Die Rechtsstellung der Frau im Gewohnheitsrecht des Nordens Albaniens

Eine rechtshistorische Darstellung

DIPLOMARBEIT

Zur Erlangung des akademischen Grades

einer Magistra der Rechtswissenschaften

an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Eingereicht bei Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Am Institut für österreichische Rechtsgeschichte und europäische Rechtsentwicklung

Karl-Franzens-Universität Graz

von

Isida Kreuzer

Graz, September 2014

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne

fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die

den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich

gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner

anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch

noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten

elektronischen Version.

Graz, September 2014 ……………………………………

Danksagungen

An dieser Stelle möchte ich mich recht herzlich bei meiner Betreuerin Frau Univ.-Prof. Dr. Anita Prettenthaler-Zigerhofer bedanken, die mich beim Verfassen dieser Arbeit sehr unterstützt hat und mir immer mit hilfreichen Ratschlägen zur Seite gestanden ist.

Darüber hinaus möchte ich mich besonders bei meinen beiden Schwestern Ilona und Irsa Toska bedanken, die mich in meinem Leben mit viel Liebe und Verständnis begleitet haben und begleiten. „Ju jeni dhurata me e bukur, qe Zoti me beri mua“.

Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern Vitore und Sheuqet Toska, die immer an mich glauben.

Mein größter Dank gilt aber vor allem meinem Ehemann Manuel Kreuzer, der mich bei meinen Entscheidungen immer mit viel Liebe unterstützt und vorangetrieben hat.

http://www.ezilon.com/maps/europe/albania-physical-maps.html, 01. 09. 2014.

Inhalt 1. Einleitung ...... 1 2. Definition „“ ...... 3 3. Das albanische Gewohnheitsrecht. Ein Überblick ...... 4 3.1. Der Kanun des Leke Dukagjini (KLD) ...... 4 3.2. Der Kanun des Skenderbeu (KS) ...... 5 3.3. Der Kanun der Laberia (KL) ...... 6 3.4. Der Kanun der Berge (Hochlandes) (KM) ...... 6 4. Wichtige Prinzipien im KLD...... 7 4.1. Die Gastfreundschaft „mikpritja“ ...... 7 4.2. Das Ehrenwort „“ ...... 8 4.3. Die Ehre „nderi“ ...... 9 4.4. Die Mannhaftigkeit ...... 11 5. Auszüge strafrechtlicher Bestimmungen vom KLD ...... 12 5.1. Öffentliches Strafrecht ...... 12 5.1.1. Die Blutrache „gjakmarrje“ ...... 12 5.1.1.1. Blutrache und Frauen ...... 14 5.2. Strafen innerhalb der Familie ...... 16 6. Gesellschafts- und Familienstruktur ...... 16 6.1. Gesellschaftsstruktur ...... 16 6.2. Die Familienstruktur ...... 17 6.2.1. Das Haus (die „Familie“) ...... 17 6.2.2. Die Teilung des Haushaltes ...... 18 6.2.3. Der Hausherr ...... 19 6.2.3.1. Der Hausherr innerhalb der Institution Haus ...... 19 6.2.3.2. Der Hausherr außerhalb der Institution Haus ...... 20 6.2.3.3. Faktische Haus-Führung durch die Frau ...... 20 6.2.4. Die Hausherrin ...... 20 6.2.5. Der Hausvorstand ...... 21 6.2.6. Die übrigen Hausmitglieder ...... 22 7. Verlobung ...... 24 7.1. Verlobungsauflösung und die Rechtsfolgen ...... 26 7.1.1. Die Auflösung der Verlobung vom jungen Mannes ...... 26 7.1.2. Die Auflösung der Verlobung von der jungen Frau ...... 27 8. Von der Verlobung bis zur Hochzeit ...... 28

9. Ehe ...... 33 9.1. Arten der Ehe...... 34 9.1.1. Die legitime Ehe ...... 34 9.1.2. Das Konkubinat ...... 35 9.1.3. Ehe als Folge der Entführung...... 36 9.1.4. Ehe „ad experimentum“ ...... 38 9.2. Eheverbote ...... 39 9.3. Die Rechtsstellung der verheirateten Frau im Haus des Mannes ...... 40 9.4. Gegenseitige Rechte und Pflichten der Eheleute ...... 42 10. Die Auflösung der Ehe ...... 44 10.1. Die Entfernung...... 44 10.2. Die Verstoßung ...... 45 10.2.1. Rechtsfolgen der Verstoßung ...... 46 10.3. Das Flüchten der Frau aus dem Haus des Mannes „t’ikunit“ ...... 48 10.3.1. Das begründete Flüchten ...... 48 10.3.2. Das unbegründete Flüchten ...... 49 10.3.3. Das Vorgeben oder Bestreiten des begründeten Flüchtens ...... 50 11. Tod ...... 51 11.1. Allgemeines ...... 51 11.2. Natürlicher Tod ...... 52 11.2.1. Natürlicher Tod vor der Hochzeit ...... 53 11.2.2. Natürlicher Tod nach der Hochzeit ...... 53 11.3. Die Tötung der (jungen) Frau ...... 54 11.3.1. Die „gjinija“ als Täterin ...... 55 11.3.2. Der Mann oder ein Mitglied seiner Familie als Täter ...... 57 11.3.2.1. Die legale Tötung ...... 58 11.3.2.1.1. Der Ehebruch ...... 58 11.3.2.1.2. Das Flüchten ...... 59 11.3.2.1.3. Die Verletzung der Gastfreundschaft ...... 59 11.3.2.2. Die illegale Tötung ...... 59 11.3.3. Die Tötung von dritter Seite ...... 60 11.4. Begräbniskosten ...... 62 12. Schwangerschaft und Tod ...... 63 12.1. Schwangerschaft der Witwe ...... 63 12.2. Die Schwangerschaft der getöteten Frau ...... 64

12.3. Der ungewollte Schwangerschaftsabbruch ...... 65 13. Die Witwe und ihre Rechtsstellung ...... 66 14. Mannfrauen „burrnesha“ ...... 70 15. Das Erbrecht ...... 73 16. Zusammenfassung ...... 75

1. Einleitung

Das Bedürfnis die juristische Denkweise und die Gedankenfolge meiner Familie mütterlicherseits zu verstehen, trieb mich dazu, mich mit dem albanischen Gewohnheitsrecht des Nordens und die Rechtsstellung der Frau darin auseinander zu setzten. Viele Wissenschaftler und Forscher, die sich ebenso mit dem Thema befasst hatten, berichten von völliger Unterdrückung und Diskriminierung der Frau. Las man darüber, betätigte sich dieser Eindruck. Dem entgegen stand die Überzeugung der Richtigkeit dieses Rechtssystems vieler alter Hochländerfrauen. Diese Widersprüchlichkeit und das Interesse diese Denkweise zu verstehen, verleiteten mich diese Arbeit zu schreiben.

Das albanische Gewohnheitsrecht, als einzige Möglichkeit die eigene Identität zu bewahren, war immer Ergänzungs- und zugleich Konkurrenzrecht zum staatlichen Recht, zu dem der Osmanen, dem des albanischen Staates nach 1912, zu Recht des Besatzungsverwaltungen im I und II Weltkrieg und zum Recht Jugoslawiens bzw. Serbiens. Es wurde über Jahrhunderte rein mündlich überliefert und in einer sehr späten Phase, Ende des 19 Jahrhundert aufgezeichnet. Mit großer Wahrscheinlichkeit reichen die Anfänge des albanischen Gewohnheitsrechts weit über die osmanische Herrschaft zurück. Dafür sprechen die in Gewohnheiten/Gebräuche enthaltenen vorchristlichen Elemente, die wegen der Unwegsamkeit und Unzugänglichkeit im Hochland über Jahrhunderte erhalten werden konnten. Diese Arbeit stellt die Rechtsstellung der Frau im albanischen Gewohnheitsrecht des Nordens dar, die Ende des 19 Jahrhundert erstmalig aufgezeichnet wurde.

Entsprechend einer patriarchalen Gesellschaft, spielte sich das Leben der albanischen Frau grundsätzlich im Haus (in der Familie) ab. Da Albaner Fremden einen Einblick ins Familienleben schwer gewehrten, ist dieser Bereich, die Rechtswirklichkeit, unerforscht. Dies erleichterten auch die vorgegebenen Regeln der Gastfreundschaft, mittels welcher der Einblick in das Familienleben verhindert werden konnte. Wissenschaftlern wurde lediglich das Leben in der Familie, nach den Regeln der Gastfreundschaft präsentiert. Dementsprechend wird von einer Doppelrechtsstellung der Frau im albanischen Gewohnheitsrecht gesprochen1.

1 Aleks Buda/Abaz Dojaka/Alfred Uci/Aleks Luarasi/Feti Gjilani/Koco Nova/Luan Omari/Mark Tirta/Rrok Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 33. 1

Das Hauptziel dieser Arbeit ist die Darstellung der Rechtsstellung der Frau im albanischen Gewohnheitsrecht des Nordens, ohne eine Bewertung oder Klassifizierung ihrer Rechtsstellung vorzunehmen.

Die Arbeit konzentriert sich auf die Rechtsstellung der Frau d.h. das Recht. Die Frage der Rechtswirklichkeit ist grundsätzlich nicht Gegenstand dieser Arbeit. Nur vereinzelt wird darauf hingewiesen. Dargestellt werden Rechtsfragen und ihre Lösungen, die sich, in den damals wichtigsten Lebensphasen einer Frau gestellt haben und in der Außenwelt getreten sind, d.h. die Verlobung, die Heirat/Ehe, Schwangerschaft, Kindergeburt und der Tod. Eingegangen wird kurz auch auf spezielle Rechtsbereiche wie jene der Mannfrauen „Burrnesha“ oder der Blutrache.

Das Albanische Gewohnheitsrecht des Nordens ist auch ein Recht Bräuche zugleich. Wurde ein Brauch/Ritual vollzogen, wurde auch ein Rechtsakt gesetzt. Eine umfassende Behandlung dieses Themas würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, weshalb nur vereinzelt darauf eingegangen wird. Der Schwerpunkt liegt bei der Darstellung der Rechtsposition der Frau.

Als Quellen dient Literatur in vier Sprachen, albanisch, englisch, italienisch und deutsch, wovon ein großer Teil von mir selbst übersetzt wurde. Das Lesen in unterschiedlichen Sprachen ist eine notwendige Voraussetzung um die Bedeutung des albanischen Gewohnheitsrechts richtig zu verstehen. Obwohl man aus den wenigen, klaren Sanktionen des Gewohnheitsrechts des Nordens den Eindruck der Genauigkeit bekommt, ist doch die Sprache die sie verwenden eine sehr Allgemeine. Ein Wort oder Satz, kann je nach Zeitpunkt, wann es gesprochen wird, Kontext des Gespräches, Ritualien die währenddessen vollzogen wurden oder Betonung unterschiedliche Bedeutungen haben.

Das Standardwerk zum Thema albanisches Gewohnheitsrecht des Nordens ist nach wie vor der „Kanun des Leke Dukagjini“, zusammengetragen von dem in Janjeva, südlich von Prishtina in Kosova, geborenen Franziskanerpater Shtjefën Gjeçovi bzw. Gjeçov (1874-1929), ins Deutsche übersetzt von Marie Amelie Freiin von Godin und ins Englische von Leonard Fox. Eine kritische, neu arrangierte Textversion auf der Basis von Gjeçovs Edition mit ergänzendem Material wurde 1989 von der Akademie der Wissenschaften Albaniens herausgegeben. Mit der Familie und die Rechtsstellung der Frau konkret haben sich unter anderem Anfang des 20 Jahrhunderts Giuseppe Valentini und Ernesto Cozzi auseinander gesetzt. Erwähnenswert sind auch die von Fatos Baxhaku und Karl Kaser veröffentlichen

2

Berichte österreichischer Konsuln und Gelehrter, aus denen nützliche Informationen herausgelesen werden können.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in sechszehn Kapiteln: In den Kapitel 1-6 wird das albanische Gewohnheitsrecht, die wichtigsten Prinzipien, das Strafrecht und die Gesellschafts- und Familienstruktur dargestellt. In den Kapiteln 7-11 werden die wichtigsten Lebensphasen einer Frau dargestellt, und ihre Rechtsstellung, d.h. die Verlobung und ihre Auflösung, Heirat, Ehe, die Auflösung der Ehe und der Tod. In den darauf folgenden 4 Kapiteln d.h. Kapiteln 12-16 werden besondere Themen behandelt, wie Schwangerschaft und Tod, die Witwe und ihre Rechtstellung, die Mannfrauen „burrnesha“ und das Erbrecht der Frau.

2. Definition „Kanun“

Die albanische Erscheinungsform des Gewohnheitsrechts ist der Kanun. Der Terminus Kanun kommt möglicherweise aus dem Sumerischen (gi, Rohr) über das Akkadische (qanu, Rohr) ins Hebräische (qane, Rohr) und ist von da ins Griechische (kanna, Rohr) übernommen worden; dort wurde es zu kanon weitergebildet, wo es ‚Regeln, Norm’ bedeutet und in der Kirchensprache als ‚normiertes Verzeichnis’ (von heiligen Bibeltexten, Gesangsformen usw.) verwendet wird (so auch als Fremdwort im Deutschen). Vom Griechischen aus wurde es ins Türkische (kanun) übernommen. Dort bedeutet es ‚Gesetz’, kanunname ‚Gesetzbuch’2. Sultan Süleyman I. (1520-1566), unter dem die osmanische Herrschaft ihren Höhepunkt erlebte, ist in der türkischen Geschichtsschreibung als Kanuni (der Gesetzgeber) bekannt, weil er das türkische Boden- und Verwaltungsrecht umfassend kodifizierte. Fast 200 Jahre zuvor hatte Murat I. (1360- 89) als erster osmanischer Herrscher systematisch begonnen, kanun zu erlassen. Denn im osmanischen Rechtsverständnis war kanun als weltliches Recht nur Ergänzungsrecht zum Religionsgesetz (Seriat), das auf dem Koran und der Sunna basierte3. Die Albaner haben das Wort kanun von den Türken entlehnt; die primäre Bedeutung ist Recht bzw. Rechtssystem. Für das einzelne Gesetz wurden ligj (aus lat. lex) und nom (aus griech. nomos) gebildet4. Ein weiterer, vielleicht älterer Begriff, für das Gewohnheitsrecht ist doke5.

2 Michael Schmidt-Neke, Einführung, in: Robert Elsie Hrsg., Der Kanun. Das albanische Gewohnheitsrecht nach dem sogenannten Kanun des Leke Dukagjini. Kodifiziert von Shtjefen Gjecovi. Ins Deutsche übersetzt von Marie Amelie Freiin von Godin. Einführung von Michael Schmidt-Neke. Herausgegeben mit Vorwort und Bibliographie von Robert Elsie. 2003. 3 Elsie et al, Einführung, S. 10. 4 Elsie et al, Einführung , S. 11. 3

3. Das albanische Gewohnheitsrecht. Ein Überblick

Das albanische Gewohnheitsrecht findet seinen Ausdruck im Wort Kanun, der meist im Zusammenhang mit Namen oder Gegenden gebraucht wird6. Es gibt insgesamt vier Hauptvarianten des Kanun, die teilweise wiederum Varianten haben7 und zwar der Kanun des Leke Dukagjini Kanuni i Leke Dukagjinit (KLD), der Kanun des Skenderbeu Kanuni i Skenderbeut (KS), der Kanun der Laberia Kanuni i Laberise (KL) und der Kanun des Hochlandes Kanuni i maleve (KM). Allen Kanunen sind folgende Prinzipien gemeinsam: Gleichheit der Blutsverwandten, Ehre, das Ehrenwort besa und die Gastfreundschaft8.

3.1. Der Kanun des Leke Dukagjini (KLD)

Der Kanun des Leke Dukagjini, alb. Kanuni i Leke Dukagjinit (Recht des Leke Dukagjini, abgekürzt KLD), stellt die bekannteste Sammlung des albanischen Gewohnheitsrechtes dar9. Diese Regionalvariante ist weit besser dokumentiert und systematisch erforscht als alle anderen Kanune10. Der KLD existiert auch in Varianten11. Das Kernland des KLD ist Dukagjin, d.h. das Hochland von Lezha, , , , und Nikaj Merturi, sowie die Dukagjin-Ebene im heutigen westlichen Kosovo12. Leke Dukagjini (1410-1481), nach dem der Kanun genannt wird, bleibt eine wenig bekannte, schleierhafte Person, die ein Fürst und ein Weggefährte des albanischen Nationalhelden Skanderbegs (1405-1468) gewesen sein soll. Ob er den Kanun zusammenstellte oder ihm lediglich seinen Namen gab, ist nicht zu ermitteln13. Der Kanun wurde von den Stämmen des Nordens streng beachtet und hatte Vorrang vor anderen Rechtssystemen, seien sie staatlicher oder kirchlicher Art. Mit Hilfe dieses alten Systems konnten die Gebirgsstämme auch während der fünf Jahrhunderte, als sie zumindest

5 Elsie et al, Einführung, S. 10. 6 Redi Isak, Der Kanun in Albanien, Gewohnheitsrecht im modernen Staat?, S. 41. 7 Siehe: Luan Omari/Aleks Luarasi, Historia e shtetit dhe e se drejtes ne shqiperi, S. 233 ff. 8 Elsie, der Kanun, S. 237. 9 Elsie et al, Vorwort, S. 3. 10 Siehe: Isak, Der Kanun in Albanien, S. 41. 11 Elsie et al, Einführung, S. 11.; Eine Variante davon ist z.B. KLD in der Variante von Puka, eingehalten in Puke und kodifiziert von Xhemal Meci. 12 Elsie et al, Vorwort, S. 3. 13 Siehe dazu: Aleks Buda/Abaz Dojaka/Alfred Uci/Aleks Luarasi/Feti Gjilani/Koco Nova/Luan Omari/Mark Tirta/Rrok Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 351. 4

formell Teil des Osmanischen Reichs waren, ihre Identität, ihre Autonomie und ihre Lebensart bewahren14. Die schriftliche Variante der gewohnheitsrechtlichen Bräuche beruht auf den ethnographischen Sammlungen des albanischen Franziskanerpriesters Shtjefen Gjecov (1874- 1929), geboren in Janjeva, südlich von Prishtina in Kosovo. 1929 wurde er in der nordalbanischen Stadt Shkodra/Skutari von jugoslawischen Häschern ermordet. Albanische Franziskanerbrüder vervollständigten sein Werk, das 1933 als der Kanun des Leke Dukagjin‘ in Form eines Rechtsbuchs mit Paragraphen veröffentlicht wurde15. Gjecov hat das nordalbanische Gewohnheitsrecht in einer sehr späten Phase aufgezeichnet. An einigen Stellen (z.B. §§ 898-900) verweist der Text selbst auf einen älteren Stand. Noch deutlicher wird die „Schichtung“ der Rechtsentwicklung verschiedener Epochen durch die starken vorchristlichen Elemente, die mit christlichen kombiniert werden16 Der KLD enthält 1263 Paragraphen und ist unterteilt in zwölf Büchern. Buch 1 regelt die Stellung der Kirche in zivil- und strafrechtlicher Beziehung, die Bücher 2-9 decken das Zivilrecht incl. Familienrecht, Buch 10 das Strafrecht und die gütliche Beilegung, Buch 11 das Öffentliche Recht, Buch 12 legt die rechtliche Privilegien und Diskriminierungen bei Todesfällen fest17.

3.2. Der Kanun des Skenderbeu (KS)

Der Kanun des Skenderbeu, alb. Kanuni i Skenderbeut (Recht des Skenderbeu, abgekürzt KS), ist auch bekannt als der Kanun der Arberia Kanuni i Arberise. Er wurde in erster Linie in den Gebieten von Mat, Dibra, Kruja, Kurbin, Benda und Martanesh, bis Elbasan und Librazhd, also südlich des KLD eingehalten18. Der Kanun wurde nach dem albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skenderbeu benannt und im 20. Jahrhundert von Dom Frano Illia, während den Jahren 1936-1966 kodifiziert19. Publiziert wurde der KS erst im Jahre 199320. Der KS umfasst insgesamt 3534 Paragraphen, die die Lebensweise dieser Gebiete regelten21.

14 Elsie et al, Vorwort, S. 3 15 Siehe: Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42. 16 Elsie et al, Einführung, S. 16. 17 Elsie et al, Vorwort, S. 7. 18 Siehe: Elsie et al, Vorwort, S. 7. 19 Omari/Luarasi, Historia e shtetit dhe e se drejtes, S. 234 f. 20 Siehe: Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42. 21 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 43. 5

3.3. Der Kanun der Laberia (KL)

Der Kanun der Laberia, alb. Kanuni i Laberise (Recht der Laberia, abgekürzt KL), fand sein Anwendungsgebiet in Südalbanien, konkreter die Gebiete Vlora, Kurvelesh, Himara und Tepelena, vor allem aber in den sog. Gegend der drei Brücken (Drashovica, Tepelena und Kalasa)22. Im KL werden die Ethik, ein System hoher moralischer Werte, sowie grundlegende juristische Prinzipien der Verteidigung der Ehre, der Mannhaftigkeit, Hochherzigkeit, Treue, Gastfreundschaft, des Edelmuts, Prinzipien der Gleichheit des Blutes und der Freiheit genannt. Der KL gliedert sich in zehn Teile mit 50 Kapiteln und 883 Paragraphen23.

3.4. Der Kanun der Berge (Hochlandes) (KM)

Der Kanun der Berge, alb. Kanuni i Maleve (Recht der Berge, abgekürzt KM), ist auch bekannt als Kanun des Hochlandes alb. Kanuni i Malesise se Madhe, (Recht des Hochlandes), der vor allem von den Stämmen der , , , , Kuc, , und Bytyci, also in den Gebiet zwischen dem Shkodrasee im Westen und dem Hochland von Gjakova im Osten, nördlich des Geltungsgebiets des KLD, anerkannt und eingehalten wurde24. Sonst ist nicht viel über ihn bekannt.

Die Überlebenschancen des albanischen Gewohnheitsrechts waren abhängig von der Effizienz der fremden Verwaltungssysteme. Im Fall des osmanischen Reiches war zwar ganz Albanien im osmanischen Verwaltungssystem integriert, doch die Durchsetzungsfähigkeit der osmanischen Verwaltung war abhängig von der Infrastruktur. In den Städten war die osmanische Kontrolle umfassend, in den ländlichen Ebenen konnten sich Restbestände des alten Systems lange halten25. Dies führte dazu, dass das Gewohnheitsrecht als Ergänzungs- und zugleich Konkurrenzrecht zum Recht der Osmanen, dem des albanischen Staates nach 1912, zum Recht der Besatzungsverwaltungen im I und II Weltkrieg und in Kosovo zum Recht Jugoslawiens weiter existierte26. Erst die Kommunisten, angeführt von Enver Hoxha, die 1944 an die Macht kamen, setzten durch, was vor ihnen keiner Macht gelungen war: Sie

22 Elsie et al, Vorwort, S. 8. 23 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 43. 24 Elsie et al, Vorwort, S. 7. 25 Elsie et al, Einführung, S. 15. 26 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42. 6

dehnten die Staatsautorität bis in die bislang autonomen Berg-Regionen aus und schafften somit das Gewohnheitsrecht ab27. Das albanische Gewohnheitsrecht konnte, wegen der Unwegsamkeit und Unzugänglichkeit des Hochlandes in diesen Gebieten am längsten und am reinsten erhalten werden, weshalb das Gewohnheitsrecht des Nordens, mit Schwerpunkt KLD im Folgenden behandelt wird.

4. Wichtige Prinzipien im KLD

Die wichtigsten Prinzipien im albanischen Gewohnheitsrecht des Nordens sind die Gastfreundschaft mikpritja, das Ehrenwort besa, die Ehre nderi und die Mannhaftigkeit burrnija. Alle Prinzipien waren streng miteinander verbunden, sodass die Verletzung eines Prinzips zugleich zur Verletzung der anderen Prinzipien führte. So konnte ein Verstoß gegen die Gastfreundschaft, auch ein Verstoß gegen das Ehrenwort besa, die Ehre und die Mannhaftigkeit darstellen. Anhand der Einhaltung dieser Prinzipien konnte die Rechtsstellung und die Stellung in der Gesellschaft eines Individuums und eines Hauses bestimmt werden. Wurden die Prinzipien von einen Individuum und Haus bewahrt, genoss der Bewahrer in der Gesellschaft ein hohes Ansehen und die Gesellschaft gab dem Bewahrer seinerseits Rechte und Schutz.

4.1. Die Gastfreundschaft „mikpritja“

§ 602 KLD bestimmt: „Das Haus des Albaners gehört Gott und dem Gast“28. Der Gast wurde mit dem größtmöglichen Aufwand verpflegt, beherbergt, geehrt und geschützt. Diese Verpflichtungen gegenüber dem Gast dürften aus unterschiedlichen Gründen entstanden sein. Eines dieser Gründe, die die Hochländer bewegten, diesem Prinzip mit dem Empfinden der Rechtsüberzeugung zu folgen, dürfte der Reziprozitätsgedanke verbunden mit der Notwendigkeit einer Herberge während einer Reise gewesen sein. Um diesen Prinzip eine stärkere Wirkung zu verleihen, durfte er mit dem Prinzip der Ehre verbunden worden sein. Der Gast befand sich im Terrain des Gastgebers und der Gastgeber hatte als ehrenvoller Mann und Teil einer ehrenvollen Familie seinen Gast zu beschützen. Ein Zuwiderhandeln hätte zugleich den Verlust der Ehre und ein Verstoß gegen das Ehrenwort bedeutet. Der Schutz schloss die Verteidigung des Gastes gegen jeden Angriff und jede Ehrverletzung im Haus und

27 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 70. 28 Elsie, Dar Kanun, S. 123. 7

auf der Weiterreise ein, bei der ein Hausmitglied ihn begleiten musste29, denn der Gastfreund war unantastbar30; der Hausherr übernahm zugleich auch die Verantwortung für Verfehlungen des Gastes. Die Gastfreundschaft musste auch einem Feind gewährt werden. Sie endete in dem Moment, wo der Gast und sein Begleiter sich trennten31.§ 621 KLD: „Der Freund wird begleitet, soweit er begleitet zu sein bittet“32.

Als Begleiter auf der Weiterreise diente oft eine Frau. Die Frau als Begleiterin hatte mehrere Vorteile. Waren die Männer der Blutrache ausgesetzt, konnte keiner den Gast begleiten, ohne sich selber in Gefahr zu bringen. Frauen dagegen konnten nicht der Blutrache verfallen, sie waren unantastbar „pushka e grueja nuk hulumtohen“33. Darüber hinaus hatten sie das Recht, gleich einem Mann, im Rahmen der vorgegebenen gastfreundschaftlichen Verhaltensweisen besa zu geben, d.h. jemanden unter Schutz zu nehmen, indem sie ihn begleiteten. Kam der Gast von dritter Seite zu Schaden, stellte dies ein Verstoß gegen das Schutzverhältnis Gastgeber – Gast dar und damit ein Verstoß gegen das Hausrecht. Die Rechtsfolgen waren die Gleichen, als hätte ein Mann den Gast unter Schutz genommen, d.h. der Verfall des Dritten in Blutrache mit der Gastgeberfamilie34. Verstieß die Frau selbst gegen die von ihr selbst gegebene besa, bildete dieser Verstoß einen Verstoß gegen die Gastfreundschaft, der mit ihrer Hinrichtung zu enden hatte35.

4.2. Das Ehrenwort „besa“

Es lässt sich nicht direkt ins Deutsche übersetzen, sondern umfasste die Begriffe Friedenspakt, Allianz, Waffenstillstandsabkommen, gastfreundschaftliches Bündnis, Ehre des Hauses, Ehrenwort, Schwur, Sicherheitsgarantie, Loyalität, Treue und vieles anderes mehr36.

29 Vgl. Fatos Baxhaku/Karl Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens. Berichte und Forschungen österreichischer Konsuln und Gelehrter (1861-1917), S. 49. 30 Ernesto Cozzi, La vendetta dell sangue nelle Montagne dell `Alta Albania, in: Anthropos, Bd. 5, H. 3. (1910), S. 666. 31 Cozzi, La vendetta dell sangue, S. 47 32 Elsie, Der Kanun, S. 125. 33 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 108 f. 34 Vgl. Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42. 35 Cozzi, La donna albanese, S. 328,; Donato Martucci, L`albero del Latte. La donna nel diritto consuetudinario albanese, in: Quaderni Lupiensi die Storia e Diritto, n. 2, S. 199.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 76.; 36 Stephanie Schwander-Sievers, Zur Logik der Blutrache in Nordalbanien. Ehre, Symbolik und Gewaltlegitimation, in: Sociologus 46, S. 116 8

Die Hauptbedeutung des Prinzips besa war eine Frist der Freiheit und Sicherheit, die das Haus des Getöteten dem Täter und seinen Hausgenossen unmittelbar nach der Tötung gewährte, um ihn nicht sofort und vor einer bestimmten Frist für die Tat zu rächen. Man unterschied zwischen der kleinen besa, die 24 Stunden andauerte und der großen besa die 30 Tage betrug. In dieser Zeit wurde der Täter von der Familie des getöteten i zoti i gjakut nicht verfolgt37.

Im Fall der Blutfehden galt besa als eine Art Garantie, dass für eine bestimmte Zeit keine Blutrache ausgeübt wird38.

Besa diente auch als Schutzschirm. Befand sich jemand unter anderem besa, so machte es ihn ebenfalls unantastbar. Bei Zuwiderhandeln bedeutete dies die allerschwerste Beleidigung des Beschützers und man verfiel ihm gegenüber der Blutrache39.

Besa kann auch als eine Verbürgung mit dem Ehrenwort sein, welches von den albanischen Bergstämmen höher als ein Eid gehalten und streng geachtet wurde. Ein Verstoß dagegen wurde strengstens bestraft. Die Sanktion der Verletzung des besa als Ehrenwort war der Verlust der Ehre40.

4.3. Die Ehre „nderi“

Die Ehre nderi spielte die wichtigste Rolle im Leben der Menschen der albanischen Stammesgesellschaft. Sie repräsentierte den sozialen Status einer Person. Das respektable Auftreten, ein beispielhaftes und regelrechtes Verhalten, sowie gegenseitiges Vertrauen konnten die Ehre und zugleich die Position eines Mannes in der Gesellschaft bestimmen41.

Bei der Ehre wurde unterschieden zwischen persönlicher und gemeinschaftlicher. Die persönliche Ehre war die Ehre des einzelnen Individuums. Die gemeinschaftliche Ehre umfasste die Ehre mehrerer Personen, so z.B. die Ehre der Familie42. Aus der gemeinschaftlichen Ehre ließ sich teilweise auch die persönliche Ehre ableiten, weshalb beide nicht streng getrennt voneinander zu betrachten sind.

37 Vgl. Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42.; Xhuzepe Kasteleti, Normat zakonore dhe jeta shoqerore ne kanunin e Lek Dukagjinit, Rom 1933, S. 117. 38 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 42 39 Vgl. Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 327. 40 Vgl. Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 45f. 41 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 48. 42 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 108 f. 9

Träger der persönlichen Ehre konnte grundsätzlich nur ein Mann sein. Die Ehre jedes Mannes war gleich, unabhängig von seiner sozialen Stellung. § 596 KLD: „Gott gab uns zwei fingerbreit Ehre auf die Stirn“43.

Eine Entehrung war es, jemanden öffentlich der Lüge zu bezichtigen, jemanden anzuspucken, zu bedrohen, zu stoßen oder zu schlagen, einem anderen das ihm gegebene Wort zu brechen, jemandes Frau Gewalt anzutun oder zu entführen, jemandem die Waffe wegzunehmen, jemandes Gast zu beleidigen, bei jemandem einzubrechen, Schulden oder Verpflichtungen nicht einzuhalten, bei jemand anderem den Deckel vom Topf auf dem Herd abzunehmen, die Vortrittsrechte des Gastes beim Eintunken des ersten Bissens zu missachten44.

Ehrverletzungen konnten nicht durch Sachleistungen abgegolten werden, sondern nur durch Vermittlung vergeben oder mit Blut abgewaschen werden45. § 597 KLD: „Die geraubte Ehre hat keine Buße. Die geraubte Ehre kann nicht verziehen werden“ (versöhnt durch Buße). § 598 KLD: „Die geraubte Ehre wird durch Gegenstände nicht ersetzt, aber durch das Vergießen des Blutes oder durch die edle Vergebung”46. Die Vergebung einer Ehrverletzung wurde als Zeichen der Schwäche gedeutet. Ein entehrter Mann wurde für tot gehalten. § 599 KLD: „Der entehrte hat die offene Tür hinsichtlich seiner Ehre“. § 600 KLD: „Demjenigen dem die Ehre entzogen wurde, gilt vor dem Kanun als tot“47.

Die Frau leitete ihre Ehre von der gemeinschaftlichen ab und hatte, abgesehen von drei Fällen, keine persönliche Ehre erz s`kaa. Ihre Ehre war Bestandteil der Ehre des Mannes oder/und ihrer Familie. Wurde eine verheiratete Frau entehrt dhunue, war dies die denkbar schwerste Verletzung der Ehre des Mannes. Die persönliche Ehre der Frau war nur dann verletzt, wenn sie als Folge eines verübten oder versuchten Attentats zum Schreien gebracht wurde me baa me brit, ihr der Wasserbehälter gebrochen wurde me ja thye bulieren, ihr Seil, das sie zum Tragen verwendete geschnitten wurde me ja pree konopin. Alle anderen Fälle stellten keine Verletzung der persönlichen Ehre der Frau dar, sondern die Ehrverletzung ihrer Blutsverwandtschaft, dessen Teil sie war48.

43 Elsie, Der Kanun, S. 26,; Isak, Der Kanun in Albanien, S. 49. 44 § 601 KLD 45 Siehe: Stephanie Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Helmut Eberhart/Karl Kaser Hrsg. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, 117-132, S. 122. 46 Elsie, Der Kanun, S. 122 ff. 47 Elsie, Der Kanun, S. 122 ff. 48 Kasteleti, Normat zakonore, S. 131 ff. 10

War die Frau ledig, wurde ihre Ehre durch die männlichen Familienmitglieder gerächt. Persönliche Ehrverletzungen der Frau konnten auch nicht durch Sachleistungen abgegolten werden, sondern nur durch Vermittlung vergeben oder mit Blut abgewaschen me u la werden. Wurde die Ehrverletzung mittels Vermittlung vergeben, hatte der Verletzter eine Geldbuße in Höhe von 3000 Piaster zu zahlen. Die Höhe der Geldbuße war sowohl für Ehrverletzungen der Frau als auch für jene des Mannes ausnahmsweise gleich49.

War die Frau verheiratet, oblag die Überwachung und das Rächen der weiblichen Ehre dem Ehemann. Erst wenn es zu Fällen von Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr kam, war die Entscheidungskompetenz des Hausherrn der Familie des Ehemannes gefordert. Ansonsten mischte der Hausherr sich nicht direkt in die „weibliche Subkultur“ ein, sondern übertrug dies der Hausherrin50.

4.4. Die Mannhaftigkeit

Die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern war nicht vorgesehen, wohl aber die Gleichberechtigung zwischen allen Männern. Ob Krüppel, Dieb oder Ehrenmann, reich oder arm, jung oder alt, jedem gebührten die gleichen Rechte und Pflichten. „Der Gute und der Schlechte haben den gleichen Wert“ heißt es in § 594 KLD51.

Somit wird im Kanun des Leke Dukagjini nicht zwischen Mann und Mann unterschieden, denn beide sind Seelen und als solche beide gleich52.

So sehr sich der Kanun auf den Wert des männlichen Individuums bezog, traf Ehre oder Unehre eines Mannes oder auch einer Frau, die gesamte Familie. Denn mit der Umformung vom Stamm zur kleineren Einheit der Familienverbände bildeten sich die Familie/das Haus zum Mittelpunkt der Gesellschaft heraus. Aus der Ehre des Mannes entwickelte sich die Ehe des Hauses53.

49 Cozzi, La donna albanese, S. 333.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 108 f, 306.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 131ff. Gjonlekaj Publishing, S. 249, 250.; 50 Siehe: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan…S. 358. 51 Kasteleti, Normat zakonore, S. 111 f.; Elsie, Der Kanun, S. 120. 52 Siehe: § 594 KLD ff.; Elsie et al, Einführung, S. 26.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 111 f 53 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 49 f. 11

5. Auszüge strafrechtlicher Bestimmungen vom KLD

5.1. Öffentliches Strafrecht

Die Strafjustiz des Kanun war eine Mischung aus öffentlicher Justiz und Selbstjustiz.

Der Katalog der öffentlichen Strafen beinhaltete verschiedene Stufen der Einschränkung der Lebensgrundlagen des Schuldigen und seiner Familie; es reichte von Geld- und Sachstrafen über die Verwüstung von Ackerland, das Niederbrennen des Wohnhauses und die Vertreibung der Familie aus dem Stamm bis hin zur Todesstrafe (§ 13 ff. KLD). Haft und Körperstrafen kamen nicht vor, da sie mit der Ehre erwachsener Männer unvereinbar waren. Die Todesstrafe wurde kollektiv durch das Dorf bzw. Banner, meist durch Erschießen vollstreckt. In diesem Fall blieb der Tod ungerächt „das Blut geht verloren“. Die kollektive Tötung fiel auf keinen Einzelnen und keine Familie zurück. Sie stand auf besonders schwere Delikte wie Tötung eines Priesters, des eigenen Vaters, eines Gastes, eines Feindes, der unter dem Schutz des Ehrenwortes stand, eines Verwandten aus Erbschaftsgründen, eines Boten aus dem eigenen Dorf oder infolge einer ungerechtfertigten Verschiebung von Grundstücksgrenzen, Schusswaffengebrauch in einer Versammlung (§§ 17, 62, 251, 1125, 1194 KLD)54.

Der Katalog der Strafen im Rahmen der Selbstjustiz beinhaltete u.a. den Diebstahl als Entschädigung für eine verübte Rechtsverletzung55 und die Blutrache56.

5.1.1. Die Blutrache „gjakmarrje“

Die fahrlässige Tötung war nach KLD iSd. Blutrache straflos57. In diesem Fall wurde die fahrlässige Tötung mittels einer Entschädigung in Geld und/oder Naturalien wiedergutgemacht58. Die Blutrache gjak oder gjakmarrje war meist die Folge eines Mordes59. Sie wurde, anders als die Todesstrafe, die von der Gemeinschaft vollstreckt wurde, von der Familie (der patrilinearen Verwandtschaft) des Geschädigten innerhalb der Regeln des Kanun

54 Elsie et al, Einführung, S. 24 f. 55 Diebstahl als Entschädigung für eine verübte Rechtverletzung oder Diebstahl als „zurückstehlen“ des eigenen bereits gestohlenen Eigentums. Ähnlich einer Exekution. 56 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 182 ff. 57 Elsie et al, Einführung, S. 29. 58 Vgl. § 932-§ 938 KLD. 59 Mord als erstmalige Tötung, die die Blutrache nach sich zieht. 12

vollstreckt. Sie betraf nur Männer. Auf Frauen und Kinder durfte ebenso wenig wie auf Vieh und Häuser geschossen werden (§§ 835-836 KLD). Der Mörder dorëras musste die Familie des Opfers informieren und für den Transport des Toten zu dessen Familie sorgen. Auf keinen Fall durfte er dessen Waffe stehlen; wenn er sie zum Beweis seiner Tat mitnahm, musste er sie der Familie des Opfers schicken. Er musste durch Vermittler zunächst einen 24stündigen Waffenstillstand besë erwirken und an der Beerdigung seines Opfers teilnehmen; die Familie konnte noch einen weiteren 30tägigen Waffenstillstand gewähren, musste es aber nicht. Gelang es der Familie des Opfers, den Mörder, ohne dass eine besë gewährt wurde, binnen 24 Stunden zu töten, galt dies als vollzogene Blutrache, danach eröffnete die Tötung des Mörders eine neue Blutrache (§§ 843-873 KLD). In der ursprünglichen Form des Kanun richtete sich die Rache nur gegen den tatsächlichen Mörder, später gegen jeden männlichen Verwandten (§§ 898-900 KLD). Auch die Tötung in Selbstverteidigung, zur Abwehr eines Raubes, einer Brandstiftung oder wegen einer Beleidigung zog Blutrache nach sich, obwohl die Ehre es häufig verlangte, zur Waffe zu greifen (§§ 909-915 KLD)60. Die Blutrache endete nie, es sei denn sie wurde verziehen61. Die Legalität der Tötung des Gegners im Falle der Blutrache basierte auf dem archaischen Satz „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ „gjak per gjak, e var per var“ „Blut für Blut, Verwundung für Verwundung“. Unter „Blut“ ist das Blut als lebenserhaltenes Element zu verstehen. Als Ausfluss der Blutrache als legale, von der Allgemeinheit gebilligten Handlung, ergab sich auch der Satz „wer bei einem Rachemord hilft, verfällt nicht der Blutrache“ „puntori me mar gjak, nuk bjen gjak“62. Das Mithelfen oder Anstiften zur Blutrache wurde auch als Mithelfen oder Anstiften zur Wiedererstellung der Gerechtigkeit betrachtet63. Etwas anderes galt im Fall des Mordes im Sinne vom erstmaligen Töten. Beim Mord verfiel nicht nur das Haus des Ausführenden des Anschlags, sondern auch das Haus des Anstifters oder das der Mittäter der Blutrache (§§ 822-842 KLD). Den Grund warum die Blutrache es nicht beim Talionsprinzip beließ „das vergossene Blut fordert das Vergießen neuen Blutes“, sieht Kaser in der Ahnenkult ein: Die Seele des Ermordeten kann erst dann Ruhe finden, wenn sein Tod gerächt wurde64.

60 Elsie et al, Einführung, S. 30 f. 61 Siehe: Kasteleti, Normat zakonore, S. 126 ff.; Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 235 ff. 62 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 324 ff.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 112 f, 114. 63 Vgl. Elsie et al, Einführung, S. 29. 64 Elsie et al, Einführung, S. 31 f.; Karl Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprung und Gegenwart des balkanischen Patriarchats, S. 275-279.; Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 227.; Siehe auch: 13

5.1.1.1. Blutrache und Frauen

Es gibt viele Vorschriften im KLD die die Frau von der Blutrache ausnehmen. Es gilt zwischen passiven und aktiven Rachemord zu unterscheiden d.h. zwischen Subjekt und Objekt der Blutrache i zot i gjakut oder gjaksi und gjaksori65.

Erwachsene Männer sind sowohl Objekte als auch als Subjekte der Blutrache.

Die Frau als Objekt der Blutrache ist im Kanun explizit ausgenommen. § 836 KLD: „Der Hinterhalt wird schießen, aber nicht auf Kinder, Frauen, Häuser und Vieh. Schoss der Hinterhalt auf eine Frau, ein Kind, ein Haus oder Rind, handelt er gegen den Kanun, und wenn dies der Stamm der Hinterhaltleger nicht in Rechnung zieht und sie nicht nach dem Kanun bestraft, so wird sogleich der Kampf Haus gegen Haus beginnen, Sippe gegen Sippe, Dorf gegen Dorf, Stamm gegen Stamm“66. § 897 KLD: „Mit der Frauenschaft aus dem Haus des Täters hat das Haus des Erschlagenen nichts zu schaffen, denn die Frau und der Priester fallen nicht ins Blut”67. § 57 KLD: „Die Frau fällt nicht ins Blut, die Frau lässt ihr Blut bei den Eltern. Obschon nach unserem Kanun das Blut mit dem Finger geht, so begreift doch diese Bestimmung die Frau nicht mit ein, weil die Frau nicht ins Blut fällt, selbst wenn sie jemanden erschlägt“68. Den Grund für diese Ausnahme sah Cozzi in der Mentalität der Gesellschaftsgruppen Nordalbaniens. Die Frauen galten als das „schwache Geschlecht“. Sich an einer Frau zu rächen, wäre auf Grund ihrer Schwäche gleich schandhaft und unehrenhaft gewesen, wie sich an einen unmündigen zu rächen69. Dies dürfte zudem auch mit taktischen Gründen zu tun gehabt haben. Stellt man sich die Frau als Objekt der Blutrache vor, wären die Folgen Frauenmangel und damit Gefährdung der Patrilinie. In einer Gesellschaft, die lediglich darauf gerichtet ist, sich möglichst zu vermehren, wäre dies ein vernichtendes Urteil gewesen. Die Blutrache als Sanktion war in einer Gegend, wo keine staatlichen Einrichtungen existierten, notwendig. Daher dürfte die logischste Lösung jene gewesen sein, den Mann alleine als Objekt der Blutrache zu betrachten und einem möglichen Männermangel durch das

Ismail Kadare, Der zerrissene April, S. 22 f.; Cozzi, La vendetta del sangue S.660,; Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 235 ff. 65 Kasteleti, Normat zakonore, S. 118 f. 66 Elsie, Der Kanun, S. 153 67 Elsie, Der Kanun, S. 162. 68 Elsie, Der Kanun, S. 42 69 Vgl. Cozzi, La Donna albanese S. 811.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 118 ff. 14

Rechtsinstitut der Polygamie entgegenzuwirken70. Waren die Männer der Blutrache ausgesetzt, so bedurfte es immer einer Gesellschaftsgruppe, die die Aufgaben des täglichen Lebens weiter führen konnte. Diese Gruppe musste als Objekt der Blutrache ausscheiden und mit einer gewissen Immunität ausgestattet werden. Eine zusätzliche Gruppe zu finden, hätte die Zahl der Objekte der Blutrache erheblich verringert, das Rechtsinstitut der Blutrache gefährdet und damit auch die Wiederherstellung der „Gerechtigkeit“. Daher wurden auch diese Aufgaben der Frau zugewiesen und sie wurde für unantastbar erklärt „pushka e grueja nuk hulumtohen“71. Im Unterschied zu den Männern konnte sie sogar tags- oder nachtsüber alleine reisen, ohne Angst vor Übergriffen zu haben oder sogar in Blutrache befindliche Männer unter ihren Schutz nehmen. Dadurch erlangte sogar der Beschützte eine von der Frau abgeleitete, zeitlich auf die Begleitung der Frau beschränkte Immunität. Während der Kämpfe war sie zuständig, Nachrichten zu überbringen, Waffen zu liefern, Verletzte zu versorgen etc.72. In Zeiten der Blutrache diente sie als Vermittlerin ndermjetes73 zwischen den in Blutrache verfallenen Häusern, damit die gütliche Einigung erzielt wurde. § 669 KLD: „Der Vermittler kann Mann oder Frau sein, Knabe, Mädchen oder auch Priester74“. Sie führte den kompletten Haushalt, somit auch die Feldarbeit die Männerarbeit war, während die Männer sich vor den Angreifern im Turm kulla75 verschanzten. Dies führte zu einer Mehrfachbelastung der Frau76.

Die Frau als Subjekt der Blutrache ist im Kanun weder vorgesehen noch verboten. Es soll oft vorgekommen sein, dass die Frauen einen Rachemord verübten. Der Rachemord konnte jedoch nicht an ihr gerächt werden, weil sie als Objekt der Blutrache ausdrücklich ausgenommen war77. In einen solchen Fall wurde der Rachemord so behandelt, als wäre er von einem Mann verübt worden und die entsprechenden Rechtsfolgen kamen zur Anwendung, d.h. der nächste Rachemord wurde an den Männern vollzogen78.

70 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 162. 71 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 108 f. 72 Vgl. Cozzi, La donna albanese S. 811. 73 § 1227, lit h KLD. 74 Elsie, Der Kanun, S. 131. 75 Als Türme kulla bezeichnet man die charakteristischen Wohnhäuser der Hochländer Nordalbaniens, deren Bauweise in engem Zusammenhang mit der Tradition der Blutrache steht. 76 Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 42, 217, 223, 237 ff. 77 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 326. 78 Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 224. 15

5.2. Strafen innerhalb der Familie

Die Strafen innerhalb der Familie waren jene, die der pater familias zot i shpis als höchste richterliche Instanz über die Familienmitglieder verhängen durfte. Diese waren Schlagen, Binden, Gefangen halten, Todesstrafe und Verbannung79. Tötungen innerhalb der Familie waren genau geregelt: Selbstmord und Tötung des Sohnes oder der Tochter durch den Vater waren straffrei, für Brudermord war nur eine Geldstrafe zu zahlen, weil keine andere Familie da war, bei der man „das Blut nehmen könnte“; auf Vatermord stand die Todesstrafe, weil er die maximale Verletzung des patriarchalen Systems darstellte; Tötung des Ehepartners oder der Mutter löste die Blutrache mit der Familie der Ermordeten aus (§§ 958-964 KLD)80.

6. Gesellschafts- und Familienstruktur

6.1. Gesellschaftsstruktur

Kennzeichnend für die Gesellschaftsstruktur in Nordalbanien war der Stamm fis. Dieser setzte sich prinzipiell aus Sippen, Dörfern und Haushalten zusammen, wobei der Stamm auch ident mit einer Sippe sein konnte. So galt das Exogamiegebot grundsätzlich für die Sippe, nicht für den gesamten Stamm. Das Dorf konnte ident mit den Haushalten einer Sippe sein, die Sippe jedoch konnte sich auch über mehrere Dörfer erstrecken. Ein Dorf konnte sich auch aus den Haushalten mehrere Dörfer zusammensetzen, es war also im Grunde jede Kombination möglich, da Stamm, Sippe und Dorf keine feststehenden Größen waren81.

Die Stämme verfügten über eine minimale innere Verwaltungsstruktur. Zumindest zwei Institutionen waren in den meisten Stämmen anzutreffen: die der „Stammesältesten“ und die der „Allgemeinen Stammesversammlung“. Ad hoc gebildete Institutionen regelten die Konflikte innerhalb des Stammes, da es keine institutionalisierten Gerichte und kein ständiges Richteramt gab. Probleme, die über die Stammesgrenzen hinausreichten, wie Weidegrenzen, Mord oder Diebstahl, konnten leicht eskalieren82. § 19 KLD: „Die Familie umfasst die Leute

79 § 58 KLD.; Elsie et al, Einführung, S. 46 f. 80 Elsie et al, Einführung, S. 30 f. 81 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 26,; Santner-Schriebl, Wertewandel in Stammesgesellschaften, S. 19, 56.; Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 11 ff.; Robert Pichler, Kommunistische Modernisierungspolitik, Patriarchalismus und Stammesmentalität im Norden Albaniens (1944-1969/70), S.30 f. 82 Isak, Der Kanun in Albanien, S. 26, ; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 130 ff.; Santner- Schriebl, Wertewandel in Stammesgesellschaften, S. 19, 56.; Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften 16

des Hauses. Vermehren sie sich, so teilen sie sich in Bruderschaften, diese schließen sich zu Sippen zusammen, die Sippen zu Stämmen; und alle bilden eine große Familie, die man Volk nennt und ein gemeinsames Vaterland hat, ein Blut, eine Sprache, einen Brauch“83.

6.2. Die Familienstruktur

6.2.1. Das Haus (die „Familie“)

§ 18 KLD: „Die Familie ist eine Gemeinschaft aus Gliedern, die unter einem Dache leben; eine Gemeinschaft, deren Zweck die Vermehrung der Menschheit durch Heirat ist, die Entwicklung der Menschheit nach Körper und Geist“84.

Die soziale Elementareinheit der nordalbanischen Gesellschaft war nicht die Familie im Sinne von Kernfamilie, d.h. das Zusammenleben der Eltern mit ihren Kindern, sondern das Zusammenleben von mehreren Familien in einem Haus shpi unter der Leitung eines einzigen Hausherrn i zot i shpis85. Das Haus shpi hat als Synonym das Feuer zjarrmin oder den Rauch tymin. Vier-Generationen-Häuser mit mehr als 50 Angehörigen waren nicht selten86. Alle Söhne verblieben, nachdem sie heirateten, im Haus und lebten mit den Eltern, Onkeln, und Brüdern weiterhin zusammen87. Die übrigen Familienmitglieder standen sich in einem Über- und Unterordnungsverhältnis88 und in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber. Das Über- und Unterordnungsverhältnis bestimmten Alter und Geschlecht89. Die Älteren waren den Jüngeren übergeordnet und die Männer den Frauen90. An der Spitze dieser Hierarchie stand der Hausherr, der das Befehlsrecht gegenüber allen Familienmitgliedern hatte und diese waren wiederum

Nordalbaniens, S. 11 ff.; Pichler, Kommunistische Modernisierungspolitik, Patriarchalismus und Stammesmentalität im Norden Albaniens, S.30 f. 83 Elsie, Der Kanun, S. 16. 84 Elsie, Der Kanun, S.15. 85 Das Wort Familie soll Gjecov nicht der Volkssprache entnommen haben, sondern Abate Felice ‚Filosofia del diritto nr. 2762‘. Siehe dazu: Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 53. 86 Vgl. Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 283 f.; Genauer dazu Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 271. 87 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S.11. 88 Siehe: Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Eberhart/Kaser Hrsg. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, S. 123. 89 Vgl. Giuseppe Valentini, Il diritto delle comunita nella tradizione giuridica albanese, S. 17. 90 Vgl. § 58 KLD, ; Fatmira Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 25.; Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 10. 17

verpflichtet, die Befehle des Hausherrn zu befolgen91. Das Abhängigkeitsverhältnis war besonders für die verheirateten, erwachsenen Männer nicht absolut, da diese die Teilung der Haushalte initiieren können92.

Das Haus als solches war das Rechtssubjekt im Gewohnheitsrecht des Nordens und nicht seiner Mitglieder. In die inneren Angelegenheiten des Hauses herrschte Einmischungsverbot. Dem Hausherrn, als oberste Instanz im Haus, oblagen alle Gewalten, die man von einem Staat kennt, d.h. Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung innerhalb des Hauses. Mitglieder des Hauses konnten nur jene Verwandte sein, die dem „Stammbaum des Blutes” lisi i gjakut, also der patrilinearen Blutsverwandtschaft gjak entsprangen. Davon ausgeschlossen waren Verwandte, die dem „Stammbaum der Milch” lisi i tamblit, also aus der matrilinearen Verwandtschaft gjini93 entsprangen. Innerhalb des Stammbaumes des Blutes, unabhängig von der Generation, galt Heiratsverbot.

6.2.2. Die Teilung des Haushaltes

Wurde die Zahl der Familienmitglieder zu umfangreich oder gab es familieninterne Komplikationen kam es zu einer Teilung der Gemeinschaft94. Entweder lösten sich mehrere Männer gemeinsam vom Stammhaus oder die Auflösung ging sukzessive in individuellen Schritten vor sich. Immer war man bemüht, sich in der näheren Umgebung des Stammhauses auszusiedeln. Ein solcher Teilungsakt war mit Trauer verbunden, wobei die nahen Verwandten und Freunde zusammenkamen, um ihre Anteilnahme mit einem ähnlichen Ritual zu bekunden, wie es bei einem Begräbnis üblich war95. Mit dem Verschwinden der Kollektivs, sank das Ansehen des Individuums für eine längere Periode96.

Objekt der Aufteilung war das gesamte gemeinschaftliche Eigentum. Es wurde je nach Aufteilungsgegenstand pro männliche Familienmitglieder und pro Münder97 aufgeteilt. Die Frauen hatten ein Anteil nur am Mundvorrat, also an den Speisen und Getränken. Von der Aufteilung ausgenommen war das persönliche Eigentum der Frau, d.h. ihre Ausstattung, die

91 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 22 92 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 20 93 Kommt von gji Brust. 94 Siehe: § 64 KLD. 95 Pichler, Kommunistische Modernisierungspolitik, Patriarchalismus und Stammesmentalität im Norden Albaniens, S. 27,; 96 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 285,; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 51 ff. 97 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balka, S. 370. 18

Geschenke die am Tage der Hochzeit für sie zusammenkamen98 und das durch sie persönlich Erwirtschaftete.

War der Aufteilungsakt vollzogen, so entstand mit Bau und Einrichtung der neuen Häuser auch eine neue soziale und politische Einheit, die in Nordalbanien „Bruderschaft“, vellazeri oder vllazni genannt wurde99.

6.2.3. Der Hausherr

6.2.3.1. Der Hausherr innerhalb der Institution Haus

An der Spitze der Hierarchie stand der Hausherr100, i zot i shpis, amvis, der den ersten Platz im Haus einnahm101. Der Hausherr war in der Regel der älteste Mann im Haus oder dessen Bruder. Ihm oblag die gesamte wirtschaftliche Verantwortung für den Haushalt, die Befehlsgewalt und die Disziplinargewalt. Die Strafen reichten von Entzug einer Mahlzeit bis zur Verstoßung aus dem Haushalt als die schwerwiegendste Strafe102. Der Hausherr und jeder Vater hatte über seine Kinder unbeschränkte Verfügungsgewalt; er durfte sie sogar töten, ohne Blutrache oder Strafe zu riskieren, weil die Vernichtung des eigenen Blutes dem Selbstmord gleichgestellt war103.

Der Hausherr war in der Ausübung seines Amtes unabhängig aber verantwortlich. War der Hausherr ungeeignet, also aus Alters- oder Gesundheitsgründen nicht voll geschäftsfähig sein Amt auszuüben oder die Ursache schwerer Misswirtschaft, war der Hausvorstand berechtigt, ihn abzusetzen und einen anderen Hausherrn zu wählen. Aktiv wahlberechtigt im Hausvorstand waren die männlichen Hausmitglieder104. Gewählt wurde das männliche Hausmitglied, das am intelligentesten, bedachtsamsten und einfühlsamsten war105.

98 Siehe: Elsie, Der Kanun, S. 51.; §§ 64-87 KLD 99 Pichler, Kommunistische Modernisierungspolitik, Patriarchalismus und Stammesmentalität im Norden Albaniens, S. 27. 100 § 20 KLD spricht von „Regierung des Hauses“. 101 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 13 f. 102 Vgl. Elsie et al, Einführung, S 32.; §§ 20-21 KLD.; Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 13. 103 Vgl. Elsie et al, Einführung, S. 32.; Vgl. § 59 KLD. 104 Vgl. Elsie et al, Einführung, S. 32.; Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 13 105 Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 34 ff. 19

6.2.3.2. Der Hausherr außerhalb der Institution Haus

Der Hausherr war das Vertretungsorgan des Hauses nach außen. Er vertrat die Familie in wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Belangen106. Er war verantwortlich für jegliche Machenschaften der Familienmitglieder und nur er hatte darüber Rechenschaft zu geben107. Er war das einzige Glied des Hauses, dem die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit oblag und nur er durfte über fast alle Einnahmen des Hauses verfügen. Er war „die Brücke“ zwischen Haus und Dorf/Stamm108.

6.2.3.3. Faktische Haus-Führung durch die Frau

Zu einer faktischen Hausführung durch die Frau kam es in zwei Fällen. Entweder wenn eine Frau den Eid der ewigen Jungfräulichkeit ablegte, burrnesha, oder wenn die Frau Witwe e veie wurde, zumindest einen minderjährigen Sohn hatte und sonst keine andere männliche Mitglieder im Haus waren.

6.2.4. Die Hausherrin

Die höchste gesellschaftliche109 und rechtliche Stellung erreichte eine Frau, ohne Burrnesha zu sein, mittels Ernennung zur Hausherrin e zoje e shpis, amvise. Die Hausherrin wurde vom Hausherrn ernannt und arbeitete immer seinen Befehlen und/oder Leitlinien gemäß110. Sie musste nicht seine Ehefrau sein, im Gegenteil, im Regelfall hatte die Mutter des Hausherrn diese Funktion inne111. Grundsätzlich war sie die älteste Frau im Haus112.

106 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 25. 107 Verfällt das Haus in Blutrache, so kann sie aber gegenüber jedem einzelnen Glied vollzogen werden. 108 Siehe dazu: Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 54 ff,; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 35 ff. 109 Umso älter die Frau wurde, desto respektvoller wurde sie in der Gesellschaft behandelt. Sie wurden in der Gesellschaft als Zeichen des Respekts mit Lobenswörtern als Namen angesprochen z.B. „Sojnike“ Ehrvolle. 110 In ihrem Aufgabenbereich genoss sie faktische Unabhängigkeit. Zwar konnte der Hausherr, als oberstes Organ im Haus den Frauen selbst Befehle erteilen, dennoch pflegte er sich nicht in sog. „Frauenangelegenheiten“ pune grashe einzumischen. 111 Elsie et al, Einführung, S. 32. 112 Siehe dazu: Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 56 f.; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 41 ff. 20

Ihr oblag in erster Linie die Verantwortung für die Nahrungsmittel und die Aufsicht über die im Haushalt lebenden Frauen. Sie war von harter körperlicher Arbeit befreit, für die sie die anderen Frauen einteilte, über welche sie das Weisungsrecht hatte113. Sie übte die Gastfreundschaft aus, wenn der Hausherr abwesend war114.

Die Hausherrin war das einzige Glied der Familie abgesehen vom Hausherrn, die gewisse Lebensmittel entlehnen durfte d.h. eingeschränkt rechtsgeschäftlich über gemeinschaftliches Eigentum tätig werden durfte, ohne den Hausherren vorher um Erlaubnis zu fragen115. Sie durfte jedoch weder kaufen noch verkaufen116.

Die Hausherrin hatte die wichtige Befugnis, analog zu dem des Hausherrn, die Hausgemeinschaft aufzulösen, wenn ihrer Weisungen nicht Folge geleistet wurde117.

Die Hausherrin wurde abgesetzt, wenn sie aus Alters- oder Gesundheitsgründen nicht mehr fähig war ihr Amt auszuüben, wenn sie eigene Kinder bevorzugte, verschwenderisch war oder im Falle leichten Diebstahls118. Dieses Amt wurde sodann der fähigsten Frau im Hause zugewiesen, die sie dann auch für den Fall behielt, sollte eine Personenänderung im Amt des Hausherrn stattfinden119.

6.2.5. Der Hausvorstand

Der Hausvorstand bestand aus den männlichen wahlberechtigten Familienmitgliedern. Er hatte die wichtige Kompetenz, den Hausherrn abzuwählen. Deswegen vertritt Valentini die Ansicht, dass der Hausvorstand an der Spitze der Familienhierarchie gestanden sei und nicht der Hausherr. Letzterer soll lediglich als primus inter pares120 fungiert haben, der den Willen der Gemeinschaft exekutierte. Diese Theorie sieht er auch in der Wortwahl Gjecov`s im Kanun bestätigt. Wenn es um wichtige Fragen ging, die zu entscheiden gewesen wären, spreche Gjecov immer vom Haus und nicht vom Hausherrn. Der Hausvorstand soll der

113 Vgl. §§ 22-23 KLD. 114 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 19. 115 Vgl. § 22 KLD. 116 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 190. 117 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 20. 118 Vgl. Elsie et al, Einführung, S. 32, Der Kanun, S. 18.; Auch das „stehlen eines Tropfen Öles“ wurde als Diebstahl eingestuft. 119 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 58 120Siehe dazu auch: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 358. 21

einzige Inhaber der Eigentumsrechte gewesen sein. Die wichtigsten Fragen der Familie, wie die der Hinrichtung eines Familienmitgliedes oder das Abwählen des Hausherrn, hätten vom Hausvorstand als Gremium entschieden werden müssen121.

Kaser nimmt hingegen eine Unterscheidung an der Person des Hausherrn vor. War der Hausherr der Vater von verheirateten Söhnen, so soll er dazu tendiert haben, Alleinherrscher (Patriarch) zu sein. War der Hausherr hingegen einer der Brüder, so musste er stets auf Konsens bedacht sein und seine Macht soll beschränkt gewesen sein122.

6.2.6. Die übrigen Hausmitglieder

Jedes Haus shpi war hierarchisch aufgebaut und wies Staatsstrukturen auf. Die hierarchische Ordnung kam auch in der Klassifikation der Haushaltsmitglieder zum Ausdruck. An der Spitze der Hierarchie befand sich der Hausherr zot i shpis; danach kam die Gruppe der übrigen alten Männer des Hauses pleq (der Vater oder Onkel und die Brüder des Hausherrn), es folgte die Kategorie burrat, d.h., die der verheirateten und unverheirateten arbeitsfähigen und vollberechtigten männlichen Mitglieder der Familie; danach folgten komplementär zu den Alten die Jungen oder die Knaben djemt. Unter dem Alter von etwa acht Jahren wurden weibliche und männliche Kinder nicht klassifiziert, sie waren Kinder femij(e)t. Die weibliche Hierarchie123 begann mit dem weiblichen Äquivalent zum Hausherrn, nämlich mit der Hausherrin e zoje e shpise, deren Einfluss allerdings keineswegs äquivalent war; es folgte danach die Kategorie plakat, d.h. die Kategorie der Frauen der alten Männer. Ihnen folgte in der weiblichen Hierarchie die Kategorie vajzat, das waren die erwachsenen und noch unverheirateten Töchter des Hauses. Sie standen im Rang vor den etwa gleichaltrigen eingeheirateten Frauen nuset, die am Ende der weiblichen Hierarchie standen. Wir erkennen auch bei den Frauen eine Altersgliederung, die Töchter genossen gegenüber den Schwiegertöchtern den Vorteil, dass sie im Haus geboren wurden124.

121 Giuseppe Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 18,; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 34 ff. 122 Karl Kaser, Jede Menge Familie. Der patriarchale Haushalt im Modernisierungsprozeß, in: Eberhart/Kaser Hrsg., Albanien. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, 133-150, S. 137. 123 Reinhard Tuder, Wohin gehst du mein Sohn? Wirtschaftliche Probleme und ihre Folgen, in: Eberhart/Kaser Hrsg, Albanien. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, 101-116, S. 102,; Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Eberhart/Kaser Hrsg. Albanien. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, S. 123. 124 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan…S. 345 f. 22

Die einzelnen Individuen genossen weder volle Zivilrechte noch politische Rechte125. Die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit oblag nur dem Hausherrn. Gingen die einzelnen Familienmitglieder Verpflichtungen ein, so waren diese grds. nicht rechtswirksam, es sei denn, der Hausherr genehmigte sie oder die eingegangenen Verpflichtungen bezogen sich auf das persönliche Eigentum oder den entsprechenden Wert des persönlichen Eigentums126.

Beim Eigentum war zu unterscheiden zwischen gemeinschaftlichem und persönlichem Eigentum. Das gemeinschaftliche Eigentum wurde durch alle bewirtschaftet, stand laut Valentini im Besitz des Hausvorstandes, der jedoch nur im Fall der Haushaltsteilung darüber verfügen konnte. Bis dorthin wurden die Geschäfte darüber durch den Hausherrn abgeschlossen.

Ein persönliches Eigentum gab es grundsätzlich nicht. Ausgenommen davon waren folgende Fälle: Die Männer hatten als persönliches Eigentum nur die eigene Waffe. Ihre persönliche Waffe erhielten sie mit Erreichen der Mündigkeit127. Mündig war ein junger Mann ca. ab den 15 Lebensjahr128. Wurden sie vom Hausherrn an Fremde als Arbeitskraft vermittelt, hatten sie das Verdiente an den Hausherrn abzuliefern.

Die Frauen hatten als persönliches Eigentum die persönliche Truhe, die sie von der väterlichen Familie am Hochzeitstag mitbekamen, die Hochzeitsgeschenke129 und das durch ihre Tätigkeit erworbene Vermögen. Sie durften, nachdem sie mit der Hausarbeit fertig waren, für sich selber arbeiten130. Durch den Verkauf ihrer Handarbeit konnten sie zu Geld kommen, allerdings durften diese nur die männlichen Haushaltsmitglieder auf dem Markt verkaufen. Zu Geld kamen sie auch bei ihren sporadischen Besuchen in ihrem Herkunftshaus, wo sie auch immer wieder Geld bekamen. Ehefrauen besaßen vielfach erstaunlich viel Geld. Sie nannten es pekul (von lat.: peculium – Vermögen, Eigentum), das sie für den Ankauf von Kleidung und Schuhen verwendeten. Frauen verliehen dieses Geld auch mitunter oder kauften

125 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 20 126 Siehe: Elsie et al, Der Kanun, S. 16. 127 Mündigkeit bedeutete damals Waffenfähigkeit. Mündigkeit trat mit Erreichen des 15Lebensjahres. Ab diesem Zeitpunkt erhielt ein junger Mann seinen Gewähr. 128 Elsie et al, Einführung, S. 20. 129 Vgl. § 69 KLD, Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 60.; Cozzi, La donna albanese, S. 623.; Wenn sich ihre männlichen Verwandten bei der Hochzeit verabschiedeten, überreichten sie Geldstücke. 130 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 60. 23

Zugochsen131. Auf jeden Fall waren sie hinsichtlich ihrer Verwendung völlig unabhängig und konnten nach Belieben verfügen132

7. Verlobung

Eine Definition der Verlobung gibt es im KLD nicht. Die Verlobung fejesa, vlese, te zenit e djalit apo te vajzes133 kann als ein verbindliches, gegenseitiges Versprechen beider Familien134 als Folge der Durchführung gewisser Ritualien135 beider Hausherren u.U. unter Einbeziehung des Vermittlers eine bestimmte junge Frau in die Ehe mit einem bestimmten jungen Mann zu geben, definiert werden.

Die zukünftigen Eheleute hatten kein Mitspracherecht hinsichtlich ihrer Verlobung. Dafür zuständig waren ausschließlich die Eltern136 und/oder die Hausherren. Eine Ausnahme waren männliche Waisenkinder. Diese konnten, wenn sie alt genug waren, sich mit der eigenen Verlobung befassen und wenn es von fremder Seite organisiert wurde, konnten sie angehört werden. Waren die Waisenkinder weiblichen Geschlechts, dann galt diese Ausnahme nicht. Sie durften sich weder damit befassen, noch wurden sie angehört. Dafür zuständig waren die männlichen Mitglieder des Hauses, d.h. die Brüder oder die Vettern137. Die einzige Ausnahme, die einer Frau erlaubte sich mit der eigenen Verlobung/Heirat zu befassen, war wenn sie verwitwet war und ihre nächste Heirat arrangiert werden sollte138.

Am Verfahren der Verlobung beteiligt waren die Väter beider Kinder, die Hausherren beider Häuser, und u.U. auch der Hinweiser tregues und der Vermittler shkues139. Entscheidungsbefugt waren nur die Hausherren beider Häuser140.

Der tregues war einer von der Familie des Jünglings Beauftragter, eine standesgemäße Braut zu finden. Seine Aufgabe lag darin, auf ein verlobungsfähiges Mädchen, das den

131 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 349. 132 Cozzi, La donna albanese, S. 322,; Siehe: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 42. 133 Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 35. 134 Cozzi, La donna albanese, S. 317. 135 Siehe dazu: Cozzi, La donna albanese, S. 617 f.; Mary Edith Durham, Some Tribal Origins, Laws and Customs of the Balkans, S. 196 ff. 136 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 26.; Begolli, Pozita e graus ne Kosove, S. 35. 137 Elsie, Der Kanun, S. 24f.; Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 26. 138 § 36 KLD gjonlekaj Publishing. 139 Vgl. Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, Neni 26, S. 65. 140 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 196. 24

Vorstellungen des Auftraggeber-Hauses entsprach, hinzuweisen. Er wurde dafür nicht wntlohnt. Nach dem tregues wurde der shkues tätig141.

Der Vermittler war meist ein Verwandter oder Freund der Familie des Mädchens, beauftragt von der Familie des Jünglings142, der die vermittelnde Tätigkeit zwischen den zwei Häusern im Stadium der Vorverlobung übernahm143. Er überbrachte Informationen, stabilisierte Unterredungen, verhandelte den Brautpreis und vermittelte andere Formalitäten der Verlobung bzw. Hochzeit144. § 37 KLD: „Vermittler heißt derjenige, der es übernimmt, bei den Eltern des Jünglings oder Mädchens Fürsprech zu sein, dass sie jenes Mädchen geben oder nehmen für den bestimmten Jüngling“145.

Der Vermittler wurde für seine Tätigkeit am Hochzeitstag von der Familie des jungen Mannes entlohnt146.

Der Vermittler erfüllte auch eine Garantiefunktion. Er war der erste Ansprechpartner während der Verlobung und sogar im Laufe der Ehe sollten sich Komplikationen während der Verlobung oder Ehe ergeben147.

Die Tätigkeit des Vermittlers war fakultativ. Von seinen Diensten wurde meist dann Gebrauch gemacht, wenn die Familie des Jünglings eine Absage von der Familie des Mädchens befürchtete148.

Notwendige Voraussetzung für den Abschluss der Verlobung war das Zeichen sheji oder arra149. Das Zeichen bestand aus einer bestimmten, symbolischen Geldsumme und einen kupfernen oder silbernen Ring, dass der Vater des Jünglings dem Vater des Mädchens zu übergeben hatte150. Mit der Übergabe des Zeichens, der im Rahmen gewisser Riten erfolgte, war das Schicksal des Mädchens endgültig festgelegt und ein Rücktritt oder nachträgliche

141 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 66 f. 142 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 66.; Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 48 ff. 143 Cozzi, La donna albanese, S. 315. 144 Cozzi, La donna albanese, S. 315. 145 Vgl. auch. Elsie, Der Kanun, S. 26 f.; Begolli, Pozita e graus ne Kosove, S. 48 ff. 146 Elsie, Der Kanun, S. 26 f. 147 § 37 ff KLD.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 67. 148 Cozzi, La donna albanese, S. 617. 149 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 194. 150 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 30.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 194. 25

Auflösung der Verlobung ihrerseits grds. ausgeschlossen151. „Das Zeichen – bestimmt KLD – macht einen Menschen zum deinen“152.

Ab Übergabe des Zeichens erwarb der junge Mann das ausschließliche Anrecht auf Eheschließung mit dem bestimmten Mädchen. Das Zeichen hatte auch die Funktion, angesichts der später zu entrichtenden Brautpreises, der Anzahlung oder Teilzahlung153.

Ein bestimmtes, für die Verlobung vorgesehenes Mindestalter, war im Gewohnheitsrecht des Nordens nicht vorgesehen. Dies ermöglichte den Eltern aus sozialen und ökonomischen Gründen, das Mädchen sogar als Fötus unter der Bedingung der Geburt des weiblichen Geschlechts zu verloben154.

Die Verlobung im frühen Alter oder sogar als Fötus hatte mehrere Vorteile. Einer davon war der doppelte Schutz, den das Mädchen erlangte. Mit dem Abschluss der Verlobung stand das Mädchen sowohl unter Schutz des Hauses des Verlobten, als auch unter den Schutz des eigenen Hauses. Im Falle einer Entführung zum Beispiel, die nicht selten vorkam, war ein verlobtes Mädchen dadurch doppelt geschützt, dass der Entführer doppelt der Blutrache - als Rechtsfolge der Entführung – verfallen konnte155.

7.1. Verlobungsauflösung und die Rechtsfolgen

Hinsichtlich der Möglichkeit einer Verlobungsauflösung und dem Verfahren in einem solchen Fall gibt es geschlechterspezifische Unterschiede.

7.1.1. Die Auflösung der Verlobung vom jungen Mannes

Eine Verlobungsauflösung war für den jungen Mann gewohnheitsrechtlich vorgesehen, obwohl es gesellschaftlich nicht gut geheißen wurde. Es bedarf seinerseits keinerlei Gründe156, lediglich eines gewissen Prozederes, in dem der Vermittler und zwei Zeugen eingebunden werden mussten157. § 42 KLD: „Wenn es dem Jüngling einfällt, kann er das

151 Elsie, Der Kanun, S. 29. 152 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 30.; Elsie, Der Kanun, S. 29. 153 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 30. 154 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 27. 155 Musaj, Gruaja ne shqiperi ne vitet 1912-1939, S. 27 f. 156 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 80 157 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 195. 26

angelobte Mädchen verlassen“158. Wurde die Verlobung aufgelöst, so durfte die Familie des Mädchens, als Entschädigung die Anzahlung und den Ring behalten159.

Moralisch vertretbar war eine solche Entscheidung jedoch nur dann, wenn der Verlobung ein Eheverbot entgegenstand z.B. Blutsverwandtschaft, und die Beteiligten es später erfuhren oder wenn die junge Frau von fremder Seite geschwängert wurde. Im letzten Fall hatte der Junge das Wahlrecht. Er konnte die Verlobung aufrechterhalten oder sie auflösen. In beiden Fällen hatte er das Recht, eine Geldbuße für die Ehrverletzung zu verlangen, es sei denn, er bevorzugte die Blutrache als Wiedergutmachung erzi lyp pushken160.

7.1.2. Die Auflösung der Verlobung von der jungen Frau

Die Auflösung der Verlobung von der jungen Frau war mit erheblichen Schwierigkeiten und Nachteilen möglich. (§ 43 KLD) „Das Mädchen unter dem Ring hat nicht das Recht, den Jüngling zu entlassen, auch dann nicht, wenn er ihr nicht gefällt“161. (§ 41 KLD) “Das Zeichen wird weder zurückgeschickt noch umgetauscht, solange jener lebt, der das Mädchen nimmt“162. (§ 43 KLD) „Mit dem Zeichen geht das Mädchen in die Hand über und wird das Wort gesprochen. Wird das Wort gebrochen, stehen die Eltern des Mädchens mit dem Haus des Bräutigams im Blut“163. Als Alternative wurde die junge Frau unter Anwendung von Gewalt ausgeliefert. (§ 43 KLD) „Gehorcht das Mädchen nicht zu dem Gatten zu gehen, so werden sie es mit Gewalt und mit der Patrone im Rücken ausliefern“164.

Wollte die junge Frau die Verlobung trotz Nachteilen auflösen, so brauchte es zunächst das Einverständnis der Eltern. Diese mussten die Verlobungsauflösung initiieren. Danach brauchten sie zwingend die Zustimmung des jungen Mannes. Er hatte das Wahlrecht hinsichtlich der Zustimmung und der Rechtsfolgen, das wie folgt ausgestaltet waren:

a. Im besten Fall stimmte er der Auflösung zu, sah von Rechtsfolgen ab und die junge Frau wurde damit frei. Ihre Eltern hatten der Familie des jungen Mannes die erhaltene Anzahlung und den Ring zurückzuschicken.

158 Elsie, Der Kanun, S. 29. 159 Elsie, Der Kanun, S. 29. 160 Cozzi, La donna albanese, S. 317. 161 Elsie, Der Kanun, S. 27 ff. 162 Elsie, Der Kanun, S. 27 ff. 163 Elsie, Der Kanun, S. 27 ff. 164 Elsie, Der Kanun, S. 30. 27

b. Er stimmte der Auflösung nicht zu: Die Rechtsfolge der Zustimmungsverweigerung zur Verlobungsauflösung war, dass die junge Frau nicht neuerlich verlobt oder verheiratet werden durfte. Die Anzahlung musste dem jungen Mann dennoch zurückgeschickt werden, der Ring jedoch hatte bei der jungen Frau zu verbleiben, als Zeichen der einst eingegangenen Verlobung und der damit noch bestehenden Bindung. Die junge Frau sollte den Verlobungsring in ihre Truhe aufbewahren, damit sie es sich so oft wie möglich ansehen konnte. Damit sollte die junge Frau immer wieder an die noch bestehende Bindung erinnert werden. Dem jungen Mann stand dennoch das Recht zu, eine neue Verlobung einzugehen. Von der einseitigen Bindung der jungen Frau gab es zwei Ausnahmen: - der junge Mann stimmte der Auflösung nachträglich zu oder - er starb. Wurde das Mädchen trotz mangelnder Zustimmung des jungen Mannes dennoch wieder verlobt, dann stellte diese Handlung die Entehrung des jungen Mannes dar. c. Der Jüngling verlangt sogleich Rache für die verursachte Ehrverletzung165.

Die einzige Möglichkeit, die Verlobung ohne Einverständnis des Bräutigams aufzulösen, ohne die o.g. Rechtsfolgen nach sich zu ziehen, war das Gelübde der ewigen Jungfräulichkeit. Diese beeidete Erklärung musste der junge Mann und seine Familie hinnehmen166.

Der Tod des jungen Mannes löste die Verlobung ebenfalls auf, ohne weitere Schritte unternehmen zu müssen167.

8. Von der Verlobung bis zur Hochzeit

Beim Abschluss der Verlobung oder spätestens bis zur Hochzeit musste zwingend168 der Brautpreis169 merciri oder paret e nuses an die Familie der Braut übergeben werden170. Der Brautpreis wurde in erster Linie in Bargeld entrichtet. Die Angaben über die Höhe des

165 Cozzi, La donna albanese, S. 317.; Elsie, S. 27 ff.; Musaj, Gruaja ne vitet 1912-1939, S. 31ff. 166 Musaj, Gruaja ne vitet 1912-1939, S. 31ff. 167 M. Francesca Di Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese nel Kanun di Leke Dukagjini (KLD), in: Pietro Di Marco/Alessandro Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia, 61-80, S. 70. 168 Musaj, Gruaja ne vitet 1912-1939, S. 31ff. 169 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 160 170 Durham, Some Tribal Origins, Laws and Customs of the Balkans, S. 192 f. 28

üblichen Brautpreises sind sehr widersprüchlich171. Ursprünglich soll der Brautpreis 50 Groschen172 betragen haben und danach soll er zwischen 1100 und 4000 Piaster variiert haben, je nach Lage, sozialer Stellung der Familie oder/und Eigenschaften des Mädchens. § 44 KLD: „Der Preis, der für Mädchen bis vor 50 Jahren gegeben wurde, bestand aus 50, 100, 200 und bis zu 400 Groschen. Der Preis des Kanun in letzter Zeit beträgt bis 1500 Groschen, so viel, als auch das Blut der Frau ausmacht“173. Die Summe wurde grundsätzlich in Raten bezahlt. Fehlte es der Familie des Jünglings an Bargeld, konnte ein Teil des merciri auch in Vieh oder Waffen entrichtet werden174. Über die Ursachen und den Charakter des Brautkaufs liegen verschiedenste Interpretationen vor. Der amerikanische Anthropologe C. Coon sieht die Ursache für den Brautkauf in dem Umstand begründet, dass die Zahl der Männer weitaus größer als die der Frauen war. Es muss (…) extremer Bräutemangel geherrscht haben. Daher galt es, sich möglichst früh eine Braut zu sichern und diesen Handel mit Geld zu bekräftigen. Andere Erklärungen gehen davon aus, dass man nicht von einem Kauf sprechen könnte, weil der Brautpreis gerade die Kosten der Brautausstattung gedeckt hätte, andere wiederum erkennen im Brautpreis lediglich eine Kompensation für den Verlust einer Arbeitskraft. C. Levi-Strauss schließlich meint, der Kauf sei nichts anderes als ein Pfand auf künftige Verbindungen bzw. stelle ein Ausgleichsregulativ dar. Er argumentiert, dass der Brautkauf einzig und allein auf die verallgemeinerten Tauschmodalitäten unilinearer Gruppen zurückzuführen sei175.

Zum Erhalt des merciri war der Vormundschaftsberechtigte zuständig. Dies war entweder der Vater, die Vetter, oder wenn die Frau verwitwet und nicht bevormundet war, ein von ihr Bevollmächtigter176.

Hinsichtlich seiner Verwendung gab es Unterschiede. In der kleinen Malsija177 soll die Familie des Mädchens den gesamten Brautpreis für sich behalten haben. In der großen

171 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 161. 172 Der Groschen grosh ist das Zahlungsmittel des Kanun: eine alte türkische Münze, der hundertste Teil eines türkischen Pfunds. 500 Groschen waren ein Beutel qese, 683,62 Lira oder 113,92 Franken im Jahr 1910. Ein Groschen entspricht einem Piaster. 173 Elsie, Der Kanun, S. 33. 174 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 194,; Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese, in: Marco/Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia,, S. 68.; Vgl. Cozzi, La donna albanese, S. 322. 175 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 162. 176 Ernesto Cozzi, Le tribu dell‘ Alta Albania, in: Studime e Tekste 1, Rom 1943, 229-269, S. 240 f. 177 Zu Deutsch: Kleines Bergland. Die angrenzenden östlichen Alpen werden auch als Malesia e Vogel und Malesia e Gjakoves bezeichnet. Die Malesia e Vogel umfasst die nördlichen und westlichen Teile des Kreises Tropoja, im Osten reicht sie bis zum Rand der kosovarischen Ebene Rrafsh i Dukagjinit westlich von Gjakova. 29

Malsija178 soll die Familie des Mädchens ca. 5/11 davon für das Heiratsgut verwendet haben und der Rest soll bei ihr verblieben sein179.

Als Heiratsgut bekam die Braut Bekleidung und eine Holztruhe, um ihre persönlichen Sachen darin zu bewahren. Wurde auch Vieh mitgegeben, als Hilfe für die Frau bei der Arbeitsverrichtung im Hause des Mannes, so gehörte es allein ihr (persönliches Eigentum)180.

Die Familie des jungen Mannes hatte nicht nur den Brautpreis zu zahlen, sondern auch für die Hochzeitsfeier in seinem Haus und im Haus der Braut zu sorgen. § 44 KLD: „Die Eltern haben keine Aussteuer, kein Heiratsgut für die Tochter zu bedenken; er der sie nimmt, wird für sie sorgen. Die Eltern des Jünglings, der das Mädchen nimmt, werden alles bedenken, was für ihre Hochzeit nötig ist“181. Dies erfolgte dadurch, indem am Hochzeitstag oder ein Tag davor die nötigen Lebensmittel zum Haus der Braut gebracht wurden182.

Der Hochzeitstag konnte bei der Verlobung oder während der Verlobungsphase festgelegt werden. Die Festlegung des Hochzeitstages wurde als „Bindung der Treue“ bezeichnet. § 44 KLD: „Die Treue binden heißt, den Tag und die Frist festsetzen, da das Brautgeleit aufbrechen wird, um die Braut abzuholen“. Dieser Tag war nach dem Kanun unaufschiebbar183. § 44 KLD: „An diesem Tag bricht das Hochzeitsgeleit auf, und wüsste es, dass die Braut im Sterben liegt; sie auf dem Boden schleifend, kriechend, wird es sie ins Haus des Bräutigams bringen“, „Den Toten im Haus, bricht das Brautgeleit auf; die Braut kommt ins Haus, der Tote verlässt es. Dort wird die Totenklage, hier das Hochzeitslied sein“184.

Je nachdem ob die junge Frau bereit war in die Ehe einzugehen, gab es zwei Arten die Braut abzuholen. War die Braut bereit in die Ehe einzugehen, brach das Brautgeleit krushq offiziell zu ihrem Haus auf, holte sie ab und brachte sie zum Haus des Bräutigams. Die Hochzeitsfeier im Haus der Braut fing an als sie ihr Haus verließ185. Weigerte sich die junge Frau in die Ehe

178 Zu Deutsch: Großes Bergland. Umfasst die Stämme Kastrati, Hoti, Gruda, Kelmendi, Kuci, Krasniqi, Gashi und Bytyci, das Gebiet zwischen dem Shkodrasee im Westen und dem Hochland von Gjakova im Osten. 179 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 195.; Cozzi, La donna albanese, S. 321 f. 180 Cozzi, La donna albanese, S. 322. 181 Elsie, Der Kanun, S. 32.; Siehe dazu auch: Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 95. 182 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 97.; Durham, Some Tribal Origins, S. 192 ff. 183 Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 60. 184 Elsie, Der Kanun, S. 32,; Damit gemeint ist, dass auch der Tod eines Familienmitglieds des Bräutigams, die Durchführung der Hochzeit nicht hindern soll. In einem solchen Fall würde die Hochzeitsfeier und die Totenklage in zwei getrennten Zimmern stattfinden. 185 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 97.; Über den Gebräuchen der Hochzeit siehe: Durham, Some Tribal Origins, S. 196 ff. 30

einzugehen, so wurde sie unter Anwendung von Gewalt von ihrer Familie an dem Zukünftigen ausgeliefert. Es wurde ein Abholungsort vereinbart shteg186, der meist in der Mitte beider Häuser lag. Dort holte sie der Zukünftige mithilfe seiner Vettern und brachte sie unter Anwendung von Zwang bei ihm nach Hause187. § 43 KLD: „Gehorcht das Mädchen nicht zu dem Gatten zu gehen, so werden sie es mit Gewalt und mit der Patrone im Rücken ausliefern. Verletzt es seine Ehre indem es flieht oder versucht zu fliehen, dann hat er das Recht, das Mädchen mit der Patrone der Eltern sie zu töten. Das Blut des Mädchens geht verloren, weil er es mit der Patrone seiner Eltern tötete“188. Diese Abholungsart wurde als nusja ne pjekje bezeichnet189.

In der mitgegebenen Mitgift pflegten oft die Eltern der Braut für den Bräutigam eine Patrone als Zeichen des „jus gladii“ einzupacken. Mit der Patrone erhielt der Bräutigam das bedingte Recht über das Leben der Frau in folgenden Fällen sanktionslos zu entscheiden: im Falle ihres Flüchtens, Ehebruchs und Verletzung der Gastfreundschaft. Trat einer dieser Fälle ein, konnte der Mann die Frau hinrichten, ohne vorher Rücksprache mit ihren Eltern gehalten zu haben. Die bestimmungsgemäße Verwendung der Patrone befreite den Mann vor mögliche Rechtsfolgen und löste somit auch nicht die Blutrache aus. Ihre Tötung war in diesem Fall legal und die Eltern mussten ihre Tötung hinnehmen190. § 826 KLD: „Wer die Patrone gibt, macht sich das Blut zu Eigen“191. Mit der mitgegebenen Patrone sollte gegenüber der Frau auch ein zusätzliches Druckmittel verschafft werden, um sie vom Flüchten abzuhalten. Die Frau sollte vorher wissen, was sie erwartet, sollte sie flüchten oder es versuchen. Auch befreite die Patrone ihre Eltern vor der Rechenschaftspflicht wegen Missverhaltens ihrer Tochter.

Ein festgelegtes Heiratsalter gab es nicht: das gewöhnliche Heiratsalter lag zwischen 15 und 20 Jahren192. Zwischen den Geschwistern gab es eine bestimmte Reihenfolge dem Alter nach, die eingehalten werden musste. Zuerst immer die ältesten, es sei denn diese verzichten explizit auf die Reihenfolge und erlauben es den jüngeren Geschwistern zuerst zu heiraten193.

186 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 65 187 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 68 f, 97. 188 Elsie, Der Kanun, S. 31. 189 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 68 f, 97 190 Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 37. 191 Elsie, Der Kanun, S. 152. 192 Cozzi, La donna albanese, S. 321, ; Siehe auch: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 152.; Durham, Some Tribal Origins, S. 192 ff, 201. 193 Cozzi, Le tribu dell‘ Alta Albania, S.240.; Giuseppe Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 66.; Durham, Some Tribal Origins, S. 192 ff. 31

Der Hochzeitstag war der erste Tag an dem sich die Verlobten zum ersten Mal sahen194. Eine Begegnung vor der Hochzeit wurde als schamhaft empfunden. Die jungen Frauen sollen sich sogar ihrer kirchlichen Besuche enthalten haben, um ihren Verlobten nicht zu begegnen195.

Die Eheschließung erfolgte in drei Formen.

1. Nur zwischen den zwei Familien. Dies erfolgte, wenn die Frau im Hause des Mannes ein volles Jahr verbracht hatte. 2. Beim zeremoniellen Brotaustausch. Dies erfolgte, nachdem gewisse Wörter in Anwesenheit von zehn Zeugen gesprochen wurden und Brot aufgeopfert wurde. Diese Zeremonie wurde im Beisein des Priesters durchgeführt. 3. Als Scheinkauf und Scheinverkauf. Als die Münzen angeboten wurden, ging die junge Frau unter der Herrschaft des Mannes196.

Die Braut musste bei der Übergabe Jungfrau und fähig sein, ihrer Aufgabe des Gebärens von Söhnen nachzukommen197.

Die Frau kam als Fremde ins Haus des Mannes. Jeder Fremde war ein potenzieller Feind und konnte nur durch besondere Riten der Inkorporation in die Abstammungsgruppe zu einem Freund werden. Für die Braut erfolgte die rituelle Unterwerfung bereits bei der Hochzeit. Noch heute wird im nördlichen Albanien die Braut in einen Ritual wiederholt für etwa eine halbe Stunde, nach alten Berichten stundenlang, den fast ausschließlich männlichen Gästen im Raum stehend zur Schau gestellt. Dabei hat sie die Lider gesenkt zu halten, sich möglichst wenig zu bewegen und zu schweigen198.

Mit einer eingegangenen Ehe, konnten auch die Solidaritätsnetze außerhalb der eigenen Gruppe erweitert werden199. Je abgeschlossener die patrilinearen Einheiten waren, desto wichtiger wurden die Ehefrauen für die Kommunikation zwischen der Abstammungsgruppe ihres Mannes und der eigenen200.

194 Cozzi, La donna albanese, S. 316 195 Cozzi, La donna albanese, S. 316 196 Gjecov, Kanuni i Leke Dukagjinit. The code of Lek Dukagjini, S. 19-20. 197 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 160 198 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 226 ,; Durham, Some Tribal Origins, S. 200. 199 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 175. 200 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 188,; Durham, Some Tribal Origins, S. 194 ff. 32

9. Ehe

Außer der Ehe martesa war keine Form der Beziehung zwischen Mann und Frau zulässig201. Heiraten bedeutet nach dem Kanun „… ein Haus gründen oder das Haus um ein Glied vermehren, zum Zwecke der Arbeit und der Vermehrung der Nachkommenschaft“202. Die Heirat war somit die Verbringung der Braut von ihrem Haus zum Haus des Mannes, versehen mit den dafür vorgesehenen Zeichen zum Zwecke der Arbeit und der Vermehrung203. Aus dieser Definition „Heirat“ ergeben sich zugleich die Hauptfunktionen der Ehe204. Die zwei Ehefunktionen decken sich mit den Eigenschaften die die Frau haben muss. § 57 KLD bestimmt: „die Frau ist ein Sack, erschaffen um zu tragen“205. Damit gemeint war zweierlei. Einerseits trug sie den Fötus aus, andererseits sollte sie im Hause des Mannes als Arbeitskraft dienen. Die Fruchtbarkeit war das Haupterfordernis, die die Frau haben musste206. War das Ehepaar kinderlos, dann wurde dies immer auf die mangelnde Fruchtbarkeit der Frau zurückgeführt, weshalb der Mann oft auch eine zweite oder dritte Frau heiratete207.

Die Ehe, gleich wie alle anderen Lebensereignisse, wird nicht als eine rein persönliche Angelegenheit gesehen, sondern als eine Familienangelegenheit208. Geheiratet wurde nicht das Individuum/die Frau, sondern ein weibliches Glied eines bestimmten Hauses209. Die Traditionen des Hauses wurden bei der Verlobung primär beachtet und nicht die der jungen Frau. Ihre Eigenschaften konnten erst während der Ehe ermittelt werden. Sie hatte, als Glied des väterlichen Hauses und als ihre Repräsentantin im Hause des Mannes, die Traditionen und Eigenschaften unter Beweis zu stellen. Ein Grund, warum ihre Zeit im Hause des Mannes als Bewährung betrachtet werden konnte210.

201 Elsie et al, Der Kanun, S. 28, 46,; § 57 KLD.; „Wer eine Frau ohne Ehe zu sich nimmt, sei durch Glauben und Gesetz gebunden. Die Frau ohne Ehe (Trauung) hat im Hause des Mannes keinerlei Recht. Der Kanun bestimmt für den Mann, der eine Frau ohne Trauung zu sich nimmt, folgende Strafen: a) das Haus wird ihm verbrannt, die Erde bleibt ihm brach; b) er wird aus dem Ort vertrieben und darf seinen Boden nicht wieder betreten, ehe er die Frau entläßt, die er ohne Trauung zu sich nahm; c) hat er ein Kind mit der Frau, die er ohne Trauung zu sich nahm, so gilt das Kind als außerhalb des Gesetzes, und es kann niemals erben“. 202 § 28 KLD.; Siehe auch: Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S.59. 203 Siehe: Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese, in: Marco/Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia,S. 65.; Begolli, Pozita e graus ne Kosove, S.59 ff. 204 Cozzi, La donna albanese, S. 325. 205 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 76 206 Martucci, L‘ Albero del Latte, S.189. 207 Cozzi, La donna albanese, S. 325f. 208 Martucci. L’albero del Latte, S. 184. 209 Durham, Some Tribal Origins, S. 194. 210 Vgl. Ndue Dedaj, Kanuni mes kuptimit dhe keqkuptimit, S.291. 33

Das neue Mitglied, das dem Haus hinzugefügt wurde war immer die Frau. Theoretisch konnte auch der Mann im Hause der Frau aufgenommen werden, dies wurde jedoch als unehrenhaft oder sogar als Schande empfunden211.

Die Ehe wurde erst mit der Geburt der Nachkommen vollkommen212 und mit der Geburt eines männlichen Nachkommens definitiv213.

9.1. Arten der Ehe

Es gab vier Ehearten. Diese waren: die legitime Ehe martesa me kunore, das Konkubinat, grueja e mbajtne mbi kunore, die Ehe als Folge der Entführung t’grabitunit und die Ehe „ad experimentum“ martesa me prove214.

9.1.1. Die legitime Ehe

Der legitimen Ehe musste die Verlobung, mit der eigens dafür vorgesehenen Zeremonie, vorausgehen215. Diese Eheschließungsart erfolgte zwingend sowohl gewohnheitsrechtlich, als auch kirchlich. Die Braut wurde am ersten Hochzeitstag gewohnheitsrechtskonform im Haus des Mannes geholt und am gleichen Tag oder am zweiten Hochzeitstag der Segen des Priesters in der Kirche geholt216. Sie wurde bei dieser Eheschließungsart als me kunore bezeichnet, zu Deutsch mit Krone oder Kranz217. Nur diese Ehe ist nach dem Kanun, Kanun- und glaubenskonform218.

211 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S.51.; Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 160. 212 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 189 213 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 189. 214 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese,; § 29 KLD. 215 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 192. 216 Cozzi, La donna albanese, S. 623 217 Martucci, L’albero del Latte, S. 18 218 Vgl. § 29 KLD; Elsie, Der Kanun, S. 24. 34

9.1.2. Das Konkubinat

Beim Konkubinat wurde zusätzlich zur legitimen Frau eine zweite oder eine dritte Frau angenommen mbi kunore. Die Gründe des Konkubinats waren der Tod eines verheirateten Blutsverwandten und die Sorge um männliche Nachkommenschaft219.

Im Falle des Todes eines Blutsverwandten wurde es als unehrenhaft empfunden, die Witwe zum elterlichen Haus zurückzuschicken, weshalb sie von einem Blutsverwandten zur Frau genommen wurde220. Die Priester verdammten dies als Konkubinat, die Männer sahen dies als legalen Akt an. In solchen Fällen wurde gewöhnlich das ganze Haus exkommuniziert221.

Konnte aus der legitimen Ehe keine männliche Nachkommenschaft gezeugt werden, griff man zum Konkubinat um die Weiterexistenz der Blutlinie zu sichern.

Mit der zusätzlichen Frau wurde in Ehegemeinschaft gelebt. Sie wurde auch als Ehefrau betrachtet und die daraus entstanden Kinder waren legitim222.

Der Unterschied zwischen der legitimen Ehe und dem Konkubinat bestand darin, dass die Frau aus der legitimen Ehe wegen Kinderlosigkeit nicht verstoßen wurde, im Gegensatz zur Konkubine223.

Dem Kanun gemäß, ist diese Eheschließungsart sowohl nicht Kanun- als auch glaubens- konform224.

219 Durham, Some Tribal Origins, S. 202 ff. 220 Martucci, L’albero del Latte, S. 203.; Cozzi, La donna albanese, S. 326 f. 221 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 162 f,; Durham, Some Tribal Origins, S. 202 ff. 222 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 52.; Vgl. auch Cozzi, La donna albanese, S. 309 f; S. 325 f.; In den sehr abgeschiedenen Stämmen Nikaj, und sollen Konkubinatsehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch völlig normal gewesen sein. Bei den Nikaj hatten von den 300 Häuser 50 die Schwägerin als Konkubine; im Stamm Merturi wurden 45 Häuser (von insgesamt über 300), in denen Konkubinen lebten gezählt. Siehe: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 164.; Begolli schreibt dagegen, dass für die Konkubinatsehen, Entführungsehen und Ehen auf Probe erhebliche Strafen vorgesehen gewesen sein sollen, die unter den Einfluss der Kirche erlassen wurden. So soll dem Mann das Haus verbrannt und er aus der Ortschaft verbannt werden, solange er die Frau als „Konkubine“ behält. Auch die Kinder aus solchen Ehen sollen als illegitim betrachtet worden sein und somit kein Erbrecht gehabt haben. Siehe: Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 64 ff,; Durham, Some Tribal Origins, S. 202 ff. 223 Cozzi, La donna albanese, S. 325 f. 224 Elsie, Der Kanun, S. 24; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 191. 35

9.1.3. Ehe als Folge der Entführung

Eine Entführung t’grabitunit konnte mit Einverständnis der jungen Frau oder ohne ihr Einverständnis erfolgen. Beide Fälle wurden als eine Entführung gewertet und zogen grundsätzlich die Ehe nach sich.

Gründe, die zu einer Entführung führten, waren das Verlobungsversprechen, das die junge Frau dem jungen Mann gegeben und nicht eingehalten hatte, die Weigerung der verlobten jungen Frau zu heiraten, der Hass zwischen dem Entführer und der Familie der jungen Frau oder dem Entführer und dem Verlobten der Entführten und (selten) die Reaktion der jungen Frau auf die Tyrannei des Vaters auf Grund der Liebe zwischen ihr und dem Entführer225.

Die Entführung stellte eine erhebliche Rechtsverletzung dar, weshalb der Rachemord die erste Rechtsfolge der Entführung war. Komplikationen ergaben sich, wenn die junge Frau verlobt oder sogar verheiratet war. Die Lösung der Frage, wer gegen wen einen Rachemord zu verüben hatte, wurde anhand des Verursachergedankens gelöst. Im Normalfall hatte zunächst die Familie der Entführten einem Rachemord an dem Entführer selbst oder an einem seiner Blutverwandten zu verüben. War die junge Frau verlobt und war der Entführer nicht der Verlobte, hatte auch die Familie des Verlobten der jungen Frau das Recht, einen Rachemord an einem Blutsverwandten der Entführten zu verüben. Konnte die Familie der jungen Frau mithilfe von Schiedsrichtern der Familie des Verlobten glaubwürdig machen, dass sie an der Entführung nicht beteiligt gewesen war, sondern die Entführung ohne ihr Wissen und Zutun erfolgt sei226, so konnte die Familie des Verlobten von der Rache absehen und eine Strafe in Höhe von 3000 Piaster als Folge der gütlichen Beilegung akzeptieren. Eine solche gütliche Beilegung soll in der kleinen Malsija schwer zu erreichen gewesen sein227.

Entführte man die junge Frau um einen jungen Mann zu entehren228, dann hatte der junge Mann der Familie der jungen Frau Rechenschaft darüber abzulegen. (§ 601 lit. d.): „Die Ehre

225 Cozzi, La donna albanese, S. 330 f. 226 Es soll vorgekommen sein, dass die Familie der jungen Frau sie dem Verlobten und dem Entführer zugleich versprach, um den Brautpreis zu erhalten. 227 Cozzi, La donna albanese, S. 331,; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 675. 228 Die größte Ehrverletzung was einem Mann zugefügt werden kann, war die Belästigung bzw. die Entführung seiner Verlobten oder Frau. Damit würde der Verletzer zum Ausdruck bringen, dass er die Existenz des in seinen Rechten verletzten Mannes nicht beachte, seine Rache nicht fürchte und dass der Mann seinen Pflichten, nämlich den Schutz seiner Frau, nicht nachgekommen sei. Es wurde daher oft die Frau als Mittel zum Zweck verwendet. Daher hatte der Verlobte bzw. Ehemann der Familie der Entführten Rechenschaft über die Entführung abzulegen, denn er war der Verursacher der Entführung. Siehe auch: Kasteleti, Normat zakonore, S.132. 36

wird dem Manne geraubt … indem man ihm die Frau schändet oder entführt. § 57 KLD: Befällt die Frau Unheil aus Schuld des Mannes, so werden ihre Eltern ihn nach dem Kanun zur Rechenschaft ziehen“229. Höchstwahrscheinlich musste dieser den Rachemord verüben, da er entehrt wurde und er der Verursacher der Entführung war.

Erfolgte die Entführung nicht mit Einverständnis der jungen Frau und befand sie sich zum Zeitpunkt der Entführung in ihrer Sippe, so hatte diese die Sippe mittels Schreie zu alarmieren, die ihr zur Hilfe kommen musste. Gehörte der Entführer der gleichen Sippe an, so setzte sich dieser nicht nur dem Rachemord aus, sondern hatte darüber hinaus eine Geldstrafe in Höhe von 3000 Piaster zu zahlen und sein Haus wurde ihm abgebrannt230.

War die junge Frau zur Gast bei einer anderen Sippe und alarmierte dieses die Gastgebersippe mittels Schreie, so hatte die Gastgebersippe auf Grund der Vorschriften der Gastfreundschaft zu intervenieren und das Mädchen zu befreien231. Der Täter verfiel in Blutrache mit der Gastgebersippe, die innerhalb eines befristeten Zeitraumes von einem Jahr die Ehre des Mädchens zu rächen hatte. Gelang es nach einem Jahr keinem Mitglied der in ihre Ehre verletzten Sippe den Täter oder einen Blutsverwandten zu töten, dann ging die Zuständigkeit zur Rechtsverfolgung auf die Familie der jungen Frau über232.

Die Entführte wurde nach einer vollendeten Entführung niemals zum elterlichen Haus zurückgebracht oder durfte zurückgehen, da ein Rücktritt von der Entführung von der Gesellschaft als Zeichen der Schwäche und Widersprüchlichkeit gedeutet wurde. Außerdem hatte der Entführer im Fall eines Rücktritts von der Entführung mit zusätzlichen Rechtsfolgen zu rechnen. Die Blutrache blieb bestehen und er hatte darüber hinaus noch eine Geldstrafe von 3000 Piaster zu entrichten233.

Gehörte die Entführte der gleichen Sippe an, so kam es zur Kumulation der Rechtsfolgen d.h. er hatte immer die Geldstrafe in Höhe von 3000 Piaster zu entrichten, war weiterhin der Rache ausgesetzt und das Haus wurde ihm verbrannt234. Kam ihm ein Mittäter hjeksi zur

229 Elsie, Der Kanun, S. 42 230 Cozzi, La donna albanese, S. 331,; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 675. 231 Ein Fremder durfte sich jungen Frauen nicht nähern. Gelang somit einer jungen Frau einen jungen Mann zu verletzen oder sogar töten, musste dieser so nah an sie gewesen sein, dass ihr das gelingen konnte. Aus der unrechtmäßigen Näherung des jungen Mannes und der Häufigkeit der Entführungen, wurde vermutet, dass dieser sie entführen wollte und sie erhielt das Recht, gegen ihm vorzugehen. Verletzte oder tötete die junge Frau den versuchten Entführer, dann hatte dies von vornerein die Vermutung der Rechtmäßigkeit. 232 Cozzi, La donna albanese, S. 331,; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 675,; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 192. 233 Cozzi, La vendetta del sangue, S. 675.; 234 Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674. 37

Hilfe, so fiel auch dieser ins Blut235 und hatte darüber hinaus dem Dorf eine Geldstrafe von 500 Piaster zu zahlen236.

Die Entführte soll im Haus des Entführers kaum Rechte genossen haben: Sie konnte niemals Hausherrin werden und die Kinder aus dieser Ehe blieben trotz Ehe illegitim237.

Diese Form der Ehe wurde als „außerordentlich“ oder nicht Kanun und glaubenskonform bezeichnet238.

9.1.4. Ehe „ad experimentum“

Die Ehe „ad experimentum“ me prove war eine bedingte und befristete Ehe. Die Eheschließung „ad experimentum“ erfolgte in zwei Phasen, die nicht unmittelbar aneinander schlossen. Die erste Phase war die gewohnheitsrechtliche Eheschließung. Die Braut wurde von ihrem Haus ins Haus des Mannes verbracht, wo sie als Ehefrau zu verbleiben hatte. Diese Phase war zwingend zu erfüllen. Die zweite Phase war die religionskonforme Eheschließung d.h. die Eheschließung in der Kirche. Diese Phase war fakultativ. Die Frau wurde zuerst gewohnheitsrechtskonform im Haus des Mannes aufgenommen und die religionskonforme Eheschließung wurde auf späterer Zeit aufgeschoben239. Innerhalb einer befristeten Zeit, meist ein Jahr, hatte sie Kinder zu gebären240. Im Falle der Zeugungsunfähigkeit wurde die Ehe aufgelöst und sie zur Familie zurückgeschickt, meist mit der Begründung, dass die Ehe nicht mit dem Segen des Priesters me kunore geschlossen wurde241. Wurde die Frau schwanger und konnte sie dem Mann Kinder schenken, so erfolgte eine nachträgliche religionskonforme Eheschließung242.

Der einzige Grund dieser Eheschließungsart war somit, Sicherheit hinsichtlich der Fruchtbarkeit der Frau zu erlangen243.

235 Verfall in Blut bedeutet dem Rachemord ausgesetzt sein. Der erste Rachemord zieht die Blutrache nach sich. 236 § 767 KLD.; 237 Elsie, Der Kanun, S. 46,; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 72. 238 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 192.. 239 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 52. 240 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 72. 241 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S.54.; Die Ursache der Kinderlosigkeit oder der Geburt eines Kindes weiblichen Geschlechts war immer die Frau. 242 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 192. 243 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 192. 38

9.2. Eheverbote

Blutsverwandtschaft, d.h. die Annahme gemeinsamer Vorfahren, unabhängig in welcher Generation, verbietet in der streng exogamen Gesellschaft das Heiraten (§§ 695-697 KLD). Aus praktischen Gründen musste hier zwischen Theorie und Praxis eine Lücke klaffen; besonders die Nichtberücksichtigung der matrilinearen Verwandtschaft gjini schuf hier Freiräume, die faktisch zur Stammesendogamie führten. Das Exogamiegebot wurde durch eine Reihe von Personenverhältnissen, die der Blutsverwandtschaft gleichgestellt sind, weiter kompliziert. Die Blutsbrüderschaft244 vllaznim und die Patenschaft kumbari; shengjoni, von der es drei Formen gibt: die Taufpatenschaft kumbarija e pagzimit (§ 707 KLD), die Trauzeugenschaft kumbarija e kunores (§ 708 KLD), und die Patenschaft des ersten Haarschnitts kumbarija e flokvet (§ 709 ff KLD). Letzteres ist eine genau geregelte Zeremonie, die an ein- bis zweijährigen Kindern vorgenommen wird, im Notfall auch nach ihrem Tode (§§ 714-734 KLD)245. In der großen Malsija wurde auch die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion als Ehehindernis betrachtet246.

§ 39 KLD: „Bei der Verlobung eines Mädchens wird in Betracht gezogen, dass weder Blutsverwandtschaft (gjak) noch Familienzusammengehörigkeit (gjini) sei, dass die zu Verlobenden nicht zur gleichen Sippe gehöre, dass das Mädchen nicht eine Nichte der Sippe des Jünglings sei, der sich mit ihr verloben will, dass sie keine entlassene Frau247 sei, dass keine Patenschaft bestehe i) vom Wiegen an der Kirchentüre; ii) durch Heirat; iii) durch das Schneiden der Haare; iv) dass nicht durch getrunkenes Blut Bruderschaft entstanden sei. Der

244 Die Verbrüderung wurde meist durchgeführt, indem sich die beiden je einen Finger mit einem Dorn aufstachen und die blutenden Wunden aufeinander legten. In einer verfeinerten Form ließ man das Blut auf ein Stück Zucker bzw. in ein Glas raki (Branntwein) oder Wein träufeln. Die beiden betrachteten sich als echte Brüder, auch die Brüder der beiden galten nun als Brüder; deren Kinder wurden als Cousins betrachtet. Das Exogamiegebot betraf allerdings nur die direkten Nachfahren der beiden Blutsbrüder. Die Blutsbrüderschaft hatte oft die Funktion, eine langandauernde Blutrache zu beenden.; Siehe: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 262 f. 245 Elsie Einführung, S. 18 f.; Das Schneiden des Haares als Hingabe einer Person ist ein alter Ritus, der etwa auch in Russland oder im Vorderen Orient anzutreffen ist, und zweifellos vorchristlichen Ursprungs. Wenn das Kind, dessen Haar noch nie geschnitten worden war, ungefähr zwei Jahre alt war, wurde ein Pate des Haares ausgewählt. Bei Knaben fand die Zeremonie bei zunehmendem Mond, bei Mädchen bei abnehmendem Mond statt. Beim Haarschnitt nahm der Pate das Kind auf die Knie und schnitt ihm vier Locken als Symbol für die vier Himmelsrichtungen ab. Diese Locken wurden sofort verbrannt. Es folgte gewöhnlich ein großes Fest. Der Pate und er Vater des Kindes waren nun Geschwister. Der Pate darf grds. kein Verwandter sein. Durch die Patenschaft entsteht Heiratsverbot bis zur fünften Generation.; Siehe: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 260 ff.; § 717 KLD. 246 Cozzi, La donna albanese, S. 316. 247 Wird die Ehe aufgelöst, ist die Rechtsfolge Heiratsverbot beider ehemaligen Ehepartner. Dieses Verbot muss bei sonstigen Rechtsfolgen, sowohl von den „geschiedenen“ selbst, als auch von dritter Seite beachtet werden. 39

Kanun duldet weder Verlöbnis noch Ehe, wenn eines der oben erwähnten Hindernisse besteht, und sei es im Viertausendsten Grad“248.

9.3. Die Rechtsstellung der verheirateten Frau im Haus des Mannes

Die albanische juristische Terminologie trennt klar zwischen dem „Stammbaum des Blutes“ lisi i gjakut also der patrilinearen Verwandtschaft gjak und dem „Stammbaum der Milch“ lisi i tamblit der matrilinearen Verwandtschaft gjini249. Obwohl die Frau eine Blutsverwandte in ihre Familie war, wurde sie dennoch als eine unwillkommene Person betrachtet. Die Überlegung war, dass ihre Zeit im elterlichen Haus vorübergehend war, d.h. ihren endgültigen Aufenthalt sollte sie im Haus des Mannes finden. Im Haus des Mannes war eine verheiratete Frau nicht eine Blutsverwandte, dementsprechend wurde sie immer als eine Fremde geachtet grueja asht bija e dheut. Ihre Stellung als Fremde wurde besonders bei der Rechtsverfolgung ersichtlich. Grundsätzlich waren immer die Blutsverwandten dafür zuständig. Die Frau blieb rechtlich entsprechend dem Prinzip der Blutsverwandtschaft Mitglied der elterlichen Familie, die die Blutrache auf sich nahm, wenn die Frau jemanden tötete, und die zur Blutrache verpflichtet war, wenn jemand z.B. ihr Ehemann, die Frau tötete (§ 57 KLD)250. Sie gehörte immer dem väterlichen Haus an, auch wenn sie ihr ganzes Leben im Haus des Mannes verbrachte251.

Die Frau war in der Hierarchie der Familie des Mannes an unterster Ebene252. Sie war dem Hausherrn, ihrem Mann und der Hausherrin untergeordnet und hatte ihren Befehlen gemäß zu handeln. Ihre Aufgabenstellung im Haus des Mannes, gab zugleich auch ihre Rechtsstellung wieder. § 57 KLD bestimmt: „die Frau ist ein Sack, um zu tragen, solange sie im Haus des Mannes ist…“. Damit gemeint ist zweierlei. Einerseits soll sie die Kinder des Mannes austragen und andererseits soll sie im Rahmen der Hausarbeiten tragen, z.B. Holz, Wasser etc.253. Ihre Aufgaben im Haus des Mannes waren direkt mit ihren Rechten verbunden. Erfüllte sie ihre Aufgaben gut, erlangte sie mehr Rechte. Zunächst hatte sie als neue Fremde

248 Elsie, Der Kanun, S. 27 f. 249 Elsie, Einführung S. 18.; Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S 24. 250 Elsie, Einführung S. 29. 251Vgl. Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S.24 f.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 184.; Cozzi, La donna albanese, S. 323.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 78.; Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 33 ff, 69 ff. 252Siehe: Isak, Der Kanun in Albanien, S. 50. 253 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 25.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/ Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 76 f.; Begolli, Pozita e gruas ne Kosove, S. 49 ff.; Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 25 ff. 40

kaum Rechte in der neuen Familie. Bewährte sie sich im Laufe der Zeit gut, konnte sie in der weiblichen Hierarchie steigen und mehr Rechte erlangen. War sie besonders fleißig und gerecht, hatte sie Aussicht auf den Posten der Hausherrin. Hatte sie ihre Aufgabe einen Sohn zu gebären erfüllt, erlangte sie auch im Fall, dass sie Witwe wurde, das Recht auf lebenslänglichen Unterhalt254.

Bezüglich der erworbenen Rechte des Hauses des Mannes gegenüber der neuen Fremden spricht Cozzi von „Erwerb des Eigentums“255 ab Bezahlung des Brautpreises merciri. Dagegen spricht jedoch folgende Überlegung. Ausfluss des „Eigentumsrechts über die Familienmitglieder“ war auch das Recht, über das Leben und den Tod, der zu der Familie gehörigen Glieder entscheiden zu dürfen. Eine Tötung innerhalb der Familie war eine rein innere Angelegenheit wofür das Einmischungsverbot galt256. Die Rechtfertigung wurde darin gefunden, dass eine Tötung innerhalb der Familie als Selbstmord gewertet wurde. Angesichts des einzigen Lebenszieles, sich zu vermehren, trat mit der Tötung eines Familienmitgliedes auch die Selbstbestrafung ein, weshalb ein Angriff von außen auch überflüssig gewesen wäre. Ausgenommen von dieser Regelung war die Tötung des Hausherrn. Dies war der einzige Fall, wo die Gesellschaft eingreifen durfte, um den Tod zu rächen.

Würde die Frau somit ab Bezahlung des Brautpreises merciri Eigentum des Hauses des Mannes werden, so müsste diese auch das Recht haben, über ihr Leben straffrei zu verfügen. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Tötung der verheirateten Frau war niemals eine rein innere Angelegenheit der Familie des Mannes und zog immer zunächst die Rechenschaftspflicht gegenüber der gjinija der Frau nach sich und u.U. auch die Blutrache. § 61 KLD bestimmt: „Der Mann hat kein Recht über das Leben der Frau“ „Die Arbeitskraft der Frau wird verkauft und nicht ihr Leben“257. Eine Ausnahme entstand nur durch die mitgegebene Patrone am Hochzeitstag als Zeichen der „jus gladii“ und nur dann, wenn die Patrone bestimmungsgemäß verwendet wurde258. Wenn somit die Familie des Mannes grundsätzlich nicht das Recht über das Leben der Frau durch die Bezahlung des merciri erhielt, dann konnte es auch nicht das Eigentumsrecht über sie erhalten.

254 Siehe auch: Durham, Some Tribal Origins, S. 202 ff. 255 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 322f,; Siehe auch: Durham, Some Tribal Origins, S. 192 ff. 256 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 286, 317. 257 Elsie, Der Kanun, S. 48. 258 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S.24 f 41

Mit der vollkommenen Entrichtung des merciri erwarb der Zahler sehr wohl aber verbindliche Ansprüche gegenüber der Frau und ihrer Familie. Diese Ansprüche definiert Valentini als Mietrechte befristet auf die Lebenszeit des Mannes259.

9.4. Gegenseitige Rechte und Pflichten der Eheleute

Die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Eheleute sind im Kanun klar definiert. Die Pflichten der Frau gegenüber dem Mann waren: seine Ehre zu schützen, den Ehemann in makelloser Weise zu dienen, sich seiner Herrschaft zu unterwerfen, die ehelichen Pflichten zu erfüllen, seine Kinder ehrenvoll zu erziehen und pflegen, Kleidung und Schuhe in gutem Zustand zu halten und sich in die Verlobung der Töchter oder Söhne nicht einzumischen260. Die Ehre des Mannes schützte die Frau dadurch, indem sie es nicht verletzte. Die Ehre des Mannes verletzte die Frau, indem sie z.B. seine Befehle in der Gesellschaft missachtete261 oder Ehebruch beging.

Die Frau hatte das Recht, vom Mann Nahrung, Kleidung und Schuhe zu verlangen „grueja ka tager me lype prej burrit te mbajtmen, e veshen e mathen“262.

Der Mann hatte das Recht, die Frau zu tadeln und zu beraten, sie zu schlagen und zu fesseln, wenn sie seinen Anordnungen nicht Folge leistet263. § 57 KLD: „schlägt der Mann die Frau, so fällt er nach dem Gesetz nicht in Schuld“264. Er hatte jedoch kein Recht über ihr Leben, es sei denn er erhielt die Patrone als Zeichen des „jus gladii“265. § 57 KLD: „Der Mann kauft die Pflicht des Lebensunterhaltes Frau, aber nicht ihr Leben“266. Das Recht, die Frau zu schlagen hatte nur der Ehemann und hatten nicht etwa auch seine Blutsverwandten. § 61 KLD: „Schlägt die Schwägerschaft die Frau des Mannes, so fordern ihre Eltern ihre Ehre, wenn der Mann sie nicht fordern sollte“267. Blieb der Mann untätig gegenüber der erfolgten

259 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 25. 260 § 33 KLD. 261 Eine Ehrverletzung ist es nur dann, wenn es nach außen tritt d.h. wenn die Gesellschaft Kenntnis davon erlangt. Eine Missachtung der Befehle außerhalb der Öffentlichkeit z.B. im Haus stellte keine Ehrverletzung dar. 262 § 34 KLD. 263 Durham, Some Tribal Origins, S. 204 f. 264 Elsie, Der Kanun, S. 43. 265 § 58 ff KLD. 266 Elsie, Der Kanun, S. 42. 267 Elsie, Der Kanun, S. 49. 42

Ehrverletzung seiner Frau, hatte ihre Blutsverwandtschaft das Recht, dem Ehemann einen Ochsen als Entschädigung wegzunehmen und ihn mit Freunden zu verzehren268.

Der Mann hatte somit die Pflicht, die Ehre der Frau zu schützen und ihr keinen Grund zu geben, sich wegen Entbehrung von Notwendigem beklagen zu müssen. Er war verpflichtet, für Kleidung, Schuhe und den gesamten Lebensunterhalt der Frau zu sorgen269.

Bezüglich des ehelichen Lebens trennt Cozzi richtigerweise zwischen dem ehelichen Leben in der Familie und in Anwesenheit Dritter, die nicht zur Familie gehören. In Anwesenheit Dritter war es dem Mann verwehrt, Nähe zu der Frau zu zeigen. Besonders in den ersten Ehejahren hatte der Mann immer in Befehlsform mit ihr zu reden. Die Frau durfte sich auch nicht in seiner Gesellschaft zeigen. Sie durfte, wenn Gäste zu Hause waren, nicht zusammen essen, sondern die Männer aßen getrennt von Frauen und Kindern. Sollte er sich auf die Reise gemacht haben, hätte sie an seiner Abreise nicht teilnehmen dürfen270. In Anwesenheit anderer, war es der Frau nicht erlaubt, nach seinem Zurückkommen zu fragen271.

„Damit sie Dritten einen Einblick in das eheliche Leben in der Familie gewähren, müsse man lange Zeit in ihren Häusern verbracht haben“ schreibt Cozzi272. Privat sollen sie sich gegenseitig über anstehende Entscheidungen beraten haben und der Mann soll ihre Empfehlungen grundsätzlich nicht missachtet haben. Die Frau soll faktisch viel mehr Einfluss gehabt haben, als ihr rechtlich zustand273.

268 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 183.; Höchstwahrscheinlich diente das Essen mit Freunden dazu, die gegenüber der Frau erfolgte Ungerechtigkeit nach außen zu bringen, damit die Gesellschaft Kenntnis davon erlangt. Dadurch sollte auf dem Mann Druck gemacht werden um sich auch gewohnheitsrechtskonform zu verhalten und die Ehrverletzung der Frau zu sanktionieren,; Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 25 ff. 269 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S 74.; Elsie, Der Kanun, S. 25.; Während die Männer mit zerrissener Kleidung und sogar Barfuß gegangen sein sollen, soll es Frauen in materieller Hinsicht verglichen mit anderen Frauen an nichts gefehlt haben dürfen. Dazu passend soll wahrscheinlich auch dieses Sprichwort verstanden werden: „Gruja e burrit tmir njifet n’rug t’madhe“ „Die Frau eines guten Mannes, erkennt man bereits auf der großen Straße“. Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 312, 625. 270 Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 27,; Diese strengen Bräuche sollen von Generation zu Generation aus dem Grund übertragen worden sein, um bei der Abreise der jungen Männer im Kriegsfall Gefühle zu vermeiden, denn diese hätten die Männer davon abhalten können ihren Pflichten im Kriegsfall nachzukommen. 271 Cozzi, La donna albanese, S. f. 310 ff. 272 So soll ein Bergbewohner Cozzi gesagt haben „Du kannst es dir nicht vorstellen mein Freund, wie sehr wir unsere Frauen lieben und wie viel wir aufpassen müssen, dass es keiner mitkriegt“. 273 Cozzi, La donna albanese, S. 310, 311, 312,; Siehe auch: Durham, Some Tribal Origins, S. 205. 43

10. Die Auflösung der Ehe

Die Ehe ist im Kanun nicht untrennbar. Vorgesehen ist auch die Auflösung des Ehebandes, jedoch mit, aus heutiger Sicht, erheblichen Rechtsfolgen. Auflösungsberechtigt war immer nur der Mann. Es gab zwei Auflösungsformen, die Entfernung und die Verstoßung.

10.1. Die Entfernung

Die Entfernung „me qit gruen prej shpiet“ „die Frau aus dem Haus entfernen“ war kein definitiver, sondern ein zeitlich begrenzter Zustand, weshalb sie in der Wirkung keine Scheidung darstellte. Die Gründe, die eine Entfernung legitim erscheinen ließen waren Wutausbruch oder Verfehlungen der Ehefrau in Zusammenhang mit ihren Pflichten im Haus oder/und gegenüber dem Mann, ohne jedoch Verstoßungsgründe darzustellen274.

Wurde die Frau aus dem Haus entfernt, hatte sie die Pflicht, sich in der näheren Umgebung des Hauses aufzuhalten aber nicht im Haus. In einem solchen Fall hielt sich die Frau entweder bei einem Nachbarn oder in der näheren Umgebung z.B. Scheune auf. Danach gab es folgende Möglichkeiten: Entweder kehrte sie selber ins Haus des Mannes zurück oder der Nachbar intervenierte und bat den Mann darum, die Frau wieder zurückzunehmen275.

Wurde die Frau aus dem Haus entfernt und ging sie auf Grund dessen, aus eigener Entscheidung zur väterlichen Familie gjinija, so stellte diese Reaktion ihrerseits eine unangemessene dar, da sie wusste, dass die Entfernung temporär war und sie wieder zurück durfte. Ihre Blutsverwandten hatten sie zum Gatten wieder zurück zu stellen, weil das Zurückkehren der Frau zur gjinija eine rechtswidrige Handlung darstellte. Das Unterlassen des Zurückstellens der Frau hätte eine Unterstützung ihrer rechtswidrigen Handlung bedeutet, die für ihre Blutsverwandten Rechtsfolgen nach sich gezogen hätte276.

274 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 328.; Siehe: Martucci, L‘albero del Latte, .S. 199. 275 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 328.; Siehe: Martucci, L‘albero del Latte, S. 199. 276 Man muss beachten, dass die väterliche Familie nicht in der näheren Umgebung wohnte, sondern weiter entfernt. Die Frau musste also weit reisen, um zur väterlichen Familie zurück zu gehen. Außerdem brauchte sie immer die Erlaubnis des Mannes um zu ihrer gjinija gehen zu dürfen.; Cozzi, La donna albanese, S. 328. 44

10.2. Die Verstoßung

Die Verstoßung me ndaa gruen oder me leshue gruen, die Frau verstoßen, war grundsätzlich ein endgültiger Akt. Objekt der Verstoßung war immer nur die Frau. Mit der Verstoßung wurde die Ehe endgültig aufgelöst. Die Verstoßung war verpflichtend mit gewissen Formalitäten/Ritualien verbunden, damit die Beteiligten über den neuen Rechtszustand Klarheit erhielten. Die Verstoßung erfolgte dadurch, dass der Mann der Frau in Anwesenheit von zwei Zeugen das Büschel der Quaste, das ihren Wams schmückte thekt e e jelekut abschneidete oder in der großen Malsija, den Gürtel brenzd-i in zwei277 teilte oder die Quaste (Franse)278 ihres Haares schneidete me i pre flokun als Zeichen der Auflösung des ehelichen Bandes279. Die Teilnahme der Familie der Frau in diesem Prozedere war nicht erforderlich.

Die Gründe, die eine Verstoßung aus gesellschaftlicher Sicht legitim erscheinen ließen, waren: die eheliche Untreue der Frau, die wiederholte Verletzung ihrer vorgegebenen Verhaltensweisen, die das Ansehen, die Ehre und/oder die Stellung des Mannes in der Gesellschaft beeinträchtigten konnten, die Schwangerschaft der Frau zum Zeitpunkt des Eheantrittes, Diebstahl280, Unfähigkeit, die Hausarbeiten zu erfüllen, geistige Krankheit und die Verletzung der Gastfreundschaft281. Höchstwahrscheinlich durfte auch die mangelnde Jungfräulichkeit der jungen Frau ein Scheidungsgrund gewesen sein282. § 57 KLD: „Wurde die Frau beim Mann nicht so gebracht wie es sich gehört, so gestattet der Kanun, ihr die Quaste (Franse) des Haares abzuschneiden und sie zu entlassen“. Für Diebstahl entlässt (…) der Mann die Frau und schneidet ihr die Quaste, aber eine andere Schande darf er ihr nicht antun“283. Der Mann war nicht verpflichtet, die Gründe der Verstoßung bekannt zu geben. Es genügte die Aussage, dass die Frau nicht für ihn geeignet sei. Grundsätzlich fragte die Blutsverwandtschaft der Verstoßenen nicht nach den Gründen, aus Angst, dass ihre

277 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 326.; Siehe: Martucci, L‘albero del Latte, S. 199. 278 Quasten sind Haarbüschel, die die verheirateten Frauen tragen. 279 Elsie, Der Kanun, S. 44 f.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 199.; Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese, in: Marco/Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia,, S. 77. 280 Als Diebstahl werden Fälle qualifiziert in denen die Frau dem Haus des Mannes Gegenstände oder Lebensmittel veruntreut um sich ein wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. 281 Vgl. Cozzi, La donna albanese, S. 328.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 199.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 76.; 282 Siehe: Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 160. 283 Elsie, Der Kanun, S. 46. 45

Enthüllung Schande über die Familie bringen könnte und dadurch ihr Ansehen in der Gesellschaft sank284.

Verstoßungsberechtigt waren der Ehemann und die männlichen Kinder. § 61 KLD bestimmt: „ist die Mutter eine Aufstörerin, so verstößt der Sohn die Mutter aus dem Haus, ohne Nahrung und Gut; nur im ersten Jahr wird er ihr das Brot des Mundes geben; anderes gibt er ihr nicht“285.

10.2.1. Rechtsfolgen der Verstoßung

Die erste Rechtsfolge der Verstoßung war der Verlust des Brautpreises merciri, d.h. der Mann hatte nicht das Recht, das bereits Bezahlte zurückzuverlangen. Unklar war wie mit dem persönlichen Eigentum der Frau zu verfahren war. Cozzi vertritt die Ansicht, dass der Frau ihr persönliches Eigentum zurückgegeben werden musste, d.h. ihre Truhe, ihr eigenes Erspartes, ihre Kleidung, die Hochzeitsgeschenke, und falls sie ein Tier hatte auch dieses286. Gjecov hält dagegen, dass die Frau im Falle der Verstoßung nichts mitnehmen hätte dürfen, außer die Bekleidung am eigenen Leibe. § 57 KLD: „Die Entlassene darf, wenn sie das Haus des Mannes verläßt, nichts andres mitnehmen, als die Kleider auf dem Leibe. Ihre anderen Kleider gehen der Entlassenen verloren, denn den Preis, den der Mann für sie bezahlt hat, den findet sie bei ihren Eltern“287.

Hatte das Ehepaar Kinder, dann verblieben diese als Eigentum des Vaters bei diesem. War die Frau zum Zeitpunkt der Verstoßung schwanger, dann hatte sie im Haus des Mannes zu entbinden. Wurde die Frau trotz Schwangerschaft zur gjinija zurückgestellt, und entband sie dort, dann konnte ihre Familie auf Grund der durch die Zurückstellung in Zeiten der Schwangerschaft verursachten Schande und damit Ehrverletzung, Entschädigung verlangen288. Wurde die Frau in der Stillperiode verstoßen, so hatte der Mann, die zeitlich begrenzte Pflicht, für ihren Unterkunft in der Nähe des Kindes, für ihre Ernährung und für ihre Bekleidung zu sorgen289. § 57 KLD: „Hat die Entlassene einen Sohn an der Brust, so

284 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 328 f. 285 Elsie, Der Kanun, S. 49. 286 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 329.; Siehe dazu: Martucci, L’albero dell Latte, S. 200.; Art 31 KLD. 287 Elsie, Der Kanun, S. 46. 288 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 329. 289 Martucci, L‘ albero del Latte, S. 199 f.; Art. 31 KLD. 46

muss ihr der Mann, wenngleich er sich von ihr trennt, einen Ort in der Nähe des Hauses anweisen, muss ihr den Sohn geben und sie mit Speise, Trank und Kleidung unterhalten“290.

Für die Behandlung der Rechtsfolgen war auch der Zeitpunkt der Verstoßung maßgeblich. Wurde die Frau im Herbst oder Winter verstoßen, so musste der Mann sie bis zur nächsten Ernte im Spätsommer in seinem Haus behalten und sie ernähren. Erfolgte die Verstoßung in der Erntezeit, erhielt die Frau ihren Teil und der Mann hatte ihr gegenüber keine Verpflichtungen mehr291.

Wollte der Mann die Verstoßung rückgängig machen, nachdem er die o.g. Formalitäten vollzogen hatte, dann hatte er einen Geldbetrag, der je nach Ort zwischen 500 und 1000 Piaster variierte, dafür zu entrichten. Die Rechtfertigung lag in der Überlegung, dass der Mann mit der Verstoßung seine Ansprüche gegenüber der Frau verlor. Um diese wieder zu erwerben, musste er einen entsprechenden Geldbetrag zahlen292.

Eine Verstoßung war zwar „rechtlich“ möglich, dennoch wurde dieses Handeln von der Gesellschaft nicht als eine ehrenvolle Handlung gesehen. Deshalb zog eine Verstoßung die Vermutung nach sich, dass sie nur auf Grund schwerwiegender Verfehlungen der Frau erfolgen könnte, denn kein Mann würde seine Ehre „umsonst“ aufs Spiel setzen, es sei denn, es lagen erhebliche Gründe vor.

Wurde die Ehe „aufgelöst“, so stellte sich die Frage, ob die Frau wieder verlobt werden durfte. Die Überlieferungen dazu sind widersprüchlich. § 57 KLD bestimmt: „Die Ehe bleibt, und weder der Mann noch die Frau können bei des Partners Lebzeiten wieder heiraten293. § 39 KLD: „Bei der Verlobung (…) wird in Betracht gezogen, dass (…) sie keine entlassene Frau sei“294. Cozzi sagt jedoch, dass sich die Verlobung einer verstoßenen Frau wegen der Vermutung von Eheverfehlungen ihrerseits, als schwierig erwieß, woraus geschlossen werden kann, dass das Eingehen einer neuen Ehe gewohnheitsrechtlich möglich gewesen sein soll295.

290 Elsie, Der Kanun, S. 46. 291 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 329. 292 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 329. 293 Elsie, Der Kanun, S.44 f. 294 Elsie, Der Kanun, S. 28. 295 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. S 329.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 200 f. 47

10.3. Das Flüchten der Frau aus dem Haus des Mannes „t’ikunit“

Während der Ehe war es der Frau verboten, sich aus dem Haus des Mannes ohne seine Erlaubnis oder die der Hausherrin zu entfernen, auch nur zum elterlichen Haus. Flüchtete die Frau aus dem Haus des Mannes, konnten sich wegen der fehlenden Erlaubnis Komplikationen ergeben, weshalb zwischen „begründetem“ und „grundlosem Flüchten“ differenziert werden muss.

10.3.1. Das begründete Flüchten

Der Frau war es nur aus einem Grund erlaubt aus eigener Entscheidung sich aus dem Haus des Mannes zu entfernen und zur gjinija zurückzugehen, ohne negative Rechtsfolgen ihrerseits nach sich zu ziehen: schwerer körperlicher Missbrauch bis hin zum blutigen Schlagen t’shkalluemit oder t’caamit i grues296.

Grundsätzlich war es dem Mann erlaubt im Rahmen seiner „ehelichen Züchtigung“ gegenüber der Frau Gewalt anzuwenden. Die Grenze zwischen illegaler und legaler Gewaltausübung lag am Austritt des Blutes. Sobald Blut aus dem Körper der Frau austrat, war die angewendete Gewalt illegal und das Flüchten der Frau begründet. Die vom Mann zugefügten blutigen Verletzungen stellten eine Ehrverletzung der Frau dar, weshalb der Frau das Recht zugestanden wurde, zur gjinija zu flüchten, ohne Rechtsfolgen für sich oder ihre Blutsverwandten befürchten zu müssen. Die Beweislast hinsichtlich der angewendeten illegalen Gewalt oblag ihr, d.h., sie hatte die blutigen Verletzungen nachzuweisen. Ihre Familie musste sie dann zum Mann zurückstellen und hatte folgende Möglichkeiten:

1. Sie konnte dem Mann beim Altenrat pleqnija verklagen, der diesem eine Geldbuße wegen blutiger Verletzung der Frau verhängte. Die Geldstrafe variierte zwischen 500 und 750 Piaster. Der Mann seinerseits hatte die Pflicht, der Familie der Frau zwei Bürgen qefil bereitzustellen, die dafür bürgen sollten, dass der Mann der Frau in Zukunft keine blutigen Verletzungen mehr zufügen würde. Wurde der Mann trotz Bürgen wieder rückfällig, wurde wie folgt vorgegangen: Die Frau hatte das Recht zu flüchten, jedoch nicht zu ihrer Familie, sondern zu den Bürgen. Die Bürgen hatten sich zunächst mit dem Stammeshäuptling zu beraten und daraufhin verhängten sie gemeinsam dem Mann eine Geldstrafe in Höhe von

296 Cozzi, La donna albanese, S. 329 f.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 200 f. 48

3000 Piaster für die entzogene Ehre der Frau. Der Mann musste danach den Bürgen und dem Stammeshäuptling sein Versprechen geben, dass er in Zukunft nicht mehr rückfällig werden würde297. Angesichts des fehlenden persönlichen Eigentums der männlichen Glieder des Hauses musste der Mann, im Falle einer Bestrafung wegen blutiger Verletzung der Frau, um das Bußgeld beim Hausherrn anfragen, der de facto das Geld bezahlte. Ein solcher Vorfall sollte somit mittelbar auch die Familienmitglieder des gewalttätigen Mannes betroffen haben, denn diese hatten dafür mit ihrer Arbeit aufzukommen. Der Mann durfte somit auch intern von der eigenen Familie Druck bekommen haben, sich rechtmäßig zu verhalten.

2. Nur in einem einzigen Rechtsbereich war die Frau dem Mann gleichgestellt: Ehrverletzungen. Die blutigen Verletzungen, die der Mann der Frau zufügte, bedeuteten Ehrverletzung der Frau. Die Ehre des Mannes und die Ehre der Frau wogen gleich, weshalb die gjinija auch die Blutrache als Wiedergutmachung fordern konnte, was nicht oft vorgekommen sein soll.

10.3.2. Das unbegründete Flüchten

Flüchtete die Frau aus irgendeinem anderen Grund, der keine blutige Verletzung darstellte, wurde ihr Flüchten als grundlos bewertet und konnte für die Flüchtende erhebliche Rechtsfolgen nach sich ziehen, da ein grundloses Flüchten der Frau die Ehrverletzung des Mannes bedeutete. Als unbegründetes Flüchten wurden folgende Fälle eingestuft: die Frau flüchtete wegen Liebe zu einem anderen Mann der nicht ihr Ehemann war, ihr Ehemann beging Ehebruch, ihr Ehemann war wirtschaftlich schwach und konnte für sie nicht entsprechend sorgen298.

Flüchtete die Frau somit unbegründet zur gjinija, hatte diese die Pflicht, die Frau zum Mann zurückzustellen. Kam ihre Blutsverwandtschaft ihrer Pflicht nicht nach, so zog diese rechtswidrige Unterlassung den Verfall in Blutrache nach sich299.

Flüchtete die Frau unbegründet woanders hin, dann oblag der gjinija die Pflicht, die Frau ausfindig zu machen und sie zum Mann zurückzustellen. Ihre Rechtfertigung fand diese vorgegebene Verhaltensweise in der Überlegung, dass ihre Familie grundsätzlich immer für

297 Cozzi, La donna albanese, S. 330, 323.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 200 f. 298 Cozzi, La donna albanese, S.329.; Martucci, L‘albero del Latte, S. 200 f. 299 Cozzi, La donna albanese, S.330.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 200 f. 49

die Frau verantwortlich blieb, auch während der Ehe. Argumentiert wurde diese Pflicht wie folgt: „Wenn die Blutsverwandtschaft das Recht hatte gegenüber der Frau erfolgte Rechtsverletzungen zu verfolgen, dann musste sie auch die Pflicht haben, für Fehlverhalten der Frau einzustehen“. Kam ihre Blutsverwandtschaft dieser Pflicht nicht nach, so zog dieses pflichtwidrige Verhalten zunächst ihren Verfall in Blutrache nach sich. Danach konnte die Blutsverwandtschaft der Frau auf gütliche Einigung bei der Familie des Mannes nachfragen und Letztere konnte zustimmen. Kam es zur gütlichen Einigung hatte die Familie der Frau, der Familie des Mannes eine Geldbuße in Höhe von 3000 Piaster für die entzogene Ehre des Mannes zu zahlen300.

Befürchtete die gjinija ein neuerliches Flüchten der Frau, dann konnte sie sich von ihrer Pflicht dadurch befreien, indem sie bei der Rückstellung der Frau dem Mann eine Patrone gab. Damit wurde dem Mann das Recht gegeben, die Frau im Fall eines versuchten oder erfolgten neuerlichen Flüchtens, die Flüchtende zu töten ohne Rechtsfolgen nach sich zu ziehen. Zugleich befreite sich die Familie der Frau davor, einstehen zu müssen, sollte die Frau wieder flüchten oder es versuchen, d.h. der Mann durfte sich nicht mehr an die Familie der Frau wenden301. § 43 KLD: „Verletzt es seine Ehre indem es flieht oder versucht zu fliehen, dann hat er das Recht, das Mädchen mit der Patrone der Eltern zu töten. Das Blut des Mädchens geht verloren, weil er es mit der Patrone seiner Eltern tötete“302.

10.3.3. Das Vorgeben oder Bestreiten des begründeten Flüchtens

Gab die Frau vor, blutig verletzt worden zu sein, so behauptete sie damit ihre Ehrverletzung. Behauptete der Mann das grundlose Flüchten der Frau, so behauptete er zugleich seine Ehrverletzung. Somit standen sich zwei Ankläger gegenüber. Die Frau hatte deswegen, sobald ihr die Flucht gelang, als Erstes die blutigen Verletzungen und somit ihre Schuldlosigkeit zu beweisen303. Konnte ihr der Beweis gelingen, galt der Mann zunächst als schuldig. Behauptete der Mann, das grundlose Flüchten der Frau, indem er bestritt, die blutigen Verletzungen hinzugefügt zu haben, dann konnte er seine Unschuld nur mittels gleichzeitiger, beeidigter Aussage von zwölf anderen männlichen Personen porote oder poronike beweisen. Sechs Eideshelfer hatte die Familie des Mannes, sechs die der Frau zu wählen. Die Eideshelfer

300 Cozzi, La donna albanese, S. 330. ; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 200 f. 301 Cozzi, La donna albanese, S. 330.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 200 f. 302 Elsie, Der Kanun, S. 31. 303 Es soll vorgekommen sein, dass die Frauen sich selbst verletzten um den Folgen des Flüchtens zu entgehen. 50

hatten zusammen mit dem Mann ihren Eid abzulegen, um diesen von der Anklage zu befreien304. Konnte dem Mann diese beeidigte Aussage gelingen, dann galt seine Unschuld als nachgewiesen305.

11. Tod

11.1. Allgemeines

In diesem Kapitel soll der natürliche Tod und die Tötung behandelt werden.

Fahrlässige Blutbuße

vom Stamm keine natürlicher Rechtsfolgen Tod von der keine Tod eigenen Hinrichtung Rechtsfolgen Tötung Familie von der keine Familie des Rechtsfolgen legale Mannes Tötung Blutrache Blutrache

Vorsätzliche Tötung im Krieg illegale Tötung Blutrache

Als natürlicher Tod wurde jede andere Sterbensform behandelt, die nicht eine Tötung darstellte.

Bei der Tötung eines Menschen muss unterschieden werden zwischen der vorsätzlichen Tötung und der fahrlässigen Tötung306. Die vorsätzliche Tötung unterteilte sich in legale Tötung und illegale Tötung. Die legale Tötung unterteilte sich wieder in Hinrichtung, Blutrache oder Rachemord und Tötung im Krieg.

Die Hinrichtung konnte öffentlich vom Stamm erfolgen, von der eigenen Familie oder von der Familie des Mannes.

304 Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese, in: Marco/Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia, S. 62.; 305 Cozzi, La donna albanese, S. 330.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 200 f. 306 Vgl. Elsie, Der Kanun, S. 166. ; Cozzi, La vendetta del Sangue, S. 660 f. 51

Eine öffentliche Hinrichtung kam nicht häufig vor, denn es musste jemand, um von Stammes wegen hingerichtet zu werden, ein besonders schweres Verbrechen begangen haben. Die Gründe, die zu einer Hinrichtung durch die eigene Familie führten, waren Mord an einem Gastfreund mik oder an den Vettern um sie zu beerben, Unkeuschheit der Tochter oder ihre eheliche Untreue gegenüber ihrem Mann307. Die Hinrichtung durch die Familie des Mannes erfolgte im Fall des Ehebruchs, Flüchtens und Verletzung der Gastfreundschaft. Als legal wurde die Tötung im Krieg und die Tötung zwecks Blutrache empfunden308.

Jede andere in obigen Fällen nicht eingeschlossene, absichtliche oder unabsichtliche Tötung galt als illegale Tötung und damit als Mord. Die häufigsten Mordgründe in Nordalbanien waren Ehrenangelegenheiten, Frauen betreffende Angelegenheiten, Grenzstreitigkeiten, Streit wegen Wasserleitung, Streit wegen Vorenthalten einer gebührenden Sache, Zank, Schmähung und ungünstige Aussage vor Gericht309. Wurde eine illegale Tötung vom Haus des Verstorbenen verziehen, dann hatte der Täter im Rahmen der Vergebung eine Geldbuße zu bezahlen.

Bei der fahrlässigen Tötung kam das Prinzip „Blut für Blut“ nicht zur Anwendung. Der Täter hatte dem Haus des Verstorbenen nur eine Blutbuße zu bezahlen und das Haus des Verstorbenen hatte den Täter mittels Bürgen zu versichern, dass es das Blut nicht fordern würde310.

Im Folgenden werden nur Frauen betreffende Fälle und damalige Rechtsprobleme behandelt.

11.2. Natürlicher Tod

Waren die Söhne zahlreich und die Familie arm, konnte der Brautpreis merciri zur erzwungenen Ehelosigkeit führen. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sollen die Brautpreise Höhen erreicht haben, die viele Familien verarmen ließen. Umso wichtiger wurde sodann die Frage, wie mit dem Fall umzugehen war, wenn einer der Zukünftigen starb, nachdem der merciri bezahlt wurde. Wer hatte in einen solchen Fall die `Gefahr des Todes` zu tragen. Je nach Status des Toten, Zeitpunkt und Ort des Todeseintritts, ergeben sich folgende Besonderheiten.

307 Siehe: Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 324 ff. 308 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 324 ff. 309 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 326 ff. 310 Vgl. Elsie, Der Kanun, S. 166. ; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 660 f. 52

11.2.1. Natürlicher Tod vor der Hochzeit

Ab dem Zeitpunkt der Bezahlung des Brautpreises erlangte die junge Frau grds. die Rechtsstellung einer verheirateten Frau, denn die Familie des jungen Mannes erwarb Ansprüche auf die junge Frau. Starb der junge Mann vor der Hochzeit, so wurde das Mädchen frei und durfte weiter verlobt werden. Machte ihre Blutsverwandtschaft von der erlangten Freiheit der jungen Frau Gebrauch und verlobte sie neuerlich mit einem Dritten, dann hatte ihre Familie der Familie des verstorbenen jungen Mannes die Hälfte des erhaltenen merciri zurückzuerstatten. In der kleinen Malsija bedurfte das Mädchen für die nächste Verlobung der ausdrücklichen Zustimmung der Familie des verstorbenen Jungen. Die Überlegung beruhte darauf, dass der Vertrag einst zwischen den Familien zustande gekommen war und nicht zwischen den Verlobten. Wurde das Mädchen jemand anderen versprochen ohne vorher die Zustimmung erhalten zu haben, dann stellte dieser Vorgang einen Ehrentzug der Familie des Verstorbenen dar, die nur durch die Tötung eines Familienmitgliedes des Mädchen wieder erlangt werden konnte311.

Starb die junge Frau vor der Eheschließung, aber nachdem der merciri bezahlt wurde, ging das Brautgeld verloren und nicht an die Familie des jungen Mannes zurück312.

11.2.2. Natürlicher Tod nach der Hochzeit

Starb die Frau an einem natürlichen Tod im Haus des Mannes, dann hatte der Mann die Familie der Frau unverzüglich von ihrem Tod zu benachrichtigen. Eine Unterlassung dieser Pflicht konnte die Vermutung der Familie der Verstorbenen nach sich ziehen, dass der Mann an ihrem Tod schuld sei. Kam der Mann dieser Pflicht nicht nach, dann trat die Schuldvermutung ein und er wurde ab diesem Zeitpunkt als schuldig am Tod der Frau

311 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 322.; Vgl. dagegen § 56 KLD „Stirbt der Bräutigam, sind die Eltern der Braut verpflichtet, die Hälfte des Bräutigamsgeldes zurückzugeben.” Stirbt der Bräutigam, ehe er die Braut zu sich nahm, so bleibt dem Freund das Zeichen (der Ring) und die 10 Groschen des Gesetzes; alles übrige Geld wird den Bräutigamseltern bis zum letzten Deut zurückgegeben. Heiratet der Bräutigam, verbrachte nur eine Nacht mit der Braut und stirbt, so wird den Bräutigamseltern die Hälfte der Hälfte des Brautpreises zurückgegeben. Stirbt der Bräutigam innerhalb der ersten zwei Ehejahre, so behält der Freund (der Brautvater) zwei Teile für sich; einen Teil des Preises gibt er den Bräutigamseltern zurück. Stirbt der Bräutigam innerhalb der ersten zwei Ehejahre, läßt er aber ein Kind zurück auf dem Herdstein, so hat der Freund gegen die Bräutigamseltern keinerlei Verpflichtung, denn die Tochter hat den Preis bezahlt mit dem Kinde, das sie dem Hause gelassen hat. Stirbt der Bräutigam nach drei Ehejahren, so haben seine Eltern nichts zu fordern, denn die Tochter hat den Lohn in deren Hause abgegolten“. 312 Cozzi, La donna albanese, S. 322 f. 53

angesehen. Damit nicht die Rechtsfolgen der Tötung eintraten, d.h. die Blutrache, musste er den Beweis des Gegenteils erbringen. Der Beweis der Unschuld galt nur dann als erbracht, wenn dieser Mithilfe von zwölf Eideshelfern seinen Eid ablegte, dass die Frau an einem natürlichen Tod gestorben sei313. Konnte er diesen Beweis nicht erbringen, dann galten er oder/und seine Familie als schuldig an ihrem Tod. Es griffen die Rechtsfolgen der Tötung der Frau, d.h. nach dem Prinzip „Blut für Blut“ musste ein männliches Mitglied der Familie des Mannes getötet werden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Entschloss sich die Familie der Frau nicht Blutrache zu verüben, musste der Mann als Voraussetzung der gütlichen Beilegung eine Geldbuße in Höhe von 1500 Piaster314 an die Familie der Frau bezahlen. Die Höhe dieser Geldbuße entsprach der Hälfte der Geldbuße, der für ein männliches Leben im Rahmen der gütlichen Beilegung bezahlt werden musste. Dies basierte auf der Überlegung, dass das Leben der Frau nicht so viel zählte wie das des Mannes. Die Geldbuße für ein männliches Leben betrug 3000 Piaster, für eine Verletzung, unerheblich ob leicht oder schwer, 1500 Piaster315.

Bestand am natürlichen Tod der Frau kein Zweifel, so stellten sich Fragen wie mit dem persönlichen Eigentum der Frau zu verfahren war. Darüber finden sich in den § 56 ff. KLD genaue Regelungen. Diese besagen, dass die Blutsverwandtschaft gjinija der verstorbenen Frau nicht erbberechtigt war, sondern die Familie des Mannes d.h., die persönliche Truhe der Verstorbenen blieb samt Inhalt grundsätzlich beim Mann. Ihre Familie gjinija konnte nur auf ihren Halsschmuck und eventuell auf die Kleidung Anspruch erheben316.

11.3. Die Tötung der (jungen) Frau

Je nach Täterschaft und Status der Frau zum Zeitpunkt der Tötung, ergeben sich folgende Unterschiede.

313Siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 324.; § 561.KLD „Bei jedem Eid sind nach dem Kanun Frauen und Kinder ausgenommen“. Siehe: Elsie, Der Kanun, S. 116 314 Cozzi spricht von 3 Beuteln, 1 Beutel oder auch Malter entspricht 500 Piaster, 683,62 Lire oder 113,92 Franken im Jahr 1910. Siehe dazu: Cozzi, La vendetta del sangue, S. 661, 656 ; § 44 KLD bestimmt: „der Preis des Kanun in letzter Zeit beträgt 1500 Groschen, so viel, als auch das Blut der Frau ausmacht“. 315 Siehe: Cozzi, La donna albanese, S 323f. 316 Elsie, Der Kanun, S. 41. 54

11.3.1. Die „gjinija“ als Täterin

Die Kinder waren Eigentum des Vaters und als Ausfluss des Eigentumsrechts hatte der Vater das Recht über ihr Leben zu entscheiden. Tötete der Vater das eigene Kind, dann wurde dieser Vorfall von der Gemeinschaft als Selbstmord eingestuft. Diese Rechtsfolge beruhte höchstwahrscheinlich auf der Überlegung, dass ein Glied des Ganzen getötet wurde und nicht ein eigenständiges Individuum. Mit der Tötung des eigenen Gliedes wurde ein Teil der eigenen Gesamtheit getötet. Dadurch schwächte sich die Familie selbst, denn ihre Macht war abhängig von ihrer Größe. Mit der eigenen Schwächung trat auch die Selbstbestrafung ein, weswegen es dem Dorf möglicherweise auch nicht nötig erschien, sich einzumischen. Erfolgte die Tötung nicht vom Vater, sondern von einem anderen Familienmitglied, so war dies auch eine rein interne Angelegenheit, die ausschließlich von der patria potesta entschieden wurde, da jedes Haus souverän war und gegenüber anderen Häusern das Einmischungsverbot galt317.

Ab dem Zeitpunkt der Verlobung hatten beide Familien in Bezug auf die junge Frau einen Vertrag abgeschlossen, aus der sich gegenseitig Rechte und Pflichten ergaben. Sie war ab diesem Zeitpunkt nicht eine rein innere Angelegenheit ihrer Familie. Ihre Tötung würde die Involvierung der Familie des jungen Mannes nach sich ziehen.

Tötete ihre Blutsverwandtschaft gjinija die Frau, so vernichtete sie damit uno actu auch den abgeschlossenen Vertrag. Damit zeigte sie, dass sie die vom Mann erworbenen Ansprüche nicht respektierte. Ein solcher Mangel an Respekt seinen Ansprüchen gegenüber bedeutete zugleich ein Mangel an Respekt gegenüber ihm selbst und seine Nichtbeachtung, bedeutete Ehrentzug des Betroffenen. Die entzogene Ehre konnte nur durch die Tötung eines Verursacher-Gliedes zurückerlangt werden318. Tötete somit die Blutsverwandtschaft gjinija die Frau, dann hatte der Mann das Recht, ein männliches Mitglied ihrer Blutsverwandtschaft zu töten. Weil die Tötung auf Grund einer Ehrverletzung illegal, aber sowohl von der Gesellschaft gebilligt als auch vom Kanun vorgegeben war, zog sie die Blutrache der gjinija nach sich.

Tötete jedoch die gjinija die junge Frau oder die Witwe wegen Unzucht, eheliche Untreue oder wegen einem, von der Frau an den Mann bereits verübten Mord um als erstes gegen sie

317 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S 286. 318 Siehe: Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Eberhart/Kaser Hrsg. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, S. 122. 55

vorzugehen319, konnte sich die Familie des Mannes mit dieser Tötung zufrieden geben und nicht die Blutrache fordern320.

Grundsätzlich wurden verführte Mädchen oder Witwen nur dann getötet, wenn sie schwanger wurden und den Namen des Verführers nicht Preis gaben, denn dadurch deckten sie den Verführer und nahmen ihren Verwandten die Möglichkeit, sich an dem eigentlichen Schuldigen zu rächen321. Gab eine verführte, junge Frau, Frau oder Witwe den Namen des Verführers nicht Preis, so sollte diese theoretisch zwischen zwei brennenden Holzstößen gestellt und genötigt werden, den Übeltäter anzugeben, oder sie sollte auf einem Misthaufen verbrannt werden322. § 931 KLD: „Frau, Witwe oder Mädchen, die sich als geschändet erweisen, werden lebendig auf dem Misthaufen verbrannt, oder sie stellen sie zwischen zwei (brennenden) Scheiterhaufen und zwingen sie so, den Namen des Mitschuldigen zu nennen, oder sie lassen sie für ihre Schande zwischen zwei Feuern verbrennen“323. Diese Art Hinrichtung soll jedoch nie vorgekommen sein, sondern eher, dass der Vater einen Dritten mit der Tötung der eigenen Tochter beauftragte, damit dieser es nicht selber ausführte. Die Beauftragung erfolgte dadurch, dass der Vater dem Dritten, der meist ein Verwandter war, eine Patrone oder die Waffe als Zeichen der Beauftragung gab. Der Ausführende hatte keine Rechtsfolgen zu befürchten, da die Tötung auf die Rechnung des Vaters ging. § 826 KLD: „Wer die Patrone gibt macht sich das Blut zu eigen“ 324.

Um dem zu entkommen, versuchte die junge Frau zu flüchten. Gelang ihr die Flucht, waren sie und ihr Kind für immer verbannt325. § 929 KLD: „Erweisen sich in Schande Frau, Mädchen oder kleines Mädchen und, ohne getötet worden zu sein, können sie fliehen auf fremde Erde - so verbannt sie der Stamm für Lebenszeit aus“326.

Handelte sich bei der Verführten um eine Witwe, wurde geglaubt, dass eine Schwangerschaft auch Jahre nach dem Tod des Gatten möglich sei. Daher pflegten die Witwen, um der

319 § 964 KLD. 320 Kasteleti, Normat zakonore, S. 137 f. 321 Vgl. Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 328. 322 Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 326. 323 Elsie, Der Kanun, S. 166 f. 324 Siehe: Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 325 ff. ; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674 ff. 325 Elsie, Einführung, S. 29.; §§ 929-931 KLD.: Verbannung war eines der schwerwiegendsten Strafen. Wenn man sich vor Augen führt dass der Einzelne nur deswegen Rechte hatte weil es ein Teil der Gesamtheit war oder/und dass er kein persönliches Eigentum hatte, kann man sich der Schwere der Strafe bewusst werden. Ab dem Zeitpunkt der Verbannung, war die Verbannte rechtslos, hatte kein Unterkunft, kein Geld, kein Eigentum etc. Im Falle eines Übergriffs auf Verbannte würde keiner diesen Übergriff rächen. ; 326 Elsie, Der Kanun, S. 166. 56

Hinrichtung zu entkommen, zu behaupten, dass das Kind jenes des Verstorbenen sei. In einen solchen Fall hatte die Witwe keinerlei negative Rechtsfolgen zu befürchten, im Gegenteil327 (siehe ausführlich unter Kapitel 12).

Der eigenen Hinrichtung konnte eine junge Frau auch dadurch entgehen, indem sie den Namen des Verführers Preis gab328, dann ging man wie folgt vor: Der Verführer, hatte mit der Verführung der jungen Frau Schande über ihre Familie gebracht und ihre Ehre verletzt. Nach dem Kanun konnte ein solcher Ehrentzug nur mit der Tötung des Schuldigen oder eines Mitgliedes seiner Familie wieder zurück erlangt werden, weshalb getötet werden musste. Diese Tötung zog jedoch die Blutrache nach sich, die nach dem Kanun nie endete. Das geborene Kind wurde als Eigentum des Vaters zu diesem hingebracht329.

Negierte der junge Mann die junge Frau verführt zu haben und bestritt somit die Vaterschaft, dann konnte er sich nur mit dem Ablegen des qualifizierten Eides mithilfe der Eideshelfer von der Anklage befreien330. Konnte der Verführer seine Unschuld nicht beweisen und blieb der Vorfall geheim, dann konnten sich die Familien auch abseits der Blutrache einigen. Der Verführer hatte im Rahmen der gütlichen Beilegung, der Familie der jungen Frau 3000 Piaster als Entschädigung für die Ehrverletzung zu zahlen. In der großen Malsija soll die gütliche Beilegung in einem solchen Fall so gut wie nie vorgekommen sein331.

11.3.2. Der Mann oder ein Mitglied seiner Familie als Täter

Wurde die Frau vom Mann, seinen Familienmitgliedern oder ihrem Sohn getötet, mussten zunächst die Gründe behandelt werden, damit eine Einstufung der Legalität oder Illegalität vorgenommen werden konnte, um sodann die Rechtsfolgen zu bestimmen.

327 Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674 ff. 328 Siehe dagegen: § 930 KLD „Wird jener ausgekundet. der die Schande brachte, und sie kreisten ihn samt der Geschändeten ein, richtet Sippe, Dorf und Stamm beide hin, indem sie ihnen ihr Blut als Buße auferlegen“. 329 Vgl.: Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674. 330 Vgl.: Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674. 331 Vgl. Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674. 57

11.3.2.1. Die legale Tötung

Auf Grund des Prinzips „Blut für Blut“ führten Tötungen zwangsweise zur Blutrache. Ausgenommen waren Fälle der legalen Tötung im Fall von Hinrichtung. Die Hinrichtung der Frau vom Mann oder seiner Familie332 war nur dann legal wenn der Mann die Patrone von ihren Eltern bekommen hatte und sie auch bestimmungsgemäß verwendet wurde.

11.3.2.1.1. Der Ehebruch

Die mitgegebene Patrone wurde im Fall von Ehebruch nur dann bestimmungsgemäß verwendet, wenn der Mann seine Frau mit ihrem Liebhaber in Flagranti ertappte und sie beide mit einer einzigen Patrone tötete (§ 923 KLD): „Dem Schänder und der Geschändeten geht nur dann das Blut verloren, wenn sie auf der Tat durch dieselbe Büchse getötet werden“333. Das Töten mit einer einzigen Patrone diente als Beweis dafür, dass die Opfer körperlich so nah aneinander gewesen waren, d.h. zum Todeszeitpunkt Geschlechtsverkehr hatten, sodass der Ehemann sie beide mit einer Patrone töten konnte. Gelang es dem Täter nicht, beide mit einer Patrone hinzurichten, so blieb ihm der Beweis des Ehebruchs aus, d.h. er hatte illegal gehandelt. Dies war der Fall, wenn er z.B. beide verletzte, oder einen verletzte und einen tötete, oder wenn er sie zwar beide tötete, aber mit unterschiedlichen Patronen oder beide tötete jedoch, der eine verletzt fliehen konnte bevor er starb etc. § 928 KLD „Rettete sich der eine Teil und floh, kann ihn der Täter, der ihn auf der schändlichen Tat ertappte, späterhin nicht mehr töten, oder er fällt ins Blut, und dem dennoch getöteten Teil wird er das Blut ersetzen“334. Der Beweis des Ehebruchs gelang ihm somit nur dann, wenn er beide, mit einer einzigen Patrone, auf der Stelle hinrichtete und keiner flüchten konnte. War das nicht der Fall, verfiel die Familie des Mannes in doppelte Blutrache, d.h. die Blutsverwandtschaft der Frau konnte ein Leben fordern und die Familie ihres Geliebten konnte auch ein Leben fordern335.

Gelang dem Täter die Hinrichtung mit einer einzigen Patrone, dann galt der Beweis des Ehebruchs damit als erbracht und weder die Familie der Frau noch die ihres Geliebten durften Blutrache verüben, da die Tötung legal erfolgte. § 920 KLD: „Jene, die Körper und Schande

332 § 61 KLD: „Tötet der Sohn die Mutter, fällt er ins Blut mit den Eltern der Mutter“. 333 Elsie, Der Kanun, S. 166. 334 Elsie, Der Kanun, S. 166. 335 Cozzi, La donna albanese, S. 323 f.; Baxhaku/Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens, S. 209, 328, 330.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 134 ff,; Siehe: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 212 ff. 58

gemeinsam haben, werden gemeinsam auf ihrer Tat getötet und verlieren ihr Blut“. § 924 KLD: „Die Eltern der Geschändeten können ihr Blut nicht fordern, sie werden dem Täter vielmehr die Patrone ersetzen mit einem: „Deine Hand sei gesegnet!”“. § 925 KLD: „Sie werden Bürgen dafür stellen, dass sie das Blut der Geschändeten niemals fordern werden“336.

11.3.2.1.2. Das Flüchten

Die Tötung der Frau war auch dann legal, wenn sie unbegründet flüchtete und der Mann sie mit der Patrone der Eltern tötete. § 826 KLD: „Wer die Patrone gibt, macht sich das Blut zu eigen“337 (Siehe ausführlich dazu unter Pkt.7, 10).

11.3.2.1.3. Die Verletzung der Gastfreundschaft

War der Gast der Blutrache ausgesetzt oder wurde er verfolgt und fand Unterkunft im Haus des Mannes, hatte dieser den Gast mit seinem Leben und dem Leben seiner Familienangehörigen zu beschützen. Verletzte die Frau dieses gastfreundschaftliche Verhältnis, indem sie dem Verfolger Informationen bezüglich Aufenthalt oder Abreise gab oder den Verfolger bei seiner Verfolgung in irgendeiner anderen Art half, hatte der Mann das Recht sie straffrei zu töten338.

11.3.2.2. Die illegale Tötung

Jede andere Tötung, die nicht einer der oben genannten Fälle darstellte, war eine illegale und zog den Blutrache nach sich. Behauptete der Mann die Legalität der Tötung, bezweifelte jedoch die Blutsverwandtschaft der getöteten Frau dies, musste der Mann sich frei beweisen. Er hatte seinen Eid mithilfe von zwölf Eideshelfern339 abzulegen. § 926 KLD: „Haben aber

336 Kasteleti, Normat zakonore, S. 134 ff. 337 Elsie, Der Kanun, S. 152. 338 Cozzi, La donna albanese, S. 328.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 199.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 76.; Es wurde zwischen der Verletzung der Gastfreundschaft und der des Hausrechts unterschieden. Diese Unterscheidung wird in folgenden Beispielen illustriert. Bsp. 1. Verletzung des Hausrechts: Der X kommt in das Haus Y. Solange X im Haus Y blieb, war Y verpflichtet für die Sicherheit des X zu sorgen. Stoß dem X von dritter Seite irgendetwas zu, war der Y verpflichtet ihn zu rächen, weil die Gewalttat an den X als eine Verletzung an das Hausrecht galt. Bsp. 2. Verletzung der Gastfreundschaft: Befand sich der X im Haus des Y und war letzterer (Gastgeber) selbst der Täter, dann stellte dies eine Verletzung der Gastfreundschaft dar. 339 Der Eid für ein männliches Leben fordert 24 Eideshelfer. Der für ein weibliches Leben, 12 Eideshelfer. 59

die Eltern der Erschlagenen den Verdacht, dass der Täter sie nicht auf der bösen Tat tötete, schiebt ihm der Richter den Eid zu, nach dem Kanun“340. Kann er diesen Beweis nicht erbringen, so galt im Umkehrschluss, dass die Tötung illegal erfolgte. Folge war der Verfall in Blutrache, d.h. die Blutsverwandtschaft gjinija der Frau konnte vom Mann ein Leben für das Leben der Frau fordern. § 963 KLD „Erschlägt der Mann seine Frau, fällt er ins Blut mit deren Eltern“. § 962 KLD: „Erschlägt der Sohn die eigene Mutter, fällt er ins Blut mit den Eltern der Mutter“341.

Da jedoch das Leben der Frau halb so viel Wert war wie das des Mannes, erhielt die gjinija mit der vollzogenen Blutrache „mehr Leben“ als die Familie des Mannes. Kam es zu einer gütlichen Einigung, hatte diejenige Familie, die „mehr Leben“ erhalten hatte, die Differenz als Bußgeld für das verursachte Unrecht zu zahlen. Für das Leben der Frau wurden im Rahmen der gütlichen Beilegung 1500 Piaster bezahlt und für ein männliches Leben 3000. Das Leben der Frau zählte somit halb so viel wie das des Mannes. § 44 KLD: „Der Preis des Kanun in letzter Zeit beträgt bis 1500 Groschen342, so viel, als auch das Blut der Frau ausmacht“343.

Die gleiche Berechnung erfolgte auch im Fall einer Verletzung. Eine Verletzung eines Mannes, unerheblich ob leicht oder schwer, war im Fall der gütlichen Beilegung so viel wie das Leben der Frau wert und die Verletzung der Frau war halb so viel Wert wie die des Mannes344. D.h. die Verletzung des Mannes wurde mit 1500 Piaster bewertet und die der Frau mit 750 Piaster. Das Leben der Frau war somit gleich viel wert wie eine auch leichte Verletzung des Mannes.

11.3.3. Die Tötung von dritter Seite

War die vorsätzliche Tötung der Frau weder ihrer Familie noch der Familie des Mannes zuzurechnen, sondern einem Dritten, wurde die Tötung grundsätzlich als illegal eingestuft, denn die Frau war nach dem Kanun unantastbar. Wie bereits mehrfach erwähnt, war die erste Rechtsfolge einer illegalen Tötung die Blutrache. Je nachdem welchen Status die Getötete hatte, ergaben sich Unterschiede hinsichtlich der Zuständigkeit zur Rechtsverfolgung und Berechtigung zur Blutrache.

340 Elsie, Der Kanun, S. 166. 341 Elsie, Der Kanun, S. 171. 342 Der Groschen war eine alte türkische Münze, der hundertste Teil eines türkischen Pfunds. 343 Siehe auch: Hasluck, The Unwritten Law in Albania, S. 217, 239. 344 Siehe auch: Cozzi, La donna albanese, S. 322 f. 60

War die Verletzte oder Getötete ledig, oblag die Rechtsverfolgung ausschließlich ihrer Familie. Sie war für die Blutrache zuständig oder nach Ablauf einer gewissen Zeit dafür zuständig, zu entscheiden, ob die gütliche Einigung zustande kommen sollte.

War die Getötete verlobt oder verheiratet, dann ergab sich eine zeitlich geregelte doppelte Zuständigkeit zur Rechtsverfolgung. Für ein Jahr ab dem Zeitpunkt der Tötung oblag diese Zuständigkeit dem Mann der Verstorbenen. Dieser durfte die Blutrache auf Grund der ihm durch die Tötung seiner Frau oder Verlobten zugefügten Ehrverletzung verüben. Wurde die Blutrache bis zum Ablauf der Einjahresfrist nicht verübt, dann konnte der Mann in Einvernehmen mit ihrer Familie diese Frist verlängern lassen, damit er die Möglichkeit weiterhin behielt, seine Ehre zurückzugewinnen. Wurde die Frist nicht verlängert oder lief die verlängerte Frist ab, ohne die Blutrache erfolgreich durchgeführt zu haben, dann waren sowohl der Mann und seine Familie als auch die Blutsverwandtschaft gjinija der Verstorbenen zur Blutrache berechtigt. Ihre gjinija auf Grund des Grundsatzes „Blut für Blut“ und der Gatte auf Grund der ihm zugefügten Ehrverletzung345. § 61 KLD lit. c.: „Schlägt verletzt oder tötet die Frau eine fremde Hand, so rächt der Mann die Ehre, ihre Eltern aber ihr Blut“346.

Im Falle einer gütlichen Einigung musste es zu einem „doppelten Verzeihen“ kommen. Die Eltern der Verstorbenen hatten dem Täter für das vergossene Blut der Tochter zu verzeihen und der Gatte für den Ehrentzug. Kam es zur gütlichen Einigung, traten ihre Blutsverwandten in Verhandlung mit der Täterfamilie, um den „Preis des Lebens“ zu bestimmen und nicht der Gatte. § 57 KLD: „Wie die Eltern verpflichet sind, Rechenschaft zu geben für alles Böse, das die Tochter im Haus des Mannes oder wo immer verübt, so setzten auch die Eltern den Preis ihres Blutes, nicht aber ihr Mann oder Sohn“347.

Im Falle einer Ehrverletzung sah der Kanun rechtlich zwei Lösungen vor, faktisch jedoch nur eine. Die erste rechtlich vorgesehene Möglichkeit war die Vergebung348. In diesem Fall durfte dem Ehrverletzer keine Buße in Form von Geld verhängt werden, wenn ihm verziehen wurde. Die zweite und faktisch einzige Möglichkeit war es, die Ehrverletzung mittels Töten aus der Welt zu schaffen. Jede Ehrverletzung stellte einen Ehrentzug dar. Ab diesem Zeitpunkt war der Verletzte somit ehrlos und damit rechtslos. Er hatte keinerlei Rechte mehr bis zu dem

345 Cozzi, La donna albanese, S. 322 f.; Kasteleti, Normat zakonore, S. 122 346 Elsie, Der Kanun, S. 49. 347 Elsie, Der Kanun, S. 42 348 Siehe dazu: Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Eberhart/Kaser Hrsg. Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, S. 80, 122. 61

Zeitpunkt, an dem er seine Ehre mittels Töten zurückholte. Dies beruhte auf den Gedanken, dass der Verletzer mit seiner Tat dem Verletzten gegenüber einen Präzedenzfall geschaffen hatte, auf den sich jeder berufen konnte. Indem der Verletzte sich nicht dagegen wehrte, akzeptierte er diese ihm zugeteilte Rechtlosstellung. Die Rechtlosstellung war Ausfluss des Gedanken ad maiori, ad minus. Da die Ehrverletzung als die schwerwiegendste Verletzung galt, konnte jede andere in Zukunft erfolgte Verletzung auch als vom Verletzten akzeptiert betrachtet werden, da jede zukünftige Verletzung weniger als die bereits erfolgte sein würde. Dadurch entstand die Rechtlosstellung des Mannes ab einer hinzugefügten Ehrverletzung. § 599 KLD: „Der Geschändete hat was die Ehre betrifft, die offene Türe“. „ § 600 KLD: .Jener, dem die Tür geraubt wurde, gilt vor dem Kanun als tot“ 349. Dem entehrten Mann blieb somit nichts anderes übrig als den Ehrverletzter zu töten. Auf Grund der Prinzipien „Blut für Blut“ und „Blut sei nicht für Schuld“350 zog diese Tötung die Blutrache nach sich, die wiederum ein anderes Leben forderte.

Unterteilt man die Rechtsverletzungen nach ihrer Schwere, so stand an oberste Stelle die Ehrverletzung. Bei den Ehrverletzungen wurde trotz gleicher Rechtsfolge, wieder nach ihrer Schwere differenziert, wobei die Ehrverletzung des Mannes als Ausfluss eines Übergriffes auf seine Frau eines der schwerwiegendsten darstellte. Deshalb kam es vor, dass der Rächer die Frau als Objekt der Rache bevorzugte, um den Mann einen möglichst großen Schaden zuzufügen. Wurde die Frau von dritter Seite getötet, um sich am Mann zu rächen, dann hatte der Mann ihrer Familie darüber Rechenschaft zu geben, da er als die Ursache des Übels angesehen wurde. § 57 KLD: „Befällt die Frau Unheil aus Schuld des Mannes, so werden ihre Eltern ihn nach dem Kanun zur Rechenschaft ziehen“351.

11.4. Begräbniskosten

Eine wichtige Frage im Zusammenhang mit dem Tod, war welche Familie die Begräbniskosten im Todesfall einer verheirateten Frau tragen sollte. Der Tod als ein ständiger Begleiter des Lebens in diesen Gegenden und seine Gebräuche waren so kostspielig,

349 Elsie, Der Kanun, S.121 f. 350 Elsie, Der Kanun, S.162 f. 351 Elsie, Der Kanun, S. 42 62

dass sie eine Familie in den wirtschaftlichen Abgrund stürzen konnten. Deshalb finden sich vergleichsweise viele Regelungen darüber352.

Die Frage, wer die Begräbniskosten zu tragen hatte, wird im Kanun nach dem Todesort beurteilt. Die Begräbniskosten hatte jene Familie zu tragen, wo sich die Frau zum Todeszeitpunkt befand bzw. wo der Tod eintrat. Befand sich die verheiratete Frau auf Besuch bei ihrer Familie und starb sie dort, hatte diese die Begräbniskosten zu tragen. Die Familie des Mannes konnte eine Beisteuer geben, war aber dazu nicht verpflichtet. Ihrer Familie war es verboten, die Leiche zum Mann zu schicken, um den Begräbniskosten zu entkommen. Handelte die Blutsverwandtschaft der Verstorbenen dennoch diesem Verbot zuwider, so konnte sie für dieses unehrenhafte Verhalten bestraft werden353.

12. Schwangerschaft und Tod

12.1. Schwangerschaft der Witwe

Wurde die Witwe auch Jahre nach dem Tod des Gatten schwanger, wurde geglaubt, dass sie vom Verstorbenen schwanger wurde und, dass das Kind jenes des Verstorbenen sei. Hatte die Witwe nicht neuerlich geheiratet, stimmte sie dem meist zu, um der Hinrichtung zu entkommen. Hatte die Witwe aber neuerlich geheiratet, so ergaben sich oft Schwierigkeiten mit dem neuen Mann, da sowohl die Familie des Verstorbenen als auch jene des neuen Mannes ein Anspruch auf das Kind, als ihr Eigentum, erhoben. Diese „Schwangerschaft“ wurde als bar Vrame bezeichnet. Das daraus entstanden Kind, wurde als das Kind des Verstorbenen betrachtet und behandelt. Dadurch, dass es legitim war, hatte es, wenn es männlichen Geschlechts war, ein Anspruch auf den Erbteil354.

352 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 101. 353 Siehe: § 1259 ff. KLD. 354 Cozzi, La donna albanese, S. 327 f.; Elsie, Einführung, S. 29.; §§ 929-931 KLD.; Cozzi, La vendetta del sangue, S. 674 ff.; Es soll vorgekommen sein, dass das Kind der Mutter weggenommen wurde, obwohl es nach 5 oder 7 Jahren nach der Verwitwung zur Welt kam. Die Begründung erfolgte durch den Zugriff in der Natur, und zwar käme es auch in der Natur vor, dass der Samen Jahre lang am Boden bliebe ohne zu keimen. Vgl. dazu: Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 70 f. 63

12.2. Die Schwangerschaft der getöteten Frau

Wurde eine schwangere Frau getötet, so wurde der Fall als doppelter Mord behandelt, unabhängig davon, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten war. Dem Blutsverwandtschaftsprinzip gemäß war die schwangere Frau ihrer gjinija zuzuordnen und der Fötus dem Vater. Die Frau trug lediglich ein Kind aus, das dem Mann gehörte gemäpß dem Grundsatz „Die Frau ist ein Sack, erschaffen um zu tragen“. Auf Grund des Prinzips „Blut für Blut“ und jene der Blutsverwandtschaft führte die Tötung einer schwangeren Frau durch einen Dritten, der weder der Familie des Mannes noch der der Frau angehörte, zum doppelten Rachemord. Die Familie des Mannes forderte das Blut für den Fötus und die der Frau das für die Frau355. § 938 KLD: „Für den Preis des Blutes der Frau sprechen ihre Verwandten, für den Preis des Fötus spricht der Mann“356.

Bei einer fahrlässigen Tötung von dritter Seite durfte jedoch nicht der Rachemord verlangt werden. Der Täter musste beiden Familien jeweils eine Blutbuße zahlen. Die Blutbuße für die Frau betrug 1500 Piaster und die für die Leibesfrucht auch 1500 Piaster. War die Schwangerschaft fortgeschritten, sodass das Geschlecht der Leibesfrucht erkannt werden konnte, so war es zulässig, die Frau zu examinieren, um das Geschlecht der Leibesfrucht festzustellen. War die Leibesfrucht männlichen Geschlechts hatte der Täter, zusätzlich zu den 1500 Piaster für die Frau, auch 3000 Piaster an die Familie des Mannes zu entrichten, war sie weiblichen Geschlechts 1500 Piaster357.

Wurde die schwangere Frau von der Familie des Mannes getötet, dann wurde die Tötung des Fötus als Selbstmord der Familie des Mannes eingestuft358 und für die Tötung der Frau hatte sie der Familie der Frau gjinija Rechenschaft abzulegen.

355 Cozzi, La donna albanese, S. 322 f.; Elsie, Der Kanun, S.166. 356 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 327 357 Elsie, Der Kanun, S. 166.; § 951 KLD. ; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 327.; 358 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 71, 327. 64

12.3. Der ungewollte Schwangerschaftsabbruch

Der Lebenszweck der Bergbewohner Nordalbaniens war ihre Vermehrung. Damit dieser Lebenszweck nicht gefährdet wurde, wurde die Frau in Zeiten der Schwangerschaft als höchst empfindlich betrachtet und mögliche Angriffe oder Belästigungen gegenüber sie, die zu einem Schwangerschaftsabbruch führen konnten, wurden strengstens bestraft359. Dementsprechend durfte beispielsweise die Blutrache nicht ausgeführt werden, wenn der Herr des Blutes i zoti i gjakut wusste, dass eine Schwangere in der Nähe war360. Es hatten alle Beteiligten die Waffen niederzulegen und die Ausführung der Blutrache auf späterer Zeit zu verschieben. Wurde dennoch geschossen und verlor die Schwangere auch Monaten danach das Kind, wurde angenommen, dass der Schwangerschaftsabbruch Folge des Schocks war, die die gefallenen Schüsse bei der Schwangeren verursacht hatten. Die Rechtsfolge dieses ungewollten Schwangerschaftsabbruchs war, dass die Familie des Mannes durch diesen Vorfall das Recht hatte, einen Rachemord an der Familie desjenigen zu verüben, der der Frau diesen Stress zugefügt hatte. „Derjenige der die schwangere Frau belästigte oder ihr Gewalt antat, und sie aufgrund dessen das Kind verlor, verfällt in Blutrache“361. Fielen die Schüsse im Rahmen einer Blutrache, führte dies faktisch zur doppelten Blutrache desjenigen, der die Schüsse abgefeuert hatte362. Der Kanun bestimmt in § 1227 lit. h.: „die Vermittlung wird einer Frau nicht verwehrt“ „ndermjetsija s’i dhunohet“. Dementsprechend agierten die Frauen als Vermittlerinnen, indem sie dazwischen gingen, als eine Situation zu eskalieren drohte. Die streitenden Teile waren moralisch und, wenn sie das Ehrenwort besa der Frau gegeben hatten, auch rechtlich verpflichtet, die Waffen niederzulegen und zumindest bis die Frau sich entfernte nicht weiter zu machen363. Die Wirkung der Vermittlung war effizienter, wenn eine schwangere Frau dazwischen ging, denn einerseits war sie höchst empfindlich und andererseits hatten die streitenden Teile im Fall eines Schwangerschaftsabbruches der Vermittlerin zusätzliche negative Rechtsfolgen zu befürchten. Die Frauen und besonders die schwangeren Frauen agierten daher oft als Vermittlerinnen von Streitschlichtung364.

359 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 71, 327 360 Gegenüber standen sich der Herr des Blutes und der Gegner des Blutes. Herr des Blutes ist derjenige der ein Recht auf eine Tötung im Rahmen der Blutrache hat. Gegner des Blutes ist die Partei an dem die Blutrache verübt werden soll. 361 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 327 362 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 71, 327 363 Gjonlekaj Publishing, S. 241, 242. 364 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 71, 327 65

13. Die Witwe und ihre Rechtsstellung

Da viele Männer durch das „Rechtsinstrument“ der Blutrache getötet wurden, finden sich vergleichsmäßig viele Regelungen über die Rechte und Pflichten verwitweter Frauen und den Umgang damit.

Es stellte sich die Frage, was mit der Witwe nach dem Tod des Mannes zu geschehen hatte. Die Verbindung zwischen den zwei Familien war mit dem Tod des Mannes weggefallen. Übrig blieb die Witwe, die dem Blutsverwandtschaftsprinzip gemäß, nie Teil der Familie des Mannes werden konnte. Eine Witwe war in der Familie des Mannes eine fremde Person und eine ihrer wichtigsten Aufgaben, für Nachkommenschaft sorgen, konnte sie als Witwe nicht mehr erfüllen. Die Familie des Mannes hatte für sie aber bezahlt und als Arbeitskraft konnte sie weiterhin gebraucht werden. Diese und viele andere Fragen und ihre rechtliche Lösung werden in diesem Kapitel behandelt. Eingegangen wird nur auf Todesfolgen für die Witwe, ohne eine Unterscheidung bezüglich der Todesursache vorzunehmen.

Im albanischen Stammesgebiet waren Konkubinatsehen auch noch im 20. Jahrhundert einigermaßen verbreitet. Und dies nicht nur im moslemischen Bereich, wo diese Praxis durch die Bestimmung des Schariatsrechts kein Problem darstellte. Die Männer fühlten sich – trotz aller Interventionen der Kirchenvertreter – verpflichtet, die Witwe nicht nur des Bruders, sondern jedes männlichen Mitglieds des Hauses (ausgenommen des Vaters) zu heiraten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war diese Praxis unter einigen katholischen Stämmen obligatorisch. Die Ausgangsüberlegung war: Die Witwe lebte mit den Kindern im Haus; hatte sie nicht nur Töchter sondern auch Söhne, konnte man sie nicht mehr in ihre Herkunftshaus zurückschicken365. Sie konnte aber auch nicht mehr aus dem Haus herausheiraten und auch keinen fremden Mann ins Haus bringen. M. Filipovic stellte in Befragungen unter albanischen Katholiken fest, dass sie Meinung waren, dass eine gekaufte Braut im Haus bleiben sollte. Andere sagten, eine Frau müsse einfach verheiratet sein. In den katholischen Regionen Dukagjin und Mirdita war die allgemeine Regelung die, dass das erste Anrecht auf die Witwe die Brüder des Verstorbenen hatten, danach folgten die nahen Verwandten und schließlich die Männer der Abstammungsgruppe, denn es galt nach den Beobachtungen M. Durham, für die Männer als nicht ehrenhaft, eine junge Frau zum Zölibat zu verdammen. Die Witwe wurde

365 Mit der Geburt eines männlichen Kindes (auch Totgeburt) erwarb die Witwe das Recht auf lebenslänglichen Unterhalt. 66

daher von einem bereits verheirateten Mann als zweite Frau genommen366. In diesem Fall soll ihre Blutsverwandtschaft gjinija, ein figuratives, zusätzliches Hochzeitsgeschenk erhalten haben, bestehend aus vier Ziegen oder einem Ochsen. Dieses zusätzliche Hochzeitsgeschenk soll als Zeichen der Fortgeltung des Vertrages gegolten haben. Man wollte der Familie der Frau zu verstehen geben, dass der Vertrag einst von den Familien und nicht von den Eheleuten selbst geschlossen wurde367.

Wurde die Witwe e veie nicht als zweite Frau genommen, so brauchte sie in der kleinen Malsija die Zustimmung der Familie des Mannes, um zur gjinija zurück kehren zu dürfen368. Oft wurde die Zustimmung davon abhängig gemacht, dass das erste Kind, das die Frau in Zukunft gebären würde, als Eigentum des Verstorbenen, seiner Familie zu geben war bar vrame369.

In der großen Malsija hingegen, war es der Frau grundsätzlich frei gestellt, nach dem Tod des Gatten zur gjinija zurückzugehen. Grundsätzlich musste sich jede Witwe bevor sie das Haus des Mannes verließ, einer Untersuchung auf mögliche Schwangerschaft unterziehen. War die Frau schwanger, dann hatte sie im Haus des Mannes zu verbleiben, bis sie das Kind zur Welt brachte. Danach stand es ihr frei entweder im Haus des Mannes zu verbleiben oder in der gjinija zurückzugehen und wieder zu heiraten. Wurde sie nicht zur Frau im Rahmen des Konkubinats genommen und entschied sie sich dafür zur gjinija zurückzugehen, dann verblieben ihre Kinder als Eigentum des Hauses des Mannes bei der väterlichen Verwandtschaft. In diesem Fall hatte sie das Recht nur ihr Eigentum mitzunehmen370. § 57 KLD: „Die Frau, die verwitwet und kinderlos zurückbleibt, wird, indem sie sich vom Hause ihres Mannes trennt, die Gewänder mitnehmen; die sie als Braut brachte, desgleichen ihre verschlossene Truhe“371.

Grundsätzlich verblieb die Witwe im Haus des Mannes in drei Fällen nach seinem Tod: Wenn sie von einem Blutsverwandten des Verstorbenen geheiratet wurde, wenn sie fortgeschrittenen Alters war und wenn sie bereits Kinder geboren hatte372. § 57 KLD: „… Die Frau, die ohne

366 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 162 f.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 203.; Cozzi, La donna albanese, S. 326 f. 367 Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, S. 109.; Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 201.; Cozzi, La donna albanese, S. 326 f. 368 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 201.; Cozzi, La donna albanese, S 326 f. 369 Cozzi, La donna albanese, S. 327 f. 370 Martucci, L‘ Albero del Latte, S. 201.; Cozzi, La donna albanese, S. 326 f,; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 69 ff. 371 Elsie, Der Kanun, S. 42. 372 Cozzi, La donna albanese, S. 326 f. 67

Mann und ohne Kinder zurückbleibt und, weil vorgerückten Alters, die Eltern bittet, sie in der Obhut des Manneshauses zu belassen, wird niemanden aus der Bruderschaft des Mannes betrüben… Die verwitwete und sohnlose Frau, die eine verheiratete Tochter hat, hat das Recht, in der Obhut des Manneshauses zu bleiben. Sie darf aber auch zu ihren Eltern zurückkehren oder zu einer verheirateten Tochter ziehen, um dort zu leben, und der Grund und Boden ihres Mannes wird für ihren Unterhalt sorgen, drei Lasten Getreide jährlich, bis zu ihrem Tode“373.

Hatte das Ehepaar nur Kinder weiblichen Geschlechts, wurde dies auf ein Mangel der Frau zurückgeführt, weshalb sie kein gewohnheitsrechtlichen Anspruch hatte, im Fall das sie Witwe wurde, in der Familie des Verstorbenen weiter verbleiben zu können374. Es war aber unehrenhaft oder sogar eine Schande, sie im fortgeschrittenen Alter wegzuschicken, daher verblieb sie gewöhnlich im Hause des Verstorbenen. Hatte sie einen männlichen Nachkommen geboren, sei dies auch Totgeburt gewesen, erwarb sie das Fruchtgenussrecht ususfructus am Eigentum des Verstorbenen, wenn dieser selbst keine Erben hinterlassen hatte. Sie hatte das Recht, das bewegliche und unbewegliche Eigentum zu verwalten und die Früchte daraus zu ziehen, solange sie lebte. Reichte das Vorhandene nicht aus, um ihren Unterhalt zu decken oder konnte sie die Liegenschaft wegen fortgeschrittenen Alters nicht mehr verwalten, dann konnte die Witwe auf ihr Fruchtgenussrecht verzichten und die sonst in Frage kommenden Erben hatten für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Der Witwe war es verwehrt, das Eigentum des Verstorbenen zu verkaufen. Das Fruchtgenussrecht erlosch, sobald die Witwe wieder heiratete oder zur gjinija zurückkehrte375.

Hatte die Witwe einen minderjährigen376 Sohn, dann hatte sie das Recht das Eigentum des Verstorbenen zu verwalten bis ihr Sohn volljährig wurde. Sie hatte auch das Recht das unbewegliche Eigentum im Namen des Sohnes zu verkaufen377. In einem solchen Fall kam es zu einer faktischen Hausführung durch die Frau. § 95 KLD „Wird der Knabe 15 Jahre alt, erkennt ihn das Gesetz als Mann an und als Herrn seiner Angelegenheiten, darum werden ihm seine Besitztümer ausgehändigt und das Regiment in seinem eigenen Hause“378.

373 Elsie, Der Kanun, S. 44 f. 374 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 161. 375 Cozzi, La donna albanese, S. 326 ff.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 83. 376 Minderjährigkeit ist bis zum 15 Lebensjahr gegeben. Danach gilt der junge Mann als Waffenfähig d.h. nicht mehr minderjährig. 377 Cozzi, La donna albanese, S. 327 f. 378 Elsie, Der Kanun, S. 57. 68

Entschloss sich die Witwe nicht zur gjinija zurückzugehen, sondern mit ihren Kindern im Haus des Verstorbenen zu verbleiben, so musste sie durch vier Bürgen „gesichert“ werden379.

Die ersten zwei Bürgen mussten aus dem Dorf des Mannes stammen. Mit der Bürgschaft gingen sie folgende Verpflichtungen ein:

1. Verhältnis Witwe – Außenwelt: Sie mussten dafür sorgen, dass sich die verwitwete Frau Kanun gemäß verhielt und das Ansehen der Familie des Verstorbenen nicht „befleckte“. 2. Verhältnis Außenwelt – Witwe: Sie mussten auch dafür sorgen, dass die Witwe von außen nicht belästigt oder entehrt wurde.

Wurde die Witwe belästigt, dann mussten die Bürgen einspringen und ihre Rechte schützen, d.h. ihre Rechtsverfolgung oblag diesen. Handelte die Witwe nicht Kanunkonform, waren wieder die Bürgen die ersten Ansprechpartner, die die Witwe „zur Vernunft bringen“ mussten. D.h., das Haus des Mannes gewährte der Witwe nur die Unterkunft und den Unterhalt. Weder verfolgten sie ihre Rechte noch bestraften sie sie. Die Verpflichtungen, die die Bürgen übernahmen, entsprachen jene, dass der Verstorbene zu Lebzeiten gegenüber der Frau hatte. Deswegen dürfte dieser Lösung höchstwahrscheinlich folgende Überlegung zugrunde legen: Das Leben der verheirateten Frau schützt ihre Blutsverwandtschaft und ihre Ehre der Mann. Kehrte die Frau nach dem Tod des Mannes zu ihrer Familie zurück, schützten ihre Ehre ihre Blutsverwandten. Blieb sie im Haus des Verstorbenen, war sie hinsichtlich ihrer Ehre schutzlos, weshalb Bürgen gebraucht wurden, die ihre Ehre zu schützen hatten. Diese mussten aus dem Dorf des Verstorbenen sein, damit sie von möglichem Missverhalten der Witwe sofort Kenntnis nahmen. Zwei weitere Bürgen mussten aus dem Dorf der Frau stammen. Ihre Aufgabe war es, für den Fall einzuschreiten, sollte die Familie des Mannes die Witwe zu ihrer Familie schicken und sie, gegen Vereinbartes, von den Kindern trennen wollen. Dann schritten die Bürgen ein und führten Verhandlungen mit dem Haus des Mannes, damit sich diese auch wie vereinbart verhielten.

Die Aufgaben der Bürgen waren somit Zeugen-, Sicherheits-, Rechtsverfolgungs- und Überwachungsfunktion.

379 Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 69 ff.

69

§ 57 KLD: „Die junge Frau, die Witwe wird, aber Kinder hat, wird, falls sie im Hause des Mannes bleiben will, durch zwei Paar Bürgen verpflichtet. Zwei Bürgen werden aus dem Dorfe sein, wo sie Witwe wurde, die sich verbürgen, dass niemand mit ihr zu tun hat, dass sie den Namen der Eltern des toten Mannes und diese selbst nicht mit Schande beflecken wird; zwei andere werden ihre Eltern oder ihre Vetterschaft wählen, die dafür Bürge werden, dass man sie nicht von ihren Kindern trennt, außer wenn sie selbst darum nachsucht, um sich wieder zu verheiraten“380.

Mit ihrer Verwitwung erwarb sie das Recht, eine neuerliche Ehe selbst eingehen zu dürfen381. Ihr Brautpreis war viel geringer382. Wie mit dem Unterhaltsrecht im Fall eines neuerlichen Heiratens umzugehen war, bestimmt § 57 KLD: „Verheiratet sich aber eine Witwe aufs neue, so findet sie ihren Lebensunterhalt beim zweiten Manne; die Erde des ersten Mannes erträgt für sie keine Pflanze mehr“383.

14. Mannfrauen „burrnesha“

Als Mannfrauen burrnesha, virdjin oder mashkullore wurden Frauen bezeichnet, die unter Hinzuziehung von 12 Eideshelfern das Gelübde der ewigen Jungfräulichkeit legten384. Für die Existenz dieser jungen Frauen gibt es ausschließlich für das 19. und 20. Jahrhundert schriftliche Belege385. Über gegenwärtig noch lebende Mannfrauen gibt es lediglich mündliche Hinweise386. Die Gründe, die eine Frau bewegten, ihr soziales Geschlecht zu wechseln, waren weder religiös noch ethnisch bedingt. Mannfrauen kamen unter Katholiken, Orthodoxen und Moslems vor387.

Die Möglichkeit für die Frau, sich sozial in einen Mann verwandeln zu können, wurden von vielen Frauen subjektiv als wünschenswert erachtet; vielfach werden sie sich dem Druck der gegebenen Umstände gebeugt haben. Strukturell betrachtet diente diese Möglichkeit jedoch

380 Elsie, Der Kanun, S. 44. 381 Siehe: § 3 f KLD.; Buda/Dojaka/Uci/Luarasi/Gjilani/Nova/Omari/Tirta/Zojzi, E drejta zakonore Shqiptare, S. 69 ff. 382 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 161. 383 Elsie, Der Kanun, S. 44 f. 384 Delina Beshiri/Edi Puka, I diritti delle donne albanesi nel Kanun die Leke Dukagjini, S. 206. 385 Siehe dagegen: Rene Gremaux, Franciscan Friars and the sworn Virgins of the North , S. 362. 386 Siehe dagegen: You tube, : http://www.youtube.com/watch?v=4G47jIVoXWM, 28 Juli 2014,; http://www.youtube.com/watch?v=4KgS3G9W-XM, 22 Juli 2014. 387 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S 375 ff,; Durham, Some Tribal Origins, S. 194 ff.; Karl Kaser, Die Mannfrau in der patriarchalen Gesellschaften des Balkans und der Mythos vom Matriarchat, in: L`homme, Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 5. Jg./ Heft 1, 1994, S. 61ff. 70

nicht der Befreiung der Frau von ihrer rechtlichen Stellung, sondern der Reparatur des im Grunde genommen sehr anfälligen patrilinearen Systems. Das größte Manko eines unilinearen, auf dem Zentralelement der Patrilinearität beruhenden patriarchalen Systems war, dass seine Reproduktionsfähigkeit ständig gefährdet war. Das Fehlen eines männlichen Nachkommens brachte nicht nur den Verlust des Besitzes; es beendete vor allem die patrilinie. Gleichzeitig war niemand mehr vorhanden, der den verstorbenen Vorfahren und dem Vater den Ahnenkult besorgte. Es war völlig undenkbar, das Problem durch die Beiziehung eines Mannes aus einer anderen Blutlinie zu lösen. Es gab daher nur einen einzigen vermeintlichen Ausweg, nämlich das eigene Blut in der Tochter. Als Frau war sie jedoch in der Logik des patrilinearen Systems zur Lösung des Problems nicht in der Lage. Sie musste zum Mann werden, um die Fiktion der Weiterführung der männlichen Linie zu bewahren. Sie musste aus zwei Gründen den Eid der ewige Jungfernschaft ablegen: einerseits hätte sie durch die Geburt eines Kindes (durch das Blut eines blutsfremden Mannes) dieses Konstrukt zerstört, andererseits war sie wahrscheinlich bereits einem anderen Mann versprochen, und das nicht eingehaltenen Eheversprechen zog gewöhnlich Blutrache nach sich. Diese konnte abgewehrt werden, indem man sicherstellte, dass die Frau niemals einen anderen Mann heiraten durfte388.

Die konkreten Gründe, die eine Frau im Einzelfall dazu bewegten, Mannfrau burrnesha zu werden waren:

- Die Eltern bzw. der Vater starb früh und es galt jüngere Geschwister zu versorgen. Um dies zu ermöglichen und im Haus bleiben zu können musste der Eid der ewigen Jungfräulichkeit abgelegt werden. - Der Bruder oder der Vater war der Blutrache ausgesetzt. Um sein Leben nicht zu gefährden, durfte er das Haus nicht verlassen. Außerdem war er der einzige Mann im Haus. Die Tochter bzw. Schwester kleidete sich männlich, kürzte das Haar und konnte so auf das Feld gehen, um dort die Männerarbeit zu verrichten. - Die Familie hatte einen Blutrachefall zu begleichen; es war aber kein fähiges männliches Familienmitglied vorhanden, sodass ein Mädchen oder Frau diese Männerrolle übernehmen musste. - Die junge Frau wollte nicht heiraten bzw. ihren Verlobten nicht heiraten.

388 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 382. 71

- Es wurde nur ein einziges, weibliches Kind geboren. Um im Alter versorgt zu werden, wünschten die Eltern, dass die Tochter nicht heiratet, sondern zu Hause bleibt und sie versorgt. - Die Eltern des Mädchens starben ohne einen männlichen Nachfolger zu hinterlassen389. - Der Besitz sollte innerhalb der Familie vererbt werden390. - Einen Sonderfall stellten körperliche und geistige Behinderungen dar. Eine junge Frau, die aus verschiedenen gesundheitlichen, körperlichen und psychischen Gründen unverheiratet blieb, hieß nicht Virgin, kleidete sich auch nicht wie ein Mann, blieb aber Jungfrau391.

Es muss festgehalten werden, dass die Frau nicht selbstständig von sich aus für eine Existenz als Mannfrau entscheiden konnte. Es war dafür die Zustimmung der Eltern notwendig. Wurde die Zustimmung familienintern gegeben, musste der Entschluss mittels Geschworenen/Eideshelfer öffentlich kundgetan werden. Danach durfte sich die burrnesha beinahe uneingeschränkt aus dem Repertoire männlicher Vorrechte bedienen392: Sie agierte als Hausherr, vertrat das Haus nach außen hin, sie durfte ein Erbe antreten, männliche Kleidung tragen, ein Leben in der Öffentlichkeit leben, in Gesellschaft von Männern rauchen, ein Gasthaus aufsuchen, an Stammes- oder Dorfversammlungen teilnehmen, Waffen tragen, an Kriegen und Jagden bewaffnet teilnehmen, Blutrache ausüben, einen männlichen Namen tragen etc.393.

Eine wichtige bedeutsame Einschränkung ihrer Männerrolle war, dass sie zwar an Versammlungen der Männer teilnehmen durfte, aber kein Stimmrecht besaß394. Des Weiteren konnte sie zwar töten, nicht jedoch getötet werden; sie durfte zwar Blutrache ausüben, konnte jedoch nicht Objekt der Blutrache werden395.

389 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 378 f. ; Cozzi, La donna albanese, S. 318 ff.; Kaser, Die Mannfrau, in: L`homme, S. 64 ff. 390 Durham, Some Tribal Origins, S. 194, 211,; Cozzi, La donna albanese, S. 318.; Elsie, Einführung, S. 29. 391 Kaser, Die Mannfrau, in: L‘ Homme, S. 66. 392 § 1228 KLD bestimmt jedoch: „Sie werden von den anderen Frauen nicht gesondert behandelt, nur sind sie frei, sich unter den Männern aufzuhalten, aber ohne Stimme (wenn auch Sitz) im Rate“; Das wird von Cozzi in La donna albanese, S. 319 f bestätigt. 393 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, ….S. 379 f. ; Siehe: dagegen Cozzi, La donna albanese, S. 319 f. 394 Siehe: § 1221, 1227 KLD. 395 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, …S 380.; Siehe dagegen: Cozzi, La donna albanese, S. 319 f. 72

Wie es also scheint, konnte die Mannfrau, bis auf einige geschützte Reservate, die männlichen Privilegien weitgehend genießen396. Die Konsequenz für den Bruch ihres Gelübdes war eindeutig. Sie musste zu ihrer sozialen Stellung als Frau wieder zurückkehren, was für die gesamte Abstammungsgruppe eine Schande bedeutete397.

15. Das Erbrecht

Das Prinzip der Patrilinearität hatte nicht nur ein patrilineares Abstammungssystem zur Folge, das die weibliche Seite aus der Abstammungsrechnung ausblendete. Dieses Prinzip hatte noch einige gravierende Folgen, die nicht übersehen werden dürfen. Es bedeutete, dass Frauen auch von Eigentumsrechten an beweglichem und unbeweglichem Vermögen ausgeschlossen waren; Eigentum befand sich ausschließlich in kollektiver Hand der agnatischen Hausgruppe. Dies hatte wiederum zur Folge, dass Ehefrauen und Töchter nicht erbberechtigt waren398.

Das Erbrecht wurde ausschließlich durch den Kanun geregelt. Das Testament, gab es nicht, es sei denn, die Kirche wurde dadurch begünstigt. Dementsprechend finden sich erstaunlich viele Vorschriften im KLD, die die Frau ausdrücklich vom Erbrecht ausnehmen. Nach dem Kanun waren die Frauen weder bei den Eltern noch bei den Männern erbberechtigt. Im Haus des Mannes blieben sie immer fremd und im Haus der Eltern wurden sie als ein Überschluss, ein Anhängsel betrachtet. § 44 KLD: „Die albanische Frau hat kein Erbteil der Eltern, weder Grund noch Haus. Der Kanun hält die Frau als ein Überschuss im Hause“399. § 88 KLD: „Der Kanun anerkennt als Erben nur den Sohn, nicht die Tochter“400. § 91 KLD: „Weder bei Eltern noch bei Gatten tritt die Frau in das Erbe ein“401. § 92 KLD: „Stirbt der Mannesstamm eines Hauses aus, und seien hundert Töchter aus diesem Hause hervorgegangen, sie haben kein Recht, sich in die Erbschaft ihrer Eltern zu mischen, noch ihre Söhne oder Töchter“, “Der Tochterneffe kann sich nicht an den Krückstock der Onkel

396 Zur Kritik bezüglich Kleidung und Männerverhalten, erworbene Rechte, Verwechselung zwischen burrnesha und murgesha und namentliche Hinweise der Burrnesha und Murgesha (Nonnen) siehe: Cozzi, La donna albanese, S. 319 f. 397 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 380,; Durham, Some Tribal Origins, S. 199. 398 Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, S. 132. 399 Elsie, Der Kanun, S. 33. 400 Elsie, Der Kanun, S. 56. 401 Elsie, Der Kanun, S. 56. 73

hängen (an ihren Schäferstab klammern)”402. § 108 KLD: „Der Vater, auch wenn er keine Söhne hat, hat aber nicht das Recht, den Töchtern Grund, Gut oder Haus zu vermachen“403.

Blieben nur Frauen übrig und wurde keine von ihnen zur burrnesha, hatte die männliche Verwandtschaft das Recht, das Eigentum zu übernehmen. § 98 KLD: „Hat das ausgestorbene Gut keine nahe Vetternschaft, so hat die Bruderschaft und Sippe, und sei es des 100. Gliedes, Recht auf Vieh, Erde und Habe des Gutes. Bleibt das Gut nur mit einer Tochter, so geht der nächste Vetter zu ihr, nimmt sie ins eigene Haus und übernimmt sogleich das Regiment über Gut, Erde und Besitz“404.

Mit der Übernahme des Eigentums übernahmen sie auch die Verpflichtung, für die verbliebenen Frauen zu sorgen. Die §§ 99, 100, 114 KLD bestimmen: „Die Vetternschaft hat die Pflicht, die Tochter des erloschenen Gutes ins Haus zu nehmen, sie mit Kleidern und Schuhwerk zu versorgen“. „Sie hat auch die Pflicht, die verwaisten Mädchen zu verheiraten, ihnen aufzuwarten beim Besehen (durch die Heiratsvermittlung) und sie nach dem Kanun zu geleiten (bei der Hochzeit), den Töchtern das Mahl zuzurichten (Totenmahl), wenn sie im Hause der Vettern vor oder nach der Hochzeit sterben sollten“. „Hat der im Samen Erloschene eine verheiratete Tochter, so ist die Vetternschaft, wenn sie seine Habe durch Geld erwirbt, verpflichtet, ihr aufzuwarten und sie nach dem Gesetz zu geleiten“405.

Das Verbot des Frauenerbrechts konnte einigermaßen dadurch gemildert werden, indem dem Vater das Recht zugestanden wurde, an die Töchter zu Lebzeiten Geschenke zu machen, die jedoch auch zu seinen Lebzeiten zu übergeben waren. Geschenke auf den Todesfall waren ausgeschlossen. § 109 KLD „Bei Lebzeiten des Vaters hat dieser das Recht, den Töchtern Geld, Kleider, Schmuck zu schenken; nach dem Tode des Vaters hingegen hat die Tochter nicht das Recht, ein etwa versprochenes Geschenk anzufordern“406.

402 Elsie, Der Kanun, S. 56 403 Elsie, Der Kanun, S. 59. 404 Elsie, Der Kanun, S. 57. 405 Elsie, Der Kanun, S. 60. 406 Elsie, Der Kanun, S. 58 f. 74

16. Zusammenfassung

Das albanische Gewohnheitsrecht findet seinen Ausdruck im Wort Kanun, der meist im Zusammenhang mit Namen oder Gegenden gebraucht wird407. Es gibt insgesamt vier Hauptvarianten des Kanun, die teilweise wiederum Varianten haben408 und zwar der Kanun des Leke Dukagjini, der Kanun des Skenderbeu, der Kanun der Laberia und der Kanun des Hochlandes. Die vorliegende Arbeit hat als Schwerpunkt die Rechtsstellung der Frau im Kanun des Leke Dukagjini.

Entsprechend einer patriarchalen Welt, war die Frau dem Mann unterordnet. Die Entscheidungsmacht lag bei diesem und die Frau hatte den Willen der männlichen Familienmitglieder zu vollziehen. Die Differenzierung nach Geschlechtern fing bereits bei ihrer Geburt an. Während die Geburt eines männlichen Kindes mit großer Freude und Feier begrüßt wurde, ähnelte die Geburt eines weiblichen Kindes einer Enttäuschung. Auch die Entscheidungen über die wichtigsten Ereignisse im Leben einer Frau, lagen in männlicher Hand. So entschieden der Vater und der Hausherr darüber ob, wann und mit wem eine junge Frau verlobt oder verheiratet wurde. Kam es zur Verlobung oder Ehe, hatte nur der junge Mann oder seine Familie das Recht, die Verlobung oder Ehe auch grundlos aufzulösen. Die junge Frau konnte in den Genuss eines solchen Rechtes faktisch nicht kommen. Erhob sie den Anspruch die Verlobung aufzulösen, waren die Rechtsfolgen Blutrache und der Verlust des Rechtes wieder verlobt zu werden solange der ex Verlobte lebte.

Dem Blutsverwandtschaftsprinzip gemäß, blieb sie immer ein Teil ihrer Familie, die die Pflicht hatte ihre Rechte im Fall ihrer Rechtsverletzung zu verfolgen. Sie wurde niemals Teil der Familie des Mannes und blieb immer eine fremde Person in sein Haus „gruja asht bija dheut“. In der Familienhierarchie war die Frau an unterster Stelle. Sie hatte den Willen des Ehemannes und den des Hausherrn zu vollziehen. Nach außen durfte sie grundsätzlich nicht agieren. Dafür waren die Männer bzw. der Hausherr zuständig.

Ihr Leben spielte sich somit nur innerhalb der Familie. Ihr Lebenszweck bestand darin Kinder zu bekommen, die jedoch das Eigentum des Vaters darstellten. Die Geburt eines männlichen Kindes, war eng mit ihrer Rechtsstellung im Haus des Mannes verbunden. So wurde eine Konkubinatsehe endgültig mit der Geburt eines männlichen Kindes, oder sie erwarb das lebenslängliche Fruchtgenußrecht am Eigentum des Mannes, wenn sie einen Sohn zur Welt

407 Redi Isak, Der Kanun in Albanien, Gewohnheitsrecht im modernen Staat?, S. 41. 408 Siehe: Luan Omari/Aleks Luarasi, Historia e shtetit dhe e se drejtes ne shqiperi, S. 233 ff. 75

brachte, denn mit der Geburt eines männlichen Kindes, sorgte sie für die Erhaltung der Patrilinie ihres Mannes.

In ihrem Todesfall war der Mann oder seine Familie erbberechtigt über ihr Eigentum. Starb ihr Ehemann oder ihre Eltern, hatte sie weder am Vermögen des Mannes noch an jene der Eltern ein Erbrecht. Erbberechtigt waren nur die männlichen Familienmitglieder. Sie hatte nur das Recht auf Unterhalt solange sie lebte.

In den Genuss der männlichen Privilegien konnte sie nur dann kommen, wenn sie das Gelübde der ewigen Jungfräulichkeit mittels beeideter Aussage legte. In diesem Fall kleidete sie sich wie ein Mann, schnitt ihre Haare ab und konnte sich in Männergesellschaft begeben. Sie konnte nach außen ihre Familie vertreten, war handlungsfähig, geschäftsfähig, erbrechtsfähig, besaß jedoch kein Stimmrecht an den Versammlungen der Männer.

76

Literaturverzeichnis

 Antonia Young, Women Who Become Men: Albanian Sworn Virgins, Oxford 2001.

 Barbara Egeler, Der Kanun-Gewohnheitsrecht als rechtliche Grundlage für Unrecht? Die Ausdehnung auf Tätigkeit illegaler Natur und der damit verbundene Einfluss auf Delikte ethnischer Albaner in der Schweiz, Luzern 2007.

 Christine von Kohl, Albanien, 2. Aufl., München 2003.

 Dardan Gashi/Ingrid Steiner, Albanien: archaisch, orientalisch, europäisch. Wien 1997.

 Delina Beshiri/Edi Puka, I diritti delle donne albanesi nel Kanun di Lek Dukagjini, in: Educazione Democratica, anno III, numero 6, giugno 2013.

 Dervish Gjiriti, Aspekte të zhvillimit të zonave kodrinore e malore, in: Studime Historike 1973/1, Tirane 1973

 Diana Gellci, . Albanian Highlander’s Blood Feud as social obligation. AIIS, Tirane 2005.

 Dilaver Sadikaj, Lëvizja për likuidimin e lidhjeve të vjetra martesore në fshat dhe affirmimi i atyre të rejave, in: Studime Historike 3, Tirane 1979.

 Dilaver Sadikaj, Lufta per kollektivizimin e zonave të thella të vendit dhe forcimin ekonomiko-organizativ të kooperativave të reja 1966-1070, in: Studime Historike 1, Tirane 1987.

 Donato Martucci, I Kanun delle montagne albanesi: fonti, fondamenti e mutazioni del diritto tradizionale albanese, Bari 2010.

 Donato Martucci, L`albero del Latte. La donna nel diritto consuetudinario albanese, in: Quaderni Lupiensi die Storia e Diritto, n. 2, Lece 2012, S. 181-206.

 Edmond Doda, E drejta zakonore ne Shqiperi si nje institucion qe mbrojti identitetin kombetar, Tirana 2003.

 Ernesto Cozzi, La donna albanese: con speciale riguardo al diritto consuetudinario delle Montagne die Scutari, in: Anthropos, Bd. 7, H.3., 1912, S. 309-335, 617-626.

77

 Ernesto Cozzi, La vendetta dell sangue nelle Montagne dell `Alta Albania, in: Anthropos, Bd. 5, H. 3., 1910, S. 654-687.

 Ernesto Cozzi, Le tribu dell‘ Alta Albania, in: Studime e Tekste 1, Rom 1943, S. 229- 269.

 Fan Noli, Histoire de Skanderbeg, maitre de l'Arberie de 1455 a 1468, Boston 1927.

 Fatmira Musaj, Gruaja ne vitet 1912-1939, Botim i Akademise se Shkencave, Tirane 2002.

 Fatos Baxhaku/Karl Kaser, Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens. Berichte und Forschungen österreichischer Konsuln und Gelehrter (1861-1917), Wien; Köln; Weimar; Böhlau 1996.

 Franz von Nopsca, Aus Shala und Klementi. Albanische Wanderungen, Zur Kunde der Balkanhalbinsel/Reisen und Beobachtungen 11, Sarajevo 1910.

 Franz von Nopsca, Das katholische Nordalbanien, Budapest 1907.

 Franz von Nopsca, Die Herkunft des nordalbanischen Gewohnheitsrechts, des Kanun Lek Dukadžinit, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 40, Stuttgart 1923, S. 371-376.

 Gert Robel, Betrachtungen zum nordalbanischen Gewohnheitsrecht, in: Peter Bartl/ Horst Glassl Hrsg., Südosteuropa unter dem Halbmond. Untersuchungen über Geschichte und Kultur der Südosteuropäischen Völker während der Türkenzeit, München 1975, S. 227-235.

 Giuseppe Valentini, Concezione imperiale o repubblicana nel Kanun di Lekë Dukagjini, in Rivista d’Albania, Milano 1942.

 Giuseppe Valentini, Il diritto delle comunita nella tradizione giuridica albanese, Firenze 1956.

 Giuseppe Valentini, La famiglia nel diritto tradizionale albanese, Roma 1945.

 Giuseppe Valentini, Legge delle montagne albanesi nella relazioni della Missione Volante (1880-1932). Studi albanesi. Studi i testi, 3., Firenze 1968.

78

 Helmut Eberhart/Karl Kaser Hrsg, Albanien: Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, Wien; Köln; Weimar; Böhlau 1995.

 Indro Montanelli, Albania una e mille, Paravia, Torino 1939.

 Isak Redi, Der Kanun in Albanien, Gewohnheitsrecht im modernen Staat?, Wien 2011.

 Ismail Kadare, Der zerrissene April, Frankfurt 2003.

 Ismail Kadare, Kush e solli Doruntinën? Tirana: Onufri 2004.

 Ismet Elezi, E drejta zakonore penale e shqiptaräve dhe lufta per zhdukjen e mbeturinave tä saj ne Shqipëri, Tirane 1983.

 Ismet Elezi, Kanuni i Labërisë, Tirane 2002.

 Ismet Elezi, Lufta kunder vrasjes dhe gjakmarrjes ne Shqiperi, in: Buletin i Universitetit Shteteror te Tiranes, Seria e Shkencave Shoqerore 1, 3, Tirane 1959.

 Ismet Elezi, Vrasjet per hakmarrje e per gjakmarrje ne Shqiperi, Tirane 2000.

 John Gregory Bourke, Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitsrecht der Völker, Frankfurt am Main 1996.

 Julia Ivanova, Kanuni i Lekë Dukagjinit, in: Buletin i Universitetit Shtetëror të Tiranës 1960/, Tirane 1960.

 Kahreman Ulqini, Bajraku në organizimin e vjetër shoqëror, Tiranë 1991.

 Kanuni i Leke Dukagjinit, Permbledhe e kodifikue prej A. Shtjefen Konst. Gjecov, O. F. M., Me parathenie te At Gjergj Fishtes e biografit e A. Pashk Bardhit, O. F. M., Shtypshkroja Franceskane, Shkoder 1933.

 Kanuni i Leke Dukagjinit. The code of Leke Dukagjini, Albanian Text Collected and Arranged by Shtjefen Gjecov, Translated, with an Introduction by Leonard Fox, Gjonlekaj Publishing Company, New York 1989.

 Karl Kaser, Ahnenkult und Patriarchalismus auf dem Balkan, in: Historische Anthropologie, 1. Jhg. Heft 1, Wien 1993, S. 93-122.

79

 Karl Kaser, Die Mannfrau in der patriarchalen Gesellschaften des Balkans und der Mythos vom Matriarchat, in: L`homme, Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, 5. Jg./ Heft 1, 1994, S. 59 ff.

 Karl Kaser, Familie und Verwandtschaft auf dem Balkan, Analyse einer untergehenden Kultur, Wien; Köln; Weimar; Böhlau 1995.

 Karl Kaser, Hirten, Kämpfer, Stammeshelden. Ursprung und Gegenwart des balkanischen Patriarchats. Wien-Köln-Weimar 1992.

 Karl Kaser, Macht und Erbe. Männerherrschaft, Besitz und Familie im östlichen Europa (1500- 1900). Wien-Köln-Weimar 2000.

 Karl Kaser, Problemi i lindjes se shoqerive fisnore, te njesive gjinore dhe farefisnore ne zonat e larta malore te pjeses perendimore te Europes juglindore, in: Studime Historike 2, Akademia e shkencave e RPS te Shqiperise, Instituti i historise, Tirane 1991, S. 83ff.

 Karl Steinmetz, Ein Vorstoß in die nordalbanischen Alpen, Zur Kunde der Balkanhalbinsel/Reisen und Beobachtungen 3, Wien-Leipzig 1905

 Karl Steinmetz, Eine Reise durch die Hochländergaue Oberalbaniens. Zur Kunde der Balkanhalbinsel/Reisen und Beobachtungen 1., Wien- Leipzig. 1904.

 Koco Nova, E drejta zakonore shqiptare. KAnuni i Leke Dukagjinit mbledhur dhe kodifikuar nga Shtjefen K. Gjecovi, Akademia e shkencave e RPS te Shqiperise, Instituti i Kultures polullore, Sektori i Kultures Shoqerore Hrsg, Tirane 1989.

 Luan Omari/ Aleks Luarasi Hrsg, Historija e shtetit dhe e se drejtes ne Shqiperi, Tirane 2005.

 M. Francesca Di Miceli, Alcune considerazioni sulla legislazione maritale albanese nel Kanun di Leke Dukagjini (KLD), in: Pietro Di Marco/ Alessandro Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia, Officina die Studi Medievali, Palermo 2005.

 M. Korkuti Hrsg./ S. Islami/ F. Prendi/ S. Anamali/ E. Shukriu, Historia e Popullit Shqiptar, Instituti i Historise, Akademia e Shkencave te Shqiperise, Tirane 2002.

 Margaret Hasluck, The Unwritten Law in Albania, Cambridge 1954 80

 Marie Amelie Freiin von Godin, Das Albanische Gewohnheitsrecht, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft No. 56, 1953, S. 1-46.

 Marie Amelie Freiin von Godin, Das Albanische Gewohnheitsrecht, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, No. 5, 1954, S. 5-73.

 Marie Amelie Freiin von Godin, Das Albanische Gewohnheitsrecht, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, No. 58, 1956 , S. 121-198.

 Mary Edith Durham, High Albania: A Victorian Traveller's Balkan Odyssey, Weidenfeld & Nicolson History, New edition 2000.

 Mary Edith Durham, Albania and the : Selected Articles and Letters, 1903- 1944. I B Tauris & Co Ltd, 2005.

 Mary Edith Durham, Durch das Land der Helden und Hirten, Balkan – Reisen zwischen 1900 und 1908, Wien 1995.

 Mary Edith Durham, Some Tribal Origins, Laws and Customs of the Balkans, London 1928.

 Michael Daxner, Bilanz Balkan, Schriftenreihe des Österreichischen Ost und Südosteuropa-Instituts, Verlag für Geschichte und Politik, Wien 2005.

 Michael Kemper/ Maurus Reinkowski Hrsg., Rechtspluralismus. Gewohnheitsrecht zwischen Staat und Gesellschaft, Bd. 16., Berlin 2005.

 Michael Schmidt-Neke, Geschichtliche Grundlagen, in: Klaus Detlev Grothusen Hrsg., Albanien. Südosteuropa – Handbuch, Bd. VII., Göttingen 1993, S. 26-56.

 Ndue Dedaj, Kanuni mes kuptimit dhe keqkuptimit, Shkoder, 2010.

 Peter Bartl, Anmerkungen zu einigen Problemen der albanischen Geschichte, in: Südost-Europa: Zeitschrift für Gegenwartsforschung (Sonderheft Albanien) 11/12, 36. Jhg., München 1987, S. 676-690.

 Peter Bartl, Die Mirditen. Bemerkungen zur albanischen Stammesgeschichte. In: Münchner Zeitschrift für Balkankunde 1, München 1978, S. 27-69.

 Peter Jordan/Karl Kaser/Walter Lukan/ Stephanie Schwandner-Sievers /Holm Sundhaussen Hrsg, Albanien. Geographie – Historische Anthropologie 108 – 81

Geschichte – Kultur –Postkommunistische Transformation. Wien, Frankfurt am Main, Berlin 2003.

 Pietro Di Marco/ Alessandro Musco Hrsg., Aspetti della cultura bizantina ed albanese in Sicilia, Officina die Studi Medievali, Palermo 2005, S. 61-80.

 Qazim Kastrati, Some Sources and the unwritten law in Albania. in: Man. 55, London 1955, S. 124-127.

 Ragip Halili, Sanksionet penale sipas të drejtës zakonore në Kosovë, Prishtine 1985.

 Rene Gremaux, Franciscan Friars and the Sworn Virgins of the North Albanian Tribes, in: Religion, State and Society, Vol. 20, Nos 3 & 4, 1992, S. 362 ff.

 Robert Elsie Hrsg., Der Kanun. Das albanische Gewohnheitsrecht nach dem sogenannten Kanun des Leke Dugagjini. Kodifiziert von Shtjefen Gjecovi. Ins Deutsche übersetzt von Marie Amelie Freiin von Godin. Einführung von Michael Schmidt-Neke. Herausgegeben mit Vorwort und Bibliographie von Robert Elsie, Olzheim/Eifel 2001.

 Robert Pichler, Kommunistische Modernisierungspolitik, Patriarchalismus und Stammesmentalität im Norden Albaniens (1944-1969/70), Graz 1995.

 Rrok Zojzi, Mbi të drejtën kanunore të popullit shqiptar, in: Buletin për shkencat shoqerore 1956/2, Tirane 1956.

 Rrok Zojzi, Mbeturina të familjes patriarkale që i bëhen pengesë emancipimit të plotë të gruas shqiptare, in: Studime Historike 1969/1, Tirane 1969.

 Salvatore Villari, Le consuetudini giuridiche dell'Albania (Il Kanun di Lek Dukagjin), Rom 1940.

 Sami Frasheri, Shqipëria: C’ka qënë, c’është e c’do të bëhet?, Tirane 1999.

 Silvia Santner-Schriebl, Wertewandel in Stammesgesellschaften am Beispiel der Nordalbanischen Hochgebirgsregion Dukagjin und der Ghettos in Tirana und Shkoder, Graz 1999.

 Stan Sherer/Marjorie Senechal, Travels in High Albania, Northampton 1994.

82

 Stephanie Schwander, Freund, Feind und Ehre, in: Helmut Eberhart/Karl Kaser Hrsg, Albanien: Stammesleben zwischen Tradition und Moderne, Wien; Köln; Weimar; Böhlau 1995.

 Stephanie Schwandner-Sievers, Identität, Ehre und Staat in Nordalbanien. Zu den Grundlagen ethnizistischen Denkens und der Gewalt auf dem Balkan, in: Der Balkan in Europa, Balkanologische Veröffentlichungen 23, Berlin 1994.

 Stephanie Schwandner-Sievers, The enactment of tradition. Albanian constructions of identity, violence and power in times of crisis, in: Schmidt und Schröder Hrsg., Anthropology of Violence and Conflict 2001, S. 97-120.

 Theodor A. Ippen, Das Gewohnheitsrecht der Hochländer in Albanien, in: Zeitschrift für Ethnologie 33, S. 43-57, 352-363, in: Thallöczy 1916, S. 389-408.

 Valbona Begolli, Pozita e gruas ne Kosove me nje veshtrim te posacem ne te drejten zakonore, Prishtine 1984.

 Walther Peinsipp, Das Volk der Shkypetaren, Wien, Köln, Graz 1985.

 Xhuzepe Kasteleti, Normat zakonore dhe jeta shoqerore ne kanunin e Lek Dukagjinit, Rom 1933.

 Yamamoto Kazuhiko, The ethical structure of Kanun and its cultural Implications, New York 2005.

 Yamamoto Kazuhiko, The ethical structure of the Kanun – is it the original form of ethics in human society?, in: Illyria, No. 1425-1428, 2005.

Internetquellen

 Albanian sworn virgins: http://www.youtube.com/watch?v=4G47jIVoXWM, 28 Juli 2014.

 Albanian sworn virgins: http://www.youtube.com/watch?v=4KgS3G9W-XM, 22 Juli 2014.

83

 Islam Qerimi, Rolle und Herkunft des Kanun bei den Albanern. Historischer Überblik über den Kanun bei den Albanern, Wissenschaftliche Studie, 2010, http://books.google.at/books?id=Vr0ZI- g_GLkC&printsec=frontcover&dq=%E2%80%A2%09Islam+Qerimi,++Rolle+und+H erkunft+des+Kanun+bei+den+Albanern.+Historischer+%C3%9Cberblik+%C3%BCb er+den+Kanun+bei+den+Albanern,+Wissenschaftliche+Studie,+2010.&hl=en&sa=X &ei=Phb-U5iRIK-f7AaL8IDwDw&ved=0CB4Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false, 25 Mai 2014.

 Zef Ahmeti, Das Strafrecht im „Kanun des Lek Dukagjini“, Das albanische Gewohnheitsrecht, http://www.shkoder.net/en/kanun_de.htm, 3 September 2014.

84