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John Murph: Vom Soundtrack einer Bewegung

Wolf Kampmann: Die Globalisierung des – Chance oder Falle?

Richard Williams: Von den Townships an die Themse

John L. Walters: Die Neuerfindung des Jazz-Klaviertrios: The Necks

Michael Watts: A Home For Heroes: David Bowie in Berlin

Felix Klopotek: Improvisation als Werk

Nadin Deventer: Talking ’bout my Generation WILLKOMMEN BEIM JAZZFEST BERLIN 2015

I wish I knew how it would feel to be free In diesem Jahr startet das Jazzfest Berlin in das zweite der Trompeter Ambrose Akinmusire vertreten die un- halbe Jahrhundert seines Bestehens mit der Frage: gebrochene Vitalität der afroamerikanischen Tradition. Was ist Jazz heute und wohin geht seine Reise? Das Und als Mini-Festival im Festival angelegt sind die Programm des diesjährigen Festivals soll die konti- Auftritte des Giovanni Guidi Trio, des Julia Kadel Trio And I wish I knew how nuierliche Entwicklung einer Musik widerspiegeln, und von Plaistow, die zeigen, wie unerschöp!ich die deren Einfluss zunehmend weit über die eigenen Möglichkeiten des Piano-Bass-Drums -Formats in den It would feel to be free Grenzen hinweg zu spüren ist und deren Interpret*- Händen junger Musiker*innen sind. I wish I could break innen eines gemeinsam haben: den Wunsch, weiter All the chains holdin’ me zu kommen. Schon Joachim-Ernst Berendt, der Gründungskurator des Festivals, hat die zunehmend internationale I wish I could say Jazz hat viele Facetten, und der Impuls zur Vorwärts- Ausrichtung des Jazz erkannt. In diesem Jahr stellen All the things that I should say bewegung ist einer davon. Das Festivalprogramm wir den armenischen Pianisten Tigran Hamasyan, für 2015 präsentiert Künstler*innen aus unterschied- den puerto-ricanischen Saxofonisten Miguel Zenón lichen Generationen und 30 Nationen, die eines und das australische Improvisationstrio The Necks Say ‘em loud say ‘em clear miteinander verbindet: Sie alle sind künstlerisch per- vor, letzteres wird in einer ungewöhnlichen Umge- manent in Bewegung. Sie zeigen, dass der Jazz im bung auftreten. For the whole ‘round world to hear Grunde kein Stil ist, und auch keine Abfolge verschie- I wish I could share dener Stile, sondern eher eine innere Einstellung – Unser Engagement für eine engere Anbindung des ein „spirit“. Festivals an die kreativen Szenen in den aufblühenden – All the love that’s in my heart ehemals Ost-Berliner – Bezirken "ndet seinen Aus- Remove all the doubts Wir freuen uns, drei herausragende Bandleader zu druck in den Auftritten zweier ausgesprochen ex- That keep us apart präsentieren, die sich nicht auf ihren vergangenen perimentierfreudiger großer Ensembles. Das von Erfolgen ausruhen – obwohl sie mehrere Jahrzehnte Musiker* innen der Berliner Echtzeitmusik-Bewegung Musikgeschichte verkörpern. Charles Lloyd wird „Wild gegründete Splitter Orchester wird ein neues Werk I wish you could know Man Dance“ vorstellen, eine neue Suite, für die er sein des gefeierten amerikanischen Komponisten George Quartett um griechische und ungarische Musiker Lewis au#ühren. Das Ensemble Diwan der Kontinente What it means to be me erweitert hat. Irische Folk-Melodien inspirierten Keith vereint in Berlin lebende Musiker*innen vieler Nationen, Then you’d see and agree Tippetts „The Nine Dances of Patrick O’Gonogon“, einige von ihnen spielen auf traditionellen Instru- das er für sein Oktett komponierte. Und - menten. Sie werden Stücke präsentieren, die eigens That every man should be free Moholo, den das europäische Publikum vor 50 Jahren für dieses Konzert geschrieben wurden. Diese beiden kennenlernte, als er und seine Blue Notes auf der Urau#ührungen bergen ein gewisses Risiko, sowohl Von Dr. Billy Taylor (1954), Flucht vor dem Apartheid-Regime hierher kamen, für die Musiker*innen als auch für das Publikum. aufgenommen von Nina Simone (1967) tritt gemeinsam mit begabten Musikern der jüngeren Aber Jazz ohne Entdeckergeist wäre eben niemals Generation auf. wirklich Jazz!

Geschichte und Tradition des Jazz bilden das Funda- ment einer Zukunft, die den jüngeren Musiker*innen Richard Williams Thomas Oberender unseres Programms gehört. Gleichsam als Symbol Künstlerischer Leiter Intendant für Fortschritt und Kontinuität kann man den Auftritt Jazzfest Berlin Berliner Festspiele von Vincent Peirani sehen: Der junge französische Akkordeonist trat im vergangenen Jahr beim Jazz- fest Berlin in der Band von Daniel Humair auf, der seinerseits 1964 schon beim allerersten Festival in Berlin dabei war. Die Sängerin Cécile McLorin Salvant und

Jazzfest Berlin „Der Jazz spricht vom Leben. Der Blues erzählt die Geschichten der schweren Seiten des Lebens, und wenn Sie kurz nachdenken, werden Sie erkennen, dass sie beide die schwierigsten Realitäten des Lebens nehmen und sie in Musik fassen. So entsteht neue Ho#nung, ein Gefühl des Triumphes. Diese Musik triumphiert.“ Martin Luther King, Jr., Geleitwort für die ersten Berliner Jazztage 1964

Roberts und die Trompeter Ambrose Anderson und Sandra Bland. Unter- Widerhall im Akinmusire, Christian Scott und Terence dessen gewann #BlackLivesMatter zeit genössischen Jazz Blanchard unverdrossen ihrer Frustration an Bedeutung. Die Bewegung formali- Das Feuer, aus dem die #BlackLives- und ihren Ansichten über Rassenfra- sierte ihren Kampf gegen die aggressive Matter-Bewegung ihre Kraft bezieht, gen und andere soziale Missstände Aus- Kriminalisierung schwarzer Menschen, ist auch in neueren Jazz-Kompositionen druck. Diese Musiker und einige ihrer forderte Reformen des Polizei- und zu spüren, wie zum Beispiel in Akin- Kollegen prägen den Soundtrack von Gefängniswesens und umfassende musires „My Name is Oscar“ und „Roll- #BlackLivesMatter, einer Protestbe- Rechenschaft von Polizisten, die ohne call for Those Absent“. „My Name is wegung des frühen 21. Jahrhunderts. Not Staatsbürger töten. Außerdem Oscar“ ist auf seinem Album „When verlangt sie, dass örtliche Exekutiv- the Heart Emerges Glistening“ aus organe nicht mehr von der Regierung dem Jahr 2011 zu "nden, eine Spoken- #BlackLivesMatter der Vereinigten Staaten mit Militär- Word-Exkursion in Jazzmanier, ange- Diese Bewegung wurde von Alicia Garza, wa#en versorgt und die Finanzierung trieben von den schneidenden Poly- March on Washington, 28. August 1963 mit Martin Luther King, Jr. © Wikimedia Commons Special Projects Director bei der in New der Polizei zugunsten von Investitionen rhythmen des Schlagzeugers Justin York ansässigen National Domestic in bessere Wohnverhältnisse, Beschäf- Brown, die Schüsse und tätliche Angri#e Workers Alliance, Patrisse Cullors, tigung und Bildung in verarmten Ge- evozieren. Anstatt wie sonst Trompete Musiker wie Ambrose Akinmusire, Leiterin der Initiative Dignity and Power meinden reduziert werden. #Black- zu spielen, spricht Akinmusire hier Sätze Now mit Sitz in Los Angeles, und Opal LivesMatter positioniert sich als wie „I am you“, „Don’t shoot“ und „We Matana Roberts und Robert Glasper stellen sich Tometi, geschäftsführende Leiterin de zentralisierte, überparteiliche Basis- are the same“ – Sätze, die die Erschie- der Kampagne Black Alliance for Just bewegung mit 26 Ortsgruppen und ßung des unbewa#neten 22-jährigen den Turbulenzen des schwarzen Amerika Immigration in Oakland, Kalifornien, weltweitem Anschluss an gleichge- Schwarzen Oscar Grant II heraufbe- ins Leben gerufen. Zunächst brachten sinnte Organisationen. Durch strate- schwören. Grant wurde 2009 in Oakland, sie einen Hashtag in den sozialen gische politische Interventionen, zu- Kalifornien, von Johannes Mehserle, Medien in Umlauf, um gegen den Frei- nächst auf kommunaler Ebene, in einem Beamten der Bay Area Rapid spruch für den Wachmann George jüngster Zeit aber auch mit nationaler Transport Police, getötet, nachdem er VOM SOUNDTRACK EINER Zimmerman im Juli 2013 zu protestie- Präsenz, will die Bewegung sicherstel- mit einigen Freunden an einer U-Bahn- ren, der des Mordes mit bedingtem len, dass ihre soziopolitischen Anliegen station festgenommen worden war. Vorsatz angeklagt war, weil er in San- im Präsidentschaftswahlkampf 2016 Mehserle wurde der fahrlässigen Tötung ford, Florida, den unbewa#neten 17- zu unumgänglichen Wahlkampfthe- für schuldig gesprochen, nicht aber BEWEGUNG Von John Murph jährigen Afroamerikaner Trayvon men werden. So unterbrachen Mitglie- wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz Martin erschossen hatte. Weltweite der bereits Wahlreden von Bewerbern im und Totschlags. Aufmerksamkeit erhielt #BlackLives- Rahmen der Wahlkampf nominierung Matter jedoch erst im August 2014, als der demokratischen Partei, wie zum „Rollcall for Those Absent“ erschien ls Dr. Martin Luther King, Jr. im gewalttätigem Widerstand begleitet, Taylor, , Charles Mingus in Ferguson, einer Stadt im Bundesstaat Beispiel die von Hillary Clinton, Bernie auf Akinmusires jüngstem Album aus Jahr 1964 das Geleitwort für die Ungerechtigkeiten gegen schwarze und Sonny Rollins erkannten die sozio- Missouri, massive Proteste und Unruhen Sanders und Martin O’Malley. dem Jahr 2014, „the imagined savior die ersten Berliner Jazztage Amerikaner zu beseitigen. Das Geleitwort politische Kraft ihrer musikalischen ausbrachen: Darren Wilson, ein 28- is far easier to paint“. Wiederum als schrieb, zeigte er auf, dass der entstand ein Jahr nach Kings messia- Stimmen und prägten mit mitreißen- jähriger weißer Polizist hatte den un- ie seit langem schwelende Ver- Spoken-Word-Stück und ebenso er- AJazz die vielfachen sozialen Ungerech- nischer „I Have a Dream“-Rede, die er den Liedern wie „Mississippi Goddam“, bewa#neten afroamerikanischen bitterung und die Dringlichkeit, nüchternd wie „My Name is Oscar“, tigkeiten thematisiert, die vor allem während der als „March on Washington“ „Malcolm, Malcolm, Semper Malcolm“ 18-jährigen Teenager Michael Brown die #BlackLivesMatter antrei- zählt in dieser Komposition das junge schwarze Amerikaner betrafen. Durch in die Geschichte eingegangenen poli- und „I wish I knew how it would feel to erschossen, nachdem dieser eine ben, werden in der Losung der Mädchen Muna Blake die Namen von diese lyrische Beschwörung Dr. Kings tischen Großkundgebung am Lincoln be free“ den Soundtrack der Bürger- Schachtel Zigarillos gestohlen hatte. DBewegung zutre#end ausgedrückt. Menschen auf, die von der Polizei getö- wurden die Festivalbesucher aufgefor- Memorial hielt und die zum „Civil Rights rechtsbewegung von Mitte der 1950er Einige Monate später entschied sich Anders als frühere Epigramme wie „I tet wurden. Akinmusire und Sam Harris dert, die Auftritte von Miles Davis, Act“, dem Bürgerrechtsgesetz von 1964, bis Ende der 1960er. ein Großes Geschworenengericht in Have a Dream“ oder „The Audacity unterlegen Munas unschuldig klingende Coleman Hawkins, George Russell und führte. Das Geleitwort ging auch den St. Louis gegen eine Anklage Wilsons of Hope“ ist „Black Lives Matter“ auf Stimme mit langgezogenen melan- Sister Rosetta Tharpe nicht nur zu Protestmärschen „Selma to Montgo- Auch fünf Jahrzehnte später ringt das wegen Mordes. unmissverständliche Weise prägnant cholischen Keyboard-Akkorden. Akin- genießen, sondern die Musiker auch mery“ voraus, die – trotz schrecklicher schwarze Amerika noch immer um Ge- und bedeutet genau das, was es aus- musires beeindruckende Diskogra"e als Menschen wahrzunehmen und ihren Ereignisse wie dem „Bloody Sunday“ – rechtigkeit. Und obwohl Genres wie In der Folge kam es mit erbarmungs- drückt: Das Leben schwarzer Men- enthält zahlreiche ähnliche Komposi- Wert über die reine Unterhaltung hin- den „Voting Rights Act“, das Wahlrechts- Hip-Hop, Rock und R&B mittlerweile loser Regelmäßigkeit zu ähnlichen schen zählt. Dieser Slogan ist ähnlich tionen, so zum Beispiel „M.I.S.T.A.G. aus anzuerkennen. gesetz von 1965, zur Folge hatten. in den Vereinigten Staaten und inter- Vorfällen zwischen Polizisten und un- unerschrocken wie der Titel von Max (My Inappropriate Soundtrack to a national populärer sind als der Jazz, bewa#neten schwarzen Menschen, Roachs Albumklassiker von 1960, Genocide)” und „Ceaseless Inexhaus- In den Vereinigten Staaten gab es Mitte Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen verleihen Jazzmusiker wie der Pianist darunter John Crawford III, Eric Garner, „We Insist!“ tible Child (Cyntoia Brown)“. Er sieht es der 1960er Jahre Bemühungen, oft von wie Max Roach, Nina Simone, Billy Robert Glasper, die Saxofonistin Matana Tamir Rice, Freddie Gray, Tanisha als seine P!icht als Künstler an, durch

4 Jazzfest Berlin seine Arbeiten auf soziopolitische Ver- (Stephen Bruner), der Sänger Bilal „BlackLivesMatter“ lautet, ohne dies änderungen hinzuwirken. „Ich hätte und die Produzenten Terrace Martin explizit formulieren zu müssen. gerne den Luxus oder die Willenskraft, und Flying Lotus (Steven Ellison). Der als perfekter Menschenfreund ein Jazzein!uss auf „To Pimp a Butter!y“ Die Ansichten von #BlackLivesMatter Ding zu machen, bei dem Rasse keine wird in dem Stück „For Free? (Interlude)“ sind in zahlreichen neueren Jazzkom- Rolle mehr spielt. Aber das, was ich besonders deutlich, einer vernichten- positionen wiederzu"nden, darunter jeden Tag erlebe, erlaubt mir diesen den Anklage der historischen und „Breathless“, ein Stück des Trompeters Luxus leider nicht“, erklärt Akinmusire, noch immer andauernden Unterdrü- Terence Blanchard, auf dem sein Sohn der in Oakland aufwuchs. „Deshalb ckung der Schwarzen, eingefangen in JRei Oliver die Hoffnung auf Freiheit bin ich dazu gezwungen, meine Musik Lamars maschinengewehrschnellen in einem Umfeld der Unterdrückung aus der Perspektive eines jungen Reimen, in denen es um sexuelle Ob- preist. Oder „I Can’t Breathe“ von dem afro amerikanischen Großstädters zu jektivierung, wirtschaftliche Entmün- Bassisten Marcus Miller, ein mitreißendes schreiben. Das ist etwas ganz Spezi- digung und die Kultur der Zuhälterei Afro-Jazz-Electronica-Funk-Workout. "sches und Besonderes.“ geht, alles auf einem schneidenden Hier ver"cht Chuck D., der Frontmann Post-Hardbop-Arrangement. „Ich von Public Enemy, ganz ähnliche Über- nteressanterweise ist auf der "nde, Kendrick und seine Leute tun zeugungen. Beide Stücke beschwören neuesten Platte von Robert genau das, was auch andere schwarze die Worte herauf, die Eric Garner sagte, Glasper, „Covered“, ein Titel Künstler tun sollten, vor allem, wenn bevor er im Würgegri# des Polizisten namens „I’m Dying of Thirst“ zu sie im Rampenlicht stehen“, sagt Daniel Pantaleo aus Staten Island starb, I"nden, der Akinmusires „Rollcall for Akinmusire. „Er hat sein erstes Album der mit einer ganzen Phalanx von Poli- Those Absent“ zu spiegeln scheint. Es 2011 herausgebracht und alle "ngen zeibeamten unterwegs war. ist die Jazzbearbeitung eines Hip-Hop- an, sich für ihn zu interessieren. Und Titels von Kendrick Lamar und klingt was macht er jetzt? Er redet über m 3. Dezember 2014, als das weniger streng als das Original und die Dinge, die in der schwarzen Große Geschworenengericht als Akinmusires Stück. Glasper unter- Community passieren. Das tri#t ge- von Staten Island entschied, legt die Musik mit einer beruhigenden nau den Punkt.“ Pantaleo nicht des Mordes an- Melodie und einem geschmeidigen Azuklagen, verlieh Matana Roberts im Sambarhythmus. Dies konterkariert Wenn „To Pimp a Butter!y“ die passende Brooklyner Konzertsaal Roulette Inter- Demonstration in New York City, 24. November 2014 © CC BY-SA 3.0, Foto: The All-Nite Images er dadurch, dass er seinen sechsjähri- Musik für eine Keilerei am Samstag- medium ihrem Zorn in einer eindring- gen Sohn Riley und seine Freunde eine abend ist, dann erscheint Kamasi lichen einstündigen Multimedia-Arbeit Litanei der Namen schwarzer Ameri- Washingtons Debüt „The Epic“, das aus namens „Black Lives Matter/All Lives kaner lesen lässt, die von Polizisten drei CDs besteht und ausgesprochen Matter“ Ausdruck. Roberts leitete ein das auf dem Album „Nina Revisited: Großteil der kulturellen Information, hohen Preis für ihre entschiedenen getötet wurden. Viele von ihnen positiv aufgenommen wurde, als das Quartett, das neben ihr selbst aus dem A Tribute to Nina Simone“ zu "nden ist. die die junge Generation weltweit ver- Äußerungen zahlen mussten. werden auch in „Rollcall for Those für den sonntäglichen Kirchgang ge- Gitarristen Liberty Ellman, dem Schlag- Glasper produzierte auch eine um- mittelt bekommt, keinen großen Absent“ erwähnt. eignete Gegenstück, zumal Washingtons zeuger Ches Smith und dem Bassisten werfende Modern Jazz-Version von Nährwert hat.“„Ich bin im Ninth Und dabei sollte man die ohnehin schon Kevin Tkacz bestand. „Young, Gifted & Black“, auf der die Ward von New Orleans aufgewachsen unsichere Situation der heutigen Musik- Sie entwickelte klagende, glühende Stimme von Lalah Hathaway und jeder, der schon einmal dort war, industrie nicht vergessen, gerade im „The most vital contemporary music searches for ways schmelzende Altsaxofo- zu hören ist und der Rapper Common kann bestätigen, dass es dort wie in Bereich des Jazz. „Bei vielen Künstlern to articulate new responses to the dramas of social nimprovisationen und sich über die tödlichen Auseinander- der dritten Welt zugeht“, fährt Scott geht es ums Überleben“, beobachtet gleichsam bildgewaltige setzungen in Ferguson, Staten Island fort. „Wegen dieser Umstände, durch Ambrose Akinmusire. „Und in diesem change. Technological shifts and upheavals in how to Klanglandschaften und Baltimore auslässt. falsche Zuteilung von Mitteln und Zustand produziert man nicht unbedingt mit Klarinette, Loop- weil sie keinen Zugang zu wichtigen das, was ich für die beste und hoch- make, how to show, how to hear with clarity, how to Pedal, Tonbandgerät Ressourcen haben, werden viele Men- wertigste Kunst halte. Ich weiß nicht, und einer aufziehbaren Die Situation der Künstler schen zu einem Leben gezwungen, das ob dies besonders für die Jazz-Szene remember, how to move around, how to maintain poise Küchen uhr. Bald danach „Liberation Over Gangsterism“, ein sie nicht führen würden, wenn sie gilt. Aber ich "nde, dass Künstler im in a world gone crazy with commercial and informa- brachte sie ein weiteres Instrumentalstück auf dem in diesem eine Wahl hätten. Es ist eine kompli- Allgemeinen und schwarze Künstler eindrucksvolles und Jahr erschienenen Album „Stretch zierte Dynamik.“ im Besonderen weniger über sich selbst tional delirium.” düsteres Stück heraus: Music“ des Trompeters Christian Scott, und mehr über das reden sollten, was „My Death Must Mean das in seiner Emotionalität und The- ie möglichst große Verbreitung in der Welt vor sich geht. Das haben alle David Toop in „Haunted Weather – Music, Silence and Memory“ Something More: Ju- matik Washingtons „The Epic“ sehr auf künstlerischer Ebene ist für Künstler getan, die ich respektiere. Aber stice for Eric Garner ähnelt, bezieht sich zwar nicht direkt die Jazzmusiker, die sich mit den sie haben auch alle den Preis dafür Aber die vielleicht stärkste Stellung- Hintergrundorchestrierung aus Gesang and Michael Brown“, bei dem die auf #BlackLivesMatter, vermittelt Problemen und der Motivation bezahlt. Dazu müssen wir bereit sein.“ nahme des Jazz dieses Jahres, die die und Streichern – vermischt mit schwung- Bassistin Mechell Ndegeocello, die aber ein Bewusstsein für die beunru- Dder #BlackLivesMatter-Bewegung be- gesamte Wut und unruhige Energie vollen modalen Grooves und erlösenden Lyrikerin Staceyann Chin und der DJ higende Situation an urbanen Brenn- schäftigen, zu einem immer wieder- von #BlackLivesMatter zusammen- Tenorsaxofonimprovisationen – den Jahi Sundance Lake mitwirkten. punkten. Scott möchte mit seinem Titel kehrenden Thema geworden. Viele von Der Musikjournalist und DJ John Murph lebt und arbeitet in Washington, D.C. Er schreibt fasste, kam in Gestalt eines Hip-Hop- Hörer an die komplexe Schönheit und nicht nahelegen, dass er von oben ihnen "nden, dass sie keine andere für „JazzTimes“, „DownBeat“, „JazzWise“, Albums daher: Kendrick Lamars „To den musikalischen Einfallsreichtum Der grausame Tod des 25-jährigen herab eine Botschaft verkünden will. Wahl haben, als das Thema aufzugrei- das „Atlantic Monthly“, die „Washington Post“ Pimp a Butter!y“. Sowohl Akinmusire des schwarzen Amerika erinnert. Auf Freddie Gray, der im April 2015 im Ge- „Ich bin niemand, der sich solch ein- fen, auch wenn sie damit Gefahr laufen, und weitere Publikationen. als auch Glasper trugen zu diesem „The Epic“ bringt Washington geschickt wahrsam der Polizei von Baltimore in facher Rückschlüsse bedient, dass von den Medien und der Musikindustrie Album bei, genauso wie weitere Jazz- die ho#nungsvolle Musik von Ikonen Maryland Rückenmarksverletzungen schlechte Dinge als Nebenprodukte des Mainstream ausgeschlossen zu honoratioren oder Musiker, die die Schule wie Pharaoh Sanders, Horace Tapscott, erlitt, prägt ein von Robert Glasper dessen passieren, was wir im Fernsehen werden. Diese Sorgen sind nicht unbe- Das Ambrose Akinmusire Quartet des Jazz durchlaufen haben, so zum Mary Lou Williams, Marvin Gaye und produziertes und von der R&B-Sängerin oder im Kino sehen oder was wir in gründet, wenn man bedenkt, dass Iko- tritt gemeinsam mit Theo Bleckmann Beispiel der Tenorsaxofonist Kamasi Curtis Mayfield zu einer schlüssigen Jazmine Sullivan gesungenes Remake Musikstücken hören. Aber letztlich nen wie Roach, Simone, Rollins, Abby am 8. November um 19:00 Uhr im Washington, der Bassist Thundercat Aussage zusammen, die ganz klar des Randy Newman-Stücks „Baltimore“, müssen wir ehrlich sagen, dass ein Lincoln und Billie Holiday mitunter einen Haus der Berliner Festspiele auf.

6 Jazzfest Berlin DIE GLOBALISIERUNG DES JAZZ – Von Wolf Kampmann CHANCE ODER FALLE?

hat sich auf dem Congo Square in New zum Jazz made in USA war der Manou- und Harry Miller angesiedelt, Fela Kuti Orleans aus verschiedenen afrikani- che Jazz von Django Reinhardt und leistete mit seinem Afrobeat dem Pan- schen Elementen der afroamerikanische Stéphane Grappelli. Wie sich herausstel- afrikanismus Vorschub, Keith Jarrett Stil herausgebildet. Für den Ragtime len sollte, als Ellington Reinhardt in die machte vor, dass ein erfolgreicher ebenso wie für das Stride Piano war die USA holte, war er in keiner Weise zum amerikanischer Jazz-Musiker unter klassische europäische Klaviertradition dortigen Jazzgeschehen kompatibel. europäischen Parametern eine ganz wichtig, für den Jazz in New Orleans andere Musik zu machen in der Lage der unablässige Zuzug vor allem italieni- Es kann kein Zweifel darüber bestehen, ist als im Mutterland des Jazz. Es war scher Musiker. Duke Ellington orientierte dass der europäische Jazz in den ersten immer noch Jazz, hatte aber die ameri- sich an Maurice Ravel und Claude De- Jahrzehnten nach dem Zweiten Welt- kanische Hegemonie abgeschüttelt. bussy, Benny Goodman ließ Paul Hin- krieg von amerikanischen Musikern Vielleicht war es eine Kollateralfolge der demith und Béla Bartók für sich dominiert wurde. Paris wurde von ganzen unumkehrbaren Tatsache, dass der Rock schreiben, und Woody Herman beauf- Scharen New Yorker Jazzmusiker heim- dem Jazz einige seiner Kernkompetenzen tragte Igor Strawinsky mit dem „Ebony gesucht, die dort den Bebop zu neuen wie Improvisation und soziale Teilhabe Concerto“. Der Bebop erschloss die ka- Blüten trieben. Kenny Clarke, Bud abgeluchst hatte und es auch den Jazz- ribische Musik, der weitete Powell, Don Byas und Dexter Gordon sind musikern aus der ganzen Welt gelang, seinen Fundus nach Afrika und Indien nur die Bekanntesten unter denen, die den engen Kanon zu überwinden. aus, der Jazzrock basierte auf Errungen- sich dauerhaft an der Seine niederlie- schaften der britischen Rock-Szene. ßen. Die Europäer formierten sich und Der Jazz wurde global. Gruppen wie Jazz war von Anfang an und zu allen lernten, blieben aber vorerst Zaungäste. Codona mit dem in Europa lebenden Zeiten die globalste Musikform der Welt. Seltsamerweise hielt es jene Europäer, Amerikaner , dem Brasilianer denen ein eigenständiger Ton bescheinigt Naná Vasconcelos und dem in Indien Doch so paradox das klingen mag, bis wurde, nicht in ihrer Heimat, sondern geschulten Collin Walcott, das Trio des 1970 fand diese Globalisierung nur auf sie gingen nach Amerika, wie die Bei- Norwegers Jan Garbarek mit dem amerikanischem Boden statt. Im Rest spiele Jutta Hipp, Joe Zawinul, George Amerikaner Charlie Haden und dem der Welt wurde eifrig nachgespielt, was Mraz, Gábor Szabó, Karl Berger, Attila Brasilianer Egberto Gismonti, die Band aus Amerika vorgegeben wurde. Es gab Zoller oder Krzysztof Komeda belegen. des Norwegers Terje Rypdal, des Ameri- zwar Jazz in Europa, aber keinen euro- Und so war es kein Wunder, dass das kaners Jack DeJohnette und des Tsche- päischen Jazz. erste originär europäische Jazz-Album chen Miroslav Vitous, nicht zuletzt das von einem Amerikaner aufgenommen europäische Quartett Keith Jarretts The King & Carter Jazzing Orchestra © The Robert Runyon Photograph Collection, courtesy of The Center for American History, The University of Texas at Austin Die Begeisterung der Europäer für wurde. Art Farmer war es, der auf „From wären kurz zuvor noch undenkbar gewe- amerikanischen Jazz setzte gleich Sweden With Love“ erstmals ein ganzes sen. Was uns heute selbstverständlich nach dem Ersten Weltkrieg ein. James Album mit Jazzinterpretationen von erscheint, war damals einer der größten Reese Europe hinterließ mit dem Or- Folklore, made in Europe, verö#entlichte. Wandlungsprozesse der Jazz-Geschichte. chester der Harlem Hell"ghters in azz ist eine häu"g gebrauchte das ist, was sie kurz zuvor noch nicht zu tun. Aber was ist Jazz dann? Bis Frankreich einen bleibenden Eindruck. rst Ende der 1960er Jahre setzte Die Globalisierung des Jazz war über Vokabel, und doch steht sie für gewesen ist. vor wenigen Jahrzehnten konnte man Nicht nur in Frankreich, auch in jene Entwicklung ein, die wir einen langen Zeitraum errungen worden viel Unterschiedliches, teilweise sich noch darauf einigen, dass Jazz Deutschland, England und der Sowjet- heute als Globalisierung des und erschloss dem Jazz eine Unmenge sogar Gegensätzliches, einander Jazz ist immer dann spannend, wenn eine genuin amerikanische Musik ist. union setzte eine regelrechte Jazz- Jazz wahrnehmen. In Ländern regionaler Idiome. Man denke nur an JAusschließendes. Jeder glaubt zu wissen, er in der Gegenwart Tradition und Avant- Die Linien, die auf geradem Weg von Euphorie ein. Zahlreiche amerikanische Ewie Großbritannien, den Niederlan- den Balkan-Boom Ende der 1990er was der jeweils andere meint, wenn garde vereint. Reine Revivals, von denen der Marching Band in New Orleans, Musiker wie Sidney Bechet oder Coleman den, der Schweiz, Polen, Norwegen Jahre oder an die stilistische Vielfalt er von Jazz spricht, und doch stimmen es nicht wenige gibt, verharren in der dem Ragtime in St. Louis und den Va- Hawkins ließen sich in Europa nieder. und der Bundesrepublik Deutschland, der Radical Jewish Culture. kaum zwei Au#assungen über die Be- Vergangenheit und verlieren den An- rietés in Chicago und New York zu Die ersten gemeinsamen Auftritt von wenig später auch in der DDR und deutung von Jazz überein. Das ist glei- schluss an die Lebenswirklichkeit ihrer Free und Electric Jazz geführt haben, schwarzen und weißen Jazz-Musikern Frankreich hatten sich nationale Jazz- osgelöst vom Jazz hat der Begri# chermaßen eine der größten Schwächen Zuhörer. Die meisten Versuche, sich über waren in beide Richtungen stringent nach 1900 fanden nicht etwa in den USA, Biotope herausgebildet, die den Jazz Globalisierung indes längst seinen und Stärken des Jazz. Denn die Viel- den Kanon hinwegzusetzen, ohne in und nachvollziehbar. sondern in Deutschland statt. Einen ge- um völlig neue Ansätze bereicherten. positiven Beigeschmack verloren. falt seiner Auslegungen hält den Jazz irgendeiner Form die Tradition zu berück- nuinen deutschen, englischen, franzö- In den 1970er Jahren machte der Be- Kritisch betrachtet ist Globalisie- lebendig und erlaubt immer wieder neue sichtigen, versickern wiederum früher Das heißt nicht, dass der Jazz nicht seit sischen oder russischen Jazz gab es je- gri# Folklore Imaginaire die Runde. In Lrung die weltweite Gewinnoptimierung Spielarten. Jazz ist die einzige Musik- oder später in struktureller Apologetik. jeher für außeramerikanische Idiome doch nicht. Der einzige, wenn auch nicht London hatte sich eine südafrikanische der Eliten auf Kosten derer, die an der form, die zu jedem Zeitpunkt immer Auch das hat wenig mit Lebensgeist o#en gewesen ist. Schon in grauer Vorzeit als solcher angelegte, Gegenentwurf Enklave um Chris McGregor, Louis Moholo mondialen Ausweitung der Märkte

8 Jazzfest Berlin ökonomisch und sozial nicht parti- Unabhängigkeit um 1970 wahrnehmen konnten, hat und Jazz wird in den USA nun mal als zipieren können. Flüchtlingsströme, einer stilistisch das weit weniger zu tun als mit einem genuin amerikanische Musik angese- wie wir sie zur Zeit weltweit erleben, vielfältigen und handfesten Verdrängungswettbewerb. hen. Didaktische Ansätze helfen da sind die ebenso unkalkulierte wie nach allen Seiten kaum weiter. unausweichliche Folge. Abschot- o#enen Szene, das Indem sich der europäische Markt in tungserscheinungen ebenfalls. Jazz mit der Wirklichkeit Netzwerken organisiert und diese mit Die Herausforderung der Zukunft muss war in seinen innovativen Phasen jedoch nichts mehr zunehmendem Erfolg die Festivals be- darin bestehen, über alle Kontinente niemals die Musik der Eliten, und gemein hatte. stücken, schotten sie sich gegen Mit- und Nischen einen organischen Ausgleich doch beobachten wir beide Tenden- bewerber aus Übersee ab. Einfach aus- zwischen Globalisierung und Individuali- zen auch im Jazz. Natürlich nimmt gedrückt läuft es nach den Schema: sierung des Jazz zu "nden. Um Miss- über Soundcloud, „Nimmst du einen von meinen Musikern, verständnissen vorzubeugen, die admi- Was das Migrationsmoment betri#t, YouTube, Facebook nehme ich einen von deinen, und nimmst nistrative Arbeit für und mit dem Jazz- ist das ja gar nicht schlecht. Jazz- und andere Portale du zwei von mir, dann nehme ich eben musiker ist gut und wichtig. Wir müssen musiker waren schon zu allen Zeiten die Sichtbarkeit des auch zwei von dir“. Unter globalisierten nur aufpassen, dass sich die europäi- Nomaden. Sie haben ihre Zelte im- individuellen Jazz- Bedingungen entsteht ein kontrollierter schen Jazz-Netzwerke nicht in ein in- mer dort aufgeschlagen, wo sie die musikers im Ver- europäischer Jazz-Binnenmarkt, der groß formelles Kartell verwandeln, das besten Arbeitsbedingungen fanden. gleich zum analogen genug ist, um sich selbst zu genügen. andere außen vor lässt. Andernfalls wären Von New Orleans ging’s nach Chi- Zeitalter erheblich Qualitätsstandards kann man aber nur die Folgen für den Jazz unabsehbar. cago, von dort nach New York und zu. Die Kehrseite im weltweiten Austausch genügen. immer so weiter. Nie zuvor war es der Medaille ist, dass so leicht, sich auf globaler Ebene seine Chancen, in o widersprüchlich die ersten Wolf Kampmann lebt als freier Autor und Jazzjournalist in Berlin. auszutauschen, wie in den Zeiten der ständig konzen- Globalisierungsversuche auf von Billig-Airlines und Internet. Eine trisch zunehmenden amerikanischem Boden vor Szene wird nicht mehr dadurch cha- Masse an Informa- 1970 waren, so paradox ist die rakterisiert, dass Musiker zu einem tionen überhaupt SGrundtendenz des gegenwärtigen bestimmten Zeitpunkt unter ver- noch wahrgenom- Jazzmarktes, sei es auf Tonträgern oder gleichbaren sozialen und kulturellen men zu werden, pro- in der Live-Szene. Der transatlantische Bedingungen aufwachsen, sondern portional zu seiner Jazzgraben war seit 45 Jahren nicht mehr von der vorübergehenden Infrastruk- Sichtbarkeit ab- so groß und unüberwindbar wie gegen- tur eines Ortes. Das bringt den Vor- nehmen. Die Funk- wärtig. Speziell auf dem deutschen teil mit sich, dass ein Musiker nicht tion der Visualisie- Musik-Markt wird das amerikanische mehr unweigerlich in eine bestimmte rung übernehmen Jazz-Geschehen kaum noch abgebildet. Tradition oder Haltung hineinwächst, für ihn Exportbüros, Die großen Jazz-Labels wie Blue Note, sondern einen viel souveräneren Zu- Netzwerke und Concorde oder Impulse de"nieren sich, gri# auf seinen frei gewählten künst- Showcase-Festivals, von bestimmten Speerspitzen des Jazz lerischen Kontext hat. die den jeweiligen abgesehen, hauptsächlich über mittel- Musiker meist aus mäßigen Adult Rock, die Independent - er Jazz-Hype in Berlin kurz nationaler oder loka- Jazz-Szene, die an beiden Küsten so nach der Jahrtausendwende ler Perspektive eher lebendig ist wie lange nicht mehr, war ein gutes Beispiel für eine als Klienten wahr- findet indes kaum noch den Weg ins solche Entwicklung. In Berlin dass Musiker aus der ganzen Welt in das Geld, spätestens ab 2010 stiegen nehmen, denn als künstlerische Per- europäische Bewusstsein. Dgab es eine hohe Dichte an Clubs, Berlin andockten. Doch anders als in Berlin die Mieten genauso rasant sönlichkeit. Es gilt, die eigene Klientel Labels, Festivals und Vernetzungen Paris in den 1950er Jahren blieb Berlin wie in jeder anderen Metropole. Für fünf gegen die Konkurrenz am Markt in Dabei ist es wenig hilfreich, darauf zu zur Kunst- und Theaterwelt bei ver- ein Durchlauferhitzer. Da viele Musiker kurze Jahre war die deutsche Haupt- Stellung zu bringen. Mit einem gesun- verweisen, dass der amerikanische gleichsweise geringen Lebenshaltungs- nur für kurze Zeit an der Spree blieben, stadt der Migrationsmittelpunkt den Austausch vergleichbarer Idiome Markt sich ja auch nicht an europäi- kosten. Wohn- und Arbeitsraum war prägte sich eine Art Berliner Jazz- des weltweiten Jazz und danach immer- unter den Auswahlkriterien von Qualität, schem Jazz orientiert. Die amerikani- im direkten Vergleich zu New York, Diaspora aus, die sich über sämtliche hin noch das virtuelle Synonym für Originalität und Attraktivität, wie wir sche Kultur hat seit jeher ein anderes London oder Paris dermaßen günstig, Kontinente verteilte. Der Kunst folgte wirtschaftliche und künstlerische das beim ersten Globalisierungsschub Verhältnis zu den eigenen Wurzeln,

10 Jazzfest Berlin Act”, dem „Native Laws Amendment öffentliche Auftritte unmöglich ge- sie regelmäßig vor einem kleinen, Act” und dem „Group Areas Amend- macht hatten. Die britische Musiker- aber sehr engagierten Publikum spielen ment Act”, die – vom Apartheid-Regime gewerkschaft, eher darum bemüht, konnten: den Little Theatre Club in VON DEN TOWNSHIPS mit dem Ziel der Rassentrennung ent- die kurzfristigen Interessen ihrer Mit- Covent Garden, der von dem Schlag- wickelt – alle in den 1950er Jahren in glieder zu vertreten, als die Chancen zeuger John Stevens betrieben wurde, Kraft traten. Wenn sie auf der Suche wachsenden kulturellen Reichtums und Ronnie Scotts Old Place, der ein nach Arbeit durch Südafrika reisten und zu fördern, gestand den Blue Notes erst paar Straßen entfernt in Chinatown in ihrem schrottreifen VW-Kombi von nach den satzungsgemäßen zwölf lag. In diesem Umfeld wurden Künst- einem Auftritt zum nächsten fuhren, Monaten Wartezeit die Mitgliedschaft ler ermutigt, sich mit anderen aus- AN DIE THEMSE mussten sie „der Polizei immer einen zu und setzte damit unabsichtlich zutauschen und in neuen Formationen Schritt voraus sein”, so Chris McGregors genau die Restriktionen fort, wegen zu musizieren. In der ungezwungenen Wie der südafrikanische Jazz im Dschungel Frau Maxine. derer die Künstler aus ihrer Heimat ge- Atmosphäre dieser Laboratorien hör- !ohen waren. Eines der wenigen Kon- ten auch junge britische Musiker, der europäischen Jazzmusik überlebte: n Europa würden sie Zu!ucht "n- zerte, die sie spielen konnten, gaben wie der Pianist und der den, stellten sie sich vor, würden sie in einem Pub namens Duke Of York, Saxofonist , die Blue Notes Von den Blue Notes zum Louis Moholo-Moholo Quartet herzlich willkommen geheißen der mitten in London und passender- aus nächster Nähe und gingen künst- und ungehindert ihren Lebens- weise direkt gegenüber dem Haupt- lerische Beziehungen ein, die ihre Karri- Von Richard Williams Iunterhalt bestreiten können. Ganz so quartier des sich im Exil be"ndenden eren prägen sollten. McGregor stellte war es dann nicht. Nach ihrem Auf- Afrikanischen Nationalkongresses lag. eine Bigband zusammen, in der neben tritt beim Festival verbrachten sie noch Trotz aller Schwierigkeiten begann ihre den Südafrikanern einige britische einige Tage in Antibes und gaben auf Anwesenheit in London, sich stark auf Musiker spielten – wobei der allzu große der Straße Konzerte. Auf Anregung von eine neue Generation junger britischer Aufwand diesem sehr ambitionierten ls die ersten Generationen euro- Dizzy Gillespie und Horace Silver ge- doch war dies für sie nur der Ausgangs- Dollar Brand (dem später als Abdullah Musiker auszuwirken, die auf die un- Projekt schon bald ein Ende setzen sollte. päischer Musiker lernten, hörten. Das Umfeld, in dem sie auf- punkt des musikalischen Wegs, den Ibrahim bekannten Pianisten), der gewöhnliche Wärme und Dringlichkeit Jazzmusik zu spielen, wurde wuchsen, sorgte jedoch dafür, dass sie verfolgen wollten. Südafrika 1962 mit dem tourenden ihrer Art, Jazz zu spielen, ansprachen. Die gleichen wirtschaftlichen Faktoren von ihnen keine große Origina- ihre Musik schon während der Nach- Ensemble des Musicals „King Kong“ zwangen nach einer Weile auch den Alität erwartet. Sie beglückwünschten ahmungsphase unweigerlich von ganz Mit ihrer erfrischenden Rohheit und verlassen und sich in der Schweiz Die südafrikanischen Künstler selbst Kern der Gruppe, sich in unterschied- sich schon, wenn es ihnen gelang, die eigenen, besonderen Aromen durch- der Bereitschaft, konventionelle niedergelassen hatte, zogen sie nach mussten allerdings einen weiteren Ent- liche Richtungen zu orientieren. Feza einzelnen Elemente dieser musikalischen zogen war. Sie waren mit Kwela groß Strukturen und Tonalitäten zu dehnen Zürich. Brand sicherte ihnen gelegent- wicklungsschritt vollzie- Ausdrucksweise so zu verinnerlichen, geworden, einem fröhlich-melodischen und zu beugen, schienen sie auf einer liche Auftritte im Zürcher Africana Club hen. Im Jahr 1966 waren dass sie ihre amerikanischen Idole er- Straßenmusikstil, der auf Penny Whistles Wellenlänge mit dem zu liegen, was und dem Blue Note in Genf, während die Auftrittsgelegenheiten folgreich kopieren konnten. Sobald bei gespielt wurde, mit der vom Swing be- Charles Mingus ein paar Jahre zuvor sie den Winter über gemeinsam im in Großbritannien rar einem europäischen Musiker irgendeine ein!ussten Tanzmusik Mbaqanga und auf Alben wie „Tijuana Moods“ und Keller eines Studentenwohnheims gesät. Sie wurden jedoch originäre und anhaltende stilistische mit den Liedern, die man in den Kirchen „Blues & Roots“ ausprobiert hatte. Trotz lebten. Aus dieser Zeit gibt es eine An- eingeladen, im berühm- Individualität zu erkennen war, wurde ihrer Townships sang. Und während seiner umfassenden musikalischen ekdote über eine unangenehme Begeg- ten Montmartre Club in diese gleich einem spezi"schen Aspekt ihre amerikanischen Zeitgenossen im Ausbildung war Mingus dazu überge- nung von Moyake mit Wayne Shorter Kopenhagen zu spielen, seiner ethnischen Herkunft zugeschrie- Modern Jazz nach einer neuen Verbin- gangen, seinen Musikern ihre individu- bei einer Party von Brand, zu der dieser wo schon Musiker wie ben: Django Reinhardts Sinti-Wurzeln dung mit afrikanischen Rhythmen ellen Stimmen nach Gehör beizubringen, die Blue Notes und die Mitglieder des , Archie Shepp zum Beispiel oder Joe Harriotts jamai- suchten, war diesen Musikern die afri- da er glaubte, der Verzicht auf nieder- Miles Davis Quintets eingeladen hatte. und Albert Ayler zu Gast kanischer Herkunft. Doch erst der kanische Polyrhythmik schon in die geschriebene Partituren würde sie Die Begegnung endete damit, dass gewesen waren. Durch Auftritt der südafrikanischen Blue Notes Wiege gelegt worden. ermutigen, die aus den allerersten Moyake Shorter vorwarf, nichts zu die Begegnung mit dem beim Jazz á Juan Jazzfestival in Antibes Anfängen des Jazz bekannte Art von spielen, was er selbst nicht schon vor- „New Thing“, wie die im Jahr 1964 brachte den Europäern ieser einzigartige Klang war spontanem Zusammenspiel neu auf- her gespielt habe. Jazz- Avantgarde der 60er den Gedanken nahe, dass die ästheti- also von Anbeginn an da, wie leben zu lassen. Doch mit ihrem voll- Jahre auch genannt schen Grenzen des Jazz nicht zwangs- man auf den Aufnahmen, die kommen neuartigen Gespür für Into- Als die Band im darau#olgenden Früh- wurde, erweiterten sich läufig von Amerikanern definiert McGregor 1963 mit seiner ersten nation und Rhythmik unterschieden jahr weiterzog, war Moyake schwer die musikalischen werden mussten und sein künstleri- DBigband produzierte, ebenso hören die Blue Notes sich von allen amerika- erkrankt und kehrte nach Südafrika Grenzen der Südafrika- sches Klima durchaus je nach geo- kann wie auf jenen, die die Blue Notes nischen Vorgängern. zurück. In London, ihrem nächsten ner. Das erlaubte ihnen, gra"schem Ursprung variieren durfte. selbst ein Jahr später einspielten, kurz Ziel, hatte man ihnen ein zweiwöchiges ihre ohnehin schon stark bevor sie ins Exil gingen. Als ohnehin Sie kamen von überall aus Südafrika – Engagement in Ronnie Scotts Club an- vokalisierten instrumenta- Bei ihrem Auftritt in Antibes waren die schon virtuose Anhänger einer neuen Pukwana aus Port Elizabeth, Moyake geboten. Dort stießen sie auf enormes len Klänge und ihre leiden- Blue Notes eine sechsköp"ge Band. Ihr Jazzbewegung mit Hauptsitz in New vom Ostkap, Feza aus der Provinz Interesse bei Kritikern und Zuhörern, schaftliche Extrover- erfahrenstes Mitglied war der 31-jährige York ließen sie erahnen, dass sie etwas Natal, Dyani aus East London und die allein schon der Gedanke erstaunte, tiertheit, die mit einer Tenorsaxofonist Nikele „Nick“ Moyake. ganz eigenes zu bieten hatten: Euro- McGregor, der die Band de facto leitete, dass Südafrikaner überhaupt Jazz besonderen Begabung Die anderen Musiker waren der 19 Jahre päischen Ohren o#enbarte sich das aus der Transkei –, aber ihre ersten spielten. Auch die gemeinsame Sprache für eine sehnsuchtsvolle alte Trompeter , der zunächst am markantesten in der gemeinsamen Konzerte gaben sie in und die Tatsache, dass es hier eine Emotionalität einherging, 26-jährige Altsaxofonist , emotionalen Freigiebigkeit und O#en- Moholos Geburtsstadt Kapstadt. Die Gemeinschaft südafrikanischer Ein- voll auszuschöpfen. der 27-jährige Pianist Chris McGregor, heit ihres Spiels. Obwohl ihre technische Umstände hätten kaum schwieriger wanderer gab, überzeugten sie davon, der 17 Jahre alte Bassist Johnny Mbizo Fertigkeit unumstritten war, schien sein können, wurden sie doch auf- dass sie in London bleiben sollten. it dieser neuen Dyani und der 24-jährige Schlagzeuger ihnen die Präzision, die die meisten grund ihrer unterschiedlichen ethni- Perspektive Louis Moholo. Wie ihre europäischen Europäer für einen unabdingbaren schen Herkunft (McGregor war weiß, Die Behörden waren jedoch nicht ge- kehrten sie nach Zeitgenossen hatten sie zu Beginn ihrer Bestandteil einer echten Jazzgröße die anderen schwarz) sofort zur Ziel- neigt, sie als Ge!üchtete aus einem Un- London zurück Karrieren ihre Vorbilder kopiert, zu denen hielten, gar nicht so wichtig zu sein. scheibe von Gesetzen wie zum Beispiel terdrückerstaat anzuerkennen, dessen Mund fanden bald zwei Charlie Parker, Thelonious Monk, Sie spielten technisch mehr als souverän, dem „Reservation of Separate Amenities rassistische Gesetze ihnen gemeinsame Auftrittsorte, an denen

12 Jazzfest Berlin bei ihrem ersten Konzert in Ronnie Scott’s Club, London, 26. April 1965: Louis Moholo, Dudu Pukwana, Mongezi Feza, , Chris McGregor © John Goldblatt

heiratete eine Dänin und zog wieder Malcolm Gri$ths und Nick Evans und Soloalben von mit, dem „B My Dear”, und auch mit über siebzig Wheeler und andere Kompositionen Als die Blue Notes 1964 in nach Kopenhagen. Dyani und Moholo anderen Musikern aus der Gegend. Mitbegründer von Soft Machine. Jahren versteht er es noch immer, das der Blue Notes, die sie im Jahr 1992 erst- Antibes zum ersten Mal hörte, bei ihrem gründeten mit dem amerikanischen Schon bei ihrem allerersten Konzert Publikum in seinen Bann zu ziehen und mals aufgenommen hatten. ersten Auftritt außerhalb Südafrikas, Sopran saxofonisten und dem in der Notre Dame Hall am Leicester Und dann verschwanden sie, einer nach seine Mitspieler mit einem einzigen Peit- war er „genauso überwältigt wie beim italienischen Trompeter Enrico Rava ein Square, dessen Erlös Chris dem Afrika- dem anderen. Moyake starb 1969 in schenknall in Höchstform zu versetzen. er Saxofonist Julian Argüelles, Konzert des Miles Davis Quintets mit Quartett. Sie traten zunächst in Italien, nischen Nationalkongress (ANC) Südafrika. Beer zog nach Ibiza, wo er Jüngere Generationen haben das Wesen Gründungsmitglied der Loose Tony Williams im Jahr davor. So etwas dann in Argentinien auf, wo die beiden spendete, war klar, dass dieses große bis heute Boote baut. Feza starb 1975, ihres Jazzstils ins 21. Jahrhundert Tubes, veröffentlichte in die- hatte ich noch nie gehört.“ Die „Reinheit Südafrikaner in Buenos Aires für einige Ensemble eines der außergewöhn- woraufhin Wyatt erklärte, dass er sich überliefert. Loose Tubes, eine in den sem Jahr ein Album mit dem und Originalität“ der Musik, wie er sie Monate strandeten, bis es McGregor lichsten und spannendsten in der ge- nicht vorstellen könne, ohne seinen 1980er Jahren von jungen Musikern in DTitel „Let It Be Told“, auf dem seine später beschrieb, fesselten ihn vom schließlich gelang, sie nach London zu- samten Geschichte des Jazz werden Freund je wieder ein Album zu produ- London gegründete und stark von den Arrangements von Stücken von Pukwana, ersten Moment an. Diese Eigenschaften rückzuholen. Ihre Rückkehr kam gerade würde. Die Musiker entwickelten in bril- zieren. Der Bassist Harry Miller, der in Blue Notes beein!usste Band, fand in McGregor, Feza, Dyani, "nden durch die Jahre hindurch noch zur rechten Zeit für eine Wiedervereini- lanter Weise die Ellingtonsche Tradition den späten 60er Jahren aus Kapstadt diesem Sommer für eine Konzertreihe und Miriam Makeba für die Frankfurter immer ungemindert ihren Widerhall, als gung der Blue Notes, bei der Ronnie weiter und ließen dabei Raum für den nach London gezogen und häu"g für und ein neues Album wieder zusammen. HR-Bigband zu "nden sind. Die Musik strahlendes und inspirierendes Vermächt- Beer Moyakes Platz einnahm. Sie nahmen Expressionismus der Avantgarde – wie Dyani eingesprungen war, starb 1983, Ihr Pianist und Komponist Django Bates der südafrikanischen Exilanten, so nis für all jene, die genau hinhören. mit dem Produzenten Joe Boyd (der vor es beispielsweise das Publikum bei drei Jahre später gefolgt von Dyani selbst gab seine Liebe zum Geist der südafri- Argüelles, „hielt immer wunderbar die allem für seine Arbeit im Folk-Rock, zum einem Konzert in der Philharmonie im sowie 1990 von McGregor und Pukwana. kanischen Musiker an seine Studenten Balance aus zugänglichen, melodischen Beispiel mit Fairport Convention, Nick Rahmen der Berliner Jazztage 1971 er- So ist von der ursprünglichen Besetzung am Rytmisk Musikkonservatorium in und groovenden Elementen und an- Richard Williams lebt als Musikjournalist in London. Seit 2015 ist er Künstlerischer Leiter Drake und der Incredible String Band, be- leben konnte. Dieses Mal verhalf ein nur noch Moholo am Leben und in der Kopenhagen, der Londoner Royal Aca- spruchsvollen, ein bisschen verrückten. des Jazzfest Berlin. kannt ist) das Album „Very Urgent“ auf. Plattenvertrag bei dem renommierten Lage, die Tradition aufrechtzuerhalten. demy of Music und der Hochschule der Man konnte einerseits die Townships Label RCA der Band zu andauerndem Noch immer leitet er verschiedene Künste in Bern weiter. Das Dedication heraushören und auf der anderen Seite m Juni 1970 stellte McGregor Erfolg. Auch die anderen Mitglieder der Bands, arbeitet mit alten und neuen Orchestra, in dem einige der ursprüngli- den Free Jazz. Auch als sie sich dem seine Bigband unter dem Namen Blue Notes setzten ihre Arbeit in neuen Freunden zusammen und spielt weiter- chen Mitglieder von Brotherhood of Free Jazz annäherten, blieben sie den- wieder Formationen fort: Pukwana gründete hin einige der vertrauten Stücke, wie Breath spielen, trat 2014 wieder gemein- noch zugänglich. Vielleicht konnten Sun zusammen, mit den Saxofonisten die Bands Zila und , Dyani die zum Beispiel Fezas „You Ain’t Gonna sam in London auf und präsentierte Ra und Mingus das auch, aber die Musik Das Louis Moholo-Moholo Quartet IParker, und Alan Skidmore, Gruppe Witchdoctor’s Son und Moholo Know Me ’Cos You Think You Know Me” einem neuen Publikum Arrangements der Blue Notes hatte einen ganz eigenen tritt am 8. November um 19:00 Uhr Marc Charig am Kornett, den Posaunisten Viva La Black. Feza arbeitete an den oder Pukwanas hinreißende Ballade von Tippett, Mike Westbrook, Kenny Charakter und großen Ein!uss.“ im Haus der Berliner Festspiele auf.

14 Jazzfest Berlin Programm Jazzfest Berlin 2015

Freitag, 16. Oktober Donnerstag, 5. November Freitag, 6. November Samstag, 7. November Sonntag, 8. November

Haus der Berliner Festspiele Haus der Berliner Festspiele / Kassenhalle Haus der Berliner Festspiele / Kassenhalle Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche A-Trane Akademie der Künste / Hanseatenweg 19:00 Uhr 18:00–18:30 Uhr 17:30 Uhr 15:00 Uhr 21:30 Uhr 16:00 Uhr Presse und Publikumsgespräch Künstlergespräch mit Émile Parisien und Albert-Mangelsdor#-Preis 2015 The Necks Plaistow Dylan Howe’s Subterraneans Auftaktkonzert Julia Kadel, Moderation: Nadin Deventer Preisträger: Achim Kaufmann Chris Abrahams organ Johann Bourquenez piano New Designs on Bowie’s Berlin Julia Kadel piano Verliehen von der Union Deutscher Tony Buck drums Vincent Ruiz double bass Dylan Howe drums Alexander Hawkins piano Haus der Berliner Festspiele / Große Bühne Jazzmusiker e.V. Lloyd Swanton double bass Cyril Bondi drums Dave Whitford double bass 19:00 Uhr Award Ceremony and Ross Stanley piano Splitter Orchester / George Lewis Award Winner’s Concert Steve Lodder synthesizers Creative Construction Set™ (2015, UA) grünen Haus der Berliner Festspiele / Seitenbühne James Allsopp tenor saxophone Haus der Berliner Festspiele mit Unterstützung von initiative neue musik e.V. 23:00 Uhr 17:30 Uhr Liz Allbee trumpet Achim Kaufmann piano Laura Jurd’s Dinosaur Haus der Berliner Festspiele / Kassenhalle Film Boris Baltschun electronics Robert Landfermann bass Conor Chaplin e-bass 18:00–18:30 Uhr Charles Lloyd: Arrows Into In!nity Burkhard Beins percussion Christian Lillinger drums Corrie Dick drums Künstlergespräch mit Cymin Samawatie (USA 2012, 113 min) Anthea Caddy cello Elliot Galvin piano und Alexander Hawkins With Charles Lloyd, Herbie Hancock, Anat Cohavi clarinet Laura Jurd trumpet Moderation: Nadin Deventer Jack Dejohnette, Robbie Robertson, Werner Dafeldecker double bass Haus der Berliner Festspiele / Große Bühne Jason Moran et al. Mario De Vega electronics 20:00 Uhr Dorothy Darr, Je#ery Morse director and Axel Dörner trumpet The Keith Tippett Octet producer Haus der Berliner Festspiele / Große Bühne Kai Fagaschinski clarinet The Nine Dances Of Patrick O’Gonogon Charles Lloyd music 19:00 Uhr Robin Hayward tuba Fulvio Sigurta trumpet, !ugelhorn Diwan der Kontinente Steve Heather percussion Sam Mayne alto saxophone, Haus der Berliner Festspiele / Große Bühne Sveta Kundish vocals Chris Heenan bass clarinet soprano saxophone, !ute 20:00 Uhr Defne Sahin vocals George Lewis trombone, electronics James Gardiner-Bateman alto saxophone Tigran Hamasyan Trio Cymin Samawatie vocals, composition Magda Moyas clavinet Kieran McCloud trombone Tigran Hamasyan piano Mari Sawada violin Matthias Müller trombone Richard Foote trombone Arthur Hnatek drums Martin Stegner viola Andrea Neumann inside piano Tom McCredie double bass Sam Minaie double bass Boram Lie cello Morten J. Olsen percussion Peter Fairclough percussion, drums Demetrios Karamintzas oboe Simon J. Phillips piano Keith Tippett piano, composition Charles Lloyd Ralf Schwarz double bass Julia Reidy guitar Guest: Julie Tippetts lyrics and vocals to Wild Man Dance Project Lars Zander bass clarinet, electronics Ignaz Schick turntables, objects “The Dance of Her Returning” Charles Lloyd tenor saxophone Ketan Bhatti drums, electronics, composition Michael Thieke clarinet Gerald Clayton piano Joss Turnbull tombak, percussion, electronics Clayton Thomas double bass Miguel Zenón Quartet Joe Sanders double bass Christian Weidner saxophone, duduk Sabine Vogel !utes Identities Are Changeable Eric Harland drums Hilary Je#ery trombone Biliana Voutchkova violin Henry Cole drums Socratis Sinopoulos lyra Tilmann Dehnhard bass !utes, electronics Marta Zapparoli "eld recordings, tapes Hans Glawischnig double bass Miklós Lukács cimbalom Niko Meinhold piano, guzheng Kassian Troyer sound engineer Louis Perdomo piano Sabrina Ma marimba, vibraphone Miguel Zenón saxophone Naoko Kikuchi koto Cécile McLorin Salvant Quartet Vladiswar Nadishana ney, duduk, hulusi Aaron Diehl piano Akademie der Künste / Hanseatenweg Wu Wei sheng Lawrence Leathers drums 21:00 Uhr Bassem Alkhouri kanun Paul Sikivie double bass A-Trane Paal Nilssen-Love / Large Unit Matthias Kurth oud, guitar Cécile McLorin Salvant vocals 21:30 Uhr Thomas Johansson cornet, !ugelhorn Mohamad Fityan ney, kawala Giovanni Guidi Trio Mats Äleklint trombone Vincent Peirani Giovanni Guidi piano Julie Kjær alto saxophone, !ute Louis Moholo-Moholo Quartet Living Being João Lobo drums Klaus Ellerhusen Holm alto saxophone, John Edwards double bass Julien Herné double bass Thomas Morgan double bass baritone saxophone, clarinet Alexander Hawkins piano Émile Parisien saxophone Åke Holmlander tuba Louis Moholo-Moholo drums Tony Paeleman fender rhodes Ketil Gutvik guitar Jason Yarde saxophones Vincent Peirani accordion Tommi Keränen turntables, electronics Haus der Berliner Festspiele / Seitenbühne Yoann Serra drums Jon Rune Strøm e-bass, double bass 23:30 Uhr Ambrose Akinmusire Quartet + Christian Meaas Svendsen e-bass, Lumen Drones Theo Bleckmann double bass Ørjan Haaland drums Ambrose Akinmusire trumpet Andreas Wildhagen drums, percussion A-Trane Nils Økland violin Theo Bleckmann vocals Paal Nilssen-Love drums, percussion, 21:30 Uhr Per Steinar Lie guitar Justin Brown drums composition Julia Kadel Trio Sam Harris double bass Julia Kadel piano, composition Harish Raghavan piano Ste#en Roth drums Karl-Erik Enkelmann double bass

16 Jazzfest Berlin DIE NEUERFINDUNG DES JAZZ-KLAVIERTRIOS: THE NECKS

The Necks © Holimage

as australische Trio The Necks Schlagzeug. Dieser Grundansatz wurde verstarben die großen Solisten und langersehnte Lösung für die Probleme, abgewandt. Bei seinen sorgfältig kons- großen Klaviertrios der Vergangenheit. besteht aus Tony Buck, Lloyd seit den 1940ern von Ensembles unter der Bandleader des klassischen Jazz, oder die ihnen auf Tourneen die unzuverläs- truierten Alben und Konzerten mit Während respektierte Vertreter des Swanton und Chris Abrahams Leitung von Teddy Wilson, Bud Powell, sie zogen sich zurück. In neuen Strö- sigen und schlecht gep!egten Klaviere Gary Peacock und Jack DeJohnette – Genres wie Abdullah Ibrahim, McCoy und ist alles andere als ein Thelonious Monk, Oscar Peterson, Marian mungen – Fusion, Smooth Jazz, freier der Veranstaltungsorte bereiteten. egal, ob sie frei improvisierten oder Tyner, Ahmad Jamal, Paul Bley und DRepertoire-Ensemble, wie zum Beispiel McPartland und Bill Evans entwickelt. Improvisation, neoklassischem Modern Allerdings löste die Allgegenwart von sich auf Jazz-Standards bezogen – war Martial Solal von dem neu erwachten ein klassisches Orchester, eine Rock- Und nun spielen The Necks hier bei einem Jazz, Acid und postmodernem Jazz – elektronischen Keyboards und Faux frischer und inspirierender Klaviertrio- Interesse pro"tierten, wurde es gleich- band, die ihre Hits herunterspielt, oder Jazzfestival, das über die Jahre schon wurde entweder mit größeren Ensem- Pianos bald eine Sehnsucht nach dem Jazz zu hören, Teil einer Tradition, die zeitig von neuen Bands bereichert und eine Jazz-Gruppe, die Standards inter- viele der großen Klaviertrios zu Gast bles oder einem einzelnen Künstler Klang eines „richtigen Klaviers“ aus. sich bis auf die Arbeit von Bill Evans belebt. Neue Zuhörerschaften und pretiert. Aber auch innerhalb der Kate- hatte und zweifellos künftig viele weitere gearbeitet, oder sie waren eher an der Genau zu diesem Zeitpunkt wurde man mit Scott LaFaro und Paul Motian An- Möglichkeiten für das Klaviertrio als gorie der „kreativen“ Musiker ohne präsentieren wird. Der Auftritt von The Technologie orientiert. Das Klaviertrio sich in der Welt der klassischen Musik fang der 1960er zurückverfolgen ließ. Kunstform wurden so entwickelt. festes Repertoire nehmen sie eine Necks hier beim Jazzfest Berlin 2015 – stand vorübergehend im Schatten. darüber klar, dass digitale Aufnahme- Sonderrolle ein. Schließlich spielen wo unter anderem auch die Trios von verfahren, die vom Boom der CD in den rad Mehlau sicherte sich mit Ein weiterer Strang in der Wiederbe- auch die innovativsten Interpreten von Giovanni Guidi, Julia Kadel und Tigran In den Nachkriegsjahren wurden zahl- 80ern angetrieben wurden, die dynami- seiner Albumreihe „The Art of lebung des Klaviertrios war das Auf- zeitgenössischer E-Musik, Improvisation Hamasyan spielen werden – bietet An- lose neue Tasteninstrumente entwickelt, sche Bandbreite und Feinheit der Klang- the Trio“ einen festen Platz im treten von Trios, die von Komponisten und progressivem Jazz strukturierte lass, die Rolle der australischen Gruppe so zum Beispiel Hammond-Orgel, farben dieses Instruments in einem bisher Wiederau!eben des Genres in geleitet werden und die sich der zeit- Stücke, die sich jeden Tag und bei je- innerhalb der zeitgenössischen Jazz- Clavinet, Rhodes-Piano, Moog-Syn- ungekannten Maße einfangen konnten. Bden 90ern. In den letzten zehn Jahren genössischen Rockmusik, dem Post- dem Auftritt weitgehend gleich an- szene sowie die Entwicklung der Kunst thesizer, Prophet, DX7, Yamaha CS80, wurden viele Vertreter dieser Form ent- Rock und der modernen E-Musik zu- hören. The Necks dagegen sind nur in des Klaviertrios näher zu betrachten. Instrumente der Firmen Oberheim, Eine neue Generation von Pianisten und deckt oder wiederentdeckt, darunter gehörig fühlen. Darunter sind E.S.T. (das ihrer Unberechenbarkeit berechenbar Korg, Roland usw. und viele verschiedene Klaviertrios betrat die Bühne und streb- Marcin Wasilewski in Polen, Jef Neve in Esbjörn Svensson Trio, dessen glanzvolle und darin, dass sie ihren eigenen Regeln enn man die Entwicklung des analoge, digitale und Sample-Synthesi- te, vielleicht inspiriert von Keith Jarrett, Belgien, Brian Kellock in Schottland, Karriere 2008 durch den Unfalltod folgen – Regeln, die ihnen in ihrem Musi- Jazz in den letzten Jahren ver- zer. Zusammen bescherten diese neuen mit einem Gefühl moralischer Über- Emil Viklický in der Tschechischen Svenssons jäh beendet wurde), Bad Plus, zieren ein unübertroffenes Maß an folgt hat, wird man bemerkt Geräte der Musik eine völlig neue Klang- legenheit nach der „reinen“ Kunst des Republik, Michael Wollny und Julia Christoph Stiefel, das Neil Cowley Trio, Freiheit erlauben. haben, dass das Klaviertrio, palette, die in den 60ern und 70ern von Jazztrios. Jarrett, der Hohepriester der Hülsmann in Deutschland und Fred das Tord Gustavsen Trio, Phronesis (unter Wein Format, das sich jeglichen Trends Künstlern von Ray Charles bis Joe akustischen Klaviermusik, hatte sich Hersch, , Geri Allen und der Leitung des dänischen Bassisten An der Ober!äche teilen sie viele Merk- widersetzt und immer wieder dem Zawinul, Herbie Hancock und Larry bekanntlich nach Jahren des Ringens Kenny Barron in den Vereinigten Staaten. Jasper Høiby), das Trio des aus Arme- male der so beständigen Form des Mainstream verweigert hat, wieder Young verwendet wurde. Für Musiker mit unkooperativen elektrischen Inst- Jason Morans Bandwagon beschritt nien stammenden Pianisten Tigran Jazz-Klaviertrios mit seiner traditionellen zu neuer Bedeutung gekommen ist. und Bandleader war diese neue Ge- rumenten, die er während seiner Zeit entschieden zeitgenössische Wege Hamasayan und die englische Band Besetzung aus Klavier, Kontrabass und In den späten 1960er und 70er Jahren neration von Tasteninstrumenten eine mit Miles Davis spielte, von diesen und verneigte sich gleichzeitig vor den mit dem niedlichen Namen GoGo

18 Jazzfest Berlin Penguin (die ihre Karriere mit einem zusammenhängendes Stück. Eine Sound und einer Atmosphäre begannen, musikalische und emotionale Logik die sehr an E.S.T. erinnerte, seitdem verbindet jede einzelne Note mit der aber erhebliche Souveränität erlangten). nächsten, und so stellen die letzten Dieser Ansatz, bei dem die intellek- Minuten des Konzerts das unver- tuelle und kompositorische Sorgfalt, die meidliche Fazit seiner allerersten das akustische Piano verlangt, eine Töne dar. Dabei wäre es schwierig, gesunde Beziehung mit der gemein- dies mit dem normalen Vokabular samen Improvisation eingeht, durch der Jazz-, Rock- oder Klassikkritik zu die die Musik unbestreitbar Jazz beschreiben: Phrasen wie „hypnotische bleibt, hat viele weitere Bands her- Ri#s“, „virtuose Soli“ und „tosende vorgebracht, die nicht im engeren Crescendi“ erscheinen zu banal, um Sinne Klaviertrios sind. zu beschreiben, was The Necks bei einem Konzert tun. Die Musik ent- inige dieser Bands haben be- steht direkt aus der Meisterschaft achtliche Karrieren und überra- der Spieler, aus ihren Beziehungen zu schend umfangreiche Fange- ihren Instrumenten und zueinander. meinden aufgebaut. Ein frühes Sie ist post-elektronisch, post- digital EBeispiel für dieses Phänomen ist Medeski (dabei mit der perfekten Dauer für Martin & Wood (1991 gegründet), ein eine CD), und doch grundlegend äußerst originelles Trio, deren beharrliche akustisch. Auf jedem Album von The Tourneen ihnen eine riesige Anhänger- Necks entsteht eine ganz eigene schaft innerhalb der amerikanischen Klangwelt, groß genug, dass andere „Jam Band“-Szene verscha#te. MMW Bands ganze Karrieren daraus konst- weisen oft auf Duke Ellingtons Album ruiert hätten. Ihr Debütalbum „Sex“ „Money Jungle“ aus dem Jahr 1963 als (1989) kommt in einem lockeren wichtige Inspiration hin: Der komposi- Trab daher und fesselt und entspannt torische Schwung und die kamp!ustige den Hörer gleichermaßen. Mit seinen Energie dieses Einzelprojekts (ein Trio eingängigen Ri#s und Hooks klingt aus Ellington, Charles Mingus und Max das Album wie eine Hitsingle, die Roach) machen dieses Album zu einem sich einfach nicht an die Drei-Minuten- interessanten Vorläufer der von Kom- Regel gehalten hat. „Hanging ponisten geleiteten Trios wie E.S.T. Gardens“ (1989) erschien ebenfalls Außerdem wäre auch der Ein!uss von wie eine ausgesprochen kommerziell Ahmad Jamal zu nennen, dessen Musik erfolgreiche Platte und verhalf The „Quay“ und „Raab“ (2002) – Aufnahmen enn man nicht der Jazz-Konnotation Liebhaber der sogenannten Krautrock-Bands zeitgenössischen Musik von Jazz-Klavier- in den 1950ern Miles Davis stark beein- Necks beinahe zu einem Vertrag mit von drei Konzerten in ihrem Heimatland der Instrumentierung folgt, könnte (Can, Faust etc.) genauso begeistert wie trios, die man grob als (a) Musik in der flusste, und der heute mit 85 Jahren Universal Music (das Geschäft platzte und einem in Österreich – ist als Ein- man die Musik von The Necks irgend- die jüngeren Fans von elektronisch gene- Tradition von Bill Evans und (b) Erben von noch immer aktiv ist. letztlich, und damit bleibt über dieser führung in ihre Arbeit besonders gut wo im breiten Spektrum des Mini- rierter Trance-Musik. „Money Jungle“ einordnen kann. Aber viel- Wmalismus einordnen – genauso nah an den leicht bildet sich künftig ein dritter Strang he- Skulpturen von Donald Judd und der Archi- Es ist kaum vorstellbar, dass The Necks raus: Klavier trios, die in der neuen Traditi- „Wenn ich mit einer Gruppe spiele, muss ich selbstverständlich tektur von John Pawson wie an der Musik etwa eine Live-Nachbildung von „Drive By“ on der ehrlichen, kompromisslosen von Steve Reich. Eine Art „Materialgerechtig- oder „Chemist“ (2006) spielen – genauso Konzerte von The Necks arbeiten. Rücksichten nehmen, denn niemand von diesen Musikern kann keit“ de"niert den Klang, und die Reinheit wenig, wie man sich vorstellen könnte, des „Spiels für eine Stunde“ erinnert an An- dass die Band, mit der Miles Davis in den ahnen, was mir in den Sinn kommt – vielleicht die Tonart zu wechseln leitungen und Ermahnungen, wie sie in den 1970ern gespielt hat, „In a Silent Way“ John L. Walters ist Herausgeber von „Eye“, einer internationalen Zeitschrift für gra"sches Design, Arbeiten von Konzeptkünstlern wie Sol nachspielt (übrigens hat Bassist Lloyd oder den Rhythmus zu verändern. Da bedarf es wirklich eines ge- und schreibt für „The Guardian“ über Musik. Er ge- LeWitt, John Cage, Tom Phillips und John Swanton genau dieses Album als eine der hörte den Bands Landscape und Zyklus an, war Mit- meinsamen Bezuges, damit eine musikalische Einheit entsteht. White zu "nden sind. Gelegentlich haben The Originalinspirationen von The Necks be- begründer des Audiojournals „Unknown Public“ und Necks schon kürzere Stücke gespielt, dies ge- zeichnet). Ihre Beherrschung des Aufnahme- hat Aufnahmen für das Michael Gibbs Orchestra, Swans Way und andere produziert. Dabei muss die innere Freiheit keineswegs auf der Strecke bleiben. schah aber vor allem aus praktischen studios beeindruckt besonders, weil sie sich Gründen: Für den Soundtrack zu „The Boys“ durch große Zurückhaltung auszeichnet. Es verstärkt sie sogar.“ (1998) wurden kurze Tracks benötigt und die Ihre Live-Auftritte sind standortspezi"sch: Bill Evans Dauer der beiden 21-minütigen Stücke auf Die Musiker reagieren auf die Resonanz, „Mindset“ (2011) wurde gewählt, damit sie den Hall und die Schwingungen von Wänden, auf beide Seiten ihrer ersten Vinyl-Verö#ent- Boden und Decken der Spielorte. Die Studio- Aber keines dieser Trios, ob alt, jung, Periode ihrer Karriere ein spannendes geeignet. Natürlich klingt keiner dieser lichung passten. Und doch gleichen die alben könnte man dementsprechend als oder irgendwo dazwischen, ist auch Fragezeichen stehen). vier Tracks wie „Sex“ oder „Piano, Bass, Aufnahmeverfahren der Studioalben von standort-mimetisch beschreiben: Sie er- nur im Entferntesten so wie The Necks. Drums“ (1998) oder wie einer der an- The Necks eher der Rockmusik als denen scha#en einen alternativen Klangraum im Ein Auftritt der drei Australier besteht Einige ihrer Alben sind Live-Aufnahmen, deren Bestandteile des Sets. Stattdessen des Jazz oder der E-Musik. „Drive By“ (2011) Innern der Kopfhörer oder der Lautsprecher üblicherweise aus einer kontinuier- und zusammengenommen geben sie hört man, wie sich etwas innerhalb ist eine Studioaufnahme mit zahlreichen des Zuhörers. lichen Improvisation von etwa einer einen wunderbaren Eindruck von der der Zeit und des auditiven Raums übereinandergelegten Spuren und einem Stunde. Irgendwie fangen sie aus der Vitalität und Vielseitigkeit ihrer Auf- entfaltet, aus unendlichen kreativen akribisch detaillierten letzten Mix, aus dem Meiner Ansicht nach steht die Musik von The The Necks treten am 7. November Stille vor dem Beginn ihrer Musik tritte. Ein Set von vier CDs mit den Abwandlungen von … Klavier, Bass sich ein ekstatisches Hörerlebnis entwickelt. Necks für sich allein. Sie schwebt angenehm um 15:00 Uhr in der Kaiser- Wilhelm- eine Idee ein und spinnen daraus ein Titeln „Aethenaeum“, „Homebush“, und Schlagzeug. Es ist leicht zu verstehen, warum dieses Werk frei von den beiden Hauptsträngen der Gedächtnis-Kirche auf.

20 Jazzfest Berlin A HOME FOR HEROES: DAVID BOWIE

Von Michael Watts IN BERLIN Hauptstraße 155, 1978 © Esther Friedman

eit Oktober 1950 schlägt die Hamburg, angemessen wäre. Bowie Ausschweifungen des Rockstar-Daseins wohnen und leben, und besonders Neu- sympathisch. Er war in die anerkannte führte, und im Travestieclub der Trans- Friedensglocke des Schöneberger hielt sich zwar kaum drei Jahre in der bis an ihre Grenzen ausgekostet. ankömmlinge fanden die Paranoia Heroin-Hauptstadt Europas gekom- sexuellen Romy Haag, Ecke Welser- Rathauses jeden Tag um zwölf Stadt auf, aber hier wurde er wieder des Kalten Krieges spannend. Bowie, men, um sich von seiner eigenen, und Fuggerstraße. Haag, die „Königin Uhr mittags und an Weihnach- gesund und transformierte seinen Ruf Dünn wie ein Skelett und nahezu psy- der geradezu unersättlich Geschichte ganz besonderen Sucht zu befreien. des Underground“, als Edouard Frans Sten und Silvester noch einmal um Mit- als Künstler, indem er alles in Frage chotisch kam er in Berlin an – als Folge und Kunst studierte, empfand vor allem Die beiden Künstler waren vorher in Verbaarsschott in den Niederlanden ge- ternacht. Die Glocke war ein Geschenk stellte, was er in den fünf Jahren seines seiner Kokainsucht, seiner Besessenheit den dunklen Sog der Weimarer Repub- Frankreich gewesen, wo sie an „The boren, wurde Bowies Berliner Geliebte. der Amerikaner, gedacht als Anerken- ausufernden Ruhms gescha#en hatte. vom Okkulten und der Essstörungen, lik und der Nazizeit als Quellen für seine Idiot“ arbeiteten, einer Platte, die Iggys nung für die Bewohner West-Berlins in Seine Berliner Alben „Low“ und „Heroes“ an denen er seit seinen Tagen als Ziggy künstlerische Arbeit. Anfang 1976 hatte Renaissance einleitete und eine Art Tagsüber radelten die Freunde durch ihrem Kampf gegen den Kommunismus. waren verstörend, depressiv, verwei- Stardust litt (zu dieser Zeit war ich ein- er zur Vermarktung seines Albums Schablone nicht nur für „Lust for Life“ die Stadt, besuchten Galerien und das Heute erschallt sie in Straßen, in denen gerten sich trotzig jeglicher Theatralik mal dabei, wie seine damalige Ehefrau „Station to Station“ die Figur des Thin darstellte, das Album, das er in Berlin Brücke-Museum, wo Bowie die Gemälde einst Albert Einstein, Billy Wilder und und stellten stark programmierte Angie ihn löffelweise mit Complan White Duke aus den Stumm"lmen des mit Bowie schuf, sondern auch für von Erich Heckel und Ernst Ludwig Helmut Newton wohnten, in denen Funk-Rhythmen neben atmosphärische fütterte, einem Nährgetränk für Inva- deutschen Expressionismus entlehnt „Low“ und „Heroes“. Kirchner bewunderte. Manchmal Christopher Isherwood seine Berliner Tongedichte und die repetitiven deut- liden). Er war nach der Trennung von und damit einen Übermenschen er- schmuggelten sie sich nach Ost-Berlin Geschichten schrieb und Alfred Lion, schen Elektronika von Neu! und Cluster. mehreren Managern finanziell am schaffen. Dessen fehlgeleiteter Flirt Iggy hat ihre Lebensweise während der oder trieben sich im Anderen Ufer her- Gründer von Blue Note Records, mit Ende und durch die sich abzeichnende mit dem Faschismus legte seinen ersten Wochen in Berlin einmal so be- um, dem schwulen Café in der Nähe einer lebensentscheidenden Leiden- Teil einer kanonischen Trilogie, die mit Scheidung emotional erschöpft. Außer- Kritikern den Eindruck nahe, dass Bowie schrieben: „Zwei Tage lang Exzess um ihres Hauses. In „Where Are We Now?“, schaft für Jazz aufwuchs. Auch Marlene dem Album „Lodger“ ihren Abschluss dem musste er für seinen kleinen Sohn sich in einem unkontrollierten Sturz- der alten Zeiten willen, zwei weitere Bowies vor kurzem erschienener auto- Dietrich wurde hier geboren und beer- fand (welches genau genommen in der sorgen. Eine gewisse Ironie liegt darin, flug befand. Tage zur Erholung und dann blieben biografischer Single über diese Zeit, digt, und einer der Hauptdarsteller in Schweiz aufgenommen wurde), de- dass er sich mit Berlin eine Stadt aus- noch drei Tage für alles andere.“ Es erinnert er sich wehmütig: „Sitting in ihrem allerletzten Film „Schöner Gigolo, monstrieren sie Bowies instinktive Bega- suchte, die ganz eigene Probleme hatte: ielleicht als Resultat derselben war vielleicht nicht gerade ein Entzug, the Dschungel / On Nürnberger Strasse / armer Gigolo“ lebte ebenfalls in Schöne- bung dafür, neue Ideen, Ein!üsse und Wegen mangelnder Industrie war die Lust an der Mythologisierung außer wenn man einen Ersatz von A man lost in time / Near KaDeWe / berg: ein getriebener junger Engländer, Partner zusammenzubringen und etwas Stadt pleite, sie war von Ost-Berlin seiner selbst führte er nun ein Drogen durch Alkohol als Therapie gelten Just walking the dead.“ Das Stück ist der aus Los Angeles an die Spree ge- völlig Eigenes, Unverwechselbares und durch die Mauer und von Westdeutsch- „normales“ Leben in einem un- lässt. Aber Berlin, die Stadt, die alles ein Liebesbrief an die Stadt, die ihn kommen war und hier eine unerwartete immer Cooles zu entwickeln. Die Ver- land durch eine Entfernung von 180 Vau#älligen Wohnhaus in Schöneberg, schonmal gesehen hatte, schenkte rettete, geschrieben von einem 68-jäh- Zuflucht vor den Trümmern seines ö#entlichung von „Low“ polarisierte km getrennt, lebte von Subventionen Hauptstraße 155. Unter seinen wenigen ihnen Unabhängigkeit und eine ange- rigen Mann, der heute wohlhabend Ruhms fand. und beein!usste die Rockmusik ähnlich der bundesdeutschen Regierung und Vertrauten war sein „Mädchen für alles“ nehme Anonymität. Zwanglos gekleidet und zurückgezogen in New York lebt – wie „Le Sacre du Printemps“ die Welt war nur über Transitstrecken durch die Coco Schwab, die Angie, von der er und doch erkennbar, bewegten sie sich aber mehr noch erinnert es an eine Dass David Bowie im Herbst 1976 Ber- der Klassik; das Album festigte seinen DDR zu erreichen. getrennt lebte, als „Torwächterin und frei in den Bars und Restaurants der Klage um sein entschwundenes, jün- lin als Wohnort auserkor, gehört heute Ein!uss auf die kulturelle Vorstellungs- Meuchelmörderin“ beschrieb, und sein Künstler: Oft waren sie im Exil in Kreuz- geres Ich. „Er ist alt geworden“, sagte so sehr zur Ikonogra"e der Stadt und kraft dieses Jahrzehnts. Das größte Aber genau dieser Außenseiterstatus Freund und Schützling Iggy Pop, der berg und in der Paris Bar in der Nähe Romy Haag, als sie es hörte. „Naja, wir ist ein so fester Bestandteil touristi- Wunder ist jedoch die Tatsache, machte Berlin vor allem für Künstler Proto- Punksänger der Stooges. Iggy des Bahnhofs Zoo anzutre#en, in der werden alle alt.“ scher Routen, dass eigentlich eine dass es diese Alben überhaupt gibt, so attraktiv: Die Bewohner waren vom galt als Inbegri# des Draufgängers, Diskothek Dschungel, zu deren Stamm- Dramatisierung im Stile von „Backbeat“, denn als Bowie nach Deutschland Militärdienst befreit, es gab einen an- ein Caliban des Rock’n’Roll, war aber kunden ein Mädchen gehörte, das eine Die Alben, die er in dieser Zeit auf- einem Film über die Zeit der Beatles in !üchtete, hatte er die zerstörerischen archischen Aktivismus, man konnte billig privat außerordentlich belesen und zahme Ratte an einer Kette mit sich nahm, wurden dagegen nie alt. Sie

22 Jazzfest Berlin In krassem Gegensatz hierzu steht das grüblerischen, getragenen Instrumen- owes Quintett wird am 8. No- wer wird ihn wohl in dem Film über schon fast unanständige Tempo, in talstücken verlagert, die auf den vember nachmittags in der seine Berliner Abenteuer spielen? Es dem er die Alben aufnahm, mit Un- B-Seiten beider Alben zu "nden sind: Akademie der Künste auftreten gibt bereits Gerüchte über eine deutsch- terstützung seiner bewährten ameri- atmosphärische Musik, die den Ko- und dabei alte Rückprojektio- britische Produktion, die auf „Starman“ kanischen Rhythmusgruppe. Diese Komponisten Brian Eno erahnen lässt Hnen aus dem Berlin der 1970er ver- basieren soll, einer Biogra"e des briti- bestand aus dem Schlagzeuger Dennis und doch verlangt, im Mittelpunkt zu wenden. Viele Wahrzeichen dieser schen Autors Paul Trynka – der Arbeits- Davis, dem Bassisten George Murray stehen und nicht etwa als Hintergrund- Zeit sind heute verschwunden oder titel ist „Lust for Life“. und seinem Gitarristen Carlos Alomar, musik gehört zu werden. Mit diesen verändert, darunter das Hansa-Studio der – genauso wichtig – auch musikali- Stücken hatte niemand gerechnet und 2, dessen berühmtes Fenster zuge- Bowie hat die Bedeutung der Berliner scher Leiter war. Der Produzent Tony sie hätten für einen großen Star wie mauert wurde. Iggy Pop beklagt die Trilogie stets betont. „Es gab nichts, Visconti war mit einem Eventide Bowie einem Rock’n’Roll-Selbstmord Veränderungen in der Stadt: „Die das wie diese Alben klang“, sagte er der Harmonizer ausgestattet, der die Ton- gleichkommen können. Außerdem sind Mauer war wunderschön“, erinnert Zeitschrift „Uncut“: „Nichts anderes höhe des Schlagzeugs ver änderte. In- sie wahrscheinlich entstanden, weil er sich. „Sie schuf eine wunderbare kam auch nur ansatzweise an sie heran. tellektueller Input kam von dem expe- Bowie zu dieser Zeit nicht in der Lage Insel, genauso wie Vulkane Inseln im Es ist eigentlich egal, ob ich je wieder rimentellen britischen Komponisten war, Ideen für Songs durchzuhalten, Meer erscha#en.“ Er hatte in Berlin ein Album mache. Mein ganzes Dasein Brian Eno. Bowie arbeitete nach einem vor allem bei „Low“. Und doch verlegte eine Frau kennengelernt und war dort liegt in diesen dreien.“ Wenn also Dylan ungewöhnlichen Prinzip: Erst legte er Bowies neue Synthesizer-Musik abrupt geblieben, lange nachdem Bowie Howe die ersten Töne von „Warszawa“ in rasantem Tempo die Rhythmusspuren den Schwerpunkt der Rockmusik von die Stadt verlassen hatte, um auf in einer Version für ein Publikum des fest, bevor er, Alomar und Gastmusiker, der Gitarre auf die Keyboards und stellte dem Broadway „The Elephant Man“ 21. Jahrhunderts spielt, können wir da- wie zum Beispiel der Gitarrist Robert damit die Weichen für eine ganze Gene- zu spielen. Heute ist er einer der DJs rauf ho#en, dass ihr ursprünglicher Fripp, zusätzliche Klänge darüberlegten, ration erfolgreicher Musiker wie Human auf BBC Radio 6. Im vergangenen Geist wieder erscheint, und wünschen, die Eno mit seinem EMS Synthi A be- League und Gary Numan. Sogar der Oktober hielt er die alljährliche John dass all die alten Dudes sich wieder arbeitete. Erst zum Schluss kamen Komponist Philip Glass erwies den Stü- Peel- Vorlesung des Senders. Ihr Titel jung fühlen werden, für einen Tag. Text, Gesang und Hauptmelodien, die cken in seinen Symphonien Nr. 1 und 4 lautete „Free Music in a Capitalist „Bedeutung“ des Lieds. seine Ehrerbietung. Society“ (Freie Musik in einer kapita- listischen Gesellschaft). Der Autor und Redakteur Michael Watts lebt in London. Während seiner Arbeit für den ie Aufnahmen fanden im Hansa- Die Kraft von Stücken wie „Warszawa“, „Melody Maker“ beobachtete er Leben und Tonstudio an der Köthener Straße „Weeping Wall“ und „Art Decade“ Nachdem er seine Arbeit an dem Film Arbeit David Bowies aus nächster Nähe. nahe dem Potsdamer Platz statt. (auf „Low“) oder „Moss Garden“ und mit Marlene Dietrich (der sich als to- In diesem Gebäude mit neo- „Neuköln“ (auf „Heroes“) klingt noch taler Misserfolg erweisen sollte) im Früh- Dklassischen Säulen liegt ein großer Kon- heute nach. Sie gehören zu den Instru- jahr 1978 beendet hatte, begann Bowie, zertsaal mit einer Holzkassettendecke, mentalstücken Bowies, die auf einem sich von Berlin zu lösen. Er arbeitete bei in dem einst SS-O$ziere Bälle feierten. der künstlerisch erfolgreichsten bri- „Lodger“ wieder mit Eno und Visconti Dieser Meistersaal wurde schließlich zu tischen Jazzalben des vergangenen zusammen, aber es wurde o#ensicht- Studio 2, der legendären „Hall by the Jahres bearbeitet wurden. „Subterra- lich, dass die Chemie zwischen ihnen Wall“; aus einem Fenster im Kontroll- nean: New Designs on Bowie‘s Berlin“ nicht mehr so war wie zuvor. Seit eini- raum konnte man die ostdeutschen ist ein Werk des Schlagzeugers und gen Jahren schon hat er kein echtes Grenzwächter beobachten. Von diesem Quintett-Leiters Dylan Howe, der über Interview mehr gegeben. In den 90er- Fenster aus sah Bowie den verheirate- seine Adaptionen sagt, sie wären so, Jahren trat er gemeinsam mit Lord ten Visconti verbotenerweise in inniger als „spiele das John Coltrane Quartet in Gowrie, dem früheren Minister für die Umarmung mit einer Background- einem Raumschi#“. Howe war auf der Künste unter Margaret Thatcher, der Sängerin. Dieser Augenblick gab den Suche nach Modellen für Elektronika Redaktionsleitung der Zeitschrift Impuls zu „Heroes“, seiner strahlenden ohne Percussion, als er auf diese Platten „Modern Painters“ bei und verö#ent- erscheinen heute kaum weniger außer- Jahr auch im Martin-Gropius-Bau zu Hymne über zum Scheitern verdammte aus seiner Kindheit stieß und sie für lichte seine eigenen Interviews mit gewöhnlich als vor 40 Jahren, zur Zeit sehen war. Die Stimmung auf „Low“ Liebe, die Geschichte zweier ho#nungs- robust genug hielt, eine radikale Inter- zeitgenössischen Künstlern wie Damien ihres aufsehenerregenden Erscheinens, war klaustrophob, die Lieder frag- los Liebender, die sich im Schatten die- pretation auszuhalten. „Das Wichtigste Hirst und Julian Schnabel. Danach als sie die Fans provozierten, Bowie- mentarisch und indirekt; mitunter ses Symbols der geteilten Stadt küssen. ist es, die Musik durcheinander zu war er in „Basquiat“ zu sehen, Schnabels Skeptikern Respekt abnötigten und erinnerten sie an den psychisch labi- bringen, sie aufzureißen, etwas zu wa- in der Kunstwelt angesiedeltem seine Platten"rma in Panik versetzten. len Syd Barrett, der eine frühe Inspi- Angetrieben von scharfen, aggressiven gen“, sagt er: „Denn nichts ist schlimmer Film über den unglückseligen Maler Verschwunden waren die aufgedonner- ration Bowies gewesen war. Sie be- Gitarren, ist „Heroes“ musikalisch als eine Nachbildung.“ Bowie erklärte Jean-Michel Basquiat. Er stellte darin ten, sexuell ambigen Multimedia- schreiben Bowies entnervten weitaus lebendiger als „Low“, auch sich mit einem Link von seiner Website ziemlich überzeugend Basquiats Figuren wie Ziggy Stardust und Aladdin Zustand: „You’re such a wonderful wenn die Texte genauso schmerzvoll zu der CD einverstanden. Mentor Andy Warhol dar und trug Sane, deren fantastische Frisuren person / But you got problems“, heißt sind. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch dabei Warhols echte Perücke, Brille Dylan Howe’s Subterraneans treten und Kostüme heute in einer Ausstellung es im selbstzerfleischenden Refrain die Aufmerksamkeit der Kritiker weg und Jackett, allesamt Leihgaben des am 8. November um 16:00 Uhr in um die Welt reisen, die im vergangenen von „Breaking Glass“. von Bowies Liedern und hin zu den Warhol-Museums in Pittsburgh. Aber der Akademie der Künste auf.

24 Jazzfest Berlin IMPROVISATION

ALS WERK Von Felix Klopotek

and practice in music“. Auf einen illegitime, ästhetisch minderwertige vergleichbar und ordnet sie, in einer Werks- oder vielmehr Antiwerksbegri# Praxis systematisch missversteht. Verkehrung des ursprünglichen Verhält- wollte Bailey gar nicht heraus. Sein Historisch gesehen ist Bailey natürlich nisses, der Improvisation – muss man Buch ist keine systematische Abhand- im Recht. Die extrem positive Beset- vielleicht sogar sagen: der IDEE der lung, sondern folgt einer Reihe von zung, die der Begri# der Improvisation Improvisation? – unter. Damit wird Interviews, die er mit Musikern aus in der Musik erfahren hat, ist eine junge ganz offensichtlich ein Werkbegriff den unterschiedlichsten Bereichen – Entwicklung, vielleicht fünfzehn Jahre nolens volens eingeführt, ein Maßstab – Jazz und Blues, Flamenco und rituelle alt, und sie ist ho#entlich noch lange und sei er auch noch so mythisch, ethnische Musiken, Barockmusik und nicht abgeschlossen. Trotzdem unter- noch so uneinholbar – zur Bewertung eben auch Improv – geführt hatte, läuft Bailey ein Fehler, der zwar musika- von gelungenen und weniger gelun- später wurde daraus ein mehrteiliger lisch keine Auswirkungen Dokumentar"lm für die BBC (auf You- hat, weil im Zweifelsfall Tube zu "nden). die Musik immer klüger ist Improvisierte Musik als der Diskurs über sie – s ging Bailey um zweierlei. Er es war Cecil Taylor, der Improv demonstrierte, dass Improvisa- schon Anfang der 60er Momentmusik tion in all diesen Traditionen ein Jahre sinngemäß davon zentraler Aspekt des Musikma- sprach, die Missverständ- Echtzeitmusik Echens ist, vielleicht sogar der Kern: nisse beim Reden über Improvisation verstanden als die Fähig- Musik einfach dadurch zu instant composing keit, abseits von "xiertem Notenma- überwinden, indem man terial zu Entscheidungen zu gelangen, so lange weiterspielt, bis es Neue Improvisationsmusik die spontan und in der Regel kollektiv nichts mehr zu sagen gibt –, Intuitive Musik getro#en werden und die eine Musik der aber charakteristisch erst lebendig machen, ihren Reichtum ist und den Diskurs über Freie Musik an Möglichkeiten auszudrücken in der Musik betri#t. Hier wird’s Lage sind. Improvisation, das wird schon interessant, denn der Dis- Free Jazz in dieser knappen Wiedergabe der In- kurs ist kein freies Wechsel- tention Baileys klar, ist demnach kein spiel der Rede und Gegen- Non-Idiomatische Improvisation Wert an sich, sie ist etwas Abgeleitetes rede, sondern institutionell und umgekehrt: hat als Voraussetzung materialisiert. Darauf zielte Bailey doch genen Improvisationen. Zwar lässt den unreglementierten Strom musika- ab: die Institutionen – Veranstaltungs- sich dieses Werk nicht in konventio- lischer Kreativität. Alle Musiker, mit orte, Festivals, Labels, Kulturämter – zu neller musikalischer Notation „ver- denen Bailey sprach, haben improvisiert verändern,nicht zuletzt um bessere Arbeits- ewigen“, dafür aber auf Tonträgern und konnten ihre Musik nur spielen, und Präsentationsbedingungen für die und natürlich in etlichen Statements. , 2004 in Barcelona © Jake Walters weil sie improvisieren; aber die we- sich explizit als Improvisatoren ver- Und wenn jemand ein solches Werk ge- nigsten Musiker hätten sich als Im- stehenden Musiker zu erstreiten. scha#en hat, dann doch Bailey! Auf provisatoren – oder gar Improvisatoren weit über hundert LPs und CDs ist es sans phrase – verstanden. Worin besteht nun der Fehler? Kurz ge- dokumentiert, eine Musik, die eine ab- unst ohne Werk“, so lautete Formel eingeprägt haben: war sie doch so charmant spröde, so arrogant un- sagt darin, die Improvisation als etwas solut klare Sprache spricht, deren Tabus einst eine gri$ge Formel, um in der 1987 erschienenen deutschen prätentiös, dass wir alle gar nicht Bailey ist aber nicht nur Dokumenta- klar Umrissenes zu "xieren und sie so und Idiosynkrasien schnell zu begrei- das Wesen der Improvisation, Übersetzung der Untertitel eines anders konnten als ihn zur Ikone der rist, sondern taucht – im Film stärker herauszulösen aus dem Strom der Spiel- fen sind. Wer mit Derek Bailey Musik „ das schwierige, !üchtige, schlicht „Musikalische Improvisation“ freien Musik zu erheben. noch als im Buch – als Erzähler, als eigen- freude. Improvisation, die als ein Ver- gemacht hat, hat mit Derek Bailey Kmehrdeutige, ambivalente, auf den betitelten Buchs, das von Derek Bailey ständiges Subjekt auf, und als solcher hältnis zu begreifen ist: zu den Mit- Musik gemacht – und nicht umgekehrt. Punkt zu bringen. Wer sich schon stammt (1930–2005). Und der musste Allerdings lautet der Untertitel aus- ist er der Fürsprecher der Improvisation. musikern, zum Instrument, zu den länger mit Improvisierter Musik es wissen. Bailey hat die zeitgenössi- schließlich in der deutschen Übersetz- Er weist auf die Geringschätzung der eigenen Gefühlen und Gedanken Aber, wie gesagt, der missverständliche (schnodderig: Improv), Free Jazz, Echt- sche Improvisation in der Musik erfun- ung so, er ist eine kleine Eigenmächtig- Improvisation durch die Plattenprodu- während des Spielens, zu den Zuhörern, Untertitel „Kunst ohne Werk“, stammt zeitmusik – oder wie immer der jeweils den – neben ein paar Dutzend anderen. keit des Verlags oder der Übersetzer, im zenten und Labels hin, die in einem wird damit zu einer mythischen Subs- ja gar nicht von ihm, und Baileys aktuelle Name lauten mag – ausein- Aber der Gitarrist aus She$eld war im englischen Original (1980) heißt das bornierten Musikverständnis wurzelt, tanz. Diese macht unterschiedlichsten Abstraktion, die unterschiedlichen andergesetzt hat, dem wird sich diese Auftreten wie im Spiel so lakonisch, Buch einfach: „Improvisation, its nature das Improvisation als handwerklich Musiken in diesem Punkt recht rüde improvisatorischen Prozesse zu einem

26 Jazzfest Berlin Begri# der Improvisation zu verdich- Tatsache, dass Baileys bevorzugte Gi- noch fortsetzen. Innerhalb kurzer Zeit ten, war in hohem Maße diskursiv stra- tarre eine 1963er Gibson „ES 175“ war, kursierte dermaßen viel musikalisches tegisch zu verstehen. Dennoch haben womit von vornherein ein bestimmter Material, waren dermaßen viele neue TALKING ’BOUT MY GENERATION sich immer wieder Improvisatoren, vie- Klang gesetzt ist. Aber die Anwendung Stimmen zu entdecken, dass eine le unmittelbar von Bailey inspiriert, der Regeln, ihre Realisierung ergibt sich dichte Ver!echtung und ein perma- aufgemacht, eine möglichst reine aus der Art und Weise des Zusam- nenter Austausch die Folge waren. Zusammenschlüsse – Er"ndertum – Burnout ... improvisierte Musik zu spielen. Bailey menspiels. Dabei kann der Ausgangs- Alles war greifbar, jeder war an- Illustration: Alex Bodea schuf dafür einst das Wort „non-idio- punkt einer Entwicklung durchaus im sprechbar, alle wollten mit allen spie- & dann noch die Sache mit den Frauen matisch“, gemeint war eine Musik, Widerspruch zu seinem Anfang ste- len (naja, zumindest der Tendenz die nicht eine Widerspiegelung von ihr hen. Soll heißen: Ein guter Dirigent und nach). Diese Beschleunigung und vorgelagerten Bildern ist, sondern sich ein inspiriertes Orchester können eine Durchmischung gab es in den 70ern befreit hat von Klischees, also: Bruckner-Sinfonie so spielen, wie sie noch nicht, was damals Vernetzung Druckvorlagen, und ihre eigenen Re- noch nie vorher gespielt worden ist war, war das allmähliche Zusammen- geln im spontanen Zusammenspiel (was auf einen gewissen improvisa- wachsen eines Haufens gemeinsam ls vor zehn Jahren die jazz- scha#t. Diese Antiregel hatte für Bailey torischen Prozess in der Erarbeitung Verschworener, ein durchaus hermeti- ahead! gegründet wurde, war sein Leben lang Bestand – und wurde des Stückes verweist); und umgekehrt scher, familiärer Vorgang. Davon das durchaus ungewöhnlich: dadurch zu einer positiven Bestimmung: kann ein Meeting von der freien Im- kann heute keine Rede mehr sein. eine Messe in Bremen, ein glo- provisation verp!ichte- Das impliziert, dass die jeweiligen mu- Abaler Marktplatz, Konferenzen, Messe- ten Musikern in lang- sikalischen Sprachformen, das Reper- stände, Vorträge, show cases und weiligen Formalismen toire an Gesten, die angeeignete musi- dichtes Musikprogramm – und das im und gegenseitiger Mit- kalische Technik dis ponibel geworden Jazz? Dieser vermeintlich eingeschwo- teilungsarmut erstarren sind: Alles kommt in den globalen renen Gemeinschaft von Individualist*- (was auf eine gewisse Mix. innen und Liebhaber*innen schräger Verdinglichung schlie- Musik, die sich doch in verrauchten ßen lässt). amit wird klar, dass diese Formen Kellerclubs nach selbstgewählten und Gesten Bestandteile von be- Codes bei Rotwein fachsimpelnd zu Der ebenso alte wie ständigen musikalischen Neu- ihrer Musik verhalten und das Tages- künstliche oder, um zusammensetzungen sind – oder licht scheuen? Tatsächlich aber steht nochmal an Bailey zu Dum das Fremdwort zu benutzen: von die Gründung der jazzahead! im Jahr erinnern, politische Kompositionen. Die Improvisationen 2006 auch für ein neues Selbstver- Berlin ist ein weiteres sichtbares Indiz Dieses vollzog in den letzten zehn Jahren Streit zwischen Impro- vergangener Zeiten werden als Material – ständnis der europäischen Jazzszene. dieses Bewusstseins für die Notwendig- einen veritablen Paradigmenwechsel visation und Komposi- musikalisches wie habituelles – ange- keit kollektiven Handelns, indem sie und wandelte sich sukzessive von einem tion hat sich in noch eignet, weil sie heutzutage universell Zusammenschlüsse die Bedürfnisse der Akteur*innen aus „geschlossenen Club Gleichgesinnter“ ganz anderer Hinsicht verfügbar sind. Was einst undenkbar Um dem Wildwuchs im Nachwuchs- verschiedenen Sektoren und Disziplinen zu einer europäischen, o#enen Dachor- erledigt. Und das viel oder allenfalls Ausdruck einfallslosen bereich und den Strukturde"ziten im in Berlin bündelt und in der Verteilungs- ganisation, die zum Ziel hat, den gründlicher als alle Epigonentums war, ist heute selbst- Europa der Regionen Herr oder Frau debatte um ö#entliche Gelder als deren kreativen Veranstaltungssektor eines klugen Erörterungen verständlicher Bestandteil der Impro- zu werden, organisiert sich die Szene Sprachrohr fungiert. erweiterten Europas in seiner Heteroge- theoretischer Natur es visation: die Adaption von Stilen und neu und scha#t sich eigene Struktu- nität und Vielfalt zu repräsentieren. könnten: durch schiere, Haltungen. Dadurch entstehen Formen- ren. Nicht zuletzt hat die Möglichkeit, So ist es nicht verwunderlich, dass in So zählte das europe jazz network im nun ja, Substanzüber- repertoire und Kanon, die, wie um- !ächendeckend in Europa Jazz stu- diesem Klima auch die Union Deut- Jahr 2005 noch 44 Mitglieder aus 16 !utung. In den letzten stritten auch immer, der Improvisierten dieren zu können, in den letzten zwei scher Jazzmusiker (UDJ) nach vielen Ländern, zehn Jahre später, im Au- 15, 20 Jahren erlebten Musik "xe Ausprägungen verleihen. Jahrzehnten einen regelrechten Ver- Jahren des Stillstands quasi aus Berliner gust 2015, sind es bereits 105 Mit- wir einen noch nie da Der Unterschied zwischen Komposition netzungsboom in Europa ausgelöst. Küchenrunden heraus reanimiert wurde: glieder unterschiedlichster Couleur gewesenen Strom von und Improvisation wird auch auf dieser Bis 2012 zählte die schon fast in Ver- aus 31 Ländern. Verö#entlichungen mit Ebene hinfällig. Woher rührt dieses relativ neue Kollek- gessenheit geratene Interessenvertre- freier Musik: Klassiker, tivbewusstein? Die Pianistin Julia tung der in Deutschland lebenden Er"ndertum Bailey klingt wie Bailey. Er selber obskure Perlen der Vergangenheit, Hülsmann sieht einen wesentlichen Jazzmusiker*innen noch etwa 150 Der Kollektivgedanke steht auch bei hatte auch keine Scheu davor, Kon- aktuelle Einspielungen … mittlerwei- Felix Klopotek, geboren 1974, lebt und arbeitet Grund in einer deutlich anders gearteten Mitglieder, inzwischen sind es immer- zahlreichen Neugründungen im Ver- in Köln. Er beschäftigt sich seit über zwanzig zerte als wahlweise Erarbeitung le scheint alles auch auf den einschlä- Jazzsozialisation: Das vielbeschworene hin 573. Dem jüngsten Aufruf der UDJ anstaltungsbereich seit der Jahrtausend- Jahren als Autor mit Improvisierter Musik, lange (Kollektiv auftritte) oder Präsentation gigen Blogs und via YouTube greifbar Jahre auch als Veranstalter und Plattenpro- Einzelkämpfertum der 1990er Jahre zur Beteiligung an der „Jazzstudie 2015“ wende verstärkt im Fokus. Europaweit (Soloauftritte) musikalischer Ideen zu sein. Hintergrund ist die Entstehung duzent. Arbeitet derzeit an einer Anthologie, die weiche heutzutage bereits in der Aus- zur Erfassung der Einkommensver- kann man beobachten, dass sich in den zu charakterisieren. Diese Ideen sind neuer Szenen: In Chicago und New York Leben und Werk des ukrainischen Revolutionärs bildung der jungen Jazzmusiker*innen hältnisse und Arbeitsrealitäten der Mu- Städten junge Musiker*innen unter- Roman Rosdolsky gewidmet ist. offen sichtlich nicht identisch mit konnte man in der zweiten Hälfte der einem wachsenden Bewusstsein für siker*innen sind 2000 Teilnehmer*innen schiedlicher stilistischer Ausrichtung der Praxis der Improvisation. Was ist 90er Jahre das Comeback des klassi- Vernetzung und Vermarktung. Auch gefolgt. „Kollektive Zusammen schlüsse in Kollektiven in der Größe von ca. 10 Mittel, was Zweck? schen Free Jazz bestaunen; in London seien ihr im Laufe ihrer Karriere die zur Verbesserung der eigenen Situation Personen zusammentun. Gegenseitige erwiesen sich die alten Helden Derek direkten Auswirkungen politischer Ent- sind in der politischen Arbeit unver- Unterstützung, die Notwendigkeit zur ie Rätselfragen lösen sich auf, Bailey oder Evan Parker als engagierte scheidungen auf ihre eigenen Arbeits- zichtbar,’’ so Jonas Pirzer, Geschäfts- Selbstorganisation und Vermarktung wenn man von einem Verhältnis Vorbilder für zahlreiche junge Musiker; bedingungen immer bewusster ge- führer der UDJ. und nicht zuletzt auch ideelle Werte und eben nicht von einer Subs- in Berlin, sowieso eine Hauptstadt des worden. Nikolaus Neuser, Vorsitzender wie selbstbestimmtes Handeln und tanz ausgeht. Musikmachen ist Free Jazz, wuchs mit der Echtzeit- der im Jahr 2012 gegründeten IG Jazz Als positiver Indikator für ein Zusam- Vertrauen sind hier die Hauptmotivati- Dsoziale Praxis. In so einem Verhältnis musik-Szene ein ganz eigenständi- in Berlin, erkennt ebenfalls eine zu- menrücken innerhalb der Szene kann on. Die Kollektive scha#en Freiräume kann – und muss – es "xe Regeln geben, ger Zweig der Improvisation, ähnliches nehmende Politisierung der Musiker*in- die Entwicklung des 1986 gegründeten und Sichtbarkeit und sind als Impuls- etwa das Bluesschema, das Auftreten geschah auch in Köln und Wien … die nen und Jazzakteur*innen. Die Grün- europäischen Veranstalternetzwerks geber und Knotenpunkte innerhalb eines Dirigenten oder die banale Aufzählung der Städte ließe sich immer dung der Koalition der Freien Szene in europe jazz network gesehen werden. der Szene wichtig. Sie rufen ihre eigenen

28 Jazzfest Berlin Ausnahmen schwierigsten Produktions- entspringt? Der Frauenanteil unter Jazzwelt im Jahr 2015 prägen. Da reiht Einzelgängertum weichen auch in der bedingen ausgeliefert. Sie stoßen Musiker* innen, Journalist*innen, Pro- sich der professionelle Jazzbereich in Jazzszene zunehmend einem Kollektiv- schnell an ihre Leistungsgrenzen, da duzent*innen und Veranstalter*innen den breiten Kanon der Kulturlandschaft bewusstsein, einem o#enen und kre- sie als einzelne nicht nur Geld akqui- ist in den letzten Jahren deutlich ge- ein. Auch wenn es ein verstärktes Be- ativen Miteinander. Nichtsdestotrotz rieren, Produktionen konzipieren, stiegen. Aus Studien geht sogar hervor, wusstsein für die Gender-Balance- wird die Schere im Kulturbereich zwi- managen und vermarkten müssen, dass insgesamt weit mehr Frauen als Problematik geben mag, folgen den schen den hoch professionell aufgestell- sondern oft auch als Musiker*innen Männer im europäischen Kulturbereich Worten immer noch nur sehr schleppend ten Institutionen und dem Prekariat aktiv sind. Das jazzwerkruhr, die Ber- beschäftigt sind. Schlüsselpositionen oder gar nicht Taten. Dieser Umstand der Freien Szenen immer größer. An liner Festivals XJAZZ oder A L’ARME hingegen sind nach wie vor über- wirkt sich wiederum sehr deutlich auf dieser Stelle ist die Politik gefordert, sind weitere Beispiele für den Grün- wiegend oder ausschließlich männlich die Programme der Jazz-Festivals und auch den Macher*innen, den Kreativ- dergeist einer jüngeren Generation. besetzt; seien es Redakteursstellen im -Clubs aus. Eine Quotenregelung würde kräften, Künstler*innen und Kurator*- Sie stoßen mit ihren Formaten in eine ö#entlich-rechtlichen Rundfunk oder sicherlich auch den Musikerinnen den innen der Jazzszene die notwendigen Lücke vor, aber auch sie haben keine in den Printmedien, leitende Positionen Weg auf die kleinen und großen Bühnen Rahmenbedingungen zu bieten, um realistische Aussicht auf mehrjährige, bei namhaften Festivals, Clubs oder Europas !ächendeckend erleichtern, ihre Kunst, ihre Strukturen und Projekte adäquate ö#entliche Förderung und Plattenlabels. Gleiches gilt für den meint auch Lisa Löfgren von Jazz wachsen zu lassen. Schließlich sind somit auf Verankerung in der Ö#ent- akademischen Bereich. Mit Ausnahme Svensk in Stockholm. es diese vielen kleinen Initiativen, lichkeit und Professionalisierung. des Faches Gesang sind es fast aus- die diametral zu allgemeinen gesell- schließlich Männer, die Professuren s geht aber auch anders: Diese prekären Rahmenbedingungen und Dozenturen im Instrumentalbe- Nachdem die Anzahl der Vor- der heutigen Zeit machen einen der reich in den Jazzabteilungen der deut- standsmitglieder erhöht und größten Unterschiede zu den 70er und schen Musikhochschulen innehaben. die Rotationsmodalitäten Festivals, Konzertreihen und Platten- ls Antwort auf Strukturde"zite 80er Jahren aus, die als besonders Sie sind es auch, die als Lehrer, Ge- Eseiner Vorstandsmitglieder beim labels ins Leben und vernetzen sich in Europa präsentieren meistens produktive Gründerjahre in die Jazz- stalter, Reporter, Festivalmacher, europe jazz network überarbeitet europaweit untereinander. Prominen- regionale oder nationale Orga- geschichte eingingen. Zahlreiche Grün- Musiker und Entscheider die ö#entli- wurden, stieg auch der Frauenanteil im te Vertreter der ersten Generation im nisationen die eigene jüngere dungen international renommierter che Wahrnehmung des Jazz und die Vorstand von noch 10% in 2005 auf 40% deutschsprachigen Raum sind z.B. das AMusikerszene in zahlreichen show-case- Festivals und Clubs stießen damals auf seit 2012. Bei der UDJ verhält es sich 2009 gegründete Kölner KLAENG Festivals. Aus diesem Kontext ragt das fruchtbaren Boden und konnten sich ähnlich: bis 2012 verzeichnete sie fünf Kollektiv, die 2004 ins Leben gerufene 12points-Festival der improvised music auch dank zuverlässiger, kontinuier- Frauen in ihren Reihen, drei Jahre Jazzwerkstatt Wien oder aber auch company aus Dublin hervor, weil es in licher ö#entlicher Förderung zu nam- später sind es bei 571 Mitgliedern immer- das Jazzkollektiv Berlin, gegründet 2007. seiner Konzeption europäisch grenz- haften Institutionen ihrer Branche hin 99. Konsequenterweise spiegelt überschreitend ausgerichtet ist. Es prä- weiterentwickeln. Die neoliberale sich das auch hier in der Zusammen- Eine wichtige Rolle als innovative Kraft sentiert jährlich 12 junge Bands aus 12 Wende auch in der Kulturpolitik, die setzung des Vorstandes wider, der um schaftlichen Entwicklungen einen Raum und Vernetzungsplattform für Musiker*- Ländern und bringt eine Delegation inter- Förderung von Kultur nach marktwirt- vier auf sieben Sitze erweitert wurde für internationalen Austausch, Krea- innen spielen in der Jazzwelt aber nationaler Expert*innen über mehrere schaftlichen Gesichtspunkten, hat zu und nach Julia Hülsmann und Angelika tivität und Begegnung scha#en und nach wie vor auch Großformationen Tage mit diesen jungen Musiker* innen einer rückläu"gen Entwicklung in der Niescier im Jahr 2012 nun mit Alexandra im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Zu- im klassischen Sinne. Auch sie sind zusammen. Andere europäische Projekte dauerhaften Förderung geführt. Das Lehmler und Silke Eberhard erstmalig kunft Europas mitgestalten. oftmals selbstorganisiert. Charis- sind mehrjährige multinationale Koope- bekommen die Freien Szenen besonders in der Geschichte der UDJ auch weiblich matische und visionäre Köpfe aus rationsnetzwerke, Zusammenschlüsse hart zu spüren, da zuverlässige Struk- besetzt ist. Frauen tauchen mittler- And last but not least: der Szene treiben sie an – das Kollektiv kleinerer lokaler oder regionaler Initia- turförderungen zunehmend durch be- weile endlich auch in Musikerkollektiven Wenn nun sogar schon Teenager*innen erschafft dabei einen ganz eigenen tiven wie z.B. jazzplays europe, umlaut fristete Projektförderungen ersetzt auf, wie die jüngste Kollektivgeneration mit einem Shitstorm auf devote Flirt- Klangkosmos. Aber wie hält man oder aber das europäische traveling wurden und werden. Umso essentieller mit dem KIM Kollektiv in Berlin, Jazz- tipps eines sehr bekannten Jugend- derartige Projekte in Ermangelung Festival-Format match & fuse aus Lon- ist die Solidarität und der Dialog auf kollektiv Leipzig oder Impakt in Köln magazins reagieren, dann wird diese nachhaltiger Ensembleförderung im don. Sie touren mit ihren innovativen Augenhöhe zwischen den etablierten, zeigt. Den Stand der aktuellen Debatte nachwachsende Frauengeneration ver- Jazzbereich in Deutschland am Leben? Kollaborationen und Veranstaltungs- großen Flaggschi#en der Szene und brachte der Kulturjournalist Ste#en mutlich auch eines Tages die männli- Als Beispiel können hier zwei Ensemble- formaten in ganz Europa und ö#nen den innovativen neuen Kräften, sowie Greiner unlängst am Tresen im Disko- chen Bastionen der Kultur- und Musik- giganten dienen, die sich auch dank damit jungen Musiker*innen wie Ver- die Anerkennung ihrer Bedeutung garten auf den Punkt: „Eine Frau mag landschaft stürmen. Und dann ist – des unermüdlichen Einsatzes ihrer anstalter*innen gleichermaßen auch für eine erfolgreiche Vernetzung und zwar die Regierungsgeschicke dieses frei nach Laurie Penny – die Zeit der Bandleader seit einigen Jahren be- Türen nach Europa. Weiterentwicklung der gesamten Szene Landes leiten, aber Saxofon spielt hier Trostpreise für Frauen wirklich vorbei. haupten können. So sorgt mit the dorf in Europa. immer noch der Mann.“ seit 2006 eine über 20-köp"ge Forma- Burnout tion aus dem Ruhrgebiet um den Band- Die Relevanz der genannten Projekte ... & dann noch die Sache Zurück zur jazzahead! Nadin Deventer ist seit 10 Jahren als Kuratorin, Projektleiterin und Autorin europaweit tätig. leader Jan Klare für Furore, die nicht ist nicht nur für die Szene, sondern Im Kontext dieser eben skizzierten Ent- mit den Frauen Sie leitete von 2007–2015 u.a. das jazzwerkruhr nur ihr eigenes Plattenlabel gegründet auch kulturpolitisch betrachtet enorm, Jazzmusik war/ist Männermusik, so wicklung und Situation erscheint sie im Ruhrgebiet und ist seit drei Jahren Mitglied hat, sondern auch immer wieder neue da sie unverzichtbare Basisarbeit eine weitverbreitete These. „Nicht nur als Branchentre# und Begegnungs- im Vorstand des europe jazz network. Zur Zeit Projekte ins Leben ruft wie zum Bei- leisten. Künstlerszenen sind nach wie waren die meisten der stilbildenden plattform für Jazzakteure aus aller koordiniert sie das Jazzfest Berlin. spiel ihr Festival Dor#este. In ähnlicher vor zumeist lokal oder regional aufge- Musiker männlichen Geschlechts, auch Welt wichtig, so kontrovers sie auch Weise agiert ebenfalls seit 2006 Daniel stellt. Ihnen ein Gesicht zu geben und seine Ästhetik und sein soziales Um- immer wieder innerhalb der Szenen Glatzels Berliner Andromeda Mega sie auch überregional und international feld waren männlich besetzt‘‘ – so die diskutiert wird. Gerade in Zeiten des ge- Express Orchestra, das durch sein zu vernetzen, ist vor allem für die einleitenden Worte zur Konferenz sellschaftlichen Wandels, in Zeiten Festival Kosmotage sich und anderen Musiker*innen existentiell, denn sie „Gender and Identity in Jazz“ des politischer und wirtschaftlicher Krisen Musiker*innen eine Präsentations- müssen sich national wie international Jazzinstituts Darmstadt. Die Frage sind Begegnungen, das Schmieden möglichkeit scha#t. bewegen können. Trotz mehrjähriger allerdings ist, ob dieses Bild tatsäch- von internationalen Allianzen, der Aus- erfolgreicher Tätigkeit sind diese neu- lich nur der Erinnerung an eine ver- tausch und das Zusammenrücken en Initiativen allerdings mit wenigen gangene und überwundene Zeit elementar. Platzhirschverhalten und

30 Jazzfest Berlin Tickets

Eintrittspreise Ticket Prices Kasse Box O#ce Haus der Berliner Festspiele Haus der Berliner Festspiele Große Bühne: 55 45 35 25 15 € Schaperstraße 24 Seitenbühne: 15 € 10719 Berlin A-Trane 15 € Mo–Sa 14:00–18:00 Uhr Akademie der Künste 15 € Abendkasse jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche 15 € Evening Box o#ce one hour prior to the beginning Ermäßigte Karten nach Verfügbarkeit an der Abendkasse. of each event. Reduced tickets at the evening box o#ce subject to availability. Martin-Gropius-Bau Niederkirchnerstraße 7 Wahlabonnement Subscription 10963 Berlin Großes Abonnement Mi–Mo 10:00–18:30 Uhr 8 Konzerte Ihrer Wahl 20 % Ermäßigung 8 concerts 20 % Reduction Online Kleines Abonnement www.berlinerfestspiele.de 4 Konzerte Ihrer Wahl 10% Ermäßigung Gebühr 2 € pro Bestellvorgang 4 concerts 10 % Reduction Handling fee 2 € per order Die Zahl der verfügbaren Abonnements ist begrenzt. Vom Wahlabonnement ausgenommen ist das A-Trane. Telefon The number of available subscriptions is limited. +49 30 254 89 100 A-Trane concerts are excluded from subscriptions. Mo–Fr 10:00–18:00 Uhr Gebühr 3 € pro Bestellvorgang Handling fee 3 € per order

Karten erhalten Sie auch an den bekannten Vorverkaufskassen Tickets are also available at any advance booking services

Unter Beteiligung von ARD und Deutschlandradio Gremium: Matthias Brückner, MDR / Ulf Drechsel, RBB / Stefan Gerdes, NDR / Bernd Ho#mann, WDR / Günter Hottmann, HR / Julia Neupert, SWR / Gabi Szarvas, SR / Harald Rehmann, DLF / Arne Schumacher, RB, (Sprecher) / Roland Spiegel, BR / Matthias Wegner, DKultur / Günther Huesmann, SWR

Wir danken unseren Partnern und Sponsoren:

Das Jazzfest Berlin ist Mitglied des Europe Jazz Networks

Impressum

Künstlerischer Leiter: Richard Williams Veranstalter Berliner Festspiele Festivalkoordination: Nadin Deventer (Ltg.), Berliner Festspiele Schaperstraße 24 Hélène Philippot Ein Geschaftsbereich der Kulturveranstaltungen 10719 Berlin Technische Leitung: Andreas Weidmann, Thomas Pix des Bundes in Berlin GmbH T +49 30 254 89 0 Ton: Audio design (Ingo Haasch), Manfred Tiesler, Gefördert durch die Beauftragte www.berlinerfestspiele.de Axel Kriegel der Bundesregierung für Kultur und Medien Abonnieren Sie den Newsletter Licht: Carsten Meyer Intendant: Dr. Thomas Oberender der Berliner Festspiele. Spielstattenleitung & Künstlerbetreuung: Kaufmannische Geschäftsführung: Besuchen Sie den Blog der Berliner Festspiele: Mata Krischna, Karsten Neßler, Franz-Michael Rohm Charlotte Sieben blog.berlinerfestspiele.de Redaktion: Dr. Barbara Barthelmes, Christina Tilmann (Ltg.), Jochen Werner Presse: Patricia Hofmann Gra"k: Ta-Trung, Berlin Da es in einigen Fällen nicht möglich war, die Inhaber der Bildrechte zu ermitteln, bitten wir, Übersetzerin: Elena Krüskemper etwaige Ansprüche bei uns geltend zu machen. Herstellung: Henke Pressedruck In some cases it was not possible to establish copyright owners. In such instances, please contact us with any claims.