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Der Traum Der Traum vom vom Fliegen Der Traum vom Fliegen 9 · 2013 o 9 ·2013 o n TF · n orschung· F

Der TraumDer Traum Der Traum vom vom Fliegen Der Traum vom Fliegen Der Traum vom Fliegenvom Fliegen 9 · 2013 9 · 2013 o o 9 ·2013 9 ·2013 o o n n TF · n TF · n orschung· orschung· F F ThemenheFT ThemenheFT ThemenheFT THEMENHEFT FORSCHUNG Der Traum vom Fliegen

Universität Stuttgart • 2013 2 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser!

Die Titel unserer THEMENHEFTe wenn wir etwas nicht mit dem eigenen FORSCHUNG orientierten sich bisher Körper erreichen können, flüchten wir sachlich nüchtern an dem jeweils vor- entweder in Fantasie oder erschaffen eine gestellten Forschungsgebiet. „Der Traum Technik. Die Luft- und Raumfahrttechnik vom Fliegen“ geht hier bewusst einen an- hat es bis heute geschafft, den Traum vom deren Weg. In der Luft- und Raumfahrt ist Fliegen lebendig zu halten und die tech- immer wieder die besondere Motivation nischen Realisationen immer wieder mit der Beteiligten – Wissenschaftler wie Stu- weiteren Fantasien zu überflügeln. dierende – zu spüren, die getragen von der In diesem Sinne enthält dieses THEMEN- Faszination des Gegenstandes immer wie- HEFT FORSCHUNG auch zahlrei- der neue, teilweise spektakuläre Projekte che Beiträge, die weit in die Zukunft wei- durchführen. Der Vogelflug war als er- sen und die Fantasie der Leser beflügeln folgreiche Anschauung schon oft das könnte. • Sinnbild für den Traum vom Fliegen. In diesem Sinne haben wir für diese Ausgabe Viel Spaß beim Lesen wünscht ein naturnahes Umschlagbild gewählt. Der Traum vom Fliegen hat mythologische Tiefe, fasziniert Jung und Alt, wirkt Länder- und Geschlechterübergreifend, scheint anthropologisch tiefsitzend. Scheint von der Schwere des Hier und Jetzt zu befreien und richtet sich bereits auf benachbarte Planeten. Und immer, Ulrich Engler

Impressum Das THEMENHEFT FORSCHUNG wird herausgegeben im Auftrag des Rektorats der Universität Stuttgart. Konzeption und Koordination Themenheft Forschung: Ulrich Engler, Tel. +49 (0) 711/685-82205, E-Mail: ulrich. [email protected] Wissenschaftlicher Koordinator „Der Traum vom Fliegen“: Bernhard Weigand Autoren „Der Traum vom Fliegen“: Gerhard Busse, Balaji Devaraju, Stefanos Fasoulas, Uwe Gaisbauer, Felix Huber, Markus J. Kloker, Ewald Krämer, Ernst Messerschmid, Claus-Dieter Munz, Reinhard Neunhöfer, Michael M. Resch, Nico Sneeuw, Igor Solodov, Johan Steelant, Mohammad J. Tourin, Rudolf Voit-Nitschmann, Bernhard Weigand Titelseite und Grundlayout Themenheft Forschung: Zimmermann Visuelle Kommunikation, Haußmannstraße 103 B, D–70188 Stuttgart Das THEMENHEFT FOR- Titelfoto: Zugvogelschwarm © Joachim Kruse, Osnabrück S C H U N G wird gedruckt auf Druck und Anzeigenverwaltung: Alpha Informationsgesellschaft mbH, Finkenstraße 10, D–68623 Lampertheim, Recycling-Papier weiß matt ober- Tel. +49 (0) 6206/939-0, Fax +49 (0) 6206/939-232, Internet: http://www.alphapublic.de, E-Mail: [email protected], flächengeleimt, aus 100% Altpapier, Verkaufsleitung: Peter Asel lebensmittelunbedenklich und © Universität Stuttgart 2013 alterungsbeständig. ISSN 1861-0269 GELEITWORT DES REKTORS 7

Der Traum vom Fliegen

Seit über 100 Jahren besitzt die Luft- und Raumfahrttechnik unter Beweis stellen. Wo an der Universität Stuttgart einen festen Heimatflughafen. kann man schon während Hier wurde im Oktober 1911 die erste ordentliche Profes- des Studiums Flugobjekte sur, die sich der Luftfahrttechnik widmete, eingerichtet. mitkonstruieren, bauen Alexander Baumann besetzte diese im Landesetat neu ver- und sogar selber fliegen. abschiedete Professur für Luftschifffahrt, Flugtechnik und In den letzten Jahren wurde Kraftfahrzeuge. Aber auch interessierte Kreise der Wirt- die Infrastruktur für die schaft trugen damals teilweise zu dieser Professur bei und Realisierung des Traums förderten damit, heute ganz modern, eine Art von Stif- vom Fliegen weiter aus- tungsprofessur. Die Entwicklung des Baumann-Instituts gebaut. 2011 wurde das führt in einer Linie zum heutigen Institut für Flugzeug- neue Raumfahrtzentrum bau der heutigen Fakultät 6, Luft- und Raumfahrttechnik auf dem Vaihinger Cam- und Geodäsie. pus eingeweiht, ein archi- Der Weg zu einer eigenen Fakultät war freilich noch lang: tektonisches High-light 1954/55 wurde eine Abteilung Luftfahrttechnik innerhalb und Dank der technischen der Fakultät Maschinenwesen geschaffen sowie weitere Ausstattung sicherlich ein Kristallisationskeim für weitere Institute gegründet; 1967, im Jahr der Wandlung der Ideen und Projekte. Die Kooperationsmöglichkeiten in Tech nischen Hochschule zur Universität, wurde auch die Stuttgart sind mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Luftfahrttechnik zur eigenständigen Fakultät. Mit der Ein- Raumfahrt und den Instituten der Max - sowie der richtung des Instituts für Raumfahrtantriebe im Jahr 1970 Fraunhofer Gesellschaft ausgezeichnet. Seit 2011 wurde wurde in Stuttgart schließlich auch das Kapitel der Raum- mit DLR@UniST eine institutionalisierte Forschungsini- fahrt aufgeschlagen. Durch den Zusammenschluss mit tiative des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt den Instituten der Geodäsie wurde der Bereich der Raum- (DLR) und der Universität Stuttgart geschaffen, die sich fahrtnutzung weiter ausgebaut. Die heute bestehende zum Ziel gesetzt hat, ihre Kompetenzen auf den Gebieten Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie ist Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr gezielt und damit einzigartig in Deutschland. nachhaltig auszubauen. Die wissenschaftlichen Angebote im Bereich der Luft- und Es war also naheliegend, in unserem THEMENHEFT Raumfahrttechnik üben trotz der für eine technische Dis- FORSCHUNG dem Traum vom Fliegen einen weiten ziplin langen Tradition bis heute eine anhaltend faszinie- Raum zur Darstellung zu geben. Es muss betont werden, rende Anziehungskraft aus. Stuttgart gilt dabei als Mekka dass die Thematik der Luft- und Raumfahrt natürlich in für angehende, hoch motivierte Luft- und Raumfahrt- Stuttgart nicht nur die Fakultät für Luft- und Raumfahrt- ingenieure, mit fast 400 Anfängern in den letzten beiden technik und Geodäsie beschäftigt, sondern dass durch eine Jahren. Eine Annahmequote der Bewerber von über vielfältige Vernetzung an der Universität viele andere Be- 50 Prozent sowie der besonders hohe Anteil an Spitzen- reiche zahlreiche und wertvolle Beiträge zu diesem The- abiturienten/innen, die zum großen Teil aus anderen menkreis liefern, wie z.B. die Mathematik, die Geschichts- Bundesländern nach Stuttgart kommen, belegt die Anzie- wissenschaften, die Informatik, die Literaturwissenschaften hungskraft der Stuttgarter Luft- und Raumfahrttechnik. und der Maschinenbau. Der Studiengang hatte auch in den Jahren, als die Anfän- Ich möchte an dieser Stelle allen Autoren und dem wis- gerzahlen in den ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten senschaftlichen Koordinator des Heftes, Prof. Dr.-Ing. in Deutschland konjunkturbedingt stark zurückgingen, Bernhard Weigand, für ihren zusätzlichen Einsatz für das keine vergleichbaren Einbrüche erlebt. Wegen der anhal- Public Understanding of Science zu danken. Wir brauchen tend großen Nachfrage konnten im Rahmen des Hoch- Forschende und Lehrende, die Visionen haben und Ideen, schulausbauprogramms des Landes 75 neue Studienplätze wie man diese umsetzen eingerichtet werden. kann, aber auch solche, die Die Anziehungskraft des Traums vom Fliegen ist sicherlich an diese Visionen glauben auch dem großen Engagement der Wissenschaftlerinnen und uns helfen, diese zu und Wissenschaftler geschuldet, die mit immer wieder realisieren. • faszinierenden Projekten wie SOFIA, icaré oder E-Genius, um nur wenige zu nennen, die Praxisnähe der Ausbildung Prof.-Dr.-Ing. Wolfram Ressel, Rektor 8 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Zur Einleitung

Foto © Joachim Kruse, Osnabrück.

Der Traum vom Fliegen beschäftigt die Menschen seit Urzeiten. In der Natur konnte der Mensch schon frühzeitig sehen, wie Insekten und Vögel sich aus eigener Kraft in der Luft bewegen und fliegen konnten. Vielfach zeichnete man auch mystische Wesen mit der Fähigkeit, fliegen zu können, aus. So stellten z. B. die Babylonier Löwen, Stiere und Menschen mit Flügeln dar. In der indischen Mythologie findet man Bilder von fliegenden göttlichen Streitwagen, und bei den Azteken spielte die gefiederte Schlange Quetzalcoatl eine wichtige Rolle. EINLEITUNG 9

Es erfolgte schon frühzeitig eine Beschäfti- gung mit dem Gedanken, wie sich auch ein Mensch in die Lüfte erheben und sich wie ein Vogel fortbewegen könnte. Sehr bekannt ist in diesem Zusammenhang die griechische Sage von Dädalus und Ikarus, die mit selbstgebauten Schwingen aus mit Wachs verklebten Vogelfedern die Flucht von Kreta nach Sizilien versuchten. Ikarus stürzte ab, da er der Sonne zu nahe kam und das Wachs schmolz. Heutzutage würde man dies als ein typisches Problem der Wahl falscher Materialien ansehen. Später beschäftigte sich Leonardo da Vinci (1452-1519) intensiv mit dem Fliegen und entwarf verschiedene Flugzeuge. Seine kreativen Ansätze und seine ingenieur- wissenschaftliche Methodik hatten hierbei Pionierwert. Sein Vorgehen unterschied sich entscheidend von der Antike, da er in seinen Konstruktionen nicht mehr nur die Natur nachahmte, sondern Neues schuf. 02

01 03 (01) Leonardo da Vinci (1452– 1519). © 00982984 ullstein bild – Albrecht Ludwig Berblinger, der „Schneider genügen. Dabei handelte es sich vorwie- Alinari Archives. von Ulm“ konstruierte 1810–1811 seinen gend um die Entwicklung ökologisch fort- (02) Karl Wilhelm Otto Lilienthal, ersten flugfähigen Gleiter, führte ihn der schrittlicher und umweltfreundlicher ein Pionier der Flugzeugentwicklung, Öffentlichkeit mit einem Flugversuch über Technologien für die Luftfahrt. Mit den kam 1896 beim Absturz eines seiner die Donau vor und stürzte in den Fluss. Flugzeug-Projekten icaré und e-Genius Flugapparate ums Leben. © 30045539 Noch heute führt die Stadt Ulm in un- konnte der Preis 1996 und 2006 jeweils von ullstein bild – The Granger Collection. regelmäßigen Abständen einen sehr re- Teams unter der Leitung von Prof. Voit- (03) Robert Thelen, deutscher nommierten Wettbewerb durch, bei dem Nitschmann an die Universität Stuttgart Luftfahrtpionier, 1884–1968. neuartige Flugmaschinen konstruiert wer- geholt werden. Das Solarflugzeug icaré © 00779768 ullstein bild – Haeckel- den müssen, die speziellen Anforderungen war von 1996 bis 2010 das leistungsfähigste Archiv. 10 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

04 SOFIA – hoch fliegendes Stratosphä- ren-Observatorium zur Erkundung des infraroten Universums – der Traum Solarflugzeug weltweit. Es wurden ins- führen. Ihnen gebührt die Leistung, als von Astronomen und gelegentlich mit- gesamt vier Weltrekorde des internationa- erste ein steuerbares und bemanntes Flug- fliegenden Lehrern. Mehr Informatio- len Luftsportverbands FAI (Fédération zeug mit Motor gebaut zu haben. Der nen unter http://www.dsi.uni-stuttgart. Aéronautique Internationale) erflogen. Flugapparat erhob sich zwölf Sekunden de/. Quelle: © NASA/DLR Das Batterie betriebene Elektroflugzeug lang in die Luft und flog stolze 53 Meter e-Genius ist momentan das leistungs- weit. Damit hatte man sich auch grund- stärkste zweisitzige Elektroflugzeug welt- sätzlich von der Nachahmung der Natur weit. Mit e-Genius konnten 2011 der Lind- beim Fliegen losgelöst, da es einen Propel- bergh Electric Aircraft Prize für das leiseste ler in der Natur nicht gibt. Flugzeug und der 2. Platz beim hoch- 1907 wurde die spätere Aerodynamische Ver- karätigen NASA Green Flight Challenge suchsanstalt in Göttingen ins Leben geru- in den USA gewonnen werden. fen. Sie beschäftigte sich zunächst mit der Otto von Lilienthal (1848–1896) führte eine Entwicklung der besten Luftschiffformen. große Anzahl von Flugexperimenten Ihr Leiter, Ludwig Prandtl, wurde durch durch und konnte seit 1891 erfolgreiche seine Untersuchungen zur Grenzschicht- Gleitflüge durchführen. Er bewies, dass theorie und zur Theorie des Tragflügels sich der Mensch mit einem Gleiter aus zu einem Pionier auf dem Gebiet der Aero- Holzstäben und Leinwand in die Luft er- dynamik. heben kann. An die 2.500 Flüge führte er Nur drei Jahre später, am 1. April 1910, hielt erfolgreich durch. 1896 kam er beim Ab- Professor Alexander Baumann seine erste sturz eines seiner Flugapparate ums Leben. luftfahrttechnische Vorlesung mit dem Den Gebrüdern Wright gelang es am Titel „Konstruktion von Flugmaschinen“ 17.12.1903, den ersten Motorflug durchzu- an der Hochschule Stuttgart. Ein gutes EINLEITUNG 11

Jahr danach, am 20.10.1911, richtete der DER AUTOR König von Württemberg eine ordentliche Professur für „Luftschifffahrt, Flugtechnik Bernhard Weigand und Kraftfahrzeuge“ an der Hochschule wurde 1962 in Somborn (Hessen) geboren. Nach Stuttgart ein. Durch die Berufung von dem Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der Alexander Baumann auf diese Professur, TU Darmstadt promovierte er im Fach Thermo- gilt er weltweit als der erste Professor für dynamik an der TU Darmstadt. 1992 wechselte er Luftfahrttechnik. zur ABB Kraftwerke AG in Baden (Schweiz), wo er Anschließend entwickelte sich die Flugtech- zunächst als Entwicklungsingenieur, später dann nik sehr rasant. Hierbei sind natürlich verantwortlich für die gesamte Kühlungsauslegung nicht nur die Flüge mit Flugzeugen ge- aller neuen Gasturbinenschaufeln und für die Grund- meint, sondern auch Raketenflüge, die es lagenentwicklung auf dem Gebiet der Kühlung und letztendlich schafften den Menschen einen der Wärmeübertragung war. Am 1.4.1999 übernahm neuen Zugang zu fernen Objekten wie er die Leitung des Instituts für Thermodynamik der z. B. unserem Mond zu ermöglichen. Luft- und Raumfahrt an der Universität Stuttgart. Heute ist der „Traum vom Fliegen“ für uns Von 2002 bis 2006 war er Dekan der Fakultät Luft- alle zur Wirklichkeit geworden. Wir flie- und Raumfahrttechnik und Geodäsie und von 2006 gen nach New York, Moskau, Peking, bis 2009 war er Prorektor für Struktur an der Uni- Neu-Delhi, Rom, Brüssel … Das Fliegen versität Stuttgart. Seit 2005 ist er der Sprecher des ist für die heutige Gesellschaft zum un- GRK 1095. verzichtbaren Bestandteil des Austauschs geworden. Mit Sonden erkunden wir im- Kontakt mer weitere Bereiche der Umgebung un- Universität Stuttgart seres Planeten und bauen Raumstationen, Institut für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt getragen von vielen Nationen. Pfaffenwaldring 31, D–70569 Stuttgart, Allerdings hat sich der „Traum vom Flie- Tel. +49 (0) 711/685-62318, Fax +49 (0) 711/685-62317 gen“ gewandelt. Es ist nicht mehr die Idee E-Mail: [email protected] vom Fliegen aus eigener Kraft wie ein Vo- Internet: http://www.uni-stuttgart.de/itlr gel, sondern vielmehr die Idee der schnel- len Fortbewegung von A nach B und der immer währende Wunsch von der Erkun- dung unserer Umgebung, die die Men- Hilfe von Computerprogrammen, die auf schen weiter vorantreiben. Der Traum den Höchstleistungsrechnern laufen oder vom Fliegen hat sich verändert und der einzigartigen Versuchsanlagen) oder auch Bau von Luft- und Raumfahrzeugen be- im engen Zusammenspiel mit verschiede- nötigt heute eine Vielzahl von speziellen nen Firmen und Forschungseinrichtungen Kenntnissen. wie z.B. dem Deutschen Zentrum für Die Universität Stuttgart und ihre Um- Luft- und Raumfahrt (DLR). Eingegliedert gebung zeichnen sich durch ein hohes Po- in die aktuelle Forschungsstrategie und die tenzial, durch eine lange Tradition und Forschungsschwerpunkte der Universität ein hervorragendes Netzwerk für die be- bildet die Erforschung und Weiterentwick- nötigte interdisziplinäre Forschung auf lung von Luft- und Raumfahrtzeugen in dem Gebiet des Fliegens aus. Neben vielen Stuttgart einen vitalen Forschungsschwer- Mitgliedern der Fakultät für Luft- und punkt mit hohem Potenzial für die Zu- Raumfahrttechnik und Geodäsie arbeiten kunft. in Stuttgart viele Forscher im Bereich der Das vorliegende THEMENHEFT Materialtechnik, der Visualisierung, der FORSCHUNG hat sich zum Ziel Energietechnik, des Maschinenbaus, der gesetzt, einen kleinen Streifzug durch die Geschichte und vieler anderer Bereiche an vielfältige Forschung auf diesem Gebiet zu den interessanten und herausfordernden liefern. Natürlich spiegeln die hier angege- Fragenstellungen des Fliegens. Hierbei benen Beiträge nur einen sehr kleinen geht es nicht nur um die Verbesserung der Teil der gesamten Forschung wieder, die heute gängigen Flugtechniken, sondern in Stuttgart und Umgebung auf diesem auch in ganz besonderem Maße, um die Gebiet betrieben wird. Viele Themenfelder Exploration neuartiger Systeme und Tech- konnten leider nicht mehr berücksichtigt niken, die wir eventuell erst in 50 Jahren werden, auch wenn Stuttgart auch auf brauchen werden. Diese Forschung ge- diesen Gebieten oft herausragende Aktivi- schieht grundlagenorientiert (z. B. mit täten besitzt. • Bernhard Weigand 12 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Travelling the Skies at High Speed

Obviously, high-speed air travel only pays off for long distance travels. Though Concorde, flying at Mach 2, still made sense for exploitation along the transatlantic routes, higher speed vehicles should essentially be exploited along longer routes up to antipodal destinations. Then, a typical journey from Stuttgart to Sydney would last about 4 hours when travelling at a cruise speed of Mach 5 or beyond.

1. Introduction

Tendencies in aeronautics clearly show a steadily increasing market share in premi- um long-haul flights which classically cov- er the international and intercontinental routes (01). Based on IATA statistics of August 2012, total international travel is still increasing for the premium and econ- omy traffic growth respectively with 8.5% and 6.2% higher than a year ago in August 2011. In particular travel from Europe to the South-West Pacific, Far East and Mid- dle East grew fast than the average rate and some of them at a double digit pace.

01 International passenger Growth by Route [8]. HIGH-SPEED AIR TRAVEL 13

ABSTRACT

Classically, these long-distance flights take Pioneering the aviation for the second half of the century is a theme which is closely fol- easily flight times of 16 hours or more to lowed by ESA in terms of civil high-speed air transport applications. The experience and connect two major intercontinental cities. know-how in high-speed aerodynamics acquired through numerous re-entry missions and They become more attractive when travel- high-speed propulsion units from future re-usable launchers are important elements to time would be reduced drastically such bridge the gap between classical aerospace and aeronautics. This overlapping area of that a final destination can be reached interest allows bringing in competences from both areas to establish this pioneering vision. within 4 hours or less. However, with Several activities were already initiated by ESA in the field of hypersonic cruisers, i.e. present aircraft and propulsion designs, LAPCAT and ATLLAS or to suborbital flights, i.e. FLACON and FAST20XX. These we’re getting close to the optimal design projects are co-funded by the EC and a large group of about 30 different partners from and margins for further improvement are industries, SMEs, research institutions and academia. Though these activities are mainly getting smaller. Only drastic changes in technology driven programs, the specifications and requirements for the research and devel- aircraft configuration, propulsion con- opment are driven by conceptual studies on hypersonic and suborbital vehicles. Different cepts and flight velocities are able to hypersonic cruiser concepts have been devised so far for different cruise velocities ranging achieve these goals. from Mach 3 to 8 while maximizing the range. Antipodal ranges such as Brussels to Syd- Sticking to the usual cruise speeds at Mach ney seem feasible but more detailed studies are now required along with flight experiments. 0.9 (i.e. 950km/hr), new aircraft configura- tions and propulsion units presently stud- ied are looking into e.g. blended wing- body configurations and high bypass 2. Motivation and Assessment turbofans mounted on the leeside of the airplane (02). These interesting develop- As mentioned above, reducing travel times ments will decrease further fuel consump- by going supersonic makes only sense on tion up to 30%, however, the will not en- long-distance flights. Range is hence an able the shortening of travel times. important figure of merit to evaluate New aircraft development seems to be high-speed aircraft concepts. It is strongly stalled with respect to flight speed, despite dependent on total available fuel mass and the proven technical possibility shown by its consumption throughout the itinerary, the supersonic Concorde, the experience i.e. from taxiing, speed-up cruise and final gained in military aircraft design up to descent manoeuvres. Among these dif- Mach 3 (e.g. SR-71) and finally experimen- ferent parts, cruise represents a major tal vehicles (e.g. X-15 at Mach 6). Oppo- portion of the needed fuel. The range nents to supersonic transport develop- achieved during cruise can be easily de- ment always point to the large specific fuel rived from the Bréguet range equation: consumption of Concorde which undeni- able is roughly twice the value of present commercial aircraft. However, one should not forget that the specific fuel consump- tion, sfc, obtained for the first turbojet driven aircraft, e.g. Comet in 1951 were only 20% lower. Since then, fuel consump- tion reduction for aero-engines has been drastically driven throughout time by spe- cific technology developments e.g. cooling techniques, new alloys, improved thermo- dynamic cycles by increased pressure ra- tios and TIT, etc… As the Olympus 593 engine was based on the Olympus design of 1950 for the Canberra and later for the Avro Vulcan in 1956, it is hence impossible to compare its sfc with e.g. the latest Trent’s of R&R or the GE90-family when half a century of technology development has not been implemented in these Olym- pus engines. 02 Blended Wing Body design: future optimization potential for subsonic airplanes (Credits: NASA). 14 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

where: R Range [m] H the fuel energy content [J/kg]: 120 (LHV) and 142 (HHV) MJ/kg for H2, 43.5 (LHV) and 47MJ/kg (HHV) for kerosene, 50.0 increases with Mach number for turbojets (LHV) and 55.5MJ/kg (HHV) for Methane and ramjets as will be explained further. A g gravity constant [m/s2] first approach, suggested by R.G. Thorne ␩ the overall installed engine efficiency according to [9] is given by: sfc specific fuel consumption [kg/s/N] V flight velocity [m/s] W total take-off mass [kg] WF fuel mass [kg]

The range depends linearly on the energy To better understand the increase of the content H in the fuel which can be in- overall efficiency ␩ of an aircraft engine, creased with a factor of 2.7 by switching one can split the term thermodynamically e.g. from kerosene to hydrogen. into a thermal and propulsion efficiency ␩ The aerodynamic performance given by L/D = ␩t ␩p. given approximately for a single in eq. (1) depends primarily on the Mach jet by: number and was analysed by Küchemann [9] who formulated a general empirical re- lationship referred to as the “L/D barrier”:

The thermal efficiency of either compressor or ram-based engines can be approached as Further studies optimized waverider designs a Brayton cycle and hence its efficiency is taken into account viscous effects resulted mainly driven by the combustor tempera- in better L/D ratio resulting in a shifted L/D ture Tcc to intake temperature Ta ratio. barrier (Anderson [10]). This ratio would be at its optimal point when operating the combustor close to the stoichiometric value. However, for turbojets or turbofans, the rotary turbine components limit this ratio due to materi- al yield strengths to a value of about Tcc/ For an increasing Mach range the values are Ta=6 or ␩t = 47%. decreasing asymptotically to a value of 5 Typical values for propulsion efficiency of a or 7: (T1) modern engine at M∞=0.85 is 48% for a This decrease of aerodynamic performance turbojet and 77% for a turbofan with a by- with increasing Mach number would in- pass ratio of 6. The overall efficiency in herently exclude long-range supersonic cruise results into values of 20% to 37% and flight as it would be economically not via- increases above 40% for larger bypass ratios ble. However, the overall propulsion effi- [11]. ciency, defined as For ram- and scramjets, the combustion temperature is not limited by rotary com- ponents. Hence higher equivalence ratios are easier to reach and ER=1 (i.e. stoichio- metric) is presently used in scramjet flight experiments. Hence, the thermal efficien- cy can reach values as high as ␩t = 60-70%. The propulsion efficiency is clearly better as the jet/flight velocity difference is typi- cally smaller resulting into a ␩p = 70-90% leading to an overall efficiency of ␩ = 42- T1 63%. This large ␩p implies however that a Table: Aerodynamic L/D barrier and overall installed engine efficiency in function of flight Mach massive intake needs to be foreseen, which number. can occupy the complete frontal section of HIGH-SPEED AIR TRAVEL 15

the aircraft in order to provide the neces- odology whereas the sary thrust given by T = m’(Vj -U∞). green line indicates As shown above, both factors ␩ and L/D have what has been achieved  reverse dependencies on flight Mach num- as a revolutionary, high ber and for a first assessment the cruise ef- speed civil air transpor-  ficiency ␩L/D can be considered in first or- tation concepts  der to be constant, i.e. a value of about 3 to worked-out along this 4, at worst only 40% smaller for careful de- new approach.   signs. This means that the range is theoret- At present, the promised ically more or less independent of the performances can only  flight speed and is then only determined by be demonstrated by  the relative fuel fraction WF/W and the fuel numerical simulations       type. To achieve this goal practically is not or partly experimental- trivial, i.e. technical implementation where ly. As high-speed tun-   both propulsion and aerodynamic efficien- nels are intrinsically cies can be harmonized without negative limited in size or test 03 mutual interference requires a dedicated duration, it is nearly Cruise efficiency as a function of approach. Classical approaches rely on sep- impossible to fit even A3/A1 (nozzle/air capture area ratio) arate and dedicated optimization design modest vehicle platform completely into a for Mach numbers between 3 (blue) to routes with respect to aerodynamic and tunnel (05). Therefore experiments are 5 (pink) in steps of M=0.5 [5]. propulsion. A multi-disciplinary approach limited either to the internal propulsive is actually needed where both the propul- flowpath with combustion but without sion engineer and the aerodynamicist work the presence of high-lifting surfaces, or to closely together to reach for a global opti- complete small-scaled aero-models but mization. without the presence of a combusting pro- As this is not a trivial work methodology, it pulsion unit. Though numerical simula- is not so surprising that high-speed trans- tions are less restrictive in geometrical size, portation has been hampered by the lack they struggle however with accumulated of range potential or a too high fuel con- uncertainties in their modelling of turbu- sumption stemming from a too low cruise lence, chemistry and combustion making efficiency. Indeed, looking into the perfor- complete Nose-to-Tail predictions doubt- mance of classically designed high-speed ful without in-flight validation. As a con- vehicles, their performances drop nearly sequence, the obtained technology devel- linearly with flight Mach number as indi- opments are now limited to a technology cated by the red line on (04). Over the last readiness level of TRL=4 (components val- years, however, radical new vehicle con- idated in laboratory). cepts were proposed and conceived having a strong potential to alter this trend. This innovative approach is based upon a well elaborated integration of a highly efficient propulsion unit with a high-lifting vehicle concept. The realization of both a high propulsive and aerodynamic efficiency is based upon the minimization of kinetic jet losses while striving to the best uniformity but minimal induced velocity for lift cre- ation. An optimization analysis integrating both the aerodynamics and the propulsion unit on a two-dimensional conceptual design showed a potential cruise efficiency factor ␩ L/D be- yond 4 for flight Mach numbers above 3.5 (03). This means that the range is more or less independent of the flight speed and is then only determined by the relative fuel 04 fraction WF/W or the structural efficiency. Long-range potential of high-speed vehicles in function of flight Mach number: Red: achievable with The dashed green line in (04) illustrates the classical designs with minimal integration; Green: present designs based upon strongly integrated potential of this innovative design meth- propulsion-vehicle designs with a potential limit (dashed line). 16 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

05 Left: example of a completely integrated vehicle concept with intake Performing a test flight will be the only and vals, whilst offering significant potential to (green), nozzle (blue) and fuselage- ultimate proof to demonstrate the techni- reduce sonic boom. A vehicle configuration wings (gold), Right (courtesy of cal feasibility of these new promising high- has been developed featuring a circular DLR): corresponding internal speed concepts versus their potential in fuselage with nose intake and an internal flowpath model maximized within range and cruise. This would result into a high bypass turbofan (06). Exhaust is duct- tunnel without aero-planform major breakthrough in high-speed flight ed to the wing and fuselage bases. The wing (1.5m long). and create a new era of conceptual vehicle has a high aspect ratio for good subsonic designs. performance while drag due to thickness is eliminated by exhausting approximately 3. High-speed cruisers two thirds of the propulsive stream from the wing trailing edge. These promising feasibility results as well as Another design approach maximized rather the remaining open questions with respect the thermodynamic engine efficiency by ex- to variable engine cycles, materials, engine- ploiting the liquid hydrogen fuel on board as airframe integration, thermal protection lowest sink temperature (20K) in the cycle. etc… justify the need for more in-depth The hydrogen powered LAPCAT A2 vehicle studies and analyses related to these disci- flying at Mach 5 indicated that a 400 ton, plines. The LAPCAT project (Long-Term 300 passenger vehicle could achieve anti- Advanced Propulsion Concepts and Tech- podal range. The concept is particularly nologies) has been set up to focus mainly interesting for these mission requirements on technologies related to engines and their as a trajectory optimization allowed to fly integration into the airframe [1][5]. Material, almost continuously over sea and avoiding structures and thermal protection techno- sonic boom impact when flying over land. logies are addressed within ATLLAS (Aero- The proposed aircraft configuration A2 is Thermodynamic Loads on Lightweight shown in (03). The vehicle consists of a Advanced Structures) [3][6]. Both projects slender fuselage with a delta wing carrying incorporate preliminary designs of super- 4 engine nacelles positioned at roughly mid sonic and hypersonic cruisers with flight length. The vehicle is controlled by active Mach numbers ranging from Mach 3 to 8. fore-planes in pitch, an all moving fin in yaw Detailed discussions and related references and ailerons in roll. This configuration is de- about the different vehicle concepts includ- signed to have good supersonic and subsonic ing the revisiting of American concepts can lift/drag ratio and acceptable low speed han- be found in [2][3]. Here, only the presently dling qualities for take-off and landing. retained European vehicle concepts are The conceptual designs for a Mach 8 civil highlighted. transport aircraft within LAPCAT II are all A conceptually optimized Mach 3 flight vehi- based upon dual mode ramjet to achieve cle was configured in ATLLAS which allows these high cruise speeds. Still, as shown in countering the known lift drop at high (08), these preliminary design processes speeds by expanding the engine exhaust resulted so far in three quite different con- over an as wide area as possible. The analy- cepts: a TBCC design from ONERA/ULB/ sis indicated that venting the exhaust in the UNIROMA based on the PREPHA re-usable lee of the wing and base of the fuselage may [13][17], an axi-symmetric enable a supersonic aircraft with cruise ef- design from MBDA combining RB- & ficiency competitive with their subsonic ri- TBCC [14], and a TBCC based wave-rider HIGH-SPEED AIR TRAVEL 17

concept from ESA-ESTEC [15][16]. So far, the waverider concept has been put for- ward for an extensive ground-testing phase. The large database resulting from the ground tests and nose-to-tail computations for the different configurations shall finally result into the definition of a flight configuration. Meanwhile, a feasibility study, called HEXA FLY [18] has been initiated to assess different options of flight testing. The pro- ject aims to achieve a first maturation and a proof of concept to experimentally fly- test these radically new conceptual designs accompanied with several breakthrough 06 tech no logies on board of a high-speed M3 Configuration with fuselage and wing skins off (GDL) [12]. vehicle. This approach would increase Cyan: air flow path; blue: wing nozzle and thrust surfaces; red: fuel tanks; magenta: cabin. drastically the Technology Readiness Level (TRL) up to 6 (System demonstrated in relevant environment). The emerging technologies and break- through methodologies strongly depend- ing on experimental flight testing at high speed can be grouped around the 6 major axes of HEXAFLY: 1. High-Speed Vehicle Concepts to assess the overall vehicle performance in terms of cruise-efficiency, range potential, aero- propulsive balance, aero-thermal-struc- 07 tural integration, etc... LAPCAT A2 (REL): Mach 5 hydrogen based vehicle (top) 2. High-Speed Aerodynamics to assess e.g. com- with precooled turbofan-ramjet Scimitar engine. pressibility effects on transition, aerody- namic vehicle shapes with high L/D, stabil- ity, etc… 3. High-Speed Propulsion to evaluate the perfor- mances of high-speed propulsive devices such as intakes, air-breathing engines (ABE), nozzles (SERN) including phenom- ena such as high-speed combustion, injec- tion-mixing processes, etc… 4. High-Temperature Materials and Structures to flight test under realistic conditions high temperature lightweight materials, active/ passive cooling concepts, reusability as- pects in terms oxidation, fatigue, etc… 5. High-Speed Flight Control requiring real-time testing of GNC (Guidance Navigation Control) in combination with HMS/FDI technologies (Health Monitoring Systems/ Fault Detection and Isolation) 6. High-Speed Environmental Impact focusing on reduction techniques for sonic boom and sensitivities of high-altitude emissions of H20, CO2, NOx on the stratosphere. To mature this experimental flight testing, 08 a scientific mission profile will be defined Layouts of 3 remaining Mach 8 vehicle concepts: PREPHA derived vehicle from ONERA, Univ. of followed by a proof-of-concept based Brussels and Rome (top left), axi-symmetric design from MBDA (top right) and waverider based upon: design from ESA-ESTEC (bottom). 18 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

• a preliminary design of a high-speed existing European ground test facilities experimental flight vehicle covering the and state-of-the-art multi-dimensional 6 major axes and multi-physics numerical models. • selection and integration of the ground- The environmental issues entail not only the tested technologies developed within LAP- emissions of CO2 or NOx but also the effect CAT I & II, ATLLAS I & II , FAST20XX and of contrails, sonic boom and impacts on the other national programs stratosphere. Preliminary results indicate • identification of the most promising flight the feasibility of achieving fuel consump- platform(s) tion and emission rates reaching nearly the • allowing to address following items: same level as conventional aircrafts. • identification of potential technological barriers to be covered in a follow-up pro- 5. Conclusions ject • assessment of the overall ROM-costs to Hypersonic technology developments within work the project out in a follow-up pro- an European context have been revisited ject theoretically and on the basis of on-going • the progress and potential of technology EC projects LAPCAT and ATLLAS. Both development at a higher TRL. projects are complementary addressing The vehicle design will be the main driver the required technology development al- and challenge in this project. The prime lowing for hypersonic aircraft design and objectives of this experimental high-speed manufacturing i.e. aerothermodynamics, cruise vehicle shall aim for combustion, metallic and composite mate- • an integrated conceptual design demon- rials, conceptual vehicle design, numerical strating a combined propulsive and aero- tool development and validation… dynamic efficiency These projects aquire the needed knowledge • a positive aero-propulsive balance at a and technologies for a complete vehicle cruise Mach number of 7 to 8 in a con- design and to test and evaluate them ex- trolled way perimentally and numerically. The aim is • making optimal use of advanced high- to verify the feasibility of the concept to temperature materials and/or structures perform a complete mission including • an evaluation of the sonic boom impact by acceleration and cruise. In parallel, the en- deploying dedicated ground measurement vironmental impact in terms of NOx gen- equipment. eration, ozone depletion, sonic boom… are considered. 4. Critical technologies Preliminary concepts for Mach 3.5 and M4.5 demonstrated the possibility to cover a dis- Apart from providing the characteristics and tance beyond 10,000km based on kerosene. claimed performances of these vehicles, Switching to hydrogen allows extending also the required technologies to achieve this distance provided careful attention is these goals are gradually developed in- given to the propulsion cycle, the aerody- cluding the constraints imposed by the namics and the propulsion-airframe inte- environmental impact. The technologies gration. The particular Scimitar cycle address specific needs of: mounted onto the LAPCAT A2 makes an • advanced combined engine cycles able to antipodal flight possible at Mach 5 flight operate over a wide speed range; speed. Going beyond this speed has shown • the characterization of high-temperature so far that the integration aspect is of light-weight metallic, composite and ce- prime importance to achieve this range. A ramic materials; revisited classical design of Lockheed could • active and passive cooling systems for in- hardly get a 7,500km range at Mach 6 ternal and external thermally loaded com- based on hydrogen even after an intensive ponents; MDO-process. Innovative designs paying • different storable and cryogenic fuel types; attention to the multi-disciplinary inte- • multi-disciplinary and multi-physics opti- gration have a potential to get beyond mization tools and close to a 16,000km range at a Mach 8 • finally the need of experimental cam- flight speed. paigns at real flight conditions for valida- The different tools to cross-check or predict tion with respect to high-speed aero- the efficiencies of the vehicle, e.g. for pro- dynamics and combustion, designed by pulsion or aerodynamics, are gradually HIGH-SPEED AIR TRAVEL 19

References

put in place and verified to either dedicat- [1] Steelant J., ‘Sustained Hypersonic Flight ed basic or more applied experiments for in Europe: Technology Drivers for LAP- these disciplines. In the meantime, ad- CAT II’, 16th Int. Space Planes and Hy- vanced materials, cooling techniques and personic Systems and Technologies structural architectures are studied to Conference, October 19-22, 2009, Bre- cope with the high heat loads and temper- men, Germany, AIAA-2009-7206. atures encountered on particular spots on [2] Steelant J., ‘Sustained Hypersonic Flight the fuselage and the combustion chamber. in Europe: Mid-Term Technology Finally, the HEXAFLY project initiates now a Achievements for LAPCAT II’, 17th Int. feasibility study evaluating the complexi- Space Planes and Hypersonic Systems ties involved to experimentally fly-test and Technologies Conference, April 11- these radically new conceptual designs 14, 2011, San Francisco, USA, AIAA-2011- accompanied with several breakthrough 2243 technologies on board of a high-speed ve- [3] Steelant J., ‘Achievements obtained on hicle. If this could be followed up by a Aero-Thermally Loaded Materials for flight project, this would increase drasti- High-Speed Atmospheric Vehicles with- cally the Technology Readiness Level in ATLLAS’, 16th Int. Space Planes and (TRL) up to 6 (System demonstrated in Hypersonic Systems and Technologies relevant environment). • Johan Steelant Conference, October 19-22, 2009, Bre- men, Germany, AIAA-2009-7225. Acknowledgements [4] Starke J., Belmont J.-P., Longo J., Novelli Ph., Kordulla W.: ‘Some considerations The author strongly appreciates the inputs on Suborbital Flight in Europe’, AIAA received from all partners involved in the 2008-2525, 15th AIAA International ATLLAS and LAPCAT projects allowing Space Planes and Hypersonic Systems composing this overview work on hyper- and Technologies Conference, Dayton, sonic technology developments with EU April 28 – May 1st, 2008 co-funded projects. The work reported [5] http://www.esa.int/techresources/ here was a combined effort resulting from lapcat_II the [6] http://www.esa.int/techresources/atllas_II ‘Long-Term Advanced Propulsion Concepts and Tech- [7] http://www.esa.int/fast20xx nologies II’ project investigating high-speed trans- [8] N.N., ‘Premium Traffic Monitor’, IATA, port. LAPCAT II, coordinated by ESA-ESTEC, is August 2012 supported by the EU within the 7th Framework Pro- [9] Küchemann D., ‘The Aerodynamic De- gramme Theme7 Transport, Contract no.: ACP7- sign of Aircraft’, Pergamon Press, 1978. GA-2008-211485. Further info on LAPCAT II [10] Anderson J., ‘Introduction to Flight’, 4th can be found on http://www.esa.int/techresources/ ed. McGraw-Hill, 2000. lapcat_II, and [11] Penner J. E. et al., ‘Aviation and the ‘Aero-Thermodynamic Loads on Lightweight Advanced Global Atmosphere – A special report of Structures II’ project investigating high-speed trans- IPCC Working Groups I and III’, Cam- port. ATLLAS II, coordinated by ESA-ESTEC, is bridge University Press, 1999. supported by the EU within the 7th Framework Pro- [12] Cain T., Zanchetta M. and Walton C., gramme Theme 7 Transport, Contract no.: ACP0- ‘Aerodynamic Design of the ATLLAS GA-2010-263913. Further info on ATLLAS II can Mach 3 Transport’, CEAS 2009 European be found on http://www..esa.int/techresources/atllas_ Air and Space Conference, Manchester, II. UK, 2009. ‘High-Speed Experimental Fly Vehicles’ project inves- [13] Serre L., Defoort S., ‘LAPCAT-II: towards tigating the feasibility of flight experiments for civil a Mach 8 civil aircraft concept, using ad- high-speed transport. HEXAFLY, coordinated by vanced Rocket/Dual-mode ramjet pro- ESA-ESTEC, is supported by the EU within the 7th pulsion system’, 16th Int. Space Planes Framework Programme Theme 7 Transport, Contract and Hypersonic Systems and Technolo- no.: ACP0-GA-2012-321495. Further info on gies Conference, Oct. 19-22, 2009, Bre- HEXAFLY can be found on http://www.esa.int/ men, Germany, AIAA-2009-7328 techresources/hexafly. [14] Falempin F., Bouchez M., Perrillat V., ‘LAPCAT 2 – Axisymmetric Concept for a Mach 8 Cruiser – Preliminary Design 20 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

and Performance Assessment’, 16th Int. personic Vehicles’, Space Propulsion Space Planes and Hypersonic Systems 2010, San Sebastian, Spain, 3-6 May 2010 and Technologies Conference, Oct. 19- [17] Defoort S., Ferrier M., Pastre J.L., Du- 22, 2009, Bremen, Germany, AIAA-2009- veau P., Serre L., Scherrer D., Paridaens 7437. C., Hendrick P., Ingenito A., Bruno C., [15] Murray N. and Steelant, J., ‘Methodolo- ‘LAPCAT II : conceptual design of a gies involved in the Design of LAPCAT- Mach 8 TBCC civil aircraft, enforced by MR1: a Hypersonic Cruise Passenger Ve- full Navier-Stokes 3D nose-to-tail com- hicle’, 16th Int. Space Planes and putation’, 17th AIAA Int. Space Planes Hypers onic Systems and Technologies and Hypersonic Systems and Technolo- Conference, Oct. 19-22, 2009, Bremen, gies Conference, April 11-14, 2011, San Germany, AIAA-2009-7399. Francisco, USA, AIAA-2011-2137. [16] Murray N., Steelant J. and Mack A. ‘De- [18] http://www.esa.int/techresources/ sign Evolution for Highly Integrated Hy- hexafly

THE AUTHOR Dr ir Johan Steelant

Senior Fluid Dynamics Engineer, active in the Section of Aerothermodynamics and Propulsion Analysis at the technology Center ESTEC of the . Johan Steelant graduated in 1989 from the University of Ghent, Belgium as a mechanical engineer and in 1990 from the University of Brussels as an aerospace engineer. He got his PhD at the Department of Flow, Heat and Combustion at the University of Ghent, Belgium, in the field of transition modelling in aero-engines. Since 1998, he’s active at the European Space Research and Technology Centre ESTEC at Noordwijk, the Netherlands. His main interests are numerical simulations of multi-physical phenomena related to conventional and advanced launcher and spacecraft propulsion units. This comprises both solid and liquid propulsion systems, as well as ram- based airbreathing engines. Presently he’s coordinating the EC co-funded projects ATLLAS, LAPCAT and HEXAFLY. He’s also teaching at the University of Leuven (Belgium) on Spacecraft Technology and Space Environment.

Contact Aerothermodynamics and Propulsion Analysis Section (TEC-MPA) ESTEC-ESA, Keplerlaan 1, P.O. Box 299, 220 AG Noordwijk, The Netherlands Tel. +31/71/565-5552, Fax +31/71/565-5421 E-Mail: [email protected] 22 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Neuartige Flugzeugkonzepte für die Energie- und Umwelt- szenarien der Zukunft

Innerhalb der letzten 100 Jahre haben sich der Verkehr und der Transport mit Luftfahrzeugen rasant entwickelt. Die ursprüng- lichen Anforderungen an die Transportflugzeuge beschränkten sich bislang auf die Weiterentwick- lung der klassischen Flugleistun- gen wie Transportkapazität, Reich- weite und Reisegeschwindigkeit bzw. Reise-Mach-Zahl. Im Laufe der Zeit wurde die Transport- kapazität ständig vergrößert, da größere Flugzeuge generell wirtschaft licher betrieben werden können. Dies gipfelte in der Entwicklung des Großraumflug- zeuges A380 von Airbus mit 0X einem Transportvermögen von über 500 Passagieren. Nicht nur die Kapazität der einzelnen Luftfahrzeuge, sondern auch die Anzahl der Flugzeuge hat sich gewaltig erhöht, so dass heutzutage über 18.000 Transportflugzeuge weltweit betrieben werden. Ein stetiges Wachstum um circa fünf Prozent pro Jahr in den letzten Jahren sowie die fortschreitende Globalisierung lassen erwarten, dass dieses Wachstum sich wohl gleichermaßen fortsetzen wird. NEUARTIGE FLUGZEUGKONZEPTE 23

1. EINLEITUNG ZUSAMMENFASSUNG

Diese Entwicklung ist zwangsläufig verbun- Die Anforderungen bezüglich einer größeren Leistungsfähigkeit bei gleichzeitiger Steige- den mit einer entsprechenden Steigerung rung der Effektivität sind in der allgemeinen Luftfahrt und insbesondere im Lufttransport- des Treibstoffverbrauches (01) sowie einer wesen weltweit rasant gewachsen. Dabei kommen der Energieeffizienz und der Umwelt- Zunahme der Umweltbelastung und er- verträglichkeit besondere Bedeutung zu. Einige der in mehreren europäischen Programmen zeugt damit einen nicht mehr zu vernach- entwickelten Konzept-Studien zur Erreichung dieser Ziele werden in diesem Beitrag vor- lässigenden Beitrag des Luftverkehrs am gestellt. Vor allem im Bereich der Leichtflugzeuge können dabei in Zukunft neuartige Kon- Klimawandel. zepte mit elektrischen oder hybriden Antrieben stärkeres Gewicht erhalten. Das Institut für Abgesehen davon erfolgte innerhalb der Flugzeugbau der Universität Stuttgart hat hier mit den erfolgreichen Entwicklungen von letzten zehn Jahre eine Vervierfachung des icaré und E-Genius bereits Maßstäbe gesetzt. Treibstoffpreises und ein Ende der Verfüg- barkeit der fossilen Brennstoffe zeichnet sich langfristig ab. Um diesen Herausforde- rungen zu begegnen hat sich in Europa die im Jahr 2000 gegründete ACARE-Group (Advisory Council for Aeronautics Re- search in Europe) [1] zur Aufgabe gesetzt, für die zukünftige Luftfahrt-Forschung strategische Empfehlungen und Ziele zu formulieren. Die Ziele für die Verringe- rung der Umweltbelastung bis 2020 lauten: • Reduktion des Treibstoffverbrauchs und der CO2 Emissionen um 50 Prozent; • Reduktion der NOx Emissionen um 80 Prozent; • Reduktion des Außenlärms um 50 Pro- zent. Die Ziele sollen erreicht werden bei gleich- zeitiger Steigerung der Sicherheit durch Reduzierung der Unfallrate um 80 Prozent 01 unter Erhalt der Gesamtsystem-Effizienz Ölpreisentwicklung seit 1960. und Qua lität. Diese Vorgaben beeinflussten maßgeblich so- Jahre nur um ca. fünf Prozent. Ein ver- wohl das nationale deutsche Luftfahrtfor- gleichbarer Zuwachs im Individualluftver- schungsprogramm (LUFO I-IV) sowie kehr in ähnlicher Größenordnung wie im auch die europäischen Verbundprogram- Lufttransportwesen ist deshalb bei weitem me innerhalb der Forschungsrahmenpro- nicht zu erwarten. Vor allem die Forde- gramme 5 und 6 der Europäischen Union rungen nach leiseren und wirtschaftliche- (FP 5 und FP 6). Im Folgenden sollen eini- ren Flugzeugen, verbunden mit leichterer ge der neuartigen Konfigurationen vorge- Bedienbarkeit und erhöhter Sicherheit stellt werden, die geeignet sind, diese Ziele sind die Herausforderungen für diese Luft- zu erreichen. fahrtsparte. Im zweiten Teil des Beitrags Auch innerhalb der sogenannten Allgemei- sollen zukünftige Konfigurationen vorge- nen Luftfahrt (General Aviation, GA), die stellt werden, die sich den Herausforde- den gesamten Individual- und Geschäfts- rungen in diesem Bereich stellen. Insbe- reiseluftverkehr repräsentiert, zeichnet sondere Luftfahrzeuge mit alternativen sich ein Paradigmen-Wechsel ab. Weltweit Antriebskonzepten wie Elektroantrieb existieren nach Schätzungen der General bzw. Hybrid-Antrieb sind hier zu nennen. Aviation Manufacturer Association (GAMA) ca. 320.000 Flugzeuge der Allge- 2. NEUARTIGE KONZEPTE FÜR meinen Luftfahrt. Dazu zählen Segelflug- ZUKÜNFTIGE TRANSPORT- zeuge, Motorsegler, Ultraleicht- und Ge- FLUGZEUGE schäftsreiseflugzeuge bis hin zu privaten 2.1 Einleitung Business-Jets. Diese Zahl stagnierte weitge- hend in den letzten Jahren. In Deutsch- Durch die eingangs erwähnten Ziele und land beispielsweise wuchs die Anzahl der Strategien der ACARE-Group wurde u.a. GA-Flugzeuge innerhalb der letzten zehn auch das EU-Verbundvorhaben NACRE 24 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

(New Aircraft Concepts Research) [2] an- zukünftige Luftfahrzeuge zu setzen. Damit geregt. Das Forschungsvorhaben wurde sollten die strengen Umweltforderungen zwischen 2005 und 2010 bearbeitet. Das bei gleichzeitiger Verbesserung von Qua- Konsortium unter Führung von Airbus lität, Sicherheit und Effizienz erfüllt wer- bestand aus 36 Partnern aus 13 europäi- den. Damit konnte eine Vision für die schen Ländern. Forschungsinhalt waren globale Effizienz und Ökologie des zukünf- die Untersuchung von neuartigen Flug- tigen Lufttransportsystems entstehen. Das zeugkonzepten und neuartigen Techno- Institut für Flugzeugbau, Bereich Flugzeu- logien wie Hochauftriebskonzepte, neu- gentwurf, war an einem der Teilprojekte artige Triebwerksintegrationskonzepte des Vorhabens maßgeblich beteiligt [4].

2.2 Das „Pro Green Aircraft“- Konzept

Für dieses generische Flugzeugkonzept wur- de festgelegt, dass die Umweltforderun- gen, wie sie in ACARE definiert worden waren, die erste Priorität für den Entwurf einnehmen sollten. Das heißt, dass be- wusst Nachteile bezüglich der „klassi- schen“ Flugleistungen in Kauf genommen wurden, um konsequent den Entwurf hin- sichtlich der Umweltfreundlichkeit zu op- timieren. Vor allem die Forderungen nach Lärmreduzierung beeinflussten hier die Entwurfsüberlegungen entscheidend. Die ungewöhnliche Anordnung der Triebwer- ke hinten am Rumpf oberhalb des U-för- 02 migen Leitwerkes dient der Abschattung Das „Pro Green Aircraft“-Konzept. des Triebwerkslärms nach unten (02). Weiterhin wurde innerhalb eines Teilpro- sowie innovative Rumpftechnologien, um jektes die Integration eines sogenannten die ACARE- Ziele zu erreichen. Als Ge- „Gegenläufigen Open-Rotor-Systems“ un- samt-Konzepte wurden drei generische tersucht, das ein hohes Potenzial an Treib- Modelle untersucht: stoffeinsparung verspricht. • a) Das „ Pro Green Aircraft“ Konzept, das Die Lärmabschattung konnte durch Wind- in erster Priorität nach Umweltanforde- kanal-Lärmtests bestätigt werden. Nachteil rungen ausgelegt war. dieser Triebwerksanordnung ist allerdings • b) Das „Passenger-Driven Flying Wing“ die Zulassungsforderung des Nachweises Konzept. Hierbei handelt es sich um ein für einen Rotorscheibenbruch. extrem großes und komfortables Trans- Auch der Entwurf des Flügels wurde nach portflugzeug, das in der Planung sogar strengen Umweltforderungen optimiert. größer als der A 380 ausgelegt war. So wurde beispielsweise eine Reduzierung • c) Das „Simply Flying Bus“ Konzept. Hier der Reisegeschwindigkeit auf Ma=0,76 ak- wurde die erste Priorität ausschließlich auf zeptiert, um damit auf die Flügelpfeilung die Kostenfrage gelegt. verzichten zu können. Ein ungepfeilter Es ging nicht darum, eines dieser Konzepte Flügel kann bei den herrschenden Re- und vor den anderen zu favorisieren, aber es Mach-Zahlen als Laminarflügel gestaltet sollten unter spezifischen Vorgaben Lö- werden und bietet somit ein großes Po- sungen auf einem generischen Kompo- tenzial an Widerstandsreduzierung. Auch nenten-Level entwickelt und bewertet lässt sich Gewicht einsparen bei Einsatz werden, die dann in zukünftige Konfigura- eines ungepfeilten Flügels. Weitere tionen einfließen können. Für jedes dieser Bestandteile des Teilvorhabens waren Flugzeugkonzepte wurden alle Aspekte schließ lich die Optimierung des Pfeilwin- multidisziplinär untersucht und optimiert kels, der Flügeldicke sowie Design-Studien wie beispielsweise Aerodynamik, Materia- über Hochauftriebssysteme, die wenig lien, Struktur, Triebwerke und Systeme, Lärm verursachen. Im Landeanflug ist eine jeweils mit dem Ziel, neue Standards für der Hauptlärmquellen das ausgefahrene NEUARTIGE FLUGZEUGKONZEPTE 25

Hochauftriebs-Klappensystem. Eine Re- eines Ruders). Auch wurde die Flügel- duzierung des Widerstandes um circa 38 Rumpf-Verbindung auf mögliche Verein- „Drag Counts“ konnte erzielt werden. Ins- fachungen oder Einsparungen in der gesamt konnte nachgewiesen werden, dass Struktur hin untersucht. Weitere Themen dieses Konzept ein großes Potenzial auf- waren eine vereinfachte und kostenspa- weist, die eingangs geforderten Umwelt- rende Triebwerksaufhängung sowie ein bedingungen bestmöglich zu erfüllen, einfacheres Umkehrschubsystem. Es ge- wenn auch mit dem Nachteil der gerin- lang durch verschiedene Ansätze für die geren Flug-Machzahl bzw. Reisegeschwin- Vereinfachung der Rumpfstruktur und digkeit im Vergleich zu existierenden des Montagekonzeptes geeignete Spar- Transportflugzeugen. potenziale aufzuzeigen.

2.3 Das „Payload Driven Aircraft“- 2.5 Beitrag des IFB Konzept innerhalb NACRE

Dieses Flugzeugkonzept bezieht sich auf Den Traum vom sauberen, Flugzeuge, die zukünftig noch mehr Nutz- leisen und billigen Flug- lastkapazität zur Verfügung stellen als der zeug Wirklichkeit werden heutige A380. Als Basis-Konfiguration zu lassen, ist auch das Ziel wurde die sogenannte VELA-Konfigura- des europäischen Projekts tion verwendet, die innerhalb eines frühe- NACRE (New Aircraft ren EU-Projektes erarbeitet wurde (03). Concepts Research). In- Die Erkenntnis, dass bei gleicher Trans- nerhalb dieses Projektes portkapazität im Reiseflug der Nurflügler war das Institut für Flug- die geringste bespülte Oberfläche und so- zeugbau (IFB) maßgeblich mit geringen Widerstand aufweist, ist die an der Entwicklung der Hauptmotivation für solche Konfiguratio- sogenannten „Innovative nen. Demgegenüber gilt es viele techni- Evaluation Platform“ be- sche Herausforderungen zu lösen wie bei- teiligt (04). Hierbei han- 03a spielsweise die Evakuierung des riesigen delt sich um ein verklei- Rumpfes im Notfall, der Entwurf eines nertes generisches Modell geeigneten Hochauftriebssystems sowie die einer zukünftigen Flug- Gestaltung der Kabine/Druckkabine für zeugkonfiguration, das den flachen Rumpfquerschnitt. Diese Teil- modular aufgebaut und aufgaben wurden bearbeitet und es konnte ausgerüstet mit Messein- dabei die grundsätzliche Machbarkeit des richtungen dazu geeignet Konzeptes nachgewiesen werden. ist, im Freiflug-Versuch neuartige Konfigurationen 2.4 Das „Simply Flying Bus“- hinsichtlich ihrer Flug- Konzept eigenschaften zu untersu- chen. Ebenso sollte diese Als dritte generische Variante wurde das Messplattform beispiels- „Simply Flying Bus“ Konzept untersucht. weise für Lärmmessungen Den Hintergrund für dieses Konzept stellt eingesetzt werden. Die ge- die Tatsache dar, dass es zwar zahlreiche messenen Daten können Billigfluggesellschaften gibt, aber keine dann unter Berücksichti- Transportflugzeuge, die konsequent auf gung der Modellgesetze billiges Fliegen hin optimiert sind. Das be- auf die Groß-Version über- 03b deutet, dass man bei diesem Konzept die tragen werden. Das „Passenger-Driven Flying Kosten als oberste Priorität für den Ent- Zusammengefasst konnte Wing“-Konzept. wurf vorsah, durchaus unter Akzeptanz durch das Forschungsvor- von sonstigen Nachteilen wie geringerer haben NACRE dargestellt Geschwindigkeit oder weniger Komfort. werden, welche Design- Die untersuchte Basiskonfiguration hatte Merkmale geeignet sind, ein V-Leitwerk-Design. V-Leitwerke sind die zukünftigen hohen bei Verkehrsflugzeugen nicht vorzufinden Anforderungen bezüglich vor allem aus Zulassungsgründen (Nach- Umweltschutz, Ökologie weis der Funktionstüchtigkeit bei Ausfall und Sicherheit zu erfüllen. 26 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Das muss nicht be- lich zu betreibenden Flugzeugen der All- deuten, dass tatsäch- gemeinen Luftfahrt erfordern neue lich exakt eine dieser Technologien und Konzepte um diese Ka- untersuchten Konfi- tegorie von Luftfahrzeugen auch in Zu- gurationen als zu- kunft betreiben zu können. Dieser Indus- künftiges Serienpro- riezweig hat einen schweren Stand dukt vollständig bezüglich der Realisierung von Innovatio- verwirklicht werden nen. Das liegt u.a. an dem kleinen Markt kann. Aber es wurde für Leichtflugzeuge und den damit ver- deutlich, dass es un- bundenen kleinen Stückzahlen. Weiterhin konventioneller Ent- muss ein neu entwickeltes Luftfahrzeug würfe bedarf, um die eine aufwändige und kostspielige Muster- o.g. Anforderungen zulassung entsprechend der jeweils gülti- zu erfüllen. Einzelne gen Bauvorschrift absolvieren. Für die Ent- Merkmale der unter- wicklung neuer Technologien müssten suchten Technologi- somit hohe Summen investiert werden, en werden sicherlich die umgelegt auf die geringen Stückzahlen 04 in den Entwurf zu- zu hohen Stückpreisen führen. Die Kun- Die „Innovative Evaluation Platform künftiger Transport- den verhalten sich weitgehend „konserva- (NACRE IEP)“. flugzeuge einfließen. tiv“ und setzen bei Neuanschaffungen lie- ber auf so genannte „bewährte Produkte“. 3. NEUARTIGE KONZEPTE FÜR Das hat zur Folge, dass Hersteller das Risi- ZUKÜNFTIGE FLUGZEUGE DER ko scheuen, eine Neuentwicklung anzuge- ALLGEMEINEN LUFTFAHRT hen. So gibt es viele Flugzeuge am Markt, (GENERAL AVIATION, GA) die zwar bewährt, aber technisch, wirt- 3.1 Einleitung schaftlich und vor allem ökologisch völlig veraltet sind. Lediglich aufgrund der Ein- Die strategischen Ziele der ACARE Group führung der Faserverbundbauweise für GA waren für Transportflugzeuge gedacht. Je- Flugzeuge und der damit verbundenen doch müssen sich GA-Flugzeuge ähnli- Anwendung von Laminarprofilen für Mo- chen Herausforderungen stellen. Im Jahr torflugzeuge wurden durch die nun mög- 2009 verpflichtete sich das International lich gewordene aerodynamischere Gestal- Business Aviation Council zu folgenden tung der Oberflächen Fortschritte beim Zielen für die Emissions-Reduzierung [4]: Luftwiderstand und damit auch Treibstoff- • CO2 neutrales Wachstum bis 2020; einsparungen erzielt. • Verbesserung der Treibstoffeffizienz um Weiterhin wurden durch Einführung mo- zwei Prozent pro Jahr von 2010 bis 2020; derner GPS basierter Avionik-Systeme, • Reduktion der gesamten CO2 Emissionen verbunden mit „Bildschirm-Cockpits“, Er- um 50 Prozent bis 2050 relativ zu 2005. leichterungen und damit mehr Sicherheit Außerdem verpflichteten sich die GA-Her- für die Bedienung der Navigationsinstru- steller bei der International Civil Aviation mente erzielt. Die Entwicklungen moder- Organization (ICAO) auf die Etablierung ner Flugzeugmotoren, die sich an der von CO2 Standards für Neuflugzeuge bis Technologie moderner Automobilmoto- 2013. ren orientierten, scheiterten bislang meist Weiterhin arbeitet eine AVGAS-Arbeitsgrup- ebenfalls an den aufwändigen Zulassungs- pe an der Entwicklung von unverbleitem prozeduren und den geringen Stückzah- Flugbenzin als Ersatz für das weltweit ge- len im Flugzeugbau. Innerhalb der letzten bräuchliche AVGAS 100LL. Diese von den zehn Jahre wurden einige vielversprechen- USA getriebenen Ziele beinhalten aller- de Diesel-Luftfahrtmotoren auf der Basis dings keine Lärmvorgaben für die Zu- von Automobiltechnologie entwickelt kunft. Im Gegensatz zu den USA sind je- (Thielert, Austro-Engine). Diese für den doch Lärmreduzierungen ein Luftfahrteinsatz prädestinierten Motoren überlebensnotwendiges Ziel für die GA in stehen aber erst am Anfang ihres Praxis- Europa. Bezüglich der o.g. Ziele gab es in einsatzes und leiden noch unter „Kinder- den letzten Jahrzehnten nur geringfügige krankheiten“ und niederen zugelassenen Fortschritte innerhalb der GA. Die immer Betriebszeiten. stärkeren Forderungen nach umwelt- Eine Ausnahme bildet die Klasse der Segel- freundlichen, ökologisch und wirtschaft- flugzeuge und der Ultraleichtflugzeuge. NEUARTIGE FLUGZEUGKONZEPTE 27

05 06 (05) Elektrosegelflugzeug ANTA- RES 20 E. Mit dem Einsatz von Faserverbund-Werk- Im Folgenden sollen Forschungsarbeiten am stoffen, neuen Technologien und eines Institut für Flugzeugbau vorgestellt wer- (06) Elektroflugzeug ELEKTRA konsequenten Leichtbaus hat dieser Markt den, die für die Weiterentwicklung des ONE. mittlerweile eine große Anzahl an moder- Elektrofluges erfolgversprechend sind. nen und ausgereiften Flugzeugen zu bie- ten. Dies liegt nicht zuletzt auch an dem 3.2 Neuartige Flugzeug-Konzepte vergleichsweise eher moderaten Zulas- für den Elektroflug sungsaufwand für diese Kategorien. Hier sind vor allem die Forschungseinrich- Das Forschungsthema Fliegen mit alter- tungen und Hochschulen gefordert, um nativen Antrieben bzw. elektrischen An- die benötigten Technologien zu erfor- trieben wurde bereits 1994 mit der Ent- schen, da die meist mittelständischen Fir- wicklung des Solarflugzeuges icaré am men der Allgemeinen Luftfahrt dies allei- Institut für Flugzeugbau begründet (07) . ne nicht leisten können. Es konnte damit die Machbarkeit eines Eine sprunghafte Verbesserung der Umwelt- alltagstauglichen Solarflugzeuges gezeigt eigenschaften sowie der Wirtschaftlichkeit und im Jahr 1996 der damals mit lässt sich bei der GA nur erzielen durch 100.000 DM dotierte Berblinger Preis der neuartige Konfigurationen verbunden mit Stadt Ulm gewonnen werden. alternativen Antriebskonzepten. Dabei zei- gen einige Prototypen und Versuchsträger, dass in der Verwendung elektrischer An- triebsysteme, jeweils gut integriert in da- für optimierte Flugzeugkonfigurationen, ein großes Verbesserungspotenzial steckt. Als Energieversorgungssystem kommen dabei Brennstoffzellen, Hochleistungs- Lithium Batterien sowie hybride Systeme zum Einsatz. Das erste zugelassene und in Serienproduktion gefertigte elektrisch betriebene Flugzeug ist die Antares 20E von Lange Aviation GmbH (05), ein Segel- flugzeug mit elektrischem Hilfsantrieb mit 42 KW Eingangsleistung. Das Batteriesys- tem des Antares 20E basiert auf Li-Ionen Zellen von Saft Batteries. Die Energiedich- te der Zellen beträgt 136 Wh/kg. Weitere Flugzeugprojekte, die für den Betrieb mit einem elektrischen Antriebssystem aus- gestattet wurden, sind die ELEKTRA ONE 07 von PC Aero (06) und die Electra Flyer-X Das Solarflugzeug icaré der Universi- der Electric Aircraft Corporation USA. tät Stuttgart. 28 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Die Erprobung dieses Flugzeuges in den fol- Flugzeug speziell für den Elektroflug genden Jahren zeigte ein großes Potenzial entwickelt und optimiert wurde. Nur da- auch für zukünftige Elektro-Flugzeuge. durch ist es möglich, die Vorteile des Elek- Bedingt durch die geringe verfügbare troantriebes zu nutzen und den Nach- Leistung und die eingeschränkte Ver- teilen mit entsprechenden konstruktiven fügbarkeit von Solarenergie entstand 2006 Maßnahmen zu begegnen. Entwurfsstu- der Entwurf für ein zweisitziges Brenn- dien, die im Rahmen des Projektes durch- stoffzellen-Reiseflugzeug, Hydrogenius. geführt wurden, haben gezeigt, dass die Das Ziel war ein zukunftsweisendes, um- Umrüstung einer konventionellen Flug- weltfreundliches und wirtschaftliches zeugkonfiguration auf Elektroantrieb eine Reiseflugzeug zu schaffen. Mit diesem etwa 15 bis 20 Prozent schlechtere Energie- Projektentwurf konnte wiederholt der effizienz aufweist als das Konzept e-Ge- Berb lin ger preis gewonnen werden. Da die nius. E-Genius repräsentiert somit einen vorgesehene Brennstoffzelle vom Her- kompromisslosen Ansatz, umweltfreund- steller für Luftfahrtanwendungen jedoch liches und wirtschaftliches Fliegen mit nicht zur Verfügung gestellt werden dem heutigen Stand der Technologie zu konnte, wurde das Projekt mit Lithium- realisieren. Die Erprobung von e-Genius Ionen Batterien als Energieversorgungs- bestätigte das Konzept und liefert wichtige system realisiert und konsequenter Weise Erkenntnisse für angedachte zukünftige in e-Genius umbenannt [5]. Serienprodukte. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist es auch, mögliche Unzuläng- lichkeiten und Schwächen zu ermitteln, um diese bei zukünftigen Serienprodukten vermeiden zu können. Ein weiterer wich- tiger Beitrag besteht in der Erarbeitung der Zulassungsgrundlagen und der Durchfüh- rung exemplarischer Zulassungen dieser neuartigen Fluggeräte gemeinsam mit den Luftfahrtbehörden. Besonders hervorzuheben sind die geringen Energiekosten für die in Batterien gespei- cherte Energie. Bei einem angenommenen Strompreis von 0,22 Euro/kWh ergibt sich 08 für eine „Tankfüllung“ des e-Genius (bei Das Elektroflugzeug e-Genius der 100prozentiger Entladung der Batterien) Universität Stuttgart. eine Summe von 12,32 Euro. Damit kann Die wesentliche Bedeutung von e-Genius e-Genius bis zu vier Stunden und ca. 500 (08) besteht darin, dass nicht ein vorhan- Kilometer weit fliegen. Das entspricht 2,45 denes Flugzeug auf Elektroantrieb um- Euro pro Stunde Energiekosten (09). Sehr gerüstet wurde, sondern vielmehr das eindrucksvoll zeigt sich die Wirtschaftlich-

09 10 Energieverbrauch und Kosten von zweisitzigen Reiseflugzeugen. Flugleistungen e-Genius. NEUARTIGE FLUGZEUGKONZEPTE 29

keit von e-Genius, wenn man den auf die Sulfur-Batterien) innerhalb der nächsten Strecke und die Zahl der Passagiere bezo- Dekade erscheint realistisch. Dem Nachteil genen Energieverbrauch betrachtet: Es er- der geringen Reichweite bei hohen Reise- gibt ein Energieäquivalent von ca. 0,6 Liter geschwindigkeiten lässt sich mittelfristig Treibstoff pro 100 Kilometer und pro Pas- wie auch bei den Automobilen durch sagier bei einer Reisegeschwindigkeit von Hybrid-Lösungen begegnen. Bei einem mit 170 km/h. Der Energieverbrauch liegt seriellem Hybrid-Antrieb ausgestatteten somit um ca. 80 Prozent geringer als bei Flugzeug lässt sich der Primär-Elektro- einem konventionellen Reiseflugzeug antrieb wahlweise durch einen Verbren- (10). In der drastischen Energieeinsparung nungsmotor mit nachgeschaltetem Gene- liegt der wesentliche Nutzen des Elektro- rator betreiben. Damit könnten der Start fluges. Die Umweltfreundlichkeit und der und die Landung auf lärmsensiblen Flug- geringe Lärm kommen als willkommene plätzen und der Steigflug auf Reisehöhe Zugabe hinzu. Die Leistungsfähigkeit von leise und umweltfreundlich mittels Batte- e-Genius konnte unter Wettbewerbsbedin- rie erfolgen. Im Reiseflug übernimmt der gungen eindrucksvoll nachgewiesen wer- Hybrid-Antrieb die Energieversorgung. den durch den Gewinn des Lindbergh Vor allem im Bereich der sogenannten Electric Aircraft Prize 2011 und den 2. Platz Sportfliegerei lässt sich das rein elektrische, im NASA/CAFE Green Flight Challenge umweltfreundliche, wirtschaftliche Flie- 2011 in Santa Rosa, Kalifornien. gen gut verwirklichen. Die Flugstatistiken

Li-S vc. Other Cell Chemistries

11 12 Spezifische Dichte verschiedener Batterie-Systeme. Zukunftsvisionen für den Elektroflug.

3.3 Fazit Hochleistungsflugzeug Hydrogenius / e-Genius (180 km/h Reisegeschwindigkeit) Somit stellt e-Genius einen Vorläufer für eine zukünftige Generation von elektrisch Heute getriebenen, umweltfreundlichen und • 220 Wh/kg Energiedichte (Li-Io-Batterien) ökologischen Serienflugzeugen dar. Nach- • 200 kg Brennstoffzellensystem teil der heutigen Elektroflugzeuge ist vor allem die noch niedrige Energiedichte der Ausblick 2015 eingesetzten Batterien. Für e-Genius ka- • 360 Wh/kg Energiedichte (Li-S-Batterien) men Lithium-Ionen Batterien mit einer • 140 kg Brennstoffzellensystem spezifischen Energie von 220 Wh/kg (be- zogen auf die Einzelzelle) zur Anwendung. 2010 2015 Flugbenzin hat im Vergleich dazu eine Energiedichte von ca. 12.000 Wh/kg. Der Batteriesystem 400 km 700 km vorausgesagte Gradient der Batterieverbes- serungen ist jedoch sehr hoch, getrieben Brennstoffzellensystem 700 km 800 km durch die Entwicklung der Elektroauto- mobile (11). Eine Steigerung der Energie- Hybridsystem >1200 km >1500 km dichte auf 400 bis 600 Wh/kg (Lithium- 30 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

DER AUTOR zeigen, dass in diesem Flugsegment meist größere Pausen zwischen den einzelnen Prof. Dipl.-Ing. Flügen liegen und diese Flugzeuge ver- Rudolf Voit-Nitschmann mehrt am Wochenende betrieben werden. Dadurch ist es möglich, beispielsweise mit wurde 1950 in Eisenach geboren. Nach dem Studium Solardächern auf den Flugzeughangars die der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Batterien in den Zwischenzeiten wieder Stuttgart bekleidete er verschiedene leitende Positio- aufzuladen und somit das Fliegen mit rein nen in der Luftfahrtindustrie. Während seiner lang- regenerativen Energien zumindest im Frei- jährigen Industriekarriere arbeitete er in der Ent- zeitbereich zu 100 Prozent zu erzielen wicklung von Leichtflugzeugen (Speed Canard, (12). Nicht nur für die G.A., auch für Euro trainer, Solarflugzeug icaré, Elektroflugzeug Drohnen und Hochfliegende Plattformen, e-Genius) und komplexen Transportflugzeugen wie die zukünftig zumindest teilweise Auf- beispielsweise Dornier 328 und A 600 ST Beluga. gaben erfüllen sollen, die heutzutage mit Zuletzt war er als Hauptabteilungsleiter Struktur- Hilfe von kostspieligen Satelliten im Welt- entwicklung bei der Dornier Luftfahrt GmbH in raum erledigt werden (Beobachtungsauf- Friedrichshafen und Oberpfaffenhofen tätig. Der Ruf gaben, Telekommunikation u.ä.), wird die auf die Professur am Institut für Flugzeugbau der erforschte Technologie des Elektrofluges Universität Stuttgart erfolgte 1994. Sein Haupt- große kommerzielle Bedeutung erlangen. interesse in der Forschung liegt auf den Gebieten Entwurf von Flugzeugen, insbesondere Entwurf von 4. LITERATUR unkonventionellen Konfigurationen und Elektroflug- zeugen. Weiterhin ist er unternehmerisch aktiv als • [1] ACARE Group, meeting society‘s needs and win- Gründer und Geschäftsführer der Steinbeis Flugzeug- ning global leadership, 2001 und Leichtbau GmbH, Stuttgart (www.SFL-GmbH. • [2] NACRE, 2 nd Workshop, New Aircraft Con- de), die Dienstleistungen für die Luftfahrtindustrie cepts, University of Greenwich, July 2008 anbietet. • [3] P. Schmollgruber, J.-L. Gobert, Z. Goraj, H.W. Jentik, A.Näs, R. Voit-Nitschmann, An innovative evaluation platform for new aircraft concepts, THE Kontakt AERONAUTICAL JOUNAL, July 2010, Volume Universität Stuttgart, Institut für Flugzeugbau 114 No 1157 Pfaffenwaldring 31 • [4] General Aviation Manufacturers Association D–70550 Stuttgart (GAMA), General Aviation- Statistical Databook Tel. +49 (0) 711/685-62770 & Outlook 2010 Fax +49 (0) 711/685-62065 • [5] R. Voit-Nitschmann, Len Schumann, Steffen E-Mail: [email protected] Geinitz, Das Elektroflugzeug e-Genius, Teilnehmer Internet: www.ifb.uni-stuttgart.de am Berblinger Flugwettbewerb 2011 der Stadt Ulm, IFB 2011 32 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Simulation auf Höchst- leistungsrechnern in der Luft- und Raumfahrt

Simulation ist neben der Logik und dem Experiment die dritte Säule der Forschung. Sie erlaubt es, Prozesse und Modelle zu un- tersuchen, die sich dem Experi- ment entweder ganz entziehen oder die durch das Experiment nur unzureichend oder gar nicht untersucht werden können. Damit wird die Simulation auch zu einer Schlüsseltechnologie für die Luft- und Raumfahrt.

1. Einleitung In diesem Beitrag werden wir zunächst die Grundlagen der Simulation in der Luft- Simulation baut auf mehreren Säulen auf. und Raumfahrt deutlich machen und an- Zunächst basiert sie auf mathematischen schließend anhand zweier Beispiele zeigen, Modellen und Konzepten, die es erlauben, wie die Simulation einen wertvollen Bei- physikalische Vorgänge so zu modellieren, trag zur Forschung und Entwicklung leis- dass sie einer mathematischen Berech- ten kann. So führt uns der Bogen von der nung überhaupt zugänglich werden. Was Modellierung durch die Mathematik bis nicht mathematisch sauber und stringent zu Anwendungsfällen, die nur durch Si- formuliert werden kann, kann auch mit mulation gelöst werden können. dem schnellsten Rechner nicht zu tragfä- higen Ergebnissen geführt werden. Der 2. Mathematische Grundlagen Rechner – und hier insbesondere der der Simulation Höchstleistungsrechner – ist aber das not- wendige Werkzeug, um das Potential der Strömungen spielen in der Luft- und Raum- Simulation voll zur Entfaltung zu bringen. fahrt eine zentrale Rolle. So ermöglicht Die Leistungssteigerungen der letzten Jah- erst die Strömung um die Tragflügel, dass re haben rechnerische Möglichkeiten ge- das Flugzeug tatsächlich fliegt. Durch die schaffen, mit denen man an die dringends- Bedeutung der Strömungsberechnung in ten Probleme der Luft- und Raumfahrt der Entwicklung vieler Geräte des tägli- herangehen kann. chen Lebens, angefangen beim Ventilator HÖCHSTLEISTUNGSSIMULATIONEN 33

und der Klimatisierung bis hin zur Lärm- ZUSAMMENFASSUNG entwicklung etwa aus der Umströmung des Autos, könnte man annehmen, dass Numerische Simulation ist eine der Schlüsseltechnologien im Bereich der Luft- und Raum- die Berechnung von Strömungen heute fahrt. Wo immer Details verbessert werden sollen oder neue Wege beschritten werden sol- ein Routine-Problem ist. Insofern verwun- len, ist die Simulation ein wesentliches Werkzeug für die Ingenieure. dert es sehr, dass die Strömungsmechanik Im Vordergrund der Untersuchungen stehen dabei heute Aspekte, die im Kontext der Dis- immer noch zu den Hauptnutzern der kussion über Lebensqualität und Umwelt eine herausragende Rolle spielen. Die Reduktion Hochleistungsrechner gehört. Dies liegt des Treibstoffverbrauchs gilt dabei als ein wesentlicher Schlüssel zur Reduktion der klima- vor allem daran, dass das Lösungsverhal- schädlichen Effekte der zivilen Luftfahrt. Unsere Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie viel ten hier sehr kompliziert sein kann. Das Ver besse rungspotential hier noch besteht und wie es gezielt über numerische Simulation zentrale mathematische Modell der Strö- auch realisiert werden kann. Die Frage nach dem Lärm steht ebenso auf der Liste der Prob- mungsmechanik sind die Navier-Stokes- leme, die nur mit Simulation lösbar sein werden. Angesichts zunehmender Proteste in der Gleichungen, welche aus den integralen Bevölkerung gegen Fluglärm ist das Thema hochsensibel. Mit komplexen Simulationen las- Erhaltungssätzen für Masse, Impuls und sen sich diese Probleme zunächst simulieren, optimieren und schließlich zwar nicht gänzlich Energie abgeleitet werden. Diese drücken lösen, aber doch auf ein erträgliches Maß reduzieren. Für die Zukunft zeichnen sich also die physikalischen Erhaltungsprinzipien eine Reihe von Herausforderungen im Fliegen ab, die nur mit den Mitteln der Simulation aus, die besagen, dass die Änderung von bewältigt werden können. Das Zusammenspiel von Ingenieuren, Mathematikern und Infor- Masse, Impuls und Energie in einem belie- matikern wird dafür die Grundlage sein. bigen Teilbereich einer Strömung einzig und allein auf den Fluss durch den Rand des Teilbereichs zurückzuführen ist und nachlässigen, so dass die Navier-Stokes- keine Masse, Impuls und Energie plötzlich Gleichungen hier vereinfacht werden kön- entstehen oder verschwinden kann. Stellt nen und auf der rechten Seite eine Null man sich als Teilgebiet ein sehr kleines geschrieben wird. Dieses System nennt „Testvolumen“ vor, dessen Größe noch man auch die Eulergleichungen oder die gegen Null strebt, dann ergeben sich diese Gleichungen der Gasdynamik. Erhaltungsgleichungen als Differenzial- Die Navier-Stokes- oder die Euler-Gleichun- gleichungen in der Form gen sind nichtlineare Differenzialgleichun- gen, die nur in wenigen einfachen Situati- onen exakt lösbar sind. Darüber hinaus ist auch die mathematische Struktur dieser Lösungen noch ungeklärt, so dass deren Lösungstheorie als eines der gegenwärtig schwersten Probleme der Mathematik be- trachtet wird. Es ist eingereiht in die Liste Dabei ist ρ, v, p und e die Dichte, die Ge- der Clay-Probleme, für deren Lösung eine schwindigkeit, der Druck bzw. die Gesamt- Million Dollar ausgeschrieben sind. Eine energie pro Einheitsvolumen. Man hat so- sehr lesenswerte Übersicht über die Ge- mit Differenzialgleichungen in der Form schichte und die mathematischen Proble- von Evolutionsgleichungen für die zuge- me bei den Navier-Stokes-Gleichungen ist hörige Massen- Impuls- und Energie-Dich- der Artikel von Thomas Sonar im Spekt- te. Hier bedeutet (u)t die Ableitung der rum der Wissenschaften, April 2009. Faszi- Größe u nach der Zeit, also die zeitliche nierend an diesen Gleichungen ist, dass sie Änderungsrate und ∇ die Divergenz des höchst unterschiedliche Strömungsphä- Flusses, was physikalisch einer Quellen- nomene beschreiben. Dies reicht von der dichte entspricht. Die Massen-, Impuls-, Umströmung der Luft beim fahrenden und Energie-Dichte ändert sich in der Zeit Auto bis hin zur Umströmung eines Dü- entsprechend der lokalen Quellendichte. senjets, Strömungen in globalen Klima- Der Druck tritt als eine vierte Größe auf modellen bis hin zu Strömungen bei der der linken Seite hinzu. Hier kommt die Entstehung von Sternen und Galaxien in Thermodynamik ins Spiel, welche über die der Astrophysik. Für alle diese Probleme Zustandsgleichung den Druck als Funkti- ist man somit auf eine numerische Lösung on der Erhaltungsgrößen bestimmt. Die dieser Gleichungen mit Hilfe eines Com- rechte Seite der Navier-Stokes-Gleichun- puters angewiesen. gen enthält Reibungsterme (τ Reibungs- Durch die Bedeutung von Strömungen im tensor) und Wärmeleitung (q Wärmefluss), gesamten täglichen Leben wurden solche die äußere Kraft f und die Wärmequelle Q. ersten näherungsweisen Berechnungen Bei Gasen kann man oft die Reibung ver- von Strömungen schon gleich nach der 34 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Entwicklung der ersten Rechner ausge- Strömung auf eine statistische Beschrei- führt. Das kontinuierliche Problem wird bung über, die durch die Reynolds-gemit- hier durch Approximation in ein bere- telten Gleichungen und einem Turbulenz- chenbares diskretes Problem überführt. Modell berechnet wird. Dabei gibt es eine Die ersten Verfahren waren Differenzen- ganze Reihe von Turbulenz-Modellierun- Verfahren, bei denen die Ableitungen in gen, die je nach Anwendungsbereich zu den Navier-Stokes-Gleichungen durch mehr oder weniger brauchbaren Ergebnis- Differenzen-Quotienten an einer gewissen sen in der Praxis führen. Möchte man tat- Anzahl von Gitter-Punkten ersetzt wer- sächlich Details der nichtlinearen Wechsel- den. Die Standard-Verfahren in der nume- wirkung zwischen den Wirbelelementen rischen Strömungsmechanik sind heute auflösen, müssen die Navier-Stokes-Glei- Finite-Volumen-Verfahren, bei denen das chungen mit entsprechend hoher Auflö- Rechengebiet in eine große Anzahl von sung direkt gelöst werden. Diese direkte kleinen Volumen zerlegt wird. In jeder numerische Simulation benötigt zur Erfas- Gitterzelle werden die integralen Erhal- sung des gesamten räumlichen und zeitli- tungsgleichungen näherungsweise gelöst chen Skalenbereichs Re9/4 Gitterpunkte mit der Kopplung zu den benachbarten und Re3/4 Zeitschritte. Für technische Pro- Gitterzellen über den Massen-, Impuls- bleme mit Reynoldszahlen in der Größe und Energiefluss. Alles was aus einer Git- von mehreren Millionen bedeutet dies, terzelle herausfließt, fließt in die Nachbar- dass eine solche direkte numerische Simu- zelle hinein. Das durch diese Zerlegung lation wegen Rechenaufwand und Spei- entstehende diskrete Gleichungssystem cherplatzbedarf nicht durchführbar ist. wird dann auf dem Rechner gelöst. Dabei Grundlagenuntersuchungen in der Turbu- gibt es aber mehrere Strömungsphänome- lenzforschung, wie der Übergang von einer ne, welche die numerische Strömungssi- laminaren zu einer turbulenten Strömung mulation besonders schwierig machen: mit Untersuchung der Mechanismen der Turbulenz, Grenzschichten und Verdich- Turbulenz, lassen sich heute auf Hochleis- tungsstöße. Verdichtungsstöße treten in tungsrechnern ausführen. einer Überschallströmung auf und sind lo- Die energiereichsten Wirbelelemente sind kale starke Änderungen der physikali- von der Größenordnung des Strömungs- schen Größen, wie der Knall eines Düsen- problems. Diese Grobstruktur der turbu- jets beim Durchbrechen der Schallmauer. lenten Strömung ist annähernd unabhän- Auch bei der schnellen Umströmung eines gig von der Reynoldszahl. Unter dieser Körpers treten starke Änderungen in der Annahme ist es möglich, diese durch eine Grenzschicht auf, wenn sich die Ge- direkte Lösung der Navier-Stokes-Glei- schwindigkeit des Fluids an die des Körpers chungen zu berechnen und nur für die anpasst. Diese starken lokalen Änderun- vom numerischen Verfahren nicht aufge- gen müssen durch kleine Gitterzellen, lösten Bereiche sogenannte Feinstruktur- durch die Güte des numerischen Verfah- Turbulenzmodelle einzuführen. Diese rens und damit durch eine hohe Rechen- Grobstruktursimulation (LES = Large kapazität aufgefangen werden. Eddy Simulation) findet zunehmend auch Das größte Problem stellt jedoch die Turbu- für technische Strömungen im industriel- lenz dar. Bei einer turbulenten Strömung len Einsatz Anwendung. Für komplexe bestimmen Wirbel über mehrere Größen- Strömungen führt dies aber oft zu nume- ordnungen die Strömung. Die kleinsten rischen Modellen, für deren Lösung eine auftretenden Skalen werden durch die Rechnerleistung erforderlich ist, wie sie Größe der Reibung bestimmt, für welche von herkömmlichen Standardrechnern das charakteristische Maß die Reynolds- nicht bereitgestellt werden kann. Zahl (Re) ist. Oft können in einer Compu- ter-Simulation eines Strömungsproblems 3. Höchstleistungsrechnen mit geringer Reibung, was einer großen Reynolds-Zahl entspricht, die kleinen Höchstleistungsrechner sind die schnellsten Fluktuationen im Strömungsfeld mit der weltweit verfügbaren Rechner. Ihre Leis- zur Verfügung stehenden Rechnerleistung tung geht weit über alles hinaus, was auf nicht mehr aufgelöst werden. Hier behilft PCs derzeit an Rechenleistung verfügbar sich die numerische Strömungsmechanik ist. Jährlich zweimal wird eine Liste dieser mit Turbulenzmodellen und geht von der schnellsten Systeme unter www.top500.org dreidimensionalen und zeitabhängigen veröffentlicht. An der Spitze dieser Liste HÖCHSTLEISTUNGSSIMULATIONEN 35

finden sich vor allem Rechner in den USA, thoden ist es schwierig. Trotzdem muss Japan, China und Europa. Es sind diese ich erreichen, dass jeder Prozessor eine Länder, für die das Höchstleistungsrechnen Aufgabe hat. eine strategische Rolle spielt, sei es im mili- 2. Wie kann ich erreichen, dass alle Teilaufga- tärischen Bereich oder in den zivilen Berei- ben möglichst den gleichen Rechenaufwand chen der Grundlagenforschung und der haben? Nur wenn ich das erreiche, stelle ich Anwendungsforschung. sicher, dass nicht der gesamte Rechner auf Gemessen wird die Leistung von Höchst- die Lösung einer einzelnen Teilaufgabe war- leistungsrechnern nach der Anzahl der ten muss (stellen sie sich eine Million Kolle- Operationen, die ein System pro Sekunde gen vor, die darauf warten, dass Sie endlich ausführen kann. Derzeit erreichen Höchst ihre Arbeit gemacht haben). Man spricht leistungsrechner eine Leistung die im Be- hier von Lastbalancierung. reich von 1015 Operationen pro Sekunde 3. Wenn ich mein Problem in Teilprobleme liegt – Wissenschaftler bezeichnen dies als zerlegt habe, müssen diese miteinander ein Petaflop. Bis zum Jahr 2020 wird eine kommunizieren, um zur Gesamtlösung zu Leistungssteigerung um einen Faktor 1000 kommen. Die Kommunikation verbraucht erwartet, sodass dann 1018 Operationen pro Zeit und Energie. Ich muss sie also so kurz Sekunde möglich sein sollen – man wie möglich gestalten, muss aber gleich- spricht von einem Exaflop. zeitig genug kommunizieren, um die kor- Die Leistungssteigerung von Höchstleis- rekte Gesamtlösung zu erreichen. tungsrechnern war lange Zeit ein Ergebnis Nur wenn diese drei Probleme gelöst werden der Miniaturisierung der Schaltelemente. können, ist es möglich eine Simulation Je kleiner die Schaltelemente waren umso mit Erfolg durchzuführen. Dabei treten je- schneller konnte man Prozessoren takten. doch weitere Schwierigkeiten auf. Benutzt Über mehrere Jahrzehnte ergab sich so man eine Million Prozessorkerne und teilt eine Verdopplung der Leistung etwa alle jedem Kern seine Aufgabe zu, so bleibt es 18 Monate – man sprach vom Mooreschen nicht aus, dass Fehler passieren. Diese Feh- Gesetz, benannt nach jenem amerikani- ler zu finden ist eine Herausforderung für schen Wissenschaftler, der diese zeitliche sich. Während man bei einer kleinen Men- Entwicklung als erster untersucht und ge von Prozessen durch graphische Dar- veröffentlicht hatte. stellung relativ rasch erkennen kann, wo Seit einiger Zeit werden Prozessoren aber sich potentielle Fehlerquellen befinden, ist nicht mehr schneller. Die weiter voran- das bei einer Million Prozessen graphisch schreitende Miniaturisierung setzt sich zwar nicht mehr möglich. Die Fehlersuche fort, aber der Energiebedarf für höhere Pro- muss automatisiert werden. Sie muss Kon- zessorgeschwindigkeiten ist so hoch, dass die zepte verfolgen, bei der Fehler zunächst Prozessoren nicht mehr gekühlt werden grob erfasst werden können und der Be- könnten. Der Ausweg heißt Parallelisierung. nutzer anschließend interaktiv die Fehler- Schon in herkömmlichen PCs sind heute quelle eingrenzt und schließlich lokali- zwei bis vier Kerne im Einsatz. Die Grund- siert. idee ist einfach: Wenn meine Schaltelemen- Höchstleistungsrechner zeichnen sich nicht te kleiner werden, aber eine höhere Taktfre- nur durch hohe Rechengeschwindigkeit quenz den Prozessor zu heiß werden lässt, aus. Um die großen Herausforderungen dann baue ich eben mehrere Kopien eines der Simulation zu lösen, müssen sie auch Prozessors auf einen Chip. Im Ergebnis führt über einen großen Hauptspeicher verfü- das dazu, dass moderne Höchstleistungs- gen. Nur so können sehr komplexe Frage- rechner in der Zwischenzeit mit bis zu einer stellungen rechnerisch behandelt werden. Million Prozessorkernen arbeiten. Die Nutzung einer so großen Zahl an Prozes- 4. Ökoeffiziente Strömungs - sorkernen stellt eine besondere Herausfor- 4. kontrolle in der Aerodynamik derung dar, vergleichbar mit dem Ma- nagement eines Projekts mit einer Million Nachdem in den letzten zwei Jahrzehnten Mitarbeitern. Die größten Probleme dabei die physikalischen Mechanismen in rei- sind die folgenden: bungsbehafteten Strömungen nicht zuletzt 1. Wie kann ich meine numerische Methode durch immer detailliertere numerische Si- in sehr viele kleine Teilprobleme zerlegen? mulationen besser verstanden werden Nicht für alle numerischen Methoden ist konnten, wird heute angestrebt, eine effek- das möglich und für die allermeisten Me- tive Kontrolle von Strömungen in die Pra- 36 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

xis umzusetzen. Anwendung dieser spritsparenden Tech- Gezielte Strö- nologie scheitert jedoch bis heute an den mungskontrolle Problemen, die an den nach hinten ge- mit passiven oder pfeilten Tragflügeln moderner Flugzeuge aktiven Aktuatoren auftreten. Anleihen aus der Biologie sind verfolgt zum einen in diesem Fall allerdings nicht möglich: das Ziel, eine be- Welcher Vogel fliegt schon andauernd im währte Strömungs- Horizontalflug fast Schallgeschwindigkeit? beeinflussung Bei gepfeilten aerodynamischen Oberflächen schneller oder effi- spielen dreidimensionale Strömungseffek- zienter zu gestal- te eine entscheidende Rolle, die trotz der ten: So können z.B. Absaugung ein rasche Transition zur Folge Steuerungsklappen haben können: Innerhalb der Grenz- am Flugzeug durch schicht liegt hier eine Querströmung vor, Strahlaktuatoren die schädliche, Turbulenz auslösende ersetzt werden. Längswirbel anfacht, die durch Rauigkei- Zum anderen wird ten, Oberflächenungenauigkeiten oder angestrebt, speziell eben Absaugöffnungen entstehen können den Reibungswi- – und damit den Erfolg der Absaugung ge- 01 derstand und da- fährden können. Neuere Untersuchungen Formative Suction mit Anregung mit die Effizienz in den USA und in Stuttgart haben ge- gutartiger (unten) und schädlicher von Strömungsmaschinen zu steigern. So zeigt, dass diese schädlichen Längswirbel Wirbel (oben). kann der Treibstoffverbrauch und damit aber auch durch das gezielte Anregen von der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen enger liegenden Wirbeln, die selbst keine in der zivilen Luftfahrt signifikant redu- oder nur sehr viel weiter stromab Turbu- ziert werden, oder aber der Wirkungsgrad lenz auslösen, unterdrückt werden kön- von Energiewandlungsmaschinen wie z.B. nen. Alternativ kann versucht werden, sie von Windturbinen im Rahmen der Ener- und ihre schädliche Wirkung direkt auszu- giewende gesteigert werden. Am Institut löschen. Eine Reduzierung des Gesamtwi- für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) derstandes um etwa 15-20 Prozent und ein der Universität Stuttgart wird an mehreren ökoeffizienteres Fliegen ist so erreichbar. Verfahren gearbeitet, um Turbulenzen Mehrere innovative Laminarhaltungstech- und damit den Widerstand von Verkehrs- nologien sind denkbar: Erstens können flugzeugen zu reduzieren. Die Forschung nahe der Flügelnase feste oder besser akti- beruht dabei auf numerischen Simulatio- ve Oberflächen-„Rauigkeiten“ oder „-Ver- nen auf den Supercomputern des Höchst- tiefungen“ angebracht werden, z.B. durch leistungsrechenzentrums der Universität verteiltes, diskretes, gepulstes Ausblasen Stuttgart (HLRS). oder Absaugen von Luft oder durch Kraft- Gegenstand der Forschung ist die Grenz- felder von Mikro-Plasmaaktuatoren schichtströmung, die nahe an einem Kör- („Upstream Flow Deformation UFD“, per entsteht, wenn eine Flüssigkeit oder „Distributed Roughness“). Zweitens kann ein Gas (Fluid) ihn überströmt. In dieser Grenzschichtabsaugung durch in einem dünnen Schicht passt sich die Geschwin- speziellen Muster angeordnete Öffnungen digkeit des Fluids an die Geschwindigkeit an der Flügeloberfläche (Formative Suc- des Körpers an. Der Zustand der Grenz- tion) angewendet werden, um den reinen schichtströmung bestimmt den Reibungs- Absaugeffekt, die Wachstumsabschwä- widerstand beim Flug, wobei eine ruhige, chung schädlicher Wirbel, um den Stabili- laminare (schichtenähnliche) Strömungs- sierungseffekt permanent angeregter gut- form deutlich weniger Widerstand verur- artiger Längswirbel zu ergänzen. Und sacht als eine chaotische, turbulente Form, drittens können die schädlichen Wirbel di- die eine Folge der Instabilität der lamina- rekt kontrolliert werden durch lokalisier- ren Form ist. Eine seit langem bekannte te, diskrete, starke Absaugung („Pinpoint Methode, um die Transition von der lami- Suction“) an Stellen, wo die Wirbel eine naren in die turbulente Strömungsform Aufwärtsgeschwindigkeit in der Grenz- zu verzögern (Laminar Flow Control), ist schicht induzieren. die Absaugung und damit Stabilisierung Alle drei Konzepte wurden mit Computersi- der Grenzschicht durch winzige Öffnun- mulationen untersucht. Rechts unten in gen in der Flugzeugoberfläche. Die sichere (01) ist Formative Suction mit gutartigen HÖCHSTLEISTUNGSSIMULATIONEN 37

Längswirbeln zu sehen, das obere Bild zeigt laufs aufgrund die Entstehung schädlicher Längswirbel, der wechselnden die Turbulenz (rot) auslösen, weil die Ab- Luftkräfte sog. saugöffnungsverteilung schlecht war. Die Schlag- und Größe der Öffnungen ist dabei im Bereich Schwenkbewe- von etwa 50-100 m. In (02) werden durch gungen durch. Ausblas- und Absaugaktuatoren, die sich Diese müssen innerhalb eines einzigen, in Spannweiten- ebenfalls korrekt richtung laufenden Schlitzes nahe der Flü- erfasst werden. gelnase abwechseln, eng liegende gutartige Bei der Simulati- Wirbel generiert (rechter Bildteil, reine on ist also zwin- UFD-Methode). Sie bewirken, dass die gend die Strö- durch natürlich wachsende schädliche mungs-Struktur- Längswirbel ausgelöste Turbulenz (im lin- Kopplung zu 02 ken Bildteil ohne Aktuatoren oben), nach berücksichtigen. Wirbelbildung ohne (li.) und mit hinten auf den Flügel geschoben wird. Zum zweiten ist die Aerodynamik selbst sehr UFD-Aktuatoren (re.); (03) zeigt die Anwendung von Pinpoint komplex. Durch die Drehbewegung des Strömung von unten nach oben. Suction. Die drei Schnappschuss-Teilbilder Rotors steigt die Geschwindigkeit, mit der zeigen von der Flügelnase, jeweils am ein Blattsegment angeströmt wird, nach rechten Bildrand, ausgehende schädliche außen hin an. Beim Vorwärtsflug wird die- Längswirbel, die in den zwei rechten Teil- se Geschwindigkeitsverteilung mit der bildern Turbulenz auslösen. Im mittleren Fluggeschwindig- Bild ist die Aktivierung von neun Absau- keit des Hub- gelöchern an der aufwärtsdrehenden Seite schraubers über- der Längswirbel zu sehen, die mittlere Ab- lagert, was zu sauggeschwindigkeit über jedes Loch be- einer Erhöhung trägt etwa 20 Prozent der Fluggeschwin- der Anströmge- digkeit. Die Absaugung führt zu einer sehr schwindigkeiten starken Abschwächung der Wirbel, und am vorlaufenden die Turbulenz wird vollständig unter- Blatt und einer drückt (ganz links). Reduzierung der Anströmge- 5. Numerische Simulation der schwindigkeiten Strömung am Hubschrauber am rücklaufen- den Blatt führt, Die komplexen Strömungsverhältnisse am wobei es bei Letz- Hubschrauber stellen die Numerische Si- terem im Innen- mulation aus mehrerlei Gründen vor gro- bereich sogar zu ße Herausforderungen: Zum einen besteht einer Rückan- eine enge Kopplung zwischen der Aerody- strömung namik und der Rotorblattdynamik, also kommt. Die Ad- der Eigenbewegung und der elastischen dition der Ge- Verformung der Blätter infolge der angrei- schwindigkeiten fenden Luftkräfte sowie der Zentrifugal- am vorlaufenden und der Inertialkräfte. Bei modernen Hub- Blatt führt dazu, schraubern mit Rotorblättern aus dass dort im Au- Faser verbundwerkstoffen biegt sich das ßenbereich lokal Blatt aufgrund der Luftlasten und seiner auf dem Blatt hohen Elastizität sehr stark durch, was in Überschallgebiete der Simulation durch eine entsprechende auftreten, die mit strukturdynamische Modellierung be- einem Verdich- rücksichtigt werden muss. Während im tungsstoß ab- Schwebe- sowie im stationären Steig- oder schließen. Der Sinkflug die Blattdurchbiegung sowie die periodische Auf- lokalen Anströmwinkel über einen Blatt- bau und Zusam- umlauf näherungsweise konstant sind, menbruch dieser 03 führt das Rotorblatt beim Vorwärtsflug Verdichtungsstö- Wirbelbildung ohne (oben) und mit des Hubschraubers während seines Um- ße am vorlaufen- vollaktiver Pinpoint Suction (unten). 38 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

len Luftkräfte, die ein Rotorblatt während eines Umlaufs erfährt. Des Weiteren treten am Hubschrauber sehr starke Strömungsinteraktionen auf. Die Rotorblätter bewegen sich durch die Nach- läufe der vorlaufenden Blätter; hier kommt es zu der sog. Blatt-Wirbel-Interak- tion, wenn das Rotorblatt den Randwirbel der vorherigen Blattes durchschneidet, was zu erhöhter Lärmemission und starken Vi- brationen führt. Der durch den Rotor in- duzierte Abwind beeinflusst die Rumpfum- strömung, und der Nachlauf des Rotors, insbesondere des Rotormasts, interagiert mit dem Heckrotor sowie dem Heckausle- ger mitsamt dem Leitwerk, was zu den un- angenehmen Problemen des „Tail-Shakes“ und des „Low-speed Pitch-up’s“ führen kann. Die Komplexität dieser Strömungs- 04 interaktionen wird sehr eindrucksvoll Schubbeiwerte über der Rotorkreis- durch (05) verdeutlicht, in dem die Nach- scheibe, Flugrichtung nach links, den Blatt stellt übrigens die Hauptlärm- laufströmung durch die Visualisierung von Rotor dreht gegen den Uhrzeigersinn, quelle des Hubschraubers im schnellen grau eingefärbten „Wirbelröhren“ darge- aus [1]. Vorwärtsflug dar und wird typischerweise stellt ist. Farblich hervorgehoben ist die als „Knattern“ wahrgenommen. Um auf Druckverteilung auf Rumpf und Leitwerk. der rücklaufenden Seite vergleichbare Auf- Zu guter Letzt erfordert die Tatsache, dass triebskräfte wie auf der vorlaufenden Seite sich der Rotor gegenüber der Zelle dreht, zu erhalten (andernfalls würde der Hub- in der Numerischen Simulation die gleich- schrauber um seine Längsachse rollen), zeitige Verwendung eines drehenden und muss das Rotorblatt sehr stark angestellt eines stationären Bezugssystems. Nimmt werden, wobei es im Außenbereich des man noch den Heckrotor hinzu, so ist ein Blattes zu einer Ablösung der Strömung weiteres drehendes System zu berücksich- kommt (sog. „Dynamic Stall“). Um eine ei- tigen. Numerisch wird dies mit Hilfe der nigermaßen gleichmäßige Schubverteilung sog. Chimera-Technik realisiert, bei der über die Rotorkreisscheibe zu gewährleis- die Hubschrauberzelle in ein raumfestes ten, muss der Anstellwinkel des Blattes Hintergrundnetz eingebettet ist, während während eines Umlaufs kontinuierlich ver- sich die blattfesten Netze durch dieses Hin- ändert werden (sog. zyklische Blattverstel- tergrundnetz hindurchbewegen. Auch lung). (04) zeigt die berechneten vertika- komplexe Anbauteile, wie z.B. die Kufen, werden mit dieser Technik vernetzt. (06) zeigt das Rechennetz, mit dem die oben dargestellten Ergebnisse erzeugt wurden. Die Simulationen wurden mit Hilfe des strukturierten Strömungslösers FLOWer, [3], durchgeführt, der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwi- ckelt wurde und für Anwendungen im Hubschrauberbereich inzwischen bestens validiert ist.

6. Beispiele aus aktuellen Forschungsarbeiten am IAG

Im Folgenden werden einige Beispiele aus ak- 05 tuellen Forschungsarbeiten am IAG vor- Simulation der Strömung um einen gestellt. Aufgrund der oben beschriebenen

EC145 Hubschrauber, λ2-Visualisie- Komplexität der Strömung und der daraus rung des Nachlaufs, aus [2]. resultierenden Anforderungen an die Nu- HÖCHSTLEISTUNGSSIMULATIONEN 39

merische Simulation ist es nachvollziehbar, dass ein enormer Rechenaufwand betrie- ben werden muss, um zu belastbaren Er- gebnissen zu kommen. Dies betrifft zum einen die erforderliche räumliche Auf- lösung, die je nach Anwendungsfall heut- zutage durchaus bei bis zu 10 Millionen Netzzellen liegen kann, vor allem aber die zeitliche Auflösung und die Anzahl der Zeitschritte, die notwendig sind, bis sich ein gewünschter stationärer oder periodi- scher Strömungszustand einstellt. Der Ein- satz von Höchstleistungsrechnern, wie z.B. denen am HLRS, ist daher unverzichtbar.

6.1 Trimmung

Aussagekräftige Vergleiche zwischen den Er- 06 gebnissen aus der Numerischen Simulation Blockstrukturiertes Chimera-Netz, und den Daten, die aus Windkanal- oder Rotor effizient erfolgen kann. (05) stellt aus [2]. Freiflugmessungen gewonnen wurden, das Ergebnis einer numerischen Simulation sind nur möglich, wenn die durch den Ro- für einen getrimmten Hubschrauber bei tor erzeugten globalen Kräfte und Momen- einer Fluggeschwindigkeit von etwa 250 te in der Simulation und im Experiment km/h im stationären Geradeausflug dar. annähernd gleich sind. Während beim Ver- Die Chimera-Netze hatten dabei zusam- gleich mit einem Windkanalversuch, bei mengenommen ca. 25 Millionen Zellen. dem das Modell auf einer Haltevorrichtung Insgesamt mussten 22 Rotorumdrehungen fixiert ist, „nur“ der berechnete Schub so- berechnet werden, bis sich ein getrimmter wie das Nick- und das Rollmoment den im Zustand eingestellt hatte. Auf dem NEC Versuch gemessenen Werten entsprechen Nehalem des HLRS fielen hierfür müssen, gestaltet sich die Freiflugtrim- ca. 70.000 CPU-Arbeitsstunden an. mung deutlich aufwendiger. Hier muss z.B. bei einem stationären Geradeausflug dafür 6.2 Hubschrauber im Bodeneffekt gesorgt werden, dass die Momente um die drei Hauptachsen Null sind und die vom Für einen Hubschrauber in unmittelbarer Hauptrotor und vom Heckrotor erzeugten Nähe des Bodens (z.B. im Landeanflug Kräfte das Gewicht und die aerodynami- oder beim Schweben dicht über Grund), schen Kräfte, die am Rumpf und am Leit- werk entstehen, kompensieren. Dafür ste- hen nun bestimmte Steuergrößen zur Verfügung, die im Zuge der Simulation iterativ so angepasst werden müssen, dass diese Forderungen erfüllt sind. Für die Freiflugtrimmung sind dies der „kollekti- ve“ und die „zyklischen Blatteinstellwin- kel“ der Hauptrotorblätter, der kollektive Blatteinstellwinkel des Heckrotors sowie die Lagewinkel des Gesamthubschraubers. Ist in der Simulation ein getrimmter Zu- stand erreicht, kann man die berechneten Steuergrößen mit den tatsächlichen Steu- ergrößen aus dem Flugfall vergleichen und erhält so eine Aussage über die Genauigkeit der Simulation. Die Forschungsarbeiten am IAG, z.B. [4], be- 07 fassen sich mit der Fragestellung, wie diese Nachlauf eines isolierten Rotors Freiflugtrimmung unter Berücksichtigung in Bodennähe. Schnitt durch das der Strömungs-Struktur-Kopplung am Wirbelsystem aus [5]. 40 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

08 Vergleich des Randwirbelverlaufs eines isolierten Rotors im Vorwärts- unterscheiden sich die lokalen Strömungs- werden. Die Rechenzeit für diesen Flugfall flug, li.: CFD, re.: Experiment, verhältnisse deutlich gegenüber einem betrug vier Wochen wall clock time auf aus [5]. Flug in größerer Höhe. So kann sich z.B. 256 Prozessoren der CRAY XE6 (Hermit) der rotorinduzierte Abwind nicht beliebig am HLRS. weit nach unten ausbreiten, sondern seine Bewegung wird durch den Boden blo- 6.3 Optimierung der Blattaußen - ckiert. Dort werden die Wirbel nach außen geometrie gedrückt, steigen unter bestimmten Um- ständen außen wieder auf und können Zwei wesentliche Schwerpunkte bei der Ent- vom Rotor eingesaugt werden (sog. Rezir- wicklung zukünftiger Hubschrauber lie- kulation). Ist der Boden mit Staub, Sand gen in der Erhöhung der Leistung (bzw. oder Schnee bedeckt, wird dieser aufgewir- Reduzierung des Treibstoffverbrauchs bei belt, und es kommt zu einer erheblichen gleichbleibender Leistung) und der Ver- Sichtbehinderung des Piloten. Diese unter minderung der Lärmemission. Leider sind Umständen äußerst sicherheitskritischen diese beiden Anforderungen in weiten Zustände sind unter den Begriffen Teilen gegenläufig. Im Fokus aktueller „brown-out“ bzw. „white-out“ bekannt. Forschungsarbeiten am IAG, [6], steht die Die am IAG laufenden Forschungsarbeiten Modifikation der Außengeometrie der Ro- zu diesem Thema haben das Ziel, die Si- torblätter. Lässt man aus Lärmgründen mulationsfähigkeit der komplexen Strö- den Rotor z.B. langsamer drehen, so kann mungseffekte im Bodeneffekt aufzubauen, der damit verbundene Auftriebsverlust [5]. Hierbei muss z.B. auch die sich entlang durch eine Erhöhung der Blatttiefe im des Bodens ausbildende Grenzschicht mit- Außenbereich kompensiert werden, wie in modelliert werden, um den Ort, an dem [6] gezeigt wurde. Auch das Abknicken der sich die Wirbel wieder vom Boden abhe- Blattspitze nach oben („dihedral“) oder ben, möglichst korrekt zu erfassen. In nach unten („anhedral“) führt zu einer (07) ist der Verlauf der Randwirbel aus Verbesserung der Leistung, allerdings der Numerischen Simulation eines isolier- liegen die Optima für Schwebeflug und ten Rotors im bodennahen Schwebeflug Vorwärtsflug in entgegen gesetzten Rich- dargestellt. (08) zeigt den Vergleich zwi- tungen. Mit modernen, effizienten „De- schen Numerik und Experiment für einen sign-of-Experiments“-Methoden wurden exemplarischen Vorwärtsflugfall (Flug- in [6] Parametervariationen am isolierten richtung von links nach rechts). Rotor durchgeführt und die resultieren- Das Besondere bei dieser Simulation ist, dass den Entwürfe aerodynamisch und aero- sich die blattfesten Netze innerhalb eines akustisch miteinander verglichen. Um Netzquaders drehen, der sich seinerseits eine objektive Bewertung zu gewährleis- mit der Fluggeschwindigkeit des Hub- ten, mussten alle Entwürfe auf identische schraubers innerhalb des Hintergrundnet- Lastzustände (Rotorschub und -momente) zes nach vorne bewegt. Dieses Set-up um- getrimmt und die aeroelastischen Blatt- fasst 33 Millionen Netzzellen, und es deformationen berücksichtigt werden. mussten 45 Rotorumdrehungen berechnet Dies erforderte einen erheblichen Rechen- HÖCHSTLEISTUNGSSIMULATIONEN 41

aufwand, da im Schnitt acht bis neun Die vorangegangenen Anwendungsbeispiele Rotorumdrehungen simuliert werden haben einen Eindruck vermittelt, was mit mussten, bis ein konvergiertes Ergebnis dem Einsatz modernster Supercomputer, vorlag. Selbst bei einer vergleichsweise wie sie z.B. den Nutzern am HLRS zur groben Netzauflösung lag der Rechenzeit- Verfügung stehen, heutzutage möglich ist. bedarf pro Konfiguration bei etwa einer Aber die Forscher denken bereits weiter. Woche (wall clock time, 77 Cores auf dem Ihr Ziel für die nicht allzu ferne Zukunft NEC Nehalem Cluster des HLRS), was ist die Numerische Simulation des kom- selbst bei einem stark eingeschränkten Pa- pletten getrimmten, aeroelastisch model- rameterraum den Einsatz automatisierter lierten Hubschraubers im Manöverflug. • Optimierer derzeit noch unmöglich Markus J. Kloker, Ewald Krämer, macht. Claus-Dieter Munz, Michael M. Resch

DIE AUTOREN Dr.-Ing. Markus J. Kloker Nach dem Abschluss des Studiums der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität Stuttgart erwarb er ein zusätz- liches Diplom am international ausgerichteten Von-Karman-Institute for Fluid Dynamics in Brüssel. Zurück in Stutt- gart promovierte er 1993 zum Dr.-Ing. Seit 1997 leitet er das Forschungsteam Transition und Turbulenz am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik der Universität Stuttgart, wo er als Programmbeauftragter des Deutschen Akademi- schen Austauschdienstes ein Internationales Studien- und Ausbildungspartnerschaftsprogramm (ISAP) mit der Uni- versity of Arizona in Tucson, USA, koordiniert.

Kontakt: E-Mail: [email protected]@esa.int Prof. Dr.-Ing. Ewald Krämer studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr München (UniBwM). Nach einem drei- jährigen Einsatz als Luftfahrttechnischer Offizier kehrte er 1985 als wissenschaftlicher Assistent an die UniBwM zu- rück, wo er mit einer Arbeit zur Numerischen Simulation der Hubschrauberrotorströmung zum Dr.-Ing. promovierte. 1990 wechselte er zur damaligen Deutsche Aerospace AG (heute EADS), wo er 14 Jahre tätig war, zuletzt als Leiter der Hauptabteilung Flugphysik in Ottobrunn bei München. 2004 erhielt er den Ruf an die Universität Stuttgart und leitet seit dem das Institut für Aerodynamik und Gasdynamik (IAG) in der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie.

Kontakt: E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Claus-Dieter Munz Nach dem Studium der Mathematik an der Universität Karlsruhe promovierte er mit einem Thema im Bereich der nume- rischen Lösung von nichtlinearen partiellen Differenzialgleichungen. Das Schwerpunktprogramm der Deutschen For- schungsgemeinschaft „Finite Approximationen in der Strömungsmechanik“ regte ihn zu einer engen Zusammenarbeit mit Ingenieuren und dem wissenschaftlichen Rechnen an. Nach einer kurzen Zeit als Post-Doc gründete er am Forschungs- zentrum Karlsruhe die Gruppe „Wissenschaftliches Rechnen“ mit Arbeiten im Bereich der Numerik- und Rechen- programm-Entwicklung in der Strömungsmechanik und Plasmaphysik. Seit 1997 ist er Professor für Numerische Metho- den in der Strömungsmechanik am Institut für Aerodynamik und Gasdynamik der Universität Stuttgart.

Kontakt: E-Mail: [email protected] Prof. Dr-Ing. Dr .h.c. Dr. h.c. Michael M. Resch Nach einem Studium der technischen Mathematik an der TU Graz mit den Schwerpunkten auf Informatik und Wirt- schaftswissenschaften promovierte er zum Dr.-Ing. an der Universität Stuttgart. Seit 2003 leitet er das Höchstleis- tungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) und ist Direktor des Instituts für Höchstleistungsrechnen. Seit 2012 ist er geschäftsführender Direktor des Informations- und Kommunikationszentrums der Universität Stuttgart (IZUS). Resch ist Ehrendoktor der Nationalen Technischen Universität Donetsk und der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Kontakt: E-Mail: [email protected] 42 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Literatur

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Universität Stuttgart experimentiert auf der Internationalen Raumstation

„Der Traum vom Fliegen“ betrifft in der Raumfahrt nicht nur die Astronautinnen und Astronauten. In ähnlicher Weise motiviert er viele Naturwissenschaftler und Ingenieure, neue wissenschaftlich und technologisch interessante und anspruchsvolle Problemstel- lungen anzugehen, die von der Erde aus nicht realisierbar sind. Ein besonders gutes Beispiel ist hierfür die Nutzung der Inter- nationalen Raumstation ISS – die Beiträge des Instituts für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart belegen dies und sind 01 Gegenstand dieses Artikels.

1. Einleitung

Die Internationale Raumstation fliegt Mit etwas Glück ist die Internationale Raum- Die Partner im internationalen Raumstations- im Vergleich zu Satelliten auf einer station als strahlender, schnell bewegter Konsortium nennen unterschiedliche, län- sehr niedrigen Flughöhe von ca. 400 Lichtpunkt am Nachthimmel zu sehen. derspezifische Argumente, wenn sie ihre Be- Kilometern bei einer hohen Bahn- Heller als alle Sterne und Planeten (mit Aus- teiligung an diesem Großprojekt begrün- neigung gegenüber dem Äquator von nahme von Venus) zieht sie in ungefähr den. Sie sind politischer, wirtschaftlicher 51,6°, d.h. sie kann gerade noch bei zehn Minuten in östlicher Richtung von oder wissenschaftlicher Natur oder eine geografischen Breiten von 70 Grad Horizont zu Horizont. In diesem künstlichen Kombination mit unterschiedlicher Ge- gesehen werden. Die Gesamtmasse Himmelskörper leben und arbeiten seit dem wichtung. Man einigte sich auf drei gemein- beträgt seit dem Jahr 2009 circa 400 Erstbezug am 2. November 2000 ständig bis same, allgemeine Ziele, die als Richtschnur Tonnen, die Solargeneratoren mit der zu sechs Astronauten. 16 Nationen betreiben für Konstruktion und Bau dienten: Gesamtfläche von 3.000 Quadrat- gemeinsam das Großforschungslabor im • Forschung ist die wichtigste Aufgabe der metern sichern durch Nachführung mit Weltall. Es ist das wahrscheinlich größte Raumstation. Hier werden die speziellen Blick zur Sonne mindestens 110 Kilo- wissenschaftlich-technische Projekt in der Bedingungen des Weltraums für grundlagen- watt bei Tag und Nacht (der ISS-Tag Geschichte der Menschheit, ein sichtbares und anwendungsbezogene Untersuchungen dauert 90 Minuten, davon ist die Sta- Beispiel für die globale Zusammenarbeit zur in vielen wissenschaftlichen Disziplinen aus- tion 30–40 Minuten im Erdschatten). friedlichen Nutzung des Weltraums. genutzt. FORSCHUNG AUF DER ISS 45

SUMMARY

• Von ähnlicher Bedeutung ist das Gebiet Up to six astronauts live and work continuously onboard the International Space Station ISS der Technologieentwicklung, sowohl für since November 2000. This space laboratory is probably the largest scientific and techno- die Verbesserung von industriellen Ver- logical project in the history of mankind and a visible example of global cooperation. fahren auf der Erde, als auch für zukünf- A space station allows for specific investigations in basic and applied science disciplines tige Raumfahrtvorhaben. due to its peculiar environmental conditions, offering unique possibilities in particular for a • Als Außenposten der Erde bildet die „research under reduced gravity“. Thus, new opportunities are emerging for the develop- Raum station ein Sprungbrett für die wei- ment of new technologies for both, the improvement for industrial processes on Earth and tere Erforschung und Erschließung des future space infrastructures. As outpost of Earth, the space station also represents a launch Weltraums. pad for the further exploration and utilization of space. Researchers of the Space Systems Raumstationen sind Vielzweck-Einrichtun- Institute of the University of Stuttgart have designed, developed and successfully conducted gen in der Erdumlaufbahn. Sie bestehen two scientific experiments on-board the ISS until today: Global Transmission Services aus großen und komplexen Anlagen, die, (GTS), an experiment for global time synchronization and for detecting and tracking of ähnlich wie irdische Großlaboratorien für moving objects; and Flux Probe Experiment (FIPEX ) to measure molecular and atomic Elementarteilchenforschung, meist in in- oxygen in the space station environment. Another space station experiment to be flown in ternationaler Zusammenarbeit aufgebaut a few years is currently under development. This experiment shall investigate advanced und betrieben werden. Dabei teilen sich regenerative processes for life support systems of future space stations and transfer vehicles, viele Wissenschaftler die Geräte und die which have as destinations asteroids and Mars. The motivation of these experiments in the verfügbare Zeit. Die Forschungsprojekte context of “the dream of flying”, some selected results obtained until today, and their spin- werden im internationalen Wettbewerb off potential for terrestrial applications are subject of this paper. ausgewählt. Knappe Ressourcen wie elektrische Energie, Datenspeicher- und -übertragungskapazität oder Astronauten- zeit werden nach Kriterien der wissen- schaftlichen Priorität zugeteilt. Eine Raumstation ermöglicht vielen For- schungsdisziplinen gleichzeitig einen Zu- gang zu den besonderen Umgebungs- bedingungen im erdnahen Weltraum. Dort lassen sich physikalische Eigenschaf- ten wie Schwerelosigkeit, großräumiges Vakuum, besondere Strahlungsbedingun- gen sowie die Beobachtungsmöglichkeiten der Erde oder des Weltraums nutzen. Nachdem die Europäische Weltraumagentur ESA, unterstützt durch zehn ihrer Mit- gliedsländer unter Führung Deutschlands, im Jahr 1995 beschloss, sich an Aufbau, Be- trieb und Nutzung der ISS zu beteiligen, wurden kurz danach die europäischen Wissenschaftler dazu ermutigt darüber 02 nachzudenken, wie die ISS mit ihren spe- Der Transceiver des GTS-Experiments ziellen Umgebungsbedingungen für ihre ist im Servicemodul des russischen Forschung zu nutzen ist. Forscher des Ins- Stationsteils untergebracht; die GTS- tituts für Raumfahrtsysteme der Universi- Antenne auf der Außenseite zeigt tät Stuttgart reichten mehrere Vorschläge Ein weiteres Experiment zur Erweiterung direkt nach unten. Am hinteren Teil ein, zwei Experimente wurden ausgewählt, der regenerativen Stoffwirtschaft, d.h. dieses Servicemoduls wird zeitweise in den folgenden Jahren entwickelt und Verbesserung des Lebenserhaltungssys- das europäische Versorgungsschiff erfolgreich auf der ISS durchgeführt: tems an Bord von zukünftigen Raumsta- ATV angedockt. Das Experiment FI- • GTS Global Transmission Services, ein Ex- tionen und Transferfahrzeugen zu Astero- PEX ist in Flugrichtung rechts außen periment zur weltweiten Zeitsynchronisa- iden und zum Mars, wird gegenwärtig vor- am Columbus-Modul so angedockt, tion und zum Aufspüren und Verfolgen bereitet und soll in den nächsten Jahren dass die Anströmung der Restatmo- beweglicher Objekte, ebenfalls zur ISS fliegen. Über diese drei sphäre auf die Sensoren von vorn • FIPEX Flux Probe Experiment, ein Experi- Experimente, die bisher erzielten Ergebnis- (oben) und seitlich erfolgt. Das ment zur Messung der Verteilung des mo- se und deren Spin-off-Potenzial für terres- geplante Experiment ReSTWEX wird lekularen und atomaren Sauerstoffs in der trische Anwendungen soll hier berichtet innerhalb des Columbus-Labors unter- Raumstationsumgebung. werden. zubringen sein. 46 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

stand im IRS, die Projektleitung und Ent- wicklung des Raumsegmentes wird vom Steinbeis Transferzentrum Raumfahrt (TZR), die Entwicklung des Bodenseg- mentes durch die Industriepartner, u.a. EADS Astrium Bremen, durchgeführt. Die früh benötigte Antennenplattform für das Experiment wurde bereits im Dezember 1998 am russischen Service Modul (SM) montiert und mit diesem im Sommer 2000 mit einer Trägerrakete vom Typ Proton zur ISS gebracht. Die Senderhardware folgte kurze Zeit später mit einem russi- schen Progress-Transporter und wurde von den Astronauten an Bord installiert. Der Beginn des experimentellen Sendebe- triebes erfolgte 2002. Für die erste Phase des Experimentes war die 03 Untersuchung von zwei Anwendungs- Ursprüngliche Idee eines Kommunika- gebieten vorgesehen: die weltweite Syn- tionsexperiments für die ISS, welches chronisation von Armbanduhren und der im Jahr 1996 bei der ESA eingereicht 2. Neue Funkdienste Diebstahlschutz für Kraftfahrzeuge. und 1998 zum Mitflug ausgewählt aus dem Weltall Das GTS-System arbeitet seit gut über zehn wurde. Jahren mit Hilfe eines Computersystems Global Transmission Services (GTS) ist ein und Senders an Bord der ISS. Es wird di- Kommunikationssystem zur Übertragung rekt von Stuttgart aus von einem neuen von Funksignalen von der Internationalen Bodensteuerzentrum kontrolliert. Hier er- Raumstation (ISS). Es wird gegenwärtig folgt die Überwachung und Aufarbeitung im Rahmen eines Pilotexperiments auf der der gesendeten Daten, die dann vom Sen- ISS erprobt und soll bald darauf als neue der zur Station abgestrahlt werden. An- Dienstleistung weltweit angeboten wer- fängliche technische Probleme durch feh- den. GTS war eines der ersten Experimen- lerhafte Kabelverbindungen und bisher in te auf der neuen Raumstation; mit ihm ihrer Wirkung unbekannte Signalstörun- sollten außerdem die Möglichkeiten der gen konnten schrittweise durch Verbesse- Nutzung der Raumstation für kommer- rung der Signalqualität größtenteils kom- zielle Zwecke demonstriert werden. Die pensiert werden. Durchführung des Experiments wurde Die Vorteile der Internationalen Raumstati- on für das GTS-Experiment sind: • Wegen der niedrigen Bahnhöhe von 400 Kilometern und der hohen Bahninklina- tion kann jeder Ort der Erde innerhalb der Breitengrade 70°N und 70°S per Funk fünf bis sieben Mal pro Tag erreicht werden; • GTS ist daher bestens geeignet, ein Zeit- oder Datensignal von nur wenigen Watt Sendeleistung auszustrahlen und auf der Erdoberfläche überall (abgesehen von den Polargebieten) zu verteilen; • durch die niedrige Flugbahn und die hohe Bahngeschwindigkeit werden Signaleigen- 04 schaften erzeugt (Dopplereffekt, schnelle Dr. Felix Huber bei der Montage der Winkeländerungen), die sich gegenseitig GTS-Antenne auf die Unterseite des so ergänzen, dass eine grobe Navigation russischen Servicemoduls im Jahr 1998 von der DaimlerChrysler Forschung, For- durchgeführt werden kann; in Moskau und Kosmonaut Wladimir tis Swiss Watches sowie dem Deutschen • die ISS ist als größtes Raumfahrtprojekt al- Deshurow beim Einbau des GTS Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ler Zeiten für die nächsten zehn Jahre auf Transceivers vier Jahre später inner- und der Europäischen Weltraumbehörde dieser vorteilhaften Bahn verfügbar (un- halb des Servicemoduls. ESA unterstützt. Die Experimentidee ent- abhängig von jeder speziellen Dienstleis- FORSCHUNG AUF DER ISS 47

tung) und bietet gleichzeitig die Möglich- keit des Austausches und der Wartung von Geräten durch Astronauten sowie günsti- ge Transportmöglichkeiten im Abstand von maximal drei Monaten. Nachteilig im Vergleich mit den Mobilfunk- Satellitenkonstellationen wie Iridium, Globalstar und ICO ist, dass ein Echtzeit- betrieb nicht möglich ist, d.h. ein zeitkriti- scher Betrieb kann mit der ISS alleine nicht unterstützt werden. Allerdings ist GTS vorbereitet für den Betrieb auf einer Satelliten-Konstellation z.B. in Form von einem zusätzlichen Nutzlastmodul auf existierenden Satellitenbussen wie etwa beim Galileo-Navigationssystem oder Orb- com-Satellitensystem. GTS soll es in Zu- kunft ermöglichen, kommerzielle Daten- pakete weltweit an beliebige mobile Mini- 05 aturempfänger zu verteilen. Hierzu Bodenspur der ISS mit typischem Emp- gehören u.a. die Verbreitung eines globa- fangsbereich in Echtzeit (links) und len Zeitsignals, um Funkuhren weltweit wirklicht. Durch die generische Chipform, Bodenspuren über einen ganzen Tag mit der richtigen Lokalzeit zu versorgen die für den jeweiligen Anwendungsfall zum Verfolgen von über 1.000 unter- (globale Funkuhrsynchronisation), für kon ditioniert wird, lässt sich eine hohe schiedlichen Sendern pro Empfangsbe- Personenrufdienste (Paging), Datenüber- Stückzahl und damit ein niedriger Preis reich mit kleinen, in Vögeln ange- tragungen zu Smartcards mit Polymerdis- erreichen. brachten Chips mit der Abmessung von plays, Diebstahlsicherungen für KFZ, Kre- Das Funktionsprinzip des GTS: Der Sender nur vier Quadratmillimetern, viel klei- ditkarten und Handys etc., Autorückruf an Bord der ISS sendet periodisch die Zeit- ner als alles was heute möglich ist. und -notruf, Fernsteuerung, Container- signale und die vom Bodenkontrollzent- Verfolgung, Flotten Management usw. rum erhaltenen Nutzsignale aus. Durch Beim zukünftigen Galileo-Satellitensystem die Rotation der Erde und die hohe Bahn- sind im Gegensatz zum amerikanischen neigung der Raumstation wird im Verlauf GPS unter der Bezeichnung „Public Regu- des Fluges mehrmals innerhalb eines lated Services“ solche Dienste möglich. Tages ein Bodenbereich von etwa ±70 Durch die Miniaturisierung des Empfängers Breiten graden, d.h. nahezu der gesamte wird es in Zukunft möglich sein, auch bewohnte Bereich der Erde, abgedeckt. Die kleinere Gegenstände wie Uhren, Funk- Armbanduhren am Boden können durch telefone, elektronische Fahrzeugschlüssel die besondere Form der Abstrahlung der und Chipkarten vor Missbrauch zu schüt- Signale die richtige Uhrzeit ermitteln und zen. Im Experiment wird derzeit erprobt, im Falle von Nutzdaten kann durch eine ob außerdem bei Diebstahl die Position die- spezielle Kodierung, die nicht durch ande- ser oder größerer hochwertiger mobiler re Sender nachgebildet werden kann, die Geräte (Container, Lkw-Auflieger) zumin- Authentizität der Daten überprüft wer- dest grob bis auf einige hundert Meter be- den. Dadurch wird eine fälschungssichere stimmt werden kann. Dies ist bei einer Übertragung der Daten, z.B. für den Dieb- Sendeleistung von einigen 100 mW vom stahlschutz, gewährleistet. Das GTS-Sys- Miniaturempfänger aus mit einem Rück- tem sendet für die verschiedenen Zeitzo- kanal zur Raumstation möglich. nen jeweils die korrigierte Lokalzeit mit Die neuen Dienste sollen nach der Experi- Sommer/Winter-Informationen aus, so mentierphase durch eine kommerzielle dass die Uhren am Boden automatisch die Betreibergesellschaft vermarktet werden. korrekte Zeit anzeigen. Jeder Empfänger Das TZR entwickelte außerdem einen am Boden hat eine eigene Identifikation neuartigen, voll digitalen Empfänger für (ID), durch die gezielt Informationen an die genannten Anwendungsmöglichkei- einen einzelnen Benutzer gesendet werden ten. Nach Abschluss der Experimentier- können. phase wird dieser Prototyp direkt in einen Für den Einsatz als Diebstahlschutz sendet generischen Mikrochip umgewandelt, das GTS System kodierte Nachrichten an der alle oben genannten Funktion ver- den Empfängerchip, der daraufhin die 48 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

besondere Antennenform auf der ISS kann mit geringen Sendeleistungen gearbeitet werden. Zukünftige Etiketten sollen weni- ger als 9 Gramm wiegen und ihre Strom- versorgung durch „Energy Harvesting“ bewerkstelligen. Frei zugängliche Schnitt- stellen und Nutzerspeicher werden die Anbindung eigener Sensoren und die Entwicklung neuer Strategien zur Daten- erfassung und Verbrauchsoptimierung durch die Endbenutzer ermöglichen. Beispielhaft sollen einige der beabsichtigten Anwendungen speziell der Ornithologie erwähnt werden: • Lokalisierung der Brutplätze von Vögeln • Kollisionsvermeidung mit Flugzeugen • Migrationswege und -verhalten 06 und allgemein aus der Zoologie: Nutzer-definierte Kontakte der ICA- • Detektion von Klimaveränderungen RUS-Nutzer per Telecommand (drei durch Animal Tracking bis vier Mal pro Tag) via Raumsta- Elektronik blockiert. Dabei kann der Chip • Einfluss von Klimaveränderungen auf tion zu den Tieren. Zurück kommen sowohl in Kraftfahrzeugen als auch in den Tiere Daten wie Position (GPS- oder Gali- entsprechenden Schlüsseln untergebracht • Erforschung der Ausbreitung von durch leo-Messung in Chip integriert), Be- sein. Es kann damit verhindert werden, Tiere verbreiteten Krankheiten wie SARS, schleunigung, Temperatur und Druck. dass ein Dieb selbst mit einem gestohlenen West-Nil-Virus Originalschlüssel ein Fahrzeug entwendet, • Erforschung von Migrationsrouten für da der Schlüssel nach kürzester Zeit wir- Planung von Landschaftselementen (Wäl- kungslos wird. Der zunehmenden Bedro- der, Kraftwerke, Windkraftwerke, Auto- hung der Fahrzeuginhaber, die durch die bahnen …). gewaltsame Herausgabe des Schlüssels immer häufiger besteht, wird damit ent- 3. Flux (Φ) Probe Experiment gegengewirkt. auf ISS – FIPEX Der GTS Datendienst ist im Wesentlichen für die Übertragung von Daten vom All „FIPEX on ISS“ ist ein Experiment, das die zur Erde ausgelegt. Für Anwendungen, die Konzentrationen von atomarem und einen Datenrückkanal benötigen, wird molekularem Sauerstoff in der direkten derzeit eine Erweiterung des Systems ent- Umgebung der ISS bestimmen sollte. wickelt: Das Icarus-Projekt nutzt die GTS Es ist 1995 in der Planungsphase der ISS Technologie, um Funketiketten („Animal vom Institut für Raumfahrtsysteme vor- Tags“) fernzusteuern und auch auszu- geschlagen, entwickelt und nach dem lesen. Da hierzu viele Sender gleichzeitig Wechsel des Projektleiters Stefanos Fasoulas vom Boden zur ISS senden müssen, wird an die TU Dresden dort ab 2000 für den ein Zusatzmodul entwickelt, das durch ein Einsatz qualifiziert worden. Es wurde, inte- nicht-kohärentes Bandspreizverfahren bis griert auf einer externen Experimentier- zu 1.000 Etiketten gleichzeitig unterschei- plattform (European Technology Exposure den kann. Ein leistungsfähiger digitaler Facility, EuTEF), am 7. Februar 2008 zusam- Signalprozessor in Verbindung mit einer men mit dem europäischen Forschungs- speziellen Antennencharakteristik kann modul Columbus mit dem Space Shuttle die gleichzeitig verschickten Datenpakete Atlantis gestartet, ein paar Tage später separieren und weiterverarbeiten. Der GTS installiert sowie anschließend 572 Tage Downlink kann hierbei verwendet wer- operationell betrieben. Das Experiment den, um die Etiketten zusätzlich während und die gesamte Plattform wurden danach des Funkkontakts zu kommandieren, z.B. mit einer der letzten Shuttle-Missionen zur Messraten umzustellen oder andere Para- Erde zurückgeführt. Unterstützt wurde das meter einzustellen. Die besondere Heraus- Projekt durch eine langjährige Förderung forderung bei den Funketiketten sind durch das Deutsche Zentrum für Luft und ein geringer Stromverbrauch und geringe Raumfahrt (DLR) und die Europäische Masse, inklusive der Antenne. Durch die Raumfahrtagentur (ESA). FORSCHUNG AUF DER ISS 49

Die wissenschaftliche Motivation für dieses verhältnisse von großer Bedeutung. Da Experiment besteht darin, dass Raumflug- aber die Atmosphäre andererseits dem Ein- körper im niedrigen Orbit, wie z.B. das fluss der solaren Strahlung sowie des Erd- Space Shuttle, die ISS und einige wissen- magnet- und Gravitationsfeldes unterliegt, schaftliche und kommerzielle Satelliten, hängt der genaue Zustand an einem gege- die Erde in einer sehr verdünnten Restat- benen Punkt von vielen Parametern ab, die mosphäre umkreisen. Die Obergrenze der längerfristige, kurzfristige und räumliche „wirkenden“ Atmosphäre wird dabei für Variationen beinhalten. Für die Unter- Raumfahrtfragen in etwa dort definiert, suchung dieser Effekte ist deshalb die Mes- wo der solare Strahlungsdruck die atmo- sung des Teilchenflusses einzelner Gas- sphärischen Kräfte als wesentlichen Stör- komponenten, insbesondere des Sauer- einfluss ablöst (circa 1.000 Kilometer stoffs, auf eine wohldefinierte Fläche von Höhe). Allerdings wird oberhalb der Meso- großer Bedeutung. pause (ab etwa 85 Kilometer) der üblicher- Die zeitlich aufgelöste Messung von atoma- weise in der unteren Atmosphäre vor- rem Sauerstoff ist jedoch nicht nur für die handene molekulare Sauerstoff durch die operationelle Raumfahrt von Bedeutung. Solarstrahlung im UV-Bereich dissoziiert. Die dissoziative Strahlungsabsorption im Die dadurch entstehenden Sauerstoffato- ultravioletten Bereich ist tatsächlich eine me sind nun wegen der geringeren Masse der wichtigsten Wechselwirkungen der beweglicher und es erfolgt damit ihre Solarstrahlung mit unserer Atmosphäre. Anreicherung ab dieser Höhe, zumal die Die Auswirkungen sind vielfältig und teil- ebenfalls mögliche Rekombination zu weise global. Nach erfolgter Photodisso- molekularem Sauerstoff in der zuneh- ziation wird nämlich ein Teil der absor- mend dünneren Atmosphäre immer un- bierten Energie direkt durch Stöße in Wär- wahrscheinlicher wird. Atomarer Sauer- me umgewandelt, zum Teil in Form von stoff dominiert folglich ab einer Höhe von Emissionen wieder in den Weltraum emit- etwa 200 Kilometer im Vergleich zu Sauer- tiert und zum Teil als potentielle chemi- stoff- und Stickstoffmolekülen und stellt sche Energie vorübergehend gespeichert. tatsächlich die Hauptkomponente der Über Rekombinationsprozesse wird diese Rest atmosphäre bis circa 1.000 Kilometer potentielle chemische Energie dann letzt- Höhe dar. lich in Wärme umgewandelt, wobei sie im Der Teilchenfluss an atomarem Sauerstoff Bereich von 80 bis 90 Kilometer Höhe den auf die Oberfläche eines Raumflugkörpers größten Beitrag zur gesamten Aufheizung bewirkt nun wegen der extremen Reak- leistet. Genau wie an den Heizprozessen ist tionsfreudigkeit und der hohen Relativ- atomarer Sauerstoff auch entscheidend an geschwindigkeiten eine Vielzahl von Ober- den entsprechenden Kühlprozessen be- flächenprozessen, darunter auch beispiels- teiligt. Im globalen Strahlungsbudget der weise eine Erosion des Oberflächenmate- oberen Erdatmosphäre ist eine wesentliche rials. Für einen Satelliten im erdnahen Wärmesenke die Abstrahlung infraroter Orbit kann die Anzahl der auftreffenden Photonen im 15 Mikrometer-Band des Sauerstoffatome auf circa 1022 pro Quadrat - Kohlendioxids. In Bezug auf den atomaren zentimeter für eine Sonnenzyklusperiode Sauerstoff ist hier von besonderer Bedeu- von elf Jahren abgeschätzt werden. Die tung, dass sich die Energieniveaus dieses Erosion nicht besonders geschützter Struk- Bandes oberhalb von etwa 70 Kilometer turbauteile könnte hier dramatische Höhe wegen der geringen Luftdichte und Folgen haben. Bauteile aus Kohlenfaser- der damit verbundenen geringen Anzahl verbundwerkstoffen mit einer Dicke von von Stößen nicht mehr im thermischen 1,25 Millimeter, wie sie ursprünglich für Gleichgewicht mit dem Strahlungsfeld be- den Einsatz bei der ISS vorgesehen waren, finden. Die genauen Besetzungszahlen die- würden beispielsweise etwa 80 Prozent ser Energieniveaus hängen dabei entschei- ihrer Dicke über eine geplante Missions- dend von Stößen mit atomarem Sauerstoff dauer von 30 Jahren verlieren. Da außer- zusammen, wobei im relevanten Höhen- dem der Widerstand von Raumflugkör- bereich in der Regel die Konzentration des pern in großem Maße von der Dichte der atomaren Sauerstoffs nicht bekannt ist. Anströmung abhängt, ist für die Planung Neben dem offensichtlich negativen Effekt von Missionen im niedrigen Erdorbit und auf unser Verständnis des Energiebudgets für alle Startvorgänge von Raketen die der oberen Erdatmosphäre ist noch von Kenntnis der vorliegenden Atmosphären- Bedeutung, dass die meisten satelliten- 50 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

nen miniaturisierten Sensoren, 2000, 2002). Die zunächst eingesetzten kommerziellen Sensoren hatten dabei einen vergleichs- weise hohen Leistungs- und Energiebedarf, weshalb die eigene Entwicklung von miniaturisierten Sensoren initiiert wurde. Diese Mikrosensoren basieren auf einem keramischen Festkörperelektrolyt, der für Sauerstoffionen leitfähig ist. Trifft Sauer- stoff auf die Elektroden auf, wird er kata- lytisch in zweifach negativ geladene Ionen zerlegt. Diese Ionen werden dann, mittels einer angelegten Spannung, durch den 07 Festelektrolyt geleitet. Der Strom, der Positionierung von FIPEX auf der ISS nach der Installation auf einer externen Plattform am durch diese Ionenleitung entsteht, kann Columbus-Modul der ISS (Bild: NASA, siehe auch (02)). Das Bild zeigt das integrierte Experi- gemessen werden und ist proportional ment mit insgesamt 12 Sensoren, 6 in Flugrichtung und weitere 6 senkrecht dazu und einer Gesamt- zum Sauerstoffpartialdruck in der Um- masse von 5 Kilogramm. Dargestellt sind auch die verwendeten „FIPEX on ISS“-Sauerstoffsensoren gebung. Durch Variation der eingesetzten für das Ultrahochvakuum (im Vergleich zum Streichholz), Sensoren für den Einsatz in der Medizin- Elektrodenmaterialien kann zusätzlich und Umwelttechnik (mittig) und ausgelotetes momentanes Miniaturisierungspotenzial (rechts). eine Selektivität für bestimmte Gasarten (z.B. atomaren Sauerstoff) erfolgen. Die Sensoren müssen dabei eine Betriebstem- gestützten Verfahren zur Bestimmung des peratur von über 400 °C haben, da erst Temperaturprofils auf einer Messung von dann der keramische Festelektrolyt eine CO2-Emissionen im selben Wellenlängen- ausreichende Leitfähigkeit für Sauerstoff- bereich von 15 Mikrometer beruhen. Da ionen aufweist. aber u.a. die Konzentration des atomaren Ein weiterer Einsatz von FIPEX wird derzeit Sauerstoffs nicht hinreichend gut bekannt auf einem miniaturisierten Satelliten der ist, weisen entsprechende satellitenge- TU Dresden (CubeSat SOMP, ein Kilo- stützte Messungen in der oberen Erdatmo- gramm Gesamtmasse, ein Liter Volumen) sphäre oft dramatische Fehler von bis zu vorbereitet, dessen Start in einen polaren einigen zehn Grad auf. Orbit demnächst erfolgen soll. Ebenso sind Damit kann also eine entsprechende, zeitlich Missionen mit Höhenforschungsraketen hoch aufgelöste Messung von atomarem bereits fest eingeplant. Schließlich wird das Sauerstoff das Verständnis über die auftre- Instrument derzeit auch als Bestandteil tenden Phänomene wesentlich erhöhen, von Satellitenschwärmen in Erwägung ge- einen Beitrag zu einer verbesserten Mo- zogen, um praktisch eine vierdimensionale dellbildung unserer Atmosphäre leisten Vermessung der atomaren Sauerstoffkon- und damit sogar Einzug in Klimamodellen zentration in den drei Raumkoordinaten finden. und der Zeit durchzuführen. Vor dem Einsatz auf der ISS wurden als Vor- Erwähnenswert ist abschließend, dass die läufermodelle von FIPEX mit leicht modi- Miniaturisierung der Sensoren für die fizierten kommerziellen Sensoren bereits Raumfahrt sehr rasch auch attraktiv für mehrere kurzzeitige Flugexperimente zahlreiche terrestrische Anwendungen durchgeführt, um primär das Funktions- wurde, wie z.B. für verschiedene industri- prinzip zu demonstrieren: elle Anwendungen in der Regelungs- und • TEXUS 34, eine ballistische Höhenfor- Verfahrenstechnik, für die medizinische schungsrakete (Start in Kiruna, Schweden, Leistungsdiagnostik, bei der Lecksuche in 1996); Vakuumsystemen und viele andere. • VS30, ebenfalls Höhenforschungsrakete (Start in Brasilien, 1997); 4. Regenerative Stoffwirtschaft – • TEAMSAT/Ariane 502, ein Forschungssatel- erprobt auf der ISS lit, gestertet mit dem Zweitstart der Ariane Die Entwicklung von regenerativen und 5 mit etwa 1 Woche Betriebsdauer (1997); nachhaltigen Lebenserhaltungssystemen • IRDT 1 und IRDT 2, europäisch-russische ist eine wesentliche Voraussetzung für die Demonstrationsmissionen für aufblasbare Realisierung von Langzeitaufenthalten des Wiedereintrittskapseln (erstmals mit eige- Menschen im Weltraum. Das Lebenserhal- FORSCHUNG AUF DER ISS 51

tungssystem (LSS – Life Support System) ist jenes Subsystem eines bemannten Raumfahrtsystems, welches dem Men- schen das Überleben in der lebensfeind- lichen Umgebung des Weltraums ermög- licht, indem es die Versorgung mit Be- darfsgütern und die Entsorgung sowie gegebenenfalls die Wiederaufbereitung von Abfall sicherstellt. Die Verbesserung von Lebenserhaltungssystemen verfolgt das langfristige Ziel, regenerative Systeme bis hin zur Autarkie zu entwickeln und zu erproben. Zukünftige bemannte Raumfahrtmissionen 08 werden den niedrigen Erdorbit verlassen Die ersten Ergebnisse des „FIPEX on ISS“ Experiments im Vergleich zu verschiedenen Atmosphä- und stellen aufgrund größerer Entfernung renmodellen. Dargestellt sind die Werte für vier Orbits im Zeitraum 16.-17. April 2008. Die zur Erde und folglich längeren Transfer- schwarzen Dreiecke symbolisieren den Eintritt in die Schattenphase (grau hinterlegt), die gelben zeiten im Vergleich zur Internationalen Dreiecke den Sonnenaufgang. Der obere Teil des Diagramms zeigt die Voraussagen von drei ver- Raumstation neue Anforderungen an schiedenen Atmosphärenmodellen, die teilweise nicht einmal qualitativ übereinstimmen. Der untere Betrieb und Funktionalität. Aktuelle Be- Teil zeigt die Messergebnisse von drei Sensoren, die zu diesem Zeitpunkt betrieben wurden. Man er- strebungen reichen vom Aufbau einer kennt deutlich den Anstieg der Konzentration nach dem Austritt aus der Schattenphase, das Erreichen Forschungsbasis auf dem Mond, über die eines Maximums in der Nähe des Äquators, das Absinken für größere nördliche und südliche Breiten bemannte Erkundung von erdnahen Aste- sowie das deutliche Absinken nach dem Schatteneintritt. roiden bis zu bemannten Marsmissionen. Die Minimierung des Nachschubbedarfs spielt eine zentrale Rolle zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Dies kann durch Regeneration der lebenswichtigen Stoffe Sauerstoff, Wasser und Kohlenstoff – also die Schließung der entsprechenden Kreisläufe – erzielt werden. Heute verfüg- bare und bereits im ISS- Lebenserhaltungs- system eingesetzte Technologien basieren auf physikochemischen Prozessen und er- möglichen die Regeneration von Wasser und teilweise auch schon von Sauerstoff. Im nächsten Schritt soll durch Kultivie- rung von biologischen Systemen zusätz- lich der Kohlenstoff-Kreislauf geschlossen werden mit dem Ziel, Nachschubmasse einzusparen oder zumindest durch un- gleiche Redundanzen die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Versorgung von Astro- nauten zu erhöhen. Zusätzlich sind Ver- änderungen an der Infrastruktur so vor- zu nehmen, dass die synergetische Vernet- zung von Komponenten eine zusätzliche Einsparung von Tankmassen und Nach- schub ermöglicht. Der von Wissenschaftlern des IRS gewählte und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR seit 2009 geförderte Ansatz, welcher im Experiment auf der 09 Erde schon realisiert und später im Welt- Die Aufgaben der Lebenserhaltung sind auf Subsysteme verteilt, welche den Nachschub der Atmo- raum erprobt werden soll, ist die Unter- sphärengase, von Wasser und Nahrung sichern und die Abfallstoffe entsorgen. Keines dieser Sub- suchung der Machbarkeit von Lebenser- systeme arbeitet unabhängig von den anderen, alle stehen miteinander in Beziehung. Dabei wird der haltungssystemen auf Basis der synergeti- Mensch auch als Subsystem betrachtet, mit Ein- und Ausgängen für seine „Stoffströme“. 52 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

10 und Vernetzungsfähigkeit der eingesetz- Stoff- und Energieströme im Lebenserhal- ten Technologien, sowie durch die Aus- tungssystem zwischen dem Menschen, der nutzung synergetischer Effekte bei der In- Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoff- frastrukturgestaltung, lassen sich Massen- zelle und dem Photobioreaktor: Die direkt einsparungen und Redundanzen erzielen. oder durch Lichtleiter indirekt dem Son- Unter einem hybriden Lebenserhaltungssys- nenlicht ausgesetzten Algen wandeln tem versteht man die Zusammensetzung das ausgeatmete Kohlendioxid der Astro- des LSS aus physikochemischen und bio- nauten durch Photosynthese um und pro- logischen Komponenten oder auch die duzieren dabei Sauerstoff und essbare oder Verknüpfung von zwei oder mehreren energetisch nutzbare Biomasse. Der Prozesswegen außerhalb des menschlichen Mensch kann den Sauerstoff einatmen Stoffwechsels zum Vorteil beider Prozesse. oder die Brennstoffzelle diesen, zusammen Hybride LSS sind kurz- bis mittelfristig mit zugeführtem z.B. durch Elektrolyse er- umsetzbar, da sie bereits entwickelte phy- zeugtem Wasserstoff, zur Produktion elek- sikochemische Prozesse und einfach kont- trischer Energie nutzen. Dabei entsteht rollierbare biologische Systeme einsetzen. trinkbares Wasser. Physikochemische Fil- Insbesondere Vorteile bei der äquivalenten terung reinigt die Stoffströme so, dass die schen Integration von Photobioreaktoren Systemmasse und Zuverlässigkeit sind zu Grunde liegenden Prozesse lange Zeit und Brennstoffzellen. Mit den Photobio- gegenüber rein bioregenerativen LSS zu stabil ablaufen. reaktoren, die für die Kultivierung von erwarten. Aktuell sind physikochemische Mikroalgen eingesetzt werden, kommen Prozesse besser verstanden, daher auch zu- biologische Prozessführungen hinzu. verlässiger zu kontrollieren, weniger war- Die eingesetzten Mikroalgen der Spezies tungsintensiv und kompakter in der Bau- Chlorella vulgaris setzen das ausgeatmete weise. Biologische Prozesse arbeiten träger, Kohlendioxid der Besatzung mit Hilfe von sind aber in der Lage, Kohlenstoff aufzu- Licht in Biomasse (Nahrung) um. Der da- bereiten. Künftig kann die Zuverlässigkeit bei produzierte Sauerstoff kann einerseits biologischer Systeme durch eine effizien- in die Kabine zurückgeführt, andererseits tere Kontrolle und dank ihrer Eigenschaft, der Brennstoffzelle zusammen mit Wasser- dass sie in der Lage sind, sich bei Störfällen stoff zur Erzeugung elektrischer Energie zu erholen und selbst zu reparieren, ge- zugeführt werden. Über den Elektrolyse- steigert werden. Diesem Prinzip der Selbst- Verdeutlichung des Einsparpotenzials an- prozess wird Wasser aus dem Photobio- erholung liegt die Selbstorganisation von hand des Vergleichs eines nicht vernetzten reaktor bzw. aus dem Brennstoffzellen- Lebewesen und Organismen zugrunde Lebenserhaltungssystems mit dem weit- prozess in Sauerstoff und Wasserstoff auf- und bleibt physikochemischen Techno- gehend synergetisch vernetzten System ein- gespaltet. Letzterer ist vor allem als logien vorenthalten. Die Herausforderung schließlich Energiesystem (EPS– Electri- Energiespeicher und Treibstoff vielseitig in der Umsetzung besteht in noch offenen cal Power System) und dem Lage- und einsetzbar. Durch die Stoffregenerations- biologischen Fragen und in der System- Bahnregelungssystem (AOCS – Attitude and Orbit Control System). Das unver- netzte Raumfahrtsystem (links) sieht für jedes Subsystem seine eigene Stoffinfra- struktur vor. Hier kann bereits eine regene rative Brennstoffzelle, d.h. inklusive Elektrolyseur, anstelle der Batterie ein- gesetzt werden. Es kann jedoch als ge- schlossenes System nur die Aufgabe einer sekundären Batterie erfüllen. Im Beispiel des vernetz ten Systems (rechts) werden für Wasserstoff und Sauerstoff sowie Wasser die Grenzen der Subsysteme durchdrungen. Wasserstoff steht sowohl der Brennstoff- zelle, als auch dem Antriebssystem zur Verfügung. Sauerstoff kann zur Erzeugung von elektrischer Energie in der Brennstoff- zelle als Oxidationsmittel und zur Versor- gung der an Bord befindlichen Personen verwendet werden. 11 FORSCHUNG AUF DER ISS 53

integration, für welche ein interdisziplinä- ZUSAMMENFASSUNG rer Ansatz erforderlich ist. Wissenschaftler und Ingenieure aus verschiedenen Dis- Seit November 2000 leben und arbeiten ohne Unterbrechung bis zu sechs Astronauten in ziplinen müssen einen Beitrag zu einem der Internationalen Raumstation ISS. Das Großforschungslabor im Weltall ist das wahr- Gesamtsystem leisten. Hybride Lebenser- scheinlich größte wissenschaftlich-technische Projekt in der Geschichte der Menschheit und haltungssysteme stellen somit den mittel- ein sichtbares Beispiel für die globale Zusammenarbeit. Die Raumstation ermöglicht durch fristigen Zwischenschritt zu bioregenera- die speziellen Umgebungsbedingungen grundlagen- und anwendungsbezogene Untersuchun- tiven Systemen dar. Aufgrund geringer gen in vielen wissenschaftlichen Disziplinen und damit einzigartige Möglichkeiten ins- Puffer- und Speicherkapazitäten sind eine besondere für die „Forschung unter reduzierter Schwerkraft“. Dadurch ergeben sich neue effiziente kontinuierliche Überwachung Möglichkeiten der Technologieentwicklung, sowohl für die Verbesserung von industriellen und Kontrolle erforderlich, sowie schnelle Verfahren auf der Erde, als auch für zukünftige Raumfahrt-Infrastrukturen. Als Außen- und zuverlässige Komponenten redundant posten der Erde bildet die Raumstation zudem ein Sprungbrett für die weitere Erforschung einzubeziehen. und Erschließung des Weltraums. Die gestellten Anforderungen und Rand- Forscher des Instituts für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart haben bislang zwei bedingungen sind wie folgt: Die Massen- Experimente entwickelt und erfolgreich auf der ISS durchgeführt: GTS Global Trans- ströme eines Menschen sind in (09) dar- mission Services, ein Experiment zur weltweiten Zeitsynchronisation und zum Aufspüren gestellt. Die Massenströme können je nach und Verfolgen beweglicher Objekte und das FIPEX Flux Probe Experiment zur Messung Aktivität des Menschen höher oder niedri- der Verteilung des molekularen und atomaren Sauerstoffs in der Raumstationsumgebung. ger liegen. Einen nicht zu vernachlässigen- Ein weiteres Experiment zur Erweiterung der regenerativen Stoffwirtschaft (ReStWEX), den Anteil nimmt die Verpackung der d.h. Verbesserung des Lebenserhaltungssystems an Bord von zukünftigen Raumstationen und Nahrung ein. Das Hygienewasser umfasst Transferfahrzeugen zu Asteroiden und zum Planeten Mars, wird gegenwärtig vorbereitet Waschwasser für Hände, Dusche, Kleidung und soll in den nächsten Jahren ebenfalls zur ISS fliegen. Über diese drei Experimente, die und Geschirr sowie Toilettenspülung. Die bisher erzielten Ergebnisse und deren Spin-off-Potenzial für terrestrische Anwendungen Menge hängt davon ab, welchen Komfort wird hier berichtet. im Umgang mit Wasser einer Besatzung zugestanden wird. Grundsätzlich gilt: je länger die Missionsdauer, desto höher der Bedarf an Hygienewasser. Die Kabinenluft erhaltungssystem darf keine Gefahr einer Interplanetares Transfer-Vehikel entspricht weitgehend der Luftzusammen- Kontamination ausgehen, so dass Gegen- (ITV) für den Flug zum Mars. Ein setzung auf der Erde. Aus Sicherheitsgrün- maßnahmen mitberücksichtigt und im solcher Flug dauert unter Beachtung den darf der Partialdruck von Sauerstoff Labor untersucht werden müssen. Zusätz- der Rückkehrfenster knapp zwei Jahre höchstens ein Drittel des Gesamtdrucks lich ist ein mikrogravitationstauglicher bei 15 Tagen Aufenthalt am Mars ausmachen, um die Entflammbarkeit von Photobioreaktor zu entwickeln. Die ersten und – ohne Alternative dazwischen – Materialien in Grenzen zu halten und Ergebnisse fließen bereits in einen Vor- mindestens drei Jahre bei 15 Monaten nicht länger als zwei Stunden unter 134 schlag für ein Weltraumexperiment ein, Aufenthalt auf dem Mars. Trotz der Millibar liegen. welches künftig auch als Erweiterung des Verwendung von nuklear-thermischen Eine synergetische Vernetzung im LSS bedeu- geplanten Advanced Closed Loop Systems Triebwerken besteht die Abflugmasse tet, dass das Zusammenschalten von Kom- (ACLS) auf der Internationalen Raum- hauptsächlich aus Treibstofftanks und ponenten, die jeweils eine konkrete Aufga- station geplant ist. Das ACLS-Experiment Antriebssystem. Das gesamte Volumen be erfüllen, weitere übergeordnete Vorteile der Firma EADS Astrium Friedrichshafen der Module beträgt der NASA-Studie im systemischen Zusammenwirken erge- soll demonstrieren, dass bei Transport- zufolge 600 Kubikmeter. ben wie etwa Masseeinsparung oder Redun- danzen. Für die Umsetzung eines hybriden LSS können synergetische Vorteile durch die Integration von Brennstoffzellen und Photobioreaktoren zur Kultivierung von Mikroalgen in einer vernetzten Stoffinfra- struktur hinsichtlich Masse, Volumen und Nachschub erzielt werden. Die aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Systembewertung dieser Vernetzung von Photobioreaktoren (Sauerstoffproduk- tion, Kohlendioxidaufnahme, Nutzung als Nahrung) und der Brennstoffzellen (Er- zeugung von elektrischer Energie und Wasser) sowie auf die technischen Aspekte der Systemintegration. Von den Schnitt- stellen der Komponenten zum Lebens- 12 54 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

DIE AUTOREN kosten zur ISS von 22.000 Dollar pro Kilo- gramm Nachschubmasse der Aufwand für Prof. Dr. Dr.-Ing. E.h. ein Luftaufbereitungssystem, welches eine Ernst Messerschmid Abscheidung von Kohlendioxid und Er- arbeitete nach dem Studium der Physik an den Universitäten zeugung von Sauerstoff ermöglicht, sich Tübingen und Bonn als Wissenschaftlicher Mitarbeiter von sprichwörtlich „bezahlt“ macht. Mit 1970 bis 1977 am CERN in Genf, am Brookhaven National einem zusätzlich installierten Sabatier- Laboratory in New York, am DESY in Hamburg und promo- Reaktor soll der aus dem alkalischen vierte 1976 an der Universität Freiburg. Ab 1978 war er im Elektrolyseur stammende Wasserstoff mit Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR Oberpfaf- Kohlendioxid zu Methan reagieren, um fenhofen) beschäftigt und wurde ab 1983 in Köln-Porz zum den Wasserstoff als Wasser wieder zurück- Wissenschaftsastronauten ausgebildet. Er startete am zugewinnen. Methan wird als Abfallpro- 30.10.1985 mit dem amerikanischen Space-Shuttle Challenger dukt zunächst noch in den Weltraum ent- zum 7-tägigen Flug der D1-Spacelab-Mission. 1986 wurde er sorgt, könnte aber zukünftig auch als gut zum Ordinarius für Raumfahrtsysteme und Direktor des lagerfähiger Treibstoff verwendet werden. gleichnamigen Instituts der Universität Stuttgart berufen. Von Das ACLS soll im Jahr 2016 auf der ISS im 2000 bis 2004 war Ernst Messerschmid von der Universität Columbus-Modul installiert werden. Kur- Stuttgart beurlaubt, um die Leitung des Europäischen Astro- ze Zeit später könnte das ReStWEX nach- nautenzentrums der ESA in Köln-Porz wahrzunehmen. geliefert werden. Insofern könnten die in diesem Experiment Prof. Dr.-Ing. Stefanos Fasoulas erarbeiteten ingenieurwissenschaftlichen arbeitete nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik Grundlagen dazu beitragen, den „Traum von 1990 bis 1999 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am vom Fliegen“ in eine bislang von der Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart, wo er Menschheit nicht erreichten Dimension 1995 auch promovierte. Im November 1999 folgte er einem außerhalb des Wirkungspotentials der Erd- Ruf auf die Professur für Raumfahrtsysteme und Raumfahrt- gravitation zu ermöglichen. Denn zukünf- nutzung an die TU Dresden. In 2006 übernahm er hier als tige Raumschiffe zu fernen Zielen im geschäftsführender Direktor die Leitung des Instituts für Luft- Sonnensystem, mit teilweise langen Reise- und Raumfahrttechnik. Im Juli 2010 wechselte er wieder an zeiten zu Asteroiden, Mars oder dessen die Universität Stuttgart, um die Professur für Raumtransport- Monde, werden nicht ohne regenerative technologie am Institut für Raumfahrtsysteme zu übernehmen. Lebens erhaltungssysteme auskommen. Die Astronauten werden außerdem lernen Prof. Dr.-Ing. Felix Huber müssen, vor Ort verfügbare Ressourcen zu arbeitete nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik nutzen und die Vorräte in den Tanks von 1993 bis 1999 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am nachzufüllen. Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart, wo er Die Verbesserung von Lebenserhaltungssys- 1994 auch promovierte. Im selben Zeitraum war er außerdem temen, auch Habitat-Forschung bezeich- Projektleiter am Transferzentrum Raumfahrt der Steinbeis- net, generiert daher – ähnlich der Öko- stiftung für Wirtschaftsförderung, dessen Leitung er 2000 systemforschung auf der Erde – kollektiv übernahm. Im Februar 2009 folgte er einem Ruf auf die Po- nützliches Wissen, um Zusammenhänge sition des Direktors für Raumflugbetrieb und Astronauten- des eigenen Lebensraums zu begreifen und training im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt um diese zu beeinflussen. Raumfahrt- (DLR Oberpfaffenhofen) in Verbindung mit der Professur Habitat-Technologie kann als Spin-off für „Raumflugbetrieb“ an der Universität der Bundeswehr in die Ökosystem- und Energieforschung auf Neubiberg. der Erde verstanden werden. Stoffumsätze laufen im Vergleich zur Erde beschleunigt ab und Einzelphänomene sind den Unter- Kontakt suchungen besser zugänglich. Möglich- Universität Stuttgart keiten und Grenzen bei der Schließung Institut für Raumfahrtsysteme von Stoffkreisläufen in der Raumfahrt Astronautik und Raumstationen zeigen uns den Weg für den Umgang auf Pfaffenwaldring 29 der Erde mit begrenzten Ressourcen wie D–70569 Stuttgart Sauerstoff, Wasser und Nahrung und nöti- Tel. +49 (0) 711/685-62383 gen uns den Respekt ab vor dem, was die Fax +49 (0) 711/685-62358 Natur bisher alleine ohne unser Zutun [email protected] vollbringt, vielleicht nicht für immer. • www.irs.uni-stuttgart.de Ernst Messerschmid, Stefanos Fasoulas,Felix Huber 56 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Die Vermessung der Welt aus dem All

Die Satellitengeodäsie spielt als messende Ingenieursdisziplin eine bedeutende Rolle in der Erdsystem- und Klimaforschung. Der geodäti- sche Blick aus dem All ist global und synoptisch, eine Bedingung um das Gesamtsystem „Erde“ quantitativ erfassen und verstehen zu kön- nen. Wie verschiedene Komponenten des globalen Wasserkreislaufs quantifiziert werden, wird anhand zweier Satellitenverfahren erläutert.

bolisierten die Vermessungstätigkeiten von Gauß. Seine mathematischen Ent- wicklungen wurden oft aus seinen prakti- schen Messtätigkeiten gespeist; zum Bei- spiel die Schätzmethode der kleinsten Quadrate oder seine Statistik. Letzteres ist auch auf dem alten Zehnerschein symboli- siert, nämlich durch die Gauß’sche Nor- malverteilung. Auch Alexander von Hum- boldt war ein aktiver Geodät, hatte er auf seinen Entdeckungsreisen doch immer high-tech Vermessungsgeräte dabei. Geodäten haben schon immer davon ge- träumt, die Erde als Ganzes vermessen zu können. Der Grundstein dazu wurde vor 150 Jahren vom preußischen General Jo- 01 hann Jacob Baeyer gelegt, als er Delegierte Tipping Points: kritische Indikatoren aus Preußen, Österreich und Sachsen 1862 der Klimastabilität. nach Berlin zur Diskussion seiner „Ent- 1. Geodäsie und die Vermessung wurf zu einer Mitteleuropäischen Grad- der Welt messung“ einlud. Bald schlossen sich wei- tere europäische Staaten der Initiative an, Vom österreichisch-deutschen Schriftsteller was als Geburtsstunde der Internationalen Daniel Kehlmann erschien 2005 der Best- Assoziation der Geodäsie (IAG) gilt. Im seller Die Vermessung der Welt, ein Roman Jahr 2013 veranstaltet die IAG in Potsdam über die Geodäten Carl Friedrich Gauß zu Ehren von General Baeyer eine große (1777–1855) und Alexander von Humboldt internationale Konferenz. (1769–1859). Der breiteren Öffentlichkeit Der Traum der globalen Vermessung der sind die beiden Herren zwar eher als Ma- Erde wurde natürlich erst im Satelliten- thematiker bzw. Naturforscher bekannt. zeitalter realisiert. Nur von Satelliten aus Der Buchtitel verweist aber auf die Kern- besteht überhaupt die Chance, die Erde aufgabe der Geodäsie, nämlich das Aus- gleichmäßig, mit homogener Genauigkeit messen und Abbilden der Erdoberfläche. und in einem beschränkten Zeitraum zu Und genau das taten die Herren Gauß und vermessen. Schon aus den ersten Sputnik- von Humboldt. Nicht umsonst zeigte der Bahnbeobachtungen konnte die Erdab- alte Zehnmarkschein ein norddeutsches plattung genauer bestimmt werden, als Triangulationsnetz samt Sextant; sie sym- aus allen terrestrischen Messungen der VERMESSUNG DER WELT 57

Jahrhunderte davor. Danach entwickelte Astronaut auf der Raumstation schwebt SUMMARY sich die Satellitengeodäsie in einem rasan- und anscheinend nicht von der Erde ange- ten Tempo. Man denke nur an die gesell- zogen wird. (In Wahrheit wird er von der Satellite geodesy plays a key schaftlichen und wirtschaftlichen Mög- Erde angezogen; nur ist die Erdanziehung role in Earth system science and lichkeiten, die globale satellitengestützte in Bilanz mit der Zentrifugalbeschleuni- climate research as it provides a Navigationssysteme wie das US-amerikani- gung durch die Freifallbewegung.) Was quantitative observational basis. sche GPS oder das künftige europäische sich aber sehr wohl messen lässt, ist die The geodetic vantage point from Galileo bieten. unterschiedliche Fallbewegung zweier Sa- space is global and synoptic, Die Notwendigkeit kontinuierlicher Erdbe- telliten. Beide Satelliten befinden sich an which is required to determine obachtung wird durch die aktuelle Debat- unterschiedlicher Position im Erdschwere- “system Earth” in a quantita- te um den globalen Wandel unterstrichen. feld und werden entsprechend unter- tive sense and to understand it. Man liest zwar regelmäßig in der Zeitung, schiedlich angezogen. Deren Fallbewegung Two satellite geodetic methods dass der Meeresspiegel ansteigt. Wie misst und somit die Intersatellitendistanz ist da- are employed here to demon- man aber zuverlässig solche kleinen Ände- her variabel. strate how individual compo- rungen (etwa 3 mm/Jahr), wenn man Dieses Prinzip, das sich „low-low satellite-to- nents of the global water cycle überlegt, dass Wellen und Gezeiten um satellite tracking“ nennt, wird von der are measured. Satellite einige Größenordnungen größer sind? Und amerikanisch-deutschen Satellitenmission gravimetry measures changes wo kommt das Wasser her? Teils erklärt GRACE realisiert. Dabei befinden sich seit in the Earth’s gravity field, sich der Meeresspiegelanstieg durch ther- etwa zehn Jahren zwei baugleiche Satelli- from which large scale mass mische Ausdehnung: wenn die mittleren ten auf derselben polaren Umlaufbahn in transports are inferred. Thus Temperaturen steigen, dehnt sich auch etwa 450 Kilomter Höhe. Allerdings sind several processes like ice cap das Wasservolumen aus. Zum Großteil er- sie in der Bahn um etwa 200 Kilometer melting in Greenland and West klärt sich der Meeresspiegelanstieg aber versetzt; der eine Satellit jagt dem anderen Antarctica, melting of conti- durch eine großskalige Verlagerung der mit fast 30 Sekunden Verzögerung hinter- nental glaciers, large scale Wasser- und Eismassen im globalen Was- her. Die Entfernungsänderungen zwischen groundwater depletion and, ulti- serkreislauf. den beiden Satelliten werden mit einer mately, sea level rise from con- In der Debatte um den Klimawandel haben Präzision von etwa zehn Mikrometern tinental freshwater influx into Kollegen des Potsdam-Instituts für Klima- (µm) durch K-Band-Entfernungsmessung the oceans can be monitored. folgenforschung (PIK) den Begriff der „tip- erfasst. Satellite altimetry, on the ping points“ geprägt. Dies sind kritische Aus diesen hochgenauen Messungen produ- other hand, is a geometric meas- Indikatoren des Klimasystems insgesamt. zieren Geodäten praktisch jeden Monat urement method. It also allows Zum Beispiel beobachten geodätische Sa- ein Erdschwerefeld. Im Rahmen der Kli- the long term monitoring of sea telliten seit einigen Jahren eine beschleu- maforschung werden solche Ergebnisse level and sea level rise. The nigte Abschmelzung des Grönländischen erst interessant, wenn die monatlichen geometric sea surface change, Eisschildes. Ohnehin spielt die Satelliten- Schwerefelder so-zu-sagen als Film hinter- however, is a combination of geodäsie bei etwa der Hälfte der „tipping einander gereiht werden. Es entsteht eine freshwater influx and thermal points“ , siehe (01), eine wichtige Beob- Zeitfolge von Schwerefeldänderungen, expansion. Hence, the combina- achtungsrolle. also von Massenverlagerungen im Erd- tion of both satellite geodetic Dieser Beitrag dient dazu, anhand von zwei system, über die letzten 10 Jahre. Bedingt methods allows disentangling unterschiedlichen geodätischen Satelliten- durch die Höhe der Satelliten und durch the different contributors. Satel- systemen die zentrale Rolle der Geodäsie die, trotz Messgenauigkeit, relativ geringe lite altimetry is also used for in der Erdbeobachtung zu verdeutlichen. Sensitivität kann die Satellitengravimetrie hydrological purposes here, allerdings solche Änderungen nur für monitoring inland water bodies. 2. Satellitengravimetrie räumliche Skalen auflösen, die größer als This is a relevant application of etwa 400 Kilometer sind. Trotzdem liefert satellite altimetry as the global Wie „wiegt“ man nun großskalige Massenän- die Zeitreihe der Massenänderungen ein database of lake and river derungen wie das Abschmelzverhalten umfassendes Bild der Erde, das Hydro- heights and river runoff from von Grönland aus dem All? Großräumige logen, Eiswissenschaftler oder Geophysiker lake and river gauges is far from Massenumlagerungen bewirken eine Än- so noch nicht gesehen hatten. Über die satisfactory for continental scale derung des Erdschwerefeldes. Das Schwe- klassischen bildgebenden Verfahren der modelling. Moreover, the data- refeld der Erde bringt ja „nur“ die Gesamt- Satellitenfernerkundung hinaus, eröffnet base has been in decline over the massenverteilung in und auf der Erde zum die Satellitengravimetrie eine komplett past years. Apart from the focus Ausdruck. Auch wenn es sich hier um neue Art, die Erde zu erkunden. Statt on the quantitative role of satel- vielleicht die 6. Nachkommastelle handelt, elektro-magnetischer Wellen wird die gra- lite geodesy this contribution sind solche zeitliche Änderungen messbar. vitationelle Wechselwirkung genutzt. emphasizes the need for long- Eine direkte Schwerefeldmessung vom Satel- Weil viele, obwohl nicht alle, Massenverlage- term observation of key varia- liten aus wird aber nicht gelingen. Satelli- rungen im Erdsystem mit dem Wasser- bles in the Earth system. ten bewegen sich im Freifall, genau wie ein kreislauf zusammen hängen, werden die 58 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Massen oft dass sich Massenumsätze messtechnisch als Wasser- quantifizieren lassen und zwar global mit schicht aus- homogener Genauigkeit und homogener gedrückt: die (obwohl grober) räumlicher Auflösung. sogenannte Dies ist umso wichtiger, weil das terrestri- wasseräqui- sche Netzwerk von hydrologischen und valente meteorologischen Messstationen seit Jah- Höhe. Dies ren rückläufig ist. Der langfristige Betrieb ist selbst- zum Beispiel von Flusspegelstationen ist verständlich nun mal für viele Länder weltweit eine irreführend kostspielige Angelegenheit. für Massen- In Gegensatz zur jährlichen Variation stellt änderungen, (03) die langfristige Änderung, ausge- die nicht mit drückt in cm/Jahr Änderung der äquiva- 02 Hydrologie lenten Wasserhöhe, dar. Es sei nochmals Jahresgang der hydrologischen Mas- zu tun ha- betont, dass die äquivalente Wasserhöhe senänderungen, ausgedrückt in äqui- ben. Auch nur eine Darstellung der gemessenen Mas- valenter Wasserhöhe in Zentimeter. wenn es um hydrologische Massenverlage- senänderungen ist. Zum Beispiel haben die rungen geht, können wasseräquivalente blauen Bereiche in Skandinavien und Höhen in die Irre führen. Das Gravita- Nordamerika wenig mit langjährigen tionssignal aus der GRACE-Mission kann Grundwasseränderungen zu tun. Viel- nicht unterscheiden, ob es nun um Ober- mehr geht es um postglaziale Hebung der flächenwasser, Bodenfeuchte, tiefes Landmassen nach dem Rückzug der Eis- Grundwasser oder gar um Wasser in der schilde der letzten Eiszeit (vor 18.000 Jah- Biosphäre geht. Eine vertikale Trennung ren). Die Massen der damaligen kilometer- ist nicht möglich. Der Vorteil ist aber, dass dicken Eispanzer haben die Erdkruste nach man ein vergleichbares Maß und einen innen deformiert. Seitdem das Eis abge- globalen Überblick erhält, was in (02) und schmolzen ist, bewegt sich die Erdkruste (03) eindrucksvoll belegt wird. wieder visko-elastisch zurück. Es geht um (02) zeigt die Variabilität der äquivalenten Bewegungsraten bis zu einem Zentimeter Wasserhöhe weltweit. Obwohl weitere Pe- pro Jahr, die übrigens auch mit anderen rioden im Spiel sind, geht es hier in erster geodätischen Messtechniken wie GPS oder Linie um den Jahresgang. Für jeden Pixel aus geologischen Analysen festgestellt auf dieser Karte muss man sich also eine wurden. Die Quantifizierung der Massen- jährliche Sinuskurve mit einer Amplitude bewegungen und eine Bestimmung der vorstellen, die man von der jeweiligen Far- räumlichen Ausdehnung über Kanada be abliest. Konkret geht zum Beispiel der sind aber wichtige Errungenschaften der Wasserspeicher des Amazonasbeckens GRACE-Mission. jährlich mit 20 Zentimetern Amplitude Das Beunruhigende an (03) sind die roten auf und ab. Man sieht auch, dass der Ama- Bereiche über Grönland und der Westant- zonas vom Orinocobecken getrennt ist. arktis. Die Satellitengravimetrie erlaubt Weitere Gebiete mit starker hydrologi- eine eindeutige Quantifizierung des Ab- scher Aktivität sind die Tropenbereiche in schmelzverhaltens, etwas das mit her- Afrika und Nordaustralien und der Zu- kömmlichen Fernerkundungsmethoden sammenfluss von Ganges und Brahmaput- oder mit Modellierung kaum möglich ra. Auch die hydrologisch eher inaktiven war. Vom grönländischen Eisschild Kontinentalgebiete, wie die Wüsten und schmelzen etwa 300 Gt/Jahr (Gigatonnen die Antarktis fallen durch helle Farben ins pro Jahr) ab. Zum Vergleich: eine Giga- Auge. Die Karte zeigt gleichzeitig auch die tonne entspricht der Wassermasse in ei- Beschränkungen der momentanen Satelli- nem Würfel mit einem Kilometer Kanten- tengravimetrie auf. Für viele Gebiete, wie länge. Wenn 300 solcher Eiswürfel pro Jahr etwa die indonesischen Inseln, reicht die abschmelzen, bewirkt das einen mittleren räumliche Auflösung nicht aus. Meeresspiegelanstieg von etwa 0,85 Milli- Selbstverständlich ist es keine neue Erkennt- meter pro Jahr. Zahlenmäßig mag das viel- nis, dass im Wüstenbereich hydrologisch leicht gering erscheinen. Über den Zeit- wenig passiert und dass die Tropen dage- raum der GRACE-Satellitenmission aber gen sehr aktiv sind. Die Innovation der Sa- sind die Ozeane im Schnitt alleine wegen tellitengravimetrie steckt in der Tatsache, Grönland um fast einen Zentimeter ge- VERMESSUNG DER WELT 59

stiegen. GRACE hat auch Hinweise darauf Schwere- geliefert, dass sich der Abschmelzvorgang feldes. Ob beschleunigt. Wichtig in der Meeresspie- der Stärke geldiskussion ist auch die Tatsache, dass der Mas- der so berechnete Meeresspiegelanstieg senände- nur einen Schnittwert über die ganze rung hat Ozeanfläche darstellt. In Wirklichkeit wird sich dieser aber das Schmelzwasser nicht gleichmäßig Sprung in über die Ozeane verteilt. Eine große Masse die Karte wie das grönländische Eisschild entfaltet eingeschli- nämlich gravitationelle Wirkung. Wenn chen. Es das Eis schmilzt, verliert es die Wirkung zeigt auf und wird das Wasser im umliegenden jeden Fall, Meer in geringerem Maße anziehen. Der dass die Meeresspiegel des umliegenden Meeres GRACE- 03 wird sich dadurch sogar senken. Das Ab- basierten Langfristige Massenänderungen an der schmelzen von Grönland muss sich also Schwere- Erdoberfläche, ausgedrückt in Ände- auf Europa nicht negativ auswirken, we- feldänderungen nicht nur Objekt der hyd- rungen der äquivalenten Wasserhöhe in nigstens nicht was den Meeresspiegelan- rologischen Forschung und Eisforschung cm/Jahr. stieg betrifft. ist, sondern auch der Geophysik. Die antarktischen Eismassen dagegen sind bedrohlicher für die nördliche Halbkugel. 3. Satellitenaltimetrie Die roten Bereiche in der Westantarktis in (03) zeigen eindeutig, dass die Antarktis Die Satellitengravimetrie erfasst die Massen- Eis verliert. Der Umfang beträgt in etwa verteilung und -umverteilung im Erdsys- 180 Gt/Jahr, was einem mittleren Meeres- tem. Dagegen erfasst die Satellitenaltimet- spiegelanstieg von 0,5 Millimetern pro Jahr rie die Erde in geometrischem Sinne. Das entspricht. (01) nennt das westantarkti- Messprinzip ist einfach, siehe (04). Der Sa- sche Eisschild als einen der „tipping tellit sendet einen Radarpuls nach unten points“. Dementsprechend ist eine genaue und empfängt ihn nach Reflektion an der langfristige Beobachtung hochrelevant. Meeresoberfläche. Die Laufzeitmessung er- Auch kontinentales Eisabschmelzverhalten gibt also, nach Multiplikation mit der ist in (03) klar erkennbar. Insbesondere Lichtgeschwindigkeit und nach atmosphä- die Gletscher von Alaska und Patagonien rischer Korrektur, die doppelte Entfer- verlieren an Masse. Verglichen mit Grön- nung zwischen Satellit und Meeresoberflä- land und der Westantarktis fällt dies viel- che. Wenn man die Satellitenbahn genau leicht weniger „ins Gewicht“. Das Ab- kennt, zum Beispiel aus GPS-Messung, hat schmelzen ist aber ein klares Indiz für den man somit die Höhe der Meeresoberfläche globalen Wandel. bestimmt. So wird ein Profil der Erde Des Weiteren beschreibt die Karte auch lang- direkt unterhalb der Satellitenbahn ab- fristige Speicheränderungen gewisser gestreift, die sogenannte Bodenspur. Der Flussbecken. Der Amazonas scheint Reflektionspunkt an der Meeresoberfläche schwerer, also nasser, zu werden, genauso hat durch die Ausweitung des Radar- wie der Sambesi. Die roten Flecken in Kali- strahls übrigens einen Durchmesser in der fornien (central valley), im mittleren Os- Größenordnung von etlichen Kilometern. ten und in Nordindien (Ganges-Ebene) Seit nunmehr drei Jahrzehnten kommt die deuten klar auf Grundwasserentnahme Satellitenaltimetrie zum Einsatz, obwohl für Bewässerungszwecke hin. Wenn das erst ab Anfang der 90er Jahre operationell. Wasser mal abgepumpt ist, verdunstet es Eine amerikanisch-französische Zusam- schnell und landet in den globalen Was- menarbeit hat eine Generation von Alti- serkreislauf. metermissionen hervorgebracht mit Na- Interessant ist auch die Änderung des men wie Topex/Poseidon und Jason. Die Schwerefeldes durch das Sumatra-Anda- Europäische Raumfahrtbehörde ESA Satel- man Erdbeben, Dezember 2004. Selbst- liten wie ERS und . Die Relevanz verständlich geht es hier nicht um einen kontinuierlicher Ozeanbeobachtung wur- langsamen Bewegungsvorgang, die man in de gemeinsam von der ESA und der Euro- Zentimeter pro Jahr ausdrücken sollte, päischen Union anerkannt. Im Rahmen sondern um eine ruckartige Änderung des des europäischen Erdbeobachtungspro- 60 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

04 05 Messprinzip der Satellitenaltimetrie.

(05) Verlauf des mittleren Meeres- gramms „Global Monitoring for Environ- Die verschiedenen Altimetersatelliten ge- spiegels in mm. ment and Security“ (GMES) wird bald der ben, trotz Differenzen, ein konsistentes Envisat-Nachfolger unter dem Namen Bild. Die Differenzen erklären sich aus Un- Sentinel-3 ins All starten. terschieden in Satellitenbahn, Bodenspur- Die Satellitenaltimetrie wurde in erster Linie muster, Abtastverhalten, Bauweise und zur Beobachtung der Meeresoberfläche Radarfrequenz. entworfen. In der Ozeanografie hat sie da- Richtig interessant wird die Satellitengeodä- her auch große Erfolge vorzuweisen: Ge- sie erst in der Kombination aus gravimetri- zeitenmodelle konnten mit hoher Genau- schem und geometrischem Verfahren. Im igkeit verfeinert werden, die globale vorigen Abschnitt wurde festgestellt wie Ozeanzirkulation und deren Änderungen viel Eis in Grönland, der West-Antarktis werden kontinuierlich verfolgt, kleinräu- und den großen kontinentalen Gletscher- migere Strukturen wie Eddies (Wirbel) gebieten ins Meer verschwindet. Zusätz- oder Tsunamis werden erfasst, das El-Niño lich wurde die Massenänderung einiger Phänomen konnte genauer erforscht wer- großer Flussbecken festgestellt, sowohl mit den, und so weiter. positivem als auch negativem Vorzeichen. In der Klimaforschung ist der Meeresspie- Eine konsistente Zählung ergibt einen gelanstieg eine besonders wichtige Größe. Beitrag des kontinentalen Abflusses (Was- Die Satellitenaltimetrie erlaubt ein lang- ser und Eis) in Höhe von 1.2 ± 0.4 mm/ fristiges Monitoring der Meeresoberflä- Jahr. Die Differenz zum obengenannten chen mit hoher Genauigkeit und homo- altimetrisch bestimmten Meeresspiegelan- gener räumlicher Abdeckung. Nur so stieg von 3.1 mm/Jahr beträgt 1.6 mm/Jahr. können zuverlässig Schätzungen des An- Diese Differenz, die also erst aus der ge- stiegs ermittelt werden und in den Berich- meinsamen Analyse von GRACE und Alti- ten des „Intergovernmental Panel on Cli- metrie bestimmt werden kann, stellt die mate Change“ (IPCC) eine tragende Rolle thermische Ausdehnung der Ozeane dar, spielen. In (05) wird die mittlere Meeres- die sogenannte sterische Komponente des oberfläche ab Anfang der 90er Jahr durch Meeresspiegelanstiegs. Sie wird hier aus- Multimissionsanalyse verfolgt. Der mittle- schließlich aus satellitengeodätischen Ver- re Anstieg beträgt 3.1 ± 0.7 mm/Jahr. Wie fahren bestimmt, ohne Zuhilfenahme von im Abschnitt zur Satellitengravimetrie, ozeanografischer Modellierung oder kli- muss auch hier bemerkt werden, dass die- matischen Annahmen. Solche unabhängi- se Zahl einen Mittelwert über die gesamte gen Messungen sind eine wichtige Stütze Ozeanoberfläche darstellt. Von Ort zu Ort für die weitreichenden Stellungnahmen in variiert der Anstieg; er kann durchaus den IPCC-Berichten. Werte annehmen, die eine Größenord- Wie vorher beschrieben ist die Satellitenalti- nung größer sind, also im Bereich einiger metrie für den Gebrauch auf dem offenen Zentimeter pro Jahr. Auch gibt es weite Ozean gedacht; in Küstennähe liefert sie Ozeanbereiche, wo der Meeressspiegel deutlich schlechtere Ergebnisse. Trotzdem nicht steigt sondern fällt. versucht man seit einigen Jahren, auch Klar erkennbar in (05) ist auch die Über- größere Binnenseen, Speicherseen und so- lagerung von generellem Anstieg und Jah- gar breite Flüsse zu beobachten. Obwohl resgang. Zusätzlich sind noch sogenannte der globale Wasserkreislauf einen der interannuelle Effekte, wie z.B. das schon wichtigsten Prozesse im System Erde dar- erwähnte El-Niño Phänomen, zu sehen. stellt, ist er messtechnisch relativ schlecht VERMESSUNG DER WELT 61

06 07 Mit dem Altimetersatelliten Envisat bestimmte Flusspegelstände. Die roten erfasst. Die Abflüsse aus den großen Fluss- zeitreihen sehr stark mit den Flusspegel- vertikalen Balken stellen den Messfeh- systemen weltweit werden hauptsächlich ständen korrelieren. Nur ist die Feststel- ler dar. an terrestrischen Pegelmessstationen ge- lung einer hohen Korrelation in diesem messen. Solche Messungen werden am Fall keine Lösung des Problems, weil dafür (06) Wo die Satellitenbodenspur den „Global Runoff Data Centre“ (GRDC) an gleichzeitig gemessene Datensätze benötigt Fluss kreuzt, entsteht eine virtuelle Pe- der Bundesanstalt für Gewässerkunde in werden. Und wenn die Abflüsse schon ge- gelstation. Koblenz kompiliert und Nutzern zur Ver- geben sind, braucht man die altimetrisch fügung gestellt. Leider muss man feststel- bestimmten Höhen nicht umwandeln in len, dass die GRDC-Datenbank weder demselben Zeitraum. Die eigentliche Frage räumlich noch zeitlich die Kontinente ist also, ob vergangene Abflussdaten die komplett abdeckt. Die Abdeckung ist so- richtige statistische Information besitzen, gar seit einigen Jahren rückgängig. Aus um heutige Altimetermessungen in Ab- verschieden Gründen stellen viele natio- flussinformation umzuwandeln. Ein Bei- nale hydrologische Behörden ihre Daten spiel für diese Fragestellung ist der Me- nicht mehr zur Verfügung oder dünnen kong, für den Abflussmessungen nur in ihre Messnetze aus. Ähnliches gilt für die den Zeiträumen 1960–1970 und 1991–1994 Beobachtung weiterer hydrologischer Va- zur Verfügung stehen. Der Flusspegel wird riablen wie Niederschlag oder Verduns- in (07) aus der Altimetermission Envisat tung. Satellitengestützte Beobachtung bestimmt. scheint hier die einzige Möglichkeit, dem Weil die Abflüsse aus der Vergangenheit be- Problem zu begegnen. kannt sind, wird die Statistik der beiden Die klassische Satellitenaltimetrie eröffnet Datensätze miteinander verglichen. Auch hier tatsächlich gewisse Möglichkeiten, ob- wenn die Datensätze nicht synchron sind, wohl zu große Hoffnungen von vornher- passen die statistischen Verteilungen gut ein gedämpft werden müssen. Es sei daran zueinander, so dass man zuversichtlich erinnert, dass der Bodenfusspunkt einer mit einem Ansatz über Quantilfunktionen Altimetermessung einen Durchmesser die aktuellen Altimeterdaten in Abfluss- von etlichen Kilometern hat. Nur größere information umwandelt. hydrologische Objekte können somit er- Echte Zuversicht entsteht dabei aber erst, fasst werden. Des Weiteren misst ein Alti- wenn die Ergebnisse validiert werden. meter grundsätzlich die Höhe, also den Dazu nimmt man ein Flussbecken mit See- oder Flusspegel; der Bodenfusspunkt ausreichend Abflussdaten, auch synchron des Satelliten stellt sozusagen eine virtuel- zur Satellitenaltimetrie. Die synchronen le Pegelstation dar, siehe (06). Dies ist aber Abflussdaten werden dann aber ausgelas- aus hydrologischer Sicht weniger relevant. sen und der statistische Ansatz nur mit Vielmehr benötigt die Hydrologie Abfluss- vergangenen Abflussdaten angewandt. daten. Beide Probleme werden aktiv er- Die aus Altimetrie prädizierten Abfluss- forscht am Geodätischen Institut: informationen können nun unabhängig • Welche hydrologischen Objekte kann die mit den ausgelassenen Abflussmessungen Satellitenaltimetrie (noch) erfassen? verglichen werden. Diese Art von Valida- • Kann eine Zeitreihe von Höhenmessungen tion wird in (09) für den Amazonas vor- in Abflussinformation umgewandelt wer- geführt. Es zeigt sich eine Prädiktions- den? kapazität mit einem Fehler, der weniger Die zweite Frage kann in Prinzip mit einem als zehn Prozent vom Signal beträgt. Ja beantwortet werden, weil die Abfluss- Dieses Ergebnis bestätigt sich in der Analyse 62 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

08 09 Altimetrisch bestimmte Flusspegel- stände werden mit einem statistischen Ansatz in Abflussinformation trans- weiterer Flüsse. Die Satellitenaltimetrie künftig nur an Bedeutung gewinnen. formiert. stellt somit als Beobachtungssystem eine Durch verbesserte Messtechniken werden wesentliche Ergänzung für die Hydrologie kleinere hydrologische Objekte künftig (09) Gemessene (schwarz) und aus dar. Für die wichtigsten (weil größten) auch erfasst werden können mit gleichzei- Satellitenaltimetrie bestimmte Abflüs- Flusssysteme der Welt können im Zeit- tiger Verbesserung der Raum-Zeit-Abtas- se (blau) im Amazonasbecken. raum der Satellitenaltimetrie Abflussinfor- tung. Aus der amerikanisch-französischen mationen hergestellt werden mit einer Schiene der Topex/Poseidon und Jason-Sa- Qualität, die für die hydrologische Model- telliten wurde zum Beispiel das Konzept lierung ausreicht. der SWOT-Altimetrie geboren. Mit InSAR- Technik soll dabei nicht nur im Fusspunkt 4. Fazit und Ausblick gemessen werden, sondern in einem brei- ten Streifen um die Bodenspur herum. In diesem kurzen Beitrag konnte die Rolle Ähn liches wird im deutschen TanDEM-L der Satellitengeodäsie als messende Ingeni- Konzept des Deutschen Zentrums für Luft- eursdisziplin in der Erdsystem- und Klima- und Raumfahrt (DLR) vorgeschlagen. forschung anhand zweier Satellitenverfah- Die Zukunft der Satellitengravimetrie ist we- ren dargestellt werden. Wie gezeigt wurde, niger sicher. GRACE war die erste Mission, liefert die Satellitengravimetrie Informa- die überhaupt in der Lage war, zeitliche tion zu Massenverlagerungen im System Variationen im Schwerefeld mit der ge- Erde. Zum Beispiel kann dadurch der Was- nannten räumlichen Auflösung zu beob- serkreislauf, der auch ein Massenkreislauf achten. Obwohl noch immer messbereit, ist, großskalig erfasst werden. Unter an- ist die Mission schon lange über ihre „Halt- derem erlaubt die Satellitengravimetrie barkeitsfrist“ hinaus. Vermutlich wird sie quantitative Aussagen über das Ab- noch dieses Jahr beendet. Eine GRACE- schmelz verhalten der großen Eisschilde Nachfolgemission wurde von US-amerika- und Gletscher der Welt und über den nischer und von deutscher Seite geneh- Wasserkreislauf in kontinentalem Maßstab. migt. Sie wird aber voraussichtlich erst ab Die Satellitenaltimetrie liefert komplemen- 2017 fliegen. Die Nachfolgemission wird in tär dazu eine geometrische Messgröße. Prinzip dieselbe Hardware an Bord haben, Global wird die Höhe der Meeresoberflä- so dass nicht mit besseren Genauigkeiten chen, eine wichtige Variable in der Klima- oder einer besseren räumlichen Auflösung forschung, überwacht. Auch der defizitä- gerechnet werden darf. Verbesserte Satelli- ren Situation der globalen Abflussmessun- tengravimetriemissionen werden zwar un- gen wird mit der Satellitenaltimetrie ge- tersucht und konzipiert, eine genehmigte holfen. Mission liegt aber noch nicht vor. Die Satellitenaltimetrie ist mit der geplanten Der Blick aus dem All ist vom Charakter her europäischen Mission Sentinel-3 für die global und synoptisch, wodurch man das nächste Zukunft gesichert. Auch weitere Gesamtsystem „Erde“ besser verstehen Altimetersatelliten werden im All tätig lernt. Wichtig dabei ist jedoch, dass die sein. Zum Beispiel leistet sich China als Messreihen langfristig angelegt sind. Eine aufstrebende Weltraummacht unter dem Zeitreihe von zehn Jahren reicht im Rah- Namen Hai-Yang eine Flotte von Ozeanbe- men einer Klimadebatte schlichtweg nicht. obachtungssatelliten, darunter auch einen Kontinuität kann wichtiger sein als hohe Altimetersatelliten. Die hydrologische An- Genauigkeit. • Nico Sneeuw, wendung von Satellitenaltimetrie wird Mohammad J. Tourian, Balaji Devaraju VERMESSUNG DER WELT 63

ZUSAMMENFASSUNG DIE AUTOREN

Die Satellitengravimetrie misst großskalige Kontakt Massenänderungen im Erdsystem. Sie erlaubt da- durch zuverlässige Aussagen über Prozesse wie Universität Stuttgart Abschmelzverhalten der grönländischen oder west- Geodätisches Institut antarktischen Eiskappen, der kontinentalen Glet- Geschwister-Scholl-Str. 24D scher, großräumige Grundwasserentnahme und, D–70174 Stuttgart schließlich, Meeresspiegelanstieg durch kontinenta- Nico Sneeuw le Süßwassereinträge in den Ozean. Die Satelli- +49 (0) 711/685-83390 tenaltimetrie ist dagegen ein geometrisches [email protected] Messverfahren. Sie misst zwar auch den Meeres- Von links nach rechts: Sneeuw, Tourian, Devaraju. spiegel und somit den Meeresspiegelanstieg, erfasst aber zusätzlich zur Massenkomponente noch die Prof. Dr.-Ing. Nico Sneeuw thermische Ausdehnung. Des Weiteren wird die studierte Geodäsie an der Technischen Universität Delft, Niederlande. An der Techni- Satellitenaltimetrie zur langfristigen Beobachtung schen Universität München promovierte er 2000 zur Thematik der Satellitengeodäsie. hydrologischer Objekte wie Binnenseen und Flüsse Anschließend nahm er 2001 einen Ruf an die University of Calgary, Kanada, an, wo er eingesetzt. Dies ist insofern wichtig, als der Daten- bis 2005 im Department of Geomatics Engineering tätig war. Als Humboldt-Stipendiat satz aus terrestrischen Pegel- und Abflussmessun- hat er 2004 an der Universität Stuttgart das Geodätische Institut kennengelernt, dessen gen relativ dünn ist und sich im Laufe der vergan- Institutsleiter er seit 2005 ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Satelliten- genen Jahre sogar verschlechtert hat. Außer der geodäsie; insbesondere erforscht er die Nutzung von Satellitengravimetrie und Satelliten- Fokussierung auf die quantitative Rolle der Satel- altimetrie in der Erdsystemforschung. litengeodäsie wird in diesem Beitrag die Relevanz langfristiger Beobachtung des Erdsystems betont und das Zusammenspiel von geometrischen und phy- Mohammad J. Tourian M.Sc. sikalischen Messgrößen hervorgehoben. ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geodätischen Institut und am Institut für Wasser- und Umweltsystemmodellierung, Abteilung Hydrologie und Geohydrologie. Er erhielt seinen Bachelor-Abschluss im Bauingenieurwesen, Spezialisierung Vermessungs- technik, von der Universität Teheran. Er schloss sein Masterstudium in Geodäsie mit einer Masterarbeit über die Gezeitenmodellierung mit Satellitenaltimetrie an der Univer- Literatur sität Teheran ab. Derzeit erforscht er in einem DFG-Projekt im Schwerpunktprogramm SPP1257 die direkte Bestimmung terrestrischer Wasserbilanzen. In seiner Forschungsar- • Bindoff NL et al. (2007). Observations: oceanic beit beschäftigt er sich mit der Anwendung von satellitengestützten geodätischen Sensoren climate change and sea level. In: Solomon S et al. in der Hydrologie. (Eds.) IPCC climate change 2007: the physical science basis. Cambridge University Press • Kehlmann D (2005). Die Vermessung der Welt. Balaji Devaraju M.Sc. Rowohlt, ISBN 3-498-03528-2 erhielt einen BSc-Abschluss an der Anna University, Chennai, Indien. Daran schloss • Schellnhuber HJ (2009). Tipping elements in the sich ein MSc Studium Geomatics Engineering an der University of Calgary, Kanada, an, Earth System. PNAS, Vol. 106, Nr. 49, S. 20561– wo er das kanadische Höhensystem untersuchte. Ab 2006 erforscht er am Geodätischen 20563 Institut im Rahmen eines DFG-Projekts im Schwerpunktprogramm SPP1257 die direkte • Torge W (2005). The International Association of Bestimmung terrestrischer Wasserbilanzen. Kern seiner Forschung ist die Satellitengravi- Geodesy 1862 to 1922: from a regional project to metrie und die Assimilation verschiedener satellitengeodätischer Messgrößen. an international organization. J Geodesy, Vol. 78, S. 558–568 66 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING Neue Materialien auf dem Prüfstand

Innovative zerstörungsfreie Prüfung für Luftfahrtanwendungen

Der Traum vom Fliegen – der Wunsch, schnell und sicher von A nach B zu gelangen. Aber warum endete der erste Menschenflug, von dem die Sage berichtet, mit einem tragischen Flugunfall? Solche Probleme scheinen Engel, die ja viel fliegen, nicht zu kennen. Flugunfälle haben also mit Menschen zu tun: Fehler des Piloten oder (ebenfalls vom Menschen ver- ursachte) technische Fehler. Bei Dädalus und Ikarus lag beides vor, denn der eine hatte als Konstrukteur einen temperaturempfindlichen Werkstoff gewählt und dabei nicht einkalkuliert, dass der andere, Sohn und Pilot zugleich, trotz Warnung den Betriebsbereich dieses Werk- stoffs verlassen konnte. So kam es zu Festigkeitsverlust und Absturz. Also schon beim sagenhaften ersten Flug der Luftfahrt ein Problem mit Werkstoffauswahl und Betriebssicherheit.

1. Einleitung nen mechanischen Eigenschaften, die aber derzeit nicht voll ausgeschöpft werden Statt des ersten nichtmetallischen Luftfahrt- können, weil wir von den Werkstofffeh- werkstoffs Wachs verwenden wir für unse- lern und ihren Auswirkungen noch nicht re heutigen Fluggeräte andere moderne genug wissen. Werkstoffunsicherheit nichtmetallische Werkstoffe mit überlege- macht Flugzeuge also schwerer und im ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 67

Betrieb weniger rentabel. Umgekehrt er- SUMMARY möglicht eine bessere Kenntnis von Feh- lern und ihren Auswirkungen Einsparun- To make the dream of flight (enrooted deeply in mankind since more than a millennium) gen von Gewicht und Treibstoffverbrauch, come true, aerospace vehicles require for their operation high safety standards and at the um Ressourcen effizienter einsetzen und same time low structural weight to maximize the payload and/or to reduce fuel consumption den Ausstoß von Schadstoffen reduzieren and environmental load. These different boundary conditions result in strict requirements zu können. Durch die höhere Ausnutzung for reliable production and maintenance inspection to make sure that components with safe- des Werkstoffpotentials wird eine intensi- ty-relevant defects are identified and replaced early enough to prevent catastrophic failure vere Nutzung von Luftfahrzeugen ermög- while unnecessary replacement of intact components is avoided. Of course it is assumed that licht: Mit jedem Kilogramm Massereduzie- the process of inspection itself does not affect the performance or the reliability of the in- rung können pro Jahr einige hundert Euro vestigated component. Such inspection methods are called “non-destructive”. For non-de- Treibstoffkosten eingespart werden. structive inspection of metals there are well established methods based on x-rays, pulse-echo Die konsequente Umsetzung des Leichtbau- ultrasound, and eddy current. However, for modern high-strength non-metallic materials prinzips ist die Motivation für aufwändige like carbon fibre reinforced polymers (CFRP) being used for light weight structures (see Prüfungen in der Luftfahrt: Alles, was flie- Themenheft Nr. 3 devoted to such materials), these traditional methods are not the best gen soll, muß leicht und betriebssicher since material properties and the kind of defects differ substantially from metals. Hence sein, es muss in Produktion und Wartung there is a need of innovative methods for material-oriented non-destructive testing (NDT) geprüft werden, und zwar so, dass da- responding to the specific properties of such materials and structures made out of them. durch die Leistungsfähigkeit des Prüfob- This chapter deals with innovative NDT: It gives some ideas about how they work, about jektes nicht beeinträchtigt wird. Diese their drawbacks and advantages and the way how typical kinds of defects appear when being Aufgabe hat die „Zerstörungsfreie Prü- examined with different methods. It is shown that some methods allow for rapid and remote fung“ (ZFP), die dafür sorgen soll, dass der inspection of large areas. It should be mentioned that there are limitations for the applica- Traum vom Fliegen nicht abrupt endet. bility of some methods. Hence it would be a major step forward if the design engineers were Zerstörungsfreie Prüfverfahren sind im familiar with these innovative methods in order to make sure that their well-designed light- medizinischen Erfahrungsbereich bekannt weight structures can be tested non-destructively both during production and maintenance und beliebt. Jahrzehntelang gehörten Ult- inspection. raschall- und Röntgenverfahren zum Grundrepertoire nicht nur von Internis- ten, sondern auch von zerstörungsfreien Prüfern. Das genügte im technischen Be- sieht an der Oberfläche intakt aus, aber in- reich jedenfalls für Metalle mit ihrer ho- nen können unerkannt schlimme Schä- hen Ordnungszahl und schwachen Ultra- den entstanden sein. schalldämpfung. Schäden in FKV sind vielfältiger und schwe- Zur Qualitätssicherung moderner faserver- rer erkennbar als in Metall. Deswegen sind stärkter Werkstoffe („GFK“= glasfaserver- die Möglichkeiten der neuen faserverstärk- stärkter Kunststoff, „CFK“= kohlenstofffa- ten Werkstoffe nicht nur Chancen für den serverstärkter Kunststoff) mit ihren vielen Konstrukteur, sondern auch große Her- Grenzflächen reichen diese an Metallen ausforderungen an die Prüfer, zumal diese etablierten Verfahren nicht mehr aus. Die Werkstoffe immer häufiger für sicherheits- Prüfer mussten also umdenken, ebenso relevante und somit teure Bauteile (Luft- wie die Konstrukteure: Wer ein metalli- und Raumfahrt, Medizin, Fahrzeugwesen) sches Bauteil naiv durch eines aus Faser- eingesetzt werden. kunststoffverbundwerkstoff (FKV) mit Die breit gefächerten Stuttgarter Aktivitäten gleicher Geometrie ersetzt, macht es nicht im Bereich der Materialwissenschaft und optimal, weil er das mit der Faserrichtung Werkstofftechnik vor allem an FKV führ- verbundene Werkstoffpotential nicht aus- ten dazu, dass mit diesen modernen Werk- schöpft. Aber leider haben die neuen stoffen zugleich deren innovative Prüfme- Werkstoffe nicht nur bessere Eigenschaf- thodik erforscht und entwickelt wurde. ten als Metalle, sondern auch andere Feh- Das war rückschauend ein glücklicher ler- und Versagensmöglichkeiten, z.B. De- Umstand, der auch durch den Sonderfor- laminationen, Porosität, Ondulationen, schungsbereich SFB 381 „Charakterisierung Impactschäden. Letztere sind bei Metall- des Schädigungsverlaufs von Faserverbund- werkstoffen kein Problem: Ein Blech zeigt werkstoffen mittels zerstörungsfreier Prü- einen erlittenen Schlagschaden mit einer fung“ begünstigt wurde, in dessen Rahmen Delle an, das ist eine Folge aus dem Span- wir fakultätsübergreifend Machbarkeiten nungs-Dehnungsdiagramm und seinem und Grenzen sowohl der Werkstoffe als plastischen Bereich. Da letzterer bei einer auch der Prüfverfahren ausloten konnten FKV-Platte fehlt, federt diese zurück und [1]. Dabei zeigte sich, dass das Verständnis 68 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

für das Versagensverhalten moderner Werk- ge mit ihren großen Strukturen besonders stoffe die Voraussetzung für den erfolgrei- wichtig. Punktuell mit der Hand auf- chen Einsatz innovativer Prüfverfahren ist. gesetzte Messvorrichtungen erfordern bei Die Schadensfrüherkennung ermöglicht flächiger Inspektion hohen Zeitaufwand, rechtzeitige (d.h. „zustandsorien tierte“) In- und ein Flugzeug verdient nur dann Geld, standhaltungsmaßnahmen. Nur so werden wenn es fliegt. Bauteile besser und zuverlässiger. Darum hat sich das Team „Zerstörungsfreie Hier besteht ein Optimierungsproblem: Der Prüfung“ des Instituts für Kunststofftech- Konstrukteur ist beim Entwurf eines Bau- nik (IKT) schon früh mit der Entwicklung teils mit den Möglichkeiten und Ein- von ZFP-Methoden beschäftigt, die den schränkungen moderner ZFP nicht un- Erfordernissen moderner Werkstoffe und bedingt so vertraut, dass er die spätere Bauteile besser gerecht werden als die, die Prüfbarkeit hinreichend berücksichtigt. wir aus dem Metallbereich kennen. Die Diese Situation sollte sich möglichst bald folgenden Ergebnisse sollen beispielhaft ändern, denn später bei Produktion und zeigen, was innovative ZFP Prüftechnik Wartung wird Wert darauf gelegt, dass über FKV-Bauteile und ihre typischen Bauteilfehler auch von Nichtspezialisten, Schäden verraten kann. Gemeinsam ist al- also am besten automatisch, schnell und len ZFP-Verfahren, dass sie auf der Wech- sicher erkannt und sogar hinsichtlich selwirkung unterschiedlicher Arten von ihrer Relevanz für die Lebensdauer und Wellen mit dem Werkstoff und seinen De- Reparaturfähigkeit beurteilt werden. Na- fekten beruhen. Jedes Verfahren nutzt also heliegend ist der Traum von schnellen spezifische physikalische Eigenschaften aus bildgebenden Verfahren, die nur Defekte und zeigt die Strukturen „im Licht einer anzeigen und am liebsten auch deren Re- bestimmten Wechselwirkung“. Die Ent- levanz bewerten. Von diesem Ziel sind wir scheidung für ein bestimmtes ZFP-Verfah- noch weit entfernt. Zu klären ist also: Wo ren hängt also davon ab, welche Aspekte stehen wir derzeit? Was ist schon jetzt untersucht werden sollen. Im Folgenden machbar und was vielleicht in absehbarer werden nicht die klassischen ZFP-Metho- Zeit? Der Blick auf solche Entwicklungen den und ihre Anwendung betrachtet. Im ist wichtig, denn bei modernen Werkstof- Vordergrund stehen luftfahrtbezogene fen ist der Weg vom erfolgreichen Labor- Beispiele. Die innovativen ZFP-Methoden test in die Praxis langwierig. Die Absiche- werden dabei kurz und möglichst an- rung in alle Richtungen ist notwendig schaulich dargelegt. und sinnvoll, damit fehlerhafte Bauteile früh genug ersetzt und betriebsfähige 3. Berührungslose Inspektion nicht unnötig ausgetauscht werden [2]. von Luftfahrtstrukturen

2. Warum ist ZFP an FKV anders Die funktionsrelevante Struktur eines Flug- als an Metallen? zeugrumpfes besteht im Wesentlichen aus Spanten, Stringern und Außenhaut, wel- Die an Metallen etablierten allseits bekann- che zunehmend aus FKV hergestellt wer- ten ZFP-Verfahren Röntgen, Ultraschall den. Die Lockin-Thermografie wurde im und Wirbelstrom sind an FKV nicht so er- Rahmen eines BMBF-Projektes am IKT ge- folgreich, weil die Ordnungszahlen klei- meinsam mit Industriepartnern zu einem ner, die Ultraschalldämpfung höher und kommerziellen Gerät entwickelt. Damit die elektrische Leitfähigkeit geringer sind. lassen sich Strukturen aus FKV schnell Außerdem geht es bei FKV häufiger um und berührungslos inspizieren. die Bewertung von Grenzflächen und An- Hierbei wird der Prüfbereich mit leistungs- isotropie. An Grenzflächen ändern sich die starken Lampen um wenige Grad Celsius physikalischen Eigenschaften abrupt, so erwärmt. Werden die Lampen periodisch kommt es prinzipiell zu Reflexionen von betrieben, also z.B. im Rhythmus von Wellen aller Art. Dabei geht es auch um zehn Sekunden ein- und ausgeschaltet, die Qualität der Grenzfläche, also die Fra- dann entsteht auf der Oberfläche des Prüf- ge, ob die Grenzfläche kraftschlüssig ist. objektes eine Temperaturschwingung, die Von praktischem Interesse sind ZFP-Metho- sich als stark gedämpfte „thermische Wel- den, die schnell und berührungslos groß- le“ ins Innere fortsetzt und dort an Grenz- flächig abrastern und das Messergebnis flächen zur Bauteiloberfläche reflektiert bildhaft darstellen. Das ist für Luftfahrzeu- wird, wo sie sich wie ein „thermisches ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 69

Echo“ der ursprünglichen Temperatur- schwingung überlagert. Eine Thermogra- fiekamera erfasst ständig das resultierende Temperaturfeld an der Oberfläche. Der so erhaltene Bildstapel aus bis zu einigen Tausend Bildern wird mittels einer diskre- ten Fouriertransformation analysiert und die Information über das „Muster der Temperaturschwingung“ zu nur noch zwei Messbildern (lokale Amplitude und Phase) des Prüfobjektes komprimiert. Das Amplitudenbild zeigt die Intensität der Temperaturschwingung in jedem Pixel, das Phasenbild die Verzögerung zum pe- riodischen Betrieb der Lampen. Es hat sich schon früh gezeigt, dass letzteres mehr 01a Tiefenreichweite hat als die Amplitude Abbildung rückseitiger Spanten und dass es unanfälliger ist gegen Oberflä- und Stringer im CFK-Heckkonus der chenbeschaffenheit, Beleuchtungs- und Do 328. Farbunterschiede [3]. Diese „Effektmodulationsthermographie mit Phasenwinkelbild“ [4-7] wird auch als „optisch angeregte Lockin-Thermografie (OLT)“ bezeichnet in Anlehnung an den Lockin-Verstärker, der ebenfalls aus einem verrauschten Wechselspannungssignal Amplitude und Phasenlage eines darin verborgenen viel kleineren effektmodu- lierten Nutzsignals extrahiert. OLT eignet sich generell zum Abbilden ver- 01b Werkszeichnung des Heckkonus. borgener Strukturen mit einer über die Modulationsfrequenz einstellbaren Tiefen- reichweite, die in CFK aber bestenfalls knapp unter einem Zentimeter liegt (Pha- senbild). Die Bilder erfassen Flächen von etwa einem Quadratmeter Größe in weni- ger als einer Minute, wobei die Messdauer von der Modulationsfrequenz abhängt. Das folgende Messbeispiel entstand am CFK-Heckkonus einer Dornier Do 328 (01a). Werkszeichnung (01b) und ge- messenes Phasenwinkelbild (01c) sind direkt gegenübergestellt: Stringer und Spanten sind klar zu erkennen. Da die Bilder durch Reflexion thermischer Wellen an Grenzflächen entstehen, spre- chen sie nur auf deren thermische und 01c nicht auf ihre mechanischen Eigenschaf- Phasenbild des in Abb. 1b ten an. Die Frage, ob die Grenzfläche Zug- geverbindungen zu erfassen, indem wir blau markierten Bereichs des oder Schubspannung übertragen kann, ist nicht die thermische Seite einer thermi- CFK-Heckkonus [8]. aber praxisrelevant, wenn man verborgene schen Welle erfassen, sondern die mit ihr Fügeflächen nicht nur abbilden, sondern verbundene modulierte thermische Aus- auch hinsichtlich ihrer Lastübertragung dehnung. Letztere ist mit Interferometrie prüfen will. messbar: Wie bei OLT wird das Prüfobjekt Nicht kraftschlüssige Verbindungen können zwar durch modulierte Beleuchtung peri- sich relativ zur Grenzfläche bewegen. Wir odisch erwärmt, nun wird jedoch ständig haben deswegen intensiv daran gearbeitet, die in Moirè-Streifen der Speckle-Muster die mechanische Auswirkung defekter Fü- codierte lokale Höhenänderung des Bau- 70 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

02a Elektroflugzeug e-Genius des Instituts für Flugzeugbau (IFB) [10]. teils verfolgt und wiederum als Bildstapel vierten Tiefenintegrale um etwa 50 Pro- abgelegt. Anschließend wird pixelweise die zent größer als bei OLT, zudem ist der ap- zeitliche Veränderung der Höhe fourier- parative Aufwand geringer: Die optische transformiert und aus dem ganzen Bild- Detektorarray hat viel mehr Pixel und ist stapel wieder Amplituden- und Phasenbild um eine Größenordnung billiger als eine der thermisch induzierten mechanischen Thermografiekamera. Dieses ZFP-Verfah- Verformung extrahiert. Die Bildstapelma- ren, das Phase und Amplitude der lokalen thematik ist also ähnlich wie bei OLT, thermisch bedingten Ausdehnungsmodu- aber wegen der vorgeschalteten Interfe- lation und somit neben dem thermischen renzstreifenauswertung erheblich aufwän- auch das lokale mechanische Verhalten diger. Diese „optisch angeregte Lockin-In- darstellt, hat sich bereits bei der Erken- terferometrie (OLI)“ [7,9] ist wegen der nung defekter Klebeverbindungen im Be- schmalbandigen phasenempfindlichen Sig- reich Holm/Rippen/Schale bewährt. nalfilterung, die die Lockin-Technik dar- Besonders intensiv haben wir mit Lockin- stellt, um eine Größenordnung rauschär- Shearografie (OLF) diese Kraftschlüssigkeit mer als konventionelle Interferometrie. an dem zweisitzigen Elektroflugzeug Sie erwies sich erwartungsgemäß als be- e-Genius (02a) untersucht, das am Institut sonders robust, die Tiefenreichweite ist für Flugzeugbau (IFB) der Universität Stutt- wegen der in der Signalentstehung invol- gart konstruiert und gebaut wurde [10].

02b 02c Blindklebung des Höhenleitwerks. ZFP mit OLI an Höhenflossedes E-Genius. ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 71

Nach Befunden an anderen Flugzeugen war es uns wichtig, vor der Flugerprobung und den Wettbewerbsflügen die intakte Lastübertragung von Leitwerks- und Trag- flächenholm an die jeweiligen Beplankun- gen abzusichern, an denen Blindklebung (02b) erfolgt. Die strukturelle Ankopplung der Höhenflos- senoberschale wurde in vielen Einzelauf- nahmen berührungslos mit OLT und OLI (02c) untersucht. Je nach Verfahren und Modulationsfrequenz sieht man unter- schiedlich tief hinein. Direkte Vergleiche haben ergeben, dass OLI die thermischen Strukturen, z.B. überlappende FKV-Berei- che, fast ignoriert und primär auf die Fü- gefläche Holm/Schale anspricht, wobei die gleichmäßige Breite und Homogenität der 03 Verbindung gut zu erkennen sind. ZFP am Holmbereich der äußeren Das gilt auch für die Messergebnisse am der der thermische Effekt, und zwar mit linken Tragfläche des e-Genius mit Tragflügel, die in 03 für OLI und OLT je- der Thermografiekamera: Wird die Ultra- OLT und OLS, deren Ergebnisse die weils mosaikartig zusammengestellt und schallamplitude tieffrequent moduliert gleichmäßige Klebequalität belegen. zur besseren Übersicht in die Zeichnung (z.B. im Rhythmus von zehn Sekunden der Draufsicht eingefügt wurden. ein- und ausgeschaltet), so sendet eine Auch hier zeigt OLT besonders die thermi- verborgene reibende Grenzfläche eine schen Strukturen und OLI den entlang der thermische Welle dieser Frequenz aus, die ganzen Tragfläche gleichmäßigen Holm- schließlich die Oberfläche erreicht und verlauf. Zu beachten ist jedoch, dass sol- dort als lokale Temperaturmodulation che ZFP-Untersuchungen keinerlei Aussa- wieder über Frequenzanalyse bildhaft dar- gen über die Festigkeit der Klebung gestellt wird. Von Vorteil ist, dass mit die- erlauben. ser (ebenfalls am IKT entwickelten) Ultra- schall-Lockin-Thermografie („ULT“) [7,12] 4. Selektive Abbildung von allen Grenzflächen selektiv nur die defekter Bereiche mit mangelnder Kraftschlüssigkeit („Schlupf“) abgebildet werden, und zwar Da OLT und OLI auf ganzflächiger Anre- der Übergangsbereich von fester zu klaf- gung mit Licht beruhen, bilden sie zu- fender Fügeverbindung. So lassen sich z.B. gleich intakte und defekte Bauteilbereiche im Nietenfeld des Rumpfpanels eines Air- ab. Erst die Interpretation der Bilder durch einen sachkundigen Auswerter lässt auf den Defekt schließen. Zur Erhöhung der Defekterkennungswahrscheinlichkeit („probability of detection“, POD) sind ZFP- Verfahren wünschenswert, die intakte Be- reiche ignorieren und selektiv verborgene Defekte darstellen. Eine mechanische Belastung, z.B. Ultraschall mit genügend hoher (und trotzdem zerstörungsfreier) Leistung, erzeugt im Bereich loser und einander noch berüh- render Grenzflächen Hysterese- oder Rei- bungseffekte, die zu Erwärmung führen [11]. Die elastischen Wellen werden an den freien Oberflächen des Prüfobjektes reflek- tiert und laufen so lange hin und her, bis ihre Energie in einer passend orientierten reibenden Grenzfläche in Erwärmung um- 04 gesetzt wird. „Abgefragt“ wird daher wie- Inspektion der Nietreihen eines metallischen Rumpfpanels (Airbus A 330) mit ULT und OLT. 72 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Interferometrie lässt sich mit Ultraschall betreiben („Ultraschall-Burst-Shearografie (UBS)“), sie zeigt dann die lokale thermi- sche Aufbeulung über dem Defekt, weil dieser sich stärker erwärmt als seine intak- te Umgebung. Eine andere Defekteigenschaft ermöglicht eine weitere ultraschallinduzierte defekt- selektive Abbildung: Eine noch anliegende defekte Fügestelle oder ein geschlossener Riss kann sich unter Druck nicht noch mehr schließen, aber unter Zug öffnen. Im Ultraschallfeld wird deswegen über- wiegend die Druck- und weniger die Zug- phase übertragen. Das asymmetrische bzw. nichtlineare Verhalten bei Bewegung senkrecht zur Grenzfläche entspricht 05 einer „mechanischen Diode“. Oder an- Interferometrischer Nachweis der schaulich: Ein Riss kann klappern, eine selektiven Oberwellenabstrahlung aus bus A 330 Nieten mit geringerem Anpress- feste Verbindung aber nicht. In der einer Bruchstelle in CFK-Laminat in druck mittels ULT identifizieren, obwohl Elektro technik wird dieser Effekt durch die umgebende Luft [14] sie mit OLT nicht auffallen (04). den „Klirrfaktor“ beschrieben, der die Diese defektselektive Methode erfordert die Verzerrung eines sinusförmigen Signals Anbringung einer Ultraschallsonotrode. und somit den Oberschwingungsanteil Die Größe des Umfeldes, in dem Ultra- aufgrund von Nichtlinearität der Über- schall zur Defekterwärmung ausreicht, tragungskette beschreibt. In Analogie dazu hängt von der einbringbaren Leistung ab. eignet sich ein Laservibrometer dazu, mit Es hat sich gezeigt, dass bei üblichen CFK- hoher Ansprechempfindlichkeit die nicht- Strukturen eine Fläche von etwa 0,5 Quad- lineare Bewegung einer nicht-kraftschlüs- ratmetern um die Sonotrode herum in ei- sigen Verbindung aufgrund der lokal ner Minute untersuchbar ist. Auch die erzeugten Oberschwingungen bildhaft darzustellen, also defektselektiv als „Klap- perbild“ [13]. Diese „Nichtlineare Vibrometrie“ erfordert somit ebenfalls die Ankopplung einer Ult- raschallsonotrode, aber statt der Thermo- grafiekamera wird nun ein (teureres) scan- nendes Laservibrometer eingesetzt, dessen Ausgangssignal fouriertransformiert wird. Hier erfolgt die Auswertung also nicht aus einem Bildstapel, sondern während des be- rührungslosen Laserscans jeweils an einem Pixel und somit insgesamt langsamer. Die- se „Scannende nichtlineare Vibrometrie“ hat den Vorteil, dass sie selektiv auf die nichtlineare lokale mechanische Auslen- kung im Bereich eines Haftungsverlustes anspricht und allein diese abbildet. Mit Hilfe des scannenden Laservibrometers lässt sich diese Eigenschaft geschlossener Risse sichtbar machen. Der in die Luft abgestrahlte Schall erzeugt durch Druck- änderungen minimale Änderungen des optischen Brechungsindex der Luft. Diese registriert das Laservibrometer und macht 06 so, wie in (05) dargestellt, das abgestrahlte CFK Landeklappensegment eines Airbus A 330. Der mittlere der drei Stringer ist an einer Stelle Schallfeld für das anregende Signal und abgelöst (Pfeil in Skizze) die Oberwelle separat sichtbar. ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 73

5. Ergebnisvergleich von ZFP-Verfahren

Besonders spannend ist der Vergleich der bisher beschriebenen ZFP-Verfahren am folgenden Beispiel einer Stringerablösung am Landeklappensegment eines Airbus A 320 (06). Die CFK-Schale hat nicht überall dieselbe Dicke, darum zeigt die OLT-Mes- sung bei 0,025 Hz, die bis zur Bauteilrück- seite reicht, vor allem den Dickenkontrast und kaum die Stringerablösung, während die höherfrequente Lockin-Thermografie mit optischer oder induktiver Anregung (OLT bei 0,25 Hz und ILT) den Defekt und zugleich die Orientierung der CFK-Ro- vings darstellen. Letztere wird nur dann unterdrückt, wenn mechanisch angeregt 07 oder die mechanische Auslenkung gemes- Adaptive Struktur als integrierter sen wird. Während ultraschallangeregte beispiel ist die Messung des Resonanz- Schwingungsgeber: Impedanzspektro- Lockin-Thermografie (ULT) und optisch spektrums der Aktorik mit einem elektro- skopie der Aktorik für Vibrometrie- oder induktiv angeregte Interferometrie nischen Impedanzanalysator, also einem messungen. (OLI und ILI) die Stringerablösung zusam- einfachen Standardmessgerät (07). Die men mit der intakten Stringerstruktur Aktorik kann auf diese Weise bei der Bau- zeigen, erscheinen die Defekte mit nicht- teilfertigung ihre eigene Ankopplungsver- linearer Vibrometrie und mit Ultraschall- änderung an das CFK-Laminat während Burst-Shearografie (UBS) praktisch hin- des Aushärtevorgangs überwachen. Hier- tergrundfrei, eine ideale Voraussetzung bei findet nämlich eine Frequenzverschie- für automatisierte Inspektion bei Ferti- bung statt, deren Geschwindigkeit von der gung und Wartung. Aushärtetemperatur abhängt. Die interne Vibrometrie der adaptiven Struktur zeigt 6. Adaptive Strukturen durch das Einbiegen in die Asymptote, wie schnell die Aushärtung abläuft und wann Wer bei Flugreisen hinter den Tragflächen sie abgeschlossen ist. seines Fliegers sitzt, kann die Bewegung Führt man diese eingebettete Vibrometrie an von Landeklappen und Querrudern ver- einer adaptiven CFK-Struktur wie in (07) folgen. Diese sind mechanisch beweglich durch, die zunehmend durch Impact ge- gelagert. Erstrebenswert wäre es, statt Ge- schädigt wurde, so scheinen sich die Eigen- stängen, Anlenkhebeln, Führungen und frequenzen dabei nicht zu ändern. Die An- Gelenken „adaptive Strukturen“ („smart wendung von Korrelationsmathematik structures“) zu verwenden, d.h. geeignet setzt jedoch diese kleinen Veränderungen eingebaute piezokeramische Verformungs- in einen Kennwert („Korrelationskoeffizi- geber („Aktoren“), die das Tragflächen- ent“) um, der die Ähnlichkeit mit dem ur- profil schneller und ohne Störung der sprünglichen Spektrum beschreibt. Hierbei Luftströmung verändern. Die Wunschvor- sind Impactschäden mit einer Energie ab stellung ist also eine Verstellbarkeit des zwei Joule zuverlässig nachweisbar [15]. Profils wie beim Vogelflügel. Mit eingebet- Von praktischem Interesse ist auch, dass teter Piezokeramik lassen sich aber derzeit das Spektrum nach der ersten Impactschä- noch keine großen Verstellwege erzielen, digung als Referenz für die zweite Schädi- hier besteht noch Forschungsbedarf. gungsreihe verwendbar war und dass dabei Im SFB 409 „Adaptive Strukturen im Flug- mit hoher Reproduzierbarkeit derselbe zeugbau und Leichtbau“ haben wir einge- Verlauf des Korrelationskoeffizienten ent- bettete Aktoren nicht nur zum Verstellen steht. Das ergibt eine einfache Reset-Mög- benutzt, sondern wir haben sie auch als in- lichkeit für Strukturüberwachungsaufga- terne hochfrequente Schwingungsgeber ben. zweckentfremdet und damit die oben er- Vibrometrie zeigt nur integrale Veränderun- wähnten extern angekoppelten Ultra- gen gegenüber einem Referenzzustand an. schallgeber ersetzt [15]. Ein Anwendungs- Sie macht damit als einfach durchzufüh- 74 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

08 Defektselektive Erkennung einer Delamination in adaptiver GFK- render Screening-Test (Gut-Schlecht-Sor- 7. Delaminationen und Struktur mittels lokaler Oberton- tierung) im Rahmen von regelmäßigen In- Impactschäden analyse. Anregung des Aktors mit spektionen das aufwändige Abrastern 20 Vss bei 50 kHz. Die adaptive intakter Bauteile überflüssig. Dieses Prinzip Die Fasern sind optimal eingesetzt, wenn sie Struktur wurde vom IFB hergestellt. der Erkennung mechanischer Veränderun- geradlinig entlang der Belastungsrichtung gen mittels eingebauter Schwingungsgeber verlaufen. Wenn diese nicht eindeutig ist, wird mittlerweile an verschiedenen Stellen koppelt man unterschiedliche Faserrich- als „Structural health monitoring“ weiter- tungen miteinander. Hierzu werden uni- gehend untersucht. direktionale Lagen unterschiedlicher Die lineare Vibrometrie liefert also primär Orientierung zu einem Laminat verarbei- keine Information über den Ort des Defek- tet. Die einzelnen Lagen des Laminats re- tes. Die eingebetteten Piezokeramikele- agieren auf mechanische oder thermische mente eignen sich aber auch als Schall- Last unterschiedlich, dabei kann es zu quellen für defektselektive Ultraschall- Grenzflächenbeanspruchung mit potenti- Lockin-Thermografie sowie für nichtlinea- ellem Versagen kommen, z.B. in Form re Vibrometrie, wobei das lokale Oberwel- einer „Delamination“. Dann kann zwar lenspektrum Fügefehler beim Einbetten noch lokale Formschlüssigkeit vorliegen, der Piezokeramik zuverlässig charakteri- aber keine Kraftschlüssigkeit. Die Erken- siert. In der folgenden (08) wurde der Ak- nung eines solchen versteckten Festig- tor mit 50 kHz und geringer Spannungs- keitsverlustes ist wie bei den oben gezeig- amplitude angeregt. Bei dieser nicht- ten Fügeverbindungen wichtig für den resonanten Frequenz schwingt die ganze sicheren Betrieb von Luftfahrzeugen. adaptive Struktur, und im intakten Be- Eine besondere Schädigungsart ist der „Im- reich zeigt das Spektrum nur diese eine pact“, ein Schlagschaden aufgrund einer Frequenz. Auf dem abgelösten Bereich fin- lokalen kurzzeitigen Strukturbelastung. det das Vibrometer hingegen auch die Eine Metallstruktur bekommt in einem Obertöne. Die Bilder bei 100, 150 und 200 solchen Fall meistens eine sichtbare Beule. kHz, die mit den Amplituden der Obertö- Wenn keine Beule entstanden ist, besteht ne rot eingefärbt wurden, stellen deswe- kein Grund zur Sorge. Anders ist es bei La- gen selektiv den abgelösten Bereich der minaten: In einem zylindrischen Bereich Aktorik dar. Die nichtlineare Vibrometrie unterhalb des Einschlags kommt es zu un- eignet sich somit zur zuverlässigen und kritischer Druckbelastung, aber wegen der gut automatisierbaren Überprüfung der schichtweise anisotropen mechanischen Ankopplung der Aktorik an die Struktur. Eigenschaften des Laminats kann es in ei- Das gilt für die Fertigung und auch später nem näherungsweise kegelförmigen Be- für Wartungsinspektionen. reich um diesen Zylinder herum zu ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 75

Grenzflächenversagen kommen, das je nach Impactenergie sogar zur Aufsplitte- rung der einschlagabgewandten Laminat- rückseite führen kann. An der Einschlag- stelle selbst ist hingegen typischerweise nur eine wenige Mikrometer tiefe kleine glänzende Vertiefung zu sehen, die optisch unauffällig und entsprechend mühsam zu finden ist. Auf der abgewandten Seite wäre die Absplitterung nicht zu übersehen, aber dazu müsste das Flugzeuginnere freigelegt werden, und diesen immensen Zeitauf- wand versucht man zu vermeiden. Darum besteht an der zuverlässigen Impact- erkennung an der Einschlagseite ein gro- ßes Interesse. In (09a) sind mit OLT und OLI berührungslos erhaltene Bilder von Impactschäden zu erkennen, aufgenom- 09a men auf der Impactseite. Mit OLT zeigt Vergleichende Charakterisierung im- sich im Zentrum des 30 Joule Schadens der pactgeschädigter CFK-Platten: kompressionsgeschädigte Bereich und um Phasenbilder der Einschlagseite bei diesen herum der konusartige Delamina- 0,1 Hz. tionsbereich. Mit OLI wird hingegen nur die modulierte Aufbeulung abgebildet. Der Impact erscheint daher als Fleck und nicht als Ring, dafür aber ohne die von den Kohlenstofffasern verursachte störende thermische Struktur, die bei OLT den vier Joule Impactschaden verdeckt. Deswegen ist der Zusammenhang zwischen Scha- densfläche und Impactenergie mit OLI kla- rer als mit OLT (09b). Die Schadensfläche ist mit der Restfestigkeit des Laminats un- ter Druckbelastung korrelierbar [15]. Nach 09b Schadensflächengröße mit OLT u.OLI. entsprechender Kalibrierung sollte sich die Aussage umkehren lassen, um die eintritt. So sind auch Bauteile in der Le- Rest festigkeit aus den berührungslosen bensdauer beschränkt, und die Ermittlung OLI-Befunden vorhersagen zu können. von Lebensdauerverbrauch und Restle- An adaptiven Strukturen sind solche Unter- bensdauer ist von großem praktischem In- suchungen besonders einfach, da der Ver- teresse. Seit langem ist bekannt, dass Bau- lauf des Korrelationskoeffizienten bei dieser teile unter periodischer Belastung Wärme intern angeregten Vibrometrie nach Kalib- entwickeln (davon macht auch die oben rierung eine Abschätzung der Impact- besprochene ULT Gebrauch) und dass die energie ermöglicht. Zur Lokalisierung des am stärksten geschädigten Bereiche ihr be- Impactschadens eignen sich dann die oben vorstehendes Versagen durch lokale Tem- erwähnten defektselektiven Verfahren, peratursteigerungen („hot spots“) ankün- wobei die eingebaute Piezoaktorik auch digen, deren Entstehung und Weiterent- hier als Schwingungsgeber fungiert [1]. wicklung unter Last thermografisch gut verfolgbar sind. Bildgebende Größe ist hier 8. Alterungseffekte, Ermüdung (wie auch bei OLT) der lokal erhöhte me- chanische Verlustwinkel als Lebensdauer- Alterung und Ermüdung betreffen nicht indikator, der besonders gut kurz vor dem nur Menschen und andere Lebewesen, Versagen anspricht. Von größerem prakti- sondern auch Werkstoffe: Frühere Be- schem Interesse ist die Veränderung der oder Überlastungen hinterlassen Spuren, Steifigkeit während des gesamten Belas- die die Leistungsfähigkeit unter weiterer tungsablaufs. Untersuchungen hierzu Belastung verringern, bis irgendwann eine führen wir mit luftultraschallerzeugten Grenze unterschritten wird und Versagen Grenzflächenwellen durch [17]. 76 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

(Immersions- und Squirtertechnik). Beides hat sich im Metallbereich bewährt, ist aber an FKV nicht immer anwendbar, z.B. wenn Aushärtungsverläufe verfolgt oder hochspannungsfeste adaptive Strukturen untersucht werden sollen. Bei der Unter- suchung mit luftgekoppeltem Ultraschall bleibt das Bauteil trocken. Häufig wird es dabei senkrecht zur Oberfläche durch- schallt, wie man es von wassergekoppel- tem Ultraschall gewohnt ist. Solche Mes- sungen liefern den Elastizitätsmodul senkrecht zur Bauteiloberfläche. Bei schräger Einschallung wird die Oberflä- che periodisch von den Druckfronten der Schallwelle „eingebeult“ (10a), und die fortschreitende Bewegung der Schallfron- 10a ten beim seitlichen Überstreichen des Bau- Erzeugung von Oberflächenwellen mit teils bewirkt eine entsprechende wellenar- Ultraschall bei optimalem Winkel. Wer sich schon mit Ultraschall medizinisch tige Bewegung der Beulenstruktur z.B. als untersuchen ließ, erinnert sich an die Pas- „Oberflächenwelle“ oder als „Plattenwel- te, mit der die akustische Kopplung zwi- le“ (10b). Dieser Effekt setzt einen be- schen Messkopf und Körperoberfläche stimmten Einschallwinkel voraus, weil hergestellt wird. Der technische Ultra- Wellenlänge und Geschwindigkeit dieser schall verwendet die Kopplung mit Wasser Wellen (über eine bestimmte Strecke ge- messen) (10c) zusammenhängen, wobei z.B. der Elastizitätsmodul entlang der Oberfläche eine Rolle spielt. Da Luftultraschallmessungen nicht von den Unwägbarkeiten einer mechanischen An- kopplung abhängen, lässt sich damit die Veränderung der Steifigkeit während der Ermüdungsbelastung erfassen. Nach ei- nem anfänglich steilen Verlauf des Steifig- keitsverlustes zeigen alle Proben einen gut verfolgbaren stetigen Abfall, aus dem man umgekehrt die Zyklenzahl und damit die Restlebensdauer abschätzen könnte. Zuletzt soll in diesem Zusammenhang eine weitere Ultraschallmethode erwähnt wer- den, nämlich die berührend messende Ultraschalldoppelbrechung, die wie in der Optik auf geringe Unterschiede im Rich- tungsverhalten der Werkstoffeigenschaften anspricht. Hiermit lässt sich z.B. die Undu- lation, also eine Abweichung der Faserrich- tung von der Sollrichtung, ortsabhängig verfolgen. Die hierbei erreichbare Genauig- keit liegt im Bereich von 1-2 Grad. Ver- suchsweise wurde mit dieser Methode auch die Anisotropie eines ursprünglich quasi iso- tropen Laminates bei Ermüdung unter zyk- lischer Zugschwellbelastung untersucht. Die stetige Änderung der Steifigkeitsaniso- tropie während des Ermüdungsversuchs 10b lässt vermuten, dass sich die Ultraschalldop- Plattenwellenfeld und involvierte me- pelbrechung als Indikator für den Lebens- chanische Eigenschaften. dauerverbrauch eignen könnte [18]. ZERSTÖRUNGSFREIE PRÜFUNG 77

9. Fazit

Wo stehen wir derzeit? Mit der Vielfalt unse- rer werkstoffangepassten innovativen ZFP- Verfahren können wir unterschiedliche Fehler in FKV schon mit großer Zuverläs- sigkeit auffinden, schnell großflächig bild- haft darstellen und somit charakterisieren. Durch Verbesserung der Charakterisie- rung lassen sich Sicherheit und Ausnut- zungsgrad erhöhen und dadurch Gewicht und Energieverbrauch absenken. Die Be- urteilung der Fehlerrelevanz ist aber ein anderes Problem. Die Abschätzung der Restlebensdauer ist zwar bereits an defi- nierten einfachen Bauteilen (z.B. Rohre, Zugproben) unter definierten Belastungen möglich, an Realteilen aber noch nicht. 10c Wir sollten uns also über die Zuverlässig- Messung der Plattenwellengeschwin- keit von Prognosen aus ZFP-Befunden kei- schungsgemeinschaft (DFG) wären die digkeit über die Laufstrecke xp. ne großen Illusionen machen, da liegt vorgestellten Messergebnisse nicht mög- noch ein weiter Weg vor uns. Die Luftfahrt lich gewesen (z.B. SFB 381, SFB 409, PAK wird noch einige Zeit mit hohen Sicher- 267 sowie Normalverfahren). Gerade die heitsfaktoren und entsprechenden Überdi- Verbindung der Grundlagenarbeit mit mensionierungen leben müssen, die viel der Umsetzung wurde vom Land Baden- Gewicht kosten. Württemberg und von der Universität Wichtig wäre ergänzend zur Fehlerfindungs- Stuttgart finanziell unterstützt (z.B. im eine verbesserte Fehlervermeidungsstrate- Projekt DLR@UniST). Unsere Industrie- gie, die durch intensivere Einbeziehung partner (z.B. Eurocopter, Airbus, Lufthan- der zerstörungsfreien Prüftechnik in die sa Technik) konfrontierten uns immer Fertigungsabläufe erzielbar wäre. Dazu wieder mit praktischen Fragestellungen als müssten wir aber mehr über die Entste- Herausforderungen und versorgten uns hungsgeschichte relevanter Fehler wissen. mit Prüfobjekten. Dafür bedanken wir uns Modellvorstellungen über die Weiterent- herzlich. wicklung von Schäden und ihre Relevanz- Ganz besonderer Dank gebührt unseren grenze erfordern eine verbesserte Kommu- Doktoranden, Diplomanden, Studienar- nikation zwischen Konstrukteuren, beitern und wissenschaftlichen Hilfskräf- Prüfern und Modellierern. Durch das Zu- ten, die sich mit Kreativität, Geduld und sammenschalten von Kompetenzen müs- Fleiß der Lösung unserer vielen Aufgaben sen das häufig noch bestehende Kästchen- stellten. Es ist sehr erfreulich und ermuti- denken in engen fachlichen Grenzen und gend, dass viele dieser Arbeiten durch Prei- daraus resultierende Eitelkeiten besser se gewürdigt wurden. überwunden werden. Ein wichtiges Teil- ziel als Mindestforderung wäre erreicht, Literatur wenn die Konstrukteure wüßten, welche ZFP-Methoden es gibt und wie man prüf- [1] Busse, G.; Kröplin, B.; Wittel, F.: Damage bar konstruiert. Wir sehen eine wichtige and its evolution in fiber-composite materials: Aufgabe in unserer Forschung und Lehre Simulation and non-destructive evaluation. Book darin, auch an dieser Horizonterweiterung on demand, 2006, ISBN 3-930683-90-3. im Bereich von Bauteilentwurf, Fertigung, [2] Summerscales, J.: Non-destructive testing of Prüfung und Inspektion zu arbeiten. • fibre-reinforced plastics composites, Elsevier Gerhard Busse, Igor Solodov Appl. Science, London and New York, I (1987), II (1990). [3] Busse, G.: Optoacoustic phase angle measurement Danksagung for probing a metal. Appl. Phys. Lett. Vol. 35 (1979): p 759–760. Ohne die wirksame Unterstützung unserer [4] Carlomagno, G.M.; Berardi, P.G.: Unsteady Forschungsarbeit durch die Deutsche For- thermotopography in non-destructive testing, Proc. 78 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

3rd Biannual Information Exchange, Aug. [11] Hennecke, E.G.; Reifsnider, K.L.; Stinch- 24–26, St. Louis USA, (1976): p 33–39. comb, W.W.: Thermography – An NDI method [5] Beaudoin J. L.; Merienne, E.; Danjoux, R.; for damage detection. J. of Metals (Sept. 1979) Egee, M.: Numerical system for infrared scanners p 11–15. and application to the subsurface control of mate- [12] Rantala, J.; Wu, D.; Busse, G.: Amplitude rials by photothermal radiometry. Infrared Tech- modulated lock-in vibrothermography for NDE of nology and Applications SPIE Vol. 590 polymers and composites. Res. Nondestr. Eval. (1985): p 287. (1996) 7, S. 215–228. [6] Kuo, P.K.; Feng, Z.J.; Ahmed, T.; Favro, [13] Stoessel, R.; Dillenz, A.; Krohn, N.; Busse, L.D.; Thomas, R.L.; Hartikainen, J.: Paral- G.: Defektselektives Abbildungsverfahren. Mate- lel thermal wave imaging using a vector lock-in rialprüfung 42, Nr.1/2 (2000), S. 38–44. video technique. Photoacoustic and Photo- [14] Solodov, I.; Döring, D.; Busse; G.: Air- thermal Phenomena, ed. P. Hess and J. coupled laser vibrometry: Analysis and applications, Pelzl. Heidelberg: Springer-Verlag (1987): Applied Optics, V. 48, N 7, pp. C33–C37, p 415–418. 2009. [7] Busse, G.; Wu, D.: Verfahren zur phasenemp- [15] Universität Stuttgart: Adaptive Strukturen im findlichen Darstellung eines effektmodulierten Ge- Flugzeugbau und Leichtbau. Ergebnisbericht genstandes. Patentschrift P 42 03 272.5 (1992). DFG SFB 409 für 1998-2000. S. 370–371. [8] Wu, D.; Salerno, A.; Malter, U.; Aoki, R.; [16] Hufenbach, W. (Hrsg.): Textile Verbundbau- Kochendörfer; R.; Kächele, P.K.; Woithe, weisen und Fertigungstechnologien für Leichtbaustruk- K.; Pfister, K.; Busse, G.: Inspection of aircraft turen des Maschinen- und Fahrzeugbaus. Bericht structural components using lockin-thermography. SPP 1123. SDV – Die Medien AG (2007) Busse, G.; Balageas, D.; Carlomagno, ISBN 978-3-00-022109-5. G.M. (Hrsg.): Quantitative infrared ther- [17] Rheinfurth, M.; Kosmann, N.; Sauer, D.; mography, QIRT 96, Stuttgart, Edizione Busse,G.; Schulte, K.: Lamb waves for non- ETS, Pisa (1997), S. 251-256, ISBN 88-467- contact fatigue state evaluation of composites under 0089-9. various mechanical loading conditions. Composites [9] Menner, P.; Busse, G.: Lockin-interferometric Part A, 43, 1203-11, 2012. imaging of thermal waves for non-destructive tes- [18] Rheinfurth, M.; Fey, P.; Allinger, S.; Busse, ting. Proceed. SPIE Optical Metrology, Op- G.: Ultrasonic birefringence as a measure of me- tical Measurement Systems for Industrial chanically induced fatigue damage in laminated Inspection, München, 2011. compo sites. International Journal of Fatigue [10] www.ifb.uni-stuttgart.de/e-genius. (im Druck).

DIE AUTOREN

Prof. Dr. Gerhard Busse und Prof. Dr. Igor Solodov

Die zerstörungsfreie Prüfung ist ein Forschungsgebiet am Institut für Kunststofftechnik (IKT), das 1989 mit der Beru- fung von Prof. Dr. Gerhard Busse zur Einrichtung der Abteilung „Zerstörungsfreie Prüfung“ am IKT (damals IKP) führte, in der Ingenieure, Materialwissenschaftler, Physiker und Mathematiker interdisziplinär zusammenarbeiten. Mit Prof. Dr. Igor Solodov von der Lomonossov-Universität Moskau konnte das ZFP-Team einen international führen- den Wissenschaftler im Bereich elastischer Wellen gewinnen. Der SFB 381 „Charakterisierung des Schädigungs- verlaufs von Faserverbundwerkstoffen mittels zerstörungsfreier Prüfung“ mit seiner Laufdauer von 12 Jahren war für Entwicklung und Anwendung innovativer zerstörungsfreie Prüfverfahren ein sehr wichtiger Nährboden. Zu den in die- sem Artikel vorgestellten Resultaten haben über die vergangenen Jahre viele Mitglieder des ZFP-Teams beigetragen, in chronologischer Reihenfolge: Werner Karpen, Klaus Nixdorf, Datong Wu, Gernot Riegert, Alexander Dillenz, Thomas Zweschper, Christian Spiessberger, Henry Gerhard, Klaus Pfleiderer, Nils Krohn, Christoph Döttinger, Rainer Stössel, Andreas Gleiter, Daniel Döring, Philipp Menner, Niels Holtmann, Peter Fey, Markus Rahammer, Martin Rheinfurth, Sebastian Allinger, Dorothee Sauer und Tatjana Bubeck.

Kontakt Universität Stuttgart, Institut für Kunststofftechnik, Zerstörungsfreie Prüfung Pfaffenwaldring 32, D–70569 Stuttgart, Tel. +49 (0) 711/685-62626, Fax +49 (0) 711/685-59712 E-Mail: [email protected], Internet: www.zfp.uni-stuttgart.de 80 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Aero-thermodynamische Auslegung eines Scramjet-Antriebssystems für zukünftige Raumtransportsysteme

Das Graduiertenkolleg (GRK) 1095

In den letzten Jahren wurden international große Anstrengungen unternommen, um für ein hyperschallschnelles Fluggerät ein luftatmendes Antriebssystem, basierend auf einem Scramjet (Supersonic combustion Ramjet), zu entwickeln. Bei diesem Gerät muss anders als bei einer Rakete der Oxidator nicht mehr mitgeführt werden, da der Luftsauerstoff für die Verbrennung benutzt werden kann. Dies führt bei hohen Fluggeschwindigkeiten dazu, dass in der Brenn- kammer Überschallströmung herrscht. Um die sehr aufwendige Technologie erproben zu können, werden weltweit entsprechende Untersuchungen an Demonstratoren durchgeführt.

1. EINLEITUNG

Zurzeit werden bei den Versuchen weltweit unterschied- liche Typen von Erprobungsträgern eingesetzt. Zum einen handelt es sich bezüglich des Designs um hyper- schallschnelle Fluggeräte, die in aller Regel von einer kon- ventionellen Rakete auf die entsprechende Flugmachzahl beschleunigt werden und danach mit Hilfe des eigenen Scramjet-Antriebes einen Flug durchführen sollen. Hier sind einerseits das amerikanische Hyper-X (X-43) Pro- gramm der NASA und das militärische X-51 Programm, andererseits das europäische Testprogramm LEA zu nen- nen. Zum anderen handelt es sich bei den Erprobungsträ- 01 gern um reine Demonstrator Systeme wie beim russischen Zweistufiges Raumtransporterkonzept mit scramjet-angetriebener Unterstufe. KHOLOD Hypersonic Flight Lab, einer Kombination aus © Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) rotationssymmetrischem Scramjet und Rakete, wobei es SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 81

hier nicht zur Trennung der beiden Syste- SUMMARY me kommt, sondern die Rakete für die ge- samte Flugzeit Schub erzeugt. For future, reusable space transportation systems, as well as for hypersonic flight vehicles Eine weitere Versuchsmöglichkeit besteht the use of an air breathing propulsion system with supersonic combustion is the main prob- aus einem reinen Scramjet-Demonstrator lem to be solved concerning the design and the overall vehicle design. In this context only in Kombination mit einer Rakete. Damit the use of a scramjet-propulsion system meets all the aerodynamic and gas dynamic require- wird der Demonstrator auf eine entspre- ments and offers a real alternative towards the classical rocket driven systems. Accordingly, chende Höhe gebracht, trennt sich im the main scientific objective of all the projects networked within the Research Training Scheitelpunkt der Flugparabel von der Ra- Group is the design and the development of a scramjet demonstrator engine using neces- kete ab und beschleunigt alleine durch die sarily different experimental and numerical procedures and tools, provided by the involved Gravitation im freien Fall auf die zum Be- scientists. Several partly coupled problems on different scientific areas like aero- and gas trieb des Scramjets notwendige Geschwin- dynamics, thermodynamics with focus on supersonic combustion and material research par- digkeit. Diese Erprobungsmethode wurde ticularly to make fibre composites applicable for the highly thermal stressed combustion z.B. im australischen HyShot-Projekt be- chamber. At the same time several projects are dealing with the analysis of the total sys- nutzt. Beim französischen PROMETHEE tem, enabling therefore the very complex integration of all single components of the scram- Programm handelt es sich um ein nationa- jet demonstrator engine. One particularity of this Research Training Group is the involve- les, militärisches Hyperschall-Antriebs- ment of three German universities as well as the DLR. Thus, scientists of the Universität konzept. Erste Windkanaltest wurden in Stuttgart, the RWTH Aachen, the TU München and the DLR Köln are working together Frankreich und Russland (ITAM) durch- on the scramjet field. geführt, die Flugerprobung steht noch aus. Grundlegende Untersuchungen hier- zu wurden im Rahmen des JAPHAR-Pro- gramms gemacht, bei dem neben der dem DLR. Dieser Sachverhalt bildet ONERA auch das Deutsche Zentrum für gleich zeitig auch den Hauptvorteil gegen- Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt war. über den anderen internationalen Akti- Die Auflistung der zur Zeit mit großem wis- vitäten auf diesem Gebiet. Durch die senschaftlichen und finanziellen Einsatz erfolgreichen Vorarbeiten wurden hier durchgeführten Projekte auf dem Gebiet „Werk zeuge“ und Vorkenntnisse geschaf- der Scramjet-Technologie zeigt, welchen fen, deren Anwendung durch das vor- hohen internationalen Stellenwert die liegende Graduiertenkolleg nun weiter Forschung auf diesem Gebiet besitzt, ins- konkretisiert wird. Zusätzlich ergibt sich besondere im Hinblick auf die Entwick- die Möglichkeit, diese Grundlagen in die lung eines zukünftigen hyperschallschnel- Ausbildung der Stipendiaten zu über- len Fluggeräts, sei es als Unterstufe für ein führen und somit eine sehr positive Aus- modernes rückkehrfähiges Raumtrans- gangsbasis für weitere und tiefergehende portsystem oder als Hyperschallflugzeug Forschungsarbeiten zu schaffen. selbst (01). Auf dem Gebiet der Entwick- Die im Rahmen eines Kollegs gegebene enge lung eines Hyperschallflugzeugs ist das Zusammenarbeit der einzelnen Gebiete euro päische Projekt LAPCAT besonders zu eröffnet auf hervorragende Art und Weise erwähnen. die Möglichkeit, Problemstellungen zu be- Mit der Einrichtung des Graduiertenkollegs arbeiten, die sich hinsichtlich der Konkre- 1095 (GRK) „Aero-thermodynamische tisierung des erworbenen Grundlagen- Auslegung eines Scramjet-Antriebssystems wissens ergeben. Vordergründig können für zukünftige Raumtransportsysteme“ jedoch auch Fragen behandelt werden, die entstand in Deutschland im Jahr 2005 ein sich ergeben, wenn es zur Kombination Arbeitsteam, das aufgrund der vorhande- der auf den einzelnen Teilgebieten erwor- nen Expertise in der Lage ist, einen ganz benen Ergebnisse kommt. Hierbei muss entscheidenden Beitrag auf dem Gebiet klar herausgestellt werden, dass es im Hin- der Scramjet-Antriebssysteme zu leisten. blick auf einen operationell arbeitenden Die Basis dieser Qualifikation bildet das in Scramjet-Antrieb nicht möglich ist, Ein- früheren Sonderforschungsbereichen erar- zelkomponenten getrennt zu entwickeln. beitete und in hohem Maße international Sobald der Schritt von isolierten Simula- anerkannte und geschätzte Grundlagen- tionen und Laborversuchen hin zu einem wissen sowie das bereits in starkem Maße konkreten Demonstrator gemacht wird, vorhandene „wissenschaftliche Netzwerk“ müssen alle Komponenten wie Zentral- zwischen der Universität Stuttgart, der körper, Einlauf, Isolator, Brennkammer RWTH Aachen, der TU München und und Schubdüse im engen Verbund, direkt 82 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

gekoppelt entwickelt werden. Diese von 2.2 Aufbau des Graduiertenkollegs der technischen Seite her vorgegebene Integration wird von der Projektarbeit in- Die Hauptzielsetzung des Graduiertenkol- nerhalb des Graduiertenkollegs direkt auf- legs ist die aero-thermodynamische Aus- genommen und umgesetzt. legung eines Scramjet-Antriebssystems, bei dem alle Elemente eines kompletten An- 2. DAS GRADUIERTENKOLLEG triebssystems wie Vorkörper, Einlauf, Iso- 2.1 Das Grundkonzept lator, Brennkammer und Schubdüse in- tegriert und auf die konkrete Verwendung Die Basisauslegung des Scramjet-Antriebs- hin ausgerichtet sind. Zusätzlich werden systems sieht zunächst einen mehr zwei- thermomechanische Fragestellungen hin- dimensionalen Flugkörper vor, bestehend sichtlich eines geeigneten hochtempera- aus einem Vorkörper in der Form eines turfesten Brennkammermaterials sowie langgezogenen Doppelkeils, einem Dop- numerische Analysen des Gesamtsystems pelrampeneinlauf mit sehr moderaten durchgeführt. Das beschriebene Scramjet- Rampenwinkeln, einem sich anschließen- Antriebskonzept soll, wie bereits erwähnt, den Strömungskanal (Isolator), einer zunächst als eine Art „Leitkonzept“ die- Brennkammer zur Überschallverbren- nen. Die Durchführung eines tatsächli- nung sowie einer Schubdüse. Als Schub- chen Flugversuchs ist nicht Gegenstand düse ist eine sogenannte SERN-Düse dieses Graduiertenkollegs. Dennoch dient (single expansion ramp nozzle) vorgese- der mittels einer Rakete beschleunigte De- hen. Die äußere geometrische Form sowie monstrator als gemeinsames Leitkonzept, die Basisabmessungen ergeben sich aus der um die Kräfte der einzelnen Teilprojekte Anforderung, dass dieses Antriebskonzept innerhalb des Graduiertenkollegs am als ferne Zielsetzung auf einer Rakete konkreten Anwendungsfall zu bündeln. fliegen soll. Hierbei ist vorgesehen, dass Um dieses gemeinsame Vorhaben verwirk- der Flugkörper mit der Rakete auf eine lichen zu können, ergeben sich für die entsprechende Höhe gebracht wird und einzelnen Teilprojekte individuelle Ziele, sich im Scheitelpunkt der Flugbahnpara- die jedoch in hohem Maße miteinander in bel von der Rakete trennt. Allein durch Wechselwirkung stehen und entsprechend den freien Fall zurück zur Erdoberfläche gut miteinander abgestimmt wurden. erfolgt die Beschleunigung auf die zum Im Bereich der Vorkörperumströmung Betrieb des Scramjets notwendige Ge- muss auf experimentellem und numeri- schwindigkeit. Sobald dann der notwen- schem Weg geklärt werden, welchen Ein- dige Staudruck erreicht ist, erfolgt die fluss die spezielle geometrische Form des Zündung. Die in der Brennkammer er- Vorkörpers auf die Zuströmrandbedin- zielte Überschall verbrennung dauert, gungen des Einlaufes und somit auf die je nach angestrebter Ausgangsflughöhe, Luftzufuhr zum eigentlichen Triebwerk einige Sekunden. hat. Hierzu soll eine genaue Analyse des Um das Projekt möglichst nahe an einem jeweiligen Grenzschichtzustandes unter konkreten Anwendungsfall orientieren zu Berücksichtigung der Strömungszustände können, wurde ein solcher Flugversuch bei geometrisch verschiedenen Vorkörper- bei der Auslegung des Demonstrators an- geometrien und Anströmzuständen gezielt, wenngleich ein konkreter Einsatz (Machzahl, Reynoldszahl) untersucht im Rahmen des Graduiertenkollegs nicht werden, um somit die Zuströmrandbedin- vorgesehen ist. Entsprechend werden gungen für die räumlich konzentrierte flugmechanische Fragestellungen zur Sta- Kompression an den sich anschließenden bilität und zur Lage-Bahnregelung im Verdichtungsrampen festlegen zu können, Gra duiertenkolleg nicht behandelt. Den- was sowohl für die experimentelle als auch noch besteht so die Möglichkeit, ein für numerische Behandlung aller stromab alle Projektpartner gültiges und gleichzei- stattfindenden Vorgänge von sehr großer tig anwendungsorientiertes Leitkonzept Bedeutung ist. zu definieren (01). Als erster Auslegungs- Die Schnittstelle zum eigentlichen Einlauf fall wurde zunächst ein stationärer Flug- und dem sich direkt anschließenden Isola- zustand in einer Höhe von ca. 30 Kilome- tor ergibt sich aus der Fragestellung nach tern bei einer Flugmachzahl von M = 7 dem wechselseitigen, strömungsphysikali- an genommen. schen Einfluss der 3D-Zentralkörpergrenz- SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 83

schicht auf den Rampeneinlauf. Hierbei Verbundstrukturen zu gelangen, war es soll zunächst das Problem der Stabilität zweckmäßig, die Projekte des Graduierten- des sich bildenden Stoßsystems (Stoß- kollegs in drei Gruppen einzuteilen, die oszillation) infolge der ankommenden sich an den unterschiedlichen Schwer- 3D-Grenzschicht sowie die hier speziellen punkten des Forschungsprogramms orien- Fragestellungen hinsichtlich der Stoß- tieren: Grenzschicht-Wechselwirkung erforscht • Projektgruppe A: „Aero-thermodynami- werden. sche Fragestellungen“ (mit acht Teilpro- Der Einlauf selbst, bestehend aus Doppel- jekten), rampe und Einlauflippe, sowie der sich an- • Projektgruppe B: „Verbrennung“ (mit schließende Isolator werden hinsichtlich acht Teilprojekten), eines optimalen Druckrückgewinns zur • Projektgruppe C: „Abströmung und Sys- Erzielung eines für die Brennkammer temanalyse“ (mit sieben Teilprojekten). günstigen Eintrittsdruckes sowie unter Die Zusammenarbeit zwischen den einzel- Berücksichtigung der speziellen Anforde- nen Projekten ist äußerst eng, da wegen rungen des Demonstrators ausgelegt und der extrem nichtlinearen Kopplung aller optimiert. Maßgebende Forderungen sind Teile eines Scramjets nur gemeinsam ein hier die Untersuchung des Startverhaltens funktionsfähiges Gesamtsystem erzeugt des Einlaufs, Veränderungen der An- werden kann. strömzustände durch kleine Schiebe- und Anstellwinkel sowie Effekte, die den Mas- 2.3 Studienprogramm senstrom durch das Triebwerk betreffen (Spillage). Das GRK 1095 verfolgt zwei globale Ziele, Die Brennkammer stellt den Kern des Pro- um eine kürzere Promotionsdauer zu er- jekts dar. Das Hauptziel ist hierbei die reichen. Zum einen soll eine zu starke Auslegung einer Brennkammer zur Über- Spezialisierung durch die Integration in- schallverbrennung unter den geometri- terdisziplinärer Elemente vermieden und schen Gegebenheiten des Scramjet-An- damit die Ausbildungsqualität verbessert triebssystems. Es soll gezeigt werden, dass werden. Es wird besonderes Gewicht auf es möglich ist, eine stabile und technisch die Vermittlung von modernem Grund- einwandfreie Überschallverbrennung auch lagenwissen aus den Bereichen der Inge- außerhalb optimaler Laborbedingungen zu nieur- und Naturwissenschaften sowie der realisieren. Hierzu werden sowohl experi- Mathematik gelegt, wobei der Anwen- mentelle als auch numerische Untersu- dungsbezug erhalten bleibt. Zum anderen chungen durchgeführt. Die Untersuchun- soll durch ein gezieltes Ausbildungspro- gen zur Überschallverbrennung sind sehr gramm eine Reduktion der Promotions- vielfältiger Natur. Hierbei werden der Ein- dauer von bisher fünf auf drei Jahre er- fluss der Turbulenz-Chemie Interaktion möglicht werden. Das Studienprogramm auf das Zündverhalten sowie numerische berücksichtigt dabei die Erfahrungen frü- Untersuchungen zur Flammstabilisierung herer Graduiertenkollegs, schreibt sie fort in der Überschallflamme untersucht. und ergänzt sie um neue Elemente, die Gleichzeitig werden aber auch Probleme zum einen der verschärften Wettbewerbs- der Wärmeübertragung an Zentralkörpern situation um exzellente Absolventen innerhalb der Brennkammer untersucht. Rechnung trägt und zum anderen die stei- Schließlich wird die Schubdüse entspre- gende Bedeutung von Auslandserfahrung chend den durch die Brennkammer vor- berücksichtigt. Besonderer Wert wird auf gegebenen Randbedingungen hinsichtlich folgende Elemente gelegt: der Schuberzeugung an einem realen • Individuelles Ausbildungsprogramm mit Flugkörper angepasst sowie experimentell vertiefenden Lehrveranstaltungen, und numerisch optimiert. Als integrieren- • Ringvorlesungen der am Kolleg beteiligten des Element über alle Teilprojekte wird Wissenschaftler und Gäste, eine Gesamtsystemanalyse durchgeführt • Blockkurse und Summerschools, und andauernd erweitert und aktualisiert, • Vorträge auswärtiger Dozenten, die das Bindeglied zwischen allen behan- • Doktorandenkolloquien, delten Einzelfragestellungen darstellt. • Klausurtagungen. Um die vorgegebenen Ziele erreichen zu Diese bewährten Elemente werden um können, aber auch um zu handhabbaren vier neue Elemente ergänzt: 84 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

• Für alle Stipendiaten wird ein etwa halb- Wechselwirkung an einem Doppelram- jähriger individuell konzipierter Auslands- pen-Einlauf bei unterschiedlichen Zu- aufenthalt angestrebt. strömbedingungen (M. Krause, E. Krä- • Durch die Kollegiaten zu organisierende mer, Institut für Aerodynamik und Gasdynamik) Studienprogrammelemente zur Förde- rung der Selbständigkeit (Seminartage, Bei einer Scramjet-Antriebskonfiguration Internet-Kommunikations-Elemente). wird ein Großteil der zur Verbrennung be- • Einrichtung eines beratenden Industrie- nötigten Luft unmittelbar vor dem Trieb- forums. werkseinlauf, also noch außerhalb des • Einbindung eines externen Patentanwal- eigentlichen Motors, verdichtet. Dies ge- tes, der Verwertungsmöglichkeiten auf- schieht in aller Regel über Rampenströ- zeigt. mungen, bei denen durch entsprechend Die Betreuer des Kollegs stammen von der erzeugte schräge Verdichtungsstöße die Universität Stuttgart (M. Aigner, P. Ger- Luft schlagartig komprimiert wird. Eine linger, E. Krämer, B. Kröplin, C.D. Munz, der wesentlichen Eigenschaften dieser S. Staudacher, J. von Wolfersdorf, B. Wei- Verdichtungsstöße ist ihr instationärer gand), der RWTH Aachen (H. Olivier, Charakter, d.h., dass sie um ihre durch W. Schröder, M. Behr), der TU München den Rampenknick definierte Lage hin und (H.P. Kau, T. Sattelmayer, N. Adams) und her schwanken. Die letztendlich für diese dem DLR Köln (A. Gülhan). Es findet eine Schwankungsbewegung ursächlichen intensive web-basierte Kommunikation physikalischen Mechanismen (02) sind statt. Eine besondere Bedeutung kommen nach wie vor nicht vollständig erklärt. in dem Graduiertenkolleg den Postdoc Ent sprechend ergeben sich in diesem Zu- Stellen zu. Diese Personen übernehmen sammenhang spezielle Fragestellungen eine stark koordinierende Funktion inner- hinsichtlich der Stoß-Grenzschicht-Wech- halb des Graduiertenkollegs. selwirkung, d.h. der in diesem Fall insta- tionären Interaktion der Stöße mit der an- kommenden körpernahen Strömung unter Berücksichtigung der besonderen geometrischen Gegebenheiten. Das physi- kalische Phänomen der oszillierenden Ver- dichtungsstöße tritt jedoch nicht nur am Einlauf auf, sondern kann auch bei Ver- dichtungsvorgängen innerhalb des Trieb- werkes und in der Brennkammer fest- gestellt werden. Der Untersuchung 02 ur säch licher Mechanismen kommt daher Schematische Darstellung der Stoß- eine zentrale Bedeutung nicht nur für die oszillation an einem Scramjet-Einlauf. Gestaltung des Einlaufs, sondern auch für 3. AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE das Verständnis der stromab stattfinden- den Prozesse im Scramjet zu. Hierzu wer- Im Folgenden werden einige ausgewählte den im Rahmen des Projekts A2 Inter- Ergebnisse des GRK 1095 vorgestellt. Die aktionsvorgänge einer ankommenden Beschreibung der Ergebnisse beinhaltet turbulenten Grenzschicht mit Einfach- jeweils die Bezeichnung des Projekts und und Doppelrampen untersucht. Durch- die Angabe der Stipendiaten und Betreuer. geführt wurden diese Untersuchungen bei Hierbei werden aus den zahlreichen Ergeb- 2,5-facher Schallgeschwindigkeit. nissen nur einige ausgewählt, die an der Zur messtechnischen Erfassung dieser in- Universität Stuttgart erzielt wurden. stationären Vorgänge kommen neben Detailliertere Angaben zum GRK 1095 findet zeitlich hochauflösenden Druckaufneh- der Leser unter www.uni-stuttgart.de/ mern und optischen Verfahren insbeson- itlr/graduierten bzw. in Publikationen dere die Hitzdrahtanemometrie, bei der zum Graduiertenkolleg [1, 2]. die variierende Wärmeabgabe eines beheiz- ten, sehr dünnen Drahtelements unter Projekt A2 verschiedenen Anströmbedingungen als • Experimentelle Untersuchungen zu Messsignal ausgewertet wird, zum Einsatz. Phänomenen der Stoß-Grenzschicht Hierzu wurde eigens ein zeitlich sehr SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 85

hochfrequent arbeitendes Konstant-Tem- unmittelbaren Umgebung der Rampe os- peratur-Anemometer entwickelt, welches zillieren. Die Auswirkungen der Oszilla- es ermöglicht, innerhalb weniger Millise- tionen können dabei selbst auf Höhe des kunden die Drahttemperatur regelungs- Fangquerschnitts regis triert werden. technisch stabil zu variieren. Im Rahmen des GRKs verfolgt dieses Projekt Messungen mit Hitzdrahtsonden wurden das Ziel, den Scramjeteinlauf numerisch stromauf und stromab des Stoßsystems so- zu untersuchen, um so eine detaillierte wohl in der Grenzschicht als auch in der Einsicht in die Strömungsphänomene zu freien Strömung durchgeführt, so dass erhalten. Das den Untersuchungen zu- Korrelationen zwischen ankommenden grunde liegende numerische Verfahren Störungen, der Bewegungen der an Ram- muss dabei sehr hohen Ansprüchen genü- pen typischen Ablöseblase und der Stoß- gen: Zum einen muss das Verfahren in der frequenz abgeleitet werden können. Lage sein, die auftretenden Verdichtungs- stöße robust zu approximieren und zum Projekt A6 anderen wird ein hohes zeitliches Auf- • Numerische Simulation der instatio- lösungsvermögen zur Erfassung der nären Effekte am Einlauf (M. Atak, C.D. in stationären Effekte verlangt. Ein viel- Munz, Institut für Aerodynamik und Gasdynamik) versprechender Ansatz, der diesen Anfor- derungen gerecht wird, sind Verfahren Anders als bei konventionellen Raketenan- hoher Ordnung, wie beispielsweise das so- trieben wird bei einem Scramjet-Antriebs- genannte Discontinuous-Galerkin (DG)- system die für die effiziente Verbrennung Verfahren, das als ein hybrider Ansatz ver- in der Brennkammer erforderliche Luft standen werden darf, der das Finite-Volu- nicht mittels mechanischer Elemente, wie men-Verfahren mit dem Finite-Elemente- etwa über einen Verdichter, komprimiert. Verfahren kombiniert und von diesen das Hier wird vielmehr die hohe Flugge- robuste Stoßauf lösungsvermögen (das so- schwindigkeit und die Geometrie des Ein- genannte „shock-capturing“), sowie die laufes genutzt, um ein System aus Ver- hohe Ordnung erbt. Eine weitere wichtige dichtungsstößen zu erzeugen, das für die Eigenschaft des DG-Verfahrens besteht in Kompression der Luft zuständig ist. Der der Kompatibilität mit unstrukturierten Einlauf eines luftatmenden Hyperschall- Gittern, die selbst die Berechnung kompli- flugkörpers erfüllt dabei nicht nur die zierter Geometrien ermöglicht. Mit die- Aufgabe der Bereitstellung der kompri- sem Verfahren, das über ausgezeichnete mierten Luft, sie ist auch gleichzeitig der Parallelisierungseigenschaften verfügt und Schauplatz von wichtigen aero-thermo- somit prädestiniert ist für Höchstleistungs- dynamischen Phänomenen, die eine rechnungen auf mehreren Tausend CPUs, an gemessene Berücksichtigung und Un- ist es möglich, höherwertige numerische tersuchung im Zusammenhang der Untersuchungen, wie LES- („Large Eddy Designstudien verlangen. So kommt es Simulation“) bzw. DNS („Direkte Nume- beispielsweise am Rampenfuß zur Ablö- rische Simulation“)-Rechnungen durch- sung der Strömung und es treten Inter- zuführen, die einen tieferen Einblick in aktionen zwischen den schrägen Verdich- die komplexen Vorgänge am Einlauf ge- tungsstößen und den sich an den Wänden währen. bildenden Grenzschichten auf, die das ge- samte Strömungsbild im Einlauf entschei- Projekt B1 dend beeinflussen. Besonders die Folgen • Experimentelle Untersuchung der der Stoß-Grenzschicht-Interaktion kön- Treibstoffeinblasung, Mischung und nen verheerende Ausmaße bis hin zum Stabilität in einer Überschallbrenn- Materialversagen infolge extrem starker kammer (N. Dröske, J. Vellaramkalayil, Wärmelasten annehmen und sind mit- J. von Wolfersdorf, Institut für Thermodynamik unter ausschlaggebende Faktoren für die der Luft- und Raumfahrt) Auslegung des sicheren Betriebsbereiches. Darüber hinaus haben zahlreiche Experi- Eine der größten Herausforderungen bei der mente und numerische Untersuchungen Entwicklung eines Scramjet-Antriebs ist zu Stoß-Grenzschicht-Interaktionen auf- es, genug Wärmefreisetzung in einer Über- gezeigt, dass sowohl die Ablöseblase, als schallströmung zu erzielen, um positiven auch der schräge Verdichtungsstoß in der Schub erzeugen zu können. Hohe Wärme- 86 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

freisetzung wird allerdings Einspritzung im Gegensatz zu den zwei- meist von hohen Druck- stufigen Konzepten nicht in der Lage ist gradienten begleitet, die zu bei größeren Brennstoffmassenströmen thermischem Sperren in den eingebrachten Brennstoff vollständig der Brennkammer führen zur Reaktion zu bringen. Dies liegt an der können. Um thermisches unzureichenden Vermischung des Brenn- Sperren zu vermeiden, stoffes mit dem umgebenden Sauerstoff sind die Brennkammergeo- speziell in den wandnahen Bereichen. Die metrie und das Konzept numerischen Voruntersuchungen haben zur Brennstoffeinbringung gezeigt, dass sich der meiste Restsauerstoff 03a Single-Staged von entscheidender Be- im einstufigen Fall während des Verbren- deutung. Eines der vielver- nungsvorgangs in Wandnähe befindet. sprechendsten Konzepte, (03) zeigt fotografische Aufnahmen der um bei hoher Wärmefrei- Verbrennungsversuche für den ein- und setzung thermisches Blo- zweistufigen Fall bei verschiedenen Brenn- ckieren zu vermeiden, be- stoffmassenströmen. Dabei weisen die ro- steht darin, den Brennstoff ten Pfeile auf die Position der Einspritzung über mehrere axiale Posi - des Wasserstoffes hin. Die Bilder zeigen, tionen verteilt in den dass für den einstufigen Fall mit hohem Brennraum einzubringen. Äquivalenzverhältnis (03b) die Flamme Mehrstufige Brennkam- sehr weit aufgeht und somit fast die 03b Single-Staged mern haben allerdings den komplette Brennkammerhöhe einnimmt. Nachteil, dass die Länge Dies führt im einstufigen Fall zum teil- der Brennkammer zu- weisen Blockieren der Strömung, was sehr nimmt, da der zusätzlich starke Totaldruckverluste zur Folge hat. an mehreren axialen Po- Für die zweistufige Einspritzung (03c, sitionen eingebrachte 03d) erkennt man, dass noch genug Sau- Brennstoff noch in der erstoff in Wandnähe vorhanden ist, um Brennkammer ausrei- eine stabile Reaktion des Wasserstoffes zu chend vermischt und ver- ermöglichen. brannt werden muss. Um die axiale Erstreckung der Projekt B2 03c Two-Staged Brennkammer durch zu- • Temperatur- und Geschwindigkeits- sätzliche Stufen so gering messungen in einer Überschallflamme wie möglich zu halten, und Überschallbrennkammer muss die Effizienz der Ver- (F. Förster, A. Hell, B. Weigand, Institut für mischung des eingebrach- Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt) ten Brennstoffs mit der Überschallströmung mög- Bei der Entwicklung eines Scramjet An- lichst groß sein. Im Teil- triebssystems stehen das Verständnis und projekt B1 wurden daher die Beherrschbarkeit der Überschallver- verschiedene Einspritzkon- brennung im Mittelpunkt. Aus diesem zepte untersucht, welche Grund ist die Erstellung experimentell ge- 03d Two-Staged auf einer zweistufigen Ein- wonnener Datensätze notwendig. Diese Fotografische Aufnahmen der Ver- mischung des Wasserstof- tragen zu einem besseren Verständnis von brennungsversuche bei ein- und zwei- fes in die Brennkammer Mischungs- und Verbrennungsvorgängen stufiger Verbrennung. beruhen. Hierzu wurden zunächst mittels in einer Überschallströmung bei. Darüber numerischer Voruntersuchungen ver- hinaus werden die experimentellen Daten- schiedene Konzepte und Geometrien be- sätze zur Verifizierung numerischer Mo- trachtet. Dabei wurden unter anderem delle verwendet. Rampenhöhe, -länge und -winkel aber Das Messen in einer chemisch reagierenden auch Position und Einspritzwinkel variiert. Überschallströmung stellt besondere Her- Es wurde eine Datenbasis geschaffen, mit ausforderungen an die Messtechnik. Son- der verschiedene Einflüsse der unter- denmesstechniken sind intrusiv und kön- schiedlichen Parameter untersucht und nen somit zu einer lokalen Beeinflussung evaluiert werden können. der Verbrennung führen. Dies geschieht Sowohl die Experimente als auch die Simu- hauptsächlich durch Strömungsbeeinflus- lationen haben gezeigt, dass die einstufige sung, lokales Abkühlen der Strömung und SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 87

04 OH* Verteilung in einer Überschall- flamme. katalytische Effekte an der Sondenober- in einem rotationssymmetrischen, che- fläche. Daher empfiehlt sich der Einsatz misch reagierenden Überschallfreistrahl von Lasermesstechniken. Hier wird zwi- durchgeführt. Ein solcher Freistrahl gilt schen linearen (z. B. Laser-Induzierte als Referenzfall für die Überschallverbren- Fluo reszenz (LIF), Raman Streuung und nung. Zudem zeichnet er sich durch sehr Particle Image Velocimetry (PIV)) und gute optische Zugänglichkeit aus und die nicht-linearen Messtechniken (z. B. Co- Anzahl der Messpunkte kann, bedingt herent Anti-Stokes Raman Spectroscopy durch die Symmetrie, verringert werden. (CARS)) unterschieden. Im Vergleich zu Messungen wurden entlang der Freistrahl- den linearen Messtechniken, bei denen das achse und in mehreren Ebenen senkrecht Signal aus diffus gestreutem Licht besteht, zur Freistrahlachse vorgenommen. Die zeichnen sich nicht-lineare Messtechniken mit LITA gemessenen Schallgeschwindig- durch hohe Signalintensität aus. Diese ist keitsverläufe geben die Flammposition, die darin begründet, dass der Signalstrahl in aus OH* (Hydroxyl-Radikale) Chemi- Phase (kohärent) mit dem Auslesestrahl lumineszenzaufnahmen (04) ermittelt und somit ein gerichteter, laser-ähnlicher wurde, sehr gut wieder. Strahl mit geringer Divergenz ist. Nach- Zukünftig sind LITA Messungen in einer teilig an den nicht-linearen Techniken ist Scramjet Brennkammer, die momentan allerdings der komplexe optische Aufbau. am ITLR erforscht wird, geplant. Bei Mes- Umwelteinflüsse wie z. B. Vibrationen, die sungen in einer Brennkammer kommt durch die Testanlage induziert werden, erschwerend die eingeschränkte optische können daher zum Versagen des hoch Zugänglichkeit hinzu. Um eine Beschädi- sensiblen optischen Aufbaus führen. Aus gung der Fenster durch die fokussierten diesen Gründen eignet sich insbesondere Laserstrahlen zu vermeiden, ist eine die nicht-lineare Messtechnik Laser-Indu- Strahlbeeinflussung notwendig. Durch zierte Thermische Akustik (LITA) für die Vergrößerung des Laserstrahldurchmes- Vermessung von Überschallflammen. Die- sers können zum einen die Zonen hoher se zeichnet sich durch einen vergleichs- Energie aus dem Bereich der Fenster be- weise einfachen und somit robusteren op- wegt werden und zum anderen wird die tischen Aufbau aus. Mit LITA wird direkt Signalintensität gesteigert. Eine weitere die lokale Schallgeschwindigkeit in einem geplante Modifikation des optischen LITA Testvolumen gemessen. Aufbaus wird die simultane Messung von Bisher wurde LITA für den Einsatz an der Schallgeschwindigkeit und Strömungs- Überschallverbrennungsanlage des Insti- geschwindigkeit ermöglichen. tuts für Thermodynamik der Luft- und Raumfahrt (ITLR) validiert. Dies geschah Projekt B4 durch Untersuchung verschiedener Refe- • Numerische Untersuchung der Flam- renzfälle wie Messungen in vorgemisch- menstabilität in Überschallbrennkam- ten, laminaren, flachen Flammen und mern ( Y. Simsont, P. Gerlinger, M. Aig- turbulenten Überschallfreistrahlen mit ner, Institut für Verbrennungstechnik der Luft- und unterschiedlichen Totaltemperaturen bis Raumfahrt) zu einer Temperatur von Tt = 1.300 K. Bei dem Vergleich der LITA Messungen mit Dieses Teilprojekt widmet sich der numeri- konventionellen Messtechniken und An- schen Untersuchung und Auslegung von gaben aus der Literatur konnte eine sehr Überschallbrennkammern mit zentraler gute Übereinstimmung festgestellt wer- Brennstoffinjektion. Dabei wird gasförmi- den. Außerdem wurden erste Messungen ger Wasserstoff über einen wellenförmigen 88 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

(05) zeigt oben die berechnete Temperatur- und unten die entsprechende OH-Vertei- lung in einigen Schnitten durch die Brennkammer. Die Zündung erfolgt in der Nähe des unteren Keils nahe der Brennkammerwand, wo Wasserstoff und Luft schon hinreichend gut vermischt sind. Weiter stromab bildet sich eine inho- mogene, aber stabile Flamme aus. Die Zündkeile wurden im Versuch in Novosi- 05a birsk eingesetzt und bewirkten auch in der Praxis eine stabile und zuverlässige Zün- dung.

Projekt C4 • Mehrfeldformulierung für gradierte Hochtemperatur-Werkstoffe (C. Messe, B. Kröplin, Institut für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen)

Aufgrund der aerodynamischen Aufheizung und der Verbrennungsvorgänge unterliegt 05b die Struktur (Hülle, Brennkammer und Berechnete Temperatur- (a, oben) Düse) enormen thermomechanischen und OH-Verteilungen (b, unten) an Belastungen, was letztendlich zu hoher verschiedenen Schnitten in der Brenn- Zentralkörper eingeblasen, der durch sei- Beanspruchung und somit zu einer fort- kammer. ne Geometrie gegenläufig rotierende Wir- schreitenden Schädigung der Struktur belpaare erzeugt und dadurch sehr gute führen kann. Die Wahl eines geeigneten Mischungseigenschaften aufweist. Die Materials in Kombination mit passendem Simulationen werden mit dem hierfür Kühlkonzept ist daher von entscheidender entwickelten Programm TASCOM3D Bedeutung. Innerhalb dieses Projekts wur- (Turbulent All Speed Combustion Multig- de eine entsprechende gekoppelte Mehr- rid Solver) durchgeführt. Es löst die drei- feldformulierung entwickelt, so dass ne- dimensionalen, kompressiblen Erhaltungs- ben den Materialeigenschaften auch das gleichungen unter Verwendung detaillier- Schädigungsverhalten mitbetrachtet wer- ter Chemie. Die zeitliche Genauigkeit ist den kann. Für die Betrachtung des Schädi- von 3. Ordnung und die räumliche von gungsverhaltens werden hierarchische 6. Ordnung. Modellierungsansätze für Faserkeramiken Zur Vorbereitung und Begleitung einer entwickelt und für gradierte Werkstoffe Testkampagne in Novosibirsk (Russland) erweitert bzw. modifiziert und numerisch wurde ein Scramjet-Demonstrator-Modell umgesetzt. unter Flugbedingungen numerisch unter- Für die notwendige Diskretisierung der ein- sucht. Das Teilprojekt war mit der Aus- zelnen Bauteile wurden zunächst die in legung der Brennkammer betraut. Mi- Dickenrichtung veränderlichen Material- schungsverhalten, Selbstzündung und eigenschaften durch Finite Elemente, mit Flammenstabilität wurden analysiert. unterschiedlichen Verfahren in Dicken- Aufgrund des verwendeten 3D-Einlaufs richtung, beschrieben. Danach erfolgte die herrscht am Brennkammereintritt ein Gradierung in verschiedenen Richtungen, stark dreidimensionales, inhomogenes so dass die Finiten Elemente auch für Strömungsfeld mit einem relativ niedrigen komplexe Strukturen und Geometrien, Temperaturniveau und hohen Machzah- wie beispielsweise abrupte Querschnittsän- len. Ohne weitere Maßnahmen war so kei- derungen bei Brennkammergeometrien ne stabile Zündung zu erreichen. Daher eingesetzt werden können. wurde die Verwendung von Zündkeilen Da die Materialeigenschaften temperaturab- untersucht. Die durch die Keile generier- hängig sind, muss das mechanische (Ver- ten Stöße bewirken lokal eine Erhöhung schiebungs-) Feld in jedem Materialpunkt der Temperatur und führen so sowohl in zusammen mit dem thermischen Feld nu- der Simulation als auch im Experiment merisch gelöst werden. Im Rahmen der zur gewünschten Selbstzündung. Schädigungssimulation werden im Einzel- SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 89

ZUSAMMENFASSUNG

Als Antriebssysteme zukünftiger, hyperschallschneller Fluggeräte aber auch von wiederverwendbaren Raumtransportsystemen stellen luftatmende, mit Verbrennung bei Überschall arbeitende, integrierte Triebwerke (Scramjets) im Machzahlbereich M > 5 eine Alternative zur klassischen Raketentechnologie dar. Das wissenschaftliche Ziel der in diesem Graduiertenkolleg vernetzten Projekte ist es, sowohl experimentell als auch nume- risch die Grundlagen zu schaffen, um einen Scramjet-Demonstrator zu erarbeiten und seine Entwicklung zu ermöglichen. Hierzu werden Probleme auf den Gebieten der Aero- und Gasdynamik, der Thermodynamik mit besonderem Schwerpunkt im Bereich der Überschallverbrennung sowie der Materialforschung beim Einsatz hochfester Faserkeramiken im Bereich der Brennkammer untersucht. Gleichzeitig sind aber auch entsprechende Gesamtsystem analysen notwendig. Eine Besonderheit bei diesem Graduiertenkolleg ist, dass die Wissenschaftler aus verschiedenen Universitäten in Deutschland kommen. Neben der Universität Stuttgart beteiligen sich Wissenschaftler der RWTH Aachen, der TU München und dem DLR Köln an diesem GRK.

nen die Erkenntnisse aus mikroskopischen äußeren Form die Leistung mit beeinflusst. Simulationen in die mesoskopische Model- Durch die Existenz derartiger Kopplun- lierung eingebracht und implementiert. gen, die sich mathematisch in einem Des Weiteren werden Ansätze aus dem Be- gekoppelten nichtlinearen Gleichungs- reich der gekoppelten Mehrfeldprobleme system äußern, wird der Entwurf des Ge- verwendet, und bereits implementierte samt systems deutlich erschwert. Als illus- Festigkeitsvorhersagen für Faserverbund- tratives Beispiel wird hier im Folgenden werkstoffe um Degradationsterme und kurz auf das Kühlungssystem eines Scram- variable Eigenschaften in Dickenrichtung jet eingegangen. (Gradierung) erweitert. Im Rahmen dieses Teilprojekts werden Me- Grundsätzliches Ziel ist die Fertigstellung thoden erforscht, das Entwurfsproblem der mesoskopischen und makroskopi- durch Automatisierung und Anwendung schen Modellierung für Faserkeramiken von Konzepten aus dem Software Enginee- auf der Materialskala. Durch die Imple- ring zu beheben. Hierzu werden die einzel- mentierung der entstandenen Material- nen Systemkomponenten (z.B. Tank, beschreibungen in das kommerzielle Treibstoff) und ihre möglichen Beziehun- FE-Programmpaket ABAQUS steht ein gen untereinander in der Unified Mode- umfassendes Entwurfswerkzeug zur Be- ling Language (UML) modelliert und mit rechnung der Lebensdauer bzw. des Schä- ihren jeweiligen Gleichungen hinterlegt. digungsverhaltens bei komplexen Trieb- Dazu passend werden Regeln aufgestellt, werks-Geometrien zur Verfügung. wie die einzelnen (System-) Komponenten im Verlauf des (System-) Entwurfs dazu- Projekt C5 kommen, verändert werden, wieder ent- • Eine Entwurfssprache zur systemati- fernt werden. Ein Compiler erzeugt aus schen thermomechanischen Konstruk- dieser Beschreibung das aktuelle System- tionsoptimierung von Scramjets modell, das als Entwurfsgraph bezeichnet (J. Bürkle, S. Rudolph, B. Kröplin, Institut wird. Dieser Entwurfsgraph enthält damit für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrt- das gesamte Systemmodell, d.h. alle Sys- konstruktionen) temkomponenten und ihre Beziehungen. Aus diesem Entwurfsgraphen und den für Ein Scramjet als luftatmendes Raumtrans- die einzelnen Komponenten hinterlegten portsystem stellt nicht nur eine Heraus- Gleichungen kann anschließend automati- forderung hinsichtlich der erforderlichen siert das (typischerweise nichtlineare) physikalischen Modellierung dar, sondern Gleichungssystem des Gesamtsystems auch der Entwurf des Gesamtsystems erzeugt werden. Dieses wird dann auto- selbst stellt durch die erfolgreiche Beherr- matisch in sequenziell zu lösende Teilglei- schung der multidisziplinären Kopplun- chungssysteme zerlegt und gelöst. Man gen der Subsysteme im Gesamtsystem erhält dadurch nicht nur einen Parame- „Scramjet“ eine Herausforderung dar. Die- tersatz, der die Lösung darstellt, sondern se Überlegungen machen klar, dass es sich kann auch Sensitivitäten für das Gesamt- beim Scramjet um ein komplexes, multi- system erstellen. Durch diese Automatisie- disziplinär gekoppeltes Gesamtsystem rung können sehr schnell mittels Ände- handelt, da viele Subsysteme miteinander rungen an den Regeln, die den Entwurfs- hinsichtlich ihrer Auslegung interagieren graph erzeugen, andere Auslegungspunk- und z.B. auch die Gestaltfindung der te des Gesamtsystems untersucht werden. 90 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

trotzdem ein System mit hoher Erfolgs- wahrscheinlichkeit auslegen zu können, ist den erforderlichen Annahmen und Vereinfachungen Rechnung zu tragen. Der stochastische Charakter der Eingangs- daten führt dabei zu einem Verlust an Genauigkeit und somit einem Verlust an Verlässlichkeit der Ergebnisse. Um diese Unsicherheiten bei der Modellierung eines derart komplexen Systems in die Berech- nung zu integrieren, wurden die wesent- lichen Parameter des Systems als stochasti- sche Variablen interpretiert (06). Auf diese Weise enthält jeder Parameter neben seinem Erwartungswert eine zusätzliche Information über die erwartete Streuung. Diese Informationen wurden aus Verglei- chen des vereinfachten Modells mit hö- 06 herwertigen Methoden wie detaillierten Systematischer Aufbau des Scramjet numerischen Simulationen oder Wind- Gesamtsystems. kanalexperimenten gewonnen. Die Be- Zudem wird derzeit die Einbindung rücksichtigung der spezifischen Unsicher- nume rischer Modelle mit flexibler Input- heiten bei der Schubvorhersage lässt eine Output-Zuweisung in die Systembeschrei- un zureichende Sicherheit für positiven bung untersucht. Nettoschub bei niedrigen Äquivalenzver- hältnissen erkennen. Eine Steigerung des Projekt C7 Äquivalenzverhältnisses bewirkt zwar eine • Probabilistisches Design eines Scramjet Erhöhung des Nettoschub und somit eine Antriebssystems (G. Schütte, V. Shev- Erhöhung der Eintrittswahrscheinlichkeit chuk, S. Staudacher, Institut für Luftfahrt- eines positiven Nettoschubes, allerdings antriebe) erhöht sich im Gegenzug das Risiko für einen thermisch blockierten Antrieb. Der Betrieb der einzelnen Komponenten im Durch Änderungen der Konfiguration las- Überschall schränkt den Lösungsraum für sen sich diese Risiken beeinflussen, jedoch das gesamte Scramjet Antriebssystem stark birgt die isolierte Optimierung einzelner ein. Diese Limitierung wird durch die heu- Komponenten ebenfalls ein hohes Risiko. te noch vorhandenen Unsicherheiten bei • der Modellierung weiter verstärkt. Um Uwe Gaisbauer, Bernhard Weigand SCRAMJET-ANTRIEBSSYSTEME 91

DIE AUTOREN

DANKSAGUNG Bernhard Weigand wurde 1962 in Somborn (Hessen) geboren. Nach Die Mitglieder des Graduiertenkollegs 1095 dem Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der bedanken sich ganz herzlich bei der Deut- TU Darmstadt promovierte er im Fach Thermo- schen Forschungsgemeinschaft (DFG) dynamik an der TU Darmstadt. 1992 wechselte er für die Finanzierung der Forschungsaktivi - zur ABB Kraftwerke AG in Baden (Schweiz), wo er täten. zunächst als Entwicklungsingenieur, später dann verantwortlich für die gesamte Kühlungsauslegung LITERATUR aller neuen Gasturbinenschaufeln und für die Grund- lagenentwicklung auf dem Gebiet der Kühlung und 1 U. Gaisbauer, B. Weigand, B. Reinartz, H.P. Kau, der Wärmeübertragung war. Am 1.4.1999 übernahm W. Schröder: Research training group GRK 1095/1: er die Leitung des Instituts für Thermodynamik der „Aero-Thermodynamic Design of a Scramjet pro- Luft- und Raumfahrt an der Universität Stuttgart. pulsion system, 18th Int. Symp. on Air Breathing Von 2002 bis 2006 war er Dekan der Fakultät Luft- Engines“, ISABE, 2007, China. und Raumfahrttechnik und Geodäsie und von 2006 2 B. Weigand, U. Gaisbauer: An overview on the bis 2009 war er Prorektor für Struktur an der Uni- structure and work of the DFG Research Training versität Stuttgart. Seit 2005 ist er der Sprecher des Group GRK 1095: „Aero-thermodynamic design of GRK 1095. a scramjet propulsion system“, Proc. 16th AIAA/ DLR/DGLR Int. Space Planes and Hypersonic Uwe Gaisbauer Systems and Technol. Conf., 19.–22. Oct. 2009, wurde 1969 in Mannheim geboren. Nach dem Stu- Bremen, 2009. dium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Univer- sität Stuttgart promovierte er im Fach Strömungs- mechanik an der Universität Stuttgart. Seit Februar 2006 leitet er die Abteilung Gasdynamische Ver- Kontakt suchsanlagen am Institut für Aerodynamik und Gas- Universität Stuttgart dynamik an der Universität Stuttgart. Er war Mit- Institut für Thermodynamik der Luft- und initiator des GRK 1095 und leitet das assoziierte Raumfahrt DFG-Projekt „Windkanaluntersuchungen eines Pfaffenwaldring 31, D–70569 Stuttgart Scramjet-Demonstratortriebwerkes unter flugrelevan- Tel. +49 (0) 711/685-62318 ten Bedingungen“ im Rahmen dessen ein Triebwerks- Fax +49 (0) 711/685-62317 modell unter entsprechenden Flugbedingungen in E-Mail: [email protected] Novosibirsk (Russland) am ITAM erfolgreich ge- Internet: http://www.uni-stuttgart.de/itlr testet wurde. 92 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

Alexander Lippisch, die Me 163 und der Deltaflügel

Flugzeuge mit Deltaflügeln kennt man zum Beispiel von 1. Einleitung der inzwischen außer Dienst gestellten Concorde und Die Unternehmer-Persönlichkeiten wie vom Eurofighter. Diese Konfiguration ist eine bedeutende Willy Messerschmitt, Ernst Heinkel, Alternative zu den am meisten verbreiteten Flugzeugen Claudius Dornier, Hugo Junkers und Kurt Tank sind wahrscheinlich viel bekannter mit einer Rumpfröhre, daran angebrachten ge raden oder als Alexander Lippisch, denn jedermann gepfeilten Flügeln und dem Höhen- und Seitenleitwerk am verbindet mit ihnen große Flugzeug- Heck. In diesem Artikel wird den Ursprüngen der Delta- Firmen und berühmte Flugzeug-Typen. Es gab jedoch hinter diesen Männern eine Konfiguration nachgegangen. Sie liegen in Deutschland andere Gruppe von Leuten, die mit ihren bei den Konstruktionen, Entwürfen und Ideen von Alexan- Ideen, Konzepten und Entwürfen den Flugzeugbau maßgeblich mitgestaltet ha- der Lippisch (1894–1976) sowie in den USA bei den ben. Wenige Beispiele erläutern diese Aus- frühen Deltaflüglern der Firmen Convair und Douglas. Die sage: Ernst Heinkel gebührt das Verdienst, Beiträge von Alexander Lippisch stehen im Vordergrund, zur richtigen Zeit von seinen Mitarbeitern den großen Schritt zu Stromlinienflugzeu- obwohl seine fortschrittlichsten Entwürfe am Ende des gen wie He 70 und He 111 verlangt und die zweiten Weltkrieges nicht mehr realisiert werden konnten. Verantwortung für das unternehmerische DELTAFLÜGEL 93

ABSTRACT

Risiko übernommen zu haben. Entworfen During the years 1937 to 1943 Alexander Lippisch designed and developed the rocket haben diese Flugzeuge aber die Brüder fighter/interceptor Messerschmitt Me 163, first at the Deutsche Forschungsanstalt für Siegfried und Walter Günter. Messer- Segelflug DFS, from 1939 onwards at the Messerschmitt works, department L. This air- schmitts berühmtes Jagdflugzeug Me 109 craft – a tailless design almost without the conventional control surfaces at the tail – in an ist mindestens ebenso sehr ein Werk von experimental version reached a speed of 1003 km/h in 1941. The military variant was used Robert Lusser, der damals Messerschmitts in combat near the end of world war II only in a very limited way. Lippisch left Messer- Projektbüro leitete, wie von Messerschmitt schmitt in the spring of 1943. He moved to Vienna to pursue research in the field of high selbst. Der technisch maßgebliche Mann speed flight and to develop his tailless design to the modern form of Delta-wing aircraft. für die Entwicklung der Junkers Ju 52 war In this paper emphasis is put on Lippischs relationship to Messerschmitt as a protagonist in ähnlicher Weise der damalige Junkers- of conventional aircraft design. Lippischs importance as the – maybe – „inventor“ of the Chefkonstrukteur Ernst Zindel. Zu dieser Delta-wing airplane is discussed. Gruppe kann man auch Alexander Lip- pisch, von 1939 bis 1943 Leiter der Abtei- lung L (für Lippisch) bei Messerschmitt rechnen. Da seine Abteilung nicht voll in Lippisch selbst hat über sein Leben und seine die Firma Messerschmitt integriert war, Arbeit zwei Bücher veröffentlicht: nimmt Lippisch unter seinen genannten Alexander Lippisch, Erinnerungen, Steine- Kollegen eine gewisse Sonderstellung ein. bach-Wörthsee, ohne Jahr, nach Lippischs Alle diese Männer – Frauen gab es in die- Tod ca. 1982 erschienen und ders., Ein ser Funktion kaum – hatten Unterstüt- Drei eck fliegt, Stuttgart 1976. zung von zahlreichen „unsichtbaren Hän- In der Sekundärliteratur zu den Themen den“. Dieser in der Geschichtsschreibung seine r Arbeiten wird Lippisch ebenfalls ge- verbreitete Ausdruck meint hier die Mit- würdigt. Das betrifft die Literatur zur Ge- arbeiter, die bei der rechnenden Aerodyna- schichte der Segelflugzeuge, zur Geschich- mik, der Konstruktion, in den Werkstätten te der Messerschmitt-Flugzeuge, insbe son- und als Erprobungspiloten ihre Beiträge dere der Me 163, und zu den Arbeiten im leisteten. Sie genießen leider viel weniger Rahmen der deutschen Forschung zu Aufmerksamkeit als ihre Chefs. Flugzeugen mit Pfeil- und Deltaflügeln. Die hier besonders betrachtete Periode des Eine lesenswerte Zusammenfassung hin- 01 Schaffens von Alexander Lippisch umfasst sichtlich der für diesen Aufsatz bedeuten- Alexander Lippisch die Zeit von 1937 bis 1945; in diese Zeit den Flugzeuge, auch im Vergleich zu an- fällt der letzte Teil seiner Tätigkeit bei der deren Entwicklungen, gibt zum Beispiel Deut schen Forschungsanstalt für Segel- Bernd Krag in dem von Hans-Ulrich Meier flug (DFS) und seine Zeit bei Messer- herausgegeben Band, Die Pfeilflügelent- schmitt, wo er von 1939 bis 1943 die Abtei- wicklung in Deutschland bis 1945, Bonn lung L leitete. Nach seinem Ausscheiden 2006. Lippischs Nachlass befindet sich bei bei Messerschmitt im Frühjahr 1943 über- der Iowa State University in Ames, Iowa, nahm er die Leitung der Luftfahrt-For- USA und ist dort für die historische For- schungsanstalt Wien und entwickelte dort schung zugänglich. Konzepte für besonders schnelle Flugzeu- Alexander Lippischs Leben, seine Flugzeuge ge bis hin zu Plänen für den Flug mit und seine weiterführenden Ideen sind Über schallgeschwindigkeit. Diese Ideen durch die Literatur gut bekannt. Einige Ge- konnten vor dem Ende des 2. Weltkriegs sichtspunkte verdienen jedoch weitere Klä- nicht mehr in Flugzeugen realisiert wer- rung. Dazu gehört insbesondere sein Ver- den. Sie sind jedoch von bleibender Bedeu- hältnis zu Messerschmitt und im Anschluss tung als einer der Ursprünge des Delta- daran die Frage, warum Lippisch mit sei- Flügels, wie wir ihn von militärischen nem Konzept des Deltaflügels nicht so er- Flug zeugtypen wie der französischen Mi- folgreich war, wie er sich das selbst vorstell- rage bis zum Eurofighter aber auch von te. Dazu ist es nötig, die Entwicklung der der französisch/englischen Concorde ken- Me 163 und Lippischs andere Projekte aus nen. Nach dem 2. Weltkrieg war Lippisch seiner Zeit bei Messerschmitt zu betrachten in den USA bei der Avionik-Firma Collins und auf seine Arbeiten in Wien einzugehen. Radio tätig und betrieb etwas später ein Lippischs Arbeiten vor der Me 163 interes- eigenes Ingenieurbüro, in dem er sich mit sieren dabei nur insofern, als sie Vorausset- Bodeneffekt-Geräten befasste. zungen für diese Entwicklung schufen. 94 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

2. Der Weg zum Raketenjäger einer getrennten Abteilung auf die Ent- Messerschmitt Me 163 wicklung von schwanzlosen und Nurflü- gel-Flugzeugen konzentriert. Im Rahmen Lippisch erhielt im Jahr 1937 vom Reichsluft- dieser Untersuchungen entstanden eine fahrtministerium (RLM) den Auftrag, ein ganze Reihe von motorlosen und motori- Jagdflugzeug mit einem Sonderantrieb – sierten Flugzeugen. Wegen des dreieckigen wenig später wurde klar, dass es sich um Grundrisses der Flügel und in Anlehnung eine Walter-Rakete handeln würde – zu an den griechischen Buchstaben ∆ nannte un tersuchen und zu entwickeln. Zunächst Lippisch die motorisierten Typen DELTA. soll kurz dargestellt werden, unter welchen Diese Typenreihe gipfelte 1936 in der DEL- Voraussetzungen dieser Auftrag entstand TA IVc. Dieses Flugzeug wurde mit guten und an Alexander Lippisch vergeben wurde. Flugeigenschaften ohne Einschränkungen

02 Fafnir ll Alexander Lippisch war 1937 nicht in einer als Sportflugzeug zugelassen, aber nie in der großen Flugzeugfirmen tätig, sondern die Serienfertigung durch eine Flugzeug- bei der Deutschen Forschungsanstalt für baufirma genommen. Die DFS selbst war Segelflug DFS. Er war damals in der Segel- auf Serienfertigung nicht eingerichtet. fliegerei eine sehr bekannte und angesehe- Entsprechend den Möglichkeiten bei der ne Persönlichkeit, denn von ihm stamm- DFS waren alle diese Flugzeuge verhältnis- ten die Konstruktionen breit eingeführter mäßig schwach motorisiert und auf niedri- und vielfach gebauter Übungssegelflug- ge Geschwindigkeiten ausgelegt. Die Delta zeuge und sehr erfolgreicher Leistungs- IVc war zum Beispiel mit einem Motor segler, zuletzt des Typs Fafnir II, der beim von nur 75 PS ausgerüstet. Lippisch war je- Rhön-Wettbewerb 1934 mit einem Welt- doch überzeugt, dass sein Konzept beson- rekord im Streckenflug und weiteren ers- ders auch für schnelle Militärflugzeuge ge- ten Preisen für den Piloten Heini Dittmar eignet sei, und legte bei verschiedenen Furore gemacht hatte. Gelegenheiten entsprechende Ideen vor. Lippisch hatte als Leiter der Technischen Die Raketentechnik erregte schon in den Kommission dieser Wettbewerbe auch 1920er Jahren erhebliches Aufsehen. Als gute persönliche Kontakte in der Segel- wichtige und bekannte Akteure dieser Zeit flug-Szene. Da zahlreiche deutsche Flieger seien Max Valier und Fritz von Opel ge- aller Tätigkeitsbereiche ihre fliegerischen nannt. Ihre zunächst wenig erfolgreichen Wurzeln beim Segelflug hatten, war Lip- Bemühungen schlossen auch einen Ver- pisch in Fliegerkreisen gut vernetzt. Neben such ein, mit Raketenantrieb zu fliegen, dieser Tätigkeit, die sich mit konventionel- an dem Lippisch im Sommer 1928 beteiligt len Flugzeugkonfigurationen befasste, ver- war. Die Raketenentwicklung war seither folgte Lippisch etwa seit 1927 eine spezielle ohne dieselbe öffentliche Anteilnahme Idee, nämlich die der schwanzlosen Flug- weitergegangen. In Peenemünde war 1937 zeug-Konfiguration ohne vom Flügel ge- die Gruppe um Wernher von Braun mit trenntes Leitwerk am Ende eines angemes- der Entwicklung von ballistischen Raketen sen langen Rumpfes oder auch nur Leit - als unbemannten Waffensystemen be- werk trägers. Dazu hatte er 1935 die Lei- schäftigt. Walther Thiel hatte sich gegen tung des Segelflugzeugbaus bei der DFS an Ende 1936 von Brauns Gruppe angeschlos- Hans Jakobs abgegeben und sich selbst in sen und mit Untersuchungen zum An- DELTAFLÜGEL 95

trieb der V2 begonnen. Dieser Raketenmo- enger Zusammenarbeit mit Heinkel tor sollte einen Schub von 25 Tonnen durch geführt werden. Lippisch nennt in entwickeln. Viel kleinere Raketenmotore seinen Erinnerungen als Grund dafür die waren in Vorläufern der V2 mit wechseln- bei Heinkel besser mögliche Geheimhal- dem Erfolg erprobt worden. Seit 1935 hatte tung. Man geht aber wohl nicht fehl in der von Braun auch Kontakt zu Ernst Heinkel, Annahme, dass bei Heinkel auch viel bes- um Raketenmotore als Flugzeugantriebe sere Möglichkeiten für den Bau von hoch zu untersuchen. Diese Entwicklungslinie belasteten Flugzeugen für hohe Geschwin- führte schließlich zu Heinkels Raketen- digkeiten vorhanden waren als bei der flugzeug He 176, das im Juni 1939 seinen DFS. Für den späteren Wechsel zu Messer- erfolgreichen Erstflug hatte. Die He 176 schmitt nannte Lippisch selbst im Jahr war aber als Prototyp für ein militärisch 1942 eben diesen Grund.

03 Delta IVc einsetzbares Flugzeug nicht geeignet; sie Die Vorarbeiten, um aus der DELTA IVc das war dafür mit nur fünf Metern Spannwei- Projekt X – erst später Me 163 – zu ent- te und entsprechend engem Rumpf viel zu wickeln, begannen 1937 und 1938 natur- klein. Auch von Brauns Idee eines Abfang- gemäß mit theoretischen Überlegungen, jägers, der aus einem Startgestell senk- Windkanalmessungen und Versuchen mit recht starten sollte, wurde als unrealis- frei fliegenden Modellen. Am Jahresanfang tisch abgelehnt. 1939 wechselte Lippisch mit einer Reihe Neben den ballistischen Raketen und Hein- seiner Mitarbeiter und mit dem Projekt X kels Versuchsflugzeugen wurden Raketen von der DFS zu Messerschmitt – nicht zu auch als Starthilfen für sehr schwer bela- Heinkel, wie man nach der geplanten Zu- dene Flugzeuge erfolgreich erprobt. Bei sammenarbeit hätte erwarten können. Die Hellmuth Walter in Kiel waren Raketen- Gründe für diesen Wechsel sind bei allen triebwerke nach dem Walter-Verfahren in Beteiligten zu suchen. Nach Lippischs Er- der Entwicklung und Erprobung. Bei die- innerungen standen dafür die folgenden sem Verfahren wurde die katalysierte Zer- Überlegungen im Vordergrund: Bei der

setzung von Wasserstoffsuperoxid H2O2 zu DFS wurde eine Umorganisation und Um- Wasser und Sauerstoff ausgenützt, um das orientierung vorbereitet, die zum Umzug entstehende heiße Wasserdampf-/Sauer- nach Braunschweig und später nach Ain- stoffgemisch zum Antrieb von Kraftma- ring führte sowie die Aufgaben stärker auf schinen oder direkt als Raketenantrieb die Rüstung ausrichtete. Lippisch hatte einzusetzen. Bei diesem Stand der Rake- den Eindruck, bei diesen Planungen an tentechnik und der Anwendung von Ra- den Rand gedrängt zu werden und wollte keten lag der Versuch verhältnismäßig sich damit nicht abfinden. Er suchte des- nahe, ein besonders schnelles Jagdflugzeug halb nach einer Alternative zur Fortset- mit Raketenantrieb zu entwickeln. Man zung seiner Arbeiten. Heinkel war zwar glaubte damals, Lippischs schwanzlose am Auftrag des RLM für das Projekt X in- Flugzeuge seien für den Einbau eines Ra- teressiert, Lippisch selbst hatte aber den ketentriebwerks besonders geeignet und Eindruck, zusammen mit seinen Mitar- erteilte ihm in seiner Funktion bei der DFS beitern bei Heinkel nicht besonders er- den Auftrag für eine entsprechende Ent- wünscht zu sein. Damit schied für Lip- wicklung. Der Bau des Flugzeugs sollte in pisch diese Möglichkeit aus. Messerschmitt 96 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

stand in einer dauernden Konkurrenz zu Raketenmotor nach dem oben angedeute- Heinkel um schnelle Flugzeuge und ent- ten Prinzip. Die fliegerische Erprobung sprechende Aufträge des RLM. Lippisch übernahm der sehr erfolgreiche Segelflie- war mit Willy Messerschmitt aus dessen ger Heini Dittmar, der schon bei der DFS Zeit bei der Segelfliegerei auch persönlich Lippischs schwanzlose Typen eingeflogen bekannt und erreichte die Zustimmung und so mitentwickelt hatte. Er erreichte im aller Beteiligten zu einer Verlagerung des Lauf des Jahres 1941 mit diesem Flugzeug Projektes mit einer Gruppe von Mitarbei- schrittweise immer höhere Geschwindig- tern zu Messerschmitt. Das Einverständnis keiten und am 2. Oktober 1941 eine Hori- des RLM für den Wechsel zu erhalten, zontalgeschwindigkeit von 1003 km/h, scheint nach Lippischs Erinnerungen nicht allerdings nicht unter offiziellen Rekord- schwierig gewesen zu sein. Da die Bf(Me) Bedingungen. Kurz vor diesem Flug – 109 als Standard-Jagdflugzeug bereits aus- 830 km/h waren bereits erreicht – schrieb gewählt und Heinkel als Hersteller von Lippisch eine Ausarbeitung zum Thema Jagdflugzeugen – auch mit der He 176 – aus Nurflügel1, die in seinem Nachlass hand- dem Rennen war, ist das gut verständlich. schriftlich erhalten ist. Adressat und ge- Der Wechsel zu einer großen Firma, die nau es Datum sind nicht erkennbar. Nach hauptsächlich Militärflugzeuge entwickel- einer ausführlichen Darstellung des langen te und baute, entsprach der damaligen Si- Weges zur Me 163A kommt er darin zu tuation der deutschen Luftfahrt und der dem Ergebnis: „Wenn damit heute die Grund- Natur des an Lippisch vergebenen Auf- lagen zur industriellen Verwendung dieser Flug- trags. Auch mit Lippischs eigener Vorstel- zeuggattung geschaffen sind so ist doch die Arbeit lung von den Anwendungsmöglichkeiten an diesen Problemen keinesfalls als beendet anzu- seiner Ideen passte er gut zusammen. Wie sehen. Vielmehr sollten gerade die neuesten Erfolge oben schon erwähnt, waren auch die tech- endlich zu der Einsicht führen, daß eine wesentlich nischen Voraussetzungen für das Projekt breitere Basis der einschlägigen Arbeiten unbedingt X bei Messerschmitt viel günstiger als bei geschaffen werden muß wenn der auf diesem Gebiet der DFS, deren Erfahrungen und Einrich- vorhandene Vorsprung voll ausgenützt werden soll. tungen hauptsächlich auf Segelflugzeuge Die Messerschmitt A.G. als derzeitiger Nutznie- ausgerichtet waren. Sein Projekt X – bei ßer dieses Ideengutes hat die Verantwortung für die Messerschmitt alsbald in Me 163 umbe- Durchführung dieser Aufgaben übernommen.“ nannt – stammte aber nicht von Ideen aus Mit den „neuesten Erfolgen“ bezog Lippisch der Firma Messerschmitt oder gar von Willy sich nicht nur auf die überlegene Ge- Messerschmitt persönlich. Für die Unter- schwindigkeit, sondern besonders auch stützung durch Messerschmitt selbst und darauf, dass die Flugeigenschaften der Me die Integration in das Geschehen bei Mes- 163A von den Piloten, die sie flogen, als serschmitt war das zusammen mit der ver- sehr angenehm und befriedigend beurteilt langten Geheimhaltung nicht förderlich. wurden. Dieses Urteil wurde später auch Lippisch schloß sich mit diesem Schritt einer von dem sehr angesehenen britischen Firma an, die ganz überwiegend Rüstungs- Testpiloten Eric Brown bestätigt, der die projekte betrieb. Sehr viel später sah Lip- Me 163B nach dem Krieg geflogen hat. Die pisch dieses Engagement kritisch. Kurz vor Flugeigenschaften der schwanzlosen Flug- seinem Tod schrieb er in seinen Erinne- zeuge in den Griff zu bekommen, war ein rungen: „… ich muß gestehen, daß ich von die- Problem, das ihre Einführung lange sehr ser Rüstungsraserei gelebt habe … . Und dann behindert hatte. Die hohe Geschwindig- frage ich mich, ist es wahrhaftig notwendig, daß keit ist neben der schwanzlosen Auslegung ich so alt werden muß, um endlich einzusehen, daß sicher auch dem Raketenantrieb zuzu- ich und daß die meisten Menschen um mich auf schreiben. Das hebt Lippisch aber nicht falschem Wege sind?“ hervor. Damit hat Lippisch seine Überzeu- Bei Messerschmitt entwickelte und baute gung von der Überlegenheit seines Kon- man in der Abteilung L (für Lippisch) zu- zeptes und seinen Anspruch auf breitere nächst eine Forschungs- und Erprobungs- Unterstützung und Anwendung deutlich variante des Raketenjägers, die Me 163A. ausgedrückt. Unterschwellig erkennt man 1 Die begriffliche Unterscheidung Sie war der späteren Einsatz-Ausführung schon hier Zweifel, ob Messerschmitt Lip- zwischen schwanzlosen und Nur- Me 163B äußerlich ähnlich, aber nicht auf pischs Erwartungen gerecht wird. flügel-Flugzeugen ist nicht ganz die größere militärische Zuladung an Dittmars Flug mit über 1000 km/h verschaff- scharf. Lippisch selbst verwandte Treib stoff, Waffen und Munition ausgelegt. te der Me 163 einen neuen Schub. Bei Mes- hier das Wort Nurflügel. Als Triebwerk verwendete man den Walter serschmitt wurde die Entwicklung der mi- DELTAFLÜGEL 97

04 Me 163 B litärischen Variante Me 163B vorangetrie- brennt. Es war vorgesehen und von Walter ben und bei der Luftwaffe wurde im Früh- zugesagt, dass dieses Triebwerk zeitgleich jahr 1942 das Erprobungskommando 16 mit den ersten Exemplaren der Me 163 B gebildet, das die Entwicklung mit Fronter- im Sommer 1942 zur Verfügung stehen fahrungen unterstützen und die Möglich- sollte. Der Bau der Flugzeuge erreichte keiten des Einsatzes untersuchen und ent- dieses Ziel auch, die Lieferung der Trieb- wickeln sollte. werke jedoch nicht – sie kamen erst über Dabei kam es besonders darauf an, die takti- ein Jahr später und hatten auch dann schen Verfahren für ein derart schnelles noch nicht den technischen Stand er- Flugzeug zu erproben. Neben der hohen reicht, den man von einem Serientrieb- Geschwindigkeit spielte die sehr kurze werk hinsichtlich Handhabungssicherheit, Flugzeit von nur wenigen Minuten bei Zuverlässigkeit und Treibstoffverbrauch Vollschub die entscheidende Rolle für die erwartete. Über die Verzögerungen und Methoden, auf anfliegende feindliche Schwierigkeiten, die dadurch besonders Flug zeugverbände zum Angriff zu kom- auch beim Erprobungskommando 16 ent- men. Als Kommandeur dieses Erprobungs- standen, berichtete Wolfgang Späte aus- kommandos wurde der erfolgreiche Jagd- führlich in seinem nach dem Krieg in ver- flieger Wolfgang Späte – er hatte im schiedenen Ausgaben erschienenen Buch Früh jahr 1942 bereits 80 Abschüsse und Me 163, Der streng geheime Vogel Me 163. war Ritterkreuzträger – bestimmt. Späte war auch ein erfolgreicher Segelflieger – 3. Lippischs Weggang 1938 Gesamtsieger des Rhön-Wettbewerbs von Messerschmitt – und brachte Erfahrungen als Erpro- bungsflieger bei der DFS sowie einige Se- Alexander Lippisch verließ im Frühjahr 1943 mester Ingenieurstudium in Darmstadt die Firma Messerschmitt und übernahm mit. Lippisch kannte er persönlich gut. Anfang Mai 1943 die Leitung der Luftfahrt- Das militärische Einsatzflugzeug Me 163B forschungsanstalt Wien, um dort For- wurde erheblich schwerer als die Me 163A. schungen zu neuen Konzepten zum Es sollte ein stärkeres Raketentriebwerk Hoch geschwindigkeitsflug aufzunehmen. von Hellmuth Walter bekommen, das Ein Wechsel zu diesem Zeitpunkt ist auf nach dem sogenannten „heißen“ Walter- den ersten Blick überraschend, denn die Verfahren arbeitete. Dabei wurde nicht Arbeit an der Me 163 B war weit fortge- nur die Zersetzung von Wasserstoffsuper- schritten, überlegene Geschwindigkeit oxid benutzt, sondern als zweite Kompo- stand in Aussicht, die Flugeigenschaften nente C-Stoff (30 Prozent Hydrazinhydrat, auch dieser Einsatzversion wurden von 57 Prozent Methanol, 13 Prozent Wasser) den Piloten als sehr gut beurteilt und so eingesetzt, der mit 80prozentigem Wasser- schien der Zeitpunkt nahe zu sein, an dem stoffsuperoxid spontan zündet und ver- Lippisch mit der Me 163 die Früchte jahre- 98 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

langer Arbeit an seinem Lieb- konnte Lippisch erreichen, dass sein Mo- lingsprojekt, dem schwanz- dell im Windkanal in Göttingen vermes- losen Hochleistungsflugzeug, sen wurde. Angesichts der Kriegssituation hätte ernten können. War- ist es vielleicht verständlich, dass niemand um sollte also ein Mann wie das Entwicklungsrisiko und den zu erwar- Lippisch, der sich über viele tenden Entwicklungsaufwand überneh- Jahre auch von zahlreichen men wollte. Für Lippisch selbst war das Rückschlägen und Verzöge- dem Unverständnis seiner Zeitgenossen rungen bei der Entwicklung geschuldet. schwanzloser Flugzeuge Da die Entwicklung der Walter-Raketenmo- nicht hatte beirren lassen, tore sich offensichtlich verzögerte, ent- weggehen und die Früchte warfen Lippisch und seine Mitarbeiter eine der eigenen Arbeit anderen ganze Reihe von Alternativen zur Rake- 05 überlassen? Um diese Frage ten-Me 163 mit konventionelleren An- Überschall-Delta zu beantworten, ist es erfor- trieben – Kolbenmotoren und Turbinen- derlich, die Situation bei Messerschmitt luftstrahl-Triebwerken. Diese Entwürfe und Alexander Lippischs Sicht der Dinge kön nen zum Teil auch daraus begründet genauer zu betrachten. werden, dass Lippisch den hohen Brenn- Schon 1942 hatte Lippisch die Idee, seinem stoffverbrauch der Raketenmotoren gut „Interzeptor“ eine erheblich andere Flü- kannte und sah, dass im militärischen Ein- gelform – man würde heute erst diese satz daraus starke Einschränkungen ent- Form einen echten Deltaflügel nennen – stehen mussten. Eine Realisierung konnte zu geben. Ein Windkanalmodell zu Lip- Lippisch jedoch nicht durchsetzen – auch pischs Vorstellung ist bis nach dem Krieg nicht den Bau von Prototypen. erhalten geblieben. Die Eigenschaften und Lippisch engagierte sich mit Entwürfen für Leistungen dieser Flügelform waren bis schwanzlose Flugzeuge auch in einem an- dahi n aber nicht erforscht und erprobt. deren Anwendungsbereich, der bei Mes- Li p pisch forderte, die Erforschung des Flie- serschmitt damals eine gute Gelegenheit gens mit sehr hohen Geschwindigkeiten für neue Ideen zu bieten schien – schnelle zu intensivieren, und er soll in diesem Zu- mittelgroße Bomber und Zerstörer mit sammenhang sogar davor gewarnt haben, zwei Motoren. Messerschmitt hatte in die- den Raketenjäger zu bauen. Welche The- sem Feld einen schweren Rückschlag zu men dafür spätestens seit 1941 anstanden, verkraften: Die Me 210 erwies sich in beschreibt Hans Galleithner in seinem Bei- einem weit fortgeschrittenen Stadium der trag „Effekte hoher Machzahlen bei Hoch- Entwicklung und Fertigungsvorbereitung geschwindigkeitsflugzeugen“ in dem oben als Fehlschlag. Lippischs Gruppe beteiligte erwähnten Buch von Hans-Ulrich Meier sich an der Suche nach einem besseren zur Pfeilflügelentwicklung. Erst 1944 Flugzeug dieser Kategorie mit einem

06 Li P 10 und Me 329 DELTAFLÜGEL 99

schwanzlosen Entwurf Li P10, von dem ZUSAMMENFASSUNG mehrere Varianten unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt geworden sind. Alexander Lippisch hat von 1937 bis 1943 den Raketenjäger Me 163 entwickelt, anfäng- In diesem Fall erreichte Lippisch den Bau lich noch bei der DFS, dann in der Abteilung L bei Messerschmitt. Eine experimentelle einer Attrappe, kam aber nicht darüber Version dieses Flugzeugs – eine schwanzlose Konstruktion fast ohne konventionelles Leit- hinaus. Messerschmitt, das RLM und die werk – erreichte 1941 eine Geschwindigkeit von 1003 km/h. Die militärische Variante Luftwaffe entschieden sich dafür, die kon- wurde in sehr begrenztem Maße vor dem Ende Krieges noch eingesetzt. Lippisch verließ ventionell ausgelegte Me 410 als Ersatz zu Messerschmitt 1943 um in Wien Forschungen zum Flug mit sehr hohen Geschwindigkeiten bauen. und zur Weiterentwicklung der schwanzlosen Flugzeuge zu Deltaflüglern aufzunehmen. Alexander Lippisch hatte Gelegenheit, seine In diesem Beitrag wird Lippischs Verhältnis zu Messerschmitt und zu den Repräsentanten Vorstellung vom schwanzlosen Flugzeug des konventionellen Flugzeugbaus untersucht. Seine Bedeutung als „Erfinder“ des Delta- bei zwei Veranstaltungen vor großem flügels wird diskutiert. Fachpublikum vorzustellen. Sein Vortrag am 6. November 1942 auf der 9. Wissen- schaftssitzung der deutschen Akademie die von den Österreichern gegründete Luftfahrt-For- der Luftfahrtforschung ist in den Schriften schungsanstalt in Wien.“ Diese Formulierung der Akademie als Heft 1064/43 gKdos (ge- zeugt von einem sehr ausgeprägten Selbst- heime Kommandosache, also höchst ge- bewusstsein auch noch Jahrzehnte nach heim und sicher nicht in großer Auflage den Ereignissen. Sie ist jedoch sehr subjek- hergestellt) gedruckt erschienen und in tiv und man tut gut daran, auch andere Lippischs Nachlass erhalten. Die zweite Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Gelegenheit war am 14.4.1943 bei einer Sit- Zum Zeitpunkt der oben genannten Vor- zung der Lilienthalgesellschaft für Luft- tragsveranstaltung am 14. April 1943 war fahrtforschung. In beiden Fällen versuchte die Me 163B noch nicht mit Raketen- Lippisch, die grundsätzliche Überlegenheit antrieb geflogen. Das geschah erst einige des schwanzlosen Flugzeugs gegenüber Wochen später, am 24. Juni 1943. Erste – der normalen Konfiguration zu begrün- wenige – militärische Einsätze erfolgten den, drang mit seinen Argumenten bei der tat säch lich erst im Herbst 1944. Wie gut versammelten Prominenz aus der For- Lippisch diese Verzögerung im Frühjahr schung und von den wichtigen Flugzeug- 1943 schon voraussehen konnte, kann firmen jedoch nicht durch. man bezweifeln. Zeitlich parallel lief bei Wolfgang Späte war als Kommandeur des Messerschmitt die Entwicklung des später Erprobungskommandos 16 bei der zweiten sehr berühmten Düsenjägers Me 262. Veranstaltung zugegen. Er schreibt dazu: Wolfgang Späte erhielt als erster Luftwaf- „… der überwiegenden Mehrheit der Anwesenden fenpilot drei Tage nach der besprochenen war klar: Mit der Me 163 war zum ersten und letz- Veranstaltung, am 17. April 1943, Gelegen- ten Mal durch das RLM ein schwanzloses Projekt in heit sie zu fliegen. Er schrieb dazu: „So sehr Entwicklung gegeben worden. Antz (Fliegerstabsin- ich auch schon mit der Sache der Me 163 ver- genieur Dipl.-Ing. Hans Antz, der für die Me 163 wachsen war, ihr die Fahne vorantrug, diese Me zuständige Mann im RLM, Verf.) brachte zu einem 262 war mehr. Viel mehr konnte sie werden …“ kleinen Kreis in seiner Nähe leise die Quintessenz Wenige Wochen danach machte auf Spätes des Gehörten zum Ausdruck: ‚… Für Lippisch war Hinweis hin auch der General der Jagd- es ein Dämpfer, den er mal nötig hatte‘.“ flieger, Adolf Galland, einen ersten Flug Lippisch selbst dürfte einen ähnlichen Ein- mit der Me 262 und war ähnlich begeistert. druck gewonnen haben wie „die überwie- Offenbar war man bei Messerschmitt doch gende Mehrheit der Anwesenden“. Alle nicht so wenig zu modernen Flugzeugkon- diese frustrierenden Erfahrungen fasste zepten geneigt, wie Lippisch das formulier- Lippisch in seinen Erinnerungen wie folgt te, nur eben wirklich nicht schwanzlos. zusammen: „Man konnte sich einfach nicht ent- Ganz unabhängig davon, ob Lippisch mit sei- schließen, ruhmreiche, aber vollkommen veraltete ner Überzeugung von der Überlegenheit Typen wie die Me-109 durch modernere, womöglich seines Konzeptes Recht hatte, hat er selbst gar schwanz lose, zu ersetzen. Die Atmosphäre in sicher auch nicht wenig zu der von ihm Augsburg wurde durch all das nicht gerade verbes- beklagten Atmosphäre bei Messerschmitt sert und es kam schließlich dazu, daß ich, nachdem beigetragen. Schon am 27. Mai 1942, etwa ein Einsatz der Me-163 B mit Raketentriebwerk ein Jahr vor den oben berichteten Ereig- noch in weiter Ferne lag, aus der Messerschmitt AG nissen, schrieb er ein Papier mit der Über- ausschied. (…) Am 28. 4. 1943 wurde die ‚Ab- schrift „Entwicklung schwanzloser teilung L‘ in Augsburg aufgelöst und ich übernahm Flugzeuge“. Es beginnt mit der Aussage: 100 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

„Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die Bauform schwanzlosen Flugzeugtyps gewonnene wesentliche schwanzloser Flugzeuge, oder sogen. Nurflügel- Vorsprung vor der Entwicklung auf der Seite der flugzeuge in Bezug auf die erreichbaren Leistungen Gegner kann nur auf dem vorgezeigten Wege zur der normalen Flugzeugbauweise überlegen ist.“ vollen Auswirkung gebracht werden.“ Die Adres- Im weiteren beruft sich Lippisch darauf, saten dieser beiden Denkschriften sind durch seine Arbeiten seien auch die Flug- nicht erkennbar, es ist jedoch leicht vor- eigenschaften dieser Flugzeuge kein Prob- stellbar, welche Reaktion Lippischs Hal- lem mehr. Er fährt dann fort: „Um in kür- tung, die darin zum Ausdruck kommt, zester Zeit frontverwendungsfähige schwanzlose bei den Leuten auslösen musste, die den Flugzeuge zu schaffen muss ein selbständiges Ent- „schwerfällig arbeitenden Industrie-Apparat“ be- wicklungswerk hierfür bereitgestellt werden.“ Den trieben und nicht berücksichtigten, was Personalbedarf für dieses Entwicklungs- laut Lippisch „seit Jahrzehnten bekannt“ war. werk beziffert Lippisch auf 500 Mann. Als Wolfgang Späte hatte auch nach dem Krieg erstes Projekt beschreibt er die vorgesehe- noch engen Kontakt mit Alexander Lip- ne Entwicklung des schon oben erwähn- pisch während dessen Tätigkeit in den ten Schnellbombers Li P 10. USA. Er teilt in seinem Buch den Weggang Vom 27. November 1942, genau ein halbes von Lippisch nach Wien nur kurz mit und Jahr später, gibt es einen handschriftlichen fügt hinzu: „Kurz nach der beschriebenen Ta- Entwurf von Alexander Lippisch für eine gung der Lilienthal-Gesellschaft war angeblich ein „Denkschrift über die Errichtung einer recht aggressives Schreiben von Lippisch auf dem Ent wicklungsanstalt für Flugzeugbau.“ Sie Schreibtisch von Professor Messerschmitt gelan- beginnt mit dem Satz: „Die Flugzeugentwick- det.“ Ob eine Beziehung zu den oben zi- lung der letzten Jahre hat den Erwartungen nicht tierten Dokumenten besteht, ist nicht be- entsprochen.“ Der Tenor der Denkschrift ist kannt. Sein Projekt Li P10 hat Lippisch im Folgenden etwas anders als im vorheri- dem RLM auf einem direkten Weg, an Wil- gen Dokument: Lippisch beklagt die lange ly Messerschmitt und seiner Firma vorbei, Dauer der Entwicklung neuer Flugzeuge angeboten. Dazu muss er sich sehr stark mit über legenen Leistungen und schreibt: gefühlt haben. Nachdem er damit nicht „Die qualitative Überlegenheit lässt sich deshalb durchdrang, dürfte diese Maßnahme ihm auf dem Wege der üblichen Fertigung innerhalb kaum Freunde geschaffen haben. des schwerfällig arbeitenden Industrie-Apparates Ein Hinweis auf andere Einflussnahmen nicht erreichen.“ findet sich im Manuskript eines Vortrags, Er behauptet, er könne im Rahmen der ge- den Lippisch am 6. November 1944 in forderten Entwicklungsanstalt und auf- Wien im Haus der Technik hielt. Dort grund seiner 25-jährigen praktischen Er- steht: „… als es sich dann herausstellte, daß wir fahrung im Flugzeugbau und in der flug- in der Lage waren, wesentlich überlegene Flug- technischen Forschung diese Dauer we- zeugtypen zu schaffen, begann ein Konkurrenz- sentlich verkürzen, indem er durch For- kampf über den ich hier lieber nicht berichten schung gewonnene Erkennt- möchte. Er führte schließlich dazu, dass es gelang nisse sofort umsetze. Erst mich von meinen alten Mitarbeitern zu trennen, ganz am Ende der Denk- wohl mit der Absicht meine Arbeitsfähigkeit so schrift teilt Lippisch mit, wo- weit als möglich zu untergraben. Unter diesen rum es ihm wirklich geht: Voraussetzungen kam ich im März 1943 nach „Der durch die Entwicklung des Wien.“ Danach wäre es nicht nur Lippischs

07 Li P 11, 3-Seitenriss und Windkanalmodell DELTAFLÜGEL 101

eigene Entscheidung gewesen, Messersch- sammenhang hat Bernd mitt zu verlassen. Krag in seinem oben er- Eine weitere, wieder etwas andere Begrün- wähnten Beitrag zu Hans- dung für Lippischs Wechsel nach Wien gab Ulrich Meier, Die deutsche seine Frau Gertrud 1976 kurz nach Lip- Pfeilflügelentwicklung bis pischs Tod in einem Interview für die Ce- 1945, ausführlich heraus- dar Rapids Gazette (Lippisch wohnte wäh- gearbeitet. rend seiner Zeit in den USA in Cedar Lippisch ließ in Göttingen Ra pids). Danach war Lippisch nach der auch noch ein Modell Lösun g der Probleme mit der Me 163 – eines erheblich radikaleren sowei t sie das Flugzeug, nicht das Trieb- Delta-Flügels vermessen, werk, betrafen – einfach nicht mehr an den er für geeignet hielt, der Me 163 interessiert. um damit Überschall- 08 geschwindigkeit zu errei- Douglas Skyray 4. Alexander Lippisch in Wien chen. Dieses Modell (05) und der Delta-Flügel stammt nach Lippischs Angaben schon aus dem Lippischs Arbeiten an der Luftfahrtfor- Jahr 1942! Er schrieb in schungsanstalt in Wien befassten sich mit einem nicht genau datier- zwei Bereichen: zum einen bezogen sie baren Papier – wahrschein- sich auf Sonderformen des Staustrahltrieb- lich aus den 1950er Jahren: werks für Flugzeuge, die hier nicht bespro- „It was Dr. Lippisch‘s opinion chen werden sollen, da sie in der Folgezeit from the beginning that more keine wichtigen Folgen hatten. Zum ande- time should have been spent in ren setzte Lippisch seine Bemühungen um developing a new low aspect 09 die schwanzlosen Flugzeuge fort. Das für rati o delta-wing for the inter- Li P 14 die spätere Entwicklung wohl bedeutends- ceptor.“ Sehr wahrscheinlich hängt das ge- te Projekt dieser Art war der Entwurf eines zeigte Modell mit dieser Forderung zu- Flugzeugs mit einem Antrieb durch zwei sammen. Strahlturbinen, von dem es unter den Be- Der letzte Entwurf, der hier erwähnt werden zeichnungen Li P11 und Delta-VI Varian- soll, ist die P14, zu der Lippisch schreibt ten als Bomber und als Jagdflugzeug gab (Ein Dreieck fliegt, S. 106f): „In den letzten (07). Windkanalmessungen zu diesem Kriegsmonaten entstand ein Entwurf für einen Flugzeug sind in Göttingen noch durch- Strahljäger P14. Er wurde konzipiert aus dem geführt worden, sie erreichten Lippisch Gedank engang heraus, daß bei Benutzung eines durch die Verhältnisse bei der Besetzung Strahltriebwerks ein Deltaflügel mit sehr dünnen Wiens durch die rote Armee aber nicht Profilen verwendet werden kann. Von diesem Pro- mehr. Auch eine weit fortgeschrittene jekt existiert leider nur noch ein Modell.“ Hier Holzattrappe des Flugzeugs ging auf der ist der Hinweis auf den Einsatz sehr dünner Flucht aus Wien verloren. Profile wichtig. Der Schritt von der Me 163 zu dieser Kon- Da Lippisch in Wien keine Möglichkeiten figuration war für Lippisch nicht allzu zum Bau von Flugzeugen hatte und wegen groß: Das Flugzeug war insgesamt größer, des nahen Kriegsendes gibt es über tatsäch- die Pfeilung der Flügelvorderkante war hö- liche Leistungen, Eigenschaften und Ent- her, die Hinterkante war bis auf die Unter- wicklungs chancen seiner damaligen Ent- brechung in der Mitte gerade, wie schon würfe keine praktischen Erfahrungen. Es bei Lippischs früheren Delta-Typen. Dieser ist jedoch offensichtlich, dass er mit seinen Grundriss gleicht stark den modernen Gedanken schon sehr nahe an später er- Delta- Flüglern, das Flügelprofil war jedoch folgreiche Delta-Flugzeuge heran kam. verhältnismäßig dick. Dieser Ent wurf ist in- Deshalb lohnt sich ein Blick darauf, wie sofern wichtig, als er nach dem Krieg, wohl Lippischs Einfluss auf diese Typen später ohne Lippischs Wissen und Beteiligung, und bis heute eingeschätzt wird. sehr wahrscheinlich als Ausgangspunkt für Lippischs eigene Sicht lässt sich recht einfach die Entwicklung des erfolgreichen US- darstellen. In seinen Erinnerungen (vor Navy-Jägers Douglas Skyray gedient hat. 1976) schreibt er: „Es berührt einen doch Nach mehreren Entwicklungsstufen sah manchmal recht eigenartig, wenn man diese mo- die letzt lich in Serie gefertigte Skyray aber dernsten Neukonstruktionen mit – von kleinen doch wieder etwas anders aus. Diesen Zu- Feinheiten abgesehen – dem gleichen Deltaflügel 102 THEMENHEFT FORSCHUNG FLYING

abgebildet sieht, den man vor 30 Jahren konzipiert thick airfoil.“ Mit Lippischs Modellen und und als Modell im Windkanal gemessen hat. Al- dem glider sind das Modell Li P13 und die lerdings haben damals selbst die Herren in Göttin- für Versuchszwecke und niedrige Ge- gen die von mir vorgeschlagene Konzeption noch schwindigkeiten ausgelegte DM 1 gemeint, nicht verstanden.“ Hier kommt wieder Lip- die Lippisch auch in seinen Büchern be- pischs ungebrochenes Selbstbewusstsein schreibt. Warum Lippischs Ideen für Flügel zum Ausdruck, und auch ein Seitenhieb mit dünnen Profilen hier nicht erwähnt auf seine deutschen Zeitgenossen fehlt werden, ist nicht bekannt. Es ist kaum vor- nicht. Zu der Rezeption seiner Ideen in stellbar, dass er sie in den Gesprächen mit den USA schreibt er: „Im Jahre 1946 konnte Convair nicht erwähnt haben soll. Der ich auch zusammen mit Lt. Robiczek eine größere Kontext des obigen Zitats ist mir nicht be- Vortragsreise in Kalifornien durchführen. Leider kannt. haben dabei nur die Ingenieure von Convair meine Ein anderer amerikanischer Autor, E. T. Anregungen aufgegriffen und in ihren Werken mit Wooldridge, würdigt Lippisch in seinem dem Bau von Delta-Flugzeugen begonnen.“ Lip- Buch Flying Wonders, The Story of the pischs zweites Buch, Ein Dreieck fliegt, Flying Wings, Washington 1983, auf andere zeigt auf dem Umschlagbild neben drei Weise: „Alexander Lippisch died in 1976. … his Skizzen seiner Konstruktionen die Con- experiments paved the way for the thousands of air- corde, an der er nicht direkt beteiligt war. craft bearing the distinctive Lippisch imprint“ und Nach Lippischs Verständnis gehen also alle weiter: „The most popular application of the tail- Delta-Flugzeuge vom ersten praktisch re- less concept was the delta-winged configuration pi- alisierten Typ, der Convair F102, bis zur oneered by Dr. Alexander Lippisch in Germany in Concorde auf seine Ideen zurück. the 1930s. … In the United States, Convair, with Als Beispiel für eine amerikanische Sicht an assist from Dr. Lippisch, produced the first delta kann ein Artikel aus etwa derselben Zeit design to fly.“ wie Lippischs Bücher dienen: Richard P. Bernd Krag beschreibt an der oben genann- Hallion, Lippisch, Gluhareff and Jones: ten Stelle ausführlich die von Lippisch un- The emergence of the Delta Planform and abhängigen Entwicklungsarbeiten zur the Origins of the Sweptwing in the Uni- Douglas Skyray, die im Jahr 1953 einige ted States, Aerospace Historian, Vol. 26, Wochen lang den absoluten Geschwindig- No 1, Spring/March 1979. Der Autor fasst keitsweltrekord und Steigzeitrekorde hielt. zusammen: „In brief, indigenous American Am Schluss kann er jedoch ein wenig sweptwing and delta work stems from a unique „deutsche Brille“ doch nicht vermeiden, Gluhareff-Jones connection; when German data wenn er schreibt: „Dieses Flugzeug verkör- was acquired on these planforms, such data served perte am besten Lippisch‘s Idee von einem merely to confirm the correctness of conclusions Nurflügelflugzeug für hohe Geschwindig- reached earlier by Gluhareff and Jones.“ Michael keiten …“ Der sehr renommierte ameri- Gluhareff war zu der betreffenden Zeit bei kanische Flugzeugaerodynamiker John D. Sikorsky tätig und ist hauptsächlich durch Anderson jr. bezeichnet in seinem 1999 er- Beiträge zur Hubschraubertechnik be- schienen Buch „Aircraft performance and kannt geworden. Seine von Hallion heran- design“ die deutschen Forschungen zu gezogene Beschäftigung mit Pfeil- und Pfeil- und Delta-Flügeln mit Bezug auf an- Deltaflügeln war dabei eine Nebentätig- dere amerikanische Autoren als „a gift to keit, die bei Sikorsky neben den Hub- the victors“ (S. 38). schraubern nicht weiterverfolgt wurde. Robert T. Jones war ein renommierter 5. Schluss und weitere Aero dynamiker, der bei der NACA tätig Forschungsfragen war. Hallion führt auch die Entwicklun- gen bei Convair auf frühere eigene Ideen Es bleibt dem Leser überlassen, wie er Lip- der Convair-Leute zurück. Zum Kontakt pisch in seiner Tätigkeit für die Me 163 mit Lippisch zitiert er einen der Convair- und seine anderen Schwanzlos-Projekte Ingenieure mit der Aussage: „We had heard während seiner Zeit bei Messerschmitt ein- about Dr. Lippischs work, and this gave us some schätzen will. Die Wahrheit dürfte wie so moral support, but not much else … We had heard oft zwischen den Extremen liegen: Man of Dr. Lippisch‘s work on models and a glider which kann ihn als verkanntes Genie sehen, der was never flown but tested at NACA. We did not seiner Zeit so weit voraus war, dass er un- go along with many of his ideas, such as a very ter den Bedingungen der Kriegszeit von DELTAFLÜGEL 103

seinen Zeitgenossen nicht akzeptiert wer- DER AUTOR den konnte. Dafür spricht, dass die Weiter- entwicklung der Me 163-Konfiguration Dr. phil., Dipl.-Phys. zum echten Deltaflügler später zu sehr er- Reinhard Neunhöffer, folgreichen Flugzeugen führte. Man könn- geboren am 24. September 1939 in Rottweil am Neckar. te ihn aber auch als undiplomatischen Nach Schulbesuch und altsprachlichem Abitur in Stuttgart Sturkopf mit einer seinerzeit unrealisti- Studium der Physik in Stuttgart und Kiel. Diplom-Physiker schen fixen Idee beschreiben, der mit dem in Stuttgart 1967. Danach drei Jahre am Institut für die Kopf durch die Wand wollte. Dafür spricht Pädagogik der Naturwissenschaften in Kiel als Assistent des seine beschriebene Haltung hinsichtlich Institutsdirektors. Von 1970 bis 1996 Tätigkeit bei Carl seiner schwanzlosen Flugzeuge und ge- Zeiss in Oberkochen und Göttingen mit Zuständigkeit für genüber der etablierten Standard-Konfigu- die Aus- und Weiterbildung von Service-Technikern und ration der Flugzeuge. Vertriebsingenieuren. Ab WS 1996/1997 Seniorenstudium In heutiger Ausdrucksweise muss man wohl der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik an der feststellen, dass Alexander Lippisch mit Universität Stuttgart. Promotion zum Dr. phil. im Jahr 2001. Seit dem WS 2007/ seinen Ideen zum Deltaflügel das Stadium 2008 Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaft und Technik der Invention erreichte; das Stadium der des Historischen Instituts der Universität Stuttgart mit Lehrauftrag für die Geschichte Innovation zu erreichen blieb jedoch An- der Luft- und Raumfahrt. deren vorbehalten. Für weitere Arbeiten zur Geschichte der Kontakt schwanzlosen, Nurflügel- und Delta-Flug- Universität Stuttgart, Historisches Institut, zeuge bietet sich ein genauerer Vergleich Abt. für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik zu dem amerikanischen Flugzeugbauer Keplerstraße 17, D–70174 Stuttgart Jack Northrop an. Einige seiner experi- Tel. +49 (0) 711/685-82312, Fax +49 (0) 711/685-82767, mentellen Typen sehen Lippischs DELTAS Tel. +49 (0) 711/4416749 und der Me 163 verblüffend ähnlich. An- E-Mail: [email protected] dere haben stärkere Ähnlichkeiten mit den Flugzeugen der Gebrüder Horten. Methodisch wäre es wünschenswert, zu Northrops Erfolge und Fehlschläge mit sei- Lippischs Tätigkeit in Deutschland eine nen „flying wings“ kamen wahrscheinlich Analyse des Akteursnetzwerks durchzu- in einem ähnlichen Akteursnetzwerk von führen. Die Liste der Institutionen und Geld- und Auftraggebern, Forschern, Kon- Personen, die darin zu berücksichtigen strukteuren und Entwicklern, Militärs wäre, ist lang. Ich nenne als zentral wich- und Industriellen zu Stande. Ein Vergleich tige Akteure: Lippisch selbst mit seiner könnte auch hier interessant sein. Gruppe von Mitarbeitern, Willy Messer- Wie auch immer man Alexander Lippischs schmitt, andere Repräsentanten aus der Beiträge und Verdienste im Detail einord- Flugzeugindustrie besonders Ernst Heinkel net und bewertet: Von seinen frühen Del- und seine Mitarbeiter, das RLM mit dem ta-Typen der 1930er Jahre spannt sich ein Generalluftzeugmeister Ernst Udet und Bogen bis zu modernsten Typen, seit dem seinem Nachfol -ger Erhard Milch sowie Ausscheiden der Concorde hauptsächlich dem zuständigen Sachbearbeiter Antz als im militärischen Bereich. • Auftraggeber, Hellmuth Walter und seine Reinhard Neunhöffer Firma als Triebwerkshersteller, die Luft- waffe als Endnutzer, repräsentiert zum Abbildungsnachweise Beispiel durch Adolf Galland und Wolf- gang Späte. Etwas mehr am Rand stehen • Bilder 1; 2; 3; 5; 6/rechter Teil: Alexander Lip- die aero dynamische Versuchsanstalt in pisch, Erinnerungen, Luftfahrtverlag Axel Zuerl, Göttingen, wo die meisten Messungen zu Steinebach-Wörthsee, ohne Jahr. Lippischs Flugzeugen durchgeführt wur- • Bilder 4/1. Teil; 6/linker Teil; 9: Alexander den und die Raketenleute um Wernher Lippisch, Ein Dreieck fliegt, Motorbuch Verlag, von Braun mit ihren anfangs konkurrie- Stuttgart 1976 renden Raketenmotoren. Auch an die Ins- • Bild 7: Hans-Ulrich Meier (Hrsg.), Die Pfeilflügel- titutionen der Luftfahrtforschung wie die entwicklung in Deutschland bis 1945, Die deutsche Luft- deutsche Akademie der Luftfahrtfor- fahrt, Band 33, Bernard & Graefe Verlag Bonn, 2006. schung und die Lilienthalgesellschaft • Bilder 4/2.Teil; 8: Wikipedia, dort als gemeinfrei müsste man denken. gekennzeichnet