Universität Paderborn Fakultät Für Kulturwissenschaften Institut Für Evangelische Theologie
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Universität Paderborn Fakultät für Kulturwissenschaften Institut für Evangelische Theologie Pastorale Identitätskonstruktionen in der Diaspora am Beispiel des Pfarrers Theodor Holzhausen (1826-1900) im Kirchenkreis Paderborn Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie vorlegt von Dipl. theol. Richard Janus, M.A. Paderborn 2015 Angenommen aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke und Prof. Dr. Ilona Nord. Tag der Disputation: 10. Februar 2015 Dekan: Prof. Dr. Volker Peckhaus 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 7 1.1. Das Jahrhundert der Wandlungen 12 1.2. Die Veränderung der Pfarrerbildes 19 1.3. Quellen und Methode 29 2. Biographische Skizze 42 2.1. Herkunft und Studium 43 2.2. Hauslehrer und Pfarrverweser 46 2.3. Pfarrer in Driburg 48 2.4. Pfarrer in Warburg 51 2.5. Kontextualisierung der Biographie 54 3. Die Religionsgemeinschaften im ehemaligen Hochstift Paderborn im 19. Jahrhundert 57 3.1. Das römisch-katholische Bistum Paderborn 58 3.1.1. Vom Ende des Fürstbistums bis zur Neuumschreibung 1821 58 3.1.2. Wiedererwachen eines katholischen Selbstbewusst- seins und der Mischehenstreit 60 3.1.3. Polemik und Kulturkampf 63 3.2. Der evangelische Kirchenkreis Paderborn 67 3.2.1. Die Gemeinden als Teil des Kirchenkreises Bielefeld 1818-1840 70 3.2.2. Der Kirchenkreis Paderborn 1840-1900 73 3.3. Die jüdischen Gemeinden 79 3.3.1. Zwischen Reform und Restauration 81 3.3.2. Von der eingeschränkten zur vollständigen Gleichstellung 85 3 4. Das Verhältnis zum römischen Katholizismus 88 4.1. Antikatholizismus 92 4.2. Proselyten-Macherei 97 4.3. Mischehen und das Problem der religiösen Kindererziehung 103 4.4. Die Behinderung des evangelischen Gottesdienstes 108 4.5 Zusammenfassung 114 5. Das Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften 116 5.1. Judentum 117 5.2. Freikirchen und Sondergemeinschaften 122 5.2.1. Methodisten 123 5.2.2. Baptisten 124 5.2.3. Irvingianer 126 5.3. Zusammenfassung 128 6. Faktoren der Unkirchlichkeit 131 6.1. Das Problem der Sonntagsruhe 135 6.2. Die Sozialdemokratie als Bedrohung 138 6.3. Zustand und Entfernung der Kirchen 143 6.4. Unkenntnis über den eigenen Glauben 146 6.5. Die Auseinandersetzung mit der Liberalen Theologie 148 6.5.1. Der Protestantenverein 150 6.5.2. Der Streit um das Apostolikum 152 6.5.3. Die Lehrfreiheit der theologischen Fakultäten 156 6.6. Unsittlichkeit 159 6.7. Zusammenfassung 162 7. Elemente der Kirchlichkeit 164 7.1. Die Gottesdienste 167 7.2. Das formale und materiale Prinzip 175 7.3. Kriegstheologie und Nationalprotestantismus 181 7.4. Zusammenfassung 192 4 8. Kirche in der Krise: Ein- und Ausblicke 198 8.1. Säkularisierungsängste 202 8.2. Fundamentalismus und Verkirchlichung 204 8.3. Fremdheitserfahrung und Diaspora 210 9. Anhänge 9.1. Kommunizierendenstatistik von 1843 bis 1900 216 9.2. Synopse des Berichtsschemas zu den Kreissynoden 219 9.3. Verpflichtungs-Formular bei der Aufnahme solcher Personen, welche aus der römisch-katholischen zur evangelischen Kirche übertreten (1853) 221 9.4. Abbildungen zur Biographie Theodor Holzhausens 222 9.5. Theodor Holzhausen, Rundbrief vom 26.07.1858 226 9.6. Theodor Holzhausen, Rundbrief vom 10.05.1872 227 9.7. Theodor Holzhausen, Brief an Ernst Lohmann, 12.08.1899 229 9.8. Dokumente zur Renovierung der evangelischen Kirche in Warburg 230 10. Quellen- und Literaturverzeichnis 235 5 6 1. Einleitung Nach Zeiten des Anwachsens und der Ausdifferenzierung kirchlicher Strukturen und Ämter erleben die evangelischen Landeskirchen und ihre Pfarrerinnen und Pfarrer seit einigen Jahrzehnten Stagnation und Schrumpfung. Das ist ein Prozess, der durch die Wiedervereinigung Deutschlands eine ganz neue Dynamik erfahren hat. Sinkende Mitgliedszahlen und Kirchensteuereinnahmen sowie eine Überalterung von Gemeinden gehören zu den großen Herausforderungen, die nicht nur für die Kirchen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von besonderer Dringlichkeit sind. (Über-)Parochiale Gliederungen, die seit dem 19. Jahrhundert entstanden sind, werden unter der Prämisse von Finanzeinsparungen und einer schlanken Verwaltung wieder zurückgenommen. Diese Strukturveränderungen finden auf allen Ebenen statt. Einzelne Gemeinden versuchen sich zu überlebensfähigeren Kirchengemeinden zusammen zu schließen. Kirchenkreise und ganze Landeskirchen fusionieren. Die vielen verschiedenen diakonischen Einrichtungen finden sich in größeren Organisationseinheiten wieder. Funktionspfarrstellen werden nicht mehr fortgeführt und eine Konzentration auf das Gemeindepfarramt findet statt. Zugleich fragen Pfarrerinnen und Pfarrer nach ihrem Selbstverständnis nicht nur in Kirche und Gemeinde. Verwaltungs- und Organisationsfragen nehmen breiten Raum innerhalb ihrer Tätigkeit ein. Sie werden von Seiten der sogenannten Kerngemeinde mit anderen Erwartungen konfrontiert als von sogenannten Kasualchristinnen und -christen. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Milieus der Gemeindeglieder, die angesprochen werden wollen. Entsprechend dieser Fragestellungen hat die pastoraltheologische Diskussion in der Praktischen Theologie wieder an Fahrt gewonnen und zu neuen Untersuchungen und Entwürfen geführt. Dabei wirken Begriffe wie Spiritualität1 und Professionalisierung2 wie Zauberworte. Betont der erste Begriff die Bedeutung des eigenen Glaubenslebens für den Beruf und seine Gestaltung, so fragt der zweite nach dem professionellen Handeln und seinen Kriterien. Damit treten Fragestellungen in einem neuen Gewand wieder auf, die seit dem Neuansatz einer wissenschaftlichen Theologie (im besonderen auch der Praktischen Theologie) auf der pastoraltheologischen Agenda standen.3 1 Vgl. dazu Manfred Josuttis, Die Einführung in das Leben. 2 Vgl. dazu Isolde Karle, Der Pfarrberuf als Profession. 3 Vgl. Christian Grethlein, Pfarrer - ein theologischer Beruf, 83. 7 Folgte man der scharfzüngigen Krisenanalyse eines liberalen Theologen4 am Beginn des 21. Jahrhunderts, dann stellen sich die evangelischen Kirchen in Deutschland dar als „stark vermachtete und verfilzte Organisationen mit viel Pfründenwirtschaft zur Alimentierung von Funktionären, die gern unter sich bleiben und miteinander in einem verquasten Stammesidiom kommunizieren, das für Außenstehende unverständlich bleibt - der ideale Nährboden für Schweigekartelle und Wagenburgmentalität.“5 Aus der Sicht Friedrich Wilhelm Grafs ist dies freilich nur die Spitze der zu benennenden Gravamina. Als eine der zentralen Ursachen für die heutigen Probleme in der evangelischen Kirche macht er die kirchlichen Entwicklungen im 19. Jahrhundert aus. In diesem Zeitabschnitt hat eine Entwicklung begonnen, die verhängnisvoll für den Protestantismus geworden ist und sich dadurch auszeichnet, dass die kulturprotestantisch-liberalen Kräfte gegenüber konservativ- erwecklichen Kreisen ins Hintertreffen geraten sind. Während die liberale Theologie Kultur und Kirche nicht als einen Gegensatz begreifen wollte, kamen die konservativen Pfarrer „zumeist aus Pfarrhäusern oder aus mittelständischen Milieus. Sie sahen in einer historisch- kritischen Universitätstheologie sowie in liberalen Kulturwerten und modernen Idealen autonomer Lebensführung primär einen Angriff auf das Evangelium und die Kirchenlehre. [...] In nur zwei Generationen habe sich eine Kerngruppe der deutschen Bildungsschicht zu einer kleinbürgerlichen Klerikerkaste gewandelt, die im selbstgewählten Kirchenghetto Agrarromantik, spießige Sozialmoral, religiös begründeten Antiintellektualismus und eine diffuse Modernitätsfeindschaft kultivierte.“6 An den Folgen dieser Entwicklung arbeite sich der Protestantismus bis heute ab. Für die Analyse der kirchlichen Verhältnisse im 19. und 20. Jahrhundert greift Grafs wertende Beschreibung vom Sieg konservativer gegenüber liberalen Kreisen wesentlich zu kurz und ist offensichtlich polemisch motiviert. In der Diskussion um das Verständnis des Pfarrberufs im 19. Jahrhundert ist es überdies nicht Konsens, dass der Pfarrerstand in eine klerikale Subkultur abwandert und sich so von den Werten der bürgerlichen Gesellschaft entfernte. Der Gedanke, dass beide Jahrhunderte aufs engste miteinander verwoben sind, hat freilich seine Berechtigung. Selbst die dialektische Theologie fußte wesentlich im theologischen Diskurs am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Als Neuaufbruch nach den Erfahrungen des 1. Weltkriegs hat die dialektische Theologie die größtmögliche Distanz 4 Die Bezeichnung „liberale Theologie“ lässt sich in den 1780er finden (vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Die Spaltung der Protestantismus, 175). 5 Friedrich Wilhelm Graf, Kirchendämmerung, 22. 6 A. a. O., 53. 8 zum Kulturprotestantismus gesucht. Nach dem Ende der theologischen Nachkriegszeit in Deutschland wurde selbstverständlich wieder bei den Theologen und Fragestellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts angeknüpft, so dass heute die übergreifenden Linien wieder deutlicher zu Tage treten. Immerhin waren die Herausforderungen des Protestantismus angesichts der Infrage- stellung durch die Aufklärung so enorm, dass Emanuel Hirsch in seinem 1939 erschienenen „Das Wesen des Christentums“ auch von der „großen Umformungskrise“7 sprach. Auf der einen Seite stellte sich diese als Verlust der „weltanschaulichen und geschichtlichen Voraussetzungen“8 dar, welcher durch die wissenschaftlichen, philosophischen und technischen Revolutionen der Zeit ausgelöst war, zugleich aber auf der anderen Seite dazu nötigt, „von der menschlichen Sinnhaftigkeit des christlichen Glaubens im Ganzen und im Einzelnen der Gottes- und Selbsterkenntnis sich und andern Rechenschaft [zu] geben“9. Diesen Aufgaben war die altprotestantische