Stay-Behind-Pläne und -Strukturen Reaktionen der Öffentlichkeit in Österreich, Italien und der Schweiz auf deren Aufdeckung

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Stefan WALDHAUSER

am Institut für Geschichte Begutachter: Univ.-Doz. Dr. phil. Martin Moll

Graz, 2017

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die vorgegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Graz, 2017 ______

(Stefan Waldhauser)

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken, die mir während der Fertigstellung der vorliegenden Diplomarbeit, aber auch während meines Studiums zur Seite gestanden sind.

Besonderer Dank gilt Herrn Univ.-Doz. Dr.phil. Martin Moll für die großartige Unterstützung während des Verfassens dieser Abschlussarbeit. Ich bin dankbar für all seine Hinweise und Ratschläge sowie die Tatsache, dass er immer Zeit für mich fand, wenn seine kompetente Meinung gefragt war.

Von Herzen danken möchte ich meiner gesamten Familie, besonders aber meinen Eltern Monika und Friedrich. Ihre Geduld, ihr Verständnis und ihre Unterstützung machten es mir möglich, mein Studium erfolgreich abzuschließen. Meine Dankbarkeit gilt auch Juliana, durch deren Rückhalt ich allen Herausforderungen des akademischen Alltags begegnen konnte.

Abschließend möchte ich mich bei allen Freundinnen und Freunden bedanken, die mich während meiner Studienzeit begleitet haben.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 1 2 Stay-Behind im Zweiten Weltkrieg ...... 3 2.1 Nach russischem Rezept ...... 3 2.2 Deutsche Werwölfe – Die Partisanen des Dritten Reiches ...... 5 2.3 Das Curriculum der Werwölfe ...... 7 2.4 Terror gegen die eigene Bevölkerung – ...... 9 2.5 Zusammenfassung ...... 12 3 Italien ...... 13 3.1 Die Geschichte der Stay-Behind-Strukturen in Italien: Operation Gladio ...... 13 3.1.1 Die Nachkriegsjahre ...... 14 3.1.2 Kommunisten und Faschisten ...... 15 3.1.3 Stay-Behind-Netzwerke ...... 16 3.2.4 Operation Gladio ...... 18 3.1.5 Verwendung der Gladio-Einheiten ...... 21 3.1.6 Zusammenfassung ...... 27 3.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und - Strukturen in Italien ...... 28 3.2.1 Linker oder rechter Terror? Anschläge erschüttern Italien ...... 28 3.2.2 Gladio wird öffentlich ...... 31 3.2.3 Operation Giulio – Der Ministerpräsident und die Medien 1990 ...... 34 3.2.4 Zusammenfassung ...... 40 4 Schweiz ...... 42 4.1 Stay-Behind in der Schweiz – die Organisation P-26 ...... 42 4.1.1 Der Diskurs um den Volkswiderstand ...... 43 4.1.2 Schweizer Stay-Behind in den 70er Jahren ...... 45 4.1.3 Die Bachmann-Schilling-Affäre und die Gründung von P-26...... 48 4.1.4 Tätigkeit des P-26 ...... 51 4.1.5 Zusammenfassung ...... 52 4.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und - Strukturen in der Schweiz ...... 53 4.2.1 Die Bachmann/Schilling-Affäre ...... 53 4.2.2 Der Fall Klopp und die Fichen-Affäre ...... 54 4.2.3 L’Armée des ombres und der PUK-EMD ...... 58

4.2.4 Eine „skandalöse Geheimtruppe“ und ihr Goldschatz ...... 60 4.2.5 Zusammenfassung ...... 63 5 Österreich ...... 65 5.1 Stay-Behind-Strukturen und -Pläne in Österreich ...... 65 5.1.1 Der Beginn der Stay-Behind-Strukturen in Österreich ...... 66 5.1.2 Montgomery, Mount Vernon und Dr. Höttls Netzwerk ...... 68 5.1.3 Franz Olah und der ÖWSGV ...... 71 5.1.4 Waffenlager im neutralen Österreich ...... 74 5.1.5 Zusammenfassung ...... 77 5.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und - Strukturen in Österreich ...... 78 5.2.1 Die Soucek-Rössner-Verschwörung und das „Naziproblem“ ...... 78 5.2.2 Franz Olah und das Sonderprojekt ...... 81 5.2.3 Aktion Wühlmaus, oder „Sorry guys, no gold“ ...... 84 5.2.4 Zusammenfassung ...... 88 6 Zusammenfassung ...... 89 7 Literatur-, Quellen- und Abbildungsverzeichnis ...... 94 7.1 Literaturverzeichnis ...... 94 7.2 Quellenverzeichnis ...... 96 7.3 Abbildungsverzeichnis ...... 101

1 Einleitung

Bei Ende des Kalten Krieges sah sich der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti unter dem Druck der Öffentlichkeit gezwungen, die Existenz einer klandestinen Widerstandsorganisation, koordiniert durch die NATO, zu enthüllen. Westliche Auslandsgeheimdienste, allen voran der britische MI6 und die amerikanische CIA, unternahmen bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Bemühungen, um auf eine gegen Westeuropa gerichtete Offensive der Sowjetunion vorbereitet zu sein. Ein Teil dieser Vorbereitung schloss den Aufbau mehrerer antikommunistischer Untergrundorganisationen, welche im Militärjargon als Stay-Behind-Netzwerke bekannt sind, in Westeuropa mit ein.

Die vorliegende Arbeit gibt eine Darstellung der historischen Entwicklung jener Stay-Behind- Netzwerke in Österreich, Italien und der Schweiz, um im Folgenden die öffentlichen Reaktionen auf deren Bekanntwerden zu erörtern.

Die Republik Österreich betreffend, kann auf zahlreiche freigegebene CIA-Akten zurückgegriffen werden, um die Entstehung verschiedener Untergrundstrukturen zu rekonstruieren. Bereits in der frühen Nachkriegszeit nutzte der amerikanische Auslandsgeheimdienst Kontakte zu ehemaligen Nationalsozialisten, um eine antikommunistische Widerstandsorganisation zu installieren. Neben der Kooperation der CIA mit jener Gruppierung, welche auf der Grundlage des Verbotsgesetzes schließlich zerschlagen wurde, gab es jedoch auch weitere Bemühungen, Stay-Behind-Netzwerke auf österreichischem Staatsgebiet zu errichten: Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Dr. Wilhelm Höttl war wesentlich am Aufbau zweier Untergrundstrukturen, welche unter den Decknamen Montgomery und Mount Vernon geführt wurden, beteiligt. Auch der langjährige Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes und zeitweilige SPÖ-Innenminister, Franz Olah, stellte sich in den späten 1960er Jahren als zentrale Figur eines antikommunistischen Stay-Behind- Netzwerks heraus. Fast 30 Jahre später, fünf Jahre nach dem offiziellen Zerfall der UdSSR, kamen in Österreich schließlich erneut Hinterlassenschaften des Ost-West-Konflikts zum Vorschein: Dutzende Waffenlager, die der US-Auslandsgeheimdienst angelegt hatte, wurden vom österreichischen Innenministerium geräumt.

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Die Quellenlage bezüglich der Existenz von Stay-Behind-Netzwerken in der Schweiz und Italien ist jedoch eine völlig andere: In beiden Staaten wurde im Zuge großer politischer Skandale das Bestehen solcher Untergrundorganisationen öffentlich. Als Folge davon setzten die Parlamente der Italienischen Republik wie auch der Eidgenossenschaft Untersuchungskommissionen ein, deren Abschlussberichte die Basis der vorliegenden Arbeit darstellen. Während der Aufbau eines Widerstandsnetzwerkes in der Schweiz vor allem im Zusammenhang mit einer Neuorientierung der nationalen Sicherheitspolitik dieses Staates stand, zog der Aufbau der italienischen Stay-Behind-Strukturen in Kooperation mit der CIA massivere Folgen nach sich: Im Kontext des Kalten Krieges wurden die paramilitärischen Verbände mehrmals genutzt, um im Sinne amerikanischer Geopolitik Einfluss auf die italienische Politlandschaft zu nehmen und um antikommunistische Stimmungsmache zu betreiben.

Neben einer historischen Betrachtung der Entwicklung jener Widerstandsorganisationen geben vor allem Tageszeitungen Aufschluss über die öffentlichen Reaktionen der Zivilgesellschaften der behandelten Länder. Durch eine chronologische Darstellung der medialen Veröffentlichungen soll die Wechselwirkung zwischen Reaktionen der Medien, Druck der Öffentlichkeit und darauffolgenden Handlungen der Staaten ein exaktes Bild jener Geschehnisse vermitteln, die zur Aufdeckung der klandestinen Netzwerke führten. Einleitend gibt eine Erörterung des militärischen Konzeptes Stay-Behind Aufschluss über Funktion und historische Entwicklung der Strategie der irregulären Kriegführung, während die Zusammenfassung schließlich die nationalen Widerstandsorganisationen sowie die öffentlichen Reaktionen prägnant gegenüberstellt.

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2 Stay-Behind im Zweiten Weltkrieg

Im folgenden Kapitel soll auf den Ursprung des Konzepts ‚Stay-Behind‘ im 20. Jahrhundert eingegangen werden: Da aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einiges an Informationen über Organisation, Struktur und Aktionen von Stay-Behind-Netzwerken bekannt wurde, sich aus gegenwärtig zugänglichen Quellen jedoch nur wenig über die konkrete Vorgehensweise ergibt, sollen Einblicke in die deutsche Organisation die Zielsetzung von staatlich organisierten Widerstandsbewegungen verdeutlichen, über welche vor allem Aufzeichnungen des amerikanischen Nachrichtendienstes Aufschluss geben.

2.1 Nach russischem Rezept

Durch die historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts – allem voran die beiden Weltkriege – haben Staaten die strategische Bedeutung des unkonventionellen Kampfes, entweder unter bestimmten Bedingungen, oder als „ultima ratio“, für sich erkannt. Neben regulären Truppen werden dabei Kämpfer ausgebildet, die in verhältnismäßig kleine kriegerische Auseinandersetzungen eingreifen oder diese entfachen. Kleinkrieg wird vor allem dort, wo mit Besetzung des eigenen Territoriums gerechnet werden muss, geplant und er wurde zum festen Bestandteil militärischer Konzepte des 20. Jahrhunderts.1 Hinter diesen Überlegungen steht vor allem die Annahme, dass einerseits die Zerstörung von Infrastruktur zur Erschwerung der operativen Zusammenarbeit von Feindtruppen, andererseits die Art der Kriegführung als Ausdruck von Entschlossenheit und Widerstand den militärischen Druck der regulären Feindtruppen zusammenbrechen lassen würde.2

An diese Form der asymmetrischen Kriegsführung ist das Konzept Stay-Behind angelehnt: In der Anfangszeit der UdSSR begann die militärische Führung der Sowjet-Union für den Fall eines Rückzugs der konventionellen Truppen Schläfer-Agenten im (potenziell) vom Feind besetzten Gebiet zu positionieren, um bei einer Offensive der eigenen Streitkräfte durch Aufklärung und Sabotageakte zum militärischen Erfolg beizutragen. Einer Analyse des amerikanischen 7707th Military Intelligence Service Center vom 27.1.1947 zufolge wurden vom sowjetischen Geheimdienst GPU3 schon in den frühen 1920er Jahren Netzwerke aus irregulären Truppen auf eigenem Gebiet aufgebaut, welche im Falle eines Angriffs auf

1 Däniker, Gustav: Antiterror-Strategie. Fakten, Folgerungen, Forderungen. Neue Wege der Terroristenbekämpfung. Frauenfeld 1978. S. 32. 2 Feldmann, Josef: Gedanken über den Kleinkrieg. In: ASMZ (Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift) 138/11 1972. (URL= http://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=asm-004:1972:138::1126#616) [Zugriff am 16.2.2017]. 3 Vereinigte staatliche politische Verwaltung, Ministerium für Inneres. Geheimpolizei der UdSSR, 1934 in das NKWD eingegliedert. 3

Einflussgebiete der Sowjetunion Informationen sammeln und diese an Kuriere übermitteln sollten.4 Die sowjetische GPU stützte sich dabei vor allem auf einheimische Informanten, die bereits in Friedenszeiten geheimdienstliche Aufträge ausführten und im Zuge dessen auf eine paramilitärische Ausbildung zurückblicken konnten. Zu Beginn der deutschen Offensive gegen die Sowjetunion 1941 gelang es den russischen Geheimdiensten jedoch nicht, aktive Agenten – also Angehörige des Nachrichtendienstes, die zur Ausführung operativer Missionen befähigt wären – in die bereits von Deutschland besetzen Gebiete zur Unterstützung der Stay-Behind- Truppen zu verlegen. Die Schläfer-Agenten (Stay-Behind-Agenten) wurden daher angewiesen, sich in die deutsche Militär- und Zivilverwaltung zu integrieren und sich als vertrauenswürdige Mitarbeiter auszugeben. Nach einer Verfestigung der Fronten wurde das Netz aus Schläfer- Agenten schließlich genutzt, um – unterstützt durch Fallschirmjäger – die Propaganda- Offensive des „Großen Vaterländischen Krieges“ zu beginnen, welche sich nicht zuletzt wegen der brutalen deutschen Besatzungspolitik auf breite Unterstützung seitens der Bevölkerung stützen konnte. Im Winter 1941 verübten diese irregulären Truppen bereits mehrere Sabotageakte an der deutschen Infrastruktur.5 Diese Vorgehensweise stellt im Kriegsfall eine Hauptaufgabe für Kräfte in Stay-Behind-Netzwerken dar: Neben Propaganda und Wirtschaftskrieg waren und sind Sabotage, Anti-Sabotage, Zerstörung sowie Planung und Durchführung von Evakuierungsmaßnahmen die wichtigsten Zielsetzungen von Schläfer- Agenten.6

Im Zuge der deutschen Kaukasus-Offensive nahm die Aktivität sowjetischer Stay-Behind- Agenten erheblich zu: 1943 wurde die vom NKWD7 geführte irreguläre Partisanen-Truppe als „Dritte Front“ bekannt. Von allen durch die deutsche Leitstelle II Ost identifizierten feindlichen Agenten waren 82% Partisanen, die durch Anschläge auf Infrastruktur und militärisches Gerät die deutsche Offensive erschwerten – das Konzept Stay-Behind des Geheimdienstes der UdSSR war damit aufgegangen.8

4 7707th Military Intelligence Service Center: Operations and experiences of Frontaufklärung (FA) III Ost during the eastern campaign (Special report no. 32) vom 27.1.1947. In: Philip (William R.) Collection, Hoover Institution, Stanford University, History of Abwehr, stay behind/fight with Russian intelligence. S. 22. Zit. in: Schmidt-Eenboom, Erich / Stoll, Ulrich: Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946–1991. Berlin 2016. S. 17. Im Folgenden zitiert als: 7707th MISC: Operations. 5 Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO, S. 17. 6 Freudenberg, Dirk: Theorie des Irregulären. Partisanen, Guerillas und Terroristen im modernen Kleinkrieg. Wiesbaden 2008. S. 383f. 7 Sowjetisches Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, vormals GPU (s. Fn. 3). 8 Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 18. 4

So vermerkte die amerikanische Geheimdienststudie des 7707th Military Intelligence Service Center: 9

„Die mächtige Partisanenbewegung der Jahre 1943 bis 1945 basierte nicht auf einer spontanen Erhebung der friedliebenden russischen Bevölkerung gegen die deutschen Eroberer, wie die sowjetische Propaganda behauptete. Vielmehr war sie seit dem Ende der Revolution offiziell für jede mögliche Krise vorbereitet worden.“

2.2 Deutsche Werwölfe – Die Partisanen des Dritten Reiches

Auch das deutsche Militär machte in der letzten Kriegsphase Gebrauch von asymmetrischer Kriegführung – erstmals wurden die sogenannten Werwolf-Partisanen in einer Rundfunk-Rede des Reichführers SS vom 18.10.1944 anlässlich der Aufstellung des Volkssturmes erwähnt:10

„Unsere Gegner müssen begreifen lernen: Jeder Kilometer, den sie in unser Land vordringen wollen, wird sie Ströme ihres Blutes kosten […], auch in dem Gebiet, das sie glauben erobert zu haben, wird immer wieder in ihrem Rücken deutscher Widerstandswille auflodern, und wie die Werwölfe werden todesmutige Freiwillige dem Feinde schaden und seine Lebensfäden abschneiden“ Am 19.9.1944 ernannte Himmler den SS-Obergruppenführer Hans-Adolf Prützmann zum Generalinspekteur für Spezialabwehr und damit zum Verantwortlichen für die Organisation Werwolf. Von November 1941 bis zum Frühjahr 1944 war Prützmann an der Ostfront stationiert, wo er umfassende Erfahrungen mit russischen Stay-Behind-Partisanen sammeln konnte: In einer Aussage der Deutschen Irmgard Reschke, einer Mitarbeiterin Prützmanns, gibt diese dem OSS11 gegenüber an, dass ihr Vorgesetzter aus Soldaten und Funktionären sowie jugendlichen Mitgliedern der HJ und des BDM ein Stay-Behind-Netzwerk aufzubauen plante, in dem „jeder Deutsche zum aktiven oder passiven Widerstand in den vom Feind besetzten Gebieten einberufen werden sollte“.12 Um sie als Zivilisten zu tarnen, wurden Angehörigen des deutschen Militärs gefälschte Papiere ausgestellt, die ihnen alltägliche Berufe zuschrieben. Als „normale Bürger“ sollten diese schließlich aktiven und passiven Widerstand in besetzten Gebieten leisten. Zu diesem Zweck wurden die Stay-Behind-Partisanen mit Waffen sowie

9 7707th MISC: Operations. S. 22. 10 Heinrich Himmler: Rede vor ostpreußischen Volkssturmmännern am 18.10.1944. Zit. in.: Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München 1995. S. 953. 11 Office of Strategic Services, Nachrichtendienst der Vereinigten Staaten von 1942 bis 1945, Vorläufer des CIA. 12 Aussage Irmgard Reschke vom 11.5.1945. In: NARA RG 226 (OSS), Entry (E) 119a Folder f 624. S. 9. Zit. in: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 22. 5

Munition ausgerüstet und ihnen Zugang zu Gift und Sprengstoff ermöglicht, um Anschläge jeder Art durchzuführen.13

Prützmann dirigierte von seinem Kommandostand in Königs Wusterhausen (Brandenburg) die Werwolf-Organisation: Allen höheren SS- und Polizeiführern der durch Anrücken der Alliierten gefährdeten Wehrkreise befahl er, dass Widerstands-Beauftragte bestimmt werden sollten. Diesen wurde wiederum befohlen, alle verfügbaren Deutschen mit militärischer Ausbildung – also primär Soldaten der Wehrmacht und SS, , Polizeipersonal und Gendarmerie, aber auch Mitglieder der HJ und des BDM sowie Zivilisten – zu mobilisieren, sofern sie sich durch „politische Zuverlässigkeit, fanatischen Gehorsam, Intelligenz und Mut“ auszeichneten, um den Ansprüchen der Werwolf-Organisation zu genügen.14

Besonders die Führung der HJ war von der Idee eines Stay-Behind-Netzwerks angetan: Reichsjugendführer Artur Axmann erteilte bereits im November 1944 den Befehl, alle HJ- Mitglieder zu Partisanen-Kämpfern auszubilden. Die Untergrundkämpfer in spe sollten ihre Ausbildung in Schulungsräumen der HJ, der Waffen-SS sowie von SS-Jagdverbänden erhalten. Zusätzlich wurden eigens gegründete Werwolf-Schulen (W-Schulen) bereitgestellt, in welchen künftige Werwolf-Partisanen im Umgang mit Waffen, Sabotage, Nachrichtenübermittlung, Geländeerkundung und Fremdsprachen in dreiwöchigen Kursen ab Herbst 1944 ausgebildet wurden, wobei das benötigte Übungsmaterial, Waffen und Ausrüstung von der Wehrmacht zur Verfügung gestellt wurden.15 Für die Beschaffung von Spreng- und Sabotagemitteln im Besonderen war SS-Hauptsturmführer Otto Skorzeny zuständig. Der geborene Wiener sollte vor allem in der Nachkriegszeit noch eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Stay-Behind- Netzwerken spielen.16

13 Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 22. 14 Aussage Irmgard Reschke vom 11.5.1945. In: NARA RG 226 (OSS), Entry (E) 119a Folder f 624. S. 200f. Zit. in: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 23. 15 Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 24. 16 CIA Information Report: Activities of Otto Skorzeny 11.10.1951 (URL= https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/SKORZENY%2C%20OTTO%20%20%20VOL.%202_0029.pdf) [Zugriff am 17.2.2017]. 6

2.3 Das Curriculum der Werwölfe

Im Zuge seiner Bemühungen, schnellstmöglich ein Netzwerk aus geschulten Partisanen zu mobilisieren, reiste der von Himmler designierte Verantwortliche Hans-Adolf Prützmann nach Wiesbaden, um mit dem SS- und Polizeichef des Wehrkreises XII, SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, Rücksprache zu halten.17 Stroop plante in weiterer Folge, „Jungen und Mädchen, ja sogar Frauen“ auszubilden, um „Sabotageakte zu verüben, den Gegner und seine Agenten zu liquidieren, Lebensmittel und Trinkwasser zu vergiften“ und „Anschläge auf das feindliche Transportwesen zu unternehmen“.18

Besonders erwähnenswert ist Stroops Vorgehen deshalb, weil es eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, in die Struktur und Ausbildung der deutschen Stay-Behind-Strukturen Einblick zu nehmen: Ein ausführlicher Lehrplan der W-Schule in Eltville (Rheingau) ist ebenfalls durch Aufzeichnungen des amerikanischen Nachrichtendienstes OSS erhalten. Auszubildende wurden ab September 1944 aus umliegenden Sammelstellen per LKW in das Kloster Tiefenthal, das zuvor als Standort des BDM gedient hatte, transportiert, um das Trainingsprogramm der Werwolf-Schule von Oktober bis Dezember 1944 zu absolvieren. Der Ausbildungsablauf sowie die Ausbildungsinhalte sind wie folgt in amerikanische Akten eingegangen:19

„1. Sabotage kalt: Bäume und Wrackteile als Straßensperren Drähte über Straßen spannen Schrauben von Eisenbahnschwellen lösen 2. Sabotage warm: Da sie nur mit kleineren Sprengkörpern ausgestattet werden würden, sollten die Werwölfe Hilfsbrücken der Alliierten sprengen. Schienen zerstören mit genau platziertem Plastik-Sprengstoff Sprengen und Verbrennen von Nachschubdepots Zerstören von Ersatzdepots 3. Karten lesen 4. Kompass lesen 5. Handfeuerwaffen Es wurde viel Arbeit darauf verwendet, die Werwölfe an verschiedenen ausländischen Waffen auszubilden. In den meisten Ausbildungsklassen wurden Maschinenpistolen benutzt. Sie wurden ausgebildet an

17 Moczarski, Kasimirz: Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotów-Gefängnis zu Warschau. Berlin 2008. S. 320. Im Folgenden zitiert als: Moczarski: Gespräche mit dem Henker. 18 Ebd. 19 7707th MISC: Collated Report on the SS Sonderkommando, 12.5.1945. In: NARA RG 226 E-119a f-625. S. 213. Zit. in: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 25f. 7

a. französischer Maschinenpistole b. Sten-Maschinenpistole c. amerikanischen Maschinenpistole d. italienischer Maschinenpistole 6. Brandmittel Es gab eine spezielle Ausbildung zur Herstellung von Brandmitteln aus leicht beschaffbaren Materialien. Obwohl keiner der befragten Männer die genaue Formel kannte, waren sie imstande, folgende Bestandteile aufzuzählen: a. Zucker b. Mehl c. Sägemehl d. Sulphat e. Eisenspäne f. Salpeter g. Kalzium-Permanganat 7. Explosivstoffe a. Füllpulver 02 Es wurde vorgeführt, wie man aus Füllpulver 02 durch Zufügen von Wasser eine Paste herstellen kann, die in jede Form gebracht werden kann. b. Nipolit (nicht im Ausbildungsprogramm des 2. Kurses, aber bei einem Auffrischungskurs 10.-16.Januar 1945 vorgeführt).“

Der Ausbildungsplan verdeutlicht den Stellenwert des Umgangs mit Sprengstoff und der Befähigung zur Sabotage – sogar dem Fall, dass Sprengstoff improvisiert werden musste, wurde im Curriculum Rechnung getragen. Weiters legt die umfassende Ausbildung an ausländischen Waffen nahe, dass die Bewaffnung bzw. die Aufrechterhaltung der Kampfkraft vor allem durch die Erbeutung von feindlichem Gerät ermöglicht werden sollte.

In einer Befragung durch den amerikanischen Nachrichtendienst gab Jürgen Stroop auch Informationen über die organisatorische Struktur der Werwölfe preis: Jeder deutsche Gau wurde als W-Abschnitt definiert, der wiederum in sechs bis acht Unterabschnitte unterteilt wurde. Für jeden dieser Sektoren waren zwischen sechs und zehn Werwolf-Gruppen, bestehend aus je vier geschulten Partisanen, eingeteilt. Diese sollten sich im Fall des Feindvorrückens in Verstecken wie Höhlen, Steinbrüchen, Bergwerken oder Vergleichbarem verschanzen, wobei zwischen den Verstecken der verschiedenen Gruppen maximal zwölf Kilometer Marschweg bestehen sollte. Jede Gruppe hatte dabei den Befehl, jeweils zwei Verstecke für ihre Zwecke auszubauen, wobei die von der Wehrmacht erhaltenen Sprengmittel auf externe Lager aufgeteilt werden sollten. Auch Lebensmittellager sollten außerhalb der eigentlichen Verstecke

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organisiert werden. Im Fall des Eindringens der Alliierten in den ihnen zugeteilten Sektor sollten die Partisanen zwischen zehn und 14 Tage in einem der Verstecke abwarten – nach dieser Zeit sollten Feindbewegungen, vor allem Patrouillen, beobachtet werden, um Regelmäßigkeiten der Wach-Zeiten und -Wege festzustellen. In weiterer Folge sollten die Werwolf-Gruppen versuchen, Holz- oder Ponton-Brücken sowie weitere Infrastruktur oder feindliches Gerät mit größtmöglicher Wirkung zu zerstören. Unmittelbar nach Erfüllung der Mission waren die Gruppen angewiesen, in ihr zweites Versteck zu wechseln und den Vorgang zu wiederholen: Wartezeit von ein bis zwei Wochen, Ausführung von Anschlägen. Weiters ist Stroops Aussagen zu entnehmen, dass sich die „Werwölfe“ nur im äußersten Notfall auf ein Feuergefecht mit Alliierten einlassen sollten. In diesem Fall sollte ein Schütze zurückbleiben, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und dem Rest der Gruppe die Flucht zu ermöglichen.20

2.4 Terror gegen die eigene Bevölkerung – Das schwarze Korps

Seit Anfang der Mobilisierung des deutschen Partisanen-Netzwerkes hatte die SS-Führung für die Kämpfer nicht nur geplant, gegen die feindlichen Truppen vorzugehen, sondern sich in Form von Terrorkommandos gegen deutsche Mitbürger zu richten, die mit den Alliierten kooperierten. Besonders Verwaltungsbeamte wurden in diesem Zusammenhang zum Hauptziel, da das NS-Regime befürchtete, dass eine funktionierende Verwaltung in den von den Alliierten besetzten Gebieten den deutschen Widerstandswillen besonders schwächen würde. Eines dieser Terrorkommandos, bekannt als „Das schwarze Korps“, drohte bereits im Oktober 1944 allen „Abtrünnigen“: Wer als deutscher Beamter Alliierte unterstütze, säße bald „kalt und starr hinter seinem Schreibtisch“.21

Aufgrund dieser Drohungen hatten die Alliierten Probleme, in den besetzten Gebieten deutsches Personal für die Verwaltungsarbeit zu rekrutieren. In jedoch fand sich zehn Tage nach der Kapitulation des Befehlshabers Oberst Wilck am 21.10.1944 ein Mann, der bereit war, das gefährliche Amt des Oberbürgermeisters zu übernehmen. war während des Krieges als Rechtsanwalt eines deutschen Rüstungsbetriebes tätig, auf Empfehlung des Aachener Bischofs Joseph van der Velden galt er für Amerikaner jedoch als unbelastet.22 Der neue Oberbürgermeister ahnte jedoch schon im Herbst 1944, dass die NS- Führung seine Kooperation mit den Alliierten nicht tatenlos hinnehmen würde – tatsächlich

20 7707th MISC: Collated Report on the SS Sonderkommando, 12.5.1945. In: NARA RG 226 E-119a f-625. S. 46. Zit. in: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 27. 21 Koop, Volker: Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“. Köln 2008. S. 123. 22 Conrads, Claudia: Die Christlich-Demokratische Union in Aachen. Von der Gründung bis zur Konsolidierung. Saarbrücken 2008. S. 22.

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wies der Befehlshaber des Wehrkreises VI, SS-Obergruppenführer Karl Gutenberger, bereits im November 1944 die lokalen W-Beauftragten an, den Aachener Oberbürgermeister zu töten. Aus einem Gestapo-Schreiben vom 10.11.1944 geht hervor, dass Gutenberger direkt von Prützmann den Befehl erhielt, eine W-Gruppe zu organisieren, die den neuen Oberbürgermeister Aachens ermorden sollte. Im Herbst 1944 war der NS-Führung jedoch noch nicht bekannt, wer genau der neue Amtsinhaber war – erst im Frühjahr 1945 konnte Oppenhoff identifiziert werden. Reichsführer SS Heinrich Himmler erteilte diesmal persönlich den Befehl zur Ermordung des „Verräters“ durch ein Werwolf-Kommando.23

Erst im späten Frühjahr 1945, am 19. März, wurde eine sechsköpfige Werwolf-Gruppe per Fallschirm in belgisches Staatsgebiet transportiert. Von dort aus gelang es allen sechs Kämpfern sich nach Aachen vorzuarbeiten, wobei auf dem Weg ein niederländischer Grenzpolizist erschossen wurde, um unentdeckt zu bleiben. Am 25. März trafen drei Mitglieder, die sich als abgeschossene deutsche Piloten ausgaben, auf Oppenhoff. Als dieser ihnen eine Mahlzeit anbot, wurde er vom Werwolf- Kämpfer Leitgeb mit einer schallgedämpften Pistole erschossen. Am 26. März meldete die Aachener Stadtverwaltung, dass Oberbürgermeister Franz

Oppenhoff „feigen Meuchelmördern zum Opfer Abbildung 1: Die Wolfsangel, das Zeichen der Organisation Werwolf fiel“.24

Wenige Tage nach dem Mordanschlag gibt ein Tagebucheintrag Goebbelsʼ Hinweise auf weitere geplante Racheakte gegen deutsche „Verräter“: „Nachdem der Bürgermeister von Aachen niedergelegt ist, sollen jetzt der jüdische Polizeipräsident von Köln und der Bürgermeister von Rheydt [Anm.: Goebbelsʼ Heimatstadt] an die Reihe kommen“.25

In weiterer Folge stellt sich jedoch heraus, dass Goebbels mit Prützmanns Arbeit an der Organisation Werwolf nicht zufrieden war und das Heft selbst in die Hand zu nehmen plante:

23 7707th MISC: Intermediate Interrogation Report Jürgen Stroop, 10.10.1945. In: NARA RG 226 E-119a f-625. S. 178. Zit. in: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 35. 24 Ebd. S. 37. 25 Tagebücher Joseph Goebbels, Bd. 5, Eintrag 31.3.1945. S. 2181. Zit. in.: Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 37f. 10

„Ich bin jetzt dabei, in großem Stil die sogenannte Aktion Werwolf zu organisieren. Die Werwolfs-Aktion hat sich zum Ziel gesetzt, in den feindbesetzten Gebieten Partisanengruppen zu organisieren. Viel Vorbereitung ist dafür noch nicht getroffen“.26

Am 1. April machte Goebbels der deutschen Bevölkerung in einer Rundfunkansprache die Aktion Werwolf bekannt:27

„Hier spricht der Sender Werwolf, der Sender der deutschen Freiheitsbewegung in den vom Feind besetzten Gebieten […] Für die Bewegung sind jeder Bolschewist, jeder Brite und jeder Amerikaner auf deutschem Boden Freiwild. Wo immer wir eine Gelegenheit haben ihr Leben auszulöschen, werden wir das mit Vergnügen und ohne Rücksicht auf unser eigenes Leben tun […] Hass ist unser Gebot und Rache unser Feldgeschrei […] Dreimal wehe den Landesverrätern, die sich dem Feind zur Verfügung stellen. Werwölfe, nehmt keine Rücksicht auf das Leben des Feindes, da er das Leben unseres Volkes vernichten will. Das Auge des Führers ruht ständig auf Euch“. Daraufhin wurden jeden Abend um 19 Uhr Berichte über die Erfolge der Aktion Werwolf per Rundfunk gesendet. Der deutschen Bevölkerung wurde mitgeteilt, dass in den besetzten Gebieten geheime Verstecke der Widerstandsbewegung existieren, bei denen sich Freiwillige melden könnten. Die genaue Lage dieser Verstecke wäre durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder „geheime Flugblätter“ in Erfahrung zu bringen: Dies kann als Eingeständnis der NS- Führung, dass Kommandostruktur sowie Nachrichtenübermittlung im Reich bereits zusammengebrochen waren, gedeutet werden. Freiwillige sollten nach eigenem Ermessen versuchen, bei alliierten Nachschubkolonnen Fahrzeuge, Benzin und Waffen zu entwenden, um diese für Sabotageaktionen zu nutzen. Weiters wurde die deutsche Bevölkerung dazu aufgefordert, „Schwarze Listen“ zu erstellen, auf denen Deutsche, die mit den Alliierten kooperierten, vermerkt und zum Abschuss freigegeben werden sollten. Doch auch dieser letzte Versuch Joseph Goebbelsʼ, der Widerstandsbewegung noch Druck zu verleihen, blieb bis zum Kriegsende im Mai fast ohne Wirkung.28

26 Ebd., Eintrag 27.3.1945. S. 2168. 27 Koop: Himmlers letztes Aufgebot. S. 188. 28 Schmidt-Eenboom / Ulrich: Partisanen der NATO. S. 44. 11

2.5 Zusammenfassung

Die Rolle der asymmetrischen Kriegsführung wird vor allem in Hinblick auf die „Dritte Front“ der sowjetischen Armee deutlich: Vorausschauend konnte die russische GPU bereits in den 1920er Jahren erfolgreich ein Schläfer-Netzwerk in Ost-Europa etablieren. Dieses hatte ab 1943 großen Anteil am Erfolg der Gegenoffensive sowjetischer Truppen.

Aber auch das deutsche Militär erkannte – nicht zuletzt aus der Notwendigkeit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage heraus – die Vorzüge irregulärer Truppen in Form von staatlich initiierten Partisanen-Organisationen. Deutsche, die sich durch „politische Zuverlässigkeit, fanatischen Gehorsam, Intelligenz und Mut“ auszeichneten, wurden in Werwolf-Schulen ausgebildet, um im Rücken der Alliierten Sabotageakte durchzuführen. Besonders aufschlussreich ist dabei das Trainingsprogramm der W-Schule in Eltville: Der Fokus der Ausbildung lag auf dem Umgang mit Sprengstoff und der Durchführung von Sabotage-Aktionen. Zerstörungen von militärischer Infrastruktur wie Straßen und Eisenbahnschwellen sowie Nachschub- und Ersatzdepots sollten den vorrückenden Gegnern ihre Unternehmungen erschweren und den Widerstandswille der deutschen Bevölkerung anfeuern.

Die Vorgehensweise dieser Partisanen-Gruppen wurde vom verantwortlichen SS- und Polizeiführer des Wehrkreises XII, SS-Gruppenführer Jürgen Stroop, ausführlich beschrieben: Mittels „Hit-and-Run“-Taktik sollten kleine Gruppen von Widerstandskämpfern vor allem Brücken ins Visier nehmen, um das Vorankommen der Alliierten zu erschweren – einer direkten Konfrontation mit regulären Truppen war unter allen Umständen auszuweichen.

Zusammenfassend kann für das Konzept „Stay-Behind“ gesagt werden, dass die Netzwerke hautsächlich aus ideologisch überzeugten Kämpfern bestanden, die dazu ausgebildet worden waren, als irreguläre Truppen mittels Sprengstoff-Anschlägen Schäden an der Infrastruktur zu verursachen, sich in die Verwaltung des Feindes als Schläfer zu integrieren, sowie auf Befehl der politischen Führung Mordanschläge auf ausgewählte Zielpersonen auszuführen.

12

3 Italien

3.1 Die Geschichte der Stay-Behind-Strukturen in Italien: Operation Gladio Der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti bestätigte im August 1990 in einer Parlamentssitzung, dass ein geheimes Netzwerk der italienischen Geheimdienste existiere, welches – vergleichbar mit Strukturen in anderen NATO-Staaten (und wie sich herausstellen sollte: auch Nichtmitgliedern) – den Zweck verfolgte, ein Stay-Behind-Konzept im Falle einer Invasion der Staaten des Warschauer Paktes umzusetzen. Als Folge dieser Äußerungen beherrschte diese Thematik wochenlang die italienischen Medien, wobei dieser Aspekt in Kapitel 3.2 besprochen wird.

Um seinen Enthüllungen eine Grundlage zu geben, übermittelte der italienische Ministerpräsident dem Parlament einen Vorbericht, dem ein später veröffentlichtes Dokument eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit bis dahin klassifiziertem Material folgte, welches Licht in die Geschichte italienischer Stay-Behind-Netzwerke im Kalten Krieg und deren Einbindung in die italienische Innenpolitik bringen sollte.29 Der Bericht des Verteidigungsministeriums führte zu weiteren parlamentarischen Anfragen sowie zur Einsetzung von Untersuchungskommissionen, was zur Folge hatte, dass erneut ausführliche Berichte von Seiten des italienischen Staates veröffentlicht wurden.30 Im Jahr 2000, also eine Dekade nach den Offenlegungen Andreottis, publizierten acht italienische Senatoren als Ergebnis einer Untersuchungskommission einen weiteres, umfassendes Dokument über die Stay-Behind-Strukturen.31 Aufgrund dessen ist die Quellenlage eine besondere: Das folgende Kapitel stützt sich hauptsächlich auf die von italienischen Institutionen veröffentlichten Berichte.

Nach einer knappen Chronologie der Entwicklung der italienischen Stay-Behind-Organisation und deren Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung soll nachfolgend auf die Rolle

29 Commissione parlamentare d’inchiesta sul terrorismo in Italia e sulle cause della mancata individuazione delle stragi, Prerelazione sull’ inchiesta condotta dalla Commissione in ordine alle vicende connesse con l’operazione Gladio, con annessi gli natti del dibattito svoltosi sul documento stesso. 9. Juli 1991. In: Atti Parlamentari, X Legislatura, doc. XXIII, n. 36. Im Folgenden zitiert als: Vorbericht. 30 Relazione del Comitato Parlamentare per i servizi di informazione e di sicurezza e per il segreto di stato sulla ‘Operazione Gladio’. 4. März 1992. In: Atti Parlamentari, X Legislatura, Doc. XLVIII, n. 1. Im Folgenden zitiert als: Bericht 1. Weiters: Relazione sull’inchiesta condotta sulle vicende connesse all’operazione Gladio dalla Commissione Parlamentare d’inchiesta sul terrorismo in Italia e sulle cause della mancata individuazione dei responsabili delle stragi. 22. April 1992. In: Atti Parlamentari, X Legislatura, doc. XXIII, n. 51. Im Folgenden zitiert als: Bericht 2. 31 Senato della Repubblica: Commissione parlamentare d’Inchiesta sul terrorismo in Italia e sulla cause della mancata individuazione dei responsabili delle stragi: Stragi e terrorismo in Italia dal depoguerra al 1974. Relazione del Gruppo Democratici di Sinistra l’Ulivo. Rom 2000. Im Folgenden zitiert als: Senatorenbericht. 13

des gemeinsamen Geheimdienst-Projektes in der italienischen Innenpolitik eingegangen werden.

3.1.1 Die Nachkriegsjahre Nach dem am 3. September 1943 unterzeichneten Waffenstillstand von Cassibile, welcher das Bündnis zwischen dem Dritten Reich und dem Königreich Italien auflöste, verwandelte sich der italienische Stiefel für die folgenden Monate in ein Schlachtfeld, auf dem zwischen den von Süden vorrückenden Alliierten und den deutschen Verteidigern gekämpft wurde. Eine Folge der Auseinandersetzung der Großmächte auf italienischem Boden war ein inneritalienischer Konflikt zwischen antifaschistischen Partisanengruppen und Mussolini-treuen Faschisten. Die wohl wichtigste Streitfrage dieser Parteien lautete, wie es mit dem italienischen Staat nach dem Krieg weitergehen sollte. Die sich abzeichnende Auseinandersetzung zwischen den westlichen Mächten und der UdSSR trug ebenfalls nicht zur Stabilisierung des italienischen Staates bei, und in diesem politisch geladenen Kontext entstanden viele verdeckte Netzwerke: Kommunistische Partisanen, Monarchisten und Faschisten entwickelten eigene Strukturen und Untergrundgruppierungen, um ihre Interessen durchzusetzen.32

Die erste Entwicklung eines tatsächlichen Stay-Behind-Netzwerkes fand jedoch in Norditalien statt: Für die italienische Region Venezia Giulia wurde befürchtet, dass die junge Volksrepublik Jugoslawien versuchen könnte, dieses Gebiet zu besetzen. Zwar wurden alle Partisanengruppen offiziell am 24.6.1945 aufgelöst, die Spannungen jedoch blieben bestehen.33 Um sich gegen einen jugoslawischen Überfall zu wappnen, etablierte die (nunmehr ehemalige) Gruppierung des Comitato di Liberazione Nazionale ein verdecktes Netzwerk von 1200 ehemaligen Partisanen, welche im Fall einer jugoslawischer Offensive aktiviert werden sollten.34

Ähnlich verhielt es sich mit der Partisaneneinheit Osoppo: Im Jänner 1946 wurde die ehemalige Truppe von drei Offizieren der italienischen Streitkräfte reaktiviert, um sie in die Armeeorganisation einzugliedern. Als im Frühling 1946 die Spannungen mit Jugoslawien ihren Höhepunkt erreichten, wurde die Reaktivierung der Partisanengruppen offiziell von General Raffaele Cadorna bewilligt. Für diese Sonderkommanden wurde eigens eine Abteilung im Hauptquartier der 5. Italienischen Landstreitkräfte errichtet.35

32 Nuti, Leopoldo: The Italian ‘Stay-Behind’ network – The origins of operation ‘Gladio’. Journal of Strategic Studies (30/6, 2007). S. 955-980. Hier: S. 956. Im Folgenden zitiert als: Nuti: Stay-Behind. 33 Vorbericht. S. 32. 34 Ilari, Virgilio: Il gernerale con monocolo: Giovanni De Lorenzo, 1907-1973. Ancona 1994. Zit. in: Nuti: Stay- Behind. S. 959. Im Folgenden zitiert als: Ilari: Il generale. 35 Vorbericht. S. 33. 14

Nach dem Abkühlen des Konflikts mit Jugoslawien wurden die Einheiten umbenannt – das 3° Corpo Volontaria della Libertà umfasste 4500 Mann und kam bereits 1948 zum Einsatz: Während der Abhaltung von Wahlen wurde die Truppe verdeckt entlang der Grenze zum östlichen Nachbarstaat positioniert, um das Eindringen von jugoslawischen Agenten zu verhindern. Die Italiener befürchteten, dass ihre Nachbarn einen kommunistischen Coup unterstützen könnten.36

In den frühen 1950er Jahren änderte sich die Funktion der Einheit: Sie wurde zu einer Truppe umfunktioniert, die mittels irregulärer Kriegführung im Kriegsfall mit insgesamt 20 Bataillonen á 360 Mann die Verteidigung von strategisch wichtiger Infrastruktur und den Schutz ziviler und militärischer Institutionen überhatte, sowie Guerilla- und Gegen-Guerilla-Operationen durchführen sollte. Weiters lag auch Feindaufklärung und Informationsvermittlung im Aufgabenbereich der Einheit.37

Ausgehend von den Berichten des italienischen Parlaments waren Waffen, Munition und Sprengstoff zur Verwendung durch diese Truppe im Depot des 8. Alpinregimentes der italienischen Streitkräfte in Udine gelagert, um als Rückversicherung gegen eventuelle Aggressionen Jugoslawiens zu dienen. 1956 wurde die Einheit offiziell aufgelöst – ihre Bedeutung für weitere Stay-Behind-Strukturen in Italien ist aber groß: Der Wille des italienischen Staates, im Kriegsfall auf paramilitärische Untergrund-Organisationen und irreguläre Kriegführung zurückzugreifen, ist spätestens mit diesen Entwicklungen festzustellen.38

3.1.2 Kommunisten und Faschisten Während die italienische Armee in den ersten Nachkriegsjahren im Nordosten des Landes bereits Stay-Behind-Strukturen aufbaute, war sie auch im Süden des Landes bemüht, Kontakt mit Personen aufzunehmen, mit denen gemeinsame Ziele verfolgt werden konnten. Fündig wurde man – laut einem CIA-Report aus dem Juni 1947 – bei der ECA (Esercito Clandestino Anticommunista), einer antikommunistischen Bewegung, die einen befürchteten kommunistischen Coup um jeden Preis verhindern wollte, wobei neben der ECA auch andere, neofaschistische Netzwerke ähnliche Interessen verfolgten.39

36 Vorbericht: S. 33. 37 Ibid. 38 Ibid. S. 36. 39 Tranfaglia, Nicola: Come nasce la Repubblica. La mafia, il Vaticano e il neofascismo nei documenti americani e italiani 1943-1947. Mailand 2004. S. 69. 15

Dieser Coup schien in den ersten Nachkriegsjahren nicht unwahrscheinlich: Eine große Zahl an kommunistischen Partisanen, die zur Zeit der Resistenza gegen den Faschismus Kampferfahrung gesammelt hatten, weigerten sich, nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Waffen abzugeben. Die italienische Kommunistenpartei PCI (Partito Communista Italiana) nutzte die Erfahrung und das Netzwerk der Partisanen (auch: apparato), um für offensive sowie defensive Maßnahmen gewappnet zu sein. Die italienische Armee lieferte diesbezüglich – laut dem italienischen Historiker Leopoldo Nuti weit übertriebene – Zahlen: Der „apparato“ soll 1948 ein Untergrundnetzwerk von bis zu 200.000 Mann dargestellt haben, dem eine große Bandbreite und Zahl an Waffen zur Verfügung stand.40 Der Armeebericht legt nahe, dass die kommunistische Bewegung in Italien ohne Zweifel dazu im Stande war, eine Revolution mit Waffengewalt durchzuführen. Nuti merkt jedoch an, dass die Schätzungen des italienischen Militärs vor allem den Zweck verfolgten, die Amerikaner – aus Angst vor einer Hinwendung Italiens zur UdSSR – zur Belieferung der italienischen Streitkräfte mit Waffen und Militärgerät zu veranlassen.41

Jedenfalls wird deutlich, dass es in den ersten Jahren der Nachkriegszeit eine Konfrontation zwischen kommunistischen, pro-UdSSR-Partisanen und pro-westlichen (hier jedoch: demokratischen wie faschistischen) Interessengruppen gegeben hat. Die italienische Politlandschaft war also bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg durch den aufziehenden Kalten Krieg geprägt.

3.1.3 Stay-Behind-Netzwerke Im Oktober 1951 empfahl der Leiter des italienischen Militärgeheimdienstes SIFAR (Servizio Informazioni Forze Armate), General Umberto Broccoli, dem Chef des Verteidigungsstabs, General Efisio Marras, ein Netzwerk aufzubauen, das dazu fähig sein sollte, Stay-Behind- Missionen zu erfüllen, um im Fall einer feindlichen Invasion Truppen hinter den gegnerischen Linien zu unterstützen und Feindaufklärung in von Invasoren besetzten Gebieten durchzuführen. In der selben Nachricht bestätigte er, dass vergleichbare Projekte von NATO- Mitgliedern in ganz Europa anlaufen würden, der Aufbau solcher Netzwerke jedoch ein komplexer, kostspieliger und langwieriger Prozess sei. Die Umsetzung dieser Strukturen hatte

40 Nuti, Leopoldo: Security and Threat Perceptions in Italy in the Early Cold War Years, 1945-1953. In: Francesca Gori/Silvio Pons (Hrsg.): The Soviet Union and Europe in the Cold War, 1945-1953. London 1996. S. 412-429. Hier: S. 416ff. 41 Ibid. 16

allerdings hohen Stellenwert, da die Italiener dem amerikanischen Geheimdienst zuvorkommen wollten, um künftige Geheimnetzwerke unter nationaler Kontrolle zu halten.42

Broccoli teilte Marras mit, dass er die Planung von Stay-Behind-Netzwerken mit Vertretern mehrerer ausländischer Militärgeheimdienste besprochen hätte, und ersuchte um die Erlaubnis, sieben Sicherheits-Offiziere zu einem Ausbildungskurs nach England zu senden, wo diese von der Training Division des britischen SIS (Secret Intelligence Service) instruiert werden sollten. Die Kooperation mit den Briten sollte jedoch nur ein kurzfristiges Mittel zum Zweck sein, langfristig wolle man sich um eine enge Kooperation mit den Amerikanern bemühen.43

Diese Pläne wurden umgesetzt: Der Luftwaffen-Offizier Felice Santini wurde zum Leiter der künftigen Organisation ernannt, weitere sechs Offiziere wurden mit den Organisationsteilen Geheimdienst, Stay-Behind, Propaganda, Kommunikation, Informationssicherheit und Exfiltration betraut. Jeder dieser sechs Offiziere sollte für bis zu 200 lokale Agenten verantwortlich sein. Das Ziel bestand darin, bis 1953 eine funktionierende Geheimdienstorganisation aufzubauen.44

Zur selben Zeit liefen in mehreren westeuropäischen Staaten Versuche an, die Geheimdienste besser zu koordinieren: 1949 entstand das WUCC (Western Union Clandestine Committee) auf Bemühungen Frankreichs, Großbritanniens und der Beneluxstaaten, welches bereits 1951 zum CPC (Clandestine Planning Committee) umgewandelt wurde und die westeuropäischen Geheimdienste eng mit dem Vorgehen des NATO-Kommandos SACEUR (Supreme Allied Commander Europe) abstimmen sollte. Auch Vertreter des italienischen SIFAR waren zu einem Treffen des CPC in Paris 1952 eingeladen – die Italiener wollten jedoch vermeiden, ihre Geheimdienstorganisationen einer westeuropäischen Koordinationsstelle zu unterwerfen und versuchten stattdessen, engere Beziehungen mit der amerikanischen CIA aufzubauen.45

Diese Absicht wurden von den Amerikanern positiv erwidert: 1953 wurden in Capo Marrargiu, Sardinien, ein großes Grundstück gekauft und mit finanzieller Unterstützung der CIA ein Ausbildungszentrum für Stay-Behind-Operationen errichtet.46 Im ersten Bericht an das italienische Parlament wurden die Investitionen des amerikanischen Geheimdienstes in das süditalienische Ausbildungszentrum mit einer Gesamtsumme von 485 Millionen Lire beziffert,

42 Nuti: Stay-Behind. S. 963. 43 Ibid. 44 Ibid. 45 Nuti: Stay-Behind. S. 964. 46 Bericht 2. S.15f. 17

wobei der Grundstückserwerb sowie die Errichtung eines Funkturmes und Ausrüstung einberechnet wurden.47

3.2.4 Operation Gladio Die Bemühungen des italienischen Geheimdienstes, in Zusammenarbeit mit den Amerikanern eine Stay-Behind-Struktur zu errichten, trugen Früchte: 1956 war ein Netzwerk samt Infrastruktur und nötiger Schulungskompetenz aufgebaut worden. Im September 1956 autorisierte der neue Leiter des SIFAR, General Giovanni De Lorenzo, die Eröffnung einer Ausbildungsabteilung SAD (Sezione Addestramento) unter dem Kommando des R-Büros (Ricerche all’estero; Auslandsgeheimdienst) des italienischen Geheimdienstes.48

Die Struktur der neuen Einsatzgruppe umfasste zwei Teile: Einerseits die Organisation und Versorgung zweier schlafender Guerilla-Netzwerke (Stella Alpina und Stella Marina), andererseits die durchgehende Betreuung verschiedener aktiver Untergruppen (Stay-Behind, Propaganda, Geheimdienstarbeit, Exfiltration und Guerilla), die in permanenter Einsatzbereitschaft gehalten wurden. Die Ausbildungsabteilung SAD übersah auch den Trainingsbereich in Sardinien, der als Ausgangsbasis für alle Aktivitäten der Organisation diente.49 In den späten 60er Jahren wurden weitere Unterorganisationen aufgebaut – unter anderem eine, die mit anderen Stay-Behind-Strukturen der NATO-Partner die Kommunikation aufrechterhalten sollte.50

Kurz nach der Gründung des SAD, am 18. Oktober 1956, wurde bei einem Treffen von italienischen und amerikanischen Geheimdienst-Offizieren – Colonel Giulio Fettarappa-Sandi (SAD), Major Mario Accasto (CAG, Centro Addestramento Guastatori: Ausbildungslager Sardinien) sowie Robert Porter und John Edwards (CIA) – besprochen, dass eine gemeinsame Organisation namens Gladio ins Leben gerufen werden sollte. Dieses Vorhaben wurde laut dem zweiten Parlamentsbericht am 26. November 1956 formal unter dem Titel „A Restatement of agreements between the US and Italian Intelligence Services relative to the Organization and Operation of the Italian Clandestine Stay-Behind Effort“ in Kraft gesetzt.51 Dieses Dokument unterteilte die Verpflichtungen der Vertragspartner in drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt wurde vereinbart, dass die USA sowie der Staat Italien sich verpflichten, Stay-Behind-

47 Bericht 1. S. 83f. 48 Vorbericht. S. 28. 49 Nuti: Stay-Behind. S. 965. 50 Bericht 1. S. 65. 51 Bericht 1. S. 6f. 18

Strukturen gemeinsam zu organisieren, auszubilden und im Fall eines Angriffs auf Italien zu aktivieren. Im zweiten Abschnitt des Dokumentes wurde festgehalten, dass das Ausbildungszentrum in Sardinien die Basis für alle als Folge dieser Kooperation entstehenden Operationen sein solle und Italien sich dazu verpflichte, das Hauptquartier der gemeinsamen Organisation im Kriegsfall um jeden Preis zu halten; der dritte Abschnitt geht auf die weiteren Pflichten der Vertragspartner ein.52

Besonders sticht im Parlamentsbericht jedoch eines hervor: Verteidigungsminister Paolo Tiviani bestätigte, persönlich die Unterzeichnung dieses formalen Aktes angewiesen zu haben, wobei er den damaligen Präsidenten Giovanni Gronchi, den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Antonio Segni sowie weitere hochrangige Exekutivbeamte der Italienischen Republik informiert hatte. Gemeinsam wurde beschlossen, der italienischen Legislative von dem Abkommen mit den USA nichts mitzuteilen – mit der Begründung, dass ein solches Vorgehen in anderen europäischen Staaten wie Großbritannien oder Frankreich in Geheimdienstsachen üblich sei.53

Eine unmittelbare Konsequenz der italienisch-amerikanischen Kooperation war unter anderem die Auflösung der in Norditalien etablierten Stay-Behind-Struktur Osoppo im Oktober 1956; die Partisanengruppe wurde jedoch vollständig in die von Gladio geschaffene nördliche Struktur Stella Alpina überführt. Verteidigungsminister Tiviani ging sogar so weit, die Strukturänderung als Rationalisierung zu bezeichnen. Die Stay-Behind-Pläne des italienischen Staates sollten sich unter der Mithilfe der Amerikaner effizienter gestalten.54

Im Zuge dieser Umstrukturierung wurde von der SAD-Abteilung des SIFAR in einem Bericht festgehalten, wie die Organisation der Operation Gladio strukturiert werden sollte. Die wichtigsten Entwicklungsrichtlinien stellen demnach folgende dar:55

1 Fertigstellung des zentralen Kommandos SAD und Entwicklung eines vollständigen Planes der Operation [Anm.: Gladio]

2 Fertigstellung des Ausbildungszentrums (CAG) in Sardinien und Entwicklung einer Kommando-Doktrin

3 Fertigstellung der Kommunikationszentren für Langstrecken-Kontakte mit Stay-Behind- Einheiten und um die Störung feindlicher Funkkommunikation zu ermöglichen

52 Ibid. S. 5ff. 53 Ibid. S. 104f. 54 Ibid. S. 12f. 55 Nuti: Stay-Behind. S. 969. 19

4 Entwicklung von Plänen mit grundlegenden Anforderungen bezüglich Sicherheit, Personalauswahl, Ausbildung, Organisation und Geheimdienstarbeit

5 Ausbildung in Speziallehrgängen, entweder in den USA oder in gemeinsam betriebenen italienischen Ausbildungsräumen

6 Aktivierung von 60 Spezial-Nuclei – jene operativen Agenten, welche hinter feindlichen Linien arbeiten

7 Aufstellung von weiteren Guerilla-Einheiten

8 Vorbereitung und Platzierung von geheimen Waffen-, Munitions- und Sprengstofflagern

9 Ausbildung der Kommandoeinheiten

10 Bereitstellung von Luft- und Landaufnahmen jener Orte, an denen Gladio-Agenten operieren

11 Durchführung experimenteller Aktivitäten (Luft, See und Land) Die Struktur der Operation Gladio war in zwei Ebenen gegliedert: Einerseits in 40 kleine Nuclei (Gruppen), welche aus zwei bis drei Spezialisten und zwei Funkern bestanden. Diese sollten entsprechend den unterschiedlichen Fachbereichen Operationen durchführen. Für Stay-Behind waren beispielsweise 10, für Guerilla-Kampf 12, für Propaganda 6 Nuclei zugewiesen. Insgesamt waren 172 Agenten und etwa 30 Organisatoren in diesem Bereich tätig. Auf der zweiter Ebene waren fünf große Einheiten der UPI (Unitá di Pronto Impiego), die sich auf Guerilla-Kriegführung spezialisierten, in permanenter Alarmbereitschaft. In diesem Organisationsteil waren Stella Alpina (etwa 600 Mann, die in weiterer Folge auf 1000 Mann aufgestockt werden sollten), Stella Marina (etwa 200 Mann) und die weiteren Einsatzeinheiten Rododendro, Ginestra und Azalea, welche alle zwischen 100 und 200 Mannstärke aufwiesen. Weiters wird aus der Gladio-Planung deutlich, dass alle Organisationseinheiten darauf vorbereitet werden sollen, im Fall einer feindlichen Invasion oder einer nationalen Krise als Stay-Behind-Truppen zu operieren und die lokale Bevölkerung zum Widerstand zu ermutigen sowie als Säule des Weiterbestehens der Italienischen Republik zu dienen. Während diese Zahlen der Planung der Operation Gladio selbst entnommen sind, relativierte General Inzerilli im Zuge der Parlamentsberichte später: Während des Bestehens der Gladio-Struktur sollen zu keinem Zeitpunkt mehr als 622 Agenten und Organisatoren gleichzeitig aktiv gewesen sein.56

Finanziell konnte die Organisation auf ein jährliches Budget von 225 Millionen Lire zurückgreifen, wobei in den ersten Jahren der Entwicklung Gladios Infrastruktur und Ausrüstung im Wert von 1.500.000.000 Lire errichtet und angeschafft wurden. Der amerikanische Geheimdienst CIA unterstützte das bilaterale Geheimdienstprojekt mit 738

56 Bericht 1. S. 81. 20

Millionen Lire in den zehn Jahren von 1957 bis 1967, wobei in den folgenden Jahren immer wieder kleinere Summen flossen. Fasst man die Gesamtheit der amerikanischen Investition in das Stay-Behind-Netzwerk zusammen, beläuft sich die Transfersumme auf insgesamt 1,3 Milliarden Lire.57

Um einen Vergleich zur Gegenwart zu ziehen: 1965 betrug der US-Dollar-Kurs 625 italienische Lire. Berücksichtigt man die Durchschnittsinflation, lässt sich ein heutiger Gegenwert von knapp über 16 Millionen US-Dollar errechnen.58

3.1.5 Verwendung der Gladio-Einheiten

Viele belastbare Quellen zu Einsätzen des Stay-Behind-Netzwerks sind nicht zu finden. Aus diesem Grund soll im folgenden Abschnitt zwischen jenen gesicherten Verwendungen der Gladio-Truppen, die aus den italienischen Parlamentsberichten sowie aus dem Bericht der Senatoren hervorgeht, und weiteren, spekulativen Verwendungen des Geheimdienstprojektes unterschieden werden.

Aus dem ersten Parlamentsbericht geht klar hervor, dass im Zuge der Entwicklung des Stay- Behind-Netzwerks Versorgungslager in sämtlichen potenziellen Einsatzzonen errichtet wurden. Zwischen 1959 und 1960 wurde das Gros des Materials von der CIA zur Verfügung gestellt und vorerst in Neapel gelagert, von wo aus Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände nach Sardinien an das CAG gesendet wurden, um an die Untereinheiten (Stella Alpina) verteilt zu werden. Ende des Jahres 1960 war bereits genug Material vorhanden, um 30 der insgesamt 40 Nuclei der ersten Strukturebene zu versorgen. Der Parlamentsbericht führt diesbezüglich sehr detailliert den Inhalt einer durchschnittlichen Versorgungs-Einheit auf – er beinhaltete: Faustfeuerwaffen, Gewehre, Sprengstoff, Munition, Handgranaten, Nahkampfwaffen (u.a. Dolche), Granatwerfer, leichte Maschinengewehre, Panzerfäuste, Funkgeräte, Ferngläser und weitere Ausrüstungsgegenstände.59

Die Verteilung der Versorgungslager begann 1961 und war 1964 abgeschlossen: Insgesamt wurden 139 solcher Materiallager in den unterschiedlichsten potenziellen Einsatzorten versteckt. Die Lager wurden, wenn möglich, unterirdisch errichtet, die Einlagerung des Materials wurde meist nachts durchgeführt, um die größtmögliche Geheimhaltung zu

57 Ibid. S. 84f. 58 US Treasury Department: Treasury Reporting Rates Of Exchange. 31. März 1965. S. 2. (URL=https://www.gpo.gov/fdsys/pkg/GOVPUB-T63_100- d2630baf32592aadaaefa5ce3310fb36/pdf/GOVPUB-T63_100-d2630baf32592aadaaefa5ce3310fb36.pdf) [Zugriff am 29.4.2017]. 59 Bericht 1. S. 88. Fußnote 121. 21

gewährleisten. Zwei dieser Versorgungslager wurden dennoch entdeckt, was zu Beginn der 70er Jahre zur Entscheidung führte, die Materialien auf italienischem Boden wieder einzuziehen. 1973 wurden alle Versorgungslager, bis auf zwei, deren Geschichte ungeklärt blieb, wieder abgebaut.60

Eine weitere, auf Basis der Parlamentsberichte historisch belegbare Verwendung der Gladio- Einheiten stellt die Infiltration der antinationalen, pro-slawischen Bewegung in Norditalien dar: Die Stelle Alpina sollte vor allem durch Propaganda- und Antipropaganda-Bemühungen die mutmaßlich von Jugoslawien initiierten Versuche, nordostitalienische Gebiete für sich zu gewinnen, bekämpfen.61

Die Parlamentsberichte geben aber auch Einblick in die Bedrohungsszenarien, mit denen sich der italienische Sicherheitsapparat in den 60er Jahren beschäftigte: Zwischen 15. und 24. April 1966 fand in und um Triest, also direkt an der Grenze zum jugoslawischen Nachbarstaat, ein Manöver unter dem Decknamen Delfino statt: In diesem Szenario führten Teile der Triester Bevölkerung einen bewaffneten Aufstand aus, um die Stadt und das umliegende Gebiet Jugoslawien anzuschließen. Die Agenten der Operation Gladio wurden in dieser Übung dazu angewiesen, die Insurgenten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln an ihrem Ziel zu hindern, was den Einsatz von Guerilla-Kampftruppen, Aufklärungsaktionen, Propaganda und der Aktivierung von Stay-Behind-Operateuren einschloss.62

Auch im Zuge des Südtirolterrorismus63 sollen Gladio-Agenten in den Einsatz geschickt worden sein. Die Bestätigung liefern Zeugenaussagen und Indizien, „dass bei Sabotageakten und Attentaten auch Angehörige von Gladio aus der Region zum Einsatz kamen.“ Hier sollen die Gladio-Operateure vor allem mit Neofaschisten kollaboriert haben, um die deutschnationalen Bestrebungen zu stoppen. Südtirol sei dabei zu einer „Spielwiese“ für irreguläre Kriegführung geworden, in der die Einsatzfähigkeit der Operation Gladio auf die Probe gestellt werden konnte.64

60 Ibid. S. 91ff. 61 Bericht 2. S. 19f. 62 Ibid. S. 42-46. 63 Der Befreiungsausschuss Südtirol war seit der Mitte der 50er Jahre bestrebt, die Region Südtirol von der Italienischen Republik loszulösen. Das Vorgehen des BAS reichte von politischen Mitteln bis zu Anschlägen auf die Infrastruktur und letztlich auch zu tödlichen Angriffen auf italienische Beamte und Zivilisten, wodurch bis 1969 – das Jahr der offiziellen Einstellung der Aktivitäten – etliche Todesopfer auf beiden Seiten die Folge waren. 64 Silj, Alessandro: Verbrechen, Politik, Demokratie in Italien. Frankfurt am Main 1998. S. 154. Zit. in: Thomas Riegler: „Werwölfe“, Geheimbündler und Südtirol-„Bumser“: Die Anfänge des Rechtsterrorismus in Österreich. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (2/2016). S. 81-118. Hier: S. 103. 22

In den Parlamentsberichten ist diesbezüglich jedoch nur von Aussagen zweier CAG- Angehöriger die Rede, welche bestätigten, Pläne für die Durchführung von verdeckten Operationen auf österreichischem Staatsgebiet erstellt zu haben, sollten die Terroranschläge des BAS kein baldiges Ende finden.65

Jedoch ist nicht davon auszugehen, dass in den italienischen Parlamentsberichten sowie im Bericht der Senatorenkommission alle Einsätze des Gladio-Netzwerkes verzeichnet sind. Der Schweizer Historiker Daniel Ganser etablierte einige Thesen zu den Aktivitäten Gladios, welche nicht auf den offiziellen Dokumenten des italienischen Staates basieren. Diese werden in der Folge besprochen.

In den Memoiren William Colbys, der 1953 nach Rom beordert wurde, um in dem amerikanisch-italienischen Geheimdienstprojekt zu arbeiten, schildert der CIA-Mitarbeiter, dass es seine Aufgabe war, den Aufstieg der kommunistischen Partei PCI zu verhindern: Neben Kommunisten wurden auch gegen die katholischen Sozialdemokraten politische Schmutzkampagnen geführt, wobei die CIA die Mitte-Partei der katholischen Demokraten (DCI, Democrazia Cristiana Italiana) finanzierte, um ein politisches Klima im Interesse der Amerikaner zu konstruieren. Die Aktivitäten der CIA seien dabei so effektiv durchgeführt worden, dass selbst die Nutznießer der CIA-Unterstützung nicht sicher waren, woher die Hilfe genau stammte.66

Anhand Colbys Aussagen wird klar ersichtlich, dass die amerikanische Regierung sich im großen Stil in die italienische Innenpolitik einmischte. Dabei sticht vor allem die vom italienischen und amerikanischen Geheimdienst gemeinsam geführte Operation Demagnetize hervor, bei der auch Gladio-Strukturen ins Spiel kamen: Unter Führung des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes wurde beschlossen, die „scheinbar magnetische Anziehungskraft des Kommunismus“ in Italien und anderen europäischen Ländern zu schwächen. Die Einschränkung der Stärke der Kommunisten in Italien wurde zur höchsten Priorität erklärt und sollte auch unter der Einbeziehung terroristischer Mittel erreicht werden.67

Als 1961 jedoch John F. Kennedy das Amt des amerikanischen Präsidenten antrat, änderte sich die Haltung gegenüber der italienischen Politik: Der junge Präsident sympathisierte mit den

65 Ilari: Il generale. S. 77ff. 66 Colby, William: Honorable Man: My life in the CIA. New York 1978. S. 110. Zit. in: Daniel Ganser: NATO- Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Zürich 2016. S. 120f. Im Folgenden zitiert als: Ganser: NATO-Geheimarmeen. 67 Brief des Pressechefs der NATO, Lee McClenny, vom 2.5.2001. Zit. in: Ganser: NATO-Geheimarmeen. S. 121. 23

italienischen Sozialdemokraten und nahm somit eine Haltung ein, die jener des CIA-Direktors John McCone sowie des US-Außenministers Dean Rusk entgegenstand. Obwohl Rusk den Präsidenten davor warnte, dass der italienische PIS-Chef den Abbau amerikanischer Stützpunkte in Italien und die Bekämpfung von Imperialismus und Kapitalismus forderte, war Kennedy davon überzeugt, dass Italien eine sozialistische Demokratie wünsche – und dass diese Wünsche zu respektieren seien.68

Tatsächlich fuhren die Kommunisten und die Sozialdemokraten bei den italienischen Parlamentswahlen 1963 große Erfolge ein: Gemeinsam hielten die beiden Linksparteien 39% der Stimmen und damit die relative Mehrheit. Die italienische Linke jubelte, der politisch mitte- links zu verortende Ministerpräsident Aldo Moro (DCI) versprach den Sozialisten einen Ministerposten. Kennedy selbst schien über diese Entwicklungen erfreut, besuchte im Sommer 1963 Italien und wurde herzlich empfangen.69

Als die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Moro einen Ministerposten erhielten, verlangen jedoch in weiterer Folge auch die Kommunisten – um das Wahlergebnis adäquat zu repräsentieren – in die Regierung aufgenommen zu werden. Unter anderem fand aus diesem Grund 1963 eine Großdemonstration der Baugewerkschaft in Rom statt, was die CIA alarmierte: Angeblich gaben sich einige Gladio-Agenten als Exekutivbeamte und Zivilisten aus, um die Demonstration gewaltsam zu zerschlagen, wobei etwa 200 kommunistische Demonstranten verletzt wurden.70

Doch dies scheint eine der harmloseren Interventionen des Geheimdienstprojektes in die italienische Innenpolitik gewesen zu sein. Ganser beschreibt, dass nach dem Tod Kennedys und damit nach der Wiederaufnahme einer explizit antikommunistischen Geheimdienstpolitik ein rechtsgerichteter, paramilitärischer Staatsstreich durch die Gladio-Organisation durchgeführt worden wäre: Unter dem Decknamen der Operation Piano Solo sollen Gladio- Agenten 1964 auf Befehl des SIFAR-Chefs De Lorenzo angewiesen worden sein, in den Büros der DCI sowie den Zentralen mehrerer Tageszeitungen Sprengstoffe zu platzieren und detonieren zu lassen, um unter falscher Flagge die italienischen Kommunisten und Linke dafür verantwortlich zu machen und sie öffentlich zu diskreditieren. Des Weiteren sollten Gladio- Operateure, als die Bombenanschläge die amtierende Regierung nicht sonderlich erschütterten, im März 1964 auf De Lorenzos Signal Regierungsgebäude, Kommunikationszentralen, die

68 Ibid. S. 122. 69 Ibid. S.123. 70 Mecklenburg, Jens: Gladio: Die geheime Terrororganisation der NATO. Berlin 1997. S. 30f. 24

Quartiere der linksgerichteten Parteien Italiens sowie Büros aller größeren Medienproduzenten besetzen. Tatsächlich wies Lorenzo die Gladio-Truppen am 14. Juni 1964 an, im Zuge eines großangelegten NATO-Manövers in der Region um Rom unter dem Kommando General Renzo Roccas in die Stadt einzumarschieren, wo sich die Truppen als Teil einer Militärparade zum 150. Jahrestag der Carabinieri schwer bewaffnet in der Stadt postierten. Die Gladio-Truppen blieben mitsamt schwerem Gerät bis Ende Juni in der Stadt stationiert. Zwar wurden von ihnen keine Gebäude besetzt, die offene politische Drohung des Geheimdienstes unter De Lorenzo trug aber Früchte: Die sozialistischen Minister der Regierung traten von ihren Ämtern zurück, um gemäßigten, konservativen Kollegen Platz zu machen.71

Eine vergleichbare Entwicklung soll sich 1970 angebahnt haben: Im Zuge der Operation Tora Tora, die ihre Namensgebung der Einbeziehung von NATO-Kriegsschiffen in Anlehnung an die japanische Attacke auf Pearl Harbor verdankt, sollten unter der Leitung des italienischen Faschisten Julio Valerio Borghese, der eng mit der CIA zusammenarbeitete, kommunistische und sozialdemokratische Politiker, Journalisten und politische Aktivisten festgenommen werden, um per Schiff nach Sardinien zur Operationszentrale des CAG verfrachtet und dort Befragungen unterzogen zu werden. Ganser beschreibt, wie sich angeblich mehrere hundert bewaffnete Männer – darunter Gladio-Agenten – im Land verteilten, um auf Befehl das italienische Innenministerium, das Verteidigungsministerium, Radio- und Fernsehtürme sowie Sesto San Giovanni, einen Arbeitervorort und Hochburg der Kommunisten, zu besetzen. Dazu kam es jedoch nicht: Borghese soll in der Nacht des 8. Dezembers einen Anruf erhalten haben, mit dem der Gladio-Putsch gestoppt wurde. Ganser beantwortet die Frage danach, warum die Aktion so kurzfristig abgesagt wurde, damit, dass Geheimdienst und Armee der UdSSR von den Umsturz-Plänen erfahren hätten und als Antwort Flottenteile ins Mittelmeer verlegten. Zwar untermauern italienische Parlamentsberichte, dass ein Putsch mithilfe der Gladio-Struktur in die Wege geleitet wurde, Informationen über die Verlegung der Sowjet-Flotte ins Mittelmeer als Antwort auf diese Bestrebungen sind jedoch nur auf Aussagen zweier italienischer Mafiosi zurückzuführen, die in dieser Zeit für die CIA gearbeitet haben sollen.72

Für den Mitte-links Politiker und Ministerpräsidenten Italiens, Aldo Moro (DCI), endete das Zugehen auf die aufstrebenden linken politischen Kräfte des Landes tödlich: Als bei den Parlamentswahlen 1976 die kommunistische PCI ein historisch erfolgreiches Wahlergebnis verbuchen konnte, plante der ehemalige Ministerpräsident und amtierende Vorsitzende der DCI

71 Ganser: NATO-Geheimarmeen. S. 123f. 72 Ibid. S. 130ff. 25

mit den Kommunisten einen historischen Kompromiss einzugehen. Als er sich am 16. März 1978, begleitet von Leibwächtern, in seinem Fahrzeug auf dem Weg zum italienischen Parlament befand, um vorzuschlagen, die Kommunisten in die Regierung aufzunehmen, wurde von einem vorbeifahrendem weißen Fiat aus auf ihn und seine Begleiter geschossen. Alle Leibwächter Moros starben durch die Schüsse am Ort des Anschlages, Moro selbst wurde für 55 Tage als Geisel festgehalten und schließlich durch mehrere Schusswunden getötet im Kofferraum eines Fahrzeugs, das symbolisch zwischen den Parteizentralen von DCI und PCI abgestellt worden war, aufgefunden. Umgehend wurde die linksradikale Rote Brigade, eine 1970 in Mailand gegründete kommunistische Untergrundorganisation, für das Verüben des Verbrechens beschuldigt, wobei in kürzester Zeit Millionen von Italienern verhört wurden und über 37.000 Hausdurchsuchungen stattgefunden haben.73

Als eine Untersuchungskommission des italienischen Senates die CIA sowie die Gladio- Struktur verdächtigte, eine wesentliche Rolle im Mord an Moro gespielt zu haben, musste sie feststellen, dass alle relevanten Akten im Innen- und Verteidigungsministerium verschwunden waren und folgerte daraus, dass der Mord am Vorsitzenden der DCI ein Vorwand gewesen war, um die Rote Brigade als Sündenbock für politische Interventionen zu instrumentalisieren. Bemerkenswert ist dabei ebenfalls, dass die amerikanische Regierung jede Hilfe bei der Aufklärung des Mordes verweigerte.74

Auch im Zuge der Terroranschläge in Bologna 1980 hatten angeblich Gladio-Agenten als verlängerter Arm der NATO ihre Finger im Spiel: Die Anschläge diskreditierten die Kommunisten endgültig in der öffentlichen Wahrnehmung, wenngleich keine schlüssigen Beweise vorliegen, um die die Drahtzieher zu bestimmen.75

73 Ibid. S. 136. 74 Ibid. S. 137. 75 Ganser, Daniel: Fear as a Weapon. The effects of psychological warfare on domestic and international politics. In: World Affairs. The Journal of International Issues (11/2005). S. 28-44. Hier: S. 34f. 26

3.1.6 Zusammenfassung

Der Grundstein für Gladio wurde bereits während des Zweiten Weltkriegs gelegt: Durch die Rolle der unterschiedlichen Partisanengruppen Italiens und den schwelenden politischen Konflikt der Nachkriegsjahre mit dem Nachbarstaat Jugoslawien erkannte das italienische Verteidigungsministerium früh das Potenzial der Schaffung von Einheiten, die der irregulären Kriegführung gewidmet waren.

In den Folgejahren prägt der Kalte Krieg die Innenpolitik der Republik: Vor allem der amerikanische Geheimdienst war daran interessiert, den in Italien erstarkenden Kommunismus zu verhindern, um – wie in anderen europäischen Staaten – den Einfluss der UdSSR zu minimieren.

Zu diesem Zweck begann bereits in den frühen 50er Jahren eine enge Kooperation des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes mit den Italienern, die sich, anstatt mit anderen Staaten Europas stärker zu kooperieren, an die Großmacht jenseits des Atlantiks banden. In Folge bot die CIA Finanzierung und Ausbildungsmöglichkeiten für die neu entstehende Stay- Behind-Struktur in Italien, Operation Gladio.

Obwohl aus den zahlreichen offiziellen Dokumenten, vor allem Parlamentsberichten der Untersuchungsausschüsse, nur wenige Eingriffe in die italienische Innenpolitik bewiesen werden können, zeigt vor allem der Historiker Daniel Ganser auf, wie weitreichend das klandestine Netzwerk in antikommunistische und rechtsextreme Bestrebungen, in der Italienischen Republik den Einfluss der Sowjetunion zu minimieren, involviert war – vermutete Staatsstreiche, Anschläge unter falscher Flagge und Morde inklusive.

Letztlich geben diese Entwicklungen einzigartige Einblicke in die Innen- und Außenpolitik Italiens während des Kalten Krieges sowie in die Intensivität, mit der die NATO in europäischen Staaten während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdeckte Operationen leitete.

27

3.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und -Strukturen in Italien

Um die öffentlichen Reaktionen auf die Aufdeckung von Stay-Behind-Plänen und -Strukturen in Italien abzubilden, ist es notwendig, die Vorgeschichte der Offenlegungen des Ministerpräsidenten Giulio Andreotti einzubeziehen. Aus diesem Grund werden in einem ersten Schritt die politisch motivierten Terroranschläge der 1970er und 1980er Jahre besprochen, wobei ein besonderer Fokus auf die Rolle der Attentate in Peteano 1972 und Bologna 1980 im Hinblick auf deren Bedeutung für die Offenlegung der klandestinen Untergrundorganisation gelegt wird.

Im Folgenden soll eine Beschreibung der Ermittlungen des Richters Felice Casson und der damit in Verbindung stehenden Reaktionen der italienischen Presse die Rolle dieser Entwicklung für die 1988 ins Leben gerufene parlamentarische Untersuchungskommission verdeutlichen.

Schließlich wird anhand einer chronologischen Darstellung der Geschehnisse des Jahres 1990 auf die Reaktionen der italienischen Bevölkerung und jener der Medien eingegangen. Weiters soll ein kurzes Unterkapitel die internationale Dimension des Skandals und die Folgen für die italienische Innenpolitik behandeln.

3.2.1 Linker oder rechter Terror? Anschläge erschüttern Italien Am 28. Mai 1974, zwei Jahre nach dem Anschlag in Peteano, explodierte eine Bombe inmitten einer antifaschistischen Demonstration in Brescia; acht Menschen wurden getötet, 102 verletzt.76 Ein weiterer Anschlag im August 1974 wurde auf einen Zug von Rom nach München, den Italicus Express, verübt; zwölf Menschen wurden getötet, 48 verletzt.77 Die politisch motivierten Anschläge in Italien gipfelten schließlich am Tag der Republik, dem italienischen Nationalfeiertag am 2. August 1980: Eine gewaltige Explosion zerstörte einen Aufenthaltsraum des Zugbahnhofs in Bologna. Die Bombe brachte insgesamt 85 Menschen ums Leben, weitere 200 wurden verletzt. Jener Anschlag ging als einer der größten und schrecklichsten in die Geschichte der bisher verübten Terroranschläge in Europa ein.78

76 Bomba contro un comizio antifascista. Sei morti e oltre novanta feriti a Brescia. In: Corriere Della Sera, 29.5.1974. S. 1. 77 Sono dodici le vittime de'll attentato. In: Corriere Della Sera, 5.8.1947. S. 1. 78 Salta in aria la stazione di Bologna. 76 morti, 203 feriti: è un attentato? In: La Stampa, 3.8.1980. S. 1. 28

Die italienischen Medien waren bereits in den Jahren davor voll von ähnlichen Meldungen aus dem In- und Ausland. Prominente europäische Vertreter des linksextremen Terrors, wie die Brigate Rosse, eine 1970 gegründete linksextreme Untergrundorganisation, und die deutsche Rote Armee Fraktion (RAF), waren überzeugt davon, dass Gewaltanwendung

Abbildung 2: Spuren der Verwüstung in Bologna notwendig war, um die bestehenden Machtverhältnisse zu verändern. Die deutschen wie die italienischen Linksextremen griffen jedoch meist nicht große Menschenversammlungen an, sondern wählten Ziele aus, deren Stellvertreterstatus für den „Staatsapparat“ ihren Taten besonderen Symbolcharakter verleihen sollte. Oftmals wurden Banker, Generäle und Minister entführt und getötet. Im Verlauf der 1970er Jahre kosteten die Anschläge der Brigate Rosse 75 Menschenleben. Die vom italienischen Staat zur Verfügung gestellten Zahlen machen das Ausmaß des politischen Terrors deutlich: Vom 1. Jänner 1969 bis zum 31. Dezember 1987 wurden in der Republik Italien 14.591 politisch motivierte Gewaltakte verzeichnet, die meist auf links- oder rechtsextreme Gruppierungen zurückzuführen waren.79

Mehr als zehn Jahre vor dem Anschlag in Bologna, in einem Wald wenige Kilometer vom italienischen Dorf Peteano entfernt, explodierte am 31. Mai 1972 eine Autobombe. Der Sprengsatz verwundete einen und tötete drei Carabinieri, die paramilitärischen Polizei Italiens. Die Polizisten wurden durch einen anonymen Telefonanruf dazu veranlasst, einen abgestellten Fiat 500 zu kontrollieren, beim Öffnen der Motorhaube detonierte schließlich der Sprengsatz. Wenige Stunden nach dem Anschlag ging ein weiterer anonymer Anruf bei der italienischen Polizei ein: Die Brigate Rosse bekannte sich demnach zu dem Bombenattentat.80 Nach dem ersten Schock blieb es um die Ermittlungen in den Medien still.

Zwölf Jahre später, 1984, stieß der italienische Richter Felice Casson durch Zufall auf Unterlagen, welche deutlich machten, dass im lange ruhenden Fall um den Bombenanschlag in

79 Ganser, Daniel: NATO’s secret armies. Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. London 2004. S. 4f. Im Folgenden zitiert als: Ganser: NATO’s secret armies. 80 Voleva uccidere i 3 carabinieri chi mise la bomba nella „500“. In: La Stampa, 1.6.1972. S. 1. 29

Peteano eine Reihe von Fehlern und Fälschungen die Ermittlungen als unschlüssig erscheinen ließen. Unter anderem fand Casson heraus, dass keine polizeiliche Untersuchung des Anschlagsortes stattgefunden hatte und die Autobombe, die jener Bauart entsprach, welche die Brigate Rosse des Öfteren verwendet hatte, sich ebenfalls als Fälschung herausstellte. Der Sprengstoffexperte der italienischen Exekutive, Marco Morin, hatte vorsätzlich ein unrichtiges Gutachten abgegeben: Wie sich herausstellte, war der Sachverständige Mitglied einer rechtsextremen Organisation namens Ordine Nuovo, welche im Kontext des Kalten Krieges den italienischen Kommunismus bekämpfte. Richter Casson war es möglich zu beweisen, dass für den Bombenanschlag, entgegen Morins Gutachten, C-4 verwendet worden war – der zu dieser Zeit bei weitem potenteste Sprengstoff, welcher auch von der NATO genutzt wurde. In seinen weiteren Ermittlungen war Casson in der Lage in Erfahrung zu bringen, dass am 24. Februar 1974 eine Gruppe von Carabinieri durch Zufall auf ein unterirdisches Lager in der Nähe von Triest gestoßen war, in welchem Waffen, Munition und C-4-Sprengstoff, dessen Beschaffenheit mit jenem für die Autobombe in Peteano verwendeten vergleichbar war, gelagert wurden.81

Casson fuhr mit seinen Recherchen fort und stellte fest, dass nicht die linksextreme Terrororganisation Brigate Rosse, sondern die rechtsextreme Gruppierung Ordine Nuovo in enger Zusammenarbeit mit dem italienischen Nachrichtendienst SID (Servizio Informazioni Difesa, Nachfolger des SIFAR) in den Anschlag von Peteano involviert war. Zusammen führten die beiden Organisationen eine Attacke unter falscher Flagge aus, um die italienischen Kommunisten zu schwächen. Felice Casson konnte Vincenzo Vincguerra als jenen Mann identifizieren, der die Bombe selbst gelegt hatte. Dieser sagte schließlich in einer Befragung aus, dass ein großes Netzwerk in Italien und im Ausland bestand, wodurch er entkommen konnte. Dabei beschuldigte er unter anderem die Carabinieri, den Innenminister, den italienischen Zoll sowie die Nachrichtendienste der Republik, welche alle hinter dem Bombenanschlag gestanden hatten.82 Zwar wurde die Geschichte über die Festnahme von Vincguerra aufgegriffen, zu einer „großen Story“ wurde die Festnahme aber vorerst nicht, wie einer der beiden kurzen Berichte über die Geschehnisse der Tageszeitung La Stampa aus dem Jahr 1984 verdeutlicht.83

81 Ganser: NATO’s secret armies. S. 3. 82 O’Shaughnessy, Hugh: Gladio. Europe’s nest kept secret. In: The Observer, 7.7.1992. 83 Per la strage di Peteano una decina di arresti sono estremisti di destra. In: La Stampa, 25.1.1984. 30

Doch bereits zehn Jahre zuvor wurde der italienischen Öffentlichkeit bekannt, dass ein Stay- Behind-Netzwerk in die Struktur des Nachrichtendienstes SID integriert war: Der Richter Giovanni Tamburino ließ 1974 den General Vito Miceli, den Leiter des Servizio Informazioni Difesa (SID), festnehmen, um im Zuge der Ermittlungen zu rechtsextremem Terrorismus zu weiteren Erkenntnissen zu kommen. Tamurino warf dem General vor, eine Geheimorganisation bestehend aus Militärs und Zivilisten aufgebaut zu haben, um eine Verfassungsänderung bezüglich der Regierungsform der Ersten Republik durchzusetzen. Miceli gab der Öffentlichkeit im Zuge des Verfahrens zu verstehen, dass zwar eine Geheimorganisation existieren würde, diese jedoch nicht unter seinem Kommando stünde: Die NATO hätte das Netzwerk aufgebaut. Ein großer medialer Aufschrei folgte dem Verfahren nicht; nach dem Prozess verbrachte der General nur sechs Monate in einem Militärkrankenhaus, bevor er wieder freikam.84

3.2.2 Gladio wird öffentlich Bereits in den 70er und 80er Jahren schien es den italienischen Linksparteien verdächtig, dass mit erschreckend hoher Frequenz Anschläge verübt wurden, ohne dass die Täter oder die Hintermänner identifiziert werden konnten. Zwar hegten vor allem die italienischen Kommunisten, welche bei den Parlamentswahlen von 1987 immerhin mit knapp 27%85 der Wählerstimmen zweitstärkste Kraft wurden, den Verdacht, dass die USA antikommunistische Bestrebungen in Italien unterstützten, konnten diese Theorie aber nie beweisen.86

Im Jahr 1988 veranlasste der italienische Senat schließlich, dass eine parlamentarische Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Senator Libera Gualtieri den politisch motivierten Terror und den Grund, warum die Drahtzieher nicht ausfindig gemacht werden konnten, untersuchen sollte. In den ersten Jahren der Ermittlung stellte sich die Arbeit für den Ausschuss jedoch als sehr schwierig heraus: Geladene Zeugen verweigerten Aussagen und Dokumente wurden vorsätzlich vernichtet.87 Der Druck der italienischen Öffentlichkeit schien sich aber bereits Jahre zuvor stetig zu erhöhen: Spätestens mit dem Geständnis des Attentäters von Peteano, Vincenzo Vincguerra, wurde klar, dass die Drahtzieher der Terroranschläge stark mit den öffentlichen Strukturen der Italienischen Republik verbunden waren. Am 1. Mai 1985 erschien diesbezüglich ein ausführlicher Bericht in der italienischen Tageszeitung La

84 Ganser: NATO’s secret armies. S. 8. 85 International Organsiation of Parliaments: Results of the Elections and Distribution of Seats in the Chamber of Deputies 1987. S. 3. (URL= http://www.ipu.org/parline-e/reports/arc/ITALY_1987_E.PDF) [Zugriff am 30.5.2017]. 86 Ganser: NATO’s secret armies. S. 6. 87 Ibid. 31

Repubblica mit dem Titel „Peteano, un terrorista accusa il vecchio sid“ (dt.: Peteano, ein Terrorist beschuldigt den alten SID). Darin wird berichtet, wie der bereits für eine versuchte Flugzeugentführung in Ronchi dei Legionari verurteilte Vincguerra gegenüber Richter Casson angab, dass der SID durch die Verbindung zur Gruppierung Ordine Nuovo jederzeit in der Lage war, alle für den Bombenanschlag in Peteano Verantwortlichen zu identifizieren.88 Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte der rechtsextreme Terrorist die italienische Öffentlichkeit mit der vagen Aussage verblüfft, dass westliche Geheimdienste für die Autobombe in Peteano mitverantwortlich wären.89 Den Richter Felice Casson veranlassten diese Informationen schließlich dazu, im Jänner 1990 eine Anfrage an das italienische Parlament zu richten: Er bat um die Möglichkeit, auf die Archive des italienischen Militärgeheimdienstes SID zugreifen zu können. Dadurch sollte geklärt werden, ob und inwiefern die Organisation in politisch motivierte Anschläge der letzten Jahre involviert war. Schließlich wurde Casson – mit Einverständnis des damaligen italienischen Regierungschefs Giulio Andreotti – die Erlaubnis erteilt, im Palazzo Braschi, dem Hauptquartier und Standort der Archive des SID, Recherchen zu betreiben. Dieser Ort war es auch, an dem der Richter auf Dokumente stieß, welche erstmals das Stay-Behind-Netzwerk mit dem Decknamen Gladio und dessen Verflechtung mit der italienischen Innenpolitik offenlegten. Weiters machten Cassons Recherchen klar, dass das Militärbündnis NATO unter amerikanischer Führung rechtsextreme Terroranschläge in ganz Europa unterstützt hatte. Casson teilte seine Erkenntnisse mit der parlamentarischen Untersuchungskommission unter der Leitung des Senators Libero Gualtieri. Im wurde die Ermittlung der Kommission auch auf das Stay-Behind-Netzwerk ausgeweitet, da es als Schlüsselelement der politisch motivierten Anschläge der letzten Jahrzehnte angesehen wurde.90

Am 2. August 1990, dem zehnten Jahrestag des Anschlages in Bologna, wurde Ministerpräsident Giulio Andreotti vom italienischen Senat dazu aufgefordert, das Parlament und die Öffentlichkeit innerhalb von 60 Tagen über alle paramilitärischen Strukturen der Italienischen Republik, deren Zweck und den Einfluss auf die italienische Innenpolitik aufzuklären. Das mediale Echo war gewaltig, alle italienischen Medien berichteten am folgenden Tag über die Weisung des Senates. Auch die italienische Bevölkerung reagierte empört, jene Bolognas sogar mit Demonstrationen; der Corriere della Sera titelte am 3. August: „Bologna in piazza: non concellate la strage“ (dt.: Bologna auf der Straße: Das Massaker wird

88 Cecchetti, Giorgio: Peteano, un terrorista accusa il vecchio sid. In: La Repubblica, 1.5.1985. 89 Si allarga ai servizi l'inchiesta sulla strage di Peteano. In: La Repubblica, 30.12.1984. 90 Ganser: NATO’s secret armies. S. 9. 32

nicht vergessen).91 Verschärft wurde die Stimmung vor allem dadurch, dass Andreotti auf Ansuchen des Parlamentariers Giuseppe Umberto „Pino“ Rauti, Vorsitzender der neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (MSI), von der Überschrift92 der Marmor- Gedenktafel am Zugbahnhof Bolognas das Adjektiv „faschistische“ vor dem Wort „Anschläge“ streichen lassen wollte. Wirkungsvoll brachte Andreotti diesen Vorschlag während seiner Rede am Bahnhof von Bologna kurz nach einer Schweigeminute für die Opfer ein. Die Tageszeitung La Stampa widmete dem Geschehen einen Bericht auf der Titelseite: „Via dalla lapide la parola fascista“. In diesem Beitrag wird neben einem Bericht über die Demonstration in Bologna die Forderung der parlamentarischen Untersuchungskommission an Ministerpräsident Andreotti ausführlich thematisiert.93

Abbildung 3: Gedenktafel am Zugbahnhof Bolognas, 1980 Am 3. August 1990 trat Andreotti bereits vor die parlamentarische Untersuchungskommission: Erstmals in der Geschichte der Ersten Republik erklärte ein Mitglied der Regierung der Öffentlichkeit, dass eine Geheimorganisation mit engen Verbindungen zur NATO in Italien existiere. Den Abgeordneten versicherte er, dass er binnen 60 Tagen einen Bericht über die Struktur der Organisation vorlegen würde:94

„Ich werde der Kommission einen sehr detaillierten Bericht vorlegen, der bereits vom Verteidigungsministerium vorbereitet wird. Dieser umfasst die Aktivitäten basierend auf NATO-Planungen, welche als Vorbereitung für den Angriff und die Besetzung Italiens oder Teilen Italiens begonnen haben. Soweit ich durch die Geheimdienste informiert wurde, haben diese Aktivitäten bis 1972 angedauert. Ab diesem Zeitupunkt wurden sie nicht mehr für notwendig erachtet. Ich werde der Kommission alle notwendigen Dokumente – über die Problematik im Allgemeinen, oder über die speziellen Untersuchungsergebnisse des Richters Casson im Kontext seiner Ermittlungen bezüglich dem Massaker von Petenao – vorlegen.“

91 Bologna in piazza: non concellate la strage. In: Corriere della Sera, 3.8.1990. S. 1. 92 Die Überschrift „Vittime del terrorismo fascista“ stand über einer Liste der Opfer des Bombenanschlages vom 2. August 1980 in Bologna. 93 Bonsanti, Sandra: Via dalla lapide la parola fascista. In: La Repubblica, 3.8.1990. S. 1. 94 Zit. in: Coglitore, Mario: La notte dei Gladiatori. Omissioni e silenzi della Repubblicca. Padua 1992. S.131. 33

Aus der Erklärung des Ministerpräsidenten ist besonders hervorzuheben, dass „diese Aktivitäten bis 1972“ gedauert hätten: 1974 hatte Andreotti, damals Verteidigungsminister, der italienischen Öffentlichkeit versichert, dass kein geheimes Untergrund-Netzwerk, welches Einfluss auf die Innenpolitik ausübt, bestehen würde.95

Am folgenden Tag waren die italienischen Printmedien voll von Berichten über Andreottis Zusage: Die Tageszeitung La Repubblica berichtete mit dem Artikel „Una struttura segreta NATO“ ausführlich über die Geschehnisse in Bologna am 2. August sowie das Versprechen des Ministerpräsidenten, binnen zwei Monaten für Klarheit über Stay-Behind-Netzwerke zu sorgen, deren Existenz nun von offizieller Seite bestätigt wurde.96 Auch La Stampa widmete Andreottis Rede vor den Trauernden in Bologna und der Kommission am 3. August einen umfangreichen Artikel.97

3.2.3 Operation Giulio – Der Ministerpräsident und die Medien 1990 Der damals 71 Jahre alte Ministerpräsident Andreotti galt in den vergangenen Jahrzehnten als der personifizierte Widerstand gegen die erstarkende kommunistische Partei Italiens (PCI). Obwohl die Geschichte der Ersten Republik eine von häufig wechselnden Regierungen war, wusste Giulio Andreotti sich durchgehend zu behaupten: Durch geschickte Politik war der an 33 Regierungen beteiligte Vertreter der christlich-konservativen Demokraten (Democrazia Cristiana, DC) zu einem Fixpunkt der italienischen Innenpolitik geworden. Der gebürtige Römer wurde von vielen Bewunderern mit Julius Caesar verglichen – seine Kritiker hielten ihn jedoch für einen Politiker, der im Hintergrund an den Fäden der italienischen Innenpolitik zog. Von ihnen bekam er auch in Anlehnung an den Mafia-Film Good Fellows den Spitznamen „Der Onkel“ (Zio Giulio) verliehen.98 Die Unantastbarkeit Giulio Andreottis begann aber spätestens mit dem 3. August 1990 zu bröckeln: Als die italienische Presse im Laufe des Sommers 1990 immer mehr Informationen über das antikommunistische Stay-Behind- Abbildung 4: Giulio Andreotti Netzwerk ans Licht brachte, wandte sich der Ministerpräsident wie nie zuvor in seiner

95 Vulliamy, Ed: Secret agents, freemasons, fascists... and a top-level campaign of political 'destabilisation'. In: The Guardian, 5.12.1990. S. 12. 96 d’Avanzo, Giuseppe: Una struttura segreta NATO. In: La Repubblica, 4.8.1990. S. 1. 97 Andreotti l'Est non ha aiutato le Br [Anm.: Brigate rosse]. In: La Stampa, 4.8.1990. S. 1. 98 Ganser: NATO’s secret armies. S. 10. 34

politischen Karriere öffentlich an internationale Kontakte.99 Als keine Unterstützung von europäischen oder transatlantischen Partnern sichtbar wurde, ging Andreotti in die Offensive: Er verdeutlichte öffentlich die Rolle der Amerikaner und europäischer Regierungen beim Aufbau einer antikommunistischen internationalen Organisation, welche sich nicht nur auf einen möglichen Angriff der UdSSR währen des Kalten Krieges vorbereitete, sondern eine aktive Rolle in der europäischen Innenpolitik übernahm.100

Am 18. Oktober 1990 ließ Andreotti seinen Vorbericht über die paramilitärische Organisation an den Sitz der parlamentarischen Untersuchungskommission im Palazzo Chigi, Rom, senden: Der Bote hinterlegte das Dokument am Empfang der Institution, wo Senator Roberto Ciciomessere den Text konsultieren konnte. Laut Presseberichten soll dieser erstaunt darüber gewesen sein, dass Andreotti in seinem Vorbericht zugab, dass die Stay-Behind-Organisation – entgegen den Aussagen vom 3. August – noch immer aktiv war. Dem Senator wurde jedoch eine Kopie des Textes verweigert, da gemäß dem Protokoll erst der Vorsitzende der Kommission, Senator Gualtieri, den Bericht mit seiner Erstlesung freigeben musste. Gualtieri kam jedoch nicht dazu: Ministerpräsident Andreotti kontaktierte den Kommissionspräsidenten und bat darum, den Vorbericht zu retournieren, da einige Passagen noch zu überarbeiten wären. Nachdem Gualtieri den Vorbericht kopiert hatte, sandte er das Dokument schließlich an Andreotti zurück. Der Ablauf dieser Geschehnisse wurde wenige Tage später, am 24. Oktober 1990, durch die italienische Presse öffentlich; die größten Zeitungen des Landes füllten mit den jüngsten Entwicklungen ihre Titelseiten: Der Corriere della Sera mit „Terremoto nei servizi segreti“101, La Repubblica mit dem Beitrag „Sul SID parallelo ritorna il segreto“102, La Stampa mit dem Artikel „Scontro sui servizi segreti“.103

Die Vorgehensweise des Ministerpräsidenten zog heftige Reaktionen der Medien und der Bevölkerung nach sich. In einem Artikel einer kanadischen Tageszeitung wird zusammengefasst, wie viele italienischen Printmedien, in Anlehnung an den Decknamen der Stay-Behind-Organisation „Operation Gladio“, mit dem Wortspiel „Operation Giulio“ die Stimmung gegen Andreotti aufheizten. In weiterer Folge kam es vor allem in Rom zu großen Demonstrationen; zwischen 50.000 und 400.000 Frauen und Männer gingen auf die Straße, teilweise wurden die Protestaktionen vom PCI organisiert. Der Parteivorsitzende der

99 Müller, Leo: Gladio – das Erbe des Kalten Krieges. Der Nato-Geheimbund und sein deutscher Vorläufer. Hamburg 1991. S. 26. Im Folgenden zitiert als: Müller: Nato-Geheimbund. 100 Ganser: NATO’s secret armies. S. 11. 101 Terremoto nei servizi segreti. In: Corriere della Sera, 24.10.1990. S. 1. 102 Sul SID parallelo ritorna il segreto. In: La Repubblica, 24.10.1990. S. 1. 103 Scontro sui servizi segreti. In: La Stampa, 24.10.1990, S. 1. 35

Kommunisten, Achille Occhetto, richtete an der Piazza del Popolo folgende Worte an die demonstrierenden Römer: „Wir sind hier, um die Wahrheit und Transparenz zu bekommen!“104

Am 24. Oktober ließ Andreotti der parlamentarischen Untersuchungskommission seinen revidierten Bericht zukommen. Kommissionspräsident Gualtieri musste feststellen, dass alle Hinweise auf die internationale Dimension des Stay-Behind-Netzwerks aus dem Text verschwunden waren. In seinem abgeänderten Bericht erklärte der italienische Ministerpräsident, dass die Stay-Behind-Struktur unter dem Decknamen Gladio eine geheime Widerstandsorganisation gewesen sei, welche in NATO-Strukturen integriert in ganz Westeuropa den Zweck verfolgte, einer sowjetischen Invasion nicht ohne Vorbereitung gegenüberzustehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der Vorläufer des SID mit der amerikanischen CIA eine Vereinbarung über den Aufbau eines Netzwerks getroffen, das nach der Besetzung italienischen Gebietes aktiv werden sollte. Nach dem Entstehen dieser Struktur sei Italien dazu eingeladen worden, im Clandestine Planning Committee (CPC) der NATO unter der Führung des Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) mitzuarbeiten. Mit dem Jahr 1964 wurden die italienischen Geheimdienste auch im Allied Clandestine Committee (ACC) aktiv. Wie die Öffentlichkeit weiters erfuhr, war das Stay-Behind-Netzwerk auch gut bewaffnet: Der Bericht Andreottis erwähnte 139 Waffen- und Munitionslager auf italienischem Staatsgebiet.105 Mit der Veröffentlichung dieser Informationen ging nicht nur ein Aufschrei der Empörung durch die italienische Öffentlichkeit, es begann auch eine Jagd auf die geheimen Waffen- und Munitionslager. Daniel Ganser zitiert den italienischen Priester Padre Giuciano, der von der italienischen Presse auf Waffenlager innerhalb des Geländes der von ihm betreuten Kirche aufmerksam gemacht worden war:106

„Ich wurde am Nachmittag vorgewarnt, als zwei Journalisten von Il Gazzettino mich fragten, ob ich etwas über Waffenlager in meiner Kirche wusste. Sie begannen hier zu graben und fanden sofort zwei Kisten. Dann besagte der Text [Anm.: schriftliche Anleitungen zur Verortung der Lager] auch, dass 30 Zentimeter vom Fenster entfernt ein weiteres Versteck sei. Also kamen sie und begannen zu graben. Eine Kiste wurde zur Seite gestellt, weil sie eine Phosphorbombe enthielt. Sie schickten die Carabinieri hinaus, während zwei Experten die Kiste öffneten. Zwei andere Kisten enthielten Maschinengewehre. Alle Gewehre waren ganz neu und in hervorragendem Zustand. Sie waren nie benutzt worden.“

104 50,000 seek truth about secret team. In: The Toronto Star, 18.11.1990. 105 Ferraresi, Franco: A secret structure codenamed Gladio. In: Italian Politics. A Review. London 1992. S. 30. Im Folgenden zitiert als: Ferraresi: Gladio. 106 Ganser: NATO’s secret armies. S. 12. 36

Ebenfalls am 24. Oktober richtete der Ministerpräsident eine Regierungserklärung an das italienische Parlament, in der er erklärte: „Jeder [Anm.: italienische] Regierungschef ist über die Existenz von Gladio unterrichtet worden“. Damit wurden der Chef der Sozialisten, Bettino Craxi (Ministerpräsident 1983–87), der DC-Sekretär Arnaldo Forlani (1980–81), der Präsident des Senates, Giovanni Spadolini (1981–82), und der amtierende Staatspräsident, Francesco Cossiga (1978–79), ebenso kompromittiert.107 Craxi wurde unmittelbar zum Ziel für die Presse: Bereits am 25. Oktober veröffentlichte La Repubblica einen ausführlichen Bericht über die Leitfigur der italienischen Sozialisten, spekulierte über seine Verstrickung in das Stay-Behind- Netzwerk und warf ihm Gesetzesbruch vor.108 Bettino Craxi leugnete seine Beteiligung, bis er schließlich mit einem Gladio-Dokument konfrontiert wurde, welches seine Unterschrift trug.109

Andreotti, nun unter medialem Sperrfeuer, hielt am 9. November eine weitere Rede vor der italienischen Legislative: In dieser betonte er erneut die Führungsrolle der NATO sowie der USA und wies darauf hin, dass in anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Griechenland, Frankreich und Belgien parallel Stay-Behind-Netzwerke nach demselben Prinzip errichtet worden waren und aktiv wären. Um diesmal ein Schweigen der von ihm beschuldigten Kollaborateure zu verhindern, wurden der italienischen und internationalen Presse klassifizierte Dokumente zugespielt. Andreottis der parlamentarischen Untersuchungskommission übergebener Vorbericht wurde in voller Länge im italienischen Magazin Panorama veröffentlicht. Als die französische Regierung die Beteiligung an einem durch die NATO koordinierten Bemühen, Stay-Behind-Netzwerke zu errichten, dementierte, konterte Andreotti, dass die letzte Sitzung des ACC am 23. und 24. Oktober 1990 stattgefunden hatte und Frankreich daran beteiligt gewesen war.110 Die italienischen Medien hatten Lunte gerochen; nach der Veröffentlichung von Andreottis Vorbericht gab es wenig andere Themen auf den Titelseiten der italienischen Presse. Nach dem Schock folgten viele Fragen, vor allem danach, wie das antikommunistische Stay-Behind-Netzwerk mit der italienischen Verfassung zu vereinbaren sei.111

Von allen in den Skandal verwickelten Politikern war es aber nur der seit 1985 amtierende italienische Staatspräsident Francesco Cossiga, der sich umgehend zu den Anschuldigungen äußerte: Während einer offiziellen Auslandsreise nach Schottland gab er an, „stolz und

107 Müller: Nato-Geheimbund. S. 27. 108 Geremicca, Federico: Oggi Craxi apre la crisi? In: La Repubblica, 25.10.1990. 109 Ganser: NATO’s secret armies. S. 13. 110 Ibid. S. 14. 111 Ferraresi: Gladio. S. 31. 37

glücklich“ über seine Beteiligung am Aufbau der Stay-Behind-Struktur zu sein; in den 50er Jahren hatte Cossiga das Amt des Verteidigungsministers inne. Weiters erklärte er, dass alle an dem klandestinen Unternehmen Beteiligte „gute Patrioten“ seien und er es für „ein großes Privileg und einen Akt des Vertrauens halte“, dass er für diese Aufgabe ausgesucht worden war:112

„Ich wurde für diese spezielle Aufgabe ausgewählt… Ich muss sagen, dass ich stolz auf die Tatsache bin, dass wir das Geheimnis für 45 Jahre bewahrt haben.“ Durch diese Äußerungen sah sich der Präsident bei seiner Rückkehr nach Italien mit einer Reihe von Vorwürfen konfrontiert: Vor allem fanden sich Stimmen über alle Parteien hinweg, die seinen Rücktritt verlangten. Der Richter Felice Casson lud Staatspräsident Cossiga in weiterer Folge zu einer Anhörung vor die parlamentarische Untersuchungskommission. Cossiga aber verweigerte dies und ging noch weiter: Er drohte damit, das italienische Parlament aufzulösen und die Untersuchungskommission bezüglich der terroristischen Anschläge in Italien und des Stay-Behind-Netzwerks abzusetzen.113 Bald darauf begannen Kritiker öffentlich, die geistige Gesundheit des Staatspräsidenten anzuzweifeln; weniger als zwei Jahre später trat Cossiga im April 1992, drei Monate vor dem Ende seiner Amtsperiode, zurück.114

Die Aufdeckungen um das Stay-Behind-Netzwerk Gladio in Italien wurden nur zaghaft von internationalen Medien aufgegriffen. Der Grund scheint naheliegend: Am 2. August, dem Tag, bevor Andreotti seine erste Erklärung vor der parlamentarischen Untersuchungskommission in Italien abgab, ließ der irakische Diktator Saddam Hussein seine Truppen in Kuwait einmarschieren. Die schrittweise Enthüllung des antikommunistischen Netzwerks in Europa konkurrierte also in gewisser Weise mit einer viel aktuelleren Entwicklung, dem beginnenden Krieg in Nahost. Als eines der ersten Nachrichtenmagazine widmete Der Spiegel den Entwicklungen der italienischen Innenpolitik einen ausführlichen Bericht: Am 26. November 1990 wurde der Beitrag „Das blutige Schwert der CIA“ veröffentlicht, welcher die italienische Innenpolitik des vergangenen Monats sowie auch die Reaktion deutscher Politiker bezüglich der aufgedeckten NATO-Strukturen umfassend beschreibt. Auch in der Bundesrepublik Deutschland traten vergleichbare Strukturen ans Licht; die deutsche Politik überlege demnach, das Projekt „zu streichen. […] In der letzten Sitzung der NATO-Koordinationsstelle ACC

112 Scobie, William: Secret army's war on the Left. In: The Observer, 18.11.1990. S. 1. 113 Ferraresi: Gladio. S. 32. 114 Cossiga: Pronto a dare le dimissioni. In: La Stampa, 20.9.1991. 38

wurde die Frage erörtert, ob ‚Gladio‘ überhaupt noch einen Sinn macht.“115 In Frankreich wurde ebenfalls noch im November versucht, die Stay-Behind-Strukturen zu leugnen: Der französischen Tageszeitung Le Monde gegenüber äußerte General Constantin Melnik, Leiter des französischen Geheimdienstes von 1959–1962, dass die französische antikommunistische Stay-Behind-Organisation bereits mit dem Tod Stalins 1953 aufgelöst worden war.116

Auch auf der Ebene der europäischen Institutionen führten die Gladio-Entdeckungen zu Reaktionen: Nach einer Debatte um die Stay-Behind-Netzwerke in verschiedenen Staaten der Europäischen Gemeinschaft beschloss das Europäische Parlament eine Resolution zu verabschieden, in welcher die Vorgehensweise der NATO und kooperierender Geheimdienste kritisiert und die Entwicklungen auf europäischer Ebene in sieben Punkten zusammengefasst wurden.117

Die Reaktionen in Italien blieben jedoch die heftigsten; der Abschlussbericht der parlamentarischen Untersuchungskommission bezüglich der terroristischen Anschläge und des Stay-Behind-Netzwerks Gladio wurde schließlich im Jahr 2000 veröffentlicht und stellte fest: „Die Massaker, die Bomben, die militärischen Aktionen wurden von Männern innerhalb italienischer staatlicher Einrichtungen organisiert, gefördert oder unterstützt und, wie kürzlich aufgedeckt wurde, auch von Männern aus dem Umfeld der Geheimdienste der USA.“118

Der Skandal um die Aufdeckung der klandestinen Strukturen beschäftigte die italienischen Medien, wenn auch nicht mehr in der Intensität der Jahre 1991/92, noch lange Zeit. Offiziell wurde das antikommunistisch Stay-Behind-Netzwerk am 27. November 1990 im Auftrag der Regierung aufgelöst; bereits im Jahr 2005 wurden jedoch erneut Gerüchte um eine Weiterführung der Untergrundorganisation laut: Eine Liste mit 150 Namen wurde veröffentlicht, gegen 15 Personen begannen Ermittlungen.119 Alle waren in eine Struktur mit dem Namen Dipartimento Studi Strategici Antiterrorismo (DSSA) integriert, welcher unter anderem durch Telefonüberwachungen nachgewiesen wurde, dass die Entführung des sich im

115 „Das blutige Schwert der CIA“. Nachrichten aus dem Kalten Krieg: In ganz Europa gibt es geheime Nato- Kommandos, die dem Feind aus dem Osten widerstehen sollen. Kanzler, Verteidigungsminister und Bundeswehrgenerale wußten angeblich von nichts. Die Spuren führen nach Pullach, zur „Stay Behind Organisation“ des Bundesnachrichtendienstes. In: Der Spiegel, 19.11.1990. 116 Les suites de l'affaire "Gladio": Le président de la République, M. Cossiga, est prêt à donner "toute information opportune". In: Le Monde, 13.11.1990. 117 Resolution des Europäischen Parlaments zur Gladio-Affäre vom 22.11.1990. (URL= http://www.cloeser.org/ext/Gladio-Entschlie%DFung_des_EP_von_1990.pdf) [Zugriff am 2.6.2017]. 118 Senato della Repubblica: Commissione parlamentare d’Inchiesta sul terrorismo in Italia e sulla cause della mancata individuazione dei responsabili delle stragi: Stragi e terrorismo in Italia dal dopoguerra al 1974. Relazione del Gruppo Democratici di Sinistra l’Ulivo. Rom 2000. Zit. in: Ganser: NATO-Geheimarmeen. S. 41. 119 "Sono 150 gli iscritti alla Dessa Consegnerò la lista dei nomi". In: La Repubblica, 2.6.2005. 39

Exil befindenden Terroristen Cesare Battisti, Mitglied der linksextremen Terrororganisation Proletari Armati per il Comunismo, geplant worden war. Die paramilitärische Organisation, welche ihre Mitglieder vor allem aus der Polizei, den Carabinieri, der Finanzpolizei und den italienischen Streitkräften rekrutierte, soll von Gaetano Saya und Riccardo Sindaco angeführt worden sein, die beide stark in die rechtsextreme Szene Italiens verwickelt waren.120

3.2.4 Zusammenfassung Die hohe Frequenz an politisch motivierten Terroranschlägen in den 1970er und 1980er Jahren macht deutlich, wie sich unter dem Banner des Militärbündnisses NATO die Konfrontation der westlichen Welt mit den Staaten des Warschauer Paktes und deren kommunistischer Ideologie auf die italienische Innenpolitik auswirkte. Dem Bombenanschlag in Peteano 1974 kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Der italienische Richter Felice Casson stieß bei seinen Ermittlungen gegen den Attentäter, Vincenzo Vincguerra, auf die rechtsextreme Untergrundorganisation Ordine Nuove, welcher in weiterer Folge ihre enge Kooperation mit einem staatlichen Stay-Behind-Netzwerk nachgewiesen werden konnte. 1988 setzte das italienische Parlament schließlich eine Untersuchungskommission ein: Unter der Leitung des Senators Gualtieri sollte zunächst geklärt werden, aus welchem Grund bei nur wenigen der jüngsten Anschläge in Italien die Täter oder deren Hintermänner identifiziert werden konnten. Als es Felice Casson möglich war, im Archiv des italienischen Militärgeheimdienstes SID Recherchen zu betreiben und er dort handfeste Beweise für eine paramilitärische antikommunistische Untergrundstruktur unter dem Decknamen Gladio in die Hände bekam, wurden die Ermittlungen der parlamentarischen Untersuchungskommission darauf ausgeweitet. Im Lauf des Jahres 1989 und der ersten Monate des Folgejahres wurden der italienischen Öffentlichkeit immer mehr Details über die Verstrickung der italienischen Innenpolitik in die politischen Anschläge deutlich gemacht: Die Medien taten ihr Bestes, Druck auf die amtierende Regierung auszuüben. Am zehnten Jahrestag des Bombenanschlages in Bologna verschärfte sich die Stimmung jedoch schlagartig: Der amtierende Ministerpräsident Giulio Andreotti wurde vom Parlament angewiesen, binnen 60 Tagen einen Bericht über die klandestine Organisation der Ersten Republik vorzulegen. Den Folgetag eröffnete Andreotti mit einem Knaller: Am 3. August 1990 gab „Zio Giulio“ vor dem Parlament die Existenz eines verdeckten Stay-Behind-Netzwerks namens Gladio zu. Die italienische Öffentlichkeit reagierte heftig, die Printmedien füllten mit dieser Aufdeckung ihre Titelseiten, in Rom fanden mehrere Demonstrationen statt. Etliche Printmedien begannen von einer „Operation Giulio“ zu

120 Philips, John: Up to 200 Italian police 'ran parallel anti-terror force'. In: The Independent, 5.6.2005. 40

sprechen, der Ministerpräsident geriet immer mehr unter den Druck der Öffentlichkeit. Am 24. Oktober 1990 legte er dem Parlament schließlich einen Bericht vor und zog mit seinen Aufdeckungen nationale Politikerkollegen und europäische Regierungen mit in die Schusslinie.

Die internationalen Reaktionen blieben jedoch vorerst aus: Am 2. August marschierten die Truppen des irakischen Diktators Saddam Hussein in Kuwait ein und zogen damit das Interesse der Welt auf sich und die Reaktionen der Großmächte. Die italienische Öffentlichkeit ließ sich aber nicht beirren und begann Fragen an ihre Politiker zu richten. Besonders trat in diesem Kontext die Reaktion des amtierenden italienischen Staatspräsidenten hervor, der aufgrund seiner Äußerungen im Zuge des Skandals drei Monate vor Ende seiner Amtsperiode zurücktrat. Den Offenlegungen Andreottis vom Oktober 1990 folgend, standen viele europäische Regierungen unter Zugzwang und mussten Stay-Behind-Pläne und -Strukturen im eigenen Staat unter dem Druck der Öffentlichkeit aufdecken. Auch das Europäische Parlament entschied sich dafür, eine Resolution betreffend amerikanischer Einmischung in die europäische Innen- und Sicherheitspolitik zu verabschieden. Die Aufdeckung des antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerks Gladio blieb jedoch noch lange Zeit Gesprächsthema: Erst im Jahr 2000 wurde der Abschlussbericht der parlamentarischen Untersuchungskommission Italiens veröffentlicht, der vor allem die Rolle der USA in der klandestinen Organisation verdeutlichte.

41

4 Schweiz

4.1 Stay-Behind in der Schweiz – die Organisation P-26 Die Enthüllungen rund um die italienische Operation Gladio führten in anderen europäischen Staaten ebenfalls zu Untersuchungen staatlicher Geheimdienstprojekte – so auch in der Schweiz, wo ein umfassender Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission sich mit dem Schweizer Stay-Behind-Netzwerk befasst.121

Neben der historischen Entwicklung der Schweizer Stay-Behind-Pläne – vom Territorialdienst der 50er zum Spezialdienst der 60er und 70er Jahre – soll in diesem Kapitel die Struktur der Organisation P-26 besprochen werden.

Da im Gegensatz zur italienischen Republik, für die Beweise für die Verwicklung des Geheimdienstprojektes Gladio in die Innenpolitik existieren, für die Eidgenossenschaft solche Quellen fehlen, soll dieses Kapitel Grundlagen der Struktur und Planung der Organisation P-26 besprechen, um im folgenden Kapitel den in der Schweizer Öffentlichkeit breit geführten medialen Diskurs über die Stay-Behind-Organisation zu behandeln. Besonders die Neutralität der Schweiz spielt dabei eine wichtige Rolle, da P-26 laut Aussagen einiger Beteiligter eng mit dem britischen MI6 – und damit einem Geheimdienst eines NATO-Staates – zusammengearbeitet haben soll.

121 Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur besonderen Klärung von Vorkommnissen von grosser Tragweite im Eidgenössischen Militärdepartement (EMD). Bern, 17.11.1990. Im Folgenden zitiert als: PUK-EMD. 42

4.1.1 Der Diskurs um den Volkswiderstand

Im Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission wird festgestellt, dass sich die historische Betrachtung der Schweizer Stay-Behind-Netzwerke als sehr schwierig herausstellte, da „fast alle Akten der Widerstandsorganisation aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren um 1980 vernichtet wurden.“122

Die Untersuchungskommission kommt jedoch zum Schluss, dass die Idee eines Schweizer Widerstandsnetzwerkes dem politischen Klima der 50er Jahre geschuldet gewesen sei: Vor allem die Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn 1956 durch die UdSSR sowie die Suez- Krise sollen die Ängste vor einer militärischen Besetzung der Eidgenossenschaft weiter geschürt haben, worauf 1956 der Beschluss gefasst wurde, Möglichkeiten der irregulären Kriegführung zu bewerten und umzusetzen. Am 3.12.1956 reichte der Nationalratsabgeordnete Erwin Jaeckle folgende Forderung im Parlament ein:123

„Der Bundesrat wird im Hinblick auf den ungarischen Aufstand gebeten zu prüfen, welche Vorkehren in Organisation und Ausbildung getroffen werden können, um den totalen Volkswiderstand gegebenenfalls über die Feldarmee hinaus aufzunehmen und zu sichern.“ Der Chef des Generalstabs, Louis de Montmollin, äußerte sich betreffend diese Pläne jedoch negativ. In einem Schreiben an das Schweizer Verteidigungsministerium vom 28.8.1957 merkte er an, dass eine geheime Widerstandsorganisation, welche in Friedenszeiten geplant wird, mit großer Wahrscheinlichkeit im Kriegsfall umgehend aufgedeckt werden würde und man besser beraten wäre, einzelne Vertrauenspersonen zu ernennen, die – wenn es die Situation erfordert – Widerstand in Form irregulärer Kriegführung organisieren sollten. Der 1957 für das Militärdepartement zuständige Bundesrat Paul Chaudet bezog sich in seiner Beantwortung von Jaeckles Anfrage auf die Vorschläge de Montmollins und stellte in dieser Stellungnahme vom 25.9.1957 fest, dass – so würden es die Entwicklungen in Ungarn zeigen – der Kampf einer Widerstandsbewegung allein keine großen Auswirkungen hätte. Weiters ergäben sich durch die Planung einer solchen Organisation politische, militärische und juristische Probleme – vor allem aufgrund des Völkerrechts und der Konventionen, welchen die Schweiz beigetreten war. Zwar wäre auch das Militärdepartement der Auffassung, dass eine Verstärkung der Schweizer Verteidigungskapazitäten angebracht ist – diese sei jedoch im Rahmen der regulären Armee zu suchen, welche entsprechend der völkerrechtlichen Verträge aktiv in den Kampf gegen

122 PUK-EMD. S. 175. 123 Ibid. S. 176. 43

feindliche Truppen eintreten könne. Als weiteren Grund, der gegen die Entwicklung einer geheimen Widerstandsorganisation sprach, führte Chaudet an, dass Widerstandsbewegungen des Zweiten Weltkriegs wie in Frankreich, Holland, Belgien und den skandinavischen Staaten vor allem von ihrer reaktionären Entstehung profitiert hätten, da die Wirksamkeit einer solchen Struktur auf absoluter Geheimhaltung beruhe, die über längere Dauer in Friedenszeiten unmöglich gewährleistet werden könne. Eine Passage der Stellungnahme wie jedoch auf bereits bestehende Pläne hin:124

„Wenn auch gewisse Massnahmen vom Territorialdienst vorgesehen sind, bleiben die Möglichkeiten in dieser Richtung beschränkt.“ Aus dieser Äußerung kann geschlossen werden, dass der Territorialdienst125 in den Nachkriegsjahren in unbekanntem Ausmaß mit Stay-Behind-Maßnahmen betraut wurde. Weitere Quellen, welche diese Maßnahmen präzisieren würden, sind jedoch gegenwärtig nicht auffindbar oder zugänglich, was unter anderem der bereits erwähnten Aktenvernichtung geschuldet ist.126

Die Aufgaben des Territorialdienstes, Vorbereitungen für den Widerstand zu treffen, gingen jedenfalls 1965/66 in die Verantwortung der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) über: Die Sektion Spezialdienst dieser Organisation war in einem Armeestabsteil untergebracht und bestand in ihrer Anfangszeit aus etwa 10 Milizoffizieren sowie weiteren Ausbildungsoffizieren, die im PUK-EMD als Spezialisten bezeichnet wurden; die Art und Weise ihrer Spezialisierung wurde jedoch nicht öffentlich gemacht.127

124 Ibid. S. 177f. 125 Dienstzweig der Schweizer Armee, dessen Hauptaufgabe die Truppenversorgung darstellt. Während des Zweiten Weltkrieges wurden große Teile dieser Branche jedoch genutzt, um Kampfeinheiten zu verstärken. 126 Vgl. PUK-EMD. S. 175. 127 Ibid. S. 179. 44

4.1.2 Schweizer Stay-Behind in den 70er Jahren

Weiterhin war die Sektion Spezialdienst mit Vorbereitungen für den Widerstandskampf beschäftigt; wieder ist die Quellenlage diesbezüglich mangelhaft. Den konkreten Dienstauftrag sowie die Struktur der Organisation rekonstruiert der Untersuchungsausschuss des Schweizer Parlamentes mittels Aussagen eines ehemaligen Generalstabs-Chefs. Die Aufträge des Spezialdienstes waren:128

1 Beschaffung von Nachrichten über Gegner und Umwelt (in feindbesetztem Gebiet)

2 Aufrechterhaltung des moralischen und passiven Widerstandes in der Bevölkerung

3 Durchführung von Sabotageaktionen und Attentaten

Der dritte Punkt soll erst in den frühen 70er Jahren zu den Aufträgen des Spezialdienstes hinzugefügt worden sein – die Durchführung solcher Operationen würde sehr wahrscheinlich gegen die im Jahr 1957 vom Schweizer Parlament angesprochenen völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen haben.

Weiters geben Aussagen ehemaliger Militärs und wenige Dokumente Auskunft über die Struktur der Schweizer Stay-Behind-Pläne: Die Organisation war in drei Ebenen gegliedert – einen kommandierenden Armeestabsteil, der auch die Ausbildung der Verantwortlichen überhatte. Selbst der Kommando-Stab hatte jedoch keine Kenntnis über die Namen aller Beteiligten der Struktur. Die zweite Ebene stellte eine begrenzte Anzahl von sogenannten Vertrauenspersonen dar, die über das gesamte Gebiet der Schweiz verteilt für die Rekrutierung und Betreuung der Mitglieder verantwortlich waren, jedoch im Fall einer feindlichen Offensive keine weitere Funktion hatten. Da die von den Vertrauenspersonen angeheuerten Beteiligten ebenfalls dazu angehalten waren, neue Mitglieder anzuwerben, um eigene Strukturen zu bilden, ist eine exakte Feststellung der Mitgliederzahl schwer möglich. Jedenfalls sollen nie mehr als 1000 Beteiligte, verteilt auf 30 bis 50 Standorte, im Widerstandsnetzwerk tätig gewesen sein. Im Kriegsfall sollte die Kommandoebene die Widerstandsstruktur aktivieren – jedoch war auch für den Überraschungsfall gesorgt: Auch ohne Befehl des Armeestabsteiles (also: auch ohne politische Entscheidung der Schweiz) waren Mitglieder der Organisation berechtigt, aktiv zu werden.129

128 PUK-EMD. S. 180. 129 Ibid. S. 180f. 45

Entgegen den Empfehlungen des Generalstabschefs de Montmollin vom 28.8.1957 begann man im Zuge der Entwicklung einer neuen Sicherheitspolitik für die Schweiz – konkret in Form eines Berichtes an den Bundesrat130 – die Entwicklung einer Stay-Behind-Struktur in Friedenszeiten auch öffentlich zu diskutieren. Zwar waren die Ziele der Schweizer Verteidigungspolitik unter dem Primat der Verteidigung der Schweizer Unabhängigkeit unverändert, die Möglichkeiten des Widerstandes im Besetzungsfall erhielten jedoch größere Aufmerksamkeit:131

„426 Widerstand im feindbesetzten Gebiet

Eine Besetzung des Landes darf nicht das Erlöschen jeden Widerstandes bedeuten. Ein Gegner soll auch in diesem Fall nicht nur mit Ablehnung, sondern mit aktivem Widerstand rechnen müssen. Diese Gewissheit muss in seiner Gewinn- und Verlustrechnung ein für uns positives Element sein. Der bewaffnete Widerstand gegen die Besetzungsmacht wird sich an die durch das Kriegsvölkerrecht gezogenen Schranken hinsichtlich der Teilnahme und der Bedingungen der Gewaltanwendung halten müssen. Er kann nicht in demselben Ausmasse zum voraus organisiert werden wie die militärische oder die zivile Verteidigung. Aber alle Möglichkeiten, günstige Voraussetzungen für den aktiven Widerstand zu schaffen, müssen früh wahrgenommen werden.“ Dieser Bericht des Bundesrates wurde vom Armeestab als Legitimation der Stay-Behind- Struktur gesehen – von den bereits getroffenen Vorbereitungen der Sektion Spezialdienst erfuhr das Schweizer Parlament im Zuge der Diskussion um die erneuerte Sicherheitspolitik jedoch nichts. Im PUK-EMK wird diesbezüglich ein ehemaliger, nicht namentlich genannter Generalstabs-Offizier zitiert:132

„Der Aufbau der Widerstandsorganisation erfolgte gestützt auf die Ueberweisung dieses Postulates, also im Auftrag des Parlamentes. Das Parlament wurde in der Folge aber nicht mehr über die getroffenen Massnahmen orientiert.“

Während der Veröffentlichung und den folgenden Diskussionen um den Bericht des Bundesrates war Oberst Herbert Alboth für den Spezialdienst verantwortlich; 1976 übernahm jedoch Oberst Albert Bachmann das Kommando. Zu dieser Zeit soll das Stay-Behind-Netzwerk einen zahlenmäßig kleinen Stabs-Kader, der sich vor allem theoretisch mit der Vorbereitung von Widerstand beschäftigte, gehabt haben. Zu Ausbildungszwecken wurden etwa hundert

130 Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz. Konzeption der Gesamtverteidigung. Bern, 27. Juni 1973. Im Folgenden zitiert als: Bundesrat: Sicherheitspolitik. 131 Ibid. S. 16. 132 PUK-EMK. S. 183. 46

Spezialisten für Teilbereiche wie Sabotage und Nachrichtenübermittlung eingesetzt, die den etwa 1000 Vertrauenspersonen notwendige Schulungen anbieten konnten. Bewaffnet sollen die meisten Mitglieder des Netzwerkes jedoch nicht gewesen sein – Pistolen und Gewehre sollen nur zu Ausbildungszwecken zur Verfügung gestanden sein. Konkretere Informationen zur Struktur der Organisation in den 70er Jahren sind – wieder aufgrund fehlender Akten – nur schwer zu erlangen. Laut Aussagen Bachmanns galt jedoch das „Prinzip der Kirsche“: Jeder Beteiligte sollte bestenfalls zwei weitere Mitglieder persönlich kennen.133

Ab 1975 wurde der Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz Gegenstand weiterer Diskussionen im Stab für Gesamtverteidigung134: Vorerst sollte eine Forschungsgruppe klären, inwiefern Widerstand in feindbesetztem Gebiet überhaupt möglich ist und welche Maßnahmen der Bevölkerung zugetraut werden können. Das Ergebnis der Recherche war ein am 26. Oktober 1975 vorgelegter Bericht an den Stab für Gesamtverteidigung, der zur Folge hatte, dass ein ständiger Ausschuss gegründet wurde, welcher Maßnahmen für koordinierten Widerstand im feindbesetzen Gebiet ausarbeiten sollte. Dieser wurde „Ausschuss REWI“ benannt, welcher weitere Recherchen anstellte: Beispielsweise wurde eine Forschungsgruppe damit beauftragt, eine Modellstudie „Besetzte Schweiz“ zu erarbeiten, welche, 1979 veröffentlicht, tiefergehende Anforderungen an die Planung einer Stay-Behind-Struktur deutlich machen sollte.135

Der Parlamentsbericht PUK-EMK macht deutlich, dass es im Stab für Gesamtverteidigung zwei Lager gegeben haben muss: Einerseits Vertreter der Schweizer Justiz- und Polizeidepartements, die einen hohen Grad an Organisation und Vorbereitung als Grundlage für erfolgreichen Widerstand im Fall der Feindbesetzung ansahen, und andererseits Schweizer Parlamentarier, welche vor allem völkerrechtliche Bedenken in den Fokus rückten. Mit dem Durchsetzen der letztgenannten Gruppierung war eine offizielle (bzw. formelle) Eingliederung eines Stay-Behind-Netzwerkes in die Gesamtverteidigung gescheitert.136

133 PUK-EMK. S. 183f. 134 In der Schweiz ab 1969 als Synonym für Landesverteidigung verwendet. 135 PUK-EMK. S. 185f. 136 Ibid. S. 186. 47

4.1.3 Die Bachmann-Schilling-Affäre und die Gründung von P-26

Das Jahr 1979 sollte jedoch weitere Weichen für das Schweizer Stay-Behind-Netzwerk stellen: Im November 1979 wurde der Schweizer Unternehmensberater Kurt Schilling im Auftrag Oberst Bachmanns nach Österreich beordert, um in St. Pölten ein Manöver des österreichischen Bundesheeres zu dokumentieren und zu beobachten. Schilling dürfte sich bei dieser Aufgabe äußerst ungeschickt angestellt haben – nach kürzester Zeit wurde er aufgrund der Verdachtsäußerung eines Soldaten vom österreichischen Abwehramt (AbwA, Nachrichtendienst des österreichischen Bundesheeres) festgenommen, befragt, verurteilt und – mit einem milden Urteil von fünf Monaten Gefängnis auf Bewährung – wieder freigelassen.137

Wieder in der Schweiz, wurde Schilling erneut wegen der Offenlegung von Militärgeheimnissen verurteilt. Da die Schweizer Medien dieser Entwicklung große Aufmerksamkeit schenkten, kam es zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss138, welcher die Bestrebungen des Militärgeheimdienstes UNA und des ihm untergeordneten Spezialdienstes, ein Stay-Behind-Netzwerk zu entwickeln, veröffentlichte. Damit wurde die Schweizer Bevölkerung erstmals mittels staatlicher Quellen damit konfrontiert, dass geheime Stay-Behind-Strukturen im Land existierten. Weiters kam diese Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass die Organisation des geheimen Stay-Behind-Netzwerkes zwar den Anforderungen des Schweizer Rechtstaates genüge, die interne Kontrolle jedoch nicht ausreichend gegeben wäre. Die Folge: Oberst Bachmann musste zurücktreten.139

Für den Schweizer Verteidigungsminister Georges Andre Chevallaz, den damaligen Generalstabschef der Schweizer Armee Hans Senn sowie den Direktor der UNA Richard Ochsner dürfte jedoch klar gewesen sein, dass für das Sicherheitskonzept der Schweiz ein Stay- Behind-Netzwerk weiterhin von Bedeutung war: Unter dem Decknamen P-26 wurde Bachmanns Struktur durch eine Organisation ersetzt, die von 1979 an unter Oberst Efrem Cattelans Kommando stand. Der Deckname P-26 verweist auf den Artikel 426 des Berichtes des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz.140

137 Spionage – Geradezu geschwätzig. In: Der Spiegel (53/1979), 31.12.1979. (URL=http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42891113.html) [Zugriff am 5.5.2017]. 138 Bericht der Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission an den Nationalrat über ihre zusätzlichen Abklärungen zur Angelegenheit Bachmann. Bern, 19.1.1981. 139 Ganser, Daniel: The British Secret Service in Neutral Switzerland: An Unfinished Debate on NATO’s Cold War Stay-behind Armies. In: Intelligence and National Security (4/2005). (URL=https://www.danieleganser.ch/assets/files/Inhalte/Publikationen/Fachzeitschriften/PublishedVersionGanse rBritishinSwitzerlandStay-BehindArmies.pdf). S. 563. Im Folgenden zitiert als: Ganser: Switzerland. 140 Ibid. 48

Die Stay-Behind-Organisation P-26 war – ähnlich wie der zuvor von Bachmann geleitete Spezialdienst – in drei hierarchische Ebenen gegliedert: An der Spitze stand der Befehlshaber Cattelan mit einem Kommando-Stab, der ausschließlich aus Mitgliedern der Widerstandsorganisation bestehen sollte – also auch im Ernstfall keine ranghohen politischen oder militärischen Vertreter berücksichtigte. Vom Führungsstab wurde die Ausbildung des Netzwerkes über einen Instruktionskader angeleitet, der sich größtenteils aus Armee- Ausbildern zusammensetzte. Die Ausbildung war dabei in drei Fachbereiche gegliedert: Nachrichtendienst (Truppennachrichtendienst), Informationsdienst (psychologische Kriegsführung und Information der Bevölkerung in feindbesetztem Gebiet) und Geniedienst (Führung des bewaffneten Widerstandes). Das gesamte Staatsgebiet der Schweiz war dabei in sogenannte Widerstandsregionen aufgeteilt, in welchen Regionalchefs die Verantwortung trugen.141

Auf der zweiten Hierarchiestufe stand die Kaderorganisation, welche den operativen Teil der Organisation darstellte. Laut den Plänen für P-26 war eine Sollstärke von 800 Mann vorgesehen, tatsächlich soll sich die Mannstärke jedoch auf etwa 400 ausgebildete Einsatzkräfte belaufen haben. Der Großteil dieser Organisationsmitglieder wurde vom ehemaligen Spezialdienst Bachmanns übernommen, 85% waren älter als 46 Jahre. Die dritte Hierarchieebene sollte im Kriegsfall von der Kaderorganisation erstellt werden, war also in Friedenszeiten nicht besetzt.142

Zu den Rekrutierungskriterien für die erste und vor allem die zweite Organisationebene finden sich im PUK-EMK folgende Informationen:143

„Rekrutieren kann jedermann des Projektes 26, d.h. jedermann kann der Zentrale in Bern auf dem Dienstweg oder direkt die Personalien geeigneter Personen melden. Erst nach einer polizeilichen Sicherheitsüberprüfung darf aber Kontakt aufgenommen werden. Ueber die definitive Aufnahme wird nach weiteren Tests (graphologisches Gutachten, Eignungstests) durch die Sicherheitskonferenz, bestehend aus dem Chef P-26, Chef Sicherheit, Chef Personaldienst und Sachbearbeiter Sicherheit, entschieden. Der Stichentscheid liegt beim Chef P-26.“

141 PUK-EMK. S. 201f. 142 Ganser: Switzerland. S. 564. 143 PUK-EMK. S. 203. 49

Die Ausbildung eines Mitglieds der Kaderorganisation dauerte ungefähr fünf Jahre. In neun Kursen, die jeweils zwei bis vier Tage dauerten und an Wochenenden stattfanden, wurden konspiratives Verhalten, Nachrichtenübermittlung sowie Umgang mit Sprengstoff und Waffen trainiert; zusätzlich erhielten die Mitglieder psychologische Schulungen.144

Weiters sollen Angehörige der Organisation Ausbildungen im Ausland genossen haben. Vor allem der britische Geheimdienst MI6 soll einen wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dass Mitglieder der P-26 in verschiedenen Fertigkeiten der irregulären Kriegführung geschult wurden, wobei der MI6 dadurch besser über die Schweizer Stay-Behind-Pläne informiert gewesen sein soll als das Schweizer Parlament: Der Geheimdienst hatte genaue Kenntnis davon, wer P-26 leitete, welche Decknamen verwendet wurden und wo sich Ausbildungsanlagen und Materialdepots befanden.145

Die Widerstandsorganisation verfügte in verschiedenen Teilen der Schweiz über meist unterirdische Anlagen, wobei teilweise ehemalige Armeebunker übernommen, teilweise auch eigens gebaute oder gemietete Räumlichkeiten genutzt wurden. Der Großteil davon war entweder zur Nutzung durch die Führungs- bzw. Kaderebene bestimmt oder wurde als Ausbildungsstätte oder als Materialdepot genutzt. An Ausrüstung soll P-26 über einige hundert Maschinenpistolen, schallgedämpfte Scharfschützengewehre und Pistolen verfügt haben; weiters war die Organisation im Besitz von Hohlpanzerraketen und großen Mengen an Sprengstoff. Die Ausrüstung war meist in unterirdischen Depots gelagert und befand sich permanent in einsatzbereitem Zustand.146

Finanziert wurde das Projekt P-26 aus verschiedenen Quellen, die jedoch ausschließlich über das EMD vermittelt wurden. Für einige Jahre sind exakte Summen bekannt – so erhielt P-26 in den Jahren von 1984 bis 1986 jeweils etwa 1-2 Millionen Franken, 1987 bis 1989 jedoch zwischen 8 und 10 Millionen Franken jährlich. Die Ausgaben der Geheimorganisation betrafen vor allem Lohnkosten, Mieten, Verpflegung und Unterkunft sowie Anschaffung von Ausrüstung.147

Die Verbindung der Organisation P-26 zum Parlament stellte vor allem ein von Cattelan eingesetzter Beirat, die Gruppe 426, dar. Dabei handelte es sich um ein Gremium aus vier bis fünf Parlamentariern, welche mittels informellen Gesprächen vom Kommando-Stab persönlich

144 PUK-EMK. S. 205. 145 Ganser: Switzerland. S. 568. 146 PUK-EMK. S. 204f. 147 Ibid. S. 205ff. 50

ausgesucht wurden. Die Aufgaben dieses Beirates waren nicht schriftlich festgelegt, auch existieren keine Protokolle oder sonstige Aufzeichnungen über die Sitzungen, welche mindestens einmal jährlich stattgefunden haben sollen. Im PUK-EMK wird ein Mitglied dieses Organs zitiert, das die Funktion dieser Institution vor allem als Verbindungsglied zum Parlament im Fall einer Krisensituation gesehen hat. Genaue Kenntnisse über die Stay-Behind- und Widerstands-Pläne hatten die Parlamentarier nicht. Ebenso sollen sie nicht darüber Bescheid gewusst haben, wem P-26 unterstellt war und wie vergleichbare Geheimorganisationen arbeiteten. Die Mitglieder der Gruppe 426 erhielten für ihre Beratungstätigkeit auch keine Entschädigung.148

4.1.4 Tätigkeit des P-26 Europäische Stay-Behind-Netzwerke erreichten oft im Zuge der Diffamierung linksextremer politischer Bewegungen, durch Terroranschläge oder – wie in Italien – Putschversuche einen größeren Bekanntheitsgrad. Da die Schweiz weder eine starke kommunistische Partei noch Terroranschläge im Laufe des Kalten Krieges oder Anzeichen für einen Coup d‘État aufwies, stellt sich die Frage, inwiefern die Organisation P-26 während ihres Bestehens aktiv war. Zuverlässige Quellen über Aktionen der P-26 sind jedoch nicht aufzufinden.

Im März 1991 aber brachte die sozialdemokratische Ständerätin Esther Bührer eine Anfrage im Bundesrat ein, worin sie sich danach erkundigte, ob Mitglieder der P-26 in die Sabotage- Aktionen des „Kaiseraugust“ involviert waren. Dabei wurde gegen den Bau eines Atomkraftwerks im Ort Kaiseraugust protestiert; die Demonstranten besetzten das Baugelände und zusammen mit einer starken landesweiten Anti-Atomkraft-Bewegung wurde das Bauvorhaben letztlich zu Fall gebracht. In den folgenden Jahren, von 1974 bis 1984, wurden mehr als 30 Sabotageaktionen an der Infrastruktur in und um den Ort durchgeführt, und neben dem Sprengen zahlreicher Strommasten wurden auch führende Köpfe der Anti-Atomkraft- Bewegung bedroht. Damalige Polizeiuntersuchungen ließen darauf schließen, dass die Sabotageaktionen von Profis durchgeführt worden sind – die Untersuchungen verliefen jedoch letztlich erfolglos und wurden eingestellt. Der damalige Verteidigungsminister Villiger versicherte Ständerätin Bührer jedoch, dass kein Mitglied des P-26 in diese Aktionen verwickelt gewesen wäre. Sogar eine linksradikale Wochenzeitung hielt die Vorwürfe Bührers für überzogen.149

148 PUK-EMK. S. 210f. 149 Ganser: Switzerland. S. 566. 51

Auf eine weitere Einflussnahme des P-26 in die Schweizer Innenpolitik gibt es nur ähnlich vage Hinweise – viel mehr wurden die Beziehungen des Stay-Behind-Netzwerks zu anderen vergleichbaren europäischen Geheimorganisationen der NATO im Zusammenhang mit der Schweizer Neutralität diskutiert. Auf die Reaktionen der Öffentlichkeit soll jedoch im folgenden Kapitel eingegangen werden.

4.1.5 Zusammenfassung Bereits in den 50er Jahren, vor allem durch die Blockbildung in Ost und West und bestärkt durch die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn 1956 sowie die Suez-Krise, sah die Schweizer Armee Bedarf für die Organisation eines Stay-Behind-Netzwerks, das im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung in vom Feind besetzten Gebiet Widerstand leisten sollte. In einem öffentlichen Diskurs wurde vorerst davon ausgegangen, dass ein solches Netzwerk nicht in Friedenszeiten geplant werden sollte, da es im Kriegsfall umgehend zerstört werden würde.

Nach einer Änderung des Sicherheitskonzeptes für die Schweiz im Laufe der 70er Jahre wurden jedoch stärkere Bemühungen in die Planung eines solchen Netzwerks gesteckt: Der Spezialdienst der UNA unter Oberst Bachmann sowie in weiterer Folge die Organisation P-26 unter dem Kommando von Oberst Efrem Cattelan sollten in der Lage sein, auf Bedrohungsszenarien des Kalten Krieges zu reagieren und die Schweizer Zivilgesellschaft im Fall einer feindlichen Besetzung zum Widerstand anzuleiten.

Im Gegensatz zur Meinung des Schweizer Militärs der 50er Jahre wurde eine gut organisierte Geheim-Organisation aufgebaut, die auf eine klar hierarchische Struktur, Ausbildungskompetenzen, militärische Anlagen und großzügige Finanzierung bauen konnte.

Entgegen den Entwicklungen in anderen europäischen Staaten ist der Organisation P-26 jedoch bisher keine Involvierung in die Schweizer Innenpolitik nachzuweisen – deshalb rückt vor allem die Beziehung der Geheimorganisation zu anderen europäischen Stay-Behind- Netzwerken im Zusammenhang mit der Schweizer Neutralität ins Zentrum der Untersuchungen des folgenden Kapitels.

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4.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und -Strukturen in der Schweiz

Um die öffentlichen Reaktionen auf das Bekanntwerden des Schweizer Stay-Behind- Netzwerkes darzustellen, muss – besonders in der Eidgenossenschaft – auf das chronologische Ineinandergreifen verschiedener Skandale und Affären eingegangen werden, welche schließlich zur Aufdeckung der Untergrundorganisation führten.

Die Bachmann/Schilling-Affäre dient dabei als Einstieg in die Schilderung einer Kettenreaktion aus medialem Druck und Offenlegungen des Staates, welche im Jahr 1990 ihren Zenit erreichten. Im Folgenden soll beschrieben werden, welche Umstände der Fichen-Affäre zum Rücktritt der ersten weiblichen Bundesrätin führten, was wiederum als Ausgangssituation für die Ermittlungen der parlamentarischen Untersuchungskommission bezüglich der klandestinen Stay-Behind-Struktur diente.

In einem abschließenden Kapitel werden die öffentlichen Reaktionen der Schweizer Gesellschaft auf das Bekanntwerden einer „Geheimarmee“, welche durch die Enthüllungen des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti als Teil einer NATO-gesteuerten Widerstandsorganisation von europäischer Dimension gesehen wurde, dargestellt.

4.2.1 Die Bachmann/Schilling-Affäre

In den späten 1970er Jahren, lange bevor die Schweizer Öffentlichkeit von der Existenz eines Stay-Behind-Netzwerkes informiert wurde, bot die Bachmann/Schilling-Affäre der Vierten Gewalt einen Grund, sich mit Geheimdiensten auseinanderzusetzen.

Die Festnahme des Unternehmensberaters Kurt Schilling, der auf Befehl des damaligen Leiters der Vorgängerorganisation der P-26, Oberst Bachmann, nach Österreich gereist war, um Manöver des österreichischen Bundesheeres zu dokumentieren, sorgte für mediales Aufsehen. Während das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel das Geschehen rund um Schillings kurzen Auslandseinsatz humoristisch darstellte, reagierte man in der Schweiz selbst anders: Nachdem das österreichische Bundesheer festgestellt hatte, dass der gefasste Agent nicht von einer „östlichen Macht“ stammte, sondern für die Schweiz arbeitete, distanzierte sich das Schweizer Militär am 29. November 1979 öffentlich von dem „abwegigen Auftrag“. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gab bekannt, dass „ein außerhalb der Beschaffungsorganisation des Schweizer Nachrichtendienstes stehender Beamter den

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Verhafteten einen Beobachtungsauftrag erteilt“ hatte.150 Bei diesem Beamten handelte es sich um Oberst Bachmann, der wenig später – wie Schilling selbst – vom Dienst suspendiert wurde. Der als Bachmann/Schilling-Affäre in die Geschichte eingegangene Vorfall erregte aber in weiterer Folge nur geringe mediale Aufmerksamkeit. Der Abschlussbericht der Untersuchungskommission, welche vom Schweizer Parlament eingesetzt worden war, um die Hintergründe des Fauxpas zu ergründen, ist bis heute nur in stark gekürzter Form einsehbar und liefert wenig brisante Informationen, was als Hauptgrund für das fehlende Interesse der Schweizer Öffentlichkeit verstanden werden kann. In der Retrospektive liefert das Dokument jedoch sehr wohl spannende Details: Es bestätigt, wenn auch erst aus heutiger Perspektive, erstmals öffentlich ein Stay-Behind-Netzwerk in der Schweiz:151

„Entsprechend der staatlichen Sicherheitspolitik hat der Spezialdienst die Aufgabe, günstige Bedingungen für aktiven Widerstand gegen eine Besatzungsmacht in der Schweiz zu schaffen.“

4.2.2 Der Fall Klopp und die Fichen-Affäre Um den öffentlichen Reaktionen des Jahres 1990 im Kontext der vorherrschenden Stimmung folgen zu können, ist eine Betrachtung der Vorgeschichte nötig: Erst durch die im Folgenden beschriebenen Entwicklungen wurde P-26 aufgedeckt sowie ein derart großes Interesse und Engagement der Medien und Zivilbevölkerung verursacht.

Im Jahr 1984 wurde Elisabeth Iklé zur Bundesrätin gewählt; die Schweizer Öffentlichkeit war in großer Freude darüber, dass erstmals eine Frau im Bundesrat saß. Kurz nach ihrer Vereidigung als Regierungsmitglied heiratete Iklé den Anwalt Hans Kopp, der bereits Jahre zuvor in den Medien negative Schlagzeilen gemacht hatte. 1987 wurden im Kanton Tessin Ermittlungen gegen die „Libanon-Connection“ wegen Drogenhandel und Geldwäsche aufgenommen. Im Zuge dieser Ermittlungen geriet auch das Unternehmen Shakarchi Trading AG, in dessen Verwaltungsrat Hans Kopp saß, ins Visier der Schweizer Exekutive. Die Öffentlichkeit war davon jedoch noch nicht informiert. Im Oktober 1988 erfuhr die nunmehrige Bundesrätin Elisabeth Kopp von einer ihrer Mitarbeiterinnen, die gute Beziehungen zur Justizbehörde hatte, dass gegen die Devisenfirma Shakarchi Trading AG Ermittlungen wegen Geldwäsche von Gewinnen aus Drogengeschäften im Gange wären. Die Bundesrätin informierte daraufhin ihren Ehemann und bat ihn, aus dem Verwaltungsrat auszuscheiden. Hans

150 Das Schweizer Militär distanziert sich von Manöver-Spion. DPA-Meldung, 29.11.1979. 151 Bericht der Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission an den Nationalrat über ihre zusätzlichen Abklärungen zur Angelegenheit Bachmann. Bern, 19.1.1981. S. 8. 54

Kopp befolgte nicht nur umgehend den Rat seiner Ehefrau, sondern setzte sich auch mit deren Mitarbeiterin in Kontakt, um nähere Informationen zu den Ermittlungen zu erhalten.152

Bereits seit Ende der Sommermonate 1988 stellten die Schweizer Medien Vermutungen über mögliche Verstrickungen in die „Libanon-Connection“ an; am 1. September dieses Jahres veröffentlichte die Schweizer Tageszeitung 24 Heures einen umfassenden Bericht über die Rolle Hans Kopps unter dem Titel „Un très mystérieux Dr.“, in welchem unter anderem der türkische Unternehmenschef der Shakarchi Trading AG als ein international vernetzter Krimineller dargestellt und das plötzliche Ausscheiden des Anwalts aus dem Verwaltungsrat hinterfragt wurde.153

Am 9. Dezember 1988 gab die Bundesrätin in der Nachrichtensendung Tagesschau öffentlich zu, dass sie ihrem Mann telefonisch geraten hatte, sich aus dem Vorstand der Firma zurückzuziehen. In den folgenden Ermittlungen gelangte auch das Telefonat Hans Kopps mit der Mitarbeiterin seiner Ehefrau an die Öffentlichkeit, Elisabeth Kopp erklärte daraufhin ihren Rücktritt. In weiterer Folge wurde eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK EJPD) eingesetzt, um die Amtsführung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments zu prüfen und das Vorgehen der Behörden gegen den internationalen Drogenhandel zu durchleuchten, da sich die Schweizer Öffentlichkeit über die Indiskretionen betreffend laufende Ermittlungen nach außen empört zeigte.154

Am 22. November 1989 legte die PUK ihren Abschlussbericht vor. Im Zentrum des öffentlichen Interesses standen dabei jedoch nicht die Geschehnisse um Elisabeth Kopp und ihren Ehemann, sondern der Abschnitt IV, Politische Polizei. Darin wird die „Beobachtung und Verhütung von Handlungen, die geeignet sind, die innere und äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden“, als eine Aufgabe genannt, der die Schweizer Polizei gemeinsam mit dem Militär nachgeht. Diesbezüglich stellten einige befragte Exekutivbeamte aber klar, dass die konkrete Arbeit „letztlich den einzelnen Sachbearbeitern in den Kantonen überlassen bleibt“, und weiter: „Es existieren keine klaren Kriterien für die Beobachtung und Erfassung [Anm.: dieser] politisch-polizeilicher Vorgänge.“155

152 Matter, Martin: P-26. Die Geheimarmee, die keine war. Wie Politik und Medien die Vorbereitung des Widerstandes skandalisierten. Baden 2012. S. 64f. Im Folgenden zitiert als: Matter: P-26. 153 Un très mystérieux Dr. Après les remous autour de ses déclarations fiscales, les affaires d’or de Monsieur Kopp. In: 24 Heures, 1.9.1988. S. 2f. 154 Matter: P-26. S. 266. 155 Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission über Vorkommnisse im EJPD. Bern, 22.11.1989. S. 807-809. (URL= https://www.parlament.ch/centers/documents/de/ed-berichte-puk-ejpd.pdf) [Zugriff am 7.6.2017]. Im Folgenden zitiert als: PUK-EJDP. 55

Abbildung 5: 24 Heures, 29.11.1989. S. 1. In einem Artikel der Tageszeitung 24 Heures wurde am 29. November darüber berichtet, dass die Politische Polizei über 900.000 Fichen über Privatpersonen oder private Organisationen angelegt hatte. Über 50 Schweizer Parlamentarier verlangten nach dem Bekanntwerden des Karteisystems Zugang zu den gesammelten Daten und forderten dieses Recht für alle Schweizerinnen und Schweizer.156

Das Gros der überwachten Personen bestand aus in der Schweiz lebenden Ausländern aus den Staaten des Warschauer Paktes sowie Schweizerinnen und Schweizern, welche mit diesem Personenkreis Kontakte pflegten. Aber auch Teile der eigenen Bevölkerung wurden überwacht: Die politische Linke, Alternative, Grüne, Frauengruppierungen sowie Anti-AKW-Bewegungen galten laut Aussagen der befragten Exekutivbeamten als potenziell verdächtig, da solche Organisationen sehr leicht vom Feind unterwandert und gesteuert werden könnten. Unter jenen Gruppen befanden sich auch sehr prominente Namen: Neben Max Frisch wurde auch Friedrich Dürrenmatt abgehört.157

Als Folge davon wurde die Bundesanwaltschaft mit Anfragen von Schweizerinnen und Schweizern, die Einsicht in personenbezogene Fiches verlangten, überflutet. Im Dezember 1989 mutierte die große öffentliche Empörung zur politischen Bewegung: Das Komitee „Schluss mit dem Schnüffelstaat“ lancierte Anfang 1990 eine Volksinitiative mit dem Namen „S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei“, die unter anderem die Auflösung der Politischen

156 50 parlamentaires ne s’en fichent pas. In: 24 Heures, 29.11.1989. S. 1. 157 Matter: P-26. S. 268. 56

Polizei forderte, jener Behörde des Staatsschutzes, welche die Erstellung der Fichen koordinierte.158

Auch Demonstrationen wurden organisiert: Am 3. März 1990 folgten über 35.000 Schweizerinnen und Schweizer dem Ruf des Fischen-Fritz, dem kurzerhand herausgegebenen medialen Sprechrohr der Bewegung, und demonstrierten vor dem Schweizer Bundeshaus in Bern für die Abschaffung der Politischen Polizei und das Recht auf Akteneinsicht. Die Demonstration Abbildung 6: Aufruf zur Demonstration am 3.4.1990 verlief zwar größtenteils friedlich, etwa tausend Demonstrierende griffen jedoch zu drastischeren Mitteln und begannen damit, Fensterscheiben der Bundesanwaltschaft einzuschlagen. Nachdem auch mehrere Fahrzeuge in Brand gesteckt worden waren, musste die Demonstration abgebrochen werden, wie ein Artikel über die Vorkommnisse in der Neuen Züricher Zeitung wenige Tage später berichtete.159 Der Beitrag fasste auch die Stellungnahmen der Schweizer Nationalratsabgeordneten in der Sitzung vom 6. März 1989 zusammen, welche den Ergebnissen des PUK-Berichts gewidmet war. Die Parlamentarier der Sozialdemokratischen Partei (SP) versuchten sogar in einer Motion160 die Politische Polizei in dieser Form abzuschaffen, welche mit 123 zu 60 Stimmen bei vier Enthaltungen abgelehnt wurde. Nationalratsabgeordneter Helmut Hubacher (SP) stellte die Politische Polizei jedoch bereits im Vorfeld als Behörde mit Ablaufdatum dar:161

„Mit diesem Instrument, auch wenn es neu verpackt ist, kann der neue Staatsschutz nicht verwirklicht werden. Die Betroffenen sind nun einmal weitgehend die Linken, die Unbequemen, jene, die etwas verändern wollen. Wenn man die nationale Versöhnung will, kann man nicht verlangen, dass die politische Polizei den sogenannten Demokratieschutz übernehmen soll.“ Der Fall Klopp sowie das Bekanntwerden des umfassenden Fichen-Archivs des Staatsschutzes stürzten die Öffentlichkeit in einen Zustand des Misstrauens. Der Schweizer Historiker Georg Kreis beschrieb den Wechsel der Grundhaltung der Gesellschaft folgendermaßen: „Der Staat,

158 Ibid. S. 270. 159 Der Nationalrat gegen die Abschaffung der Politischen Polizei. In: Neue Züricher Zeitung, 7.3.1990. S. 25. 160 Eine parlamentarische Initiative, welche die Regierung beauftragt, bezüglich einer bestimmten Thematik tätig zu werden. 161 Ibid. 57

mit dem man sich bisher identifiziert hatte, erschien plötzlich als unfreundliche und unerfreuliche Gegengröße“.162

4.2.3 L’Armée des ombres und der PUK-EMD Die dargestellten Skandale und Affären öffneten den Weg zur Offenlegung des Schweizer Stay- Behind-Netzwerks P-26. Nicht zuletzt deshalb ist es von Bedeutung, die Enthüllung der Untergrundorganisation im Kontext der gesellschaftlichen Stimmung des Frühjahrs 1990 zu betrachten: Ein großer Teil der Schweizer Öffentlichkeit war aufgeheizt, die Exekutive stand unter Generalverdacht und die Politik war gezwungen, Aufklärung und Lösungen anzubieten. Zwar waren die Titelseiten der Schweizer Printmedien zu Beginn des Jahres 1990 voll mit Enthüllungs-Artikeln und Vermutungen, den zur Offenlegung der Organisation P-26 führenden Schritt tat aber die Schweizer Illustrierte am 26. Februar: Im Leitartikel „Schnüffelstaat Schweiz. Ein SI-Report aus dem BuPo- und EMD-Untergrund. Die Geheimarmee der EMD- Spione“ wurde dramatisierend beschrieben, wie „2000 Männer und Frauen, ausgebildet im Bombenlegen, im lautlosen Töten, Leute wie Du und ich“, aktiv im Widerstand gegen potenzielle Besatzungsmächte wären, die Befehlsgewalt läge jedoch im Ausland. Als Quelle berief sich das Nachrichtenmagazin auf die Angaben eines ehemaligen Geheimdienstoffiziers, der den Journalisten „an einem abgelegenen Ort im Baselgebiet bis tief in die Nacht hinein alles über Widerstandsorganisationen“ erzählte.163 Martin Matter vermutet, dass die frühere rechte Hand Bachmanns, Ruedi Moser, in Kontakt mit der Schweizer Illustrierten stand.164 Auch die Tageszeitung 24 Heures griff die Geschichte auf, titelte zwei Tage später mit „Le mystère de l‘armee des ombres“165 (dt.: Das Geheimnis der Schattenarmee) und brachte im folgenden Bericht den suspendierten Bachmann wieder ins Spiel: Zwar war der offizielle Spezialdienst Abbildung 7: Karikatur Bachmanns auf der Titelseite der 24 Heures.

162 Zit. in: Matter: P-26. S. 270. 163 Schnüffelstaat Schweiz. Ein SI-Report aus dem BuPo- und EMD-Untergrund. Die Geheimarmee der EMD- Spione. In: Schweizer Illustrierte, 26.2.1990. 164 Matter: P-26. S. 274. 165 Le mystère de l‘armee des ombres. In: 24 Heures, 28.2.1990. S. 1. 58

1973 eingestellt worden, aber die Strukturen selbst noch immer aktiv.166

Wenige Tage nach der Großdemonstration begann das Schweizer Parlament, öffentlich über eine erneute Untersuchungskommission zu diskutieren. Am 8. März wurde schließlich die Einsetzung der PUK EMD beschlossen. Der Chef des Eidgenössischen Militärdepartments, Kaspar Villiger, nahm in derselben Sitzung zu den Vorwürfen Stellung und gab die Existenz einer geheimen Widerstandsorganisation zu. Weiters rief er das Parlament dazu auf, die „Angelegenheit möglichst rasch zu erledigen und sich den grossen Problemen der Zukunft zuzuwenden“, da er sich sicher sei, dass das EMD keine „Schnüffelorganisation betreibe“ und „kein Grund zur Proklamation einer Staatskrise“ bestehe.167

Die parlamentarische Untersuchungskommission kämpfte jedoch anfänglich selbst mit Problemen: Der designierte Kommissionspräsident Hans Danioth (Christlichdemokratische Volkspartei, CVP) verzichtete auf den Vorsitz, nachdem die Sozialdemokraten (SP) und Grünen auf den PUK-EJPD-Abschlussbericht verwiesen hatten, in welchem Denioth mit der Ausstellung einer Jahresaufenthaltsbewilligung an einen Türken, der zuvor bei einer privaten Auslandsreise mehrerer Regierungsräte als Dolmetscher engagiert gewesen war und sich später als Drogendealer herausstellte, in Verbindung gebracht wurde.168 Nachdem die PUK-EMD ihre Arbeit schließlich aufgenommen hatte, wurde es in den Medien wieder ruhig um die „Geheimarmee“. Da Villiger in seiner Rede vom 8. März jedoch unter anderem bekanntgab, dass ein politischer Beirat (Gruppe 426, vgl. Kap. 4.1.3) als Kontrollgremium diente, begannen die Schweizer Medien, nach Namen zu jagen. Noch im selben Monat wurde deshalb bekannt, dass der Sozialdemokrat Sepp Stappung seit 1984 diesem Gremium angehörte. Seine Partei gab sich schockiert, sprach sich aber in weiterer Folge gegen eine Aufforderung zum Rücktritt aus. Dass die Gruppe 426 kein Kontrollgremium war, sondern nur eine Beratungsfunktion hatte, wurde dabei jedoch nicht öffentlich.169

Am 11. Oktober 1990 wurden die Enthüllungen des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti bezüglich des antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerks Gladio in den Schweizer Medien aufgegriffen, eine Verbindung zur Schweiz wurde jedoch noch nicht hergestellt.170 Bereits drei Tage später nannte ein Artikel der 24 Heures die Schweiz als einen

166 Meyer, Thierry: „L'armée des ombres“ existe encore. Liquidée après l‘affaire Bachmann, puis reformée. In: 24 Heures, 28.2.1990. S. 9. 167 Kein Grund zur Proklamation einer Staatskrise. Bundesrat Villiger geht in die Gegenoffensive. In: Neue Züricher Zeitung, 9.3.1990. S. 21. 168 CVF sucht neuen Kandidaten. In: Neue Züricher Zeitung, 9.3.1990. S. 21. 169 Matter: P-26. S. 276f. 170 Ramifications multiples. In: 24 Heures, 11.11.1990. S. 5. 59

jener Staaten, in welchen das über Westeuropa verzweigte Netzwerk ebenfalls aktiv wäre.171 In einem weiteren Beitrag wurde ein belgischer Stay-Behind-Agent, der nach eigenen Angaben mit Schweizern zusammengearbeitet hatte, als Quelle dieser Behauptungen genannt und auf die von Bachmann 1981 beschriebene Untergrundorganisation verwiesen.172

4.2.4 Eine „skandalöse Geheimtruppe“ und ihr Goldschatz Wenige Tage später beendete die PUK-EMD unter der Leitung Carlo Schmids (CVP) ihre Ermittlungen und legte am Freitag, dem 23. November 1990, einen 277-seitigen Schlussbericht vor. Bereits einen Tag später, in einer Wochenendsitzung des Bundesrates, wurde die Auflösung des Stay-Behind-Netzwerks beschlossen. Aus einem Beitrag der Neuen Züricher Zeitung geht hervor, dass alle Parteien die PUK für ihre gründliche Arbeit lobten. Abgeordnete der Liberalen (FDP) gaben zu verstehen, dass sich die Anschuldigungen bezüglich des „Schnüffelstaats Schweiz“ nicht bewahrheitet hätten. Die SP-Abgeordneten hingegen sprachen von einem „erschreckenden Demokratieverständnis der höchsten Schweizer Militärs“ und unterstellten CVP und FDP, dass sie die politische Dimension des Skandals nicht begriffen hätten. Auch personelle Konsequenzen wurden seitens der Linksparteien gefordert.173

Weniger nüchtern wurde die Enthüllung von anderen Medien aufgenommen: Die 24 Heures berichtete von 400 schwer bewaffneten Stay-Behind-Agenten, welche nicht nur auf Bedrohungsszenarien aus dem Ausland reagieren sollten, sondern auch als Bollwerk gegen eine Machtergreifung der politischen Linken dienten.174 In der Schweiz war die kommunistische Parteiorganisation, gemeinsam mit mehreren faschistischen Gruppierungen, jedoch seit 1940 verboten. Der Großteil der Schweizer Kommunisten gliederte sich daher in die SP ein, während andere im Oktober 1944 die Partei der Arbeit (PdA) gründeten. Zwar wurden die PdA- Mitglieder von der Bundespolizei als Radikale eingestuft, jedoch kam die Kleinpartei, anders als der italienische CPI, nie in die Lage, auf große Unterstützung seitens der Schweizer Bevölkerung zählen zu können. Bei ihrem historisch besten Wahlergebnis konnte die PdA 5,1% der Stimmen bei den Schweizer Parlamentswahlen 1971 erreichen.175 Neben Hinweisen auf die Finanzierung – das Stay-Behind-Netzwerk hortete laut Bericht der 24 Heures eine Kriegskasse

171 Terreur anticommuniste. In: 24 Heures, 14.11.1990. S. 5. 172 Ombres bernoises. In: 24 Heures, 14.11.1990. S. 5. 173 Anerkennung der Parteien für die Arbeit der PUK EMD. Grosse Unterschiede in der politischen Beurteilung der Ergebnisse. In: Neue Züricher Zeitung, 25.11.1990. S. 24. 174 Une armée sort de l‘ombre. In: 24 Heures, 25.11.1990. S. 9. 175 Ganser: Switzerland. S. 565. 60

von elf Millionen Franken in Form von Goldplatten – wurden auch erstmals Verbindungen zu Gladio gezogen.176

Die Schweizer Öffentlichkeit reagierte abermals empört, aus den Sitzungen des Parlaments verschwand die Debatte um das Stay-Behind-Netzwerk jedoch rasch. Am 26. November 1990 gab ein Sprecher des EMD kund, dass die Auflösung der Organisation P-26 ohne weitere Informationen an die Öffentlichkeit vonstattenginge. EMD-Chef Kaspar Villiger versicherte jedoch, dass die Auflösung gesichert sei.177

Nur sechs Tage nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der PUK-EMD konnte die Schweizer Presse bereits die verdeckten Führungspersonen hinter der Organisation ausfindig machen. In der Tageszeitung Le Matin erschien am 29. November 1990 ein Bericht, der Efrem Cattelan als den Befehlshaber des Stay-Behind-Netzwerks identifizierte. Unter dem Decknamen Rico organisierte er unter anderem den Aufbau mehrerer Ausbildungszentren für die Widerstandskämpfer und Agenten. Eine der spektakulärsten Ausbildungsstätten soll sich laut dem Zeitungsbericht in einem unterirdischen Operationssaal des Krankenhauses Limmattal befunden haben.178

Der PUK-Bericht und die Recherchen der Schweizer Presse waren im Kontext der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, welche vom 19. bis 21. November stattgefunden hatte, zu einem aus gegenwärtiger Perspektive amüsanten Zeitpunkt publik gemacht worden: Die Staaten des Warschauer Pakts gaben gemeinsam mit der NATO eine Erklärung ab, der zufolge frühere Verpflichtungen zum Verzicht auf einen Angriff bestätigt worden waren und die beiden Blöcke sich nicht als Gegner, sondern als Partner sehen würden. Dies geschah, während in Westeuropa, vor allem aber in Italien, ein antikommunistisches Stay- Behind-Netzwerk unter NATO-Kontrolle enthüllt wurde.179

Am 7. Dezember stand Efrem Cattelan, der Leiter der P-26, schließlich bei einer Pressekonferenz im Schweizer Bundeshaus Rede und Antwort. Begleitet vom ehemaligen Generalstabschef Hans Senn, dem amtierenden Chef des Generalstabs Heinz Häsler und dem UNA-Leiter Richard Ochsner, ging der Befehlshaber des Stay-Behind-Netzwerks in die Offensive: Der PUK-EMD-Bericht wurde als inquisitorisch kritisiert; dass die Organisation nicht verfassungsmäßig sei, wäre unsinnig; von Putschabsichten oder einer Arbeit gegen die

176 P-26 et Glaive? In: 24 Heures, 25.11.1990. S. 9. 177 Keine Informationen zum Ablauf der «P-26»-Auflösung. In: Neue Züricher Zeitung, 27.11.1990. S. 26. 178 Le chef sort de l'ombre. In: Le Matin, 29.11.1990. S. 3. 179 Matter: P-26. S. 281. 61

politische Linke des Landes könne keine Rede sein. Der erstmals öffentlich auftretende Cattelan beschrieb das Konzept der Organisation und zog damit großes mediales Aufsehen auf sich. Die Reaktion der Schweizer Presse war gespalten: Die Basler Zeitung sah nach den Offenlegungen Cattelans die anfängliche Empörung für ungerechtfertigt an, andere Tageszeitungen übten jedoch harsche Kritik. So meldete die Berner Zeitung, dass der Chef der P-26 mit Vorwürfen kontere, statt Einsichten zu liefern; der Tages-Anzeiger berichtete, dass nun das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Exekutive endgültig verspielt sei.180

Ebenfalls im November 1990 verlangte die SP gemeinsam mit den Grünen, dass ein weiterer Untersuchungsausschuss die Verbindungen der P-26 zu Gladio und zur NATO untersuchen solle.181 Die Linksparteien zeigten ein besonderes Interesse daran, die internationale Verflechtung des Stay-Behind-Netzwerks aufzudecken; die Untergrundorganisation wurde als „skandalöse Geheimtruppe“ bezeichnet, welche als Herrschaftsinstrument gegen innere Gegner missbraucht worden wäre. Der Schweizer Richter Pierre Cornu begann im Dezember 1990 mit Ermittlungen bezüglich der internationalen Kooperation der Stay-Behind-Netzwerke.182

Cornu bestätigte in einem Zwischenbericht zumindest eine Kooperation mit dem britischen Verteidigungsministerium. Unter anderem hatte jedoch der Schweizer Militärausbildner Alois Hürlimann bereits 1984 im Zuge eines Englisch-Sprachkurses in der Schweiz eröffnet, dass er an geheimen paramilitärischen Ausbildungen in England teilgenommen hatte.183 Der Richter erklärte nun aber offiziell, dass Mitglieder der Schweizer Stay-Behind-Organisation regelmäßig nach England reisten, um dort von britischen Spezialisten ausgebildet zu werden.184 Während das Schweizer Militärdepartment solche Ausbildungen als nichts Ungewöhnliches abtat, gab ein Vertreter des MI6 der britischen Presse im Jahr darauf zu verstehen, dass der Auslandsgeheimdienst Englands sehr gut über die Schweizer Stay-Behind-Struktur informiert war: „MI6 knew the details about the Swiss secret army, including who headed it, its codenames, and the location of facilities, which included sophisticated arms and underground training bunkers.“185

Ein Bericht der Neuen Züricher Zeitung vom 24. Dezember 1990 macht jedoch deutlich, wie die anfängliche Empörung der Schweizer Öffentlichkeit langsam abflachte. Die Organisation

180 Ibid. S. 282. 181 Ganser: Switzerland. S. 567. 182 Matter: P-26. S. 282. 183 Frieden, Urs: Die England Connection. PUK EMD: P26 Geheimarmist Hürlimann im Manöver. In: Wochenzeitung, 30.11.1990. 184 Ganser: Switzerland. S. 568. 185 Liffey, Kevin: Secret Swiss Resistance Force Trained by British. In: Reuter News Service, 19.9.1991. 62

P-26 wurde, ohne dauernde Kontrolle durch das Parlament, langsam aufgelöst. Die Öffentlichkeit sollte dabei erst im Nachhinein über diese Schritte informiert werden. Neben der Namensliste der 400 P-26-Agenten sollte auch ein Großteil der Ausbildungs- und Waffenlager des Untergrundnetzwerks geheim bleiben, da sie „von der Armee weiterhin gebraucht werden“ könnten.186 Als der Abschlussreport des Richters Pierre Cornu schließlich dem Parlament vorgelegt wurde, geriet Verteidigungsminister Kaspar Villiger unter Druck aus London. Die Briten befürchteten, dass jenes Dokument zu viel über die klandestine Kooperation in Westeuropa enthüllen und damit einen großen Rückschritt für die Arbeit der europäischen Geheimdienste bedeuten könnte. Als Folge klassifizierte die Schweizer Regierung den Schlussbericht und veröffentlichte stattdessen am 19. September 1991 eine 17-seitige Zusammenfassung. In dieser stellte die Regierung klar, dass die Organisation P-26 nicht Teil eines internationalen Netzwerks sei. Weiters wurde im Dokument erklärt, dass militärische Übungen einer Schweizer Widerstandsorganisation gemeinsam mit anderen Staaten eine formale Verfassungsverletzung darstellen würden und somit auszuschließen waren.187 Da bis dato von Regierungsseite keine weiteren Informationen veröffentlicht wurden, stellt dies auch gegenwärtig noch die Haltung der offiziellen Schweiz dar.

Versuche, den Cornu-Abschlussbricht in ungekürzter Form der Schweizer Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, scheiterten mehrmals. Am 16.3.2005 wie auch am 26.11.2009 wurden Motionen zur Veröffentlichung des Dokumentes, initiiert vom Grünen-Politiker und Historiker Josef Lang, vom Bundesrat abgelehnt. Als Hauptargument führte der Bundesrat den Schutz personenbezogener Daten der betroffenen, ehemaligen P-26-Mitglieder an und verwies auf die gesetzliche Sperrfrist von 50 Jahren. 188

4.2.5 Zusammenfassung Die Enthüllungen um die Stay-Behind-Pläne und -Strukturen in der Schweiz können als ein Wechselspiel zwischen Reaktionen der Schweizer Zivilgesellschaft und den Ermittlungen mehrerer parlamentarischer Untersuchungskommissionen verstanden werden. Zwar gaben bereits die Bachmann/Schilling-Affäre des Jahres 1979 und der diesbezügliche

186 Auflösung der Geheimorganisationen ohne dauernde Kontrolle durch das Parlament. In: Neue Züricher Zeitung, 24.12.1990. S. 13. 187 Schweizer Bundesrat: Schlussbericht in der Administrativuntersuchung zur Abklärung der Natur von allfälligen Beziehungen zwischen der Organisation P26 und analogen Organisationen im Ausland. Kurzfassung für die Öffentlichkeit. 19.11.1991. S. 2. 188 Motion zur Veröffentlichung des Cornu-Berichtes vom 26.11.2009. (URL= https://www.parlament.ch/de/ ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20094021) [Zugriff am 10.6.2017] 63

Abschlussbericht189 erste Hinweise darauf, dass in der Schweiz ein Stay-Behind-Netzwerk errichtet worden war, die öffentliche Reaktion konzentrierte sich aber vor allem auf die gescheiterte Spionagemission des Unternehmensberaters Kurt Schilling, welcher die Eidgenossenschaft gegenüber ihren östlichen Nachbarn in Verlegenheit brachte.

Der Weg zur Enthüllung der Organisation P-26 selbst kann als Kettenreaktion verschiedener Skandale und Affären beschrieben werden: Zu Beginn veranlassten Ermittlungen im Fall Kopp die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission, welche die Amtsführung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments prüfen sollte. Die Schweizerinnen und Schweizer waren über die Verwicklung ihrer beliebten ersten Bundesrätin besonders schockiert, der Abschlussbericht der PUK-EJPD vom 22. November 1989 führte jedoch umgehend in die Fichen-Affäre: Die systematische Überwachung der Schweizer Bevölkerung resultierte unter anderem in einer Ansammlung von über 900.000 Karteikarten, welche Details aus dem politischen und privaten Leben der Überwachten zum Inhalt hatten. Die Schweizer Gesellschaft reagierte empört und wurde dabei von einem großen medialen Echo angefeuert. Die Größenordnung der öffentlichen Reaktionen veranschaulicht die Gründung der Volksinitiative „S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelstaat“, das Entstehen des Nachrichtenmediums „Fischen-Fritz“ und die großangelegte Demonstration am 3. März 1990. Die angespannte Stimmung der Gesellschaft wurde durch die Meldung der Schweizer Illustrierten vom 26. Februar alles andere als gemildert: Das Boulevard-Magazin publizierte einen umfassenden Bericht über die Existenz einer Schweizer „Geheimarmee“. Erneut beugte sich die Legislative dem Druck der Öffentlichkeit und setzte eine parlamentarische Untersuchungskommission ein, um die Hintergründe aufzuklären. Die Offenlegungen des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti ließen schließlich Vermutungen darüber aufkommen, dass die Untergrundorganisation der Schweiz Teil eines durch die NATO koordinierten, antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerks sei. Am 23. November 1990 legte die PUK-EMD ihren Abschlussbericht vor, die medialen Wogen gingen hoch: Vor allem die Linksparteien sahen in der Bestätigung der Existenz des Stay-Behind-Netzwerks P-26 eine grobe Verletzung der Schweizer Verfassung. Die Auflösung der Widerstandsorganisation wurde umgehend und überparteilich beschlossen, die Verwicklung des Netzwerks in eine Stay- Behind-Struktur von europäischer Dimension sollte jedoch weiter überprüft werden. Mit der Klassifizierung des Abschlussberichtes, der aus den Ermittlungen des Richters Pierre Cornu entstand, dementierte die Schweizer Regierung jedoch den internationalen Charakter der

189 Bericht der Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommission an den Nationalrat über ihre zusätzlichen Abklärungen zur Angelegenheit Bachmann. Bern, 19.1.1981. 64

Organisation P-26. Versuche, das Dokument der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, scheiterten zwar bisher, doch ist angesichts der dargestellten Geschehnisse anzunehmen, dass die Schweizer Gesellschaft dazu fähig ist, klandestine militärische, verfassungs- und gesetzwidrige Unternehmungen in der Eidgenossenschaft aufzudecken.

5 Österreich

5.1 Stay-Behind-Strukturen und -Pläne in Österreich Im folgenden Kapitel soll die Geschichte von Stay-Behind-Plänen und -Strukturen in der Zweiten Republik besprochen werden. Konträr zur Aufarbeitung der Einmischung ausländischer Geheimdienste in die Sicherheits- und Innenpolitik Italiens und der Schweiz existiert in Österreich jedoch keine parlamentarische Untersuchung der Geschehnisse rund um den Aufbau paramilitärischer Netzwerke durch alliierte Nachrichtendienste. Eine Ausnahme bildet ein Bericht des Innenministeriums bezüglich amerikanischer Waffenlager, die 1996 im Zuge der „Aktion Wühlmaus“ aufgelassen wurden. Jedoch veröffentlichte die CIA mittlerweile zahlreiche Dokumente, welche Auskunft über die Bemühungen zum Aufbau von Stay-Behind- Netzwerken auf neutralem, österreichischem Staatsgebiet geben, um einer befürchteten sowjetischen Offensive entgegenzuwirken.

Zu Beginn sollen die Entwicklungen rund um die beiden Köpfe eines rechtsextremen Netzwerkes, Theodor Soucek und Hugo Rössner, Aufschluss über den modus operandi des US- Nachrichtendienstes in der frühen Nachkriegszeit liefern. Die folgende Beschreibung der klandestinen Organisation unter der Leitung Dr. Wilhelm Höttls mit den Decknamen „Montgomery“ und „Mount Vernon“ trägt weiteren Verstrickungen der CIA mit ehemaligen Nationalsozialisten Rechnung.

Franz Ohlahs „Sonderprojekt“ unter dem Deckmantel des Österreichischen Wander-, Sport- und Geselligkeitsvereins (ÖWSGV) soll kontrastierend verdeutlichen, wie auch der österreichische Staat in die geopolitische Sicherheitsstrategie der amerikanischen Großmacht involviert war.

Abschließend sollen ein Abschnitt über die dutzenden Waffenlager, welche von der CIA und dem britischen MI6 auf österreichischem Staatsgebiet errichtet wurden, und damit in Verbindung stehende Geheimdienstdokumente der CIA-Station in Wien und der von dort koordinierten „Operation Iceberg“ das Bild der Unternehmungen des US-Geheimdienstes in Österreich ergänzen. 65

5.1.1 Der Beginn der Stay-Behind-Strukturen in Österreich

Wie in allen europäischen Staaten war die österreichische Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit geprägt von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und dem heraufziehenden Konflikt zwischen West und Ost, dem Kalten Krieg. Und doch setzt sich die österreichische Entwicklung eines Stay-Behind-Konzepts von anderen europäischen ab, was vor allem der besonderen Geschichte der Ersten Republik geschuldet ist. Ein Vergleich mit Norwegen soll diesen Umstand verdeutlichen: Die Sicherheitspolitik des skandinavischen Staates, geprägt von Volhelm Evang, dem Direktor des norwegischen Geheimdienstes NIS, und Jens Christian Hauge, dem Verteidigungsminister, reagierte auf den blitzartigen Überfall durch Deutschland mit dem Entschluss, ein Stay-Behind-Netzwerk aufzubauen, um auf vergleichbare Angriffe besser vorbereitet zu sein. Der Umstand, dass die deutsche Wehrmacht nur zwei Monate brauchte, um Norwegen zu besetzen, hatte ein Trauma hinterlassen.190

Österreichs Situation im Kontext des Zweiten Weltkriegs stellte sich anders dar: Im Jahr des Anschlusses 1938 marschierte Hitlers Armee in das Staatsgebiet der Ersten Republik und integrierte dieses in der Folge in das Deutsche Reich. Die österreichische Gesellschaft wurde erschüttert – über zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung traten der NSDAP bei, weitere schlossen sich der Wehrmacht oder der Schutzstaffel an. Ein weitaus kleinerer Teil der österreichischen Bevölkerung leistete Widerstand, viele wurden hingerichtet oder in Konzentrationslager deportiert. Nach der Niederlage Hitler-Deutschlands und dem Einmarsch alliierter Truppen kam es für Österreich – so die Annahme Daniel Gansers – zur eigentlichen Erfahrung einer feindlichen Besatzung, bis sich Großbritannien, Frankreich, die USA und die UdSSR 1955 zurückzogen, nachdem der Sowjetunion garantiert worden war, dass die Zweite Republik sich zur immerwährenden Neutralität bekenne und so ein NATO-Beitritt ausgeschlossen wurde. Der Zeitraum der Besatzung durch die Alliierten stellt auch jene Phase dar, in der der Grundstein einer verdeckten, antikommunistischen Stay-Behind-Struktur durch den amerikanischen Auslandsgeheimdienst und den britischen MI6 gelegt worden sein soll.191

190 Ganser, Daniel: Secret Warfare in Neutral during the Cold War. In: Internationale Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft. Wien 2009. S. 3-9. Hier: S. 10. Im Folgenden zitiert als: Ganser: Secret Warfare in Neutral Austria. 191 Ibid. 66

In den ersten Nachkriegsjahren rechneten vor allem die Amerikaner mit nur geringen Chancen, Westeuropa in einem künftigen bewaffneten Konflikt mit dem Ostblock verteidigen zu können: Die Pilgrim-Pläne des amerikanischen Militärs sahen vor, dass sich alliierten Truppen im Fall einer sowjetischen Offensive, welche wahrscheinlich als Einfall über Österreich und Jugoslawien nach Norditalien erfolgen würde, nach West-Italien und Triest zurückziehen sollten, wo die Front stabilisiert und ein Gegenangriff geplant werden sollten. Für diesen taktischen Rückzug war auch vorgesehen, dass Stay-Behind-Netzwerke aktiviert werden sollten, um in den besetzten Gebieten Feindaufklärung, Sabotageakte und weitere für solche irregulären Truppen typische Operationen durchzuführen. Um ein solches Netzwerk ins Leben zu rufen, wurde 1949 – im Gründungsjahr der NATO – ein umfangreiches Ausbildungsprogramm für Guerilla-Kriegführung unter dem Decknamen „Easeful“ gestartet, wobei die US-Armee Kriegsmaterial, Ausbildner und Logistik zur Verfügung stellte.192

Wie in anderen europäischen Staaten griffen die alliierten Auslandsgeheimdienste beim Aufbau eines Stay-Behind-Netzwerks auf politisch weit rechts stehende, teilweise rechtsextreme Gruppierungen zurück, um eine strikte antikommunistische Haltung gewährleistet zu sehen. Informationen über ein erstes Netzwerk solcher Art drangen jedoch bereits 1947 im Zuge der „Aktion Sacher“ an die Öffentlichkeit.193

Die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich wurde auf einen Schmugglerring, der vorwiegend Saccharin und Kokain über die österreichische Grenze schaffte, aufmerksam und begann zu ermitteln, um den illegalen Unternehmungen ein Ende zu setzen. Im Zuge der Ermittlungen ergab sich jedoch, dass die Drahtzieher des Schmugglerrings ehemalige – aber noch immer überzeugte – Nationalsozialisten waren, die sich mittels gefälschter Personalpapiere einer gerichtlichen Verfolgung entzogen. Die Ermittlungen der Aktion Sacher wurden über lange Zeit verdeckt geführt, um einerseits einen politischen Hintergrund festzustellen und um andererseits die Gruppierung in ihrer Gesamtheit dingfest zu machen. Die Drahtzieher der illegalen Unternehmungen waren Hugo Rössner, ein ehemaliger Gauhauptstellen- und Oberbereichsleiter aus Wien, Amon Göth, ein ehemaliger Jungbannführer der Hitlerjugend (nicht identisch mit dem gleichnamigen KZ-Kommandanten), Fritz Schiller, ein ehemaliger militärischer Ausbildner einer HJ-Abteilung, und Johann Balzer, ehemaliger HJ-Bannführer.

192 Riegler, Thomas: Strukturen für den geheimen Krieg. Die CIA-Waffenlager, die Netzwerke des Dr. Höttl und das „Sonderprojekt“. In: Lucile Dreidemy et.al. (Hrsg.): Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert. Bd. 2. Wien 2015. S. 665-680. Hier: S. 666f. Im Folgenden zitiert als: Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. 193 Ganser: Secret Warfare in Neutral Austria. S. 10f. 67

Diese Gruppierung, welche sich mit dem Vereinsnamen ASV Edelweiß tarnte, knüpfte zu Beginn des Jahres 1947 Kontakte zu einer steirischen Organisation: Rund um den Grazer Kaufmann Theodor Soucek hatten sich 1946 ehemalige Nationalsozialisten versammelt, die laut Angaben Souceks ihr Ziel in der Gründung einer vierten Partei sahen, welche vor allem die Anti-NS-Gesetzeslage in Österreich beseitigen sollte.194

Die beiden führenden Köpfe der Gruppen, Rössner und Soucek, standen in direkter Verbindung mit dem amerikanischen CIC und gaben im Zuge der späteren Gerichtsverhandlung zu, dass sie unter anderem Partisaneneinheiten angeheuert und ausgebildet hätten, um auf eine eventuelle Offensive der Sowjetunion vorbereitet zu sein. Vor allem aber betonten sie, dass ihr Vorgehen mit Wissen und mit voller Unterstützung der amerikanischen und britischen Besatzer erfolgte.195 Man wollte einem ausbrechenden Konflikt zwischen West und Ost „nicht völlig fatalistisch oder resignierend“ gegenüberstehen, sondern „Vorkehrungen treffen, die der Schaffung einer Selbstschutzgemeinschaft entsprochen hätten.“196

Die österreichische Gerichtsbarkeit kam zum Schluss, dass Soucek und Rössner die Köpfe der Untergrundbewegung waren, und verurteilte beide 1949 zum Tode. Überraschend wurden beide kurz darauf vom österreichischen Bundespräsidenten Theodor Körner begnadigt. Soucek selbst war drei Jahre nach seiner Verurteilung wieder frei und wurde 1959 sogar zum Obmann des Steiermärkischen Gewerbebundes gewählt.197

5.1.2 Montgomery, Mount Vernon und Dr. Höttls Netzwerk Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Dr. Wilhelm Höttl war in den ersten Nachkriegsjahren als Autor tätig, gründete eine Privatmittelschule in Bad Aussee – und arbeitete als Spion für den amerikanischen Geheimdienst. 1947 wurde Höttl aus der Kriegsgefangenschaft der Amerikaner entlassen und seine Auslieferung an ein österreichisches Volksgericht verweigert, da das CIC vorhatte, sein Wissen, speziell über Ungarn und die Balkanregion, zu nutzen. Bereits 1948 führte Höttl im Auftrag des CIC einige Operationen durch: Er organisierte unter anderem ein Agentennetzwerk unter dem Decknamen „Montgomery“, welches Informationen betreffend militärischer und kommunistischer Aktivitäten sowie wirtschaftliche-industrieller Entwicklungen in Ungarn zur Verfügung stellen sollte. Kern der Organisation Montgomery war

194 Riegler, Thomas: Die „Rössner-Soucek-Verschwörung“: NS-Untergrundbewegungen, Geheimdienste und Parteien im Nachkriegsösterreich. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (1/2015). S. 44- 75. Hier: S. 47. Im Folgenden zitiert als: Riegler: Rössner-Soucek-Verschwörung. 195 Ganser: Secret Warfare in Neutral Austria. S. 11. 196 Riegler: Rössner-Soucek-Verschwörung. S. 48. 197 Neonazistische Gründerjahre. Die Wiederbelebung der faschistischen Internationale und ihre Geheimdienstkontakte. In: Zoom. Zeitschrift für Politik und Kultur (4/1996). S. 90-101. Hier: S. 98. 68

der ehemalige SS-Hauptsturmführer Karoly Ney, der einige ungarische Kriegsveteranen um sich scharte, welche der UdSSR und dem Kommunismus feindlich gegenüberstanden. Der Stützpunkt dieser Gruppierung befand sich in einem Gebäude des amerikanischen CIC in Lambach, Oberösterreich, in dessen Nähe (Grünau) auch Ausbildungen zum Partisanenkampf stattgefunden haben. Das CIC unterstützte diese Aktivitäten monatlich mit 60.000.- Schilling, Details über Ausbildung und Struktur dieser Organisation sind jedoch nicht bekannt. Fest steht aber, dass jene durch die ungarischen Mitglieder der Gruppierung eingeholten Informationen über die Lage in Ungarn von einem engen Vertrauten Höttls namens Erich Kernmayer aufbereitet wurden, um schließlich von amerikanischen Geheimdiensten genutzt zu werden.198

Neben Montgomery leitete Höttl jedoch auch noch ein weiteres größeres Unternehmen unter dem Decknamen „Mount Vernon“. Das erklärte Ziel dieser ebenfalls vom CIC geleiteten Aktion war es, ein österreichisches Nachrichtennetzwerk zu etablieren, das im Kriegsfall als antibolschewistische Untergrundbewegung dienen sollte. Im Zentrum dieser Operation stand jedoch die Informationsbeschaffung über kommunistische Bewegungen in Österreich, allen voran die KPÖ. Das CIC förderte auch dieses Unternehmen Höttls mit einer Startsumme von 25.000 Schilling, die Leitung übernahm Karl Kowarik, der 1934 die gesamte österreichische HJ befehligte, bevor diese in der Ersten Republik aufgelöst wurde. Das Hauptquartier von Kowariks Truppe war, nahe dem der Operation Montgomery, in der Villa Bauer bei Gmunden eingerichtet worden. Zur Unterstützung wurden Kowarik vor allem ehemalige HJ-Mitglieder zugeteilt – wie so oft bediente sich der amerikanische Geheimdienst also an Strukturen der Nationalsozialisten und versorgte diese mit reichlich finanzieller Unterstützung.199

Das Bindeglied zwischen diesen Operationen war Dr. Wilhelm Höttl. Unter dem Decknamen „Willi“ wurde er vom CIC als „control chief“ bezeichnet und dirigierte sowohl Montgomery als auch Mount Vernon: „Er allein und persönlich empfängt alle Gelder und verteilt sie auf die einzelnen Gruppen und Personen“.200

198 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 672f. 199 Ibid. S. 674. 200 Ibid. 69

Nach dem Aufbau dieser Strukturen wurde aber deutlich, dass vor allem Montgomery unter der Leitung Karoly Neys nicht die gewünschten Informationen lieferte, sondern sogar auf Gegenspionagemaßnahmen der UdSSR hereinfiel, wie ein CIA-Dokument von 1948 beschreibt:201

„Durch das leichtsinnige Vorgehen bei der Auswahl der Agenten ist ein katastrophaler Versager verschuldet worden: NEY hat einen Feldwebel der ungarischen Grenzjägertruppe eingebaut, der zweifellos ein Agent […] ist. Dieser Mann hat nicht nur das Hauptquartier in Lambach erkundet; ihm ist auch der grössere Teil der Agenten durch das Grünauer Lager bekannt geworden, und außerdem ist er von NEY mit wichtigen Aufträgen nach Ungarn geschickt worden.“ Wegen dieser für das CIC wohl katastrophalen Entwicklungen wurde Karoly Ney als Leiter der Gruppe Montgomery abkommandiert und das Ausbildungszentrum für Partisanenkampf wurde 1948 geschlossen. Die Aktivitäten der Untergruppe wurden vollständig von Kernmayer übernommen, dem schließlich auch Mount Vernon und dessen Leiter Kowarik unterstellt wurden. Damit sollte auch der Aufgabenbereich der Aktivitäten neugestaltet werden: Statt sich auf Informationsbeschaffung bezüglich der Entwicklungen in Ungarn und bei der österreichischen kommunistischen Bewegung zu beschränken, sollte die Aufklärungsarbeit auf die gesamte österreichische Innenpolitik und Wirtschaft ausgedehnt werden. Kernmayer hatte große Pläne: Er hatte die Errichtung einer amerikanischen antikommunistischen Propagandastelle im Sinn, die insbesondere innerhalb der kommunistischen Bewegung für Verwirrung sorgen und ideologische Zweifel sähen sollte. Diese Pläne wurden jedoch vom CIC abgelehnt. Mehr noch: Es kam zu erheblichen Spannungen, da die Gruppe unter Kernmayer nicht die Erwartungen des CIC erfüllte. Die Qualität der Informationen und die Häufigkeit, mit der diese weitergeleitet wurden, werden in einem CIA-Dokument als unbefriedigend bezeichnet.202 Das Projekt Mount Vernon soll Informationen aus dem Einflussbereich der UdSSR an das CIC übermittelt haben, die sich entweder als schlichtweg falsch oder als aus Tageszeitungen abgeschrieben herausgestellt hatten. Weiters seien über Monate hinweg überhaupt keine Informationen an die Amerikaner geflossen. Als logische Folge ließ das CIC Höttls Spionage-Netzwerk fallen: Mit 1.9.1949 hörte das Netzwerk auf, von amerikanischer Unterstützung zu profitieren.203

201 Vorgänge in der Nachrichtenorganisation Dr. Wilhelm Höttl, 5.11.1948. S. 2. (URL= https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/HOETTL%2C%20WILHELM%20%20%20VOL.%203_0019.pd f) [Zugriff am 18.5.2017]. 202 Ibid. S. 5. 203 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 675. 70

In einem Abschlussbericht des CIC-Operationschefs in Salzburg, Major James Milano, beschreibt der Geheimdienstoffizier genauer, warum die Kooperation mit Höttl und dessen Kontakten abgebrochen wurde: Zwar sei Wilhelm Höttl ein exzellenter Nachrichtendienstler, aber auch extrem gefährlich. Eine naheliegende Begründung stellt ein Schreiben Höttls an Milano dar, in welchem er – trotz der Beendigung der Projekte Montgomery und Mount Vernon – seine Unterstützung im Kampf gegen den „bolschewistischen Weltfeind“ zusichert: Anscheinend war die in Höttl und seinen engeren Kontaktmännern tief verwurzelte nationalsozialistische Ideologie schlussendlich auch für die amerikanischen Geheimdienste zu problematisch. Weiters soll Höttl, so Major Milano, Spionagearbeit mit Lokalpolitik vermischt und seiner eigentlichen Aufgabe nur „extrem schlecht“ nachgekommen sein, was eine monatliche Bezahlung von 2.600 Dollar nicht rechtfertigen würde. Um die Verbindung mit Höttl endgültig zu trennen und die Gefahr der Aufdeckung amerikanischer Geheimdienstbemühungen durch ihn zu verhindern, wurden österreichischen Medien gefälschte Informationen zugespielt, die Höttl in den Kreis eines sowjetischen Spionageringes rückten.204

5.1.3 Franz Olah und der ÖWSGV Konträr zu den oben beschriebenen Unternehmungen des CIC bzw. der CIA, die hauptsächlich auf Kontakte zu österreichischen Privatmännern setzten, ist bei den im Folgenden besprochenen Ereignissen die Rolle des österreichischen Staates beziehungsweise der Entscheidungsträger der Zweiten Republik bemerkenswert. Im Zentrum dieser Entwicklungen steht der spätere ÖGB-Präsident und Innenminister Franz Olah, der seit 1949 die Funktion des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter innehatte. 1950 war Olah in die teilweise gewaltsame Auflösung einer Streikbewegung gegen das 4. Lohn- und Preisabkommen involviert: Die Proteste gegen die Tarifverträge, welche als Oktoberstreiks in die Geschichte der Zweiten Republik eingingen, wurden von der damaligen ÖVP-SPÖ-Regierung als Putschversuch der KPÖ gedeutet. Um weitere befürchtete Versuche einer kommunistischen Machtübernahme zu vereiteln, wurde in der Folge das sogenannte „Sonderprojekt“ ins Leben gerufen: Unter kräftiger finanzieller Unterstützung des amerikanischen Auslandsgeheimdiensts bzw. der explizit antikommunistischen American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations (AFL-CIO) wurden unter dem Deckmantel des Österreichischen Wander-, Sport- und Geselligkeitsvereins (ÖWSGV) Räumlichkeiten und Fahrzeuge angemietet.205 Olah

204 Ibid. 205 Ibid. S. 676. 71

selbst spricht in seinem autobiographischen Werk vom Aufbau einer „systematischen Abwehrorganisation“, um für neuerliche Versuche der Machtergreifung der Kommunisten in Österreich gerüstet zu sein.206 Die historische Aufarbeitung erweist sich, wie so oft in vergleichbaren Fällen, auch hier als problematisch: Olah ordnete an, alle für den ÖWSGV und das Geschehen rund um die Oktoberstreiks relevanten Dokumente, die im Keller eines Gewerkschaftsgebäudes in der Wiener Ebendorfer Straße gelagert worden waren, zu vernichten.207

Die zentrale Aufgabe des Sonderprojektes soll es gewesen sein, ein autarkes Nachrichtennetz zwischen allen Hauptstädten der österreichischen Bundesländer, mit Ausnahme Vorarlbergs, zu errichten. Funkgeräte wurden installiert, um die Koordination der Untergruppen des Untergrundnetzwerks zu ermöglichen. Doch neben Kommunikationstechnologie erhielten die Gruppen der Bundesländer auch Mittel zum Kampf: Spezialgruppen wurden im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoff und Nahkampf ausgebildet und mit entsprechendem Material versorgt.208

Zwar sollen sich einige größere Waffenlager des ÖWSGV in Wien befunden haben, aber auch in die Infrastruktur der Bundesländer soll kräftig investiert worden sein:209

„Im Salzburgerischen, in Golling, lagerte die Winterausrüstung für eine komplette Kompanie. Ein Angestellter der Stadt Wien, ein ausgebildeter Wasenmeister, war freigestellt, um unsere Ausrüstung in Schuss zu halten – im wahrsten Sinne des Wortes.“ Auch der SPÖ-Politiker selbst war gut gerüstet: In einem Stahlschrank an seinem Arbeitsplatz lagerte ein Waffenvorrat „bis hin zu Maschinenpistolen, um uns im Notfall den Weg freizumachen“. Weiters befanden sich Tränengasbomben in seinem persönlichen Arsenal, deren Einsatz Olah als viel vernünftiger einschätzte, „als sofort zu schießen“.210

Über die Existenz dieses Netzwerks – das, wie CIA-Dokumente belegen, von der US-Regierung als Stay-Behind-Struktur gesehen wurde211 – wussten laut Franz Olah zumindest Innenminister Oskar Helmer, Gewerkschaftsbundpräsident Johann Böhm und Bundespräsident Adolf Schärf (alle SPÖ) Bescheid, ohne sich jedoch über die genaue Organisation und Struktur im Klaren zu

206 Olah, Franz: Erlebtes Jahrhundert: Die Erinnerungen. Wien 2008. S. 143. Im Folgenden zitiert als: Olah: Erinnerungen. 207 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 676. 208 Svoboda, Wilhelm: Franz Olah: Eine Spurensicherung. Wien 1990. S. 39f. 209 Olah: Erinnerungen. S. 143ff. 210 Ibid. 211 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 679. 72

sein. Olah schätzte, dass insgesamt etwa „ein paar tausend Österreicher“ mit den Stay-Behind- Plänen in Kontakt getreten seien, wobei der eigentliche Kern an Entscheidungsträgern nur aus einigen wenigen Mitgliedern, meist Gewerkschafts- oder SPÖ-Funktionären, bestanden haben soll. Das Netzwerk soll bis 1955 in dieser Form existiert haben und anschließend reorganisiert worden sein: Vor allem die Modernisierung der Kommunikationstechnologie in Form neuer Funkgeräte mit höherer Reichweite, die an abgelegenen Orten Österreichs zur Verwendung bereitgestellt wurden, soll ein zentrales Anliegen gewesen sein. Erst mit Olahs Rücktritt als Innenminister 1964 wurde die Organisation entweder aufgelassen oder von anderen Strukturen übernommen.212 Bezüglich der Unterstützung, die Olah zweifelsohne für den Aufbau seines Netzwerks erhielt, hat der ehemalige Innenminister zeitlebens geschwiegen: Er soll von niemandem Befehle erhalten haben. Jedoch räumt er ein, dass „die USA unsere stärkste Stütze [waren], […] was uns verband war das gemeinsame Interesse, einer gewaltsamen Machtergreifung der Sowjets oder anderen Handlangern jeden nur möglichen Widerstand entgegenzusetzen.“213 Verbindungen zu Stay-Behind-Netzwerken in anderen europäischen Staaten dementierte Olah jedoch heftig – in seinen Erinnerungen schreibt er: „Alle Vermutungen über Zusammenhänge mit ähnlichen Organisationen im Ausland (z.B. ‚Gladio‘) sind Märchen.“214

Als die Lager des ÖWSGV geräumt wurden, wurde auch ein großes Waffen-, Munitions- und Sprengstoffdepot im Areal um den Brandhof, ein altes Bauerngut in Seeberg im Bundesland Steiermark, aufgelassen. Auch der ÖWSGV hatte in der Nähe dieses Lagers Ausbildungs- und Übungseinheiten („Freizeitaktivitäten“) durchgeführt. Die für die Lagerräumung verantwortliche Regierungskommission kam jedoch zum Schluss, dass der Lagerbestand zwar starke Ähnlichkeiten mit dem an anderen Orten vom ÖWSGV deponierten Material aufweise, in diesem Fall aber nicht für Olahs Netzwerk bestimmt war. Anzunehmen ist, dass die CIA eine vergleichbare Struktur mit Kriegsmaterial geschaffen hat. Aus CIA-Dokumenten geht jedenfalls hervor, dass der amerikanische Auslandsgeheimdienst Olahs Organisation als Stay- Behind-Netzwerk ansah und kräftig in dieses investierte: Unter dem Codenamen „GRDAGGER organization“ sollte Olahs Truppe im Fall einer sowjetischen Offensive für Guerilla- und Sabotageaktionen eingesetzt werden.215 Weiters machen die CIA-Dokumente deutlich, dass das Netzwerk im Jahr 1955 aus einer Mannschaft von 20 Personen bestand, sich

212 Ibid. S. 677f. 213 Olah: Erinnerungen. S. 147f. 214 Ibid. S. 148. 215 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 678f. 73

im Ernstfall aber schlagartig vergrößern konnte: „We estimate that GRDAGGER organization will expand to approximately 250 persons six months after the war starts. GRDAGGER is formed of members of an SPOe oriented trade union of 40,000 members, many of whom can be considered as potential candidates for resistance groups in time of war.“216 Zumindest 1955 rechteten die Amerikaner also fest mit dem Potenzial des Stay-Behind-Netzwerks, das durch Franz Olah aufgebaut wurde.

5.1.4 Waffenlager im neutralen Österreich Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden von den Alliierten Pläne hinsichtlich Strategien zur Wiederbewaffnung Österreichs entwickelt. Verstärkt durch den Prager Februarputsch und den Beginn der Berlin-Blockade 1948 wurde die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme in Österreich als sehr hoch eingeschätzt. Es folgten Pläne zum Aufbau von Alarmbataillonen nach dem Konzept des sozialistischen Wehrexperten Julius Deutsch – die Amerikaner begannen jedoch auch eigenständig mit der Ausbildung von Gendarmerie-Einheiten und versorgten diese mit Waffen, Munition und anderen Ausrüstungsgegenständen. Diese Unternehmungen geschahen nicht nur mit Wissen, sondern sogar auf ausdrücklichen Wunsch der österreichischen Bundesregierung Figl I. Dokumente des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes legen jedoch nahe, dass die CIA auch unabhängig vom Einverständnis und Mitwissen ausländischer Regierungen in deren Staatsgebiet operierte, um „covert operations“ (u.a. Vorbereitung zu „guerilla-warfare“) durchzuführen. Das mag zwar nicht sonderlich überraschen, jedoch ist festzustellen, dass bei den im Folgenden beschriebenen Aktionen der CIA im Gegensatz zu Olahs „Sonderprojekt“ keine Beteiligung der österreichischen Regierung anzunehmen ist.217

Eine Beteiligung der CIA war auch für das von den Amerikanern angenommene Bedrohungsszenario in einem Planungsdokument aus dem Jahr 1950 vorgesehen: Im Zuge der „Operation Straightedge“ wurde von einer „all out confrontation“ mit der UdSSR ausgegangen, in der die Sowjetunion in einer ersten Phase fast ganz Europa überrollen würde. In der zweiten Phase sollten, unterstützt von regionalen Widerstandsgruppen, die russischen Besatzer geschwächt und letztlich zurückgedrängt werden.218 Zu diesem Zweck wurden in Österreich zwischen 1949 und 1954 insgesamt 79 Waffenlager in der amerikanischen Besatzungszone

216 CIA: Project Status Report, November 1955. Zit. in: Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 679. 217 Rathkolb, Oliver: Diplomatie und Geheimdienst – am Beispiel der „CIA-Waffenlager“ und des „U.S. Escape Program“ (USEP). Antiputschszenarios 1948-1951/52. In: Oliver Rathkolb: Washington ruft Wien. US- Großmachtspolitik und Österreich 1953-1963. Wien 1997. S. 144-152. Hier: S. 144-146. Im Folgenden zitiert als: Rathkolb: CIA-Waffenlager. 218 Ibid. S. 146f. 74

errichtet.219 Im Jahr 1996 wurden 65 dieser Lager im Rahmen der „Aktion Wühlmaus“ geöffnet: In Summe wurden 300 Pistolen, 50 Panzerabwehrrohre, 250 Karabiner, 270 Maschinenpistolen, 65 Maschinengewehre, 20 Sonderwaffen, 2.700 Handgranaten, 230.000 Schuss Munition, 1.150 Panzerabwehrgranaten und 3.400 kg Sprengstoff sichergestellt. Weiters sollen sich in den Lagern detaillierte deutschsprachige Instruktionen zur Führung von Guerilla-Krieg befunden haben. Die Regierungskommission zur Untersuchung der Waffenlager kommt daher zu dem Schluss, dass die amerikanischen Waffenlager auch für österreichische Partisanen gedacht waren und damit die Einbindung in amerikanische Stay-Behind-Pläne für Österreich naheliegend ist. 220

Über die genauen Vorhaben der CIA bezüglich der errichteten Lager kann jedoch nur spekuliert werden: Die US-Regierung schweigt, abgesehen von Informationen zu Lage und Inhalt der Depots, weiterhin beharrlich.

Im Jahr 2006 veröffentlichte der Amerikaner John Richardson mit „My Father, the Spy: An Investigative Memoir“ eine Biographie seines Vaters, der in der frühen Nachkriegszeit als CIA- Stationschef in Wien gedient hatte. Der Sohn des Geheimdienstoffiziers beschreibt, wie in Westösterreich bereits 1948 zehn Lager errichtet wurden, in denen vor allem Kommunikationstechnologie verbaut wurde. Diese sollte von einem kleinen Stay-Behind- Netzwerk genutzt werden, um nach dem Durchmarsch der sowjetischen Truppen Informationen aus der Region zu liefern, vor allem aber die Truppenbewegungen der UdSSR zu dokumentieren.221 Ein CIA-Dokument aus dem Jahr 1953 nennt die CIA-Zentrale in Wien als das Hauptquartier der „Operation Iceberg“: Dieses Unternehmen hatte zum Ziel, Stay-Behind- Agenten zu rekrutieren, auszubilden und an strategisch wichtigen Punkten in Ostösterreich zu positionieren.222

219 Sika, Michael: Mein Protokoll. Innenansichten einer Republik. Wien 2000. S. 182. Im Folgenden zitiert als: Sika: Protokoll. 220 Bundesministerium für Inneres: Bericht der Regierungskommission zu den US-Waffenlagern. 21.10.1997. Archiv Rathkolb. Zit. in: Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 669. 221 Richardson, John: My Father, the Spy: An Investigative Memoir. New York 2006. S. 102. 222 Operations Base Iceberg Program, Semi-Annual Status Report. 15.9.1953. (URL= http://numbers- stations.com/cia/ICEBERG/ICEBERG_0096.pdf) [Zugriff am 20.5.2017]. 75

Abbildung 8: The purpose of Operation Iceberg

Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses CIA-Reports werden sechs aktive Agenten genannt, die im Kriegsfall unter anderem Bewegungen des sowjetischen Militärs zwischen Wien und Graz und Verkehr am Flughafen Wiener Neustadt beobachten sowie interne Informationen aus der KPÖ-Organisation weiterleiten sollten – mindestens ein Agent war also auch in die Struktur der kommunistischen Partei eingeschleust worden.223

Grundsätzlich waren die verschiedenen österreichischen Stay-Behind-Netzwerke von der CIA unter dem Decknamen GRCROOND zusammengefasst und hatten drei leitende Grundsätze ihrer Zielsetzung, wie aus weiteren Dokumenten hervorgeht:224

1) Ausbau von bereits bestehenden paramilitärischen Potenzialen

2) Rekrutierung von einheimischen Gruppierungen in abgelegenen Teilen Österreichs

3) Rekrutierung von Einzelagenten im gesamten Bundesgebiet

223 Ibid. 224 GRCROOND Project Status Report. 1.-31.1.1954. (URL= https://ia800206.us.archive.org/1/items/GRCROOND/GRCROOND%20GRREPAIR%20%20%20VOL.%202% 20%20(GRCROOND%20SUPPORT)_0008.pdf) [Zugriff am 20.5.2017]. 76

In den Jahren 1951 bis 1954 wurden im Zuge der Operation GRCROOND insgesamt 64 Materialdepots in ganz Österreich errichtet. Im CIA-Cable sind neben der Benennung der Lage auch genaue geographische Daten zu den einzelnen Lagern vermerkt:225

Abbildung 9: Längen- und Breitengrade

Abbildung 10: Lokalisierung der Materiallager 1951 Ein Vergleich der in diesem Dokument aufgelisteten Waffen- und Materiallager lässt viele Gemeinsamkeiten mit der 1996 veröffentlichten Liste der CIA-Waffendepots erkennen. Das Vorgehen im Zuge der Operation Iceberg wurde jedoch 1955 mit der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages geändert: Da eine kommunistische Machtübernahme in Österreich nun als eher unwahrscheinlich galt, sollte das Netzwerk nicht mehr intensiv weiter ausgebaut werden. Aktive Agenten blieben jedoch weiterhin für die CIA im Dienst, da eine sowjetische Aggression nicht ausgeschlossen werden konnte.226

5.1.5 Zusammenfassung Die Geschehnisse rund um Soucek und Rössner verdeutlichen, vergleichbar mit den Stay- Behind-Plänen in Italien und der Schweiz, dass alliierte Geheimdienste nicht davor zurückschreckten, mit Faschisten, ehemaligen Nationalsozialisten und solchen Personen, die dieser Ideologie noch immer verbunden waren, zu kooperieren. Zwar macht diese Entscheidung unter der Prämisse Sinn, dass eine antikommunistische Grundhaltung gewährleistet werden musste, in der Retrospektive und unter Rücksichtnahme auf die öffentliche US-Positionierung als antifaschistischer Befreier ist dieser Umstand jedoch bemerkenswert.

Andererseits macht Franz Olahs Netzwerk unter dem Deckmantel des ÖWSGV deutlich, dass auch die österreichischen Sozialdemokraten und der ÖGB stark in die sicherheitspolitischen

225 GRCROOND/OPERATIONAL Inventory of SOB Arms Caches. 5.12.1957. (URL= https://ia800206.us.archive.org/1/items/GRCROOND/GRCROOND%20GRREPAIR%20%20%20VOL.%202% 20%20(GRCROOND%20SUPPORT)_0085.pdf) [Zugriff am 20.5.2017]. 226 Riegler: Strukturen für den geheimen Krieg. S. 672. 77

Pläne und Strukturen der USA verstrickt waren. Funktionäre und Entscheidungsträger des österreichischen Staates waren sich der Operationen der CIA auf österreichischem Boden mehr als bewusst.

Bedenklich bleibt, dass in der Geschichte der Zweiten Republik nie im Zuge einer parlamentarischen Untersuchungskommission versucht wurde, die Stay-Behind-Pläne und - Strukturen für Österreich vollends aufzuklären: Anders als Italien und die Schweiz bleibt die Republik Österreich, mit Ausnahme des Berichtes über US-Waffenlager, eine Erklärung über ihre Verwicklung in die Sicherheitspolitik der NATO schuldig.

5.2 Öffentliche Reaktionen auf das Bekanntwerden von Stay-Behind-Plänen und -Strukturen in Österreich

Im Folgenden soll auf die öffentliche Reaktion gegenüber jenen Kapiteln der Geschichte der Zweiten Republik eingegangen werden, für welche beim gegenwärtigen Forschungsstand klargeworden ist, dass die amerikanische Exekutive beziehungsweise die alliierten Auslandsgeheimdienste auf die österreichische Sicherheitspolitik Einfluss genommen haben.

Zu Beginn soll zu diesem Zweck die mediale und politische Reaktion auf die Soucek-Rössner- Verschwörung beschrieben werden. Ein weiteres Kapitel widmet sich den Geschehnissen um Franz Olah und dessen erfolgreichen Bemühungen, ein antikommunistisches Stay-Behind- Netzwerk in Österreich zu etablieren.

Abschließend gibt eine Darstellung des medialen Echos auf die Entdeckung und Bergung von 79 amerikanischen Waffenlagern auf österreichischem Staatsgebiet im Jahr 1996 Aufschluss über die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Angriffen auf die österreichische Neutralität.

5.2.1 Die Soucek-Rössner-Verschwörung und das „Naziproblem“ Die Soucek-Rössner-Verschwörung erfuhr große Aufmerksamkeit durch die österreichischen Medien: Das Aufdecken einer geheimen Organisation ehemaliger beziehungsweise noch immer überzeugter Nationalsozialisten sorgte für starke Reaktionen in der Bevölkerung. Vor allem deshalb, da so wenige Jahre nach Kriegsende weder im gesellschaftlichen Diskurs noch durch die herrschende Gesetzeslage geklärt war, wie mit der großen Zahl jener Österreicher, die sich während der Herrschaft Adolf Hitlers dessen menschenverachtenden Politik fügten oder anschlossen, umgegangen werden sollte.

So berichtete die Arbeiter-Zeitung (AZ), das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokraten, am 4. Jänner 1948, dass das österreichische Innenministerium unter dem

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sozialdemokratischen Innenminister Oskar Helmer die Aufdeckung einer „illegalen nationalsozialistischen Organisation“ bekanntgegeben habe.227 Besondere Aufmerksamkeit schenkte die rote Parteizeitung dabei der Rolle der Heimkehrer-Hilfs- und Betreuungsstelle, einer eigentlich überparteilichen Organisation, deren leitende Funktionäre jedoch hauptsächlich aus ÖVP-nahem Umfeld rekrutiert wurden. Kurz und prägnant wird im Leitartikel der Tageszeitung beschrieben, wie Theodor Soucek und seine Helfer eine illegale nationalsozialistische Untergrundorganisation aufbauten. Hinweise auf eine Kooperation mit dem US-Geheimdienst beziehungsweise dem CIC kommen darin jedoch nicht vor. Im Gegenteil, der Autor des Zeitungsartikels sieht die Unterstützung der Alliierten durch die Geschehnisse gefährdet:228

„Das fehlte uns gerade noch, daß eine skrupellose Bande von Verbrechern unsere Nöte im Lande und die Schwierigkeiten mit den Alliierten durch ihre Umtriebe noch mehr vergrößert!“ Am 6. Jänner wird die Berichterstattung über die Festnahme der Rechtsextremen fortgeführt: Mit „Schonungslos zugreifen! Innenminister über die Grazer Naziverhaftungen“ betitelt die AZ zwei Tage später einen weiteren Beitrag über den Verlauf der Verfahren. Eine Beteiligung der Gruppe um Soucek und Rössner an einem alliierten Stay-Behind-Netzwerk schien aber weiterhin nicht an die Öffentlichkeit gedrungen zu sein. Die Aussagen des Innenministers Helmer sind fast 70 Jahre später jedoch unter einem anderen Licht zu lesen: In einem Gespräch mit der österreichischen Presseagentur (APA) erklärte dieser, dass „die Regierung stark genug und willens ist, eine zersetzende und den Aufbau störende Tätigkeit verbrecherischer Elemente, in welcher Maske immer sie auftreten, unter keinen Umständen zu dulden“.229

Die Organisation rund um Soucek und Rössner ließ jedoch einen öffentlichen Diskurs über den Umgang mit ehemaligen Nationalsozialisten entstehen: In der österreichischen Innenpolitik der ersten Nachkriegsjahre herrschte Konsens darüber, dass mit der nationalsozialistischen Ideologie abgerechnet werden musste. Bereits am 8. Mai 1945 wurden die NSDAP und alle ihre Unterorganisationen verboten, in dem am 26. Juni 1945 erlassenen Kriegsverbrechergesetz wurde die Bestrafung ehemaliger NSDAP-Mitglieder (vor 1938) und „schwer Belasteter“ geregelt: Ehemalige Nationalsozialisten sollten registriert, ihre Verurteilung durch Volksgerichte organisiert werden. Dazu kam am 12. September 1945 das

227 Das ausgeräucherte Grazer Nazinest. In: Arbeiter-Zeitung, 4.1.1948. 228 Ibid. 229 Schonungslos zugreifen! Der Innenminister über die Grazer Naziverhaftungen. In: Arbeiter-Zeitung, 6.1.1948. 79

Wirtschaftssäuberungsgesetz; 1947 wurde unter dem Druck der Alliierten das Verbotsgesetz verschärft.230 Der durch die Gesetzeslage erzwungene Entnazifizierungsprozess kam jedoch bald ins Stocken, sowohl SPÖ als auch ÖVP traten für eine schnelle Reintegration der registrierungspflichtigen Ehemaligen ein, da ein Ausschluss von etwa 700.000 NSDAP- Mitgliedern sowie von vielen weiteren SS- und SA-Angehörigen aus der Wirtschaft der jungen Zweiten Republik den Notwendigkeiten des Wiederaufbaus entgegenstand.231 Im Zuge der Verhandlungen über die Rössner-Soucek-Verschwörung kam die „Nazidebatte“ wieder an die Oberfläche und so wurde in der Nationalratssitzung vom 14. Jänner 1948 von einigen Abgeordneten, allen voran dem Bundesminister für Inneres Oskar Helmer, der Umgang mit Ehemaligen in Reden an das Hohe Haus diskutiert.232

Abbildung 11: Arbeiter-Zeitung, 15.1.1948 Am 15. Mai 1948 wurde schließlich das Urteil über die sechs Angeklagten, die sich gegen den Vorwurf der Wiederbetätigung verteidigen mussten, gefällt. Obwohl aus dem Verlauf der Ermittlungen, welche teilweise vom CIC manipuliert wurden, und Aussagen Souceks und Rössners hervorgeht233, dass ein Zusammenhang mit alliierten Stay-Behind-Plänen anzunehmen ist, wurden diese Umstände nicht in den österreichischen Medien erwähnt.

Selbst Oskar Helmer erwähnte den amerikanischen Einfluss, weder in parlamentarischen Reden, noch gegenüber den Medien, nicht. Unwissenheit kann man dem Innenminister in dieser Hinsicht jedoch nicht vorwerfen: Die oberösterreichische Sicherheitsdirektion richtete im Lauf der Ermittlungen gegen die Geheimorganisation der Ehemaligen ein Ansuchen an das Innenministerium, in welchem darum gebeten wurde, die Manipulation des Verfahrens durch

230 Neugebauer, Wolfgang / Schwarz, Peter: Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Integration ehemaliger Nationalsozialisten. Wien 2005. S. 39-41. 231 Riegler: Rössner-Soucek-Verschwörung. S. 66. 232 Stenographisches Protokoll der 73. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich. 14.1.1948, Wien. Rede Oskar Helmers: S. 2-7. (URL= https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/V/NRSITZ/NRSITZ_00073/imfname_ 141164.pdf) [Zugriff am 26.5.2017]. Im Folgenden zitiert als: NR-Protokoll vom 14.1.1948. 233 Riegler: Rössner-Soucek-Verschwörung. S. 56. 80

das CIC Salzburg abzustellen.234 Umso mehr verwundert es, dass Innenminister Helmer in seiner Rede an die Nationalratsabgeordneten am 14. Jänner 1948 Folgendes feststellte:235

„Die illegalen Gruppen fanden keine finanzielle Unterstützung, auch nicht bei der Bevölkerung. Die Tatsache, daß jede von ihnen auf Schleichhandelsgeschäfte zu ihrer Finanzierung angewiesen war, zeigt ihre Bedeutungslosigkeit vielleicht mehr als alles andere.“ Die Tatsache, dass die Organisation um Rössner und Soucek mit alliierten Geheimdiensten kooperierte, um an einem antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerk beteiligt zu sein, erfuhr also weder in den österreichischen Medien noch im österreichischen Parlament Aufmerksamkeit.

5.2.2 Franz Olah und das Sonderprojekt Im Jahr 1964 wurde der österreichischen Öffentlichkeit bekannt, dass Franz Olah eigenmächtig finanzielle Transaktionen für den ÖGB durchgeführt hatte. Über 4,5 Millionen Schilling wurden in Fonds zur persönlichen Verwendung Olahs deponiert, um unter anderem der Freiheitlichen Partei Österreichs sowie der finanziell unter die Arme zu greifen. Ein Teil dieser Gelder floss auch an die von ihm organisierte antikommunistische Stay-Behind- Organisation. Nach Bekanntwerden dieser Umstände trat der SPÖ-Politiker am 18. September 1964 als Innenminister zurück, kurz darauf wurde er von seiner Partei ausgeschlossen.236 Auf Olahs Rücktritt und die Parteientscheidung folgten Proteste der österreichischen Arbeiterschaft; vor der SPÖ-Parteizentrale forderten Demonstranten „Hände weg von Olah“.237 Der ÖBG zeigte Olah schließlich im Juli 1968 wegen Untreue an, der Prozess begann am 30. Jänner 1969. Im Zuge dessen kam es auch zu einem Strafprozess rund um die von Olah aufgebaute Geheimorganisation.

Abbildung 12: Arbeiter-Zeitung, 4.3.1969

234 Ibid. 235 NR-Protokoll vom 14.1.1948. S. 7. 236 Sammlung APA-Meldungen. (URL=http://www.historisch.apa.at/cms/apa- historisch/dossier_meldungen.html?dossierID=AHD_19640918_AHD0001&deskriptor=DO_FO_1&suchbegriff =) [Zugriff am 27.5.2917]. 237 Protestaktionen vor der SP-Parteizentrale in der Löwelstraße in Wien 1. APA-Meldung, 18.9.1964. 81

In einem Artikel der Arbeiter-Zeitung vom 4. März 1969 werden nähere Informationen zu Olahs Sonderprojekt präsentiert. In diesem Beitrag wird beschrieben, wie Mittelsmänner des ehemaligen Innenministers die Geldflüsse zur Geheimorganisation steuerten und Gerät angeschafft wurde. Der Jugendsekretär der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft, Franz Werdek, soll vor allem Waffen aus Beständen der Deutschen Wehrmacht, die von Technikstudenten instandgesetzt wurden, aufgekauft haben: Schnell- und Faustfeuerwaffen sowie Karabiner und Funkgeräte wurden mit Dienstwägen an Depots in den Bundesländern verteilt. Auch Verbindungen zur österreichischen Innenpolitik werden Abbildung 13: Franz Olah während seiner Gerichtsverhandlung offengelegt: Der Zeuge Werdek sagte im Prozess aus, dass angekaufte Funkgeräte von der österreichischen Polizei entdeckt und beschlagnahmt wurden – nach einem Gespräch Olahs mit Dr. Peterlunger (Staatspolizei) wurden diese aber unverzüglich wieder freigegeben. Die Aktivität von Olahs klandestiner Organisation erreichte laut Werdek 1951 ihren Höhepunkt, der Zeuge selbst hatte aber auch mit der Liquidierung der Waffen- und Gerätebestände bis 1965 zu tun. Im Weiteren dreht sich der Zeitungsartikel vor allem um die finanziellen Hintergründe des Sonderprojektes: Gefälschte und frisierte Finanzbücher, die Rolle des Unternehmens Omnia und die Bilanzierung der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft werden durch Zeugenaussagen geklärt. Ein Aufschrei wegen des von Olah aufgebauten Stay- Behind-Netzwerks ist jedoch in keinem der Artikel der Arbeiter-Zeitung des Monats März zu verzeichnen.238

Anders verhält es sich bei einem Beitrag in der „Zeit“: In einem Artikel aus der Feder Barbara Coudenhove-Kalergis liegt der Fokus viel stärker auf dem Aufbau der Geheimorganisation, welchen die Autorin stark kritisiert. Für Olah selbst hat sie wenig schmeichelhafte Worte übrig:239

„Energisch und ehrgeizig, mißtrauisch und hochfahrend, eine proletarische ‚Führernatur‘ mit KZ-Vergangenheit und ein unversöhnlicher Antikommunist, war ihm im Österreich der Kalten Kriegsära eine glänzende Zukunft sicher.“ Zwar ging aus Olahs Aussagen im Zuge der Gerichtsverfahren gegen ihn nicht hervor, woher die finanzielle Unterstützung für seine antikommunistischen Vorhaben gestammt hatte, doch – anders als die sozialdemokratische Parteizeitung – lag Coudenhove-Kalergi damit richtig, dass

238 Olah-Prozeß: Die letzten Zeugen. In: Arbeiter-Zeitung, 4.3.1969. 239 Coudenhove-Kalergi, Barbara: Kalter Krieg ohne Buchhaltung. Olah vor Gericht. In: Die Zeit, 14.2.1969. 82

„man hinter den geheimnisvollen Unbekannten den amerikanischen Geheimdienst CIA“ vermuten könne. Dieser Beitrag stellte eine der wenigen, zum Verfahren gegen Olah zeitnahen öffentlichen Reaktionen dar, welche den Fokus sehr kritisch auf Olahs Stay-Behind-Netzwerk lenkten, indem die Frage aufgeworfen wird, „wieso mitten in Europa Vorgänge möglich sind, die an die Zustände lateinamerikanischer Bananenrepubliken gemahnen“.240

Auch das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel widmet Olahs Sonderprojekt einen Beitrag: Am 17. Februar 1969 erschien unter dem Titel „Österreich / Untergrund: ÖWSGV“ ein Bericht über den Prozessverlauf und das bewaffnete Netzwerk des ehemaligen österreichischen Innenministers.241 Wie in einigen vergleichbaren Berichten lässt der Text jedoch ebenfalls keinen öffentlichen Aufschrei darüber vermuten, dass ausländische Geheimdienste in einem neutralen mitteleuropäischen Staat eine paramilitärische Organisation unter Mithilfe der Funktionäre der Zweiten Republik aufbauten.

Das aus heutiger Sicht (und beim gegenwärtigen Forschungsstand) befremdliche Fehlen öffentlicher Reaktionen lässt sich jedoch mit der diffusen Beweislage erklären. In einem Artikel der österreichischen Tageszeitung Die Presse wurde im Zuge des Verfahrens gegen Olah festgestellt: „Nun kann man wenigstens das Sonderprojekt außer Streit stellen. Bisher ist ja mit leichter Skepsis bezweifelt worden, ob dieses Projekt überhaupt existiert.“242 Die strafrechtliche Beurteilung von Olahs Handlungen betreffend den Aufbau des Sonderprojektes, das der ehemalige ÖGB-Präsident bei seinen Aussagen vor Gericht vor allem dann ins Spiel brachte, wenn es verschwundene Summen zu erklären galt, wurde durch die Vernichtung eines Großteils der Akten fast unmöglich. Dass Olah selbst die Dokumente nicht beiläufig, sondern sehr bewusst zerstört hatte, legt auch der Zeitpunkt der Handlung nahe: Im Zuge der Zeugenaussagen wurde bekannt, dass die Aktenvernichtung bereits 1960 beschlossen, jedoch erst 1964, kurz vor Olahs Rücktritt als Innenminister, durchgeführt wurde. Franz Olah selbst soll alle Unterlagen persönlich durchgesehen und einen Teil davon an seinen Sekretär Heinrich Daurer weitergegeben haben, um sie durch den Papierwolf zu drehen.243

Für Franz Olahs Verwicklungen in ein alliiertes Stay-Behind-Netzwerk gibt es aus gegenwärtiger Sicht fundierte Quellen, die zur Zeit der Verfahren gegen Olah nicht bekannt waren. Ein Aufschrei der österreichischen Bevölkerung wegen der Unternehmungen des

240 Ibid. 241 Österreich / Untergrund: ÖWSGV. In: Der Spiegel, 17.2.1969. 242 [Ohne Titel]. In: Die Presse, 9.2.1969. S. 5. 243 Konrad, Helmut / Lechner, Manfred: „Millionenverwechslung“. Franz Olah, die Kronenzeitung, Geheimdienste. Wien 1992. S. 13f. 83

beliebten Sozialdemokraten, der vom US-Geheimdienst den Decknamen GRDAGGER1 erhielt, ist jedenfalls nicht zu verzeichnen.

5.2.3 Aktion Wühlmaus, oder „Sorry guys, no gold“ Am Vormittag des 20. Jänners 1996 wurden der österreichische Bundespräsident Thomas Klestil und der amtierende Bundeskanzler Franz Vranitzky von der US-Botschafterin Swanee Hunt darüber informiert, dass sich auf österreichischem Bundesgebiet Waffenlager der Amerikaner befanden. Am Vormittag desselben Tages wurde auch der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, angewiesen, sich um 14 Uhr in der amerikanischen Botschaft einzufinden. Im Verlauf eines Arbeitsessens teilte die US-Botschafterin der österreichischen Delegation unter der Leitung des Vizekanzlers Wolfgang Schüssel und Verteidigungsministers Werner Fasslabend mit, dass bei der Durchsicht alter CIA-Akten Dokumente gefunden wurden, die 79 geheime amerikanische Waffenlager aus der Zeit des frühen Kalten Krieges lokalisierten. Sika berichtet in seinen Memoiren, dass das schlechte Gewissen der Amerikaner offensichtlich gewesen wäre; der Außenamtssprecher der US- Botschaft versicherte der Delegation, dass „in Anbetracht der eher peinlichen Lage, in der wir uns befinden […] sicherlich auf die Wünsche der österreichischen Regierung“ eingegangen werden würde.244

Die Kronen-Zeitung titelte bereits am 21. Jänner „US-Waffenlager in Österreich für Abwehrkampf gegen KP-Regime – Noch immer geheime US-Depots aus dem ‚Kalten Krieg‘“.245 Die Tageszeitung beschrieb, dass zum Kampf gegen den Kommunismus zahlreiche Österreicher informiert und instruiert wurden, die Lage der Waffendepots aber noch nicht bekannt geworden war. Auch der österreichische Botschafter in Washington, Helmut Türk, wurde zitiert: „Keine Aufregung – das liegt 50 Jahre zurück und die Waffen sind natürlich heute unbrauchbar, veraltet und verrostet.“246 Verschwiegen wurde im Beitrag der Kronen-Zeitung jedoch, dass die Aufdeckung der US-Waffenlager nur durch die Kollegen von der amerikanischen Tageszeitung Boston Globe möglich wurde: Diese waren auf CIA-Dokumente gestoßen und hatten vor, ihre Funde zu veröffentlichen, was die amerikanische Regierung folglich unter Zugzwang setzte.247 Am selben Tag, an dem österreichische Regierungsvertreter

244 Sika, Michael: Mein Protokoll. Innenansichten einer Republik. Wien 2000. S. 179. Im Folgenden zitiert als: Sika: Mein Protokoll. 245 US-Waffenlager in Österreich für Abwehrkampf gegen KP-Regime – Noch immer geheime US-Depots aus dem „Kalten Krieg“. In: Neue Kronen-Zeitung, 21.1.1996. S. 2. 246 Ibid. 247 Sika: Mein Protokoll. S. 179. 84

kontaktiert wurden, informierte der Boston Globe seine Leser bereits über die Waffenlager für ein antikommunistisches Stay-Behind-Netzwerk.248

Auch die österreichische Tageszeitung Der Standard widmete dem Geschehen am 22. Jänner einen Beitrag, in dem vor allem auf die Verfahren gegen Franz Olah und sein Sonderprojekt verwiesen wurde. In diesem Artikel kam auch Fritz Molden, der österreichische Widerstandskämpfer, Journalist, Verleger und Diplomat, zu Wort: „Das war eine österreichische Initiative, und ich war daran selbst beteiligt. Und natürlich hat die österreichische Regierung davon gewußt – ich selbst habe mit Bundeskanzler Leopold Figl und dem Staatssekretär und späteren Verteidigungsminister Ferdinand Graf gesprochen.“ Die Regierung des besetzen Österreichs durfte jedoch „offiziell natürlich nichts wissen“, was das Fehlen an Akten erkläre.249

Erste öffentliche Reaktionen der Bevölkerung lassen sich in Leserbriefen finden. Der Großteil davon fiel aber beschwichtigend aus, wie ein Leserbeitrag in der Kronen-Zeitung:250

„Waffenlager – Jetzt tut man in Österreich überrascht, dass die amerikanische Besatzungsmacht bei uns geheime Waffenlager angelegt hat, bevor sie Österreich verließ. Es war eben ‚Kalter Krieg‘ […] Regen wir uns doch nicht künstlich über Aktionen auf, die dem Schutz Österreichs galten. Dagegen sollten wir uns darüber aufregen, daß es auf dem Wiener Zentralfriedhof ein Denkmal für diese kommunistischen Partisanen gibt, als seien sie Befreier gewesen.“ In einem Beitrag im Kurier vom 25. Jänner kam schließlich auch der Wiener Historiker Oliver Rathkolb zu Wort, der vom österreichischen Innenministerium beauftragt wurde, die historischen Hintergründe zu entschlüsseln. Vor allem kritisierte er, dass der US-Geheimdienst seine Partner in der Zweiten Republik nicht nenne und schließt aus der langen Geheimhaltung, dass „Österreich offenbar auch noch in den siebziger Jahren als Brückenkopf für einen Ost- West-Konflikt gesehen wurde.“251

Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, beschreibt in seinen Memoiren die Geschehnisse nach dem 20. Jänner wie folgt: Wenige Tage nach der Erklärung der US-Botschafterin traf eine CIA-Delegation aus Washington in Wien ein. Innenminister

248 Quinn-Judge, Paul: US Caches in Austria Stir Diplomatic Concerns; Austria Unaware Supplies Were Stashed by CIA. In: Boston Globe, 20.1.1996. 249 Neuer Wirbel um altbekannte US-Waffenlager. In: Der Standard, 22.1.1996. S. 4. 250 Sabutschnik, Horst: Waffenlager. Leserbrief. In: Krone-Zeitung, 23.1.1996. S. 39. 251 Historiker Rathkolb über geheime Waffenlager: „Die CIA wird ihre Partner nicht nennen“. In: Kurier, 25.1.1996. S. 2. 85

Caspar Einem wurde von Swanee Hunt symbolisch eine Akte mit den Worten „Sorry guys, no gold!“ übergeben. Mit ihrer Aussage spielte die Botschafterin auf österreichische Presseberichte an, die in den Lagern neben Waffen auch Proviant und Goldmünzen vermuteten, um Partisanen finanziell zu unterstützen. Michael Sika wurde von den Amerikanern auch Satellitenfotos überreicht, um das Innenministerium bei der Bergung zu unterstützen, wobei der Generaldirektor beschreibt, dass diese „von einer unglaublichen Präzision und Schärfe“ waren und er es seither für unwahrscheinlich halte, dass „selbst das kleinste Heeresfahrzeug die Kaserne verlassen könnte, ohne dass es die Amerikaner bemerken.“252

Der – von Sika als legendär bezeichnete – Ausspruch der US-Botschafterin wurde auch in einem Beitrag im Kurier vom 30. Jänner erwähnt. Swanee Hunt erklärte demnach auch, dass es sich bei der fehlenden Kommunikation über die Waffenlager um einen „bureaucratic error“ handelte. Das Innenministerium sowie der Chef des Entminungsdienstes, Willibald Berenda, wurden ebenfalls zitiert: Man warte nur noch auf Angaben auf Behördenebene, „dann geht’s los.“253 Die eigentliche Bergungsarbeit der Waffenlager begann jedoch erst im April 1996: Am 23. 4. 1996 wurde in der Salzburger Gemeinde Weißbach bei Lofer das erste Lager ausgegraben. Die Öffnung wurde nicht bekanntgegeben, bevor das „Loch nicht geschlossen ist“, so Michael Sika. Das Risiko, dass sich neugierige Zivilisten verletzen, wäre zu groß. Auch für weitere Abbildung 14: Fotos von der Bergung 1996 Bergungen wurden vom österreichischen Innenministerium nur das Bundesland, nicht aber genaue Geodaten angegeben.254 Erst Anfang März 1997 wurde den US-Waffenlagern wieder mehr Beachtung geschenkt: Ebenfalls im Kurier wurde am 2. 3. berichtet, dass viele Lager des amerikanischen Geheimdienstes „entschärft“ worden waren. Relevant scheint ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den USA und der Zweiten Republik von 1955, unterzeichnet von Raab und Schärf: Dieser wurde dem Parlament nicht vorgelegt und regelte die Verfügung über US-Vermögenswerte im militärischen Bereich. Dieser Geheimvertrag stehe, so Völkerrechts-Experte Franz Cede, der österreichischen Neutralität im Wege: „Hier wird etwas besonders deutlich: Österreich an der

252 Sika: Mein Protokoll. S. 179f. 253 „Sorry guys, there‘s no gold“. In: Kurier, 30.1.1996. S. 7. 254 Waffenlager, Schwammerlsucher und Erdlöcher. In: Die Presse, 26.4.1996. 86

Schwelle vom abhängigen Land zum souveränen Staat.“255 Das österreichische Magazin Zoom veröffentlichte bereits am 4. Oktober 1996 eine Ausgabe mit dem Titel „Es muss nicht immer Gladio sein. Attentate, Waffenlager, Erinnerungslücken“. Auf etwa hundert Seiten wurden angefangen von der Remilitarisierung Österreichs bis hin zu den 1996 publik gewordenen geheimen US-Waffenlagern umfassend die Bemühungen alliierter bzw. amerikanischer Geheimdienste auf dem Bundesgebiet der Zweiten Republik aufgerollt. Hervorzuheben ist, dass die Redaktion mit dem Journalisten Paul Quinn-Judge, welcher die US-Waffenlager in Österreich für den Boston Globe aufgedeckt hatte, im Gespräch war. Dieser vermutete in einem Interview, dass das österreichische Stay-Behind-Netzwerk bis mindestens 1990 aufrechterhalten worden war.256 Auch Fritz Molden kam in einem langen Interview zu Wort: In diesem erzählt der ehemalige Widerstandskämpfer, dass vor allem er, Ernst Lemberger und Franz Olah den Aufbau eines antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerks im Österreich der Nachkriegszeit vorangetrieben hätten.257 Selbst bezeichnete er sich im Interview als österreichischen Patrioten, der im Zweiten Weltkrieg nur ein Problem sah: „Österreich freimachen und den Hitler hinaushauen. Dann ist das auch geschehen, zugegebenermaßen vorwiegend durch die Alliierten, aber ein bisserl was haben wir auch dazu getan. Dann waren wir zufrieden und haben gesagt, was brauchen wir noch? Ordnung im Lande, demokratische Verhältnisse, freie Wahlen, Abwehr des sowjetischen Druckes in der Ostzone.“258

Das mediale Echo auf die Entdeckung der geheimen US-Waffenlager 1996 war also erheblich, politische Reaktionen blieben aber größtenteils aus: In keinem der Sitzungsprotokolle des österreichischen Parlaments des Jahres 1996 wurden die amerikanischen Lager zum Thema einer Debatte, die vergangene Einflussnahme der alliierten Großmacht auf die neutrale Zweite Republik schien nicht zu stören. Auch Michael Sika, der im Auftrag des Innenministeriums einen Abschlussbericht über die Bergung des Kriegsmaterials verfasste, kam zu einem ähnlichen Schluss:259

„Meinen Schlussbericht, für den im Wesentlichen alle Kommissionsmitglieder Beiträge geliefert hatten, erstattete ich aus reiner Pflichterfüllung. Als er fertiggestellt wurde, interessierte sich nämlich niemand mehr für diese Geschichte. Ich weiß nicht, ob es jemandem aufgefallen wäre, hätte ich das Papier nicht abgegeben.“

255 79 Waffenlager und keine Armee? In: Kurier, 2.3.1996. 256 Kemmerling, Markus: Kaltes Kriegsspielzeug. In: Zoom. Zeitschrift für Politik und Kultur, 4.10.1996. S. 6f. 257 Ein österreichischer Patriot: Fritz Molden. In: Zoom. Zeitschrift für Politik und Kultur, 4.10.1996. S. 40. 258 Ibid. S. 42. 259 Sika: Mein Protokoll. S. 183f. 87

5.2.4 Zusammenfassung Im Zuge der Verfahren um die Soucek-Rössner-Verschwörung finden sich wenige Anhaltspunkte für öffentliche Reaktionen auf die Entstehung eines antikommunistischen Stay- Behind-Netzwerks der Amerikaner, das auch auf ehemalige Nationalsozialisten zurückgriff, obwohl die Zeugenaussagen der Verhandlungsprotokolle klare Beweise dafür liefern, dass die USA im Begriff waren, eine Geheimorganisation aufzubauen. Die fehlende politische Reaktion ist hier nachvollziehbar: Einerseits befand sich Österreich 1948 noch Jahre von einem eigenen Staatsvertrag entfernt und war von den Alliierten besetzt, andererseits waren auch führende Köpfe der österreichischen Regierung, wie Innenminister Oskar Helmer, in die Vorhaben der Amerikaner eingeweiht. Tatsächlich ist es Helmer selbst, welcher der österreichischen Bevölkerung glaubhaft macht, dass diese „illegalen Gruppen“ keine Unterstützung von außen erhielten.

Anders verhält es sich bei den Gerichtsverfahren gegen den langjährigen SPÖ-Funktionär Franz Olah: Der Aufbau eines antikommunistischen Netzwerks in enger Kooperation mit dem US- Auslandsgeheimdienst schien dabei aber nur am Rande zu interessieren. Vielmehr wurde in Medien auf die finanziellen Verschleierungen Olahs eingegangen, wobei der Umstand, dass Olah den Großteil der Dokumentation seiner Geheimorganisation vernichten ließ, dabei eine gewichtige Rolle spielte.

Die jüngste Erscheinungsform amerikanischer Stay-Behind-Netzwerke in österreichischen Medien ist auch jene, welche das größte mediale Echo nach sich zog: Die unter Aktion Wühlmaus in die Geschichtsbücher eingegangenen Geschehnisse um die CIA-Waffenlager traten mit der Entdeckung am 20.1.1996 eine massenmediale Lawine los. Nur: Die öffentliche Reaktion scheint mehr der Sensationslust und weniger dem Interesse an der Glaubwürdigkeit der österreichischen Neutralität geschuldet gewesen zu sein. Wie Sika selbst resümierte, bestand medial und auch politisch kein Interesse an einem dauerhaften Diskurs.

Die öffentlichen Reaktionen der Zweiten Republik auf das Bekanntwerden von Stay-Behind- Plänen und -Strukturen können damit als zwar vorhanden, aber – im Vergleich zu Italien und der Schweiz, wo parlamentarische Untersuchungskommissionen eingesetzt wurden – als gering beschrieben werden.

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6 Zusammenfassung

Das Konzept Stay-Behind als Mittel der modernen irregulären Kriegsführung wurde bereits im frühen 20. Jahrhundert von der russischen GPU genutzt. Das seit den 1920er Jahren in Osteuropa aufgebaute Schläfer-Netzwerk brachte der UdSSR ab 1943 im Zuge ihrer Offensiven gegen Deutschland großen Erfolg; besonders die Quellen über Werwolf-Ausbildungsanlagen machen jedoch deutlich, dass auch das deutsche Militär die Strategie zu nutzen wusste: Der Mord am Aachener Oberbürgermeister Franz Oppenhoff, welchen Werwolf-Agenten im März 1945 verübt haben, zeigt, dass fanatische Nationalsozialisten auch wenige Monate vor Kriegsende noch dazu bereit waren, für ihre Ideologie zu töten. Diese ideologische Überzeugung stellt sich als erkennbare Konstante in Stay-Behind-Netzwerken heraus und kann als logische Voraussetzung für die Verwendung dieser Form der irregulären Kriegführungstaktik angesehen werden.

Auch in Italien wurde der Grundstein für eine Stay-Behind-Struktur bereits während des Zweiten Weltkriegs gelegt. Vor allem aufgrund der Bedeutung, welche Partisanenverbände nicht nur rund um den Waffenstillstand von Cassibile trugen, erkannte das italienische Verteidigungsministerium früh den Stellenwert eines gut organisierten Widerstandsnetzwerkes auf eigenem Staatsgebiet und konnte gleichzeitig auf Veteranen zurückgreifen, die ihr Handwerk für den Ernstfall erlernt hatten. Vor allem aber waren die USA daran interessiert, dem in der ersten Italienischen Republik erstarkenden Kommunismus entgegenzutreten, um dem hierdurch drohenden Einfluss der UdSSR zu begegnen und im Kontext des Kalten Krieges ihre geopolitischen Interessen durchzusetzen. Mit der Gründung der NATO begann eine langjährige Kooperation zwischen den italienischen und amerikanischen Geheimdiensten, welche mit großzügiger US-Finanzierung im gesamten Gebiet der Italienischen Republik ein klandestines Netzwerk installierten. Die später als Operation Gladio bekannt gewordene antikommunistische Struktur nahm jedoch während ihres Bestehens auch unbestreitbar Einfluss auf die italienische Innenpolitik.

Bereits in den 1950er Jahren bestand auch in der Schweiz ein Widerstandsnetzwerk, wobei die diesbezügliche Quellenlage wenig Aufschluss über deren Organisation gibt. Anders als in Italien und Österreich ist hier jedoch in den folgenden Jahren ein öffentlicher Diskurs zu beobachten: Nach anfänglicher Ablehnung eines staatlich organisierten Widerstandsnetzwerkes im Untergrund wurde im Zuge einer Neuorientierung der Schweizer Sicherheitspolitik in den 70er Jahren beschlossen, ein Stay-Behind-Netzwerk einzurichten. Mit der Leitung jener Unterabteilung der UNA war Oberst Bachmann betraut, nach dessen Suspendierung im Kontext 89

der Bachmann/Schilling-Affäre Oberst Efrem Cattelan folgte. Dieser installierte schließlich eine straff organisierte Hierarchie, welche auf Waffen- und Ausbildungslager im gesamten Staatsgebiet zugreifen konnte. Verglichen mit dem italienischen Pendant können jedoch keine gewichtigen Einmischungen in die eidgenössische Innenpolitik nachgewiesen werden.

Die Stay-Behind-Strukturen in Österreich sind unter einem anderen Licht zu sehen: Die Besetzung durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs bewirkte, dass vor allem die amerikanische CIA darum bemüht war, ein Stay-Behind-Netzwerk auf österreichischem Boden zu errichten. Unmittelbar nach Kriegsende erwarteten die Alliierten, dass die Rote Armee im Falle einer erneuten sowjetischen Offensive gegen Europa über Ostösterreich nach Norditalien einfallen würde. Aus diesem Grund schreckten MI6 und CIA nicht davor zurück, mit ehemaligen bzw. ideologisch noch immer überzeugten Nationalsozialisten zu kooperieren, um einen antikommunistischen Konsens in der Widerstandsorganisation zu gewährleisten. Aber auch die linke Hälfte des politischen Spektrums war in den Aufbau österreichischer Stay- Behind-Strukturen involviert: Franz Olah (SPÖ) installierte über Jahre hinweg unter dem Deckmantel verschiedener Unterorganisationen des österreichischen Gewerkschaftsbundes ein durch den US-Auslandsgeheimdienst finanziertes Netzwerk aus militärischer Infrastruktur und im Partisanenkampf geschulten Mitgliedern. Ebenso waren viele österreichische Spitzenpolitiker über Olahs Bemühungen im Bilde, wobei es vor allem den von der amerikanischen Exekutive veröffentlichten CIA-Akten geschuldet ist, dass die Existenz eines Stay-Behind-Netzwerks nach dem Inkrafttreten des österreichischen Staatsvertrags als historische Tatsache angesehen werden kann.

Während das Bestehen der österreichischen Untergrundorganisation bereits zur Zeit des Olah- Prozesses in den späten 60er Jahren an die Öffentlichkeit drang, benötigte die Aufdeckung einer antikommunistischen Struktur in Italien viel länger. Die in den 70er und 80er Jahren von politisch motivierten Terroranschlägen geplagte Italienische Republik litt unter der ideologischen Konfrontation des Kalten Kriegs. In jenen beiden Dekaden, welche durch die „strategia della tensione“ geprägt waren, fielen zahlreiche italienische Zivilisten Bombenanschlägen zum Opfer – als ein Attentat mit besonderer historischer Tragweite stellte sich aber der Anschlag auf drei Carabinieri 1974 in Peteano heraus: Im Zuge der Ermittlungen gegen den Attentäter, Vincenzo Vincguerra, wurde der italienische Richter Felice Casson auf die rechtsextreme Terrororganisation Ordine Nuove und deren Kooperation mit einem antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerk aufmerksam.

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1988 wurde schließlich eine parlamentarische Untersuchungskommission unter der Leitung des römischen Senators Libero Gualtieri einberufen, welche den Grund für die fehlende Aufklärung vieler kleiner und auch großangelegter Terroranschläge in Italien ermitteln sollte. Den entscheidenden Schritt in dieser Untersuchung machte abermals Richter Felice Casson: Nachdem ihm ermöglicht worden war, im Archiv des militärischen Nachrichtendienstes SID zu recherchieren, stieß er auf Dokumente, welche direkte Verbindungen zwischen einigen Anschlägen und einem Stay-Behind-Netzwerk namens Operation Gladio herstellten. Dieser Umstand veranlasste schließlich die Untersuchungskommission, ihren Betrachtungsfokus auszuweiten. Während jene Entwicklungen von der italienischen Zivilgesellschaft und den Medien noch mit Spannung verfolgt wurden, änderte sich die Stimmung kurz nach dem traurigen zehnten Jahrestag des Bombenanschlags in Bologna schlagartig. Der sich stetig steigernde mediale Druck brachte Ministerpräsident Giulio Andreotti schließlich dazu, am 3. August 1990 die Existenz des antikommunistischen Stay-Behind-Netzwerks öffentlich zuzugeben. Die italienische Gesellschaft reagierte empört, die Medien setzten alles daran, jede neue Enthüllung öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Der Skandal resultierte in einem neuen Verständnis der italienischen Innenpolitik und führte unter anderem zum Rücktritt des amtierenden italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga.

Obwohl Ministerpräsident Andreotti kurze Zeit nach der Offenlegung des Stay-Behind- Netzwerks auf die internationale Dimension der durch die NATO koordinierten Widerstandsbewegungen verwies und in weiterer Folge sowohl in Frankreich und Belgien als auch in sonstigen westeuropäischen Staaten ähnliche Strukturen enthüllt wurden, hatte der Skandal in Italien nur geringen Einfluss auf die Schweiz. Vielmehr wurde die Untergrundorganisation P-26 erst aufgrund einer Kettenreaktion landesinterner Skandale und Affären der Öffentlichkeit bekannt: Beginnend mit dem Fall Kopp, welcher direkt zur Fichen- Affäre führte, erhitzte sich die Stimmung der Zivilgesellschaft stetig. Vor allem aber das Bekanntwerden eines Archivs mit über 900.000 auf Mikrofilm konservierten Informationen über die Schweizer Zivilbevölkerung empörte das Land und motivierte so tiefergehende Recherchen über die Schweizer Sicherheitspolitik sowie das Eidgenössische Militärdepartment. Ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Schweizer Illustrierte“ vom 26. Februar 1990 und eine folgende Großdemonstration veranlassten das Parlament schließlich, eine weitere Untersuchungskommission einzusetzen, um den Vorwürfen bezüglich eines klandestinen Untergrundnetzwerks auf politischer Ebene nachzugehen. Nachdem die PUK-EMD fast ein halbes Jahr vor den Enthüllungen des italienischen Ministerpräsidenten ihre Arbeit begonnen hatte, brachte der Abschlussbericht vom 17. November 1990 Aufschluss über das Bestehen 91

eines Stay-Behind-Netzwerks, welches sich über das gesamte Gebiet der Eidgenossenschaft spannte. Die Organisation P-26 wurde in weiterer Folge umgehend aufgelöst, während die fundierten Anschuldigungen über eine Kooperation mit anderen westeuropäischen Widerstandsnetzwerken jedoch bis heute dementiert werden.

Österreich nimmt in diesem Vergleich eine Sonderrolle ein: Bereits in den frühen Nachkriegsjahren wurde während der Prozesse gegen die Teilnehmer an der Soucek-Rössner- Verschwörung publik, dass ehemalige Nationalsozialisten im Begriff waren, ein bewaffnetes Widerstandsnetzwerk entstehen zu lassen. Auch dass der amerikanische Auslandsgeheimdienst eine Rolle bei dieser Entwicklung spielte, ging aus den Prozessprotokollen hervor. Die mäßige Reaktion der österreichischen Zivilgesellschaft sowie der Medien hierauf ist jedoch nachvollziehbar: Die junge Zweite Republik war noch weit von einem Staatsvertrag entfernt und von den Alliierten besetzt. Nichtsdestotrotz überrascht eine Parlamentsrede des Innenministers Oskar Helmer (SPÖ), in welcher er versicherte, dass die Ehemaligen keine ausländische Unterstützung erhielten.

Konträr dazu stellten die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Prozess gegen Franz Olah ein mediales Spektakel dar. Unter diesen Umständen ist es bemerkenswert, dass sich auch hier nur wenig Interesse der Öffentlichkeit am Aufbau eines antikommunistischen Stay-Behind- Netzwerks beobachten lässt. Im Prozess gegen den ehemaligen ÖGB-Präsidenten scheint der Aufbau einer paramilitärischen Untergrundorganisation eine Nebensache gewesen zu sein. Dass Olah fast alle relevanten Dokumente vernichten ließ, erschwerte die Ermittlungen zusätzlich; Folgen hatte dies für den bei der CIA unter dem Decknamen GRDAGGER1 bekannten Gewerkschaftsfunktionär jedoch keine.

Das größte mediale Echo im Kontext paramilitärischer Organisationen auf österreichischem Bundesgebiet lösten die im Jänner 1996 entdeckten Waffenlager aus. Die vom US- Geheimdienst errichteten Depots erzeugten bei Medien und Zivilgesellschaft jedoch mehr Sensationslust, als dass sie einen Diskurs um die Glaubwürdigkeit der österreichischen Neutralität entstehen ließen.

Folglich ist das Bekanntwerden von Stay-Behind-Strukturen und -Plänen in Österreich ausschließlich auf Ermittlungen und Veröffentlichungen des Staates zurückzuführen. Die österreichische Presse und Zivilgesellschaft waren weder merkbar an der Aufdeckung beteiligt, noch wurde nennenswerter Druck in Richtung Offenlegung verdeckter Organisationen ausgeübt.

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Anders verhält es sich in Italien und der Schweiz: Während in beiden Staaten die vierte Gewalt ihrem Namen gerecht wurde und die nationale Politik in Erklärungsnot brachte, stand die Bevölkerung ebenso für restlose Aufklärung der Geheimdienstunternehmungen ein. Das Bekanntwerden der Stay-Behind-Strukturen löste in Italien und der Schweiz echte Krisen aus, die einen Diskurs um die nationale Sicherheitspolitik sowie die Einmischung der Exekutive in die Innenpolitik initiierten. In der jüngeren Geschichte der österreichischen Republik hingegen befriedigten die Reaktionen der Massenmedien nur die Sensationslust, anstatt als Anstoß einer Debatte um die Glaubwürdigkeit der immerwährenden Neutralität zu dienen.

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7 Literatur-, Quellen- und Abbildungsverzeichnis

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7.3 Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Wolfsangel, das Zeichen der Organisation Werwolf (URL= http://www1.wdr.de/nachrichten/werwolf-opfer-oppenhoff-106~_v-WDRPortraitGross.jpg= [Zugriff am 15.6.2017].

Abb. 2: Spuren der Verwüstung in Bologna (URL= https://f2.blick.ch/img/news/origs1984480/8466366717-w644-h960/Zerstoerung-beim- Bahnhof-von-Bologna-Dutzdende-Menschen-kamen-am-2.jpg) [Zugriff am 15.6.2017].

Abb. 3: Gedenktafel am Zugbahnhof Bolognas, 1980 (URL=http://3.bp.blogspot.com/_oGQga4lNK8A/TEyuqeEX6qI/AAAAAAAAB44/bPhkgkr F4cw/s1600/20100725_006-764874.jpg) [Zugriff am 15.6.2017].

Abb. 4: Giulio Andreotti (URL=https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0e/Giulio_Andreotti%2C_ca_198 7.jpg) [Zugriff am 15.6.2017].

Abb. 5: Schweizer Tageszeitung 24 Heures, 29.11.1989. S. 1.

Abb. 6: Aufruf zur Demonstration am 3.4.1990. In: Fichen-Fritz, Februar 1990. S. 1.

Abb. 7: Karikatur Bachmanns. In: 24 Heures, 28.2.1990. S. 1.

Abb. 8: Vienna Operations Base Iceberg Program, Semi-Annual Status Report. 15.9.1953 (URL= http://numbers-stations.com/cia/ICEBERG/ICEBERG_0096.pdf) [Zugriff am 20.5.2017].

Abb. 9: Lokalisierung der Materiallager 1951. GRCROOND/OPERATIONAL Inventory of SOB Arms Caches. 5.12.1957 (URL= https://ia800206.us.archive.org/1/items/GRCROOND/GRCROOND%20GRREPAIR%20%2 0%20VOL.%202%20%20(GRCROOND%20SUPPORT)_0085.pdf) [Zugriff am 20.5.2017].

Abb. 10: Angaben der Längen- und Breitengrade der Waffenlager. GRCROOND/OPERATIONAL Inventory of SOB Arms Caches. 5.12.1957 (URL= https://ia800206.us.archive.org/1/items/GRCROOND/GRCROOND%20GRREPAIR%20%2 0%20VOL.%202%20%20(GRCROOND%20SUPPORT)_0085.pdf) [Zugriff am 20.5.2017].

Abb. 11: Arbeiter-Zeitung, 15.1.1948.

Abb. 12: Arbeiter-Zeitung, 4.3.1969. 101

Abb. 13: Franz Olah während seiner Gerichtsverhandlung (URL= https://austria- forum.org/attach/Bilder_und_Videos/Historische_Bilder_IMAGNO/Olah%2C_Franz/004186 04/00418604th.jpg) [Zugriff am 15.6.2017].

Abb. 14: Fotos von der Bergung der Waffenlager 1996 (URL= http://4.bp.blogspot.com/- bmS2v688ibE/Vf5vbog5Z8I/AAAAAAAAAes/Lzbn5W_xarU/s1600/Waffenlager.JPG) [Zugriff am 15.6.2017].

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