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Fernuniversität in Hagen

Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften

Bachelor-Abschlussarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades „Bachelor of Arts“ (B.A.)

Thema:

Russlands Integration in die Welthandelsorganisation (WTO). Eine Un- tersuchung des Beitrittsverfahrens aus Sicht der Internationalen Politischen Ökonomie

im Studiengang „Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Soziologie“

Erstgutachterin: Frau Dr. Angela Oels

Zweitgutachter: Herr Dr. Martin List

vorgelegt von: Herrn Alexander Christoph Leipold Matrikel-Nr.: 8015791 geb. am 11.04.1986 in Königs Wusterhausen Balatonstraße 42 10319 Berlin Tel.: 030 / 76 74 19 78 Mobil: 0151 / 21 01 98 96 E-Mail: [email protected] Berlin, 18.01.2014

Russlands Integration in die Welthandelsorganisation (WTO). Eine Untersuchung des Beitrittsverfahrens aus Sicht der Internationalen Politischen Ökonomie

Alexander Christoph Leipold

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I. EINLEITUNG ...... 1

II. METHODISCHER ZUGANG ...... 5

III. THEORETISCHE GRUNDLAGEN ...... 10

III.1 Internationale Politische Ökonomie als Forschungsdisziplin ...... 10

III.2 Neogramscianismus als Kritik und Fortführung ...... 14

IV. EMPIRISCHE ANALYSE: RUSSLANDS INTEGRATION IN DIE WTO ...... 20

IV.1 Zur politischen Ökonomie: Zwischen Demokratie und Oligarchie ...... 20

IV.2 Divergierende Positionen zum WTO-Beitritt ...... 32

IV.3 Zur Stellung der WTO im Welthandelssystem ...... 40

IV.4 Der Beitrittsprozess im Detail: Interessen und deren Artikulation ...... 46 IV.4.1 Technische Aspekte ...... 46 IV.4.2 Machtpolitische Aspekte ...... 54

V. FAZIT: RUSSLANDS WTO-BEITRITT ZWISCHEN GEOPOLITIK UND HEGEMONIE ...... 63

ANHANG ...... 66

ENDNOTEN ...... 77

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS ...... 85

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...... 86

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS...... 87

REGISTER ...... 95

I. Einleitung

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“The WTO – I want to draw attention to this – is not an absolute evil and not an absolute good. And it is not an award for good behaviour. The WTO is a tool. […] Membership in the WTO should become a tool to pro- tect ’s national interests on world market.” (Putin, 2002 1)

Als die Welthandelsorganisation (WTO) im August 2012 auf ihrer Webseite offiziell ver- kündete, dass Russland das 156. Mitglied der Organisation geworden sei, fielen die Mel- dungen in der internationalen Wirtschaftspresse verhalten aus (Kramer 2012; Elliot 2012). Zwar wurde begrüßt, dass mit dem Abschluss der Verhandlungen ein langwieriger Diskus- sionsprozess zum Ende gelangte, doch war nicht zu leugnen, dass über die Jahre die an- fängliche Euphorie einem nüchternen Pragmatismus gewichen war. Immerhin wurde der Beitritt als Teil der „Modernisierung“ der russischen Wirtschaft und im besten Falle auch des politischen Systems gewertet. Wessen Modernisierung damit jedoch gemeint war, dass ging in den zirkulierenden Vorteilsrechnungen unter: Marktchancen würden für beide Sei- ten bestehen, russische Unternehmen könnten sich erforderlichen Rechtsschutz und Zu- gang auf dem Auslandsmarkt sichern, umgekehrt eröffneten sich durch den WTO-Beitritt auch neue Absatzmärkte für den Westen. Und der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft sah darin endlich nun auch die Möglichkeit, das Handelsregime zwischen Russland und Europa auf eine neue Ebene zu hieven: „Der WTO-Beitritt Russlands ist eine wichtige Zwischenetappe auf dem weiteren Weg zu einem integrierten gemeinsamen Wirtschaftsraum zwischen Lissabon und Wladiwostok. Der Ost- Ausschuss der Deutschen Wirtschaft fordert dazu in enger Abstimmung mit Business Europe die möglichst schnelle Aufnahme von Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen Russland und der EU.“ (Ost-Ausschuss 2011: 8; fett i.Orig.) Doch blieb dieser wirtschaftspolitische Optimismus alles in allem kurzatmig und bezogen auf die projizierten Wirtschaftsdaten 2; politisch gilt Russland auch zwanzig Jahre nach Ende der Sowjetunion nicht als vertrauenswürdiger Partner. Im Gegenteil wurde in den letzten Jahren immer lauter die Vermutung geäußert, dass die Rückkehr wirtschaftlicher Potenz einhergeht mit einer Autokratisierung des Landes (Illianorov 2009: 71; Stykow 2010). Russland befand sich noch 1998 am Rande der Zahlungsunfähigkeit und galt als potentiell „gescheiterter Staat 3“ ( failed state ), der auf absehbare Zeit weder internationale Konkurrenzfähigkeit aufweisen könne, noch eine regionale Großmachtrolle spielen würde. Die Verwicklung in den Tschetschenienkrieg (1994/2000) schließlich führte zu Kritik und Protesten gegen das unnachgiebige Vorgehen in der abtrünnigen Kaukasus-Republik. Die

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I. Einleitung

Aufritte von Präsident Jelzin auf internationalem Parkett schienen überdies das Bild der vermuteten „Unregierbarkeit“ zu bestätigen und gaben ein ganzes Land der Lächerlichkeit preis.

Diese Situation änderte sich jäh mit dem Amtsantritt Wladimir Putins Ende 1999. Der als politisches Tauschgeschäft 4 inszenierte Wechsel an der Staatsspitze sollte Auftakt für eine Restrukturierung des Staates mit dem erklärten Ziel sein, auf internationaler Ebene verlo- rengegangene Anerkennung und Machtposition wieder zu erlangen (Worth 2009: 54f.). Symbolpolitisch unterfeuert wurde dies durch einen Schlag gegen tschetschenische Rebel- lengruppen sowie eine Ausweitung der Kampfhandlungen russischer Truppen im latent schwelenden Konfliktherd im Süden der Föderation. Über die Jahre gelang es Putin, alte Vertraute in wichtige Regierungsämter einzubinden und die politischen und ökonomischen Entscheidungsstrukturen unter Kontrolle des Zentralstaates zu bringen. Anfänglich noch dem Westen und insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auch den USA zumindest diplomatisch verbunden, verwandelten sich die angestrengten Annä- herungsversuche alsbald in eine distanziert-abwägende Taktik, die ihre Strategie nicht zu erkennen gab und alte Feindbilder vom isolationistischen Russland wieder auftauchen lie- ßen (Rutland 2012: 344) .

Hinter diesen Befürchtungen, die seitens westlicher Beobachter mit einer zunehmenden Kritik an der Machtfülle Putins und der politischen Justiz im Lande verbunden wurde, stand auch die Angst vor einer neuen Regionalmacht Russland, die dank reicher Energiere- serven sowie ihrer verbliebenen militärischen Kapazitäten neue Ansprüche an die Formu- lierung internationaler Politik stellt. Nicht erst die von China ausgerufene „multipolare Welt“ als Gegenbeispiel zur unipolaren Weltordnung der USA, dient dem Russland Putins zur Chiffrierung der eigenen globalen Interessen. Die Vereinigten Staaten haben diese Sig- nale lange begriffen und damit begonnen, ihren außenpolitischen Fokus auf den Hand- lungsraum von China, Russland und Ostasien zu richten. Schon kündigen manche Be- obachter das Aufflammen des Kalten Krieges und einen neuen Ost-West-Konflikt an (Mankoff 2012: 275f.), der durch beständige Zuwächse in den jeweiligen Rüstungsausga- ben dieser Staaten dokumentiert wird (vgl. SIPRI 2013).

Mit der 2012 vollzogenen Ämterrochade zwischen den Präsidenten Putin und Medwedew ist demonstriert worden, dass der eingeschlagene Entwicklungspfad vorerst weitergeführt werden soll. Folglich wird innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion davon ausgegan- gen, dass Medwedew nur als Platzhalter für eine weitere Amtszeit Putins fungieren sollte 2

I. Einleitung

(Sakwa 2011; 07MOSCOW5800). Die personelle Kontinuität im Kreml schafft nicht allein Misstrauen, Kritik und Konfliktpotential, sondern signalisiert ökonomischen Interessen- gruppen, dass mit einer Fortführung der bisherigen Wirtschaftspolitik zu rechnen ist: Jener Mischung aus staatlich gelenktem Aufbau transnationaler Konzerne, der gezielten Privati- sierung von Staatseigentum sowie einer selektiven Öffnung für dringend gewünschte aus- ländische Direktinvestitionen. Die Idee, mittels wirtschaftlicher Kooperation eine politi- sche Konvergenz gen Westen - hin zu liberaler Demokratie und kapitalistischer Verkehrs- wirtschaft - voranzutreiben, ist den Involvierten nachrangig und dient allenfalls noch als rhetorisches Antidot auf internationalen Podien. Zu bedeutsam sind die möglichen Gewin- ninteressen, die in der Erschließung von Marktzugängen und Finanzierung von Groß- und Prestigeprojekten liegen, als dass auf eine Zusammenarbeit wegen Menschenrechtsverlet- zungen verzichtet werden könnte. Eine Ambivalenz, die sich am Beispiel Deutschlands und der Russland zugeeigneten „strategischen Partnerschaft“ (BMBF 2005) in besonderer Form kristallisiert.

So verwundert es auch nicht, dass die Kritik an der Aufnahme des Whistleblowers Edward Snowden in Russland, der im Sommer 2013 mit veröffentlichen Dokumenten über die Ab- höraktivitäten des US-Nachrichtendienstes NSA über Nacht weltberühmt und zu einer der meist gesuchten Personen avancierte, von deutscher Seite nur knapp ausfiel, während Wla- dimir Putin sich als Patron eines Staatsfeindes ausgerechnet der USA ausgeben kann. Schließlich kürte ihn auch noch das US-amerikanische Eliten-Magazin Forbes zum mäch- tigsten Mann 5 der Welt 2013 und verdrängte damit US-Präsident Obama auf Platz zwei (Forbes 2013), was die Konkurrenz symbolisch unterstreicht. Beispiele wechselseitiger Geplänkel gibt es nahezu täglich: ob Verbot und Einschränkung der Arbeit ausländischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hüben oder verschärftem Einreiserecht drüben, ob Kritik des US-Unilateralismus in Nahost und zuletzt Syrien 6 hier oder der Unterstützung verdeckter Operationen im Hinterland Russlands 7 auf der Gegenseite: Neue geopolitische Rivalität, nicht nur von Modernisierungstheoretikern wie Fukuyama seit dem Ende des Realsozialismus nach 1990 mit dem Ende der Geschichte 8 abgetan, schimmert in diesen permanenten Aktionen durch und lässt das Bild friedlicher Kooperation immer stärker in den Hintergrund treten (vgl. ten Brink 2012: 98f.).

Der zähe Beitrittsprozess Russlands zur WTO bildet diese Entwicklungen ab. War man 1993 noch der Auffassung Russland schnell in das Institutionensystem des Westens ein- zubinden, zeugen die stockenden Verhandlungen, die Zyklen von Zustimmung und Ableh-

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I. Einleitung nung sowie der immer wieder angekündigte und stets neu verschobene Eintritt von Russ- lands innerer Spaltung und seiner konflikthaften Lage, aber auch von Interessen Dritter, allen voran der USA, die sich durch die Politik des Kreml in ihrer hegemonialen Stellung penetriert sehen. Die vorliegende Arbeit will diesen Prozess untersuchen und klären, in- wieweit ein Verwaltungsverfahren auf internationaler Ebene zur Projektionsfläche neuer Konfliktverhältnisse werden konnte, welcher Art die jeweiligen Interessen sind, welche Akteure sich in den Einflusskämpfen um Macht und Deutungshoheit durchsetzen konnten und schließlich inwieweit sich hieraus Fragen für die künftige internationale Zusammenar- beit ergeben.

Ich werde diese Fragen aus Sicht der kritischen Internationalen Politischen Ökonomie (I- PÖ) behandeln – einer Teildisziplin der Internationalen Beziehungen , die sich vom klassi- schen Analyseschema distanziert und sich für das Zusammenwirken von Staat, Ökonomie und Zivilgesellschaft interessiert. Die IPÖ ist geeignet, den russischen Beitrittsprozess als komplexes Geflecht unterschiedlicher Vorstellungen vom russischen Staat, seiner wirt- schaftlichen Ausrichtung und internationalen Rolle im Wechselverhältnis zu den globalpo- litischen Bedingungen analysieren zu können. Die IPÖ ist kein kohärentes Theoriegebäu- de, sondern gliedert sich in Theorieschulen, die unterschiedliche Prämissen vorbringen. Einen Beitrag zur Kritik der vorherrschenden Theorie des neoliberalen Institutionalismus bietet der auf Gramsci rekurrierende Transnationale Historische Materialismus (nachfol- gend: Neogramscianismus ), der danach fragt, wie politischer Konsens sowohl auf national- staatlicher als auch globaler Ebene trotz widerstreitender Interessenlagen hergestellt wird.

Hierfür werde ich nach einer knappen Klärung des methodischen Vorgehens (Kap. II) in einem Grundlagenkapitel (III) die theoretische Diskussion innerhalb der IPÖ nachvollzie- hen und das Analyseschema des Neogramscianismus herausarbeiten. Die daran anknüp- fende Betrachtung der politischen Ökonomie Russlands soll eine Bild von den Konflikt- verhältnissen zeichnen und darlegen, auf welche Schwierigkeiten die Integration ins Welt- handelssystem stößt. Diese Darstellungen leiten über zur Analyse des WTO- Beitrittsprozesses, der als Spektrum einzelner Konflikte diskutiert wird und dem Nachweis dient, dass die lange Zeitdauer und Verzögerung des Beitritts nicht von Russlands eigener Situation und den konkurrierenden Ordnungsvorstellungen des hegemonial prädominierten internationalen Systems zu trennen sind: internationale Organisationen existieren nicht für sich, sondern fungieren als Spielball politischer Konkurrenz. Die Arbeit schließt daher mit einer Diskussion neuer geopolitischer Konfliktverhältnisse ab.

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II. Methodischer Zugang

)) -•¥®Ø§©≥£®•≤ :µß°Æß Beitrittsverfahren zur Aufnahme in internationale Organisationen sind an sich nichts Be- sonderes und finden regelmäßig statt. Der Fall Russlands ist allerdings besonders, nicht nur wegen seiner immensen Zeitdauer – ein durchschnittliches WTO-Beitrittsverfahren dauert rund sechs Jahre (Åslund 2003: 405), sondern auch aufgrund der politischen Hintergrund- bedingungen. Natürlich wäre es möglich, den Verfahrensablauf mit anderen Beitritten zu vergleichen; beispielsweise hätte man fragen können, weshalb andere postsowjetische Staaten wie Tschechien (1993) oder Bulgarien (1996) in weitaus kürzerer Zeit der WTO beitraten oder aber manche Staaten bereits während des Kalten Krieges und trotz Zugehö- rigkeit zum realsozialistisch assoziierten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) Mit- glied wurden (z.B. Polen 1967, Ungarn 1973 usw.). Doch liegen hierfür aus der Ge- schichtsschreibung über den Realsozialismus bereits begründete Aussagen vor, die allen- falls hätten erneut getestet werden können, was nicht Ziel dieser Arbeit ist (z.B. Dangerfield 2008; Greiner et al. 2008). Auch ist es nicht Ziel, eine Überprüfung des WTO- Verfahrensrechts im Stile des Rechtspositivismus oder eine eigene ökonometrische Er- folgsrechnung durchzuführen. Solche Studien haben ihre Berechtigung, beschreiben aber gänzlich andere Handlungskontexte (z.B. Lobbying; Implementationsforschung) und Dis- kursebenen (technisch-instrumentelles Wissen).

Vielmehr soll die Arbeitshypothese vertreten werden, dass sich Russlands Beitritt aufgrund seiner inneren politischen Verfassung einerseits und dem konfliktiven, hegemonial struktu- rierten Welthandelssystem andererseits ergeben. Diese Vermutung lässt sich näher operati- onalisieren, wenn der fragliche WTO-Beitritt als abhängige , als zu erklärende Variable definiert und die innenpolitischen und außenwirtschaftlichen Kontextbedingungen, die Formulierung politischer Ziele auf nationaler Ebene, deren Filterung durch global vorherr- schende Konfliktverhältnisse und eine unterstellte Hegemonialordnung als erklärende Va- riablen begriffen werden. Der Forschungsprozess lässt sich wie in Abbildung 1 hypothe- tisch vereinfachen.

Das Modell ähnelt der idealtypischen Darstellung des politischen Prozesses nach Easton (1957: 384), soll sich aber nicht auf die politische Systemforschung beschränken, da ich den Erklärungsgehalt der Systemtheorie für zu begrenzt einschätze. Wo diese Theorie sich in erster Linie am offiziellen Diskurs hochrangiger Entscheidungsträger orientiert, bleiben interne Diskussionsprozesse und Konflikte der beteiligten Akteure ebenso außer Acht, wie eventuelle Mobilisierungen von Gegnern der Regierungspolitik oder Gegnern bestimmter

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II. Methodischer Zugang politischer Ziele (vgl. Habermas 1968: 122). Wie weiter unten gezeigt wird, berücksichtigt der Neogramscianismus Elemente der Willensbildung in ihrer Breite und gibt Auskunft über vorhandene und auch bekämpfte Hegemonialstrukturen auf allen denkbaren Ebenen politischer Institutionalisierung. Der modellierte Forschungsprozess dient daher zunächst allenfalls einer groben Orientierung im Verlauf der Argumentation.

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Insgesamt wird die Arbeit als Fallstudie organisiert, ihre theoretische Reichweite bleibt begrenzt auf ein spezifisches Modell politischer Entwicklung innerhalb eines Staates und dessen aktive und passive Wechselbeziehungen im Prozess der Globalisierung oder Inter- nationalisierung des Wirtschaftsgeschehens. Fallstudien haben den Vorteil einer möglichst dichten Beschreibung der zugrunde liegenden Problemlage und sollen den vorhandenen Erfahrungsschatz auf einem Spezialgebiet ausdehnen (Behnke et al. 2010: 83f.; Lauth et al. 2009: 62). Aus diesem Vorteil folgt auch ihr Nachteil, denn eine Verallgemeinerung ist nur unter Marginalisierung der vorherrschenden Kontextbedingungen möglich (ebd.), auch wenn im Zuge der Untersuchung unterstellt wird, dass es allgemeine Charakteristika des politischen und ökonomischen Entwicklungsverlaufs gibt, die durchaus in Analogie zu anderen Staaten überprüft werden können; gegebenenfalls durch Datenanalyse, gegebenen- falls durch teilnehmende Beobachtungen vor Ort und andere Formen der qualitativen For- schung.

Doch während es Vertretern eines methodischen Rigorismus um den Nachweis geht, Fall- studien u.a. als legitimen Kanon der politikwissenschaftlichen Komparatistik auszuweisen, wird wenig über das zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis ausgesagt, das nicht nur 6

II. Methodischer Zugang nach Aussage neogramscianisch und im weiteren Sinne post-positivistisch orientierter Wissenschaft problematisiert werden muss und das mindestens im Bereich der Kompara- tistik einem naturwissenschaftlichen Modelldenken folgt (Stykow 2007: 36). Bereits Ha- bermas (1968: 148ff.) weist in seinen wissenschaftstheoretischen Untersuchungen auf grundlegende „Erkenntnisinteressen“ der Wissenschaftstraditionen hin (ähnlich Behrens et al. 2005: 89). Diese Interessen präformieren den wissenschaftlichen Disput, indem ihnen unausgesprochene oder zumindest nicht thematisierte Hintergrundbedingungen vorausge- hen, die zu systematischen Verzerrungen der Ergebnisse führen müssen, solang sie nicht reflektiert werden. Er unterscheidet in der Folge Ansprüche jeder Wissenschaftstradition, die deren Arbeiten leiten:

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historisch- empirisch-analytisch kritisch-dialektisch hermeneutisch Erkenntnisinteresse: technisch: Prognose praktisch: intersubjek- emanzipatorisch: Kri- und Verwertung ge- tive Handlungsorientie- tik unerkannter oder wonnener Erkenntnis rung im Rahmen tra- uneingestandener dierten Selbstverständ- Abhängigkeiten nisses Instrument: Erfolgskontrolle Sinnverstehen Selbstreflexion

Methoden: Statistische Analyse, Exegese, Quellenkritik Dialektik, Diskursana- Experiment; Be- lyse obachtung Theorie: Positivismus, Szien- Historismus; Herme- Ideologiekritik, Psy- tismus neutik choanalyse; Wissen- schaftstheorie

Diese Kontroverse spiegelt sich denn auch in der von Robert Cox (s. Kap. III) kritisierten erkenntnistheoretischen Blindheit von ihm so bezeichneter „Problemlösungstheorien“, die an der Realität allzu sehr verhaftet blieben und sich des Vorwurf aussetzten, eine wie auch immer geartete Gegenwart implizit zu legitimieren, wenn sie unter der Prämisse von Wert- urteilsfreiheit Partikularinteressen als allgemeingültig identifizierten 9. Ein Umstand, der wiederum aufzeigt, dass Theorie und Methode oder Theorie und Empirie sich wechselsei- tig beeinflussen und die Wahl beider immer schon eine Filterung bedeutet, die den mögli- chen Wahrheitsgehalt der getroffenen Aussagen berührt (vgl. Stykow 2007: 44). Um auf dieser Grundlage dennoch zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen, kann es nur da- rum gehen, die Prämissen offen zu legen und für einen Brückenschlag zwischen den La- gern zu plädieren. Auch Habermas tritt nicht für einen Monismus der Methoden ein oder leugnet den Stellenwert empirisch-analytischer und historisch-hermeneutischer Wissen-

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II. Methodischer Zugang schaft, sondern fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den Erkenntnismitteln, um sich nicht der Gefahr nur vermeintlicher Tatsachen auszusetzen: „Indem die Wissenschaften methodologisch nicht wissen, was sie tun, sind sie ihrer Disziplin um so gewisser, das heißt: des methodischen Fortschritts innerhalb eines nicht problematisierten Rah- mens. Das falsche Bewußtsein hat eine schützende Funktion. Denn auf der Ebene der Selbstrefle- xion fehlen den Wissenschaften die Mittel, den Risiken eines einmal durchschauten Zusammen- hangs von Erkenntnis und Interesse zu begegnen.“ (Habermas 1968: 165). Es soll also in der Folge nicht für eine einzige, vermeintlich „richtige“ Methode plädiert werden, vielmehr zeigt sich im Verlauf der Untersuchung, dass ein kritischer Diskurs nicht ohne empirische Analyse auskommen kann, soll er nichts ins Spekulative abdriften (Lauth/Winkler 2006: 52). Durch Benennung der vermuteten Interessen beteiligter Akteure soll eine höchstmögliche Abstraktion erreicht und eine objektive Auseinandersetzung mit dem oben genannten Theoriebestand gesucht werden, um diesen implizit am Material tes- ten zu können.

Formal bewegt sich das Studiendesign daher auf Ebene der interpretierenden Fallstudie , die bestehende Theorien nicht ausdrücklich weiterentwickelt (Behrens et al. 2005: 93) 10 . Dass es schließlich auch zur Darlegung von Forschungsdesiderata kommt und der Rekurs auf eine einzige Theorie als Erklärungsmuster im Rahmen so variabler Realitätsbedingun- gen wie im Bereich der internationalen Politik als Reduktionismus oder Determinismus erscheinen muss, liegt auf der Hand. Doch im Sinne eines kritischen Wissenschaftsver- ständnis suche ich sowohl theoriengeleitete Hypothesenbildung als auch methodische Ab- sicherung des Argumentationsganges mit einer im Rahmen des Untersuchungssettings möglichen Verallgemeinerung zu verknüpfen und auf Tatbestände hinzuweisen, die der weiteren Bearbeitung bedürfen.

Als Material dienen mir alle offen zugänglichen Quellen, wozu neben der relevanten For- schungsliteratur und einschlägigen Presseberichten auch graue Literatur zählt (z.B. Regie- rungsdokumente, WTO-Veröffentlichungen, Denkschriften u. ä.) sowie vor kurzem zu- gänglich gewordene Botschaftsdepeschen, die auf der Enthüllungsplattform Wikileaks 11 publiziert wurden und eine wichtige Primärquelle für die vorliegenden Lageeinschätzun- gen der russischen Politik und dem Verhalten beteiligter Dritter bieten. Als problematisch erweist sich der prekäre Charakter dieser Depeschen, die teilweise der Geheimhaltung un- terliegen und deren Veröffentlichung straffrechtlich verfolgt wurde. Für die Wissenschaft ergibt sich daraus aber nur das erste Problem – das der Quellenkritik. Zusätzlich erschwert wird dies durch die schiere Masse der vorhandenen Quellen (über 250.000 Dokumente!), die einer Eingrenzung bedürfen. Hierfür liegen zwar softwaregebundene Filtermechanis- 8

II. Methodischer Zugang men vor. Doch schon aus ökonomischen Gründen beschränkte ich die kursorische Durch- sicht auf Einträge der US-Botschaften in Russland unter dem Schlagworten „WTO“, da alles Weitere zu einer problematischen Verallgemeinerung geführt hätte, deren Randbe- dingungen sich einem Außenstehenden nur schwer erschließen und darüber hinaus zu weit von der eigenen Forschungsfrage weggeführt hätten. Eine systematische Auswertung die- ser Quellen steht daher noch aus.

Dass solche, über eine Organisation wie Wikileaks veröffentlichte Quellen, prinzipiell aus dem Quellenfundus einer empirisch und kritisch orientierten Wissenschaft gestrichen wer- den sollten, wäre eine allein mit wissenschaftlichen Standards nicht zu rechtfertigende Se- lektion 12 . Doch wäre es kontrafaktisch, anzunehmen, dass an der Veröffentlichung bzw. Nicht-Veröffentlichung solcher Dokumente keine politischen Interessen geknüpft sind, und dass deren breite Besprechung in den Medien beispielsweise nur in restringierter Form erfolgt. Wie Krüger (2013) am Beispiel der Münchener Sicherheitskonferenz dargelegt hat, ist die Form der Berichterstattung, ebenso die bewusste Nicht-Thematisierung spezifischer Inhalte mittelbar gebunden an Eigentümerinteressen, aber auch die politische Orientierung und Sozialisation relevanter Autoren und Journalisten, die teilweise selbst und vermittelt durch entsprechende Diskussionsforen und Vereinigungen in sogenannte Elite-Netzwerke eingebunden sind und in der Folge eine einseitige, abwertende oder auch desinformierende Berichterstattung vornehmen können (Krüger 2013: 105—150; 253ff.). Solang man es also mit geheim eingestuften Material zu tun hat, wird die Publikation und Diskussion des Ma- terials innerhalb der Medien nur dann wissenschaftlichen Standards entsprechen, wenn Transparenz über die Auswahlkriterien besteht – eine absolute Sicherheit wird nur bei vollkommener Verfügung über alle Quellenbestände bestehen können 13 .

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III. Theoretische Grundlagen

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))) )Æ¥•≤Æ°¥©ØÆ°¨• 0ب©¥©≥£®• v´ØÆØ≠©• °¨≥ &Ø≤≥£®µÆß≥§©≥∫©∞¨©Æ In diesem Teil sollen die theoretischen Grundlagen der weiteren Analyse gelegt werden. Ich werde mich im Verlauf der Arbeit auf unterschiedliches empirisches Material stützen, dieses Material bedarf der Ordnung durch theoretische Annahmen. Einleitend habe ich darauf hingewiesen, dass der äußerst langwierige Beitrittsprozess Russlands auf tieferlie- gende politische Konfliktfelder im internationalen System verweist. Die politikwissen- schaftliche Problematisierung dieser Konfliktfelder ist Thema der Internationalen Bezie- hungen (IB), deren Geschichte hier nicht nacherzählt werden soll; dazu liegt ein breiter Bestand an Forschungsliteratur vor (Gilpin 1987: 25—64; Menzel 2001; Krell 2006; Schieder/Spindler 2006; Cohn 2012: 52-130). Vielmehr gehe ich davon aus, dass die For- schungsfrage nicht mit dem konventionellen Theoriekanon der IB beantwortet werden kann, sondern eine Analyse des Wechselverhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft er- fordert. Nur so kann der Willensbildungsprozess innerhalb Russlands als auch innerhalb des Staatensystems und der Institutionen des Welthandels untersucht werden.

Während die klassische IB-Theorie intermediären Organisationen und Akteuren (Nichtre- gierungsorganisationen, Massenmedien usf.) allenfalls eine marginale Rolle bei der Befas- sung mit internationaler Politik zugesteht, stattdessen Nationalstaaten fokussiert, berück- sichtigen sogenannte post-positivistische Theorien die internen wie externen Konfliktver- hältnisse, bestreiten also die Existenz nach innen wie außen homogener Nationalstaaten und stellen den Kampf um Deutungshoheit, Macht und Einfluss in den Vordergrund. Im Gegenteil werfen sie der hergebrachten Theorie Positivismus und eine stillschweigende Akzeptanz des Status quo und also einen reduktionistischen, ahistorischen und bestenfalls an der Lösung von technischen Problemen orientierten Zugriff auf die Thematik vor (Far- rands/Worth 2005: 46; Gill 2008: 19). Die Disziplin, die erst Anfang des 20. Jahrhunderts begründet wurde, stand mindestens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unter der theo- retischen Vorrangstellung des Realismus auf der einen und des Liberalismus auf der ande- ren Seite. Beide Positionen widersprachen sich nicht hinsichtlich ihrer grundlegenden Be- gründung und Herleitung – sie unterstellten ein anarchisches, unreguliertes Staatensystem, in dem Macht von wesentlicher Bedeutung für die nationale Sicherheit sei; sie favorisierten jedoch verschiedene Methoden und Politikstile. Zum festen Bestandteil außenpolitischer Beratung avancierte allerdings nur der Realismus 14 .

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III. Theoretische Grundlagen

Kurz gesprochen setzen realistische Ansätze ein konfliktbeladenes System von Staaten voraus, innerhalb dessen um Macht und Einfluss gerungen wird (Cohn 2012: 57). Sicher- heit und Frieden sind aufgrund des Fehlens einer übergeordneten Ordnungsinstanz knappe Güter und jeder Staat müsse seine „vitalen“ Interessen sicherstellen. Eine solche Garantie eigener Interessen könne über Handelspolitik, Diplomatie, aber auch militärische Interven- tion hergestellt werden. Die Theorie ist insoweit „realistisch“, als dass sie den Status quo der weltpolitischen Lage voraussetzt und auch die favorisierten politischen Mittel einem realistischen, also realen Raum von Optionen anpasst. Kritiker werfen dem Realismus da- her Opportunismus und Positivismus vor, da dessen Vertreter nicht in der Lage seien, sich von der vorherrschenden Kräftekonstellation intellektuell zu distanzieren. Ferner wäre es gar nicht möglich, einen alternativen Raum von Möglichkeiten zu begründen, da der Rea- lismus Präsuppositionen anführt, die den Diskussionsprozess bereits beschränkten und bei- spielsweise Prozesse restringierter Kommunikation und willentlicher Nicht- Entscheidungen durch Politiker im Rahmen des Agenda-Setting 15 vollends ausblendeten (Bachrach/Baratz 1977: 74ff.; McCombs/Shaw 1972: 184).

Mit Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Konfrontation der politischen Blöcke in Ost und West offenkundig geworden und beide Seiten identifizieren sich als antagonistische Mäch- te, die in einem existentiellen Sicherheitsdilemma gefangen waren. Abschreckung wird zur Maxime des außenpolitischen Handelns und über sogenannte Nebenkriegsschauplätze mi- litärisch 16 , ökonomisch 17 wie auch ideologisch 18 ausgefochten. Ein System wechselseitiger Bedrohung besorgte ein Freund-Feind-Denken beiderseits und ließ den Kampf um globale Vorherrschaft der Gesellschaftssysteme als höchste Priorität erscheinen (Ikenberry 2011: 161; Mazower 2012: 215). Der Wettbewerbsvorsprung, den die USA nach Ende des Welt- krieges sowohl auf ökonomischem wie auch auf politischem Gebiet errungen hatten, schien durch eine nachholende Modernisierung der Sowjetunion (vor allem im Rüstungs- bereich), aber besonders Japans und Westeuropas herausgefordert (vgl. Kennedy 1991: 614ff.). Innerhalb der IB wurde diese Entwicklung unterschiedlich reflektiert. Die klassi- sche Theorie des Realismus sah sich durch Ende der 1960er Jahre auftretende ökonomi- sche Krisenszenarien in ihrem sicherheitspolitischen Fokus in Frage gestellt. Der liberale Historiker Charles Kindleberger 19 vertrat die Auffassung, dass jede historische Periode ihr eigene Hegemonialmächte hervorbrächte, welche eine internationale Garantenstellung für globale öffentliche Güter wie Sicherheit, Frieden und eine geordnete Weltwirtschaft ein- nehmen würden. Illustriert wurde dies am Beispiel der Weltwirtschaftskrise von 1929ff., während der seiner Ansicht nach das Finanzsystem kollabierte, weil es an einer internatio- 11

III. Theoretische Grundlagen nal koordinierten Finanzpolitik fehlte. Kein Staat hätte damals die erforderliche Gestal- tungsinitiative und daran geknüpfte Risiken übernehmen wollen (Kindleberger 1973: 308). Die USA selbst waren seinerzeit eher isolationistisch und auf die innere Entwicklung des Landes orientiert (Cox 1987: 213). Erst durch die Nachkriegsordnung von Bretton Woods hätten die USA ihren Führungsanspruch untermauert und international Verantwortung übernommen 20 . Ein Umstand der sich schließlich auch in der Gegenwart ausdrücken wür- de, weshalb Kindleberger an die Machtinteressen der außenpolitischen Eliten appellierte, diese Verantwortung auch bei der Beantwortung des vermuteten Einflussverlustes der USA gegenüber Westeuropa geltend zu machen: „Heutzutage, da die Teilhabe am Entscheidungsprozeß zur guten Form gehört, ist Führerschaft ein Wort mit negativem Beigeschmack. […] Aber wenn man die Führerschaft unter dem Aspekt der Vorsorge für das öffentliche Gut Verantwortung sieht und weniger unter dem der Ausbeutung der Geführten oder der Beschaffung des privaten Gutes Prestige, beleibt sie eine wertvolle Idee. […] Den USA beginnt die Führung allmählich zu entgleiten.“ (Kindleberger 1973: 321) Diese Theorie hegemonialer Stabilität oder Zyklentheorie der Herrschaft 21 , welche zu- gleich eine US-amerikanische Vorherrschaft für die Gegenwart implizierte, markierte den wissenschaftsimmanenten Anstoß für theoretische Neubegründungen und der Etablierung von Subdisziplinen, die sich Einzelaspekten internationaler Politik zuwandten und zu de- nen auch die Internationale Politische Ökonomie (IPÖ) zählte. Diese wurde wiederum aus der Feststellung begründet, dass Politik und Ökonomie nicht länger als verschiedene Ge- genstandsbereiche bearbeitet werden könnten, denn: „Neither state nor market is primary; the causal relationship are interactive and indeed cyclical “ (Gilpin 1987: 9).

Die Grenzen zwischen den neu geschaffenen Disziplinen und theoretischen Strömungen waren teilweise fließend 22 , da bestimmte Vertreter zugleich in mehreren Debatten und Fel- dern auftraten. Zu den bekanntesten Vertretern der „klassischen“ oder auch positivistischen IPÖ zählen bis heute Stephan Krasner, Robert Keohane (zusammen mit Joseph Nye) und Robert Gilpin, die allesamt eine wissenschaftliche Sozialisation durch den (Neo)Realismus erfahren haben und insoweit ähnliche wissenschaftstheoretische Prämissen 23 teilen (Beh- rens et al. 2005: 44). Auch eine Konvergenz ihrer Politikziele ist nicht zu leugnen, was das plausible Gegenargument nährte, bei der These eines etwaigen amerikanischen Hegemo- nieverlustes 24 handele es sich vielmehr um eine Reformulierung der Außenpolitikziele, denn um einen grundlegenden Bruch mit den Vorstellungen des Realismus hin zu einer auf Kooperation und Konsens setzenden Außenpolitik (Gill 2008: 89f.; Bieling 2007: 97).

Nichtsdestoweniger hatten die von den Neorealisten und Neoinstitutionalisten vorgebrach- ten Argumente einen wahren Kern, wenn sie von einer veränderten internationalen Wirt- 12

III. Theoretische Grundlagen schaftslage ausgingen und darauf hinwiesen, dass wirtschaftliches Wachstum und die Si- cherstellung US-amerikanischer Wettbewerbsvorteile nur gewahrt werden könnten, wenn der Außenwirtschaftspolitik eine größere Beachtung geschenkt würde. Einflussnahme auf die internationale Handelspolitik war zwar nicht neu – das gesamte Welthandelssystem seit Bretton Woods war im Kern ein amerikanisch-britisches Liberalisierungsregime -, doch gab es zahlreiche Indikatoren 25 , die auf ein Ende des dominierenden Regulationsmodells 26 Fordismus verwiesen. Hierzu zählten unter anderen der Anstieg der globalen Ölpreise, wachsende Inflation und wirtschaftliche Rezession sowie die ökonomische Aufholjagd Europas und Ostasiens (Bieling 2006: 381). Allesamt Prozesse, die nicht nur die Vorrang- stellung des von den USA installierten System aus Dollar-Leitwährung 27 und globalem Kreditmanagement herausforderte, sondern in konkreten Anpassungsreaktionen mündete. In ökonomischer Hinsicht geschah dies durch die Freigabe fixer Wechselkurse und die Aufhebung der Bretton Woods-Standards, die Liberalisierung von Kapitalverkehrskontrol- len sowie eine dauerhafte Politik des Hochzinses, womit die USA ihren Gläubigerstatus finanziell aufwerteten und zugleich ihre Kreditnehmer zu permanenten Schuldnern degra- dierten, die sich mit Finanzkrisen konfrontiert sahen (Gowan 1999: 94; Harvey 2005: 23f.).

All diese Prozesse fanden ihre theoretische Entsprechung in der Forderung nach einer Las- tenteilung ( burden sharing) unter den assoziierten Mächten des Westens (Menzel 2001: 157; Norrlof 2010: 50f.). Verkürzt folgerten neorealistische Vertreter daraus insbesondere drei Maßnahmen: (1) Die USA sollten ihre Handels- und Finanzpolitik noch stärker an eigenen Interessen ausrichten, da künftige Konflikte in erster Linie Verteilungskonflikte um Rohstoffe und Absatzmärkte sein würden; nationale Interessengruppen wirkten auf die außenpolitischen Entscheidungsträger ein, weshalb sich die IPÖ auch den Entscheidungs- prozessen innerhalb der Bürokratie widmen müsse (Krasner 1976). (2) Die weit vorange- triebene Internationalisierung der US-Wirtschaft sollte durch Restrukturierung der Aus- landsaktivitäten multinationaler Konzerne umgewandelt werden. Als Teil einer neuen In- dustrialisierungspolitik solle es fortan zu einer Verringerung außenwirtschaftlicher Abhän- gigkeiten ohne alleinigen Fokus auf die Finanzwirtschaft kommen (Gilpin 1987). (3) Zu- gleich sollten hierfür internationale Organisationen politisiert und ein Kooperationsmodell nach amerikanischem Interesse befördert werden; als Instrumente dazu dienten neben einer zu wahrenden „hard power“ durch Militär und Ökonomie auch ideologische Faktoren wie eine kulturelle Attraktivität des eigenen Gesellschaftssystems, so verstandene „soft power“ (Keohane 2005 [1984]; Nye 2011).

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III. Theoretische Grundlagen

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass trotz der wissenschaftlich geführten Ausei- nandersetzungen zwischen Neorealismus und Neoinstitutionalismus beiden ähnliche Ab- sichten und Schlussfolgerungen gemein sind. Ob dabei ein funktionelles Interesse an inter- nationalen Organisationen und Regimen besteht, soweit sie US-amerikanischen Interessen dienlich sind oder aber Kooperation als Voraussetzung für die Bewahrung amerikanischer Ordnungsfunktionen gesehen wird, ist für die politische Praxis nachrangig, denn der He- gemonialanspruch wird von beiden Richtungen grundsätzlich affirmiert und als Erfordernis angesehen. Ich werde in Kapitel IV am Beispiel der WTO näher auf die Rolle internationa- ler Organisationen bei der Gewährleistung dieser Garantenstellung eingehen.

))) .•Øß≤°≠≥£©°Æ©≥≠µ≥ °¨≥ +≤©¥©´ µÆ§ &Ø≤¥¶²®≤µÆß Im Anschluss und in kritischer Auseinandersetzung mit den Diskussionsbeiträgen inner- halb der klassischen Theorie der IB über einen etwaigen Verfall amerikanischer Hegemo- nie, bildete sich ab Ende der 1970er Jahre mit dem marxistisch informierten Neogramscia- nismus eine Theorie, die nicht nur die wissenschaftstheoretischen Prämissen von Neorea- lismus und Neoinstitutionalismus ablehnt, sondern auch einen anderen Begriff von Hege- monie verwendet. Weltordnungen werden zwar ebenfalls unter Rekurs auf historische Entwicklungsdynamiken unterschieden, doch nicht in einem chronologischen Sinne, son- dern unter ursächlicher Betrachtung gesellschaftsimmanenter Konfliktformen. Da die poli- tisch-historischen noch stärker als die ökonomiekritischen Texte Marx‘ und Gramscis 28 Einfluss in die Arbeiten neogramscianischer Theorie gefunden haben, wird für diese auch der Begriff des Transnationalen Historischen Materialismus verwendet (Krell 2009: 280; Bieler/Morton 2006: 355). Zwar ist dieser Begriffsgebrauch nicht ohne Probleme, denkt man an die offiziellen Parteidoktrinen des Realsozialismus und deren apologetischer Funk- tion, findet seine Entsprechung aber auch in den Reformbestrebungen kritischer Wissen- schaftler, die in der Tradition des Westlichen Marxismus für eine stärkere Berücksichti- gung sozialpsychologischer, soziologischer und ideologischer Elemente von Herrschaft plädierten 29 .

Vertreter der These vom „American Decline“ wie Charles Kindleberger, Paul Kennedy oder auch Robert Gilpin teilten einen auf Dominanz und Vormachtstellung orientierten Hegemoniebegriff wie ihn schon der klassische Realismus postuliert hatte und im bipola- ren System des Kalten Krieges auf die Sowjetunion und die USA applizierte. Gemäß kon- ventioneller Semantik, drückt sich Hegemonie durch die Fähigkeit aus, eine internationale

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III. Theoretische Grundlagen

Ordnung zu schaffen, in der politische, militärische und wirtschaftliche Angelegenheiten von einer Führungsmacht definiert und ein korrespondierendes Regelwerk (Rechte, Ver- träge, Institutionen) etabliert und auch vollstreckt werden. Hegemonie ist in diesem Sinne Garant für eine „gute Ordnung“ 30 in einem ansonsten schlechten, weil anarchischen Staa- tensystem, indem feindliche Staatensubjekte in ihren Außenbeziehungen aufeinander tref- fen und ihre Einflusssphären zu unterminieren suchen (vgl. Cohn 2012: 57). Die histori- sche Entwicklung hätte dann unterschiedliche Hegemonialmächte hervorgebracht, die ge- mäß den technologischen und kulturellen Innovationen der jeweiligen Zeit befähigt waren, sich eine hervorragende Stellung im internationalen System zu schaffen (Modelski 1978; Kennedy 1991: 21; Menzel 2001: 149).

Schon Kritiker wie Keohane und Nye wiesen einen solchen, auf Macht und Zwang ausge- richteten Hegemoniebegriff als zu verkürzt zurück und betonten, dass dies die weltpoliti- sche Realität der 70er Jahre nicht mehr adäquat abbilden würde (Keohane 2005 [1984]: 31; Krell 2009: 297f.). Für sie spielten die zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen im Rahmen des von den USA proliferierten Systems des Welthandels und der Weltfinanzbe- ziehungen eine nicht gering zu schätzende Organisationslast auf Seiten der Amerikaner, die sich nicht allein finanziell, sondern auch politisch in steigendem Einflussverlust aus- drücken würde. Internationale Kooperation müsse diesem Missstand abhelfen; dritte Staa- ten, die potentielle Nutznießer der von den USA installierten Weltwirtschaftsordnung sei- en, müssten an den Systemkosten beteiligt werden, um es so auf Dauer bewahren zu kön- nen.

Doch während auch Vertreter einer auf Kooperation ausgerichteten Theorie internationaler Regime grosso modo einem politisch eher wirtschaftsliberalen, wissenschaftlich eher posi- tivistischem Ansatz verbunden sind, lehnen Vertreter des Neogramscianismus diese Prä- suppositionen grundsätzlich ab, denn sowohl neorealistische als auch neoinstitutionalisti- sche Ansätze würden das bestehende kapitalistische Wirtschaftssystem ebenso unhinter- fragt voraussetzen, wie sie die staatliche Souveränität bei der Durchsetzung entsprechender Regelwerke und Institutionen als quasi natürliche Ausgangslage der Analyse betrachteten (vgl. Bieler/Morton 2006: 355). Robert Cox, der Begründer des Neogramscianismus be- gann seine Kritik zunächst mit einer Infragestellung des wissenschaftlichen Vorgehens: Konventionelle Theorie orientiert sich demzufolge an der bestehenden Praxis und folgt einem technokratischen Pragmatismus; kritische Theorie hingegen will diesen Rahmen

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III. Theoretische Grundlagen

überschreiten und Handlungsalternativen aufzeigen, die sich jenseits der binären Logik von politischer Weltordnung und kapitalistischer Wirtschaft befänden; er schreibt: “The first purpose gives rise to problem-solving theory . It takes the world as it finds it, with the prevailing social and power relationships and the institutions into which they are organized, as the given framework for action. […] The second purpose leads to critical theory . It is critical in the sense that it stands apart from the prevailing order of the world and asks how that order came about.” (Cox 1981: 128f.; kursiv im Original) Setzte man diese Unterscheidung voraus, so lassen sich unterschiedliche Erkenntnisinteres- sen der jeweils vorgebrachten Theorien ermitteln und der affirmative Charakter etablierter Wissenschaft selbst wird offengelegt (vgl. Kap. II). In der Folge kann auch die in der klas- sischen IB unterstellte Homogenität staatlicher Entscheidungsprozesse widerlegt werden, da Staaten selbst als widersprüchlich verfasste, von internen Klassenkämpfen geprägte Institutionen verstanden werden. Ein solches Modell der Konsenssicherung unterscheidet sich fundamental von konventionellen Erklärungen der Entscheidungs-findung innerhalb außenpolitischer Eliten (vgl. Bierling 2003: 24; Wilhelm 2006: 135ff.). Während solche Modelle die Funktionsweise von Bürokratien danach beurteilen, ob und welche Interessen formuliert werden, bezieht sich der Neogramscianismus auf Kämpfe um Deutungshoheit zwischen herrschenden und beherrschten Klassen und erweitert damit das Analyseraster. Der Durchsetzung einer entsprechenden Deutungshoheit im nationalen wie globalen Kon- text kommt dabei eine besondere Rolle zu, weshalb Cox explizit einen abweichenden He- gemoniebegriff vertritt, der auf die Arbeiten des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurückgeht.

Gramsci, zugleich Namensgeber der Forschungsrichtung, hatte wiederum nur wenige dezi- dierte Beiträge zur Theorie der Internationalen Beziehungen erarbeitet, was einerseits den Zeitumständen entsprach – der einschlägige Großteil seines Werkes, die sogenannten Ge- fängnishefte -, ist in den 30er Jahren entstanden, andererseits an seinem unterschiedlichen Erkenntnisinteresse lag, versuchte Gramsci doch das Ausbleiben einer Revolution nach sowjetischem Vorbild in Westeuropa zu analysieren. Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass es insbesondere die Fähigkeit zur Bildung von Konsens und die die Durchsetzung bestimmter Ideologien war, welche die aktive Zustimmung beherrschter Klassen im Sinne der bürgerlichen Klasse sicherte. Entgegen der Annahmen des orthodoxen Marxismus, der politische Entwicklungen allein aus „ökonomischen Gesetzen“ ableitete und der Arbeiter- klasse eine nahezu teleologische Rolle in der Geschichte zuwies, rückte Gramsci die Ei- gengesetzlichkeit von Politik und Kultur ins Zentrum seiner Analysen (Kebir 1991: 212; Rehmann 2008; Bieling 2009: 439). Hegemonie wurde darin zum zentralen Faktor innen-

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III. Theoretische Grundlagen politischen Kampfes um Macht und Einfluss zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Cox räumt diese zeithistorischen Umstände ein, beharrt jedoch zugleich darauf, dass sich Kern- aussagen und zentrale Begriffe Gramscis durchaus für eine Adaption auf die internationale Politik eignen würden. Und so definiert er mit Gramsci und gegen die positivistische IB- Theorie Hegemonie als Ausdruck gesamt-gesellschaftlicher politischer und ideologischer Integration ins bestehende System: „When the administrative, executive and coercive apparatus of government was in effect con- strained by the hegemony of the leading class of a whole social formation, it became meaningless to limit the definition of the state to those elements of government. To be meaningful, the notion of the state would also have to include these in concrete historical terms – the church, the educational system, the press, all the institutions which helped to create in people certain modes of behavior and expectations consistent with the hegemonic social order.” (Cox 1983: 164) Mit diesem fundamental anderen Ansatz wird deutlich, dass Herrschaftssicherung und Le- gitimationsbeschaffung wesentliche Aufgaben vor einer nur möglichen Integration und Auseinandersetzung mit dem internationalen Staatensystem und den globalen Kräftever- hältnissen sind. Zugleich wird herausgearbeitet, dass es einander widerstreitende Interessen gibt, deren Artikulation Ausdruck von Kämpfen auf allen Ebenen politischer Institutionali- sierung sind und diese nicht allein durch Zwang (Sanktionen, Freiheitsentzug, offene Ge- walt usf.) gesichert wird. Insgesamt identifiziert Cox (1983: 163ff.) sechs zentrale Begriffe bei Gramsci, die um die Etablierung von Hegemonie als miteinander verwobenen Hand- lungskomplex, kreisen:

Nach Gramsci resultierte die Widerstandskraft westeuropäischer Gesellschaften gegenüber kommunistischen Umsturzversuchen nicht allein aus ihren militärischen und polizeilichen Mitteln, sondern auch durch eine effektive (1) Zivilgesellschaft , die sich in kritischen Pha- sen ihres gemeinsamen Ziels – der Abwehr kommunistischer Umtriebe, gewahr wurde und Sonderinteressen hinter allgemeinere Interessen der Klassenherrschaft insgesamt zurück- stellte; Institutionen der Zivilgesellschaft sind nach Gramsci Kirchen, Gewerkschaften, Schulen und andere private Einrichtungen, die Anteil daran haben, bestimmte Diskurse, Ideologien und „Wahrheiten“ einer Gesellschaft zu transportieren (Kebir 1991: 215); denkbar wären auch private Stiftungen, Denkfabriken ( Think tanks ) oder andere Lobbyor- ganisationen.

Zur Kenntlichmachung der unterschiedlichen Funktionen von Staat und Zivilgesellschaft adaptiert er zusätzlich aus der Militärhistorie die Begriffe (2) Stellungs- und Bewegungs- krieg , wobei die unmittelbar staatlichen Institutionen in fester Stellung verharrten, umge- kehrt die Arbeiter- und Soldatenräte auf kommunistischer Seite für unmittelbare Positions-

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III. Theoretische Grundlagen gewinne im Handgemenge verantwortliche wären (ebd.). Hierzu bedienten sich die herr- schenden Klassen sogenannter (3) organischer Intellektueller , die als ins Gesellschaftssys- tem integrierte Intermediäre auftreten und den Status quo als „gute“ oder „richtige“ Ord- nung postulierten. Gramsci erweitert den Begriff grundlegend und macht ihn daher auch für Arbeiter zugänglich: „Unter Intellektuellen muss man nicht nur die gemeinhin unter dieser Bezeichnung begriffenen Schichten verstehen, sondern im allgemeinen die ganze Gesellschaftsschicht, die organisierende Funktionen in weitem Sinne sowohl auf dem Gebiet der Produktion als auch auf dem der Kultur und auf politisch-administrativem Gebiet ausübt: sie entsprechen den Unteroffizieren und den sub- alternen Offiziersrängen in der Armee und zum Teil auch den oberen Offiziersrängen subalterner Herkunft.“ (Gramsci 1991ff.: 1975). Intellektuelle sorgten für die Absicherung der Herrschaft durch Bildung (4) ideologi- scher/historischer Blöcke (vgl. Rehmann 2008: 95). Solche Intellektuelle sollten Gramsci zufolge auch auf Seiten der Kommunisten für eine aktive Unterstützung der eigenen Forde- rungen wirken. Auch in den etablierten kapitalistischen Gesellschaften Westeuropas herrschte nach Gramscis Auffassung keine komplette Hegemonie einer sozialen Klasse vor; vielmehr existierten staatliche Mischtypen, die ihre innere Entwicklung entweder wie im Falle Englands und Frankreichs soweit voran getrieben hätten, dass das Bürgertum ne- ben der wirtschaftlichen Macht auch die politisch-kulturelle Deutungshoheit über den Staat sich angeeignete hätte oder aber, wie am Beispiel des Deutschen Reiches, eine eher autori- täre Durchsetzung kapitalistischer Modernisierung erlebten, bei der sich die Wirtschafts- bürger loyal gegenüber der monarchischen Herrschaft zeigten. Für Gramsci ist dies ein Beispiel (5) passiver Revolution 31 , also einer zwar nicht total gescheiterten, aber um ihre ideologischen Forderungen gestutzten Revolution. Indem nun politischer Widerspruch in Konsens, Zustimmung und aktive Bejahung des Status quo umgeformt und transformiert wird, festigt sich die Herrschaft auf der einen Seite und werden Kritiker marginalisiert. Diesen Prozess bezeichnet Gramsci mit dem Wort (6) Trasformismo 32 . Eine solche Um- formung erfolgt heute beispielsweise durch die Internalisierung von Fremdzwängen, der Verinnerlichung einer Leistungsideologie bei gleichzeitig politisch hergestellter Marktun- sicherheit (Prekarisierung) und damit einer Strategie der Vereinzelung erfolgen (vgl. Gill 1995: 415f.).

Cox resümiert, dass sich der bei Gramsci darlegte Prozess der Durchsetzung von Hegemo- nie innerhalb eines dreiteiligen Beziehungsgeflechts auflösen lässt. In diesem Geflecht nehmen grundlegende Ideen (z.B. Freihandel) Einfluss auf die Bildung von Institutionen (z.B. nationale Handelskammern, WTO) und wirken ebenfalls auf die materiellen Kapazi-

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III. Theoretische Grundlagen täten (z.B. Wirtschaftskraft) von Staaten zurück. Sodann überträgt er diese Aussagen auf das internationale Staatensystem und die internationale politische Ökonomie, setzt dabei die Existenz transnationaler Klassen und dementsprechend auch überstaatlicher Konflikt- muster voraus und illustriert seine Adaption am Beispiel der Funktionsweise internationa- ler Organisationen wie IWF, ILO oder WTO, die seiner Ansicht nach als Garanten einer bestimmten Hegemonialordnung fungieren (Cox 1983: 172ff.; vgl. auch Morton 2007: 123ff.). Innerhalb dieses Konfliktmusters entstehen zeitlich variierende Kooperations- und Herrschaftsformen und Hegemonie auf unterschiedlichen Ebenen. So unterscheiden sich sowohl die Nationalstaaten in ihrer jeweiligen Herrschaftsform und globalen Machtpositi- on (z.B. USA nach dem Zweiten Weltkrieg), als auch hinsichtlich der Produktionsweise und Regulationsform (z.B. neoliberale Regulation und finanzkapitalistische Akkumulation; Cox 1981: 138ff.; Gill 2008: 58ff.; ten Brink 2008b: 221), wobei die Stellung der kapitalis- tischen Ökonomie als gesellschaftliches Ordnungsprinzip sowie der daraus deduzierten politischen Institutionen und Verfahrensweisen spätestens mit dem Untergang der Sowjet- union nahezu universalisiert worden sind und damit auch die Eingangs genannten Vertreter des „American Decline“ anachronistisch erscheinen lassen muss.

In der Summe lässt sich festhalten, dass der Neogramscianismus nicht nur einen anderen Hegemoniebegriff postuliert, sondern Analyseinstrumente bereitstellt, die das konventio- nelle Verständnis von Politik und Ökonomie hinterfragen und damit die erkenntnistheoreti- schen Orientierungen der klassischen Theorie zurückweisen. Hegemonie wird als mehrdi- mensionaler Ausdruck unhinterfragter Klassenherrschaft national wie auch global verstan- den; ihre Mittel sind neben ökonomische Konkurrenz und Weltordnungspolitik 33 , auch Politiken der Subordination und Diskursverknappung. Der dialektische Anspruch des Neo- gramscianismus begründet sich im Zusammendenken der Trias aus Politik, Ökonomie und Zivilgesellschaft, die nicht allein wechselseitig miteinander verwoben sind, sondern als Ganzheit begriffen werden muss, die sich im historischen Verlauf stets neu konstituiert und reproduziert.

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

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“Above all, we should acknowledge that the collapse of the was a major geopolitical disaster of the century” (Putin, 2005 34 ).

Die Theorie des Neogramscianismus hat ein Analyseschema gegeben, das nun auf die konkrete Ausgangssituation in Russland angewandt werden muss. Ob und wenn ja inwie- fern sich politische Hegemonie und ein Konsens für einen WTO-Beitritt innerhalb des Staates ergeben hat, lässt sich nur unter Betrachtung der politischen Ökonomie erweisen. Die folgenden Ausführungen haben daher illustrativen und analytischen Charakter: In ei- nem ersten Schritt weise ich die vorfindliche Herrschaftssoziologie nach. In einem zweiten Schritt zeige ich auf, wie diese spezifische Konstellation in einen hegemonialen Konsens für einen WTO-Beitritts Russlands transformiert wurde.

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Das politische System Russlands soll an dieser Stelle nur schlaglichtartig beleuchtet wer- den, denn hierzu liegt eine reichhaltige Forschungsliteratur vor, die sich sowohl dem Ge- samtkontext der Systemtransformation als auch Einzelaspekten dieser widmet (z.B. Brown 2001; Klein/Pomer 2001; Reddaway/Glinski 2001; Mommsen 2004; Pleines/Schröder 2010; Sakwa 2011; White 2011). Zur Prüfung der Fragestellung, weshalb sich Russlands WTO-Beitritt verzögerte, wird es jedoch erforderlich, sich mit den grundlegenden Funkti- onsmechanismen und der politischen Ökonomie russischer Politik und insbesondere der Regierungs- und Außenwirtschaftspolitik zu befassen.

Die Grundlage für die spätere Systemtransformation wurde bereits durch Gorbatschows Reformpolitik ( ) ab Mitte der 1980er Jahre gelegt (vgl. White 2011: 13ff.; Hoffman 2011: 159; Åslund 2007: 21ff.). Damals war es erstmals möglich, individuelle Wirtschaftsaktivitäten innerhalb eines großzügigen staatlichen Toleranzbereichs zu voll- führen, in deren Folge Einzelpersonen und kleine Gruppen Kooperativen und auch erste Privatbanken 35 gründeten; erste nennenswerte Reichtümer konnten hierbei akkumuliert und im späteren Verlauf der Privatisierungen als wertvolles Startkapital verwendet werden. Politisch verband sich der Reformeifer Gorbatschows anfänglich noch mit der Vision einer sozialdemokratischen Umformung des bestehenden Sowjetsystems (Gorbatschow 1995: 988ff.). Dieser Optimismus wurde angesichts des auch vom Ausland befeuerten Interes- senkonflikts 36 innerhalb der Staatsführung sowie unter den sozialistischen Satelliten der

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Union alsbald aufgezehrt und wich im August 1991 einem offenen Machtkampf zwischen Vertretern von Partei- und Staatsführung und den um den kurz zuvor als russischen Staats- präsidenten gewählten Boris Jelzin versammelten Systemgegnern, die eine Auflösung der Union herbeiführen wollten (Lane 2011: 128; Ryschkow 2013: 34f.). Nach dem sogenann- ten Augustputsch setzte sich Jelzin als neues Staatsoberhaupt durch und konnte die KPdSU im November 1991 verbieten; die Sowjetunion wurde schließlich am 8. Dezember dessel- ben Jahres aufgelöst und in die GUS transformiert.

Nahezu zeitgleich wurden unter Anleitung US-amerikanischer und westlicher Wirtschafts- berater ab 1992 erste grundlegende Wirtschaftsreformen im Sinne des Washingtoner Kon- sens auf den Weg gebracht und die Privatisierung des Staatseigentums beschlossen (Ar- batov 2001: 172f.; Florio 2010: 381; Worth 2011: 103f.; kritisch Rutland 2012). Ein GATT/WTO-Beitritt Russlands galt zu dieser Zeit nur als logische Folge institutioneller Konvergenz gen Westen. Die verfügbare „Konkursmasse“ wurde in großem Maße von Angehörigen der alten Staatsmacht, Bürokraten aus Partei- und Staatsführung sowie jun- gen Unternehmern der Gorbatschow-Ära mehr oder minder in frühkapitalistischer Manier gewaltvoll angeeignet (Mann 2013: 214; Blasi et al. 1997: 61; Reddaway/Glinski 2001: 248). Russland verwandelte sich in einen „oligarchischen Kapitalismus“ (Rutland 2008: 1055; Mommsen/Nußberger 2007: 65). Der Staat stürzte infolgedessen in eine ökonomi- sche und politische Krise, die 1993 mit dem militärisch durchgesetzten Verfas- sungsoktroi 37 durch Jelzin zwar politisch konserviert, aber nicht aufgelöst wurde; der öko- nomische Verfall schritt indes bis zur Rubelkrise im Jahr 1998 weiter voran. Folgen 38 der wilden Privatisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen waren neben einem immensen Anstieg der Inflation auch Kapitalflucht, sinkende Produktion, ein fallendes Bruttoinlands- produkt, eine Erosion der Staatseinnahmen und eine extreme Spreizung von Einkommen und Vermögen (Robinson 2013: 28ff.; Rutland 2012: 340ff.; Florio 2010: 384). Bis dato lieferten sich Präsident und Parlament *+ einen permanenten Streit um die Reformagenda und Transformationsziele (vgl. Pirani 2010: 26).

Doch auch nach Einführung einer an westlichen Standards orientierten liberalen Verfas- sung, konnte das neu entstandene politische System nicht die in den hervorgebrachten In- stitutionen verankerten demokratischen und rechtsstaatlichen Funktionen vollziehen, da sich Jelzin besondere Prärogative sicherte und die Verfassung im Stile der von ihm so be- zeichneten „imperialen Präsidentschaft“ stellenweise aushebelte (vgl. Reddaway/Glinski 2001: 435ff.). So konnte er unter anderem das Parlament auflösen lassen, wenn sich nach

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO drei Wahlgängen keine Mehrheit für den vom Präsidenten vorgeschlagenen Regierungs- chef (Ministerpräsidenten) finden sollte. Allein schon aus Opportunitätsgründen konnte somit die neu entstanden Staatsduma (Parlament) diszipliniert werden. Da die Staatsgrün- dung einer konservativen Revolution „von oben“ gleichkam, konnte sich auch kein funkti- onierendes 40 , also politischen Konflikt kanalisierendes Parteiensystem entwickeln; politi- sche Parteien, die nach Jelzin im Sinne des Zweiparteiensystems der USA die Extreme zentristisch integrieren sollten, waren teilweise von kurzer Lebensdauer und wurden zu regelrechten Wahlvereinen für Regierungsaspiranten des Kreml (White 2011: 42). Hinzu trat der schon ab 1991 einsetzende Einfluss informeller Interessengruppen innerhalb der Staatsführung, die die politischen Entscheidungen des Präsidenten zu prägen suchten und bis dato von Relevanz für das gesamte politische System sind 41 .

Soziologisch lassen sich im Kern drei miteinander konkurrierende Interessengruppen iden- tifizieren, die mehr oder minder stark den politischen Prozess und das Handeln des Präsi- denten beeinflussen (vgl. Abb. 2; s. auch Anhang). Es wird innerhalb der Forschungslitera- tur davon ausgegangen, dass diese Gruppen kein Rudiment der Frühphase der Systemtrans- formation darstellen, sondern in entscheidendem Maße für die Formulierung von politi- schen Präferenzen und Zielen verantwortlich zeichnen, während auf der öffentlichen Vor- derbühne der Präsident sowie die jeweils amtierende Regierung die Geschäfte gemäß Ver- fassung führen (Sakwa 2011: 86ff). Da die Entscheidungsprozesse im Einzelnen nicht transparent gemacht werden können, ist es schwierig, eine exakte Bestimmung des konkre- ten Machteinflusses einzelner Akteure zu erlangen. Dies spiegelt sich denn auch in den diversen Begriffen der Literatur wider, die diese Herrschaftsstruktur mal als „kompetitive Oligarchie“ (Mommsen 2004: 103) und „bürokratischer Kapitalismus“ (Mo- mmsen/Nußberger 2007: 65) „neotraditionale Klientelstruktur“ (Grätz 2013: 39), „sultanis- tischer Korporatismus“ (Aron 2008: 7) oder schlicht „Kremlin, Inc.“ (zu Deutsch etwa „Kreml-AG“; Mankoff 2012: 77) bezeichnen und damit vor allem auf die Verflechtung hochrangiger Politiker, Bürokraten und der russischen Wirtschaft hinweisen wollen 42 . Nicht wenige Begriffe sind für eine politökonomische Untersuchung mangelhaft, da sie als Neologismen ohne Vergleichsmöglichkeit bleiben und den Werturteilen einzelner Wissen- schaftler unterliegen.

Der von Richard Sakwa (2011: 103f.) eingeführte Begriff der „Faktion“ ( faction ) erinnert an die herrschaftssoziologische Komponente des russischen Regierungssystems; er wird staatstheoretisch ergänzt durch den Begriff des „Doppelstaats“ 43 ( dual state ) und eignet

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO sich im besonderen Maße, den Einfluss informeller Gruppen auf ihre politökonomische Grundlagen zurückzuführen, da sie durchaus ähnliche politische Ziele und ideologische Werte verbindet und als Mittler zwischen gesellschaftlichen Klasseninteressen fungieren. Zwar lehnt Sakwa eine Übernahme des von Marx und später Gramsci verwendeten Bonar- partismusbegriffs als verkürzt ab, doch lassen sich unter Rückgriff auf die von Max Weber eingeführte Unterscheidung von Klassen und Ständen und ihnen korrespondierender Wirt- schafts- und Gesellschaftsstrukturen eindeutigere analytische Unterscheidungen der russi- schen Herrschaft vornehmen, ohne dabei auf einen nur oberflächlich oder deskriptiv entwi- ckelten Begriff von politischer Ökonomie zurückfallen zu müssen. Dies gilt insbesondere für den zugrundeliegenden Kapitalismusbegriff, der in den wenigsten Untersuchungen ex- pliziert wird und folglich den Einfluss von Interessengruppen und den restringierenden Charakter hybrider politischer Institutionen im heutigen Russland für den politischen Pro- zess allzu statisch modelliert. Für eine neogramscianische Untersuchung hingegen ist die Benennung von Einzelakteuren ein zwar notwendiger, aber nicht hinreichender Schritt zur begrifflichen Fassung von Klassenherrschaft. Vielmehr müssen die Interaktionen und Kon- flikte auf der Mikroebene als dialektischer Bestandteil der Durchsetzung von Partikular- als Gemeininteressen gedeutet werden (Offe 1971: 169); Machtkämpfe als Bestandteil von Klassenkämpfen (Cox 1987: 355ff.). Im Folgenden sollen einige Charakteristika der be- kannten Faktionen benannt und deren Relevanz für den WTO-Beitritt diskutiert werden, um daraus die Entwicklung einer hegemonialen Position herleiten zu können: a) Die sogenannten „Liberalen“ oder „Pragmatiker“ favorisieren eine politische und wirt- schaftliche Annäherung an den Westen und dessen Institutionen soweit russische Inte- ressen gewahrt werden. Wo erforderlich sollen dafür auch Verwaltungs- und Wirt- schaftsreformen für einen geringeren Staatsinterventionismus sorgen und die Wirt- schaftsstruktur insgesamt diversifiziert werden, um Russland unabhängiger von Ener- gieexporten machen zu können. Diese Gruppe, die überwiegend rechts- und wirt- schaftswissenschaftliche Abschlüsse aufweist und teilweise bereits zu Sowjetzeiten an Handelshochschulen, Wirtschaftsfakultäten oder auch Handelsinstitutionen des Staates gearbeitet hat, präferiert besonders stark einen Beitritt Russlands zur WTO (White 2011: 307). Zu ihnen zählen beispielsweise der ehemalige Präsident und jetzige Minis- terpräsident Dmitri Medwedew, früher auch im Aufsichtsrat des Konzerns 44 , der frühere Finanzminister Alexei Kudrin (2000-2011), der Minister für Wirtschafts- entwicklung und Handel (2000-2007) sowie spätere Vorstand der staatlichen Sberbank , German Gref, der ehemalige Putin-Berater Andrei Illianorow (2000-2005), welcher

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

später von der amerikanischen Denkfabrik Cato Institute rekrutiert wurde, aber auch der ehemalige Ministerpräsident Michail Kasjanow (2000-2004). Da sie ebenso wie die anderen einflussreichen Kreml-Gruppen keine kritische Rolle der Zivilgesellschaft ein- fordern, sondern eine durch den Staat angeleitete Reformpolitik unter Rückgriff auf neoliberale Ideen (Bogomolov 2001; kritisch Rutland 2012), kann der von ihnen vor- gebrachte Politikstil als technokratisch bezeichnet werden. b) Ihnen diametral gegenübergestellt werden die Vertreter einer eher orthodoxen, an nati- onalen Interessen orientierten Gruppe, den sogenannten Silowiki 45 . Aufgrund ihrer Herkunft aus oder Beziehung zu den Geheimdiensten KGB und später FSB, zum Mili- tär, dem Justizapparat und auch der Polizei werden sie auch als „fundamentalistische Nationalisten“ (White 2011: 307; vgl. auch Sakwa 2011: 117ff.) bezeichnet. Sie treten für eine rein funktionelle Anerkennung internationaler Organisationen ein und fordern ein starkes Auftreten des russischen Staates sowohl im Innern wie auch im Äußeren, was sich nicht zuletzt im quantitativen und qualitativen Zuwachs entsprechender Be- hörden und Apparate niederschlug (Hoffmann 2011: xiv). Symbolpolitisch favorisiert diese Gruppe auch Anleihen an einem vage definierten russischen Patriotismus, der na- tionalistische Ressentiments in der Bevölkerung kanalisieren und auf das Nahe Ausland oder den als feindlich wahrgenommenen Westen projizieren soll (Ludwig 2010); Rückgriffe auf die Sowjetunion bei Nationalhymne, Gedenk- und Feiertagen zählen ebenso dazu wie eine Adaption zaristischen Prunks in der politischen Öffentlichkeit (Cassiday/Johnson 2010; White 2011: 104). Maßnahmen, die den legitimen Anspruch Russlands auf einen Großmachtstatus dokumentieren sollen. Bekannte Vertreter der Si- lowiki sind unter anderem der derzeitige Vize-Ministerpräsident Igor Setschin (seit 2008), der schon 2004 zum Vorstandsvorsitzenden des staatlichen Ölkonzerns avancierte, der amtierende Verteidigungsminister und Armeegeneral Sergei Schoigu sowie der langjährige Leiter des FSB Nikolai Patruschew (1999-2008). Der Politikstil der Silowiki kann insgesamt als bürokratisch bezeichnet werden. c) Neben diesen beiden Gruppen agiert eine dritte Faktion, die bereits während der Trans- formationsphase und in Folge der autoritativen Verfassungsinterpretation Jelzins eine enge Bindung an den Kreml erreichen konnte: die sogenannte „Kremlfamilie“, deren Name schon auf ihre Verbindung zum Herrschaftsapparat verweist (vgl. Sakwa 2013: 75; Mommsen 2004: 70ff.). Diese Gruppe speiste sich in den ersten Jahren der Jelzin- Ära aus Angehörigen dessen Familie 46 (Jelzin 2001: 21ff.), Vertretern der persönlichen Leibgarde unter der Führung des einflussreichen Ex-KGB-Generals Alexander

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Korschakow 47 , des 1992 geschaffenen Nationalen Sicherheitsrates, der parallel zur Einsetzung der ersten russischen Regierung als informelles Gegengewicht etablierten Präsidialverwaltung sowie einigen wenigen Unternehmern, den „Oligarchen“, die wäh- rend der ersten Deregulierungs- und Privatisierungswelle zum Ende der Sowjetunion und der Gründungsphase der Russischen Föderation zwischen 1985 und 1991 schnell zu großem Geld und politischen und gesellschaftlichem Einfluss gelangten und sich zu weiten Teilen aus der ehemaligen Nomenklatur 48 rekrutierten (Lane 2011: 121f.).

Spätestens mit der zweiten Amtszeit Jelzins ab 1996 war dann sogar eine geschlossene Elite von sieben Oligarchen direkt in das politische Geschehen involviert, als sie die Wie- derwahl Jelzins durch massiven Einfluss auf den Wahlkampf und damit gegen den seiner- zeit aussichtsreichen Kandidaten der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, sicherstellen konnten (Hoffman 2011: 328; Klebnikov 2000: 212ff.; Mommsen 2004: 65ff.). Nur so konnten Macht und Einfluss auf den Kreml sowie Extraprofite aus den mitunter gewaltsam angeeigneten Unternehmungen vor Verlust sichergestellt werden. Zu ihnen zählten der Jelzin-Vertraute und Medienunternehmer Boris Beresowski, der Eigner der Most-Bank Wladimir Gussinski, ebenfalls im Mediengeschäft vertreten, der Eigentümer des später zerschlagenen Öl-Konzerns Michail Chodorkowski, der Finanzinvestor und zeit- weiliges Regierungsmitglied Wladimir Potanin, der Eigentümer der Inkombank Wladimir Winogradow, ferner die ebenfalls in der Bankwirtschaft tätigen Alexander Smolenski und Pjotr Awen, Letzterer als Vertreter für den Eigner der Alfa-Gruppe Michail Fridman (Hoffmann ebd.; Ericson ebd.; Jelzin 2001: 65).

Ihr Wirken wurde unter dem Begriff der Semibankirschina („Sieben Bankbarone“) zu- sammengefasst (Mommsen 2004: 67) , da eine solche Einflussnahme auf die Politik einer partikularistischen Absage an die Demokratie gleichkam und an alte Zarenzeiten erinnerte; de facto jedoch repräsentierten sie eine neue exklusive Klasse von Kapitalisten (vgl. Lane 2011: 148ff.), die das sowjetische Staatseigentum zum Missfallen ausländischer Konkur- renten weitgehend unter sich aufteilte. Koordiniert wurden ihre Handlungen von Anatoli Tschubais 49 , selbst langjähriges Regierungsmitglied und Anfang der 1990er Jahre zusam- men mit Ministerpräsident Jegor Gaidar zuständig für die Umsetzung der Privatisierungs- maßnahmen im Sinne neoliberaler „Schocktherapie“ (Pirani 2010: 23f.). Alle Akteure einte ihr relativ junges Alter, dass sie hochrangige sowjetische Universitäten besucht haben und in irgendeiner Form mit dem früheren Herrschaftssystem verbunden waren; alle nutzten die Reformphase unter Gorbatschow ab Mitte der 1980er Jahre, um individuell an Geld zu 25

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO gelangen und verstanden es, ihren Einfluss unter Jelzin auszuweiten. Infolgedessen hatte niemand von ihnen ein Interesse an dessen Abwahl und einem möglichen Wahlsieg eines vom Westen durchaus akzeptierten Kandidaten der Kommunisten (ebd.: 34). Ihr Einfluss ist unter Putin sukzessive gesunken. Der Politikstil dieser Gruppe muss in Anlehnung an Robert Michels (1970 [1911]: 25) These von der Abkoppelung einer Herrschaftselite von der unorganisierten Masse als oligarchisch bezeichnet werden.

Mit dem Rücktritt Jelzins Ende 1999 begann zugleich die Suche nach einem geeigneten Nachfolger (Reddaway/Glinski 2001: 607); Wladimir Putin 50 , ehemaliger KGB-Agent, galt zu diesem Zeitpunkt als unbeschriebenes Blatt und willfähriger Technokrat im Sinne der drei Faktionen (Mommsen 2004: 96). Dank finanzieller Unterstützung etlicher Oligarchen, unter ihnen die später geschassten Beresowski und Gussinski, wurde eine aufwändige Wahlkampagne inszeniert, die Putin den Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen im März 2000 sicherte (Cassiday/Johnson 2010: 686f.). Eine eigens vom Kreml gegründete politische Partei mit Namen Einheit/Der Bär sollte den entsprechenden Unterbau bei den Parlamentswahlen besorgen, wie Jelzin später offen bekannte: „Doch als Machtideologie war der Antikommunismus bereits erschöpft. Die Menschen brauchten etwas Positives, eine Hoffnung. […] Die Idee zur Gründung der Partei »Jedinstwo« (Einheit) ent- stand natürlich nicht von heute auf morgen. An ihrer Ausarbeitung waren viele beteiligt, sowohl mein Wahlkampfstab von 1996 als auch die Analytiker aus Putins Mannschaft. Um die Realisie- rung machte sich vor allem der Minister für Katastrophenschutz Sergej Schoigu 51 verdient. […] Die linken Kräfte hatten nicht mehr die Mehrheit in der Duma. Das war ein Sieg unserer Sache.“ (Jelzin 2001: 341—345; vgl. dazu Casula 2012: 134ff.). Zuvor hatten islamistischen Attentätern zugerechnete Terroranschläge in Moskau und an- deren Großstädten als Legitimation für die Wiederöffnung demonstrativer Kampfhandlun- gen in Tschetschenien gedient und einen zusätzlichen Schub für Putins Popularitätswerte besorgt (Reddaway/Glinski 2001: 614f.). Doch ein grundlegender Bruch mit der bisherigen Politik ist nicht zu erwarten gewesen, denn der Handlungsspielraum des neuen Präsidenten bewegte sich anfänglich in einer Art kontrollierter Toleranz , welche erst allmählich durch zahlreiche Schlüsselentscheidungen Putins in eine Stärkung der eigenen Position mündete.

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

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Zu den erwähnten Schlüsselentscheidungen zählte die Integration ehemaliger Weggefähr- ten aus seinen Tätigkeiten in den Geheimdiensten KGB und FSB sowie in der Stadtverwal- tung von Leningrad/St. Petersburg, wo er im Dienst des rechtsliberalen Bürgermeisters Anatoli Sobtschak stand (Goldman 2010: 96). Diese Weggefährten standen nicht grund- sätzlich im Widerspruch zu den etablierten Faktionen, zeichneten aber für interne Macht- kämpfe verantwortlich. So musste Putin anfänglich den von der „Familie“ platzierten Technokraten Michail Kasjanow als Ministerpräsidenten ebenso akzeptieren (Sakwa 2011: 101), wie Alexander Woloschin, der als Stabschef der Präsidialverwaltung weitreichende Personalentscheidungen im Kabinett Putins durchsetzen konnte (Mommsen 2004: 104). Dementsprechend konnte Putin nur versuchen, den Einfluss der Faktionen allmählich neu zu gewichten, und seine ungewöhnlich hohen Popularitätswerte in der Bevölkerung als Hilfsmittel bei der Durchsetzung eigener Entscheidungen zu nutzen. Mit Sergei Iwanow konnte er einen Vertreter der Silowiki zum stellvertretenden Chef des Geheimdienstes FSB und späteren Verteidigungsminister machen, Igor Setschin wurde Stellvertreter Wolosch- ins und ab 2004 neben seiner Tätigkeit im Konzern Rosneft 52 auch noch stellvertretender Ministerpräsident und Präsidentenberater 53 (White 2011: 156); zudem rekrutierte er mit German Gref einen dezidiert neoliberal orientierten Jungreformer, der sich für die Durch- setzung liberaler Marktwirtschaft in Russland und einen schnellen WTO-Beitritt einsetzte (Åslund 2007: 214). Schließlich wurde auch die Spitze der Präsidentenpartei durch Putin mit Boris Gryslow neu besetzt und die Partei in Einiges Russland umbenannt (Mommsen 2004: 122). Sowohl Setschin, Gref als auch Gryslow kannte Putin bereits aus Petersburg.

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

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Name Lebensdaten Ausbildung Nomenklatur Branche B. Beresowski 1946-2013 Elektrotechniker Akad. d. Wissenschaften Medien; Öl W. Gussinski 1952- Regisseur - Medien M. Chodorkowski 1963- Chemiker Komsomol Öl; Finanzen W. Potanin 1961- Ökonom Handelsministerium Finanzen W. Winogradow 1955-2008 Ingenieur Komsomol Finanzen A. Smolenski 1954- Geologe - Finanzen P. Awen 1955- Ökonom Akad. d. Wissenschaften Finanzen M. Fridman 1964- Ökonom - Handel A. Tschubais 1955- Ökonom Leningrad-Institut Lobbying

Zu den entscheidenden frühen Strukturentscheidungen im politischen System zählten die Aufwertung des Nationalen Sicherheitsrates, dem neben dem Präsidenten und dem Minis- terpräsidenten auch die Vertreter der Geheimdienste angehören; ferner wurde der Einfluss der Gouverneure in den Teilrepubliken und autonomen Gebieten drastisch reduziert, die Gliederung der Administrationsgebiete neu gefasst und die Auswahl der regionalen Vertre- ter der Selektion durch den Präsidenten unterworfen (Mommsen 2004: 106f.). Diese Maß- nahmen werden in der Rückschau als Auftakt zur bewussten Rezentralisierung staatlicher Macht gewertet, die sich in den Worten „Diktatur des Gesetzes“ und später auch „souverä- ne Demokratie“ ausdrückten (Sakwa 2011: 3; vgl. auch Casula 2012: 160ff.). Wer sich dieser Trendwende nicht unterwerfen wollte, wurde alsbald durch Putin ausgetauscht; für die Öffentlichkeit medienwirksam inszeniert im Falle der renitenten 54 „Bankbarone“ Gus- sinski, Beresowski und Chodorkowski, die zwischen 2000 und 2003 nacheinander ent- machtet, mit Strafprozessen überzogen und exiliert oder inhaftiert worden sind. Zugleich wurden deren Vermögen weitgehend in Staatseigentum rücküberführt (Pirani 2010: 69ff.). Oberstes Ziel des Kreml war die Wiederaneignung der strategisch wichtigen Konzerne im Energiesektor und im Medienbereich, wie nicht allein westliche Beobachter meinten, son- dern Putin selbst äußerte, als er bereits in seiner 1997 eingereichten Dissertation vom Auf- bau national bedeutender Konzerne sprach, die im Interesse Russland auf dem Weltmarkt agieren und durchaus in Konkurrenz zu anderen multinationalen Konzernen treten sollten (Goldman 2010: 97; Sakwa 2011: 151ff.).

Auch unter diesem Vorzeichen macht er sich kurz nach seinem Amtsantritt daran, den bis dahin bereits sieben Jahre währenden WTO-Beitritt erneut auf die politische Agenda zu setzen und Maxim Medwedkow 55 (2001) zum Chef-Unterhändler in Genf zu machen, denn 28

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO von Anfang an war klar, dass die Konzentration von Energiekonzernen durch den Staat ein seitens der WTO nur gering reguliertes Handlungsfeld sein würde und die Unterhändler Putins auf entsprechende Ausnahmen bei Preissubventionen dringen würden (Rutland 2007; Dyker 2009: 87). In seiner jährlichen Ansprache an die Staatsduma formulierte er 2002 schließlich den eingangs zitierten Satz, wonach die WTO als Instrument anzusehen sei und das Beitrittsinteresse lediglich funktionelles Erfordernis sei und nicht der Glaube an westliche Werte und Interessenausgleich. Vielmehr müssten die bestehenden Entwick- lungsdefizite der russischen Wirtschaft alsbald beseitigt werden, um im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können (vgl. Putin 2002). Die zur selben Zeit von der Re- gierung angestrengten Prozesse gegen einige Oligarchen hingegen bewirkten nicht mehr als einen Elitenaustausch 56 , denn nur die Spielregeln veränderten sich in der ersten Amts- zeit Putins: Oligarchen sollten sich konsequent aus der Politik heraushalten, sich nicht zu Lasten des Kreml in den Wahlkampf einschalten und keine unzulässigen Verbindungen mit ausländischen Firmen oder Regierungen eingehen, soweit diese russische Interessen gefährden könnten (Lane 2008a: 181). Zu diesem Ergebnis gelangt auch Robinson, der entgegen der verbreiteten Ansicht, der Sicherheitsapparat würde sich unter Putin in einer Art Selbstzweck zum beherrschenden Wirtschaftsakteur entwickeln, konstatiert: „Building up power within the Kremlin did not, therefore, translate into the development of the state as an engine for economic management and change. Putin’s achievement was in a narrow political field of regime consolidation rather than in the larger field of state building.” (Robinson 2013: 38) Die neue Administration versuchte also die zwischen Wirtschaft und Politik bestehende Asymmetrie neu auszutarieren, ohne die Oligarchen vollends zu entmachten. Die Zentrali- sierung staatlicher Macht bedeutete nicht den Übergang zur Diktatur, wohl aber die aktive Betonung staatlichen Einflusses in der Wirtschaft, um den Gesamtinteressen aller Wirt- schaftssubjekte im Sinne einer funktionierenden kapitalistischen Verkehrswirtschaft ge- recht werden zu können (Pirani 2010: 61). Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der schweren Finanzkrise vom August 1998, durch die das russische Bruttoinlandsprodukt auf den niedrigsten Stand seit dem Ende der Sowjetunion gefallen war und der Staat drohte, zu einem failing state zu degenerieren. Im Gegenzug konnten opportunistische Oligarchen, die sich mit dem neuen Politikstil Putins arrangierten, ihre Privilegien und also ihre Macht in Form angehäuften Reichtums ebenso wahren wie den Einfluss auf wirtschaftlich rele- vante Branchen (Fortescue 2012: 145). Diese Form der Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft bedeutete insgesamt also nur eine Fortführung des staatlich geplanten Kapita- lismus und keineswegs eine Abweichung von neoliberalen Methoden wie beispielsweise

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Michael Mann (2013: 214) nahelegt, denn Russland transformierte sich unter Putin in kein neues Wirtschaftssystem. Die kapitalistische Umwandlung sollte vielmehr komplettiert und Auswüchse der Jelzin-Ära korrigiert werden (vgl. Fortescue 2012: 146; Worth 2011: 108; Pirani 2010: ebd.).

Die im Kreml in Folge der ausgerufenen Kämpfe um Hegemonie und die Durchsetzung bestimmter Politikziele und ebenso die Regulierung des Einflusses konfligierender Netz- werke durch den Aufbau „eigener“, also der eigenen Interessenssphäre und Ideen entspre- chenden Institutionen 57 kann allein nicht erklären, weshalb sich der russische WTO-Beitritt auch unter Putin weiterhin hinauszögerte. Es wäre eine kontrafaktische Annahme, von der politischen Allgemeingültigkeit der im Kreml getroffenen Entscheidungen auszugehen, denn Hegemonie äußert sich Gramsci zufolge in der Etablierung eines historischen Blocks , also eines spezifischen Regimes, von dem nicht Einzelne durch bestimmte Maßnahmen ohne Weiteres abweichen können. Ein historischer Block garantiert Hegemonie auch nicht allein durch Zwangsmaßnahmen, sondern durch Setzung ideologischer Standards , er präformiert den Diskurs, prägt Denkstile und normalisiert den politischen Diskussionspro- zess durch Engführung.

Richard Sakwa (2013: 71) spricht daher unter Bezugnahme auf Gramsci von einer passiven Revolution, da die Bestandserfordernisse des Staates keineswegs angetastet wurden, je- doch der Politikstil konservativ-autoritär reformuliert wurde. Zwar wird von gramscianisch orientierten Theoretikern wie Simon (2010: 430) und Worth (2011: 103f.) darauf hinge- wiesen, dass nicht erst die Putin-Administration in Hegemoniekämpfe verwickelt ist, son- dern das bereits die gesamte Transformation der Sowjetunion in einen nach westlichen Prinzipien geordneten kapitalistischen Staat einer passiven Revolution entspricht und also alle Regierungsmaßnahmen seit Gorbatschow im Kontext der globalen kapitalistischen Veränderungen reflektiert werden müssen. Doch begibt man sich mit diesem zutreffenden, aber metatheoretischen Verweis m.E. der Chance, die politischen Veränderungen der Pu- tin-Ära nicht nur als formveränderte Kontinuität einer westlichen Anpassungsstrategie, sondern als substantielle Erweiterung der inneren hegemonialen Dispute der Kremlfaktio- nen zu begreifen. Beide legen ja selbst überzeugend dar, dass die Betonung sogenannter cäsaristisch-autokratischer 58 Elemente unter Putin nur die Grundlage für eine Ausweitung der hegemonialen Position von Präsident und Regierung gegenüber der Zivilgesellschaft war (Worth 2011: 109f.), und dass die Integration eben dieser sowohl auf politischer wie auch ideologischer Ebene gesucht wurde (Simon 2011: 688f.). Relevante Beispiele bieten

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO nicht zuletzt der Aufbau der Partei Einiges Russland 59 , ein diskursiver Rückgriff auf die russisch-orthodoxe Kirche und eine Betonung alter Sowjettugenden (vgl. Evans 2008; Cas- siday/Johnson 2010).

Darüber hinaus sollte nicht angenommen werden, dass die Meinungsbildung innerhalb der genannten Faktionen/Gruppen holistisch ist; es muss davon ausgegangen werden, dass sich abhängig von einzelnen Politikfeldern unterschiedliche Meinungen zu Diskursen verdich- ten und informelle Netzwerke die formellen Kanäle des politischen Prozesses überschnei- den und das Befördern persönlicher Interessen zum Schaden der jeweils vertretenen Grup- pen gereichen kann 60 . Der Kampf um Deutungshoheit und also die Durchsetzung von He- gemonie, hier verstanden, als Referenzdiskurs, dem sich politische Ziele und Handlungen eingliedern müssen, beginnt innerhalb und zwischen den Interessengruppen selbst, sodass der Wladimir Putin persönlich zugeschriebene Autoritarismus als nicht haltbare Personali- sierung und theoretischer Reduktionismus erscheinen muss (vgl. Bremmer/Charap 2006: 83). Begriffe wie „Militocracy“ (Kryshtanovskaya 2008) oder „Putinism“ (Aron 2008) legen nahe, dass ein autoritärer Herrschaftsstil oder die Bedienung von Sonderinteressen entweder dem Selbstzweck Machterhaltung, Nepotismus und Patronage entspringen muss. Man verkennt damit den politökonomischen Sinn dieser Herrschaftsmethode und verharrt bei einer positivistischen Phänomenologie von Einzelpersonen und Einzelaspekten, ohne ihren inneren Zusammenhang zu entdecken. Für die politikwissenschaftliche Analyse sind solche Neologismen nur von geringem Wert, denn das Problem personalisierter Herrschaft wird schon in Webers Herrschaftssoziologie aufgeworfen 61 . Dieser zufolge stützt sich vormoderne Herrschaft auf affektuelle und charismatische Momente. Für kapitalistische Gesellschaften hat Weber von legal-rationaler Herrschaft im idealtypischen Sinne gespro- chen, was nicht ausschließt, dass Elemente prämoderner Herrschaftstypen als Rudiment, aber eben auch bewusste Methode in der Gegenwart fortwirken können; Weber (2008 [1922]: 182—188) beschrieb diese Methode als „Veralltäglichung des Charismas“, in der sich Ideologie und Recht zu einem kalkulierten Politikstil miteinander verbinden.

Wenn beispielsweise Liberale im Kreml für eine Öffnung der Volkswirtschaft eintreten und den baldigen WTO-Beitritt als notwendiges Mittel zur Modernisierung der Wirtschaft fordern, so äußert sich darin zu einem Gutteil auch der Glaube an die Funktionsweise die- ser Organisation, den Welthandel im Sinne Russlands mitgestalten zu können, selbst wenn die globale Interessenssphäre durch die USA prädominiert wird. Auf Diskursebene kann sich dies dann in konkreten Reformvorschlägen äußern, die den Konzepten des Washing-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO toner Konsenses nahestehen, also eine Mischung aus Privatisierung, Deregulierung und Austeritätsmaßnahmen 62 etc. darstellt.

Wenn demgegenüber Vertreter der Silowiki durch einen WTO-Beitritt um ihre Position in den staatlich kontrollierten Unternehmen fürchten, darüber hinaus eine Beschneidung rus- sischer Großmachtambitionen durch westliche Penetration wittern und allenfalls einen Bei- tritt auf Raten und unter Abringung von Zugeständnissen seitens der Verhandlungspartner befürworten, so sind dies Stellungskämpfe im Sinne Gramscis, bei der weiterhin an der je eigenen Hegemonie und der Machtposition gebaut werden soll und die letztlich auch ge- genüber der Öffentlichkeit/Zivilgesellschaft vertreten werden muss. Einigkeit besteht le- diglich in der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Orientierung, denn nach Simon Pirani (2010: 68) will keine Gruppe eine Rückkehr zur realsozialistischen Planwirtschaft: „The siloviki haft left key areas of economic policy, such as the liberalization of markets, to the economic reformers. Conflicts between the two groups are more often about spheres of interest being threatened than about matters of principle. Both sides agree that the state’s job is to provide the best possible working conditions for Russian capitalism.” [kursiv im Orig.; A.L.] Und da alle drei informellen Gruppen eine starke Position der russischen Zivilgesellschaft ablehnen, um ihre exklusive Herrschaft zu garantieren, müssen alle drei Gruppen zum Konsens bereit sein, um gegenüber Dritten eine glaubhafte Politik zu vertreten. Dass dies nicht vollkommen Fall ist, belegen die seit der letzten Parlamentswahl 2011 zunehmenden Proteste von Kremlkritikern, auf die verstärkt mit Zwangsmitteln, Verboten und Propagan- da reagiert werden muss, um auftretende Legitimationsprobleme der Herrschaft zu ka- schieren, nivellieren oder zumindest zu marginalisieren (Economist 2013). Die Hegemonie der Faktionen ist zwar nicht mehr allumfassend, aber ausreichend, um das erforderliche Terrain zu sichern.

)6 $©∂•≤ß©•≤•Æ§• 0Ø≥©¥©ØÆ•Æ ∫µ≠ 74/."•©¥≤©¥¥ Die genannten Gruppen haben auch eine Position bezüglich des WTO-Beitritts eingenom- men und diese direkt oder indirekt während des Beitrittsprozesses geäußert, die auf die außenpolitischen Orientierungen der Faktionen schließen lassen. Auch hier sind eindeutige Abgrenzungen schwierig; vielmehr scheinen die Grenzen zwischen den Lagern zu ver- schwimmen, da nicht wenige Mitglieder der Regierung und Präsidialverwaltung zumindest mittelbar in der Wirtschaft engagiert sind und ebenso durch staatlich geförderte Unterneh- men profitieren, wie die sogenannten Oligarchen, denen diese Unternehmen gehören oder in denen sie als Anteilseigner fungieren. Neben politischen Aspekten spielten auch öko- nomische eine Rolle, die nicht deterministisch aus der Stellung im internationalen System hergeleitet werden können, sondern sowohl die Funktionsmechanismen der kapitalisti- 32

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO schen Wirtschaft widerspiegeln, als auch die individuellen Taktiken auf Akteurebene, Extraprofite auch entgegen wirtschaftlicher Trends zu sichern.

Nach Marx ([1964 [1894]: 209) resultieren Extraprofite aus besonderen Bedingungen von Warenproduktion und Distribution. Gründe für solche besonderen Profite („Gewinne“) können beispielsweise in der Monopolstellung eines Unternehmens liegen, in einer innova- tiven Produktionsmethode und dadurch verkürzter Produktionszeit, kürzerer Warenum- laufzeit, verringerten Lohnkosten durch Verbilligung der Arbeitskraft, verlängerter Ar- beitszeit und einer Intensivierung der Produktion oder dem Zusatz ideellen Werts zu einer spezifischen Ware (z.B. Liebhaberpreise für Antiquitäten). In allen Fällen werden die er- zeugten Waren über ihrem eigenen Tauschwert, aber unterhalb des gesamtgesellschaftlich durchschnittlichen Produktionspreises verkauft (ebd.).

Innerhalb einer staatlich gesteuerten Transformation des Wirtschaftssystems wie in Russ- land, in der weite Teile des ehemaligen Staatseigentums im Zuge anarchischer Privatisie- rungsmaßnahmen in die Hände weniger Personen gelangt ist, besteht nicht nur ein defek- tes 1* kapitalistisches Institutionensystem und also eine nur marginal entwickelte Wirtschaft (vgl. Tab. 18), sondern auch ein exklusives System individueller Bereicherung, das einen WTO-Beitritt dann als Bedrohung eigener Interessen erscheinen lassen muss, wenn Extra- profite aus einer Sonderstellung herrühren, die durch den Beitritt zur Disposition stünden; z.B. durch Subventionen und Schutzzölle für exportorientierte oder international nicht konkurrenzfähige Unternehmen (Cohn 2012: 176 ; Bieling 2007: 118). Da die Behauptung individueller Bereicherung vorschnell als idealistische Verkürzung systemischer Struk- turerfordernisse und „Elitenfixierung“ (Scherrer 1999: 9f.) erscheinen kann und ihr Nach- weis nur schwer möglich ist, soll ein Blick auf die Konzentration russischer Unternehmen die sachlich richtige Brücke zwischen Akteurebene und System ermöglichen. Unterneh- menskonzentration ist bei weitem kein russisches Phänomen, sondern allgemeines Kenn- zeichen hochentwickelter kapitalistischer Gesellschaften (Kromphardt 2004: 163ff.). Sie zeichnet sich durch eine hohe Kapitalintensität innerhalb bestimmter Branchen aus (z.B. im Hochtechnologiesektor) und der Bündelung innerhalb weniger Konzerne oder im Ext- remfall auch in der Hand von Einzelpersonen, die als Eigentümer auftreten.

Studien über die Unternehmenskonzentration in Russland liegen nur in überschaubarer Form vor; zwar ist der Einfluss der Oligarchen in Russlands Wirtschaft und Politik eine unbestreitbare Tatsache, doch bleiben viele einschlägige Veröffentlichungen auf epi- phänomenaler Ebene, wenn sie den Werdegang von Individuen mit dem geschätzten Ver- 33

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO mögen verbinden (vgl. White 2011: 87; 166; Ericson 2011). Vermögen oder Kapital allein sind für sich noch keine hinreichenden Kriterien, um tatsächlichen Einfluss auf den Ent- scheidungsprozess belegen zu können. Die Verfügung über Produktionsmittel in wichtigen Bereichen, also die tatsächlichen Eigentümerstrukturen erst geben Auskunft über die Son- derinteressen, die bei einem WTO-Beitritt Berücksichtigung finden wollen. Guriev und Rachinsky (2005) haben auf Grundlage eines Entwicklungsberichts der Weltbank aus dem Jahr 2004 eine Analyse der Eigentümerstrukturen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft vorgenommen. Diese Untersuchungen wurden von Liuhto/Vahtra (2009) fortgeführt und erlauben Rückschlüsse auf staatliche Interventionen zur Kontrolle kritischer und exportori- entierter Branchen nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff., die Russland in besonderem Ausmaß berührte (vgl. auch Mankoff 2010). Im Zuge dessen haben sich auch die regelmäßig vom US-amerikanischen Forbes -Magazin publizierten Daten über die reichsten Individuen 64 und größten Unternehmen 65 weltweit verändert, die die Auswirkun- gen der globalen Krise auf Russland und die Position einzelner Oligarchen in diesen Ran- kings abbilden (vgl. Anhang).

Setzt man voraus, dass die reichsten Oligarchen über Eigentum oder Beteiligung an Unter- nehmen zugleich eine relative Macht in bestimmten Branchen ausüben, so muss sich in der Folge erweisen, wie diese Branchen von einem WTO-Beitritt Russlands affiziert werden. Unterstellt man zudem ein Eigeninteresse an der Wahrung von Macht und Einfluss und dem Schutz des eigenen Kapitals, so müsste für diese Branchen auch ein Lobbying gegen- über dem Staat vollzogen werden (vgl. Offe 1971: 165f.; ten Brink 2008a: 70ff.). Kontras- tiert man dies mit der in der Literatur in toto vertretenen Auffassung eines hohen Staatsin- terventionismus in der Wirtschaft seit dem Amtsantritt Putins im Jahr 2000 (vgl. Goldman 2010: 97ff.; Sutela 2010: 303ff.; White 2011: 142ff.), so sollte sich erweisen, welche Bran- chen in welcher Form tatsächlich von einem WTO-Beitritt betroffen wären und wie sich die spezifischen Eigeninteressen 66 innerhalb des Gesamtinteresses des Staates an einer glo- bal konkurrenzfähigen Volkswirtschaft über die Jahre vermittelten.

Für das Jahr 2003 wurden nach Guriev/Rachinsky (2005: 133) insgesamt 22 Unterneh- menskonglomerate identifiziert, die entweder in der überwiegenden Hand einer Einzelper- son oder aber von maximal drei Personen 67 waren. Als Filterkriterien wurden ein Referen- zumsatz von mindestens 20 Milliarden Rubel (700 Millionen US-Dollar) oder eine Be- schäftigtenanzahl von mindestens 20.000 Personen ausgewiesen. Diese gefilterten Kon- glomerate vereinten für das Abrechnungsjahr insgesamt 39,1 % aller Unternehmensumsät-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO ze (!) und beschäftigten 42,4 % aller russischen Arbeitskräfte. Diese Konzentration lässt sich weiter eingrenzen, wenn einzelne Wirtschaftsbereiche und Branchen hinsichtlich des Einflusses von Oligarchen betrachtet werden (ebd.): So zeigt sich für das Jahr 2001 ein nahezu ausschließlicher Zugriff auf die Leichtmetallindustrie (92 %), die Aluminium- (80 %), die Eisen- (78 %), Erz- (73 %), Öl- (72 %) und die Automobilindustrie (71 %). Mit 55 Prozent aller Anteile ist auch das Geschäft mit Leitungen und Rohren, die für den Transit leitungsgebundener Energie erforderlich sind in überwiegender Kontrolle durch die Oli- garchen, für die Kohleindustrie ergibt sich noch ein Anteil von 48 Prozent und schließlich für die in der Agrarindustrie relevanten Düngemittel ein oligarchischer Einfluss von im- merhin 46 Prozent (ebd.).

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Auffallend ist die Abstinenz des Eigentümer Beschäftigte Umsatz (in %) (in %) Gassektors, der schon 2001 nicht in Oligarchen 42 39 oligarchischer Hand war, sondern andere Privatpersonen 22 13 politisch kontrolliert wurde. Hier Auslandsinvestoren 3 8 hat der Staat in Form des aus dem Regionalregierungen 6 6 ehemaligen sowjetischen Ministe- Russische Regierung 15 26 keine Daten 12 8 rium für Gasindustrie entwickelten Gazprom -Konzerns über die Jahre seine Aktivitäten beständig ausgeweitet und hält derzeit mit 50 Prozent und einer Aktie die Anteilsmehrheit (Liuhto/Vahtra 2009: 6). Ferner fällt auf, dass auch der Maschinen- und Anlagenbau seinerzeit nur teilweise oligarchischem Einfluss unterlag. Für die Fleischin- dustrie und den Dienstleistungssektor ergab sich ein ähnliches Bild. Die Herrschaft der Oligarchen konzentrierte sich also in nuce auf die extraktiven Industrien im Energiesektor, die mit steigenden Weltmarktpreisen auch steigende Renten erwarten ließen sowie die Me- tallurgie und Automobilindustrie.

Dieses Bild hat sich bis zum Jahr 2007 kaum verändert. So haben die von Liuhto/ Vahtra (2009) ausgewerteten 100 größten Unternehmen Russlands rund 60 Prozent aller Umsätze auf sich vereinigt. Davon entfielen wiederum allein 39,5 Prozent auf Unternehmen im Öl- und Gassektor, weitere 14,8 Prozent auf metallurgische Unternehmen. Die globale Finanz- krise hat diese Unternehmer zwar nicht so stark betroffen wie kleinere und mittlere Unter- nehmen, die rasch in Finanzierungsschwierigkeiten gerieten und mit staatlichen Mitteln entweder gerettet oder dem Konkurs zugeführt werden mussten. Allerdings hat sich in der

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Zwischenzeit auch der Anteil des Staates an den größten und strategisch wichtigen Unter- nehmen merklich erhöht, denn die Nachfrage nach Rohstoffen und Metallen erfuhr infolge der globalen Krise insgesamt einen merklichen Rückgang und besorgte in Russland eine veritable Rezession, die den bis dahin stetig steigenden Zuwächsen des BIP einen Dämpfer versetzte und schließlich auch eine Umverteilung des vorhandenen Reichtums begründete: Auf Seiten der Oligarchen durch horrende Verluste von Unternehmensanteilen an Konkur- renten oder den Staat im Wege eines bail-out wie für den von kontrollier- ten und weltweit größten Aluminiumproduzenten (Fortescue 2012: 150), oder aber durch einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und Lohneinbußen auf Seiten der Be- schäftigten, die die Krisenauswirkungen direkt zu spüren bekamen (Pirani 2010: 103). Die russische Regierung reagierte darauf nicht zuletzt mit protektionistischen Stützmaßnah- men, der Auflage eines Konjunkturprogramms, Lohnsubventionen, die aus einem eigens gegründeten staatlichen Reservefonds 68 gespeist werden konnten (ebd: 47f.; 104) sowie dem Ausbau direkter Interventionen durch staatliche Übernahmen und den Aufbau von Holdingsstrukturen in national wenig entwickelten und unrentablen Wirtschaftsfeldern. Liuhto/ Vahtra (2009: 16) resümieren die Krisenpolitik des Kreml wie folgt: „Along with the increasing consolidation of state ownership throughout the Russian economy, one can further claim that the trend of »nationalisation« of Russia’s exports and international invest- ments is bound to continue, as the state acquisitions are often directed to export-intensive indus- tries.” Die exportorientierten Unternehmen rekrutierten sich zu überwiegendem Maße aus den hochkonzentrierten Wirtschaftsbereichen Energie und Metallurgie und verantworteten 2007 rund zwei Drittel aller Exporteinnahmen der Volkswirtschaft (ebd.). Aufgrund ihres hohen Steueraufkommens haben sie für den russischen Staat eine übergeordnete Bedeu- tung; innerhalb der 100 größten Unternehmen lassen sich Liuhto und Vahtra zufolge 20 Kernunternehmen identifizieren, die aufgrund ihrer Umsatzzahlen das Gros des außenwirt- schaftlichen Umsatzes darstellen (Liuhto/ Vahtra 2009: 30ff.).

Ich habe diese Daten noch einmal auf der Grundlage der von der russischen Ratingagentur Expert RA herausgegeben Liste der 400 größten Unternehmen Russlands für das Jahr 2011 überprüft 69 . Das Design diente auch Liuhto/ Vahtra für ihre Analyse des Jahres 2007 als Grundlage. Doch auch in dieser Zeit hat sich das Ergebnis nicht nennenswert verändert: Zwar haben die Top 20-Unternehmen ihre Positionen – vor allem auf den hinteren Rängen – getauscht, führend bleiben weiterhin die Unternehmen und Konzerne aus dem Energie- und Metallurgiesektor, die einen russischen WTO-Beitritt daher weniger fürchten müssen (vgl. Åslund/Hufbauer 2012: 56; Rutland 2008). Der Automobilhersteller AvtoVAZ ist auf 36

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Platz 39 abgefallen, in der einschlägigen Forbes -Liste des Jahres 2013 spielt er gleich gar keine Rolle mehr 70 . Bereits im Jahr 2005 wurde dieser Konzern durch den staatlichen Rüs- tungskonzern Rosoboronexport übernommen, nachdem Streitigkeiten mit dem Investor und wiederkehrende Arbeitsstreiks die Produktion zum Erliegen brachten (Åslund 2007: 253; Pirani 2010: 94). Auch die Agrarindustrie ist nur auf abgeschlagenen Plätzen vertre- ten, was dafür spricht, dass beide Bereiche in nicht ausreichendem Maße global wettbe- werbsfähig sind und das Feld ausländischen Investoren und Produzenten überlassen wer- den muss. Dies lässt sich durch gestiegene Importe ausländischer landwirtschaftlicher Pro- dukte auch für die letzten Jahre quantitativ belegen (Rutland 2008: 1067). Die hier vertre- tenen russischen Unternehmen müssten daher besonders einen WTO-Beitritt fürchten, da die Öffnung des russischen Marktes für Konkurrenzprodukte aus dem Ausland gleichbe- deutend mit ihrem ökonomischen Verfall sein müsste. Dies gilt ebenfalls für die kaum ver- tretenen Unternehmen in der Hochtechnologiebranche, dem Dienstleistungssektor (ohne Banken) oder dem Maschinen- und Anlagenbau, allesamt Bereiche, in denen Russland in keinem nennenswerten Umfang international vertreten ist (Åslund/Hufbauer 2012: ebd.). Neben der Automobilindustrie zählt Åslund (2010: 54f.) noch die Agrarindustrie und den Dienstleistungssektor auf; Kritik äußerte ferner die vom geschassten Ex-Premier Primakow geführte Russische Industrie- und Handelskammer , die ähnlich wie die Automobilbranche vor einem vorschnellen Beitritt warnte und Entwicklungsdefizite als Hinderungsgrund be- nannte (ebd.).

Zwar konnten die Oligarchen insgesamt auch nach der globalen Krise ihren Reichtum in nennenswerten Umfang wahren und einige unter ihnen auch in beträchtlichem Maß aus- weiten. Doch hat sich der staatliche Einfluss auf Schlüsselsektoren seitdem verstärkt und ein weiterer Verdrängungsprozess durch gezieltes Buying-out stattgefunden. So konnte die von Michail Fridman und Pjotr Awen kontrollierte Alfa -Gruppe zunächst gegenüber Deri- paska und dessen finanziell angeschlagenen Rusal -Konzern mit Kreditforderungen reüssie- ren (Fortescue 2012: 150). Nachdem sich jedoch der Kreml zur Unterstützung des außen- wirtschaftlich relevanten Konzerns genötigt sah, folgte gegenüber Fridman und Awen En- de 2012 eine Disziplinierungsmaßnahme im Wege des Aufkaufs ihrer Anteile am russisch- britischen Joint-Venture TNK-BP , das bis dato als direkter Konkurrent des staatlichen Ros- neft -Konzerns fungierte (ebd.). Mit diesem Ankauf, wird nicht nur Rosneft zum größten Erdölförderer der Welt und kontrolliert der Kreml den strategisch wichtigen Öl- und Gassektor mit zwei Hausmacht-Konzernen, sondern wurde einmal mehr deutlich, dass sich die in den 1990er Jahren etablierten Bank- und Industriekonglomerate - neben Alfa auch 37

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Wladimir Potanins 71 -Holding, Michail Prochorows Onexim 72 -Konglomerat und auch Deripaskas Basic Element 73 -Konglomerat-, nicht zu Lasten des Kreml positionieren sollen.

Neben solchen Ränkespielen zwischen einzelnen Oligarchen, die durchaus als getreues Merkmal kapitalistischer Konkurrenz auch und gerade in Krisensituationen angesehen werden kann, hat sich der Staat durch Gründung von Körperschaften und Holding- Strukturen selbst jener Bereiche angenommen, die insgesamt unterentwickelt sind, auf de- nen kein oligarchisch dominiertes Konglomerat agiert, und die entweder nicht ausländi- schen Investoren angeboten oder aber erst zu einem späteren Zeitpunkt privatisiert werden sollen (Sakwa 2011: 152; Volkov 2008). Die staatlichen Fördermittel für diese Einrichtun- gen beliefen sich auf rund 37 Milliarden US-Dollar (Volkov 2008: 3). Hierin überschnei- den sich wirtschafts- mit sicherheitspolitischen Interessen und verdeutlicht sich, dass der zwischen den Kreml-Faktionen ausgetragene Kampf um Hegemonie sich nicht zuletzt auch in der Zentralisierung und Internationalisierung staatlicher Einrichtungen niederschlägt (Worth 2011: 108; Kuchins/Zevelev 2012: 148ff.; zur außenpolitischen Orientierung White 2011: 307).

Der Staat ist ferner im Bankensektor, im Transportwesen sowie in der Rüstungsindustrie 74 mit eigenen Unternehmen aktiv (Åslund 2007: 252), sodass sich im Kern drei Organisati- onsformen des Staatsinterventionismus bestimmen lassen: Die Doppelherrschaft im Öl- und Gassektor durch die transnationalen Konzerne Gazprom und Rosneft , die staatliche Monopolstellung in sensiblen Wirtschaftszweigen durch Staatsunternehmen (wie Aeroflot , die Sberbank oder Rosoboronexport ) sowie die unterentwickelten und/oder unrentablen Bereiche der Infrastruktur und Technologie. Alle Organisationsformen unterliegen dem mittelbaren Zugriff der Regierung, welche die Geschäftsführung mit kremlgetreuen Büro- kraten und Vertretern der weiter oben genannten Faktionen besetzt 75 ; die bekanntesten unter ihnen sind die Silowiki Setschin (USC; Rosneft) und Sergei Iwanow (UAC) sowie der liberale Technokrat Tschubais (Rusnano).

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

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Insgesamt hat die hieraus entstandene Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtshaft hat eine neuartige Form von Korporatismus hervorgebracht, der Anteil daran hat, die von der Putin- Administration forcierte passive Revolution ( sensu Gramsci) durch Kooptation alter No- menklatura und politischer Weggefährten, Integration opportunistischer Oligarchen und Propagierung einer zentristisch-restaurativen Ideologie („souveräne Demokratie“) mit le- galen und extralegalen Mitteln abzusichern (vgl. Evans 2008: 14f.; Sakwa 2011: 35; 44). Schon kurz nach der Inhaftierung Chodorkowskis kommentierte Putin die Ergebnisse die- ser Erstarkungspolitik mit einem pragmatisch verklärten Zynismus: „I don’t really like the word “oligarch” used to describe big business representatives in Russia. In the sense that we usually use this word, an oligarch is a person with stolen money, who continues to plunder the national wealth, using his special access to bodies of power and administration . I am doing everything to make sure this situation never repeats in Russia , and among big business repre- sentatives today, I do not see anyone who acts in this way (!) […] Society’s task, our common task – because both the state and the media should keep a very close eye on this – is to make sure this situation does not arise in the country.” (Putin 2003; eigene Hervorhebungen). Der hier proklamierte historische Block sichert die allgemeinen Interessen aller als relevant anerkannten Wirtschaftssubjekte und des Staates durch gezielte staatliche Eingriffe, über- formt die an der Oberfläche eklatierenden Grabenkämpfe zwischen den Kreml-Faktionen und leitet über zu einer funktionellen Akzeptanz internationaler Organisationen, wo sie für den Staat als erforderlich, zumindest aber nicht hinderlich erachtet werden. Nur so lässt sich erklären, weshalb Putin selbst permanent zwischen zwei Positionen mäandert, er ei- nerseits der russischen Öffentlichkeit und etablierten Bürokraten die Notwendigkeit eines WTO-Beitritts in regelmäßigen Abständen dargelegt und erklärt: „State corporations

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO should not monopolize Russia“ 76 ( Times 2007). Andererseits die Ausweitung des Staatseinflusses in kritischen Bereichen vorantreibt, horrende öffentliche Mittel der Priva- tisierung zuführt und damit Staatseigentum ein zweites Mal umverteilt.

Oleg Deripaska beispielsweise - noch 2008 als Russlands vermögendster Oligarch gelistet (White 2011: 175), zeitweilig als besonders kremlnah wahrgenommen und neben Setschin einer der vehementesten Opponenten 77 eines russischen WTO-Beitritts (Mankoff 2012: 79; Åslund 2010: 54; Dyker 2004: 18) -, resümierte noch vor der Finanzkrise sein Verhältnis zur Regierung devot: „If the state says that we must give up our companies (…) we will give them up. I do not separate myself from the state.” (zitiert nach Aron 2008: 9), wohl- wissend, dass der Kreml die während der Transformationsphase angeeigneten Reichtümer soweit wie möglich unangetastet lassen und sogar für den Schutz relevanter Unternehmen ins Wirtschaftsgeschehen intervenieren und Forderungen der sich bedroht wähnenden In- dustrien in die Verhandlungen innerhalb der WTO-Arbeitsgruppe mit aufnehmen würde. Am grundlegenden Ziel eines baldigen WTO-Beitritts konnten diese, auch wegen der in Russland nur unterentwickelten Interessenverbände, allerdings zu keiner Zeit rütteln. Im Gegenteil propagierte die Putin-Administration frühzeitig durch eigene oder finanzierte Studien den langfristigen Vorteil eines Beitritts für die gesamte Wirtschaftsentwicklung und wollte damit die auch in der Bevölkerung bestehende Skepsis über eine Verschlechte- rung der wirtschaftlichen Lage ebenso beeinflussen (Åslund 2003: 413), wie sie die Hal- tung der Interessenverbände durch Adressierung einzelner Oligarchen 78 dividierte und letztlich Kritiker marginalisierte. So wurde auch das umfängliche Beitrittspaket schluss- endlich im Juli 2012 von der Staatsduma und mit den Stimmen der Mehrheitsfraktion von Einiges Russland ratifiziert.

)60 :µ≤ 3¥•¨¨µÆß §•≤ 74/ ©≠ 7•¨¥®°Æ§•¨≥≥π≥¥•≠ Bislang wurde der interne, auf nationaler Ebene und zwischen den politischen Entschei- dungsträgern ausgefochtene Hegemoniekampf betrachtet, der Anteil am verzögerten Bei- trittsverfahren hatte. Dies muss nun den Anforderungen des internationalen Systems kon- trastiert werden, denn eine zentrale Prämisse des Neogramscianismus ist, dass Klassenver- hältnisse sich sowohl auf nationalstaatlicher wie auch internationaler Ebene artikulieren und dass die Herrschaft einer Klasse sowohl im Innern wie auch in den Außenverhältnis- sen gesichert werden muss. Internationalen Organisationen kommt dabei eine besondere Rolle zu, da sie als Austragungsorte von Konflikten dienen und diese regulieren sollen (vgl. Nonhoff et al. 2009: 239ff.). Aufgrund ihres universalen Charakters und ihrer globa-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO len Reichweite formen die in diesen Organisationen reflektierten und niedergelegten Poli- tikziele sogenannte Regime. Im Gegensatz zum Alltagsverständnis dieses Begriffs, der ein Regime mit einer schlechten Herrschaft (z.B. einer Diktatur) gleichsetzt, fungiert der Re- gimebegriff in der konventionellen IPÖ als terminus technicus . Stephan Krasner (1982: 1) hat eine weithin akzeptierte Definition vorgenommen: “International regimes are defined as principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actor expecta- tions converge in a given issue-area” . Erwartungssicherheit und Regelkonformität stehen bei dieser Definition im Vordergrund und lassen die politischen Aushandlungsprozesse und historischen Ungleichgewichte zwischen den Regimeteilnehmern verschwinden.

Weiter oben wurde darauf abgestellt, dass entgegen der Annahme liberaler Institutionalis- ten und konservativer Realisten, welche die kapitalistische Wirtschaftsordnung als im Prinzip unhinterfragte Grundlage der Außenwirtschaftspolitik eines Landes setzen, neo- gramscianische Theoretiker einwenden, dass diese Wirtschaftsordnung selbst problemati- siert werden muss, da sie die ideellen Prinzipien und Funktionsmechanismen der Weltwirt- schaft prägt. Die aus diesem Mechanismus elaborierten und im Laufe der historischen Entwicklung deduzierten Institutionen sind folglich normativ wie auch technisch präokku- piert, weshalb sich ein bewusstloser Bezug auf diese als diskursiver Bias erweisen müsse. Gemäß Robert Cox fungieren internationale Organisationen als „ process through which the institutions of hegemony and its ideology are developed. “ (Cox 1983: 172). Sie sind also nicht mehr als Instrumente um einen bestimmten Herrschaftsmodus durchzusetzen und die Interessen ihrer Schöpfer zu sichern. Da Hegemonie weniger durch Zwang, sondern mehr durch Konsens, also der prinzipiellen Zustimmung und Affirmation vorgegebener Regeln gesichert wird, müssen solche Organisationen eine gewisse Flexibilität garantieren, sodass Teilnehmerstaaten auf Krisensituationen angemessen, das heißt systemstabilisierend, rea- gieren können (ebd.). Cox zählt hierzu neben der Etablierung verfahrenstechnischer Stan- dards auch die intellektuelle Integration nationaler kapitalistischer Eliten entweder durch direkte Kooptation (in Aufsichtsräte, Führungsgremien usw.), aber auch durch eine Art kapitalistischer Sozialisation, in der Denkstile präformiert und eine habituelle Kongruenz 79 zwischen den Verhandlungsführern und politischen Eliten erzeugt wird (ebd.: 173). Diese Strategie deutet er unter Rekurs auf Gramsci als Trasformiso , also die Umkehrung einer möglicherweise sachlich und moralisch begründeten Gegnerschaft in Zustimmung sowie die Kanalisierung von Protest in den (trans-)nationalen Klassengesellschaften durch Offe- rierung von sozialpolitischen Zugeständnissen oder auch der formalen Verfahrensbeteili-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO gung ohne nennenswert Einfluss auf das Agenda-Setting nehmen zu können und Nicht- Entscheidungen zu verhindern (ebd.; vgl. auch Bacharch/Baratz 1972).

Die Welthandelsorganisation (WTO) kann nicht von ihrem historischen Ursprung in der Nachkriegsordnung abgelöst werden, denn sie führt die Prämissen dieser nur auf qualitativ neuer Ebene fort. Als Nachfolgeorganisation des schon 1947 etablierten General Agree- ment on Tariffs and Trade (GATT) ist sie dem Prinzip des Freihandels verpflichtet und soll protektionistische Maßnahmen von Staaten langfristig nivellieren und beseitigen. Das GATT wiederum nimmt neben dem IWF und der Weltbank eine zentrale Stellung in der ökonomischen Nachkriegsordnung ein, die zu wesentlichen Teilen von den USA und Großbritannien ausgehandelt worden ist. Das damals bekundete Interesse an einer stärke- ren Koordinierung der Weltwirtschaft und dem Abbau von Handelshemmnissen, wird heu- te innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion relativ eindeutig als Teil amerikanischer Hegemonialpolitik betrachtet (Mazower 2012: 343ff.; Vagts 2001: 844). Einerseits sollte das Bretton Woods-System technische Regeln und Standards etablieren, auf deren Grund- lage sich die Weltwirtschaft effektiver koordinieren ließe; diese Denkweise war geprägt von den Erfahrungen während der Weltwirtschaftskrise 1929 und den darauf folgenden politischen Konsequenzen (Bieling 2007: 84f.); andererseits sollte das Regelwerk den wirt- schaftlichen Interessen der USA dienlich sein. Ein Hauptargument der neorealistischen Hegemonietheorie war ja gewesen, dass die Führungsposition der USA erforderliche Kon- stante zur Garantie allgemeiner Wohlstandssteigerung sei. Mit dieser affirmativen Be- stimmung des amerikanisch prädominierten Weltwirtschaftssystems konnte die Konfronta- tion innerhalb des bipolaren Systems ökonomisch verbrämt werden. Tatsächlich bot sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nur ein kurzes Zeitfenster, um die entsprechenden institutionellen Pfade zu begehen und die Einflusssphäre der Sowjetunion in West- und Mitteleuropa zu begrenzen, mit dem European Recovery Program (auch Marshall-Plan- Hilfen), konnte letztlich der weitere Entwicklungspfad zu Gunsten der USA bestimmt und die ab 1947 aktiv propagierte Containment -Politik auch implementiert werden (Ikenberry 2011: 168).

Die Sowjetunion ist naturgemäß nie Mitglied des GATT geworden, was durchaus auf ideo- logische Differenzen zurückzuführen ist, wie z.B. Åslund (2010: 49) betont, jedoch zu ei- nem großen Teil der realpolitischen Bedrohungsszenarien geschuldet war, die kurz nach Ende des Krieges für beide bipolaren Mächte offensichtlich wurden: Zugeständnisse hätte de facto wie Eingeständnisse gewirkt. Und obwohl es durchaus im Interesse der Sowjets

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO gewesen wäre, ökonomische Aufbauhilfe zu erhalten, musste doch der Anschein gewahrt werden, die eigene Wirtschaftsentwicklung voranzutreiben und selbst als regionaler Demi- urg einer lokal begrenzten Wirtschaftsordnung in Form des RGW zu fungieren (Stöver 2007: 79ff.). Über die Jahre ist dann die Teilnehmerzahl an den GATT-Verhandlungs- runden beständig gewachsen, in nahezu reziproker Form sanken auch die durchschnittli- chen Zollbelastungen (vgl. Tab. 15), sodass sich der Schwerpunkt der Verhandlungen auf weitere Regulierungsfelder ausdehnte. Ab den 1970er Jahren wurde zusätzlich mit einer schrittweisen Ablösung keynesianischer Wirtschaftspolitik in den USA und den entwickel- ten Industriestaaten Westeuropas durch den Neoliberalismus Reproduktionserfordernisse der nationalen Kapitale offenkundig, die zu einer weiteren Internationalisierung der Pro- duktions- und Handelsbeziehungen führte (vgl. Kap. 3.1). Ein Kritikpunkt der inzwischen ebenfalls hoch entwickelten Industriestaaten Europas wie auch Kanadas war die nur lose Ausgestaltung des GATT, dessen Verbindlichkeit aufgrund mangelnder Rechtsetzungsfä- higkeit vermindert blieb (Bieling 2007: 122). Unterdessen hatte eine Vielzahl bilateral und multilateral koordinierter Wirtschaftsabkommen den Geltungsbereich des GATT faktisch unterlaufen. Allerdings dauerte es bis 1994/95, bis mit Gründung der WTO das Prinzip des Freihandels auf weitere Bereiche ausgedehnt und stärker kodifiziert werden konnte (Iken- berry 2011: 234; Cohn 2012: 175). Aus neogramscianischer Sicht bot sich damit die Mög- lichkeit, neoliberale Verfahrensstandards weiter zu verrechtlichen und immer neue Berei- che des Wirtschaftslebens der Regulierung und Kommodifizierung zu unterwerfen (Gill 2008: 171).

Im Sinne eines neoliberalen Konstitutionalismus verpflichtet die WTO ihre Mitglieder nicht nur auf gewisse übergeordnete Prinzipien, sondern forciert auch die Anpassung des jeweils nationalen Rechts an das multilateral koordinierte Wirtschaftsrecht (Vagts 2001: 846f.). Zu den Ordnungsprinzipien zählen neben dem Grundsatz der steten Handelslibera- lisierung auch das Verbot diskriminierender Bedingungen für Drittstaaten, genauer sollen dadurch Fremdanbieter ebenso behandelt werden wie Inlandsanbieter (sogenannte Inlän- derbehandlung) sowie der Gewähr identischer Vorteile und Chancen für alle Vertrags- partner (Meistbegünstigungsprinzip) (Cohn 2012: 175f.; Bieling 2007: 113f.). Um ein dau- erhaftes Interesse an einer WTO-Mitgliedschaft für alle Staaten zu schaffen, sollen ferner Zugeständnisse auf Wechselseitigkeit basieren (Reziprozitätsprinzip), also nicht einige potentiell begünstigte Staaten nur partizipieren, während andere Staaten die Lasten zu tra- gen haben. Und schließlich sind die Mitglieder gehalten, das Zustandekommen ihrer Au- ßenhandelspolitik offenzulegen (Transparenzprinzip) (alle ebd.). Inhaltliche Kernelemente 43

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO der WTO speisen sich sowohl aus den Vereinbarungen des GATT, also der allgemeinen Regulierung des Zollniveaus im Warenhandel, den Vereinbarungen zur Regulierung des Dienstleistungshandels GATS, den Handelsbedingungen bezüglich geistigen Eigentums TRIPS sowie ferner den Bedingungen für Auslandsinvestitionen, die über das TRIMS ge- regelt werden.

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Die Regelungsinhalte dokumentieren schon ähnlich wie ihre Reichweite, dass es sich bei der WTO um ein äußerst komplexes Verhandlungsgeflecht handelt, das einen Ad hoc- Beitritt regelrecht verneint. Für die frühen GATT-Teilnehmer hat sich die Evolution bis hin zur WTO jedoch als eine weitgehend kontinuierliche Entwicklung dargestellt, die den Anforderungen der eigenen Volkswirtschaften mehr oder minder stark entspricht, sodass auch die notwendigen Rechtsanpassungen als eine Adaption und Erweiterung erscheint, weniger eine Fremdbestimmung (vgl. Cohn 2012: 195; Norrlof 2010: 95f.). In der Literatur wird daher teilweise die Auffassung vertreten, dass offene Volkswirtschaften schneller in dieses Institutionengefüge integriert werden können denn Märkte, die stark reguliert und abgeschottet sind. Dies verwundert jedoch nicht, wenn man bedenkt, dass hinter der WTO stehende liberale Handelsrecht nicht nur weitgehend amerikanischem Recht entspricht, sondern auch in der frühen Nachkriegszeit den geopolitisch dem Westen arrondierten Staa- ten weitgehend aufgetragen wurde, wie die neorealistische Schule lakonisch konstatiert: „The United States‘ role in creating the GATT gave it major advantages by allowing it to model the institution on its own domestic law. In so doing, it permanently built in a number of safety valves through which the letter and spirit of negotiated trade agreements could be circumvented. […] By setting the rules, the United States has stayed one step ahead of its trade partners and controlled the global equilibrium to which others have had to adjust.” (Norrlof 2010: 97f.).

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Über die hegemonial dominierte Struktur des Welthandels dürfte innerhalb des internatio- nalen Systems mindestens ein latenter oder auch verbrämter Konsens bestehen, der freilich auf Ebene der Verhandlungsführung in eine faktische Anerkennung des Status quo münden muss, unterhalb dessen lediglich anteilige Positionsgewinne möglich scheinen ( relative gains ) (Mearsheimer 1995: 19f.). Gangbare Alternativen zum WTO-Regime auf globaler Ebene existieren nicht, können aufgrund der Konkordanzprinzipien regionaler Integrati- onsprojekte mit dem WTO-Recht auch nur um den Preis der Benachteiligung gegenüber potentiell bevorteilten Handelsteilnehmern durchgeführt werden und dokumentiert darüber die Unausweichlichkeit einer kapitalistischen Anpassungsstrategie für nahezu alle Staaten. Ich werde daher zum Abschluss noch eine knappe Skizze über die formellen Beitrittskrite- rien anschließen, bevor gezeigt werden soll, wie sich Russland dem Prozess stellte:

Die rechtlichen Anforderungen werden Übereinkommen zur Errichtung der Welthandels- organisation (kurz: WTO-Übereinkommen ) vom 15. April 1994 dokumentiert. Dieses Übereinkommen besteht nur aus insgesamt 16 Artikeln, die als rechtlicher Rahmen für die konkreten inhaltlichen Ausgestaltungen und fortlaufenden Anpassungen fungieren. Auf- grund der im Übereinkommen postulierten Politikziele ist es zugleich die zentrale intellek- tuelle Gründungsakte, die Auskunft über die liberalphilosophischen Prämissen 80 der Orga- nisation gibt. Nach Artikel XII des Übereinkommens steht es jedem Staat frei entsprechend den kanonisierten Regeln eine Mitgliedschaft unter den Bedingungen zu beantragen, „die zwischen ihm und der WTO vereinbart werden.“ Näheres zum weiteren Verfahrensgang regelt der Artikel jedoch nicht, sodass es keine Blaupause für einen erfolgreichen Beitritt gibt. Folgt man allerdings dem seitens der WTO dargestellten Verfahrensgang (WTO 2014), ist vielmehr ein komplexer Aushandlungsprozess erforderlich, in dem der Antrags- steller seine Konditionen (Memorandum) allen potentiell interessierten Mitgliedern offe- riert und zur Prüfung, Diskussion und Revision stellt. Der Aushandlungsprozess wird dann im Rahmen einer neu zu gründen Arbeitsgruppe durchgeführt. Parallel müssen bilaterale Abkommen mit allen interessierten Staaten über Marktzugänge und eventuelle Übergangs- fristen für einzelnen Waren und Leistungen geschlossen werden. Die Ergebnisse des WTO-Monitorings sowie die einzelnen bilateralen Abkommen bilden schließlich das mate- rielle Beitrittspaket, das nach Beschluss der Arbeitsgruppe dem Generaldirektor oder der Ministerkonferenz der WTO zur Begutachtung vorgelegt wird. Ein Veto wäre an dieser Stelle noch möglich, jedoch außergewöhnlich, da die Detailarbeit bereits durch alle Inte- ressierten geleistet wurde. Endgültiges WTO-Mitglied ist ein Staat jedoch erst, nachdem

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO auch der nationale Gesetzgeber, in Russlands Fall die Staatsduma, dem Beitritt zugestimmt hat. Hierfür besteht eine Frist von maximal 3 Monaten.

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Ich will den Exkurs an dieser Stelle nicht fortführen, führt er doch zu weit vom Thema ab; indes soll noch einmal unterstrichen werden, dass internationale Organisationen nicht per se instrumentelle Einrichtungen zum Nutzen privilegierter Staaten sein müssen; wesentlich sind die Start- und späteren Aushandlungsbedingungen, unter denen Vereinbarungen ge- schlossen werden, zentral bleibt dabei die Vorstrukturierung durch die je hegemoniale Pro- duktionsweise.

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)62 4•£®Æ©≥£®• !≥∞•´¥• Nicht nur die Zeitdauer des Beitrittsverfahrens war im Falle Russlands außerordentlich lang, sondern auch der Umfang der direkt an den Verhandlungen beteiligten Akteure. Die Arbeitsgruppe, welche die WTO zu Beginn der förmlichen Verhandlungen am 01.08.1995 einsetzte, bestand neben Russland aus insgesamt 53 Staaten (WTO 1995). Die Teilnehmer- zahl stieg später auf insgesamt 65 Nationen an (WTO 2011). Für die Beitrittsverhandlun- gen waren insbesondere die Interessen der Europäischen Union, der der USA sowie der GUS-Staaten von Bedeutung. Der Verlauf von Interessensartikulation, Konsensfindung und späterer Beschlusslage gibt auch Zeugnis darüber, wie sehr diese Staaten auf Absiche- rung gegenüber einem wiedererstarkenden Russland bedacht waren. China war indes prob-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO lemloser Partner und selbst erst im Jahr 2001 WTO-Mitglied geworden. Die Beziehungen wurden schon 1996 durch Gründung der Shanghai Five 81 (später SCO) in multilateraler Form institutionalisiert. Aus der Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und sicherheitspoliti- schen Feldern ergibt sich eine Spiegelorganisation zu OECD und NATO. Ebenfalls 2001 wurde ein Freundschafts- und Partnerschaftsabkommen beschlossen; die Energie- und Waffenlieferungen zwischen beiden Ländern während des gesamten Jahrzehnts kontinuier- lich ausgeweitet 82 und schließlich 2010 verkündet, dass der wechselseitige Handel fortan nur noch in nationalen Währungen, Rubel und Yuan, abgewickelt werden solle. Am russi- schen WTO-Beitritt entsponnen sich zu keiner Zeit politische Konflikte.

Nicht allein der Umfang der WTO-Arbeitsgruppe bedeutete einen größeren Aufwand an Verhandlung und Koordination und steht für die jahrelange Verzögerung des russischen Beitritts. Auch technische Aspekte sind maßgeblich hierfür gewesen, entscheiden diese doch im konkreten Detail über die handelspolitischen Vereinbarungen und juristischen Standards, die für die multilaterale Handelspraxis innerhalb der WTO von Bedeutung sind. Ich unterscheide mit Fean (2012) in der Folge rein technische von politischen Aspekten des Beitritts, gleichwohl sollte man beide Bereiche als miteinander verwoben betrachten, denn die Einigung auf bestimmte Verfahrensstandards bedeuten nicht allein pragmatische Konvention, sondern reflektieren die immanenten Kräfteverhältnisse innerhalb einer inter- nationalen Organisation sowie des Welthandelssystems. Weiter oben habe ich ausgeführt, dass die Konzeption der WTO den Prämissen des neoliberalen Institutionalismus weitge- hend folgt und dass die USA außerordentliche Zugewinne aus der Propagierung entspre- chender WTO-Regime ziehen können.

Zwar ist die Auffassung, die WTO sei wie der IWF oder die Weltbank nur eine Institution zur alleinigen Beförderung amerikanischer Interessen heute nicht mehr umstandslos halt- bar ist – in den letzten zehn Jahren haben mit den sogenannten BRICS-Volkswirtschaften bis dato eher periphere Märke ( emerging markets ) an Bedeutung gewonnen (Bo- ris/Schmalz 2009). Ein Umstand, der von international tätigen Finanzkonzernen wie Goldman Sachs , JP Morgan oder der Deutschen Bank auch aktiv propagiert worden ist (z.B. Wilson/Purushothaman 2003; Wilson 2011). Doch muss davon ausgegangen werden, dass einmal geschaffene Institutionen Pfadabhängigkeiten begründen, die Abweichungen vom Standard erschweren, zumal dann, wenn die eigene Verhandlungsmacht, die ein Mit- gliedsstaat vorweisen kann, relativ klein im Vergleich zu einer Hegemonialmacht wie der USA ist. Das WTO-Regime ist auch trotz der Anstrengungen der BRICS weder vor noch

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO nach der globalen Finanzkrise hinterfragt worden; die Organisation konnte sich als Promo- ter einer neoliberalen Handelsordnung durchaus behaupten (vgl. van Scherpenberg 2009: 332f.).

Der russischen Verhandlungsdelegation war dieser Umstand wohl anfänglich nicht voll- ends bewusst 83 , denn einer wirklicher Verhandlungswillen war mindestens bis Ende der 90er Jahre nicht sichtbar (Fean 2012: 5), auch wenn die erforderlichen Formalia eingehal- ten wurden und sich eine entsprechende Arbeitsgruppe am 18. Mai 1995 konstituierte (WTO 1995). Bis dahin war ein WTO-Beitritt zwar gewünscht, rückte aber unter der Jelzin-Administration über die Jahre immer mehr in den Bereich einer Absichtserklärung. Substantielle Schritte zur Integration konnten zu dieser Zeit nicht geleistet werden, denn schon während der offiziellen Antragsstellung im Juni 1993 waren die Auswirkungen der wilden Privatisierungen in Russland spürbar und der interne Konflikt zwischen Präsident und Parlament offenkundig geworden.

Im Lauf der Zeit konnte das politische System nicht konsolidiert werden, Institutionen blieben Experimente und vereinten sich mit rudimentären Herrschaftsmustern der Sowjet- zeit, unter ihnen ragte besonders der Einfluss von ehemaligen Nomenklaturkadern („roten Bürokraten“) und den neu etablierten superreichen Oligarchen hervor. Faktionale Graben- kämpfe, wie in Kapitel 2 dargelegt, begleiteten nicht nur den Kriegseintritt in Tschetsche- nien Ende 1994, sondern besorgten auch einen De-facto-Staatsstreich durch die „Bankba- rone“ um Beresowski ab 1996. Die in Folge der Asienkrise 1997 entstandenen Finanzie- rungsprobleme des russischen Staates eklatierten schließlich in der drastischen Abwertung des Rubels im August 1998, massivem Kapitalabfluss, der Zuführung von IWF- Kreditlinien und einer steigenden Staatsverschuldung (Robinson 2013: 31), allesamt schlechte Ausgangsbedingungen für selbstbewusste Verhandlungen auf internationaler Ebene. Die politische Krise mündete schließlich in der rastlosen Suche nach einem geeig- neten Nachfolger für den geschassten Bürokraten Tschernomyrdin und ab 1999 auch Jelzin selbst.

Putin dann hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt 2000 einen raschen Beitritt Russ- lands zur WTO zur besonderen Priorität gemacht und erste erforderliche Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen eingeleitet (Åslund 2010: 55; Rutland 2008: 1053) sowie ferner das allgemeine Zollniveau bereits auf ein international akzeptables Maß reduzieren lassen (Obolenskij 2012: 3). Dabei kam der Administration auch die veränderte Sitzverteilung nach den Dumawahlen vom Jahr 1999 zu Gute, denn erstmalig konnte eine den Präsiden- 48

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO ten tragende Kreml-Partei 84 auf relevanten quantitativen Unterbau im Parlament setzen und sich somit stärker auf die realiter geschwächten politischen Gegner konzentrieren. Nen- nenswerte parlamentarische Kraft, die einen WTO-Beitritt zu jeder Zeit kritisierte, waren allerdings nur die orthodoxen Kommunisten um Parteiführer Sjuganow. Alle anderen Ein- wände, unter anderem auch geäußert von der von den „Nomenklaturisten“ Primakow (bis 2011 Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer) und Luschkow (bis 2010 Moskauer Bürgermeister) getragenen Partei Vaterland – Ganz Russland , konnten frühzeitig durch Integration in die neue Kaderpartei Einiges Russland kanalisiert werden.

Nachdem auch die weitere Rezentralisierung staatlicher Autorität unter Putin- Administration vorangeschritten und Kontrahenten dieser Erstarkungspolitik, unter ihnen wenige Oligarchen und abtrünnige Nomenklaturisten (vgl. Kap. 2) selektiv ausgeschaltet wurden, konzentrierte man sich auf Regierungsebene auf die Bearbeitung der Reforma- genda, die seitens der WTO-Arbeitsgruppe vorgegeben wurde. Einige Studien behaupten, dass sich Putins Reformeifer jedoch spätestens ab Ende 2003 ins Gegenteil verkehrt habe und die Verhandlungen in die Stagnation gerieten (vgl. Fean 2012; Åslund 2007: 245; Dyker 2009: 85f.). Dabei führen sie u.a. das Argument ins Feld, dass mit den erfolgreichen Dumawahlen 2003 und der Wiederwahl Putins zum Präsidenten 2004 das wesentliche Ziel der Machtkonsolidierung abgeschlossen worden sei. Folgt man dieser Annahme, macht jedoch der gesamte Beitrittsprozess keinen Sinn und es bleibt unerklärlich, weshalb der russische Staat trotzdem über die Jahre bemüht blieb, einen Beitritt technisch wie politisch zu realisieren.

Zwar wurde im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 eine groß angelegte Umstruktu- rierung der Regierungsbürokratie durchgeführt, an deren Ende unter anderem auch eine formelle Degradierung des russischen WTO-Chef-Unterhändlers Medwedkow 85 (vgl. Kap. 2) stand, doch diente dies in erster Linie der Aufgabentrennung und damit Befriedung von Zuständigkeitsstreitigkeiten der Kreml-Faktionen untereinander (Sakwa 2011: 161), war also mehr ein verwaltungstechnisches Detail, kein politisches Bekenntnis. Das machtpoliti- sche Argument mag zwar eine Rolle gespielt haben, doch entgegen der landläufigen These interessierter westlicher Beobachter, kann konstatiert werden, dass es relevante außenpoli- tische Konflikte waren, die fortan den Verlauf der Verhandlungen präokkupierten und im Gegenzug Reaktionshandlungen auf Seiten der Putin-Administration beförderten. Diese hätten durchaus als Absage an das vom Westen eingeforderte Modernisierungsprojekt ge- deutet werden können, wäre diese selbst nicht mehr als eine Taktik der Putin-

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Administration gewesen, Zeit zu gewinnen und andere wirtschaftspolitische Ziele durchzu- setzen (vgl. Abschnitt IV.3).

So wurde ab 2000 mit dem personellen Umbau von Gazprom begonnen und der Konzern auf die gleiche Internationalisierungsstrategie verpflichtet wie auch Rosneft , das sich nach den Yukos -Prozessen zum größten russischen Ölkonzern rang (Grätz 2011). Mit diversen Pipeline-Projekten, der Exploration neuer Förderfelder für Öl und Gas vor dem Hinter- grund steigender Weltnachfrage nach Energie, konnte Russland seine Machtposition dank dieser Konzerne stärken und teilweise langfriste Lieferverträge mit der EU schließen. Zu- gleich wurde die Exploration der vorhandenen Ressourcen nationalisiert, bereits vergebene Förderlizenzen für sibirisches Gas widerrufen (2005) und die Diversifizierungsabsichten der EU durch aktives Lobbying gegen das Nabucco -Projekt mittels eigener Pipeline- Projekte vorangetrieben. Die für einen WTO-Beitritt erforderlichen bilateralen Abkommen mit den interessierten Verhandlungspartnern waren zu diesem Zeitpunkt zu einem Großteil beschlossen, es fehlten Abschlüsse mit der EU, den USA, China, Saudi-Arabien und Geor- gien.

Die EU hatte im Zuge ihrer Kohäsions- und Integrationspolitiken gegenüber den post- sowjetischen Staaten schon in den 90er Jahren eine Energiecharta ausgearbeitet, der sich Russland ebenfalls unterwerfen sollte und es formell auch tat, jedoch den Vertrag nicht parlamentarisch ratifizieren ließ. Er hat daher keine Rechtsverbindlichkeit; dieser Umstand sollte schließlich im Jahr 2000 durch Begründung des sogenannten Energie-Dialogs aufge- löst werden, da EU-Vertreter darauf insistierten, dass entsprechende Binnenmarktrichtli- nien eine Entflechtung des russischen Gassektors bedingen würden (vgl. Zimmermann 2007: 825). Die Monopolstellung des Konzern Gazproms sei danach nicht mit den Wett- bewerbsrichtlinien Brüssels vereinbar und Marktzugangsklagen von Konkurrenten eine mögliche Folge.

Dahinter stand neben dem wettbewerbspolitischen Argument der Marktmacht eines Kon- zerns, kontrolliert durch den russischen Staat, auch die als Interessensbeschneidung wahr- genommene Beschränkung der europäischen Energiesicherheit. Dieser Disput wurde aller- dings nicht ausgeräumt, sondern mit Abschluss eines bilateralen Abkommens zwischen beiden Seiten im Mai 2004 nur aufgeschoben. Die EU, angeführt vom damaligen Handels- kommissar Pascal Lamy, unterstützte fortan einen russischen WTO-Beitritt und klammerte die Frage der Energiesicherheit hiervon weitgehend aus. Einziges Zugeständnis der russi- schen Seite war die sukzessive Erhöhung der Gaspreise für russische Industrieabnehmer in 50

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO mehreren Schritten (vgl. EUC 2004). Ferner wurde vereinbart, die Einführzölle für Indust- riegüter, Fischerei- und Agrarprodukte in Übergangsszenarien auf ein einheitliches Maß zu fixieren, eine Tarifquote für nach Russland importierte Fleisch- und Geflügelprodukte fest- zuschreiben und den Handel mit Dienstleistungen nach GATS-Richtlinien zu liberalisieren (ebd.).

Es ist mehr als eine Randnotiz, dass Lamy kurze Zeit nach Abschluss der bilateralen Ver- handlungen mit Russland turnusgemäß aus seinem Amt als EU-Handelskommissar in Brüssel ausschied und zum WTO-Generalsekretär berufen wurde; er trat das Amt im Sep- tember 2005 an und konnte somit den russischen Beitrittsprozess aus zweierlei Perspektive verfolgen; mögliche Interessenskonflikte wurden nie diskutiert. Neuer EU- Handelskommissar wurde der Blair-Vertraute Peter Mandelson, der seinerseits in die Kri- tik geriet, nachdem er sich mehrere Male mit dem Oligarchen Deripaska privat getroffen hatte (Moscow Times 2008). Wie weiter oben ausgeführt, galt Deripaska vor der globalen Finanzkrise 2007ff. als Opponent des WTO-Beitritts bis seine Industrieunternehmen vom Staat kreditiert werden mussten. Da aber auch die EU einer Absenkung von Importbe- schränkungen für russisches Aluminium zugestimmt hatte, wird Mandelson Lobbyismus zugunsten Deripaskas bzw. Russlands vorgeworfen. Man hatte sich mehrmals auf der Pri- vatyacht Deripaskas getroffen (Summers 2008; Dettmer/Schepp 2013).

Mit den USA konnte im November 2006 das erforderliche Abkommen geschlossen wer- den. Haupthinderungsgrund aus Sicht der Amerikaner war eine mangelhafte Gesetzgebung zum Schutz von Urheberrechten. Urheberrechte oder die Wahrung von geistigem Eigen- tum ist eines der zentralen Interessensschwerpunkte der USA, seitdem mit Abschluss der Uruguay-Verhandlungsrunde das sogenannte TRIPS für alle Handelsteilnehmer verbind- lich wurde. Folgt man den inzwischen publizierten Botschaftsdepeschen auf den Seiten von Wikileaks , so wurde dieses Thema mehrfach bis zum Jahr 2006 in Gesprächen zwi- schen der US-Botschaft und dem Handelsminister Gref aufgeworfen und die Schließung von kritischen Websites gefordert, die nach Ansicht der Amerikaner US-Eigentumsrechte beschneiden würden (z.B. in 06MOSCOW1445; 07MOSCOW1515). Da aus russischer Sicht entsprechende Gesetzesgrundlagen implementiert worden waren, wurde dieses The- ma nicht weiter operationalisiert (Dyker 2009: 96f.; Åslund 2007: 224; Rutland 2007).

Stattdessen verlagerte sich das Interesse auf die Liberalisierung des Finanzdienstleistungs- sektors, auf dem Russland Sonderinteressen seiner Kreditwirtschaft vor dem Zugriff aus- ländischer Finanzinvestoren schützen wollte 86 . Umgekehrt monierten die USA einen man- 51

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO gelnden Marktzugang für Banken und Versicherungen, was vor dem Hintergrund einer weitgehend auf finanzmarktkapitalistische Akkumulation gestützten US-Volkswirtschaft zu betrachten ist (vgl. Gowan 1999: 25). In diesem Bereich ist Russland bei weitem nicht konkurrenzfähig und fürchtet den Buy-Out durch US-amerikanische Finanzkonzerne (z.B. durch Übernahme des Kreditgeschäfts oder die Vergabe von Ratings und Investmentpoli- cen). Andererseits ist der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen für russische Großpro- jekte und die Modernisierung der Infrastruktur des Landes ein durchaus gewünschter und offen geforderter Schwerpunkt der Entwicklungsstrategie der russischen Regierung (vgl. Worth 2011: 108; Pirani 2010: 97). Schließlich einigte man sich in der Mitte: Russland garantierte, dass Versicherungskonzerne eigenständige Geschäftszweige im Land aufbauen können, dafür aber der Bankensektor verschlossen bleibt und nur eine ausländische Unter- nehmensbeteiligung durch Aktienmehrheiten von maximal 50 Prozent zugestanden wurde. Die Beziehungen beider Länder verschlechterten sich jedoch aufgrund anderer Faktoren (Atomstreit mit Iran und Nordkorea, Rüstungsexporte in kritische Regionen, Explorations- verträge mit Venezuela u.a.; Rutland 2007) zusehends. Dies wird weiter unten detaillierter ausgeführt.

Die bilateralen Abkommen über Marktzugang bilden zwar eine notwendige Verhand- lungsgrundlage, dennoch obliegt es der WTO-Arbeitsgruppe als Ganzes, den Beitritt final zu realisieren. Einzelne Staaten können darin jederzeit eine Veto-Position übernehmen, wenn sie ihre Interessen gefährdet sehen. Nachdem alle erforderlichen Abkommen ge- schlossen wurden, kam es in der Zwischenzeit immer wieder zu protektionistischen Maß- nahmen auf allen Seiten 87 . Russland wurde u.a. vorgeworfen, seinen Agrarsektor mit über- höhten Subventionen zu fördern und damit den Markteintritt ausländischer Konkurrenten zu behindern. Hintergrund war die Forderung der russischen Seite, den maximal zulässigen Subventionsbetrag für einen Dreijahreszeitraum auf die Summe von 9 Milliarden US- Dollar festzuschreiben (Dyker 2009: 93f.); eine Größe, die für die Verhandlungspartner – insbesondere die Staaten der Cairns -Gruppe, aber auch der EU und der USA -, nicht zur Debatte stand, vertreten diese doch selbst jeweils mächtige Agrarlobbys. So einigte man sich schließlich erst 2007 auf maximal zulässige Agrarsubventionen in Höhe von 4,4 Mil- liarden US-Dollar; Exporte sollen ab 2017 gar nicht mehr staatlich bezuschusst werden (Obolenskij 2011: 3).

Ein letztes technisches Instrument bildete ein aus den 1970er Jahren verbliebenes Gesetz, dass es rechtlich verunmöglichte, der Sowjetunion die gleichen Handelsbedingungen zu

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO offerieren, wie sie für alle anderen GATT/WTO-Mitglieder gelten: Das sogenannte Jackson-Vanik-Amendment wurde 1975 auf Drängen eines Abgeordneten vom US- Kongress beschlossen und konterkarierte die Annäherungsversuche der Nixon- Administration. Meistbegünstigung, also die Gewähr eines gleichen Marktzugangs sollte fortan an eine liberale Migrationspolitik der Sowjetunion geknüpft werden: Nur wenn jüdi- sche Emigranten ungehindert ausreisen und die Sowjetunion eingestehen würde, dass sie faktisch Reisefreiheit beschränke, dürften entsprechende Lieferverträge geschlossen wer- den, was der Logik des Kalten Krieges entsprechend von sowjetischer Seite abgelehnt wurde (Bierling 2003: 159; Stöver 2007: 403). An verschiedenen Stellen haben amerikani- sche Politikberater und Lobbyisten auf eine notwendige Revision dieses Gesetzes hinge- wiesen (vgl. Åslund 2003: 413; Åslund/Hufbauer 2012: 64; Mankoff 2010: 19; Cooper 2012: 16, Tarr 2007: 11; vgl. auch 08MOSCOW387) doch im eskalierenden Streit mit Russland diente es offenkundig als Hebel, um eine Implementation der WTO- Vereinbarungen auf amerikanischer Seite hinauszuzögern. Erst Ende 2012 und damit ein Jahr nach Abschluss aller WTO-Verhandlungen mit Russland wurde es vom Kongress aufgehoben.

Es ist nicht die Absicht dieser Arbeit eine erschöpfende Darstellung aller technischen De- tails vorzulegen, die in weiten Teilen in juristische und ökonomische Problembereiche hin- einreichen und andere Handlungslogiken adressieren. Vielmehr sollte für die politikwis- senschaftliche Analyse herausgearbeitet werden, dass technische Details durchaus als Hin- derungsgrund für einen Organisationszugang instrumentalisiert werden können. Unerfah- renheit im Umgang mit Verhandlungssituationen im internationalen Kontext scheint mir dabei nur ein nachrangiger Faktor zu sein, denn wie der Neogramscianismus festhält, äh- neln sich global aktive, transnationale Eliten durchaus in ihrem Habitus und Denkstilen, Taktik, aber auch Bluffs dürften zum unterschwelligen Repertoire von Verhandlungen ebenso dazu gehören, wie eine gewisse Klassenidentität, die Eliten dazu anhält, sogenannte Zugeständnisse auf internationalem Parkett der eigenen Wahlbevölkerung darzulegen und damit Eigeninteresse als Verhandlungsdruck der Gegenseite zu kaschieren (Mann 1998: 68). Auch die Referenzmedien für solche Elitendiskurse haben daran Anteil, ich erinnere noch einmal an die weiter oben getroffene Feststellung, dass sich transnationale Elite durch Einbindung in Netzwerke, Diskussionsforen und global aktive Massenmedien einander annähern, die WTO-Arbeitsgruppe zu Russland hat dies protokollarisch schlussendlich recht lakonisch auf den Punkt gebracht:

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

„The Russian Federation was not fully satisfied with the final arrangement. Many Members were not entirely satisfied either. This was one of the most important lessons in the WTO: if the parties in the negotiations were not completely satisfied with the outcome, the deal was fair (!).” (WTO 2011: 2)

)62 -°£®¥∞ب©¥©≥£®• !≥∞•´¥• Zentrale Arbeitshypothese dieser Arbeit ist, dass sich das Beitrittsverfahren als Projekti- onsfläche internationaler Konflikte interpretieren lässt. 18 Jahre Verhandlungsdauer lassen sich auch mit einer Chronologie zunehmender geopolitischer Rivalitäten zwischen Russ- land und dem Westen kontrastieren. Diese Konfliktfelder sind nicht nur ökonomischer Na- tur, auch wenn die Ökonomie notwendige Ressource zur Darstellung und Ausübung von Macht ist (vgl. Mann 1998: 17), sondern auch politischer und ideologischer Art. Alle betei- ligten Akteure haben divergierende Interessen und sehen sich einem bereits vorstrukturier- ten Handlungsraum gegenüber: dem durch die USA geordneten internationalen System, das Handlungsmöglichkeiten und –bedingungen verteilt und das aus Sicht Russlands einen Rückstand vorausschickt, bevor überhaupt auf internationaler Ebene Verhandlungen ge- führt und Verträge geschlossen werden. Dennoch befindet sich das internationale System nicht in einer Homöostase, die keine Veränderungen zulassen würde – die US-Hegemonie musste selbst erst aktiv geschaffen und konsolidiert werden und verlangt permanente Ord- nungsaufwand. Dem Beitrittsprozess kommt dabei besondere Bedeutung zu, da er als Are- na zur Austragung dieser Konflikte dienen kann, denn: „In diesem Aushandlungsprozess definieren die Regierungen ihre (…) Interessen und Ziele kei- neswegs vollkommen autonom. In den Verhandlungspositionen reflektieren sich maßgeblich die Reproduktionserfordernisse der nationalen Kapitalismusmodelle und die diesen eingeschriebenen Kräfteverhältnisse (…). Wie sich diese Kräfteverhältnisse interessenpolitisch artikulieren, ist zu- dem durch innenpolitische Faktoren (…), aber auch durch allgemeine weltpolitische Entwicklun- gen, also außen- und sicherheitspolitische Erwägungen, bestimmt.“ (Bieling 2007: 185). Dieses Vorgehen lässt sich für die maßgeblich beteiligten Akteure darlegen; ich beschrän- ke meine Ausführung allerdings auf eine allgemeine Darstellung der in der Forschung ak- zeptierten Streitpunkte.

%5' %≤∫∑µÆß•Æ• (°Æ§•¨≥∞°≤¥Æ•≤≥£®°¶¥ Die EU ist bestrebt, ihren internationalen Einfluss auszuweiten und mehr zu sein, als ein primär wirtschaftlich orientierter Staatenverbund (Bieling 2010: 28ff.). Durch Koordinati- on in den Feldern von Finanz- und Wirtschaftspolitik, Zusammenarbeit in Sicherheits- und Außenpolitik und der Formulierung von Sicherheitsinteressen gegenüber Anrainern, einer steten Expansion der eigenen Grenzen, der Darstellung von Wirtschaftsinteressen in der Konkurrenz um Absatzmärke, Rohstoffe und Kapital sowie der Etablierung einer eigen- ständigen, global konkurrenzfähigen Währung (Euro), werden Versuche unternommen, geopolitische und geoökonomische Positionsgewinne zu erlangen und also die bestehende 54

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

US-Hegemonie anzutasten, in der sie selbst fundamental integriert ist und deren Förderung und Tolerierung sie erst erwachsen ist (ebd.: 58f.; ten Brink 2008a: 243). Dass es freilich nicht zur Etablierung einer europäischen Weltordnungspolitik kommt, ist den widerstrei- tenden Interessen der in ihr assoziierten Staaten geschuldet. Divergenzen, die besonders in der Bearbeitung der globalen Finanzkrise 2007ff. offenkundig geworden sind (vgl. Streeck 2013: 203ff.). Diese hat nicht nur zu einer Renationalisierung von Außenpolitiken geführt, sondern auch europakritische Ressentiments geschürt. Dies kann nicht im Interesse einer EU-Globalisierungspolitik sein, doch selbst wenn eine stärkere Koordination wieder mög- lich sein sollte, so bleibt doch die enorme militärische Defizienz im Vergleich zu den USA, die eine eigene Hegemonialstellung ausschließen werden.

Infolgedessen versucht die EU ihre regionale Großmachtrolle durch beständige territoriale Ausdehnung analog zur den Außengrenzen der NATO voranzutreiben. Gerade hierüber ist es in der Vergangenheit zu wiederkehrenden Streitigkeiten zwischen der EU und Russland gekommen, denn die Erweiterung der Einflusszone des Einen, bedeutet eine Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten des Anderen und vice versa . Heute sind neben Polen und Tschechien, auch Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Kroatien, Bulgarien, Rumänien und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen Teil der EU, womit diese de facto an die Staatsgrenze Russlands herangerückt ist und einen Großteil der postsowjetischen Staa- ten integriert hat. Russland sieht hierdurch seine außen- und sicherheitspolitischen Interes- sen beschränkt, da das Nahe Ausland seit jeher besondere Interessenssphäre ist, nicht allein für zwischenstaatlichen Handel, sondern auch zur Wahrnehmung eigener regionaler He- gemonialansprüche.

Deshalb muss aus Sicht Russlands eine weitergehende Osterweiterung der EU bezogen auf die , Weißrussland und auch Georgiens verhindert werden, um einerseits die Au- ßengrenzen im russischen Westen und Süden nicht vollends an die EU zu verlieren und damit eine mögliche Schwächung der eigenen Souveränität erleiden zu müssen, sondern auch um eine Penetration seiner Energieexportorganisation zu verhindern (vgl. 08MOSCOW1489) 88 . Diese konfliktbeladene geopolitische Situation verzögerte auch die Aushandlung des für den russischen WTO-Beitritt zwingend erforderlichen bilateralen Handelsabkommens über wechselseitigen Marktzugang. Dabei erlangt Deutschland eine Sonderstellung, da es als größte Volkswirtschaft der EU nicht nur wirtschaftliche Eigenin- teressen verfolgt, sondern mit Russland über eine sogenannte „strategische Partnerschaft“ bilateral verbunden ist. Politikziele und deren Umsetzung fallen mit der Bewertung der

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Beziehungen zu Russland zusammen, die am Beispiel der Regierung Schröder von persön- lichen Kontakten 89 und der Förderung eines Gaspipeline-Projektes ( North Stream 90 ) rei- chen. Ein Projekt, an dem sich neben Gazprom auch die BASF-Tochter Wintershall , der Energiekonzern E.ON (vormals Ruhrgas) sowie der französische Energiekonzern Gaz de France beteiligen. Und am Beispiel der Regierung Merkel zur Betonung der Unterschiede, ideologischer Distanzierung und einer stärkeren Einflussnahme auf die Staaten Osteuropas, vor allem aber der Ukraine genügen (Blome et al. 2013). Diese Widersprüchlichkeit der deutschen Lageeinschätzungen und das Bedürfnis an Durchsetzung eigener Interessen zei- gen exemplarisch die Positionen der dramatis personae Alexander Rahr, seines Zeichens Wintershall-Lobbyist, Mitglied in zahlreichen Elite-Netzwerken ( Valdai , Petersburger Dialog ) und ehemaliges Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ebenso wie Gernot Erler, der künftige Russland-Beauftragte der Bundesregierung (Hollstein 2013; Sattar 2014), auf. Den russischen WTO-Beitritt konnte und wollte die EU als Ganzes hingegen letztlich nicht verhindern, wofür drei Gründe sprechen: 1. Die EU ist selbst dem WTO-Regelwerk unterworfen. Sie hat keine vergleichbare multi- laterale Handelsorganisation begründen können, um ihre weltordnungspolitischen Inte- ressen global zu artikulieren und versucht daher, das bestehende Institutionensystem seinen Interessen gemäß zu funktionalisieren (vgl. EU 2003: 9). Planspiele einer In- tegration Russlands in die EU, wie noch in den 90er-Jahren gedacht, sind lange von der politischen Realität verdrängt worden. 2. Die EU erhofft sich innerhalb des WTO-Regelwerks und der mit Russland ausgehan- delten Beitrittskonditionen, ihre politischen und ökonomischen Interessen gegenüber Russland effektiver durchsetzen zu können; u.a. auch durch die strafbewehrte Sanktio- nierung russischer Importquoten und anderer protektionistischer und marktbeschrän- kender Maßnahmen. Ein Jahr nach dem russischen Beitritt ist dies auch Realität ge- worden. 3. Angesichts der faktischen Abhängigkeit von russischen Energieexporten sieht sich die EU in ihren geostrategischen Interessen begrenzt und muss diese Situation mehr oder minder hinnehmen; dies führt auch zu einer Partikularisierung nationaler Außenpoliti- ken, da sich große Volkswirtschaften wie Italien, Frankreich oder Deutschland um eine eigenständige Energieversorgung bemühen, was dritten EU-Staaten zum Nachteil ge- reicht.

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

53!' &Ø≤¥∑©≤´•Æ§• /≤§ÆµÆß≥°Æ≥∞≤²£®• Anders verhält es sich mit den USA. Während der bilaterale Handel mit Russland verhält- nismäßig gering ausfällt und ökonomische Beweggründe eher marginal sind 91 , dominierten während des gesamten Beitrittsverfahrens, spätestens aber seit der versuchten und geschei- terten Annäherung Putins an den Westen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geopolitische Interessen. Russland schied als Bündnispartner im Afghanistankrieg aus, da nicht aufgearbeitete Belastungen aus der Sowjetzeit fortwirkten (Unterstützung von »Mujaheddin« durch die USA während der sowjetischen Intervention in Afghanistan ab 1979 92 ), auch wenn beide Staaten ein gemeinsames Interesse an einer Terrorbekämpfung zumindest rhetorisch nicht leugnen konnten 93 . De facto demonstrieren die USA seit den 90er Jahren ihren Status als einzige Supermacht 94 . Die Wiederkehr des naiven Realismus in Form des Neokonservatismus seit der Amtszeit George W. Bushs im Jahr 2000 brachte neben einer personellen Verquickung 95 außenpolitischer Beratung und ökonomischem Lobbying auch eine Wiederauflage der Denkweise des Kalten Krieges (vgl. Harvey 2005: 195ff.). Eine ihrer Folgen ist der geplante Aufbau eines in Ostmitteleuropa stationierten Raketenabwehrsystems, das nach offizieller Aussage von USA und NATO vor Raketenbe- schuss des Iran beschützen solle, dessen ballistische Reichweite jedoch als potenzielle Be- drohung Russlands verstanden muss.

Aus geoökonomischer Sicht haben die USA einen russischen WTO-Beitritt stets unter- stützt und die wechselnden Regierungen zu einer Fortsetzung der Verhandlungen aufge- fordert (08MOSCOW328). Dies entsprach anfänglich dem Interesse an einer schnellen Integration postsowjetischer Staaten in das globale Welthandelssystem, was durch direkte Wirtschaftshilfe und die Entsendung von Wirtschaftsberatern 96 in den Kreml erreicht wer- den sollte (Bierling 1998; Blasi et al. 1997). Nachdem die Hoffnungen auf eine schnelle Systemtransformation 97 Anfang der 90er Jahre mit der Etablierung eines oligarchischen Kapitalismus scheiterten, wandelten sich mit dem Machtantritt Putins ab 2000 zwar die Politikinstrumente, nicht aber die grundsätzliche Intention. Insgesamt war den USA immer daran gelegen, einen der größten Absatzmärkte und BRICS-Staat der Regulation und Kon- trolle durch die WTO zu unterwerfen, denn aufgrund der vielfältigen Interventionen im Nahen Osten sowie der mit Sorge betrachteten Erstarkung Chinas in Fernost, hat sich der Fokus der Amerikaner insgesamt weiter Richtung Osten verschoben. Seitdem versucht die Obama-Administration ihr Augenmerk auf die Einhegung der chinesischen Expansionsbe- strebungen zu richten und China-kritischen Regierungen wie in Südkorea und Japan durch aktive Militärhilfe entgegenzukommen 98 . Für die USA bedeutet die zwischen China und 57

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Russland forcierte Kooperation in Handels- und Militärfragen eine ernsthafte Bedrohung eigener regionaler und globaler Interessen, auf die eine kohärente Reaktionsstrategie der- zeit nicht zu erkennen ist, sodass selbst Hardliner wie Brzezinski (2012: 46ff.) inzwischen von einer kritischen Phase amerikanischer Hegemonie sprechen und eine Erosion der herr- schenden Weltordnung wähnen. Doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sol- chen Äußerungen stets Eigeninteresse innewohnt und diese sich in erster Linie an die nati- onalen Entscheidungsträger und politischen Eliten wendet, ihren politischen Fokus neu zu justieren 99 . Dass dies nicht mehr nur durch die Anwendung militärischer Macht in der Re- gion vollzogen werden kann, ist nicht zuletzt auf die heftige Propagierung von Soft Power in der Außenpolitikberatung zurückzuführen (vgl. Nye 2011: 81ff.), sondern nüchternes Fazit amerikanischer Haushaltspolitik. Die kostenträchtigen Kriege des letzten Jahrzehnts und der aufwändige Unterhalt für Militärbasen und neue Technologien, haben einmal mehr der Forderung nach einer Lastenteilung und einem Rückzug aus direkten Kampfeinsätzen Vorschub geleistet. Eine bizarre Folge ist die unter der Regierung Obama ausgeweitete Praxis gezielter Tötungen mittels Drohnen, mit der sich das herkömmliche Verständnis von Krieg fundamental verändert (Krishnan 2012).

Es bleibt abzuwarten, ob die WTO-Integration Russlands langfristig US-amerikanischen Interessen entgegenkommt; formal bedeutet es in jedem Fall eine Bestätigung prävalenter Ordnungsvorstellungen der USA, auch wenn diese anerkennen müssen, dass eine direkte Konfrontation mit Russland inzwischen ebenso riskant ist wie eine einfache Unterordnung im Sinne eines „Regime change“, der westlich orientierte Regierungen an die Macht bringt. Durch die militärische Präsenz der USA in Nahost, in Zentral- sowie Ostasien weiß sich Russland einerseits an seiner Südflanke bedroht, doch zugleich ist eine Umsetzung des amerikanischen Raketenschilds in Osteuropa durch die unverhoffte Einigung Amerikaner mit Iran im Atomstreit ebenso in die Ferne gerückt, wie eine alleinige Einnahme der stra- tegisch wichtigen Kaspi-Region 100 mit ihren Gas- und Ölressourcen. Eine Region, die im Hoheitsbereich postsowjetischer Staaten steht, welche inzwischen eigene Interessen unab- hängig vom Westen verfolgen.

)60 0 '53' 4≤°Æ≥©¥∫ØÆ• خƕ ∞ب©¥©≥£®•≥ '•∑©£®¥ Zentralasien, und insbesondere die an Rohstoffen reichen Länder Kasachstan, Turkmenis- tan und Aserbaidschan haben mit Russland entweder Liefer- und Erschließungsverträge geschlossen oder sind mit ihm direkt durch Zollunion und Kooperationsabkommen der SOC assoziiert. Vor allem der Zugang zum Kaspischen Meer ist von großer Relevanz für

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Russlands Energiewirtschaft (Grätz 2013: 141ff.), liegt doch eines der vermutlich größten Öl- und Gasfelder auf aserbaidschanischem Hoheitsgebiet; Kasachstan ist von Bedeutung, da es selbst über reichliche Erdölvorkommen verfügt, die es u.a. auch an China verkauft und zugleich mit Russland Konsortialverträge unterhält (Pirani 2013: 46); Schließlich hält Turkmenistan ebenfalls beträchtliche Vorkommen, an denen auch die EU interessiert war, um ihren Gasbezug zu diversifizieren; doch während das auch von Ex-Außenminister Fi- scher propagierte Nabucco -Projekt 2013 endgültig scheiterte, konnte sich Russland durch das South Stream -Projekt schon 2009 eine weitere Transitroute für selbst gefördertes Gas und damit zusätzlichen Absatzmarkt erschließen 101 . Für Russland selbst jedoch erweist sich Zentralasien als nicht leicht zu beeinflussende Interessensphäre, da große Fördergebie- te an internationale Konzerne wie die britische BP , die norwegische Statoil oder auch die Chinese National Company (CNPC) konzessioniert wurden. Russische Konzer- ne beschränken sich inzwischen auf die Rolle des Zulieferers nach Europa und China (ebd.: 54).

Politisch versteht sich die GUS als legitime Interessenvertretung jener postsowjetischen Staaten, die sich nicht oder nicht ausschließlich an den Westen binden wollten und eine eher an Russland orientierte Außenpolitik verfolgen. In gleichem Maße versteht Russland gemäß außenpolitischer Doktrin die GUS als institutionelles Gewand der als Nahes Aus- land beschriebenen Interessensphäre, die aufgrund geografischer Lage und ökonomischer Relevanz von übergeordneter Bedeutung für die nationale Sicherheit angesehen wird (Ry- wkin 2012: 235f.; Rywkin 2003). Eine Einflussnahme auf diese Staaten wird aktiv propa- giert und nutzt dabei naturgemäß auch die asymmetrischen Verhandlungspositionen der Mitglieder aus, da Rohstoffe in Nachwirkung sowjetischer Denkmuster dem privilegierten Zugriff Moskaus unterliegen sollen. Gegenüber den eher auf Kooperation mit Russland setzenden Staaten der GUS, gibt es zwei Staatengruppen, die entweder jedweder Zusam- menarbeit mit Russland kritisch gegenüberstehen oder aber ihre Interessen stets neu abwä- gen und sich auf keine verbindlichen Zusagen einlassen wollen.

Die erste Gruppe stellt jene Staaten Mittelosteuropas dar, die sich aufgrund ihrer eigenen Landesgeschichte entweder schon zu Sowjetzeiten oder nach deren Untergang der Ein- flussnahme Moskaus weitgehend zu widersetzten suchten; zu ihnen zählen Polen, Tsche- chien, die Slowakei, Ungarn, aber auch die baltischen Staaten sowie die Balkanstaaten Slowenien, Kroatien und Bosnien. Die meisten dieser Staaten sind inzwischen Mitglieder der EU und damit weitgehend von Russland unabhängig; ihnen gelang zumindest mittelbar

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO eine wirtschaftliche Modernisierung nach neoliberal-kapitalistischem Muster. Eine zweite Gruppe umfasst Staaten, deren Systemtransformation vergleichsweise wechselvoll verlief, die aber durch ihre geostrategische Lage und ökonomische Bedeutung gleichsam von gro- ßem russischen Interesse sind und denen sich in den 90er Jahren zunächst keine eigenen Entwicklungsperspektiven bot 102 . Hierzu zählen neben anderen Weißrussland, die Ukraine und Georgien. Von diesen Staaten sind bislang mit Rumänien und Bulgarien nur zwei der EU beigetreten, mit den übrigen Staaten gibt es die langfristige Zielsetzung einer EU- Integration, die jedoch vor dem Hintergrund russischer Einflussnahme, aber auch einer inkohärenten Außenpolitik der EU-Staaten bislang verzögert und hinausgeschoben wur- den 103 .

Alle Staaten Osteuropas eint hingegen ein Problem: ihre komplette Abhängigkeit von rus- sischem Gas sowie ihre Lage als Transitstaaten für entsprechende Lieferungen. Die hieraus entstehenden Konflikte haben regelrechte Konjunktur und bilden das Unterpfand für bei- derseitige Bestrebungen, Transportwege einerseits (Russland) und Energieabhängigkeit andererseits (Osteuropa) zu verändern. Nachdem sich Russland schon 2004 bereit erklärte, die EU-Osterweiterung zu akzeptieren und das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren, dafür im Gegenzug die prinzipielle Zustimmung zum WTO-Beitritt durch die EU erhielt (Zimmer- mann 2007: 826; vgl. auch 08MOSCOW767), gab es jedoch keine expliziten Veto- Positionen innerhalb Osteuropas, was dessen prekäre sicherheitspolitische, aber auch wirt- schaftliche Lage widerspiegelt, denn die Transformationsökonomien sind im Zuge der EU- Mitgliedschaft den Kriterienkatalogen Westeuropas gefolgt und haben ihre nationalen Ökonomien den herrschenden Standards der Kopenhagener Kriterien weitgehend ange- passt, auch, um entsprechende Fördermittel aus Brüssel zu erhalten. Die Unabhängigkeit von Russland wurde somit mit einer Abhängigkeit von Westeuropa, aber auch der NATO erkauft. Zwar sorgte die Ankündigung der oben erwähnten Zollunion zwischen Weißruss- land, Kasachstan und Russland im Jahr 2009 für Befremden auf Seiten westlicher Be- obachter. Die USA befürchteten gar eine erforderliche Neuaushandlung ihres bilateralen Abkommens, da gewisse Zollvereinbarungen die Teilnehmer bevorzugen würde (09MOSCOW3084), doch zögerte ihre Etablierung das Beitrittsverfahrens im Endeffekt nur unwesentlich hinaus. Im Gegenteil galt diese als Trotzreaktion Russlands auf die bis dato immer noch nicht abgeschlossenen Beitrittsverhandlungen innerhalb der WTO- Arbeitsgruppe und als Schritt hin zu einer Eurasischen Union. Die Vermutung, dass sich (erneut) die nationalistischen Silowiki in der Außenpolitik durchgesetzt und sich gegenüber den Reformern im Kreml, allen voran dem damaligen Präsidenten Medwedew, behauptet 60

IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO hätten, muss im Nachhinein als Überschätzung der Einflusskämpfe begriffen werden (vgl. 07MOSCOW5800).

Einzig Georgien behinderte das Beitrittsverfahren in nennenswertem Umfang. Georgien ist weder EU-Mitglied, noch Teil der NATO, aber auch nicht mehr Teil der GUS, hingegen seit 2000 WTO-Mitglied, was ihm eine Veto-Position einräumte, von der es 2006 auch Gebrauch machte, nachdem es mit Russland zu keiner Einigung über die Abnahme georgi- schen Weins kam (vgl. Rutland 2007; Dyker 2009). In einem förmlichen Brief an den Vor- sitzenden der WTO-Arbeitsgruppe beschwerte sich schließlich der damalige georgische Außenminister Beschuaschwili über aus seiner Sicht einseitige Verletzung des bereits ge- schlossenen bilateralen Abkommens durch Russland und verwies auf die Schließung des einzigen Handelspostens beider Länder an der georgisch-russischen Grenze. Er fasste seine Einschätzung mit den Worten zusammen: „ […] but we feel that there is a lack of political will from the Russian Federation that makes difficult to achieve reasonable outcome in our bilateral consultations .“ (WTO 2006: 3).

Von weitaus größerer Bedeutung für die bilateralen Beziehungen ist aber der bis heute schwelende Konflikt um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, über die es im August 2008 zu einem kurzzeitigen Krieg kam. Wäre Georgien damals schon NATO- Mitglied gewesen, so hätte der Beitrittsfall ausgerufen werden müssen. In letzter Konse- quenz wäre ein offener Schlagabtausch zwischen Russland und der NATO denkbar gewe- sen. Das Sicherheitsbedürfnis Georgiens speist sich aus ähnlichen Unabhängigkeitsbestre- bungen wie denen Osteuropas sowie die Sorge um territoriale Integrität. Da die Bevölke- rung in Abchasien und Südossetien zu großen Teilen russischer Herkunft ist und eine enge Anbindung an Russland sowie politische Autonomie einfordert, stellt der Krieg von 2008 nur den Höhepunkt einer seit 1991 währenden Eskalationsleiter dar, an deren zwischenzei- tigem Ende der Abbruch diplomatischer Beziehungen stand (Fean 2012: 10). Der Krieg mit Georgien bedeutete auch für die USA einen Einschnitt in den diplomatischen Bezie- hungen zu Russland; da Georgien und Aserbaidschan als strategisch wichtige Einflusszo- nen zwischen dem Nahen Osten und Zentralasien gesehen werden, konnten die USA einen militärischen Eingriff Russlands nicht dulden und instrumentalisierten den Konflikt. Erst Ende 2011 kam es dann auf Druck der EU und den USA zu einer Lösung und Georgien widerrief sein Veto (vgl. Mankoff 2010: 18; Fean ebd.).

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IV. Empirische Analyse: Russlands Integration in die WTO

Insgesamt lässt sich resümieren, dass sich entlang des Beitrittsverfahrens politische und ökonomische Konflikte entluden, in die Russland teils aktiv, teils passiv involviert ist. Aus seiner geografischen Lage und seinen politischen Grenzen ergeben sich Probleme, die mit dem nicht verworfenen Anspruch auf regionale und globale Großmachtstellung einherge- hen. Gegen diese Großmachtambitionen sprechen die Unabhängigkeitsbestrebungen vieler postsowjetischer Staaten, die ihre Zugehörigkeit zum Westen behaupten wollen. Es bestä- tigt sich die von Cox vorgebrachte These einer Interdependenz von Produktionsbeziehun- gen, Staatsformen und Weltordnungen: die hegemoniale Stellung der USA kann Russland nicht aus eigener Kraft in Frage stellen, weshalb es sich sowohl auf Kooperation als auch Konflikt einlassen muss, um seine Integrität gegenüber den regionalen und globalen Macht- und Herrschaftsansprüchen von EU und USA zu wahren. Wo dies erforderlich scheint, das hat der Kaukasuskrieg 2008 ebenso unterstrichen wie die geopolitisch wichtige Intervention im Syrien-Konflikt, wird Russland seine verfügbaren Machtressourcen inter- national ausspielen.

Dies gilt auch für eine selektive Verletzung von WTO-Recht: Ein Jahr nach dem Beitritt häufen sich Klagen über weiterhin bestehende Marktzugangsbeschränkungen nicht nur in der Automobilindustrie und die EU droht Russland mit entsprechenden Klagen vor dem WTO-Gericht. Doch auch wenn Russland hier zu einer Geldstrafe und Anpassung seiner Zollpolitik angewiesen werden sollte: das Unterlaufen internationalen Rechts ist ein Prärogativ derjenigen Staaten, die für sich Weltordnungsfunktionen reklamieren (Mears- heimer 1995: 13; Norrlof 2010: 186). Und solang die Abnahme von russischen Energieex- porten garantiert bleibt, werden Geldmittel zur Verfügung stehen, um politisches Kapital akkumulieren zu können. Für eine alternative Weltordnung reicht dies gleichwohl nicht aus, schließlich mangelt es auch nur annähernd an vergleichbaren militärischen Kapazitä- ten, aber auch einer entsprechenden kulturellen Hegemonie und der Terminologie Cox‘ folgend lässt sich ergänzen, dass dies auch gar nicht möglich ist, solang die Produktionsbe- ziehungen auf den gleichen kapitalistischen Prinzipien beruhen, diese auch von den Wirt- schaftssubjekten affirmiert werden und sich die Staatsführung einseitig an der Wiederher- stellung vergangener Größe und verlorengegangener Anerkennung in der Welt bemüht.

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V. Fazit: Russlands WTO-Beitritt zwischen Geopolitik und Hegemonie

6 &°∫©¥' 2µ≥≥¨°Æ§≥ 74/."•©¥≤©¥¥ ∫∑©≥£®•Æ '•Ø∞ب©¥©´ µÆ§ (•ß•≠ØÆ©• Gegenstand dieser Arbeit war die Untersuchung des äußerst langwierigen WTO- Beitrittsverfahrens Russlands. Es sollte geklärt werden, weshalb sich der Beitrittsprozess entgegen aller Erwartungen immer wieder hinauszögerte und erst nach 18 Jahren abge- schlossen werden konnte. Dazu sollten sowohl innere wie äußere Konfliktverhältnisse be- trachtet und miteinander kontextualisiert werden. Entgegen der Auffassung westlicher Be- obachter, Russland wandele sich unter Putin in eine Autokratie, deren alleiniger Zweck Machterhalt und deren Ideologie ein Rekurs auf überkommene russische Großmachtambi- tionen sei, wurde mit Mitteln des Neogramscianismus dargelegt, dass der Prozess der Ent- scheidungsfindung keineswegs linear ist. Vielmehr mussten verschiedene Elemente und Interessen berücksichtigt werden, um Klassenherrschaft zu garantieren und eine hegemoni- ale Position zum WTO-Beitritt innerhalb des Staates zu formulieren. Und entgegen der Annahmen des neoliberalen Institutionalismus, das vorherrschende Welthandelssystem sei ein auf Wechselseitigkeit gegründeter Zweckverbund zur Beförderung von Wohlstand und Sicherheit aller Beteiligten, wurde ebenso neogramscianisch eingewandt, dass diese Lesart die Hegemonie einer globalen Ordnungsmacht USA verklärt und die geopolitische Realität des Beitrittsverfahrens negiert.

Zum Abschluss soll noch einmal kursorisch auf die in der Arbeitshypothese aufgeworfenen Zusammenhangsvermutungen eingegangen werden. Ich hatte behauptet, dass sich der WTO-Beitritt zunächst mit der innenpolitischen Realität im postsowjetischen Russland konfrontieren muss. Mit Hilfe des Neogramscianismus konnte gezeigt werden, dass die unterschiedlichen Interessen zwischen Regierung und Staatsapparat sich im Laufe der Zeit hinsichtlich der Form des Konfliktaustrags verändert haben. Hatte man es in den 1990er Jahren mit einem von Oligarchen dominierten Transformationsstaat zu tun, in dem politi- sche Institutionen hybrid und die wirtschaftlichen Grundlagen des Landes weitgehend mo- nopolisiert waren, so wandelte sich dieses Bild mit dem Amtsantritt Putins. Der WTO- Beitritt erlangte hohe Priorität und sollte dazu dienen, Russland als global konkurrenzfähi- gen Akteur im internationalen System zu positionieren. Um innenpolitische Konflikte ka- nalisieren zu können, wurde das Verhältnis von Politik und Wirtschaft neu geordnet, fand ein Elitenaustausch statt und intervenierte der Staat in Schlüsselbereichen. Das neu herge- stellte Primat der Politik über die Wirtschaft dokumentierte sich in der Rede von der „sou- veränen Demokratie“, der zufolge Russland seinen Entwicklungsweg autonom, das heißt unbeeinflusst vom Westen, bestimmen sollte. Mit den Worten Gramscis ereignete sich

63

V. Fazit: Russlands WTO-Beitritt zwischen Geopolitik und Hegemonie unter Putin eine passive Revolution , in der die auseinanderdriftenden Interessen zu einem Konsens und also einem historischen Block verbunden wurden.

Diese Erstarkungspolitik veränderte auch die Verhandlungsposition der WTO-Mitglieder, insbesondere der Europäischen Union und den USA, die kein Interesse an einer regionalen Großmacht Russland haben und den Beitritt hinauszögerten. Da grundsätzliche politische Konflikte aber nicht allein über einen Organisationsbeitritt aufgelöst werden können und europäische und amerikanische Unternehmen durchaus auch ein Geschäftsinteresse in Russland vorbringen konnten, diente die Verzögerung der Demonstration von Kräftever- hältnissen. Ein grundsätzliches Veto gegen einen russischen WTO-Beitritt lag überdies nicht im langfristigen Interesse, wollte man doch mit Russland eine der größten Volkswirt- schaften dem WTO-Regime integrieren und somit die Bestandskraft der Organisation ga- rantieren.

Es konnte ferner gezeigt werden, dass diese Verzögerungstaktik in erster Linie geopoliti- schen Interessen geschuldet war; ideologische Differenzen bestehen mit Russland weniger hinsichtlich der Formulierung einer wirtschaftspolitischen Entwicklungsstrategie, denn es Russland selbst ist heute eine kapitalistische Marktwirtschaft mit zwar defekten, aber im Prinzip gleichlautenden Institutionen. Im Gegenteil: die Liberalen innerhalb der Kreml- Faktionen hatten immer wieder hervorgehoben, dass ein WTO-Beitritt auch der aus ihrer Sicht notwendigen Anpassung der Volkswirtschaft an internationale Standards entgegen- kommen würde und diesen über alle Jahre weiterhin befürwortet. Zwar bestehen innerhalb des Staatsapparates Differenzen hinsichtlich der konkreten Methoden, doch wird dieser Entwicklungsweg von nahezu allen Herrschaftseliten in Russland geteilt.

Diese Kongruenz in den Politikzielen verlagert den Konflikt nunmehr auf eine internatio- nale Ebene und zwischen die nationalen Kapitalismusmodelle. Robert Cox hatte darauf hingewiesen, dass es historische und soziale Ursprünge für die konkrete Ausprägung von Produktionsformen gibt. Man kann die Entwicklung des russischen Kapitalismus in diesem Sinne als Beleg für eine eher autoritär forcierte Anpassung an den globalen Handlungskon- text deuten. Ob dies mittel- bis langfristig an der Hegemonialposition der USA rühren kann, bleibt abzuwarten und müsste in jedem Fall mit den Ergebnissen der vergleichenden Kapitalismusforschung kontrastiert werden (z.B. ten Brink 2012; ten Brink/Nölke 2013). Der WTO-Beitritt allein ist dafür kein hinreichender Indikator, zumal derzeit noch nicht absehbar ist, welche Auswirkungen dies für die innere Klassenkonstellation Russlands haben wird und ob sich die Herrschaftselite in der Lage sieht, ihr Projekt passiver Revolu- 64

V. Fazit: Russlands WTO-Beitritt zwischen Geopolitik und Hegemonie tion aufrechtzuerhalten. Von weitaus größerer Bedeutung wird es sein, ob es die BRICS- Staaten verstehen, ihre bisherigen wirtschaftlichen Aufholstrategien zu einem politischen Projekt zu verallgemeinern, dem sich auch weitere Staaten anschließen können und wollen. In jedem Fall wird dieses Projekt auf den gleichen ökonomischen Grundlagen basieren, wie die derzeitige Weltwirtschaftsordnung. Empirisch sollte eine weitergehende Forschung hierfür auch den Quellenfundus auf der Internetplattform Wikileaks systematisch erschlie- ßen. Dies war in der vorliegenden Arbeit aus ökonomischen Gründen nicht möglich. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass sich die Lageeinschätzungen neogramscianischer Theorie daran bestätigen lassen müssen, denn die amerikanischen Botschaftsdepeschen stehen intentional unter dem außenpolitischen Bias der jeweiligen US-Administration.

Es hätte die Reichweite dieser Arbeit strapaziert, künftige Entwicklungsszenarien zu prog- nostizieren. Mit den Mitteln des Neogramscianismus allein wird dies m.E. nicht gelingen können, da direkte militärische Konfrontationen inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden. Und auch wenn die Erhöhung von Rüstungsetats in Russland sowie anderen BRICS-Staaten in erster Linie dazu dient, sich gegenüber den USA kraftvoll zu positionie- ren, so ist zugleich auch klar, dass diese Mittel allein keine ausreichende Grundlage wären, politische Zugewinne erzielen zu können. Machtprojektionen sind kontingent und haben in jedem Fall den Verlust an politisch-moralischer Integrität, aber auch ökonomischen wie technischen Ressourcen zur Bedingung. Und die daraus ableitbare Hegemonie wäre wieder zu ihren neorealistischen Ursprüngen zurückgekehrt.

65

Anhang

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Ç 8 / > 9   íÇh;.  ù$

21.08.1991 Augustputsch wird von Jelzin niedergeschlagen

28.10.1991 Jelzin verkündet dem Volksdeputiertenkongress seine Privatisierungsab- sichten

11.11.1991 Privatisierungsprozess wird durch Gaidar und Tschubais eingeleitet

08.12.1991 Verbot der KPdSU

31.12.1991 Auflösung der Sowjetunion

11.06.1993 Die Russische Föderation beantragt die Mitgliedschaft im GATT

21.09.1993 Verfassungskrise und Auflösung der Staatsduma durch Jelzin

25.12.1993 Verfassung der Russischen Föderation tritt in Kraft

11.12.1994 Eintritt in den Ersten Tschetschenienkrieg

02.06.1995 WTO-Arbeitsgruppe zum Beitritt Russlands konstituiert sich

03.07.1996 Jelzin wird im Amt des Staatspräsidenten bestätigt

03.1997 Finanzkrise in Asien beginnt in Thailand

23.03.1998 Ministerpräsident Tschernomyrdin wird von Jelzin entlassen

27.05.1998 Rubelkrise stürzt Russland in die Rezession

09.08.1999 Putin wird von Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt

01.10.1999 Beginn des Zweiten Tschetschenienkrieges

08.05.2000 Putin wird neuer Staatspräsident Russlands

18.05.2000 Gref wird zum Wirtschaftsminister ernannt; WTO-Beitritt bekommt hohe Priorität

09.2000 Gussinski wird inhaftiert und exiliert kurze Zeit später

10.2000 Beresowski verlässt Russland nach Prozessandrohung

05.2001 Putin tauscht dieFührungsriege des Gazprom -Konzerns durch getreue Technokraten aus

10.2003 Chodorkowski wird inhaftiert; Yukos wird zerschlagen

08.05.2004 Putin wird im Amt des Staatspräsidenten bestätigt

21.05.2004 EU und Russland schließen bilaterales Abkommen über Marktzugang

26.05.2005 Ex-EU-Handelskommissar Lamy wird zum WTO-Generalsekretär gewählt

08.09.2005 Ostseepipeline-Projekt North Stream wird vertraglich beschlossen 66

Anhang

12.2005 Ex-Bundeskanzler Schröder wird Aufsichtsratsmitglied von North Stream

11.2006 USA und Russland schließen bilaterales Abkommen über Marktzugang

07.08.2008 Grenzstreitigkeiten mit Georgien eskalieren zum Kaukasuskrieg 2008; Abbruch diplomatischer Beziehungen, Veto gg. russischen WTO-Beitritt

15.01.2009 Schröder wird Aufsichtsrat beim russischen Ölkonzern TNK-BP

11.2011 Georgien gibt auf Druck der EU und der USA seine Veto-Position auf

17.11.2011 Abschluss der Verhandlungen innerhalb der WTO-Arbeitsgruppe

13.04.2012 Hamburgs Ex-Bürgermeister Voscherau wird Aufsichtsratsvorsitzender im Gazprom -Projekt South Stream

22.08.2012 Russland wird formelles WTO-Mitglied

22.10.2012 Rosneft kauft Anteile von TNK-BP und wird größter Ölkonzern der Welt

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Amtszeit Name Partei von bis Boris Jelzin 10.07.1991 31.12.1999 - Wladimir Putin (kommiss.) 31.12.1999 07.05.2000 Einheit Wladimir Putin 07.05.2000 07.05.2008 Einiges Russland Dmitri Medwedew 07.05.2008 07.05.2012 Einiges Russland Wladimir Putin 07.05.2012 dato Einiges Russland

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Amtszeit Name Partei von bis Boris Jelzin 06.11.1991 15.06.1992 - Jegor Gaidar (kommiss.) 15.06.1992 14.12.1992 - Wiktor Tschernomyrdin 14.12.1992 23.03.1998 Unser Haus Russland Sergei Kirijenko 23.03.1998 23.08.1998 - Wiktor Tschernomyrdin (kommiss.) 23.08.1998 11.09.1998 Unser Haus Russland Jewgeni Primakow 11.09.1998 12.05.1999 - Sergei Stepaschin 12.05.1999 09.08.1999 - Wladimir Putin 09.08.1999 07.05.2000 - Michail Kasjanow 07.05.2000 24.02.2004 - Wiktor Christenko (kommiss.) 24.02.2004 05.03.2004 - Michail Fradkow 05.03.2004 12.09.2007 - Wiktor Subkow 14.09.2007 07.05.2008 - Wladimir Putin 08.05.2008 07.05.2012 Einiges Russland Dmitri Medwedew 08.05.2012 dato Einiges Russland

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Anhang Ç @ ë 5 5 Y;C(  í  {+  5$

Ideologie Präsident Personen Hintergrund Nexus

Kremlfamilie Paternalistisch- T. Jelzin Familie  oligarchisch: A. Korschakow Leibgarde KGB Beeinflussung des Jelzin (1991-1999) politischen Prozesses B. Beresowski Oligarchie Sibneft; OTV zur Wahrung von A. Woloschin Präsidialverwaltung  Sonderinteressen W. Potanin Regierung/Oligarchie Interros; Norilsk Nikel B. Gryslow Parteiapparat Einiges Russland Putin/Medwedew/Putin I. Schuwalow Präsidialverwaltung  (ab 2000) W. Subkow Regierung Gazprom O. Deripaska Oligarchie Basic Element; Rusal Silowiki Nationalistisch- J. Primakow KGB; Regierung Russische Industrie- und bürokratisch: Jelzin (1991-1999) Handelskammer Sicherung staatlicher R. Nurgalijew  Integrität nach Innen KGB; FSB; Regierung und Außen I. Setschin KGB Rosneft S. Iwanow KGB; FSB United Aviaton Putin/Medwedew/Putin  (ab 2000) N. Patruschew KGB; FSB S. Schoigu Militär; Regierung Einiges Russland A. Serdjukow Regierung Rostech Liberale Liberal- J. Gaidar Regierung  technokratisch: Jelzin (1991-1999) A. Tschubais Präsidialverwaltung Rusnano Neoliberale Refor- S. Kirijenko men in Politik und Regierung Rosatom Wirtschaft G. Gref Regierung Sberbank D. Medwedew Regierung Gazprom Putin/Medwedew/Putin  (ab 2000) A. Kudrin Regierung A. Tschubais Verwaltung Rusnano A. Miller Verwaltung Gazprom Quellen: Goldman 2010; Pirani 2010; Sakwa 2011

Anhang Ç # I (  a(  !@# )$

Weltmacht Gründungskonflikt Legitimationsgrundlage Institutionelle Innovationen Anzeichen für Abstieg

Portugal Italienische Kriege (1494- Vertrag von Tordesillas Entdeckungsfahrten Spanische Annexion (1580) 1517) (1494) Globales Netzwerk von Au- Religionskriege ßenposten „Souveränität“ (1576) „Carreira de India“ Handelshafen Antwerpen Vereinigte Provinzen der Spanische Kriege (1579- 1609. 12-jährige Fehde mit „Mare librum“, Freihandel, Kriege mit England Niederlande 1609) (Holländischer Unab- Spanien Bank von Amsterdam, Börse, Krieg mit Frankreich (1672- hängigkeitskrieg) Getreidehandel, Vereinigte 78) Ostindien Gesellschaft Englische Revolution Großbritannien (erstens) Französische Kriege (1688- 1713. Vertrag von Utrecht Nautik Unabhängigkeit der Vereinig- 1713) (Louis XIV) Europäische Kräftebalance ten Staaten von Amerika Indirekte Kontrolle des Welt- Teilung Polens handels Französische Revolution Bank von England, Staatsver- schuldung Großbritannien (zweitens) Revolutionskriege (1792- 1814-15. Paris, Wien Schifffahrt: Antisklaverei Englisch-deutsche Kriegsma- 1815) Freihandel: Goldstandard rine Industrielle Revolution Imperialismus Unabhängigkeit Lateinameri- Russische Revolution kas Große Depression „Öffnung“ Chinas und Indi- ens USA Erster und Zweiter Weltkrieg 1919. Versailles Vereinte Nationen (1914-18, 1939-45) 1945. Jalta, San Francisco, Strategische Nuklearabschre- Potsdam ckung Multinationale Konzerne Dekolonisation Weltraumfahrt

Ç ! Ü(  w  D56w(  ) 22$  ã$

Umsatz Beschäftigte Mrd. Rubel) Nr. Name Unternehmen Sektor absolut % absolut %

Base Element Aluminiumindustrie (Metallurgie) 1 Oleg Deripaska 169 3,9 65 1,3 RusAl Automobilindustrie Milhouse Öl (Energieindustrie) 2 Roman Abramowitsch 169 3,9 203 3,9 Sibneft Öl (Energieindustrie) 3 Wladimir Kadannikow AutoVAZ Automobilindustrie 167 3,9 112 2,2 Sergei Popow Kohle (Energieindustrie) 4 Andrei MelnischenkoMDM Pipeline (Energieinfrastruktur) 143 3,3 70 1,4 Dmitri Pumpianski Chemie 5 Wagit Alekperow Öl (Energieindustrie) 137 3,2 475 9,2 Stahlindustrie (Metallurgie); 6 Alexei Mordaschow Severstal 122 2,8 78 1,5 Automobilindustrie Wladimir Potanin Interros; 7 Metallurgie 112 2,6 137 2,6 Michail Prochorow Norils Nickel 8 Alexander Abramow Evrazholding Stahlindustrie (Metallurgie) 101 2,3 52 1 Len BlawatnikAccess-Renova; Aluminiumindustrie (Metallurgie) 9 94 2,2 121 2,3 Wiktor WechselbergTNK-BP Öl (Energieindustrie) Menatep Kreditwirtschaft (Finanzindustrie) 10 Michail Chodorkowski 93 2,2 149 2,39 Yukos Öl (Energieindustrie) 11 Iskander Machmudow UGMK Metallurgie 75 1,7 33 0,6 12 Wladimir Bogdanow Surgutneftegaz Öl (Energieindustrie) 65 1,5 163 3,1 13 Wiktor Raschnikow Magnitogorsk Steel Stahlindustrie (Metallurgie) 57 1,3 57 1,1 14 Igor Zyuzin Stahl- und Energieindustrie 54 1,3 31 0,6 15 Wladimir Lisin Stahlindustrie (Metallurgie) 47 1,1 39 0,8 Sachar Smuschkin 16 Boris Singarewitsch IlimPulpEnterprises Holzindustrie 42 1 20 0,4 Michail Singarewitsch 17 Shafagat Tahaudinow Tatneft Öl (Energieindustrie) 41 1 41 0,8 Alfa-Group Finanzindustrie 18 Michail Fridman 38 0,9 107 2,1 TNK-BP* Öl (Energieindustrie) 19 Boris Iwanischwili Erz (Metallurgie) 36 0,8 15 0,3 20 Kacha Bendukidse United Machinery Maschinenbau 35 0,8 10 0,2 Sistema 21 Wladimir Jewtuschenkow Telekommunikation 20 0,5 27 0,5 MTS David Jakobaschwili 22 Michail Dubinin WimmBillDann Lebensmittelindustrie 13 0,3 20 0,4 Sergei Plastinin TOTAL 1830 42,5 2025 38,7

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Anhang

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Umsatz Profit Anlagen Marktwert Rang Unternehmen Wirtschaftszweig (Mrd. (Mrd. (Mrd. (Mrd. USD) USD) USD) USD) 17 Gazprom Energie 144,0 40,6 339,3 111,4 59 Rosneft Energie 68,8 11,2 126,3 73,2 61 Sberbank Kreditwirtschaft 36,1 10,8 441,1 73,3 64 Lukoil Energie 116,3 11,0 99,0 55,4 159 TNK-BP Holding* Energie 43,3 7,6 43,3 33,0 187 Surgutneftegaz Energie 23,4 7,2 51,4 33,7 233 VTB Bank Kreditwirtschaft 16,1 2,8 210,0 18,9 385 Metallurgie 12,8 3,3 18,8 32,9 484 Tatneft Energie 13,0 2,1 19,5 14,8 547 Transneft Energie 20,8 5,8 57,8 3,6 578 Energie 6,9 2,3 15,1 31,3 647 Rostelecom Telekommunikation 10,4 1,1 17,7 11,3 657 Inter Rao Energie 18,8 1,2 16,6 7,2 696 MegaFon Telekommunikation 8,8 1,2 11,5 17,6 706 RusHydro Energie 11,3 1,0 25,3 6,9 713 Novolipetsk Steel Metallurgie 12,2 0,6 18,5 10,7 725 Severstal Metallurgie 14,1 0,8 15,7 8,7 759 Magnit Einzelhandel 14,4 0,8 5,5 18,8 790 Sistema Telekommunikation u.a. 30,0 0,2 43,7 8,1 797 IDGC Holding Kreditwirtschaft 19,7 0,7 27,3 2,6 821 Federal Grid of UES Energie 4,3 1,5 36,2 7,2 884 Uralkali Chemie 3,2 1,1 12,7 22,8 978 Mechel Bergbau 11,4 0,7 19,3 2,2 1022 UC Rusal Metallurgie 11,0 -0,1 25,5 8,1 1168 Alrosa Bergbau 4,7 0,9 10,0 7,7 1475 Nomos Bank Kreditwirtschaft 2,7 0,4 29,4 2,6 1509 Einzelhandel 15,8 -0,1 9,6 5,0 1596 Magnitogorsk Iron & Steel Metallurgie 8,5 -0,1 16,2 3,3 1761 PhosAgro Agrarindustrie 3,1 0,6 3,4 5,5

1974 Aeroflot-Russia Airlines Luftfahrt 4,9 0,5 5,2 1,9

Quelle: Forbes, The World’s Bigges Public Companies, online unter: http://www.forbes.com/global2000/list/#page:1_sort:0_direction:asc_search:_filter:All%20industries_filter:Russia_fil ter:All%20states (zuletzt: 19.01.2014)

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Anhang

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Forbes- Vermögen Nr. Name Alter Branche Rang in Mrd. USD 1 34 Alisher Usmanow 17,6 60 Stahl; Telekommunikation; Finanzinvestitionen 2 41 Michail Fridman* 16,5 49 Ölindustrie; Bankwirtschaft; Telekommunikation 3 47 Leonid Michelson 15,4 58 Gasindustrie; Chemie 4 52 Wiktor Wechselberg 15,1 56 Ölindustrie; Metallurgie 5 55 Wagit Alekperow 14,8 63 Ölindustrie 6 56 Andrei Melnischenko 14,4 41 Kohle; Düngemittel 7 58 Wladimir Potanin* 14,3 52 Metallurgie 8 62 Wladimir Lisin 14,1 57 Stahl; Transportwesen 9 62 Gennadi Timschenko 14,1 61 Öl- und Gasindustrie 10 69 Michail Prochorow 13,0 48 Finanzinvestitionen 11 73 Alexei Mordaschow 12,8 48 Stahl; Finanzinvestitionen 12 103 10,5 52 Ölindustrie; Bankwirtschaft; Telekommunikation 13 107 Roman Abramowitsch 10,2 47 Stahl; Finanzinvestitionen 14 119 Dmitri Rybolowlew 9,1 47 Düngemittel 15 123 Iskander Machmudow 8,7 50 Bergbau; Metallurgie; Maschinenbau 16 131 Oleg Deripaska 8,5 45 Aluminium; Werkzeuge 17 138 Sergei Galitsky 8,2 46 Einzelhandel 18 138 Alexei Kuzmichew 8,2 51 Ölindustrie, Bankwirtschaft; Telekommunikation 19 150 Andrei Skoch 7,9 47 Stahl 20 162 Leonid Fedun 7,1 57 Ölindustrie 21 175 Suleiman Kerimow 7,1 47 Finanzinvestitionen 22 175 Filaret Galchew 6,7 50 Bauindustrie 23 210 Wladimir Jewtuschenkow 6,7 65 Telekommunikation 24 225 Sergei Popow 5,8 42 Bankwirtschaft 25 272 Pjotr Awen* 5,4 58 Ölindustrie; Bankwirtschaft; Telekommunikation 26 308 Alexander Abramaow 4,6 54 Stahl; Bergbau 27 329 Wiktor Raschnikow 4,2 65 Stahl 28 353 Andrei Guriew 4,0 53 Düngemittel 29 412 Samwel Karapetjan 3,8 48 Entwicklung 30 423 Alexander Nesis 3,3 51 Metallurgie; Bankwirtschaft; Düngemittel 31 423 Arkadi Rotenberg 3,3 62 Bauindustrie; Pipelines; Bankwirtschaft 32 458 Wladimir Bogdanow 3,2 62 Ölindustrie 33 458 Dmitri Mazepin 3,2 45 Chemie 34 458 Michail Gutseriew 3,0 55 Ölindustrie; Immobilien 35 458 Zarach Iliew 3,0 47 Immobilien 36 490 Lew Kwetnoi 3,0 48 Baustoffe; Flughafen 37 503 God Nisanow 3,0 41 Immobilien 38 554 Wassili Anisimow 2,9 62 Metallurgie; Immobilien 39 589 Alexander Swetakow 2,8 45 Bankwirtschaft; Immobilien 40 613 Nikolai Swetkow 2,6 53 Bankwirtschaft 41 641 Ziyad Manasir 2,5 48 Bauindustrie 42 641 Vjacheslav Kantor 2,4 60 Düngemittel; Immobilien 43 670 Danil Khachaturow 2,4 42 Versicherungen; Bankwirtschaft; Immobilien 44 670 Alexander Dzhaparidze 2,3 58 Ölindustrie 45 704 2,3 53 Finanzinvestitionen 46 704 Viktor Nusenkis 2,2 59 Kohle; Metallurgie 47 736 Dmitri Pumpjanski 2,2 49 Infrastruktur 48 736 Vadim Moschkowitsch 2,1 46 Agrarindustrie; Entwicklung 49 792 Alexander Ponomarenko 2,1 49 Hafenwirtschaft 50 792 Alexander Skorobogatko 2,1 49 Hafenwirtschaft TOTAL 344,7 - SCHNITT 28,7 52,2

Lesehinweis: *ehemalige „Bankbarone“; hell unterlegt: bekannte Oligarchen

Quelle: Forbes, The World’s 2013, online unter: http://www.forbes.com/billionaires/#page:1_sort:0_direction:asc_search:_filter:All%20industries_filter:Russia_filter: All%20states (zuletzt: 19.01.2014)

72

Anhang

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Quelle: IWF, World Economic Outlook (zuletzt: 17.01.2014)

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Quelle: Bank of Russia, Russian Federation: Crude Oil Exports, 2000-13; online unter: http://www.cbr.ru/Eng/statistics/print.aspx?file=credit_statistics/crude_oil_e.htm&pid=svs&sid=vt1 (zuletzt: 17.01.2014)

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Quelle: Bank of Russia, Russian Federation: Exports, 2000-13; online unter: http://www.cbr.ru/Eng/statistics/print.aspx?file=credit_statistics/gas_e.htm&pid=svs&sid=vt3 (zuletzt: 17.01.2014)

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Quelle: SIPRI, Arms Transfer Database, online unter: http://portal.sipri.org/publications/pages/transfer/trade-register (zuletzt: 17.01.2014)

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Quelle: SIPRI, Arms Transfer Database, online unter: http://portal.sipri.org/publications/pages/transfer/trade-register (zuletzt: 17.01.2014)

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Lesehinweis: Eine hohe Korruptionswahrnehmung geht einher mit starken politischen Rechten, umgekehrt bedeutet dies im Falle Russlands eine niedrige Korruptionswahrnehmung und entsprechend gering ausgeprägte politische Rechte; Finnland führt das Ranking, Somalia bildet das Schlusslicht. Quelle: Freedom House, Freedom in the World 2013: Democtratic Breakthroughs in the Balance, online unter: http://www.freedomhouse.org/sites/default/files/FIW%202013%20Charts%20and%20Graphs%20for%20Web_0.pdf (zuletzt: 18.01.2013); Transparancy International, Corruption Percep- tions Index 2013; online unter: http://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2400.0.html (zuletzt: 18.01.2014)

Endnoten

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1. In seiner Ansprache an die Bundesversammlung vom 18.04.2002; vgl. Putin 2002. 2. Man rechnet mit einem möglichen Wirtschaftswachstum von 3,7 bis 11 Prozent zwischen 2016 und 2021 (ebd.). 3. Per definitionem sind gescheiterte Staaten nicht in der Lage, innerhalb des Landes ihr Gewaltmonopol durch- zusetzen und die Integrität des Staatsterritoriums nach außen hin angemessen zu schützen. Elemente eines ge- scheiterten Staates sind überdies defekte politische und wirtschaftliche Institutionen, die ein Mindestmaß an politischer Sicherheit und Ordnung gewähren, Legitimitätsverlust der Herrschaft und innenpolitische Konflik- te (vgl. Nuscheler 2005: 416.) 4. Der mit Veruntreuungsvorwürfen belastete Jelzin sicherte Putin den Aufstieg ins Amt des Ministerpräsidenten zu, währenddessen Putin garantierte, dass sich Jelzin keiner Strafverfolgung aussetzen musste und den Kreml unbeschadet verlassen konnte. 5. Hierfür seien laut Forbes -Redakteurin Howard vier Kriterien ausschlaggebend: die Macht über eine bestimm- te Anzahl an Menschen, die wirtschaftliche Leistungsstärke des regierten Landes, die Reichweite des eigenen Netzwerks sowie die bewusste Nutzung dieser Macht, demonstriert in Symbolpolitik wie beispielsweise die Aufnahme Snowdens in Moskau (vgl. Tab. 10, 11). 6. Der Fall Syrien liegt komplexer, veranschaulicht aber dennoch gut das neue Konfliktverhältnis zwischen den USA und Russland, denn obwohl ein Waffengang der Amerikaner und Verbündeter gegen das Assad-Regime durch Russlands Intervention verhindert werden konnte, verfolgen beide Staaten eigene Interessen; der Kampfplatz Syrien ist daher eher eine Neuauflage alter Nebenkriegsschauplätze, denn der Beginn einer neuen Offensive der Diplomatie (s. dazu Kapitel IV.4). 7. So soll die Orange Revolution in der Ukraine anno 2004 vom CIA finanziell und organisatorisch unterstützt worden sein (vgl. Lane 2008b: 546). Der damals gestürzte und heute wieder amtierende Staatspräsident Janu- kowitsch gilt als Vertrauter Moskaus. 8. Oder im Englischen als End of History , jene Monographie, die weit über die Politikwissenschaft hinaus meta- phorischen Charakter errang und nicht nur konservativen Denkern als Erklärungsfolie diente. 9. Eine Debatte, die vor allem im Bereich der Globalisierungskritik gegen die ökonomische Standardtheorie des Neoliberalismus eingewandt und am Beispiel der weltweiten Finanz- und Schuldenkrise 2007ff. als Kritik an den installierten Austeritätsprogrammen der Regierungen pointiert aktualisiert wird (Blyth 2012; Streeck 2013: 79—80; 92). 10. Lauth et al. (2009: 63) sprechen hier von „repräsentativen Fallstudien“, die Hypothesen prüfen, welche zuvor aus „allgemeingültigen Theorien heraus“ entwickelt wurden (ebd.; vgl. auch Lauth/Winkler 2006: 51). 11. Entsprechende Motivationen zur Forschung mit Wikileaks -Material kann ich zurzeit nicht erkennen. 12. M.E. kann man eine „Enthüllungsplattform“ durchaus als Nichtregierungsorganisation einstufen, da sie ähnli- che Ziele teilen wie beispielsweise Oxfam oder Transparency International , kurzum als zivilgesellschaftlicher Akteur Kritik an offizieller Regierungspolitik üben. 13. Dies schließt die Frage ein, ob es ein Instrument politischer Taktik ist, gezielt Informationen an die Öffent- lichkeit zu lancieren, um Skandale zu erzeugen, strukturelle Prozesse von Macht und Herrschaft zu personali- sieren und entpolitisieren und damit Aufmerksamkeit zu binden. Ein Mittel, das durchaus im Rahmen der po- litischen Kommunikation anerkannt wird. Murray Edelman spricht von „symbolischer Politik“ (Edelman 2005: 18ff.), Chomsky und Herman schlicht von „Propaganda“ (vgl. Krüger 2013: 55ff.). 14. Dies schließt nicht aus, dass wirtschaftsliberale Argumente ebenfalls in die Beratung mit eingeflossen sind. Doch auch wenn der Grundgedanke des amerikanisch-britisch-geprägten Systems von Bretton-Woods im Freihandel lag, so kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass protektionistische und wirtschaftsnationale Maßnahmen trotzdem insbesondere durch die USA angewandt wurden, um ihre wirtschaftliche Dominanz weiterhin garantieren zu können. Liberalisierungsschritte erfolgten später in dem Maße, wie es die USA im Sinne ihrer außenwirtschaftlichen Interessen für erforderlichen hielten. 15. Agenda-Setting ist ein Begriff aus der Politikfeldanalyse und der Analyse politischer Prozesse, derzufolge bei der Thematisierung politischer Probleme bereits mit der Bestimmung der Tagesordnung in Debatten und An- hörungen, kurzum in der Organisation der Entscheidungsfindung eine Grundlage, für spätere Politiken ( poli- cies ) gelegt wird (vgl. Easton 1957; McCombs/Shaw 1972). 16. Einerseits durch einen potenziell wachsenden Rüstungsetat, der eine Spirale der Wettrüstung und damit ein- hergehend eine Potenzierung an Massenvernichtungswaffen und anderen Kampfmitteln herbeiführte, was wiederum auf das jeweilige Drohpotenzial und die mögliche Abschreckung des Gegners rückwirkte. Anderer- seits durch die Verwicklung in Kriege, Interventionen und verdeckte Operationen in Staaten oder Gebieten, die unter dem vermeintlichen oder tatsächlichen Einfluss des Gegners standen (z.B. Korea, Kuba, Vietnam,

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Endnoten

Afghanistan usf.), was wiederum als eigener Einflussverlust wahrgenommen wurde. Staaten sollten sich je- weils verschiedenen militärischen Blöcken integrieren lassen (NATO vs. Warschauer Pakt). 17. Durch die Gewähr von Wirtschaftshilfe (Marshallplan, OECD) und die Integration in das Weltfinanz- und - handelssystem (GATT, IWF) und als Folge darauf die Bildung von Gegenblöcken (RGW). 18. Durch die Konfrontation zweier diametraler politischer Ideologien (Liberalismus vs. Marxismus-Leninismus) und ihnen korrespondierender Lebensstile (Autonomie und Hedonismus vs. Kollektivismus und Solidarität), die je für sich Normalitäts- und Konformitätszwänge nach innen und außen beförderten (Stöver 2007: 247— 288). 19. Kindleberger war selbst lange Zeit in US-Regierungsbehörden tätig und in den 1940er Jahren Berater bei der Umsetzung von Marshallplanhilfen in Europa (Kindleberger 1973). 20. Führung und Verantwortung werden bei Kindleberger gleichgesetzt, obwohl daraus zwangsläufig Gewinner und Verlierer und im „besten“ Fall ein prädominanter Gewinner (USA) und viele Teilhabende resultierten, die an der vom Hegemon etablierten Ordnung mitwirken, diese aber nicht hinterfragen konnten (vgl. Norrlof 2010: 31); eine zumindest affirmative Gleichsetzung von Gemeinwohl und Interesse. 21. Da es sich um eine primär von Wirtschaftshistorikern angeleitete Debatte handelte, wurden für historische Epochen korrespondierende Hegemonialmächte rekonstruiert, an deren chronologischem Ende die USA stan- den (vgl. dazu Tab. 8 im Anhang). 22. Der Realismus wandelte sich in dieser Zeit zum Neorealismus, einem Rubrum für diverse Ansätze, zu denen auch der ökonomische sowie der strukturelle Realismus zählten. Ihm gegenüber positionierte sich die Interde- penztheorie, die von wachsender Verflechtung internationaler Politik ausging und Kooperation unter Auflagen befürwortete. Beide Debattenstränge mündeten schließlich in der Ausarbeitung der Regimetheorie zählten (Menzel 2001: 172ff.). 23. So favorisiert ein Großteil neorealistischer und neoinstitutionalistischer Analysen die Verhaltensmodellierung der Theorie rationalen Handelns, derzufolge Individuen ihre Handlungen nach Nutzenkriterien abwägen und sich rein strategisch verhalten (Cohn 2012: 54; Menzel 2001: 109). 24. Spätestens mit dem Ende der Sowjetunion und der einsetzenden Transformationsphase galt auch die These vom amerikanischen Hegemonieverlust als obsolet, wurde doch der Westen als siegreiches System auserkoren und gleichsam das „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) ausgerufen, Samuel Huntington (1993) und Zbigniew Brzezinski (1999) vertraten schließlich die These, die USA seien die letzte verbliebene Supermacht (Menzel 2001: 61; 202). Wie sollte sich dies mit einem angeblichen Verlust von Hegemonie vereinbaren lassen? In der Folge wandte man sich innerhalb der IB neuen Fragen von Globalisierung der Weltwirtschaft bis hin zur Be- kämpfung des internationalen Terrorismus zu. An einer amerikanischen Hegemonie konnte seinerzeit nicht mehr gezweifelt werden, auch wenn der Aufstieg Chinas bereits als neues sicherheitspolitisches Risiko disku- tiert wurde (ebd.). 25. Bezogen auf die US-Wirtschaftsleistung konnten ab Mitte der 70er Jahre ein relevanter Rückgang im Außen- handel und drastische Verluste im Staatshaushalt festgestellt werden (Bieling 2007: 97); einerseits erwiesen sich die USA als anfällig für Preissteigerung bei den Primärenergieträgern wie Öl und Gas, ferner führte der anwachsende Militäretat sowie die Ausgaben im Zuge des Vietnamkrieges zu steigenden Staatsschulden. In Japan setzte sich mit dem „Toyotismus“ ein Gegenmodell zum amerikanischen Fordismus durch, Ostasien und Europa werteten ihre Währungen gegenüber dem US-Dollar auf, sodass sich auch die amerikanischen Staatsschulden global weitaus weniger rentierten und in Kreditbilanzverlusten niederschlugen (ebd.: 95). 26. Regulationsmodelle beschreiben ähnlich dem Begriff des „Regimes“ politökonomische Ordnungsbeziehun- gen, die eine spezifische Produktionsweise charakterisieren; er geht zusammen mit dem Begriff des „Akku- mulationsregimes“ auf die französische Regulationsschule zurück (ten Brink 2008a: 149; Behrens et al. 2005: 63ff.), die hier nicht weiter diskutiert wird. 27. Die Fähigkeit, Rechnungen in US-Dollar global fakturieren zu lassen und die eigene Währung als internatio- nal anerkanntes Kreditmittel einzusetzen, wird von Eichengreen (2011: 45) als „exorbitant privilege“, also au- ßerordentlisches Privileg der USA beschrieben, die damit im Bereich der Währungskonkurrenz eine Füh- rungsposition einnehmen und sich überdies als unbeschränkter Kreditnehmer verhalten können (vgl. auch Norrlof 2010: 3). 28. In der Forschungsliteratur wird darauf hingewiesen, dass Gramsci selbst nur einen begrenzten Teil der Marx- schen Werke rezipieren konnte, darunter beispielsweise nicht die für die spätere Kritische Theorie und den Neomarxismus so zentralen Frühschriften (vgl. Farrands/Worth 2005: 48f.; Rehmann 2008: 83). 29. So versuchte zum Beispiel Jürgen Habermas Mitte der 70er Jahre einen eigenständigen Beitrag im Rahmen der Renaissance marxistischer Theorie an den Hochschulen zu leisten, wenn er schwindende Massenloyalität als Grund für „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“ (1973) ausmacht; vgl. dazu auch Offe (1971). 30. In gewisser Hinsicht liegt hier eine Nähe zur weitaus später von der neoinstitutionalistisch informierten Governance-Lehre vorgetragenen Idee einer „Global Governance“, die mit einer „Good Governance“, also ei- ner technisch wie praktischen guten Regierungspraxis gleichgesetzt wird und den politischen Streit hinter ei- ner Politik als Verwaltung zurücktreten lässt. Zur affirmativen Kritik der Gleichsetzung von „guter Herr- schaft“ und den Ordnungsinteressen der Weltmacht USA: Norrlof 2011: 13f.

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Endnoten

31. Interessanterweise stellt Gramsci hier auch auf einen neuartigen politischen Herrschaftsstil ab, den er in An- lehnung an Marx‘ Bonarpartismuskonzept, „Cäsarismus“ nennt und der beispielhaft auf die Vorherrschaft Bismarcks während des „Kulturkampfes“ angewandt werden kann (Cox 1983: 166), aber auch Analysen des Politikstils Putins anleitet (z.B. Mommsen 2004: 134; Worth 2009). 32. Wiederum ein Begriff, der der politischen Realität Italiens vor Machtübernahme durch die Faschisten ent- springt und im Kern besagt, dass politische Parteiendifferenz im parlamentarischen Betrieb nivelliert werden soll (Cox 1983: 166). Es wird sich zeigen, dass politische Parteien in Russland seit der Systemtransformation mehrheitlich nur zu dem Zweck der Machtbeschaffung direkt vom Kreml gegründet worden sind und sich po- litische Differenzen jenseits der Kommunisten und Rechtsextremen in Form zentristischer, kremlnaher Partei- en auflösen sollen. Einiges Russland , die Präsidentenpartei übernimmt dabei zugleich ähnliche Funktionen wie ehemalige Einheits- und Kaderparteien, die als politische Organisationen der Massenintegration fungier- ten. 33. Weltordnungspolitik ist mehr als bloße Raumordnungspolitik (z.B. durch stete Integration von Teilstaaten in einen Verbund; Kontrolle von Schifffahrtswegen usw.), sondern die Durchsetzung einer bestimmten politi- schen Ideologie auf internationaler und globaler Ebene. Hierzu können dann im Einzelnen geopolitische, geoökonomische und geostrategische Erwägungen gehören. 34. In seiner jährlichen Ansprache an die Staatsduma vom 25.04.2005; vgl. Putin 2005 35. Unter ihnen die Menatep -Bank (1989) von Michail Chodorkowski, die den Grundstein für den Aufbau des späteren Öl-Konzerns Yukos bildete; ferner die von Wladimir Gussinski gegründete Most -Bank (1989) (Pirani 2010: 17f.). 36. Neben den USA engagierte sich in der Frühphase der Systemtransformation vor allem die Bundesrepublik Deutschland mit Wirtschaftshilfen und Politikberatung auch vor dem Hintergrund der politischen Wende in Deutschland und der in weiten Teilen der politischen Eliten angestrebten Wiedervereinigung (vgl. Bierling 1998). 37. Bei dem Versuch, sich im durch Jelzin eigenmächtig aufgelösten Deputiertenkongress zu verschanzen und bis zuletzt am Abgeordnetenmandat festzuhalten, kam es unter Einsatz von Jelzin-orientiertem Militär zu hunder- ten Todes- und Verletztenfällen; das Weiße Haus , Sitz der Kammer, geriet unter Granatbeschuss. 38. Innerhalb der Literatur wird darüber gestritten, ob die realen Folgen der Wirtschaftsreformen tatsächlich in der Agenda des Washingtoner Konsens gesucht werden müssen oder ob es nicht am Reformwiderstand der Nomenklatura und der neuen Oligarchen ebenso wie des organisierten Verbrechens lag, deren private Berei- cherung und Machtsicherung die Etablierung „funktionierender“ Märkte verhinderte. Mit den Worten Åslunds (2007: 125): „Ordinary Russians wanted systemic change and they realized that hardship was inevitable, but the Russian government did not reform fast enough.” (vgl. ferner Åslund 2007: 111; Robinson 2013: 29) . Wie Pirani (2010: 38) anmerkt, liegt darin auch eine Diskursstrategie westlicher Beobachter, die Ziele neoli- beraler „Schocktherapie“ auf kulturelle Faktoren wie eine angeblich fortwirkende „sowjetische Mentalität“ zurückführen und also das Prinzip eines idealen Kapitalismus unhinterfragt zu lassen (vgl. hierzu Mommsen 2004, die von einem homo sovieticus spricht). Zwar ist von involvierten Personen wie Gaidar und Tschubais auf russischer und J. Sachs, A. Åslund oder J. Blasi et al. auf westlicher Seite eine interessierte Lesart neolibe- raler Reformen schon allein aufgrund ihrer persönlichen Verantwortung nachvollziehbar: diese muss sich al- lerdings als ideologisch erweisen, wenn es um die wissenschaftliche Analyse von Reformagenden geht. 39. Bis zu seiner Auflösung Ende 1993 bildete der Volksdeputiertenkongress das parlamentarische Gegengewicht zum Präsidenten, da er mehrheitlich in kommunistischer Hand war. 40. Nach der Standardtheorie Lipsets (1959) erfüllt ein politisches System dann die ihm obliegenden Legitima- tionsfunktionen, wenn es gesellschaftliche Strukturkonflikte (zwischen Kirche und Staat; Staat und Land; Ka- pital und Arbeit) lösen und die unterschiedlichen sozialen Klassen weitgehend ins Gesellschaftssystem integ- rieren kann. Eine hohe sozioökonomische Entwicklung bietet so die erforderliche Grundlage einer nachhalti- gen Demokratisierung (ebd.: 83). Lipset setzt hierbei die marktwirtschaftlichen Systeme des Westens als Bei- spiele für eine gelungene Demokratisierung voraus. Für das postsowjetische Russland kann Lipset auf negati- ve Weise bestätigt werden: die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich kontinuierlich, in gleichem Maße stiegen die Legitimationsdefizite der Herrschaft, die 1996 in der faktischen Machtübernahme einzelner Oli- garchen mündete. Der Prosperitätszyklus unter Putin wiederum basierte nicht auf einem genuin demokrati- schen Konsens, sondern förderte autoritative Tendenzen, bestätigte ein defektes Parteiensystem und begrenzte den Aktionsradius der Zivilgesellschaft auf ein toleriertes Minimum, sodass zentrale Thesen Lipsets nicht mehr greifen, will man nicht die Anforderungen an eine reale Demokratie auf ein Minimum begrenzen wie es Schmidt (2008: 414) tut, um die Modernisierungstheorie für weiterhin geeignet zu postulieren. 41. Merkel (2010: 103) definiert in seinem Standardwerk das heutige Russland als „defekte Demokratie“, da zwar ein Wahlsystem bestehe, Rechtstaatlichkeit hingegen eingeschränkt sei. Politökonomische Faktoren blendet er hingegen aus und führt sie nur als Bestandteil unterschiedlicher Transformationstheorien an; die Rolle von Eliten wird im Gegensatz zu Cox affirmativ hervorgehoben: als Promotoren des Systemwandels. Zum implizi- ten Positivismus dieser Definition siehe Kapitel 2. 42. Der Einfluss von Wirtschaftslobbies auf den politischen Betrieb, die Verflechtung hochrangiger Politiker und Beamter mit dem Wirtschaftssystem und die Frage individueller Bereicherung sind natürlich nicht allein

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Endnoten

Streitfrage innerhalb Russlands, sondern aller politischer Systeme weltweit; die Diskussion um etwaige „Postdemokratie“ im Sinne Colin Crouchs und einer nach Erfordernissen kapitalistischer Märkte organisierten Demokratie hat dies zuletzt auf die Forschungsagenda gesetzt (vgl. Streeck 2013: 235ff.). Im Falle Russlands jedoch kann weder von einer konsolidierten Demokratie, noch einer punktuellen Interessenkollission gespro- chen werden, wird doch unterstellt, dass der Staatsapparat grosso modo mit wirtschaftlichen Interessen ver- bandelt ist. 43. Der Begriff des Doppelstaats wurde ursprünglich von Ernst Fraenkel eingeführt und diente der Analyse des nationalsozialistischen Regimes; Fraenkel unterschied zwischen einem Normenstaat, der gemäß verfassten Rechts agiert und einem extra-konstitutionellen Maßnahmenstaat, der Willkürmaßnahmen als Bestandteil sei- nes Handlungsspielraums vollführte: „Wer nicht die Augen vor der Realität der Verwaltungs- und Justizpra- xis der Hitlerdiktatur verschloß, mußte von dem frivolen Zynismus betroffen sein, mit dem Staat und Partei für weite Lebensbereiche die Geltung der Rechtsordnung in Frage stellten und gleichzeitig mit bürokratischer Exaktheit in anders bewerteten Situationen die gleiche Rechtsvorschrift angewandt haben.“ (Fraenkel 1984 [1940]: 13). Zwar ist eine Übertragung dieses Begriffs auf das heutige Russland nicht mehr als eine heuristi- sche Vereinfachung, er erlaubt allerdings das direkte Nebeneinander von Recht und Gesetz und Willkürherr- schaft zu beleuchten, das in Russland durch die Praxis politischer Justiz durchaus gegeben ist (vgl. Simon 2011: 686). 44. Der Gazprom -Konzern war bereits 1989 direkt aus dem sowjetischen Ministerium für Gasindustrie hervorge- gangen und also ein Paradebeispiel für die unmittelbare Privatisierung von Staatseigentum; der damals zu- ständige Minister und Angehörige der Nomenklatur Wiktor Tschernomyrdin wurde ab 1992 Vorstandsvorsit- zender, und dies parallel zu seinem Amt als Ministerpräsident unter Jelzin. Mit dem Amtsantritt Putins, wurde die Konzernführung durch getreue Technokraten wie Alexei Miller oder auch Dmitri Medwedew ausge- tauscht; Tschernomyrdin hingegen auf den Botschafterposten in der Ukraine abgeschoben. 45. Für den Begriff Silowiki bzw. Silowik im Singular, gibt es keine direkte deutsche Entsprechung. Im Russi- schen wird dies in Anlehnung an die Rekrutierung der Gruppenmitglieder aus eher „harten“ Staatsapparaten mit „Macht“ oder „Stärke“ übersetzt (Bremmer/Charap 2006). 46. Die Tochter Jelzins, Tatjana Jelzin soll ein enges Verhältnis zu Beresowski, einem der Oligarchen, unterhalten haben; ihr wurde ab Mitte der 90er Jahre maßgeblicher Einfluss auf die Personalauswahl nachgesagt (vgl. Mommsen 2004: 70—71 ); sie wurde Anfang 2000 und also direkt nach Putins Amtsantritt aus dem Dienst als Präsidentenberaterin entlassen (Klebnikov 2000: 219). 47. Korschakow wird nachgesagt, den persönlichen Kontakt zu Jelzin reguliert zu haben; so soll er sich Be- resowski Anfang der 90er Jahre mehrere Male umsonst um die Gunst Jelzins bei Korschakow bemüht haben (Klebnikov 2000: 116f.). 48. Die Nomenklatura bezeichnete zu Sowjetzeiten ausgesuchte Kader, die für Leitungsfunktionen in allen gesell- schaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Militär und Kultur vorgesehen waren und denen eine enge Bindung zur KPdSU eigen war (vgl. Pirani 2010: 216). 49. Und dies, obwohl zwischen den Oligarchen und Tschubais offene Konkurrenz und Misstrauen herrschte. Offenkundig war die in Sjuganow gesehene Gefahr ausreichend, um für einen Schulterschluss im Sinne ge- meinsamer Interessen einzutreten (Klebnikov 2000: 222; Mommsen 2004: 75). Schon 1997 wurde Tschubais auf Drängen Beresowskis von Jelzin entmachtet, wirkte aber weiterhin in der Regierung und später auch als Berater Putins. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der staatlichen Holding Rusnano (Nanotechnologie). Auf- grund seiner internationalen Kontakte, seiner Verbindung zu Unternehmen wie JP Morgan Chase oder dem Council on Foreign Relations gilt er am ehesten als organischer Intellektueller und Mitglied einer transnatio- nalen Klasse im Sinne des Neogramscianismus. 50. Der Werdegang Putins ist zu umfangreich, um ihn an dieser Stelle ausführlich zu besprechen; hierzu liegen einschlägige Monografien vor. Eine gute Einführung stellen m.E. die Bücher von Pirani 2010 und Sakwa 2011 dar. 51. Schoigu, seit 2000 Regierungsmitglied, ist heute als Verteidigungsminister inauguriert, kann wegen seines Hintergrundes ebenfalls den Silowiki zugerechnet werden. 52. Rosneft wiederum eignete sich 2005 die Auflösungsmasse des vom Staat zerschlagenen Yukos -Konzerns Cho- dorkowskis an; das einhergehende Strafverfahren gegen die Yukos -Eigner wird weitgehend als politischer Prozess mit dem Ziel der Verstaatlichung des konkurrierenden Ölkonzerns angesehen (vgl. Goldman 2011: 105ff.; Sakwa 2008: 187); die Rohölpreise waren seit dem Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen und bedeuteten relevante Mehreinnahmen für den russischen Staat und wurden daher als politisch opportun angesehen, gleich wenn der Zugriff über gesonderte Strafverfahren gesichert werden musste(vgl. dazu Guriev et al. 2012). 53. Mit Übernahme des Ölkonzerns TNK-BP , einem russisch-britischen Joint Venture, an dem die Oligarchen Fridman und Wechselberg beteiligt waren, avancierte Rosneft zum größten Öl-Konzern der Welt; Putin hat somit seine Idee vom Aufbau multinational aktiver Konzerne in Form von Gazprom und Rosneft vollführt (vgl. Triebe 2012). 54. Wenn auch in Medienberichten gelegentlich der Eindruck erweckt wird, dass die Verfolgung der Oligarchen Ausdruck autoritärer Restauration in Russland sei, sollte darüber nicht vergessen werden, dass diese sich ext- ralegaler Methoden bedienten, um an ihr Kapital zu gelangen und dieses später selbst gegen jedwede demo-

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Endnoten

kratische Opposition einsetzten. Autoritäre Politik kann nicht mit Wirtschaftskriminalität und Klientelismus aufgewogen werden; vielmehr sollte man nach dem inneren Konnex beider fragen. 55. Wie die große Mehrzahl von Regierungsmitgliedern und Offiziellen im postsowjetischen Russland, weist auch Medwedkow einen technokratischen Hintergrund auf: An einer sowjetischen Universität im Handels- recht ausgebildet, agierte er schon in den 80er Jahren als im Außenhandel, engagierte sich in den 90ern als Unternehmer und Berater und propagiert neoliberale Reformen sowohl als Hochschullehrer als auch in diver- sen Regierungsämtern, die er parallel ausübte; in dieser Hinsicht ist auch Medwedkow ein weiterer organi- scher Intellektueller (vgl. MEDRF 2013; Schaudwet 2008). 56. Dieser Elitenaustausch beschränkt sich allerdings auf die Vorderbühne des politischen Prozesses und betrifft vorrangig das ausführende Personal in Präsidialadministration, Regierung (Ministerämter, Sekretäre), Ge- heimdiensten, Notenbank, Außenamt (z.B. hochrangige Vertreter von Auslandswirtschaftskammern, Diplo- maten), Regionalverwaltungen der kremlgesteuerten Kaderparteien, Gouverneure und natürlich der Unter- nehmen mit staatlicher Beteiligung (z.B. Gazprom , Rosneft, AvtoVAZ ) sowie den staatseigenen Holdings (z.B. Rusnano, Rosoboronexport, Rosatom usf.). 57. German Gref gründete schon 1999 eine eigene Denkfabrik, um seine Ideen liberaler Reformpolitik zu popula- risieren und für die er Ideologen der Jelzin-Ära ebenso rekrutierte wie Vertreter internationaler Organisatio- nen (Åslund 2007: 214); die Umbenennung der Präsidentenpartei Einiges Russlands war Teil eines grundle- genden Umbaus des Parteiapparates, schließlich beschloss Putin auch die Gründung des Staatsrates und initi- ierte zahlreiche elitäre Gesprächszirkel wie den Petersburger Dialog zusammen mit der deutschen Bundesre- gierung oder den Valdai -Club, der Wirtschaftslobbyisten aus aller Welt für Russland zusammenführen soll. 58. Worth definiert den Begriff wie folgt: „A ‘Caesarist strategy’ is one in which a leader or government opts for a series of authoritarian measures to cover up potential instabilities that might occur at the level of civil soci- ety.” (Worth 2009: 54). 59. Mit dieser Organisation wurde schließlich erstmals eine Kreml-Partei von oben etabliert, die gesellschaftliche Massen integrieren und ähnlich der früheren sowjetischen Kaderpartei individuelle Aufstiegswünsche mit po- litischem Wahlerfolg und ideologischen Politikzielen der Administration verbinden konnte. Ein entsprechen- der Jugendverband fungiert als frühe Rekrutierungsmaschine und besorgt eine breite Unterstützung auf Ebene von Jungwählern. Der Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen bedeutet nicht nur eine größere Machtressource für Präsident und Regierung, sondern treibt auch einen Keil in die einzig relevanten Konkurrenzparteien der Kommunisten und Nationalisten (White 2011: 43ff.; Mommsen 2004: 29). 60. Inwieweit in programmatischen Vorschlägen und politischen Handlungsempfehlungen immer auch persönli- che Motive mit einfließen oder ob der Glaube an die Interessenswahrung innerhalb eines spezifischen Systems der Interessensaushandlung nicht eher als kontingent betrachtet werden muss, ist nicht nur eine organisations- soziologische, sondern auch politikstrategische Frage. Dass Gruppen, Netzwerke und Organisationen Eigen- gesetzen folgen, ja mithin selbst zur „Oligarchisierung“, also der Absicherung von Machtpositionen, tendie- ren, ist ein grundlegendes Postulat der politischen Soziologie (vgl. Michels 1970 [1911]). 61. Dies ist umso unverständlicher, da sich z.B. Aron (2008) selbst ausdrücklich auf Weber bezieht und Teile seiner Wirtschaftssoziologie zur Beschreibung des russischen Status quo appliziert. 62. Zentrale Beispiele sind die Steuerreformen zur Entlastung großer Vermögen und Unternehmen, als auch die wirtschaftsliberalen Anpassungen des Zivilgesetzbuches zwischen 2001 und 2007, die maßgeblich von Gref und Kudrin vorangetrieben wurden (Åslund 2007: 215f.). 63. Ob es technische und institutionelle Rahmenbedingungen für einen „funktionierenden“ Kapitalismus gibt und was überhaupt ein funktionierender Kapitalismus sei, das ist Streitfrage nicht nur unter Wissenschaftlern, son- dern auch Politikern. Es gehört zu den Basisannahmen der Institutionenökonomik, dass es gewisse gesell- schaftlicher Einrichtungen bedarf, um kapitalistisches Wirtschaften ermöglichen zu können: Privateigentum, Freizügigkeit, Rechtssicherheit, Wettbewerb usw. (vgl. Acemoglu/Robinson 2012: 70ff.). 64. In der sogenannten World‘s Billionaires List werden die jährlichen Spitzenpositionen der reichsten Individuen weltweit wiedergegeben; teilweise werden auch die Geschäftsbereiche und Unternehmen aufgeführt und Ver- änderungen gegenüber dem Vorjahr abgebildet. 65. Die Global 2000 -Liste bietet einen Überblick über die 2000 umsatzstärksten Unternehmen der Welt und ihre Geschäftsfelder; sie wird ebenfalls jährlich aktualisiert. 66. Entsprechende Branchen- und Unternehmensverbände, die als Kanal für Lobbying fungieren können, existie- ren in Russland nur in politisch marginaler Form; ihr Einfluss wurde von der Regierung seit 2000 auch suk- zessive beschnitten (Guriev/Rachinsky 2005: 145). 67. Darunter mit Chodorkowski, Fridman und Potanin immerhin drei der „sieben Bankbarone“ (ebd.). 68. Dieser zunächst für Zwecke der Wirtschaftsstabilisierung 2004 gegründete Fonds geht auf Initiative Grefs und Kudrins zurück und sollte die Rückflüsse aus den Einnahmebeteiligungen des Staates am Energieexport ak- kumulieren (Pirani 2010: 48). Aufgrund steigender Nachfrage nach Energieexporten konnten die Ausfuhren und also auch die Steuern über die Jahre kontinuierlich steigen, sodass sich bis zum Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007/2008 ein Dollarüberschuss von rund 168 Milliarden angehäuft hatte (Rutland 2008: 1065). Der Fonds wurde dann in einen Reserve- und einen Sicherheitsfonds für Investitionen und sozialpolitische Maßnahmen aufgeteilt (Pirani ebd.).

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Endnoten

69. Die Liste ist online abrufbar unter: http://raexpert.com/related_activities/researches/expert400/ (zuletzt: 17.01.2014). 70. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Unternehmen beträchtliche Umsätze generieren und Profite für ihre Eigner erwirtschaften. Doch steht ein steter Verlust an Listenplätzen in einem solchen Ranking nicht allein für sinkende Konkurrenzfähigkeit, sondern auch den Verlust an Marktanteilen und damit der Gefahr einer Übernahme durch Dritte. Für außenwirtschaftlich relevante Kapitalexporte sind diese Unter- nehmen nur noch von nachgeordneter Bedeutung. 71. Interros hält Beteiligungen am großen Metalkonzern Norilsk Nickel (Liuhto/Vahtra ebd.) 72. Oneksim hält u.a. Beteiligungen am Kaliproduzenten Uralkali (ebd.). 73. In Basic Element wiederum sind neben dem Aluminiumgiganten Rusal auch die Autobauer GAZ und PAZ über Unternehmensanteile integriert (ebd.). 74. Insbesondere auf dem Markt für Rüstungsgüter versucht sich Russland seit Jahren mit kontinuierlichen Ver- kaufssteigerungen den Spitzenplatz auf dem Weltmarkt zu sichern. Nach Daten des SIPRI wurden allein im Jahr 2012 Rüstungsgüter im Wert von rund acht Milliarden US-Dollar ausgeführt. Abnehmer dieser Exporte sind neben China und Indien auch Krisenstaaten im Nahen und Mittleren Osten wie Syrien oder Ägypten. Dies geht einher mit einem seit 2000 wachsenden Rüstungsetat, der zwar bei weitem nicht an den extraordinä- ren Etat der USA (2012: rund 700 Mrd. USD!) heranreichen kann, jedoch die Tendenz zunehmender militäri- scher Konkurrenz unterstreicht (vgl. Tabellen im Anhang). 75. Hierfür sprach bereits das Gründungsdatum der Holdings, die allesamt während der Spätphase Putins zweiter Amtsperiode etabliert wurden. Schon Volkov (2008) mutmaßte damals zurecht, dass sich Putin in seiner ge- planten und dann auch realisierten Amtszeit als Ministerpräsident, de facto Exekutivrechte in diesen Unter- nehmen zusprach, um den von ihn favorisierten Entwicklungsweg fortsetzen zu können (auch Åslund 2007: 253; Sakwa 2011: 153). 76. Vorgetragen vor der Russischen Industrie- und Handelskammer, die lange Zeit einem WTO-Beitritt Russlands kritisch gegenüber stand. 77. 2003 begann die russische Automobilindustrie eine Lobbykampagne gegen einen aus ihrer Sicht übereilten WTO-Beitritt (Guriev/Rachinsky 2005: 137). Unterstützt wurde diese Kampagne auch von der Industrielobby Russian Union of Industrialists and Entrepreneurs , also der Industriellen- und Unternehmervereinigung, de- ren Mitglied Deripaska neben anderen Oligarchen ist und deren Einfluss später vom Kreml reduziert wurde (s. Fn. 66). 78. Denn innerhalb des russischen Industrie- und Unternehmerverbandes RSPP bestehen ebenso Interessenkon- flikte: die mächtige Stahlindustrie, vertreten u.a. durch den Milliardär Alexi Mordaschow unterstützte den WTO-Beitritt, da das von ihm beherrschte Unternehmen Severstal als international konkurrenzfähiger Anbie- ter von den neuen Handelsbedingungen eher profitieren würde (Rutland 2012: 5; Åslund 2007: 223). 79. Dieser Begriff stammt nicht von Cox, sondern ist der Habitustheorie Bourdieus entnommen. Ich kann nir- gendwo sehen, dass Cox sich auf dessen Arbeiten bezieht. Auch für Gill (2008) und Morton (2007) kann dies ausgeschlossen werden, was zugleich ein großer forschungspolitischer Mangel ist, bietet das Komplement von Habitus und sozialem Feld weitaus mehr Möglichkeiten, die Formung transnationaler Eliten zu analysieren. 80. Zu diesen Prämissen zählen nach WTO-Präambel die Erhöhung des Lebensstandards, die Sicherung von Vollbeschäftigung, steigender Realeinkommen und steigender Nachfrage sowie die Ausweitung von Produk- tion und Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie eine nachhaltige Entwicklung. Verwirklicht werden soll dies dann durch Zollabbau und Handelsliberalisierung. 81. Erstunterzeichner waren China, Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. 82. 2013 verkündeten beide Länder neue Verträge, die eine Ausweitung der russischen Öl- und Gaslieferungen vorsehen und Laufzeiten zwischen 15 und 25 Jahre aufweisen; ihr Gegenstandswert wird auf 204 Mrd. Euro (Öl) (ManagerMagazin 2013). bzw. rund 62 Mrd. Euro (Gas) geschätzt ( 2013). 83. Ob dies Naivität angesichts des Fortschrittsoptimismus der 90er Jahre oder aber der technischen Unerfahren- heit russischer Bürokraten geschuldet war, wie Portansky (2011) darlegt, lässt sich nicht eindeutig klären, da interessierte Dritte je für sich reklamieren, dass die Verzögerung am Gegenüber (Russland vs. Westen) lag. So führt beispielsweise Åslund (2007: 222) aus, dass die antagonistische Stellung der Sowjetunion gegenüber dem GATT und dessen Wahrnehmung als kapitalistisches Instrument des Westens maßgebliche Befürchtun- gen der Verhandlungsführer zumindest mittelbar prägte. 84. Zunächst noch als von Jelzin beauftragte und maßgeblich durch Schoigu konstruierte Partei Einheit – Der Bär , bevor sie schon gegen Ende 1999 mit dem Wahlbündnis von Primakow und Luschkow zur Partei Einiges Russland verschmolzen wurde (Sakwa 2011: 8). Diese Partei konnte bei allen folgenden Parlamentswahlen ih- re Stimmenanteile ausbauen oder sich entsprechende Mehrheiten sichern. 85. Infolge der Dumawahlen 2003 und der Neukonstituierung der Regierung wurde mit Michail Fradkow ein Technokrat zum Premier berufen, der die Regierungsgeschäfte weitgehend unbeeinflusst von den Faktions- kämpfen führen sollte (Sakwa 2011: 133). Medwedkow wurde dann von einem stellvertretenden Minister im Ministerium für Wirtschaftsentwicklung und Handel zum Leiter der neu geschaffenen Abteilung für Handels- vereinbarungen im selben Ministerium. Dieses Ministerium wiederum wurde zwischen 2000 und 2007 vom Putin-Weggefährten und beständigen Propagandisten eines baldigen WTO-Beitritts Russlands German Gref

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Endnoten

geführt (Mommsen 2004: 114). Und auch nach Grefs Ausscheiden wurde dessen Position in Gestalt von El- vira Nabiullina fortgeschrieben, gilt diese doch ebenfalls als „Liberale“ im Sinne der Faktionen (vgl. 08MOSCOW2940). Kann eine intellektuelle und personelle Kontinuität noch stärker dokumentiert werden? 86. Ende 2007 wurde German Gref zum Vorstandschef der Sberbank gewählt (07MOSCOW5043); an dieser Bank ist der russische Staat Mehrheitseigner und versucht sie ähnlich den staatlichen Energiekonzernen zu in- ternationalen Kapitalexporteuren aufzubauen und somit Finanzinvestitionen aus Russland heraus zu gestalten (Liuhto/Vahtra 2009: 9). Gref wurde vom damals neuen Ministerpräsidenten und Fradkow-Nachfolger Wiktor Subkow offiziell aus seinem Ministeramt entlassen. Subkow wiederum – ebenso seit den frühen 90er Jahren mit Putin bekannt wie Gref -, hatte das Amt des Ministerpräsidenten nur bis zum Mai 2008 inne, da ab dann Putin selbst die Regierungsgeschäfte übernahm. Subkow gilt daher, auch wegen seiner Verbandelung mit dem Gazprom -Konzern, als ein ebenso loyaler Technokrat wie Fradkow oder Dmitri Medwedew (Sakwa 2011: 179; 181). Diese permanente Ämterrotation ist Auswirkung der Faktionskämpfe, aber auch Mittel zur Positio- nierung der Staatskonzerne am internationalen Markt. 87. Im Zuge der Finanzkrise erhöhten alle Industriestaaten ihren Einfluss in strategisch wichtigen Wirtschafts- zweigen, teilweise wurden Banken und Versicherungen verstaatlicht und der Automobilsektor durch Kredite und Konjunkturprogramme gestützt (vgl. Fean 2012: 12). Russland verfügte zusätzliche Importzölle in Form einer „Recyclingabgabe“ für ausländische Fahrzeuge, was inzwischen zum Gegenstand einer WTO-Klage durch die EU geworden ist (EUC 2013) und die die EU durch Gegenprotektionismus beantwortet (Süddeut- sche Zeitung 2013). 88. Zum Beispiel durch eine Zerschlagung des De-facto-Monopols des Gazprom -Konzerns bei der Belieferung Europas in einem antizipierten EU-Transitstaat Ukraine. Die Auseinandersetzungen um Gaslieferungen an die Ukraine sind Beispiele für einen schwelenden Konflikt. 89. Bekanntlich besorgte das Engagement Schröders die Durchsetzung dieses Projektes als eines der letzten Amtshandlungen der damaligen rot-grünen Bundesregierung; schon im Dezember 2005 wurde dann Schröder für den Aufsichtsrat von North Stream kooptiert. Die Geschäftsführung des Projekts hingegen obliegt dem ehemaligen Stasi-Wirtschaftsspion Mathias Warnig, den Putin schon aus seiner Zeit beim KGB kennen soll und der parallel auch bei Rusal und Rosneft Aufsichtsratsfunktionen übernimmt (Handelsblatt 2007; Rosneft 2013; Rusal 2013). Die North Stream AG hat ihren Sitz im schweizerischen Steuerparadies Zug. 90. North Stream fungiert als Komplement zum Pipeline-Projekt South Stream , das russisches Gas bis nach Ita- lien befördern soll. Für dieses Projekt wurde der ehemalige Hamburger Bürgermeister Voscherau zum Auf- sichtsratsvorsitzenden gewählt (Handelsblatt 2012). Auch hier beteiligt sich neben Gazprom, die deutsche Wintershall, E.ON und der italienische Energiekonzern Eni (Grätz 2013: 387ff.). Die BASF-Tochter Winters- hall verkündete Ende 2012, dass sie den Politikberater Alexander Rahr zum Lobbyisten bestellte. 91. Gleichwohl sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zahlreiche US-Konzerne gibt, die ein reges Interesse an ausgeweiteten Handelsbeziehungen zu Russland haben, um ihren Absatz zu erweitern und durch noch geschützten russischen Markt beliefern zu können. 92. Der Tschetschenienkrieg soll in erster Linie taktisch und organisationell durch kampferfahrene oder zum kampf rekrutierter „Gotteskrieger“ aus Afghanistan und dem Nahen Osten befeuert und u.a. von Saudi- Arabien, dem entscheidenden Verbündeten der USA in der Region des Persischen Golfes, finanziert worden sein. 93. Auch wenn es eine lange Tradition sogenannter verdeckter Operationen und Scharmützel im Hinterland des Gegners gibt, die dessen territoriale Integrität unterminieren sollen. Dass eine stete Auseinandersetzung an der geopolitisch relevanten Südflanke Russlands im Kaukasus auch mit terroristischen Mitteln mindestens im In- teresse der USA ist, kann nicht bestritten werden. 94. Weiterhin umstritten ist, ob der Waffengang der USA im Nahen und Mittleren Osten nur geoökonomischer Natur war (Zugang zu Öl- und Gasressourcen) oder auch politische Ordnungsvorstellungen mit einer Macht- demonstration gegenüber aufstrebenden Mächten in Fernost dokumentieren sollte (China, Indien, Iran). Bre- zinski richtete Ende der 90er Jahre hierauf nahezu beschwörend sein theoretisches Brennglas, nachdem schon Huntington 1993 im „Kampf der Kulturen“ ein neues Feindobjekt konstruiert hatte. Ebenso können auch Ein- flusskämpfe zwischen neokonservativen und liberalen Interessengruppen in Washington selbst eine Rolle ge- spielt haben wie auch die innenpolitische Legitimationsfunktion eines Kriegseinsatzes im Ausland nicht zu verleugnen ist (vgl. Mann 2013: 278ff.; Harvey 2005: 195ff.). 95. Krasner wurde zum Berater unter Bush junior; Paul Wolfowitz, der schon unter den Präsidenten Reagan und Bush senior politische Erfahrungen sammelte, wurde erst zum stellvertretenden Verteidigungsminister (um Rumsfeld) und ab 2005 dann Chef der Weltbank. 96. Hierunter auch , Vertreter der sogenannten „Schocktherapie“, die auf schnelle Privatisierung von Staatseigentum und Deregulierung des Arbeitsmarktes setzt. Sachs war dem für Privatisierungen zuständigen Premier Jegor Gaidar direkt zugeordnet (Åslund 2007: 95). 97. Schon 1992 wurde Russland Mitglied des IWF und übernahm zusammen mit schnellen Kreditzusagen auch das bekannte Reformprogramm des Washingtoner Konsens (Florio 2010: 378f.). 98. Nach Daten des SIPRI befindet sich Ostasien bis 2020 in einem ungeahnten Rüstungswettlauf, an dem sowohl Russland als auch die USA verdienen.

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Endnoten

99. Brzezinski (2012: 46ff.) führt plausible Gründe für die derzeitige Machterosion an, wobei sich getreu der Manier eines Sicherheitsberaters, der vom Führungsanspruch der USA überzeugt ist, alle Argumente auf die Innenpolitik des Landes beziehen: Haushaltsdefizit, ein krisenhaftes Finanzsystem, soziale Ungleichheit und wachsende Armut, eine marodierende Infrastruktur, eine politisch indifferente Bevölkerung sowie ein sich selbst blockierendes Zwei-Parteien-System, das von mächtigen Interessengruppen eingezwängt sei. Mit ähnli- chen Beiträgen zur Reform des politischen und ökonomischen Systems haben sich zuletzt Joseph Stiglitz, Barry Eichengreen und Joseph Nye zu Wort gemeldet. 100. Die Kaspi-Region beschreibt die Interessenssphäre der Anrainer des Kaspischen Meeres, also Russland, Ka- sachstan, Turkmenistan, Iran und Aserbaidschan. 101. Die beiden Pipeline-Projekte North Stream und South Stream umgehen die im Sinne Russlands „kritischen“ Transitrouten durch die Ukraine, Weißrussland und Polen und bilden weiteren Konfliktstoff. 102. Erst 2009 wurde durch die EU mit der „Östlichen Partnerschaft“ ein Projekt zur Anbindung dieser Staaten an Westeuropa beschlossen. 103. Im November 2013 wurde die Unterzeichnung eines Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit der Ukraine ausgesetzt, nachdem Staatspräsident Janukowitsch erklärte, sich mehr an Russland zu orientieren. Ja- nukowitsch gilt als kremlnaher Politiker.

84

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis !¢¢©¨§µÆß≥. µÆ§ 4°¢•¨¨•Æ∂•≤∫•©£®Æ©≥

Abbildung 1: Hypothetische Darstellung des Forschungsprozesses ...... 6

Tabelle 1: Wissenschaftstraditionen und Erkenntnisinteresse nach Habermas ...... 7

Abbildung 2: Faktionen im Kreml ...... 27

Tabelle 2: Sozialstrukturelle Merkmale führender Oligarchen unter Jelzin ...... 28

Tabelle 3: Eigentum an Großunternehmen ...... 35

Abbildung 3: Organisationsformen des Staatsinterventionismus ...... 39

Abbildung 4: Regelungsdimensionen und Prinzipien der WTO ...... 44

Abbildung 5: Idealtypische Darstellung eines WTO-Beitrittsverfahrens...... 46

Tabelle 4: Chronologie wichtiger Ereignisse um den WTO-Beitritt ...... 66

Tabelle 5: Staatspräsidenten Russlands ...... 67

Tabelle 6: Ministerpräsidenten Russlands ...... 67

Tabelle 7: Vereinfachte Darstellung von Kreml-Faktionen ...... 68

Tabelle 8: Hegemoniezyklen nach Modelski ...... 69

Tabelle 9: Unternehmenskonzentration in Russland ...... 70

Tabelle 10: Russische Unternehmen in der Forbes-Liste Global 2000 ...... 71

Tabelle 11: Die 50 vermögendsten Milliardäre Russlands in der Forbes-Liste 2013 ...... 72

Tabelle 12: BIP-Entwicklung und Arbeitslosenrate im Zeitverlauf ...... 73

Tabelle 13: Entwicklung der jährlichen Ölexporte und Öleinnahmen ...... 73

Tabelle 14: Entwicklung der jährlichen Gasexporte und Gaseinnahmen ...... 74

Tabelle 15: GATT/WTO-Teilnehmer und Zollniveau im Zeitverlauf ...... 74

Tabelle 16: Entwicklung der Top 5-Rüstungsbudgets ohne USA ...... 75

Tabelle 17: Entwicklung der Rüstungsexporte im Zeitverlauf ...... 75

Tabelle 18: Korruptionswahrnehmung und Grad politischer Rechtlosigkeit ...... 76

85

Abkürzungsverzeichnis !¢´²≤∫µÆß≥∂•≤∫•©£®Æ©≥

BIP Bruttoinlandsprodukt

BRICS Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika

EU Europäische Union

GATS General Agreement on Trade in Services

GATT General Agreement on Tariffs and Trade

GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

IB Internationale Beziehungen

ILO International Labour Organization

IPÖ Internationale Politische Ökonomie

IWF Internationaler Währungsfonds

NATO North Atlantic Treaty Organization

OECD Organization for Economic Co-operation and Development

RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe

SCO Shanghai Cooperation Organization

SIPRI Stockholm International Peace Research Institute

TRIMS Trade-Related Aspects of Investment Measures

TRIPS Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights

WTO World Trade Organization

86

Literatur- und Quellenverzeichnis ,©¥•≤°¥µ≤. µÆ§ 1µ•¨¨•Æ∂•≤∫•©£®Æ©≥

Wikileaks-Depeschen

Chiffre Datum URL geprüft 09MOSCOW3084 23.12.2009 http://wikileaks.org/cable/2009/12/09MOSCOW3084.html 18.01.2014 08MOSCOW2940 03.10.2008 http://wikileaks.org/cable/2008/10/08MOSCOW2940.html 18.01.2014 08MOSCOW1489 27.05.2008 http://wikileaks.org/cable/2008/05/08MOSCOW1489.html 18.01.2014 08MOSCOW767 20.03.2008 http://wikileaks.org/cable/2008/03/08MOSCOW767.html 18.01.2014 08MOSCOW387 13.02.2008 http://wikileaks.org/cable/2008/02/08MOSCOW387.html 18.01.2014 08MOSCOW328 08.02.2008 http://wikileaks.org/cable/2008/02/08MOSCOW328.html 18.01.2014 07MOSCOW5800 13.12.2007 http://wikileaks.org/cable/2007/12/07MOSCOW5800.html 18.01.2014 07MOSCOW5043 17.10.2007 http://wikileaks.org/cable/2007/10/07MOSCOW5043.html 18.01.2014 07MOSCOW1515 05.04.2007 http://wikileaks.org/cable/2007/04/07MOSCOW1515.html 18.01.2014 06MOSCOW1445 15.02.2006 http://wikileaks.org/cable/2006/02/06MOSCOW1445.html 18.01.2014

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! L w Afghanistan 62, 84, 91 IWF: Internationaler Rahr, Alexander 61, 90, 97 . Währungsfonds 20, 45, 52, 53, Rosneft: Ölkonzern 26, 30, 41, 54, 80, 85, 91, 93 72, 74, 88, 90, 99 Jelzin, Boris 2, 23, 24, 27, 28, 29, 32, 52, 53, 84, 86, 87, 88, 90 W { Bankbarone : Oligarchen 28, 31, 53, 79, 89 Japan 62, 85 Schocktherapie 28, 86, 91 Beresowski, Boris 27, 28, 30, 31, Schoigu, Sergei 26, 28, 74, 88, 90 53, 71, 74, 87 Y Schröder, Gerhard 22, 60, 72, 90, 100, 101 / Kasjanow, Michail 26, 29, 73 Setschin, Igor 26, 30, 42, 43 Kremlfamilie 27, 74 Silowiki 26, 30, 34, 41, 65, 74, 87, China 2, 51, 55, 62, 63, 89, 90, 91, Kudrin, Alexei 26, 75, 88 88 93, 98, 99 Chodorkowski, Michail 27, 30, 31, [ Ç 71, 86, 89 Cox, Robert W. 8, 16, 17, 18, 20, Lamy, Pascal 55, 72 Tschubais, Anatoli 28, 30, 42, 71, 25, 66, 67, 86, 87 74, 75, 86, 87 a 5 Ü Medwedew, Dmitri 3, 26, 65, 87, Deripaska, Oleg: Oligarchen 39, 90 USA 2, 3, 4, 12, 13, 14, 16, 20, 24, 40, 43, 55, 56, 89 Merkel, Angela 60 34, 45, 46, 51, 52, 55, 56, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 65, 66, 67, 9 b 68, 69, 70, 72, 76, 82, 84, 85, 86, 89, 91, 92, 95 Einiges Russland : Partei der Macht NATO 60, 62, 65, 66, 85, 93 30, 33, 43, 53, 72, 73, 74, 86, 90 Neogramscianismus 3, 4, 7, 15, 16, ë 17, 20, 22, 44, 58, 67, 68, 70, 87 D Neoliberalismus 46, 84 Voscherau, Henning 72, 90, 97 Nomenklatur : sowjetische Elite 27, Gaidar, Jegor 28, 71, 73, 74, 86, 91 30, 87 í Gazprom : Gaskonzern 26, 38, 41, 54, 60, 87, 88, 90 h Warnig, Mathias 90, 99 Gorbatschow, Michail 22, 23, 28, Woloschin, Alexander 29, 74 33 Obama, Barack 3, 62, 63 WTO: Welthandelsorganisation 1, Gramsci, Antonio 4, 17, 18, 19, Oligarchen 27, 28, 32, 35, 36, 37, 4, 5, 6, 9, 10, 15, 20, 22, 23, 25, 20, 25, 33, 42, 45, 85, 86, 95, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 52, 53, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 37, 40, 97, 99 55, 86, 87, 88, 89 43, 44, 51, 52, 53, 54, 55, 56, Gref, German 26, 30, 56, 88, 90 57, 58, 60, 61, 62, 63, 65, 66, Gussinski, Wladimir 27, 28, 30, t 67, 89, 90 31, 71, 86 Primakow, Jewgeni 40, 53, 73, 74, ò 90 Putin, Wladimir 2, 3, 22, 26, 28, Yukos 27, 54, 71, 86, 88 29, 31, 32, 33, 34, 42, 43, 53, 54, 84, 86, 88, 89, 90

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