Paul Heyse Adelt Gustav Von Aschenbach
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*A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 18 BIbliotheks m agazin 18 PAUL HEYSE ADELT GUSTAV VON ASCHENBACH Mit einer unbekannten Widmung Thomas Manns in einem Prachtband der Bayerischen Staatsbibliothek Dr. Dirk Heißerer Das Jubiläum „100 Jahre Thomas Manns Novelle, erschienen 1912 als 13. „Hun- ist Literaturwissenschaftler und „Der Tod in Venedig“ hat im Winter 2012/ dertdruck“ im Münchener Hyperionverlag Autor 2013 zu einer Ausstellung im Literaturhaus Hans von Weber (BSB-Signatur: 4 L.sel.I München, zu einem begleitenden Vortrag 6-13). Gesetzt in einer Kursivschrift von über „Die Masken des Gustav von Aschen- Walter Tiemann, wird bereits im ersten bach“ und bei den Recherchen dafür zu Satz, viertes Wort, der Adelstitel des einer besonderen Spurensicherung in der Helden „Gustav Aschenbach oder von Der Katalog zur Ausstellung, erstellt von Sigrid von Moisy Bayerischen Staatsbibliothek geführt. Dort Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten unter Mitarbeit von Karl Heinz befindet sich, wohl als seinerzeitiges Pflicht- Geburtstag amtlich sein Name lautete“, Keller, ist in der BSB erhältlich exemplar erhalten und in Leder gebunden, auffällig betont. Mit diesem „von“ haben (www.bsb-muenchen.de -> Die sogar noch ein unnummeriertes Exemplar sich die Deuter der Novelle bislang eher Bayerische Staatsbibliothek -> Publikationen -> Ausstellungs- (mit leichten Brandflecken) der auf 100 schwer getan, wenn sie es nicht gleich ganz kataloge und mehr) Exemplare limitierten Erstausgabe der vernachlässigten. Dabei lässt sich als Maske für Gustav von Aschenbach nach Thomas Mann selbst, der im Mai/Juni 1911 in Ve - nedig die Geschichte weitgehend selbst erlebt hatte, und dem damals im Alter von 51 Jahren in Wien verstorbenen Kompo- nisten Gustav Mahler gerade wegen des Adelstitels ein drittes, bislang unbekanntes Vorbild erkennen. Es ist, so Albert Soergel in seinem Werk „Dichtung und Dichter der Zeit“ aus dem Jahr 1911, der unter den damaligen Dichtern „berühmteste von allen: der als Meister der deutschen No - velle überall gefeierte Paul Heyse“, seit 1910 Paul von Heyse (1830–1914). Kein Autor war in München um 1910 be - rühmter und gefeierter als der aus Berlin gebürtige Schriftsteller und promovierte Romanist Paul Heyse. Er war der „Münch- Paul Heyse, um 1910 ner Dichterfürst im bürgerlichen Zeitalter“, (BSB) wie ihn 1981 eine Ausstellung in der Baye- *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 19 BIbliotheks m agazin 19 rischen Staatsbibliothek vorstellte, die Hey - bach lebt schon seit langem in München ses Nachlass verwahrt. und ist dort ein Repräsentant geworden: „Nach einigen Jahren der Unruhe […] Von König Maximilian II. im Jahre 1854 wählte er frühzeitig München zum dauern- nach München berufen, avancierte Paul den Wohnsitz und lebte dort in bürger - Heyse zum Haupt des Münchener Dich- lichem Ehrenstande, wie er dem Geiste terkreises in der zweiten Hälfte des in besonderen Einzelfällen zuteil wird.“ 19. Jahrhunderts. Sein auf eigenen Über- (GKFA, Bd. 2.1, S. 515). Das traf auf nie- setzungen beruhendes „Spanisches Lieder- mand besser zu als auf Paul Heyse! Die buch“ (1852, mit Emanuel Geibel) und Stadt München ehrte den berühmten sein „Italienisches Liederbuch“ (1860) ver- Mann 1900 zum 70. Geburtstag ebenso tonte Hugo Wolf. Er schrieb 180 Novel- wie 1904 zum 50. Jahrestag seiner Über- len, für die er jeweils einen neuen Plot, siedlung nach München (!) mit kostbar Thomas Mann: Der Tod in Venedig. einen sogenannten „Falken“, erfand, 60 gestalteten Glückwunschadressen. Zum Titelseite des Exemplars der BSB Theaterstücke und neun Romane. Auch 75. Geburtstag im Jahr 1905 ernannte die (4 L.sel.I 6-13) nach seinem Rückzug aus den königlichen Stadt den prominenten Dichter zu ihrem Diensten blieb er an seinen beiden Wohn- Ehrenbürger und benannte die Paul-Heyse- orten in München und Gardone Riviera Straße in der Ludwigsvorstadt nach ihm. am Gardasee hoch geehrt und geachtet. (Die gesundheitsgefährdende Paul-Heyse- Das in seinem Auftrag errichtete Wohn- Unterführung am Bahnhof erhielt ihren haus an der Luisenstraße 22 (1830, 1873 Namen allerdings erst 1957). umgebaut von Gottfried von Neureuther), eine in einem Garten gelegene spätklassi- Spektakulärer Höhepunkt dieses ruhmvol- zistische Villa, die nach Kriegsschäden ver- len Lebens war das Jahr 1910: Mit dem einfacht wurde, steht heute zwar unter 80. Geburtstag des Dichterfürsten im Denkmalschutz, ist aber dennoch, wie zu März, der Nobilitierung durch den Prinz - hören ist, aufgrund einer Immobilienspe- regenten im Juni und der Verleihung des kulation vom Abbruch bedroht! Eine Bür- Nobelpreises für Literatur im November. gerinitiative bemüht sich derzeit intensiv Dieses ehrenvolle Treiben um Paul Heyse um den Erhalt des Hauses. Gehörte doch in München hat Thomas Mann keineswegs das Haus Paul Heyses hinter der Glypto- bloß von außen distanziert-amüsiert beob- thek einst mit dem soeben erst aufwän- achtet, sondern er hat sich daran auch mit dig renovierten Lenbachhaus, der längst einer aufschlussreichen bislang unbekann- verschwundenen Schackgalerie (damals ten Widmung beteiligt. an der Brienner Straße) und dem durch die Nationalsozialisten zerstörten Palais Die Bayerische Staatsbibliothek bewahrt Pringsheim (der Schwiegereltern Thomas im Nachlass Paul Heyses ein prächtiges, in Manns) zu den ersten Adressen in der rotes Leder gebundenes Album, das aus noblen Maxvorstadt. 301 Grußadressen „von Freunden und Verehrern“ zusammengestellt wurde (BSB Die Gemeinsamkeiten zwischen dem Dich- Heyse-Archiv V.103a; online lesbar im terfürsten Paul Heyse und Gustav von Handschriftenlesesaal unter Heyse-Archiv Aschenbach sind deutlich. Auch Aschen- V.103a). Jeder von ihnen bekam ein Blatt *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 20 BIbliotheks m agazin 20 Der Prachtband der Heyse-Festschrift bedeutend zu sein.“ (Ebd.). Und in eben (BSB Heyse-Archiv V.103a) diesem Stil schreibt Thomas Mann, der damals 34-jährige Autor des Eheromans „Königliche Hoheit“ (1909), im Frühjahr 1910 dem betagten Münchener Dichter- fürsten auf Blatt 185 ins Ehren-Album: An Paul Heyse / zum 15. März 1910. / Dem ruhmreichen, vielgeliebten Meister / bittet seine Huldigung, seine ehrerbietigen / Glückwünsche darbringen zu dürfen / Tho- mas Mann / München Kurz, gütig und bedeutend. Gustav von Aschenbach hätte es nicht besser treffen können. Wie sehr Thomas Mann aber mit dreifachem Goldrand und einem Qua- schon zu diesem Zeitpunkt Paul Heyse als drat in der Mitte zugesandt, um hand- démodé angesehen haben dürfte, verrät schriftlich einen Beitrag für das Unikat zu er in einem Brief an Maximilian Harden leisten. Es finden sich darin Grußworte u.a. vom 30. August 1910, worin er Heyse von Kaiser Wilhelm II. und Prinzregent als „den sonnigen und fast unanständig Luitpold, von den Malerfürsten Franz von fruchtbaren Epigonen“ kritisiert, „der dem Defregger, Friedrich August Kaulbach, Neuen gegenüber so vollkommen versagte Franz von Stuck, von den Schriftstellerkol- und noch heute auf Wagner und Ibsen wie legen Elsa und Max Bernstein, Hermann ein Dummkopf schimpft“ (GKFA, Bd. 21, Bahr, Hedwig Dohm, Max Halbe, aber S. 459). Zu holen war daher im Sommer auch von jüngeren Kollegen wie Hermann 1911, als Thomas Mann mit dem Schrei- Hesse, Alfred Kerr, Ricarda Huch, und, ben der Novelle begann, bei Heyse ein neben vielen weiteren, eben auch von Jahr nach dessen Nobilitierung in Felix Tho mas Mann sowie von dessen Schwie- Krull’scher Hochstapler-Manier schlicht- gervater Alfred Pringsheim. weg nur noch das „von“. Wie zur Bestäti- gung überwiegen in dem Prachtband für Und was schreibt Thomas Mann? Er den 80-jährigen Paul Heyse die Lieder von schreibt einen Text, der von seinem Hel- den tempi passati. So singt die nur wenig den Gustav von Aschenbach stammen jüngere Hedwig Dohm (1833–1919), Katia könnte. Von ihm, dessen „ganzes Wesen Manns Großmutter: „Aus meiner Jugend auf Ruhm gestellt war“ (Bd. 2.1, S. 508), längst versunknen Träumen / Tönt mir heißt es, dass er gelernt habe, „von seinem Dein Name wie ein Zauberklang. / Wo ist Schreibtische aus zu repräsentieren, sei- die Zeit, wo unter Lindenbäumen / In mir nen Ruhm zu verwalten, in einem Brief- gelebt, was Deine Muse sang? / Doch satz, der kurz sein mußte (denn viele konnte Zeit Dir auch den Scheitel bleichen Ansprüche dringen auf den Erfolgreichen, / Verblaßten Jugendstürmen zur Erinne- den Vertrauenswürdigen ein) gütig und rung: / Was kümmern Dich des Alters *A_BibliotheksMagazin_BibliotheksMagazin 18.09.13 09:42 Seite 21 BIbliotheks m agazin 21 äuß’re Zeichen, / Des Paradieses Kinder bleiben ewig jung.“ [Bl. 75]. Ernst Rosmer (alias Elsa Bernstein) (1866–1949) sagt das in einem Haiku: „Der Schnee im Lorbeer zeigt / Wie frisch er grünt.“ [Bl. 229]. Der junge Hermann Hesse (1877-1962) fasst sich kurz: „Den verehrten Meister / grüßt in alter Hochschätzung / vom Bodensee her / Hermann Hesse“ [Bl. 134]. Der Ber- liner Theaterkritiker Alfred Kerr (1867– 1948) hat immerhin einen Wunsch: „An Paul Heyse. / Es wandeln die Jahre, es wechseln die Moden, / Die einen erblü- hen, die andern erblassen, / Doch in den verschiedenen Perioden / Wünscht ich: mal deine Hand zu fassen.“ [Bl. 153]. Einen originellen Vergleich zum Verhältnis von Poesie und Mathematik stellt der Münche- ner Mathematik-Professor Dr. Alfred Pringsheim (1850–1941), Thomas Manns Schwiegervater (vgl. BM 2/2012), auf Blatt 216 an: Daß zwischen Poesie und Mathematik eine unüberbrückbare Kluft liege, wird wohl ziem- lich allgemein angenommen. Und doch steckt in jedem ordentlichen Mathematiker