Kontinuitäten und Brüche im Dritten Lager vom Kriegsende bis zur Gründung der FPÖ

Unter besonderer Berücksichtigung der Biographien der Gründer des VdU und der FPÖ

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Clemens Jöbstl

am Institut für Geschichte

Begutachter:

Professor Dr. phil. Dr. h.c. Helmut Konrad

Graz, 2014 2

Graz, am 05. September 2014

Eidesstattliche Erklärung

Ich, Clemens Jöbstl, erkläre eidesstattlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die Arbeit wurde in gleicher oder ähnlicher Form bisher noch keiner anderen Prüfungskommission vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.

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Gleichheitsgrundsatz

Ich habe in dieser Arbeit auf die geschlechtsspezifische Form Wert gelegt. Sollte jedoch an einer Stelle die feminine Form fehlen, geschah dies aus Gründen der Lesbarkeit oder aus Versehen.

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Inhalt

1. Abkürzungsverzeichnis ...... 11 2. Einleitung ...... 12 2.1 Warum das Dritte Lager? Eine Erklärung zum persönlichen Zugang ...... 12 3. Hypothese und implizite Theorie ...... 14 4. Begriffsdefinition ...... 15 4.1. I: Die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“ ...... 16 4.1.1. Der westlich-demokratische Nationsbegriff ...... 16 4.1.2. Der östlich-romantische Nationsbegriff ...... 17 4.2. II: Genauere Definition des Dritten Lagers ...... 19 4.2.1. Nationalliberale ...... 21 4.2.2. Deutschnationale ...... 22 4.3. III: Was ist ein politischer Bruch? ...... 25 4.3.1. a: Der Bruch von außen ...... 25 4.3.2. b: Der Bruch von innen ...... 26 4.4. IV: Was verstehe ich unter politischer Kontinuität? ...... 28 4.4.1. a: Inhaltliche Kontinuität ...... 28 4.4.2. b: Personelle Kontinuität ...... 29 5. Fragestellung ...... 30 5.1. Vergleich der Personen ...... 30 5.2. Vergleich der Inhalte ...... 31 6. Quellenlage und aktueller Forschungsstand ...... 32 6.1. Quellenlage bezüglich Herbert Kraus ...... 34 6.2. Quellenlage bezüglich ...... 34 7. Methodik ...... 35 7.1. Quellentheorie: ...... 36 7.1.1. Das Erstellen einer Biographie ...... 36 7.1.2. Die Biographie als Quelle ...... 37 7.2. Literaturtheorie ...... 39

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7.3. Inhaltliche Analyse von Biographien, die unterschiedliche Darstellung von Vergangenheit ...... 40 8. Entnazifizierung nach 1945 ...... 45 9. Chronologie des Verbands der Unabhängigen (VdU) ...... 47 10. Herbert Kraus – Der Gründer und erste Obmann des Verbands der Unabhängigen ...... 52 10.1. Jugend ...... 52 10.2. Werdegang vor dem Ende der Ersten Republik ...... 54 10.3. Kraus und der Nationalsozialismus ...... 55 10.4. Der Kriegseinsatz ...... 59 10.5. Erste Nachkriegszeit ...... 63 10.6. Kraus und der Einstieg in die Politik...... 67 10.7. Die Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU) ...... 76 10.8. Die Reaktionen der Großparteien ...... 81 10.9. Die Nationalratswahl 1949 ...... 83 10.10. Die erste Legislaturperiode ...... 86 10.11. Die Nationalratswahl 1953 und die zweite Legislaturperiode ...... 90 10.12. Der Übergang vom VdU zur Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ...... 94 11. Chronologie der Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ...... 101 12. Anton Reinthaller – Der Gründer und erste Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs ...... 103 12.1. Jugend ...... 103 12.2. Erster Weltkrieg ...... 104 12.3. Zwischenkriegszeit ...... 105 12.4. NSDAP-Aktivitäten in der Ersten Republik ...... 106 12.5. Die „Aktion Reinthaller“ ...... 108 12.6. Landwirtschaftsminister im „Anschlusskabinett“ ...... 112 12.7. Landesbauernführer und Unterstaatssekretär im Reichsernährungsministerium ...... 116 12.8. Reinthallers Standpunkt in Bezug auf den Liberalismus ...... 117 12.9. Entnazifizierung nach dem Kriegsende ...... 119 12.10. Die Gründung der Freiheitspartei ...... 121 12.11. Die Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs ...... 125

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12.12. Parteiobmannschaft ...... 127 13. Analyse ...... 132 13.1. Vergleich Herbert Kraus mit Anton Reinthaller ...... 132 13.2. Personeller Vergleich der Führung des VdU und der neu entstandenen FPÖ ...... 135 13.3. Vergleich der Parteiprogramme des VdU mit dem ersten Parteiprogramm der FPÖ...... 138 13.3.1. Das erste Programm des VdU von 1949 ...... 138 13.3.2. Das „Ausseer-Programm“ des VdU von 1954 ...... 141 13.3.3. Das erste Kurzprogramm der FPÖ ...... 143 14. Conclusio ...... 146 14.1. Der Bruch als Möglichkeit zur Kontinuität ...... 146 15. Anhang ...... 151 15.1. Das 25-Punkte-Programm der NSDAP ...... 151 15.2. Die Verbandsprogramme des VdU ...... 154 15.2.1. Das Verbandsprogramm des VdU 1949 ...... 154 15.2.2. Das Ausseer Programm des VdU ...... 158 15.3. Das erste Parteiprogramm der FPÖ ...... 161 16. Quellen ...... 162

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1. Abkürzungsverzeichnis

BZÖ Bündnis Zukunft Österreich CIC Counter Intelligence Corps FPÖ Freiheitliche Partei Österreichs KPÖ Kommunistische Partei Österreichs KZ Konzentrationslager LIF Liberales Forum NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ÖAAB Österreichischer Arbeiter- und Angestelltenbund ÖVP Österreichische Volkspartei SA der NSDAP SPÖ Sozialistische Partei Österreichs SS der NSDAP VdU Verband der Unabhängigen VSW Verband der Selbständig Wirtschaftstreibenden WdU Wahlpartei der Unabhängigen

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2. Einleitung

2.1 Warum das Dritte Lager? Eine Erklärung zum persönlichen Zugang

Studium Als ich im Zuge meines Studiums meine Spezialisierung auf den Bereich der Zeitgeschichte verlegte, war der ausschlaggebende Grund dafür vor allem die Relevanz für die uns umgebende Gesellschaft. Die österreichische Öffentlichkeit ist bis zum heutigen Tag durch die Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts, besonders durch jene der ersten Hälfte, geprägt. Die Entwicklungen in der Zweiten Republik sind die logischen Konsequenzen der tragischen Erlebnisse, die die Österreicher in der Zeit der Ersten Republik und des Dritten Reichs durchlebten. Sei es die im letzten Jahrzehnt in Misskredit geratene Sozialpartnerschaft, die aus den Lehren der tödlichen Gegnerschaft der Großparteien der Zwischenkriegszeit herrührt, oder das Verbotsgesetz, das infolge der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft samt mörderischen Verbrechen erlassen wurde, die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart. Besonders heutzutage, als das Wiedererstarken der Freiheitlichen Partei Österreichs nicht zu leugnen ist und deren ehemalige Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz am Beginn ihres Wahlkampfes die Sinnhaftigkeit des 1947 in Kraft getretenen Gesetzes anzweifelte, sind diese Lehren mehr und mehr Objekt der Kritik durch die Nachfahren der ehemaligen Verursacher jener Lex.

Das Dritte Lager sieht sich zwar in der langen politischen Tradition der Wartburgtreffen der für damalige Verhältnisse liberalen, wenngleich deutschnationalen Burschenschaften des vorvorigen Jahrhunderts, nicht jedoch in der eines Georg Ritter von Schönerer. Dieser allerdings war genau so sehr ideologischer Urvater für den späteren Reichskanzler und Führer Adolf Hitler als auch für die Honoratioren, die später, nach verlorenem Weltkrieg, die Neuorganisation des nationalen Lagers in der Zweiten Republik unter der Flagge der Freiheitlichen Partei Österreichs verfolgten.

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Es stellt sich darum die Frage, wie ein und dieselbe Gruppierung gleichzeitig in zwei unterschiedlichen politischen Aggregatzuständen existieren kann. Einerseits demokratisch gesinnt und sich zu einer eigenständigen Republik Österreich bekennend, andererseits autoritär und deutschnational; die FPÖ schafft es je nach Ermessen, den jeweilig gewünschten Standpunkt einzunehmen. Ein Jörg Haider als auch ein H.C. Strache war beziehungsweise ist immer in der Lage, sich an dem anwesenden Publikum orientierend, die momentan opportune Gesinnung auszustrahlen.

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3. Hypothese und implizite Theorie

Ich gehe von der Grundannahme aus, dass es sowohl Brüche als auch Kontinuitäten im Dritten Lager vom Kriegsende bis zur Gründung der FPÖ gegeben haben dürfte. Dieser Annahme liegt die Überlegung zugrunde, dass sich die Eliten in Österreich einerseits nicht komplett und dauerhaft austauschen ließen, andererseits durch die veränderten Umstände einer neuen Zeit es einer vormals etablierten Schicht unmöglich gemacht haben müssen, ohne Konsequenzen ihre Positionen, sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf ihren Status, zu behalten.

Anders gefragt Konnte der Neubeginn des Dritten Lagers nach 1945 nur wieder zu einer, wenn auch entschärften, Neuauflage dessen zurückführen, was schon einmal in eine Katastrophe führte und damit zu einem extremen Bruch mit dessen Ideologie? Hat die Entnazifizierung so schlecht funktioniert, dass am Ende doch wieder die gleichen Strömungen von denselben Köpfen vertreten wurden?

Oder fand gar kein wirklicher Bruch statt? Hat am Ende nur ein zwischenzeitlicher Wechsel des Etiketts den immer gleichen Inhalt nur scheinbar verändert?

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4. Begriffsdefinition

Um diese Frage zu konkretisieren, bedarf es einiger begrifflicher Klärungen.

I. Was bedeutet Nationalismus beziehungsweise welche Personengruppen sind mit der Bezeichnung Nationalist gemeint und in welche Untergruppierungen lassen diese sich aufteilen? II. Was ist das Dritte Lager und wie ist es strukturiert? III. Was ist und bedeutet ein politischer Bruch? IV. Was verstehe ich unter politischer Kontinuität?

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4.1. I: Die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“

4.1.1. Der westlich-demokratische Nationsbegriff

Etymologisch gesehen stammt der Begriff vom lateinischen „nasci“, sprich „geboren werden“ ab. Seit dem 14. Jahrhundert ist er in Europa gebräuchlich, um die „im Land Geborenen“ zu bezeichnen. In Westeuropa entstanden die ersten Nationalstaaten England, Frankreich und Spanien durch die monastische Einigung der Gebiete. Hier entsprachen auch die sprachlich einheitlichen Regionen größtenteils den Herrschaftsterritorien. Im Gegensatz dazu waren die Flächenstaaten Mittel- und Osteuropas ethnisch und kulturell deutlich durchmischter. Im Westen Europas konnte sich im Lauf der Jahrhunderte die Identifikation der Bürger und Bürgerinnen mit ihrem Staat herausbilden. In Frankreich entstand diese Identifikation vor allem während der Französischen Revolution, als sich das Volk im Namen einer Nation von gleichberechtigten Bürgern erst gegen den König und später während der Koalitionskriege gegen die sie bedrohenden europäischen Monarchen mobilisierte.1 So konnte ein demokratisches Nationalbewusstsein entstehen, in dem jeder und jede an diesem seinem oder ihrem Staat mitarbeiten konnte.2 So kann man beim westlichen Nationsbegriff von einer „Ideengemeinschaft“ sprechen, die sich durch ein gemeinsames Bekenntnis zu einem Staat darstellt. Dieses Bekenntnis spiegelt den Willen des Volkes zu dem Staat, den sie gemacht hat, wieder.

1 Langewiesche, Dieter; Nation Nationalismus Nationalstaat in Deutschland und Europa; Verlag C. H. Beck; München; 2000; S. 17

2 Stäuber, Roland; Der Verband der Unabhängigen (VdU) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPOe), Eine Untersuchung über die Problematik des Deutschnationalismus als Einigungsfaktor einer politischen Partei in Österreich seit 1945; Dissertation Universität Zürich; 1974; S. 7

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4.1.2. Der östlich-romantische Nationsbegriff

Im 19. Jahrhundert wurden in Frankreich die Begriffe „Nation“ und „Nationalismus“ also für die Einheitlichkeit des Staatswesens verwendet. In den entstehenden Staaten Mittel- und Osteuropas war es zu einer anderen Entwicklung gekommen. Während des langsamen Verfalls des Heiligen Römischen Reichs waren an dessen Stelle Territorien getreten, die sich einzig durch ihre Monarchien repräsentierten.3 Deren Herrscher und Herrscherinnen versuchten von oben herab ihre Bevölkerungen auf die jeweiligen Staaten einzuschwören. Während des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhunderts entstand dann eine neue Definition von Zusammengehörigkeit, die der Nation der gemeinsamen Sprache, Kultur und Abstammung. Im deutschsprachigen Raum wurde diese Begrifflichkeit besonders von Johann Gottfried Herder im Sinne des volkshaft-kulturellen Aspekts gedeutet.4 Dieser Aspekt ist auch der, der in Österreich die Bedeutung von Nationalismus prägt. Der Wiener Kongress hatte 1815 die deutschsprachigen Gebiete des in der Zeit der napoleonischen Kriege aufgelösten Heiligen Römischen Reiches im neu gegründeten Deutschen Bund zusammengefasst.5 Dieser war jedoch nur ein loser Bund unabhängiger Staaten und nicht als Nationalstaat anzusehen. 1819 hatten die Karlsbader Beschlüsse6 die Bürgerrechte, welche im Zuge der Französischen Revolution in manchen dieser Teilstaaten eingeführt worden waren, größtenteils wieder abgeschafft. Gegen die restaurative Politik des Wiener Kongresses hatte sich besonders in studentischen Kreisen schon zuvor Widerstand formiert. Etwa die bereits 1815 gegründete erste

3 Stäuber; 1974; S. 8

4 Klar, Franz; Deutsche Urmutter FPÖ; Informations- und Pressedienst der Österreichischen Widerstandsbewegung (ÖWIP); Wien; 1983; S. 12

5 Conze, Werner; in: Der grosse Ploetz, Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte, Daten, Fakten, Zusammenhänge; Begründet von Dr. Carl Ploetz; 32., neubearbeitete Auflage; Verlag Herder; Freiburg im Breisgau; 1998; S. 841

6 Elze, Reinhard, Repgen, Konrad (Hg.); Studienbuch Geschichte, Eine europäische Weltgeschichte; Band 2; Klett-Cotta; Stuttgart; 2003; S. 328

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„Urburschenschaft“7, die erste nationalstaatlich gesinnte Studentenverbindung, bestehend aus ehemaligen Soldaten, die gegen die napoleonische Besetzung deutscher Gebiete gekämpft hatten. Binnen kurzer Zeit folgten etliche. Im Jahr 1817 wurde das Wartburgfest8, ein Zusammentreffen dieser nun zahlreichen Studentenverbindungen, abgehalten und gilt bis heute als Geburtsstunde der nationalen Bewegung. Schon zu dieser Zeit war auch der Antisemitismus ein integraler Bestandteil dieser Bewegung. In der Habsburgermonarchie konnten sich aufgrund der nach Clemens Wenzel Metternich9 benannten Metternichschen10 Verbotsgesetze erst deutlich später die ersten offiziellen Burschenschaften etablieren. Spricht man in Österreich, im Gegensatz zum österreichischen Patriotismus, von Nationalismus, dann ist damit fast immer eine gemeinsame deutsche Nation gemeint.

7 Conze; 1998; S. 842

8 Ebd.; S. 842

9 Vocelka, Karl; Geschichte Österreichs, Kultur – Gesellschaft – Politik; Heyne Verlag; München; 2000; S. 174

10 Vajda, Stephan; Felix , Eine Geschichte Österreichs; Verlag Ueberreuter; Wien;1980; S. 456 f.

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4.2. II: Genauere Definition des Dritten Lagers Die Definition des Dritten Lagers, genauso wie die Lagertheorie an sich, wurde vom Historiker Adam Wandruschka erstellt11, der selbst dem deutschnationalen Milieu angehörte. Diese ist in Historikerkreisen nicht unumstritten. Die Bezeichnung „Drittes Lager“ setzt die Existenz zweier vorher bereits bestehender politischer Lager voraus. Diese waren schon vor der Geburt der ersten österreichischen Republik das ehemals sozialistische und später sozialdemokratisch genannte Lager, welches heute durch die SPÖ vertreten wird, und das konservativ-christlichsoziale Lager, das seinerseits zu Zeiten der Ersten Republik von der Christlichsozialen Partei und nach dem Zweiten Weltkrieg von der Österreichischen Volkspartei, kurz ÖVP, repräsentiert wird. Dem gegenüber stand, laut Wandruschka, bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein sich in unterschiedliche deutschnationale und nationalliberale Gruppierungen aufteilendes „Drittes Lager“. Diese drei Lager hätten alle einen gemeinsamen Ausgangspunkt, das „Linzer Programm“ von 1882.12 Die auf die Probleme des Laissez-faire-Liberalismus eine Antwort Suchenden – er hatte die Wirtschaftskrise von 1873 ausgelöst – hätten hier gemeinsam politische Forderungen erarbeitet. Die Unterzeichner, Viktor Adler, Karl Lueger und Georg von Schönerer, hätten sich in der Lösungsfindung mit der Zeit zusehends auseinanderentwickelt und jeweils ihr eigenes Lager gegründet. Adler war der Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), Lueger gründete die Christlichsoziale Partei und Schönerer wurde zum Führer der Deutschnationalen Bewegung. Die ersten beiden Parteien konnten sich zu Massenparteien entwickeln, während Schönerer dies verwehrt blieb. Wandruschka führte das auf den politischen Extremismus Schönerers und die soziale und territoriale Fragmentierung seiner Klientel zurück. Dieses Lager hätte sich bis ins 20. Jahrhundert auf viele unterschiedliche Gruppierungen mit ebenso unterschiedlichen Programmen verteilt. In ihrer Gesamtheit hätten jedoch die drei Lager die Diktaturen des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus überdauert.

11 Wandruschka, Adam; Die Drei Lager; in: Benedikt, Heinrich (Hg.); Geschichte der Republik Österreich; Verlag R. Oldenbourg; Wien; 1954; S. 291 f.

12 Wandruschka; 1954; S. 294 f.

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Wandruschka schrieb dies 1954. Zu dieser Zeit konnte er aus seiner Sicht nur hoffen, dass das deutschnationale Lager überhaupt noch existierte. Von so manchem Kritiker und mancher Kritikerin wurde Wandruschka seitdem unterstellt, dass er den deutschnationalen Kräften so identitätsstiftend und legitimierend unter die Arme greifen wollte.13 Mit der Zeit etablierte sich aber diese Terminologie besonders durch die Selbstzuschreibung der Protagonisten des erwähnten „Dritten Lagers“ so sehr, dass man mittlerweile von einer etablierten Definition sprechen kann. Ich werde auf den folgenden Seiten auf die beiden Hauptströmungen der beschriebenen Zeit von 1945 bis 1958 eingehen, da es um die Richtungsentscheidung, nationalliberal beziehungsweise deutschnational, ging, die zu jener Zeit getroffen wurde.

13 Voithofer, Richard; Drum schließt euch frisch an Deutschland an …, Die Großdeutsche Volkspartei in Salzburg 1920–1936; Böhlau Verlag; Wien; 2000; S. 17 f.

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4.2.1. Nationalliberale

In Österreich entstand der Liberalismus als Reaktion auf die politische Unterdrückung während des Vormärz, der Zeit vor der Revolution im März 1848. Der Verfassungsliberalismus setzte sich für die Einsetzung einer die individuellen Rechte der Bürger garantierenden Verfassung ein. Der Wirtschaftsliberalismus steht bis heute für das Recht auf Privateigentum, Freihandel ohne Zölle und eine möglichst freie Marktwirtschaft. Der Sozialliberalismus hingegen fordert die Aufhebung von durch die Gesellschaft bedingter Chancenungleichheit. Nach dem Revolutionsjahr 1848 und der darauf folgenden beginnenden politischen Liberalisierung wurde die Deutschliberale Partei in der Donaumonarchie gegründet und konnte zwischen 1867 und 1879 die Mehrheit im Abgeordnetenhaus stellen.14 Infolge der antiklerikalen und antislawischen Gesinnung kam es jedoch zum Niedergang der Partei, welcher durch die 1873 stattfindende Wirtschaftskrise, die für diesen mitverantwortlich war, beschleunigt wurde. Es folgte eine Zersplitterung der Partei und der damit verbundene Bedeutungsverlust. Als Nachfolger konnten sich am ehesten noch die Deutschfreiheitlichen Parteien15 etablieren, die von der Zeit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert bis in die Anfangsjahre der Ersten Republik etwa in der Tiroler Politik entscheidend mitbestimmten. Nicht wie die Christlichsozialen waren sie vor allem säkular und wie ihre Vorgängerin großdeutsch orientiert.

14 Jägerbauer, Daniel; Die freiheitlichen Wirtschaftsprogramme; Diplomarbeit Universität Wien; 2010; S. 8

15 Höbelt, Lothar; Kornblume und Kaiseradler, Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882–1918; Verlag für Geschichte und Politik; Wien; 1993; S. 15 f.

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4.2.2. Deutschnationale

Der deutschnationale Teil dieses Lagers entstand in Österreich aus der Angst mancher deutschsprachiger Österreicher vor dem Bedeutungsverlust innerhalb der Habsburgermonarchie nach der Gründung des österreichischen Kaisertums 1804, welches sich daraufhin immer mehr aus Deutschland hinauslebte.16 Auf die österreichische Niederlage gegen Preußen 1866 folgte der „Ausgleich“ mit Ungarn 1867, der ihnen innere Autonomie gewährte. Aus diesem Grund warfen die Deutschnationalen den Deutschliberalen, die maßgeblich am Zustandekommen des Österreichisch-Ungarischen „Ausgleichs“ beteiligt waren, die mangelnde Unterstützung ihrer Volksgruppe vor. Man erklärte sich seit dem „Linzer Programm“ von 188217 als „nicht liberal, nicht klerikal, sondern national“. Die Hauptforderung dieser Gruppierung war schon damals eine möglichst enge Verbindung der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich. Bereits 1885 kam es jedoch zu einem Bruch zwischen den Unterzeichnern Victor Adler, dem späteren Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, und Georg von Schönerer, da Letzterer als Führer der Deutschnationalen und später der Alldeutschen Vereinigung18 für die Hinzufügung eines antisemitischen „Arierparagraphen“ eintrat. 1888 veröffentlichte Schönerer zu diesem Thema sogar eine Petition:

„In dem von uns bewohnten Viertel […] beginnt ganz allmählich eine nationale Umwandlung einzutreten, indem nicht nur slawische, sondern auch jüdische Unterwanderung überhand nimmt, und sogar auch Stellungen mit obrigkeitlichem Charakter mit Juden wiederholt besetzt wurden, was sich in auffälligster Weise bis auf die Kreise der Gendarmerie ins

16 Stäuber, Roland; Der Verband der Unabhängigen (VdU) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPOe), Eine Untersuchung über die Problematik des Deutschnationalismus als Einigungsfaktor einer politischen Partei in Österreich seit 1945; Dissertation Universität Zürich; 1974; S. 17

17 Lehmann-Horn, Knut; Die Kärntner FPÖ 1955–1983, Vom Verband der Unabhängigen (VdU) bis zum Aufstieg von Jörg Haider zum Landeshauptmann; Universitätsverlag Carinthia; Klagenfurt; 1992; S. 15

18 Pulzer, Peter G. J.; Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914; Verlag Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen; 2004; S. 187

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Waldviertel erstreckt hat […] Durch das Slawentum könnte der deutsche Charakter unseres Landesteiles bedroht werden, durch das Judentum ist die Gefahr noch größer, denn dieses orientalische Volk trachtet unser heimisches Volk zu entnationalisieren.“19

Die 1891 gegründete Alldeutsche Bewegung, welche 1896 in Alldeutsche Vereinigung umbenannt wurde, konnte bei den Reichsratswahlen 1901 ihren größten Wahlerfolg verbuchen, jedoch nie die Bedeutung der Deutschliberalen Partei erlangen. Politisch war sie nicht nur großdeutsch, antisemitisch und ganz allgemein antiklerikal, sondern auch antisozialistisch und antidemokratisch orientiert.

Des Weiteren findet man sogar die Idee vom „Lebensraum im Osten“, mit der die Nationalsozialisten ihren Angriffskrieg auf slawische Staaten Mittel- und Osteuropas zu legitimieren versuchten, bereits hier vor:

„um der gesamten germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entwicklung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völkchen wie Tschechen, Slowenen und Slowaken ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten. Nur den großen Kulturvölkern kann das Recht auf Nationalität zugestanden werden.“20

19 Polleroß, Friedrich; Die Erinnerung tut zu weh. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel; Waidhofen; 1996; S. 83

20 Alldeutsche Blätter Nr.4 (1894); zitiert nach: Kruck, Alfred; Geschichte des Alldeutschen Verbandes; Steiner; Wiesbaden; 1954; S. 44

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Unbestritten ist vor allem Schönerers Einfluss auf den späteren Führer der Nationalsozialistischen Partei, Adolf Hitler. Bereits Schönerer ließ sich als Führer titulieren und wurde von seinen Gefolgsleuten mit „Heil!“-Rufen gegrüßt.21 Die politische Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt nannte Schönerer sogar den „geistigen Vater“ Hitlers in ihren Abhandlungen über die Entstehung des Totalitarismus.22

Aus dem Nationalismus entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg der Nationalsozialismus als extremistischere Variante eines Faschismus, wie er in der Geschichte noch nie zuvor mit einer solchen Menschenverachtung existiert hatte. Helga Grebing meinte in ihrem Buch über die Entstehung des Nationalsozialismus, dass dieser von seiner Weltanschauung her

„kein einheitliches, systematisches Ideengefüge [Anm.: sei]. Verschiedene Ideen, die schon vor 1914 in Deutschland und in Österreich vertreten wurden, wurden von den Nationalsozialisten übernommen. [Anm.: Diese waren] Antimarxismus, Antiliberalismus, Antiparlamentarismus, Rassenantisemitismus, Sozialdarwinismus, Deutschnationalismus und Antikapitalismus.“23

Die Ausgangslage nach dem 8. Mai 1945 war die, dass gerade an diesen Nationalsozialismus nicht angeknüpft werden sollte. Vielmehr versuchten die Gründer des VdU an diese zwei Vorgängerbewegungen anzuknüpfen. Wichtig ist mir hier also festzustellen, dass selbst diese vermeintlich „ungefährlichen“ Strömungen des Nationalliberalismus und des Deutschnationalismus bereits den Boden für die Schreckensjahre des Nationalsozialismus aufbereitet hatten.

21 Zdral Wolfgang; „Die Hitlers. Die unbekannte Familie des Führers.“; Campus Verlag; Lübbe, Bergisch Gladbach; 2008; S. 64 f.

22 Arendt, Hannah; The Origins of Totalitarianism, World Publishing Company; Cleveland; 1958; S. 241.

23 Grebing, Helga; Der Nationalsozialismus, Ursprung und Wesen; Günter Olzog Verlag; München; 1964; S. 7 ff.

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4.3. III: Was ist ein politischer Bruch? Es gilt hier vor allem zwischen zwei unterschiedlichen Arten von politischen Brüchen zu unterscheiden, und zwar ist nach der Kausalität beziehungsweise der Herkunft der Impulse hinsichtlich dieser Brüche zu fragen. Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass es hier nur den jeweiligen Typ in seiner Reinform gibt, ohne dass es auch etwas mit dem zweiten Fall zu tun zu hätte.

a: Der Bruch von außen b: Der Bruch von innen

4.3.1. a: Der Bruch von außen

In diesem Fall handelt es sich um die radikale Veränderung der äußeren Bedingungen. Eine Bruchsituation wie diese führt zu völlig neuen Rahmenbedingungen und somit ohne das Zutun der Protagonisten innerhalb einer Gruppierung zu einer Veränderung derselben. Als historisches Beispiel möchte ich hier die Völkerwanderung, die das Ende des Weströmischen Reichs besiegelte, erwähnen. Ich möchte damit nicht behaupten, dass die damalige Führungselite Roms nicht unter Umständen in der Lage gewesen wäre, unter diesen neuen Begebenheiten die staatliche Einheit weiter aufrecht zu erhalten. Da sie sehr wohl anfangs die an die Reichsgrenzen strömenden Völker zu integrieren versuchte, was ihr teils auch gelang, hätte Westrom mit dieser Strategie vielleicht noch länger existieren können. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass sich selbst dann das Wesen des Kaiserreiches grundlegend geändert hätte. Gleichzeitig trugen auch immer frappierendere innere Probleme ihren Teil zum Niedergang des Imperiums bei. Diese hätten alleine jedoch kaum zu dessen Untergang geführt. Ebenso ein Bruch geschah im Jahr 1945 im, im Weltkrieg unterlegenen, Deutschen Reich. Der Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung hielt, wie man heutzutage weiß, bis spät ins Jahr 1944 an.24 Es lässt sich daher annehmen, dass auch hier erst die vollkommene Veränderung der Rahmenbedingungen die Kontinuität innerhalb der Nationalsozialistischen Partei unmöglich machte.

24 Kershaw, Ian; Das Ende: Kampf bis in den Untergang, NS-Deutschland 1944/45; Deutsche Verlags-Anstalt; München; 2011; S. 26f

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4.3.2. b: Der Bruch von innen

In diesem Fall ist es deutlich schwieriger, einen ausschließlichen Fall als Idealtypus anzuführen. Nie bewegten sich politische Gruppierungen im „luftleeren Raum“ und konnten vollkommen ohne den Einfluss von außen agieren. Was jedoch trotzdem Spielraum nach innen übrig lässt. Dieser Handlungsraum ist für mich der entscheidende Unterschied. Durch innere Querelen wurde schon so manche politische Bewegung entscheidend geschwächt, beziehungsweise verändert, in manchen Situationen eben sogar gestärkt. Der schlagartige Wechsel der Entscheidungsträger innerhalb einer Partei oder eines Wahlbündnisses führt so zu einem eindeutigen Bruch, dessen Kausalität nicht auf die äußeren Gegebenheiten zurückzuführen ist. Anders gesagt, es ist in diesem Fall nicht notwendig, auf Ereignisse von außen zu reagieren. Vielmehr sind in solchen Situationen die „Zügel der Macht“ das Ziel. Diese für sich zu gewinnen, ist in diesem Moment Grund genug, um die innere Stabilität zu beenden.

Als Beispiel für diese inneren Brüche möchte ich die Französische Revolution erwähnen. Nach dem Sieg der revolutionären Kräfte gegen Ludwig XVI. begannen diese sich jedoch gegenseitig zu bekämpfen. Obwohl also Girondins und Montagnards ihren Erfolg gemeinsam hätten nutzen können, zusammen eine neue Verfassung zu verabschieden, zogen sie es vor, sich gegenseitig zu bekämpfen. Nach dem Sieg der aus den Montagnards hervorgegangenen Jakobiner begannen diese wiederum gegeneinander zu Felde zu ziehen.25 All diese Entwicklungen geschahen wie bereits erwähnt nicht vollkommen ohne die Einflüsse der damaligen Gesamtsituation Frankreichs, doch war die Möglichkeit, sich zu jener Zeit anders zu entscheiden, immer gegeben. In diesem Sinne lässt sich also von inneren Brüchen reden.

Ein weiteres Beispiel für einen inneren Bruch stellt das Ende des Stalinismus dar. Nach dem Tod Stalins 1953 und der darauf folgenden Machtübernahme durch Nikita Sergejewitsch Chruschtschow kam es zur hinlänglich bekannten Entstalinisierung. Beim XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 hielt Chruschtschow eine Rede vor dem Politbüro, in der er die

25 Loth, Wilfried; in: Der grosse Ploetz, Die Daten-Enzyklopädie der Weltgeschichte, Daten, Fakten, Zusammenhänge; Begründet von Dr. Carl Ploetz; 32., neubearbeitete Auflage; Verlag Herder; Freiburg im Breisgau; 1998; S. 931

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jahrzehntelang verehrte Führerfigur Stalin schwer belastete.26 Diese Abrechnung mit der ehemaligen Vaterfigur der UdSSR stellte einen Bruch mit der bisherigen Staatsdoktrin dar.

26 Hürten, Heinz; 4. Teil: 19. und 20. Jahrhundert; in: Elze, Reinhard, Repgen, Konrad (Hg.); Studienbuch Geschichte, Eine europäische Weltgeschichte; Band 2; Klett-Cotta; Stuttgart; 2003; S. 641 f.

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4.4. IV: Was verstehe ich unter politischer Kontinuität? Hier unterscheide ich zwischen zwei unterschiedlichen Kontinuitäten:

a: Inhaltliche Kontinuität b: Personelle Kontinuität

4.4.1. a: Inhaltliche Kontinuität

Wenn ich von inhaltlicher politischer Kontinuität spreche, meine ich damit, dass diese Inhalte von unterschiedlichen Protagonisten vertreten werden können. Genauso sind auch die Inhalte innerhalb gewisser Schwankungsbreiten nie vollkommen dogmatisch festgelegt. Der „rote Faden“ ist jedoch, besonders im Nachhinein, eindeutig zu erkennen.

Als Beispiel möchte ich hier die Position der Vereinigten Staaten in Bezug auf den Staat Israel nennen. Trotz der wechselnden Kräfteverhältnisse in Washington seit der Gründung Israels im Jahre 1948 kann man von kontinuierlicher Unterstützung in wirtschaftlicher, politischer als auch militärischer Hinsicht seitens der USA sprechen.

Ein weiteres Beispiel für inhaltliche Kontinuität wäre die antimonarchistisch republikanische Gesinnung der österreichischen Sozialdemokratie. Hier liegt die Schwankungsbreite zwischen der Ausweisung der Mitglieder des ehemaligen Herrscherhauses aus Österreich und heutiger Skepsis gegenüber der Kandidatur Ulrich Habsburgs bei den Präsidentschaftswahlen 2010.27 Es gibt inhaltliche politische Kontinuität also nicht nur innerhalb politischer Parteien, sondern auch parteienübergreifend in Form von Staatsdoktrinen. Ausschlaggebend ist also der kontinuierliche Standpunkt bezüglich bestimmter Fragen.

27 Die Presse; vom 19. Februar 2010; Habsburg: Die Hofburg bleibt fest verriegelt, Warum kein Familienmitglied für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten antreten darf. Der ominöse Passus besteht seit dem 1. Oktober 1920: http://diepresse.com/home/politik/hofburgwahl/541005/Habsburg_Die-Hofburg- bleibt-fest-verriegelt

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4.4.2. b: Personelle Kontinuität

Personelle Kontinuität ist im Gegensatz zur inhaltlichen deutlich einfacher zu definieren. So handelt es sich dabei vor allem um das über einen längeren Zeitraum konstante Innehaben von Macht innerhalb einer Bewegung, einer Partei oder auch im Staatswesen.

Ein hier anzuführendes Beispiel stellte Otto von Bismarck dar. Dieser war, abgesehen von einer kurzen Unterbrechung anno 1873, von 1862 bis 1890 Ministerpräsident von Preußen. Von 1867 bis 1871 bekleidete er das Amt des Bundeskanzlers des Norddeutschen Bundes. Ab der Gründung des Deutschen Reiches 1871 war er bis 1890 dessen erster Reichskanzler. Trotz dieser unterschiedlichen Ämter konnte Bismarck die Macht in Berlin über diese Zeit hinweg faktisch halten. Der Herrschaftsbereich, über den er verfügte, erweiterte sich währenddessen enorm. Inhaltlich entwickelte sich Bismarck jedoch vom Nationalliberalen zunehmend zum antiparlamentarisch gesinnten Konservativen.28 Von inhaltlicher Kontinuität ist in seinem Fall demnach nicht die Rede.

28 Loth, Wilfried; Das Kaiserreich, Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung; Dt. Taschenbuch-Verlag; München; 1996; S. 59 f.

29

5. Fragestellung

5.1. Vergleich der Personen Da ich mich in meiner Untersuchung auf die Parteigründer und damit jeweils ersten Obmänner konzentrieren werde, gilt es ihre Lebensläufe zu vergleichen. Dazu habe ich folgende Fragen definiert um eine Gegenüberstellung zu bekommen:

Wie sah ihre Jugend aus? Welche Ausbildung genossen sie? Was erlebten sie in ihrer Zeit als junge Erwachsene? Wie verlief ihre berufliche Laufbahn? Vor welche Probleme wurden sie im skizzierten Lebensweg gestellt? Welche politische Weltanschauung hatten sie?

Durch diesen Vergleich soll die inhaltliche Positionierung der Personen Herbert Kraus und Anton Reinthaller dargestellt werden. Aufgrund ihrer Position als Gründer werde ich diesen Vergleich besonders gewichtig einstufen. Des Weiteren werde ich die Führungsmannschaften des VdU und der neuentstandenen FPÖ miteinander vergleichen. Dazu habe ich diese Fragen definiert:

Wer war in der Leitung des VdU während der letzten Jahre seines Bestehens? Wer war in der Leitung der FPÖ während des ersten Jahrs nach ihrer Gründung? Wer leitete die Landesverbände des VdU während der letzten Jahre seines Bestehens? Wer leitete die Landesverbände der FPÖ während des ersten Jahrs nach ihrer Gründung? Wer war im letzten Klub der Wahlpartei der Unabhängigen im Nationalrat? Wer war im neugewählten Klub der FPÖ im Nationalrat nach der Nationalratswahl 1956?

Diese Gegenüberstellung soll die Frage nach personeller Kontinuität beziehungsweise Bruch beantworten.

30

5.2. Vergleich der Inhalte Die zwei beschriebenen politischen Fraktionen lassen sich durch ihre inhaltliche Programmatik am besten vergleichen. Dazu werde ich die beiden Programme des VdU mit dem ersten Programm der FPÖ heranziehen. Die dazu formulierten Fragen sind:

Welche Punkte werden besonders hervorgehoben? Auf welche Weltanschauung lassen die Programme schließen? Auf welche Wählergruppe zielen die Programme ab?

Durch die Beantwortung dieser Fragen wird die Frage nach inhaltlicher Kontinuität auf Parteiebene beantwortet werden.

31

6. Quellenlage und aktueller Forschungsstand

Die Problematik, die sich bei der Quellensuche herauskristallisierte, war die, dass es in Bezug auf diese Thematik fast ausschließlich „befangene“ Literatur gibt. Größtenteils stammen die Verfasser selbst aus dem politischen Dunstkreis des „Dritten Lagers“. Dementsprechend galt es, diese Quellen besonders kritisch zu reflektieren. Die Werke von Lothar Höbelt29 und Erich Reiter30 entsprechen dabei immerhin den erforderlichen wissenschaftlichen Standards. Kurt Piringer31 verfasste mit den Chronologien des VdU und der FPÖ für das Freiheitliche Bildungswerk zwar parteieigene Schriften, die sich aber aufgrund der dort erwähnten „hard facts“ ebenso heranziehen lassen. Eine Dissertation von Werner Müller-Klingspor bei Professor Adam Wandruszka an der Wiener Universität aus dem Jahr 1972 trägt den Titel „Die Neubegründung des freiheitlich- nationalen Lagers in Österreich von 1945 bis 1949“.32 Diese Arbeit steht jedoch beispielhaft für die Anzahl an parteiischen und voreingenommenen Quellen. So befinden sich darin Zitate in nationalsozialistischer Terminologie wie: „das Nationalsozialistengesetz erwies sich immer mehr als schwärende Wunde am österreichischen Volkskörper.“33 vollkommen

29 Höbelt, Lothar; Von der vierten Partei zur dritten Kraft – Die Geschichte des VdU; Leopold Stocker Verlag; Graz; 1999

30 Reiter, Erich, Ermacora, Felix; Programm und Programmentwicklung der FPÖ; Universitäts- Verlagsbuchhandlung; Wien; 1982

31 Piringer, Kurt (Hg.); Der VdU: Verband der Unabhängigen 1949–1956, Eine Dokumentation; Freiheitliche Akademie; Wien; 1999

32 Müller-Klingspor, Werner; Die Neubegründung des freiheitlich-nationalen Lagers in Österreich von 1945 bis 1949; Phil. Diss.; Wien; 1972

33 Salzburger Nachrichten, Salzburg; 2./3. 7. 1949; Zitiert nach: Müller-Klingspor, Werner; Die Neubegründung des freiheitlich-nationalen Lagers in Österreich von 1945 bis 1949; Phil. Diss.; Wien; 1972;

32

unkommentiert, oder es wird die Entnazifizierung mit den Verbrechen des „Dritten Reichs“ gleichgesetzt.34 Ich habe aber zum Glück auch einige Diplomarbeiten gefunden, die sich als Quellen gut eigneten.

Autoren, die man nicht dieser „Gesinnungsgemeinschaft“ zuordnen kann, sind Anton Pelinka mit dem Werk: „Vom Glanz und Elend der Parteien: Struktur- und Funktionswandel des österreichischen Parteiensystems“35, ebenfalls schrieb er über die Thematik in: „Sonderfall FPÖ – Sonderfall Österreich“36, oder Erika Weinzierl, die das Thema in: „Das große Tabu : Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit“37 behandelte, oder Oliver Rathkolb in: „Die paradoxe Republik; Österreich 1945 bis 2005“.38 Sie beschäftigten sich jedoch in ihren Werken nur am Rand mit diesem spezifischen Thema.

Bei Herbert Kraus hat sich die Quellenlage im Zuge meiner Recherche unterschiedlich zu jener zu Anton Reinthaller erwiesen.

34 Müller-Klingspor, Werner; Die Neubegründung des freiheitlich-nationalen Lagers in Österreich von 1945 bis 1949; Phil. Diss.; Wien; 1972; S. 49

35 Pelinka, Anton; Vom Glanz und Elend der Parteien: Struktur- und Funktionswandel des österreichischen Parteiensystems; Studien-Verlag; Wien; 2005

36 Pelinka, Anton; Sonderfall FPÖ – Sonderfall Österreich; in: Karlhofer, Ferdinand, Josef Melchior, Hubert Sickinger (Hg.); Anlassfall Österreich, Die Europäische Union auf dem Weg zu einer Wertegemeinschaft; Nomos Verlagsgesellschaft; Baden-Baden; 2001

37 Pelinka Anton, Weinzierl Erika (Hg.); Das große Tabu : Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit; Verl. der Österr. Staatsdruckerei; Wien; 1987

38 Rathkolb, Oliver; Die paradoxe Republik; Österreich 1945 bis 2005; Zsolnay; Wien; 2005

33

6.1. Quellenlage bezüglich Herbert Kraus Kraus hat mit seinen Memoiren eine durchgehende Beschreibung seines Lebens hinterlassen. Sein langjähriger Kollege und politischer Gefährte Viktor Reimann hat seine Erinnerungen betreffend seine Zeit in der Politik in Buchform veröffentlicht und dabei Kraus' Leben auch beschrieben. Zusätzlich haben die beiden Journalisten in der Ausübung dieser Profession regelmäßig für Zeitschriften Artikel verfasst.

6.2. Quellenlage bezüglich Anton Reinthaller Anders gestaltete sich die Situation bei Anton Reinthaller. Es gibt außer Kurzbiographien keine verfügbaren ausführlichen Beschreibungen seines Lebens. Da Reinthaller jedoch bereits vor der Gründung der FPÖ auf eine bewegte Karriere zurückblicken konnte, entstanden im Zuge dieser einige Akten und Belege. Auch Reden und von ihm verfasste Artikel wurden während seiner Laufbahn veröffentlicht und konnten so als Quellen herangezogen werden.

34

7. Methodik

Das Wort Methodik kommt aus dem altgriechischen (méta ‚hin„ und hodós ‚der Weg„) und beschreibt die Gesamtheit aller „Hinwege“ zu dem Ziel neuer wissenschaftlicher Erkenntnis. Um dieses Ziel zu erreichen, werde ich mich im gegebenen Fall vor allem der Analyse den Biographien der entscheidenden Protagonisten widmen. Anhand dieser Lebensläufe werde ich versuchen, eventuelle Kontinuitäten und Brüche innerhalb des Dritten Lagers sowohl inhaltlicher als auch personeller Form darzulegen.

Um mich dabei nicht zu sehr von den politischen Ansichten einzelner Autoren beeinflussen zu lassen, werde ich mich unterschiedlicher Quellen bedienen. Hierbei möchte ich so gut wie möglich die Werke von Historikern mit untereinander differenzierenden politischen Ansichten verwerten. Im Fall eines Mangels an bestehender Literatur werde ich mit der Hilfe der Archivrecherche arbeiten.

Es werden also größtenteils Biographien, Chroniken, Zeitschriften, Archive und gegebenenfalls Onlinequellen untersucht werden. Die Biographie und speziell die Autobiographie ist von den erwähnten Quellen die am komplexesten auszuwertende.

35

7.1. Quellentheorie:

7.1.1. Das Erstellen einer Biographie

Beim Erstellen einer Biographie gilt es zwischen den unterschiedlichen Arten der Herkunft zu unterscheiden:

1. Dokumente von Personen, sogenannte Ego-Dokumente

2. Dokumente über Personen

Des Weiteren unterscheidet die Zeitebene:

1. Quellen, die zu Lebzeiten entstanden sind

2. posthume Quellen.

Hier unterscheidet die jeweilige Möglichkeit bezüglich der umfassenden Einordnung zur Entstehungszeit.39

39 Etzemüller, Thomas; Biographien, Lesen – erforschen – erzählen; Campus Verlag; Frankfurt; 2012; S. 81

36

7.1.2. Die Biographie als Quelle

Sowohl Autobiographien als auch Biographien erzielen Effekte auf die Leser, nicht zuletzt als Möglichkeit der Reflexion. Nicht nur geben sie als Quellen Aufschlüsse über ihre Verfasser oder Verfasserinnen, besonders der Fall ist das natürlich bei Autobiographien. Auch vom Historiker oder der Historikerin können sie als mehrschichtige Forschungsmaterie untersucht werden. Einerseits steht es ihm oder ihr zu, die (auto-) biographischen Schriften auf ihre Fakten hin auszuwerten, etwa wenn das Subjekt über Interna berichtet, die sonst nicht zugänglich wären. Andererseits, indem er den Text „zwischen den Zeilen“ und „gegen den Strich“ liest, kann er ihn, das dazu gehörende Begleitwissen vorausgesetzt, wissenschaftlich interpretieren und einordnen.40

„Die Selbstbiographie ist die höchste und am meisten instruktive Form, in welcher uns das Verstehen des Lebens entgegentritt“41

Wilhelm Dilthey

Zur essentialistischen und den konstruktivistischen Analyse von Biographien:

 Es gibt grundsätzlich die essentialistische und die konstruktivistische Herangehensweise an Biographien.

 Bei der essentialistischen Herangehensweise wird an den Biographen die Forderung herangetragen, Grundkonstanten des Charakters des Protagonisten herauszuarbeiten. Entscheidende Prägungen und Handlungsdeterminanten sollen aufgezeigt, gleichzeitig jedoch Mythen und Klischees zerstört werden.

40 Etzemüller; 2012; S. 149f

41 Groethuysen, Bernhard; Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften, Band VII; Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen; 1970; S. 199

37

 Bei der konstruktivistischen Herangehensweise konzentriert sich der Biograph auf die Strategien der Legitimation des Dargebotenen. Wie sollen Authentizität und Realismus suggeriert werden, welche Rhetorik soll dazu verhelfen, welche Fakten sollen was belegen und weshalb werden sie herangezogen? Zu guter Letzt, welcher Narrativ wird konstruiert?42

42 Etzemüller; 2012; S. 102

38

7.2. Literaturtheorie

Zur gattungsspezifischen Einordnung des Buches von Kraus werde ich mich auf Bernd Neumann beziehen. Typologisch lässt sich das Buch von Kraus nach Bernd Neumann als „epische“ Memoiren einordnen, der dazu Folgendes schrieb:

„Die „epischen“ Memoiren

Den Gegenpol zur „lyrischen“ Autobiographie bilden „episch“ verfahrende Memoiren, die eine besonders objektive Wiedergabe des Lebens anstreben, In ihnen herrscht nicht die „Erinnerung“, sondern die „Vorstellung“. Ein Memoirenschreiber, der sich ausschließlich als Träger einer sozialen Rolle sieht, steht seinem Tun ebenso fremd und leidenschaftslos gegenüber wie der epische Dichter seinen Figuren. Ihm ergeht es wie dem Epiker, er „vertieft sich nicht erinnernd in das Vergangene wie der Lyriker (oder, in diesem Zusammenhang, der Autobiograph), sondern er gedenkt“ dessen, was sich außer ihm, von ihm kühl beobachtet, abspielt.“43

Des Weiteren informierte ich mich über die Analyse der Funktion des Textes:

„Denn Biographie ist immer auch eine operationale Literaturform; sie ist Zweckliteratur, das heißt, sie will etwas erreichen und steht im Dienste bestimmter Normsysteme. Deshalb ist es für die Gattungsgeschichte so wichtig zu wissen, auf welche Bedürfnisse die Biographie reagiert, welche Probleme sie aufgreift oder verdeckt.“44

43 Neumann, Bernd; Von Augustinus zu Facebook, Zur Geschichte und Theorie der Autobiographie; Königshausen und Neumann; Würzburg; 2013; S. 117

44 Scheuer, Helmut; Biographie, Überlegungen zu einer Gattungsbeschreibung; in: Grimm Reinhold, Jost, Hermand (Hg.); Vom Anderen und vom Selbst; Beiträge zu Fragen der Biographie und Autobiographie; Athenäum Verlag; Königstein/Ts.; 1982; S. 11

39

7.3. Inhaltliche Analyse von Biographien, die unterschiedliche Darstellung von Vergangenheit:

Diese Darstellung fällt unterschiedlich aus, abhängig von der Erzählinstanz, der Zeitgestaltung, der zeitlichen Distanz, beziehungsweise dem Erzählmuster.

Erzählinstanz: Man kann versuchen, die Distanz zwischen Text und Realität zu vermessen.45 Besonders aussagekräftig ist diese Methode bei Autobiographien. Wie situiert sich der Erzähler in Bezug auf das Subjekt seiner Erzählung?

Zeitgestaltung: Welche Phasen werden wie schnell abgehandelt oder gar übersprungen? Bei Auslassungen ist laut Thomas Etzemüller zu erwähnen, dass auch sie Informationen preisgeben:

„Auslassungen sind also keine bedauerlichen »Verzerrungen« eines eigentlich objektiven biographischen Bildes – nicht einmal, wenn sie bewusst und gezielt geschehen. Sie bilden nicht die »Schattenseite« einer Biographie. Man muss diese Leerstellen allerdings zu lesen lernen, um den Zuschnitt eines biographischen Bildes genauer bewerten zu können.“46

Zeitliche Distanz: Auch die Sichtweise bezüglich der persönlichen Erfahrungen lässt sich feststellen. Der Autobiograph durchlebte diese nicht emotionslos und verrät durch seine Sicht der Dinge auch seinen Standpunkt. Des Weiteren versucht er seinen Erfahrungen eine gewisse Bedeutung zuzugestehen. Diese Bedeutung kann sich aber zwischen

45 Etzemüller; 2012; S. 105

46 Ebd.; S. 117

40

dem Erleben der Situation und ihrer Niederschrift gewandelt haben. 47 Bezüglich der Kindheitserinnerungen meinte Roy Pascal:

„Werke, die in die Jugend und das Mannesalter weiterschreiten, halten sich fast mit Notwendigkeit an den geraden Weg der Geschichte einer besonderen Leistung, einer besonderen Weltauffassung oder einer Berufslaufbahn, durch die der Schreibende allgemein bekannt ist und die oft der tatsächliche Grund für das Schreiben ist. […] Wenn er in der Erzählung seiner Kindheit unberücksichtigt lässt, was später aus ihm geworden ist, so besteht die Gefahr, dass sie in vielen Punkten keine Beziehung zu seiner Geschichte hat und als Ausdruck bloßen sentimentalen Schwelgens in Privaten Erinnerungen erscheint. Wenn er hingegen nur von dem spricht, was in seiner Kindheit schon auf seine spätere Entwicklung hinweist, so kann die Wahrheit leicht durch die Voreingenommenheit entstellt werden. Dieses Problem der Auswahl ist vor allem dann besonders heikel, wenn ein Werdegang an eine unpersönliche Aufgabe gebunden ist: zum Beispiel bei Wissenschaftlern.“48

Das bedeutet für die Analyse des Werkes von Kraus, dass selbst die Teile, die seine Jugend beschreiben, von mir herangezogen werden können.

Erzählmuster: Hier gibt es ein weites Feld an bekannten Mustern, derer sich der Erzähler bedienen kann. Von der Tragödie über die Erfolgsgeschichte, den Sonderweg, den Irrweg bis zur Komödie ist hier alles möglich, doch wird meist eine Mischform gewählt. In der Zeit nach den Weltkriegen ist die Konversionsgeschichte eine sehr häufige. Diese wird von einem bestimmten oder mehreren Bruchpunkten aus erzählt. Dieser kann beispielsweise ein Irrtum oder ein Schicksalsschlag sein. Diese Bruchpunkte können eine derartige Dominanz innerhalb einer Geschichte entwickeln, dass andere

47 Pascal, Roy; Die Autobiographie, Gehalt und Gestalt; W. Kohlhammer Verlag; Stuttgart; 1965; S. 29

48 Ebd.; S. 119

41

Ereignisse mit aller Macht in Bezug zu ihnen gestellt werden.49 Bezüglich der Erzählungen des Autobiographen kann man Entwicklungsstruktur erkennen, die die späteren Ereignisse seines Lebens erklären soll. Die Auswahl erfolgte nicht zur Zeit des Erlebens, sondern während des Verfassens der Biographie. 50

„Sie [die Autobiographie] legt einem Leben ein Muster („pattern“) unter, konstruiert aus ihm eine kohärente Geschichte. Sie gliedert ein Leben in bestimmte Situationen, verbindet sie miteinander und stellt, stillschweigend oder ausdrücklich, eine bestimmte Konsequenz in der Beziehung zwischen Ich und Umwelt fest. Diese Kohärenz verlangt, dass der Schreiber einen besonderen Standpunkt bezieht, und zwar den Standpunkt des Augenblicks, in dem er sein Leben wiedergibt und von dem aus er sein Leben interpretiert.“51

Eine spezielle Form des Erzählmusters ist die Exkulpation: Anhand der Biographien von Albert Speer, dem ehemaligen Rüstungsminister des „Dritten Reichs“, und Leni Riefenstahl lassen sich verschiedene Exkulpationstheorien belegen.

Albert Speer verteidigte sich bei seinem Verfahren im Rahmen der Nürnberger Prozesse einerseits durch den Topos des unpolitischen Technikers, der als Experte nur an Detailfragen interessiert war. Seine Arbeit sei höchstens vom Patriotismus getragen worden, nicht von einer gewissen Parteilichkeit für die NSDAP oder die arische Rasse. Dass diese Arbeit dem Diktator Hitler zu seinen Verbrechen befähigte, sei ihm erst später aufgefallen. Hier lässt sich eine „faustische Deutungsweise“ erkennen. Die Geister, die Speer rief, wurden von der „teuflischen Macht“ missbraucht. Nichtsdestotrotz übernahm er als Mitglied der

49 Etzemüller; 2012; S. 118 f.

50 Pascal; 1965; S. 21

51 Ebd.; S. 21

42

Reichsführung die Verantwortung für alles, was geschehen sei, ohne wirklich davon gewusst zu haben.52

Auch Leni Riefenstahl zog sich in ihrer Rechtfertigung auf den Standpunkt der Expertin zurück. Diese habe sich dabei sogar mit dem allmächtigen Führer angelegt. Dass es sich hierbei allerdings nur um künstlerisch–ästhetische Detailfragen bei den Dreharbeiten zu „Triumph des Willens“ aus dem Jahr 1935, der den NSDAP-Parteitag in Nürnberg glorifizierte, handelte, ging dabei unter. Auch bei den Aufnahmen von „Olympia“ während der Olympiade 1936 in Berlin habe sie sich gegen namhafte Nationalsozialisten gestellt. Auch hier passierte das jedoch nie in Bezug auf die Glorifizierung des „Dritten Reichs“ und seiner Führung, sondern stets auf Fragen der Umsetzung des Filmes.53

Zur Theorie der politischen Exkulpation schrieb Roy Pascal dazu passend:

„Sobald der Schreiber aber in die komplexe Welt der Politik eintritt, erscheint er nur mehr als kleines Rädchen, eingefügt in ein großes Ganzes, in dem er hier und da selbst etwas bewirkt, aber sich stets der Vielzahl von Personen und Kräften um ihn herum bewusst ist. Rückt er sich selbst in den Mittelpunkt, dann verfällt er in unangenehme Eitelkeit – nicht als Akteur, als Betrachter nur vermag er aus seinen Erfahrungen ein einheitliches Ganzes zu machen. Gleichzeitig prägt sich der Charakter des öffentlichen Politischen Lebens so unbarmherzig auf, dass oft keine wesentlichen Beziehungen zwischen der persönlichen Eigenart des Menschen und seiner Arbeit besteht. […] Größer als in anderen Lebensbereichen ist im politischen auch die Gefahr, dass die Autobiographie zur Apologie wird, dass sie geschrieben wird, um zu überreden.“54

52 Reif, Adelbert; Albert Speer, Kontroversen um ein deutsches Phänomen; Bernard & Graefe Verlag; München; 1978; S. 215 ff.

53 Etzemüller; 2012; S. 145 f.

54 Pascal; 1965; S. 16

43

Es gilt demnach zu beachten, dass etwa Kraus in seinen Memoiren versuchte, seine Handlungen vor dem Leser als von den gegebenen Umständen erfordert darzustellen und damit zu legitimieren.

44

8. Entnazifizierung nach 1945

„Am Tage der Befreiung, als die Befreiungsarmee einzog, als dieser Nationalsozialismus seiner brutalen Machtmittel beraubt war, als der Nationalsozialist nackt mit schlotternden Knien vor uns stand, als dieses unbewußte Angstgefühl in uns gewichen war -, da regte sich in uns Österreichern wieder unser österreichisches Wesen: Es war der österreichische Mensch, der von diesem System immer abgeleugnet wurde, der jetzt zur Geltung kam – damals, als die Vergeltung, die wir uns so blutig vorgestellt hatten, praktisch gesprochen ausblieb…“55

Karl Aichhorn

Nach der Befreiung durch die Alliierten 1945 wurde eine provisorische Regierung unter Karl Renner eingesetzt. Diese war eine Konzentrationsregierung, der die ÖVP, die SPÖ und die KPÖ angehörten. Sie beschloss bereits in den ersten Wochen ihres Bestehens die zwei grundlegenden Gesetze, die die rechtliche Basis für die Entnazifizierung in Österreich darstellten. Diese waren das Verfassungsgesetz,56 welches die NSDAP verbot, und das Kriegsverbrechergesetz.57 Die bereits bei der Konferenz von Jalta beschlossene58 Entnazifizierung in Österreich lief in unterschiedlichen Phasen ab. Die erste war die militärische Sicherheitsphase. In ihr wurden primär Internierungen veranlasst. Darauf folgte die Phase von Mai 1945 bis Februar 1946. Diese zeichnete sich durch Unkoordiniertheit aus, da sie von fünf verschiedenen Instanzen gleichzeitig betrieben wurde. Diese waren die

55 Nach: Aichhorn; ÖVP, 28. Sitzung; S. 190/1; in: Stiefel, Dieter; Entnazifizierung in Österreich; Europaverlag; Wien; 1981; S. 17

56 Piringer; 1999; S. 15

57 Stiefel; 1981; S. 81

58 Ebd.; S. 21

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Besatzungsmächte und die österreichische Regierung. Aufgrund der dabei entstehenden Probleme wurden ab Februar 1946 die Entnazifizierungsaufgaben der österreichischen Regierung übergeben. Nun wurden die von ihr verabschiedeten Entnazifizierungsgesetze in ganz Österreich angewendet. Ein neues Entnazifizierungsgesetz wurde im Februar 1947 verabschiedet, welches die Hauptphase des Prozesses über gültig war. Es wurden eigens für diese Aufgabe Volksgerichte eingesetzt, die sich nur mit den hier anfallenden Verfahren beschäftigten. Im Laufe ihrer Existenz, bis 1955, behandelten sie 136.829 Fälle. In nur 17% (23.477) dieser Fälle kam es zu einer Urteilsfindung und davon gab es bei nur 58% (13.607) einen Schuldspruch.59 Die damals noch existierende Todesstrafe wurde 43-mal verhängt und 30-mal vollstreckt. Von den 34-mal verhängten lebenslänglichen Gefängnisurteilen wurden sechs später verkürzt.60

Im Sommer des Jahres 1948 folgten dann die ersten Amnestien, wie die Jugendamnestie oder die Minderbelastetenamnestie.61 Dadurch bekam bei der Nationalratswahl 1949 das Gros der ehemaligen Parteimitglieder der NSDAP, im Gegensatz zu den vorhergehenden Wahlen, wieder ihr Wahlrecht. Ihre Zahl betrug im Jahr 1946 536.66262, was sie zu einem demokratiepolitischen Faktor machte. Das hatten die Parteien erkannt und dementsprechend umwarben sie diese Gruppe. Nicht nur die zum Dritten Lager gehörenden Gruppierungen, sondern auch die bereits bestehenden Parteien wollten und konnten diese für sich vereinnahmen.

59 Stiefel; 1981; S. 255

60 Ebd.; S. 257

61 Ebd.; S. 18

62 Ebd.; S. 93

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9. Chronologie des Verbands der Unabhängigen (VdU) 63

1949 13. Mai: Die Kandidatur des VdU als Wahlpartei der Unabhängigen bei der nächsten Nationalratswahl am 9. Oktober wird von Dr. Helfried Pfeifer angekündigt.

Juli: Die VdU-Landesverbände werden gegründet.

30. Juli: Unter dem Motto „Recht, Sauberkeit, Leistung“ wird das Programm bekanntgegeben.

9. Oktober: Bei der Nationalratswahl erreicht der WdU 16 von 165 Mandaten.

29. Oktober: Bei den Arbeiterkammerwahlen erreicht der VdU 117 Mandate und ist damit in Kärnten, Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark noch vor dem ÖAAB auf Platz zwei hinter der SPÖ.

1950 1. Juni: Bei der Abstimmung über die Verlängerung der Todesstrafe als Höchststrafe in Österreich wird diese mit 86 zu 64 Stimmen abgelehnt. Der VdU stimmt dagegen.

63 Piringer, Kurt; „Chronologie“, Verband der Unabhängigen (VdU) 1949–1955; Freiheitliches Bildungswerk; Wien; 1993

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23. Juni: Während einer vom steirischen VdU-Obmann Gordon Gollob veranstalteten Kundgebung am Grazer Hauptplatz kommt es zu offener Wiederbetätigung worauf der steirische VdU-Landesverband zeitweise verboten wird.

1951 16. März: In der „Neuen Front“, der Parteizeitung des VdU, wird die Unterstützung von Burghard Breitner als Kandidat für die Wahl zum Bundespräsidenten ausgerichtet.

6. Mai: Im ersten Wahlgang erhält Burghard Breitner 662.559 Stimmen, was 15,16% entspricht.

19. Mai: Der Bundesverbandsobmann Herbert Kraus spricht eine Wahlempfehlung für Heinrich Gleißner, den Kandidaten der ÖVP, für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl aus.

27. Mai: Im zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl siegt der Kandidat der SPÖ Theodor Körner mit 52,1% vor Gleißner.

1952 21. Juni: Die „Aktion zur politischen Erneuerung“ von Ernst Strachwitz wechselt endgültig von der ÖVP zum VdU.

25. – 26. Oktober: Herbert Kraus tritt beim außerordentlichen Parteitag in Graz von seiner Position als Bundesparteiobmann zurück. Sein Nachfolger wird Max Stendebach. Kraus bleibt Klubobmann der Fraktion im Nationalrat.

48

1953 22. Februar: Bei der Nationalratswahl kommt der wieder als WdU antretende VdU auf 10,9% der Stimmen und 14 Mandate.

28. März: Karl Hartleb vom VdU wird zum dritten Nationalratspräsidenten gewählt.

März, April: Der VdU geht in Regierungsverhandlungen mit der ÖVP. Diese scheitern jedoch.

1954 15.–16. Mai: Beim Bundesverbandstag in Bad Aussee wird Max Stendebach als Bundesverbandsobmann wiedergewählt. Im neuen Programm des VdU steht als Punkt zwei:

„Österreich ist ein deutscher Staat. Seine Politik muß dem gesamten deutschen Volk dienen und darf nie gegen einen anderen deutschen Staat gerichtet sein.“64

17. Oktober: Bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Wien verliert der VdU deutlich.

24. Oktober: Von den ehemals 117 Mandaten kann der VdU bei der Arbeiterkammerwahl nur 19 halten.

64 Reiter; 1982; S. 247

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1955 4. Februar: In Schwarzach-St.Veit entschließen sich die Landesobmänner von Kärnten, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg, die Zusammenarbeit mit Anton Reinthaller unter Androhung der Abspaltung von der Bundespartei zu fordern.

5. März: In Tirol bildet sich das „Komitee zur Sammlung der Mitte“.

3. April: Schwere Verluste für den VdU bei den Gemeinderatswahlen in der Steiermark.

5. Juni: Der gesamte Kärntner Landesverband des VdU tritt zur Freiheitspartei über.

17. September: Die „Freiheitliche Wahlgemeinschaft“ bestehend aus der Freiheitspartei von Anton Reinthaller und dem VdU kündigt ihr Antreten bei der Landtagswahl in Oberösterreich an.

23. Oktober: Die Freiheitliche Wahlgemeinschaft erlangt 4 Mandate bei der Oberösterreichischen Landtagswahl. Der VdU hatte zuvor 10 Mandate.

26. Oktober: Der VdU stimmt gegen das Neutralitätsgesetz.

3. November: Gründung der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ).

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1956 8. April: Beim letzten Bundesverbandstag des VdU im Rahmen des Gründungsparteitages der FPÖ wird auf Antrag von Max Stendebach die Auflösung des VdU mit 56 zu 23 Stimmen beschlossen.

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10. Herbert Kraus – Der Gründer und erste Obmann des Verbands der Unabhängigen

10.1. Jugend Herbert Alois Kraus wurde am 18. November 1911 in Zagreb geboren. Sein Vater, Maximilian Kraus (geboren 1876, gefallen 1914), war Major des Generalstabs der K. u K. Armee.65 Aus diesem Grund wechselte die Familie regelmäßig den Wohnort, der Dienst an der Monarchie verlangte dies. Ab dem Jahr 1915 wohnte Kraus bei seiner Mutter in Hall in Tirol, der Vater war bereits im ersten Kriegsjahr gefallen. An diesem Ort erlebte er auch das Kriegsende mit dem darauf folgenden Zusammenbruch der Doppelmonarchie. Der Verlust des gesellschaftlichen Status und der familiären Ersparnisse führte zu einer bleibenden Abneigung gegenüber der Gesellschaft der neu entstandenen Ersten Republik.

Seine Gymnasialzeit verbrachte Herbert Kraus in zwei katholischen Internaten wovon das bischöfliche Konvikt in Brixen66 ihm die Problematik der Brennergrenze zwischen dem österreichischen Bundesland Tirol und dem nunmehr zu Italien gehörenden Südtirol, in dem sich auch Brixen befand, vor Augen führte. In seiner Autobiographie „Untragbare Objektivität“ schrieb er später: „Für meine Mitschüler, zumeist Bauernsöhne aus den Tiroler Bergdörfern, existierte noch die gottgewollte Ordnung der Monarchie. Die italienische Fremdherrschaft wurde als vorübergehende Strafe Gottes betrachtet.“67

65 Kraus, Herbert; Untragbare Objektivität, politische Erinnerungen 1917 bis 1987; Amalthea-Verlag ; Wien, München; 1988; S. 12

66 Ebd.; S. 26

67 Ebd.; S. 26

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Das zweite Internat welches Herbert Kraus besuchte war jenes der Jesuiten in Feldkirch. Im dortigen verhältnismäßig liberaleren Ambiente lernte er zu diskutieren und genoss die relative Weltoffenheit. Da seine Familie 1924 nach Wien zog wurde er Zeuge der turbulenten politischen Ereignisse der darauffolgenden Jahre.

„Die übliche Struktur von Kindheitsberichten wird durch ihr gemeinsames Thema gegeben – das Heranwachsen. Es ist ein Thema, das sich besonders für autobiographische Behandlung eignet, da die innere Entwicklung eingeschlossen ist in äußere Ereignisse. In diesem Zustand, wo das Kind kaum sich selbst genau prüft, kommt es zum eigenen Sein und zum Bewusstsein seiner selbst dadurch, dass es sich der Mitmenschen und der Welt bewusst wird. Der Vorgang des Wachstums nimmt daher eine lebendige, konkrete Form an durch die Beobachtung von Dingen und Menschen; das sich weitende Bewusstsein ist diese sich weitende Welt. Die Auswahl der Ereignisse wird in der Hauptsache von Erinnerung getroffen – im allgemeinen gibt es keine andere Autorität –, was im Gedächtnis bleibt, ist noch am Leben und lebhaft. Es mag etwas für die Vernunft Unbedeutendes sein, das heißt etwas, das innerhalb des persönlichen Entwicklungsweges keine Rolle spielt; wichtigere Erlebnisse mögen vergessen worden sein. Aber es ist die Vergangenheit, so wie wir sie jetzt besitzen, ihre Bedeutung liegt darin, dass sie unsere Vergangenheit ist.“68

Zitat Roy Pascal

68 Pascal; 1965; S. 105

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10.2. Werdegang vor dem Ende der Ersten Republik Nach dem Absolvieren der Matura 1930 in Feldkirch inskribierte er sich an der Hochschule für Welthandel. Sein Onkel Dr. Ing. Ernst Kraus, der von 1915 bis 1938 Generaldirektor der Siemens & Halske AG war und von 1929 bis 1938 zusätzlich den Siemens-Schuckert Werken vorstand, stellte Kraus zusätzlich im technischen Büro in ein. Bereits nach fünf Monaten kündigte er das Arbeitsverhältnis und ging zurück nach Wien.69 Dank finanzieller Unterstützung konnte seine Familie eine Pension für ausländische Studenten eröffnen, was Kraus die Möglichkeit eröffnete, mitten in der Weltwirtschaftskrise unbeschwert zu studieren. Im Zuge des Studiums, welches er mit einer Diplomarbeit über den „Krisenzyklus in der Investitionsgüter-Industrie“ abschloss70, näherte er sich den Ideen des staatlich subventionierten Wachstums. 1933 machte er sich mit einem chemischen Betrieb selbständig. Die Demontage der Demokratie in Österreich, welche mit der sogenannten „Selbstauflösung des Parlaments“ am 4. März 1934 besiegelt wurde, veranlasste Kraus über die Zerbrechlichkeit der selbigen zu sinnieren, wie er später schrieb:

„Ich habe mir in der Folge viele Gedanken gemacht, Welche politischen Grundeinstellungen beim einfachen Staatsbürger, welche Überzeugung in der öffentlichen Meinung, welche Charaktereigenschaften bei den Politikern und welche „offiziellen Parteimeinungen“ in den Parteien vorherrschen müssen, damit das Kunstwerk der demokratischen Ordnung errichtet und erhalten werden kann.“71

69 Kraus; 1988; S. 45

70 Ebd.; S. 45

71 Ebd.; S. 60

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10.3. Kraus und der Nationalsozialismus In seinen politischen Erinnerungen stellte Kraus seine Sicht bezüglich des National- sozialismus wie folgt dar:

„Österreich hat eine größere historische Last als andere Länder zu tragen. Es hat mehr aufzuarbeiten, das heißt einzusehen und zu verstehen, um sich von Vergangenheitskomplexen zu befreien. Einsicht und Verständnis kommen oft spät. Sie können aber auch in später Zeit die immer noch wuchernden Fehlentwicklungen beseitigen und auch die vorherrschenden Fehlurteile korrigieren. Die Opfer, die Nachgeborenen der Mittäter und die pauschal Belasteten, sie alle sind befangen. Es ist verständlich, dass sie über diese Zeit nur mit Emotion oder überhaupt nicht reden können.“72

Ersten Kontakt mit dem nationalsozialistischen Staat hatte Kraus im Jahr 1934 auf einer Dienstreise nach Bochum ins Deutsche Reich. Er meinte später, er sei von den einseitigen, liebedienerisch abgeschmackten Zeitungsberichten über die Politik des Regimes in der dortigen Presse nicht gewonnen, sondern eher abgestoßen worden. Auch die Boykotte jüdischer Geschäfte konnte er am Rückweg in Nürnberg beobachten.73 Sein Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung Wiens erschließt sich in seiner Bewertung der Zunahme der dort ansässigen jüdischen Einwohner. In seinen Memoiren schrieb er noch im Jahr 1988:

„Ihr Prozentsatz [Anm.: der jüdische] an der Gesamtbevölkerung stieg also von den sogenannten erträglichen zweieinhalb auf besorgniserregende zwölf Prozent. Aber noch mehr Besorgnis rief ihr Anteil in den Intelligenzberufen hervor. So waren von den Journalisten 80 Prozent, [Kraus berief sich bei diesen Daten auf den Vortrag des Historikers jüdischer Herkunft Egon Schwarz aus dem Jahr 1978] den Bankiers 75, den Rechtsanwälten 62 und den Ärzten 51 Prozent Juden. Sie waren eine

72 Kraus; 1988; S. 64 f.

73 Ebd.; S. 68

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geschlossene „organisierte Gruppe“, in der nicht allein die Tüchtigkeit, sondern auch die Zugehörigkeit zur Gruppe entschied. Jüdische Zeitungsbesitzer stellten nur jüdische Journalisten an, jüdische Universitätsprofessoren fast nur jüdische Assistenten. [...] In den Hauptstädten der Bundesländer wurde zum mindesten je ein jüdisches Großkaufhaus errichtet, das die eingesessene Kaufmannschaft in Schrecken und Konkurrenzangst versetzte.“74

Den Einmarsch der Nationalsozialisten verfolgte er als Teilnehmer der damals am Heldenplatz zusammen gekommenen Menschenmenge.75

Den Umstand, dass sich bis 1945 über 25% der österreichischen Bevölkerung als Mitglieder der NSDAP herausstellten, versuchte er anhand mehrerer Erklärungen zu beantworten. So seien die meisten derer die als „Illegale“, sprich Mitglieder zur Zeit des Verbots der NSDAP in der Ersten Republik, aufgenommen worden waren in Wirklichkeit keine „alten Kämpfer“ gewesen. Der Großteil hätte sich nur mit fadenscheinigen Argumenten einen Vorteil in der neuen Gesellschaft verschaffen wollen. Dieser Umstand wiederum sei von der Parteiführung willentlich in Kauf genommen worden, da so der Anschein erweckt worden wäre, die österreichische Bevölkerung sei schon seit längerem hinter Hitler gestanden. Des Weiteren sei die Masse der Mitglieder erst nach dem der Partei beigetreten. Das sei vor allem auf unbedenkliche Beweggründe zurückzuführen. Diese wären zum Beispiel beruflicher Art. Ohne die Mitgliedschaft hätten sie ihre Stellungen im Staatsdienst oder der Privatwirtschaft verloren beziehungsweise trotz fachlicher Qualifikation keine weiteren Aufstiegschancen gehabt, oder erst gar keine Arbeit gefunden. Personen die auf diese Art und Weise „arisierten“ Besitz an sich reißen wollten bezeichnete er in diesem Zusammenhang als Opportunisten. Funktionäre hätten damit gemäß ihrer gewohnten Staatstreue, ohne die Legitimität der neuen Führung zu hinterfragen, die Loyalität auch gegenüber dem Deutschen Reichs bekunden wollen.

74 Kraus; 1988; S. 72 f.

75 Ebd.; S. 76

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Als Hauptargument jedoch führte er Angst an. Die Angst vor Bespitzelung und der darauf folgenden Einlieferung ins Gefängnis oder gar in ein Konzentrationslager sei mit einer Mitgliedschaft bei den Nationalsozialisten am ehesten abgewendet worden. Die von der Ideologie überzeugten Parteimitglieder seien seiner Meinung nach nie mehr als zwei bis drei Prozent der Bevölkerung gewesen. Zirka doppelt so viele rechnete er der Gruppe derer zu, die die durchsickernden Gräueltaten der Diktatur nicht wahrhaben wollten. Nur wenige jedoch seien Übeltäter gewesen, die als Denunzianten und Helfer dem Regime aktiv unter die Arme gegriffen haben, wovon viele jedoch nicht einmal Parteimitglieder gewesen seien.76 Kraus selbst habe das Glück gehabt, sich nicht in dieser Situation des Drucks befunden zu haben, Mitglied der NSDAP werden zu müssen. Er habe durch seine von ihm nun aufgenommene Tätigkeit als Journalist sich diesem Druck entziehen können. Die Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bewertete er als „ungewöhnlich dumm inszeniert“.77

Seine neue Stelle als Wirtschaftsredakteur des „Neuen Wiener Journal“ verschaffte ihm über die Interna der Eingliederung der österreichischen Industrie in die des „Altreichs“ hinaus Einblicke in die Enteignung der jüdischen Industriellen. Nachdem das erwähnte Journal eingestellt worden war, konnte Kraus durch seine dort gewonnenen Kontakte Anfang 1939 zwei Stellen in Berlin annehmen. Diese waren beim „NWD“, einem privaten Berliner Wirtschafts-Pressedienst, beziehungsweise bei einer vom Reichswirtschaftsministerium herausgegebenen Zeitschrift namens „Südost-Echo“.78 In dieser Funktion reiste Kraus 1940 in die zu jener Zeit durch den Hitler-Stalin-Pakt mit dem Deutschen Reich verbündete Sowjetunion.

Den Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 erlebte er in Berlin, nachdem er erst am 23. August von einer Dienstreise aus Polen zurückgekehrt war. Seiner Einberufung konnte er

76 Kraus; 1988; S. 79 f.

77 Ebd.; S. 85

78 Ebd.; S. 89

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aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit entgehen und wurde vorläufig als „unabkömmlich“ erklärt.79

Laut seinen Memoiren wurde Kraus, da er mit seinem bei Siemens beschäftigten Bruder am Telefon über für Deutschland ungünstige und noch unveröffentlichte Details des Kriegsgeschehens redete, bereits eine Stunde später von der Gestapo zum Verhör zitiert. Das Diensttelefon von seinem Bruder war abgehört worden. Da er sich auf die militärischen Verdienste seines Vaters berief, sei er jedoch bald wieder auf freien Fuß gesetzt worden.80

79 Kraus; 1988; S. 109

80 Ebd.; S. 115

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10.4. Der Kriegseinsatz Mit dem Beginn des Russlandfeldzuges am 21. Juni 1941 wurde auch Kraus einberufen.81 Zuvor hatte er damit begonnen, die Erfahrungen seiner Reise in die Sowjetunion auf Anraten des „Südost-Echo“-Verlages in Buchform zu bringen. Seine erste Kriegsverwendung brachte ihn in die zentrale Auswertungsstelle der aus der UdSSR kommenden Wirtschaftsnachrichten im Oberkommando der Wehrmacht – Wirtschafts- und Rüstungs-Amt. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse wurde er auch als Dolmetscher in den nun besetzten Gebieten eingesetzt.82 Laut Kraus hätten ihm diese Einsätze weitere wertvolle Erkenntnisse für sein Buch geliefert. Dieses konnte er bis zum September desselben Jahres, er war zu dieser Zeit noch nicht kaserniert, in kurzer Zeit fertig stellen und veröffentlichen, der Titel: „Rußland 1941 – Volk, Kultur und Wirtschaft“. Nachdem die erste Auflage von 10.000 Stück binnen Kurzem vergriffen war, habe es weitere Bestellungen für 120.000 Stück gegeben, die jedoch vom Reichspropaganda-Ministerium wegen angeblicher „untragbarer Objektivität“ verhindert worden seien.83 Über seine Erfahrungen mit der Bevölkerung meinte er später in seinen Memoiren:

„Ich hatte ursprünglich – wie die meisten deutschen Intellektuellen – auf die slawische Welt herabgesehen. Zu sehr hatte uns Hegel mit seiner Verachtung der „geschichtslosen Völker des europäischen Ostens“ und seinem Lob der christlich-germanischen Welt als dem Gipfel der Weltgeschichte beeinflußt. Erst durch die Lektüre der russischen Dichter erwachte dann meine Wertschätzung des Slawentums. Und nun das eigene Erleben dieser offenen, interessanten Menschen, die uns schon bei Dostojewski und Gogol so fasziniert hatten!“84

81 Kraus; 1988; S. 126

82 Ebd.; S. 127

83 Ebd.; S. 128

84 Ebd.; S. 131

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Bald darauf wurde Kraus in das Hautquartier der Heeresgruppe Süd in Poltawa, in der heutigen Ukraine, versetzt. Dort auf die Probleme der Wehrmacht mit der Unzufriedenheit der Ukrainer über die Besatzungsmacht eingehend, habe er sich nicht linientreu genug für einen menschlicheren Umgang seitens der Deutschen eingesetzt. Um der daraus resultierenden Verfolgung durch den Sicherheitsdienst des Reichsführers der SS zu entgehen, die ihn deshalb der „Wehrkraftzersetzung“ bezichtigte, meldete er sich, seiner Aussage nach, freiwillig zur Fronttruppe, um später in die Spionageabwehr der Einheit Abwehr II. aufgenommen zu werden.85 In der Zeit als Teil der Fronteinheit war er im besetzten Kaukasusgebiet stationiert, welches er als geradezu überglücklich über die „Befreiung“ durch die Wehrmacht bezeichnete: „nun sah ich, wie in einer herrlichen, sommerlichen Landschaft alles nur Frieden und neue Hoffnung atmete.“86 Nach der Rückeroberung Stalingrads durch die Rote Armee und dem damit verbundenen Kriegsumschwung veranlasste Kraus in seinem Heimaturlaub im Sommer 1943 die Rückkehr seiner Familie von Wien nach Berlin, da er nun die sich anbahnende Niederlage erkannt hatte.87 Trotzdem lag es ihm fern, aufgrund dieser Erkenntnis aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu leisten. Mit dem Verweis auf die Hinrichtung eines Rekruten, der den Fahneneid auf Hitler verweigert habe, tätigte er die Aussage:

„Nicht jeder ist zu solchem Heldentum berufen! Wenn ich nach dem Krieg den Vorwurf hörte, die Österreicher hätten zuwenig Widerstand geleistet, erzählte ich diesen Fall und fragte: Meint ihr, daß die unbewaffneten Gegner des Nationalsozialismus verpflichtet gewesen wären, sich alle von den bewaffneten Anhängern dieses Regimes hinrichten zu lassen? Es hätte nichts genützt, wo immer man angefangen hätte. Hitler war ja auf Massenmord eingestellt.“88

85 Kraus; 1988; S. 133

86 Ebd.; S. 135

87 Ebd.; S. 138

88 Ebd.; S. 140

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Als er später seine Grundausbildung durchschritten hatte, er war nun zur Ersatzabteilung der Abwehr des Regiments Brandenburg bestellt worden89, dolmetschte er, wiederum in der Ukraine, für einen Abwehrtrupp, der nationalistische Einheimische für den Partisaneneinsatz im sowjetischen Hinterland einschulte. Kraus kritisierte in seinen Memoiren später energisch die Tatsache, dass die Reichsführung das Konzept der „vom Bolschewismus befreiten Bundesgenossen“ zugunsten eines der „dem deutschen Herrenvolk unterworfenen Völker“ verwarf.90 Gegen Ende des Krieges sah Kraus an der Reichsstraße zwischen Budapest und Wien eine Karawane ungarischer Juden auf ihrem Todesmarsch gen Westen. Er beschrieb diese Szene zwar mit dem Wort „Inferno“, dachte jedoch gleichzeitig wie folgt:

„Mir fiel die kommende Nachkriegszeit ein, die Rache der anderen Seite. Es waren ja schon die ersten Nachrichten von Titos Grausamkeiten gegen die Volksdeutschen, von der Lynchjustiz im befreiten Frankreich und von den Massenexekutionen in der Sowjetunion bis zu uns gelangt. Auge um Auge, Zahn um Zahn!“91

Ebenfalls bestürzt zeigte er sich, als er von den Ergebnissen der Konferenz von Jalta im Februar 1945 im englischen Rundfunk hörte, die die „Vormachtspolitik“ der UdSSR über den Osten Europas besiegelten. Kraus' Einheit wurde aufgrund des Kriegsgeschehens schlussendlich nach Mondsee in Oberösterreich verlegt. Auf dem Weg dorthin bekam er noch einen kurzen Heimaturlaub in Wien. Dort zeigten ihm Freunde das mit Kreide auf die Wand des Stephansdoms gemalte Zeichen der Widerstandsbewegung „05“.92 In Mondsee versuchte Kraus „politisch geeignete

89 Kraus; 1988; S. 139

90 Ebd.; S. 142

91 Ebd.; S. 150

92 Jagschitz, Gerhard; Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen sowjetischer Besatzungspolitik in Deutschland und Österreich 1945-1955; Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen; 2006; S. 380

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Bürger“ für eine zivile Verwaltung nach Kriegsende zu finden. Erwähnenswert erschien Kraus in seinen Aufzeichnungen die Reaktion auf eine Radiomeldung vom 2. Mai:

„Als am Abend die Radiomeldung von der Kapitulation Berlins durchgegeben wurde, hörte ich aus dem Nebenzimmer das laute Weinen zweier Frauen. Ich war erstaunt, wie arglose Leute noch so sehr an diesem Regime hängen konnten. Da ging mir das erste Mal der Gedanke durch den Kopf, ob man sich nicht auch in solche regimeergebene Menschen ohne Ressentiments hineindenken sollte.“93

Über den Krieg an sich reflektierte Kraus folgendermaßen: „Dieser Krieg war wie eine Sintflut. 60 Millionen Menschen sind darin umgekommen.“94 Über die deutschen Soldaten und deren moralische Verortung schrieb er wiederum:

„1945 wußte man lange Zeit nicht, wie man die ehemaligen Soldaten ansehen sollte – als Feinde, als Schergen oder als Helden? Einfacher die Frage: Sollen ihre Tapferkeit und Tatkraft, ihre Mühen und Leiden ein Nichts gewesen sein? Auch wenn ihre Opfer mißbraucht worden waren – für ein sinnloses und unmoralisches Kriegsziel? Diese Opfer waren für sich allein etwas Großes; sie gehörten zu dem Leid, das Böses aufwiegt, sie haben Menschen geformt und auch manche Einsicht gebracht.“95

93 Kraus; 1988; S. 154

94 Ebd.; S. 154

95 Ebd.; S. 154 f.

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10.5. Erste Nachkriegszeit Herbert Kraus kam nach Kriegsende im Haus seiner Schwester in Salzburg unter, wie auch zahlreiche andere Verwandte und Nachbarn nach deren Flucht beziehungsweise Vertreibung. Er war mit dem Vorsatz nach Salzburg gekommen, eine Tageszeitung zu gründen. Als er die Möglichkeiten zur Umsetzung dieses Vorsatzes auslotete, stieß er auf einen Rechtsanwalt, der ihn bat, zwei ehemalige Insassen eines Konzentrationslagers aufzunehmen. Diese waren Viktor Reimann und Rudolf Strasser.96 Zu dritt traten sie bald darauf beim „Österreichischen Kurier“ ein, der Zeitung der amerikanischen Besatzungszone, welche schon bald darauf in „Salzburger Nachrichten“ umbenannt wurde. Der, trotz ihrer unterschiedlichen Vergangenheit, unbeschwerte Umgang der Kollegen miteinander und mit den amerikanischen Vorgesetzten wurde von den teilhabenden Österreichern der „Geist von Salzburg“ genannt.97 Die Mentalität der direkten Nachkriegszeit und deren Konsequenzen für die junge Zweite Republik beschrieb Kraus so:

„Wichtig war die damalige geistig-seelische Verfassung der Österreicher. Was sich in diesen ersten Nachkriegsjahren an Stimmungen und Meinungen herausbildete, bestimmte noch lange das politische Geschehen Österreichs und wirkte zum Teil sogar bis in die nächste und übernächste Generation hinein. Es gab keinen Triumphzug zurück in die Erste Republik. Den Konservativen hatten die Sieger eine eventuelle Sehnsucht nach Schuschniggs Ständestaat gründlich verdorben. Sie hatten ihn als faschistische Diktatur verurteilt. Und den Marxisten steckte ihr Bekenntnis zur „Diktatur des Proletariats“ im Hals, zumal das reale Schreckbild einer solchen Diktatur, nämlich der sowjetischen, Hunderttausenden sichtbar geworden war. Am elendsten fühlten sich die Nationalsozialisten – nicht nur die überzeugten, auch die Mitläufer.“98

96 Kraus; 1988; S. 157 f.

97 Ebd.; S. 159

98 Ebd.; S. 162 f.

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Die „Ehemaligen“ (NSDAP–Mitglieder) unterteilte Kraus in unterschiedliche Gruppen, die oft nichts miteinander zu tun haben wollten:99

 Die Hauptschuldigen Diese seien seiner Meinung nach für die meisten Verbrechen verantwortlich gewesen und nach Kriegsende entweder geflüchtet, hätten sich selbst gerichtet oder seien verurteilt worden.

 Die Gesinnungstreuen Diese Gruppe bestand nach Kraus aus ehemaligen Funktionären der mittleren Ebene (zum Beispiel Kreisleiter oder Partei-Journalisten), die sich als Repräsentanten des ehemaligen Regimes profilieren wollten. Sie hätten sich erst zirka zwei Jahre nach Kriegsende wieder in die Öffentlichkeit gewagt und die Zweite Republik nie wirklich akzeptiert.

 Die demokratischen Nationalen Zwar hätten diese die neue demokratische Ordnung angenommen, wären jedoch vor allem weiter Bewahrer der deutschnationalen Tradition geblieben. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie einerseits die Politik des Nationalsozialismus im Nachhinein, zum Beispiel durch latenten Antisemitismus zu rechtfertigen, andererseits seine Verbrechen mit denen der Alliierten aufzurechnen versuchten. Sie gehörten meist den bürgerlichen Schichten an.

 Die enttäuschten Idealisten Eine Gruppe von Menschen, die in der Zeit des Dritten Reichs die Utopie des großdeutschen Gedankens leben wollten. Im Hoffen auf eine bessere Zukunft hätten sie so manches Opfer auf sich genommen. Nachdem diese Utopie nun nicht nur zerstört, sondern, nach dem Bekanntwerden der Verbrechen jener Zeit, gar zur Dystopie verkommen war, hätten sie nichts mehr damit zu tun haben wollen und

99 Kraus; 1988; S. 163 f.

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würden versuchen, durch Sühnetaten, wie zum Beispiel Kontaktaufnahme mit den ehemaligen Opfern des Nationalsozialismus, ihr Gewissen zu beruhigen.

 Die Flüchtlinge aus der Politik Diese prinzipiell eher unpolitischen Individuen, Kraus bezeichnete sie etwas abfällig als „einfachere Seelen“100, hätten sich im Dritten Reich für soziale Organisationen wie die „NS-Volkswohlfahrt“101 oder das „Winterhilfswerk“102 begeistern können und dafür eingesetzt. Sie hätten nach dem Krieg nicht verstanden, warum sie nun so schwer dafür bestraft worden seien, und hätten sich verschreckt komplett aus dem politischen Leben zurückgezogen.

 Die Scheinmitglieder Diese laut Kraus sehr große Gruppe habe aus für das Funktionieren des Staates und seiner Wirtschaft notwendigen Fachkräften und Staatsdienern wie etwa Managern, Funktionären oder Beamten bestanden. Jede bestehende Regierung müsse deswegen auf sie zurückgreifen und die Nationalsozialisten hätten sie in ihre Partei „hineinmanövriert“. Nachdem die Mitglieder dieser Gruppe sich aber für das Politische nicht verantwortlich fühlten und den Beitritt höchstens als Zeichen ihrer pauschalen Loyalität wie gegenüber jeder anderen existierenden Regierung ansahen, hätten sie sich sehr schnell, sowohl äußerlich, als auch innerlich, vom Nationalsozialismus und all seinen Seiten lösen können.

 Die Konjunktur-Ritter Die beträchtliche Menge derer, die allein aufgrund materieller Vorteile Mitglieder der NSDAP gewesen seien. Sie hätten jedoch kaum Politisches dabei im Sinn gehabt.

100 Kraus; 1988; S. 165

101 Benz, Wolfgang, Graml, Hermann, Weiß, Hermann (Hg.); Enzyklopädie des Nationalsozialismus; Deutscher Taschenbuch Verlag; München; 2007; S. 678

102 Ebd.; S. 879

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Kraus vertrat die Meinung, dies sei die größte Gruppe gewesen und „nur Objekt und nicht Subjekt“.

 Die Jugend Die in den Zwanzigerjahren Geborenen seien ungefragt in die Jugendvorfeldorganisationen des gleichgeschalteten Staates eingereiht und danach in die Wehrmacht berufen worden. Dort hätten sie sich als fähig erwiesen und die Karriereleiter bis in nach dem Krieg belastende Positionen erklommen. Jene hatten allerdings nach einem Jahr durch die „Jugendamnestie“103 ihre vollen Staatsbürgerrechte zurückbekommen.

Ich zitiere Herbert Kraus aus einer Rede vom 18. November 1978 im Rahmen eines zeitgeschichtlichen Seminars des Freiheitlichen Bildungswerkes:

„Es war ein Köpfen der Spitzen in den verschiedensten Berufen. Mir hat damals der Präsident der Industriellenvereinigung, Dr. Lauda, etwas pointiert – gesagt: „Zuerst habens die gscheiten Juden umgebracht oder davongejagt und nachher habens die Spitzen der Intelligenz und des Mittelstandes, die bei der NSDAP gewesen sind, weggebracht, und übriggeblieben sind wir, die Mittelmäßigen.“104

Kraus schrieb in seinen Memoiren, dass in allen Lagern ein neuer Anfang fällig gewesen sei, die „Verfechter des Althergebrachten“ jedoch oft stärker als die „Erneuerungswilligen“ gewesen seien.105

103 Hirt, Simon; Vom „Vergeltungs-“ zum Verbotsgesetz. Das Verbotsgesetz im politischen Diskurs der Nachkriegszeit 1945 – 1957; Diplomarbeit; Universität Wien; 2008; S. 86 ff.

104 Kraus, Herbert; Österreich zwischen 1945 u. 1955; Freiheitliches Bildungswerk; Wien; 1979; S. 4

105 Kraus; 1988; S. 167

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10.6. Kraus und der Einstieg in die Politik Kraus besuchte zu jener Zeit in Salzburg die „Gesellschaft für Sozialreform“, die sich im Café Mozart zusammenfand, als auch andere Vorträge in vergleichbarem Rahmen. Er meinte dazu später:

„Da wurde in die Zukunft geschaut, das rechte politische Modell gesucht und dies oder jenes Vorbild erörtert. Erst Jahrzehnte später wurde mir bewußt, daß wir damals nie über die Vergangenheit gesprochen hatten. Sie war eine Last! Wir konnten sie zu den anderen Lasten nicht auch noch tragen. Der Blick zurück hätte uns zu viel Kraft gekostet. Das starke Bedürfnis, über die Vergangenheit zu sprechen, ist mit Recht erst in den achtziger Jahren gewaltig aufgebrochen.“106

Auch die Diskussionsrunden des Senders „Rot-Weiß-Rot“ namens „Forum“ begann er zu frequentieren. Hier begann er die positive Resonanz seiner Wortmeldungen zu bemerken.107 Bald jedoch sei er seitens der Politiker dahingehend kritisiert worden, als Journalist keine Verantwortung tragen zu müssen. Kraus habe darauf erwidert:

„…,daß man auch die Verantwortung des Journalisten verankern könne und müsse. Der Journalist sei gerade in der heutigen Orientierungslosigkeit wichtiger als der Politiker.“108

Nach ein paar Monaten als Angestellter bei den „Salzburger Nachrichten“ verließ er diese, um ein eigenes Format herauszubringen. Dazu begab er sich auf die Suche nach dem geeigneten Team von Redakteuren, verhandelte Organisatorisches und fand für die Verlagsleitung den Burschenschafter Hans Schennet, den er als „maßvollen Vertreter der alten nationalen

106 Kraus; 1988; S. 168

107 Ebd.; S. 168

108 Ebd.; S. 169

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Tradition Österreichs“109 charakterisierte. Um eine Verlagslizenz zu bekommen, gründete er ein „Österreichisches Forschungsinstitut für Wirtschaft und Politik“, welches wiederum die Wochenzeitschrift „Berichte und Informationen“ herausgeben sollte. Da sich aber die Erteilung der Lizenz verzögerte, verdingte sich das bereits bestehende Team zwischenzeitlich mit Auftragsarbeiten. Eine davon erwähnte Kraus in seinen veröffentlichten Erinnerungen besonders, da sie ihm öffentliche Kritik eingebracht habe. Es handelte sich dabei um eine Studie über die Arisierungen im Jahr 1938. Dies war ein Auftrag für eine jüdische Organisation.110 Nach dem Erhalten der vorhin erwähnten Lizenz erschien am 3. Mai 1946 die erste Ausgabe der Wochenschrift „Berichte und Informationen des österreichischen Forschungsinstituts für Wirtschaft und Politik“111. Zur Blattlinie schrieb Kraus später:

„Es dauerte nicht lange, und wir stellten unsere „demokratischen Befreier“ auf die Probe, wieviel Meinungsfreiheit sie den Österreichern zubilligten: Während die lizenzierten Tageszeitungen den alliierten Besatzungsmächten ebenso diensteifrig und liebdienerisch nach dem Munde redeten, wie man früher dem Hitler-Regime nach dem Munde geredet hatte, übten wir offene Kritik an besatzungspolitischen Maßnahmen, an Übergriffen der alliierten Soldaten und am Maschinenraub in österreichischen Fabriken – selbst am Nürnberger Prozeß. Wir traten für die Rückgabe Südtirols und die Internationalisierung Triests ein. In unserem Kampf gegen die „naziartigen Ausuferungen der Bürokratie“ prangerten wir vor allem das Denunziantentum für die neue Staatspolizei an und stellten den österreichischen Unterrichtsminister bloß, der 200 willkürlich herausgegriffene Bücher der deutschen Unterhaltungsliteratur auf eine Verbotsliste gesetzt hatte. Kurz, wir bekämpften – mit Ziffern und Fakten

109 Kraus; 1988; S. 170

110 Ebd.; S. 173

111 Berichte und Informationen des Österreichischen Forschungsinstitutes für Wirtschaft und Politik; H. A. Kraus; Salzburg; vom 3. Mai 1946

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und mit viel Engagement – den ganzen kryptofaschistischen Geist, der da vielfach hinter der demokratischen Fassade hervorquoll.“112

Die amerikanische Justiz im Raum Salzburg tolerierte diese „Ausübung der Meinungsfreiheit“. Die Auflage des Blattes stieg im Jahr 1947 auf die Höhe von 16000 Exemplaren und wurde nur durch die geringen Papierkontingente begrenzt.113 1947 publizierte Kraus darin einen Artikel, der stark seinen unterschwelligen Antisemitismus sprach zum Ausbruch brachte:

„Das künftige Judenproblem Österreichs

Nach den verschiedenen Schätzungen der einzelnen Kultusgemeinden ist damit zu rechnen, daß kaum 5 bis 10% der heute in der Emigration lebenden österreichischen Juden nach Österreich zurückkehren wollen […]. Genau so wie wir beim christlichen Bevölkerungsteil Österreichs nach Schuld und Ursachen der sich so entsetzlich gestaltenden Differenz forschen müssen, müssen wir auch beim Judentum selbst nach den Wurzeln dieser unheilvollen Entwicklung suchen. Eine Masse von aus den Ostgebieten der Monarchie zugewanderten Juden hat unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg das ohnedies schon so ungesunde Wirtschaftsleben Wiens maßgebend beeinflußt. […] Es ist kein Zweifel, daß es auch noch einen bewußten Antisemitismus gibt. Es ist eine entsetzliche Erscheinung, daß auch heute noch tausende die Ausrottung des Judentums ernstlich als eine Lösung des Judenproblems ansehen. Aber wo liegen die Wurzeln dieser Ungeheuerlichkeit? Die Wurzel ist der Sieg des Materialismus über unsere alten einst wohl gefestigten Prinzipien der Moral […]. Aber waren nicht manche Juden in Presse und Literatur selbst damit beschäftigt, der festgegründeten alten Ethik Europas den Boden zu entziehen?“[Kraus,

112 Kraus; 1988; S. 174 f.

113 Ebd.; S. 175

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Herbert A.: Das künftige Judenproblem Österreichs. In: Berichte und Informationen, 39/1947. S. 1-2. Ders.: Das künftige Judenproblem Österreichs. In: Berichte und Informationen, 40/1947. S. 1-2.]“114

Laut Kraus hätten sich die öffentlichen politischen Diskurse der ersten drei Jahre nach dem Krieg fast ausschließlich auf die bis dahin ergebnislosen Verhandlungen um einen Staatsvertrag in London gedreht.

„Die innenpolitische Szene belebte sich aber, als das „Nationalsozialisten- Gesetz“ 1947 – auf sowjetischen Einspruch hin – in ungeheuerlicher Weise verschärft wurde. Seine neue Form enthielt so viele Verletzungen der Menschenrechte, daß sich die meisten Parlamentsabgeordneten, die mit diesem Gesetz den Staatsvertrag erkaufen wollten, schämten.“115

Dies war die Meinung von Kraus dazu. Er habe sich selbst bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig mit dieser Problematik befasst, da er nur wenige Nationalsozialisten in seinem Bekanntenkreis gehabt habe. Er habe dann, gegen den Widerstand des Verlagsleiters, der das Verbot der Zeitschrift fürchtete, den Fokus in seiner Zeitschrift vermehrt darauf gerichtet, seien doch fast 600.000 Österreicher und deren Familien davon betroffen gewesen.

„Ich selbst (Kraus) habe im Februar 1947 einen Artikel über das Nationalsozialistengesetz geschrieben. Ich habe mir als Vorbild für diese heikle Aufgabe die berühmte Rede genommen, die Emile Zola als Verteidiger im Dreyfußprozeß gehalten hat und die unter dem Titel „J’accuse“ = „Ich klage an“, in die Literatur eingegangen ist. Sie verwendet den Kunstgriff aus der Situation des Angeklagten, hinüber zu wechseln in die Rolle des Anklägers. […] Ich habe dann fünf schwere Anklagen wegen Verstoßes gegen die Menschlichkeit erhoben. Ich wies

114 Adunka, Evelyn; Antisemitismus in der Zweiten Republik, Ein Überblick anhand einiger ausgewählter Beispiele; in: Wassermann, Heinz (Hg.); Antisemitismus in Österreich nach 1945, Ergebnisse, Positionen und Perspektiven der Forschung; StudienVerlag; Innsbruck; 2002; S. 15 f.

115 Kraus; 1988; S. 183

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darauf hin, daß der Kardinal Innitzer und sogar alliierte Politiker 1938 groß erklärt hatten, sie stimmten dem Anschluß zu und fragte, wie der einfache Bürger wissen sollte, was er zu tun habe.116

Unterstützung in seinem Kampf bekam er seitens Viktor Reimanns, der noch immer bei den Salzburger Nachrichten angestellt war, und vom damaligen Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher. Rohrachers Bedenken bezüglich einer Einmischung in die Politik hatte er laut eigener Aussage mit folgenden Worten entkräftet:

„Wann denn, wenn nicht in solchen Umbruchzeiten, hat die Kirche die Nächstenliebe zu verkünden, und zwar realistisch, an aktuellen Beispielen?“117

Der Erzbischof hielt daraufhin eine Rede in der Innsbrucker Universität mit den von Kraus als auch vom späteren Bundeskanzler Josef Klaus verfassten Anklagepunkten an die verantwortlichen Instanzen, die Besatzungsmächte und die österreichische Regierung. Diese Rede stieß wohl auf allgemeines Verständnis.118

Kraus erwähnt in seinen Memoiren die nach dem Kriegsende geschehenen Gräueltaten, wie etwa an den Kosaken, die von den Engländern in Osttirol festgehalten wurden und, ähnlich wie die Soldaten des Generals Wassow von den Amerikanern, an die Sowjetunion ausgeliefert wurden. Dort hätte sie die massenhafte Hinrichtung erwartet. Auch bei der Vertreibung der Volksdeutschen hätten sich unmenschliche Verbrechen abgespielt.119 Diese hätten die Glaubwürdigkeit der Alliierten zutiefst diskreditiert. Zu den Verbrechen der Nationalsozialisten schrieb er an selber Stelle:

116 Kraus; 1979; S. 21

117 Kraus; 1988; S. 185

118 Ebd.; S. 186

119 Ebd.; S. 187

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„Wir hatten wohl zur Kenntnis genommen, daß die Nazi Massenmorde begangen hatten, aber welches Ausmaß diese erreicht hatten, ist mir und den meisten anderen erst viel später bekannt und bewußt geworden – nach zwei, drei Jahrzehnten, als die ersten widerspruchsvollen Nachrichten wirklich gesichtet und ordentlich veröffentlicht worden waren. Ich beging nach Kriegsende in meinen Artikeln und öffentlichen Reden zweifellos den Fehler, die alliierten Übergriffe den hitlerischen Verbrechen allzu gleichgewichtig gegenüberzustellen. Die Ungeheuerlichkeiten der deutschen Konzentrationslager sind uns nur allmählich bewußt geworden.“120

Über die Problematik des Umgangs mit den ehemaligen Nationalsozialisten sinnierte Kraus:

„Wir sollten nun mit ihnen zusammenleben, in einem Staat, den sie als Unsinn bezeichnet hatten. Würden sie uns nicht wieder einen Ausbruch des Rassenwahns, eine neuerliche Fanatisierung der Innenpolitik oder eine sonstige Verwilderung der Sitten bescheren? (…) Und wer würde diesen Menschen die demokratische Gesinnung beibringen, die jetzt von allen verlangt werden mußte? Die Verfasser des Nazigesetzes sicherlich nicht. Diese hatten auch nur Gewalt und Unterdrückung, wenn nicht sogar Rache im Sinn.“121

Auf die journalistische Umtriebigkeit von Kraus bezüglich des Themas hätten viele ehemalige Nationalsozialisten reagiert und sich mit ihm zum Zwecke der Vertiefung dessen treffen wollen.

„Zunächst aber noch Worte über die geistige Entwicklung: Außer der Weltanschauung, der Grundhaltung, gab es jetzt auch eine Diskussion über die neue Staatsidee. Die Staatsidee des national-freiheitlichen Lagers war

120 Kraus; 1988; S. 188

121 Ebd.; S. 188

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Großdeutschland gewesen. Es war klar, vielleicht nicht für jeden, aber doch für die meisten, dass im Jahr 1945 die großdeutsche Idee am Ende war, jedenfalls sehr wenig Chancen hatte und dass es sinnlos gewesen wäre, von dieser Idee überhaupt zu sprechen. So kam es, dass sich an die Stelle von Großdeutschland die Idee des geeinten Europas drängte. Der Krieg hatte das falsche „nationale Gefühl“, d. h. das „Überlegensein“ der „höheren Rasse“ gegenüber den anderen Nationen – ein wesentlicher Faktor der nationalsozialistischen großdeutschen Idee – ad absurdum geführt, weil der Krieg verlorengegangen war.“122

Nach Beratungen mit seinen Freunden des „Salzburger Kreises“ habe er gemeinsam mit ihnen einen „Katalog des Umdenkens“ für die Umorientierung des alten Gedankenguts in neue, ethisch akzeptable Ideen entwickelt:123

 An die Stelle der großdeutschen Idee sollte die der europäischen Einigung treten. Das Konzept des Rassenwahns sollte der Gleichwertigkeit der Völker weichen.

 Heimatstolz sollte sich von nun an, statt auf das Deutsche Reich, auf Österreich beziehen.

 Der Liberalismus sollte den Nationalismus ersetzen.

 An Stelle der „nationalsozialistischen Einsatzbereitschaft“ sollte die individuelle „Erfüllung der persönlichen Lebensaufgabe“ stehen.

 Ein humanes „Mitwelt-Bewußtsein“ sollte die Idee des „Dienstes an der Volksgemeinschaft“ ersetzen.

122 Kraus; 1979; S. 7

123 Kraus; 1988; S. 190 f.

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 Die Vorherrschaft der eigenen Partei sollte durch die Aussicht auf leistungsgerechte Aufstiegschancen ersetzt werden.

 Die Idee des „Betriebsführers und seiner Gefolgschaft“ sollte jener der gewinnbeteiligten Sozialpartnerschaft weichen.

Über die Problematik, in Österreich eine liberale Partei vom Dunstkreis des Nationalismus fernzuhalten, meinte Reimann allerdings später:

„Der Versuch von Kraus und mir, eine liberale Partei zu gründen, mußte scheitern, weil der Liberalismus als parteiformende Kraft in Österreich wenig Tradition besitzt. Das liegt im Grunde an seinem Wesen, setzt doch der Liberalismus eine gewisse Relativität der Meinungen voraus, weshalb er keine Heilsbotschaft anzubieten hat.“124

Nachdem die „Berichte und Informationen“ diese Thesen und weitere Artikel über die Missstände des Zweiparteiensystems veröffentlicht hatte, sei Kraus mehr und mehr zum Sprecher einer großen Gruppe von Unzufriedenen geworden. Seine Gedanken zu dieser Situation legte er folgendermaßen dar:

„Das hatte ich nicht angestrebt. Ich wollte Publizist sein, ein Mahner der Nation, einer, der dem Politiker das Material und die Instrumente bereitlegt. Aber ich war schon zu weit vorgestoßen, und vor allem: der Politiker, dem ich die Instrumente reichen wollte, war nicht da.“125

So hätte Kraus Ende 1948 beschlossen, bei der Nationalratswahl 1949 mit einer neu zu gründenden Partei anzutreten. Darum kam er zu der Folgerung:

124 Reimann, Viktor; Die Dritte Kraft in Österreich; Verlag Fritz Molden; Wien; 1980; S. 47

125 Kraus; 1988; S. 192

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„Mit ein Grund für mich, in die Politik zu gehen, war, dass ich konkrete Möglichkeiten sah, notwendige, offene Worte auszusprechen, denen die alliierten Besatzungsmächte aus diesem Programm heraus […] nicht entgegentreten konnten. Ich habe diese Möglichkeit umso mehr gehabt, als ich nie Mitglied der NSDAP gewesen bin und daher keinen formalrechtlichen Schwierigkeiten begegnete, im Rundfunk aufzutreten und über politische Dinge zu sprechen.“126

126 Kraus; 1979; S. 5 f.

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10.7. Die Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU) Es bedurfte laut Kraus für die Gründung dieses neuen Verbandes, wie bereits erwähnt, einer Person, die sich während der Zeit des Nationalsozialismus nicht mit der Führerpartei eingelassen hatte. Herbert Kraus, nach dem Krieg Journalist der in der amerikanischen Besatzungszone neu gegründeten Salzburger Nachrichten, passte in dieses Konzept. Viktor Reimann zitierte in seinem Buch „Die Dritte Kraft in Österreich“ dazu passend die Aussage des damaligen KPÖ-Nationalratsabgeordneten Ernst Fischer:

„Der VdU wurde im Frühjahr 1949 von den Salzburger Journalisten Doktor Herbert Kraus und Dr. Viktor Reimann gegründet. Weder der eine noch der andere war ein Nationalsozialist, wohl aber bildeten Nationalsozialisten den Kern des Verbandes.“127

Vor der Gründung einer neuen Partei versuchte Kraus die parteiunabhängige Presse in Österreich auf dieses Ziel einzuschwören. Des Weiteren versicherte er sich der finanziellen Unterstützung seitens der Privatindustrie. Führende steirische Waldbesitzer sagten ihm größere Holzkontingente zu, da zu dieser Zeit die Versorgung mit Papier zu einem der größten Hindernisse für die Presse zählte.128 Die zur „Arbeitsgemeinschaft der Unabhängigen Betriebsräte“ zusammengeschlossenen parteilosen Betriebsräte der Vereinigten Österreichischen Stahlwerke (VOEST) hätten ihm ebenso zur Parteigründung geraten wie manch amerikanischer Besatzungsoffizier.

Zeitgleich wurden die „Verfassungstreue Vereinigung“ von ehemaligen Funktionären des „Landbundes“, die 1939 in die NSDAP eingetreten waren, und der „Großdeutschen Volkspartei“ gegründet. Die Einladung ihres Initiators Professor Ernst Schönbauer habe Kraus jedoch mit der Begründung abgelehnt, die Vereinigung sei zu national orientiert, besonders unter Berücksichtigung ihrer potenziellen ehemaligen nationalsozialistischen Wählerschaft. Diese Einschätzung hat gestimmt, sind die „Verfassungstreuen“ doch auch bald

127 Reimann; 1980; S. 196

128 Kraus; 1988; S. 194

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darauf verboten worden, was Kraus bezüglich seines Vorhabens bedenklich gestimmt habe.129 Im Gespräch mit dem Wiener Industriellen Manfred Mautner Markhof habe er die Möglichkeit eines liberalen vierten Bundes innerhalb der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) besprochen.

„Zuerst habe ich mir gedacht, man könnte so etwas Ähnliches wie einen vierten Bund der ÖVP gründen und mit eigenem politischem Programm und eigenen Forderungen in Wahlgemeinschaft mit der ÖVP auftreten.“130

Diese Idee sei jedoch am gleichen Tag gegenüber Mautner Markhof vom damaligen Bundeskanzler Leopold Figl mit den Worten „Wir werden uns keine Laus in den Pelz setzen“131 abgelehnt worden. Figl traute sich angeblich zu, auch ohne fremde Hilfe die „Ehemaligen“ für sich gewinnen.

Während sich bei den Zentralsekretären der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) auf Anfrage nach einem Termin niemand die Zeit genommen habe, habe selbst der Chefredakteur der Arbeiterzeitung, dem damaligen Parteiorgan in den Printmedien, am Telefon gemeint, er habe in seinen Leitartikeln bereits seine Ablehnung diesbezüglich ausgedrückt. Der damalige Propagandareferent Ferdinand Graf habe ihn zwar empfangen, dessen angebliche Überheblichkeit bezüglich seiner eigenen Partei habe Kraus jedoch erst recht zum Schluss gebracht, er müsse selbst eine Partei gründen.

Nicht nur die Gewissheit einer nötigen neuen Parteigründung habe Kraus nun erkannt, auch die Notwendigkeit, dass er selbst, ob seines Bekanntheitsgrades, der Initiator sein müsste.132

129 Kraus; 1988; S. 196

130 Kraus; 1979; S. 22

131 Kraus; 1988; S. 197

132 Ebd.; S. 199

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Beweggründe für Kraus:

„Die praktischen Ziele waren, die absolute Mehrheit einer der beiden Parteien zu verhindern. Das ist dann auch gelungen. […] Ein weiteres taktisches Ziel war es, eine Partei aufzubauen, die sich vornehmlich aus der Elite verschiedener Stände, aus den sogenannten Aufsteigern rekrutiert. Auch das ist zu einem überraschend hohen Grad gelungen. […] Eine solche Elitepartei wird wohl nie eine Massenpartei werden, aber sie kann auf ein sogenanntes festes Stimmenkapital kommen, das etwa zwischen sieben und 20 Prozent liegt. […] Ein weiteres Ziel war es, eine Partei aufzubauen, die sich vornehmlich aus der Elite verschiedener Stände, aus den sogenannten Aufsteigern rekrutiert. Auch das ist zu einem überraschend hohen Grad gelungen.“133

Über die Zielgruppen der Neugründung überlegte sich Kraus:

„Nun, welches waren die Gruppen, die wir ansprechen konnten? […] Das waren die Heimkehrer, die sich nach Jahren der Aufopferung ausgestoßen und verhöhnt vorkamen, die vielen Volksdeutschen, die nur deswegen, weil sie sich zur deutschen Sprache bekannt haben, aus ihrem Heimatland vertrieben worden waren und auch hier oft als unerwünschte Zuwanderer behandelt wurden, und die ehemaligen Nationalsozialisten.“134

Das hatte auch Wilhelm Höttl mitbekommen, ein ehemaliger SS-Obersturmbannführer und die rechte Hand von , der bereits 1946 als Kriegsverbrecher gehenkt worden war. Unter ihm war Höttl „Spionage- und Abwehrchef für den Südosten“ gewesen. Die dabei entstandenen Kontakte hatte er nach dem Krieg genutzt, um im Dienste des US- Militärgeheimdienstes Counter Intelligence Corps (CIC) ein Spionagenetzwerk ehemaliger SS-Schergen aufzubauen. Nun nutzte er diese Kontakte, um das politische Projekt von Kraus

133 Kraus; 1979; S. 16

134 Ebd.; S. 17

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zu unterstützen. Er erhoffte sich, durch die Einschleusung österreichischer Nationalsozialisten in die im Begriff der Gründung befindliche Partei auf diese Einfluss ausüben zu können. Als Gegenleistung verschaffte er Kraus Spendengelder und versorgte ihn mit belastendem Material gegen oberösterreichische ÖVP-Funktionäre.135 Zunächst musste aber noch der rechtliche Rahmen für die Neugründung geklärt werden. Der Verfassungsrechtler Professor Helfried Pfeiffer schlug vor, einen Verein zu gründen, der erst für die Wahl die verfassungsrechtliche Form der „Wahlpartei“ annehmen sollte.136 Vorerst jedoch wurde die Bezeichnung „Verband der Unabhängigen“ gewählt. So konnte man die deutlich schwierigen Zulassungskriterien für eine neue Partei umgehen. Die US-Amerikaner konnten von diesem Manöver freilich nicht getäuscht werden. Der interne Kommentar dazu war: „This is, of course, the Fourth Party”137. Das neue Organ des Verbandes wurde die Wochenzeitschrift „Neue Front“138, deren erste Ausgabe am 25. Februar 1949 erschien. Die konstituierende Generalversammlung fand am 26. März 1949 statt, bei der Kraus zum Bundesobmann und Viktor Reimann zu einem der vier Stellvertreter gewählt wurde. Reimann war allerdings nicht der Meinung, der VdU habe in Kraus den richtigen Obmann gefunden, wie er später schrieb.

„Vom Wesen her war Kraus kein Parteiführer. Er eignete sich besser als Klubobmann und Finanzreferent. Er hätte jedoch in jeder Großpartei Karriere machen können. Er ist ein Finanzgenie, sprachenkundig, ein gewandter Verhandlungspartner, für alles Neue aufgeschlossen und trotz seiner vielen Schwächen ein vornehmer Charakter.“139

135 Profil; vom 4. Dezember 2013 http://www.profil.at/articles/1349/985/370249/wie-us-geheimdienst-ex-nazis-fpoe-gruendung

136 Kraus; 1988; S. 201

137 Memorandum Kimpel an Yost; »Fourth Party«, 4. Februar 1949; NA-RG 84-File 350.1 Union of Independents; Zitiert nach: Bischof, Günter, Leidenfrost; Die bevormundete Nation, Österreich und die Alliierten 1945–1949; Haymon-Verlag; Innsbruck; 1988; S. 144

138 Neue Front, Zeitung der Unabhängigen/Zeitung der Freiheitlichen; Kraus; Salzburg/Wien

139 Reimann; 1980; S. 38 f.

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Die anderen Stellvertreter waren Josef Karoly, einer der parteilosen VOEST-Betriebsräte, der ehemalige Vizekanzler des Landbundes aus den Jahren 1927 bis 1929 Karl Hartleb und der Kaufmann Karl Winter. An den folgenden drei Tagen wurde das Programm ausformuliert. Die personelle Ausrichtung auf die Arbeiterschaft sollte sich bald schon auszahlen. Bei der Wahl der Arbeiterkammer in Salzburg und Oberösterreich im selben Jahr erhielt der Verband der Unabhängigen knappe 30 Prozent der Stimmen. Diese kamen größtenteils auf Kosten der Sozialisten. Sogar 50 Prozent der Mandate wurden bei den Betriebsratswahlen der VOEST errungen. Das fast schon naive Vertrauen Kraus' in die politische Redlichkeit der neu angeworbenen VdUler hatte jedoch in der Folgezeit nicht oft solch positive Konsequenzen. Viktor Reimann schrieb später in seinen Erinnerungen über die Fehler, die Kraus bei der Rekrutierung der Funktionäre unterliefen:

„Kraus war ein Mann des Kompromisses. Am Beginn seines politischen Experimentes, als noch keiner seine Führung in der Partei zu bestreiten wagte, hätte er wesentlich härter und unnachgiebiger an seinem Konzept festhalten müssen; jeder, der ihm damals die Gefolgschaft versagt hätte, wäre politisch bedeutungslos geblieben. […] Außerdem war er kein großer Menschenkenner. Eher bereit, das Gute im Menschen vorauszusetzen, konnte er leicht entflammen, wenn er bei jemandem auf Übereinstimmung stieß, ohne zu prüfen, wie echt diese Haltung war. Deshalb gab es dann immer wieder Enttäuschungen, wenn sich sein Glaube als Irrtum erwies, und führte bisweilen zu heftigen Reaktionen, die sich für die Organisation der Partei negativ auswirkten.“140

140 Reimann; 1980; S. 37

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10.8. Die Reaktionen der Großparteien

SPÖ Trotzdem erkannte die SPÖ die Chance, die eine neue bürgerliche Fraktion für sie darstellte, hatte sie doch aufgrund der an die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) gegangenen Stimmen sich das linke Lager mit dieser teilen müssen. Eine zweite Partei rechts der Mitte würde demnach die Spitzenposition der ÖVP in Gefahr bringen können. So schickte sie den jungen Legationssekretär und späteren Bundeskanzler Bruno Kreisky nach Frankreich, um dort bei der alliierten Macht Stimmung für diese neue Fraktion zu machen. Bei den Briten versuchte dies Vizekanzler Adolf Schärf selbst. Die Voraussetzungen dafür standen gut, da in Paris und London zu dieser Zeit jeweils sozialistische Regierungen an der Macht waren.

ÖVP Die Österreichische Volkspartei reagierte naturgemäß entgegengesetzt. Kraus erzählt in seinen Memoiren:

„Es wurde eine Propagandawelle über uns ausgegossen, überhastet und ungeschickt: Bald wurden wir als Agenten einer geheimen Neonazi-Zentrale in Deutschland, bald als Beauftragte des sowjetischen NKWD, bald als Judenknechte und bald als Nazifeinde hingestellt. Man teilte Flugzettel aus, daß unsere Versammlungen abgesagt oder verschoben seien, man schickte Störtrupps in unsere Versammlungen. Zweimal (im Salzburger Stiegl-Keller und in Lustenau) waren die Störtrupp-Leute von unseren maßvollen und gerechten Worten so beeindruckt, daß sie begeistert mitapplaudierten und sich mit unseren Leuten verbrüderten. Es gab auch mutwillige Verhaftungen unserer zur Wahl aufgestellten Kandidaten, Entlassungen von VdU- Arbeitern und –Betriebsräten und tausend andere Übergriffe, wie sie nur in einem faschistischen Regime vorkommen.“141

141 Kraus; 1988; S. 215

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Laut Kraus habe sich allmählich ein enges Beratungsteam gebildet, welches für die Abwehr von Nationalsozialistischem Gedankengut gesorgt habe.142 Dabei sei es nicht um die Frage gegangen, ob jemand national oder liberal gesinnt war. Dazu meinte Reimann:

„Kraus weigerte sich, die „gottgewollte“ Dreiteilung des politischen Österreich in „christlich“, „national“ und „marxistisch“ anzuerkennen. Seiner Meinung nach sei sie weitgehend inaktuell geworden. Auch würden die ehemaligen Nationalsozialisten gar keinen gemeinsamen politischen Nenner finden. Das konnten die Nationalen schon in der Vergangenheit nicht, geschweige denn nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945.“143

142 Kraus; 1988; S. 218

143 Reimann; 1980; S. 107 f.

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10.9. Die Nationalratswahl 1949 Der Wahlkampf habe sich vor allem auf die Besatzungszonen der Westmächte konzentriert, da es meist vergeblich gewesen sei, in der sowjetischen Zone Veranstaltungen abzuhalten. Bei der Schlussveranstaltung am Rathausplatz in Wien seien sogar 30.000 Teilnehmer erschienen. Über Kraus als Wahlkämpfer meinte Reimann:

„Zwar war Kraus kein hinreißender Redner, was er aber sagte, war überlegt, klug und gut formuliert, wenn auch ohne echte Glanzpunkte. Er verletzte selten. Wenn man die Reden nachher las, zeigte es sich, daß sie genau auf die Mentalität der Zuhörer berechnet waren. Pathos lag ihm nicht.“144

Die Stimmzettel, die damals noch von den Parteien zur Verfügung gestellt werden mussten, habe eine sozialistische Großdruckerei teilweise sogar gratis geliefert.145 Die Kandidaten für die jeweiligen Listen zu finden, sei nicht leicht gewesen, da sich viele vor den Konsequenzen einer öffentlichen Kandidatur gefürchtet hätten.

Das Wahlergebnis vom 9. Oktober 1949 ergab 489.273 von zirka vier Millionen gültigen Stimmen, was 11,7 Prozent bedeutete.146 Der sowjetisch besetzte Ostteil Österreichs lag dabei aufgrund bereits erwähnter Gründe noch deutlich unter dem Schnitt. Der Wiener Landesobmann Fritz Stüber sei zu national aufgetreten und habe so ebenfalls Wähler verschreckt. Unerwarteterweise hatte der Verband der Unabhängigen seine 16 Nationalratsmandate jedoch zu gleichen Teilen von der SPÖ wie der ÖVP erobert. Die Analysen ergaben zusätzlich, dass mehr ehemalige Nationalsozialisten die ÖVP gewählt hatten als den VdU, Kraus habe dies laut eigener Aussage sehr froh gestimmt. So war die

144 Reimann; 1980; S. 38

145 Kraus; 1988; S. 222

146 BMI; Nationalratswahl vom 9. Oktober 1949: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/nationalrat/NRW_1949.aspx

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Mehrheit der VdU-Wähler und VdU-Wählerinnen eben nicht politisch vorbelastet. Im Leitartikel auf der Titelseite der „Neuen Front“ vom 15. Oktober schrieb Kraus Folgendes:

„Der erste große Wahlerfolg

Unabhängige als Wächter des innenpolitischen Gleichgewichtes.

Von Dr. H. A. KRAUS

Wir haben erreicht, was wir angestrebt haben. Der Wahlausgang ist als großer Sieg zu werten. Vielleicht hat sich der eine oder andere VdU- Anhänger noch mehr erwartet, doch unter den gegebenen Verhältnissen sind die 16 Mandate ein außerordentlich großer Erfolg. Denn wir hatten den schwersten Wahlkampf, den je eine junge Bewegung erlebte, standen den ungünstigsten Bedingungen gegenüber. […]

Das angestrebte Ziel erreicht

Trotzdem haben wir das erreicht, was wir wollten. Wir haben sowohl die rote wie die schwarze Mehrheitsdiktatur verhindert! Die Wähler, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben, können nun mit Befriedigung feststellen, daß zum mindesten das folgende erzielt wurde: Keine der beiden Großparteien kann für sich allein eine Regierung bilden und damit eine kalte Diktatur ausüben, wie wir sie zwischen 1934 und 1938 hatten oder im roten Wien seit 1919 haben. Bei der wahrscheinlichen ÖVP-SPÖ-Regierungskoalition weiß jede der beiden Parteien, daß sie im Notfall aus der Regierung austreten und mit uns eine neue Regierung bilden kann. Allein das Gefühl, daß der eine Partner diese Möglichkeit hat, wird den anderen hindern, es allzuarg mit seiner Korruption und seinen Ungerechtigkeiten zu treiben. Dies ist schon psychologisch ein ungeheurer Fortschritt im Hinblick auf das Zurückdrängen ungezügelter Machtgelüste und leichtfertiger Willkür. Der VdU ist der Wächter des innenpolitischen Gleichgewichtes. Wenn es zu den

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sogenannten Kampfabstimmungen kommt (d. h. wenn die Koalitionsparteien nicht schon vorher ein Einvernehmen über die einzubringenden Gesetze hergestellt haben), können wir immer entscheiden, was Gesetz wird und was nicht. […] Wir erinnern an die Kampfabstimmung über die Belastetenamnestie kurz vor der Auflösung des Nationalrates. Alle diese Erscheinungen einer entarteten Demokratie können wir nun verhindern. Da wir nur staatspolitische und keine parteipolitischen Interessen vertreten, werden wir auch in der Gesetzgebung als Wächter der Besonnenheit und staatspolitischen Vernunft wirken können.“147

147 Neue Front; vom 15. Oktober 1949

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10.10. Die erste Legislaturperiode Auf die Frage des „Wiener Kurier“, ob man eine Regierungsbeteiligung anstrebe, habe Kraus erwidert, er würde es nach der Art, wie der Wahlkampf geführt worden war, nicht erwarten, sei aber „zur Übernahme jeder demokratischen Rolle bereit“148. Bei der Pressekonferenz ein paar Tage später kündigte Kraus infolge dessen auch an, in der kommenden Legislaturperiode kritische Oppositionsarbeit machen zu wollen. Über die Verunglimpfungen durch seine Mitbewerber meinte er jedoch:

„Wenn es um die Interessen ihrer eigenen Partei geht, sind die österreichischen Politiker keine großen Patrioten. Die damals überaus stark in das Ausland posaunte Propagandalüge von einer „Neonazi-Gefahr in Österreich“ hat vor allem in Amerika und Holland Wurzeln geschlagen und ein anhaltendes, unterschwelliges Gefühl „Österreich ist ein verkappter Nazistaat“ geschaffen. […] die Weltöffentlichkeit fiel auf diese Propaganda herein und sah immer wieder den Teufel des Neonazismus in ihrem Österreich-Bild sitzen, so daß es später – 1986 – nur eines ganz kleinen Komplotts bedurfte, um die damals gebastelte Zeitbombe gegen anderen, gegen Kurt Waldheim, so zu zünden, daß ganz Österreich eine gewisse Zeit lang weitum diffamiert wurde.“149

Ein Monat später, bei der Regierungserklärung von Leopold Figl, wies Kraus erneut die Neonazi-Beschuldigungen zurück. Der neu gewählte VdU-Parlamentarier Hartleb erwähnte in Bezug auf den einfachen österreichischen Soldaten, für den er einzutreten anstrebe, dass dieser „bis zuletzt seine Pflicht erfüllen“150 habe wollen. Diese Aussage habe bereits erste Unruhe nach sich gezogen. Als der Fraktionskollege Fritz Stüber dann noch die Menschenrechtsverletzungen nach Kriegsende und seine eigene Haft mit den Konzentrationslagern gleichstellte, seien die Abgeordneten der anderen Fraktionen auf sie

148 Kraus; 1988; S. 225

149 Ebd.; S. 226 f.

150 Ebd.; S. 250

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losgestürmt und hätten wild auf sie eingeschrien.151 Dass man aber schon während dieser Phase des VdU von keiner Partei der politischen Mitte sprechen konnte, bewies sich in den folgenden Monaten. Die VdU-Abgeordneten Josef Heger und Oskar Huemer mussten unter dem Vorwurf, Kommunisten zu sein, aus der Partei austreten. Diese internen Vorwürfe lassen auf den rechten Korpsgeist innerhalb der Fraktion schließen. Heger gründete darauf die „Nationaldemokratische Partei“, Huemer war ab 1953 bei den „National-Republikanern“ aktiv und später bei der SPÖ.152 Die Mitte 1950 vom steirischen VdU-Obmann und ehemaligen Wehrmachtsoberst Gordon Gollob ausgelöste sogenannte „Gollob-Krise“153 erwähnte Kraus in seinen Memoiren nie. Reimann schrieb über die offene Wiederbetätigung:

„Da Kraus immer betonte, der VdU sei eine neue Partei, die mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun habe, aber auch nicht eine Fortsetzung der Alt-Nationalen wäre, betonte Gollob immer stärker das Nationale und sprach besonders die ehemaligen Soldaten an.“154

„Die Politik der VdU-Führung war aber unabhängig von den Flügeln immer von liberalen Grundsätzen getragen. Daß es oft anders aussah, ist den Umständen zuzuschreiben, daß einzelne Funktionäre bei ihren Versammlungen nationalere Reden führten, als es der politischen Grundlinie der VdU-Führung entsprach.“155

151 Kraus; 1988; S. 230

152 Behal, Brigitte; Dr. Reimann 1915 – 1996, Historiker, Politiker, Publizist; Diplomarbeit; Universität Wien; 2005; S. 75

153 Tschofen, Frank; VdU, FPÖ, LiF, BZÖ: Die vielen Gesichter des Dritten Lagers, Parteigründungen und Parteiabspaltungen im Dritten Lager seit 1945; Diplomarbeit; Universität Wien; 2012; S. 65

154 Reimann; 1980; S. 227

155 Reimann, Viktor; 25 Jahre FPÖ; Freiheitliches Bildungswerk; Wien, 1983; S. 12

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Selbst Reimann erkannte die Wirkung des bestürzenden Schauspiels auf die Öffentlichkeit:

„Daß Jugendliche schwarze Stiefel und schwarze Stiefelhosen, weiße Hemden und schwarze Binden trugen, nationale Lieder sangen und mit nationalen Sprüchen über das Feuer sprangen, konnte nicht als Verletzung der Verfassung angesehen werden. Auch verbietet kein Gesetz das Tragen einer schwarzen Fahne mit Schwert und Eichenlaub. Ebenso war es keine böse Aktion, die alte Bundeshymne singen zu lassen und nationale Töne in der Rede anzustimmen. Und doch: Alles zusammen mußte das Ausland schockieren und die Gegner im Inland zum Generalangriff geradezu herausfordern.“156

Gollob wurde daraufhin immerhin von der Verbandsleitung suspendiert, später aber wieder aufgenommen und trotz seiner offen nationalsozialistischen Gesinnung zum stellvertretenden Verbandsobmann gewählt. Aber auch die Ansichten Reimanns, der VdU-intern als gemäßigt galt, waren bezüglich des Deutschnationalismus zeitlebens bedenklich, was er in einem Gespräch noch Jahrzehnte danach bestätigte, als er meinte:

„Ein eigenes Österreich-Gefühl entstand nach dem Zusammenbruch der Monarchie erst in den letzten Jahren des 2. Weltkrieges und ist seitdem weiter ausgebaut worden. Es hat sich jedoch, von den ersten Nachkriegsjahren abgesehen, beim größten Teil der Bevölkerung nie ein Gegensatz zwischen Österreichertum und Deutschtum in stärkerem Ausmaß herausbilden können, obwohl es von einigen Gruppen versucht worden war.“157

156 Reimann; 1980; S. 229

157 Gauß, Adalbert, Karl (Hg.); Wege und Irrwege in Rot-Weiß-Rot; Zeitgeschichtliches und Interviews mit dem Bundeskanzler Dr. Kreisky, Altkanzler Dr. Klaus, Dr. Viktor Reimann, Univ.-Prof. Dr. Veiter u. a.; Donauschwäbische Beiträge; Band 73; Österreichisches Flüchtlingsarchiv; Salzburg; 1979; S. 94

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Laut Kraus habe seine Fraktion durch Kritik und Forderungen die Oppositionsrolle gegen den Widerstand der Regierungsparteien ausgefüllt. Die Journalisten hätten ihre Verdienste dabei außer bei einem Thema nicht gebührend gewürdigt und stattdessen in ihren Leitartikeln für sich reklamiert.158 Dieses war die Abschaffung der Todesstrafe, welche durch das Abhalten einer geheimen Abstimmung erreicht wurde.159 International habe er die Parteienfreundschaft mit den Freien Demokraten in der Bundesrepublik gesucht und in deren Fraktionsführer im Bundestag, August Martin Euler, gefunden.160 Durch sein Eintreten für den Kandidaten der ÖVP im zweiten Wahlgang der Präsidentenwahl 1951, Heinrich Gleißner, habe sich Kraus zwar fraktionsintern herbe Kritik eingehandelt, es habe jedoch zur Annäherung an die Christlich-Konservativen beigetragen.161 Dazu meinte Reimann später:

„Hier zeigte sich, daß Kraus seine Entscheidungen oftmals über die Köpfe seiner Freunde hinweg traf, ohne diese vorher zu informieren. Hier spielte er politisches Schach, doch waren die Opfer, die er brachte, gegenüber den Vorteilen zu groß.“162

Aufseiten der SPÖ sei, außer mit dem Innenminister Oskar Helmer, nie eine erwähnenswerte Gesprächsbasis entstanden.163

Am außerordentlichen Bundesverbandstag am 25. und 26. Oktober 1952 in Graz trat Kraus als Obmann zurück, was er in seinen Memoiren nur am Rande erwähnt. Sein Nachfolger wurde der ehemalige Wehrmachtsoberst Max Stendebach.164

158 Kraus; 1988; S. 231

159 Ebd.; S. 237

160 Ebd.; S. 235

161 Ebd.; S. 240

162 Reimann; 1980; S. 38

163 Kraus; 1988; S. 245

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10.11. Die Nationalratswahl 1953 und die zweite Legislaturperiode Der für Februar 1953 anberaumten Nationalratswahl ging ein deutlich ruhigerer Wahlkampf voraus als 1949. Die Vorhaltung, eine Neonazipartei zu sein, habe sich nun aufgrund des letzten Wahlergebnisses nicht nur der VdU, sondern auch die ÖVP von der SPÖ anhören müssen.165 Die „Junge Front“, die Gruppe um Ernst Strachwitz166, die schon vor der Wahl 1949 in Kontakt mit Kraus getreten war, sich dann aber der ÖVP angegliedert hatte, wechselte knapp vor dem Wahlkampf zum VdU. Dieser trat wieder als Wahlverband an.

Das Ergebnis am Abend des 22. Februar 1953 war für die Kraus-Fraktion durchwachsen. Der Stimmanteil lag nun bei 10,9 Prozent. Anstelle der 16 konnten nur mehr 14 Mandate errungen werden.167 Laut Kraus sei das besonders darauf zurückzuführen gewesen, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen aufgrund des „sozialistisch-kommunistischen Betriebsterror keinen Schutz gefunden hatten [und] zu den Inhabern der Macht übergegangen“ seien.168

Nach der Wahl habe , der neue starke Mann in der ÖVP, geheime Gespräche mit dem VdU aufgenommen.

„Er erklärte uns, er strebe eine Dreierkoalition an und wolle zu den offiziellen Verhandlungen mit der SPÖ ein vorher abgesprochenes ÖVP- VdU-Konzept mitbringen. Er bot uns das Handelsministerium und den dritten Präsidenten des Nationalrats an.“169

164 Reimann; 1980; S. 248

165 Kraus; 1988; S. 246

166 Der Spiegel; Spiegel-Verlag Rudolf Augstein; Hamburg; vom 6. 9. 1950; S. 20 f.

167 Bundesministerium für Inneres; Nationalratswahl vom 22. Februar1953: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/nationalrat/NRW_1953.aspx

168 Kraus; 1988; S. 247

169 Ebd.

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Das Misstrauen gegenüber der Ernsthaftigkeit der Gespräche war dennoch gegeben:

„Wir waren von Anfang an unsicher, ob es Raab mit seinem Regierungsangebot ehrlich meinte oder uns für ein taktisches Manöver mißbrauchen wollte. Ich bin – im Gegensatz zur heute vorherrschenden Meinung der Historiker – überzeugt, daß er zumindest eine Zeitlang ein echtes und sehr hartes Pokerspiel um unsere Regierungsbeteiligung durchstand.“170

Aus der Regierungsbeteiligung wurde dann doch nichts. Das umgebildete Kabinett stellte sich weiterhin aus den beiden Großparteien zusammen. Dazu Kraus:

„Wären wir damals in die Regierung gekommen, hätten wir vielleicht die eine oder andere marktwirtschaftliche Kurskorrektur durchgesetzt, aber die ganze marxistische Entmutigung privaten Unternehmertums durch die Körperschaftssteuer und die überdimensionierte Steuerprogression, die gegenseitige Verfilzung des Proporz-Unwesens und die Verstaatlichungstendenzen der einen sowie das „Zunftdenken“ der anderen hätten wir nicht aufhalten können.“171

Dass Kraus das Scheitern der Verhandlungen schwer zusetzte, war auch Reimann nicht entgangen. In seinen Erinnerungen nahm er dazu wie folgt Stellung:

„Die gescheiterten Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und VdU hatten verbandsintern unerwünschte Nachwirkungen. Sicherlich war Kraus die treibende Kraft bei diesen Verhandlungen gewesen; ihm wurde das ewige In-die-Ecke-verbannt-Sein der Opposition zum Trauma.“172

170 Kraus; 1988; S. 248

171 Ebd.; S. 249

172 Reimann; 1980; S. 261

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Die zweite Legislaturperiode des VdU im Parlament gestaltete sich weniger konfliktreich in Bezug auf die anderen Parteien. Laut Kraus habe gar der Sozialsprecher seiner Fraktion, Jörg Kandutsch, den Begriff „Sozialpartnerschaft“ in Österreich verwendet.173 Doch räumte Kraus ein:

„Gewiß, wir haben auch Fehler gemacht: zum Beispiel, daß einer von uns immer nur von den Anliegen der ehemaligen Nazi sprach und damit die Geduld nicht nur unserer Gegner, sondern auch seiner Klubkollegen strapazierte.“174

Im Großen und Ganzen hätten sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch die Bedingungen für die „Ehemaligen“ gebessert. Auf die Minderbelastetenamnestie von 1947 kam 1952 die Amnestie für jene ehemaligen Parteimitglieder, die höhere Funktionen innegehabt hatten. Auch die nach dem Krieg eingerichteten Volksgerichte zur Aburteilung von Naziverbrechern wurden nach und nach geschlossen. Kraus erwähnte diese in seiner Autobiographie folgendermaßen:

„Diese Volksgerichte, deren Name schon zu sehr an die Polittribunale der Hitlerzeit erinnerte, stellten – ebenso wie das Kriegsverbrechergesetz selbst – kein Ruhmesblatt in der österreichischen Rechtsgeschichte dar. Heiligste Grundsätze wurden hier gröblichst verletzt: politisch Verfolgte als Richter, keine Berufungsmöglichkeit, oft entschied nicht die Tat, sondern der Dienstrang über das Strafausmaß.“175

Der Tod Stalins hatte 1953 einen Staatsvertrag und den damit verbundenen Abzug der Besatzungsmächte zu einer realistischen Möglichkeit werden lassen. Auch der VdU-Chef habe sich dem gegenüber nicht verschließen wollen und signalisiert, er würde auch einem

173 Kraus; 1988; S. 250

174 Ebd.; S. 250

175 Ebd.; S. 253

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„harten Staatsvertrag“, sprich mit harten Bedingungen, zustimmen.176 Als der ausverhandelte Vertrag am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere feierlich unterzeichnet wurde, war auch Kraus zugegen. Zur Neutralitätsdebatte im selben Jahr meinte Kraus in der Neuen Front, die Neutralität, die Österreich brauche, solle die Möglichkeit freilassen, diese auch zu verteidigen. Deshalb solle es überhaupt keine Beschränkung der Wehrpflicht geben, denn „Neutralität ist nicht gleichzusetzen mit militärischem Vakuum“.177 In der „Neuen Front“ wurde von der VdU-Führung gefordert, dass das aktive und passive Wahlrecht während des Wehrdienstes ruhen sollte und die in den Weltkriegen erworbenen Orden und Auszeichnungen wieder anerkannt werden sollten.178 Bei der bald darauf folgenden Abstimmung über die Neutralität Österreichs allerdings geschah dies:

„Wir stimmten dem Entschließungsantrag, die Regierung solle eine Neutralitätserklärung vorlegen, zu, das heißt, wir akzeptierten die Neutralität an sich, aber das dann vorgelegte Neutralitätsgesetz in seiner voreiligen Raabschen Fassung lehnten wir ab.“179

Der Grund dafür war laut Kraus die Bezeichnung „immerwährende Neutralität“. Diese hätte durch den Terminus „dauernde Neutralität“ ersetzt werden sollen, um eine zukünftige Abkehr davon zu ermöglichen beziehungsweise um einen späteren Beitritt in die Montanunion, den Vorgänger der Europäischen Union, nicht zu erschweren. Bezüglich der Einführung des „Allgemeinen Sozial-Versicherungs-Gesetz“ (ASVG) war Kraus auch gegen die Linie der Regierung und bezeichnete dieses als „Versuchung zum sozialen Parasitentum“180.

176 Ebd.; S. 257

177 Neue Front; vom 7. Mai 1955; S. 3

178 Neue Front; vom 28. Mai 1955; S. 2

179 Kraus; 1988; S. 260

180 Ebd.; S. 264

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10.12. Der Übergang vom VdU zur Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Als sich im März 1955 im „Grünen Salon“ des Hotels Schwechaterhof in Linz der rechtsnationale Teil des Dritten Lagers traf, wurde die Gründung der „Freiheitspartei“ beschlossen. Dazu Herbert Kraus:

„Die VdU-Abgeordneten waren in ihre Parlamentsarbeit vertieft, als einige ehemals führende Nationalsozialisten zum entscheidenden Schlag gegen den VdU ausholten […] Die Gründer waren Menschen, die wieder politisch aktiv sein wollten, und zwar als „Kameradschaft ehemaliger Nationalsozialisten“.“181

Die Taktik sei laut Kraus gewesen, entweder den VdU politisch nach rechts zu bewegen und in „Freiheitliche Partei Österreichs“ umzubenennen, oder die nationale Minderheit innerhalb desselben abzuwerben. Es habe bereits 1949 den Versuch gegeben, den „Gmundner Kreis“, eine Gruppe von einst führenden Nationalsozialisten, in den VdU einzuschleusen, dies habe Kraus damals jedoch abgelehnt. In seinen Memoiren schrieb er später darüber: „Als Gemeinschaft waren sie eine Festung der Unbelehrbarkeit.“182

Diese Initiative sei auf Karl Krammer, den Landesparteisekretär der oberösterreichischen SPÖ, eine wichtige Kontaktperson des Counter Intelligence Corps (US-Militärgeheimdienstes Counter Intelligence Corps (CIC)), also dem damaligen Nachrichtendienst der US- Streitkräfte, zurückzuführen gewesen. Die SPÖ habe so sicherstellen wollen, dass die neue Partei weniger sozialreformerisch und mehr national-bürgerlich würde, um nicht zu viele Stimmen an diese zu verlieren.183

181 Kraus; 1988; S. 265

182 Ebd.; S. 273

183 Ebd.; S. 267

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Über die Probleme mit dem nationalen Flügel innerhalb des VdU schrieb Kraus:

„Die Gegensätze traten schon auf dem ersten Parteitag in Salzburg auf. Da propagierte der Wiener Landesobmann Stüber, ein dem Nationalgefühl verfallener Dichter-Journalist, eine Linie, die ich als überlebte „germanische Schwärmerei“ empfand. […] Ich hätte die „Brücke“ damals wohl auch im Bereich der nationalen Gefühle sorgfältiger verankern sollen.“184

Reimann gab allerdings später an, dass das Verhältnis von Kraus zum „Gmundner Kreis“ zumindest anfangs besser gewesen sei, als er später habe zugeben wollen.185 Laut Kraus sei die innerparteiliche Opposition der Nationalen erst nach der Nationalratswahl 1953 und den Landtagswahlen im Oktober 1954, bei denen der VdU Stimmen verloren hatte, offen aufgetreten und erst stark geworden, als sie sich auch noch nach außen mit den ehemaligen Kameraden verbündet hatten.186 Reimann brachte die Situation später auf den Punkt:

„Mir wurde schon damals bewußt, daß nichts mehr zu retten war. Wegen des dauernden Streites zwischen Liberal und National […] verliefen sich die liberalen Wähler, während sich die nationalen Wähler in den Schmollwinkel zurückzogen. Mit dem Verlust der liberalen Wähler aber waren auch die Tage von Kraus und mir gezählt, weil wir beide in die nationale Sammlung, die nun von allen Seiten gefordert wurde, nicht mehr hineinpaßten.“187

Auch die ÖVP habe ihren Anteil an der Machtübernahme gehabt. Da eine zweite bürgerliche Partei nicht zu verhindern gewesen war, habe Raab versucht, diese möglichst nicht koalitionsfähig zu machen. Sonst wäre die Gefahr zu groß geworden, dass sich die SPÖ mit ihr zu einer Koalition

184 Kraus; 1988; S. 275

185 Reimann; 1980; S. 121

186 Kraus; 1988; S. 277

187 Reimann; 1980; S. 266

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zusammenredete. Wäre diese Partei jedoch gespickt mit ehemaligen Nazigrößen, wäre dies bei der Basis der SPÖ nicht durchsetzbar geworden.188 Der Wiener Apotheker Emil van Tongel, der sich aufgrund seines Berufsverbots als Viehhändler verdingte, hatte als Gründungsvater und Galionsfigur Anton Reinthaller auserkoren. Dieser war der höchstrangige ehemalige Nationalsozialist, der nicht von einem Volksgericht verurteilt worden war. Auf Zureden von van Tongel und seitens der ÖVP erklärte sich Reinthaller bereit, sich als Obmann der neuen Freiheitspartei zur Verfügung zu stellen.189 Dazu schrieb Kraus:

„Die willfährige und anspruchslose, eben erst amnestierte oder freigesprochene, nationalsozialistische Prominenz war dem ÖVP-Obmann ein viel angenehmerer Gesprächspartner als die selbstbewußte VdU- Führung, die nicht nur das Nazi-Gesetz, sondern auch den Proporz, den unmäßig aufgeblähten Kammerstaat und hundert andere ÖVP-Sünden bekämpfte. […] All das hoffte er sich vom Hals zu schaffen, wenn auf der bürgerlichen Seite nicht mehr die kraftvolle Erneuerungsbewegung der Kriegsgeneration, sondern eine schwache, nicht koalitionsfähige Partei stünde. Raabs Konzept, die Nazi als Nazi zu organisieren, zerschlug mein Vorhaben, umkehrwillige Nazi in einer echt liberalen Partei – so wie etwa in der FDP – als „Nichtmehr-Nazi“ mitarbeiten zu lassen.“190

Über den Widerstand, gegen diese Angriffe meinte Kraus:

„Ich fragte mich, ob ich den innerparteilichen Kampf annehmen und unsere „nur nationalen“ Parteifunktionäre zur Freiheitspartei abschieben oder die Fusion geschehen lassen und mich selbst zurückziehen sollte.“191

188 Kraus; 1988; S. 278 f.

189 Kraus; 1988; S. 280

190 Ebd.; S. 280

191 Ebd.; S. 283

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Reimann sah die Sache fatalistischer:

„Jedesmal, wenn es zu einer internen Auseinandersetzung kam, scharten sich die Nationalen um den jeweiligen Kraus-Gegner in der Partei.“ 192

Die Zerreißprobe habe jedoch, nachdem der sozial-liberale Flügel bereits durch den „Betriebsterror“ geschwächt gewesen sei, nicht mehr gereicht, um ein Grundmandat zu erringen.193 Dazu Kraus:

„Die Politik ist die Kunst des Möglichen. 1956 waren zu viele der mir zuvor gegebenen Möglichkeiten geschwunden, um im demokratischen Spiel weiterhin erfolgreich mitzuwirken. […] Ich bekämpfte wohl noch die Fusion mit der Freiheitspartei bis zuletzt und bezeichnete sie als den Übergang der großen Erneuerungsbewegung der Kriegsgeneration zum kleingeistigen „Traditionsverein ehemaliger Nationalsozialisten“. Aber ich konnte die zögernden Mitglieder der Parteileitung, die den alten Geist noch hätten retten können, nicht mehr überreden.“194

Als am 7. April 1956 die Gründungsversammlung der FPÖ abgehalten wurde, wurde Reinthaller zum neuen Obmann gewählt. Dazu schrieb Kraus später:

„Ich wußte sehr wohl, daß dies kein Wiedererstehen des Hitlerismus bedeutete. Aber ich war entsetzt, wie wenig man darauf aus war, sich von der grauenvollen Nazi-Vergangenheit zu distanzieren, sondern geradezu als Demonstration der „nationalsozialistischen Rehabilitierung“ den todkranken

192 Reimann; 1980; S. 163

193 Kraus; 1988; S. 283

194 Ebd.; S. 284

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Reinthaller auf dieses Podest zerrte. […] Mit einer Partei, die sich ein solches Profil zurechtlegte, wollte ich nichts zu tun haben.“195

Reimann kommentierte die Entscheidung von Kraus folgendermaßen:

„Kraus hatte eine andere Partei gewollt, als die, zu der sich seine Gründung entwickelte. Zwischen ihm und einem Großteil der Funktionäre stand etwas Fremdes, eine Verschiedenheit der Auffassung im Grundsätzlichen. Seine parteiinternen Gegner hielten ihn für einen Außenseiter, und er selbst fühlte sich allmählich als solcher. Deshalb sein ständiges Streben, die Basis der Partei zu erweitern, um das liberale Element zu stärken. Das Ergebnis war nicht sehr ermutigend. Die eigenen Leute mißtrauten ihm deshalb noch mehr, und die neu Hinzugekommenen dankten es ihm nicht. Zuletzt riefen alle nach einem neuen Parteiführer, doch zeigte sich bald, daß es keinen besseren gab und daß man durch die Zerstörung seines politischen Kredites gleichzeitig auch den Kredit der Partei bei zahlreichen Wählern verlor. Der Abstieg des VdU ging parallel mit der Untergrabung der Autorität des Vorsitzenden und Gründers der Partei.“196

Kraus berief daraufhin eine Pressekonferenz ein, distanzierte sich mit dem Vorwurf des Rechtsextremismus von der Politik in dieser Form und trat aus der neu gegründeten Partei aus. Die „Neue Front“ reagierte auf den Rücktritt in einem Artikel:

„Mann über Bord

[…] Am 12. April 1956 traten die Gründer des VdU, NR Dr. Herbert Kraus und NR. Dr. Viktor Reimann aus der FPOe aus.

195 Kraus; 1988; S. 285

196 Reimann; 1980; S. 38

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Eine Partei muß auch weiter gesteckte Ziele haben. Aber welcher Art diese sein sollen, das kann man nicht nur mit Routine erdenken, sondern diese muß man auch mit dem Herzen erfühlen. Das war für Dr. Kraus und Dr. Reimann ihrer politischen Herkunft nach auch bei bestem Willen auf die Dauer nicht möglich. Und das ist auch ein Grund für die immer mehr wachsende Entfremdung zwischen Mitgliedern und Führung. Nicht von ungefähr erhielt Dr. Kraus von Bundesverbandstag zu Bundesverbandstag des VdU immer weniger Stimmen als Bundesobmann, um schließlich auf den Posten eines Stellvertreters und eines Referenten abzurutschen. In die Führung der FPOe wurde Dr. Kraus schließlich überhaupt nicht mehr gewählt. Dr. Kraus und Dr. Reimann waren Treuhänder. Und ein Treuhänder muß es, trotz aller Arbeit, die er für eine politische Gruppe geleistet hat, auf sich nehmen, abzutreten, wenn eine von untenher gewählte Parteiführung die Geschäfte übernimmt. […] Wenn aber Dr. Kraus weiterhin behaupten sollte, daß die FPOe eine Restaurierung der NSDAP sei, so möge er noch einmal nachlesen, was er in den ersten Heften der „Berichte und Informationen“ schrieb. Nämlich, daß es schon lange vor der NSDAP immer eine bestimmte Gruppe gab, die national-freiheitlich wählte. Vielleicht glaubt er sich selber. Festzustellen bleibt auch, daß Herr Dr. Kraus an dieser angeblichen „Machtübernahme“ hervorragend mitgewirkt hat und vielleicht vergessen hat zu erwähnen, daß er im Frühjahr 1954 Ing. Reinthaller in Attersee besucht hat und ihn bestürmte, die Stelle eines ersten Bundesobmann- Stellvertreters im VdU zu übernehmen, da der Verband der Unabhängigen Reinthallers politisches Profil dringend brauche. Das erzählte er den Presseleuten wohlweislich nicht! […] Bis zum Redaktionsschluß hat noch niemand in der Redaktion angerufen und uns zu verstehen gegeben, daß der Schritt des Dr. Kraus eine Katastrophe für die FPOe bedeuten würde. Leserbriefe sind gekommen. Aber nur solche, die den Schritt Dr. Kraus' begrüßen. […]

Es wäre ein schwerer Schlag für uns gewesen, wenn es sich um unsere Leute gehandelt hätte. So aber scheint doch rechtzeitig eine Klärung erfolgt

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zu sein, die letzten Endes eine Stärkung der Schlagkraft der Partei bedeutet.“197

Bei der nächsten Nationalratswahl bekam die FPÖ gerade einmal sechs Mandate. Nach dem bald darauf folgenden Tod Reinthallers wurde zum Obmann gewählt. Dieser hätte Kraus, nach dessen eigenen Angaben, deutlich mehr zugesagt. Er beschrieb ihn wie folgt:

„Friedrich Peter, ein echtes politisches Talent, das eine neue Orientierung suchte. Er war Soldat der Waffen-SS gewesen, schien sich aber nicht als der »Exponent der alten NS-Kameradschaft« zu fühlen. Er war sichtlich bemüht, sich von der Vergangenheit zu lösen. Mühsam und gegen allerlei Widerstände und Rückschläge ankämpfend, suchte er seiner Partei eine liberale Ausrichtung zu geben. Durch die Gründung des weltaufgeschlossenen Atterseekreises und durch eine intensive neue Programmarbeit gelang es ihm auch, einige wesentliche Schritte in Richtung moderner Liberalismus zu tun und einiges vom VdU-Erbe wiederzubeleben.“198

197 Neue Front; vom 21. April 1956; S. 2

198 Kraus; 1988; S. 288

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11. Chronologie der Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ)

1955 4. Februar: In Schwarzach-St.Veit entschließen sich die Landesobmänner von Kärnten, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg, die Zusammenarbeit mit Anton Reinthaller unter Androhung der Abspaltung von der Bundespartei zu fordern.199

19. März: Anton Reinthaller gründet gemeinsam mit Emil van Tongel, Friedrich Peter und Fritz Buschek die „Freiheitspartei“ und wird deren Obmann.

16. April: Die Verhandlungen Anton Reinthallers mit Max Stendebach über eine Zusammenarbeit scheitern.

18. Oktober: Unter dem Altersvorsitz des Generalmajors a.D. Franz Rainer wird die Bildung einer freiheitlichen Einheitspartei besiegelt. Stellvertreter sind Anton Reinthaller, Max Stendebach und Willfried Gredler.

3. November: Die „Freiheitlichen Partei Österreichs“ wird gegründet. Ein 15-Punkte Programm wird beschlossen und als Parteiorgan wird die „Neue Front“ von dem VdU übernommen.

199 Piringer, Kurt; „Chronologie“, Verband der Unabhängigen (VdU) 1949 – 1955; Freiheitliches Bildungswerk; Wien; 1993

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November: Die ersten Landesgruppen werden gegründet.

1956 27. März: Die Kandidatenliste für die Nationalratswahl am 10. Mai 1956 wird verabschiedet.

7.–8. April: Beim Gründungsparteitag der FPÖ in Wien wird Anton Reinthaller mit 117 von 124 gültigen Stimmen zum Parteiobmann gewählt.

13. Mai: Die FPÖ kommt bei ihrem ersten Antreten bei einer Nationalratswahl auf 6,5% der gültigen Stimmen und erringt damit 6 Mandate, 8 weniger als der WdU bei seinem letzten Antreten.

1957 31. Mai bis 2. Juni Am zweiten ordentlichen Bundesparteitag in Klagenfurt wird die endgültige Fassung des Kurzprogramms beschlossen und Reinthaller als Obmann wiedergewählt.

1958 6. März Reinthaller stirbt zu Hause am Hof in Mettmach an Lungenkrebs.

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12. Anton Reinthaller – Der Gründer und erste Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs

12.1. Jugend Anton Reinthaller wurde am 14. April 1895 in Mettmach, einem kleinen Ort im Innviertel in Oberösterreich, geboren. Er stammte aus einer Bauernfamilie, die auch eine kleine Brauerei betrieb.200 Sein Vater wurde von einem Mitarbeiter später als „Bauernherr“ bezeichnet. Diese Bezeichnung lässt auf den traditionellen deutschnationalen Hintergrund schließen, der in den Kreisen der Großbauern auch in anderen Regionen Österreichs existierte. Bereits in seinen Jugendjahren war Anton bei nationalen Vereinen.201 Nach dem Besuch der Volksschule in Mettmach kam er in die Realschule in Linz. Nach der 1914 absolvierten Matura meldete er sich als einjährig Freiwilliger zur K. u. K.-Armee.

200 Höbelt; 1999; S. 205

201 Reimann; 1980; S. 276

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12.2. Erster Weltkrieg Reinthallers Jugend endete wie die vieler seiner Altersgenossen, als er seinen Armeedienst ableistete. Als freiwillig ein Jahr Dienender wurde er dem Feldhaubitzregiment 2 zugeteilt.202 Dieses Regiment war als Teil der vierten Infanterietruppendivision in Brünn stationiert.203 Direkt nach seiner Ausbildungszeit wurde er in die Schrecken des Ersten Weltkrieges befördert. 1916 wurde er von der russischen Armee gefangengenommen. Im Jahr 1917 erlebte er so die russische Revolution vor Ort. Die Wirren der Revolution und die darauf folgenden Zersetzungserscheinungen innerhalb der Armee des Zaren konnte Reinthaller im Jahr darauf zur Flucht aus der Kriegsgefangenschaft nutzen. Als der Erste Weltkrieg endete, kehrte er als Oberleutnant und Träger der Silbernen Tapferkeitsmedaille erster und zweiter Klasse heim.204

202 Welan, Manfried, Poschacher, Gerhard (Hg.); Von Figl bis Fischler, Bedeutende Absolventen der „BOKU“ Wien; Leopold Stocker Verlag; Graz; 2005; S. 165

203 INFANTERIEDIVISIONEN der k.u.k. Armee im Mai 1914 http://www.weltkriege.at/Divisionen/Infanteriedivisionen/infanteriedivisionen.htm

204 Welan, Manfried, Poschacher, Gerhard (Hg.); Von Figl bis Fischler, Bedeutende Absolventen der „BOKU“ Wien; Leopold Stocker Verlag; Graz; 2005; S. 165

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12.3. Zwischenkriegszeit Nach dem Kriegsende konnte Reinthaller seine Ausbildung fortführen. Er inskribierte an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. Während des Studiums, er hatte sich für den Hochschulzweig Forstwirtschaft entschieden, wurde er auch Mitglied der Akademischen Landsmannschaft der Salzburger.205 1922 schloss er sein Studium erfolgreich als Ingenieur der Forsttechnik ab.

Nach Studienende arbeitete Reinthaller bei der Staatlichen Wildbach- und Lawinenverbauung. In dieser Funktion kam er ins Salzkammergut. Lothar Höbelt schrieb in seiner Kurzbiographie über prominente Absolventen der Hochschule für Bodenkultur206, dass Reinthaller dort in „Kontakt mit den rebellischen Bergbauern des Salzkammergutes“ kam. 1923 trat Reinthaller der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei bei, einer antisemitischen und völkischen, sprich deutschnationalen, Kleinpartei. Die Ortsgruppe Attergau nahm ihn auf.207

Im Jahr 1924 heiratete Reinthaller Therese Ritzberger-Oehn. Diese war die Tochter von Hermann Oehn. Oehn, der Besitzer eines Hofes am Attersee, war bis 1919 lange Jahre Obmann des freiheitlichen Bauernbundes in Oberösterreich gewesen. Dies war ein Vorläufer des antimarxistischen und deutschnationalen Landbundes und hatte in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg den Namen „Deutsche Freiheits- und Ordnungspartei“ getragen. Diese Freiheits- und Ordnungspartei hatte sich eine Zeitlang regional gut behauptet und war im Innviertel sogar stimmenstärkste Partei gewesen. Bei der oberösterreichischen Landtagswahl 1919 hatte sie 20 Prozent der Stimmen für sich gewinnen können.208

205 Welan; 2005; S. 165

206 Ebd.

207 Oberösterreichisches Landesarchiv; Personalakten Landesregierung; Schachtel 196; Nr. 3362

208Statistische Zentralkommission (Hg.); Statistik der Landtagswahlen im Jahre 1919, Band 3; Österr. Staatsdruckerei; Wien; 1920; S. 32 f.

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12.4. NSDAP-Aktivitäten in der Ersten Republik Vermutlich trat Anton Reinthaller am 23. April 1928 in die NSDAP ein. Seine Mitgliedsnummer war 83421209, eine andere Quelle gibt als Datum den 24. März 1928 und als Beitrittsnummer die 82421 an,210 was ihn aber in beiden Fällen zu einem der später sehr angesehenen frühen Mitglieder machen sollte. Er übte die Parteivertretung im Atterseer Gemeinderat aus und wurde Ortsgruppenleiter. Von 1930 bis 1932 bekleidete Reinthaller die Stelle des Fachberaters für Agrarfragen und übernahm die Führung der oberösterreichischen Nationalsozialistischen Bauernschaft.211 Im August 1932 ernannte ihn der Landesleiter Alfred Proksch zum Landesbauernschaftsführer. Bereits wenige Monate später, im November 1932, setzte ihn der Nachfolger Prokschs, der deutlich radikalere Theodor Habicht, wieder ab.

Im Jahr 1933 wurde die NSDAP in Österreich mit einem Betätigungsverbot belegt. Im Juli 1934 gab es einen Umsturzversuch der österreichischen Nationalsozialisten, den sogenannten „Juliputsch“.212 Im Zuge des Putsches wurde der Führer der austrofaschistischen Regierung, Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, von als Polizisten und Soldaten des österreichischen Bundesheeres verkleideten Mitgliedern der Schutzstaffel (SS), Standarte 89 im Bundeskanzleramt erschossen. Da sich das Bundesheer der Wiener Regierung gegenüber loyal verhielt und Italiens Diktator Mussolini sich mit ihr solidarisch erklärte, konnte der Umsturz jedoch binnen Tagen in ganz Österreich niedergeschlagen werden. Als Konsequenz dessen löste Hitler die Landesleitung der NSDAP auf. Von nun an betätigten sich die in Österreich verbliebenen und nicht verhafteten Nationalsozialisten im Untergrund. Besonders die nun illegalen Mitglieder der Sturmabteilung (SA) verbreiteten weiterhin Flugblätter und begingen Terrorakte.

209 Personenarchiv des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands; Eingabe: Reinthaller Anton; Wien

210 Oberösterreichisches Landesarchiv; Personalakten Landesregierung; Schachtel 196; Nr. 3362

211 Höbelt; 1999; S. 205

212 Weissensteiner, Friedrich; Schicksalstage Österreichs, Wendepunkte, Krisen, Entwicklungen; Verlag Carl Ueberreuter; Wien; 1989; S. 151 f.

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Anton Reinthaller hatte nicht am Juliputsch teilgenommen. Es war bereits 1933 ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden, da er bei einer Versammlung im April in der Lohnsburg im Bezirk Ried im Innkreis den Bundeskanzler Dollfuß verspottet haben sollte.213 Anfang 1934 verbrachte er drei Monate im Anhaltelager Kaisersteinbruch, wo er gemeinsam mit dem späteren Kriegsverbrecher Ernst Kaltenbrunner inhaftiert war. Mit diesem schloss er dort Freundschaft und konnte ihn davon überzeugen, dass ein gewaltsamer Putsch gegen das Regime in Wien nicht erfolgreich sein könnt.214

213 Oberösterreichisches Landesarchiv; Personalakten Landesregierung; Schachtel 196; Nr. 3362

214 Black, Peter; Ernst Kaltenbrunner, Vasall Hitlers: Eine SS-Karriere; Ferdinand Schöningh; Paderborn; 1991; S. 89 f.

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12.5. Die „Aktion Reinthaller“ Nachdem der Juliputsch gescheitert war, versuchte Reinthaller, der sich dadurch bestätigt fühlte, nun zwischen den illegalen Nationalsozialisten in Österreich und der Wiener Regierung zu vermitteln. Der Nachfolger des ermordeten Engelbert Dollfuß, , war ein Regimentskamerad von ihm im Heer der k.u.k. Armee gewesen.215 So hoffte Reinthaller auf die Möglichkeit einer friedlichen Verständigung zwischen den beiden verfeindeten Lagern. Durch die Vermittlungen des ehemaligen Landesrats und des früheren Justizminister Franz Hueber von nationaler Seite und dem oberösterreichischen Landeshauptmann Heinrich Gleissner und dessen Sicherheitsdirektor Peter Revertera- Salandra, auch Graf Revertera genannt, auf der Seite der Regierung, versuchte Reinthaller mit den führenden Austrofaschisten in Kontakt zu kommen. Dies gelang nur ansatzweise und wurde von offiziellen Stellen später aufgrund des Ansehens in der Öffentlichkeit verheimlicht. Reinthaller wurde im Jahr darauf im Zuge einer Ermittlungsaktion gegen illegale Nationalsozialisten als Zeuge verhört und gab dort Folgendes an: Auszug aus der Zeugenvernehmung des Bezirksgerichts Frankenmarkt vom 13. November 1935, Geschäftszahl 372.298:

„[…] Schon seit längerer Zeit war ich zur Auffassung gelangt, dass im Interesse unseres Vaterlandes, namentlich aber auch im nationalen Interesse eine Milderung der auf[s] äusserste zugespitzten politischen Gegensätze durch Anbahnung von Verhandlungen zwischen der Regierung und den nationalen Kreisen herbeigeführt werden müsse und auf diese Art auch den nationalen Kreisen Gelegenheit geboten werden solle, politisch eine nicht nur ausschliesslich passive Rolle zu spielen. Ebenso war mir klar, dass Voraussetzung einer solchen politischen Befriedungsaktion die vorhergehende Einstellung der illegalen Tätigkeit jeder Art, und damit selbstverständlich die Ausschliessung jedes gewaltsamen Vorgehens sein müsse. In diesem Sinne leitete ich im Vereine mit engeren Gesinnungsgenossen die später häufig als sogenannte „Reinthalleraktion“ bezeichnete Befriedungs- aktion ein. Ich nahm zu diesem Zwecke Fühlung mit der Bundesregierung,

215 Welan; 2005; S. 166

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deren Ergebnis war, dass ich Mitte September 1934 mit Zustimmung der Regierung in Wien eine bei dieser und der Wiener Polizei angemeldete Kanzlei einrichtete, die mir die Organisation dieser Befriedungstätigkeit ermöglichen sollte. Ich trat in Wien einerseits mit einer Reihe von Vertrauenspersonen des Bundeskanzlers in Verhandlungen, andererseits suchte ich Verbindungen mit allen nationalen Kreisen Österreichs zu schaffen bzw. zu erweitern, um auf diese Art nach beiden Richtungen meine obigen Ziele zu fördern. Als mein persönlicher Sekretär und Stellvertreter nahm ich nach Wien den mir von Jugend auf befreundeten Rechtsanwaltsanwärter DR. Ernst Kaltenbrunner mit, mit welchem ich ausserdem durch mehrmonatigen gemeinsamen Aufenthalt im Anhaltelager Kaiser-Steinbruch nahe persönliche Beziehungen gewonnen hatte, dessen mit den meinen übereinstimmende Anschauungen mir daher genau bekannt waren und dessen Eignung mir durch seine Tätigkeit in der Nationalsozialistischen Bewegung zu der Zeit, als diese erlaubt war, bekannt war.“216

Reinthaller gab in der Zeugenvernehmung weiter an, dass es nach ungefähr drei Wochen zu einem Ende der Aktion gekommen und die Kanzlei geschlossen worden sei, der Kontakt mit der Bundesregierung auf deren Wunsch hin jedoch weiter aufrecht gehalten hätte werden sollen. Die Aktion sei in Form von Besprechungen mit Entscheidungsträgern in Salzburg und Oberösterreich fortgesetzt worden. Kaltenbrunner wurde im Mai 1935 verhaftet.217 Reinthaller sagte aus, er habe von dessen Kontakten mit der damals illegalen SS nichts gewusst. Kaltenbrunner habe dies jedoch sicher nicht in hochverräterischer Absicht getan, er sei ja hinter Reinthallers Befriedungsaktion gestanden.

Dem Vernehmungsprotokoll wurde jedoch Folgendes von Seiten der Staatsanwaltschaft hinzugefügt:

216 Personenarchiv des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands; Eingabe: Reinthaller Anton; Wien; Zeugenvernehmung des Bezirksgerichts Frankenmarkt vom 13. November 1935

217 Black; 1991; S. 94

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„Zur sogenannten nationalen Aktion (Reinthaller-Aktion):

In den Monaten August und September 1934 haben sich unter der Führung des ehemaligen Referenten für agrarpolitische Fragen bei der Landesleitung der nationalsozialistischen Partei in Österreich Ingenieur Anton Reinthaller allenthalben Komitees der sogenannten „Nationalen Aktion“ gebildet, die es sich zur Aufgabe machen wollten, sämtliche Nationalgesinnte in Österreich zu einer österreichischnationalen Einheitsfront zusammenzuschliessen. Dieser Verband sollte unter dem Titel „Nationalsozialer Volksbund Österreich“ den korporativen Eintritt in die Vaterländische Front erklären, wofür ihm in allen seinen Gliederungen vollste Gleichberechtigung eingeräumt werden sollte. Weiters erwartete der „National – soziale Volksbund“ die Zusicherung der Betätigungsfreiheit auf Grundlage des Gedankenguts des Nationalsozialismus, sowie eine Revision der dermaligen Verfassung und die Anberaumung eines Volksentscheides. Zur Durchführung dieses Programmes wurde eine „Sofort – Aktion“ sowie ein in drei Etappen gegliedertes Befriedungsprogramm aufgestellt. Auf der einen Seite wurde zwar die positive Mitarbeit am Wiederaufbau Österreichs und die Absage an die Terrorpolitik versprochen, auf der anderen Seite jedoch volle Freiheit im Ausbau der Organisation, sowie die Gründung eines nationalen Wehrverbandes gefordert. Die Tätigkeit der „Nationalen Aktion“ wurde weder von der Bundesregierung noch von einzelnen Regierungsmitgliedern genehmigt oder gefördert und stellte sich daher als eine nichtgesetzliche Vereinstätigkeit, beziehungsweise illegale Parteitätigkeit dar, weshalb vom Bundeskanzleramt (Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) an die nachgeordneten Sicherheitsdienststellen der Auftrag ergangen ist, Personen, die sich in irgendeiner Weise für die „Nationale Aktion“ betätigen, unter Anordnung strengster Strafen zu veranlassen, diese Tätigkeit einzustellen.

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Die von Reinthaller ins Leben gerufene „Nationale Aktion“ hat in den Kreisen der illegalen NSDAP stets strikte Ablehnung gefunden und Reinthaller wurde als Verräter an der nationalsozialistischen Sache bezeichnet. Auf jeden Fall muss darauf verwiesen werden, dass gerade die militärischen Organisationen der NSDAP, nämlich die SA und SS, stets in absolut ablehnender Haltung zu jeder Befriedungsaktion gestanden sind. Es ist auch ganz klar, dass die Reorganisation dieser militärischen Organisationen der NSDAP nicht auf Befriedung, sondern auf Kampf hinweist. Wäre es der illegalen NSDAP nur darauf angekommen, ihre Anhänger zu sammeln und von unüberlegten Taten und Terrorakten zurückzuhalten, so hätte dies sicherlich auch in anderer Form als in der Wiederaufrichtung der militärischen Organisationen, die den Behörden ängstlich verheimlicht wurde, geschehen können.

An den Herrn Sicherheitsdirektor für Oberösterreich in Linz. Vom 18. November 1935“218

Nach dem Scheitern der Aktion blieb Reinthaller weiterhin in Kontakt mit dem ihm wohlgesonnenen Revertera. Dieser ermöglichte Reinthaller, die anonymen Anzeigen der illegalen Parteigenossen einzusehen. Besonders Theodor Habicht, der ihn aus der NSDAP ausschließen ließ, entwickelte sich zunehmend zu einem Gegner. Habicht verfolgte gemeinsam mit , dem ehemaligen nationalsozialistischen Parteigauleiter von Oberösterreich, und den „Illegalen“ in Niederösterreich und der Steiermark weiter die Strategie der Konfrontation. Die Kontakte Reinthallers zur Regierung brachen nach einer weiteren Einvernahme durch die Polizei endgültig ab.219

218 Personenarchiv des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands; Eingabe: Reinthaller Anton; Wien; Zeugenvernehmung des Bezirksgerichts Frankenmarkt vom 13. November 1935

219 Welan; 2005; S. 167

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12.6. Landwirtschaftsminister im „Anschlusskabinett“ Am 12. Februar 1938 besuchte Kurt Schuschnigg Hitler am Obersalzberg in Berchtesgaden.220 Das Wort „Besuch“ traf in dem Fall weniger zu, da ihn Hitler, unter der Androhung eines militärischen Einmarsches, regelrecht hinbeordert hatte. Das dort am Berghof zustande gekommene „Berchtesgadener Abkommen“221 entsprach dann auch dem Machtgefälle zwischen den beiden Staatsmännern. Es besiegelte das Ende des eigenständigen Österreichs als souveräner Staat.222 Von nun an durfte sich die NSDAP in Österreich wieder frei betätigen und Schuschnigg musste den Nationalsozialisten zugestehen, einige der Ihren in seine Regierung aufzunehmen. Das Vorhaben, die als Befreiungsschlag gedachte und kurzfristig verkündete Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit, schlug wegen dem erhöhten Druck aus Berlin fehl und am 11. März musste Schuschnigg zurücktreten. Der bereits zuvor als Innen- und Sicherheitsminister eingesetzte Nationalsozialist Arthur Seyß- Inquart übernahm seine Position. Der neue Bundeskanzler berief Anton Reinthaller als Minister für Land- und Forstwirtschaft in sein „Anschlusskabinett“. Nur zwei Tage später wurde der „Anschluss Österreichs“ im dafür einberufenen Ministerrat beschlossen. Am 13. März 1938 hielt Reinthaller folgende Rundfunkrede:

Aus der „Nationalsozialistischen Landpost“ vom 18. März 1938:

„Jetzt wird der Acker neu bestellt!

Bundesminister Reinthaller an das Landvolk – „Anspannen und Brot schaffen für das neue Deutschland!“

220 Kinder, Hermann, Hilgemann, Werner; dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Karten und chronologischer Abriß; Deutscher Taschenbuch Verlag; München; 1991; S. 434

221 Urbanek, Gerhard; Realitätsverweigerung oder Panikreaktion? „Vaterländische“ Kommunikationspolitik in Österreich zwischen Juliabkommen 1936, Berchtesgadener Protokoll und „Anschluss“ 1938; Diplomarbeit; Universität Wien; 2011; S. 43 f.

222 Reichhold, Ludwig; Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluss 1933 – 1938; Bundesverlag; Wien; 1985; S. 308

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„Volksgenossen! Bauern Deutsch-Österreichs! Zu tiefst ergriffen von dem großen Erleben der letzten Tage und miteinstimmend in den Jubel über die Erfüllung unserer Sehnsucht der Jahre des Kampfes spreche ich zu Euch, die ihr in unerschütterlicher Treue und opferbereitem Einsatz der nationalsozialistischen Weltanschauung zum Siege verholfen habt. Dunkel wie die Wolken eines abziehenden Gewitters liegt das Erinnern an diese vergangene Zeit, aber es ist Bauernart, wenn Unwetter die Flur verwüstet, in neuer, zäher Arbeit den Acker zu bestellen, ein neues Haus erstehen zu lassen, wenn das alte vom Blitz zerstört wurde. So rufe ich Euch zur Arbeit auf, zu harter mühevoller Arbeit in dem Glauben an eine bessere Zukunft für Euch und Eure Kinder und Kindeskinder. Ich als Bauer weiß nur zu gut, wieviel Sorgen und Mühen heute auf dem Bauernstand lasten. Ich weiß auch, wie gar viele Volksgenossen in ihrer Not und Verzweiflung vor der drohenden Versteigerung zu mir kamen und Hilfe suchten. Es war mir im Deutschen Reiche vor der Machtübernahme durch den Führer des deutschen Volkes Adolf Hitler einst auch so, daß das brutale Spiel der Spekulation auch dort Zwangsversteigerung, Not und Elend erntete. Der Nationalsozialismus hat den Wandel geschaffen, und wir werden auch bei uns in Deutsch-Österreich Wandel schaffen! Dafür bürge ich Euch. Vor uns steht die Aufgabe – so wie für die Bauern im Deutschen Reiche – dem deutschen Volke seine Ernährung in guten und in schlechten Tagen zu sichern. Vor uns steht aber die genau so große Forderung für einen gesunden und gesicherten Bauernstand, den Blutsquell unseres Volkes nicht versiegen zu lassen, daß nicht eines Tages grenzvölkische Volksgruppen Besitz ergreifen von unserer Heimat. […] […] Eines möge uns vor Augen stehen: Der Boden, den wir bebauen, ist uns nicht eine Ware wie jede andere, er ist uns ein Stück deutschen Raumes, der uns verpflichtet und der uns vom Geschick anvertraut ist, damit wir ihn bearbeiten, wie es das Schicksal des deutschen Volkes erfordert. Die nationalsozialistische Staatsführung schützt Euch, deutsche Bauern, vor

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jeder Auseinandersetzung; die Gegenleistung ist Eure bedingungslose Eingliederung in die gesamte Ordnung.“223

Noch bis in den April 1939 blieb die Regierung bestehen, um die organisatorische Eingliederung ins Deutsche Reich zu unterstützen. Am 17. März 1938 empfing Reinthaller seinen nunmehrigen Berliner Vorgesetzten, Reichsbauernführer und Reichsernährungs- minister Walther Darré.

Aus dem „Völkischen Beobachter“ vom 18. März 1938:

„Feierstunde der österreichischen Bauernführer Landwirtschaftsminister Reinthal[l]er begrüßt den Reichsbauernführer Wien, 17. März.

Im Sitzungssaal des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft begrüßte am Mittwoch der Führer der nationalsozialistischen Bauernschaft, Minister Anton Reinthal[l]er, in Anwesenheit aller engeren Mitarbeiter den Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Darré. Reinthal[l]er, der den jahrelangen Kampf des österreichischen nationalsozialistischen Landvolkes geführt hat, betonte, es erfülle ihn mit großer Freude, daß der jahrhundertealte Traum der österreichischen Bauern, wieder ins Reich heimzukommen, heute erfüllt sei. Reichsminister Reichsbauernführer Darré dankte dem Minister Reinthal[l]er für seine und seiner Mitkämpfer so erfolgreiche und zähe Arbeit. Er wisse, es sei allein ihrem Kampf und ihrem Ausharren zu verdanken, daß diese Stunde ermöglicht wurde. Zu den Bauernführern gewandt, betonte der Reichsbauernführer, daß nunmehr ein jahrhundertelanger künstlicher Gegensatz überbrückt sei. Es sei nicht ohne Bedeutung, daß dies ein Sohn der österreichischen Erde vollbracht habe. Er kehre als Reichsbauernführer mit dem Bewußtsein

223 Nationalsozialistische Landpost; vom 18. März 1938

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zurück, daß auf diesem Boden beste deutsche Männer stehen, die ihre Aufgabe im echt nationalsozialistischen Geiste erfüllen. In besonderer Anerkennung des harten Kampfes der versammelten Bauernführer ernannte Reichsbauernführer Darré Anton Reinthal[l]er zum Mitglied des Deutschen Reichsbauernrats.“224

Reinthaller konnte sich als Politiker bei seiner Klientel vor allem dadurch beliebt machen, da der Reichsnährstand eine Ent- und Umschuldungsaktion durchführte. Diese befreite die in finanzielle Not geratenen Bauern von akuten Zahlungsproblemen. Auszug aus dem „Berliner Lokal-Anzeiger“ vom 1. Mai 1938:

„Aufbau mit wiedererweckten Kräften Österreichs Bauern zum 1. Mai Von Minister für Land- und Forstwirtschaft Anton Reinthaller

[…] Entsprechend groß sind aber auch die wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen, die zur Beseitigung der schwersten Schäden getroffen werden. […] und Maßnahmen zur Entschuldung der Bauern, die in den letzten Jahren des versunkenen Systems fast vollständig in die Schuldknechtschaft jüdischer Wucherer geraten waren.“225

224 Völkischer Beobachter; vom 18. März 1938

225 Berliner Lokal-Anzeiger; vom 1. Mai 1938

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12.7. Landesbauernführer und Unterstaatssekretär im Reichsernährungsministerium Am 15. Juni 1938 wurde Reinthaller von Darré infolge der Inkraftsetzung des Reichsnährstandsgesetzes in Österreich mit der Führung der Geschäfte des Landesbauernführers der Landesbauernschaft Donauland, dem heutigen Nieder- und Oberösterreich, beauftragt.226

Nach der Auflösung des „Anschlusskabinetts“ im April wurde Reinthaller zum Unterstaatssekretär im Reichsernährungsministerium von Walther Darré ernannt. Hier wurde er mit der Leitung der Abteilung 7 betraut. Diese war neu geschaffen worden und für die Angelegenheiten der Bergbauern im Dritten Reich zuständig.227

226 Personenarchiv des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands; Eingabe: Reinthaller Anton; Wien

227 Welan; 2005; S. 167

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12.8. Reinthallers Standpunkt in Bezug auf den Liberalismus Reinthallers nationalsozialistisch geprägte „Blut-und-Boden-Weltanschauung“ ließ sich in Bezug zu einer liberal geprägten Wirtschaft folgend lesen. Für den „Völkischen Beobachter“ verfasste er 1940 diesen Artikel:

„Bergland – Jagdgründe oder Lebensraum? Von Landesbauernführer Unterstaatssekretär Ing. Reinthaller

Im Verlauf des Krieges ist das Wort „Plutokratie“ zu einem neuen politischen Begriff geworden, der nicht nur das Leitmotiv im außenpolitischen Kampf gegen das System der Ausbeutung bildet, sondern auch zur Überprüfung der inneren wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwingt. Ist dieser Krieg der Kampf der sozialistischen Gemeinschaft gegen das Prinzip der kapitalistischen Ausbeutung schlechthin, so können auch der Sieg und die Folgerungen aus diesem nur in genau demselben Zeichen des echten Sozialismus stehen. Es ist daher keinesfalls eine neue Welle liberaler Profithascherei als Triebkraft der neuen Wirtschaftspolitik zu erwarten, wie etwa in den Gründerjahren nach 1870, sondern die deutsche Volkswirtschaft wird im Zeichen der Leistung für die Gemeinschaft stehen, […] Die unmittelbare Aufgabe der kommenden Monate und Jahre wird es sein, den Sieg unserer Waffen in einen dauernden Sieg des nationalsozialistischen Geistes zu verwandeln und alle abwegigen Hoffnungen, die wie Pilze aus dem Boden schießen und von einer neuen Ära liberalistischer und imperialistischer Wirtschaftsführung träumen, im Keime zu ersticken. Ist der Krieg der Kampf gegen die Ausbeutung von außen, so wird die Fortführung der nationalsozialistischen Revolution diese im Innern restlos beseitigen.“228

Reinthaller nahm in diesem Artikel des Weiteren die Problematik der Bergbauern auf, deren Wirtschaftlichkeit derer größerer Betriebe im Flachland hinterherhinkte. Deshalb stand es zu

228 Völkischer Beobachter; vom 27. Oktober 1940

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jener Zeit der großen militärischen Erfolge im Raum, dass diese in die eroberten Gebiete in Osteuropa umgesiedelt werden sollten. Dazu fuhr Reinthaller weiter fort:

„Dies hieße die nationalsozialistischen Lebensgesetze auf den Kopf zu stellen und dem Liberalismus im eigenen Herzen einen neuen Tempel zu errichten. Eine Entsiedelung der Berge, die in den ärgsten Zeiten des Liberalismus verhindert werden konnte, wird noch viel weniger in einem zur sozialen Gemeinschaft strebenden Volk möglich sein, das den Liberalismus restlos überwinden will.“229

229 Völkischer Beobachter; vom 27. Oktober 1940

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12.9. Entnazifizierung nach dem Kriegsende Am 7. September 1945 wurde Anton Reinthaller am Hof von seiner Frau in Alkoven bei Eferding im Hausruckviertel von den US-Amerikanern verhaftet.230 Es wurde ihm ein Prozess vor einem Volksgerichtshof gemacht. Unter anderem wurde er des Hochverrats am österreichischen Volk bezichtigt, da er als Teil der Regierung Seys-Inquart für den „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich gestimmt hatte. Auch sein Rang als SS- Oberführer und dass er zusätzlich Träger des Goldenen Parteiabzeichens und des Ehrenwinkels der SS231 war, belastete ihn schwer. 1950 wurde er jedoch nur zu drei Jahren Kerker verurteilt, die er in der Zwischenzeit bereits in Untersuchungshaft abgesessen hatte. Des Weiteren wurde über seinen Besitz der „Vermögensverfall“ ausgesprochen. Seine Anwälte waren Karl Günther aus Mattighofen, ein ehemaliges Mitglied der Landbundpartei, Hans Haider aus Linz, ein Bekannter des oberösterreichischen Landeshauptmanns Gleißner, und Otto Tiefenbrunner, ein Freund des früheren austrofaschistischen Bundeskanzlers Schuschnigg.232 Diese drei Juristen standen der ÖVP nahe. Sie schafften es, dass der Befriedungsausschuss der ÖVP-Bundesparteileitung sich für die Rückerstattung von Reinthallers Gütern einsetzte. Sogar der amtierende ÖVP-Bundeskanzler Leopold Figl gab bei einer Zeugeneinvernahme 1952 an, er habe nach seiner Rückkehr aus dem KZ Dachau dank Reinthaller sein konfisziertes Vermögen schon innerhalb von vier Tagen zurückbekommen.233

Im Sommer 1952 traf sich Reinthaller mit dem SPÖ-Politiker und damaligen Vizekanzler Adolf Schärf höchstpersönlich, worauf auch dieser zu Reinthallers Begnadigung überredet werden konnte. 234 Das Verfahren gegen ihn wurde auf Entschließung des Bundespräsidenten

230 Welan; 2005; S. 168

231 Reimann; 1980; S. 276

232 Höbelt; 1999; S. 206

233 Piringer, Kurt; Die Geschichte der Freiheitlichen, Beitrag der Dritten Kraft zur österreichischen Politik; Verlag ORAC; Wien; 1982; S. 19

234 Welan; 2005; S. 168

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hin eingestellt. Das vorangegangene Urteil des Volksgerichtshofes rechnete Reinthaller zugute,

„daß Reinthaller zu den Idealisten der NS-Bewegung zählte und die von ihm geleitete Befriedungsaktion, die mit Wissen und Willen der damaligen österreichischen Regierung verlief, Keinesfalls als Hochverrat angesehen werden kann.“235

Im Juni des darauffolgenden Jahres wurden alle Besitztümer rückerstattet und Reinthaller konnte im Besitz seiner vollen Bürgerrechte wieder in die Politik einsteigen.

235 Piringer; 1982; S. 18

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12.10. Die Gründung der Freiheitspartei Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1954 kam es für Reinthaller zu einem folgenschweren Treffen im Bahnhofsrestaurant in Attnang-Puchheim. Der ehemalige Diplomat, zeitweilige Konzentrationslagerinsasse und nunmehrige ÖVP-Politiker Theodor Hornbostel war ein Vertrauensmann der Industriellenvereinigung und Obmann des „Verband der Selbständig Wirtschaftstreibenden“ (VSW).236 Fritz Kretz, Direktor und Miteigentümer der Zipfer-Brauerei, war VSW-Sprecher in Oberösterreich. Diese Herren richteten Reinthaller aus, dass der damalige ÖVP-Bundeskanzler, Julius Raab, ihn gerne bei einem Polit- Comeback im VdU sehen würde. Friedrich Peter, Reinthallers Nachfolger als Parteiobmann, überlieferte die Nachricht Raabs später in einem Interview folgenderweise: „Sagt dem Reinthaller, er soll wieder in die Politik gehen und Ordnung in den VdU hineinbringen.“237 Reinthaller lehnte das Angebot zu diesem Zeitpunkt jedoch ab. Auch die Besuche von Herbert Kraus und Jörg Kandutsch bei ihm in Attersee am 12. Juni und am 22. August 1954 konnten ihn nicht dazu bewegen, sich politisch im Verband zu betätigen.238 Der Bitte um eine Wahlempfehlung für den VdU bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und Wien kam er nicht nach.239

Als am 17. Oktober 1954 das für den VdU verlustreiche Ergebnis bekannt wurde, äußerte sich Reinthaller laut einem späteren Gespräch mit Kandutsch mit diesen Worten:

„Dieser 17. Oktober ist eine Zäsur in meiner Auffassung, die Absage der Wähler an den VdU war derart eindeutig und kraß, daß es müßig ist, den

236 Höbelt; 1999; S. 85

237 Kriechbaumer, Robert (Hg.); Die Ära Josef Klaus, Österreich in den „kurzen“ sechziger Jahren; Band 2; Böhlau Verlag; Wien; 1999; S. 139

238 Höbelt; 1999; S. 206

239 Piringer; 1982; S. 20

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VdU noch einmal aufpäppeln zu wollen. Erkennt, daß ihr am Ende seid. Es muß etwas Neues gemacht werden.“240

Reinthaller begann nun mit Vertretern des rechten Flügels der Nationalen im „Grünen Salon“ des Schwechaterhofes in Linz zu verkehren. Zu diesen gehörten unter anderen Friedrich Peter, zu dieser Zeit Mitglied des antikonfessionellen, liberal-freiheitlichen oberösterreichischen Lehrervereines, und Theodor Hornbostel vom VSW. Am 12. Dezember kam es zu einem Treffen der VdU-Landesobmänner von Kärnten, der Steiermark, Tirol und Vorarlberg, in dem beschlossen wurde, die Zusammenarbeit mit Reinthaller um jeden Preis zu fordern, zur Not auch unter der Drohung, aus dem Verband auszutreten.241 Hornbostel arrangierte ein Treffen Reinthallers mit dem damaligen Bundeskanzler Raab im Bahnhofsrestaurant Attnang- Puchheim. Im Gespräch der beiden, das Anfang 1955 erfolgte, überredete Raab Reinthaller zum Wiedereinstieg in die Politik. Raab gab ihm dabei den Ratschlag, sich mit „demokratischen Auftriebselementen“ wie Willfried Gredler zu umgeben.242 Gredler war ursprünglich ÖVP-Mitglied gewesen, mit Ernst Strachwitz in der „Jungen Front“ aktiv und betätigte sich später in der „Aktion zur politischen Erneuerung“, welche mit dem VdU zusammenarbeitete. Im Rahmen des „Grünen Salons“ und durch die Vermittlung Robert Scheuchs, einem einst glühenden Nationalsozialisten und Großvater der späteren Kärntner Politiker Uwe und Kurt Scheuch243, kam es auch zu Gesprächen Reinthallers mit dem Obmann des VdU, Max Stendebach. Diesem sagte Reinthaller am 17. Jänner 1955 bezüglich einer Zusammenarbeit:

„Ich konnte mit Genugtuung feststellen, daß sich die Ansichten im großen und ganzen decken. Deshalb habe ich mich dort bereit erklärt, mit einem zu wählenden Komitee des VdU die Verhandlungen aufzunehmen und, so Gott

240 Piringer; 1982; S. 21

241 Höbelt; 1999; S. 220

242 Piringer; 1982; S. 26

243 Der Standard; Haiders Erbe als Familientradition; Standard Verlagsgesellschaft; Wien; vom 3. November 2008

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will, zu einem gedeihlichen Abschluß im Sinne eines wahrhaften Neubaues der politischen Heimstätte aller freiheitlich volkstreuen Kräfte zu bringen.“244

Am außerordentlichen Verbandstag des VdU am 5. und 6. Februar 1955 sollte es demnach zu einem Beschluss kommen, der den Weg frei machen würde für Verhandlungen mit der Gruppe um Reinthaller. Dieser kam aber nicht zustande, denn Reinthaller bestand auf einer

„echten und glaubwürdigen Totalreformation des Gesamtlagers“, einer „Erneuerung der Dritten Kraft außerhalb aller bestehenden Parteien, Gruppen und Bindungen“ durch die „Bildung einer neuen Organisation, in der alle Verbände und Gruppen unter Verzicht auf ihr Eigenleben aufgeben müssen. An anderen Versuchen wie z. B. der Schaffung eines Dachverbandes und ähnlicher Konstruktionen, welchen ich keinen Erfolg zubilligen kann, werde ich mich nicht beteiligen und auch meinen Namen nicht zur Verfügung stellen.“245

Nachdem es zur Suspendierung der rebellierenden Landeschefs des Schwarzacher Treffens gekommen war, schlossen diese sich mit Reinthaller zusammen und gründeten noch im Februar gemeinsam mit Vertretern des „Grünen Salons“ die am 19. März zugelassene Freiheitspartei. Der Name wurde von Emil van Tongel vorgeschlagen, da er auch zum beginnenden Jahr des Staatsvertrags passte. Zur Rolle van Tongels, einem Apotheker, der wegen seiner nationalsozialistischen Umtriebe nach dem Krieg mit einem Berufsverbot belegt worden war, meinte Reimann:

„Die beiden Personen, denen das Werk gelang, aus den vielen Gruppen des nationalliberalen Lagers wieder eine Partei zu formen, sind Reinthaller und van Tongel. Jener war der Getriebene, dieser der Treiber.“246

244 Höbelt; 1999; S. 220

245 Ebd.; S. 221

246 Reimann; 1980; S. 276

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Bereits am 5. Juni trat der VdU-Landesverband geschlossen der Freiheitspartei bei.247 Dies war auf den Landesobmann Wilhelm Kaufmann zurückzuführen.248 In den anderen Bundesländern gestaltete sich die Situation umständlicher. Teils existierten bald mehrere Gruppierungen nebeneinander.

247 Piringer; 1982; S. 29

248 Lehmann-Horn, Knut; Die Kärntner FPÖ 1955-1983, Vom Verband der Unabhängigen (VdU) bis zum Aufstieg von Jörg Haider zum Landesparteiobmann; Universitätsverlag Carinthia; Klagenfurt; 1992; S. 81

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12.11. Die Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs

„Die FPÖ verkörpert jene Tradition, die in die Gründungsphilosophie der Zweiten Republik keinen Eingang gefunden hat – die Tradition des Deutschnationalismus, die Tradition des Anschlusses um jeden Preis an jedes Deutschland, die Tradition eines auch von den anderen Parteien unterschiedlich stark, aber nicht mit dieser Konsequenz vertretenen Antisemitismus. Die FPÖ repräsentierte (und repräsentiert) den Affekt der ÖsterreicherInnen, die 1945 nicht als Befreiung, sondern als Niederlage erlebt und an dieser Einschätzung auch festgehalten haben; für die nicht 1938, sondern 1945 das Jahr des Opfers war.“249

Die Spaltung des Dritten Lagers stellte jedoch eine Gefahr für alle Beteiligten dar. Das Wählerpotenzial war nicht groß genug, um beiden nun bestehenden Parteien ein politisches Überleben zu garantieren. Da in Oberösterreich noch im selben Jahr Landtagswahlen anstanden, war hier der Handlungsbedarf am größten. Knapp vor der Wahl wurde am 2. September 1955 die „Freiheitliche Wahlgemeinschaft“ aus der Taufe gehoben, in der beide Parteien auf einer gemeinsamen Liste antraten.250 Bei der Wahl am 23. Oktober schnitt die Liste mit 58.936 gültigen Stimmen251 und damit 9,6 Prozent nicht sonderlich gut ab. Im Vergleich dazu hatte der VdU als WdU beim letzten Antreten 1949 20,8 Prozent erhalten. Da die Wahlen des vorangegangenen Jahres aber noch höhere Verluste gebracht hatten, sprach man intern von einer Konsolidierung. Um das nationale Lager rechtzeitig vor den Nationalratswahlen im selben Jahr auch auf Bundesebene zu einigen, wurde ein Proponentenkomitee aus Vertretern der beiden Parteien zusammengestellt, darunter waren auch die beiden Parteichefs. Man einigte sich auf den

249 Pelinka, Anton; Sonderfall FPÖ – Sonderfall Österreich; 2001; S. 65

250 Piringer; 1982; S. 32 [Anm.: Laut Höbelt erfolgte die Gründung am 16. September. (Höbelt; 1999; S. 231)]

251 Homepage Land Oberösterreich; Detailergebnisse der Wahl Landtag 1955: http://www2.land- oberoesterreich.gv.at/statwahlen/WahlenErgebnis.jsp?GemNr=40000&kat=OOE&Gemeindeauswahl=&strWahl Code=LT55&strThema=OOE&strMandat=ja&wahlnr=5

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Namen „Freiheitliche Partei Österreichs“. Reinthaller hatte als Zeichen des Entgegen- kommens gegenüber dem VdU „Unabhängige Freiheitliche Partei“ vorgeschlagen.252 Als Parteifarbe wurde das Blau der Kornblume gewählt, die auch als Symbol dienen sollte. Die Kornblume war bereits zu Schönerers Zeit die Parteiblume der Deutschnationalen, und während der Phase des NSDAP-Verbots in der Ersten Republik ein Erkennungszeichen der Nationalsozialisten gewesen. Die Einigung wurde am 22. Oktober in der „Neuen Front“ verkündigt, die nun auch schon als „Zeitung der Freiheitlichen“ erschien.253 Reinthaller wurde am ersten Bundesparteitag der FPÖ am 8. April 1956 im Hotel „Zum Weißen Hahn“ im achten Wiener Gemeindebezirk zum Parteiobmann gewählt. Der aus der neugegründeten Partei scheidende Reimann kommentierte die Wahl Reinthallers später folgendermaßen:

„Die stärkere Betonung des Nationalen, die schon mit der Wahl von Ing. Reinthaller zum Ausdruck kam, erfüllte nicht die Hoffnungen, die viele führende Funktionäre der neuen Partei erwartet hatten. Der FPÖ gelang es aber, das nationale Lager zu stabilisieren.“254

Kraus kommentierte die Wahl Reinthallers drastischer:

„Mit dem alten Geist der Unduldsamkeit und den Methoden des totalen Machtanspruchs hat man die aufrichtigen Bestrebungen um eine Dritte Kraft sowie die bisherigen Leistungen des VdU dazu mißbraucht, um einzelnen gestürzten Größen des NS-Regimes eine neue politische Plattform zu schaffen.“255

252 Höbelt; 1999; S. 232

253 Neue Front, Zeitung der Unabhängigen/Zeitung der Freiheitlichen; Kraus; Salzburg/Wien; vom 22. Oktober 1955

254 Reimann, Viktor; 25 Jahre FPÖ; Freiheitliches Bildungswerk; Wien, 1983; S. 13

255 Reimann; 1980; S. 273

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12.12. Parteiobmannschaft

„Als endlich die beiden Gründer draußen waren und die „große“ nationale Einigung unter dem nationalen Führer Reinthaller zustande kam, zog in das Parlament die kleinste nationale Fraktion ein.“256

Der Wahlkampf wurde von der FPÖ mit den zu erwartenden nationalen Parolen geführt. Wahlkampfaufruf in den Kärntner Nachrichten vom 11. Mai 1956, zwei Tage vor der Wahl:

„Bekennst du Dich zum Geist von 1945, durch welchen unsere völkischen Werte, wie Treue, Eid, Opferbereitschaft, Wahrheit, Ehre, verneint und als überlebt abgetan wurden, dann wähle die Koalitionsparteien weiter!“257

„Bekennst Du Dich zur Verunglimpfung der Soldatenehre und Verherrlichung der Widerstandskämpfer, so wähle SPÖVP!“258

Da die Nationalratswahl am 13. Mai 1956 für die neugegründete Partei unerwartet hohe Stimmenverluste im Vergleich zum letzten Antreten des VdU brachte, musste das schlechte Abschneiden vom neuen Parteiobmann öffentlich erklärt werden. Anton Reinthaller ließ am 9. Juni 1956 in den Salzburger FPÖ-Nachrichten, dem „Kampfblatt der national-freiheitlichen Bevölkerung Salzburgs“259, verlautbaren:

„Mit aller Kraft an die Arbeit!

Die FPÖ wird den Kampf für Freiheit, Recht und sozialen Fortschritt entschlossen weiterführen

256 Reimann; 1980; S. 163

257 Lehmann-Horn; 1992; S. 89

258 Ebd.

259 Salzburger FPÖ-Nachrichten, Kampfblatt der National-Freiheitlichen Bevölkerung Salzburgs; Salzburg; vom 9. Juni 1956

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Am 13. Mai 1956 hat die neue und junge Freiheitliche Partei Österreichs zum erstenmal an der politischen Gestaltung unseres Vaterlandes teilgenommen. […] Mehr und mehr zeichnet sich eine düstere Zukunft unseres Vaterlandes ab: entweder die Diktatur einer der beiden Parteien oder die Fortsetzung der immer unerträglicher werdenden, unnatürlichen und wirtschaftshemmenden kontrollosen Regierungsgemeinschaft der beiden größten politischen Widersacher. Beides könnte in absehbarer Zukunft tödlich für Österreich werden. Aus dieser Gefahr heraus und in dieser Situation haben wir die FPÖ mit dem Ziel gegründet, alle Österreicher zu sammeln, denen Vaterland und Volk und unsere abendländische Kultur kostbare Werte darstellen und die im Schutze der persönlichen Freiheit und der freien wirtschaftlichen Entwicklung eine Aufgabe erblicken, deren Erfüllung die einzige Garantie für eine gesicherte Zukunft, für ein Leben frei von Not und Angst bedeutet. Die anderen haben die Gründung unserer Partei mit Mißbehagen zur Kenntnis genommen.“260

Nach weiterem Eingehen auf die geschlagene Wahl fuhr er fort:

„Es war ein ungleicher Kampf, bei dem den anderen alles an Macht und Geldmitteln, große, gut ausgebaute Organisationen, der ganze Staatsapparat zur Verfügung standen. Wir hingegen mußten mit einem starken Glauben an ein demokratisches Ideal, mit dem Mut und der Opferbereitschaft unserer Männer und Frauen auskommen. Wir sind ausgekommen: ein erstes Ziel ist erreicht und damit sind Daseinsberechtigung und Lebenskraft der FPÖ bewiesen. […] Die große Bedeutung des 13. Mai 1956 liegt darin, daß die ungleichen Machtmittel in diesem Kampf, die Unterschiede in den Stimmenzahlen zwischen uns und den anderen nicht zu einer Depression, sondern zu der Erkenntnis geführt haben, daß unser Eingreifen noch gerade rechtzeitig

260 Salzburger FPÖ-Nachrichten, Kampfblatt der National-Freiheitlichen Bevölkerung Salzburgs; Folge 72; 4. Jahrgang; Salzburg; vom 9. Juni 1956

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erfolgt ist und daß nun der Auf- und Ausbau unserer Organisation mit aller Kraft durchgeführt werden muß.“261

Das parteipolitisch interessanteste Kapitel der FPÖ in der Ära Reinthaller war der gemeinsame Wahlkampf mit der ÖVP für die Bundespräsidentenwahl 1957. Die Parteien hatten sich auf einen gemeinsamen unabhängigen Kandidaten geeinigt, den Arzt Professor Wolfgang Denk. Die Zusammenarbeit verlief jedoch nicht gerade reibungslos, da die ÖVP Denk als Katholiken in Szene setzen wollte, die Freiheitlichen ihn hingegen lieber als nationalen Kandidaten präsentierten. Denk verlor knapp gegen den Gegenkandidaten der SPÖ, Adolf Schärf, der 51,12% der gültigen Stimmen für sich gewinnen konnte. Die zuvor ausgehandelte Gegenleistung der ÖVP, eine der Kleinpartei entgegenkommende Wahlrechtsreform, wurde nicht erbracht und die Annäherung zwischen den beiden Parteien rechts der politischen Mitte brach ab.262 Am zweiten ordentlichen Bundesparteitag263, der vom 31. Mai bis zum 2. Juni in Klagenfurt stattfand, wurde die endgültige Fassung des Kurzprogramms beschlossen und Reinthaller als Obmann wiedergewählt. Die FPÖ-Blätter kommentierten Letzteres folgendermaßen:

„Bundesparteitag 1957 Reinthaller wiedergewählt

Auf dem in voller Einmütigkeit verlaufenden Bundesparteitag der FPÖ in Klagenfurt wurde der bisherige Bundesparteiobmann Minister a. D. Dipl. Ing. Anton Reinthaller von allen Ländervertretern nahezu einstimmig wieder zum Bundesparteiobmann gewählt. Auch seine Stellvertreter, die Nationalräte Dr. Gredler, Stendebach und Dr. Zechmann wurden mit überwältigenden Mehrheiten wiedergewählt. Schon diese Wahlen bewiesen

261 Salzburger FPÖ-Nachrichten; Folge 72; 4. Jahrgang; Salzburg am 9. Juni 1956

262 Arnold, Cornelia Sabine; Die Entwicklung von nationalliberalen und liberalen Parteien in Deutschland und Österreich nach 1945 – Eine vergleichende Entstehungsgeschichte von FDP, FPÖ und Liberalem Forum; Diplomarbeit; Universität Wien; 1999; S. 71

263 Piringer; 1982; S. 54

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das Vertrauen der gesamten Partei zur obersten Führung und die beispielgebende Kameradschaft in der FPÖ. Auch die Salzburger Vertreter wurden wieder gewählt: Der Landesparteiobmann Nationalrat Gustav Zeillinger in den Bundesparteivorstand, seine Stellvertreter Vizebürgermeister Sepp Weilhartner und Dr. Wilhelm Hoeniger in die Bundesparteileitung. In seinem Tätigkeitsbericht hob der Bundesparteiobmann die Entwicklung der FPÖ-Salzburg besonders hervor; diese an und für sich relativ starke Landesgruppe konnte ihren Mitgliederstand Dank der aufopfernden Arbeit aller Kameraden neuerlich um rund ein Drittel vergrößern!“264

Reinthaller war zu dieser Zeit bereits schwer vom Lungenkrebs gezeichnet und konnte die Rolle als Parteiobmann nicht mehr richtig ausfüllen. Sein Vertrauensmann van Tongel entwickelte sich so zum „starken Mann“ in der FPÖ, der die Funktionärsriege strikt kontrollierte. 265

Am 6. März 1958 verstarb Reinthaller zu Hause am Hof in Mettmach an Lungenkrebs. Die in den Parteiblättern veröffentlichte Pate würdigte ihren Parteigründer folgendermaßen:

„Die Freiheitlichen Österreichs trauern um Bundesparteiobmann Dipl. Ing. Anton Reinthaller. […] Das begonnene Werk im Geiste seines Gründers fortzufähren, ist das Vermächtnis des Verewigten, der nicht nur eine hervorragende Führerpersönlichkeit, sondern uns allen ein treuer Freund und guter Kamerad war. Anton Reinthallers Leben war Pflichterfüllung im Dienste für Volk und Heimat. […] Nie ist er von seinen Idealen, die ihn in seiner unwandelbaren nationalen und freiheitlichen Gesinnung stets leiteten, abgewichen.

264 Salzburger FPÖ-Nachrichten; vom 15. Juni 1957

265 Reimann; 1980; S. 280

130

Wir mußten von einem Manne Abschied nehmen, der in der Zeit der Entwertung aller Ideale, der Käuflichkeit und Gesinnungslosigkeit, aufrecht und fest seinen Weg gegangen ist. Deshalb war gerade er ausersehen und berufen, in den Schicksalsstunden unserer Heimat immer in der vordersten Front zu stehen. […] Trotz des erlittenen Unrechts war Dipl. Ing. Reinthaller im Jahre 1955 bereit, eine neue, besonders schwierige Aufgabe auf sich zu nehmen als es galt, alle Freiheitlichen Österreichs in einer neuen politischen Bewegung zu sammeln. […] Unter größter Begeisterung wurde er am ersten Bundesparteitag der FPÖ zum Bundesparteiobmann gewählt. Damals gab Reinthaller die Richtlinien für die neue Partei:[…] „Die politische Heimat der Menschen unserer Gesinnung ist unlösbar gebunden an das Erlebnis der Kameradschaft, gründet sich auf Achtung, Ehre und Treue.“ […] Und ebenso glühend wie er sich Zeitlebens zum deutschen Volk bekannte, liebte er seine Heimat Österreich.“266

Bis an sein Lebensende hatte Reinthaller die Partei auf einen strikten nationalen Oppositionskurs gehalten.267 Erst sein Nachfolger Friedrich Peter, der selbst ehemals bei der Waffen-SS268 gewesen war und so den nationalen Flügel für sich überzeugen konnte, öffnete die FPÖ wieder mehr zur politischen Mitte hin und ermöglichte mit seinen liberalen Ansätzen die spätere Zusammenarbeit mit der SPÖ.

266 Salzburger FPÖ-Nachrichten; vom 9. Juni 1956

267 Arnold; 1999; S. 71

268 Bailer-Galanda, Brigitte, Neugebauer, Wolfgang; Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus; 2. Auflage; Deuticke; Wien; 1996; S. 359

131

13. Analyse

13.1. Vergleich Herbert Kraus mit Anton Reinthaller

Wie sah ihre Jugend aus?

Während Herbert Kraus aus gutbürgerlichem Haus stammte, wurde Reinthaller in eine wohlhabende Bauernfamilie hineingeboren. Kraus erlebte eine ereignisreiche Kindheit und Jugend, in der er den Wohnort mit seiner Familie öfter wechselte. Reinthaller verbrachte seine Kindheit in Mettmach und ging im nicht allzu weit entfernten Linz in die Mittelschule.

Welche Ausbildung genossen sie?

Beide bekamen nicht nur die zu dieser Zeit nicht selbstverständliche Schulbildung mit Maturaabschluss. Sie hatten auch die Möglichkeit, ein Studium abzuschließen. Dies bedeutete zu jener Zeit die Zugehörigkeit zur Bildungselite. Kraus' Bildung war jedoch deutlich kosmopolitischer. Der Abschluss als Ingenieur der Forsttechnik von Reinthaller ist im Vergleich dazu deutlich „bodenständiger“.

Was erlebten sie in ihrer Zeit als junge Erwachsene?

Beide sammelten in jungen Jahren Kriegserfahrungen. Kraus konnte im Gegensatz zu Reinthaller den größten Teil des Zweiten Weltkriegs verhindern, an Kampfhandlungen teilnehmen zu müssen. Reinthaller geriet sogar in Kriegsgefangenschaft. Beide sahen in diesem Alter die Sowjetunion, wenn auch in unterschiedlichen Phasen deren Bestehens. Reinthaller zur Zeit der Oktoberrevolution, Kraus knapp vor und während des Zweiten Weltkriegs.

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Wie verlief ihre berufliche Laufbahn?

Kraus war in unterschiedlichsten Berufen tätig, bevor er in die Politik ging. Reinthaller arbeitete im Agrarbereich und hatte eine lange politische Karriere, die nur in den Jahren von 1945 bis 1955 unterbrochen war.

Vor welche Probleme wurden sie im skizzierten Lebensweg gestellt?

Kraus wuchs praktisch ohne Vater auf und musste sich so schon früh um seine Familie kümmern, hatte aber ein sehr wohlsituiertes soziales Umfeld das ihn vor finanziellen Problemen bewahrte. In der direkten Nachkriegsphase litt er nicht mehr als die meisten seiner Zeitgenossen. Als er in die Politik ging, schien er teilweise vom dort alltäglich stattfindenden Machtkampf überfordert zu sein und wirkte mitunter sogar etwas gutgläubig-naiv. Reinthaller durchlebte die russische Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg. In der Zeit des Verbots der Nationalsozialisten in der Ära des Austrofaschismus konnte er nicht zwischen diesen verfeindeten Fronten vermitteln. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war er zumindest für eine gewisse Zeit eine „persona non grata“.

Welche politische Weltanschauung hatten sie?

Kraus schrieb in seinen Memoiren huldvoll über das untergegangene Kaiserreich und verortete sich besonders in der Zeit seiner politischen Laufbahn im Wirtschafts- und Sozialliberalismus. Reinthaller war ein strammer Deutschnationaler, lange überzeugter Nationalsozialist und dem Wirtschaftsliberalismus gegenüber feindlich eingestellt. Beide waren katholisch geprägt und Antimarxisten. Bei Kraus lässt sich ein zumindest nicht eingestandener Antisemitismus feststellen. Bei Reinthaller konnte ich zwar keine antisemitischen Handlungen finden, aber allein schon seine lange Karriere als Nationalsozialist und die dafür nötige Akzeptanz gegenüber Antisemiten und Antisemitismus sprechen für sich. Auch wenn Reinthaller also selbst nicht Antisemit war, wurde dieser von ihm doch zeitlebens in seinem Umfeld akzeptiert.

133

Analyse

Die Persönlichkeiten von Herbert Kraus und Anton Reinthaller erscheinen auf den ersten Blick als äußerst unterschiedliche. Der polyglotte, kosmopolitische Journalist Kraus gibt ein konträres Bild im Vergleich zu dem vermeintlich provinziellen Forstwirten aus Oberösterreich ab. Bei genauerer Betrachtung lassen sich jedoch einige Parallelen erkennen. Beide stammten aus, für ihre Zeit, finanziell abgesicherten Elternhäusern und kamen in den Genuss einer universitären Ausbildung. Sowohl Kraus als auch Reinthaller waren wohl durch ihre Erlebnisse mit dem russischen Kommunismus antimarxistisch geprägt.

Gebarte sich Kraus auch als weltoffener, liberaler Politiker, so war er im Kern doch vom katholischen Antisemitismus befangen und gegenüber Nationalsozialisten so nachsichtig, dass er sogar mit Kriegsverbrechern zusammenarbeitete. Dies ging so weit, dass er auch nicht davor zurückschreckte, die in ihrem grausamen Ausmaß unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus mit antifaschistischen Reaktionen darauf gleichzusetzen, und die Nazi- Gräuel in ihrem Umfang nicht wahrhaben wollte.

Reinthaller entsprach zeit seines Lebens dem Ideal der NS-Ideologie. Als bekennender Deutschnationaler, früher Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung, Minister im „Anschluss-Kabinett“, war er bis zum Spitzenfunktionär im Dritten Reich aufgestiegen. Diese Eindeutigkeit prägte sein Bild in der Öffentlichkeit, das sich zu Lebzeiten kaum veränderte.

134

13.2. Personeller Vergleich der Führung des VdU und der neu entstandenen FPÖ:

Wer war in der Leitung des VdU während der letzten Jahre seines Bestehens?

Die Verbandsleitung nach der Wahl am Bundesverbandstag in Bad Aussee am 16. Mai 1954: Präsidium: Stendebach; Stellvertreter: Scheuch, Kandutsch Leitung: Pfeifer, Schuster, Leitl, Pupini, Roschall, Clar, Hartleb, Plachutta, Stephan, Tauber, Holzer, Rader, Groll, Reimann269

Wer war in der Bundesleitung der FPÖ während des ersten Jahres nach ihrer Gründung?

Obmann: Reinthaller; 1. Stellvertreter: Zechmann, Gredler, Stendebach (vormals VdU) Bundesparteivorstand: van Tongel, Rainer, Kandutsch (vormals VdU), Huber, Götz, Kindl (vormals VdU), Broesigke (vormals VdU), Peter, Zeillinger (vormals VdU)270

269 Höbelt, 1999; S. 280

270 Piringer; 1982; S. 38

135

Wer leitete die Landesverbände des VdU während der letzten Jahre seines Bestehens?

Die letzten Landesverbandsobmänner des VdU: Burgenland: Adalbert Görcz Kärnten: Wilhelm Kaufmann Niederösterreich: Wilhelm Kindl Oberösterreich: Georg Grünbart Salzburg: Gustav Zeillinger Steiermark: Anton Stephan Tirol: Gerhard Ebenbichler Vorarlberg: Ernst Seebacher Wien: Josef Dörfler271

Wer leitete die Landesverbände der FPÖ während des ersten Jahrs nach ihrer Gründung?

Die ersten FPÖ-Landesparteiobmänner: Burgenland: Emil Neubauer Niederösterreich: Wilhelm Kindl (vormals VdU) Kärnten: Reinhold Huber (vormals VdU) Oberösterreich: Friedrich Peter Salzburg: Gustav Zeillinger (vormals VdU) Steiermark: Alexander Götz Tirol: Anton Schöpfer Vorarlberg: Ernst Seebacher Wien: Tassilo Broesigke (vormals VdU)272

271 Piringer; 1999; S. 53 f.

272 Piringer; 1982; S. 329 f.

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Der letzte Klub der Wahlpartei der Unabhängigen im Nationalrat:

Aßmann Alwin, Ebenbichler Gerhard, Gredler Willfried, Hartleb Karl, Herzele Max, Kandutsch Jörg, Kindl Wilhelm, Kopf Rudolf, Kraus Herbert Alois, Pfeifer Helfried, Reimann Viktor, Scheuch Robert, Stendebach Max, Stüber Fritz, Zeillinger Gustav

Der erste neugewählte Klub der FPÖ im Nationalrat nach der Nationalratswahl 1956:

Gredler Willfried (vormals WdU), Kandutsch Jörg (vormals WdU), Pfeifer Helfried (vormals WdU), Stendebach Max (vormals WdU), Zechmann Heinrich, Zeillinger Gustav (vormals WdU)

Analyse

Nach dem personellen Vergleich kann man ziemlich eindeutig von Kontinuitäten sprechen. Es ist zwar zu bemerken, dass die erste Bundesleitung und die Landesparteiobmänner der FPÖ nicht einmal zur Hälfte aus ehemaligen Mitgliedern des VdU bestanden, doch im Klub des Nationalrats waren, bis auf Heinrich Zechmann, sämtliche Mitglieder bereits für den WdU Abgeordnete gewesen. Es gilt dennoch darauf hinzuweisen, dass die Führung der Bundesleitung nach dem Zusammenschluss von Freiheitspartei und VdU nun von Anton Reinthaller, dem vormaligen Obmann der Freiheitspartei, übernommen worden war. Der vormalige Obmann des VdU, Max Stendebach, war als einer seiner Stellvertreter in die zweite Reihe gerückt.

137

13.3. Vergleich der Parteiprogramme des VdU mit dem ersten Parteiprogramm der FPÖ Verglichen werden in diesem Kapitel die Programme des VdU aus den Jahren 1949 und 1954 mit dem ersten Kurzprogramm der FPÖ in seiner endgültigen Fassung von 1957.

Welche Punkte werden besonders hervorgehoben? Auf welche Weltanschauung lassen die Programme schließen? Auf welche Wählergruppe zielen die Programme ab?

13.3.1. Das erste Programm des VdU von 1949273

Welche Punkte werden besonders hervorgehoben?

Punkt 1: „Wir bejahen die wahre Demokratie und lehnen jede Form der Diktatur entschieden ab.“274

Punkt 2: „Die Gleichberechtigung aller Staatsbürger muß durch Abschaffung aller Vorrechte und Benachteiligungen wiederhergestellt werden.“275

Punkt 4: „Wir bekennen uns zum Rechtsstaat. Daher müssen die Gesetze dem Rechtsbewußtsein des Volkes und der Grundordnung des Staates entsprechen. Alle Gesetze, welche den Grundprinzipien der rechtmäßigen

273 Reiter; 1982; S. 68

274 Ebd.; S. 241

275 Ebd.; S. 241

138

Verfassung von 1920/29 widersprechen und alle auf solcher Grundlage erlassenen Vollzugsakte sind als verfassungswidrig aufzuheben.“276

Punkt 8: „In der Strafrechtspflege ist das ordentliche Verfahren auf allen Gebieten wiederherzustellen. Die sogenannten „Volksgerichte“ sind zu beseitigen. Die Höchstdauer der Untersuchungshaft ist gesetzlich festzulegen. Jede widerrechtliche Beschränkung der persönlichen Freiheit sowie die seelische und körperliche Mißhandlung von Häftlingen sind auf das strengste zu bestrafen.“277

Auf welche Weltanschauung lässt das Programm schließen?

Das erste Programm des neu gegründeten VdU versuchte die liberale Seite des Dritten Lagers herauszukehren. Man knüpfte an der nationalliberalen Tradition der Ersten Republik an. Dies geschah verständlicherweise auch deshalb, weil man sich von der Politik des Nationalsozialismus distanzieren wollte. Gleichzeitig trat es für die Beseitigung der Nationalsozialisten-Gesetzgebung ein. Dem Deutschnationalismus widmete sich das Programm demnach auch nur beiläufig in einem einzigen Punkt.

Punkt 10: „Bei voller Wahrung unserer staatlichen Selbständigkeit bekennen wir uns zum deutschen Volkstum.“278

Zusätzlich bekam das Parteiprogramm eine sozialreformerische Note verpasst.

Punkt 38: „Der Wohnungsbau und das Siedlungswesen sind in großzügiger Weise zu fördern. Mittel- und Kleinwohnungen, Kleineigenheime und Kleinsiedlungen sind zu bevorzugen.“279

276 Reiter; 1982; S. 241

277 Ebd.; S. 242

278 Ebd.

139

In wirtschaftspolitischer Hinsicht verfolgte man die Idee der Gewinnbeteiligung der Belegschaften.

Punkt 41: „Als oberstes Ziel unserer Sozialpolitik sehen wir die Erreichung eines Zustandes, bei welchem jedem Schaffenden der gerechte Anteil am Arbeitsertrag und damit am Volkswohlstand gesichert wird, wobei als Maßstab die Leistung gelten soll.“280

Auf welche Wählergruppen zielt das Programm ab?

Der VdU versuchte sich bewusst breit aufzustellen. Nicht nur die „Ehemaligen“ sollten sich angesprochen fühlen, da man das Programm in dem Bewusstsein erstellte, dass zu dieser Zeit die meisten von ihnen schon mit der reinen Erwähnung ihrer Interessen zufriedengestellt wurden. Durch die sozialreformerische Note konnte man auch auf viele eher unpolitische Arbeitnehmer zugehen.

279 Reiter; 1982; S. 245

280 Ebd.

140

13.3.2. Das „Ausseer-Programm“ des VdU von 1954

Welche Punkte werden besonders hervorgehoben?

Punkt 1: „Wir fordern die Freiheit für die Entfaltung der einzelnen innerhalb der Volksgemeinschaft.“281

Punkt 2: „Österreich ist ein deutscher Staat. Seine Politik muß dem gesamten deutschen Volk dienen und darf nie gegen einen anderen deutschen Staat gerichtet sein. Wir fordern die Einigung der europäischen Völker auf der Grundlage voller Gleichberechtigung. […] Der VdU betreibt nationale Politik […]Er sieht daher die nationale Aufgabe Österreichs in folgendem: […] [Anm.: Unterpunkt] 5: in dem Schutz des bedrohten Grenzland-Deutschtums, [Anm.: Unterpunkt] 6: in der rechtlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung und Ansiedlung der heimatvertriebenen Volksdeutschen.“282

Auf welche Weltanschauung lässt das Programm schließen?

Das 1954 am Parteitag in Bad Aussee erstellte sogenannte „Ausseer-Programm“ stand schon viel deutlicher im Zeichen des Deutschnationalismus. Der Grund dafür lag in dem Versuch, die bereits an eine Abspaltung denkenden Nationalen wieder für sich zu gewinnen. So wurde diese Thematik auch schon als zweiter Punkt angesprochen. Die Standpunkte bezüglich Wirtschafts- und Sozialpolitik blieben hingegen grosso modo unverändert. Nach der Beurteilung von Erich Reiter war der VdU ab 1954 programmatisch eine

281 Reiter; 1982; S. 247

282 Ebd.; S. 247 f.

141

betont nationale Partei, die ansatzweise wirtschaftspolitisch liberal und antikollektivistisch ausgelegt war.283

Auf welche Wählergruppen zielt das Programm ab?

Der VdU versuchte mit diesem Programm den Spagat zwischen einem für die breite Masse der Wählerschaft interessanten und gleichzeitig auf seine nationale Kerngruppe zugeschnittenen Inhalt. Das „Ausseer-Programm“ setzte sich also deutlich mehr für das Deutschtum in Österreich ein, was sich auch durch die Forderung nach Schutz des „Grenzland-Deutschtums“284 genauso wie durch die vehemente Unterstützung für die heimatvertriebenen Volksdeutschen erkennen lässt.

283 Reiter; 1982; S. 69

284 Arnold; 1999; S. 67

142

13.3.3. Das erste Kurzprogramm der FPÖ

Welche Punkte werden besonders hervorgehoben?

Punkt 2: „Wir bekennen uns zur sozialen Volksgemeinschaft und bekämpfen das Denken und Handeln in Klassen und Gruppeninteressen.“285

Punkt 3: „Wir bejahen die Eigenstaatlichkeit Österreichs, wir bekennen uns zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und treten für den engen Zusammenschluß der freien Völker und Staaten Europas auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein.“286

Punkt 6: „Wir verlangen die Förderung junger Ehen und kinderreicher Familien als Fundament unseres Volkes durch ausreichende Beihilfen und verbesserte Steuerbegünstigungen.“287

Punkt 7: „Wir wollen eine volksbewußte Erziehung unserer Jugend zu sittlicher Haltung und Pflichtbewußtsein gegenüber der Gemeinschaft.“288

285 Reiter; 1982; S. 255

286 Ebd.

287 Ebd.

288 Ebd.

143

Auf welche Weltanschauung lässt das Programm schließen?

Nach der gemeinschaftlichen Neugründung als FPÖ hatten die liberalen Exponenten des vormaligen VdU größtenteils die Partei verlassen. Dies schlug sich auch im ersten Programm der FPÖ nieder. Ehemals liberale Züge konnten sich kaum mehr finden lassen. So wird in Punkt zwei die „soziale Volksgemeinschaft“ als gesellschaftlicher Entwurf beschworen, was einer nationalsozialistischen Terminologie entspricht. Ebenso wird wie schon im „Ausseer Programm“, bei rechtlich notwendiger Betonung der Eigenstaatlichkeit Österreichs, die „deutsche Volks- und Kulturgemeinschaft“ betont. Der Fokus auf die Förderung „kinderreicher Familien als Fundament unseres Volkes“ war ebenfalls ein Rückgriff auf nationalsozialistische Zeiten, in denen das „Mutterkreuz“289 Müttern mit vielen Kindern verliehen wurde. Die Forderung nach einer „volksbewussten Erziehung“ spricht auch für das Weltbild der „Ehemaligen“. Des Weiteren sah Erich Reiter bezüglich der Position zur Kulturpolitik, das Programm habe auch gegen die entartete Kunst Stellung bezogen, ohne den Begriff dafür zu verwenden.290 In Bezug auf die Wehrpolitik konnte man nach dem Übergang vom VdU zur FPÖ keine nennenswerten Änderungen feststellen.291 Da die wehrpolitische Linie sowohl im VdU als auch in der FPÖ von Oberst Max Stendebach festgelegt wurde, kann man in diesem Fall also von sowohl inhaltlicher als auch personeller Kontinuität sprechen.

Auf welche Wählergruppen zielt das Programm ab?

In der Annahme, die stärkere Betonung des Nationalen würde einen noch größeren Teil der ehemaligen Nationalsozialisten überzeugen, wurde ein dementsprechend stramm deutschnationales Programm verfasst. Im Gegensatz zu den Programmen des VdU wurde das

289 Benz, Wolfgang, Graml, Hermann, Weiß, Hermann (Hg.); Enzyklopädie des Nationalsozialismus; Deutscher Taschenbuch Verlag; München; 2007; S. 648

290 Reiter; 1982; S. 70

291 Kernic, Franz; Zur Wehrpolitik des VdU und der FPÖ von 1949 – 1970; Diplomarbeit; Universität Wien; 1985; S. 50

144

Christentum frei nach dem Slogan des Linzer Programmes „nicht liberal, nicht klerikal, sondern national“ gar nicht mehr erwähnt, was darauf schließen lässt, dass die christlichen Wähler auch nicht mehr im Fokus der Partei waren.

Analyse

Vergleicht man die Programmentwicklung von 1949 über das Jahr 1954 bis 1956, so lässt sich eine Tendenz erkennen. Das erste Programm des VdU 1949 war noch ein liberal- nationales, das sich deutlich von der vorangegangenen Ideologie des Nationalsozialismus abgrenzte. Das „Ausseer-Programm“ von 1954 hingegen ließ schon kaum mehr liberale Einflüsse erkennen und war bereits betont national gefärbt. Mit dem Kurzprogramm der FPÖ von 1956 hat sich diese Tendenz bis zur national-konservativen Ausprägung fortgesetzt.

145

14. Conclusio

14.1. Der Bruch als Möglichkeit zur Kontinuität Am Anfang dieser Arbeit ging ich von der Annahme aus, dass es vom Kriegsende bis zur Gründung der FPÖ im Dritten Lager sowohl Kontinuitäten als auch Brüche gab. Ich habe anhand der Begriffsdefinition dargestellt, dass es unterschiedliche Formen von Kontinuitäten und Brüchen gibt. Ebenso wurde ausgeführt, welche die Hauptströmungen des Nationalismus sind und wofür er steht. Die Quellenlage erschloss sich unterschiedlich ergiebig. Eine Analyse der Entnazifizierung in Österreich zeigte die Rahmenbedingungen für die politischen Aktivitäten ehemaliger Parteimitglieder der NSDAP. Sie ergab ein ambivalentes Bild. Zwar wurden direkt nach dem Krieg Anstrengungen unternommen, das Dritte Reich juristisch aufzuarbeiten, da diese Maßnahmen jedoch zu Beginn zu unkoordiniert verliefen, konnte man sich ihnen relativ einfach entziehen. Als die Organisation optimiert wurde, gab es zwar viele Prozesse, dabei jedoch nur sehr selten Verurteilungen und noch seltener schwere Strafen. Durch die Amnestien ab 1948 endete diese kurze Phase. Trotzdem liegt es nahe, dass man über die Zeit von 1945 bis 1948 von einem inhaltlichen als auch personellen Bruch von außen sprechen kann. „Ehemalige“ durften während der ersten Jahre nach dem Ende des Krieges erst gar nicht und ab 1949 nur unter Beobachtung am politischen Spiel der Kräfte teilnehmen.

Aus diesem Grund war eine Person wie Herbert Kraus der „Mann der Stunde“. Als unbelasteter Journalist konnte er sowohl frei agieren als auch mit Hilfe der damals wichtigsten Massenmedien, der Presse und dem Rundfunk, schnell einen hohen Bekanntheitsgrad erreichen. Seine nur oberflächliche Abgrenzung gegenüber den Nationalsozialisten, bei gleichzeitiger Bereitschaft, sich für diese einzusetzen, machte ihn zum idealen Protagonisten für deren Sache. Auch Kraus selbst dürfte sich in dieser Rolle gefallen haben. Vor allem durch die inoffizielle Unterstützung von vielen Seiten entwickelte sich dabei eine Eigendynamik, die er als politischer Laie schon bald nicht mehr ganz kontrollieren konnte. So rissen die eingesessenen Herren des Dritten Lagers bald das Ruder an sich. Der prominenteste von ihnen war Anton Reinthaller. Doch auch Reinthaller war ein Getriebener.

146

Bereits gesundheitlich angeschlagen und noch von der Haft geschwächt, wurde er von Sympathisanten zur Rückkehr in die Politik gedrängt. Da sich Reinthaller nicht im bereits bestehenden VdU betätigen wollte, kam es 1955 an der Spitze des Dritten Lagers zum nächsten personellen Bruch, diesmal von innen.

Aber nicht nur Brüche fanden sich im Zuge meiner Recherchen. Inhaltlich war der Nationalismus selbst in der liberalsten Phase, der Gründungszeit des VdU, nie ganz aus dem Parteiprogramm verschwunden. Er hatte demnach nur eine erzwungene Pause in den ersten vier Jahren nach Kriegsende. In den darauffolgenden Programmen trat er dann, analog zur gesellschaftlichen Rehabilitation seiner Vertreter, wieder deutlicher zu Tage. Personell lässt sich Ähnliches behaupten. Der zeitweilige Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts für ehemalige Mitglieder der NSDAP schloss diese nur vorübergehend vom politischen Betätigungsfeld aus. Die Protagonisten des VdU waren zwar politisch gesehen unbelastet, teilten jedoch zu einem großen Teil ihre Standpunkte mit den „Ehemaligen“. Daher konnten später viele von ihnen, ohne sich allzu sehr verbiegen zu müssen, ihre neue Heimat in der FPÖ finden. Der Vergleich der personellen Besetzung der Leitung des späten VdU mit der der frühen FPÖ hat dies belegt. Auch bei den Hauptakteuren dieser Arbeit fand ich einige Parallelen, die ich auf den ersten Blick nicht erwartet hätte. Obwohl ihre Selbstdarstellung und ihr Bild in der Öffentlichkeit stark voneinander abweichen, konnte ich einiges von Reinthaller in Kraus und umgekehrt erkennen, was auch für eine gewisse inhaltliche Kontinuität spricht. Das mag nicht zuletzt an der Gesellschaft, in der sie lebten, liegen, da diese das Referenzsystem bezüglich der Auswahl für die Aufstiegsmöglichkeiten in ihr darstellt.

Ein Blick über den Tellerrand

Die Einordnung der Ereignisse in einen größeren zeitlichen Rahmen offenbart gerade im Dritten Lager eine „Kontinuität der Inkontinuitäten“. So findet man ähnliche Ereignisse auch in der jüngeren Geschichte. Einen weiteren Bruch gab es beim Innsbrucker Parteitag 1986292, als Jörg Haider den damaligen Vizekanzler und Parteiobmann der FPÖ, ,

292 Profil; vom 9.9.2006; Jubiläum: Chronologie eines Putsches: http://www.profil.at/articles/0636/560/150605/jubilaeum-chronologie-putsches

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stürzte. 1993 gab es den nächsten Bruch von innen. Unter der Führung von Heide Schmidt spalteten sich fünf Nationalratsabgeordnete von der FPÖ ab und gründeten das „Liberale Forum“ (LIF)293. Wieder war es während einer Regierungsbeteiligung der FPÖ, als 2002 beim außerordentlichen Parteitag in Knittelfeld294 mehrere Minister ihren Rücktritt einreichten, was zum Bruch der Regierung Schüssel I (2000-2003) führte. Bereits drei Jahre später erfolgte der nächste Bruch innerhalb des Dritten Lagers, als es zur Spaltung der Partei in FPÖ und Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ)295 kam. Die Gemeinsamkeit hinsichtlich der Brüche innerhalb des nationalen Lagers war jeweils die momentane Schwäche der Partei bei Wahlen beziehungsweise ein längeres Umfragetief, also Brüche, die sowohl von innen als auch von außen kamen. Die inhaltliche Kontinuität über all diese Brüche hinweg war und ist der Deutschnationalismus.

293 Neurieser, Joachim; Zwischen Liberalismus und Nationalismus. Programmatische Transformationsprozesse in der Geschichte des dritten Lagers in Österreich nach 1945; Diplomarbeit; Universität Wien; 2008; S. 118 f.

294 Die Presse; vom 24.08.2012; (K)ein Sommer wie damals: Zehn Jahre Knittelfeld: http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1282842/Kein-Sommer-wie-damals_Zehn-Jahre-Knittelfeld

295 Tschofen; 2012; S. 121 ff.

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149

150

15. Anhang

15.1. Das 25-Punkte-Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920 Das Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei ist ein Zeitprogramm. Die Führer lehnen es ab, nach Erreichung der im Programm aufgestellten Ziele neue aufzustellen, nur zu dem Zweck, um durch künstlich gesteigerte Unzufriedenheit der Massen das Fortbestehen der Partei zu ermöglichen. 1. Wir fordern den Zusammenschluß aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland. 2. Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain. 3. Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses. 4. Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein. 5. Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremden-Gesetzgebung stehen. 6. Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, daß jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf. Wir bekämpfen die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur nach Parteigesichtspunkten ohne Rücksichtnahme auf Charakter und Fähigkeiten. 7. Wir fordern, daß sich der Staat verpflichtet, in erster Linie für die Erwerbs- und Lebensmöglichkeit der Bürger zu sorgen. Wenn es nicht möglich ist, die Gesamtbevölkerung des Staates zu ernähren, so sind die Angehörigen fremden Nationen (Nicht-Staatsbürger) aus dem Reiche auszuweisen. 8. Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, daß alle Nicht-Deutschen, die seit 2. August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden. 9. Alle Staatsbürger müssen gleiche Rechte und Pflichten besitzen. 10. Erste Pflicht jeden Staatsbürgers muß sein, geistig oder körperlich zu schaffen. Die Tätigkeit des Einzelnen darf nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen, sondern muß im Rahmen des gesamten und zum Nutzen aller erfolgen. Daher fordern wir: 11. Abschaffung des arbeits- und mühelosen Einkommens. Brechung der Zinsknechtschaft! 12. Im Hinblick auf die ungeheuren Opfer an Gut und Blut, die jeder Krieg vom Volke fordert, muß die persönliche Bereicherung durch den Krieg als Verbrechen am Volke bezeichnet werden. Wir fordern daher restlose Einziehung aller Kriegsgewinne.

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13. Wir fordern die Verstaatlichung aller (bisher) bereits vergesellschafteten (Trust) Betriebe. 14. Wir fordern die Gewinnbeteiligung an Großbetrieben. 15. Wir fordern einen großzügigen Ausbau der Alters-Versorgung. 16. Wir fordern die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seiner Erhaltung, sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende, schärfste Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lieferung an den Staat, die Länder oder Gemeinden. 17. Wir fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke. Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation. 18. Wir fordern den rücksichtslosen Kampf gegen diejenigen, die durch ihre Tätigkeit das Gemein-Interesse schädigen. Gemeine Volksverbrecher, Wucherer, Schieber usw. sind mit dem Tode zu bestrafen, ohne Rücksichtnahme auf Konfession und Rasse. 19. Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemein-Recht. 20. Um jeden fähigen und fleißigen Deutschen das Erreichen höherer Bildung und damit das Einrücken in führende Stellungen zu ermöglichen, hat der Staat für einen gründlichen Ausbau unseres gesamten Volksbildungswesens Sorge zu tragen. Die Lehrpläne aller Bildungsanstalten sind den Erfordernissen des praktischen Lebens anzupassen. Das Erfassen des Staatsgedankens muß bereits mit dem Beginn des Verständnisses durch die Schule (Staatsbürgerkunde) erzielt werden. Wir fordern die Ausbildung geistig besonders veranlagter Kinder armer Eltern ohne Rücksicht auf deren Stand oder Beruf auf Staatskosten. 21. Der Staat hat für die Hebung der Volksgesundheit zu sorgen und durch den Schutz der Mutter und des Kindes, durch Verbot der Jugendarbeit, durch Herbeiführung der körperlichen Ertüchtigung mittels gesetzlicher Festlegung einer Turn- und Sportpflicht durch größte Unterstützung aller sich mit körperlicher Jugend-Ausbildung beschäftigenden Vereine. 22. Wir fordern die Abschaffung der Söldnertruppe und die Bildung eines Volksheeres. 23. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen die bewußte politische Lüge und ihre Verbreitung durch die Presse. Um die Schaffung einer deutschen Presse zu ermöglichen, fordern wir, daß a) sämtliche Schriftleiter und Mitarbeiter von Zeitungen, die in deutscher Sprache erscheinen, Volksgenossen sein müssen. b) Nichtdeutsche Zeitungen zu ihrem Erscheinen der ausdrücklichen Genehmigung des Staates bedürfen. Sie dürfen nicht in deutscher Sprache gedruckt werden. c) Jede finanzielle Beteiligung an deutschen Zeitungen oder deren Beeinflussung durch Nicht-Deutsche gesetzliche verboten wird und fordern als Strafe für Uebertretungen die Schließung einer solchen Zeitung sowie die sofortige Ausweisung der daran beteiligten Nicht-Deutschen aus dem Reich. d) Zeitungen, die gegen das Gemeinwohl verstoßen, sind zu verbieten. Wir fordern den gesetzlichen Kampf gegen eine Kunst- und Literaturrichtung, die einen zersetzenden Einfluß auf unser Volksleben ausübt und die Schließung von Veranstaltungen, die gegen vorstehende Forderungen verstoßen. 24. Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen.

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Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums, ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdischmaterialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, daß eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz 25. Zur Durchführung alles dessen fordern wir die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches. Unbedingte Autorität des politischen Zentralparlaments über das gesamte Reich und seine Organisationen im allgemeinen. Die Bildung von Stände- und Berufskammern zur Durchführung der vom Reich erlassenen Rahmengesetze in den einzelnen Bundesstaaten.

Gegenüber den verlogenen Auslegungen des Punktes 17 durch Gegner der Partei ist noch folgende Feststellung notwendig: Da die NSDAP. auf dem Boden des Privateigentums steht, ergibt sich von selbst, daß der Passus "Unentgeltliche Enteignung" nur auf die Schaffung gesetzlicher Möglichkeiten Bezug hat, Boden, der auf unrechtmäßige Weise erworben wurde oder nicht nach den Gesichtspunkten des Volkswohls verwaltet wird, wenn nötig zu enteignen. Dies richtet sich demgemäß in erster Linie gegen die jüdische Grundstücksspekulations-Gesellschaften.

gez. Adolf Hitler.296

296 Deutsches Historisches Museum; Das 25-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei: http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25/

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15.2. Die Verbandsprogramme des VdU

15.2.1. Das Verbandsprogramm des VdU 1949

(erstes Parteiprogramm des VdU)

I. Allgemeines 1. Wir bejahen die wahre Demokratie und lehnen jede Form der Diktatur entschieden ab. 2. Die Gleichberechtigung aller Staatsbürger muß durch Abschaffung aller Vorrechte und Benachteiligungen wiederhergestellt werden. 3. Wir bekennen uns zur bestehenden republikanischen Staatsform und bundesstaatlichen Organisation. Die Länderrechte müssen gewahrt werden. 4. Wir bekennen uns zum Rechtsstaat. Daher müssen die Gesetze dem Rechtsbewußtsein des Volkes und der Grundordnung des Staates entsprechen. Alle Gesetze, welche den Grundprinzipien der rechtmäßigen Verfassung von 1920/29 widersprechen und alle auf solcher Grundlage erlassenen Vollzugsakte sind als verfassungswidrig aufzuheben. 5. Wir streben eine lebendige Ausgestaltung unserer Bundesverfassung im Sinne der unmittelbaren Einflußnahme des Volkes auf Gesetzgebung und Staatsführung, insbesondere durch Volksbegehren und Volksabstimmung an. Dem Volke selbst muß ein Anklagerecht wegen Verfassungsbruches eingeräumt werden. 6. Die Grundrechte sind neu zu fassen und zu ergänzen. Insbesondere sind folgende Grundsätze niederzulegen: voller Schutz der Persönlichkeit, keine rückwirkenden Strafgesetze, keine mehrmalige Bestrafung wegen derselben Tat, keine im nachhinein eingesetzten Ausnahmegerichte, keine Auslieferung eines Staatsbürgers an des Ausland. 7. Der Rechtsschutz durch den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof ist zu erweitern. Jedem, der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt unmittelbar betroffen wird, muß die Beschwerde an einen der beiden Gerichtshöfe zustehen. Jedes Gericht, jede Verwaltungsbehörde und jede unmittelbar betroffene Partei muß das Recht bekommen, die Aufhebung verfassungs- oder gesetzwidriger Akte beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. 8. In der Strafrechtspflege ist das ordentliche Verfahren auf allen Gebieten wiederherzustellen. Die sogenannten "Volksgerichte" sind zu beseitigen. Die Höchstdauer der Untersuchungshaft ist gesetzlich festzulegen. Jede widerrechtliche Beschränkung der persönlichen Freiheit sowie die seelische und körperliche Mißhandlung von Häftlingen sind auf das strengste zu bestrafen. 9. Wir bekennen uns zu den sittlichen Grundsätzen wahren Christentums. Den Mißbrauch der Religion zu politischen Zwecken lehnen wir ab. 10. Bei voller Wahrung unserer staatlichen Selbständigkeit bekennen wir uns zum deutschen Volkstum.

II. Außenpolitik 11. In der Außenpolitik streben wir ein gutes Verhältnis mit den anderen Staaten an und lehnen die gegenseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab. 12. Als beste Sicherung für die Erhaltung des Friedens und für eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung erstreben wir die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa auf der Grundlage der Gleichberechtigung.

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III. Innenpolitik Wir fordern: 13. die Anerkennung des Grundsatzes der Schicksalsgemeinschaft aller im Staate und in den einzelnen Betrieben schaffenden Berufe und Menschen; 14. charakterliche Sauberkeit und fachliches Können als alleinigen Maßstab bei der Besetzung aller Stellen in sämtlichen Zweigen des öffentlichen Lebens. Parteiproporz und Protektion lehnen wir ab; 15. die Entpolitisierung der bewaffneten Exekutive bei Ruhen jeder Parteizugehörigkeit während des aktiven Dienstes; 16. eine saubere, sparsame Verwaltung bei schärfster Bekämpfung aller korrupten Erscheinungen; 17. eine durchgreifende Verwaltungsreform. Zu diesem Zwecke sind die Gesetze zu vereinfachen und neuzufassen, überflüssige Verwaltungsaufgaben und Dienststellen zu beseitigen, der Instanzenzug und die Entscheidungsfrist abzukürzen; 18. die Überführung der überflüssigen Staatsangestellten in angemessene Berufe der produktiven Wirtschaft und eine bessere Bezahlung der verbleibenden Beamten. Die vorzeitig aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen, geschulten und erfahrenden Beamten sind auf ihren Fähigkeiten entsprechenden Dienstposten zu übernehmen; 19. eine von allen politischen Einflüssen unabhängige Rechtspflege in Justiz und Verwaltung; 20. die Anwendung des Unvereinbarkeitsgesetzes, damit die mißbräuchliche Bekleidung von Verwaltungsratsstellen und dergleichen durch Volksbeauftragte und gewählte Abgeordnete aufhört.

IV. Wirtschaftspolitik 21. In einer planvollen Lenkung für die gesamte Wirtschaft einschließlich der Landwirtschaft sehen wir die beste Garantie zur Vermeidung von Wirtschafts- und Sozialkrisen. Eine bürokratische Bewirtschaftung lehnen wir ebenso ab wie eine schrankenlose Profitwirtschaft. 22. In einer Währung mit stabiler Kaufkraft und einem absolut ausgeglichenen Staatshaushalt sehen wir die beste Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaft. 23. Wir sind für die Anerkennung des redlich erworbenen Privateigentums und lehnen offene und versteckte Angriffe auf dieses ab. 24. Wir sind grundsätzlich gegen die Verstaatlichung von Betrieben und Einrichtungen, welche ohne Gefährdung von Gesamtinteressen auf privatwirtschaftlicher Grundlage geführt werden können. Soweit jedoch Betriebe bereits durch den Staat geführt werden, müssen sie selbstverständlich durch einwandfreie und wirtschaftlich sparsame Gebarung – ohne Sonderzuschüsse – einen entsprecheneden Ertrag aufweisen. Die Betriebsführung verstaatlichter Unternehmungen hat unbedingt von jeder parteipolitischen Einflußnahme frei zu bleiben. 25. Die Ausbeutung durch Mißbrauch von Kartellen, Monopolen und ähnlichen Einrichtungen lehnen wir ab. 26. Wir fordern eine vernünftige Preispolitik, die dem Grundsatz der kostendeckenden Preise Rechnung trägt. 27. Eine gerechte und von politischen Parteien unbeeinflußte Kreditpolitik soll alle Zweige der Wirtschaft nach gleichen Grundsätzen berücksichtigen. 28. Die Steuerpolitik muß sozial gerecht und darf nicht wirtschaftszerstörend sein. Sie muß daher den einzelnen Betrieben die Mittel belassen, die zu ihrer Weiterführung und für Verbesserungen notwendig sind. Sie darf vor allem auch nicht die Arbeitsfreude, das

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Streben nach Mehrleistung und die Sparsamkeit unterbinden. Ein Lastenausgleich muß zur Hebung der Kaufkraft der Massen erreicht werden. Die Steuergesetzgebung soll möglichst einfach sein. 29. Die gesetzlichen Bestimmungen über den Finanzausgleich müssen den einzelnen Gebietskörperschaften die Einnahmen sichern, welche sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigen. 30. Eine zielsichere, den österreichischen Verhältnissen Rechnung tragende Agrarpolitik mit geeignetem Schutz der Inlandsproduktion ist eine unbedingte Voraussetzung für das Gedeihen der Volkswirtschaft. Wir sehen es als Pflicht des Staates an, alles zu fördern, was zu einer Erhöhung und Verbilligung der landwirtschaftlichen Produktion führen kann. Der Grundsatz der kostendeckenden Preise muß auch in der Landwirtschaft gelten. 31. Die Landflucht kann nur eingedämmt werden, wenn die Landwirtschaft die Mittel zur Verfügung hat, die notwendig sind, die Berufsausbildung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen zu verbessern und ihnen die Lebensbedingungen zu schaffen, welche der Abwanderung in die Stadt von selbst ein Ende setzen. 32. Der lebenswichtigen Bedeutung, welche unsere Industrie, dem Gewerbe und Handwerk für die Versorgung des Inlandes und für den Export zukommt, muß in unserer Wirtschaftspolitik Rechnung getragen werden. Wir treten daher für die weitestgehende Förderung des Exportes und der Beseitigung aller exporthemmenden Vorschriften sowie für eine aktive Außenhandelspolitik ein. Jedoch darf hiedurch die ausreichende Versorgung des Inlandsmarktes nicht gefährdet werden. 33. Eine möglichst weitgehende Modernisierung und Verbesserung der Betriebseinrichtungen und die beste Ausbildung der Facharbeiterschaft im Zusammenwirken mit der Initiative der Unternehmer muß die Leistungssteigerung bringen, welche die österreichischen Erzeugnisse im In- und Ausland wettbewerbsfähig macht. 34. Die große volkswirtschaftliche Bedeutung des reellen Handels, insbesondere auch das Transithandels, wird von uns voll gewürdigt. Einen für die Versorgung der Wirtschaft und für den Absatz der Erzeugnisse unnotwendigen Zwischenhandel sowie übermäßige Handelsspannen, die beide verteuernd wirken, lehnen wir ab. 35. Die Tätigkeit der Wirtschaftsverbände ist auf das volkswirtschaftlich notwendige Maß zu beschränken.

V. Sozialpolitik 36. Wir bejahen das Recht eines jeden Menschen auf Arbeit und sehen in einem großzügigen Arbeitsbeschaffungsplan, welcher dauernd die Vollbeschäftigung garantieren und vor allem die Schaffung von Wohnbauten, dem Ausbau der Wasserkräfte, der Elektrifizierung sowie der Schaffung von Fremdenverkehrseinrichtungen dienen soll, eine der wichtigsten Aufgaben. Die moralische Pflicht eines jeden gesunden, arbeitsfähigen Menschen muß es sein, der Allgemeinheit durch Leistung einer angemessenen Arbeit zu dienen. 37. Eine besondere Aufgabe der Wohlfahrtspolitik ist die Volksgesundheit. Daher ist die gesundheitliche Volksberatung und -erziehung zu pflegen. 38. Der Wohnungsbau und das Siedlungswesen sind in großzügiger Weise zu fördern. Mittel- und Kleinwohnungen, Kleineigenheime und Kleinsiedlungen sind zu bevorzugen. 39. Wir erstreben die Mietzinsgerechtigkeit und sehen in einer grundlegenden gerechten Regelung dieser Frage unter Aufrechterhaltung des Kündigungsschutzes eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung. 40. In einer gründlichen Berufsausbildung, welche die Aufstiegsmöglichkeiten für jeden

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Tüchtigen sichert, sehen wir das Mittel zur Steigerung von Können und Leistung. Unsere besondere Sorgfalt wenden wir der schulentlassenen Jugend zu. 41. Als oberstes Ziel unserer Sozialpolitik sehen wir die Erreichung eines Zustandes, bei welchem jedem Schaffenden der gerechte Anteil am Arbeitsertrag und damit am Volkswohlstand gesichert wird, wobei als Maßstab die Leistung gelten soll. 42. Wir erstreben eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung, die unter Bedachtnahme auf eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung den berechtigten sozialen Forderungen entspricht. 43. Wer sein Leben lang ehrlich gearbeitet hat, soll einen sorglosen Lebensabend genießen. Daher erstreben wir eine großzügige Altersversorgung für alle Schaffenden. In diese sind insbesondere auch die selbständigen Erwerbstätigen im Kleingewerbe und in den freien geistigen Berufen sowie die Mütter, die für ihre Familie gearbeitet haben, einzubeziehen. 44. Bei Schicksalsschlägen des Lebens muß die öffentliche Fürsorge und die Sozialversicherung rasch, hilfsbereit und verständnisvoll eingreifen. Eine besondere Verpflichtung sehen wir in der Fürsorge für die Kriegsopfer und ihre Hinterbliebenen. Die Gebarung der Sozialversicherungsträger erfordert eine strenge Überprüfung und muß laufend der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen. Ihre weitestgehende Entbürokratisierung wird verlangt 45. Wir sind für den Schutz und die wirtschaftliche Sicherung der Familie als Keimzelle des Staates unter Berücksichtigung der Kinderzahl. 46. Aus Gründen der Gerechtigkeit sind wir für die Einbürgerung und gleichberechtigte wirtschaftliche Eingliederung der volksdeutschen. 47. Der Friede im Inneren, insbesondere der Arbeitsfriede, ist uns ebenso heilig wie der Friede nach außen, weshalb wir Volksverhetzung und Klassenkampf verurteilen.

VI. Kulturpolitik 48. Aufgabe unserer Kulturpolitik muß es sein, unsere überlieferte Kultur zu pflegen und organisch weiterzuentwickeln und unsere Kultur dem ganzen Volk zu erschließen. 49. Wir sind stolz auf die schöpferischen Kräfte unseres Volkes. Der wissenschaftliche und künstlerische Nachwuchs und die wissenschaftliche Forschung sind mit allen Mitteln zu fördern. 50. In einer körperlich gesunden, geistig aufgeschlossenen und seelisch sauberen Jugend sehen wir die Bürgschaft für eine bessere Zukunft unserer Heimat. 51. Die Erziehung der Jugend ist sowohl Aufgabe der Eltern als auch der Schule. Wir sind für die Beseitigung aller schädlichen, einseitigen Parteieinflüsse in der Schule und Jugenderziehung. Eine rechtzeitige Berufsberatung und Begabtenauslese soll der lernenden Jugend die richtige Berufswahl ermöglichen. 52. Die Freiheit der Meinungsäußerung und im besonderen die Freiheit der Wissenschaft sowie die Pressefreiheit sind wiederherzustellen und zu sichern.297

297 Reiter; 1982; S. 241 ff.

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15.2.2. Das Ausseer Programm des VdU

Der Bundesverbandstag 1954 beschloß folgende Proklamation:

I. Wir fordern die Freiheit für die Entfaltung der einzelnen innerhalb der Volksgemeinschaft. Lebendige Gemeinschaften freier Menschen und ihre geistige und materielle Höherentwicklung müssen höchster Sinn und letztes Ziel der Politik sein. Nur in der Gemeinschaft ist die Existenz des Einzelmenschen, seine Freiheit und Aufstiegsmöglichkeit gesichert. Aber ebenso sind das Gedeihen und die Kraft aller echten Gemeinschaften vom Eigenleben und der freien Entfaltung der sie bildenden Einzelpersönlichkeiten abhängig. Wir sehen deshalb im Kampf für die Freiheit der eigenständigen Persönlichkeit eine der entscheidendsten Aufgaben, insbesondere in einer Zeit, in der diese Freiheit auf das schwerste durch Kollektive aller Art mit einer seelischen Vermassung bedroht wird. Der Freiheitsanspruch jedes einzelnen findet aber seine selbstverständliche Begrenzung im ebenso berechtigten Freiheitsanspruch jedes anderen und in den Erfordernissen der Gemeinschaft. Die höchstmögliche Förderung der organisch gewachsenen Gemeinschaft von Familie, Betrieb, Heimat, Staat, Volk und Völkerfamilie muß Grundlage jeder Politik sein.

II. Österreich ist ein deutscher Staat. Seine Politik muß dem gesamten deutschen Volk dienen und darf nie gegen einen anderen deutschen Staat gerichtet sein. Wir fordern die Einigung der europäischen Völker auf der Grundlage voller Gleichberechtigung. Das Jahr 1945 war nicht nur eine deutsche, sondern auch eine europäische Tragödie. Aus ihr wurde die Erkenntnis geboren, daß das Schicksal des europäischen Kontinents und das der europäischen Nationen nur gemeinsam gemeistert werden kann. Mit Sorge beobachten wir, daß diese gerade von der Kriegsgeneration aller Völker getragene Idee durch reaktionäre und in alten Vorstellungen befangene Politiker gefährdet ist. Nicht nur Wirtschafts- und Wehrpolitik drängen zum Großraum, auch die Erhaltung der europäischen Lebensform vor jeder Überfremdung fordert den gemeinsamen Einsatz aller europa- und nationalbewußten Menschen. Die Freiheit und Existenz jeder europäischen Nation, gemäß ihrer besonderen Eigenart, sind nur noch im Rahmen einer europäischen Gemeinschaft gesichert. Deshalb bekennt sich der VdU in dieser ernsten Stunde mit besonderem Nachdruck zur Vereinigung Europas auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes und der Gleichberechtigung aller Völker. Ein gemeinsames europäisches Kulturbewußtsein und einen neuen Geist der gegenseitigen Achtung und Völkerverständigung wird nur d e r lebendig empfinden, der seiner eigenen Nation zutiefst verbunden ist. Europäische Idee und Nationalbekenntnis sind keine Gegensätze, sondern einander natürlich ergänzende Ordnungsbegriffe. Die echte nationale Gesinnung ist ein Baustein des vereinten Europa. Der VdU betreibt nationale Politik, das heißt er tritt für die Erhaltung und Festigung des deutschen Volkes im österreichischen Raum und damit für sein geistiges und materielles Wohlergehen ein. Er sieht daher die deutsche Aufgabe Österreichs in folgendem: 1. In der Pflege des Zusammengehörigkeitsbewußtseins aller Deutschen, 2. in der Ausrichtung der Außenpolitik auf eine aufrichtige, freundschaftliche

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Zusammenarbeit mit Deutschland, 3. in einer großzügigen Familienpolitik, welche die Bildung gesunder, kinderreicher Familien fördert, 4. in der Sorge für die körperliche und seelische Gesundheit der Jugend und deren Erziehung zu Gemeinschaftsgeist, Selbstzucht, Verantwortungsbewußtsein und Opferbereitschaft, 5. in dem Schutz des bedrohten Grenzland-Deutschtums, 6. in der rechtlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung und Ansiedlung der heimatvertriebenen Volksdeutschen.

III. Wir fordern die Freiheit des Geistes und Toleranz in religiösen Fragen. – Wir kämpfen mit allem Nachdruck dafür, daß die kulturschöpferischen Leistungen unseres Volkes wieder als höchstes nationales Gut gewertet werden. Im Verhältnis des Menschen zur Religion fordern wir die Freiheit der persönlichen Entscheidung. In unserer staatlichen Gemeinschaft darf die Zugehörigkeit oder die Nichtzugehörigkeit zu bestimmten Glaubensgemeinschaften niemandem zum Vorteil oder Nachteil werden. Wir stehen auf dem Boden der abendländisch-christlichen Ethik, wollen aber jedem konfessionellen Hader aus unserem Volke verbannt wissen und die Achtung vor jedem wie immer gearteten Glaubensbekenntnis zum Allgemeingut werden lassen. Unsere überlieferte Kultur ist zu pflegen, weiterzuentwickeln und dem ganzen Volke zu erschließen. Nur eine gerechte Wertung der geistigen Leistung und eine allmähliche Erhöhung des zurückgebliebenen Kulturbudgets können Österreichs kulturelle Sendung vor dem Untergang bewahren. Kunst und Wissenschaft als die schöpferischen Kräfte, Schule und Lehrstand als die Vermittler der Kultur müssen wieder ihre zentrale Stellung im Leben des Volkes zurückgewinnen.

IV. Wir kämpfen für die Gleichberechtigung der Staatsbürger, für den wahren Rechtsstaat, die Unabhängigkeit der Gerichte und für die Sauberkeit der Verwaltung. Wir bekennen uns zur republikanischen Staatsform, zur Demokratie und zum Rechtsstaat. In der wahren Demokratie müssen alle Staatsbürger gleichberechtigt unmittelbar oder mittelbar an der Staatswillensbildung teilnehmen können, damit nichts gegen den Willen des Volkes geschehe. Aus diesem Grunde ist auch die unmittelbare Demokratie (Volksbegehren und Volksabstimmung) auszubauen. Wir fordern weiters erhöhte Verantwortung der führenden Persönlichkeiten im Staate. Zur Verwirklichung des Rechtsstaates verlangen wir, daß die Gesetze mit dem Rechtsbewußtsein des Volkes, den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen und Menschenrechten sowie mit der Verfassung im Einklang stehen. Für diesen ständigen Einklang und für die getreue Einhaltung socher Gesetze müssen wirklich unabhängige Gerichte sorgen. Dem unmittelbar Betroffenen muß das Recht eingeräumt werden, die Aufhebung verfassungs- oder gesetzwidriger Normen beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen. Eine besondere Verpflichtung ist es uns, für die Wiederherstellung der Rechte jener einzutreten, die wegen ihrer nationalen Gesinnung verfolgt und entrechtet wurden. Charakterliche Sauberkeit und fachliches Können müssen alleiniger Maßstab bei der Besetzung aller Stellen der öffentlichen Verwaltung sein. Parteiproporz und Protektion lehnen wir ab. Die völlige Unabhängigkeit der Richter ist dadurch zu sichern, daß ihre Ernennung und Beförderung nur auf Grund verbindlicher Vorschläge der Richterschaft

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selbst erfolgen darf. Die entwürdigende Abhängigkeit des Staatsbürgers von der Allmacht des Staates muß überwunden werden. Der VdU sieht es daher als wichtige Aufgabe eines freiheitlichen Wollens an, den unerträglichen Zustand zu beseitigen, daß man bei der Erlangung eines Postens, einer Wohnung, einer Gewerbeberechtigung und hunderterlei anderer Bewilligungen von dem Ermessen der Behörden und – was noch schlimmer ist – der Gunst der politischen Parteien abhängt. Sein Grundsatz lautet daher: Weniger gesetzliche Regelungen und in den notwendigen Gesetzen weniger "Kann-Bestimmungen", sondern verbindliche Regelungen.

V. Wir erstreben eine neue gerechte soziale Ordnung, die allen Schaffenden ohne Unterschied des Standes der Leistung entsprechenden, gerechten Anteil am Sozialprodukt sowie höchstmögliche soziale Sicherheit und Aufstiegsmöglichkeit gewährleisten. Das Kapital und die Wirtschaft haben den Interessen des gesamten Volkes und seiner Höherentwicklung zu dienen. In einer sozialen Marktwirtschaft müssen planvolle Wirtschaftspolitik des Staates mit der persönlichen Wirtschaftsinitiative zum Wohl des Ganzen zusammenwirken. Der VdU fordert daher die Ausschaltung aller Monopolrenten und die Bekämpfung der Kartelle und unnötigen Einschränkungen der Gewerbefreiheit. Er fordert eine – nicht auf einzelne Gruppen, sondern an die gesamte Volksgemeinschaft abgestellte – planvolle aktive Wirtschaftspolitik, welche zur systematischen Vergrößerung und gerechten Verteilung des Sozialproduktes sowie zu einer wirksamen Arbeitsbeschaffung führt, jeder höheren Leistung den notwendigen Anreiz bietet und die Ursachen des Klassenkampfes durch eine "Eigentumsbildung für alle" überwindet. Der VdU kämpft für das Prinzip der sozialen Sicherheit, das dem Staat die Verpflichtung auferlegt, für alle durch Krankheit, Unfall oder auf andere Weise unverschuldet in Not geratene Menschen das höchstmögliche Maß an sozialer Hilfe zu garantieren und den Schaffenden aller Stände im Alter einen ausreichenden, der früheren Leistung entsprechenden Lebensunterhalt zu sichern. Der VdU sieht diese wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben als eine Einheit und unterscheidet sich darin grundsätzlich von den anderen Parteien, die nur der machtmäßige Zusammenschluß verschiedener Interessensgruppen sind. Wo die anderen durch Aufsplitterung aller ärmer machen, wollen wir durch das Zusammenwirken aller Wohlstand und Glück schaffen.298

298 Reiter; 1982; S. 251 ff.

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15.3. Das erste Parteiprogramm der FPÖ ERSTES FPÖ-PARTEIPROGRAMM: "VIERZEHN PUNKTE" (KURZPROGRAMM) 1956/1958 (IN DER ENDGÜLTIGEN FASSUNG 1957)

"Ziel der Freiheitlichen Partei Österreichs ist eine nationale, freiheitliche und soziale Politik auf der Grundlage echter Volksgemeinschaft. Daher bekennen wir uns zu folgenden Grundsätzen: 1. Wir bekennen uns zum Grundsatz der Freiheit und damit zu den Grundrechten der Menschen und Völker. 2. Wir bekennen uns zur sozialen Volksgemeinschaft und bekämpfen das Denken und Handeln in Klassen und Gruppeninteressen. 3. Wir bejahen die Eigenstaatlichkeit Österreichs, wir bekennen uns zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft und treten für den engen Zusammenschluß der freien Völker und Staaten Europas auf der Grundlage völliger Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ein. 4. Wir bekämpfen die alle Freiheiten der Menschen bedrohende Allmacht des Staates und der mit ihm verkoppelten Machtapparate. Wir bekennen uns zum demokratischen Rechtsstaat freier, vor dem Gesetz gleicher Männer und Frauen und fordern deshalb die Ausschaltung des demoralisierenden Parteiproporzes. 5. Wir fordern einfache und verständliche Gesetze, eine saubere, sparsame Verwaltung und ein soziales Steuersystem. Wir wollen ein verantwortungsbewußtes Beamtentum als Sachwalter des Volkes und nicht der Parteien. 6. Wir verlangen die Förderung junger Ehen und kinderreicher Familien als Fundament unseres Vokes durch ausreichende Beihilfen und verbesserte Steuerbegünstigungen. 7. Wir wollen eine volksbewußte Erziehung unserer Jugend zu sittlicher Haltung und Pflichtbewußtsein gegenüber der Gemeinschaft. 8. Wir verlangen die Förderung aller schöpferischen Kräfte unseres Volkes. 9. Wir bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft, die ohne Behinderung durch Kartelle, ungerechtfertigte Monopole und Diktatur der Kammern der Gemeinschaft in echtem Leistungswettbewerb dient. 10. Wir verlangen die Sicherung der Wertbeständigkeit des Geldes als unabdingbare Voraussetzung für soziale und wirtschaftliche Sicherheit. 11. Wir wollen für Arbeiter und Angestellte den gerechten Leistungslohn und die echte Betriebsgemeinschaft. 12. Wir wollen ein freies, wirtschaftlich selbständiges, seßhaftes Bauerntum und einen wirtschaftlich gesunden Gewerbe- und Handelsstand. 13. Wir verlangen die gerechte Wertung und Förderung der geistigen Arbeit und vollen Schutz der Selbständigkeit der freien Berufe. 14. Wir verwerfen den Angriffskrieg als Mittel der Politik, bekennen uns aber zu dem Recht der Völker und Staaten, ihre Freiheit auch mit den Waffen zu verteidigen.299

299 Reiter; 1982; S. 255 f.

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16. Quellen

Bücher

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Die Presse; vom 24.08.2012; (K)ein Sommer wie damals: Zehn Jahre Knittelfeld: http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/1282842/Kein-Sommer-wie- damals_Zehn-Jahre-Knittelfeld

Infanteriedivisionen der k.u.k. Armee im Mai 1914 http://www.weltkriege.at/Divisionen/Infanteriedivisionen/infanteriedivisionen.htm

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Profil; vom 9.9.2006; Jubiläum: Chronologie eines Putsches: http://www.profil.at/articles/0636/560/150605/jubilaeum-chronologie-putsches

Profil; vom 4.12. 2013; Wie der US-Geheimdienst Ex-Nazis anheuerte und so die FPÖ- Gründung förderte: http://www.profil.at/articles/1349/985/370249/wie-us-geheimdienst-ex-nazis-fpoe- gruendung

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