2 Wochenschau Bauwelt 39--40 | 2008 Bauwelt 39--40 | 2008 3

AUSSTELLUNG elle Fassung legte er bereits nach wenigen Tagen Vorschlag zur megastrukturellen Vergrößerung vor: Er ordnete die gesamte Innenstadt neu, ohne einer Megastruktur: Yona Friedmans Collage Rücksicht auf bestehende Grundstücksgrenzen und „Extension du Centre Georges Pompidou“ ist neben anderen Originalstücken bei „Mega- Konstrukteur der modernen europäischen Straßenverläufe, und sah dafür ein regelmäßiges, structure Reloaded“ zu sehen. geradliniges Raster breiter Hauptstraßen mit einem Abbildung mit freundlicher Genehmigung: Stadt. William Lindley (1808–1900) Netz von Wasserver- und -entsorgungsleitungen vor. Yona Friedman, Paris Die Kritik an dem Plan, wie sie etwa von und auch von Chateauneuf geäußert wurde, Ulrich Höhns hatte nicht dessen radikale Modernität zum Gegen- Vor 200 Jahren wurde der englische Ingenieur Wil- nach Wandsbek gereist war, stieß auf dieses liberale, stand, sondern den offensichtlichen Mangel an liam Lindley geboren, der zwischen 1838 und 1860 anglophile Milieu. Er brachte englische Mitarbeiter künstlerischem, raumbildenden Städtebau. Lindley in großem Umfang und technisch innovativ für Ham- mit und wurde 1839 technischer Berater beim Bau wurde in die federführende „Technische Kommis- burg tätig war. Dem Museum für Hamburgische Ge- der Eisenbahnstrecke –Bergedorf, die später sion“ zum Wiederaufbau der Stadt berufen, der un- schichte ist diese Jubiläum jetzt Anlass für eine breit in der Verbindung Hamburg–Berlin aufging. Hier be- verzüglich begann und sich zu einem frühen Mus- angelegte Rückschau auf das Werk eines der bedeu- gann die Öffnung der Stadt auf dem Landweg – die terbeispiel für eine kooperative Planung entwickelte, tendsten Ingenieure und Stadtmodernisierer des nächtliche Torsperre wurde erst 1860 aufgehoben –, bei der alle Beteiligten Zugeständnisse machen 19. Jahrhunderts. Lindleys Arbeiten ebneten der da- und sie erhielt gleich ein erstes programmatisches mussten, ohne dass die raumkünstlerische Qualität mals vergleichsweise kleinen Handelsstadt den Weg Symbol der Repräsentation: die doppelbogige Halle des neuen Stadtbilds und seine bestmögliche Aus- zu einer europäischen Hafenmetropole. Seine ober- des Bahnhofs, entworfen 1840 vom führenden Archi- stattung mit technischer Infrastruktur aus dem Auge und unterirdischen Planungen und Gutachten für tekten der Zeit in Hamburg, Alexis de Chateauneuf. verloren wurden. William Lindleys Regulierungs- Eisenbahnen, Wasserkunst, Sielanlagen, für Hafen- Chateauneuf und Lindley verband auch bei anderen plan, von Chateauneuf stadträumlich „verschönert“, und für Städtebau prägen die Infrastruktur von Ham- Projekten eine enge Arbeitspartnerschaft. bildete die Grundlage. burg und das Gesicht seines Zentrums bis heute. Kurz vor der geplanten Eröffnung des Bahnhofs Lindley, der seit 1852 mit der Hamburger Kauf- Um 1800 lebte eine zwar kleine, wirtschaftlich fielen Anfang Mai 1842 die gesamte Hamburger Alt- mannstochter Julie Heerlein verheiratet und wie und kulturell aber durchaus einflussreiche englische stadt und weite Teile des östlichen Innenstadtbe- selbstverständlich Mitglied des international orien- Minderheit in der Stadt und ihren westlichen Voror- reichs einem drei Tage wütenden Feuer zum Opfer; tierten Kaufmannsbürgertums der Stadt war, arbei- ten entlang der ; die besseren Kreise der Hambur- die Straße Brandsende erinnert heute an die östliche tete als freiberuflicher Ingenieur. Er war anerkannt ger Gesellschaft orientierten sich hingerissen an Grenze des „Großen Brandes“. Noch im selben Monat und gefragt, wurde aber auch immer wieder in Fra- deren speziellen Lebensgewohnheiten. Lindley, der erhielt Lindley vom Senat den Auftrag zur Anferti- ge gestellt – gerade was seinen besonderen Status als 16-Jähriger erstmals zu einem Sprachaufenthalt gung eines Wiederaufbauplans. Eine erste, inoffizi- als Freiberufler mitten im Staatsbauwesen betraf. Es waren diese in Hamburg offenbar immer wichtiger werdenden Formalia, die ihn trotz aller Freiheiten und Erfolge dazu veranlassten, die Stadt 1860 zu ver- AUSSTELLUNG sich der Besucher mittig in eine doppelte Video pro- sie sehen, aber grundsätzlich wirken sie so, als ob lassen und wieder in London zu leben. An Alster jektion gestellt wieder: Linkerhand schneidet Gor- man alles von der Expo 67 in Montreal zusammen- und Elbe hinterließ er ein reiches Werk, dessen tech- Die Expo 67 eine Meile hoch aufgetürmt | don Matta Clark in „Conical Intersect“ (1975) Trich- rollen und eine Meile hoch auftürmen würde.“ nische Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt „Megastructure reloaded“ in Berlin terformen durch Wände und Decken jener Altbau- Die im Erdgeschoss gezeigten Werke von Ge- werden kann. Und auch die ästhetische Anmutung ten, die später für das Centre Pompidou in Paris abge- genwartskünstlern, die eingeladen wurden, sich für von Lindleys Bauten weist weit über den Standard Warum bloß sind die Megastrukturvisionen der 60er rissen werden sollten; rechts kommentiert Peter die Ausstellung mit dem Thema Megastrukturen aus- der Zeit hinaus – von Wasserreservoirs, die in ihrer für uns heute so faszinierend? Ein junger Architekt Cook die visionäre Architektur des Centre Pompidou. einanderzusetzen, wirken, den historischen Utopien illusionistischen Erscheinung an Zeichnungen von erklärte mir kürzlich: „In unserer postmodernen Zer- In den beiden folgenden Kellerräumen gibt es dann so unmittelbar gegenübergestellt, bemerkenswert Piranesi erinnern, bis hin zu klassizistischen Bade- streutheit fehlt uns das Selbstverständnis, um über- eine erlesene Auswahl von Ikonen der 60er Jahre zu belanglos. Arbeiten wie die weißbeschichtete Sperr- häusern. In der didaktisch gut inszenierten und mit haupt in solch großmaßstäblichen Strukturen denken sehen: Handzeichnungen von Yona Friedman, Skiz- holz-Landschaft von Tilman Wendland übersetzen Originalmaterial aus dem Deutschen Museum in Mün- zu können; gerade deswegen bieten sie uns heute zen von Constant, Videos von Archigramm, Comics zwar den Gedanken der offenen Raumstruktur, aller- chen angereicherten Hamburger Ausstellung sowie einen idealen Raum zur Aneignung und zum Entde- von Super studio oder die Ruhr-Band-City von Alan dings gänzlich vom städtebaulichen Kontext und in einem lesenswerten Katalog wird dies erstmals in cken an.“ Der Gedanke macht neugierig, sich die Boutwell – passend dazu die Betonstützen, der Ge- von politischen Aussagen befreit. Ryan Ganders „A solcher Fülle dokumentiert. Neben allem Lokal- Aus stellung „Megastructure reloaded“ anzuschauen. ruch nach feuchtem Keller, grüner Kunstrasen und Slowing of the Spectators Eye“ (das 1:1-Fiberglas- stolz auf den hanseatischen Engländer ist hier auch Grauer Putz und schwarzes Pflaster: Der Innen- eine Ausstellungsarchitektur zwischen Minimalismus Imitat einer spätmodernen Betonfassade) oder Tobi- der (unter Mithilfe seiner Söhne) von London aus hof der ehemaligen DDR-Münze am Berliner Molken- und ready made. as Putriths Interpretation von ONECITY (Nachbau europaweit tätige Ingenieur zu entdecken, der in markt ist menschenleer – bis auf zwei Megastruktu- Das Stelldichein der Architekturvisionen im Kel- eines metabolistischen Stadtgrundrisses mit aufge- zahlreichen Städten, von Amsterdam über , ren, die zur Begrüßung in die Luft, beziehungsweise, ler des muffigen Verwaltungsbaus funktioniert her- spannten Nylonfäden) gehen einen Schritt weiter: Lodz und Warschau bis Tiflis, Wasserversorgungs- über den Boden ragen: „3x12MW Airport city“, eine vorragend – auch wenn man über die abschließende Zwischen dem Architekturmodell der Megastruktur, systeme plante und die Städte bei solchen Vorhaben Plastikblasen-Stahlseilskulptur von Tomás Sarace- Bewertung der Initiatoren geteilter Meinung sein der Handschrift des Künstlers und der Erfahrung des beriet. nos, und die „Stadtmatratze“ von Raumlabor, eine darf. Wollten „die Megastrukturalisten den Architek- Beobachtens entsteht ein kurzes Moment der Irri- minimalistische Veranstaltungsarchitektur zum öf- ten als allmächtigen Gestalter abschaffen und durch tation und damit Platz für Fragen – zur Ausführung, fentlichen Hopsen und Fläzen. Die Abwesenheit pul- einen neuen Typus von Planer ersetzen“, wie die Ku- zum Detail und an diesem Punkt, mit etwas gutem Hamburgmuseum | Am Holstenwall 24, 20355 Hamburg | ▸ www.hamburgmuseum.de | bis sierenden Lebens, welches beide Arbeiten metapho- ratoren Sabrina von der Ley und Markus Richter im Willen, auch zur Stadt. Anne Kockelkorn 22. Februar, Di–Sa 10–17, So 10–18 Uhr | Der risch bzw. praktisch suggerieren, lässt den Hof noch Katalog erklären, oder haben sie in der Ausführung Katalog (Dölling und Galitz) kostet 29,80 Euro. leerer wirken, als er ist. Aber sie sind auch nur der vor allem historische Stadtgewebe zerstört? Ironische Ehemalige Staatliche Münze | Molkenmarkt 2, Einstieg: Weiter geht’s durch partyzeltähnliche Tun- Distanz zum Thema hatten bereits einige Zeitgenos- 10179 Berlin | ▸ www.megastructure-reloaded. Wasserhochreservoir am Berliner Tor nelverbindungen mit blauem Plastikboden ins Haupt- sen wie der Stadtplaner Peter Hall, der 1968 in der org | bis 2. November, Di–So 12–19 Uhr | Der in Hamburg, William Lindley, 1853–55. gebäude der Münze und von dort über eine enge Londoner Zeitschrift New Society schrieb: „Mega- Katalog (Hatje Cantz) kostet in der Ausstellung Foto um 1890 hamburgmuseum © Treppe in den Keller des Stahlbetonbaus. Hier findet strukturen sind nicht leicht zu beschreiben, man muss 29 Euro, im Buchhandel 35 Euro.