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Bestattet in Liestals freier Erde : Emma und : "Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will"

Autor(en): Währen, Sabine

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Akzent

Band (Jahr): - (2014)

Heft 2: : zwischen Tradition und Moderne

PDF erstellt am: 29.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-842962

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Bestattet in Liestals freier Erde: Emma und Georg Herwegh «Alle Räderstehen still, wenfein starkerArm es will.»

Berlins und betreute Polens Freiheitskämpfer in [sw] Viele kennen ihn, den Satz, aber von wem tel Gefängnissen. In ihren eigenen Kreisen stammt er? Mit dem Bundeslied für den Allgemeinen preussischen sie sich kaum noch zu Hause. In ihrenTagebü- Deutschen Arbeiterverein, aus dem die Zeilen fühlte liess sie ihrem Hohn darüber freien Lauf: stammen, erfüllte Georg Herwegh sich und seiner chern «Beamtenseelen», «Hofschranzen», und «Speichellecker» Frau Emma den lang gehegten Wunsch nach einer schrieb sie abschätzig. Ein Gedicht des zunächst anonym «deutschen Marseillaise». Die zitierten Zeilen wurden Autors und Freiheitsdichters Georg zu einer überdauernden Streikiosung publizierenden ihr derart aus der Seele, dass der Gewerkschaftsbewegung. Die erste Hymne des Herwegh sprach in ihrer schwärmerischen Begeisterung unbedingt deutschen Proletariats erlitt allerdings das übliche sie die Bekanntschaft mit ihm machen wollte, was ihr Schicksal: Nach ihrem Erscheinen wurde sie umgehend 1842 anlässlich seines Besuchs in dann auch verboten, von den Arbeitern illegal auf Flugblättern Und mit welchen Folgen! weiterverbreitet, um immer wieder beschlagnahmt gelang. zu werden.

Emma und Georg Herwegh wurde 1817 in geboren. Georg In ihrer Jugend musste sich Emma um Geldfragen Nach dem Besuch des Seminars in Maulbronn, wo Gedanken machen. Ein Lebensstil bereits sein dichterisches Talent entdeckt worden keine aufwändiger mit Stadt- und Landhaus, allem zeitgenössischen war, nahm er dasTheologiestudium an der Univer- Komfort, kulturellen Anlässen und ausgiebigen sitätTübingen auf. Sein Verhalten gab offenbar derart Freizeitvergnügen sowie Reisen waren für sie Anlass zu Beanstandungen, dass er bereits ein selbstverständlich. Vor diesem Hintergrund war es kaum zu Jahr später wegen unflätigen Äusserungen gegenüber dass konservative Berliner Kreise ihre einem Repetenten von der Uni flog. Das vermeiden, mit einem armen Poeten als pure darauffolgende Jurastudium brach Herwegh aus freien Verlobung Geldheirat zu diffamieren versuchten. Die Kombination Stücken ab und lebte als Autor und Übersetzer in zu verführerisch, um nicht in solche Stereotypen Stuttgart. Sein Dienst beim württembergischen war zu verfallen: Hier die höhere Tochter aus gutem Militär endete vorzeitig mit seiner Suspendierung und Hause, dort der mittellose Schriftsteller, Sohn eines einer Kerkerhaft, weil er einen Offizier beleidigt hatte. Wirtes, der ursprünglich hätte Pfarrer werden sollen, Einer erneuten Einberufung entzog er sich durch weil dieses Studium kostenlos war. die Flucht in die Schweiz, wo er sich im KantonThur- gau niederliess und in Zürich Vorträge über moderne In Berlin verkehrte Georg Herwegh in revolutionären Literatur hielt. Dort veröffentlichte er auch seine Kreisen. Unter anderem traf er sich mit «Gedichte eines Lebendigen», welche nach ihrem und Michail Bakunin. König Wilhelm IV. liess ihn, des Erscheinen umgehend verboten - und zu einem grossen Hochverrats verdächtigt, aus Preussen ausweisen. Erfolg wurden. 1842 kehrte er als gefeierter Dichter deutsche Staaten dem Beispiel und nach Deutschland zurück. Die brisant formulierten Andere folgten erklärten unerwünschten Person. Durch Verse politischen Inhalts verschafften ihm die Herwegh zur seine Ausweisung aus Preussen, dann aus Sachsen Sympathien vieler Intellektueller sowie die Zustimmung und später auch aus Zürich, wohin er geflüchtet war, einer grossen Leserschar, die sich mit Herweghs Wettern wurde die Hochzeit von Emma und Georg verzögert. gegen die bestehenden Verhältnisse und der Bild links bücher, in Naturschönheiten und Nachdem Zürich Herwegh das Bürgerrecht verweigert Forderung nach einem Umsturz der politischen Systeme Von den Eltern Siegmund ist nicht viel bekannt. Sie Georg Herwegh denen sie über alltägliche sich über Gott hatte, begann ein unvorstellbarer Papierkrieg. identifizierten. Die überwältigende Resonanz auf stammten aus , wo Emma am 10. Mai Eindrücke philosophierte und und die Welt machte. Emma Georg und Emma mussten Urkunden und Unterlagen sein Werk veranlasste Georg Herwegh, die Herausgabe 1817 geboren wurde. Kurze Zeit später zog die Bild rechts ihre Gedanken genoss ihren die sie in abwechselnd in Berlin, in Stuttgart und in der einer politischen Monatsschrift mit demTitel «Der Familie nach Berlin. Vater Siegmund baute in der Emma Herwegh- Schulunterricht durch Privatlehrer, Geschichte Sie lernte Schweiz vorlegen. Es war regelrechterTeufelskreis: deutsche Bote aus der Schweiz» zu planen. Zu Metropole ein Stoffhandelsgeschäft auf und es gelang Siegmund und Literatur unterrichteten. mehrere als Um die Einbürgerung zu erreichen, benötigte er Werbezwecken für diese Zeitschrift begab er sich im ihm in Rekordzeit, sich im Kreis des wohlhabenden Sprachen und erhielt eine Ausbildung Pianistin schoss zunächst einmal die Entlassung aus der württembergischen gleichen Jahr auf eine Deutschlandreise. Während dieser Grossbürgertums zu etablieren. Emmas Vater war und Malerin. Sie ritt wie derTeufel, mit Pistolen im Dichterund Staatsbürgerschaft. Als steckbrieflich gesuchter wurde er in fast allen grossen Städten von seinen jüdischer Herkunft, aber protestantischer Konfession. - zwei davon sind übrigens bei Deserteur und damit als Krimineller hatte er Zuhörern begeistert gefeiert. In Berlin traf er auch jene Seine Kinder liess er im protestantischen Glauben Stadtmuseum Liestal zu sehen - schwamm - - Mondschein rauchte auf eine entsprechende Genehmigung freilich keinen Frau, die sein Leben stark prägen sollte: Emma erziehen, was in Emma Herwegh, zumindest in in Flüssen und Seen, turnte, und schickte den Feilen in den Kerker. Anspruch. Zu guter Letzt blieb Herwegh nichts anderes Siegmund, mit der er sich nach kaum zwei Monaten ihrer Jugend deutliche Spuren hinterlassen hatte. Von Revolutionären Sie besuchte die wachsenden Elendsvier¬ übrig, als zu Kreuze zu kriechen und ein direktes Bekanntschaft bereits verlobte. ihrer schwärmerischen Religiosität zeugen dieTage- rasant

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Gesuch an den König von Württemberg zu richten. Emmas Vater hatte durch die revolutionären Ereignisse Glücklicherweise erlaubte es ihm sein Einkommen, in Deutschland einen grossen Teil seines die Schulden aus seiner Studienzeit zu begleichen Vermögens verloren und war nicht mehr bereit, seine und sogar einen bezahlten Ersatzmann für den Tochter und ihren Ehemann länger auszuhalten. Georg Militärdienst anzubieten. Am 19. Februar 1843 wurde hatte aufgrund des politischen Klimas zusehends ihm dann endlich die Erlaubnis zur Auswanderung Mühe, seine Artikel zu publizieren und so versuchten erteilt. er und Emma gemeinsam, Geld mit Übersetzungsarbeiten zusammenzukriegen. Ihre Besitztümer muss- Aber wohin sollte er gehen? Der jüngste Kanton der ten nach und nach verkauft werden. Die Schadenfreude Schweiz, -Landschaft, der als Kind der 1830er unter der Exilgemeinde war ihnen dabei gewiss. Revolution zum Mekka der deutschen Revolutionäre Emma kümmerte sich vorwiegend um die alltäglichen geworden war, bot ihm das Bürgerrecht an. Er (Geld-)Sorgen, denn sie und wohl auch Georg musste es sich allerdings teuer erkaufen. Erst nachdem wollten das Bild des in sich und seiner Welt versponnen er eine Gebühr von 600 Franken und einen Dichters sorgsam weiter kultivieren. Feuereimer bezahlt hatte, verlieh ihm der Gemeinderat von Äugst das Bürgerrecht. Noch einmal 500 Franken kostete das Kantonsbürgerrecht für Basel-Land. Eine stolze Summe, wenn man bedenkt, dass zu jener Zeit ann der Arbeit, aufgewacht! eine Arbeiterfamilie drei Jahre ihren Lebensunterhalt lang Und erkenne deine Macht! damit hätte bestreiten können. Anfangs März konnten Emma und Georg Flerwegh endlich in der Alle Räder stehen still. Schweiz heiraten. Im schönen Baselbiet bleiben Wenn dein starker Arm es will. allerdings wollten sie nicht. Sie zog es in eine Grossstadt, Deiner Dränger Schar erblaßt, wo sich die Intellektuellen jener Zeit aufhielten, weshalb sie ihre Zelte in aufschlugen. Wenn du, müde deinear Last, In die Ecke stellst den Pflug. Mit der jährlichen Mitgift von Emmas Vater konnte sich das junge Paar vorerst ein luxuriöses, ja Wenn du rufst: Es ist genug! mondänes Leben leisten, mit dem es unter den anderen Brecht das Doppeljoch entzwei! Exilantinnen und Exilanten auffiel. Insbesondere Georg Brecht die Not der Sklaverei! wurde von ehemaligen politischen Freunden Paris. Sie Sohn Marcel kritisiert. Er spiele den blasierten Grandseigneur, der Brecht die Sklaverei der Not! nach Baden-Baden fliehen musste, wo Georg 1875 an mund starb 1904 in nahm ihrem einer das Versprechen ab, sie neben ihrem Georg auf sich nicht mehr für die politischen Tagesereignisse Brot Freiheit Brot! Lungenentzündung starb. ist Freiheit, dem Friedhof Liestal zu interessiere, warfen sie ihm vor. Für die Jungvermählten beerdigen. war klar, dass sie sich am gewohnten Georg Herwegh Seinem Wunsch entsprechend wurde er in Liestal «in Lebensstil Emmas orientierten. Ebenfalls klar scheint, republikanischer Erde» begraben. Seine Grabinschrift Verwendete Literatur formulierte «In seiner Heimat dass der Umgang mit den Finanzen Emmas Domäne Emma folgendermassen: Informationsblätter,1848er Revolutionen/Herweghs, Dichterund war. Sie versuchte, ökonomische Fragen so gut Nach dem endgültigen Scheitern der badischen freien Erde/Georg Herweg/Von den Mächtigem Stadtmuseum Liestal Rettenmund Barbara undVoirol Jeannette, Emma Herwegh, wie ihrem fernzuhalten. Revolution die nach verfolgt/Von den Knechten gehasst/Von den meisten möglich von Dichtergatten flohen Herweghs wieder Zürich. Limmat Verlag, Zürich 2000. schlichtes Wie auch immer - zu Beginn der Ehe spielte Geld 1850 zog Emma mit den Kindern nach Genua, weil verkannt/Von den Seinen geliebt.» Ein Stohler Martin, Georg Herwegh, in Baselbieter Heimatbuch 26, Denkmal des Kantons Basellandschaft, Liestal 2007. keine Rolle. ihr Mann eine Beziehung mit der Frau eines Freundes aus Holz sollte an ihn erinnern. Das hatte Verlag und Fellrath Freiheit überall, jeden allerdings nicht sondern Emma. Die Vahl Heidemarie Ingo, um begonnen und sich von seiner Familie getrennt Liestal finanziert, Preis Georg Herrwegh 1817 1875, J.B. Metzler Verlag, Liestaler Erst nach dem unglücklichen Revolutionszug der hatte. In dieser Zeit knüpfte sie enge Beziehungen zu fühlten sich für dessen Pflege nicht Stuttgart 1992. «Deutschen Demokratischen Legion» wurde die italienischen Patrioten. Fünf Jahre später kehrte sie in verantwortlich und Hessen es vergammeln. Möglicherweise Lage für die Herweghs prekär. Unter der Führung die Schweiz und zu Georg, dem sie seine Eskapaden war es den inzwischen bürgerlichen Baselbietern aber In Georg Herweghs wurde eine aus Emigranten gebildete verziehen hatte, zurück. Die beiden hielten sich unter auch peinlich, einen knallroten Sozi zu ehren. der Freiwilligeneinheit, die sich aufgemacht hatte, anderem mit Übersetzungen französischer, italienischer Folge setzte Emma für den toten Georg ein steinernes den Aufstand gegen den Grossherzog von Baden zu und polnischerTexte ins Deutsche über Wasser. Denkmal durch, das mit Geldern aus Deutschland unterstützen, im April 1848 von württembergischen 1866 verschlechtert sich ihre finanzielle Lage erneut finanziert wurde. Sie handelte mit den Stadtvätern Truppen geschlagen. dramatisch, sodass die Familie vor ihren Gläubigern einen Vertrag aus, in dem sie sich verpflichteten, das Denkmal zu unterhalten. Emma Herwegh-Sieg-

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