Wandernde Dinge Als Assemblagen. Neo-Materialistische
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Schlussbetrachtungen . Zusammenfassung und Fazit Aus der vorgelegten Arbeit ergeben sich eine ganze Reihe von Ergebnissen und Konse- quenzen. Den Bogen der Arbeit habe ich bewusst weit und interdisziplinär gespannt. Er reicht daher sowohl über Aussagen zu ‚römischen Importen‘ im Plural als auch über Aussagen zum ‚römischen Import‘ im Singular hinaus. Dementsprechend vielschichtig gestaltet sich auch das Fazit. In der vorgelegten Arbeit habe ich die Verflechtungen materieller Kultur in den Blick genommen, um Aussagen über das materielle und symbolische Beziehungsgefüge treffen zu können, in welches insbesondere ‚römischer Import‘ eingebunden warund ist. Gerahmt habe ich die Untersuchung durch die Diskussion des Fenstergefäßes aus Grab , Coswig (Anhalt) , Ldkr. Wittenberg, an welchem ich einen Großteil der ent- standenen Differenzen aus konventionellen Interpretationen und der Komplexität von Verflechtungen verdeutlichen konnte. Immer wieder kehrte ich während der Arbeit zu dem Beispiel zurück, um meine Fragestellung und meine Perspektive zu schärfen und mich des Weges zu vergewissern. Letztlich diente mir das Fenstergefäß zum theoreti- schen Sampling und damit zum Prüfen der theoretischen Ergebnisse. Die Arbeit kann also durchaus auch als Annäherung an den Charakter der Assemblage des Fenstergefä- ßes aus Coswig gelesen werden. Sensibilisiert durch diese Rahmung ergab die wissenschaftsgeschichtliche Veror- tung und Analyse bisheriger Zugänge, dass jene oft mit der archäologischen Realität heutiger Forschungspraxis kollidieren. Bestehende Diskurse wie jene des Einflusses, der Handelsgüter, der römischen Kulturgüter oder der Prestigegüter gehen auf dualisti- sche, cartesisanische Vorannahmen der Subjekt-Objekt-Trennung zurück. Je nach Dis- kurs werden sie mit kolonialistischen, kapitalistischen, positivistischen und kultur-evo- lutionistischen (wenn nicht kulturdarwinistischen) Positionierungen angereichert. Heu- tige Forschungen operieren jedoch mit deutlich kleineren oder größeren Einheiten als traditionellen archäologischen Funden – sie untersuchen Bodenproben, Befunde, Anci- ent DNA, Pollen, Isotopen, Mikropartikel, Kleinregionen, Siedlungskammern, komple- xe Landschaften und den Klimawandel. Hier greifen die Subjekt-Objekttrennung und die assozierten Diskurse nur noch sehr bedingt. In konventioneller Lesart kann das Kapitel durchaus als Forschungsgeschichte genutzt werden und bietet eine Zusammenfassung bisheriger Zugänge. Aus der ange- botenen, symmetrischen Perspektive des Neo-Materialismus ergibt sich aber auch eine etwas andere Lesart. Die Begriffs-, Diskurs- und Praxisgeschichte sind dann nicht nur ein Überblick über bisherige Beschreibungsapparate, die vom Phänomen ‚römischer Import‘ abgekoppelt sind und deren Betrachtung lediglich einer Ideen- bzw. Interpreta- tionskritik bisheriger Ansätze dient. Vielmehr sind diese Ansätze selbst wesentliche wis- senschaftliche Hervorbringungen der Assemblage ‚römischer Import‘. So können auch die besprochenen Diskurse des Einflusses, der Handelsgüter, der römischen Kulturgü- ter und der Prestigegüter als Figur(ation)en verstanden werden. Deren Ziel ist anders als die von mir entworfene Figur der Wanderin gerade nicht eine Öffnung des Phäno- mens für weitere Verflechtungen, sondern eine Stillstellung der Dinge hin zu Objekten. Dennoch sind auch diese Figur(ation)en konkret wirksame Hervorbringungen der As- semblage ‚römischer Import‘, deren Untersuchung dazu beiträgt, die Fragestellung der Arbeit nach deren Charakter zu beantworten. Daher flossen sie auch in die Figurierung der Wanderin ein. Weitreichende Folgen, aber auch Chancen, hat die neo-materialistische Konzep- tualisierung der Welt als flache Ontologie, die ausschließlich aus Dingen besteht. So- wohl Menschen, Objekte, Tiere, Gedanken, Fiktionen, Konzepte und Narrationen sind Dinge. Sie bestehen immer aus heterogenen Bestandteilen, die miteinander verflochten sind. Damit sind Dinge keine starren Entitäten, sondern jeweils individuelle Versamm- lungen weiterer Dinge. Die Versammlungen bestehen aus Relationen, welche im Vor- gang des Versammelns ausgebildet werden. Dabei gibt es keine vorgängigen Relata oder Relationen, sondern sowohl die Dinge als auch die Relationen zwischen ihnen werden zugleich hervorgebracht. Diesen Vorgang der Hervorbringung können nach Barad als Intraaktionen verstanden werden. Erst im Tätigsein von Dingen verwirklichen sie sich, indem sich entscheidet, welche Bestandteile zu einem Ding gehören und welche nicht. In diesen Intraaktionen wird das Ding de/materialisiert und de/stabilisiert – es ist also immer im Prozess bzw. den Fluktuationen des Werdens begriffen. Dinge lassen sich, um sie von bisherigen Objektkonzeptionen abzusetzen, im Anschluss an Deleuze & Guat- tari, DeLanda und Bennett als Assemblagen verstehen. Grenzziehungen zwischen Idee und Materie, Subjekt und Objekt, Natur und Kultur usw. werden mit dieser Konzep- tion nicht nur transzendiert, sondern zugleich in ihrer Spezifizität sichtbar gemacht. Jede dieser dualistischen Trennungen stellt nur ein Sonderfall einer Stabilisierung aus einem fluiden Potential dar.992 Dieses theoretische Angebot neo-materialistischer Strö- 992 Schreiber b, –. mungen habe ich genutzt, um auf den Prozess ‚römischer Import‘ und nicht auf das Produkt ‚römischer Import‘ aufmerksam zu machen. Eine solche Prozesshaftigkeit galt es auch methodisch einzufangen. Dafür wurde Latours ‚zirkulierende Referenz‘ zu einer middle range theory ausgebaut, welche erlaubt, konsequent den Prozesscharakter der Assemblagen quellenkritisch zu bewerten. In der Auseinandersetzung mit der etablierten archäologischen Quellenkritik konnte ich her- ausgearbeiten, dass sich die Transformationsschritte der ‚zirkulierenden Referenz‘ deut- lich besser für eine quellenkritische Bewertung eignen, wenn bereits publizierte archäo- logische Quellen wie das CRFB gewinnbringend mit einbezogen werden sollen. Die gängige Vorstellung von Filtermechanismen wurde durch eine reversible Kette an Her- vorbringungen ersetzt, deren Stufen jeweils eigene Herausforderungen, aber auch Mög- lichkeiten bietet. Um Aussagen über den Charakter einzelner ‚römischer Importe‘ treffen zu kön- nen, habe ich eine qualitative Auswertung gewählt. Diese ist insbesondere dann hilf- reich, wenn es gilt, neue Kategorien aufzustellen und bestehende zu hinterfragen, um neuartige und auch überraschende Erkenntnisse über Phänomene zu erlangen. Für die Auswertung einzelner ‚römischer Importe‘ in Bezug auf ihre Hervorbringungen habe ich mich entschieden, diese auf eine, nämlich die publizierte Stufe der zirkulierenden Referenz, zu beschränken, da eine Übersetzung zwischen unterschiedlichen Stufen die Vergleichbarkeit der Hervorbringungen eingeschränkt hätte. Für die hauptsächlich im CRFB vorgelegten Quellen wurde eine Methode der Auswertung benötigt, die der Quel- lenspezifik als verschriftlichte (und verbildlichte) archäologische Quellen angemessen ist. Hierzu habe ich auf die in der qualitativen Sozialforschung entwickelte Methode der Grounded Theory zurückgegriffen. Diese dient zur Auswertung schriftlicher Äußerungen wie Interviews oder Notizen, um daraus weitergehende, verallgemeinernde, theoreti- sche Aussagen zu entwickeln. In Verbindung mit der Infrasprache der Akteur-Netzwerk- Theorie stand mir damit eine Methodik zur Auswertung der Intraaktionen ‚römischer Importe‘ im Arbeitsgebiet Sachsen-Anhalt zur Verfügung. Nach erster Durchsicht der möglichen Funde habe ich eine offene Kodierung der Grounded Theory entwickelt, die als Aufnahmeheuristik fungierte. Dazu verwendete ich möglichst konventionelle, forschungsnahe Begriffe: Herstellungsspuren, Gebrauchsspu- ren, Umnutzungen, anhaftende Reste und Abdrücke, Brandspuren, intentionelle Be- schädigungen, Reparaturen und Ergänzungen, Weiterverwertungen, Kombinationen und Hybride, Ähnlichkeiten und Assoziationen sowie Vergesellschaftungen. Im axia- len Kodieren wurden dann die jeweiligen Hervorbringungen diskutiert und auf Ge- meinsamkeiten, Überschneidungen und Unterschiede geprüft. Es stellte sich heraus, dass keine dieser Bezeichnungen so exklusiv war, dass sie eine Kategorie darstellt. Viel- mehr sind bei allen Hervorbringungen Grenzverwischungen oder -überschreitungen zu anderen Bezeichnungen zu beobachten. Die meisten konkreten Hervorbringungen an ‚römischen Importen‘ ließen sich mit mehreren Bezeichnungen versehen; es war eher ein Kontinuum als eine Unterteilung zu beobachten. Im nächsten Schritt, dem selektiven Kodieren, wurden die Hervorbringungen bzw. Hervorbringungsspuren auf die stattfindenden Intraaktionen befragt. Mittels der ge- wählten Beschreibungsmodi des Neo-Materialismus bzw. der ANT wurden die Hervor- bringungen neu beschrieben. Anhand des Tätigseins der Einbindung und Abtrennung menschlicher Akteurinnen – den agentiellen Schnitten –, den Verflechtungen und Ver- kettungen, der Rolle der Funde als Mediatoren und der stattgefundenen Übersetzungen, den Materialisierungen und Dematerialisierungen sowie den Stabilisierungen und De- stabilisierungen konnten die jeweiligen Prozesse deutlich gewinnbringender beschrie- ben werden. Hier ergaben sich bereits gemeinsame Charakteristika der einzelnen As- semblagen, die auch für die Assemblage ‚römischer Import‘ im Ganzen von Bedeutung sind. Im theoretischen Sampling testete ich die entwickelten Beschreibungen sodann am Beispiel des eingangs eingeführten Fenstergefäßes aus Coswig. An dessen Assem- blage wurden die jeweiligen feststellbaren Intraaktionen beschrieben. Dadurch konnte der eingangs geöffnete Rahmen geschlossen