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Hefte aus Burgscheidungen

Gertrud Illing

Zum. Scheitern verurteilt

Die Welthensmaftspläne des deutsmen imperialismus

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/ Herausgegeben 'von der Zentralen Schulungsstätte 4 "Otto Nuschke ' in Verbindung mit der Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union .' Hefte aus Burgscheidungen

Gertrud IlIing

Zum Scheitern verurteilt \

Die Weltherrschaftspläne des deutschen Imperialismus

1964

Herausgegeben von der Zentralen Schulungsstätte "ütto Nuschke" in Verbindung mit der Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union Einleitung

Seit Deutschland zwischen 1890 und 1900 in das imperiali­ stische Stadium des Kapitalismus eingetreten ist, haben die politisch und ökonomisch herrschenden Klassen bereits zwei­ mal den Versuch unternommen, die Weltmacht zu erobern. Sie sind bei diesen zwei Versuchen beide Male gescheitert, und doch sind in Westdeutschland heute wieder die gleichen Kräfte am Werk, das gleiche Experiment zum dritten Male zu versuchen. Das deutsche Volk mußte beide Male dieses Weltmachtstre­ ben der deutschen Imperialisten in zwei Weltkriegen und in der dazwischenliegenden Zeit mit Millionen von Menschen­ leben und Milliardenwerten an vernichteten materiellen Gü­ tern bezahlen. Es wurde zweimal fürchterlich aus den Träumen chauvinistischer überheblichkeit geweckt, in die weite Kreise durch eine raffinierte Propagandatechnik eingelullt worden waren. Es wurde besonders durch den zweiten Weltkrieg an den Rand des Untergangs seiner nationalen Existenz geführt, und es hat sein Weiterbestehen als - wenn auch in zwei Staa­ ten gespaltene - Nation nur der Tatsache zu verdanken, daß es immer, selbst in den dunkelsten Zeiten der deutschen Ge­ schichte in diesem Jahrhundert, Männer und Frauen gegeben hat, die ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Existenz daran wagten, die Verderber des deutschen Volkes, der deutschen Na­ tion zu enÜarven, dem deutschen Volke die Augen zu öffnen über das wahre Wesen des deutschen Imperialismus, dessen Ziele zu enthüllen und einen erbitterten, opfervollen Kampf dagegen zu führen. Diese Männer und Frauen waren es, die nach der fürchter• lichsten Katastrophe in der neueren Geschichte des deutschen Volkes als Aktivisten der ersten Stunde den Mut zu einem Neuanfang fanden. Gegen sie richtet sich in der Gegenwart erneut der Terror des monopolhörigen Bonner Staates, weil sie es wagen, die neuen und doch so alten Welteroberungspläne der westdeutschen Imperialisten als das zu bezeichnen, was sie in Wahrheit sind - als Pläne zu einem neuen, noch unge­ heuerlicheren Verbrechen am deutschen Volk, an der deutschen Nation. Das Anliegen dieses Heftes ist es, das Weltherrschaftsstreben des deutschen Imperialismus von seinen Anfängen in seiner Ag 224f33/64 - III!6/50 4,28 4G4 (449) 3 wechselnden Gestalt und seinem stets gleichbleibenden Inhalt 1. Der .. Platz an der Sonne" in großen Umrissen darzustellen und damit noch einmal die Feststellungen des Nationalen Programms zu unterstreichen: Das so spät zur nationalen Einigung gekommene Deutsch­ "daß der Friede in der Welt nur dann gesichert ist, wenn es land war seit etwa 1890 auf dem Wege zur wirtschaftlichen auch der westdeutschen ArbeiteTklasse im Bündnis mit den Weltmacht. Das skrupellose Profttstreben der deutschen Groß• demokratischen Kräften in Westdeutschland gelingt, diese Ver­ bourgeoisie, der außerordentlich hohe Ausbeutungsgrad und derber des deutschen Volkes endgültig zu beseitigen, ihnen die besondere Qualitätsarbeit der deutschen Arbeiter hatten durch die Zerschlagung der ökonomischen Basis ihrer politi­ es der deutschen Industrie ermöglicht, sich auf dem Weltmarkt schen Macht die Möglichkeit zu nehmen, das deutsche Volk einen beachtlichen Platz zu erobern. Sowohl in bezug auf die in einen dTitten Weltkrieg zu stürzen". industrielle Wachstumsrate und das Wachstumstempo als auch in bezug auf den Handel hatte Deutschland die alten Industrie­ mächte England und Frankreich um mehr als das Doppelte überflügelt. Das zeigte sich besonders an den Produktionsziffern von Kohle und Stahl, den beiden Grundstoffen der Schwerindu­ strie. So konnte Deutschland seine Kohlenförderung in der Zeit yon 1870 bis 1914 auf das Achtfache erhöhen, während sie sich 10 England nur verdoppelte. Das gleiche gilt für die Roheisen­ erzeugung, die in den Jahren von 1887 bis 1914 um 387 11/0 - von 4 Millionen Tonnen auf 15,5 Millionen Tonnen - stieg und damit sogar Amerika mit seiner Zunahme von 368,5 '11 /0 hinter sich zurückließ, während England weit abgeschlagen mit einer Zunahme von nur 30,6 ~ / o runter Deutschland zurückblieb. Aber auch auf anderen Gebieten war es Deutschland in kur­ zer Zeit gelungen, nahezu eine Monopolstellung zu erringen, so in der chemischen und der optischen Industrie. Hier kam Deutschland seine "Verspätung" besonders zustatten, da sich diese Industrien im Weltrnaßstab erst in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelten. Dabei ist bezeichnend für den Ein­ tritt Deutschlands in die imperialistische Epoche, daß sich be­ sonders in der chemischen Industrie die Monopolisierung sehr bald durchsetzte. "Mit ihren 150 000 Beschäftigten, zusammengeballt in wenigen Mammutbetrieben, die seit dem Jahre 1904 durch Vorabsprachen der großen .Firmen Bayer, Hoechst und Ludwigshafen schon ein Kartell errIchtet hatten (1916 in den IG Farben vereinigt), war die chemische Industrie Sinnbild der hochkonzentrierten Indu­ striebetriebsform." I Die gleiche hohe Konzentration der Produktion und des Ka­ pitals finden wir in der Elektroindustrie (AEG, Siemens), für die insbesondere auch die enge Verflechtung mit dem Finanz­ kapital typisch ist. Dieser horrende wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands der nur mit dem einer anderen "jungen" Nation, nämlich Ame~ rikas, einigermaßen vergleichbar war, machte die Wirksamkeit des objektiven ökonomischen Gesetzes der ungleichmäßigen Entwicklung der kapitalistischen Staaten besonders deutlich.

1 Fischer, Frltz, Der Grii! nach der Weltmacht, Düsseldorf 1962, 5.25

4 5 Adäquat dem industriellen Aufschwung Deutschlands ent­ "Im Mittelpunkt seiner pOlitischen Absichten stand der wickelte sich auch der deutsche Handel. So stieg die Einfuhr Au fb a u ei n e r Fl ot t e. Sie sollte Deutschland den R a n g zwischen 1887 und 1912 von 3,1 Mrd. auf 10 Mrd. Mark. Das ein e r W e I t mac h t garantieren, zu dem es sich auf Grund seiner k ul tu r ell en Hö h e und seiner wi rtsch a ft­ bedeutete eine Zunahme von 243,8 0/ 0, während sich die Aus­ li c h e n Pot e n zen be ruf e n fü h 1 t e. "2 (Hervorhe­ fuhr um 185,4 G/o - von 3,1 Mrd. auf 8,9 Mrd. Mark - steigerte. bung von mir, G. 1.) Im gleichen Zeitraum vollzog sich aber auch in bezug auf die Handelspartner eine Wandlung: an die Stelle der europäischen Selbstverständlich war Wilhelm lI., selbst wenn er aus eige­ Staaten (England, Frankreich und Südosteuropa) traten bis 1913 nem Antrieb zu handeln glaubte, nichts anderes als der Ex­ mehr und mehr die überseeischen Gebiete, in erster Linie die ponent der Wünsche des Monopolkapitals, mit dessen hervor­ südamerikanischen Staaten. ragendsten Vertretern, wie Krupp, Ballin, Rathenau, ihn zu­ Der Wandel der Wirtschaftsstruktur Deutschlands, seine Um­ dem engste freundschaftliche Beziehungen verbanden. wandlung aus einem Agrar-Industriestaat in eines der führen• Wie fest das ausschließlich den Interessen des Monopolkapi­ den Exportländer der Erde binnen weniger Jahrzehnte, der Er­ tals dienende Weltmachtstreben des deutschen Imperialismus folg der wir t s c h a f t I ich e n Ex pan s ion war die auch in den Kreisen des deutschen Bürgertums Fuß gefaßt Grundlage für das pol i t i s ehe W e I t mac h t s t r e ben hatte, geht aus der Vielzahl der Vereinigungen und Verbände des deutschen Imperialismus, das vor dem ersten Weltkrieg in hervor, deren einziges und offen erklärtes Ziel die Unter­ den verschiedensten Plänen und Denkschriften führender deut­ stützung eben dieses Weltmachtstrebens war. Weitaus an der scher Wirtschaftsexperten, Nationalökonomen, Politiker und Spitze stand hierbei der Alldeutsche Verband, dessen aggre~­ Historiker seinen Niederschlag fand. sive Zielstellung und chauvinistische überheblichkeit alle Wenn sich der Wunschtraum der deutschen Imperialisten, anderen in den Schatten stellte. Die von ihm propagierte England in seiner Weltgeltung abzulösen, erfüllen sollte, dann Ideologie des Monopolkapitals wirkte sich besonders verhäng• war eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür eine starke nisvoll für Deutschland aus, zumal sie dann in vollem Umfange Flotte, die der unbestrittenen Seeherrschaft des britischen In­ vom Faschismus übernommen wurde, auch wenn der All­ selreichs ein Ende machen konnte. Andererseits aber war un­ deutsche Verband selbst in der Zeit der faschistischen Diktatur schwer vorauszusehen, daß sich die Differenzen zwischen nur eine unbedeutende Rolle spielte und schließlich sang- und Deutschland und England, die infolge deutschen Vordringens in klanglos einging. englische Interessensphären bereits bestanden, noch weiter ver­ Angesichts des Einflusses, den dieser Verband ausübte - schärfen würden, wenn Deutschland als stärkste europäische allerdings weniger in den breiten Volksmassen für die die Kontinentalmacht nun auch in die Reihe der Seemächte ein­ "Führer"-Ideologie damals noch wenig Anziehungskraft besaß, zutreten strebte. Nichts unterstreicht deutlicher die gegen die als in den herrschenden politischen Kreisen - lohnt es sid1, nationalen Lebensinteressen des deutschen Volkes gerichtete hier kurz auf seine Zusammensetzung und die von ihm beü'ie• Politik der deutschen Imperialisten, wie sie im Nationalen Pro­ bene ideologische Kriegsvorbereitung einzugehen. gramm angeprangert wurde, als die Bedenkenlosigkeit, mit Die Initiative zur Bildung des Verbandes ging von einem der die deutsche Flottenrüstung forciert wurde, obgleich das aus den Kreisen des Auslandsdeutschtums kommenden Aufruf deutsche Volk dadurch in die Gefahr eines Krieges mit Eng­ gegen den von Bismarck abgeschlossenen Sansibar-Vertrag aus. land geführt wurde. Sie wurde von Alfred Hugenberg - damals noch nicht im Einer der Hauptvertreter jener "Weltpolitik" war Wilhelm 1I., Generaldirektorium der Kruppschen Werke, sondern Regie­ der sie rungsassessor - aufgegriffen, der es , übernahm, den von ihm "sehr bald als Programm mit dem Ziel des ,deutschen Platzes unterbreiteten Vorschlag der Gründung einer "völkischen Ver­ an der Sonne' ausgegeben hatte. Der frühe Tod Friedrichs IIr. einigung" in Deutschland zu realisieren. . Hugenberg, der spätere symbolisierte das überspringen einer Generation, so wie der langjährige Vorsitzende der Deutschnationalen Volkspartei, Regierungsantritt Wilhelms II. im Innern den konservativ-dy­ Beherrscher der Ufa und großer Pressekonzerne, wurde damit nastischen" (lies: reaktionären) "Kräften, im Äußeren, beson­ zum "eigentlichen Vater des Alldeutschen Verbandesu3. ders nach Bismarcks Entlassung, den ex pan s i v enD r ä n­ gern den eigentlichen Auftrieb gab ... Der An­ Was es mit diesem Allgemeinen Deutschen Verband wie er spruch Wilhelms II., Deutschland neben England zu stellen, zunächst genannt wurde, auf sich hatte, mag hier dur'ch zwei prägte zugleich seine politische Konzeption wie das Denken seinen Charakter kennzeichnende Beispiele gezeigt werden: Als der überragenden Zahl seiner Minister und Staatssekretäre." sein Vorsitzender sollte einer der übelsten Vertreter des deut­ (Das war an sich selbstverständlich angesichts des Byzantinis­ schen Kolonialismus, Carl Peters, fungieren, der bereits 1881 mus der wilhelminischen Ära, der eigene Anschauungen, die der "Allerhöchsten Meinung" entgegenstanden, kaum aufkom­ 2 ebenda, 5.17 men ließ! - G. 1.) 3 .,AlldeutsChe Blätter", 30. Jahrgang, Nr. 21, S. 163

6 7 in seiner ersten Veröffentlichung ,Weltwille und Willenswelt'" des deutschen Bürgertums einen Einfluß ausüben konnte, der geschrieben hatte, "daß die Ara der preußisch-deutschen Mili­ im Vergleich zur Mit g I i e der z a h I unverhältnismäßig groß tärhegemonie über Europa heraufgezogen sei"o!.. In einem 1891, war. Diese Einflußnahme wurde noch verstärkt durch die Zu­ dem Gründungsjahr des Verbandes, herausgegebenen Flugblatt gehörigkeit von Reichstagsabgeordneten verschiedener bürger• mit dem Titel "Auf der Schwelle des Weltkrieges" findet sich licher Parteien zum Alldeutschen Verband - 1908 waren es bezeichnenderweise die Begründung "der natürlichen Ansprü• nach einer Aussage des langjährigen Vorsitzenden des Ver­ che an den Mitbesitz der Weltherrschaft" mit den Rüstungs• bandes, Justizrat Heinrich Claß, über 33 Abgeordnete - und ausgaben. Es heißt dort, diese Ansprüche müßten die korporative Mitgliedschaft von "völkischen" oder "natio­ nalen" Vereinen und Verbänden mit der gleichen aggressiven in Güte oder mit Gewalt zu ihrer Zeit zu ihrem Recht kom­ ~en. Die deutsche Nation muß wissen, weshalb sie jahrzehnte­ Zielsetzung, wie "Wehrverein", "Flottenverein", "Deutscher lang mit gesteigerter Anspannung aller Volkskräfte sich waff­ Schulverein", der spätere "Verein für das Deutschtum im Aus­ nen Und zum Kampf rüsten muß. Es wäre wa h r e rHo h n land" (VDA), "Ostmarken-Verein", "Hammerbund", "Deutsch­ auf die dabei vergeudete Volksarbeit, wenn das bund", "Kolonialgesellschaft" und viele andere mehr, deren alles nur zur Erhaltung des Friedens und zur Ver­ Name vielfach schon ein Programm war. teidigung des Besitzstandes wäre." (Hervorhebun­ Die Ziele des Verbandes waren so ziemlich das Größenwahn• gen v. Vf.) sinnigste, das je von Imperialisten erdacht wurde, teilweise Aufschlußreich ist auch die Zusammensetzung der Mitglied­ noch versteckt hinter der Fassade einer verhältnismäßig un­ schaft und der Leitung des Alldeutschen Verbandes. Obwohl verfänglich klingenden "nationalen" Phraseologie. Der tragende er als Propaganda-Organisation des Monopolkapitals zur Popu­ Pfeiler war der wildeste Chauvinismus, die durch nichts be­ larisierung seiner Weltherrschaftspläne gegründet und von die­ gründete Behauptung von der .. überlegenheit" der "germani­ sem auch weitgehend finanziert wurde, war die Zahl der Ver­ schen Rasse". Die Propagierung dieser Ziele war ausgerichtet treter des Monopolkapitals in der Leitung äußerst gering. Sie auf die völlige Vernebelung des ohnehin gering entwickelten hatten ihre Leute auf die sie sich verlassen konnten und die politischen Bewußtseins des betont "unpolitischen" deutschen entweder durch ihre Stellung ihren Einfluß auf die Regierung Bürgers, dessen ganze "Erziehung" durch Schule und Wehr­ ausübten wie die stets in der Leitung des Verbandes vertrete­ dienst bereits darauf abgestellt war, auf der einen Seite seine nen hoh~n Offiziere des Heeres und der Admiralität, oder als nationalistische überheblichkeit zu wecken und zu pflegen und Zeitungsverleger, Redakteure, Universitätsprofessoren, Lehrer ihn andererseits zum gehorsamen "Untertanen" 'heranzu"bil­ und Geistliche die öffentliche Meinung des Bürgertums und den", weiterer Schichten im Sinne des Monopolkapitals lenkten. Welches waren die Ziele des Alldeutschen Verbandes, und Anhand einer Verbandsstatistik für 1904 kann die Gliede­ was verbarg sich hinter ihnen? - In der ersten Fassung des rung des Vorstandes in seiner sozialen Schichtung in etwa er­ Statuts waren sie folgendermaßen formuliert: rechnet werden. Danach waren etwa 7 G/f) der Vorstandsmitglie­ "Der Allgemeine Deutsche Verband ist gegründet zur Förde• der Universitätsprofessoren, darunter solche, deren Namen rung deuts,ch-nationaler Interessen im In- und Auslande und nicht nur für die damalige Zeit Gewicht hatten. Zur sonstigen verfolgt als Zwecke: Intelligenz gehörten rund die Hälfte der Vorstandsmitglieder, 1. Belebung des vaterländischen Bewußtseins in der Heimat und 13 °l f) waren Beamte. und Bekämpfung aller der nationalen EntWicklung entgegen­ "Alles genauso, wie es für eine Propagandaorganisation des gesetzten Richtungen. Monopolkapitals, die unter dem Bürgertum, vor allem auch 2. Pflege und Unterstützung deutsch-nationaler Bestrebungen unter dem Klein- und Mittelbürgertum wirken soll, nicht ge­ in allen Ländern, wo Angehörige unseres Volkes um die Be­ schickter ausgesucht sein kann. hauptung ihrer nationalen Eigenart zu kämpfen haben, und Das heißt Führung und Mitgliedschaft setzten sich vor allem Zusammenfassung aller deutschen Elemente auf der Erde für aus solchen'Personen zusammen, die auf Grund ihrer Stellung diese Ziele. einen ganz besonderen Einfluß auf die Bildung und Formung 2. Förderung einer tatkräftigen deutschen Interessenpolitik in einer Ideologie haben können. "5 Europa und über See. Insbesondere auch Fortführung der deutschen Kolonialbewegung zu praktischen Ergebnissen."6 Schon da:raus ergibt sich, daß der Alldeutsche Verband nie­ mals eine Massenorganisation werden, aber andererseits auf Was unter diesen Programmpunkten wirklich zu verstehen die Politik des Deutschen Reiches wie auf die Meinungsbildung war, erläuterte ein Kommentar zu diesen Satzungen, in dem besonders folgender Passus interessant ist, da er die Breite 4 Kuczynski, Studien zur Geschichte des deutschen Imperialismus, B. II, S.13 5 Kuczynski, a. a. 0., S. 19 6 ebenda, S. 25

8 9 der Begriffsbestimmung "Deutsche" zeigt, wie sie d er Alldeut­ Kuczynski stellt mit Recht die merkwürdige Tatsache fest, sche Verband verstand: daß das deutsche Volk von sich aus gar nicht landhungrig zu Der Verband fragt auch im Ausland nicht nach dem Unter­ sein schein\, sondern daß dieser Landhunger "erst geweckt schiede zwischen ,Reichsdeutschen' und ,andem' Deutschen." werden müsse". - Ähnlich wie Vietinghoff-Scheel brachte auch (Der Faschismus setzte dafür den Terminus "Volksdeutsche"; Claß in einer Rede auf dem Breslauer Verbandstag 1913 zum d. Vf.) "Er kennt nur ,Deutsche' und anerkennt alle als Lands­ Ausdruck:: leute, die germanischer Abstammung sind und an deutscher "Der Hunger nach Land drückt unserer Zeit den Stempel auf; Sprache und Sitte treu festhalten, gleichgültig, welch~m ?taats­ er will und muß befriedigt werden. ·Seine Befriedigung stellt wesen sie als Bürger oder Gäste angehören. Das ZIel 1st nur unser Volk vor Aufgaben, die einen großen Zug in unser natio­ eins: die Zusammenfassung des gesamten Deutschtums zu ge­ nales Leben bringen werden, für den eine wirklich regierende meinsamem Bewußtsein. "7 Regierung dem Schicksal dankbar sein müßte. Unsere" (d. h. Wie entledigte sich nun der Alldeutsche Verband seiner Auf­ des Alldeutschen Verbandes, d. Vf.) "Aufgabe ist es, daran zu gabe, das deutsche Volk für die Weltherrschaftsplä~e des deut­ arbeiten, daß aus dem instinktiven Landhunger, wie er auch in schen Imperialismus zu gewinnen und es psychologlsch auf den den Massen vorhanden ist, ein fester klarer Wille, ein elementar im Verfolg dieser Pläne unausbleiblichen Krieg vorzubereiten? wirkender Entschluß wird, unserem Volke zu verschaffen, was _ Einen breiten Raum in der Propaganda nahm die These von, es zum .Fortbestehen, zu seiner Gesundheit braucht."JO der deutschen "überlegenheit" gegenüber anderen Völkern und Was das "deutsche Volk", d. h. das deutsche Monopolkapital der darauf gegründeten besonderen Berufung der germani­ nach Ansicht der Alldeutschen "zu seinem Leben, zu seiner schen Rasse zur Weltherrschaft ein. Besonders deutlich werden Gesundheit" brauchte, fand seinen Niederschlag in den Kriegs­ diese Auffassungen in den Ausführungen eines alldeutschen zielen des deutschen Imperialismus, als der "elementar wir­ Publizisten, der die Menschheit in "Führerrassen" und "Folge­ kende Entschluß" zum Kriege eine blutige Realität geworden rassen" einteilt und den Führerrassen, an deren erste Stelle war. Es war nicht mehr und nicht weniger als die Eroberung er selbstverständlich die germanische Rasse setzt, das Recht des von Gebieten in allen fünf Erdteilen. Dieser Auffassung hul­ Eroberns zugesteht. Noch eindeutiger erweist er sich· als echter digten aber nicht nur die alldeutschen Interessenvertreter des Vorläufer des Faschismus, wenn er schreibt: deutschen Imperialismus. "Die Eroberer handeln biologisch nur folgerichtig, wenn sie Der Nationalökonom GustavSchmoller, nach Fischer "der Er­ die fremde Sprache zu verdrängen und das fremde Volkstum zieher einer ganzen Generation von Nationalökonomen, Ver­ zu zertrümmern trachten. Darum keine Versöhnungsversuche, waltungsbeamten und Diplomaten"ll, gab bereits um die Jahr­ sondern kühles Herrenbewußtsein, möglichste Machtentfaltung und strenge Vorbehaltung aller politischen Rechte!"8 hundertwende den imperialistischen Weltmachtbestrebungen dahingehend Ausdruck, daß die Staaten wieder wie im Zeit­ Es ist das der gleiche Geist, aus dem die überhebliche Losung alter des ersten Merkantilismus mit seinen Machtkämpfen "ein­ entsprang: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!" Die heitliche ... starke reiche mächtige Wirtschaftskörper" seien, Welt sollte zwei Jahrzehnte später mit Schaudern erleben, wo­ die .. in dem neuen Kampf um Raum für die Menschen, Raum hin dieser Wahnsinn ein Volk, das immerhin große humani­ für das zinstragende Kapital und Raum für den gewinnbrin­ stische Traditionen zu wahren hatte, führte. genden Absatz" kämpfen 12. Auch die Volk-ohne-Raum"-Theorie, die später Hitler die Aber auch die Historiker des wilhelminischen Deutschland Grundlage iUr seine Aggressionen bot, fand in den Kreisen eiferten den Nationalökonomen nach. des Alldeutschen Verbandes bereits ihre Apologeten. So el'­ ldärte der Baron von Vietinghoff-Scheel in einer Begrüßungs­ "Für sie war die Ausweitung der Nationalstaaten zu Welt­ ansprache an den Alldeutschen Verbandstag in Erfurt 1912: staaten nicht nur bestimmt von ,Wirtschaftsinteressen', son­ dern vor allem vom ,Streben nach Macht' ... Jedoch sahen sie "Unsere Grenzen sind zu eng. Wir müssen landhungr.ig ~!) Deutschland weniger ,im wirtschaftlichen Schlepptau der gro­ werden, neue Siedlungsgebiete erwerben, sonst werden Wir. em ßen Mächte! als vielmehr - wie etwa Hans Delbrück erklärte - sinkend Volk, eine verkümmerte Rasse. A~s echter wahrer Liebe zur ,Weltmlssion' berufen kraft des durch Heer und Flotte ge­ müssen wir an unser Volk und seiner Klllder Zukunft denken, sicherten ,gebührenden Anteil(s) an jener Weltherrschaft, die wenn man uns auch Kriegs- und Rauflust vorwirft. Wäre das das Wesen der Menschheit uno ihre höhere Bestimmung den germanische Volk kriegsfürchtig, so hätte es au~gelebt. Wenn Kulturvölkern zuweist'. Gegen das ,Kulturmonopol' des Ange1- im Reiche sich Unzufriedenheit breitmacht, so 1st der Land­ sachsen turns - Englands und Nordamerikas - und die russisch- hunger die Ursache davon. "9

7 ebenda, S. 26 10 "Alldeutsche Blätter" • 23. Jahrgang, Nr. 37, S. 299, zit. naCh: Kuczynski, 8 "Alldeutsche Blätter", 23. Jahrgang, Nr. 35, S. 283-85, zit. nach: Kuczyn­ a. a. 0., S.42 Ski, a. a. 0., S. 36 11 FisCher, 8. 3. 0., 5.19 9 ebenda, S. 41/42 12 ebenda, S. 18 10 11 moskowitische Welt setzten die deutschen Professoren den Auf­ legt und am 1. August 1914 diesem erneut übermittelt - der trag: die Behauptung der deutschen ~ultu~elle~ un~ politischep Grundgedanke der europäischen Politik Bethmann-Hollwegs Eigenart zu sichern und damit ZUgl~lch du; V1I7lhe~t und Indi­ wurden. vidualität der Völker sowie das GleIchgeWIcht 10 emem neuen Weltstaatensystem (das nach ihrer Vorstellung das eur~Päische D~s eigentliche Ziel dieser europäischen "Wirtschaftseini­ ablösen wird) zu garantieren. Diese von Hans Delbruck 1905 gung" wurde von dem Direktor der Disconto-Gesellschaft, der ausgesprochene Deutung der Weltlage und der zukünftig~n ~eut­ zweitgrößten deutschen Bank, Max Schinckel - das Bank.­ schen Stellung in ihr" (wie sie sich die deutschen ImperIalisten kapital war neben der Schwerindustrie, der verarbeitenden In­ erträumten, d. Vf.) "nahm Otto Hintze im Weltkrieg wie~er auf, dustrie, der Schiffahrt und dem Großgrundbesitz führend im indem er als Ziel des Kampfes erklärte, daß ,das Antlitz un­ "Mitteleuropäischen Wirtschaftsverein" beteiligt - , dahingehend serer Erde weder angelsächsische noch moskowitische Züge tr~­ fixiert, daß es deren Aufgabe sei, gen' dürfe, denn es sei D e u t s ch I a n d ..s A u ~ t r ~ g, dafur zu sorgen, ,daß die Kultur der neueren Volker mcht 10 den Po­ "im Rahmen der deutschen Gesamtpolitik die als ,notwendig' lypenarmen eines welt beherrsch enden England oder Rußland erkannte ,breitere Basis in Europa' für Deutschland zu erstre­ ersticke'." 13 ben, um ,die volkswirtschaftliche Grundlage der deutschen Welt­ Damals - 1915 - war es "Deutschlands Auftrag, die euro­ politik zu legen'."1o päische Kultur zu retten"; jetzt fühlen sich die deutschen Im­ Und damit schließt sich der Kreis: Deutsche Weltpolitik war perialisten zu "Rettern des christlichen Abendlandes" berufe~l. nicht möglich ohne eine starke Flotte. Zur Unterstützung der Die Apologeten des deutschen Imperialismus beweisen - WIe auf die Entwicklung e~ner solchen Flotte gerichteten Politik sich zeigt - kein besonders großes Geschick im Erfinden von hatte sich das deutsche Mönopolkapital ebenfalls eine eigene Variationen der Propaganda, mit der das Weltherrschaftsstre­ Propagandaorganisation geschaffen: den Flottenverein. ben ihrer imperialistischen Auftraggeber verschleiert werden "Ursprünglich eine rein industrielle Gründung des Central­ soll. verbandes deutscher Industrieller, der in einer Flottenrüstung Deutlicher noch prägte sich der Anspruch der deutschen Im­ vornehmlich einen auf Jahre hinaus geSicherten Auftragsbe­ perialisten aui Weltmachtstellung aus in der Forderung nach stand sah, wurde der Flottenverein zum ersten großen Beispiel einer breiten europäischen Basis als Grundlage eines deutschen staatlich gelenkter Propaganda. Gefördert in den preußischen Provinzen von den Oberpräsidenten, in den Bundesstaaten von überseeischen Imperiums. Schon damals tauchte die Forde­ den Fürsten, war der Flottenverein mit seiner Mitgliedschaft rung nach einem europäischen Staatenbund unter deutscher aus der hohen Bürokratie, den mittleren Beamten (Lehrern Führung auf, die ;,als Grundlage eines deutschen Kolonialrei­ usw.) durchgegliedert über den Land- und Schulrat bis in jedes ches noch vor 1914 volle Zustimmung weiter politischer und Dorf und von da aus wieder auf die großen Parteien wirkend, wissenschaftlicher Kreise"!/j, fand. Unter diesem Zeichen ent­ jedenfalls bis zum Jahre 1908, ein ,Staatsverein', in dem sich wickelte Bethmann-Hollweg seine Mitteleuropapläne, "denn Industrie und Verwaltung an dem gleichen nationalen (!) Ziel ' war nichts anderes als die feste Basis auf dem begeisterten. "17 Kontinent für die deutschen Bestrebungen über See".15 Daß die Einschätzung des Flottenvereins als einer "rein in­ Sie sollten durchgesetzt werden auf dem Wege über eine mit­ dustriellen Gründung" zur Sicherung des Auftragsbestandes teleuropäische Zollunion. Zu diesem Zwecke bildeten sich be­ nur ein e Seite der Angelegenheit darstellt, ergibt sich u. a. reits vor dem ersten Weltkriege zwei große Interessenvereini­ auch aus dem expansiven Vordringen des deutschen Mono­ gungen: der "Mitteleuropäische Wirtschaftsverein" und der pOlkapitals in anderer Richtung. Im Westen waren es die gro­ Deutsch-Österreichische Wirtschaftsverband". In heiden spiel­ ßen Erzvorkommen von Longwy- Briey und in der Normandie, ten die deutschen Imperialisten eine führende Rolle. Beide in denen die deutschen Imperialisten durch den "Aufkauf von vertraten demzufolge die Interessen des deutschen Monopol­ Gruben, durch Erwerb von Konzessionen, durch Beteiligungen, kapitals, der erstere auf europäischer Grundlage, während de:r durch Unterwanderung, durch Zerstörung des Absatzmarktes zweite sich auf die Vereinigung des österreich-ungarischen mit der fremden Betriebe" Fuß fassen konnten. In Rumänien lockte dem deutschen Markt orientierte. das Öl, im Osten die polnische Kohle und das polnische Erz Einer der entschiedensten Vertreter einer mitteleuropäischen sowie die ukrainischen und kaukasischen Rohstoffgebiete von Zollunion war der spätere deutsche Außenminister Walter Ra­ Kriwoi Rog und Tschiaturi mit ihren reichen Vorkommen. thenau, Generaldirektor der AEG, dessen Vorschläge - bereits "Aus Sachsen griff die deutsche Industrie nach Böhmen hin­ 1913 in einer Denkschrift dem deutschen Reichskanzler vorge- über und verband das industrielle Hauptzentrum Osterreich­ Ungarns mit dem mitteldeutschen. Zugleich bewirkte dieses Ein- 13 Fischer, a. a. 0., S. 19 14 ebenda, S. 20 16 ebenda, S. 21 15 ebenda, S.20 17 ebenda, S. 33 12 13 dringen der deutschen Handelsbetätigung in die noch agrar­ "die Ende des 19. Jahrhunderts gegründet worden war und die ökonomisch ausgerichtete Doppelmonarchie für deren Wirtschaft bald eine der Haupttriebkräfte für das Eindringen des damals eine ständig deutlicher werdende kap i tal m ä ß i g e Ab­ noch jungen, jedoch bereits überaus aggressiven deutschen Im­ h ä n gig k ei t von Deutschland ... Osterreich-Ungarn selbst perialismus in China wurde".20 aber war nur eine Brücke zu Südosteuropa, wo sich die deutsche ,Kommerzialisierung', wie Conrad sie nennt, in immer stärker Der sowjetische Historiker A.S. Jerussallmski weist mit Recht werdendem Umfange gegenüber der österreich-ungarischen, auf die besondere Aktualität dieser Untersuchung der expan­ französischen, englischen und belgischen Konkurrenz durch­ sionistischenMethoden und Ziele gegenüber den kolonialen und setzte .. . Im Osten selbst stieß vor allem die oberschlesische halbkolonialen Ländern hin, Industrie vor, die, angewiesen auf einen kontinentalen Absatz­ markt, sich Ost_ und Südosteuropa erschloß. Ihr Ziel war es, "weil diese Methoden und Ziele auch vom heutigen westdeut­ und bis zum Weltkrieg hatte sie dies auch mit ihrer starken Ka­ schen Neokolonialismus angewendet und ·angestrebt werden, pitalbeteiligung an pOlnischen Gruben erreicht, polnische Gru­ der bemüht ist, den alten imperialistischen Charakter seiner ben und pOlnisches Erz bis hinauf nach Radom unter ihre Kon­ Politik in Asien und Afrika mit der ideologischen Flagge einer trolle zu bringen. "_{Hervorhebung von mir, G. 1.) J8 ,demokratischen Erneuerung' zu verdecken". 2\ Es wird weiterhin nachzuweisen sein, daß diese wirtschaft­ Ein besonders typisches Beispiel für die "ArbeW' der deut­ liche Expansion mit Hilfe eines starken Kapitalexports nur die schen Monopole in China bietet die schon obenerwähnte Vorbereitung der politischen Herrschaft über diese Gebiete sein Deutsch-Asiatische Bank, hinter der nlmt nur ein mächtiges sollte. Bankenkonsortium - an der Spitze die drei D-Banken (Deut­ Aber nicht nur auf Europa erstreckte sich das Interesse des sche Bank, Darmstädter Bank und Disconto-Gesellschaft) -, deutschen Imperialismus. Etwa seit der Jahrhundertwende ent­ sondelln auch die entscheidenden Kreise der deutschen Schwer­ deckten die deutschen Monopole ihr Herz für China, das mit industrie und - charakteristisch für den Einfluß des Monopol­ seiner Millionenbevölkerung und seinen reichen, fast uner­ kapitals auf die Politik - die deutsche Regierung standen. Das schöpflichen Bodenschätzen ein besonders leckerer Bissen für Interesse der hinter dieser mächtigen Finanzgruppe stehenden die internationalen Monopole zu sein schien. Wenige Jahre Kreise richtete sich besonders auf die Ausplünderung der chine­ nach dem japanisch-chinesischen Krieg 1894/95 begann die Auf­ sischen Provinz Schantung, für die von der deutschen (!) Re­ teilun g Chinas in Interessensphären der internationalen Mono­ gierung die Konzessionen erteilt wurden, während China, die pole. Dabei machte auch der deutsche Imperialismus seine An­ am meisten interessierte Seite, von den deutschen Monopolen sprüche in wachsendem Maße geltend, nachdem bereits seit überhaupt nicht berücksichtigt wurde.22 dem Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Handelsfirmen den Neben der Ausbeutung der Naturschätze ging es den deut­ Boden vorbereitet hatten. Deshalb beteiligte sich Deutschland schen Monopolherren um den Bau von Eisenbahnen, wie über• an der gemeinsamen militärischen Niederschlagung der anti­ haupt der Erwerb von Konzessionen für den Bahnbau in den imperialistischen Massenbewegung des chinesischen Volkes Expansionsplänen der deutschen Imperialisten eine große Rolle durch die imperialistischen Großmächte. Damals entstanden spielte. Das zeigte sich sowohl in Afrika wie auch im Vorde­ "neue Formen und Methoden der Kapitalexpansion, die für den ren Orient, wobei sich mit allen diesen Projekten selbstver­ Ausgang des 19. und den Beginn des 20. J ahrhunderts charakte­ ständlich auch andere wirtschaftliche und politische Interessen ristisch waren, als der vorrnonopolistische Kapitalismus durch verbanden. War es in Afrika besonders Katanga, dessen reiche den Imperialismus abgelöst wurde und als das Gesetz der un­ Bodenschätze die Raubgier des deutschen Imperialismus reiz­ gleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus sowohl im öko• ten - und das aus den gleichen Gründen auch heute wieder nomischen als auch im politischen Bereich besonders heftig und zum Angelpunkt amerikanischer und westdeutscher Expan­ offenkundig zu wirken begann".Jll sionsbestrebungen geworden ist -, so stießen in der Türkei In seine Untersuchungen über den Imperialismus als letztes beim Kampf um den Bau der Bagdadbahn englische, russische und höchstes Stadium des Kapitalismus bezog Lenin Entste­ und deutsche Erdölinteressen aufeinander. hungsform, Methoden und Ziele jenes neuen Typs von Mono­ Im Kampf um das mesopotamische Öl allerdings mußte der polen ein, die ihr Interesse speziell den kolonialen und halb­ deutsche Imperialismus - in diesem Falle vertreten durch die kolonialen Ländern zuwandten. Dabei untersuchte er beson­ Ölkonzessionen der Deutschen Banl{ - vor dem englischen zu­ ders sorgfältig die Rolle und die Konzentration des Bank­ rückweichen, da ihm hier die deutsche Regierung im Interesse kapitals bei dieser imperialistischen Expansion nach China, u. a. ihrer Bemühungen um die englische Neutralität im Falle der aum die Tätigkeit der Deutsch-Asiatischen Bank, 20 ebenda 18 ebenda, s . 35 21 ebenda 19 Jerussalimskl, A.S., Das Eindringen der deutschen Monopole in 22 Näheres darüber ist in dem vorher angezogenen Beitrag von A. S. 8/ 1960, China ..., in: Zeitschrift für GesChiChtswissenschaft, S. 1833 Jerussallmski zu finden. G. I. I

14 15 von ihr für notwendig gehaltenen kriegerischen Auseinander­ gegen das imperialistische Kriegsstreben den Weg wies, wäh• setzung auf dem Kontinent die sonst stets gewährte Unter­ rend das offizielle Deutschland aus der Enttäuschung von AI­ stützung versagte. geciras die-Schlußfolgerung zog, "fürderhin keiner Konferenz Niemals aber war die Gefahr eines Krieges in den ersten Jah­ mehr als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten zu­ ren des 20. Jahrhunderts näher gewesen als in der ersten und zustimmen".23 zweiten Marokkokrise (1905/06 und 1911), deren Ursache der Der Versuch Deutschlands, sich für die Niederlage von Alge­ Versuch des Mannesmann-Konzerns war, sich in Marokko fest­ ciras zu entschädigen und in Direktverhandlungen mit Frank­ zusetzen. Dieser hatte vom Sultan von Marokko Konzessionen reich als "Kompensation" für ein qeutsches Desinteressement zur Ausbeutung der Bodenschätze des Landes erhalten, obwohl in Marokko das ganze französische Kongogebiet als Grundlage der französische Imperialismus Maroklm als seine Einfluß• eines geschlossenen zentralafrikanischen Kolonialbesitzes zu sphäre beanspruchte und dieser Anspruch bei Abschluß des erhalten, führte zur zweiten Marokkokrise 1911/12. Die unver­ Entente-Vertrages zwischen England und Frankreich 1904 von hüllte deutsche Aggression zeigte sich in dem sog. "Panther­ ersterem anerl{annt worden war. Der Zeitpunkt des Vorstoß~s sprung" nach Agadir am 1. 7. 1911, der von der "Rheinisch­ nach Nordafrika erschien den deutschen Imperialisten insofern Westfälischen Zeitung", dem Sprachrohr der Schwerindustrie, besonders günstig, als der zweite Bündnispartner Frankreichs, folgendermaßen kommentiert wurde: das zaristische Rußland, in den Krieg mit Japan verwickelt "Panthersprung! Vor Agadir liegt nun ein deutsches Kriegs­ war und mit inneren Schwierigkeiten infolge der Revolution schiff. Die V~rständigung mit uns über die Aufteilung Marok­ zu kämpfen hatte. England aber hoffte, die deutsche Diplomatie kos steht den Franzosen frei; wollen sie nicht, dann mag der auf der auf ihre Veranlassung einberufenen Konferenz der ,Panther' die Wirkung der Emser Depesche haben. "210 Großmächte mit Hilfe Amerikas überspielen zu können. Der Und der Unterstaatssekretär Zimmermann vom Auswärtigen Verlauf der Algeciras-Konferenz 1906 zeigte die Haltlosigkeit Amt, einer der führenden Vertreter der deutschen Expansions­ der deutschen Hoffnungen. absichten, schrieb an den Vorsitzenden des "Alldeutschen Ver­ I nzwischen hatte sich nämlich die internationale Lagewesent­ bandes!', Justizrat Heinrich Claß: lieh verändert. Die Rechnung der deutschen Diplomaten auf " ... jetzt in einer Viertelstunde platzt die Bombe. Um 12 Uhr den u nüberbrückbaren Gegensatz zwischen Rußland und Eng­ teilen unsere Botschafter usw. den fremden Regierungen mit, land war durch die Unterstützung, die England dem Zaren­ daß zur selben Zeit ein deutsches Kriegsschiff vor Agadir er­ reiche bei der Beendigung des russisch-japanischen Krieges scheint, das Kanonenboot ,Panther'. Wir haben deutsche Fir­ gewährt hatte, zunichte gemacht worden. Diese hatte vielmehr men und Unternehmer (!) veranlaßt, uns Beschwerden und eine Annäherung zwischen den bei den Staaten bewirkt, die Hilferufe zu schicken ... Agadir haben wir gewählt, weil dort durch den Beitritt Rußlands zur Entente gefestigt wurde. Er­ weder Franzosen noch Spanier sind. Es bildet den Zugang zum leichtert wurde das Zustandekommen dieser Mächtekonstella• Sus, dem an Erzen reichsten und dabei landwirtschaftlich wert­ tion durch die Befürchtungen, die Rußland wegen der Ansprü­ vollsten Teile Südmarokkos ... Wir legen Hand auf dieses Ge­ biet, um es zu behalten, da wir unbedingt eine Siedlungskolo­ che der deutschen Imperialisten auf seine baltischen Provinzen nie brauchen. "25 hegte. Damit stand Deutschland auf der Konferenz einer ge­ schlossenen Mächtegruppierung gegenüber. Seine Isolierung Die Erwartungen der deutschen Imperialisten erfüllten sich wurde noch besonders deutlich durch die Risse, die sich im allerdings wieder nicht, da die englische Reaktion auf diesen Dreibund zeigten; während nämlich Österreich-Ungarn Deutsch­ zweiten deutschen Anschlag auf Marokko noch weitaus entschie­ land nur zögernd unterstützt" hatte sich Italien bereits damals dener und härter war als 1906 und da auch die Arbeiterklasse auf die Seite der Entente gestellt. sich auf dem internationalen Sozialistenkongreß in Basel er­ Das Ergebnis der AlgeciTas-Konferenz war demzufolge für neut auf den Boden der Resolution von Stuttgart stellte. Eng­ land begegnete dem Versuch einer Schwächung Frankreichs Deutschland äußerst mager. Statt Einfluß in Nordafrika zu gewinnen, brachte es lediglich einen Gebietszuwachs im fran­ "mit einer öffentlichen Intervention zugunsten Frankreichs mit zösischen Kongo nach Hause, der in keintrr Weise den Erwar­ der berühmten Mansion-House-Rede von Lloyd George und tungen und dem Riesenappetit des deutschen Imperialismus ihrer unverhüllten Kriegsdrohung, durch französisch-englische militärische Absprachen von großer Tragweite und durch den entsprach. Abzug englischer - gleichzeitig auch starker französischer - Die steigende Kriegsgefahr, die von der besonderen Aggres­ sivität des deutschen Imperialismus ausging, hatte aber auch 23 Fischer, a. a. 0., S. 38 24 Zit. nach: A. Schreiner, Zur Geschichte der deutschen Außenpolitik die internationale Arbeiterklasse auf den Plan gerufen. Ihre 1871-1945, Berlin 1952, S. 244 Vertreter hatten auf dem Internationalen Sozialistenkongreß 25 Zit. nach: E. Paterna, Das historische Recht auf Führung der Nation, in Stuttgart eine Resolution angenommen, die dem Kampf S.38

16 17

\ Kapitalien vom deutschen Markt, .~odurch eine Börse.npanik anzumelden und die deutsche Regierung zu bestimmen, diese und ein Sparkassensturrn ausgelost wurde. Darauihm gab Pläne zu den ihrigen zu machen und vor der Welt zu ver­ Deutschland im Herbst nach und begnügte sich rpit dem ,Pre­ treten. stigeerfolg' einer in ihrem Werte umstrittenen Ausdehnung Die Machtverteilung in Deutschland, die ihren sichtbaren Kameruns." 26 Ausdruck in der persönlichen Einflußnahme von Männern wie Der deutsche Imperialismus hatte in der Marokkofrage eine Krupp, Ballin (Hapag), Warburg (Bankier), Gwinner (Deutsche zweite entscheidende Niederlage einstecken müssen. Das be­ Bank), Rathenau (Berliner Handelsgesellschaft und AEG) auf stärkte ihn jedoch nur in seinem Bestreben, die deutsche Rü• den Kaiser und die Regierung fand, machte es den deutschen stung so auszubauen, daß er seine Weltherrschaftsplän~ auf Imperialisten möglich, in ihrer Propaganda ihre ureigensten dem Wege einer kriegerischen Auseinandersetzung durchfuhren "wirtschaftlichen", d. h. Profitinteressen als mit den nationalen konnte, nachdem Lebensinteressen des deutschen Volkes identisch auszugeben. "die deutsche Diplomatie der ,Kompensationen', die iIl:. der "Charakteristisch für die deutsche Unternehmerschicht aber Sprunghaftigkeit und Vielfältigkeit ihrerInteressen alleMachte ist es, daß diese Männer keineswegs, wie so oft behauptet wor­ außerhalb des eigenen Bündnissystems irritiert und zulet~t den ist, vollkommen abseits von den politischen Belangen und gegen Deutschland zusammengeführt hatte, zu Ende ..war. Die Zielsetzungen der Reichspolitik standen, sondern daß sie aktiv Politik Englands, Ausgleich mit konkurrierenden Machten zu in die politische Meinungs- und Willens bildung einzugreifen suchen, hatte sich Deutschland bis 1911 nicht zu eigen zu machen vermochten. verstanden, da Bescheidung als Unterordnung empfunden w~rde, die der erstrebten Weltmachtstellung nicht entsprechen wurde; über die persönliche Ausnutzung der Einflußmöglichkeiten vielmehr mußte sie durch eine Generation von Politikern abge­ hinaus - nicht zuletzt in Abwehr der Arbeitnehmerverbände, lehnt werden, die, aufgewachsen im Widerspruch g~gen Bis­ der Gewerkschaften usw. - schlossen sich die Arbeitgeber in marcks Saturiertheit' Deutschlands Expansion als semen Auf­ neuen Vereinen zusammen, die nach Lösung ihrer innenpoliti­ trag in 'der Welt ver~'raten unc:1: n.un die führen~en Positione.n schen Aufgabe" (d. h. nachdem es ihnen gelungen war, die Ge­ 1.) in der Reichskanzlei, im Auswarttgen Amt und lD den preußI­ werkschaftsführung zu korrumpieren, G. "außenpolitisch zu schen Ministerien innehatten. "27 pressure groups wurden. Bueck, Roetger, die Sekretäre des Centralverbandes deutscher Industrieller, der mächtigen Orga­ Die Folgen die diese Unfähigkeit des deutschen Imperialis­ nisation der Schwerindustrie, Stresemann als Syndikus im Bund mus sich zu :,bescheiden", für das deutsche Volk in den näch­ der Industriellen, Volz als Sekretär des Vereins der deutschen sten' Jahren hatte, sollten sich bald schrecklich zeigen. Berg- und Eisenhüttenleute, Rießer als Präsident des Bankier­ tages - um nur wenige zu nennen - sind Ausdruck der engen Verbindung von politischer Zielsetzung und Interessenvertre­ tung. Sieht man die Listen der Abgeordneten der Parteien im Reichstag und noch mehr die des Preußischen Abgeordneten­ 2. Die Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschla~d hauses, der Konservativen, Freikonservativen, der National­ unmittelbar vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges liberalen und des Zentrums durch, so erscheint der hol;le Pro­ zentsatz interessengebundener Vertreter von Landwirtschaft" "Im ersten Weltkrieg unternahm die deutsche Bourgeoisie d~n (selbstverständlich Großgrundbesitz, G. I.), "Industrie, Handel Versuch die Weltherrschaft zu erobern. Schon damals bewtes usw. fast eine Identität von Wirtschaft und Politik darzustellen sie ihre 'völlige Unfähigkeit, das Kräfteverhältnis in der Welt (waren doch z. B. die Vertreter der Interessengruppen in den richtig einzuschätzen, die nationalen Interessen des Volkes .zu meisten Fällen zugleich Abgeordnete, am häufigsten als Natio­ wahren und Deutschland zu führen. Die Kosten der Raubo.l~r nalliberale). " 28 und dieser historischen Unfähigkeit der deutschen Bourgeotste Hier aber drängt sich ohne weiteres der Vergleich mit der hatte das deutsche Volk mit seiner schweren Niederlage zu Zusammensetzung des westdeutschen Bundestages auf, bei dem tragen." die gleiche "Identität von Politik und Wirtschaft" festzustel­ Mit dieser lapidaren Feststellung erhärtet das Nationale Pro­ len istj sind doch auch hier die meisten Abgeordneten - ein­ gramm die Erkenntnis, daß der deutsche II?peri~lismu~ ohne schließlich der der SPD - zugleich die Interessenvertreter der Bedenken die Interessen der deutschen Nahon semen eIgenen Monopole. Klasseninteressen seinen Raubinteressen opferte. Als der von Welches waren nun die konkreten Forderungen, die die deut­ ihm militärisch ~nd psychologisch seit Jahren vorbereitete schen Imperialisten bei Ausbruch des ersten Weltkrieges als Krieg am 1. August 1914 ausbrach, hatten es die deutsche~ Im­ die angeblichen "Kriegsziele des deutschen Volkes" ausgaben? perialisten sehr eilig ihre "Ansprüche" auf einen nach Ihrer - Bereits 1912 hatte der General Friedrich von Bernhardi in Meinung angemessen~n Anteil an der neu aufzuteilenden Welt einem Buche, betitelt "Deutschland und der nächste Krieg",

26 Fischer, a. a. 0., S. 40 28 ebenda, S. 31/32 27 ebenda, S.41 19 18 diese Forderungen dargelegt - ein Beweis d~f~r, wie. en~ in deutsche Regierung gegenüber den chauvinistischen Kreisen Preußen-Deutschland Militarismus und ImperIalIsmus In eiDer österreich-Ungarns spielte, nicht gut möglich - , wohl aber sie gemeinsamen Front verbunden waren. Dieses Buch, nach Möglichkeit zu verkleinern und damit der Lüge vom "na­ tionalen Verteidigungskrieg Deutschlands" neuen Raum zu von der (bürgerlichen, G. 1.) deutschen Geschichtschreibung gemeblhin als Ausstreuung eines diszi.plinlosen Alldeutsch-en schaffen. abgetan und in weiter Distanz zu den Planen des Genera~.s~a~es :der von der deutschen Reichsregierung auf die österreichische als auch der Reichsleitung gesehen - trifft mit großer Prazlslon Regierung ausgeübte Druck:, die durch Sarajewo gebotene die Intentionen des offiziellen Deutschland, wenn der Verfasser "Chance/< zur Entfesselung des ersten Weltkrieges nicht vor­ die Summe seiner Überlegungen und Forderungen zusammen­ übergehen zu lassen, beleuchtet auf das deutlichste die da­ faßt unter der überschrift ,Weltmacht oder Niederga~~'. DeI'!­ malige Situation in Deutschland und zeigt, wie weitreichend Durchstoß Deutschlands zur Weltmacht sieht Bernhardi 10 dreI der Einfluß der Imperialisten auf die Politik des Reiches war; Punkten gesichert: denn 1. Ausschaltung Frankreichs: wie es der Generalsta~ in sein':ffi militärischen Feldzugsplan als unbedingtes und nachstes ZIel "selbst auf die Gefahr eines kontinentalen Krieges hin stärkten bei einem kommenden Zweifrontenkrieg vorsah und w~e es Kaiser, Reichskanzler, Staatssekretär Wld Generalstab die krie­ die politische Reichsleitung vom Ka~sE7r über ~en Relchs­ gerische österreichisch-ungarische Haltung. Man sah sich so­ kanzler bis hin zu den preußischen Mmistern seit dem Aus­ wohl militärisch und finanziell als auch vor allem diplomatisch gang der zweiten Marokkokrise als u n a b .d i n g bar e durch die erwartete Neutralität Englands besser vorbereitet als Auf gab e erfaßte charakterisiert Bemhardl den ersten vor drei Jahren."JO Schritt zur deutsche'n Weltmacht: Frankreich muß ,völlig Die Gewißheit, daß Deutschland so oder so auf den Krieg niedergeworfen werden, daß es uns ~e wied~r i!1 den Weg treten kann' _ eine Formulierung, die fast wortlich auf das zusteuerte, und die Befürchtungen Österreichs, in den Augen wenige Wochen nach Kriegsausbruch a.ufge;tellt~ Sept~mb~r­ der d~utschen Regierung seine Bündnisfähigkeit einzubüßen, programm Bethmann-Hollwegs hinweist (das semerselts WIe­ versteIften die Haltung Österreichs gegenüber Serbien. Wil­ derum auf der Denkschrüt Rathenaus basierte! G.I.). helm 11., der sich so gern <;lls "Friedenskaiser'l feiern ließ - 2. Gründung eines mitteleuropäischen Staa­ wozu allerdings seine meistens sehr säbelrasselnden Tiraden tenbundes unter D eutsc.hlands Führung. wenig Veranlassung boten ,ermächtigte den österreich­ Bernhardis Erwartung, daß die kleineren Staaten, die ,schwä• ungarischen Botschafter zu der Mitteilung an Kaiser Franz cheren Nachbarn' den Schutz der deutschen Waffen und den Joseph, Anschluß an De~tschland' suchen würden, wird im Krieg ~on weiten Kreisen der deutschen Reichsspitze geteilt. Seine "daß österreich-Ungarn selbst im Falle einer ,ernsten europäi­ Forderung, daß sich der Dreibund zu einem mitteleurol?äi• schen Komplikation' auf die ,volle Unterstützung Deutschlands schen Bunde erweitern müsse - eine Machtkonzentration, rechnen' könne; ,in gewohnter Bundestreue' würde Deutschland die zugleich ein Abgehen von dem Prinzip des europäischen auch wenn es über. den serbischen Konflikt zum Kriege zwi~ Gleichgewichts bedeutet -, wird ebenso Maxime des deut­ schen österreich-Ungarn und Rußland kommen sollte, an der schen Handelns werden. Und schließlich Seite Wiens stehen.«31 3. Deutschlands Ausbau als Weltmacht durch Damals wie heute also kalkulierte das deutsche Monopol­ G ewi n nun g neu e r K 0 Ion i e n .. Im .. Einklang ste­ kapital das "letzte Risiko" in seine Pläne ein. Es bedurfte selbst­ hend mit den führenden Historikern, NatIonalokonomen, den verständlich nur dieser "Blankovollmacht" des "großen Bru­ tätigen Wirtschaftsführern sowie den Leitern der ;W:eltPOli­ ders", um auch dem österreichischen Chauvinismus Auftrieb tik' formuliert Bernhardi seine letzte Forderung: ,NIcht um zu geben. Wie hätte Österreich bei seiner starken Abhängigkeit ein europäisches Staatensystem kann es sich heute handeln, sondern um ein Weltstaatensystem, in dem das Gleichgewicht vom deutschen Imperialismus auch zögern dürfen, wenn sein ·auf wirklichen Machtfaktoren aufgebaut ist.' Das sieht er Botschafter seinem Bericht über die Unterredung mit dem Kai­ gewährleistet durch ,eigene Kolonien und überwiegenden ser beim Frühstück (!) hinzufügen konnte, politischen Einfluß in den Abnehmerstaaten' ." 2!1 "daß Wilhelm II. es ,bedauern' würde, ,wenn wir (Osterreich­ Mit diesen eindeutigen Feststellungen entlarvt der bürger• Ungarn) den jetzigen, für uns so günstigen Moment unbenützt ließen"'.3'1 liche Hamburger Historiker alle diejenigen unter seinen west­ deutschen Fachgenossen, die sich bemühen, die Schuld der herr­ Mit welcher Leichtfertigkeit Wilhelm II. so schwerwiegende schenden Kreise Deutschlands amAusbruch des ersten Weltkrie­ Probleme wie die Entfesselung eines Krieges behandelte, geht ges zwar nicht völlig zu negieren - das ist angesichts d~s e~'­ daraus hervor, daß er die verfassungsmäßig erforderliche Zu- drückenden Beweismaterials über die Antreiberrolle, dIe die 3D ebenda, S. 55 31 ebenda, S. 59 29 ebenda, S. 50 32 ebenda, S. 60

20 21 stimmung des Reichskanzlers "auf einem nachmittäglichen Spa­ deutschen Volk die Lüge vom "überfall" auf Deutschland und ziergang im Schloßpark zu Potsdam" zu der von ihm beim vom "nationalen Verteidigungskrieg" glaubhaft und schmack­ Frühstüc."- gefällten Entscheidung einholte und danach am haft zu machen. Während auf der einen Seite die Nordlandreise 5. Juli abends und am 6. Juli morgens mit den Militärs "für des Kaisers, die Ferienreisen der Generalstabschefs lediglich alle Fälle vorbereitende Maß;nahmen für den Krieg" besprach. zu dem Zwecke in Szene gesetzt wurden, Europa und die Welt Bei allen diesen Besprechungen spielte die überlegung, daß in Sicherheit zu wiegen, ergoB sich über das deutsche Volk eine Rußland und Frankreich noch nicht kriegsbereit seien und daß Flut chauvinistischer Hetztiraden, waren deutsche Regierungs­ der Krieg auf alle Fälle zu diesem Zeitpunkt provoziert wer­ kreise bemüht, Österreich klarzumachen, daß der "milde Kurs den müsse, um die Rüstungsüberlegenheit Deutschlands zu nicht etwa fälschlicherweise als deutsches Abrücken von der einer schnellen, siegreichen Beendigung der Kampfhandlungen dortigen Entschlossenheit gedeutet" werden dürfe. auszunützen, eine entscheidende Rolle. Zu diesen Er~ägungen Alle privaten wie auch offiziellen Verlautbarungen deutscher gesellte sich die überzeugung Bethmann-Hollwegs, dle er auch amtlicher Kreise aus den schicksalsschweren Tagen des Juli 1914 dem österreich-ungarischen Botschafter beizubringen verstand, sind, wie Prof. Fischer an hand der vorliegenden Akten und des daß politischen Handeins nachweist, ein eindeutiger Beweis dafür, daß "weder von einem politischen Vorgehen Deutschlands im "England sich derzeit nicht an einem wegen eines Balkan­ ,Schlepptau4 Österreich-Ungarns noch von einem ,überfallen• landes ausbrechenden Kriege, selbst dann nicht, wenn er zu einem Waffengang mit Rußland, eventuell auch Frankreich, werden' ernstlich die Rede sein" kann. Vielmehr gingen die führen sollte, beteiligen wird ... Nicht nur, daß sich das deutsch­ Hoffnungen der deutschen Imperialisten, als deren Interessen­ englische Verhältnis so weit gebessert hat" (eine Auffassung, vertreter und Sachwalter Kaiser und Reichskanzler letzten an der Bethmann-Hollweg trotz der Warnungen des deutschen Endes fungierten, dahin, daß durch die serbische Krise die kon­ Botschafters in London bis zur englischen KriegserklärtUlg tinentalen Mächteverhältnisse nach ihren Wünschen umgrup­ festhielt, G. I.), "daß Deutschland eine direkt feindliche Stel­ piert würden. Auf diese Wünsche war die Taktik der deutschen lungnahme Englands nicht mehr befürchten zu müssen glaubt, Regierung abgestimmt: sondern vor allem ist England zur Zeit nichts weniger als kriegslüstern und gar nicht gewillt, für Serbien oder im letzten "Die deutsche Reichsleitung wünschte von vornherein eine Grunde für Rußland die Kastanien aus dem Feuer zu holen."33 kriegerische Auseinandersetzung zwischen Österreich und Ser­ bien, zur Kräftigung der Donaumonarchie zur Sicherung des Deshalb konnte auch der Botschafter "die politische Konstel­ uneingeschränkten Einflusses auf dem Baikan und damit zur lation (als) für uns so günstig wie irgend möglich" bezeichnen. Stärkung des deutschen Bündnissystems gegenüber der En­ Um aber ja zu vermeiden, daß der Friede doch noch erhalten tente. Sie hoffte, den Krieg lokalisieren zu können, war sich bleibe könnte, wurde von Kaiser und Reichsregierung emp­ aber ebenso der Möglichkeit einer allgemeinen fohlen, das Ultimatum an Serbien so scharf wie möglich zu for­ europäischen Konflagration bewußt wo­ bei sie dieses Risiko aus der Vorstellung von mulieren, um eine Annahme der österreich ischen Forderungen dem günstigen Augenblick, der militäri• zu verhindern. schen Rüstung und der politischen Kon­ Daß hinter dieser deutschen "Pressionspolitik" - wie nicht stellation auf sich nahm." (Hervorhebungen vom anders zu erwarten - außer den Militaristen auch vor allem Vf.) 3.5 "die deutschen Industriellen, deren Spezialität Kriegslieferun­ In gleicher Weise drängen auch heute wieder die gleichen gen sind", standen, zeigt eine Versicherung Krupps} die der bel­ Kreise zur übernahme des "letzten Risikos", wobei freilich gische Botschafter in Berlin, Beyens, mitteilte, die Voraussetzungen für sie in der Gegenwart viel ungünstiger "daß die russische Artillerie ... weit davon entfernt (sei), gut sind als 1914, da eine "Politik der Stärke" infolge der grund­ und vollständig zu sein, während die deutsche niemals besser legenden Veränderungen des Kräfteverhältnisses, die seit jenen gewesen sei". ~ Julitagen stattgefunden haben, noch aussichtsloser geworden ist. Sie, die im Kriege schon seit langem das einzige Mittel ge­ Angesichts der unwiderlegbaren Tatsachen erscheinen die diplomatischen Bemühungen der deutschen Regierung, vor der sehen hatten, ihre historische "Verspätung" aufzuholen und eine Neuaufteilung der Welt zu ihren Gunsten zu erzwingen, Welt den Anschein. der Friedensliebe zu erwecken, als die voll­ endetste HeucheleI, so, wenn der bayrische Geschäftsträger setzten jetzt alles daran, jegliche Bemühungen um die Auf­ rechterhaltung des Friedens illusorisch zu machen. Zu diesem Wilhelm Freiherr von Schoen nach München mitteilt, Zweck lief ihre Propagandamaschine auf Hochtouren, um dem "Deutschland wolle sich den Anschein geben als wäre es an der Aktion Wiens nicht beteiligt und auch nicht über sie in­ formiert ... 33 ebenda. S. 64 34 zit. nach: Fischer, a. a. 0., S. 66 35 ebenda, S. 69 22 23

I ,Im Interesse der Lokalisierung des Krieges wird die Reichs­ Diese Tendenz, Rußland mit dem Odium des Hauptschuldigen leitung sofort nach der übergabe der österreichischen Note in am Ausbruch des ersten Weltkrieges zu belasten, kommt in Belgrad eine diplomatische Aktion bei den Großmächten ein­ den letzten Tagen vor Ausbruch des Krieges in allen amtlichen leiten. Sie wird mit dem Hinweis darauf, daß der Kaiser auf Verlautbarungen der deutschen Regierung zum Ausdruck. So der Nordlandreise und der Chef des Generalstabs sowie der schloß der Runderlaß, den Bethmann-Hollweg als preußischer preußische Kriegsminister in Urlaub seien, behaupten (!), durch die Aktion Österreichs genauso überrascht worden z.u sein wie Ministerpräsident den preußischen Gesandten an den deut­ die anderen Mächte.'''3G schen Höfen am 28. Juli zugehen ließ, mit den Sätzen: Wie w enig Erfolg aber dieser Versuch hatte, der Welt über "Sollte indes wider Erhoffen durch ein Eingreifen Rußlands die wahren Hauptschuldigen dem aufkommenden Krieg der Brandherd eine Erweiterung erfahren, so würden wir, ge­ an treu unserer Bundespflicht, mit der ganzen Macht des Reiches Sand in uie Augen zu streuen, zeigt der Bericht des deutschen die Nachbarmonarchi~ zu unterstützen haben. Nur gezwungen Botschafters in London, Fürst Lichnowsky, daß man dort zu­ werden 'wir zum Schwert greifen, dann aber in dem ruhigen mindest an eine "moralische Mitverantwortung" des kaiser­ Bewußtsein, daß wir an dem Unheil keine Schuld tragen (!), lichen Deutschlands an dem Vorgehen österreichs glaube, so das ein Krieg über Europas Völker bringen müßte. Rußland daß trägt allein die Verantwortung, wenn ein europäischer Krieg entsteht."39 "ohne Beteiligung an vermittelnder Aktion das Vertrauen in uns und unsere Friedensliebe hier endgültig erschüttert sein Auch ein Telegramm, das Bethmann-Hollweg für den Kaiser (wird)":l1. an den Zaren entwarf, sollte, Trotz der Warnungen Lichnowskys, der den dringenden Rat "wenn es dann doch noch zum Kriege kommen sollte, die gab, Schuld Rußlands in das hellste Licht setzen".~o "unsere Haltung einzig und allein von der Notwendigkeit lei­ Nachdem am 28. Juli m it der Kriegserklärung Österreich­ ten zu lassen dem deutschen Volke einen Kampf zu ersparen, Ungarns an Serbien die Katastrophe bereits ausgelöst worden bei dem es nichts zu gewinnen und alles zu verlieren habe":lS, war, sollte vor der Welt und besonders VOl! dem deutschen sabotierte die deutsche Regierung die englischen Vermittlungs­ Volke noch immer der Anschein festgehalten werden, daß sich vorschläge. Erhofften doch die deutschen Imperialisten trotz Deutschland um die Verhinderung des Krieges bemühe. Das der hier zum Ausdruck georachten Meinung erhebliche Ge­ geht sowohl aus dem Begleittext zu dem zweiten Telegramm­ winne aus einem Krieg - wenn auch nicht für das deutsche Entwurf an den Zaren vom 30. 7. hervor als auch aus einem Volk, so doch für sich selbst. Für sie ging es lediglich noch um Telegramm an den deutschen Botschafter in Wien. In dem die Frage, einen Sündenbock für den von ihnen vom Zaune ge­ ersteren begründete der Kanzler diese Politik folgendermaßen: brochenen Krieg zu finden. Es sind sowohl innen- wie außen• .. Da auch dieses Telegramm ein besonders wichtiges Doku­ politische Gesichtspunkte, die in immer stärkerem Maße das ment für die Geschichte werden wird, so möchte ich aller­ Bestreben der Reichsregierung bestimmten, Ruß I a n d als untertänigst empfehlen, daß Ew. M. in demselben - solange den Alleinschuldigen am Kriegsausbruch hinzustellen. die Wiener Entscheidung ansteht" (die, wie der Kanzler wußte, Außenpolitisch war es die vage und nach d en Telegrammen negativ ausfallen würde), "noch nicht zum Ausdruck. bringen, daß Allerhöchstdero Mediatorrolle" (d. h. VermitUerrolle) " b e­ Liclmowskys durch nichts begründete Hoffnung auf die eng­ re i ts aus ist."41 lische Neutralität für den unwahrscheinlichen Fall, daß es ge­ lang, Rußland als den Angreifer darzustellen. Innenpolitisch In dem Telegramm an Tschirschky aber heißt es - nachdem aber waren diese Bestrebungen darauf gerichtet, der rechten österreich ische Ministerpräsident, Graf Berchtold, Berlin da­ SPD-Führung, die schon lange im Fahrwasser der Imperiali­ von in Kenntnis gesetzt hatte, daß österreich "praktisch" erst sten segelte, eine. Rückendeckung gegenüber ihrer Mitglied­ am 12. August mit dem K riege beginnen könne -: schaft zu verschaffen. In der deutschen Arbeiterklasse waren "Die K.(aiserliche) Regierung kommt infolgedessen in die die Beschlüsse von Stuttgart u nd Basel noch weithin lebendig. außerordentlich schwierige Lage, daß sie in der Zwischenzeit Der rechten SPD-Führung mußte deshalb daran gelegen sein, den Vermittlungs- und Konferenzvorschlägen der anderen Ka­ ihre Zustimmung zur Kriegspolitik der Regierung mit einer binette ausgesetzt bleibt, und wenn sie weiter an ihrer bis­ Aggression des zaristischen Rußland, in dem die deutsche AJ.'­ herigen ~urückhaltung solchen Vorschlägen gegenüber festhält, beiterklasse den Hort der finstersten Reaktion in Europa sah, das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu haben, sChließlich auch in den Augen des deutschen Volkes auf sie zurückfällt. zu motivieren.

36 ebenda, S.70 39 ebenda, S. 81 37 ebenda, S. 73 40 ebenda 38 ebenda, 5. 75 41 ebenda, Anm. 7G

24 25 Auf einer solchen Basis aber läßt sich ein erfolgreicher Krieg (!) Obwohl die von den deutschen Imperialisten so sehnlich er­ nach drei Fronten nicht einleiten und führen. Es ist eine ge­ bieterische Notwendigkeit, daß die Verantwortung für das even­ wartete und durch den Druck auf Österreich-Ungarn so stark tuelle übergreifen des Konflikts auf die nicht unmittelbar provozierte Kriegserklärung Rußlands ausblieb war es nach Beteiligten unter allen Umständen Rußland trifft."~!! wie vor das Bestreben der deutschen Reichsleit~mg - und ist Nicht die Verhinderung der nationalen Katastrophe eines es noch heute das Bestreben der von den deutschen Imperiali­ Weltkrieges, sondern lediglich die Wahrung des Gesichts war sten inspirierten Historiographie -, Deutschlands Schuld am also das Ziel der Politik der deutschen Regierung. Ausbruche des ersten Weltkrieges vor der öffentlichkeit zu negieren oder wenigstens zu verkleinern. Dieser Geschichts­ Es gab freilich Kräfte in Deutschland, die dieses ven'äte• klitterung widersprechen jedoch eine ganze Reihe von Äuße• rische Spiel mit den Lebensinteressen der deutschen Nation rungen offizieller Persönlichkeiten, die diese freilich in denAkten durchschauten, und nichts dokumentiert deutlicher d ie gewach­ der Archive begraben wähnten. sene Macht der Arbeiterklasse als die Tatsache, daß die deut­ schen Imperialisten gezwungen waren, ihre Aggressivität hinter "Bei der angespannten Weltlage des Jahres 1914, die nicht der Maske einer heuchlerischen Friedensliebe zu verstecken. zuletzt als Folge der deutschen Weltpolitik - die 1905/06, 1908/09 und 191.1/12 bereits drei gefährliche Krisen ausgelöst hatte -, Die Führer des linken Flügels der deutschen Sozialdemokra­ mußte Jeder begrenzte (lokale) Krieg in Europa, an dem eine tie, an ihrer Spitze. Kar! Liebknecht und Rosa Luxemburg, Groß~acht 1:1nmittelbar beteiligt war, die Gefahr eines all­ hatten ebenso wie August Bebel Militarismus und Imperialis­ gememen Kneges unvermeidbar nahe heranrücken. Da Deutsch­ mus als die Todfeinde der deutschen Nation entlarvt. "Diesem land den österreichisch-serbischen Krieg gewollt gewünscht System keinen Mann und keinen Groschen!" hatte August Bebel und gedeckt hat und, im Vertrauen auf die deu~che militä• der deutschen Arbeiterklasse eingeschärft, und Karl Lieb­ rische überlegenheit, es im Jahre 1914 bewußt auf einen Kon­ knecht hatte in seinen gewaltigen Anklagereden von der Tri­ flikt mit Rl!ßlaIl:~ und ~ankreich ankommen ließ, trägt die deutsche Reichstührung emen erheblichen Teil der historischen büne des Reichstags aus die deutschen Arbeiter über die ver­ Verantwortung für den Ausbruch des allgemeinen Krieges."" brecherischen Manipulationen der deutschen Rüstungsindu• striellen, deren vielgerühmter "Patriotismus" beim Geschäft Wie groß diese "historische Verantwortung" des imperialisti­ aufhörte, aufgeklärt. . schen Deutschland war, zeigen Äußerungen 'die bar jeder Wenn es trotz dieser intensiven Aufklärungsarbeit der deut­ propagandistischen Absicht (da sie ja nicht für' die bI:eite Öffent• schen Linken möglich war, bei Kriegsausbruch einen großen lichkeit bestimmt waren, G. I.), ein enthüllendes Schlaglicht auf Teil der deutschen Arbeiterschaft zu desorientieren, so ist das die tatsächliche Verantwortung werfen."~5 In der ersten schwe­ in erster Linie auf das Schuldkonto der rechten SPD-Führung ren militärischen Krise wenige Wochen nach Kriegsausbruch zu schreiben, die - vor allem nach dem Tode Bebeis in ihrer in der Marneschlacht und während des russischen Einfalls i~ Mehrheit revisionistisch verseucht - mit den Methoden der Galizien, gab der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza sei-. Parteidisziplin auch die Vertreter der Linken im Reichstag nem österreichischen Kollegen den Rat, die "m~ralische PfÜcht" zwang, ihrer "Burgfriedenspolitik" zuzustimmen. Damit löste Deutschlands auf militärische Unterstützung - die von Deutsch­ sie das der Reichsregierung gegebene Versprechen ein, daß von land abgelehnt worden war - damit zu begründen, ihrer Seite im Falle einer Kriegserklärung Rußlands "nichts zu befürchten sei und von einem Generalstreik oder Partialstreik .. ~ß wir ?-en Krie~ auf die klipp und klare Äußerung sowohl KaIser Wilhelms WIe des deutschen Reichskanzlers beschlossen oder einer Sabotage keine Rede sein werde". haben, daß sie den Moment für geeignet halten und es mit Während noch wenige Tage vor Kriegsausbruch die Arbeiter­ Freude begrüßen, wenn wir ernst machen" .~Ii schaft dem Aufruf der Parteiführung zu Antil{riegsdemonstra­ tionen Folge leistete - im guten Glauben, daß es auch dieser Drei Jahre später konnte der österreich-ungarische Außen• ernst sei mit dem Willen zur Verhinderung des Krieges -, minister, Graf Czernin, als zwischen den "Verbündeten" eine schätzte ein Vertreter der herrschenden Klasse, der bayrische hitzige ~useinandersetzung um die Fortführung des Krieges Gesandte in Berlin, Graf Lerchenfeld, die kapitulantenhafte zur ErreIchung der deutschen (!) Kriegsziele entbrannt war Haltung der rechten SPD-Führung viel richtiger ein. Er kom­ den Deutschen zurufen: ' mentierte diese Massendemonstrationen, indem er am 31. 7. ..Krieg ist damals nicht von Österreich allein begonnen! Deutsch­ .,zynisch, aber erleichtert" nach München berichtete, "daß die land hat strenge Form des Ultimatums an Serbien . .. " Sozialdemokraten ,für den Frieden ptlichtmäßig demonstriert' hätten, ,sich aber jetzt ganz still' hielten":~3 44 ebenda, S. 97 ff. 42 ebenda, S. 82 45 ebenda 43 ebenda, S. 95 46 ebenda

26 27 Der Hamburger Historiker, der diese Äußeru~g ~ach den 3. Die Kriegsziele der deutschen Imperialisten Akten des Deutschen Zentralarchivs Potsdam mitteIlt, stellt im ersten Weltkrieg dazu fest, daß hier das amtliche deutsche Protokoll der Reichskanzler für "Gefährlichster Feind des deutschen Volkes war immer und diesen zentralen Satz bezeichnenderweise abbricht und.,auch immer wieder jene kleine herrschende Schicht, die sich die nichts von einem Widerspruch der deutschen Staatsmanner FTüchte der Arbeit des Volkes aneignete und seinen Fleiß und Michaelis, Küh}mann und HelfIerich berichtc::.t. Jedoch hat der sein Talent mißbTauchte, um Raubkriege gegen andeTe Völker Protokollant der OHL den Satz zu Ende geführt: Deutschland zu führen." (Nationales PTogTamm) hat strenge Form des Ultimatums ,gefordert'."u Im Gegensatz zu den Erkenntnissen der marxistischen Ge­ Und einer der es wissen mußte, der deutsche Admiral von schichtswissenschaft stellten und stellen die reaktionären bür• Müller, der ~ur Umgebung des Kaisers gehörte, kommentierte gerlichen Historiker die These auf, daß die expansive Kriegs­ in seinem Kriegstagebuch die Antwortnote der Entente auf d~s zielpolitik, mehr oder minder modifiziert durch die jeweilige deutsche Friedensangebot von 1916 dahingehend, daß Sie Kriegslage, erst nach demAusbruch des Krieges der Leitfaden der einige bittere Wahrheiten über unsere Regie des Kriegsaus­ deutschen Regierung geworden sei, wobei die bereits vor bruches" enthalte. Kriegsausbruch erhobenen alldeutschen Forderungen als un­ Wenn man jedoch bedenkt, in wessen Interesse dieses un­ erheblich und die deutsche Politik in keiner Weise beeinflus­ geheure Verbrechen an der deutschen Nation von den deutschen send abgetan werden. Ebenso war man bestrebt (und ist es in Staatsmännern angezettelt wurde, dann erscheint es als der Westdeutschland noch heute), jeglichen Einfluß der Monopole Gipfel der Heuchelei, wenn einer der mächtigsten ,:,ertreter auf die Politik in Deutschland zu leugnen - eine im Hinblick eben dieser am Krieg interessierten Kreise, AlbertBalhn, enger auf die gleichgearteten Verhältnisse in Westdeutschland sehr politischer Vertrauter Bethmann-Hollwegs und Jagows, per­ durchsichtige Taktik! - Dabei ergibt sich folgendes Bild: sönlicher Freund Wilhelms 11., - indigniert über die Tatsache, "Die Einschätzungen der KriegszielP.olitik des deutschen Im­ daß er von dem Staatssekretär des Äußern von Jagow nach perialismus differieren im Akzent, den der jeweilige Autor zum Berlin ' gerufen, von ihm dann nicht empfangen wurde -, an Hauptakzent macht, unterscheiden sich jedoch nur unwesent­ Jagow schreibt: lich. Das Bild ist einheitlich. Ich habe jede Nachsicht für einen Mann, der wie E. E. (Euer Zweitens: Die Historiker stehen durchweg in der ideOlOgi­ E;zellenz) so schwer belastet ist und die entsetz­ schen Auifangstellung der ,Gemäßigten', die Meinecke, Delbrück I ich e Ver a n t w 0 r tun g zu tragen hat für die I n - u. a. schon in den Jahren des Krieges durch ihre politische Hal­ S c e nie run g die ses Kr i e g es, der Deu~.sch}and Ge­ tung vorbereitet hatten. Ludendorff und die Alldeutschen finden nerationen prächtiger Menschen kostet und es fur 100 Jahre keine Befürwortung mehr, sie werden kritisiert, gleichzeitig zurückwirft."4s (Hervorhebungen von mir, G.I.) als angeblich überspannte Hitzköpfe aber bagatellisiert. Drittens: Positiv gewertet wird das Mitteleuropa-Programm Von besonderer Aktualität aber erscheint angesichts der seit des deutschen Imperialismus, wobei man die gegen die west­ 1914 eingetretenen Veränderung des Kräfteverhältnisse~ i~ der lichen und nördlichen Nachbarn DeutSchlands, die heutigen Welt die Tatsache daß heute die westdeutschen Impenahsten NATO-Verbündeten der Bundesrepublik, gerichtete Seite des den gleichen "Fehier" begehen, der 1916 von einem der für die Programms kaum erwähnt, um desto breiter die angebliche Politik des kaiserlichen Deutschland vor der Welt verantwort­ Zukunftsträchtigkei t dieser imperialistischen Neuordnung Euro­ lichen Interessenvertreter des deutschen MonopOlkapitals, Beth­ pas für den Osten und Südosten des Kontinents auszumalen. Viertens: Die I-Iauptverantwortung für die imperialistischen mann-Hollweg, "selbstkritisch" zugegeben wurde: Kriegsprogramme wird den Ententemächten zugeschoben, deren Seit Anfang des Krieges sind wir dem Fehler nicht entgan­ aggressive Vernichtungswut die angeblich immerhin von gdn die Kraft unserer Feinde zu unterschätzen. Wir haben die­ Deutschland gemachten Friedensversuche von vornherein zum sen' Fehler aus der Friedenszeit übernommen. Bei der stau­ Scheitern verurteilt hätte."50 nenswerten Entwicklung unseres Volkes in den letzten 20 Jah­ ren erlagen weite Schichten der Versuchu~g, unsere.. ge:wiß Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß diese Thesen durch­ gewaltigen Kräfte im Verhältnis zu den Kraften der ubngen aus den aktuellen politischen Bedürfnissen der westdeutschen Welt zu überschätzen ... in der Freude über das eigene Empor­ Imperialisten entsprechen und diese übereinstimmung zwi­ kommen (haben wir) die Verhältnisse in anderen Ländern nicht schen Politik und Geschichtsschreibung nicht zufällig ist, son­ genügend berücksichtigt . . . ,,~'l dern

47 ebenda 50 Klein, Fntz, Die westdeutsChe GeschlChtssChrelbung uber dIe ZIele 48 ebenda des deutschen Imperialismus, 10: Zeitschrift fur Gesch1chtswissen­ 49 zit. nach: Fischer, a. a. 0., S. 99 schaft, 8/1962, S. 1821

28 29 "ein notwendiges Element des poli tis~en Syst7ms, das s~inen während er andererseits als .. maßgebendes Motiv für die Auf­ Bestand auch durch ideologisch-historische Abslcherung seitens stellung von Kriegszielen den Gedanken der Sicherung Deutsch­ renommierter Geschichtsprofessoren zu erhalten trachtet"ßI lands in Ost und West gegen einen neuen ,überfall'" gelten Es ist unter diesem Gesichtspunkt k eineswegs verwunder­ läßt. Der Auffassung, daß sich erst dabei "der übergang vom lich daß bereits die erste Veröffentlichung des Hamburger Or­ Defensiv- zum Offensivgedanken" vollzogen habe, widerspre­ din~riUS für neuere Geschichte, , die die Legende chen nicht nur die vorher seit Jahren bereits aufgestellten For­ vom "nationalen Verteidigungskrieg" Deutschlands widerlegte, derungen der Alldeutschen, die mehr oder weniger modifiziert eine wütende Polemik seiner Fachgenossen heraufbeschwor, allen deutschenKriegszielplänen des erstenWeltkrieges zugrunde die sich nach dem Erscheinen seines Buches, dessen Titel "Griff lagen, sondern auch die Tatsache, daß Dr. Waltel' Rathenau nach der Weltmadlt" bereits die Kriegsziele des deutschen Im­ dem deutschen Reichskanzler bereits in den ersten Augusttagen perialismus eindeutig charakterisiert, noch verstärkte. Wenn sein "Mitteleuropa-Programm" zustellte. es Fischer auch vermeidet, die Hauptschuld des deutschen Mo­ Worauf es den deutschen Imperialisten bei der Entfesselung nopolkapitals am Ausbruch des ersten Weltkrieges klar her­ des ersten Weltkrieges ankam, war nicht mehr und nicht weni­ auszustellen, ja, wenn er mit der überschr ift des 5. Kapitels sei­ ger als die Erringung der Vorherrschaft auf allen Kontinenten. nes Buches, "Das Drängen der Nation", der Auffassung, daß es "Was mit der Betonung der ,Garantien' und ,Sicherungen' sich um einen Krieg für gesamtnationale Belange gehandelt (wie sie in den offiziellen Verlautbarungen und Reden von habe, Konzessionen zu machen scheint, geht aus seinen detail­ Kaiser und Reichskanzler zum Ausdruck. kommt - G. I.) zu­ lierten Ausführungen zu den Kriegszielplänen der deutschen nächst nur als eine unwesentliche Akzentverschiebung er­ "Wirtschaft" doch deutlich genug hervor, daß der erste Welt­ scheint, erweist sich bei Kenntnis der inneren Vorgänge jedoch krieg seine Hauptursache in dem Weltmachtstreben des deut­ als eine Verhüllung des Willens der deutschen Führung, diesen Krieg zum Durchbruch Deutschlands zur Stellung einer Welt­ schen Imperialismus hatte. macht zu benutzen ... Zwei Gesichtspunkte sind es, die diesem "Weltmachtstreben" Im Westen wurde die wirtschaftliche Durchdringung des sein Gepräge geben: die Ausweitung des Industriepotentials, französischen und des angrenzenden belgisch-Iuxemburgi­ die vor allem ein Anliegen der Schwerindustrie war, und die schen Erzgebietes mit anderen, durch den Krieg möglich "Eroberung neuen Lebensraums für das deutsche Volk", ohne gewordenen Mitteln fortgesetzt mit dem Ziel, Deutschland eine daß dieser Terminus damals bereits angewandt wurde. Schon weitgehende Selbstversorgung und Unabhängigkeit (und da­ in seiner ersten Veröffentlichung zu diesem Problem h ebt Fischer neben den deutschen Monopolen der Schwerindustrie riesige hervor, Mehrgewinne! - G. I.) zu sichern. Im Osten wurde die schon I durch deutsche Beteiligung in der Vorkriegszeit eingeleitete daß die traditionelle Gleichung von KIiegszielen und territo­ wirtschaftliche Expansion in benachbarte Rohstoff- und Indu­ ~ia l en Annexionen im engsten Sinn unzureichend ist. Es han­ striezonen, wie POlnisch-Oberschlesien, Mittelpolen, Rumänien, delt sich vielmehr umAusbau undSicherung einer deutschenW elt­ Südrußland, fortgesetzt. Hinzu traten die in der Vor k r i e g s ­ machtstellung als Ertrag des mit so ungeheur~ Opfern als z ei t be r e i t s e rö rt e r t e n, durch die Kriegssituation Verteidigungskrieg - wie er vom Volk" (d. h. mlt Ausn~e aber dringlich gewordenen s t rate gis c h e n und be son­ der deutschen Linken, die ihn als das erkannten, was er wlrk­ ders für den Osten auch agrar-, bevölke• lich war: als imperialistischen Raubkrieg - G. I.) "empfunden, run g s - und na ti 0 n a lp 0 I i t i s ehe n Gesichtspunkte . .. von der Regierung feierlich proklamiert wurde - begonnenen Überblickt man die deutschen KIiegszieie auf dem Kontinent Weltkrieges, wobei die überseeischen und Orientziele als Fort­ als Ganzes, so ergibt sich ein abgestuftes System pOlitischer setzung der seit 1890 im Zuge eines vollbejahten Imperialismus und wirtschaftlicher Herrschaft in direkter und indirekter betriebenen ,Weltpolitik' erscheinen."52 Form. Von begrenzten unmittelbaren Annexionen an den Gren­ H ier findet sich allerdings ein Widerspruch in Fischers eigener zen des Reiches in Ost und West reichten sie über ,Mittel­ Darstellung, wenn er einerseits nachweist, europa' - als zumindest wirtschaftlicher Einheit unter deut­ scher Führung - und die Errichtung einer Reihe Deutschland daß die deutsche Politik seit Beginn des Weltkrieges und wäh­ vorgelagerter Pufferstaaten bis zur Sicherung wirtschaftlicher ~end seiner Dauer als fest umrissene Konzeption ein expansives Einflußsphären in weiter entfernten Gebieten." 54 (Hervorhe­ Programm in Europa verfolgt hahe, ohne dabei während des bungen von mir - G. I.) ersten Weltkrieges die ,vorwiegend kommerziell bestimmte, auf überseeische, koloniale und vorderasiatische Ziele' ausge­ Zunächst freilich mußte schon mit Rücksicht auf die Sozial­ richtete Orientierung der Jahre vor 1914 aufzugeben",5J demokratie und deren Rückendeckung gegenüber ihren Mitglie­ dern die Fiktion aufrechterhalten bleiben, daß Deutschland kei­ 51 ebenda nerlei expansive Kriegsziele verfolge. Denn wenn Bethmann- 52 FiScher Fritz. Deutsche Kriegsziele, Revolutionierung und Separat­ frleden'im Osten 1914-1918, in: Historische Zeitschrift, Bd.188, Heft 2, S . 251 53 Klein, a. a. 0 ., S. 1822 54 Fischer, 3. a. 0 ., S. 103

30 31 Hollweg auch über die Haltung der rechten SPD-Führung be­ "Den Kern des ~ von Bethmann-Hollweg ruhigt sein konnte, so mußte diese mit einer verstärkten Op­ bildet die Mit tel e u r 0 p a - I d e e mit ihr e m he g e - position ihrer Mitglieder rechnen, sobald es zu einer offiziellen mon i ale n Ans p r u c h D e u t s chi a n d s. Diese Idee hatte bei einem Teil führender deutscher Verlautbarung über die expansiven Kriegsziele kam. Traf doch Bankiers und Industrieller schon vor dem die Feststellung des Reichskanzlers, daß Kriege Wurzeln geschlagen und konkretisierte "auch von der Sozialdemokratie und dem sozialdemokratischen sich bei Kriegsausbruch zu einem gegenüber dem alldeutschen Parteivorstand nichts Besonderes zu befürchten (sei), wie er Eroberungsprogramm als mäßigend gedachten und als wirt­ aus Verhandlungen mit dem Reichstagsabgeordneten Süde• s~af~lich notwendig ( !) und erreichbar empfundenen Kriegs­ kum glaube schließen zu können";';;, zlel."a8 (Hervorhebungen von mir - G. L) zumindest für den linken Flügel der Reichstagsfraktion unter Dieser Gedanke eines "gemäßigten" Kriegszielprogramms Führung/von Karl Liebknecht nicht zu. Auch sprachen die Anti­ fand seine Vertreter vorwiegend in den Kreisen des Finanz­ kriegsdemonstrationen der deutschen Arbeiterschaft eine zu kapitals, die mit den USA enge wirtschaftliche Beziehungen beredte Sprache, als daß man es hätte wagen können, die Katze hatten, während in der zweiten Gruppe neben den Militaristen zu früh aus dem Sack zu lassen. Trotz der beruhigenden Zu­ yorwiegend die Schwerindustrie führend beteiligt war. Es muß sicherung Südekums, daß Jedoch betont werden, daß die Unterschiede zwischen den bei­ den Gruppen nicht in der Zielsetzung bestanden; darin bestand "von einem Generalstreik oder Partialstreik oder Sabotage vielmehr voll Einmütigkeit: Beide strebten nach einer Neu­ keine Rede sein werde" 56, verteilung der Welt, wobei lediglich bedurfte es bekanntlich der Anwendung des Fraktionszwangs, "über den Umfang des Anteils, den Deutschland bei dieser um von Karl Liebknecht und seinen Freunden die Zustimmung Neuverteilung erhalten müsse, Meinungsverschiedenheiten im zu der Erklärung der SPD am 4. August 1914 zu erpressen. Es einzelnen (bestanden), im übrigen aber herrschte grundsätz• widerspricht allerdings der von Fischer vertretenen Auffassung, lich Einmütigkeit darüber, daß dieser Anteil gar nicht groß daß die antimilitaristischen und antiimperialistischen Kreise genug sein könne". 59 der deutschen Arbeiterklasse eine "quantite negligeable" gewe­ Als ~onzePtion lag dem Mitteleuropa-Plan, wie er von Ra­ sen seien und keinen entscheidenden Einfluß auf die deutsche thenau m den ersten Augusttagen an Bethmann-Hollweg über• Politik nehmen konnten, wenn er andererseits feststellen muß, mittelt wurde, der uneingeschränkte Zollanschluß Österreich• daß es nur "das Zurückweichen der Sozialdemokratie dem Ungarns an Deutschland und ein enger Zusammenschluß mit Reichskanzler ersparte, schon damals in der Annexionsfrage Frankreich zugrunde, wobei das letztgenannte Ziel in dem Beth­ Stellung beziehen zu müssen". Ja, die Rücksicht auf die Arbei­ mann-Hollwegschen Septemberprogramm als wirtschaftliche terklasse zwang den Kanzler, Ende 1914 die öffentliche Kriegs­ Unterwerfung Frankreichs konkretisiert wird. Daß auch Öster• zieldebatte ausdrücklich zu verbieten, obwohl reich einschließlich seiner nichtdeutschen Gebiete bei seiner be­ "auch er im Grunde der Sache nach ein entschiedener Vertreter reits bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeit vom deutschen deutscher Weltmachtstellung war und deshalb den Krätten Mon~pol~apital früher oder später in diesem "Mitteleuropa'\ einer Politik deutscher MachtsteigeI:ung näher stand als den d. h. m emem "Großdeutschen Reich" aufgehen würde, wurde Gegnern jeglicher Annexionen und Machterweiterungen" .67 zwar damals nicht offen ausgesprochen. Es ist jedoch aus der Von dieser Einstellung Bethmann-Hollwegs zeugt nicht nur späteren Entwicklung klar ersichtlich, als nämlich Hitler die ein Schreiben an den Münchner Historiker Erich Marcks vom Europ~pläne der deutschen Imperialisten zu realisieren begann, März 1916, in welchem er erklärt, selbst den Augenblick her­ daß dIeses "Großdeutschland", damals noch umschrieben als beizusehnen, "wo eine Führung in diesem Sinne, die Aufstel­ "Erweiterung der wirtschaftlichen und politischen Machtbasis lung konkreter Ziele, möglich sein wird". Bereits im September Deutschlands", durchaus den Intentionen des deutschem Finanz­ 1914, als auf dem Höhepunkt der Marneschlacht der erhoffte kapitals in allen seinen Gruppen entsprach. Blitzsieg über Frankreich errungen zu sein schien, wurden im In das SeptemberprogrammBethmann-Hollwegs flossen neben Hauptquartier in Gegenwart des damaligen Direktors der Deut­ dem Mitteleuropa-Projekt noch zwei andere Konzeptionen schen Bank, Karl Helfferich, in dem bekannten Kriegszielpro­ ein: die Kolonialziele, die eine Abrundung und Erweiterung gramm die wirtschaftlichen und finanziellen Forderungen der des deutschen Kolonialbesitzes in Afrika bezweckten, und das deutschen Imperialisten formuliert. Kriegszielprogramm des Alldeutschen Verbandes, das am 28. August 1914 von dessen Geschäftsführendem Ausschuß be- I 55 Fischer, a . a. 0., 5.105 58 Fischer, a. a. 0., S. 107 56 ebendn, S. 106 59 TheC!dor,_Gertrud, Frledrich Naumann oder der Prophet des Profits, • Berhn 19::.7, S. 130 57 ebendn, S. 106 32 33 schlossen wurde und bezeichnenderweise die Zustimmung so Bemerkenswert sind bei der Betrachtung der deutschen "prominenter" Vertreter der Schwerindustrie wie Krupp und Kriegsziele 1914 auch die sehr weitgehenden Kolonialansprüche Stinnes fand, wobei der letztere teilweise noch über die For­ der deutschen Imperialisten. Bei der Aufstellung der angefor­ derungen der Alldeutschen hinausging. Die übereinstimmung derten Vorschläge in dieser Richtung ging der Staatssekretär der "Denkschrift zum deutschen Kriegsziel" des Justizrats Claß im Reichskolonialamt, Solf, mit den wichtigsten Punkten des Septemberprogramms der deut­ schen Regierung ist gerade dann besonders charalderistisch für "von de~ St~ndpunkt a~s, d!iß von deutscher Seite eine grö­ den weit fortgeschrittenen staatsmonopolistischen Charakter des ßere terntonale ExpanSIOn tu Europa nicht beabsichtigt sei dafür aber in Afrika eine erhebliche Vergrößerung des Kolo~ damaligen Deutschen Reiches, wenn Bethmann-Hollweg - wie nialbesitzes angestrebt werde".61 Fischer angibt - zur Zeit der Bekanntgabe des Septemberpro­ gramms diese "Denkschrift" noch nicht bekannt war und er Es ist wohl kaum anzunehmen, daß ein hoher Reichsbeamter trotzdem die darin enthaltenen Forderungen der deutschen 50 ahnungslos über die deutschen Kriegsziele in Europa sein Schwerindustrie als die "Kriegsziele des deutschen Volkes" (!) sollte, zumal Solf dem Alldeutschen Verband in seinen Kolo­ proklamierte. nialforderungen zumindest sehr nahe kam denn er forderte Wie stellte sich nun den verschiedenen Gruppen des deutschen - anknüpfend an die deutsch-englischen Vo~kriegsverhandlun­ Monopolkapitals im Rausch der ersten Kriegswochen die künf• gen über die Verteilung der portugiesischen Kolonien - als Grundlage eines geschlossenen deutschen Kolonialreiches in tige Stellung Deutschlands im einzelnen dar? - Die Grund­ \ züge des Mitteleuropa-Plans, der - großräumig gedacht und Mittelafl'ika von Portugal (das damals noch neutral war!) An­ vorwiegend wirtschaftlich bestimmt - jede Möglichkeit der gola und den nördlichen Teil von Mo~ambique, ferner Belgisch­ Erweiterung des deutschen Einflusses nach Osten und Südosten Kongo und Französisch-Äquatorialafrika bis zum Tschadsee offenließ, wurden bereits erwähnt. Die hauptsächlichsten Be­ die Vergrößerung Togos durch Dahomey und den südlichen Teii fürwor ter dieses Programms hielten es auch für opportun, für Senegambiens bis nach Timbuktu. einen sog. "Verständigungsfrieden" zu plädieren, ohne selbst­ .... Der Besi.tz des Minen~ebietes von Katanga, die Herrschaft verständlich ihr Ziel aufzugeben. Nur wollten sie dieses Ziel uber die ElseQbahnverbmdung Katanga-Atlantischer Ozean ~d ~e Sichel0lng d:er ~äfen von Portugiesisch-Angola waren mit anderen Mitteln erreichen als die säbelrasselnden Alldeut­ dIe wlrtschaftlich wIchhgsten Objekte in diesem Plan. schen und Militaristen, die das Heil von einem "Siegfrieden" erhofften und diese Hoffnung noch nicht einmal zu einer Zeit Diese Konzeption war ganz auf die Erwartung eines unmit­ telb~r bevorsteI:end.en Sieges über Frankreich aufgebaut. Von aufgaben, als alle Voraussetzungen dafür - sofern sie über• engl:is<;hem Besl.tz SIeht Solf zu dem Zeitpunkt ab, weil er den haupt jemals bestanden hatten - endgültig geschwunden waren. OptimIsmus brelter deutscher Schichten England bald und voll­ Sprecher dieser "amerikanischen Fraktion des deutschen Fi­ ständig auf die Knie zwingen zu können nicht teilt. Was Solf nanzkapitals" - wie sie von Gertrud Theodor genannt wird - aber im Falle eines Sieges auch über En'gland fordern würde waren der Erste Direktor der Deutschen Bank, Arthur von äußert er später (1916), als er unter anderem den Erwerb de~ Gwinner, Rathenau und weiterhin Friedrich Naumann. Gwin­ \Virtsc:l:aft~ich ergiebigen Nigeria als Verbindungsglied zwischen den ~n~hgen deutschen Westbesitzungen Togo-Timbuktu und ner wandte sich dem osthcher gelegenen Gebiet am Tschadsee befürwortet wo­ "auf der ersten Sitzung der Mittwochsgesellschaft im Krieg, durch erst die volle Abrundung des neuen Gesamtbesitze~ er­ einem Treffpunkt führender Persönlichkeiten aus Politik, Wirt­ reicht worden wäre."1l2 schaft und Kulturleben, in Berlin am 2. September dagegen, ,blindlings eine Politik der Ahnexionen zu beginnen'. Entgegen Bescheiden waren die Forderungen der deutschen Imperiali­ einer krassen und problematischen Annexionspolitik trat er sten also auch in kolonialer Hinsicht nicht gerade. für weniger a u ffällige, ' dafür aber um so Obwohl dieses "Kolonialpl'ogramm" Solis gewissermaßen wirksamere Methoden ein, nämlich ,Deutsch­ lands wirtschaftliche Vorherrschaft (in ein Gegengewicht gegen allzugroße Expansions- und An­ Europa) zu etablieren.'''oo (Hervorhebungen von nexionsgelüste der deutschen Imperialisten in Europa darstel­ mir - G. I.) len sollte, verband Bethmann-Hollweg den, "-Plan Auch hier drängt sich ohne weiteres der Vergleich mit den der KOlonialimperialisten, als deren Experte SoU zu betrach­ gegenwärtigen Methoden des Monopolkapitals in Westdeutsch­ ten ist, mit dem "Mitteleuropa-Programm" der deutschen Ban­ kiers und Industriellen zu seinem Kriegsziel-Programm, so daß land auf, mit den Mitteln der "penetration pacifique", der "friedlichen Durchdringung", die politische und militärische "dieses große Überseeprojekt grundsätzlich fortan ein Bestand­ Vormacht des deutschen Monopolkapitals ökonomisch vorzu­ teil der amtlichen deutschen Kriegsziele (blieb)",63 bereiten und zu sichern. Ir 61 ebenda 62 FisCher, a. a. 0., S. 110 GO Fischer, a. a. 0., S.109 63 ebenda

34 35 Das "allgemeine Ziel des Krieges", wie es von Bethmann­ 3. Luxemburg. Wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Hollweg in seinem als "vorläufige Aufzeichnung über die Richt­ Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und even­ linien unserer Politik beim Friedensschluß" bezeichneten Pro­ tuell die Ecke von Longwy. gramm aufgestellt wurde, sah somit folgendermaßen aus: 4. Es ist zu erreichen die Gründung eines mit tel e u r 0 - p ä i s ehe n Wir t s c h a f t s ver ban des (Hervorhebun­ "Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf gen bei. Fischer - G. 1.) durch gemeinsame Zollabmachungen, erdenkliche Zeit. Zu diesem Zweck muß Frankreich so ge­ unter E.lllSchluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemari;::, schwächt werden, daß es als Großmacht nicht neu erstehen ö~terrelch-Ungarn, Polen (!) (Ausrufungszeichen ebenfalls bei kann, Rußland von der deutschen Grenze nach Möglichkeit ab­ Fischer - G. I.) und eventuell Italien Schweden und Norwe­ gedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasal­ gen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle lenvölker gebrochen werden. "6\ Spitze, unter ä u ß e r li ehe r GI e ich b e r e c h ti gun g Ist hierbei die "Neuregelung im Osten" vorläufig nur ange­ seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutet, so wurden in bezug auf den Westen, insbesondere Frank­ deutscher Führung, muß die wirtschaft­ licheVorherrschaftDeutschlands überMit• reich, und auf die KolonIen schon konkretere Foderungen ge­ teleuropa stabilisieren. stellt: 5. Die Frage der kolonialen Erwerbungen, unter denen in ,,1. Frankreich. Von den militärischen Stellen zu beurteven, erster Linie die Schaffung eines zusammenhängenden mittel­ ob die Abtretung von Belfort, des Westabhangs der Vogesen, afrikanischen ~olonialreichs anzustreben ist, desgleichen die die Schleifung der Festungen und die Abtretung des Küsten• Rußland gegenuber zu erreichenden Ziele werden später ge­ strichs von Dünkirchen bis Boulogne zu fordern ist. prüft. In j e dem Falle abzutreten, w eil für die Erz g e - Als Grundlage der mit Frankreich und Belgien zu treffenden winnung unserer Industrie nötig, das Erzbek­ wirtschaftlichen Abmachungen ist eine kurze prOvisorische für ken von Briey. einen eventuellen Präliminarfrieden geeignete Forme] zu finden. Ferner eine in Raten zahlbare Kriegsentschädigung; sie muß 6. Holland. Es wir.d zu erwägen sein, durch welche Mittel und so hoch sein, daß Frankreich nicht imstande ist, in den näch• Maßnahmen Holland in ein engeres (!) Verhältnis zu dem sten achtzehn bis zwanzig Jahren erhebliche Mittel für Rü• Deutschen Reich gebracht werden kann. stung anzuwenden. Dies engere Verhältnis müßte bei der Eigenart der Holländer Des weiteren: ein Handelsvertrag, der Fra n k r eie h von jed~m ~efühl des Zwa,:ges für sie frei sein, an dem Gang in wi rtsch aftli eh e Abhängi gkei t von Deutsch­ des hoUandischen Lebens mchts ändern ihnen auch keine ver­ land bringt, es zu unseremExportland macht änderten militärischen Pflichten bringen, Ho 11 a n d als 0 und es ermöglicht, den englischen Handel äußerlich unabhängig belassen, innerlich in Fra n k r e ich a u s z u s c haI t e n. Dieser Handelsver­ aber in Abhängigk'eit von uns bringen. Viel­ trag muß uns finanzielle und industrielle Bewegungsfreiheit leicht ein die Kolonien einschließendes Schutz- und Trutzhünd• in Frankreich schaffen - so, daß deutsche Unternehmungen nis (!), jedenfalls enger Zollanschluß, eventuell die Abtretung nicht mehr anders als französische behandelt werden können. von Antwerpen an Holland gegen das Zugeständnis eines deut­ 2. Belgien. Angliederung von Lüttich und Verviers (Zentren s~en. Besatzungs:.echtes für die Befestigung Antwerpens wie der belgischen Industrie - G. I.) an Preußen, eines Grenz­ für die Scheidernundung wäre zu erwägen."65 (Hervorhebun­ striches der Provinz Luxemburg an Luxemburg. gen, soweit nicht gekennzeichnet, von mir - G. L) Zweifelhaft bleibt, ob Antwerpen mit einer Verbindung nach In diesem ,,6-Punkte-Programm" des deutschen Reichskanz­ Lüttich gleichfalls zu annektieren ist. lers ist besonders Punkt 4 auch heute noch aktuell, da in ihm Gleichviel, jedenfalls muß Belgien, wenn es auch als Staat die Kontinuität des Vormachtstrebens der deutschen Imperia­ äußerlich bestehen bleibt, zu einem Vasallenstaat herabsinken, listen am deutlichsten hervortritt. in etwa militärisch wichtigen Hatenplätzen ein Besatzungs­ recht zugestehen, seine Küste militärisch zur Verfügung stel­ Aber selbst die doch bereits sehr weitgehenden Kriegsziele len, wirtschaftlich zu einer deutschen Provinz werden. Bei einer des Septemberprogramms - die, wie erwähnt, im Hinblick auf solchen Lösung, die die Vorteile der Annexion, einen "Siegfrieden'f mit Frankreich aufgestellt worden waren nicht aber ihre innerpolitisch nicht zu be­ und die nach Bethmann-Hollwegs eigener Überzeugung nur sei t i gen den N ach t eil e hat, kann Franz.-Flandern unter dem Druck politischer überlegenheit erreichbar sein wür• mit Dünkirchen, Calais und Boulogne mit großenteils flämi• den - erschienen einem großen Teil der deutschen Imperialisten scher Bevölkerung diesem unveränderten Belgien ohne Ge­ fahr angegliedert werden. Den militärischen Wert dieser Posi­ noch nicht als ausreichend. Der Alldeutsche Verband machte tion England gegenüber werden die zuständigen Stellen zu be­ sich - wie natürlich - zum Sprecher dieser Kreise. In seiner urteilen haben. , oben angeführten "Denkschrift zum Deutschen Kriegsziel" ging 65 zit. nach:. Fischer, a. a. 0., S.111/112 (Hervorhebungen, soweit nicht 64 ebenda gekennzeIChnet, von mir - G. 1.)

36 37 Claß in den territorialen Forderungen sowohl im Westen als deren mehr oder weniger weitgehende (meist mehr!) Annexions­ auch im Osten weit über das Programm Bethmann-Hollwegs hin­ wünsche von allen bürgerlichen Parteien, ja bis in die Reihen aus. So verlangte er außer den bereits im Programm aufge­ der rechten SPD hinein in der Folgezeit unterstützt wurden, führten Gebieten in Frankreich die Abtretung des Landes bis auch wenn die letztere - vornehmlich, um das Gesicht zu wah­ zur Somme, außer Belfort die ganze ostfranzösische Festungs­ ren - durch eine Interpellation im Reichstag die Kriegsziel­ linie bis Verdun und die Abtretung von Toulon als deutschen debatt~ vom 9. Dezember 1915 auslöste. Kriegshafen! Die deutschen Kriegsziele im Osten, deren Er­ Ihr Verhalten war geeignet, das deutsche V 0 I k in den Augen örterung von Bethmann-Hollweg im Hinblick auf die dort be­ der Welt mit dem üblen Odium der Eroberungslust zu be­ stehende ungünstige Kriegslage zurückgestellt worden war, lasten, obwohl es immer n~ seine herrschenden Kreise, die wurden von Claß bereits konkretisiert: Junker und das Monopolkapital, waren, die an einer Erweite­ Rußlands Gesicht muß . . . gewaltsam wieder nach Osten rung ihrer Macht interessiert waren. Sie haben es freilich vor u~gewandt und dazu muß es im wesentlichen in den Grenzen 1945 immer verstanden, die nationalen Gefühle eines großen vor Peters des Großen Zeit zurückgeworfen werden."GO Teiles unseres Volkes für ihre antinationalen Belange zu miß­ brauchen. Das zeigte sich besonders eklatant bei der Zielsetzung Die von ihm zw· Erreichung dieses Zieles aufgestellte For­ des ersten Weltkrieges, denn welches Interesse hatte die M e h r­ del'ung nach Eingliederung der polnischen Grenzgebiete, der heit des deutschen Volkes an der Eroberung von Belgien? russisch-litauischen Gouvernements und der Ostseeprovinzen Welche Verbesserungen ihrer Lebenslage konnte die deutsche machte auch Bethmann-Hollweg im wesentlichen zur Grund­ Ar beiterklasse von der Inbesitznahme großer Teile Frankreichs lage seiner Kriegszielpolitik im Osten, auch wenn er nicht alle oder von einem Vordringen der deutschen Imperialisten bis überspannten Ansprüche der Alldeutschen übernahm, z. B. die weit nach Rußland hinein erhoffen? Welche Vorteile erwuch­ Einvel'leibung Petersburgs (!) ablehnte und die Eingliederung sen aus der Vergrößerung des deutschen Kolonialbesitzes für von Livland und Estland nur unter der Voraussetzung in Er­ diejenigen Schichten der deutschen Bevölkerung, die sich nie h t wägung zog, daß auch Finnland von Rußland abgetrennt ww·de. an der Ausbeutung der reichen BodenschätzeAfrikas beteiligen Trotzdem konnten, ganz abgesehen von der übergroßen Mehrheit der hat er doch mit der noch von ihm eingeleiteten Randstaaten­ deutschen Arbeiterklasse, die sich aus Prinzip gegen die kolo­ politik einen Weg beschritten, der, wenn schon in anderen For­ niale Ausbeutung wandte? men doch im Ergebnis zum gleichen Ziel der Schwächung Ruß­ Trotzdem stimmte mit Ausnahme der Vertreter der deut­ lands, der ,Sicherung' Deutschlands führen sollte".ff1 schen Linken die Mehrzahl der sog. "Volksvertreter" im Reichs­ Ist schon aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich, daß tag der annexionistischen Kriegspolitik der deutschen Impe­ weder Reichskanzler noch Reichsregierung vor dem ersten Welt­ rialisten zu, ebenso wie bisher trotz aller formalen Meinungs­ krieg und während des Krieges eine Politik im Interesse der verschiedenheiten die "Volksvertreter" im Bonner , deutschen Nation und des deutschen Volkes betrieben, sondern einschließlich der SPD, gegen den oft genug bereits zum Aus­ die vorgeschobenen Strohpuppen des deutschen Monopolkapi­ druck gekommenen Willen ihrer Wähler der ebenso volks­ talswarenGS, so zeigt dies die weitere Erörterung um die!'Criegs­ feindlichen und antinationalen Politik der Ultras ihre Zustim­ ziele noch deutlicher. Dabei ist es besonders aufschlußreIch, daß mung gaben. uns in dieser Periode genau die gleichen Namen begegnen, die Eine der Hauptursachen dafür liegt damals wie heute in der in der Gegenwart in Westdeutschland dieselbe verhängnisvolle engen Verbindung zum Monopolkapital, das die Politik staats­ Rolle spielen, auch wenn ihre Träger inzwischen teilweise ge­ monopolistisch ausgerichteter Staaten bestimmt. Für die Zeit wechselt haben. des ersten Weltkrieges unterstreicht das etwa als ein Beispiel Es wurde bereits gezeigt, daß hinter den Forderungen des unter vielen die Verbindung Erzberger- Thyssen. Erzberger Alldeutschen Verbandes vor allem die Schwerindustrie stand, hatte nicht nur Verbindung zu einer der großen D-Banken (Disconto-Gesellschaft), sondern war als Aufsichtsratsmitglied der zum Thyssen-Konzern gehörenden "Gewerkschaft Deut­ 66 Fischer, a. R. 0., 5.114 67 Fischer, R. a. 0., S. 115 scher Kaiser" ein enger Vertrauter von August Thyssen - ein 68 .. Einmal stellt es (das 5eptemberprogramm) keine isolierte Konzep­ Vertrauen, das er durch sein Eintreten für die annexionistischen tion des Kanzlers dar, sondern repräsentiert Ideen f ü h ren der Ziele des durch Thyssen repräsentierten Flügels der Schwer­ Köpfe In WirtSChaft und Politik - und auch der Mili­ tärs - des damaligen Deutschland. Zum Rndern waren, wie sich zei­ industriellen zu rechtfertigen wußte. In einer eigenen Denk­ gen wird, die in dem Programm niedergelegten Richtlinien im Prinzip schrift forderte Erzberger über die bereits genannten "Erobe­ Grundlage der deutschenKriegszielpolitik bis rungen" hinaus noch eine Kriegsentschädigung in solcher Höhe, zum End e des K r i e g es, wenn sich auch je nach der Gesamt­ lage einzelne Modifikationen ergaben." (Fischer, a. a. 0 .,5.113; Her­ daß nicht nur die Kriegskosten einschließlich der Kriegsschä­ vorhebungen v . Vf.) den Deutschlands dadurch gedeckt, sondern auch alle Reichs-

38 39 schulden von den besiegten Ländern bezahlt würden. Da für marxistische Wi~senschaft eine Binsenwahrheit; von den Histo­ ihn das nur "das Mindestmaß dessen darstellte, was das deutsche riker-Apologeten des Imperialismus jedoch wurde und wird Voll( in allen seinen Teilen (!) als Forderung beim Friedens­ sie bestritten, und es ist immerhin erfreulich, festzustellen, daß schluß ansah"69, konnte sein Herr und Meister Thyssen seine auch ein bürgerlicher Historiker durch sein eingehendes Stu­ Forderungen in einer ebenfalls von Erzberger der Regierung dium der Zusammenhänge zu keiner anderen Erkenntnis kom­ übergebenen Denkschrift noch höher schrauben. men konnte. "Auch für Thyssen war der Diktatfriede in Ost und West die Wenn Erzberger in einem vertraulichen Schreiben vom 2. Sep- einzige Möglichkeit eines deutschen Friedens und zugleich die tember 1914 es als "dringende Pflicht" ansah, unerläßliche Voraussetzung ztl,.r Verwirklichung seiner Wün­ sche: die Einverleibung Belgiens und der französischen De­ "die Folgen des Sieges so auszunutzen, daß Deutschlands mili­ parte.'11ents Du-Nord und Pas-de-Calais mit Dünkirchen, Ca­ tärische Oberhoheit auf dem Kontinent für alle Zeiten ge­ lais und Boulogne, ferner das Departement Meurthe-et-Moselle sichert ist",73 mit dem französischen Festungsgürtel und Maas sowie im Sü• so entsprach d~s nicht nur seiner persönlichen Auffassung, son­ den die Departements Vosges und Haute-Saöne mit Belfort."'o dern der offiZiellen Meinung der Zentrumsfr aktion, die mit Bis dahin decken sich diese Wünsche Thyssens allerdings Ausnahme einer kleinen einfiußlosen Gruppe grundsätzlich für vielfach mit denen anderer Schwerindustrieller, wie sie in den Gebietserwerbungen eintrat. Der Führer der Zentrumsfrak­ verschiedenen Denkschriften und Programmen ihren Nieder­ tion, Spahn, war schlag gefunden haben. Dagegen stellt er für den Osten Kriegs­ "der Wortführer der Kriegszielmehrheit im Reichstagsplenum ziele auf, die weit über die bisherigen hinausgingen. Dort (die, wie bereits erwähnt, fast alle Vertreter der bürgerlichen "verlangte er die baltischen Provinzen, eventuell das Dongebiet Parteien bis in die zentristischen Kreise der SPD umfaßte• mit Odessa (was gleichbedeutend war mit dem Anspruch auf G ••I.) und gab am 2. Dezember 1914 (bei der Abstimmung über die Ukraine - G. I.) ·sowie das Gebiet um Asow und den Kau­ die neuen Kriegskredite, denen als einziger Karl Liebknecht kasus. (Die deutsche Regierung griff diese Forderungen bei ein konsequentes Nein entgegensetzte - G. I.) und am 10. März den "Friedensverhandlungen" in Brest-Litowsk auf und ver­ 1915 die Erklärung aller bürgerlichen Parteien ab ..."7' suchte sie in erpresserischer Weise zu realisieren - G. I.) Thys­ sen begründete seine Forderung mit der Notwendigkeit, das Aber nicht nur der politische Katholizismus in Gestalt des deutsche Rohstoffpotential für die Zukunft sicherzustellen."71 Zentrums setzte sich für die Kriegsziele der deutschen Im­ perialisten ein. Einer der extremsten Verfechter annexionisti­ Entsprungen waren diese Pläne dem Interesse Thyssens an scher Kriegszielpolitik war der Führer des "Protestantenbun­ den französischen und russischen Erzen und an der belgischen des", Lic. Gottfried Traub, desen publizistisches Organ, die Kohle, aber auch dem Wunsche nach Ausschaltung Englands "Eisernen Blätter", in dieser Hinsicht mit den "Alldeutschen als Gegner einer deutschen Weltmachtstellung. Mittels der Ein­ Blättern" wetteiferte. Die Tatsache, daß Traubs "Eiserne Blät­ beziehung dieser Gebiete in den deutschen Machtbereich sollte ter" als Beilage zu der von Friedrich Naumann herausgegebe­ eine Landbrücke über Südrußland, Kleinasien und Persien ge­ nen "Hilfe" erschienen, kann durchaus als Beweis dafür gel­ bildet werden, die es ermöglichen sollte, das englische Welt­ ten, daß auch d ie anscheinend gemäßigtere Naumannsche Mit­ reich an zwei neuralgischen Punkten -I ndien und Ägypten - teleuropa-Konzeption annexionistischen Charakter trug, obwohl entscheidend zu treffen. Fischer hebt in diesem Zusammenhang d~eser hier nicht so offen in Erscheinung trat, sich vielmehr als besonders bedeutsam hervor, hmter der Fassade einer weitgehenden europäischen "Zoll­ "daß mit Thyssen die Schwerindustrie und die verarbeitende Union" verbarg. Industrie auf die Regierung einwirkten und von ihr als Faktor in Rechnung gesetzt werden mußten. Aufschlußreich für diese enge Von besonderem Interesse aber ist die Haltung der SPD­ Verzahnung von Wirtschaft und Politik ist der Besuch der Syn­ Führung zu den Kriegszielen des deutschen Imperialismus, dici der beiden führenden Industrieorganisationen Deutsch­ vor allem im Hinblick auf die gegenwärtigen Anbiederungs­ lands, Roetger und Stresemann, am 8. Dezember 1914 bei Be'th­ versuche der westdeutschen SPD-Führung an die Adenauer­ mann-Hollweg, ein Schritt, bei dem, wie Stresemann es sah, CDU als an die Partei, die heute in Westdeutschland die Inter­ ,im großen und ganzen' die Ansichten bei der Seiten ,nicht sehr essen des Monopolkapitals vertritt. Denn nichts vermag deut­ weit auseinander' gingen."72 licher zu beweisen, daß die rechte SPD-Führung es nicht versteht Nun ist zwar die Tatsache, daß die Politik imperialistischer oder nicht verstehen will, die Lehren aus der Geschichte zu Staaten vom Willen der Monopolherren abhängig ist, für die ziehen. Waren es doch nicht zuletzt ihre Kapitulation und ihre Unterstützung der imperialistischen Politik während des ersten 69 Fischer, a. a. 0., 5.116 10 Fischer, a. 8. 0., 5.116 11 ebenda 73 zit. nach: Fischer, 5.207 12 Fischer, a. a. 0., S. 111 74 ebenda, S. 206

40 41 Weltkrieges und in der Nachkriegszeit, die für das deutsche Annexionsplänen verderblichster Art hervorwagen, während in Volk und für ihre Partei so schreckliche Folgen zeitigte! der Offentlichkeit die Mehrheitsvertreter versichern, sie seien auch gegen Annexionen." 77 Für die Haltung der rechten SPD-Führung, die sich beson­ ders in der Reichstagsfraktion_verkörperte, ist charakteristisch, Wie weit die SPD-Führung in ihrem Sozialchauvinismus die daß sie zwar nach außen, d. h. in ihren für die anti-annexio­ Verbindung zu den Massen ihrer Mitgliedschaft verloren hatte, nistisch eingestellte überwiegende Mehrheit der Arbeiter­ zeigte sich vorwiegend in dem wachsenden Einfluß von Karl klasse (deren Sprecher im Reichstag vorwiegend Karl Lieb­ Liebknecht, Rosa Luxemburg, Wilhelm Pieck und der anderen knecht war) bestimmten offiziellen Verlautbarungen, sich hüte• Führer der deutschen Linken auf die deutsche Arbeiterklasse. te, den Eroberungsplänen der deutschen Imperialisten offiziell Trotz der strengen Zensur hatten sie es verstanden, selbst aus zuzustimmen. Welche Einstellung jedoch die Mehrheit des Par­ dem Gefängnis heraus, in dem sie zum großen Teil sich seit teivorstandes wirklich besaß, geht aus einer Mitteilung des Ber­ 1916 fast ständig befanden, den Weg zu den deutschen Arbeitern liner Polizeipräsidenten von Jagow an den Reichskanzler vom zu finden und so zum Scheitern der Kriegszielpolitik der deut­ 18.8.1915 hervor, daß diese Mehrheit durchaus für Annexionen schen Imperialisten beizutragen. in Flandern und Polen zu haben sei. Wenn auch das allgemeine Kriegsziel des deutschen Imperia­ Wie tief sich der Bazillus des Revisionismus bereits bei der lismus - die Erringung der deutschen Weltherrschaft-im gan­ rechten SPD-Führung eingefressen hatte, beweist der Versuch zen während des Krieges konstant blieb, trat doch im Verlauf einiger Fürsprecher der imperialistischen Kriegspolitik in die­ der vier Jahre der eine oder andere Gesichtspunkt der bei sem höchsten Parteigremium, ihre partei- und volksfeindliche Kriegsausbruch allgemein formulierten Kriegsziele stärker in Einstellung mit dem Argument zu rechtfertigen, "daß eine grund­ den Vordergrund. In diesen Abstufungen spiegelten sich nicht sätzliche Gegnerschaft zum Annexionismus unvereinbar sei mit nur die Veränderungen in der Kriegslage wider, sondern auch dem Sozialismus". So schrieb Albert Südekum, der ja bereits vor die Interessengegensätze der verschiedenen Gruppen des Fi­ Kriegsausbruch dem Reichskanzler zugesichert hatte, daß die nanzkapitals, als deren Sprecher auch die von ihnen abhängigen SPD nichts gegen den Krieg unternehmen werde, am 19. 7. 1915 Politiker - Abgeordnete wie Regierungsmitglieder - in Er­ im "Hamburger Echo": scheinung traten. "Wahrscheinlich ist die Mehrheit unseres ganzen Volkes, Allerdings erließ die Reichsregierung schon sehr bald nach sicher die Mehrheit der unserer Gedankenwelt anhängenden der Verkündung "ihrer" offiziellen Kriegsziele im September­ Masse, gegen die Unterjochung fremder Völker; aber deshalb programm ein Verbot der öffentlichen Kriegszieldebatte, da sie kann man doch gegen die rein negative Behauptung jener Op­ von einer allzu offenen Aussprache über die Kriegsziele sowohl positionellen (gemeint ist die entschiedene Opposition der deut­ innen- wie außenpolitische Rückschläge befürchtete. Obwohl schen Linken, die grundsätzlich jeden Gedanken der Annexion also diese Maßnahme rein taktischen Erwägungen entsprang, irgendwelcher Gebiete ableh,nten - G.1.) mit vermutlich viel erregte sie doch Unwillen und Widerspruch in den führenden· größerer Berechtigung die andere wagen, daß gegen notwen­ dige Grenzsicherungen unseres Landes und gegen selbst recht industriellen Kreisen, die in ihr einen Verzicht auf die von ihnen weitgehende wirtschaftliche Verbindungen zwischen den euro­ angestrebten Kriegsziele zu erblicken glaubten. Die Folge die­ päischen Staaten, auch als Teile von Friedensbedingungen, ser Befürchtungen, die noch genährt wurden von durchgesicker­ ernsthaft nichts eingewendet wird." 75 ten Gerüchten über eine "Friedensbereitschaft" der Regierung, war die Formierung einer organisierten "Kriegszielbewegung", Und in einer Sitzung der Reichstagsfraktion wurde von Otto deren Kern die Schwerindustrie, d. h . die führenden Monopole, Landsberg die rhetorische Frage gestellt: war. "Wenn wirklich zur besseren Verteidigung Deutschlands im Die vön "führenden Männern der westdeutschen Industrie, Osten die Annexion der Narew-Linie verlangt würde, dürfte unter aktiver Beteiligung von Hugo Stinnesu aufgestellten For­ irgendein Deutscher dagegen Widerspruch erheben?"i{l derungen entsprachen trotz der sich bereits abzeichnenden Die Zweideutigkeit und Heuchelei in der Haltung der rechten militärisch ungünstigen Lage des kaiserlichen Deutschlands SPD-Führung veranlaßte selbst Georg Ledebour, der als späte• den schon früher von einzelnen Persönlichkeiten dieses Kreises rer Mitbegründer der - in der Führung - scheinrevolutionären vorgebrachten Wünschen: Annexion oder zumindest wirtschaft­ USPD ganz gewiß nicht zu den entschiedenen Anhängern der liche Beherrschung Belgiens, Gewinnung des Erzbeckens von Linksopposition zu rechnen ist, zur Kritik: Longwy- Briey und ausgedehnter Landerwerb im Osten. Auch "Soweit ist es also nun glücklich gekommen, daß die Wortfüh• die im "Bund der Industriellen" vertretene verarbeitende Indu­ rer der Fraktionsmehrheit hinter verschlossenen Türen sich mit strie rührte sich und meldete bei dem schon oben i8 erwähnten

75 zit. nach: Fischer, a. a. 0., 5.210 77 ebenda 76 ebenda 78 vgl. S. 40

42 43 Besuch Stresemanns bei Bethmann-Hollweg ihre großenteils Bei einem gemeinsamen Vortrag von westdeutschen Indu­ gleichgerichteten Ansprüche an; hierbei tauchte auch wieder striellen (Hugenberg, SUnDes, Kirdorf und Thyssen!) und "pro­ die Forderung nach Errichtung eines mitteleuropäischen Zo11- minenter" Wissenschaftler bei dem für das Ruhrgebiet zustän• verbandes auf. Selbstverständlich spielte bei der Erörterung digen Kommandierenden General legten sich diese Herren der Kriegsziele auch der Alldeutsche Verband eine wichtige allerdings weniger Zurückhaltung bei der Konkretisierung der Rolle. Er imperialistischen Kriegsziele im Osten auf. Hier sprachen sie "erhielt gerade durch das Verbot der öffentlichen Kriegsziel­ schon von der Eroberung der Ukraine und der Annexion des diskussion eine führende Stellung in der Formulierung der gesamten Baltikums. Auch das Mitteleuropa-Programm spielte Kriegsziele und vermochte, dank seiner weitreichenden Be­ ziehungen, das Preußische Abgeordnetenhaus zu mobilisieren, hier wieder eine Rolle, vorwiegend im Hinblick auf die Stel­ wo die Anhänger der Kriegszielbewegung durch das preußische lung Österreich-Ungarns, die sich im Verlauf der Jahre 1915/17 Dreiklassenwahlrecht eine überwältigende Mehrheit be­ immer mehr als das Schlüsselproblem des gesamten Mittel­ saßen."i9 europa-Komplexes nerauskristallisieren sollte. Der .. entscheidende Einfluß der Alldeutschen innerhalb der Bei diesen Vorschlägen an läßlich der Unterredung in Münster deutschen Wirtschaft" zeigte sich aber auch bei Gelegenheit ist es im Hinblick auf die revanchistischen Angriffe auf die der Ausarbeitung der Eingabe der großen Wirtschaftsverbände nach dem zweiten Weltkrieg entstandene Oder-Neiße-Friedens• an den Reichstag vom 20. Mai 1915 mit den Kriegszielforde­ grenze besonders interessant, daß dort auch Erörterungen über rungen des Centralverbandes deutscher Industrieller, des Bun­ die "Aussiedlung der Polen aus dem neu zu bildenden Grenz­ des der Industriellen, des Bundes der Landwirte, des Deut­ streifen" gepflogen wurden und daß diese Forderungen die schen Bauernbundes, des Reichsdeutschen Mitte!standsver­ gleichen Kreise erhoben, von denen heute in Westdeutschland bands und der Christlichen deutschen Bauernvereine. Diese die revanchistischen Landsmannschaften gehegt und gepflegt Denkschrift war unter maßgeblichem Einfluß von Hugenberg und selbstverständlich auch finanziert werden. und Stinnes auf der Grundlage der "Kriegszieldenkschrift" des Daß in diesem "erlauchten" Kreise des deutschen Monopol­ Justizrats Claß erarbeitet, und sie ist charakteristisch für die kapitals und seiner Apologeten aus den Kreisen der Intellek­ Maßlosigkeit des Weltherrschaftsanspruchs der deutschen Im­ tuellen auch der profilierteste Vertreter des deutschen Imperia­ perialisten, von dem damals auch breite bäuerliche und bür• lismus nicht fehlen dm'fte, nämlich Krupp von Bohlen und gerliche Mittelschichten ergriffen waren. Halbach, ist eigentlich selbstverständlich, ebenso, daß sich sein ,.Neben der Forderung nach einem den deutschen wirtschaft­ im November 1914 formuliertes Kriegszielprogramm im wesent­ lichen Interessen voll genügenden Kolonialreich, nach zoll­ lichen mit den Forderungen der Wirtschaftsverbände deckt, und handelspolitischer ,Sicherung' und einer ,in zweckmäßigel' auch wenn für ihn die bekannten Ansprüche im Westen im Form gewährten Kriegsentschädigung' stehen als ,Hauptziel' Vordergrund stehen. Das schließt jedoch nicht aus, daß er auch territoriale Ansprüche im Westen wie im Osten. Die Verbände verlangten die militärische und wirtschaftliche Beherrschung Annexionen im Osten nicht ablehnend gegenübersteht. Dabei Belgiens, ohne der belgischen Bevölkerung im Verband des stellte er sich die "Neuordnung im Osten" dergestalt vor, daß Deutschen Reiches politische Rechte einzuräumen. Sie erhoben ein selbständiges Polen dort als "Pufferstaat" entstehen sollte, Anspruch auf die belgische und französische Kanallcüste, um dem durch einen germanisierten polnischen Grenzstreifen "ein den ,Ausweg zum Atlantischen Ozean als eine Lebensfrage für fester Riegel vorgeschoben" werden sollte, um "ihm ,Gelüste' unsere künftige Seegeltung' sicherzustellen, zugleich auch um auf ehemals polnische, jetzt preußische Gebietsteile zu nehmen". ein Druckmittel gegen Englandin der Handzu haben.!< (Es folgen dann die immer wiederholten Forderungen nach strategischen "Auch er denkt an Bauernsiedlungen im Osten, wobei er hier Grenzverbesserungen und dem Erzbecken. - G.I.) .. Nach den - wie bei den anderen von ihm gewünschten Annexionen - Vorschlägen der Wirtschaftsverbände würde die einheimische durch Verweigerung politischer Gleichberechtigung und durch Bevölkerung dort ebenfalls sämtliche politischen Rechte ver­ weitgehende Ausschaltung der unterworfenen Bevölkerung aus lieren, und außerdem sollten die vorhandenen ,wirtschaftlichen dem Wirtschaftsleben ganz im Sinne der völkischen Ideologie Machtmittel, einschließlich des mittleren und größeren Be­ die annektierten Gebiete germanisieren möchte, um zu vermei­ sitzes' in deutsche Hand übergehen. Für die Annexionen im den, daß das Deutsche Reich seinen Charakter als ,rein deut­ Osten war der Gedanke maßgebend, zu dem erwarteten indu­ scher Volksstaat' (!) verlieren würde ... "at striellen Machtzuwachs im Westen ein ,agrarisches' Gegenge­ wicht im Osten zu erhalten. Deshalb dachte man mindestens an Selbstverständlich ist nach seiner Auffassung ein "in sich den Erwerb von Teilen der Ostseeprovinzen \lnd nicht näher gesichertes Kolonialreich in Afrika" und die Schaffung einer bezeichneten südlich angrenzenden Gebieten, die zugleich einen "Brücke nach Afrika" in Gestalt von Flottenstützpunkten und besseren Grenzschutz gewähren sollten."80 1( Kohlenstationen im Mittelmeer zur Sicherung und Abrundung '\ der deutschen Machtstellung in der Welt unabdingbare Vor- 79 Fischer, a. a. 0., S. 192 80 Fischer, a. a. 0., S. 194 f. 81 Fischer, a. a. 0., S. 198

44 45 aussetzung. Auf diese Weise würden "der I ndustrieabsatz wie Geistlichen und Künstlern, trug die" Intellektuellen-Eingabe" die Rohstoffversorgung wie auch die Erweiterung der ganzen - ein Beweis dafür, in welchem Ausmaß der deutsche Impe­ deutschen Kulturgeltung in der Welt" gesichert - und auf das rialismus mit seinem Weltmachtanspruch weite Kl·eise des erstere kam es ja den deutschen Imperialisten an, wenn sie Bürgertums angesteckt hatte. Zugleich geht aber daraus auch diese Ziele auch mit dem ideologischen Mäntelchen von der hervor, welcher Mittel er sich bediente, um glaubhaft erschei­ "deutschen Kulturmission" in der Welt zu verdecken suchten, nen zu lassen, daß diese seine ureigensten Ansprüche der Wille wie es Krupp am Schlusse seines "Kriegszielprogramms" tat: des deutschen Volkes seien. Unter dem Druck der von ihm "Werden diese Ziele erreicht, so bestimmt sich der Fortschritt gesteuerten "öffentlichen Meinung" sollte der Reichskanzler, der Menschheit nach deutscher Kultur und Zivilisation; für ein der wider den Stachel zu löcken schien, wieder gefügig ge­ solches Ziel zu kämpfen und zu siegen, ist des Blutes der Edlen macht werden und die von ihm aus rein opportunistischen Er­ wert."82 wägungen verbotene öffentliche Kl'iegszieldiskussion freigeben ohne Rücksicht auf deren innen- und außenpolitischen Aus­ Um den Eindruck zu verwischen, daß es sich bei den weit­ wirkungen. gehenden Forderungen ausschließlich um die materiellen Inter­ essen der deutschen Großbourgeoisie handele, wurden auch Die durch die Kriegslage und durch die erzwungene Rück• damals schon führende deutsche Wissenschaftler aus den Krei­ sichtnahme auf die deutsche Arbeiterklasse und das neutrale sen des deutschen Bürgertums als dekorativer Vorspann benutzt. Ausland bedingte spätere Zurüd{haltung Bethmann-Hollwegs in der Kl'iegszieldebatte brachte ihm übrigens den ungerecht­ "Auch hier wieder führte Claß vom Alldeutschen Verband im fertigten Ruf ein, keine Kriegsziele zu haben, obwohl eine der­ Hintergrund die Regie. Die beiden aktivsten Männer zur For­ mulierung der neuen Kundgebung (der sogen. ,Intellektuellen­ artige Auffassung eigentlich schon durch sein in diesel' Hin­ eingabe' - G. I.) waren der Berliner Theologe Reinhold Seeberg sicht wahrlich nicht bescheidenes Septemberprogramm ebenso und der Bremer Kaufmann Andreas Gildemeister, von dem Widerlegt sein sollte wie durch seine großbürgerliche Herkunft auch der Entwurf für eine neue Eingabe zum größten Teil aus einem Zweig einer alten Frankfurter Bankiersfamilie. stammt. Die Verbindung zur Industrie war in der Person Kir­ Daß bei der Eigenart des Bismarck-Reiches als föderativer dorfs hergestellt. Für die allgemeine Richtung ist kennzeich­ nend, daß neben Seeberg, Kirdorf und Gildemeister in der ent­ Bundesstaat und dem herrschenden junkerlich-bourgeoisen scheidenden Besprechung am 20. Juni 1915 auch Admiral a. D. Klassenbündnis auch die deutschen Fürsten als die hervor­ von Grumme-Douglas, ein Alldeutscher und Verbindungsmann ragendsten Vertreter der historisch eigentlich längst überlebten zum Kaiserhaus, femel' der bisherige Gesandte in Stockhalm, Feudalklasse mit eigenen Kriegszielplänen hervortraten, sei von Reichenau, der Berliner Althistoriker Eduard Meyer - in hier nur am Rande erwähnt, denn der U-Boot-Kampagne von 1916 ein erbitterter Verfechter des unbeschränkten U-Boot-Krieges - und schließlich Schwerin, "die wesentliche Einheit des Kriegszielwillens der Nation (?) der Exponent der völkischen Siedlungsbewegung und der Rat­ wurde durch die Kriegsziele der Einzelstaaten, dargestellt durch geber des Kanzlers in Ostfragen, teilnahmen."83 ihre Fürsten, Minister, Gesandten und Parlamente, nicht we­ sentlich modifiziert, zumal der mächtigste Bundesstaat, Preu­ Besonders die Anwesenheit des Letztgenannten zeigt die ßen, in seiner Ordnung bestimmt durch König, Heer, Beamten­ Linie der sog. Intellektuelleneingabe: "als Ventil schaft, Grundadel und Schwerindustrie, ganz auf Mac h t­ für den sozialen Druck im Innern" und das Bestreben, "dem v er b r e i tun gau s ger ich t e t war und in seinem Ab­ Anwachsen der slawisch-russischen Bevölkerungsmassen durch geordnetenhaus, dessen Zusammensetzung auf dem Dreiklas­ senwahlrecht beruhte, durch die Politik der gerade hier beson­ die ,Dekomposition' Rußlands, durch einen germanisierten ders eng mit den führenden Verbänden von Industrie und ,Grenzwall' im Osten und durch eine eigene aktive Bevölke­ Landwirtschaft verzahnten Parteien der Konservativen und rungspolitik zu begegnen, wozu sich im Osten eine einzig­ • Nationalliberalen während des Krieges an entscheidendenPunk­ artige Möglichkeit böte".8Ii Dieser Gedanke des "deutschen ten mit förmlichen Beschlüssen in die Willensbildung des Rei­ Lebensraums im Osten", der in der faschistischen Zeit, in der ches einzugreifen suchte".85 nazistischen Ideologie eine so verhängnisvolle Rolle spielen Gewisse Modifikationen - nicht im Gesamtcharakter, wohl sollte, wurde damals vor allem im Zusammenhang mit dieser aber, wie bereits erwähnt, in den Einzelzielen bzw. deren Vor­ "aktiven Bevölkerungspolitik" besonders stark auch von Fried­ rangigkeit - ergaben sich allerdings aus der jeweiligen Kriegs­ rich Naumann in seinem Werke "Mitteleuropa" vertreten. lage. Angesichts der durch das Fehlschlagen der Blitzsieg-Hoff­ 1347 Unterschriften, darunter allein 352 von Professoren, der nungen über alle drei Gegner akut gewordenen Gefahr eines Rest von führenden Wirtschaftlern, Parlamentariern, Lehrern, "Erschöpfungskrieges" sah sich der deutsche Imperialismus gezwungen, seine expansiven Ziele gegenüber einer Seite zeit­ 82 zit. nach: FisCher, a. a. 0., S.198 weilig zurüd{zustecken. Um die für die Fortführung des Krieges 83 ebenda, S. 199 84 ebenda 85 Fischer, a. a. 0., S. 216 46 47 notwendigen Rohstoffgebiete in die Hand zu bekommen, plä• sich, welchen Konfliktstoff diese Frage in sich barg. An die dierte die OHL für die Westfront und entsprach damit weit­ austro-polnische Lösung knüpfte die deutsche Regierung sol­ gehend den Interessen und Hauptforderungen der westdeut­ che Forderungen, daß damit faktisch Österreich-Ungarn bereits schen Schwerindustrie. ein bloßes Anhängsel Deutschlands in dem geplanten Mittel­ Eine erfolgversprechendeWeiterführung der Operationen im europa sein würde. Auf einer Konferenz vom 11. 11. 1915 zwi­ Westen hatte jedoch zur Voraussetzung, daß Rußland durch schen den führenden Staatsmännern Deutschlands und öster• einen Sonderfrieden aus der Triple-Entente ausschied. Das be­ reich-Ungarns wurde deutlich, wie stark der deutsche Hege­ deutete aber nicht nur den wahrscheinlichen Bruch mit Öster• monieanspruch in Europa durch die verbesserte Kriegslage reich-Ungarn und der Türkei, für die Rußland der Hauptgegner gegenüber Ende 1914 gewachsen war. Neben einem energischen des Krieges war, sondern auch die sichere Preisgabe der deut­ Vorstoß in bezug auf den Mitteleuropaplan - "nur durch Bil­ schen Monopolinteressen auf dem Balkan und im Vorderen dung eines unüberwindlichen mitteleuropäischen Blocks könne Orient, um derentwillen letzten Endes der Krieg gegen Ruß• Deutschland ... alle Entwicklungsmöglichkeiten einer gesicher­ land von den deutschen Imperialisten provoziert worden war. tenFriedensperiode eröffnen" - präzisierte Bethmann-Hollweg Trotzdem streckte die Reichsregierung Sonderfriedensfühler gegenüber dem österreichischen Kanzler Baron Burian die nach Rußland aus, wobei es sich aber zugegebenermaßen um deutschen Forderungen als Voraussetzung der austro-polnischen eine rein taldische Maßnahme zur Sprengung der Entente han­ Lösung. Diese Bedingungen, delte, die zudem noch durch die zwar etwas verminderten, "die Deutschland unter allen Umständen bei der überlassung aber immer noch recht weitgehenden Gebietsforderungen der Polens (das für Deutschland ,vitales Interesse' besitze, nicht nur deutschen Imperialisten belastet und zum Scheitern verurteilt als wirtschaftliches Absatzgebiet und Durchfuhrgebiet nach war. Rußland, sondern auch als militärisches Glacis gegenüber Ruß­ land) zu erhalten verlangt, würden ihm die entscheidende Stel­ Als sich daher im Juni 1915 - trotz des Kriegseintritts Ita­ lung in Austro-Polen geben. So fordert Bethmann-Hollweg: liens auf der Seite der Entente - die militärische Lage Deutsch­ 1. strategische Grenzberichtigungen (,außer den zur Verbes­ lands etwas günstiger anzulassen schien und Rußland unter serung seiner Grenze benötigten Landstrichen im Gouverne­ dem Druck Englands den "Verrat" an seinen Verbündeten ab­ ment Suwalki und anschließend an Kurland und Litauen auch lehnte, kam erneut das Mitteleuropa-Projekt auf den Plan, noch einige für Deutschland wirtschaftlich sehr wertvolle Ge­ das bedeutende "Kompensationen" im Osten einschloß, wenn biete unseres Polen'), 2. sehr vielfältige und weitgehende Siche­ auch Bethmann-Hollweg hierin nicht in vollem Umfange den rungen, die die verkehrswir~schaftliche Grundlage der polni­ schen Volkswirtschaft in absolute deutsche Abhängigkeit brin­ maßlosen Forderungen der Imperialisten und Militaristen zu­ gen sollten: ebenso wie in Belgien wird die Organisationsfrage stimmte, die Kurland, das Baltikum und einen großen Teil für Polen in der privatwirtschaftlichen Lösung gesehen S6• Die Polens annektieren wollten. Aber auch diese scheinbare Be­ Eisenbahnlinien wie die Wasserstraßen sollen in eine von schränkung findet ihre Erklärung in dem Bemühen des Reichs­ Deutschland zu finanzierende PrivatgeseIlschaft übernommen kanzlers, Rußland trotz der mehrfachen Ablehnung für einen werden; damit würde Deutschland verkehrspolitisch die Kon­ Sonderfrieden reif zu machen, um die Ziele "im Westen, Süden trolle über alle Bahnen in seine Hand bekommen. Daneben er­ und Südosten", in Belgien, auf dem Balkan und im Orient, scheinen die schon bekannten Forderungen betreffend Sied­ lungsland für die aus dem deutschen Grenzstreifen Ausgesie­ leichter erreichen zu können. delten, freier Arbeiterzuzug aus Polen und dergleichen. Burian Eine Schlüsselstellung nahm in den Erwägungen der Regie­ erkannte sofort die verschleierten Absichten Deutschlands, den rung, die selbstverständlich hier wie überall stellvertretend für polnischen Wirtschaftsraum ganz zu seiner Verfügung zu haben, das deutsche Monopolkapital handelte, die künftige Gestaltung die sozialen und pOlitischen Probleme jedoch, die mit einer vol­ Polens ein. Es ging hierbei nicht allein um die Frage einer len übernahme des Landes verbunden sein würden, auf Oster­ direkten oder indirekten Beherrschung des zu bildenden pol­ rich abzuwälzen, so daß er andeutete, es sei ihm zweifelhaft, ob nischen Staates, sondern auch um eine austro-polnische oder dann der Besitz für die Monarchie überhaupt begehr>enswert sei. "87 germano-polnische Lösung. Dabei stand es für die deutschen Regierungskreise fest, daß eine Eingliederung Polens in öster• Auch die Sicherung des deutschen Hegemonieanspruchs auf reich-Ungarn früher oder später zum Zerfall der Donaumonar­ dem Balkan mit Hilfe des beherrschenden Einflusses auf Öster- chie beitragen würde, so daß damit der Weg frei gemacht wurde 86 Ende 1915 zeichnete sich die Möglichkeit eines Sonderfriedens "mit für die Annexion zumindest der deutschsprachigen Gebiete Belgien auf Grund von Verhandlungen mit dem beJgischen König ab, die in den Plänen der deutschen Imperialisten den Gedanken einer Österreichs bei völliger Zurückdrängung des tschechischen direkten Annexlon Belgiens zeitweilig zugunsten einer indirekten Elements. Das spätere sog. "Großdeutsche Reich" spukte also Beherrschung durCh das deutsche Monopolkapital zurUckdrängtim. bereits damals in den Köpfen der deutschen Imperialisten. Diesen zu erwartenden Gebietsverlust im \Vesten wollten die deut­ schen Imperialisten nach der wohl zutreffenden Auffassung Burians Bei der Behandlung der polnischen Frage, d. h. bei den Aus­ durch Kompensationen im Osten ausgleichen. einandersetzungen über die Verteilung der Kriegsbeute. zeigte 87 Fischer, a. a. 0., S.254

48 49 reich-Ungarn ist Gegenstand der Verhandlungen bei dieser herrschung zur politischen und militärischen Vormachtstel­ entscheidenden Konferenz. Auch in diesem Punkte meldete lung! Deutschland "überall bestimmte Wünsche und Einschränkun• Auf der politischen Ebene wird eine Neugestaltung des Bünd­ gen" an, die das im allgemeinen anerkannte Recht Österreich~ nisvertrages vorgeschlagen und dabei als Grundlage jeder Ungarns, die Verhältnisse auf dem Balkan nach seinen über• weiteren Verhandlung "die Garantierung des gegenseitigen \~iegenden Interessen einzurichten, nach der Auffassung Bu­ Besitzstandes, und zwar auf Grund der abzuschließenden Frie­ rIans stark beeinträchtigten. So ist es verständlich, daß der densverträge und einer entsprechenden Ausdehnung des Bünd­ Vertreter Österreich-Ungarns über den Verlauf der Konferenz nisfalles". Die deutsche Regierung wünschte als noch während nicht die gleiche "hohe Befriedigung" empfand, wie sie Beth­ des Krieges "eine gegenseitige Garantie der künftigen Erwer­ mann-Hollweg, der die Interessen des deutschen Monopolkapi­ bungen des neuen Besitzstandes ..., um so eine tiefgehende tals hier der derzeitigen Kriegslage entsprechend so gut ver­ Verkettung der beiden Reiche auch für die Zukunft zu schmie­ treten hatte, zum Ausdruck bringen konnte. Das erzielte "volle den".89 Einverständnis in allen wesentlichen Fragen" lief letzten Endes Bis zum Ende des Krieges blieb der Mitteleuropa-Plan in auf eine Niederlage österreichs hinaus. verschiedenen Variationen Kernpunkt der imperialistischen "Das SpeZifische in der Auseinandersetzung mit Österreich-Un• Kriegsziele, da die deutschen Imperialisten der verschiedenen garn liegt darin, daß auch die Monarchie selbst zum Kriegsziel Gruppierungen hofften, ihn in seinen Grundzügen selbst bei wird, weil sie in der angestrebten engen Bindung an Deutsch­ Abschluß eines sog. "Verständigungsfriedens" durchsetzen zu land sich in den vom Reich beherrschten Gesamtraum einfügen können. Je geringer die Aussichten auf die Erreichung der im­ muß."S8 ~ perialistischen Kriegsziele im Westen wurden, um so größer Das deutsche Mitteleuropa-Programm, das in Gestalt eines wurden die Forderungen im Osten. Zwar wird noch im Jahre Promemoria des Staatssekretärs des Auswärtigen von Jagow 1916 versucht, durch eine Friedensvermittlung Japans eine mög• zwei Tage nach Abschluß der Konferenz an die Wiener Regie­ lichst große Beute in Ost und West zu erscbnappen - selbst rung übermittelt wurde, ist völlig auf der Konzeption, die die auf Kosten der eigenen Verbündeten Deutschlands: Öster­ deutschen Monopolkapitalisten bereits vor dem Kriege in dieser reichs und der Türkei. Bei diesen Sondierungen geht es außer Richtung entwickelt hatten, aufgebaut. Obwohl es in der Form um die europäischen auch wieder um die afrikanischen Kriegs­ langfristiger Verträge "formell und materiell" seine Verwirk­ ziele des deutschen Imperialismus, um das zentralafrikanische lichung finden sollte, bedeutete es nicht mehr und nicht weni­ Kolonialreich unter Einschluß von Belgisch-Kongo (Katanga!). ger als die völlige politische, wirtschaftliche und militärische Besonders interessant aber ist die hier erstmals konzipierte Unterwerfung ÖstelTeichs unter die Vorherrschaft des deutschen Achsenpolitik als Bestandteil der "Bündnis- und Neutralitäts• Monopolkapitals. Da aber ohne ideologische Verbrämung dieser verträge" in dem deutschen Vertragsentwurf, auf dessen Grund­ Absicht die Durchführung dieses Programms kaum möglich er­ lage Japan die Friedensvermlttlung übernehmen sollte. Dieser schien, mußte die angebliche Rolle Österreichs als "germanische zweite Teil des Vertragsentwurfs Ostmark" (!) gegen den als Schreckgespenst heraufbeschworenen "ist ein System von Geheimabmachungen, das, auf der Basis der "Panslawismus" dazu dienen. gegenseitigen japanisch-russisch-deutschen Verständigung auf­ gebaut, Deutschland gegen England und Frankreich absichern Bereits damals verstanden es also die deutschen Imperia­ soll, ebenso aber gegebenenfalls auch gegenüber Österrelch• listen, ihre Weltherrschaftspläne dem vorgeschobenen "Sicher­ Ungarn und Rußland ... Die hier formulierte Konzeption ist heitsbedürfnis Europas" gegenüber der vorgeblichen "Gefahr" zumindest eine Form der erstrebten b.'iinftigen Weltmachtste1- aus dem Osten zu verstecken. Damals Kampf des "Germanen­ lung Deutschlands, ganz aus dem Blickwinkel eines erwarteten turns" gegen das Slawentum - heute Sicherung der sog. "freien zweiten Krieges mit England ... "!lO Welt" gegen den Kommunismus - der gleiche Gedanke ver­ Der wiederholte Versuch, über Japan mit Rußland zu einer schleiert die gleichen Ziele! Sondervereinbarung zu kommen, entsprang den Bemühungen Der wirtschaftliche Grundgedanke des Mitteleuropa-Planes von Stinnes und Fritz Warburg, einem Bruder des Bankiers warei!l enges "Zollbündnis mit gegenseitiger Zollbevorzugung", Max Warburg, zwei führenden Vertretern der entscheidenden um "dIe Verschmelzung des ganzen Gebietes zu einer wirtschaft­ Gruppen des deutschen Finanzkapitals also. Dabei erscheint lichen Einheit anzubahnen". Auch hier also der.gleiche Gedan­ Stinnes als treibende Kraft, kengang, wie er bei der Bildung der Europäischen Wirtschafts­ "der auf ein Bündnis mit Rußland drängte, damit Deutschland gemeinschaft und ähnlicher "europäischer" Organisationen die Sicherung seinerWestziele erzwingen könnte - und so seine maßgebend ist: auf dem Umweg über die wirtschaftliche Be- eigenen geschäftlichen Interessen gewahrt waren".!!1 39 ebenda, S.257 90 Fischer, a. a. 0., S. 287 88 ebenda 91 ebenda, S. 280 50 51 In Anbetracht der Tatsache, daß die deutsche Politik sowieso Trotz dieser hochtönenden Worte konnten die "befreiten" nichts anderes darstellte als die direkte Interessenvertretung Polen aus dem Los ihrer Landsleute nur allzu leicht ihr künf• des deutschen Monopolkapitals, erscheint die ärgerliche Real(­ tiges Schicksal erkennen. Selbst wenn dieser sog. "National­ tion Jagows auf das Drängen Stinnes' etwas absurd, wenn er staat" als ein "autonomer Staat" firmieren würde, war unscl1\yer in einem Schreiben an den deutschen Gesandten in Stockholm vorauszusehen, daß die "politische, militärische und wIrt­ die Politik des Reiches als eigenständig zu rehabilitieren sucht: schaftliche ... engste Verbindung mit dem zu bildenden mittel­ .. Der Knabe Stinnes ist ein Gewaltmensch, der W1sere Politik europäischen Staatenbund", die von dem Generalgouverneur ganz in seine Interessensphären hineinzwängen möchte. Daher von Beseler als Voraussetzung gefordert wurde, diesen unter Bündnis mit Rußland, um uns in einen grundsätzlichen Gegen­ Mißachtung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes geschaf­ satz zum Westen zu bringen."92 fenen Staat völlig in die Hand der deutschen Monopole geben Da aber Japan es ablehnte, auf Sonderfriedensverhandlungen würde. einzugehen, Deutschland jedoch in einem allgemeinen Frieden An dem Kriegsziel "Polen" traten in dieser Epoche die Ge­ eine .. Gefahr" sah, weil dadurch die Durchsetzung der deut­ gensätze zwischen den Mittelmächten am deutlichsten hervor; schen Kriegsziele zumindest in Frage gestellt worden wäre, denn wenn auch als "bundesfreundliche" . Geste die deutsche mußten die deutschen Imperialisten die Hoffnung begraben, Regierung die polnische Krone einem österreichischen Erzher­ mit Hilfe Japans ihr Ziel, wenn auch mit einigen Abstrichen, zu zog offerierte, war Österreich noch immer nicht gewillt, eine erreichen. Lösung zu akzeptieren, die Fischer in die treffenden Worte I n dieser Situation gewann P olen er neut eine größere Be­ kleidet: "Für österreich den Erzherzog, für Deutschland das deutung, jetzt allerdings ausschließlich unter dem Gesichts­ Erz!" Das kommt auch in den geheimen "Aufzeichnungen über punkt der germano-polnischen Lösung, da Österreich die deut­ die uns bekannt gewordenen deutschen Wünsche betr. die zu­ schen Forderungen, die auf eine Zurück.drängung des Slawen­ künftige Zugehörigkeit Polens" zum Ausdruck. Danach turns in der Donaumonarchie h inzielten u nd damit eine Ein­ bildete sich wie der österreichische Botschafter wahrnahm, mischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs darstellten, ~owoh l bei d'en ,Agrariern' wie bei den ,Industriellen' ein im­ nicht akzeptiert hatte. Dabei mutet es geradezu grotesk an, mer stärker werdendes Interesse ,für den Besitz des ressour­ daß Deutschland, in dem seit der Reichsgründung die nationalen cenreichen Landes' heraus (das freilich, wie die Vorgeschichte Minderheiten aufs schärfste unterdrückt wurden und - wie die des Krieges zeigt, schon immer bestand, so daß der Akzent Polen in Preußen - rigorosen Germanisierungsmaßnahmen höchstens auf dem ,Stärkerwerden' liegen kann - G. 1.), das ausgesetzt waren, sich jetzt als Verteidiger der von Rußland immer verlockender und gewinnversprechender' erschien; so auch i~ Reichsamt des Innern und in den preußischen Wirt­ unterdrückten Nationalitäten aufspielt. schaftsressorts. Auf alle Fälle, beobachtete der Botschafter, zie­ .. Die deutsche Ostpolitik, die auf direkte Annexionen und die len die deutschen Interessen auf die wirtschaftlich wertvollsten Gründung von Vasallenstaaten gerichtet war, wurde vom Kanz­ Teile von Kongreßpolen - Warschau, Lodz, Radom, Petrikom, ler in seiner Reichstagsrede vom 5. April (1916) im Sinne der Kielee Dombrowa-Becken - ab. Bei einer möglichen Auftei­ Befreiungsthese der ,Liga' 93 ideell verbrämt und erhöht, gerade lung d~s Landes würde Deutschland immer das industrie- u~d auch im Blick auf Amerika ..." (infolge der für Deutschland kohlenreiche Gebiet links der Weichsel beanspruchen; das lfi sich wieder einmal günstiger anlassenden Kriegslage) "nannte letzter Zeit aufgetauchte Projekt eines Kondominiums tritt, wie der Kanzler erstmals beim Namen, was er im Dezember 1915 er sagt, hinter den in der deutschen Allgemeinheit (?) n~r inter­ nur bildhaft angedeutet hatte: Belgien, Polen, Kurland, Litauen. essierenden wirtschaftlichen Fragen zuruck ... Jetzt lehnte Bethmann-Hollweg unter Berufung auf das von Durch Zölle und Begünstigung der ungestörten Durchfuhr nach Asquith in Anspruch genommene Prinzip der Nationalität em­ Rußland durch Sicherstellung der Rohstoffe aus Polen, durch phatisch ab, daß Gleichstellung der polnischen Eisenbahn und der Binnenschiff­ ,Deutschland freiwillig die von ihm und seinen Bundesgenos­ fahrt ,unter ausschl i eß l icher F ü h ru n g de u t­ sen befreiten Völker zwischen der Baltischen See und den sc h e n Kap j ta l s' strebt Deutschland die tatsächliche Ver­ WOlhynischen Sümpfen wieder dem Regiment des reaktionären sicherung eines wie immer sich gestaltenden pOlnischen Staates Rußlands ausliefern wird, mögen sie Polen, Litauer, Balten für seine Zwecke an. Neben der Verfügung über Eisenbahnen, oder Letten sein ... Straßen, Wasserstraßen, Post und Telegraphen hoffen die Deut­ Wir werden uns reale Garantien dafür schaffen, daß Belgien schen, die ausschließliche Militärhoheit zu behalten."95 (Hervor­ nicht ein englisch-französischer Vasallenstaat, nicht militärisch hebungen vom Vf.) und wirtschaftlich als Vorwerk gegen Deutschland ausgebaut Jeder kann sich selbst ausrechnen, was unter solchen Bedin­ wird. Auch hier gibt es keinen status quo ante."'9~ gungen von der "Selbständigkeit" selbst eines dem Namen nach

92 zU. nach: Fischer I ebenda autonomen Staates noch übrigblieb. Es ist deshalb nur zu ver- 93 Im zuge der "RevolutiOnierungs"-Bestrebungen war vom Auswärti• tigen Amt eine "Liga der Fremdvölker Rußlands" aufgezogen worden. 94 Fischer, S. 291 95 Fischer, S. 297 52 53 ständlich, daß alle Versuche, unter den Polen selbst eine pro­ schaftspolitik beruhte, liegen nicht mehr vor, wir kämpfen nicht deutsche Bewegung zur Unterstützung der germano-polnischen mehr um die Herrschaft auf dem inneren Markte, sondern um Lösung zu schaffen, von vornherein zum Scheitern verurteilt die Herrschaft auf dem Weltmarkte, und den waren. Demzufolge wurde auch die "Aufstellung eines polni­ übermächtigen Produktionsmöglichkeiten der transatlantischen schen Heeres" auf der Basis der Freiwilligkeit ein völliger Welt kann nur ein zollgeeintes Europa mit dem nötigen Na~­ druck gegenübertreten; wir sollen Gott danken, ':iaß ~er Kneg Fehlschlag. Diese Forderung war von den österreichischen und uns den Anlaß und die Möglichkeit gibt (!), em wlrtschaft­ deutschen Militaristen bereits seit langem erhoben worden, um liches System zu verlassen, das den Höhepunkt seiner Erfolg~ aus dem polnischen "Menschenreservoir" Nachschub für die zu überschreiten im Begriffe steht." oo (Hervorhebungen bel Verheizung auf den Schlachtfeldern im Interesse der deutschen Fischer.) Imperialisten zu gewinnen, da besonders Österreichs "Men­ Gott für den Krieg danken, der einer kleinen Minderheit schenmaterial", wie Bethmann-Hollweg es bezeichnenderweise eines Volkes die mit Millionen von Blutopfern erkaufte "Mög• nannte, nahezu erschöpft war. Die Hofinungen, die diese Kreise lichkeit" der Weltherrschaft eröffnet - das entspricht durch­ an die am 5. November 1916 verkündete Proklamation Polens aus der Atomtheologie eines Jaspers, Dibelius und ähnlicher als "einen selbständigen Staat im Anschluß an die beiden ver­ christlicher" Persönlichkeiten! - Ähnlich, wenn auch nicht bündeten Mächte" knüpften, erfüllten sich nicht; 370 Freiwil­ ~it "christlichen" Vorzeichen, sieht der Vertreter des Ministe­ lige waren das mehr als magere Ergebnis der Aufstellung riums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, von Falken­ einer "polnischen Armee". hausen - übrigens ein Anhänger der vollen Zollunion - , Auf­ Bei aller Flexibilität der Kriegsziele, die bestimmt war du rch ga be und Ziel der deutschen Handelspolitik: die jeweilige Kriegslage und die zeitweise sich eröffnenden oder "den großen, in sich geschlossenen Wirtschaft.skörpern ~er Ve~­ vermuteten Aussichten auf einen Sonderfrieden im Osten oder einigten Staaten, des b,ritischen und des russls.ehen Rel~.es die im Westen, war ein Ziel nahezu unverändert während des Gesamtheit der europäischen, wenigstens der rrutteleuropalschen ganzen Krieges festgehalten worden: der von führenden Ver­ Kontinentalstaaten u n t erd e u t s c her F ü h run g in tretern des deutschen Monopolkapitals, Rathenau und von gleicher wirtschaftlicher Geschlossenheit ~egenüberzuste~len; Gwinner, konzipierte Plan eines unter deutscher Herrschaft mit dem doppelten Zweck: 1. den Gliedern dIeser Gesamtheit (?) geeinten Mitteleuropas, das als neuer "Weltwirtschaftsraum" vo rn eh m li ch D eu ts chland- dieVorh errsc haft neben - oder richtiger ge gen - Amerika, Rußland und das auf dem europäischen Markt zu sichern, 2. im handelspolitischen Kampf mit jenen Weltreichen um die Bedingungen der Zu­ Empire errichtet werden sollte. Dieser Mitteleuropa-Plan kann lassung zu beiderseitigen Märkten die Gesamtwirtschaft des ohne weiteres als der Ausgangspunkt der EWG angesehen ·verbündeten Europa als einheitliche Macht ins Feld führen zu I werden, zumindest in der Rolle, die die westdeutschen Impe­ können." !l7 rialisten diesem "Gemeinsamen Markt" zugedacht haben, und etwas modifiziert durch die Veränderung des Kräfteverhält• ·Der Unterschied zur Gegenwart dürfte bei diesen Versionen nisses in der Welt. einzig und allein darin liegen, daß damals die Kampfansage der deutschen Monopole an Amerika offen ausgesprochen Als Ganzes spiegelte der Mitteleuropa-Plan die Machtan­ wurde während der Konkurrenzkampf heute hinter den Ku­ sprüche des deutschen Imperialismus wider, wenn auch in lissen 'eines "Bündnisses" geführt wird. - Als Kompensation Einzelheiten der Realisierung die Ansichten vor allem der Poli­ für den durch diesen Wirtschaftskrieg sich wahrscheinlich ver­ tiker etwas auseinandergingen. Sie schwankten zwischen der schließenden überseemarkt sieht Delbrück die "schrankenlose vollen Zollunion, dem Zollbund mit geringen Zwischenzöllen Erschließung des österreich-ungarischen Wirtschaftsgebiets für und dem Abschluß gegen Dritte und - schließlich - Ausbau der unsere Industrie" an, wobei sich die deutschen Monopolherren Handelsverträge und Zusammenwirken in handelspolitischen freundlicherweise bereits zur Übernahme der österreich-unga• Aktionen. Der Fürsprecher der zweiten Auffassung, der Staats­ rischen Industrie bereit erklärt hatten! Der wirtschaftliche Zu­ sekretär des Reichsamtes des Innern Delbrück, präzisierte am sammenschluß Mitteleuropas sollte aber lediglich den politi­ 13. die Konzeption des zukünftigen festländi• schen erleichtern und vorbereiten, da schen Europa, wie sie sich in den Plänen eines Teiles der deutschen Imperialisten darstellte: den drei etablierten Weltmächten gegenüber die zentraleuro­ päischen Staaten wirtschaftlich und politisch nur etwas sein "Während wir bisher die ,nationale Arbeit' durch hohe Zölle (würden), wenn sie nicht mehr getrennt, sonde~n durch feste und Tarifverträge mit allen europäischen Staaten zu schützen wirtschaftliche und staatsrechtliche (!) Bande geeInt den Kampf suchten, soll in Zukunft auf dem großen Gebiete von den bestehen könnten."!IS (Ausrufungszeichen bei Fiscper) Pyrenäen bis zur Memel, vom Schwarzen Meer bis zur Nordsee, vom Mittelmeer bis 96 zit. nach: Fischer, S.306 Ost see in der Hauptsache das freie Spiel der Kräfte wal­ 97 zit. naCh: ebenda, S. 309 ten. __ Die Voraussetzungen, auf denen unsere bisherige Wirt- 98 zit. nach: ebenda

54 55 Wenn dabei als "höheres Ziel" vorgegeben wird, durch "die Schutzverwaltung" der lothringischen Erzgruben nach der Er­ gemeinsamen Wirtschaftsinteressen die politischen Gegensätze oberung des Gebietes beigegeben war, vertreten waren, ist innerhalb des Kontinents auf ein erträgliches Maß herabzu­ nicht nur für die damalige Zeit äußerst aufschlußreich. In ihm mildern", so erhebt sich demgegenüber die Frage - die für uns waren alle Spitzen der deutschen Schwerindustrie vertreten: allerdings schon keine Frage mehr ist -, ob dieses Ziel durch die Kommerzienräte Röchling, Klöckner, Springorum, die Ge­ die kapitalistische Wirtschaft in der Epoche des Imperialismus, heimen Kommerzienräte von Oswald und Kirdorf, die Phö• d. h. der ökonomischen und politischen Herrschaft der natio­ nix AG. für Bergbau und Hüttenbetriebe, Hörde; die Deutsch­ nalen und supranationalen Monopole und Monopolverbände, Luxemburgische Bergwerks- und Hütten AG.; die Rheinischen überhaupt erreichbar ist, da die "gemeinsamen Wirtschafts­ Stahlwerke Duisburg-Meiderich; die Gewerkschaft Deutscher interessen" unter diesen Bedingungen außer'ordentlich frag­ Kaiser, Hamborn-Bruckhausen (August Thyssen); die Gute­ würdiger Natur sind. Die Krise in der EWG, die ja einen sol­ Hoffnungs-Hütte-AG" Oberhausen; Friedrich Krupp AG., Es­ chen wirtschaftlichen Zusammen schluß imperialistischer Staa­ sen; de Wendel & Co., Hayingen, und die Vereinigten Hütten• ten darstellt, etwa anläßlich der Verhandlungen um den Ein­ werke Burbach-Eich-Dücklingen.1OO tritt Englands beweist, wie stark die Widersprüche und Gegen­ Da nach Ansicht dieser Herren "der Besitz oder Nichtbesitz sätze zwischen den imperialistischen Staaten sind! dieses - außer Schweden - reichsten Erzgebietes des europäi• Damit für den Uneingeweihten das deutsche Machtstreben schen Kontinents über das Machtpotential an Eisen und Stahl nicht ohne weiteres erkennbar ist, wird es weiter propagan­ und damit, im Zeitalter der Industrie, auch über die faktische distisch verbrämt mit der angeblichen "Kulturmission" Deutsch­ politische und militärische Macht auf dem europäischen Konti­ lands und - auch das eine durchaus "moderne" Terminologie! nent" entschied, sollte das 187l im Frieden von Frankfurt Ver­ - mit einer Bezugnahme auf das erste deutsche Reich: säumte jetzt nachgeholt und dieses Gebiet annektiert werden. "Das Alte Reich lebt auch heute noch weiter. Ganz Südost­ Welchen Wert die Annexion dieses Gebietes für die Herren von europa ist kulturelles Kolonialland vor unseren Toren ... Die Kohle und Stahl hatte, geht aus einigen Förderungszahlen der Politik ist dazu da, den deutschen Werten auch äußerlich Raum Erzgewinnung Deutschlands und Frankreichs hervor: zu verschaffen. Stärker wie durch seine Flotte wird England Die Erzförderung von Longwy-Briey deckte mit 17,58 Millio­ durch den Kulturzusammenhang geschützt, den die angelsäch• nen Tonnen 81 % der Gesamtförderung Frankreichs, so daß ein sische Welt darstellt. Einen solchen deutschen Kulturzusam­ menhang zu schaffen, das ist unsere Aufgabe." 99 Verlust dieser Gebiete die französische Industrie auf Jahre hin­ aus zum Erliegen bringen mußte, während Deutschlands Schwer­ Um das widerstrebende Österreich für den Zollbund reif zu industrie sich nicht nur von der Einfuhr ausländischer (schwe­ machen, dessen Zweck "die Verschmelzung des gesamten Ge­ discher und französischer) Erze (jährlich 11 Millionen Tonnen) bietes der vertragschließenden Teile zu einer wirtschaftlichen unabhängig machen würde, sondern selbst Ausfuhr treiben Einheit" war, wie es Helfferich in einer Denkschrift vom 6, 11. konnte. War es verschiedenen deutschen Monopolen gelungen, 1915 formulierte, wurde es "mit schweren politischen Mitteln durch Beteiligung oder Erwerb sich dort festzusetzen 101, so woll­ und der ganzen Wucht der Staatsautorität nach außen" (so . ten sie jetzt alles schlucken. Deshalb Delbrück) "den mitteleuropäischen Zielen in der Lösung der drängten nun die Verbände der deutschen Schwerindustrie mit austro-polnischen Frage (wie sie damals noch auf dem Pro­ äUer Macht auf den Erwerb des Gebietes. In immer neuen Ein­ gramm stand - G. I.) konfrontiert". In den "Leitsätzen für die gaben an die Reichs- und preußische Regierung forderten sie Verhandlungen mit österreich-Ungarn über das Zollbündnis" die Annexion oder die wirtschaftliche Verfügung über Longwy­ vom November 1915 werden als in den Zollraum aufzuneh­ Briey. Bethmann-Hollweg hat dieses Ziel immer verfOlgt mende Staaten ausdrücklich die Balkanstaaten, die Türkei, und sich mit Recht im November 1916 gegen die Behaup­ Skandinavien, Belgien, Holland, Polen und Frankreich be­ tung des Stahlwerkverbandes gewandt, er sei im Begriff, um nannt, die damit praktisch direkt oder indirekt der Herrschaft jeden Preis mit Frankreich Frieden zu schließen, auch unter der deutschen Monopole unterworfen werden sollten. Verzicht auf Longwy-Briey. In einem persönlichen Schreiben an Kirdorf, den Direktor der Gelsenkirchener Bergwerks-AG., Der Mitteleuropa-Plan diente jedoch nur den Interessen ein er hat er gerade die gleichbleibenden Bestrebungen seiner Politik Machtgruppe in Deutschland, die vorwiegend aus dem Bank­ gegenüber Frankreich und Longwy-Briey bekräftigt ... Als kapitii1 und der verarbeitenden Industrie bestand. Das Haupt­ Michaelis Ende August 1917 einen Moment zu schwanken drohte interesse der Schwerindustrie konzentrierte sich nach wie vor und einen noch so vagen Ausgleich im Westen auf Kosten auf die Gewinnung der französischen Erze und der belgischen Longwy-Brieys und Belgiens zu suchen beabsichtigte, hab e n die Sprecher der Industrie ihm versichert, und französischen Industrie. Eine Liste der Namen und Kon­ daß sie bereit seien, um Longwy-Briey auch zerne, die in dem "industriellen Beirat", der der "kaiserlichen 100 vgl. Fischer, S . 316, Anm. 30 99 zit. nach: Fischer, S. 311 101 vgl. S. 13

56 57 noch zehn Jahre Krieg zu führen!" (Hervor­ c) dem vermehrten Absatz industrieller Erzeugnisse; hebung vom VI.) 102 d) der Deckung des Bedarfs an ausländischen Arbeitern we­ gen der zweifellos in Zukunft vermehrten Schwierigkeiten Wie im Osten die "AbrundungU der zu erobernden Gebiete dienen. durch die Ostseeprovinzen Rußlands erfolgen sollte, so sollte 7. Belgien muß dem deutschen Zollgebiet ange.gliedert wer­ die Gebietserweiterung im Westen durch Belgien vervollstän• den, Jedoch ist in den Zollverhältnissen ein Ubergangssta­ digt werden, sei es als "Tributärstaat in engster Anlehnung an dium vorzusehen, dessen Umfang und Dauer von einer be­ Deutschland", sei es in der Form der vollständigen oder teil­ stimmten Warenliste abhängt, die unter Mitwirkung der be­ weisen Annexion. Als Beispiel dafür, wie sich die Schwerindu­ teiligten Erwerbskreise der Industrie, des Handels und der Schiffahrt aufzustellen ist. Bei der Durchführung dieser letz­ strie die "Angliederung Belgiens" dachte, sei hier das Pro­ teren Forderung werden sich die deutschen Wirtschaftskör• gramm, das in einer Eingabe der "Nordwestlichen Gruppe des perschaften von dem Bewußtsein leiten lassen, daß die Not­ Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrie", des "Vereins zur wendigkeit militärischer Sicherheit und vermehrter Seegel­ Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in tung unter Umständen Opfer fordert, die der einzelne willig Rheinland und Westfalen" (Langnamverein), des "Vereins für zu tragen hat."103 die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dort­ Selbstverständlich hätten es die Monopole verstanden, die für mund, Essen-Ruhr" und der Handelskammern des niederrhei­ notwendig erachteten "Opfer", "die der einzelne" im Interesse nisch-westfälischen Industriebezirks dem Reichskanlzer über• der Durch.setzung ihrer Herrschaftsanspruche "zu tragen hat", mittelt wurde, wiedergegeben. Darin heißt es: zur gegebenen Zeit auf die kleinen und mittleren Betriebe und Nach siegreichem Kriege ist im Hinblick auf die militärische auf d ie Schultern der breiten Massen der Werktätigen "umzu­ SiCherung unserer Grenzen und mit Rücksicht auf die Ver­ legen"! In welchem Grade ihnen das möglich war, zeigte uns mehrung unserer Seegeltung die Angliederung Belgiens eine nicht zuletzt die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in der unumgängliche Notwendigkeit." sich die Monopole noch stärker als in der "guten alten Zeit" NaChdem so wieder einmal die Wahrung "gesamtnationaler" entwickeln konnten. Interessen als Präambel vorangestellt worden war, kommen Noch 1918 (!) war jenes Programm in seinen Hauptzügen die die konkreten Forderungen, die diesen angeblichen natio­ Grundlage der deutschen Belgienpolitik. nalen Bedürfnissen des deutschen Volkes Rechnung tragen Trotz der im allgemeinen sich ständig verschlechternden sollten: Kriegslage glaubten die deutschen Imperialisten 1917, noch 1. Die sozialen Lasten, die von deutschen Erwerbsständen ge­ einmal die Möglichkeit gewonnen zu haben, wenigstens ihre " tragen werden, sind den belgischen Erwerbsständen in glei­ Ziele im Osten erreichen zu können. Als nach dem Siege der . eher Höhe aufzuerlegen. russischen Arbeiter und Bauern In der Großen Sozialistischen 2. Die sämtlichen Verkehrsmittel (Eisenbahnen, Wasserstra­ Oktoberrevolution Lenins Aufruf "An Alle!" die Aussicht auf ßen, Post, Telegraphen, Kabelwesen) müssen in den Besitz die Beendigung des Krieges an der Ostfront eröffnete, wuchsen des Deutschen Reiches übergehen oder seinem unmittelbaren wirkungsvollen Einfluß unterstellt werden. ihre Ansprüche ins Ungemessene. Zwar hatte die rechte SPD­ Führung aus opportunistischen Gründen - um den bereits 3. Es muß eine Oberleitung der belgischen Indu str ie unter deutschen Einfluß oder durch die bürgerliche Februarrevolution in Rußland ausgelö• in d eutsche n Besitz stattfinden. sten verstärkten revolutionäl'en Aufschwung in der deutschen 4. Die deutsche Reichswährung und Münzeinheit muß in Bel­ Arbeiterklasse abzufangen - die vom Petrograder Arbeiter­ gien eingeführt werden. und Soldatenrat bereits am 27. März 1917 verkündete Losung 5. Das belgische Rechtsleben ist dem deutschen unter voller vom schnellsten Friedensschluß "ohne Annexionen und Kon­ Berücksichtigung des zunächst im Interesse der Sicherheit tributionen" auch zu ihrem offiziellen Programm gemacht. Das des Landes beizubehaltenden Ausnahmezustandes anzupas­ genügte jedoch - in Verbindung mit dem kaiserlichen Ver­ sen. sprechen einer Wahlrechtsl'eform in Preußen nach dem Kriege 6. Als Ausgleich für die Angliederung und zur weiteren Siche­ - den Imperialisten, ihre Anhänger aus dem Bürgertum und rung muß die Angliederung anderer fremdländischer Ge­ ihre irregeführten Mitläufer aus den Reihen der Arbeiterklasse bietsteile in Aussicht genommen werden, die zu alarmieren. a) der industriellen Rohstoffversorgung (Eisenerze, Kolonial­ In einem gemeinsamen Aufruf vom 3.5.1917, unterzeichnet erzeugnisse) [Erläuterung von Fischer: Longwy-Briey und vom Deutschen Landwirtschaftsrat, dem Kriegsausschuß der Kongo]; deutschen Landwirtschaft, dem Bund der Landwirte, der Ver­ b) der Erzeugung eines erheblichen überschusses an Nah­ rungsmitteln (Ostgebiete - d. VI.); einigung der deutschen Bauernvereine, dem Deutschen Bauern-

102 Fischer, a. a. 0., S, 319 f . 103 FisCher, a. a. 0., S.330 58 59 bund, dem Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen von Below, der naturalisierte Engländer Houston Stewart Genossenschaften, dem Raiffeisenverband, dem Zentralver­ Chamberlain, der Führer der Alldeutschen, Claß, Geheimrat band deutscher Industrieller, dem Verein deutscher Eisen- und von Gruber, der Generallandschaftsdirektor a. D. Kapp (!) und Stahlindustrieller, dem Mitteldeutschen Fabrikantenverein, der Theologe Reinhold Seeberg, der bereits als Initiator der dem Bayrischen Industriellenverband, dem Deutschnationalen Intellektuelleneingabe in Erscheinung getreten war. Handlungsgehilfenverband, dem Hauptausschuß nationaler Die konkreten Bedingungen eines solChen "guten Friedens" Arbeiter- und Berufsverbände, der Kirchlichsozialen Konfe­ im Sinne der Imperialisten enthüllten die Friedensverhand­ renz, dem Deutschen OstInarl{enverein, dem Deutschen Wehr­ lungen von Brest-Litowsk. Bei dieser Gelegenheit enthüllte verein, dem Alldeutschen Verband, dem Unabhängigen Aus­ sich aber auch die Demagogie der platonischen Zustimmung schuß für einen deutschen Frieden, dem Deutschen Flotten­ der rechten SPD-Führung zu einem Frieden ohne Annexionen verein,.dem Verband deutscher Eisenexporteure, dem Gesamt­ und Kontributionen; die deutsche Regierung hatte übrigens verband der Evangelischen Arbeitervereine Deutschlands und auf Grund ihrer Erfahrungen mit der "regierungssozialistischen dem Verband Katholischer Arbeitervereine Deutschlands, lie­ Führerschaft" del'en Haltung durchaus richtig eingeschätzt, als fen sie gegen einen sogenannten "Verzichtfrieden" Sturm: sie die Zustimmung zur Teilna~e deutscher sozialdemokra­ "Nur ein Friede mit Entschädigungen, mit tischer Führer an einem "internationalen sozialistischen Frie­ Machtzuwachs und Landerwerb kann unse­ denskongreß" in Stockholm gab. Der Nachfolger Jagows als rem Volke sein nationales Dasein, seine Staatssekretär des Auswärtigen, Zimmermann, bezweifelte, Stellung in der Welt und seine wirt.schaft­ licheEntwicklungsfreiheit dauernd sicher­ "daß die sozialdemokratischen Führer selbst von der Stockhol­ mer Konferenz eine unmittelbare Einwirkung auf die Herbei­ s tell e n." 1(1.1 (Hervorhebung v. Vi.) führung des Friedens erwarteten. Er nimmt an, daß die Teil­ In einer von dem Münchner Verleger J. F. Lehmann auf Ver­ nahme an der Stockholmer Konferenz für sie hauptsächlich anlassung der OHL, d. h. Ludendorffs, herausgegebenen Bro­ propagandistischen Wert habe, um sich ,in den Augen ihrer schüre "Deutschlands Zukunft bei einem guten und einem Wählermassen immer wieder, dem Parteiprograrnrn entspre­ chend, als tätige Förderer des Friedensgedankens auszuweisen schlechten Frieden", die Ludendorff zur psychologischen Be­ und so die Massen lenkbar in der Hand zu behalten' ... Die einflussung der Truppen im Heere verteilen ließ, wurden die nationale Aufgabe (?) der Mehrheitssozialdemokratie werde Perspektiven Deutschlands nach einem "Hindenburg-Frieden" durch das von Zimmermann sicher erwartete Fehlschlagen des in den verlockendsten Farben gemalt. Kongresses erleichtert, weil dadurch ihre Anhängerschaft von ihren pazifistischen Ideen geheilt werde: Kämen die Abgesandten "In dieser Schrift wird mit grotesker Verzerrung ,bei einem aus Stockholm mit einem Mißerfolg zurück, so werde ,die ge­ deutschen Frie.den' ,ein freies Volle mit nur fünf Milliarden samte Partei dadurch im deutschen nationalen Sinne fester ge­ Schulden' (!) und bei einem ,Scheidem,ann-Frieden' Deutsch­ schlossen und gekräftigt werden' ... : land als ,ein Lohnsklave Englands mit 170 Milliarden Schulden' vorausgesagt. Farbige Karten über die Mittelrnächte und die ,Im unmittelbaren Angesicht des Sieges wird auch die deut­ russischen Fremdvölker zeigen die d e u t s c h e Neu 0 r d - sche Sozialdemokratie nicht mehr aufs Verzichten gestimmt nun g Eu r 0 pas, die Siedlungsmöglichkeiten für das deut­ sein. Bei günstiger Weiterentwicklung der militärischen Lage sche Volk ... und die verbreiterte, die deutsche Autarkie wird sie vielmehr desto sicherer für alle zum Wo h 1 e des sichernde RohstofIbasis für Kohle, Eisen und Erdöl. Als Er­ V a tel' 1 a n des nötigen Forderungen an den Feind zu ge­ gänzung der europäischen Basis gibt eine andere Karte den winnen sein, je schlechtere Erfahrungen sie inzwischen mit künftigen deutschen Kolonialbesitz eines geschlossenen Mittel­ ihren fremden Parteigenossen gemacht hat. '''107 afrikas wieder. Zu den Kriegskosten ab,er heißt es bündig: ,Die Ein vernichtenderes Urteil kann wohl kaum über eine so­ Lasten trägt der Feind!'" 10;; (Hervorhebung v. Vf.) genannte "Arbeiterpartei" gesprochen werden als dieses eines Dem gleichen Zweck der Kriegszielpropaganda diente die überzeugten Verfechters der imperialistischen Kriegsziele ebenfalls im Verlag Lehmann (ab 1. 4.1917, also zu einem Zeit­ Deutschlands. Und doch zeigte die weitere Entwicklung, wie punkt, da der Krieg für das wilhelminische Deutschland fak­ richtig diese Einschätzung war, als die revisionistische SPD­ tisch bereits verloren war) erscheinende Monatsschrift "Deutsch­ und Gewerkschaftsführung die Proteststreiks der Arbeiter­ lands Erneuerung", "die einen völkischen Nationalismus in die klasse gegen die Forderungen, die die deutschen Imperialisten Bildungsschichten trug und aufs entschiedenste einen ,Ver­ in den "Friedensverhandlungen" in Brest-Litowsk stellten, zichtfrieden' sowie eine innere Neuorientierung bekämpfte"106. abwürgte. Als Herausgeber fungierten der reaktionäre Historiker Georg Die deutschen Friedensbedingungen, die der russischen Delegation vorgelegt wurden, standen in diametralem Gegen- 104 Fischer, a. a. 0., S.437 105 Fischer. S. 438 106 ebenda, S. 439 107 Fischer, S. 502 60 61 satz zu den Prinzipien, die Lenin und die Sowjets bei ihren entsprechender wirtschaftlicher Verträge zum Ausbeutungs­ Vorschlägen geleitet hatten und auf die Ludendorff als der objekt gemacht werden soll':" HO damalige "starke Mann" einging. Regierung und OHL ließen Neben dem klar ausgesprochenen Willen, Rußland zum Aus­ sich dabei nach ihren eigenen Stellungnahmen von dem Ge­ beutungsobjekt des deutschen Imperialismus zu degradieren, danken leiten, daß die Anerkennung des nationalen Selbst­ wurde die deutsche Politik auch von der Absicht bestimmt - bestimmungsrechts det nichtrussischen Völker - die im euro­ das trat besonders deutlich in der Ukraine-Politik Deutsch­ päischen Teil Rußlands zumeist bereits unter deutschem Ok­ lands zutage - , Rußland durch den Raub seiner wichtigsten kupationsregime standen - durch die Bolschewiki die Durch­ Rohstoff- und Kornkammern entscheidend zu schwächen, der setzung der kaiserlich-deutschen Kriegsziele im Osten ermög• sich entwickelnden Arbeiter-und-Bauern-Macht den Boden zu lichen würde, sei es durch direkte Angliederung der Ostsee­ entziehen und Rußland zum Spielball der imperialistischen provinzen, sei es unter dem Deckmantel nominell autonomer Interessen Deutschlands zu machen. Staaten "unter engster Anlehnung an Deutschland". Unter Aus­ Die Notwendigkeit, Rußland den Frieden zu geben, um die nutzung der äußerst schwierigen Lage, der sich die Bolsche­ von der Arbeiter-und-Bauern-Macht errungenen Positionen wiki infolge der Desorganisation der Armee einerseits und der zu festigen und weiter auszubauen, die Schäden des Krieges konterrevolutionären, von den Imperialisten geförderten Um­ zu heilen und die Konterrevolution niederzuschlagen, zwang triebe andererseits gegenübersahen, zwangen die deutschen die Regierung Sowjetrußlands, die unverschämten Friedens­ Imperialisten dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat den Frie­ bedingungen zu akzeptieren. Die deutscheri Imperialisten den von Brest-Litowsk auf. Dabei glaubten sich im Osten am Ziel ihrer Wünsche, zu mal sie sich "spielen in der Argumentation der Deutschen ideologische Mo­ durch den Friedensschluß keineswegs an dem Versuch hindern mente keine oder höchstens eine sekundäre Rolle. Zu Errei­ ließen, ihre Macht noch weiter auszubauen, und sich außerdem chung ihres ,Sicherungsprogramms' war es für die deutsche der trügerischen Hoffnung hingaben, daß die Sowjetmacht in Reichspolitik nur von nachgeordneter Bedeutung, ob sie es mit Rußland nur von kurzer Dauer sein werde. Da aber stießen dem Zaren oder mit Kerenski, mit Lenin oder einer konter­ sie zum ersten Male auf den entschlossenen Widerstandswillen revolutionären Regierung zu tun hatte - die Hauptsache war, daß sich die jeweiligen Machthaber in Rußland einem Frieden des russischen VoU{es. Die Rote Armee zwang die imperiali­ nach den deutschen Bedingungen unterwarfen. Dabei konnte stischen Interventen zum Rückzug. es im Sinne der deutschen Destruktions- und Revolutionspoli­ Die deutschen Imperialisten sahen sich jedoch auch in der tik in Rußland nur günstig sein, wenn die s Ruß 1 a n d i n Erwartunggetäuscht,daß die Beendigung des Krieges im Osten eine Vielzahl von schwachen, anlehnungs­ ihnen nun auch die Erreichung ihrer westlichen Kriegsziele bedürftigen Einzelstaaten und einen ge­ möglidl machen würde. Der Ausbruch der Novemberrevolu­ schwächten Reststaat zerbröckelte . .."IDS (Hervorhebung v. Vf.) tion in Deutschland setzte dem Weltmachtstreben des deut­ schen Imperialismus ein vorläufiges Ende; denn mit dem Aus­ Selbstverständlich hatten sich bereits in die vorbereitenden gang des ersten Weltkrieges wurde der deutsche Imperialismus Verhandlungen der Regierung und der OHL über die Frie­ geschlagen, aber nicht vernichtet. Trotzdem mußte er seine densbedingungen, die Rußland aufzuerlegen waren, die Kon­ wahnwitzigen Pläne vorläufig zurückstellen, dachte jedoch zernherren der Schwerindustrie eingeschaltet und ihre Forde­ wie die Folge zeigte - nicht daran, sie aufzugeben. rungen angemeldet, die sämtlich darauf hinausliefen, Rußland zum ausschließlichen Ausbeutungsobjekt Deutschlands zu ma­ chen. Es würde hier zu weit führen, diese Forderungen noch einmal im einzelnen aufzuführen. Helfferich faßte diese in 4. Zwischen zwei Weltk riegen einer Erklärung an den Staatssekretär des Äußern vom 2. Ja­ nuar 1918 dahingehend zusammen, "In ihrem blinden antikommunistischen H aß, in ihrer Gier nach Revanche und Erober ungen l ieferten die deutschen Mo­ "daß in den Friedensvertrag mit Rußland Bestimmungen auf­ zunehmen seien, die nicht nur die Rohstof'fquellen Rußlands nopolkapitalisten schHeßlich die Weimar er R epublik dem Ab­ sichern, sondern auch die englisch-amerika nische Konkurrenz schaum des deutschen Volkes, den chauvinistischen und faschi­ stischen Kräften, aus." vollständig ausschalten und den russischen Markt uneinge­ (Nationales Programm) schränkt dem deutschen Kapital öffnen sollten."lfYJ Ebenso erklärte der deutsche Handelstag, • In der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution hatten die "daß Rußland, nachdem Polen, Finnland und die baltischen Länder durch Annexion abgetrennt sind, ,durch Oktroyierung Völker Rußlands das Joch der in- und ausländischen Imperia­ listen zerbrochen und mit dem Aufbau einer neuen Welt, frei 108 Fischer, S. 631 109 Fischer, S. 635 110 ebenda, S.634 62 63 von nationaler und sozialer Unterdrückung und Ausbeutung, seine Unterschrift unter den Vertrag von Rapallo setzte, wel­ begonnen. Die deutsche Arbeiterklasse hatte - durch dieses cher die Beziehungen zwischen Deutschland und Sowjetruß• Beispiel angespornt - zumindest erreicht, daß dem vom deut­ land regelte und wohl als erstes Beispiel friedlicher Koexi­ schen Imperialismus entfesselten Völkermorden ein Ende ge­ stenz in die Geschichte eingegangen ist.1U Daß es sich bei deJ;1 macht wurde. Zugleich aber schufen die besten und fortschritt­ Kreisen, die diese objektiv auch den Interessen Deutschlands lichsten Männer und Frauen der deutschen Arbeiterklasse in dienende vernünftige Politik des deutschen Reichskanzlers Dr. der KPD die Führungskraft im antümperialistischen und anti­ Wirth begrüßten und unterstützten, wirklich nur um eine kleine militaristischen Kampf der deutschen Arbeiter. Teilgruppe der deutschen Großbourgeoisie handelte, zeigte sich Der Mißerfolg bei ihren Weltmachtbestrebungen, den die schon anläßlich der unmittelbar auf die Vertragsunterzeich­ deutschen Imperialisten als Ergebnis des ersten Weltkrieges nung einsetzenden Mordhetze, der zunächst Dr. Rathenau zum hinnehmen mußten, einerseits, das Entstehen eines sozialisti­ Opfer fiel. Auch Dr. Wirth mußte der verständigungsfeind• schen Staates und die immer stärker werdenden Auswirkun­ lichen antisowjetischen Politik des mit der rechten SPD-Füh­ gen seiner Politik auf die deutsche Arbeiterklasse andererseits rung verbündeten deutschen Monopolkapitals weichen. bestimmten die Politik der deutschen Imperialisten seit der In noch weitaus größerem Maße aber als die großenteils von Novemberrevolution bis zum heutigen Tage. Revanchismus geschäftlichem Interesse diktierten außenpolitischen Erwägun• und Antikommunismus wurden seitdem die tragenden Pfeiler gen zwang die deutsche Arbeiterklasse mit der KPD an der ihres politischen Handeins, das ideologische Mäntelchen, unter Spitze die deutschen Imperialisten, ihre nie aufgegebenen ex­ dem sie ihre niemals aufgegebenen Weltherrschaftspläne zu pansiven Absichten zu tarnen. Das schloß allerdings nicht aus, verbergen suchten. daß sie - genauso wie einst - Organisationen finanzierten, Die mangelnde Erfahrung der deutschen Arbeiterklasse im deren Aufgabe es war, die gefährlichsten Gegner aus dem revolutionären Kampf und die verräterische Politik der SPD­ Wege zu räumen und dem deutschen Volke Chauvinismus, Führung, die es verstand, durch scheinsozialistische Parolen Revanchismus und Antikommunismus einzuimpfen. Der spä• große Teile der Arbeiterklasse zu desorientieren, während sie tere Vorsitzende der "Antibolschewistiscl)en Liga", deren Ter­ mit dem Monopolkapital paktierte, hatten es dem deutschen ror am 15. Januar 1919 die besten Führer der deutschen Ar­ Imperialismus und Militarismus ermöglicht, seine ökonomische beiterklasse, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zum Opfer Basis nahezu unangetastet über die Novemberrevolution hin­ fielen, berichtete über die Gründungsversammlung dieser Ver­ wegzubringen. Wenn auch die deutschen Monopolherren einige einigung von Mördern und Terroristen: Einbußen durch den Verlust Elsaß-Lothringens (Kali!) und Ost­ ",' ... Da erhob sich in der Ecke rechts hinter mir ein kleiner oberschlesiens (Kohle!) hinnehmen mußten, so verstanden sie Mann ... Ich kannte ihn nicht, aber die Anwesenden zeigten es doch sehr bald, dieses Manko durch verstärkte Konzen­ mir sofort durch ihr Verhalten, daß sie ihn nicht nur kannten, tration, verschärfte Ausbeutung der Arbeiter und mit Hilfe sondern respektierten, irgendwie als Autorität empfanden. Es ausländischen, besonders amerikanischen Kapitals auszu­ war Hugo Stinnes. In die geheimnisvolle Stille des Saales hin­ gleichen. ein sagte er mit einem Minimum von rednerischem Aufwand, aber mit einer sehr klaren und bestimmten Stimme: ,Ich bin Selbstverständlich konnten die Herren von Kohle und Stahl der Meinung, daß nach diesem Vortrag jede Diskussion über• in der Zeit der Weimarer Republik ihre aggressiven Ziele nicht flÜSsig ist. Ich teile in jedem Punh."1:e die Ansicht des Referen­ mehr mit der gleichen brutalen Offenheit propagieren wie in ten. Wenn deutsche Industrie-, Handels - und den nguten alten Zeiten" Kaiser Wilhelms H. Gegenüber dem Bankwelt nicht willens und in der Lage Westen verbot sich das schon durch ihre finanzielle Abhängig• sind, gegen die hier aufgezeigte Gefahr keitvom amerikanischen Monopolkapital, das zwar den aggres­ eine Versicherungsprämie (!) von 500 Mil­ siven deutschen Imperialismus als "Bollwerk gegen den Bol­ lionen Mark aufzubringen, dann sind wir nicht wert, deutsche Wirtschaft genannt zu schewismus" recht gern akzeptierte, aber keineswegs die Ab­ wer den. Ich beantrage Schluß der Sitzung und bitte die sicht hatte, ihn so weit erstarken zu lassen, daß er den ameri­ HerrenMankiewitz, Borsig, Siemens, Deutsch kanischen Weltherrschaftsplänen erneut gefährlich werden u s w. (er nannte etwa 8 Namen), sich mit mir in ein Neben­ konnte. Im Hinblick auf die sozialistische Sowjetunion abel' zimmer zu begeben, damit wir sofort über den Modus der Um­ mußte er zumindest in den ersten Jahren der Weimarer Re­ lage klarwerden können.' publik sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen. Das war einmal bedingt durch die ökonomischen Interessen 111 vgl. dazu: "Rapallo - gestern und heute" (Als ManUSkript gedruckt eines Teiles der deutschen Großbourgeoisie, der im "Rußland• Halle 1962. Gekürztes Protokoll der Tagung des Instituts tür Ge­ schiChte der Völker der UdSSR an der Martin-Luther-Universität geschäft" Profltmöglichkeiten witterte. Der Hauptexponent Halle, des Bezirksverbandes Halle und der Hochschulgruppe der dieser Richtung des deutschen Monopolkapitals war Dr. Wal­ Gesellscha!t für Deutsch-Sowjclische Freundschaft der Martin-Lu­ ter Rathenau, der als Außenminister der Weimarer Republik ther-Universität) 64 65 Der sog. ,Antibolschewistenfonds" floß nun durch alle mög• wirkt (!). H i e r f i n d e tUn t ern e h m e r t ums ein e lichen Kanäle in die Anfang 1919 einsetzende gewaltige anti­ h ö c h s t e Be w ä h run g. Diese Bewährung . . erhärtete bolschewistische Bewegung: ,Generalsekretariat zum Studium sich besonders in der Zeit des ,Interregnums' zwischen 1919 und zur Bekämpfung des Bolschewismus', ,Antibols~hewistische und 1933, als Deutschland entwaffnet darniederlag .. . Liga', ,Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus', ,Bür• gerratsbewegung', ,Werbebüros für die Freikorps', ,Selbst­ Es ist das (richtiger sollte es wohl heißen: der ... - G. 1.) schutzorganisationen', Studentenarbeitsstellen. Bis in die Kas­ große Verdienst der gesamten deutschen Wehr­ sen der aktiven Truppen, ja bis in die Kassen der Sozialdemo­ wirtschaft, daß sie in diesen schlimmen kratischen Partei (!) hinein. Sofern die betreffende Gruppe Jahren nicht untätig gewesen ist, mochte ,antibolschewistisch' wirken wollte, mit w eIe h e n Mit­ auch aus einleuchtenden Gründen ihre Tä• tel n aue h im m er. durfte sie auf Unterstützung aus tigkeit dem Lichte der Öffentlichkeit ent­ dem Fonds rechnen." 112 zogen sein. In jahrelanger stiller Arbeit wurden die wissenschaftlichen und sach­ Das Beispiel Dr. Rathenaus zeigt, daß das deutsche Monopol­ lichen Voraussetzungen geschaffen, um zur kapital jedoch nicht einmal vor seinen eigenen Klassengenos­ gegebenen Stunde ohne Zeit- und Erfah­ sen haltmachte, sofern diese einmal wider den Stachel zu lök• rungsverlust wieder zur Arbeit für die ken wagten, wobei hier noch ein weiterer Faktor wirksam d e u t s ehe Weh r mac h t b e r e i t zu s t ehe n. wurde, der in immer stärkerem Maße das Gesicht a11 dieser ... Nur durch diese verschwiegene Tätigkeit deutschen Un­ sogenannten "völkischen" und "nationalen" Verbände, Ver­ ternehmertums, aber auch auf Grund der Erfahrungen, die einigungen und Organisationen prägte: der Antisemitismus. mittlerweile durch Erzeugung von Friedensprodukten gewon­ wonnen wurden, konnte nach 1933 u n mit te l bar der Noch flossen die von den deutschen Monopolkapitalisten zur Anschluß an die neuen Aufgaben der Wie­ Bekämpfung der von ihnen klar erkannten "kommunistischen derwehrhaftmachung erreicht ... werden . . . Gefahr" den verschiedensten Organisationen zu. Doch erkann­ Es war notwendig, neue Rohmaterialien zu erschließen und zu ten bereits damals einige von ihnen, wie Kirdorf und Thyssen, experimentieren, Geldmittel zu investieren, um Deutschlands daß in der NSDAP das Instrument für ihre offene Diktatur Volkswirtschaft unabhängig und stark, mit einem Worte um entstand. Je mehr diese sogenannte "Arbeiterpartei" in die ihr sie kriegsstark zu machen." m (Hervorhebungen vom Vi.) , zugedachte Rolle hineinwuchs, um so stärker konzentrierte Diesem Ziel - Militarisierung der Volkswirtschaft zur Vor­ sich die Aufmerl{samkeit der deutschen Imperialisten beson­ bereitung eines neuen Aggressionskrieges ...:.. steuerte der ders auch in der Gestalt finanzieller Zuwendungen auf diese deutsche Imperialismus auch in der Weimarer Republik, die Partei, um so offener traten sie auch mit ihren ·aggressiven heute in Westdeutschland in so hohen Tönen als die "vollkom­ Absichten hervor. mendste Demokratie" gepriesen wird, zu. Welche Zielrichtung Nachdem mit dem Vertrag von Locarno die Politik von Ra­ diesem Angriffskrieg gegeben werden sollte, darüber bestand pallo endgültig aufgegeben war, wurde die Aufrüstung Deutsch­ in den monopolkapitalistischen Kreisen volle Einmütigkeit, lands immer unverhüllter vorangetrieben. Während die KPD und Hitler hatte es laut und deutlich verkündet: den Kampf gegen das Versailler Friedensdiktat, für die natio­ "Wollte man in Europa Grund und Boden, nalen Lebensinteressen des deutschen Volkes führte, wurde dann konnte dies im großen und ganzen nur von den Wortführern der deutschen Imperialisten die Forde­ aufKostenRußlands geschehen, dann mußte rung nach einer Revision von Versailles vorwiegend im Hin­ sich das neue Reich wieder auf der Straße blick auf die Rüstungsbeschränkung erhoben} die die deut­ der einstigen Ordensritter in Marsch set ­ zen, um mit dem deutschen Schwert dem schen Konzernherren allerdings nie daran gehindert hatten, deutschen Pflug die Scholle, der Nation insgeheim schon immer für die Wiederaufrüstung zu sorgen. aber das tägliche Brot zu geben ..."114 Lassen wir hierzu den prominentesten "Wehrwirtschafts­ führer" des "Dritten Reiches", Gustav von Krupp und Bohlen­ Da war sie wieder - die einst vom Alldeutschen Verband Halbach, selbst Zeugnis ablegen. Im Nürnberger Kt,jegsverbre­ aufgebrachte These vom "deutschen ", den sich das cherprozeß verlas der Ankläger der Vereinigten Staaten, Mr. deutsche Volk im Osten und in übersee suchen müsse, frisch aufpoliert und mit einer neuen ideologischen Verbrämung ver­ Thomas J. Dodd, folgende bezeichnende Passagen aus dem Ent­ sehen: dem Antilwmmunismus. Hatten es doch die Völker des wurf eines Vortrags Krupps im Januar 1944 in der Berliner Zarenreiches gewagt, die Lehre des Marxismus in die Praxis· Universität: umzusetzen und sich von der Ausbeutung durch den in- und "Kriegsmaterial ist lebensparend (!) für das eigene Volk, und ausländischen Imperialismus zu befreien! Und dieses Beispiel stolz darf sein, wer auch immer in dieser Sphäre werkt und wirkte anfeuernd auf die Arbeiterklasse der anderen imperia-

112 E. Stadtler. Als AntibolsChewist 1918/19, Düsseldorf 1935, S. 46/49, zU. 113 "Der Nürnberger Prozeß", Bd. II, Berlin 1957, S. 32/33 naCh: Paterna, Das historisChe Recht auf Führung der Nation ... 114 ebenda, S. 39 66 67 listischen Staaten, in ganz besonderem Maße aber in Deutsch­ mit glaubten sie endlich auf dem richtigen Wege zu sein, um land, wo diese doppelte Ausbeutung durch den deutschen und nunmehr ihr Weltmachtstreben erfolgreich durchsetzen zu amerikanischen Imperialismus sich am stärl{sten auf die Ar­ können; um so mehr als Hitler von Anfang an die Hoffnungen beiterklasse auswirkte. und Wünsche seiner Hintermänner und Auftraggeber nicht Es war auch nicht mehr die ·so gefügige SPD-Führung, die enttäuschte, die Arbeiterklasse und das deutsche Volk der sich den Imperialisten als "Vertreterin der Arbeiterinteressen" kümmerlichen Reste ihrer demokratischen Errungenschaften präsentierte und mit der die Monopolherren so verständnis• beraubte und sofort nach seiner "Machtübernahme" mit den voll und leicht paktieren konnten. Vielmehr war der deutschen Kriegsvorbereitungen begann. Arbeiterklasse in der KPD endlich die Partei erwachsen, die Es ist eine lange Liste von Verbrechen gegen die Menschlich­ in ihrem "Programm zur nationalen und sozialen Befreiung keit, gegen Völkerrecht und Völkerfrieden und von Vertrags­ des deutschen Volkes" den richtigen Weg wies und deren un­ brüchen, die die Akten des Nürnberger Kriegsverbrecherpro­ ermüdlicher Kampf für die echten nationalen Lebensinteres­ zesses enthüllen - Verbrechen, begangen von Beauftrag­ sen des deutschen Volkes eine· magnetische Anziehungskraft ten der deutschen Monopole "im Namen des deutschen Vol­ auf die deutschen Arbeiter ausübte. Die gesamtnationale Krise kes", verübt von den gleichen Männern, die heute in West­ und die dadurch herangereifte revolutionäre Situation in deutschland noch immer über das Geschick eines Teiles der Deutschland machten immer deutlicher, daß d,ie "herrschende deutschen Nation bestimmen. Mit dem Terror nach innen - Klasse nicht mehr mit den bisherigen Mitteln regieren konnte gegen alle demokratischen Kräfte, auch aus den Kreisen des und deshalb zu den Mitteln des Terrors und der Gewalt Bürgertums - begann es, mit der Aggression und dem über• griff". fall auf friedliche Völker endete es - genau nach dem Rezept Die deutschen Imperialisten hatten weit früher als große der deutschen Imperialisten. Die Lüge von der kommunisti­ Teile des deutschen Volkes, besonders des Kleinbürgertums, schen Brandstiftung im Reichstagsgebäude lieferte den Vor­ den arbeiterfeindlichen Charakter der NSDAP erkannt und wand für die Unterdrückungs- und Terrormaßnahmen gegen deshalb bereits in der "Harzburger Front" mit ihr ein enges die fortschrittlichsten Kräfte der deutschen Arbeiterklasse; das Bündnis geschlossen, das alle reaktionären und antinationalen Märchen vom polnischen überfall auf den Sender Gleiwitz Kräfte in Deutschland vereinte. Sie sahen immer klarer, daß war der Auftakt zum Inferno des zweiten vom deutschen Im­ auch die verschleierte Notstandsdiktatur der Regierungen Brü• perialismus entfesselten Weltkriegs! ning und Papen, ja selbst der falsche nationale Nimbus des "greisen Generalfeldmarschalls von Hindenburgff den Zusam­ Die dazwischenliegenden Jahre sind ausgefüllt mit Maßnah• menbruch ihrer Herrschaft nicht mehr aufhalten konnte und men, die alle nur einem Ziele dienten: dem deutschen Impe­ daß ihre Weltherrschaftspläne endgültig zum Scheitern ver­ rialismus endlich die gewaltsame Neuaufteilung der Welt zu urteilt waren, wenn es ihnen nicht gelang, die Arbeiterklasse ermöglichen, wobei allerdings nie versäumt wurde, als Be­ in Deutschland und vor allem die KPD auszuschalten. Der Ab­ gleitmusik die Friedensschalmei zu blasen! Die gesamte Volks­ bau der sogenannten Weimarer "Demokratie" allein genügte wirtschaft, der Staatsapparat, Kunst und Wissenschaft - so­ nicht mehr; jetzt mußte an ihre Stelle, mit der sie ihre Dik­ weit bei der ausgesprochen kulturfeindlichen Tendenz des Fa­ tatur getarnt hatten, die offene terroristische Diktatur der ag­ schismus davon überhaupt die Rede sein konnte - wurden gressivsten Kreise der deutschen Monopolbourgeoisie treten. "gleichgeschaltet" und in einem bisher ungekannten Ausmaße in den Dienst der Monopolinteressen, des deutschen Imperia­ Das erschien ihnen um so nonvendiger, als die Warnung Thäl• lismus und Militarismus gestellt. manns "Hitler - das ist der Krieg!" immer breitere Kreise der Arbeiterklasse zum Nachdenken und damit auf die richtige Die "Neuordnung Europas", wie der faschistische terminus Seite führte - ein Prozeß, der anläßlich der letzten Reichs­ technicus für die deutschen Weltherrschaftspläne lautete, wurde tagswahl 1932 zu einem beträchtlichen Stimmenverlust der vorbereitet durch die "Wiederwehrhaftmacl{ung des deutschen NSDAP und zu einem ebenso beträchtlichen Anwachsen der Volkes,j und eingeleitet mit der Annexion Österreichs, nach­ für die KPD abgegebenen Stimmen führte. Hier war Gefahr dem dort dw·ch die Fünfte Kolonne der NSDAP der Boden ge­ für die Imperialisten im Verzuge, und so beeilten sie sich, Hit­ nügend vorbereitet schien. Damit wurden die Träume der ler und seine Partei als Sachwalter ihrer Interessen schleu­ deutschen Imperialisten aus der Zeit vor dem ersten Welt­ nigst in den Sattel zu heben, da sie nach der bereits im Düssel• krieg, die immerhin "nur" auf einen engen wirtschaftlichen dorfer Industrieklub vor den führenden Vertretern der deut­ Anschluß - allerdings des gesamten österreich-ungarischen schen Großbourgeoisie erfolgten Darlegung des wahren Cha­ Staatsgebietes - hinausgelaufen waren, in einem weitaus grö• rakters seines demagogisch aufgezogenen Programms sicher ßeren Umfange Wirklichkeit, vor allem, als trotz der heuch­ sein konnten, daß er das Pferd sowohl innen- wie außenpoli­ lerischen Erklärung Hitlers, Deutschland habe nach dem "An­ tisch in die von ihnen geforderte Richtung lenken würde. Da- schluß" Österreichs keine territorialen Forderungen mehr in 68 69 Europa, das gleiche Manöver mit der kalten Annexion der CSR österreichischen DAG-Firmen in der Weise durchzuführen, erfolgreich durchgeführt wurde. daß die JG dabei eine Majorität von 75 % (gegebenenfalls von 510fn mit einer Option auf die restlichen 24 % ) erhält ..."UIi Wer die Hauptinteressenten an dem völkerrechtswidrigen (Hervorhebung vom Vi.) überfall auf österreich waren, geht aus zwei Protokollen her­ vor. Am 17. März 1937 versammelten sich bei Göring eine An­ Da im allgemeinen kapitalistische Geschäftsabschlüsse mit zahl führender Eisenindustrieller, dar.unter Paul Goerens und gewissen Spesen verbunden sind, "spendeten" die IG Farben Hans Günther Sohl als Vertreter von Krupp, Ernst Poensgen, für ihr Geschäft mit dem Tode in elf Jahren des "Tausend­ Albert Vögler und Hermann Wenzel von den Vereinigten jährigen Reiches" die Kleinigkeit von 84 Millionen Mark, in Stahlwerken (von denen Vögler und Wenzel außerdem noch denen die "Spenden" der ebenfalls zum IG-Konzern gehörigen einige andere Konzerne der Schwerindustrie vertraten), Her­ Leunawerke, Buna-Werke und Kalle & Co. nicht mit einbe­ mann Rohne von der Ilseder Hütte in Peine, Hermann Röch• griffen sind. Kaum jemals dürfte freilich eine "Kapitalanlage" ling von den Röchlingsdlen Stahlwerken in Völklingen/Saar. für ein Monopol gewinnbringender gewesen sein als diese In dieser Sitzung führte Göring unter anderem aus: "Spenden", mit denen sie Hitlers Kriegsvorbereitungen unter­ "Auch in Österreich lägen noch viele Vorkommen (an Erzen), stützten. Damit sicherten sie sich niebt nur Millionenproftte an die man herankommen müsse .. . Es sei wichtig, daß der durch die Lieferung der Vernichtungsmittel für die Konzen­ Boden Österreichs im Kriege zu Deutschland rechne ... Man trationslager und die unbeschränkte Ausbeutung der Häftlinge stehe jetzt in den entscheidenden Jahren der Vorbereitung (des bis zu deren physischer Vernichtung, sondern "erwarben" auch zweiten Weltkrieges) . .. Er habe das Bild, daß sich für ein die Verfügungsgewalt über die gesamte chemische Industrie von der Welt abgeschnittenes Deutschland die Versorgungs­ in den "besetzten Gebieten'l . möglichkeiten durch Österreich erheblich verbessern ließen ... In der Aussprache lobte Vögler (Vereinigte Stahlwerke) die "Glaube nicht, daß Hitler alles kann ohne Krieg!" warnte österreichischen Erze über alle Maßen und erklärte, ... im A­ das Zentralkomitee der KPD in einem Aufruf von Anfang Ok­ Falle (d h. Kriegsfalle) könne man mit 6 Millionen Tonnen tober 1938 das deutsche Volk. Es sollte kein volles Jahr mehr aus Österreich jährlich rechnen. vergehen, bis diese Voraussage, ebenso wie die Warnung Ernst Göring schloß die Beratung mit den Worten: Thälmanns: "Hitler - das ist der Krieg!", zur furchtbaren Er habe heute einen sehr glücklichen Eindruck von den Ver­ 'Wahrheit für das deutsche Volk wurde. Mit seinem überfall handlungen und (sehe), ... daß er die Mitarbeit der Industrie auf Polen entfesselte der deutsche Imperialismus den zweiten in dem für Deutschland notwendigen Ausmaße besitze." Weltkrieg zur Durchsetzung seiner Weltherrschaftspläne als (Nach den Akten des Internationalen Militärgerichtshofes in Fortsetzung seiner Eroberungspolitik vor 1914. Auch die T at­ Nürnberg, Dok. NI'. NJ-090)H5 sache, daß die Regierungen der übrigen imperialistischen Groß• mächte ebenfalls ein gerütteltes Maß an Schuld tragen, da sie Am gleichen Tage beschäftigte sich auch die Direktion d er in ihrem antikommunistischen Wahn die Augen vor der wirk­ IG Farben mit den "erfreulichen" Folgen, die sich für sie aus lichen Gefahr des deutschen Imperialismus verschlossen und der Annexion Österreichs ergeben sollten: alle Vorschläge der Sowjetunion auf Errichtung eines Systems "Laut Protokoll führte das Vorstandsmitglied Dr. Ilgner aus: der kollektiven Sicherheit ablehnten, kann die Hauptverant­ Soweit Beteiligungspläne der 1G in Österreich bestehen, ist wortlichkeit des deutschen Imperialismus für diese weltweite dazu zu bemerken, daß die 1G bereits seit Jahren Katastrophe nicht mindern. bemüht ist, den Anschluß wirtschaftlich durch Zusammenarbeit und Einflußnahme Mit Milliardenwerten vernichteter materieller Güter, mit auf Öst erreichs chemische Industrie zu un­ Millionen Toten mußte die Welt es bezahlen, daß das deutsche termau ern . . . Herr Dr. 1lgner ist der An­ Volk sich nicht aus eigener Kraft von seinen eigenen und der sicht, daß es unlogisch wäre, wenn wir die gesamten Welt Verderbern, den deutschen Imperialisten, be­ seit 2 Jahren im Hinblick auf künftig en freit hatte, obwohl die KPD als Vortrupp der deutschen Ar­ Anschluß geführten V erha ndlungen j etzt, wo der Anschluß Wirklichkeit geworden beiterklasse nicht müde geworden war, nicht nur in platoni­ ist, plötzlich aufgeben würden . .. schen Warnungen die Gefahr aufzuzeigen, sondern im helden­ Die Aussprache wendet sich daraufhin der Frage zu welches haften Widerstandskampf selbst die schwersten Opfer zu brin­ Ziel sich die 1G für die weiteren Verhandlungen in Osterreich gen und so ein Beispiel zu geben - aus tiefer Liebe zu unserem stellen muß. Die Aussprache ergibt übereinstimmung darüber, Volke lind seinen echten humanistischen Traditionen, die vom daß das Ziel der 1G sein müsse, die bisher schon in Aussicht deutschen Imperialismus in so schmählicher Weise seit Jahr­ genommene Fusion von SWW (Skoda-Werke Wetzlar) mit den zehnten mißbraucht und verraten worden waren.

115 zit. nach: Felix Romanik, österreich, H133-45. phil. Diss .. Wien 1!l52, S. 216-235, bei: Paterna, Das historische Recht ..., S. 130 116 zit. ebenda, S. 131

70 71 5. .,Europäische Integration" und Abendlal1d~Ideologie - Aus­ tete, und die unreale Einschätzung des Kräfteverhältnisses die druck des Weltherrschaftsstrebens der westdeutschen Monopole antagonistischen Widerprüche zwischen seinem Willen' zur Weltherrschaft und den politisch-moralischen ökonomischen "Nach der Katastrophe zweier Weltkriege hat es die Ge­ und militä~ische~ Potenzen, die ihm zur Ve~irklichung die­ schichte unwiderlegbar bestätigt, daß eine Politik der imperia­ ser expanSIven ZIele zur Verfügung standen. listischen Aggression Deutschland nur in sein Unglück führt ~ie natio~.ale Katastrophe, in die der zweite Weltkrieg ein­ und führen kann und daß die einseitige Bindung Deutschlands m~ndete, .ero~ete dennoch dem deutschen Volke die Möglich­ an die imperialistischen Westmächte den nationalen Interessen keIt, endhch dIe Lehren aus den letzten hundert Jahren seiner des deutschen Volkes entgegensteht. Geschichte zu ziehen, die verderblichen Traditionen über Bord In dem historisch kurzen Zeitraum von 1871 bis 1945 hat die zu werfen und sich der Todfeinde seiner nationalen Existenz deutsche Großbourgeoisie schlüssig bewiesen, daß i h T e der deuts~en Mi~~taristen und ihrer imperialistischen Antrei~ Herrschaft über Deutschland unvereinbar ber und Hmtermanner, zu entledigen. Es C1ab nach der Zer­ ist mit den Interessen, mit der Existenz, schlagung der faschistischen Diktatur in Dganz Deutschland mit der Einheit und dem Glück des deut­ ein e Kraft, die willens und in der Lage war diese große s c h e 11. V 0 1 k e s. " Chance zur nationalen Wiedergeburt Deutschla~ds als fried­ (Nationales Programm) liebender demokratischer Staat zu nützen: die deutsche Ar­ • beiterklas~e. :Sie war 7's, die nach überWindung der unseligen Spa:t':ln? m Ih~e~ ~eIhen unteI: der Führung einer geeinten Der deutsche Imperialismus hatte auch in dem zweiten von mal?Cl~tlsch-lemmstlschen ParteI und mit Unterstützung der ihm entfesselten Weltkrieg eine Niederlage hinnehmen müs• sowJetlschen Besatzungsmacht, im Bündnis mit allen anti­ sen, die in noch höherem Maße als im ersten Weltkrieg Aus­ faschistisch-demokratischen Kräften, in einem Teil Deutsch­ druck einer historischen Gesetzmäßigkeit war. Zweimal be­ lands die volksdemokratische Revolution durchführte. In Ost­ reits wirlde sich die Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen deutSchland wurden Faschismus und Militarismus restlos be­ Entwicklung, die der Imperialismus leugnet, gegen ihn aus, seitigt und den imperialistischen Kriegsverbrechern durch die und doch gelüstet es die deutschen Monopolkapitalisten nach politische und ökonomische Entmachtung ein für allemal das einem dritten Versuch, für den sie sich durch ihre Verbindung Heft aus der Hand genommen. mit den imperialistischen Westmächten bessere Chancen er­ I~ Westdeutschland waren für einen Neubeginn objektiv die rechnen. glel~en Voraus~etzungen gegeben. Auch hier drängten weite Sie wollen es nicht wahrhaben, daß die Niederlagen des ~relse der ArbeIterklasse auf eine überwindung der Spaltung, deutschen Imperialismus ihre Ursachen nicht in irgendwelchen dIe 19~3 ~asZurm.achtkommendesFaschismus begünstigt hatte Zufälligkeiten hatten, die sich der Berechnung und Planung u~? d~e 1m ge1'!1e~nsame? Widerstandsltampf gegen die über• entzogen, daß das deutsche Heer 1918 nicht "dem Dolchstoß der machtlge faschIstIsche DIktatur in vielen Fällen bereits über• Heimat in den Rücken der kämpfenden Front" erlag, wie dies wunden worden war. Während jedoch in Ostdeutschland die vor allem die faschistische Propaganda demagogisch verbrei­ sozialis~.ische Besatzungsmacht die Bemühungen der Arbeiter tete, und daß die Sowjetunion ihren Sieg im zweiten Weltkrieg un~erstützte, legten die imperialistischen Siegermächte in der nicht einem imaginären "General Winter" zu verdanken hatte. Tn-Zone gegen alle auf eine Vereinigung der beiden Arbeiter­ Der deutsche Imperialismus verlor beide Male das Spiel, "weil parteien abzielenden Bestrebungen ihr Veto ein. Wieder fan­ er die reaktionärsten, überlebtesten gesellschaftlichen Kräfte den sie hierbei in der rechten SPD-Führung einen Verbünde• verl{örperte, weil seine Kriegsziele die räuberischsten von ten, da diese eine Stillhaltepolitik betrieb durch die sie die allen waren, weil er den ungerechtesten Krieg führte und weil vom amerikanischen MonopOlkapital Schritt für Schritt VOl'an­ er es war, der als Hauptstoßkraft des Weltimperialismus gegen ge.~riebene R~staurierung des deutschen Imperialismus unter­ die Sowjetrnacht handelte". So analysierte Waltel' Ulbricht die stutzte. D.abel handelte es sich auf bei den Seiten allerdings erste der objektiven Gesetzmäßigkeiten, die in beiden Welt­ nur um dIe konsequente Fortsetzung einer Politik die sie be­ kriegen die Niederlage des deutschen Imperialismus unver­ reits in der Weimarer Republik und der faschistischen Dik­ meidlich machten. tatur betrieben hatten und die auf dem gleichen Boden wur­ Aus diesem durch die historischen Besonderheiten seiner zelte: dem Antikommunismus. Entwicklung bedingten Charakter des deutschen Imperialis­ "In ~e~ Nove'!"'berrevolution diente die Haltung, die die mus lassen sich unschwer die beiden weiteren Gesetzmäßig­ reform1stIsche Fuhrung der Mehrheitssozialisten einnahm ob­ keiten ableiten, die Walter Ulbricht aufführt: seine menschen­ jektiv der Rettung der Imperialisten und Militaristen und'ver­ feindlichen Ziele, um derentwillen er den Völkern der Welt, hütete sogar die Vollendung der bürgerlich-demokratischen das deutsche Volk eingeschlossen, unermeßliches Leid berei- Revolution",

72 73 erklärte Friedrich Ebert auf der 2. Tagung des Zentralkomitees 1914 nach den "pflichtgemäßen Demonstrationen für den Frie­ der SED. 1934 schien selbst der SPD-Führung im Prager Exil den" auf die Linie der imperialistischen Kriegspolitik ein­ diese Erkenntnis zu dämmern, als sie in dem sogenannten schwenkte und den "Burgfrieden" proklamierte, akzeptiert sie Manifest von Prag zu,gab: h.e~te nach ebenso "pflichtgemäß" vorgebrachten scheinoppo­ sltlonellen Argumenten die volksfeindliche Politik der mono­ "Die Sozialdemokratie als einzig intakt gebliebene, organi­ polhörigen Regierungspartei. Ihr Bekenntnis zur NATO zur sierte Macht übernahm ohne Widerstand die Staatsführung, in die sie sich von vornherein mi t den bürger• EWG und zur Abendland-Ideologie stempelt sie zur Vertrete­ lich e n Par te ien , mit der alten Bürokratie , rin der imperialistischen Interessen und trennt sie von der ja mit dem reorganisiert e n mili t äri s ch e n Masse ihrer Mitglieder, die ihre Forderungen nach dem Ver­ Apparat teilte. Daß sie den alt e n Staats ­ zicht auf die atomare Ausrüstung der Bundeswehr nach Lö• a pparat fa s t unverändert übernahm, wa r sung der strittigen internationalen Probleme durch' Verhand­ der s chw e rste historische Fehler."111 lungen und nach ~bwehr der Angriffe auf die in derVertassung der Bundesrepubhk vera nkerten demokratischen Grundrechte Selbst die Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterklasse der Bevölkerung auf zahlreichen Kongressen und Tagungen wurde damals von ihr erkannt: zum Ausdruck brachten. "Der Kampf zum Sturz der Diktatur kann nicht anders als Die SPD pflegt ihre Abkehr vom Marxismus und ihre Wand­ revolutionär geführt werden ... Die Ein i gun g der A r - beiterkla s se wird zum Zwang, den die Ge­ lI~ng v~n der revolutionären Arbeiterpartei, die sie bis zu Be­ s chichte selbst auferlegt."lM gmn dIeses Jahrhunderts trotz der revisionistischen Ansätze noch war, zur kleinbürgerlichen Reformpartei damit zu begrün• Allerdings verliert diese Selbsterkenntnis an Wert, wenn den, daß sich auch der Kapitalismus gewandelt habe. Was die man sie mit dem "Deutschlandbericht'der SOPADE", also der Form anbelangt, trifft diese Behauptung insofern zu als zu der gleichen SPD-Führung, vom September 1937 vergleicht: Zeit, als Marx und Engels im "Kommunistischen' Manifest U die Bourgeoisie entlarvten und Marx im "Kapital" den Kapi­ " . . . Die Nazipropaganda nutzt den Bolschewistenschreck talismus der freien Konkurrenz darstellte und analysierte die sehr geschickt dadurch aus, daß sie jede oppositionelle Regung als Bolschewismus hinstellt. In der gleichen Richtung aber Ausbeutung unverhüllter und die absolute und relative Ver­ wirken vor allem die Kommunisten selbst ... als abschrek­ elendung der Arbeiterklasse offensichtlicher war als das heute kendes Beispiel. W e n n wir , wa s un s e r es i t t 1 ich e in den imperialistischen Ländern der Fall ist. Wo'aber sind An­ und politi s che Pflicht i s t , imm e r wi e d e r zeichen dafür zu erkennen, daß der Kapitalismus im Stadium geg e n die Kommuni s ten den Trennung s ­ de:s Imperialismus seinen allgemeinen Charakter, wie ihn be­ stri c h (!) zieh e n und das auch d e m Bürger• reIts Marx erkannt und enthüllt hatte, soweit geändert habe tum b eg r e ifli c h machen , d a nn s t ä rk e n wir daß di~ Arbeiterldasse die Positionen des K 1 ass e n kam p ~ di e bür g erliche Opposition geg e n Hitler." us fes mlt denen der K la s sen h arm 0 nie vertauschen kön• (Hervorhebungen vom Vf.) ne? Zwingt nicht gerade die Verschärfung der Widersprüche Das schrieb die exilierte SPD-Führung zwei Jahre nach der im Imperialismus die Arbeiterklasse als die berufene Vertre­ Brüsseler Parteikonferenz der KPD, auf der diese zum Zu­ terin der nationalen Interessen des gesamten Volkes zu einer sammenschluß aller antifaschistisch-demokratischen Kl'äfte Ve I' s t ä r k u n g des Kampfes gegen die Todfeinde der Nation unter Zurückstellung aller sonstigen trennenden Faktoren auf­ - gegen die gleichen Kräfte, die heute mit den alten Methoden unter neuen Parolen die nie aufgegebenen Ziele zu erreichen gerufen hatte! suchen? Das "Schuldbekenntnis" von Prag wird aber vollends zur Farce angesichts des von der rechten SPD-Führu,ng nach 1945 Was im kaiserlichen Deutschland das Streben nach dem Platz an der S~mne" war, was HitleI' als die "Neuordnung Eu;:opas" eingeschlagenen Weges, der selbst reformistische Partei- und proklmruerte, das firmiert heute als abendländische Kultur­ Gewerkschaftsfunktionäre Westdeutschlands zur direkten oder und Schicksalsgemeinschaft", als "Eu;opäische Wirtschaftsge­ indirekten Bestätigung der von Walter Ulbricht und anderen meinschaft" - in der unschwer das Wiederaufleben der Mit­ führenden P olitikern der DDR festgestellten Tatsache zwingt, teleuropa-Pläne" Rathenaus, Naumanns und Bethmann-'Holl­ daß die Politik der SPD keine Alternative zur Politik der wegs festzustellen ist -, als IIWesteuropäische Union" USW. Was Adenauer-CDU bietet. Ebenso wie die rechte SPD-Führung aber ~~rgt sich hinter ~~esen vor allem für manche Angehörige des Burgerturns so schon und verlockend klingenden Bezeich­ 117 Friedrich Ebe rt a uf d er 2. Tagung des ZK d er SED (zlt . nach: ,.Neues nungen? - Betrachten wir uns einmal die prozentuale Steige­ Deuts chland", Nr. 114 vom 26.4. 63, S. 3) rung des Anteils der einzelnen EWG-Länder an der Industrie­ 118 zit . nadl: P alerna, a. a. 0., S.129 produktion nach dem Stand von 1961: 74 75 Autos Stahl Elektro- Export Deutlicher konnten die Hintergründe dieses "Freundschafts­ energie vertrages" allerdings nicht aufgehellt werden; denn hier spricht unverblümtester Revanchismus, der ja in Westdeutschland Westdeutschland 517 0/ 0 467 0/ 0 427 0/ 0 397% einer der Hauptbestandteile des Antikommunismus ist. Mit 227 0/ Frankreich 327 0/ 0 247 0/ 0 267% 0 gleicher Deutlichkeit kommentiert die Hamburger "Welt" am Benelux-Länder 187 0/ 0 127 0/ 0 267% 0 6. Februar 1963 diese Pläne: "In Kleineuropa ist kein Platz Italien 177 0/ 0 127% 207 0/ 0 137 / 6 für ein wiedervereinigtes Deutschland" (zit. nach "Neues Deutschland" v.14. 2.1963, S. 5). Wer allerdings in dieser "bürger• Kann es ein besseres Beispiel für die Wirksamkeit des ob­ lichen Zweckehe" des deutschen und des französischen Imperia­ jektiven ökonomischen Gesetzes der ungleichmä~igen E~twid;:­ lismus die erste Geige spielen wird, unterliegt kaum einem Jung der kapitalistischen Länder geben? Der In zwe~ Welt­ Zweifel. Dank der Unterstützung durch das amerikanische Mo­ kriegen geschlagene deutsche Imperialismus h~t mit Hl.l~e d~s nopolkapital, einer "auf der Wirksamkeit einiger zeitweiliger amerikanischen Monopolkapitals seine ökonomIsche POSltIon 111 Faktoren der Wirtschaftsentwicklung" beruhenden Nachkriegs­ Westeuropa nicht nur wieder gefestigt, sondern auf Kosten konjunktur bei verschärfter, wenn auch verschleierter Ausbeu­ seiner imperialistischen Konkurrenten noch erweitert. Das be­ tung der Arbeiterklassellil, konnte der westdeutsche Imperia­ deutet Milliardengewinne für die Konzerne, die sich ausdrük• lismus seine durch den zweiten Weltkrieg angeschlagene Position ken in den Dividendensätzen; das bedeutet verschärfte Aus­ so weit festigen, daß er trotz Konjunkturrückgangs sich in beutung, Arbeitshetze und erhöhte Unfallziffer~ für ~!e Ar­ Westeuropa eine beherrschende Stellung sichern konnte. - Mit beiterklasse; das bedeutet Verschärfung der WIderspruche - Recht stellt deshalb das Programm der Sozialistischen Einheits­ einmal zwischen den einzelnen Monopolen und Monopolver­ partei Deutschlands, das auf dem VI. Parteitag einstimmig be­ bänden zum anderen zwischen den EWG-Partnern unter­ schlossen wurde, in seinem ersten Teil fest: einand~r, schließlich zwischen einzelnen EWG-Staaten und ihrem amerikanischen Protektor. "Die EWG und andere internationale staatsmonopolistische Organisationen sind zur Haupt/orm der imperialistischen Aus­ Der Kampf um den Beitritt Englands zur EWG hat wieder einander setzung um die Aufteilung des kapitalistischen Welt­ einmal mehr als deutlich gezeigt, daß die vielgerühmte klein­ marktes und andere Einjtußsphären unter die Monopole ge­ "Europäische Gemeinschaft" ihre Grenzen fi~.det im Ko~kur­ worden, da ein Krieg zwischen den führenden imperialistischen renzkampf zwischen Monopolen, Monopolverbanden und Impe­ Mächten angesichts der Stärke des sozialistischen Wettsystems rialistischen Staaten als den Sachwaltern der Monopolinter­ und aller Friedenskräfte in der Welt die Existenz des Imperia­ essen. Nur ein e Gemeinsamkeit gibt es unter diesen "Patent­ lismus überhaupt in Frage stelZen würde. Zll.gleich sind die Europäern", mit der sie vorläufig noch die zwischen ihnen imperialistischen Mächte be~trebt, mit Hilfe dieser Organisa­ klaffenden Widersprüche verkleistern: das ist der wütende Haß tionen ihre neokoloniaZistische Politik durchzuführen und die gegen den Sozialismus, gegen das immer stärker werdende anderen kapitalistischen Staaten zu beherrschen. sozialistische Weltsystem, der Antikommunismus, den schon einer der großen bürgerlichen Humanisten, Thomas Mann, als In der EWG hat der westdeutsche I mperialismus einen ent­ die Grundtorheit unseres Jahrhunderts bezeichnete. scheidenden Einfl,uß erlangt. Die westdeutschen Monopole haben ihre Macht durch neue Formen der Kartelle, Kapitalverfl,ech- Der Antikommunismus ist der Vater aller modernen "euro­ päischen" Ideologen deren jüngster Ausdruck der zwischen 119 "Daily Herald" vom 16. 8. 54 (!) : "Westdeutschland zeigt die typische Adenauer und de Gaulle abgeschlossene westdeutsch-franzö• große Unausgeglichenheit zwischen ReiChtum und Armut in einer sische Vertrag ist. Diese Achse Bonn-Paris, die mit der Per­ GesellsChaft, die innerliCh ungesund ist. Das Geheimnis, das hinter spektive einer Verlängerung nach dem faschistischen Spanien dieser ,wunderbaren wiedergesundung' steht, lag in dem Wieder­ aufbau der Privatindustrie bei hohen Gewinnen und niedrigen Löh• geschaffen wurde, erinnert haargenau an eine andere "Achse", nen. Somit fiel die Hauptlast beim Wiederaufbau der deutschen In­ die mit dem Ziel einer deutschen sogenannten "Neuordnung dustrie auf das arbeitende Volk." Zur gleidlen Feststellung gelangte Europas'\ d. h. der Verwirklichung der Weltherrschaftspläne der bekannte bürgerl1Che westdeutsche Publizist Prof. Dr. Eugen Kogon in einem Vortrag über den Münchner Rundfunk am 13. Mai des deutschen Imperialismus, gebildet worden war. So soll auch 1963: .. Löhne und Gehälter stiegen zwar, aber sie hielten sich bis dieser Pakt der großsprecherisch als Abkommen zwischen dem zum Ende der SOer Jahre in Maßen, die der bundesdeutschen Indu­ deutschen ~nd dem französischen Volk deklariert wurde, wäh• strie im internationalen Vergleich einen klaren Kostenvorsprung gaben. Die Wirkung war doppelt glücklich: Die (west-)deutsChe In­ rend er in Wirklichkeit ein Bündnis der westdeutschen und dustrie konnte mit überaus vOl'teJlhntten Angeboten auf dem Welt­ der französischen Imperialisten ist, die Grundlage - wieder ein­ markt vorstoßen der ohnehin zu dieser Zeit in stürmischer Ausdeh­ mal! - "für ein Kontinentaleuropa (sein), das vom Atlantik bis nung b egriffen ~ar ... Und zweitens braChte die günstige Kosten­ lage der 50erJahre enorme Gewinne und eine lawinenartige Kapital­ zum Ural (!) reicht", wie es de Gaulle anläßlich der Unterzeich­ bildung ." (ZU. nach: Gutermuth, Konjunkturftaute-Rüstung-Maß• nung zum Ausdruck brachte. halten, in: "Neues DeutSChland" vom 24. 5. 63, S. 5)

76 77 • rungen usw. über Westdeutschland -hinaus ausgedehnt und längst überholte Begriff eines "christlichen Abendlandes" wurde beherrschen die Produktion und den Markt Westeuropas in aus der Mottenkiste der Geschichte geholt, um dem Antikom­ vielen Zweigen. Mit Hilfe der EWG und anderer internatio­ munismus einen neuen Anstrich zu geben. "Europäische Inte­ naler staatsmonopolistischer Organisationen ist der westdeut­ gration" heißt die "neue" Firma, unter der der westdeutsche sche Imperialismus bestrebt, seine ökonomische, politische und Imperialismus seineal tenWeltherrschaftspläne zu verwirklichen militärische Vorherrschaft in Westeuropa zu erweitern und sucht; im Grunde steckt nichts anderes dahinter als die - auf die anderen imperialistischen Länder in seine aggressive Poli­ die gegenwärtigen Ziele der Bonner Ultras zurechtgeschnei­ tik einzubeziehen. Die EWG ist die ökonomische Basis der derte - kosmopolitische "Paneuropa-Idee", wie sie bereits 1924 NATO in Westeuropa. Dadurch werden die Expansionsbestre­ von dem Grafen Coudenhove-Kalergi proklamiert wurde: bungen des westdeutschen Imperialismus begünstigt." 120 "Die ... Gefahr, der ein zersplittertes Europa entgegengeht, Nicht seinen Charakter hat der deutsche Imperialismus ge­ ist: die Eroberung durch Rußland. Vor dieser Gefahr gibt es ändert; er bedient sich lediglich einer neuen Maske. Allerdings nur eine Rettung: den europäischen Zusammenschluß."I23 ist durch seine Niederlage in zwei Weltkriegen seine Aggressi­ vität noch stärker geworden. Sie ist heute gefährlicher als je Es entspricht durchaus der "historischen Tradition" der rech­ durch sein Bestreben, die verlorenen Machtpositionen in der ten SPD-Führung in Westdeutschland, daß sie zu diesel' pro­ Deutschen Demokratischen Republik und in Osteuropa zurück• imperialistischen, antinationalen Konzeption Ja und Amen zuerobern. Dabei mutet es fast wie ein Treppenwitz der Welt­ sagt. So erklärte Willy Brandt am 27. November 1961 auf der geschichte an, wenn heute die gleichen Kreise, die vor 1914 sogenannten Klausurtagung der SPD: die Aussiedlung und Ausrottung ganzer Völker forderten 121, "Das Ja der SPD zur westlichen Gemeinschaft, zu einer akti­ sich heute der sog. "Landsmannschaften" bedienen, um den Re­ ven Europa-Politik . . . ist eine solide Basis für eine gemein­ vanchismus bis zu offenen Morddrohungen zu steigern, wie same Außenpolitik." 12-~ etwa die Vorgänge anläßlich des "Landsmannschaftstreffens der Schlesier" in Köln im Juni 1963 zeigten. Dabei ist Und im Grundsatzdokument des Pal'teivorstandes der SPD "Die Europapolitik der Sozialdemokratie" wurde bezeichnender­ .. nach der heillos kompromittierten ,Wtteleuropa'-Idee eines weise schon 1953 (!) erklärt, daß Friedrich Naumann im ersten Weltkriege und der berüchtigten ,Neuordnung Europas' durch Hitler im zweiten Weltkrieg der "die gesamteuropäische Integration das wesentliche Ziel . .. katholisch-restaurativen Abendlanclidee in der dritten Phase nationaler Politik (!) der europäischen Völker in der gegen­ der allgemeinen Krise des Kapitalismus die Aufgabe zugefal­ wärtigen Weltsituation (sei) . . . Die SPD hat sich bei der Re­ len, die aggtessiven Eroberungsziele des wiedererstandenen gierung Adenauer vergeblich um eine gemeinsame Politik von deutschen Imperialismus und Militarismus auf neue Art zu Regierung und Opposition in Fragen der ... europäischen Zu­ begründen und sie in Gestalt der ,Europäischen Integration' sammenarbeit bemüht. Sie wird sich für eine solche gemein­ der nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen weltpolitischen same Politik auch ... (in Zukunft - W. N.) mit Nachdruck Situation anzupassen. Die weitausholenden Exkurse der west­ einsetzen." 12:> deutschen Historiker und Publizisten in das christlich-abend­ ländische Mittelalter, in die griechisch-römische Antike, ja in Damit wird auch von seiten der rechten SPD-Führung offen die Vor- und Frühgeschichte haben im Grunde nichts anderes zugegeben, daß ihre Politik keine Alternative zur Politik der zum Ziel, als den sehr aktuellen revanchistischen Bestrebun­ Adenauer-CDU darstellt. Es ist besonders bemerkenswert, daß gen des deutschen Imperialismus die entsprechende historische dieses Eingeständnis zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Weihe und christliche Legitimation für einen Kreuzzug gegen SPD sich vor der öffentlichkeit noch oppositionell gab. Damit den ,bolschewistisch-atheistischen Osten' zu geben." 122 ist aber auch unwiderleglich bewiesen, wie richtig im Programm Die alte faschistische Ideologie, die im Zeichen des Haken­ des VI. Parteitages der SED die Lage in Westdeutschland wie­ kreuzes das deutsche Volk in die größte nationale Katastrophe derum eingeschätzt wurde: seiner neueren Geschichte geführt hatte, mußte nach dem Zu­ "Die imperialistische Großbourgeoisie kann - wie in der Ver­ sammenbruch durch eine neue ersetzt werden, und der deutsche gangenheit, so auch gegenwärtig - ihre antinationale, den Imperialismus scheute nicht davor zurüc1{, das Kreuz Christi Interessen der Arbeiterklasse und des ganzen Volkes wider­ für seine antinationale und der christlichen Lehre in jeder Be­ sprechende Politik nur durchführen, weil ihr rechte Führer ziehung hohnsprechende Politik zu mißbrauchen. Der historisch , 123 zit. nach: Börner, Rolf, Die Rolle des politisChen Klerikalismus bei 120 Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Sonder­ der .. Integration" Westcuropas, in: "Deutsche Außenpolitik", Son­ beHage zu "Neues DeutsChland" vom 25. 1. G3, S. 6) derheft 2/62 121 vgl. hierzu S. 45 124 zit. nach: Neubert, Wol!ram, SPD-Führung und "Integration Euro· 122 Stern, Leo, Die klerikal-imperialistische Abendlandideologie .•. , in: pas", ebenda, S . 135 Zeitschrl.ft für Geschichtswissenschaft 2/1962, S. 290 125 zitiert ebenda 78 79 •

der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften dabei Hilfestel­ Schlußbetrachtung lung leisten. Diese Führer unterstützen die aggressive N ATO­ Politik und machen sich die Argumente und Forderungen des Die Kraft, die in Westdeutschland allein in der Lage ist, die Revanchismus und Chauvinismus zu eigen. Ihre Ideologie ist berechtigten Forderungen der Werktätigen und aller friedlie­ der bLindwütige Antikommunismus, die Feindschaft gegen den benden Bürger der Bundesrepublik konsequent zu vertreten, Sozialismus, gegen die Ideen des Marxismus-Leninis1l'l:us. Sie ist die KPD als die revolutionäre Vorhut der westdeutschen haben sich auf die Seite der Bourgeoisie gesteHt und s~nd der Arbeiterklasse. Deshalb wurde sie dort ebenso verboten wie Arbeiterklasse entfremdet, an deren Kratt und geschichtliche vielfach in der Zeit der Weimarer Republik und dann während Aufgabe sie nicht gZauben. Die Politik und Ideologie. ~ieseT der faschistischen Diktatur. Aber die Welt hat sich weiter­ rechten Führer stellt eine vöLlige Abkehr von den Tradtttonen entwickelt. Hinter der in der Illegalität mutig und entschlossen und Zielsetzungen der deutschen Arbeiterbewegung dar, sie kämpfenden KPD steht die Kraft der geeinten Arbeiterklasse steht im Widerspruch zu den Erfordernissen unserer Zeit und in der Deutschen Demokratischen Republik, steht die Kraft des kann deshalb von den Mitgliedern der SozialdemolGratie und sozialistischen Weltsystems. der Gewerkschaften nicht gebilligt werden. Diese woHen Ab­ Das Kräfteverhältnis.hat sich grundlegend gewandelt. Gegen rüstung Frieden und Verständigung. Sie wenden sich immer die Weltherrschaftspläne des deutschen Imperialismus, die er stärker 'gegen die Herrschaft des Monopolkapitals und verlan­ in der Zeit seiner größten Machtentfaltung nicht durchzusetzen gen den Kampf für die sozialen und politischen Forderungen vermochte, stehen heute die sozialistischen Staaten auf der der Werktätigen."j2Q Wacht, die jungen antiimperialistischen Nationen Asiens und Afrikas, die nationale Befreiungsbewegung in Lateinamerika. * An dieser unüberwindlichen Macht werden die Weltherr­ Zusammengehalten durch die ideologische Klammer des sChaftspläne des deutschen Imperialismus ebenso scheitern wie Antikommunismus, entstand so nach dem zweiten Weltkrieg in der Vergangenheit, auch wenn die Herren vom westdeut­ das "europäische Bündnissystem"; innerhalb desselben er­ schen Finanzkapital aus ihren militärischen Niederlagen in gab sich zwei Weltkriegen keine andere Schlußfolgerung gezogen haben für den unter der direkten Förderung der USA und unter den als den Trugschluß: Äuspizien der NATO wiedererstandenen deutschen Imperialis­ "Wenn wir in einem kommenden Krieg ,auf der richtigen Seite mus . . . die Chance, als politisches Nahziel auf dem Umweg gegen den richtigen Feind' stehen und die USA anstatt gegen über verschiedene Teilintegrationen zur supranationalen To­ uns mit uns ins Feld ziehen, dann kann es nicht mehr fehl­ talintegration Europas zu gelangen, um so seine Hegemonie in gehen." 128 Europa ökonomisch, militärisch und politisch a~szubauen und zu sichern. Der militärstrategischeHintergrund dIeser von Bonn Aus dieser besonderen Gefahr, die der wiedererstarkte Im­ mit so verbissenem Eifer betriebenen ,Integration Europas' ist, perialismus in Westdeutschland darstellt, ergibt sich gerade wie die Neue Zürcher Zeitung' durchaus anerkennend fest­ auch für alle guten Deutschen in Ost und West die besonders stellt, ,atrl unauffälligerem und sozusagen moralisch einwa~d­ dringliche Aufgabe, dafür zu sorgen, daß endlich und für alle freiem Umweg über Europa lediglich eine Position der natIo­ Zeiten diese Gefahr gebannt wird. Nie wieder darf ein Teil nalen Stärke aufzubauen und damit eine neue deutsche Prä• ponderanz auf dem Kontinent anzustreben'. Als Fernziel glaubte Deutschlands zum Brandherd eines Weltkrieges werden, der und glaubt der deutsche Imperialismus dadurch die Chance in die Raub- und Profttgier einer verschwindenden Minderheit die Hand bekommen zu haben, in einem als unvermeidlich an­ des deutschen Volkes befriedigen soll. gesehenen Krieg zwischen den USA mit der Sowjetunion im Für uns als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik Schatten des USA-Imperialismus als die stärkste Militärmacht ist durch den VI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Europas seine weitgespannten revanchistischen Ziele am Tage X verwirklichen zu können."m Deutschlands der einzig gangbare Weg zu diesem Ziel vorge­ \ zeichnet: die Stärkung unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht, Deshalb das Streben der westdeutschen Militaristen vom des sicheren Horts des Friedens in Deutschland, durch die be­ Schlage eines Strauß, eines Heusinger, eines Kai-Uwe von wußte Anwendung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus Hassel nach der Verfügungsgewalt über bundeswehreigene in unse1'er sozialistischen Volkswirtschaft - zum Wohle und Atomwaffen, die in den Händen dieser Ultras eine permanente im Interesse unseres ganzen Volkes, unserer deutschen Nation. Gefahr für den Frieden in der Welt sein würden!

12G Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Sonder­ beilage ItNeues Deutschland" v. 25. 1. 63, S. 13) 121 Stern, Leo, Zur Geschichte der Integrationspolitlk des deutschen Im­ periaUsmus (Sonderheit "Deutsche Außenpolitik" 2/62, S.31) 128 ebenda 80 Inhalt Einleitung 3 1. Der "Platz an der Sonne" 5 2. Die Kriegspoiitik des kaiserlichen Deutschland unmit- telbar vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges 18 3. Die Kriegsziele der deutschen Imperialisten im ersten Weltkrieg. 29 4. Zwischen zwei Weltkriegen 63 5. "Europäische Integration" und Abendland-Ideologie _ Ausdruck des Weltherrschaftsstrebens der westdeut- schen Monopole 72 Schlußbetrachtung 81 Von den bif>her erschienenen Titeln der Reihe "Hefte aus Burgscheidungen" sind noch folgende .Nummern lieferbar: 28 Prof. Dr. KurvWiesnen: Albert'Schweitzer zum 85. Ge- burtstag 33 Dr. Bohuslav Pospisil: nie Prager Christliche Friedens­ konferenz 57 Die Bewegung nationaler Christen in Indien (The Indian National Hindustani Church) 58 Hermann Kalb, Adal! Niggemeier, Karl-Heinz Puff': Weg und Ziel der Adenauer-CDU -,zu einigen Fragen ihrer antinationalen Politik 61 Hans Zillig: Der Christ in der sozialistischen Landwirt­ schaft 64/65 Ralf Börner: Die verräterische Politik der Führung der Adenauer-CDU im Spiegel ihrer Parteipro­ gramme (1945 bis 1961) 66 Gertrud Illing: Der deutsche Kolonialismus und der Neo­ kolonialismus des Bonner Staates 75/76 Dr. Gerhard Desczyk: Vermädltnis und Ansporn Fortfiichrittliche christliche Traditionen 77 Alwin Schaper: So wurde Deutschland gespalten 79 Dr. Heindch Toepmz: Der deutsche Friedensvertrag 1st notwendig 8g RoH Börner: Die Verantwortung der Christen bei der Lösung der nationalen Frage in Deutschland 81 Gerald Götting: Entscheidung de~ Christen für die Sache der Nation 82/83 Siegfried Welz: Lateinamerika tritt auf den Plan 84/85 Prof. Dr. Gerhard Kehnscberper: Christliche Existenz in der sozialistischen Ordnung 87 Zu weiteren Erfolgen in der vollendeten sozialistischen Gesellschaft 88 Johannes Oertel: Die Welt des Landesbischofs Lilje - Eine Auseinandersetzung 89 Briefe an einen Pfarrer 90 Fritz Beyling: Morgenröte unserer neuen Zelt 92 Alwin Schaper: Ot1o Nuschke und seine Zeit 94 Gerald Götting: Das Programm des Sozialismus ist das Gesetz unseres Handelns 95 Wolfgang Heyl: Glanz und Elend der Adenauer-CDU 97 Walter Bredendiek: Die Friedensappelle deutscher Theo­ logen von 1907/08 und 1913 98 Gerald Götting: Wir stärken die polltisch-morallsche .. . Einhelt unseres Volkes 99/100 Siegfrted Welz: Auf Sand gebaut - Die amerikani­ schen nEuropa"-PlAne nach 1945 102 Alwin Schaper: Der Sieg der nationalen Selbstbestim­ mung 1m Zeitalter des Sozialismus 103 Heinz WUlmann: Friedensidee und Friedensbestrebun- gen In unseren Tagen 104 UIrlch Kutsche: FrIede In wehrhaften Blinden lOS Bans Klslner: Blickpunkt Südafrika 106 Dr. Rud! Rost: Die Arbelt mit den -Menschen sachkun­ dig organisieren 107 Rolf Börner: Fortschrittliche Christen Im 19. Jahrhun­ dert und ihr Verhältnis zur Arbeiterklasse 108 Gerald Götting: Gute PlanerfUllung ist die beste Außen• politik 199 Günter Wirth: Vom Schicksal christlicher Parteien 1925 bis 1934

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