 40 % der Befragten haben „sehr positive“ bis „eher positive“ Erfahrungen mit Angesichts der großen Teilnehmerzahlen Dialekt im beruflichen Umfeld gemacht. In wurden bei den schriftlichen Befragungen der relativ großen Kategorie „Sonstiges“ überwiegend geschlossene Fragen eingesetzt (28 %) werden persönliche Einstellungen und mit einer Kommentar-Möglichkeit verse- und Erfahrungen kommentiert. hen. Alle Fragebögen wurden anonymisiert,  um datenschutzrechtliche Vorgaben einzuhal- Im privaten Kontext spielt der Dialekt eine ten. noch positivere Rolle. Begründet wird dies in den Fragebogen-Kommentaren damit, dass Bei der Fragebogenerhebung in den Klassen der Dialekt ein „Türöffner“ und „lustig, aber fand keine Vorabauswahl statt, so dass hier schwer natürlich rüberzubringen“ sei, man ein realistischer Querschnitt der Bevölkerung „Dialektfeinden“ meist aus dem Weg gehe mit anteiligem Verhältnis von Dialekt- und und dass in der Region ohnehin die mei- Standardsprechern zu erwarten war. sten Dialekt sprächen und „Zugereiste, Hoch- deutschsprechende noch die Ausnahme“ Druckfragebögen wurden durch Projektmit- seien. Viele Kommentare konstatieren auch, arbeiter an die Schüler/-innen verteilt und in man mache sich keine Gedanken darüber, max. 30 Min. im Klassenverband bearbeitet. man bewerte die Lage „unproblematisch“ Durch die kontinuierliche Begleitung wäh- oder „neutral“, da man auch Hochdeutsch rend der Befragungen an den Schulen konnte sprechen könne. Insgesamt zeigt sich hinsicht- ein hoher Grad an Standardisierung erreicht lich der Einstellung zur Mundart folgendes Bild werden. Zur Digitalisierung und SPSS-ge- (Anzahl der Antworten / Anteil in %): stützten Auswertung der Druckfragebögen wurde eine Maske auf LimeSurvey erstellt, in die sämtliche Daten eingegeben wurden.

Überblick zur Fragebogen-Digitalisierung: Online-Befragung Bevölkerung 2011: 885 Lehrer-/Erzieherinnenfragebögen: 260 Schülerfragebögen Grundschule: 1725 Schülerfragebögen ab Jgst. 5: 2221 Elternfragebögen: 2220 gesamt: 7311

Einstellungen zur Mundart

266 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

4.1 Kindergärten

Zur Auftaktveranstaltung waren alle Kinder- gärten im Forschungsgebiet informiert wor- den. Neun davon erklärten sich zur Projekt- teilnahme bereit. Der Rücklauf der schrift- lichen Befragung gestaltete sich an den Kin- dergärten folgendermaßen: 114 Eltern und 25 Erzieherinnen beteiligten sich an den schriftlichen Befragungen der Kindergärten der Region.

4.2 Grundschule

Für die Grundschulen der Altmühl-Jura- Region liegt mit diesem Forschungsprojekt Bsp. 10-jähriger Schüler aus Pollanten, eine nahezu vollständige Erhebung vor. Grundschule Berching, 4. Jahrgangsstufe Den Grundschulklassen wurde eine Kurzfas- sung des Fragebogens vorgelegt. Im ersten Block wurden Angaben zur Person (Alter, Im zweiten Teil des Fragebogens folgten Bild- Geschlecht, Wohnort/-dauer, Schule, Klasse) und Wortlisten: Zunächst waren Tiere abge- und zu Sprachkenntnissen abgefragt: Bei der bildet und die Schüler/-innen sollten zum je- Kategorie „andere Sprachen“ wurden neben weiligen standardsprachlichen Begriff den Englisch (ab Jgst. 3 im Lehrplan der Grund- Tiernamen im Dialekt schreiben mit der An- schule) vor allem die Erst- oder Zweitspra- weisung, sich an der Lautung zu orientieren. chen von Eltern mit Migrationshintergrund genannt (Türkisch, Polnisch, Bosnisch, Ser- Die bewusste Trennung von orthographi- bisch, Russisch etc.). scher und phonetisch orientierter Schrei- bung gelang den Schülern meist recht gut: Als „Dialektkenntnisse“ werden neben Dialektale Nennungen wie „Geger“, „Goggl“ Bairisch und Fränkisch (oft als „Gemisch“ oder „Giggal“ für standardsprachlich „Hahn“ bezeichnet) Schwäbisch, Berlinerisch, Säch- zeigten, dass selbst Sprecher zu Beginn ihrer sisch, Saarländisch, Hessisch, Vogtländisch, schulischen Laufbahn schon zur Differenzie- Thüringisch und Westfälisch mitunter auch rung in der Lage sind. andere Sprachen angegeben. Dies zeigt, wie schwer die Zuordnung Sprache/Dialekt für diese Altergruppe trotz der individuellen 4.3 Befragungen ab Jgst. 5 Einführung jeder Klasse durch das Projekt- team war. Im Projekt wurden auch alle Schüler/-innen, die weiterführende Schulen in der Region besuchen, befragt. Dazu war die Genehmigung der Eltern erforderlich, ebenso die eigene Zustimmung bei über vierzehnjährigen Schüler/-innen.

Der Fragebogen startete mit Auskünften zu den Sozialdaten (Alter, Geschlecht, Wohnort/- dauer, Schule, Klasse). Es folgten Assozia-

267 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

tionen und Fragen zum Dialekt (Kompetenz/ 4.4 Lehrer/-innen Dialektwissen, Einstellung zum Dialekt, Re- und Erzieherinnen aktionen auf das eigene und fremde Dialekt- sprechen in Schule und Freizeit, Wege des Die Lehrer/-innen und Erzieherinnen wur- Dialekterwerbs, Situationen/Adressaten beim den zunächst nach Sozialdaten und ihrer bis- Dialektsprechen). herigen beruflichen Tätigkeit befragt. Dann folgten Fragen zum eigenen Dialektgebrauch. Ein besonderes Augenmerk lag auf dem Es wurde gefragt, ob die Richtlinien und Vor- Bereich Dialekt und Schule: Gibt es Sprach- gaben zum Dialektsprechen seitens des Kul- regelungen an der Schule? Wer spricht tusministeriums bekannt sind und verwendet Dialekt? Wie wird Dialekt im Unterricht the- werden und und wie das Thema Dialekt im matisiert? Spielt Dialekt bei der Bewertung Lehrplan berücksichtigt wird. Differenziert durch die Lehrer/-innen eine Rolle – wenn erläuterten die Lehrer/-innen kontextbezogen ja: in welchen Fächern? Dialekt im Unterricht zu sprechen und sich dabei auf das jeweilige Gegenüber einzu- Um die Selbsteinschätzungen der Schüler/- stellen. innen zu ihren Dialektkenntnissen zu über- prüfen, folgte ein Block mit Fragen nach Be- Außerdem sollten angegeben werden, in griffen (Dienstag, dieses Jahr, Zeitangaben welchen Unterrichtsbereichen Dialekt thema- Viertel/Dreiviertel, Mädchen, Junge, Schluck- tisiert wird. Die Ergebnisse der Schüler- und auf, Bonbon, Brotanschnitt), die im Dialekt Lehrerbefragung stimmen weitgehend über- angegeben werden sollten. Dazu sollte erläu- ein. Bei den Lehrer- wie Schülerangaben tert werden, ob der Begriff aktiv verwendet dominieren die Anwendungen im Bereich oder nur bekannt ist. Lyrik und Lieder, gefolgt von Theater und Prosa-Literatur. Anschließend wurde – wie im Grundschul- fragebogen – in einem freien Antwortteil nach drei typischen Dialektwörtern und nach Bilderklärungen (Tiere, Früchte) gefragt.

Dialekteinsatz im Unterricht (Auskunft Lehrkräfte)

(Im Diagramm v. l. n. r.)

268 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Unter der Kategorie „Sonstiges“ werden von und nicht als Karriere-Knick gesehen wird. den Lehrkäften Erzählkreis, Fingerspiele, Unsere Gesellschaft benötigt Individuen!!“ Unterrichtsgespräche, Projektaufgaben und Worterklärungen genannt. Insgesamt herrscht eine differenziert abwä- gende Haltung vor, die sich im Grunde mit Unter anderem sollte auch eingeschätzt wer- den Empfehlungen der Wissenschaft zum den, ob sich der Dialektgebrauch der Schüler Nebeneinander von Standardsprach- und in den letzten Jahren verändert hat, wie viele Dialektkompetenz deckt: „Dialekt sprechen Dialektsprecher sich jeweils in den Klassen ist wichtig. Man sollte aber auch die hoch- befinden und ob es einen Zusammenhang deutsche Sprache beherrschen (z. B. Arbeits- zwischen Herkunft/Sprache der Eltern und platz, Autoritätspersonen, internationale dem Freundeskreis der Schüler mit dem Dia- Kontakte ...).“ lektgebrauch gibt.

5. Audio-Sprachatlas 4.5 Eltern Altmühl-Jura Die bedeutende Rolle der Eltern beim Erst- spracherwerb liegt auf der Hand: In der Re- gel sind sie die prägenden Kontaktpersonen.3 Die Befragungen zeigten, dass dies auch bei der frühen Weitergabe von Dialekt zutrifft. Wird der Dialekt als Zweitsprache erworben – also nach der Standardsprache – überneh- men dagegen oft Peergroups (Freundeskreis, Mitschüler/-innen etc.) diese Funktion.

Aufschlussreich sind die Kommentare der Elternfragebögen: Sie sind häufig stark emo- tionalisiert und reichen von begeisterter Zu- stimmung („Dialekt ist etwas SCHÖNES und 5.1 Befragung nach Altersgruppen sollte gepflegt werden!“, „finde die Dialekt- forschung super“) bis hin zu skeptischer Ab- Die mündliche Befragung der älteren Ge- lehnung: „In allen öffentlichen Bereichen währspersonen fand in den jeweiligen Ge- muss Hochdeutsch geredet und gelernt wer- meinden statt. Die Gesprächspartner wur- den. Sonst beherrschen wir irgendwann die den zu einem Termin eingeladen und meist in deutsche Sprache nicht mehr.“ Einzelbefragungen interviewt, die Gespräche als Tondateien aufgezeichnet. Sprachveränderungen werden beobachtet und beschrieben („Viele Dialekt-Begriffe Die Gesprächsführung orientierte sich hier- aus meiner Kindheit sind jetzt nicht mehr bei an den aus der Geschichtsforschung be- gebräuchlich – z. B. Gracherl, Rogl. Der kannten Zeitzeugen-Gesprächen: Nach Er- Dialekt hat sich dem Hochdeutschen ange- hebung der anonymisierten Sozialdaten und passt.“). einem freien Redeanteil mit sogenannten „Eisbrecher-Fragen“ erfolgte eine standar- Überlegungen zur gesellschaftspolitischen disierte Abfrage von Wortlisten. Dazu wur- Relevanz von Dialekt werden häufig als den sowohl Bildkarten als auch Paraphrasie- Wunsch oder Appell formuliert: „Ich wünsche rungen, Fragen nach Synonymen oder die mir, dass der Dialekt erhalten bleibt Komplettierung von Sätzen verwendet.

269 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Bei den mündlichen Kindergarten- und 5.2 Verschriftlichung Schulbefragungen wurde das Projektteam der Daten von den Erzieherinnen und Lehrkräften bei der Auswahl dialektsprechender Kinder be- Um die mündlich erhobenen Daten im raten. Nach Möglichkeit wurden ein bis zwei Sprachatlas visualisieren zu können, muss- Dialektsprecher pro Gruppe bzw. pro Klasse ten sie zunächst standardisiert verschriftlicht mündlich befragt, bei den Schüler/-innen im werden. Jede Verschriftlichung der münd- Anschluss an die schriftliche Fragebogener- lichen Sprache Dialekt stellt eine Herausfor- hebung. derung für die Transkribierenden und Rezipi- enten dar: Einerseits sollen die Nennungen In den Kindergärten hatten die Erzieherinnen aus den mündlichen Gesprächen und Inter- eine Präsentation von Liedern, Gedichten viewbefragungen für alle Interessierten – oder Sprüchen im Dialekt vorbereitet, um die auch ohne linguistische Vorbildung – nach- jungen Dialektsprecher an das Projektteam zu vollziehbar sein, andererseits bedarf es gewöhnen. Anschließend bekamen die Kin- einer Standardisierung, um eine spätere der Situationsbilder („Auf dem Spielplatz“, wissenschaftliche Auswertungen zu ermögli- „Kindergeburtstag“) vorgelegt. chen.4

Dann wurden Wortlisten anhand von Bildern Das Projektteam „Sprache im Fluss“ hat sich abgefragt. Je nach Mut wurden die Kinder deshalb für folgende Lösung entschieden: alleine, zu zweit oder dritt befragt. Mit den Die Lautung der jeweiligen Lexeme wurde älteren SchülerInnen fanden ausschließlich standardschriftnah notiert, d. h. es wurde Einzelgespräche statt, die vom Projektteam auf eine phonetische Umschrift verzichtet. aufgezeichnet, mitprotokolliert und anschlie- Sonderzeichen wurden weitgehend ver- ßend geschnitten wurden. mieden.5

Startseite des Audio-Sprachatlas Altmühl-Jura (http://sprachatlas.ku.de)

270 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Aus den gesammelten und verarbeiteten gekürt. Dazu wurde mit dem Lehrstuhl für Sprachaufnahmen entstand ein Audio- Geodäsie und Photogrammetrie der ETH Sprachatlas für das gesamte Projektgebiet als Zürich (Dr.-Ing. Andreas Donaubauer) eine Dokument für den „status quo“ des Dialekts interaktive Karte erstellt, auf der die die Teil- in der Altmühl-Jura-Region zum Zeitpunkt nehmerzahlen je Gemeinde aktuell verfolgt der Befragung 2011. werden konnten.

Durch seine Online-Verfügbarkeit ist er zu je- Als Preis wurde an Bürgermeister Ludwig der Zeit jedem zugängig und macht die Um- Eisenreich ein Ortsschild mit dem Berchin- frageergebnisse für alle nachvollziehbar und ger Dialektnamen „Bacham“ und dem Hecht hörbar: http://sprachatlas.ku.de. als Protagonist der gleichnamigen Ortssage überreicht. Der Mundartautor Josef Fechner Zur Unterstützung des Verständnisses wur- las Gedichte zu seiner Heimatstadt. Schul- den die Audio-Dateien bei den jeweiligen klassen sangen Dialektlieder und trugen Ge- Nennungen auf den Karten hinterlegt: dichte und Geschichten im Dialekt vor. Alle Die Besonderheit der Darstellung im Audio- Beteiligten erhielten das Motiv der Bacham- Sprachatlas Altmühl-Jura ist die Möglichkeit, Ortstafel als Aufkleber. Der Sprachkulturka- neben der Themen- und Ortsauswahl eine lender 2012 knüpfte mit Dialekt-Führungen Altersfestlegung vorzunehmen. daran an.

Nach Doppelklick auf einen in der Karte dargestellten Begriff wird die hinterlegte 6.2 BR-Hörspielwettbewerb Audiodatei abgespielt. „Earsinn“

Eine Gruppe von Studierenden und Projekt- mitarbeitern nahm mit der Grundschule 6. Maßnahmen Walting, mit einer Hörspiel-AG und Dritt- zur Dialektbelebung klässlern der Ignaz-Günther-Schule Altmann- 2010/11 stein im Frühjahr 2011 am Hörspielwettbe- werb „Earsinn“ des Bayerischen Rundfunks Ähnlich wie bei der empirischen Datensamm- teil. lung wurden einige Bereiche des „Sprach- kulturkalenders 2012“ auch bereits 2011 im Unter dem Motto „Wie klingt`s, wo du Rahmen von studentischen Arbeiten und Se- lebst?“ wurden die Hörspiel-Beiträge „Post minaren vorab getestet. Das Internet wurde mit Hindernissen“ (Hausnamen in Walting), hierbei sowohl als Instrument zur Befragung „BrotZEITreise“ (Essensgewohnheiten bei eingesetzt als auch zur Kommunikation bzw. den Römern, Rittern bis heute) und „Ignaz- Information der Bevölkerung. Auf der Projekt- Günther“ (Leben und Wirken des Namensge- homepage www.sprache-im-fluss.de wurden bers der Schule in Altmannstein) erstellt. Das Zwischenergebnisse und nächste Schritte letztgenannte Hörspiel schaffte es bayernweit dokumentiert. in die Endrunde des Wettbewerbs.

Beeindruckend war neben dem Einsatz 6.1 „Dialekthauptstadt Bacham“ aktiver Lehrer und der Unterstützung durch ehemalige Lehrer an den Schulen, dass sich Als Anreiz zur Projektteilnahme diente ein auch ortsgeschichtskundige Eltern und Groß- Wettbewerb. Die Gemeinde mit den meisten eltern beteiligten und das Projekt zu einem Befragungsteilnehmern online – Berching – generationenübergreifenden Gemeinschafts- wurde im März zur „Dialekt-Hauptstadt 2011“ erlebnis machten.

271 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

6.3 Literaturwettbewerb Diesen Shakespeare-Adaptionen folgte ein „Ortssage reloaded“ Schultheaterprojekt in Kinding im Rahmen des Sprachkulturkalenders 2012, bei dem Als Vorbereitung des Literaturwettbewerbs König Kevin (nach King Lear), Szenen aus 2012 führte die Studentin Marina Hage im dem Sommernachtstraum und Die lustigen Rahmen ihrer BA-Arbeit 2011 einen Schreib- Weiber von Kinding inszeniert wurden. wettbewerb „Ortssage reloaded“ in Beiln- gries und Greding durch. Dabei konnten bereits einige Abläufe und didaktische Um- setzungen zum kreativen Schreiben erprobt 7. Sprachkulturkalender werden. 2012

Einerseits wurde den Schülern das Gredinger Während in der ersten Projektphase die Wappen als Bildimpuls gegeben, um dazu sprachlichen Daten zum Dialekt der Re- eine „Gründungssage“ zu erfinden. Anderer- gion durch schriftliche und mündliche Be- seits dienten Textvorlagen wie die Beilngrie- fragungen erhoben wurden, stand das Jahr ser Ortssagen der „Zwiebeltreter“ und „Die 2012 ganz im Zeichen des „Sprachkultur- Sage vom Beil im Gries“ als Ausgangspunkt kalenders“ und somit der Belebung des für eigene Kreationen von Ortssagen. Dialekts im Untersuchungsgebiet.

Die Texte wurden zum Teil durch eine klas- Ziel war es zum einen, den Zusammenhalt seninterne, zum Teil durch eine externe der Altmühl-Jura-Gemeinden als gemein- Jury bewertet. Die Gewinner erhielten eine same Region zu unterstreichen. Zum ande- Urkunde und Preise. Ihre Texte wurden ren sollte das Selbstverständnis der Dialekt- teilweise in der Lokalpresse veröffentlicht. sprecher positiv beeinflusst und ihr Selbstbe- wusstsein gestärkt werden.

6.4 „Shakespeare weiß-blau“ Der Dialekt sollte durch verschiedene Ver- und Flow-Theaterprojekt anstaltungen als ein in der Region gewach- senes und zu erhaltendes Kulturgut wahrge- Der Bereich Theater und Dialekt wurde nommen werden. Gleichzeitig stand im Mit- theoretisch fundiert durch den Gastvortrag telpunkt, die jeweilige Mundart als eine unter „Shakespeare weiß-blau“ des Münchner vielen nebeneinander stehenden Varietäten Anglisten Prof. Dr. Wolfgang Weiß und des- der deutschen Sprache zu begreifen, ohne sen Studie Shakespeare in Bayern – und auf dabei die Hochsprache oder andere dialektale Bairisch (Passau 2008). Ausprägungen abzuwerten.

Die praktische Umsetzung begann mit einer Daher wurde der Sprachkulturkalender 2012 studentischen Aufführung im Rahmen der vom Projektteam „Sprache im Fluss“ ins Le- Veranstaltung FLOW im Juli 2011 an der KU ben gerufen: In jeder der elf am Projekt be- Eichstätt: Es wurden szenische Darstellungen teiligten Kommunen sollte in jeweils einem aus Macbeth und Romeo und Julia aufge- Monat eine Kulturveranstaltung zum Thema führt. Dialekt stattfinden – in den Bereichen Musik, Theater, Literatur, Medien, Geschichte und Dabei wurde mit verschiedenen Sprach- Kunst. Die Veranstaltungen wurden mit varietäten gespielt – neben dem sächsischen, Unterstützung von Studierenden der KU bairischen und fränkischen Dialekt kamen Eichstätt durchgeführt, die im Rahmen auch Umgangs- und Standardsprache zum von universitären Seminaren am Projekt Einsatz. teilnahmen.

272 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

8. Zusammenschau und men insgesamt rund 2.000 Interessierte teil. Im Zuge aller Veranstaltungen des Sprachkul- Ausblick turkalenders und im Gefolge der Befragungen erfolgten zahlreiche Rückmeldungen an den Das Forschungsprojekt „Sprache im Fluss“ Lehrstuhl Deutschdidaktik/KU Eichstätt. konnte mit ungewöhnlich großer Erhebungs- dichte durchgeführt werden: Bei einer Ge- Im Rahmen des Projekts „Sprache im Fluss“ samtbevölkerung von ca. 63.000 Einwohner entstanden rund 30 Seminar- und Bachelor- in der Region beteiligten sich rund 8.000 Per- arbeiten sowie zahlreiche Anschluss-Studien. sonen vom Kindergarten- bis zum Greisen- Dieser Befund unterstreicht das große akade- alter an den mündlichen und schriftlichen mische Interesse an der Auseinandersetzung Befragungen, einschließlich aller Schulen mit dem Thema Dialekt über die Disziplinen der Region. Die Grundschüler/-innen im For- und Fachbereiche hinweg. Über den Projekt- schungsgebiet wurden dabei fast vollständig abschluss hinaus kommen studentische Mel- erfasst. dungen aus verschiedenen Fakultäten zur Ge- nerierung von Themen für Seminar- oder Ab- Das zweite Projektziel – die Sensibilisierung schlussarbeiten (Journalistik, Germanistik). für den Dialekt und die Aktivierung der Spre- cher – zeigte sich unmittelbar durch die Re- Die überregionale Bekanntheit des Projekts sonanz der Bevölkerung: An den Veranstal- „Sprache im Fluss“ zeigen Anfragen von tungen des Sprachkulturkalenders 2012 nah- anderen Universitäten und Schulen.

„Sprache im Fluss“ – Veranstaltungen zur Dialektförderung 2012

273 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Im Projektverlauf entstanden Kontakte mit 9. Auswahl­bibliographie prominenten Dialektsprechern, -künstlern und -forschern: mit dem Musiker Sebastian Ammon, Ulrich (1972): Dialekt. Soziale Horn (bananafishbones, musikalische Leitung Ungleichheit und Schule. Weinheim. „Nockherberg 2013“), mit der Graphikerin Bettina Krugsperger (Ausstellung Dezember Ammon, Ulrich (1973): Dialekt und Einheits- 2012 Dietfurt), Prof. Anthony Rowley (Baye- sprache in ihrer sozialen Verflechtung. Eine rische Akademie der Wissenschaften), Fitz- empirische Untersuchung zu einem vernach- gerald Kusz (Mundartautor Nürnberg), Prof. lässigten Aspekt von Sprache und sozialer Dr. Wolfgang Weiß (Anglist/Shakespeare- Ungleichheit. Weinheim / Basel. forscher), Gerald Huber (Moderator Baye- rischer Rundfunk), Dr. Bernhard Stör (Lin- Ammon, Ulrich (1978): Schulschwierigkeiten guist) und Sepp Obermeier (Bund Bairische von Dialektsprechern. Empirische Untersu- Sprache e. V.). chung sprachabhängiger Schulleistungen und des Schüler- und Lehrerbewußtseins – Die Abschlussveranstaltung in Dietfurt wurde mit sprachdidaktischen Hinweisen. Weinheim musikalisch gestaltet durch die Altneihauser und Basel. Feierwehrkapelln (Leitung: Norbert Neugirg). Ammon, Ulrich / Mattheier, Klaus J. / Nelde, Durch die umfangreichen Befragungen, den Peter H. (Hgg.) (1989): Dialekt und Schule in breit angelegten Austausch und seine me- den europäischen Ländern. Sociolinguistica diale Vermittlung war das Projekt über zwei H. 3. Jahre lang präsent in lokaler wie überregio- naler Presse, in Rundfunk, Fernsehen und In- Arzberger, Steffen (2008): Wie sagt ihr zu ...? ternet: Es erschienen rund 80 Zeitungsartikel Kleines Sprachatlasprojekt für die 8. Jahr- und über 15 Rundfunk- und Fernsehbeiträge gangsstufe. In: Deutschmagazin H. 4, S. 51-57. zu „Sprache im Fluss“.6 Arzberger, Steffen (2008): Dialekt in der Erste Publikationen der Projektergebnisse im Schule – Freund oder Feind? In: Munske, wissenschaftlichen, dialektpflegerischen und Horst Haider (Hrsg.): Sterben die Dialekte didaktischen Bereich sind bereits erfolgt oder aus? Vorträge am Interdisziplinären Zentrum werden in Kürze erscheinen.7 für Dialektforschung an der Friedrich-Alexan- der-Universität Erlangen-Nürnberg 22.10.- Nach Möglichkeit sind Anschlussprojekte wie 10.12.2007: www.dialektforschung.phil.uni- die Zusammenstellung eines Materialbands erlangen.de/sterbendialekte. für Erzieher/-innen und Lehrkräfte sowie ent- sprechende Fortbildungen für diesen Perso- Bayerisches Staatsministerium für Unterricht nenkreis geplant. und Kultus (Hrsg.) (2006): Dialekte in Bayern. Handreichung für den Unterricht. München. Die bisherigen Ergebnisse des Projekts zei- gen, dass der Dialekt in der Region tatsäch- Christen, Helen / Ziegler, Evelyn (2008): lich im Fluss ist, hohes Ansehen genießt und Sprechen, Schreiben, Hören. Zur Produktion in Zukunft Bestand haben wird – gerade auch und Perzeption von Dialekt und Standardspra- durch Weiterentwicklungen des Dialekts im che zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wien. Bereich der Internet-Kommunikation und die große Akzeptanz bei den jungen Spre- Ermert, Karl (Hrsg.) (1979): Gibt es die chern. So auch das Resümee der Fachtagung Sprachbarriere noch? Soziolinguistik, Sprach- „Dialekt und Schule“ an der KU Eichstätt didaktik, Soziolinguistik, Bildungspolitik. vom 14. März 2014. Düsseldorf.

274 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Fritz-Scheuplein, Monika (2011): Das Schul- Anmerkungen projekt Fränki. In: Alpen-Adria-Universität 1 Zur anfänglichen Diskussion um den Dialekt als Klagenfurt (Hrsg.): Klagenfurter Beiträge zur „Bildungshürde“ s. Ammon 1978, zum Verständnis Sprachwissenschaft H. 34/36 (2008/2010). von paralleler Dialekt- und Standardkompetenz Wien, S. 77-85. als „innere Mehrsprachigkeit“ u. a. Hochholzer 2008. Hochholzer, Rupert (2004): Konfliktfeld Dia- 2 Die detaillierte wissenschaftliche Auswertung der lekt. Das Verhältnis von Deutschlehrerinnen Untersuchungen mit ausführlicher Forschungsdis- und Deutschlehrern zu Sprache und ihren kussion wird in eigenständigen Publikationen ver- regionalen Varietäten. Regensburg. öffentlicht.

3 Die Frage nach der Rolle der Eltern bei der Dialekt- Hochholzer, Rupert (2008): Die innere Mehr- weitergabe stellt u. a. Arzberger 2008. sprachigkeit. Varietäten und Dialekte fördern die Entwicklung des Sprachbewusstseins. 4 Ein exemplarischer Versuch der Transkription In: Deutschmagazin H. 5, S. 21-26. ist zu finden bei Schießl 2007. Für Bayerisch- Schwaben s. Kleiner 2006.

Kleiner, Stefan (2006): Geschriebener Dialekt 5 Lediglich zur Darstellung der Vokalverdunklung in Bayerisch-Schwaben. Ein Vergleich indi- wurde die Markierung ° eingeführt (vergleichbar rekt erhobener dialektaler Laienschreibungen dem schwedischen Graphem å in „Småland“). mit ihren lautschriftlichen Entsprechungen. Vokallängen werden durch Doppelpunkt visuali- Tübingen. siert (Bsp. „He:na“).

6 Zur Auswahldokumentation siehe die Projekt- Klotz, Peter / Sieber, Peter (Hgg.) (1994): homepage www.sprache-im-fluss.de. Vielerlei Deutsch. Umgang mit Sprachvarie- täten in der Schule. Stuttgart u. a. 7 Raml, Monika: Drittmittelprojekt „Sprache im Fluss – Sprachkultur im Altmühl-Jura-Raum“, Renn, Manfred / König, Werner (Hgg.) in: Schießl / Bräuer 2012, S. 117-119. (3. Aufl. 2009): Kleiner Bayerischer Sprach­ atlas. München. Buchempfehlung

Schießl, Ludwig (2007): Dialektaler Mikrokos- Raml, Monika (Hrsg.) (2012): Sprache im mos als dialektologischer Brennspiegel. Fluss. KU Eichstätt-Ingolstadt. [u. a. mit Aspekte einer neuen Basisdialektologie am Texten aus dem Altmühl-Jura-Gebiet in Beispiel des Oberviechtacher Dialektprojekts. Dialekt und Hochsprache, 64 S. Regensburg. Bezug: [email protected]]

Schießl, Ludwig / Bräuer, Siegfried (2012): Dialektpflege in Bayern. Ein Handbuch zu Bildnachweis Theorie und Praxis. Regensburg. Die Photos und Graphiken zum Projekt Stellmacher, Dieter (Hrsg.) (2000): Dialekto- „Sprache im Fluss“ wurden von Dr. Monika logie zwischen Tradition und Neuansätzen. Raml gemacht bzw. erstellt. Stuttgart. Das Kartenmaterial entstand in Zusammen- arbeit mit Dr.-Ing. Andreas Donaubauer/Insti- Zehetner, Ludwig (1977): Bairisch. Dialekt / tut für Geodäsie, GIS und Landmanagement, Hochsprache – kontrastiv. Düsseldorf. Lehrstuhl für Geoinformatik/TU München. [Sprachhefte für den Deutschunterricht H. 2]

275 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Dialektpflege zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das „Oberviechtacher Dialektprojekt“

Ludwig Schießl, Siegfried Bräuer

Im Zuge der Aufwertung der Mundarten hat rungskonzept (= nach Sachgruppen und Un- auch die Dialektpflege in der Oberpfalz in tergruppen) einen Neuansatz in der Dialektle- den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden xikographie auf der Ebene der syntopischen Aufschwung erlebt. Dies kommt in der Grün- Wörterbücher (= Ortsmundartwörterbücher) dung von entsprechenden Vereinigungen dar. Mittlerweile wurden bei weit über 100 und der Initiierung vielfältiger Projekte und Dia­lektabenden im Rahmen des Oberviech­ Aktivitäten zum Ausdruck. Zu nennen sind tacher Dialektforums, einer Arbeitsgruppe hier in erster Linie das Regensburger Dialekt- mit rund 15 Mitgliedern, ca. 4000 Lexeme forum an der Universität Regensburg (www. (= Wörter, Ausdrücke, Redewendungen) be- uni-regensburg.de/forschung/dialektforum), handelt. Nach Abschluss dieser vorbereiten- die Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft den Arbeiten (etwa 2017) wird mit der lexi- e. V. Tirschenreuth (www.schmellergesell- kographischen Darstellung begonnen. Durch schaft.de), der Arbeitskreis Mundart Weiden, seine Aufmachung dient das „Oberviechta- die Mundarttage des Landkreises Amberg- cher Wörterbuch“ nicht nur der Dokumen- Sulzbach, das Mundart-Festival Regens- tation eines breiten Segments des nordbai- burg (www.mundartfestival-regensburg.de), rischen Wortschatzes, sondern eignet sich das Mundart-Festival Waldmünchen (www. auch als unterstützendes „Lehrwerk“ im waldmuenchen.de > Kultur) sowie das Ober- Deutschunterricht aller Schularten zur Be- viechtacher Dialektforum im Heimatkund- handlung mundartlicher Themen. lichen Arbeitskreis Oberviechtach e. V. (HKA) bzw. das „Oberviechtacher Dialektprojekt“ In verschiedenen wissenschaftlichen Publika- (www.hka-ovi.de). tionen und im Rahmen von Vorträgen (u. a. bei dialektologischen Fachtagungen) wurde dieses Konzept bereits vorgestellt und fand Entstehung, Selbstverständnis aufgrund seiner neuzeitlichen Ausrichtung und Zielsetzung allgemeine Beachtung. Ausführlich beschrie- ben ist es in der 2007 in der edition vulpes Das Oberviechtacher Dialektprojekt wurde (Regensburg) erschienenen Dissertation des 1996 mit der Zielsetzung ins Leben gerufen, HKA-Vorsitzenden Dr. Ludwig Schießl mit den gesamten originären Dialektwortschatz dem Titel: „Dialektaler Mikrokosmos als dia­ des Oberviechtacher Raumes, d. h. alle im lektologischer Brennspiegel. Aspekte einer Gebiet der Stadtgemeinde Oberviechtach neuen Basisdialektologie am Beispiel des und der Verwaltungsgemeinschaft Oberviech- „Oberviechtacher Dialektprojekts“. tach noch aktiv und passiv vorhandenen re- gionaltypischen, nordbairischen und allge- Parallel zur Wörterbucharbeit entwickelte sich mein bairischen Ausdrücke zu erfassen und im Laufe der Zeit aufgrund des intensiven in einem Oberviechtacher Wörterbuch lexiko- Eintauchens in die Materie, der dabei gewon- graphisch innovativ darzustellen. nenen Erfahrungen und Erkenntnisse sowie des Auslotens unterschiedlicher Ansätze ein Dieses Werk, das als so genanntes „Lexiko- breites Spektrum mannigfaltiger dialektpfle­ graphisches Lesebuch“ gedacht ist, stellt mit gerischer Aktivitäten, angefangen von Um- seinem onoma-semasiologischen Gliede- fragen über Schülerprojekte bis hin zu Fort-

276 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

bildungen und zur Beteiligung an Fernseh- zielgerichtete und abwechslungsreiche Maß- und Rundfunksendungen. nahmen.  Grundlage dieser Dialektpflege ist das Als Beispiel sei die Umfrage zum Gebrauch Wissen um und über den Dialekt. des Dialekts in der Region von 2001 genannt.  Im Mittelpunkt der Bemühungen steht der Deren Ziel bestand darin, repräsentative und Adressat, d. h. der Dialektsprecher, und nicht fundierte altersgruppen- sowie schulort- bzw. in erster Linie (ausschließlich) seine Sprache, schulartspezifische Ergebnisse hinsichtlich­ d. h. der Dialekt. des Bekanntheits- und Verwendungsgrades  Gegenstand der „Fürsorge“ ist der dialektale des mundartlichen Wortschatzes in der Status quo in seiner jeweiligen und individu- Schul­region bzw. im Raum Oberviechtach zu ellen Ausprägung und nicht ein antiquiertes gewinnen. Hierzu diente der „Fragebogen überkommenes Mundartideal. zum Gebrauch des Dialekts in der Region“  Ziel der Dialektpflege ist Dialektloyalität, (siehe Anhang). Die dort aufgeführten Vor- d. h. die positive Einstellung zu und der schläge wurden den Lehrerinnen und Leh- (reflexive) unbefangene und selbstbewusste rern, die die „Erstkorrektur“ durchführten, als Umgang mit dem eigenen Idiom. „Musterlösung“ an die Hand gegeben.  Die Vermittlung dieser Haltung darf keines- wegs apodiktisch-normativ erfolgen, sondern Dies alles führte allmählich zu jener Horizont­ unter Berücksichtigung der individuellen erweiterung, die die Notwendigkeit einer or- sprachlichen Situation des Adressaten. ganisierten und systematischen Dialektpflege  Im Idealfall führt dies zu einem Verständnis, im Kleinen wie im Großen immer dringlicher den Dialekt als eine weitere Möglichkeit erscheinen ließ und schließlich in die Absicht sprachlicher Ausdrucksfähigkeit in entspre- mündete, ein „Handbuch der Dialektpflege“ chenden Situationen zu sehen. zu verfassen.  In diesem Sinne stellt er eine Bereicherung dar und sollte keineswegs mehr mit dem Dieses Werk von Ludwig Schießl und Sieg- Ruch des Altmodischen, Derben und Min- fried Bräuer (den beiden Vorsitzenden des derwertigen, kurzum einer „Abart des Deut- Heimatkundlichen Arbeitskreises Oberviech­ schen“, behaftet sein. tach und erfahrenen Pädagogen), das 2012  Damit könnte und sollte – optimistisch unter dem Titel Dialektpflege in Bayern. Ein betrachtet – eine möglichst flächendeckende Handbuch zu Theorie und Praxis ebenfalls Förderung, Stärkung und Aufwertung des in der edition vulpes (Regensburg) erschien, Dialekts allgemein erreicht werden. (Abb. 1) fußt in vielen Bereichen auf der oben erwähn- ten Dissertation. Der darin entworfene An- satz einer zeitgemäßen Dialektpflege wird im Handbuch aufgegriffen und schwerpunkt­ mäßig weiterentwickelt.

Die Kernpunkte dieses Ansatzes lauten:  Dialekt und Hochsprache sind gleichwertige und gleichberechtigte Varietäten des Deut- schen.  Dieses Bewusstsein bezüglich des Eigen- und Stellenwerts der Mundart soll in einem gesellschaftlichen und schulischen Umfeld auf ernsthafte und sinnvolle Art und Weise vermittelt werden.  Diese Vermittlung erfolgt durch vielfältige

277 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Das „Oberviechtacher Dialektprojekt“ wurde holzer und – vor allem – Prof. Dr. Ludwig Ze- in seinem Selbstverständnis durch neue Im- hetner, beide Universität Regensburg) sowie pulse immer wieder neu definiert, sein Betä- Institutionen trugen dazu bei, Denkanstöße tigungsfeld ständig erweitert und sein (wis- und Anregungen zu erhalten sowie seinen senschaftlicher) Anspruch erhöht. Die sich Namen (und damit auch den Oberviechtacher daraus ergebenden weitverzweigten Kontakte Dialektraum) überregional bekannt zu ma- mit Fachleuten (z. B. Prof. Dr. Rupert Hoch- chen und seinen Stellenwert zu etablieren.

Formen der Dialektpflege

Quasi- Pseudo- Echte Dialektpflege Dialektpflege Dialektpflege

Unbewusste „Dialektmiss­ Bewusste Dialektpflege Dialektpflege brauch“

Traditionelle Dialektpflege Zeitgemäße Dialektpflege

Konservativ Progressiv Sprecherorientierte Basisdialekt- Sprachorientierte Dialektpflege pflege Dialektpflege

Ziel: Ziel: Ziele: Ziele: Ziel: Erhalt des Erhalt des Erhalt und Aufwertung Verwendung Instrumenta- Dialekts Dialekts des Dialekts des Dialekts als lisierung des in seiner basis- als Sprach- als eigenständige, Kommunikati- Dialekts zum dialektalen varietät gleichwertige und onsmittel /als Zwecke der Reinform des gleichberechtigte Medium zur Ver- „Tümelei“, Deutschen Sprachvarietät des mittlung einer der Pseudo- Deutschen / Stärkung „Botschaft“, folklore, des bzw. Förderung von eines Lebens- Klamauks Dialektbewusstsein gefühls und Dialektloyalität

Moderne (= Eigentliche) Dialektpflege

Abb. 1: Formen der Dialektpflege

278 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Der Oberviechtacher Daneben sind noch folgende Merkmale Dialektraum wesentliche Kennzeichen:  die Diphthonge aou (Beispiel: Straouss Wie Abb. 2 zeigt, befindet sich der Oberviech­ ‚Straße’),2 äi (Beispiel: wäi ‚weh’) und oi tacher Dialektraum an der Grenze vom Nord- (Beispiel: Soiffa ‚Seife’) mittelbairischen zum eigentlichen Nordbai-  die Beibehaltung von l in allen Stellungen rischen. Aufgrund dieser exponierten Lage (Beispiel: Wold ‚Wald’) handelt es sich dabei um ein äußerst inte-  Spirantisierung von g zu ch im In- und Aus- ressantes Dialektgebiet, das eine Art „Puf- laut (Beispiel: mocher ‚mager’, Grouch fer“ zwischen dem Mittel- und dem Nordbai- ‚Krug’) rischen darstellt. Dies kommt dadurch zum  Vokalisierung der Verbendung -en nach Ausdruck, dass die grundsätzliche Dialekt- Vokal (Beispiel: schaua ‚schauen’) struktur nordbairisch geprägt ist, jedoch mit-  Ersatz von j durch g im Anlaut (Beispiel: telbairische „Einfärbungen“ unverkennbar Gooch ‚Joch‘ = derbes Frauenzimmer, sind. Die hauptsächlichen Charakteristika des Beerenwanze) Nordbairischen sind die beiden so genannten gestürzten Diphthonge ej und ou,1 wie z. B. in Brejf ‚Brief’ und Fous ‚Fuß’.

Quelle: Bayerische Akademie der Wis- senschaften: Kommission für Mundart- forschung (Hg.): Bayerisches Wörterbuch (BWB). Bay­erisch-österreichisches Wör- terbuch. II. Bay­ern. Bearbeitet von Josef Denz u. a. Band 1: A - Bazi. München 2002, S. XXXV. Abb. 2: Der Raum Oberviechtach (Kreis) innerhalb des Bairischen

279 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Das „Oberviechtacher  Das „Oberviechtacher Dialektprojekt“ ist Dialektprojekt“ als Beispiel eine vereinsgestützte Einrichtung. Tradition moderner Dialektpflege und Zielsetzung des Vereins sorgen für Kontinuität und Transparenz nach außen hin. In seiner Gesamtheit deckt das „Oberviech­  Durch den wissenschaftlichen Anspruch tacher Dialektprojekt“ all jene Bereiche ab, besitzt das Projekt inhaltliche Profundität. die für eine moderne Dialektpflege in Ge-  Durch die Verzahnung von Gesellschaft sellschaft und Schule hauptsächlich relevant und Schule werden breite Bevölkerungs- sind: Dokumentation und Forschung, Organi- schichten zielgerichtet angesprochen. sation und Veranstaltungen, Öffentlichkeits­  Durch die große Variationsbreite an Themen- arbeit, Beratung sowie ein dialektpflegeri­ stellungen und regelmäßige Veranstaltungen sches Netzwerk. wird (vielfältiges) Interesse geweckt, für Wie- dererkennung gesorgt und das Gefühl der Das prägende Charakteristikum des Gesamt- Zugehörigkeit garantiert. projekts ist seine breitgefächerte Zielsetzung  Die intensive Einbindung der Medien unter- mit den folgenden Wesensmerkmalen: stützt die Resonanz in der Öffentlichkeit.  Konzentration auf den lokalen bzw. regio- nalen Bereich des Oberviechtacher Raumes, Fast zwei Jahrzehnte „Oberviechtacher Dia- d. h. auf einen dialektalen Mikrokosmos lektprojekt“ stehen auch dafür, dass die Rei-  Verknüpfung von Dialektforschung und fung eines solchen Projekts – notgedrungen (moderner) Dialektpflege – viel Zeit beansprucht, zumal es in gewisser  Verzahnung von Gesellschaft und Schule Weise „Pilotcharakter“ besitzt. Die stabile Ba-  Durchführung vielfältiger (zeitgemäßer) sis in Form des Vereins, ein von allen getra- Maßnahmen genes Ziel, motivierende Aktivitäten in einem  Veröffentlichung durch Vorträge, Publikati- geselligen Rahmen, glückliche Umstände und onen und Medien ein langer Atem trugen wesentlich zu seiner  Kontinuität und Weiterentwicklung fruchtbaren Entwicklung bei. Dabei bedeutet  Kooperation mit regionalen und über- der Status quo keineswegs einen Stillstand. regionalen Einrichtungen im Sinne eines Für die Zukunft sind z. B. das Thema „Dialekt- Netzwerkgedankens (Pädagogisches Forum pflege im Kindergarten“ sowie eine „Tagung der Schulregion Oberviechtach, Regens- der bayerischen Dialektpfleger“ angedacht. burger Dialektforum [RDF], Johann-Andreas- Schmeller-Gesellschaft Tirschenreuth) Anmerkungen

Fazit 1 Des besseren Verständnisses willen wird in dieser Arbeit auf eine phonetische Lautschrift Der Überblick über die Aktivitäten des „Ober- verzichtet. Vielmehr findet die so genannte viechtacher Dialektprojekts“ im Anhang zeigt orthographisch-phonetische Umschrift Ver- die Entwicklung von der Absichtserklärung wendung. Vgl. dazu Schießl 2007, Kapitel des Vereins, sich des lokalen Dialekts anzu- 4.3.1.7 und 4.5.4. nehmen, bis hin zu einem in sich schlüssigen 2 Um den Diphthong aou mit Hilfe des Alpha- Konzept einer modernen Dialektpflege. Fol- bets so lautgetreu wie möglich darstellen zu gende Faktoren und Bedingungen haben können, ist eine Kombination aus drei Buch- dem Projekt über diesen langen Zeitraum staben, ein so genannter Trigraph, vonnöten. Stabilität und Perspektive verliehen:

280 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Fragebogen zum Gebrauch des Dialekts in der Region

Angaben zur Person Geschlecht: männlich weiblich Wohnort: Geburtsjahr: Kindheit bis 6. Lebensjahr in: Volksschule in: Realschule/Gymnasium etc. in: Berufsausbildung in: Hochschule in: Längere Aufenthalte nach Abschluss der Berufsausbildung/des Studiums: Orte/Dauer: Herkunftsort Vater: Mutter: Partner:

Wort / bekannt Bedeutung Ich verwende Redewendung (Lösungsvorschläge) das Wort ja nein ja nein 1 aasfloodern a) Wäsche spülen; b) eine Tracht Prügel verabreichen 2 aasnastn Äste abgeholzter Bäume abhacken 3 am Schlawittl backa a) am Kragen packen; b) sich (jemanden) vornehmen 4 Bäppm a) Mund; b) Fieberblase an der Lippe 5 Biefen angehäuftes Saatbeet für Rüben und Kartoffeln 6 Bladschaare a) Bescherung (im negativen Sinn); (2. Silbe betont) b) auffälliges großes Stück (z. B. Hut) 7 Blaoudern Blase 8 Boumertslais stachelige Frucht einer Pflanze, die an Kleidung und Haaren haften bleibt 9 bouswiere böswillig (1. Silbe betont) 10 Bramml angetrocknete Essensspuren um den Mund 11 Brenesterer Rausch (nach Alkoholgenuss) 12 Damian Trottel (nicht der Vorname) 13 Daou hood’s Da gibt es Probleme. Ruufern. 14 Dees dragt’s niad. Das kann man sich nicht leisten. 15 (jemanden) eidunka (jemandem) eins auswischen 16 fachiern fuchteln 17 Fankerl etwas durchtriebener junger Mensch, der das Leben nicht ernst nimmt (Hallodri) 18 Flouerer a) jemand, der zu seinem Vergnügen ständig unterwegs ist; b) Feldhüter 19 gfenze geschickt, lebhaft 20 gicksert (weibliche Person) umtriebig 21 Goicherer jemand, der in lautem penetrantem Ton (viel) spricht 22 Gooch a) derbes Frauenzimmer; b) Joch; c) Beerenwanze

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Wort / bekannt Bedeutung Ich verwende Redewendung (Lösungsvorschläge) das Wort ja nein ja nein 23 Graffl unnützes, wertloses Zeug 24 Grandl Wasserbehälter im Herd 25 Grätzl kleiner Tragekorb 26 Greewaiwl Kräuterfrau 27 gschnoowlt wählerisch 28 gstroicht eigenwillig 29 Häädschhäädsch Einfaltspinsel 30 Hetschergaal Schaukelpferd 31 huudldipuudl oberflächlich 32 Huschala! Ausruf, wenn einen friert 33 Kaaswackl bleicher Mensch 34 Koudriedscherl Birkenpilz 35 Kumpf (auf Men- Nase schen bezogen) 36 Mi mahnt’s, wej wenn ... Ich habe die Vorahnung, dass ... 37 niersam genügsam 38 Ohrnhöllerer Ohrwurm 39 oofiesln a) abnagen; b) eine Niederlage zufügen 40 Pfaoudschn a) Hand; b) Pfote 41 (Ja) Pfiategood! Ausruf der entsetzten Verwunderung 42 Reenaiter jemand, der ständig auf Achse ist 43 riewanzn unruhig sein 44 samgocka dou so tun, als ob ... 45 Schäpser Gerät zum Schälen von Bäumen 46 se zamrichtn a) sich fertig machen; b) sich unmöglich kleiden; c) sich verletzen 47 soichln nach Urin riechen 48 Sooderer Nörgler 49 um a Fimferl a Kirm ständig quasseln voll reen 50 umagruugern einer Arbeit nicht besonders ziel- gerichtet nachgehen 51 verurrastn vergeuden 52 vorfern vorvoriges Jahr (1. Silbe betont) 53 Wernerlechl Gerstenkorn (im Auge) 54 Wimmerl a) Pickel (auf der Haut); b) Gürtel- täschchen; c) weinerliches Kind 55 zeefern kränkeln 56 Zeegerer Stofftasche mit runden Metallgriffen 57 zuuzln geräuschvoll saugen 58 Zwäckl a) kleiner hölzerner Unterlegkeil; b) Mehlspeise 59 zwiezaach a) (Wetter) nicht eindeutig; b) (Heu, Wäsche) noch nicht ganz trocken 60 Zwistl aus einer Astgabel gefertigte Schleuder

282 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Das Oberviechtacher Dialektforum:  Projekt „Französische Fabeln (von Jean de la Tätigkeitsbereiche und Aktivitäten Fontaine) in nordbairischem Gewand“ im 1996 bis 2015 Leistungskurs Französisch am Gymnasium Oberviechtach (2004) Forschung / Dokumentation  Mitarbeit (von S. Bräuer) an der Handrei-  Sammeln des originären Dialektwortschatzes chung „Dialekte in Bayern. Handreichung für des Oberviechtacher Raumes seit 1996 den Unterricht“ des Bayerischen Staatsmini-  Erarbeitung eines „Oberviechtacher Wörter- steriums für Unterricht und Kultus (2005) buchs“ (im Rahmen von weit über 100 Dia-  Lehrerfortbildung des Pädagogischen lektabenden) Forums der Schulregion Oberviechtach zur  Erforschung des Oberviechtacher Dialekt- Handreichung „Dialekte in Bayern“ (2006) raums  Umfrage zur Einstellung der Lehrkräfte sowie Erzieherinnen in der Schulregion Oberviech­ Gesellschaftliche Aktivitäten tach zur Verwendung des Dialekts in Schule  Umfrage zum Gebrauch des Dialekts in der und Kindertagesstätte (2009) Region (2001)  Mitwirkung als externer Partner des P-Semi­-  „Oberviechtacher Dialektwochen“ (2002): nars „Hausnamen und Ortsneckereien in Vortrag Ludwig Zehetner: „Regionale Sprach­ der Schulregion“ des Gymnasiums Ober- identitat im Zeitalter der Globalisierung“; viechtach (2012-2014) Ausstellungen (Dialektumfrage, Projekt „Kre-  Organisation einer RLFB in Kooperation mit atives Schreiben in der Mundart“); Lesung dem Regensburger Dialektforum zum Thema mit drei Mundartautoren aus der Region „Dialekt als Gegenstand von W- und P-Semi- (Bräuer 2003) naren am achtjährigen Gymnasium“ (2012)  Symposium „Aspekte des Nordbairischen“  Betreuung einer Schülergruppe des Gymna- mit fünf Vorträgen (2009) siums Oberviechtach im Rahmen des BR-Hör-  Beratende und aktive Mitarbeit bei der Ein- projekts „So reden wir“ (2013) richtung der Abteilung „Handwerk und Haus- namen“ im Doktor-Eisenbarth- und Stadt­ Publikationen museum Oberviechtach (2011/12)  Der Einfluss des Französischen auf das Bairische. In: OHB 5/2000, S. 146-153. (ST) Schulische Aktivitäten  Das Oberviechtacher Dialektprojekt als  Umfrage zum Einfluss des Französischen auf Grundlage des „Oberviechtacher Wörter- das Bairische im Leistungskurs Französisch buchs“. In: Wildfeuer, Alfred / Zehetner, Lud- am Gymnasium Oberviechtach (1999) wig (Hgg.): Bairisch in Bayern, Österreich,  Projekt „Schulregion als Sprachregion“ / Tschechien. Michael-Kollmer-Gedächtnis- Umfrage zum Gebrauch des Dialekts in der Symposium 2002. Regensburg 2002 (Regens- Region (2001) burger Dialektforum 1), S. 179-190. (LS)  „Oberviechtacher Dialektwochen“ (2002):  Zur Situation des Dialekts in Schule und Projekt „Kreatives Schreiben in der Mund- Gesellschaft. Oberviechtach 2003 (OHB 6, art“; RLFB: „Zur Situation des Dialekts in Themenband) (HKA) Schule und Gesellschaft“ mit vier Vorträgen;  Die „Oberviechtacher Dialektwochen“ vom Lesereisen mit 32 Lesungen an 16 Schulen 11. bis 22.3.2002. In: OHB 6, S. 11-14. (LS) mit sechs Mundartautoren; drei Workshops  Das Oberviechtacher Dialektprojekt. In:  Ausstellung „Schulregion als Sprachregion“ OHB 6, S. 15-18. (LS) im Rahmen der Tagung „Dialekt und Schule“  Umfrage zum Gebrauch des Dialekts in der an der Päd. Akademie der Diözese (2003) Region. In: OHB 6, S. 19-32. (LS)  Mitwirkung an der (zehnteiligen) Fernseh- „Kreatives Schreiben in der Mundart“ – reihe „Dialekte in Bayern“ des Kulturkanals Darstellung eines Projekts. In: OHB 6, BR-alpha (2003) S. 127-141. (SB)

283 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

 Mundartautoren aus der Region. In: OHB 6,  Einstellungen von Pädagogen in der Schul- S. 143-150. (SB) region Oberviechtach zum Dialekt – Ergeb-  Dialekt als Grundlage und Gegenstand von nisse einer Umfrage. In: OHB 8, S. 101-119. Unterrichtsprojekten im Rahmen einer zeit- (SB) gemäßen Dialektpflege. In: Greule, Albrecht/  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ als Lexiko­- Hochholzer, Rupert / Wildfeuer, Alfred (Hg.) graphisches Lesebuch. Versuch eines Neu- unter Mitarbeit von Ulrich Kanz: Die bairische ansatzes in der Dialektlexikographie auf der Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Gram- Ebene der syntopischen Wörterbücher. In: matik, Lexik und Pragmatik. Festschrift Lud- Pohl, Heinz Dieter (Hg.): Akten der 10. Ar- wig Zehetner. Regensburg 2004 (Regensbur- beitstagung für bayerisch-österreichische Dia- ger Dialektforum 5), S. 213-228. (LS) lektologie in Klagenfurt 19.-22. September  „Schulregion als Sprachregion“. Darstellung 2007. Klagenfurt 2011 (Klagenfurter Beiträge eines Projektzyklus. In: Pädagogische Aka- zur Sprachwissenschaft 34-36/2008-2010), demie der Diözese Linz (Hg.): Dialekt und S. 343-354. (LS) Schule. Eine Kooperation zwischen Stifter-  Dialektpflege zwischen Anachronismus und Haus und Pädagogischer Akademie der Desiderat – Eine (kritische) Standortbestim- Diözese Linz. Linz 2004 (Pädaktuell 1/2004), mung unter dem Aspekt eines zeitgemäßen S. 44-45. (LS) Neuansatzes. In: Harnisch, Rüdiger (Hg.) un-  Dialektaler Mikrokosmos als dialektologischer ter Mitwirkung von Sigrid Gall und Rosema- Brennspiegel. Aspekte einer neuen Basisdi- rie Spannbauer-Pollmann: Strömungen in alektologie am Beispiel des Oberviechtacher der Entwicklung der Dialekte und ihrer Erfor- Dialektprojekts. Regensburg 2007 (Regens- schung. Beiträge zur 11. Bayerisch-Österrei- burger Dialektforum 12, Sonderband). (LS) chischen Dialektologentagung in Passau Sep-  Dialekt und Schule am Beginn des 21. Jahr- tember 2010. Regensburg 2013 (Regensbur- hunderts – Anspruch und Wirklichkeit unter ger Dialektforum 19), S. 482-491. (LS) dem Aspekt neuerer wissenschaftlicher Er-  Aspekte einer modernen Dialektpflege. In: kenntnisse. In: Ferstl, Christian (Hg.): „Dem Förderverein Bairische Sprache und Dialekte Dorfschullehrer sein neues Latein ...“. Bei- e. V. (Hg.): Rundbrief Nr. 83 / Januar 2015, S. träge zu Stellenwert und Bedeutung des Dia­ 43-48. (LS); siehe auch: lekts in Erziehung, Unterricht und Wissen- www.bpv.de/fachgruppen/deutsch/index.html schaft. Regensburg 2009 (Jahrbuch der Jo- hann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft 2008), Vorträge S. 32-48. (LS)  Der Einfluss des Französischen auf das  Zwischen Lauttreue und Stilblüte. Dialektver- Bairische (2000 / Oberviechtach / LS) schriftung in lokalen Tageszeitungen am Bei-  Das Oberviechtacher Dialektprojekt als spiel von Der neue Tag (Weiden, Oberpfalz). Grundlage des „Oberviechtacher Wörter- In: Kanz, Ulrich / Wildfeuer, Alfred / Zehetner, buchs“ (2002 / Kirchdorf im Wald / LS) Ludwig (Hg.): Mundart und Medien. Beiträge  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ (2005 / zum 3. dialektologischen Symposium im Bay­ Regensburg / LS) erischen Wald, Walderbach, Mai 2008. Re-  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ als gensburg 2009 (Regensburger Dialektforum Lexikographisches Wörterbuch. Versuch 16), S. 289-298. (LS) eines Neuansatzes auf der Ebene der synto-  Aspekte der Namenkunde, des Dialekts und pischen Wörterbücher (2007 / Klagenfurt / LS) der Museumspädagogik. Beiträge der Ober-  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ (OWB) viechtacher Symposien 2008, 2009, 2010. als Spiegel des nordbairischen Dialekts im Oberviechtach 2010 (OHB 8). (HKA) Raum Oberviechtach-Neunburg vorm Wald  Der Oberviechtacher Dialektraum in seinen (2008 / Neunburg v. W. / LS) historischen Bezügen. In: (OHB 8, Tagungs-  Zwischen Lauttreue und Stilblüte. Dialektver- band). (HKA) S. 87-99. (LS) schriftung in lokalen Tageszeitungen (Bei-

284 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

spiel: „Der neue Tag“, Weiden i. d. Opf.) Öffentlichkeitsarbeit (2008 / Walderbach / LS)  Homepage (www.hka-ovi.de)  Dialekt und Schule am Beginn des 21. Jahr-  Veröffentlichungen in der lokalen und hunderts – Anspruch und Wirklichkeit unter regionalen Presse dem Aspekt neuerer wissenschaftlicher Er-  Sendungen auf Oberpfalz TV, im Bayerischen kenntnisse (2008, 2009 / Tirschenreuth, Re- Rundfunk und im Bayerischen Fernsehen gensburg / LS)  Podiumsdiskussion anlässlich des 37.  Der Oberviechtacher Dialektraum in seinen Bayerischen Nordgautages (2008 / Tirschen- historischen Bezügen (2009 / Oberviech- reuth / LS) tach / LS)  Podiumsdiskussion anlässlich der 15.  Die Einstellung zum Dialekt bei Lehrkräften Landshuter Literaturtage (2011 / Landshut / und Erzieherinnen im Raum Oberviechtach LS) (2009 / Oberviechtach / SB)  Dialektforschung und Dialektpflege am Abkürzungen Beispiel des Oberviechtacher Dialektprojekts SB (= Siegfried Bräuer), LS (= Ludwig (2010 / Weiden i. d. Opf. / LS) Schießl), ST (= Stephan Sturm), HKA (= Hei-  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ (OWB) matkundlicher Arbeitskreis Oberviechtach als Spiegel des nordbairischen Dia­lekts im e. V.), OHB (= Oberviechtacher Heimatkund- Raum Oberviechtach-Neunburg vorm Wald liche Beiträge), RLFB (= Regionale Lehrerfort- (2010 / Oberviechtach / LS) bildung)  Dialektpflege zwischen Anachronismus und Desiderat – Eine (kritische) Standort­- bestimmung unter dem Aspekt eines zeit­ Buchempfehlung gemäßen Neuansatzes (2010 / Passau / LS)  Das „Oberviechtacher Wörterbuch“ (2011 / Schwandorf / LS)  Aspekte einer modernen Dialektpflege (2012 / Deggendorf / LS)  Dialektale Beschreibung und Einordnung der Schulregion (2012 / Oberviechtach / LS)  Dialekt in der Schule (2012 / Regensburg / LS)  Aspekte einer modernen Dialektpflege in Theorie und Praxis (am Beispiel Bayerns) (2013 / Eubabrunn, Thüringen / LS)  Aspekte der Dialektverschriftung / Zeitgemäße­ Dialektpflege (2014 / Eichstätt und Deggendorf / LS)  Lautlicher und lexikalischer Streifzug durch das Nordmittelbairische im Raum Ober- viechtach und angrenzenden Gemeinden (2014 / Winklarn / LS) Kleine Geschichte der Oberpfalz  Hoglschouster, Bockerl, Rasemuss und Anna Schiener Gaouglhanes – Hausnamen erzählen Ge­- Friedrich Pustet, Regensburg 2011 schich­ ­te(n). Die Oberviechtacher Hausnamen ISBN 978-3-79172-325-9 aus sozialgeschichtlicher und sprachlicher EUR 14,95 Sicht (2015 / Oberviechtach / LS)

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Auf den Spuren des Wortklaubers. Die Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft und ihr Förderpreis für Seminararbeiten an bayerischen Gymnasien

Christian Ferstl

Die Johann-Andreas-Schmeller- ten mit wissenschaftlichem Anspruch. Wäh- Gesellschaft rend sie in den Anfangsjahren ihres Bestehens darin hauptsächlich Beiträge zur Schmellerfor- In Teil II und III dieser Handreichung wurde be- schung veröffentlichte, fanden in letzter Zeit reits auf Johann Andreas Schmellers Leben vermehrt auch darüber hinausgehende Ab- und Werk sowie seine Bedeutung für die Dia- handlungen mit dialektologischem Bezug Be- lektologie hingewiesen. (Vgl. S. 68f. / 131ff.) rücksichtigung bei der Themenwahl.

Im Jahre 1979 wurde in dessen Geburtsstadt Tirschenreuth eine nach ihm benannte Gesell- schaft gegründet, die ihre Hauptaufgabe seit- dem darin sieht, die dialektologische und lite- rarische Hinterlassenschaft Johann Andreas Schmellers zu erforschen, sein Werk einer brei- ten Öffentlichkeit bekannt zu machen sowie in seiner Tradition Mundartpflege und -forschung zu fördern.

Gemäß diesen Zielen veranstaltet die Johann- Andreas-Schmeller-Gesellschaft Lesungen, Vorträge, Ausstellungen und Fachtagungen. An ihrem Sitz in Tirschenreuth unterhält sie eine Fachbibliothek mit Literatur von und über Schmeller sowie aus dem Bereich der gesam- ten Dialektologie und verwandten sprachwis- Logo mit dem Konterfei von Johann Andreas senschaftlichen Disziplinen. Schmeller. Erstmals auf dem Jahrbuch 2008 abgedruckt, dient es offiziell seit 2010 als Erkennungs- zeichen der Schmeller-Gesellschaft. Ebenfalls in Tirschenreuth befindet sich im Mu- seumsquartier eine Johann Andreas Schmeller gewidmete Abteilung, deren fachliche Konzep- Im Zeitalter der elektronischen Medien ist tion in Zusammenarbeit mit einem aus Mitglie­ die Schmeller-Gesellschaft natürlich auch dern der Schmeller-Gesellschaft bestehenden im Internet vertreten und dort unter www. Arbeitskreis erstellt worden ist. Bayerische schmellergesellschaft.de zu finden. Neben Sprachgeschichte aus zwölf Jahrhunderten den üblichen Informationen, die eine solche wird hier dargeboten und hörbar gemacht. Webpräsenz gemeinhin erwarten lässt, sei hier vor allem eine ausführliche Linksamm- In ihren Jahrbüchern, von denen jedes Mitglied lung mit Verweisen zu Schmellers Persönlich- jeweils ein kostenloses Exemplar erhält, publi- keit und Werk, zu einschlägigen Institutionen, ziert die Schmeller-Gesellschaft wichtige Arbei- Organisationen und Vereinen, zu Wörterbü-

286 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

chern, Sprachatlanten und Datenbanken, zu 2003 abgedruckt und damit besonders gewür- über das Internet abrufbarer Fachliteratur so- digt. Diese Arbeiten trugen folgende Titel: wie zu weiteren interessanten Internetadres-  Die politischen Aussagen Johann Andreas sen erwähnt. Schmellers in der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts mit Schwerpunkt auf die Revolution Bereits seit 1985 – genau 200 Jahre nach der in Bayern (verfasst von Petra Beer-Dausch); Geburt des Sprachforschers – verleiht die  Beobachtungen zur Mundart in der näheren Gesellschaft in regelmäßigen Abständen für Umgebung von Haiming in Anlehnung an hervorragende wissenschaftliche Leistungen Johann Andreas Schmellers Arbeit (verfasst den mit insgesamt 2.000 € dotierten Johann- von Anja Schadhauser); Andreas-Schmeller-Preis.  Versuch der Erstellung einer bairischen Gram-­ matik anhand von Textproben (verfasst von Um das Interesse, sich auf die Spuren des Michaela Kretz); „Wortklaubers“ – wie Schmeller sich selbst  Phonetisch-phonologische Untersuchungen zu bezeichnen pflegte – zu begeben, auch bei zu den Vokalen im Beilngrieser Dialekt (ver- der gymnasialen Jugend zu wecken, wird da- fasst von Petra Sippl-Netter); rüber hinaus jährlich ein Förderpreis für Se-  Wortschwund im Dialekt. Aufgezeigt anhand minararbeiten vergeben. des Ortsteiles Kornthan der Gemeinde Wie- sau (verfasst von Mathias Zrenner).

Der Förderpreis der Johann- Die damalige 1. Vorsitzende Dr. Beatrix Andreas-Schmeller-Gesellschaft Dürrschmidt schrieb dazu im Vorwort: für gymnasiale Fach- und Seminar- „Der fachkundige Leser wird Methoden und arbeiten Ergebnisse der jungen Autoren sicherlich zum Teil beachtlich finden, bedenkt man, Der Förderpreis für Facharbeiten dass diese als Schüler noch keinerlei wissen­ Im Jahre 1990 beschloss die Vorstandschaft schaftliche Ausbildung an einer Universität der Schmeller-Gesellschaft die jährliche Aus- erfahren haben. Dies wiederum mag ande­ schreibung eines Förderpreises für Facharbei- rerseits kleinere Unstimmigkeiten entschul­ ten, die von Schülerinnen und Schülern an digen. Der Gesellschaft ist es ein Anliegen, den Gymnasien in Bayern zum Werk und zur auch bei jungen Menschen ein Bewusst­ Wirkungsgeschichte des Erforschers der baye- sein für die Leistung von Johann Andreas rischen Mundart, Johann Andreas Schmeller, Schmeller sowie für den Wert der Mundarten oder zur Untersuchung regionaler Besonder- zu wecken und zu fördern. Dass dies gelingen heiten der Mundart angefertigt wurden. Die kann, zeigen die veröffentlichten Facharbei­ Vergabe dieses Preises erfolgte regulär und ten.“ (Scherm: 7) regelmäßig ab 1992, im Vorgriff darauf wurde jedoch erstmals bereits 1991 eine Schülerin Hierbei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ausgezeichnet. Als Dotierung waren maximal die Aussicht auf eine spätere Auszeichnung fünfmal 200 DM vorgesehen. Ausschreibung durchaus auch eine zusätzliche Motivation und Vergabe dieses sog. Kleinen Schmeller- für Schüler darstellen kann, sich mit einem Preises erfolgten daraufhin bis zum Ende des dialektologischen Thema zu beschäftigen. neunjährigen Gymnasiums im Jahre 2011 in der von seinen Initiatoren vorgesehenen Der Förderpreis für Seminararbeiten Weise ohne große Änderung. An die Stelle des alten Förderpreises ist seit 2011 der mit mittlerweile insgesamt 500 € Fünf der in der Vergangenheit mit dem För- dotierte Johann-Andreas-Schmeller-Preis für derpreis ausgezeichneten Facharbeiten wur- Seminararbeiten an bayerischen Gymnasien den im Jahrbuch der Schmeller-Gesellschaft getreten, der nunmehr jährlich für höchstens

287 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

fünf Seminararbeiten vergeben wird, die sich emotio­nale Beziehung zur Heimat. Deshalb durch ihre inhaltliche und sprachliche Qua- sei es ein wichtiges Anliegen, an den Schulen lität in besonderem Maße auszeichnen. Die in Bayern bei allen Schülerinnen und Schü- thematische Ausrichtung wurde beibehal- lern das Bewusstsein dafür zu schärfen, Dia­ ten. Über die Vergabe dieses Förderpreises lekt als Wurzel und bereicherndes Element entscheidet eine Jury der Schmeller-Gesell- der deutschen Sprache zu sehen. schaft. Der Rechtsweg gegen diese Entschei- dung ist ausgeschlossen. Bereits im Vorfeld des ersten G8-Abiturs 2011 war der Schmeller-Gesellschaft vom Ministe- Bewerber um den Johann-Andreas-Schmel- rium ein Muster für ein wissenschaftspropä- ler-Preis müssen lediglich einen nicht kor- deutisches Seminar zum Rahmenthema rigierten Abdruck ihrer Seminararbeit über „Dialekte untersuchen und vor Ort erfor- ihre Schule in der Regel bis Ende März/An- schen“ zugegangen. Mit dieser Themenwahl fang April an das Johann-Andreas-Schmeller- sollten die Schulen ausdrücklich ermuntert Gymnasium in Nabburg senden. Genaueres werden, im Rahmen der Oberstufe des acht- ist der jeweiligen Ausschreibung zu entneh- jährigen Gymnasiums im Fach Deutsch auch men, die zu Beginn eines jeden Kalender- die ganz besonderen Möglichkeiten zu nut- jahres erfolgt und vom Kultusministerium zen, die das Thema Dialekte für forschendes über die Ministerialbeauftragten der Regie- Lernen eröffnet. rungsbezirke an jedes Gymnasium weiterge- leitet wird. Außerdem kann der aktuelle Aus- In diesem Entwurf werden als mögliche The- schreibungstext unter www.schmellergesell- men für Seminararbeiten genannt: schaft.de/preis/foerderpreis.htm eingesehen  Der Dialektgebrauch in der (eigenen) Schule werden.  Meine Familie und die Herkunft des Dialekts – Ursprungsdialekte und Veränderungen  Dialekt und Massenmedien: „Dahoam is Die Zusammenabeit mit dem Dahoam“ als bayerische Vorabendserie Kultusministerium  Wortfelduntersuchungen in zwei Orten (z. B. Heimatort – Schulort) Die über die Jahre hinweg reibungslose Zu-  Dialektale Syntaxstrukturen in der Region sammenarbeit mit dem Kultusministerium  Mundartdichtung vor Ort stellt für die Schmeller-Gesellschaft eine  Mundart im Kabarett große Hilfe dar. Besonders erfreulich ist, dass Weitere Informationen zu diesem Seminar- seit einigen Jahren von Seiten des Ministeri- konzept finden sich im Internet unter ums verstärkt der Wert des Dialekts als Un- www.isb.bayern.de, Suchbegriff: Dialekte. terrichtsgegenstand hervorgehoben wird. Die erste Auflage der Handreichung „Dialekte in Bayern“ ist ein sichtbares Zeichen dieser „Dialekt“ – im W-Seminar gestiegenen Wertschätzung. Seit der Reform der gymnasialen Oberstufe Anlässlich der Ausschreibung des Förder- sind an die Stelle der früheren Facharbeiten preises 2014 betonte das Ministerium gegen- Seminararbeiten getreten. Diese Seminar- über der Gesellschaft mit Schreiben vom 15. arbeiten sind von den Schülern im Rahmen Januar 2014, dass sich die Bedeutung der bay- eines wissenschaftspropädeutischen Semi- erischen Dia­lekte in den vielen Facetten an nars (kurz: W-Seminar) anzufertigen. Neben charakteri­sti­schen Ausdrucksmöglichkeiten, den W-Seminaren gibt es auch Projekt-Semi­ die dieses sprachliche Register bietet, zeige. nare zur Studien- und Berufsorientierung Darüber hinaus offenbare die Verwendung (kurz: P-Seminare). Die beiden Seminarfor- der jeweiligen Mundart auch eine besondere, men unterscheiden sich aufgrund ihrer Kon-

288 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

zeption grundlegend. Während im W-Semi- veröffentlichte. Ziel dabei war es, vor allem nar das wissenschaftsorientierte Arbeiten im Lehrkräften hilfreiche Anregungen zur Be- Vordergrund steht, erfordert die Teilnahme handlung des Themenbereichs „Dialekt im am P-Seminar vor allem praxisorientiertes Unterricht“ zu geben. Arbeiten. Wenn nachfolgend von Seminar­ arbeiten die Rede ist, dann handelt es sich also um Arbeiten in W-Seminaren.

Als vordringliches Ziel von W-Seminaren wird die Vermittlung wissenschaftlicher Ar- beitsweisen genannt. Konkret versteht man darunter die exemplarische Vertiefung gym- nasialer Fach- und Methodenkompetenzen, die angemessene Präsentation eigener For- schungsergebnisse und die Erstellung einer Seminararbeit. Während der Dauer des Semi- nars steht dem Schüler die leitende Lehrkraft in begleitender und beratender Funktion zur Seite. Das W-Seminar orientiert sich dabei weder an einem Lehrplan, noch wird es in die eigentliche Abiturprüfung miteinbezogen.

Damit sind bereits die Möglichkeiten, aber auch Grenzen eines solchen Seminars ange- deutet. Einerseits erfahren die Schüler näm- lich mit Nachdruck, dass man sich mit Dialekt nach streng wissenschaftlichen Maßgaben beschäftigen kann und Dialekt eben keines- falls – wie leider immer noch viel zu häufig ... wie alle Jahrbücher der Schmeller-Gesellschaft erschienen in der edition vulpes, Regensburg geglaubt wird – eine minderwertige Sprach- form darstellt; andererseits sind aber Schü- ler noch viel mehr als bisher von den Interes- In diesem Kontext ist auch der Tag des Dia­ sen ihrer Lehrkräfte abhängig. Eine Lehrkraft, lekts zu sehen, den die Schmeller-Gesell- die sich selbst nicht für Dialekt interessiert, schaft zusammen mit dem Regensburger wird kaum auf die Idee kommen, ein Semi- Dia­lektforum und der MB-Dienststelle für nar zu einer dialektologischen Fragestellung die Gymnasien der Oberpfalz am 22. Novem- anzubieten. Freilich ist es aber bis zu einem ber 2012 in Regensburg veranstaltet hat. Ge- bestimmten Punkt fast immer möglich, Inte- nau genommen handelte es sich dabei un- resse zu wecken, zumal wenn hier konkrete ter der Leitung von Dr. Ludwig Schießl um und leicht umsetzbare Anregungen gegeben eine Lehrerfortbildung zum Thema „Dialekt werden. als Gegenstand von W- und P-Seminaren im achtjährigen Gymnasium“. Anregungen für Lehrkräfte Als eine der ersten Deutschlehrkräfte hatte Die Schmeller-Gesellschaft hat dieser Er- Anna-Veronika Zöller vom Kepler-Gymna- kenntnis Rechnung getragen, indem sie in sium Weiden in den Schuljahren 2009/10 und ihrem Jahrbuch 2008 zahlreiche Beiträge 2010/11 für ein W-Seminar im Fach Deutsch zu Stellenwert und Bedeutung des Dialekts ein Rahmenthema zum Dialekt angeboten: in Erziehung, Unterricht und Wissenschaft „Dialekt in Bayern und darüber hinaus“.

289 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Folgende Themen für Seminararbeiten wur- hänge zwischen Mundart und zugeschriebe­ den dabei gewählt: nem sozialen Status untersucht und dabei  Einflüsse des Dialektgebrauchs auf Bildungs- herausgefunden, dass in einer zunehmend und Karrierechancen globalisierten Welt vieles dafür spräche,  Dialekt in der Schule am Beispiel des Kepler- lokalen Identifikationssymbolen, wie es etwa Gymnasiums Weiden im Bereich der Sprache das heimische Bai-  Dialekt in der Werbung risch als vollwertige Varietät des Deutschen  Familienanzeigen im Dialekt ist, mehr Bedeutung einzuräumen, dies im  Dialekt am Beispiel der Kirwa Alltagsleben aber meist gar nicht der Fall  Wie lässt der Oberpfälzer Dampf ab? – Flüche sei. In ihren Seminararbeiten beschäftigten und andere Schimpfwörter in der Oberpfalz sich die angehenden Abiturienten u. a. mit  Die Küche in der nördlichen Oberpfalz / heimat­bezogenen Texten wie etwa dem „Hal- Speisen im Oberpfälzer Sprachgebrauch lertauer Heimatlied“, mit den Merkmalen und  Dialektausdrücke im Umfeld des Kartenspiels dem Alltagsgebrauch des heimischen Hal- im Raum Weiden und Umgebung (Irchen- lertauer Bairisch, mit bairischen Sprachin- rieth, Weiden, Eschenbach) seln in Ungarn oder einem Dialektvergleich  Dialekt im Bereich der regionalen Namen: Bairisch-Westfälisch. Ihre Ergebnisse werfen Vor-, Haus-, Orts-, Flurnamen in und um ein buntes Licht auf die gar nicht so einfache Reichenau / Waidhaus Frage, was es bedeutet, wenn jemand sagt:  Moderne Mundart-Liedtexte in Oberpfälzisch „Ich bin von hier.“ (vgl. www.schyren-gym-  Fitzgerald Kusz – ein Nürnberger Mundart- nasium.de > Seminar-Projekte.) autor  „Toganachtsveichali. Lustia und arnsta Gadichter nach fränkisch’n Geräid, Band 1“ „Dialekt“ – im P-Seminar von Alois Josef Ruckert Auch in den P-Seminaren der gymnasialen Durchaus hoffnungsfroh stimmt Anna-Vero- Oberstufe könnten Konzepte zur Auseinan- nika Zöllers Resümee, durch die neuartigen dersetzung mit Themen aus dem Bereich Seminare im achtjährigen Gymnasium er- der Dialektologie entwickelt werden, „z. B. gebe sich die Möglichkeit, schulische Dialekt- in Form der Erstellung eines Wörterbuches pflege in kondensierter Form auf einem be- oder eines Sprachatlas im Kleinen, verbun- achtlichen (kognitiven) Niveau zu betreiben. den mit den entsprechenden empirischen Er- Dadurch könne bei entsprechender Resonanz hebungen und der Kooperation mit einschlä- künftig ein wesentlicher Beitrag dazu geleis­ gigen Institutionen.“ (Schießl / Bräuer: 113) tet werden, Dialektpflege am Gymnasium in eine „professionelle“ Richtung zu lenken, Am „Tag des Dialekts“ erläuterte Dr. Ludwig die weit über die bisherigen Bemühungen Schießl vom Ortenburg-Gymnasium Ober- hinaus­reiche. (Schießl / Bräuer: 109ff.) viechtach Verlauf und Inhalte eines von ihm selbst für die Schuljahre 2012/13 und 2013/14 Dr. Tanja Eisert vom Schyren-Gymnasium entworfenen P-Seminars mit dem Titel „Haus- Pfaffenhofen hatte ihren zehnköpfigen Kurs namen und Ortsneckereien in der Schulre- gleich nach Regensburg mitgebracht. In den gion“. Als Motive, die sicherlich für W-Semi- Schuljahren 2011/12 und 2012/13 leitete sie nare gleichermaßen zuträfen, nannte er u. a. das W-Seminar „Dialekt und Identität“. Der Bewusstseinsweckung für überlieferte Kultur- „Tag des Dialekts“ bot den Schülern die güter, Verbindung und enge Verzahnung mit ziemlich einzigartige Gelegenheit, ihre For- dem Dialekt im Rahmen einer zeitgemäßen schungsergebnisse vor einem ausgewie- Dialektpflege sowie Verankerung in der senen Fachpublikum zu präsentieren. Im Region, als Zielsetzung u. a. Einblick in die Seminar hatten sie zunächst die Zusammen- Charakteristika des heimischen Dialekts.

290 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Rückblick: Die bisher prämierten Stadtmundart im Vergleich zum Umland Seminararbeiten am Beispiel Mainburg und Train Verfasserin: Thea Hintermeier (Gabelsberger- Etwas ausführlicher sollen nun diejenigen Gymnasium Mainburg, Absolvia 2011) Seminararbeiten vorgestellt werden, die bis- Rahmenthema: Stadtforschung in der Haller- her mit dem Förderpreis der Johann-An- tau (Leitfach: Geographie [!]) dreas-Schmeller-Gesellschaft ausgezeichnet Seminarleitung: Dipl.-Geogr. Jürgen Patzke wurden. Um einen Einblick in den Seminar- Inhalt: Veränderung der Mundarten durch kontext zu vermitteln, wird neben der Semi- verschiedene Einflüsse, Vermutung von Un- narleitung auch das jeweilige Rahmenthema terschieden zwischen Stadtmundart von angegeben: Mainburg und Dorfmundart von Train, Krite- rien der Erhebung, Verarbeitung der gewon- Wortfeldvergleich in zwei mittel- nenen Informationen, Vergleich mit den Er- fränkischen Orten (Burgbernheim und gebnissen Ludwig Zehetners, abschließender Gollhofen) Vergleich zwischen Stadtmundart und Dorf- Verfasserin: Christina Fischer (Georg-Wil- mundart helm-Steller-Gymnasium Bad Windsheim, Absolvia 2011) Stadtmundart im Vergleich zum Umland Rahmenthema: Dialekte erkunden und vor am Beispiel Neustadt/Donau und Hienheim Ort erforschen Verfasserin: Maria-Theresa Huber (Gabels- Seminarleitung: Christiane Reichert berger-Gymnasium Mainburg, Absolvia 2011) Inhalt: Allgemeine Informationen (geogra- Rahmenthema: Stadtforschung in der Haller- phische Lage und historische Aspekte der tau (Leitfach: Geographie [!]) Orte Burgbernheim und Gollhofen, sprach- Seminarleitung: Dipl.-Geogr. Jürgen Patzke wissenschaftliche Aspekte), Wortfeldver- Inhalt: Definition von Mundart, grundlegende gleich zwischen den genannten Orten auf der Informationen (Stadt Neustadt/Dorf Hien- Grundlage einer Umfrage (Wortfeld: Lebens- heim), Vermutung von Unterschieden zwi- mittel; einzelne Begriffe: Kartoffel, Brötchen/ schen Stadtmundart und Dorfmundart, Un- Semmel, Kartoffelpuffer, Gurke, Apfel, Karot- tersuchung der Mundart am Beispiel Neu- te/Gelbe Rübe/Möhre, Ei, Brathähnchen, To- stadt und Hienheim, Vergleich der Ergeb- mate, Erdbeere, ausgezogenes Küchlein, nisse, Dokumentation der erforschten Unter- Birne), Auswertung der Umfrage und Darle- schiede gung der Ursachen für die Unterschiede im Dialekt Sprachgrenzen und Sprachentwicklung im Dreiländereck Der Dialekt im Bereich der regionalen Verfasser: Gerhard Herrler (Gymnasium Namen Beilngries, Absolvia 2012) Verfasser: Andreas Grötsch (Kepler-Gymna- Rahmenthema: Dialekt und Brauchtum in der sium Weiden, Absolvia 2011) Region Jura 2000 Rahmenthema: Dialekt in Bayern und darü- Seminarleitung: Dr. Rudolf Kleinöder ber hinaus Inhalt: Dialektvergleich von Orten des Drei- Seminarleitung: Anna-Veronika Zöller länderecks (Untermässing, Kaising, Ruderts- Inhalt: Bedeutung des Dialekts, Dialekt im hofen und Herrnsberg im Grenzgebiet von Bereich der regionalen Namen (Vornamen im Oberbayern, der Oberpfalz und Mittelfranken) nordbairischen Dialekt, Hausnamen in Rei- nach den Kriterien Wortschatz (Wortfelder chenau, Flurnamen in Reichenau, Ortsnamen Mensch und Gesellschaft, Haus und Haushalt von Waidhaus), Stellenwert des Dialekts in sowie Natur und Landwirtschaft), Vokallaute Bayern (der mhd. Vokal a, Infinitivendungen und Le- nis-Fortis-Grenze, das e und die -s-/-ss-Grenze,

291 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

das mhd. o und die -ch-/-g-Grenze, das mhd. Code-Switching â, der Umlaut ä, das mhd. ô, das mhd. uo) Verfasserin: Sophie Griesbacher (Korbinian- sowie Verb- und Nomenformen im Dialekt Aigner-Gymnasium Erding, Absolvia 2014) Rahmenthema: Dialekt Vergleich von Mittelbairisch und Seminarleitung: David Neu Ostfränkisch anhand der Dialektfassung von Inhalt: Durchführung der Spracherhebung „Der kleine Prinz“ (Anfertigen von Sprachaufnahmen, Erfas- Verfasserin: Morwenna Mögel (Georg-Wil- sung persönlicher Daten der Gewährsper- helm-Steller-Gymnasium Bad Windsheim, sonen), Ergebnisse der Spracherhebung Absolvia 2013) (soziologische und gesprächsbedingte Ein- Rahmenthema: Dialekte flussfaktoren), Höhe der Switchingdifferenz Seminarleitung: Diana Müller Inhalt: „Le Petit Prince“ und seine mittelbai- Dialektrezeption unter Regensburger rischen und ostfränkischen Dialektfassungen, Migranten aus der ehem. Sowjetunion Unterschiede zwischen Mittelbairisch und Verfasser: Alexander Schneider (Werner-von- Ostfränkisch (Phonologie, Morphologie, Syn- Siemens-Gymnasium Regensburg, Absolvia tax, Grammatik, Lexik), Stellungnahme zur 2014) Idee des „Le Petit Prince“ in deutschen Rahmenthema: Dialektologie – Bairisches Mundarten Deutsch in Regensburg Seminarleitung: Gerhard Rockinger Bointnerisch – Inhalt: Entwicklung der russischsprachigen Sprache zwischen zwei Stühlen Zuwanderung aus dem Gebiet der ehema- Verfasser: Andreas Öser (Donau-Gymnasium ligen UdSSR in die Bundesrepublik Deutsch- Kelheim, Absolvia 2013) land seit 1987, statistische Analyse der Dia- Rahmenthema: Bairischer Dialekt und baye- lektrezeption unter Regensburgern mit rus- rische Mundartliteratur sischsprachigem Migrationshintergrund (Per- Seminarleitung: Edwin Augsberger sonen gehobenen Alters, Vergleich zwischen Inhalt: Dialektspezifische Kennzeichen (ge- jungen Erwachsenen und Erwachsenen mitt- stürzte Diphthonge, Liquidenvokalisierung, leren Alters anhand des Kriteriums Alter, Ver- Vokalisierung der Verbendung „-en“), dialekt- gleich unter Erwachsenen anhand des Kriteri- geographische Einordnung (Analyse und Ver- ums Akademisierungsgrad), Möglichkeit der gleich der Sprache Paintens mit dem Dialekt Einführung eines Bairisch-Sprachkurses umliegender Gemeinden, sprachräumliche Zuordnung), historische Interpretation (natur- räumliche und territoriale Aspekte) Themenvorschläge für Seminararbeiten Dialektgebrauch bei Jugendlichen in Erding und Umland Die folgende Aufstellung basiert auf den im Verfasserin: Alexandra Buchmann (Korbinian- Laufe der Jahre bei der Schmeller-Gesell- Aigner-Gymnasium Erding, Absolvia 2014) schaft eingereichten Fach- und Seminarar- Rahmenthema: Dialekt beiten und ist zur Anregung für Deutschlehr- Seminarleitung: David Neu kräfte gedacht, die sich mit dem Gedanken Inhalt: Grundlagen der Datenerhebung (Me- tragen, ein W-Seminar zum Themenbereich thode der schriftlichen Befragung), Ergeb- Dialekt anzubieten. Die oben genannten Lehr- nisse der Datenerhebung (Dialektsituation kräfte sowie die in dieser Handreichung vor- in Erding und Umland), Einflussfaktoren auf gestellten Partner der Dialektförderung wer- den Dialekt (Alter, Geschlecht, Wohnort) den hierzu gerne ihre Erfahrungen mitteilen und ihre Expertise zur Verfügung stellen:

292 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Dialekt als Kommunikationsmittel Sprache im Landkreis XY unter Berücksichti-  Der Nordoberpfälzer Dialekt – noch heute gung altersspezifischer Fragestellungen ein Kommunikationsmittel?  Die Veränderungen in der regionalen Mund-  Der Regionaldialekt von XY – eine Sprach- art von XY über die letzten drei Generationen barriere für seine Sprecher? hinweg  Sacklzement! Bairische Flüche, Schimpf-  Der bairische Dialekt – ein gefährdetes Kultur- wörter und Kraftausdrücke. Eine kommuni­ gut? Mit einer Untersuchung in einer kationstheoretische und mundartliche Unter- oberbayerischen Grundschulklasse suchung  Der gegenwärtige Dialekt der Jugend im lokalen Raum XY Dialekt- bzw. Sprachvergleich  Veränderung des Dialekts durch äußere  Bairisch – Hochdeutsch kontrastiv Einflüsse – am Beispiel des Ortes XY  Dialektvergleich Oberfränkisch – Ober-  Verlust der Ortsdialekte pfälzisch. Eine vergleichende Studie zum  Dialekt bei Kindergarten- und Grundschulkin- Dialektgebrauch dern. Eine Untersuchung in der Gemeinde XY  Die Sprache der hohen Politik vs. Vielfalt der Dialekte – Übersetzungsversuche verschie- Dialekt und Literatur / Dialektverschriftung dener Dialektsprecher im Raum Marktheiden-  Betrachtung des Werks „Des hau mer feld-Spessart denkt“ von Luitpold Schuhwerk unter dem  Entstehung und Entwicklung der deutschen besonderen Gesichtspunkt der Heimatver- Sprache und der fränkische Dialekt bundenheit, mit Blick auf die Aspekte Spra-  Fränkisch / Schwäbisch und Bairisch che, Natur und Brauchtum im Vergleich  Chancen und Grenzen der mainfränkischen  Vergleichende Untersuchung der Dialekte Mundartliteratur – dargestellt am Beispiel in den Dörfern A und B im Hinblick auf den Engelbert Bach Gebrauch von Vokalen  Das Nordbairische in der Dialektliteratur: Themenkreise, Formen. Eine Bestandsauf- Dialektgrammatik nahme der letzten 20 Jahre  Grammatikalische Besonderheiten im  Die Wirkung des bairischen Dialekts in der bairischen Dialekt Literatur am Beispiel von Kleists „Der zerbro-  Versuch der Erstellung einer bairischen chene Krug“ – Vergleich von Original Grammatik anhand von Textproben und bairischer Fassung  Der Präteritumsschwund in süddeutschen  „D Oberpfalz strahlt“. Sozialkritische Mundarten Mundartlyrik aus Ostbayern. Eine Unter­ suchung ab den späten 1970er Jahren Dialektschwund bzw. -wandel  Grenzen und Möglichkeiten des Dialekts am  Analyse der Ortsmundart von XY und des konkreten Beispiel „Da kräht kein Hahn nach aktuellen Dialektgebrauchs bei Kindern und dir“ bzw. „Da Schatz auf da Hochhausinsel“ Jugendlichen von Harald Grill  Anglizismen in der gegenwärtigen  Merkmale des Bairischen, aufgezeigt an dialektalen Umgangssprache der Übersetzung literarischer Texte  Bairisch – eine Minderheitensprache?  Probleme der Verschriftlichung von Dialekt  Beharrung und Schwund bairischer anhand zweier Mundartgedichte Kennwörter in der Region XY  Dialekt: Kompetenz – Verlust – Pflege? Dialekt und Musik  Die Entwicklung des bairischen / fränkischen /  Das Kirchweihlied des Oberpfälzer Juras schwäbischen Dialekts nach 1945, besonders  Der Dialekt und dessen Einfluss auf die im Raum XY und Umgebung Popularmusik unter besonderer Berücksich­  Die gegenwärtige Entwicklung der bairischen tigung des bair. / fränk. / schwäb. Dialekts

293 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

 Hubert von Goisern. Ein Mundartsänger  Der Schrobenhausener Dialekt – ein Dialekt  Mundart in Medien: Analyse des fränkischen an der Sprachgrenze. Geographische Verbrei- Dialekts am Beispiellied „Wu is mei Heimat?“ tung und phonetische Untersuchung von Wolfgang Buck  Der Westallgäuer Dialekt – Sprachwissen-  Bairisches Deutsch in moderner Popmusik schaftliche Analyse der Mundart von XY und am Beispiel Claudia Koreck die Bedeutung für ihre Sprecherinnen und Sprecher Johann Andreas Schmeller  Der westliche Landkreis Fürstenfeldbruck  Briefwechsel zwischen Johann Andreas als schwäbisch-bairisches Dialektgrenzgebiet Schmeller und Samuel Hopf  Dialekte in Bayern – Schwerpunkt Fränkisch  Die Entstehung des ersten umfassenden  Die Bedeutung des Spessarts als Dialekt- bayerischen Wörterbuches von Johann grenze: historische Entwicklung, Merkmale, Andreas Schmeller Grenzverlauf  Die pädagogischen Vorstellungen Johann  Die dialektalen Eigenheiten der Stadt XY Andreas Schmellers, beeinflusst durch seine und deren Umland Schulzeit und die Lehren Johann Heinrich  Die fränkische Mundart und die Mentalität Pestalozzis der Franken  Die sozialen Ansichten Johann Andreas  Die Nordoberpfälzer Mundart – dargestellt an Schmellers Beispielen  Die Tagebücher Johann Andreas Schmellers  Die Ortsmundart von XY  Einflüsse der Aufklärung auf Johann Andreas  Entwicklung und Einflüsse des Dialekts in XY Schmellers „Bayerisches Wörterbuch“ –  Memmingen, Memminger und Memmin- aufgezeigt am Wortfeld Frau gisches in den Werken von Johann Andreas  Johann Andreas Schmeller als Dialektologe – Schmeller Beweggründe  Oberostfränkische Mundart im Blickwinkel  Johann Andreas Schmeller: Die Bewertung der Dialektsprache bei Jugendlichen seines Wirkens im Spiegel verschiedener  Präsenz und Stellenwert des Dialekts von XY Gedächtnisreden bei der einheimischen Bevölkerung  Johann Andreas Schmeller: Die Erforschung  Sprachkultur – Dialekt – Identität im Land- des Zimbrischen kreis XY  Johann Andreas Schmeller – ein Sohn der  Dialektgeographische Besonderheiten des Aufklärung in seiner Zeit Ortes XY  Johann Andreas Schmeller und die Befreiungskriege Sprachinselforschung  Johann Andreas Schmeller und Franz Joseph  Das Fersental. Eine deutsche Sprachinsel – Müller von Schmeller bis heute  Leben, Werk und Wirkungsgeschichte von  Dialektraum Banater Schwaben Johann Andreas Schmeller  Untersuchung des Dramas „Die Ephesier“ Sonstiges von Johann Andreas Schmeller  Aktuelle Diskussion über die Rolle des Dialekts in Bayern Ortsmundarten / Regiolekte  Bevölkerungswanderungen im Spiegel der  Das Nordbairische in den Landkreisen Dialektgeographie Tirschenreuth und Wunsiedel  Bezeichnungen für Kinderspiele und Spiel-  Der bairische/bayerische Dialekt – sachen anhand der Materialien des Sprach­ Beobachtungen in XY und am dortigen atlasses Niederbayern Gymnasium  Deutsch – Schwäbisch – Bairisch: Speise-  Der Dialekt von XY in der Oberpfälzer kartendialekte und ihre Wirkung auf die Kom- Sprachlandschaft merzialisierung

294 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

 Dialekt in der Werbung Scherm, Ilona (Hrsg.) (2004): Sprache und  Einfluss der Topographie auf die Sprache Heimat – Heimat Sprache. Bayreuth (Jahr- (Richtungsadverbien in der Gemeinde XY) buch der Johann-Andreas-Schmeller-Gesell-  Lachoudisch – eine sprachliche Sonderform schaft 2003).  Semantik und Phonetik der Landwirtschafts- sprache im Raum XY – eine Bestandsauf- Schießl, Ludwig / Bräuer, Siegfried (2012): nahme Dialektpflege in Bayern. Ein Handbuch zu Theorie und Praxis. Regensburg.

Weiterführende Literatur Schmuck, Johann: Entstehungsgeschichte der Johann-Schmeller-Gesellschaft [abrufbar Ferstl, Christian (2008): Wortklauben gestern unter: www.schmellergesellschaft.de/verein/ und heute – Johann Andreas Schmeller und entstehungsgeschichte.htm]. die nach ihm benannte Gesellschaft mit Sitz in Tirschenreuth. In: Oberpfälzer Kulturbund (Hrsg.): Stiftland – Egerland – Kulturland. Festschrift zum 37. Bayerischen Nordgautag in Tirschenreuth. Regensburg, S. 118-127.

Ferstl, Christian (2009): Der Förderpreis der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft für gymnasiale Facharbeiten als Beispiel für ein Projekt institutionalisierter Dialektförderung. In: Ders. (Hrsg.): „Dem Dorfschullehrer sein neues Latein …“ Beiträge zu Stellenwert und Bedeutung des Dialekts in Erziehung, Unter- richt und Wissenschaft. Regensburg (Jahr- buch der Johann-Andreas-Schmeller-Gesell- schaft 2008), S. 212-217.

Ferstl, Christian (2010): Die Johann-Andreas- Schmeller-Gesellschaft Tirschenreuth – Struk- turen und Inhalte einer institutionalisierten Dialektpflege. In: Heimatkundlicher Arbeits­ kreis Oberviechtach e. V. (Hrsg.): Aspekte der Namenkunde, des Dialekts und der Museums- ­pädagogik. Beiträge der Oberviechtacher Symposien 2008, 2009, 2010. Oberviechtach (Oberviechtacher Heimatkundliche Beiträge. Band 8/2010 – Tagungsband), S. 121-133. Die ISB-Handreichung (2008, 100 S.) erläutert Aufgaben und Stellung der W- und P-Seminare in der neuen Ober- Ferstl, Christian: Dialekt als Gegenstand von stufe des Gymnasiums und stellt Formen der Leistungs- erhebung sowie Bewertungskriterien vor. Formulare, P-Seminaren in Gymnasien. In: Jahrbuch der Muster und Kopiervorlagen sowie bewährte Ideen aus Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft 2013 dem einschlägigen Schulversuch (2005-2007) runden das (ersch. voraussichtl. 2015) Angebot der praxisorientierten ISB-Handreichung ab. Online: www.isb.bayern.de > Gymnasium > Materialien

295 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

„Freude an der Mundart wecken und verstärken“. Ein Projekt des Bayernbunds aus dem Chiemgau

Helmut Wittmann und Mitautoren

Dass die Seele des Chiemgaus auch weiter­ Übersicht hin in der heimatlichen Mundart Atem schöp­ fen kann, war das Ziel des Projekts des Bay­ 1. Projektrahmen ernbunds e. V. „Freude an der Mundart we­ 1.1 Ansatz, Ziele und Strukturen cken und verstärken“, an dem sich von 2010 bis 2013 rund 20 Kindergärten und Schulen 1.2 Rechtliche Grundlagen, Bildungs- und Lehrpläne aus den Landkreisen Rosenheim und Traun­ stein beteiligten. 1.3 Inhaltliche und fachliche Grundlagen

1.4 Projektorganisation Der Bayernbund (gegr. 1921) ist ein über- 1.5 Vernetzung und Förderung parteilicher Zusammenschluss landesverbun­ dener Bürgerinnen und Bürger – ungeachtet 1.6 Dokumentation ihrer landsmannschaftlichen Herkunft. Die Pflege der bayerischen Kultur ist eines der 2. Praxisbeispiele Hauptanliegen des Bayernbunds. 2.1 Integrationskindergarten St. Margaretha (www.bayernbund.de). Frasdorf

2.2 Grundschule Halfing 2.3 Grundschule Seeon 1. Projektrahmen 2.4 Grund- und Mittelschule Chieming 1.1 Ansatz, Ziele und 2.5 Franziska-Hager-Mittelschule Prien Strukturen 2.6 Johann-Rieder-Realschule Rosenheim Die Förderung der Motivation, sich gerne 2.7 Hertzhaimer-Gymnasium Trostberg in der Mundart auszudrücken, stand im Mit­ 2.8 Gymnasium LSH Ising telpunkt aller pädagogischen Bemühungen des Projekts. Kindern und Jugendlichen den 3. Ausblick „Sprech- und Sprachschatz“ der Mundart er­ lebbar zu machen und in der jeweiligen Situ­ ation – in der Kindergartengruppe, in der Klasse, bei Wanderungen im Schullandheim „Jede Provinz liebt ihren Dialekt: Denn er etc. – mitgestalten zu lassen, eröffnete vielfäl­ ist doch eigentlich das Element, in welchem tige pädagogische Freiräume. Rückblickend die Seele ihren Atem schöpft“ – so Johann besteht die begründete Hoffnung, dass un­ Wolfgang von Goethe im Sechsten Buch des sere Buben und Mädchen sich auch in Zu­ Zweiten Teils seiner Autobiographie „Aus kunft gerne der Mundart bedienen werden – meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“. auch ohne pädagogische Anleitung.

296 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Ziel des Projekts war es, die Freude an der Mundart bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen zu entwickeln sowie eine grundlegende und tiefgreifende Wertschät- zung für den heimatlichen Dialekt. Das Pro­ jekt stellte deshalb stark auf die Eigenbetei­ ligung und den eigenen Antrieb der Kinder und Jugendlichen ab und war weniger vom Gedanken der „Pflege“ getragen.

Motivation als innerer Antrieb für alles Lernen kann im Lied, im Reim, in der Dich- tung generell und vor allem im Sprechen gefördert werden. Mundart schafft Vertraut­ heit und stellt im Vergleich zur Standard- sprache zusätzlich Laute und Klangfarben Logo Bayernbund e. V. sowie eigene Denkansätze zur Erschließung der Welt zur Verfügung. Für den Mundart­ sprecher ist sie dadurch eine große Bereiche­ rung. 1.2 Rechtliche Grundlagen, Bildungs- und Lehrpläne Auf dieser pädagogischen Grundlage und Philosophie wurde im Projekt in rund 20 Das Projekt „Freude an der Mundart wecken Bildungseinrichtungen – in Kindergarten, und verstärken“ fühlte sich in vielfacher Wei- Grundschule, Mittelschule, Realschule und se durch einschlägige Rechtsbestimmungen Gymnasium – ein anregungsreicher Erzie­ abgesichert und gestärkt und konnte dadurch hungsansatz in die Praxis umgesetzt. Die auch hin und wieder vorkommende Einwände Umsetzung erfolgte ohne Einengung durch von Erziehungsberechtigten entkräften: „… in Vorgaben von „oben“ oder „außen“. der Liebe zur bayerischen Heimat erziehen“ lautete das Motto in Anschluss an Art. 131 Befruchtend wirkte sich der Erfahrungsaus- Abs. 3 der Bayerischen Verfassung sowie tausch zwischen den Einrichtungen bei ge­ Art. 1 Abs. 1 Satz 4 des Bayerischen Gesetzes meinsamen Fortbildungen und gegensei­ über das Erziehungs- und Unterrichtswesen tigen Besuchen aus. Auch die Öffnung des (BayEUG). Und: „Niemand darf wegen seines Projekts für Mundartsprecher von außer- Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner halb der Bildungseinrichtungen (z. B. Kinder­ Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und buchautoren, Kindertheater, Brauchtum, Sin­ Herkunft … benachteiligt oder bevorzugt wer­ gen, Volkstanz) erwies sich als zielführend im den“ (Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz). Sinne von Anregung und Bestätigung. Ein viel gelesener Kommentar zum Grund­ Besondere Beachtung wurde sodann auf die gesetz bringt es auf den Punkt: „Sprache ge­ laufende Dokumentation der Aktivitäten und hört zu den identitätsprägenden Merkmalen Ergebnisse der einzelnen Einrichtungen ge­ eines Menschen und ist in dieser Eigenschaft legt mit dem Ziel einer gemeinsamen Veröf­ schutzbedürftig. Deshalb wird hierunter all­ fentlichung nach Beendigung des Projekts im gemein die Muttersprache verstanden, zu der Sinne der Anregungen und des Anreizes für auch Dialekte zu zählen sind“ (GG. Grund­ andere. gesetz. Kommentar, hg. von Michael Sachs, München 2009, S. 231).

297 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Die Mut machenden Aussagen des Baye- zugehen, gelingt leichter, wenn ich seinen rischen Bildungs- und Erziehungsplans für Sprachstil kenne, pädagogisch gesprochen, Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Ein- wenn ich Kinder dort „abholen“ kann, wo sie schulung (2006, kurz: BEP) sowie der Lehr­ sprachlich stehen. Erforderlich hierzu ist eine pläne für die bayerischen Schulen, sich in vorurteilsfreie Einstellung der Erzieherinnen Kindertagesstätten und Schulen aktiv mit und Lehrkräfte gegenüber Mundart spre­ dem Thema Dialekt auseinanderzusetzen, chenden Kindern und Schülern. konnten als weiterer Impuls für die pädago­  Wertschätzung gegenüber Mundart spre- gische Arbeit dienen. 2012 kamen die chenden Kindern und Jugendlichen stellt das Bayerischen Leitlinien für die Bildung und Minimum eines pädagogischen Umgangs Erziehung von Kindern bis zum Ende der dar. Dabei darf das unabdingbare Ziel von Grundschulzeit hinzu, die ausdrücklich die Unterricht, die Hinführung zur Hochsprache, Kontinuität der Förderung im Übergang vom nicht vernachlässigt werden. Dies schließt vorschulischen zum schulischen Bereich jedoch einen situationsgemäßen Gebrauch hervorheben und dabei auch den Wert der von Mundart, also eine gewisse „Zweispra­ Mundart betonen. chigkeit“ nicht aus. Die Dialekt sprechenden Kinder und Jugend­ Kindergärten und Schulen in Bayern haben lichen sollen unterscheiden lernen, wann demnach einen klaren Auftrag zur Förderung Hochsprache und wann Mundart angemes­ der Mundart; Bildungs- und Erziehungsplan sen ist. So ist Dialekt nicht Hindernis für kind­ und Lehrpläne sind die amtliche Grundlage liche Entwicklung, sondern, im Gegenteil, hierfür, wie ein Beschluss des Bayerischen wertvoll und bereichernd. Ziel ist eine gute Landtags vom 15.12.2009 unterstreicht. allgemeine Sprachkompetenz in allen Varie- täten, die der Schüler beherrscht, und deren angemessene Verwendung, also Zweispra­ 1.3 Inhaltliche und fachliche chigkeit in Dialekt und Schriftdeutsch“ (Prof. Grundlagen Anthony Rowley, Referat im Projektplenum, Prien, März 2013). Neben den eben genannten Bestimmungen  Dem vorschulischen Bereich kommt hinsicht- und Richtlinien lagen dem Projekt folgende lich der Förderung der Mundart besondere Überzeugungen zugrunde: Bedeutung zu. Der Bayerische Bildungs- und  Hinsichtlich des Erfolgs mundartlicher Erziehungsplan betont daher: Die Wertschät­ Förderung kommt der positiven Einstellung zung der Familie und ihrer Innenbeziehungen von Kindergarten- bzw. Schulleitung sowie findet im Umgang mit Dialekt sprechenden der Träger der Kindergärten und der Schul­ Kindern besonderen Ausdruck; daher sind aufsicht größte Bedeutung zu. Es geht um Dia­lekte nicht nur zu respektieren, sondern Wertschätzung und Unterstützung nicht nur aktiv und engagiert in die pädagogische Ar­ der Mundart sprechenden Kinder und Ju­ beit einzubeziehen. gendlichen, sondern auch der sie fördernden Ist der Dialekt für ein Kind dieser Altersstufe Erzieher und Lehrkräfte. die ihm eigene Sprachform, so drückt es da­  Mundart schafft kulturelle Identität, zusätz- rin auch sein persönliches Denken und Füh­ liche Kommunikationsmöglichkeiten und len am besten und am liebsten aus. Kinder führt zu einer stärkeren Verbundenheit mit dieser Altersstufe lernen Sprache nicht nur der Heimat, deren Geschichte, Brauchtum über Nachahmung, sondern vor allem auch und den Menschen. Es macht keinen Sinn, in der Beziehung zu den Personen, die ihnen Dialekt und Standardsprache gegeneinander bedeutsam sind. Der „Hunger“ der Kinder, auszuspielen (Prof. Scheutz), vielmehr sind sich in der Welt zu orientieren, entwickelt beide unabdingbar wichtig für das Gelingen sich insbesondere an der Sprachfähigkeit der von Kommunikation. Auf den anderen ein­ Eltern, Erzieher und Lehrkräfte.

298 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

1.4 Projektorganisation nahme einiger Projektschulen an der Initia­ tive zeit.raum@bayern (2011 bis 2013) des Die Leitung des Projekts wurde von einer Kultusministeriums und der Landeszentrale Lenkungsgruppe und den Koordinatoren für für politische Bildungsarbeit, an der sich rund die drei Bildungsbereiche (Kindertagesstät­ 300 Schulen aus ganz Bayern beteiligten, um ten, Grundschulen, weiterführende Schu­ sich aus Anlass des 65-jährigen Bestehens len) wahrgenommen. Die Kindergartenauf- der Bayerischen Verfassung auf möglichst sicht und die Staatliche Schulaufsicht (Staatl. kreative Weise mit den historischen, politi­ Schulamt im Landkreis Rosenheim und im schen, gesellschaftlichen und auch kulturel­ Landkreis Traunstein) sowie die Ministeri- len Dimensionen des Freistaats auseinan­ albeauftragten für die Realschulen und die derzusetzen. Hierüber informiert: www.zeit. Gymnasien waren in den Informationspro­ raum-bayern.net. zess voll eingebunden.

Die am Projekt beteiligten Kindertagesstätten 1.6 Dokumentation und Schulen konnten auf rund 20 Referenten und Ansprechpartner aus Literatur, Brauch­ Ende 2014 legten die Kreisverbände Rosen­ tum, Musik, Geschichte, Handwerk/Künste heim und Traunstein eine 208 Seiten umfas­ sowie Natur/Umweltschutz zurückgreifen, die sende Projektdokumentation vor, das „Lese­ sich für Veranstaltungen, Referate, Projekt­ buch zum Bayernbund-Projekt“ mit Berichten tage, Lesungen, Arbeiten mit Schülern etc. von allen Standorten und zahlreichen Fach­ zur Verfügung stellten. beiträgen. Die informative und liebevoll illus­ trierte Publikation „Freude an der Mundart. Grundlagen und Anregungen für Kindergär­ 1.5 Vernetzung und Förderung ten, Schulen und Jugendgruppen“ (hg. von Helmut Wittmann) ist für Förderer der Mund­ Allen Projektbeteiligten war es ein großes art kostenlos, für weitere Interessenten zum Anliegen, mit Vereinen und Institutionen, die Preis von 5.- Euro erhältlich bei: Bayernbund ähnliche Zielsetzungen verfolgen, zusam­ e. V., Münchener Str. 41, 83022 Rosenheim, menzuarbeiten. So kam es zu engen Kontak­ Tel. 08031/9019140, Email: bayernbund@ ten mit den örtlichen Trachtenvereinen, dem t-online.de. Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern oder dem Bayerischen Landesverein für Hei- matpflege. Künstler wie der Bildhauer An­ dreas Kuhnlein oder der Musiker Stefan Dettl arbeiteten gerne am Projekt mit – ehrenamt­ lich wie alle Projektbeteiligten. Auch die Landräte von Rosenheim und Traunstein för­ derten das Projekt; so konnte allen am Projekt beteiligten Bildungseinrichtungen kostenlos einschlägige Literatur zur Verfügung gestellt werden.

Das Bayerische Staatsministerium für Unter- richt und Kultus sowie das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) unterstützten das Projekt durch wertvolle In­ formationen. Ein weiterer Zusammenhang und Bezugsrahmen ergab sich durch die Teil­

299 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

2. Praxisbeispiele Kinderfest – mit Liedern, Laternenbasteln, Umzug und einer Andacht in der Kirche Im Folgenden werden stellvertretend für das gemeinsam mit den Eltern. Gesamtprojekt die Konzepte und Aktivitäten  Nikolaus: Für das Fest des Hl. Nikolaus von acht Bildungseinrichtungen beschrieben, gibt es eine gute Auswahl an bairischen die sich am Projekt „Freude an der Mundart Kinderliedern. Ganz besonders ist der Unter­ wecken und verstärken“ beteiligten: schied zwischen dem Hl. Nikolaus und dem Weihnachtsmann zu erklären.  Adventsingen: Zum Adventsingen kann 2.1 Integrationskindergarten eine Musiklehrerin eingeladen werden, St. Margaretha, Frasdorf die den Kindern neue bairische Lieder zur Weihnachts- und Winterzeit nahebringt. Den Die Förderung der Mundart und des Inter­ Raum dafür schmücken die Kinder weih­ esses am heimatlichen Brauchtum sind im nachtlich. Kath. Integrationskindergarten St. Margare­  Adventszeit und Weihnachten: Ein Advents- tha ein zentrales Anliegen. Die nachfolgend ritual, bei dem der Adventskranz eingebun­ aufgeführten Beispiele stellen eine Auswahl den ist, gestalten. Den Advent als Wartezeit aus den vielfältigen Angeboten dar, die der bis Weihnachten erleben. Adventslieder und Kindergarten im Rahmen des Projekts des Krippenspiele mit den Kindern einüben, Bayernbunds e. V. zum Jahresthema Bei uns Barbarazweige schneiden und erklären – dahoam (2011/2012) durchgeführt hat. und Baumschmuck basteln.  Dreikönigsweihe: Eine Dreikönigsweihe Alle Beispiele basieren auf den im Bayeri­ durchführen mit allen Kindern zusammen mit schen Bildungs- und Erziehungsplan für Kin­ dem Hr. Pfarrer. Weihrauch und Myrrhe er­ der in Tageseinrichtungen bis zur Einschu­ klären. Vier Kinder ziehen mit dem Hr. Pfarrer lung (BEP) aufgezeigten Förderschwerpunk­ durch das Haus und segnen es und alle, die ten und eignen sich auch für die individuelle darin leben. Förderung behinderter und von Behinderung  Aschermittwoch: Mit allen Kindern zusam- bedrohter Kinder. Die Angebote des Kinder­ men zur Pfarrkirche gehen, in kindgerechter gartens waren dem Jahreskreis angepasst, Form eine Andacht zum Aschermittwoch insbesondere wurden dabei die kirchlichen feiern und das Aschenkreuz auflegen. Feste herausgehoben, da unser Kindergarten  Fastenzeit / Osterfest: Wir leben die öster- eine kirchliche Einrichtung ist. Viele der lichen Bräuche mit Kreuzwegandachten, nachfolgend beschriebenen Aktivitäten kön­ Palmbuschen binden, Osternester basteln nen in Jgst. 1 und 2 der Grundschule über­ und Palmsonntagsgottesdienst feiern. Wir nommen und im Sinne der Kontinuität von backen ein Osterlamm und gestalten eine Lernprozessen weitergeführt werden: Fahne dazu. Mit zwei Rechen, die zusammen­ gesteckt sind, spielen wir „Oarscheibm“. Religiöse Erziehung  Erntedank: Das Fest im Rahmen einer Kinder- Sozialerziehung wortgottesfeier gestalten. Auf den Ursprung Das Eingebundensein in das Dorf fördern des Festes hinweisen. Die Kinder bringen durch das Erzählen von Veranstaltungen, Obst und Gemüse von zuhause mit, wir zu denen die Eltern mit ihren Kinder gehen kochen damit. können. Beispiel: Das Trachtenfest des Ortes,  Kirchweih: Die Kinder sind gruppenweise zu dem ein Zelt aufgebaut wird. Bei den Vor­ zum „Kirtahutschn“ auf einen Bauernhof bereitungen auf das Fest zeigte sich, dass eingeladen. Mütter backen Schmalzgebäck. auch zugezogene Familien sich in Frasdorf Auch im Kindergarten wird gebacken. zugehörig fühlen können. Bei einer Eltern­  St. Martin: St. Martin ist insbesondere ein runde, in der Eltern und Kinder zusammen

300 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Aufgaben bei einer Dorfrally erfüllen müssen, gebracht? Wann brauchen wir Standard­ einheimische und zugezogene Eltern mi­ deutsch? Diese Unterscheidung mit den schen, um das Kennenlernen zu fördern. Kindern entdecken.  Geschichten, Gedichte, Lieder etc. im Dialekt Persönlichkeitsentwicklung erlernen: In Gesprächen Folgendes erörtern: Wie spreche ich? Wo komme ich her? Mein Dia­ Lieder, z. B.: lekt gehört zu mir, das ist etwas Besonderes  Unser bayerisches Geburtstagslied – an mir! selbstgedichtet (Melodie Volksgut)  Springt der Hirsch über´n Bach (Volksgut) Wertevermittlung  Was braucht ma aufm´m Bauerndorf, was Gelebtes Brauchtum im Jahreslauf angelehnt braucht ma auf´m Dorf (Volksgut) an die religiösen Feste. Unser Dorf – ein Bau­  Ging ein Weiblein Nüsse schütteln erndorf? Wie war es früher bei uns im Dorf? (Volksgut) Waren da mehr Bauernhöfe? Diese Fragen  I bin a kloana Pumpernickl (Liederheft Bezirk zusammen mit den Kindern erörtern. Im Rah­ Oberbayern) men einer Projektarbeit ist Folgendes mög­  Beim Bimperlwirt, beim Bamperlwirt (Lieder- lich: Im Ort lebende ältere Menschen befra­ heft Bezirk Oberbayern) gen, Plakate gestalten, Fotos betrachten, evtl.  Was is heut für a Dog (Volksgut) ein Museum zu diesem Thema besuchen.  Bin i ned a scheena Hahn (Liederheft der Was hat unser Dorf Besonderes? Welche Biermösl-Blosn) Betriebe gibt es, gab es?  I bin a Bauernbua, steh auf in aller Fruah (Liederbuch „Reserl mit´m Beserl“) Spracherziehung  Dialekt sprechen in Alltagssituationen, an- Gedichte: dere Dialekte, z. B. von Eltern oder Groß- Auswahl v. a. aus Sieglinde Ostermeier (2011): eltern, wahrnehmen: Hört sich das anders Kinder, megds Bairisch hean? Verserl, an? Wie ist die Sprachmelodie? Geschichten, Spiele, durchs Jahr und für  Weitere Fragen: Wann ist der Dialekt an- allerlei Anlässe. prograph.

Kasperltheater mit Maibaum

301 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Besuch im Heimatmuseum

Kognitive Förderung / mathematische hand von Fotos, die aneinandergeklebt sind Bildung und so ein Bergpanorama bilden, können die Durch Erzählungen von früher findet eine Namen der Berge bestimmt werden. Eigene erste geschichtliche Bildung statt. Fotos vom Berggehen vervollständigten die Durch Fingerspiele die Merkfähigkeit der Einheit. Kinder schulen. Mit Geschichten wird die  Bäche und Flüsse beim Spazierengehen Vorstellungskraft gestärkt. Besuch im Dorf­ erkunden und durch Geschichten, z. B. von museum, um das Dorf, wie es früher war, einer Überschwemmung, ergänzen. kennenzulernen. Besondere Persönlichkeiten  Durch einen Besuch, z. B. am Hirschgehege, des Ortes mit den Kindern erarbeiten. Einen unsere heimischen Tiere erleben. Wir spre­ Besuch am Grab eines prominenten Verstor­ chen darüber, wie die Tiere leben. Die Kinder benen (z. B. Wastl Fanderl) machen. Reime malen Bilder von Hirschen. Von einem Vater im bairischen Dialekt fördern das Sprach- ein ausgestopftes Tier, z. B. ein Eichhörnchen, verständnis auch bei Kindern mit anderer ausleihen und betrachten. Wir basteln die Herkunft. Tiere nach.  Unsere heimischen Pflanzen, z. B. Blumen Sinnesentwicklung sammeln, benennen und pressen. Die Sinneswahrnehmung durch Ertasten, Daraus schöne Bildkarten basteln. Kräuter Riechen, Schmecken usw. kann bei vielen ernten, trocknen und daraus Tee zubereiten. der hier beschriebenen Einheiten geschult Wenn möglich, selber Obst und Gemüse werden. ernten und verarbeiten.

Umweltbildung Naturwissenschaftliche und technische  Unser Dorf hat eine besondere Lage. Was Bildung zeichnet es aus? Was ist störend? Dies mit  Besuch in einer Zimmereiwerkstatt, Maschi- den Kindern im Gespräch ergründen. Ein nen benennen und ihre Funktion erleben Ortsplan zeigt den Kindern mit eingesteckten  Besuch auf einem modernen Bauernhof – Fähnchen, wo sie alle wohnen. zusehen wie ein Melkroboter funktioniert  Unsere Landschaft erkennen lernen. An-  Ein Schreiner im Kindergarten erzählt

302 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

über seine Arbeit und zeigt den Kindern von CDs wecken, die sich die Kinder in der etwas Gefertigtes aus Holz. Freispielzeit anhören dürfen. Volkstänze mit  Siehe auch Förderschwerpunkt „Umwelt- den Kindern einüben und gegebenenfalls et­ bildung“. was vereinfachen. Trachtentänze sind für das Kindergartenalter noch zu schwierig, doch Bewegungserziehung / Motorische Bildung man kann durch das Zeigen und Nachahmen Zum Thema Maibaum machen die Kinder einiger Tanz-Figuren die Koordination bei den in den Bewegungseinheiten eine Sinneser­ Kindern fördern. Alte Klatschspiele aus der fahrung Baum. Ein Kind macht sich dabei Kindheit von Eltern oder Großeltern aufgrei­ ganz steif und wird wie ein Maibaum aufge­ fen und mit den Kindern spielen. stellt. In mehreren Bewegungseinheiten die typischen Eigenschaften der einheimischen Medienerziehung Tiere einfließen lassen. Zum Ausprobieren  Einsatz von einem Aufnahmegerät zur CD- des Schuhplattlers ein Mitglied des Trachten­ Gestaltung vereins einladen.  Bildbetrachtungen über den Beamer, z. B. Tanzen von bayerischen Volkstänzen, die für eine Persönlichkeit des Ortes die Kinder vereinfacht wurden. Dazu kann  Eingabe einer Geschichte, die die man sich Unterstützung von außen holen: Kinder erzählen, in den Laptop vom Trachtenverein, vom Volkstanzkreis,  Wünsche für ein ausscheidendes Kind von einem Volkstanzleiter usw. im Sitzkreis am Laptop mitschreiben  Kurzfilme, z. B. von einem Schuhplattler, Schöpferisch-kreatives Denken besprechen Gestalten von Bildern, Ostereiern, Blumenkarten und allen Basteleien, die Mitwirkung der Kinder am Bildungs- und im Jahreskreis vorkommen. Schreinern Einrichtungsgeschehen von Instrumenten in der hauseigenen Durch Abstimmungen entscheiden die Schreinerei. Kinder z. B. mit, welchen Betrieb sie besuchen wollen. Gesundheitserziehung Wir kochen alle vier Wochen und versuchen (Text: Veronika Bauer, Erzieherin) dabei, gesunde einheimische Produkte zu verwenden. 2.2 Grundschule Halfing Lebenspraktischer Bereich  Kochen von heimischen Gerichten Die bairische Mundart ist in der Grundschule  Vorbereitungen für ein Kindergartenfest, Halfing fest verankert. Die einschlägigen dazu gehört: Aufräumen, Putzen, Schmücken, Vorgaben des Lehrplans für die Grundschule Auftritte üben usw. werden hier sehr ernst genommen. Insbe-  Kennenlernen von Betrieben im Ort und sondere die Fächer Deutsch und Musik- der dazugehörigen Berufe erziehung sowie das Schulleben im Ganzen leisten hierzu wichtige Beiträge. Weil der Rhythmisch-musikalische Erziehung Unterricht in der Grundschule – vor allem Besuch eines musikalischen Familienmit­ in den Jahrgangsstufen 1 und 2, im sog. glieds eines Kindes, das uns traditionelle Grundlegenden Unterricht – eng verbunden bayerische Volksmusik vorspielt, sein Instru­ ist mit dem Jahreskreis, werden die im Pro­ ment vorstellt, auch die Kinder ausprobieren jekt des Bayernbunds vertieften oder neu lässt und uns beim Singen begleitet. Das entwickelten Praxisbeispiele hier im Jahres­ Interesse an bayerischer Musik und baye­ verlauf aufgezeigt: rischen Liedern durch die Bereitstellung

303 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Mundartförderung im Jahreskreis Im Dezember werden bei den wöchentlichen Zum Schulbeginn im Herbst übernehmen Zusammenkünften aller Schülerinnen und Lehrkräfte meist alle zwei Jahre eine neue Schüler bei der Adventsandacht oder beim Klasse, mit der erst wieder Rituale eingeführt klasseninternen Morgenkreis gemeinsam werden müssen. Dazu kann auch das Mor­ Lieder gesungen („Staad, staad, jetz is Ad­ gengebet gezählt werden: vent“ oder „Am Kranz brennt a Kerzerl“) und Geschichten oder Gedichte vorgetragen. Vater im Himme, schee host d´as gmacht, de ganze Welt, Ein wichtiger Tag ist in dieser Zeit der 6. De­ und bsunders fein is da Sonnenschein. zember, der Nikolaustag. Im Rahmen einer Aber aa der Reg´n hod dein Seg´n. bairischen Nikolausfeier hören die Kinder Und d´Kiah und d´Ross und d´Wiesn und eine Zusammenfassung der Legenden über s´Moos, den Heiligen Nikolaus, singen Lieder („Heja, und ois wos herwachst weit und breit, heja, Nikolo“, „O du heiliger Nikolo, geh verdank ma deiner Herrlichkeit! kimm in unser Haus“, „Nikolo bumbum“, Vater im Himme, schee host d´as gmacht. „Heiliger Nikolo“ oder „O du heiliger Ni­ Und vo dem, was du gmacht host, bin i a kolo, fang erst bei meiner Schwester o!“) und gloans Drum. Amen spielen Theater vom „Nikolaus, der nimma gwusst hod, wer er is“ oder das Stück In Halfing wird im Oktober der „Kirta“, das „A Ruah do herobn in da Wolkenstubn!“. Kirchweihfest, besonders gefeiert. Am Sonn­ tag und Montag findet ein großer Kirtamarkt Im Fasching werden Unsinnslieder in bai­ statt. Dieses Ereignis findet natürlich auch rischer Sprache gesungen und es wird zu im Schulleben seinen Platz. Bräuche wie das Liedern getanzt („Rutsch hin, rutsch her“). „Kirtahutschn“ werden besprochen sowie Im Lehrplan der 4. Klasse ist hier auch der Kirtanudeln gegessen. Passend zum Tag wird Zwiefache „Leut, Leut, Leutl miassts lustig das Lied „Wenn der Vater mit der Mutter auf sei“ angegeben. Zu diesem Lied bietet es die Kirchweih geht“ gesungen. sich an, die Kinder selber Strophen verfassen zu lassen. In der Adventszeit hat man neben Liedern, Gedichten und Geschichten wiederum die Im Rahmen einer Bayerischen Lesenacht, zu Möglichkeit, bayerisches Brauchtum einflie­ der auch eine „gscheide“ Brotzeit am Abend ßen zu lassen. Beim „Klopfersingen“ ziehen dazugehört, lernen die Kinder das Bundes­ die Kinder von Haus zu Haus, singen ihr Lied land Bayern, seine Regierungsbezirke sowie „Wir ziehen daher, so spat bei der Nacht“ die Bayernhymne kennen. Außerdem werden und erklären in Versform, warum sie gekom­ natürlich viele bairische Sprüche, Verse und men sind: Geschichten (vor-)gelesen. Als Gute-Nacht- Geschichte kann das Buch „Woaßt du iba- Heut is de Klöpfelnacht, drum doan ma hapts, wia gern dass i di mog?“ dienen. singa, doan eich de Botschaft vom Jesuskind bringa. Zahlreiche Lieder und Gedichte in bairischer Mia wünschen euch eine fröhliche Zeit, Sprache gibt es über den Frühling, über macht eich für die Ankunft des Herren bereit. Ostern, den 1. Mai und den Sommer. Zum Für kranke Kinder mächtn mia wos doa, Ende des Schuljahres können im Rahmen drum sammeln mia für groß und kloa. eines Abschlussfestes Sketche und kleine Mia danken euch mit Herz und Mund für Theaterstücke zur Aufführung kommen. Um die gereichte Gab. geeignete Stücke zu finden, ist es ratsam, Der liabe Gott eich segne heid, sei bei eich diese selber von der Hochsprache in den olle Dog. Dialekt zu „übersetzen“ und anzupassen.

304 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Zur Einstudierung von Gedichten oder Thea­ Kikeriki – eine Kreistanzform terstücken in bairischer Sprache können auch (aus: „Wenn der Vater mit der Mutter; Kinder herangezogen werden, die zu Hause Volksmusikarchiv, 1994) keinen Dialekt sprechen. Beim gemeinsamen Üben der Texte können die Schülerinnen und Teil A: 4 Schritte aufeinander in Schüler miteinander und voneinander lernen. Bin i net a die Kreismitte zugehen schöna Hoh´? Auf diese Weise wird auch das Sozialverhal­ Nachahmen des Flügel- Kikeriki! ten der Kinder gestärkt. schlages mit den Armen Schauts grad her, was i ois 4 Schritte auseinander zur Kooperationen und außerschulische Lernorte ko! anfänglichen Kreisauf- Der Lehrplan für die Grundschule in Bayern Kikeriki! stellung begreift Schule als eine Gemeinschaftsauf- wieder Nachahmen des gabe. Schule soll sich ihrem Umfeld öffnen, Flügelschlages für die Kirche sowie für örtliche Vereine und Betriebe. An den Aktivitäten der GS Halfing im Rahmen des Projekts „Freude an der Teil B: Einen Fuß über den Mundart wecken und verstärken“ wirkten Gickerl, anderen schwingen, dann deshalb auch zahlreiche außerschulische Gockerl, den anderen droben auf Partner mit: Drehen am Platz, dabei dem Mist, klatschen juche! In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Gickerl, Einen Fuß über den Trachtenverein wurde den Kindern baye- Gockerl, anderen schwingen, dann risches Brauchtum nahegebracht. Die Ver­ droben auf den anderen dem Mist! einsmitglieder zeigten den Schülerinnen und Drehen am Platz, dabei Schülern das „Platteln“ und „Dirndldrahn“; klatschen außerdem wurden ihnen die Trachten vorge­ stellt und den Mädchen typische Frisuren zur Tracht gemacht. So konnten Schule und Verein gemeinsam den Erziehungsauftrag verwirklichen.

Das Singen bayerischer Lieder und der ge­ meinsame Tanz fördern sowohl die musi­ kalischen als auch motorischen Fähigkeiten und spielten deshalb im Projekt eine wichtige Rolle. Oft waren es Lieder, die die Eltern oder Großeltern schon gesungen haben, z. B. „Springt da Hirsch übern Bach“ oder „Bin i net a schöna Hoh´? Kikeriki“. … und alle machten mit! Diese Sing- und Tanzformen können in der Schule auch miteinander und voneinander Außerschulische Partner in den Unterricht gelernt weitergegeben werden, z. B. im Rah­ zu integrieren, kann auch durch „Lesungen“ men einer generationenübergreifenden Sing- bayerischer Autoren erfolgen. So waren in stunde. Als außerschulische Partner war es Halfing Sebastian Huber („Der Vinzi Stier“) möglich, hier auch örtliche Musiker und oder der Märchenerzähler Fritz Mayr („De Musikgruppen, Musikschulen oder das Haslmaus Vo Maxlroa“, „Warum Engl im Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern Himmel Maultrommel spuin“) zu Gast, der zu gewinnen. seinen Vortrag auch musikalisch untermalte.

305 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Mundartliedern im Unterricht gehören hier ebenso dazu wie die Pflege des Volkstanzes, der Besuch des Chiemgauer Schulmuseums in Tachterting oder eines Bauernhofmuseums in der Region.

Im Rahmen des Projekts „Freude an der Mundart wecken und verstärken“ trug das Kollegium unsere reichlich vorhandenen Konzepte und Materialien zusammen und arbeitete mehr als bisher mit einschlägigen Vereinen und Institutionen zusammen, Künst­ ler wie den Grafiker und Mundartautor Seba­ stian Huber („Der Vinzi Stier“) nicht zu ver­ gessen. Vorrangiges Ziel war es, die Moti- vation unserer Schüler zu fördern, sich mit Sprache und Kultur ihrer Heimat zu befassen.

Dass dies gelungen ist, zeigte vor allem das Kirta-Fest am Kirchweihmontag, an dem die GS Seeon mit tatkräftiger Unterstützung

Fritz Mayr in Halfing des Elternbeirats einen „Brauchtumstag“ organisierte und gestaltete. Es kamen viele Gäste, die mit den Kindern gemeinsam Neben der Öffnung der Schule für Fachleute feierten. Egal ob Elternbeirat oder Trachten­ von außen wirkt der Besuch außerschuli­ verein, alle arbeiteten Hand in Hand. Es scher Lernorte besonders motivierend. Wie wurde „danzt, gsunga, vorglesen, ghutscht, das kulturelle Erbe bewahrt und weitergege­ gspuit, Kiachal bacha und vui glacht“. ben werden kann, ist beispielsweise im Bau­ ernhausmuseum Amerang oder in anderen Die beiden Jugendleiterinnen des Trachten­ Freilichtmuseen (z. B. Glentleiten, Bauernhof­ vereins brachten den Kindern bayerische museum von Markus Wasmeier) zu sehen. Volkstänze bei. Wie viel Spaß das einigen Klassen der GS Halfing waren und sind hier machte, merkte man, als sich ein paar Kinder oft zu Gast. erkundigten, wann denn der Trachtenverein probt und ob sie da wohl auch einmal mittan­ (Text: Evi Landinger, Lehrerin) zen dürften. Schülermütter backten Kiachal vor der Schulküche, wobei die Kinder den Teig schlagen und ausziehen durften. So 2.3 Grundschule Seeon schmeckten ihre eigenen „Auszogna“ natür­ lich besonders gut. Auch an der Grundschule Seeon mit ihren derzeit ca. 145 Schülern aus den Gemeinde­ Zwei Schülereltern lasen Geschichten von teilen Seeon, Truchtlaching und Seebruck Helmut Zöpfl in Mundart vor. Immer wieder wird seit jeher die Pflege des bayerischen wurde geschmunzelt und gelacht. Im Mu­ Brauchtums und des Bairischen großge­ sikraum erwarteten Musikanten die Grund­ schrieben. Auch hier gilt das Motto „Boarisch schüler zum gemeinsamen Singen. In der durch’s Jahr“. Die kreative Auseinanderset­ Turnhalle schaukelten die Kinder wie auf ei­ zung mit dem Brauchtum im Jahreskreis und ner echten Kirtahutschn. Außerdem wur­ das regelmäßige Singen und Musizieren von den mit den Schülern traditionelle Spiele

306 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Singen macht Spaß! wie „Fingerhackln“, „Maiserl fanga“ oder ner Rundfunkhaus ermöglichte, nahm sich „Boahackln“durchgeführt. Zum Schluss die Schulfamilie vor, auf vielfältige Weise die gab’s von Herrn Ober noch einen Jodler, den Freude an der eigenen Mundart zu fördern er selbst auf seiner Ziach begleitete. und die Wertschätzung für Dialekte zu entwi­ ckeln. An fünf aufeinander folgenden Tagen Resonanz: Schon im Verlauf des Kirta- entstanden Beiträge, die nicht nur den eige­ Fests kam bei den Kindern der Wunsch nen Horizont erweiterten, sondern auch die auf: „Kemma des nächstes Jahr no amoi sprachlichen, musischen und sozialen Fähig­ macha?“ Pädagogenherz – was willst du keiten der Schülerinnen und Schüler stärkten: mehr!

(Text: Irmi Harleß, Lehrerin)

2.4 Grund- und Mittelschule Chieming

Ein gelungenes Beispiel für die Auseinan­ dersetzung mit dem Thema Mundart in der Schule ist die Projektwoche Bayrisch g’redt, g’spuit und g’sunga an der Grund- und Mit­ telschule Chieming. Im Rahmen der Initia­ tive „Freude an der Mundart wecken und ver­ stärken“, die u. a. einen Auftritt im Münch­ GMS Chieming zu Gast beim Bayerischen Rundfunk

307 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Erzählung mit Maultrommel Einfach g’spuit – Spiele für dahoam Zum Auftakt der Projektwoche war Fritz Eine Steckdose, Lautsprecher und einen Mayr, der ehemalige Leiter der Abteilung MP3-Player hatten sie nicht dabei – dafür Volksmusik beim Bayrischen Rundfunk, zu Wäscheklammern, eine Wäscheleine, alte Gast an der Chieminger Schule und erzählte Zeitungen und ein paar Schnürl. „Was kann seine Geschichte von der „Haselmaus Vo man denn jetzt damit anfangen?“, fragt sich Maxlroa“. Nur selten können Haselmäuse der multimedia-versierte Zeitgenosse. „Eine Maultrommel spielen. Diese aber beherrscht ganze Menge!“, antwortete da der Götze ihr Instrument so vorzüglich, dass sie sogar Siegi und lachte. Und dann geht’s auf. Schü­ zur Rettung einer verwunschenen Prinzes­ lerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schul­ sin beiträgt. In seiner Geschichte ließ Fritz leitung gehen in Startposition. Es wird ge­ Mayr an vielen Stellen die Maultrommel er­ spielt: „Wäsche-um-die-Wette-aufhängen“, klingen und fesselte seine Zuhörerinnen und „Elefanten-aus-Zeitungspapier-reißen“, Zuhörer durch seinen feinen Vortrag in bai­ „Durch’s-Schnürl-steigen“, „Putzlumpen- rischer Mundart. Nebenbei erfuhr man Wis­ Rennen“… – alles ohne Strom, aus dem senswertes zur Entstehung und Geschichte Stand, ohne Anlauf. Mit wenig Material, das der Maultrommel. Die Ankündigung eines zudem überall zu finden ist, verstand es Siegi Maultrommel-Kurses für Anfänger stieß auf Götze mit seiner Ehefrau Hanna, spannende großes Interesse. und lustige Spiele aus dem Hut zu zaubern, die auf jedem Fest für eine Auflockerung sor­ Der Trachtenverein „Chiemseer“ zu Gast gen und für alle Beteiligten eine Mordsgaudi Am zweiten Tag der Projektwoche war der waren. Dahoam spui ma weida! Trachtenverein „Chiemseer Chieming“ zu Gast. Lustige Lieder, Volkstänze und eine Ein­ Finale führung in das Schuhplattln standen auf dem Jede Klasse hatte sich im Lauf der Projekt­ Programm. Die Jugendleiter und die Musik­ woche mit dem typisch Bayerischen auf ihre wartin des Vereins hatten Tänze und Melo­ Weise auseinandergesetzt. Am Samstag nach dien mitgebracht, die den Schülern, begleitet dem ersten gemeinsamen Singen wurden auf der Diatonischen Ziach, schnell geläufig die Ergebnisse in Wort, Bild und Ton allen wurden und sichtlich Freude machten. Besuchern des Projekttags präsentiert – zum Anschauen, Anfassen und Probieren. Altes Vinzi und Bertl auf der Hochalm Werkzeug zur Holzbearbeitung oder zum Was geschieht, wenn ein neugieriger Jung­ Dengeln von Sensen gab es vor dem Eingang stier das erste Mal in seinem Leben auf die zur Turnhalle zu sehen. Die Schüler der ach­ Alm darf? Begleitet von seinem Freund, dem ten Klasse ergänzten die „Bewirtungskarte“ Almbauernbuam Bertl, erlebt Vinzi seinen er­ des Elternbeirats mit ausgewählten bayeri­ sten Almsommer. Dass dabei allerhand Un­ schen Schmankerln wie Weißwürsten und vorhergesehenes passiert und auch manches Speck-Sauerrahmbroten. Abenteuer zu bestehen ist, versteht sich von selbst. Dass der Vinzi aber auch noch fliegen In der Klasse 2b gab es den „Froschkönig“ lernt und zum Retter vom Almkas wird, hätte auf Bairisch und ein lustiges Hut-Tausch- wohl niemand erwartet. Sebastian Huber, der Spiel. Verschiedene Kasperltheater spielten schriftstellerische und grafische Vater von die Klassen 1a und 2a, bei denen unter ande­ Vinzi und seiner Geschichte, erzählte, beglei­ rem die arme Gretl von der bösen Hexe in ei­ tet von Ziach und Leselampe, kurzweilig und nen Tannenzapfen verzaubert wurde und der packend seine Geschichte. Ein Erlebnis, das Räuber Fridolin das Krokodil wegen Erpres­ die Schülerinnen und Schüler von der ersten sung anzeigte. Die 1b spielte das Schatten­ bis zur neunten Klasse gleichermaßen in sei­ theater „Dornröschen“ in bairischer Mundart. nen Bann zog. Originelle bairische Sketche führten die

308 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Schüler der 3a auf. In „Ski am Kilimand­ Mitsingen. Dettl rockte, was das Zeug hielt, scharo“ spendeten drei wohlmeinende Bür­ sprang in die Menge, animierte zum laut­ ger Schlitten und Skier für „Schüler helfen starken Mitsingen, und viele junge Fans (aber Kindern“ und wurden prompt gefragt, was auch deren Eltern) sangen jede Silbe aus­ denn Kinder in der äthiopischen Wüste damit wendig mit. anfangen sollten, da es dort keinen Schnee gebe. „Doch“, darauf die schlagfertige Ant­ wort des Schlittenlieferanten: „Des is so ähnlich wia auf da Schneekoppe.“

Bairische Lieder zum Mitsingen präsentierte der Schulchor, die siebte Klasse rappte zu einer Hip-Hop-Version der Bayernhymne mit dem einprägsamen Kehrvers „Mia san de Siebte – und do samma dahoam“. Eine szenische Darstellung des Lebens auf der Alm steuerte die fünfte Klasse bei.

Riesengroßer Andrang herrschte bei der

Modenschau der beiden vierten Klassen. Mit Stefan Dettel & Band rocken die GMS Chieming viel Fantasie präsentierten die Models bayeri­ sche Tracht, die bei weitem nicht nur aus Le­ derhosen und Dirndl besteht, sondern auch Fazit und Folgeprojekt aus dem Zwirn „aussterbender Berufsgrup­ Ob Mundart-Sprecher oder nicht – die pen“ wie des Landwirts und seines Knechts Projektwoche Bayrisch g’redt, g’spuit und (stilgerecht in grünen Gummistiefeln), des g’sunga hat sich gelohnt. Die Beschäftigung Schäfers, Jägers oder eines FC-Bayern-Fans. mit der Kultur der eigenen Heimat als Teil Gekrönt wurde die Schau durch die unter­ der persönlichen Identität hat vielen Schüle­ haltsamen und fantasievollen Ansagen der rinnen und Schülern ein neues Bewusstsein Moderatorenpaare. Diese sorgten für wun­ für die Bedeutung der lokalen Kultur ver- dervolle Dialoge: „… der grün bestickte mittelt. Gleiches gilt für die Projektwoche Hirsch auf dem Hosenlatz …“, „… bei ins Von der Sprache zur Skulptur im Mai 2013. hoaßt des Hosntürl“. Auch hier leistete die Schule einen wert­ vollen Beitrag, um Kinder und Jugendliche Volkstänze und Schuhplattler gehören zu für eine Auseinandersetzung mit ihrer deut­ Bayern wie der weiß-blaue Himmel, das schen Muttersprache und der bairischen Singen und das Bier. Kinder des Trachtenver­ Mundart zu motivieren. Sprache, Mundart eins präsentierten deshalb gemeinsam mit und bildende Kunst zusammenzubringen den Schülern einige Tänze zur flotten Ziach- und daraus Bilder und Plastiken zu entwi­ Begleitung. Das gemeinsame Tanzen war ckeln, war das Ziel. Unterstützt wurde die eigentlich als Überbrückung der Aufbauzeit Schule dabei u. a. vom Bildhauer Andreas von Stefan Dettl & Band gedacht. Doch der Kuhnlein, den Kunstmalern Klaus Spatzl Truchtlachinger Rockstar stellte sich spontan und Lars Hönigl sowie erneut vom allseits selbst mit in den Kreis und plattelte mit. Die beliebten Erzähler bairischer Geschichten, Schüler waren alle völlig aus dem Häuschen Fritz Mayr. (Vgl. hierzu den Bericht des und spendeten lautstarken Beifall. Und dann Traunsteiner Tagblatts „Von der Sprache zur war’s soweit: Stefan Dettl & Band brachten Skulptur“ vom 11.05.2013, auch online). die Chieminger Turnhalle zum Beben und die Madl und Buam zum Schreien, Springen und (Text: Alexander Fietz, Rektor)

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2.5 Franziska-Hager-Mittel- Zusätzlich wurden angeboten: schule Prien  ein Brotbackkurs im eigenen Backhäuschen  Watt- und Schafkopfkurse für Neueinsteiger Bayerntag 2010/11  ein Generationenprojekt auf der Fraueninsel Die Franziska-Hager-Mittelschule Prien  „Franken – das andere Bayern“ führte schon im Schuljahr 2010/11 einen Projekttag mit dem Titel „Bayerntag“ durch, Der Bayerntag 2010/11 war ein großer Erfolg. der damals als Anregung von einer sehr Fast alle Kollegen waren der Meinung, dass umtriebigen SMV eingefordert worden war. so ein Projekttag öfter stattfinden könnte, Die Schüler wollten dabei zeigen, dass Bay­ nicht unbedingt jedes Jahr – zumindest aber ern – und vor allem der Chiemgau – einiges in regelmäßigen Abständen. zu bieten haben. Damals organisierten die Klassenleiter zusammen mit ihren Schülern Bayerntag 2012/13 innerhalb der Klasse einen Aktionstag und Angesichts der großen Resonanz seines befassten sich dabei mit den unterschied­ Vorläufers wurde im Schuljahr 2012/13 lichsten Themen – je nach Lust und Laune erneut ein „Bayerntag“ durchgeführt. Dank der Schüler und der Lehrkräfte: eines kleinen Finanzbudgets konnten z. T.  Lesen von Mundarttexten und -gedichten professionelle Referenten organisiert wer­  Singen bayerischer Lieder den. Der Schultag wurde in drei große  Jodelkurs Blöcke eingeteilt:  Schule früher und heute  1./2. Std.: Der Klassenleiter unterrichtet  Wappen und Fahnen der Heimat- bzw. ist in der eigenen Klasse. gemeinden  3./4. Std.: Die Schüler besuchen eine  Heimatgeschichte einzelner Gemeinden im Vorfeld ausgesuchte Arbeitsgemein-  Leben von Bauern und Holzknechten in schaft. vergangener Zeit  5./6. Std.: Die einzelnen AGs stellen das  Bräuche und historische Begebenheiten behandelte Thema in der Turnhalle vor.

Brotzeit à la FHM Prien

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So gestärkt, begann dann die Doppelstunde in den Arbeitsgemeinschaften mit den Refe­ renten:  Unter Anleitung von zwei erprobten Volks- tanzkursleitern vom Trachtenverein Hitten­ kirchen konnten einige Schüler mit viel Spaß und großem Interesse Chiemgauer Volks- tänze ausprobieren.  Eine Burschengruppe erlernte, angeleitet vom Vorstand und dem Jugendleiter des Priener Trachtenvereins einen im Chiemgau üblichen Plattler, mit dem normalerweise die jüngsten Trachtler das Platteln beginnen. Viele der Teilnehmer hatten sich im Vorfeld gar nicht vorstellen können, wie viel Koor­ dination und Gleichgewicht dazu notwendig ist.  Eine Mädchengruppe konnte unter Anlei- tung und kräftiger Mithilfe von mehreren Trachtenfrauen aus der Gegend sich selbst klassische und typische Frisuren zum Trachtengwand flechten und frisieren, z. T. sogar mit Perlen und Grünzeug.  Der ortsansässige Hufeisenverein weihte eine andere Gruppe in den Umgang mit

Und de Musi spuit dazu … diesem nicht unbedingt üblichen Sportgerät ein und stellte eine besondere, typisch bayerische Sportart vor, das Hufeisen- werfen. Die Referentenliste für die Arbeitsgemein­  Die Leiterin der hiesigen Musikschule ließ schaften war das Ergebnis von Wünschen es sich nicht nehmen, zusammen mit einer bzw. Anregungen der Kollegen. Fast alle An­ Kollegin mit über 60 Buam und Dirndl ge­ geschriebenen teilten ihre Teilnahme mehr meinsam bayerische Lieder zu singen, die sie oder weniger sofort mit, sodass gut eine häufig noch mit Tanz und Klatschrhythmus Woche vor dem Projekttag ein interessantes selbst begleiteten. Programm vorgestellt werden konnte. Die  Eine Klasse konnte einen Jodelkurs belegen, Zusammenstellung der Kurse verlief weit­ bei dem den Schülern neben der richtigen gehend reibungslos, da die Klassenleiter die Stütz- und Atemtechnik beim Jodeln und Schüler auch in anfangs nicht so angesagte Singen auch noch der musikalische Umgang Kurse locken konnten. mit (Kuh-)Glocken und dem Holzbesen ge­ zeigt wurde. Am Bayerntag trugen viele Schüler Dirndl  Ein „Verserlschreiber“ aus Prien las den und Lederhose, was der Veranstaltung ei­ Schülern aus seinen eigenen Werken vor nen feierlichen äußeren Rahmen gab. Der und brachte so den Schülern die Vielfalt Projekttag begann in den meisten Klassen und die Lebendigkeit der bairischen Sprache mit einem gemeinsamen Frühstück, z. T. mit näher. Einige Teilnehmer dieses Kurses ver­ Weißwürsten und Wiener Würsten aus einer suchten dann auch selbst, die Gedichte und ortsansässigen Metzgerei, die im Klassen­ Geschichten den Mitschülern vorzulesen, zimmer selbst erwärmt wurden. was zum Teil auch ganz gut gelang.

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Arten von Schmalzgebäck kennenlernen, diese dann auch selbst machen und den Mit­ schülern als Pausengebäck anbieten.

Damit alle Schüler und Lehrkräfte sehen und erfahren konnten, mit was sich die einzel­ nenArbeitsgemeinschaften beschäftigt hat­ ten, traf sich die gesamte Schulfamilie in der Turnhalle zum Abschluss und Höhepunkt des Bayerntags. Hier berichteten die Teilneh­ mer von ihren Erlebnissen, lasen ihre selbst geschriebenen Geschichten vor oder präsen­ tierten ihre Erzeugnisse. Gemeinsames Sin­ Das trug man früher. gen, Tanzen und Platteln lockerten die Stim­ mung auf. Bei allen Beteiligten – ob Schüler  Die Vorstandschaft des Vereins „Bayerische oder Lehrkräfte – stieß dieser Vormittag er­ Sprache“ veranstaltete mit den Schülern neut auf ein sehr positives Echo und weckte eine Schreibwerkstatt, bei der die Schüler den Wunsch nach einer möglichst baldigen lernen sollten, wie man selbst Geschichten Wiederholung. oder Erlebnisse im Dialekt niederschreiben kann. Hierbei stellten die Schüler fest, dass (Text: Georg Leidel, Lehrer) viele Begriffe und Wörter nicht oder fast nicht mehr im Gebrauch sind, man sich aber oft leichter tut, mit ihnen etwas auszudrücken. Wie man die einzelnen Wörter schreibt, war dabei ein weiteres Problem.  Eine Ortsführerin begab sich mit einer Gruppe auf Spurensuche von Ludwig Thoma in Prien, dessen Mutter hier eine Pension betrieben und der deshalb seine Ferien häufig dort verbracht hat.  Zwei andere Kleingruppen statteten dem Priener Heimatmuseum einen Besuch ab und erkundeten unter der Führung vom Kreis­ heimatpfleger und einer pensionierten Lehr­ kraft entweder die Ortsgeschichte von Prien oder die Entwicklungsgeschichte des Prie­ ner Hutes, einer sehr kostspieligen Form des hiesigen Trachtenhuts für die verheirateten Frauen.  Im Werkraum der Schule konnten die Schüler unter Anleitung eines Schüleropas und der beiden Werklehrer eine Hui-Hui- Maschine anfertigen, mit der man sein Gegenüber recht leicht „derblecken“ und auch „wahnsinnig“ machen kann.  In der letzten Gruppe durften die Schüler einer Klasse unter der Aufsicht und Anlei- tung von zwei Fachlehrerinnen verschiedene Volkstanz begleitet von einer Lehrer-Schüler-Musikgruppe

312 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Projekttag „Bayern“

2.6 Johann-Rieder-Realschule Lehrkräften in den einzelnen Klassen vorbe­ Rosenheim reitet und in der Projektwoche intensiv be­ arbeitet und präsentiert. Die Klassen der 9. Als Realschule im Herzen Oberbayerns Jahrgangsstufe deckten damit auch die vom nahmen wir gern die Anregung des Bayern­ Lehrplan geforderten Projektpräsentationen bunds auf, uns an dem Projekt „Freude an ab: der Mundart wecken und verstärken“ zu be­ teiligen. Die Einbindung der Mundart ist für Die Fachschaften Deutsch (Mundartquiz, unsere Schule zu einem wichtigen Meilen­ Befragungen von Familienmitgliedern und stein geworden, die jungen Menschen an älteren Leuten aus der Region, Mundart- ihre Wurzeln zu erinnern bzw. diese weiter Lesungen), Musik (Mundartlieder, überlie­ zu verankern. Dabei geht es uns nicht allein ferte Musikstücke, neue Mundartlieder), um die bairische Mundart, sondern auch um Französisch (französische Wörter in der bai­ alle anderen Dialekte und Mundarten, die rischen Mundart), Sport (bayerische Tänze von unseren Schülern gesprochen werden und überlieferte oder neue Geschicklichkeits­ oder zumindest vom Elternhaus noch be­ spiele) arbeiteten vorwiegend an mundart­ kannt sind. bezogenen Themen. Die naturwissenschaft­ lichen Fachbereiche befassten sich u. a. mit Im Schuljahr 2012/13 führten wir in der regionalen Themen wie Energiegewinnung Woche vom 15.-18. Juli eine Projektwoche durch Wasserkraft des Inns (Physik), der (Montag bis Donnerstag) zum Thema Trinkwasserqualität in der Region (Chemie), Bayern durch. Die Ergebnisse wurden am essbaren Wildpflanzen oder Wildkräuter vor Freitag, dem 19. Juli, innerhalb eines offenen Ort (Biologie). Themen wie die Rosenheimer Projekttags der Schulgemeinschaft und der Stadtentwicklung (Geschichte), glaziale Ge­ Öffentlichkeit vorgestellt. ländeformen (Erdkunde), kirchliche Baudenk­ mäler (Religion) oder die Entwicklung regio­ Die Fachschaften unserer Schule hatten dazu naler Bauernmärkte (BWR) wurden von ande­ verschiedene Themen für alle Jahrgangs­ ren Fachschaften abgedeckt. stufen ausgearbeitet. Diese wurden von den

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Viele Schülerreaktionen zeigen, dass die Pro­ Nach einer kurzen Einarbeitungszeit in die jektwoche nicht nur die Freude an der Mund­ Thematik mittels Referentenvorträge und art weckte, sondern auch einen intensiveren Referate rund um die bairische Sprache be­ Bezug zur Heimatregion herstellte. Großes gann die erste Arbeitsphase. Dazu bastelten Gewicht bei der Vorbereitung und Durch­ die Schüler zur Erhebung bairischer Wör­ führung wurde auf die Zusammenarbeit der ter laminierte Bilderkarten. So war beispiels­ ganzen Schulgemeinschaft (Schüler, Eltern, weise ein Küken abgebildet. Die Seminarteil­ Lehrer, Sachaufwandsträger) gelegt. Nur so nehmer erhofften sich, auf diese Weise von lassen sich Wurzeln dauerhaft verankern. den befragten Personen Ausdrücke wie „Biwal“ zu erhalten. Des Weiteren haben (Text: Wolfgang Forstner, Schulleiter) die Seminaristen eine eigene Lautschrift zu möglichen Aussprachevariationen erstellt, Fragebögen mit Einverständniserklärungen 2.7 Hertzhaimer-Gymnasium (wegen des Datenschutzes bei Veröffentli­ Trostberg chung) für die Interviews erarbeitet und zu­ letzt die Zielgruppe der befragten Personen „So red ma“ – lautete der kurze Titel eines festgelegt. P-Seminars mit Leitfach Deutsch am Hertz­ haimer-Gymnasium Trostberg im Jahrgang In der zweiten Phase, der Testphase, setzten 2011/13, in dessen Rahmen sich 16 Schüle­ die Schüler ihre Fragebögen und Bildkar­ rinnen und Schüler auf die Spuren der bai­ ten in einem Trostberger Seniorenheim ein, rischen Sprache im Chiemgau begeben ha­ da ihrer Meinung nach gerade die Bewoh­ ben. Da es sich hierbei um ein projektorien­ ner eines Altenheims aufgrund ihrer Her­ tiertes Seminar handelte, bei dem sich die kunft und ihres Alters am meisten über bai­ Seminarteilnehmer nicht nur mit der ge­ rische Ausdrucksweisen in der Region wis­ nauen Zielsetzung des Projekts, sondern sen müssten. In der anschließenden Auswer- auch mit dem straffen Zeitplan in der Ober­ tungsphase wurde dann aber festgestellt, stufe sowie der Kooperation mit externen dass die Ergebnisse nicht mit der Zielsetzung Partnern konfrontiert sahen, kam es im Laufe des Projekts übereinstimmen. Statt urtypi­ des Seminars zu vielen Änderungen und Um­ scher bairischer Ausdrücke und regionaler strukturierungen, aber auch zu zahlreichen Ausspracheunterschiede kam interessanteres wunderbaren außerschulischen Erfahrungen. Material zum Vorschein: Geschichten von Das Ziel, die Erstellung eines Heimatbuches, früher auf Bairisch erzählt. musste leider aufgrund des Zeitmangels kurzfristig aufgeben werden, ein weiteres Im Folgenden führte diese Neuorientierung P-Seminar zur Fertigstellung und Überarbei­ des Erkenntnisinteresses zu einer Umstruk- tung ist aber bereits geplant. Um einen Ein­ turierung des P-Seminars. Statt „So red ma“ blick in die Arbeit geben zu können, nachfol­ sollte das Buch nun „So samma“ heißen und gend ein kurzer Ablauf des Seminars, woraus Orte in der Region, ihre Einwohner und Ge­ man Anregungen für eigene P-Seminare zur schichten von früher enthalten – eine Art bairischen Mundart ziehen kann: Heimatbuch für den nördlichen Landkreis Traunstein mit der Idee, diese höchst inte­ Grundidee des Seminars war es, sich im Ein­ ressanten Einblicke in die Vergangenheit für zugsgebiet der Schule auf die Suche nach die Nachwelt festzuhalten. So machten sich urtypischen bairischen Ausdrucksweisen zu die Schüler in ihre Wohnorte auf, um mittels machen, hierbei gegebenenfalls Aussprache­ – nun überarbeiteter – Fragebögen Material variationen festzustellen und dann die Ergeb­ für dieses ehrgeizige Projekt zu sammeln, das nisse in einem Buch mit dem Titel „So red auch von ihren Familien mit großer Aufmerk­ ma“ zu veröffentlichen. samkeit verfolgt wurde.

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In dieser heißen Projektphase musste aller­ Nach dem Bayerntag haben sich die Semi­ dings ein Stopp eingelegt werden: Der Bay- naristen wieder ihrem eigentlichen Projekt ernbund war auf das P-Seminar aufmerksam gewidmet und ihre bereits durchgeführten geworden und hatte den Seminaristen die Befragungen ausgewertet und digitalisiert. Aufnahme in das schulübergreifende Projekt Da aber die Erstellung eines Buches zu viel „Freude an der Mundart wecken und ver- Zeit in Anspruch genommen hätte, wurde stärken“ angeboten. Im Zuge dessen waren das Konzept erneut umgestellt: Statt eines die Schülerinnen und Schüler nicht nur auf Buches gibt es nun einen selbst gedrehten so manchen Veranstaltungen des Bayern­ Film, in dem die Schüler über ihre Erfahrun­ bundes eingeladen, sondern durften ihr Pro­ gen während der Projektphase sowie über jekt auch beim Bayerischen Rundfunk in ei­ die Ergebnisse der Interviews berichten, aber ner Take-off-Veranstaltung anderen Schulen auch offen über ihr eigenes Verhältnis zur vorstellen. bairischen Sprache sprechen – auf Bairisch natürlich. Weil nun einiges an Material leider Auch innerhalb der Schule hatte es sich nicht verwertet werden konnte, ist eine Wie­ mittlerweile herumgesprochen, dass dass deraufnahme des Projekts zu einem späteren die Schüler des P-Seminars zu regelrechten Zeitpunkt geplant. Bayernexperten geworden waren. In der Folge wurden sie mit der Konzeption eines Wie man an diesem groben Ablaufplan se­ SMV-Tags unter dem Motto „Bayern“ be­ hen kann, bietet die bairische Mundart eine auftragt. So arbeiteten sie verschiedenste Vielzahl an Möglichkeiten für P-Seminare, Projekte aus, z. B. das Basteln von Wolper­ die bei den Schülern großen Anklang finden, tingern, ein Schafkopfturnier, die Wahl zum denn sie wollen nicht nur bairisch reden, HGT-Mädl bzw. zum HGT-Buam, Workshops sondern auch mehr über die Mundart an rund um Trachtenfrisuren und weiß-blaues sich und die bayerische Kultur erfahren und Nageldesign, geschichtliche Führungen letztliche ihre Heimat, ihre Wurzeln, kennen­ durch die Region – die Zubereitung baye­ lernen. Auch ist die Aufgeschlossenheit rischer Schmankerl durfte da nicht fehlen. externer Partner zu einem „bayerischen“ Unumstrittener Höhepunkt des Bayerntags P-Seminar enorm. Die Schüler sind von allen war der Auftritt des Chiemgauer Musikers externen Partnern wie dem Bayernbund, den Stefan Dettl und Band (http://www.stefan- regionalen Medien, den befragten Personen dettl.de) in der Aula der Schule. und dem Trostberger Seniorenheim stets mit offenen Armen empfangen und auch unterstützt worden, denn viele sehen den bairischen Dialekt und die bayerische Kultur vom Aussterben bedroht und wollen zu deren Erhalt beitragen.

Auch am Hertzhaimer-Gymnasium Trostberg „kämpft“ man tagtäglich gegen das Ausster­ ben des Bairischen an, sei es mittels der Verbundenheit der Lehrkräfte und Schüler mit dem bairischen Dialekt oder aber durch eigens konzipierte Seminare in der Ober­ stufe. So läuft derzeit bereits das nächste P-Seminar in Zusammenhang mit der bai­ rischen Mundart, nun aber mit dem Leitfach Französisch. Unter dem Titel „Gockel trifft Am SMV-Tag Wolpertinger“ wird eine Chronik über das

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35-jährige Bestehen des deutsch/bayerisch- Feste französischen Austauschs am Hertzhaimer- Traditionelle Feste spielen in Ising immer Gymnasium erstellt. Hierzu konnten der Re­ schon eine zentrale Rolle und werden von gisseur und Drehbuchtautor Hartmut Gries­ der Schulgemeinsaft auch bayerisch gefeiert: mayr sowie das regionale Kabarettisten-Duo  Kirta: Der Kirchtag wird mit Kirta-Hutschn, „Ebbs und Nix“ gewonnen werden. Als Lie­ Kiachen (Schmalzgebäck), Drischleg-Spielen besgeschichte verpackt wird in diesem Film und Aufführungen von Witzen und Einak­ mit bayerischen und französischen Klischees tern in Mundart begangen. Die Tanzlmusi lädt gespielt und auf charmante Weise das schein­ zum Volkstanz ein: Kirta, wie es sich gehört! bare Zusammenprallen zweier Welten darge­  Advent: Zum Adventsbasar in der festlich stellt. geschmückten Aula mit selbst gebackenen Guadl (Plätzchen), selbst gebastelten Leb­ Man muss also nicht unbedingt unter dem kuchenhäusern, Kerzen, Adventskränzen er­ Leitfach Deutsch ein „bayerisches“ P-Semi­ scheint der Nikolaus, nicht Santa Claus. nar anbieten, im Grunde eignen sich fast alle Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung Fächer, um den Schülerinnen und Schülern von der Stubnmusi des LSH Schloss Ising ihre bayerische Heimat näher zu bringen. (Besetzung: 2 Diatonische Ziachn, Harfe, Gitarre, Kontrabass, Blockflöten) mit baye­ (Text: Steffi Radlmaier, Studienrätin) rischer Volksmusik. Das Bläserensemble spielt Stücke aus dem Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern, der Schulchor singt 2.8 Gymnasium LSH Schloss Ising bairische, deutsche und internationale Weih­ nachtslieder. Liebe zur bayerischen Heimat und kulturelle  Sommerfest: Dem Sommerfest geht ein Identität zu vermitteln und nachhaltig zu ver­ Projekt-Tag voraus, an dem die Schüler Prä­ ankern, ist ein wichtiges Ziel des Gymnasi­ sentationen zu den verschiedenen Aspekten ums LSH Schloss Ising. Im Projekt „Freude des Themas „Mundart und Brauchtum in an der Mundart wecken und verstärken“ wur­ Bayern“ erarbeiten und vorbereiten. Die Vor­ den vielfältige Ansätze verfolgt, um unserer stellungen reichen von Plakatwänden mit der auch internationalen Schülerschaft diese Auflistung und Erklärung bayerischer Bräu­ Werte näher zu bringen – im Schulleben wie che wie Fingerhakeln, Maibaumkraxln, Eier­ auch im Unterricht. scheibn an Ostern, Rangeln und Fensterln über die sprachlichen Verbindungen von Ausgangspunkt unseres Programms ist die Französisch und Bairisch bis zur aktiven Aus­ Überzeugung, dass die bairische Mundart als übung von Masskrugstemmen, Volkstanz, Ausdruck bayerischer Kultur nicht von ande­ Schuhplattln und Dirndldrahn. Zur musika­ ren sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten lischen Gestaltung übt die Schulbigband ein getrennt werden kann. Neben der Hochspra­ neues Repertoire mit Walzern, Polkas, Boa­ che wird deshalb an unserer Schule auch das rischen, Zwiefachen und Märschen im Stile Bairische in all seinen regionalen Färbungen einer bayerischen Blaskapelle ein. Die Schul­ soweit möglich gesprochen und akzeptiert. band schließt sich mit alpenländischer Rock- Das Vorleben der bayerischen Kultur in Spra­ und Popmusik dem weiß-blauen Motto der che, Brauchtum, Tanz und Musik hat einen Dekoration an. Dabei erscheinen fast alle hohen Stellenwert. Das Landschulheim mit Schüler, Eltern und Lehrer in Tracht. Beson­ Internat und Ganztagsbetreuung bietet hierzu ders zu erwähnen sind die ausländischen günstige Rahmenbedingungen. Hier eine Schüler der Volkstanzgruppe der 9. Jahr­ Auswahl aus unseren Aktivitäten, die durch gangsstufe, die sich aus Anlass des Sommer­ das Projekt des Bayernbunds intensiviert festes ebenfalls begeistert mit bayerischer oder angeregt wurden: Tracht ausstaffieren.

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Boarisch Musi macha … … und danzn

Unterricht einem gegenseitigen sportlichen Wettkampf, Im Fach Musik wird schon in der Unterstufe dem „Aussinga“, selbst ausprobiert. in Zusammenarbeit mit dem Fach Sport mit dem Einstudieren bayerischer Volkstänze In der Mittel- und Oberstufe werden die po­ begonnen. Bayerische Volkslieder kommen litischen Gstanzl des Roider Jackl und histo­ dazu. Allerdings werden diese nicht nur ge­ rische bayerische Volkslieder unter anderem sungen und in der Bläserklasse den internati­ als Einführung in den Themenbereich „Musik onalen Melodien als Spielstücke hinzugefügt, und Politik“ herangezogen. Die Volkslieder sondern auch weiterführend verwendet. So vom Wildschütz Jennerwein oder dem Boa­ wird der Zwiefache „Leit, Leit miaßts lustig risch Hiasl bringen dabei die Probleme von sei“ mit ähnlichen mischtaktigen Volkslie­ Mangelernährung, Armut und Unterdrückung dern aus Ungarn verglichen und im Weiteren der ländlichen Bevölkerung unter den absolu­ die Brücke vom bayerischen Musikanten und tistischen Herrschern zum Ausdruck. Volksliedsammler Kiem Pauli zu Bélà Bartok geschlagen. Dies ist der Einstieg in das Por­ Derlei historische Volkslieder werden auch trät eines Künstlers, der sich anfangs in ähn­ fächerübergreifend eingesetzt. „Nun will ich licher Weise der Bewahrung von ursprüng­ aber heben an“ (Tannhauser-Ballade) über ei­ licher Volksmusik verschrieben hat. nen Ritter aus Siegsdorf (Obb.) kritisiert die Bußpraxis der katholischen Kirche um 1500 Bayerische Tänze können auch die verschie­ und dient im Fach Geschichte als Einführung denen Taktarten verdeutlichen. Die Betonun­ in Luthers Thesenanschlag. Der sich anbah­ gen werden von den Schülern nach dem Sin­ nende Glaubensstreit findet seine Fortset­ gen und Mitklatschen sofort wahrgenom­ zung im 30-jährigen Krieg, dessen Zustände men. Bayerische Volkslieder werden dank in unserer Region im Lied „Der Wrangel ihrer harmonisch einfachen diatonischen thät Eins wagen“ von Pater Johannes Wer­ Struktur zum Erlernen von Singen einer zwei­ lin (1588-1666) vom Kloster Seeon dargestellt ten Stimme verwendet. Die Schüler erfahren werden. so spielerisch den Umgang mit Dreiklangs­ umkehrungen und Intervallen. Das bayeri­ Das Volkslied „Jetz Leitl, merkts auf“ erzählt sche Gstanzl- (vom ital. stanza = Strophe) von den 12.000 bayerischen Soldaten im oder Schnaderhüpfl-Singen wird mit dem Heer Napoleons beim gescheiterten Russ­ amerikanischen Rap und seinen Freestyle- land-Feldzug 1812 und lässt sich gut im Fach Battles verglichen und anschließend mit Geschichte thematisieren. Im Fach Musik lei­

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tet es zu Tschaikowskys Konzertouvertüre Chor, Bigbands und Schulorchester des 1812 und damit zu einer neuen musikalischen Gymnasiums LSH Ising diesem kulturellen Gattung und zu nationalen Topoi der Roman­ Erbe. Einschlägige Musikstücke kommen tik über. Gleichzeitig wird eine Brücke zum regelmäßig anlässlich verschiedener schu­ Fach Französisch geschlagen, das auf bedeu­ lischer Veranstaltungen zur Aufführung. tende Abschnitte der bayerisch-französischen Die Gründung von typisch bayerischen Geschichte und auf die im Bairischen verblie­ Ensembles wie Stubnmusi oder Tanzlmusi benen französischen Wörter hinweisen kann: erhalten die Volksmusik am Leben und

Bairisch Französisch Deutsch Alltag Merce merci danke Sakradi sacredieu Fluch Potschamperl pot de chambre Nachttopf Kanapee canapé Sofa

Militär/Verkehr Gendarm/Schande gendarme Polizist Billet billet Fahrschein Trottoir trottoir Bürgersteig

Bedeutungs- änderung Bagasch bagage Meute (urspr. Gepäck) Partout partout überhaupt (urspr. überall)

Im neuen P-Seminar „Lachen ist gesund“ machen Lust, sich in ihr zu üben. Einen weit­ wird der bayerische Humor unter die Lupe hin sichtbaren Höhepunkt des Bemühens um genommen, angefangen bei Karl Valentin eine lebendige Auseinandersetzung mit der und Liesl Karlstadt und dem Weiß Ferdl über Sprache und Kultur der Heimat stellten im den Komödienstadl mit Max Grießer, Maxl April/Mai 2013 zum 60. Jubiläum des Gymna­ Graf, Ernie Singerl, Gustl Bayerhammer, siums drei Aufführungen des in altbairischer Beppo Brehm, Michl Lang und Ludwig Mundart verfassten Stücks „Der Brandner Schmid-Wildy bis hin zur Biermösl-Blosn, Kaspar schaut ins Paradies“ (Franz von Gerhard Polt, Bruno Jonas, Django Asül, Kobell, 1871) durch die Theatergruppe des Herbert und Schnipsi, Michael Mittermeier, Gymnasiums dar. Schulchor und Schulorche­ Monika Gruber und Bully Herbig. Anschlie­ ster wirkten mit. Obwohl die Hauptdarsteller ßend werden die Seminaristen dazu aufge­ ursprünglich nicht bairisch sprachen, wurde fordert, selbst Stücke, Sketche und Standup- das Stück mit großer Begeisterung in der Comedy in Mundart zu schreiben, zu insze­ Fassung von Joseph Maria Lutz in Mundart nieren und auch zu filmen. gespielt und mit viel Musik und Tanz von über 90 Akteuren aus allen Jahrgangsstufen Musik und Theater aufgeführt. Insgesamt fast tausend Zuschauer Bairische Mundart und bayerische Kultur aus der Region spendeten reichlich Beifall. lassen sich besonders gut in der Musik ausdrücken. Deshalb widmen sich auch (Text: Frank Schöftenhuber, Studienrat)

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Der Brandner Kaspar in Ising

3. Ausblick  Institutionen, die sich bisher eher einzeln dem Thema Mundart angenommen haben Schon heute bieten der Bayerische Bildungs- (Bayernbund, Trachtenvereine, Fördervereine und Erziehungsplan sowie die Lehrpläne für Sprache und Dialekte e. V., Schützenver­ für die bayerischen Schulen eine gute Grund­ eine etc.) beginnen zusammenzuarbeiten und lage, um darauf aufbauend Mundart kind- sich zu vernetzen. und schülergemäß im Kindergarten sowie in Unterricht und Schulleben zu fördern. Im Pro­ Ein nachhaltig wirkender Impuls in diese Rich­ jekt „Freude an der Mundart wecken und ver­ tung könnte das Projekt MundART WERTvoll stärken“ wurden hierfür tragfähige Konzepte sein, das im April 2013 vom Wertebündnis und Strukturen der Zusammenarbeit erprobt. Bayern (www.wertebuendnis-bayern.de) be­ schlossen wurde und auf die Erfahrungen Die derzeitige Situation berechtigt zu einem des in diesem Beitrag beschriebenen Projekts ermutigenden Blick in die Zukunft. Indikato­ des Bayernbunds e. V. zurückgreifen kann. ren hierfür sind: Vergleiche hierzu den Beitrag von Ingrid Ritt  Die gerade in Überarbeitung befindlichen in Teil IV dieser Handreichung. Lehrpläne aller Schularten werden auch wei­ terhin der Mundart einen gebührend hohen Fotos Stellenwert zuweisen, so das Versprechen © Bayernbund e. V. der Bildungspolitik.  Umfragen wie die BR-Bayernstudie 2012 belegen für die Mundart und ihre Sprecher hohe und steigende Sympathiewerte.

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„Wer spricht schon Dialekt?“ Ein Projekt-Seminar am Dossenberger-Gymnasium Günzburg

Conrad Pietschmann

Zielsetzungen und Partner ist und vor allem jugendliche Sprecher dazu tendieren, auch beim informellen Sprechen Das Projekt-Seminar zur Studien- und Berufs- die Standardsprache zu verwenden. Zum an- orientierung (P-Seminar) ist seit der Reform deren sollte bei den Schülern wie auch bei der Oberstufe des bayerischen Gymnasiums den Interviewpartnern ein Bewusstsein für ein zentraler Baustein bei dem Bemühen, die den Eigenwert des Dialekts gefördert wer- Schüler auf ihre künftige Berufswahl vorzu- den. Dazu wurden typische Merkmale des bereiten. Durch die Zusammenarbeit mit ex- Ostschwäbischen untersucht, wie sie für den ternen Partnern erhalten die Schüler einen Raum Günzburg kennzeichnend sind. Hierzu vertieften Einblick in Anforderungen, die von dienten Interviews und Umfragen zum Dia- Hochschule und Berufswelt gestellt werden. lektgebrauch, die in Form von Audioguides Während des Seminars kommen sie mit spe- festgehalten wurden. zifischen Berufsfeldern in Kontakt, die ihr Interesse für diese oder ähnliche berufliche Tätigkeiten wecken können.

Ein P-Seminar zum Thema Dialekt im Rah- men des Deutschunterrichts bietet sich an, da hier neben den allgemeinen Zielen des P-Seminars auch zentrale Anliegen des Faches Deutsch in den Mittelpunkt gestellt werden können. Zwar wird die Beschäftigung mit dialektalen Varianten im Lehrplan der 11. und 12. Jahrgangsstufe nicht explizit aus- gewiesen, sowohl in der Formulierung der Kernbereiche des Lehrplans als auch in den Lernbereichen „Sprechen“ und „Sprachbe- trachtung“ finden sich jedoch vielfältige Vor- gaben, die durch ein P-Seminar zum Thema Dialekt erfüllt werden können. (Zur aktuellen Schüler bei der Befragung von Passanten Lehrplansituation siehe den Beitrag von in der Günzburger Innenstadt Ulrich Kanz in Teil III dieser Handreichung.) Im Einzelnen wurde durch das P-Seminar die Das im Schuljahr 2011/12 am Dossenberger- Vermittlung folgender Fähigkeiten und Gymnasium Günzburg durchgeführte Fertigkeiten bzw. Kompetenzen angestrebt: P-Seminar trug den bewusst zweideutigen Arbeitstitel „Wer spricht schon Dialekt?“ und Sach- und Methodenkompetenzen: verfolgte zwei zentrale Ziele: Zum einen ging Die Schüler es darum, Einstellungen zum Dialektspre-  recherchieren zielorientiert, arbeiten sinnvoll chen zu dokumentieren. Die Schüler wur- im Team zusammen, erstellen einen gemein- den dabei angehalten, der Frage bzw. dem samen Projektplan und entscheiden sich unterschwellig vorhandenen Gefühl nach- angesichts einer Fülle von Informationen für zugehen, dass der Dialekt auf dem Rückzug relevante Inhalte.

320 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

 stellen überzeugend die Ergebnisse ihrer Als externe Kooperationspartner für das Vorrecherchen und weiterer Arbeitsschritte P-Seminar „Wer spricht schon Dialekt?“ im Plenum vor. konnten das IDS Mannheim, die Stiftung  definieren inhaltliche Schwerpunkte für Inter- Zuhören und der Bayerische Rundfunk ge- views und Umfragen zur Dokumentation von wonnen werden. Hierdurch gelang es, die Dialektgebrauch und zu Einstellungen zum Schüler mit einer Reihe für sie relevanter Dialektsprechen. Berufsfelder vertraut zu machen. Durch die  stellen gezielt Fragen, hören aktiv zu, for- wissenschaftliche Unterstützung durch das mulieren griffige Texte und entwickeln so IDS sowie die konzeptionelle und technische ihre Sprachkompetenz. Unterstützung bei der Erstellung der Audio-  verbessern systematisch die Ausdrucksfähig- guides durch die beiden anderen Projekt- keit ihrer Stimme am Mikrophon. partner erhielten sie Einblick in Methoden,  werten die von ihnen geführten Interviews Arbeitsabläufe und Rahmenbedingungen planmäßig aus und strukturieren die Ergeb- linguistischer Forschung und journalistischer nisse mit Blick auf die medien- und adressa- Aufgabenfelder. tengerechte Umsetzung als Audioguide.  unterscheiden journalistische Grundformen wie Interview, Reportage, gebauter Beitrag Durchführung bis hin zu künstlerischen Formen wie Collage und Hörspiel. Von vornherein war vorgesehen, die Ergeb-  sichten zielorientiert ihr Rohmaterial, bear- nisse der Projektarbeit in einem öffentlichen beiten Audiodateien in einem Tonstudio und Rahmen zu präsentieren. Am geeignetsten sprechen dabei auch Kommentare ein. erschien dafür die Form des Hörfunkbei- trags, da die öffentlich-rechtlichen Landes- Kompetenzen im emotional-affektiven rundfunkanstalten in der Regel über Spar- Bereich: tenprogramme verfügen, die schwerpunkt- Die Schüler mäßig eine kulturelle Berichterstattung ha-  diskutieren fremde und eigene Einstellungen ben oder regionale Informationen senden. zum Dialektsprechen und entwickeln so ein Naheliegend wäre auch die Orientierung an Bewusstsein von der Bedeutung des Dialekts Programmformaten gewesen, die sich an ju- für die eigene kulturelle Identität. gendliche Hörer wenden und thematisch  analysieren Kommunikationssituationen und ausgerichtete Sendungen anbieten, wie bei- erkennen dabei die Möglichkeit und den Nut- spielsweise das Jugend- und Szenemagazin zen, zwischen Dialekt und Standardsprache Zündfunk auf BR 2. zu variieren.  gestalten Kommunikationsverhalten Als schwierig erwies sich die Entwicklung situationsadäquat. eines Konzepts für die Recherchearbeit, da  entscheiden bewusst, an welche Zielgruppe vor allem die Vorstellung von der Art des sie sich mit den Audioguides vorrangig wen- Hörfunkbeitrags lange diffus blieb und erst den, und orientieren sich bei Konzeption und in Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhören Umsetzung der Aufnahmen an den Interes- und dem Bayerischen Rundfunk präzisiert sen und Erwartungen der Hörer. werden konnte.  antizipieren die Gesprächssituation bei ter- minlich abgestimmten Interviews mit Einzel­ Zusätzlich problematisch war die Tatsache, personen sowie bei Befragungen spontan dass keine Kenntnisse vorhanden waren, was ausgewählter Gesprächspartner auf der die Gestaltung und technische Realisierbar- Straße und entwickeln auf diese Weise Sicher- keit von Tonaufnahmen betraf. Mehrere heit bei der Einschätzung der eigenen Wir- Ansätze, die darauf abzielten, den Sprach- kung. gebrauch individueller Jugendlicher in

321 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

verschiedenen Situationen zu dokumentie- wendigerweise kunsthistorisch oder stadt- ren, um Wechsel beim Code als Zeichen der geschichtlich bedeutende Orte. Ziel war es, Anpassung an den Grad der Formalität der verschiedene Bevölkerungsgruppen aufzu- Gesprächssituation zu dokumentieren, muss- suchen, um zu dokumentieren, ob und wie ten aus technischen Gründen verworfen wer- sich Dialektgebrauch und die Einstellung zum den. Es war beispielsweise nicht möglich, Dialektsprechen evtl. unterscheiden. Dabei ein und denselben Schüler durch den Tag zu konnte der Ort als solcher selbst Gegenstand begleiten und im Unterricht, auf dem Pausen- der Beschreibung sein, z. B. durch Hinter- hof und bei der privaten Freizeitgestaltung grundinformationen, aber auch durch indivi­ aufzunehmen, da Aufnahmen aus größerer duell gefärbte Äußerungen der dort anzu- Entfernung, wie sie sich in der Unterrichts- treffenden Personen (Beispiel: „Welche Rolle situation und generell beim Gespräch zwi- spielt der Verein in Ihrem Leben?“ Wie finden schen mehreren Personen ergeben, ohne Sie den diesjährigen Weihnachtsmarkt / den Konferenzmikrophone nicht realisierbar Faschingszug?“; „Welche Erfahrungen und sind. Die Aufnahmegeräte, die benutzt wur- Erlebnisse machen Sie in Ihrem Geschäft / auf den, waren leicht zu handhabende digitale dem Wochenmarkt / auf dem Bauernhof?“). Rekorder: das Olympus LS-5 und das Zoom H2n. Der so konzipierte Stadtführer zeichnet eine etwas andere Topographie der Stadt, die aber In Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhö- ein sehr lebendiges und aktuelles Bild davon ren und dem Redakteur Georg Bayerle vom vermittelt, wie in Günzburg gelebt und ge- Bayerischen Rundfunk konnte schließlich sprochen wird. Ergänzt wurde diese Aus- ein realisierbares Dokumentationskonzept wahl an Orten, an denen Dialektgebrauch entworfen werden. Die Vorlage bildeten die dokumentiert wurde, durch bekannte Günz- Stadt-Geschichten, ein Jugendradioprojekt burger Persönlichkeiten. Indem alteingeses- der Stiftung Zuhören in Kooperation mit dem sene Günzburger zu Wort kamen, sollten Bayerischen Rundfunk. Im Rahmen dieses zugleich die Geschichte und die Geschichten, Projekts produzieren Schüler persönliche Au- die mit ihnen oder bestimmten Punkten in dioguides zu ihren Städten und Gemeinden. der Stadt verknüpft sind, eingefangen und Dabei wählen sie selbst aus, welche Orte in in Form von Zeitzeugenberichten bewahrt ihrer Stadt sie kommentieren und vorstellen werden. möchten, mit dem Ergebnis, dass ungewöhn- liche Stadtführungen entstehen, die das Inte- Hinsichtlich des Projektablaufs und Zeitplans resse und den Blickwinkel von Jugendlichen in 12/1 ergab sich folgendes Bild: wiedergeben und Informationen zu histori­  September 2011 schen und kulturell bedeutenden Orten und Reportertraining durch Mediencoach des BR Ereignissen kreativ präsentieren. Beispiele  Oktober 2011 hierzu finden sich unter: www.zuhoeren.de > Recherchen, Erstellen der Beitragskonzepte Bayern hören – Audioguides multimedial.  November 2011 Aufnahmen, Interviews Diese Grundstruktur des Projekts Stadt-Ge-  Dezember 2011 schichten wurde mit dem Thema Dialekt so Schreiben der Beitragsmanuskripte verknüpft, dass ebenfalls bestimmte Orte in  Januar 2012 Günzburg und Umgebung angesteuert wur- Überarbeitung, Grobschnitt, Sprechtraining den, die Auswahl aber Überlegungen folgte,  Februar 2012 die sich darum drehten, welchen Sprachge- Produktion der Beiträge im BR und brauch man an diesen Orten erwarten kann. Abschlusspräsentation Konkret hieß das, dass Orte des öffentlichen Lebens im Mittelpunkt standen, nicht not-

322 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Alle Audioguides kann man sich unter der Adresse www.br.de/unternehmen/inhalt/ bildungsprojekte/stadtgeschichten-guenz- burg116.html anhören:

1 Bauernleben in der Stadt Die Inhaberin eines der letzten Bauernhöfe in Günzburg wird zu ihrem Alltag als Bäuerin befragt. Dazu begleiten die Schüler die Bäu- erin auch zu ihrem Stand auf dem Wochen- markt und befragen dort Kunden nach ihren Klischees bezüglich der Schwaben.

Sprachliche Auffälligkeiten: Die Sprachlage der Befragten in der Aufna­h- me ist standardorientiert mit Dialektinter­fe­ renz in Form von nicht sehr auffälligen Merk- malen, darunter Konsonanten (das Stereo- typ isch ‚ist‘) und Reduktionsformen (i hab a Im Tonstudio des Bayerischen Rundfunks ‚ich habe ein‘) als Art Kompromissform zwi- schen Dialekt und Standard. Im Basisdialekt Die Audioguides wäre die Form i hao bzw. i han erwartbar. Ins- gesamt handelt es sich um typische Formen Die Auswahl der Orte und Interviewpartner des ostschwäbischen Sprechstandards. orientierte sich an der Überlegung, möglichst spontane Gesprächssituationen festzuhalten In den Aussagen der Interviewpartnerin fin- bzw. Gesprächspartner zu finden, die authen- det sich mit Blick auf die Verwendung von tisch über ihren Alltag und die Frage nach der Dialekt durch ihre Kunden am Marktstand die Bedeutung, die Dialektsprechen für sie hat, Einschränkung so richtig Dialekt … so wie im reden konnten. Sehr häufig wurden von den Münchner Raum ischs net. Dabei handelt es Schülern dabei einzelne Begriffe abgefragt – sich um einen deutlichen Hinweis auf eine sowohl in der Form, dass ein schwäbisches Nivellierung des traditionellen Dialekts bzw. Wort in die Standardsprache übersetzt wer- eine Annäherung an die Standardsprache, den sollte, als auch in umgekehrter Richtung. die auch bei anderen Sprechern wiederholt zu beobachten ist. Immer wieder wurden von den Interviewern oder den Interviewpartnern auch Schimpf- wörter und Flüche dokumentiert. Hier scheint sich ein gewisses Vergnügen an dieser Form des Dialektgebrauchs zu offenbaren, die auch an anderer Stelle bemerkt worden ist. Herr- mann Bausinger vom Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Uni- versität Tübingen verweist jedenfalls auf die Popularität von Schimpfwörterlexika, die „be- liebt sind, weil die Einheimischen alte Be- kannte darin aufspüren und weil sie die Grob- heiten als eine Art sprachlicher Frischzellen- Befragung einer Bäuerin auf dem Günzburger therapie betrachten“ (Petershagen: 5). Wochenmarkt

323 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

2 Ein Streifzug durch Günzburg spräch dreht sich um besonders ausgefal- Die Schüler sprechen mit den Inhabern eines lene Wörter im Schwäbischen, um den Un- Bekleidungsgeschäfts, zweier türkischer terschied zwischen Schwäbisch und Hoch- Schnellrestaurants und eines Geschäfts für deutsch und um Begriffe beim Schafkopf- Faschingsartikel. Sprachliche Auffälligkeiten spielen. werden in einer anschließenden Analyse durch Dr. Ralf Knöbl vom Institut für Deut- Sprachliche Auffälligkeiten: sche Sprache kommentiert. Es lassen sich zwei Versionen von ‚Münster- hausen‘ unterscheiden: 1) Münschderhousa Sprachliche Auffälligkeiten: (Kompromissform zwischen Dialekt und Die befragten Geschäftsleute kennen klein- Standard); 2) Meischderhousa (alte Dialekt- räumige Dialektunterschiede (ostschwäbi­ form nach Staubschem Gesetz: n-Ausfall vor sche Binnendifferenzierung); besonders be- Konsonanten + Diphthongierung/Dehnung merkenswert sind die Unterschiede zwischen des Vokals; vgl. Fenster > Feaschder, fünf Günzburg und Augsburg. Interessant ist, > faif …). dass die Augsburgerin in Günzburg eine so- zialsegmentierende Funktion von Sprache er- Es sind interessante Dialektwörter zu hören, fahren hat: Dialektunterschiede erschweren z. B. Dogganandl (Kompositum aus a) ‚Dock‘, Integration. Sie charakterisiert den Günzbur- das seit dem Ahd. in der Bedeutung von ger als ernst und verschlossen. „Puppe“ belegt ist; nach König/Renn (2007: 160) geht die Bezeichnung hervor aus der Be- Beim Dönerbesitzer handelt es sich um ein zeichnung für „walzenförmiges Holzstück“; dt.-türk. Mixing, bei der Verkäuferin ist es und b) Name ‚Anni‘); typisch ostschwäbisch dialektnahes Sprechen. Beide Geschäfts- (weniger häufig im Mittelschwäbischen). leute verfügen über ein Varietätenrepertoire/ -spektrum, das die Anpassung an die unter- Zu den interessanten Dialektwörtern, die schiedlichen Sprachformen ihrer Kunden zu hören sind, gehört auch die mehr oder ermöglicht. weniger abwertende Bezeichnung für Kopf: a) Bilmes (nach DWB aus mhd. Bilwisz, Ein auffälliges Merkmal bei der Verkäuferin „Hexe/der Kobold“, dann „Filzkopf“); ist der Gebrauch der schwäbischen Modal- b) Grind/Grend (wahrscheinlich Bedeutungs- partikel f(r)ei (des will i fei net; unterstreicht erweiterung von ‚Grind‘ für „Schorf/Kopf- den Geltungsanspruch ihrer Absage). Eben- schorf“ zu „Kopf“). falls auffällig ist die Form der 1.P.Sg. von ‚sprechen‘: I sprich normal – Merkmal: Auffällig sind auch die lexikalischen Varian- i/e-Wechsel im Stamm, wahrscheinlich durch ten für Tüte: Gug (lat. cucullus, „Kapuze“); Imperativformen (sprechen – sprich; geben – südlich von Günzburg auch Gstattel (ital. gib). scatola, „Schachtel“, „Schatulle“). Beide Varianten entstanden wahrscheinlich durch Ein schönes Beispiel für den Sprachwandel Entlehnung aus dem Italienischen im Rah- findet sich bei dem früher gebrauchten men des Warenverkehrs, die für viele Ver- striela (DWB: ‚strülen‘, „stöbern, wühlen, packungstermini nachweisbar ist (König/ durchsuchen“); Etymologie unklar (im Mhd. Renn 2007: 256). nicht belegt; im Alemannischen verbreitet), entspricht heutigem ‚shoppen‘. Ebenfalls etymologisch sehr aufschlussreich sind die Bezeichnungen für die Wochentage, 3 Mitten aus dem Leben z. B. Aftermedig (Dienstag). ‚Aftermontag‘ Aufnahmen beim Abendessen einer schwä- ist begrenzt auf Ostschwaben (alte Grenze bischen Familie in Münsterhausen. Das Ge- Bistum Augsburg). Nach König/Renn wollte

324 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

die Geistlichkeit die Erinnerung an den heid- wahrscheinlich synkopierte Form von ‚ge- nischen Gott Ziu (ahd. Tiu, steckt in Dienstag lumpig‘ i. S. von unordentlich/unmoralisch). bzw. engl. tuesday) löschen. 6 Ein schwäbisches Kauderwelsch Lautlich interessant ist die Entwicklung von Die Schüler testen die Schwäbischkenntnisse Einsilblern auf -rn zu Zweisilblern durch von Passanten auf dem Marktplatz. Zu Wort Sprossvokal: Hirn > Hira (so auch bei: Dorn, kommt außerdem der ehemalige Günzburger Zorn, gern, Turm …). Heimatpfleger Josef Weizenegger, der einige typisch schwäbische Fügungen erläutert. 4 Ein schwäbischer Ohrenschmaus Interviewt wird der ehemalige Günzburger Sprachliche Auffälligkeiten: Heimatpfleger Josef Weizenegger, der einen Etymologisch interessant sind die zwei Text des Günzburger Mundartdichters An- Dialektbegriffe für Korb: Kredda und Kretza. dreas Dürr vorträgt. Thematisiert wird außer- Beides leitet sich ab von lat. crattis – aller- dem die schwäbische Verfasstheit, das heißt dings gibt es zwei Entlehnungszeiträume: die teilweise selbstironische Sicht der Schwa- einmal vor der Zweiten Lautverschiebung ben auf ihre eigene Wesensart. (ergab dann im Schwäbischen durch Ver- schiebung von altem /t/ zu Affrikatlaut ahd. Sprachliche Auffälligkeiten: kretzo und dial. kretsa) und nach der Lautver- Lautlich auffällig ist die Wiedergabe des schiebung (ahd. kretto > Kredda). mhd. â als [ao] in ‚da‘, auch im Witz: ben a schwaob. Außerdem die Kürzung des 7 Fragerunde Vokals in 3.Ps.Sg. von mhd stân: er statt In der Fragerunde äußern sich die Teilnehmer (‚er steht‘). Diese Form ist typisch für das des P-Seminars dazu, wie sie ihren eigenen Ostschwäbische im sogenannten Ulmer Dialektgebrauch wahrnehmen bzw. welche Winkel (zwischen Ulm, Günzburg und Un- Rolle der Dialekt in ihrem Alltag spielt. terallgäu). In dem vorgetragenen Gedicht finden sich Belege für ein gängiges Sprach- Sprachliche Auffälligkeiten: klischee: die Verwendung vieler Diminutive, In dem Ausschnitt werden u. a. zwei dialek- z. B. Bächle, Plätzle. tale Ausdrücke für ‚hinlegen/schlafen‘ behan­ delt, nämlich stragga und gruaba. Beide Wör- 5 Dialekt in Vereinen und auf Festen ter sind schöne Beispiele für den Erhalt mit- Interviewt werden der Erste Kommandant telhochdeutscher Formen im Dialekt. Bei der Freiwilligen Feuerwehr in Ettenbeuren, stragga (mhd. stracken) handelt es sich um Zuschauer und aktive Teilnehmer bei Fa- eine im Mhd. gängige, nicht-reflexiv verwen- schingsumzügen, die Trainerin einer Taek­ dete Variante von mhd. strecken in der Be- wondo-Schule in Burgau und Besucher des deutung „ausdehnen, gestreckt liegen“. Spu- Günzburger Weihnachtsmarkts. ren von mhd. stracken sind im Nhd. im Ad- verb ‚schnurstracks‘ erkennbar, der Gebrauch Sprachliche Auffälligkeiten: von mhd. strecken für „legen/liegen“ in Wen- Die Aufnahmen entstehen an Schauplätzen dungen wie ‚die Waffen strecken‘ oder ,zur bzw. in sozialen Milieus, in denen Dialekt- Strecke bringen‘. gebrauch erwartbar ist. Auffällig ist, dass auf dem Faschingsumzug nur (neues) bairisches Das Wort gruaba geht zurück auf ahd. rou- Fasching verwendet wird (nicht Fas(t)nacht). wen. Dahinter steckt nhd. ‚ruhen‘, allerdings Lexikalisch erwähnenswert ist guetsel (‚Gut- mit erhaltenen morphologischen und laut- lein‘ i. S. von Bonbon; früher spezifisch für lichen Herkunfts- und Entwicklungsmerk- Weihnachtsgebäck verwendet) und gombiger malen. Im Mittelhochdeutschen wurden be- Dooschdig (Donnerstag der Fastnachtszeit; stimmte Verben mit dem Präfix ge versehen,

325 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

um sie semantisch leicht zu modifizieren. In eingeschränkte Verwendung von asat, die einigen Fällen sind die präfigierten Formen nach Wax (2011) auf ‚als‘ bzw. ‚also‘ rückführ- im Nhd. nicht weiter verwendet worden (z. B. bar ist und in Stellung vor Adverbien die Be- wird heute im nhd. Standard ‚geruhen‘ oder deutung „ganz“ annimmt. Bemerkenswert ist ‚geschweigen‘ nicht mehr verwendet (aber: auch das dialektale Richtungsadverb nã, an ‚geschweige denn‘). dessen Nasalierung die Bezugsform ‚hinan‘ erkennbar wird und die im Ostschwäbischen 8 Wo der Schwab no Schwäbisch spricht in distinktivem Kontrast zu nicht-nasalem na Befragung zum Dialektgebrauch am Rande ‚hinab‘ steht. einer Maiandacht. Zwei Teilnehmer geben Beispiele für typisch schwäbische Ausdrücke und erläutern ihre Einstellung zum Dialekt- Auswertung der Audioguides gebrauch. Die Auswertung der Aufnahmen erfolgte Sprachliche Auffälligkeiten: durch den Sprachwissenschaftler Dr. Ralf Beide Befragten heben die Relevanz von Knöbl vom Institut für Deutsche Sprache in Loyalität zum Dialekt hervor und werten den Mannheim, der sich bei seinen Forschungen Verlust des traditionellen Dialekts als Kultur- vor allem mit regional und sozial bedingten verlust. Diskutiert wird sogar die Rolle des Varietäten der gesprochenen Sprache be- Dialekts im Unterricht. Ein interessantes De- fasst. In diesem Zusammenhang führten die tail ist die Veränderung der Dialektalität einer Schüler ein Interview mit Dr. Knöbl, in dem Befragten bei der Wiederholung des Satzes sie Fragen thematisierten, die sich für sie ‚wenn ich redete wie daheim, täten sie mich im Laufe der Arbeit an dem Projekt ergeben nicht verstehen‘, den sie am Anfang der Be- hatten. Das Interview stellt somit eine Form fragung mit der neuen Dialektform vestanda der abschließenden Reflexion über das Pro- und zum Abschluss mit der traditionellen jekt dar. Deutlich wird darin, dass die Schüler Form vestao artikuliert (mhd. stân). durch das Projekt für die Rolle des Dialekts im Alltag und für die Frage nach der zukünf- Im Bereich Lexik/Idiomatik ist folgender Satz tigen Entwicklung des Dialektgebrauchs un- erwähnenswert: heit ben e scho asats lange ter Jugendlichen ihres Alters sensibilisiert nãgfloga. Auffällig dabei ist die regional sehr wurden:

Interview mit Dr. Ralf Knöbl vom IDS Mannheim

326 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Interview: Dialekt auf dem Rückzug? man als junger Mensch prestigeempfindlich ist – und das sind die meisten, dann verän- Sie haben jetzt unsere Aufnahmen gehört. dert man seine Sprache. Was fanden Sie besonders interessant? Die Aufnahmen sind in ihrer großen Band- Also wäre es gar nicht so schlecht, wenn breite sehr aufschlussreich. Man bekommt das Thema Mundart und Dialekt in der einen guten Eindruck von der Sprachwirk- Schule einen breiteren Raum einnehmen lichkeit. Es fällt auf, dass von ein und der- würde? selben Person teilweise Dialekt gespro- Und wenn nur ein Effekt wäre, dass Be- chen wird, aber eben nicht nur. Es kommt wusstsein geschaffen wird. Es kursieren da zu sogenannten Codeswitches, d. h. der einfach noch viele Vorurteile: Der Dialekt- Sprecher wechselt von einer dialektnahen sprecher ist einfältig, ist blöd, ist unsexy. Sprechweise zu einer standardnahen – und Die Schule müsste vermitteln, dass Zwei- umgekehrt. sprachigkeit, also die Fähigkeit, Dialekt und Standard zu sprechen, eine Repertoireer- Woran liegt es, dass in städtischen Gebie- weiterung darstellt. Bei Ihrer Generation ist ten deutlich weniger Dialekt gesprochen diese Zweisprachigkeit noch vorhanden, wird als in ländlichen? sie kann aber auch schnell verloren gehen. Ein wesentlicher Grund für die Standard- Beispiel Norddeutschland: Dort beherr- annäherung in städtischen Gebieten sind schen die jungen Menschen den nieder- vor allem Kontakte zwischen Sprechern, die deutschen Dialekt meist nur noch passiv. sich nicht kennen. Da ist es sicherer, den Standard zu nehmen, also etwas, das ge- Karl-Heinz Göttert vertritt in seinem aktu- wissermaßen eine Norm ist, weil man dann ellen Buch „Alles außer Hochdeutsch“ die davon ausgehen kann, dass man von allen These, dass der „tiefe“ Dialekt verschwin- verstanden wird. In der traditionellen dörf- det und durch regionale Ausgleichsmund- lichen Gemeinschaft kennt man sich. Das, arten ersetzt wird. Wie beurteilen Sie diese was ist, bleibt da länger so, auch sprach- Entwicklung? lich. Man kann das als Chance sehen, dass der Dialekt an sich überlebt, allerdings in einer Joseph Weizenegger vom Historischen veränderten Form. Statt I hao koi Luscht Verein Günzburg nennt als Grund für den sagt man heute I hab kei Luscht. Oder frü- Rückgang des Dialekts, dass sich junge her hat man gesagt Ä guets nuis. Heute Menschen schämen, Schwäbisch zu spre- sagt man Ä guets neis. Das ältere basisdia­ chen. Stimmt das? lektale ui wird abgebaut, es hält sich aber Da ist was dran. Unsere eigenen Untersu- eine Ausgleichsform, die großregionaler ist. chungen zeigen, dass Jugendliche oft den Das ist ja immerhin was. Dialekt beherrschen, ihn aber nicht ver- wenden. „Schämen“ passt insofern, als in Diese Mischarten sind ja dann aber kein Umfragen belegbar ist, dass das Schwäbi­ reiner, für eine Region typischer Dialekt sche ein echtes Prestigeproblem hat, und mehr? zwar im sogenannten Autostereotyp, also So einen Purismus darf man aber auch in der Eigeneinschätzung, aber auch in der nicht erwarten. Reines Hochdeutsch, Einschätzung von außen, also im Hetero­ reinen Dialekt – das hat es ohnehin nie so stereotyp. Sächsisch schneidet immer richtig gegeben, vor allem nicht im Bereich ganz schlecht ab, aber dann kommt immer des Hochdeutschen. Sobald Sprache ge- schnell auch das Schwäbische. Und wenn braucht wird, ist das, was normativ festge-

327 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

legt wird, oft nicht Realität. Auch nicht im zen Wechsel zwischen Dialekt und Standard Bereich des Basisdialekts. den Sprecher bei der grundsätzlichen Auf- gabe, die soziale Situation zu definieren. Was würden Sie sich für die Zukunft des Der Dialekt wird von Dialektologen als so- Dialekts wünschen? genannte Nähesprache bezeichnet, weil er Dass sich sein Status ändert. Der Reichtum sich insbesondere zum Ausdruck von so- des Dialekts müsste besser erkannt wer- zialer Nähe und Vertrautheit eignet. Diese den. Im Dialekt sind viele historische Infor- Möglichkeiten sind es, die Dialektsprechen mationen gespeichert, z. B. lautgeschicht- so spannend machen. liche Entwicklungen, die durch Unterschei- dungen, die der Dialekt hat, dokumentiert werden und die im artifiziellen Standard Die Fragen stellten Simone Krimbacher nivelliert sind. Darüber hinaus unterstüt- und Franziska Bigelmaier.

Ergebnis über entstehen zu lassen. Gefördert wurden dadurch auch ein selbstbewusster Gebrauch Die im P-Seminar „Wer spricht schon Dia- des Dialekts und die Pflege der „inneren lekt?“ geförderte Beschäftigung mit dialek- Mehrsprachigkeit“, die Sprechern, die über talen Formen und Ausprägungen bzw. die ein mehrere Codes umfassendes Repertoire Analyse von Einstellungen zum Dialektge- verfügen, erweiterte Kommunikationsmög- brauch bildete die Basis für eine fundierte lichkeiten verschafft. Sprachbetrachtung, die Einblicke in die regi- onalen Besonderheiten des Sprachgebrauchs und sprachliche Entwicklungen in der Region Literatur ermöglichte. Sie war ein wesentlicher Impuls für die Reflexion über Sprache bzw. die Aus- Hermann Fischer (1904-1936): Schwäbisches bildung rhetorischer Fähigkeiten, da sie ein Wörterbuch, 6 Bde. Tübingen. differenziertes Urteil zur stilistischen Funkti- onalität unterschiedlicher Sprachebenen er- Karl-Heinz Göttert (2011): Alles außer Hoch- laubte. Die Umsetzung der Interviews und der deutsch. Ein Streifzug durch unsere Dialekte. Passantenbefragungen, aber auch die Auf- Berlin. nahme der Audioguides im Studio schufen zahlreiche realistische Sprechanlässe, bei de- Werner König / Manfred Renn (2. Aufl. 2007): nen die Schüler ihre rhetorischen Fähigkeiten Kleiner Sprachatlas von Bayerisch-Schwa- gezielt und systematisch einsetzen mussten. ben. Augsburg.

Wichtiger noch: Die Beschäftigung mit dem Wolf-Henning Petershagen (2003): Thema Dialekt förderte die Auseinanderset- Schwäbisch für Besserwisser. Stuttgart. zung mit der eigenen kulturellen Herkunft und leistete auf diese Weise einen Beitrag Wolfgang Pfeifer (1997): Etymologisches zur Persönlichkeitsentwicklung. Verbunden Wörterbuch des Deutschen. München. damit war die Reflexion über die eigene Ein- stellung zum Dialektsprechen. Vorrangiges Hermann Wax (4. erw. Aufl. 2011): Ziel war es, den Aufbau einer positiven Ein- Etymologie des Schwäbischen. Die Herkunft stellung zum Dialekt zu unterstützen und eine von mehr als 8000 schwäbischen Wörtern. grundsätzlich tolerante Haltung ihm gegen- Biberach.

328 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Projektbericht aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 24. April 2012, S. 13

329 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Dem Schwäbischen einen Wohnsitz geben. Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten e. V.

Christoph Henzler

Immer wieder kann man es in der Presse lesen und die persönlichen Erfahrungen der Bayerisch-Schwaben lassen keinen Zweifel: Während die Mundart eines Oberbayern sich nicht nur in Rundfunk und Fernsehen des Freistaats großer Beliebtheit erfreut, sondern auch jenseits der Landesgrenzen wie Leder- hose und Dirndl synonym für das Bayerische schlechthin erachtet wird, ist das „Ansehen“ des Schwäbischen eher auf den eigenen Regierungsbezirk beschränkt. Georg Simnacher die Gründungsversamm- Dies hat sicherlich auch historische Wurzeln, lung des Vereins „Schwäbisches Literatur- denn Ober- und Niederbayern, als Altbayern schloss Edelstetten e. V.“ statt. Er erhielt sei- über Jahrhunderte zusammengewachsen, nen Sitz auf dem Esterhazy-Schloss Edel- verfügen über eine ganz andere Identität als stetten und setzte sich zur Aufgabe, „die der erst nach dem Wiener Kongress 1814/15 Dichtung/Literatur und Sprache in Schwaben endgültig entstandene neue Regierungsbe- zu fördern und zu pflegen“. Dabei ist daran zirk Schwaben. Es waren höchst heterogene gedacht, keinesfalls nur den mittelschwäbi­ Herrschaftsgebiete im Osten des einstigen, schen Raum zu erreichen. Im „Herzen Schwa- im Mittelalter bereits untergegangenen „Her- bens“ sollen alle Dialektformen des Regie- zogtums Schwaben“, die dem neu entstan- rungsbezirks eingebunden werden. denen Königreich Bayern zugeordnet wur- den. Das Gebiet zwischen Iller und Lech, Ries Der als gemeinnützig anerkannte Verein for- und Allgäu bestand aus verschiedensten, muliert in § 2 seiner Satzung durchaus ehr- z. T. nur wenige Quadratkilometer großen geizige Ziele, deren Verwirklichung einen geistlichen und weltlichen Herrschaftsgebie- langen Atem erfordert und nur durch die ten. Auch in sprachlicher Hinsicht war und Beteiligung möglichst vieler gelingen kann: ist dieser Raum keinesfalls homogen.  Organisation von Veranstaltungen zur schwäbisch-alemannischen Sprache und im Bei dieser großen „Gebietsreform“ vor nun- Dialekt mehr 200 Jahren wurde auch das Schicksal Herausgabe von herausragenden Publika­tio- der vielen Reichsklöster besiegelt, die bereits nen in Schrift und Ton in bzw. über die schwä- 1803 ihren Rechtsstatus verloren hatten. So bisch-alemannische Sprache sowie deren auch das Damenstift Edelstetten im heutigen Archivierung Landkreis Günzburg, dessen Kirche Pfarr-  Förderung von schwäbischen Dichtern kirche des Ortes wurde, während der Kloster- und Schriftstellern bau in den Besitz eines Familienzweiges der  Aufbau eines Zentrums für schwäbische Esterhazy überging. Sprache mit Bibliothek und Bild- und Ton- archiv auch im Internet und anderen Medien Im Frühjahr 2009 fand hier auf Initiative des  Sammlung von Nachlässen schwäbischer ehemaligen Landrats von Günzburg und Dichter und Literaten Schwäbischen Bezirkstagspräsidenten Dr.  Weitervermittlung von Kenntnissen über

330 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

schwäbische Dichtung/Literatur und Sprache an die Jugend, besonders in enger Zusam- Schülerinnen und Schüler sind im Schwä- menarbeit mit den Schulen bischen Literaturschloss Edelstetten stets  Errichtung eines Erlebniszentrums für willkommen. Sprachwissenschaftliche Sprache und Dialekt in den Räumlichkeiten Projekte sowie Arbeiten zur schwäbischen des Literaturschlosses Literatur aller Jahrgangsstufen und Schul- arten werden gerne unterstützt, ideell wie Eine der ersten großen Leistungen des Ver- finanziell, um die Liebe zur schwäbischen eins war es, den Sprechenden Sprachatlas Muttersprache zu fördern und ein vertieftes von Bayerisch-Schwaben zu schaffen. Das Bewusstsein für ihre Eigenarten und Aus- Projekt stand unter der Leitung von Prof. drucksformen zu wecken. Dass hierbei auch Dr. Werner König (Universität Augsburg), künstlerische Ansätze gefördert werden, zeigt das Ergebnis wurde Mitte 2013 in der neuen das Krippenspiel in schwäbischer Mund- Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO) art der Volksschule Reisensburg, das 2010 in ins Netz gestellt. der Pfarrkirche Edelstetten aufgeführt wurde, musikalisch gestaltet von einer Musikgruppe Durch schwäbische Maiandachten und des Gymnasiums Wettenhausen. Dichterlesungen wird seit 2009 ein breites Publikum angesprochen. Wissenschaftliche Kontakt: Vorträge ergänzen diese Programmschiene, www.literaturschloss-edelstetten.de an der sich zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Kommission für Mundartforschung der Bayerischen Aka- demie der Wissenschaften und Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter des Bayerischen und Schwäbischen Sprachatlas beteiligen. Ende Mai 2014 fand der „Erste Literarische Salon auf Schloss Edelstetten“ statt, der sich an- lässlich des 300. Geburtstags von Sebastian Sailer mit zahlreichen Autoren und Aspekten der Mundartdichtung in Bayerisch-Schwa- ben beschäftigte und in Zukunft alljährlich an Christi Himmelfahrt ein Thema mit Schwa- benbezug aufgreifen soll. 2015 ging es um die „Schwäbische Dramatik“.

Der Salon findet unter der Ägide des Leiters des Archivs für Literatur aus Schwaben an der Universität Augsburg statt, Prof. Dr. Klaus Wolf, der nach dem Tod von Dr. Georg Simnacher Ende April 2014 zum 1. Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde. Als neues und längerfristiges Projekt wurde dabei – analog zum Sprachatlas von Werner König – die Realisierung des Digitalen Sebastian Sailer (1714-1777), Begründer der Literaturatlas von Bayerisch-Schwaben ins schwäbischen Mundartliteratur, die im Schwäbischen Auge gefasst, des Weiteren Freiluftauf- Literaturschloss Edelstetten eine neue Heimat führungen des Schwäbischen Jedermann gefunden hat von Hermann Pfeifer.

331 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

„MundART WERTvoll“. Ein Projekt im Wertebündnis Bayern

Ingrid Ritt

Das im März 2010 vom Bayerischen Minister- Die Bayerische Staatskanzlei und die präsidenten initiierte Wertebündnis Bayern Bayerische Sparkassenstiftung sind schafft für junge Menschen neue Gelegen- Förderer und finanzielle Unterstützer von heiten, Werte zu erfahren, Werte zu diskutie- MundART WERTvoll. ren und Werte zu bilden. „Gemeinsam stark für Kinder, Jugendliche und junge Erwach- sene“ lautet das Motto. Eine zentrale Rolle Begründung und Ziele spielen dabei Projekte, die durch die Vernet- des Projekts zung der Bündnispartner entstehen. In den Projekten können Kinder, Jugendliche und Viele Kinder und Jugendliche sprechen junge Erwachsene handlungsorientiert den Mundart als Ausdruck ihrer Verbundenheit zu Wert von Werten konkret erleben: ihrer Heimat und ihrer Identität. Das Projekt www.bayern.de > Wertebündnis Bayern. MundART WERTvoll will diese Verbundenheit aufgreifen, neu wecken und fördern. Damit Mehrere Wertebündnispartner haben sich knüpft das Projekt an Art. 131 Abs. 3 der 2014 im Projekt MundART WERTvoll zusam- Bayerischen Verfassung an: „Die Schüler sind mengeschlossen. Ziel dabei ist es, den in [...] in der Liebe zur bayerischen Heimat […] Bayern gesprochenen Mundarten Wertschät- zu erziehen.“ zung entgegenzubringen und den Dialekt bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Bayerische Dialekte sollen als Ausdruck von Lebensgefühl, von Identität und Vielfalt wert- Die Projektträgerschaft wird vom Bayernbund geschätzt werden. Die Beherrschung von e. V. wahrgenommen. Weitere Projektpartner Dialekten im situativen Sprachgebrauch soll sind folgende Verbände und Institutionen: als Stärke und Bereicherung für den Mund-  Bayerische Trachtenjugend im Bayerischen artsprecher erkannt und gefördert werden. Trachtenverband e. V. Mundart bewahren, junge Menschen für  Bayerischer Philologenverband (bpv) Mundart begeistern: Beide Aspekte greift  Bayerisches Staatsministerium für Bildung das Projekt auf. Mundart schafft Vertrautheit, und Kultus, Wissenschaft und Kunst „Herzenswärme“ (Helmut Zöpfl), zusätzliche  Förderverein Bairische Sprache und Klangfarben sowie eigene Denkansätze zur Dialekte e. V. Erschließung der Welt.  Katholische Elternschaft Deutschlands, Landesverband Bayern (KED) Neben der Liebe zur bayerischen Heimat und  Katholische Erziehergemeinschaft Bayern zu ihren – nicht nur sprachlichen – Traditi- (KEG) onen will das Projekt auch die Wertschätzung  Landeselternvereinigung der Gymnasien in anderer (Regional-)Kulturen und ihrer Spre- Bayern e. V. cher fördern und den Wert kultureller Vielfalt  Landesmediendienste Bayern e. V. unterstreichen. Dialektsprecher sollen mit der  Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungs- Wahrnehmung ihrer sprachlichen und künst- forschung (ISB) lerischen Ausdrucksfähigkeit Selbstbewusst-  Verband Bayerischer Sing- und Musik- sein und Kreativität in innovativen Formen schulen (VBSM) entfalten. Die vielfältigen Möglichkeiten der Neuen Medien gehören hier dazu.

332 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Als Kernelement von Heimat und Brauchtum und gleichzeitig als Teil eines frischen und populären bayerischen Lebensgefühls soll Mundart in ihrer Bedeutung für Zusammen- halt und Gemeinschaft in einer sich wandeln- den Gesellschaft erlebt werden. Künstlerische und kreative Formen wie Musik, Theater oder Literatur spielen dabei eine zentrale Rolle, insbesondere auch in neuartigen Ansätzen wie z. B. Slam-Poetry, Improvisation, Krea- bei weltlichen und kirchlichen Festen, im tivem Schreiben und der Verwendung neuer Bereich Musik und Theater, Kunst und Hand- Medien. werk. Das Projekt soll damit die vielfach ge- forderte Öffnung der Schule bzw. der Kin- Das Projekt soll einen Beitrag dazu leisten, dergärten hin zur konkreten Lebenswelt der dass die „bayerische Seele“ – ob in Altbay- Kinder und Jugendlichen, auch im medialen ern, Franken oder Schwaben – weiterhin in Bereich, unterstützen. Weitere Projektpartner heimatlicher Mundart Atem schöpfen kann, sind immer willkommen. wie es Johann Wolfgang von Goethe aus- drückte: „Jede Provinz liebt ihren Dialekt, Didaktisch-methodisch wird die bewusste denn er ist doch eigentlich das Element, Auseinandersetzung mit dem Dialekt ab- in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“ wechslungsreich, handlungsorientiert, inno- vativ und modern gestaltet. So werden vor- handene Dialektkompetenzen positiv ver- Projektbeschreibung stärkt und Neugier und Interesse am Dialekt und -inhalte geweckt. Kinder und Jugendliche erleben mit vielfältigen Ausdrucksformen, aktuellen Me- Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche in thoden und neuen Medien die kreativen Mög- Bayern. Dabei wird vor allem auf die unmit- lichkeiten der Mundart. telbare pädagogische Arbeit in Kindergärten bzw. Kindertagesstätten und Schulen abge- Über Jahrgangsstufen und Schularten hin- stellt. Hier wird inhaltlich an den Bayerischen weg sowie im Austausch mit den lokalen Kul- Bildungs- und Erziehungsplan sowie an die turträgern wird Dialekt als sprachliche Grund- schulischen Lehrpläne angeknüpft. Kinder- lage von Gemeinschaft vermittelt. Der Drei- gärten und Schulen in Bayern haben einen schritt „Kopf-Herz-Hand“ nach Johann Hein- klaren Auftrag zur Förderung der Mundart rich Pestalozzi wird dabei in neuen zeitge- (vgl. auch Beschluss des Bayerischen Land- mäßen Formen, die der Lebenswirklichkeit tags vom 15.12.2009). Das Projekt bietet dazu der Kinder und Jugendlichen entsprechen, neue, lebendige Wege. zur Geltung gebracht. Das Projekt will zeigen: Mundart ist jung, aktuell und lädt ein Ein besonderes Merkmal des Projekts Mund- zu neuen Wegen und Gedanken. ART WERTvoll ist die lokale Zusammenarbeit von Kindergärten, Schulen, Jugendgruppen Der Projektbogen spannt sich vom Kinder- und Vereinen in den einzelnen Gemeinden. garten über alle Schularten. Die dabei entste- Die kommunale Verwaltung wird ebenso ein- henden Netzwerke mit Bildungsträgern und bezogen wie Kirchen und Religionsgemein- Kommunen sowie den Bürgerinnen und Bür- schaften. gern vor Ort tragen dazu bei, die Wirkung von MundART WERTvoll nachhaltig zu sichern. Diese Vernetzung ermöglicht vielfältige Ko- So kann – nach Goethe – die Seele in der operationsmöglichkeiten, z. B. im Brauchtum, Mundart ihren Atem schöpfen.

333 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Partner der Dialektförderung – im Überblick

Hermann Ruch

In Teil IV dieser Handreichung wurden bereits bei den Gesamtfränkischen Kinder- und wichtige Akteure der Dialektförderung vorge- Jugendtheatertagen. Bei allen Veranstal- stellt: tungen gibt es kurze Stücke oder Ausschnitte  Bayerischer Rundfunk aus abendfüllenden Produktionen zu sehen.  Bayerische Staatsbibliothek Publikum und Medien erhalten so einen  Unterfränkisches Dialektinstitut guten Einblick in die aktuelle Mundartszene.  Katholische Universität Eichstätt  Oberviechtacher Dialektprojekt Bei den Gesamtfränkischen Mundarttheater-  Bayernbund e. V. tagen wird seit 1996 das Theaterpärla an die-  Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft jenige Gruppe vergeben, die mit ihrer Präsen-  Schwäbisches Literaturschloss Edelstetten tation am meisten beeindruckt. Für die Kin-  Wertebündnis Bayern der- und Jugendgruppen gibt es seit Kurzem auch eine Auszeichnung: das Theaterfränzla. Da im Rahmen dieser Handreichung nicht alle Partner der Dialektförderung in einem eigenen Beitrag vorgestellt werden können, Bairische Sprache und finden Sie nachfolgend in alphabetischer Mundarten Chiemgau-Inn e. V. Reihenfolge exemplarische Hinweise auf ein breites Spektrum weiterer Institutionen, Der Verein Bairische Sprache und Mundarten Vereine und Verbände, die sich ebenfalls mit Chiemgau e. V. (www.bair-sprache-chiemgau. großem Engagement um die Förderung der de) wurde 2001 gegründet und hat seinen bayerischen Dialekte bemühen und dabei Sitz in Traunstein. Er zählt über 500 Mitglieder auch mit Schulen zusammenarbeiten: und bemüht sich auf vielen Ebenen um eine Aufwertung der bayerischen Dialekte. Der Verein veranstaltet Lesungen mit heimischen Arbeitsgemeinschaft Mundart- Mundartdichtern und Vorträge zur bairischen Theater Franken e. V. Sprache und gibt die Zeitung Bairische Spra- che heraus. Besonderes Gewicht wird auf die Die Arbeitsgemeinschaft Mundarttheater Beratung von Kindergärten, Schulen, Verbän- Franken e. V. (www.mundart-theater-fran- den und Vereinen gelegt, um die Jugend für ken.de) verbindet seit 1981 Theatergruppen, den heimischen Dialekt zu gewinnen. Autoren und andere, die sich mit den frän- kischen Mundarten befassen. Die ARGE um- fasst die Regionen Hohenlohe-Franken, Mit- Bayerische Landeskoordinierungs- telfranken, Oberfranken, Thüringen-Franken stelle Musik und Unterfranken. Vereinsziel ist die Förde- rung fränkischer Spielgruppen und Autoren. Die BLKM (www.blkm.de) wurde im Sep- tember 2011 als eine Arbeitsgemeinschaft In den Bezirken Unter-, Mittel- und Oberfran- des Staatsministeriums für Bildung und Kul- ken finden jährlich Mundarttheatertage statt. tus, Wissenschaft und Kunst (StMBW), des Alle zwei Jahre gibt es ein großes gemein- Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, sames Treffen bei den Gesamtfränkischen Familie und Integration (StMAS) sowie des Mundarttheatertagen. Die Jugend trifft sich Bayerischen Musikrats (BMR) gegründet. Ziel

334 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

der BLKM ist die Sammlung, Darstellung, Bayerischer Landesverein für Vermittlung und Durchführung von Musik- Heimatpflege e. V. bildungsprojekten im Freistaat Bayern. Die Kooperation und/oder Vernetzung in und Der Bayerische Landesverein für Heimat- zwischen Kindertageseinrichtungen, Schulen, pflege e. V. (www.heimat-bayern.de) zählt Vereinen, Musikbildungseinrichtungen und rund 8.000 Mitglieder und 16 hauptamtliche Musikbildungsprojekten steht dabei an vor- Mitarbeiter. Seit seiner Gründung 1902 derer Stelle. setzt er sich dafür ein, die regionale Vielfalt Bayerns zu bewahren und weiterzuentwi- Die Pflege der Volksmusik und damit zusam- ckeln. Sitz der Geschäftsstelle ist München, menhängend der bayerischen Dialekte spielt daneben werden vier Außenstellen zur Pflege in diesem Kontext eine wichtige Rolle und und Erforschung der Volksmusik in Mitterfels zeigt sich nicht zuletzt in der Zusammenar- (für Niederbayern und die Oberpfalz), Eibel- beit mit der LAG Volksmusik für Schulen in stadt und Bayreuth (für Franken) sowie Bayern sowie dem Bayerischen Landesverein Krumbach (für Schwaben) unterhalten. für Heimatpflege e. V. Seit 2013 setzt der jährliche Aktionstag Musik in Bayern deut- Vierteljährlich informieren die Zeitschrif- liche Akzente. 2014 nahmen daran rund ten Der Bauberater, Volksmusik in Bayern 120.000 Kinder und Jugendliche aus Kinder- und Schönere Heimat über zentrale Aspekte tageseinrichtungen und Schulen aus ganz der Kultur- und Heimatpflege in Bayern. Die Bayern teil. Schriftenreihe Heimatpflege in Bayern ist jeweils einem Spezialthema gewidmet. Der Die ausführliche Informationsbroschüre der Newsletter Obacht berichtet über aktuelle BLKM zum Aktionstag Musik in Bayern ent- Veranstaltungen, Kulturfahrten, Seminare hält u. a. Ideen zum Bereich „Lieder, Tänze, und Fachtagungen. Im Online-Shop werden Bräuche aus meiner Region/Heimat“ sowie zahlreiche Publikationen angeboten, darunter detaillierte Hinweise für seine Umsetzung in viele Notenblätter zur Volksmusik. Kindergarten und Schule: Der Verein, der sich auch als Dachorgani- sation für die sieben hauptamtlichen sowie rund 290 ehrenamtlichen Heimatpfleger in Bayern versteht, möchte Menschen dazu an- regen, behutsam mit ihrer Lebenswelt umzu- gehen und sie verantwortungsvoll zu gestal- ten. Die beratende und vermittelnde Tätigkeit des Landesvereins erstreckt sich dabei über alle Bereiche der überlieferten Alltagskul- tur und reicht von der Heimatgeschichte und Volksmusik über Bräuche und Trachten bis hin zur Bauberatung und Kulturlandschafts- pflege.

Die Dialektpflege gehört seit jeher zu den zentralen Aufgaben es Landesvereins. So erschienen mehrfach einschlägige Aufsätze in der Vereinszeitschrift Schönere Heimat. Besonders erfolgreich war 2004 die gemein- same Aktion Mein liebstes bayerisches Wort des Landesvereins und des Bayerischen

335 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Rundfunks, bei der rund 10.000 bairische, und der Vorsitzende des Fördervereins fränkische und schwäbische Dialektwörter Bairische Sprache und Dialekte e. V. in eingereicht wurden. einer gemeinsamen Presserklärung den hohen Wert des Dialekts und forderten eine Der Landesverein ist Mitglied der Arbeits­ erheblich stärkere Positionierung der gemeinschaft Der Bayerische Heimattag (seit Dialekte in der Spracherziehung an den 1949) und veranstaltet alle zwei Jahre zusam- Schulen. Die Eltern wurden dazu ermuntert, men mit dem BUND Naturschutz in Bayern selbstbewusst Dialekt zu sprechen. Nur so sowie dem Verband Bayerischer Geschichts- könne die Mundart erhalten bleiben. vereine den Bayerischen Heimattag, der die gemeinsame Arbeit der drei Verbände koordi- niert und mit den angeschlossenen Vereinen Bayerischer Trachtenverband und Institutionen die Interessen von über ei- ner halben Million Menschen vertritt. Im Juni „Tradition und Fortschritt. Lederhose und 2015 fand der 38. Heimattag in Murnau statt. Notebook. Das vereint der Bayerische „Heimat-Bilder. Klischee und Wirklichkeit“ Trachtenverband“, so die Selbstbeschreibung lautete das Thema. auf seiner Hompage (www.trachtenverband- bayern.de). Der e. V. zählt 165.000 Erwach- In jüngerer Zeit hat der Landesverein auch sene und über 100.000 Kinder und Jugend- eine Reihe von Projekten begleitet, die Kin- liche zu seinen Mitgliedern, organisiert in 22 der, Jugendliche und junge Erwachsene dazu Gauverbänden, und engagiert sich in den anregen, sich mit ihrer unmittelbaren Umge- Bereichen Trachtenpflege und Trachtenfor- bung zu beschäftigen, darunter das Projekt schung, Volkstanz und Schuhplattler, Volks- Geschichte vor der Tür und Heimatgeschich- lied und Volksmusik, Öffentlichkeitsarbeit ten – here‘s my story. Im Rahmen des Pro- und Internet sowie Mundart, Brauchtum jekttags Obacht Heimat – Schülerinnen und und Laienspiel. Zahlreiche Jugendprojekte Schüler erforschen ihre Heimat werden seit sollen dabei das Brauchtum mitsamt den 2013 acht Workshops für Kinder und Jugend- bayerischen Dialekten an die nachwachsende liche ab der 3. Jahrgangsstufe angeboten. Generation weitergeben.

Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband

Gemäß den Traditionen der bayerischen Volksschule steht der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (www.bllv.de) den bayerischen Dialekten besonders positiv ge- genüber. Über 130 einschlägige Einträge ver- zeichnet die Homepage des BLLV. Das The- menspezial Dialekt als Behinderung? in Heft 5/2013 der Verbandszeitschrift Bayerische Schule erteilt der im Titel genannten Frage eine klare Antwort. Im Dezember 2013 wurde auf der Website des Verbandes ein Dialekt- Spezial mit Materialien, Links und Hinweisen auf diverse Schulprojekte eingerichtet. Zum

„Internationalen Tag der Muttersprache“ am Foto: Claus Schunk 21. Februar 2014 betonten der BLLV-Präsident © Süddeutsche Zeitung Photo

336 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Bund Bairische Sprache e. V. che kontrastiv nutzen können. Nur wenn im öffentlichen Leben und in den Medien die Der Bund Bairische Sprache e. V. (www.bund- Dialekte aktiv gesprochen und deshalb alltäg- bairische-sprache.de) wurde im Jahr 2011 ge- lich wahrgenommen werden, nur dann kön- gründet. Zweck des Vereins ist die Förderung nen sie auch authentisch und akzentfrei an und Erhaltung der bairischen Hochsprache die nächste Generation weitergegeben wer- und ihrer Dialekte als Kulturgut. Hierbei las- den – so die Grundlage der Vereinsarbeit. sen sich drei Schwerpunkte unterschieden:  Beharrliche Öffentlichkeitsarbeit gegenüber Ganz im Sinne der Definition für „Mutter- den Medien mit dem Ziel, bayernweit im sprache“ als der ersten Sprache, die in der öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass frühkindlichen Entwicklungsphase erworben die Irrlehre vom Dialekt als Sprachbarriere wird, hat der Verein ein Pilotprojekt im Kin- und Karrierehindernis aus den 1970er-Jahren dergarten St. Marienheim in Denkendorf an- überholt ist und Dialekte heute als eine gute geregt, das zum Erfolgsmodell wurde. Kinder Grundlage für die Ausbildung von Mehrspra- aus anderen Bundesländern und Migranten- chigkeit angesehen werden. kinder lernten von den einheimischen gleich-  Beratungstätigkeit in Kindergärten, Schulen, altrigen Kindern das mittelbairische Idiom Verbänden und Vereinen. Eine Schlüssel- und profitierten dadurch nachweisbar und funktion nehmen dabei Vorträge im vorschu- in jeglicher Hinsicht vom Integrationsfaktor lischen Umfeld über die Vorteile der „Inneren „Bairisch“. Mehrsprachigkeit“ ein.  Die alljährliche Verleihung des Sprachpreises Aus einer mathematischen Formel, die an Die Bairische Sprachwurzel an Prominente, der Cornell-Universität in Ithaca, New York, die bei offiziellen Anlässen als „Tabubrecher“ entwickelt wurde, um das weltweite Spra- ganz selbstverständlich Dialekt sprechen, mit chensterben zu berechnen, entstand der seit Vorbildfunktion und angestrebtem Multiplika- 2005 vergebene Sprachpreis Die Bairische tionseffekt. Sprachwurzel, der den nord- und mittelbai- rischen Dialekten ein höheres Sozialprestige Vorsitzender des Vereins ist Sepp Obermeier, verschaffen soll. Zu den bisherigen Preis- der im Förderverein Bairische Sprache und trägern gehören u. a. Papst Benedikt XVI. Dialekte e. V. (FBSD) dessen Regionalverband (2006), Hans-Jürgen Buchner alias Haindling Niederbayern/Oberpfalz gegründet sowie (2007), „Die Wellküren“ (2008), der Regisseur neun Jahre geleitet hat und der Schöpfer der Christian Stückl (2010), Georg Rings­gwandl Bairischen Sprachwurzel ist. Sein Stellvertre- (2011), die Kabarettistin Luise Kinseher (2012), ter Hans Triebel war zehn Jahre Gesamtver- der Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller einsvorsitzender des FBSD und hat in dieser (2013) und der Musiker Stefan Dettl (2014). Funktion im Jahr 2000 150.000 Unterschrif- ten für den Erhalt der Dialekte Bayerns ge- sammelt und der damaligen Kultusministerin übergeben.

Seit 2009 werden die bayerischen Dialekte von der UNESCO als bedrohte Idiome einge- stuft. Um ihr Aussterben zu verhindern, müs- sen sie nach Meinung des Vereins von den Eltern an die Kinder weitergegeben und in Die Bairische den Kindergärten gefestigt statt ausgegrenzt Sprachwurzel werden. So auch in den Schulen, die zudem Foto: Bund Bairische den Dialekt beim Erwerb der Standardspra- Sprache e. V.

337 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Der Bayerische Club eine Gemeinschaft mit über 3.300 Mitglie- dern, die in 10 Landschaftsverbänden auf Der Bayerische Club (www.bayerischeclub. dem Gebiet der Bezirke Oberbayern, Nieder- com) wurde nach dem Ersten Weltkrieg ge- bayern und Oberpfalz organisiert sind. gründet und führte aus allen Landesteilen hervorragende Persönlichkeiten aus allen Be- Hauptanliegen des Vereins ist es, die Leben- reichen der Gesellschaft, aus Politik und Wirt- digkeit der bairischen Dialekte zu erhalten schaft, Wissenschaft und Kunst zusammen, und zu fördern. Die Maßnahmen des FBSD die sich in einer Zeit rapiden Wandels nach konzentrieren sich deshalb besonders auf die wie vor bayerischer Kultur und bayerischen Weitergabe dialektaler Sprachkompetenz an Traditionen verbunden fühlten. die junge Generation. Dabei gilt es zuallererst mit dem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräu- Während des NS-Regimes verboten, wurde men, Mundart sprechende Kinder hätten es der Club 1945 wieder ins Leben gerufen. Seit- in Schule und Beruf schwerer als Sprecher her vergab er Buchpreise für Werke, die sich des Schriftdeutschen. Der Verein verweist in in herausragender Weise mit der Kultur und diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf Geschichte Bayerns befassten. Oft wurden die seit Jahren wissenschaftlich nachgewie- dabei junge Wissenschaftler bedacht. Seit senen und auch in Schulleistungsvergleichen 2008 setzt der Max-Spindler-Preis diese Tra- erkannten Lernvorteile von Kindern, die ne- dition fort, seit 2013 auch der Andreas-Kraus- ben der schriftdeutschen Sprache auch einen Fonds. Regionaldialekt beherrschen.

Mit Blick auf die junge Generation wird seit Was die Mitglieder des FBSD antreibt, ist die 2001 aus den Spenden der Mitglieder alljähr- Beobachtung, dass der Anteil der jungen Be- lich für alle acht Gymnasialbezirke jeweils ein völkerung in Bayern, die bairische Mund- Preis für herausragende Fach- bzw. Seminar- art spricht, dramatisch schrumpft. Standard- arbeiten von bayerischen Schülerinnen und und vermeintliches Hochdeutsch dominieren Schülern vergeben, die sich mit Themen zur nicht nur in den Städten, sondern durchdrin- bayerischen Geschichte, Gegenwart und Kul- gen zunehmend auch ländliche Siedlungs­ tur befassen. Die beste Arbeit erhält als Lan- gebiete. Dabei ist nur wenigen bewusst, dass dessieger ein doppeltes Preisgeld. Auch da- mit dem Verlust der Mundarten auch das durch legt der Bayerische Club Zeugnis ab älteste Kulturgut der Bayern, ihre Sprache, von seinem Bekenntnis zu Bayern, zu seiner unwiederbringlich verloren geht. Kultur, seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Gleichzeitig wird für die Einsicht Die Aktivitäten des FBSD umfassen die Zu- geworben, dass es in einer immer schneller sammenarbeit mit Kindergärten und Schu- zusammenwachsenden und dadurch immer len sowie Referate über die bairische Sprach- einheitlicher werdenden Welt umso wichtiger geschichte. Zudem werden Kontakte zu Me- ist, sich seiner Heimat auch kulturell bewusst dien und Politikern, zu Sprachforschern und zu bleiben. Sprachkennern, zu Brauchtumsvereinen und Volksmusikgruppen gepflegt. Einen guten Einblick in das vielfältige Engagement des Förderverein Bairische Sprache FBSD um die bairische Sprache vermittelt und Dialekte e. V. der Jubiläumsrundbrief Nr. 84 vom Mai 2015, der auf 25 Jahre Vereinsarbeit zurückblickt. Der Förderverein Bairische Sprache und Dia- Aus diesem Anlass wurde auch das Mundart- lekte e. V. (www.fbsd.de), kurz FBSD, wurde Ratespiel Woaßt as? entwickelt und für inte- 1989 aus Sorge um die bairische Sprache ge- ressierte Schulen in einer preiswerten Aus- gründet. Aus der Gründergruppe erwuchs gabe bereitgestellt.

338 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Hanns-Seidel-Stiftung

Seit ihrer Gründung am 11. April 1967 betreibt die Hanns-Seidel-Stiftung (www.hss.de) politische Bildungsarbeit mit dem Ziel, die „demokratische und staatsbürgerliche Bil- dung des deutschen Volkes auf christlicher Grundlage“ zu fördern. Das Thema Heimat darf dabei nicht fehlen, wie schon das Son- derheft 2/2003 der Reihe Politische Studien zeigt. Der Titel: Heimat Bayern – Identität mit Tradition und Zukunft.

Heimat und Identität lautete im Februar 2011 die Problemstellung im Rahmen eines Semi­ nars zur Kultur und Tradition in Wildbad Kreuth. Im Juni 2013 widmete sich eine Tagung im Bildungszentrum Kloster Banz dem Fragenkomplex Heimat. Ein Begriff in verschiedenen Epochen, im Oktober 2013 an gleicher Stelle eine Tagung dem Thema Heimat und Sprache: Die Bedeutung des Foto: FBSD Dialekts. Im November 2013 behandelte ein Jugendkongress in München das Thema Hei- mat in einer globalisierten Welt. Im Februar Franz Xaver von Schönwerth- 2014 wurde zu der Tagung Zwischen Heimat- Gesellschaft film und Lokaljournalismus – Medien und Heimat erneut ins Kloster Banz eingeladen. Die Franz Xaver von Schönwerth-Gesellschaft (www.schoenwerth.de) wurde 2009 in Am- berg gegründet. Ziel des e. V. ist es, das An- Haus der Bayerischen denken an den großen Oberpfälzer Sprach- Geschichte forscher und Volkskundler, Sagen- und Mär- chensammler Franz Xaver von Schönwerth Das Haus der Bayerischen Geschichte (www. (1810-1886) zu fördern, sein volkskundliches hdbg.de) ist die zentrale Einrichtung des Frei- Werk einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu staats Bayern für moderne Geschichtsver- machen, seinen Nachlass weiter zu bearbei- mittlung. Hier wird auch das Museum der ten und dabei insbesondere die Märchen- Bayerischen Geschichte konzipiert, das zum und Sagenforschung sowie das Märchen- 100. Geburtstag des Freistaats 2018 eröffnet und Sagenerzählen in der Oberpfalz zu unter- werden soll. Die Grundsteinlegung in stützen. Dies soll durch Lesungen, Vorträge, Regensburg erfolgte am 22. Mai 2015. Veröffentlichungen, Ausstellungen, Aktionen, Rundfunk- und Fernsehsendungen gesche- Die Website des HdBG spiegelt die Vielfalt hen. Die Organisation und Durchführung des seiner Angebote wider. Sie bietet breit ge- sog. Schönwerth-Jahres 2010 an zahlreichen fächerte Informationen zur Geschichte Bay­ Orten der Oberpfalz bildete dabei einen er- erns bis zur Gegenwart sowie ein großes sten Schwerpunkt der Aktivitäten, die gerne Bildarchiv. Bei Zeitzeugen berichten kommen auch Schulen und Vereine einbinden. Mit­ Sprecher aus allen Landesteilen zu Wort. Der arbeit ausdrücklich erwünscht! Schulnavigator erleichtert die Suche.

339 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

Spannende Geschichtsvermittlung, die auch Kulturportal Bayern die junge Generation begeistert, ist dem HdBG ein zentrales Anliegen. Es präsentiert Das Kulturportal Bayern (www.kulturportal- wissenschaftliche Ergebnisse anschaulich, bayern.de) des Bayerischen Staatsministe- allgemein verständlich und medial am Puls riums für Bildung und Kultus, Wissenschaft der Zeit. So auch die attraktive Publikations- und Kunst gibt einen einmaligen Überblick reihe EDITION BAYERN, deren Sonderheft über die kulturelle Vielfalt in Bayern. Neben 08/2015 dem Thema Süddeutsch und Bairisch allgemeinen Übersichtsseiten, aktuellen High- gewidmet ist: lights und nützlichen Links finden Sie hier fast 4.000 Steckbriefe von Kulturanbietern bayernweit, geordnet nach den Bereichen Theater, Literatur, Musik, Film, Museum, Denkmal und – Tradition.

Heimat- und Brauchtumspflege haben in Bayern traditionell einen hohen Stellenwert. Volkslied, Volkstanz und Volksmusik sind in vielen bayerischen Städten und Gemein- den lebendig. Heimat- und Trachtenvereine, Volkstanzgruppen und Musikkapellen tragen dieses kulturelle Erbe weiter. Über das Kul- turportal Bayern können die zu seiner Pflege erforderlichen Verbindungen leicht geknüpft werden. Reinschauen lohnt sich!

Literaturarchiv Sulzbach- Rosenberg

Zu den zentralen Aufgaben des Literatur­ archivs Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz (www.literaturarchiv.de) gehört die Samm- lung, Ordnung und Archivierung von Mate- rialen zur deutschsprachigen Literatur seit Den Schwerpunkt der landesweiten Tätig- 1945. Grundstock des Archivs ist der Nach- keit des HdBG bilden Ausstellungen zur Ge- lass von Walter Höllerer, der von 1945-1979 schichte Bayerns. Wanderausstellungen zusammen mit Hans Bender die Zeitschrift führen in alle Regionen des Freistaats. Die Akzente herausgab. Neben dieser Sammlung großen, alljährlich stattfindenden Landesaus- besitzt das Archiv jedoch auch Manuskripte stellungen sind stets ein Publikumsmagnet deutschsprachiger und einiger osteuropä- wie 200 Jahre Franken in Bayern (2006), Wie- ischer Gegenwartsautoren, Schenkungen aus deraufbau und Wirtschaftswunder (2009), dem Bereich der Mundartliteratur und der Götterdämmerung. Ludwig II. (2011) oder Literatur der Egerländer sowie ein Presse- Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser! (2014). archiv. 2015 lautete das Thema Napoleon und Bay­ ern, 2016, anlässlich des 500-jährigen Jubilä- In der Dauerausstellung wird neben der ums des Reinheitsgebots wird es im nieder- Gruppe 47 auch die Regionale Literatur prä- bayerischen Aldersbach um Bier in Bayern sentiert mit Exponaten von Eugen Oker, Sieg- gehen, 2017 um Süddeutschland um 1500. fried Lanzl, Georg Britting, Hans-Joachim

340 Dialekte in Bayern Dialektförderung – Projekte und Akteure

Behnisch, Harald Grill, Uwe Dick u. a. Sonder- verschiedener Stilrichtungen (Bayernrock, ausstellungen setzten sich wiederolt mit Bayernblues, Bayernfunk, Mundartrock, Jazz, Bayernthemen auseinander, 2015 z. B. hin- Crossover, Salsa) zusammen. Ziel war es, ein terbayern_inside and The Complete Bavaria. Mundart-Festival in Regensburg zu organisie- Das Literaturarchiv bietet Schulen viele Mög- ren, das seither eine große Fangemeinde um lichkeiten an, Literaturunterricht praxisnah sich scharen konnte. und anschaulich zu gestalten, auch zu The- men der Mundartliteratur. Der Verein sieht es als seine Aufgabe an, eine vertraute Atmosphäre unter den jungen Musikschaffenden in Bayern von Bamberg Münchner Turmschreiber bis Garmisch zu fördern. Er will dazu Gele- genheiten bieten, sich gegenseitig kennen zu Die Münchner Turmschreiber (www.muench- lernen und voneinander zu lernen. Es sol- ner-turmschreiber.de) sind eine Gruppe be- len Brücken zwischen etablierten Szene-Stars kannter süddeutscher Schriftsteller, Journa- wie Hans-Jürgen Buchner (Haindling), Fredl listen, Historiker und Professoren, die durch Fesl oder der Biermösl Blosn und noch un- ihr Interesse an der Literatur zusammenge- bekannten Künstlern und Bands geschlagen führt wurde. Die Gruppe besteht seit 1959 werden. Hierzu diente auch ein Musikwettbe- und wurde nach ihrem Gründungsort be- werb, der 2006 zusammen mit der Stiftung nannt, dem linken Turm des Münchner Isar- art. 131 am Bayerischen Kultusministerium tors, wo sich das Valentin-Karlstadt-Musäum durchgeführt wurde. befindet. Eine Bewerbung um die Mitglied- schaft ist nicht möglich. Sie wird ausschließ- lich ausgewählten Schriftstellern angetra- mundART Allgäu e. V. gen. Die Gruppe besteht aus über fünfzig Mit- gliedern, darunter auch zahlreiche Mundart- Im Allgäu gibt es zahlreiche heimische Dia- schriftsteller wie Fitzgerald Kusz, Josef Witt- lekte, die sich von Nord nach Süd, von Ost mann, Josef Fendl oder der Kabarettist nach West sehr stark unterscheiden. Der För- Christian Springer. derverein mundART Allgäu e. V. (www.mund- art-allgaeu.de) setzt sich zum Ziel, die zahl- Die Aktivitäten der Turmschreiber konzentrie- reichen Dialekte des Allgäus zu pflegen und ren sich vor allem auf die Pflege der im süd- den Menschen wieder näher zu bringen. Die deutschen Raum entstandenen und entste- Förderung junger Mundartautoren steht da- henden Literatur. Hierzu dienen u. a. Grup- bei an erster Stelle. Hierbei wird der Verein penlesungen, gemeinsame Buchveröffentli- von vielen ehrenamtlichen Helfern und Part- chungen sowie die jährliche Vergabe des nern unterstützt. Nur so konnten in den letz- Bayerischen Poetentalers. ten Jahren zahlreiche Projekte umgesetzt werden. Das 15. Allgäuer Mundart-Forum im Rahmen der Allgäuer Festwoche im August MundArtAGEH e. V. 2014 stellte dabei einen Höhepunkt dar.

Die MundArtAgeh. Gesellschaft zur Förde- rung der bairischen Mundart in der zeit- Oberpfälzer Kulturbund e. V. genössischen Popularkultur e. V. (www. mundartageh.de) hat ihren Sitz in Regens- Der Oberpfälzer Kulturbund e. V. (www.ober- burg. Aus dem Wunsch heraus, die Musik- pfaelzerkulturbund.de) ist seit 1969 der Dach- und Kulturszene in Bayern zu fördern und verband aller kulturellen Vereine und Ver- ihr eine eigene Plattform zu schaffen, fanden bände in der Oberpfalz. Ihm gehören alle sich im Herbst 2002 eine Handvoll Musiker Landkreise, Städte, Märkte und Gemeinden

341 Dialektförderung – Projekte und Akteure Dialekte in Bayern

des Regierungsbezirk als Mitglied an. Laut Stadt Deggendorf Satzung will der Verein „das kulturelle Erbe der Oberpfalz als Herzland des historischen Der Bairische Mundarttag (www.km.bayern. bayerischen Nordgaus bewahren, pflegen de) wurde 1968 ins Leben gerufen und dient und in unsere Zeit weiterentwickeln. Er fasst der Pflege und dem Erhalt der bairischen dabei alle kulturellen, der Heimatpflege ver- Sprache. Er wird im Turnus von zwei Jah- pflichteten Kräfte der Oberpfalz ... zusam- ren von der Stadt Deggendorf veranstaltet. men“. Die Schirmherrschaft wird vom jeweils am- tierenden bayerischen Ministerpräsidenten Um diese Ziele zu erreichen, führt der Kul- übernommen. Beim Bairischen Mundart- turbund auch überörtliche Kulturveranstal- tag treffen sich zahlreiche anerkannte Mund- tungen wie die Nordgautage, die Verleihung artautoren aus dem bairischen und öster- der Nordgaupreise sowie Konzerte, Ausstel- reichischen Sprachraum. Vortragsreihen in lungen und Symposien durch. Musik und Schulen und Gaststätten, Leseabende, Refe- Tanz, Tracht und Brauchtum, Literatur, Spra- rate, Ausflüge und Veranstaltungen mit Fest- che und Theater spielen dabei eine große akt und Ehrungen bieten ein attraktives Pro- Rolle. Mit der Einrichtung der zentralen gramm. Die Ehrengabe wird von der Stadt Datenbank Kultur der Oberpfalz wurde ein Deggendorf verliehen, der Poetenteller von wertvoller Grundstein für die Dokumentation der Bayerischen Staatsregierung. und Erforschung des oberpfälzischen Kultur- erbes gelegt. Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern Regensburger Dialektforum Das Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbay­ Das Regensburger Dialektforum (www.uni- ern (www.volksmusikarchiv.de) wurde 1985 regensburg.de/forschung/dialektforum) als Zusammenschluss mehrerer privater wurde 2001 gegründet, ist an der Universität Volksmusiksammlungen gegründet. Es ist Regensburg angesiedelt und dient der wis- eine Informations- und Arbeitsstelle für alle senschaftlichen Beschäftigung mit den ver- Erscheinungsformen der regionalen Musik- schiedensten Aspekten von Sprache und tradition. Neben der Sammlung, Dokumenta- Dialekt – auch über die Oberpfalz hinaus. tion und Archivierung gehört auch die Aufbe- Hierzu gehören u. a. eine Veranstaltungsreihe reitung und Bereitstellung von Material aus mit wechselnden Themen als Diskussions- der Volksmusiktradition für den heutigen Ge- forum für Sprachwissenschaftler, Dialektolo- brauch zu den Aufgaben. gen und interessierte Laien sowie die von Rupert Hochholzer, Hermann Scheuringer Die Volksmusikpflege des Bezirks Oberbayern und Ludwig Zehetner herausgegebene gibt allen Sängern, Musikanten und Volks- Schriftenreihe Regensburger Dialektforum, musikfreunden auf Anfrage Hilfestellungen, von der bisher 22 Bände vorliegen, darun- bereitet Notenmaterial auf und stellt Lieder ter Konfliktfeld Dialekt. Das Verhältnis von zum aktuellen Gebrauch zur Verfügung. Aktu- Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern zu elle Nachrichten, Termine, Arbeiten und An- Sprache und ihren regionalen Varietäten gebote werden in dem regelmäßig erschei- (2004), Dialekt • Literatur (2005), Mundart nenden Mitteilungsblatt Informationen aus und Medien (2008), Dialekt und Religion dem Volksmusikarchiv veröffentlicht, das (2012), Dialekt • Theater. Mundart auf der kostenlos an alle Interessierten abgegeben Bühne (2015) – Publikationen, die auch für wird. Lehrkräfte zahlreiche interessante Beiträge enthalten.

342 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Teil V Dialektdichtung

Was kann Dialektdichtung, was Literatur in der Standardsprache nicht kann? Ergebnisse einer Podiumsdiskussion Gottlieb Gaiser

Mei Sprouch, meine Lyrik Fitzgerald Kusz

Buch- und Hörempfehlungen DialektdichtungLiteraturrätsel

Podiumsdiskussion

343 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

Was kann Dialektdichtung, was Literatur in der Standardsprache nicht kann?

Gottlieb Gaiser

„Sprache in der Wirklichkeit – Wirklichkeit in art zu schreiben, weil das meine eigene Spra- der Sprache“ lautete im Spätsommer 2013 che ist, aber auch um die Leute besser zu er- das Thema der 58. Ferientagung für Deutsch- reichen, die in der für mich bedrohten Heimat und Geschichtslehrer an den Gymnasien. Ta- leben. gungsort dieser vom Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst KRISCHKER: Das war bei mir ganz ähnlich. finanzierten und von der Akademie für Leh­ Ich habe gemerkt, dass ich, wenn ich in der rerfortbildung und Personalführung (ALP) Sprache dichte, in der ich denke, mehr Leute durchgeführten Lehrerfortbildung war das erreiche als ein literarisches Publikum – man Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach. erreicht auch ein Publikum, das sich über- Fragen des Dialekts nahmen im Rahmen der haupt nicht mit Literatur beschäftigt. Tagung gebührenden Raum ein. Vier Auto­ Was leistet Mundart? „Leisten“ ist ein ganz ren – Friedrich Brandl aus der Oberpfalz, Ger- blöder Begriff. Meine Mundart ist ganz faul, hard C. Krischker aus Oberfranken, Helmut die hockt in der Wirtschaft, am Stammtisch. Haberkamm aus Mittelfranken und Josef Ist das emotional? Ich denke, die Mundart Wittmann aus Oberbayern – gaben in einer „leistet“ im Emotionalen viel mehr, als es die Abendlesung am 3. September Einblick in ihr hochdeutsche Sprache kann. Zum Beispiel, Schreiben in der Mundart und präsentierten was Helmut Haberkamm gestern vorgelesen Beispiele aus ihrem lyrischen Schaffen. Am hat, mit dem „sodderla, etzerdla“: nicht nur nächsten Morgen erörterten sie zusammen wegen der Verkleinerung – da wird etwas Fa- mit dem Gymnasiallehrer und Dialekt­pfleger miliäres geschaffen und etwas Emotionales. Dr. Ludwig Schießl aus Oberviechtach die Dann hat die Mundart bei mir auch den Vor- Möglichkeiten und Grenzen von Dialektdich- teil gehabt, dass man mir meine kritischen tung. Die Podiumsdiskussion wurde von Dr. Äußerungen zum Lokalgeschehen in Bam- Gottlieb Gaiser (ALP) moderiert und doku- berg viel eher abgenommen hat, als wenn mentiert. Im Folgenden werden die zentra- ich auf dem hochdeutschen hohen Ross da- len Diskussionspunkte des 100-minütigen Ge- hergekommen wäre. Die haben gesagt: Der sprächs zusammengestellt: spricht unsere Sprache, das ist einer von uns.

Möglichkeiten und Grenzen von HABERKAMM: Was meine Vorredner gesagt Mundartdichtung haben, kann ich genauso unterschreiben. Ich denke, das hat was mit dem Ort zu tun, mit- Warum schreiben Sie in Mundart? Können unter mit dem Aufwachsen, mit Herkunft, mit Sie in der Mundart anderes ausdrücken als in Familie und damit auch mit Emotionen und der Hochsprache? Gefühlen. Schreiben war eine Form der Identitäts- BRANDL: Ich habe vor etwa 30 Jahren in ei- findung für mich, damals, wie für viele Ju- ner Situation angefangen zu schreiben, in der gendliche oder junge Leute. Und da habe ich ich gefühlt habe, dass diese schöne Heimat hochdeutsch geschrieben – interessanter- auch bedroht ist. Für mich stand eigentlich weise, die Texte habe ich heute noch, würde gar nichts anderes zur Debatte, als in Mund- ich nie einem Menschen zeigen; das war, zu-

344 Dialekte in Bayern Dialektdichtung

rückblickend betrachtet, richtig furchtbar. WITTMANN: Ich bin zunächst einmal in der Aber ich habe gemerkt, mit dem Hochdeut- Mundart aufgewachsen, meine Eltern ha- schen komme ich mir und meinem Erleben, ben bairisch mit mir geredet und Deutsch meiner Umwelt, nicht besonders nahe und war die erste Fremdsprache. Die habe ich in was ich sagen will, kann ich damit nicht aus- der Schule gelernt und sie war kein Hinder- drücken. nis, das muss ich ganz klar sagen. Wer seine Mein erstes Mundart-Gedicht habe ich, Mundart beherrscht, lernt auch Deutsch feh- glaube ich, mit 20, 21 geschrieben und da lerfrei, weil er schon ein Ausdrucksvermö- habe ich plötzlich gemerkt: Mundart ist die gen und Präzision aus der Mundart mitbringt. Sprache, die einfach echt ist, die das ein- Der geht nicht die Treppe „hoch“, der geht fängt, was ich erlebt habe, die die Land- „auffe“ und weiß dann, dass das „hinauf“ schaft, den Ort trifft, den ich kenne, und die heißt und dergleichen mehr. Menschen erreicht, die mir wichtig sind. Dann habe ich natürlich, wie alle anderen Ich glaube, Mundart hat immer einen sehr auch, meine erste Primanerlyrik auf Hoch- starken Du-Bezug oder Wir-Bezug, immer auf deutsch verbrochen und war einfach noch das Publikum hin, während die Hochspra- nicht bei einem Deutsch angekommen, das che für mich eher etwas Abstraktes, Abgeho- mir entsprochen hat. Jeder Lyriker muss erst benes ist. einmal die Sprache, die er benutzt, zu einer Und dann habe ich angefangen, Mundart atmosphärischen Dichte führen, damit er auch deswegen zu schätzen, weil sie einen ei- überhaupt Lyrik erzeugen kann. Und das ist genen Wortschatz hat, einen eigenen Rhyth- mir in Bairisch leichter gelungen als in Hoch- mus, eine eigene Musik, eine eigene Gram- deutsch. Deswegen habe ich in den ersten matik. Mir ist richtig aufgegangen, worin der zwanzig Jahren ausschließlich in Bairisch Reichtum der Mundart eigentlich besteht, Lyrik verfasst. Erst mit zunehmender Sattel- und das finde ich etwas Wunderbares. festigkeit – nicht nur im Deutschen – habe Und je mehr ich geschrieben habe, desto ich gelernt, aus Deutsch eine Literaturspra- reizvoller fand ich es, weil die Mundart ja che zu machen. immer weggeht vom Duden-Deutsch, Wenn ich etwas mit Abstrakta, wenn ich also von den Regeln, den Normen, den Ge- etwas ganz scharf, präzise ausdrücken muss, setzen. Mundart hat etwas Anarchisches, ist mir die Schriftsprache deutlich lieber, etwas Subversives. Ich kann schreiben, wie natürlich auch für alle technischen Belange. ich will. Überall dort, wo es aufs Klangliche, auf die Musik ankommt, benutze ich den Sprach­ reichtum der Mundart.

Friedrich Brandl (geb. 1946) des ehemaligen Hauptschul- kommt aus der Oberpfalz und lehrers vor, darunter „Zie- schreibt seit 1984 Lyrik in gelgassler“ (2009) und Mundart und Schriftsprache, „Glock’n’Roll“ (2012), in denen Prosa und Theaterstücke. Durch der Autor seine Kindheit und den Widerstand gegen die in Jugend in Amberg beschreibt. Wackersdorf geplante Atom- In der Anthologie „Vastehst fabrik bekamen seine Mundart- me“ (2014) ist Brandl mit gedichte einen politischen älteren und neuen Mundart- Inhalt. Bisher liegen sechs gedichten vertreten. Gedicht- und vier Prosabände www.brandl-amberg.de

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Gibt es Gegenstände, die Sie bevorzugt in im Bereich des Konkreten bleiben. Wie Sie der Mundart behandeln? sagten, Herr Wittmann, mit Abstrakta kann ich kein Mundart-Gedicht schreiben. WITTMANN: Grundsätzlich ist die Mundart eine vollwertige Sprache. Es gibt kein Tabu, Sehen auch die anderen Autoren Grenzen in man kann über alles reden. Trotzdem gibt es dem, was Mundart leisten kann? Grenzen. Wo man wirklich Abstrakta benutzt und mit Begriffen wie „Freiheit“ oder „Soli- BRANDL: Ich möchte es nicht als Grenzen darität“ umgeht, ist die Mundart nicht mehr bezeichnen. Der Bereich, der unmittelbar um zuständig. Und dann gibt es noch das Hono- mich herum ist und einhergeht mit einer ver- ratioren-Bairisch, also eine Zwischenform meintlichen Bedrohung, den ich so vielleicht zwischen Mundart und Hochsprache. Wenn als Heimat definiere, war für mich ein Anlass, jemand schon sagt: „Ezd werds Zeit ozum- in Mundart zu schreiben. fanga“, bekomme ich Ohrenkrebs, weil das Je mehr ich diesen Kreis erweiterte, umso einfach nicht Mundart ist. Das ist ein Hoch- mehr bin ich von der Mundart weggegangen, deutsch, das sich einen Mantel umhängt und zum Beispiel als ich meine Gesteinstrilogie durch und durch falsch ist. Dann muss man geschrieben habe: „schiefer“ ist Nordbayern, auch mal sagen: Stopp jetzt, dann reden wir hat nichts mit der Oberpfalz zu tun. „granit“ hochdeutsch weiter. ist eine gemeinsame Basis von Böhmen und Bayern. Da wollte ich nicht mit Mundart an- SCHIESSL: Wir haben ja hier vier Hochka­ fangen, da habe ich auf Begriffe zurückgegrif- räter­ , die nicht nur spontan in der Mund- fen, die im Hochdeutschen angesiedelt sind. art schreiben, sondern, wie wir eben gehört Ich fühle mich darin mittlerweile auch sehr haben, auch über Mundart auf einer Meta- wohl. Ebene reflektieren. In meinen Augen ist es die Basis für einen guten Mundart-Dichter, HABERKAMM: Ich denke, dass es eine rich- dass er über sein Tun auf einer Meta-Ebene tig große Herausforderung ist, in der Mund- reflektiert, in vielerlei Hinsicht: was die Spra- art Themen zu besetzen, die erst einmal un- che betrifft, was die Thematik betrifft und angenehm sind. Die NS-Zeit in fränkischen was die Verschriftung betrifft. Dörfern zum Beispiel hat kein Mensch gern In meinen Augen ist ein Mundart-Gedicht öffentlich thematisiert. Oder Themen wie De- dann gegeben, wenn es originäre Elemente pression oder Gewalt in der Ehe, dass Frauen in der Mundart verwendet: Lautung, Lexik von ihren Männern geschlagen werden, dass und Thematik. Und da muss ich weitgehend Männer saufen, dass Frauen saufen, dass

Helmut Haberkamm (geb. setzer machte sich der Englisch- 1961), Dr. phil, wurde mit sei- und Deutschlehrer am Gymna- nem Gedichtband „Frankn lichd sium in Spardorf einen Namen. nedd am Meer“ (1992) bekannt. 2012 erschien die Hörbuch- Der gebürtige Aischgründer CD „Gidderbarri“, 2013 die feierte mit zahlreichen Theater- schwarzhumorige Textsamm- stücken große Erfolge, darun- lung „Tödliches Franken“, ter das fränkische Kult-Musikal 2014 die CD „Hinnerwidder & „No Woman, No Cry – Ka redur“ mit Mundartlyrik und Weiber, ka Gschrei“ (2001). Orgelimprovisation. Auch als Liedtexter und Über- www.helmuthaberkamm.de

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Kinder missbraucht werden. Dass man sol- BRANDL: Ist Mundart-Literatur nicht über- che Themen für die Mundart-Gedichte auch haupt ein Widerspruch? Mundart ist gespro- thematisch erobert, finde ich wichtig, sonst chene Sprache und Literatur geschriebene überlebt auch die Mundart-Literatur nicht, Sprache. Ich kann mich an eine Tagung vor wenn sie Tabus und dunkle Flecken ausspart. etwa dreißig Jahren im Literaturarchiv in Anders ist es mit der Struktur der Sprache. Sulzbach-Rosenberg erinnern, da hat Joseph Ich denke, dass Abstraktes für uns in der Berlinger eine interessante These aufge- Mundart schwierig auszudrücken ist, weil stellt, die ich nur sinngemäß zitieren kann: zumindest meine Mundart Wörter wie Un- „Mundart-Literatur hat immer etwas Oppo- gerechtigkeit, Hoffnung, Liebe nicht kennt, sitionelles, denn wenn ich Mundart schreibe, sondern immer verbal umschreibt: „Ich stehe ich im Widerspruch zum Gedruck- moochdi“. Aber „Ich liebe dich“ ist etwas ten“. Jede Mundart-Literatur ist irgendwo Schriftdeutsches, das ist vom Konzept her politisch: entweder weil sie ganz brave The- schon etwas Fremdes. men hat, dann wird sie von der Politik verein- Das heißt nicht, dass der Mundart-Sprecher nahmt, oder weil sie opponiert. weniger liebt, sondern er drückt sich nur völlig anders aus. Mundart ist ein anderes KRISCHKER: Nochmal zur Verschriftung: sprachliches und mimisch-gestisches System. Sie ist natürlich immer ein Kompromiss, Wer das nicht kapiert, missversteht Mundart aber wie will ich sonst meine „Literatur“ von vornherein. Es ist also auch ein exklusi- unter die Leute bringen? Ich kann ja nicht ves System: Das versteht nur der, der drin- immer hingehen und vorlesen. Das Schrift- nen ist, der draußen steht, versteht es schon bild ist immer ein Annäherungswert, weil mal nicht richtig. man den besonderen Klang nie mit unseren Buchstaben trifft. Bei uns heißt zum Beispiel der Neptun „goblmoo“. Weder das „gobl“ Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit? noch das „moo“ ist auch nur annähernd mit unseren Buchstaben herzustellen. Insofern Nun unterscheidet sich aber Mundart in ih- ist es natürlich immer gesprochene Sprache, rem alltäglichen Gebrauch von der Verwen- aber man muss sie irgendwie unter die dung in literarischen Texten, vor allem wenn Leute bringen. die Texte in Buchform veröffentlicht werden sollen. Wie lösen Sie das Problem der Ver- WITTMANN: Ich habe genau so angefangen schriftung? wie Gerhard Krischker und habe versucht, dem gehörten Bairisch schriftlich irgendwo KRISCHKER: Ich schreibe, wie ich spreche nachzukommen – gemeint ist das ethnische oder wie ich es mir abhöre. Es gibt bei mir Bairisch und nicht das Staatsbayerisch mit auch keine Groß- und Kleinschreibung – „ay“, das bekanntlich ja drei Sprachen um- gemäß dem Bonmot von Eggimann: Er hat fasst: Fränkisch, Schwäbisch und Altbairisch. noch nie jemanden gesehen, der die Sub- Dann entstehen manchmal Wort-Würmer, stantive groß und die Verben klein gespro- die man ganz langsam lesen muss, damit chen hätte. Ich lausche es also ab. Zum man überhaupt versteht, was gemeint ist. Beispiel „Stein“ heißt bei mir „schdaa“. Und diese Verlangsamung ist auch etwas Der Bamberger sagt: „do bleibt ka schdaa Wichtiges. Ich finde es ausgesprochen gut, aufm annern“. Das schreibe ich dann klein: dass man zurück in die Position eines ABC- „s-c-h-d-a-a“ – meiner Meinung nach völlig Schützen gestürzt wird, der erst einmal ein korrekt. In Bamberg aber hat es dazu geführt, Schriftbild verinnerlichen muss, um dann zu dass ein Teil der Leute das mit dem Satz rätseln: Was könnte das heißen? Dadurch abgelehnt hat: „Dem sein Zeug kannst du wird nämlich das Denken angeregt und es nicht lesen.“ kommt ein ganz anderer, langsamerer, gründ-

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licher Leseprozess zustande. Wenn man Ich habe die Groß- und Kleinschreibung bei- glaubt, man kann mit einem Blick eine halbe behalten, weil ich finde, dass das eine Lese- Seite erfassen, liest man Dinge, die gar nicht erleichterung darstellt. Was ich beim Schrei- auf dem Blatt stehen, und bringt aus lauter ben dann aber noch berücksichtigt habe, Hektik nicht mehr die einzelnen Sätze zum ist das etymologische Prinzip, das morpho- Klingen. logische Prinzip, das heißt: Ein Wort wie Trotzdem gibt es natürlich den bleibenden „Seeng“ kann in meiner Mundart sowohl und nicht aufhebbaren Widerspruch, dass „Sehen“ als auch „Säge(n)“ bedeuten (bei Mundart keine Schriftart ist und dass die Li- „mir denna a Holz seenga“ könnte es auch teratur immer das Problem hat, das Gespro- „segnen“ heißen): Wir „sehng“ da eine chene einzufangen. Gesprochene Sprache ist „Seeng“ – wir sehen da eine Säge :„sehng“ die, die sich als erste entwickelt, die mit der im Sinn von „sehen“ schreibe ich s-e-h-n-g, Zeit geht, die immer ein anarchisches Ele- damit durch das „h“ für den Leser klar ist, ment in sich hat und sich jeder Ordnung ent- es kommt von „sehen“, ich verweise also auf zieht. Das ist wie bei jedem Chaos: Die Ord- die Etymologie. nung wird mir erst später verschrieben. Und die Säge wird S-e-e-n-g geschrieben, Ich habe am Schluss aufgehört, mich unse­ groß natürlich – Substantiv. Und weil es von rem Klang von „åbe“ mit Doppel-o und an- der Säge kommt, schreibe ich kein „h“, son- deren Konstruktionen anzunähern. Das ist dern Doppel-e, damit für den Leser klar ist, so zwischen a und o, dass wirklich nur das dass unterschiedliche Bedeutungen vorlie- schwedische a mit einem Kringel darauf (å) gen. Das ist mein Prinzip, das ich mir zurecht- dem nahekommt. Auf der anderen Seite bin gelegt habe. Es gibt ja keine Norm. Die Norm ich zurückgegangen: Den „schdoa“ zum Bei- gibt man sich selber, aber ich finde es wich- spiel schreibe ich jetzt nicht mehr mit „schd“, tig, dass man sich eine Norm schafft, die weil er auch im Umgangsdeutschen kein man für sich konsequent durchhält, damit der „s-tein“ ist, sondern ein Stein. Leser Klarheit hat und das Lesen erleichtert wird. HABERKAMM: Ich schreibe „staa“, weil ich auch sage, dass „st“ im Hochdeutschen jeder SCHIESSL: Die vier wichtigsten Kriterien für sofort als „scht“ liest. Und da wir in Franken die Verschriftung von Dialekt sind Lesbarkeit, alle harten Konsonanten „weich“ machen, Lauttreue, Konsequenz und Einheitlichkeit. wird es ohnehin „schdaa“ gelesen. Ich ma- Ich habe immer ein Problem, wenn ich ein che das als Kompromiss. Das Entscheidende Dialektgedicht erst entschlüsseln muss, da ist, dass man für sich selber konsequent ist. vergeht mir einfach der Spaß weiterzulesen. Wenn ich mich einmal auf eine Regel festge- Darum habe ich ein System entwickelt, das legt habe, dann ziehe ich die auch durch. sehr stark an das Hochdeutsche angelehnt Ich versuche, möglichst phonetisch zu schrei- ist, aber zugleich versucht, die Lauttreue zu ben, das heißt: Auf dem Papier steht, wie et- wahren. Hier und da müssen diakritische Zei- was gesprochen wird, auch wenn das seine chen helfen. Aber auch da muss der Leser die Grenzen hat: „oaziehng“ zum Beispiel. Die- Mühe auf sich nehmen, sich einzuarbeiten. ses „oo“ oder „oa“ haben wir auch im Mittel- Es gibt eine Norm – das Sprachsystem. fränkischen. Ich mache keine Kringel darauf Dialekt ist ein in sich geschlossenes Sprach- und schreibe „oo“ und dann z-i-e-h-n-g. Das system mit eigenen Gesetzlichkeiten. Es kann jetzt natürlich für den Leser sowohl „oa- geht nicht, dass man den „Schtaa“ einmal ziehng“ oder „ooziehng“ bedeuten, also „an- mit t und einmal mit d schreibt. Ein anderes ziehen“ oder „abziehen“ im Hochdeutschen. Beispiel: der „Diesch“. Im Dialekt wird im- Das sind aber Grenzfälle, die wirklich ambi- mer Lenis angelautet, also immer weich und valent sind, ansonsten ist der Sinn meistens damit lang – Einsilberdehnung nennt man aus dem Kontext erschließbar. das. Wenn man diese Gesetzmäßigkeit kennt,

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kann man auch richtig schreiben, dann brau- Publikum: Mir scheint, die Diskussion geht che ich die Länge eines Vokals nicht durch jetzt eher nicht um die Grenzen des Dialekts, Verdoppelung kennzeichnen. Deshalb brau- sondern um die Grenzen der Verschriftung. che ich auch kein Doppel-e in „Dreg“, der Wenn ich ein Beispiel aus der Musik nehmen Dreck. darf: Wenn ich nicht weiß, wie ein Walzer Wenn man also die Gesetzmäßigkeiten kennt klingt, kann ich noch so oft die Noten lesen. und darauf sein Verschriftungssystem auf- Ich muss einfach die Wirkung kennen, ich baut, ist es in sich schlüssig und konsequent. muss den Dialekt gehört haben. Die Zeichen müssen für denselben Sachver- halt immer gleich verwendet werden. Es ist aber ein Unterschied, ob ich Dialektlyrik Großes oder kleines Publikum? schreibe oder für ein Wörterbuch. Mir ist es im Übrigen viel angenehmer, den Autoren zu Publikum: Ist das für Sie nicht ein bisschen lauschen, als ihre Texte entziffern zu müssen. bedauerlich, dass die Zuhörerschaft oder Le- Beim Hören kann man erschließen, was ge- serschaft, je nachdem, regional doch so be- meint ist, beim Lesen oft nicht. schränkt ist, dass Sie nicht weiter hinauswir- ken können? HABERKAMM: Der Leser muss aus dem Kon- text verstehen, was gemeint ist. Ich habe HABERKAMM: Wenn man vergleicht, wie oft Kompromisse gemacht, nicht nur bei st wie ein Gedichtband von Sarah Kirsch und wie in „Staa“, auch „schb“ wie bei „spotzn“, oft Mundart-Gedichtbände verkauft werden, schreibe ich sp, obwohl ja jeder im Fränki­ wird man sich sehr wundern. Ein Gegen- schen ein weiches b spricht, genauso bei pf wartslyriker in Deutschland verkauft oft nur oder tz. Kompromisse ermöglichen dem ge- 1.500, 2.000 Bände. Gerhard Jung zum Bei- meinen Leser ein leichteres Lesen. spiel, ein Lyriker im alemannischen Bereich, Doppeldeutigkeiten kann man nie ausschlie- verkaufte Zehntausende von einem Gedicht- ßen. In einem meiner Texte kommt die Zeile band. Von meinem ersten Gedichtband sind, vor: „Do heebn mir den Gruch“, nach dem glaube ich, 6.000 oder 7.000 verkauft worden. Motto: vor ch wird lang gesprochen mit nur Die Zahlen allein sind aber nicht entschei- einem u. Da haben dann aber einige „da he- dend, das Entscheidende ist die Intensität ben wir den Geruch“ statt „da heben wir den der Rezeption. Wenn die Leute die Bücher Krug“ gelesen. Und das ist natürlich eine an- von einer Lesung mitnehmen und daheim dere Bedeutung. nachlesen, dann entsteht eine Rezeption, die viel intensiver ist, als das in der hochdeut-

Gerhard C. Krischker (geb. Gedichte in Bamberger Mund- 1947), Dr. phil., kommt aus art, veröffentlicht Beiträge und Bamberg und arbeitete nach Feuilletons zu Bamberg und seinem Studium der Germani- zu Franken und arbeitet für stik und Geschichte bis Rundfunk, Fernsehen und Zei- 2012 als Lektor in einem tungen. Er ist Herausgeber Bamberger Schulbuchverlag. zahlreicher Anthologien und 1993 gründet er den Klee- Mitautor von Lesebüchern und baum-Verlag. 1997 Poetik- einer Literaturgeschichte für Professur an der Bamberger die Schule. Universität. Krischker schreibt www.literaturportal-bayern.de

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schen Lyrik der Fall sein kann, weil die Identi- einem der größten Lyriker, dass es fast gefei- fikation viel größer ist: Das ist meine Gegend, ert wurde, wenn 3.000 Bücher im Suhrkamp- meine Region, ich kenne die Leute, ich kenne Verlag, damals noch hochangesehen, ver- die Verhältnisse, ich kenne die Geschichte kauft wurden. Es gab nie eine zweite Auflage. und so weiter. Selbst jetzt, nicht mehr mit Heftchen, son- Für mich ist ein ganz großer Vorteil in der dern mit richtigen Büchern, habe ich keine Mundart-Lyrik oder Mundart-Literatur, dass Auflage unter 3.000. Das Publikum ist also man sehr nah dran ist am Text – am geschrie- nicht so „beschränkt“, wie man von außen benen oder am gehörten Text. Und deswe- denkt. gen auch diese enorme emotionale Wucht, die dann die Wirkung ausmacht. Dazu kommt BRANDL: Wenn ich aber den lichtung-Ver- eine große soziologische Streuung: da ist lag anschaue, in dem fast alle meine Bücher eine ganz einfache Hausfrau, ein ganz ein- erschienen sind: Ich weiß, wie der darum facher Handwerker genauso wie der Germa- kämpft, dass sich ein Buch rentiert, er also nistik-Professor. Und jeder hat etwas davon, nicht Minus macht. Bei meinem Mundart- jeder auf seine Art. Und das hat man in der Gedichtband hat es zwei Auflagen gegeben – hochdeutschen Lyrik nicht. das war schon großartig, für ihn, den Verlag. Als Autor hat man von Lyrik sowieso nichts, KRISCHKER: Man kommt an viel mehr Leute wenn ich davon ausgehe, dass man bei ei- heran. Ich bin aus einer Arbeiterfamilie, ich nem guten Vertrag zehn Prozent bekommt. kokettiere nicht damit. Wir hatten drei Bü- Von einem Lyrik-Bändchen mit einer Auflage cher: die Bibel, ein Reader’s Digest-Heft und von 1.000 kann man [lacht] bis zu seiner Pen- irgendetwas über die Resl von Konnersreuth. sion gut davon leben. Mein Vater hat nie eine Buchhandlung be- treten. Damals habe ich mir überlegt: Wie komme ich an solche Leute wie meine Eltern Dialekt im Unterricht heran? Ich habe dann kleine Heftchen gemacht, die Wie sehen Sie die Situation des Dialekts im kosteten damals eine Mark – und die gab es Unterricht? Die Lehrkraft spricht – wenn über- nicht in Buchhandlungen, sondern in Apothe- haupt – allenfalls einen Dialekt und dann oft ken, in Supermärkten, in Arztpraxen. Bam- nicht den der Region. berg hat 60.000 Einwohner und wenn ich den Zahlen richtig folge, hat jeder Bamberger ein WITTMANN: Möglich ist es, den Horizont „Krischker-Heftla“. Ich weiß von Günter Eich, durch eine Gewöhnung an unterschiedliche

Josef Wittmann (geb. 1950) in bairischer Mundart. Bisher stammt aus München und lebt sind sieben Gedichtbände er- seit 1977 in Tittmoning im schienen – von „kuacha & kafä“ Lkr. Traunstein. Bis 2005 In- (1972) bis zum Hörbuch „Kraah dustriekaufmann, seitdem frei- Gickerl kraah kraah“ (2014). schaffender Texter, Buchillus- Beiträge von Wittmann erschie- trator, Übersetzer amerika- nen in vielen Anthologien, nischer Lyrik und Autor zahl- zuletzt in „Vastehst me“ und reicher Satiren, Theaterstücke „Bairisches Poeticum“, beide sowie Kabarett-Texte. Als Ly- 2014. riker schreibt er vorwiegend www.josef-wittmann.at

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Sprachgewohnheiten zu erweitern. Für Leh- KRISCHKER: Ich bin kein Lehrer, aber be- rer ist das eine Standardforderung, weil sie ja komme ab und zu etwas von Schulen, von Kinder haben, die Einheimische sind ebenso Lehrern zugeschickt. In der Zeitschrift „Pra- wie Zuwanderer aus dem innerdeutschen Be- xis Deutsch“ war mal mein Gedicht „froong reich, aber natürlich auch Immigranten aus üwä froong“ abgedruckt. Das hat Michael aller Herren Länder, die unterschiedlichste Krejci, ein Didaktiker, zuerst ins Hochdeut- Sprachwelten mit in das Klassenzimmer brin- sche übersetzt und für den Unterricht aufbe- gen und sich miteinander verständigen sol- reitet: Dabei werden die Sehenswürdigkeiten len. Und da kann ich mir vorstellen, dass das von Bamberg erst dadurch ersetzt, was in Re- Befassen mit unterschiedlichen Dialekten gensburg ist oder in Würzburg, wie da der eine gute Übung ist, wie man Sprachunter- Kaiser war und die Leute und Bauleute und schiede vermittelt. was zu sehen ist. Und dann übersetzen die Sprachunterschiede kann man nicht eineb- Schüler das in ihren jeweiligen Dialekt. Und nen – und sollte es auch nicht. Aber man soll ich muss sagen: Was da herauskommt, ist möglichst früh vermitteln, dass eine gegen- Klasse! seitige Verständlichkeit gegeben ist. Und das fordere ich auch für die Dialekte ein: dass Publikum: An dem Würzburger Gymna- man sich so weit kundig macht, dass man sium, an dem ich momentan unterrichte, ist fremde Dialekte verstehen kann, aber selbst- die Zahl der Dialektsprecher außerordentlich verständlich nicht versucht, fremde Dialekte gering. nachzusprechen. Das wird immer lächerlich. Meine Frau ist aus Osttirol, ich verstehe in- SCHIESSL: Während auf der einen Seite die zwischen das Osttirolerische perfekt, aber Wertschätzung für den Dialekt wieder steigt, wenn ich dann vor lauter Begeisterung an- der zum Beispiel auch vom bayerischen Mi- fange, das eine oder andere Wort zu über- nisterpräsidenten verwendet wird, nimmt nehmen, sagt meine Frau: „Das lässt du blei- die Dialektkompetenz in der Schule ab ei- ben!“ Und dafür bin ich dankbar, weil das ner bestimmten Größenordnung erschre- einfach eine Grenze ist. ckend ab. Am Oberviechtacher Gymnasium, einer Schule mit etwa 800 Schülern in einer HABERKAMM: Eine Referendarin, die noch Gemeinde mit 5.000 Einwohnern, sprechen im Grundschulalter aus Kroatien nach Mit- noch 80 bis 85 Prozent der Schüler und der telfranken gekommen war, unterrichtete in Eltern auch Dialekt oder beherrschen ihn zu- Eichstätt Deutsch. Ein bairisches Weihnachts- mindest passiv. Aber: Je größer der Ort ist, gedicht im Lesebuch verstand sie nicht und desto heterogener ist die Gesellschaft und bat die Schüler, es ihr vorzulesen. Die Schü- desto weniger wird aktiv Dialekt verwendet. ler machten das mit Begeisterung, weil sie Darum plädiere ich für eine zeitgemäße Dia­ da einen Vorsprung vor der Lehrerin hat- lektpflege. Es geht in der Schule mitnichten ten. Sie hat dann das Gedicht ins Kroatische darum, einen Dialekt zu revitalisieren, man übersetzt, die Schüler in ihren Heimatdialekt, kann sich aber mit einem Dialekt auseinan- eher bairisch oder eher fränkisch gefärbt. Am dersetzen, auch wenn die Schüler ihn viel- Schluss hatten sie, glaube ich, sieben ver- leicht nicht mehr sprechen können. Der Dia- schiedene Versionen im Klassenzimmer. Ich lekt ist eine gleichwertige und gleichberech- denke, das ist eine tolle Chance, da wird ein tigte Sprachvarietät, nicht eine Abart des fremder Text, eine fremde Mundart zu etwas Deutschen. Sie wird nur zu einem anderen Eigenem und über diese Transformation lernt Anlass verwendet, zum Beispiel in vertrauter man sehr viel über Sprachen, über sich sel- Umgebung. ber und über die Funktions- und Wirkungs- Als junger Mensch und auch als Lehrer war möglichkeiten der Sprache. ich immer an Schulen, an denen noch Dialekt gesprochen wurde. Dialektpflege bedeutet

351 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

nicht, dass die Schüler nicht mehr „Tschüss“ niemand so gemeint hat – hat entweder die sagen dürfen, sondern dass sie sich mit Dia- Tendenz, positiv gebraucht zu werden, so- lekt als Sprachvarietät beschäftigen, etwa in dass man die überregionale Standardspra- P-Seminaren. che als was Hervorgehobenes, Besseres dar- Man kann auch etwas selber machen. Meine stellt. Oder es wird ironisiert. Ich finde beides Frau unterrichtet an der Realschule und hat nicht richtig. Wir haben im Deutschen Varie- mit den Schülern einen Dialekt-Gedichtband täten, die überregionale Standardsprache ist gemacht, als Projekt, und mit einem bekann­ nur eine Varietät neben Dialekten und Mund- ten bayerischen Liedermacher ein Schullied. arten. Man sollte also lieber von Standard- Für solche Dinge kann man Schüler, die des sprache sprechen, um das Überregionale im Dialekts noch mächtig sind, rekrutieren und Verhältnis zum Regionalen auszudrücken. ihnen dadurch auch Wertschätzung ent­ Als Nordlicht möchte ich noch kurz auf das gegenbringen. Niederdeutsche eingehen, das vielleicht aus bayerischer Perspektive nicht so beachtet HABERKAMM: Noch ein Vorschlag: In den wird. Wie Friesisch gilt Niederdeutsch als ei- Bereich Jargon der Jugendsprache gehen! genständige Sprache, aber im Norden wird Denn die Jugendlichen sprechen im Alltag Niederdeutsch in manchen Gegenden wie oft eine Mischung aus Umgangssprache, ein eine Ortsmundart gebraucht und hat in sich bisschen Hochdeutsch, ein bisschen Dialekt, auch Dialekte und Mundart. Es gibt also auch und dann zeigen: Was ihr sprecht, ist nicht eine niederdeutsche Literatur, die man dann unbedingt Hochdeutsch, was ihr sprecht, Mundart-Literatur nennen könnte, auch wenn ist nicht Dialekt – was ist es eigentlich? Wo es eigentlich eine andere Sprache ist. kommt welcher Ausdruck her? Welche Meta- Ein letzter Punkt: Ich bin in Westfalen aufge- phorik benutzt ihr? Das ist ja keine Jugend- wachsen und konnte erleben, wie das „West- sprache, wie es offiziell immer verkauft wird, fälische Platt“ bei meinen Großeltern sozu- das ist viel gemischter. sagen ausstarb. Ich habe es nur noch passiv Schüler verwenden kaum die jugendsprach- gelernt. In dem Streifen von Westfalen nach lichen Ausdrücke, die in den Medien verbrei- Ostfalen, auf dem ich mich meist bewege, tet werden, aber sie benutzen eine bestimmte wird immer mehr oder weniger überregio- Art von Bildlichkeit, von Redewendungen, nale Standardsprache gesprochen, die aber eine bestimmte Art von Wertung. Diesen – wie der Dialekt bei Ihnen – bei uns die Mut- Übergangsstreifen zwischen Dialekt und tersprache ist, auch wenn das vielleicht aus Hochsprache und Jargon mit den Schülern der Perspektive der Dialektsprecher im Sü- zu besprechen, finde ich spannend. den immer ein bisschen wie eine aufgesetzte Sprache klingt.

Zukunft des Dialekts Eine abschließende Frage an das Podium: Was wünschen Sie sich für Ihren Dialekt und BURKHARDT (Vorsitzender der Gesellschaft für Dialekt überhaupt in Bayern und im Un- für deutsche Sprache, im Publikum): terricht? In den bisherigen Beiträgen wurden des Öf- teren die Begriffe „Hochsprache“ oder auch KRISCHKER: Ich glaube, es sieht ziemlich „Hochdeutsch“ verwendet. Als Linguist bin düster aus um den Dialekt. Ich bin auch nicht ich immer ein bisschen unglücklich damit. mehr so missionarisch wie früher. Dialekt- Hochdeutsch ist Bairisch natürlich auch und lyrik ist wieder auf dem Rückzug. Ich sehe es ist sozusagen viel länger Hochdeutsch, als das auch bei der Verleihung etwa des „Fran- wir es im Norden sprechen. Hochdeutsch ist kenwürfels“: Da werden wieder Büttenredner alles, was nicht Niederdeutsch ist. ausgezeichnet. Und was Bamberg betrifft, Der Begriff Hochsprache – auch wenn es hier sind es wieder die Themen, die wir versucht

352 Dialekte in Bayern Dialektdichtung

haben, zum Verschwinden zu bringen: kau- nen, wie viel Zukunft wir noch haben. Ich zige Gestalten und lustige Anekdoten … Ich merke es an der eigenen Familie. Meine En- sehe da ziemlich schwarz. kel reden ein Münchner-Vorort-Nimmerbai- risch, bei dem es mir die Ohren verdreht, HABERKAMM: Dialekt ist schon auf dem wenn ich zuhöre. Aber das Schlimme ist, Rückzug, aber ich bin eigentlich Optimist. dass sie zu einem großen Teil schon gar Wenn der Dialekt etwas Wichtiges ist, wird er nicht mehr reden, sondern mit einem elektro- auch in Zukunft wieder als etwas Wertvolles nischen Kästchen kommunizieren. Und da ist erkannt werden. Das dauert noch 20 oder 50 die Sprache insgesamt nicht mehr so wich- Jahre, aber dann erlebt der Dialekt auch wie- tig. Mundart schön und gut, aber wir müssen der eine Renaissance. Was ich mir wünschen schauen, dass wir die Sprache überhaupt am würde, ist, dass man den Wert und den Ei- Leben halten. genwert von Spielarten von Sprache erkennt. Im Großen und Ganzen sehe ich die Mund- Für regionales Selbstbewusstsein ist der Dia­ arten als sterbende Sprachen. Es gibt mo- lekt in Süddeutschland unabdingbar. Denn mentan, glaube ich, noch 6.500 Sprachen auf das einzige, was jetzt typisch fränkisch ist, der Welt. Davon werden wahrscheinlich 5.000 ist die Sprache. Alles andere ist importiert die nächste Jahrhundertwende nicht erleben oder austauschbar. – und da werden unsere Mundarten dabei Nichts aus Franken ist in Franken gewachsen. sein. Darüber muss man jetzt auch nicht trau- Der Kren kommt aus dem Balkan, der Wein rig sein – solange überhaupt noch geredet vom Mittelmeer und das Bier kommt von den wird – miteinander. Mönchen. Alles austauschbar, nur die Spra- che nicht. Die ist sozusagen autochthon. Und SCHIESSL: Ich habe da eher eine neutrale wenn das in Zukunft erkannt und benutzt Position. Auf dem flachen Land ist der Dialekt wird, dann habe ich auch wieder Hoffnung nach wie vor sehr vital. Dass es Probleme in für den Dialekt. den großen Städten gibt, ist eine normale Entwicklung, da kann man nicht gegensteu- BRANDL: Ich möchte das erweitern: Es geht ern. Was ich mir von den Schulen wünsche, nicht bloß um den Dialekt. Ich würde mir ist ein stärkeres Bewusstsein in Bezug auf wünschen, dass in allen Schularten der Mut den Wert und den Stellenwert des Dialekts. und die Zeit für einen spielerischen Umgang Ich wünsche mir, dass die Germanisten ver- mit der Sprache gefunden werden. Ich habe stärkt tätig werden, sich mit Dialekt zu be- auch für Schüler oft Schreibwerkstätten ge- schäftigen. Meinen Dialektpfleger-Kollegen macht. Wir haben Mundart-Texte aus unter- wünsche ich eine etwas weniger apodiktische schiedlichen bayerischen Regionen szenisch Haltung in Richtung Sprachpurismus, denn umgesetzt und dabei viel Freude gehabt. Ein die halte ich für kontraproduktiv. Gedicht im Unterricht durchzunehmen, darf nicht Strafe sein, muss Freude machen. Und wenn die Freude an der Sprache, am Um- gang damit da ist, dann wird sich automa- Fotonachweis tisch auch die Freude an den verschiedenen Brandl © J. Brandl-Trepesch Variationen, an den verschiedenen Klangfar- Haberkamm © Helmut Riedel ben, an den verschiedenen Dialekten wieder einstellen. Krischker © Nadine Sailer

Wittmann © Volker Derlath WITTMANN: Ich gehöre zu den Skeptikern. Wenn die Vertreter der modernen Mundart- Literatur [mit Blick auf das Podium] alle im Pensionsalter sind, kann man sich ausrech-

353 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

Leseproben

Friedrich Brandl Helmut Haberkamm

Koa Empfang Bubberdäd

Da letzte Sturm Die Maadle sinn stramm und spitzi hot ma d Antenne Die Sunna mächdsi haaß und hitzi abbrocha seitdem Die Buum sinn wild und witzi bringe dein Sender Die Sunna mächdsi schneidi und nimma eina spritzi

Vielleicht sollat ma s Alla sinnsi scharf und schwitzi doch mit m Kabel Obber naja, des leechdsi – des probiern gibbdsi doch dou müssat ma erst afgrabn Aus: Uns schiggd der Himml bei mir (ars vivendi, 2010)

Aus: Meine Finga in deina Rindn (lichtung verlag, 2002)

Gerhard C. Krischker

noochruf auf main radiägummi

du hosdi aufgäriim

füä maina feelä

Aus: fai obbochd (Kleebaum Verlag, 2010)

354 Dialekte in Bayern Dialektdichtung

Gerhard C. Krischker Josef Wittmann

in aichnä sach memento

nooch maim aufdridd schee, weps: gee i naidä gadäroom mid so feine flügl is guad glenzn raus aus deä ledähosn in de schlankn schenkl so vui kraft rundä midm dirolähüdla und da lange dicke hintern un donn dsiichi mai dschiins gäib und gfährlich. widdä oo guad, weps: un deng mä auf an decktn disch lasst si däs is ka schlechdä dschobb scho lebm alla oomd draihunnäd marg flink wia s d bist frißt wås däs is scho schdarg da schmeckt däfüä kosd scho moll und des noagal då im kriagl auf die büüna schlabbn glangt da ewig. un als mundoäddichdä dena iän dabbn pech, weps: machn mid dem biafuizl håst no need grechnat (nach udo lindenberg: obm is jetz da himme ganz glitzerknabe) dicht zua und dea schwoaba wead dei Aus: fai obbochd dod sei (Kleebaum Verlag, 2010) siaß und bitter.

(Erstveröffentlichung)

355 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

Mei Sprouch, meine Lyrik

Fitzgerald Kusz

„die rache/der sprache/ist das gedicht“: Dialekt übertragen. Meine Mundart wurde so Wos für ä schäiner Spruch! Er stammt von zur Mund-Bindestrich-Art. Mit der Betonung Ernst Jandl. Gibt es eine schönere und wit- auf „art“. Mund-Art, wie ich sie verstehe, ist zigere Definition, was ein Gedicht eigentlich kein bloßes „Dem-Volk-aufs-Maul-schauen“, sein soll? Die Sprache rächt sich, sie schlägt sondern Literatur, also ein Kunstprodukt. zurück gegen die tagtägliche Berieselung, der wir ausgesetzt sind. Das einzige, was da noch Ich bin, durch mein Studium bedingt, ein hilft, is ein Gedicht. Und die Sprache, in der unverbesserlicher „Philologe“. Die Liebe ich mich räche, ist der Dialekt, mei Sprouch. zum „logos“, zum Wort treibt mich um: die Sprachlust. Ich bin in die Sprache vernarrt. Ich bin als Dialektsprecher aufgewachsen. Sie ist nicht bloß mein Handwerkszeich. Sie Fränkisch war meine erste Sprache, mei Mut- hat ein Eigenleben, einen unverwechselbaren tersprouch. Meine zweite Sprache war das Sound. Mei Sprouch „swingt“, sie „groovt“ Berlinerisch meines Vaters. Wahrscheinlich und manchmal hat sie auch den „blues“. hat das Spannungsfeld zwischen den beiden Mit anderen Worten: Dialekt ist Musik, und Dialekten mein Ohr hellhörig gemacht für diese Musik versuche ich aus den Wörtern das, was Sprache vermag. Auf dem Gymna- herauszuholen. Ich kann in meiner Sprouch sium und der Uni wollte man mir meinen sogar „rappen“: Dialekt austreiben. Es ist nicht gelungen. Der Dialekt war stärker. Er hat sich gerächt. Plötz- däi ding dou lich stand was auf einem Blatt Papier: Mein wou mid dem ding dou gäihd erstes Gedicht. Es bestand aus nichts ande- houd däi ding dou gsachd rem als aus lauter Schimpfwörtern: soll wos glanns gräing vo dem ding dou soongs suä ruudzbridschn suä elendichä suä dreckbambl suä dreckädä obbä nix gwiiß waaßmä ned suä weisbild suä schbinnäds suä bläidä sunnä suä bläidä Meine Lyrik ist für den Vortrag geschrieben. suä lusch su groußä Erst dann erwachen die Texte zum Leben. ä suä sulln Man sollte sie immer laut lesen. ä suä suä Gute Gedichte dürfen sich aber nicht bloß auf die Sprache verlassen. Sie müssen neben Diese „schimpfrede“ von 1970 war zugleich der Sprache noch etwas anderes haben, eine eine doppelte Rache. Die Rache an einer Energie, eine Antriebskraft, einen Treibstoff, Freundin, die mich versetzt hatte, und die Ra- der sie auf die poetische Umlaufbahn schickt. che an der Hochsprache, die drauf und dran Diese Kraft ist es dann, die den „Flash“ aus- war, mei Sprouch, meinen Dialekt zu verdrän- löst, das Staunen, den Schock, den Kick, den gen. Der Damm war gebrochen. Von da an Wow-Effekt. Gedichte ohne dieses gewisse konnte ich nicht mehr aufhören, im Dialekt zu Etwas, ohne „vibrations“, ohne „Schwin- schreiben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gungen“; Gedichte, die außer Sprache nichts mich in hochdeutscher Pop-Lyrik versucht. zu bieten haben, sind langweilig. Bloßes Von der Pop-Art habe ich das Prinzip des Zi- Wortgeklingel. Sie rauschen vorbei, sie blei- tierens gelernt. Das ließ sich sehr gut auf den ben nicht haften.

356 Dialekte in Bayern Dialektdichtung

Überhaupt das Haftenbleiben! Wie erreicht Das ist die eine Seite, aber es gibt noch eine man, dass Gedichte ins Bewusstsein drin- andere Seite, die der Dialekt der Hochspra- gen und im Gedächtnis hängen bleiben? Man che voraushat: Er lebt vom Humor. Und der muss alles Überflüssige weglassen, mit we- ist in ihr drin. „Hauptsach, mer derf sein Hu- nigen Worten maximale Wirkung erzielen. mor ned verliern!“ Mit diesem Spruch mei- „Sprachkürze gibt Denkweite“, lautet eine ner Großmutter bin ich aufgewachsen. Was Maxime Jean Pauls, an die ich mich immer wäre mei Sprouch ohne den Humor! Er ist wieder halte. Das erklärt vielleicht auch mein für mich ein Lebensmittel, ja, ein „Überle- Faible für den japanischen Dreizeiler, das bensmittel“! Er hilft, das Leiden an der Welt Haiku: zu überwinden, er versöhnt mit dem Dasein und mit den Mitmenschen. Er ist, um noch deä wech is es ziel einmal Jean Paul zu zitieren: „überwundenes du redsd di leichd: Leiden“. iich find inn wech ned iich hou mein humoä väluän Wir leben in einer Zeit ständiger Beschleu- weä hilfd mä soung? nigung. Das Tempo, das unser Leben be- weid kannä ned saa stimmt, nimmt von Tag zu Tag zu. Die Lyrik muss dem etwas dagegensetzen. Sie nimmt Es steht nicht gut um den Dialekt. Wie lange die Geschwindigkeit aus den Dingen raus. wird er sich noch halten? Ja, sogar vom Dia- Lyrik ist „Entschleunigung“. Für die Dauer lektsterben ist schon die Rede. Ich werde je- eines Gedichts scheint die Zeit still zu denfalls weiter dagegen anschreiben und mei stehen: Sprouch am Leben erhalten. Es wäre jam- merschade, wenn die Energie, die Kraft und ä naggdschneggn grabbld nachm reeng die geballte Ladung Emotion, die in meiner ibän nassn asfald: ä ganz ä glannä Sprouch steckt, verloren ginge. Das ist die ei- diefsdgeschwindichkeidszuuch gentliche „dia-leckdigg“ des Dialekts:

Ich habe mich für den Dialekt entschieden, dia-leckdigg weil ich in der Sprouch Dinge sagen kann, die ich in der Hochsprache unmöglich sagen ohne meinä muddä iä schbrouch könnte. Der Dialekt ist an allem dichter dran kammi meim vaddä sei land – an den Menschen, am Alltag, an den Emoti- kreizweis onen, am Leben. Und er ist konkret.

Fitzgerald Kusz (geb. 1944) ist liest gern an Schulen. Unterhal- seit Langem der Klassiker der tungswert garantiert: „Humor fränkischen Gegenwartslite- gehört wahrscheinlich zu mei- ratur. „Schweig, Bub!“ (1976) ner Persönlichkeit dazu. Wenn brach alle Aufführungsrekorde. man ein dickes Kind irgend- Der ehemalige Deutsch- und wann mal war, dann hat man Englischlehrer lebt in Nürnberg nur eine Möglichkeit gehabt. und schreibt fast ausschließ- Ich war nicht der Sportler in der lich in fränkischer Mundart. Bis Klasse, ich konnte eigentlich heute liegen 13 Gedichtbände nur versuchen, durch Witz und und 20 Theaterstücke vor. Kusz Ironie zu bestechen.“

357 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

Buchempfehlungen

Vastehst me. Bairische Gedichte Autoren und Autorinnen aus 40 Jahren in Bayern. 20. Jahrhundert Eva Bauernfeind, Hubert Ettl, Alfons Schweiggert, Kristina Pöschl (Hgg.) Hannes S. Macher (Hgg.) edition lichtung, Viechtach 2014 Verlagsanstalt „Bayerland“, Dachau 2004

ISBN 978-3-941306-09-7 ISBN 978-3-89251-340-7 EUR 16,80 EUR 59,80

Erstmals liegt mit Vastehst me ein Sammel- Die mit der bayerischen Literatur wohlver- band vor, der einen Überblick über die zeit- trauten Herausgeber legen mit diesem Werk genössische Mundart-Lyrik der altbairischen eine gut zu lesende Mischform aus Lexikon Regionen gibt. Vertreten sind die wichtigsten und Literaturgeschichte vor: In jeweils eige- Mundartlyriker aus Oberbayern, Niederbay­ nen Beiträgen werden über 300 Schriftsteller ern und der Oberpfalz. Die Gedichte stam- des 20. Jahrhunderts vorgestellt, darunter men aus den letzten 40 Jahren und bilden auch viele Mundartdichter. Neben Autoren, verschiedene Strömungen ab. Aufgenom- die als Erzähler, Lyriker und Dramatiker wirk- men sind deren wichtigste Vertreter, traditi- ten und wirken, wurden auch Journalisten, onelle Mundartlyriker stehen neben zeitkri- Historiker oder Essayisten aufgenommen. tischen und experimentellen Dichtern. Die Literaturgeschichtliche Entwicklungen wer- 50 Autoren der gut 150 Gedichte schreiben den in gesonderten Aufsätzen dargestellt. so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: in Ein gebundenes Nachschlagewerk und Le- ihrem jeweiligen regionaltypischen Dialekt. sebuch für alle, die sich für die Literatur in Die Anthologie zeigt den Reichtum des Bai- Bayern interessieren – geeignet auch für die rischen und seiner Bildhaftigkeit. Schulbibliothek.

358 Dialekte in Bayern Dialektdichtung

Hörempfehlungen

Die bayerischen Dialekte sind in erster Linie Im Vorwort schreibt Herbert Achternbusch: gesprochene Sprache. Man muss sie hören, um ihre Laute genießen und die mit ihnen „So entsteht aus diesen Wortbeiträgen, aus verbundenen Lebens- und Denkformen be- Tonfragmenten aus Filmen, aus Soundcolla- greifen zu können. „Stimmen Bayerns“, die gen, O-Tönen, Musik und Songs eine einzig- neue CD-Reihe des Trikont-Verlages, lädt des- artige Enzyklopädie der bayerischen Seele.“ wegen zu einer Begegnung mit bekannten bayerischen Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart ein, darunter Volksschauspieler, Kabarettisten, Politiker und Musiker. Dichter STIMMEN BAYERNS wie Oskar Maria Graf, Franz Xaver Kroetz, Die neue CD-Reihe des Trikont-Verlages Gerhart Polt oder Karl Valentin dürfen da Herausgeber: Eva Mair-Holmes, Achim Bergmann, nicht fehlen. Und ein bisschen Franken gibt Andreas Koll es in diesem Bayern auch. Voran natürlich Bisher erschienen: Die Liebe (2001), Der Tod Fitzgerald Kusz, der schon immer meinte: (2011), Der Rausch (2012), Die Freiheit (2013) „Woanders is a ned anders wie in Schäßlitz.“ www.trikont.de > Stimmen Bayerns

359 Dialektdichtung Dialekte in Bayern

Literaturrätsel

Michael Mathias Prechtl: „Das Oktoberfest – einhundertfünfundsiebzig Jahre bayerischer Nationalrausch“ (Plakat, 1985) © Stadtmuseum Amberg

Das berühmte Plakat von Michael Mathias  Recherchieren Sie die Rezeption des Plakats Prechtl (geb. 1926 in Amberg; gest. 2003 in anlässlich seiner Erstausstellung im Münch- Nürnberg) zeigt 15 Personen aus der baye- ner Stadtmuseum 1985 und setzen Sie sich rischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhun- mit ihr auseinander. derts, darunter auch einige bekannte Auto-  Interpretieren Sie das Plakat als Ganzes und rinnen und Autoren. arbeiten Sie seine Wirkungsabsicht heraus.  Dokumentieren Sie Ihre Ergebnisse in einer Wer ist wer? Powerpoint-Präsentation. Oder: Gestalten Sie eine Schautafel für die Schulöffentlichkeit. Weitere Aufgaben (auch für eine Gruppen­ arbeit):  Erstellen Sie Kurzbiographien zu den auf dem Hinweis: Plakat dargestellten Personen. Eine Auflösung des Literaturrätsels sowie  Erläutern Sie die Personenauswahl und Hinweise zur Interpretation des Plakats fin- -zusammenstellung, den Titel sowie weitere den Sie im Impressum von Simone Schirmer, Bildelemente. Marcel Schellong (Hgg.): München lesen. Be-  Informieren Sie sich über Michael Mathias obachtungen einer erzählten Stadt. Würzburg Prechtl und sein Werk. 2008, online: www.books.google.de.

360 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Teil VI Sprache, Heimat, Werte

Wir können alles. Außer Norddeutsch Werner König

Neue Werte hinzufügen. Vorschläge für eine zeitgemäße Heimatpflege Norbert Göttler

Erhalt der Mundart – Was ist zu tun? Anthony Rowley SpracheBayernhymne

Heimat

Werte 361 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

Wir können alles. Außer Norddeutsch

Werner König

Wir Süddeutschen haben die besten Wirt- gional geprägten Sprachformen abgewandt, schaftsdaten, die wenigsten Schulden, und sie spricht inzwischen fast durchgehend eine dass wir in tausend Bereichen vorn sind, er- am norddeutschen Gebrauch (sprich: einen zählen uns täglich die Politiker, aber Deutsch an den täglichen Soaps im Fernsehen) orien- können wir nicht. Wir haben die besten Zu- tierte Sprache, von der sie glaubt, dass diese kunftsaussichten, die besten PISA-Werte und das wahre Hochdeutsche sei. Und dieser Eliteuniversitäten, das alles lesen wir täglich Glaube ist schon ziemlich alt, hier eine Pas- in unseren Zeitungen, aber hochdeutsch kön- sage aus der Autobiographie der Friedensno- nen nur die anderen. Dabei sind wir die Er- belpreisträgerin Bertha von Suttner von 1889: finder des Hochdeutschen, aber wen juckt das schon. Die Baiern haben dann auch noch „Was mir an den Norddeutschen besonders den Dialekt, der am meisten sexy ist, sie sind wohlgefiel, war die Sprache. Nicht nur, weil stolz auf Laptop und Lederhose, sie gefallen dieselbe den Akzent meines Mannes auf- sich als folkloristischer Marktführer mit ih- wies – eine seiner Eigentümlichkeiten, in die rer Oktoberfestkultur, die sich einschließlich ich mich zuerst verliebt hatte –, sondern weil ihrer Verkleidungsrituale seit Längerem als sie mir, im Vergleich mit der in Österreich weltweiter Markenartikel positioniert. üblichen Redeweise, ein höheres Bildungs- niveau zu bekunden schien; oder vielmehr, Aber wenn der bairische Bayer ernst genom- nicht nur schien, sondern in der Tat bekun- men werden will, kommt er mit seiner ange- dete … Wenn man Menschenwert nach der stammten Sprache nicht mehr an. Diese hat Bildungsstufe misst – und welchen richti­ sich zwar in dem eben angesprochenen Be- geren Maßstab gäbe es wohl als diesen? –, reich „Lederhose“ in den Medien fest eta- so ist der Norddeutsche um ein Stückchen bliert, wird aber, obwohl sie ehemals Mutter- mehr Mensch als der Süddeutsche …“1 sprache von ca. 5 Millionen Menschen war – wie viele es heute noch sind, weiß wohl kein Man kann es kaum glauben: Bertha von Mensch –, als minderwertig empfunden, mit Suttner ist der festen Überzeugung, dass ihr kann man keinen Staat mehr machen. „der Norddeutsche um ein Stückchen mehr Genauso geht es den Schwaben und den Mensch als der Süddeutsche“ sei und Franken, nur können Schwaben und Franken das wegen seiner überlegenen Sprache. überregional nicht einmal mehr mit einer Folkloreindustrie punkten und mit der Be- liebtheit ihrer Dialekte auch nicht. „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ Den Prestigeverlust des Dialekts haben die Kinder in unseren Großstädten schon seit Das ist einer der meistprämierten Slogans, längerer Zeit gemerkt. In München trifft man den die deutsche Werbewirtschaft hervorge- keinen mehr unter 20, dem man seine bai- bracht hat, 1999 im Auftrag der Regierung rische Herkunft in der Sprache anmerkt, in Erwin Teufel. In Stuttgart, im Staatsministe- Nürnberg und Augsburg findet diese Ent- rium, in der Villa Reitzenstein, war man sehr wicklung mit etwas Zeitverzögerung statt. stolz auf diesen Satz und die nachfolgende Die Jugend der Großstädte hat sich von re- Werbekampagne. Auf der Webseite der Lan-

362 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

desregierung ließ man die Welt an diesem wobei es aus der Sicht der Branche egal ist, Erfolg teilnehmen. Noch heute kann man im ob man gut oder schlecht über etwas spricht, Online-Shop der Landesregierung T-Shirts, Hauptsache, man kennt es, man spricht da- Schirme, Fußbälle, Schlüsselbänder oder rüber. Kugelschreiber mit der Aufschrift kaufen, selbst Babystrampler finden sich im Angebot. Plakate und Aufkleber bekommt man sogar Ironie geschenkt. „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. Einen Teil des Erfolges dieses Slogans macht die feine Ironie aus, vor allem bei den In- tellektuellen, die solche Dinge zu schätzen wissen, die sich die beiden Elemente des Spruchs auf der Zunge zergehen lassen, die wissen, dass der erste Teil indirekt und iro- nisch auf die Tüchtigkeit der Gemeinten an- spielt und der zweite auch nicht so ganz ernst und wörtlich genommen werden will.

Werbe-Slogan des Landes Baden-Württemberg – erfolgreich, aber auch gut? Der erste Teil des Slogans bezieht sich auf den Regionalakzent des Südens, der in der Regel als sympathisch, angenehm empfun- „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“. den wird. Die Hörer oder Leser sollen das Viele meinen, die Erfolgsgeschichte dieses Selbstbewusstsein derer bewundern, die es Slogans sei groß. Das wird zum Beispiel do- sich sogar leisten können, eine vermeintliche kumentiert durch die zahlreichen Auszeich- Schwäche zu propagieren; man denkt, „die nungen, die in der zehnjährigen Laufzeit ein- trauen sich was!“. gefahren wurden. Insgesamt 28 Preise führte die Webseite der Kampagne im September Dieser Rezeptionsvorgang erfordert jedoch 2012 auf, tatsächlich sind es einige mehr. einige Formalausbildung, fordert einigen Intellekt, ein Eindenken in die Situation der Das Geld für die Kampagne, ca. 30 Millio- anderen und einen gewissen Sinn für Humor. nen Euro, meint man gut angelegt zu haben, Das alles ist nicht bei jedermann gleicherma- da uns die Werbeleute so weit gebracht ha- ßen vorhanden, nicht jeder versteht die feine ben zu glauben, dass auch politische Ein- Ironie, das Sich-selbst-auf-die-Schippe-Neh- heiten beworben werden müssen. Die feine men im zweiten Teil des Slogans und nicht Selbstironie, die Bescheidenheit, die aus die- jeder will es so verstehen. sem Spruch hervorgehe, lasse das bishe- rige Image des Schwaben (tüchtig, pfiffig, Zahlreiche Reaktionen – sie ließen sich in fleißig, aber auch engstirnig, provinziell und Leserbriefen und Internetforen leicht nach- sehr sparsam) sich in Richtung Sympathie, weisen – zeigen, dass dieser Satz vielfach Menschlichkeit, Humor und Mutterwitz, weg wörtlich genommen wird. Und er wird wört- von Provinzialität und Sparsamkeit verän- lich genommen von den Betroffenen hier im dern. Effizienzmessungen, die ein unabhän- Lande und von solchen, die sich (vor allem giges Institut durchgeführt hat, stellen die im Norden Deutschlands) im Besitz des wah- große Bekanntheit der baden-württember- ren Hochdeutschen wähnen. Selbst unsere gischen Länderwerbung heraus. Und diese Kanzlerin hat das getan in einer Rede vor Bekanntheit ist es, was die Werbeleute als der Betriebsversammlung des VW-Werkes Grundlage für die Erfolgsmessung nehmen, in Wolfsburg.2

363 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

Produktivität Vorurteile

Und ein zweites Faktum macht den Spruch Einen weiteren Teil des Erfolges macht aus, so erfolgreich, nämlich die Tatsache, dass er dass mit dem Spruch weit verbreitete Vorur- so beweglich ist, dass er problemlos abge- teile bedient werden, wenn man den Erfolg wandelt werden kann, dass er angewendet so misst, wie es die Werbeleute tun, die ja werden kann in vielen Situationen, insbeson- nur die Bekanntheit des Slogans bewerten. dere, wenn jemand mit hohem Anspruch an- Denn der Satz bestätigt genau die Vorurteile, getreten ist und dann die Ziele nicht erreicht. die viele im Norden Deutschlands bezüglich Wir können alles. Außer Rechnen. Oder wenn der Sprache des Südens haben. es einen besonderen überraschenden Erfolg griffig zu formulieren gilt: Wir können alles. Diese Vorurteile sind da. Fast jeder Schwabe, Auch Rechnen. jeder Bayer, der je mit Leuten aus dem nord- deutschen Raum zu tun hatte, hat einmal ent- Den Spruch aber macht so erfolgreich vor sprechende Erfahrungen gemacht. Ein Nord- allem die Kombinierbarkeit mit sehr vielen deutscher, der diesen Slogan liest, kann sich Verbindungswörtern. Außer kann durch eine nun bestätigt fühlen. „Na endlich“, denkt Anzahl anderer Kleinwörter ersetzt werden: er, „geben sie es selber zu, dass sie es nicht nur nicht, auch, aber kein … Diese Reihe ist können, wir haben es doch immer schon ge- nicht vollständig. Die Phrase lässt sich nicht wusst und gesagt“. Und wenn einer noch im nur im zweiten Teil abwandeln, sondern Zweifel war, dann bekam er es nun schwarz auch im ersten: Die können alles …, die auf weiß und offiziell und immer wieder von können vieles …, du kannst alles … der württembergischen Landesregierung be- stätigt. Sobald man so eine oder eine ähnliche Fügung hört, erscheint schon unser Slogan Fakten, die die eigenen Auffassungen be- „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ im stätigen, ist man eher bereit, ins Bewusst- Bewusstsein als Folie dahinter. Er ist das sein zu integrieren als Fakten, die einen Strukturmuster für eine große Anzahl von dazu zwingen, die eigene Meinung zu ändern. gleichartig aufgebauten Phrasen geworden. Vor allem auch dann, wenn das zur Folge Diese Abwandlungen stärken die Präsenz des hätte, dass man das eigene Überlegenheits- Slogans, sie rufen ihn immer wieder in Erin- gefühl auf dem betroffenen Gebiet aufgeben nerung, man kann ihn schon fast als Sprich- muss, wenn einem dadurch eine Quelle, wort bezeichnen. aus der man Selbstbewusstsein zieht, ab-

Kein Mensch wird bestreiten, dass die Wer- beaktion anspruchsvoll, witzig und voller Humor war, vielleicht ist es ihr sogar ein wenig gelungen, die Schwaben etwas vom Image des gschaffigen und sparsamen Häuslebauers zu befreien. Gleichzeitig wird aber auch ein Vorurteil („Diese Leute können nicht richtig sprechen, sie können kein Hochdeutsch“) verfestigt und weiter ver- breitet.

Hoch und stolz im Norden. Karikatur von Sepp Buchegger, Tübingen (2011)

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Hochdeutsch und Niederdeutsch im ehemaligen deutschen Sprachgebiet. Karte: Manfred Renn / Werner König: Kleiner Bayerischer Sprachatlas. München 2006, S. 16 handen kommt. Man verliert damit auch ein bedeutet, dass diese Person einen norddeut- Stück der eigenen Identität. Wenn man den schen Akzent zeigt; denn Sprecher, bei denen Spruch wörtlich nimmt, dann stärkt er das man überhaupt keine regionale Färbung vorhandene Bewusstsein von der eigenen erkennt, gibt es nur ganz wenige. Es ist ein sprachlichen Überlegenheit des Nordens, Widerspruch in sich, wenn man glaubt, dass er stärkt das Selbstbewusstsein dort. Die ein Sprecher mit norddeutschem Regional- Sprachform wird benutzt, als Argument für akzent keinen Akzent besitze. Aber das ist die eigene Sache, um die eigene Überlegen- trotz dieses offensichtlichen Widerspruchs heit und die Unterlegenheit der anderen zu die vorherrschende Meinung. beweisen.

Natürlich schafft diese im Spruch vorhan- Sprache und Bewusstsein dene Aussage vielleicht auch Wohlwollen und Sympathie, wenn wir im Süden damit Es ist in der Linguistik nicht mehr strittig, jetzt endlich unsere sprachliche Inferiorität dass Sprachstrukturen das Bewusstsein, die offiziell anerkennen. Und dieses Wohlwollen Wahrnehmung der Welt, beeinflussen und wird vor allem bei Leuten auftreten, die un- auch prägen. Sonst wäre die ganze feminis­ seren Regionalakzent als niedlich und nett tische Linguistik, die sich um die sprachliche empfinden, sich ihm im Urlaub gern ausset- Gleichstellung der Frau bemüht, eine Luft- zen. Aber kompetent wirkt nur jemand, der blase. Eine Sprache, in der man sagt, die „akzentfrei“ spricht. Was schlicht und einfach Sonne geht auf, macht eine Schulstunde

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nötig, um diesen astronomischen Irrtum auf- Anzeigen und Fernsehspots, sondern auch zuklären. Eine Sprache, in der man sagt, dass losgelöst davon vor allem auch im Wortsinn sich die Erde der Sonne entgegendreht, ver- seiner Bestandteile und mit Folgen für die mittelt dagegen auf Anhieb das richtige Welt- Betroffenen. bild.

Zum Sprachsystem gehören aber nicht nur Identitätsbildung durch Sprache grammatische und lexikalische Einheiten, sondern auch solche der Phraseologie, d. h. Auch darin ist sich die Forschung einig, die Wortverbindungen, die dem Sprecher zur dass Sprache zu den Merkmalen gehört, Verfügung stehen. Eine Sprache, die Wen- die wesentlich zur Identität einer Gruppe dungen hat wie: der säuft wie ein Besenbin- beitragen. Das ist besonders auffällig bei der oder: er kommt pünktlich wie ein Maurer Jugendlichen, Parteien oder Berufsgruppen, vermittelt auch entsprechende Eigenschaften wenn sie Sonderidiome entwickeln, die für die betreffenden Berufsgruppen. bestimmte Identitäten konstruieren helfen. Aber auch Dialekte und landschaftliche Die Stuttgarter Werbeaktion hat einen neuen Umgangssprachen, in die man hinein- Phraseologismus, fast schon ein Sprichwort wächst, sind identitätsbildend und iden­­­- geschaffen, das jetzt im Bewusstsein der ti­tätsfördernd. Deutschen in Nord und Süd wirkt. Und die- ser Spruch wirkt nicht nur in seiner subtil Die Sprache, die man als Erstes lernt und ironischen Form, nicht nur im Kontext der spricht, war (und ist?) der Regionaldialekt.

„Kartoffel“ in den Mundarten des ehemaligen deutschen Sprachgebiets. Karte: Werner König: dtv-Atlas Deutsche Sprache. München 2011, 17. durchges. u. korr. Aufl., S. 206 (Grafiker: Hans-Joachim Paul)

366 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Den Regionaldialekt spricht man im Eltern- meinte aber, dass seine Eltern sich morgen haus, im Dorf, in der Stadt. Das ist die Mut- bei ihm beklagen würden, weil sie den Steu- tersprache, die man vermittelt bekommt, in- erberater nicht verstanden hätten. dem man ihr ausgesetzt ist. Sie gibt regio- nale Identität. Das ist das Stück Heimat, das Es ist aber genauso auch Diskriminierung, man immer und überall bei sich hat und das, wenn man belustigt ist, lacht, wenn ein wo immer man auch sich befindet, Nähe und Sachse außerhalb seiner Heimat seinen Dia- Vertrauen schaffen kann. Diese Sprache ver- lekt anklingen lässt. Wer das komisch findet, mittelt einem, dass man ein Baier, Schwabe wird diese Person eher nicht für eine Füh- oder ein Franke ist. In ihr erkennt man einen rungsposition vorschlagen. Das ist zwar kein Landsmann und man kann für sie genauso bewusster Akt der Diskriminierung, solche wenig wie für seine Hautfarbe oder das Ge- Dinge kommen aber immer wieder vor. schlecht, mit dem man auf die Welt kommt. Damit sind wir beim Thema Sprache und Wenn aber in vergleichbaren Situationen ein Diskriminierung angelangt. Bewerber Fund statt Pfund, lecht statt legt, Dink statt Ding und Tach statt Tag (drei ge- schriebene Buchstaben, zwei Aussprache- Sprache und Diskriminierung fehler!!) sagt, wird sein Deutsch in der Regel als korrekt empfunden, es strahlt Kompetenz Ein paar Beispiele: Ein Macher beim Deut- aus. Und wenn Bruno Jonas sächsische oder schen Akademischen Austauschdienst brü- Harald Schmidt schwäbische Sequenzen von stete sich vor einiger Zeit (November 2010) sich geben, dann ist das eine Garantie für ei- auf einer Podiumsdiskussion in London da- nen Lacher. Was sie aber nicht bedenken, ist, mit, einen Bewerber für ein Lektorat wegen dass sie anderen Leuten, denen das Mutter- dessen bairischen Akzents ausgesondert zu sprache ist, Leid zufügen, sie be-leid-igen, haben. Oder: Bei einem Berufungsverfah- dass sie ein Vorurteil verfestigen und damit ren für einen germanistischen Lehrstuhl an indirekt und tendenziell zur ungleichen Ver- der Uni Augsburg fiel zu einer Bewerberin teilung von Lebenschancen in unserer Gesell- aus der Gegend von Regensburg in der Kom- schaft beitragen. mission der Satz: „Die Frau kann ja nicht mal richtig Hochdeutsch“ – und das im Prin- Unsere Gesellschaft hat inzwischen ein Be- zip nur deswegen, weil sie den a-Laut etwas wusstsein dafür entwickelt, dass man Men- dunkler aussprach als die anderen Kandi- schen nicht wegen ihres Geschlechtes, nicht daten. wegen ihrer Hautfarbe benachteiligen darf, es gibt aber praktisch keine Diskussion darü- Auch in der Heute-Show im ZDF werden der- ber, dass es in Deutschland andauernd Diskri- zeit ziemlich regelmäßig Menschen wegen minierung von Menschen wegen ihrer Aus- ihrer Aussprache verunglimpft. In einer be- sprache, wegen ihrer Muttersprache gibt. liebten Talk-Show im ersten Fernsehpro- Dies überrascht und irritiert zugleich, fordert gramm (Hart aber fair) wurde in der Sendung doch Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, dass vom 29.10.2012 ein Steuerberater aus Nieder- niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner bayern mit bairisch geprägtem Standard vom Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, Moderator ermahnt, doch „hochdeutsch“ zu seiner Heimat und Herkunft [...] benachteiligt sprechen.3 Eine englische Kollegin von der oder bevorzugt werden“ darf. Universität Aberystwyth in Wales hatte keine Probleme mit dem Verständnis, wie sie mir Ich will jetzt nicht dafür plädieren, dass die schrieb. Der deutsche, wohl aus dem Rhein- beiden genannten Kabarettisten keine sol- land stammende Moderator fand den Dia- chen Witze mehr machen dürfen. Frauen- lekt (sic!) des Steuerberaters zwar „super“, feindliche Äußerungen von Harald Schmidt

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haben aber einen ganz anderen, neuen Stel- annehmen, dass ein Schwabe oder Bayer lenwert bekommen, seitdem sich unsere Ge- im Prinzip schriftliche Texte von schlechterer sellschaft des Problems bewusst geworden Qualität verfasst als ein Norddeutscher. Es ist und einigermaßen ernsthaft die Benach- geht um die Mündlichkeit, um das Gespro- teiligung der Frau zu beenden versucht. Was chene. Und da besteht (vom Anfang des 19. sicher viele aber nicht daran hindert, ent- Jhs. an sich immer mehr verbreitend) der sprechende Äußerungen von ihm wörtlich zu Glaube, dass in Norddeutschland, insbeson- nehmen. Anzustreben wäre, dass die eben dere in der Gegend von Hannover, ein besse- beschriebenen Diskriminierungsmechanis- res Hochdeutsch gesprochen werde als an- men unserer Gesellschaft bewusst gemacht derswo. Diese Ideologie hat schon am Ende werden, indem darüber genauso eine Diskus- des 19. Jahrhunderts, wie wir gesehen ha- sion stattfindet, wie es sie über Diskriminie- ben, auch den Süden erfasst. rung von Geschlecht und Hautfarbe schon länger gibt. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war sie ohne große Folgen. Um 1900 Diskriminierungen wie die genannten sind z. B. hat der gebildetste Süddeutsche auch in nicht einfach als Kleinigkeit abzutun. Die hochformalen Situationen eine stark regio- Sprachfertigkeit ist eine Schlüsselqualifika- nal geprägte Aussprache gehabt. Man würde tion in einer Wirtschaftswelt, die immer mehr das heute als Dialekt bezeichnen, obwohl das von Dienstleistungen geprägt ist. Sprachliche der damalige süddeutsche Standard war.5 Er Fähigkeiten sind zentraler Bestandteil der Be- sprach da z. B. noch miad für „müde“, hoiß urteilung, wenn es um die Verteilung beruf- oder hoaß für „heiß“. Kein Mensch, auch kei- licher und sozialer Chancen geht. Sind es bei ner aus dem Norden, hat sich beschwert über einem Menschen anfänglich (in der Schule) eine solche Aussprache, alle haben verstan- eher die schriftlichen Leistungen, die zählen, den, was gemeint war, trotz der landschaft- so geben später vor allem die mündlichen lichen Färbung. Man war tolerant, und trotz Leistungen den Ausschlag. der vorhandenen einheitlichen Schriftsprache hat man sich nicht daran gestört. Ich denke nicht, dass man das weiter ausfüh- ren muss, die Beispiele aus dem vorigen Noch in den 1970er-Jahren hatte Luis Tren- Abschnitt können das illustrieren; sie zeigen, ker eine Sendung im ersten Fernsehpro- wie argumentiert wird, wenn aus einer An- gramm, die er mit einem stark südtirolisch zahl von Bewerbern ausgewählt wird. Die geprägten Standard moderierte. Heute wäre Form, wie jemand spricht, ist entscheidend so eine Sendung nicht mehr möglich. So ein für das Fortkommen, für die Karriere. Wer Deutsch würde synchronisiert oder mit Un- nicht mit norddeutschem Akzent – der wird tertiteln versehen, weil man in Deutschland derzeit als „reines Hochdeutsch“ angesehen nicht mehr bereit ist, sich auf eine regionale – spricht, der erlebt seine Muttersprache als Ausspracheform einzulassen. Man vergleiche Karrierebremse. Sprecher mit erkennbar dazu mal Markus Lanz, der von seiner Heimat dialektalem Hintergrund gelten vielfach als die gleiche Sprache wie Trenker mitbekom- „ein bisschen einfach“, um es einmal milde men hat. Welch blasses, glattes Deutsch der auszudrücken.4 Arme sprechen muss, damit er Wetten dass? moderieren darf!

Etwas jüngere Sprachgeschichte Die deutsche Öffentlichkeit ist in Bezug auf die Sprache in den letzten 40 Jahren sehr viel Wenn wir hier über Hochdeutsch sprechen, intoleranter geworden. Nur im Bereich „Le- dann geht es immer um gesprochene For- derhose“ hat Regionalität als Folklore noch men des Hochdeutschen. Niemand wird wohl ihren Platz. Hansi Hinterseer darf im überregi-

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Verkommen Dialekte zur bloßen Folklore? Lebkuchenherzen auf dem Münchner Oktoberfest onalen Fernsehen tirolern, was Markus Lanz Im Zweifel war die Schreibung Richtschnur nicht darf und was Luis Trenker vor einigen für die Aussprache – und das seit mehreren Jahrzehnten noch ausgiebig durfte. Und er Jahrhunderten. Die Norddeutschen hatten wurde trotz seiner Tiroler Aussprache auch bis ins 20. Jahrhundert hinein die wohl im Norden verstanden. Würde Markus Lanz schriftnähere Aussprache, wenn sie hoch- so zu sprechen beginnen, würde man ihn aus deutsch gesprochen haben. Heute ist das dem Programm entfernen, mit der Begrün- sicher nicht mehr der Fall. Man vergleiche dung, dass das ja kein Mensch verstehen die schon vorher beschriebenen Abwei- könne. chungen des Nordens (fund, dink und lecht). Das längst obsolete Faktum von der schrift- Eine dialektal geprägte Mündlichkeit gab es näheren Aussprache der Norddeutschen seit jeher; um 1650 z. B. beschreibt sie der aber wirkt in den Gehirnen weiter, die Men- Universalgelehrte Schottelius als Faktum. schen im Norden gewinnen daraus Selbstbe- Wir wissen aber auch davon, dass man land- wusstsein, sie fühlen sich den Süddeutschen schaftliche Sprachformen positiv oder nega- sprachlich überlegen. tiv bewertet hat. Zum Beispiel wurde bis min- destens 1800 die Aussprache in Obersachsen (nicht: Niedersachsen), also die von Dresden Das Problem der Süddeutschen oder Leipzig, als vorbildlich angesehen. Da- nach folgte die Ansicht, dass die norddeut- Die Menschen im Süden haben im Laufe der sche Aussprache am besten sei. Vor allem für Zeit ein Unterlegenheitsgefühl entwickelt, die Bühne und das ernste Drama wollte man das sie in der Entfaltung ihrer Fähigkeiten, in eine Aussprache, die sich ohne regionale Fär- der Darstellung ihrer Argumente hemmt und bung möglichst nahe an der Schreibung be- das sie auch bei der Verteilung der gesell- wegt. schaftlichen Chancen benachteiligt, und das

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deshalb, weil in allen Bereichen, wo münd- Das ist aber keine Bescheidenheit, die sich da liche Sprachkompetenz wichtig ist, selbst die äußert, das sind Minderwertigkeitsgefühle. Süddeutschen glauben, sie können es nicht Generell fehlt dem Süden ein sprachliches so gut. Da werden Menschen wegen ihrer Selbstbewusstsein. Da helfen auch die gu- Muttersprache benachteiligt, aus Gründen, ten Umfragewerte für den bairischen Dialekt die sachlich keine Berechtigung haben. Es ist als der, der am meisten sexy ist, nicht. Das der Akzent, der falsche, es ist die Nichtüber- Bairische ist in den Medien ein auf wenige einstimmung mit der norddeutschen Intona- Domänen eingeschränkter Funktionalstil ge- tion und Lautung. worden. In ähnlicher Situation sind die rhei- nischen Dialekte, deren Domänen vor allem Die Kinder in unseren Großstädten wissen im karnevalistischen Bereich liegen. sehr genau, was angesagt ist. Während man sich früher von einer schwäbischen, frän- Einem Politiker, der überregional erfolgreich kischen oder bairischen Artikulationsbasis sein will, schadet eine regionale Färbung, aus in Richtung Schriftnähe bewegte, wenn die ins Fränkische, Schwäbische, Sächsische es die Kommunikationssituation erforderte, oder Pfälzische geht. Bleibt der Erfolg ein- vollzieht die Jugend heute einen radikalen mal aus, dann wird sein Akzent dazu benutzt, Sprachwechsel in Richtung Norddeutschland. ihn in die provinzielle Ecke zu stellen und ihn Lecht und Dink gelten offensichtlich als bes- zum Dorftölpel zu machen. Die Verspottung ser als der schwäbische Diphthong in Zejt des Dialekt sprechenden ungebildeten Bau- und das bairische dunkle å in schlåfen. Nord- ern hat im Deutschen mindestens seit dem deutsch ist modern, cool; süddeutsche Klang- 18. Jahrhundert Tradition. farbe ist out, wird vielleicht als nett, aber im Prinzip als inkompetent empfunden, und ist nur akzeptiert, wenn man Weizenbier oder Kuckucksuhren verkauft oder beim Winter- sport gerade auf dem Treppchen steht. Das ist Folklore. Wer ernst genommen werden will, tut gut daran, sacht und lecht zu sagen. Das Ganze ist jetzt etwas überspitzt und po- lemisch formuliert, es trifft aber den Kern der Sache.

Und überraschenderweise, seltsamerweise lassen sich Laptop und Lederhose bei den Baiern irgendwie nicht zusammenbringen. Das Selbstbewusstsein, das der Baier im Bereich Laptop an den Tag legen kann, das fehlt ihm im Bezug zu seiner Muttersprache. Sprache als Standortfaktor Der Bereich Lederhose, in dem es in den überregionalen Folklorewesen eine deutli­che Die richtige Sprache, eine angesehene Vorherrschaft des Bairischen gibt, und der Sprachform, eine Sprachform mit großer Bereich Laptop schließen sich praktisch aus, Reichweite bieten zu können, ist ein Stand- die Domänen sind extrem getrennt. Das ortvorteil. Goethe ist, frankfurterisch spre- dröhnende Mia san mia der Politik ver- chend, nach Leipzig gegangen, um dort eine schwindet in diesem Bereich sofort und feinere Sprache zu lernen. Ausländische macht kleinlaut einem Hochdeutschen Platz, Universitäten wollen als deutsche Lektoren das die bairische Herkunft verleugnet. keinen, der südlich von Göttingen zu Hause ist, keinen aus Bayern, keinen aus Baden-

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Württemberg. Urteile, wie ich sie weiter oben Überlegenheit, im Süden verstärkt er das aus einem Berufungsausschuss berichtet Problem, das Problem nicht nur der Schwa- habe, können so nicht nur Baiern treffen, ben, sondern auch der Sachsen und Baiern. sondern auch Schwaben, Franken, Pfälzer Und die anfänglich 21 % der Bevölkerung und Sachsen. in Baden-Württemberg, das sind immerhin ca. 2 Millionen Menschen, die den Spruch Das süddeutsche Minderwertigkeitsgefühl gar nicht so gut fanden, weil „sie sich vom in Bezug auf die eigene Sprache ist in nichts Leitwort der Kampagne angegriffen gefühlt“6 anderem begründet als in der Tatsache, dass haben, die haben wahrscheinlich die feine viele an die Überlegenheit der norddeut- Ironie des Slogans nicht erkannt, dafür haben schen Aussprache glauben. Hannover ist sie aber sicher schon mal von außen gezeigt nicht das Oxford Deutschlands. Es gibt kein bekommen, was man von ihrer Sprache hält. linguistisch irgendwie begründbares Besser und auch kein Schlechter in diesem Bereich. Die Werbeaktion für Baden-Württemberg Warum soll Tach für Tag wertvoller sein als bietet intellektuelles Vergnügen, ist witzig, mein rollendes vorderes R in Regen oder gescheit und bietet Gesprächsstoff für ein Pferd? gebildetes Publikum. Man erinnert sich an den Spruch, man wandelt ihn ab, er hat das Aber es gab schon immer Urteile und Vor- Baden-Württemberg bekannter gemacht. urteile und Wertungen und Moden in Bezug Was in der Diskussion aber bisher unbeachtet auf verschiedene Sprachen. Was kann ein geblieben ist, das sind die Kollateralschäden, Mensch dafür, dass er als Kind einer Sprach- die weiteren Wirkungen in den vielen Köpfen varietät ausgesetzt war, von der gerade an- in Nord und Süd, die den zweiten Teil des genommen wird, sie sei schöner und deren Spruches wörtlich nehmen. Sprecher wirkten kompetenter? Und was kann der andere dafür, dass er in eine Mutter- Jedem Lehrer sagt man, er dürfe nie etwas sprache hineingewachsen ist, die weniger an- Falsches vorsagen, weil sich genau das in gesehen ist, die als weniger kompetent gilt? den Köpfen festsetzt, vor allem wenn es mit Gar nichts kann er dafür! Genauso wie für Emotionen verbunden ist. Ein Flugzeugführer die Hautfarbe. Aber im Kontext „Hautfarbe“ darf in Gefahrensituationen nie mit Wendun­ nennt unsere Gesellschaft die Nachteile, die gen wie „keine Angst, keine Sorge“ für Be- so eine Person zu erleiden hat, Diskriminie- ruhigung sorgen wollen, denn diese Wörter rung. lösen genau das aus, was sie verhindern sollen, nämlich Angst und Sorge. Warum soll das beim Slogan „Wir können alles. Außer Die Wirkung des Slogans Hochdeutsch“ anders sein? Bei ironischen Äußerungen meint man etwas anderes als Und was macht die Stuttgarter Werbekampa- man dem Wortsinne nach sagt. Darum geht gne? Das viele Geld, das sie kostet, hilft mit, Ironie auch so oft schief. Und auch bei einer diesen Standortnachteil zu perpetuieren, in Person, die die Ironie dieses Spruches ver- den Köpfen aller festzuzurren und damit dem steht, wirkt der einfache Wortsinn des Satzes Norden einen Standortvorteil zu verschaffen. unbewusst im Bewusstsein weiter. Und wie dieses Bewusstsein von der Sprache beein- Die Bekanntheit des Slogans „Wir können flusst wird, habe ich schon dargelegt. alles. Außer Hochdeutsch“, den die Mei- nungsforscher gemessen haben, gerät zum Wenn man das alles so bedenkt, dann nüt- Bumerang; denn in je mehr Köpfen dieser zen alle die Preise nichts, die die Kampagne Spruch steckt, desto mehr kann er wirken: eingefahren hat, weil durch sie ein zwar hi- Bei den Menschen im Norden sorgt er für storisch erklärbares, heute aber durch nichts

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mehr begründetes Fehlurteil verstärkt wird, Augen der Sprecher. Die Sprachen des Sü- das geeignet ist, Menschen mit einer be- dens sind gleichberechtigt mit anderen Vari- stimmten Muttersprache zu diskriminieren, anten des Deutschen. ihr Selbstbewusstsein zu schwächen und sie damit um Lebenschancen zu bringen. Indirekt würde der neue Slogan auch eine Natürlich gibt es viele hier im Süden, die vor kleine Spitze Richtung Norden transportieren Selbstbewusstsein platzen, es gibt aber auch mit der Botschaft, dass es gar nicht so wich- genügend, die mit diesem ihrem Handicap tig ist, den norddeutschen Tonfall zu beherr- leidvolle Erfahrungen gemacht haben und schen, weil wir auch ohne diesen erfolgreich die darunter leiden. sind.

„Wir können alles. Außer Diskriminierung an der Schule Norddeutsch“ Ich zitiere jetzt ein paar Sätze aus einem Text So hätte der Slogan in den Werbeanzeigen von Reinhold Wittmann, die jüngst in der FAZ auch heißen können, besser: So sollte er in erschienen sind: Zukunft heißen. Der Süden könnte eine ent- sprechende Kampagne starten, und in Stutt- „In Miesbach verbot eine Grundschullehrerin gart könnte man zeigen, dass man lernfähig aus Sachsen den Kindern strengstens jedes ist – und dass man auch anders kann. bairische Wort, in Berchtesgaden überwies eine Lehrerin aus Schleswig-Holstein einen In dieser Form ist der Spruch genauso griffig Mundart sprechenden Buben an die Sonder­ und produktiv wie der alte, er ist in keiner schule, weil sie ihn nicht verstand, am Gym- Weise angreifbar, er stellt ja nur die wahren nasium Tutzing wurde die einzige Dialekt- Verhältnisse dar. Norddeutsch kommt als das sprecherin ihrer Klasse vom Deutschlehrer rüber, was es wirklich ist, nämlich eine regio- über Jahre hinweg gehänselt und bloßge- nale Variante, ein Akzent des Hochdeutschen, stellt, am Gymnasium Miesbach dekretierte das es in verschiedenen Ausprägungen gibt. eine zugezogene Lehrerin, wer bairisch So lässt der Spruch den Süddeutschen ihre spreche, sei gänzlich unfähig, Französisch zu Muttersprache, er macht sie nicht indirekt lernen“.7 nieder, er enthält kein Urteil über gut oder schlecht. Aber er gibt dem Süden das Ge- Das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Das fühl, dass er seine eigene Sprache behalten sind Fälle von Diskriminierung, die von El- kann. Er ist geeignet, den Menschen aus dem tern öffentlich gemacht und dann auch von Süden ein neues positives Wir-Gefühl zu der Presse aufgegriffen wurden. Sie stam- vermitteln, ohne den negativen Wir-können- men alle aus dem altbayerischen Raum, aus kein-Hochdeutsch-Beigeschmack, der dem Schwaben oder Franken hört man so etwas bisherigen Slogan anhaftet. seltener. Woran das liegt, darüber kann man spekulieren. Dass es diese Fälle dort nicht Der neue Slogan wäre dazu geeignet, das gibt, ist sehr unwahrscheinlich. Gruppengefühl im Süden zu stärken, ihm neues sprachliches Selbstbewusstsein zu Aber es sind nicht diese spektakulären Fälle, geben, weil die angestammte Muttersprache die Beachtung verdienen. Die Totengräber nicht negativ dargestellt wird, sondern in ei- unserer Dialekte sind die kleinen Nicklig- ner Reihe mit vermeintlich besseren Sprach- keiten, denen unsere dialektsprechenden formen steht. Wir können alles und sprechen Kinder dauernd ausgesetzt sind. „Wie heißt unsere eigene Sprache. Und diese Sprache es richtig?“ fragt die Kindergärtnerin. „Sags wird dadurch aufgewertet – nicht nur in den jetzt einmal schöner!“ sagt die Lehrerin und:

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„Jetzt nochmal, so, damit wir alle es verste- hör verschaffen. Wichtig ist, dass das als hen!“ hört das irritierte Kind in der Schule. Diskriminierung erkannt, auch so genannt Und es hört vom „gestochenen“ Hochdeut- und dann genauso behandelt wird wie die schen, das gewisse Menschen aus dem Nor- anderen Formen von Diskriminierung, die den der Republik besitzen sollen. Solche es in unserer Gesellschaft gibt. Die Diskrimi- Sätze formen das Bewusstsein unserer nierung der Sprache des Südens muss zum Kinder. Und wir haben die Folgen davon in Thema, muss ernst genommen und nicht unseren eigenen Köpfen. Es ist in denen der wie bisher als harmlose Kuriosität abgetan Lehrer und in den Köpfen der Leute, die die werden. Massenmedien füttern.

Norwegen hat es da besser: Dort gibt es heute noch eine Lebendigkeit der Dialekte im ganzen Land und in allen Bevölkerungs- schichten, so wie bei uns im 19. Jahrhundert. Und die Norweger verstehen sich auch. Und was ist die Ursache davon? Seit 1878 gibt es dort ein Gesetz, das es den Lehrern verbietet, ein Kind wegen seiner Muttersprache zu kri- tisieren. Aufkleber des Fördervereins Bairische Sprache und Dialekte e. V. Also: In der Schule gab es und gibt es in Norwegen bis heute keine Kritik an der Wir müssen das Selbstbewusstsein des Sü- Mündlichkeit, es gibt eine Achtung vor allen dens stärken – und hier meine ich nicht nur mündlichen Sprachformen, sie werden als Bayern und Baden-Württemberg, sondern gleichwertig betrachtet, kritisiert werden darf auch die Schweiz und Österreich, Sachsen aber sehr wohl das, was das Kind schriftlich und Thüringen, Rheinland-Pfalz und Hessen, produziert. Folge: Man lässt jedem Kind seine die alle mehr oder weniger das gleiche Pro- Muttersprache, jedem Menschen sein Recht blem haben. Wir müssen dafür sorgen, dass auf die eigene Sprache, man nimmt ihm der Süden mehr sprachliches Selbstbewusst- nicht einen Teil seiner Heimat. sein erhält, dabei vor allem die Jugend. Und sprachliches Selbstbewusstsein soll nicht nur gezeigt werden, wenn man auf dem Oktober- Zwischenfazit fest in der Lederhose und im Dirndl auftritt.

Diskriminierung ist das Stichwort, das uns Natürlich müssen wir gleichzeitig auch da- weiterhelfen kann: Die Medien finden dieses für sorgen, dass das unbegründete Überle- Thema interessant, bei der Benachteiligung genheitsgefühl des Nordens reduziert wird. von Menschen wegen ihres Geschlechtes, Denn jeder kann täglich sehen, dass der wegen ihrer Hautfarbe, aber bisher kaum norddeutsche Regionalakzent keineswegs beim Thema Dialekt oder Regionalakzent. Die das reine Hochdeutsch ist (tag-tach, drei Linguistik selbst verwendet es erst seit ein Buchstaben, zwei Aussprachefehler), sondern paar Jahren in diesem Zusammenhang. genauso eine Varietät der Standardsprache wie die verschiedenen Sprachfärbungen der In Deutschland werden Menschen wegen Süddeutschen. So lange ein norddeutscher ihrer Muttersprache benachteiligt, diskri- Akzent auch von uns als akzentfrei betrach- miniert. Hier gilt es den Forderungen des tet wird, das ist ein Widerspruch in sich, so Grundgesetzes Anspruch zu verleihen, hier lange haben wir keine Chance, den beschrie- kann man einhaken und sich öffentlich Ge- benen Zustand zu ändern.

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Was nun? Was tun?  Nicht nur in der Lehrerausbildung sollen die hier referierten Inhalte vermittelt werden, Wie könnte man die hier aufgezeigten Diskri­ auch in der Lehrerfortbildung sollen sie in minierungsmechanismen beseitigen oder allen Fächern, allen Klassenstufen und allen mildern? Die Voraussetzungen dafür sind Schularten zum Thema werden. Denn nur günstig, weil das Vorurteil wirklich ein Vorur- Inhalte, die begründet sind und von denen teil und durch kein Faktum zu begründen ist. man überzeugt ist, kann man wirkungsvoll an Es ist nur Aufklärung vonnöten. die junge Generation vermitteln. Das tief sit- zende Vorurteil von der Minderwertigkeit ein- Die folgenden Maßnahmen wären der Sache zelner Varietäten im deutschen Sprachraum dienlich: kann nur durch gemeinsame Anstrengungen  Am Anfang müssen die Universitätsgerma- aller Betroffenen überwunden werden. nisten von den hier dargestellten Fakten  Alle mit dem Gebrauch der Mundart zusam- überzeugt werden, müssen sie als Thema be- menhängenden Themen müssen zum Gegen- greifen. Selbst bei vielen von ihnen herrscht stand des Unterrichts gemacht werden – noch die Auffassung, dass es der Norden beginnend in der Grundschule. Wenn Lehr- besser kann. kräfte diese Themen unterrichten müssen,  Die Basis des Ganzen: In der Lehrerausbil- dann dringen diese tiefer in ihr Bewusstsein dung müssen die sprachhistorischen und ein, die gut gemeinten „Verbesserungen“ sprachwissenschaftlichen Fakten für die werden eher als Diskriminierung erkannt und Grundlosigkeit des südlichen Unterlegen- damit eher vermieden. heitsgefühls allen Studenten nahegebracht  Man muss – wichtig – die Sache auch durch werden. Es muss ihnen bewusst gemacht gesetzgeberische und verwaltungsmäßige werden, wie diese Auffassung historisch Vorgaben fördern. Man sollte nach norwe- entstanden ist, dass ihr heute jegliche reale gischem Vorbild per Gesetz verbieten, ein Grundlage fehlt und dass es keine wissen- Kind wegen seiner gesprochenen Mutter- schaftlich fundierte Gründe gibt, verschie- sprache zu tadeln. So eine Initiative würde dene Ausspracheformen als höher- oder schon durch die entstehende Diskussion das geringerwertig zu betrachten. Problem ins Bewusstsein in der Bevölkerung  Die zukünftigen Lehrkräfte aller Schulzweige rücken und dazu beitragen, die Ideologie von und Klassenstufen müssen lernen, wie der sprachlichen Überlegenheit des Nordens sprachliche Diskriminierung funktioniert, wo in Frage zu stellen. sie vorliegt und wie ihr zu begegnen ist. Dazu sind an den Universitäten Anreize zu setzen Lehrerhandreichungen wie die vorliegende für die Lehre und für Forschungsarbeiten leisten einen kleinen, aber wertvollen Beitrag und -projekte zu den Formen und Mechanis- zum eben beschriebenen Programm, sie sind men solcher Diskriminierung und ihrer histo- aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. rischen Entstehung. Wenn wir ernsthaft unsere bayerischen Dia­ Der Ansatz über die Universitäten und die lekte, unsere Muttersprachen, diesen Teil Lehrkräfte ist notwendig, weil Vorurteile und unserer Heimat, erhalten wollen, dann müs- Minderwertigkeitsgefühle früh entstehen und sen weitere Maßnahmen ergriffen werden. später nur noch schwer aus den Köpfen zu Ich habe hier Vorschläge gemacht. Und das entfernen sind. Dass darüber auch auf breiter Erstaunliche ist, dass sie nicht einmal viel Basis geforscht wird, verstärkt die Glaubwür- kosten. Nur einen Bruchteil dessen, was das digkeit des Ansatzes und hält ihn in der Dis- Land Baden-Württemberg dafür ausgegeben kussion. Das wäre eine genuine Aufgabe für hat, sein sprachliches Prestige zu ruinieren. die an fast allen bayerischen Universitäten Man muss es nur wollen. Es ist fünf vor vorhandenen Professuren für Variationslin- zwölf. Es darf nicht nur bei schönen Reden guistik. bleiben. Es muss gehandelt werden.

374 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Anmerkungen 5 Das Wort Dialekt hat in den letzten Jahr- 1 Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! zehnten beim Nicht-Sprachwissenschaftler Eine Lebensgeschichte. 1990 herausgegeben seine Bedeutung verändert. Je weniger Men- und mit einem Nachwort versehen von Sigrid schen mit den genuinen Basisdialekten in und Helmut Bock. Berlin: Verlag der Nation, Berührung kommen, desto eher bezeichnen S. 110. sie die landschaftlichen Färbungen der Stan- dardsprache schon als Dialekt. 2 Vgl. Bulletin der Bundesregierung Nr. 96-1 vom 23. September 2008, S. 6. 6 Das konnte man am 21.09.2002 in der Schwäbischen Zeitung in einem Artikel mit 3 Sendung bei: https://www.youtube.com/ der Überschrift „Hochdeutsch Schwache watch?v=pthd9OaZOlM (aufgerufen am fallen auf“ so lesen. 20.05.2015) 7 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4 Zum Thema Sprache und Diskriminierung 05.09.2012, Nr. 207, S. N3: Könich Ludwich vgl. Maitz, Péter / Elspaß, Stephan (2011): lebt hier nich mehr. Linguistik als Heimat- Zur sozialen und sprachpolitischen Verant- kunde: Der galoppierende Verfall der gespro- wortung der Variationslinguistik. In: Glaser, chenen Sprache scheint niemanden zu Elvira / Schmidt, Jürgen Erich / Frey, Nata- kümmern. Eine Polemik. scha (Hgg.): Dynamik des Dialekts. Wandel und Variation. Akten des 3. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie Abbildungen des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner (ZDL Slogan: Landesregierung Baden-Württem- Beihefte; 144), S. 221-240. berg, Stuttgart; Karikatur: Sepp Buchberger, Für den Unterricht siehe Heft 6/2011 von DER Tübingen; Sprachkarten: Deutscher DEUTSCHUNTERRICHT zum Thema sowie Taschenbuch Verlag, München; Fotos: den Aufsatz von Steffen Arzberger (2008): Bayerischer Landesverein für Heimatpflege Dialekt und Schule – Freund oder Feind URL: e. V., München; Werner König, Augsburg; www.dialektforschung.phil.uni-erlangen.de/ Aufkleber: Förderverein Bairische Sprache sterbendialekte. und Dialekte e. V.

Werner König, geb. 1943 in des „Sprachatlas von Bayerisch- Schwabmünchen, Abitur 1963 in Schwaben“, der mit dem 14. Augsburg, Studium Deutsch, Ge- Band im Jahr 2009 abgeschlossen schichte, Sozialkunde fürs Lehramt wurde. Neben zahlreichen in München und Marburg, Staats- wissenschaftlichen Arbeiten ste- examen 1968/69 in München, Pro- hen auch Werke, die für ein Laien- motion 1970 in Erlangen, 5 Jahre publikum geeignet sind: Der „dtv- wissenschaftlicher Assistent an Atlas Deutsche Sprache“ (17. der Universität Freiburg. Von 1976 Aufl. 2011), zusammen mit M. an Akad. Rat im Fach „Deutsche Renn der „Kleine Bayerische Sprachwissenschaft“ an der Uni- Sprachatlas“ (3. Aufl. 2009) sowie versität Augsburg, 1990 Profes- der „Kleine Sprachatlas von Baye- sor. Begründer und Herausgeber risch-Schwaben“ (2. Aufl. 2007).

375 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

Neue Werte hinzufügen. Vorschläge für eine zeitgemäße Heimatpflege

Norbert Göttler

Totgesagte leben länger. Was in den 1970er- tion geschmäht – scheint überlebensfähig, und 1980er-Jahren schier undenkbar war, ist weil erstaunlich wandelbar, anpassungsfähig eingetreten. Der Heimatbegriff erlebt eine Re- und flexibel. Diese Wandelbarkeit treibt mit- naissance: Pop-, Rock- und Folkgruppen wie unter merkwürdige Blüten, was traditionell Haindling oder LaBrassBanda integrieren Ele- geprägte Volksmusikanten, Trachtenfreunde, mente der bayerischen Volksmusik, junge Dialekt- und Brauchtumspfleger bisweilen Dichter rezitieren auf Poetry Slams Mundart- in Harnisch bringt, zu Recht. So glücklich gedichte, Filmemacher wie Edgar Reitz und man darüber sein sollte, dass die jahrelange Marcus H. Rosenmüller erfinden den neuen Verpönung des Heimatbegriffs nachlässt, Heimatfilm und mit der Habilitationsschrift so misstrauisch sollte man jedem neuen von Karen Joisten „Philosophie der Heimat – „Hype“, jeder neuen Ideologisierung gegen- Heimat der Philosophie“ (2003) hat sich auch überstehen. Immer wieder wurde der Hei- die Wissenschaft einem bis dahin lange ver- matgedanke vergessen und wieder entdeckt, nachlässigten Thema zugewandt, das in den Moden kamen und gingen. Fragen wir uns letzten Jahren zahlreiche Fachtagungen von deshalb nüchtern und gelassen: Was bedeu- Parteien, Stiftungen und Akademien beschäf- tet der Heimatbegriff heute? Was macht seine tigte und es noch immer tut. Relevanz für heute aus?

Keine Frage: Das Thema „Heimat“ boomt. Im April 2012 widmeten ihm Der Spiegel die Titelseite und die Coverstory, der Sen- der Phoenix und das Bayerische Fernsehen ganze Nachmittage und Abende. Wer auf dem Buchmarkt nach einschlägiger Litera- tur sucht, um sich zu verorten, wird schnell fündig: Bernhard Schlinks Essay „Heimat als Utopie“ (2000) machte hier den Anfang, Christoph Türcke setzte die Reihe mit „Hei- mat. Eine Rehabilitierung“ (2006) fort. Seither sind zahlreiche Sammelbände aus ganz un- terschiedlichen Disziplinen erschienen – bis hin zur Psychiatrie. Verena Schmitt-Rosch- manns Buch „Heimat. Neuentdeckung eines verpönten Gefühls“ (2010) weist deshalb mit Nachdruck darauf hin, dass aus einem an- rüchigen, weil politisch und gesellschaftlich missbrauchten Begriff in Zeiten der Globali- sierung wieder ein arbeitsfähiges Konzept geworden ist.1

Das Konzept „Heimat“ – oft als Utopie, als Was ist Heimat? Titelcover Der Spiegel Nr. 15 vom 7. April Mythos, als Konstrukt, als moderne Imagina- 2012. Foto: Der Spiegel, Hamburg

376 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Heimat – Traditionslinien Kriege und Hungersnöte haben Menschen zu allen Zeiten bewogen, ihre angestamm- Wenn unser heutiger Heimatbegriff für viele ten Siedlungsplätze zu verlassen. Der medi- mit einer romantisch-nostalgi­schen Note ver- zinische und hygienische Fortschritt des 19. bunden ist, so ist das ein neuzeitliches Ge- Jahrhunderts tat sein Übriges. Die Bevölke- fühl. Die harten Lebensbedingungen, in der rungszahlen schossen in die Höhe und gene- die meisten unserer Vorfahren lebten, lie- rierten in vielen Regionen ein ländliches Pro- ßen solche Emotionen kaum zu. Heimat, das letariat. Der vererbte Hof ernährte nur eine war zuerst ein nüchterner Begriff der exis- Familie und das Gesinde, die so genannten tenziellen Grundversorgung. Das historische „Ehalten“. Um nicht zuhause verhungern Heimatrecht beschrieb die Zugehörigkeit ei- oder in ärmlichsten Verhältnissen leben zu ner Person zu einer bestimmten Gemeinde müssen, blieb vielen nachgeborenen Bau- und damit den Anspruch auf ungestörten ern- und Handwerkerkindern oftmals nur die Aufenthalt und Armenpflege im Falle der Not. Möglichkeit, in die Fremde zu gehen: in ein Kloster, in das Fabrikgetto der Frühindustrie Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm von oder – auf dem fensterlosen Zwischendeck 1877 wird Heimat als „Landstrich, wo man eines „Seelenverkäufers“ – in die Ungewiss- bleibendes Aufenthaltsrecht hat“ definiert. In heit und Sprachlosigkeit der Auswanderung, Bayern, so fügten die beiden Hessen Jacob z. B. nach Amerika. und Wilhelm Grimm lexikalisch hinzu, „wird auch das elterliche Haus und dessen Besitz­ Lernt man erst in der Fremde das Eigene ken- thum Heimat genannt“. Das „Hoamatl“, wie nen und schätzen? Ist das „stärkste Heimat- es heute noch im bäuerlichen Bereich liebe- gefühl das Heimweh des Fortgegangenen“, voll charakterisiert wird.2 wie es der Schriftsteller Bernhard Schlink in seinem Essay „Heimat als Utopie“ (2000)3 Das Prozedere um das Heimatrecht war we- formulierte? niger liebevoll. Es musste hart und teuer er- worben und durch eine amtliche Urkunde Auf jeden Fall wird aus dem Weggehenden in bestätigt werden. Wer sich das nicht leisten besonderer Weise ein Heimatbezogener. Dem konnte, war in vielen Fällen Gemeindebür- alten Dorf, der alten Landschaft wird nach- ger zweiter Klasse, durfte z. B. keine Familie getrauert, die alte Heimat oft genug ideali- gründen, kein eigenes Gewerbe ausüben und siert. Es gibt kulturgeschichtliche Theorien, nicht zur Wahl gehen, auch wenn er seit Ge- wonach sich ein emotionaler Heimatbegriff nerationen im Dorf lebte. Von Romantik also erst in Zeiten der großen Bevölkerungsbe- keine Spur! Erst im späten 19. Jahrhundert wegungen des 19. Jahrhunderts entwickelte. wurde das Prinzip des Heimatrechts durch „Heimat ist ein Begehren des Nomaden“, das Recht auf Freizügigkeit und durch das so formuliert etwa Bernd Hüppauf. „Wer sie Sozialstaatsprinzip abgelöst. nicht besitzt, empfindet diese Leere als quä­ lend und entwickelt eine Sehnsucht nach Das Heimatrecht war seinerzeit ein sozia- dem Fehlenden.“ 4 ler Fortschritt, denn zu Zeiten des ungere- gelten Feudalismus konnte der Grundherr 1818, nach dem Verkauf der hoch verschul- seine Hintersassen jederzeit „abstiften“, deten Güter seiner schlesischen Familie, be- also von Haus, Hof und Dorf in die bitterste klagt etwa Joseph Freiherr von Eichendorff Armut jagen. Viele Städte und Märkte ha- seinen zeitlebens nie überwundenen Heimat- ben heute noch Viertel mit dem Namen „Im verlust: Elend“. Dort hausten die Fremden und Rei- senden, die „Verganteten“ und „Stiften Ge­ gangenen“.

377 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

„Aus der Heimath hinter den Blitzen roth,/ So unpolitisch man sich präsentierte, die da kommen die Wolken her,/ aber Vater und Heimatschutzbewegung hatte stets auch Mutter sind lange todt,/ es kennt mich dort politische Absichten und Wirkungen. Schon keiner mehr.“ in der Gründerzeit stellte sich der Heimat- gedanke in den Dienst des Nationalstaates. Während unter dem Eindruck der Frühin- Völkisches Denken lag da nicht fern. Agrar- dustrialisierung die alten bäuerlichen und romantik und Großstadtfeindlichkeit paarten ständischen Strukturen zusammenbrechen, sich leicht mit dem Glauben an die Über- schreibt man romantische Gedichte auf die legenheit des deutschen Volkes, im Begriff Heimat. Während 1844 in Schlesien der We- „Heimat“ wurde nun oft ausdrücklich deut­ beraufstand tobt, macht die Spätromantik sche Kultur mit deutscher Natur verbunden. den Heimatbegriff endgültig zum Mythos. Die Chefideologen des „Dritten Reiches“ Zu dieser Zeit war der Heimatbegriff immer pervertierten und überhöhten mit ihrer noch ein topographischer. Jeder, der ihn im „Blut-und-Boden-Tümelei“ lediglich das, Munde führte, meinte ein bestimmtes Dorf, was längst angelegt war. eine bestimmte Landschaft. „Die heimatliche Natur ergreift mich umso mächtiger, je mehr Heimatfilm und Heimatroman der Nach- ich sie studiere“, sinnierte Hölderlin. kriegszeit haben in ihrem seichten Klischee den wirklichen Blick auf das, was Heimat sein Heimatgefühle waren im 19. Jahrhundert kann, eher verstellt als gefördert. So verwun- überwiegend naturromantische Gefühle. Die dert es nicht, dass der Heimatbegriff als seit dem Biedermeier entstehende und breit historisch höchst belasteter und in der Folge rezipierte Heimatliteratur verweigerte sich rundum desavouierter Begriff die zweite weitreichend dem um sich greifenden Indus- Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichte. trialisierungsprozess und seinen sozialen Fol- gen. Heimat bezog sich zumeist auf den Ort der frühesten Sozialisationserlebnisse, die überschaubare Welt des Dorfes. Die Dorfge- schichten und Bauernromane von Jeremias Gotthelf, Karl Immermann, Berthold Auer- bach und Peter Rosegger legen hier beredtes Zeugnis ab. Ludwig Ganghofer trieb das Genre auf die Spitze und erreichte mit seinen Werken Millionen. Die Darstellung der Stadt und ihrer neuen Wirklichkeiten blieb dem Na- turalismus vorbehalten – und provozierte als- bald das juste milieu.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand eine breite Heimatschutzbewegung, die zur Gründung zahlreicher regionaler Heimat-, Trachten-, Geschichts- und Volkskunstvereine führte. Auch die nun einsetzende Jugendbe- wegung und der Wandervogel sind in diesem Kontext zu verorten, der Heimat und Natur im romantischen Geiste idealisierte, die Filmplakat „Schwarzwaldmädel“ (1954). Der erste Fiktion eines „unverdorbenen Landlebens“ im Nachkriegsdeutschland gedrehte Farbfilm war predigte und dabei grundlegende Zivilisati- mit 16 Millionen Zuschauern ein Kassenschlager. onskritik übte. Foto: DHM, Berlin

378 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Heimat – Neuentdeckung Es besteht kein Zweifel, dass es auch in in- eines verpönten Gefühls dustriegesellschaftlichen, globalisierten Zu- sammenhängen solche Lebensräume gibt. Es ist oft und zu Recht festgestellt worden, Dass sie besonders lebenswert und damit dass eine allgemein anerkannte und gelebte auch im Sinne von Heimat-, Denkmal- oder Definition von Heimat zumindest in west- Sprachpflege schützenswert sind. Unstrittig lichen Industrieländern nicht mehr zu finden ist, dass es noch immer viele Menschen gibt, ist. Die Segmentierung der Gesellschaften die zeitlebens ihre Lebensfreude und Identi- bedeutet auch, dass wir mit einer Pluralität tät aus solchen traditionell stabil gebliebenen von Heimatvorstellungen leben müssen und Milieus schöpfen. dürfen. In der Tat „dürfen“, denn ich emp- finde diese Situation zwar auch als Heraus- Allerdings gilt dies nicht für alle Menschen: forderung, vor allem aber als Bereicherung. Nach 1945 durch die Umstände der Vertrei- Überspitzt gesagt: Wir leben in der glück- bung, seither durch die Notwendigkeit ei- lichen Situation, nicht mehr genau zu wissen, ner permanent mobilen Industriegesellschaft was Heimat ist. Wir können uns dem moder- sieht sich die Mehrheit unserer Bevölkerung nen Heimatbegriff weniger durch Definiti- gezwungen, sich eventuell sogar mehrfach onen als durch Gegensatzpaare nähern. Zwei im Leben neue Heimaten zu schaffen, fern solcher Spannungsbögen möchte ich im Fol- der Orte von Geburt, Kindheit und Jugend. genden näher erläutern: Bei ihnen hat sich der Heimatbegriff von einem topographischen zu einem seelisch-  Heimat zwischen regionaler emotionalen Bedürfnis verändert. Verortung und globaler Vernetzung Die Erinnerung an Familienstrukturen, an „Neue Heimaten“? Kann es diesen Plural Orte und Landschaften der Kindheit, ist im- überhaupt geben? Mehrere anerkannte Wör- mer noch immens prägend – positiv wie terbücher verneinen das. Semantisch haben negativ. Sinnliche Erfahrungen wie Bilder, sie wohl Recht, sachlich hingegen nicht. Die Gesichter, Personen, Räume, Gerüche, Töne, Erfahrung vieler, die sich neue Heimaten ge- Dialekte bestimmen bewusst oder unbewusst schaffen haben, spricht dagegen. „Ubi bene, unser weiteres Leben. „Die Bindung an be­ ibi patria“, sagt Cicero und zitiert damit be- stimmte Orte schafft existentielle Sicherheit, reits ein Wort des 400 Jahre älteren Aristo- Orientierung und Handlungssicherheit, sie phanes: „Wo es einem gut geht, da ist sein bringt Kontinuität und Identifikation und ist Vaterland!“ Ähnlich drückt es der Philosoph eine wichtige Stütze für die eigene Identität“, Karl Jaspers im 20. Jahrhundert aus: „Heimat so formuliert es der Leipziger Umweltpsycho- ist da, wo ich verstehe und wo ich verstan­ loge Urs Fuhrer.5 den werde.“

Heimat, ursprünglich der „umfriedete Raum“, Das ist das Ende des topographischen Hei- also Besitz, Haus und Hof, wird so zu einem matbegriffs. Heimat wird zur Utopie – zum Raum von Überschaubarkeit, Unverwechsel- „u-topos“, zum „Nicht-Ort“. Bernhard barkeit, Identität, Geborgenheit, Vertrautheit. Schlink schiebt in seinem Essay den orts­ Räume dieser Art drücken sich in einem be- gebundenen Heimatbegriff ausdrücklich bei- stimmten Lebensstil, in Bauweise, Wohnkul- seite und betrachtet Heimat als imaginären tur, Brauchtum, Musik und Festkultur sowie Ort der Sehnsucht. Könnte es sein, dass auch in ihrer je eigenen Sprache aus. Heimat ist die digitale Suche nach Heimat in Twitter und Nahwelt, die verständlich, durchschaubar und Facebook, Chat-Room-Geflüster und Cyber- formbar ist, ethologisch, also verhaltensbiolo- Sex eine solche Form der „u-topischen“ gisch vielleicht ableitbar vom „Revier“, vom Heimatsuche ist? „Territorium“, vom „Habitat“ der Tierwelt.

379 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

Regionale und historische Heimatsuche hin- Eher „weghafte“, kosmopolitische, progres- gegen ist konkret gelebtes Leben und da- sive Menschen sind geprägt durch Offenheit, mit das Gegenkonzept einer medial mani- Innovation und Neugierde. Ihre Verhärtungs- pulierten „Secondhand-Identität“. Sich eine gefahr besteht in Rastlosigkeit, Leere, Hei- konkrete, neue Heimat schaffen, das asso- mat- und Orientierungslosigkeit. ziiert ein aktives Tun. Sich mit den histo- rischen Wurzeln dieser neuen Heimat be- Ich will kein Idyll zeichnen. Der „heimhafte“ schäftigen, ihre Kostbarkeiten kennenlernen wie der „weghafte“ Heimatbegriff, sie kön- und pflegen, Verantwortung übernehmen. nen beide glücken wie scheitern. Man kann Es ist zu beobachten, dass es oftmals mit seiner Lebensleistung versuchen, die Ba- zweite oder dritte Heimaten sind, in der lance zwischen diesen beiden Polen zu wa- sich viele Heimatpfleger und Heimatforscher gen, die Gegensätze zu integrieren. Man kann engagieren. aber auch auf zwei Seiten vom Pferd fallen.

„In der Spannung zwischen Enge und Weite,  Heimat als heilendes und als kränkendes zwischen ruhigem Verweilen im schützenden Phänomen Bereich der Heimat und mutigem Ausgreifen Ich kenne Polizisten, die nicht in Uniform in die Ferne, zwischen Beharren in der Tra­ in ein Lokal gehen können, aus Angst, von dition und Willen zum Fortschritt, bald mehr einem missgünstigen Koch vergiftet zu wer- zur einen, bald mehr zur anderen Seite sich den. Ich kenne Menschen, die nicht in einem neigend, verläuft das menschliche Leben.“ Hotelbett schlafen können, aus Angst, von So Otto Friedrich Bollnow.6 Wenn man vom den Bazillen des Vorgängers angesteckt zu erzwungenen Verlassen der Heimat absieht, werden. sind „Gehen“ und „Bleiben“ menschliche Existenziale, die in jedem von uns stecken. Extremfälle – sagt man. Menschen, denen Jeder Mensch hat nach Karen Joisten eine etwas fehlt – Urvertrauen. Ohne Urvertrauen „heimhafte“ und eine „weghafte“ Seite. lebt es sich schwer. Aber wie gewinnt man Urvertrauen? Urvertrauen wächst in frühkind- Diese bipolare Erfahrung wird schon im Buch lichen Erfahrungen, im Erleben von Familie, Genesis thematisiert. Von Adam wird gesagt: Partnerschaft und – Heimat. Heimat kann Ur- „Gott nahm den Menschen und setzte ihn in vertrauen generieren, Heimatlosigkeit nicht. den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewache“ (Genesis 2,15). Bewachen. Also Heimatlosigkeit als psychische Kränkung ist bleiben. Sesshaft bleiben. Nur wenige Kapitel mehrfach beschrieben worden.7 So schreibt später hingegen hört Abraham: „Ziehe fort C.G. Jung über einen amerikanischen Pati- aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft enten: „Er war körperlich in Zürich, träumte und aus deinem Vaterhaus, in das Land, das aber selten von Europa, immer von Amerika. ich dir zeigen werde.“ (Genesis 12,1). Er ist also nicht wirklich hier, sondern sieht alles durch die Brille von New York oder Bos­ Jeder von uns hat eine adamitische und eine ton. Erst nach einer Weile kommt ein Koffer abrahamitische Seite. Die biblische Antino- nach dem anderen aus Amerika. Manche sei­ mie warnt uns davor, einseitige Menschen- ner Koffer aber kommen nie an.“ 8 bilder aufzustellen. Menschen, die mehr dem „Heimhaften“, Traditionellen, Konservativen Manche Koffer kommen nie an. Jeder, der zuneigen, haben ihre Stärken im Ordnen, seine Heimat unfreiwillig verlassen musste, Schützen, Verantwortung übernehmen, Tra- weiß um diese Tragik – aber auch viele Men- ditionen weitergeben. Diese Stärken können schen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre aber zu Traditionalismus und Intoleranz ver- Heimat verließen. härten.

380 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Dem Schmerz des Heimatverlustes folgt oft  Den Blick für Maßstäbe bewahren! die Verdrängung. So kann der Schmerz von Heimat- und Traditionsbewusstsein sind Migranten so groß werden, dass sie alles hohe Tugenden, müssen sich aber höheren Vergangene abschütteln und ihren Kindern Tugenden wie Toleranz, Menschenfreundlich- verbieten, ihre Muttersprache weiter zu pfle- keit, Gewaltlosigkeit und Gastfreundschaft gen. Oder dass sie in ihrem Lebensstil deut- unterordnen. Wird diese Wertehierarchie scher als die Deutschen, amerikanischer als missachtet, kommt es im besten Fall zu pein- die Amerikaner werden. Aber auch die un- lichen, im schlimmsten Fall zu kriminellen Ex- gebrochene Kontinuität von Heimat ist noch zessen. Alle Formen der Heimatliebe und Hei- keine Garantie für seelische Gesundheit. matpflege sollten sich den Werten der Huma- nität und Aufklärung unterordnen. Das Konzept „Heimat“ kann auch in dieser Beziehung glücken oder scheitern. Heimat  Auch das Fremde integrieren und es als kann seelisch gesunde oder seelisch kranke Bereicherung verstehen! Menschen hervorbringen, kann heilen oder Das Fremde und die Heimat gehören un- kränken. Wann macht Heimat gesund? Wann trennbar zusammen. Nur durch das Erleb- krank? Das dauerhafte Fehlen einer Sicher- nis des Fremden wird Heimat zur Heimat. heit bietenden Umgebung ist in den meisten Das prasselnde Kaminfeuer ist nur dann ge- Fällen kränkend und schädigend. mütlich, wenn es draußen kalt ist. Oder, um mit Karl Valentin zu sprechen: „Fremd ist der Zu engherzige Familien, Clans und Dorfge- Fremde nur in der Fremde“. Liebe zur eige- meinschaften können den gleichen Schaden nen Heimat darf sich nicht nach dem frag- anrichten. Sie zwingen dem einzelnen Mit- würdigen Motto „Mia san mia“ aus der Her­ glied ungeliebte Normen auf, entziehen ihm abwürdigung fremder Heimaterfahrungen bei abweichendem Verhalten Schutz und Em- speisen. pathie. Sie neigen dazu, Andersdenkende und Anderslebende radikal auszuschließen.  Die eigene Fremdheit wahrnehmen! Die Literatur- und Filmgeschichte ist voll von Und wenn die eigenen Vorfahren Jahrhun- Berichten Ausgestoßener und Diskriminierter, derte an einem Ort gewohnt haben: Zur Ver- man denke nur an die Werke von Lena Christ trautheit mit einem Stück Heimat gehört bei und Oskar Maria Graf. vielen auch ein Stück nie zu überwindender Fremdheit. Diese Ambivalenz ist nichts Nega- Wenn eine vermeintliche Heimat aber zum tives, sondern Ausdruck unserer Fortschritts- disziplinarischen Damoklesschwert wird, hat fähigkeit. Jeder von uns ist ein Stück mehr, sie jegliche Berechtigung und Schutzwürdig- als ihm die eigene Heimat geben konnte. keit verloren. Gott sei Dank gibt es auch ge- Fremdheitsgefühle im Diesseits kann auch nügend Gegenbeispiele. Beispiele für glü- Ausdruck religiöser Zukunfts- und Para- ckende Heimaterfahrungen, die Urvertrauen dieseshoffnung sein. Der 119. Psalm bringt und Lebensfähigkeit stärken. dies zum Ausdruck, und davon abgeleitet Paul Gerhardts bekanntes reformatorisches Kirchenlied „Wir sind nur Gast auf Erden, Kriterien für ein menschen- und wandern ohne Ruh, mit mancherlei Be­ freundliches Heimatbild schwerden der ew´gen Heimat zu“. Der Lyriker Georg Trakl formuliert in einer Was ist die Basis für ein heilsames, men- Gedichtstrophe: „Die Seele ist ein Fremdes schenfreundliches Heimatbild? Ich persönlich auf Erden.“ finde folgende Kriterien plausibel und stelle sie zur Diskussion:

381 Sprache, Heimat, Werte Dialekte in Bayern

 Klischees, Ressentiments und „Tümelei“ vermeiden! Das Volk ist nicht „tümlich“, schreibt Bert Brecht. Heimatpflege sollte es auch nicht sein. Ein „tümelndes Klischee“ ist eine mil- de Form der Lebenslüge und bietet keine trag- fähige Basis für ein gesundes Heimatbild. Aus unreflektierten, unhistorischen Klischees und falschen Selbstbildern erwachsen im Nu Ressentiments gegenüber anderen.

 Die eigene Heimat nicht überfordern! Keine Ehe und Partnerschaft kann alle Be- dürfnisse des anderen erfüllen, keine Heimat-

gemeinde alle Bedürfnisse ihrer Bewohner. Dirndl und Lederhose, Schuhplattler, Jodler, Biertrinker? Mit einem zärtlichen, zumindest nüchtern- Norbert Göttler plädiert für eine differenziertere Sicht humorvollen Blick kann man sich auch mit Oberbayerns. den Schwächen der je eigenen Heimat ver- söhnen. Ja, man kann auch mit ihren schwe- ren Verwerfungen, Brüchen und Schatten le- Heimat zwischen Freiwilligkeit ben lernen, die sich unter Umständen im Lau- und Beliebigkeit fe der Geschichte angesammelt haben. Ein realistischer Blick auf die Sozialgeschichte „Land, Land meiner Herkunft […], ich flehe und Zeitgeschichte unserer Region ist allemal dich an, wie ein Kind voller Tränen seine überzeugender, als den verlogenen Mythos Mutter […] Ich möchte nun an deinem Her­ der „guten alten Zeit“ zu pflegen. zen schlafen“. Obwohl wir in Deutschland vom Vaterland sprechen, erweist sich, wie in Heimat muss in der Krise funktionieren – dieser Gedichtzeile von Pablo Neruda, „die“ oder sie verdient den Namen nicht! Feste, Heimat als ein Mutter-Archetyp. Terra Patria, gelebtes Brauchtum und gemeinsame Musik­ Muttersprache, Alma Mater. erlebnisse sind wunderbare Einrichtungen. Aber sie sind noch nicht die Nagelprobe für Kann man sich einer Mutter entziehen, ohne funktionierende Heimat. Erst in der Krise – Schaden zu nehmen? Zu Zeiten, als man scheiternde Beziehungen, strauchelnde Kin- ohne „Heimatrecht“ mehr oder weniger der, Krankheit und Arbeitslosigkeit – erweist recht- und schutzlos war, sicher nicht. Auch sich, ob der jeweilige „Lebensraum Heimat“ nicht zu Zeiten unserer Großeltern, als sich stützend oder ausschließend, heilend oder die topographische Heimat für die allermei- diskriminierend reagiert. sten auf wenige Dörfer, Stadtviertel oder Landstriche bezog.

Heute ist Heimat eine Frage der freiwilligen Schon gewusst? Entscheidung. Man kann sich bewusst mit Geschichte, Baukultur, Brauchtum, Kunst und Das Wort Dialekt stammt aus dem Griechi- Sprache einer Region auseinandersetzen – schen (διαλε´γομαι / dialegomai) und bedeu- oder man kann es eben bewusst nicht tun. tet „miteinander reden“. Das Wort Mundart Man kann die Nachbarschaft von Menschen geht auf seine Eindeutschung durch Philipp suchen – einschließlich ihrer möglichen Sozi- von Zesen (1619-1689) zurück. alkontrolle – oder sie meiden, verbunden mit der Gefahr der Vereinsamung.

382 Dialekte in Bayern Sprache, Heimat, Werte

Diese Wahlmöglichkeit ist ein begrüßens- Bereits ab 1850 waren im ganzen Land zahl- werter Zugewinn an Autarkie und Selbstbe- reiche Heimatvereine und Heimatmuseen stimmung des Einzelnen. Aber auch verbun- entstanden, 1894 wurde in Würzburg der den mit einem zwingenden Maß an persön- „Verein für bayerische Volkskunde und licher Entscheidung – denn beides gleichzei- Heimatpflege“ gegründet, 1902 dann der tig ist leider selten erreichbar: Freiheit und „Verein für Volkskunst und Volkskunde“, Nähe, Grenzenlosigkeit und Bindung. der ab 1945 „Bayerischer Landesverein für Heimatpflege“ hieß. Seine Zeitschrift „Volkskunst und Volkskunde“ wurde später Heimat zwischen Bewahren in „Bayerischer Heimatschutz“, dann in und Erneuern „Schönere Heimat“ umbenannt.

Dass Natur und Umwelt des besonderen Federführend für die Gründung des nach- Schutzes bedürfen, ist heute, bei allen Sün- maligen Landesvereins waren Ernst Rudorff denfällen, allgemein anerkannt. Der Schutz und der Architekt und Kunsthistoriker Paul von historischen Gebäuden und Ensembles Schultze-Naumburg, der sich nach 1920 im- löst oft schon weitaus kontroversere Diskus- mer mehr dem aufkommenden Nationalso- sionen aus. Während man in fremden Län- zialismus zuwandte und zu einem führenden dern selbstverständlich denkmalgeschützte NS-Kulturpolitiker aufstieg. Unter seinem Objekte als Reiseziel erwartet, hapert´s zu- Einfluss ließ sich ein großer Teil der Heimat- hause oft an Verständnis und Engagement. schutzbewegung bereitwillig gleichschalten.9

Dabei hat der Gedanke des Denkmalschut- Nach dem Krieg wurde der Landesverein zes eine lange und, zumal in Bayern, könig- bereits 1945 wieder gegründet und 1949 ein liche Geschichte. Dass das bauliche Erbe „Bayerischer Heimattag“ organisiert. Man eines Volkes geschützt werden muss, ist eine bemühte sich, die Themen der Heimatpflege, Grundüberzeugung der Romantik des frühen der Volkskunde und der Brauchtumsarbeit 19. Jahrhunderts. In Bayern war es König aus dem Dunstkreis reaktionären Gedanken- Ludwig I., der diesen Bestrebungen zum guts zu befreien. Eine ausgesprochene Ver- Durchbruch verhalf. Nach französischem Vor- gangenheitsbewältigung fand jedoch nicht bild schuf er 1835 das Amt des „General­ statt. Man dachte, nahtlos an die Tradition inspektors der plastischen Denkmäler des vor 1933 anknüpfen zu können. Das Wort Mittelalters“. Bald schon wurde diese Stelle „Heimat“ hatte zwar seine Unschuld, jedoch dann selbstständige Behörde zur Pflege al- nicht seine Existenzberechtigung verloren. ler Denkmäler Bayerns, 1908 „Landesamt für Denkmalpflege“ genannt. Moderne Heimatpflege beschreitet heute bewusst einen ausgewogenen Weg zwischen Die Überlegung, dass auch immaterielle Erb- Bewahren und Erneuern, zwischen Affirma- stücke wie Bräuche, Dialekt, Volksmusik und tion und Gesellschaftskritik, und hat sich da- Geschichtsschreibung in einer zunehmend durch zunehmende Akzeptanz in der Bevöl- industrialisierten Gesellschaft Aufmerksam- kerung gesichert. Viele Bürgerinnen und Bür- keit und Schutz bedürfen, reifte erst nach und ger engagieren sich ehrenamtlich und mit nach. Auf eine Initiative von König Max II. großem Engagement. Viele Bürgerinitiativen schuf Wilhelm Heinrich Riehl das Sammel- wenden sich gegen die mannigfachen Bedro- werk „Bavaria“ (1860-1868). Um 1900 wur- hungen von Umwelt und Kultur und berufen de das Wort „Heimat“ zu einem kulturpoliti­ sich dabei explizit auf den Heimatbegriff. So schen Begriff, zu einer alle Lebensbereiche auch mit Blick auf die Pflege der bayerischen umfassenden Bewegung. Dialekte, die ungeachtet aller Unkenrufe ihre Vitalität behaupten.

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Herausforderungen für das richtige. Aber Bayern ist groß. Es reicht eine zeitgemäße Heimat- und von Lindau bis Aschaffenburg, von Hof bis Dialektpflege Berchtesgaden.

Die Parallelen zwischen den Ursprüngen der Damit gibt es Hunderte von feinen Sprach- Heimatschutzbewegung im 19. Jahrhundert grenzen, manchmal zwischen einem Ort und und heute liegen auf der Hand. Damals wie dem nächsten. Was in einer Gegend noch ge- heute gibt es wirtschaftliche und gesellschaft- sprochen wird, ist in der anderen schon aus- liche Umbrüche, die Traditionelles im hohen gestorben. Wie kann man da behaupten, der Maß gefährden und in Frage stellen. Damals eine spricht richtig, der andere falsch? wie heute wirbeln Mobilität und Wertewandel gewachsene Strukturen durcheinander.  Toleranz in Sachen „Geschriebener Dialekt“ Missverständnisse treten vor allem auf, wenn Bei alldem ist sicher: In dem Maß, in dem Dialekt geschrieben wird. Was man früher sich die traditionellen Milieus der Gesell- kaum getan hat, auch unsere Großeltern schaft auflösen, kommt dem Bereich der Hei- nicht. Sie haben ihre Briefe mühsam in Hoch- matpflege eine integrierende Funktion in den deutsch verfasst. Dörfern und Städten zu. Heimatpflege stärkt die Identität der Menschen, unterstützt aber Nur Schriftsteller haben versucht, die Mund- auch die Vielfalt der Identitäten. Alteingeses- art für gedruckte, literarische Formen zu sene, Heimatvertriebene, Zugezogene, aber nutzen. Johann Peter Hebel mit seinen 1800 auch Menschen mit Migrationshintergrund verfassten „Alemannischen Gedichten“ zum entwickeln unterschiedliche Identitäten, die Beispiel, im Oberbayerischen dann Franz es zu berücksichtigen gilt. Generell wird auch von Kobell und Max Dingler. eine auf Bayern konzentrierte Heimatpflege immer mehr in ihren europäischen Kontext Es gibt kaum Regeln der Dialektschreibung. zu setzen sein. Ein Heimatbegriff, der aus- Thoma schreibt Dialekt anders als Graf, Queri schließt, ist nicht mehr zeitgemäß. anders als Ruederer. Und wenn es Regeln gäbe, dann in Lautschrift, und die ist – mit Eine der wichtigsten Indikatoren für Heimat Verlaub – saukompliziert. Neudeutsch ausge- ist die Sprache, die immer mit einer spezi- drückt: „Dialekt ist Spreche, nicht Schreibe“. fischen Kulturform verbunden ist. Da wir nicht mehr in einer vorindustriellen, bäuer-  Verachtet mir die Hochsprache nicht! lichen Welt leben, wird auch manches von Moderne Staaten brauchen Hochsprachen! der Sprache vergehen, die davon geprägt Jeder Schweizer bestätigt das Problem von war. Heute haben wir die letzte Chance, uns drei, vier Landessprachen. Selbst ein hochge- mit Menschen, die diese Sprache noch leben- bildeter Rätoromane, der Französisch, Italie- dig gesprochen haben, auszutauschen und nisch, Deutsch und Englisch spricht, versteht damit ein Stück Kulturgeschichte zu doku- die Züricher Nachrichten nicht, die in Schwy- mentieren. zerdütsch gesprochen werden.

Da Mundart Freude und nicht Zwietracht Eine gesunde Heimat- und Dialektpflege säen sollte, gilt es in diesem Dialog drei muss aber integrativ sein und darf nicht aus- Grundregeln zu beachten: grenzen. Die Abkehr vom Dialekt, die wir alle erlebt haben, war auch eine gesunde Gegen-  Toleranz in Sachen Mundart reaktion gegen alle Formen eines dämlichen Mit wenig kann man heftigere Diskussionen Sepplbayerntums, der auf Tourismusbühnen, auslösen als mit Dialektfragen. Jeder meint, in schlechten Romanen und noch schlech- sein Fränkisch, Schwäbisch oder Bairisch ist teren Bayern-Pornos zelebriert wurde. Kein

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Wunder, dass viele da Reißaus genommen 2 Zur Geschichte des Heimatbegriffs vgl. haben. Heimat kann heilen oder verletzen, Wilfried Heller: Heimat – ein selbstverständ- Sprache auch! licher Begriff? In: Schönere Heimat 1/2009, S. 3-10. Umso wichtiger ist, ein ungezwungenes Mit- einander von Hochsprache und Regional- 3 Bernhard Schlink, Heimat als Utopie, a.a.O., sprache, von Schriftsprache und Mundart zu S. 32. pflegen. Vielleicht war das Pendel zwischen beiden Ausdruckformen noch nie so ausge- 4 Bernd Hüppauf: Heimat – die Wiederkehr glichen wie heute. Bei allen Verlusten, wir eines verpönten Wortes. Ein Populärmythos sollten dies zu schätzen wissen. im Zeitalter der Globalisierung. In: Gunther Gebhart u. a. (Hgg.), a.a.O., S. 109-140, Zitat S. 117. Anmerkungen 5 Zitiert nach Schmitt-Roschmann, a.a.O., 1 Aktuelle Titel zum Thema „Heimat“: S. 31. Bernhard Schlink (2000): Heimat als Utopie. Berlin; Karen Joisten (2003): Philosophie der 6 Otto Friedrich Bollnow (1984): Heimat Heimat – Heimat der Philosophie. Berlin; heute. Stuttgart, S. 33. Christoph Türcke (2006): Heimat. Eine Rehabi­ litierung. Springe; Martin Heinze / Dirk Qua- 7 Vgl. hierzu auch Stefan Hirsch (Hrsg.) (2009): dflieg / Martin Bühring (Hgg.) (2006): Utopie Heimatbewusstsein unbewusst. Das Bedürf- Heimat. Psychiatrische und kulturphiloso- nis nach Heimat und seine Entstehung. Mün- phische Zugänge. Berlin; Gunther Gebhard / chen. [Publikation der Fachberatung Heimat- Oliver Geisler / Steffen Schröter (Hgg.) (2007): pflege des Bezirks Oberbayern] Heimat. Konturen und Konjunkturen eines umstrittenen Konzepts. Bielefeld; BRmedia 8 Ebd. S. 26. Verlag (Hrsg.) (2010): Ansichtssache Bayern. Annäherungen an eine Heimat. München; 9 Vgl. hierzu Cornelia Oelwein: Eine Zeitschrift Manfred Seifert (Hrsg.) (2010): Zwischen im Dienst der Heimatpflege. Zum 100. Jahr- Emotion und Kalkül. ‚Heimat‘ als Argument gang der „Schöneren Heimat“. In: Schönere im Prozess der Moderne. Leipzig; Verena Heimat 1/2011, S. 4-12. Schmitt-Roschmann (2010): Heimat. Neuent- deckung eines verpönten Gefühls. Gütersloh.

Norbert Göttler, geb. 1959 in funks. Mitglied zahlreicher Schrift- Dachau/Oberbayern. Freier Publi- stellervereinigungen. Schreibt Ro- zist, Schriftsteller und Fernsehre- mane, Lyrik, Sach- und Drehbü- gisseur, seit 2012 Hauptamtlicher cher. Zuletzt erschienen: „Ober- Bezirksheimatpfleger von Ober- bayern. Jenseits des Klischees“ bayern. Studium der Philosophie, (Hrsg.), „Dachauer Elegien. Hei- Theologie und Geschichte in Mün- mat in einer globalisierten Welt“ chen, 1988 Promotion zum Dr. phil. (zus. mit Norbert Kiening) (beide Regieausbildung bei Hörfunk und 2014 im Münchner Volk Verlag). Fernsehen des Bayerischen Rund- www.norbertgoettler.de

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Erhalt der Mundart – Was ist zu tun?

Anthony Rowley

Was kann man tun, um die Dialekte zu pfle­ natürlichen Lebensgrundlagen und die kul­ gen? Nach verbreiteter Meinung werden turelle Überlieferung“. Und zur kulturellen politische Maßnahmen, die direkt auf den Überlieferung gehören fraglos auch die Spra­ Sprachgebrauch einwirken sollen, meist wir­ chen des Landes. kungslos bleiben. Linguisten betrachten die Sprachverhältnisse als Indizien für die gesell­ Der Freistaat ist sich dieser verfassungs­ schaftlichen Rahmenbedingungen; nur diese rechtlichen Vorgabe durchaus bewusst und können eine Veränderung des Sprachverhal­ beeinflusst durch seine Politik die Rahmen­ tens großer Gruppen verursachen. bedingungen durchaus positiv: Das Prestige des Dialekts und regionaler Sprechweisen wird etwa durch Maßnahmen der Kreis- und Rechtliche Grundlagen Bezirksheimatpfleger gehoben, durch wis­ senschaftliche Erfassung in Dialektatlanten Schutz der Dialektsprecher und Pflege des und Wörterbüchern, durch positive Berück­ Dialekts gehören zu den Grundsätzen des sichtigung der Mundarten in der Schule oder deutschen Rechtssystems. Dialektsprecher durch die Beschäftigung mit Mundarten im sind in Deutschland durch das Grundgesetz Unterricht – so schreiben es zumindest die geschützt. In Artikel 3 (Absatz 3) wird fest­ Lehrpläne vor. gelegt: „Niemand darf wegen seines Ge­ schlechtes, seiner Abstammung, seiner Ras- Die Grundvoraussetzungen für einen dialekt­ se, seiner Sprache, seiner Heimat und Her­ toleranten und Mehrsprachigkeit fördernden kunft ... benachteiligt oder bevorzugt wer­ Unterricht wären demnach gelegt. Die Lehr­ den.“ Die Benachteiligung von Dialektspre­ pläne sind geschrieben, die Politiker über­ chern ist eingeschlossen. Der Kommentar zeugt. Das Ziel ist eine gute allgemeine zum Grundgesetz von Michael Sachs führt Sprachkompetenz in allen Varietäten, die der hierzu aus: Schüler beherrscht, und deren angemessene Verwendung, also Zweisprachigkeit in Dialekt „Typischerweise unmittelbar mit Heimat und Schriftdeutsch. und Herkunft zusammenhängend, jedoch auch unabhängig davon gehört die Sprache zu den identitätsprägenden Merkmalen eines Umsetzung positiver Menschen und ist in dieser Eigenschaft im Voraussetzungen Verhältnis von Minderheiten zu Mehrheiten erfahrungsgemäß schutzbedürftig. Deshalb Nicht die rechtlichen Grundvoraussetzungen wird hierunter allgemein die Muttersprache sind es also, die zu einer Gefährdung der verstanden, zu der auch Dialekte zu zählen Mundart führen, sondern eher deren mangel­ sind.“ hafte Umsetzung. Das geht natürlich zum Teil auf Tendenzen innerhalb unserer Gesellschaft Die Bayerische Verfassung ist vom gleichen zurück, die den Dialekt und dessen Sprecher Geist geprägt. Artikel 3 lautet: (1) „Bayern ist sozial abwerten möchten. Was hat man über­ ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat. Er dient haupt gegen das Bairische, das Fränkische dem Gemeinwohl“. (2) „Der Staat schützt die oder Schwäbische?

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Dass der Dialekt eine „Sprachbarriere“ sei, Um bei Kindern eine gute Ausdrucksfähig­ ist ein Märchen, das in den 1970er-Jahren keit zu entwickeln, ist es nur von Vorteil, mit aus der deutschen Rezeption britischer Stu­ ihnen so zu reden, wie einem der Schnabel dien über die Benachteiligung von Unter­ gewachsen ist. Über die Standardsprache schichtskindern entstanden ist. In Bayern braucht man sich dagegen keine Sorgen zu aber ist der Dialekt nicht auf die Rolle als machen. Sie ist in den Medien allgegenwär­ Sprache der Unterschicht abonniert. Und tig; jeder Deutsche beherrscht sie deswegen dass Dialektsprechen für die Sprachfertigkeit zwangsläufig mindestens passiv. Es ist be­ sehr wohl von großem Vorteil sein kann, zei­ rechtigt, sich eher Sorgen über den Dialekt gen uns nicht nur Goethe und Schiller, die zu machen. beide im Dialekt sozialisiert sind, sondern es wird auch durch die guten PISA-Ergebnisse Bisher konnten die Dialekte in Bayern im von Gegenden wie der Schweiz, Südtirol und Vergleich zu Mittel- und Norddeutschland Bayern belegt. Der Leipziger Germanist Beat noch sehr lebendig bleiben. Das liegt an Siebenhaar bemerkt hierzu in der Süddeut­ verschiedenen Faktoren: wirtschaftlich ge­ schen Zeitung vom 31.10.2014 in einem Inter­ sehen an der verhältnismäßig geringen Zahl view: von industriellen Zentren, an der relativ spä- ten Industrialisierung und am langen Er­ „Nach dem ersten PISA-Test haben die süd- halt eines starken landwirtschaftlichen Sek­ deutschen Bundesländer ihre guten Ergeb- tors; politisch (im weitesten Sinne) gesehen nisse auch darauf zurückgeführt, dass dort an „weichen“ Faktoren wie Selbstbewusst­ mehr Kinder Dialekt sprechen. Sie gehen sein, Traditionspflege und einer im Laufe der deshalb bewusster mit Sprache um und kön- Zeiten überwiegend eher positiven Bewer­ nen Umgangs- und Standardsprache besser tung der Volkskultur insgesamt. trennen. Wer einen Dialekt und außerdem Hochdeutsch spricht, dem fällt es in der Solange dialektsprechende Eltern selbstver­ Regel auch leichter, eine fremde Sprache zu ständlich mit ihren Kindern Dialekt reden und lernen.“ nicht in falsch verstandenem Anpassungs­ eifer Schriftdeutsch sprechen, so lange wird Natürlich spielen bei den PISA-Erfolgen der der Dialekt noch leben, das heißt, solange die genannten Länder und Regionen auch andere Mundarten noch die Ortsloyalität symbolisie­ Faktoren eine wichtige Rolle: das Schulsys­ ren und solange regionale Herkunft ein sehr tem zum Beispiel oder eine positive Einstel­ wichtiger Bestandteil bayerischer Identität lung gegenüber dem Schulerfolg ganz allge­ ist. Die bayerischen Mundarten werden sich mein. Fraglos indes ist, dass die sogenannte an die Schriftsprache anpassen, sich ihr an­ „innere Mehrsprachigkeit“ – also das Beherr­ nähern, aber sie bleiben letztlich bayerische schen von Schriftsprache und Dialekt – die Sprachformen. Ausdrucks- und Sprachfähigkeit in hohem Maß begünstigt. Alle einschlägigen wissen­ schaftlichen Studien weisen darauf hin. Sprachwandel

Man stelle sich den Gegenfall vor: Die dia­ Eine Sprache, die lebt, muss sich wandeln. lektsprechenden Eltern würden versuchen, Nur das tote Latein kann sich unverändert in mit ihren Kindern nur Schriftdeutsch zu spre­ klassischer Form über die Jahrhunderte hal­ chen, das sie selber höchstens bei amtlichen ten. Sprachwandel sehen Linguisten also als Anlässen verwenden. Hier ist die Gefahr, im Prinzip positive Begleiterscheinung des dass ein gestelztes und sprödes Bürokraten­ allgemeinen Sprachlebens. Er zeigt, dass sich deutsch herauskommt, dem die Bildhaftig­ die Sprache an die Bedürfnisse der Sprecher keit der Volkssprache vollkommen abgeht. anpassen kann.

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In meinem eigenen Arbeitsalltag fällt diese schwingt. Dies hat nichts mit der Wort- Anpassung ganz besonders im Bereich des bedeutung zu tun, es gibt auch äquivalente Wortschatzes auf. Durch den Niedergang al­ bayerische Ausdrücke, wichtig ist vielmehr ter landwirtschaftlicher Produktionsmethoden der emotionale Gehalt, die Konnotation, etwa, vor wenigen Generationen noch das die gefühlsmäßige Mitbedeutung. bestimmende Moment im Alltag der Bevöl­ kerungsmehrheit, verschwinden ganze Wort­ Im Bereich des Wortschatzes sind solche schatzbereiche ersatzlos. Nie dagewesene Entwicklungen als Ergebnis von gesellschaft- Möglichkeiten zwischenmenschlichen Kon­ li­chem Wandel meiner Meinung nach unver­ takts führen verstärkt zum Sprachausgleich. meidbar. Der Rückzug der Mundarten liegt Nicht nur die alten bäuerlichen Arbeitsgeräte letztlich in der Natur unserer Gesellschaft be­ verschwinden mitsamt ihren Namen. Die Na­ gründet. In einem Land, wo die Dörfer ver­ men landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie (in städtern, wird die Sprache selbstverständlich Altbayern) Erdapfel, geibe Ruam, Karfiol und auch verstädtern. Kren werden durch Bezeichnungen mit ge­ samtdeutscher Geltung verdrängt. Wer die Produkte nicht mehr selber anbaut, sondern Blick in die Zukunft im Supermarkt kauft, übernimmt eben gerne auch die neuen, oft genug norddeutschen Be­ Werden hier in Bayern in unserer schnell- zeichnungen des Handels – Kartoffel, Karotte, lebigen Welt die Mundarten überleben oder Blumenkohl, Meerrettich. sind sie vom Aussterben bedroht? Statistisch sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, als Aber auch Alltagswörter geraten in Verges­ ob der Dialekt bald verschwinden würde. De­ senheit. In Altbayern etwa: hai ‘glatt’, Pfinzta mographische Befragungen zum Dialektge­ ‘Donnerstag’, Pfoad ‘Hemd’ oder Stranitzl brauch belegen, dass es innerhalb Deutsch­ ‘Tüte’. Als ein Kollege einmal in einer Metz­ lands Bayern und die südwestlichen Bundes­ gerei am Münchner Viktualienmarkt a Stra- länder sind, in denen prozentual die meisten nitzl verlangte, schaute ihn die junge Verkäu­ Dialektsprecher leben. ferin verständnislos an. Trottoir, Portemon- naie, Potschamperl, Parasoi, französische In einer Allensbacher Umfrage aus dem Lehnwörter, einst so schriftsprachlich, dass Jahre 1998 wurde die Frage gestellt: „Können sie Johann Andreas Schmeller 1827 in sei­ Sie die Mundart hier aus der Gegend spre­ nem „Bayerischen Wörterbuch“ nicht aufge­ chen?“. Im Bundesdurchschnitt antworteten nommen hat, sind heute Wahrzeichen ech­ 51 % der Befragten mit „ja“, in Bayern aber ten bairischen Dialekts – gehen aber ebenso 72 %, bei weitem der höchste Prozentsatz. verloren. Den englischen Entlehnungen von Ich sehe keinen Grund zur Annahme, dass heute wird es vielleicht in zweihundert Jah­ sich in den letzten Jahren signifikante Ände­ ren nicht anders ergehen. rungen ergeben hätten. In einer Allensbacher Befragung aus dem Jahr 2008 gaben sogar Ersetzt werden Begriffe mit geringer kommu­ 45 % der befragten Bayern an, im Alltag aus­ nikativer Reichweite durch Wörter mit größe­ schließlich den Dialekt zu gebrauchen. Fazit: rer Verbreitung im deutschen Sprachraum. In Von vier Bayern bekennt fast jeder dritte, sei­ allen Kreisen der bayerischen Bevölkerung ist nen Dialekt gut zu sprechen. Weit mehr als nach 1945 wohl erstmals in der Geschichte ein Drittel der Bevölkerung behauptet, quasi Bayerns auch ein überbayerisches bundes­ nur Dialekt zu gebrauchen. Diese Zahlen bele­ deutsches Heimatgefühl entstanden. Es ist gen: Der Dialekt ist in Bayern nach wie vor in­ ein bundesdeutscher Kulturkreis herange­ tegraler Bestandteil des sprachlichen Reper­ wachsen, dessen Familiarität in Wörtern wie toires großer Teile der Bevölkerung, beson­ dem vielbekämpften tschüss oder nö mit­ ders in der Familie und im Alltag.

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Hinzuzufügen wäre, dass die Dialekte Bay- gebraucht man die Schriftsprache wie nie zu­ erns in bundesweiten Umfragen regelmäßig vor. Vor hundert Jahren hatte man in Bayern zu den beliebtesten Dialekten zählen. Vor ei­ außerhalb von Kirche und Schule kaum Ge­ nigen Jahren wurde überall in der Presse legenheit, gesprochenes Schriftdeutsch zu von einer Umfrage berichtet, in der das Baye­ hören, geschweige denn selbst zu sprechen. rische von allen Dialekten für den am stärks­ Heute ist die Standardsprache allgegenwär­ ten „sexy“ klingenden gehalten wurde. Das tig. legt nahe, dass die Dialekte Bayerns nicht nur innerhalb des Freistaats ein gewisses Pres­ Bestrebungen wie etwa des Fördervereins tige genießen. Bairische Sprache und Dialekte e. V., die alten Ausdrücke nicht in Vergessenheit geraten zu Natürlich sollten wir im Hinterkopf behalten, lassen, belegen anderseits doch, dass es eine dass derlei statistische Aussagen nicht auf bayerische Identität gibt, die sich ganz stark der Beobachtung des Sprachgebrauchs beru­ mittels der Sprache definiert, und geben An­ hen, sondern auf Äußerungen der Befragten lass zu der Hoffnung, dass die Dialekte lang­ darüber, wie sie angeblich sprechen. Bestä­ fristig erhalten bleiben können. tigt sich dieses Bild, wenn man den tatsäch­ lichen Sprachgebrauch anschaut? Fazit Ich persönlich bin nicht überzeugt, dass sich gegenwärtig bayernweit ein dramatischer Der Sprachwandel ist kaum aufzuhalten, Rückgang des Dialektsprechens vollzieht. Ich denn die Sprache ist ein Spiegel der Gesell­ glaube aber, außerhalb der städtischen Bal­ schaft – und diese verändert sich auch in lungsräume einen gewissen Umbau erken­ Bayern zusehends und in bislang ungewohn­ nen zu können, eine kontinuierliche Anpas­ ter Geschwindigkeit. Die Mundarten geraten sung an überregionale Prestigevarianten, dabei unverkennbar in die Defensive. Klein­ aber eher an eigene, innerbayerische Pres­ räumige Unterschiede werden ausgeglichen, tigevarianten. manchmal auch zugunsten schriftnäherer Sprachformen. Aber was so entsteht, kann In ländlichen Regionen entstehen zwar über­ immer noch sehr bairisch, fränkisch oder örtliche Umgangssprachen, aber die können schwäbisch klingen. Freuen wir uns daran so dialektnah sein, dass sie selber als Dia­ und pflegen wir dieses immaterielle Kultur­ lekt empfunden werden – und auch die Orts­ erbe, das seinen Sprechern Identität und Zu­ mundarten sind daneben teilweise recht gut sammenhalt in einer Welt vermittelt, die täg­ erhalten. Zusätzlich allerdings braucht und lich mehr zusammenwächst.

Anthony Rowley, Prof. Dr. phil, artforschung an der Bayerischen geb. 1953 in Skipton, Yorkshire. Akademie der Wissenschaften Studium der Linguistik in Reading und der Redaktion des Baye­ (GB), Regensburg und Bayreuth, rischen Wörterbuchs (BWB), seit 1981 Promotion über die bairische 1989 Lehrtätigkeit an der Mundart im trentinischen Fer­ Ludwig-Maximilians-Universität sental, 1987 Habilitation über die München. Einem breiten Publi­ Grammatik der Dialekte der Ober­ kum wurde Rowley durch sein pfalz und Oberfrankens. Seit 1988 beliebtes Sprachquiz „Host mi?“ Leiter der Kommission für Mund­ bekannt.

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Bayernhymne

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V., Informationen zur Entstehung und Geschichte der Bayernhymne bietet die Homepage des Bayerischen Landtags: www.bayern.de/freistaat/wappen-flaggen-und-hymne.

390 Die beiden DVDs der BR-Sendereihe „Dialekte in Bayern“ wurden 2006 im Rahmen der Erstausgabe dieser Handeichung allen bayerischen Schulen zur Verfügung gestellt. Weitere Exemplare können über die Kommunalen Medienzentren sowie die Landesmediendienste Bayern ausgeliehen werden: www.mebis.bayern.de/infoportal/medienzentren www.landesmediendienste-bayern.de Karte: Westermann im Bildungshaus Schulbuchverlage GmbH Karte: Westermann

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