Hubert Von Goisern Musiker Und Sänger Im Gespräch Mit Jürgen Seeger
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 19.11.2010, 20.15 Uhr Hubert von Goisern Musiker und Sänger im Gespräch mit Jürgen Seeger Seeger: Herzlich willkommen zum heutigen alpha-Forum und herzlich willkommen, Hubert von Goisern, mein heutiger Studiogast. Hubert v. Goisern: Hallo, grüß Gott. Seeger: Hubert von Goisern, man muss Sie einem breiten Publikum nicht vorstellen, aber vielleicht gibt es doch einige, die Sie noch nicht so gut kennen. Sie sind einer der bedeutendsten österreichischen Musiker unserer Zeit und der Repräsentant der sogenannten Neuen Volksmusik und des Alpen-Rock, bei denen traditionelle Volksmusik, Rockmusik, Jazz, Reggae, Soul usw. miteinander verschmelzen. Was bei Ihnen jedoch ganz besonders auffällt, ist, dass Sie Verknüpfungen suchen, dass Sie das Fremde suchen, dass Sie viel auf Reisen gegangen sind. Erst kürzlich ist wieder ein neues Buch von Ihnen erschienen über Ihre Reisen in die Donauländer: einerseits die Donau runter bis zum Schwarzen Meer und andererseits die Donau hinauf und dann hinüber bis zum Rhein und hinauf bis nach Rotterdam. Andere Reisen haben Sie nach Südafrika geführt, nach Kanada, auf die Philippinen, nach Tansania, nach Tibet, nach Ägypten, auf die Kapverdischen Inseln, den Senegal, nach Burkina Faso oder nach Mali. Aber angefangen hat eigentlich alles in der heimischen Blaskapelle: Da hat das mit der Musik angefangen, mit dem Wissen um die Tradition und mit der Verbundenheit mit der Heimat. Wie hat es denn angefangen mit der Musik? Denn zunächst einmal spielten Sie ja Trompete. Hubert v. Goisern: Ja, das war mein erstes Instrument. Ich wollte, seit ich mich erinnern kann, Musiker werden, aber meine Eltern konnten das nicht finanzieren. Es war nicht drin, dass sie mir ein Instrument kaufen oder einen Lehrer für mich bezahlen. Ich war also diesbezüglich ganz mir selbst überlassen. Mit 12 Jahren habe ich mir dann einen Ruck gegeben, bin alleine zur Blaskapelle gegangen und habe gesagt: "Ich möchte gerne Trompete spielen lernen!" Ich bin unendlich dankbar dafür, dass sie mir eine Trompete gegeben haben, die mich nichts gekostet hat, und mir wurde auch ein Lehrer zugeordnet. Ich hatte das große Glück, einen hoch musikalischen Lehrer zu haben, der aber auch die nötige Sanftheit besaß. Das heißt, er hat niemals Druck auf mich ausgeübt, wenn ich nicht geübt habe. Und ich war sehr, sehr faul: Ich habe eigentlich kaum geübt und wollte eigentlich immer nur musizieren und spielen. Darunter haben halt all diese Etüden usw. gelitten, die ich hätte einstudieren sollen. Aber er hat kein einziges Mal gesagt: "Jetzt streng dich mal ein bisschen an, das könnte besser gehen!" Nein, er war immer zufrieden mit dem, was ich gemacht habe. Er saß am Klavier und hat mich begleitet. Für mich war dieser Unterricht immer nur Musik, war immer nur musizieren und ein schönes Erlebnis. Das war in diesem Alter eigentlich das Einzige, vor dem ich mich nicht gefürchtet habe: in die Trompetenstunde zu gehen. Die Schule ansonsten war nämlich für mich ein unglaublicher Stress. Seeger: War das ein Ausgleich zur Schule? Hubert v. Goisern: Das war reine Freude. Ob das ein Ausgleich war, weiß ich nicht. Ansonsten war ich sehr viel in der Natur und auch die Musik hat meinem verträumten Wesen entsprochen, während die Schule nichts für Träumer ist. Seeger: Nach der Trompete kamen noch viele andere Instrumente dazu, u. a. auch das Akkordeon Ihres Großvaters. Hubert v. Goisern: Ja, aber das ist dann erst sehr, sehr spät gekommen. Und das war auch kein Akkordeon, sondern eine Ziehharmonika. Das Akkordeon ist dieses Instrument mit den schwarz-weißen Tasten wie bei einer Klaviatur, während es bei einer Ziehharmonika Knöpfe gibt und zumindest die, auf der ich gelernt habe, diatonisch war. Das heißt, wenn man drückt, kommen andere Töne heraus als dann, wenn man zieht. Das ist so ein bisschen wie eine Mundharmonika: halt umgelegt sozusagen auf ein Instrument mit Blasebalg. Dieses Instrument habe ich aber abgelehnt bis ungefähr zu meinem 35. oder auch 37. Lebensjahr. Ich habe diese Ziehharmonika auch nur deshalb in die Hand genommen, weil ich sie kaputtmachen wollte. Seeger: Warum? Hubert v. Goisern: Ich habe sie gehasst! Für mich war das der Inbegriff des Verstaubten und des Ewiggestrigen, ein Instrument, bei dem immer nur dieselbe Musik herauskommt. Ich aber wollte was anderes: Ich habe immer nach neuen Tönen gesucht, ich wollte etwas Neues hören und machen. Das schien mir mit diesem Instrument unmöglich zu sein. In einem wirklichen Vollrausch – ich hatte sehr viel Schnaps getrunken – wollte ich sie kaputtmachen. Ich war alleine im Haus und dachte mir: "So, jetzt nehme ich sie mal in die Hand und zerreiße dieses blöde Ding!" Beim Versuch, es zu zerreißen, kamen dann aber die wildesten Töne aus diesem Instrument heraus und ich dachte mir: "Ja, warum hat denn bisher noch nie jemand so auf diesem Instrument gespielt? Auf dem kann man doch wirklich Musik spielen!" Ich habe mir das dann in dieser einen Vollrauschnacht reingezogen und stand schon am nächsten Tag auf der Straße und habe Straßenmusik damit gemacht. Ich hatte große Freude daran, etwas entdeckt zu haben, bei dem ich sofort gemerkt habe, dass es vielen Leuten so wie mir geht: Sie sehen dieses Instrument, hören diesen Klang und die Klappe geht runter, weil sie das nicht hören wollen. Warum? Weil wir in einer Zeit aufgewachsen sind, in der eine komplett andere Musik aus dem Radio gekommen ist. Und dann auch noch dieses komische volksmusikalische Drumherum bei diesem Instrument! Das heißt, es war ein Tabu, sich überhaupt damit zu beschäftigen – es sei denn, man war voll in diesem Getto der Tradition drinnen. Wenn man jedoch außerhalb dieses Gettos stand, dann war es eigentlich tabu, sich damit zu beschäftigen. Wenn man es doch gemacht hat, dann haben diejenigen, die in diesem Getto drin waren, von dort heraus geschimpft auf den, der sich da "ihrer" Tradition bemächtigt. Und die, die draußen waren, haben gesagt: "Wenn du das machst, dann geh doch in dieses Getto, denn dann gehörst du nicht mehr zu uns! Wir wollen damit nichts zu tun haben!" Es ist aber selbstverständlich ein großes Glück für einen Künstler, wenn er ein Tabu brechen kann, ein Tabu, an dem sich die Geister scheiden. Und so bin ich dann eben an diesem Instrument drangeblieben und habe mir gedacht: "Ich zeig es denen, dass Volksmusik mehr sein kann als komisches Geschunkel und das permanente Gerede darüber, wie schön es früher gewesen sei." Seeger: Das war gewissermaßen ein rauschhaftes, ekstatisches Erlebnis, das zu einem plötzlichen völligen Wandel in der Einstellung gegenüber diesem Instrument geführt hat. Das war für Sie wirklich eine Entdeckung von einem Moment auf den anderen. Entdecken scheint Ihnen überhaupt zu liegen, wenn man sich z. B. all Ihre Reisen anschaut: Sie lassen sich wirklich auf vieles ein. Sie fahren in ferne Länder und lassen sich dort auf die jeweilige Kultur ein und auch auf die dortigen Musiker, mit denen Sie zusammen vor Ort sehr risikobereit auf die Bühne gehen, um zu improvisieren. Wann haben Sie denn diese Lust am Fremden und an der Erfahrung des Fremden für sich selbst entdeckt? War das noch in Goisern? Hubert v. Goisern: Ja, das hat bereits in Goisern begonnen. Es hat damit begonnen, dass ich mir z. B. eine Platte gekauft habe, bei der Bluesmusik aus den Lautsprechern kam. Das waren Platten von Alexis Korner, Howlin' Wolf oder Taj Mahal, also Musik vom Ende der 60er Jahre und den beginnenden 70er Jahren. Das war für mich schon etwas ganz Exotisches. Seeger: Das war also eine Musik, die auch gleich noch eine fremde Kultur mitgebracht hat. Hubert v. Goisern: Ja. Oder denken Sie an die Musik von Ravi Shankar, bei der das ganz extrem der Fall ist: Das ist indische Musik, das sind Ragas usw., bei denen man merkt, dass das mit unserer Musik gar nichts mehr zu tun hat – außer der Tatsache, dass auch das Musik ist. Das, was da bei dieser Musik passiert, läuft eben modal ab und nicht so harmonisiert, wie wir das hier im Westen bei unserer Musik mit ihren Kadenzen kennen. Und dann habe ich Miles Davis für mich entdeckt. Da war ich vollkommen fertig, weil ich mir gedacht habe: "Das ist es!" Und das, obwohl ich überhaupt nicht verstanden habe, was er da gemacht hat oder was da in dieser Musik passiert. Aber es hat mich elektrisiert und ich wollte dahinterkommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich mir dieses Live-Doppelalbum von Miles Davis wirklich zwei Jahre lang angehört habe und dass ich zwei Jahre lang nicht verstanden habe, worum es da geht. Es hat mich nur elektrisiert, aber ich bin nicht dahintergekommen. Irgendwann hat es dann aber doch "klick" gemacht und ich wusste, wie man musizieren muss, damit genau dieses Gefühl auftaucht. Aber solche Leute konnte ich dann natürlich zu Hause nicht finden und so bin ich aufgebrochen in die Welt. Seeger: Wie kam es zu diesem Aufbrechen z. B. nach Südafrika? Denn das war ja wohl im Jahr 1972 Ihre erste große Reise, oder? Hubert v. Goisern: Das war im Jahr 1974. Ich wollte einfach nur weg, mir war es egal wohin. Ich wollte nur raus und weg und andere Länder und einen anderen Kontinent sehen, auch eine andere Sprache hören und andere Mentalitäten kennenlernen. Denn so viel wusste ich schon, dass das, was ich von zu Hause kannte, irgendwie nicht stimmen konnte. Bei uns in Goisern ging es nämlich sehr katholisch zu: nicht unbedingt in religiösem Sinne, aber doch im Hinblick auf das alltägliche Leben. Trotz der evangelischen Übermacht dort drinnen, war man päpstlicher als der Papst: "So, wie wir es machen, ist es richtig und alles andere ist falsch!" Das spürst du dann doch als junger Mensch, dass das nicht stimmen kann.