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eue NszeneChor im Düsseldorfer Musikleben

LAST EDITION

Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf 2/2020 33 eue Nr. 33 17. Jahrgang N C horszene - Ausgabe 2 / 20 September 2020 THEMEN EDITORIAL Georg Lauer 3

„Dann spielen wir in einer anderen Liga“ Gabriella Faludi 4 Zwei im Gespräch über Pandemie und Zukunft Kontinuität ohne Ende? Georg Lauer 12 50 Jahre und mehr mit MH unterwegs Streng geteilt - Die Neunte Symphonie als ‚Waffe‘ Christina M. Stahl 21 in beiden deutschen Staaten während der Teilung Grenzerfahrungen Karl-Hans Möller 27

Wollust dem Wurm – dem Menschen Enthusiasmus! Udo Kasprowicz 29 Friedrich Schillers Lied „An die Freude“ Margarete Dessoff (1874 – 1944) - Chordirigentin auf Udo Kasprowicz 34 dem Weg in die Moderne - eine Biografie von Sabine Fröhlich Fragmente aus der Zukunft Peter Ruzicka 38 Heraushören, was in jedem Augenblick doch alles möglich ist „Lieber Ludwig, wie ist diese Stelle zu spielen?“ Ádám Fischer 42

Was ist eigentlich das Werk? Beate Angelika Kraus 43 Neues von der Neunten Ludwig van Beethoven Erich Gelf 49 Kindheit und Jugend „Ich träume von einer Welt...“ Udo Kasprowicz 59 Der Komponist Norbert Laufer im NC-Gespräch Georg Lauer Kultur-Förderung im Geiste Richard Wagners Lars Wallerang 65 Der Richard-Wagner-Verband Düsseldorf e. V. Gegründet vor 100 Jahren Andreas 68 Das 1. Düsseldorfer Mandolinen-Orchester Stevens-Geenen „Keine tauben Ohren, sondern schön offene…“ Stefanie Bertram 72 Die „Neue“ im Sopran 2 stellt sich vor Amelia Maria Vasquez Rendon - Die Musik ist mehr als ein Karl-Hans Möller 75 Beruf, sie ist eine Lebenseinstellung - Das Portrait „Endlich wieder gemeinsam singen …“ K. H. Möller - G. Lauer - 81 ... meint dreifach auch die Redaktion U. Kasprowicz FASTEN mit Rezept Udo Kasprowicz 85 DAS KREUZWORT - PREISRÄTSEL Karl-Hans Möller 86

Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart Renate Heinzig-Keith 91 Eine Leseempfehlung / IMPRESSUM Titelseite: Franz Küsters „corona-maskierte“ Büsten am Eingang der Tonhalle - Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara Schumann, Robert Schumann und Norbert Burgmüller Foto: G. Lauer 2 NC33 NC33 3 EDITORIAL Georg Lauer

Liebe Leserinnen und Leser! geteilt - die Neunte als Waffe“. In vielfältiger Weise erweitern Mit dem Etikett „Last Edition“ werden im Beiträge aus der Feder der Handel und Gewerbe gerne Produkte aus- Musikwissenschaftlerin Beate gezeichnet, die an das Ende ihrer Fertigung Angelika Kraus, des Komponisten Peter Ru- gekommen sind, aber im Gedächtnis des Pu- zicka und des Dirigenten Ádàm Fischer die blikums bleibenden Wert erlangt haben und Sicht auf den Komponisten des Jahres. dort auch weiterleben sollen. Einen solchen Mit eigenen Beiträgen rundet die Redak- Abschied wünsche ich auch der Zeitschrift, tion die Themenfülle ab, beleuchtet Kind- die Sie hier in Händen halten. Sie wird es in heit und Jugend Beethovens sowie seine dieser Form nicht mehr geben! Beschäftigung mit Schillers Lied „An die Nicht, dass uns die Ideen ausgegangen Freude“ und seinen literarischen Ursprung. wären, neue Themen und Autoren für Sehr gerne haben wir Beiträge weite- zukünftige Ausgaben zu finden. Schlicht rer Gastautoren aufgenommen: Über die ausgegangen ist uns das Geld. Abhilfe ver- Kulturförderung des Richard-Wagner-Ver- spricht zukünftig die Bereitstellung von Le- bandes klärt uns Lars Wallerang auf, An- sestoff in digitaler Form. dreas Stevens-Geenen informiert über die Dass das Ende der Papierausgabe dieser 100jährige Geschichte des Düsseldorfer Zeitschrift auch mit dem Ende einer Ära Mandolinenorchesters. Seinen Kollegen im und der Neubesetzung von Vorstand und Team der Clara-Schumann-Musikschule, Chorleitung einhergeht, lässt sich nicht ver- den Komponisten Norbert Laufer, haben heimlichen, in den beiden ersten Beiträgen wir zu Hause besucht und auch seine Musik dieser letzten Nummer können Sie darüber in den Konzerten, in denen sie (ur-)aufge- mehr erfahren. Achten Sie bei der Lektüre führt wurde, kennengelernt. bitte auf die Sogwirkung von Beethoven Zum letzten Mal können wir Ihnen auf Neun, oder ist es Zufall, dass Vorsitzende dieser Plattform (Selbst-)Portraits von Sän- - dreien werden Sie hier begegnen, auf die gerinnen aus den eigenen Reihen vorstel- es zutrifft - ihre Chorkarriere gerne mit die- len, über die Probenarbeit im Freien mit sem Superhit starten? Kleingruppen berichten und das Lösen un- Von dieser Sinfonie ist - wir befinden uns seres letzten Kreuzworträtsels anbieten. weiter im Jubiläumsjahr des Komponisten! Ein großes Dankeschön sagt die Redaktion - in weiteren sechs höchst unterschiedli- allen Gastautoren dieser und früherer Aus- chen Beiträgen dieser Ausgabe die Rede! gaben, unseren Anfragen begegneten sie Wer am 6. September die Aufführung stets mit großem Entgegenkommen. Auch „Fidelio 44“ in der Tonhalle mit den Düs- den Chormitgliedern, die die Zeitschrift seldorfer Symphonikern, Solisten der Deut- 2004 mit aus der Taufe hoben und dabei re- schen Oper am Rhein und dem Opernchor daktionell wie beratend tätig wurden, dan- (im Rang positioniert!) unter der Leitung ke ich hier - das aktuelle engere Team mit von Ádám Fischer und dazu Beethovens einschließend - von ganzem Herzen. dramatische Musik erlebt hat, wird auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, bitte ich, die begleitenden Texte und die aufrüt- Bescheid zu geben, wenn wir Sie zukünftig telnden Bilder der Invasion der Alliierten statt mit Papier mit elektronischer Post ver- in der Normandie nicht los. Dass der po- sorgen sollen. Dass Sie dem scheidenden Re- litische Kulturmißbrauch der Nazizeit eine daktionsleiter, seinem Team wie dem neu- Fortsetzung im Miteinander der beiden en Vorstand gewogen bleiben, das wünscht deutschen Staaten bei der Vereinnahmung sich nach 17 reichen Jahren an Themen und von Beethovens „Freude-Sinfonie“ erfuhr, Begegnungen heute zum letzten Mal darüber informiert Sie die Musikjournali- Ihr stin Christina M. Stahl im Beitrag „Streng am 7.9.2020 2 NC33 NC33 3 „Dann spielen wir in einer anderen Liga - das allein ist es wert“ Zwei im Gespräch über Pandemie und Zukunft aufgezeichnet von Gabriella Faludi

Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht? Seit dem Frühling 2020 steht das Chor- singen auf einem vorderen Platz in der Liste der gefährlichsten Hobbys der Welt. Der erzwungene künstlerische Shutdown traf den Konzertchor in einer Phase, in der nach dem 200. Gründungsjubiläum des Musikvereins eine lange geplante Neuorientierung in der künstlerischen Leitung und im Vereinsvorsitz vorbereitet werden musste. Die mit großer Mehrheit gefundenen und verpflichteten neuen „Chefs“ Professor Dennis Hansel-Dinar und Stefan Schwartze haben im folgenden Interview davon Zeugnis abgelegt, dass keine un- vorhergesehenen Umstände ihre Leidenschaft ausbremsen könnten.

Wir sind mitten in einer Pandemie, die ja wohl der schlechteste Zeitpunkt in den letz- das alltägliche Leben in jeder Hinsicht ten 50 Jahren, einen so großen Chor zu über- veränderte und dabei besonders hart die nehmen“. Wie probt man in dieser Situation? Musik trifft. Können Sie in dieser Situati- Und wie plant man eine Aufführung mit so vie- on irgendwie trotzdem jenen Optimismus len Sängerinnen und Sängern? Es ist zwar eine finden, aus dem man als neuer Leiter Kraft Riesenherausforderung, aber ich finde, dass und Begeisterung schöpfen kann? sich aus dieser Situation nicht nur Probleme, sondern auch Möglichkeiten ergeben. Wenn Dennis Hansel-Dinar (DHD): Wenn ich den man gefordert ist, alles einmal neu zu denken, Leuten sage, dass ich die Leitung des Musikver- dann tut man es auch, und probiert neue Wege eins übernommen habe, höre ich oft: „Das ist aus. Allein die Tatsache, dass wir nicht mit allen

die neue der neue Medienreferentin Gabriella Faludi der neue Vorsitzende Chordirektor Stefan Schwartze Denis Hansel-Dinar

Foto Stefan Schwartze

4 NC33 NC33 5 Choristen gleichzeitig proben dürfen, ist zwar DHD: Die letzten Monate bedeuten für den auf eine Art „unpraktisch“, weil wir viel mehr Musikverein einen großen Einschnitt, und der Proben haben müssen, aber andererseits wird war mit Sicherheit auch traumatisch: Konzerte jeder einzelne Sänger zu mehr Selbstständigkeit absagen zu müssen, auf die man sich schon ei- geführt… gentlich seit langer Zeit vorbereitet hat – und die plötzlich nicht stattfinden dürfen. Das kann Stefan Schwartze (StS): …man kann sich nicht man auch als historisch bezeichnen: Chorsingen mehr in seiner Stimmgruppe verstecken oder ist zum tödlichsten Hobby der Welt geworden. „mitschwimmen“. Hätte das jemand jemals gedacht? DHD: Ich bin sicher, dass sich dadurch man- StS: Bei der letzten Mitgliederversammlung che Qualitäten entwickeln werden, die bislang ist definitiv: eine Ära zu Ende gegangen, die Ära nicht genutzt wurden. von Manfred Hill. Er war während fast eines Viertels der Existenzzeit des Musikvereins als StS: Als ich mich entschieden habe, diese Her- Sänger und davon nahezu die Hälfte in führen- ausforderung anzunehmen, und als Nachfolger der Rolle als Vorstandsvorsitzender aktiv. von Manfred Hill anzutreten, war die Pandemie noch kein Thema. Aber wir haben im November „Wer… sich darüber definiert, dass er letzten Jahres schon mit Mitgliedern des Mu- in die Fußstapfen eines anderen tritt, sikvereins in drei Arbeitsgruppen verschiedene kann keine eigenen Spuren hinterlas- perspektivische Themen bearbeitet. Manche sen....“ Stefan Schwartze Ideen, die dabei entstanden, wären zu der Zeit, - wenn man damit in Öffentlichkeit gegangen Zwei prägende Persönlichkeiten des Mu- wäre - für den einen oder anderen sicherlich sikvereins haben ihre Ämter fast gleichzei- schwer verdaulich gewesen. Wenn man das tig niedergelegt. Marieddy Rossetto war Ganze allerdings im Licht von Corona betrach- seit 2001 verantwortlich für die künstle- tet, ist es alternativlos: In kleinen Gruppen zu rische Leitung des Chores, Manfred Hill singen, statt nur im großen Chor, eher kammer- war 18 Jahre lang Vorsitzender und zuvor musikalisch kleinere Stücke zu proben. … Das Vorstandsmitglied des Vereins. Wie groß sind alles Dinge, die wir traditionell bisher nicht ist die Herausforderung, die sich lange gemacht haben: Unser Profil bestimmten Wer- bewährende Arbeit Ihrer VorgängerIn und ke in großer Besetzung mit großen Orchestern. damit die Traditionen des Ensembles wei- Ich sehe in der auch durch Corona bedingten terzuführen? Neuorientierung eine große Chance, wenn wir die Dinge mit Weitblick, Mut und Optimismus DHD: Ich stehe jetzt in der Verantwortung für angehen. Weitblick erlaubt uns, Bestehendes den Musikverein, der als Chor ein starkes Niveau und Tradiertes kritisch zu hinterfragen. Mut erreicht hat. Die Jubiläumssaison 2019/20 war lässt uns neue Ansätze erproben und Optimis- mit einer beeindruckenden Anzahl großer Kon- mus kann uns beflügeln und lässt uns so auch zerte und schweren Stücken angefüllt, und im längere Durststrecken überstehen. Für mich letzten Jahr wurde die Aufnahme von Mahlers persönlich bedeutet das zum Beispiel, dass ich „2. Symphonie“ mit dem OPUS Klassik prämiert, den Probenplan komplett vom Kopf auf die daran hatte auch der Musikverein seinen Anteil. Füße stellen muss und in jeder Hinsicht kreativ Wir sehen, wo der Chor unter der Leitung mei- sein muss. Aber gerade das macht auch Spaß. ner Vorgängerin hingekommen ist, das ist jetzt mein Ausgangspunkt, um zu überlegen, wohin Jemand aus dem im Juni gewählten neu- wir jetzt von dort aus gehen. Meine Herausfor- en Vorstand hat diese Zeit einen „histori- derung ist gerade, zu analysieren und zu ordnen, schen Moment“ genannt. Können Sie sich welche der gewachsenen Qualitäten mit meiner dieser Aussage anschließen? Vorstellung übereinstimmen, und welche ich in andere Richtung entwickeln möchte. 4 NC33 NC33 5 StS: Wer ein Amt über- DHD: Für mich sind jetzt die nimmt und sich darüber defi- nächsten Monate erst einmal die niert, dass er in die Fußstapfen des Kennenlernens. Ich glaube eines anderen tritt, kann keine nicht, dass wir uns gegenseitig eigenen Spuren hinterlassen. tatsächlich schon kennen. Wir ha- Es geht darum, die Dinge, die ben ein Projekt gemeinsam durch- noch passen und funktionie- geführt, das war ganz erfolgreich, ren, weiter zu führen. Bei Din- das hat auch Spaß gemacht, aber gen, die jetzt nicht mehr pas- für mich ist jetzt in den nächsten sen, geht es darum, die richti- Monaten ganz wichtig erst ein- gen neuen Akzente zu setzen. mal zu sehen: Wer ist der Musik- Wenn wir so, wie bisher wei- verein, wie ist der Musikverein, ter machen wollten, könnten welche Strömungen und Vor- wir erst wieder proben, wenn stellungsrichtungen gibt es. Ich die Coronapandemie vorbei kenne jetzt noch nicht genau die ist. Bis dahin wäre der Mu- Foto Stefan Schwartze Punkte, die ich ändern muss. Ich sikverein nicht mehr existent. Also müssen wir habe ein Ziel, ich weiß, wo ich den Chor klanglich jetzt andere Ansätze finden. Das waren z.B. die hinbekommen möchte. Es gibt bestimmte Klan- sommerliche Open-Air-Proben. Da ging es viel- gaspekte, die mit der Stimmbehandlung zu tun leicht zunächst einmal nicht um das Singen in haben, und es gibt andere, die mit dem Hören zu höchstmöglicher Qualität, sondern eher darum, tun haben. Nach dieser Riesenpause ist mein Ziel überhaupt wieder zusammenzukommen, sich aber erst einmal, wieder das zu tun, was so ein gemeinsam mit Musik zu beschäftigen, aus der großer Chor eigentlich tut: wieder gemeinsam langen erzwungenen Schweigsamkeit wieder zu musizieren. Dabei werden wir uns schon ge- herauszukommen. Zugleich war aber auch das genseitig kennenlernen und in der gemeinsamen Proben unter widrigen Umständen ein, wenn Arbeit in einen Dialog treten. Wir haben die Pro- auch hartes, aber effektives Stimm- und Chor- benarbeit zunächst in vierstimmigen Chorgrup- training. pen angelegt. Wer weiß, wie das funktioniert? Ab September werden wir jetzt mit einem Wir werden das jetzt in den nächsten Wochen ernsthaften Anspruch intensiv in kleineren feststellen, und daraus entwickeln wir dann die Gruppen proben. Da sind dann alle Chormit- nächsten Schritte. Das fordert sehr viel Eigen- glieder gefordert., Da kann sich keiner zurück- ständigkeit der einzelnen Sängerinnen und Sän- lehnen und sagen: „Wir sind immer schon so ger, und das ist für mich sowieso ein wesentlicher gewesen, dass wir erst 5 vor 12 auf die Zielge- Punkt – die Eigenständigkeit ist die Grundvoraus- rade gekommen sind, und dann erst haben wir setzung dafür, dass man als großer Chor trotzdem wirklich Gas gegeben“. Nein, das müssen wir beweglich ist und Qualität hat. Man verlässt sich jetzt ändern! Da müssen wir deutlich früher nicht auf den Nachbarn, sondern jeder Einzelne dran sein, weil wir die Zeit dafür gar nicht mehr kennt seine Stärken und Schwächen, und bringt haben. Das sind Beispiele, wo jeder einzelne sich optimal in den Gesamtklang ein. gefordert ist, wo wir uns alle ändern müssen. Ich bin mir aber sicher, dass wir das können und Herr Schwartze, welche Erfahrungen und dass es uns gelingt. Techniken können Sie nach einer Karriere in der „For-Profit-Welt“ in Ihre neue Auf- Welche neuen Wege versuchen Sie zu fin- gabe bei einer gemeinnützigen Organisa- den sowohl kurzfristig - angepasst an die tion übernehmen? Coronazeit - als auch für in die weitere Zu- kunft. Welche ungenutzten Potenziale hat StS: Es gibt sicherlich Unterschiede zwischen der Chor? Arbeiten in einem Wirtschaftsunternehmen und im Musikverein. Das ist allein schon durch den

6 NC33 NC33 7 wirtschaftlichen Zweck begründet. Zunächst ich in mir die Beziehung zu dem, was an diesem ist die Arbeit die Voraussetzung dafür, dass ich Stück ganz besonders ist? Und diese Arbeit fin- meinen Lebensunterhalt verdiene. Aber wenn de ich unheimlich reich. Das wäre aber mit pro- ich meine Arbeit so verstehe, dass ich etwas fessionellen Sängern genauso. Der Unterschied bewegen und erreichen will, dann verschafft es ist relativ gering. Natürlich bringen professio- mir auch Befriedigung und Selbstbestätigung. nelle Gesangsensembles andere stimmliche Dies sind für mich die eigentlichen Motivatoren. Fähigkeiten mit, aber auch ein professionelles Und die treffen für eine Tätigkeit im Musikver- Ensemble besteht aus Menschen, und am Ende ein gleichermaßen zu. Ich bin davon überzeugt, ist das Interesse dasselbe. Es geht um Musik, es dass die Parallelitäten zwischen einer Tätigkeit geht darum, die Tiefe auszuloten in dieser Mu- für ein Wirtschaftsunternehmen und einer ge- sik, und es geht darum, eine persönliche Annä- meinnützigen Organisation deutlich überwie- herung zu finden: zwischen Chor und Leiter, und gen, denn Unternehmen bestehen am Ende zwischen allen Beteiligten und dem Werk. Jeder des Tages auch nur aus Menschen, genauso Mensch, der im Chor singt, geht zur Probe, weil wie beim Musikverein oder bei jeder anderen es seinem Grundinteresse entspricht, man geht Non-Profit-Organisation. Und Menschen anzu- dort hin, weil man diese Auseinandersetzung spornen, Veränderungen aktiv anzugehen und sucht. Das einzige, was man dafür mitbringen gestaltend weiter zu entwickeln und besser zu muss, ist Offenheit. Es geht darum, offen zu sein werden, ist von den Mechanismen her absolut für das, was man in einer Komposition vorfin- identisch. Wenn ich Veränderungen bewirken det, egal, ob man das schon 20-mal gesungen will, dann heißt das Kommunikation, Kommu- hat, ob man es noch nie gesungen hat. Mir geht nikation, Kommunikation, weil es nur dadurch es selbst in der Vorbereitung auch immer so: gelingen kann, jeden einzelnen auch irgendwo Wenn die Musik gut ist, stoße ich jedes Mal wie- mitzunehmen und zu aktivieren. der auf Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen waren und die mich wieder begeistern können. „…meine Person singt - innen drin - so- Mit dieser Begeisterung kann ich hinterher auch wieso immer...“ Dennis Hansel-Dinar die Zuhörer anstecken.

Professor Hansel-Dinar Sie sind ein an- Lassen wir uns in der Zeit zurückgehen: erkannter Chorleiter, warum finden Sie Wie haben Sie sich mit der Musik getrof- trotzdem auch Vergnügen in Zusammen- fen? Welche Erlebnisse haben Ihren musi- arbeit mit Amateurchören? kalischen Geschmack ausgeprägt?

DHD: Das Vergnügen habe ich nie verloren! DHD: Ich komme aus einem Elternhaus, in Ich habe mein ganzes Leben lang mit Amateuren der Musik zum Alltag gehört hat. Zum kirchli- gearbeitet. Ich habe wohl auch professionelle chen Alltag, aber auch zum häuslichen Alltag. Produktionen geleitet, aber die Arbeit mit Ama- Singen gehörte bei uns von Vornherein dazu. teuren ist für mich ein ganz wichtiger Teil des Vor den Mahlzeiten haben wir gesungen und kulturellen Lebens. Die Chöre im ganzen Land wenn wir zusammensaßen und keine bessere sind Orte der kulturellen Auseinandersetzung, Idee hatten, oder auch im Auto auf der Fahrt in der Regel einer historisch-kulturellen Ausein- in den Urlaub, wenn uns langweilig war, oder andersetzung. Es gilt herauszufinden, was die auch im Schulchor, einfach weil es Spaß macht. Kompositionen aus vergangenen Jahrhunderten Für mich ist Singen etwas, das nicht nur im Kon- für uns heute bedeuten, was sie uns zu sagen zertsaal stattfindet. Das war für mich immer ein haben. Wie finden wir einen persönlichen Zu- Teil meines Lebens. Ob ich im Konzert stehe gang dazu, wieder zu spüren, dass das, was da oder draußen die Straße entlang laufe, es pas- geschrieben steht, zu einer bestimmten Zeit ein siert etwas ganz Ähnliches: beim Singen äußere ganz aktueller Kommentar gewesen ist. Wie in- ich mich und meine Persönlichkeit. Meine Per- tegriere ich diese Idee in mich selbst? Wie finde son singt – innen drin – sowieso immer. 6 NC33 NC33 7 mir zunächst erstmal wenig bedeu- tet haben, mich aber dann im nähe- ren Studium gefangen genommen haben. Ich kann das “Deutsche Re- quiem” von nen- nen. Das kenne ich seit Ewigkeiten, und ich habe als Jugendlicher im- mer gehört, dass das so gut sei. Das habe ich dann auch immer schön brav wiederholt, aber im Grunde fand ich die Ehrfurcht, mit der die Menschen um mich herum diesem Stück begegneten, befremdlich. Jahre später habe ich es unter Lei- Foto Eyal Dinar, 2020 tung von Prof. Gronostay gesungen, Waren Ihre Eltern und in dem Moment den Punkt gefunden, wo Musiker oder Liebhaber? das für mich eine tiefere Bedeutung bekommen hat. Solche Momente hatte ich viele: Stücke, die DHD: Liebhaber, die viel Hausmusik gemacht ich schon kannte, und wo irgendwann im Studi- haben. Chorsingen war immer Teil davon. Mein um den Punkt kam, an dem ich merkte: „Wow, Onkel, der auch Chorleiter war, und auch selbst in dieser Tiefe bedeutet dir das auch etwas“. kleinere Form komponiert hat, sehr großer Nicht allein, weil die Musik intensiv ist, sondern Brahms-Liebhaber war, da war das Band dann weil die Textzusammenstellung im Zusammen- auch sehr schnell geschnürt. hang mit der Musik eine Gesamtaussage dar- stellt, die mit mir selbst was zu tun hat. Können sie sich einen bestimmten StS: Als da eben zugehört habe, habe ich eine Moment der ersten Katharsis erinnern? ganze Menge Parallelen festgestellt. Ich komme auch aus einem Haushalt, in dem Musik eigent- DHD: Oh, der Erste… das ist schwer zu sagen. lich immer präsent war. Es wurde zwar weniger Das war für mich ein Prozess. Da die Musik immer gesungen, aber meine Geschwister und ich da war, war sie für mich auch ein Ausdrucksmit- haben ein Instrument gelernt. Meine Mutter tel, gerade auch in der Jugend. Da habe ich zu- hatte ihre musikalische Ausbildung an der Mu- weilen Stunden am Klavier verbracht, auch um sikhochschule in Graz und arbeitete als Lehre- meine Gefühle zu ordnen. Irgendwann habe ich rin, und insofern war da die Prägung gegeben. angefangen, mich für Schubert und für Prokof- Mein Vater war eher ein Genießer klassischer jew zu interessieren und habe mir – die Tasten Musik, von dem ich das Faible für Tschaikowski mit Kraft bearbeitend - an Prokofiews II. Sonate und Brahms geerbt habe. Ich habe sehr früh mit die Zähne ausgebissen. Das hatte zuweilen et- Geigenunterricht angefangen – schon im Alter was “Trance”-artiges, das war unheimlich stark. von 4 Jahren. Im Laufe meines Lebens habe Dann habe ich eine starke Prägung durch Pro- noch weiter Instrumente gelernt und zumindest fessor Gisela Sott aus bekommen, die zeitweise praktiziert: Bratsche, Tenorhorn und mir geholfen hat, mich pianistisch aufs Studium Folk-Gitarre, die ich mir irgendwann selbst bei- vorzubereiten. Das hat meinen Geschmack sehr gebracht habe. Das erste Mal, dass ich selbst im geformt und mich überhaupt in die Körperlich- Chor gesungen habe, war Beethovens „Neun- keit von Musik „hineingeworfen“. An der Hoch- te“. Meine Mutter hatte entdeckt, dass unser schule waren es dann Prof. Christian Grube und städtisches Symphonieorchester in der Zeitung Prof. Uve Gronostay, die mich als Chordirigen- nach freiwilligen Mitsängern für Beethovens ten sehr geprägt haben - im Unterricht wie auch Neunte suchte. Daraufhin haben meine Mutter, in Konzerten. Ansonsten gibt es viele Werke, die meine Schwester und ich bei den Proben und 8 NC33 NC33 9 der Aufführung mitgemacht. Da- mals habe ich noch im Sopran ge- sungen – es ist also schon ein paar Tage her. Ich war 10 Jahre alt und es war sehr beeindruckend. Im Laufe meines Berufslebens habe ich zwar kaum noch selbst musiziert, aber ich habe immer irgendwo den Be- zug zur Musik behalten. So war ich lange Jahre Abonnent bei den Düs- seldorfer Symphonikern. Aber auch, als ich noch in München studier- te, habe ich häufiger Konzerte der Münchner Philharmoniker besucht – damals, als Celibidache noch de- Foto Stefan Schwartze ren Chefdirigent war. Ich habe dort sensationel- ist es auch bei vielen anderen Chören so, dass le Konzerte erlebt, an die ich mich immer noch sie sich eher aus der älteren Generation sich mit Freude erinnere. Wenn ich heute im Auto zusammensetzen. Auf der anderen Seite ist im unterwegs bin und Musik höre, ist es grundsätz- Chor zu singen etwas, was unglaublich berei- lich klassische Musik. Ich finde das unheimlich chernd sein kann. Ich kann mich erinnern, als bereichernd. Um nochmal auf das Erlebnis mit ich hier aus den ersten Schnupperproben nach dem Beethovens Neunter zurückzukommen: so Hause gefahren bin, habe ich lauthals im Auto gegen Ende meiner Berufszeit, als klar war, ich gesungen und ich kam mit einem breiten strah- höre auf, entstand die Idee: „Na ja, ich könnte lenden Lächeln zu Hause an, weil ich einfach mal schauen, ob es so eine Konstellation als voll der Glücksgefühle war. Und genau das ist Projekt auch hier in Düsseldorf gibt?“ Nun ist etwas, wofür sicherlich auch eine junge Gene- aus dem Projekt ein bisschen mehr geworden, ration empfänglich ist. Die Frage ist, wie man sie aber ich bereue es keinen Tag! erreichen kann. Es muss sicherlich anders sein, das kann nicht auf traditionelle Art und Weise „…genau dieses Erlebnis von Glücks- passieren, aber ich bin mir sicher, dass genau gefühlen ist bei Jugendlichen nicht dieses Erlebnis von Glücksgefühlen bei Jugend- anders ...“ Stefan Schwartze lichen nicht anders ist als bei älteren Leuten. Daher werden wir auch im Musikverein neue Deutschland ist ein „singendes“ Land, es Wege beschreiten müssen. Das wird mit Sicher- gibt knapp 4 Millionen Menschen, die in heit ein längerer und zäher Weg sein, aber er ist verschiedenen Chören, Vokalensembles es definitiv wert, ihn zu gehen. und Singvereine singen. Wird es so blei- DHD: Ich sehe das nicht so pessimistisch. Ich ben? Oder besteht das Gefahr, dass die merke das im Alltag und würde eher an einer jüngeren Generationen weniger Spaß an anderen Stelle anfangen: Ich finde interessant, der Kunst finden? Was kann ein so bedeu- dass Deutschland sich zu einem singenden Land tender städtischer Chor für die Popularisie- hin entwickelt. Als ich ein Kind oder Jugendli- rung des Chorsingens tun, und damit auch cher war, hat Singen in der Schule eine viel ge- für seinen eigenen Nachwuchs sorgen? ringere Rolle gespielt als heute. Es gibt die wun- derbare SingPause in Düsseldorf, wo ganz viele StS: Ich befürchte, dass es eher abnehmen Kinder in die Tonhalle kommen und gemeinsam wird, wenn wir nichts dagegen unternehmen. singen. Was für eine wunderbare Sache: Erstens Wenn man sich das Durchschnittsalter der im sind die Kinder dabei glücklich, zweitens sitzen Chor singenden Personen anschaut, und damit die Eltern dabei und sind glücklich, weil sie den meine ich jetzt nicht nur unseren Musikverein, Klang der Kinderstimmen, diese Kraft hören. 8 NC33 NC33 9 Singen ist eine Sache, die man erleben muss, damit man sie lieben lernt, und damit man sie „...wir sind mit unseren Ideen entwe- dann auch weiter tut. Und die SingPause ist ein der sehr nah beieinander oder ergän- super Konzept, das die Kinder dahinführt, dass zen uns wunderbar...“ Stefan Schwartze sie gerne singen wollen. Und auch die öffentli- che Wahrnehmung hat sich verändert: Vor 30 Zurück in die Gegenwart: welche Aufgaben Jahren war es kaum denkbar, dass ein Fernseh- wollen Sie nun als Erstes erledigen? programm mit dem Titel „Der beste Chor im Westen“ hohe Zuschauerzahlen schreiben wür- StS: Wir werden ab September wieder mit de. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Proben in geschlossenen Räumen beginnen, Chorszene in den letzten 20 Jahren nicht klei- selbstverständlich unter Maßgabe der jeweils ner, sondern größer geworden ist. Sie ist auch geltenden Corona-Schutzverordnung des Lan- deutlich vielfältiger geworden. Es gibt nicht nur des NRW. Das heißt aktuell: zwischen den Sän- oratorische Chöre und Gesangsvereine, son- gerInnen muss 3 Meter zur Seite und 4 Meter dern Jazz- und Popchöre, a-cappella-Gruppen, nach vorne Platz sein. Damit können wir nur mit die von der Gregorianik bis zu elaborierten Pop- 22 Personen gleichzeitig im Hentrich-Saal der Arrangements singen, Jugendchöre, die zeitge- Tonhalle proben. Ich sehe auch nicht, dass wir nössische a cappella-Chormusik aufführen und auf absehbare Zeit wirklich im großen Ensemble vieles mehr. Als Leiter muss man sich da überle- so, wie das bisher gekannt haben, ohne große gen, worin die Aufgabe des Ensembles besteht, Probleme zusammenkommen können. Da müs- und wie weit man stilistisch gehen möchte. ste man wahrscheinlich schon die Messehallen „Okay, dieses Genre integriere ich jetzt noch anbieten. Wir fangen jetzt mit dem „Mozart- in unserer Chorarbeit, und dieses nicht mehr“. Requiem“ in kleinen Gruppen an. Wir werden Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man sechs verschiedene Gruppen sein, die an 3 Ta- auch mit einem Oratorienchor neue Formen gen in der Woche proben. Das heißt: jede Grup- des vokalen Musizierens finden kann. Aber man pe kommt alle 14 Tage einmal dran. Die Proben- muss auch wissen, welche Aufgaben man hat. arbeit wird intensiver sein, die Proben werden Zugleich bin ich absolut sicher, dass Jugendli- länger sein. Das setzt aber voraus, dass jeder che sich für Beethovens „Neunte“, für Haydns und jede sich selbst entsprechend gut vorberei- “Jahreszeiten” und für Brittens “War Requiem” tet. Dazu gibt es entsprechende Materialien. Für begeistern lassen. das zweite Werk, Kodálys „Psalmus Hungaricus“, Wir haben zwischen der Hochschule und das wir einstudieren, werden entsprechende dem Humboldt-Gymnasium eine Kooperation Materialien ebenfalls bereitgestellt, sei es zum in deren Rahmen ich Singklassen betreue. Vor Erlernen der ungarischen Aussprache oder der einigen Jahren waren wir beim Rundfunkchor eigenen Stimme. Damit kann und muss sich je- in Köln und durften das Weihnachtskonzert mit- der selbst für die Proben vorbereiten, damit wir singen und haben mit den Kindern den ersten nicht in die Situation kommen, in der Probe erst Satz von Bachs „Weihnachtsoratorium“ und das die eigene Stimme üben zu müssen. Das wird „Hallelujah“ aus dem Händel-Messias einstu- am Anfang auch nicht perfekt sein, das kann diert. Die Kinder, das war eine 6. Klasse, hatten auch nicht perfekt sein: Wir sind Amateure, da einen Riesenspaß. Und am Ende war ihnen egal, müssen wir realistisch sein, aber es wird schon ob das Händel oder Bach oder Michael Jackson ein neues Anspruchsniveau vorausgesetzt. Mit war. Die haben die Musik erlebt und sich davon der längeren Probenzeit – weil wir eben nur in begeistern lassen, völlig unabhängig vom Gen- kleineren Ensembles proben können – orientie- re. Ich bin sicher, dass es möglich ist, Jugendli- ren wir uns an den Endterminen. Das ist das, che gibt, die für klassische Musik zu begeistern was jetzt unmittelbar passiert. Ab Oktober wer- sind. Die Herausforderung besteht darin, sie den wir dann die Gruppierung umstellen, weil dazu zu führen, dass sie sich erstmal darauf ein- wir dann sicherlich erstmal in Stimmgruppen ar- lassen und es ausprobieren. beiten, das aber auch wieder in sechs Gruppen. 10 NC33 NC33 11 Insofern ändert sich dann nur die Zusammen- chören gesungen werden, was auch schön ist, setzung der Gruppen. Zusätzlich werden wir aber nicht dem Klangideal entspricht, für das sie uns in den kommenden Monaten verstärkt um erdacht wurden. Solche Stücke mit dem Musik- Stimmbildung, Rythmusschulung, und die Schu- verein zu singen, ist für mich ein Fernziel. Auf lung im Blattsingen bemühen. Dem wird mehr dem Weg dahin sehe ich, dass wir mit kleinerer Gewicht verliehen, und zwar in Einheiten, die Begleitung – mit Orgel- oder Klavierbegleitung dann entweder parallel zu Stimmgruppenpro- – Konzerte machen können. In der jetzigen Si- ben verlaufen oder an anderen Tagen stattfin- tuation bietet sich das auf besondere Weise an, den. Dies ist momentan noch in der Planung. : denn wir haben im Grunde jetzt 6 kleine Chö- Letztlich hängt alles aktuell an den Räumlichkei- re, wo man solche Stücke gut proben kann. Die ten, denn wir sind nicht die Einzigen, die diese Teilnehmer der Sommerproben haben ja schon Räumlichkeiten als Chor benötigen und stehen einige a cappella-Stücke erarbeitet, da würde natürlich auch in Konkurrenz zu anderen En- ich gerne sehen, wie sich das in den Gruppen sembles. Die sind nicht nur die Räumlichkeiten etablieren lässt. Ich habe auch das eine oder an- in der Tonhalle, sondern beispielsweise auch im dere Stück im Hinterkopf, was ich gerne ins Re- Palais Wittgenstein. Ich gehe davon aus, dass pertoire hineinnehmen wollen würde, aber im diese Art der Probenarbeit uns mit Sicherheit Moment - und so schließt sich der Kreis - freue bis zum nächsten Jahr, möglicherweise sogar mich erstmal sehr auf die Proben, in denen wir noch länger begleiten wird. uns gegenseitig kennenlernen werden. DHD: Davon gehe ich auch aus. Ich finde ge- StS: Dem kann ich mich voll anschließen. rade entscheidend, zu prüfen, wie die Auftei- Wir beide, Dennis und ich, konnten uns in den lung in diese 6 Gruppen – die erstmal eher nach letzten Wochen in Vorbereitung der Proben- Notwendigkeiten erfolgt – funktioniert und zu planung intensiv abstimmen. Diese Gespräche entwickeln, wie wir mit der Situation am besten waren immer unglaublich produktiv und haben umgehen können. Dann gibt es eine Sache, die sehr viel Spaß gemacht. Dafür möchte ich mich ich schon letztes Jahr, vor der Corona-Pandemie bedanken. Ich stelle immer wieder fest, dass dachte: Es wäre mir wichtig, nicht ausschließ- wir beide mit unseren Ideen entweder sehr nah lich große, orchesterbegleitete Musik zu ma- beieinander sind oder uns wunderbar ergänzen, chen, sondern den Klang auch dadurch zu ent- und von daher sehe ich unserer Zusammenar- wickeln, dass wir uns mit unbegleiteter Musik beit in der Zukunft sehr optimistisch entgegen. beschäftigen. Es gibt a cappella-Kompositionen, DHD: Ich glaube auch, dass wir viel Spaß die für diese Chorgröße komponiert worden miteinander haben werden. Und trotzdem sind sind, und die im Moment eher von Kammer- wir immer noch mittendrin in der Pandemie. Wir fangen jetzt mit den ersten Schritten an, aber wir brauchen Geduld und Gelassenheit, mit der Situation umzugehen. Ich will es nicht schönreden: Das alles wird nicht leicht, und es wird uns sehr fordern, aber ich wünsche mir, dass wir die Freu- de daran behalten. Sts: Wenn uns das gelingt, dann kommen wir gestärkt aus der schwierigen Situation her- aus. Dann spielen wir in einer anderen Liga - das allein ist es wert. Foto Eyal Dinar, 2020 10 NC33 NC33 11 KONTINUITÄT OHNE ENDE? 50 Jahre und mehr mit MH unterwegs beobachtet, begleitet und wertgeschätzt von Georg Lauer

Als der Autor der folgenden Zeilen sich 1992 dem Chor des Städtischen Musikvereins (nach- stehend „MV“ abgekürzt) anschloss, hatte MH„ “, wie wir Manfred Hill hier nachfolgend apostro- phieren möchten, bereits ein halbes Leben Musikverein hinter sich. Er bekleidete damals kein Vor- standsamt und fiel mir auch als Chorsänger nicht groß auf. Die Hills bildeten für mich das singende Ehepaar Hans-Peter und Irmgard. Aber eines Tages war MH einfach da, wieder da, verändert da, wie man den Kommentaren langjähriger Mitsängerinnen entnehmen konnte, und ich lernte ihn und seine Frau Franzis kennen. In mein sängerisches Miteinander rückte MH erst irgendwann später, als mir während einer wiederholt misslungenen und ärgerlich selbstreflexierend kommentierten Proben- passage jemand von hinten die Hand auf die Schulter legte und meinen sängerischen Frust mit der Tröstung abzubauen suchte, es werde in den nächsten Proben immer besser gehen und ich solle doch bitte nicht verzweifeln. Ob es gerade um Takte aus Edison De- nissows „Morgentraum“ oder aus Roberto Gerhards „Pest“ ging, ist hier nicht wichtig. Hier war MHs angeborenes „Helfer-Gen“ spürbar geworden, grundgelegt in der elterlichen Fürsorge, bei den Messdienern und im Kinderchor gepflegt und bei der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) mit dem Gruß „Allzeit bereit“ und „Gut Pfad“ geschult. Über weitere Eigenschaften und Talente, seinen nie nachlassenden, ungeheuren Schreibfleiß, die Vereinschronik fortzuführen, über seinen Eifer, EDV-technisch umzusetzen, was vereinsorganisatorisch möglich und sinnvoll ist, über berufliche Stationen seines Lebens, seine Lei- denschaft für Musik und Gesang, sein nie erlahmendes Engagement für Fortbestand und Entwicklung seines MV, über seinen kommuni- kativen Einsatz auf allen Ebenen der Düsseldorfer Kulturbeflissenen aus Politik und Wirtschaft wie aus Heimat- und Bürgervereinen geben die Veröffentlichungen „Aus Liebe zur Musik“ (I und II), das Festbuch 2018 „MusikVereint“, die lückenlosen Zusammenstellung, die „seine Chronik“ auf den Web-Seiten des MV liefert, erschöpfend Auskunft. Hier erlauben wir uns noch einmal, ergänzt aus eigenem Erleben, eine zusammenfassende Würdigung.

1944 Wülfershausen a. D. Saale 1.500 Seelen große Dorf hat es die Familie Hill Ortschaften dieses Namens gibt es gleich drei in den Wirren des 2. Weltkriegs aus dem Rhein- in Deutschland: die thüringische liegt etwa 13 land verschlagen, als für Mutter Hill ihre zweite km östlich der Bachstadt Arnstadt, die unter- Niederkunft ansteht. Die Not ist groß, der Kreiß- fränkische im Landkreis Schweinfurt und die mit saal fern, der Geburtsort, so wird gern erzählt, dem Zusatz „an der Saale“ im unterfränkischen soll am 13. September eine Treppe gewesen Landkreis Rhön-Grabfeld. Schlagzeilen macht sein. Es geht alles gut. Das Glück der Familie der Name 2020 durch Presseberichte über ferti- aber ist erst ein Jahr später vollkommen, als sie ge Fundamente von Windkraftanlagen, die nach wieder in ihre angestammte Rheinlandheimat einer Gesetzesnovelle nicht mehr errichtet wer- zurückkehren kann und der Sprößling noch ein den dürfen. In dieses heute wie damals etwa echter Düsseldorfer wird. 12 NC33 NC33 13 Die frühen Jahre zentrale“ mit dem „Einsatzleiter“ MH etabliert, ist in mittelständischen Betrieben, in denen der Wieder in Düsseldorf-Eller am Gertrudisplatz Chef sein Hobby zu einem zeitintensiven Ne- im Schatten von St. Gertrud zu Hause zu sein be- benjob ausbaut, keine Seltenheit. Hier werden deutet, dass sich die katholische Familie auch in die Verbindungen in die Vorstandsetagen der der Kirchengemeinde wohl fühlt, und der Famili- Düsseldorfer Konzerne ebenso hergestellt wie ennachwuchs sich zunächst der Messdienerschar in die Entscheidungsgremien der Kulturpolitik. und dann dem Kinderchor anschließt. Nach Schule und Ausbildung zum Bankkaufmann und ersten Jahren bei der Sparkasse Düsseldorf beendet MH seine Wehrdienstzeit bei der Marine als Hauptge- freiter und muss sich jetzt entscheiden: Zurück zur Sparkasse, wo er seit 1960 Kunden betreut, oder lieber nur Musik und Hobby. Zunächst ist es nur der sichere Arbeitsplatz, bald schon kommt der Städtische Musikverein dazu, und es dauert nur bis 1969, als sich dem 25jährigen eine dritte Tür öffnet: es ist die der Firma Weber in Hilden, die Feuerlöscher herstellt, ver- Zweimal jährlich erfolgt von der Zentrale aus der Versand von kauft und prüft. Hier küm- umfangreicher MH-Mitglieder-Post incl. Werbebroschüren mert sich MH zunächst um al- und dem Kultur-Report der Vereinszeitschrift NeueChorszene. les, was mit dem Vertrieb der Die Nachkriegsjahre im Verein Geräte und der Organisation des Prüfdienstes zu tun hat. Beethoven Neun zieht sich wie ein roter Fa- Geschäftsentwicklung den nicht nur durch dieses Heft, sondern durch und Konkurrenzdruck sor- die lange Konzertgeschichte des Musikvereins gen dafür, dass Betrieb und bis in unsere Tage. Nach Haydns „Schöpfung“ Verwaltung schon ab 1980 im Dezember 1945 erklingt Beethovens „Freu- nicht mehr ohne Datenver- de schöner Götterfunken“ erstmals wieder im arbeitung zu denken ist. März 1946 in Düsseldorf. MH setzt sie konsequent ein und entwickelt Kunibert Jung (*10.10.1923, †22.7.2004) be- sich vom Verkaufsleiter zum Prokuristen und schreibt in seinem Beitrag „Neubeginn - der 1 Geschäftsführer einer Firmengruppe, die über Musikverein nach 1945“ eindrucksvoll die Wie- Niederlassungen in ganz Deutschland verfügt. derbelebung der Konzerttätigkeit des Chores in Früh verschafft er sich hier das Know-how, mit Düsseldorf und den benachbarten Städten, und dem er später auch die EDV-Geschäfte des Mu- wie Beethovens Sinfonie im Juni 1948 für den sikvereins weiterentwickeln und auf breiter Ba- 24jährigen zum „Erweckungserlebnis“ wird, sich sis nutzen wird. der Chorgemeinschaft anzuschließen. So regelmä- Dass sich am Unternehmenssitz in Hilden mit ßig wie Bachs Mattäuspassion steht seit 1948 un- seinen komfortablen Lager- und Büroräumen ter Hans Weisbach und Eugen Szenkar Beethoven auch so etwas wie eine „geheime Kommando- Neun auf dem Programm, so auch 1958 bei der ersten Reise nach Paris, wo am zweiten Tag auch die „Missa“ aufgeführt wird. Halten wir hier einen Moment inne und lassen Kuni Jung zu Wort kom- men, der 1957 anlässlich einer Dienstreise nach Paris den Kulturattaché der Deutschen Botschaft aufsuch- te, der ihm die Möglichkeiten einer Zusammanarbeit mit französischen Konzertveranstaltern aufzeigte2: „Nach vielen anstrengendem Hin und Her und nicht zuletzt mit einer finanziellen Beihilfe der Stadt 1 Rainer Großimlinghaus, Aus Liebe zur Musik Band 1, Der Firmenchef erläutert seinen Mitarbeitern, darunter seit S. 138, Düsseldorf, 1988 2009 Sohn Christoph und seit 2012 Sohn Sebastian, Einzel- heiten der betrieblichen Brandschutzorganisation. 2 Ebd. S. 144 12 NC33 NC33 13 Düsseldorf startete der Städtische Musikverein An- ses war, an das sich „die Alten“ bis heute mit fang Juni 1958 zu seiner ersten großen Auslands- großer Hingabe erinnern: der frischgebackene konzertreise nach Paris. Am 3. Juni erklang im Pa- GMD Rafael Frühbeck de Burgos hat den Chor lais Chaillot die „Neunte Symphonie“ von Beetho- für Anfang Juni in seine Heimat zum XI. Festival ven mit dem L‘Orchestre Radio-Symphonieque de Internationale de Musica y Danzs nach Grana- Paris unter der Leitung von Eugen Szenkar. Diese da eingeladen. Auf dem Programm: Felix Men- Aufführung wurde ein grandioser Erfolg mit wahren delssohn Bartholdys „Ein Sommernachtstraum“ Beifallsstürmen und wir alle, Mitwirkende und mit- und Carl Orffs „Carmina Burana“. Der Chronist reisende Gäste, fühlten uns im siebten Himmel.... schreibt: „Was für ein Erlebnis: Die Sauf- und Liebeslieder der Mönche im Palasthof Karls des In Düsseldorf erklingt Beethovens Chorsinfonie Fünften in Granada unter freiem Himmel. Diese auch wieder 1959 unter Georg Ludwig Jochum, Atmosphäre war so ziemlich unschlagbar.“ 1960 erneut unter Eugen Szenkar, in Bonn 1961 und 1963 beim Beethovenfest unter Andre Cluy- tens bzw. Volker Wangenheim und auch in der Düs- seldorfer Rheinhalle 1963 und 1965 erneut unter Jean Martinon. Mit dem französischen Dirigenten und Komponisten war 1960 für fünf Jahre eine Mu- sikerpersönlichkeit ins GMD-Amt der Stadt Düssel- dorf verpflichtet worden, der dem Chor nicht nur zu weiteren Auftritten in Paris verhalf - 1961 mit René Heinersdorf sen. Kunibert Jung Bachs Johannespassion, 1963 mit Haydns Jah- Kontinuitäten im Vereinsvorstand reszeiten und 1966 mit Berlioz‘ Requiem. Auch in In diesem Jahr 1966 trifft MH auf einen Vor- Düsseldorf präsentierte sitzenden, der sein Vorstandsamt 1956 aus den der international gefragte Händen von René Heinersdorf sen., Begründer Musiker diese und weite- der gleichnamigen Konzertagentur, empfangen re romantische Oratori- hat. Der neue Mann an der Vereinsspitze Kuni- Jean Martinon enliteratur von Bach und bert Jung hat bereits zehn Jahre lang zusammen Brahms, Mozart und Mendelssohn und erweiterte mit seinem Vorgänger, den jetzt und bis zu sei- das Repertoire des Chores auch um Kompositionen nem Ausscheiden 1980 der Titel „Ehren-Präsi- des 20. Jahrhunderts, darunter sein eigenes Orato- dent“ schmückt, die vielfältigen beruflichen rium „Le Lis de Saron“. Kontakte aus dessen Konzertagentur nutzen können. Das bereitet dem Musikverein den Bo- MH tritt auf den für die umfangreiche Reisetätigkeit in deut- sche und europäische Konzertsäle und macht Just am 18. Juni 1965 betritt der 21jährigeMH ihn in Europa zum „Musikalischen Botschafter das Podium der Rheinhalle Düsseldorf und führt der Landeshauptstadt“. - nachdem er unter der Obhut seines älteren Langjährige Wegbegleiterin ist dem umtriebi- Bruders einige Male hospitierend den Proben gen Vorsitzenden in seiner Amtszeit Gisela Kum- beiwohnt - mit den Düsseldorfer Symphonikern mert als Sopran-Stimmvertreterin, Schriftführe- unter Jean Martinon erstmals den anspruchsvol- rin und vor allem als Reiseleiterin, die zwischen len Chorpart aus der berühmtesten Sinfonie aller 1966 und 2007 nicht weniger als 142 In- und Zeiten auf. Die Selbstzweifel, die einem kinder- Auslandsreisen organisiert. und kirchenchorgeschulten jugendlichen Sänger wie MH durchaus erwachsen können, einem MH tritt an I Werk solcher Hochkultur nicht gewachsen zu sein, haben sich aufgelöst: Seine Mitgliedschaft Zwei weitere Personalentscheidungen von im Verein ist zum 19. Juli 1966 verbrieft. ebenso nachhaltiger wie weitreichender Be- Getrost lässt sich vermuten, dass das auch deutung fallen ebenfalls in diese Zeit: 1964 ist Folge eines unvergesslichen Konzertereignis- es die Berufung des neuen Chordirektors Hart- 14 NC33 NC33 15 Juni 1984: Hartmut Schmidt und Sohn Andreas, Bariton, verfolgen in der Februar 1989: In der Druckerei Preuß, die bis heute auch den An- Tonhalle die Proben zu WDR-Aufnahmen von Schumanns „Königssohn“. druck der NeuenChorszene besorgt, prüft Rainer Großimlinghaus den Fertigstellungsprozess von Band 1 „Aus Liebe zur Musik“. mut Schmidt (*13.05.1930, †22.06.2006), der diese Position 30 Jahre ausfüllt, und zum 1. In diese außerordentlich fruchtbare, erfolgrei- Januar 1970 ist es die Bestellung von MH zum che und die Mitglieder begeisternde Zeit fallen die Schatzmeister 1 des Musikvereins. ersten 25 Jahre von MHs Musikvereinsmitglied- schaft und die ihn prägende Vorstandsarbeit. In gleichen Jahr 1970 erfüllt sich ein anderer, In seiner mit großem Fleiß auf der Homepage privater Traum: Manfred eifert seinem Bruder lückenlos bebilderten und tagesaktuell fortge- Hans-Peter nach, heiratet Franzis, die Schwester schriebenen Vereins-Chronik liest man für diese seiner Schwägerin, und gründet eine Familie, aus Periode folgenden Eintrag: der drei Söhne hervorgehen. „Seit 1970 entwickelte sich das Finanzvolumen des Musikvereins durch die vielen Konzertreisen Im Musikverein komplettiert ab 1977 Rainer (70 teilweise spektakuläre Konzertreisen mus- Großimlinghaus den Vorstand auf dem Posten sten in dieser Amtszeit finanztechnisch abge- des Bibliothekars, der sich nicht nur um die Auf- wickelt werden) in die Dimension einer mittel- arbeitung des archivarischen Nachlasses küm- ständischen Firma.“ mert und damit den Grundstein für die 1989 bzw. 2001 veröffentlichten Chronikbände „Aus Liebe zur Musik“ legt, in dem alle Konzerte seit Vereinsgründung 1818 mit Datum, Werk, Ort und Musikern verzeichnet sind. Zuständig auch für die Bereiche Marketing und PR kümmert er sich vor allem um den Abschluss von Konzert- verpflichtungen, zunehmend mit Medienprä- senz in Funk und Fernsehen. Ein besonderes Anliegen ist es ihm (bis heute), möglichst zu jedem Konzert ein Tondokument als CD zu ar- chivieren, in deren Booklet die jeweiligen Um- stände der Aufnahme oder bemerkenswerte Ereignisse um Chor, Orchester oder Dirigent Zusammen mit Kuni Jung, dem von seiner festgehalten sind.3 Frau Marga in seinen Vereins-Aktivitäten unter- Zu den in der Zeit Kunibert Jungs gereiften stützten und kinderlos gebliebenen „Vater“ die- Mitgliedern des Vorstands sind gleichfalls noch ser „Firma“, kann MH seine zahlreichen Talente die späteren Vorsitzenden Jens Billerbeck (1990 entwickeln. Von dieser „Firma“ ist auch in den - 1994) und Klaus-Jürgen Exler (1995-2002) zu mit viel Witz angelegten und vorgetragenen nennen sowie Bernhard Jahn, dessen Einsatz Kassenberichten immer wieder die Rede. bis zu seinem frühen Tod der Herausgabe der Als Verwalter der Kasse in die Organisation von Rainer Großimlinghaus ins Leben gerufenen der Konzertreisen eingebunden legt MH zur Musikvereinszeitschrift „Chorszene“ galt. Führung der Mitglieder und Reiseteilnehmer erste EDV-gestützte Dateien an. Ihn interes- 3 Beispiele siehe Seite 40/41. 14 NC33 NC33 15 siert das Erschei- Der Reisehype der 70er/80er Jahre setzte sich nungsbild des bis 1990, dem Jahr, in dem der 67jährige Kuni- Chores, indem er bert Jung seine Nachfolge regelte, fort. Nicht, einheitliche Brief- dass es auch in den Vorsitzzeiten von Jens Bil- bögen, Plakate für lerbeck (1990 bis 1995) und Klaus Jürgen Exler die Konzertreisen, (1995 bis 2002) nicht zu spektakulären Reisen Schlüsselanhänger gekommen wäre - an New York 1992 und Cin- und Aufkleber als cinatti 2000 - sei dankbar erinnert. Aber Kunis Werbegeschenke letztes Konzertjahr 1989 war mit 30 Konzerten entwirft und wap- einfach nicht mehr zu steigern, urteilen Sie noch pengeschmückte Bleistifte und Notenbeutel für einmal selbst: die Mitglieder anschafft - auch im Jubiläumsjahr Jan: Hamburg, 3x Berlioz „Requiem“ mit Gerd Albrecht 2018. März: D‘dorf, 3x Mendelssohn „Lobgesang“ unter David Shallon Auch die Gestaltung des aus dem Düsseldor- März: Berlin, 2x Berlioz „Klagendes Lied“ mit Riccardo Chailly April: Paris, 2x Mahlers „2. Sinfonie“ mit Lorin Maazel fer Stadtwappen entlehnten Vereinslogos mit Mai: die große DDR-Tournee: Berlin, Dresden und mit dem zum Violinschlüssel gestalteten Löwen- jeweils Mendelssohn „Lobgesang“ und Berlioz „Faust schweif fällt mit dem Eintrag vom 26.3.1984 in Verdammnis“ mit David Shallon die Deutsche Wappenrolle in diese Vorstands- Juni: Düsseldorf, Berlioz „Lelio“ mit David Shallon Juli: Köln, Berlioz „Requiem“ mit Marek Janowski zeit. Gleiches gilt für die grünen, doppelseiti- Okt:- D‘drf, Gent, Saarbrücken, Frankfurt, Höchst 6x Berlioz‘ gen Chronikblätter, die auch heute noch unver- „Te Deum“ mit David Shallon, 1x mit Emil Tchakarov ändert bei jedem Konzert ausgefüllt, von den Nov: Amsterdam, 2x Berlioz „Requiem“ mit Neeme Järvi, Künstlern gegengezeichnet und im Vereinsar- Nov: Düsseldorf, Mendelssohn „Elias“ mit Hartmut Schmidt chiv verwahrt werden. Im Jahr 1990 gehen auch diese finanztech- nisch aufreibenden Jahre für den Schatzmeister und Familienvater MH zu Ende. Es folgt eine chorische Auszeit, in der auch die familiäre Bela- stung einer äußerst schwierigen Erkrankung des mittleren Sohnes zu bewältigen ist.

Die Jahre 1990 bis 2002

Mit dem Jahr 1992 beginnen - wie eingangs berichtet - die eigenen Beobachtungen des Be- richterstatters: MH tritt nicht weiter in Erschei- nung, Kunibert Jung ist nicht mehr im Dienst, nimmt aber - wie sein Vorgänger als „Ehren- präsident“ - weiter an Vorstandssitzungen und Zwischendurch ein aufschlussreicher Blick auf die wich- tigsten Konzertreisen des im Berichtszeitraum auf 180 Reisen, überhaupt am Leben des Chores teil. In Mitglieder angewachsenen Chores: Mechelen 1994, dem Geburtsort von Beetho- 1977 - 8. Mahler in Orange unter Vaclav Neumann, in vens Großvater Ludwig - der Chor singt Beetho- Brüssel und Gent unter Michael Tilson-Thomas, ven Neun - erleben die Reiseteilnehmer Kuni 1978 Verdi-Requiem in Vaison-la-Romaine und Aix-en- als kenntnisreichen Erläuterer der Kunstschätze Provence (2x) unter Jean-Claude Casadesus, 1979 unter gleicher Leitung in Paris und Lille Haydns und Architektur der Kathedrale. Im Jahr darauf Schöpfung, und im „Wahnsinnsjahr“ erinnere ich mich nach der Amsterdamer Gene- 1981 Beethovens Missa solemnis unter Avi Ostrowsky in ralprobe von Mahlers „Klagendem Lied“ unter Antwerpen, Wiener Neustadt, Wien (2x) und Baden bei Riccardo Chailly an den Weg vom Concertge- Wien unter Miltiades Caridis, Beethovens Neunte zwei- mal in Osnabrück unter Ljubomir Romansky, Schumanns bouw zum Hotel, als ich - Kunis väterliche Hand Faustszenen unter Pierre Bartholomée in Tongeren, in auf der Schulter spürend - die Frage höre, ob Orange Mozarts szenische Zauberflöteunter John-Eliot ich nicht eine Aufgabe im Verein übernehmen Gardiner, Verdis Il Trovatore unter Garcia Navarro und wolle. Das kommt erst 2002 auf mich zu, ein Hector Berlioz‘ Symphonie fantastique et Lelio mit Eliahu Inbal, dazu noch etliche Konzert in Düsseldorf unter Jahr, nachdem MH wieder aktiv am Chorleben Heinrich Hollreiser, Bernhard Klee und Eduard Melkus, teilnimmt und sich darauf vorbereitet, Musik- zusammen unvorstellbare 33 Auftritte allein 1981! vereinsvorsitzender zu werden. Auf der Suche 16 NC33 NC33 17 weiterer Mitstreiter nimmt er auch Tuchfüh- Chorgemeinschaft Ende Januar 2003 nach Den lung mit dem Berichterstatter und Basskollegen Haag zur zweimaligen Aufführung von Beetho- auf, der ein Jahr vor seiner Frühpensionierung vens Neunter auf, wieder einmal. Die nicht ganz nun zur Wahl als Bibliothekar und Pressespre- spannungsfreie Leitung Jaap van Zwedens führt cher bereit ist, eine Fächerkombination, die aus die Gesamteinspielung der Beethovensinfonien den 70er Jahren stammt. Die personelle Tren- mit dem Residentie Orkest Den Haag mit neuer nung erfolgt erst 2008 nach Satzungsänderung, digitaler Aufnahmetechnik als Super Audio Com- indem die Funktion des „Medienreferenten“ pact Disc (SACD) ans Ziel. eingeführt wird, die den Vorstand auf 10 Mit- Das Jahr 2003 endet mit Konzerten in Le- glieder erweitert. verkusen und Bonn und beginnt im April 2004 in Brüssel mit Verdis Requiem unter Mikko MH tritt an II Franck, das er zwei Tage später in Wuppertal - vom Ausfall zweier Solistinnen gehandicapt - Am 18. April 2002 wählt die Mitgliederver- zu einem gekürzten unrühmlichen Ende bringt, sammlung einen neuen Vorstand, an seine als „Zugabe“ wiederholt er das „Sanctus“. Ein Spitze den in den turbulenten 70er und 80er Wiedersehen mit dem unglücklichen Dirigenten gibt es Ende Oktober 2004 noch einmal in Brüs- sel zur Aufführung von - na, sie ahnen es schon: - Beethovens Neunter. Und dazwischen in Düs- seldorf: Dreimal Beethoven Neun! Und dann für das staunend-begeisterte Publikum fünfmal (!) die spektakulärste Konzert-Mischung, die jemals in der Tonhalle inszeniert wurde: Schu- manns „Paradies und Peri“ als romantische Ora- torienmusik für kostümierte und geschminkte Choristen, Solisten, Orchester und Dirigenten mit szenischem Handlungsablauf, akrobatischen Luftnummern über dem abgebauten 1. Parkett Die 1. Pressekonferenz des neuen Vorstands 2002 und Videoprojektionen über dem Chorpodium. mit MH, Marieddy Rossetto und Kunibert Jung. Jahren erprobten MH! Ihm zur Seite stehen ihm der Ehrenpräsident Kunibert Jung, die erprobte Schriftführerin und Reiseorganisatorin Gisela Kummert und der schon seit 1998 im Amt be- währte Schatzmeister Ernst-Dieter Schmidt. Die 2. Schatzmeisterin Ingeborg Kupferschmidt und der Bibliothekar werden neu gewählt, die Stimm- vertretungen Sabine und Astrid Dahm, Wolfgang Reichard und Hartmut Brunion sind schon einige Wahlperioden im Amt. Die künstlerische Leitung des Chores liegt schon seit dem 1. Januar 2001 in den Händen der brasilianischen Chorleiterin Ma- rieddy Rossetto, die auch den Chor der Konzert- gesellschaft Wuppertal leitet, und mit dem neu- en Vorsitzenden eine langjährige Symbiose ein- gehen wird. Die beiden Chöre vereinen sich von Ein Paradies- und Peri-Szenenbild, das auch dieser Zeitschrift Ende 2004 zu seinem 1. Titelbild verhalf! nun an wechselseitig und auf Konzertreisen zu den angefragten Chorbesetzungen. Schon 2001 MH verabschiedet Vorgänger und Chorleiter war man mit drei Bussen zur 3. Fahrt in die Ge- burtstadt von Hector Berlioz nach La Côte-Saint- Einladungen ins Ausland versiegen 2004 André südlich von Lyon zur Aufführung seines vorübergehend fast gänzlich. Noch mehr zu Requiems gestartet. Zum ersten vom neuen Vor- beklagen ist in diesem Jahr der Tod von Kuni- stand verantworteten Auslandskonzert bricht die bert Jung am 22. Juli. In seinem warm emp- 16 NC33 NC33 17 fundenen Nachruf schreibt MH: „Wir haben einen Vater verloren“ und erinnert an dessen Fähigkeiten, die künstlerischen Seiten von Di- rigenten und Orchestern mit der eines zielstre- bigen Managementapparates so zu verbinden, dass er - zusammen mit dem hochmotivierten Laienchor - die nach dem Krieg darniederlie- gende Kultur zu neuer Blüte führen kann: „Die vielen Jahre seines ehrenamtlichen Wirkens, die Zusammenarbeit mit den kulturell Verantwortli- chen der Stadt Düsseldorf, mit nationalen wie internationalen Fiore samt Solisten der Deutschen Oper am Rhein Ansprechpartnern der Musiks- für ein Opern-Spektakel der Superlative zu begei- zene, letztlich aber auch seine stern: Verdis berühmteste Oper soll in der neuen, geradezu freundschaftliche Ver- überdachten Fußballarena unter Nutzung der ge- bundenheit zu zahlreichen Spit- samten sandbedeckten Spielfläche durch Solisten zendirigenten im internationa- und Komparsen, Kamelen und Streitwagen und len Konzertleben sind Zeugnis - für Chor und Orchester wichtigste Bedingung! für einen ganz außergewöhnli- - mit fixierten Podien in der Nähe der Eckfahne chen Menschen.“ - Das Vorbild inszeniert werden! Die Veranstalter erhoffen sich ist gegangen, seine Ideen leben mit MH fort. - wie in Basel - zweimal 20.000 Zuschauer, zur Auf- Zwei Jahre vergehen, und die Chronik ver- führung von Verdis großartiger Oper kam es dann zeichnet einen weiteren Nachruf, diesmal zum am 2. September 2006 aber nur einmal. Tod von Prof. Hartmut Schmidt am 22.06.2006. Nur 14 Tage später stemmt der Chor Manfred In Erinnerung an die Zeit der großen Konzerter- Trojahns parallel einstudierte Uraufführungs- lebnisse in und außerhalb von Düsseldorf wid- musik zu „Merlin“, ehe er im Oktober Brahms‘ met ihm MH einen großen Blumenkranz und „Deutsches Requiem“ in Metz und Verdun unter fasst seine abschließenden Worte so zusammen: Jacques Mercier aufführt und mit Romely Pfund „Sein Wirken war für den Chor des Städtischen und Mozarts „Requiem“ das ereignisreiche Jahr Musikvereins ein unschätzbarer Glücksfall; seine 2006 beschließt. GMD John Fiore hatte es am hohe Kompetenz wie seine zutiefst menschlich Neujahrstag mit Beethovens Neunter eröffnet, feine Art wird niemand vergessen, der mit ihm was er auch 2007 und 2008 wiederholt! zusammenarbeiten durfte. Hartmut Schmidt hat Selbst wenn Konzertreisen und Begegnungen sich um den Städtischen Musikverein zu Düs- mit namhaften Dirigenten und Orchestern weni- seldorf und darüber hinaus um die Musikstadt ger wurden, die Aufgaben in Düsseldorf blieben Düsseldorf hohe Verdienste erworben! Der Städ- herausfordernd. Internationale Künstler wie tische Musikverein zu Düsseldorf verneigt sich in Rudolf Buchbinder, Sir Roger Norrington oder Dankbarkeit vor seinem großen Chordirektor!“ Sir Neville Marriner kamen nach Düsseldorf und studierten hier Chorwerke von Beethoven, Eine sensationelle Anfrage 2006 Haydn oder Mozart ein. Seit 2014 hat Ádám Fi- scher vor allem Mozart-, Brahms- und Mahler- Auch wenn Konzertangebote auf fremden Podi- werke mit dem MV aufgeführt. en außerhalb von Düsseldorf nicht mehr zahlreich - „wie früher“ - eintreffen, im Hintergrund - ver handelt MH seit 2004 über zwei Jahre mit einer niederländischen Konzertagentur über eine äu- ßerst interessante Choranfrage: AIDA-OPEN-AIR! Die LTU-Arena ist noch nicht eingeweiht, aber es finden dort Ortstermine mit dem Veranstalter statt. Dem vor Jahren im französischen Orange mit „Zauberflöte“ und „Troubadour“ erprobten Sänger gelingt es, Tonhallenintendantin Vera von Hazebrouk, Orchestervorstand und GMD John 18 NC33 NC33 19 Begegnungen auf April 2003 - Einweihung der von den „Jonges“ Februar 2014 - Zum Festkonzert 150 Jahre Düsseldorfer Symphoniker höchster Ebene: gestifteten Büsten am Eingang der Tonhalle wird der große Saal der Tonhalle in Mendelssohn-Saal umbenannt. Singen in der Pause - der Schulen in der Tonhalle, bei denen begeister- eine blendende Idee te Eltern, Großeltern und Angehörige erleben, mit welcher Freude die 6 bis 10jährigen Grund- Diese Chor-Kultur zu erhalten und mit dem schüler ihre in vielen Sprachen erlernten Lieder in unverstellten Blick auf die eigenen lichter wer- den Saal schmettern. Dass dieses Projekt auch in denden Musikvereinsreihen suchte MH seit 2004 vielen anderen deutschen Städten Anklang und nach geeigneten Lösungen, der nachwachsenden Nachahmer gefunden hat, erfüllt MH mit großer Generation Liedgut wie Freude am Gesang zu ver- Freude und berechtigtem Stolz. mitteln und zu erhalten. Nach zahlreichen Abstim- Bei der Kür von MH zum „Düsseldorfer des Jah- mungsgesprächen mit Stadtdirektor, Kulturdezer- res 2009“ charakterisiert der Laudator Michael nent und weiteren Vertretern des Kulturamtes, Becker den Geehrten und sein Projekt mit folgen- Verantwortlichen der Robert-Schumann-Hoch- den Worten: „...Die SingPause ist ein Musterbei- schule und der Clara-Schumann-Musikschule und spiel klugen bürgerlichen Engagements. Ein Aus- der Tonhalle, mit Kantoren der katholischen und druck von Liebe zu Düsseldorf und vor allem zu den evangelischen Kirchen und nach einem erfolg- Bewohnern dieser Stadt. So eine Initiative kann reich verlaufenen Pilotprojekt gab der Kulturaus- man nicht professionell planen ohne Mut, Herz schuss der Stadt am 7. September 2006 grünes und eine unbändige Freude am Singen. Die hat er Licht für den offiziellen Start, an Düsseldorfer und die gibt er weiter. Dafür dankt ihm die Musik Grundschulen die sog. SingPause einzuführen. und dafür dankt ihm seine Stadt - Düsseldorf.“ Marieddy Rossetto hatte diesen sprechenden Na- men kreiert und die Ausbildung der eingesetzten Neue Initiativen SingleiterInnen nach der Ward-Methode in die Hand genommen. Dazu koordinierte sie deren MH hat nicht nur bei der Erarbeitung dieses zeitlichen Einsatz mit den Schulen und stellte die Nachwuchsprojektes zahlreiche Kontakte zu benötigten Unterrichtsmaterialien zusammen, Gleichgesinnten aus Politik, Kultur und Wirt- während MH sich um Sponsoring und Homepa- schaft gewonnen, er hat sie auch vertieft durch ge, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Mitgliedschaften in Bürger- und Kulturvereinen. Krönender Höhepunkt eines SingPause-Schuljah- Er wird „Düsselddorfer Jong“, auch wenn deren res sind jeweils die 15 bis 20 Abschlusskonzerte gesellige Abende meist stattfinden, wenn der MV probt, als Mitglied der 1966 von Persönlich- keiten aus Wirtschaft und Politik gegründeten Gesellschaft der Freunde und Förderer der Ton- halle Düsseldorf wirbt er dort für die Belange von SingPause und Musikverein. Darüber hinaus ist MH an neuen Zusammen- schlüssen mit speziellen Zielen städtischer Kul- turbereiche beteiligt, 2010 an der Gründung des Vereins zur Wiederherstellung des Düsseldorfer Mendelssohn-Denkmals, der sein Ziel mit der Einweihung am Standort neben der Oper am 18 NC33 NC33 19 26. September 2012 erreicht. Mit der Erfüllung hat der Vorstand sich angemessen verteilt nie- dieser Aufgabe dauert es nicht lange, bis sich dergelassen. Die Tagesordnungspunkte werden der ähnlich zusammengesetzte Kreis 2014 zur abgehandelt, die Berichte vorgetragen und Gründung des „Schumann Haus Fördervereins“ dann zur vorbereiteten Wahl geschritten, zu der zusammentut, um das sanierungsbedürftige alle Mitglieder vorab ihre Stimme per Briefent- letzte Wohnhaus der Familie Schumann in der scheid abgegeben haben. Bilkerstraße aus einer Einraum-Gedenkstätte in Vor geraumer Zeit hat sich MH entschlossen, eine musische Schatzkammer der Begegnung nicht mehr für die Wahl zum Vorsitzenden zur zu verwandeln, in dem der gegenüber im Hei- Verfügung zu stehen. Sein an diesem Abend ge- ne-Institut verwahrte kompositorische und per- wählter Nachfolger Stefan Schwartze übernimmt sönliche Nachlass von Robert und Clara der Öf- es, die 18 Jahre des Vorsitzes zu würdigen, ihn fentlichkeit zugänglich gemacht wird. Auch für in den Stand des Ehrenvorsitzenden zu erheben dieses Projekt, das seiner Verwirklichung Ende und die neue Aufgabenverteilung im Vorstand 2021 optimistisch entgegensieht, setzt sich MH zu erläutern: Das MV-Projekt SingPause wird mit ganzer Kraft ein. weiter von MH gemanagt! In Anspielung auf seine „1.000 Aufgaben“ überreicht er ihm ein MH tritt ab aus ebenso vielen Bildersteinchen zusammen- gesetztes Puzzle, die zusammen das Portrait des Am 29. Juni 2020 findet eine in jeder Hinsicht verdienten Paares Franzis und Manfred bilden. einmalig bemerkenswerte Mitgliederversamm- In seiner neuen Funktion „nur noch Sing- lung des Städtischen Musikverein zu Düsseldorf Pause“ steht Manfred Hill weiterhin ganz dicht statt. Reicht in der Vergangenheit das Sälchen an der Nahtstelle der vom neuen Vorstand zu einer Gaststätte oder der Helmut-Hentrich- verantwortenden Aufgaben. Möge es ihm ge- Saal der Tonhalle, wo der Chor seit mehr als 30 lingen, zufrieden Abstand zu gewinnen von den Jahren auch seine Proben abhält, so ist in die- 1.000 Aktivitäten, die sein Musikvereinsleben in sem Jahr alles anders! Der Mendelssohn-Saal all den Jahren bestimmt haben. mit seinen 1.800 Plätzen ist für den MV wie Die Chorgemeinschaft wie auch die Redakti- zu einem „Corona-Konzert“ bereitgestellt und on der NeuenChorszene dankt dem Ehrenvor- vorbereitet worden: Einlass-, Garderoben- und sitzenden für 50 Jahre und mehr selbstlosen Türpersonal zeigt, wo es lang geht, die Sitzplätze Einsatz und wünscht ihm und seiner Familie der 100 angemeldeten Mitglieder sind auf Ab- beim Erreichen neuer Ziele alles Gute bei anhal- stand im 1. bis 3. Parkett verteilt, auf der Bühne tender Gesundheit.

20 NC33 NC33 21 Streng geteilt Die Neunte Symphonie als ‚Waffe‘ in beiden deutschen Staaten während der Teilung von Christina M. Stahl Das Beethoven-Gedenkjahr Von Januar bis April 2020 verläuft völlig anders als 2020 wurde Joseph geplant. Statt großer Feiern, Karl Stielers berühm- Kongresse und Konzerten ist tes Beethoven-Portrait es eine kleine Melodie, die in in der Ausstellung der Zeit der Corona-Pandemie der Bundeskunsthalle „Beethoven.Welt. von Balkonen, in Gartenkon- Bürger.Musik." gezeigt, zerten und auf den Straßen inzwischen hat es gespielt werden: Die berühm- seinen Stammplatz im ten 16 Takte, die ›Freudeno- Beethoven-Haus Bonn de‹, »Freude schöner Götter- wieder eingenommen. Foto: privat funken«... Während der deutschen Teilung wurden Auch noch so gut gemeinte Versuche, das in beiden deutschen Staaten diese Gedenk- Leben Beethovens authentisch nachzustel- jahre genutzt, um zum einen das eigene len, vermögen nur ein selektives Beetho- politische System zu legitimieren, zum an- ven-Bild zu liefern. deren das jeweils andere zu diskreditieren. Theordor Heuss stellte 1951 fest, dass man In der westdeutschen Hälfte Deutsch- »mit Politik […] keine Kultur machen [kön- lands war Beethoven bekannt durch sein ne], aber vielleicht mit Kultur Politik.«1 – Spätwerk, seine Symphonien und seine spä- Zweifellos wurde mit Beethovens Neunter ten Streichquartette. Dieses Bild des alten Symphonie im Laufe der Geschichte ›Politik Beethoven wurde auf seine jungen Jahre gemacht‹. Interessanterweise immer mit übertragen. Die Launen des Komponisten dem Zusatz, dass Beethoven – quasi als und seine Schwierigkeit, soziale Kontakte Kronzeuge – bestimmt mit allem einverstan- halten zu können, wurden Beethoven nicht den gewesen wäre. Die Projektionsfläche negativ angelastet. Von dieser Darstel- par excellence bot die Neunte Symphonie. lungsweise löste man sich in der Bundes- republik erst in den 1970er Jahren, als es Die Neunte wurde selten gelöst vom um eine Entmythologisierung Beethovens Geniekult um Beethoven betrachtet. Sie ging. Diese Bemühungen beäugte man in ist ein ›pars pro toto‹: Das Werk steht für der DDR mit Skepsis und unterstellte eine Beethoven, und Beethoven steht für das unsachgemäße Degradierung des Musi- Werk. Die Rezeptionsgeschichte der beiden kers. In der DDR-Wochenzeitung Sonntag Staaten basiert auf einem grundverschie- hieß es: »Unter dem Vorwand des Abbaus denen Beethoven-Bild. Aus den vielen Auf- des Beethoven-Mythos, wie er vom bür- zeichnungen von Ludwig van Beethoven, gerlichen Geniekult aufgebaut wurde, wird die in seinem 56-jährigen Leben entstan- aus den alltäglichen Notizen Beethoven ein den sind, muss vieles interpretiert werden. Beethovenbild zusammengestellt, das den 1 Heuss, Theodor: Kräfte und Grenzen der Kulturpoli- Eindruck vermitteln soll, jener sei ein ganz tik, Tübingen 1951, S. 18. 20 NC33 NC33 21 durchschnittlicher Kleinbürger gewesen, aufeinander bezogen wurden.4 Typisch für geltungsbedürftig, egoistisch, geizig und die sozialistische Politisierung der Neunten vor allem voller Komplexe.«2 war die Deutung der Textstellen ›Seid um- schlungen, Millionen‹ und ›alle Menschen In der DDR wurde die Biografie des Kom- werden Brüder‹. So deutete der Kultur- ponisten auf den sozialistischen Kurs ge- bund der demokratischen Erneuerung in bracht, »das überlieferte Beethoven-Bild seinem Material zur Ausgestaltung von Ge- von allen reaktionären, antirevolutionären denkfeiern: »Dieser Hymnus gipfelt in dem und kosmopolitischen Verfälschungen«3 Bekenntnis zu einer alle Menschen umfas- gereinigt. Vom Frühwerk aus wurde ein senden Brüderlichkeit: […] Das Reich der marxistisch-leninistisches Beethoven-Bild Freude ist das Reich der Bruder[…]liebe.«5 entwickelt, sodass er als Vorzeige-Sozialist Die Transformation des Konzeptes der zum Vorbild für die Bevölkerung werden Brüderlichkeit zur (sozialistischen) Bruder- sollte. Vor allem verwies man in der DDR liebe, von der Freude zum Frieden, war in auf den Revolutionär Beethoven, der zu der DDR wie ein ›roter Faden‹. Die umge- den Verfechtern der Ideale der Franzö- deutete Brüderlichkeit ist aber nur eine sischen Revolution gehörte. In dem Film Möglichkeit, Beethoven und seine Neunte Beethoven – Tage aus einem Leben, der für den Sozialismus nutzbar zu machen. 1976 veröffentlicht wurde, lässt Regisseur Diese Reihe ›Brüderlichkeit – Bruderlie- Horst Seemann in der letzten Einstellung be – Menschenliebe – Frieden‹ wurde in Beethoven mit vollgepacktem Pferde- der Regel weitergeführt bis zu der Darstel- gespann von Wien nach Ost-Berlin umzie- lung, dass die DDR der Friedensstaat und hen, wo er mit Hab und Gut seinen Weg die Bundesrepublik die ›Kriegstreiber(in)‹ zwischen fahrenden Trabis fortsetzt. sei. Besonders deutlich lässt sich diese Entwicklung anhand der Rezeption in den Der Schritt von der Politisierung des drei Gedenkjahren während der deutschen Komponisten zur Politisierung seines Wer- Teilung ablesen: 1952 zum 125. Todestag, kes war nicht groß. Die Politisierbarkeit 1970 zum 200. Geburtstag und schließlich der Symphonie ist im Werk selbst ange- 1977 zum 150. Todestag. legt: Zum einen durch den idealistischen Schillerschen Text, zum anderen aber auch 4 Dabei war es die Handschrift selbst, die ein Politi- durch die Melodie mit ihrem volksliedhaf- kum war: Die Preußische Staatsbibliothek, in deren ten Gestus. In der Einfachheit kann das Besitz sich das Manuskript Beethovens befand, hatte ab 1941 die kostbaren Bestände an verschiedene Erhabene also seine Wirkung entfalten. Orte ausgelagert, um sie vor einer totalen Zerstörung In 40 Jahren deutscher Teilung muss es durch Bomben zu schützen. Nach Kriegsende gelang- mindestens 849 Aufführungen gegeben te dann ein Teil nach Polen und später (wie andere Teile auch) in die Staatsbibliothek in Ost-Berlin, ein haben: 478 im Osten und 371 im Westen, anderer Teil Staatsbibliothek der Stiftung Preußi- die meisten davon an Sylvester. In den 40 scher Kulturbesitz nach West-Berlin. Der Riss genau durch die Phrase, in der der Götterfunken Millionen Jahren deutscher Teilung entwickelten bei- umschlingen soll: Ausgerechnet die kontrapunktische de Systeme im Wesentlichen zwei Verfah- Verflechtung der beiden Phrasen »Freude, schöner ren, um die Komposition für sich nutzbar Götterfunken« und »Seid umschlungen Millionen« – explizit die Stelle, an der die Alt-Stimmen »Diesen zu machen: Es waren Aufführungen, die in Kuß der ganzen Welt!« (Vierter Satz, Takte 697 bis einem politischen Kontext standen, oder 700) singen – wurde von der Mauer – ›durch die Schriften, in denen die Neunte und Politik Mode‹ – streng geteilt. 5 Kulturbund zur demokratischen Erneuerung (Hg.): 2 Pachnicke, Peter: »Beethoven als Ware. Geschäft mit Ludwig van Beethoven. Genius der Nation. Ein Mate- der Klassik«, in: Sonntag, 25. Jg., 1970, H. 50, S. 5. rial zur Ausgestaltung von Gedenkfeiern anläßlich sei- 3 Krause, Ernst. »Beethoven-Tage«, Die Weltbühne, 7. nes 125. Todestages am 26. März 1952, Berlin 1952, Jg., 1952, H. 14, S. 441. S. 10. 22 NC33 NC33 23 Gleich dreimal stand die Neunte im wurf, in Bonn würde sich die Bundesregie- Beethovenjahr 1952 im Brennpunkt deut- rung für eine Wiederbelebung des Faschis- scher Geschichte: Zunächst griff man auf mus einsetzen, wog schwer. Aber der DDR- sie als Notlösung zurück, auf der Suche Präsidenten Wilhelm Pieck ging noch einen nach einer gesamtdeutschen Hymne bei Schritt weiter: »Die Ereignisse der Nach- den Olympischen Winterspielen im Febru- kriegszeit, die Eingriffe des imperialisti- ar 1952 in Oslo. Dann wurde sie Vorlage im schen Auslands haben es mit sich gebracht, Ringen um eine bundesdeutsche National- dass Beethovens Vaterstadt Bonn als Sitz hymne6, und schließlich geriet sie zwischen der sogenannten Bundesregierung […] die Fronten des Kalten Krieges. Ziel der heute zum Inbegriff der Spaltung Deutsch- propagandistischen Angriffe der DDR war lands geworden ist.«8 Die DDR sah sich als die Bundesrepublik, allen voran Konrad Rechtnachfolgerin Beethovens, der in und Adenauer, der immer wieder in das Visier durch seine Symphonie den Sozialismus der Sozialisten geriet. In einer Gedenk- vorausgesehen und den Imperialismus ab- schrift Seid umschlungen Millionen heißt gelehnt hatte. In logischer Konsequenz riet es: »Adenauer, ein schandebedeckter Se- man dem Westen, die Neunte nicht mehr paratist und Landesverräter hat Bonn zum aufzuführen. Im Westen hatte man wenig Sitz seiner Regierung gemacht.«7 Der Vor- Verständnis dafür: »Die Verstiegenheit der 6 Auf die ›Freudenmelodie‹ sollte folgender Text kommunistischen Funktionäre grenzt ans gesungen werden: »Deutschland, dir bin ich ergeben, Krankhafte. […] Sind diese Leute noch gei- denn Du bist mein Vaterland; Alles Sinnen, Schaffen, 9 Streben ist Dir innig zugewandt. Einigkeit und Recht stig normal?« Lothar von Balluseck resü- und Freiheit für das Deutsche Vaterland[.] Danach lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand.« 8 SAPMO-BArch NY 4036/456, S. 278f. 7 Büro des Präsidiums des Nationalrates der Natio- 9 O. A.: »Sowjet Vorkämpfer Beethoven. Groteske Er- nalen Front des Demokratischen Deutschland (Hg.): klärung der SED zu seinem 125. Todestag«, Westfäli- »Seid umschlungen Millionen«, Berlin 1952, S. 7. sche Zeitung (Bielefeld) vom 12. März 1952.

„Freude, schöner Götter Funken...“/„Se...yd umschlungen...“ - Ausschnitt aus dem Autograph von 1823/24 Seit 2003 ist Beethovens Neunte Teil des Unesco-Dokumentenerbes „Gedächtnis der Welt“ Quelle: https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN756658373&PHYSID=PHYS_0365&DMDID=DMDLOG_0005 22 NC33 NC33 23 Nicht nur im Eröffnungskonzert des neuen Leipziger Bei der DDR-Tournee der Düsseldorfer Symphoniker Gewandhauses am 8. Oktober 1981 erklang hier unter mit dem Chor des Städtischen Musikvereins kam unter der Leitung von Kurt Masur Beethovens 9. Sinfonie. Re- der Leitung von David Shallon am 25. und 26. Mai 1989 gelmäßig stand und steht sie an Silvester auf dem Spiel- nicht Beethovens Neunte sondern Berlioz‘ „La Damna- plan, so auch im Jubiläumsjahr 2020. Foto Wikipedia tion de Faust“ zur Aufführung. Foto Musikverein mierte im Auftrag des Ministeriums für ge- auf den Markt brachte), und die ›Wiener samtdeutsche Fragen: »Man mag Klassiker Universal Edition‹ vereinigte sämtliche mit ideologischen Mittelchen umdeuten, Noten des ›tauben Titanen‹ in 66 Partitur- man mag bei Beethoven nachweisen, daß Bänden. In Bonn beging man ein Beetho- er nur durch reinen Zufall nicht dazu kam, venfest, das insgesamt 1,3 Millionen Mark die ›Internationale‹ zu komponieren, man kostete. Das Auswärtige Amt verschickte mag behaupten, was man will – es kommt zehn Tonnen Beethoven-Devotionalien nicht darauf an. […] Beethoven gehört zwar nach England und Schweden.11 Der spani- eher nach Bonn als nach Pankow, aber er sche Sänger Miguel Rios schaffte es, sei- gehört keiner politischen Ordnung zu, am nen Song of Joy über 24 Wochen in der wenigsten der von Hammer und Sichel; deutschen Hitparade zu platzieren, davon Beethoven gehört der Welt.«10 sogar sieben Wochen lang auf Platz eins. Für diesen Song gab es im Sender Frei- Auch zum 200. Geburtstag gab es nur es Berlin bis zum Gedenktag übrigens ein wenige politische Angriffe aus dem We- Sendeverbot, um Beethoven-Liebhaber sten, dafür hatte man die eigene Rezepti- nicht zu verschrecken. In die ›Niederungen onshaltung überarbeitet: Es lässt sich hier der kapitalistischen Unterhaltungsmusik‹ eine ›Verpoppung‹ der Erinnerungskultur begab man sich im Osten nicht. Aber: Um nachweisen. Die Peanuts gratulierten mit der Bevölkerung die Vorzüge des eigenen »Happy Birthday, Beethoven«, Preisaus- Systems aufzuzeigen, vermischte man po- schreiben und Devotionalien hatten Hoch- litische Angelegenheiten mit einer für die konjunktur. Die ›Deutsche Grammophon eigenen Zwecke zurechtgestutzten Ideen- Gesellschaft‹ verkaufte ihre ›Beethoven- welt Beethovens: Edition‹ in der ganzen Welt (75 Langspiel- platten für 975 Mark – wobei der Osten »Der imperialistische Bonner Staat, der dieses ›Wettrüsten‹ gewann, weil der VEB Beethovens Geburtstag nur allzu gern für Deutsche Schallplatten 80 Beethoven-LP sich in Anspruch nehmen wird, um seine historisch überholte, spätbürgerliche Exi- 10 Balluseck, Lothar von: Beethoven, verdienter Akti- stenz mit der Aura Beethovens zu vergol- vist der Musik: Aus dem Instrumentarium totalitärer Kulturpolitik in der Sowjetzone, Bonn (Bundesministe- 11 Vgl. o. A.: »Beethoven. Für alle da«, in: Der Spiegel, rium für Gesamtdeutsche Fragen) 1952, S. 19. 24. Jg., 1970, Nr. 18, S. 201. 24 NC33 NC33 25 den, hat keinerlei Anspruch, das Vermächt- nis Beethovens anzutreten. Der Bonner Staat der Monopolisten, Tummelplatz des Neonazismus und des Revanchismus, ist das Ergebnis imperialistischer Restauration mit seiner Bildungsmisere und seiner Ver- achtung der Volksmassen, seiner einzigen Zurücknahme des ›Guten und Edlen, um das die Menschen gekämpft haben‹. Er steht so mit seiner Notstandspraxis und seinem Alleinvertretungsanspruch, mit sei- nem Streben nach Atomwaffen und seiner psychologischen Kriegsführung auch im krassen Widerspruch zu Beethovens Ide- enwelt, wie er sie zum Beispiel mit der Ver- tonung von Schillers ›Ode an die Freude‹ in Zum Start in das neue Jubiläumsjahr 2021 haben die seiner Neunten Symphonie zum weltum- Veranstalter das Beethovendenkmal auf dem Bonner Marktplatz am Silvesterabend illuminiert. Foto privat fassenden Sinnbild der Verbrüderung der Menschheit werden ließ. […]. Nirgendwo ›verlegte‹ die Gruppe ›Neuer Klang‹ in der anders sind daher auf deutschem Boden Verbindungsstraße zwischen Markt und die gesellschaftlichen Voraussetzungen ge- Münsterplatz einen Geräuschteppich aus geben als geistige Heimat Beethovens zu Synthesizer-Klängen, »was die Verkäuferin gelten als in der DDR, dem antiimperiali- in einer Würstchenbude zu dem Kommentar stischen deutschen Friedensstaat, der den veranlaßte, Beethoven würde sich im Grabe Sozialismus vollendet.«12 Mittlerweile war umdrehen, wenn er das hören müßte«15. man im Westen an derartiges gewöhnt und Abgeschlossen wurde dieser Beethoven- reagierte nur polemisch. Man verhielt sich Trubel mit einem ›Radiophonen Experi- also weitestgehend still, holte aber sieben ment‹: Ein internationales Jugend-Orche- Jahre später, 1977 zum Gegenschlag aus. ster-Treffen, an dem neben dem Bundes- Die FAZ titelte am 25. März 1977: »Die Erb- jugendorchester auch Jugend-Sinfonie-Or- schaftsstreitigkeiten nehmen kein Ende.«13 chester aus England, Japan und der UdSSR Vermutlich wegen der geringen zeitlichen teilnahmen – nicht aber das frisch initiierte Distanz zwischen den Beethovenjahren FDJ-Orchester der DDR –, gipfelte in einer 1970 und 1977 bemühte man sich in bei- Freiluftaufführung der Neunten auf dem den deutschen Staaten um neue Ideen für Bonner Marktplatz.16 Der WDR übertrug die Feierlichkeiten. In der Bundesrepublik live. Dazu erging von der Stadtverwaltung wurde aus dem 150. Todestag ein Volks- eine Aufforderung an die Bonner Bevöl- fest – ganz im Zeichen von ›Flower Power‹. kerung, »ihre Radios auf die Übertragung »6000 Bonner auf dem Marktplatz«14 san- einzustellen und die Geräte ins offene Fen- gen ›Freude schöner Götterfunken‹. Zuvor ster zu postieren«17. Die Ehrung in Bonn 12 SAPMO-BArch DY 27/30 88 (»Überarbeitetes war zwar nicht von langer Hand, aber an Schlusswort von Prof. Dr. Paul Michel auf der Beetho- ven-Konferenz des Deutschen Kulturbundes am 15 ohr: »Aus 6000 Kehlen erklang Beethovens ›Hym- 31.10. und 1.11.1969 in Potsdam«). ne an die Freude‹ über den Marktplatz«, Bonner Ge- neral-Anzeiger vom 28. März 1977. 13 dp: »Ein und ausverleibt«, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. März 1977. 16 Vgl. o. A.: »Bonn wird Mekka für Musikfreunde«, Bonner Abendblatt vom 12./13. Januar 1977. 14 ohr: »Gedenken anläßlich des 150. Todestages im Bonner-Sommer-Stil«, Bonner General-Anzeiger vom 17 Zimmermann, Horst: »Bonn tönt mit Beethoven«, 28. März 1977. Welt am Sonntag vom 20. März 1977. 24 NC33 NC33 25 rungssprecher von Helmut Kohl: »›Alle Men- schen werden Brüder‹. Hoffte Beethoven im vorigen Jahrhundert. Alle Deutschen sind Brüder. Hofften wir in diesem Jahrhundert. Brüder? Manchmal ergeht es einem in der deutschen Nation wie in einer guten deut- schen Familie: Der eigene Bruder ist einem fremder als ein Fremder. […] Folglich nahm die deutsche Jugend (West) die bunten Blu- men in die rechte und die elektronischen Instrumente in die linke Hand. […] Doch un- sere Brüder im Osten waren entsetzt über dieses Beethoven-Happening: ›Beetho- ven als Prinz Karneval‹, so mißverstanden sie die junge Freude (West) an der Freude höchsten Stellen vorbereitet worden. In schöner Götterfunken. Im Osten freute man einem Protokoll des Bundesinnenministe- sich anders. Da gab es einen Staatsakt. So- riums heißt es: »Die Gesprächsteilnehmer zialistenrequiem. Mit Staatsfunktionären waren sich einig, daß die 150. Wiederkehr im Sonntagsstaat. Ernst und dumpf ent- des Todestages dieses bedeutenden deut- schlossen feierten sie Beethoven als ersten schen Komponisten durch angemessene Revolutionär der Musen. Als Noten-Opa der Veranstaltungen unter Beteiligung staat- ›DDR‹. […] Der Ministerpräsident der ›DDR‹, licher Stellen begangen werden sollte […, Willi Stoph, feiere fortissimo ›die untrenn- und] daß diese Veranstaltungen nicht in bare Einheit seines Lebens und Schaffens Konkurrenz mit denen der DDR zu sehen zwischen ideellem Begreifen und politisch- sind.«18 Die Konkurrenzsituation war trotz- praktischer Haltung‹. […] Beethoven als Ge- dem gegeben. nosse honoris causa. […] Aber sonst zeugt der Versuch, auch den Menschen Ludwig In der DDR war es 1977 wegen der um- van B. posthum zum Sozialistenleitbild zu fangreichen Aktivitäten in den vorange- machen, nicht gerade von historischer Ge- gangenen Beethovenjahren schwierig, nauigkeit. Beethoven – Hymne mit falschen Neues zu präsentieren. Man pries die Noten. Noten von Marx… Schrecklich, diese ›marxistische‹ Musikwissenschaft, deren deutschen Weltverbesserer. […] Beetho- Forschungsergebnisse besonders in Hin- ven, das Genie mit menschlichen Schwä- blick auf die Veröffentlichung der Konver- chen hoffte gemeinsam mit Schiller: ›Alle sationshefte in der Tat viel geleistet hatte. Menschen werden Brüder!‹ Es tut mir leid, Querschläge gegen den Westen gab es Genossen, aber: ›Alle Menschen werden deutlich weniger als in den Jahren zuvor, Genossen‹, war damit nicht gemeint. In der und wenn, bezogen sie sich eher auf den letzten Strophe der Neunten heißt es: ›Brü- Umgang mit dem kulturellen Erbe als auf der, überm Sternenzelt Muß ein lieber Vater das politische System. wohnen. Ihr stürzt nieder, Millionen? Ah- Diesmal holte man im Westen zu journali- nest du den Schöpfer, Welt? Such ihn überm stischen Gegenschlägen aus. Unter anderem Sternenzelt. Über Sternen muß er wohnen.‹ publizierte Peter Boenisch – Chefredakteur Über Sternen. Nicht unter dem Stern. Schon der Bild am Sonntag und späterer Regie- gar nicht unter dem roten Stern.«19

18 BArch B 106/59580 (Vermerk des Referats VtK II 3 19 Boenisch, Peter: »Armer Beethoven«, Bild am zur Beethoven-Ehrung 1977 vom 10. Februar 1977). Sonntag vom 10. April 1977. 26 NC33 NC33 27 Der Kommentar ist ein typisches Beispiel Christina M. Stahl für die deutsch-deutschen Erbschaftsstrei- studierte Musik und Ger- tigkeiten: Agitatorisches Sprachgut, die manistik in Bochum und Nennung des jeweils anderen Staates in Dortmund. Sie wurde Anführung oder als ›so genannter‹ Staat, mit einer Arbeit über die die überzeugte Meinung, man selbst habe Rezeptions- und Inter- die Wahrheit über Beethoven erkannt und pretationsgeschichte der der jeweils andere Staat diesen und seine Neunten Symphonie von Musik grundsätzlich falsch verstanden. Beethoven während der deutschen Teilung an der TU Dortmund promoviert. Nach 40 Jahren wenig freudetrunkener Sie unterrichtet an der TU Dortmund, der Anfeindungen war es dann wieder die Folkwang Universität der Künste Essen und Neunte, die Ost und West in einem Konzert einem Essener Gymnasium, leitet zahlreiche am 25. Dezember 1989 unter der Leitung Chöre und arbeitet als Musikwissenschaft- von Leonard Bernstein vereinen sollte, kur- lerin und Musikjournalistin. Seit 2014 ist sie zerhand ließ der Dirigent ›Freiheit, schöner Mitglied im Redaktionskomitee der historisch- kritischen Ausgabe sämtlicher Instrumen- Götterfunken‹ singen und setzte so wieder talwerke von Camille Saint-Saëns und ediert ein politisches Statement – diesmal ein ge- mehrere kirchenmusikalische Chorwerke des samtdeutsches. Franzosen. Grenzerfahrungen von Karl-Hans Möller Dr. Christina M. Stahl gehörte 2004 – 2006 zu mehrfach jährlich zur hilfreichen Diskussion des den ersten Stipendiatinnen des 2003 aufgeleg- Fortschritts der einzelnen Dissertationen- tref ten zeitgeschichtlichen Promotionskollegs der fenden Colloquium neben namhaften Professo- Konrad Adenauer Stiftung zur Rahmenthematik ren aus mehreren Instituten und Universitäten „Die Zeit der Deutschen Teilung: Diktaturerfah- als Berater und Experte zur Verfügung stehen. rung, Innerdeutsche Beziehungen, Europaische Bis heute weiß ich nicht, ob ich in diesen Treffen Dimensionen“, dem ich einige meiner span- eher Lehrender oder Lernender war, denn die nendsten, unmittelbarsten und nachhaltigsten offenen, neugierigen, schonungslos und pro- Erlebnisse lebendiger Demokratie verdanke. duktiv hinterfragenden Begegnungen mit den Nach einem durchaus kontrovers aufgenomme- jungen Menschen hielten sich an keinen Stun- nen Gastvortrag zur Kulturpolitik der SED vor denplan sondern schöpften auch meine bis in jungen Doktoranden wurde ich als ein die DDR die Nachtstunden reichenden Konzentrations- komplett durchlebt habender Zeitzeuge erneut möglichkeiten voll aus. Da keiner der sehr jun- eingeladen. Ich sollte und durfte diesem sich gen Doktoranden die deutsche Teilung bewusst

Eine der Kollegveranstaltungen fand 2011 im „geteilten Dorf“ statt. Mödlareuth im Dreiländereck Bayern, Thüringen, Sachsen war Ort heißer wissenschaftlicher Debatten mit hautnaher Konsequenzerfahrung der deutschen Teilung.

26 NC33 NC33 27 persönlich erlebt hatte, gab es von allen zu al- IX. Sinfonie sehr nah, aber ich staunte schon lem Fragen nach meiner realen Wahrnehmung. bei der wahrscheinlich einzigen persönlichen Der wissenschaftliche Ansatz der Dissertati- Begegnung mit Christina M. Stahls Dissertati- onsthemen reichte von mir sehr nahen Unter- onsthema über die akribisch gefundenen Diffe- suchungen bis zu Aspekten des Themenrah- renzen, die ein „Aha" und ein „Stimmt ja wirk- mens, die mir ein siebenfach versiegeltes Buch lich“ in meinen Erinnerungen auslösten. Leider schienen, also von Musik, Theater, Bildender war die Ouvertüre meiner sieben glücklichen Kunst sowie Erziehung und Bildung bis „zur un- Jahre beim Promotionskolleg der Konrad Ade- terschiedlichen Wahrnehmung des zweiten va- nauer Stiftung das Finale unserer Gastautorin, tikanischen Konzils durch die Kirchen im geteil- die danach alsbald zur Frau Doktor wurde. Um ten Deutschland“ oder zur „Außenpolitik beider so mehr freue ich mich, dass mein bleibender deutscher Staaten am Rio de la Plata“. Aber alle Eindruck als Impuls die Suche nach der Autorin Themen befassten sich mit den grundlegenden angeregt hat und schließlich erfolgreich war. Unterschieden, die sich aus demokratischen Danke, liebe Frau Dr. Stahl für Ihre Mühe, uns oder diktatorischen Ansätzen speisten. Natür- aus Ihrer Dissertation einen interessanten Aus- lich war mir die Beschäftigung mit Beethovens schnitt zu überlassen.

Oper

Ein Gedanke, den ich gerne als Rahmen die- Abends sahen wir dann die schrecklichen Bil- ser Beschäftigung mit der Nutzung des großen der vom Rand der zentralen Feier aus Dresden, Beethoven-Opus als politische Botschaft teilen als ein PEGIDA-Mob die Kanzlerin beleidigend möchte, geht zurück auf ein Erlebnis unseres niederzuschreien versuchte. Eine unserer Sän- Düsseldorfer Musikvereins an meinem ehemali- gerinnen sagte: Wie gut, dass wir dieser „rechts- gen Theater in Chemnitz, dessen Chefdramaturg radikalen Kakophonie“ wenigstens von der Büh- ich nach dem Mauerfall für zwei Jahrzehnte sein ne unserer Partnerstadt aus „angenehmere und durfte. Generalintendant Dr. Dittrich hatte mich freudenvolle“ Töne entgegengesetzt haben. – den schon im rheinischen Ruhestand Singen- Daran, dass sich unsere Freunde aus Chem- den – gefragt, ob wir nicht als Partnerstädte nitz inzwischen gezwungen sehen, ihre Stadt, den 25. Jahrestag der Einheit gemeinsam mit unsere Partnerkommune, gegen die Vereinnah- einer Aufführung von Beethovens IX. Sinfonie in mung durch Neonazis zu verteidigen und gera- der Oper Chemnitz feiern könnten. Wir waren de deshalb mit vielfältigen Ideen und großem mit Unterstützung beider Städte gerne bereit Engagement um den Titel "Kulturhauptstadt und gestalteten am 3. Oktober 2016 ein umju- Europas" zu kämpfen, hätten wir damals im beltes Konzert. Beethovenschen Klangrausch nicht gedacht. 28 NC33 NC33 29 Wollust dem Wurm – dem Menschen Enthusiasmus! Friedrich Schillers Lied „An die Freude“ Der Versuch einer Ehrenrettung von Udo Kasprowicz

2020 wird als spannungsreiches Jahr in unsere Erinnerung eingehen, mit Einschränkungen unserer Freizügigkeit und minimalen Kontakten untereinander. Erstmals erleben wir als zweite und dritte Wohlstandsgeneration nach dem Krieg Zukunftsangst, weil die wirtschaftlichen Folgen der Vorsor- gemaßnahmen gegen das Virus nicht absehbar sind. Viele von uns geraten durch den künstlichen Stillstand des öffentlichen Lebens in existenzielle Nöte. Einsicht in die Notwendigkeit war und ist sicher ein Gebot der Stunde. Folgt daraus zwangsläufig ein Dasein in Ohnmacht vor dem Virus? Und ist nicht gerade im Bewusstsein der Beschränkung die Besinnung auf neue Lebensqualität nötig?“ Aus Anlass des 250. Geburtstags Beethovens stand am Ausgang des Mittelalters damit ein sollte nach dem Konzertprogramm der Tonhalle variantenreiches, einprägsames musikalisches Düsseldorf Ende September die 9. Symphonie Grundmuster zur Verfügung, mit dem sich das des Komponisten erklingen, in der der Chor im reformatorische Gedankengut verbreiten ließ. Schlusssatz „Freude, schöner Götterfunken“ Das erste und zweite Verspaar (Stollen genannt) singt. Aber dazu ist es aus den bekannten Grün- werden nach der gleichen Melodie gesungen. den nicht gekommen. Musikalisch spricht man vom „Aufgesang“. Für Dennoch: Geht man in der Erinnerungskultur die letzten beiden Verspaare (entsprechend nicht ein bisschen weit zurück? Gibt es nichts Abgesang genannt) setzt die Melodie neu an Angemesseneres in der Musikliteratur, mit und löst die Spannung auf, die im Aufgesang dem man auf die einzigartige Pandemiebedro- aufgebaut wurde. „Lobe den Herrn, den mäch- hung reagieren könnte, als ausgerechnet dieser tigen König der Ehren“ und „Komm lieber Mai Pflichthymnus des Silvesterprogramms, dessen und mache …“ sind Musikbeispiele für diese sprachliches Pathos - „Diesen Kuss der ganzen Liedform aus dem Gesangbuch und aus der Welt!“ - bei vielen nicht mehr als ein Schmun- Volksliedtradition. Etwa ein Drittel der Choräle, zeln hervorruft? Bekenntnislieder und Hymnen, die zum Selbst- Ein Blick auf den Text, wie er im Klavierauszug verständnis besonders der protestantischen Kir- unter die Noten gesetzt ist, bestätigt die land- chen gehören, sowie zahlreiche Volkslieder sind läufigen Vorurteile. Der Zugang zum Gedicht in dieser Form komponiert. erscheint - vermittelt durch Beethoven - leicht. Losgelöst von der Melodie besticht der Text Aus der ersten Begegnung mit einem Musikin- des Liedes durch einen sehr einfachen Auf- strument, spätestens aus dem Musikunterricht bau: Acht streng alternierende, kreuzgereimte sind die ersten beiden Strophen bekannt. Be- Vierheber wirken, weil der fehlende Auftakt kannt heißt hier: Beethovens Melodie prägt uns den Lesefluss hemmt, hier feierlich, in anderen pathetische Wortgruppen, kühne Metaphern Beispielen wie im „Zauberlehrling“ auch mah- und menschliche Sehnsüchte widerspiegelnde nend „Walle, Walle, manche Strecke, dass zum Aussagen ein: „Freude, schöner Götterfunken“, Zwecke Wasser fließe …“. Eine kleine inhaltliche „feuertrunken“, „alle Menschen werden Brü- Zäsur nach dem 4. Vers, etwa wie beim Sonett der“, „sanfter Flügel“. zwischen den Quartetten und Terzetten, die die Beethoven verwendet ein traditionsreiches Entscheidung des Komponisten rechtfertigen Kompositionsschema aus dem Liedgut des würde, die Strophe durch einen Auf- und Abge- Mittelalters, das die Meistersinger bis in die sang geradezu zu teilen, fehlt. frühe Neuzeit perfektionierten und in den Städ- Über die zweite Strophe hinaus ist das Lied ten volkstümlich machten. Den Reformatoren kaum bekannt. Wer sich als Chorsänger oder 28 NC33 NC33 29 Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ 1. Fassung der 1. Strophe (1785) 2. Fassung der 1. Strophe (1808) 1. Freude, schöner Götterfunken, 1. Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunken Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, Deine Zauber binden wieder, Was der Mode Schwert geteilt; Was die Mode streng geteilt, Bettler werden Fürstenbrüder, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt. Wo dein sanfter Flügel weilt. Chor: Seid umschlungen, Millionen! fett Diesen Kuß der ganzen Welt! Anm.: Beethoven hat nur die Teile vertont, die hier Brüder – überm Sternenzelt hinterlegt sind! Die Bezeichnung „Chor“ des jeweils vier- Muß ein lieber Vater wohnen. zeiligen Refrains einer jeden Strophe stammt von Schiller. 2. Wem der große Wurf gelungen, 6. Göttern kann man nicht vergelten, Eines Freundes Freund zu sein; Schön ists, ihnen gleich zu sein. Wer ein holdes Weib errungen, Gram und Armut soll sich melden, Mische seinen Jubel ein! Mit den Frohen sich erfreun. Ja – wer auch nur eine Seele Groll und Rache sei vergessen, Sein nennt auf dem Erdenrund! Unserm Todfeind sei verziehn, Und wers nie gekonnt, der stehle Keine Träne soll ihn pressen, Weinend sich aus diesem Bund! Keine Reue nage ihn. Chor: Was den großen Ring bewohnet, Chor: Unser Schuldbuch sei vernichtet! Huldige der Sympathie! Ausgesöhnt die ganze Welt! Zu den Sternen leitet sie, Brüder – überm Sternenzelt Wo der Unbekannte thronet. Richtet Gott, wie wir gerichtet. 3. Freude trinken alle Wesen 7. Freude sprudelt in Pokalen, An den Brüsten der Natur, In der Traube goldnem Blut Alle Guten, alle Bösen Trinken Sanftmut Kannibalen, Folgen ihrer Rosenspur. Die Verzweiflung Heldenmut – Küsse gab sie uns und Reben, Brüder, fliegt von euren Sitzen, Einen Freund, geprüft im Tod. Wenn der volle Römer kreist, Wollust ward dem Wurm gegeben, Laßt den Schaum zum Himmel sprützen: Und der Cherub steht vor Gott. Dieses Glas dem guten Geist. Chor: Ihr stürzt nieder, Millionen? Chor: Den der Sterne Wirbel loben, Ahndest du den Schöpfer, Welt? Den des Seraphs Hymne preist, Such ihn überm Sternenzelt, Dieses Glas dem guten Geist Über Sternen muß er wohnen. Überm Sternenzelt dort oben! 4. Freude heißt die starke Feder 8. Festen Mut in schwerem Leiden, In der ewigen Natur. Hülfe, wo die Unschuld weint, Freude, Freude treibt die Räder Ewigkeit geschwornen Eiden, In der großen Weltenuhr. Wahrheit gegen Freund und Feind, Blumen lockt sie aus den Keimen, Männerstolz vor Königsthronen – Sonnen aus dem Firmament, Brüder, gält es Gut und Blut, – Sphären rollt sie in den Räumen, Dem Verdienste seine Kronen, Die des Sehers Rohr nicht kennt. Untergang der Lügenbrut! Chor: Froh, wie seine Sonnen fliegen, Chor: Schließt den heilgen Zirkel dichter, Durch des Himmels prächtgen Plan, Schwört bei diesem goldnen Wein: Laufet, Brüder, eure Bahn, Dem Gelübde treu zu sein, Freudig wie ein Held zum Siegen. Schwört es bei dem Sternenrichter! 5. Aus der Wahrheit Feuerspiegel 9. Rettung von Tyrannenketten, Lächelt sie den Forscher an. Großmut auch dem Bösewicht, Zu der Tugend steilem Hügel Hoffnung auf den Sterbebetten, Leitet sie des Dulders Bahn. Gnade auf dem Hochgericht! Auf des Glaubens Sonnenberge Auch die Toten sollen leben! Sieht man ihre Fahnen wehn, Brüder trinkt und stimmet ein, Durch den Riß gesprengter Särge Allen Sündern soll vergeben, Sie im Chor der Engel stehn. Und die Hölle nicht mehr sein. Chor: Duldet mutig, Millionen! Chor: Eine heitre Abschiedsstunde! Duldet für die beßre Welt! Süßen Schlaf im Leichentuch! Droben überm Sternenzelt Brüder – einen sanften Spruch Wird ein großer Gott belohnen. Aus des Totenrichters Munde! Anm.: Diese 9. Strophe hat Schiller aus seiner 2. Fassung entfernt! 30 NC33 NC33 31 Freude ist eine Triebfeder menschlichen Handelns, die schafft „was nicht da ist“,1 d. h. sie entfaltet Kräfte in der- Vor stellungswelt des Menschen und erweitert dadurch seine Gegenwart durch Ideen. Die Fä- higkeit zur Freude ist damit die Kraft, sein Leben zu bereichern. Die erste Strophe stellt uns die Freude als einen Abkömmling (als Tochter) der Götter vor. Wer sich freut, spürt Göttliches in sich. Das entspricht etwa der Friedrich Schiller - Ölgemälde Ludwig van Beethoven, 1823, Übersetzung des Wortes Enthu- von Anton Graff, erste Sitzungen Kunsthistorisches Museum, fanden im Frühjahr 1786 statt, Wien, Sammlung alter Musikin- siasmus aus dem Griechischen. vollendet wurde das Porträt im strumente, Standort: Neue Burg, Das Gedicht „An die Freude“ ist Herbst 1791 - Wikipedia. Wien - Wikipedia also ein Preisgedicht auf den Enthusiasmus, die Fähigkeit des ambitionierter Musikfreund mit dem Schluss- Menschen, sich von Gott erfüllt, Gott gleich zu satz der 9. Symphonie beschäftigt hat, kennt im- fühlen. Der Chor, das zeigt die Himmelssymbolik merhin noch die dritte Strophe und drei Chor- seiner Einwürfe, hat dieses Ziel erreicht und er- einschübe. Das gesamte Gedicht aber umfasst 9 mutigt mit seinen Appellen und Verheißungen Strophen mit 9 Choreinschüben zu 4 Versen, die die Menschen, sich auf diesen Weg zu begeben. ein Paarreim umschließt. Alle Strophen lassen „Such ihn überm Sternenzelt…“ (Chor 3,3) sich wie die bekannten ersten beiden charakte- Was aber vermehrt die Gegenwart, was wer- risieren, eine einheitliche Thematik ist nicht zu tet das Alltagsleben auf, von dem es im „Lied erkennen. Werden hier ausschließlich Freude, von der Glocke“ heißt Freundschaft, Liebe, und Glück beschworen oder wird überdies eine Geschichts- oder eine Der Mann muss hinaus Selbsterfahrung vermittelt? Mit dem lyrischen Ins feindliche Leben, Subjekt, dem Träger des Gefühls also, kann man Muss wirken und streben den Chor gleichsetzen, der an alle appelliert, Und pflanzen und schaffen, die von der Leidenschaft der Strophen ergriffen Erlisten und raffen,(…) und deshalb „Brüder“ genannt werden. Und drinnen waltet Wie nähert man sich dem Gedicht, ohne Die züchtige Hausfrau, sich von Strophe zu Strophe im Lobpreis der Die Mutter der Kinder,(…) Schiller´schen Sprachgewalt zu wiederholen? Und regt ohne Ende Zwischen Schiller und uns Heutigen liegen Die fleißigen Hände.(…)? auch ca. 250 Jahre. Das fällt bei der Lektüre seiner Werke nicht weiter auf, denn sein Anteil Was also überschreitet den Kreis der sinnli- an der Gestalt unserer Gegenwartssprache ist chen Existenz des Menschen, in dem er sich mindestens ebenso hoch wie der Luthers. Da beherrscht fühlt von Gefühlen, getrieben von wir seinen Gedichten und Schauspielen stets Bedürfnissen, bedroht durch Gefahren? im modernen orthographischen Gewand be- Schiller schreibt: „Der Mensch, der es so weit gegnen, übertragen wir diese Vertrautheit auch gebracht hat, alle Schönheit, Größe, Vortreff- auf seine Begriffe. Ist aber mit den Worten noch lichkeit im kleinen und im großen der Natur das gleiche gemeint? Es gilt, dem Leitbegriff des 1 Friedrich Schiller: Zwei philosophische Entwürfe. In: Gedichtes Freude in Schillers Vorstellungswelt Sämtliche Werke. Band V Erzählungen. Theoretische nachzuspüren. Schriften. München 1975, S. 1019 30 NC33 NC33 31 aufzulesen und zu dieser Mannigfal- tigkeit die große Einheit zu finden, ist der Gottheit schon sehr viel näher gerückt.“ 2 Verkürzt ausgedrückt ist es die Mahnung, sich im täglichen Lebenskampf die Schönheit der Welt bewusst zu machen. In seinem Lied verrät er die Quel- le, aus der der Mensch Kraft für die- sen Weg schöpft: „Freude heißt die starke Feder in der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder in der großen Welten Uhr.“ (Strophe 4,1 - 4) Alle weiteren Strophen ent- halten Beispiele für diese Welter- kenntnis durch Gottbegeisterung, Das Schillerhaus im Leipziger Stadtteil Gohlis, Menckestraße 42, durch „Freude“ also. mit der Gedenkplakette „Hier wohnte Schiller und schrieb das Lied an die Freude im Jahre 1785.“ Foto U.K. Doch darf man über dem Freu- dentaumel die Frage nach dem Sinn des Gan- nen vor Augen steht. „Wenn jeder Mensch alle zen nicht vergessen. Warum sollen wir danach Menschen liebte, so besäße jeder einzelne die streben, „ihnen (den Göttern) gleich zu sein“ Welt“3 Im Lied fließt diese Erkenntnis in den (Strophe 6,2)? Appell: „Seid umschlungen, Millionen!“ (Chor Wieder lohnt ein Blick in Schillers theore- 2,1 - 2) Diese Verbrüderung aller mit allen über- tische Schriften. Unsere sinnliche Natur, un- windet die Schranken zwischen den Menschen ser Körper also, zieht gegenüber der weitaus und eröffnet jedem einzelnen die Chance zum größeren (übersinnlichen) Welt, die uns um- Enthusiasmus, zur Freude im Sinne der Selbst- gibt, stets „den Kürzeren“, wie Schiller salopp befreiung durch ideale Tatkraft. „Und wer es nie schreibt. Nicht erst das Coronavirus weist uns gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem unsere Grenzen auf, sondern Hitze, Kälte, Hun- Bund.“ (2,7 - 8). ger und Durst zeigen uns täglich, dass wir Natur- Dieses Rezept gibt uns die Chance, Isolation geschöpfe sind. In der Welt der Ideen dagegen und Ausgeliefertsein zu überwinden. Schillers spüren wir Gottgleichheit „Wollust ward dem Ode „An die Freude“ ist ein Appell zur Selbst- Wurm gegeben und der Cherub (Gottes Diener befreiung aus der kreatürlichen Determination, und Helfer) steht vor Gott (Strophe 3,7 - 8). Mit aus den Zwängen also, denen wir als Geschöpfe dem Cherub ist aber nicht der Münchner Alo- unterworfen sind. Und warum ist diese Erkennt- isius gemeint, der im Paradies gelangweilt auf nis nicht längst Gemeingut? der Wolke schwebend „Halleluja“ ruft, sondern Manche Briefe hätte man nach der Lektüre der Mensch, der nach Anteil an der göttlichen besser verbrennen sollen! Da schreibt Schiller schöpferischen Tatkraft sucht. „Ein Ideal zu re- am 21.10.1800 an seinen Freund Körner über alisieren, ist die Grundlage jedes Menschen, seine Verse „An die Freude“ aus dem Jahre der der Freude fähig ist.“ Das Ziel dieser Welt- 1784: „Die Freude hingegen ist nach meinem verbesserung aber ist kein Zustand, sondern jetzigen Gefühl durchaus fehlerhaft und ob sie ein Prozess, der die Lebenszeit des einzelnen sich gleich durch ein gewisses Feuer der Emp- überdauert. „Duldet für die bessere Welt! Dro- findung empfiehlt, so ist sie doch ein schlechtes ben überm Sternenzelt wird ein guter Gott be- Gedicht und bezeichnet eine Stufe der Bildung, lohnen“ (Chor 5,2 - 4). Das große Ideal wird sich die ich durchaus hinter mir lassen musste, um mit der Wirklichkeit erst dann decken, wenn etwas Ordentliches hervorzubringen.“ 4 die Welt so, wie sie sein sollte, jedem einzel- 3 Schiller: Werke, Bd. ,S. 350 2 Schiller: Werke Bd. 5, S. 350 4 Benno von Wiese: Schiller. Stuttgart 1978, S. 826. 32 NC33 NC33 33 5. ... Chor: Duldet mutig, Millionen! Duldet für die beßre Welt! Droben überm Sternenzelt Wird ein großer Gott belohnen. 6. ... Chor: Unser Schuldbuch sei vernichtet! Ausgesöhnt die ganze Welt! Brüder – überm Sternenzelt Richtet Gott, wie wir gerichtet.

Friedrich Schiller: Aus der Ode «An die Freude». Eigenhändiges Gedichtmanuskript (1785). (Bild: Katalog Moirandat / J.A.Stargardt)

Wer wollte einem Künstler das Recht verwei- Helmut Koopmann billigt dem Lied 1998 in gern, sich von einzelnen Werken, zumal aus der seinem Schillerhandbuch lediglich zu, „ein his- Frühzeit seines Schaffens zu distanzieren? Ist es torisches Dokument zu sein“.8 nicht gerade die Selbstreflexion und Selbstkritik, Und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die künstlerisches Reifen fördert und die Quali- vom 15. Mai 2020 fragt sich der Musikwissen- tät der dichterischen Aussage steigert? Aber schaftler Peter Syring „Wie konnte Beetho- dieser Brief an Körner, einerseits Ausdruck des ven gerade eines der schlechtesten Gedichte Wünschenswerten, ist andererseits die Ursache Schillers wählen, um sein blindes Ideal einer für das interpretatorische Vakuum, das Schillers Menschheitsverbrüderung unter dem Siegel so populäres Lied umgibt. Benno von Wiese von „Freude, schöner Götterfunken“ in die Welt spricht 1959 wohlwollend von einem „mit leich- hinauszuposaunen?“ ter Hand hingeworfenen künstlerischen Pro- Unbeschadet von der kühlen Zurückhaltung, dukt“, das Schiller später „mit entschiedener die die Schiller Literatur übt, gewann das Lied ästhetischer Kritik beurteilt habe“5. Peter Lahn- in Deutschland größte Popularität. Dazu verhalf stein bezeichnet „An die Freude“ als das erste ihm insbesondere der Freundschaftskult des 18. seiner großen Gedichte und gesteht ihm des- Jahrhunderts, der bis in die Romantik fortwirkte, halb zu „stark und schön in sich selbst zu sein“, und für über 100 Vertonungen des Liedes sorg- urteilt aber abschließend, dass Schiller versagt te. Unter den Komponisten finden sich auch Na- geblieben sei, was wenigen geschenkt gewor- men wie Friedrich Zelter (1792), Franz Schubert den ist: „der holde Überfluss, die traumwandle- (1815), Peter Tschaikowsky (1865) Karl Michael rische Sicherheit, die einen Menschen Gedichte Ziehrer (1892) und Johann Strauß (1892). von vollendeter Schönheit finden lässt“.6 Peter In aller Ohren ist jedoch die Melodie aus dem André Alt deutet die Ode als ein politisch vage Schluss der 9. Symphonie von Ludwig van Beet- bleibendes Hoffnungsbild der sozialen Gleich- hoven, die wir Ende September nun doch nicht heit“. Immerhin hält er Schiller zugute, dass in der Tonhalle hören konnten, aber wenn die er „im heftigen Changieren der Vergleiche die Krise eines Tages bewältigt ist, vielleicht mit Vielfalt des lyrisch besungenen Phänomens (der anderen Ohren werden erleben können. Sicher Freude) beschwören“ wollte.7 ist, dass der Komponist das Lied davor bewahrt 5 Benno von Wiese: Schiller, S. 237. hat, vergessen zu werden, Schillers Ode sollte uns Mahnung sein, alle Strophen häufiger und 6 Peter Lahnstein: Schillers Leben,. Frankfurt Fischer TB 1987, S. 206. aufmerksamer zu lesen. 7 Peter André Alt: Schiller. Eine Biographie. Bd. 1, 8 Helmut Koopmann (Hrsg): Schiller Handbuch. München 2009, S.253. Stuttgart 1998, S. 889 32 NC33 NC33 33 Margarete Dessoff (1874 – 1944) Chordirigentin auf dem Weg in die Moderne eine Biografie von Sabine Fröhlich Gelesen und vorgestellt von Udo Kasprowicz Wer ist und zu welchem Zwecke studiert man Seit langem folgt die Journalistin Sabine Fröh- die Lebensgeschichte Margarete Dessoffs? lich Margarete Dessoff kenntnisreich und ein- fühlsam auf ihrem Weg zu Anerkennung und Diese Frage als Variante des Titels der Jenaer Erfolg. Dabei ist die Quellenlage für eine Biogra- Antrittsvorlesung Friedrich Schillers stellt sich fie ungünstig. Ihre Hauptperson hinterließ keine dem Bücherfreund, der die neue Biografie über persönlichen Zeugnisse wie Tagebücher, Brief- Margarete Dessoff in Händen hält, die Sabine verkehr oder Lebenserinnerungen; persönliche Fröhlich der Tochter des Komponisten und lang- Freunde, die Privates hätten berichten können, jährigen Dirigenten der Wiener Hofoper und der besaß sie augenscheinlich nicht. Ihre Informa- Wiener Philharmoniker wid- tionen und Erkenntnisse bezieht sie aus Konzert- met. Auch der Leser der NeuenChorszene wird programmen, Presseartikeln und Erinnerungen sich fragen, warum ausgerechnet im Beethoven ehemaliger Sängerinnen, eine große Hilfe sind - Jahr, durch das der 100. Todestag Max Bruchs, ihr die privaten Archive der letzten nahen Ver- der 175. Geburtstag Gabriel Faurés, der 325. To- wandten Ingeborg Dessoff-Hahn und Gerhard destag Henry Purcells sowie der 150. Geburtstag Albert Jahn. Louis Viernes geradezu marginalisiert werden, Fröhlich stellt uns Margarete Dessoff als Toch- der Ankündigung eines Buches über eine Frau, ter einer bildungsbürgerlichen Familie des 19. die nur im allerkleinsten Kreis bekannt sein dürf- Jahrhunderts vor, die sich ihre berufliche Selbst- te, so viel Platz eingeräumt bekommt. verwirklichung schrittweise erkämpfen muss. Der Anstoß, Margarete Dessoff kennen zu ler- Der Weg zur gefeierten Chorleiterin in den USA nen, kam von Gerhard Albert Jahn, einem über ist alles andere als gradlinig. Das fängt damit an, die Kulturszene seiner Heimatstadt Chemnitz dass der Vater ihr eine berufliche Ausbildung - hinaus rührigen Kulturfeuilletonisten, der mit geschweige denn ein Studium - verweigert. Ein Herzblut die Geschichte seines Urgroßvaters Jahr nach seinem Tod 1893 nimmt sie ein Ge- Felix Otto Dessoff erforscht. Dass dieser Leipzi- sangsstudium an Dr. Hoch´s angesehenem Kon- ger Musiker und Komponist 1856 mit 21 Jahren servatorium in Frankfurt am Main auf, es ist das in Düsseldorf Kapellmeister wurde, 1858 in eine Jahr, in dem Clara Schumann dort ihre Lehrtätig- der angesehensten Familien der Stadt einheira- keit aufgibt. Schon 1895 taucht sie in den Schü- tete, machte diesen bereits 2012 zum Thema lerlisten des Konservatoriums nicht mehr auf. dieser Zeitschrift. Erst 1901 findet sich im Frankfurter Adressbuch Nun verspricht seine Tochter noch viel interes- ihr Name mit dem Zusatz „Gesangslehrerin“ santer für uns zu sein, denn sie entwickelte aus wieder. In einem Nachruf auf ihre Tod 1944 deu- kleinsten Anfängen 1903 einen Frauenchor, den tet eine Chorsängerin aus den Anfangszeiten der sie bis 1926 zu viel beachteten Erfolgen führ- Dessoff Choirs in New York an, dass zwei Jahre te. Als Frau Chorleiterin und dazu noch eines Unterricht bei der berühmten Sopranistin Marie Frauenchores! Was vor 100 Jahren einem Tabu- Schröder Hanfstängel, die Margaretes Stimme in bruch gleichkam, scheint auch heute noch nicht der Höhe überforderte, ausreichten, ihren Alt zu selbstverständlich zu sein. Noch 2006 wurde die ruinieren. Sechs Jahre autodidaktische Neuori- Bestellung Marriedy Rossettos zur Leiterin des entierung sind erforderlich, neue Voraussetzun- 1818 gegründeten Chores des Städtischen Mu- gen zu schaffen und genügend Selbstbewusst- sikvereins zu Düsseldorf mit der Annoncierung sein wiederzugewonnen, eine Gesangsschule „leitet erstmals eine Frau den Chor …“ als eine zu eröffnen. Mit einem Schülerinnen-Konzert Besonderheit herausgestellt. 1903 legt sie den Grundstock für einen a-capella 34 NC33 NC33 35 Margarete Dessoff (1874 - 1944)

Felix Otto Dessoff und Ihre Eltern - Quelle: Friederike Rosalie Dessoff, (1835 - 1892) http://www.edmundbrownless2.de geb. Meisinger (1841 - 1907) Frauenchor, in den sie gesangsfreudige Damen wird der Dessoff´sche Chor von der Presse als einlädt, ihren Kreis zu verstärken. Gesang ohne „lieblicher Frauenchor“ mit „reizenden“ Darbie- Instrumentalbegleitung ist zu jener Zeit wenig tungen wahrgenommen. verbreitet, erst recht sind reine Frauenchöre Sabine Fröhlich analysiert das gesellschaft- geradezu exotisch. Mit akribischem Fleiß sichtet liche Umfeld des Chores und ordnet ihn dem Margarete Dessoff geeignete Literatur, die sie Frankfurter Bürgertum als einer Mischung von in großem Umfang in der Kirchenmusik findet, Wohlstand, Kultur und Intelligenz zu. Dieses Pro- und richtet sie für den 3-4 stimmigen Frauen- fil spiegelt sich in den Chorprogrammen. Bei aller gesang ein. Der Durchbruch gelingt mit einem Wertschätzung von Brahms und Mendelssohn abendfüllenden Konzert 1907 im großen Saal Bartholdy förderte sie die zeitgenössische Musik des Hoch´schen Konservatoriums mit 37 Sän- und ermunterte junge Komponisten, Chorsätze gerinnen, „Durchbruch“ allerdings nur mit Ein- für Frauenstimmen zu schreiben. Die Kritik wür- schränkungen. digt die Leistung, stellt aber mit Zweifeln an der Zwar waren die Frauenstimmen in den ge- Eignung von Frauenchören für größere Kompo- mischten Chören bereits im 19. Jahrhundert sitionen deren Existenzberechtigung infrage. zahlenmäßig stärker besetzt als die Männer- Der erste Weltkrieg spaltet die deutsche stimmen, so dass Chordirigenten gerne Literatur Chorlandschaft. Während die nationalistischen für reine Frauenbesetzungen schrieben, die be- Männerchöre ihrer Kampfeslust in martialischen sonders zu kirchlichen Anlässen von informellen Gesängen Ausdruck verleihen, setzen andere weiblichen Formationen aufgeführt wurden. Or- Gesangsensembles auf „die im Frieden gewon- ganisierten Frauenchören hingegen begegnete nenen Güter der Kultur, damit an ihnen die Sor- die Öffentlichkeit mit Vorbehalten, so dass sich ge neuen Mut schöpfen, (…) der Schmerz eine zum Beispiel der von Johannes Brahms organi- Linderung finden könne“, wie Sabine Fröhlich es satorisch unterstützte und mit Aufführungslite- 1914 aus einem Rundbrief Margarete Dessoffs ratur versorgte Hamburger Frauenchor auflöst, an ihre Mitglieder zitiert. Statt in Konzertsälen im als der Komponist nach Wien übersiedelt. Die In- und Ausland, singt der Chor nun vor verwun- Gründe hierfür liegen in einem überkommenen deten Soldaten im Krankenhaus und gestaltet Frauenbild und in der nationalen Programmatik Weihnachts- und Festgottesdienste in Kirchen. der Chorliteratur, die von den Interessen der Die neue programmatische Ausrichtung, die Männerchöre bestimmt war. Auch eine Frau dem Bedürfnis des Publikums entgegenkommt, als Chorleiterin war von zeittypischen Vorur- lassen den Chor zu einem unverzichtbaren Be- teilen begleitet. Das zackig militärische Vorbild standteil des Frankfurter Konzertlebens wer- des Männerchorleiters durfte sie nicht nachah- den. Deutschlandweit bekannt macht ihn das men, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, ihre Brahmsfest 1917, auf dem Chor und Dirigentin „weibliche Natur“ zu verleugnen. Ein eigener begeistert gefeiert werden. Allerdings verweist weiblicher Stil wird sogleich mit den Attributen im Programm die jovial-vertrauliche Bezeich- „unernst“ und „verweichlicht“ versehen. Und so nung „Gretchen“ darauf, dass ihr als Frau die 34 NC33 NC33 35 völlige Anerkennung als Künst- lerin immer noch vorenthalten wird. Nach dem Krieg sehen wir Margarete Dessoff tief - ver strickt in das turbulente Ringen um eine gesellschaftliche Neu- ordnung, zu der auch die Kunst ihren Teil beitragen wollte. Sabi- ne Fröhlich weist Aktivitäten in zwölf verschiedenen Vereinen und Verbänden mit künstleri- schen und berufsständischen Zielsetzungen nach. Die Aus- wirkung des politischen Han- delns auf ihre Persönlichkeit erkennt man in den Konzert- programmen. In den zwanziger Jahren dirigiert gleichen Klang erzeugen, der durch langjährige statt „Gretchen“ Margarete Dessoff. Musikalisch Stimmschulung im Ensemble entsteht. Dadurch beweist sie mit der Gründung eines Madrigal- verbreitert sich die Kluft zwischen der Qualität chors ihre hohe Achtung vor den geistlichen a- der unter dem Professionalisierungsdruck ste- capella Gesängen der italienisch dominierten henden Orchester und den Laienchören, die Zeit vor Bach. Mit ihrem Frauenchor wendet sie diese Selbstoptimierung nicht leisten können. sich wieder der in Kriegszeiten ausgeblendeten Inwieweit Margarete Dessoff sich auch von neuen Musik zu. Gleichzeitig versucht sie zum diesen Einsichten leiten ließ, geben die Quellen Beispiel durch öffentliche Generalproben, Be- leider nicht her. Die Anfänge in Amerika ver- völkerungskreise für ihre Musik zu gewinnen, gleicht Sabine Fröhlich mit dem Karrierebeginn die sich die Eintrittskarten zu den Konzerten in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg. Der nicht leisten können. Boden war wohl vorbereitet, in Deutschland Geldmangel belastet die musikalische Arbeit durch das renommierte Hoch´sche Konserva- beider Chorensembles in der jungen Weimarer torium, in den USA durch das von deutscher Republik. Die Dirigentin verzichtet auf ein Hono- Musiktradition geprägte „Institute of Musical rar, überlebt mit 30 Stunden Gesangsunterricht Art“. Margarete Dessoff greift auf Altbewährtes und mietfreiem Wohnen in einem Haus im Fami- zurück. Sie übernimmt in der gesicherten Posi- lienbesitz im Frankfurter Westend. Das Angebot tion einer Musikschullehrerin einen Frauenchor anzunehmen, das Chorwesen am „Institute of und eine gemischte a-capella Gruppe. Der Erfolg Musical Art“ in New York fest angestellt zu lei- lässt nicht lange auf sich warten. Bereits 1927 ten, erreicht sie 1924 in einer Zeit, als in kurzer füllt sie mit einem Konzert die 1.500 Plätze der Folge vier Todesfälle im engsten Familienkreis Town Hall in New York und erntet ausgezeich- ihre persönliche Einsamkeit spürbar machen. nete Kritiken, denen allerdings immer noch ein Welcher Aspekt letztlich den Ausschlag für die Rest von mangelnder Wertschätzung für Chor- Entscheidung gegeben hat, in die USA zu gehen, Dirigentinnen anhaftet. Sabine Fröhlich deutet bleibt der Biographin zufolge im Dunkeln. Im deshalb die Verschmelzung der beiden Chöre Chor wertet man den Abschied der charismati- zu einem Chorverein, in dem getrennt geprobt, schen Chorleiterin als existenzbedrohend, man aber an einem einheitlichen Klangbild gearbei- fühlt sich in schwieriger Zeit im Stich gelassen. tet wird, als einen Schritt zu einem eigenen Qua- Die Autorin geht dem Vorwurf nach und ent- litätsstandard, einer Art Markenbewusstsein. deckt ein strukturelles Problem mit verblüffen- Zusammen mit der Zuwendung zur musikali- den Parallelen zur Situation semiprofessioneller schen Avantgarde bot sich den Dessoff Chören Chöre heutzutage. Der Mangel an Männerstim- damit die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft, men führt zu einem Unwesen der Leihstimmen. wenn nicht die Weltwirtschaftskrise und ge- Mit fremden, kurz vor dem Konzert verpflich- sundheitliche Beeinträchtigungen die Aufbauar- teten Sängerstimmen kann ein Chor nicht den beit gefährdet hätten. Wieder einmal halfen der 36 NC33 NC33 37 gromen gewesen sein muss. Von Margarete Dessoff existiert darü- ber keine schriftliche Äußerung. Sie reist 1939 noch einmal zu Besuch in die USA. Eine Freundin berich- tet „She was shoked by the political situati- on there (in Deutsch- land U.K.)“. Zurück in Europa kommt sie glück- lich in Orselina am Lago Maggiore in der Schweiz unter. Ihre letzten Lebensjah- Der Dessoff'sche Frauenchor im Großen Saal des Saalbaus, Frankfurt, ca. 1917 (Foto privat) http://www.edmundbrownless2.de/margaretedessoff2.html re liegen im Dunkel. 1944 stirbt sie an den eiserne Wille, die Krankheit zu bewältigen, und die Folgen eines Schlaganfalls. großzügige Unterstützung durch den Bankier Warburg Das Buch ist eine verdienstvolle Wür- - ein Freund der Familie aus Zeiten vor dem Ersten digung einer Musikerin mit Weitblick, die Weltkrieg - die Krise zu überwinden. Die Autorin weist als Chorleiterin unbeirrte Wegbereiterin zwischen 1929 und 2015 28 Uraufführungen nach. modernen Chorgesangs war. Darüber hi- Davon fielen 13 in die Jahre 1929 - 36. Von 40 ameri- naus gewinnt der Leser, wenn er sich auf kanischen Erstaufführungen bis 2012 präsentierte der längere englischsprachige Zeitzeugnisse Chor zwischen 1927 und 1936 den Amerikanern 27 in einlässt, Einblick in ein wenig beachtetes den USA noch nie gehörte Werke überwiegend von Thema der modernen Musikgeschichte. Zeitgenossen. Was Margarete Dessoff dazu bewogen In Exkursen und Hintergrundanalysen zum haben mochte, 1936 nach Europa zurückzukehren, ist Chorsingen führt uns Sabine Fröhlich zu den Quellen nicht eindeutig zu entnehmen. Sabine Erkenntnissen, die bemerkenswerte Ver- Fröhlich erkennt im Musikleben der USA einen Wan- gleiche zur Situation heutiger Chöre- auf del zum Patriotismus, einem Verlangen nach ameri- zeigen. Schon deshalb lohnt es sich, die kanischer Musik, die der Kernkompetenz der Dessoff Lebensgeschichte dieser ungewöhnlichen Chöre nicht entsprach. Weiterhin verlor die Chorleite- Frau zu studieren. rin wichtige Unterstützer im Institut, sodass sie sich zu schwer ertäglichen Kompromissen gezwungen sah. Margarete Dessoff Andererseits hatte sie in den dreißiger Jahren, wohl Chordirigentin auf dem auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Deutsch- Weg in die Moderne Biografie von land, die Entscheidung getroffen, in den USA hei- Sabine Fröhlich misch zu werden; ein Einbürgerungsantrag war 1933 368 S., geb., € 29.80 gestellt, das Haus in Frankfurt verkauft und der Flügel 978-3-95593-044-8 des Vaters nach New York verschifft. Weiterhin hätte März 2020 sie 1936 angesichts einer Massenauswanderung von Wolke Verlag Juden aus Deutschland die Absurdität des Plans, als Sabine Fröhlich, Jüdin nach Europa zurückzukehren, erkennen müs- Journalistin in Frankfurt, hat Geschichte, Do- sen. Aber sie verließ die USA. kumentarfilm und Musikwissenschaft studiert. Sie lässt sich in Wien nieder und unternimmt in der Sie ist Autorin mehrerer Filme (u. a. „Monolog Digital“, „Konsonanz con Dissonanz“ zusam- Folgezeit Bildungsreisen nach Italien und Griechen- men mit Pia Landmann, „Große Worte, kleine land, während in Deutschland die Nürnberger Geset- Worte“) und arbeite freiberuflich für Hörfunk ze erlassen werden. Ihre Biografin weist nach, dass sie und Presse mit den Schwerpunkten Geschich- nach 1938, dem Jahr des Anschlusses, Zeugin von Po- te, Kulturgeschichte, Musik und Film.

36 NC33 NC33 37 FRAGMENTE AUS DER ZUKUNFT Heraushören, was in jedem Augenblick doch alles möglich ist von Peter Ruzicka Das Beethovenjahr 2020 wird mannigfaltig dazu genutzt, sich in unterschiedlichster Weise dem Leben und Werk des großen Komponisten zu nähern: Beethovenbücher werden gedruckt, neue CDs gepresst, Konzerte und Hörspiele gesendet, Podcast-Beiträge ins Netz gestellt; die Feuilletons der lokalen wie international verbreiteten Tageszeitungen greifen das Thema fast täglich auf, so auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE. Hier werden Beiträge unter dem Stichwort „BEGEGNUNGEN MIT BEETHOVEN“ veröffentlicht, und auch diese Zeitschrift kommt in diesem besonderen Jahr an diesem Thema nicht vorbei! Peter Ruzicka © Anne Kirchbach Mit Peter Ruzicka - bis 30. Juni 2020 Geschäftsführender Intendant der Osterfestspiele Salzburg - hatte auch der Musikverein zahlreiche Begegnungen von besonderem Erinne- rungswert: 2002 die Düsseldorfer Erstaufführung seiner „Recherche (-im Innersten)“, 2008 ging es hier und 2010 in Bonn um Beethovens „Neunte“ in der Instrumentierung Gustav Mah- lers, die zweimal mit der Staatskapelle Weimar und dem Chor des Musikvereins dargeboten wurde! Dem Dirigenten und Komponisten widmeten wir seinerzeit ein ausführliches Portrait (NC14-1/11). Lesen Sie bitte nachfolgend zunächst den uns dankenswerter Weise vom Autor in einer „Düsseldorfer Fassung“ überlassenen FAZ-Beitrag, und dann das, was seinerzeit Rainer Großimlinghaus ins CD-Booklett der beiden Konzert-Mitschnitte schrieb. Jeder Jubilar will anders bejubelt werden. Und jetzt also Beethoven. Sein Werkkata- Oder womöglich gar nicht. Als ich, zur rech- log gleicht nicht dem verwunschenen Schloss ten Zeit am rechten Ort, im Mozart-Jahr 2006 mit tausend Türen wie im Falle Mozarts. Un- als Intendant die Festspiele in Salzburg er- erhörte Entdeckungen sind kaum zu erwar- öffnen durfte, konfrontierte ich die versam- ten, auch wenn sich Raritäten wie die Duos melten Ehrengäste mit der Frage: »Ich weiß für Klarinette und Fagott oder die Trios für nicht, ob Sie Mozart kennen.« Ich jedenfalls zwei Oboen und Englisch Horn oder die viel kannte ihn nicht. Ich glaubte ihn zu kennen, zu selten gespielten Streichquintette und aber darin genau liegt der Unterschied. An- Bläseroktette ins rechte Licht rücken ließen. gesichts der 626 und mehr Köchelnummern Aber auch das weite Feld der Klaviersonaten wäre das auch ein verwegener Anspruch, ist längst nicht ausgeschritten. Beethoven sich in die Welt zu begeben und zu behaup- selbst bereits beschwerte sich, dass etwa ten, man kenne seinen Mozart. Diesen Kom- seine Fis-Dur-Sonate op. 78 kaum beachtet ponisten wird auch der langlebigste Mensch werde, während alle Welt im Mondschein niemals ausgeforscht haben. Vor dem dop- der »Sonata quasi una Fantasia« op. 27 Nr. 2 pelten Mahler-Jubiläum der Jahre 2010/11 wandelte: »Immer spricht man von der Cis- hingegen fanden sich die Konzertveran- mol Sonate! Ich habe doch wahrhaftig Bes- stalter am anderen Ende der Problemskala seres geschrieben. Da ist die Fis-dur Sonate wieder: Wie feiert man ein Werk von einge- etwas anders!« Und jüngst dann die von mir grenzter Zahl, das ohnehin längst allgegen- betriebene CD-Ersteinspielung seines um- wärtig ist im Repertoire? Weshalb sogar der fangreichsten Fragments, des 6. Klavierkon- Vorschlag eines Mahler-Moratoriums durch zerts, mit wieder ganz neuen Perspektiven, die Feuilletons geisterte. und dies erstmals im Jahre 2020! 38 NC33 NC33 39 Schließlich die Beethoven-Bearbeitun- Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt. Später gen von . Hier denke ich wurde für mich Nikolaus Harnoncourt, mit gerne an meine Dirigate der Neunten Sym- dem ich lange Gespräche, nicht nur über phonie mit dem Städtischen Musikverein Beethoven, führen konnte, zu einer Instanz zu Düsseldorf 2008 in Düsseldorf und 2010 der musikalischen Wahrheitssuche. Aber in Bonn zurück: Beethoven in einem neuen wenn ich selbst die Symphonien dirigiere, Klanggewand von Mahlers Hand! stellen sich alle Fragen doch wieder neu: Gleichwohl – der »unbekannte Beetho- der Tempi, der Phrasierung, der dynami- ven« taugt als Arbeitstitel nur wenig für das schen Artikulation und unabdingbar auch laufende Jubeljahr. Aber dass seine Sym- der (historisch informierten) Aufführungs- phonien und Streichquartette, Eroica und praxis. Rasumowsky, der »Heilige Dankgesang« Für einen jungen Komponisten der und die Neunte, zu Tode gefeiert werden siebziger Jahre schien der schicksalhafte könnten, dass darum eine Auszeit, ein Buß- Beethoven als Vorbild so unerreichbar wie schweigen, eine Besinnungspause geboten unvorstellbar. Erst sehr viel später, in mei- scheinen, mit dieser Forderung wird sich nem 7. Streichquartett von 2017, das den niemand im Ernst identifizieren wollen. Titel POSSIBLE-A-CHAQUE-INSTANT trägt, Ich kam im Klavierunterricht früh mit Opus habe ich mich mit der Poetik Beethovens 10 Nr. 1 in Berührung (mit ihren Rücknei- auseinandergesetzt. Und mit einem Ge- gungen zu Bach und der eigensinnigen c- danken von Paul Valéry zum künstlerischen Moll-Dramatik) und wagte mich alsbald an Schaffensprozess: »Vielleicht wäre es inter- einen – um ehrlich zu sein: gescheiterten – essant, einmal ein Werk zu schaffen, das an Selbstversuch mit Opus 111, ohne deshalb jedem seiner Knotenpunkte zeigen würde, für immer Abschied zu nehmen von dieser wie Verschiedenartiges sich dort dem Gei- »letzten« Klaviersonate. Wer um Rat sucht, ste darbieten kann, bevor er daraus eine wird oft zu hören bekommen, dass der In- einzige Folge wählt, die dann im Text vor- terpret gar nicht früh genug mit Beethoven liegt. Das hieße: an die Stelle der Illusion anfangen könne, sofern ihm nicht einge- einer einzigen, das Wirkliche nachahmen- schärft wird, dass man von manchen Hei- den Bestimmung diejenige des ›In-jedem- ligtümern als junger Mensch besser die Augenblick-Möglichen‹ setzen.« Eine sol- Finger lasse. che reflexive Beobachtung setzt für mich Doch ob man nun zu früh, zu jung, zu Beethovens Streichquartett cis-Moll op. rasch, zu ungebildet sich am Kanon ver- 131 frei, ein singuläres Werk, das beständig greift, eines sollte klar sein: Wann auch im- auf einen »Möglichkeitshorizont« verweist. mer und in welchem Alter ein Musiker mit In meinem 7. Streichquartett vermeide ich Beethoven beginnt – er wird nie am Ende eindeutige Kontinuitäten und spreche viel- ankommen, in Jahren nicht, mit und ohne fach in Möglichkeitsform über »Fragmente Jubiläum. Meine ersten »Begegnungen« aus der Zukunft«. mit Beethoven verdanke ich den Schellack- Sie sehen: Nicht nur die väterlichen Schel- platten der väterlichen Sammlung, durch lackplatten, auch mein Beethoven-Bild be- beständigen Gebrauch zunehmend zer- kam Kratzer mit der Zeit, Risse, Sprünge, kratzt. Im Konzertsaal, in der Hamburger ungeahnte Möglichkeiten. Vielleicht wer- Musikhalle, hörte ich die Symphonien mit den wir in Zukunft alles besser verstehen: dem großen, heute leider fast vergessenen zum Beispiel im Beethoven-Jahr 2027. 38 NC33 NC33 39 Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125 in der Mahlerfassung: Michaela Kaune, Sopran Jane Henschel, Mezzosopran Scott MacAllister, Tenor Franz-Josef Selig, Bass Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf Einstudierung: Marieddy Rossetto Staatskapelle Weimar Peter Ruzicka, Dirigent Aufnahme: 12.09.2008 - Tonhalle Düsseldorf Musikfest Düsseldorf - 190 Jahre Musikverein Vol. 116 Stets Gewohntes nur magst Du verstehn; doch was noch nie sich traf, danach trachtet mein Sinn! (Wagner Walküre, II. Akt, Wotan zu Fricka).

100mal schon hat der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf bei Aufführungen der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven mitgewirkt, sei es im heimatlichen Düsseldorf oder an prominentester Stelle im europäischen Ausland. Die 101te Aufführung aber sollte so ganz anders werden, als alle Vorgänger. Nicht dass hier der Anlass des 190-jährigen Bestehens gemeint ist, vielmehr geht es um die von Gustav Mahler erarbeitete Bearbeitung, die Beethovens Partitur den deutlich veränderten Orchestermöglichkeiten neu eröffnete. Gustav Mahler hatte 1901 seine Fassung der letzten Beethoven-Symphonie im Wiener Musikverein selber dirigiert, und beim Pu- blikum einen Riesenerfolg, bei Musikwissenschaftlern und Kritikern jedoch heftigste Ablehnung eingesteckt. Mahler, sicher der markanteste Symphoniker auf der Schwelle zur Neuzeit, hatte als etablierter Komponist sich das Recht herausgenommen, die interpretatorischen Klangfarben- spektren des modernen Orchesters dem wohl bekanntesten Werk Beethovens zu Gute kommen zu lassen. Vergleichbar aufregend wie schlüssig ist es nun, wenn Peter Ruzicka, ebenfalls einer der etablierten Komponisten und Musikwissenschaftler unserer Zeit, als Dirigent dieses Sonder- konzertes sich in die Reihe Beethoven - Mahler - Ruzicka eingliedert. Dabei hatte sich der Chor an erhebliche Unterschiede zur traditionellen Aufführungspraxis zu gewöhnen: zum Beispiel an ein Fernorchester, das Mahler logisch, weil von Beethoven so komponiert, beim Marsch im 4. Satz konsequenterweise einsetzte. Nichts aber ist schwieriger, als Altgewohntes auszutauschen; jeder, der umstudiert, weiß, dass Neuerlerntes oft leichter ins Ohr und in die Stimme geht. Hinzu kam, dass es sich beim Konzert vom 12. September 2008 nicht um ein Programm im Rahmen der obligatorischen Symphoniekonzerte handelte, sondern um ein Sonderkonzert in mehrfacher Hinsicht: nicht die Düsseldorfer Symphoniker spielten, sondern die alt-ehrwürdige Staatskapelle Weimar war Gast in der Tonhalle. Logistisch bedeutete das, dass nur eine kurze Verständigungs- probe vor dem Konzert mit Dirigent, Solisten und Orchester möglich war. Schon oft war in der Vergangenheit die Flexibilität des Musikvereins gefragt und gewürdigt worden. Hier nun bekam dieser Anspruch eine ganz besondere Dimension: nicht nur ein vermeintlich bekanntes Werk in neuem Gewand, sondern auch ein musikalischer Partner, der sich ja seinerseits auf die räumli- chen wie akustischen Gegebenheiten der Tonhalle in Düsseldorf einstellen musste. Wie hatte Bernhard Klee gesagt: Ich wollte Euch immer fördern durch Fordern! Wie recht er doch hatte, und das Ergebnis spricht in beeindruckender Weise für sich; heute wie damals! Kleinmachnow, im September 2008 gez. Rainer Großimlinghaus

40 NC33 NC33 41 Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125 in der Mahlerfassung: Nadine Lehner, Sopran Anne-Carolyn Schlüter, Alt Christian Elsner, Tenor Ralf Lukas, Bass Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf Einstudierung: Marieddy Rossetto Staatskapelle Weimar Peter Ruzicka, Dirigent Aufnahme: 30.09.2010 - Beethovenhalle Bonn

Beethovenfest Vol. 116

Es gibt wohl grundsätzlich zwei Herangehensweisen an die meisten alt-ehrwürdigen Partituren: zum einen die historische oder historisierende, zum anderen den Betrachtungswinkel aus späte- rer, unseren Tagen näher liegender Sicht. Gustav Mahler hatte sich in seiner Zeit für letzteres ent- schlossen, und tat dies sicher auch aus seiner Erfahrung als Dirigent heraus. Ein Komponist un- serer Tage, Peter Ruzicka, steht in Sachen Beethovens 9. Symphonie auf vergleichbarer Position: Er hat die Wiederherstellung des Gleichgewichts von Bläsern und Streichern im Sinn. Es kommt hinzu, dass ein Analytiker und Musikwissenschaftler wie Peter Ruzicka zudem die Verschärfung der Kontraste und Akzente eines so populären und dadurch auch oftmals abgeschliffenen Werkes wie das der Beethovenschen Chorsymphonie im Hinterkopf hat. Da ist es somit fast ein schicksal- haftes Ausrufezeichen, wenn mitten in die neuerlich wieder entbrannte Diskussion um „originale Aufführungspraxis“ (Israel in Ägypten, Frieder Bernius) ausgerechnet Ruzickas Interpretation des „Song of Joy“ auf dem Spielplan des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf steht. Die Frage nach dem „Entweder Oder“ bzw. die Alternative des „Sowohl als auch“ drängt sich auf, stimmt nachdenklich und fordert zum Disput. In Zeiten von Vielfalt und Liberalität sollte das ja eigentlich kein großes Thema sein, wenn aber aus dem Bekenntnis zum vermeintlichen Originalklang ein jegliche Alternative ausschließendes Glaubensdiktum zu werden droht, ist höchste Wachsamkeit und Vorsicht geboten: es könnte den Tod eines tradierten Konzertchores wie den des Musikver- eins bedeuten. In Bonn 2010 war das jedoch anlässlich des renommierten Beethovenfestes kein ernst zu neh- mendes Thema. Die Tradition des Bonner Beethovenfestes reicht zurück bis in das Jahr 1845, als zur Einweihung des Beethoven-Denkmals anlässlich des 75. Geburtstages des Komponisten auf dem Münsterplatz ein dreitägiges Musikfest stattfand. Sein heutiges Profil als jährlich vier Wochen lang im Herbst stattfindendes internationales Festival erhielt das Beethovenfest Bonn 1999. Bonn 2010 zeichnet sich nicht nur durch seine künstlerischen Qualitäten in unterschiedlichsten Sparten (Kammermusik, Symphoniekonzerte, Symposien) aus, sondern stellt sich durch die aus- giebige Medienpräsenz einem weit über die lokalen Grenzen hinaus beteiligten Publikumskreis. Der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf durfte bereits 1930 unter seinem damali- gen Chefdirigenten Hans Weisbach in der Beethovenstadt konzertieren; nach dem 2. Weltkrieg sei auf die Gastspiele unter André Cluytens, Jean Martinon und Volker Wangenheim (1961 und 1963) verwiesen sowie auf das vom 15.12.1995, als beim „Beethoven-Marathon“ begleitet vom „Neuen Bachischen Collegium Musicum Leipzig“ unter der Leitung von Burkhard Glaetzner „Chri- stus am Ölberge“ zur Aufführung kam. Zuletzt gastierte der Musikverein am 14.12.2003 mit ei- nem Berlioz-Programm unter der Leitung von Roman Kofman in der Beethovenhalle zu Bonn. Übrigens: Es ist schön, wenn es heute, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der Vollendung der Deutschen Einheit, wieder zu den kulturpolitischen Selbstverständlichkeiten unseres Landes ge- hört, dass die Staatskapelle Weimar gemeinsam mit dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf beim Beethovenfest in Bonn Beethovens 9. Symphonie aufführt. Ich finde, auch daran sollte man einmal denken...... Kleinmachnow, 30. September 2010 gez. Rainer Großimlinghaus

40 NC33 NC33 41 „Lieber Ludwig, wie ist diese Stelle zu spielen?“ fragt der Dirigent Ádám Fischer den Kompomisten gehört / gelesen in „Briefe an Beethoven“ - Deutschlandfunk 10.02.2020 Beethovens Neunte, zweiter Satz, Takte 92 und folgende: Wie ist diese Stelle nur zu spielen, stolze Holzbläser und gleichzeitig ein gnadenlos pulsierendes Strei- chermotiv - es scheint unmöglich, diesen Klangeffekt zu erreichen. Seit fünfzig Jahren rätselt der Prin- cipal Conductor der Düsseldorfer Symphoniker, wie ein bestimmter Effekt in Beethovens Partitur zu spielen ist: Lieber Ludwig, Hörner hinzugefügt, das Thema war auch Ich wende mich an Sie, weil ich Ihre Hilfe nicht zugedeckt, die Streicher haben aber brauche. Eine Frage, die mich seit über leise gespielt. Das hat aber den Charak- fünfzig Jahren beschäftigt. Es geht um die ter des wild und gnadenlos pulsierenden Takte 92 und folgende im zweiten Satz Rhythmus der Streicher verändert. Das Ihrer neunten Symphonie. kann doch nicht sein!

Streicher im fortissimo – und Hörner Die volle Wirkung nie erreicht

Ich war 16 Jahre alt, als ich mit der Parti- Sie können selbst erraten, was mich seit tur in der Hand, eine Aufnahme der Neun- dem, ein Leben lang, beschäftigt. Seit vie- ten, dirigiert von Arturo Toscanini, anhörte. len Jahren dirigiere auch ich die Neunte, Bei den erwähnten Takten fiel mir auf, dass ich konnte aber bei der erwähnten Stelle das Thema der Holzbläser von den Hörnern nie die volle Wirkung erreichen, die Sie uns mitgespielt wurde, obwohl in der Partitur in der Partitur vorschreiben. Ich habe ver- an dieser Stelle keine Hörner vorgeschrie- schiedenes ausprobiert. ben sind. Wieso spielen sie da? Ich fragte Einmal ließ ich die Streicher nur den meinen Musiklehrer. Er meinte, die Strei- Anfang jedes vierten Taktes betonen und cher, bei denen fortissimo vorgeschrieben die Töne dazwischen leiser spielen, ein an- ist, würden das Thema in den Bläsern „zu- deres Mal bat ich sie, die Töne akzentuiert decken“, deshalb hätte wohl Toscanini zur zu kürzen, damit sie auch beim leisen Spiel Verstärkung die Hörner dazu genommen. aufgeregt klingen, ein drittes Mal verstärk- Auch habe er sich sicher gedacht, dass te ich die Bläser, habe sie auch mal auf- Beethoven das Holzbläser-Thema von den stehen lassen – nichts half richtig! Hörnern hätte mitspielen lassen, wenn es auf den damaligen Instrumenten spielbar Wie soll die Stelle gespielt werden? gewesen wäre. Aber das verändert doch die Klangfarbe, das kann nicht sein! Ich Es ist so wunderbar, was Sie in der Par- hörte mir dann eine andere Aufnahme, diri- titur schreiben! Man sieht genau, was Sie giert von Otto Klemperer an. Er hatte keine wollen: das siegreiche, drängelnd-stolze 42 NC33 NC33 43 Thema der Holzbläser, UND das gnadenlos lange warten, bis ich Sie selber fragen pulsierende, alles erschlagende Streicher- kann. Ich möchte hier noch auf Erden eine motiv gleichzeitig. Die Partitur anzuschau- Aufführung der Neunten dirigieren kön- en ist eine Wonne! Nur kann ich die Wir- nen, die mir das Gefühl gibt, Ihren Inten- kung nicht erreichen. Ich bin immer wieder tionen gerecht geworden zu sein! enttäuscht vom realisierten Klangerlebnis. In freudiger Erwartung Ihrer Antwort Lieber Herr van Beethoven, ich bitte Sie, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochach- geben Sie mir einen Hinweis, wie die Stelle tung gespielt werden soll! Ich möchte nicht so Ihr Adam Fischer WAS IST EIGENTLICH DAS WERK? Neues von der Neunten von Beate Angelika Kraus

Mehr als sieben Jahren ist es her, dass die Autorin des folgenden Beitrags im Helmut- Hentrich-Saal der Tonhalle unter dem Titel „Wo ist Beethovens Neunte? Auf der Suche nach dem Notentext“ über die konkreten Forschungsergebnisse bei der Herausgabe von Beethovens 9. Sinfonie referierte. (vgl. hierzu auch ihren Beitrag in NC19/2013) Was lag da näher, als die Herausgeberin der soeben veröffentlichten Neuausgabe nach dem aktuellen Forschungsstand zu befragen, der gfls. auch Antwort auf Ádám Fischers „Frage an Ludwig“ zu Takt 92ff. des II. Satzes versprach.

Es ist soweit: Nach jahrelanger For- Familie Beethoven nur gut zwanzig Kilome- schungsarbeit ist pünktlich zum Beetho- ter entfernt liegt. Nachdem Ausführende ven-Jubiläumsjahr 2020 Beethovens Sym- und Publikum die Neuausgabe als musika- phonie Nr. 9 mit Schluß-Chor über Schillers lisch überzeugend erlebt haben, darf man Ode „An die Freude“ für großes Orchester, 4 mit Spannung auf weitere Aufführungen Solo- und 4 Chor-Stimmen op. 125 im Rah- warten, sobald die Coronabedingten Ein- men der vom Beethoven-Archiv in Bonn schränkungen des Musiklebens ein Ende herausgegebenen Beethoven-Gesamtaus- gefunden haben. Und natürlich wird es gabe erschienen. Der umfangreiche Band Aufgabe der Musikpraxis sein, künstlerisch enthält den Notentext (239 Seiten) und auszuschöpfen, was die Edition an Infor- einen Kritischen Bericht (140 Seiten). Da- mationen enthält. Dazu gehört etwa eine neben liegen bereits eine Studien-Edition Differenzierung von Dynamik und Artiku- und das gesamte Aufführungsmaterial vor lation nach Stimmgruppen – mit Verzicht (Details siehe unten). Die erste Aufführung auf Angleichungen, die einen glatten und nach der neuen Ausgabe fand am 11. März uniformen Text suggerieren, den es in den 2020 im belgischen Leuven mit Le Concert authentischen Quellen nicht gibt. Und im Olympique und dem Octopus Symfonisch Falle alternativer Lesarten laden diese Koor unter der Leitung von Jan Caeyers dazu ein, erprobt zu werden. statt – in einem universitären Rahmen Stellt man die Frage, was die neue Aus- (Luca School of Arts, Campus Lemmens). gabe von bisherigen Editionen unterschei- Das war auch deshalb eine besondere det, muss man zugeben, dass vieles im Freude, weil Mechelen als Herkunftsort der Detail steckt, also ein intensives Studium 42 NC33 NC33 43 IV. Satz, Takte 747–752: Autographe Partitur (Arbeitsmanuskript) mit der Singtextunterlegung: „Brüder ü–berm Ste–rnen“ sowie Überschreibung der dynamischen Angaben mit Rötel, die das Manuskript als Dirigierpartitur ausweisen. - Quelle: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Signatur: Mus. ms. autogr. Beethoven, L.v. Art. 204 (3b), S. 96 erfordert. Es gibt zahlreiche Ergänzungen lichtem Gedicht für Beethoven verfügbar und Korrekturen, aber manche Erkenntnis- waren, bevor er seine Neunte Symphonie se gehen weit darüber hinaus – bei diesem schrieb, und welche konkrete Textvorlage besonderen Werk, das Beethoven über er im Finalsatz verwendete. Damit ist der einen Zeitraum von rund einem Dutzend Band weit mehr als eine Neuausgabe der Jahren beschäftigt hat. Der Band enthält in Partitur. Die Lektüre gibt neue Einblicke in einer auch für ein breiteres Publikum ver- Beethovens Werkstatt, in der zahlreiche ständlichen Form Neues zur Entstehungs- Kopisten arbeiteten, sein Umfeld und die geschichte und zu den Quellen, Sonderka- frühe Aufführungsgeschichte der Neunten pitel zu den Metronom-Angaben, zu den Symphonie. Wiederholungen im II. Satz (er zählt nur Besonders „ohrenfällig“ sind Änderungen noch 559 statt 954 Takte und folgt damit in der Kontrafagottstimme im Finalsatz, die in der Notationsweise allen Quellen), zur auf einer neuen Quellenbewertung basie- Findung des Werktitels sowie zur Suche ren. Das Kontrafagott wurde damals von nach einem geeigneten Widmungsträger. Kontrabassisten gespielt und fand erst zur Ein wesentlicher Aspekt ist Beethovens Zeit Beethovens seinen Platz im Orchester. kompositorische Aneignung von Schillers Es lässt sich nachweisen, dass seine Rolle An die Freude. Erstmalig wurde der Fra- im Laufe des Kompositionsprozesses der ge nachgegangen, welch überraschend Neunten Symphonie schrittweise erweitert große Zahl von Ausgaben und Vertonun- und modifiziert wurde: In der autographen gen von Schillers zuerst 1786 veröffent- Partitur hat es nur einen relativ kurzen Ein- 44 NC33 NC33 45 satz, beginnend mit Takt 331 zu Beginn des Stimmen von Fagott II oder Streicherbass, Allegro assai vicace alla Marcia, zusam- es erhält eine den Möglichkeiten des In- men mit Triangel, Cinelli und Großer Trom- struments angepasste eigene Stimme. mel, und steht in der Tradition der Har- Immer wieder werde ich gefragt, wie moniemusik. Erst in den späteren Quellen ich darauf gekommen sei. Es gab zwei erklingt dieses tiefe Blasinstrument bereits Ausgangspunkte: Zunächst fiel mir eine am Satzbeginn; allerdings war es in Wien Randbemerkung in Beethovens Hand- offenkundig weit über Beethovens Tod schrift auf, die er als Anweisung zu Beginn hinaus üblich, dass es ab Takt 730 bis zum eines neuen Abschnitts in Takt 843 jener Ende des Finalsatzes (Takt 940) schwieg. Stichvorlage notiert hatte, die er zwecks Heute ist das anders, und dennoch gibt Veröffentlichung der 9. Symphonie an den es hörbare Neuerungen: Das Kontrafagott Verlag B. Schott’s Söhne nach Mainz sand- spielt nun mit, wenn ab Takt 238 der Solo- te. Dort steht „von hier an Siehe den Con- Bariton im Finale zum ersten Mal die Freu- traFag. in der Beylage“. Eine solche Beila- denmelodie anstimmt, und steht damit (an ge ist allerdings nicht erhalten, kann also einer Stelle mit ausgedünntem Bläserklang nur erschlossen werden. Dann verglich ich und Streicher-Pizzicati) als obligates- Be die aufgrund der Stichvorlage 1826 veröf- gleitinstrument klanglich mit im Vorder- fentlichten Originalausgaben (Partitur und grund. Im Marsch „Froh, wie seine Sonnen Stimmen) und musste feststellen, dass der fliegen“ klingt es eine Oktave höher als Kontrafagottpart in der Partitur und jener gewohnt und fügt sich damit viel harmoni- in der gedruckten Stimme nicht überein- scher in den Klang ein. Am Satzende ist es stimmen. Offenbar hatte niemand bei mehr als eine Colla parte-Verstärkung der Schott gemerkt, dass gleichzeitig erschei- nende Verlagsprodukte von- einander massiv abwichen (offenbar war die „Beylage“ in einem Falle benutzt worden, im anderen jedoch nicht). Das war nur der Anfang eines musikphilologischen Arbeits- prozesses, der durchaus mit der Arbeitsweise von Archäo- logen vergleichbar ist, wo- bei im konkreten Fall sechs „Schichten“ freigelegt wer- den konnten. Glaubte man, Beethoven und seine Neunte seien so berühmt und sicher hinlänglich erforscht, dann wurde und wird man hier ei-

nes Besseren belehrt. Aber auch für Sängerinnen⃪

Ludwig van Beethoven, Brief an Peter Paul Gläser, Wien, kurz nach dem 19. und Sänger gibt es Neues in April 1824, Ausschnitt Autograph - Beethoven-Haus Bonn, BH 30 S. 48 44 NC33 NC33 45 46 NC33 NC33 47 IV. Satz, Takte 858–864: Neue Beethoven-Gesamtausgabe mit der von Beethoven geforderten Singtext- unterlegung „der ganzen We – lt!“ und Platzierung der End-Konsonanten nach letzten Note. Copyright G. Henle Verlag, München 2020. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

46 NC33 NC33 47 der Neunten. Ihnen wird sofort eine be- hängigkeiten zwischen den Quellen. Dazu sondere Art der Singtext-Unterlegung auf- kommen zahlreiche Dokumente wie Briefe, fallen, die erstmalig Beethovens Vorstellun- Korrekturlisten, Konversationshefte oder gen dazu berücksichtigt: Bei in Beethovens Zeugnisse von Zeitgenossen. Es wird eine Sprache so genannten „gedehnten“ Voka- begründete Quellenbewertung erarbeitet, len werden die End-Konsonanten nach der die – gleichsam als das Herzstück des Ban- jeweils letzten Note platziert, die sängeri- des – maßgeblich für die Edition eines No- sche Artikulation somit in das Notenbild in- tentextes ist, der Beethovens letztgültige tegriert. Das wirft ein neues Bild auf einen Fassung enthalten soll. So lautet die Aufga- Komponisten, dem man oft vorwarf, er sei be im Rahmen einer kritischen Gesamtaus- primär ein Meister der Instrumentalmusik gabe. [Ja, lieber Herr Fischer, im II. Satz ab und kümmere sich wenig um Gesang. Doch Takt 92 finden Sie alle vier Hornstimmen, ausgerechnet Beethoven war es, der dem aber natürlich spielen die Hörner nicht ge- in seinem Team noch neuen und unerfah- nau dasselbe wie die Holzbläser, außerdem renen Kopisten Peter Paul Gläser 1824 er- finden Sie hier eine differenzierte Staccato- örterte, wie er beispielsweise „Sa - - - nft“1 Bezeichnung und dazu Hinweise im Lesar- in der Partitur notiert haben wollte. Ebenso tenverzeichnis!] wichtig war es Beethoven, dass die Vers- Denkt man aber über das nun erreichte struktur im Notenbild deutlich sichtbar Projektende hinaus und macht sich be- blieb, er korrigierte also so, dass jeweils zu wusst, dass die Neunte Symphonie bereits Beginn einer Verszeile ein Großbuchstabe zu Beethovens Lebzeiten in zwölf Auffüh- steht. Hier könnte man argumentieren, sol- rungen erklang, dann kommen unweiger- che Details würde man im Konzert nicht hö- lich neue Ideen: Es wäre durchaus möglich, ren, dennoch werfen sie ein anderes Licht unterschiedliche Versionen zu rekonstruie- auf Beethovens Denken und das Werk als ren. Darunter wäre eine Fassung mit italie- notierten und geschriebenen Text. nischem Text im Finale, so wie das britische Darüber hinaus müssen wir uns immer Publikum sie am 21. März 1825 erstmals zu wieder klar machen: Beethoven als Kom- hören bekam (schließlich war die Sympho- ponist war in der Regel nur mit einer für nie ein Auftragswerk der Londoner Philhar- ihn jeweils aktuellen Fassung seines Werks monic Society, und Beethoven wusste sehr beschäftigt. Neben dem Autograph, ei- wohl, dass man dort keine Aufführung in nem unvollständig erhaltenen Arbeitsma- deutscher Sprache realisieren würde). Oder nuskript, existieren mehrere von ihm zu auch die gekürzte Fassung, die am 23. Mai einem bestimmen Zeitpunkt im Laufe des 1825 zu Pfingsten unter der Leitung von Schaffensprozesses autorisierte Partituren, Ferdinand Ries beim Niederrheinischen die für Aufführungen in Wien, London, Aa- Musikfest in Aachen aufgeführt wurde und chen und Berlin, als Widmungsexemplar damit die Rezeptionsgeschichte des Werks oder als Stichvorlage für den Verlag be- im Rheinland begründete. In Aachen mo- stimmt waren. Als Editorin muss man alle difizierte man den Notentext, wenn es existierenden Quellen heranziehen: Man darum ging, ihn den Fähigkeiten eines Sän- vergleicht sie Stimme für Stimme, Takt gers anzupassen bzw. sich Gedanken über für Takt, Note für Note und erforscht die Stimmfächer zu machen. Aus dem Solo- Entstehungsgeschichte einschließlich Ab- Bariton wurde so ein Heldentenor, und in

1 s. Autograph auf Seite 45 dem Textheft zur Aufführung soll für das 48 NC33 NC33 49 zum Chorfinale überleiten- Die Autorin de Rezitativ (Takte 216–236) Beate Angelika Kraus studierte die beiden ein gereimter Text gestanden Hauptfächer Musikwissenschaft und haben: „Freunde, nicht doch Romanische Philologie (Französisch, diese Töne, Freuden Hym- Italienisch) an der Universität Hamburg nen laßt erschallen, Freud’ und an der Université de Paris-Sorbonne im Herzen widerhallen!“ Mit (Paris IV); Stipendiatin der Studienstif- tung des deutschen Volkes. Promotion solchen Entdeckungen wei- zum Dr. phil. mit einer Dissertation über tet sich ein Werk-Begriff, der „Beethoven-Rezeption in Frankreich: Von ihren Anfängen bis gerade im Falle Beethovens zum Untergang des Second Empire“ (Buchveröffentlichung eher zum Monument erstarrt Bonn 2001). Aufsätze zur Musikgeschichte des 18. bis 20. ist. Somit wünsche ich mir, Jahrhunderts. Seit 1999 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des dass musikwissenschaftliche Beethoven-Hauses Bonn. Daneben Lehraufträge, u.a. seit Arbeit nicht nur im Druck 2007 an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Mitarbeit sondern auch in der Proben- im Rahmen internationaler Musikfestivals sowie im Bereich arbeit und im Konzertsaal der Musikvermittlung. neue Perspektiven öffnet. www. beethoven.de

● Beethoven Werke, Abt. I, Bd. 5, hg. von Beate Angelika Kraus unter Mitarbeit von Bernhard R. Appel, Koreferat Christine Siegert, München (G. Henle Verlag) 2020. ● Studien-Edition, hg. von Beate Angelika Kraus, München (G. Henle Verlag) 2020. ● Dirigierpartitur, Aufführungsmaterial, Klavierauszug und Chorpartitur, hg. von Beate Angelika Kraus, Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) 2020. LUDWIG VAN BEETHOVEN Kindheit und Jugend Von Erich Gelf Die Verehrung Beethovens sieht in ihm fast nur noch den Heros. Unser Beitrag zum 250. Geburtsjubiläum des Komponisten beschäftigt sich mit dem historischen Menschen. Kind- heit und Jugend sind ein entscheidender Lebensabschnitt Ludwig van Beethovens. Sein frühester Lebenslauf, eingebunden in die Verhältnisse seiner Zeit, ist wenig bekannt. Wenn dabei über Trauriges oder über Schattenseiten berichtet wird, soll dies den Jubilar nicht herabwürdigen oder die Beliebtheit seiner Musik schmälern. Im Gegenteil: Die Bewunde- rung seiner Lebensleistung wird sich mit der Kenntnis, welche Umstände Beethoven mit großer Willenskraft und Disziplin überwinden musste, noch steigern Die Familie Ludwig van Beethovens Ein Musiker wurde aber erst 1712 als Sohn eines Bäckermeisters und Möbelhändlers im Die Ahnen 30 Kilometer entfernten Mechelen geboren. Er Die Vorfahren Ludwig van Beethovens stam- hieß Lodewijk oder Louis - zu deutsch: Ludwig men aus dem heutigen Belgien. Sie waren meist - und war der Großvater unseres Komponisten, Kleinbauern, Kunsthandwerker oder Händler. der bis 1773 lebte. Der erste namentlich genannte war ein Johann van Beethoven, das bedeutet „vom Rübenho- Die Großeltern fe“. Er lebte im 15. Jahrhundert im flämisch- Dieser Ludwig van Beethoven kam fünfjährig brabantischen Kampenhout. in die Chorknabenschule des Bischofs von Me- 48 NC33 NC33 49 chelen. Dort erhielt er auch Orgel- und Gene- wird angenommen, dass Johann van Beethoven ralbass-Unterricht. Als Sänger und Chordirektor über diese verwandtschaftlichen Beziehungen war er 1731 in Löwen und 1732 in Lüttich, be- seine zukünftige Frau kennenlernte. Sie war vor er 1733 als Solobassist und Chorsänger in eine schöne, schlanke, ernsthafte Person mit- die Residenzstadt Bonn an die Hofkapelle von guter Bildung und Erziehung und einem guten Clemens August von Bayern, Kurfürst und Erz- Ruf. Nachdem sie ihren Vater im Alter von 12 bischof von Köln, kam. Der verschwenderisch Jahren verloren hatte, heiratete sie mit 16 Jah- kunstsinnige Kurfürst hatte ihn in Lüttich gehört ren den trierisch-kurfürstlichen Kammerherrn und mit einem überdurchschnittlich hohen Ge- Johann Leym und wurde nach zwei Ehejahren haltsangebot abgeworben. im Alter von knapp 19 Jahren schon Witwe. In Nach dem Tode von Clemens August im Jah- Ihrer Ahnenreihe befinden sich Kaufleute und re 1761 stieg er zum Hofkapellmeister auf. Der Hofräte. Doch der Vater Beethoven war mit der Nachfolger, Maximilian Friedrich, der bedeuten- Verbindung nicht einverstanden. Ihm schien für de Reformen im Sinne der Aufklärung durch- ein Mitglied des kurfürstlichen Hofstaates eine führte und wegen der hohen Schulden, die sein Dienstmagd oder Kammerzofe als Ehefrau nicht Vorgänger hinterließ, den höfischen Prunk deut- angemessen und er zog aus der Wohnung aus lich reduzierte, zahlte allerdings ein geringeres in ein Haus auf der gegenüberliegenden Stra- Gehalt. Ludwig glich das durch einen Weinhan- ßenseite, von wo er seinen Sohn dennoch unter del aus. Er besaß zwei Keller voll und verkaufte Aufsicht halten konnte. ihn im Fass, meistens per Schiff nach Holland. Johann, der junge Hoftenor, der auch Klavier- Für die Ehe Ludwigs wurde der Weinhandel unterricht in adeligen und großbürgerlichen Häu- zum Problem. Seine Frau Maria Josepha Ball sern erteilte, konnte eigentlich mit seinen Ein- (1714 -1775) - auch Poll geschrieben - verfiel künften gut auskommen. Der einflussreiche und dem Trunk und musste in ein klösterliches Hos- bestens verdienende Vater unterstützte schließ- piz eingewiesen werden, wo sie zwei Jahre nach lich das junge Paar beim Aufbau der Familie. So ihrem Ehemann Ludwig mit 60 Jahren starb. begann die Ehe unbeschwert. Aber nachdem der Von den drei Kindern aus ihrer Ehe überlebte Vater 1773 starb, ging es mit Johann bergab. Das nur ein Sohn, der 1740 geborene Johann, der Geld wurde knapper und er begann, wie schon Vater unseres Komponisten. seine Mutter Maria Josepha, zu trinken. Ludwig, der Großvater, war ein angesehener Johann und Maria Magdalena van Beetho- Bonner Hofkapellmeister, gut aussehend, ein ven bekamen sieben Kinder, von denen aber stattlicher, Respekt einflößender Mann, hoch- nur vier das Säuglingsalter überlebten: Ludwig musikalisch, voller Energie und Zielstrebigkeit. (1770 - 1827) - das Genie - , Kaspar Karl (1774 - 1815) und Nikolaus Johann (1776 - 1848). Die Die Eltern Tochter Maria Margarethe Josepha starb 1787 Dessen Sohn Johann (1740 – 1792) wurde noch nicht zwei Jahre alt. ebenfalls Sänger in der kurfürstlichen Hofka- Um den Hausstand und um die beiden jün- pelle. Anders als der Vater war er nur mäßig geren Söhne kümmerte sich Johann wenig. musikalisch begabt und charakterlich labil. Er Schließlich war auch das vom Vater ererbte litt unter der Dominanz und Bevormundung des Weindepot, das eigentlich für den Handel be- Vaters, der in der Hofkapelle auch sein Vorge- stimmt war, erschöpft. Maria beklagte die Trink- setzter war. Aber er lebte weiter in der väterli- schulden ihres Mannes. Sie war eine fleißige, chen Wohnung. aber nie lachende Frau, und bereute, dass sie Erst 1767, mit 27 Jahren, heiratete er die den verantwortungslosen Johann geheira- junge Witwe Maria Magdalena Leym gebore- tet hat. Sie schrieb an eine Freundin: „Was ist ne Keverich (1746 - 1787). Maria Magdalena Heyraten, ein wenig freud, aber nachher eine war die Tochter eines Oberhofkochs des Tri- Kette von Leiden…“. erer Kurfürsten, der in Schloss Philippsburg in Die ganze Familie war katholisch, aber nicht Ehrenbreitstein residierte. Eine ihrer Kusinen besonders fromm. So wird es auch unser Kom- heiratete einen Bonner Hofviolinisten und es ponist zeitlebens halten. 50 NC33 NC33 51 Kindheit und Jugend in Bonn leistungsfähiges, für seine Zeit mit 40 Musikern (1770 – 1792) üppig ausgestattetes Hoforchester. Sein guter Seine Heimatstadt Bonn Ruf zog die besten jungen Instrumentalisten Die reizvolle Stadt Bonn liegt links und rechts seiner Zeit nach Bonn. Das Hoforchester sicher- des Rheinufers mit Blick auf das landschaftlich te der Musikerfamilie Beethoven ein geregeltes malerische Siebengebirge im Südosten. Sie hat- Auskommen. Ein Vermögen konnten die Musi- te bei Ludwig van Beethovens Geburt (1770) ker aber durch ihre Berufstätigkeit nicht erwer- 10.000 Einwohner und war seit über 500 Jahren ben. eine Residenz der Kurfürsten zu Köln, die in Per- sonalunion auch die Kölner Erzbischöfe waren. Die Geburt Bonn war der Regierungssitz des Kurfürsten. Die Die Eltern Johann und Maria Magdalena van Residenzstadt gehörte zu den bedeutendsten Beethoven bewohnten nach ihrer Heirat 1767 deutschen Herrscherzentren. Sie profitierte von einen Gartenflügel des Hauses Bonngasse 20 dem barocken, prachtvollen Stil des kurfürstli- in der Bonner Altstadt als Dienstwohnung. In chen Hofes. dem engen Hause befan- Im 18. Jahrhundert den sich im Erdgeschoß entwickelte sich die die Küche, im Oberge- Stadt zu einem Zentrum schoß zwei kleine und der Aufklärung. Mit eine größere Stube und Duldung der Kurfürsten im Dachgeschoss das El- konnten gebildete Bür- ternschlafzimmer nebst ger und junge Adelige zu einer winzigen Kammer. einem freiheitlichen Mi- In dieser Kammer ist lieu in der Stadt beitra- nach der Tradition Lud- gen. Bonn bekam 1777 wig van Beethoven ge- eine wissenschaftliche boren worden. Über das Akademie, die bereits Geburtsdatum gibt es 1786 zur Universität er- keine Nachweise mehr. hoben wurde, an der Beethovens Geburtshaus - https://www.denkmalschutz. Das Taufdatum am 17. die Menschen philoso- de/denkmal/beethoven-haus0.html Dezember 1770 aber phisches Denken lernten ist belegt. Da nach der Die Rechtsverhältnisse verbesserten sich. Durch damaligen Gewohnheit die Kinder sehr bald Bildung und Erziehung versuchte der Kurfürst nach ihrer Geburt getauft wurden, wird der 16. (der Dritte innerhalb unserer Berichtszeit) Ma- Dezember oder sogar der 17. Dezember als Ge- ximilian Franz (Herrschaft von 1784 – 1794) die burtstag in Frage kommen. Getauft wurde der Standesunterschiede zu mildern. Die Bonner Junge auf den Namen des Großvaters und Pa- Nationalbühne zeigte die Werke Lessings, Schil- ten: Ludwig. Es sollte sich herausstellen, dass lers und Voltaires. Im prächtigen Akademiesaal der kleine Ludwig von seinem Großvater die des Schlosses wurden Konzerte aufgeführt, geniale Musikalität sowie den Ehrgeiz, den Fleiß die dem neuen Geist verpflichtet waren. Man und die Disziplin geerbt hatte. spielte die Mannheimer Schule mit den Kom- ponisten Stamitz, Richter und Cannabich sowie Die Wohnungen der Familie Beethoven natürlich Haydn und Mozart. Im Januar 1789 In der Bonngasse lebte die Familie Beethoven wurde die Bonner Hofoper eröffnet, die ein in- in guter Nachbarschaft. Eine Nachbarin wurde ternationales Repertoire pflegte. Mit Rücksicht Beethovens Taufpatin. Man feierte gemeinsam auf das bürgerliche Publikum wurden alle Wer- die Familienfeste. ke in deutscher Sprache dargeboten. Die Oper 1773 verstarb der Großvater. Dann endeten war keine alleinig höfische Angelegenheit mehr. auch bald die guten nachbarschaftlichen Bezie- „Selbst der Fürst zahlte Eintritt.“ Für Konzert hungen, denn die junge Familie van Beethoven und Oper unterhielt der kurfürstliche Hof ein musste 1774 umziehen nach Auf dem Dreieck 50 NC33 NC33 51 210. 1776 gab es gleich zwei weitere Umzüge in Als junger Erwachsener wird Beethoven sich be- die Rheingasse und in die Neugasse (später als mühen, die Lücken in seiner Allgemeinbildung Rathausgasse bezeichnet). Im Februar 1777 gab zu schließen. Aber seine Briefe, Tage- und Rech- es dann einen erneuten Wohnungswechsel in nungsbücher bleiben voll von orthographischen das Haus des Bäckermeisters Fischer direkt am und rechnerischen Fehlern. Rhein in der Rheingasse 24. Dort wohnte die Ludwig musste üben, üben; Klavier, Geige, Familie in den nächsten zehn Jahren. Bratsche und Orgel; wenn es dem Vater einfiel Die Instabilität seiner Umgebung in den er- auch nachts nach einer seiner Kneipentouren. sten Lebensjahren muss Ludwig so geprägt ha- Da gab es auch Ohrfeigen oder Schläge auf die ben, dass er es auch als Erwachsener nie lange Finger. Wenn es nicht so lief wie gewünscht, in einer Wohnung, an einem Ort aushielt. wurde das Kind auch schon mal im Keller ein- gesperrt. Erziehung und Bildung Die Mutter, die von der Nachbarschaft geach- Der Vater war streng, ungeduldig und unbe- tet wird, soll sich um ihr erstes Kind nicht viel rechenbar gegenüber seinem Sohn. gekümmert und seine Versorgung den Dienst- Mit vier Jahren erhielt Ludwig von ihm Kla- boten überlassen haben. Diese wiederum vier- und Geigenunterricht. Bald hatte der Va- scheinen keine große Sorgfalt geübt zu haben, ter die besondere Begabung seines Sohnes denn es wird berichtet, dass der kleine Ludwig bemerkt und wollte ihn zu einem Wunderkind, öfter in seinem Kleinkinderkleidchen irgendwo einem zweiten Mozart, formen. Wo er das Kind in der Wohnung auf dem Fußboden allein ge- nicht weiterbringen konnte, übernahmen Kol- spielt hat. Später hatte die frustrierte Mutter legen aus der Hofkapelle den Unterricht. Ein- mit den jüngeren Brüdern zu tun. Um ihren geschüchtert von der Strenge des Vaters erin- Ältesten kümmerte sie sich wenig. Nie hat sie nerte sich der Fünf-, Sechsjährige oft an seinen sich bei dem strengen Vater vor den Sohn Lud- verstorbenen Großvater, obwohl er bei dessen wig gestellt. Nach ihrem Tod zeichnete Beetho- Tod erst drei Jahre alt war. Er hatte den Wunsch ven von seiner Mutter ein liebevolles Bild, was selbst ein Kapellmeister zu werden. Ludwig wahrscheinlich mehr einem Wunschdenken verstand sich als Erbe seines Großvaters. Sein entsprach, zumal er mit dem Vater überhaupt ganzes Leben lang hütete er ein Portrait von nicht im Einklang stand. ihm wie einen Schatz. Er hängte es stets an gut sichtbarer Stelle in seinen Wohnungen auf und Ludwig van Beethoven, ein Wunderkind? zeigte es stolz seinen Besuchern. Der Wille, seinen musikalisch außergewöhn- Ludwig van Beethoven beherrschte perfekt lich begabten Sohn Ludwig zum Wunderkind zu die Notenschrift bevor er das ABC lernte. erziehen, war verbunden mit der Hoffnung, ihn Mit sechs Jahren besuchte er die Elemen- auf dem Klavier präsentieren und Geld damit tarschule und später die von Jesuiten geführ- verdienen zu können. In der elterlichen Woh- te Münsterschule. Vielleicht erwarb er in der nung spielte Ludwig schon früh vor geladenen Münsterschule das Wissen oder das Problem- Gästen - gegen Eintritt. Am 28. März 1778 orga- bewusstsein, um in seiner „Messe in C-Dur“ nisierte der Vater den ersten öffentlichen Auf- und in der „Missa solemnis“ den theologischen tritt seines „Söhngen von 6 Jahren“ (zur Sensa- Gehalt und Sinn des Messtextes mit seinen mu- tion ein Jahr jünger gemacht) in Köln. Der Erfolg sikalischen Mittel ebenso authentisch ausdrüc- muss sich in Grenzen gehalten haben. Aber der ken zu können, wie die Alten Meister vor ihm. Vater besuchte mit Ludwig nun in der Bonner Lange Zeit wird er den Unterricht nicht be- Umgebung großbürgerliche und hochgestellte sucht haben, denn der Vater hatte an der schu- Bekannte und Honoratioren, denen der Junge lischen Ausbildung kein Interesse. Es ist be- vorspielen musste, um ihn bekannt zu machen. kannt, dass sich der Elfjährige über mangelhafte Dabei erhielt Ludwig manches Lob und manchen Orthografie und darüber, dass er im Rechnen guten Rat, das Klavierspielen weiter ernstlich zu nicht über das Addieren hinauskam, beklagte. betreiben. Zudem lernte er die landschaftlich

52 NC33 NC33 53 schöne Bonner Umgebung kennen, von der er nem) stellvertretenden Hoforganisten. Des wei- später sagen wird: „Mein Vaterland die schöne teren verschaffte er ihm die Stellung als Cem- gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte“. balist, wozu auch Dirigieren gehörte. Drei Kla- Bei einer Besuchsreise zu Verwandten in Rot- viersonaten (WoO 47), die Beethoven 1782/83 terdam und in Den Haag im Spätherbst 1783 komponierte, ließ Neefe drucken und schrieb nahm seine Mutter ihren Sohn Ludwig mit in selbst lobend über die Werke in einer führen- die Niederlande. Im November spielte der nicht den Musikzeitschrift. einmal Dreizehnjährige vor dem Fürsten von Mit 14, 15 Jahren reifte Beethoven zu einem Nassau und Oranien, „und zwar zu einem sehr tüchtigen Musiker heran. Er wurde Hoforganist ordentlichen Honorar“. Bei der Tour wird er und bezog ein Gehalt. Bald war er nicht mehr sich selbst als junges Talent bestätigt gesehen der ungepflegte Junge aus der Rheingasse. In haben. seinen „Erinnerungen“ hat ihn der Hauswirt Fischer so geschildert: von gedrungener vorn- Die geordnete musikalische Ausbildung übergebeugter Gestalt, mit wildem Haarwuchs, Der Vater hatte bald keine Lust mehr, den ei- die Haut pockennarbig und so dunkel, dass er gensinnigen Sohn zu fördern im Spaß als „Spanier“ geneckt und ihm Instrumentalunter- wurde. (Die erwähnte dunkle richt zu vermitteln. Dennoch Hautfarbe führte zu mehr konnte Beethoven seine mu- oder weniger ernsthaften sikalischen Fähigkeiten erwei- Diskussionen, ob unter den tern. Der Hoforganist Gilles flandrischen Vorfahren etwa van den Eeden, der Stadtor- ein farbiger Spanier gewesen ganist Willibald Koch und der sei.) Nun trug er die schic- Konzertmeister der Hofkapel- ke Hofmusikanten-Uniform, le Franz Anton Ries unterrich- war frisiert mit Locken und teten ihn. Sie brachten ihn ein Haarzopf, die sein Naturhaar gutes Stück voran. Möglich, verdeckten, und hatte einen dass er mit zwölf, dreizehn Degen unter dem linken Arm. Jahren bei den Messen im 1785/86 komponierte Minoritenkloster die Orgel Beethoven nichts. Er war zu Christian Gottlob Neefe (*5. Februar 1748 in spielen durfte. Die meiste Zeit Chemnitz; †26. Januar 1798 in Dessau), deutscher sehr im Orchester gefordert übte und studierte er bis nach Komponist, Organist, Kapellmeister, Musikwissen- und musste viel Zeit für die schaftler und Lehrer Beethovens. Quelle Wikipedia Mitternacht (Bachs Wohltem- kompositorisch-handwerkli- periertes Klavier sowie das übliche Klavierreper- che Bildung aufwenden. toire) und versuchte sich im Improvisieren. 1779 kam Christian Gottlob Neefe von Chem- Erste Reise nach Wien nitz als Hoforganist nach Bonn. Neefe erkannte Auf Vermittlung Neefes erlaubte der- Kur das Talent des jungen Musikers und wurde sein fürst Anfang 1787 Beethoven eine Reise nach wichtigster Lehrer. Er ordnete den Unterricht Wien und zahlte ihm einen Zuschuss. Er sollte Beethovens, der bisher wenig zielstrebig war. dort sein Können auf dem Piano vorführen und Vor allem nahm er zu dem Instrumentalunter- bei Mozart Kompositionsunterricht nehmen. richt Kompositionsunterricht mit musiktheore- Am 14. Januar 1787 traf er in Wien ein. Über tischer Unterweisung hinzu. Für Neefe war die den Aufenthalt in Wien ist wenig bekannt. Ob Musik als Sprache des Herzen, wie die Literatur, Beethoven Mozart überhaupt getroffen hat, von sittlich-moralischen Prinzipien geprägt. ist fraglich. Bei der trotz eines kurfürstlichen Deshalb bemühte er sich auch um philosophi- Empfehlungsschreibens zögerlichen Aufnahme sche und ästhetische Bildung seines Schülers. durch die Wiener Gesellschaft spielte sicher Bereits 1782 machte Neefe Ludwig van eine Rolle, dass Beethoven zu der Zeit gerade Beethoven (im Alter von zwölf Jahren) zu (sei- erst 16 Jahre alt war.

52 NC33 NC33 53 Durch immer dringlichere Briefe seines Va- Als nächsten Schicksalsschlag traf ihn der Tod ters erfuhr Beethoven von der ernsthaften seiner nicht einmal zweijährigen Schwester Ma- Erkrankung seiner Mutter. Er brach den Wien- ria Margarethe Josepha im November 1787. Aufenthalt ab und trat schon am 28. März 1787 Beethovens Vater Johann verlor immer mehr die Rückreise an. Sie dauerte neun Wochen und die Kontrolle über seinen ohnehin hohen Al- wurde ein finanzielles Fiasko. Ein adeliger Gön- koholkonsum. Der Sohn wurde sein Hüter. Er ner, Hofrat von Schaden, den er in Augsburg musste den betrunkenen Vater aus Kneipen kennen lernte, lieh Beethoven das Geld für die abholen und nach Hause führen, ja sogar sich Heimreise. bei der Polizei verwenden, um eine Festnahme des Trunksüchtigen zu verhindern. Ludwig bat Der Tod der Mutter - den Kurfürsten, ihm die Hälfte der väterlichen Familiäre Probleme Pension zur Führung des Haushaltes auszuzah- Beethoven, der Anfang Juni 1787 wieder in len. Dadurch wurde er mit 17 Jahren der Fa- Bonn war, traf seine Mutter noch lebend, aber milienvorstand. Die Herausforderungen dieser in sehr schlechtem gesundheitlichem Zustande sorgenvollen Zeit prägten den jugendlichen Mu- an. Sie litt an Tuberkulose, die man umgangs- siker. Wie er sie bewältigte, zeigt bereits seinen sprachlich „Schwindsucht“ nannte. Die Mutter energischen und zielstrebigen Charakter. starb am 17. Juli 1787 im Alter von vierzig Jah- ren. Die Krankheiten des jungen Beethovens Die nächste Zeit brachte Beethoven nur Kum- Neben den finanziellen Problemen zeigt der mer und Sorgen. Er litt unter dem Verlust der Brief an Hofrat von Schaden von September Mutter und musste sich um die Versorgung 1787 auch, dass Beethoven kränklich war. Als seiner Familie (um zwei Brüder und eine klei- Kinderkrankheiten hatte er eine wahrscheinlich ne Schwester sowie den trunksüchtigen Vater) nicht recht ausgeheilte Mittelohrentzündung, kümmern. Einem Entschuldigungsbrief von Sep- Masern, aber auch Pocken. Eine frühe Infek- tember 1787 an Joseph Wilhelm von Schaden tionskrankheit - vermutlich ein Bauchtyphus nach Augsburg wegen des noch nicht zurück- etwa 1790 -, von der sich die Darmorgane nie gezahlten Kredites ist zu entnehmen, was den wieder erholten, führte zu einer chronisch ge- 17-jährigen Beethoven in den letzten Monaten störten Darmfunktion. Von 1790 an machten bewegte: ihm immer wieder schwere Koliken zu schaffen. „Ich muß ihnen bekennen: daß, seitdem ich Bestimmt war sein Immunsystem geschwächt, von augspurg hinweg bin, meine freude…und was dauernde Erkältungskrankheiten und Fie- mit ihr meine gesundheit begann aufzuhören. beranfälle zur Folge hatte. … ich eilte also, so sehr ich vermochte, da ich Ludwig van Beethoven blieb Zeit seines Le- doch selbst unpässlich wurde … So lange ich hier bens ein kranker Mann. Neben den angeführ- bin, habe ich noch wenig vergnügte Stunden ten diversen bedrückenden internistischen genossen; die ganze Zeit hindurch bin ich mit Leiden belastete ihn ab dem 26. Lebensjahr der engbrüstigkeit behaftet gewesen, und ich ein fortschreitender Verlust seines Gehörs; für musste befürchten, daß gar eine Schwindsucht einen Musiker und Komponisten wahrlich ein daraus entsteht; dazu kommt noch melancholie, verheerendes Drama. welche für mich ein fast ebenso großes übel, als meine krankheit selbst ist. Denken sie sich jetzt Beruflicher Aufstieg in meine Lage und ich hoffe Vergebung, für mein In den Jahren 1789 bis 1792, den letzten, die langes stillschweigen, von ihnen zu erhalten. … Beethoven in Bonn verlebte, ging es für ihn be- muß ich sie bitten noch einige nachsicht mit mir ruflich steil bergauf. 19jährig spielte er in der zu haben; meine Reise hat mich einiges geko- Hofkapelle die Bratsche. In der Bonner Hofo- stet, und ich habe hier keinen ersatz auch den per wirkte er bei mehrer en Mozart-Opern, geringsten nicht zu hoffen; das Schiksal hier in bei deutschen Singspielen und bei Stücken von Bonn ist mir nicht günstig.“ André Grétry, einem Hauptvertreter der fran-

54 NC33 NC33 55 zösischen Opéra comique, mit. Er erwarb sich die beste Staatsform und die Ideen der Franzö- den Ruf eines fleißigen, hochbegabten Mu- sischen Revolution, über Philosophie, Religion sikers. Auch als Pianist, der mit einem neuen und Moral diskutiert. Vortragsstil aufwartete, wurde er geschätzt. Die Bonner „Lesegesellschaft“, 1787 gegrün- Das Publikum staunte insbesondere über seine det durch „eine Gruppe durch Bildung und ungewöhnliche Kunst des Improvisierens. Seine Stand ausgezeichneter Männer“ konzentrierte Einnahmen reichten nun aus, die Familie durch- sich auf die Verbreitung der Ideen in den Schrif- zubringen. ten Kants, Herders und in dem Schauspiel „Die Räuber“ von Schiller. Auch diese Gesellschaft Ludwig van Beethoven lernt ein besuchte der junge Beethoven durch die Be- geordnetes Familienleben kennen kanntschaft mit der Familie von Breuning. Er Durch Einnahmen aus dem Klavierunterricht traf dort seine Lehrer Neefe und Ries und auch in Bonner Familien wollte Ludwig van Beetho- seinen Freund, den Hornisten des Hoforche- ven die einstmalige angespannte Lage der fa- sters und späteren erfolgreichen Musikverleger miliären Haushaltskasse aufbessern helfen. Auf Nikolaus Simrock. Sein Freund und Gönner, der Empfehlung seines Freundes, des Medizinstu- kurfürstlichen Geheimrat Graf Ferdinand Ernst denten und späteren Bonner Professors Franz von Waldstein (auch ein von der Familie Breu- Gerhard Wegeler, lernte er die Familie des durch ning her Bekannter) war der gewählte Direktor einen Unfall ums Leben gekommenen Hofrates der Lesegesellschaft. von Breuning kennen. Die verwitwete Mutter Die in diesen Kreisen behandelten Themen Helene von Breuning beauftragte Beethoven faszinierten den aufgeschlossenen jungen Mu- mit dem Klavierunterricht ihrer Kinder Chri- siker. Dort entwickelte sich seine Begeisterung stoph, Stephan, Lorenz und Eleonore. für die Ideen der Französischen Revolution nach Wahrscheinlich weil sie den vielfältigen gro- Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie ßen Druck, unter dem der noch so junge Mu- seine lebenslange Neigung zu Sittlichkeit und siker stand, erkannte, umsorgte ihn die junge Tugend, die für ihn die höchsten Ideale darstel- mütterliche Frau und Beethoven gewann zu len. ihr ein lebenslanges großes Vertrauen. Anders Beethovens Wissensdurst veranlasste ihn, als in der sorgenvollen eigenen Familie fühlte sich 1789 in der Bonner Universität zu immatri- Beethoven sich in der geistig regsamen, warm- kulieren, um Vorlesungen über Kant und grie- herzigen Atmosphäre dieser Familie wohl. Er chische Geschichte zu hören. wurde bald wie ein Kind des Hauses behandelt. Auch sein aufbrausendes Wesen wurde hin- Erster Kontakt mit Schillers genommen und Beethoven fand sich in seiner „Ode an die Freude“ (Text s. S. 30) Persönlichkeit bestätigt. Hier liegt die Wurzel In dem beschriebenen Umfeld lernte Beetho- seines Stolzes. ven auch das 1785 entstandene Gedicht von Zu den Söhnen hatte Beethoven bald ein dau- Friedrich von Schiller „An die Freude“ kennen, erndes freundschaftliches Verhältnis. Ebenso zu ein Trinklied mit vielen Strophen, das vorrevo- Eleonore, für die er wahrscheinlich schwärmte, lutionäres Gedankengut ausbreitet. Seine Ab- die aber später seinen Freund Wegeler heiraten sicht, das Gedicht zu vertonen, führte er jedoch wird. nicht aus. Aber er vergaß den Text nicht. 1823 verwandte er maßgebliche Teile daraus mit spe- Ludwig van Beethoven wird in einen Kreis ziellen persönlichen Textänderungen für den junger Bürger und Adeliger aufgenommen Schlusschor des 4. Satzes seiner „Neunten“. Der Angeregt durch die Familie von Breuning Sinn und die Mission dieses echten „Lebens- schloss sich Beethoven einem Kreis von Vertre- werkes“ Beethovens entschlüsselt sich durch tern des aufgeklärten Adels, Gelehrten, Künst- die mit der menschlichen Stimme übermittelte lern und Radikalen an, der sich im Weinhaus Botschaft: Die „Freude“ gibt den Anstoß, den „Zehrgarten“ zusammentraf. Dort wurde über Widerwärtigkeiten des Lebens zu trotzen.

54 NC33 NC33 55 Erste Kompositionen wollte der Kurfürst die Kosten einer Ausbildung Die meisten seiner etwa 50 Jugendwerke kom- in Wien für den so von dem großen Meister Aus- ponierte Beethoven in Bonn in den Jahren 1789 gezeichneten übernehmen. – 1792. Es entstanden fünf Klaviersonaten und Variationszyklen für Klavier, Kammermusik, etli- Beethoven in Wien (ab 1792) che Lieder und sogar fragmentarische Teile einer Zweite Reise nach Wien Symphonie. Bedenkt man, welche Belastungen Am Morgen des 30. Oktober 1792 verließ Lud- in Familie und Beruf der junge Beethoven hatte, wig van Beethoven Bonn - für immer. So war das war diese umfängliche kompositorische Arbeit nicht geplant, aber die politischen Verhältnisse nur unter größter Disziplin möglich. sollten sich im Rheinland grundlegend ändern. Beethoven war übrigens Linkshänder, was da- Er reiste mit der Postkutsche. Am 10. Novem- mals als wesentliche Normabweichung galt. Es ber 1792 kam er in Wien an. ist aber nichts bekannt, ob dieser Umstand ihm Seine engste Familie, die beiden Brüder und Nachteile brachte. Außerdem war er ausgeprägt den herzkranken Vater, ließ er in Bonn zurück. kurzsichtig und trug Brillengläser bis vier Diop- Der Konzertmeister Franz Anton Ries kümmerte trien. sich um die Zurückgebliebenen und nahm ihm Im Februar 1790 starb der deutsche Kaiser die Sorgen teilweise ab. Joseph II. in Wien. Auch Bonn trauerte; der Kur- fürst Maximilian Franz von Köln war ein Bruder Der Tod des Vaters des Verstorbenen. Die „Lesegesellschaft“ plan- Der Gesundheitszustand des Vaters ver- te eine Gedenkveranstaltung. Sie beauftragte schlechterte sich rapide. Er starb am 18. Dezem- Beethoven mit einer Komposition für die Feier ber 1792 an einer Herzkrankheit, nachdem Lud- und dieser lieferte die „Kantate auf den Tod wig etwas mehr als vier Wochen in Wien war. An Kaiser Josephs des Zweiten“. Offenbar wegen eine Rückkehr nach Bonn wegen des Sterbefalls Schwierigkeiten bei der Einstudierung kam eine hat Beethoven offenbar nicht gedacht. Aufführung zwar nicht zu Stande. Das Stück ist aber eines der ersten bedeutenden Frühwerke, Finanzielle Probleme beim Studium in Wien da Beethoven hier einen persönlichen Stil ent- In Wien hatte Beethoven in der ersten Zeit wickelt, der den späteren „heroischen Stil“ sei- große finanzielle Probleme. Die 25 Dukaten aus ner Kompositionen vorweg nimmt: die „edle Hu- Bonn hatte er Mitte Dezember 1792 schon zur manitätsmelodik“ und den dramatischen Ton. Hälfte für die Miete, das Heizen, das Essen „mit dem Weine“ und für das Mietklavier ausgege- Begegnungen mit Joseph Haydn ben. Das Stipendium des Kurfürsten in Höhe Als Joseph Haydn auf seiner ersten Reise von 100 Dukaten (in Wien 150 Gulden wert) nach London im Dezember 1790 in Bonn Stati- kam nicht an. Sein Geld reichte also nicht und on machte, gab der Kurfürst ihm zu Ehren einen so musste er sich Geld leihen. Haydn persönlich Empfang. Dort traf Beethoven Haydn zum er- half ihm aus. sten Mal. Bei dieser Gelegenheit wird er diesem Im übrigen studierte Beethoven fleißig bei wahrscheinlich seine „Josephskantate“ gezeigt Haydn, aber auch bei andern angesagten Leh- haben. rern in Wien. Nachdem Haydn in London große Triumphe gefeiert hatte und nun auf dem Gipfel seines Intervention Haydns beim Kurfürsten in Ruhmes stand, besuchte er Bonn auf der Rück- Bonn wegen des Stipendiums reise im Juli 1792 ein zweites Mal. Jetzt konnte Haydn sandte am 23. November 1793 einige Beethoven ihm auch noch seine ebenfalls 1790 Kompositionen „meines gnädigst anvertrauten komponierte „Kantate auf die Erhebung Leo- Schülers, der mit der Zeit die Stelle eines großen polds des Zweiten zur Kaiserwürde“ vorlegen. Tonkünstlers in Europa vertreten werde“ an den Haydn war so beeindruckt, dass er den jungen Kurfürsten Maximilian Franz nach Bonn. Er ging Komponisten zu seinem Schüler nehmen woll- auf die nicht ausgezahlten 100 Gulden ein und te. Auf Empfehlung des Freundes und Gönners schreibt: „…um ihn nicht unter die Hände der Beethovens, Geheimrat Graf von Waldstein, Wucherer fallen zu lassen, habe ich theils für ihn 56 NC33 NC33 57 Bürgschaft geleistet, theils in Barem ihm so viel 1815 kam Bonn durch Beschluss des Wiener vorgestreckt, dass er mir 550 Gulden schuldig Kongresses mit dem ganzen Rheinland (und ist, woran kein Kreutzer ohne Nothwendigkeit Westfalen) zu Preußen. verwendet worden ist“. Er schlägt dem Kurfür- sten vor, seinem Bediensteten Beethoven für Beethoven bleibt in Wien das kommende Jahr 1000 Gulden zu überweisen Eine Rückkehr Beethovens nach Bonn war - so kann er (nach Zahlung seiner Schulden) auch unmöglich geworden. Wien blieb der Lebens- zu seinem Anteil kommen. mittelpunkt Ludwig van Beethovens. Die Stadt Wien war, verglichen mit Bonn, nun ein Refugi- Der Kurfürst lehnt ein Stipendium ab – um. Viele Bonner haben sich der Entscheidung Beethoven kehrt nicht nach Bonn zurück ihres Kurfürsten angeschlossen und siedelten Doch der Regent in Bonn ist nicht bereit, in nach Wien über. Darunter Beethovens beide Beethoven weiter zu investieren. Bei einem Be- Brüder und Freunde wie Franz Gerhard Wege- such im Januar 1794 wollte er sich auch davon ler und Christoph und Stephan von Breuning. vergewissern, ob er für Beethoven noch etwas Beethoven arbeitete mit Energie und Disziplin tun sollte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es daran, sich erfolgreich als Pianist und Improvisa- für den jungen Musiker besser wäre, nach Bonn teur, aber auch als Komponist, zu präsentieren. zurückzukommen, um dort seinen Dienst zu tun. Am 18. Dezember 1795 durfte er in der Wiener Der eigenhändige Brief des Kurfürsten an Haydn Hofburg innerhalb eines Haydn-Konzertes erst- endet mit der Feststellung: “Ich fürchte, daß die- mals ein eigenes Werk als Pianist aufführen. ser aufenthalt ihm nicht mehr als sein ersterer Mit Höhen und Tiefen, von Krankheiten und dort genutzt habe“ und Beethoven, genau wie Ertaubung gezeichnet und geplagt, wird er ein von seiner ersten Wienreise, nichts als Schulden bewundernswertes, immer bleibendes, geni- mitbringen werde. ales musikalisches Lebenswerk schaffen. Beethoven dachte nicht daran, sogleich nach Bonn zurückzureisen. Erst wollte er beweisen, Ludwig van Beethoven starb in Wien dass er in Wien erfolgreich sein könnte. Dann am 26. März 1827 mit 56 Jahren. kam alles anders. Literaturverzeichnis Das Ende des Kurfürstentums Köln 1. Verschiedene Herausgeber (aus dem Franzö- sischen übersetzt) Beethoven, Das Genie und Am 3. Oktober 1794 versammelte Kurfürst seine Welt - Verlag Kurt Desch, Wien-München- Maximilian Franz die Bürger der Stadt Bonn auf Basel, 1963 dem Rathausplatz und sprach zu ihnen von der 2. Günther Süßmilch (zusammengestellt) Treppe des Rathauses herab. Die französische Kleine Bettlektüre für alle, die Beethoven vereh- Armee stand vor Köln und auch Bonn war be- ren - Scherz Verlag, Bonn-München-Wien, 1985 3. Dieter Hildebrandt - Die Neunte droht. Der Kurfürst segnete seine Untertanen Carl Hanser Verlag, München-Wien, 2005 und floh auf der anderen, noch sicheren Rhein- 4. Malte Korff seite in seine Heimatstadt Wien. Ludwig van Beethoven, Leben Werk Wirkung Bonn war keine Residenz mehr. Die damit ver- Suhrkamp Verlag, Berlin, 2010 bundenen Institutionen (auch des Hoforchester 5. Kirsten Jüngling - Beethoven, Der Mensch hin- ter dem Mythos - Propyläen Verlag bei Ullstein und die Universität) wurden aufgelöst und ab- Buchverlage Berlin, 2. Auflage 2019 gewickelt. Viele Bürger verließen für immer die 6. Martín Geck - Beethoven: Der Schöpfer und Stadt, vor allem diejenigen, die unmittelbar vom sein Universum - Pantheon Verlag, München, Hofe abhängig waren. 2020 (Originalausgabe Siedler Verlag, München 2027) Am 8. Oktober 1794 kam die französische Ar- 7. Anna Fischer - Die Familie Beethoven im kur- mee in die Stadt. Für zwei Jahrzehnte besetzten fürstlichen Bonn – Die Aufzeichnungen des Bäc- die Truppen Napoleons Bonn. Auch die Existenz kermeisters Gottfried Fischer / Eine Übersetzung des Kurfürstentums endete. Die linke Rheinsei- aus Fischers rheinischem Dialekt von Anna Fi- te wurde 1801 Frankreich zugeschlagen. Die scher nach der Ausgab von Margot Wetzstein, 2006 - Als PDF bereitgestellt durch das Beetho- übrigen Landesteile fielen ab 1803 unter die ven-Haus Bonn, Download 13.07.2020 Säkularisation. 56 NC33 NC33 57 „Ich träume von einer Welt, in der im Konzertleben zeitgenössische und traditionelle Musik zusammenfinden“ Der Komponist Norbert Laufer im NC-Gespräch mit Udo Kasprowicz und Georg Lauer Konzertbesucher schätzen die maßvolle und freundliche Sprache und sein wohl abgewogenes Urteil als Musikkritiker der Rheinischen Post. Hauptberuflich unterrichtet er Violine, Viola, Ton- satz und Komposition an der Städt. Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf, deren halbjährlich erscheinende Zeitschrift TRIANGEL er redaktionell betreut. Einen Namen in der Welt zeitgenös- sischer Musik hat sich Norbert Laufer als Komponist von mehr als 150 klein- bis großbesetzten Werken gemacht. Nach dem Stillstand jeglicher Kulturveranstaltungen in den Monaten März, April und Mai kam es Ende Juni 2020 zu einer zaghaften Wiederbelebung. Die Redaktion folgte einer Einladung ins Palais Wittgenstein, wo am 27.6.2020 die 7. Klangräume Düsseldorf 2020 eröffnet wurden! Der thematische Einfluss der vor 250 Jahren geborenen Hölderlin und Beethoven auf das Programm der veranstaltenden Künstler und Komponisten hatte unsere Neugier geweckt. Über neue und ungewohnte Klänge kamen wir mit dem Komponisten Norbert Laufer ins Gespräch, dessen Werk ,„Was bleibet aber.“ Betrachtungen über Gedichtzeilen von Friedrich Hölderlin‘ für Klavier und Kontrabass an diesem Abend erstmals öffentlich erklang. Im Juli besuchten wir ihn in seinem Meerbuscher „Komponierhäusel“. Die NeueChorszene (NC) wollte zunächst wis- auf die Aufnahmeprüfung in Harmonielehre er- sen, wie unser Gesprächspartner Norbert Lau- schien mir alles logisch und zwangsläufig, etwa fer (NL) vom Geigelehren zum Komponieren wie man einen vierstimmigen Satz schreibt. Die- kam: se Kenntnisse wurden durch Lehrer in der Mu- sikschule vermittelt. NL: Schon mit 15 hatte ich angefangen, Noten Seit ein paar Jahren gebe ich selbst Kurse, um aufzuschreiben, einfach aus dem Gefühl heraus, Schülerinnen und Schüler auf die Aufnahme- etwas müsse heraus. Meine Lehrer in der Teen- prüfung vorzubereiten, unter anderem auch für agerzeit haben mich da sehr unterstützt und da- künftige Studenten der Schulmusik. für gesorgt, dass einige meiner Geigenduos von Schülern gespielt wurden. Ich habe dann nach NC: Beim Blättern in Ihrem Werkverzeichnis dem Abitur zunächst Schulmusik und Englisch wecken viele Titel den Eindruck, dass sie in ihrer und danach wiederum Komposition bei Jürg Musik Gedichte, Alltagserfahrungen usw. verar- Baur studiert und zeitlebens parallel zur Arbeit beiten. Hat Komponieren füie eine lyrische, also und den Alltagsdingen komponiert ... gefühlsäußernde Komponente? NL: Nein, das glaube ich nicht: Titel zu finden NC: ... und wie haben sie als junger Mensch No- fällt mir schwer, wenn ich so einfach ins freie tenschreiben gelernt? Feld hineinschreibe. Wenn ich, sagen wir mal, NL: Durch den Instrumentalunterricht. Alles, was ein Stück für Bassklarinette schreiben soll, dann ich da gesehen habe, habe ich schnell aufgefan- fällt mir zunächst eine Idee ein, ein Motiv, ein gen, ohne dass man das mir irgendwie erklären Rhythmus, ein Intervall. Während das Stück musste. In einem Theoriekurs in der Mittelstufe wächst und wächst, fange ich an zu überlegen, und später in der unmittelbaren Vorbereitung welcher Name sich denn eignen könne. Das ist 58 NC33 NC33 59 NC: Zum Andante der Sonate Köchelverzeichnis 309 sagt Mozart, er wolle es ganz nach dem Cha- rakter des Fräulein Rose Cannabis machen. Hatten Sie für eine Ihrer Kom- positionen schon einmal eine vergleichbare Aus- gangslage? (Wir hören kurz in das aufgezeichne- te Andante hinein.) NL: Wenn es so einen äußeren Anlass gibt, und der kann ja auch darin be- stehen, dass ein Kollege sagt: „Schreib´ doch ein- mal etwas Neues für Gi- tarre“, dann gehe ich mit Der Komponist Norbert Laufer im Juli 2020 beim NC-Gespräch dem Gedanken „Gitarre“ wirklich lange spazieren gar nicht so einfach für mich. Ich versuche dann und irgendwann habe ich so eine Keimzelle. aus dem Stück etwas heraus zu destillieren und Plötzlich ist da etwas, ich beiße mich daran fest setze es als Titel darüber. Es gibt natürlich auch und schreibe es auf. Die weitere Arbeit findet andere Stücke, dazu gehört unter anderem „De- aber dann hauptsächlich innermusikalisch statt. finition eines Regenklanges ohne Heiterkeit“. Ich arbeite an den Motiven, am Rhythmus, an Hier war die Ursprungsidee, Gedichte einer Harmonien, die sich im Laufe eines Stückes wei- Dichterin, die in den 70er Jahren verstorben ist terentwickeln. Immer mit dem Blick auf den ur- und obendrein die Schwester des Gitarristen sprünglichen Gedanken. Ich fühle mich da dem war, der das Stück von mir haben wollte, zum Begriff der „absoluten Musik“ ganz nahe, indem Thema der Komposition zu nehmen und beim ich also von dem Ursprungsgedanken zu abstra- Komponieren als Leitfaden zu betrachten. hieren versuche und nur in der Musik bin. Ich trete sehr gerne mit Musikern in Kontakt, bei denen ich eine gewisse Affinität zu zeitgenössi- NC: Aber muss nicht, um beim Beispiel der scher Musik feststelle, und frage dann: Kann Mozartsonate zu bleiben, das Bild der Mozart- ich Ihnen einmal etwas zeigen? Oder hätten Sie Freundin Rose auch im Kopf der Hörer entste- Interesse, etwas Neues geschrieben zu bekom- hen? men? Daraus kann sich dann etwas entwickeln, NL: Es kann im Hörer nicht entstehen, weil der was aber längst nicht immer gelingt. Da bleibe Hörer nicht weiß, vielleicht auch gar nicht zu ich immer auf der Suche. Anfang des Jahres soll- wissen braucht, dass er da an seine Rose ge- te ich für ein Hölderlin-Programm etwas kompo- dacht hat. Ebenso wenig wie man zum Genuss nieren. Die Besetzung war klar: Kontrabass und der Mozartsonate Rose Cannabis zu kennen Klavier. Dann habe ich bei Hölderlin nachgese- braucht, kann man meine Hölderlinstücke hö- hen und mich dort inspirieren lassen. Wie weit ren, ohne dass man einen Bezug zu Hölderlin man als Außenstehender nachvollziehen kann, hat. was Hölderlins Gedicht-Zitate unmittelbar mit dem Stück zu tun haben, kann ich nicht sagen. NC: Ebenfalls von Mozart ist überliefert, dass er, Für mich waren sie eine Inspirationsquelle. ohne Horn spielen zu können, seinem Freund 58 NC33 NC33 59 Norbert Laufer - ,„Was bleibet aber“. Betrachtungen über Gedichtzeilen von Friedrich Hölderlin‘ mit Theodor Pauß (Klavier) und Jürgen Michel (Kontrabass) - Palais Wittgenstein 27.06.2020 - Videoausschnitt Klangraum 61 - Musikfest Konzert 1 - Hölderlin 1 Joseph Leutgeb einige Kompositionen gewid- mit unserer Vorstellung vom Komponisten in met hat. Auch in Ihrem Werkverzeichnis sind seinem „Komponierhäusel“ nicht zusammen- Kompositionen für eine Vielfalt von Instrumen- passt. Erzählen Sie uns, was es damit auf sich ten enthalten, die sie selbst nicht spielen. hat? NL: Der Kontrabass ist zum Beispiel ein Streich- NL: Es ist zwei Jahre her, dass mich der Pia- instrument und ich spiele selbst ein Streichin- nist Martin Tchiba fragte, ob ich mir vorstellen strument, da kann man bestimmte Dinge über- könnte, während eines Konzertes, das im Radio tragen. Aber ich lasse mich auch gerne beleh- übertragen werden sollte, ein Stück zu kompo- ren. Ich schreibe gerade ein Stück für Klarinette nieren. Nicht zu schwer und vor allem kurz soll- Solo und Streicherensemble für notabu1, das, so te es sein, weil der Pianist es gegen Ende des Corona will, im November uraufgeführt werden Konzertes selbst spielen wollte. So habe ich mir soll. Da habe ich mich dem Klarinettisten Chri- an dem entsprechenden Tag das Konzert ange- stof Hilger zusammengesetzt und er hat mir so hört. Ich wusste auch, worum es in dem Konzert ein paar Dinge vorgemacht. Natürlich habe ich geht. Er hatte selbst so eine Art Keimzelle kom- schon öfter für Klarinette geschrieben. Im Stu- poniert. Alle Stücke, die in diesem Konzert ge- dium hat man ja auch Instrumentations-kunde spielt wurden, waren solche kleinen Stücke, wie gelernt und man kann in dicken Büchern nach- die, die Sie in dem Konzert im Palais Wittgen- lesen, was die Klarinette kann. Hinzu kommt stein gehört haben, und bezogen sich auf diese meine Hörerfahrung. Ich schreibe sogar mehr Keimzelle, die ich natürlich kannte. Die anderen für Instrumente, die ich gar nicht selbst spielen Sachen kannte ich aber nicht. Beim Hören habe kann, als für Geige und Klavier. Da benötigt man ich angefangen zu schreiben. Ich habe auf das als Komponist eine Menge Einfühlungsvermö- reagiert, was ich gehört habe, das eine oder gen. Ich bin zudem nicht unbelehrbar. Wenn andere Motiv übernommen und für mich ver- der Musiker sagt: „Überleg noch einmal!“, dann arbeitet. Ich hatte ca. 1 Stunde Zeit, das Stück überlege ich gern noch einmal. zu schreiben, teils auf dem Papier, teils schon am Computer. Dann musste ich es dem Piani- NC: Eines Ihrer Werke mit dem Titel „Instant sten schnellstens per E-Mail schicken, damit er Composition“ gibt uns ein Rätsel auf, weil es das nach 1 ½ Stunden am Ende des Konzertes 1 notabu.ensemble neue musik Düsseldorf spielen konnte. Das war live. Künstlerische Leitung: Mark-Andreas Schlingensiepen 60 NC33 NC33 61 chen, der dort musikalisch stattfindet. Und so mag dieser Titel dem Hörer einen Verständ- nisansatz bieten.

NC: Vielleicht sind diese im Stück enthaltenen bzw. vom Thema ausgehenden Analyseansät- ze zu verschlüsselt. Erklärt das vielleicht den geringen Zulauf zu den Konzerten mit zeitge- nössischer Musik? NL: Die Sache mit dem Zulauf ist natürlich noch etwas anderes. Das hängt auch damit zusammen, wie sich Konzerthäuser heute verhalten. Das meiste, das in Abonnements- konzerten zu hören ist, spielt sich zwischen 1790 und 1910 ab. Das ist eine viel zu enge Sichtweise. Selbst Haydn wird ja heute kaum Norbert Laufer (*1960) - in an instant - „Instant Composition“ für noch gespielt. Mit Ausnahme von Ádám Fi- Klavier - live komponiert während der Sendung/Veranstaltung „NETZWELLEN“ (2018) - interpretiert von Martin Tchiba im Palais scher, der es jetzt in Düsseldorf macht. Was Wittgenstein 27.06.2020 - Videoausschnitt Klangraum 61 - Musikfest nach 1910 komponiert worden ist, wird nur Konzert 2 - Netz-Werke in ganz geringen Dosen gemacht.

NC: Inwieweit hat der Hörer die Möglichkeit, NC: Wir haben auch ein Abonnement der Düs- eine solches artifizielles Bravourstückchen zu seldorfer Symphoniker und kein notabu-Abon- würdigen? Oder ins Grundsätzliche gewandt: nement. Wir haben uns trotzdem Ihr Konzert Welche Hilfen geben Sie den Hörern, sich mit angehört und uns gefragt, was haben wir uns Ihren Stücken auseinanderzusetzen? da angetan … NL: Beim Kompositionsprozess habe ich einen NL: Sie waren mutig...! potentiellen Hörer im Hinterkopf. Natürlich bin ich zunächst einmal mein eigener Hörer. Ich NC: … neugierig! Auch stand uns das Gespräch setze mich dabei eher weniger ans Klavier. In mit dem Komponisten vor Augen und dem Ziel neuester Zeit, seit die Computer vieles in die- dieser Zeitschrift, den Lesern Themen so zu ver- ser Hinsicht können, lasse ich mir auch schon mitteln, dass sich der ein oder andere auch mal einmal etwas vom Computer vorspielen. Ich einem Konzert mit neuer Musik öffnet. weiß natürlich, dass Livemusik noch einmal NL: Ich bedaure durchaus sehr, dass die Welt ganz anders klingt. Ich versuche, dem Hörer zwischen den Abonnementkonzerten und der eine Möglichkeit zu geben, einzuhaken. Es gibt Welt von notabu und ihresgleichen so getrennt also Strukturen, die der Hörer wiedererkennen sind. Ich träume von einer Welt, in der im Kon- kann. Wenn nicht, auch gut, denn jeder hört zertleben beides zusammen stattfindet. Nur so schließlich anders. kann Neugier geweckt werden. Auch ein Titel ist eine Möglichkeit, dem Hörer eine Verständnishilfe zu bieten. Bei einem Stück NC: Dann muss es auch erklärt werden. für Bassklarinette mit dem Titel „heart.beats“ NL: Natürlich ist die Vermittlung wichtig, sowohl bin ich nicht sofort von dem Titel ausgegangen, seitens der Konzerthäuser als auch seitens der aber im Laufe der Arbeit fiel mir auf, dass die Lehrer. Ich schreibe daher auch gerne Musik für pochende Wiederholung des Tons B wichtig für Schüler. Zum Beispiel kam vor zwei Jahren der den Titel werden könnte. Mal beschleunigt sich Kontrabass-Lehrer Jürgen Michel auf mich zu der Puls, mal wird er langsamer. Man könnte an und sagte: „Ich brauche einmal etwas Moder- einer Stelle sogar von einem Herzinfarkt spre- nes für Kontrabass und Klavier.“ Für den Wett- 60 NC33 NC33 61 Manuskript und (Computer-)Reinschrift (r. S.) aus der Werkstatt des Meerbuscher Komponisten Norbert Laufer bewerb „Jugend musiziert“ wird so etwas immer ger Partner in der Vermittlung moderner Musik. gerne ausgesucht. Da habe ich ihm Stücke für Der Sprachrhythmus, die Stimmung - da sehe seine Schüler geschrieben, die diese erfolgreich ich mich durchaus in der Tradition von Schu- auf dem Wettbewerb gespielt haben. Als Mi- bert. Wir stehen in dieser Tradition und wir chael Krones, Stellvertretender Leiter der Meer- bauen darauf auf. Dass wir uns in der ein oder buscher Musikschule und Lehrer für Blockflöte, an-deren Weise abgrenzen von dem, was vor noch nicht in Meerbusch war, sondern in Swist- uns war, ist nur ganz natürlich. Die Technologie, tal, hatte er ein großes Blockflötenensemble, die Politik, das ganze Leben hat sich weiterent- das aus Laien bestand. Dafür habe ich ihm fast wickelt und so tun es die Künste auch, seien es eine Blockflötensymphonie geschrieben. Solche die bildenden oder seien es die musikalischen. Sachen mache ich sehr gerne. Das ist eine weite- re Facette meiner kompositorischen Arbeit, die NC: Warum ist dieser Weiterentwicklung die pädagogische. Renate Fellner aus Mönchenglad- Harmonie zum Opfer gefallen? bach, eine ehemalige Gesangslehrerin, verfasst NL: Sie ist keineswegs zum Opfer gefallen! auch selbst Lyrik, trat dann an mich heran und Schauen Sie sich einmal die Musikgeschichte bat: „Meine Schülerinnen sollen etwas Moder- der vergangenen 1000 Jahre an unter dem As- nes singen. Könnten Sie nicht einmal?“ Ich habe pekt der Harmonik. Vor 1000 Jahren gab es so mir das angesehen und mittlerweile viele ihrer etwas wie das Quint-Organum, also mehrstim- Gedichte vertont. Es ist ja immer auch die Frage, mige Musik in Oktav- und Quintparallelen. Nach ob ich mit dieser Lyrik etwas anfangen kann. Das der einstimmigen Gregorianik ist irgendwann entscheide ich sehr schnell. Oft sage ich: Dieser jemand auf die Idee gekommen, Mönche mehr- Text braucht keine Musik mehr, er ist an sich so stimmig singen zu lassen. Sie haben zuerst in musikalisch, was soll ich dazu noch machen? In Quinten und Oktaven gesungen. Klavierliedern ist das Wort natürlich ein wichti- (Steht auf und spielt ein Beispiel am Klavier.) 62 NC33 NC33 63 setzt, dann der vermin- derte Septakkord. Im 20. Jahrhundert sind dann noch entferntere Obertonverhältnisse eingeflossen bis hin zur Zwölftonmusik, wo nicht mehr alle Töne auf einen Grundton bezogen werden, son- dern nur noch aufein- ander. Man mag zu dieser Zwölftonmusik stehen wie man will, diese Technik kann ein Hilfsmittel beim Kom- ponieren sein, natür- lich mit ganz anderen harmonischen Resul- taten als 50 oder 100 Jahre vorher. Aber ich finde tatsächlich, dass diese Entwicklung der letzten 1000 Jahre, die Entwicklung zur Mehr- stimmigkeit immer wie- der zur Emanzipation der Dissonanz geführt hat. Wir haben heute die Dissonanz in die aktuelle Komposition integriert. Die Harmo- nik ist also keineswegs auf der Strecke geblie- ben. Sie hat sich wei- NC: Das wurde aber später verboten. terentwickelt. Es ist eigentlich sehr schade, dass NL: Warum zunächst Quinten und Oktaven? viel Musik von der ersten Hälfte des 20. -Jahr Weil es die nächsten Verwandten des Grund- hunderts nicht gespielt wird. Wenn man diese tons sind. Ein paar 100 Jahre später hat auch Musik hören würde, könnte man genau sagen: eine gewisse Revolution stattgefunden. Man hier klingt es noch eher nach Mahler, dort hat hatte plötzlich in Terzen komponiert. Terzen der Komponist mehr in die Zukunft geschaut. waren zur Zeit des Quint-Organums verboten, Übergänge haben stattgefunden, sie werden weil sie als dissonant galten. Man möge sich das heute aber nicht mehr wahrgenommen. Hinde- heute auf der Zunge zergehen lassen. Schon da mith war einer, der felsenfest auf der Tradition hat die Emanzipation einer einstmaligen Dis- stand. Er hat selber eine sehr gute Tonsatzlehre sonanz stattgefunden. Wenn wir weitergehen, geschrieben, hat Tonsatz unterrichtet und sah kam die Septime dazu, die None, und der Trito- sich mit beiden Beinen auf dem Boden der Tra- nus wurde in der Romantik äußerst gerne einge- dition. Aber er hat eben auch weitergedacht. 62 NC33 NC33 63 Die Geschichte und die Literaturwissen- NC: Norbert Laufer schaft denken eher in Brüchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel wird anders ● 1960 in Düsseldorf geboren, geschrieben und geurteilt als vorher. ● 1978-1984 Studium Schulmusik, NL: Ich sehe weniger den Bruch, ich sehe die Anglistik und Pädagogik Evolution. 1945 wurde tatsächlich als Bruch an der Staatlichen Hochschule angesehen, ich bin aber sicher, je weiter die für Musik und an der Universi- Zeit fortschreitet, wird man auch erkennen, tät Köln, dass sich die ganz großen Entwicklungslinien ● 1983-1987 Komposition an der über 1945 hinaus erstrecken. Musikhochschule Köln bei Prof. Jürg Baur, ● 1982-1985 nebenamtliche Unterrichtstätigkeit NC: Nach Einblick in die Werkstatt des Kom- an der Musikschule Attendorn-Finnentrop, ponisten und Einfühlung in die Rolle des ● seit 1985 hauptamtliche Tätigkeit an der Hörers zu guter Letzt einen Blick auf den Städt. Clara-Schumann-Musikschule Düssel- Auftraggeber: Mischt sich z.B. der Meerbu- dorf in den Fächern Violine, Viola, Musiktheo- scher Kulturkreis ein, wenn er Ihnen zum rie und Komposition 40. Jahrestag seiner Gründung einen Auftrag ● seit 1980 Musikrezensent bei der Rheinischen erteilt? Post und NL: Die Uraufführung ist für den April näch- ● seit 2011 Redaktionsleiter der TRIANGEL, Haus- sten Jahres anberaumt, und bis dahin lassen zeitschrift der Clara-Schumann-Musikschule, sie mir freie Hand, was ich auch richtig fin- ● Norbert Laufer lebt in Meerbusch-Osterath. de. Werkverzeichnis (Auswahl): NC: Geben die Auftraggeber ein Motto vor? ● Musik für Soloinstrumente, Kammermusik, NL: Ich habe für diesen Auftrag Kompositi- Orgelwerke, Vokalwerke, Orchesterwerke, onstitel und –techniken gewählt, die mit ei- Musiktheater ner historischen Entwicklung zu tun haben. CD-/Schallplatten-Einspielungen: Wir haben nur über die Anzahl der Minuten ● Sonate für Orgel. Helmut Fleinghaus, Orgel. und über die Länge des Stückes gesprochen, Fono Münster (FSM 68704) damit ich nicht mit einer Dreiviertelstunde ● Definition eines Regenklangs ohne Heiterkeit. komme, wo Zwischenmusiken erwartet wer- Vier Inventionen für Gitarre solo nach Gedich- den. ten von Kristiane Schäffer. Auf: „Regenklang“, Thomas Schäffer: Gitarre; Aarton-Verlag (Editi- NC: Bieten Sie ein Ensemble mit an, das die on Violet) CD 200.060, LC 8900. Komposition aufführt? ● Zwei Choralvorspiele: Kommt herbei, Gehet NL: Ich habe vorher mit Musikern gespro- hin an alle Enden. Auf: alio modo. Johannes chen, in diesem Fall mit dem Cellisten Dan Quack, Orgel. Dohr, DCD 004. Zemlicka und der Harfenistin Uta Deilmann, ● bitS & pieceS. Auf: Orgelmusik trotz Bach. Hel- die das Stück auch spielen werden. Mit dem mut Fleinghaus: Orgel. Ambiente: ACD 1003. Kulturkreis ist verabredet, dass es Künstler ● bitS & pieceS. auf: „Das untemperierte Kla- aus dem regionalen Umfeld sind. vier“, Bernd Wiesemann: toy-piano, CYBELE SACD (Hybrid) 160.501 NC: Wir drücken Ihnen und dem Jubilar die ● „Hope“ aus „Songs of Dark and Light“, auf: Daumen, dass der bereits einmal verlegte „Jugend musiziert, Bundespreisträger 2009“, Festakt zu Stande kommt! Anne Petzsch: Sopran; Josefine Schlätt: Klavier, Herausgegeben vom Deutschen Musik- Alles Gute und herzlichen Dank für dieses in- rat; Aufnahme: WDR 3 teressante Gespräch. 64 NC33 NC33 65 Kultur-Förderung im Geiste Richard Wagners Der Richard-Wagner-Verband Düsseldorf e. V. vorgestellt von Lars Wallerang Richard Wagner war ein glühender Beethoven-Verehrer. Er wollte dort weitermachen, wo Beethoven mit seiner Neun- ten Symphonie angelangt war: in einem Bereich der „Erlö- sung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst“, wie der noch recht junge Wagner in seiner Schrift „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1849) schrieb. Mit diesem Ansatz machte sich Wagner auf den Weg, Kunst- werke zu schaffen, die über die Grenzen jeweiliger Metiers hinausgehen. Literatur, Philosophie und Musik sollten ver- eint sein in einem Gesamtkunstwerk. Wie auch in der „Ode an die Freude“ sollte fortan eine Mission mit der Musik ver- Foto Wikipedia Foto bunden sein. Zu diesem künstlerischen wie gesell- wie zum Beispiel Christian Thielemann, schaftlichen Missionarsweg gehörte auch Bryan Terfel, Jonas Kaufmann, Diana Dam- die kulturelle Förderung junger Menschen. rau, Anja Kampe, Iréne Theorin, Michaele Die Stipendienstiftung wurde auf Anregung Volle, Stefan Vinke oder Waltraud Meier. Wagners selbst 1883 von dem deutschen Industriellen und Mäzen Friedrich Wilhelm Dieser Initiative und Tradition fühlt von Schoen gegründet. Bis heute sind die sich auch der Düsseldorfer Ortsverband Stipendien integraler Bestandteil der welt- (Richard-Wagner-Verband Düsseldorf e.V.) weit verbreiteten Richard-Wagner-Verbän- verpflichtet. Er wurde im Jahre 1950 ge- de. Wagner hatte eine Art „Patronat“ im gründet. Er geht zurück auf eine Vorgän- Sinn. Es sollte zumindest „tüchtigen Freun- gergründung im Jahre 1911. Bis heute den meiner Kunst bei freiem Eintritt, ja fördert der Verband – wie die anderen nötigenfalls durch Übernahme der Kosten 125 Mitglieder der internationalen Dach- der Reise und des freien Aufenthalts“ den organisation (Sitz: Bayreuth) auch – junge Besuch der Festspiele ermöglichen. Musiker (vor allem Gesangsstudenten) und andere Kulturschaffende. Hauptbestand- Heute vermittelt diese Stiftung alljährlich teil des Stipendiums ist ein mehrtägiger 250 jungen Sängern, Musikern und sonsti- Aufenthalt in Bayreuth mit Besuchen der gen Bühnenschaffenden aus aller Welt den Wagner-Festspiele auf dem Grünen Hügel, Besuch von mehreren Aufführungen der verbunden mit einem Rahmenprogramm Bayreuther Festspiele und verschafft ihnen inklusive der Einführungskurse. Der Orts- damit wertvolle Impulse für den weite- verband entsendet und übernimmt die ren künstlerischen Werdegang. Zahlreiche Kosten von zurzeit jährlich vier Stipendi- ehemalige Stipendiaten waren oder sind atinnen und Stipendiaten, bevorzugt aus Mitwirkende der Bayreuther Festspiele, Düsseldorf oder der Region. 64 NC33 NC33 65 9. Mai 2019 Stipendiatenkonzert des Richard-Wagner-Verbandes Düsseldorf e.V. mit den Stipendiaten des Jahres 2019 im Partika-Saal der Robert Schumann Hochschule, v. l. William Drakett (Stipendiat 2018), Sara Pavlović, Klavier, Anna Rabe, Sopran, Jakob Wagner, Gitarre, Sophia Aretz, Flöte, und Tomas Kildišius, Bass-Bariton (Stipendiat 2020) Foto: Richard-Wagner-Verband Die Stipendiaten bedanken sich alljähr- des späten Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ lich mit einem Konzert im Partika-Saal der durch die Musikwissenschaftlerin Ulrike Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Kienzle. Als großer Kassenmagnet erwies an der viele der Wagner-Stipendiaten Mu- sich der Besuch der Wagner-Urenkelin Nike sik studieren. Diese Konzerte gehören zum Wagners im Ibach-Saal. Grundstock des umfangreichen Veranstal- tungs-Programms, mit dem der Düsseldor- Die Programmgestaltung für das Jahr fer Wagner-Verband das städtische Kultur- 2020 gestaltete sich bislang schwierig, da leben vor allem um Fachvorträge rund um aufgrund der Covid-19-Pandemie geplante Leben und Werk Richard Wagners ergänzt. Veranstaltungen ausfallen bzw. verscho- ben werden mussten. Dazu gehörten das In den vergangenen Jahren hatte der für Mai 2020 geplante Stipendiatenkon- Verband zahlreiche renommierte Vertre- zert und Jürgen Schläders Vortrag: „Vom ter geisteswissenschaftlicher Lehrbereiche Scheitern der Liebe zur Verklärung des To- zu Gast: Professoren wie der Musik- und des - Moderne Duett-Strategien in Giaco- Theaterwissenschaftler Jürgen Schläder mo Meyerbeers ,Hugenotten‘ und Richard gehört zu den regelmäßigen Referenten. Wagners ,Tristan und Isolde‘“. Dieser Vor- Zu den Höhepunkten der öffentlichen Ver- trag ist nun für den 19. Oktober 2020, 19 anstaltungen zählt Schläders Vortragsreihe Uhr, im Ibach-Saal des Stadtmuseums ge- rund um Wagners „Ring des Nibelungen“. plant. Noch in diesem Jahr soll die Opern- Ein besonderes Highlight war auch eine sängerin Christa Mayer zu Gast sein. Einen feinsinnige Betrachtung und Beleuchtung konkreten Termin gibt es dafür aber noch 66 NC33 NC33 67 Die Förderung des Ver- ständnisses des Wirkens Richard Wagners und die Unterstützung besonders begabter und an Wagner interessierter Jungmusi- ker soll weiterhin oberstes Ziel der Verbandsarbeit bleiben. 163 Mitglieder zählt der Ortsverband gegenwärtig – eine - ver gleichsweise kleine Zahl, hat Düsseldorf nicht zu- letzt durch die Deutsche Oper am Rhein eine lange Wagner-Tradition. Inso- fern hofft der Verband auf Im April 2019 war Prof. Dr. Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfestes Zuwachs – auch um die Bonn, Vortragsgast beim Richard-Wagner-Verband Düsseldorf, an ihrer Sei- Zahl der Stipendiaten -er te der Düsseldorfer Verbandsvorsitzende Gisbert Lehmhaus. Foto RWVD höhen zu können. Je nach nicht. Das Programm für das Jahr 2021 ist Kassenlage schwankt die Zahl zwischen in Planung: Erwartet werden Gäste wie vier und fünf jungen Talenten, denen der die Regisseurin Susanne Hartmannshenn Bayreuth-Aufenthalt ermöglicht werden und der Opern-Experte Jürgen Ern. Zu den kann. Je größer die Zahl der Geförderten, Ideen fürs kommende Jahr gehört auch die desto reichhaltiger gestalten sich auch die Kombination „Jazz und Wagner“. öffentlichen Stipendiatenkonzerte.

Eine wichtige Komponente des -Ver Richard-Wagner-Verband Düsseldorf e. V. Der Vorstand: bandslebens sind auch Zusammenkünfte der Mitglieder. Neben der alljährlichen Vorsitzender Mitgliederversammlung sowie einer Ad- Gisbert Lehmhaus ventsfeier gibt es auch einen monatlichen Stv. Vorsitzender „Opern-Stammtisch“ in der Düsseldorfer Dr. Lars Wallerang Gaststätte „Hirschchen“. Darüber hinaus Schriftführerin organisiert der Ortsverband Studienreisen Carola Hartwich-Ertürk zu Orten, die mit Leben und Werk Wagners Schatzmeister in Verbindung stehen. Eine kleine Delegati- Thomas Kalk on aus Mitgliedern des Vorstandes bezie- Künstlerischer Berater des Vorstands hungsweise des Verbandes ist auch jedes Prof. Konrad Jarnot , Robert Schumann Hochschule Düsseldorf Jahr im Rahmen der Bayreuth Festspiele bei den Stipendiaten zwecks informeller Ehrenvorsitzende Betreuung und Kontaktpflege – was in die- Lotte Zahn † 03.12.2018 sem Jahr aus den bekannten Gründen lei- Homepage: www.rwvduesseldorf.de der nicht stattfinden konnte. Facebook: Richard-Wagner-Verband Düsseldorf e. V. 66 NC33 NC33 67 Gegründet vor 100 Jahren Das 1. Düsseldorfer Mandolinen-Orchester Ein Düsseldorfer Gewächs mit internationalen Verbindungen von Andreas Stevens-Geenen Bei meinen Recherchen über die Geschichte Am Nikolaustag des gerade beendeten Jah- der Gitarre bin ich bei verschiedenen Gelegen- res 1919 hatte sich in Leipzig gerade erst der heiten schon mehrfach auf Mitglieder dieses Or- Deutsche Mandolinisten- und Gitarristenbund chesters gestoßen. Was mich aber diesmal dazu gegründet. Im August des Folgejahres fand in veranlasst meine bisherige Spurensuche zusam- Coburg die offizielle Gründungsfeier statt, die menzufassen und hier vorzustellen, ist zum einen Düsseldorfer Gründung lag deswegen ganz die Wiederkehr der Gründung dieses Klangkör- dicht am Geist der Zeit.4 Am 14. August 1923, pers vor 100 Jahren und ein Fund im digitalen Ar- drei Jahre nach seiner Gründung, wurde das chiv des Museu de la Musica in Barcelona. 1 1. Mandolinen-Orchester mit der Nummer Aber beginnen wir erst ein- 439 schließlich ins Vereins- mal mit dem Blick auf diesen register eingetragen wurde.5 besonderen Klangkörper Man- Als Postanschrift wurde die dolinen-Orchester, diese En- Adresse des Glasers Wilhelm sembles setzen sich aus Man- Claus in der Krahestrasse dolinen (Mandoline 1, Mando- 31 angegeben, der bis 1930 line 2), den tiefer- gestimmten Vorsitzender des Orchesters Mandolen, Gitarren und einem war. Geprobt wurde wö- oder mehreren Kontrabässen chentlich im Lokal Schnellen- zusammen und firmieren gele- bach auf der Himmelgeister gentlich auch als Zupforchester. Straße Ecke Kopernikusstra- Je nach Komposition können ße. Ab 1927 dann bei Kra- noch andere Soloinstrumente nefeld (später „Osthoff“) an wie Flöte hinzukommen. Man- der Ecke Elisabethstraße/ dolinenorchester erfreuten Kirchfeldstraße und zuletzt, sich einer großen Beliebtheit bis sich die Spur des Orches- im Laienmusikbereich und ters verliert, im Düsseldorfer auch heute noch sind einige Hof auf der Martinstraße 34. mit einer langen Tradition oder In den Jahren 1931-1933 auch als Neugründungen aktiv. war der Werkzeugmacher Wie so vieles in Deutschland Karl Düllenberg Vorsitzen- gibt es auch einen großen Ver- der. band, der Bund Deutscher Zupfmusiker, in dem Am 16. November 1930 fand dann ein Kon- Musiker ihre Anliegen verfolgen.2 So gründete zert im Ibach-Saal (Bleichstr.23) statt, zu dem sich also auch in unserer schönen Stadt am Rhein man als Solisten den weltberühmten Gitarris- vor hundert Jahren zum ersten Mal (?), worauf ten Miguel Llobet aus Barcelona eingeladen man voller Stolz im Namen hinwies, ein derarti- hatte. Die zu diesem Anlass gedruckte- Fest ges Orchester. Dabei hatte es bereits vorher ab schrift hat sich in der digitalen Sammlung font 1915 das Mandolinen-Orchester Frisch auf in De- Miguel Llobet des Musikmuseums in Barcelo- rendorf und ab 1919 den Wander-und Mandoli- na erhalten und so kann man seit kurzem das nenverein Gut Pfad gegeben.3 Programm des vor 90 Jahren stattgefundenen 1 https://arxiu.museumusica.bcn.cat/information- Konzerts nachlesen. object/browse?collection=213128&view=card&onlyM edia=1&topLod=0&sort=alphabetic&sortDir=asc chen Archiv hervorgeholt hat. 2 https://zupfmusiker.de/ 4 Thilo Fitzner: 100 Jahre Bund Deutscher 3 An dieser Stelle sei Herrn Karsten Lehl herzlichst Zupfmusiker in Auftakt S. 5-11 gedankt, der mir diese Daten aus seinem unerschöpfli- 5 Siehe Fußnote 3. 68 NC33 NC33 69 Das Konzert ist im Zusam- bet eine ziemlich große Anzahl menhang mit einem im Früh- von Konzerten, die vorwiegend jahr gestarteten Aufruf in der von Gitarre- und Mandolinen- Verbandszeitschrift der Gitar- vereinen durchgeführt werden. ristischen Vereinigung in Mün- Der Künstler wirkt entweder bei chen Der Gitarrefreund, zu ver- den Vereinskonzerten mit, oder stehen. Dort hieß es „Professor er bestreitet allein das ganze Miguel Llobet, der spanische Programm.“7 Meister des Gitarrenspiels, In der Liste der zu diesem wird im Herbst dieses Jahres Zeitpunkt geplanten Konzerte wieder in Deutschland konzer- war allerdings Düsseldorf noch tieren. Im Anschluß an bereits nicht aufgeführt. Zu diesem festabgeschlossene Konzerte Termin 16. November stand in Berlin, Hamburg, Hannover, Kassel auf dem Plan, dieses Regensburg, München, Inns- Kasseler Konzert wurde zu bruck, Linz a.D., Schärding am Gunsten Düsseldorfs auf einen Inn, wären weitere Konzerte späteren Zeitpunkt verlegt. sehr zu begrüßen und es wer- Das Düsseldorfer Orchester den daher alle Gitarrenvereine ließ es sich nicht nehmen, bei höflich gebeten, sich wegen dieser Gelegenheit die Beiträ- einem Konzert mit der Tour- ge des weltberühmten Solisten neeleitung: Bayerische Konzertdirektion: H. musikalisch einzurahmen. Zu Beginn erklang Gensberger, München, 2 SW6, Haydnstr.12 in somit die Ouverture „Wenn ich König wär‘“ von Verbindung zu setzen.“ 6 Adams, es dürfte sich dabei um den Komponis- Diese Initiative erwies sich als sehr wirkungs- ten Adolphe (Charles) Adam (1803-1856) han- voll, denn bereits in der nächsten Ausgabe des deln, dessen Ouvertüre aus „Si j’étais roi“ sich Gitarrefreundes stand zu lesen „Erfreulicherwei- damals einer großen Beliebtheit erfreute. Been- se umfaßt die diesjährige Herbst-Konzertreise det wurde der erste Teil mit einer vom Orches- des spanischen Gitarresolisten Prof. Miguel Llo- terleiter Heitmann für Mandolinenorchester be-

6 Der Gitarrefreund Heft 5/6 S.142 7 Der Gitarrefreund Heft 7/8 1930 S.158

Abb.1: 1.Düsseldorfer -Mandolinen-Orchester (ohne Datum). Mit Pfeil markiert Carl Luven. Der Orchesterleiter Johannes

Heitmann hat es sich als Paukist nicht nehmen lassen, seinem Instrument einen gebührenden Platz zu reservieren! 1 1 Mein besonderer Dank geht an Regine Neubert, die mir freundlicherweise die beiden Fotos ihrer Großeltern zur Verfügung gestellt hat. 68 NC33 NC33 69 arbeiteten Fantasie aus Hoffmanns Erzählungen. Dann trat Miguel Llobet auf und trug neben Ori- ginalkompositionen von Fernando Sor, Napoleon Coste und seinem Lehrer Francisco Tárrega, seine Bearbeitungen eines Bach Preludes und Mozarts Andante aus seinem Don Juan vor. Der Aufbau des zweiten Teils war identisch angelegt. Zuerst begann das Orchester mit dem Walzer Tout Paris des französischen Walzerkönigs Émile Waldteufel und am Schluss folgte dann eine Fantasie über aus Puccinis La Bohème entnommen Themen. Llobet stellte dann nach einer Barcarolle von Mendels- sohn vorwiegend Musik seiner spanischen Hei- mat vor Torre Bermeja von Albéniz, ein Allegro von Moreno-Torroba, dann eine Argentinische Weise, die von A. Broqua für Llobet geschrieben war. Und zum Schluss seines Auftritts zwei Kata- lanische Weisen, die er selber einzigartig für sein Instrument eingerichtet und harmonisiert hat. Nicht fehlen durfte der bewährte Rausschmei- ßer Jota, ein wirkungsvoller spanischer Tanz, der sich längst schon in allen Konzertsälen weltweit bewährt hatte. Dirigiert wurde das Düsseldorfer Mandolinen-Orchester, das laut Programm Mit- glied des Stadtausschusses für Jugendarbeit war, vom Kammermusiker Johannes Heitmann, der als ten. Es gibt einige Stücke von ihm, angekün- Pauker Mitglied des Städtischen Orchesters und digt als Effektvolle Mandolinenmusik, die im als Lehrer für Schlagzeug am Düsseldorfer Kon- Selbstverlag Düsseldorfer Mandolinen und servatorium tätig war.8 Wann und unter welchen Lautenmusik erschien, seine Adresse (Mar- Umständen Heitmann nach Düsseldorf kam, liegt kenstrasse 4) ist auf der Titelseite als Bezugs- noch im Dunklen. quelle genannt. Die Festschrift zum Konzert weist noch eine Bisher sind von ihm bekannt: Anzeige auf ein Spezialhaus für Zupf-Musik, das - Magnifique Printemps Frühlingszauber, an der Kölnerstraße 79, Ecke Worringerplatz lag. Walzer op. 1 Inhaber war der nach dem 1.Weltkrieg, mögli- - Alt Düsseldorf, Marsch op.2 (Meinen lieben cherweise aus dem sächsischen Musikinstrumen- Freunden in schöner Erinnerung gewid- tenbauzentrum Markneukirchen nach Düsseldorf met),- Rhein-Wein-Geister Walzer op.3, gekommene Emil Schmidt. Es schien also ein so - Reve d’amour, Walzer op.4, großer Bedarf in der Stadt vorhanden gewesen - La Danse de Mouches, Polka Brillante - zu sein, dass ein Fachgeschäft für die Liebhaber op.7 (Meinem lieben Kameraden Adolf dieses Instrumentariums existieren konnte. Kirchner freundlichst zugeeignet), - Kosakenblut, Bulgarisch-Russischer Ori- ginaltanz op.9 (meinen lieben Freunden Iwan Woynoff, Tschakoff und Lokitek zuge- eignet) - Deutscher Mandolinisten-Marsch op.15, 1934 im Suppan Verlag veröffentlicht.9

Ein weiterer Beleg für diesbezügliche musikali- Welchen Platz Volmert innerhalb dieser sche Aktivitäten in Düsseldorf sind einige Kompo- Zupfmusikaktivitäten zuzuordnen ist, ob er sitionen von Willy Volmert, dessen biografische einem der Düsseldorfer Mandolinenorches- Daten bislang noch nicht geklärt werden konn- ter nahestand, bleibt vorerst ungeklärt. 9 Mein Dank geht an Michael Reichenbach, der die 8 Auch diese Informationen verdanke ich Herrn Karsten Lehl. Werkliste Volmerts ergänzen konnte. 70 NC33 NC33 71 Dass es bei den Proben nicht nur um die Musik ging, belegt die Eheschlie- ßung von Carl Luven, der in diesem Orchester Gitarre spielte und Ida Hankel, die ebenfalls Gitarre spielte. Beide lernten sich in diesem Orchester kennen und heira- teten 1929. Carl Luven hatte zusam- men mit anderen Düssel- dorfer Gitarristen aus dem Orchester bei Baldomero Zapater, einem blinden spa- nischen Gitarristen, der ab 1909/10 als Esperantolehrer nach Köln gekommen war, Abb. 2: 1.Düsseldorfer- Mandolinen-Orchester (Januar 1924). Markiert ist Unterricht. Ida Hankel später Luven nach ihrem ersten Konzert im Orchester. Zapater war selber mit den anderen spani- Wie dem auch sei, die beiden Spanier hatten schen Gitarristen bestens vertraut und es ist schon bald wieder Gelegenheit, sich auszutau- auch möglich, dass er die Verbindung zu Llobet schen, denn am 23.November fand in Köln im hergestellt hatte, da Llobets erstes Konzert in Großen Lesesaal der Kölner Lesegesellschaft Deutschland in Barmen bereits im März 1912 das Jubel-Konzert zum 25 jährigen Bestehen stattfand. Die Münchner Gitarristische Vereini- des Kölner Mandolinen-Kränzchen 1905 statt. gung hatte den spanischen Meister erst ein Jahr Auch bei diesem Konzert trat der Meister aus später nach München geholt Barcelona auf. Möglicherweise erkennen aufmerk- same Leser*innen einige ihrer „Alt- vorderen“ auf den Fotos, oder haben noch Relik- te aus dieser Zeit die weiterhelfen können. In diesem Fall würde sich der Autor über eine Kontaktaufnahme freuen.

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70 NC33 NC33 71 „Keine tauben Ohren, sondern schön offene…“ schrieb Stefanie Bertram aus Düsseldorf am 9. Juni 2020 ... meinte Georg Lauer bei mir erreicht zu ha- so nah… wäre es nicht aufregend, selber zu sin- ben, als er mich um einen persönlichen Beitrag gen? Ich ging in die Johanneskantorei und freu- für die NeueChorszene bat. Ausgerechnet mich, te mich über jede Probe, wo ich meine Aerosole den Neuling im Sopran II, der gerade mal das im Raum verströmen durfte. letzte Konzert, den so besonderen Zemlinski, In der Tonhalle ließ ich mir kaum ein Konzert mitgesungen hat. Und das auch noch in einer entgehen, vor allem, wenn meine Kollegen, die Zeit, in der ich nicht einmal meine Berufstätig- Düsys spielten. Wo kommt denn dieser riesige, keit als Opernsouffleuse ausüben kann. Wegen gute Chor eigentlich her? Sind das Profis? Könn- des Phänomens, das unser Leben komplett um- te ich eventuell sogar da…? Mein Respekt wuchs gekrempelt hat. mit der „Auferstehungssinfonie“ von Mahler Bis ich beim Städtischen Musikverein zu Düs- und kannte bei der „Mass“ von Bernstein kein seldorf angekommen bin, habe ich einige ver- Halten mehr. schlungene Pfade durch die Musikwelt auspro- Zudem beobachtete ich so gerne Adam Fi- biert. Da war schon lange die Geige mit dabei, scher dabei, wie er mit den Musikern kommu- im Rucksack auf dem Rücken, oft waren wir mit nizierte, herrliche Farben entstehen ließ und dem Fahrrad unterwegs und irgendwann hing alle in tiefem Ausdruck zusammenführte. Was auch die noch schwerere Bratsche über der für ein Traum, einmal unter seinem Dirigat zu Schulter. Viel hoffnungsvolles Bergauf und stür- singen, vielleicht… misches Bergab mit Tonleitern, Etüden, Orches- Bei so viel Motivation fehlte nur noch, dass tern, Geigenstunden, Vorspielen und weiter in mir die NeueChorszene in die Hände fiel. Das andere Städte mit anderen Orchestern. Dadurch passierte prompt und ich staunte über so viele lernte ich in fremden Städten praktischerweise gut recherchierte Artikel und dachte, das ist ja auf einen Schlag viele Menschen kennen, die auch noch toll geschrieben! Und es stand sogar alle Musik lieben. Spannendes über die Oper drin, das gab bei mir Der Berg ruft! Welcher? Mein Berg war die dicke Sympathiepunkte für das Heft! Was für ein große, üppige Oper, sie zog mich magisch an. Chor! So kam es zu meinem Eintritt, und des- Ich brach auf nach Hamburg, um Regie für Mu- halb darf ich ab jetzt nicht mehr zu doll prahlen, siktheater zu studieren. So schnell sind fünf denn das gehört sich ja wohl nicht. Jahre vorbei? Dann nichts wie rein in die Praxis, Durch den Künstlereingang in die Tonhalle zu der erste Vertrag als Regieassistentin in Lübeck, gehen, war ein prickelndes neues Gefühl. Für alle den Theateralltag lernen, und weiterziehen zu anderen war es so was von normal. Ich war von größeren Häusern: Hallo Freiburg, Servus Graz, der puren Menge der Sänger*innen überrascht. Guten Tag Hannover. Immer neue Opern, neue Es stellte sich übrigens später heraus, dass nach Sänger und Dirigenten und neue Freunde. Der dem Zemlinski-Projekt noch wesentlich mehr Berg Oper ließ mich immer mehr Facetten, The- auftauchten. Der „13. Psalm“ von Zemlinski men und Landschaften entdecken, mal mehr stellte sich nach dem Öffnen des blauen Co- auf der Höhe und mal in der Tiefe… bis hin zur vers als ziemlich bunt und harmonisch sperrig Froschperspektive, die ich beim Soufflieren ken- heraus. Es fiel mir schwer, meine Stimme vom nenlernte. Die Deutsche Oper am Rhein suchte Blatt zu singen, alle nicht getroffenen Töne hät- eine Souffleuse und ich ein Zuhause für länger. ten einen kleinen Haufen unter meinem Stuhl So wurde ich Maestra suggeritore und lernte, bilden können. Mit offenen Ohren bemerkte ich die Froschperspektive zu lieben. Den Sängern zwei Dinge: für viele meiner Mitstreiter war es

72 NC33 NC33 73 ebenfalls eine echte Herausforderung, welche darf nicht mehr spielen. Da nicht einmal szeni- Erleichterung, und mit geduldigem Hinhören sche Proben stattfinden können, die sonst einen stieg meine Trefferquote. Großteil meiner Arbeit ausmachen, arbeite ich Zu Hause hörte ich auf youTube den Psalm gar nicht, bin eine Weile in Kurzarbeit. Normaler- in zwei Versionen an, eine davon war sogar mit weise würde ich „Falstaff“ proben, eine geniale, meinem neuen Chor! Was für ein herrliches komische Oper vom alten Verdi, frei übersetzt: Stück, ein Gebet, eine mitreissende Musik! „Alles ist Narrheit, alle sind verrückt“, das wür- Ich kenne nicht viele Stücke, die in einer Vier- de mir jetzt gut gefallen! Ich hätte Vorstellungen telstunde eine derartige Entwicklung erlebbar zum Beispiel mit „Der fliegende Holländer“ und machen. Von tiefer Verzweiflung, fast erstarrt „Cenerentola“. Wenn sich das Opernhaus lang- vor Traurigkeit, geht ein Mensch durch die sam füllte und eine erwartungsvolle Spannung Enttäuschung zum Aufbegehren und über den in der Luft liegen würde, begänne mein Abend. Zweifel zur Hoffnung und dann ahnt man es, am Mir fehlt es, vor Beginn die Kollegen zu treffen Ende muss die strahlende Gewissheit stehen. und sich gegenseitig „Toi toi toi“ zu wünschen, Von ppp zu fff! Ab da freute ich mich auf jede wobei wir uns umarmen würden und über die Probe. Unser Chorleiter Dennis Hansel-Dinar Schulter spuckten, natürlich nur mit ganz klei- zog viele wirksame Dinge aus seiner reichhal- nen Tröpfchen. In meinem Souffleurkasten wäre tigen Trickkiste, um uns und die Musik zusam- es eng, und auf dem hydraulischen Stuhl lägen menzuführen. Jede Nuance, die gelang, war für ein paar Schrauben von den Technikern oder mich Grund zur Freude. Ein schwarzes, langes Schnee oder eine Blume von der letzten Vorstel- Kleid? Fehlanzeige. Mit dem ausgeliehenen lan- lung. Ich würde die schwer gängige Notenabla- gen Rock sah ich immerhin aus, als würde ich ge in Position zerren und meinen Klavierauszug dazugehören. Plötzlich Lampenfieber und das darauflegen, hatschi, das wäre die Staubwolke. Bewusstsein, gleich ist es da, mein erstes Kon- Es würde nach Oper riechen. Im Saal würde es zert mit euch. Warten, warten auf der Treppe, still, ich schaute auf meinen Monitor, hörte den auftreten, dem Orchester bei Dvorak zuhören, Applaus, da käme der Dirigent und dann sähe akklimatisieren, tief durchatmen und los. Zem- ich ihn ganz klein im Bildschirm. Erwartungsvoll linski, mit schön offenen Ohren das Vorspiel atmeten alle ein, der Dirigent, die Orchestermu- hören, die erste Phrase singen… es war berau- siker und ich mit. Musik! Die Ouvertüre erfüll- schend, auf dem Balkon zu stehen, geborgen te das Opernhaus, ich befände mich mitten im im Klang der anderen Sänger, vor uns das Or- Klang des Orchesters. Der Vorhang öffnete sich, chester, David Reiland schaute uns an, die Ton- ich schaute zum ersten Mal auf die Bühne, ob halle war voll, alle schauten uns an, ich spürte alle Sänger an ihrem Platz wären, ließe meine das Publikum und war ganz konzentriert bei mir Augen einmal über das mir bekannte Bühnen- und gleichzeitig ein winziges Teilchen von dem bild schweifen. Ich würde das erste Wort sagen, ganzen Geschehen. Grandiose Musik. Applaus. Das war ein schönes erstes Konzert. Glücklicherweise habe ich keine tauben Ohren! Die hatte ich auch nicht, als ich Oper und Sänger für mich entdeckte. Im Musiktheater erlebe ich jedes Mal eine Geschichte, sehe han- delnde Personen, die meine Empathie hervorlocken. Ein Gesamtkunstwerk, so viele Menschen, so viele Bausteine für das Ganze, mehr geht nicht. Aber weniger geht, nämlich gar David Reiland dirigiert am 4., 6. und 7. Oktober 2019 in der Ton- nichts. Lock-down, Aus-Zeit, die Oper halle Dvorak, Zemlinski und Schumann Foto S. Diesner 72 NC33 NC33 73 gibt musikalischen Trost für mich, ich mache viel Kammermusik in echten Wohnzimmern mit Musikerfreunden. Meistens handelt es sich um Streichquartette. Was spielen wir heute? Beet- hoven Opus 132. Schnell noch ein paar schwere Passagen üben… nicht mit tauben Ohren. Ich gebe es zu, die Auszeit hat ihre guten Sei- ten. Nie wieder werde ich die Ratinger Straße und die Altstadt so ruhig erleben. Was alle ma- chen, tut mir ebenfalls gut, Fahrrad fahren und spazieren gehen. Ich entdecke die Umgebung, das wird ja mal Zeit! Kennst Du die 6-Seen-Plat- te oder Schloss Heltorf mit dem blühenden Rho- dodendronpark? Ja, jetzt schon! Und den Süd- park und Kaiserswerth und Schloss Burg… Mir war es in der Auszeit nie langweilig. Mit ein paar Stefanie Bertram - die „Neue“ im Sopran 2 Foto: privat Menschen war der Kontakt ja noch erlaubt. Die den Einsatz geben, der Sänger brächte die erste Beziehung zu diesen fand ich in den letzten Wo- Phrase zu Gehör. Wie vertraut mir jede Stimme chen intensiver als vorher, das kam wohl gerade wäre, mit schön offenen Ohren würde ich die durch die Beschränkung. Überraschenderweise momentane Verfassung des Sängers erkennen. habe ich gemerkt, wie sich, weil ich weniger Ter- Ich behielte alle im Auge, wer singen müsste, mine, also mehr Ruhe und Zeit hatte, ein beson- bekäme meinen Blick und meinen Einsatz, den deres Freiheitsgefühl in mir breit machte. Als Text auftaktig im Rhythmus, damit der Sänger Kind hatte ich ein ähnliches Gefühl am Anfang gar nicht anders könnte als richtig einsetzen. der endlos scheinenden Sommerferien… daran Die Impulse und Tempi des Dirigenten nähme hat mich das Jetzt immerhin erinnert. ich ständig auf und im Klangstrom des Orches- Was? Ihr wundert euch, dass ich den Musik- ters würde ich mitschwimmen. Wie mitreissend verein gar nicht vermisse? Doch, ich vermisse Oper ist! Es gäbe keine andere Welt als diese euch und das Singen! Ich glaube, es wird wun- für mich, bis der Applaus uns alle zurück in die derbar werden, wenn wir alle zusammen mit Realität holte. Das fühlte sich nach freudiger schön offenen Ohren… Erleichterung an, auch eine Prise Stolz wäre dabei auf die Leistung von uns allen. Nach der letzten Verbeugung liefe ich zu den Sängern auf die Bühne, würde gratulieren und umarmen und freute mich über jedes Danke an mich. Ein bisschen feiern, ein kühles Bier, und ein paar lustige Geschehnisse oder Pannen wieder aufleben las- sen und lachen, das wäre ein toller Ausklang des Abends. Statt dessen sitze ich zu- Der Chor des Städtischen Musikvereins und die Düsseldorfer Symphoniker un- hause am Computer und ter der Leitung von David Reiland bei der Aufführung von Alexander Zemlinskys schreibe darüber. Doch es „13. Psalm“ am 4., 6. und 7. Oktober 2019 in der Tonhalle Foto S. Diesner

74 NC33 NC33 75 AMELIA MARIA VASQUEZ RENDON Die Musik ist mehr als ein Beruf, sie ist eine Lebenseinstellung La música más que una profesión es un estilo de vida Das ist spanisch Karl-Hans Möller

Schon die Begegnungsphase zu unserem viel länger als geplant dauernden Gespräch gestaltete sich schwierig und ließ sich nur durch Handyannäherung erfolgreich ab- schließen. Wie soll man sich – vorschriftsmäßig maskiert – im Bahnhofsgetümmel finden, vor allem, wenn man bei Proben an der jeweils entgegengesetzten Seite des Hentrich-Saales seinen Platz hat und mit der weniger als halb so alten Interviewpartnerin in einem immer dreistel- lig besetzten Chor erst seit eineinhalb Jahren gemeinsam musiziert. Aber so schnell wir uns dann doch fanden, so schnell haben wir festgestellt, dass es nicht nur der Hit- ze wegen kein Eis zu brechen, sondern solches lieber zu bestellen gab. … erst mal lesen, was er so über meine Freundinnen geschrieben hat.

Hoch(wohl)geboren So eine junge Rola sitzt drei Tage vor ihrem 30. Geburtstag mit mir in einer Eisdiele und Sie ist mit größter Wahrscheinlichkeit die erzählt mir in nahezu akzentfreiem Deutsch, höchstgeborene Dame, die in den 202 Jahren warum sie ihre Absicht, den klassischen euro- des Bestehens des städtischen Musikvereins zu päischen Operngesang in Italien zu studieren, Düsseldorf gesungen hat, und dieser Superlativ ausgerechnet ins Ruhrgebiet verlagert hat und lässt sich auch auf die Herren Tenöre und Bässe dies keine Sekunde bereut. Ihre Freundin und ausdehnen, es sei denn, es hätte einmal einen Kollegin Mirjana Burnaz-Kremshovski wusste ja Menschen im Konzertchor gegeben, dessen bereits in der vorherigen Ausgabe der Neuen Wiege in Nepal, Tibet, Kirghistan oder Bolivien Chorszene meine gute Meinung über die Esse- gestanden hat. Das ist natürlich kein soziales ner Folkwang-Universität der Künste eindrucks- Attribut für einen etwaigen Adels-Stammbaum, voll zu untermauern. Und doch ist es schön, die sondern eine profan geografische Feststel- weite Verbreitung des begründet guten inter- lung. Stolze 2.640 m über dem Meeresspiegel, nationalen Ranges deutscher Gesangsausbil- also auf einer Ebene in anspruchsvoll alpiner dung gerade von jungen Künstlern bestätigt zu Höhe liegt Bogotá, die in den Anden versteck- bekommen. te Hauptstadt des nordwestsüdamerikanischen Ein im Lande Verdis und Puccinis lebender Staates Kolumbien. und arbeitender kolumbianischer Sänger war so Die „costeños“, die Einwohner der an der Pa- weitsichtig, sie nicht nach Italien zu locken, son- zifikküste im Westen und der karibischen Atlan- dern ihr eine Ausbildung in jenem Land zu emp- tikküste im Norden gelegenen Städte, nennen fehlen, dessen staatlich verankertes Stadtthea- die Hauptstädter im ursprünglich schwer zu- tersystem alle Chancen hat, als ein solches in gänglichen Landesinneren die „Rolos“. das Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. 74 NC33 NC33 75 Mirjana Burnaz-Kremshowsky (Helena) und Amelia Maria Vasquez Rendon (Hermia) In Benjamin Brittens "A Midsummer Nights Dream" – Foto (l. Ausschnitt) Nadia Sarycheva Amelia wiederum war so klug, diesem Rat zu der Familie danach vorbildlich unterstützt – für folgen und sich nach ihrem Bachelor-Abschluss den in Kolumbien bestenfalls als Hobby verstan- in ihrer lateinamerikanischen Heimat in Dres- denen Weg als Musikerin. In ihrer Heimat hat den, Essen, Freiburg, Mannheim und Stuttgart sie die Frage: „Und womit verdienst Du denn zu bewerben und vorzusingen. dann Deinen Lebensunterhalt?“ erwartet und natürlich auch gestellt bekommen. Aus den Anden an die Schlackenberge Nach ihrem erfolgreichen Bachelor-Abschluss wurde ihr allerdings – vielleicht auch aus ego- Essen wollte sie und sie wollte Essen, wo istischen Gründen - nicht zu einer erfolgreichen sie inzwischen – wie sie am Ende unseres Ge- Bewerbung in Europa geraten. Man versuchte, sprächs begeistert bekennt – viele Freunde und sie eher auf eine heimatliche Karriere zu lenken eine Art zweiter Heimat gefunden hat, wobei und vor der starken Konkurrenz in Europa zu diese auch Bochum und Düsseldorf einschließt. warnen, gegen die sich zu behaupten schwer In der Landeshauptstadt singt sie in deren Kon- möglich wäre. Sie bewarb sich dennoch, und zertchor und ist als SingPausenleiterin aktiv und wie man sieht, erfolgreich. Das Gefühl, sich ge- in der Stadt des berühmten Schauspiels lebt gen Bedenken durchgesetzt zu haben und in der sie mit ihrem seit der Kindheit fast brüderlich ursprünglichen Welt der Oper und der Klassik verbundenen Cousin, der nach dem Studium in geschätzt zu werden und Freunde statt Konkur- Münster im „Pütt“ tätig ist. In der jetzigen „Co- renten gefunden zu haben, hat sie stärker und ronazeit“ etabliert sich aber in der verwandt- selbstbewusst werden lassen. schaftlichen WG ein seltsamer (nicht ernsthaf- ter) Neidkonflikt. Sie beklagt sich über zu viel Freizeit und zu wenig von außen kommenden Druck, dessen Ausbleiben sie fürchtet, und er - auch im Homeoffice voll gefordert - würde es gerne manchmal etwas ruhiger angehen lassen. Wenn Amelia ihre Lust auf ihr konkret gestellte Aufgaben, auf unerwartete Herausforderun- gen, auf neue Perspektiven öffnende Chancen bekennt, so steht das nicht im Widerspruch zur Fähigkeit, sich auch gegen gut gemeinte, aber nicht für gut befundene Ratschläge durchzuset- zen. Ihre Großmutter wollte zum Beispiel, dass sie einen erfolgversprechenden und gut dotier- ten Beruf studiert, sie aber entschied sich – von Bachelor-Abschlusskonzert in Bogotá, 2015 76 NC33 NC33 77 „Warum tanzt Du nicht?“

Wenn man in Kolumbien behauptet, nicht aus einer musischen Familie zu kommen, so muss das näher erklärt werden, denn dieses scheinbare Manko betrifft nur eine fehlende Beziehung zu jener Form von Musik, die wir in die neue Welt zu exportieren suchen. Berüh- rung mit klassischer europäischer Musik haben in Lateinamerika lediglich bestimmte Schichten, Intellektuelle und jene, die sich das bildungs- bürgerliche Kennenlernen fremder Kulturen lei- sten können. Tropikalische Musik wie zum Bei- Amelia mit ihren Eltern und ihrem Bruder spiel Salsa oder die aus Mexiko bekannte Form im Hochland nahe Bogotá des Mariachi-Musizierens gehören dagegen zu eine „Costeñia“, die von der Atlantikküste nach jedem Familienfest, dessen Höhepunkt im Tanz Bogota gekommen war, verliebte, brachte Oper endet, der alle, auch die Kinder, einschließt. Die und Konzert in die kulturelle Familiensubstanz Frage "Warum tanzt Du nicht?" muss dabei sel- ein und infizierte mit seiner Liebe zur Musik sei- ten gestellt werden, vielleicht nur als Besorgnis ne Liebe und die daraus wachsende Familie. um den einzigen, sich von der Bewegungslust ausschließenden Gast. In Deutschland würde „Klassik-Pop-et cetera!“ und zurück man diese Frage gar nicht stellen oder über die unbändigen "Bewegungsmonster" eher stau- Wenn Amelia Maria Vasquez Rendon einmal nen. Musikalität im Blut bedeutet aber nicht die von der am längsten laufenden Musiksen- zwangsläufig eine Affinität zu jener Tonkunst, dung des Deutschlandfunks: „Klassik-Pop-et die sich aus anderen Wurzeln speisend aus der cetera!“ zur Präsentation ihrer Musik-Highlights Ferne herüberschallt. eingeladene Künstlerin wäre, könnte sie selbst Bei Amelia waren es die Eltern - Juristen, wie mit eigenen Beiträgen aus dem Vollen schöp- andere Verwandte dieser Generation - in deren fen, so vielfältig sind schon bisher die mit Erfolg Umfeld sich die Begeisterung des Vaters für eu- durchtesteten Stilrichtungen zwischen Salsa ropäische Klassik und nordamerikanischen Jazz und romantischem Liedgut, Hardrock und ge- einen Platz im Familienleben erschlichen hatte. liebter Chorsinfonik. Und ihre Neugier und Be- Ausgerechnet der aus einer sich ums tägliche reitschaft zum aktiven Kennenlernen vom „un- Brot sorgenden Landarbeiterfamilie aus dem An- plugged“ Musizieren bis zum „elektronischen denbergland stammende Rolo-Vater, der sich in Sound“ wächst eher noch. Die kleine Amelia

2000 als Schülerin in Bogotá 2001

76 NC33 NC33 77 wollte und durfte alles ausprobieren: Flöte, und Klänge zu erzeugen und zu verändern, Gitarre, Klavier und Geige – manches nur kurz, schwankte sie lange zwischen einer Karriere manches nachhaltig. auf der Bühne oder jener eines Tonmeisters. In der zweiten Hälfte ihrer Schulzeit (in Ko- Da ihr Stipendium aber nur für das Hauptfach lumbien besucht man eine Art Einheitsschule) „Gesang“ galt und an eine Eigenfinanzierung war sie als Teenagerin natürlich zunehmend des Zweitfaches nicht zu denken war, gab sie an moderner Rockmusik interessiert und sang den Gedanken an den „Master der Mischpulte“ zwischen 2007 und 2014 mit Unterbrechungen auf. Die Solo-Konzerte während des Studiums in einer Band mit klassischer Beatle-Besetzung, in Bogota, von denen die stolze Mutter keines wobei ihre Vorliebe immer mehr dem harten versäumte, die Aufführungen großer Oratorien, Heavy-Metal-Sound galt. Sie wusste aber, dass Messen und Konzerte mit dem der Philharmo- die erfolgreichen „Rockröhren“ dieses Stils trotz nie angeschlossenen, einzigen professionellen Verstärkung eine Stimme brauchten, der nur Chor Kolumbiens, verfestigten die Gewissheit, eine Opernschule die Kraft und die Technik zu auf die Bühnen zu gehören. geben vermochte, was ihren Entschluss, sich Es war nicht nur der Ratschlag des in Italien der europäischen Klassik zuzuwenden, bestärk- lebenden kolumbianischen Sängers, der sie te. Gern erwähnt sie ein Audio-Erlebnis, das of- gen Deutschland orientierte. Eine Schwester fenbar einen herausragenden Eindruck hinter- der Mutter war 30 Jahre zuvor der Liebe- we lassen hat: eine Aufnahme von der Violetta-Arie gen nach Frankfurt am Main gezogen und kam „Ah, fors'è lui che l'anima“ aus Verdis La Travia- regelmäßig zu Besuch nach Bogotá. Fast ein ta mit Anna Netrebko. So etwas Berührendes wenig verlegen gesteht Amelia, dass die deut- wollte sie auch singen können und sie begann schen Gespräche des aus Hessen angereisten gleich, Italienisch zu lernen und sich in von der Ehepaares für sie immer etwas wie ein Streit Universität angebotenen musischen Spezialkur- geklungen hätten, wegen des für ans Spanische sen auf das Studium vorzubereiten. gewöhnten und das Italienische liebenden Oh- ren harten Klanges unserer Sprache. Sie hätte Zwischen Tonstudio und sich aber inzwischen sehr mit der "Zunge" ihrer philharmonischem Chor in Bogotá neuen Heimat versöhnt, fügt sie fast entschul- digend an. Manche Worte würde sie direkt lie- 2010 wurde sie zu ihrem Bachelor-Studium ben: Das Wort "tatsächlich" sei so eine schöne an der Ponificia Universidad Javeriana in Bogotá Kombination differenzierter Konsonanten und immatrikuliert und entschied sich dazu, zwei Fä- überhaupt habe jede Sprache eine eigene schö- cher zu belegen: Gesang und Tontechnik. Faszi- ne Melodie, die zu entdecken sich lohne. Ich niert von der Möglichkeit mit viel musikalischen konnte nur erfreut ob dieser auch von mir ve- und technischen Kenntnissen Töne zu mischen hement vertretenen These zustimmen.

als Solistin im Jugend-Philharmonie-Chor des Orquestra Filarmónica de Bogotá, 2016 – Fotos Kike Barona 78 NC33 NC33 79 Masterstudentin und SingPausenleiterin ihre Freundin Mirjana (NC32-1/2020) ebenso auf der Bühne wie bei der letzten Inszenierung, In Essen studiert sie seit ihrer Immatrikulation in Benjamin Brittens "A Midsummer Nights' zum Masterstudiengang 2016 bei Prof. Martin Dream". Dort allerdings als durch Pucks Zauber- Wölfel. Begeistert von der Qualität und Inten- fehler zu den Konkurrentinnen Helena und Her- sität des Studiums, von der Professionalität der mia geworden. Ich konnte mich bei der in der szenischen Ausbildung durch hochanerkannte letzten NC-Nummer intensiver beschriebenen Opernregisseure, von den Möglichkeiten auf tollen Inszenierung von der großartigen Büh- nenpräsenz meiner beiden jungen "Chor- schwestern" überzeugen. Amelia, die bis dahin als Sopran ausgebildet wurde, wech- selte bei der musikalischen Einstudierung dieser Oper ins Mezzo-Fach und wurde für die Rolle der Hermia besetzt. In der tieferen Stimmlage fühlt sie sich seitdem deutlich wohler und ist ihrem Pro- fessor Martin Wölfel sehr dankbar für die Begleitung dieses Stimmlagenwechsels.

Pause für das Singen und die SingPause

Dem Ziel, den Masterstudiengang nach die drei Alices – Amelia vorn und Mirjana Mitte – dem laufenden Semester zu beenden, hat Foto Folkwang-Universität der Künste Corona einen Strich durch die Rechnung großer Bühne mit moderner Technik arbeiten gemacht, denn trotz intensiven, online beglei- zu können, stellt sie fest, dass der Unterschied teten Studiums, waren nicht alle Abschlüsse zwischen den Kunstwelten doch sehr groß sei. und Praktika möglich. Die spannende Zeit des In Kolumbien mussten die Studenten die Regie Vorsingens an den Theatern liegt also noch vor der Szenenstudien selbst finanzieren, für Kostü- ihr. Aber Amelia weiß, dass sie auf die Bühne me zu Schere und Nadel greifen, um zumindest will – nicht nur auf jene der Oper, sondern auch "verkleidet" und mit selbstbeschafften oder auf die manchmal kleinere des Liedgesangs. Sie -gebastelten Requisiten versorgt die Handlung hat Freude daran, in den Texten und der Melo- anzudeuten. An der Folkwang Universität der Künste war sie in jeder Jahresproduk- tion besetzt: In Henry Purcells Oper "The Fairy Queen" sang sie 2017/18 im Chor- Oktett, war aber durch Regisseur Achim Lenz schon in diesem solistisch geführten Ensemble szenisch stark gefordert. 2019 inszenierte die ihr auch mit dem Musikver- ein bei Bernsteins "Mass" als Regisseurin begegnende Susanne Frey "Wunderland" von Anno Schreier nach den berühmten Alice-Geschichten von Lewis Carrol. Die Regisseurin hatte die Rolle der Alice in vier Partien aufgespalten. Jede der drei Gesangsrollen und auch die tanzende Titelfigur waren mehrfach be- als Hermia in "A Midsummer Night's Dream, Essen 2019 setzt, und so begegneten sich Amelia und Foto: Nadia Sarycheva 78 NC33 NC33 79 die der Lieder deren Inhalt und duell und in Gruppen weiterge- Botschaft, Gefühlswelt und sungen wird und stöhnt dann Freude, Trauer und Trost zu doch über den Teufel Corona, entdecken und „wie eine Oper der so vieles unterbrochen hat in 3 Minuten“ zu gestalten. … auch ihren Heimaturlaub Sie arbeitet eifrig, singt zu zum runden Geburtstag. Hause intensiv, schult ihre Stimme und erholt sich mit Aus den Anden herunter Yoga und Sport. Amelia weiß, gestiegen, um im Allgäu dass ihre künstlerische Zukunft hoch zu klettern wahrscheinlich auf dem Konti- Gleich aber wird sie wieder nent liegt, auf dem die Klassik heiter, wenn sie von dem kürz- zu einer Art Volksmusik gewor- lich erlebten Aufenthalt am den ist, weil sie aus der Tra- Bodensee berichtet, der Hei- dition ihrer Ursprungsländer mat ihres deutschen Freundes, schöpft. mit dem sie in den Allgäuer In Kolumbien – so sagt sie – und Vorarlberger Bergen ge- klettert ist. Verschmitzt sagt studiert man zwar Musik, aber Foto Nadia Sarycheva selbst examinierte Sänger müs- sie, dass sie zu Hause nie auf sen als Lehrer arbeiten, um den Lebensunter- die Idee gekommen sei, in die Berge zu fahren, halt zu sichern. Sie kam nach Europa, weil sie weil man ja schließlich in einem zweieinhalb- die professionelle Bühne als Ziel hatte und die- tausend Meter hohen Tal gelebt habe. Jetzt ist ses auch konsequent verfolgt. Dennoch ist sie sie herabgekommen, um weit niedrigere Gipfel inzwischen – und das nicht aus Not sondern aus zu erklimmen - paradox und schön zugleich, Interesse – auch vor Schulklassen der Unterstu- weil das zeigt, dass sie angekommen ist und fe gelandet: Wie einige ihre Vorgängerinnen in hoffentlich in allen Bereichen, auch auf der der NC-Interviewserie wurde sie SingPausen- Bühne, glücklich wird. Leiterin in Düsseldorf wie ihre im Musikverein Wir hoffen jetzt erst einmal alle gemeinsam, singenden Kolleginnen Radostina Nikolova, Ma- dass dieses Foto, das Amelia mit ihrer Familie ria Carreras, Marianna Zorba und Mirjana Bur- nach dem bisher letzten vorpandemischen Kon- naz-Kemshowski, mit denen sie auch die Sing- zert unseres Chores mit Zemlinskys 13. Psalm Pausen-Konzerte in der Tonhalle präsentiert. zeigt, bald für uns alle eine Fortsetzung findet, Sie erzählt begeistert von ihrer Erfahrung mit für den Konzertchor, die Freunde und Verwand- den Schülerinnen und Schülern, vor allem, dass ten der Sängerinnen und Sänger und für unser in den nachfolgenden „richtigen“ Pausen indivi- geschätztes Publikum.

als SingPausen-Leiterin beim Abschlusskonzert in der Tonhalle 80 NC33 NC33 81 „Endlich wieder gemeinsam singen …“ ... meint dreifach hier die Redaktion Ein optimistischer Chorseufzer von Karl-Hans Möller te die langersehnte Chance, mit einem Teil des vertrauten Klangkörpers zu musizieren. Ich hat- te meiner Vorfreude auf die ersten mehrstim- migen Töne in meinem Facebook-Account frei- en Lauf gelassen und erstaunlich viele "Likes" bekommen, ergänzt durch freundlich neidische oder aufmunternde Kommentare. ... und heute darf ich vor der Tonhalle zum ersten Mal wie- der im Open-Air-Sicherheitsabstand-Chor singen - zwar nur im Doppelquintett, aber immerhin: ein aus dem gestrigen Hoffnungs-Abendrot erwachender Hoffnungs-Ton- Schimmer! Bleibt Euch, bleibt uns, bleibt Foto von der Facebook-Homepage der Tonhalle der Kultur treu! im mahnenden "Rot" zum Sommeranfang 2020 Es ist natürlich ein Zufall, dass die Tonhal- Unter den Freunden, die mit "Daumen hoch" le – wie viele andere kulturtragende Gebäude oder "Herzchen" ausgedrückte Mitfreude zeig- in Deutschland – am Abend vor meiner ersten ten, waren neben zahlreichen Sangesschwestern Probe mit dem Chor des Städtischen Musik- und –brüdern auch Opernsängerinnen, Schau- vereins von einem kräftigen mahnenden und spielerInnen, Intendanten, Dirigenten, Chorlei- Hoffnung heischenden ROT angestrahlt - wur ter, DramaturgInnen und ein Ballettmeister aus de. Zufall war der nahe Zeitpunkt, nicht aber allen Teilen Deutschlands, die alle in dieser ver- die Ursache für die lange, durch "Covid19" er- gleichsweise kleinen Aktion einen Schritt zurück zwungene Abwesenheit des Konzertchors der zur Normalität begrüßten und selbst weiter um Landeshauptstadt vom Ort seiner Proben und jede Möglichkeit der verantwortungsbewus- Aufführungen. Während sich die Düsseldorfer sten Rückkehr vor ihr Publikum ringen. Der von Symphoniker mit wunderbarer Ideenvielfalt ihnen immer lauter gerufene Slogan "ohne uns gestemmten Projekten in kleineren Besetzun- ist stille" kennzeichnet wirklich eine anhaltend gen eine weithin begeistert wahrgenommene ernsthafte Bedrohung unseres Selbstverständ- online-Präsenz sicherten und dabei die Freun- nisses als kulturvolle Wesen, als Menschen, die de klassischer Musik zum "Streamen" einluden, sich mit der ästhetischen Widerspiegelung der hatten wir diese Chance aus bekannten Grün- Welt auseinandersetzen wollen. den "aerosoler" Gefahren nicht, denn für uns Für uns Sängerinnen und Sänger des 200 Jah- war die schreckliche Erkenntnis neu, dass Sin- re alten Konzertchores der Landeshauptstadt ist gen krankmachen kann! die erzwungene Generalpause zwar keine Fra- Zum Sommeranfang hat der Musikverein ge der beruflichen Existenz, aber fast jeder von nach dem in der Natur sonnigen, aber für Kultur uns fühlt sich an der Lust und der Freude des grauen(haften) Frühjahr einen verantwortungs- gemeinsamen Musizierens, an der in vielen Pro- voll gestalteten Wiederbeginn des Singens er- ben erarbeiteten Herausforderung der Konzerte möglicht: vor einem interessierten und kritischen Publi- Es durften zunächst NUR 10 Sängerinnen und kum gehindert. Als sich die zehn für Dienstag Sänger sein, die sich in hörfeindlichem Abstand besetzten Open-Air-Sicherheitsabstands-Chori- unter dem Vordach unserer Tonhalle zur Probe sten maskiert und mit eigenem Hocker versorgt trafen. Das ist weniger als ein Fünfzehntel der und den vorgeschrieben Abstand ausmessend aktiven Mitglieder des Städtischen Musikvereins erstmals unter dem überdachten Haupteingang zu Düsseldorf. Da allerdings fünf dieser Doppel- der Tonhalle trafen, begegneten sich auch Vor- quintette aufgestellt wurden, hatte zumindest freude und spannende Erwartung, wie denn ein jeder dritte Chorist während der Sommermona- gemeinsames Singen vor rauschender Fontaine 80 NC33 NC33 81 und zwischen intensiv befahrener Straße und beim benachbarten Einparken wenig sensibel Rheinbrücke gelingen könne – von chorklang- knatternden Mopeds gestört, aber nicht zu ver- feindlicher Akustik ganz zu schweigen. hindern war. Auch Bruckners "Graduale", unser Dem Stimmbildner der Bässe, unserem zweites Stück eines vielleicht zunächst auf un- professionell ausgebildeten Mitsänger Mar- gewohnten "a cappella" Gesang orientierten tin Lukaß war durchaus bewusst, dass diese Repertoires konnte seinen grandiosen Klang Probe unter Umständen stattfinden musste, nicht ungestört entfalten und verschwand beim die normalerweise eine auch nur ansatzweise "piano" in nahezu nur noch irgendwie ahnbarer Harmoniekontrolle unmöglich macht. Seine Polyphonie im Nirgendwo. Begeisterung aber, mit der er die von ihm er- Und trotzdem: wir haben wieder gesungen, kannten Probleme als normal, aber überwind- wir haben unsere Stimmen vor dem "corona- bar darstellte, sprang schnell über und zerstörte len" Einrosten bewahrt, wir haben uns wieder die letzten Zweifel am nachhaltigen Sinn der getroffen und unsere Kunsterlebnisse ausge- von ihm geleiteten Probe. Sehr bald überwog tauscht, wir haben unsere Hoffnung angerei- trotz der bereits das Einstimmen störenden chert, bald wieder in, statt vor der Tonhalle Martinshorn-Kakophonie die Freude an den singen zu können. Wir haben uns über jeden vom jeweiligen Platz aus geahnten wunderba- Zaun- oder Brunnengast – auch über applau- ren Klängen, die der vorschriftsmäßig Maske dierend langsamer werdende Jogger oder ihre tragende Felix Mendelssohn-Bartholdy den Hunde zum lauschenden Ausruhen anhaltende Nachfahren des einst von ihm geleiteten Cho- Gassigänger gefreut. res mit "Abschied vom Walde" geschenkt hat. Ich hoffe sehr, dass die Begeisterung, die ich Eichendorffs romantischer Text eröffnete sich mit den neun anderen Singenden teilen durfte, mir dabei insofern ganz gegen den etwas weh- bis zum "Dauerrot" einer geretteten und wieder mütigen Inhalt als Rückkehr zu etwas sehr Be- angenommenen Musik- und Kunstszene anhält. sonderem, das zwar durch Polizeisirenen und

„Endlich wieder gemeinsam singen …“ Ein banger Blick von Georg Lauer Auch ich erlebte eine erste Mutmach-Wieder- Versorgt mit Notenmaterial, das ihr (und uns) die sehens-Probe, nämlich die vom 2. Juli und las, rastlose Archivarin Monika E. zusammengestellt was einige Teilnehmer darüber bei Mattermost zu hatte, war sie perfekt vorbereitet und ausgestat- berichten wussten. Ich wollte das auch und hatte tet mit elektronischer Kleinklaviatur angetreten. den Fotoapparat bei der Probe zur Hand, um Ein- Nahtlos reihte sie sich in die Musikerköpfe des drücke zu sammeln. Tonhallenportals ein, von Robert S, unmittelbar Der erste galt unserer quicklebendig-hochmoti- inspiriert. Neun wackere Frauen und Männer – vierten Stimmbildnerin und Chorleiterin Maria C. 1 Tenor tauchte unbekannter Umstände halber 82 NC33 NC33 83 nicht auf – hatten mit geziemen- dem Abstand unterschiedliche Sitzmöbel aufgestellt – vom Ge- tränkekasten über Dreibeincam- pinghocker bis hin zu hochcom- fortablen Regie-Klapp-Stühlen, aus denen zu Einsing- und En- sembleübungen sich zu erheben im Laufe des Abends zusehends mühseliger wurde.

Das etwas trostlose Ambiente fen? (Locus iste a Deo factus der geschlossenen Pforte wur- est?), zumindest birgt er ein de durch die waldgrüne Kulisse unschätzbares Geheimnis (in- des Helmut-Hentrich-Platzes aestimabile sacramentum!)! und den Bewässerungston des Aber ist es wahr: kein Fehl ist an kopfüber im Teich verlorenen ihm? (irreprehensibilis est?) Flügels nahezu wettgemacht. Zweifel sind angebracht! Ist dieser Ort - so schoss es Die Freude des Wiedersehens mir durch den Kopf - wirklich ging nahtlos über in den Eifer von Gott zum Singen geschaf- des gemeinsamen Singens, das Mühen um intonationsreine Töne war deutlich zu spüren, ging aber hier und da im um- weltgestörten Aufeinanderhö- ren unter: es war anstrengend, in diesem Ambiente besonders, die Stimme litt, am Ende auch etwas die Stimmung. Auf der Suche nach akusti- schen Verbesserungsmöglich- keiten für eine Fortsetzung in 4 Wochen ver- aus alten Kirchenchortagen, aber er gehört un- suchten wir einen Platzwechsel, der Erfolg ging bedingt in die Nachhallakustik einer großen Kir- auch hier unter, um nicht zu sagen baden. che. Mit Abstand in die neue Zukunft?! Hin- und Seit Tagen nun beschleicht mich der Zweifel, hergerissen wie dieser Text? ob sich die Mühen lohnen. Mir fehlt die Akustik eines warmen Raums, mir fehlt der Ensembleklang, mir fehlt aber auch PS: Der Musikverein sang diesen A-capella-Bruckner der Glaube an die rechte Munter-Mach-Liedaus- zuletzt am 6.9.1984 in der Maria-Magdalena-Kirche zu wahl. Ich mag Bruckner, ich kenne ihn bestens Breslau unter der Leitung von Bernhard Klee...

82 NC33 NC33 83 „Endlich wieder gemeinsam singen …“ Der Blick in eine andere Richtung von Udo Kasprowicz Die viel zu bequemen Faltsessel liegen im gegenüber den Organisatoren? Kofferraum, die Notentaschen auf dem - Rück Im Feierabendverkehr zum Seestern Richtung sitz. Georg L. fährt heute, mein Blick schweift Autobahn und Kaarster Kreuz wird mir meine von der Rheinbrücke nach Nordwesten, wo die teleologische Grundeinstellung bewusst. Mir Sonne bald irgendwo hinter Krefeld, Eindhoven fehlt das Ziel. Bruckner mitten im Sommer un- oder Amsterdam untergehen wird, über die ter freiem Himmel? Wozu? Rheinterrasse der Tonhalle, wo Besucher der Kontaktpflege mit neun anderen Gleichge- Dämmerung entgegensehen. sinnten, mit denen ich zu normalen Zeiten, als Wir wollen nicht meckern: Frau Carreras wir mit 80 Sängern probten, nie ein Wort ge- motiviert, korrigiert, wiederholt unermüdlich wechselt habe? Nun gut, wo bisher nichts war, Bruchstücke aus Bruckners „Locus iste“, die sich muss man säen und gießen, auf dass ein Pflänz- trotzdem nur schwer zu einem vierstimmigen chen daraus wird. Aber wie soll das geschehen, Ganzen zusammenfügen wollen. wenn sich beim nächsten Mal die Gruppe völlig Woran liegt‘s? anders zusammensetzt? Von zehn Sängern waren fünf anwesend. Vergessen wir die „Frischluft“ – Proben! Die Ein Bassbariton verbog sich die Stimme zum Zeit arbeitet für uns. Unter Beachtung der Ab- Tenor. Die tiefliegende Altistin G.F., die beim standsvorgaben können wir bald zu festen Ter- letzten Mal auf Spuren Enrico Carusos gegen minen mit je 20 Sängern im Hentrichsaal los- das Plätschern aus dem Wegwerflügelbrunnen schmettern. anschreien durfte, fand sich zu ihrer gewohnten Aber welches Ziel haben wir vor Augen? Lage befreit, aber einsam. Ob die zwei Sopran- Konzertangebote in oder außerhalb der Ton- stimmen glücklich waren, hörte ich nicht, dafür halle werden noch lange auf sich warten lassen. aber viele unsauber gestimmte Feuerwehr-, Also machen wir uns selbst zum Zweck unserer Krankenwagen- und Polizeiaquarten. Proben. Nehmen wir uns ein Beispiel an der Un- Trugen also ein ungünstiger Ort oder die lü- zahl völlig überalterter Männergesangsvereine, ckenhafte Besetzung Schuld? die unbeirrt weiterproben, weil bei ihnen die Vielleicht. Gemeinschaft zählt. Die 15-20 Personen, die als Aber eigentlich hatte ich auch gar keine Kleinchöre proben werden, bieten die Chance, Lust, auf dem Tonhallenvorplatz herum- sich kennen zu lernen, durchaus auch einmal zubrucknern, beobachtet von hübschen Privates auszutauschen und so zu einer Gemein- Skateboardfahrerinnen, deren Gedanken ich schaft zusammen zu wachsen. So etwas hatte glücklicherweise nicht lesen konnte. sich unter den „Älteren“ des Musikvereins auf Aber ich singe doch gern und dabei so laut, den vielbeschworenen Chorfahrten gebildet, ist dass ich zu Hause gehörig üben muss, damit aber außerhalb Chorreisen nicht gepflegt wor- nicht allzu viele ironische Blicke mich während den. Darum müssen wir uns jetzt kümmern. der Probe aus dem Konzept bringen. Die Chor- Das Ziel unseres gemeinsamen Singens muss proben, die ich in den vergangenen Jahren aus vom Podium auf der Bühne weg nach innen, auf meist beruflichen Gründen versäumt habe, las- uns selbst gerichtet werden. Wir müssen zu der sen sich an fünf Fingern abzählen. Aber heute Überzeugung gelangen, einmal pro Woche zu Abend habe ich so häufig auf die Uhr geschielt, einem Fest der Töne geladen zu sein, das nur dass es mir schon wie ein Verrat an dem großen in dieser Gemeinschaft Gleichgesinnter die Vor- moralischen Ernst der Chorleiterin vorkam, der freude auf eine Wiederholung in der nächsten unter diesen Bedingungen zu einer Donquijote- Woche weckt. Nur so, glaube ich, überstehen rie geriet. wir den für einen Chor eigentlich paradoxen Aber warum bin ich so lustlos und undankbar Verlust der Öffentlichkeit. 84 NC33 NC33 85 FASTEN mit Udo Kasprowicz „Fasten your seatbelt!“ leuchtet es im Flugzeug rot nächsten Monaten. Aus dem riesigen Oratorienchor auf, wenn die Maschine zur Landung ansetzt. „Legen des städtischen Musikvereins werden Kleinchöre von Sie den Sicherheitsgurt an“, damit unvorhergesehene 15 bis 20 Sängern, die aufgrund ihrer Aufstellung alle Seitenwinde uns nicht auf den Gang oder den Schoß solistisch singen. Es wäre zu wünschen, dass wir die- des Nachbarn katapultieren oder damit der bequeme se Prüfung mit dem gleichen Erfolg bestehen, wie die Sessel den Bodenkontakt des Fahrgestells sanft abge- Chöre, deren Gottesdienstbegleitung im Fernsehen federt. übertragen wurde. Sicher landen, festen Boden unter die Füße be- Übrigens ist diese Askese, die solche Proben aus- kommen, sein Ziel erreichen ist im Flugzeug nicht das zeichnet, in dem Wort „fasten“ verborgen. Die Eng- Ergebnis eigener Tatkraft, sondern muss passiv hinge- länder benutzen es allgemein für „befestigen“, im nommen, zuversichtlich, angstvoll oder mutig erlebt Deutschen hat sich die Bedeutung verengt: „fasten“ werden. Schon der Sessel im Flugzeug unterstreicht (mit kurzem ´a´) bedeutet „durch Selbstdisziplin Fe- diese Vorstellung. „Ein Bann der Trägheit schien aus- stigkeit beweisen“. Auf den Musikverein wartet nach zugehen von diesem niedrigen Armstuhl (…). Es war der Phase der Unsicherheit eine Fastenzeit, aus der das klügste, den Dingen ihren Lauf zu lassen, und man neu gestärkt hervorgeht. es war hauptsächlich höchst angenehm.“ (Thomas Dazu muss man sich Mann, Tod in Venedig, S. 370) natürlich auch richtig -er Fast hat es den Anschein, als sei das Bild des lan- nähren. Aus den vielen denden Flugzeugs die passende Metapher für den Zu- Fastenspeisen haben wir stand des Chores des städtischen Musikvereins. Nach eine sommerliche Mahl- einer langen Phase der Ungewissheit ohne den Bo- zeit ausgewählt, empfoh- den des Konzertpodiums unter den Füßen zu spüren, len vom Erzbischof von ohne Flugkapitän und technisches Personal, ohne Wien: Orientierung, weil oben blau, unten grau, erfüllt uns Champignonknödel auf Gemüse a la Creme nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden, nach der Wie wäre es, es in dieser Fastenzeit statt mit Bestellung eines neuen Chordirigenten angesichts Fleischknödel einmal mit Champignonknödel und konkreter Möglichkeiten von regelmäßigen Chorpro- Gemüsesauce zu versuchen? Eine leckere Alternati- ben unter akzeptablen Bedingungen das Gefühl, ein ve die sich auch als Beilage zu Fleisch außerhalb der „Deus ex machina“ der antiken Tragödie habe dem Fastenzeit eignet. bösen Spuk der Vergangenheit ein Ende bereitet und Zutaten für vier Personen: Sauce: bald werde alles wie früher sein. 1 kleine Zwiebel Butter Ein kritischer Blick zurück zeigt ein anderes Bild 150 g Champignons Mehl des Chores: der unbändige Wille, singen zu wollen, 300 g Semmelwürfel 200 ml Milch ließ kleine Singgemeinschaften entstehen, die unter 300 ml Milch 100 g Babykarotten dem Vorhallendach der Tonhalle Stimmbildung be- 2 Eier 100 g Mais trieben, tapfer gegen quietschende Reifen, Tatütata, Salz 100 g Kohlsprossen Straßenbahn und nicht zuletzt das muntere Brünnlein Muskat Salz auf dem Vorplatz ansangen, um wenigstens eine Zeile Pfeffer weißer Pfeffer Bruckner oder Mendelssohn vierstimmig erklingen zu 120 g Rahm lassen. Natürlich, Sessel sollten mitgebracht werden und manches bequeme Campingfauteuil wurde aus- Für die Knödel die Zwiebel und die Champignons gepackt, aber die Konzentration erzwang, eineinhalb klein schneiden, mit den Semmelwürfeln, der Milch, Stunden der süßen Verlockung zu widerstehen. So den Eiern und Gewürzen vermengen. Den so ent- ganz sangesentwöhnt wollten wir die neue Saison, standenen Teig kurz rasten lassen, danach Knödel von der niemand weiß, wie sie sich gestaltet, nicht formen. Die Knödel in leicht wallendem Salzwasser begrüßen. Und auch die nächste Probenphase wird je nach Größe zehn bis 15 Minuten kochen lassen. Für die Sauce aus Butter, Mehl und Milch eine Bé- nur überstehen, wer die Einsamkeit von 18 m² um chamelsoße herstellen, mit Salz und Pfeffer würzen. sich herum aushält. Was viele Kantoreien und katho- Das Gemüse dämpfen und mit der Soße und dem lische Kirchenchöre in der Zeit der publikumslosen Rahm vermengen und zu den Knödeln servieren. Gottesdienste erprobt haben, erwartet uns in den 84 NC33 NC33 85 K R E U Z W O R T - P R E I S R Ä T S E L Sie umrahmen, durchdringen und verstecken sich: 14 Komponisten, deren Werke der Konzertchor der Landeshauptstadt in der Ton- halle und bei internationalen Gastspielen aufgeführt hat. Die Diagonale ergibt die Kurzform jenes bedeutenden Werkes, dessen Hauptthema aus dem 4. Satz 1985 zur Europahymne erklärt wurde. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

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Waagerecht: 1 englischer Komponist (1913 – 1976), dessen „War Requiem“ der Chor des Städtischen Musik- vereins (MV) mehrfach unter Leitung von Rafael Frühbeck de Burgos (1968 in Düsseldorf, 1969 in Madrid), David Shallon (1988 in Düsseldorf) und Andrew Davis (1990 in Köln) aufgeführt hat; 6 deutscher romantischer Komponist (1810 -1856), der von 1850 bis 1853 als Städtischer Musik- 86 NC33 NC33 87 direktor auch den MV leitete und dessen Werke vom Konzertchor der Landeshauptstadt allein in den letzten 50 Jahren in mehr als 100 Konzerten in der Stadt seines rheinischen Wirkens aufgeführt wurden, zuletzt 2010 u.a. „Manfred“ und „Genoveva“ unter Leitung von Andrey Boreyko und Ma- rieddy Rossettos a cappela Version der „Träumerei“; 13 in w63 geborene alttestamentarische Ge- stalt der Bibel, erster Sohn von Isaak und Rebekka; 16 gebräuchliche Kurzform eines Schallwandlers als Ausgangspunkt von Tonverstärkung, auch Präfix für „sehr klein“;17 sich auf ihren Erfinder - den italienischen Arzt Riva-Rocci - beziehende Abkürzung für die unblutige Blutdruckmessung; 19 der italienischen Bezeichnung für „allein“ folgende Kennzeichnung individueller Musikdarbietungen, die auch für die Beschreibung von Alleingängen in anderen Bereichen Anwendung findet; 21 deut- scher Komponist (1897 – 1969), dessen Oper „Enoch Arden“ 1936 in Düsseldorf uraufgeführt wurde. Sein in der DDR entstandenes Spätwerk bejubelte den Sozialismus (Kantate „Eisenhüttenkombinat Ost“ und „Ballade vom Manne Karl-Marx“); 23 englische Disjunktion für logisches „oder“; 24 meist thüringischer Rezeptur folgendes gewürztes rohes Schweinehack; 25 von Gerte, Stock oder Stab abgeleitetes angelsächsisches Längenmaß (Abk., ca. 0,9 m); 26 aus dem germanischen Wort „niz- do“ (Niederlassung) abgeleitetes Wort für Gelege-, Wohn- und Brutstätten verschiedener Tierar- ten; 27 an den Glauben an die Existenz und erlösende Mission des vor 2020 Jahren geborenen Messias gebundene monotheistische Glaubensgemeinschaft, die als Welt-w69 aus dem Judentum hervorging; 28 olympische Gottheit, Schwester und Gattin des Zeus;29 von der Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“ beschworene Vergeltung für vermeintlich oder tatsächlich erlittenes Un- recht; 31 fünfter Buchstabe des griechischen Alphabets vgl. E;32 schlangenförmiger Fisch; 33 Prinz in Mozarts „Zauberflöte“, der von der Königin der Nacht zum Ausführenden ihrer w29 an Sarastro missbraucht werden soll; 36 russisch-amerikanischer Komponist (1882-1971), der als Begründer der Moderne in der Musik betrachtet wird. Seine „Psalmensinfonie“ führte der MV mit den Düs- seldorfer Symphonikern 2016 unter Leitung von Keri-Lynn Wilson auf; 39 Name eines Sturmtiefs, dessen Orkan am Pfingstmontag 2014 große Teile Düsseldorfs verwüstete; 41 für die w27 beginnt mit diesen vier vorweihnachtlichen Sonntagen das Kirchenjahr; 45 enge Spalte in einer Wand, die in Shakespeares „Sommernachtstraum“ als Ort des Liebesgeflüsters von den Laienspiel-Handwer- kern darzustellen ist; 48 eine zwischen Regionen verkehrende Bahnverbindung, die im Gegensatz zum schnelleren w84 mehr Haltepunkte anfährt (Abk.); 49 hohe männliche Singstimme für w19 und Chor; 51 Sauerstoffmolekül, das als Schicht in der Stratosphäre die Lebewesen vor der UV- Strahlung der Sonne schützt; 53 mörserförmiges Misch- oder Trinkgefäß, dessen „Heilige“ Variante im 12. Jahrhundert Gegenstand der Artussage war, und um dessen Schutz und Bewahrung sich Ritter-und Templerorden gründeten; 54 Name eines seit 2006 in Frankreich erfolgreich weiterentwickel- ten humanoiden Roboters, auch ein der Kogge oder Karavelle ähnlicher spanisch-portugiesischer Drei- master, mit dem u.a. Fernando Magellan vor 500 Jahren die Welt umsegelte 57 Blechbläser, 56 faules dickes Männchen der Honigbiene, auch unbemanntes, elektronisch steuerbares Flugobjekt; 58 zur Bewertung eines Wettbewerbs berufener Wertungsrichter (Motsi Mabuse, Jorge Gonzales und Joachim Llambi bei „Let‘s Dance“); 59 mehr- oder vielfarbig, farbenfroh; 61 genetisch zu einem anderen identisches Individuum; 62 KfZ-Kennzeichen des Landkreises, in dem jährlich die Karl- May-Spiele stattfinden;63 Stadt in Galiläa, in der w13 geboren sein soll und in der nach dem Neuen Testament des Johannes Jesus auf einer Hochzeit Wasser in Wein verwandelt haben soll; 65 in Bingen in den Rhein mündender Fluß aus dem Hunsrück, der einem bekannten Weinanbaugebiet den Namen gibt; 66 Präfix zur Kennzeichnung afrikanischer Abstammung oder Beziehung; 67 KfZ- Kennzeichen der Geburtsstadt des vor 250 Jahren geborenen Komponisten, dessen „Sinfonie Nr. 9 in d-Moll, op.125“ der MV unter Leitung von Adam Fischer mit den Düsseldorfer Symphonikern be- reits mehrfach gesungen hat; 68 in Düsseldorf lebender deutscher Komponist (geb. 1934), dessen „Sinfonie IV Nikolai Kopernikus“ vom MV unter Leitung von Lukasz Borowicz 2011 in der Tonhalle uraufgeführt wurde. Mit seinem charakteristischen schwarzen Hut war er auch Ehrengast der Feier

86 NC33 NC33 87 des 200. Bestehens des MV; 69 Weltanschauung, deren Grundlage der Glaube an übersinnliche und/oder heilige Prinzipien ist; 71 Vegetationsinsel in der Wüste oder unfruchtbaren Gebieten, in denen es Wasser als Lebensgrundlage gibt; 72 wohlwollend anerkennendes Synonym für „Junge“. Fitzgerald Kusz schuf unter dem Titel, der jenen Knaben zum Schweigen auffordert, eine in viele Dialekte übertragene fränkische Theaterkomödie; 74 KFZ-Kennzeichen der geografisch mittleren der drei baltischen Republiken mit der Hauptstadt Riga; 76 vor 60 Jahren von dem 2020 verstor- benen Albert Uderzo mit René Goscinny kreierte Comicfigur, die – durch Zaubertrank gedopt – mit dem starken Obelix den Widerstand eines gallischen Dorfes gegen die Römer anführt; 78 Zupf- instrument, dessen bereits von Minnesängern gespielte europäische Variante in der arabischen Kurzhalsform Oud sein Vorbild haben soll; 79 Top-Level-Domain für Österreich; 80 international gebräuchlicher (englischer) Begriff für einen Spielkartensatz; 82 Titel des Magazins der Tonhalle zu Düsseldorf; 84 zwischen großen deutschen Städten verkehrende Fernbahnverbindung; 85 als „Gateway to the West“ bezeichnete Stadt in Nebraska, in der 1772 durch den Brückenbau über den Missouri die Verbindung zwischen dem bis dato östlichen Endpunkt der Transcontinental Railroad und dem Eisenbahnnetz des Ostens geschlossen wurde; 86 Bezeichnung der Untergrundbahnen u.a. in Paris und Moskau; 87 französischer Romancier und Dramatiker (1910 - 1986). Vertreter des „Absurden Theaters“, dessen mit einem Theaterskandal 1947 uraufgeführtes Werk „Die Zofen“ heute zum Spielplan des Welttheaters gehört; 89 bedeutendster polnischer Komponist der Ge- genwart (1933 - 2020); er selbst leitete 1988 die Aufführung seines „Te Deum“ durch den MV und die Düsseldorfer Symphoniker in der Tonhalle; 90 französischer Komponist des Fin de siècle (1845 - 1924), dessen Requiem op. 48 der MV 2012 unter Leitung von Andrey Boreyko sang.

Senkrecht: 1 Amerikanischer Komponist und Dirigent (1918 - 1990), dessen „Mass“ (UA 1971) unter Leitung von John Axelrod im Dezember 2018 unter Mitwirkung des MV in der Tonhalle aufgeführt wurde. Mit der „Westside Story“ gelang dem berühmten Musiker einer von vielen Welthits, die sinfoni- sche Musik mit modernen Rhythmen verbinden; 2 deutscher Komponist, Organist und Dirigent (1873 – 1916), die „Totenfeier“ des berühmten Meininger Hofkapellmeisters führte der MV unter Leitung von Wolfgang Trommer 1965 in der Rheinhalle zu Düsseldorf auf; 3 chorisch gespieltes musikalisches Signal als Aufruf zu Aufmerksamkeit für Ehrungen; 4 Abkürzung einer kontinentalen Meisterschaft in Europa; 5 inneres paarig angelegtes Organ zur Harnbereitung und Regulation des Wasserhaushalts bei Menschen und Wirbeltieren; 6 als Handlungsoption oder Gedankenstütze vorgesehene Textstruktur; 7 beim Tennis diagonaler Schlag ins gegnerische Feld; 8 Bewahrungs- einrichtung, auch zur nachunterrichtlichen Kinderbetreuung; 9 von Max Kruse ausgedachtes, aus dem Eis kommendes Urzeittier, Star der Augsburger Puppenkiste; 10 nach dem Stamm stärkstes Element der Baumverzweigung; 11 graphisches Musikzeichen, auch Synonym für Bewertungszif- fer; 12 ungarischer Komponist und Musikpädagoge (1882 -1967), dessen „Missa brevis“ vom MV 1966 unter Leitung von Hartmut Schmidt in Granada und 1968 von Rafael Frühbeck de Burgos in Düsseldorf aufgeführt wurde. Eine Einstudierung seiner Psalme durch den MV ist für 2021 im Gespräch; 14 nach einer Ölpflanze benannte Kinder-TV-Straße, auch Befehlsadressat des Zauber- worts, mit dem Ali Baba in „1001 Nacht“ eine unsichtbare Tür öffnen konnte; 15 Sorte oder Spe- zifik, auch engl. Begriff für (bildnerische) Kunst; 18 französischer Maler (1841 – 1919), als einer der bedeutendsten Impressionisten schuf er u.a. „Bal du moulin de la Galette“ (1876); 20 antikes Saiteninstrument aus der Familie der Laiern, für die Marschmusik wird ein tragbares Glockenspiel unter gleichem Namen verwendet. Unsere Sängerin Megumi Akao (s.a. ihr Portrait in NC 22) spielt dieses Instrument u.a. in einer japanischen Blaskapelle beim Karnevalszug in Niederkassel; 22 mit „Gottesgeschenk“ übersetzbarer Vorname des Dichters der Mark Brandenburg (Effi Briest); auch „besungener“ Sportler im Fußballtor; 28 KfZ-Kennzeichen einer schwäbischen Stadt am Neckar, die zusammen mit der Koseform der Heldin Katharina den Titel zu Kleists 1810 uraufgeführtem

88 NC33 NC33 89 Ritterspektakel (Untertitel „Die Feuerprobe“) ergibt; 30 C - um Halbton erhöht; 32 amerikanisch– westeuropäischer Begriff für einen Weltraumfahrer; 34 oftmals als Ritual- oder Zauberpflanze (Mandragora) angesehenes Nachschattengewächs mit Heilkräuterfunktion; 35 Begriff aus der In- formationstechnik, der „Not a Number“ (keine Zahl) als Datentyp-Wert kennzeichnet; 36 Kürzel für Sportverein; 37 Berlinerisch für „Freund oder Bruder“, Vorname eines 2019 im Alter von 100 Jahren verstorbenen Filmproduzenten und einer sehr lebendigen Ruhrpott-Comedian-Kunstfigur; 38 Name eines „schwarzen“ römischen Tores in einer der ältesten deutschen Städte an der Mosel; 40 Kennzeichen von Musik, deren Harmonik und Melodik nicht auf ein tonales Zentrum fixiert ist; 42 KfZ-Kennzeichen eines nach zwei Flüssen benannten Landkreises, dessen damaliges Territori- um wegen der Nachbarschaft zu Wittenberg und Torgau zum reformatorischen Kerngebiet wurde; 43 liebevolle italienische Bezeichnung für Opa; 44 verankerte kugel-, kegel- oder tonnenförmige Schwimmkörper zur Kennzeichnung von Fahrrinnen oder Gefahrenstellen in Flüssen und im Meer (Plural); 46 Kaiser in Russland und in slawisch sprechenden Monarchien; 47 britischer Komponist (1857 - 1934), dessen Krönungsmarsch „Pomp & Circumstance March No. 1“ bis 1910 die englische Regionalhymne war. Mitglieder des MV wirkten 2019 an der Aufführung seines Werkes „The Spririt of England“ im Rahmen des „Concert pour la Paix“ in Lille mit. Sein „Dream of Gerontious“ wurde vom MV letztmals unter Leitung John Fiores 2005 in der Tonhalle aufgeführt; 50 Vorname des 1947 geborenen deutschen Komponisten Zuckowski , eines der erfolgreichsten Autoren von Kinderchor- werken; 52 der Präposition „im“ folgende Kennzeichnung eines kurzen Moments bzw. schneller Vergänglichkeit; 55 Adjektiv, das das Verhalten als sittlich und moralisch begründet kennzeichnet; 57 Blechbläser, dessen Instrumentengruppe bei den Düsseldorfer Symphonikern 9 Virtuosen zählt. Das von vom gesuchten Musiker gespielte Ventil-Instrument ist aus Messing und besteht aus mehr- fach kreisrund gewundenem Rohr und einem Schalltrichter; 59 französischer Komponist (1803 – 1869). Viele seiner gewaltigen chorsinfonischen Werke wurden vom MV in nahezu 100 Konzerten aufgeführt: u.a. 1974 seine „Grande messe des morts“ unter John Prichard in der Royal Alber Hall in London und unter Lorin Maazel im Orange-Théâtre Antique, „La damnation de Faust“ unter Jean Claude Casadesus im Paris Théâtre des Champs-Élysées und zuletzt 2003 in der Tonhalle unter John Fiore; 60 definierte oder präparierte Strecke;61 zeitweise eisherziger Bruder (deutsche Schreibweise) von Gerda in Hans-Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“; 64 philoso- phisch der Prozess der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen, der (sozial) u.a. zur Erwerbstätigkeit dient. Physikalisch jene Energiemenge, die bei einem Vorgang umgesetzt wird; 67 ungarischer Komponist (1881 – 1945), dessen Operneinakter „Herzog Blaubarts Burg“ von den Düsseldorfer Symphonikern unter Leitung von Adam Fischer im November-Sternzeichenkon- zert 2019 gespielt wurde. Der MV sang den Chorpart in seiner Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“ 2007 unter Leitung von Michael Schønwald; 68 engl. Schlag, das als Grundwort der stilprägenden Liverpooler Boygroup Mitte des letzten Jahrhunderts die Jugendkultur bestimmte; 70 militärischer Befehl; 71 auf dem Springreit-Parcour ein Hindernis für einen Hochweitsprung; 72 weibliche Form eines italienischen Adjektivs für „gut“, das in einem Mozart-Kanon in Verbin- dung mit „Notte“ eine „Gute Nacht“ wünscht; 73 bedeutendster deutscher Komponist des Barock (1685 - 1750). Der spätere Thomaskantor schuf zahllose Chorwerke, der MV führte zuletzt 1983 seine „Matthäus-Passion“ unter Leitung von Bernhard Klee und 1992 „die „Hohe Messe h-moll“ unter Leitung von David Shallon auf; 75 verführerische, erotische Reize kalt berechnend einset- zende Frau; 76 ein 1920 in Düsseldorf entstandenes Scheuermittel aus Sand und Soda; 77 Tiroler Flugrettung (Tyrol Air Ambulance); 78 Gerät zur Geschwindigkeitsaufzeichnung der Schiffe, die in einem mit diesem Begriff verbundenen -buch zu dokumentieren war;81 Biodiesel, auch 15 km lan- ge bergische Kleinbahn (Ronsdorf-Müngstener Eisenbahn); 83 Kennzeichen für ungebraucht, un- benutzt, gerade erst entstanden; 88 KfZ-Kennzeichen der thüringischen Landeshauptstadt, 1645 Geburtsort des Vaters von s73, vor 50 Jahren Ort eines weltweit wahrgenommenen massenhaften „Willy Brandt ans Fenster“-Rufs. 88 NC33 NC33 89 Insgesamt 14 Komponisten, deren Werke der MV in seiner 202-jährigen Geschichte als Konzertchor gesungen hat, verstecken sich in diesem Rätsel. 9 davon bilden den äußeren Rahmen und einer ist der erfragte Komponist der berühmten Diagonale. Unseren musikaffinen Lesern fällt die Lösung sicher besonders leicht und weckt zu- dem vielleicht sogar gute Erinnerungen an beeindruckende chorsinfonische Konzert- erlebnisse. Die nachstehenden Großbuchstaben bilden eine - vermutlich - entbehr- liche Starthilfe: 1diag B 47 E

1 B 59 B

1 B 59 B

2 R 67 B

6 S 68 B

12 K 89 P

36 S 90 F

Viel Freude beim Rätseln wünscht Ihnen die Redaktion der NeuenChorszene. Ihre Gesamtlösung senden Sie bittebis zum 1. Dezember 2020 an folgende Adresse: - per Post an: Städtischer Musikverein zu Düsseldorf Ehrenhof 1 - 40479 Düsseldorf - per Mail an: [email protected] .

Bei rechtzeitiger Einsendung und mit etwas Losglück winken Ihnen folgende Preise: 1. Preis: Zwei Eintrittskarten zum Sternzeichen „Brahms 3“ am 26., 28. und 29. März 2021 mit den Düsseldorfer Symphonikern und dem Chor des Städtischen Musikvereins unter der Leitung von Adam Fischer. Auf dem Programm: JOHANNES BRAHMS Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90 ZOLTÁN KODÁLY Psalmus Hungaricus op. 13 für Tenorsolo, Chor und Orchester und BÉLA BARTÓK Zwei Bilder / Két kép op. 10 2. Preis: Margarete Dessoff Chordirigentin auf dem Weg in die Moderne Biografie von Sabine Fröhlich 368 S., Wolke Verlag 3. Preis: Manches geht in Nacht verloren: Die Geschichte von Clara und Robert Schumann Wolfgang Held - 254 S., Europäische Verlagsanstalt Hamburg 4. / 5. Preis: DVD/CD-Produktionen aus dem Schallarchiv des Städtischen Musikvereins

90 NC33 NC33 91 „Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ Eine Leseempfehlung von Renate Heinzig-Keith Anders als im Buchtitel, sind bereits im Kapitel „Musikalisch-Schöpferische Frauen von der Antike bis zum Mittelalter” interessante Frauen/Musikerinnen in Verbindung mit spannender Zeitgeschichte zu finden. Hier ein Beispiel zum Kennenlernen: Kennen Sie die? Sappho „Sie lebte zwischen 610 und 560 v. Chr. in Mykilene auf Lesbos, stammte aus guter Familie, war verheiratet und hatte eine Tochter. Nach dem Tod ihres Man- nes gründete sie ihren weithin bekannten Jungfrauenkreis. Sappho und ihre Schütz- linge verstanden sich selbst als “mouso- poloi”, als musikalische Dienerinnen der Musen. Sie komponierte Gebrauchslieder für das tägliche Leben, Preisgesänge für die Siegerinnen im Wettstreit der Schön- heit, Hymnen zu Ehren Apollon, Aphrodi- te, Athene und Artemis. Nach einer ge- schichtlichen Überlieferung soll Sappho Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart die mixolydische Weise, eine Oktavgat- Eine Kultur- und Wirkungsgeschichte von Eva Weissweiler tung des griechischen Tonsystems erfun- den haben.” Bärenreiter-Verlag / DTV : ISBN 3-423-30726-9 Renate Heinzig-Keith bietet Musik- Übrigens: freundinnen und -freunden, die sich Mit der Eheschließung wurden der grie- nicht selbst mit dem oben genannten, chischen Frau die aktive Teilnahme am wirklich lesenswerten Buch beschäfti- öffentlichen Musikleben verboten. gen wollen, eine neue NC-Beitragsreihe Daraus ergibt sich, dass aus diesem Kreis über (Berufs-)Musikerinnen an, z.B. keine Beispiele über hervorragende Kom- beginnend mit den Hetären Lamia von ponistinnen erhalten sind. Athen und Aphrodite Belestiche.

Impressum / Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. Herausgeber: Geschäftsstelle Ehrenhof 1 - 40479 Düsseldorf E-Mail: [email protected] Internet: www.neue-chorszene.de / www.musikverein-duesseldorf.de V.i.S.d.P.: Georg Lauer - [email protected] Bankver- Stadtsparkasse Düsseldorf bindung: IBAN: DE 31300501100014000442 • BIC-SWIFT-CODE: DUSSDEDD Redaktion: Erich Gelf, Udo Kasprowicz, Georg Lauer, Dr. Karl-Hans Möller Textbilder: Städtischer Musikverein, wenn nicht anders gekennzeichnet ISSN-Nr.: 1861-261X / Erscheinungsweise halbjährlich Druck/Auflage: Druckerei Preuß GmbH - Ratingen / 1.000 Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Nachdruck - auch auszugsweise - oder sonstige Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.

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0151.12025293 Städtischer Musikverein www.singpause.de zu Düsseldorf www.neue-chorszene.de Konzertchor der Landeshauptstadt www.musikverein-duesseldorf.de Der Chor des Städtischen Musikvereins hat seine Probenarbeit in der Tonhalle, Ehrenhof 1 in Düsseldorf, wieder aufgenommen! In Gruppen mit 20 bis 24 Mitgliedern werden Mozarts Requiem und Zoltán Kodálys „Psalmus Hungaricus“ einstudiert. Nähere Einzelheiten erfahren Sie über den Vorsitzenden Stefan Schwartze - Tel. 0151.12025293 oder Chordirektor Prof. Dennis Hansel-Dinar

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