„Der Demokrat'sche Bänkelsänger“
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Kultur „Der demokrat’sche Bänkelsänger“ Literatur 200 Jahre Georg Herwegh. Herwegh? Von ihm blieb nichts außer vier Zeilen, die jeder kennt. Dabei war er mal so berühmt wie mutig und blamierte sich oft. Von Dirk Kurbjuweit er Dichter ist vergessen, aber ein aber ganz gut. Ein bisschen eifersüchtig Was rasch herauskam. Freiligrath spottete: paar Zeilen von ihm leben. Steht war Heine wohl auch. Der Jüngere machte „Du trotziger Diktator, /Wie bald zerbrach Dein Streik bevor, liest man sie in gerade mehr Furore als er selbst, war auf dein Stab! /Dahin der Agitator, /Und übrig Zeitungen oder auf Plakaten. Man kann dem Weg zum Freiheitshelden. nur – der Schwab’!“ sie auch singen, denn er hat sie für ein War das denn schicklich für einen Künst - Auch Heine nutzte die Gelegenheit, Lied gereimt: „Mann der Arbeit, aufge - ler, so politisch zu sein, fragte sich die Kon - dem Jüngeren eine zu verpassen. Er wacht! /Und erkenne deine Macht! /Alle kurrenz. Ferdinand Freiligrath hat Ende schrieb das Gedicht „An Georg Herwegh“, Räder stehen still, /Wenn dein starker Arm 1841 den Ton dieser Debatte gesetzt: „Der in dem er ihn zum Fantasten erklärte. Al - es will.“ Diese vier Zeilen, 18 Wörter, sind Dichter steht auf einer höhern Warte, /Als lerdings waren beide Kritiker nicht ganz geblieben von Georg Herwegh, aber kaum auf den Zinnen der Partei.“ Herwegh ant - unabhängig. Freiligrath bezog eine finan - einer weiß, dass er sie aufgeschrieben hat. wortete prompt mit einem Aufschrei: „Par - zielle Unterstützung vom preußischen Kö - Vor 200 Jahren wurde er geboren, am tei! Partei! Wer sollte sie nicht nehmen, /Die nig, Heine von der Regierung des franzö - 31. Mai 1817. Seine Heimatstadt Stuttgart noch die Mutter aller Siege war! /Wie mag sischen Königs Louis Philippe. hat zu einem kleinen Festakt eingeladen, ein Dichter solch ein Wort verfemen, /Ein Der Besuch bei Friedrich Wilhelm war die Schweiz, wo er im Exil lebte, feiert ihn Wort, das alles Herrliche gebar?“ Einen ein Desaster, aber in jenem November ein bisschen, aber das große Erinnern wird solchen Sänger könnten SPD-Chef Martin 1842 in Berlin passierte Herwegh auch das wohl ausbleiben. Schulz oder CDU-Chefin Angela Merkel Beste, was ihm je passiert ist: Er lernte Wer wird erinnert, wer vergessen? Das gut gebrauchen. Emma Siegmund kennen, Tochter eines ist die Frage zum Herwegh-Jubiläum, die Heine dagegen nannte Leute wie Her - reichen Seidenhändlers, der am Schloss - Frage nach den Regeln für das Geschichts - wegh verächtlich „Tendenzdichter“. Und platz lebte. Sie hatte sich in seine Gedichte buch. Es gibt zwei, die besonders dick sind, richtig, Herwegh hatte eine klare Tendenz, verliebt und den Schöpfer dieser Worte in das Buch für die Politik, das Buch für die nannte sich Kommunist, war nach heuti - das Haus ihrer Eltern gelotst. Nach weni - Kunst. Herwegh hatte eine Chance auf bei - gen Begriffen aber eher Sozialist. Karl gen Tagen war man verlobt, nach wenigen de, das macht ihn so besonders. Und dass Marx empfing ihn in Köln, druckte seine Monaten verheiratet. Der russische Anar - er es zweimal nicht geschafft hat. Texte in der „Rheinischen Zeitung“. chist Michail Bakunin war Trauzeuge. Anders als Heinrich Heine, der als gro - Im November 1842 traf Herwegh in Ber - Auch Emma Herwegh hatte ihre Chance ßer Dichter erinnert wird. Sie waren Zeit - lin ein und versuchte sich als Politiker. Es auf ein Geschichtsbuch – das des deut - genossen, sie waren Rivalen, sie sind sich gelang ihm, eine Audienz beim preußi - schen Feminismus. Auch sie hat es nicht hin und wieder begegnet. Heine, knapp schen König Friedrich Wilhelm IV. zu er - geschafft. Ihr 200. Geburtstag ist gerade zwanzig Jahre älter, schrieb Gedichte über gattern, um für eine Verfassung und mehr geräuschlos verstrichen. Emma wurde we - Herwegh, Spottgedichte. Wahrscheinlich Freiheiten zu werben, aber irgendwie hat nige Tage vor Georg geboren, am 10. Mai haben mehr Leute Heines Gedichte über es ihm wohl die Sprache verschlagen. Her - 1817. Sie war 25, als sie Herwegh traf, und Herwegh gelesen als Herweghs Gedichte. wegh trat nicht besonders entschlossen auf. galt als „spätes Mädchen“, als „Ladenhüter Bitterer geht es kaum. Verdient ist das aus dem Hause Siegmund“. Aber sie hatte nicht, aber eher wegen der Politik. einfach gewartet, bis jemand kam, der so Im Jahr 1842 war Georg Herwegh ein war wie sie: politisch, freiheitsliebend, re - Star. Seine „Gedichte eines Lebendigen“ volutionär gesinnt. Es gab nicht viele Män - waren im Jahr zuvor erschienen und in ner von diesem Schlag in ihren Kreisen. Preußen verboten worden, weil sie wenig Sie lebten dann in Paris, in einem luxu - verhohlen zur Revolution aufriefen. Trotz - riösen Exil, bezogen üppigen Unterhalt dem waren in gut drei Jahren 16 000 Exem - von Emmas Vater, führten einen Salon für plare unter der Hand verkauft. Herwegh, die intellektuelle Schickeria. Franz Liszt der im Exil in Zürich lebte, machte eine kam vorbei, Bakunin, Karl Marx, Iwan Tournee durch Deutschland, wurde von Turgenjew, manchmal auch Heine. Her - begeisterten Mengen empfangen, mit Ka - wegh vergaß das Dichten, vergaß die Poli - pellen, Hochrufen, und immer wieder tik, erforschte stattdessen die Anatomie musste er seinen „Morgenruf“ vortragen. von allerlei Meeresgetier. Er trug feinste So klang das dann: „Der Tag, der Tag ist Stoffe und wäre fast zum Urvater aller erwacht! /Die Nacht, /Die Nacht soll blutig Salon sozialisten geworden: viel Geld, gro - verenden. / Heraus, wer ans ewige Licht ße Klappe, keine Taten. noch glaubt! /Ihr Schläfer, die Rosen der Doch als es darauf ankam, war er wieder Liebe vom Haupt / Und ein flammendes da. Im Februar 1848 brach in Paris die Re - Schwert um die Lenden!“ volution aus und schwappte über den K P Das dröhnte und schepperte, Pathos, ho - B Rhein nach Deutschland. Willkürherr - her Ton. Heine nannte Herwegh bald die Revolutionärin Emma Herwegh 1842 schaft, Zensur, Elend, Hunger, die letzten „eiserne Lerche“. Das war gemein, traf es „Ladenhüter aus dem Hause Siegmund“ Jahre waren furchtbar gewesen. Im März 110 DER SPIEGEL 98 / 978: L A T S E I L M U E S U M T D A T S D N U - R E T H C I D Dichter Georg Herwegh 1843 „Der liebste männlich geformte Mensch“ DER SPIEGEL 98 / 978: 111 Kultur begann der Aufstand, Barrikaden in Berlin, eine direkt vor dem Haus der Siegmunds. Die Eltern lagen auf dem Boden, während draußen geschossen wurde. In Baden rief Friedrich Hecker die Repu - blik aus und marschierte mit einem kleinen Trupp von Konstanz los, um den Großher - zog in Karlsruhe zu stürzen. Geschichte wur - de gemacht, besser: sollte gemacht werden. Herwegh gründete in Paris mit anderen die Deutsche Demokratische Legion. Da - mals lebten Zigtausende deutsche Hand - werker in Paris, weil sie in der Heimat kei - ne Arbeit gefunden hatten. Rund tausend schlossen sich der Legion an, übten Mar - schieren, übten Schießen, machten sich be - reit für den Kampf gegen die Fürsten in Deutschland. Hier liegt Herweghs Größe, in der Ent - scheidung zur Tat, im Mut zum Kampf für eine gerechte Sache, Pistole statt Schreib - feder. Marx wollte nicht mittun, hatte kein Interesse an einer bürgerlichen Revolution, wollte auf die proletarische warten. Heine drückte sich ebenfalls, kränkelte, war aber ohnehin kein Mann der Tat. Er wartete G K nur darauf, dass Herwegh sich wieder lä - A cherlich machen würde. Nicht vergebens. Schlacht bei Dossenbach 1848: „Die Schüsse knallen – der Held erblaßt“ Es gab in jenen Pariser Tagen noch eine andere Entscheidung zur Tat, noch unge - die Frau und der Dichter. Sie versorgten sich in der Paulskirchen-Versammlung in wöhnlicher als die des Dichters Herwegh, die Legionäre mit Munition. Es war ein ewigen Debatten und ließen sich am Ende und die kam von seiner Frau. Emma sorgte kurzer Kampf, gegen die Regierungssolda - einseifen. Die Fürsten blieben an der für einen frühen feministischen Moment ten war die Legion, die zum Teil mit Sen - Macht. in Deutschland, indem sie nicht, wie von sen kämpfte, ohne Chance. Die Männer Das politische Geschichtsbuch fordert aller Welt erwartet, bei den Kindern blieb, flohen, auch die Herweghs, die es über den Erfolg, auch den bösen. Je schlimmer sondern Horace und den kränkelnden Ca - den Rhein nach Rheinfelden schafften. Ihr die Verbrechen, desto größer der Eintrag. mille mit dem Kindermädchen zu ihren El - Sohn Camille war inzwischen in Berlin Auch ein schöner Revolutionserfolg ist er - tern nach Berlin schickte. Emma Herwegh gestorben. innerungsfähig, wie in Frankreich oder den zog mit in den Krieg gegen die Fürsten, Die Flucht der Herweghs bewegte da - USA, nur gab es den hierzulande eben als einzige Frau der Legion. Sie besorgte mals die intellektuellen Zirkel Europas, die nicht. Zudem wirken deutsche Anstren - sich Pistolen. Zeitungen berichteten ausführlich, Spott - gungen für die Demokratie vor 1933 be - Am 24. April 1848, Ostermontag, um gedichte, Karikaturen. Sie seien mit einer sonders klein, da sie die Katastrophe nicht ein Uhr morgens, ließ sich die Deutsche Kutsche geflohen, hieß es, Emma auf dem verhindern konnten. „1848“ ist weitgehend Demokratische Legion bei Kembs über Kutschbock, Georg unter einer Spritzde - vergessen. Was schade ist. den Rhein schiffen. Sie wollte sich in Kan - cke versteckt. Prompt galt er als Feigling In den Jahren nach der gescheiterten dern mit dem Heer von Friedrich Hecker Nummer eins der Revolution, gerettet nur Revolution fiel Herwegh vor allem durch vereinen. Es war ein trauriger Haufen, nur von seiner Frau. eine Affäre mit der Frau seines Freundes noch 650 Mann und nur 200 Gewehre, Heine, weit vom Schuss in seiner Pariser Alexander Herzen auf. Sie zog sich über nicht jeder Soldat trug Schuhe. So zogen Matratzengruft, spitzte grinsend die Feder: Jahre hin und führte in die tiefsten Ab - sie über die Rheinebene auf die Schwarz - „Die Schüsse knallen – der Held erblaßt, /Er gründe des Liebeslebens hinab. Das Ende waldhöhen zu. Oben lag Schnee. Emma stottert manche unsinnige Phrase, / Er war der Tod Natalie Herzens im Wochen - Herwegh saß auf dem Bagagewagen.