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Baselland 1848

Autor(en): Martin Leuenberger, Hans Rudolf Schneider

Quelle: Basler Stadtbuch

Jahr: 1998 https://www.baslerstadtbuch.ch/.permalink/stadtbuch/84d2b088-51ef-4bac-a279-9d5203671b78

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Die Revolution in Baden und die Flüchtlinge im Baselbiet

«In die Schweiz!» - wie die Kantone selbst. Die ge­ Dieser Ruf hatte im 18. und 19. Jahrhundert einen zauberhaften Klang. meinschaftliche Aussenpolitik Alles, was künstlerischen Rang und Namen hatte, lobte dieses kleine Rergland: und ein Bundesvertrag waren die Goethe, Schiller, Rossini. Dichter wie Wieland oder Klopstock einzigen Bindeglieder zwischen schätzten sich glücklich, wenn sie in den literarischen Salons des Landes den Kantonen. Die 20 ganzen auftreten konnten. und vier halben Kantone - oder Stände, wie sie richtig hiessen - waren voller Gegensätze.

Ideenimport - Revolutionsexport Deutsche kamen schon seit eini­ Schon am Eidgenössischen gen Jahren in die Schweiz. Erst Schützenfest von 1842 hatte der als Reisende, dann als Wander­ deutsche Dichter gesellen und seit den 1830er vom Rednerpult herab den Jahren als Demokraten und Schweizern ins Gewissen gere­ Flüchtlinge vor der Repression in det. Von aussen drohe keine den Heimatstaaten. Die Schweiz grosse Gefahr, aber im Innern war eben die einzige Republik lauere der Feind. Damit spielte in Europa und daher für die zur Herwegh auf die konservative Flucht gezwungenen Demokraten Allianz an, die sich der Schweiz ein gutes Ziel. Darüber waren des Liberalismus und Radikalis­ sich die Deutschen in der Schweiz mus, der aufkommenden Indu­ einig. strialisierung, den Ideen der Die Schweiz? Bei genauerem Eisenbahn und eines neuen, na­ Hinsehen erweist sich die Eidge­ tionalstaatlichen Marktes ent­ nossenschaft als ein Konglomerat gegenstemmte. von 24 verschiedenen Kantonen. Als im November 1847 der Ein ausgeklügeltes Zollsystem konservative Sonderbund den trennte das Land in kleinräumige Tagsatzungstruppen unterlag, Zellen. Von der (einzigen und jubelte ganz Europa, die Schwei­ einigen Helvetischen Republik) zer hätten dem Licht eine Bre­ war nicht mehr viel übrig. Die sche ins Dunkel der Reaktion Münzsysteme, Masse und Ge­ geschlagen. Ein grosses und wichte waren fast so zahlreich begeistertes Echo hallte in den

Geschichte «Kommen Sie zu uns...» 237 Demokratiebewegungen Europas nach. Aus allen Jahres 1848 der Hecker-Zug kämpfend unterging, Ecken der deutschen Fürstenstaaten kamen so­ und Dossenbach, wo kurze Zeit später die über­ genannte bei der Tagsatzung an. Sie müdete und abgekämpfte Schar der aus Frankreich nannten die Schweiz

Das Gefecht auf der Scheideck bei Kandern im April 1848, wo der Hecker-Zug kämpfend unter­ ging (Künstler unbekannt).

238 Geschichte «Kommen Sie zu uns...» aber nicht nur Rückzugsgebiet, sondern auch ein die Angst vor ihnen geschürt. Anderseits ging von operativ günstiges . Hier Hessen der Freiheitsbewegung und der Genese des eige­ sich Sympathisanten sammeln, mögliche Revolu­ nen, unabhängigen Kantons Basel-Landschaft eine tionäre , und vor allem konnten auf geradezu magische Wirkung auf alle liberalen und Schweizer Seite die Aufstände vergleichsweise un­ erst recht auf die radikalen Kräfte aus. So schrieb bekümmert vorbereitet werden. etwa der aus Braunschweig stammende deutsche Flüchtling Georg Fein an seine Mutter, wie sehr er Basel: Land und Stadt es bedauere, den Kampf und den militärischen Sieg Dass freilich in der Nordwestschweiz Baselland, der Baselbieter über die Truppen der Stadt bei der und nicht die Stadt Basel, das von den Flüchtlingen Hülftenschanz am 3. August 1833 verpasst zu favorisierte Gebiet war, findet seine Erklärung in haben.1 Fein hatte sich kurz vorher von dessen politischer Geschichte. Die Trennungs­ nach Zürich begeben und trug sich mit dem Ge­ wirren der Jahre 1830 bis 1833, und vor allem danken, sich entweder in der Stadt selbst, vorzugs­ deren Resultat, die Trennung der Untertanen­ weise im Niederdorf, oder am Zürichsee irgendwo landschaft von der Stadt, lösten auf konservativer definitiv Arbeit und Auskommen zu suchen. Es Seite heftige Hassgefühle aus. Die Radikalen wur­ reichte ihm in der Folge nur noch zur Siegesfeier den als gottlose, frevelnde Gesellen karikiert und in sein «liebes, tapferes Liestal» zurück.

. Darstellung von Martin Disteli.

Geschichte «Kommen Sie zu uns...» 239 Andere hatten diesen Freiheitskampf nicht mäler dieser Kannibalenzüge. Eine satanische verpasst. Der Schlesier Karl Kloss machte als Artil­ Wut hat die Stadt befallen; mit ihren Reichtümern lerie-Kommandeur von sich reden. Auch er wurde und furchtbaren Waffenvorräten arbeitet sie an Bürger des befreiten Kantons.2 Die Mythenbildung der eigentlichen Vertilgung des Landvolkes. Und des Baselbieter Kampfes schritt rasch voran. Ge­ Eidgenossen sehen das und dulden das und schwei­ rade weil Viele Flüchtlinge daran teilgenommen gen.»3 hatten, die dann, in alle Winde verstreut-, überall Die Stadt Basel hatte nicht nur wegen ihres die Baselbieter Sache Vertraten. Ludwig SneÜ Verhaltens gegenüber der freiheitstrunkenen Land­ betrieb in der Appenzeller Zeitung eine scharfe schaft eine schlechte Presse, sondern auch wegen Polemik gegen die Stadt Basel: «Mit geworbenem, ihrer allgemein als konservativ und patriarchalisch fremdem Gesindel zieht die Stadt Basel jeden angesehenen Politik. Sie galt als Hochburg der Morgen gegen das Land aus. Gewalthaufen von Aristokraten und befand sich - obwohl erzprote­ 500-800 Mann führen eine Reihe von Feuer­ stantisch - lange Zeit im Bündnis mit den katho­ schlünden mit sich und verwüsten die blühenden lisch-konservativen Kantonen der Innerschweiz. Dörfer an der Birs - besonders den katholischen Der junge notierte anlässlich Teil des Kantons. Haufen unglücklicher oder ver­ seiner ersten Schweizer Reise: «Gottlob, dass wir wundeter Landleute sind die schrecklichen Denk­ Basel im Rücken haben! Solch eine trockene Stadt,

Bekannte Treff­ punkte für Flücht­ linge waren Wirts­ häuser. Zeichnung: , von Strüby, Datierung unbekannt.

240 Geschichte «Kommen Sie zu uns ...» voll Bratenröcke und Dreimaster, Philister und schere> erhielt im in Patrizier und Methodisten, in der nichts frisch und Muttenz Besuch von seiner Frau und seiner ganzen kräftig ist als die Farben an Holbeins Passion, die Familie. Die Wirtschaften galten als der soziale hier auf der Bibliothek unter anderen Gemälden zu Versammlungsraum des politischen Fortschritts. sehen ist. Solch ein Nest mit allen Hässlichkeiten des Mittelalters ohne die Schönheit desselben kann Revolutionsbegeisterung - Revolutionsangst ein jugendliches Gemüt, dessen Phantasie mit den Auf Schweizer Seite fand sich die Revolution ins Schweizer Alpen und Italien vollauf zu tun hat, Wirtshaus zurückgeworfen. Nun fand sie in über­ nicht ansprechen. Ist der Übergang aus Deutsch­ füllten Sälen statt und bestand aus revolutionären land in die Schweiz, aus dem milden, rebenum- Reden und Gesängen. Im Baselbiet waren die deut­ rankten badischen Markgräflerland nach Basel schen Flüchtlinge willkommen. Zwar war die Be­ vielleicht nur darum so entmutigend, damit der geisterung für die Flüchtlinge der 30er Jahre rasch Eindruck der Alpen später desto tiefer sein einmal verebbt. Doch als es 1848 losging, standen möge?»4 Ganz offen sympathisierten daher die die Baselbieterinnen und Baselbieter wieder ein­ fortschrittlichen Köpfe in Basel mit der Landschaft, deutig auf der Seite der Revolution. Angeführt und ganz unverschämt freuten sie sich darüber, wurde das Baselbiet von seiner politischen Elite. dass die stolze Stadt «eins auf den Schnabel» Einer davon war Johannes Mesmer, - bekommen hatte, wie sich der ins rebellierende Wirt in Muttenz und Regierungsrat. Er, namhafter Baselbiet geflohene Rudolf Kölner ausdrückte.5 und einflussreicher Politiker und erst noch Vertre­ Aber auch in der den Flüchtlingen und der Re­ ter der Exekutive, bot dem Freischärler Friedrich volution so abgeneigten Stadt Basel gab es bestens Hecker Domizil. Hecker bewegte sich auf höchstem bekannte Treffpunkte für die Revolutionäre aus lokalpolitischem Parkett. Er war populär wie kein Deutschland. Weder Hessen sich die Wirtshäuser zweiter. Ein Baselbieter Leutnant hatte ihn in Basel vollumfänglich überwachen noch konnten die schon vorher davon überzeugt, dass die Landschaft Wirtsleute zu irgend etwas gezwungen werden. seiner Sache ohnehin mehr gewogen sei als die Das , das und das am Rheinsprung, um nur drei zu Basel ist keine Luft für Sie.»7 nennen, waren bekannte Flüchtlingstreffpunkte. Manche sassen eher im Wirtshaus, andere disku­ Was blieb? tierten lieber im Hinterzimmer, und Georg und Doch als die deutschen Revolutionen von 1848/49, Emma Herwegh bevorzugten den Salon. Die oder besser die Revolutionsversuche, gescheitert und der in Birsfelden, nur wenig abseits der waren, der Spuk vom , von der Stadt, waren ebenfalls voll bis unters Dach, und Demokratie, von Freiheit und Gleichheit vorbei war, auch vom allseits bekannten in Bin­ wurde es im Baselbiet ruhiger. Hecker war schon ningen war es dorthin nur ein Sprung. Überhaupt im September 1848 nach Amerika gegangen. Der waren die Wirtshäuser das Herz der Revolution Baselbieter Bürger Herwegh lebte vorübergehend auf Schweizer Boden.6 Wo anders hätten sich die wieder in Paris. Und Wilhelm Schulz, Bürger von Flüchtlinge auch treffen sollen? Sie logierten in den Baselland wie Herwegh, der im Taumel über den Wirtshäusern, viele Wirte waren Deutsche. Hier nahenden Sieg sein Bürgerrecht hatte zurückgeben trafen sie sich, hier debattierten sie die weiteren wollen, war froh, es behalten zu können. Leben Aussichten, hier stritten sie, hier träumten und freilich tat er in Zürich. Hatte nicht Georg Herwegh schrieben und dichteten sie. Gustav Struve und von seinem alten und neuen Wilhelm Georg Herwegh waren ohnehin nie ohne ihre Schulz behauptet - weil der nicht nach Paris ge­ Frauen, Amalie Struve und Emma Herwegh, unter­ gangen war -, sein «Horizont» sei «auf die Dimen­ wegs. Aber auch der weitaus «nännerbündleri- sion eines frommen friedlichen Schweizertälchens

Geschichte «Kommen Sie zu uns...» 241 eingeschrumpft».8 Die meisten Deutschen ver- Anmerkungen liessen nach und nach «das kleine Freiheitsnest».9 Eine ausführlichere Fassung dieses Beitrags findet sich in: So blieb denn die Revolution von 1848/49 im Basel­ 1848: Drehscheibe Schweiz. Die Macht der Bilder, hg. v. biet eine Episode. Immerhin eine nicht gering zu Philippe Kaenel, Zürich 1998. schätzende. Denn noch immer sieht der vielleicht beste und treueste Dichter, den die Revolution 1 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 211 N 15 hatte, Georg Herwegh, in Liestal von seinem Denk­ Nachlass Georg Fein, Briefe an die Mutter: Georg Fein mal herab. Und auf seinem Grabstein auf dem Lies- an seine Mutter, Zürich, 9. September 1833. taler Friedhof, auf welchem er nach dem Wunsch 2 Staatsarchiv des Kantons Basel-Landschaft, Bürger­ der Emma Herwegh (zusammen mit ihr) «in freier recht A3 Erteilung des Ehrenbürgerrechts des Kan­ Schweizer Erde» bestattet liegt, steht es in Stein tons Baselland 1833-1835, 1867 Entwurf «erteilen gemeisselt: «Von den Mächtigen verfolgt, Von den hiermit im Namen des souveränen Volkes» 18. Januar Knechten gehasst, Von den Meisten verkannt, Von 1834. - Vgl. auch Martin Birmann. Der dritte August den Seinen geliebt.» 1833, (Basler Jahrbuch 1888), in: Martin Birmann, Gesammelte Schriften Bd. 2, Basel 1894, S. 447. 3 Appenzeller Zeitung vom 18. Januar 1831, zitiert bei Kaspar Birkhäuser, Der Baselbieter Politiker Stephan Gutzwiller, Liestal 1983, S. 90. 4 Hier zitiert nach: , Friedrich Engels und die Schweiz, in: ders., Vom glückhaften Finden. Essays, Berichte, Feuilletons, und Weimar 1985, S.24. 5 Vgl. Martin Leuenberger, «Ergebenst, Kölner der Saure». Wie der junge Kanton Baselland wenig fein Das Grabmal von mit einem seiner feurigsten Verehrer umsprang, in: Emma und Georg Herwegh auf dem Basellandschaftliche Zeitung x. Oktober 1996. Liestaler Friedhof. 6 Vgl. dazu <1848: Wirtshaus, Hinterzimmer und Salon. Deutsche Demokraten im Baselbieter Exib. Aus­ stellung Liestal 1998, in: Freiheit verbindet - Unis par la liberté. Trinationales Ausstellungsprojekt Museum am Burghof, Lörrach/Musee Historique de Mulhouse/ Dichtermuseum und Herwegh-Archiv Liestal/Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Aus­ stellungskatalog) . 7 Friedrich Hecker, Die Erhebung des badischen Volkes, Basel 1848, S. 32. 8 Brief Georg Herwegh an Emma Herwegh, Paris, 26. Oktober 1847, über Wilhelm Schulz, in: Marcel Herwegh (Hg.), 1848, Briefe an und von Georg Herwegh, München 1896, S. 35. 9 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel, 211 N 15 Nachlass Georg Fein, Briefe an die Mutter: Georg Fein an seine Mutter, Zürich, 27. Juli 1833.

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