Werner Heldt, Käthe Kollwitz und Richard Scheibe gehörten, der (1949) aus, sondern sorgte für des- kreuzte sich sein Lebensweg erneut mit Gerhard Marcks. sen Teilnahme an der ersten documenta (1955) und verfasste Das Kunstwerk des Monats Januar 2018 Während des Nationalsozialismus galten Gilles Werke als die bis heute gültige und umfassendste Biografie (1960). Werner Gilles, Vier Fotopostkarten, 1922 „entartet“ und wurden zum Teil beschlagnahmt bzw. 1937 bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Zu Kriegsende wurde der inzwischen 50-jährige Gilles zum „Volkssturm“ 1944 eingezogen und verwundet. Ab 1951 lebte der Künstler, dessen Werk bereits zu Lebzeiten mit Ehrungen und Preisen Anerkennung finden sollte, abwechselnd in München und auf Ischia, wo er weiterhin engen Kontakt zum Maler, Grafiker und Schriftsteller Werner Heldt pflegte. Für die Vermittlung der Werke von Werner Gilles setzte sich Unbekannter Fotograf: Werner Gilles (r.) und Gerhard Marcks (l.), Ostseebad Ahrenshoop, um schon früh der Kunsthistoriker Alfred Hentzen ein, Kustos 1930, Nachlass Alfred Hentzen im Deutschen Kunstarchiv (Inv. IB2-0005) der nach dem Krieg wiedergegründete Kestnergesellschaft in Hannover und späterer Direktor der Hamburger Kunsthalle. Hentzen richtete Gilles jedoch nicht nur eine Ausstellung bei

Anmerkungen : 1 Brief an Familie Oberheid v. 27.10.1919, zit. nach Alfred Hentzen: Werner Gilles, Köln 1960, S. 23 2 Vgl. Volker Wahl (Hrsg.): Die Meisterratsprotokolle des Staatlichen Bauhauses : 1919 bis 1925, bearb. von Ute Ackermann, Weimar 2001, hier: Dezember 1919. 3 Vgl. Folke Dietzsch: Die Studierenden am (Diss.), Teil 2: Dokumente und Anlagen, Weimar 1991, S. 162. Landesmuseum für Kunst und 4 Brief an Familie Oberheid, Himmelfahrt 1922, wie Anm. 1, S. 27 5 Bernd Freese und Patrick Rössler: „Erst durch die Liebe zu Werner habe ich verstanden, was Bauhaus ist…“, in: Bauhaus Kulturgeschichte Oldenburg kommunikation, Berlin 2009, S. 158. 6 Vgl. Thorsten Geil: Richard Blunck – ein großer Geist, in: Holsteinischer Courier v. 19.2.2015, https://www.shz.de/8998776 7 Brief an Hentzen 1959, wie Anm. 1, S. 29

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Schloss - Augusteum - Prinzenpalais Werner Gilles drucksweise entstand im August 1922, während seines zwei- schriftlichen Mitteilung skizzierte Gilles kleine Figuren in einer Vier Fotopostkarten, 1922 ten Aufenthalts am Bauhaus, die vorliegende, sehr eigentüm- kindlichen Bildsprache, die an Miró, Picasso oder die Kunst der Bromsilberpostkarten mit Bleistift- und Gouache-Überzeichnungen, liche Serie: Vier Portraitpostkarten, die alle – im Sinne einer Dadaisten erinnern. 13,9 x 8,5 cm Autogrammkarte – die heute vergessene Vortragskünstlerin Nach etwas über ein Jahr – bis Oktober 1923 – blieb Gilles in Inv. 14.540-14.543 Margot Ernesto sitzend an einem mit einem Blumenstrauß Weimar und beteiligte sich u.a. an der legendären Bauhaus- Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg gedeckten Tisch zeigen und deren Bildseiten von Werner Gilles Ausstellung 1923. Auch von seinem zweiten Aufenthalt in mal mehr und mal weniger verfremdet wurden. Einen Hinweis Weimar sind nur wenige Arbeiten (einige Aquarelle, Zeichnun- Gloria Köpnick darauf, dass Margot Ernesto im Vortragsprogramm des gen, zwei Gemälde und etwas über zehn Radierungen und ein Bauhauses aufgetreten ist, gibt es nicht. Teppich) erhalten. Eine Fotografie zeigt ein von Werner Gilles „Ich habe hier ein Atelier, in dem ich arbeite und träume. Meine Beziehungen zum Staatlichen Bauhaus sind nur formell. Ich stehe den Futuristen Molzahn, Her[r]mann, Roehl nahe. Itten und Feininger sind Lehrer am Bauhaus. Die Idee Gropius‘ ist mir ausgeführtes, nicht erhaltenes Wandbild im Haus von Alfred sympathisch. Er will einheitlichen Geist sammeln, um bauen zu können, um uns zu einer Kultur zu verhelfen. Ich will lieber Die vier zwischen dem 10. und dem 14. August 1922 ein- Meyer in Weimar. Zu Gerhard Marcks und , Vagabund sein als Handwerker, als ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein“, beschrieb Werner Gilles zeln versandten Fotopostkarten, von denen eine signiert ist, mit denen er sich anfreundete und in Kontakt blieb, knüpf- (1894-1961) im Oktober 1919 sein Verhältnis zum neugegründeten Bauhaus in Weimar. 1 überzeichnete und übermalte Gilles auf der Bildseite auf ganz te Gilles wichtige Beziehungen: „Als Lehrer stand mir Oskar unterschiedliche Weise: Mal bemalte er der abgebildeten Dame Schlemmer in seiner Hoheit ganz besonders nahe“, erinnerte er

7 Bereits als 17-jähriger unternahm Gilles mit dem befreun- als auch formal den Grundstein späterer Arbeiten legen, die Arme in Seefahrer-Manier mit Anker und Herzchen, „legte“ sich viele Jahre später an den Bauhausmeister. deten Otto Pankok eine Studienreise nach Amsterdam und erhalten, doch lassen sie nur geringen Einfluss der Bauhaus- ihr Schmuck an oder fügte eine Blumenvase und einen kleinen erhielt 1914 – vor seiner freiwilligen Meldung zum Kriegs- meister erkennen.3 Großen Eindruck hinterließen – nach Vogel hinzu. Die radikalste Fassung ist die Karte vom 13. dienst – ein Stipendium für ein Studium an der Kunsthoch- Einschätzung seines Biografen Alfred Hentzen – hingegen August: Farbstark und kontrastreich übermalte er die Portrai- schule in , wo er Unterricht bei Hans Olde und Rudolf die Werke von , die Gilles bereits 1918 bei einer tierte und ließ aus ihr – in stark vereinfachten Formen – eine Siegmund nahm. Regelmäßige Besuche im Städtischen Ausstellung in München gesehen hatte und die ihn nach- Art Madonna mit Heiligenschein werden. Die italienischen Museum in Essen, im Museum Folkwang in Hagen oder haltig beeinflussten. Im Frühjahr 1921 zog es Gilles in den Worte („e noi“, zu dt.: „und wir“) auf dieser Karte erinnern an die Besichtigung der Sonderbundausstellung in Köln 1912 Süden, sodass er sich bis zum Frühjahr des darauffolgenden seinen nicht lang zurückliegenden, ersten Italien-Aufenthalt, zeugen von dem bereits in jungen Jahren vorhandenem Jahres in Italien aufhielt. Diesem ersten, sehr prägenden wie auch der Text der Rückseite: „WGilles e Emilia / sposati in Interesse an der Kunst der eigenen Gegenwart. Aufenthalt, sollten viele weitere Italien-Reisen folgen, die spe“ (zu dt.: „WGilles und Emilia zukünftig verheiratet“). Doch seine Vorstellung von Kunst und Lebensweise nachhaltig die erwähnte Verlobung mit einer Emilia bleibt rätselhaft: Bis Nach dem Krieg studierte Gilles zunächst bei Walter Klemm veränderten. Zurück in Weimar – und im trubeligen Bau- Herbst 1920 war Werner Gilles mit der Bauhäuslerin Gunta Werner Gilles: Wandbild im Haus von Adolf Meyer (links: Wandbild von Oskar Schlemmer), an der Hochschule für bildende Kunst in Weimar, die im April haus-Leben – stellte er fest: „Es geht so viel Anarchismus Stölzl liiert. „Aber erst durch die Liebe zu Werner habe ich Weimar 1923 (zerstört), Foto: Hentzen 1960, Abb. 13 verstanden, was Bauhaus ist …“, erinnerte sich die Weberin des Jahres mit der von Henry van der Velde gegründeten und Nihilismus um, das muß wohl so sein, aber der Bewußte Nach seinen Weimarer Jahren war Gilles ab Herbst 1923 als später.5 Die Verlobung mit einer Emilia ist nicht bekannt. Kunstgewerbeschule Weimar zum Staatlichen Bauhaus zu freischaffender Künstler tätig und unternahm zahlreiche Reisen Weimar vereinigt wurde. Hier belegte er im Sommersemester in Europa. Seine Malweise, die zunächst aus einer Gemenge- Auch der Empfänger gibt Rätsel auf: Zwar sind alle Karten an 1919 einen Kurs zum Naturstudium – wohl noch bei Klemm lage aus Expressionismus, Futurismus, Konstruktivismus und die „Dänische Straße 9“ in Kiel adressiert, doch mal richte- – und wechselte zum Wintersemester 1919 in die Klasse Kubismus entstanden war, veränderte sich in der zweiten Hälf- te Gilles seine humoristischen Grüße an „Henrico Blunkus, von , der dem bereits 25-jährigen genü- te der 1920er Jahre zu einem charakteristischen und zum Teil poeta“ im „Restaurant zum blauen Affen“, dann an „Herrn gend Freiheiten ließ, seinen eigenen Stil zu entfalten. Auch sehr farbstarken Stil. Inhaltlich umkreisen seine Werke seitdem R. Blunck“ im „Kunsthaus tom Kyle“. Vermutlich handelt es wenn Gilles relativ autark agierte, stand er für die Ideale immer wieder mythologische oder mystische Themen, wobei sich bei dem Adressaten um den aus Kiel stammenden Maler der Schule ein und engagiert sich im Dezember 1919 in der Gilles ein Sujet oftmals als Serie gestaltete. Die Landschafts- Heinrich Blunck (1891-1963), der um 1912 ebenfalls Schüler Schülerversammlung öffentlich gegen die Schmährede von malerei – auch beeinflusst von seinen zahlreichen Reisen – an der Kasseler Kunstakademie bei Hans Olde gewesen war. Hans Groß (auch „Grohs“), der schließlich aus dem Bauhaus bildet eine große Motivgruppe in seinem Gesamtwerk. Andererseits arbeitete auch Richard Blunck (1895-1962), austrat und im „Dritten Reich“ stellvertretender Direktor an 1931 erreichte seine Karriere einen vorläufigen Höhepunkt: Er Werner Gilles: Der Lesende, 1919, der Nordischen Kunsthochschule in Bremen sowie überzeug- Aquarell, 31 x 23 cm, der von 1917 bis 1919 die expressionistische Zeitschrift „Die Foto: Hentzen 1960, Abb. 5 erhielt von der Preußischen Akademie der Künste ein Stipen- 2 schöne Realität“ herausgegeben hatte, als Geschäftsführer ter Nationalsozialist werden sollte. dium für einen Studienaufenthalt an der Villa Massimo in Rom, muß diese Dinge umformen zur Totalität, alles Verneinende am avantgardistischen „Kunsthaus tom Kyle“, welches 1921 Aus Gilles erster Zeit in Weimar haben sich einige Zeich- 1934 fand seine erste Einzelausstellung statt. In der Berliner zur Bejahung formen.“4 Entgegen jeder akademischen Aus- eröffnet worden war.6 Von besonderem Interesse sind neben nungen, Holzschnitte und Aquarelle, die sowohl thematisch Ateliergemeinschaft Klosterstraße, zu der zeitweilig auch den Adress- auch die Textfelder der Postkarten: Statt einer