Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Ansätze und Überlegungen der jüdisch-nichtjüdischen Geschichtsforschung mit Fokussierung auf Kontakt, Interaktion sowie Kooperation und Konfrontation an Fallbeispielen der Streitkräfte der k.u.k. Monarchie während des Ersten Weltkriegs

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität

vorgelegt von

Gregor SCHWEIGHOFER

am Centrum für Jüdische Studien

Begutachter: Univ.-Doz. Dr. Hödl, Klaus

Graz, 2021

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während des gesamten Studiums begleitet haben.

Zuerst möchte ich meinen Eltern Dank aussprechen, die mich immer unterstützt haben. Ebenfalls danke ich Univ.-Doz. Dr. Klaus Hödl, der diese Arbeit betreut und mich auf die Thematik des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders überhaupt erst aufmerksam gemacht hat. Ohne ihn wäre die Arbeit in dieser Form nicht entstanden. Abschließend bedanke ich mich bei all meinen Freunden und Bekannten.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 1

2 Grundfragen der jüdischen und nichtjüdischen Identität ...... 4

2.1 Wer sind die Juden und die Nichtjuden? ...... 5

2.2 Die jüdische und nichtjüdische Identität von Gegenständen...... 9

3 Die Geschichte der jüdischen Geschichte ...... 11

3.1 Die jüdische Geschichtsschreibung im Zeichen der Großnarrative ...... 13

3.2 Die jüdische Geschichte nach der Shoa ...... 17

4 Ansätze der Anpassung und Abgrenzung ...... 21

4.1 Ansätze der Abgrenzung ...... 22

4.2 Ansätze der Anpassung (Assimilation und Akkulturation) ...... 25

5 Ansätze des Kontakts und der Interaktion ...... 44

5.1 ‚Hybride Konstruktionen‘ und performative Handlungen ...... 45

5.1.1 Der jüdische und nichtjüdische Anteil am Miteinander ...... 46

5.1.2 Die Intention der ‚hybriden‘ Geschichtsschreibung ...... 54

5.2 Jüdisch-nichtjüdische Begegnungsorte und Kontakte ...... 58

5.2.1 Theoretische Grundlagen der Begegnung und des Kontakts ...... 59

5.2.2 Die Streitkräfte als jüdisch-nichtjüdischer Begegnungsort ...... 65

5.3 Jüdisch-nichtjüdische Kooperationen und Konfrontationen ...... 74

5.3.1 Theoretische Grundlagen des Zusammen- und Entgegenwirkens ...... 75

5.3.2 Das jüdisch-nichtjüdische Miteinander im Ersten Weltkrieg...... 87

6 Zusammenfassung und Desiderate ...... 108

Literaturverzeichnis ...... 110

1 Einleitung

„How Do the jews fit into history?“ 1 Oder inwieweit ist die jüdische Geschichte ein Teil der allgemeinen Darstellung der Vergangenheit? Diese Grundfrage Moshe Rosmans zur Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Die dahingehenden Forschungen erleben eine Neuausrichtung. Bislang waren sie davon geprägt, dass die Geschichte der Juden entweder als eine isolierte oder als die einer Minderheit, die sich einer nichtjüdischen Gesellschaft anpassen musste, angesehen wurde.2 Die Ansätze, auf denen diese Geschichtsdarstellungen beruhen, sind nicht in der Lage, das komplexe Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden wiederzugeben, wodurch es zu einer verzerrten Betrachtung kommt. Inzwischen liegt der Fokus (auch) darauf, dass man die jüdische Geschichte als einen gleichwertigen Teil der Geschichte eines gesellschaftlichen Kollektivs darstellt.3 Diese Auffassung ist als ein jüdisch-nichtjüdisches Zusammenwirken 4 zu verstehen, welches sich aus dem Aufeinandertreffen verschiedener kultureller Systeme ergibt und welches die kollektive Geschichte mitbestimmt.

Ein Hauptaspekt meiner Arbeit ist, aufzuzeigen, wie sich die jüdisch-nichtjüdische Beziehung und Geschichte ganzheitlich darstellen lässt, um das Ausblenden von Aspekten zu vermeiden. Als ein Ausschnitt dieses Verhältnisses ist der Erste Weltkrieg anzusehen, denn jüdische und nichtjüdische Soldaten kämpften gemeinsam in den Reihen der Streitkräfte der k.u.k. Monarchie. 5 Die Streitmacht der Habsburgermonarchie während dieses Konflikts fungiert als (historische) Grundlage, um die theoretischen Ausführungen zu veranschaulichen.

Die grundlegende Leitfrage, die sich aus der Konkretisierung der Thematik ergibt, ist: Welche Ansätze gibt es, um das jüdisch-nichtjüdische Miteinander darzustellen und welcher eignet sich dafür, es möglichst ganzheitlich darzustellen? Diese zentrale Fragestellung geht mit

1 Vgl. ROSMAN Moshe, How Jewish is Jewish History? Oxford 2007, S.43. Im Folgenden zitiert als ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007. 2 Vgl. HÖDL Klaus, Das Verständnis von Judentum in der gegenwärtigen Historiographie. In: transversal 14 Jg. (2013) Nr.1, S.17. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2012. 3 Vgl. HÖDL Klaus, Überlegungen zur Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie in den Jüdischen Studien. In: VOGT Stefan/HORCH Hans/LISKA Vivian/MAKSYMIAK Malgorzata (Hgg.), Wegweiser und Grenzgänger. Studien zur deutsch-jüdischen Kultur und Literaturgeschichte. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 30). Wien/Köln/ 2018, S.45–58. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018. 4 Mit Zusammenwirken (obwohl die Begrifflichkeit auf rein ‚positive‘ Aspekte des Miteinanders schließen lässt) sind alle Phänomene gemeint, die durch Begegnungen und Interaktionen entstehen und sich auf unsere Lebenswelt auswirken. 5 Vgl. SCHMIDL Erwin, Habsburgs jüdische Soldaten. 1788–1918. Wien/Köln/Weimar 2014, S.115. Im Folgenden zitiert als SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014. 1

Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

weiteren einher. Die Auseinandersetzung mit der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung in der Vergangenheit und Gegenwart erfordert die Erschließung einer Definition des ‚Jüdischen‘ und ‚Nichtjüdischen‘. Die angesprochenen Herangehensweisen basieren auf den verschiedenen Entwicklungen der modernen jüdischen (und nichtjüdischen) Geschichtsschreibung. 6 Wie entwickelte sich also die Forschung zur Darstellung der jüdischen Vergangenheit und in welchem Zusammenhang steht sie mit den vorgestellten Ansätzen? Die Schwerpunktlegung auf jüdisch-nichtjüdischen Kontakt, Interaktion sowie Kooperation und Konfrontation während des Ersten Weltkriegs bedingt diese Fragen: Welche konkreten oder abstrakten Begegnungsorte gab es während des Konflikts, in denen jüdische und nichtjüdische Angehörige der k.u.k. Streitmacht aufeinandertrafen? Zu welchen Interaktionen kam es dabei und sind diese eher im Sinne einer Kooperation oder Konfrontation zu werten?

Das Ziel ist, die gestellten Forschungsfragen möglichst adäquat zu bearbeiten und zu beantworten. Zum Erreichen dieses Vorhabens bediene ich mich folgender Methoden: Zur Erläuterung der theoretischen Aspekte werden die bisherigen Forschungen in Form von Sekundärliteratur aufgegriffen. Es erfolgt eine kritische Auseinandersetzung. Hier ist anzumerken, dass die diversen Zugänge und Methoden der (jüdisch-nichtjüdischen) Geschichtsforschung an sich das Thema dieser Arbeit sind. Daher weise ich in diesem einleitenden Kontext lediglich darauf hin, wie der Umgang mit der Literatur erfolgt, die die Methoden enthält. Die theoretischen Ausführungen werden zur Veranschaulichung von Fallbeispielen begleitet. Zur Erschließung der Ausschnitte des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders während des Ersten Weltkriegs verwende ich ebenfalls Sekundärliteratur (sowie die darin vorkommenden Primärquellen). Dabei fokussiert er im Sinne eines ‚mikrohistorischen‘ Zugangs Ego-Dokumente (Dokumente, Tagebücher, Biographien, Briefe oder Ähnliches). 7 Diese bereits erschlossenen Quellen werden im Zuge einer Re-Analyse in den Kontext der jüdisch-nichtjüdischen Geschichte gesetzt.8 Zwar ist das zentrale Motiv die Darstellung der interkulturellen Beziehung, dennoch werden einige Abschnitte der jüdischen Geschichte isoliert dargestellt, die sich später in das Gesamtkonzept einfügen. Dies stellt keinen Widerspruch dar, da es sich um eine Schwerpunktlegung handelt.

6 Vgl. BRECHENMACHER Thomas/SZULC Michał, Neuere deutsch-jüdische Geschichte. Konzepte – Narrative – Methoden. Stuttgart 2017, S.193. Im Folgenden zitiert als BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017. 7 Vgl. ebda., S.157. 8 Vgl. ebda.

Gregor Schweighofer 2 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Durch die verwendete Methodik erschließt sich, dass die gesamte Arbeit auf bereits getätigter Forschungsarbeit basiert. Deshalb ist es angebracht, dass ich mich mit einigen dieser Aspekte kurz auseinandersetze. Es gibt eine Vielzahl von Forschungstätigkeiten, welche sich mit der jüdischen (und nichtjüdischen) Geschichte in Österreich (im Kontext des Ersten Weltkriegs) auseinandersetzen. Hierbei sind Marsha Rozenblit 9, David Rechter 10 oder Albert Lichtblau 11 zu nennen, die in ihren Ausführungen Erfahrungen und Erlebnisse der jüdischen Bevölkerung darstellen. Einen Überblick über die dazugehörigen theoretischen Grundlagen der jüdischen(- nichtjüdischen) Geschichtsschreibung und -forschung (im deutschsprachigen Raum) bieten Thomas Brechenmacher und Michał Szulc.12 Darin zeigen sie verschiedene Narrative, Konzepte und Methoden auf. Die Fokussierung auf den Ansatz, welcher auf Kontakt, Interaktion sowie Kooperation und Konfrontation beruht, bezieht sich grundlegend auf die Forschungsarbeit von Klaus Hödl. 13 Man nutzt Fallbeispiele des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders in den k.u.k. Streitkräften, um die theoretischen Ausführungen anschaulicher zu erklären. Dabei bildet die Forschung Erwin Schmidls14 bezüglich der Geschichte der jüdischen Soldaten der Habsburgermonarchie das Fundament. Eine allgemeine und ausführliche Darstellung des Ersten Weltkriegs gibt Manfried Rauchensteiner 15 .

Diese Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst setzt man sich mit den grundlegenden Fragen der jüdischen und nichtjüdischen Identität auseinander. Im nächsten Abschnitt erfolgt eine Darstellung verschiedener Ansätze sowie der Entwicklung der (modernen) jüdisch-nichtjüdischen Geschichtsforschung. Im nächsten Kapitel behandle ich Herangehensweisen, die auf Separation und Adaption beruhen. Darin erkläre ich nicht nur die theoretischen Grundlagen, sondern überprüfe sie, ob sie die jüdisch-nichtjüdische Beziehung ‚vollständig‘ darstellen können. Der Bezugspunkt dahingehend ist der Ansatz des Kontakts und der Interaktion. Es erfolgt eine Erläuterung der zentralen Begriffe dieses Ansatzes und mit welchen theoretischen Herangehensweisen sie in Verbindung stehen. Den Abschluss bildet eine

9 Vgl. ZICK Andreas, Psychologie der Akkulturation. Neufassung eines Forschungsbereiches. Wiesbaden 2010, S.583. Im Folgenden zitiert als ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010. 10 Siehe LICHTBLAU Albert (Hg.): Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/Weimar 1999.Im Folgenden zitiert LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999. 11 Siehe RECHTER David, The Jews of and the First World War. London 2001. Im Folgenden zitiert als RECHTER, The Jews of Vienna, 2001. 12 Siehe BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017. 13 Siehe ROZENBLIT Marsha, Reconstructing a national identity. The Jews of Habsburg during World War I, Oxford 2001.Im Folgenden zitiert als ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001. 14 Siehe SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014. 15 Siehe RAUCHENSTEINER Manfried, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie. Wien/Köln/Weimar 2013. Im Folgenden zitiert als RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013.

Gregor Schweighofer 3 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Übersicht über den Verlauf des Ersten Weltkriegs mit einer Fokussierung auf das jüdisch- nichtjüdische Zusammenwirken. Als Grundlage dafür zeige ich die ‚jüdische‘ Geschichte der Streitkräfte der Habsburgermonarchie. Die Darstellung des Ersten Weltkriegs beschränkt sich nicht darauf, dessen Ablauf zu schildern, sondern zeigt ebenso die interkulturellen Kontakte und Interaktionen, die durch ihn entstehen und als Kooperation oder Konfrontation verstanden werden können. 2 Grundfragen der jüdischen und nichtjüdischen Identität

Bevor ich mich im Speziellen mit Ansätzen der jüdisch-nichtjüdischen Geschichtsschreibung auseinandersetze, erscheint es notwendig, grundlegende Aspekte der jüdisch-nichtjüdischen ‚Identitätskonzepte‘ 16 zu erklären. Dieses Vorgehen entspricht laut Brechenmacher und Szulc 17 der Auffassung einer modernen jüdischen Geschichtsforschung und ebenso einer der jüdisch- nichtjüdischen Darstellung der Vergangenheit. Die Frage nach ‚Identitätskonstruktionen‘ weist Bezüge zu den grundlegenden Leitfragen 18 der jüdischen (und nichtjüdischen) Geschichtsschreibung von Moshe Rosman 19 auf. Eine davon ist: „What are the Jews?“ 20 oder „Wer sind (die) Juden?“ 21 , wie Brechenmacher und Szulc die Frage auffassen. Zur Beantwortung dieser ist die Bestimmung der ‚Nichtjuden‘ ebenso hilfreich wie die der ‚Juden‘. Zunächst tätige ich Überlegungen bezüglich der Identitätskonzepte und stelle deren theoretische Grundlagen dar. Dabei ergeben sich verschiedene Auffassungen des ‚Jüdischseins‘. Es erfolgt eine Gegenüberstellung dieser Ansichten, um eine kritische Betrachtung sowie ein besseres Verständnis zu gewährleisten. Dies beinhaltet ebenso die ‚Auswirkungen‘ des Kontakts und der Interaktion auf diese Konstrukte. Dabei behandle ich ebenfalls die vermeintlich jüdische und nichtjüdische ‚Identität‘ von (abstrakten oder konkreten) Gegenständen. Dies zeigt einen Aufriss der Problematiken, die sich bei der Verwendung von (starren) Identitätsentwürfen ergeben.

16 Sarah Panter (vgl. PANTER Sarah, Jüdische Erfahrungen und Loyalitätskonflikte im Ersten Weltkrieg. Göttingen 2014, S.30. Im Folgenden zitiert PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014) verwendet die Begrifflichkeit „jüdische Identitätsentwürfe“, „jüdische Selbstverortung“ oder „Jüdischsein“, wenn es möglich ist, statt „jüdische Identität“, um Problematiken, welche mit dem Identitätsbegriff einhergehen, zu vermeiden. Die Verwendung des Begriffs der Identität in dieser Arbeit ist unter diesem Sachverhalt zu betrachten, denn bereits die Beschreibung ‚jüdisch-nichtjüdisch‘ bahnt an, dass es sich hier um einen ‚hybriden Identitätsentwurf‘ (vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S. 157) handelt. 17 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.157. 18 Generell weist der Aufbau dieser Arbeit Bezüge zu diesen Grundfragen auf. 19 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.20. 20 Ebda., S.20. 21 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.157.

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2.1 Wer sind die Juden und die Nichtjuden?

Eine Kategorisierung von ‚Juden‘ und ‚Nichtjuden‘ erfordert eine Klärung, wer zur einen Gruppe gehört und wer zur anderen. Eine solche ‚Zuordnung‘ der Angehörigen der k.u.k. Streitkräfte nach bestimmten Kriterien ist essenziell, wenn man die jüdisch-nichtjüdische Beziehungen dort aufzeigen möchte.22 Zunächst wirkt es trivial, die Bewegründe zur Unterscheidung näher zu erläutern, da nachvollziehbar ist, dass ohne sie eine Untersuchung des Miteinanders und Gegeneinanders gar nicht möglich wäre. Dies hat den einfachen Grund, dass sich ohne Differenzierung der kulturellen Systeme deren Verbindungen nicht herausarbeiteten und darstellen lassen. Um es einfach auszudrücken: Man kann keine wechselseitige Beziehung betrachten, wenn es nur eine Seite gibt. 23 Diese distinktiven Kriterien stehen in einem Zusammenhang mit den Identitätsentwürfen. 24

Dies müsste ebenso auf die Darstellung der Vergangenheit zutreffen, wie es Georg Iggers 25 verdeutlicht: „Ohne jüdische Identität keine jüdische Geschichte.“. Diese Aussage nimmt jedoch stark an Komplexität zu, wenn man sie um die Frage nach der ‚jüdischen Identität‘ an sich ergänzt. Dies dient als Ausgangspunkt für Überlegungen bezüglich der Auswirkungen des Aufeinandertreffens von Juden und Nichtjuden und betrifft vor allem die Identitätskonstruktionen von Individuen, wenn sie sich in einem Kollektiv verschiedener Identitäten bewegen und dadurch an Prozessen des Austauschs teilnehmen.26 Dieser Vorgang ist, wie Sarah Panter 27 anmerkt, ein kulturhistorischer Zugang zu Identitätskonzepten. Die Betrachtungsweise der Identität und der interkulturellen Beziehungen scheint Einfluss auf die Konstituierung dieser zu haben. Dies referiert auf die Ansätze, welche sich auf Konzepte der Separation, Adaption oder Interaktion beziehen. Eine entsprechende Mehrdimensionalität der ‚Identität‘ bahnt sich an. 28

22 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.30. 23 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.31–32 sowie vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.172. 24 Vgl. SILBERSTEIN Laurence, Minority Voices and The Ethics of Jewish Identity. Critical Reflections. In: HÖDL Klaus (Hg.) Kulturelle Grenzräume im jüdischen Kontext. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 14). Innsbruck 2008, S.156. Im Folgenden zitiert als SILBERSTEIN Laurence, Minority Voices, 2008. 25 IGGERS Georg, Ohne jüdische Identität keine jüdische Geschichte. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.44. 26 Vgl. HÖDL Klaus, Der ‚virtuelle Jude‘ – ein essentialistisches Konzept? In: HÖDL Klaus (Hg.), Der ‚virtuelle‘ Jude. Konstruktionen des Jüdischen. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2005, S.54. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005. 27 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.30. 28 Vgl. HERZIG Arno, Methodischer und inhaltlicher Wandel seit den 1960er-Jahren. In: transversal 14 Jg. (2013) Nr.1, S.10. Im Folgenden zitiert als HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013.

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Die Ursachen dieser komplementären Einteilung erscheinen oberflächlich geklärt, doch nach welchen Kriterien erfolgt diese Abgrenzung, wenn die Identität „a product of complex, dynamic, multiplicitous and power laden process“ 29 ist. Elemente der ‚Histoire croisée‘ oder auch der ‚verflechtenden Geschichte‘ sind hier relevant. Diese beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Betrachtung dieser Beziehung, sondern ebenso auf die ‚Produkte‘, welche sich daraus ergeben. Dabei versteht man die distinktiven Merkmale bereits als Ergebnis einer multidimensionalen Verflechtung.30 Durch diese Überlegung erscheint die ‚Einteilung‘ einfach, denn der größte Unterschied ist wohl die Religion, wie Arno Herzig 31 aussagt. Auch Kurt Schubert 32 impliziert dieses Merkmal als grundlegend zur Differenzierung. Prinzipiell wirkt es nicht abwegig, dass man sich der Konfession als Hauptmerkmal der Unterscheidung bedient. Es liegt aus methodischer Sicht ebenso nahe, da sich das Religionsbekenntnis im Fall der k.u.k. Streitkräfte (aus historisch-hermeneutischer Sicht) durch entsprechende Einträge in Militärakten nachweisen lässt.33

Laut Thomas Brechenmacher und Michał Szulc 34 ist eine konfessionsbezogene Definition nicht vollends befriedigend. Dies steht in einem Zusammenhang mit einem rassenideologisch motivierten Antisemitismus.35 Dieser beschränkt sich in seiner „Judenfeindschaft“ 36 nicht nur auf religiöse Aspekte, sondern bezieht ebenso ethnische oder nationale Aspekte mit ein. 37 Ansonsten wäre es nur schwer zu erklären, warum konfessionslose oder konvertierte Soldaten Anfeindungen aufgrund ihres ‚Jüdischseins‘ ausgesetzt waren. 38 Der

29 Vgl. SILBERSTEIN Laurence, Minority Voices, 2008, S.156. 30 Vgl. WERNER Michael/ZIMMERMANN Bénédicte, Vergleich, Transfer, Verflechtung: Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft 28. Jg. (2002) Nr.4, S.608–609. Im Folgenden zitiert als WERNER/ZIMMERMANN, Vergleich, Transfer, Verflechtung, 2002. 31 Vgl. HERZIG Arno, Jüdische Geschichte in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1997 S.9. Im Folgenden zitiert als HERZIG, Jüdische Geschichte, 1997. 32 Vgl. SCHUBERT Kurt, Die Geschichte des österreichischen Judentums. Wien/Köln/Weimar 2008, S.13–16. Im Folgenden zitiert als SCHUBERT, Geschichte des österreichischen Judentums, 2008. 33 Vgl. Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.12. 34 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch jüdische Geschichte, 2017, S.157. 35 Vgl. BERGER Michael, Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Zürich 2015, S.22. Im Folgenden zitiert als BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015. 36 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.143. 37 Vgl. ebda. 38 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.82. Diese Anfeindungen sind ebenso als ein Teil des jüdisch-nichtjüdischen Gegeneinanders zu verstehen, welcher zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beiträgt. Dennoch ist bei dieser Auslegung der Geschichte Vorsicht geboten, da, wie Klaus Hödl (Vgl. HÖDL Klaus, Performanz in der jüdischen Historiographie. Zu den Vor- und Nachteilen eines methodischen Konzepts. In: HÖDL Klaus (Hg.) Kulturelle Grenzräume im jüdischen Kontext. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 14). Innsbruck 2008, S.185. HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008) anmerkt, die Möglichkeit besteht, dass man der jüdischen Bevölkerung eine Mitschuld diesbezüglich attestiert.

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Zionismus, welchen man auch im Kontext eines Entgegenwirkens nennen kann, beschränkt sich ebenfalls nicht auf eine rein religiöse Definition des Jüdischseins.39

Alternative Leitideen einer Bestimmung sind „‚Volk‘, ‚Nation‘, ‚Kultur‘ oder gar ‚Schicksalsgemeinschaft‘“.40 Bei diesen muss man nun ständig spezifizieren, welche Eigenschaften am zentralsten sind. Dies deutet auf eine sehr offene Definition hin, die man den Gegebenheiten anpassen kann. Dies ist nachvollziehbar, da keine Einheitlichkeit des Jüdischseins gegeben ist. Hierbei sind nicht die Ausformungen des jüdischen Glaubens gemeint, sondern vielmehr die Unterschiede, die sich durch die Umstände des jeweiligen regionalen oder sozialen Umfelds ergeben, in welchem sie agieren. 41 Eine Spezifikation zur Definition ist die ‚kollektive Identität‘.42 Die Identitätsentwürfe eines kulturellen Systems sind nicht starr und ergeben sich aus Eigen- und Fremdwahrnehmung, wie Sarah Panter 43 ausführt. Das Eigen- sowie das Fremdverständnis entstehen aus der Begegnung und Interaktion. Daraus erschließt sich, dass man zur Generierung der Identität ein Gegenüber benötigt.44 Dies scheint eine Erklärung dafür zu sein, dass jüdische Zeitschriften wie die ‚Jüdische Zeitung‘ oder ‚Selbstwehr‘ während des Ersten Weltkriegs Kommentare von nichtjüdischen Militärangehörigen abdruckten, um die ‚Heldenhaftigkeit‘ und die ‚Loyalität‘ der jüdischen Soldaten hervorzuheben. 45

Diese angedeutete Flexibilität weist Ähnlichkeiten mit den Ansichten von Steven Beller 46 bezüglich seines Verständnisses des Jüdischseins auf. Das erlaubt den Forschenden, ihren Fokus auf die Begegnungspunkte und Verbindungen des Jüdischen und Nichtjüdischen zu legen oder, wie bei Michael Werner und Bénédicte Zimmermann 47 , sogar darüber hinaus. Das Entscheidende in diesem Kontext ist die Erkenntnis, dass es so etwas wie ein

39 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.157. 40 Vgl. ebda., S.139. 41 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.170. 42 Vgl. ebda., S. 156. 43 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.30. 44 Vgl. HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005, S.54. 45 Vgl. WALTL Lukas, Die Zähl- und Erzählstelle der jüdischen Leistungen im Kriege. Der Diskurs des Ersten Weltkriegs in jüdischen Zeitschriften der Habsburgermonarchie. Ungedr. Diss. Graz 2019, S.181. Im Folgenenden zitiert als WALTL, Die Zähl- und Erzählstelle, 2019. 46 Vgl. BELLER Steven, Knowing your Elephant why Jewisch Studies is not the same as Judaistik, and why that is a good thing. In: HÖDL KLAUS (Hg.), Jüdische Studien. Reflexion zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2003, S.13- 24. Im Folgenden zitiert als BELLER, Knowing your Elephant, 2003 sowie vgl. HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005, S.68. 47 Vgl. WERNER/ZIMMERMANN, Vergleich, Transfer, Verflechtung, 2002, S.608–609.

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‚authentisches‘ Judentum (sowie Nichtjudentum) nicht existiert, weil es einer ständigen ‚Neudefinition‘ unterworfen ist.48

Das jüdische Selbstverständnis greift Michael Berger 49 für seine Definition auf, wenn er die Geschichte der jüdischen Soldaten Deutschlands und Österreichs50 darstellt. Jüdische Militärangehörige sind für ihn Personen, die sich aufgrund von getroffenen Entscheidungen „als Juden fühlten“ 51 und sich damit (auch religiös) zum Jüdischsein bekannten. 52 Dieses Bekenntnis drückte sich auch in den Personalakten der militärischen Streitkräfte in Form der Religionszugehörigkeit aus. Im Fall der Habsburgermonarchie beschrieb man die Konfession jüdischer Soldaten mit „‚jüdisch‘, ‚israelitisch‘ oder ‚mosaisch‘“.53

Diese Militärakten fungieren als wesentliche Quellen, um festzustellen, wen man als jüdischen Militärangehörigen ansehen kann. Das darin angegebene Religionsbekenntnis dient Erwin Schmidl als Grundlage zur Differenzierung. Dies hat den Grund, dass das Judentum zwar als Religion anerkannt war, aber nicht als eigene Nationalität des Vielvölkerstaats.54 Daraus ergibt sich, dass es nur schwer feststellbar ist, wenn ein jüdisches Mitglied konvertierte und sich dennoch zum Jüdischsein bekannte. Doch meint Schmidl 55 dazu, dass eine möglichst zuverlässige Quellenlage zu jüdischen Soldaten nur dann gewährleistet ist, wenn man sich bei der Definition auf die Religion beschränkt. Diese Arbeit versteht jüdische Personen als solche, die sich in irgendeiner Form zum Jüdischsein bekennen. Des Weiteren greift diese Definition nicht nur Elemente der Selbst-, sondern auch die der Fremdverortung auf. Das bedeutet, dass Personen, die man als vermeintlich jüdisch ansieht, ebenso miteinbezogen werden, da Identitäten dennoch konstituiert werden und ein jüdisch-nichtjüdisches Miteinander entsteht.56 Dies gilt ebenso für den nichtjüdischen Fall. Zusammengefasst ist diese ‚Zuordnung‘ sehr situationsabhängig und weitläufig, doch erscheint diese Weitläufigkeit als ein Vorteil, wenn

48 Vgl. HÖDL Klaus, Kultur und Gedächtnis (= Perspektiven deutsch-jüdischer Geschichte). Paderborn 2012. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.12. 49 Vgl. BERGER, Jüdische Soldaten, 2015, S.22. 50 Hierbei sind ebenfalls die geografischen Gebiete zu verstehen, die durch verschiedene Gegebenheiten als Teil dieser beider Länder verstanden wurden. 51 BERGER, Jüdische Soldaten, 2015, S.22. 52 Vgl. ebda. 53 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.12. 54 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.25. 55 Vgl. ebda., S.12–13. 56 Vgl. BELLER, Knowing your Elephant, 2003, S.18.

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man den Fokus auf die Wechselbeziehung dieser beiden kulturellen Systeme legt. 57 Aus dieser losen Bestimmung ergeben sich mehr Ausschnitte, die dieses Verhältnis aufzeigen.

Im Zuge der Beantwortung der ersten Leitfrage von Moshe Rosman 58 legte ich fest, welche Personen in dieser Arbeit als jüdisch gelten. Durch die komplementäre Einteilung ergeben sich ebenso die nichtjüdischen Akteure dieser Darstellung. Weder (die) Juden noch (die) Nichtjuden sind eine geschlossene Einheit. Dies wäre auch verwunderlich, da im Fall der Habsburgermonarchie unterschiedliche Nationalitäten und Konfessionen zusammenlebten. 59 Bei der Betrachtung demografischer Aufstellungen bezüglich der Religionszugehörigkeit kann der Eindruck entstehen, dass Nichtjuden mit Christen (in verschiedenen Ausformungen des christlichen Glaubens) gleichzusetzen sind. Dies ist jedoch eine Fehleinschätzung, da eine Konfessionserhebung zeigt, dass sich die Gruppe der Nichtjuden um Muslime und andere nicht näher definierter Religionen erweitert.60 Diese Multinationalität und -konfessionalität lässt sich auf die Streitkräfte umlegen. 61

Dieser Umstand ermöglicht, eine andere Perspektive auf das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis einzunehmen, denn oftmals wird dieses dahingehend betrachtet, dass die jüdische Bevölkerung ein Teil einer nichtjüdischen Gesellschaft ist.62 Doch wie sieht eine Wechselbeziehung zwischen solchen ‚Minderheiten‘ in einer größeren Gesellschaft aus? Diese Fragestellung dient lediglich als Ausgangpunkt für weitere Überlegungen.63

2.2 Die jüdische und nichtjüdische Identität von Gegenständen

Ein weiterer Aspekt der jüdisch-nichtjüdischen Identitätskonzepte ist eine derartige Differenzierung bei abstrakten (und auch konkreten) Gegenständen. Da ich mich im Laufe dieser Untersuchung auf derartige Objekte beziehe, erfolgt diesbezüglich eine Abklärung. Eine

57 Vgl. HÖDL Klaus, Was ist jüdisch? In: HÖDL Klaus (Hg.), Der ‚virtuelle‘ Jude. Konstruktionen des Jüdischen. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2005, S.9. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Was ist jüdisch?, 2005. 58 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.20. 59 Vgl. VOCELKA Karl, Österreichische Geschichte. München 2005. Im Folgenden zitiert als VOCELKA, Österreichische Geschichte, 2005, S.91. 60 Vgl. KLIEBER Rupert, Jüdische – christliche – muslimische Lebenswelten der Donaumonarchien 1848–1918. Wien/Köln/Weimar 2010, S.285. Im Folgenden zitiert als KLIEBER, Jüdische – christliche – muslimische Lebenswelt 2010. 61 Vgl. DEÁK István, Der k. (u.) k. Offizier. 1848-1918, Wien/Köln/Weimar 1995, S.206. Im Folgenden zitiert als DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995. 62 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.197. 63 In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Verhältnis personeller Minderheit und Mehrheit, dennoch sollten die oben genannten Punkte zumindest erwähnt werden. Dabei bezieht man sich bei Minderheit und Mehrheit auf die Anzahl der Personen, obwohl man aufgrund der Konnotation der Begriffe diese verschieden verstehen kann.

Gregor Schweighofer 9 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Erläuterung ist ebenso notwendig, da in der Literatur Gegenstände und Begriffe als ‚jüdisch‘ (beziehungsweise ‚nichtjüdisch‘) bezeichnet werden. Sarah Panter 64 spricht von jüdischen (Kriegs-)Erfahrungen und -Erlebnissen oder Gerald Lamprecht, Eleonore Lappin-Eppel sowie Ulrich Wyrwa 65 verwenden den Begriff der jüdischen Perspektive. Kurt Schubert 66 nennt neben der Religion „jüdische Literatur“.67 Das jüdisch-nichtjüdische Mit- und Gegeneinander sind ebenso abstrakte Gegenstände.68

Die Beschreibung ‚jüdisch‘ vor einem Begriff könnte dazu führen, dass man das Jüdischsein oder Nichtjüdischsein als den zentralen Aspekt der Wahrnehmung. Diese Deutung greift eine obsolete Darstellung der kulturellen Einheitlichkeit auf. Vielmehr ist das Jüdische (oder Nichtjüdische) lediglich ein Teil einer Person. Die folgende Überlegung soll zur Illustration dieses Sachverhalts dienen: Ein (jüdischer) Soldat an der Front macht vermutlich andere Erfahrungen (unabhängig vom Jüdischsein) als eine (jüdische) Person, die den Ersten Weltkrieg abseits der Kampfhandlungen erlebt hat.69 Zwar weisen die Angehörigen eines kulturellen Systems Ähnlichkeiten auf, aber durch situative Elemente entsteht keine Einheitlichkeit. 70 Demnach kann man die Frage von Moshe Rosman nach der Einheitlichkeit der jüdischen (und nichtjüdischen) Geschichte nur verneinen.71 Es ergibt sich eine kulturelle Vielfalt auf ‚beiden‘ Seiten; die größere weist wohl die nichtjüdische auf. Dies gilt ebenso für die Angehörigen der Streitkräfte. 72

Eine weitere Problematik bei der jüdischen und nichtjüdischen Identität von Gegenständen ist, dass es relativ großen Raum für Interpretationen gibt. Ein Gedankenspiel soll diesen Handlungsraum verdeutlichen: Ein nichtjüdischer Soldat spricht ein christliches Gebet und sein jüdischer Kamerad hört ihm dabei zu. Hat nun der jüdische Soldat eine christliche Erfahrung gemacht oder hat er eine jüdische Erfahrung mit etwas Christlichem gemacht?73 Es ergibt sich wieder eine situationsbedingte Auslegung. Zwar kann darauf keine allgemeingültige

64 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.24. 65 Siehe LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish soldiers in the collective memory of central europe. The remembrance of World War 1 from a Jewish Perspective. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 28). Wien/Köln/Weimar 2019. 66 Vgl. SCHUBERT, Geschichte des österreichischen Judentums, 2008, S.13. 67 Ebda. 68 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.194. 69 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.25. 70 Vgl. HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005, S.54. 71 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.34. 72 Vgl. SCHMIDL Erwin, Türken, Grenzer, Bosniaken: „Orientale in Österreich(-Ungarn). In: HÖPP Georg, Fremde Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis 1945. (= Studien 4). Berlin 1996, S.321. Im Folgenden zitiert als SCHMIDL, Orientale in Österreich(-Ungarn), 1996. 73 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.12.

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Antwort gegeben werden, aber es zeichnet sich die komplexe Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden ab. 74 In dieser Arbeit versteht man Begrifflichkeiten oder Gegenstände als jüdisch, wenn sie im Zusammenhang mit Personen stehen, die einen Bezug zum Jüdischsein haben.75 3 Die Geschichte der jüdischen Geschichte

Bisher stellte ich dar, welche Personen als jüdisch und welche als nichtjüdisch zu verstehen sind. Des Weiteren setzte man sich diesbezüglich mit abstrakten (und konkreten) Begrifflichkeiten auseinander. Ein derartiger Gegenstand ist die jüdische Geschichte. Es zeigt sich, dass diese als keine einheitliche zu verstehen ist, da die in ihr vorkommenden Akteure keine einheitliche Masse bilden.76 Nicht nur das Selbst und die Geschichte der Protagonisten sind unterschiedlich, sondern auch die Art und Weise der Annäherungen an die jüdische Darstellung der Vergangenheit. Die jüdische (und nichtjüdische) 77 Geschichte verfolgte im Wandel der Zeit verschiedene Konzepte, Narrative und Methoden. 78 Die diesbezüglichen Ausführungen stellen überblicksmäßig die unterschiedlichen Zugänge und dazugehörigen Problematiken dar.

Diese Vorgehensweise soll die Annahme belegen, dass ein Ansatz, der auf Kontakten sowie Interaktionen (beziehungsweise auf performativen Handlungen 79 ) zwischen kulturellen Systemen beruht, die interkulturelle Beziehung möglichst adäquat und verzerrungsfrei wiedergibt. Es existieren neben diesem ebenso andere Ansätze, die zwar Ähnlichkeiten

74 Vgl. HÖDL Klaus, Was ist jüdisch? In: HÖDL Klaus (Hg.), Der ‚virtuelle‘ Jude. Konstruktionen des Jüdischen. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2005, S.9. 75 Hier ist anzufügen, dass Antijudaismus oder Antisemitismus ebenso in diese Definition fällt, da sie das Jüdischsein zum Thema haben, aber man bringt sie nur schwer mit dem Begriff jüdisch in dieser Form in Verbindung. Obwohl der Begriff des ‚jüdischen Selbsthasses‘ teilweise Anwendung findet. (Vgl. BRENNER Michael, Geschichte des Zionismus. 2016 München, S.26. Im Folgenden zitiert als BRENNER, Geschichte des Zionismus, 2016.) 76 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.157. Als Beispiel dafür dienen Sarah Panters (Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.25–26.) Ausführungen zu den jüdischen Gemeinschaften während des Ersten Weltkriegs in Europa und Nordamerika. 77 Zum großen Teil bezieht sich die Beschreibung jüdisch-nichtjüdisch auf Ansätze der jüdisch-deutschen Geschichtsschreibung, wie sie Thomas Brechenmacher und Michał Szulc vorstellen (siehe BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017). Dies ist nicht so zu deuten, dass die deutsch-jüdische Gesellschaft als Vorbild für die Entwicklung aller jüdisch-nichtjüdischer kulturellen Systeme dienen soll. Diese Klarstellung ist notwendig, da sich diese Überlegung (der prototypischen jüdisch-deutschen Gesellschaft noch teilweise in der Forschung wiederfinden. (Vgl. RECHTER David. Western and Central European Jewry in the modern Period 1750-1933. In: GOODMAN Martin (Hg.), The Oxford Handbook of Jewish Studies. Oxford 2011, S.384. Folgenden zitiert als RECHTER, Western and central european Jewry). Diese äquivalente Verwendung soll lediglich die geografischen beziehungsweise sprachlichen Grenzen dieser Konzepte und Betrachtungen erweitern. 78 Siehe BRENNER Michael/KAUDERS Anthony/REUVENI Gideon/ RÖMER Nils (Hgg.), Jüdische Geschichte lesen. Texte der jüdischen Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert. München 2003 sowie Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.119–125. 79 Vgl. HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008, S.181.

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aufweisen, aber sich auf das Metakonzept der Adaptierung oder Anpassung berufen und somit, wenn auch ungewollt, das Bild einer abgeschlossenen jüdischen und nichtjüdischen Lebenswelt erzeugen. Hierbei sind Konzepte zu erwähnen, die jüdische beziehungsweise nichtjüdische Geschichte aus einer separierten Perspektive betrachten, die nur bedingt auf das gemeinschaftliche Kollektiv eingehen, in denen sich die verschiedenen kulturellen Systeme befinden.80 Diese Zugänge, die sich auf jeweils jüdische (oder nichtjüdische) Geschichte fokussieren und damit diese Verflechtung vermeintlich auftrennen, haben dennoch ihre Berechtigung. Eine Schwerpunktlegung auf die jüdische Bevölkerung bei Untersuchungen schließt nicht aus, dass man von einer kulturellen, sozialen und ökonomischen Verknüpfung mit der nichtjüdischen Bevölkerung ausgeht.81

Ein weiterer Aspekt, der eine Darstellung verschiedener Ansätze begründet, ist die Entwicklung, welche die jüdisch-nichtjüdische oder die allgemeine Geschichtsforschung vollzogen hat. Diese Wandlungen beruhen auf der Auseinandersetzung mit bisher erschlossenem Wissen. Ergänzungen diesbezüglich führen zu einer ganzheitlicheren Abbildung dieser Beziehung.82 Es müssen nicht zwangsläufig Erweiterungen sein, sondern es ist ebenfalls möglich, bisherige Überlegungen hinsichtlich des multikulturellen Kontakts unter ein anderes Metakonzept zu stellen. Beispiele dafür sind die Assimilations- und Akkulturationsansätze. Beide beschäftigen sich zwar mit dem Kontakt verschiedener kultureller Systeme, aber unter der Prämisse der Anpassung einer vermeintlichen Minderheit an eine Mehrheit. Tauscht man das Konzept der Anpassung gegen eines aus, welches auf Interaktion beruht, ergeben sich andere Möglichkeiten. 83 Für ein besseres Verständnis eines Ansatzes, welcher auf den Verflechtungen mehrerer kultureller Systeme beruht, ist es unumgänglich, sich mit anderen Konzepten des Aufeinandertreffens sowie mit der jüdisch(-nichtjüdischen) Geschichtsschreibung auseinanderzusetzen. Dies ergibt sich die Möglichkeit, den bereits bekannten Problematiken zu entgehen.

Schlussendlich spiegeln die Ansätze, Konzepte und Methoden die Sichtweise auf das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis wider. Dies betrifft nicht nur die Verflechtungen der kulturellen Systeme, sondern ebenso die darin agierenden Individuen. Dies prägt die Selbst-

80 Vgl. ERNST Petra/LAMPRECHT Gerald, Konzeption des Jüdischen – Kollektive Entwürfe im Wandel. Einleitende Anmerkungen zum Thema. In: ERNST Petra/LAMPRECHT Gerald (Hgg.), Konzeption des Jüdischen. Kollektive Entwürfe im Wandel. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 11). Innsbruck 2009, S.9. Im Folgenden zitiert als ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, 2009. 81 Vgl. WERNER/ZIMMERMANN, Vergleich, Transfer, Verflechtung, 2002, 608–609. 82 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.31. 83 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.535.

Gregor Schweighofer 12 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

und Fremdwahrnehmung.84 Es lässt sich festhalten, dass die Geschichtsschreibung Auswirkungen auf die Rezeption der Geschichte hat. Des Weiteren hat sie Einfluss auf das historische Bewusstsein, welches zum Selbstbild beiträgt. Demnach enthält die Geschichts- schreibung eine identitätsstiftende Komponente und stellt damit einen wichtigen Faktor bei der Konstruktion der Identität dar.85 Diese Kenntnis findet Anwendung in verschiedenen Formen. Sie wird nicht nur zur Darstellung des Zusammenwirkens verwendet, sondern auch als Legitimation zur Exklusion und Abgrenzung, wie Gerald Lamprecht 86 aufzeigt. Die Deutung der Geschichte entsteht ebenso aus Kontakten und Interaktionen, daher ist eine Betrachtung des ‚Gesamtbildes‘ nachvollziehbar. Die folgenden Ausführungen, in welchen ich die diversen historiographischen Konzepte behandle, basieren auf kontakt- und interaktionsbasierten Überlegungen. Diese gehen davon aus, dass die Geschichtsschreibung ein Ergebnis eines Mit- sowie eines Gegeneinanders ist. Die jüdische wie auch nichtjüdische Geschichtsforschung ist demnach ein Produkt dieser Beziehung. Ein historischer Überblick über die jüdische(- nichtjüdische) Historiographie als eine Wegfindung bietet sich an, um die aufgegriffenen Konzepte, Theorien und Methoden, die sich im Laufe der Zeit entwickelten, darzustellen.

3.1 Die jüdische Geschichtsschreibung im Zeichen der Großnarrative

Eine nach moderner Auffassung und wissenschaftlichen Prinzipien betriebene jüdische Geschichtsschreibung beginnt im 19. Jahrhundert. Diese ging vor allem von Vertretern der ‚Wissenschaft des Judentums‘ aus. 87 Dadurch lassen sich Prozesse eines kulturellen Wandels wahrnehmen. Ein Merkmal für diesen ist, dass die Diasporaexistenz (oder Galut) für die Geschichtsdarstellungen Relevanz erlangte.88 Sie ist nicht länger eine Übergangsphase, sondern, wie Klaus Hödl 89 anmerkt, „eine Zeit, in der Juden ihr zeitgenössisches Leben

84 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.180. 85 Vgl. BRILL Andrea, Historisches Bewußtsein als ein Kriterium jüdischer Identität. In: HÖDL Klaus (Hg.) Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 6). Innsbruck 2004, S.257. 86 Vgl. LAMPRECHT Gerald, Geschichtsschreibung als konstitutives Element jüdischer Identität. „Um über dieses Befugnis oder Nichtbefugnis der Juden gründliche antworten zu können, ist es nöthig, voerst einen Blick in die Geschichte des Landes zu thun“. In: HÖDL Klaus (Hg.) Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 6). Innsbruck 2004, S.145. Im Folgenden zitiert als LAMPRECHT, Geschichtsschreibung als konstitutives Element, 2004. 87 Vgl. BRENNER Michael, Von einer jüdischen Geschichte zu vielen jüdischen Geschichte. In: BRENNER Michael/MYERS David, Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.33. Im Folgenden zitiert als BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002. 88 ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.34. 89 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.120.

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gestalten und entwickeln.“90 Dadurch formte sich eine neue Wahrnehmung der jüdischen Existenz und auch eine neue Betrachtungsweise des sozialen Gefüges, in dem sie lebten.

Zwei als bedeutend wahrgenommene Repräsentanten der Großnarrative waren Isaak Markus Jost und Heinrich Graetz. Beide setzten sich in differenzierter Form mit jüdischer Geschichte auseinander. Dies zeigt sich in ihren unterschiedlichen Motiven und Intentionen. Jost ging es um eine Emanzipation des Judentums, Graetz hingegen um ein Bewusstsein der jüdischen Bevölkerung für die eigene Kultur und Geschichte. 91 Graetz‘ Narrativ beruht auf Verfolgung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung.92 Doch kann man dieses Verhältnis nicht nur darauf beschränken, wie das Zusammenwirken von jüdischen und nichtjüdischen Soldaten in den k.u.k. Streitkräften zeigt. Des Weiteren finden sich bei beiden jeweils eine religiöse und eine nationale Auslegung des Jüdischseins.93 Gemeinsam ist beiden, dass sie die Geschichte der Juden außerhalb einer eigenen Nation als ein Teil der Diaspora-Geschichte ansahen, der dennoch eine von Bedeutung hat.94 Das Aufgreifen des Diaspora-Motivs führt zu einer weiteren Leitfrage Moshe Rosmans:95 Was bedeutet der Galut für das jüdisch- nichtjüdische Miteinander im Ersten Weltkrieg?

Die Diasporaexistenz ist ein zentraler Aspekt der jüdischen Geschichte, wenn man bedenkt, wie ‚lange‘ sie andauert. Im Fall Österreich gibt es Belege dafür, dass sich eine jüdische Bevölkerung bereits im 12. Jahrhundert ansiedelte; davor kam es bereits durch diverse Handelsbeziehungen zu Begegnungen. Eine Bewertung, die Rosman 96 zur Diaspora fordert und die, wie Michael Brenner 97 zeigt, positiv oder negativ sein kann, erweist sich als äußerst schwierig, denn sie hängt von zahlreichen Einflussfaktoren ab. Dadurch ist eine allgemeingültige Beurteilung kaum möglich und daher sieht diese Arbeit die Diaspora als etwas Gegebenes an. Gänzlich kann man auf eine ‚Gut-Schlecht-Kategorisierung‘ nicht verzichten, da es zur Wiedergabe solcher Beurteilungen von Forschenden kommt. Eine deskriptive Haltung

90 Ebda. 91 Vgl. WYRWA Ulrich, Die europäische Dimension im Werk von Isaak Markus Jost, Heinrich Graetz und Martin Phillipson. In: HÖDL Klaus (Hg.) Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 6). Innsbruck 2004, S.100–103. Im Folgenden zitiert als WYRWA, die europäische Dimension, 2004. 92 Vgl. PYKA Marcus, Der Held als Schwächling? oder: Ein gemischter Charakter. Zur „biographischen Methode“ in der Geschichte der Juden von Heinrich Graetz. In: HÖDL Klaus (Hg.) Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 6). Innsbruck 2004, S.109–118. 93 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.18–19, Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.120 sowie vgl. WYRWA, die europäische Dimension, 2004, S.100–103. 94 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.160. 95 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.38. 96 Vgl. ebda., S.38. 97 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.22–23.

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wird eingenommen. Es ist noch darauf hinzuweisen, dass die geäußerte Kritik Brenners über die Einschätzung der Diaspora ein Beleg für die Uneinheitlichkeit der jüdischen Geschichts- schreibung ist.98

Eugen Taeubler 99 sah die jüdische Geschichte nicht mehr als einen Aspekt der Diaspora an, sondern als eine eigenständige jüdisch-nichtjüdische Geschichte, die ein Teil der jüdischen und nichtjüdischen Geschichte ist. Taeublers Auslegung stand zwar unter dem Aspekt der Akkulturation, aber nicht mehr unter dem der Assimilation. 100 Er legte seinen Fokus mehr auf die Erfolge der Inklusion als die Folgen der Exklusion und auf die jüdisch-nichtjüdische Beziehung. Ihm folgte Selma Stern 101 und sie ergänzte, dass sich dieses Verhältnis nicht nur durch Anpassung erklärt. An diesen Grundgedanken knüpft diese Untersuchung der k.u.k. Streitkräfte an. Die Herangehensweise Eugen Taueblers und Selma Sterns102 baut auf einer historisch-hermeneutischen Methode auf. Der Umgang mit Quellen bildet die Basis für die allgemeine Geschichtswissenschaft. Diese Herangehensweise ergänzt und flankiert man inzwischen mit „sozial- und kulturorientierten, dekonstruktivistischen Ansätzen.“ 103 Dabei ist es nicht notwendig, wie Andreas Zick 104 anführt, neue Quellen zu erschließen, sondern bereits vorhandene einer ‚Re-Analyse‘ zu unterziehen.

Den Beginn eines sozialen Narrativs machte Simon Dubnow 105 , indem er einen institutionsgeschichtlichen Ansatz verfolgte. Dies eröffnete die Möglichkeit, die jüdische Vergangenheit als einen „nationalen und sozialen Organismus darzustellen“ 106 , deren Zusammenhalt auf den jüdischen Institutionen gründet. Mit seinem ‚soziologischen Vorgehen‘, wie es Dubnow selbst nannte, erschuf er eine neue Erzählweise, welche von der Geistes- zur Sozialgeschichte überging. Die jüdische Bevölkerung sah man als eine Nation, die keinen Staat zur Entfaltung benötigte.107

98 Vgl. ebda., S.23. 99 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.160. 100 Die Begriffsbestimmung und die Problematiken, die sich durch diese Herangehensweisen ergeben, greift man später noch auf und erläutert sie etwas ausführlicher. 101 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.160. 102 Hier ist anzumerken, dass Tauebler und Stern keine Vertreter der ‚Großnarrative‘ sind, sondern sie stehen im Kontext der Bewertung der Diasporaexistenz und der methodischen Überlegungen. 103 Ebda., S.183. 104 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.583. 105 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.120. 106 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.165. 107 Vgl. HILBRENNER Anke, Jüdische Geschichtsschreibung als Arbeit am nationalen Gedächtnis. Der kahal als Erinnerungsfigur in Simon Dubnows historischer Meistererzählung. In: HÖDL Klaus (Hg.) Historisches Bewusstsein im jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 6). Innsbruck 2004, S.122. Im Folgenden zitiert als HILLBRENNER, Dubnows historische Meistererzählung, 2004 sowie vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.21.

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Simon Dubnow wandte sich von wesentlichen Aspekten der bisherigen Geschichts- schreibung ab. Einerseits machte er die Situation der Protagonisten von der politisch-sozialen Autonomie abhängig und nicht mehr von „der Höhe der Gelehrsamkeit“. 108 Mit diesem Schritt bereitete er den Weg vor, damit Mitglieder der jüdischen Bevölkerung unabhängig von ihrem sozialen Status in den Fokus rücken konnten, obwohl Dubnow die jüdische Nation eher durch die Institutionen vertreten sah als durch den Einzelnen. Andererseits wandte er sich von der ‚Leidensgeschichte‘ (oder ‚Tränengeschichte‘) ab. Damit betrachtete man die jüdische Bevölkerung nicht mehr als verfolgte Minderheit, sondern als festen, aber separierten Bestandteil des Raums einer nichtjüdischen ‚Mehrheit‘. Dadurch kann dieser Teil der Gesellschaft nach außen wirken und Einfluss nehmen. Dies wiederum bildet die Basis für die Betrachtung einer Wechselbeziehung. 109

Ein weiterer Vertreter des sozialhistorischen Ansatzes war Salo Wittmayer Baron. Dieser brach noch stärker mit der ‚tränenreichen Erzählweise‘. Er zeigte auf, dass Teile der jüdischen Bevölkerung sozial und rechtlich besser gestellt waren als einige der nichtjüdischen. Damit relativiert er nicht die Diskriminierung und die Gewalt gegenüber den Juden, sondern er stellt fest, dass die Geschichte nicht ausschließlich aus diesen Komponenten besteht. 110 Des Weiteren bettet er diesen Teil der Darstellung der Vergangenheit in einen allgemeinen ein, denn er war der Überzeugung, „die Lage der Juden in den einzelnen Ländern sei einerseits vom innerjüdischen Anspruch und anderseits von den äußeren, durch die nichtjüdische Umwelt angebotenen Möglichkeiten abhängig gewesen.“ 111 Dies hatte die Bestrebung, die jüdische Geschichtsforschung aus der Isolation zu holen und die Komponente der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung hinzuzufügen. Geht man nach Brechenmacher und Szulc, ist dieses Verhältnis ein einseitiges. Die Außenwirkung, die Dubnow anspricht, vernachlässigt man dabei. 112 Welche Erkenntnisse lassen sich aus Barons Ansatz nun erschließen? Auf der einen Seite wendet er sich

108 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.165 sowie vgl. STANISLAWSKI Michael, Eastern European Jewry in the modern period: 1750-1739. In: GOODMAN Martin (Hg.), The Oxford Handbook of Jewish Studies. Oxford 2011, S.399. Im Folgenden zitiert als STANISLAWSKI, Eastern Europe Jewry, 2011. 109 Vgl. HILLBRENNER, Dubnows historische Meistererzählung, 2004 , S.121–122; vgl. BRECHEN- MACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.165 sowie vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.121. 110 Vgl. HEIL Johannes. Jüdische Weltgeschichte und globale Geschichte – Alte Paradigmen und neue Fragen. Antrittsvorlesung am Ignatz-Bubis-Lehrstuhl für Geschichte, Religion und Kultur des europäischen Judentums der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. In: HEIL Johannes/KROCHMALNIK Daniel (Hgg.) Jüdische Studien als Disziplin – Die Disziplinen der Jüdischen Studien. Festschrift der Hochschule für Jüdische Studie 1979–2009. (= Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg 13). Heidelberg 2009, S.106–107. Im Folgenden zitiert als HEIL, Jüdische Weltgeschichte, 2009. 111 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.165 112 Vgl. ebda., S.164–165.

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von der ‚Leidensgeschichte‘ ab, auf der anderen Seite sieht Baron das Leben der jüdischen Bevölkerung und deren gesellschaftliche Entwicklung geprägt von internen Prozessen sowie Einflüssen von außen. 113 Es gelang ihm, den Vorsatz umzusetzen, die Separation der jüdischen Geschichtsschreibung aufzubrechen, wobei der Versuch der Umsetzung wohl schon ausreicht. Michael Meyer oder Ismar Schorsch 114 kritisieren dabei, dass Baron die jüdische Geschichte in einem zu geringen Ausmaß in die nichtjüdische einfügt. Wie würde man diese Umsetzung werten, wenn Salo Baron keinen Bezug zum Jüdischsein hätte?115 Die Frage kommt auf, ob „die jüdische Geschichte heute mit derselben Offenheit diskutiert [wird] wie andere Geschichte.“116 Zentral für diese Arbeit ist jedoch, dass man das jüdisch-nichtjüdische Miteinander aufgreift, denn die Ausführungen Simon Dubnows und Salo Barons verdeutlichen die jüdisch-nichtjüdische Wechselwirkung. 117

Die Großnarrative von Isaak Jost, Heinrich Graetz, Simon Dubnow und Salo Baron wirken bis heute nach; damit kann man sie als Basis für die weiteren Geschichtsforschungen betrachten.118 Doch das Konzept eines Großnarrativs, wie es Michael Meyer versteht, wirkt inzwischen nicht mehr passend. An Stelle von solchen Einzelarbeiten traten kollektive Arbeiten, die sich auf begrenzte Räumlichkeiten bezogen. Dass die jüdische Geschichte nicht von einzelnen Historikern bewältigt werden konnte, erkannte auch Ismar Elbogen, der sich bereits in den 1920er-Jahren an eine derartige Gemeinschaftsarbeit wagte.119

3.2 Die jüdische Geschichte nach der Shoa

Die Herrschaft des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg sowie die Shoa beziehungsweise der Holocaust sind eine Zäsur für die jüdische (und nichtjüdische) Geschichte und ihre Forschungen.

Jede Studie zur modernen jüdischen Geschichte der letzten fünfzig Jahre wird im unauslöschlichen Wissen um das Schicksal der europäischen Juden geschrieben und muß mit

113 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.120. 114 Vgl. MEYER Michael, Streitfragen in der zeitgenössischen jüdischen Historiographie. In: BRENNER Michael/MYERS David, Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.36-43. Im Folgenden zitiert als MEYER, Streitfragen, 2002, S.38. 115 Vgl. ebda., S.38. 116 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.28. 117 BRENNER Michael, Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert. München 2006, S.165–166. Im Folgenden zitiert als BRENNER, Propheten des Vergangenen, 2006. 118 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, S.18.Dies zeigt sich auch etwas später bei der Auseinandersetzung der Ansätze der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Beispiel hierfür wäre Barons und Dubnows Abkehr von der Leidensgeschichte beziehungsweise die Fokussierung auf die rein negativen Aspekte des jüdisch-nichtjüdischen Zusammenlebens. Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.122. 119 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.18.

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anderen Augen gelesen werden als ein Geschichtswerk, das vor den dreißiger Jahren entstand. 120

Die Geschichtsforschungen nach 1945 behandelten zum größten Teil das Schicksal der europäischen Juden. Es ging hauptsächlich um die Frage, wie eine solche systematische Vernichtung möglich war.121 Daraus erfolgte, wie Klaus Hödl122 beschreibt, eine erneute Hinwendung zur ‚Leidensgeschichte‘, da ein Abwendung davon vielen unangemessen erschien. Das ‚tränenreiche Narrativ‘ fand dabei eine große Resonanz. Dies soll nicht bedeuten, dass es keine Stimmen in der Forschung gab, die sich dagegen aussprachen, die jüdisch-nichtjüdische Geschichte ausschließlich aus der Perspektive der Verfolgung und der Ermordung zu betrachten. 123 ‚Beide‘ Sichtweisen lassen sich in der Gesamtdarstellung von Michael Mayer und Michael Brenner finden. Sie bedienen sich dabei des Elements, welches besagt, dass die jüdische Geschichte ein Bestandteil der jüdischen wie auch der nichtjüdischen ist, die sich zwar nicht durch Verfolgung und Diskriminierung definiert, diese aber auch nicht verbirgt. 124 Die Fortsetzung einer ‚gemeinsamen‘ Geschichtsschreibung zeigt, dass trotz der Ereignisse der Shoa das jüdisch-nichtjüdische Zusammenleben im deutschsprachigen Raum nicht gescheitert war. 125

Eine andere Folge des Holocausts war und ist, dass das Interesse an der jüdischen Geschichte zunahm. Damit kam es auch zu Kontakten, Interaktionen und Kooperationen zwischen der nichtjüdischen und der jüdischen Bevölkerung, was umfangreiche Forschungs- tätigkeiten auslöste.126 Durch diesen Sachverhalt in Kombination mit dem Umstand, dass man die jüdisch-nichtjüdische Geschichte als ein Teil der allgemeinen Geschichte und umgekehrt ansieht, ist es nicht verwunderlich, dass sich mit der Zeit nicht nur jüdische Forschende mit dieser Thematik auseinandersetzten, sondern ebenso nichtjüdische.127 Es entbehrt jedoch nicht „einer bedrückenden Ironie der Geschichte“ 128 , wie es Klaus Hödl in Hinblick auf die

120 BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, 2002, S.23. 121 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.165. sowie vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.122. 122 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.122. 123 Vgl. ebda., S.162. 124 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.164. 125 Vgl. ebda., S.163–164. 126 Vgl. MYERS David, Selbstreflexion im modernen Erinnerungsdiskurs. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.55–74. Im Folgenden zitiert als MYERS, Selbstreflexion, 2002, S.63 127 Vgl. HÖDL Klaus, Zwischen den Welten. Jüdische Studien und kulturelle Selbstreflexion. In: HÖDL KLAUS (Hg.), Jüdische Studien. Reflexion zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2003, S.169-198. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Zwischen den Welten, 2003, S.171–172. 128 HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.124.

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Entwicklungen der jüdischen Historiographie nach 1945 formuliert, dass die Ereignisse des Holocausts dazu führten, dass die „dynamische und strukturierte Interaktion zwischen Juden und Nichtjuden“ 129 , wie David Myers sie beschreibt, in den Fokus rückte. Diese Beschreibung der Beziehung steht in Zusammenhang mit dem Einzug des ‚linguistic turn‘ und der Diskursanalyse in die Geisteswissenschaften.130

Die Vorgehensweise der jüdischen Historiographie der Nachkriegszeit unterschied sich von der ‚allgemeinen‘ Geschichtsforschung. Die letztere war hauptsächlich von einer sozialhistorischen Herangehensweise geprägt. Die Untersuchungen der jüdischen Geschichte beruhten hauptsächlich auf einer „geistlichen und religiösen Strömung“ 131 . Dieser Umstand änderte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da es zu einer Annäherung an die ‚allgemeinen‘ historischen Forschungen kam. Ob es eine Annäherung war oder ob sich die Ansätze von Simon Dubnow und Salo Baron einfach fortsetzten, sei dahingestellt. 132 In jedem Fall wäre es als eine Interaktion und Kooperation zu betrachten. 133 Die Überlegungen und Ansätze der 1960er- und vielmehr der 1970er-Jahre scheinen die heutigen Forschungen im Bereich der jüdisch-nichtjüdischen Geschichte am meisten stärksten geprägt zu haben, obwohl Phillip von Wussow anmerkt, dass dieses Fortwirken bereits als ein „post-postmodernes Denken“ 134 zu verstehen ist. Das vermehrte Aufkommen des postmodernen und relativistischen Denkens eröffnete neue Perspektiven und führte zu verschiedenen Ansätzen (Geschlechtergeschichte, transnationale Geschichte oder hybride Konstruktionen), wie Thomas Brechenmacher und Michał Szulc 135 anführen. Diese drangen ebenfalls in die jüdisch- nichtjüdische Geschichtsforschung vor. Obwohl Michael Brenner 136 ausdrückt, „[…], dass der […] diskutierte Postmodernismus natürlich selbst der Vergangenheit angehört“, finden, wie er bezüglich der jüdisch-nichtjüdischen Geschichte ausführt, „[…] die meisten modernen Tendenzen erst dann in die Geschichtsschreibung Eingang […], nachdem sie schon eine Weile

129 MEYER, Streitfragen, 2002, S.36. 130 Diese Ausführung sollte nur andeuten, dass diese Herangehensweise in Verbindung mit der Einsicht steht, dass eine mehrdimensionale jüdisch-nichtjüdische Beziehung besteht und verbale wie auch nonverbale Interaktionen ein relevanter Aspekt dabei sind. (Vgl. BRECHEN-MACHER/SZULC, Neuere deutsch- jüdische Geschichte, 2017, S.169.) 131 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123. 132 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10 sowie vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123. 133 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123. 134 Vgl. von WUSSOW Phillip, Jüdische Theoriegeschichte (1843-1941). Ein methodologischer Vorschlag. In: transversal 14 Jg. (2013) Nr.1, S.82–83. Im Folgenden zitiert als von WUSSOW, Jüdische Theoriegeschichte, 2013. 135 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171–174. 136 Vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, S.34.

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im allgemeinen historiographischen Rahmen diskutiert worden sind.“ 137 Ob dies ein Sonderfall der jüdisch-nichtjüdischen Geschichte ist, ergänzt er nicht.

Brenner führt zum Postmodernismus aus, dass es dabei nicht um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ gehe, sondern um das Aufzeigen, wo sich die (Geschichts-)Forschung derzeit „auf unserer unaufhörlichen Suche nach einer stets schwer faßbaren Wahrheit“ 138 befindet. Es ergibt sich eine Ähnlichkeit zur Sichtweise von Martin Goodman 139 , welcher für eine Förderung verschiedener Zugänge plädiert. Das Aufgreifen diverser Ansätze, Theorien oder Narrative in dieser Arbeit ist als ein Nachkommen der Forderung Michael Brenners, einen Ist-Zustand der Forschung aufzuzeigen, zu verstehen. Dies bedeutet nicht, dass man keinen speziellen Zugang als zielführender erachten kann, sondern man möchte lediglich darauf, dass der Ansatz es auch nicht sein kann. Daher ist eine Kritik an Ansätzen des Postmodernismus sowie an deren ‚Gebrauch‘ in der Geschichtsforschung berechtigt. Yosef Yerushalmi kritisiert ihn und misst ihm wenig Bedeutung bei, doch in seinen weiteren Ausführungen erkennt er zwar die Leistungen, die mit Überlegungen und Methoden des Postmodernismus einhergehen, sieht aber keinen Einfluss des postmodernen Denkens darin.140

In den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhundert kam es zu einem verstärkten Interesse an der Judaistik beziehungsweise an den Jüdischen Studien im deutschsprachigen Raum. 141 Die Judaistik und die Jüdischen Studien unterscheiden sich, wie es Steven Beller 142 auslegt, folgendermaßen:

Whereas Judaistik is largely about viewing Jewish culture and Jewish heritage as a distinct whole from the centre out, the centre of gravity of Jewish Studies is that point where the Jewish and non-Jewish experiences meet. 143

Diese Ausführungen Bellers stehen in einem Bezug zu Moshe Rosmans 144 Grundfragen. „How Do the jews fit into history?“ oder inwieweit ist die jüdische Geschichte in die allgemeine

137 BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, S.34. 138 Ebda. 139 Vgl. GOODMAN Martin, The Nature of Jewish Studies. In: GOODMAN Martin (Hg.), The Oxford Handbook of Jewish Studies. Oxford 2011, S.11. Im Folgenden zitiert als GOODMAN, The Nature of Jewish Studies, 2011. 140 Vgl. YERUSHALMI Yosef, Jüdische Historiographie und Postmodernismus. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.81. Im Folgenden zitiert als YERUSHALMI, Jüdische Historiographie und Postmodernismus, 2002, sowie vgl. BRECHEN-MACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.170. 141 Vgl. KEIL Martha, Österreichische Geschichtsschreibung zu jüdischen Themen nach 1945. In: transversal 14 Jg. (2013) Nr.1, S.45–46. Im Folgenden zitiert als KEIL, Österreichische Geschichtsschreibung, 2013 sowie vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.124. 142 Vgl. BELLER, Knowing your Elephant, 2003, S.16. 143 Ebda. 144 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.43.

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verwoben? Diese Arbeit geht von einem starken Ineinandergreifen aus. Diese Auffassung ist nicht neu, wie Klaus Hödl 145 erwähnt. Es zeigen sich verschiedene (Meta-)Konzepte, wie das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis zu deuten ist. Zum einen sind es Konzepte des Miteinanders, welche auf Anpassung beruhen, zum anderen die Ansätze, die abgrenzen. Diese müssen einander nicht ausschließen. Eine bloße Koexistenz reicht Martin Goodman 146 jedoch nicht aus, sondern er fordert eine Kooperation. Beller erklärt dies folgendermaßen:

Jewish Studies, in order to understand its subject fully, can run the gamut of Jewish experience, entering the realm of Judaistik for knowledge about traditional views and the view from established bastions of Jewish life. 147

Daher erfolgt zur Beschreibung der Verbindung nicht nur eine Darstellung der Beziehungs- konzepte, welche auf dem Anpassungsparadigma aufbauen, sondern auch die der abgrenzenden Konzepte. 148 Zum Abschluss dieses Überblicks zur Geschichte der jüdischen Geschichte sei angemerkt, dass sich diese ‚Begeisterung‘ für jüdische Geschichte im deutschsprachigen Raum zu Beginn des 21. Jahrhunderts legte. Aber dies ist kein nachvollziehbarer Grund, warum keine weiteren Untersuchungen in diesem Forschungsfeld stattfinden sollten. Es berechtigt hingegen eine solche Arbeit umso mehr. 149 4 Ansätze der Anpassung und Abgrenzung

Zur Darstellung der jüdisch-nichtjüdischen Geschichte des Miteinanders begeben wir uns zurück in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit der (erneuten) Hinwendung der allgemeinen Geschichtsforschung und der jüdischen(-nichtjüdischen) Historiographie zur Sozialgeschichte trat vermehrt die Frage „nach der Rolle der Juden im gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozess“ 150 auf. Es fand eine Fokussierung auf die komplexen Verflechtungen der Beziehungen statt. Die Betrachtung dieses Verhältnisses erfolgte unter dem Paradigma der Anpassung, zunächst mit Konzepten der Assimilation.151 Auch wenn sich eine Vielzahl der Forschenden mit den interkulturellen Beziehungen auseinandersetzte, bestand die jüdische

145 Vgl. HÖDL Klaus, Der Platz der allgemeinen Geschichte in Jüdischen Studien. In: TRUMAH 17 Jg. (2008) Nr.1, S.60. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008. 146 Vgl. GOODMAN, The Nature of Jewish Studies, 2011, S.11. 147 BELLER, Knowing your Elephant, 2003, S.16. 148 Des Weiteren stellen separierende Ansätze auch eine Form der Betrachtungsweise des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders oder eher Gegeneinanders dar. 149 Vgl. KEIL, Österreichische Geschichtsschreibung, 2013, S.45–46. 150 HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10. 151 Vgl. ebda., S.10–11.

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Geschichtsschreibung, die gesamtgesellschaftliche Entwicklungen ausblendete, fort. 152 Beide dieser Ansätze veränderten und entwickelten sich im Verlauf der Zeit, dennoch sind sie (in ihrem jeweiligen Grundgedanken) auch in der heutigen Forschung noch gängig. Die Absicht hinter dieser Darstellung ist, aufzuzeigen, ob man mit ihnen die Aspekte der jüdisch- nichtjüdischen Beziehung vollständig 153 darstellen kann. Diese Überprüfung beinhaltet das Herausarbeiten von Elementen, die sinnvoll für Konzepte der Begegnung und Interaktion erscheinen.

4.1 Ansätze der Abgrenzung

Der Überblick über den methodischen und inhaltlichen Wandel der jüdisch-nichtjüdischen Historiographie Arno Herzigs154 zeigt, dass man sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts einer sozialgeschichtlichen Vorgehensweise in diesem Bereich bediente. Dies entspricht Klaus Hödls 155 Darstellung einer ‚Angleichung‘ an die allgemeine Geschichtsforschung. Prinzipiell fasst Herzig die Herangehensweisen dieser Zeit in zwei Ansätzen zusammen: „Einmal der sektoriale Ansatz: die historische Entwicklung der jüdischen Minderheit wurde dargestellt bei weitgehender Ausblendung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.“156 Dieser Ansatz bedingt, dass man die jüdische Bevölkerung und ihre Geschichte isoliert darstellt, daher fehlen bei diesen Ansätzen die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge. Die Annahme einer separierten Darstellung der jüdischen Vergangenheit ist unvollständig, da man konkrete ‚nichtjüdische‘ Ereignisse, die die jüdische Bevölkerung betreffen, ausblendet.157

Diese Verzerrung erschwert das Verständnis der Geschichte. Ein Beispiel dafür wäre eine sektoriale Darstellung der Haskalah (auch als die jüdische Aufklärung bekannt). Dieser Prozess ist schwer nachvollziehbar, wenn man das gesamtgesellschaftliche Phänomen der Aufklärung nicht berücksichtigt. Des Weiteren zeigt dies die Verbindung zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Bevölkerung auf. Auch wenn man davon ausgeht, dass das

152 Diese Abgrenzung entwickelte sich weiter und ist inzwischen so zu verstehen, dass es sich dabei vielmehr um eine Schwerpunktlegung handelt, daher kommt sie bei der Darstellung des jüdisch-nichtjüdischen Zusammen- und Entgegenwirkens vor. 153 Dabei ist anzumerken, dass in diesem Kontext ‚vollständig‘ folgendermaßen zu verstehen ist: Die Bezeichnung ‚vollständig‘ bezieht sich auf keine Gesamtdarstellung, sondern auf Ansätze und Methoden, welche die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden in den k.u.k. Streitkräften möglichst verzerrungsfrei darstellen können und wesentliche Komponenten der interkulturellen Verflechtung berücksichtigen. 154 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10. 155 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123. 156 HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10. 157 Vgl. HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008, S.60.

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Zeitalter der Aufklärung nur eine einseitige Beeinflussung (von der nichtjüdischen Seite ausgehend) erfuhr, führte diese dazu, dass sich beide Seiten weiter annäherten. 158

Diese Annäherung und der Kontakt waren keine Phänomene, welche ausschließlich während des Josephinismus aufkamen.159 Wie Eveline Brugger, Martha Keil, Albert Lichtblau, Christopher Lind sowie Babara Staudinger 160 aufzeigen, kam es immer wieder zu Berührungen zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Bevölkerung auf den Gebieten der Habsburgermonarchie. Im Zuge dieses Aufeinandertreffens erfolgten Interaktionen. Dieser Austausch, wie ihn Heiko Haumann 161 darstellt, formt und beeinflusst die Lebenswelten. Die Kontakte zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung fanden in zahlreichen Bereichen des Lebens statt. Ob man die Streitkräfte der Habsburgermonarchie als so ein Begegnungsort verstehen kann, führt uns zur Frage, ab wann das Militär (männlichen) Mitgliedern der jüdischen Bevölkerung überhaupt zugänglich war. 162 Diese lässt sich mit dem Jahr 1788 beantworten, denn ab diesem erfolgte die Rekrutierung jüdischer Bürger. Dieser Einsatz beschränkte sich jedoch nur auf den militärischen Verband des Fuhrwesens. In diese Zeit fällt ebenso der letzte ‚Türkenkrieg‘ zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich.163

Ein interessanter Aspekt ist, dass weniger militärische und strategische Überlegungen eine Rolle gespielt haben dürften, denn der Hofkriegsrat äußerte Bedenken und wollte sich mit der Einberufung der Juden erst nach dem Ende des Konflikts auseinandersetzen. Vielmehr hatte die Hofkanzlei Interesse daran, mit dieser Maßnahme die jüdische Bevölkerung in die

158 Vgl. SCHUBERT, Geschichte des österreichischen Judentums, 2008, S.66 sowie vgl. VOCELKA Karl, Geschichte Österreichs. Kultur – Gesellschaft – Politik. München 2002, S.254. Im Folgenden zitiert als VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002. 159 Diese Reformen sind nicht unerheblich für das jüdisch-nichtjüdische Mit- und Gegeneinander in den Streitkräften der Habsburgermonarchie, wenn sie nicht sogar die Grundlage dafür bilden. (Vgl. SCHMIDL Erwin, Jüdische Soldaten in der k.u.k. Armee. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 46. Im Folgenden zitiert als SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014.) 160 Siehe WOLFRAM Herwig (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich. (= Österreichische Geschichte 15). Wien 2006. 161 Vgl. HAUMANN Heiko, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung in den Jüdischen Studien: Das Basler Beispiel. In: HÖDL KLAUS (Hg.), Jüdische Studien. Reflexion zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2003, S.113. Im Folgenden zitiert als HAUMANN, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung, 2003. 162 In Kombination kann aber eine ausführliche Beantwortung in Hinblick auf Anzahl, Einsatzgebiet und Tätigkeiten der jüdischen Soldaten Hinweise darauf geben, wo es zu Begegnungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern der Streitkräfte der Habsburgermonarchie kam. 163 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.46 sowie vgl. BRÜCKMÜLLER Ernst, Österreichische Geschichte. Von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Wien 2019, S.246. Im Folgenden zitiert als BRUCKMÜLLER, Österreichische Geschichte, 2019.

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allgemeine (vorwiegend nichtjüdische) Gesellschaft zu integrieren.164 In der Korrespondenz zwischen Hofkanzlei und Hofkriegsrat verwendete man dafür folgenden Wortlaut, der verschiedene Deutungen zulässt: „die Juden […] in eine nützliche Klasse der Menschen umzugestalten und ihre Anzahl zu vermindern.“165 Unabhängig davon, welche Absichten dazu führten, dass man Juden zum Militärdienst einberief, war die Habsburgermonarchie das erste Land Kontinentaleuropas, welches dies tat. 166 Dass die jüdischen Männer vom Wehrdienst verhältnismäßig ‚lange‘ Zeit ausgenommen waren, lag daran, dass sie das Privileg 167 besaßen, vom Militärdienst freigestellt zu sein. Diese Freistellung beruhte auf dem Verzicht, sich selbst zu verteidigen, indem sie eine Waffe trugen. Dafür erhielten sie Schutz durch die herrschende Instanz. Dies kann man als ein Waffenverbot auslegen. 168

Die Rekrutierung der jüdischen Männer steht mit der Aussage in einem Zusammenhang, die besagt, dass sich gesamtgesellschaftliche Prozesse, welche außerhalb der jüdischen Gesellschaft verliefen, auch auf diese und ihre Geschichte auswirkten. Dies steht den Annahmen eines sektorialen Ansatzes entgegen.169 In diesem Kontext sind die militärische Reformen Maria Theresias und Josephs II. zu nennen, die zur Einberufung jüdischer Männer führten.170 Dies hatte wiederum Auswirkungen auf die weitere Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden, a. Auch wenn sie die Streitkräfte der Habsburgermonarchie zunächst ‚nur‘ zu einem jüdisch-nichtjüdischen Begegnungsort machten.171 In Anbetracht dessen, dass dieser jüdisch-nichtjüdische Kontaktort durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen erschaffen

164 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.47. 165 SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.47 166 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.46 sowie vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.155. 167 Ob es sich, um ein wirkliches Privileg handelte, ist vom räumlichen und zeitlichen Kontext abhängig. So wurde das „privelegium honorabile zum privilegium odiosum“ (SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.46.) Abgesehen davon, wie man dieses Privileg wertet, stellt dieser Sachverhalt das bereits erwähnte Geschichtsbild von Salo Baron exemplarisch dar. Ein Bild, das nicht nur von der Benachteiligung der jüdischen Bevölkerung geprägt war, sondern eines, bei dem sie vermeintliche Vorteile gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft besaß. Dieser Sachverhalt traf demnach auch auf die Habsburgermonarchie zu. (Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123.) 168 Vgl. BRUGGER Evelin, Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung – Juden in Österreich im Mittelalter. In: WOLFRAM Herwig (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich. (= Österreichische Geschichte 15). Wien 2006, S.135–136. Im Folgenden zitiert als BRUGGER, Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung, 2006 sowie vgl. HILSCH Peter, Das Mittelalter – die Epoche. Konstanz/München 2012, S.153. Im Folgenden zitiert als HILSCH, Das Mittelalter, 2012. 169 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10. 170 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.158 sowie SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.21. 171 Mit den Streitkräften der Habsburgermonarchie als jüdisch-nichtjüdischer Begegnungsort ab dem Zeitpunkt der Einberufung jüdischer Männer zum Fuhrwerk und die weiteren Entwicklungen dahingehend wird sich in einem späteren Kapitel ausführlicher auseinandergesetzt. Der Fokus liegt hierbei eher auf den jüdischen Akteuren, dabei sollen aber die jüdisch-nichtjüdischen Kontakte und Interaktionen nicht vernachlässigt werden.

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wurde, ist der sektoriale Ansatz für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung nicht ertragreich. Wenn man ihn jedoch als eine Fokussierung auf die Geschichte der jüdischen Bevölkerung versteht, setzt man ihn dennoch bei der Eruierung der Kontaktorte fort. Obwohl keine explizite Nennung dieser Entwicklungen erfolgt, sind sie dennoch vorhanden. Würde man jedoch ständig auf alle Verbindungen und Zusammenhänge verweisen, ergäbe sich das Problem wie bei den Ausführungen von Salo Baron:172 Die Darstellung wird zu weitläufig und man könnte das eigentliche Thema nicht mehr erfassen. Die Problematik des sektorialen Ansatzes besteht darin, dass er eben zu wenig, Arno Herzig verweist darauf mit „weitgehender Ausblendung“ 173 , auf diese Verbindungen eingeht und den Eindruck einer Isolation erweckt. Durch Miteinbeziehung der multidimensionalen Beziehung kann dieser Ansatz teilweise Anwendung finden, doch allein reicht er nicht aus.

4.2 Ansätze der Anpassung (Assimilation und Akkulturation)

Da sich der sektoriale Ansatz nur unter gewissen Bedingungen als relevant für die zu behandelndte Thematik herausgestellt hat, blicken wir auf den zweiten Ansatz, den Herzig 174 vorstellt: „[…] der integrative Ansatz, der die Entwicklung jüdischer Geschichte […] als gesamtgesellschaftlichen Prozess, also als deutsch-jüdische Geschichte“175 beschreibt. Wenn wir den Grund der Aufnahme jüdischer Männer in die militärischen Verbände zurückblicken, ist wohl der Aspekt der Integration (beziehungsweise Inklusion) entscheidend. Daher liegt es nahe, dass sich der ‚integrative‘ Ansatz dafür eignet, um die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden möglichst adäquat darzustellen, damit keine Aspekte und Bereiche dieses Verhältnisses unabsichtlich ausgelassen werden. 176

Erneut soll die Korrespondenz zwischen der Hofkanzlei und dem Hofkriegsrat als Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen herhalten. In diesem Schreiben wird angedeutet, dass die Einberufung dazu dienen sollte, „die Juden […] in eine nützlichere Klasse der Menschen umzugestalten und ihre Anzahl zu vermindern.“ 177 Obwohl dieser Satz vermutlich von Antijudaismus geprägt ist, geht es nicht darum, die jüdische Bevölkerung durch Vertreibung oder Ermordung zu dezimieren, sondern sie soll durch diese Maßnahmen in die nichtjüdische (christliche) Gesellschaft integriert werden. Doch wie ist dieser

172 Vgl. MEYER, Streitfragen, 2002, S.38. 173 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.10. 174 Vgl. ebda., S.10. 175 Ebda. 176 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.117. 177 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.22–23.

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Integrationsprozess zu verstehen, wenn die Zahl der jüdischen Bevölkerung verringert werden soll? Die Grundlage für diese Annahme ist wohl, dass männliche Juden durch die Eingliederung in militärische Organisationen vom Jüdischsein und dem ‚eigenen‘ kulturellen System abkehren und sich in ein anderes einfügen.178

Diese Überlegungen weisen Verbindungen zum Konzept der Anpassung im Sinne einer Assimilation auf. Unter dieses Metakonzept (wie das der Emanzipation) stellte man die Deutungen gesellschaftlicher Prozesse des 19. sowie des beginnenden 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa, welche die jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen betrafen.179 Die Assimilation lässt sich als ein Vorgang beschreiben, bei welchem Unterschiede zwischen unterschiedlichen Gruppierungen, die sich im selben begrenzten Raum befinden, durch die Anpassung und das Ablegen eigener Spezifika entdifferenziert werden. Das Ziel beziehungsweise Ergebnis wäre, dass eine homogene Gesellschaft entsteht, die ausschließlich die Merkmale eines kulturellen (Leit-)Systems aufweist.180 Es stellt sich die Frage, ob dieser Zustand überhaupt eintreten kann. Roger Brubaker 181 weist darauf hin, dass man das Endergebnis einer Assimilation als einen Erfolg oder als ein Scheitern bewerten kann.

Da dieser Entstand zentral für die traditionelle Deutung des Assimilationsbegriffs ist, erscheint eine Untersuchung der Thematik auf dessen Grundlage nicht zielführend, da eine noch so geringe Anpassung der ‚Leitkultur‘ an die ‚Minderheit‘ ausreicht, damit dieser Prozess scheitert. Zwar existieren ‚neuere‘ Assimilationskonzepte, die den Fokus auf die Prozesshaftigkeit an sich legen, doch ist die Anpassung vielmehr ein Teil der Beschreibung des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses. Dies ist so zu verstehen, dass die Möglichkeit besteht, dass einige Vertreter der jüdischen Bevölkerung die Absicht besaßen, sich ‚anzupassen‘, und dementsprechend agierten. Das Konzept der Adaptierung eignet sich jedoch nicht, um diese Beziehung gänzlich zu beschreiben, und ist damit nur ein Aspekt von vielen, der diese

178 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.117. 179 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.117. sowie vgl. LIND Christoph, Juden in den habsburgischen Ländern 1670-1848. In: WOLFRAM Herwig (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich. (= Österreichische Geschichte 15). Wien 2006, S.426–429. Im Folgenden zitiert als LIND, Juden in den habsburgischen Ländern 1670–1848, 2006. 180 Vgl. FIKENTSCHER Wolfgang/RALL Konstantin. Kontakt der Kulturen. Theorie der Akkulturation im weiteren Sinne. In: FIKENTSCHER Wolfgang/PFLUG Manuel/SCHWERMER Luisa (Hgg.), Akkulturation, Integration, Migration. München 2012, S.22–23. Im Folgenden zitiert als FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012 sowie vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.27. 181 Vgl. BRUBAKER Rogers, Ethnizität ohne Gruppen, Hamburg 2007, S.184–185.

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Verbindung prägt. 182 Auch Till van Rahdens 183 Darstellung der möglichen Lesarten des Assimilationskonzepts zeigt dies auf. Er stellt drei Auslegungen vor, die alle die Veränderungen der jüdischen Bevölkerung ansprechen, die sie im Umfeld der nichtjüdischen durchmachte. Die Lesarten gehen davon aus, dass dieser Prozess der Wandlung auf Basis der Anpassung geschieht. Auch wenn man die „Assimilation als Schicksal“ 184 betrachtet, können zwar alle Veränderungen damit verknüpft, aber nicht vollständig begründet werden.185

Der „interaktionistische Charakter“ 186 der Beziehung wird bei diesem Ansatz nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl der Prozess der Assimilation von einer Interaktion ausgeht. Die nichtjüdische Bevölkerung leitete Maßnahmen in die Wege, so dass sich die jüdische Bevölkerung ‚assimilieren‘ sollte. Laut Klaus Hödl 187 ist das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis sehr komplex und umfangreich, so dass das Motiv der Anpassung zu dessen Darstellung allein nicht ausreicht. Sollte der Anpassungsprozess einseitig sein, müsste sich die ‚Mehrheit‘ ohne Einflüsse von ‚außen‘ entwickeln, aber allein dadurch, dass sie Forderungen stellt, dass sich die jüdische Bevölkerung integrieren soll, zeigt Veränderungen aufgrund des interkulturellen Kontakts an.188

In diesem Zusammenhang kann man auf Eugen Tauebler verweisen. Dieser verwendete eine eher positiv konnotierte Auffassung der Assimilation. Diese geht davon aus, dass unter diesem Begriff alle Phänomene zu verstehen sind, die eine Verbindung zum Anpassungsvorgang aufweisen und von beiden Seiten eingebracht werden.189 Damit wird zwar das Zusammenwirken anerkannt und man deutet die Prozesshaftigkeit an, dennoch steht der Gedanke der Anpassung zur Beschreibung der Beziehung im Vordergrund. Der Assimilationsbegriff, obwohl man ihn als Prozess mit unterschiedlichen Abstufungen auffassen kann, unterliegt einer Einseitigkeit, denn Veränderungen der nichtjüdischen Gesellschaft werden nicht berücksichtigt. 190

182 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.27. 183 Vgl. van RAHDEN Till, Verrat, Schicksal oder Chance. Lesarten des Assimilationsbegriffs in der Historiographie zur Geschichte der deutschen Juden. In: HÖDL Klaus (Hg.) Kulturelle Grenzräume im jüdischen Kontext. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 14). Innsbruck 2008, S.111–115. Im Folgenden zitiert als van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008. 184 Ebda, S.113. 185 Ein Beispiel hierfür wäre der Zionismus, welchen man als Gegenpol zur Anpassung ansehen kann. Somit befindet er sich im Kontext der Assimilierung, aber man kann ihn nicht mit diesem Konzept begründen. (Vgl. SCHUBERT Kurt: Jüdische Geschichte. München 2012, S.122.) 186 PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.27. 187 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2012, S.16–17. 188 Vgl. ebda. 189 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.117. 190 Vgl. ebda.

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Dies verdeutlicht man anhand der Einführung des Militärdiensts für die jüdische Bevölkerung. Zunächst scheint die Annahme zu stimmen, dass sich jüdische Männer beim Eintritt in die militärischen Verbände an die nichtjüdische Gesellschaft angepasst haben. Sie legten ihre bisherige Lebensweise aufgrund der Vorschriften und Regelungen in den Streitkräften ab. Dadurch passten sie sich ebenfalls an die Gesellschaft an. Dies liegt daran, dass die militärischen Verbände im Laufe der Zeit immer mehr zum zentralen Bestandteil der (nichtjüdischen) Gesellschaft wurden. Diese bestimmten (geht man nach dem Assimilierungs- konzept) die Verhaltensweisen im Militär.191 Es ist jedoch zu beachten, dass nicht nur die Gesellschaft Einfluss auf die Streitkräfte nahm, sondern dass diese Annahme ebenso umgekehrt gilt.192

Nun ist es aber der Fall, dass sich ebenfalls die nichtjüdischen Männer an die Bedingungen des Militärs anpassen mussten. Dies beeinflusste ihre Lebensweise (bis hin zum Aussehen). Unter anderem zählten dazu Vorschriften, wie die Gesichtsbehaarung beziehungsweise der Bart zu tragen war. 193 Demnach kann man nicht allein von einer Anpassung der jüdischen Rekruten ausgehen, sondern vielmehr von einer gemeinsamen Anpassung der Juden und Nichtjuden (als Zivilisten) an das Militär. Die beiden Gruppierungen finden sich in der ‚neuen‘ Umgebung des Militärs wieder. Die dortige sowie die zivile Lebenswelt wirken auf sie ein. Aber auch die ‚beiden‘ Gruppierungen, die zu einer geworden sind, wirken wiederum auf die militärische und zivile Umgebung ein. Dies zeigt ausschnitthaft die Wechselwirkungen an, unter welchen die Gesamtgesellschaft steht. Es erschließt sich, dass demnach nicht unbedingt die personelle Größe entscheidend ist, in welche Richtung sich angepasst wird. Dennoch gehen Assimilationsmodelle zum großen Teil davon aus, dass sich die ‚Minderheit‘ an die ‚Mehrheit‘ anpasst.194

Von welcher Lebensweise spricht man eigentlich? Eine vereinfachte Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer bietet sich an. In weiterer Folge könnte man in diesem

191 Vgl. VOCELKA Karl, Geschichte der Neuzeit. 1500-1918. Wien/Köln/Weimar 2010, S.125. Im Folgenden zitiert als VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S.125 sowie vgl. van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008. 192 Hierbei ist vor allem ein stark ausgeprägter Militarismus zu nennen, denn dieser bedingte ebenfalls ein europäisches Wettrüsten vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Dies wiederum hatte Einfluss auf andere soziale und kulturelle Bereiche. (Vgl. MÜLLER Rolf-Dieter, Militärgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2009, S.212–213. Im Folgenden zitiert als MÜLLER, Militärgeschichte, 2009.) Das Heer erhielt als Institution zunehmend (auch durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Habsburgermonarchie) einen „sozialdisziplinierenden und erzieherischen Charakter“ (VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S.125). 193 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.48–49. 194 HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16.

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Kontext zwischen einer jüdisch-zivilen und nichtjüdisch-zivilen Lebensweise sowie der jeweils militärischen unterscheiden. Man kann davon ausgehen, dass der Übergang der jüdisch-zivilen Lebensweise zur militärischen mit einer größeren Veränderung verbunden war, da die jüdische Bevölkerung bis ins Jahr 1788 vom Wehrdienst ausgenommen war.195 Lag dies eigentlich daran, dass das Judentum als Religion kriegerische Konflikte ablehnte oder sogar verbot? Denn würde dieser Sachverhalt zutreffen, gäbe es eine einseitige Assimilierung. Diese mutmaßliche friedvolle Haltung könnte auch erklären, warum behauptet wurde, dass Juden nicht in der Lage wären den Militärdienst abzuleisten.196 Prinzipiell ergeben sich jedoch zwei Gründe, warum man ihnen den Militärdienst verwehrte beziehungsweise ersparte. Einerseits war es ihnen mehr oder weniger verboten, Waffen zu tragen, andererseits wollte man sie dadurch aus der (nichtjüdischen) Gesellschaft ausschließen. Doch kann man weitere Überlegung diesbezüglich, obwohl man von den zwei genannten Hauptgründen ausgeht. Dies geschieht in Hinblick auf die jüdischen Identitätskonzepte. István Deák 197 nennt die Möglichkeit, dass sie Juden auch aufgrund eines religiös bedingten Pazifismus den Wehrdienst (generell) ablehnten. Dies bringt uns wieder zur Ausgangsfrage zurück, ob das ‚Jüdischsein‘ das Führen eines Kriegs verbot und dementsprechend Beitritt zu einer Organisation, die aus diesem Grund existierte.

Um diese Frage zu beantworten, wäre ein Blick darauf, wie Krieg in der jüdischen Religion gesehen wird, hilfreich. Als einen zentralen Aspekt, um die jüdisch-geistliche Einstellung zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu verstehen, führt Gerhard Langer 198 eine Stelle aus dem Talmud an. In dieser Passage wird laut Langer deutlich, dass Soldaten oder Krieger einen nicht so hohen Stellenwert im Judentum einnehmen wie die Gelehrten und Weisen. Dies hängt auch mit den misslungenen jüdischen Aufständen des ersten und zweiten Jahrhunderts gegen das Römische Reich zusammen. Man wandte sich sozusagen von kriegerischen Auseinandersetzungen ab. 199 Dies bedeutet nicht, dass Krieg mit dem Jüdischsein unvereinbar ist, da sich dennoch Bedrohungen von außen ergeben. Daher akzeptieren jüdische

195 Vgl. BRUGGER, Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung, 2006, S.135–136, vgl. HILSCH, Das Mittelalter, 2012, S.153 sowie vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.45. 196 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.45. 197 Vgl. DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995, S.236. 198 Vgl. LANGER Gerhard, „Krieg“ in der jüdischen Religion. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 27. Im Folgenden zitiert als LANGER Gerhard „Krieg“ in der jüdischen Religion. 199 Vgl. EICH Armin, Die römische Kaiserzeit. Die Legionen und das Imperium, München 2018, S. 287–289. Im Folgenden zitiert als EICH, Die römische Kaiserzeit, 2018. Zum Aufstand im ersten Jahrhundert: vgl. AIGNER Heribert, Von den Gracchen bis Kaiser Domitian. In: Ingomar Weiler, Grundzüge der politischen Geschichte des Altertums. Wien/Köln 1995, S.138. Zum Aufstand im zweiten Jahrhundert: vgl. WEILER Ingomar, Von den Adoptivkaisern bis zum Ende des Weströmischen Reichs. In: Ingomar Weiler, Grundzüge der politischen Geschichte des Altertums. Wien/Köln 1995, S.153.

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Gelehrte Krieg als eine reale Gegebenheit. Dabei unterscheidet man zwischen verschiedenen Voraussetzung für eine kriegerische Handlung. Dabei sind der Pflichtkrieg (Verteidigungs- krieg), der auch als Präventivkrieg verstanden werden kann, und der Wahlkrieg (Angriffskrieg), der auf Legitimität geprüft werden muss, zu nennen.200 An sich scheint Krieg für die jüdische Identitätsvorstellung kein Problem darzustellen, zumindest kein größeres als für die Christen, welche einen großen Anteil der k.u.k. Streitkräfte ausmachten. 201 Den Ersten Weltkrieg stellte man in Österreich-Ungarn als Verteidigungskrieg gegen äußere Bedrohungen dar. Dieses allgemeine Motiv der Kriegsführung ergänzte sich mit dem Aspekt des „spezifisch jüdischen Motiv des Kampfes gegen Russland.“ 202

Es zeigt sich, dass Krieg zwar auf Ablehnung in der jüdischen Religion stößt, aber man ihn dennoch als etwas Reales wahrnimmt. Diese Realität bedingt, dass die jüdischen kulturellen Systeme an kriegerischen Konflikten teilnehmen konnten. Diese Wirklichkeit, in der Kriege existieren, nimmt Einfluss auf die Lebenswelt der jüdischen Bevölkerung. 203 Somit kann man Krieg als einen Teil des Jüdischseins auslegen. Aus diesem Grund kann die Annahme, dass sich die jüdische Männer beim Eintritt in die Streitkräfte der Habsburgermonarchie gänzlich assimiliert hätten, nicht zutreffen. Ein weiterer Punkt, welcher dabei zu betrachten ist, ist, dass diese ‚Friedfertigkeit‘ von der nichtjüdischen Bevölkerung mit erschaffen wurde.204 Eine ‚Anpassung‘ (der rechtlichen Stellung) an den Großteil der nichtjüdischen Bevölkerung wollte man dennoch mit der Einführung der Militärpflicht bezwecken.205

Durch die dargestellte Verbindung zwischen Religiosität und kriegerischen Handlungen zeigt sich, dass ebenso vermeintliche Anpassungen geschehen. Bis hierhin sprach man davon, dass sich die jüdischen Männer an die Verhältnisse der Streitkräfte angepasst hätten, was so

200 Vgl. BERGER Michael, Eisernes Kreuz Doppeladler Davidstern. Juden in deutschen und österreichisch- ungarischen Armeen. Der Militärdienst jüdischer Soldaten durch zwei Jahrhunderte. Berlin 2010, S.244. Im Folgenden zitiert als BERGER, Eisernes Kreuz, Doppeladler, Davidstern, 2010. 201 Diese Annahme beruht auf der Verbindung zwischen den heiligen Schriften sowie den beiden Religionen selbst, wie unter anderem Johann Maier (Vgl. MAIER Johann, Das AT im christlich-jüdischen Dialog aus judaistischer Sicht. In: PETSCHNIGG Edith/FISCHER Irmtraud (Hgg.), Der „jüdisch-christliche“ Dialog veränderte die Theologie aus ExpertInnensicht. Wien/Köln/Weimar, S.45–57) oder Klaus Wengst (vgl. WENGST Klaus, Nicht im Kontrast zum Judentum, sondern in seinem Kontext. zum Verstehen des Neuen Testaments. In: PETSCHNIGG Edith/FISCHER Irmtraud (Hgg.), Der „jüdisch-christliche“ Dialog veränderte die Theologie aus ExpertInnensicht. Wien/Köln/Weimar, S.112–123) aufzeigen. 202 PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.59. Im Zentrum dieses Deutungsmuster stand die Absicht und das Ziel der Befreiung der unterdrückten jüdischen Bevölkerung. (Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.39–40.) 203 Vgl. HAUMANN, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung, 2003, S.113. 204 Vgl. BRUGGER, Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung, 2006, S.135–136. 205 Vgl. MADER Michael, Die jüdischen Soldaten in der k.u.k. Monarchie. Teil 2. http://davidkultur.at/artikel/die- judischen-soldaten-in-der-k-u-k-monarchie-3 [Abruf: 06.12.2020]. Im Folgenden zitiert als MADER, Die jüdischen Soldaten II, 2014.

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gesehen verständlich ist, da dies der Hauptbestandteil des Assimilierungskonzepts ist. Wenn man von diesem ausgeht, dürfte es eigentlich zu keinen Änderungen in den Abläufen und der Struktur der militärischen Verbände gekommen sein. Doch wandelten sich bereits mit der Aufnahme der ersten jüdischen Mitglieder deren Aufbau und Prozesse. 206

Noch deutlicher trat diese Veränderung hervor, als man im Jahr 1866 Überlegungen bezüglich einer jüdisch-militärischen Seelsorge anstellte.207 Dies geschah aufgrund der immer weiter zunehmenden Anzahl an jüdischen Soldaten in den Streitkräften. Die jüdischen Angehörigen sollten eine kulturelle und geistliche Betreuung durch jüdische Geistliche (‚Feldrabbiner‘) erhalten.208 Demnach haben sich Prozesse sowie Strukturen in der Streitmacht durch das jüdische Mitwirken verändert. Auch andere Bedürfnisse 209 der jüdischen Soldaten wurden von der militärischen Organisationen berücksichtigt. 210 Dies bedeutet, dass in diesem Fall keine unidirektionale Beziehung gegeben ist, sondern zumindest eine bidirektionale. Dadurch erschließt sich ein weiteres Mal, dass eine Untersuchung auf Grundlage einer vollständigen Assimilation nicht ausreichend sein kann.

Wenn man die bisher erschlossenen Erkenntnisse in Kombination mit der Weltanschauung betrachtet, die mit dem Begriff der Assimilation verbunden ist, erscheint die Einführung des Ansatzes der Akkulturation in den wissenschaftlichen Untersuchungen des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses als unausweichlich. Das Einbringen des Akkulturationsbegriffs war durch diskursive Vorgänge und Prozesse in der (Geschichts-

206 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.46. 207 Bezüglich jüdischer Militärseelsorge vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.78, vgl. GÜDE Wilhelm, Fallbeispiel: Rabbiner Dr. Alexander Kisch als k.k. Landwehrrabbiner. Zugleich ein kleiner Beitrag über die Anfänge der jüdischen Militärseelsorge in Österreich-Ungarn. In: BERGER Michael/RÖMER- HILLEBRECHT (Hg.), Jüdischer Widerstand in Deutschland und Frankreich. Paderborn/München/Wien/Zürich 2012, S.181. Im Folgenden zitiert als GÜDE, Beitrag über die Anfänge der jüdischen Militärseelsorge, 2012 sowie STEINER Peter, Namensliste der Feldrabbiner in der österreichisch-ungarischen Armee des Ersten Weltkriegs. Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 74–96. Im Folgenden zitiert als STEINER, Namensliste der Feldrabbiner, 2014. Hierbei ist zu erwähnen, dass im Ersten Weltkrieg muslimische Soldaten ebenso eine solche Versorgung erhielten (vgl. NEUMAYER Christoph, Muslimische Soldaten in der k.u.k Armee. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 99. Im Folgenden zitiert als NEUMAYER, Muslimische Soldaten, 2014.) 208 Vgl. HECHT Dieter, Austro-Hungarian Jewish Military Chaplains between East and West. In: LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish Soldier in the Collective Memory of World War I from a Jewish Perspective. Wien, Köln, Weimar 2019, S.92-93. Im Folgenden zitiert als HECHT, Austro-Hungarian Military Chaplains, 2019 sowie BRUCKMÜLLER, Österreichische Geschichte, 2019, S. 378–379. 209 Hier sind unter anderem die koschere Ernährung, Regelungen bezüglich des Dienstes am Sabbat oder Schabbat sowie andere religiöse Vorschriften zu nennen. Vor allem die Regeln den Sabbat betreffend scheinen eine besondere Herausforderung darzustellen. (Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.41–50.) 210 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.41–50.

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)Forschung bedingt. 211 Auf diese Entwicklung verweisen Petra Ernst und Gerald Lamprecht 212 , fügen jedoch hinzu, dass die Akkulturation den Assimilationsbegriff nicht gänzlich ablöste, sondern man ihn lediglich ergänzte. Dies bestätigt Till van Rahden. 213 Trude Maurer 214 war eine derjenigen, die dafür plädierten, dass man sogar gänzlich auf den Begriff der Assimilation in den wissenschaftlichen Diskussionen verzichtet und ihn durch Akkulturation ersetzt. Mit dieser Forderung lehnt sie sich an Herbert Strauss an. Dieser verstand unter diesem Terminus Folgendes: „Die Begegnung von Elementen verschiedener Kulturen und deren Synthese zu einer neuen Einheit in einem instabilen Gleichgewicht von verschiedener Dauer.“215

Diese Auslegung des Akkulturationsbegriffs verzichtet, wie Thomas Brechenmacher und Michał Szulc 216 sowie Till van Rahden 217 erklären, auf eine kulturelle Asymmetrie, da er keine Hierarchie impliziert. Des Weiteren erscheint dieser im Gegensatz zum Terminus der Assimilation frei von einer biologischen Analogie. Diese Definition entspricht auch dem Verständnis Ulrich Siegs. Dies ermöglicht, dass der Begriff „eine Vielzahl unterschiedlicher Wertvorstellungen und Verhaltensweisen“ 218 umfasst. Die Betrachtungsweise auf Grundlage der Akkulturation hat den Anspruch, durch die Betrachtung der Prozesse und Phänomene des Zusammenlebens allgemeingültige Relationen dahingehend zu erfassen, wie Wolfgang Fikentscher und Konstantin Rall 219 aufzeigen. Dabei gründet sie auf verschiedenen Perspektiven, die Vorgänge betrachten, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinandertreffen. Diese Begegnungen sind mit einer Veränderung oder einem Wandel verbunden.220 Dies wirkt so, als ob die jüdisch-nichtjüdische Beziehung sowie Geschichte ganzheitlich mit dem Ansatz der Akkulturation dargestellt und erklärt werden kann.221 Doch reicht die Akkulturation wirklich dafür aus, um die Interaktionen und die daraus resultierenden Prozesse möglichst vollständig darzustellen?

211 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.118 sowie vgl. MYERS David, Selbstreflexion im modernen Erinnerungsdiskurs. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.61. 212 Vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, S.9. 213 Vgl. van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008, S.123. 214 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.118. 215 van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008, S.119 216 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.118. 217 Vgl. van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008, S.124. 218 SIEG Ullrich, Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg. Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe. Berlin 2001, S.24. Im Folgenden zitiert als SIEG, Jüdische Intellektuelle, 2001. 219 Vgl. FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012, S.9–10. 220 Als ein Beispiel dafür ist der Umstand zu nennen, dass man für die jüdischen Mitglieder der Streitkräfte einen eigenen Vereidigungsvorgang einführte. 221 Vgl. MEYER, Streitfragen, 2002, S.36.

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Um diese Frage zu beantworten, benötigt es anscheinend eine genauere Erörterung des Akkulturationskonzepts. Andreas Zick 222 , der ebenfalls auf einige Defizite dieses Ansatzes hinweist, zeigt die grundlegenden Annahmen dieses Konzepts auf. Er bestimmt die „Theorie der akkulturativen Verortung“ 223 auf Basis von „fünf Grundannahmen“224 . Diese greift wiederum auf sozialpsychologische, empirische und etische Aspekte zurück und drückt die Fokussierung auf die Prozesshaftigkeit der Akkulturation, die bei Assimilationskonzepten erst ergänzt werden muss, aus. 225

Akkulturation ist ein Prozess der Veränderung von Individuen, Gruppen und/oder kulturellen Systemen, die dadurch zustande kommt, dass Mitglieder einer Gruppe versuchen, sich in der kulturellen Umwelt einer anderen Gruppe zu verorten, indem sie versuchen, diese anzueignen. 226

Nach dieser Auffassung sind Akkulturationssubjekte nicht ausschließlich auf Gruppen begrenzt, denn die akkulturative Vorgänge wurden zum Großteil als Gruppenphänomene betrachtet. 227 Dies spricht Klaus Hödl 228 indirekt in seiner Kritik über diese Ansätze an, indem er anmerkt, dass diese häufig implizieren, dass die nichtjüdische Gesellschaft monolithische Züge aufweist. Dieser Gedanke lässt sich ebenso auf die jüdische Bevölkerung übertragen. Des Weiteren erwähnt Hödl in seinen Ausführungen, dass diese homogenen Konstrukte von Gesellschaft, auf denen die Anpassungsgrundsätze beruhen, dieselben dominierenden Werte aufweisen müssten.

Legen wir diese Annahme auf die Thematik des Ersten Weltkriegs um. Es dürfte demnach bei der ‚allumfassenden‘ Kriegsbegeisterung, die Österreich-Ungarn im August des Jahres 1914 erfasste 229 , wie man sie gern aufgreift, um die öffentliche Stimmung zu Beginn des Weltkriegs zu beschreiben, keine Gegenpositionen gegeben haben.230 Diese existierten jedoch in Form von Kriegsgegnern und Friedensbefürwortern, die ebenso während des Konflikts agierten. 231 Darunter befanden sich Nichtjuden wie auch Juden.232 Die angedeutete

222 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.534. 223 Ebda. 224 Ebda. 225 Vgl. ZICK Andreas, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.534 sowie vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.27. 226 ZICK Andreas, Psychologie der Akkulturation, S.534. 227 Vgl. FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012, S.9–10. 228 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 229 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.106. 230 Sara Panter (vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.54.) weist darauf hin, dass die österreichisch- jüdische Öffentlichkeit zum großen Teil positive Erwartungen an den Krieg hatte. 231 Vgl. GÜTERMANN Christoph, Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1985. In: RAUCHENSTEINER Manfried (Hg.): Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, S.49. 232 Vgl. Ebda. S.49 sowie S.52–53.

Gregor Schweighofer 33 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Kriegsskepsis und der Kriegsenthusiasmus sollen aufzeigen, dass die Annahme von einheitlichen kulturellen Systemen die Betrachtungsweise verzerrt, da sie gewisse Aspekte gar nicht aufgreifen kann.

Der Begriff des kulturellen Systems als ‚Akkulturationssubjekt‘ ergibt anscheinend ähnliche Problematiken wie der der Gruppen. Eine Fokussierung auf die mikrosoziale Einheit des Individuums bricht das monolithische Gefüge, doch wird der Einzelne teilweise als etwas gesehen, das ausschließlich die Gruppe beziehungsweise Kultur bestimmt. Das Individuum ist sozusagen nur ein Produkt seiner Umgebung. Diese Auffassung weist eine Einseitigkeit auf. Dennoch wirkt die Betrachtung der Individuen nützlich, da man dadurch fast gezwungen ist, die Annahme der Einheitlichkeit aufzugeben. Es findet eine Relativierung von Identitätsentwürfen und -konstrukten des Kollektivs und des Einzelnen statt. Dies geht bis zur Betrachtung des Individuums als eigenes kulturelles System. 233

Eine weitere Problematik, welche sich in dieser ersten Grundannahme zeigt, ist, dass der zentrale Aspekt des Zusammenlebens das Aneignen der kulturellen Umwelt ist. Eine ‚Minderheit‘ geht sozusagen in einer ‚Mehrheit‘ auf. Dies greift die Eindimensionalität des Assimilationskonzepts wieder auf. Außerdem blendet diese Annahme die Beibehaltung kultureller Spezifika aus. 234 Ein Beispiel dafür wäre, dass jüdische Soldaten neue Uniformen forderten, die den religiösen Vorschriften entsprachen. 235 Im Verlauf des Ersten Weltkriegs kam man dieser Forderung aufgrund einer Verknappung der Ressourcen nach. 236 Dies soll aufzeigen, dass auch andere Einflüsse, die nicht ‚jüdischen‘ Ursprungs sind, für Veränderungen sorgten, aber dennoch als solche gedeutet werden können.

Der (sozialpsychologische) Prozess ist geprägt durch interkulturelle Beziehungen, das heißt Gruppenwahrnehmungen, Kontakte zwischen Gruppen, Interaktionen und Kommunikation. In dem Prozess kommen kulturell differente Gruppen beziehungsweise deren Mitglieder in Kontakt, und es werden Prozesse der Aneignung oder Ablehnung kultureller Systeme in Gang gesetzt. 237

233 Vgl. FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012, S.12–13. 234 Vgl. KERNMAYER Hildegard/HÖDL Klaus/ERNST Petra, Assimilation – Dissimilation – Transkulturation. Jüdische Identitäten in der (Wiener und zentraleuropäischen Modernen. In: CSÁSKY Moritz/KURY Astrid/TRAGATSCHNIG Ulrich (Hgg.), Kultur – Identität – Differenz in der Moderne. (= Gedächtnis – Erinnerung – Identität 4). Innsbruck/Wien/München/Bozen 2004, S.296. Im Folgenden zitiert als KERNMAYER/HÖDL/ERNST, Assimilation – Dissimilation – Transkulturation, 2004. 235 Diese besagen, dass unter anderem ein Kleidungsstück, welche man aus zwei verschiedenen Materialien herstellt, nicht getragen werden darf. (Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.46.) 236 Vgl. REBHAN-GLÜCK Ines, Der Glanz der Montur erlischt. https://ww1.habsburger.net/ de/kapitel/der-glanz- der-montur-erlischt [Abruf: 01.12.2020]. 237 ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.534.

Gregor Schweighofer 34 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Die zweite Annahme stellt den Akkulturationsvorgang als einen dar, der auf der Basis von Kontakten und Interaktion beruht. Dies lässt auf einen offeneren Kulturbegriff, wie ihn Petra Ernst und Gerald Lamprecht 238 beschrieben, schließen. Zwar löst man mit der Formulierung ‚Aneignung und Ablehnung‘ die Problematik der Beibehaltung der distinktiven Merkmale. Das Anpassungsparadigma einer ‚Minderheit‘ steht dennoch im Vordergrund, obwohl diese Auffassung bereits eine Mehrdimensionalität abbildet, da eine Ablehnung von beiden Seiten erfolgen kann. Dabei kann man die verstärkt antisemitistischen Entwicklungen des aus- laufenden 19. Jahrhunderts in Österreich-Ungarn nennen.239 Diese gelten laut Klaus Lohrmann 240 als Triebfeder zionistischer Überlegungen. Bereits vorhandene Tendenzen zum Zionismus erhielten größeren Einfluss.241 Beide kann man als eine solche ‚Ablehnung‘ verstehen.

Der Akkulturationsprozess ist dadurch geprägt, dass in der Regel Mitglieder einer kulturell neuen (fremden) Gruppe versuchen, den kulturellen Kontext einer etablierten Gruppe anzueignen beziehungsweise zu adaptieren, wobei die Mitglieder etablierter Gruppen darauf reagieren. 242

Bei dieser Annahme fällt auf, dass man von kulturell ‚neuen‘ beziehungsweise ‚fremden‘ Gruppen spricht. Dies steht im Zusammenhang damit, wie Klaus Hödl 243 es beschreibt, dass sich diese außenstehenden Gruppierungen bemühen müssen, um in der ‚etablierten‘ Gruppe Aufnahme zu finden. Der ‚Zutritt‘ muss sich demnach verdient werden. Dadurch wäre erklärbar, dass die jüdische Bevölkerung den Ersten Weltkrieg als Möglichkeit sah, damit sie endgültig Anerkennung und Gleichstellung in der ‚österreichischen‘ Gesellschaft erfuhren. Unter anderem wollte man durch die erbrachten Leistungen der jüdischen Militärangehörigen den ‚Eintritt‘ in die Gesellschaft lösen.244 Dies kann man mit einem Migrationsprozess in

238 Vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, S. 2009, S.10. 239 Wobei in Hinblick auf die Thematik zu erwähnen ist, dass sich, wie Erwin Schmidl (Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.96.) feststellt, die nichtjüdischen Mitglieder des Offizierskorps der k.u.k. Streitkräfte im Vergleich zu Teilen der zivilen nichtjüdischen Gesellschaft weniger vom zunehmenden Antisemitismus beeinflussen ließen oder ihn zumindest nicht frei äußerten. Das soll nicht bedeuten, dass das Offizierskorps des Heeres vollkommen frei von antisemitischem Gedankengut war, aber es ist ein weiteres Argument dagegen, dass man bei der Betrachtung der jüdischen-nichtjüdischen Beziehung von einheitlichen Entitäten ausgeht. Dies verdeutlicht, dass einfache jüdische Soldaten wiederum laut David Rechter des Öfteren mit Antisemitismus und antisemitischen Handlungen sowie Äußerungen konfrontiert waren. (Vgl. RECHTER David. Die große Katastrophe. Die österreichischen Juden und der Krieg. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 16. Im Folgenden zitiert als RECHTER, Die große Katastrophe, 2014.) 240 Vgl. LOHRMANN Klaus, Zwischen Finanz und Toleranz. Das Habsburg und die Juden. Ein historischer Essay. Graz/Wien/Köln 2000, S.212. Im Folgenden zitiert als LOHRMANN, Die Habsburger und die Juden, 2000. 241 Vgl. ebda. 242 ZICK Andreas, Psychologie der Akkulturation 534. 243 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 244 Vgl. LAPPIN EPPEL, Reflection of the Jewish War Effort, 2019, S.145.

Gregor Schweighofer 35 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Verbindung bringen. Aber ist dieses Phänomen als einer solcher anzusehen? Hier stellt Hödl eine berechtigte Frage: „Aber wo befanden sich sie sich vorher und woher kamen sie, wenn sie erst ‚Eintritt‘ begehren mussten?“ 245 Die Beifügungen ‚neu‘ und ‚etabliert‘ lassen auf temporale Kriterien schließen.

Zur Beantwortung dieser Frage muss man den gewählten Untersuchungszeitraum verlassen. Dies bahnt schon an, dass die Beschreibung ‚neue Gruppe‘ nicht gänzlich auf die ‚jüdische Gruppe‘ zutreffen kann. Bevor sich eine jüdische Bevölkerung in Österreich angesiedelt hat, kam es bereits zu jüdisch-nichtjüdischen Kontakten. Handelspositionen für jüdische Kaufleute scheinen in der ‚Raffelstettener Zollordnung‘ auf, ‚Ostarrîchi‘ hingegen erwähnte man (nach bisheriger Quellenlage) fast einhundert Jahre später urkundlich. Um eine zugespitzte Formulierung zu wählen, kann man behaupten, dass die jüdisch-nichtjüdischen Begegnungen auf ‚österreichischem Raum‘ älter sind als Österreich selbst. 246

Auch wenn man sich die spätere Ansiedlung der jüdischen Bevölkerung ansieht, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Erwähnung findet, kann man nicht wirklich von ‚neu‘ oder ‚fremd‘ aufgrund der Zeitdauer sprechen. Es ist festzustellen, dass sich Juden bereits im ersten und zweiten Jahrhundert nach den misslungenen Befreiungskriegen beziehungsweise der Niederschlagung der Aufstände in Judäa im Römischen Reich ‚verstreuten‘.247 Die Besiedlung Österreichs, die als Grundlage der ‚österreichischen‘ Gesellschaft erscheint, begann hingegen im 6. Jahrhundert nach dem Zerfall des Römischen Reiches sowie der ‚Völkerwanderung‘, wie Karl Vocelka 248 festhält. 249 Unter diesen Umständen scheint die jüdische Bevölkerung eher die etablierte Gruppe in Mitteleuropa darzustellen.250 Wenn nun nicht die Zeitdauer ausschlaggebend ist, ergibt sich, dass das ‚Minderheiten-Mehrheiten-Schema‘ als Kriterium für

245 HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 246 Vgl. SCHUBERT, Geschichte des österreichischen Judentums, 2008, S.19 sowie vgl. VOCLEKA, Österreichische Geschichte, 2005, S.12. 247 Vgl. EICH, Die römische Kaiserzeit, 2018 S.143 sowie vgl. SCHUBERT, Geschichte des österreichischen Judentums, 2008, S.19. 248 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.38. 249 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.38 sowie vgl. PFEILSCHIFTER Rene, Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher. München 2017; S.155–172. 250 Dies zeigt der Sammelband, welchen Mathias Konradt und Rainer Schwinges (Vgl. KONRADT Mathias/SCHWINGEN Rainer, Einführung. In: KONRADT Mathias/SCHWINGEN Rainer (Hgg.), Juden in ihrer Umwelt. Akkulturation des Judentums in Antike und Mittelalter, S.1. Bern 2009. Im Folgenden zitiert als KONRADT/SCHWINGEN, Einführung 2009) herausgegeben haben. In diesem wird sich auf Basis des Akkulturationskonzepts mit der jüdischen Bevölkerung und ihrer Umwelt in der Antike und im Mittelalter auseinandergesetzt. Monica Green (Vgl. GREEN Monica, Conversing with the minority: relations among Christian, Jewish, and Muslim women in the high middle ages. In: Journal of Medieval History 34 Jg. (2008) Nr.2, S.105. Im Folgenden zitiert als GREEN, Conversing with the minority, 2008) führt in ihrem Artikel verschiedene abstrakte und konkrete Begegnungsorte im Mittelalter in Europa auf, in denen jüdische, muslimische und christliche Frauen aufeinandertrafen.

Gregor Schweighofer 36 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

die Etablierung entscheidend ist. Die Überlegung, dass eine Gruppe erst Zutritt erlangen musste, ist nicht gänzlich abwegig, wenn man die Einführung der Wehrpflicht für jüdische Männer betrachtet: Man kann einen Zusammenhang mit der Adaptierung herstellen. Nicht im Sinne, dass die vermeintlich ‚neue‘ und ‚fremde‘ Gruppierung Zugang zum ‚System‘ Streitkräfte der Habsburgermonarchie erhielt, weil sie sich an den kulturellen Kontext der ‚Etablierten‘ angepasst hat, sondern sie erhielt Zutritt, damit sie sozusagen angepasst wurde.251

Diese Grundannahme verweist darauf, dass ‚beide Seiten‘ einem Prozess des Wandels aufgrund von Kontakten miteinander unterworfen sind. Daher scheint die von Petra Ernst und Gerald Lamprecht 252 hervorgebrachte Kritik, dass man beim Akkulturationsprozess von gänzlich abgeschlossenen Systemen ausgeht, nicht zutreffend. 253 Es ist offensichtlich, dass man bei der Betrachtung solcher Beziehungen von einem offenen kulturellen System ausgehen sollte. Bei diesem rücken Prozesse des Austausches in den Fokus, wie Ernst und Lamprecht 254 anmerken. Daraus erschließt sich, dass ein kulturelles System offen ist, wenn es in irgendeiner Form mit einem anderen in Kontakt steht und sich daher in einem dynamischen Austausch befindet. Till van Rahden geht dabei von einer komplexen Synchronisierung der Geschlossenheit und Offenheit verschiedener Systeme aus. 255 Dieser Sachverhalt trifft auf die jüdisch-nichtjüdische Verbindung und auf die Streitkräfte der k.u.k Monarchie während des Ersten Weltkriegs zu.

Aus diesem Grund könnte man den Ansatz der Akkulturation für eine solche Untersuchung verwenden, ohne dass man das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis verzerrt darstellt oder gar prägende Elemente davon ausblendet. Es kommt zu keiner Vernachlässigung der beidseitigen Veränderungen. Dies verdeutlicht die vorletzte Grundannahme, welche Andreas Zick anführt: „Akkulturation ist ein Prozess, der durch die Balancierung von Beziehungen, Differenz und Verortung geprägt ist.“256

Was bedeutet es für die ‚Identitätsentwürfe‘, wenn in offenen kulturellen Systemen die Austausch- oder auch Aushandlungsprozesse in den Vordergrund rücken? Zunächst lässt sich feststellen, dass dadurch Zuordnungen, welche die Identität betreffen, relativiert werden. 257

251 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.29–32. 252 ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, S. 2009, S.9. 253 Vgl. ebda., S.10 254 Ebda. 255 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.194–195. 256 ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.535. 257 KERNMAYER/HÖDL/ERNST, Assimilation – Dissimilation – Transkulturation, 2004, S.296 sowie vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, S. 2009, S. 9–10.

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Einen Erklärungsversuch diesbezüglich bieten der Ansatz der ‚hybriden Konstruktionen‘, wie ihn Thomas Brechenmachter und Michał Szulc 258 vorstellen, sowie das Konzept des „virtuellen Judentums“ 259 . Dieses geht davon aus, dass nicht nur das Selbstverständnis tragend bei Kultur- und Identitätskozepten ist, sondern man ebenfalls das Fremdverständnis miteinbeziehen muss. In anderen Worten: „Juden bedürften stets der Nichtjuden, um die eigene Identität zu bestimmen.“260 Auf der Metaebene betrachtet, ist dies folgendermaßen auszulegen: Man benötigt das Fremde, um das Eigene zu definieren. 261

Als ein Beispiel für diese Annahme kann man einen Artikel, der in ‚Der Wahrheit‘ erschien, ansehen.262 David Rechter stellt Auszüge daraus dar und fasst sie zusammen: „Juden ‚verdienen einen Platz im Ruhmesblatt unserer Monarchie. Wir haben ihn mit unserem Blute errungen‘; der Krieg hatte dem Märchen von jüdischer Feigheit“ und der Vorstellung, dass sie nur ‚Staatsbürger zweiten Ranges‘ wären endgültig ein Ende gesetzt.“ 263 Die Erwähnung der vermeintlichen ‚jüdischen Feigheit‘ zeigt, dass die Bestätigung des ‚jüdischen Mutes‘ von ‚außen‘ erfolgen musste. Die eigene Wahrnehmung reichte nicht aus. Umgekehrt könnte man den Vorwurf der ‚Drückebergerei‘ sowie der ‚Feigheit‘, welchen man gegenüber den Juden erhob, als Abgrenzung der Nichtjuden verstehen. Daraus erschließt sich, dass sie ebenfalls das ‚Fremde‘ benötigen, um das ‚Eigene‘ zu definieren.264

„Phänomene, die den Prozess der Akkulturation beobachtbar prägen, sind aus der Interaktion individueller und Umweltfaktoren zu erklären.“ 265 Bezieht man die Interaktion sowie wechselseitige Einflüsse aus der Umgebung mit ein, ergibt sich daraus, dass die jüdisch- nichtjüdische Beziehung eine umfangreiche und komplexe Verbindung ist.266 Auf Basis dieser Grundannahmen (besonders der letzten beiden) scheint die Akkulturation eine verzerrungsfreie Darstellung der Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden zu ermöglichen.

258 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.194–195. 259 Ebda. 260 Ebda. 261 Vgl. DANNENBECK Clemens: Selbst- und Fremdzuschreibungen als Aspekte kultureller Identitätsarbeit. Ein Beitrag zur Dekonstruktion kultureller Identität. (= DJH-Reihe Jugend 14). Opladen 2002, S.275–276. 262 Diese Wiener-Wochenzeitung betrachtete laut Eleonore Lappin-Eppel (vgl. LAPPIN EPPEL, Reflection of the Jewish War Effort, S.150) den Kampf gegen den zunehmenden Antisemitismus als eine zentrale Aufgabe. 263 RECHTER, Die große Katastrophe, 2014, S.18. 264 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.162. 265 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.535 sowie vgl. SANTISESTEBAN Daniel/MITRANI Victoria, The influence of acculturation processes on the family. In CHUN Kevin/BALLS-ORGANISTA Pamela/MARIN Gerardo (Hgg.), Acculturation: Advances in theory, measurement, and applied research. Washington 2003, S.121–135. Im Folgenden zitiert als SANTISESTEBAN/MITRANI, The influence of acculturation, 2003. 266 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.17.

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Woran liegt es nun, dass unter anderem Hildegard Kernmayer, Klaus Hödl sowie Petra Ernst 267 dem Akkulturationsprozess vorwerfen, dass er zur Einseitigkeit neige und auf simplen Gesellschaftsbildern beruhe?268 Victoria Mitrani und Daniel Santiseban 269 schließen sich dieser Kritik an und zeigen insgesamt acht Kritikpunkte des Akkulturationsprozesses auf. Einige stellte man in einer paraphrasierten Form dar, beispielsweise „Akkulturation werde primär als unidimensionales und statisches Konzept untersucht“270 , „Akkulturationserfahrungen von Kohorten werden als monolithisch und uniform betrachtet“ 271 oder „ethnische Minderheitenfamilien würden als passive Rezipienten ihrer Umwelt betrachtet.“272

Es fällt bei diesen dargelegten Punkten auf, dass dabei weniger der Ansatz der Akkulturation in die Kritik gerät, sondern Mitrani und Santiseban kritisieren vielmehr, dass man ihn anders versteht und ihn in einer anderen Form verwendet. Dies gilt ebenso für die weiteren Punkte. Diese Feststellung geht daraus hervor, dass sich diese Kritik auf das Nichtbeachten von Aspekten bezieht, die Andreas Zick in den dargestellten Grundannahmen des Akkulturationsprozesses darstellt und anspricht.273 Welche Umstände führen nun zu diesen Defiziten? 274

Ein möglicher Erklärungsversuch ist, dass die Akkulturation eine große Nähe zu Assimilationskonzepten aufweist, auch wenn sie diese vermeintlich abgelöst hat. Doch wirkt es so, wie auch Petra Ernst sowie Gerald Lamprecht 275 anmerken, dass die Akkulturation die Assimilation lediglich ergänzt hat. Demnach bleibt das Basiskonzept der Anpassung erhalten. Die Assimilation wird als der „Extremfall eines übergeordneten und variationsreichen Prozesses der Akkulturation“276 begriffen. Till van Rahden 277 weist darauf hin, dass dadurch der Begriff Akkulturation dieselbe ideologische Aufladung aufweist wie der der Assimilation. Damit scheint eine grundlegende Überlegung zur Einführung des Akkulturationsbegriffs nicht realisierbar.278 Diese Nähe ist wohl eine Ursache dafür, dass die Grenzen zwischen Assimilation und Akkulturation verwischt werden und keine deutliche Trennung entsteht. Des

267 Vgl. KERNMAYER/HÖDL/ERNST, Assimilation – Dissimilation – Transkulturation, 2004, S.296. 268 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 269 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.532. 270 Ebda. 271 Ebda. 272 Ebda. 273 Ebda. 274 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 275 Vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, 2009, S.9. 276 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.118. 277 Vgl. van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008, S.119. 278 Vgl. SIEG, Jüdische Intellektuelle, 2001, S.24.

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Weiteren wird durch diese ‚nicht adäquate‘ Anwendung das Bild eines geschlossenen sozialen und kulturellen Systems impliziert, in welchem man zwischen ‚Außenstehenden‘ und ‚Innenstehenden‘ unterscheidet, die sich aber über längere Zeit im selben Raum befinden.

In diesem Kontext wirkt ein weiterer Kritikpunkt von Victoria Mitrani und Daniel Santiseban relevant: „Akkulturation werde primär als Phänomen nach der Immigration betrachtet, womit der Erkenntnisbereich erheblich eingeschränkt wird.“279 Es scheint so, als ob man das Konzept der Akkulturation erst dann nutzt, wenn eine ‚Integration‘ beziehungsweise ‚Inklusion‘280 des außenstehenden kulturellen Systems nach einer Migrationsbewegung erfolgt. Kontakte und Interaktionen, die zuvor geschehen sind, blendet man aus.

Die Problematik, die sich ergibt, ist, dass man Integration oder auch Inklusion wieder als Anpassung versteht. Arno Herzig 281 verwebt beispielsweise die Begrifflichkeit der Integration („integrativer Ansatz“ 282 ) mit denen der Assimilation und Akkulturation. Diese sind wiederum mit dem Anpassungsparadigma verflochten. Es lässt sich daraus erschließen, dass sich die jüdische Geschichtsschreibung anscheinend nur schwer vom Konzept der Adaptierung lösen kann und dieses die Darstellung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung verzerrt. 283 Das Nichtablegen eines einseitigen Anpassungsparadigmas stellt demnach ein Problem dar. Der Versuch einer Lösung dieser Problematik beginnt zunächst mit einer Betrachtung des Anpassungsschemas aus methodologischen Perspektive, um ‚Problemstellen‘ bereits im Vorhinein zu vermeiden. Die Auseinandersetzung mit der entsprechenden Methodik wirft die Fragen auf, wie diese Adaptierung oder die Anpassung eigentlich ermittelt werden kann, welche Indikatoren dabei entscheidend und wie graduelle Abstufungen erfasst werden.

Eine ‚Minderheit‘ kehrt sich durch den Anpassungsprozess vom vermeintlich eigenen kulturellen System ab und adaptiert ein anderes.284 Die Konfession kann man als ein distinktives Merkmal kultureller Systeme ansehen. Demnach könnte man Konvertierung wie die Adolf Kornhabers als Indiz oder Beleg für eine (vollständige) Anpassung deuten. Nur war diese Konvertierung gleichbedeutend mit einer Abkehr? Wolfgang Fikentscher und Konstantin Rall 285 geben verschiedene Ursachen an, mit denen sich das Anpassungsverhalten beschreiben

279 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.532. 280 Zur Erklärung der Begriffe Integration und Inklusion und deren Verständnis (vgl. FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012, S.22–24). 281 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.13. 282 HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.13. 283 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S. 17. 284 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.26–27. 285 FIKENTSCHER/RALL, Kontakt der Kulturen, 2012, S.18.

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lässt. Diese sind „Einverleibung beziehungsweise die freie Übernahme[…], die Dominanz (auch genannt gerichteter Kulturwandel) oder die Migration.“ Bei der Kategorie ‚Dominanz‘ wird impliziert, dass sich die ‚Minderheit‘ an die ‚Mehrheit‘ anpasst. Wie ist dabei zu erklären, dass Menschen mit einem jüdischem (oder auch nichtjüdischem) Religionsbekenntnis ihre Konfession ablegen?286 Dies scheint nicht wirklich ins dieses Konzept zu passen, ebenso wenig wie christliche Soldaten, die zum jüdischen Glauben übertraten.287 Das Ablegen des Religionsbekenntnisses und das Konvertieren von Christen lässt sich jedoch mit der ‚freien Übernahme‘ begründen.

Gründe für dieses Phänomen nennt Marsha Rozenblit 288 ; sie führt unter anderem interkonfessionelle Vermählungen wie auch karrieretechnische Überlegungen an. Erwin Schmidl 289 deutet an, dass zwar ein Übertritt zum christlichen Glauben keine Bedingung für den Aufstieg innerhalb der Streitkräfte war, er aber der Karriere ebenso wenig schadete wie eine Konvertierung zum jüdischen Glauben, obwohl dies (wie im Fall des Gustav Eichingers) mit einer Infragestellung seines Charakters verbunden war. Dies hatte aber hauptsächlich mit den vermeintlichen Gründen der Konvertierung zu tun, denn diese geschah im Rahmen einer Verlobung. Dieses eheliche Versprechen war davon begleitet, dass der zukünftige Schwiegervater die Schulden Eichingers übernahm.

Diese exemplarischen Auszüge sollen die Vielfältigkeit der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen zumindest andeuten. Das geschieht, um den Sachverhalt zu verdeutlichen, dass wenn man von geschlossenen kulturellen Systemen ausgeht, auch Indikatoren Verwendung finden, die eben auf diesen starren Konstrukten basieren. Dies (ver-)führt dazu, die multidimensionalen Veränderungsprozesse, die während des Austausches geschehen, zu vernachlässigen. Wie sich auch am Beispiel des Leutnant Eichingers zeigt, kann es passieren, dass man aufgrund der Verhaltensweise (Konvertierung zum Judentum) nicht auf die Einstellung schließen kann.290 Aus diesem Grund scheint es nicht abwegig, dass Victoria Mitrani und Daniel Santiseban 291 bezüglich des Akkulturationsprozesses meinen: „Die Messinstrumente seien nicht hinreichend und ungenügend.“ 292 Oder, wie Klaus Hödl 293 aussagt,

286 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.38. 287 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.93. 288 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.38. 289 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.93. 290 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.584. 291 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.584 sowie vgl. S.532. SANTISESTEBAN/MITRANI, The influence of acculturation, 2003, S.121–122. 292 ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.584. 293 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16.

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dass Konzepte, die auf Anpassung beruhen, „mit empirisch überprüfbaren und sozialen und kulturellen Prozessen wenig zu tun“ 294 haben.

Dies scheint dadurch bedingt, dass man bei der jüdischen Bevölkerung von einer ‚passiven Minderheit‘ ausgeht, die sich an die ‚Leitkultur‘ anpasst. Doch wie ist diese Annahme zu erklären? Am offensichtlichsten erscheinen zunächst die demographischen Gegebenheiten. Im Jahr 1910 waren 4,4 Prozent der Bevölkerung der Habsburgermonarchie jüdischen Glaubens.295 Dennoch sagt die Anzahl wenig über den Einfluss aus und erklärt auch nicht die Juden zugeschriebene Passivität. Wenn man sich Geschäftsbeziehungen ansieht, welche des Öfteren im Zusammenhang mit der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung genannt werden,296 stellt man fest, dass jüdische Unternehmer zum großen Teil an der Industrialisierung der Habsburger- monarchie mitgewirkt haben. Darauf verweist Karl Vocelka. 297 Die Industrialisierung war ein essenzieller Faktor während des Ersten Weltkriegs, da Fabriken sowie Eisenbahnlinien zentrale Bestandteile der Rüstungsindustrie waren. So hatte die ‚Minderheit‘ der Unternehmer wohl einen immensen Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen. 298

Arno Herzig 299 sieht den Ursprung des ‚integrativen Ansatzes‘ in den (historischen) Sozialwissenschaften. Laut Thomas Brechenmacher und Michał Szulc 300 lautet ein erheblicher Kritikpunkt des sozialgeschichtlichen Zugriffs auf die Geschichte, dass der Mensch als handelndes Subjekt in der Geschichte verschwindet, da er in abstrakten Vorgängen und Strukturen aufgeht. Der Akteur wird zum passiven Objekt. Dies ist ein Erklärungsversuch, warum es zur Annahme kommt, dass die jüdische Bevölkerung nicht agiert oder nur handelt, um sich dem Rest der Bevölkerung anzupassen, erklärt die Passivität jedoch nicht gänzlich. 301 Möglicherweise führt die Fortsetzung des ‚tränenreichen Narrativs‘ dazu, dass es schwerfällt, die jüdische Bevölkerung als Akteure zu verstehen. 302 Denn dies, wie Klaus Hödl im

294 HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16. 295 Dies entspricht über zwei Millionen Menschen bei einer Gesamtbevölkerungsanzahl von rund 51.356.465. (vgl. KLIEBER, Jüdische – christliche – muslimische Lebenswelt 2010, S.285.) 296 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.19. 297 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.192. 298 Vgl. MÜLLER, Militärgeschichte, 2009, S.238. sowie vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.204. 299 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.13. 300 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.190 301 Vgl. WALTER Rolf, Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2008, S.156– 157 sowie vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.190. 302 Vgl. WYRWA, die europäische Dimension, 2004. S.102 sowie vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.123.

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Zusammenhang mit dem performativen Ansatz anmerkt, „[…] birgt das Risiko in sich, aus jüdischen Opfern Mittäter zu machen.“303

Dies sind mögliche Erklärungsversuche, die nicht gänzlich zutreffen müssen, aber sie geben dennoch Hinweise darauf, wie sich mit der Problematik vorteilhafter umgehen lässt. Es lässt sich feststellen, dass die Ansätze der Assimilation sowie der Akkulturation unter dem Metakonzept der Anpassung stehen. Ergänzungen daran ändern anscheinend wenig. Diese Erweiterungen 304 weisen jedoch darauf hin, dass Austauschprozesse, die aus Kontakt und Interaktionen hervorgehen, zentral für eine Untersuchung des interkulturellen Verhältnisses sind.

Doch wie löst man sich von den Konzepten der Anpassung und Abgrenzung als Metakonzepte? Dafür bedient man sich der Definition der Assimilationsprozesse Herbert Strauss‘: „die Begegnung von Elementen verschiedener Kulturen und deren Synthese zu einer neuen Einheit in einem instabilen Gleichgewicht von verschiedener Dauer“. 305 Till van Rahden setzt diesen Weg mit der „situativen Ethnizität“306 fort. Klaus Hödl 307 legt dies folgendermaßen aus: „Eine ethnische Gruppe, so meint er ganz allgemein, konstituiere sich, indem sie ‚Elemente der Mehrheitskultur verbindet und so etwas Neues schafft.“ Zwar knüpft diese ‚situative Ethnizität‘ ebenfalls an ein ‚Minorität-Majoritäts-Schema‘ an, aber sie legt den Schwerpunkt auf die Prozesse des Austausches und impliziert die Änderung der vermeintlichen ‚Mehrheit‘. Durch die Schaffung von ‚etwas Neuem‘, wirkt die Identitätskonstruktion dynamisch. Ein Ansatz, der dies nicht nur implizit andeutet, sondern sogar darauf aufgebaut ist, ist das Konzept der ‚hybriden Identitäten‘.

Dieses Konzept legt den Schwerpunkt auf Kontakte, Interaktion und wechselseitigen Einfluss. Es beruht darauf, dass die Bevölkerung gesellschaftliche und kulturelle Vorgänge gemeinsam gestaltet hat.308 Auch wenn die Konnotation der Begriffe ‚Zusammenleben‘ oder ‚Miteinander‘ auf die rein ‚positiven‘ Aspekte der Beziehung schließen lässt, ist hier noch einmal deutlich zu machen, dass ebenso die ‚negativen‘ inkludiert sind. Mit Zusammenwirken sind alle Phänomene gemeint, welche durch Begegnung und Interaktionen entstanden sind und sich daher auf die heutige Lebenswelt auswirken. Dabei stellt sich die Frage, wie man dieses

303 Vgl. HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005, S.185. 304 Siehe dabei die dargestellten Grundannahmen 4 und 5 von Andreas Zick (vgl. ZICK, 2010, S.534–535.) 305 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S. 118. 306 HÖDL Klaus, „Jenseits des Nationalen“ – Ein Bekenntnis zur Interkulturation. Einleitung zum Themenheft. In: transversal 5 Jg. (2004) Nr.1, S.5. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Jenseits des Nationalen, 2004. 307 Ebda. 308 Vgl. ebda.

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Zusammenleben und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft untersuchen kann. Die Verwendung von kulturwissenschaftlichen Methoden und Überlegungen bietet sich an. 309 In den 1980er Jahren wandte man sich vermehrt den Zugängen der Kulturwissenschaft in der historischen Forschung zu. Darunter fallen die Ansätze der Geschlechter- sowie Alltagsgeschichte. 310 Aus der Alltagsgeschichte ging die Mikrogeschichte hervor.311 Die Beobachtung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung in den Streitmächten der k.u.k. Monarchie erfolgt auf Grundlage der ‚mikrohistorischen Perspektive‘ sowie auf dem Ansatz ‚hybrider Identitäten‘, die durch performative Handlungen entstehen.312 5 Ansätze des Kontakts und der Interaktion

Die angesprochene Fokussierung beginnt mit der Erklärung des Konzepts der Kontakte und Interaktionen auf theoretischer Ebene. Dies geht mit einem ‚hybriden‘ Identitätsverständnis einher. In den Ausführungen bezüglich der Bedeutung des Austausches gehe ich der Frage nach, wie man die Begegnungen zwischen Juden und Nichtjuden für eine wissenschaftliche Analyse zugänglich macht. Eine Möglichkeit ist die ‚mikrohistorische‘ Perspektive. Bevor eine Auseinandersetzung mit dem Prozess des Austausches und seinen Folgen stattfindet, erfolgt eine Eruierung der konkreten und abstrakten Begegnungsorte, in denen jüdische und nichtjüdische Mitglieder der k.u.k Streitkräfte (im Rahmen des Ersten Weltkriegs) aufeinandertrafen. Dabei erschließt sich eine zentrale Bedeutung des Raums ‚Krieg‘, da er einerseits als Begegnungsort fungiert, anderseits weil er die Interaktionen ebenso beeinflusst. Ebenfalls klärt sich, was als Kooperation oder Konfrontation in Bezug auf kriegerische Konflikte zu verstehen ist.

Die Wortwahl des Titels der Arbeit lässt bewusst verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu. Mit ‚Miteinander‘ an sich ist die jüdisch-nichtjüdische Beziehung in ihren ‚positiven‘ wie auch ‚negativen‘ Aspekten gemeint.313 Mit Gegeneinander betone ich aber zusätzlich die Konfrontationen. Das Gegeneinander gehört zum Miteinander. Dies impliziert, dass Juden und Nichtjuden ‚für Österreich-Ungarn‘ agierten; dabei ist es egal, ob es konfrontativ oder kooperativ war, denn beides trug zur Entwicklung der Lebenswelt bei. Daraus soll keine

309 Vgl. FAUSER Markus, Einführung in die Kulturwissenschaft. Darmstadt 2004, S.39. Im Folgenden zitiert als FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft, 2004. 310 Vgl. HERZIG, Methodischer und inhaltlicher Wandel, 2013, S.12. 311 Vgl. BÖHME Hartmut/MATUSSEK Peter/MÜLLER Lothar, Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will. Hamburg 2000, S.56. 312 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.193–194. 313 Vgl. HÖDL, Das Verständnis von Judentum, 2013, S.16–17.

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kontrafaktische Untersuchung im Sinne einer ‚Was-wäre-wenn-Geschichte‘ entstehen, daher nimmt man die Ereignisse und Interaktionen als gegeben hin und verändert sie nicht, um den Standpunkt zu belegen, dass die Lebenswelt eine andere wäre, wenn sie nicht so geschehen wären. Dennoch ordnet man diesen Interaktionen einen kooperativen oder kontraproduktiven Charakter zu. Die Begrifflichkeiten Kooperationen und Konfrontationen sind dabei aufgrund der Wahl des Themas an einen militärischen Kontext gebunden. 314

Eine Untersuchung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung in den Streitkräften der k.u.k. Monarchie (auf Basis des Kontakts und der Interaktion) während des Ersten Weltkriegs ergänzt die theoretischen Ausführungen. Dafür zieht man einzelne Fallbeispiele aus verschiedenen Quellen heran.315 Bei diesen handelt es sich hauptsächlich um Erfahrungen von jüdischen Personen. Diese Herangehensweise legt den Schwerpunkt demnach auf eine ‚jüdische‘ Perspektive der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung. Dies soll den Standpunkt verdeutlichen, dass die jüdische Bevölkerung an der gesamtgesellschaftlichen Geschichte (aktiv) mitgewirkt hat und immer noch mitwirkt.

5.1 ‚Hybride Konstruktionen‘ und performative Handlungen

Aus der Erschließung der Konzepte der Anpassung und Abgrenzung lässt sich die Komplexität der jüdisch-nichtjüdischen Verflechtung erahnen. Es blieb jedoch lediglich bei der Vorlage von Indizien anstatt von Beweisen. Bei der Frage Moshe Rosmans nach der Verbundenheit von allgemeiner und jüdischer Geschichte beschränkte sich meine Antwort auf eine Annahme. Die weiteren Ausführungen dahingehend zeigten, warum manche Ansätze bei deren Betrachtung nicht vollends befriedigend sind. Zwar sprach man Beispiele an, die auf die Komplexität verwiesen, aber es erfolgte kein explizites Exempel.316 Eine Konkretisierung dieser komplexen Beziehung erfolgt, da diese eine Grundproblematik bei der Betrachtung der interkulturellen Verbindung darstellt und man diese erfassen muss. Gleichzeitig ergibt sich eine ausführlichere Antwort auf Moshe Rosmans Frage: „How do the jews fit into history?“ 317

314 Siehe HÜPPAUF Bernd, Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs. Bielefeld 2013. Im Folgenden zitiert als HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013. 315 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.583. 316 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.43. 317 Ebda.

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5.1.1 Der jüdische und nichtjüdische Anteil am Miteinander

Was führt zur Komplexität dieser Beziehung? Ein Aspekt, welcher diese bedingt, ist die Schwierigkeit der Zuordenbarkeit des Jüdischen und Nichtjüdischen. Es lässt sich nur schwer feststellen, welcher Anteil in der ‚österreichisch(-ungarischen)‘ oder auch ‚habsburgischen‘ Kultur und Geschichte jüdisch oder nichtjüdisch ist. 318 Ein Beispiel, welches auf die (pop- )kulturelle Seite des Ersten Weltkriegs referiert, ist das ‚Reiterlied‘ (oder auch als ‚österreichisches Reiterlied‘ bekannt).319 Es zählt laut Michael Berger 320 zu den bekanntesten deutschsprachigen Texten des Ersten Weltkriegs.321 Welche österreichisch-jüdischen Aspekte weist dieses ‚Reiterlied‘ auf? Die naheliegenden Antworten sind wohl einerseits der alternative Titel des Liedes, andererseits verortet sich der Verfasser (Hugo Zuckermann) selbst im Jüdischen.322 Beide Komponenten wirken jedoch weder komplett jüdisch oder nichtjüdisch, sondern sie sind eben jüdisch-nichtjüdisch. Das vermeintlich Nichtjüdisch-Österreichische beeinflusst den Inhalt des Liedes. Zuckermann engagierte sich neben seiner literarischen Tätigkeit ebenso für die zionistische Bewegung, welche wiederum Einfluss auf die jüdisch- österreichische Bevölkerung hatte. Diese jüdische und nichtjüdische Bevölkerung stand in interkulturellem Austausch. 323 Der Text ist ein Ergebnis dieses Zusammenwirkens. Um die Vielschichtigkeit dieses Verhältnisses aufzuzeigen, betrachtet man das ‚Reiterlied‘ unter den Aspekten des Kontakts und der Interaktion. Es erfolgt ebenso eine Betrachtung unter den Annahmen der Separation und Adaption. Dafür untersucht man den Text der Dichtung zunächst auf vermeintlich jüdische und nichtjüdische Elemente.

318 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.11. 319 Vgl. STEINER Peter, Hugo Zuckermann. Der früh gefallene Dichter des Österreichischen Reiterlieds. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 226. im Folgenden zitiert als STEINER, Hugo Zuckermann, 2014. 320 Vgl. BERGER, Eisernes Kreuz, Doppeladler, Davidstern, 2010, S.112. 321 Kulturelle Produkte stehen in der Schnittstelle zwischen den strukturellen Gegebenheiten sowie den Lebensweisen der Menschen. Nach dieser Auffassung sind die Rezipienten kultureller Medien nicht ausschließlich reproduktiv, sondern auch produktiv. Ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Lebenswelten und den Inhalten der Medien ist gegeben. Demnach können auch kulturelle Produkte ein Kontaktpunkt zwischen kulturellen Systemen sein. (Vgl. FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft 2004, S.34.) Es handelt sich dabei um eine kulturelle Begegnung, die den Kulturwandel differenziert und mobilisiert. (Vgl. BOHLMAN Philip, Wie die Populärmusik jüdisch wurde. In: transversal 7 Jg. (2006) Nr.1, S.63. Im Folgenden zitiert als BOHLMAN, jüdische Populärmusik, 2006.) Kulturgüter oder Ähnliches behandle ich im Zuge der Erläuterung der Interaktion etwas ausführlicher. 322 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226. 323 Vgl. BALÁZS, The image of Jewish Soldier-Intellectual, 2019, S.136 sowie vgl. BRENNER, Geschichte des Zionismus, 2016, 27–28.

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Drüben am Wiesenrand / Hocken zwei Dohlen / Sterb‘ ich im Serbenland?/ Fall‘ ich in Polen?/ Was liegt daran!/ Was liegt daran/ Wenn sie meine Seele holen, /Fall‘ ich als Reitermann. 324

Da der Inhalt der ersten Strophe auf nichts ‚Jüdisches‘ schließen lässt, bleibt der ‚jüdische‘ Anteil wohl der Verfasser. Klaus Hödl 325 definiert einen jüdischen Künstler dadurch, dass er in seinen Werken eine jüdische ‚Identität‘ zum Ausdruck bringt. Das Werk hingegen muss einen Bezug zu einem jüdischen Thema aufweisen. Wie bringt Zuckermann seine (jüdische) Identität ein und was ist demnach das jüdische Motiv im ‚Reiterlied‘? Zunächst betrachten wir das Lyrische-Ich des Textes, welches in der Kavallerie kämpft. Die genannten Kriegsschauplätze deuten auf den Ersten Weltkrieg hin. 326 Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass die Veröffentlichung des Gedichts bereits im Jahr 1913 erfolgte. Im Gegensatz zum Lyrischen-Ich diente der Autor als Leutnant der Reserve in der Infanterie. Aufgrund dieses Sachverhalts und des Erscheinungsjahres kann man nicht von einer autobiographischen Verarbeitung der Kriegserlebnisse ausgehen. Die angeführten Kriegsschauplätze sind wohl eine ‚richtige‘ Deutung der damals gegenwärtigen innen- und außenpolitischen Lage.327 Ein weiterer Unterschied ist, dass der Tod des Ichs nur in Bezug auf eine rhetorische Frage Verwendung findet:

Drüben am Ackerrain/ Schreien zwei Raben – Werd ich der erste sein, / Den sie begraben? Was ist dabei? Viel hunderttausend traben/In Österreichs Reiterei. 328

Zuckermann hingegen zog sich im ersten Kriegsjahr an der ‚Ostfront‘ eine so schwere Verwundung zu, dass er ihr erlag. Damit war er tatsächlich einer der Ersten, die begraben wurden. 329 Gibt es einen spezifischen Ausdruck des Jüdischseins in dieser Dichtung? Nach einer ersten Übersicht lässt sich keiner festmachen. Man könnte von einem ‚nichtjüdischen Lied‘ sprechen, wenn man nach dem sektorialen Ansatz geht. Aber da eine derartige Ausblendung eine Unvollständigkeit ergibt, muss man das Lied ebenso aus ‚jüdisch- historischer‘ Perspektive und in Hinblick auf das „spezifisch jüdische Motiv des Kampfes gegen Russland“ 330 betrachten. Dies könnte erklären, warum Zuckermann Polen als Kampfschauplatz erwähnt, wenn es hauptsächlich um den Konflikt mit Serbien geht.

324 BERGER, Eisernes Kreuz, Doppeladler, Davidstern, 2010, S.113. 325 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.10–11. 326 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.269–270. 327 Vgl. CLARK, Die Schlafwandler, 2010, S.54. 328 ZUCKERMANN Hugo, Österreichisches Reiterlied. https://www.gedichte.com/gedichte/Hugo_Zuckermann /%C3%96sterreichisches_Reiterlied [Abruf am 09.12.2020]. 329 Vgl. BALÁZS, The image of Jewish Soldier-Intellectual, 2019, S.136 sowie vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226. 330 PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.59.

Gregor Schweighofer 47 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Drüben im Abendrot/ Flattern zwei Krähen./Wann kommt der Schnitter Tod, / Um mich zu mähen? Es ist nicht schad‘! / Es ist nicht schad‘!/ Seh‘ ich nur Habsburgs Banner wehen/ Auf Belgegrad! 331

Damit hätten wir einen Aspekt des Jüdisch- aber ebenso einen des Nichtjüdischseins. Welche ‚Seite‘ bei jedem Einzelnen überwog und wie spezifisch jüdisch ist das Motiv der Befreiung der jüdischen Bevölkerung Russlands? Wenn keine starre Abgrenzung zwischen dem Jüdischen und Nichtjüdischen vorgenommen werden, ergeben sich andere Möglichkeiten bei der Untersuchung der interkulturellen Beziehung. Vermutlich würde man diesen Aspekt weniger in Betracht ziehen, wenn der Text von Theodor Körner oder Sándor Petöfi 332 geschrieben worden wäre. Diese Herangehensweise ermöglicht es, ‚nichtjüdische‘ Aspekte aus einer ‚jüdischen‘ Perspektive zu betrachten. Betrachten wir diesen Sachverhalt vom Standpunkt der Anpassung aus. Die Treue zu ‚Habsburgs Banner‘ kann man als starke Verbundenheit zu den Habsburgern interpretieren. Eigentlich könnte man durch die gezeigte Loyalität meinen, dass sich Zuckermann ‚perfekt‘ assimiliert hätte. 333 Doch kann das Anpassungskonzept nicht erklären, warum Zuckermann zionistische Standpunkte vertrat und ebenso wenig seine Beisetzung am israelitischen Friedhof. Aus diesem Grund kann man nicht wirklich von einer Abkehr vom‚Jüdischsein‘ ausgehen.334

Wie sind Hugo Zuckermann und sein literarisches Werk dann einzuordnen? Ein Artikel aus der ‚Múlt és Jöv ő‘, beschreibt ihn folgendermaßen, wie Eszter Balázs zusammenfasst: „‘a political zionist who was the poet of the renewal of Jewish people‘ and whose poetry was ‚dualistic‘; he was a poet of ‚both Zion and Austria.'“335 Das Wort ‚dualistic‘ scheint überaus passend, um seine ‚Identität’ und generell die der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen (in Österreich) zu beschreiben, obwohl der Begriff ‚dualistisch‘ den Umfang des Verhältnisses nicht wirklich ausdrücken kann.336 Zwar unterliegt er einem dichotomischen Denken, dennoch greift er ein ‚hybrides‘ (Identitäts-)Konstrukt auf, welches durch Begegnung und Austausch entsteht.337

Dieses Identitätskonzept steht im Zusammenhang mit den postkolonialen Theorien sowie der Kulturtransferforschung. Die zur Stützung der Annahme dient, dass jüdische kulturelle

331 BERGER, Eisernes Kreuz, Doppeladler, Davidstern, 2010, S.113. 332 Eszter Balázs (vgl. BALÁZS, The image of Jewish Soldier-Intellectual, 2019, S.136) verweist darauf, dass in der ‚Múlt és Jöv ő‘ ein Vergleich Zuckermanns mit diesen beiden Dichtern stattfand und er als ‚jüdisches‘ Äquivalent der beiden gilt. 333 Vgl. DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995, S.236. 334 Vgl. ebda. 335 BALÁZS, The image of Jewish Soldier-Intellectual, 2019, S.136. 336 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 337 Vgl. HÖDL, Jenseits des Nationalen, 2004, S.10.

Gregor Schweighofer 48 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Systeme sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit ‚hybride Produkte‘ sind. Dies ist mit der Überlegung verbunden, dass Kulturen generell konstruiert und nicht stabil sind. Sie rekonstruieren sich ständig neu und durchlaufen einen dynamischen Prozess des Wandels, daher sind sie nicht einheitlich. 338 Thomas Brechenmacher und Michał Szulc 339 fassen Moshe Rosmans340 Aussagen diesbezüglich zusammen. „Das ‚Jüdische‘ dabei sei demnach keine feste Einheit, sondern eine Gestalt, die durch Forschung jeweils zu rekonstruieren sei.“ Dies trifft aufgrund der herrschenden Wechselbeziehung ebenso auf das ‚Nichtjüdische‘ zu. 341 Oder, wie es David Myers bezeichnet, sie stehen in einem Dialog miteinander. Dabei geht Myers aber von einer einseitigen Beeinflussung der ‚Mehrheit‘ aus.342 Klaus Hödl 343 führt an, dass die Begriffe Dialog oder Interaktion auf Kontakt und Verflechtungen referieren. Beide Begriffe eröffnen die Möglichkeit einer Berücksichtigung des interkulturellen Austausches.344

Obwohl Rosman davon ausgeht, dass diese Überlegungen tragend für die zukünftige jüdisch(-nichtjüdische) Geschichtsforschung sein werden, stellt er das jüdisch-nichtjüdische Verhältnis jedoch unter das Motiv einer durch eine nichtjüdische ‚Mehrheit‘ unterdrückten jüdischen ‚Minderheit‘.345 Er fügt jedoch hinzu, dass die ‚Hybriden‘ zwischen kulturellen Systemen entstehen können, welche als gleichberechtigt anzusehen sind. 346 Laut Moshe Rosman macht es demnach keinen Unterschied bei der Entstehung von ‚hybriden Identitäten‘,

338 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171 sowie vgl. KERNMAYER/HÖDL/ERNST, Assimilation – Dissimilation – Transkulturation, 2004, S.96. 339 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171. 340 Vgl. ROSMAN, How Jewish is Jewish History?, 2007, S.96–97. 341 Vgl. HÖDL, Jenseits des Nationalen, 2004, S.13–14. 342 Vgl. HÖDL Klaus, Kulturelle Verflechtungen zum Thema. In: transversal 7 Jg. (2006) Nr.1, S.3. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Kulturelle Verflechtungen, 2006 sowie MYERS David, Simon Rawidowicz, „Hashpaitis,“ and the Perils of Influence. In: HÖDL Klaus (Hg.) Kulturelle Grenzräume im jüdischen Kontext. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 14). Innsbruck 2008, S.74–75. 343 Vgl. HÖDL, Kulturelle Verflechtungen, 2006, S.3. 344 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.172. 345 Vgl. HÖDL Klaus, Wiener Juden – jüdische Wiener. Identität, Gedächtnis und Performanz im 19. Jahrhundert. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 9). Innsbruck/Wien/Bozen 2007. Im Folgenden zitiert als HÖDL, Wiener Juden – Jüdische Wiener, 2007. 346 Wenn wir von einem Miteinander von Juden und Nichtjuden ausgehen, welches die gesamtkulturelle Entwicklung beeinflusst hat, kann man in diesem Sinn von keiner Hierarchie sprechen, da alle kulturellen Systeme mitwirkten. Es geht weniger darum, dass Interaktionen verschieden großen Einfluss haben können, sondern darum, dass jede interaktive Handlung Einfluss haben kann. (Vgl. HÖDL, Jenseits des Nationalen, 2004, S.13–14.) Jan Assmann sieht in Bezug auf das „kommunikative Gedächtnis“ (ERLL Astrid, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur. Eine Einführung. Stuttgart/Weimar 2005, S.5. Im Folgenden zitiert als ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005) die Deutungen sowie Rekonstruktionen (in Form von Erinnerungen) des Vergangenen als gleichwertig an, da sie sozusagen (fast) von jedem gemacht werden können. Dies basiert wieder auf der Annahme, dass diese bei gesellschaftlichen Prozessen mitwirken. (Vgl. ebda.)

Gregor Schweighofer 49 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

ob ein hierarchisches oder ein egalitäres System vorliegt. Sie entstehen anscheinend so oder so. Die Frage bezüglich einer ‚Hierarchie‘ ist daher nebensächlich. 347

Ein vermehrtes ‚Aufkommen‘ der ‚hybriden Konstrukte‘ in der (Geschichts-)Forschung erfolgte durch die Hinwendung zur Linguistik. Wie kann man durch Ansätze aus der Sprachforschung das Aushandeln kultureller Bedeutungen erklären? Mit dem Ansatz der Performanz steht, wie Klaus Hödl es ausdrückt, „ein methodisches Instrumentarium zur Verfügung, mit dem ein kulturelles Miteinander von Juden und Nichtjuden in paradigmatischer Weise aufgezeigt werden kann.“ 348 Prinzipiell unterscheidet man in der Linguistik zwischen konstativen und performativen Äußerungen. Die einen (konstativ) beschreiben die Lebenswelt und die anderen (performativ) erschaffen sie mit. Beide schließen sich jedoch nicht aus.349 Das Interagieren (in verbaler oder nichtverbaler Form) stellt ein Handeln dar. 350 An einer performativen Handlung nehmen mehrere Akteure teil; dabei erfolgt die Aushandlung der Bedeutungen, die einmalig sowie situations- und kontextgebunden sind. Ein performativer Akt ist damit flüchtig und man kann ihn ausschließlich im Gedächtnis festhalten und rekonstruieren. Daher sind Performanz und Gedächtnis verknüpft. 351 Diese Annahme steht im Zusammenhang mit dem sogenannten „kollektiven Gedächtnis“.352 Zur Erklärung dieses Konzepts bedient sich die Forschung verschiedener Ansätze.353

Eines dieser Konzepte ist das des Jan Assmanns. Er unterscheidet zwischen einem „kom- munikativen“354 und einem „kulturellen Gedächtnis“355 . Das ‚kommunikative Gedächtnis‘ entsteht durch Interaktionen im Alltag und erfährt keine feste Bedeutungszuschreibung. Es ist also zeitlich begrenzt. Den Gegensatz dazu stellt das „kulturelle Gedächtnis“356 dar. Dabei „handelt es sich […] um eine durch feste Objektivation gebundene, hochgradig gestiftet und zeremonialisierte, vor allem in der kulturellen Zeitdimension des Festes vergegenwärtigte

347 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171 sowie vgl. HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008, S.181. 348 HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008, S.181. 349 Vgl. LINKE Angelika/NUSSBAUMER Markus/PORTMANN Paul, Studienbuch Linguistik. (= Reihe Germanistische Linguistik 121), Tübingen 2004, S. 207. Im Folgenden zitiert als LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 2004. 350 Vgl. ebda. S.197–198. 351 Vgl. HÖDL, Wiener Juden – Jüdische Wiener, 2007, S.42. 352 ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.5. 353 Das Folgende stellt einen Exkurs bezüglich der Begrifflichkeit des Gedächtnisses dar und dient zum Aufzeigen, was man darunter versteht und inwiefern es relevant für die Untersuchung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung auf Basis des Kontakts und der Interaktion ist. Des Weiteren deutet es an, wie die jüdische und nichtjüdische Geschichte verwoben und Teile einer allgemeinen Geschichte sind. 354 ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.28. 355 Ebda. 356 Ebda.

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Erinnerung.“ 357 Durch dieses begründen soziale Gefüge ihre ‚Identität‘ und ihr ‚Selbstbild‘. Unter den Begriff fasst Assmann den Kanon an immateriellen und materiellen Kulturgütern, die jede Epoche und jede Gesellschaft sowohl verwendet als auch erschafft. Es ist ein kollektiv geteiltes Wissen. Das Transportieren des kulturellen Gedächtnisses benötigt Fachleute.358 Diese interpretieren den Inhalt und tragen zu dessen Fortbestand bei. Das kulturelle Gedächtnis erscheint als nichts Statisches, sondern ist einem Prozess der Wandlung unterworfen. Auch wenn Assmann ‚kulturelles‘ wie auch ‚kommunikatives‘ Gedächtnis trennt, stehen beide in einem Zusammenhang.359 Zu den ‚benötigten‘ Fachleuten kann man Geschichtsforschende zählen. Die Geschichtsschreibung spiegelt ebenso die Perspektiven der Vergangenheit wider. 360 Denn auch die Geschichtsschreibenden nehmen an diesen alltäglichen Interaktionen teil, weil sie nun einmal ein Teil des Kollektivs sind.

Das bedeutet, dass das ‚kollektive‘ und das ‚kulturelle‘ Gedächtnis von Interaktionen im Alltag geprägt ist, das kommunikative wiederum vom kulturellen und umgekehrt. Beide wirken im Wechselspiel an der Erschaffung des kollektiven Gedächtnisses mit. Daher sollte man Alltagsinteraktionen bei der Darstellung der Vergangenheit berücksichtigen. Um diesen Zusammenhang zu veranschaulichen, betrachten wir die Debatte im österreichischen Parlament über die Teilnahme der jüdischen Soldaten am Ersten Weltkrieg.361 Zwar waren die Diskussionen über die Partizipation der Soldaten von antisemitischen Mustern und den dementsprechenden Gegen- und Verteidigungsstrategien geprägt. Die vorkommenden Standpunkte sind in diesem Kontext jedoch nebensächlich. 362 Zentral ist, dass man die Beteiligung der jüdischen Soldaten am Ersten Weltkrieg thematisierte. Die Reden sowie Anträge der Sitzungen kann man als eine (alltägliche) Interaktion verstehen. Mit dieser Thematik befasste sich ebenso die breite Bevölkerung, wobei die antisemitische Position mehr Anklang fand. 363 Dies ist ebenso eine Art der jüdisch-nichtjüdischen Interaktion und damit ein

357 Ebda. 358 Vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.28 sowie vgl. ASSMANN Jan, Geschichte und Gedächtnis. Moderne Theorien und alte Ursprünge. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.96–97. 359 Vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.5 sowie vgl. ASSMANN, Geschichte und Gedächtnis, 2002, S.27– 28. 360 Vgl. HÖDL, Kultur und Gedächtnis, 2012, S.122–123. 361 Vgl. STOPPACHER Thomas, The Jewish Soldiers of Austria-Hungary. In the Austrian Parliament Debates during World I and the Post-war Years (1917–1920). In: LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish Soldier in the Collective Memory of World War I from a Jewish Perspective. Wien,/Köln/Weimar 2019, S.277. Im Folgenden zitiert als STOPPACHER, The Jewish Soldiers of Austria-Hungary, 2019. 362 Vgl. ebda. 363 Vgl. LAMPRECHT Gerald, Jewish Soldiers in Austrian Collective Memory 1914 to 1938. In: LAMPRECHT Gerald /LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish Soldier in the Collective Memory of

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Teil des ‚kommunikativen‘ Gedächtnisses.364 Zwischen ‚kulturellem‘ und ‚kommunikativem‘ Gedächtnis existiert eine mitwandernde Lücke, diese zeigt den Zusammenhang dieser beiden Gedächtnisbegriffe an. Laut der Definition Jan Assmans, die Erll darstellt, scheint das ‚kulturelle‘ Gedächtnis eine Verfestigung des ‚kommunikativen‘ zu sein. Diese geschieht auf Basis verschiedener materieller und immaterieller Güter.365

Die Diskussionen und Dialoge im Parlament sind durch Sitzungsprotokolle festgehalten, damit sind sie als eine ‚verfestigte Erinnerungen‘ zu verstehen und transportieren einen „festen Bestand“.366 Die flüchtige Interaktion bleibt damit bestehen. Man kann sie dadurch einem größeren sozialen Gefüge zugänglich machen, denn Geschichtsschreibende greifen diese Protokolle auf und verwenden sie als Grundlagen ihrer Darstellung der Vergangenheit.367 Wie sehr sich Ereignisse oder Thematiken im kollektiven Gedächtnis verfestigen, ist von verschied- enen Faktoren abhängig. Einige davon, die Jan Assmann anspricht, sind Raum, Zeit und Gesellschaft. So sind der Zweite Weltkrieg sowie die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung präsenter als der Erste Weltkrieg und die aktive Teilnahme der jüdischen Soldaten auf der Seite Österreich-Ungarns (zumindest im ‚österreichischen‘ Gedächtnis).368

Nichtsdestotrotz finden sich dennoch ‚Erinnerungen‘ zu den letztgenannten Thematiken.369 Das entscheidende Element zur Beibehaltung ist, dass man diese transportiert und zugänglich macht. Dies steht im Zusammenhang mit der Aushandlung kultureller Bedeutungen. Auch wenn die Beteiligung der jüdischen Angehörigen der Streitkräfte am Ersten Weltkrieg nicht so stark im allgemeinen Gedächtnis verankert ist, trägt man die Thematik trotzdem weiter. 370 Diese Alltagsinteraktionen erscheinen daher nicht flüchtig, sondern haben länger Bestand, indem sie festgehalten werden. Des Weiteren tragen Erinnerungen beziehungsweise das Gedächtnis zu ‚hybriden‘ Identitäten bei. Die ‚Hybridität‘ kennzeichnet ein freies Zusammenspiel verschiedener kultureller Einflüsse, die auf Interaktionen beruhen. Daher kann man nicht von einem bestimmbaren Konstruktionsziel sprechen. Die verwobenen

World War I from a Jewish Perspective. Wien/Köln/Weimar 2019, S.315. Im Folgenden zitiert als LAMPRECHT, Jewish Soldiers, 2019 sowie vgl. STOPPACHER, The Jewish Soldiers of Austria- Hungary, 2019, S.276–277. 364 Vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.28. 365 Vgl. ebda. 366 ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.28. 367 Vgl. ebda. 368 Vgl. LAMPRECHT, Jewish Soldiers, 2019, S.310. 369 Vgl. ebda., S.312–313. 370 Es erfolgt im weiteren Ablauf eine Erläuterung, wie man diese Alltagsinteraktionen im Zusammenhang mit dem ‚kommunikativen‘ Gedächtnis zugänglich macht, selbstverständlich im Kontext der Streitkräfte der k.u.k. Monarchie im Ersten Weltkrieg. Dies steht generell wieder im Zusammenhang mit den ‚hybriden‘ Identitätskonzepten.

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interkulturellen Prozesse des gleichzeitigen Austausches und des Mitgestaltens eines gesamtkulturellen Systems kann man durch die Theorie des Kulturtransfers nachvollziehbar erklären. 371 Klaus Hödl stellt dies in der folgenden Ausführung dar:

Simplifizierend dargestellt könnte man sie so zusammenfassen, dass eine Gruppe ‚cultural units‘ adoptiert und an ihren eigenen kulturellen Kontext anpasst. Dabei erfahren die kulturellen Elemente eine Modifizierung. Gleichzeitig ändern sie aber auch den kulturellen Kosmos der rezipierenden Gruppe, die mit anderen sozialen Einheiten interagiert und im Zuge dessen auf diese wie auch das kulturelle Gesamtgefüge einwirkt. 372

In Hinblick auf diese Annahme sind kulturelle Systeme dynamisch und nicht geschlossen. Dies trifft ebenso auf die Identitäten von Individuen, Gruppen und Kulturen zu. Man legt die Dichotomie zwischen dem Jüdischen und Nichtjüdischen teilweise ab. Damit sind auch Kategorien eines authentischen und konstruierten Jüdischseins (sowie Nichjüdischseins) nicht mehr gültig, wobei der Begriff der Konstruktion darauf referiert, dass ein ‚authentisches‘ Jüdischsein nicht existiert und die Definition des Konstrukts an Eigen- und Fremd- wahrnehmung gebunden ist. Dies gilt auch für die nichtjüdische Seite.373 Bei der Konstituierung der ‚hybriden‘ Identitäten haben laut Petra Ernst sowie Gerald Lamprecht 374 interkulturelle Grenzbereiche eine besondere Bedeutung. Dort nimmt man kulturelle Differenzen am deutlichsten wahr, aber hinterfragt sie gleichzeitig. In diesen Begegnungsorten finden eine Relativierung der ‚Authentizität‘ sowie ein Wandel statt. ‚Hybride Identitäten‘ treten „an der Grenze zwischen zwei Welten“ 375 am deutlichsten hervor. Dies bedeutet nicht, dass nur dort ein Austausch stattfindet. Dennoch ist es nachvollziehbar, dass sich der Fokus bei der Untersuchung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung auf diese abstrakten und konkreten Grenzorte richtet. Die Orte und Räumlichkeiten haben demnach ebenso Einfluss auf das Aushandeln der kulturellen Bedeutung, nicht nur die darin agierenden Akteure.376

Die Frage jedoch bleibt, was der genaue jüdische und nichtjüdische Anteil am Reiterlied ist. Sind diese so stark verwoben, dass man das nicht mehr erkennen kann? Klaus Hödl 377 stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es schwierig ist, zu erkennen, was die jüdische und die nichtjüdische Komponente in der allgemeinen Kultur ist. Gemeinsamkeiten lassen sich

371 Vgl. HÖDL, Jenseits des Nationalen, 2004, S.7 sowie S.14. 372 Ebda, S.7. 373 WERBERGER Annette, Grenzgänge, Zwischenwelten, Dritte – Der jüdische Schriftsteller und Ethnograph S. Anskij. In: transversal 5 Jg. (2004) Nr.1, S.66. Im Folgenden zitiert als WERBERGER, Grenzgänge, Zwischenwelten, Dritte, 2004 sowie vgl. HÖDL, Der ‚virtuelle‘ Jude, 2005, S.54; S.58 sowie S.68. 374 Vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, 2009, S.10. 375 WERBERGER, Grenzgänge, Zwischenwelten, Dritte, 2004, S.68. 376 Vgl. ERNST/LAMPRECHT, Konzeption des Jüdischen, 2009, S.10. 377 Vgl. HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008, S.56.

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einfacher feststellen als Unterschiede. Was war zum Beispiel das spezifisch Jüdische an Zuckermanns ‚Heldentod‘ in den Streitkräften der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkriegs? Er wurde zwar auf einem jüdischen Friedhof begraben, doch fiel er wie viele andere Soldaten in diesem Konflikt.378 Ist eine solche ‚Messung‘ in Anbetracht der Annahme der Flexibilität von Identitäten überhaupt notwendig? Vielleicht sollte man den Weg gehen, den Till van Rahden 379 in Bezug auf eine allgemeinere Herangehensweise vorschlägt:

Statt der Versuchung nachzugeben, Ideen und Praktiken als partikular oder universal zu kategorisieren, sollten Historiker stattdessen die Herausforderung annehmen, die Spuren des Partikularen in der Rede vom Universalen und die Spuren des Universalen zu verfolgen. 380

Dies bedeutet, dass man das Allgemeine im Jüdischen und Nichtjüdischen sucht und den Spuren des Jüdischen und Nichtjüdischen im Allgemeinen nachgeht. Diese Suche führt uns zu (performativen) Handlungen, an welchen sowohl die jüdische als auch die nichtjüdische Bevölkerung beteiligt ist. Die Begegnungen und Interaktionen erschaffen ein gemeinsames jüdisch-nichtjüdisches kulturelles System, das man auch als unsere gegenwärtige Lebenswelt verstehen kann. 381

5.1.2 Die Intention der ‚hybriden‘ Geschichtsschreibung

Die Betrachtung des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders auf diese Art und Weise soll aber nicht zu einer Abkehr von der Auseinandersetzung mit jüdischer Geschichte oder einer Auflösung der kulturellen Spezifika führen. Die Notwendigkeit dieser Klarstellung bezieht sich auf eine Forderung Moshe Rosmans in Bezug auf das ‚virtuelle Judentum‘. Er plädiert darauf, „dass es trotz allem notwendig sei, ‚objektive‘ Kriterien zu benennen, die eine jüdische von einer nichtjüdischen Kultur unterscheiden.“ 382 Das Konzept des Ähnlichkeitsmodells stellt nicht nur Verbindendes, sondern auch Unterscheidendes dar. Dennoch löst man sich von einer Darstellung der jüdischen Bevölkerung als ein ‚fremdes‘ Element in einer nichtjüdischen Lebenswelt, da man sie als einen Bestandteil eines gesamtgesellschaftlichen Kollektivs mit eigenen Spezifika betrachtet.383

378 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226. 379 van RAHDEN, Verrat, Schicksal oder Chance, 2008, S.124. 380 Ebda. 381 Vgl. HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008, S.63 sowie HAUMANN, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung, 2003, S.113. 382 BRECHENMERACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.172. 383 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57.

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Ein ‚Verschwindenlassen‘ der jüdischen Geschichte ist demnach nicht die Absicht einer solchen Herangehensweise.384 Betrachtet man die Annahme der offenen kulturellen Systeme, stellen sich aber trotzdem die Fragen, warum man zwischen dem Jüdischen und dem Nichtjüdischen trennt und warum man nicht ausschließlich eine allgemeine Geschichte betrachten sollte, ohne dass man diesen Zwischenschritt der Unterscheidung geht. Diese beziehen sich auch allgemein auf die Beziehungen zwischen verschiedenen kulturellen, politischen, sozialen oder auch ökonomischen Systemen.

Diese aufgeworfenen Fragen korrelieren mit der Frage nach der Zielsetzung der Geschichtsschreibung. Will man deskriptiv bleiben oder präskriptiv werden? Einerseits geht es um ‚Objektivität‘, andererseits scheint man diese ‚objektive‘ Beschreibung nicht annähernd erreichen zu können, da man damit zwangsläufig eine Absicht verfolgt. David Myers 385 sowie Michael Brenner 386 führen diesbezüglich aus, dass dieses Streben nach ‚Objektivität‘ nicht alternativlos ist. Myers plädiert für eine Abkehr vom reinen ‚Objektivitätsdenken‘. Dadurch entsteht die Möglichkeit einer Geschichtsforschung, die man „für eine charakteristische persönliche Sicht oder eine kollektive Identität“ 387 einsetzt. Dabei ist diese an Offenlegung der Intention sowie Selbstreflexion gebunden. Myers zeigt die Möglichkeit auf, dass dies zu einer ‚Neuinterpretation‘ oder ‚Neukonstruktion‘ der jüdischen (beziehungsweise nichtjüdischen) Identität führt.388

Was ist, wenn nun diese ‚Neudeutungen‘ dazu führen, dass die distinktiven Merkmale eines kulturellen Systems endgültig verschwinden? Der verwendete Ansatz ist möglicherweise ein Teil eines solchen Prozesses, aber er forciert ihn nicht intendiert. Zudem kann man nicht sagen, ob dieser Sachverhalt irgendwann tatsächlich eintritt. Das ‚Verschwindenlassen‘ tritt erst dann ein, wenn niemand mehr eine solche Unterscheidung durchführt. Eine Differenzierung zwischen dem Jüdischen und dem Nichtjüdischen erfolgt ebenso, wenn man sich historischen Materials mit einer solchen Abgrenzung bedient. Einerseits liegt der Fokus hier mehr auf dem Verbindenden als auf dem Trennenden, andererseits ist es meine Absicht aufzuzeigen, dass es eine aktive Mitwirkung der jüdischen Bevölkerung gab und gibt. Dieses Aufzeigen erscheint jedoch unmöglich, ohne eine Unterscheidung vorzunehmen. Eine starre Dichotomie (jüdisch-

384 Vgl. HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008, S.60. 385 Vgl. MYERS, Selbstreflexion, 2002, S.70. 386 Vgl. BRENNER, Propheten des Vergangenen, 2006, S.264. 387 Vgl. MYERS, Selbstreflexion, 2002, S.70. 388 Vgl. MYERS, Selbstreflexion, 2002, S.71–72;74 sowie vgl. BRENNER, Propheten des Vergangenen, 2006, S.262–263.

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nichtjüdisch) kann man trotzdem überwinden, wie Klaus Hödl 389 in Bezug auf das Ähnlichkeitsmodell erläutert.

Die zweite Frage war, warum man nicht einfach die gesamtgesellschaftliche Geschichte darstellt, ohne dass man einen Schwerpunkt auf ein kulturelles oder soziales System lege. Ein naheliegender Grund dafür ist, dass ohne eine Fokussierung auf die Geschichte einzelner Gefüge diese wahrscheinlich in der allgemeinen (Gesamt-)Darstellung der Vergangenheit ‚untergehen‘ würden.390 Zur Beantwortung der Frage, warum man sich speziell mit der jüdischen Geschichte auseinandersetzen sollte, können verschiedene Gründe genannt werden. Bei der jüdischen Bevölkerung handelt es sich quantitativ um einen Bruchteil der österreichisch(-ungarischen) Gesamtbevölkerung.391 Einerseits ist es wohl wahrscheinlich, dass die jüdische Geschichte in einer Darstellung der österreichischen ‚verschwindet‘, wenn man sie nicht in den Fokus rückt. Andererseits könnte man damit argumentieren, dass Juden durch ihre geringe Anzahl und Ressourcen weniger Einfluss auf die Gesamtgeschichte haben.392 Dies trifft aber auf die Geschichten vieler anderer Gruppen zu. Der ‚Einfluss‘ wirkt dabei wichtiger als die Personenanzahl. Ein Beispiel dafür sind die Habsburger. Die allgemeine österreichische Geschichte ist stark von dieser ‚Minderheit‘ geprägt. 393 Man könnte also gängige Darstellungen der österreichischen Geschichte als eine Fokussierung auf die der Herrschenden verstehen.

Daher erscheint, wenn man nach einem ‚Gleichheitsgrundsatz‘ 394 geht, es als nachvollziehbar, dass man sich speziell mit anderen Gruppierungen auseinandersetzt, um ihr Mitwirken aufzuzeigen. Diese Fokussierung beinhaltet dennoch die Gefahr, dass man die jüdische Geschichte separiert wahrnimmt. Daher ist es notwendig, auf die Wechselbeziehungen hinzuweisen. Man soll dieses Vorgehen nicht als Separierung verstehen, sondern als Schwerpunktlegung. Da die jüdische Geschichte in Österreich ein Teil der Geschichte „einer der großen, religiös fundierten Hochkulturen der Menschheit“ 395 ist, erscheint dieses Vorgehen zusätzlich berechtigt, obwohl es eigentlich keiner Legitimation benötigt. Schlussendlich ist die

389 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 390 Vgl. MEYER, Streitfragen, 2002, S.38. 391 Vgl. KLIEBER, Jüdische – christliche – muslimische Lebenswelt 2010. S.285. 392 van RAHDEN Till, Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925. (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 139). Göttingen 2000, S.17. Im Folgenden zitiert als van RAHDEN, Juden und andere Breslauer, 2000. 393 Siehe VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002. 394 Dies ist auch im Sinne der performativen Handlungen, in denen sich die Akteure gleichberechtigt gegenüberstehen und damit weitere gemeinsame kulturelle Bedeutungen durch Interaktionen aushandeln. (Vgl. HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008, S.181.) Daher sollte man auch die Geschichte spezifischer Gruppen aufgreifen, um die angesprochene Verzerrung zu vermeiden. 395 BRECHENMERACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.196.

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einfachste Begründung für diesen ‚Zwischenschritt‘, dass mehr dafür spricht als dagegen.396 Diese Ausführungen versuchen zu erklären, warum die Forderung Moshe Rosmans nach Differenzierung angebracht ist. 397 Die Darstellung der Vergangenheit eines spezifischen kulturellen Systems tragen sowohl die ‚Innenstehenden‘ als auch die ‚Außenstehenden‘ eines Gefüges weiter. 398 Dies benötigt man eben auch, um die umfangreiche (österreichische) Geschichte verzerrungsfrei darzustellen. Dies geschieht, um ein ‚Gegeneinander‘ zu verhindern, was uns erneut zu den Absichten der Geschichtsschreibung bringt.

Eine möglichst vollständige Darstellung kann man wiederum in Zusammenhang mit objektiver Betrachtung bringen. Yosef Yerushalmi 399 nimmt eine Gegendarstellung zu den Aussagen David Myers 400 bezüglich der ‚Objektivität‘ vor. Yerulshami schließt eine ‚ideologische Bindung‘ und ein ‚Streben nach Objektivität‘ nicht aus, weil beides gewissermaßen gegeben ist. Er versteht dabei die Objektivität nicht als Neutralität, was eine Vereinbarkeit dieser Gegenstände ermöglicht. Eine Problematik jedoch ist, dass dadurch Geschichte und deren Forschung zur „bloßen Propaganda“401 werden kann. 402

Ein Beispiel dafür ist, wie teilweise nichtjüdische Historiker die jüdische Bevölkerung außerhalb der „kollektiven Identität der Steiermark“ 403 verorteten. Dafür benutzten sie eine historische Argumentationsgrundlage, wie Gerald Lamprecht 404 aufzeigt. Die Absicht ist also eine Exklusion der jüdischen Bevölkerung. Diese Vorgehensweise jener Historiker kann man als Propaganda verstehen.405 Nur stellt sich die Frage, ob die Gegendarstellung der jüdischen Historiker, die ebenfalls Lamprecht 406 anspricht, ebenso eine Beeinflussung im Sinne der Propaganda darstellt, nur dass man die Absicht ‚positiv‘ wahrnimmt. Die ganzheitliche beziehungsweise ‚objektive‘ Darstellung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung ist ebenso die

396 Vgl. ebda 397 Vgl. ebda. 398 Vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.5, S.28. sowie BRECHENMERACHER/SZULC, Neuere deutsch- jüdische Geschichte, 2017, S.196. 399 Vgl. YERUSHALMI, Jüdische Historiographie und Postmodernismus, 2002, S.88–89. 400 Vgl. MYERS, Selbstreflexion, 2002, S.70–71. 401 YERUSHALMI, Jüdische Historiographie und Postmodernismus, 2002, S.89. 402 Unter Propaganda versteht man eine gezielte Beeinflussung von Menschen, die eine als negativ wahrgenommene Absicht verfolgt. (Vgl. BERNAYS Edward, Propaganda. Die Kunst der Public Relations. Berlin 2013, S.142. Im Folgenden zitiert als BERNAYS, Propaganda, 2013.) Die Begrifflichkeiten der Propaganda (und auch der Exklusion) sind bekanntermaßen negativ konnotiert und man verbindet sie daher mit einer entsprechenden Zielsetzung. (Vgl. ebda. S.138.) 403 LAMPRECHT, Geschichtsschreibung als konstitutives Element, 2004, S.133. 404 Vgl. ebda. 405 Vgl. YERUSHALMI, Jüdische Historiographie und Postmodernismus, 2002, S.89. 406 Vgl. LAMPRECHT, Geschichtsschreibung als konstitutives Element, 2004, S.133.

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Absicht dieser Arbeit, die man aber zumindest offengelegt und reflektiert.407 Letztendlich nehme ich eine Gegenposition dazu ein, dass Teile der Bevölkerung nicht zum gemeinschaftlichen Kollektiv eines Raumes gehören. Denn dieses vermeintliche ‚Verstoßen‘ ermöglicht Verfolgung und Gewalttaten. Die entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen können in eine Gewaltspirale führen.408 Dies stellt das Miteinander unter eine negative Konnotation,409 gilt jedoch auch in einem anderen Kontext. Aufgrund der weltweiten Migrationsbewegungen und der damit verbundenen interkulturellen Begegnungen erscheint es angebracht, alternative Zugänge jenseits einer Dichotomie zu dieser Thematik aufzuzeigen. Dadurch erhält eine solche Arbeit einen wichtigen und aktuellen gesellschaftspolitischen Charakter.410 Ebenso besteht für jeden ein persönlicher Bezug, da jeder durch die soziale, ökonomische sowie politische Diversität der Gesellschaft in irgendeiner Form einer ‚Minderheit‘ angehört.411

Diese Annahme erklärt man am Fallbeispiel Hugo Zuckermanns, der sich zum Jüdischsein bekannte. Die jüdische Bevölkerung galt als keine eigenständige Nationalität in der Habsburgermonarchie. Wo ist er diesbezüglich dann einzuordnen? Aufgrund der Sprache und seines Geburtsorts kann man ihn den „Deutschen“412 zuordnen. Die Deutschen bildeten in der ‚cisleithanischen Reichshälfte‘ die Mehrheit, machten aber nur ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Die Nichtdeutschen waren demnach die personelle Mehrheit. 413 Er war des Weiteren Rechtsanwalt und Dichter. Diesen Tätigkeiten geht die Mehrheit der Bevölkerung nicht nach. Genauso wenig stellen Soldaten eine ‚Mehrheit‘ dar.414 Dieses Prinzip kann man auf zahlreiche andere Gruppierung anwenden. Dieser Sachverhalt muss ins Bewusstsein rücken, um ein ‚Gegeneinander’ zu vermeiden, da es einen selbst treffen könnte. 415

5.2 Jüdisch-nichtjüdische Begegnungsorte und Kontakte

Die beschriebene ‚Suche‘ nach Spuren des Universalen und Partikularen, wie sie van Rahden beschreibt, beginnt bei den interkulturellen Kontakt- beziehungsweise Begegnungsorten.416

407 Natürlich muss man hier den Aspekt der Fremdwahrnehmung berücksichtigen. 408 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.197. 409 Vgl. LAMPRECHT, Geschichtsschreibung als konstitutives Element, 2004. S.145. 410 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 411 Vgl. BERNAYS, Propaganda, 2013, S.138. 412 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.235. 413 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226 sowie vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S. 28–29. 414 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226 sowie vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.67. 415 BRECHENMERACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.172. 416 Hierbei ist anzufügen, dass in dieser Arbeit ein jüdisch-nichtjüdischer Raum ein Ort ist, in dem die jüdische und nichtjüdische Bevölkerung mehr oder weniger zeitgleich und miteinander agiert.

Gregor Schweighofer 58 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Man ermöglicht durch deren Eruierung, dass man die interkulturellen Dialoge greifbar macht, wie es Monica Green 417 ausführt. Die Bedeutung dieser Kontakträume beschränkte sich bislang mehr oder weniger darauf, dass sie als ‚Bühne‘ für die einzelnen Interaktionen fungierten. Berücksichtigt man die Überlegungen des ‚spatial turn‘, ergeben sich mehr Möglichkeiten, wie man diesen Raum sehen kann und welchen Einfluss (betreffend der Identitätskonstituierung) er hat. 418

Der Raumbegriff erschöpft sich nicht nur an konkreten Plätzen. Auch Orte, die durch das gesellschaftliche Zusammen- und Entgegenwirken entstehen, sind darunter zu verstehen.419 Ein Beispiel für konkrete Räume ist ein Ort (mit feststehenden Koordinaten), welcher sich an oder auf der ‚Ostfront‘ oder ‚Isonzofront‘ befand.420 Dies führt uns zu einem weiteren Verständnis von Raum. 421 Diese Fronten entstanden im Zuge des Ersten Weltkriegs und sind nach diesem Verständnis als ein gesellschaftlich geschaffener Raum anzusehen, wobei zu erwähnen ist, dass dies auf (fast) jeden Raum zutrifft. 422 Abstrahiert man diese Orte und ordnet sie sozialen Konstruktionen zu, kann man den Ersten Weltkrieg sowie die k.u.k. Streitkräfte ebenso als Räume verstehen. Die Verbindung dieser beiden dient nicht nur zur Eruierung von konkreten jüdisch-nichtjüdischen Begegnungsräumen, denn bei der Darstellung des Ersten Weltkriegs (und auch der Streitmacht) zeige ich ebenfalls kooperative und konfrontative Interaktionen auf.

5.2.1 Theoretische Grundlagen der Begegnung und des Kontakts

Wenn man zunächst an die Dimension von Räumlichkeit denkt, ist es nicht verwunderlich, dass einem etwas Feststehendes oder Gegebenes in den Sinn kommt.423 Albert Lichtblau 424 beschreibt die Erfahrungen der jüdischen Soldaten mit nichtjüdischen im Ersten Weltkrieg folgendermaßen: „Viele jüdische Soldaten machten im Feld eine positive Erfahrung, die sie bis dahin für unwahrscheinlich hielten, denn sie erlebten Kameradschaft und Zusammengehörig-

417 Vgl. GREEN, Conversing with the minority, 2008, S.105. 418 Vgl. DEPNER Anamaria, Wie der spatial turn Einzug ins Wohnzimmer erhält. Theoretische Überlegung zur Konstruktion und materiellen Verankerung von Wohnräumen. In: PFAFENTHALER Manfred/LERCH Stefanie/SCHWABL Katharina/PROBST Dagmar (Hgg.) Räume und Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Bielefeld 2014, S.284. Im Folgenden zitiert als DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014. 419 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 420 Vgl. DORNIK Wolfram, Der „überlagerte“ Krieg. Österreichisch-ungarische Soldaten im „Osten“ 1914– 1918ff. In: KARNER Stefan/LESIAK Phillip (Hgg.), Erster Weltkrieg. Globaler Konflikt – lokale Folgen. Neue Perspektiven. Innsbruck/Wien/Bozen 2014, S.95. Im Folgenden zitiert als DORNIK, Der „überlagerte“ Krieg, 2014. 421 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.74. 422 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 423 Vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284. 424 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.121.

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keitsgefühl mit Nichtjuden.“425 Das Feld lässt sich nun als feststehender Raum erschließen, der auch mit kriegerischen Auseinandersetzungen assoziiert wird. Des Weiteren kann man ‚das Feld‘ oder ‚die Front‘ als gesamten Kriegsschauplatz verstehen, auf dem es zu Kampfhandlungen kommt.426

Lichtblau erweitert diesen Raum, um seine Aussage bezüglich des jüdisch-nichtjüdischen Zusammenwirkens zu belegen. Dazu greift er die verschriftlichen Erinnerungen von Paul Barnay auf. Diese beziehen sich jedoch auf Erfahrungen, die er während seiner Grundausbildung machte.427 Des Weiteren beschränkt Wolfram Dornik 428 die ‚Ostfront‘ nicht auf die unmittelbare militärische Front, sondern inkludiert ebenfalls das ‚Hinterland‘. Damit sind ebenso Güter und Gegenstände, die sich darin befinden, gemeint. Auch der Begriff der ‚Inneren Front‘, der sich auf Konflikte innerhalb der Habsburgermonarchie bezieht und wie ihn Manfried Rauchensteiner 429 verwendet, kann man als eine solche Erweiterung verstehen. Dies trifft ebenfalls auf den gängigen Begriff der ‚Heimatfront‘ zu.430 Jedenfalls kann man diese Orte mit dem Ersten Weltkrieg in Verbindung bringen. 431

Die Begriffe (‚Front‘, ‚Feld‘‚ Krieg‘ oder Ähnliches) sind sehr großräumig, weil sie für eine Gesamtheit stehen. Dies lässt sie zunächst abstrakt oder allgemein wirken, daher stellen sie Metabegriffe dar. Dadurch differenzieren sich die Vorstellungen über diese Räume. Denkt man an den Ersten Weltkrieg, schweifen die Gedanken zu prototypischen Schützengräben, in denen Soldaten kämpfen, oder zu Feldlazaretten, in denen Verwundete versorgt werden, als zu den Landschaften, wo sich die Fronten befanden. 432 Natürlich variiert die Vorstellung bei einzelnen Personen, da diese mit den individuellen Erfahrungen und dem kollektiven Gedächtnis in Verbindung steht.433 Das abstrakte Konzept des ‚Krieges‘ wird durch die ‚einzelnen Schauplätze‘, mit denen es in Verbindung steht, greifbar. Diese Lokalitäten tragen demnach zu bei, was man sich unter dem Begriff ‚Krieg‘ vorstellt. Ein Soldat, welcher an

425 Ebda. 426 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.76. 427 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.121 sowie S.530. 428 Vgl. DORNIK, Der „überlagerte“ Krieg, 2014, S.96–97. 429 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.901. 430 Vgl. METELING Wencke, Neue Kulturgeschichte. In: HIRSCHFELD Gerhard/KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.1050. 431 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.74–76; vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284 sowie vgl. ERLL, Kollektives Gedächtnis, 2005, S.5. 432 Vgl. EDELMANN-OHLER Eva, Orte des Krieges – Zur Raumpoetik des Schlachtfelds in zionistischer Press und Literatur (1914–1918). In: ERNST Petra/LAPPIN-EPPEL Eleonore (Hgg.), Jüdische Publizistik und Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 25). Innsbruck/Wien/Bozen 2016, S.27. Im Folgenden zitiert als EDELMANN-OHLER, Orte des Krieges, 2016. 433 Vgl. DORNIK, Der „überlagerte“ Krieg, 2014, S.94–96.

Gregor Schweighofer 60 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

verschiedenen Fronten kämpfte, lernte nicht nur verschiedene Landschaften, sondern ebenso die verschiedenen Formen der Kriegsführung kennen.

Die Konstituierung des Begriffs ‚Krieg‘ ergibt sich daher auch aus einer Wechselwirkung mit den Orten, in denen man ihn führt. 434 Dabei sollte man bei dieser Betrachtung das Konzept des ‚Totalen Kriegs‘ miteinbeziehen. Der Krieg an sich oder die Streitkräfte sind demnach ebenso Räume. 435 Sie sind als eine Abstraktion oder als ein Sinnbild zu betrachten, aus denen sich konkrete Orte ableiten lassen. Doch wie sind nun diese ‚einzelnen Schauplätze‘ zu erfassen? Diese werden deutlich, wenn man sich auf die physische Anwesenheit einer Einzelperson in einer klar vorstellbaren Örtlichkeit bezieht. Damit ist ein festgelegter und benannter Ort wie eine Stadt oder ein spezifischer Landstrich gemeint.436 Daher geht die Eruierung von solchen (Begegnungs-)Orten mit der Suche nach entsprechenden Akteuren einher. Als eine solche Konkretisierung kann man den Fronteinsatz des jüdischen Frontoffiziers und Unterhaltungskünstlers Karl Farkas 437 in der Stadt Przemysl verstehen. Die Grenzen der Stadt sind eindeutig bestimmbar. Daher kann man annehmen, dass dieser Ort gegeben ist und es eigentlich keiner Konstituierung bedarf.438 Dies geht aber mit einem alltäglichen Verständnis von Räumlichkeiten einher, dieses geht wiederum davon aus, dass Räume starre Behälter sind und ihre einzige Funktion darin besteht, dass in ihnen Aktivitäten stattfinden. Sie sind nur ‚Bühnen‘, auf denen Farkas und viele andere (sowohl Juden als auch Nichtjuden) agierten.

Im Gegensatz zu dieser ‚Gegebenheit‘ von Orten steht, dass sich Städte und sonstige Räume mit der Zeit in ihrem Erscheinungsbild verändern. 439 Handlungen scheinen die Bedeutung wie auch die Grenzen des Raumes immer wieder neu auszuhandeln, denn „Räume sind nicht, Räume werden gemacht.“ 440 Es ergeben sich Parallelen zu den ‚hybriden‘ Konzepten

434 Vgl. EDELMANN-OHLER, Orte des Krieges, 2016, S.29–30. 435 Vgl. DORNIK Wolfram, „Ganz in den Rahmen dieses Bildes hinein passt auch die Bevölkerung“. Raumerfahrung und Raumwahrnehmung von österreichisch-ungarischen Soldaten an der Ostfront des Ersten Weltkrieges. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.42–43. Im Folgenden zitiert als DORNIK, Raumerfahrung und Raumwahrnehmung von österreichisch- ungarischen Soldaten, 2013. 436 Vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284 sowie vgl. FÖRSTER Stieg, Totaler Krieg. In: HIRSCHFELD Gerhard/KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.925. Im Folgenden zitiert als FÖRSTER, Totaler Krieg, 2014. 437 Vgl. PATKA Marcus, Karl Farkas. Frontoffizier und zeitloses Bühnengenie. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.233. Im Folgenden zitiert als PATKA, Karl Farkas, 2014. 438 Vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284. 439 Vgl. ebda. 440 Ebda., S.27.

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der Identität. 441 Auch wenn es anscheinend keiner Konstituierung bedarf, ergibt sich für den Raum dennoch eine. So ist zu beachten, dass erst die Eroberung beziehungsweise Rückeroberung der Stadt Przemysl sie zu einem konkreten Ort des abstrakten Raums des Ersten Weltkriegs machte. 442 Zeit ist dabei ein wesentlicher Aspekt. 443 Die Stadt Przemysl oder die Streitkräfte machte man auch zu jüdisch-nichtjüdischen Begegnungsorten im Zuge des Konflikts.444 Dies setzt die Prämisse voraus, dass die verschiedenen kulturellen Systeme diesen Raum betreten können. Die Wechselwirkung ist in diesem Fall so zu verstehen, dass ein Ort jedem oder einem bestimmten Teilen der Gesellschaft zugänglich gemacht wird. In diesem Fall sind es jüdische und nichtjüdische Männer, die gemeinsam in derselben Streitmacht dienen. Durch den Ersten Weltkrieg und die Anwesenheit der militärischen Verbände machte man die Stadt zu einem jüdisch-nichtjüdischen Begegnungsort. 445

Die Lokalität hat sich verändert. Demnach besteht eine Verbindung zwischen Zeit und Raum sowie Handlungen. 446 Dieser jüdisch-nichtjüdische Begegnungsraum hat sich neu- konstituiert und gestaltet sich immer wieder neu. Daraus erschließt sich, dass Räume weniger etwas Gegebenes sind, sondern dass das Miteinander die Räume vielmehr produziert. Sie entstehen durch „Handlung sowie durch die relationale Anordnung von Menschen und Sachgütern und deren Wahrnehmung[…].“ 447 Krieg an sich kann man ebenso als eine solche Handlung verstehen (nach der Definition von Anamaria Depner 448 ), denn er ist eine Anwendung an Gegenständen in einem Raum. Als Handlungen kann man auch die Interaktionen zwischen Farkas und seinen (nichtjüdischen) Kameraden verstehen, welche sich während der Rückeroberung Przemysls ergaben. Sie sind ein Beispiel für die jüdisch- nichtjüdischen Beziehungen beziehungsweise Przemysl wird dadurch zu einem jüdisch- nichtjüdischen Begegnungsraum im Zuge des Ersten Weltkriegs. 449 Es lässt sich festhalten, dass

441 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171–172. 442 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.901. 443 Vgl. GÖDERLE Wolfgang, Vom Ort der Dinge. Bruno Latours „räumliche Inskription“ am Beispiel des Zensus der späten Habsburgermonarchie. In: PFAFENTHALER Manfred/LERCH Stefanie/SCHWABL Katharina/PROBST Dagmar (Hgg.) Räume und Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Bielefeld 2014, S.317. Im Folgenden zitiert als GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014. 444 Vgl. HAMANN Brigitte, Der Erste Weltkrieg. Wahrheit und Lüge in Bildern und Texten. München/Zürich 2004, S.81. Im Folgenden zitiert als HAMANN, Der erste Weltkrieg, 2004. 445 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.105 sowie RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.313. Zu erwähnen ist, dass es in der Stadt Przemysl eine jüdische Bevölkerung gab und sie daher bereits davor ein entsprechender Kontaktort war, aber nicht im Kontext des Kriegs. (Vgl. RECHTER, Die große Katastrophe, 2014, S.20.) 446 Vgl. GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316. 447 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.57. 448 Vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284. 449 Vgl. PATKA, Karl Farkas, 2014, S.233.

Gregor Schweighofer 62 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

die ausgeführten Handlungen durch Menschen und Sachgüter an Menschen und Sachgütern in einem Raum der Lokalität eine Bedeutung verleihen. 450 Es stellt sich die Frage, ob dieser Prozess ein einseitiger ist oder ob der Raum Einfluss auf die Handlungen und Interaktionen hat. Diese Frage ist lediglich rhetorisch zu verstehen, da man die Antwort bereits andeutete. Wie kann man sich den Einfluss des Raumes vorstellen?

Die Konstituierung des Raumes bestimmen teilweise die Interaktionen der Akteure. Ein Beispiel dafür ist die Verteidigung Przemysls durch die dritte Armee der k.u.k. Streitkräfte, die an den dazugehörigen Entsatzschlachten beteiligt war. In diesem Teil der Streitmacht hieß es im weiteren Verlauf, „der Aufenthalt in des Schützengräben bei Przemysl sei die letzte Erholung gewesen.“ 451 Wie kam es zwischenzeitlich dazu, dass man so über die Stadt sprach? Ein Grund dafür könnte sein, dass es sich bei Przemysl um eine Festung handelte, welche durch ihren vermeintlichen Schutz eine Möglichkeit zur Erholung bot. Dies spiegelt sich in der Darstellung Manfried Rauchensteiners der Assoziationen über diesen Ort wider. 452 Die örtlichen Gegebenheiten scheinen den kommunikativen Austausch der Interagierenden zu beeinflussen.

Dies lässt darauf schließen, dass Gegenstände Handlungspotenziale besitzen beziehungsweise man sie ihnen einschreibt. Diese Annahme beruft sich auf die „Akteur- Netzwerk-Theorie“ 453 , wie sie Wolfgang Göderle 454 darstellt. Diese geht von einer Gleichbehandlung menschlicher und nichtmenschlicher Aktanten aus. Dabei wird bei diesem Zugang das Räumliche grundlegend integriert. Klaus Hödl sieht die Akteur-Netzwerk-Theorie als ein Bindeglied zwischen dem Ähnlichkeitskonzept und dem ‚spatial turn‘.455 Eine weitere Verbindung ergibt sich aus der Frage, mit welchen Begriffen gesellschaftlich geschaffene Räume eigentlich zu fassen sind. Hier verweist Hödl auf den Begriff der ‚Semiosphäre‘ von Juri Lotman. Dabei handelt es sich um einen Komplex von mehreren Systemen, die untereinander in Verbindung stehen. 456

Im Zuge dieser Hinwendung zum Raum gewinnen die Raumwahrnehmung sowie - erfahrung an Bedeutung. Diese variieren von Individuum zu Individuum. Es ergeben sich

450 Vgl. Ebda. 451 RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.313. 452 Vgl. ebda. 453 GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316. 454 Vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284 sowie vgl. GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316. 455 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.53–54. 456 Ebda., S.54

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Ähnlichkeiten und Differenzen. 457 Mit der Aufwertung des Raumes nimmt jedoch das „Denken in Differenzen“ 458 ab. Dadurch wird diese gedankliche Blockade überwunden und das Verbindende tritt in den Vordergrund. Hier sieht Klaus Hödl 459 eine weitere Verbindung zwischen diesen beiden Theorien. Des Weiteren benötigt das Ähnlichkeitsmodell Überlegungen zum Raum. Die Erfahrungen und Wahrnehmungen von Juden wie auch Nichtjuden diesbezüglich können Aufschluss über den Alltag sowie das Selbst- und Fremdverständnis geben. 460 Auch der Vergleich dieser Raumwahrnehmung ist in Bezug auf das jüdisch-nichtjüdische wie auch das innerjüdische und innernichtjüdische Verhältnis aufschlussreich. Ein Beispiel dafür sind die Schilderungen des Kriegsteilnehmers Anton Derka, der mit der Ideologie des Deutschnationalismus sympathisierte, und des jüdischen Soldaten Theofil Reiss über die Stadt Tarnow und die dort ansässige (jüdische) Bevölkerung. Die jeweiligen Äußerungen sind sehr negativ konnotiert. Beide scheinen sich und ihr kulturelles System vom dortigen abgrenzenn wollen. Die Intentionen dahinter sind vermutlich unterschiedlich, doch die Abgrenzung ist ähnlich. 461

Wir halten fest, dass nicht nur die Interaktionen zwischen Akteuren und die Zeit, sondern auch der Raum eine essenzielle Größe ist, um die vergangene wie auch gegenwärtige Lebenswelt angemessen abzubilden. 462 Daher bezieht man die Räumlichkeiten als Aspekt des kulturellen Miteinanders ein. Dies dient nicht nur zur Findung von konkreten Lokalitäten, sondern ebenso dafür, herauszufinden, wie sich die geschaffenen Räume auf die Interaktionen auswirken. In den folgenden Ausführungen eruiert man dementsprechende jüdisch- nichtjüdische Begegnungsorte. Dies geschieht einerseits durch einen historischen Überblick die Streitkräfte betreffend, der in die Darstellung des Ersten Weltkriegs übergeht.463 Dabei ist es nachvollziehbar, dass man sich eher auf den ‚jüdischen Anteil‘ des Zusammenwirkens fokussiert. Damit wird sich auch bewusst auf abgegrenzte Räume im Sinne einer mikrohistorischen Untersuchung konzentriert und die Annahme, dass das jüdisch-nichtjüdische Miteinander in den Streitkräften während des Ersten Weltkriegs von Kooperationen und Konfrontationen geprägt war, an einer konkreten Situation überprüft.464 Im Folgenden beginnt

457 Vgl. DORNIK, Raumerfahrung und Raumwahrnehmung von österreichisch-ungarischen Soldaten, 2013, S.28. 458 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.53. 459 Vgl. ebda., S.53–54. 460 Vgl. ebda. 461 Vgl. HÖDL, Überwindung der jüdisch-nichtjüdischen Dichotomie, 2018, S.37–38. 462 Vgl. ebda., S.53. 463 Die Darstellung des Ersten Weltkriegs beschränkt sich hierbei nicht nur auf das Feststellen solcher Orte, sondern zeigt ebenso dementsprechende Handlungen des Austausches auf. 464 Vgl. FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft, 2004, S.44 sowie vgl. MAGNÚSSON/SZIJÁRTÓ, Microhistory, 2013, S.4.

Gregor Schweighofer 64 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

nun diese Untersuchung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung auf Basis von Kontakt, Interaktion und Kooperation (beziehungsweise Konfrontation) anhand von Fallbeispielen.

5.2.2 Die Streitkräfte als jüdisch-nichtjüdischer Begegnungsort

Die Eruierung von jüdisch-nichtjüdischen Interaktionsorten in den Streitkräften der Habsburger beginnt mit der Rekrutierung der ersten jüdischen Soldaten im Jahr 1788. 465 Die Anfänge und Hintergründe dieses jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders behandelte ich bereits. Dies führte zur Überlegung, dass ein ausführlicher Überblick über die Streitmacht Hinweise auf den interkulturellen Kontakt gibt. Die Kenntnis, wo sich Kontaktorte befinden, lässt sich ebenfalls dadurch erschließen, dass man sich auf die Anzahl, die Einsatzgebiete und Tätigkeiten der jüdischen Angehörigen der Streitkräfte konzentriert. Durch diese Daten und Zahlen lassen sich Wahrscheinlichkeiten erschließen, wo das Aufeinandertreffen kultureller Systeme erfolgte. Dennoch sollte man auch einen Blick darauf werfen, wo dieses Zusammentreffen eher unwahrscheinlich war.466

Warum sollte man einen Ort in den Streitkräften überhaupt ausschließen, ein Raum der jüdisch-nichtjüdischen Begegnung zu sein? Dieser Gedankengang fußt auf der Überlegung, dass sich diese Rekrutierungsmaßnahmen im Jahr 1788 auf Galizien beschränkten. 467 Zwar dehnte man diese Maßnahmen auf die restlichen Territorien der Habsburgermonarchie aus, doch blieben den Juden andere Truppengattungen als das Fuhrwesen noch verwehrt. Damit würden dann dort zumindest keine (direkten) jüdisch-nichtjüdischen Begegnungsräume entstehen. 468 Ein gemeinsames Kämpfen von jüdischen und nichtjüdischen Soldaten gegen einen Feind ‚direkt‘ am Schlachtfeld war zunächst doch unwahrscheinlich. Dies lässt sich als eine solche Beschränkung verstehen, aber bereits im Jahr 1789 war es möglich, dass sich

465 Vgl. LIND, Juden in den habsburgischen Ländern 1670-1848, 2006, S.404 sowie Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.46 sowie vgl. SCHMIDL Erwin, Geteilte Loyalität? Zur Lage von Juden und Muslimen im Ersten Weltkrieg. In: MESNER Maria/KRIECHBAUMER Robert/MAIER Michaela/ WOHNOUT Helmut(Hgg.), Parteien und Gesellschaften im Ersten Weltkrieg. Das Beispiel Österreich-Ungarn. Wien/Köln/Weimar 2015, S.182. Im Folgenden zitiert als SCHMIDL, Geteilte Loyalität?, 2015. 466 Hier sind die konvertierten Teile der Bevölkerung anzumerken. Diese waren laut Michael Berger (Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.23) in Bezug auf sozialen wie auch beruflichen Aufstieg weniger bis gar keinen Beschränkungen unterworfen. Doch können sie so gesehen einen Bezug zum Jüdischsein aufweisen, da, wie man bereits aufzeigte, eine Konvertierung nicht zwangsläufig Rückschlüsse bezüglich der Einstellung gibt. Daher muss man auch solche Räume miteinbeziehen. 467 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.120 sowie vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.106. 468 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.39–41; vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.105–107 sowie vgl. MADER Michael, Die jüdischen Soldaten in der k.u.k. Monarchie. Teil 1. https://davidkultur.at/artikel/die-judischen-soldaten-in-der-k-u-k-monarchie [Abruf: 05.02.2021]. Im Folgenden zitiert als MADER, Die jüdischen Soldaten I, 2014.

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jüdische Männer freiwillig zum Dienst „unter dem Feuergewehr“ 469 melden konnten. 470 Mit diesem Erlass waren sie nun Teil der Kampf- und Unterstützungstruppen beziehungsweise der Infanterie. 471 Es ergibt sich daher die Möglichkeit, dass es in diesen Bereich der Streitkräfte vermehrt zu Kontakt und zu Interaktionen kam. 472

Die erstmalige Einberufung von jüdischen Männer rief unterschiedliche Reaktionen der jüdischen Bevölkerung hervor.473 Einerseits sah die jüdische Bevölkerung der westlichen Länder der Habsburgermonarchie die Wehrpflicht als Möglichkeit für soziale und rechtliche Gleichstellung. Andererseits bewerteten Teile der orthodoxen jüdischen Gesellschaft der östlicheren Gebiete den Militärdienst als problematisch, da die Gefahr bestand, dass sich dadurch junge jüdische Männer von ihrer Religion und Herkunft abkehrten. Diese Befürchtung war nicht unbegründet, wenn man das Ablegen von gewissen traditionellen, kulturellen und religiösen Vorschriften während des Militärdienstes betrachtet. Dies war aber weniger ein Abhandenkommen als ein neues Aushandeln von jüdischer und nichtjüdischer Identitäts- konzepte. 474

Obwohl es Gegenstimmen zum Militärdienst von jüdischer wie auch nichtjüdischer Seite gab, setzten sich die Befürworter beider Seiten vorerst aber nur bedingt durch, denn in den Jahren von 1790 bis 1806 war es möglich, dass sich die jüdischen Wehrpflichtigen von ihrem Dienst freikaufen konnten.475 Diese Sonderstellung griffen Kritiker und Agitatoren auf und warfen dies der jüdischen Bevölkerung vor. Die ‚Reluierung‘ schaffte man im Jahr 1806 gänzlich ab, doch bestand diese Möglichkeit für eine kurze Zeitspanne nach 1848 noch einmal.476 Auch wenn zunächst der Integrationsaspekt der jüdischen Bevölkerung sowie eine Gleichberechtigung durch die Abschaffung des ‚Freikaufs‘ im Vordergrund standen, gab es bestimmt ebenso strategische Überlegungen. Dabei gehe ich davon aus, dass man vermutlich nicht auf die Mannstärke, besonders während der Koalitionskriege, verzichten mochte. 477 So dienten in der Zeit der Napoleonischen Kriege von 1792 bis 1815 mehr als 36.000 jüdische Männer in Reihen der Streitkräfte der Habsburgermonarchie. Die Bedenken bezüglich der

469 SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.47. 470 Am Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts diente die Überzahl der jüdischen Mitglieder der Streitkräfte dort. (vgl. ebda.) 471 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.115. 472 Dies geht wieder auf die Überlegungen von Monica Green (vgl. GREEN, Conversing with the minority, 2008, S.105) zurück. 473 Hierbei zeigt sich wieder, dass der jüdische Teil der Bevölkerung keine monolithische Masse ist. 474 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.34–36. 475 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.120. 476 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.107. 477 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.22–23.

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Untauglichkeit der jüdischen Männer haben sich anscheinend nicht bewahrheitet, ansonsten wären sie wohl weiterhin von der Wehrpflicht und vom Militärdienst befreit geblieben. 478

Die Koalitionskriege stellen des Weiteren eine Zäsur in der Geschichte der jüdischen Soldaten der Habsburger und Österreichs dar. Ein Einschnitt, welcher wenige Jahre nach den ersten Einberufungen erfolgte. Was änderte sich im Rahmen dieses Konflikts? Für die Habsburgermonarchie bedeutete er gesellschaftliche, politische und ebenso militärische Veränderungen. Im Jahr 1804 ‚vereinte‘ man die habsburgischen Gebiete zum Kaisertum Österreich. Das Heilige Römische Reich hörte auf zu existieren. 479 Der ‚gemeinsame Feind‘ Napoleon Bonaparte und seine französische Revolutionsarmee führten zu einem „neuen Bewusstsein nationaler Einheit“ 480 in der Bevölkerung. Dieses überwog religiöse Vorurteile sowie Ausgrenzungen, jedoch verschwanden sie nicht gänzlich. Die Gesellschaft veränderte sich und damit das bisherige jüdisch-nichtjüdische Miteinander. Dies soll nicht bedeuten, dass das Miteinander davor ein reines Gegeneinander war, sondern es soll aufzeigen, dass verschiedene Einflüsse diese Beziehung verändern. Hier lässt sich eine Verbindung zum Verständnis des Begriffs der Kooperation 481 herleiten, da man (gemeinsam für Österreich) gegen eine ‚äußere Bedrohung‘ agierte. So nennt Erwin Schmidl als ein Exempel für ein jüdisches Mitwirken an den Koalitionskriegen Max Grunwald. 482

Dieses neue Selbstverständnis fand sich nicht nur im zivilen Bereich, sondern ebenfalls in den Streitkräften wieder und führte zu einem Wandel.483 In den Jahren nach 1800 setzte Erzherzog Karl einige militärische Reformen durch. Diese ermöglichten, dass die jüdischen Militärangehörigen in allen Waffen- sowie Truppengattungen dienen konnten. Wie die Verteilung dahingehend aussah, lässt sich laut Erwin Schmidl erst am Ende des 19. Jahrhunderts feststellen, da die Zahlen davor nicht ausreichend erfasst wurden.484

Im Zuge der Napoleonischen Kriege wurde es nicht nur üblich, dass jüdische Soldaten Mitglieder der Mannschaften waren, sondern man erhob sie erstmals zu Offizieren, doch war

478 Vgl. LIND, Juden in den habsburgischen Ländern 1670-1848, 2006, S.404. 479 Vgl. Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.173. 480 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.54. 481 Dabei ist zu beachten, dass variieren kann, was man als Kooperation (beziehungsweise Konfrontation) versteht, da diese Begrifflichkeiten vom Kontext abhängen. Wie man diese Begriffe in Bezug auf die Thematik dieser Arbeit begreift, behandelt man im letzten größeren Unterkapitel, indem man sich hauptsächlich mit den verschiedenen Formen der Interaktionen auseinandersetzt. 482 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.55. 483 Vgl. ebda., S.51. 484 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.47.

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es bisher noch nicht möglich, den ersten jüdischen Offizier zu eruieren.485 Letztlich ist aber entscheidend, dass es einen gab und weitere folgten. Dadurch lässt sich das Offizierskorps der Streitmächte der k.u.k. Monarchie als ein jüdisch-nichtjüdischer Begegnungsort identifizieren. Die Anzahl der jüdischen Offiziere änderte sich im Laufe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Michael Mader 486 , der auf Erwin Schmidl referiert, teilt diese Entwicklung in vier Phasen ein. In der ersten Phase (in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) war es nur Konvertierten möglich, in der Armee beruflich aufzusteigen. Eine Periode des Liberalismus nach den Ereignissen der Jahre 1848 und 1849, welche vom Beginn der 1860er-Jahre bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dauerte, ließ die Zahl der jüdischen Angehörigen des Offizierskorps deutlich ansteigen. Auf diese Phase folgte wiederum ein Rückgang. Als letzte dieser Phasen ist die Zeit des Ersten Weltkriegs anzusehen, da durch die eingerückten Reserveoffiziere der Anteil der jüdischen Offiziere relativ hoch war.

Die Betrachtung, wie, wann, wo und selbstverständlich ob die jüdischen Militär- angehörigen in alle Bereiche 487 der Streitkräfte vorstießen, ist aus dem Grund interessant, da diese den entsprechenden Raum neukonstituieren und das Einfluss auf die Interaktionen nimmt. Es lassen sich ebenso ‚äußere Einflüsse’ dabei herauslesen. Bereiche der Streitkräfte sind demnach als das Wo zu verstehen. Die Zeit (also das Wann) spielt für das beidseitige Miteinander ebenfalls eine Rolle. Das Wie bezieht sich auf die Qualität (im Sinne einer Kooperation oder Konfrontation) und Quantität (darunter ist die Anzahl der Akteure eines kulturellen Systems zu verstehen). Diese Faktoren spiegeln sich wiederum im Austausch wider.488 Das ist so zu verstehen, dass sich die Interaktionen wohl unterscheiden, wenn die Akteure akzeptieren, dass sie sich im selben Raum befinden. Dies gilt ebenso für den gegenteiligen Fall. Diese Aspekte greifen ineinander, jedoch muss auch die Individualität der Akteure miteinbezogen werden.

Das Fallbeispiel des Alexander (Ritter von) Eiss‘ soll diese Annahme veranschaulichen. Eiss stieg im Laufe seiner Karriere bis zum Generalmajor der k.u.k. Streitkräfte auf und bekannte sich selbst zum Jüdischsein.489 Obwohl es bereits seit den Napoleonischen Kriegen

485 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.107. 486 Vgl. MADER, Die jüdischen Soldaten II, 2014. 487 Mit Bereiche sind alle Waffengattungen beziehungsweise Dienstränge gemeint. 488 Vgl. GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316; Vgl. HÖDL, Performanz in der jüdischen Historiographie, 2008, S.181 sowie SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.68. 489 Vgl. BERGER Michael, Sei stark und tapfer! Juden in Deutschen und Österreichisch-Ungarischen Armeen im Ersten Weltkrieg. Jüdische Frontkämpfer in der Weimarer und der Republik Deutschösterreich. (=Geschichtswissenschaft 29). Marburg 2016, S.140.

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jüdische Offiziere in den Streitkräften gab, waren diese nach einem halben Jahrhundert anscheinend nicht vollends anerkannt. 490 So trug Eiss nach eigenen Angaben rund 34 Duelle aufgrund von „Angriffen auf seine Religion“ 491 aus. Zwar gibt es laut Erwin Schmidl 492 keine Belege für diese Duelle, aber das ist in diesem Fall nicht entscheidend. Relevant wirkt dabei die Interaktion. Sie konstituierte die Streitkräfte als einen Raum, in dem jüdische Offiziere nicht anerkannt waren oder zumindest so gering, dass Schmidl die Nichtanerkennung teilweise aus Aussagen von Eiss‘ schlussfolgert. Ebenso erfolgt die Annahme, dass durch die Anzahl der jüdischen Offiziere und durch die zeitliche Etablierung sie teilweise anerkannt waren. Das gleichzeitige Anerkennen und Nichtanerkennen ist kein Widerspruch, da die Streitmacht kein statitisches und einheitliches Konstrukt darstellt. Diese lassen sich jedoch als Kooperation oder Konfrontation werten.493 Einen interessanten Aspekt, den der Zugang auf Grundlage ‚hybrider Identitätskonstruktion‘ sowie der einer mikrohistorischen Perspektive ergeben, ist der individuelle Faktor jedes Akteurs.494 Es ist zu beachten, dass Alexander Eiss dafür bekannt war, dass er nicht oder zumindest ungern „mit getauften Offizieren verkehrte“.495 Dies ist bei einer Darstellung eines sozialen Verhältnisses ebenso zu berücksichtigen, da es sich ebenso auf die Interaktion auswirkt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass dies aufgrund fehlender Quellen nicht immer möglich ist. Berücksichtigt man nun die ‚Gegebenheiten‘, ergibt sich eine vollständigere Darstellung des Vergangenen.496

Der nächste Einschnitt der österreichischen Geschichte sowie der der Streitkräfte ist der ‚Ausgleich‘ zwischen Österreich und Ungarn im Jahr 1867. Nach zwei verlorenen Kriegen in den Jahren 1859 gegen Sardinien-Piemont und Frankreich sowie 1866 gegen Preußen und Italien erfolgte der Zusammenschluss in einer Personal- und Realunion. Verbindungsglieder der entstandenen Doppelmonarchie waren unter anderem das Kriegsministerium und die Streit- kräfte. 497 Der Ausgleich sowie die Dezemberverfassung brachten Veränderungen für die

490 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.68. 491 Ebda. 492 Vgl. ebda. 493 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.108 sowie vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171. 494 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171 sowie Vgl. FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft, 2004, S.44. 495 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.113. 496 Vgl. GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316 sowie vgl. HÖDL, Geschichte in Jüdischen Studien, 2008, S.64. 497 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.209–210 sowie S.214–215.

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Streitmacht. Es erfolgte eine Dreiteilung der kaiserlich-königlichen Armee.498 Einerseits bestand ein ‚gemeinsames‘ (kaiserlich-königliches) Heer weiter, andererseits verfügten beide Reichshälften nun über Landwehren: in der cistleithanischen die kaiserlich-königliche (kurz: k.k.) Landwehr und in der transleithanischen die königlich-ungarische (kurz: k.u.) Honvéd. 499 In Hinblick auf weitere Bereiche der Streitmacht ist noch die k.u.k Kriegsmarine zu erwähnen. Jeder dieser Teile der Streitmacht ist als ein jüdisch-nichtjüdischer Begegnungsort zu verstehen. 500 Zur Vollständigkeit ist die Heeresfliegerei als Teil der Streitkräfte zu erwähnen, die aber nur geringe Bedeutung hatte. 501 Erwin Schmidl 502 ordnet in seiner Aufstellung über die Verteilung jüdischer Militärangehöriger dezidiert keinen Bereich der Fliegerei zu. Jedoch erwähnt er Aaron Shapira, der im Ersten Weltkrieg in einer Fliegereinheit diente.

Des Weiteren erfolgte im Zuge dieser Verfassung zumindest die gesetzliche Gleichstellung aller Staatsbürger unabhängig der Konfession. 503 Im Rahmen des Wehrgesetzes führte man die allgemeine Wehrpflicht ein. Trotz dieser leistete nur circa jeder vierte männliche Staatsbürger Österreich-Ungarns den Wehrdienst ab. Einerseits konnten eine Einberufung aller gar nicht finanziert werden, andererseits gab es eine relativ hohe Anzahl an Untauglichen und anderweitig Nichtverfügbaren. Jedoch stieg damit die Anzahl der jüdischen Mannschafts- soldaten und auch der jüdischen Offiziere.

Im Jahr 1872 dienten 12.471 jüdische Soldaten (als Mitglieder von Mannschaften) entweder in der Reserve oder im aktiven Dienst. Damit machte ihre Anzahl 1,5 Prozent des Gesamtstandes der k.u.k. Armee aus. Die statistische Erfassung erfolgte über das ‚Grundbuchblatt‘; darin finden sich Angaben zu Person (wie Konfession), dienstlicher Verwendung, Beförderungen oder Auszeichnungen. Diese geben auch Hinweise auf Kontakt und Interaktion.504 Bis zum Jahr 1902 erhöhte sich die Zahl auf 59.784, was einem Anteil von 3,9 Prozent entsprach. Setzt man dies in Relation zur Gesamtzahl der jüdischen Bevölkerung, die 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, kommt man zu einer ungefähren

498 Vgl. STEINER Peter, Die organisatorische Dreiteilung der „Bewaffneten Macht Österreich-Ungarns“. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S. 62. Im Folgenden zitiert als STEINER, Die organisatorische Dreiteilung, 2014. 499 Hier sei angefügt, dass das ungarische Äquivalent der Landwehr den jüdischen Angehörigen in Bezug auf Aufstiegsmöglichkeiten mehr entgegen kam (vgl. MADER Michael, Die jüdischen Soldaten in der k.u.k. Monarchie. Teil 3. http://davidkultur.at/artikel/die-judischen-soldaten-in-der-k-u-k-monarchie-3 [Abruf: 07.02.2021]. Im Folgenden zitiert als MADER, Die jüdischen Soldaten III, 2014.) 500 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.100–102. 501 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.52–53. 502 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.190–204 sowie S.120. 503 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.70. 504 Vgl. STEINER, Die organisatorische Dreiteilung, 2014, S.63.

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Übereinstimmung. Ab dem Jahr 1911 erfolgte ein Absinken der Zahlen auf 46.064 Soldaten oder auch 3,1 Prozent. 505

Eine Diskussion, die die steigende Zahl der jüdischen Soldaten mit sich brachte, war, ob diese ein Anrecht auf eine eigene militärische Seelsorge hätten. Zu Beginn der Debatte, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht, lehnten das Kaiserhaus und die Militärbehörde die Ernennung von jüdischem Militärgeistlichen ab. Im Zuge der Revolution von 1848 flaute die Diskussion ab und wurde erst wieder in den 1860er-Jahren aufgegriffen. Im Zuge des Krieges gegen Preußen gab es zwar eine formelle Zustimmung für eine jüdische Militärseelsorge, aber die kurze Dauer des Konflikts vereitelte die Umsetzung. Diese geschah im Jahr 1875. Prinzipiell fungierten ab den 1870er-Jahren alle jüdischen Geistlichen als Feldrabbiner der Reserve. Am Beginn des Ersten Weltkrieges dienten neun Feldrabbiner und am Ende insgesamt 77.506 Die Ausübung ihrer Funktion überließ die k.u.k Streitmacht den Geistlichen selbst. 507

Bereits im Feldzug gegen Bosnien und Herzegowina kam nach den Schilderungen Alexander Kischs zumindest ein Feldrabbiner zum Einsatz.508 Die darauffolgende Okkupation und die Vollstreckung der Wehrpflicht in diesem Gebiet bedingten, dass sich muslimische Soldaten in den Reihen der Streitkräfte wiederfanden. Dies stellt eine ‚Erweiterung‘ des nichtjüdischen Anteils der Streitmacht dar.509 Bosnien und Herzegowina erhielten einen Sonderstatus. So kam es dazu, dass man eigene bosnisch-herzegowinische Infanterie- sowie Jägertruppen einführte, in denen genauso jüdische Militärangehörige dienten. 510 Muslimische Soldaten dienten aber ebenso in anderen Truppenteilen. Bei der Darstellung von jüdisch- nichtjüdischen Beziehungen ist dies zu berücksichtigen. 511

Im Zuge der Gleichstellung aufgrund Dezemberverfassung war es Juden möglich, Kadettenschulen sowie Militärakademien zu besuchen. Dies hatte Auswirkungen auf die

505 Vgl. DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995, S.209 sowie vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S. 168- 169. 506 Vgl. STEINER, Namensliste der Feldrabbiner, 2014, S.74. 506 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.41–50. 507 Vgl. HECHT, Feldrabbiner in der k.u.k. Armee, 2014, S.68–69 sowie vgl. HECHT, Austro-Hungarian Jewish Military Chaplains, 2019, S.95. 508 Vgl. GÜDE, Beitrag über die Anfänge der jüdischen Militärseelsorge, 2012, S.189. 509 Vgl. SCHMIDL, Orientale in Österreich(-Ungarn), 1996, S.323 sowie vgl. DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995, S.206. 510 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.195 sowie SCHMIDL, Orientale in Österreich(- Ungarn), 1996, S.323. 511 Vgl. SCHMIDL, Orientale in Österreich(-Ungarn), 1996. S.323; NEUMAYER, Muslimische Soldaten, 2014, S.99 sowie vgl. ENGLE Jason, „This monstrous front will devour us all“. The Austro-Hungarian Soldier Expierence, 1914—15. In: BISCHOF Günter/KARLHOFER Ferdinand, 1914. Austrian-Hungary, the Origin, an the First Year of World War I. (= Contemporary Austrian Studies 23). Innsbruck 2014, S.151. Im Folgenden zitiert als ENGLE, The Austro-Hungarian Soldier Expierence, 2014.

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Anzahl jüdischer Militärangehöriger im Offiziersrang. Eine genaue Anzahl an jüdischen Offiziere in der k.u.k. Armee lässt sich erst im Jahr 1897 erheben, da man in den veröffentlichten Statistiken erstmalig eine Unterscheidung zwischen Berufs- und Reserveoffizieren vornahm. Diese Zahlen besagen, dass in diesem Jahr 178 Berufsoffiziere jüdischen Glaubens gedient haben. Dies entspricht 1,2 Prozent aller Offiziere des k.u.k. Heeres. Im Jahr 1911 hingegen sank die Zahl auf 109, was wiederum 0,6 Prozent des Gesamtanteils entsprach. 512 Erwin Schmidl sieht im Absinken der Zahlen einen Hinweis auf die antijüdische Stimmung der Jahrhundertwende.513 Istvan Déak führt dies auch auf die Auswanderung von Teilen der jüngeren jüdischen Bevölkerung zurück. Beide Gründe schließen sich nicht aus. Der Anteil jüdischer Reserveoffiziere hingegen war um einiges größer. Im Jahr 1897 betrug die Anzahl 1.993; dies entspricht 18,8 Prozent der Gesamtanzahl. Jedoch sank diese Zahl bis ins Jahr 1911 auf 1.871 oder eben 17 Prozent. Bei den Reserveoffizieren war die jüdische Bevölkerung deutlich überrepräsentiert. 514 Dieser relativ hohe jüdische Anteil an der Gesamtzahl erklärt Michael Mader 515 dadurch, dass die jüdische Bevölkerung im Allgemeinen einen höheren Bildungsgrad besaß.

Einigen dieser jüdischen (wie auch nichtjüdischen) Offiziere war es möglich, dass sie die ‚Kriegsschule‘ besuchten. An dieser bildete man die Offiziere für den Generalstabsdienst aus. Dies war aber keine Garantie für eine Aufnahme in diesen. Obwohl es formal möglich war, ließ sich bislang kein Generalstabsoffizier mit jüdischer Konfession finden,516 doch erreichten einige der jüdischen Offiziere den Generalsrang. Die vorhandenen Akten zeigen, dass es in den ‚kämpfenden‘ Verbänden „sieben (ungetaufte) jüdische Generalmajore“517 gab. Die Ergänzung ‚ungetauft‘ lässt darauf schließen, dass es konvertierte Generäle gab.518 Es lässt sich feststellen, dass sich jüdische Mitglieder des Offizierskorps in hohen Positionen wiederfinden. Dieser Überblick über Begegnungsräume in den Streitkräften konzentrierte sich eher auf die

512 Vgl. DEÁK, Der k.(u.)k. Offizier, 1995, S.211. 513 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.85. 514 Vgl. DEÁK, Der k.u.k. Offizier, S.211. 515 Vgl. MADER, Die jüdischen Soldaten III, 2014. 516 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.87. 517 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.48–49. 518 Vier von den sieben erwähnten Generalmajoren erhielten ihre Beförderung noch vor dem Ersten Weltkrieg. Diese waren: Alexander Ritter von Eiss, Eduard Ritter von Schweitzer, Heinrich Ulrich Edler von Trenckheim sowie Simon Vogel. Leopold Austerlitz, Carl Schwarz und Maximilian Maendl von Burghard ernannte man im Laufe des Krieges dazu. (Vgl. MADER, Die jüdischen Soldaten II, 2014. sowie vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.49.) Das bekannteste Beispiel ist laut Schmidl (vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.49 sowie vgl. SCHMIDL Erwin, Samuel Baron Hazai, Honvéd Minister und Generaloberst, In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.221) General Oberst Samuel Baron Hazai, der zu den wichtigsten Generälen der Monarchie während des Konflikts zählte.

Gregor Schweighofer 72 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

hierarchische Ebene. Es zeigt sich, dass sich in allen Kategorien von Diensträngen (Mannschaften, Chargen, Unteroffiziere, Offiziere sowie der Generalität) Mitglieder der jüdischen Bevölkerung finden.519 Diese Hierarchie und damit einhergehende Befugnisse zwischen den Dienstgraden hat ebenso Einfluss auf die Interaktionen. Diese Asymmetrie der ‚Machtverhältnisse‘ bedingt der Raum der Streitmacht. Dies ist zu beachten, da Personen mit verschiedenen Dienstgraden Kontakt miteinander hatten. 520

Es war prinzipiell möglich, dass jüdische Soldaten in allen Waffengattungen dienen konnten. 521 Ein Blick darauf ergibt weitere Orte, die uns die Varianten des jüdisch- nichtjüdischen Miteinanders zeigen. Die letzte wirklich verwertbare Erhebung diesbezüglich im Jahr 1911. In den weiteren Jahren erhielten viele Soldaten kein Grundbuchblatt, sondern lediglich ein Evidenzblatt ohne Vermerk über die Religionszugehörigkeit.522 Diese Aufstellungen zeigen, dass jüdische Soldaten, Berufsoffiziere, Reserveoffiziere, Militärbeamte und dem Soldatenstand nicht angehörende Offiziere in den drei ‚großen‘ Waffengattungen (Artillerie, Kavallerie sowie Infanterie) zu finden waren. Hinzu kommt eine Anzahl von jüdischen Matrosen, die in der k.u.k. Kriegsmarine dienten. 523 Dennoch gab es Bereiche, in denen aus verschiedenen Gründen keine jüdischen Vertreter vorhanden waren. Dabei sind die demographischen Gegebenheiten miteinzubeziehen.524

Zwar gab es auch in der Streitmacht antisemitische Strömungen, doch scheinen diese laut Erwin Schmidl 525 und Michael Berger 526 nicht so sehr in Erscheinung getreten zu sein. Dies liegt vermutlich daran, dass die höchsten Instanzen auf die übernationale und überkonfessionelle Stellung der Streitmacht Wert legten und dieses Prinzip genauso durchsetzten.527 Es bleibt neben den angedeuteten Begegnungsorten sowie der vermeintlichen ‚Wahrscheinlichkeit‘ des Aufeinandertreffens festzuhalten, dass die Streitkräfte sich als Raum eher kooperativ als konfrontativ auf das jüdisch-nichtjüdische Miteinander auswirkten.

519 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.205–206. 520 Vgl. GÖDERLE, Vom Ort der Dinge, 2014, S.316. 521 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.47. 522 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.115. 523 Vgl. ebda., S.195; S.197; S.199 sowie S.201. 524 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.113. 525 Vgl. ebda. 526 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.96. 527 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.113.

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Dementsprechend agierten und interagierten sie auch. 528 Diese Bedingungen gelten vom Beginn bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.529

Die Auseinandersetzung mit der Streitmacht bildet eine der Komponenten, um festzustellen, wo es zum jüdisch-nichtjüdischen Aufeinandertreffen kam. Eine weitere Komponente ist der Krieg selbst. Den Verlauf und die Folgen dieses Konflikts stellt man ebenfalls in Form eines Überblicks dar. Dabei fokussiert man sich auf den jüdischen Anteil des jüdisch-nichtjüdischen Miteinanders. Man könnte auch sagen oder aus einer (von vielen) jüdischen Perspektive(n). 530

5.3 Jüdisch-nichtjüdische Kooperationen und Konfrontationen

Die Teilnahme der jüdischen und nichtjüdischen Mitglieder der k.u.k. Streitkräfte am Ersten Weltkrieg belegt, dass der Konflikt ein jüdisch-nichtjüdisches Miteinander war. Es zeigte sich, dass dieses Miteinander eher ein Zusammen- als ein Entgegenwirken war. Beides existierte jedoch, wobei das Verständnis von Kooperation und Konfrontation situationsabhängig ist. 531 Demnach benötigt man eine Kontextualisierung, um Handlungen dementsprechend zuzuordnen. 532 Um diese Interaktionen zu erschließen, bedient man sich eines ‚mikrohistorischen‘ Zugangs.533

Bevor ich mich der Eruierung von entsprechenden Begegnungsorten während des Ersten Weltkriegs, der Darstellung der Interaktionen sowie deren Beurteilung (in Hinblick auf Zusammen- und Entgegenwirken) widme, setze ich mich überblickshaft mit der theoretischen Grundlage von Interaktionen auseinander. Dazu zählt ebenso, in welchen Formen sie für eine historische Untersuchung zugänglich sind. Dabei ergibt sich eine Verbindung mit der ‚mikrohistorischen‘ Herangehensweise. Des Weiteren erfolgt eine Klärung, was man unter

528 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.25 sowie vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.54. 529 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.120. 530 Vgl. LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich, Introduction. In: LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish soldiers in the collective memory of central europe. The remembrance of World War 1 from a Jewish Perspective. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 28). Wien/Köln/Weimar 2019, S.16. 531 Diese Ausführungen sind eher als ein Aufzeigen zu verstehen, um darzustellen, welche Perspektiven und Aspekte zu beachten sind, wenn man von Konfrontation und Kooperation spricht. Es ist eine ausführliche Bestimmung diesbezüglich notwendig, besonders bei der benötigten Zielsetzung. 532 STÜRMER Stefan/SIEM Birte, Sozialpsychologie der Gruppe. München 2020, S.78. Im Folgenden zitiert als STÜRMER/SIEM, Sozialpsychologie, 2020. 533 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.193.

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einer Kooperation beziehungsweise Konfrontation im Kontext des Ersten Weltkriegs verstehen kann. Dies ist für eine ‚Zuordnung‘ der einzelnen Interaktionen relevant. 534

5.3.1 Theoretische Grundlagen des Zusammen- und Entgegenwirkens

Der theoretische Überblick beginnt mit der Erläuterung der Grundlagen der ‚Mikro- geschichte‘.535 Was ist unter einer ‚mikrogeschichtlichen‘ Perspektive zu verstehen? Die ‚mikrohistorische‘ Herangehensweise beschäftigt sich mit der Untersuchung kleiner und abgrenzbarer ‚Gegenstände‘. Diese ‚Objekte‘ können ein singuläres Ereignis (wie der Erste Weltkrieg), ein soziales und kulturelles Gefüge (wie die Streitkräfte der k.u.k. Monarchie) oder auch ein einzelnes Individuum sein. 536 Doch wie Otto Ulbricht537 jedoch anmerkt: „Ein kleiner Gegenstand selbst macht noch keine Mikrogeschichte.“ 538 Es bedarf ebenso einer bestimmten Vorgangsweise beim Umgang mit Quellen. Ewald Hiebl und Ernst Langthaler beschreiben dies folgendermaßen:

Mikrogeschichte zeichnet sich, entgegen einem verbreiteten Missverständnis, nicht durch die Kleinheit ihrer Gegenstände, sondern durch die ‚Verkleinerung des Untersuchungsbereichs‘ – oder, wie sich auch sagen ließe, die ‚Vergrößerung des Maßstabes‘ – aus. 539

Hierbei ist anzumerken, dass es kein einheitliches Konzept in diese Richtung gibt. 540 Dies bedeutet, dass man die von Hiebl und Langthaler kritisierte Herangehensweise der ‚kleinen Gegenstände‘ ebenso einem ‚mikrohistorischen‘ Zugang zuordnen kann. Um dieser Unschärfe jedoch entgegenzuwirken, stellen sie diverse Merkmale der ‚Mikrohistorik‘ dar. Das erste Merkmal sieht eine Verkleinerung des Untersuchungsraums beziehungsweise eine Vergrößerung des Maßstabes vor. Durch diesen Schritt ist es möglich, dass man in einem relativ hohen Umfang Quellen erschließt und diese normativ kombiniert. Dies lässt einen ‚inneren‘ und ‚äußeren‘ Blick auf ein Individuum zu. Man berücksichtigt somit die Perspektive des Einzelnen. Durch die Ergänzung und Kombination ergeben sich neue Erkenntnisse über die

534 Vgl. STÜRMER/SIEM, Sozialpsychologie, 2020, S.78. 535 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.193–194. 535 Vgl. FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft, 2004, S.44. 536 Vgl. MAGNÚSSON/SZIJÁRTÓ, Microhistory, 2013, S.4–5. 537 Vgl. ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte. Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Frankfurt/New York 2009, S.14. Im Folgenden zitiert als ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte, 2009. 538 Ebda. 539 HIEBL Ewald/LANGTHALER Ernst, Einleitung. Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. In: HIEBL Ewald/LANGTHALER Ernst (Hgg.), Im Kleinen das Große suchen. Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Innsbruck/Wien/Bozen 2012, S.11. Im Folgenden zitiert als HIEBL/LANGTHALER, Im Kleinen das Große suchen, 2012. 540 Vgl. ebda.

Gregor Schweighofer 75 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Vergangenheit und deren Darstellung. 541 In weiterer Folge kann man verschiedene Bereiche des Lebens in eine Beziehung setzen, damit hebt man hervor, wie diese Dinge ineinandergreifen. 542

Es erfolgt eine spezifische Kontextualisierung, die dem jeweiligen Verhalten einen ‚Sinn‘ verleiht, indem man es in einem entsprechenden Rahmen deutet. Geht man von einem allgemeinen Kontext aus, welcher ein spezifisches Verhalten erklärt, ergibt sich das Problem, dass das Handeln entweder in dieses Schemata passt oder man es als ‚nebensächliche‘ Abweichung ansieht. Doch muss man auf die Handlungen gleichermaßen eingehen, wenn man versucht, interkulturelle Beziehungen verzerrungsfrei darzustellen, denn sie prägen das Miteinander mit. 543 Diese angesprochene Kontextualisierung ist beim Verständnis von Kooperation und Konfrontation zu berücksichtigen.

Die ‚mikrohistorische‘ Perspektive ermöglicht, die Beziehungen von diversen kulturellen Systemen auf verschiedenen Ebenen zu beobachten. 544 Daraus ergeben sich wesentliche ‚Erfolge‘ der mikrohistorischen Betrachtungsweise. Diese sind das Aufzeigen der Pluralität und die Darstellung der Mitwirkung der verschiedenen kulturellen Systeme. 545 So zeigt Till van Rahden anhand einer mikrohistorischen Studie dieses multiethnische und multikonfessionelle Zusammenspiel, dass sie „[…]an der Gestaltung, der jeweils mehrheitlichen Kultur(en), wie etwa der bürgerlichen, beteiligt“546 sind.

Aus diesen Erfolgen lässt sich ein Ziel der ‚Mikrohistorik‘ ableiten. Diese Herangehensweise beschränkt sich nicht nur darauf, Geschichte ‚im Kleinen‘ darzustellen, sondern möchte aufgrund des ‚vergrößerten Maßstabes‘ allgemeine Erkenntnisse erschließen.547 Es ergibt sich eine Wechselbeziehung zwischen Makro- und Mikroebene. Bei der Betrachtung dieser Verbindung unterscheidet man zwischen einer sozial- und kulturgeschichtlichen Herangehensweise. Die Richtung der Kulturgeschichte legt den Fokus

541 Vgl. MAGNÚSSON/SZIJÁRTÓ, Microhistory, 2013, S.5. 542 Vgl. ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte, 2009, S.14. 543 Vgl. ebda., S.15. 544 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.194. 545 Vgl. FAUSER, Einführung in die Kulturwissenschaft, 2004, S.44. 546 Siehe van RAHDEN, Juden und andere Breslauer, 2000. 547 Vgl. ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte, 2009, S.14 sowie vgl. FRIEDLÄNDER Saul, Von der Mikro- zur Makroebene. Chancen und Risiken der Holocaustforschung. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.261.

Gregor Schweighofer 76 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

auf die „Wahrnehmung und Interpretationen“ 548 der Einzelnen. Sie sind der Bestandteil wie auch der Ausdruck eines kulturellen Kontextes, welchen sie miterschaffen. 549

Wie kann man diesen ‚inneren Blick‘ greifbar machen? Dies ermöglicht die (Neu- )Erschließung von Quellen, die man im Sinne einer Re-Analyse aus einer anderen Perspektive betrachtet.550 ‚Ego-Dokumente‘ 551 können einen Einblick in die Gedanken und Lebenswelt früherer Zeiten gewähren. 552 Diese beschränken den zeitlichen und geografischen Rahmen einer Untersuchung von selbst, da deren ganzheitliche Erschließung in einem größeren Umfang fast unmöglich erscheint. 553 Diese geben uns in greifbarer Form Aufschluss über die Erfahrungen und Erlebnisse 554 einzelner Protagonisten der Geschichte. Ebenfalls kann der Erkenntnisgewinn über deren Vergleich geschehen.555

Eine solche (Kriegs-)Erfahrung kann die Beschreibung der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung in den k.u.k. Streitkräften sein. Der ehemalige Oberstleutnant Rudolf Kohn tätigte diesbezüglich folgende Aussage: „Ich habe beim Militär einen Antisemitismus nicht gespürt und das habe ich [den Habsburgern] sehr angerechnet.“ 556 Dieser Ausdruck fasst alle Interaktionen zusammen, die er während seiner Militärzeit erlebt hat. Er bewertet sie aus seiner Sichtweise als ‚positiv‘ und beschreibt nicht nur sein Verständnis des jüdisch-nichtjüdischen Verhältnisses während des Ersten Weltkriegs, sondern formt es genauso mit. Zwar tätigte er diese Aussage Jahrzehnte nach dem Ende des Konflikts, aber er prägt das vergangene und gegenwärtige jüdisch-nichtjüdische Miteinander mit.557 Erwin Schmidl stellt die Äußerung

548 ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte, 2009, S.15. 549 Vgl. ebda. 550 Vgl. ZICK, Psychologie der Akkulturation, 2010, S.583. 551 ‚Ego-Dokumente‘ können (Kriegs-)Tagebücher, (Feldpost-)Briefe, biographische Aufzeichnungen (in verschiedener Form) oder Gebrauchstexte sein. (Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch- jüdische Geschichte, 2017, S.194.) 552 Vgl. ebda. 553 Vgl. ULBRICHT Otto, Mikrogeschichte, 2009, S.14. 554 Wobei man zwischen diesen beiden Begrifflichkeiten unterscheiden kann. Die erste ist auf einer emotionaleren Ebene zu verstehen, die letztere weist eine größere Nähe zum konkreten und realen Kriegsgeschehen auf. Sarah Panter (vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.25) bezieht sich bei dieser Trennung auf Paul Mendes-Flohr. Sie selbst hingegen geht von der Annahme aus, dass die Erlebnisse (nach der erwähnten Definition) ein Teil der Erfahrungen sind. Ein Prozess der Sinnbildung, in welchen sich Interpretation, Wahrnehmung sowie Verarbeitung zeigen. Diese sind wiederum von verschiedenen Faktoren beeinflussbar. Diese Arbeit geht vom selben Verständnis der Begriffe Kriegserfahrung sowie -erlebnisse aus wie Sarah Panter (vgl. ebda.) 555 Vgl. BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram, Jenseits des Schützengraben-Narrativs? Einleitende Bemerkungen über Kriegserfahrung und Kriegserinnerungen an der Ostfront im Vergleich. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.21. Im Folgenden zitiert als BACHINGER/DORNIK, Jenseits des Schützengraben-Narrativs, 2013. 556 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.116. 557 HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.276.

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Kohns in seinen Ausführungen dar. Liest man diese Aussage, so tritt man mit ihm in Verbindung und interagiert. Man tritt mit dem Text und dem Verfasser in Kontakt sowie Interaktion. 558 Ein Aufeinandertreffen muss demnach nicht ‚unmittelbar‘ oder ‚direkt‘ erfolgen. Natürlich erweitert dies die Auffassung von Begegnungsorten ungemein. Dasselbe gilt für Interaktionen.

Es ergibt sich dabei die Frage, was genau unter einer Interaktion zu verstehen ist. Als eine Interaktion versteht man laut Angelika Linke, Markus Nussbaumer sowie Paul Portmann 559 ein partnerorientiertes Handeln. Dieses ist mit dem (intentionalen) Verhalten und dem kommunikativen Handeln selbst verbunden. Die Partnerorientierung verlangt ein Gegenüber, damit erscheint jedoch eine Interaktion nur in einem unmittelbaren Aufeinandertreffen möglich. Dagegen steht die vorhin erschlossene Erkenntnis, dass man diesen ‚direkten‘ Kontakt nicht benötigt. Dies ist aber kein Widerspruch, da es ebenso partnerorientiert ist, wenn sich die ‚Jüdische Zeitung‘ an ihre Leserschaft mit den Worten wendet: „In diesen Tagen erweist es sich, daß die Juden die Treuesten unter den Treuen sind. “560 Es ist möglich, ohne direkten Kontakt und medienübergreifend zu interagieren. Das zeigt, dass interagierende Handlungen zeitversetzt stattfinden können. Dies gilt ebenfalls für Korrespondenz in jeglicher Form. Auch wenn die entstehende Asynchronität auf eine ‚Einseitigkeit‘ schließen lässt, stehen die Akteure in einer Wechselbeziehung. 561 Für eine Interaktion muss die Handlung jedoch einem Adressaten zugänglich gemacht werden. Diese Intention trifft auf Tagebucheinträge nicht zu. 562 Wenn zum Beispiel Erwin Schmidl 563 folgende Zeilen aus dem Journal des Unteroffiziers Eugen Hoeflich zitiert: „[…] da sagte gerade Einer: ‚Die Juden sind feig“ 564 , war es vermutlich nicht Hoeflichs Intention beim Verfassen, dass jemand seine Aufzeichnungen liest, aber ist sie Rezipienten zugänglich und beschreibt nicht nur eine Form der Interaktion, sondern ist ebenso eine.

Die Interaktion ist ein Handeln. Die Partnerorientierung dahingehend kann sehr weit gefasst werden. Linke, Nussbaumer sowie Portmann 565 nennen als Beispiel für ein nicht partnerorientiertes Handeln eine Tätigkeit, welche man allein durchführt, wie das Graben eines

558 Vgl. LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 2004, S.290. 559 Vgl. ebda. S.197. 560 WALTL, Die Zähl- und Erzählstelle, 2019, S.174. 561 Vgl. LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 2004, S.198. 562 Vgl. ebda. 563 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.116. 564 Ebda. 565 Vgl. LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 2004, S.198.

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provisorischen und individuellen Schutzgrabens. Dies geschah unter anderem an der ‚Isonzo- Front‘.566 Diese Handlung koordinierte man mittels eines Austausches. Sie begründet sich daher aus einer Interaktion, aber an sich ist sie nicht partnerorientiert. Man verfolgte mit dem Aufbau der Verteidigungsstellung nicht nur einen physischen, sondern auch einen symbolischen Schutz. Der Gegner sollte darauf hingewiesen werden, dass ein Überschreiten ohne Gegenwehr nicht möglich ist.567 Mit dem Graben ergibt sich dennoch eine Partnerorientierung, da man eine Reaktion hervorrufen will. Es erscheint so, als ob Paul Watzlawicks‘568 These zutrifft, die aussagt, dass man „nicht nicht kommunizieren“ 569 kann. Da man laut ihm mit jedem Verhalten kommuniziert, kann man (fast) jede Handlung als interagierend ansehen, da sie eine Reaktion eines Gegenübers hervorruft.570 Der Begriff der Interaktion ist demnach sehr weitläufig, doch erscheint dies nötig, um eine interkulturelle Beziehung zu erfassen.

Im nächsten Schritt ist zu klären, ob diese Handlungen im Sinne eines (jüdisch- nichtjüdischen) Zusammen- oder Entgegenwirkens zu verstehen sind. Für die Ausführungen diesbezüglich bleibt man an der ‚Südwestfront‘. Das dazugehörige Gebiet rund um Isonzo wurde zum Schauplatz von zwölf Schlachten. Nach der letzten ‚Isonzoschlacht‘ erhielt Josef Kulka die Goldene Tapferkeitsmedaille. Der jüdische Fähnrich der Reserve zeichnete sich durch Führungsqualitäten während des Durchbruchs bei Flitsch-Tolmein aus.571 Dies lässt sich wohl als ein ‚gelungenes‘ jüdisch-nichtjüdisches Zusammenwirken verstehen und deckt sich auch mit dem allgemeinen Verständnis von Kooperation. Kooperation versteht man als ein Zusammenwirken von mehreren Parteien oder kulturellen Systemen mit einer entsprechenden Intention. Dabei gibt es verschiedene Voraussetzungen, warum eine Kooperation zustande kommt. Alle erwähnten Komponenten dieser Erklärung sind situationsabhängig. 572

Diese ‚Kriterien‘ für Kooperation finden sich in diesem Fallbeispiel wieder, denn das Zusammenwirken der jüdischen und nichtjüdischen Teile der k.u.k. Streitkräfte hatte die Absicht, die italienische Streitmacht zurückzudrängen. Die kulturelle jüdisch-nichtjüdische Komponente des Zusammenwirkens steht dabei nicht im Vordergrund, sondern das militärische Kooperieren. Einer der Gründe, warum diese Form des Miteinanders entstand, war die

566 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.420. 567 Vgl. STORZ Dieter, Alpenkrieg. In: HIRSCHFELD Gerhard/KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.331–334. Im Folgenden zitiert als STORZ, Alpenkrieg, 2014 sowie vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.420. 568 Siehe WATZLAWICK Paul, Man kann nicht nicht kommunizieren. Das Lesebuch. Mannheim 2011. 569 LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN, Studienbuch Linguistik, 2004, S.198. 570 Vgl. ebda., S.197–198. 571 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.120. 572 Vgl. STÜRMER/SIEM, Sozialpsychologie, 2020, S.78.

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Konfrontation zwischen politischen und kulturellen Systemen (Österreich-Ungarn und Italien).573 Durch die Teilnahme jüdischer Soldaten und Offizieren war es ebenso eine jüdisch- nichtjüdische Konfrontation unter anderen Vorzeichen.

Konfrontation wird einerseits als ein Entgegenwirken von kooperativen Handlungen verstanden, andererseits als eine Auseinandersetzung von mehreren Akteuren, wobei beide Erklärungen ineinander übergehen. Eines der Ziele der österreichisch-ungarischen Truppen in der letzten ‚Isonzoschlacht‘ war es, Gebietsgewinne zu erzielen. Auf der Seite der k.u.k. Streitmacht war dieses Vorgehen kooperativ. Die italienischen Verbände wollten dies verhindern und wirkten dieser Kooperation entgegen, womit sie in eine Konfrontation traten.574 In diesem Sinne kann man Handlungen als Kooperationen oder Konfrontationen verstehen, indem man feststellt, ob sie zum Erreichen eines gewissen Ziels produktiv oder kontrakontraproduktiv sind. So verändert sich dieses Verständnis unter verschiedenen Perspektiven und Zielsetzungen.

Diese Arbeit stellt dieses Zusammen- und Entgegenwirken zunächst in einen ‚nationalen‘ Kontext während des Ersten Weltkriegs. 575 Daraus ergibt sich das entsprechende Kernziel der Kooperation. Auch wenn es nicht nur ein jüdisch-nichtjüdisches Zusammenwirken gab, kämpften sie sozusagen ‚miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn‘, obwohl es eher ein Miteinander war. 576 Daher ist es nachvollziehbar, dass der Parameter, an welchem sich die Konfrontationen und Kooperationen messen, ein gewonnener Konflikt ist. Oder anders gesagt: Alles, was einen Sieg begünstigt, ist produktiv und alles, was einen Gewinn vereitelt, destruktiv.

Sowohl Konfrontation als auch Kooperation prägen das gesellschaftliche Miteinander und damit die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Lebenswelt. Demnach ist eine derartige Differenzierung nun nicht unbedingt nötig. Diese Trennung erfolgt jedoch trotzdem, um explizit aufzuzeigen, dass genauso vermeintlich negative Aspekte des Zusammenlebens (das Gegeneinander) das Miteinander gestalten. Im Fall der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung ist das Ziel, welches die Kooperation hier definiert, ein ‚konfliktfreies‘ Zusammenwirken (in

573 VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S.602. 574 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.419 sowie vgl. MOMMSEN Wolfgang, Kriegsziele. In: HIRSCHFELD Gerhard/KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.666–668. Im Folgenden zitiert als MOMMSEN, Kriegsziele, 2014. 575 Der Titel soll eine Referenz bezüglich der anfängliche Kriegsbegeisterung im Sommer 1914 der nichtjüdischen wie auch der jüdischen Bevölkerung Österreich-Ungarns darstellen. (Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.25.) 576 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.113 sowie vgl. RECHTER, Die große Katastrophe, 2014, S.19.

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den Reihen der k.u.k. Streitkräfte) in einer Konfrontation, da man dies eben in Hinblick auf das Hauptziel eines gewonnenen Krieges betrachten muss. Das Engagement von Juden und Nichtjuden in den Friedensbewegungen ist genauso eine Kooperation und stellt ebenfalls ein friedvolles Miteinander her. 577 Doch ist dies für den Gewinn des Krieges kontraproduktiv, da sie ganz einfach gegen die Fortführung des Krieges sind. 578 Durch die Nichtfortsetzung des Krieges, wie es für die Mittelmächte der Fall war, verlor man ihn. Nicht nur organisierte Bewegungen trugen zu den Friedensbemühungen bei, sondern ebenso Individuen aus den verschiedensten Gründen. Dabei ist es kein Widerspruch, dass Personen, wie Julius Deutsch 579 oder Stefan Zweig 580 den Streitkräften beitraten, obwohl sie dem Frieden zugeneigt waren. Wie sehr dieser Aktivismus tatsächlich Einfluss auf den Kriegsverlauf hat, ist in diesem Fall weniger bedeutend. 581 Es ist viel zentraler, dass er existierte, da er ebenso am Miteinander mitwirkt.

Es wirkt befremdlich, dass man den Verzicht auf eine kriegerische Auseinandersetzung destruktiv nennt. Dieses Nichtverständnis entsteht dadurch, dass man Krieg und Gewalt als eine Abweichung des menschlichen Verhaltens betrachtet. Dies geht mit moralischen Bewertungen einher.582 Doch zeigt die Darstellung der menschlichen Vergangenheit, dass der Konflikt kein abweichendes Verhalten ist, sondern ebenfalls zur Lebenswelt gehört.583 Eine kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise geht diesen Überlegungen voraus. 584 Dabei betrachtet man Krieg abseits eines ‚Gut-Böse-Schemas‘, hinterfragt aber diesbezügliche Moral- vorstellungen und deren Entstehung. Des Weiteren geht es darum, dass man Vorstellungen anderer Akteure versteht und sie wiederum anderen zugänglich macht. Eine solche ist nun, dass Krieg eine Notwendigkeit darstellt.585 In Anbetracht dieser Überlegung versteht man Friedensbefürworter als Kriegsgegner und es ergibt sich eine Konfrontation, obwohl man den Ersten Weltkrieg ebenso als Präventionskrieg zur Verteidigung und Friedenssicherung

577 Vgl. SENFT Gerhard, Resistance Against the War of 1914–1918. BISCHOF Günter/KARLHOFER Ferdinand, 1914. Austrian-Hungary, the Origin, and the First Year of World War I. (= Contemporary Austrian Studies 23). Innsbruck 2014, S.186–187. 578 Vgl. PATKA Marcus, Organisiert die Welt! Österreichische Pazifisten und der Erste Weltkrieg. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.193 sowie vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.55. 579 Vgl. STALZER Alfred, Julius Deutsch. Militärstratege und Gründer des Republikanischen Schutzbundes. In: Marcus PATKA (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.229. Im Folgenden zitiert als STALZER, Julius Deutsch, 2014. 580 Vgl. BERGLER Sabine, Stefan Zweig. Vom Patrioten zum Europäer. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.243. 581 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.276. 582 Vgl. STÜRMER/SIEM, Sozialpsychologie, 2020, S.19–20. 583 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.92. 584 Vgl. ebda. S.50. 585 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.92.

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darstellen kann. 586 Dies basiert auf Grundgedanken, dass man Krieg führt, damit das Staaten- gebilde Österreich-Ungarn fortbesteht. Diese Annahme ist nachvollziehbar, da mit dem verlorenen Krieg Österreich-Ungarn aufhörte zu existieren.587 Wie sich die Lage entwickelt hätte, hätten sich die Friedensbestrebungen durchgesetzt, bleibt Spekulation. Ebenso, ob bei einem Sieg die Doppelmonarchie weiterbestanden hätte. Jedenfalls stand am Ende des Ersten Weltkriegs auch der Zerfall der Habsburgermonarchie.

Dieser ‚Niedergang‘ ergab sich aus einem Zusammenwirken von situativen Faktoren und politischen sowie sozialen Entwicklungen, wie Sara Panter 588 beschreibt. Darunter sind die diversen ‚inneren Konflikte‘ des Vielvölkerstaates zu verstehen. Zu diesen zählt der ‚Nationalitätenkonflikt‘, wie ihn Karl Vocelka 589 betitelt. Der Konflikt zwischen den verschiedenen Nationalitäten geht auf die Forderungen nach mehr Selbstbestimmung der einzelnen Teilgebiete der Monarchie und der Verweigerung zurück.590 Den ‚Zerfall‘ führt man ebenso auf die äußeren Ereignisse des Ersten Weltkriegs zurück. Beide stehen in einer Wechselbeziehung.591 Diese Konfrontationen ‚innerhalb‘ Österreich-Ungarns wirken sich ‚negativ‘ auf die Kooperation der k.u.k. Streitkräfte aus, denn die Herauslösung Polens, des SHS-Staats sowie der Tschechoslowakei aus dem Staatengebilde im letzten Kriegsjahr steht in einem Zusammenhang mit der Desertation von (slawischen) Angehörigen der k.u.k. Streitmacht in diesem Zeitraum.592 Zwar befanden sich vermutlich ebenso jüdische Militär- angehörige unter den Desertierten, aber ist dies im Fall nicht als jüdisch-nichtjüdische Kooperation in den k.u.k Streitkräften anzusehen, da sie nicht (mehr) am vorgegebenen Ziel mitwirkten. Generell war die Zahl der jüdischen Fahnenflüchtigen relativ gering, wie Erwin Schmidl erwähnt. 593

In Hinblick auf diesen anscheinenden ‚Loyalitätskonflikt‘ ergibt sich die Frage, ob es Vergleichbares in einem speziell jüdischen Kontext gab. Die jüdische Bevölkerung nahm am

586 Vgl. LANGER, „Krieg“ in der jüdischen Religion 2014, S.29 sowie ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.39–40. 587 Vgl. SCHWABE Klaus. Pariser Friedenskonferenzen. In: HIRSCHFELD Gerhard/ KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.770. 588 Vgl. PANTER, jüdische Erfahrungen, 2014, S.59. 589 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.237–239. 590 Doch verweist man darauf, dass diese Angelegenheit weitaus komplexer ist als die gängige Darstellung der unterdrückten slawischen Nationalitäten durch die ungarische und deutsche. (Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.238.) 591 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, 2002, S.238. 592 Vgl. JAHR Christoph, Desertion, S.436. Die nationale Zugehörigkeit ist nur als ein Teilaspekt zu betrachten, um dieses Phänomen zu erklären. (Vgl. KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, 2013, S.245–250.) 593 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.123.

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‚Nationalitätenkonflikt‘ teil, wenn man ihn als Streben nach Selbstbestimmung versteht. Obwohl man die ‚Juden‘ in der Doppelmonarchie nicht als eigene Nationalität anerkannte, finden sich Belege, dass man sie von offizieller Seite als ‚Volk‘ oder ‚Nationalität‘ bezeichnete. Die Anerkennung als Nationalität steht im Zusammenhang mit der Ideologie des Zionismus.594 Es handelt sich dabei um eine politische und nationale Bewegung, deren Ziel es ist, einen eigenen jüdischen (National-)Staat zu gründen und diesen zu erhalten. 595 Die Gründung geschah jedoch erst im Jahr 1948. 596 Es ergibt sich dahingehend keine Konfrontation, da der ‚Judenstaat‘, wie ihn Theodor Herzl 597 bezeichnete, in dieser Form einfach noch nicht exis- tierte. 598

Die ‚Gefahr‘ eines Loyalitätskonflikts bestand diesbezüglich aus dem Grund nicht, da die ‚Treue‘ der jüdischen Bevölkerung nicht Österreich-Ungarn an sich galt, sondern der Habsburger-Dynastie. 599 Dies rückt auch die Aussage Rudolf Kohns: „[…] das habe ich den Habsburgern sehr angerechnet“ 600 , in ein anderes Licht. Dieser Sachverhalt erklärt Hugo Zuckermanns 601 Engagement für die zionistische Bewegung und auch seinen ‚Patriotismus‘. Als weiteres Beispiel ist Ephraim Lilien 602 zu nennen, der den Kriegsdienst mit der Verbreitung des Zionismus vereinte. Dieses Phänomen zeigt sich auch bei Theodor von Weisl, der die Möglichkeit sah, „dass der Krieg den Judenstaat herbeiführen würde.“603 Der Blick auf Details ermöglicht, dass vermeintliche Widersprüche sich nur aus einer einseitigen Betrachtungsweise ergeben.

Klaus Lohrmann 604 sieht den Zionismus als Reaktion auf verstärkte antisemitistische Entwicklungen. Wie sehr der Antisemitismus zur Idee des Zionismus beitrug, ist diskutierbar. Andere Faktoren muss man ebenso berücksichtigen wie das Konzept des Nationalismus oder

594 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.28–29. 595 Vgl. BRENNER, Geschichte des Zionismus, 2016, S.7. 596 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.139 sowie vgl. BRENNER, Geschichte des Zionismus, 2016, S.7. 597 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.27. 598 Siehe HERZL Theodor, Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Zürich 1988. 599 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226. 600 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.116. 601 Vgl. STEINER, Hugo Zuckermann, 2014, S.226. 602 Vgl. SCHMIDL Erwin, Ephraim M. Lilien. Zionistischer Jugendstilkünstler An der Jerusalem Front. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.235. 603 von WEISL Wolfgang, Die Juden in der Armee Österreich-Ungarns. Illegale Transporte. Skizze zu einer Autobiographie. Tel Aviv 1971, S.36. Im Folgenden zitiert als von WEISL, Die Juden in der Armee Österreich-Ungarns, 1976. 604 Vgl. LOHRMANN, Die Habsburger und die Juden, 2000, S.212.

Gregor Schweighofer 83 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

die generelle Bewertung der Diasporaexistenz. 605 Jedenfalls verstärkt der Antisemitismus vorhandene zionistische Tendenzen und Überlegungen, welche dadurch mehr Einfluss gewannen. Es ergibt sich auch eine dynamische Beziehung. Der Antisemitismus fällt ebenfalls in den Bereich des Gegeneinanders. Er ist zwar ähnlich wie der Zionismus separatistisch, aber in einer extremeren Form und mit Gewalt verbunden. Thomas Brechenmacher und Michał Szulc beschreiben ihn folgendermaßen:

Im Antisemitismus kommt die radikal exklusorische Haltung von Nichtjuden gegenüber Juden zum Ausdruck. Sie konterkariert aus Prinzip und mit unterschiedlich starker Neigung zur Gewalt […] Manifestationen der Inklusion. 606

Zu dieser Definition ist anzumerken, dass die ablehnende Haltung ausschließlich von Nichtjuden ausgeht. Wie erklärt man die abwertende Äußerung des jüdischen Soldaten Theofil Reiss über die jüdische Bevölkerung der Stadt Tarnow?607 Wertet man diese als ‚jüdischen Selbsthass‘ oder als Antisemitismus? 608 Einen ähnlichen Fall stellt Heinrich Range (vormals Rappaport) 609 dar. Dieser weist eine behördlich eingetragene Zugehörigkeit zum Jüdischsein auf. Er konvertierte erst nach dem Krieg und wandte sich einer deutschnationalen Weltanschauung zu, obwohl man ihn vermutlich aufgrund seines Jüdischseins teilweise benachteiligte.610 Ein möglicher Widerspruch bei Range entsteht nur dadurch, dass man Identitätskonzepte als etwas Starres wahrnimmt. 611

Zwar gab es in den k.u.k. Streitkräften weniger offenen Antisemitismus als im zivilen Leben, wie Erwin Schmidl anführt, aber dennoch kam er vor. Das zeigt eine verschriftlichte Erinnerung des jüdischen Unteroffiziers Eugen Hoeflich:

[…] Da sagte gerade Einer: ‚Die Juden sind feig.“ […] Einer sagte, er kenne eine Ausnahme. Der Erste widersprach. […] Und das sind die Leute, mit denen ich, Einer dieser Feigen, mein Leben dem Tode bieten soll! 612

605 Vgl. VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S. 190; vgl. BRENNER, Von einer jüdischen Geschichte, S.21 sowie vgl. RAZ-KRAKOTZKIN Amnon, Geschichte, Nationalismus, Eingedenken. In: BRENNER Michael/MYERS David (Hgg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. München 2002, S.181–206. 606 BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S. 41. 607 Vgl. DORNIK, Raumerfahrung und Raumwahrnehmung von österreichisch-ungarischen Soldaten, 2013, S.37– 38. 608 Vgl. BRENNER, Geschichte des Zionismus, 2016, S.26. 609 Vgl. STEINER Jörg, Heinrich Odoaker Range (Rappaport). Deutschnationaler Anwalt mit Goldener Tapfer- keitsmedaille. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.224. 610 Vgl. MUTSCHLECHNER Martin, Der radikale Deutschnationalismus und seine Haltung zur Habsburgermonarchie. https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/der-radikale-deutschnationalismus-und-sei- ne-haltung- zur-habsburgermonarchie. [Abgerufen am 25.02.2021] 611 Vgl. BRECHENMACHER/SZULC, Neuere deutsch-jüdische Geschichte, 2017, S.171. 612 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.116–117.

Gregor Schweighofer 84 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Diese Situation scheint sich nicht nur ‚negativ‘ auf die jüdisch-nichtjüdische Beziehung auszuwirken, sondern auf das ‚gemeinsame‘ Vorhaben, den Krieg zu gewinnen, denn solche Anfeindungen können sich auf die ‚Kampfmoral‘ auswirken, obwohl dieser Begriff einige Problematiken aufwirft. 613 Helmut Kuzmics 614 versteht ihn als Willen, den Kampf fortzusetzen. 615 Daher ist eine hohe Bereitschaft zum Kämpfen als kooperativ zu verstehen und eine geringe hingegen kann zur Kapitulation oder eben Desertation führen.

Welche Aspekte wirken sich nun vermeintlich positiv auf das Erreichen des genannten Ziels aus?616 Die bereits genannte Kampfmoral fällt darunter. Zur Erhaltung und Förderung dieser gibt es verschiedene Methoden. Eine davon ist die militärische Seelsorge. Die k.u.k. Streitkräfte stellten dafür den jüdischen Soldaten Feldrabbiner zur Seite, aber auch die koschere Verpflegung. 617 Das Eingehen auf solche Spezifika kann das Zugehörigkeitsgefühl steigern.

Dies führt uns zu einem weiteren Aspekt des Miteinanders: Es handelt sich um das sogenannte „Wir-Gefühl“.618 Im militärischen Kontext spricht man eher von Kameradschaft. 619 Zur Konstituierung dieses Selbstbilds schafft man eine Abgrenzung zu einem Feindbild. Das Zusammenwirken und das Schaffen von gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen (besonders durch Überwindung von Gefahren) sind dabei essenziell. Die Sympathie untereinander ist dabei eher nebensächlich, entscheidender sind das gemeinsame Handeln und der Glauben an „eine unbedingte Gleichheit vor dem Ziel.“ 620 Laut Thomas Kühne 621 verlieren in diesem Verständnis von Zusammensein gesellschaftliche Unterschiede an Bedeutung. Betrachtet man den Grundgedanken der Kameradschaft, ist die Aussage Albert Lichtblaus622 nachvollziehbar, dass eine Vielzahl von jüdischen Soldaten in diesem Bereich positive Erfahrungen gemacht hat. Marsha Rozenblit 623 verweist darauf, dass zwar kameradschaftliche Beziehungen existierten,

613 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.52. 614 Vgl. KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, 2013, S.212. 615 Dieser Definition folgt auch diese Arbeit. 616 Es ist anzumerken, dass man bei diesen Ausführungen auf zwischenmenschlichen und emotionale Aspekte eingeht und nicht auf die materielle Versorgung (in jeder Hinsicht) der Streitkräfte, obwohl diese ebenso Auswirkungen darauf haben kann, wenn man diese als Dinge versteht (vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284.). Dabei nimmt man eine militärisch geprägte Sichtweise ein und bedient sich diesbezüglich der Ausführungen zu Emotion und Habitus im Krieg von Helmut Kuzmics (vgl. KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, 2013, S.73–83.). 617 Vgl. HECHT, Austro-Hungarian Jewish Military Chaplains, 2019, S.97 sowie S. 105. 618 KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, 2013, S.275 sowie S.286. 619 Vgl. KÜHNE Thomas, Kameradschaft. In: HIRSCHFELD Gerhard/KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S.603. Im Folgenden zitiert als KÜHNE, Kameradschaft, 2014. 620 Vgl. ebda. 621 Vgl. KÜHNE, Kameradschaft, 2014, S.602. 622 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.121. 623 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.92.

Gregor Schweighofer 85 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

aber diese nicht zwangsläufig entstanden, wenn man zusammen marschierte und kämpfte. Es erscheint aber als wichtig, welche Kriterien man dabei anlegt, um eine Beziehung zu bewerten. Die Kameradschaft zwischen den Soldaten (auch außerhalb der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung) ist eine essenzielle Grundlage der Kooperation in diesem Sinn. Um den Krieg zu gewinnen, sollte nicht jeder einfach nur seinen Dienst verrichten, sondern ebenso ‚heldenhaft‘ agieren. Dies geht mit einer Vorstellung von ‚Heldenhaftigkeit‘ oder zumindest ‚soldatischer Tugendhaftigkeit‘, wie sie Haring und Kuzmics 624 beschreiben, einher.

Das Gefühl der Kameradschaft hebt teilweise Hierarchieebenen auf, doch bleiben sie formal bestehen. Es handelt sich dabei um eine „horizontale Ergänzung zum vertikalen Gehorsamsprinzip.“ 625 Ein weiterer Aspekt, welcher sich vermutlich gewinnbringend für einen Konflikt erweist, ist das Befolgen von Befehlen beziehungsweise der Wille dazu. Dabei obliegt es nicht nur dem Befehlsempfänger, ob dieses Vorhaben ‚erfolgreich‘ ist, sondern ebenso von den (Führungs-)Qualitäten und dem Verhalten des Befehlsgebers. 626 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Zusammenwirken von jüdischen und nichtjüdischen Angehörigen der Streitkräfte der k.u.k. Monarchie für den Gewinn des Konflikts wohl ergiebiger ist als ein Entgegenwirken. Dies trifft nicht nur auf die speziell jüdisch-nichtjüdische Beziehung zu. 627

Im Zuge des vorgegebenen Leitziels stellt sich die Frage, ab wann man einen Krieg gewonnen hat. Da das Erreichen der österreichisch-ungarischen Kriegsziele scheiterte, kann man von einer Niederlage sprechen. 628 Doch ist dies nicht ausreichend. Ein weiterer Aspekt sind die entsprechenden Friedensverträge.629 Daraus lassen sich mehrere Aspekte wie Gebietsverluste, Reparationszahlungen und die Minimierung der Streitkräfte ableiten, die auf eine Niederlage hindeuten. 630 Die Bedingungen sind nicht entscheidend, sondern wer sie auferlegt. Daraus ergibt sich, dass man einen Konflikt gewonnen hat, wenn man mehr Bedingungen zu seinen Gunsten stellen kann. Ein Aspekt dabei ist die Eigen- und

624 Vgl. HARING Sabine, K.u.k. Soldaten an der Ostfront im Sommer und Herbst 1914. Eine emotionssoziologische Analyse. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.85. 625 KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, 2013, S.363. 626 Vgl. STÜRMER/SIEM, Sozialpsychologie, 2020, S.19–20 sowie vgl. KÜHNE, Kameradschaft, 2014, S.603. 627 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.295. 628 Wolfdieter Bihl (vgl. BIHL Wolfdieter, Der Erste Weltkrieg. 1914–1918. Chronik–Daten–Fakten. Wien 2010, S.59. Im Folgenden zitiert als BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010) stellt Kriegspläne und deren Umsetzung dar. 629 Es wird sich im Speziellen auf den Friedensschluss von Saint-German-en-Laye bezogen, der Österreich als Nachfolgestaat von Österreich-Ungarn betraf. 630 Vgl. VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S.615–616.

Gregor Schweighofer 86 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Fremdwahrnehmung als ‚Sieger‘ und ‚Besiegter‘. 631 Diese bestimmen sich dadurch, wie die Niederlage oder der Sieg zustande kam. Zu Teilen ergibt dies eine verzerrte Wahrnehmung über den ‚tatsächlichen‘ Ausgang des Krieges. 632

Zur Untersuchung der Begegnungsräume, Interaktionen und Kooperationen sowie Konfrontationen 633 (wobei man den Fokus auf die Kooperationen und das ‚jüdische‘ Mitwirken legt) kommen wir vom Ende wieder zum Beginn des Ersten Weltkriegs im Sommer des Jahres 1914.

5.3.2 Das jüdisch-nichtjüdische Miteinander im Ersten Weltkrieg

Am 29. Juli des Jahres 1914 wandte sich Kaiser Franz Joseph mit dem Aufruf „An meine Völker!“ 634 an die Bevölkerung Österreich-Ungarns. Mit diesem Appell wollte man sämtliche Nationalitäten des multiethnischen (und multikonfessionellen) Reiches erreichen, um ihre Treue heraufzubeschwören und sie auf den Kampf einzuschwören. 635 Auch wenn die jüdische Bevölkerung nicht als eigene Nationalität anerkannt war, schlossen diese Worte sie mit ein. 636 Die Hinwendung des Kaisers zur Bevölkerung erfolgte unmittelbar nach der Kriegserklärung an Serbien. Diese bedeutete das Ende der Habsburgermonarchie, da dieser Konflikt endgültig Prozesse des Zerfalls in Gang brachte. 637 Sarah Panter 638 merkt an, dass die neuere Geschichtsschreibung andere Zugänge neben dem Narrativ des ausweglosen Untergangs Österreich-Ungarns bietet. Dies gilt ebenso für den Weg in den Ersten Weltkrieg.639

Die Kriegserklärung begründete man mit der Tötung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914. Im Rahmen der Ermittlung stellte man eine Verbindung zu Serbien fest, die Ermordung des Kronprinzen ist jedoch das Ergebnis eines länger andauernden Konflikts. 640 Die Bedingungen des gestellten Ultimatums an Belgrad sahen Einschnitte in die Souveränität des Landes vor. Zu große für die Führung Serbiens, die es verstreichen ließ. Die

631 Vgl. STOPPACHER, The Jewish Soldiers of Austria-Hungary, 2019, S.272. 632 Hier kann man die ‚Dolchstoßlegende‘ (vgl. STOPPACHER, The Jewish Soldiers of Austria-Hungary, 2019, S.272) nennen. 633 Doch ist hier anzufügen, dass die Sachlage bezüglich der Definition, was eine Kooperation ist und was nicht, (auch in diesem Fall) nicht immer deutlich ist, da zahlreiche Faktoren miteinbezogen werden müssen. 634 Vgl. CLARK, Die Schlafwandler, 2010. S.602. 635 Vgl. ENGLE, The Austro-Hungarian Soldier Experience, 2014, S.151. 636 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.28–29. 637 Vgl. VOCELKA, Österreichische Geschichte, 2005, S.94–96. 638 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.56. 639 Vgl. CLARK Christopher, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München 2010, S.601. Im Folgenden zitiert als CLARK, Die Schlafwandler, 2010. 640 Vgl. NEITZEL Sönke, Weltkrieg und Revolution 1914–1918/19. (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert 3) Berlin 2008.

Gregor Schweighofer 87 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Vorgänge und politische Lage im Juni und Juli dieses Jahres sind laut Clark 641 zu komplex, um sie bloß als direkten Weg in den Krieg zu verstehen. Wie man die Ereignisse der ‚Julikrise‘ auch deutet: Am Ende steht die Kriegserklärung an Serbien.

Der Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien begann im Sommer 1914. Jedoch blieb es nicht bei einer lokalen Auseinandersetzung zwischen zwei Ländern oder einem „seiner Natur nach europäischen Krieg“ 642 , denn im endenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entwickelten sich in Europa zwei Bündnissysteme. Auf der einen Seite standen die ‚Mittelmächte‘. Diese bestanden aus der Habsburgermonarchie und dem Deutschen Reich. Später folgten Italien und Rumänien (welche sich laut der Bestimmungen des Paktes zu Beginn des Krieges neutral verhielten, aber dann auf der gegnerischen Seite in den Konflikt eintraten). Zwei andere Staaten (das Osmanische Reich und Bulgarien) unterstützten die ‚Mittelmächte‘.643 Den ‚Mittelmächten stand das ‚Entente-Bündnis‘ gegenüber. Dieses bestand Russland sowie Frankreich und Großbritannien (mit sämtlichen Kolonien). Mit Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika griffen zwei bedeutende außereuropäische Mächte in den Konflikt ein. 644 Beide Bündnisse waren bei der Entstehung prinzipiell defensiv ausgerichtet, doch erwiesen sie sich als Wegbereiter dieses globalen Konflikts.645

Während der ‚Julikrise‘ 1914 sicherte das russische Zarenreich Serbien Unterstützung zu, falls es zum Kriegsfall käme. Diese Zusicherung Russlands an Serbien sowie die Ausstellung des ‚Blankoschecks‘ des Deutschen Reiches an Österreich verhärteten die Fronten und verhinderten etwaige Kompromisse.646 Ein ‚lokaler‘ Konflikt zwischen zwei Parteien entwuchs zu einem weltweit geführten Krieg.647 Dabei muss man anmerken, dass dieser Konflikt ein Aufeinandertreffen ‚verschiedener‘ jüdisch-nichtjüdischer Miteinander war.648 Die Verkettung der Ereignisse des Sommers 1914 sowie das Eintreten des Bündnisfalls sind Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, doch sind diese zwei eher Ausgangspunkte, um die weiteren Auslöser des Konflikts zu eruieren. Jedenfalls kann man ihn nicht auf eine spezielle Ursache zurückführen, sondern schlussendlich war er das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses.

641 Vgl. CLARK, Die Schlafwandler, 2010. S.585 sowie S.600–601. 642 HOBSBAWM Eric, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. München/Wien 1995, S.41. Im Folgenden zitiert als HOBSBAWM, Zeitalter der Extreme, 1995. 643 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.18. 644 Vgl. VOCELKA, Geschichte der Neuzeit, 2010, S.601. 645 Vgl. VOCELKA, Österreichische Geschichte, 2005, S.94. 646 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.26. 647 Vgl. HOBSBAWM, Zeitalter der Extreme, 1995, S.40. 648 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.380–381.

Gregor Schweighofer 88 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Für die Kriegsparteien selbst war die Schuld am Krieg deutlich auszumachen und dabei waren sie sich einig: Es war das Vorgehen des Gegners. Zumindest stellte man es der Bevölkerung so dar. Man propagierte sein eigenes Verhalten als Schutzmaßnahme und postulierte einen Verteidigungskrieg. Dies hatte Einfluss auf die Wahrnehmung des Raums ‚Erster Weltkrieg‘ und auf die dazugehörigen Interaktionen.649 Das allgemeine Motiv der reinen Verteidigungsmaßnahme korrelierte mit dem „spezifisch jüdischen Motiv“650 des Konflikts mit dem Zarenreich. Dies trug ebenso zur Kriegsbegeisterung der jüdischen Bevölkerung bei.

Nicht nur Juden und Jüdinnen, sondern auch weite Teile der restlichen Bevölkerung ergriff ein „emotionaler Patriotismus, der jegliche Kritik am Krieg im Sommer 1914 ersticken ließ und sämtliche Alltagsprobleme aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängte.“ 651 Dennoch gab es Gegenstimmen, welche sich negativ zum Krieg äußerten. In der (jüdisch- )österreichischen Öffentlichkeit zeichnete man jedoch ein Bild von positivem Vorstellungen und den vermeintlichen Vorzügen eines bald gewonnenen Krieges. Viele Hoffnungen standen in Verbindung mit dem Kriegsausbruch, die vermutlich die zunächst euphorische Stimmung auslösten. Eine dieser Vorstellungen der jüdischen Bevölkerung war, dass man durch außergewöhnliche Anstrengungen während des Krieges eine endgültige Anerkennung und Gleichstellung erfahren würde.652 Aber ist die Suche nach Anerkennung durch ‚Heldenmut‘, wie ihn Sabine Haring 653 darstellt, nichts spezifisch Jüdisches oder Nichtjüdisches. Es blieb bei der Hoffnung, denn Albert Lichtblau 654 merkt an: „Gegen Ende des Krieges hat ihnen das allerdings wenig geholfen: Antisemiten sind durch die Realität nicht von ihren Vorurteilen abzubringen.“ 655 Diese Vorstellung löste sich demnach in Luft auf. Dies traf auch auf die zu Beginn überschwängliche Kriegsbegeisterung zu. Der Krieg lastete sowohl auf der jüdischen als auch auf der nichtjüdischen Bevölkerung, aber wohl am schwersten auf den Soldaten an der Front. 656

649 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.59. 650 Ebda. 651 PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.54. 652 Vgl. LAPPIN EPPEL, Reflection of the Jewish War Effort, S.145. 653 Vgl. KUZMICS/HARING, Emotionen, Habitus und Erster Weltkrieg, S.473–475 sowie vgl. LAMPRECHT Gerald, Jüdische Erfahrungen und Erwartungen im Ersten Weltkrieg. In: VOGT Stefan/HORCH Hans/LISKA Vivian/MAKSYMIAK Malgorzata (Hgg.), Wegweiser und Grenzgänger. Studien zur deutsch-jüdischen Kultur und Literaturgeschichte. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 30). Wien/Köln/Weimar 2018, S.278–279. 654 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.488. 655 LICHTBLAU Albert, Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn – Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart. In: WOLFRAM Herwig (Hg.), Geschichte der Juden in Österreich. (= Österreichische Geschichte 15). Wien 2006, S.488. 656 Vgl. ebda., S.488–489.

Gregor Schweighofer 89 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

In Begleitung dieser Stimmung begann die Mobilisierung der k.u.k. Streitkräfte. Da zunächst lediglich Kriegsfall ‚B‘ (dieser bedeutete, dass man nur mit Serbien und Montenegro Krieg führte) eintrat, mobilisierte man lediglich 400.000 Männer, die das präsente Heer mit einer Schlagkraft von 415.000 Mann ergänzten.657 Diese Zahlen führt Manfried Rauchensteiner 658 an. Erst mit dem Kriegsfall ‚R’ gegen Russland erfolgte eine vollständige Mobilmachung. Er gibt an, dass man die Anzahl dementsprechend auf 1,5 Millionen erhöhte. Damit umfasste die Streitmacht der Doppelmonarchie zu diesem Zeitpunkt rund 1,9 Millionen Mann. Wolfdieter Bihl 659 nennt eine Zahl von rund 1,8 Millionen Männer. Am Ende des ersten Kriegsjahres belief sich diese Zahl laut David Stevenson 660 auf rund 3,5 Millionen Soldaten. Dazu zählten die ausgebildete Reserve sowie der Landsturm. Insgesamt setzte man zwischen sieben bis neun Millionen Männer in der k.u.k. Streitmacht während des Ersten Weltkriegs ein. 661

Die Gesamtzahl von neun Millionen Soldaten scheint der Annahme zu entsprechen, dass zwischen 275.000 und 400.000 jüdische Männer in dieser Zeit in den Streitkräften mitwirkten, wobei die Zahl von rund 300.000 recht plausibel erscheint. 662 Erwin Schmidl 663 begründet dies damit, dass diese Anzahl in etwa dem prozentuellen Anteil der jüdischen Mitglieder aus dem Jahr 1911 entspricht. Zu diesen zählte ebenso eine Vielzahl an Offizieren. Da bereits in den ersten Monaten des Krieges viele Berufsoffiziere fielen, gewannen Reserveoffiziere, von denen ein Fünftel jüdisch war, an Bedeutung.664

657 Vgl. WILLIAMSON Samuel, Austria and the Origins of the Great War. A selective Historiographical Survey. BISCHOF Günter/KARLHOFER Ferdinand, 1914. Austrian-Hungary, the Origin, and the First Year of World War I. (= Contemporary Austrian Studies 23). Innsbruck 2014, S.21. Im Folgenden zitiert als WILLIAMSON, Origins oft he Great War, 2014. 658 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.151. 659 Vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.53. 660 Vgl. STEVENSON David, 1914–1918. Der Erste Weltkrieg. Düsseldorf 2006, S.252. Im Folgenden zitiert als STEVENSON, 1914–1918, 2006. 661 Zu den Zahlen vgl. OVERMANS Rüdiger, Kriegsverluste. In: HIRSCHFELD Gerhard/ KRUMEICH Gerd/RENZ Irina (Hgg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S. 664. Im Folgenden zitiert als OVERMANS, Kriegsverluste, 2014; vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.3 sowie vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.299. 662 Vgl. KIEVAL Hillel, Conflict Zones. Empire, War, and Jewish in East Central Europe. In: LAMPRECHT Gerald/LAPPIN-EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish Soldier in the Collective Memory of World War I from a Jewish Perspective. Wien,/Köln/Weimar 2019, S.20 sowie vgl. DOBROVŠAK Ljiljana, Fallen Jewish Soldiers in Croatia during the First World War. In: LAMPRECHT Gerald/LAPPIN- EPPEL Eleonore/WYRWA Ulrich (Hgg.), Jewish Soldier in the Collective Memory of World War I from a Jewish Perspective. Wien/Köln/Weimar 2019, S.337. 663 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.115. 664 Vgl. STEVENSON, 1914–1918, 2006, S. 252 sowie vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.130.

Gregor Schweighofer 90 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Dies bestätigt im Endeffekt, dass der Erste Weltkrieg als jüdisch-nichtjüdischer Kontaktort anzusehen ist. Da er aber noch recht abstrakt und groß wirkt, soll die Darstellung des Verlaufs ihm konkrete Orte zuordnen. Im Zuge dessen geschieht gleichsam die erwähnte Eruierung dieser Räume. Im weiteren Vorgehen erfolgt die Bestätigung, dass es tatsächlich zum jüdisch-nichtjüdischen Kontakt kam. Dieses Feststellen wird genutzt, um dementsprechende Interaktionen, die man als Kooperation oder Konfrontation verstehen kann, aufzuzeigen.

Mit dem Vergleich der Gesamtanzahl der eingesetzten k.u.k. Soldaten im Ersten Weltkrieg und der Anzahl der im ersten Kriegsjahr Eingesetzten ergeben sich mögliche Kontaktorte. Wolfdietrich Biehl 665 zeigt auf, dass sich die Zahl der aktiven Einheiten vom Friedenstand zum Kriegstand deutlich erhöhte. Dies geht mit der Einberufung von Reservisten einher. Durch hohe Verluste erschöpfte sich diese Reserve bereits in den ersten Kriegsmonaten.666 Daraus erschließt sich, dass es ‚Kriegsteilnehmer‘ geben musste, die erstmalig ihren Militärdienst ableisteten. 667 Im Zuge dieser Rekrutierungen ergeben sich zwei abstrakte Orte: Die Überprüfung der Tauglichkeit und die anschließende Ausbildung.

Bevor ich mich konkreter mit diesen jüdisch-nichtjüdischen Kontaktorten beschäftige, muss ich ergänzen, was es bedeutet, am Krieg teilzunehmen, denn im Zuge des Ersten Weltkriegs erfolgte eine ‚Totalisierung‘ des Konflikts.668 Dieser ‚Totale Krieg‘ beschränkte sich nicht nur auf die Schlachtfelder, sondern erfasste die Zivilgesellschaft fernab der Kriegsschauplätze.669 Klare Fronten scheinen sich dabei aufzulösen, denn man führt sozusagen überall Krieg. Im Zuge des Ersten Weltkriegs kam es nicht nur zum Einsatz neuer (Kriegs- )Technik, sondern auch zu einem neuen Verständnis des Krieges.670 Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Räumen, die man in die Betrachtung miteinbeziehen kann. Als so ein abstrakter Ort ist ‚Flucht‘ zu nennen. 671 Infolge dieser kam es ebenfalls zu jüdisch-nichtjüdischen Begegnungen und Interaktionen, wie Albert Lichtblau672 in seiner Darstellung diverser jüdisch- österreichischer Lebensgeschichten darstellt.

665 Vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.299. 666 Vgl. STEVENSON, 1914–1918, 2006; S.252. 667 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.150. 668 Vgl. RECHTER, The Jews of Vienna, 2001, S.1. 669 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.60 sowie S.71. 670 Vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.78–79 sowie S. 478. 671 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.73 sowie MENZEL Walter, Kriegserfahrungen von Flüchtlingen aus dem Nordosten der Monarchie während des Ersten Weltkriegs. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S. 359–360. 672 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.119–120.

Gregor Schweighofer 91 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

In zwei davon schildern Lydia Harnik und David Shapira Erfahrungen, die sie nach ihrer Flucht in Wien machten. Beide verstanden sich als jüdisch und beschreiben bei ihrer Ankunft von einer feindseligen Haltung gegenüber den (jüdischen) Flüchtlingen. 673 Shapira beschreibt, dass sich „[…] die Mehrzahl der nichtjüdischen Bevölkerung den jüdischen Kriegsflüchtlingen gegenüber betont ablehnend verhielt.“674 Diese Annahme entstand durch Interaktionen, die einen kontraproduktiven Charakter für das Zusammenleben aufweisen. Diese Ablehnung kam von Juden wie auch Nichtjuden. Harnik schreibt in diesem Zusammenhang in anekdotenhafter Form, dass Kaiser Franz Joseph beim Bürgermeister interveniert habe, damit man Flüchtlinge in Wien aufnahm.675 Dies beschreibt in gewisser Form die Politik dieser Zeit. Albert Lichtblau führt an, dass das staatliche Handeln zwar dazu führte, dass der jüdisch-nichtjüdische Konflikt nicht eskalierte, aber es dennoch für die jüdische Bevölkerung Einschränkungen gab.676 Dadurch entstand ein ‚friedvolles‘ Zusammenleben und demnach eine Kooperation. Shapira vermittelt in seinen Ausführungen den Eindruck, dass er teilweise die jüdisch-nichtjüdischen Interaktionen als positiv empfand. Er schreibt: „So lernte ich Wien nicht nur kennen, sondern auch lieben und es zu meiner zweiten Heimat zu machen.“ 677 Der Raum Wien wird durch diese interagierenden Handlungen konstituiert. Diese Begegnungen und Interaktionen stehen im Kontext des Ersten Weltkriegs. Dies erwähnt man im Sinne einer gewissen Vollständigkeit. Die weiteren Ausführungen halten sich an Schauplätze, die man eher mit unmittelbaren Kriegshandlungen und den daran Beteiligten in Verbindung bringt. Dazu sind ebenso die Vorbereitungen mitzuzählen. Zu diesen gehören die Stellung (beziehungsweise Musterung) und die militärische Ausbildung.

Einen Einblick in die Abläufe der Stellung (beziehungsweise Musterung) gibt uns David Neumann. Dieser stieg im Laufe des Weltkrieges in den Rang eines Feldwebels auf und kam damit seinem Vorsatz nach, dass er zeigen wollte, dass er (als Jude) ein guter Soldat war.678 Doch bevor er dieses Vorhaben umsetzen konnte, musste er sich der medizinischen Untersuchung zur Überprüfung der Tauglichkeit unterziehen. Diese schildert er folgender- maßen:

Ich bin dann 1914, mit 20 Jahren zur Musterung gekommen. Man ist damals nackt unter das ‚Maß‘ gegangen, ein Sanitätssoldat hat einem die Maßlatte auf den Kopf geklatscht: ‚Ein

673 Ebda., S.266. 674 Ebda., S.230. 675 Vgl. ebda., S.121. 676 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.136. 677 LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.230 sowie S.232. 678 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.90–91 sowie vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.117.

Gregor Schweighofer 92 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Meter 71 – sehr schön!“ Der Arzt hat mich nur kurz angeschaut: „Sind Sie Fußballspieler?“ – „Ja!“ und schon war ich draußen, das Ganze hat kaum fünf Minuten gedauert. Ich war natürlich tauglich; ich hätte mich auch gekränkt, wenn ich nicht tauglich gewesen wäre. 679

Aus dieser Beschreibung lassen sich verschiedene Erkenntnisse erschließen. Die relativ rasch abgeschlossene Untersuchung und Bescheinigung der Tauglichkeit kann man als Zeichen dafür sehen, dass man aufgrund von Verlusten und zu deren Kompensation die Tauglichkeitsgrenze kontinuierlich herabsetzte. 680 Des Weiteren zeigt es, dass es zu Interaktionen kam. Ob diese ‚direkt‘ jüdisch-nichtjüdisch waren, ist nebensächlich. Bei der relativ hohen Anzahl von jüdischen Stellungsärzten ist es fast unausweichlich, dass Nichtjuden und Juden im Zuge der Musterung aufeinandertrafen. 681 Dabei traf man nicht nur auf Untersuchende, sondern auch auf Untersuchte, da es bei der Einberufung nach Jahrgängen und nicht nach Nationalitäten oder Konfessionen ging. David Shapira führt dies in seinen Erinnerungen an: „Im Juni fand die Musterung meines Jahrgangs statt, und ich wurde für tauglich erklärt, worüber ich bis zu einem gewissen Grad sogar stolz war.“ 682

Die mögliche Kränkung einer festgestellten Untauglichkeit oder der empfundene Stolz der Tauglichkeit lassen sich auf verschiedene Gründe zurückführen. Die Interaktion zwischen dem Arzt, dem Sanitätssoldat und Neumann lässt sich in zweierlei Hinsicht als kooperativ verstehen, da es einerseits keine Konfrontation gab und sie andererseits dazu führte, dass Neumann in den Krieg ziehen konnte, um ihn so gesehen ‚zu gewinnen‘. Dies gilt in gewisser Form ebenso für David Shapira. Ein entsprechendes Gegeneinander wäre, sich dem Wehrdienst durch Täuschung zu entziehen. Jüdische wie auch nichtjüdische Männer versuchten, ‚dem Schlachten und der Vernichtung‘ des Ersten Weltkriegs zu entgehen. Einer davon war Joseph Floch, dem es aber nicht gelang, da die Verantwortlichen seine Täuschung durchschauten. 683 Die entsprechende Interaktion führte zu einem Bild des ‚(jüdischen) Drückebergers oder Tachinierers‘, welches zwar einer Überprüfung nicht standhielt, aber dennoch zu Konfrontation führte. 684

Ein weiterer jüdischer Vertreter, den man als tauglich für den Kriegsdienst empfand, war Paul Barnay. Ihn zog man erstmalig ein und daher erfolgte die militärische Ausbildung oder wie er es nannte: „und zwei Tage darauf lernte ich in der Baracke bei Herrn Feldwebel Zahnda

679 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.180. 680 Vgl. STEVENSON, 1914–1918, 2006, S.252. 681 Vgl. SCHMIDL, Jüdische Soldaten, 2014, S.48. 682 LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.233. 683 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.90. 684 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.119 sowie vgl. RECHTER, Die große Katastrophe, 2014, S.19.

Gregor Schweighofer 93 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

‚Salutieren!“ 685 Auf die Bitte Barnays, zu Hause schlafen zu dürfen, entgegnete genannter Feldwebel: „Was fallt ihnen ein! Sie brauchen vier Wochen, bis Sie es können.“ Inwiefern diese Interaktion produktiv oder kontraproduktiv ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ergibt sich eine jüdisch-nichtjüdische Interaktion und somit ein Begegnungsort. Die Interaktionen mit seinen Kameraden waren geprägt von einer „fieberhaften Lebenslust“. 686 Die Gespräche enthielten auch das Motiv eines „gesteigerten Geschlechtstriebs“.687 Der entsprechende Inhalt verweist auf die kulturübergreifenden Interessen der Beteiligten. Generell kann man ihnen einen kooperativen Charakter zuweisen, da sich Kameradschaft ergibt. Barnay beschreibt 688 sie folgendermaßen: „Juden und Christen, wir waren Kameraden.“ 689

Eine andere Darstellung der militärischen Grundausbildung zeigt David Shapira. Diese beinhaltet Interaktionen, die zwischen den „grobschlächtigen“ 690 Ausbildnern und Rekruten stattfanden und geprägt von „schikanösen Drills“ 691 waren. Wie ist dies zu werten? Es kommt zu einer Konfrontation, doch sollen diese Handlungen dazu führen, dass man auf eine kriegerische Auseinandersetzung vorbereitet ist. Daher sind sie als Kooperation zu verstehen. Was das Jüdisch-Nichtjüdische betrifft, erlebten seine Kameraden ‚dasselbe Gegeneinander‘. Er beschreibt weder Bevorzugungen noch Benachteiligungen.692 David Neumann erlebte Belobigungen als negativ. Das liegt daran, dass man dabei sein Jüdischsein dezidiert ansprach,693 wie sich in dieser Interaktion zwischen Mannschaft und Hauptmann zeigt: „Heute ist Strafexerzieren. Wir haben einen einzigen Juden in der Kompanie und der exerziert viel besser als Ihr alle.“ 694 Neumann verweist darauf, dass er es als ungewöhnlich empfand, dass er der einzige Jude in der Ausbildungskompanie war.695 Hier kann man von einer jüdisch- nichtjüdischen Konfrontation ausgehen, weil der Ansporn der Gruppe darin bestand, besser ist als ihr jüdisches Mitglied. Nach der abgeschlossenen Grundausbildung und Absolvierung der Offiziers-Schule berief man Shapira an die Front.696 Dies bringt uns zu einem weiteren

685 LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.233. 686 Ebda., S.530. 687 Ebda. 688 Dabei ist auf die subjektive Sichtweise hinzuweisen. Diesen Sachverhalt führt Albert Lichtblau (vgl. ebda., S.128–130) näher aus. 689 Ebda., S.530 690 Ebda., S.234. 691 Ebda. 692 Vgl. ebda. 693 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.83. 694 Ebda. 695 Vgl. ebda. 696 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.234.

Gregor Schweighofer 94 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

abstrakten Kontaktort. Doch wo verliefen die Frontlinien im Ersten Weltkrieg, an denen die k.u.k. Streitkräfte kämpfen?

Der Kriegsplan ‚A‘ (für Austria) bezog sich durch den Kriegseintritt des Zarenreichs auf den Kriegsfall ‚R‘ (welcher die Auseinandersetzung mit Russland sowie Serbien und Montenegro vorsah).697 Damit ergeben sich zunächst zwei Fronten und Kontaktorte. Die ‚Mittelmächte‘ folgten keinem einheitlichen Kriegsplan. Dies gilt ebenso für die ‚Triple Entente‘. Während die Deutschen zunächst ihre Streitkräfte Richtung Westen konzentrierten, agierte die österreichisch-ungarische Streitmacht gegen Russland an der ‚Ostfront‘.698 Teile der jüdischen Bevölkerung verstanden diese Auseinandersetzung als ‚Befreiungskrieg‘. 699 Dazu zählte Wolfgang von Weisl: „Ich wollte aber kämpfen – ein Krieg gegen den judenmordenden Zarismus war für mich heilig.“ 700 Von Weisl war der Überzeugung, dass der Konflikt zum ‚Judenstaat‘ führen werde und dieser zu verteidigen wäre. Im Zuge dieser Annahme begann er, während seiner Dienstzeit militärische Fachbücher „zum Gaudium meiner Kameraden“ zu lesen. 701 Weisl kooperierte, um den Krieg zu gewinnen, aber er empfand ebenfalls Loyalität einem anderen Land gegenüber. Bezüglich der Interaktionen mit seinen Kameraden ist schwer zu sagen, ob nur ein ‚Gaudium‘ dahinterstand oder schon eine Konfrontation. Doch scheint diese Situation als kein jüdisch-nichtjüdisches Gegeneinander. Von Weisl gibt an, dass er keine Konfrontationen dahingehend erlebt habe.702 Der militante Zionist, wie ihn Marsha Rozenblit 703 bezeichnet, nahm nicht ausschließlich an der ‚Ostfront‘ am Kriegsgeschehen teil, sondern auch im Südwesten gegen Italien.

Die Kriegsführung am Schauplatz der ‚Ostfront‘ unterschied sich von den ‚starren‘ Grabenkriegen der ‚Westfront‘ oder der Front am Isonzo. Wie Wolfram Dornik 704 aufzeigt, wechselte es in den ‚östlichen‘ Kriegsschauplätzen zwischen einem Bewegungs- und einem Stellungskrieg. Der Krieg war nicht nur auf die unmittelbaren Kampflinien beschränkt. Ein wesentlicher Teil des Geschehens spielte sich im ‚Hinterland‘ ab, einem Gebiet, welches die Streitkräfte hinter der Front verwalteten. Diese Bedingungen spiegeln sich in den

697 Vgl. WILLIAMSON, Origins of the Great War, S014, S.21 sowie vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.57– 58. 698 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.197. 699 PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.59. 700 von WEISL, Die Juden in der Armee Österreich-Ungarns, 1976, S.36. 701 Vgl. ebda. 702 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.95. 703 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.89. 704 Vgl. DORNIK, Der „überlagerte“ Krieg, 2014, S.95.

Gregor Schweighofer 95 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Kriegserfahrungen der Einzelnen wider. Dies greift unter anderem Ferenc Pollman auf. 705 Es ergeben sich ebenso konkretere Begegnungsorte. Einen von ihnen nannte man in Form der Stadt Tarnow, über die sowohl der jüdische Theofil Reiss mit: „Tarnow, eine dreckige, echt jüdische Stadt“706 als auch der deutschnationale Anton Derka ähnliche Befunde abgaben. 707 Julius Deutsch gibt eine andere Darstellung dieser Stadt nach den Kampfhandlungen wieder: „Gegen Abend kamen wir nach Tarnow. […]. Alles war in rüstiger Bewegung, ein Schaffen und Drängen frisch pulsierenden Geschäftslebens, wie im tiefsten Frieden.“ 708 Aus diesem Raum ‚Stadt‘ ergeben sich weitere Örtlichkeiten, die für verschiedene Handlungen vorgesehen sind. Dies reicht von Nächtigungsgelegenheiten über Sanitäts- und Sanitärstellen bis hin zu (Offiziers-)Bordellen,709 in denen es zu (jüdisch-nichtjüdischen) Interaktionen kommen kann. Dies soll aufzeigen, welche Lokalitäten man betrachten kann und wo ein Austausch möglich ist.710

Einer dieser ‚größeren‘ Räume war die ‚Ostfront‘. Dort gelang der Aufmarsch der russischen Truppen zu Beginn des Krieges deutlich schneller, als man in der k.u.k. Führung angenommen hatte. Die russische Streitmacht war in einigen Bereichen überlegen.711 Das Aufeinandertreffen der beiden in den Schlachten des ersten Kriegsjahres führte zu einer hohen Anzahl von Verlusten in den Streitkräften der Habsburgermonarchie in Form von Gefallenen, Vermissten sowie Kriegsgefangenen. 712 Eine Vielzahl der Soldaten wurde verwundet oder verletzt. 713 Ebenso erlag Hugo Zuckermann seiner Verwundung in einem Feldspital. 714

705 Vgl. POLLMANN Ferenc, Die Ostfont des „Großen Krieges“ – aus ungarischer Perspektive. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.94. 706 DORNIK, Raumerfahrung und Raumwahrnehmung von österreichisch-ungarischen Soldaten, 2013, S.37. 707 Vgl. ebda. 708 DEUTSCH Julius, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden. In: MAIER Michaela/SPITALER Georg (Hgg.) Kriegserlebnisse eines Friedliebenden. Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Wien 2016, S.102. Im Folgenden zitiert als DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016. 709 Vgl. LIULEVICUS Vejas, Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg. Hamburg 2018, S.28. Im Folgenden zitiert als LIULEVICUS, Kriegsland im Osten, 2018 sowie vgl. DEPNER, Wie der spatial turn Einzug erhält, 2014, S.284. Für weitere potenzielle Begegnungsorte siehe MADERTHANER Wolfgang/HOCHEDLINGER Michael, Untergang einer Welt, Der Große Krieg 1914–1918 in Photographie und Texten. Wien 2013. Im Folgenden zitiert als MADERTHANER/HOCHEDLINGER, Untergang einer Welt, 2013. 710 Dies entspricht den Überlegungen Monica Greens (vgl. GREEN, Conversing with the minority, 2008, S.105). In den weiteren Ausführungen beschäftigt man jedoch nicht detailliert mit diesen, sondern mit den abstrakten Räumen, zu denen man die jeweiligen konkreten Lokalitäten und Handlungen zuordnen kann. 711 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S. 248. 712 Vgl. LIULEVICUS, Kriegsland im Osten, 2018, S.28 sowie vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.251. 713 Vgl. STEVENSON, 1914-1918, 2006, S.252. 714 Vgl. BALÁZS, The image of Jewish Soldier-Intellectual, 2019, S.136.

Gregor Schweighofer 96 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Zuckermann war einer von mehreren Millionen Verletzten und Verwundeten des Ersten Weltkriegs. 715

Über die genaue Anzahl der ‚jüdischen‘ Kriegsgeschädigten gibt Schmidl 716 keine nähere Auskunft. Er nennt jedoch den Soldaten Adolf Mechner als Beispiel.717 Mechner bat trotz einer verwundeten Hand um die Teilnahme an einer Offensive, jedoch verwehrte man ihm diese Bitte.718 David Neumann verbrachte Teile seiner Dienstzeit ebenso in den Sanitätsstationen der Streitkräfte. 719 Theofil Reiss notierte in seinen Aufzeichnungen, dass seine Kameraden froh waren, wenn er nach einer Verwundung oder Krankheit zurück zur Truppe stieß. Der Sanitäter beschwerte sich in seinen Ausführungen über den Dreck, die Kälte, die Läuse und die dreckigen Spitäler, dennoch fügte er hinzu, wie stolz er auf seine Arbeit mit den Verwundeten war.720 Der beschriebene Zustand trifft wohl auf weite Teile des Sanitätswesens zu.721 Diese angeführten Blessuren sind wohl als ‚leicht‘ zu verstehen. David Shapira hingegen wurde in Folge von Kampfhandlungen so schwer verletzt, dass er sein Augenlicht verlor. Im Zuge seiner Behandlung versorgte man ihn zunächst in einem Feld-, dann in einem Reservelazarett. Letzteres beschreibt er so, dass er dort „von aufopfernden Schwestern und qualifizierten Fachärzten“ 722 gepflegt und behandelt worden sei. Schlussendlich überstellte man ihn in ein Garnisonsspital. Dies sind Beispiele für konkrete Orte des abstrakten Raums des militärischen Sanitätswesens.723

Die durch die neuartige Kriegsführung verursachten schweren Verletzungen hatten Amputationen, Entstellungen, Paralyse sowie den Verlust der Sinneswahrnehmung zur Folge. 724 Doch blieben dies nicht die einzigen Schäden, die die Kämpfenden (egal ob jüdisch oder nichtjüdisch) davontrugen. In diesem Zusammenhang sind ebenso die seelischen Schäden zu nennen. Diese sind durch verschiedene Ursachen bedingt und haben diversen Aus-

715 Hier gibt es verschiedene Angaben bei der Anzahl der Verwundeten aufseiten Österreich-Ungarns. Volker Berghahn (vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.6) gibt diesbezüglich die Zahl von rund 3,6 Millionen an. Er vermerkt dabei, dass diese jedoch den Krieg überlebten. Er separiert in weiterer Folge in Schwer- und Leichtverletzte. Wolfdietrich Bihl (vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.299) spricht von lediglich 1,9 Millionen Verwundeten, führt jedoch weitere Zahlen aus der Forschung an, welche sich ebenso im Rahmenvon 3,6 Millionen bewegen. 716 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.130. 717 Vgl. ebda., 126. 718 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.89. 719 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.183. 720 Vgl. ROZENBLIT, Reconstructing a national identity, 2001, S.87. 721 Vgl. MADERTHANER/HOCHEDLINGER, Untergang einer Welt, 2013, S.26. 722 LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.236. 723 Vgl. LICHTBLAU, Als hätten wir dazugehört, 1999, S.236. 724 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.7.

Gregor Schweighofer 97 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

formungen, bei denen es (wie bei physischen Beschwerden) eine weite Bandbreite gibt. 725 Auch wenn man dies nicht unbedingt in den Bereich der psychischen Störungen einordnen muss, so verändern die gemachten Erfahrungen einen Menschen, wie es ein Brief von Max Liebewein an seine Frau zeigt: „Es war sehr nothwendig, daß ich alles mit eigenen Augen sehe. Denn es hat sich vieles verändert, alles sieht ganz anders aus, als man sich’s zu Hause vorstellt.“726 Clemens Adleinger stellt einen Fall einer kriegsbedingten psychischen Erkrankung eines jüdischen Soldaten dar. Bei ihm zeigten sich ein „fortgeschrittener geistiger Abbau“ 727 und eine „akute halluzinatorische Verwirrtheit“.728 Eine andere Ausformung einer psychischen Erkrankung in Hinblick auf den Ersten Weltkrieg waren die ‚Kriegszitterer‘. Deren Behandlung dieser erfolgte nicht in gewöhnlichen Heil- und Pfleganstalten, sondern nur bei durch von der militärischen Führung anerkannte Spezialisten.729

Das Sanitätswesen erschließt sich als eine abstrakte Räumlichkeit, in der es zu Interaktionen zwischen jüdischen wie auch nichtjüdischen Behandelten und Behandelnden kam. 730 Ein Beispiel für jüdische Mitglieder des Sanitätsbereichs ist neben Reiss der Assistenzarzt Dr. Siegfried Plaschkes. 731 Dieser diente in Militärspitälern in Italien und Serbien. Im Zuge dessen erhielt er eine Auszeichnung. Diese teilweise angedeuteten Interaktionen sind im folgenden Sinne von Kooperation geprägt, da die jüdischen sowie nichtjüdischen Teile der Streitkraft für den Kriegsdienst sozusagen wiederhergestellt wurden – oder zumindest so weit, dass sie in der Rüstungsindustrie oder in anderen Gebieten einsetzbar waren. 732 Auf der anderen Seite kam es zu einem Zusammenwirken, damit das Zusammenleben (im wahrsten Sinne des Wortes) möglich war.

725 Vgl. LEIDINGER Hannes/MORITZ Verena, Nervenschlacht. „Hysterie“, „Trauma“ und „Neurosen“ am Beispiel der Ostfront 1914–1918. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.162–163 sowie vgl. HÜPPAUF, Was ist Krieg, 2013, S.78. 726 HANNIG Alma, „Es war sehr nothwendig, dass ich alles mit eigenen Augen sehe.“ Der Maler Maximilian Liebenwein im Ersten Weltkrieg. In: HÖDL Sabine (Hg.), Für Kaiser und Vaterland. Jüdische und nichtjüdische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. St. Pölten 2017, S.17. 727 Vgl. ABLEIDINGER Clemens, „Die religiösen Pflichten ihrer Confession“ Jüdinnen und Juden in der Kaiser Franz Joseph-Landes Heil- und Pflegeanstalt Mauer Öhling 1914–1918. In: HÖDL Sabine (Hg.), Für Kaiser und Vaterland. Jüdische und nichtjüdische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. St. Pölten 2017,S.64. Im Folgenden zitiert als ABLEIDINGER, Heil- und Pflegeanstalt, 2017. 728 Ebda. 729 Vgl. ebda., S.63. 730 Diesbezüglich zeigt Ableidinger (Vgl. ABLEIDINGER, Heil- und Pflegeanstalt, 2017, S.63) auf, dass es im Fall einer Heil- und Pflegeanstalt, die man als Rekonvaleszenzheim für Soldaten nutzte, eine ähnliche Verteilung bei den Behandelnden gab wie generell bei den Streitkräften. 731 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.112. 732 Vgl. ABLEIDINGER, Heil- und Pflegeanstalt, 2017, S.64 sowie vgl. STEVENSON, 1914–1918, 2006, S.254 sowie S.337.

Gregor Schweighofer 98 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Es lassen sich weitere dieser abstrakten Räumlichkeiten zu Beginn des Krieges feststellen. Ich erwähnte, dass es im Zuge der ersten Kampfhandlungen zu einer Vielzahl an Ausfällen in der k.u.k. Streitmacht kam. Diese war auch durch Kriegsgefangenschaft bedingt.733 Zur Anzahl der jüdischen Kriegsgefangenen kann man laut Georg Wurzer 734 keine genauen Angaben machen, doch schätzt er aufgrund der prozentuellen Verteilung die Anzahl auf ungefähr 72.000 Menschen. Wie diese und ihre nichtjüdischen Kameraden die Gefangenschaft erlebten, variierte. Wurzer zeigt ein weites Spektrum der jüdisch-nichtjüdischen Beziehungen im Zuge der Gefangenschaft. Dazu zählen das Zusammentreffen von nichtjüdischen Gefangenen mit jüdischen Einheimischen, Mitgefangenen und den Soldaten, welche sie bewachten, ebenso wie die jüdische Seite dieser Erfahrung, die prinzipielle Ähnlichkeiten zu den allgemeinen Situationen der Kriegsgefangenen aufwies, wie Verena Moritz darstellt. 735 Die allgemeine Stellung der jüdischen Gefangenen in dieser Form des Miteinanders beschreibt Wurzer jedoch zum großen Teil aus nichtjüdischer Sicht. Diese war eher von Konfrontation mit antisemischem Hintergrund geprägt. Diese beinhalten jedoch Ausführungen bezüglich des Gefangenenlagers. Markus Winkler 736 stellt die diesbezüglichen Eindrücke Manfred Reifers dar: „Hygienische Zustände entsprachen der asiatischen Mentalität der russischen Militärverwaltung.“ Kapar Blond 737 schließt sich dieser Aussage an. Die Lager sind als eine konkrete Örtlichkeit des abstrakten Raums ‚Kriegsgefangenschaft‘ zu verstehen. Die Erfahrung dort beschreibt Franz Weinreb als eine isolierte, aber nicht wegen seines Jüdischseins.738

Das Aufeinandertreffen nichtjüdischer Gefangener und jüdischer Einheimischer hingegen wird von der nichtjüdischen Seite als eher positiv dargestellt. Ein Aspekt dabei ist die Fluchthilfe durch die jüdische Bevölkerung wie im Fall des nichtjüdischen Offiziers Bittner,

733 Manfried Rauchensteiner (vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.251) nennt für die Zeit der ersten Kampfhandlungen im Osten eine Zahl von 100.000 Kriegsgefangenen. Laut Volker Berghahn (BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.4) beläuft sich die Gesamtzahl der Kriegsfangenen auf eine Zahl von rund 2,2 Millionen. Es erfolgten ebenso Gefangennahmen durch die k.u.k Streitkräfte. Diese kehrten teilweise bereits bei Kriegende zurück, doch verzögerte sich durch die Revolution in Russland und andere Umstände die Rückholung teilweise bis ins Jahr 1920. 734 Vgl. WURZER Georg, Jüdische Kriegsgefangene in Russland im Ersten Weltkrieg. In: transversal 5 Jg. (2008) Nr.2, S.81. Im Folgenden zitiert als WURZER, Jüdische Kriegsgefangene, 2008. 735 Vgl. MORITZ Verena, Kriegsgefangenschaft als Erfahrung. Am Beispiel der Deutschösterreicher in russischem Gewahrsam. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.210. 736 Vgl. WINKLER Markus, Der Erste Weltkrieg. Wahrnehmung und Deutung aus der Perspektive deutschsprachiger Juden aus der Bukowina. In: ERNST Petra/LAPPIN-EPPEL Eleonore (Hgg.), Jüdische Publizistik und Literatur im Zeichen des Ersten Weltkriegs. (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 25). Innsbruck/Wien/Bozen 2016, S.69. 737 Vgl. STEINER Jörg, Kaspar Blond. Arzt und Kriegsgefangener in Turkestan. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.219. 738 Vgl. WURZER, Jüdische Kriegsgefangene, 2008, S.75.

Gregor Schweighofer 99 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

der mehrere dementsprechende Interaktionen schildert. Diese Hilfestellungen hatten unterschiedliche Bewegründe. Ein Möglichkeit könnte jedoch sein, dass dies in Bezug zum Motiv des ‚jüdischen Befreiungskriegs‘ stand. 739 Dieses Zusammenwirken ist im Sinne einer Kooperation verschieden zu deuten, da man flüchten kann, um weiterzukämpfen oder um sich abzusetzen. Die Beschreibungen der ansässigen Bevölkerung durch die jüdischen Kriegs- gefangenen waren von einer „herablassenden Sympathie“740 geprägt.

Die Interaktionen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Kriegsgefangenen sind im Dargestellten demnach als ein Gegeneinander zu verstehen. Dennoch gab es ebenso ein Zusammenwirken von Nichtjuden und Juden in verschiedenen Formen. Generell führte die relativ hohe Anzahl von Gefangenen zu einem Nachteil an der ‚Ostfront‘. Zwar gab es teilweise militärische Erfolge, dennoch gingen im Herbst 1914 Teile Galiziens verloren. Ein Rückzug der militärischen Verbände fand statt, die anfängliche Kriegsbegeisterung legte sich.741

An der ‚Balkanfront‘ kam es ebenso wenig zu nennenswerten Erfolgen. Diese scheint meist als ‚Nebenschauplatz’ auf. 742 Jonathan Grumz 743 zeigt auf, dass es sich bei ihr um mehr als einen Nebenstrang des Kriegsverlaufs handelt. Die anfängliche Offensive der k.u.k. Streitmacht kam bald zum Erliegen und wurde zurückgeworfen. Die Front brach zusammen, so dass man sich wieder in der Ausgangsposition befand. Dies lag nicht nur an der serbischen und montenegrinischen Verteidigung, sondern ebenso an Fehlplanungen der militärischen Führung. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war erkennbar, dass es sich bei diesem Krieg um eine lange und eine verlustreiche Auseinandersetzung handeln würde 744 , bei der sich Front und Hinterland immer mehr vermengten. Dies hatte auch zur Folge, dass es zu „massiven Ressentiments gegen ethnisch-religiöse Minderheiten im eigenen Staat sowie gegen Zivilisten der besetzten Gebiete“745 kam. Soldaten wie auch die Militärjustiz begingen Gewalttaten, man richtete zahlreiche vermeintliche ‚Spione‘ und ‚Verräter‘ hin. 746 Unter den Opfern befanden sich

739 Vgl. PANTER, Jüdische Erfahrungen, 2014, S.59 sowie vgl. WURZER, Jüdische Kriegsgefangene, 2008. S.74. 740 WURZER, Jüdische Kriegsgefangene, 2008, S.74. 741 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.249. 742 Vgl. HÖSCH Edgar, Geschichte des Balkans. München 2017, S.73. 743 Vgl. GRUMZ Jonathan, The Habsburg Empire, Serbia, and 1914. The Significance of a Sideshow. BISCHOF Günter/KARLHOFER Ferdinand, 1914. Austrian-Hungary, the Origin, and the First Year of World War I. (= Contemporary Austrian Studies 23). Innsbruck 2014, S.127. Im Folgenden zitiert GRUMZ, The Significance of a Sideshow, 2014. 744 Vgl. ebda., S.193 sowie S.200. 745 ZENZMAIER Jakob, Die Kriegsverbrechen der k.u.k. Armee. Zwischen Soldateska und Standgericht. https://ww1.habsburger.net/de/kapitel/die-kriegsverbrechen-der-k-u-k-armee-zwischen-soldateska-und- standgericht [Abruf: 27.02.2021]. Im Folgenden zitiert als ZENZMAIER, Die Kriegsverbrechen der k.u.k. Armee, o.J. 746 Vgl. GRUMZ, The Significance of a Sideshow, 2014, S.136137.

Gregor Schweighofer 100 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

ebenfalls Angehörige der jüdischen Bevölkerung, wie Jakob Zenzmaier 747 aufzeigt. Es stellt sich die Frage, wie Anton Holzer 748 anmerkt, wenn diese ‚Ausschreitungen‘ von der (militärischen) Führung angeordnet waren, ob sich jüdische Mitglieder der k.u.k. Streitkräfte und der Militärjustiz daran beteiligten. 749

Nach dem Scheitern in Serbien waren sowohl die österreichisch-ungarischen als auch die serbischen Streitkräfte nicht in der Lage, groß angelegte Offensiven durchzuführen, so dass diese Frontlinie erstarrte. An der ‚Ostfront‘ in Polen hingegen konnten die Mittelmächte nach Schlachten im Winter 1914/1915 Erfolge erzielen. Durch den sogenannten ‚Durchbruch von Tarnów-Gorlice‘ im Frühsommer konnte man Galizien vollständig zurückerobern; zudem gelang es, weite Teile des heutigen Polens und Weißrusslands zu besetzen.750 Im Zuge der Rückeroberung Polens kommandierte man den jüdischen Leutnant der Reserve Julius Deutsch und sein Artillerie-Bataillon dorthin ab.751 In seinen Aufzeichnungen führt dieser den ‚typischen‘ Wechsel zwischen Stellungs- und Bewegungskrieg an.752 Dies bedingte jedoch einen schnellen Abzug aus Galizien,753 denn:

Die Front verschob sich in rascher Folge bald nach vorwärts, bald nach rückwärts und unser Geschütz mit seinem mehrtägigen Ein- und Ausbau hätte dieser raschen Bewegung unmöglich folgen können. Deshalb verzichtete die Armeeleitung auf unsere Mitwirkung, bevor wir noch zum Schusse kamen. 754

Auch wenn der Aufenthalt im Osten für Deutsch nur von kurzer Dauer war, ergaben sich Situationen, in denen es zu jüdisch-nichtjüdischem Kontakt kam. Bereits bei der Hinfahrt vermerkt er:

Dass wir unsere Brotvorräte gleich anfangs verteilt hatten, mussten wir in den nächsten Tagen mehrmals bereuen, denn immer wieder liefen Kinder herbei, um welches zu erbetteln, ohne dass wir ihnen helfen konnten. Erst in Ostgalizien wurde es in dieser Beziehung besser. 755

Deutsch beschreibt in diesem Ausschnitt, dass es eine Kooperation der Kameraden gab, um diesen Kindern zu helfen. In der Wahrnehmung Deutschs scheinen die Beteiligten

747 Vgl. ZENZMAIER, Die Kriegsverbrechen der k.u.k. Armee, o.J. 748 HOLZER Anton, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918. Darmstadt 2008, S.12. 749 Zwar geht man darauf in den weiteren Ausführungen nicht ein, doch stellen ‚Kriegsverbrechen‘ ebenso einen abstrakten Raum dar. 750 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.120. 751 Vgl. STALZER, Julius Deutsch, 2014, S.229. 752 Vgl. DORNIK, Der „überlagerte“ Krieg, 2014, S.95. 753 DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.112. 754 Vgl. ebda. 755 Vgl. DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.101.

Gregor Schweighofer 101 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

zusammenzuwirken, da sie es anscheinend bereut hätten, nicht helfen zu können. 756 Dieser Zusammenhalt ist generell als kooperativ zu verstehen. Interaktion gab es ebenso mit deutschen Militärangehörigen, diese vermutlich nichtjüdisch waren, da Deutsch in weiterer Folge das Jüdischsein anderer Personen, auf die er traf, hervorhob.

Mit den deutschen Soldaten habe ich wiederholt über das Woher und Wohin, über Kriegserfahrung und Kriegsaussichten geplaudert. […]. Dass die Russen im Vorgehen seien, schien ihnen nicht weiter gefährlich: „Wir werden sie schon wieder hauen“, war die allgemeine zuversichtliche Meinung. Selbstsicher traten sie alle auf: Offiziere wie Mannschaft. Man sah es ihnen an, dass sie sich was darauf zu Gute taten, „die Österreicher aus Schlamassel zu reissen“, wie mir ein forscher Unteroffizier energisch bedeutete.757

In diesem Sinne zeigte diese Interaktion eine deutsch-österreichisch(-ungarische) Kooperation beziehungsweise den Willen dazu. Der bisherige Verlauf des Krieges gab den deutschen Kameraden Deutschs recht, da die k.u.k. Streitkräfte zum großen Teil nur durch deutsche Unterstützung Erfolge erzielten,758 ebenso wie im weiteren Ablauf des Konflikts. Das österreichisch-ungarische soldatische Miteinander kooperierte dementsprechend, wie Deutsch ausführt:

Wie mir schien, erkannten die österreichischen Soldaten gewöhnlich ohne weiteres die Überlegenheit der Deutschen an, sei es allein aus dem Gefühle gastfreundschaftlicher Kameradschaft oder in ehrlicher Anerkennung der vielen deutschen Erfolge oder vielleicht gar nur eingeschüchtert durch das selbstbewusste Auftreten der deutschen Kameraden. Jedenfalls waren sie ihnen gegenüber von einem grossen Entgegenkommen, dass nirgends irgend welche Reibungen unter der Mannschaft zu merken war. 759

Das jüdisch-nichtjüdische Miteinander der Streitkräfte der Habsburgermonarchie wirkte mit dem deutschen 760 zusammen, um gegen das russische 761 zu gewinnen. Es zeigt sich die Vielfältigkeit dieser Beziehung, die sich auch in Form einer Konfrontation sowie einer Kooperation zeigen kann. Das Bataillon von Julius Deutsch zog ab und man versetzte es an die Front im ‚Südwesten‘.762

Bisher beschränkte sich der Erste Weltkrieg für die k.u.k. Streitkräfte auf die Fronten im ‚Osten‘, doch im zweiten Kriegsjahr ergab sich eine weitere: Das Königreich Italien machte zu dieser Zeit Ansprüche auf Gebiete der Doppelmonarchie, in denen es eine italienische

756 Vgl. DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.101. 757 Ebda., S.107. 758 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.565. 759 DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.107. 760 Vgl. BERGER, Für Kaiser, Reich und Vaterland, 2015, S.47. 761 Vgl. GRILJ Benjamin, Jüdische Soldaten. Rekrutierung, Aufstieg und Marginalisierung in den russischen Armeen. In: HÖDL Sabine (Hg.), Für Kaiser und Vaterland. Jüdische und nichtjüdische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. St. Pölten 2017, S.25. 762 Vgl. DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.107.

Gregor Schweighofer 102 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

Bevölkerung gab, deutlich. Da die Habsburgermonarchie diese Forderung ablehnte, trat Italien in den Krieg ein. 763 Die Front im Südwesten aus österreichisch-ungarischer Sicht erstreckte sich von der Grenze zur Schweiz bis zu den Julischen Alpen. Dort kam es vermehrt zu einem Stellungskrieg. Julius Deutsch beschreibt es folgendermaßen: „[…] Und die Front […] versteinerte im Stellungskrieg. Es ging nicht anders wie in Südtirol und am Isonzo.“ 764 Hierbei sind vor allem die Frontlinien rund um das Gebiet am Isonzo zu nennen. 765 Diese ‚Versteinerung‘ bedingte auch die (hoch-)alpine Topographie in diesem Gebiet. Das Wo und das Wie der Kriegsführung, wie Bernhard Bachinger und Wolfram Dornik 766 ausführen, beeinflusste die Kriegserfahrung und -erlebnisse der betroffenen Akteure. Ebenso trifft dies auf die entsprechenden Interaktionen zu. Zwangsläufig ergibt sich ein Vergleich der verschiedenen Fronten, wenn man sie darstellt. Bei der Darstellung der Topographie durch Julius Deutsch bei der Ankunft in Galizien oder später am Plöckenpass ergeben sich besagte Differenzen.767

Im Zuge seines Mitwirkens an der ‚Südwestfront‘ erfolgte folgende Interaktion zwischen einem Beobachtungstrupp und einer Bedienungsmannschaft, die ein schweres Geschütz sowie Munition auf einem „steinigen Saumpfad“ 768 beziehungsweise „kümmerlichen Felssteig“ 769 transportierten: „Die Bedienungsmannschaft berichtete auf unser Befragen, dass der Mörser noch etwas höher stünde, und zwar rechts vom Wege mitten im Walde.“770 Auf diese Standortbeschreibung folgte ein Austausch bezüglich der Vorgehensweise beim Transport:

‚Habt Ihr den Mörser auch auf diesem Weg heraufgezogen?‘ ‚Jawohl.‘ ‚Das muss aber eine Plage gewesen sein.‘ Freilich. Mit dem Auto allein ging es nicht. Wir haben Seile um die Waldbäume geschlungen und auf diese Weise nachgeholfen.‘ ‚Donnerwetter, das ist eine Leistung!‘, entfuhr es einem meiner Begleiter. 771

Diese Unterhaltung kann man als typischen Dialog im militärischen Kontext verstehen. Es handelt sich um eine Kooperation, da man Informationen austauschte, und ebenso, weil man die Zusammenarbeit der Bedienungsmannschaft anerkannte. Im Sinne des jüdisch- nichtjüdischen Miteinanders ist diese Interaktion als nicht kontraproduktiv anzusehen, weil keine vermeintlich negativen Aspekte vorkamen. Obwohl man sich dabei fragen muss,

763 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.420. 764 DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.132. 765 Vgl. MUSNER Lutz, Carso Maledetto Der Isonzo-Krieg 1915–1917. In: BACHINGER Bernhard/DORNIK Wolfram (Hgg.), Jenseits des Schützengrabens. Der Erste Weltkrieg im Osten: Erfahrungen – Wahrnehmung – Kontext. Innsbruck/Wien/Bozen 2013, S.267–268. 766 Vgl. BACHINGER/DORNIK, Jenseits des Schützengraben-Narrativs, 2013, S.20. 767 Vgl. DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.132. 768 Ebda. 769 Ebda. 770 Ebda. 771 Ebda.

Gregor Schweighofer 103 Miteinander und gegeneinander für Österreich-Ungarn

inwiefern bei Gesprächen solcher Art die Thematik des Jüdisch- und Nichtjüdischseins überhaupt aufkommen kann. Bei diesem Gespräch ist Julius Deutsch die einzige jüdische Komponente.

Doch gab es ebenfalls Interaktionen, die dezidiert die jüdische und nichtjüdische Identitätskonstituierung betrafen. Vor allem drehten sich diese darum, wie Juden und Nichtjuden generell am Konflikt mitwirkten. Hier ist die Hervorhebung von Leistungen und deren Herabwürdigung zu nennen.772 Ein Austausch diesbezüglich fand zwischen Deutsch und einem antisemitischen Offizier nach einer Kampfhandlung im ‚Fella-Abschnitt‘ statt:

Als mir der feuerleitende Offizier diesen Hergang geschildert hatte, frug ich ihn, der sich auf seinen deutschnationalen Antisemitismus viel zu Gute tat, ob er nicht auch der Meinung sei, dass dieser kleine Jude sich eigentlich sehr tapfer benommen hätte, mindestens ebenso tapfer als die anwesenden Arier. ‚Ach‘, erwiderte er wegwerfend, ‚der hat es doch nur getan, weil er in echt jüdischer Weise auf eine Tapferkeitsmedaille, die Geld einbringt, spekuliert hat. 773

Diese Interaktion erweist sich als Konfrontation. Die beiden sprechen das Jüdisch- und Nichtjüdischsein explizit an. Gespräche, in denen man diese Differenz anmerkt, scheinen häufig ein Gegeneinander zur Grundlage zu haben. Neben Eugen Hoeflich machte auch Paul Kohn eine Erfahrung mit „ein bisschen Antisemitismus“ 774 in den k.u.k. Streitkräften, in denen man diese Trennung zwischen Juden und Nichtjuden ansprach. Aber auch wenn man positive Aspekte des Zusammenwirkens erwähnt (egal von welcher ‚Seite‘), sind diese meist als Gegenreaktion oder Berichtigung einer negativ konnotierten Aussage passiert. 775 So trat der Feldrabbiner Adolf Altmann in Interaktion mit verschiedenen hochrangigen Offizieren, um Belege für das Mitwirken der jüdischen Soldaten zu sammeln, um eben dieser Form der Konfrontation entgegenzuwirken. 776

Ein solches ‚jüdisches‘ Mitwirken gab es durch Hans Pölzer in Italien. Die dort gemachten Erfahrungen hielt er fest. In einem Ausschnitt schildert er die Bedingungen an der ‚Isonzofront‘ während der Schlachten und dazwischen:

In dem Granattrichter stand dieser scheußliche, mit Leichenteilen wie Handfleischfetzen, Därmen, Schädeln, Rippen und dergleichen halbverwesten Menschenfleisch untermischte Morast. Darin schwammen aufgedunsene Leichen herum. […] Der Gestank ist nicht auszudenken. […] Keine Spur einer Brustwehr, wenn man von den Leichenhaufen […] absieht. 777

772 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.119. 773 DEUTSCH, Kriegserlebnisse eines Friedliebenden, 2016, S.130 774 SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.117. 775 Vgl. LAPPIN EPPEL, Reflection of the Jewish War Effort, 2019, S.146. 776 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.119. 777 Ebda., S.114.

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Erwin Schmidl führt dazu aus, dass er „die Lebensbedingungen der Soldaten recht anschau- lich“ 778 beschreibt. Nachdem ich im Vorangegangenen auf die jüdisch-nichtjüdischen Diffe- renzen eingegangen bin, soll hier nochmal verdeutlicht werden, dass diese Erfahrungen als Soldaten gemacht wurden, nicht nur als ‚Jude‘ oder ‚Nichtjude‘.

An der ‚Isonzofront‘ lässt sich ein weiterer abstrakter Raum der interkulturellen Interaktion feststellen. Der Feldrabbiner Bernhard Hausner erwähnt in einem Brief, dass er im Zuge einer Messe nach der zehnten ‚Isonzoschlacht‘, die ein katholischer Militärkaplan abhielt, ein Gebet vor den versammelten Soldaten sprach und einen Segen aussprach. Hier ergibt sich die militärische Seelsorge als Kontaktort. Hausner hebt dabei das Zusammenwirken der militärischen Seelsorger verschiedener Konfessionen hervor. Des Weiteren berichtet er in seiner Korrespondenz über sein Aufeinandertreffen mit Soldaten und würdigt ihre Leistungen, hebt aber sozusagen die jüdische hervor. 779 Dieses Miteinander ist als Kooperation zu verstehen. Die Feldrabbiner betreuten die Soldaten (und Kriegsgefangenen) in verschiedenen Formen. 780

In der zwölften und letzten Isonzoschlacht gelang ein Durchbruch der österreichisch- ungarischen Truppen mit deutscher Unterstützung, doch formierten sich die italienischen Einheiten schnell neu. Damit verlagerte sich die Front an die Piave. Den ‚Durchbruch bei Flitsch Tolmein‘ unter Mitwirkung Josef Kulkas 781 kann man als Erfolg der Mittelmächte werten, wie auch die Eroberung Serbiens. Diese gelang im Herbst 1915 mithilfe Bulgariens und des Deutschen Kaiserreichs. In weiterer Folge stabilisierte sich die Front und veränderte sich erst im Sommer des Jahres 1916, als es Österreich-Ungarn schaffte, fast ganz Rumänien zu besetzen.782

Im Winter 1915/1916 eröffnete man aus der österreichisch-ungarischen Perspektive eine vierte Front. Zu diesem Zeitpunkt entsandte man Teile der Streitkräfte in den Nahen Osten. Dies geht auf die Bitte des osmanischen Kriegsministers an die Verbündeten seines Landes (Österreich-Ungarn sowie das Deutsche Kaiserreich) zurück.783 Zwar bezweifelte Kaiser Franz Joseph den Sinn dieses Truppeneinsatzes, doch stellte Österreich-Ungarn insgesamt 12.000

778 Ebda. 779 Vgl. HECHT, Austro-Hungarian Jewish Military Chaplains, 2019, S.107–108. 780 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.820–821. 781 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.135. 782 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.694. 783 Vgl. SCHWANKE Norbert, Fallbeispiel II: Deutsche und Österreichische jüdische Soldaten an der Palästinafront im Ersten Weltkrieg In: BERGER Michael/RÖMER-HILLEBRECHT (Hg.), Jüdischer Widerstand in Deutschland und Frankreich. Paderborn/München/Wien/Zürich 2012, S.115–116.

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Männer nach Südpalästina ab. Des Weiteren führt Schmidl aus, dass man versuchte, die Zahl der jüdischen Soldaten (besonders in höheren Positionen) möglichst gering zu halten, um auf die Osmanen ‚Rücksicht’ zu nehmen. 784 Der jüdische Leutnant Eugen Hoeflich 785 , der in Jerusalem stationiert war, kommentierte dies so: „Die systematische Ausmerzung der jüdischen Soldaten erstreckt sich auch auf Mannschaftspersonen.“ 786 Dennoch marschierten jüdische und nichtjüdische Angehörige der Streitkräfte gemeinsam durch Jerusalem, wie György Sajó und Robert-Tarek Fischer 787 aufzeigen. Es zeigt sich, dass es an allen betrachteten Fronten zu Kooperationen wie auch Konfrontationen kam. Das Zusammenwirken im Nahen Osten scheiterte aus militärischer Sicht: Die britischen Verbände eroberten Palästina und weitere Gebiete. Das österreichisch-ungarische Kontingent zwang man immer mehr zu einem mit Verlusten verbundenen Rückzug. Die genaue Anzahl der jüdischen Soldaten dabei ist laut Sajó und Fischer 788 unklar. Unter den jüdischen Gefallenen befanden sich jedenfalls die Gefreiten Ludwig Gonda sowie Nissim Behmoiras. 789

Bereits bevor jüdische und nichtjüdische Soldaten nach Palästina aufbrachen, begann sich die innere Lage in Österreich-Ungarn zu verschärfen. Im dritten und vierten Kriegsjahr verschlechterte sich die zivile und militärische Versorgungslage immer mehr. Dadurch bedingte Unterernährung und Krankheitsfälle häuften sich. Die Schwierigkeiten an der ‚Heimatfront‘ nahmen ein immer größeres Ausmaß an. Die Versorgungsmängel, die Kriegsmüdigkeit und die seit Kriegsbeginn herrschende Militärdiktatur ließen Widerstände wachsen. 790 Mit dem Tod Kaiser Franz Josephs fiel ein weiterer Aspekt weg, welcher Österreich-Ungarn zusammengehalten hatte. Die Konflikte der einzelnen Nationalitäten in der Habsburgermonarchie nahmen zu. Franz Josephs Nachfolger Karl konnte die verfahrene Situation nicht mehr lösen. Die Streitkräfte und das Land, dem sie dienten, begannen sich aufzulösen; es kam vermehrt zu Streiks und Aufständen.791

784 Vgl. SCHMIDL Erwin, Jüdische Soldaten der k.u.k. Armee und ihr Einsatz im Nahen Osten während des Ersten Weltkrieges. In: HÖDL Sabine (Hg.), Für Kaiser und Vaterland. Jüdische und nichtjüdische Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. St. Pölten 2017, S.8. Im Folgenden zitiert als SCHMIDL, Jüdische Soldaten im Nahen Osten, 2017. 785 Vgl. LAURITSCH Andrea, Eugen Hoeflich/Mosche Yaakov Ben-Gavriel. Jerusalemit und Panasiat aus Ottakring. In: PATKA Marcus (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Graz 2014, S.234. 786 SCHMIDL, Jüdische Soldaten im Nahen Osten, 2017, S.8. 787 SAJÓ/FISCHER, Die jüdischen Soldaten des Kaisers im Heiligen Land. 201, S.122. 788 Vgl. ebda. 789 Vgl. ebda., S.124. 790 Vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.123 791 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.270–271.

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Die innere Lage steht, wie Manfried Rauchensteiner 792 meint, im Gegensatz zu den Erfolgen in militärischer Hinsicht. Dazu zählt die Besetzung Serbiens, aber es gab ebenso Fortschritte an der ‚Ostfront‘. Zwar erzielten die russischen Streitkräfte ebenso militärische Erfolge, doch führten die hohen Verluste und die unzureichende Versorgung zu den Revolutionen des Jahres 1917. Daraufhin schloss man im März des Jahres 1918 mit Russland den Separationsfrieden von Brest-Litowsk. 793 Zwar wurden damit neue Kapazitäten für die ‚Westfront‘ frei, doch traten 1917 die Vereinigten Staaten von Amerika in diesen Krieg ein. Dies führte zur endgültigen Überlegenheit der ‚Entente-Mächte‘ und der Gewinn des Konflikts wurde für die ‚Mittelmächte‘ nahezu unmöglich.794 Die letzten Offensiven Österreich-Ungarns scheiterten.

Der Zerfall der Monarchie begann endgültig im Oktober des Jahres 1918. Der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen erklärte seine Unabhängigkeit, ihm folgten die Tschechoslowakei und Polen. Der Krieg endete für Österreich-Ungarn mit dem Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November. Am 12. November legte Kaiser Karl sein Amt nieder und man rief die Republik Deutsch-Österreich (Erste Republik) aus. 795 Der Erste Weltkrieg hatte geendet und mit ihm die jahrhundertelange Regentschaft der Habsburger. 796 Am Ende des Krieges stand nicht nur der Zerfall Österreich-Ungarns, sondern eine Vielzahl von gefallenen, verwundeten und vermissten Angehörigen der Streitkräfte. Von den acht bis neun Millionen Soldaten, die auf der Seite der Habsburgermonarchie gedient hatten, fielen mehr als eine Million im Zuge von Kampfhandlungen. 797 Wie das Kämpfen ein jüdisch-nichtjüdisches Miteinander war, war es ebenso das Sterben. Unter den Gefallenen befanden sich jüdische Soldaten und Offiziere. Man geht dabei von einer Zahl von rund 30.000 aus, wie

792 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.799. 793 Vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.89–90. 794 Vgl. RAUCHENSTEINER, Der Erste Weltkrieg, 2013, S.906. 795 Auch hier zeigt sich das jüdisch-nichtjüdische Zusammenwirken, da Hans Kelsen die dazugehörige Verfassung mitgestaltete. (Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.132.) 796 Vgl. VOCELKA, Geschichte Österreichs, S.270–271. 797 Volker Berghahn (vgl. BERGHAHN, Der Erste Weltkrieg, 2014, S.4.) sieht diese Zahlen als zu niedrig angesetzt an. Wolfdietrich Bihl (vgl. BIHL, Der Erste Weltkrieg, 2010, S.298–300) führt verschiedene Zahlen unterschiedlicher Forschender an, die sich zwischen circa 930.000 und 1,2 Millionen bewegen. Des Weiteren schlüsselt er die Gefallenenzahlen auf und unterscheidet zwischen denen, die direkt am Schlachtfeld gestorben sind, und denen, die erst später ihren Verwundungen erlagen. Der Vollständigkeit halber sind hier die zivilen Opfer zu nennen. Wolfgang Mommsen (vgl. MOMMSEN Wolfgang, Kriegsverluste, 2014, S.665) geht von rund 400.000 Zivilisten in Österreich aus, die im Zuge des Ersten Weltkriegs starben. Er vermerkt, dass es vor allem in Polen zu Opfern kam.

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Schmidl 798 darstellt. Von den verhältnismäßig zahlreichen jüdischen Offizieren fielen rund tausend in Folge von Kampfhandlungen.799

Der letzte hier von mir angeführte abstrakte Raum hat einen Bezug zum Sterben im Ersten Weltkrieg: Es ist das Erinnern an den Krieg und seine Opfer. Dieses Gedenken kann viele Ausformungen annehmen. Hierzu zählen ebenso Aufzeichnungen wie Forschungsarbeiten. Es ergeben sich konkrete Orte, wie Gerald Lamprecht aufzeigt, die man dafür schafft. Kriegsdenkmäler beziehungsweise Mahnmäler oder Soldatenfriedhöfe stellen konkrete Lokalitäten dar, in welchen es zum interkulturellen Aufeinandertreffen kommt. Zwar gibt es Erinnerungsstätten, die spezifisch an das jüdische Mitwirken erinnern sollen, doch stehen sie im größeren Kontext des Ersten Weltkriegs. Sie sind Belege dafür, dass es ein jüdisch-nichtjüdisches Miteinander (und Gegeneinander) in den Streitkräften der k.u.k. Monarchie im Ersten Weltkrieg gab.800 6 Zusammenfassung und Desiderate

Die von mir gemachten Ausführungen zeigen, dass die Streitmacht der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkriegs ein Raum war, in welchem das Jüdisch- und das Nichtjüdischsein aufeinandertrafen. Der Kontakt erfolgte in verschiedenen konkreten Lokalitäten, die man mit dem abstrakten Begriff ‚Krieg‘ in Verbindung bringt. Kooperationen wie auch Konfrontationen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Militärangehörigen erschlossen sich. Ein Entgegenwirken geschah nicht nur aufgrund kultureller Differenzen. Dieses Miteinander und Gegeneinander prägten die Interaktionen des Konflikts und damit die vergangene, heutige und zukünftige Lebenswelt. Diese Erkenntnisse gelten ebenso in Hinblick auf das Aufeinandertreffen anderer kultureller Systeme. Zwar handelt es sich beim hier Aufgezeigten lediglich um einen Ausschnitt der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung, dennoch zeigt es, dass eine mehrdimensionale Betrachtungsweise die Darstellung der jüdisch- nichtjüdischen Geschichte erweitert. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der Vergangenheit, da man abseits eines dichotomischen Schemas (‚jüdisch‘ und ‚nichtjüdisch‘) agiert. Dabei geht man auf Trennendes wie auch Verbindendes ein. Die einzelnen kulturellen Spezifika bleiben jedoch erhalten.

798 Vgl. SCHMIDL, Habsburgs jüdische Soldaten, 2014, S.115. 799 Vgl. MADER, Die jüdischen Soldaten I, 2014. 800 Vgl. LAMPRECHT, Jewish Soldiers, 2019, S.316–329.

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Es lässt sich feststellen, dass Konzepte, welche auf Kontakt, Interaktion sowie Kooperation und Konfrontation basieren, die Möglichkeit einer ganzheitlichen Darstellung der Vergangenheit und des interkulturellen Dialogs bieten. Zumindest eher als Ansätze, die auf Separierung oder Anpassung beruhen. Diese haben ebenfalls ihre Berechtigung, doch muss man dabei die wechselseitige Beziehung der kulturellen Systeme berücksichtigen und diese in das jeweilige Konzept einfließen lassen. Diese Ansätze sind das Ergebnis einer jüdischen (und nichtjüdischen) Geschichtsschreibung, die eine Entwicklung durchmachte. Zentrale Punkte in diesem Prozess sind die Großnarrative, die Abkehr von der ‚Tränengeschichte‘ sowie der Einzug der sozial- und kulturgeschichtlichen Herangehensweise. Sie ist als Teil der allgemeinen Geschichte zu verstehen, der mit den anderen Teilgeschichten zusammenwirkt.

Ein Produkt dieser Entwicklung sind die angesprochenen Ansätze des Kontakts und der Interaktion. Eine solche Herangehensweise bedingt, dass man jüdisch-nichtjüdische Begegnungsorte eruiert. Der Erste Weltkrieg und die Streitkräfte der k.u.k. Monarchie sind als ein solcher Raum zu betrachten. Jüdische und nichtjüdische Soldaten kämpften gemeinsam aufseiten Österreich-Ungarns. Dieser Kontakt führt zu Interaktionen: Im Zuge dieser (performativen) Handlung handelt man Bedeutungen aus. Dazu zählt das Verständnis von Identität des Einzelnen und des Kollektivs. Es entstehen ‚hybride Konstrukte‘, die sich ständig neu definieren und von Eigen- sowie Fremdwahrnehmung bestimmt sind. Die Interaktionen zwischen Soldaten und Offizieren kann man (je nach gewählten Parametern) sowohl als kooperativ als auch konfrontativ verstehen. Die Kooperation sowie die Konfrontation prägen dieses Miteinander.

Durch die umfangreiche Thematik des Ersten Weltkriegs und der jüdisch-nichtjüdischen Beziehung ergibt sich eine Vielzahl von Desideraten. Zum Abschluss dieser Arbeit führte ich einige dieser Bereiche an, die ich in dieser Arbeit nicht behandeln konnte. Dies soll als Anregung für weitere Überlegungen und Forschungen dienen. Einer dieser unbehandelt gebliebenen Bereiche sind die Räume des Ersten Weltkriegs. Es ergibt sich eine große Anzahl davon, wenn man Lokalitäten miteinbezieht, die nicht unmittelbar mit Kampfhandlungen in Verbindung standen. Die einzelnen Interaktionen, die an den vorgestellten Schauplätzen stattfanden, bieten ebenso weitere Forschungsmöglichkeiten. Des Weiteren könnte man in dieser Form auch auf weitere kulturelle Systeme der Habsburgermonarchie eingehen. Ebenso bietet sich ein Vergleich mit verbündeten und verfeindeten Staaten während des Konflikts an.

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