Sich selbst treu bleiben auf dem Flohmarkt der Gefühle

Das einstige NDW-Aushängeschild Der Plan begeistert mit gereiften elektronischen Schlagern auf seinem neuen Album "Unkapitulierbar" von Marc Hairapetian

"Alle sieben Jahre wende Deinen Blick, bleibt auch eine Träne auf langem Weg zurück. Was es nicht gibt, macht Dich verliebt. Alles was zählt, bleibt ungezählt. In Welle und Wind wird Muschel zu Sand. Das Neue beginnt eh Du es erkannt. Das Gute gewinnt. Nichts ist konstant. Du bleibst ein Kind - die Welt in der Hand". So lautete 1985, also bereits nach dem Ausverkauf der Neuen Deutsche Welle, das geradezu philosophische Selbstverständnis der ursprünglich aus dem Bergischen Land kommenden, zu der damaligen Zeit noch in der eleganten Modestadt Düsseldorf beheimateten Avantgarde-Pop-Band Der Plan (zuerst 1979 mit etwas anderem Line-Up Weltende benannt, dann der Weltaufstandsplan), die zu den maßgeblichen Wegbereitern einer eigenständig verspielten Musik hierzulande gehört. Das mit einem knackigen Gitarrenriff versehene hypnotischen Elektro-Stück "Alle sieben Jahre" von der auf dem hauseigenen Ata-Tak-Label erschienenen, selbstironischen LP "Fette Jahre" verdeutlichte auf poetische Weise, dass Zeiten sich zwar ändern können, man sich aber doch selbst treu bleiben kann. 26 Jahre nach dem letzten regulären Album "Die Peitsche des Lebens" (wenn man von der 1993er- Fake-Platte "Live at the Tiki Ballroom" und Moritz Reichelts 2004er-"Solo"-Der-Plan-4.0.-CD "Die Verschwörung" einmal absieht) hat man sich - motiviert durch zwei legendäre Reunion-Gigs in und im Januar 2014 anlässlich des 50. Geburtstag des ehemaligen NDW-Herzbuben Andreas Dorau, dessen Smash-Hit "Fred vom Jupiter" Ata Tak vertrieben hatte - nach diversen Differenzen endgültig wieder zusammengerauft. Die seit Anfang der 1980er Jahre aus Sythesizer-Genie alias Pyrolator (Ex-Deutsch- Amerikanische Freundschaft), Saxofonist und Perkussionist Frank Fenstermacher alias A Certain Frank und dem Maler Moritz Reichelt alias Moritz R® bestehende Dreierbande legt jetzt mit "Unkapitulierbar" laut eigenem Bekunden ein "Alterswerk" vor, das nichtsdestotrotz frisch klingt: "Wir sind reifer geworden. Ursprünglich hatten wir ein collagierteres Konzept, doch dann wurde es für uns selbst überraschend sehr songorientiert", sinniert Kurt Dahlke, der wie Frank Fenstermacher bereits seit "Monarchie und Alltag" (1980) auch bei Deutschlands vielleicht wichtigster Alternativ-Rockband Fehlfarben spielt. 2001 zog er nach Kreuzberg. Da Moritz Reichelt sich nach den Stationen Halle/Saale, Wuppertal, Düsseldorf und Hamburg längst auch hier niedergelassen hat, wohnen nun zwei Drittel von Der Plan in Berlin, während es Frank Fenstermacher an den idyllischen Bodensee verschlagen hat. Am 23. Juni erscheint bei dem auf Protagonisten der NDW spezialisierten Label der lang ersehnte, gemeinsam produzierte neue Tonträger. Zur CD gesellt sich eine De-Luxe-Schallplatten-Variante mit zusätzlicher Seven-Inch-Single. Auf dem "Flohmarkt der Gefühle" (so der Titel eines der schönsten neuen Stücke von Der Plan) geht es extrem abwechslungsreich zu: Neben der sommerlichen Hymne "Wie der Wind weht" und der skurrilen Dancefloor-Nummer "Lass die Katze stehen", zu der ein von Moritz Reichelt mittels der Online-3D-Plattform Second Life gestaltetes animiertes Video existiert, begeistern vor allem der sich selbst auf den Arm nehmende Reggae "Man leidet herrlich" und das mit einem scheppernden Sixties-Beat sowie "Schweineorgel" unterlegte Kleinod "Der Herbst", in dem sich Der Plan in wiederholt lässiger Manier auf die Sinnsuche begibt: "Wie die Fliege nicht die Scheibe versteht, läuft der Mensch nur im Kreis auf seinem Planet. Das Licht hat die Dunkelheit ausgeknipst. Gott war wahrscheinlich ein bisschen beschwipst. Doch als er sah, was ihm da passiert, war er doch einen Augenblick lang amüsiert." Fans der ersten Stunde (Der Plan hat bis heute eine treue Anhängerschaft in Japan) werden garantiert aus dem Häuschen sein, doch wird die deutsche Antwort auf die Residents auch ein neues Publikum mit "Unkapitulierbar" dazugewinnen? "Ich hoffe, dass wir jüngere Leute ansprechen können und ich denke, dass das gar nicht mal über die Musik passieren wird, sondern eher über die Texte.", meint Kurt Dahlke: "So hat ,Grundrecht' eine aktuelle politische Botschaft. Alle reden vom bedingungslosen Grundeinkommen, aber warum redet keiner darüber, dass man auch ein Recht auf eine eigene Wohnung haben sollte? Jetzt wird sogar angefangen, Grundstücke auf dem Mond zu verteilen! Die verrückten Mietspekulationen müssen aufhören! Es gibt einfach immer mehr Grundbesitz von Wohnraum in der Hand von immer weniger Menschen. In Berlin müssen beispielsweise immer mehr Leute in die Außenbezirke ziehen, weil sie sich die Innenstadt nicht mehr leisten können." Die melodienreiche Gesamtkunst-Formation, die bei ihren Touren 1987 ("Es ist eine fremde und seltsame Welt") und 1992 ("Wir werden wieder gebraucht") auch die fantasievollen Kostüme und die gemalten Bühnenbilder selbst hergestellt hatte, will für den Winter 2017/2018 ausgewählte Auftritte absolvieren, die sie allerdings eher in Museen statt in Rockclubs führen soll. Man darf gespannt sein wie sich die alten, unbeschwerten Perlen wie "Da vorne steht 'ne Ampel" (1980), "Junger Mann" (1982), "Gummitwist" (1984) oder "Lippizaner Eskapade" (1984) im neuen Jahrtausend live anhören werden. Kurt Dahlke sagt lachend über die alten elektronischen Schlager: "Ganz debil war es nicht gemeint. Es hatte doch immer einen PLAN, was wir da getextet haben!". In der Tat. Den Plan hat Der Plan auch auf "Unkapitulierbar"!

Marc Hairapetian am 14. Juni 2017 für SPIRIT EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im- sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com