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August–September 2016 Tammus–Elul 5776 120001 DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN wina-magazin.at 9 10 _ - antise ­ Rivali Die Austria und ihre Hasen jagen jagen Hasen mitischen Z wischentöne tät zwischen Anhängern von Ra ­ von Anhängern tät zwischen pid und 54 Henryk M. _

­ Rechtha Publizist, Der im I nterview Broder - vo E ine Nasenlänge raus ber und Seismograf und ber

06 _ über Zivil­ über Duzdar Muna b.b. 11Z039078 W | Verlagspostamt 1010 Wien | ISSN 2307-5341 b.b. 11Z039078 W | Verlagspostamt P. Hass zerstörtHass Mitgefühl Staatssekrtärin ihr und Politisierung eigene die courage, Wien am jüdischen I nteresse Portugal Revisited Eine Reise durch die so reiche wie dramatische Geschichte der Juden Portugals auf der Suche nach einer Renaissance newcleus Kultur gut.

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fu-WINA_Kulturistgut+abo.indd 1 03.08.16 09:32 Editorial s duftet nach Sommer, in dem sich die Pfirsichbäume un- Eter ihrer Last biegen und die Vögel zwitschern, als gäbe es kein Morgen. So ähnlich idyllisch, wenn auch eher frühlingshaft, dürfte es in Gyöngyöspata,­ 80 km von Budapest entfernt, vor fünf Jahren gewesen sein, als plötzlich Mitglieder einer rechts- radikalen Miliz in der „Zigeunerstraße“ aufmarschierten und „Kommt raus, Zigeuner, heute werdet ihr sterben!“ brüllten. In einem alten Bauernhaus am Ortsrand ist die kindli- che Anarchie­ ausgebrochen – es wird geschrien, gelacht, ge- tanzt und gesungen. Alles gleichzeitig. Es klingt nach glückli- chen Sommerferien im Sommercamp der Romakinder von Gyöngyöspata,­ betrieben vom Verein „Die Zu- Julia Kaldori kunft formen“. Als eine der Freiwilligen gelingt es mir endlich beim dritten Anlauf das Märchen vom Mäuserich fertig zu erzählen. Darin hat der kleine Held die Idee dem Kater eine Glocke um den Hals zu hängen, um ihn von der Weite hören zu können. Doch wer aus dem Mäusevolk traut sich, ihm die Glo- cke umzuhängen? Die aus der „Zigeunerstraße“ haben sie nicht kommen hören, damals vor fünf Jahren, aber sie haben sich gewehrt. Es kam zu „Ich war ein unschul- Schlägerein, es gab Verletzte und danach gab es viele verlassene diges Kind von erst Häuser – sie sind zu Verwandten in anderen Siedlungen gezo- gen, haben ihr Glück in Kanada gesucht. Manche sind nie wie- 11 Jahren, als mich dergekommen. Doch viele sind geblieben oder später zurück- Hitlers Nazis in der gekehrt. Sie versuchen, ihren Alltag zu meistern, zu überleben. Die Eltern arbeiten, wenn sie Glück haben, als Tagelöhner auf Schule verhafteten, den Feldern um umgerechnet acht Euro am Tag oder mähen den verschleppten, mir Rasen entlang der Landstraße als Sozialhilfeempfänger im ver- meinen Namen raub- pflichtenden Arbeitsdienst für etwa 180,- Euro im Monat. Und die Kinder? Sie versuchen, die Schule zu besuchen, soweit man ten und mich zu einer sie lässt. Doch die örtliche Schule ist ein Musterbeispiel für Se- Nummer und ihrem gregation. Die Romakinder werden in eigene Klassen gesteckt, dürfen die „sauberen“ Toiletten nicht benutzen, werden be- Arbeitssklaven mach- schimpft und ausgeschlossen. Kein Lehrer, der sie in Schutz neh- ten, mich hungern men würde, keiner, der sich um ihre Ausbildung, um ihre Fort- bildung kümmern würde. Die Folgen: viele gehen gar nicht hin, ließen, schlugen und Die vergessenen sind kaum des Lesens und Schreibens mächtig und beenden so peinigten. Die Nazis Romakinder von ihre Schulkarriere­ mit 14 Jahren. haben meinen Vater Wir gehen spazieren, trinken aus dem nahe gelegenen Bach, Gyöngyöspata. Ihre pflücken ein paar Zwetschken und die Halbwüchsigen erzäh- ermordet und meinen Zukunft liegt des- len davon, was sie vom Leben erwarten: Familie, genug Essen, © formáljuk a jövöt halb in den Händen Bruder. ... Ich hatte Gesundheit, ein neues Handy, einmal auf Urlaub fahren, Fri- von Freiwilligen, weil seurin oder Bäcker werden. Träume von Kindern mitten in Eu- keine Vergangenheit die Politik auch hier ropa, die aus der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und nie längst versagt hat. mehr, keine Gegen- eine Chance auf eine glückliche Zukunft bekommen werden. Sie werden von Geburt an abgestempelt, von den Nachbarn ange- wart und schon gar schrien und dürfen nur einzeln die Geschäfte betreten. Sie leben keine Zukunft.“ ohne Kanalisation, holen das Wasser vom Brunnen und ken- nen die Welt nur aus dem Fernseher. Es sind Kinder, die ma- len möchten und keine Stifte besitzen, die essen möchten und Ceija Stojka oft hungrig ins Bett gehen, die lernen möchten und kaum dür- fen, die Unterstützung brauchen und meist vergessen werden. Es sind Kinder, die mir Lieder beibringen, die mich umarmen und bitten, bald wieder zu kommen. Es sind die vergessenen Romakinder von Gyöngyöspata – mitten in Europa, deren Zu- kunft deshalb in den Händen von Freiwilligen liegt, weil die Po- litik (auch) hier längst versagt hat. Es sind Kinder, die ihr Schick- sal mit Tausenden anderer europäischer Kinder teilen, die unsere Unterstützung brauchen und die mir an diesem Sommertag in der Redaktion nicht aus dem Kopf gehen.

wına-magazin.at 1 S. 34 Die israelische Filmemacherin Irene Orleansky erforschte für ihre neue Dokumentation Bal Ej – The Hidden of Ethiopia den Norden Äthiopiens. INHALT

Politik Gesellschaft 06 „Hass zerstört Mitgefühl“ 24 Portugal revisited Staatssekretärin Muna Duzdar im Im Land am Atlantik wird die ebenso WINA-Interview über den Kampf ge- reiche wie dramatische Geschichte der gen Hetze im Netz, Zivilcourage und sephardischen Juden wiederentdeckt ihr Interesse am jüdischen Wien 30 Im Ghetto in Venedig 10 Rapid – Austria, das ist Brutalität Vor genau 500 Jahren wurde in der Bei den Fanrivalitäten zwischen An- Lagunenstadt das erste Ghetto errich- hängern von Austria und Rapid tet. Eine Ausstellung in Venedig widmet kommt immer wieder Antisemitismus sich diesem Thema ins Spiel 33 Ein fast verschwundenes Erbe 14 „Israel ist nicht irgendein Land“ Auf jüdischen Spuren in Apulien trifft Der Wiener Gemeindepolitiker und Ge- man oft auf verschlossene Tore, aber werkschaftsfunktionär Peter Florian- auch auf viel privates Engagement schütz ist neuer Präsident der Öster- reichisch-Israelischen Gesellschaft 34 Geheime Gemeinschaft – ÖIG Für ihre neue Dokumentation Bal Ej – „Die Leute, die in den The Hidden Jews of Ethiopia reiste die 16 Drohnen und Terroristen israelische Filmemacherin Irene geheimen Synagogen von Israel hat zahlreiche Unternehmen, Orleansky in den Norden Äthiopiens die sich auf Sicherheitstechnik spezia- Nord-Shewa beten, leben lisiert haben. Wir haben uns einige an- 40 Zehn Tage Israel intensiv gesehen Das Taglit-Programm zeigt jungen Ju- in unberührter Natur, den aus aller Welt Israel von seinen 18 Open Orthodoxy verschiedensten Seiten wie vor 100 Eine neue orthodoxe Strömung in den USA toleriert bedeutende theo- 42 Mentschen Jahren.“ logische Abweichungen. Welche sind Die Psychologin Evelyn Böhmer-Lau- Irene Orleansky das, und was hat es mit der Open fer leitet seit 2005 das Peacecamp Orthodoxy überhaupt auf sich? und erzählt über Ziele und Herausfor- derungen 44 Die Brücke zu Mesopotamien Impressum: Der Orientalist Abraham Winitzer im Medieninhaber (Verlag): WINA-Gespräch über seinen großen JMV – Jüdische Medien- und Verlags- Vorgänger, den in Wien geborenen GmbH, Seitenstettengasse 4, A. Leo Oppenheim 1010 Wien Chefredaktion: Julia Kaldori, 47 Das „Stiebl“ von nebenan [email protected] Zu den Hohen Feiertagen bietet sich das Gemeindezentrum als alternativer Redaktion/Sek­retariat: Betraum mit intimer Atmosphäre an Inge Heitzinger (T. 01/53104–271) Anzeigenannahme: 50 [End-]Station Mannheim Manuela Glamm (T. 01/53104–272) Vom Tellerwäscher zum ersten Vorsit- Redaktionelle Beratung: zenden der Jüdischen Gemeinde: der Matthias Flödl gebürtige Iraner Majid Khoshlessan Artdirektion: Noa Croitoru-Weissmann Mitarbeit: Sebestyén Fiumei Lektorat: Angela Heide, Karin Janker S. 52 Auf einer Druck: AV+Astoria Druckzentrum Sommer 2016 GmbH, Wien Wellenlänge –

2 wına | August 2016 In manchen der

Coverfoto: Porto, Portugal © ollieboard / photocase.de steinernen Bögen lässt eineKerbe den

kultur winastandards Platz einer 54 „Immer eine Nasenlänge voraus“ 01 Editorial Mesusa Am 20. August feiert Henryk M. Broder seinen 70. Geburtstag. Der Publizist, 04 WINA_Politik vermuten. Rechthaber und Seismograf im WINA- Österreich, Israel, Europa Interview 20 Nachrichten aus Tel Aviv 56 Chronik der Gefühle Israels Kontakte zu Afrika Stefan Slupetzky widmet sich als Wan- derer zwischen den Welten in seinem 23 WINA_Gesellschaft neuen Buch der Aufzeichnung von Städte, Menschen, Leben Existenziellem 38 48 Stunden 58 Zerstörtes neu erinnert Eine Reise nach Verona Der Wiener Architekt Herbert Peter erklärt, wie die virtuelle Rekonstruk­­­- 48 WINA_Finespitz tion der einstigen Wiener Synagogen Herbstzeit ist Schwammerl-Zeit technisch funktioniert 49 Matok & Maror 60 Einzigartige „Judenbücher“ Süd Länder: Restaurant, Café, Tapas-Bar Rund 240 wertvolle hebräische Hand- schriften der Österreichischen Natio- 52 WINA_Lebensart nalbibliothek wurden von der Israeli- Tipps für den Sommerausklang schen Nationalbibliothek digitalisiert und sind nun online verfügbar 53 WINA_Kultur Musik, Ausstellungen, Film 62 Reise nach Jerusalem Im Rahmen ihrer Dialog-Initiative sind 57 WINA_Literaturtipps Rabbiner Schlomo Hofmeister und Für Strand, See oder Couch Imam Ramazan Demir von Istanbul nach Jerusalem gereist – davon 63 Urban Legend erzählt auch ihr neues Buch Abrüstung der Worte_Alexia Weiss 64 Das letzte Mal Waves-Vienna-Festivaldirektor Thomas Heher „Geändert hat sich gar nichts. Es ist immer noch derselbe 28 KommtS. es im Land am Kampf gegen die Atlantik zu einer Renais- sance jüdischen Lebens? Windmühlen. WINA auf Spurensuche Henryk M. Broder “ in Portugal S. 54

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wına-magazin.at 3 politik

Geigen, die die Schoah überstanden, werden derzeit auf einer30 Konzertreise durch Israel zum Klingen gebracht. Manche von ihnen wurden von Frost beschädigt, andere ermöglichten ih- Diskussion ren Besitzern in einem Vernichtungslager das über Parallelen bei Rechts-­­ Überleben. Initiator der Konzerte ist der Gei- extremismus und Islamismus genbauer Amnon Weinstein, dessen Familie vor den Nazis aus Litauen fliehen musste. Weinstein sammelt und restauriert diese Instrumente seit langen ass Antisemitismus von rechts, Jahren selbst. Dvon links, von islamischer Seite kommen kann, das ist nichts Neues. winastatistik Die Grünen-Nationalratsabgeord- nete Berivan Aslan ließ bei einer Alija-Hit-Liste Diskussion im Jüdischen Museum, 2015 waren die Farben der mosexualität und beider Frauenbild zu der der Europa Club Wien gela- Einwanderung nach Israel sei traditionell. Beide hätten Angst, den hatte, allerdings mit folgender noch eindeutig bleu-blanc- „dass die Männlichkeitsrolle ver- These aufhorchen: Demnach gäbe rouge. Nun ging aber die Zahl schwindet“. es viele Parallelen zwischen den Ge- jener Franzosen, die nach Is- Gegen diese Gesellschaftsbilder sellschaftsbildern von Rechtsextre- rael auswanderten, im ersten anzugehen, dabei tue sich die Po- men und Islamisten. Halbjahr 2016 gegenüber der Beide sähen im mo- letztjährigen Vergleichsperiode Das Bildungssystem klärt Jugend- Aygül Berîvan Aslan: dernen Westen, aber um 32 Prozent zurück. Laut Das wichtigste sei, Ju- auch in Israel, einen Statistiken der Jewish Agen- liche nicht ausreichend auf – gendliche zu erreichen, Feind. Beide hätten cy kamen im ersten Halbjahr sowohl über Rechtsextremismus bevor sie bei Extremis- ein Problem mit Ho- 2016 auch aus der Ukraine um ten andocken. 20 Prozent weniger Menschen als auch über Islamismus. als in den ersten sechs Mona- litik schwer, räumte die Politike- ten des Vorjahres. Dagegen rin ein. Das Hauptmanko sieht sie stieg die Zahl der Neueinwan- darin, dass das Bildungssystem­ derer aus Russland um zehn Jugendliche nicht ausreichend Prozent und damit auf 3245 Olim. Nicht nur Russland, auch aufkläre – sowohl über Rechts- Brasilien wird derzeit von poli- extremismus als auch über Is- tischen und wirtschaftlichen lamismus. „Und die Lehrer sind Krisen erschüttert, weshalb überfordert.“ Das Wichtigste sei, in diesem Jahr bereits 56 Pro- Jugendliche zu erreichen, bevor sie zent mehr Brasilianer nach bei Extremisten jedweder Couleur Israel auswanderten als im andocken, so Aslan. wea Vergleichszeitraum 2015. Ins- gesamt registrierte man in Is- rael bis Juni 2016 11.000 6759 Osteuropa Olim. Das ist um zehn (3245 davon aus Russland) Prozent weniger als im 2237 Westeuropa Jahr davor. Trotz des (1639 davon aus Frankreich) Rückgangs rechnet 11.000 Olim 986 Nordamerika Natan Sharansky von 1-7/2016 589 Zentral– u. Südamerika der Jewish Agency mit steigenden Zahlen für 429 andere das heurige Jahr: „Der- Quelle: Ministery for Aliya and Immigrant Absorption; Stand: 7/2016 zeit haben wir 9000 aktive Dossiers geöffnet für Men- schen, die nach Israel immig- rieren wollen.“

© Clemens Fabry / picturedesk.com

4 wına | August 2016 Wina_Rosch16_JMW_Layout 1 26.07.16 19:17 Seite 1 5. Wiener Jüdisches NEUJAHRSKONZERT Mi, 5. & Do, 6. Oktober 2016, 19:30 Uhr

10. Centropa- Sommer- akademie Jüdische Erinnerung tor von Centropa, Ed Serotta. bewahren – Geschichte „Die Teilnehmer erfahren nicht zum Leben erwecken nur europaisch-judische Ge- schichte vor Ort. Sie vernet- zen sich miteinander und ini- n großen, weißen Gar- tiieren grenzuberschreitende Atentischen der ehrwürdi- Schulprojekte.“ Mehr als 600 gen Diplomatischen Akademie Lehrer aus 16 Landern haben herrscht vielsprachiges Stim- bisher an den Seminaren von Wiener Jüdischer Chor Leitung: Roman Grinberg W

M Special Guest: Marika Lichter J © mengewirr: Rumänische Lehre- Centropa teilgenommen und 0 1 9 1 Kartenpreis € 32,- / Ermäßigt € 28,- m u

, e rinnen lauschen Rachelle Muzi- t Stadte wie Prag, Wien, Buda- t Tickets sind ab sofort im Jüdischen Museum Wien erhältlich ä t s k r

e oder via www.wien-ticket.at W

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cant, die in ihrer Muttersprache pest, Krakau, Sarajevo, Mann- e n e i W

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von ihren Kriegserlebnissen er- heim, Frankfurt und Berlin be- e t r a

k Dorotheergasse 11, 1010 Wien · www.jmw.at s r h a j zählt; ungarische Pädagogen sucht. u e N

: . b b lachen gemeinsam mit Marga- Was Centropa zum einzigarti- A rete Mermelstein über ihre hu- gen Projekt macht, ist die Tat- morvollen Schilderungen und sache, dass sich die Inter- Charlotte Pollak beantwortet views nicht ausschließlich auf geduldig die Fragen deutscher den Holocaust konzentrieren,

Projektleiterinnen. Der Anlass sondernDATE judische Alltagsge- für dieses vielsprachige Zusam- schichten des gesamten 20. mentreffen von Zeitzeuginnen, Jahrhunderts erzählt werden. die in SAVEWien leben, und dieser „Wir verwenden bei unseren In- interessierten Zuhörerschaft ist terviews keine Videos, sondern die 10. Centropa-Sommeraka- bitten die Zeitzeugen, ihre Fa- demie 2016, die heuer 90 Päd- miliengeschichten anhand al- agoginnen undTHE Pädagogen aus ter Familienfotos zu erzahlen,“ 18 Ländern zu einem neuntä- so Serotta. gigen Workshop nicht nur nach Aber Centropa bleibt nicht nur Wien, sondern auch nach Prag, der Vergangenheit verpflichtet: Theresienstadt und Berlin ge- Martina Dethloff, Lehrerin am bracht hat. Walther-Rathenau-Gymnasium „Seit 2007 veranstalten wir re- in Berlin, hat gemeinsam mit gionale Bildungsseminare in einer Schule in Chicago und ei- den USA, in Europa und in Is- ner in Skopje gerade ein Pro- Donnerstag 10.11. Challahbacken rael. Jahrlich findet unsere In- jekt abgeschlossen, das sich ternationale Centropa-Sommer- mit Stereotypen und Diskrimi- Freitag 11.11. G‘ttesdienst akademie statt“, erzählt der nierung im heutigen Alltag be- gemeinsames Abendessen umtriebige Gründer und Direk- schäftigt. Centropa bietet ein webbasiertes multimediales Samstag 12.11. G‘ttesdienst Bildungsprogramm, das sich großer Kiddush an Schulen in ganz Europa, Nordamerika und Israel rich- Shiurim im Gemeindezentrum tet. Ziel ist es, europäisch-jüdi- Kinder- und Jugendprogramm sche Geschichte des 20. Jahr- Havdallah Feier 11/12hunderts interdisziplinär zu vermitteln. MSH NOVEMBER WWW.TSPV.AT [email protected] 2016 0677 6114 7836 wına-magazin.at 5 „Hass zerstört Mitgefühl und hat oft fatale Folgen“ Über den Kampf gegen Hetze im Netz, Zivilcourage, ihre eigene Politisierung und das Interesse am jüdischen Wien spricht Staatssekretärin Muna Duzdar mit Marta S. Halpert.

WINA: In Ihrer Funktion als Staatssekretärin für Diversität und delt. Der Hass zerstört sehr viel in unserer Gesellschaft. Er zer- Digitalisierung haben Sie bereits mehrfach die Verrohung der stört Mitgefühl, Empathie und hat oft fatale Folgen, auch für Sprache sowie Hetze und Diskriminierung im Internet ange- Kinder und Jugendliche, die Opfer von Cyber-Mobbing wer- sprochen. Sie sagten unter anderem: „Wir müssen die Luftho- den. Eine irische Studie hat gezeigt, dass ein Drittel der Kin- heit über die digitalen Stammtische zurückgewinnen.“ Wie wol- der nach solchen Attacken suizidgefährdet war. Daher brau- len Sie das realisieren? chen wir ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass das nicht Muna Duzdar: Mit der Verschärfung des Verhetzungsparagra- geht. Und das muss man durch digitale Zivilcourage ermuntern fen im Jänner 2016 sind wir mit dem Gesetz auf einem guten und unterstützen. Weg: Der Tatbestand der Verhetzung wurde ausgeweitet und der Strafrahmen erhöht. Jetzt gilt es, das auch in die Praxis umzu- Was verstehen Sie unter digitaler Zivilcourage? ❙ setzen und die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren. Es soll nie- Man muss zur Widerrede ermutigen und Tipps geben, was man mand das Gefühl haben, dass er dem Hass im Netz ohnmäch- tun kann, wenn man ein Hass-Posting bekommt oder es bei an- tig gegenübersteht, dass er das einfach so hinnehmen muss und deren sieht. Das reicht von der Anleitung, einen Screenshot zu nichts tun kann. machen oder den Link zu kopieren bis zum Einschalten der Po- lizei und Staatsanwaltschaft. Das Strafrecht ist das eine, aber da- Es gibt eine von fünf Ministerien und dem Bundeskanzleramt durch lösen wir diese gesellschaftlichen Phänomene nicht. Denn getragene Initiative zum Thema Hass-Postings. Ich nehme an, es sollten ja nicht nur Richter und Staatsanwälte dagegen sein, dass hier auch antisemitische Vorfälle eingeschlossen sind? sondern alle müssen reagieren und auch eingreifen. Wichtig ist es, ❙ Ja, natürlich, alles, was hetzerisch und diffamierend ist. Überall, bei Falschmeldungen die Quelle zu identifizieren und mit Fak- wo Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Haut- ten darauf zu reagieren. Man sollte immer sachlich bleiben und farbe, Religion, Staatsangehörigkeit, ihres Geschlechts oder ih- sich nicht auf dieses emotionale Niveau einlassen. rer sexuellen Orientierung auf einer persönlichen Ebene ange- griffen werden, ist der Tatbestand der Hetze gegeben. Das hört sich nach gesellschaftspolitischer Erziehung an? ❙ Es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, positive Gegenbil- Was kann diese Initiative konkret bewirken? der zu schaffen zu dieser systematischen Verbreitung von Un- ❙ Erstens werden wir gemeinsam einen Leitfaden herausgeben, wahrheiten und Falschmeldungen. Viele Menschen holen sich der Argumente gegen jedweden Hass im Netz liefert. Diese heutzutage Informationen ungefiltert aus den sozialen Medien. Kampagne wird mit der Zivilgesellschaft und den NGOs breit Da gibt es politische Gruppen in unserem Land – und die kann aufgestellt. Wir müssen viele Menschen motivieren, klare An- man klar benennen – rechtspopulistische, rechtsextreme Grup- sagen gegen Hass-Postings zu machen, damit verstanden wird, pen, die das soziale Netz als Instrument ihrer politischen Propa- dass es sich hier um keine Lappalie, kein „Kavaliersdelikt“ han- ganda entdeckt haben. Da werden Unwahrheiten so lange und © Reinhard Engel

6 wına | August 2016 interview mit Muna Duzdar

„Hass zerstört Mitgefühl und hat oft fatale Folgen“

Muna Duzdar, 1978 in Wien geboren, absolvierte ab 1996 zunächst ein Diplomstudi- um der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, danach ein Master-Studium Internationales Recht an der Universität Sorbonne in Paris. Ihr Gerichtsjahr absolvierte Duzdar 2006/2007 am Bezirksge- richt Mödling und am Arbeits- und Sozialgericht Wien. Seit November 2012 arbeitete sie als selbstständi- ge Rechtsanwältin. Politische Funktionen bekleidete sie als Bezirksrätin in Wien-Donaustadt (2001—2004) und von 2010 bis 2012 als Bundesrätin. Wiener Land- tags- und Gemeinderatsabgeordnete war sie seit 19. November 2012. © Reinhard Engel

wına-magazin.at 7 Interview Diversität

Staatssekretärin Muna Duzdar. „Man sollte immer sachlich bleiben und sich nicht auf dieses emotionale Niveau einlassen.“

Haben Sie als gebürtige Wienerin mit palästinensischen Wur- zeln je Diskriminierung erfahren? ❙ Ich habe früh wahrgenommen, dass ich aus einer Migranten- familie komme. Ich habe schon im schulfähigen Alter gewusst, dass ich anders bin und nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehöre. Als Kind möchte man so sein wie die anderen Kinder. Als Er- wachsener ist das vielleicht manchmal anders. Aber als Kind war es schon eine besondere Erfahrung, diesen kulturellen Konflikt durchleben zu müssen.

beharrlich gestreut, bis sie als Wahrheit gelten. Und selbst wenn Erinnern Sie sich an negative Erlebnisse? ❙ man es richtigstellt, ist der Schaden schon angerichtet. Konkrete Erlebnisse nicht, aber ich habe mir oft überlegt: Wo gehöre ich eigentlich hin? Sich damit zu beschäftigen, kann für Denken Sie da an ein konkretes Beispiel? die Persönlichkeitsentwicklung sehr bereichernd sein. Letztlich ❙ Erstens geht es nicht an, dass man wichtige Institutionen dis- zur Erkenntnis zu kommen, dass es etwas Schönes ist, zwei Kul- kreditiert, indem man die Medien als „Lügenpresse“ und den turen in sich zu tragen. Es muss kein Konflikt und kein Wider- Staat einfach als „Lügenstaat“ diffamiert. Es wird versucht, neue spruch sein. Im Gegenteil: Es geht darum, diese Elemente in Wahrheiten, fiktive Parallelwelten zu schaffen. Das hat sich am sich zusammenzuführen und sich auch als Vermittlerin zu se- Beispiel der Flüchtlingsbewegung gezeigt. In Deutschland wurde hen. Das kann man sehr positiv kanalisieren und dieses Poten- sie als Einfallstor für rechtsextreme Gruppen genützt. Da wurden zial auch sehr stark nutzen. permanent und systematisch Bilder vom „gefährlichen Flücht- ling“ projiziert. Wir sehen, wo die Hasskultur hinführt: Die Ge- Wann hat Ihr Interesse an Politik eingesetzt? Wo sind Sie politi- walt der Worte führt zur Gewalt der Taten. siert worden? Schon zu Hause oder erst in der Sozialistischen Jugend? ❙ Hängt Ihre Anzeige gegen FPÖ-Obmann Strache damit zu- Ich bin schon zu Hause politisiert worden, wir haben in der Fa- sammen? milie immer über Politik geredet. Aber ich kam früh, schon mit ❙ Am Tag meiner Angelobung hat er mir beim Runden Tisch 16 Jahren, in die Sozialistische Jugend. Eine Schulkollegin hat im ORF unterstellt, dass ich Leila Khaled eingeladen habe. Ich von meinem Interesse gewusst, auch mein Klassenvorstand hat habe mit der Veranstaltung nichts zu tun gehabt, ich kenne Leila gesagt, ich hätte ein politisches Bewusstsein. Ich habe damals gar Khaled nicht. Deshalb habe ich auf Unterlassung und Wider- nicht richtig verstanden, was sie meinte. Heute weiß ich es, und ruf geklagt, weil ich das nicht zulasse, dass ich in die Nähe des die SJ war auch genau das, was ich immer gesucht habe: Disku- Terrors gerückt werde. tieren, reden, sich austauschen, da fühle ich mich wohl. Vor allem ging es in der SJ sehr stark um das Engagement gegen Rassis- Der Bereich Religionsgemeinschaften, also das Kultusamt, fällt mus und Ausländerfeindlichkeit, und das hat mich angesprochen. in Ihren Bereich. Sie waren bereits zwei Wochen nach Ihrer An- gelobung zu Besuch beim Präsidium der Israelitischen Kultus- Sie haben schnell Karriere innerhalb der SJ gemacht. ❙ gemeinde. Was stand da auf der Agenda? Da wir eine bessere Welt schaffen wollten und mir dieses Ge- ❙ Das war mein Antrittstermin, es war ein erstes Kennenlernen. fühl der internationalen Solidarität sehr gut gefallen hat, war ich Die problematische Entwicklung von antisemitischen Über- schnell auch Teil der Internationalen Jugendgruppen und Netz- griffen hat mich sehr interessiert, und werke. Mit 20 Jahren wurde ich zur Vizepräsiden- da habe ich aktiv nachgefragt. Wir ha- tin der Sozialistischen Jugend-Internationale ge- ben sehr viel darüber gesprochen, da „Die Straßen Wiens wählt. Ende der 90er-Jahre waren wir in Palästina auch eine sehr berechtigte Sorge vor- und in Israel und haben palästinensische und is- handen ist. Wir haben uns auch über sind stark mit raelische Jugendorganisationen getroffen. Es war Integration ausgetauscht, wie wichtig es der jüdischen uns wichtig, diese beiden Jugendvertreter zusam- ist, jungen Menschen eine Perspektive menzubringen. Die Jugend der israelischen Ar- zu geben. Denn überall, wo das nicht Geschichte ver- beiterpartei und jene von Meretz sind beide Mit- gelingt, wird der Nährboden für anti- knüpft, und die glieder der International Union of Socialist Youth semitische und rassistische Tendenzen (IUSY) gewesen. Wir haben eine fact-finding mis- aufbereitet. Wir haben viele Themen ge- kulturelle Vielfalt sion gemacht und dachten, dass wir jetzt Frie- streift und überlegt, ob wir etwas ge- prägt die Stadt den schaffen werden. Damals war so eine posi- meinsam gegen Hetze und Antisemi- tive Stimmung. Wir haben auch Shimon Peres tismus machen können. bis heute.“ öfters getroffen. © Reinhard Engel

8 wına | August 2016 Gesellschaft Zusammenhalt

Gab es zwischen den Jungen eine Annäherung? Haben Sie mit- Was möchten Sie, dass man nach dieser Legislaturperiode über einander kommuniziert? Sie sagt und schreibt? ❙ ❙ Ja, sie mussten miteinander reden. Nach den weltweiten Kon- Ich möchte etwas zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft ferenzen mussten wir uns dann auf ein gemeinsames Positi- beitragen. Vor allem von dem „Wir und die anderen“ wegkom- onspapier einigen, und da wurde immer lang herumgestritten, men. Damit hängt auch mein großes Interesse an der Geschichte was kommt hinein, was nicht. So habe ich auch auf internati- Wiens und insbesondere des jüdischen Wiens zusammen. Es ist onaler Ebene politische Erfahrung gesammelt. doch unglaublich, dass wir heute noch von diesem kulturellen Exportschlager leben, der durch den vielfältigen jüdischen intel- Wie lange waren Sie in der IUSY aktiv? lektuellen Reichtum entstanden ist. Ich gehe durch die Straßen ❙ Bis 2004, danach habe ich nicht wieder kandidiert. Ich bin Wiens und schaue mir an, wer wo gelebt, gearbeitet hat: All diese dann nach Brüssel gegangen und habe zuerst bei EU-Abge- Künstler, Musiker, Literaten wie Arthur Schnitzler, Franz Wer- ordneten Herbert Bösch gearbeitet und anschließend in Pa- fel, Gustav Mahler, sie sind es, wofür ich Wien liebe und schätze. ris ein Master-Studium absolviert. Gleichzeitig habe ich an Der aktuelle Stefan-Zweig-Film, Vor der Morgenröte, hat mir sehr Schulen in Pariser Vororten als Fremdsprachenassistentin für gut gefallen. Es ist ein trauriger und bedrückender Film, der den Deutsch unterrichtet. In den Sommermonaten jobbte ich bei Konflikt zeigt, den Zweig als patriotischer Österreicher in sich der Sozialistischen Partei Frankreichs, damals war François getragen hat. Er wollte nichts Schlechtes aus Brasilien über sein Hollande der Vorsitzende (premier secrétaire). Und während Land schreiben, aber es hat ihn zerfressen zu sehen, wozu dieser des EU-Referendums 2005 konnte ich spannende Debatten Menschenhass führte, nämlich zu der schrecklichen, systema- in der Partei aus der Nähe beobachten. tischen Vernichtung von Menschen. Die Straßen Wiens sind stark mit der jüdischen Geschichte verknüpft, und die kulturelle Welche Funktion haben Sie derzeit in der Palästinensisch- Vielfalt prägt die Stadt bis heute. Diese Epoche ist auch ein we- Österreichischen Gesellschaft? Und was sind deren Ziele? nig mein Vorbild, wenn man sieht, wie viel kultureller Reichtum ❙ Ich bin Präsidentin dieses kleinen Kulturvereins, der jetzt in geschaffen wurde und wie viel Potenzial vorhanden ist, wenn den Medien so hochgespielt wird. Wir setzen verstärkt Ak- Kulturen ineinander aufgehen und viel Schönes hervorbringen. zente im kulturellen Bereich. Unsere letzte Veranstaltung im November war ein Konzert von Le Trio Joubran. Das sind drei palästinensische Brüder, die auf der Laute spielen und in Frankreich und weltweit auftreten. Es geht uns darum, etwas Positives für Palästina zu machen, aber es ist uns nie darum gegangen, Politik gegen Israel zu machen. Wir wollen Kunst und Kultur in den Mittelpunkt rücken, damit nicht alles im- mer nur so negativ rüberkommt.

Steht dieser Verein, stehen Sie zum Existenzrecht des Staa- tes Israel? ❙ Ja, selbstverständlich, das ist nie infrage gestellt worden. Es ging nie darum, Israel infrage zu stellen. Wir stammen aus pa- lästinensischen Familien, sind in Österreich aufgewachsen, und wir wollen gemeinsam Aktivitäten setzen, um in erster Linie ein bisschen das Positive hervorzustreichen.

Auf der Website der Gesellschaft heißt es „under construc- tion“, daher konnte ich die Statuten nicht einsehen. ❙ Im Statut steht, dass wir kulturelle Aktivitäten machen und auch im Bereich Integration etwas tun.

Wie geht es Ihnen als Frau bei Verhandlungen mit großteils männlichen Vertretern des öffentlichen Dienstes? ❙ Ich habe Fritz Neugebauer schon kennengelernt und hatte ein sehr nettes Gespräch. Als Rechtsanwältin bin ich das Ver- handeln gewohnt. Aber ich kenne das aus meinem beruflichen Leben: Man wird als Frau oftmals unterschätzt. Das ist aber © Reinhard Engel manchmal kein Nachteil.

wına-magazin.at 9 Austria vs. rapid

„Einen Dreck haben sie im Griff“ Bei Fanrivalitäten zwischen Anhängern von Austria und Rapid kommt immer wieder Antisemitismus ins Spiel. „dann spielt das doch mit dem Code“, so Von Alexia Weiss Betrachtungen zu einem die Einschätzung Spitalers. enn man die Donau- judenfeindlichen Graffito Das bestimmende Stereotyp der Riva- felder Straße, vom Ka- in Wien-Donaustadt. lität der Fans dieser beiden Fußballclubs graner Platz kommend, geht bis in die Zwischenkriegszeit zurück: Richtung Veterinärme- Rapid als Arbeiterclub auf der einen und dizinische Universität entlangspaziert, die Austria als Judenclub auf der ande- Wspringt einem Verstörendes ins Auge: ren Seite. Wenn man in die Tiefe geht, An der Wand eines alten einstöckigen löst sich das zwar alles auf, denn jüdische Hauses, eines jener, die in diesem Do- Funktionäre gab es auch bei Rapid. Aber naustädter Viertel derzeit in atemberau- der Mythos besagt: Austria, das ist der bendem Tempo mehrstöckigen Neubau- Judenclub. ten weichen, haben sich rivalisierende „Die Austria war ein sogenannter City- Fußballfans eine Auseinandersetzung in club“, erläutert dazu Spitaler. Auch wenn mehreren Schichten Farbe geliefert. Im in der Vorstadt gespielt wurde, seinen Sitz Zentrum des Graffito prangt ein David- hatte der Ende 1910 gegründete Verein, stern – wobei die Bezeichnung Magen der damals noch Wiener Amateur-Sport- David eine positive Intention vermuten sen jagen und der Judenstern – das ist ein verein hieß, in einem Innenstadt-Kaffee- ließe. Nennen wir es lieber beim Namen: anderes Niveau“, meint ein langjähriger haus. Hier wurden Spieler auch aus dem Da wurde ein Judenstern hingeschmiert. Austria-Fan. Ausland verpflichtet, aus Ungarn zum Groß. Von Weitem sichtbar. Und die Beispiel. „Das war einerseits positiv be- Phrase „Hasen jagen“ gleich dazu. Und Georg Spitaler, Politikwissenschafter setzt, denn dadurch war die Austria er- die Zahl 88. Nun heißt es, die einzelnen und Co-Herausgeber des 2014 erschiene- folgreich, aber eben auch negativ: Die Ebenen auseinanderzudröseln. Wie ist nen Bandes Fußball unterm Hakenkreuz in Juden kaufen sich den Erfolg, hieß es.“ das alles gemeint? Ist das Ausdruck von der „Ostmark“, sieht auch die Zahl 88 nicht Rapid dagegen, schon 1898 als Erster Fankultur, Bandenrivalität oder manifes- ganz unproblematisch. 1988 wurde die Wiener Arbeiter-Fußball-Club gegrün- tem Rechtsextremismus und Antisemi- Fangruppe Ultras Rapid gegründet. Und det, war der prominenteste Vorstadtver- tismus im öffentlichen Raum? darauf beruft sich die Fangemeinschaft ein und galt als bodenständig: Man setzte Die Fakten: Hier waren Anhänger auch, wenn man ihr vorhält, das könnte auf den eigenen Nachwuchs. vom FK Austria Wien sowie vom SK Ra- ebenso als Code für „Heil Hitler“ (8 steht Der Mythos verfestigte sich nach der pid Wien am Werk. Die antisemitische für den achten Buchstaben im Alphabet NS-Zeit, als der frühere Austria-Präsi- Ebene hat nachweislich ein Anhänger und das ist eben das H) gelesen werden. dent Emanuel Michael (genannt: Michl) des Fanvereins Ultras Rapid beigesteuert. So klar ist das für Spitaler in diesem Kon- Schwarz aus Frankreich, wo er, in Paris Er führte dabei fort, was Generationen text aber eben nicht. „Wenn man die Ult- versteckt, überlebt hatte, nach Wien zu- von Fans vor ihm getan haben: die Aust- ras anspricht, werden sie sagen: Das ist ja rückkehrte – und neuerlich den Violet- ria als Judenverein zu beschimpfen. Und gar nicht so gemeint. Das ist unser Grün- ten vorstand. Der Mediziner war zudem dennoch räumen Szenekundige ein: Die- dungsdatum.“ Allerdings wurde vor ei- Sportarzt der Fußballer. Bis 1955 hatte ses Graffito hat eine neue Qualität. „Ich niger Zeit genau deshalb auf offiziellen er die Präsidentschaft inne. Auch spä- sage es ganz salopp: Wenn der ‚Austria- Fanartikeln und Publikationen der Apo- tere prominente Funktionäre waren jü- ner, ihr Saujuden‘ draufgeschrieben hätte, stroph vor der Zahl eingeführt, wie Stern disch: Leopold Böhm, der die Textilkette dann wäre das traurig gewesen, aber auf bestätigt. Wird die Zahl 88 – wie bei dem Schöps betrieb, war etwa in den 1970ern einem low level okay. Aber hier werden Graffito – ohne den Apostroph eingesetzt, Präsident des Klubs. Der Auschwitz-

andere Begrifflichkeiten verwendet: Ha- Überlebende Norbert Lopper, der erst und Daniel Shaked © Alexia Weiss

10 wına | August 2016 Hasen jagen und Judenstern

vergangenes Jahr verstarb, grün- Stadionverbot. Von jüdischen Fans dete 1953 den ersten Anhänger- wird dieses Vorgehen als vorbild- club der Austria. Drei Jahre später lich betrachtet – wogegen man Ra- wurde er Klubsekretär des Vereins, pid vorhält, hier nicht ähnlich rigo- was er 28 Jahre blieb (und in die- ros vorzugehen. ser Zeit zum Beispiel Herbert Pro- haska verpflichtete). Ernst Stern besucht Rapid-Spiele, „Die Austria als Judenschweine seitdem er ein kleines Kind ist. Die zu beschimpfen, war in der ju- Familie hatte einen Garten am Satz- gendlichen Fanszene zum Beispiel berg, und alle zwei Wochen ist sein in den Siebzigern und Achtzigern Vater mit ihm hinunter zur Pfarr- ein gängiger Chant“, so Spitaler. wiese gegangen, wo Rapid spielte. Chants sind Fangesänge, die für „Ich habe da alle Koryphäen spie- Stimmung im Stadion sorgen. „Ju- len gesehen – von Ernst Happel denschweine“ wird man heute im über Max Merkel bis zu Gerhard Rahmen der offiziellen Choreogra- Hanappi und Erich Probst.“ Er fien in der Fankurve nicht mehr hö- erinnert sich, dass sein Vater da- ren oder auf Transparenten sehen. mals immer wieder „ein paar Wi- „Auf dem Weg zum Derby in der ckel gehabt“ habe, denn „es gab öf- U-Bahn oder in der Umgebung des ter besoffene Krakeeler, vor allem Stadions ist das manchmal schon eben bei Matches gegen die Aus- anders“, erzählt der Politikwissen- tria, die Antisemitisches von sich schafter. gegeben haben. Das war aber eine Es gehe ja darum, die Anhän- Minderheit, das waren meist stock- ger des gegnerischen Vereins zu är- besoffene Trottel. Das hat keinen gern. Antisemitische Beschimpfun- Widerhall im Publikum gefunden gen hätten dabei, wenn es um die und war nicht organisiert.“ Austria geht, nicht nur Tradition, Später, Anfang der 1980er- sondern sie kämen auch garantiert Jahre, war das dann anders. Im an: Die so Angesprochenen sind ge- Weststadion seien zunehmend Ak- nervt. Es gibt aber auch noch eine tivitäten der Neuen Rechten aufge- andere Dimension: Auch in den fallen, „antisemitische Zwischen- Reihen der Austria-Fans gibt es Ultra-Fans von Rapid rufe und auch Sprechchöre. Und rechtsextreme Anhänger, oft Hooligans. und Austria liefern sich in es wurde immer mehr, immer ärger. Im „Sie kann man damit besonders ärgern.“ der Donaustadt sichtbare Stadion und auch danach hörte man Ein Zusammenschluss besonders rechter Auseinandersetzungen. ‚Scheißjuden‘, ‚Auschwitz‘, ‚ins Gas‘.“ Gemeinsamer Feind: die Fans, darunter auch Skinheads und Hoo- Polizei – ACAB steht für All Stern setzte sich mit seiner Leica auf ligans, findet sich beim Club Old School Cops Are Bastards. die Südtribüne und fotografierte jene Austria Wien – Unsterblich. Hier hat der Gruppe auf der Westtribüne, von der Verein allerdings vor zweieinhalb Jahren diese Dynamik ausging. Die vergrö- einen radikalen Schritt gemacht: Dem ßerten Aufnahmen sollten zeigen, dass Club wurde der Fanclubstatus aberkannt, der Drahtzieher der inzwischen mehr-

© Alexia Weiss und Daniel Shaked © Alexia Weiss und seine Mitglieder erhielten kollektives fach verurteilte Rechtsextreme Gottfried

wına-magazin.at 11 Hooligans VS. Ultras

Die Liebe zu Grün- Weiß weitervererbt: Ernst Meir Stern und Sohn Albert sind eingefleischte Rapid- Fans.

Mannschaft in der Stiegl-Ambulanz am und Antisemitismus auf das Feld gelau- AKH-Campus fotografiert wurde, hatte fen. „Und es wurden Flugblätter verteilt.“ tatsächlich versucht, Anfang der 1980er- Seit Ende der 1980er hatten eben die Jahre – also noch vor der Waldheim-Zeit Ultras Rapid immer mehr an Einfluss ge- – in der Rapid-Anhängerschaft zu rek- wonnen. Albert Stern schätzt die Zahl rutieren. „Die Fankultur damals war ins- ihrer Anhänger auf etwa 1.000. Die Ul- gesamt schon ziemlich rechts“, erläutert tra-Bewegung geht von Italien aus und Spitaler. „Das war eine Mischung aus ist inzwischen in ganz Europa verbrei- Nationalismus, harter Männlichkeit, tet. Während es in anderen Ländern pro- Ausländerfeindlichkeit.“ noncierte linke Ultras und rechte Ultras Da gab es etwa dieses eine Trans- gibt, sieht man sich in Österreich offiziell parent mit der Aufschrift „Deutscher als unpolitisch, de facto gibt es aber viele Meister“, das aufgehängt wurde. Ra- Rechte in ihren Reihen. „Ultras sind vor pid war in der NS-Zeit 1941 deutscher allem Territorialität, Ehre, die Farben des Meister geworden. Küssel war mit sei- Clubs wichtig“, so Spitaler. ner Mission aber nur mäßig erfolgreich, Im Gegensatz zu Hooligans, denen es erläutert Spitaler und verweist auf einen vorrangig um Gewalt geht und die wäh- Rapid-Anhänger von damals, der dem rend eines Spiels eher am Buffet stehen Aufruf von Küssel zunächst gefolgt war. als in der Fankurve, Bier trinken und der „Die Fans waren eher erlebnisorientiert. dritten Halbzeit – also der Schlägerei im Alkohol, Schlägern und Provokation wa- Anschluss an das Spiel – entgegensehen, „Egal ob Rechtsex- ren wichtig. Küssel wollte aber eine or- steht bei den Ultras der Support des Ver- treme, die Anarcho- ganisierte Truppe. Darauf haben die aber eins während des Spiels im Vordergrund. nicht wirklich Lust gehabt. So wurde da- Da werden aufwendig Transparente ge- szene, die Islamisten: raus keine dauerhafte Allianz.“ malt, Chants einstudiert, Choreogra- Sie haben gar nichts fien entworfen. Die Chants können da „Das ist eine Schande.“ Ende der durchaus mit Schimpfworten gespickt im Griff.“ Ernst Meir 1990er-Jahre kam es erneut zu antise- sein. Oder von Hass geleitet. „Tod und Stern, Journalist mitischen Ausritten bei Rapid-Spielen. Hass dem FAK“, lautet etwa ein gängi- Ernst Stern ergriff, inzwischen mit sei- ger Spruch, der sich auch im Straßenbild nem Sohn Albert, den er ebenfalls von in gesprayter Variante wiederfindet. Muss klein auf ins Stadion mitgenommen das sein? Das gehöre eben zur Fankul- hatte, erneut die Initiative. Er schickte tur dazu, betont Albert Stern. Und auch ein Fax an Trainer Josef („Pepi“) Hi- Spitaler gibt zu bedenken: „Dieses an- Küssel war. Stern übergab die Aufnah- ckersberger. „Zwei Tage später kam der tagonistische Moment, dieses Hassmo- men dem damaligen Innenminister Er- Anruf“, erinnert sich der Vater. „Er hat ment ist ein zentraler Teil, wie Fanarbeit win Lanc. „Der ist rot angelaufen – dem damals gesagt: Sie haben vollständig verstanden wird. Die Leidenschaft, die war das peinlich.“ Warum? „Weil seit eh Recht, das ist eine Schande.“ Hickers- ins Spiel eingebracht wird, bedeutet eben und je die Behörden immer wieder sagen, berger riet, mit Rapid-Fanbetreuer Andy auch, dass man den Rivalen hasst.“ wir haben alles im Griff. Egal ob Rechts- Marek Kontakt aufzunehmen. An den Während der Hooligan unter der Wo- extreme, die Anarchoszene, die Islamis- darauf folgenden Gesprächen nahm vor che zu seinem Alltag zurückkehrt, ist das ten: Sie haben gar nichts im Griff.“ Das allem Albert Stern teil, er ist heute Mit- bei einem Ultra-Fan anders. Ein Ultra sei bis heute so. glied des Fanclubs Rapid M@ilers. „Da lebt sein Fantum rund um die Uhr: Die Küssel, der derzeit für seine Mitver- saßen auch die Ultras mit am Tisch, und bevorzugten Marken, wie Burberry oder antwortung für die rechtsextreme Web- wir haben sehr brauchbare Gespräche Fred Perry, werden auch im Alltag ge- site alpen-donau.info in Haft ist, kürzlich geführt. Und es hat gefruchtet. Der Ver- tragen. Gewalt spielt allerdings auch in aber erneut in die Medien kam, weil er ein hat Druck ausgeübt und sich bemüht der Ultra-Szene eine Rolle: Hier gibt gemeinsam mit einem Identitären-Sym- und darauf geschaut, dass es zu nichts es „ausgemachte Partien“, Rivalitäten pathisanten im Zuge einer seiner Frei- Weiterem kommt.“ Schon kurz darauf werden ohne Polizei – also im direkten gänge beim Public Viewing eines Eu- sei die Rapid-Mannschaft mit einem Kampf – geregelt. Ultra-Fanclubs gibt ropameisterschaftsspiels der deutschen langen Transparent gegen Rassismus es nicht nur bei Rapid, sondern auch bei © Daniel Shaked

12 wına | August 2016 Rivalität mit Folgen

Georg Spitaler hat das Buch Fußball unterm Hakenkreuz in der „Ostmark“ mithe- rausgegeben und ist ein Kenner der Szene.

der Austria und anderen Vereinen. Wo- Das falle nicht in die Verantwortung des bei es dem Experten wichtig ist zu beto- Vereins, meint Albert Stern. „Wo es viele nen: „Die Fanszene ist nicht durchgän- Menschen gibt, gibt es viele Meinungen. gig rechts. Es gibt auch Linke. Die treffen Und was außerhalb des Stadions passiert, einander dann auf den gegnerischen Sei- ist nicht mehr Sache von Rapid.“ Sein ten der WKR-Ball-Demo.“ Vater sieht die Verantwortung bei der Umgekehrt kämpfen eingefleischte gesamten Gesellschaft: „Das hängt mit Austria- und Rapid-Ultras nicht nur der allgemeinen Brutalisierung der Ge- gegeneinander, sondern manchmal auch sellschaft zusammen. Ich habe weniger miteinander. Im (nicht offiziellen) Bünd- Angst vor den Politikern der FPÖ als vor nis Eisern Wien wird dann zum Beispiel ihren Wählern. Durch das Erstarken der gemeinsam gegen auswärtige Fanclubs Partei kommen die ganzen Würmer aus gefightet. Aber auch in anderem Kon- den Löchern, und das äußert sich in so- text sind Ultras und Hooligans Seite an zialen Medien und Graffiti. Sie werden Seite zu sehen: dann, wenn es um „nicht frecher. Sie dünken sich stärker. Weil sie fußballbezogene Themen geht“, wie es ein glauben, sie sind mitten in der Gesell- langjähriger Beobachter der Szene for- schaft angekommen. Früher waren sie muliert. „Da sieht man sie gemeinsam bei Außenseiter.“ den Identitären oder Pegida. Das ist dann Spitaler meint, „im Moment habe ich sozusagen für die gute Sache.“ Und so den Eindruck, es gibt noch ein bisschen schließt sich doch wieder der Kreis. So den Konsens, im Stadion nicht an der unpolitisch im Stadion alles zugehen mag FPÖ anzustreifen. In der Kurve gibt es „Jüdische Funktionäre – außerhalb ist es das nicht. noch keine offene Allianz. Aber wenn gab es auch bei Rapid. Aber Die Austria hat mit dem Stadionver- sich die politischen Verhältnisse ändern, bot für Unsterblich genau dieses rechtsex- dann weiß ich nicht, ob sich das hält.“ der Mythos besagt: Austria, treme Engagement sanktioniert. Bei Ra- Außerhalb des Stadions sieht das na- das ist der Judenclub.“ pid gibt es nach Ansicht Spitalers keine türlich anders aus. Und selbst wenn die Fangruppe, die derart rechts angesiedelt Austria hier nur als Synonym für Juden Georg Spitaler, ist, was aber nicht heiße, dass alles ei- gebraucht wird und der Antisemitismus Politikwissenschafter tel Wonne sei. Rapid habe seine NS-Ge- sich vielleicht nicht wirklich gegen Ju- schichte allerdings aufgearbeitet (bei der den, sondern eben gegen Austria-An- Austria geschieht dies nun ebenfalls) und hänger richtet, bekommt das Ganze in seinem Museum diesem Kapitel des rasch eine Eigendynamik. Wie bei dem Vereins viel Raum gegeben. „Und natür- Graffito in der Donaustadt. lich ist es ein Thema bei Treffen von Ver- Rapid-Sprecher Peter Klinglmüller Wie aus der Fanszene zu erfahren war, einsleitung und Fanvertretern, weil es am hielt auf WINA-Anfrage fest, der Ver- haben Anhänger beider Vereine die An- Ende allen schadet.“ ein distanziere sich ganz klar von jeg- gelegenheit inzwischen auf ihre Weise ge- Ultras würden aber unabhängig agie- licher Diskriminierung und damit ver- klärt: Es fand ein Kampf statt. Eine An- ren und sich nicht gerne von jemandem bundenen „antisemitischen oder ähnlich zeige bei der Polizei ist in dieser Szene

etwas sagen lassen – auch nicht vom verabscheuungswürdigen Einstellungen keine Option: ACAB lautet das Motto – David Forster, Verein. Dazu komme, dass immer neue, oder Handlungen“. Für Graffiti sei aber All Cops Are Bastards. Die Buchstaben- Georg Spitaler, jüngere Fans nachkommen, die jenen, ein Verein nicht verantwortlich zu ma- kombination wurde auf ein anderes Haus Jakob Rosen- berg (Hg.) die schon länger dabei seien, vorwerfen chen – und damit auch nicht für deren in der Donaufelder Straße gesprayt, gleich Fußball unterm würden, bereits „verhabert“ zu sein. Rapid Entfernung. Man versuche aber im Rah- daneben der Schriftzug von Gioventù, der Hakenkreuz in der „Ostmark“ schätze zudem die Fans, die während der men der Fanarbeit auf Anhänger einzu- Jugend der Rapid-Ultras. Rivalitäten re- Die Werkstatt, Spiele für gute Stimmung sorgen würden. wirken, damit ungesetzliche Handlun- gelt man also unter sich. Damit kann der 352 S., € 29 Da würde dann gerne über einiges hin- gen, die in Verbindung mit dem SK Verantwortliche aber nicht nach rechts- weggesehen. Rapid gebracht werden könnten, unter- staatlichen Standards zur Verantwor- Wer fühlt sich also nun für Graffiti lassen würden, „weil diese – wie auch Ihre tung gezogen werden. Und so verbreitet wie jenes in der Donaustadt verantwort- Mail beweist – schlussendlich dem Klub das Graffito weiterhin gut sichtbar seine © Daniel Shaked lich? Wer forscht den oder die Täter aus? Schaden zufügen.“ antisemitische Botschaft. 

wına-magazin.at 13 „Israel ist eben nicht irgendein Land“ Peter Florianschütz ist neuer Präsident der Österreichisch- Israelischen Gesellschaft (ÖIG). Der versierte Wiener Gemeindepoliti- ker und Gewerkschaftsfunktionär ist seit Jahrzehnten ein bekennender Zionist, erklärt er im Gespräch mit Anita Pollak.

❙ WINA: Woher kommt biografisch Ihre Zu sagen, man ist ein Zionist, stößt Beziehung zu Israel? meist auf völliges Unverständnis, weil Peter Florianschütz: Schon in mei- fast niemand weiß, was das ist. Mit Israel ner katholischen Schule hat mich das solidarisch zu sein, das geht und kommt Thema Judentum interessiert. Über die auch bei vielen jungen Leuten gut an, Beschäftigung mit der Schoah und dem polarisiert aber auch. Die meisten haben Antisemitismus habe ich auch eine Be- ja überhaupt keine Beziehung, höchs- ziehung zu Israel bekommen und mich „Die ÖIG ist eine tens über den Nahostkonflikt, und der dann unter Anleitung von Rudi Gelbard polarisiert natürlich auch. zu einem Zionisten entwickelt. Dem Organisation von vor- ÖIG gehöre ich schon lange an und wiegend nichtjüdischen Die Gesellschaft ist auf Basis von Eh- bin, als sich ein Generationswechsel ab- renämtern aufgestellt. Wie präsent zeichnete, zuerst Kassier und jetzt Prä- Menschen, die zu kann man da im öffentlichen Leben sident geworden. sein, und wie finanziert sich die ÖIG? Israel stehen.“ ❙ Es gibt einen achtköpfigen Vorstand Wie gut kennen Sie das Land? mit Generalsekretärin Susi Shaked, die ❙ Ich kenne das Land relativ gut, war si- mich unterstützt, und mit Inge Dalma, cher schon 15-mal dort und habe auch die die Zeitung Schalom macht, weiters Freunde dort. Bevor ich Präsident der ÖIG wurde, war ich be- einen Beirat, in dem auch prominente Personen sitzen, u. a. Lotte reits Präsident von Givat Haviva in Österreich. Das ist ein zio- Tobisch und Ulrich Habsburg. Ich habe einen Brotberuf im Be- nistisches Friedensprojekt zwischen Juden und Palästinensern, reich des ÖGB und der Arbeiterkammer, tue mir aber als Berufs- wobei uns das Wohl Israels als jüdischer Nationalstaat mehr am politiker mit Netzwerken in vielem leichter, etwa was die Pres- Herzen liegt. searbeit betrifft. Wir haben weit über 500 zahlende Mitglieder und bekommen Förderungen von der öffentlichen Hand etc., Ihr Vorgänger Richard Schmitz ist ÖVP-Mitglied, Sie sind ein wir kommen durch. in der Wolle gefärbter Roter. Schlägt sich da eine Art Parteien- Proporz nieder? Wie verstehen Sie die Aufgaben der ÖIG und Ihren eigenen ❙ Nein. Die ÖIG ist ja eine Organisation von vorwiegend nicht- Aufgabenbereich? ❙ jüdischen Menschen, die zu Israel stehen und solidarisch sind. Unsere Aufgabe ist Solidarität mit Israel und Inschutznahme Is- Bei der Gründung durch Otto Probst hat man sich entschlos- raels gegen antisemitische Angriffe. Das Existenzrecht des Staa- sen, dass die beiden damals großen Parteien das tragen sollten, tes darf nicht gefährdet werden, auch in seinem Charakter als jü- und so erben wir das. Mein Vizepräsident ist Markus Figl von discher Nationalstaat in aller Pluralität, mit allen Rechten für die der ÖVP, der Bezirksvorsteher des ersten Bezirks. Angesichts der arabische Minderheit, deshalb sind wir definitiv für eine Zwei- veränderten politischen Landschaft müsste man sich überlegen, Staaten-Lösung. Wir wollen Israel als das präsentieren, was es ob das nicht verbreitert werden sollte, nur kommt das momen- ist, ein „ganz normales“ demokratisches Land im Nahen Osten tan dritte Lager, die FPÖ, für die ÖIG natürlich nicht infrage. mit Stärken und Schwächen, das man auch kritisch sehen kann. Es ist ein schönes Land, mit großer Kultur und Geschichte, ein Wie schwer ist es denn heute, solidarisch mit Israel und be- Hightechland, Start-up-Nation number one in der Welt. Seine

kennender Zionist zu sein? Gegner wollen Israel ausschließlich als ein Land im Krieg dar- © Konrad Holzer

14 wına | August 2016 interview mit Peter Florianschütz

Peter Florianschütz, Wiener, Jahrgang 1960, ist von Jugend an in der SPÖ und in der Gewerkschaft in verschiedenen Funktionen tätig. Seit 2007 ist er als Landtagsabgeordneter und Gemeinderat u. a. in den Berei- chen Integration, Jugend, Bildung und Wohnen engagiert. Er gehört dem Freundeskreis von Givat Ha- viva und der ÖIG an, deren Präsi- dent er seit Mai ist. Florianschütz ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

stellen. Wir glauben, dass Israel seit seiner Gründung zu Unrecht angegriffen wird.

Wie schwierig ist es zurzeit, Israels Positionen in der ös- terreichischen innenpolitischen Landschaft zu vertreten? ❙ Es gibt eine Strömung, die Israel extrem kritisch gegen- übersteht, das geht von rechts nach links, Israel polarisiert eben. Schwierig ist es dann, wenn irgendetwas geschieht, wie die Gazakriege zum Beispiel. Wir haben aber eine klare Haltung. Wir stehen zum Land, wir unterstützen das is- raelische Volk in seiner Pluralität, aber es ist nicht unsere Aufgabe, permanent die israelische Regierung zu bewer- ten. Es geht uns um die positive Akzeptanz Israels in der Welt, und das ist regierungsunabhängig.

Mit den Juden in Österreich hat das wohl wenig zu tun. gruppen ist zurzeit sehr schlecht, und ich denke, wir werden den Wie ist Ihre Beziehung zur IKG? Nahostkonflikt nicht hier lösen. Mit der Österreichisch-Arabi- ❙ Juden werden weltweit für Israel in Geiselhaft genommen. Aber schen-Gesellschaft ist es deutlich schwieriger, denn sie betreibt Israel ist die jüdische Heimstätte, und daher haben Juden auch in massiv antiisraelische Propaganda, auch mit Mitteln der Un- Wien dazu eine besondere Beziehung. Israel ist eben historisch wahrheit und des Rufmords. nicht irgendein Land. Wir sind aber keine Holocaust-Remem- berance-Agency, obwohl ich selbst auch Mitglied bei Yad Va- Sie haben auch Kontakte zur muslimischen Gemeinde. Sind shem bin. Meine persönlich guten Kontakte zur jüdischen Ge- Sie so etwas wie eine Integrationsfigur? ❙ meinde und zur IKG haben mit der ÖIG nichts zu tun. Ich bin Gemeinderat von Favoriten und war auch schon davor dort für Integrationsfragen zuständig. Diese Kontakte habe ich Gibt es Unterstützung seitens der Botschaft bzw. Kontakt zur behalten, das ist kein Problem. Integrationsfigur bedeutet nicht, Botschafterin? dass man beliebig ist. Ich toleriere auch andere Meinungen, aber ❙ Ja, natürlich. Ich schätze die neue Botschafterin sehr, sie ist die manchmal ohne Freude. Man muss bei Diskussionen mit unter- goldrichtige Vertreterin Israels in Wien. Wir haben einen re- schiedlichen Communitys authentisch sein. gelmäßigen Austausch und finden gemeinsame Lösungen. So wollen wir im Herbst gemeinsam etwas gegen die auch antise- Welche Ziele und Wünsche haben Sie als Präsident für die mitische BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) unternehmen. nächsten Jahre? ❙ Wir wünschen uns natürlich alle einen nachhaltigen Frieden Die Österreichisch-Palästinensische Gesellschaft wird an- im Nahen Osten oder dass zumindest die Spannungen abneh- geführt von Staatssekretärin Muna Duzdar. Gibt es da Be- men. Und dass es uns gelingt, Israel entsprechend zu präsentieren rührungspunkte? und dass sich möglichst viele das Land selbst ansehen. Deshalb ❙ Ich war lange Zeit mit Frau Duzdar im Gemeinderat, und wir bin ich auch ganz vehement für einen Jugendaustausch. Ich weiß kommen aus derselben Partei. Gemeinsamkeiten ergeben sich es ja von mir. Wenn man das erste Mal hingefahren ist, kommt © Konrad Holzer darüber hinaus keine. Das Verhältnis zwischen den beiden Volks- man verändert zurück.

wına-magazin.at 15 Sicherheit von Allen Seiten

wegungen eine spezielle Sicherheitszone einrichten wollte. Dabei handelt es sich um ein soge- nanntes passives System. Das bedeutet, dass keine Radarsignale ausgeschickt wer- den, die die ohnehin schon dichte Kom- munikation am Flughafen stören könn- ten. Magna erkennt die Drohnen mit einem Gerät, das auf mehreren Hoch- Drohnen und Terroristen Israel hat zahlreiche Unterneh- geschwindigkeitskameras basiert. Damit men, die sich auf Sicherheits- können Flugkörper bereits auf eine Ent- technik spezialisiert haben. fernung von einem Kilometer und bis zu Einige aktuelle Beispiele. 200 Meter Höhe präzise erkannt werden, ebenso wenn sie sich im Tiefflug nähern. Magna spricht von einer „detection rate“, einer Erkennungsrate von 99,9 Prozent. Vor allem könne das System klar zwi- schen mechanischen Drohnen und Vö- geln unterscheiden, ärgere also seine Be- Horrorszenario einer via Drohne in ein treiber nicht mit zahlreichen Fehlalarmen. Von Reinhard Engel Fußballstadion oder einen Flughafen- Überdies funktionieren die Kameras bei ie Zeiten, als Drohnen dem Terminal eingeflogenen Bombe ist zwar Tag und Nacht und auch in widrigen Militär und der Polizei vor- noch nicht eingetroffen, wird aber von Si- Wetterbedingungen. behalten waren, sind vorbei. cherheitsbehörden ernsthaft befürchtet. Magna hat mit solchen Kameras und Zuerst nutzten das US-Militär Es ist daher logisch, dass sich öffent- den dazugehörigen Softwareprogram- und die israelische Armee die liche Stellen und private Firmen inten- men bereits reichhaltige Erfahrung. Be- unbemannten Flugzeuge zur Auf- siv mit der Erkennung und Abwehr von gonnen hatte es mit der Sicherung von klärung sowie zu gezielten punktuel- Drohnen befassen. Die Bandbreite reicht Zäunen staatlicher Einrichtungen oder len Angriffen. Heute filmen längst Mini- von der Entwicklung von Defensivflug- großer Unternehmen. Schon da ist wich- Drohnen Hollywood-Stars im Auftrag körpern, die Angreifer mit Netzen ein- tig, dass nicht jeder vorbeilaufende Fuchs der Yellow Press in den Parks ihrer Vil- fangen sollen, über die Schulung von oder Schakal einen Alarm auslöst. Und len oder durch die Fensterscheiben ihrer Greifvögeln, denen die kleinen Flugkör- das Unternehmen baute sukzessive die Luxusappartements. Versandhäuser wie per leichte Beute sind, bis zum elektroni- Reichweite seiner Beobachtungen aus, Amazon testen Drohnen für die künf- schen Stören der Kommunikations- und man filmte nicht mehr nur den Zaun tige Zustellung von kleinen Paketen. Und Steuerkanäle der Drohnen, um sie um- selbst, sondern schon das Vorfeld, um im an der ungarisch-serbischen Grenze, be- zulenken oder zur Landung zu zwingen. Ernstfall früher alarmieren zu können. richtet die ungarische Polizei, spähen Das dürfte auch das Ziel der Ingeni- Schlepper schon systematisch aus, wo Pa- eure der israelischen Sicherheitstechnik- Sicherheit am Land und im Was- trouillen unterwegs sind und wo sie ihre firma Magna BSB * sein, auf deren Web- ser. Noch einmal schwieriger war diese Kunden leicht ins Schengenland schmug- site vom „Neutralisieren“ der Drohnen zu Unterscheidung bei der Absicherung von geln können. lesen ist. Mehr geben sie Fremden nicht Hafenanlagen oder Einrichtungen der Freilich sind die ungesetzlichen Ein- bekannt. In den israelischen Medien zu Marine gegen die Meerseite hin. Denn satzmöglichkeiten noch viel größer. Bei- lesen war allerdings von der Drohnener- die Wellen stellen automatisierte Sys- nahe routinemäßig werden Gefängnis- kennungstechnologie, die Magna entwi- teme mit ihren komplexen Bewegungs- insassen in den USA aus der Luft über ckelt hat und die auch schon am inter- mustern vor große Probleme. Aber auch die Mauern hinweg mit Mobiltelefonen, nationalen Flughafen von Tel Aviv, Ben das konnten die Magna-Techniker lö- Drogen und anderen Waren versorgt. In Gurion, eingesetzt wird. Magna über- sen. Denn nach wie vor gelten Terror- Frankreich berichtete die Polizei wieder- wachte etwa eine Großbaustelle, die der angriffe mit Schlauchbooten als poten- holt von verdächtigen Flügen im Nah- Erweiterung des Flughafens dient und wo zielle Bedrohung, heute nicht mehr nur bereich von Kernkraftwerken. Und das man wegen der vielen Maschinen und Be- an Land, sondern mittlerweile ebenso auf © SDS; FST

16 wına | August 2016 Erkennungssysteme

Es ist logisch, dass sich öffentliche Stellen und private Firmen intensiv mit der Erkennung und Abwehr von Drohnen Sicherheitsüberprüfung. Unbemannte Befragungs- befassen. kabine stellt Fragen und checkt Stressfaktoren.

Terroristen

Erkennungssystem. Personen, die sich in größeren Ansammlungen bewegen, erkennen.

Drohnen erkennen und den Ölplattformen, die für die israelische „neutralisieren“, etwa Stressfaktoren hin überprüft: Schwitzen Wirtschaft von großer Bedeutung sind. durch Störung der und erhöhte Salzniveaus im Schweiß, er- Kommunikationskanäle. Auch FST 21 (Farkash Security Tech- höhter Druck in den Venen, Veränderung nology Ltd.) nutzt Kameras, aber für die der Gesichtsfarbe durch die Aufregung. Erkennung von Personen, die sich bewe- Zwar erreiche man laut Firmenaussagen gen, selbst in größeren Ansammlungen. hier nicht ganz die hohen Trefferquoten Firmengründer Aharon Ze’evi Farkash eingesetzt. Aber auch zivile Nutzungen wie bei der Kameraüberwachung von Ma- war vor seiner Karriere in der Privatwirt- sind mitgedacht. So testen einige interna- gna, aber immerhin doch noch weit über schaft Chef des militärischen Nachrich- tionale Fluglinien diese Erkennungssoft- 90 Prozent. Anschließend müssen ohne- tendienstes. Sein Unternehmen erstellte ware, etwa um ihren Gold- oder Platin- hin wieder Beamte übernehmen. ein Programm zur schnellen Erkennung kartenkunden Zugang zu den Lounges zu Unter den Gründern des Unternehmens von Gesichtern, auch unter schwierigen gewähren, ohne dass sich diese umständ- im Jahr 2004 war neben zwei Geschäfts- Bedingungen. Das gilt auf Flughäfen, wo lich ausweisen müssen oder langwierigen leuten auch der mittlerweile verstorbene sich zahlreiche Personen drängen, das kann Sicherheitschecks unterziehen. Auch no- Leiter der Abteilung für Lügendetek- aber auch bei Demonstrationen sein oder ble Appartement-Häuser mit Doorman toren der israelischen Polizei. Das auto- bei großen Sportveranstaltungen. Dafür nutzen die Technik bereits für ihre Be- matische Befragungssystem wurde unter wurden mobile Geräte entwickelt. wohner. Mitarbeit der israelischen Sicherheitsbe- Vor dem Einsatz des Erkennungssys- Eine ganz besondere Sicherheitsüber- hörden vom amerikanischen Department * Magna BSB Ltd. tems werden biometrische Daten zu Ge- prüfung hat das israelische Unterneh- for Homeland Security finanziert. In ei- ist ein israelisches Unternehmen sicht und Körper der zu findenden Per- men SDS (Suspect Detection Systems) nem Interview mit der israelischen Web- und hat nichts mit sonen eingegeben. Die hohe Qualität der entwickelt. Bei seinem COGITO-Sys- site Ynetnews sagte Eran Drukman, Ge- dem kanadischen Autozulieferkon- Kameras und die enorme Rechenkapazi- tem übernimmt eine unbemannte Befra- neraldirektor von SDS, dass das System zern Magna tät brauchen dann nur mehr ganz kurze gungskabine, die ein wenig an einen Fo- mittlerweile an zahlreiche Sicherheitsbe- International Frank Stronachs Ansichten der Zielpersonen, selbst von der toautomaten erinnert, den Check. Dabei hörden geliefert worden sei: außer in Is- zu tun, zu dem Seite oder in rascher Bewegung, um sie zu muss der Proband nicht nur auf Fragen rael und in den USA nach Mexiko, China, auch Magna Steyr erkennen. Das wird in erster Linie zum des Apparats antworten. Er oder sie wird Russland, Singapur und in mehrere latein- gehört. © SDS; FST Schutz vor terroristischen Bedrohungen gleichzeitig mit Sensoren auf mehrere amerikanische Länder. 

wına-magazin.at 17 Moderne & Tradition

In Europa kaum bekannt – die Open Orthodoxy Eine neue orthodoxe Strömung macht in den USA vor allem durch die Ordination von Frauen zu Rabbi- Von Alexia Weiss nerinnen von sich reden. Sie werden ila Kagedan bezeichnet sich als „Rabbi“. Die gebürtige Kana- vom Rabbinical Council of America dierin studierte im von Rab- (RCA) allerdings nicht anerkannt. biner Avi Weiss in der Bronx, Was hat es mit der Open New York, gegründeten Programm Yes- Lhivat Maharat und wurde im Vorjahr zur Orthodoxy auf sich? Rabbinerin ordiniert. Das Besondere: Ka- gedan versteht sich nicht als liberale Jüdin – sondern als orthodoxe. Open Orthodoxy nennt sich die Bewegung, die von Rabbi- ner Weiss 1997 ins Leben gerufen wurde. Warum ist es Frauen wie Kagedan aber setz nicht immer als gut und vertritt eine Damals beschrieb dieser die Open Ortho- wichtig, als orthodoxe Rabbinerinnen und viel liberalere oder wenigstens schizo- doxy als „Erneuerungsbewegung innerhalb eben nicht als liberale zu gelten? „Ich bin phrene sexuelle Moralität.“ der Modern Orthodoxy“, erläutert Rabbi- eine traditionelle Person“, schrieb sie dazu Langfristig seien es diese theologischen ner Arie Folger, der mit den Hohen Fei- nach der Entscheidung des RCA. „Ich Abweichungen, welche die Orthodoxie ertagen im Herbst das Amt des Wiener halte an der jüdischen Tradition fest und dieser Bewegung untergraben. „Die zwei Oberrabbiners übernehmen wird, gegen- schätze sie.“ Und sie zog einen Vergleich: traurigsten Beispiele, wo die Open Ortho- über WINA. Die Idee sei gewesen, „mehr „Ich frage mich, was passieren würde, wenn doxy gegen die Orthodoxie verstößt, lie- Offenheit gegenüber den vielfältigen Mit- eine Frau das Medizinstudium abschließt, gen in der zunehmenden Akzeptanz der gliedern zu zeigen“ und „mit mehr Selbst- dann aber nicht den Titel ‚Doktor‘ erhält. Schlussfolgerungen der Bibelkritik und in sicherheit mit der Moderne umzugehen“. Was würde das für ihre Arbeit mit Patien- ihrer Einstellung zu halachischen Werten, Diese Ansätze hätten durchaus interessant ten bedeuten? Wie wüssten diese, was sie wobei die Halacha nicht mehr als normativ geklungen. Aber, wie so oft: „Der Teufel tun darf?“ Kagedan hat die Yeshivat Ma- verstanden wird, also wie man sich beneh- steckt im Detail.“ Entwickelt habe sich die harat absolviert und möchte daher nun als men soll, sondern eine Hürde darstellt, die Modern Orthodoxy schließlich zu einer Rabbinerin arbeiten. Innerhalb der Or- man kreativ zu umgehen hat“, so das Fazit „Bewegung, die sich in der grauen Zone thodoxie scheint sich dieser Wunsch aber von Rabbiner Folger. am Rand der Modernorthodoxie bewegt“, nicht verwirklichen zu lassen. In modern-orthodoxen und national- hält Rabbiner Folger fest. religiösen Kreisen gebe es eine wachsende Die Absolventen des Open-Ortho- Ab- und Aufweichungen. Diese neuen Auseinandersetzung mit der Frage, wel- doxy-Rabbinerseminars werden vom RCA orthodoxen Rabbinerinnen seien keine, che beruflichen Möglichkeiten es für nicht anerkannt. Das musste auch Kagedan hält auch Rabbiner Folger fest. Und zwar Frauen gebe. Tora-Lernprogramme er- erfahren. Im Juni 2015 hatte sie ihre Or- nicht wegen ihres Geschlechtes, „sondern freuen sich großer Beliebtheit. Zuletzt dination erhalten. Im November des Vor- als Folge der Theologie, die sie vertreten, fand zum Beispiel auch in Wien ein von jahres verabschiedete das RCA eine Reso- und aufgrund der Ausbildungsstätten, aus der Konferenz Europäischer Rabbiner lution, wonach die Ordination von Frauen denen sie kommen. Ob Frau oder Mann: (CER) unterstütztes Rebbetzinseminar zum Rabbinat aberkannt und den Mit- Als orthodoxe Denker oder Anführer wer- statt. Die in Israel angebotene Ausbil- gliedern untersagt wird, Frauen zu ordi- den sie nicht anerkannt.“ dung Joezet Halacha sei zwar ebenfalls nieren oder ordinierte Frauen anzustellen. Warum? Dazu erklärt Rabbiner Folger: umstritten, werde aber von vielen ortho- Gleichzeitig wird das immer größer wer- „Die Open Orthodoxy stellt sich als ortho- doxen Rabbinern akzeptiert. Hier wer- dende Angebot von höherer Tora-Ausbil- dox dar, weil ihre Mitglieder sich großteils den Frauen im Bereich weiblicher hala- dung für Frauen gelobt und betont, dass an bedeutende Rituale halten, wie Schab- chischer Pflichten eingeschult, um so die man sich dazu bekenne, nach halachisch bat und Kaschrut. Doch im Gegenteil zum korrekte Einhaltung der Religionsgesetze akzeptablen beruflichen Möglichkeiten für traditionellen Judentum toleriert die Open – also weder zu leicht noch zu unnötig orthodoxe, Tora-gelehrte Frauen zu suchen Orthodoxy bedeutende theologische Ab- streng – zu fördern. Frauen würden hier, und diese zu fördern. weichungen, betrachtet das Religionsge- so Rabbiner Folger, „als Hilfsressource fun-

18 wına | August 2016 Österreich USA ISRAEL Das Judentum. Ein Glaube – In Europa kaum bekannt – die viele Schubladen Orthodoxy Orthodoxie Dati (religiös) Wäre die Open Charedi Khal Israel Charedi Orthodoxy am Rand Open Orthodoxy hasidic Judaism machsike Hadass (ultra-orthodox) der Orthodoxie Lithuanian Jews Litvak Litvak einzuordnen, im traditionellen Juden- Sephardic Sephardische Aschkenasische Chassidim tum oder doch Charedi Judaism Charedim eher im Reform- Sephardische judentum? Die Charedim Innensicht ist hier naturgemäß Chabad Chabad Chabad anders als die Außensicht. modern Orthodoxy Misrachi Charedi-leumi (religiös zionistisch)

Conservative Masorti Judaism (traditionell)

Jahadut Reform Or Chadasch Mitkademet Judaism (Reformjudentum) (Reformjudentum) (= Liberal Judaism, = Progessive Judaism)

Secular Säkulares Hiloni Judaism Judentum (säkular)

„Im Gegenteil zum gieren, die zwischen Gemeinde und Rab- traditionellen Ju- In Europa ist die Open Orthodoxy biner überbrücken“. derzeit noch weitgehend unbekannt. In Darüber hinaus gebe es auch Toanot, dentum toleriert England gibt es eine diesbezügliche Dis- das sind Frauen, die als rabbinische An- die Open Orthodoxy kussion, der Einfluss sei aber gering, sagt wälte im Familienrecht vor einem Beit Din Rabbiner Folger. „Vor einem halben Jahr auftreten. Und in charedischen Gemein- bedeutende theolo- hat Oberrabbiner Ephraim Mirvis in der den seien Frauen als Motivational Spea- englischen Dachorganisation United Sy- kers schon länger tätig. Aber: „Keiner im gische Abweichun- nagogue Maßnahmen ergriffen, um zu orthodoxen Mainstream, ob charedisch gen.“ Rabbiner verhindern, dass heimlich Open-Ortho- oder modern-orthodox, stellt sich Frauen doxy- Befürworter als Gastredner einge- als Rabbiner vor“, betont Rabbiner Folger. Arie Folger laden werden.“ Ein Rabbiner, der mit der Die Agudath Israel of America hat die Bewegung verbunden gewesen sei, habe Open Orthodoxy inzwischen zu einer li- die United Synagogue verlassen. In Frank- beralen Strömung erklärt. Und die CER Rabbiner Folger. Anhänger fand sie vor reich würden Aktivisten wie Liliane Vanna hat verkündet, dass im Rahmen der Open allem an Schulen und Unis. Dies daher, versuchen, die Ideen der Open Orthodoxy Orthodoxy ordinierte Rabbiner – und weil das RCA die Absolventen des Rab- zu importieren. Insgesamt lasse sich aber Rabbinerinnen – nicht anerkannt wer- binerseminars nicht anerkannt und diese sagen: „Einige Rabbiner am Rand der den. Die Bewegung ist vor allem in den sich daher vor allem in der Studentenar- Orthodoxie sympathisieren, während der USA präsent – deren Einfluss ist aber beit, eben an Universitäten und in Schu- Mainstream die Ideen der Open Ortho- auch dort nicht zu überschätzen, meint len, einsetzen. doxy nicht akzeptiert.“ 

wına-magazin.at 19 nachrichtennachrichten ausaus tetell aviv Auf nach Afrika Unmittelbar nach der Staatsgrün- liche Tragödie verbunden: Sein Bruder Yo- dung unterhielt Israel einst exzel- nathan starb bei der Militäroperation. lente Beziehungen mit den noch jün- Dass Netanjahu seine Reise bereits im Vor- feld als „historisch“ bezeichnete, hat aber geren afrikanischen Staaten. Dann andere, vor allem geostrategische Gründe. flaute das Verhältnis ab. Jetzt ließ Israel ist auf der Suche nach neuen Verbün- eine Reise des Premiers diese deten. „Weil die Beziehungen zur EU ange- Kontakte wieder aufleben. spannt sind, wollen wir die Hilfe der Afri- kaner“, sagt der ehemalige Botschafter Arye Oded, der in mehreren afrikanischen Ländern frika ist nicht weit. Die Flugzeit stationiert war. Mit 40 der 45 Staaten in Sub- von Tel Aviv nach Mombasa dau- sahara-Afrika habe Israel heute wieder diplo- ert fünfeinhalb Stunden. Ende der matische Beziehungen. 1990er-Jahre hat es mich mit einer Es ist ein Anknüpfen an frühere Zeiten, als AReisegruppe dort hingezogen. Die Eindrücke Israel ganz jung war und die afrikanischen sind immer noch gut präsent. Die erstaun- Staaten noch jünger. Die erste Botschaft wurde lich guten Hebräisch-Kenntnisse der Keni- 1956 in Ghana eröffnet, zwei Jahre später be- aner im dortigen Hotel Paradise, am Markt suchte die damalige Außenministerin Golda und Strand ebenso wie das langwierige und Meir Westafrika. Man habe Afrika weder Geld vergnügte Feilschen der israelischen Touristen noch Waffen anbieten können, erinnerte sie mit ihnen um Holzfiguren. Bei der Rückkehr sich in ihrer Autobiografie, aber man sei nicht Von Gisela Dachs liefen dann gigantische Berge geschnitzter wie andere Länder mit einem kolonialen Ma- Tiere über das Fließband der Gepäckauslie- kel behaftet gewesen, denn „alles, was wir von ferung. Später ließ die Reiselust nach, als 2002 Afrika wollten, war Freundschaft.“ Gewiss sei auf ebendieses Hotel ein Terroranschlag ver- es Israel auch damals schon um die afrikani- übt worden war. schen Stimmen bei den Vereinten Nationen Es ist lange her, dass Subsahara-Afrika auf gegangen, gab sie zu, aber „wir hatten etwas, der Reiseliste eines Premiers stand. Vor fast das wir Nationen weitergeben wollten, die so- dreißig Jahren war zuletzt Jitzchak Schamir zu gar noch jünger und unerfahrener als wir sel- ber waren.“ Zudem teilte man die Erinnerung an tief einschneidende kollektive Erfahrun- gen – an den Holocaust und an die Sklaverei. Es ist ein Anknüpfen an frühere In den folgenden Jahrzehnten sollte es dann Zeiten, als Israel ganz jung war und die aber – oft auf arabischen Druck – zum Ab- bruch oder der Zurückstufung der Beziehun- afrikanischen Staaten noch jünger. gen zu Israel kommen. Angesichts der neuen Perspektiven in Asien, die sich auftaten, maß einem Staatsbesuch nach Togo geflogen. Nun aber auch Jerusalem den afrikanischen Staa- war im Juli Benjamin Netanjahu zu einer fünf- ten lange Zeit nur eine untergeordnete Bedeu- tägigen Reise nach Uganda, Ruanda, Äthio- tung zu. Nun aber komme „Israel zu Afrika pien und Kenia aufgebrochen. Den Auftakt zurück. Und Afrika kommt zu Israel zurück“, bildete eine Zeremonie in Entebbe – vierzig hatte Netanjahu im Februar bei einem Treffen Jahre nach der spektakulären Geiselbefreiung mit Knesset-Abgeordneten und afrikanischen durch ein israelisches Kommando, nachdem Botschaftern angekündigt. Terroristen eine Air-France-Maschine auf dem Der Satz, dass „ganz Afrika“ aufgrund sei- Weg von Tel Aviv nach Paris entführt hatten. nes Besuches aufgeregt gewesen sei, klang

Für Netanjahu war damit auch eine persön- zwar ein bisschen nach Größenwahn, aber © Government Press Office

20 wına | August 2016 der Wunsch nach engeren Beziehungen ist heute beidseitig. Die afrikanischen Staaten wollen Know-how, neben Technologien in der Landwirtschaft und bei der Wasserver- sorgung, vor allem im Sicherheitsbereich; Is- rael wiederum erhofft sich politische Gegen- Auf Löwen-Besuch. leistungen. Hauptinteresse ist es, arabischem Benjamin Netanjahu (li.) Aktivismus gegen Israel in internationalen Fo- und der äthiopische Prä- ren entgegenzuwirken. Es geht auch darum, Man strebt einen Beobachterstatus in der sident Mulatu Teshome den iranischen Einfluss auf dem Kontinent Afrikanischen Union an. Das würde helfen, besuchen die Löwen im zurückzudrängen, Unterstützung für die ei- Israels Legitimität auf dem Kontinent zu Präsidentenviertel von genen Positionen zu gewinnen und neue Ab- stärken. Im Weg steht dabei vor allem Süd- Addis Abeba. satzmärkte etwa für die Rüstungsindustrie zu afrika, das heute Libyen in dieser Gegner- erschließen. Ruanda und Uganda sollen sich rolle abgelöst hat. In Pretoria hat man das auch bereit erklärt haben, afrikanische Mig- gute Verhältnis Israels zum einstigen Apart- ranten aufzunehmen, die heute in Israel ohne heid-Regime nicht vergessen. Zudem unter- Flüchtlingsstatus leben. hält der regierende ANC enge Beziehungen

Im Vorfeld der Reise hat das israelische Ka- binett einen 50-Millionen-Schekel-Plan verab- schiedet, um die wirtschaftlichen Beziehungen Israel will Afrika vor allem bei der Terror- und Kooperation zu stärken. Afrika sei nicht bekämpfung unterstützen. Die Wahl der nur ein Kontinent, schrieb Boaz Bismuth im regierungsnahen Israel Hayom – „es handelt ostafrikanischen Länder war kein Zufall. sich um 54 Staaten und 54 Stimmen in den Ver- einten Nationen und anderen internationalen zur PLO, die über einen solchen Beobacht- Organisationen, ebenso wie um 54 Ökono- erstatus verfügt. Doch der Konsens bröckelt mien“. Nach UN-Vorhersagen werde die Be- inzwischen. Denn Israels enge Sicherheits- völkerung dort in den nächsten Jahrzehnten kooperation mit Jordanien und Ägypten so- auf 2,5 Milliarden anwachsen. wie seine diskreten Beziehungen mit Saudi Israel will Afrika vor allem bei der Terrorbe- Arabien und den Golfstaaten entgehen heute kämpfung unterstützen. Die Wahl der ostaf- auch den afrikanischen Staaten nicht. Einige rikanischen Länder war kein Zufall. Uganda, würden sich deshalb fragen, heißt es im Je- Kenia und Äthiopien sind alle drei von isla- rusalemer Außenministerium: „Wenn die das mistischem Terror bedroht; Ruanda sorgt sich, tun können, warum nicht wir?“ dass dieser auch über seine Grenzen schwap- Als Beweis für den neuen Platz Israels in pen könnte. Exbotschafter Oded verweist Afrika verwies Netanjahu auf den dreistün- in diesem Zusammenhang auch darauf, dass digen Gipfel in Entebbe, der ihn mit den selbst Nigeria – mit einem hohen muslimi- Staatsführern von sieben ostafrikanischen schen Bevölkerungsanteil – Israel um Hilfe Nationen zusammenbrachte – aus Uganda, bitte. Nicht zuletzt aber dürfte es Ländern Kenia, Ruanda, Südsudan, Kongo und Tan- wie Ruanda und Äthiopien auch um Über- sania. Nicht in Zusammenhang mit Netan- wachungstechnologien gegen Oppositionelle jahus Reise steht der zeitgleiche Sieger einer gehen. Den Luxus, sich an den Demokratie- Ausschreibung der Weltbank. Es handelt sich defiziten in Staaten zu stoßen, die man als Ver- um den Haifaer Architekten Yigal Tzamir, bündete gewinnen könnte, gab es in der israe- der gerade mit einem nationalen Masterplan

© Government Press Office lischen Außenpolitik selten bis nie. für Uganda beauftragt wurde. 

wına-magazin.at 21 FISCHERAUTO Titel

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Buchtipp Asaf Hanuka: Der Rea- I was made for list. Cross Cult, 192 S., lovin’ you, baby € 29,95 Kosmischer Schminken-Rock: Zum 67. Geburtstag des Kiss-Musikers Gene Simmons am 25. August winaköpfe

he hardest working rock Asaf Hanuka – „Eine Bibliothek ist Tband in showbiz. Das ha- Der Realist aus ein heiliger Ort und ben viele von sich behauptet. tel aviv Doch wenn man mehr als zwei ... gewinnt den Eisner Award, Bildung die heiligste Stunden auf der Bühne steht, seine den Oscar der Comic-Industrie, in aller Religionen.“ Gitarrenriffs spielt, während man auf der Kategorie „Best U.S. Edition of 18 Zentimeter hohen Plateauschuhen International Material“. Der Eisner Gene Simmons balanciert und hin- und hertänzelt, viel Award ist nach dem amerikanisch- jüdischen Comic-Künstler Will Eis- Make-up und ein Kostüm trägt, das mit ner benannt. Extraausstattung rund 23 Kilogramm „Es überrascht mich, dass schein- wiegt, wird Rock’n’Roll real zur schweiß- bar ganz regionale Themen zugleich sich der Israel-Fan treibenden Schwerarbeit. auch sehr international sind“, freut zwar mit Bemer- Seit mehr als 40 Jahren stehen Kiss sich Hanuka. „Meine Arbeit ist sehr kungen über den nun auf der Bühne. Und waren von An- ichbezogen. Ich schreibe über mich toten Prince in die fang an besonders. Wegen ihrer Kos- selbst und zeichne meine Fami- Nesseln gesetzt, tümierungen und ihrer Bühnenshows. lie. Es geht einfach um mein Le- dabei sind die Kiss- Denn: Welcher andere Rockmusiker au- ben. Aber ich denke, das schafft Mitglieder alles an- ßer Gene Simmons lässt sich schon quer auch ein gewisses Gleichgewicht. dere als töricht. über die Bühne in einer fliegenden Un- Menschen außerhalb Israels lesen Das zeigen die aus- mein Buch und denken sich, ach, tertasse schießen, um dann Feuer und gefeilten Bühnen- dort gibt es ja auch 40-jährige Män- (Kunst-)Blut zu spucken? Rock at its best: Welcher shows der explizit ner, die eine harte Zeit haben, sich andere Musiker lässt Der in Haifa als Sohn Konzerte lieben- abmühen, um über die Runden zu sich in einer fliegenden ungarischer Schoa-Über- kommen, und Probleme mit ihren Untertasse quer über die den Band. Und ihr lebender geborene Sim- dreijährigen Töchtern haben. Auf Bühne schießen? Verstand fürs Busi- mons, eigentlich Chaim diese Art leistet man auch einen ness. Sie sind Ge- Witz, nach der Auswan- Beitrag zur Völkerverständigung.“ schäftsleute, die das Erscheinungsbild derung in die USA Hanuka wurde 1974 in Israel ge- ihrer zur globalen Franchise-Marke ge- laut Pass Eugene boren. Er begann während seines wordenen Band klug vorantreiben. So Klein, ist das loud- Militärdienstes, Comics für das Ma- gibt es eine Restaurantkette, ein Kiss- gazin der israelischen Abwehrkräfte mouth der Band, Fußballteam, in einem Hotelkasino in zu zeichnen. Nach seinem Militär- stets für viele Sa- dienst studierte er in Frankreich, Las Vegas einen Kiss-Minigolfparcours, ger in Interviews kehrte danach nach Israel zurück ja, es gibt sogar Kiss-Kreuzfahrten, die gut. Jüngst hat und veröffentlichte gemeinsam mit „Kiss-Cruises“, selbstredend zu Hallo- dem Autor Etgar Keret die Comic- ween. Und immer wieder ist Gene Sim- Bücher Streets of Rage (1997) und mons, der vor zehn Jahren Reality-TV mit Pizzeria Kamikaze (2004). 2009 sich und der Familie speiste, in diversen Loudmouth: begann er seinen wöchentlichen TV-Krimiserien zu sehen. Und spielt da- Simmons wurde als autobiografischen Comic-Strip The Chaim Witz geboren bei doch immer sich selbst. Wen auch Realist. Das nun ausgezeichnete und macht seinem sonst?  AK Buch ist eine Sammlung dieser Namen alle Ehre. Kolumnen.

© MediaPunch / picturedesk.com; Wikipedia/ Gene Simmons (KISS)

wına-magazin.at 23 Belmonte. Nach der Entdeckung der jüdischen Untergrundge- meinde 1917 hat sich viel geändert: Heute gibt es hier auf manchem Grab einen Davidstern, ein hochinteres- santes jüdisches Museum und die Synagoge, in der das Judentum offen gelebt wird.

Text: Marianne Enigl Fotos: Valerie Rosenburg Portugal o viel Geschichte. Und so viele Geschichten. Unsere Erkun- dung beginnt in Belmonte. Mit atemberaubendem Blick über die weite Landschaft liegt die Stadt vor der Serra da Estrela, revisited dem Gebirge mit dem Stern, ihre Schön- Kommt im Land am Atlantik eine heit ist ihr Name, Belmonte. Pedro Ál- Renaissance jüdischen Lebens? Rundum S vares Cabral, der Entdecker Brasiliens, wird die so reiche wie dramatische hat da im mächtigen Kastell seine Kind- Geschichte der sephardischen Juden heit verbracht, im Jahr 1500 ließ er dem portugiesischen König erste Nachricht wiederentdeckt, ihre Nachkommen über das Land jenseits des Atlantiks und können ein halbes Jahrtausend nach der seine „noblen Wilden“ zukommen. Für Flucht vor Zwangstaufe und Inquisition die sephardischen Juden in Portugal und in Belmonte aber begann in eben die- portugiesische Pässe bekommen. ser Zeit der großen Seefahrten die große Katastrophe. Zwangstaufe oder Auswei- sung: Vor diese Entscheidung stellte Kö- nig Manuel I., wegen seiner Eroberungen

24 wına | August 2016 geschichte & Geschichten

Repression jüdisch blieben. Isoliert, jede Belmonte trägt nun einen Davidstern, Familie in ihrem Haus, in einer Atmo- große Chanukkaleuchter stehen unüber- sphäre ständiger Unsicherheit, Angst und sehbar vor dem Olivenbaum neben der Feindschaft, geschaffen durch die Inqui- 1996 geweihten Synagoge und weisen den sition und ihre Zuträger, entzündeten sie Weg zum modernen jüdischen Museum in über viele Generationen zu Schabbat Öl- der Stadt (eröffnet 2005). 70.000 Besucher lichter in tiefen Tonkrügen. Man hatte ih- jährlich zählt das Museum, viele von ihnen nen die Bücher genommen, ihre Frauen jünger als zwanzig – die Erinnerung an die gaben die Gebete mündlich weiter. Ihr Ju- geheime Diaspora und die jüdischen Op- dentum wurde ein matriarchales, Männer fer der Inquisition wird hier bewahrt. Der sollten so geschützt werden. Den Beginn israelische Soziologe Sara Molho hat fest- jüdischer Feiertage lasen sie vom Lauf des gehalten, dass von den rund 120 Anusim Mondes ab. Beschneidung hätte sie verra- in Belmonte die meisten in ein offenes Ju- ten, man ersetzte sie durch Salbung. Maz- dentum zurückkehrten. Um die 35 ent- zot wurden gebacken, sie nannten sie pão schieden sich, es so zu halten wie bis da- santo, heiliges Brot. Ihre ererbten Erinne- hin. Das Leben aller hat sich dramatisch rungen verbanden sie mit christlichen For- geändert, schreibt Molho. Manche vollzo- men, sie hatten einen heiligen Moses, Ab- gen Riten nun dreifach – jüdisch, krypto- raham und Job. Sie achteten darauf, sich jüdisch und christlich. nicht mit „Altchristen“ zu verheiraten und In Portugal selbst, aber auch internati- ächteten jene, die das taten. Sie waren im onal, wissen die Menschen zu wenig über Glauben, alle Juden seien durch die Inqui- die lange und reiche Geschichte der Juden wurde er „Der Glückliche“ genannt, die sition ausgelöscht – und sie also die ein- des Landes, sagt Esther Mucznik, Vizeprä- Juden in seinem Land. Im benachbarten zigen. Vier Jahrhunderte lang blieb ihre sidentin der jüdischen Gemeinde in Lis- Spanien hatten die katholischen Könige Existenz jedem Außenstehenden verbor- sabon. Mucznik ist mit der Realisierung bereits die Inquisition eingeführt und das gen. Erst 1917 hat der aus einem zionisti- des „Museu Judaico de Lisboa“ in der Al- ethnisch-religiöse Säuberungsprogramm schen polnischen Elternhaus kommende fama, Lissabons quirligem Altstadtviertel, nach der Rekonquista, der Rückerobe- Bergbauingenieur Samuel Schwarz in Bel- betraut. 2017 soll eröffnet werden. rung des Landes, durchexerziert. Auf die- monte die „Kryptojuden“ entdeckt, es war Das Interesse an der Geschichte sephar- ses Vorgehen verpflichteten sie den portu- eine Sensation. Im Ort hatte man ihn ge- discher Juden ist gewaltig. Ihre Nachfahren giesischen Herrscherkollegen, als der eine warnt, er solle „nicht mit Juden handeln“. können von Spanien und Portugal in An- spanische Prinzessin zur Frau wollte. Von Als er den ersten von ihnen gegenüber- erkennung des geschehenen Unrechts nun 1536 bis zum Beginn des 19. Jahrhun- stand, glaubten sie Samuel Schwarz seine Pässe bekommen. Den portugiesischen derts dauerte in Portugal die Inquisition, Jüdischkeit erst, als er das „Schma Israel“ Pass erhielt als Erster im Herbst des Vor- 40.000 Verfahren wurden geführt, 1.175 anstimmte: „Adonai“ war das einzige he- jahres Alfonso Paredes aus Panama: Seine Menschen zum Feuertod verurteilt. bräische Wort, das sich in ihren Gebeten Vorfahren waren vor einem halben Jahr- In ihren Steinhäusern in Belmonte und erhalten hatte. tausend auf die Karibikinsel CuraÇao ge- vielen Dörfern rundum widersetzten Juden Das geheime Judentum in den portu- flüchtet. sich auf erstaunliche Weise: Nach außen giesischen Bergen war eine der am längsten mussten sie das Christentum umarmen, bestehenden Untergrundreligionen über- Tomar. Im Ideal sind Museen Objekte. doch im Verborgenen folgten sie jüdischen haupt. Inzwischen ist es ins Heute geholt Sie sind die Erzählung, nach der wir su- Geboten. „Conversos“ und „Cristãos-No- worden. Spezialisten haben vor Jahren be- chen, atmen Leben, das einmal war. vos“, „Neuchristen“, wurden sie genannt, gonnen, die jüdischen Menschen hier auf Das jüdische Museum in Tomar ist eine abwertend „Marranos“ (Schweine). ihr genetisches Erbe hin zu untersuchen solche Erzählung. Sie ist bis heute außer- „Anusim“ ist die rabbinische Bezeich- und sind überrascht*. Manches marmorne ordentlich und beginnt schon mit den nung für sie, die als Zwangsgetaufte trotz Grab auf dem katholischen Friedhof in drei Namen der Straße, in der man das * www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4313780/ wına-magazin.at 25 Museum in der verwinkelten Altstadt un- Jahrhunderts einen Rabbiner hatte: Rab terhalb der mächtigen Templerburg fin- Joseph von Tomar wurde am 23. Jänner det: Ursprünglich hieß sie Judiaria, Ju- 1315 in Faro beerdigt. Heute leben noch denviertel; danach Rua Nova, nun lebten zwei jüdische Familien in der Stadt, die die „Neuchristen“ da; jetzt trägt sie den jungen Juden seien nach Israel gegangen, Namen von Dr. Joaquim Jacinto, einem sagt Teresa Vasco. brasilianischen Politiker. Auf Azulejos, den portugiesischen Kacheln, findet man Der Synagogenraum ist beeindru- alle drei Namen gemeinsam. ckend. Vier Säulen symbolisieren die Vor allem aber steht man in diesem Mütter Israels Sara, Raquel, Rebecca Museum in der ältesten erhaltenen Sy- und Lea, die zwölf Deckenbögen die nagoge Portugals: Heinrich der Seefah- zwölf Stämme Israels. Jüdischer Tempel rer hat ihre Errichtung im 15. Jahrhun- war der Bau nur kurz. Nach dem Ver- dert finanziert, seine Entdeckungsfahrten treibungsedikt von 1496 wurde die Sy- hatte die jüdische Gemeinde unterstützt. nagoge verkauft, dann zum öffentlichen Empfangen wird man von Teresa Vasco, Gefängnis. Die von Luis Vasco verfasste mit offenen Armen nimmt sie jeden auf, Museumsinformation weist eigens auf der etwas mitnehmen möchte von ihr und eines hin: Nur ein befristetes Schutz- diesem Ort, sie ist Herz und Seele des edikt bewahrte konvertierte Juden vor Museums. 1976 begann ihr Mann Luis dem ultimativen Affront, in ihrer ehe- hier seinen ehrenamtlichen Einsatz, seit maligen Synagoge inhaftiert zu werden. seinem Tod hängt alles an Dona Teresa: Danach wurde die Synagoge katholische „Mein Mann hat immer gesagt, die Syn- Kapelle, Weinkeller, Getreidespeicher. agoge ist unser erstes Haus. Wo wir woh- Um 1920 tritt in Tomar Samuel nen, ist das zweite.“ Eine, im Sommer Schwarz auf, dem wir bereits in Bel- fahren suchen, wird sie in Castelo de Vide zwei Stunden Mittagspause gönnt sich monte begegnet sind, wo er, der zur finden? Der Name der Stadt könnte von die 71-jährige an Ruhe. Sohn und Toch- Kontrolle der Zinn- und Wolfram-Mi- Castelo Davide kommen, so nannte sich ter leben in Porto. nen gekommen war, den Kryptojuda- die im 15. Jahrhundert bedeutende jüdi- Luis und Teresa Vasco haben das ismus ans Licht gebracht hat. Ein mit sche Gemeinde inmitten der von Kork- wachsende Interesse miterlebt, für Ge- Schwarz befreundeter Archäologe hatte eichen bewachsenen Hügel im Alentejo, nerationen von Museumsbesuchern sind in dem Gebäude die historische Syna- nahe der spanischen Grenze. sie das Gesicht der portugiesischen Se- goge von Tomar erkannt, man erklärte sie Wie das in der Landesmitte gelegene pharden geworden. Teresa kommt aus der zum nationalen Denkmal, 1923 kaufte Belmonte und Tomar in der Estremadura Familie der Carvalhos aus Belmonte, sie Schwarz sie, um sie vor dem Verfall zu ist Castelo de Vide eines der wertvollen erinnert noch das Zünden der Schabbat- retten. Zwei Jahre später erschien seine Kleinode in der Rede de Judiarias de Por- Kerzen bei geschlossenen Vorhängen. Im aufsehenerregende Dokumentation Os tugal – Rotas de Sefarad (www.redejudi- Eröffnungsjahr 1976 haben weniger als Cristãos-Novos em Portugal no século XX ariasportugal.com): In diesem Netzwerk eintausend Menschen das jüdische Mu- über die Juden von Belmonte (2005 auf haben sich vor fünf Jahren 28 Orte zu- seum in Tomar besucht. Im Vorjahr ka- Hebräisch publiziert). Sein großes Vor- sammengeschlossen, um ihre historischen men 50.303. Der Eintritt ist kostenlos, haben, in der Synagoge von Tomar ein jüdischen Viertel zu bewahren, erfahrbar Teresa Vasco führt dennoch exakt Buch: jüdisches Museum einzurichten, über- zu machen. – Nach dem Ende der Dik- Am Vortag hat sie eine polnische Gruppe gab Schwarz 1939 mitsamt der Synagoge tatur hatte es mehr als drei Jahrzehnte mit 31 Besuchern vermerkt, eine israeli- dem portugiesischen Staat. gebraucht, bis Portugal seine reiche und sche Gruppe mit 24, acht Deutsche, sie- Die Frage, ob das im Untergrund ge- dramatische jüdische Geschichte anzu- ben Österreicher, vier Schweizer und acht lebte Judentum ein ärmeres gewesen sei, nehmen begann. An Salgueiro Maia, der Franzosen. „Zu uns kommt die ganze hat Samuel Schwarz einmal mit Nein be- als Held der Nelkenrevolution im Ap- Welt“, sagt Donha Teresa. Die vielen Ob- antwortet. Am Beispiel der Hochzeit er- ril 1974 eine Panzerkolonne nach Lissa- jekte bezeugen weltweite Verbundenheit, zählte er, von allen Zeremonien sei ein- bon dirigierte und zum Sturz der Dikta- eine Decke für Mazzot kommt aus Süd- zig die Segnungsformel bewahrt worden. tur führte, erinnert an seinem Geburtsort afrika, ein Schofar aus den USA. Selbst In diesem kurzen Gebet, meinte er, sei Castelo de Vide eine kleine Büste. koscheren Traubensaft aus Israel hat Te- doch das Innerste des Judentums einge- Kopfsteinpflaster, steile Gassen, blu- resa Vasco zum Ausstellungsobjekt ge- schlossen. mengeschmückt, und beinahe jeder macht. Hauseingang ein gotischer Spitzbogen: Ein edler Grabstein bezeugt, dass Castelo de Vide. Wer von den vie- die frühere Judiaria. In manchen der stei- die Gemeinde bereits zu Beginn des 14. len, die nun nach ihren sephardischen Vor- nernen Bögen lässt eine Kerbe den Platz einer Mesusa vermuten, in einige wur- „Mein Mann hat immer gesagt, die Synagoge den später ein Kreuz, ein Fisch gemeißelt, ist unser erstes Haus. Wo wir wohnen, ist Zeichen dafür, dass nun „Cristãos-Novos“ hier lebten. In manches Haus sollen nach das zweite.“ Teresa Vasco der Vertreibung seiner jüdischen Bewohner

26 wına | August 2016 Die älteste synagoge Portugals

Tomar. Te r e - sa Vasco in der Synago- ge, die von Heinrich dem Seefahrer im 15. Jahrhun- dert finan- ziert wurde und heute ein viel besuch- tes jüdisches Museum beherbergt.

Objekte. Die Decke für Mazzot ist eine Leihgabe aus Südafrika, der edle Grab- stein für Rabbiner Joseph von Tomar wurde 1315 in Faro gesetzt.

wına-magazin.at 27 In manchen der steinernen Bögen lässt eine Kerbe den Platz einer Mesusa vermuten

Zuträger der Inquisition eingezogen sein, mancher Konvertit soll mit der Inquisition zusammengearbeitet haben. Das jüdische Viertel beginnt am pracht- vollen Brunnen Fonte da Vila, sechs Mar- morsäulen tragen das marmorne Dach, von der kostbaren Quelle geht es bergauf: an der Ecke Rua da Fonte / Rua da Judia- ria befindet sich das 2009 eröffnete, feine städtische jüdische Museum. Während der Renovierungsarbeiten kam der damalige Präsident Mário Soares zu Besuch und ent- schuldigte sich offiziell für die Verfolgung, die Juden in Portugal erlitten hatten. In ei- ner der Gassen der früheren Judiaria ist im Weg ein steinerner Davidstern eingelassen, Erinnerung an eine von der Inquisition hier durchgeführte Exekution. Rettungsinsel Klug führt das Museum in die Vergan- „Ankunft also in Lissabon. Die Stadt genheit. Gleich im ersten Raum erzählt ein ein Lichtermeer. Jetzt erst wurde uns so Laib ungesäuertes Brot, was Tradition hier gardistischen Arbeit und perfiden Verfol- recht bewusst, dass wir lange in ver- bedeutete: Während sie Juden verfolgten, gung ist ein Museumsraum gewidmet. Da dunkelten Städten gelebt hatten.“ – So schoben Christen zu Ostern hefefreies Brot Ortas Eltern waren, aus Spanien ausgewie- wie Schriftstellerin Elisabeth Freundlich in den Gemeindeofen von Castelo de Vide. sen, in Castelo de Vide zum Christentum betraten während des Zweiten Weltkriegs – In der Pastelaria Sol Nascente nahe der konvertiert, er selbst machte als Medizi- Zigtausende das neutrale Portugal als Kathedrale wird Bolo Judeu de Nóz heute als ner Karriere und verließ 1534 Portugal in eine Rettungsinsel, ab 1940/41 war die bolo regional, regionaler Kuchen, verkauft. Richtung Indien, möglicherweise um der Garcia da portugiesische Fluchtroute zeitweise die Im Tourismusbüro sind Gebetsschal und Inquisition zu entgehen. In Goa macht Orta. In In- einzig offene. Journalistin Uli Jürgens hat dien wurde eine Mesusa an die Wand gepinnt, „Jüdi- er sich mit dem Wissen arabischer, per- in ihrem Buch „Ziegensteig ins Paradies“ er im 16. sches“ wird offensiv beworben. sischer und hinduistischer Medizin und (Mandelbaum Verlag, 2015) konzentriert Jahrhun- 30.000 Besucher zählte das jüdische mit den tropischen Heilpflanzen vertraut, nachgezeichnet, wie etwa Alma Mahler dert zum Museum im Vorjahr. Eine hinter einer 1563 veröffentlichte er Colóquios dos simp- Pionier der und Franz Werfel, Friedrich Torberg und Wand verborgene und zufällig gefundene les e drogas he cousas medicinais da Índia, was Tropen- die Widerstandskämpferinnen Hertha Bet-haMidrasch legt nahe, dass der Bau in Europa zu einem Standardwerk über medizin. Pauli und Lisa Fittko es schafften, nach Synagoge und jü- tropische Medizin werden sollte. Der un- Lissabon als letzten offenen Hafen zu disches Gemein- terdessen auch in Goa etablierten Inquisi- kommen; wie die von Diktator Salazar dezentrum war. tion fiel seine Schwester zum Opfer, unter abgeschottete Gesellschaft auf die mit Da ihm jeder bau- Folter erzwungene Geständnisse von Fa- den Flüchtlingen gekommene Moderne liche Schmuck milienangehörigen führten postum zu ei- reagierte, junge Portugiesinnen sich à la re- fehlt, könnte nem Schuldspruch über Garcia da Orta, fugiada gaben; und wie es Konsul Aristides er während der im Jahr 1580 wurde sein Leichnam in Goa de Sousa Mendes erging, der in Bordeaux klandestinen Pe- exhumiert und verbrannt. gegen den Willen der diktatorischen riode verwen- Ana Bela Santos, Museumsmitarbei- Regierung 30.000 lebensrettende Visa, det worden sein. terin, hat diese unglaubliche Geschichte unter anderem für Mitglieder der Familien Historische Quellen existieren, wie beinahe mit anderen in ihrem Buch Yael Speaking Rothschild und Habsburg, ausstellte: Er überall im Land, nicht mehr. Was erhalten teils fiktiv, teils dokumentarisch zusam- wurde vorzeitig pensioniert, blieb und hier zu studieren ist, sind Unter- mengefasst. Eine jüdische Gemeinde exis- starb verarmt und geächtet. lagen der Verfolgung. Einen der bekann- tiert in Castelo de Vide nicht. Ana Bela testen jüdischen Bürger der Stadt sollte sie Santos ist getauft und bemüht, auf sich al- postum noch in seinem indischen Flucht- lein gestellt, jüdische Traditionen zu hal- Uli Jürgens: domizil Goa erreichen: Garcia da Orta, ge- ten. Ihr Großvater Adolf Feldlaufer, pol- Ziegensteig ins Paradies Exilland Portugal boren um 1499, gestorben 1568 in Goa, nischer Jude, kam 1926 nach Portugal. Die Mandelbaum Verlag, Pionier der Tropenmedizin. Seiner avant- Enkelin versucht, das Schicksal seiner Fa- 222 S., € 19.90

28 wına | August 2016 BAck to the roots

Der Fonte da Vila. Hier begann das jüdische Vier- tel einer einst berühmten Gemeinde.

Im Museum. Bet ha-Mid- rasch wurde bei Umbauar- beiten hinter einer Mauer entdeckt.

In der Judiaria von Castelo de Vide. Der milie im Holocaust zu erforschen, eine Polen- Davidstern, wo reise ist für sie unfinanzierbar. die Inquisition wütete. Wie wird sich die sephardische Geschichte weiterentwickeln? In den USA spricht die Soci- ety for Crypto-Judaic Studies vom großen „globa- len Erwachen“ der Nachfahren, viele Hispanics seien davon erfasst. In Israel gibt es seit Kur- zem das Institute for Sefardi and Anousim Stu- dies, beide Organisationen bieten ihre Dienste Bolo Judeu. bei der genealogischen Suche. Ein halbes Die Anträge auf Pässe prüfen die jüdischen Jahrtausend Gemeinden von Porto und Lissabon. Der nach der Nachrichtendienst JTA schrieb, der Ansturm Vertreibung jüdischer Gäste habe der winzigen Gemeinde wird nach jüdi- in Porto bereits den Turnaround beschert: Im schem Rezept gebacken. Jänner begrüßte sie hunderte sephardischer Juden aus der halben Welt im neuen kosche- Ein Burg- gässchen. ren Hotel, die Synagoge wurde mit Antrags- Der Name gebühren und großzügigen Spenden pracht- der Stadt im voll renoviert. Ein Geschäftsmann aus dem Alentejo krisengeschüttelten Brasilien will nach Porto könnte sich übersiedeln, ein Student aus Marseille, weil von Castelo er sich in Frankreich mit einer Kippa nicht Davide mehr auf die Straße wagt. herleiten. Im nordportugiesischen Trancoso hat José Domingos den Prozess der „Rückkehr“ ins Judentum durchlaufen. Die Jüdische Allge- meine, Berlin, berichtete über seine Zweifel an der Attraktivität des orthodoxen Juden- tums, das nun in seinen Ort einzieht. José Domingos:„Man hat hier immer auf Portu- giesisch gebetet. Das wird sich mit der neuen orthodoxen Synagoge ändern.“ 

wına-magazin.at 29 Norditalien und seine jüdischen Gemeinden Leben zwischen Ein „Jubiläum“ der traurigen Art: Vor 500 Jahren entstand Toren in Venedig das erste Ghetto.

fassenden Einblick in das Leben der Juden rund um die Uhr, die Juden trugen auch Von Marta S. Halpert vor 500 Jahren und bereitet dazu auch das die Kosten von zwei Booten, die ununter- ie begeht man einen politisch-historische Umfeld auf: Von der brochen auf den Kanälen rund um die In- Jahrestag, der den Aus- Entstehung bis zur Auflösung des Ghetto sel kreisten. Schwere Strafen erwarteten schluss eines Teils der im Jahre 1797. Juden, die nachts außerhalb des Ghettos Bevölkerung in ihrer ei- Der Ausstellungsort ist gut gewählt, war angetroffen wurden. Ausnahmslos muss- genen Heimatstadt markiert? Dessen Be- es doch die Verordnung des Dogen Leo- ten alle Juden – damals lebten etwa 700 in Wzeichnung zum Inbegriff der Ausgrenzung, nardo Loredan vom 29. März 1516, die Venedig – nach Cannaregio auf das Ge- Isolation und Diskriminierung über fünf den künftigen Lebensraum der veneziani- biet der Kirchengemeinde San Girolamo Jahrhunderte wurde? Vor dieser schweren schen Juden auf einer Insel festlegte: „Alle umziehen, wo bis dahin ein Dutzend Kup- Aufgabe standen Politiker und Historiker Juden müssen zusammen innerhalb der fer- und Eisengießereien angesiedelt wa- in Venedig anlässlich eines runden „Jubi- Hofnachbarschaft der Gießereien in der ren. Das Wort Ghetto erhielt für alle Zei- läums“: Vor genau 500 Jahren wurde in der Pfarrgemeinde San Girolamo leben; da- ten eine neue Bedeutung*. Lagunenstadt das erste Ghetto für jüdische mit sie nachts nicht herumstreunen kön- Bürger eingerichtet. nen, werden an den beiden kleinen Brü- Die teuer erkaufte Sicherheit. So „Das ist natürlich kein Grund zum Fei- cken am Rand der alten Gießerei (Ghetto paradox das heute klingen mag, das ve- ern, aber ich betrachte es als Gelegenheit vecchio) und der neuen Gießerei (Ghetto nezianische Ghetto gewährte den jüdi- zum Nachdenken und Erinnern“, betont novo) Tore angebracht, die morgens mit schen Händlern, Gelehrten und Flücht- die Historikerin Donatella Calabi. Sie dem Glockenschlag von San Marco geöff- lingen aus anderen Regionen Europas kuratierte die Ausstellung im Dogenpa- net und um Mitternacht verschlossen wer- eine gewisse Sicherheit. Auf diese „größte last am Markusplatz mit dem Titel Ve- den müssen. Vier christliche Aufseher, die Rechtssicherheit, die Juden in Europa im nedig, die Juden und Europa 1516–2016 von der Regierung bestimmt und von den 16. Jahrhundert hier hatten“, verweist (Venezia, gli ebrei e l’Europa 1516–2016), Juden bezahlt werden gemäß einem von nicht nur die Ausstellung, sondern auch die noch bis 13. November zu sehen ist. uns festgelegten Preis, haben diese Tore ein Blick in die Geschichtsbücher: In Ve- Zahlreiche Räume des ehrwürdigen Palas- zu bewachen.“ Durch zwei hohe Mau- nedig lebte die jüdische Bevölkerung hin- tes wurden für diese beeindruckende Aus- ern und Wassertore wurde die Eingren- ter Schloss und Riegel, aber auf Basis von stellung bereitgestellt. Sie bietet einen um- zung vervollständigt. Die Bewachung galt Verträgen. Diese waren eindeutig erpres- © Reinhard Engel * ghèto von getto = Guss, Gießerei

30 wına | August 2016 500 Jahre Ghetto Venedig

Orte der Ausgrenzung und der Repression. Und zugleich des verlorenen jüdischen Lebens in Europa.

quentiert wurden. Beide sind heute noch intakt: Die Grande Tedesca ist wegen ih- rer fünf Rundbogenfenster gut zu erken- nen, und die Canton befindet sich auf dem Dach des jüdischen Museums. Die ande- ren drei Synagogen zeugen von der viel- fältigen Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung: 1571 entstand die Scola Ita- liana, die an ihrer kleinen Kuppel zu er- kennen ist. Im Ghetto vecchio befinden sich die Scola Levantina sowie die Scola Spag- nola, die größte der venezianischen Syna- gogen. Sie stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und wurde von den Marranen und Juden spanischer und por- tugiesischer Herkunft besucht.

Die jüdischen Napoleone. Mitte des 17. Jahrhunderts erreichte die jüdische Bevölkerung mit 5.000 Einwohnern ih- ren Höchststand, das waren etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung. We- gen Platzmangels wurden hier die ers- ten sieben- und achtstöckigen Häuser Venedigs erbaut. Aber das Ghetto ging gemeinsam mit der Blütezeit Venedigs zugrunde. Während der Türkenkriege bis 1699 hatten die Juden immer unver- schämtere Geldpressungen der veneziani- schen Obrigkeit bedienen müssen, sodass die Selbstverwaltung ständig am finanzi- serisch und ausbeuterisch. Aber sie boten zwangsweise zum Katholizismus bekehrte ellen Abgrund balancierte. Die Lage än- auch innerhalb des Ghettos relative Au- spanische Juden, die in Venedig zu ihrem derte sich und viele Händler wanderten tonomie, ihre Angelegenheiten zu regeln, Glauben zurückkehren konnten. Venedig zu den toleranteren Türken ab. Napo- und völlige Freiheit, ihre Religion zu le- wurde zum Zentrum für religiöse Stu- leon löste die Republik Venedig, die Se- ben. Durch die Aufenthaltsgarantien in dien, jüdische Literatur und des einzigar- renissima, mit dem heruntergekommenen der Stadt, mit den Pflichten und Rech- tig illustrierten jüdischen Buchdrucks. Die Ghetto einfach auf. Französische Truppen ten, den Verboten und Freiheiten, für die jüdische Gemeinde brachte bedeutende brachten den Juden die Bürgerrechte: Am entsprechend bezahlt wurde, erwarben die Tora-Gelehrte und berühmte Rabbiner 11. Juli 1797 wurden die Tore auf dem Juden Sicherheiten, die sie kaum an ande- hervor wie Leone da Modena (1571– Campo de Ghetto feierlich verbrannt. Es ren Orten fanden. Daher blieb die Lagu- 1648) oder Simone Luzzato (1582–1663). heißt, dass Bürger und Rabbiner ausge- nenstadt auch nach 1516 ein Anziehungs- Luzzato stammte aus einer Familie, die im lassen um das Feuer tanzten. Kein Wun- punkt für verfolgte Juden aus ganz Europa 16. Jahrhundert aus der Lausitz nach Ve- der, dass venezianische Juden ihren Söh- und dem Mittelmeerraum. Die Stadtre- nedig eingewandert war und maßgeblich nen danach gern einen Namen gaben, der gierung förderte die Handelsbeziehungen an der Entstehung der ersten deutschen sonst in Venedig verhasst war: Napoleone. der jüdischen Venezianer und ließ ihnen Schul, im Italienischen Scola genannt, be- Doch die Freude währte nur kurz, denn alle Möglichkeiten, Geld zu verdienen – teiligt war. die nachfolgenden reaktionären österrei- so kam auch sie in den Genuss erhöhter Die im Laufe des 16. Jahrhunderts im chischen Habsburger beendeten den kur- Steuereinnahmen. Und auch die ärmeren Ghetto erbauten fünf Synagogen für die zen Traum von „Freiheit, Gleichheit, Brü- christlichen Venezianer liehen sich gerne sogenannten „Nationen“ fallen im Stadt- derlichkeit“. Auch deshalb beteiligten sich billiges Geld von den jüdischen Pfand- bild kaum auf, da sie wegen des Verbots, die Juden aktiv an der Risorgimento-Bewe- leihern. Gotteshäuser auf venezianischen Grund- gung: Im neu vereinigten Königreich Ita- Im Ghetto fanden nicht nur die Ju- stücken zu bauen, entweder in der äußeren lien erlangten sie 1866 die völlige rechtli- den aus Deutschland Schutz, die frühes- Form wie Wohnhäuser oder auf deren Dä- che Gleichstellung. ten und ärmsten Zuzügler, die ihren Le- chern errichtet wurden. 1528 entstand im bensunterhalt oft als Lumpensammler Ghetto novo die Scola Grande Tedesca und Die stillen Zeugen. „Juden empfinden verdienten. Auch Juden aus dem osma- 1531 die Scola Canton, die beide von asch- keinerlei Nostalgie für das Ghetto“, sagt © Reinhard Engel nischen Reich kamen hierher und viele kenasischen Juden aus Mitteleuropa fre- der Vorsitzende der italienischen Union

wına-magazin.at 31 Juden in Italien Heute leben etwa 28.400 Juden in ganz Eine Ausstellung Italien, 1931 waren es noch 48.000. Bereits zum Nachden- 1939 hatten sich etwa 4.000 getauft, Tau- ken und Erin- sende verließen ihre Heimat, sodass vor nern: Venedig, die der Schoah rund 35.000 Juden im Land Juden und Europa waren (über die „Juden und Mussolini“ 1516–2016 im sowie Mittel- und Süditalien berichten wir Dogenpalast am in Kürze). Die Schreckensbilanz der deut- Markusplatz. schen Nationalsozialisten und der italieni- schen Faschisten summiert sich auf eine Opferzahl von 7.750 Juden. Eine Anzahl von osteuropäischen Aschke- zum idyllischen Gartenlokal Kosher nasim, großteils Überlebende der Schoah, Restaurant Ghimel Garden schließt siedelten sich nach 1945 in Italien an, andere hier gleich an: Trauer und Freude gingen 1948 nach der Staatsgründung Isra- sind wie so oft in der jüdischen Ge- els auf Alija. Rund 3.000 Juden aus Libyen schichte knapp beieinander. kamen in den späten 1960er- und frühen Einer, der an die ruhmreiche jü- 1970er-Jahren nach Italien. Heute zählt Rom mit 13.000 jüdischen dische Vergangenheit in dieser Stadt Bürgern zur größten Gemeinde im Land, anknüpfen will, ist Shaul Bassi. Der aber auch die Städte im Norden wie Mai- Professor für englische Literatur an land (8.000) oder kleinere Gemeinden wie der Ca’Foscari-Universität in Vene- Turin (900), Florenz (1.000) oder Livorno dig kann seine familiären Wurzeln (600) verfügen über eine ansehnliche Inf- bis in das 16. Jahrhundert zurück- rastruktur an jüdischen Schulen und Verei- verfolgen. Er ist auch der umtriebige nen. Akademische Hochschulen für Rabbi- Direktor des Beit Venezia, eines in- ner gibt es in Rom, Turin und Mailand. ternationalen Lernzentrums für jü- Eine Auswahl an Koscher-Restaurants dische Kultur und Wissenschaften. findet man in Rom, Florenz, Mailand, Ve- Zu diesem Zweck ist er Partner- nedig und Bologna. Nur wenige hundert Juden leben jeweils in Bologna, Genua und schaften mit israelischen und ame- Triest, Parma und Verona. Noch kleinere rikanischen Universitäten eingegan- Enklaven befinden sich in Padua, Pisa, Mo- gen. „Europäer und Israelis schicken dena, Siena und Neapel. ihre Kinder auf Sommercamps, aber ich glaube, es wäre auch interessant, sie zum Beispiel an Orte zu schi- cken wie das Ghetto in Venedig, wo offensichtlich Unterdrückung jüdischer Gemeinden, Renzo Gattegna. Tischen des Esslokals ausrasten wollen, herrschte, aber gleichzeitig ein unglaubli- „Das Ghetto steht für Ausgrenzung. Wir werden sie von der Kellnerin verscheucht. cher kultureller Aufbruch und Koexistenz feiern deshalb nicht, sondern wir erinnern Das passiert einem auch in Wien und Tel gelebt wurde.“ Bassi, der auch an der Aus- an eine bleibende Tragödie.“ Ein Besuch Aviv. Genau vis à vis von dieser Locanda stellung im Dogenpalast mitgewirkt hat, auf dem Campo de Ghetto Novo bringt so- del ghetto, die auch einige Zimmer anbie- möchte an die Zukunft der Gemeinde in wohl die traurige Geschichte von gestern tet, liegt das bescheidene Altersheim der Venedig glauben. „Ich habe so viele restau- als auch das unbeschwerte Heute in seiner jüdischen Gemeinde, die Casa Israelitica rierte Synagogen gesehen – aber ohne Ju- ganzen Ambivalenz zutage. Über diesem di Riposo. den. Hier waren die Opferzahlen nicht so so typisch italienischen rechteckigen Platz Dieses Haus grenzt an eine Wand, die hoch, und deshalb hat die Mehrzahl der jü- hängt eine brütend heiße Dunstwolke und auf mehreren eisernen Relieftafeln in ein- dischen Einwohner überlebt. Das heißt, es verbreitet eine gespensti- dringlichen Szenen wäre doch wirklich schade, wenn wir ver- sche Stille. Amerikanisch- der Verfolgung und schwinden würden!“ jüdische Touristen suchen, Vernichtung der etwa Um das religiös-orthodoxe Leben in bewaffnet mit ihren Was- 200 venezianischen Venedig muss sich Bassi nicht sorgen, um serflaschen, den Schatten„ Das Ghetto steht Juden zwischen De- das kümmert sich seit 25 Jahren die Luba- unter dem einzigen gro- für Ausgrenzung. zember 1943 und Ok- witscher Chabad-Gemeinde. Sie betreuen ßen Baum. Eine Gruppe tober 1944 erinnert. die jüdischen Gäste jener Stadt, in der zwei von Israelis hat es sich an Wir feiern deshalb Auch auf der anderen der wichtigsten heiligen Schriften des Ju- den Holztischen der lo- nicht, sondern wir Seite des Altersheims dentums zum ersten Mal gedruckt wurden: canda del ghetto bei Bier prangt eine breite Ge- Rambams Mischne Torah und der Schulchan und Kaffee gemütlich ge- erinnern an eine denktafel in Eisenguss: Aruch. Koschere Restaurants, eine ebensol- macht. Als sich die Jün- Hier sind die Namen che Bäckerei und geregelte Gebetszeiten geren mit Eistüten in der bleibende Tragödie.“ der Ermordeten auf- am Schabbat und zu den Feiertagen ge- Hand ebenfalls an den Renzo Gattegna gelistet. Der Eingang hören u. a. zu ihrem Anliegen.  © Reinhard Engel

32 wına | August 2016 Spurensuche in Apulien Ein fast verschwundenes Erbe Jüdische Spuren im italienischen Apulien werden durch privates Engagement sichtbar.

Wer sich auf die Suche nach jü- dischen Spuren in Apulien, macht trifft auf verschlossene Tore – und viel privates Engagement.

Von Anita Pollak tore Gigli bewahrt engagiert und selbstlos ihr kleines sichtbares Erbe. Gerührt tra- ie fast immer, wenn man gen wir uns ins aufgeschlagene Besucher- irgendwo auf Reisen jü- buch ein und verabschieden uns dankbar. dische Spuren verfolgt, die Synagoge oder einen Von Oria nach Lecce. Im Nachbar- jüdischen Friedhof aufsucht, steht man vor ort Oria haben wir weniger Glück. Die Wverschlossenen Toren. Mit Glück findet Wegweiser zum „Quartiere Ebraico“ sich ein Hinweis, wo ein Schlüssel hin- führen durch steile Gassen, bergauf und terlegt ist, und jemand sperrt einem auf. bergab, ansonsten gibt es aber keinerlei Und mit noch mehr Glück erscheint die- Spuren ehemals jüdischen Lebens. Eine ser Jemand auch gleich. Synagoge habe es einmal gegeben, erklä- „Arrivo subito“, antwortet eine männ- ren Anrainer auf Befragen, aber sie sei ein- liche Stimme, als wir auf einer Tour durch fach nicht mehr da. Apulien im Städtchen Manduria zur Mit- In der viel größeren Stadt Lecce, wegen tagszeit die kleine Synagoge im Vico de- ihrer barocken Pracht ein Muss für Apu- gli Ebrei, also im ehemals jüdischen Vier- lien-Reisende, findet sich in der Touristen- tel, gefunden haben. Zweifelnd haben wir information ein Hinweis auf eine Führung die am Tor angegebene Telefonnummer durch das mittelalterliche jüdische Lecce. gewählt, doch, oh Wunder, Dottore Gigli Nein, im Moment gebe es eine solche taucht fast in der nächsten Minute im T- nicht, morgen aber werde ganz groß ein Shirt vor uns auf. Der Anwalt wohnt direkt neues Museum im Palazzo Taurino eröff- über der Synagoge und war offensichtlich net. Heute sei es leider nicht zugänglich. in der Siesta. Trotz Sprachschwierigkei- Doch der gute Mann vom Tourismusbüro ten gibt er uns freundlichst Auskunft und hat Mitleid und führt uns inoffiziell in das öffnet den überraschend kleinen Innen- Untergeschoß des nahen Palazzos. Wahr- raum. Nach Osten die Nische der ehema- Wahrhaft ein ver- haft ein versteckter Schatz! Durch Glasbö- ligen Bimah, durch ein Glasfenster sieht den öffnet sich der Blick auf gleich mehrere man auf das Untergeschoß, vielleicht war steckter Schatz! Mikwaot. Über die Geschichte des Or- da eine Mikwe. An der Seitenwand zwei Durch Glasböden tes, der jetzt vom privaten Palazzo-Besitzer hebräische Schrifttafeln mit dem Gebet für Besucher zugänglich gemacht wird, be- für eine leichte Geburt. öffnet sich der Blick richten Wandtafeln. An der Außenmauer Signor Gigli hat das Gebäude vor etwa auf gleich mehrere zum Hof deutet unser Guide auf eine leere 20 Jahren erworben. Das Rabbinat in Rom Stelle, an der sich einst die Mesusa befand. wäre an dem Objekt nicht interessiert ge- Mikwaot. Zum Abschied bekommen wir eine Einla- wesen. Herr Gigli hätte also alles Mögli- dung für die feierliche Eröffnung, zu wel- che mit diesem Betraum machen können, cher auch der Oberrabbiner aus Rom er- er hat sich aber entschlossen, das kleine Ju- wartet wird. Leider können wir ihr nicht wel liebevoll zu restaurieren und bei Be- mehr Folge leisten, aber danke! darf für Interessierte zu öffnen. Im 15. Eine lebende jüdische Gemeinde Jahrhundert hat es hier eine kleine jüdi- samt funktionierender Synagoge gibt es sche Gemeinde gegeben, wie in mehreren in Apulien nur noch im schönen Städt- Orten Apuliens. Die Juden seien konver- chen Trani. Aber das ist eine andere Ge- © Konrad Holzer tiert oder verschwunden, erklärt er. Dot- schichte. 

wına-magazin.at 33 Demeke Engida – der Chasan der Synagoge in Kechene.

„Mein Ziel ist, das Leiden der äthiopischen Juden Für ihre neue Dokumentation Bal zu beenden.“ Ej – The Hidden Jews of Ethiopia reiste die israelische Filmemacherin und Sängerin Irene Orleansky in den Norden Äthiopiens. Bal Ej sind jene Juden Äthiopiens, die aus Angst vor Übergriffen nur im Geheimen ihre Religion praktizie- ren. Orleanskys Arbeit besticht durch imposante Bilder von einer Gemein- schaft, deren Schicksal für gewöhnlich wenig Beachtung erfährt.

Interview: Thomas Kiebl © Irene Orleansky

34 wına | August 2016 interview Irene Orleansky

Bal Ej bedeutet „Handwerker“ auf Amharisch und umfasst jene Juden Äthiopiens, die ihr Judentum geheim leben.

❙ WINA: Äthiopien gilt als schwieriges Terrain für Journalisten Bal Ej bedeutet auf Amharisch „Handwerker“. Juden in Äthi- und Filmemacher. Wie gestalteten sich Ihre Arbeitsbedingun- opien waren immer im Handwerk tätig, da ihnen der Besitz von gen vor Ort? Land untersagt war. Deshalb werden auch alle äthiopischen Ju- Irene Orleansky: Nicht einfach, alleine wegen der geografi- den „Falaschen“ genannt: „Falasha“ bedeutet „landlos“. Der Un- schen Anordnung der geheimen Synagogen in Äthiopien. Diese terschied zu anderen jüdischen Gemeinschaften zeigt sich im befinden sich in abgeschiedenen Gegenden, tief in der äthiopi- zweiten Teil meines Filmtitels. Juden, die in Gondar oder Ti- schen Berglandschaft. Ich benötigte eine gute physische Kon- gray leben, praktizieren ihre Religion öffentlich. Juden in Nord- dition, um in diese Gebiete vordringen zu können. Die Infra- Shewa, die im Mittelpunkt meines Films stehen, müssen ihre struktur vor Ort war ein weiteres Problem, mein technisches jüdische Identität verstecken. Sie praktizieren das Judentum Equipment musste ich an die fehlende Elektrizität anpassen: seit hunderten Jahren unter strenger Geheimhaltung. Da- Ich konnte die Batterien für die Kameras nicht aufladen, was durch entwickelten sich Unterschiede in der Tradition und der ich in meiner Arbeit immer zu berücksichtigen hatte. Zudem Form des Lebensstils, verglichen zu anderen Gemeinschaften. leben die Leute dort noch sehr traditionell. Ich hatte kein Pro- blem mit dem Essen, aber bei einer dieser abgeschiedenen Sy- Mit welcher Motivation traten Sie an das Projekt heran? ❙ nagogen haben mich die Bettwanzen wortwörtlich „gefressen“, Mir geht es um Aufmerksamkeit für dieses Thema. Mein mit einer schweren Infektion als Folge. Trotz dieser Schwierig- Ziel ist, das Leiden der äthiopischen Juden zu beenden. Die keiten würde ich diese Orte wieder besuchen. Nur mit besserer Welt soll von dieser einzigartigen Kultur erfahren. Während Ausrüstung, um auf unerwartete Umstände vorbereitet zu sein. meiner Arbeiten an dem Film baute ich viele Freundschaf- ten zu Mitgliedern der Bal Ej auf. Mein Engagement wird Der Film trägt den Titel „Bal Ej – The Hidden Jews of Ethiopia“. nicht mit der Veröffentlichung des Films enden, ich werde Worin liegen die Unterschiede zwischen den Bal Ej und ande- meine Forschung fortsetzen und mich weiterhin für die Ge- © Irene Orleansky ren jüdischen Gemeinschaften in Äthiopien? meinschaft einsetzen.

wına-magazin.at 35 Irene Orleansky (o. Mitte) auf Eine geheime Synagoge in ihrer Reise durch Äthiopien. Nord-Shewa.

Welche Rolle nehmen die Bal Ej in der äthiopischen Gesell- alle seien nach Israel ausgewandert. Die israelische Regierung schaft ein? stimmte zwar der Alija der verbliebenen 9.000 Falascha Mura zu. ❙ Obwohl die Bal Ej seit Jahrhunderten verfolgt und ihre Bei- Von einer Anerkennung der Juden in Nord-Shewa sieht sie bis träge für die äthiopische Gesellschaft nicht anerkannt werden, jetzt aber ab. Ich versuchte, Mitglieder der Knesset, die mit Fra- spielen sie eine bedeutende Rolle in der äthiopischen Geschichte gen der äthiopischen Immigration beauftragt sind, auf die Situa- und Ökonomie. Auf sie geht die Errichtung von Städten, Pa- tion anderer jüdischer Gruppen in Äthiopien aufmerksam zu lästen, Schlössern und Kirchen zurück, davon viele architekto- machen. Bislang leider erfolglos. nische Meisterwerke, die heute Weltruhm genießen. Historisch produzierten Bal-Ej-Schmiede jene Waffen, die Kaiser Mene- Welchen Formen von Diskriminierung sind die jüdischen Ge- lik II. große militärische Erfolge bescherten. Dies trifft auch für meinschaften gegenwärtig in Äthiopien ausgesetzt? ❙ die berühmte Schlacht von Adua zu (bei der Schlacht von Adua In Kechene, einem Viertel von Addis Abeba, in dem sich Ju- am 1. März 1896 besiegte die äthiopische Armee italienische Inva- den aus Nord-Shewa niedergelassen haben, fehlt es an Platz für sionstruppen und konnte somit die Souveränität Äthiopiens sichern, Begräbnisstätten. Das ist der Hauptgrund, warum viele ältere Ju- Anm.). Auf die Gegenwart bezogen, sind alle Keramikmanu- den sich entscheiden, das Judentum im Geheimen zu praktizie- fakturen und Webereien sowie die Mehrheit der Taxis in Addis ren und nach außen vorgeben, Christen zu sein: Juden, die sich Abeba im Besitz der Bal Ej. offen zu ihrer Religion bekennen, dürfen nicht auf den christli- chen Friedhöfen beerdigt werden, jüdische oder zumindest zivile Wie konnten Sie das Vertrauen der Gemeinschaft gewinnen, Friedhöfe existieren in Addis Abeba nicht. Ein weiteres Prob- das für den Zugang zu den Synagogen nötig war? lem liegt im weitverbreiteten Aberglauben, jüdische Handwer- ❙ Das Vertrauen der Ältesten (die den Zugang gewähren, Anm.) ker wären „Buda“, besäßen also einen „bösen Blick“. Leute au- zu gewinnen, war ein sehr zeitintensiver Prozess. Mein über- ßerhalb der Bal-Ej-Gemeinde betreten ihre Viertel nicht, aus zeugendstes Argument lag in der Gefahr, dass die Geschichte Angst, verflucht zu werden. Diese Stigmatisierung führt dazu, der Bal Ej für zukünftige Generationen verloren geht, wenn sie dass die Bal Ej ihre Produkte nicht direkt an öffentlichen Märk- nicht geteilt wird. Das leuchtete vielen ein. Dennoch existieren ten verkaufen können. Sie benötigen die Zusammenarbeit mit noch einige geheime Synagogen, die ich gerne besuchen würde, christlichen Kaufleuten. Dadurch verlieren sie in vielen Fällen deren Zugang mir aber bisher verwehrt blieb. große Teile des Profits, manchmal bis zu 80 %. Aber verglichen zu den Bal Ej, die weiterhin in Nord-Shewa leben, wirken die Wie lautet die Position der äthiopischen Regierung gegenüber Probleme der Bal Ej in Addis Abeba marginal: Seit ich 2011 ihren jüdischen Einwohnern? zum ersten Mal die Gemeinschaft besuchte, bekam ich fast je- ❙ Die Regierung ignoriert die jüdischen Gemeinschaften mit der den Monat Nachrichten über ein brutal ermordetes Mitglied der Begründung, dass es in Äthiopien keine Juden mehr gäbe: Sie Bal Ej. Mit dem erwähnten Aberglauben als Motiv.

Der Historiker Abayneh Tadesse vom „Ethiopia’s national mu- seum of history“ vertritt die Meinung, dass die Gründe für die Verfolgung von Juden in Äthiopien in erster Linie ökonomischer „Die Regierung ignoriert die und weniger religiöser Natur sind. Wie ist Ihre Meinung dazu? ❙ jüdischen Gemeinschaften mit Ich stimme ihm nicht zu. Der Konflikt zwischen den Beta Is- rael und der koptischen orthodoxen Kirche ist tief in die Histo- der Begründung, dass es in rie Äthiopiens eingeschrieben. Deswegen bezieht sich der Aber-

Äthiopien keine Juden mehr gäbe.“ glaube auch auf ökonomisch erfolgreiche, gebildete Mitglieder © Irene Orleansky

36 wına | August 2016 Judentum Äthiopien

Mystische Täler. Unentdeckt die eigene Religion praktizieren.

❙ Zunächst besteht ein Konflikt zwischen den Generationen: Wenn die jungen Bal Ej sich dazu entschließen, das Judentum öffentlich zu praktizieren, reagieren die meisten Älteren dar- auf abweisend. Sie befürchten eine weitere Verfolgung der Ge- meinschaft. Allerdings existieren auch Spannungen innerhalb der Jungen, die ihre Religion öffentlich praktizieren: Sie ste- hen vor der Entscheidung, ob sie die prätalmudischen Prakti- ken ihrer Vorfahren fortführen oder das rabbinische Judentum lernen sollen. Wobei dieser Konflikt kein Alleinstellungsmerk- mal der Bal Ej ist. der Bal Ej und ist bei allen Schichten der äthiopischen Gesell- schaft vorhanden. Bei Professoren genauso wie bei Analphabe- Äthiopien besteht nicht nur aus einer großen christlichen, ten. Sogar wenn ein Bal Ej das Christentum praktiziert und re- sondern auch muslimischen Bevölkerung. Wie verläuft die gelmäßig in die Kirche geht, kann er sich der Verleumdung als Beziehung zwischen Muslimen und Juden? ❙ „Hyänenmann“ oder „Christusmörder“ nicht entziehen. Für die längste Zeit konzentrierte sich der Konflikt vor al- lem auf die Beziehung zwischen Christen und Juden. Heut- Wo liegen die weiteren Unterschiede im Umgang mit den Bal Ej, zutage spielt auch das Verhältnis zu Muslimen eine Rolle. Ein wenn die ruralen mit den urbanen Gegenden verglichen wer- Verhältnis, welches vonseiten der Muslimen leider durch viel den? Hass gegenüber Juden gekennzeichnet ist. ❙ In urbanen Gegenden leiden die Bal Ej vor allem an sozialer Stigmatisierung. Dennoch haben viele junge Bal Ej einen Col- Die Ökonomie in Äthiopien wächst außerordentlich schnell. lege- oder Universitätsabschluss, manche sogar einen Doktorti- Welche Folgen hat diese Entwicklung auf die jüdischen Ge- tel. Für sie gibt es berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, trotz der meinschaften? ❙ Stigmatisierung. In ländlichen Gebieten kommt es zu gewalt- Die Folgen sind sehr positiv. Viele junge jüdische Äthiopier tätigen Übergriffen, ihr Eigentum wird zerstört. Da ihnen wei- sind hochgebildet und sehr motiviert. In Israel hatten wir lange terhin kein Land zur Verfügung steht, werden sie zudem in die das Bild von äthiopischen Juden als arme Dorfbewohner, die Armut gedrängt. Probleme mit der Aufnahme in die israelische Gesellschaft haben und einzig mit Spenden und der Wohlfahrt ihr Über- Nach dem Putsch des kommunistischen Derg (Militärjunta, die leben sichern. Die Jugend hat die Möglichkeit, diese Stereo- von 1974 bis 1987 Äthiopien regierte, Anm.) wurden neue Ge- type endgültig zu ändern. setze zur Landverteilung verabschiedet. Wie wirkten sich diese Gesetze auf die Bal Ej aus? Das ökologische System Äthiopiens ist äußerst fragil. Wie ❙ Die Bal Ej bekamen auch unter dem Derg-Regime kein Land passen sich jüdische Gemeinschaften an die sich wandeln- zugesprochen. Gesetze, die in Addis Abeba beschlossen werden, den Umstände an? ❙ haben wenig Einfluss auf die ruralen Gegenden. Die Leute dort Hinsichtlich des Wachstums von Addis Abeba ergeben sich leben auf eine traditionelle, feudale Art. Unbekümmert von den Probleme für Juden in Kechene, da die Wasser- und Elektrizi- rechtlichen Maßnahmen, die in der Hauptstadt gesetzt werden. tätsversorgung kaum funktioniert. Aber diese Probleme sind eher sozial und ökonomisch als ökologisch bedingt. Die Leute, Wie waren die Lebensbedingungen von Juden unter dem Derg- die in den geheimen Synagogen von Nord-Shewa prakti- Regime? zieren, spüren nichts von einem Wandel. Sie leben in unbe- ❙ Glücklicherweise war der Premierminister unter dem Derg, rührter Natur, wie vor hundert Jahren. Als wäre die Zeit ste- Fikre Selassie Wogderess, selbst ein Bal Ej. Er hielt seine Re- hen geblieben. ligion zwar geheim, sorgte aber dafür, dass die meisten jungen Bal Ej aus Nord-Shewa und Kechene das Schicksal ihrer Al- terskollegen nicht teilen und nicht im äthiopischen Bürgerkrieg kämpfen mussten. „Die Leute, die in den geheimen Synagogen

In dem Trailer zu Ihrer Dokumentation sprechen Sie auch von von Nord-Shewa praktizieren, leben in un- Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Äthio- berührter Natur, wie vor hundert Jahren. pien. Worin liegen die Gründe dafür? © Irene Orleansky Als wäre die Zeit stehen geblieben.“

wına-magazin.at 37 48 stunden in verona

Schlemmen talienisches Fast Food wie Pizza, Fo- Icaccia und Piadina gibt es in Verona beinahe an jeder Ecke. Besonders emp- fehlenswert ist ein schneller Imbiss im ►Gusto Piadinerie. Die reich belegten Sandwiches überzeugen durch ihre fri- schen Zutaten. Mit moderner italienischer Küche wartet die ►Trattoria dal Taio auf. Klassisch in Einrichtung und Speisenaus- wahl, sind die Gerichte ästhetisch, zeitge- mäß zubereitet. Allen Skeptikern der veganen Küche sei ein Besuch des ►Ristorante Flora drin- Shakespeares Liebesnest gend empfohlen. In dem stylishen Lokal erwarten Sie höchste Gaumenfreuden und neuartige Geschmackserlebnisse, die Sie Milch und Ei schnell vergessen an der Etsch lassen. Das 100 % glutenfreie Speisen- Das beliebte Ausflugsziel der Venezianer betört angebot ist auch für Gäste mit Zöliakie seine Besucher ebenso wie Julia einst Romeo. bestens geeignet. Kreative Zubereitung, Das pulsierende Leben in den engen Die neobarocke Synagoge Gassen der Altstadt wirkt ansteckend und kann leider nur von außen garantiert Dolce Vita für zwei Tage. besichtigt werden. Von Esther Graf Casa Perbellini: kreative Zu- bereitung. und der Palazzo Bevilacqua. Vorbei an Schlendern der römischen Porta dei Borsari ge- ie um 30 n. d. Z. erbaute ►Arena langen Sie zur Piazza delle Erbe. Dzeugt von Veronas Bedeutung in Das Herzstück der Altstadt dient mit bei der Sie dem Chefkoch förmlich über der Römerzeit. Ursprünglich war sie seinen Verkaufsständen und Straßen- die Schulter zusehen, bietet das ►Casa von einer Außenmauer aus rosafarbe- cafés bis heute als Marktplatz und Perbellini. Eine offene Küche ist in das nem Marmor umgeben. Das gut erhal- Treffpunkt. Der rechteckige Platz ist Lokal integriert, und das Bewirtungskon- tene Amphitheater dient als Bühne für eingefasst von mittelalterlichen Bür- zept sieht vor, dass Sie sich zu zwei Gän- die international renommierten Opern- gerhäusern und dem barocken Pa- gen des Menüs je eine Zutat aussuchen festspiele und bietet etwa 22.000 Be- lazzo Maffei. In unmittelbarer Nähe dürfen. suchern Platz. befindet sich der berühmteste Balkon Zum italienischen Dolce Vita gehören ne- In westlicher Richtung liegt an der der Literaturgeschichte, am angeb- ben gutem Essen auch guter Kaffee und Etsch das imposante Castelvecchio lichen ►Haus von Julia aus Shake- leckere Dolci, also Mehlspeisen. Eine Top- aus dem 14. Jahrhundert. Die Festung speares Liebestragödie Romeo und adresse für Schleckermäulchen ist die mit der dreibogigen ►Scaligero-Brü- Julia. Die nachträgliche Zuschreibung ►Pasticceria Flego. Die Auswahl an

cke garantierte den Herrschern aus stammt aus den 1930er-Jahren, als Törtchen und Gebäck ist schier endlos, © prom. dem Hause Scala einen Fluchtweg an der Balkon an einen ehemaligen Pa- weshalb Sie einen mehrmaligen Besuch das andere Flussufer. Am Corso Cavour lazzo angebracht wurde. einplanen sollten. Im kleinen ►Caffè gelangt man zum ►Arco dei Gavi. Der Borsari steckt Kaffee nicht nur im Na- Ehrenbogen aus dem 1. Jahrhundert men. Hier dreht sich alles um Bohnen- wurde 1805 von den Franzosen abge- sorten und die hohe Kunst des Kaffeezu- rissen und knapp dreißig Jahre später bereitens. Nach der Verkostung vor Ort ist aufgrund aufgefundener Aufrisszeich- auch der Kauf der Lieblingssorte für zu- nungen aus den erhaltenen Trümmern Hause möglich. wieder aufgebaut. Der Corso Cavour ist gesäumt von beeindruckenden Paläs- Der berühmteste Balkon ten der Renaissance. Herausragende der Welt erinnert Millionen Palazzo Canossa Besucher an Shakespeares Beispiele sind der ► Tragödie Romeo und Julia.

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Jüdische SpureN shoppen uden sind spätestens seit dem 10. Jahrhun- u bestaunen gibt es in Verona nicht nur Jdert ansässig. Nach ihrer Vertreibung durch Zeine Fülle an klassischer Architektur. In Erzbischof Raterio blieben einzelne in der Stadt, der Altstadt gibt es eine erstaunliche Dichte obwohl sie offiziell erst wieder im 15. Jahrhun- an Geschäften und Boutiquen. Die längste dert das Ansiedlungsrecht erlangten. Sie unter- Fußgängerzone der Stadt, die Via Mazzini, lagen Berufsverboten und einer Kennzeichnungs- wird auch als 5th Avenue bezeichnet. Einst pflicht, durften aber bis 1604 frei in der Stadt war die unbefestigte Straße von Baracken siedeln. In dem im selben Jahr eingerichteten und Lagerhallen gesäumt, bis sie 1818 mit Ghetto lebten 400 Juden. Marmor gepflastert wurde und zu einer der 1599 richteten sie den ersten Friedhof ein, der schlafen Topadressen aufstieg. Hier finden Sie alle bis 1755 in Gebrauch war. Im Jahr 1599 kam es ie Luxushotels der bekannten italienischen Designer wie Ar- auch zur Gründung des Wohltätigkeitsvereins La DStadt rühmen sich alle, mani, Dolce & Gabbana und Gucci und weni- Misericordia (heb. Ge- in Fuß- bzw. Sichtnähe zu ger bekannte wie ►Rocco Barocco. Seine milut Chasadim) und „Julias Balkon“ zu liegen. Kollektionen für Damen, Herren und Kinder zur Gründung der Be- Das eleganteste von ihnen machen seinem Namen alle Ehre: mal wilde gräbnisbruderschaft ist das ►Antica Porta Le- Muster, mal einfarbige Puffärmel, aber im- (Chewra Kadischa). ona. In klassizistischem mer etwas exaltiert, nie nur schlicht. Im 17. Jahrhundert Ambiente genießen Sie ►Patrizia Prencipe stammt nicht nur aus entwickelte sich Verona höchsten Komfort und soll- Verona, sie hat 2015 auch ihren ersten Flag- zu einer wichtigen Pro- ten unbedingt den groß- ship-Store in ihrer Geburtsstadt eröffnet. zügigen Wellnessbereich Die neobarocke Synagoge duktionsstätte für heb- Die Concept-Designerin entwirft zu ihren kann leider nur von außen räische Drucke. Ange- mit Pool aufsuchen. Wie im Kleidern die dazu passenden Schuhe und besichtigt werden. führt von Mosé Gaon Märchen dürfen Sie sich Handtaschen. Exklusive Kindermode bietet und Giovanni Navarra im Luxushotel ►Il Sogno Sarah Rela mit ihrem Label ►You Look So ließ sich 1655 eine große Gruppe von Marra- di Giulietta (Julias Traum) Fine. Die Modelle entstammen der Erwach- nos (zwangsgetauften spanischen Juden) aus fühlen. Die barock einge- senenwelt und sind durch verspielte Muster wirtschaftlichen Gründen in Verona nieder. Sie richteten Zimmer sind groß- und Verfeinerungen ein wahrer Hingucker. durften im sogenannten Ghetto Nuovo Häuser zügig angelegt und verfügen beziehen. Der Überfüllung der Ghettos versuchte teilweise über einen Blick Schuhe, Taschen und Kleider aus man mit dem Bau von „Häusertürmen“, Vorläu- auf „Julias Balkon“. Nicht einer Hand kreiert fern von Wolkenkratzern, zu begegnen, um mehr minder luxuriös ist das die Concept- Menschen unterbringen zu können. 1786 wur- ►Due Torri Hotel. Trotz Designerin Patrizia den die Ghettos durch einen mehrtägigen Brand seiner zentralen Lage und Prencipe. größtenteils zerstört. 1797 besetzten die Franzo- der Nähe zur Arena sind die sen die Stadt und öffneten die Ghettos. Zimmer äußerst ruhig. Bei Per Dekret wurde der sich entfesselnde Hass ge- einem Candle-Light-Dinner gen Juden untersagt und Verstöße streng geahn- oder bei einem Glas Wein det. 1864 wies Verona mit 1.200 Personen die genießen Sie auf der Dach- höchste jüdische Bevölkerungszahl seit ihrer ers- terrasse des Hotels einen ten Ansiedlung auf. Im selben Jahr wurde eine atemberaubenden Blick neue Synagoge in neobarockem Stil eingeweiht. über die Stadt. Sehr kom- Ihr Äußeres entspricht einem Palazzo jener Zeit. fortable, modern eingerich- Sie wird von den etwa 600 Juden, die heute in tete Zimmer bietet das Bed

© prom. Verona leben, nicht mehr genutzt. and Breakfast Residenza di Giuseppe Verdi. weitere infos kultur Gastronomie Einkaufen Hotels ► Arena von Verona ► Gusto Piadinerie ► Caffè Borsari ► Rocco Barocco ► Il Sogno di Giulietta arena.it piadineriagustoverona.it facebook.com/Caffè- roccobarocco.it sognodigiulietta.de ► Castelvecchio ► Ristorante Flora Borsari ► Patrizia Prencipe ► Due Torri Hotel museodicastelvecchio. ristoranteflora.it patriziaprencipe.it hotelduetorri.duetorri- comune.verona.it ► Casa Perbellini ► You Look So Fine hotels.com ► Casa di Giulietta casaperbellini.com youlooksofine.eu ► Antica Porta Leona casadigiulietta. ► Pasticceria Flego de.anticaportaleona.com comune.verona.it facebook.com/pasticce- ► Stadt-Paläste ria-flego-verona www.verona.net/it/ monumenti/

wına-magazin.at 39 Zehn Tage Israel

Österreich gab es zunächst nur einzelne Teilnehmer, die im Rahmen internatio- naler Gruppen das Land besuchten. 2011 intensivDas Taglit-Programm änderte sich die Programmorganisation in Europa: Hier sind nun die jüdischen Von Alexia Weiss zeigt jungen Juden aus Gemeinden vor Ort für die Organisa- aller Welt Israel von srael ist eines der tollsten Län- tion der Gruppen verantwortlich, erklärt seinen verschiedensten der, das ich jemals besichtigt Benjamin Gilkarov von der Jugendkom- habe, weil es so eine wahnsin- mission, der für die Koordination in der Seiten. Aus Österreich nige Energie hat und man sich Wiener Gemeinde zuständig ist. nimmt seit 2011 jedes Jahr gleichzeitig so geborgen fühlt“, Volles Programm. eine Gruppe teil. sagt Stella Landau. Die 20-Jährige hat Die lokalen Ge- im vergangenen Sommer an einer Tag- meinden übernehmen auch ein Drittel Ilit-Reise teilgenommen – heuer ist ihre bis eine Hälfte der Kosten für die Reise. Schwester bei dem Birthright-Programm Der Rest wird gemeinsam von US-Phi- mit von der Partie. Landau war zuvor lanthropen, der Jewish Agency und dem schon einmal mit ihrer Familie in Israel Staat Israel getragen. Pro Person kostet gewesen. „Aber es ist etwas völlig ande- das Programm rund 3.500 Dollar – wo- res, einen solchen Trip mit Gleichaltri- bei für die Teilnehmer selbst keine Reise- gen zu machen. Das Programm ist sehr oder Hotelkosten anfallen. Man versu- intensiv, und man lernt viele Leute ken- che, das für dieses Programm benötigte nen, die das Judentum ganz unterschied- Geld vor allem durch Spenden aufzu- lich praktizieren. Vor allem aber ist man treiben, betont Gilkarov (siehe Kasten). es ja gar nicht gewohnt, als Jüdin so viele Wer an einer solchen Reise teilneh- andere Juden auf einem Fleck zu treffen. men will, muss einige Kriterien erfüllen. Das fand ich sehr berührend.“ Das Programm wendet sich an Jüdin- Das Programm wurde 2000 von US- nen und Juden zwischen 18 und 26 Jah- Philanthropen und der israelischen Re- ren, die ihren festen Wohnsitz in Öster- gierung gegründet. In den ersten 15 Jah- reich haben. Man darf zudem ab dem ren haben mehr als 500.000 junge Juden Alter von 18 Jahren noch nicht an einer aus aller Welt und an die 75.000 junge ähnlichen Fahrt teilgenommen haben. Israelis an den zehntägigen Reisen nach Auch der Gesundheitszustand spielt eine und durch Israel teilgenommen. Aus gewisse Rolle, denn die Reise erfordert © privat

40 wına | August 2016 Israel KENNEnlernen

Kamelreiten, Meron, Ein vielsagendes Bild der Ein Avdat, Sde Boker, Taglit-Reisegruppe: Lachen, Jerusalem: nur wenige Gemeinschaft und Interesse der zahlreichen Statio- an Israel verbinden die vielen nen auf dieser bewe- jungen Menschen aus der genden Reise. ganzen Welt.

„Vor allem ist man es gar nicht ge- etwas Fitness. Wandern, Rafting, eine Get-together mit so- wohnt, als Jüdin jeweiligen jüdischen Übernachtung in Zelten in der Wüste wohl jüdischen jungen Gemeinde sein woll- gehören zu den Programmpunkten. Menschen aus der eige- so viele andere ten. 61 Prozent woll- Taglit selbst bietet mehrere Varian- nen Gemeinde als eben Juden auf einem ten stärker mit dem ten, durch Israel zu reisen: mit dem Rad auch aus Israel, wo vor Judentum in Kontakt oder als Wandertrip zum Beispiel. Die allem Studierende und Fleck zu treffen.“ treten. Dass Taglit Wiener Gruppen machen das Standard- Soldaten an dem Pro- Stella Landau auch ein Programm ist, programm mit dem Bus, „weil man da gramm teilnehmen. das Assimilation ent- am meisten sieht“, erklärt Gilkarov. Die In Tel Aviv habe die gegentritt, zeigen fol- Reise beginnt in Tiberias, es folgt ein Be- Gruppe zum Beispiel gende Zahlen: Vor der such an der syrisch-israelisch-libanesi- mit einem Straßen- Reise meinten 52 Pro- schen Grenze. Dann geht es weiter nach künstler gemeinsam zent der Teilnehmer, Zfat (Kabbala-Zentrum), zum Jordan eine Häuserwand be- ein jüdischer Partner (mit Rafting), zum Berg Meron, nach malt. „Wenn ich heute daran vorbeifahre, sei ihnen wichtig – nach dem Programm Tel Aviv (mit Kreativworkshop), Masada macht es mir jedes Mal eine Gänsehaut. waren es 86 Prozent. Davor meinten 49 (mit frühmorgendlicher Wanderung und Ich hoffe, dass es diese Wand auch noch Prozent, sie würden ihre künftigen Kin- Sonnenaufgang) und Ein Gedi (Oase in 20 Jahren gibt – das hat etwas sehr der jüdisch erziehen – danach waren es mit Wasserfällen). Es folgen Kamelrei- Verbindendes!“ 66 Prozent. Und in Sachen Israel-Kom- ten und Übernachtung in der Wüste (in Israel hat Birthright ins Leben geru- petenz meinten 42 Prozent vor Reise- Beduinenzelten), dann Weiterfahrt nach fen, um das Land jungen Juden aus aller antritt, dass sie sich mit dem Gesche- Ein Avdat (Naturpark) und Sde Boker Welt schmackhaft zu machen – und tat- hen in dem Land gut auskennen – nach (wo Ben Gurion begraben liegt). Letzte – sächlich beschließen auch immer wieder ihrer Rückkehr in ihre Heimat waren es mehrtägige – Station ist schließlich Jeru- Programmteilnehmer, Alija zu machen. 64 Prozent.  salem mit einem Besuch der Klagemauer, Doch auch die örtlichen Gemeinden ha- des jüdischen sowie des antiken Jerusa- ben die Erfahrung gemacht, dass Tag- lem, Yad Vashems und des Har Herzl, um lit den Gemeindezusammenhalt stärkt. Sie wollen das Birthright- dort der gefallenen israelischen Soldaten Wer an einer solchen Reise teilgenom- Programm unterstützen und zu gedenken. men hat, ist danach eher bereit, sich ak- jungen österreichischen Juden Gilkarov hat selbst 2013 an einer sol- tiv im Gemeindeleben einzubringen, er- eine Reise nach Israel ermöglichen? chen Reise teilgenommen. Was das Pro- läutert Gilkarov. Spendenkonto der IKG gramm von anderen Israel-Rundfahrten Eine Umfrage unter den Teilnehmern IBAN: AT67 1200 0006 8409 0400 unterscheide, seien einerseits die sehr in- von 2014 ergab, dass 60 Prozent nach der Verwendungszweck: Taglit © privat teraktive Gestaltung, andererseits das Rückkehr in ihre Heimat aktiver in ihrer

wına-magazin.at 41 Men t schen: Evelyn Böhmer-Laufer „Ausgewogen zu bleiben, ist eine große Herausforderung“ Die Psychologin Evelyn Böhmer-Laufer leitet seit 2005 das Peacecamp. Am Ferienlager nehmen israelische und arabische, ungarische und österrei- chische Jugendliche teil. Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

Die westliche Welt erlebt gerade einen Rechtsruck. Welche Vorurteile haben Teilnehmende gegenüber Min- Welchen Nutzen kann das Peacecamp in Zeiten wie die- derheiten in ihrer eigenen Kultur? ❙ sen bringen? Genau das war heuer unser Hauptthema. Es haben sich Evelyn Böhmer-Laufer: Die einzige Möglichkeit, dem Ressentiments gegenüber Homosexuellen gezeigt, ge- Fremdenhass entgegenzuwirken, ist, mit Fremden zu re- genüber Behinderten, gegenüber Menschen, die nicht den, sie kennenzulernen und sich ihnen bekannt zu ma- den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, und ge- chen. Das Peacecamp bietet Rahmen und Impuls, die genüber Menschen, die allgemein anders ticken. Man- Kultur anderer zu erleben und ihnen die eigene näher- che Gruppen haben das Thema überhaupt verfehlt und zubringen. Wir laden Jugendliche hierher ein, damit ein sich selbst als Opfer von Vorurteilen stilisiert. Es ist im- Lernprozess stattfinden kann, aber im Gegensatz zu ei- mer leicht zu sagen, man werde ungerecht behandelt. Da ner Schule haben wir ihnen nichts zu lehren – weil wir, komme ich mit der Gegenfrage: „Was kannst du dage- die Erwachsenen, eigentlich versagt haben. Schau dir die gen tun?“ Nicht, was der andere tun kann, denn darauf Welt an: Xenophobie, Nationalismus, Kriege, Blutvergie- haben wir keinen Einfluss. Die Frage ist, wie kann ich ßen. Wie man den Frieden herbeiführt, können wir zwar als Individuum dabei helfen, die Stellung meiner Per- nicht beibringen, aber es vielleicht zusammen lernen. son und die meiner Angehörigen in der Welt zu verbes- sern. Was kann ich dazu tun, Terror und Kriegsdrohun- Rabbi Nachman behauptete, mehr von seinen Schülern gen zu beruhigen, indem ich Einfluss auf meine eigene gelernt zu haben als von seinen Lehrern. Gruppe nehme. ❙ Bei uns ist es ein gemeinsamer Lernprozess. Das Peace- camp findet an einem Ort statt, wo es nichts gibt: kein Was sind die größten Unterschiede zwischen den Schü- Beisl, keinen Kiosk, keine Disco, keine Pizzeria, keine lern unterschiedlicher Herkunft? ❙ Ablenkungen, überhaupt nichts außer uns selbst inmit- Erstaunlicherweise gibt es kaum Unterschiede. Sie ten der Natur. Ich sage ihnen: „Wir sind hier auf einem streiten mit ihren Eltern; sie finden ihre Geschwister neuen Planeten gelandet, lauter unterschiedliche Men- blöd; sie beschweren sich über zu viele Aufgaben; am schen, die nicht einmal eine gemeinsame Sprache haben. Abend wollen sie nicht ins Bett und in der Früh wol- Hier können wir eine neue Gesellschaft gründen, neue len sie länger schlafen … Das ist ja eine der Stärken des Lebensformen entwickeln und lernen, wie man mitei- Peacecamps: Man sieht, die anderen sind wie wir. Dafür nander auskommt.“ Wir sind alle auf Augenhöhe – na- gibt es innerhalb jeder Gruppe große Unterschiede: Ei- türlich gibt es unter den Erwachsenen auch Experten, ner ist schüchtern, der andere witzig; einer ist träge und zum Beispiel haben wir einen Psychoanalytiker, der sich der andere voller Tatendrang. darauf versteht, Gruppen zu leiten. Aber auch er ist nur als Moderator tätig: Er gibt keine Inhalte vor, sanktio- Was sind für dich persönlich die größten Herausforderun- niert nicht, macht keine Vorschriften und hat letztend- gen am Peacecamp? ❙ lich auch keine Doktrin zu vermitteln. Ausgewogen und neutral zu bleiben – und selber das umzusetzen, was ich von den anderen verlange. In den Was motiviert Schüler, sich anzumelden? „Zehn Geboten“ des Peacecamps steht unter anderem, ❙ Am ersten Tag frage ich alle, warum sie da sind. Man- man soll jedem respektvoll zuhören und auch dann nicht che sagen, es sei wegen des guten Englischtrainings oder sofort reagieren, sondern erst verarbeiten. Auch für mich weil sie umsonst ins Ausland reisen dürfen. Die wenigs- ist das eine große Herausforderung, weil mich manche ten kommen mit einem deklarierten politischen Anlie- politischen Aussagen sehr irritieren – nicht nur von den gen. Trotzdem wissen sie, was auf sie zukommt, weil sie Jugendlichen, sondern auch von den Erwachsenen. Es im Vorfeld einige Fragen beantworten müssen: Was das ist eine unglaubliche Herausforderung, Menschen auf- Wort „Friede“ für sie persönlich bedeute, was die Hin- merksam zuzuhören, die eine völlig konträre Meinung dernisse für Frieden seien, was sie selbst schon getan ha- haben. Meistens hören wir gar nicht richtig zu, sondern ben, um ihr Lebensumfeld friedlicher zu gestalten, und warten nur noch auf das Stichwort, bei dem wir einha- was sie dafür in Zukunft tun könnten. Diese vier Fra- ken können – um uns dann wie ein Löwe auf die Beute gen dienen als Leitmotiv durch das ganze Peacecamp. zu stürzen. So kommt man nie dem Gegenüber näher.

42 wına | August 2016 „Die einzige Möglich- keit, dem Fremdenhass entgegenzuwirken, ist, mit Fremden zu reden.“

wına-magazin.at 43 interview mit Abraham Winitzer

Links: Abraham Winitzer anlässlich seines Vortrags vor dem Wiener Stephansdom. Unten: Mesopotamien innerhalb der heutigen Staatsgrenzen.

Mesopotamien Israel als Brücke zu Der israelisch-amerikanische WINA: Herr Professor Winitzer, Sie sind an die Universität Wien gekommen, um über Professor Leo Oppenheim zu spre- Orientalist Abraham Winitzer chen – in einem Vorgriff auf Ihre intellektuelle Biografie des im Gespräch über seinen großen großen Orientalisten. Was war eigentlich seine Bedeutung für Vorgänger, den in Wien geborenen das Fach, sowohl in seiner neuen Heimat Chicago als auch in der akademischen Welt? A. Leo Oppenheim. Abraham Winitzer: Leo Oppenheim war Assyriologe, be- Interview & Foto: schäftigte sich also mit dem alten Mesopotamien, oder besser Reinhard Engel insgesamt mit dem alten Nahen Osten. Dabei gehört er zu den Wissenschaftern mit dem größten Einfluss, die dieses Fach im 20. Jahrhundert eigentlich definiert haben. Er tat das mit seiner eigenen Forschungsarbeit, aber auch als Herausgeber eines um- fangreichen Wörterbuchs, das als wichtigste Grundlage dieses Studienfachs bezeichnet worden ist. Und er ist bis heute hoch anerkannt, für seine historischen Einschätzungen, seine intel- lektuellen Visionen wie auch für seine grundlegenden Defini-

tionen, was das alte Mesopotamien eigentlich ausgemacht hat. © Wikipedia (Karte)

44 wına | August 2016 Und warum haben Sie sich mit ihm besonders intensiv be- Texte reagieren auf Texte davor, diese wiederum auf noch ein- fasst? mal ältere Texte davor. Ich habe ihn gelesen und mich gefragt, was seine persönli- chen Motivationen hinter seinem Denken waren. Sie meinen, wir stehen auf den Schultern unserer Vorfahren? ❙ Ja, und ich meine, hier gibt es eine Parallele zur jüdischen Professor Oppenheim arbeitete an der Universität Chicago. Tradition. Eine Ebene der jüdischen Texte, etwa der Mischna Über welche Gebiete des alten Mesopotamiens hat er be- und der Gemara, baut ebenfalls auf älteren Schriften auf, und sonders geforscht? Hat er sich auf die Wirtschaft oder auf auch diese Texte wurden dann weitergegeben und diskutiert.

In Ihrem Vortrag hier in Wien erwähnten Sie, dass Prof. Op- penheim in seinen Forschungen zu Mesopotamien alte bib- lische Texte verwendete, eigentlich öfter, als er sie für sein Thema hätte verwenden müssen. Können Sie das erklären? Sieht er in der jüdischen Geschichte mehr Kontinuität als in anderen Geschichten? ❙ Oppenheim hat Mesopotamien als A. Leo Oppenheim. „tote Zivilisation“ bezeichnet. Es ist Der Assyriologe zählte im Fach intensiv diskutiert worden, zu den einflussreichs- ten Wissenschaftern was er damit gemeint hat. Auch ich seines Faches im 20. war neugierig, was er mit „tot“ ge- Jahrhundert. meint hat. Einerseits meint er, es ist eine Zivilisation, die von uns völlig abgetrennt ist, wir können eigent- lich keinen Zugang mehr dazu finden, auch wenn wir dar- über forschen. Wenn wir das etwa mit dem alten Griechen- land vergleichen, sieht man den Unterschied. Auch wenn das ebenfalls lange zurückliegt, so gibt es in der westlichen Tra- dition ein grundlegendes Verständnis für das antike Grie- chenland. Oppenheim bestand darauf, dass dies für Meso- die Religion spezialisiert? Oder war er noch ein Generalist potamien nicht gilt. Israel als Brücke zu alter Schule? ❙ Das ist eine gute Frage. Das ist einer der interessantesten Und was hat Israel damit zu tun? ❙ Aspekte bei ihm: Wenn man das heute fragt, bekommt man Oppenheim hat eine kleine Brücke des Zugangs zum alten eine relativ genau definierte Antwort. Nehmen wir etwa den Mesopotamien gefunden, und das ist Israel, und zwar die Bi- lokalen Experten hier an der Universität Wien, Professor Mi- bel. Mit ihrer Hilfe verbindet er Mesopotamien zu uns herauf, chael Jursa. Er ist ein weltweit anerkannter Experte, und zwar und zwar macht er das einige Male. Ich denke, er wollte damit Mesopotamien für die Ökonomie einer bestimmten Periode in Mesopota- sagen: Wenn man zu dieser alten Welt Zugang erhalten will, mien, dem ersten Jahrtausend. Das ist natürlich in Ordnung, kann man das durch die biblische, jüdische Tradition schaffen. und so hat sich das Fach entwickelt. Sie meinen das Exil in Mesopotamien? ❙ Sie meinen hoch spezialisiert? Nein, ich meine ganz allgemein den Zugang zu den Konzep- ❙ Ja, spezialisiert, und mit guten Gründen. Die Menge von Da- ten der alten Welt. Ich meine das Verständnis, welche Gebete ten ist so groß geworden, dass man sich spezialisieren muss, Priester gesprochen haben, welchen Zugang die Menschen zu sonst bleibt man an der Oberfläche. Die Expertise, oder bes- Geografie oder Architektur hatten. Hier kann laut Oppen- ser gesagt, die Expertisen von Oppenheim reichten viel wei- heim das biblische Material einen Übergang für uns herstellen. ter. Er hat sich mit vielleicht zehn bis 15 verschiedenen Be- reichen befasst. Er hat über Bankgeschäfte gearbeitet, also Sie beziehen das auf die damals engen politischen und wirt- auf dem Gebiet der Ökonomie; er hat sich für Materialwis- schaftlichen Beziehungen zwischen diesen Regionen? ❙ senschaft interessiert, etwa die Glasproduktion; er hat auch Ja und nein. Im ersten Millennium hat es Israel gegeben, über das Bierbrauen geschrieben, über Medizin, aber auch und das Assyrische Reich war einer der großen Akteure. über mythologische Texte, über Gebete und Rituale. Vielleicht Also hat es historische Kontakte gegeben. Aber ich denke, das Wichtigste war seine Definition der alten Gesellschaft – es ist mehr dahinter. Oppenheim dachte, Israel ist kulturell nämlich als Strom der Tradition. Er beschrieb die mesopota- Mesopotamien näher, und damit finden wir in den jüdischen © Wikipedia (Karte) mische Gesellschaft über die Weitergabe ihrer Schriften: Die Texten die letzten Zeugenberichte dieser Kultur.

wına-magazin.at 45 Tote Zivilisation

Adolf Leo Oppenheim A. Leo Oppenheim: Ancient Mesopotamia: (1904–1974) war einer der be- Portrait of a Dead deutendsten Assyriologen seiner Civilization. Revised Generation. Er hielt einen Lehrstuhl Edition completed by Erica Reiner. University für Orientalistik an der University of Chicago Press, 445 S. of Chicago und gab das Chicago Assyrian Dictionary heraus. Sein bekanntestes Buch war Ancient Mesopotamia: Portrait of a Dead Civilization. Abraham Winitzer Und in der Kontinuität der jüdischen Texte ist Associate Professor für alte mit- senschaftliche Karriere an der Universität telöstliche Sprachen (Akkadisch, wurde etwas davon erhalten? von Chicago. ❙ Aramäisch, Hebräisch) am Institut Vermutlich hat Oppenheim das gemeint. für Religionswissenschaften an der Sie sind zwar in Ihrem Vortrag sehr vorsich- Das rabbinische Denken war eben eine die- katholischen University of Notre tig, aber Sie deuten doch eine Parallele an ser Schichten des Denkens, die übereinan- Dame in Indiana. Der Schwerpunkt der gelagert sind. seiner Forschung liegt auf der ak- zwischen der „toten Zivilisation“ Mesopo- kadischen Literatur aus Mesopo- tamiens und dem Ende der europäischen A. Leo Oppenheim war sowohl Wiener als tamien, aber auch auf biblischen Zivilisation, wie sie sich bis zum Zweiten auch Jude. Sie haben zahlreiche Briefe Texten. Weltkrieg entwickelt hatte. Sie meinen von ihm oder seiner Familie aus auch, dass Oppenheim in gewisser der Zeit deren Flucht aus Nazi- Weise diese Parallele zieht. ❙ Deutschland gelesen. Erzählen Da gibt es eine Beziehung. Ich bin Sie uns davon – von seiner La- froh, dass Sie vom Ende der europä- gerhaft in Frankreich und seiner ischen Zivilisation gesprochen ha- weiteren Emigration in die USA. ben, und das ist gut so, dass man die- Er wurde dabei ja von berühm- sen Einschnitt nicht exklusiv auf die ten Wissenschaftern seiner Zeit Juden beschränkt. Natürlich spielte unterstützt? der Holocaust eine große Rolle. ❙ Indirekt hat ihm der dänische Aber auch für viele Exilanten be- Physiker Niels Bohr geholfen, ge- deutete es, diese Welt ist verschwun- meinsam mit seinem Bruder Ha- den, auf vielen Ebenen. rald August, einem Mathemati- ker. Die Bohr-Brüder haben einer Sie meinen, wie Stefan Zweig in der ganzen Reihe von jüdischen Wis- „Welt von Gestern“ schrieb? ❙ senschaftern geholfen. Ich habe auch an ihn gedacht. Mich hat an Leo Oppenheims Den- Waren die Oppenheims eigent- ken besonders beeindruckt, dass er lich eine religiöse Familie? gemeint hat, das Jüdische gibt uns ❙ Ich würde nicht sagen, dass sie die Möglichkeit, eine alte Welt wie- sehr religiös waren, aber sie fühl- „Wenn man zu derzubetreten, die verschwunden ist. ten sich jüdisch, waren nicht getauft. dieser alten Welt Und dann nimmt er das gelegentlich zurück und sagt, nein, sogar das ist verschwunden. Oppenheim dissertierte an der Universität Zugang erhalten Wir haben keinen Zugang mehr. Wien, aber er bekam als Jude keine wissen- schaftliche Stelle, auch nicht vor dem „An- will, dann kann Beklagt er das, oder schreibt er darüber schluss“. man das durch nüchtern, als Tatsache? ❙ ❙ Er beendete sein Studium im Jahr 1933, er die biblische, jü- Ich denke schon, „beklagen“ ist die rich- publizierte auch anerkannte Arbeiten, aber tige Interpretation. Er sagt nie offen, dass er er bekam keinen wissenschaftlichen Job, er dische Tradition seine eigenen Erfahrungen nutzt, um Meso- arbeitete als Bibliothekar. Nach dem „An- schaffen.“ potamien zu erklären. Aber er macht Kom- schluss“ floh er sehr schnell – zuerst nach mentare, dass er ganz besonders qualifiziert Paris, aber nach Kriegsbeginn wurde er als Abraham Winitzer ist, diese Zivilisation zu verstehen, weil er so Deutscher interniert. Als dann die Deut- viel gelesen hat. Und dann sagt er wieder: schen Frankreich okkupierten, wurde er freigelassen und „Auch ich finde keinen Zugang mehr.“ Für mich ist es schwer schaffte über Spanien und Portugal die Flucht in die USA. zu glauben, dass seine eigenen Erfahrungen hier nicht einge- Seine Familie blieb in Wien und wurde schließlich depor- flossen sind. Er hat jedenfalls wiederholt davon gesprochen, tiert und ermordet. Nach dem Krieg begann dann seine wis- dass eine Reihe von europäischen Ideen nicht mehr gültig ist.

46 wına | August 2016 Beten im Stiebl

Zu den Hohen Feiertagen bietet sich das Gemeindezent- rum als alternativer Betraum mit intimer Das „Stiebl“ Atmosphäre an. von nebenan

Religiös vielleicht noch sozialisiert in den Eindruck erweckt, dass diese quasi den einstigen Beträumen der Grünan- gratis seien. Dem ist nicht so. Man kann, gergasse, der Glasergasse, der Universi- man sollte, man müsste die Plätze kau- tätsstraße, fühlt man sich eher im kleine- fen, zumal diese im Vergleich zum großen ren Rahmen wohl, möchte den vertrauten Raum wesentlich günstiger sind. Leider „Nign“ hören und sich da- ist nur ein kleiner Teil bei nostalgisch an die Fei- der rund 150 Sitze be- ertage der Kindheit zu- zahlt, weiß Frau Naj- rückerinnern können. der von der IKG, die Spirituell-religiöse Erleb- ihre „Kundschaft“ nisse dieser Art bieten frei- meist schon im Som- Von Anita Pollak lich auch heute noch meh- Schwellenangst mer kontaktiert. Mit s ist nicht gerade ein Geheim- rere Wiener Betvereine, dem eher symboli- tipp, und doch wissen auch das Gemeindezentrum ist überhaupt schen Solidar-Beitrag nicht alle Insider Bescheid, ist aber eben gleichzeitig unangebracht, sichert man vielleicht dabei wäre es für die nicht doch auch der Stadttempel, sogar den Fortbestand unbeträchtliche Zahl der „Dreitagesju- d. h. man darf mal hinüber denn hier sind dieser Dependance, die Eden“, also jene, die den Stadttempel nur schauen oder hören, der jede und jeder nicht nur wesentlich zu den Hohen Feiertagen besuchen, viel- Oberrabbiner kommt gele- ruhiger, sondern im leicht eine wichtige Information. Also: gentlich vorbei und richtet willkommen. Gegensatz zum „Tem- Es gibt eine Dependance, d. h. einen se- einige Worte an die Beten- pel“ auch für Frauen parierten, ruhigen Betraum nebenan, im den. Das Schofar wird von Willi Weiss stufenlos zugänglich ist. Gemeindezentrum. geblasen, was Ehre, aber auch Stress be- Schwellenangst ist überhaupt unan- Dort trifft sich alljährlich der kleine, deutet. „Die Lippen müssen halten“, er- gebracht, denn hier sind jede und jeder feine Fanclub von Tommy Gross, der klärt er, weshalb er regelmäßig und vor willkommen. Wir, die wir die familiäre hier so unvergleichlich heimisch und allem ein bis zwei Monate vor seinem all- Atmosphäre dieses Betraums und seinen doch professionell „davent“, d. h. so vor- jährlichen Auftritt üben muss. „Aufge- wunderbaren Chasan Tommy Gross all- betet, wie es viele der mittlerweile auch regt bin ich noch immer, es kann ja auch jährlich genießen dürfen, hoffen jeden- schon älteren Besucherinnen und Besu- schiefgehen.“ falls, dass eine Initiative „Rettet das Ge- cher des Gemeindezentrums lieben und meindezentrum“ nie notwendig sein schätzen. Die große „Festtagsoper“ des Keine Schwellenangst. Zu Kol Nid- wird.  Hauptraums mit Chor und Starkan- rei und zum Totengebet Jiskor am Jom tor Shmuel Barzilai ist natürlich ein re- Kippur, wenn man im Hauptraum kaum ligiös-musikalisches Erlebnis für sich, einen Stehplatz findet, ist auch das Ge- Info und Karten: das Gemeindezentrum bietet dagegen meindezentrum gut gefüllt, leider leert es IKG Mitgliederservice eine intime, familiäre Atmosphäre mit sich danach oft bald wieder. Und zu den Tel.: +43/(0)1/531 04 170 „Stiebl“-Charakter, und genau das su- beiden Neujahrstagen findet man immer E-Mail: [email protected] chen die meisten dort. freie Sitzplätze, was wohl bei manchen

wına-magazin.at 47 winafinespitz

Herbstzeit ist Schwammerlzeit Ob selbst gesammelt oder eigenhändig gekauft: Pilze sind ebenso eine bekömmliche Beilage wie eine wunderbare Hauptspeise – mit Aromen, die verzaubern können.

er Hochsommer ist da, und langsam kündigen sich auch mal etabliert sind, wird man sie schwer wieder los! Und an wieder die ersten Herbsttage an. Bevor das Jahr zu Ende die Folgen eines unbekömmlichen oder gar giftigen Pilzge- gehtD und wir mit Elan das neue feiern, wollen wir doch noch richts wollen wir hier auch nicht denken. Wir konzentrieren ausgiebig genießen, was Wald und Wiese so zu bieten haben. uns an dieser Stelle auf die wohlschmeckenden Exemplare Und das sind in unseren Breitengraden herrliche Pilze. und den kulinarischen Mehrwert, den sie der Küche liefern. Die Erde ist vom Sommer warm, Regen spendet die nötige Pilze waren schon in der Urgeschichte eine beliebte Be- Feuchtigkeit, und auf den satten Böden der Mischwälder ge- reicherung des Speisezettels, wurden von Frauen und Kin- deihen sie fröhlich vor sich hin – die Schwammerl. dern gesammelt und durch Trocknen haltbar gemacht. Für Pilze können so einiges, daher immer mit Respekt an die den Winter wurden Vorräte angelegt, eine wichtige Eiweiß- Sache herangehen, wenn man sie selbst sammeln möchte. quelle in kargen Zeiten – durch den hohen Eiweißgehalt Am besten geht man nach einem kräftigen Regenguss in kann ein Pilzgericht schon eine Fleischmahlzeit ersetzen. den Wald, wenn die Sonne wieder scheint Die Ureinwohner Australiens nennen sie und man die Pilzvorkommen geradezu rie- Gebratene Stein- bis heute das „Brot des schwarzen Man- chen kann. Und dann heißt es, aufmerk- pilze mit Pesto nes“. Arm an Kohlehydraten, reich an Bal- sam sein und wirklich nur das nehmen, Zutaten last- und Mineralstoffen sowie den Vitami- was man eindeutig als genießbar identi- (für 4 Vor- bzw. 2 Hauptspeisen) nen A, B 6, B 12, C und D. Pilze galten viele fizieren kann. Wenn man den Fruchtkör- Jahrhunderte als „Arme-Leute-Essen“, erst 400 g frische Steinpilze, trocken ge- per, also das Schwammerl, vorsichtig mit bürstet & in Scheiben geschnitten im Barock unter dem französischen Son- einem kleinen Messer abschneidet, können 2 Schalotten, fein gehackt nenkönig Ludwig XIV. erkannte man die sich an dieser Stelle schnell kulinarischen Möglichkeiten und begann, 1 Knoblauchzehe, gehackt wieder neue bilden. In Mit- Champignons zu züchten. Während in Eu- 2 EL Olivenöl teleuropa gibt es hunderte ropa die Pilzzucht erst im 20. Jahrhundert von Speisepilzen, von de- Salz, Pfeffer ihren Höhepunkt erreicht, blicken die Asi- nen aber nur wenige geges- 1 Bund Petersilie, fein gehackt aten auf eine mehr als 2.000 Jahre alte Tra- sen werden, weil auch das 100 g Walnüsse, gemahlen dition zurück. Wissen um die mysteriösen 50 ml Walnussöl (oder anderes Wer nun gar nicht in den Wald auf Pilz- Waldbewohner größtenteils hochwertiges Pflanzenöl) jagd gehen mag, greift auf Verkaufsware verloren gegangen ist. So be- Saft und Zeste einer zurück und hat mittlerweile eine ebenso unbehandelten Zitrone schränkt man sich auf Eier- respektable wie sichere Auswahl zwischen © Scheriau & Typolt schwammerl (Pfifferlinge), Zubereitung: Champignons, Pfifferlingen, Steinpilzen Pure Aromen Wiesenchampignons und Steinpilze, wäh- aber auch Kräuterseitlingen, Austern- der Natur. Für das Pesto Öl, Nüsse, Zitrone Gebratene rend Goldröhrlinge, Edelreizker, Parasole, und Gewürze gut verrühren, bis oder Shiitake-Pilzen. Wie auch immer Steinpilze mit Semmelstoppelpilze und viele andere ein- eine leicht cremige Masse ent- man sich entscheidet – für alle gilt: Frisch Petersilien- fach stehen gelassen werden. Zum Speise- steht; zuletzt die gehackte Peter- müssen sie sein! Dann die Schwammerl pesto. pilz des Jahres wurde übrigens der Maro- silie unterrühren, kalt stellen. möglichst schnell verarbeiten, erdige Stiele nenröhrling ernannt. Eine schwere Pfanne erhitzen, abschneiden, die Kappen trocken bürsten – Pilze sind eukaryotische Lebewesen (das das Öl heiß werden lassen, keinesfalls waschen, sonst verlieren sie sehr sind alle Lebewesen, deren Zellen einen Pilze scharf anbraten, Schalot- schnell ihr Aroma. Kern besitzen), und in der biologischen ten und Knoblauch etwas später Ein Gericht, bei dem sich das herrli- Klassifikation bilden sie neben den viel- zugeben, sie sollen nicht anrös- che Umami (der fünfte Geschmack ne- zelligen Tieren und den Pflanzen ein eige- ten. Das Gemüse durchschwen- ben süß, sauer, salzig und bitter) der Pilze nes Reich. Pilze vermehren und verbreiten ken und mit Salz und Pfeffer ab- voll entwickelt, stellen wir im Folgenden schmecken. Pilz immer erst nach sich durch Sporen und vegetativ und be- vor: gebratene Steinpilze mit Petersilien- dem Garen salzen, da sie sonst nötigen daher auch ein spezielles Milieu. pesto, eine elegante Vor-, aber auch leichte zu viel Wasser abgeben und Welche zerstörerische Kraft Pilze entwi- Hauptspeise, die bestimmt überzeugt. zäh werden. ckeln können, ist jedem klar, der einmal Die Pilze übersichtlich anrichten Schimmel, sei es auf Lebensmitteln oder und mit Pesto beträufeln. Be’TeAvon und Le Chajim! Wänden, beobachtet hat – wenn sie ein- Herzlichst, Finespitz

48 wına | August 2016 MATOK & MAROR ngel E ngel © Reinhard Der vielseitige WEIN „Süd Länder“

n der idyllischen burgenlän- Im vierten Bezirk bietet ein dischen Gemeinde Deutsch- Bistro feinstes Gemüse und Ikreutz – einst eine der berühm- ten Siebengemeinden – liegt, besten Fisch an. unweit der Tempelgasse, das Weingut Gesellmann. (Die ie er auf den ausgefallenen Namen und die Sheva Kehillot wurden 1670 ge- Schreibweise kam, wollen wir vom Chef gründet, als Paul I. Esterházy desW Restaurants Süd Länder, Jovica Jankovic, wis- Restaurant- TIPP die Juden auf seinem damali- sen. Der freundliche Wirt lacht schallend: „Ich Süd Länder gen Territorium aufnahm, die komme aus Zaječar in Serbien, und mein ers- Restaurant, Café, Tapas-Bar, Vinothek Leopold I. aus Wien vertrieben ter Geschäftspartner war ein türkischstämmiger Rilkeplatz 7, 1040 Wien hatte.) Österreicher. Ich war ein wenig irritiert, weil man tgl. 11 bis 23.30 Uhr Tel.: +43/(0)1/966 78 23 Aber nicht nur der Ort, auch das ihn immer wieder halb im Scherz „Kümmeltürk“ suedlaender.com Weingut selbst blickt auf eine nannte und mich als „Tschuschen“ bezeichnete. lange Geschichte zurück: 1767 Da besänftigte mich eines Tages eine Stamm- wurde Gesellmann erstmals kundin: „‚Na geh’, das heißt ja nur, dass du ein Südliche Geschmäcker. urkundlich als Weinproduzent Südländer bist …“ Von Tapas über mediter- erwähnt, und seitdem bemüht So entstand der Name des ersten Restau- ranes Gemüse bis hin zu gegrilltem Branzino. man sich hier um Weine mit rants auf der oberen Wiedner Hauptstraße. Ei- besonderem Charakter – wobei nige Jahre später eröffnete Jankovic den heutigen überliefertes Wissen, modernstes Süd Länder, näher zur Innenstadt Know-how, aber auch die Um- gelegen. Am Rilkeplatz, gleich zu gebung mit ihrem milden pan- Beginn der Wiedner Hauptstraße, „Es ist mir wichtig, nonischen Klima das Ihre zum bietet das Bistro jetzt mit ange- dass unsere Gäste Rehabilitation und endgültig Gelingen beitragen. schlossener Vinothek eine breite nach Wien zurück. Opus Eximium No 26 2013 Palette an mediterranen Köstlich- auch nach 22 „Es ist mir wichtig, dass ist eine Cuvée aus 60 % Blau- keiten an. Von echten spanischen Uhr noch eine unsere Gäste auch nach 22 fränkisch, 10 % St. Laurent und Tapas über slowenischen Gibanica Uhr noch eine Kleinigkeit 30 % Zweigelt. Die bis zu 65 (Strudel mit einer Topfen-Mohn- Kleinigkeit zu zu essen bekommen, wenn Jahre alten Rebstöcke werden Nuss-Füllung) bis zum Fisch in essen bekommen.“ sie vom Theater an der Wien von Hand bearbeitet, und die Salzkruste für vier Personen findet oder aus Hotels in unserer Sorten werden aufeinanderfol- man hier ein buntes Angebot. Jovica Jankovic Nähe kommen“, erzählt Jan- gend bis Ende Oktober geern- Doch der Weg in die Gastro- kovic. Da ist die Auswahl tet, einzeln vinifiziert und in Ei- nomie war Jankovic nicht von Jugend auf vor- auch noch beachtlich: Von aufwendigen Tapas chenfässern gelagert. Nach der gezeichnet. 1978 kam er mit den Eltern nach von 4 bis 7,20 € über einen gegrillten Branzino Verbindung zur Cuvée reift der Wien und fing in der dritten Volksschulklasse oder eine Orata um 14,90 €, dazu Beilagen nach Wein weitere drei Monate im hier an, dann folgte die HTL im 22. Bezirk, und Wahl: dalmatinisch mit Mangold und Kartoffeln Holzfass – und das ergibt: dunk- schließlich schloss er seine Ausbildung zum Ra- oder Blattspinat mit Petersilkartoffeln. Wer es am les Rubingranat im Glas, Vanille dio- und Fernsehtechniker ab. „Die Gastrono- Abend leichter angeht, wählt einen Salat mit Par- und Kirschduft mit einer rau- mie hat mich immer schon gereizt, und nach ei- migiano und Pinienkernen auf Rucola, verfeinert chigen Note in der Nase und nigen eher uninteressanten Jobs bei der Post und mit Truffelol und Balsamico um 9,20 € oder me- einen saftig-fruchtigen Ge- der Telekom wechselte ich ganz.“ Jankovic lernte diterranes Gemüse, das aus gegrillter Polenta mit schmack auf dem Gaumen. auch dieses Fach von der Pike auf: Seit 1990 ar- frischem Gemüse je nach saisonalem Angebot Feine Tannine und ein beitete er als Kellner in verschiedenen guten Re- besteht, um 10,50 €. Beim süßen Abschluss kann leichter Schokolade- staurants, und aus einem, dem Salzamt, holte er man zwischen einer Susi-Torte, einer ausgebacke- Abgang machen ihn zu seinen erstklassigen Koch: Dragan Steindl, der nen Schokoladentorte mit Schokoladenmousse, einem idealen Begleiter auch im Hotel Royal kochte, ist im Süd Länder um 4,20 € oder slawonischen Palatschinken mit für kräftige Fleischspeisen, für die hohe Qualität der Fischzubereitung ver- Powidl, Mohn und Zimt um 4,80 € wählen. aber auch Würzig-Vegeta- antwortlich. Jovica Jankovic wiederum sammelte Um die Nachfolge im Betrieb muss sich Jan- risches. 14 % vol. Alkohol seine praktische Erfahrung in der spanischen Kü- kovic keine Sorgen machen: Tochter Christina, verlangen nach einer ent- che auf Ibiza, wo er 1996 die Mehrheit an einem 17, besucht die Gastgewerbeschule, und Sohn sprechenden Unterlage! Steakhouse erworben hatte. Nach einem schwe- Nikola hilft mit 13 Jahren schon im Lokal aus. gesellmann.at ren Motorradunfall auf der Insel kehrte er zur  Paprikasch

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rie - © privat ©

- Beim interre ligiösen F in densgebet Mannheimer der Yavuz-Sultan- Selim-Moschee 2016 Juli am 1. außen: (rechts - Khoshles Majid san).

Heimat ist für Angesichts der historischenAngesichts ◗ a. im Beirat des muslimischen Kindergartens, im im BeiratKindergartens, des muslimischen a. Khoshlessan kennt sich mit dem Islam gut aus, hat wäh - Khoshlessan kennt sich mit dem Islam gut aus, eineman hierbeiFrau er zieht klar Ganz zweiten seiner mit Juli. Das Gebet war eine Reaktion auf den Terroranschlag in Terroranschlag auf den Das Gebet war eine Reaktion Juli. kurzMannheim Religionen der - Forum das dem zu Istanbul, fristig hatte. eingeladen seiner Schulzeitrend allemdas Leben durch und vor im Iran Auch viel darüber Umwelt erfahren. in einer muslimischen Drei Einladungen privat Dialog. lebt er den interreligiösen dieses Jahr zum allabendlichenerhielten er und seine Frau folgen Vermutlich des Ramadan. während Fastenbrechen - Weih zum ebenso viele Einladungen am Ende des Jahres christlichernachtsfest von Seite. „In Deutschland geht es mir gut.“ Khoshlessan ein abstrakter Begriffrealen und an keinen meine bin, Welt ich auf der wo „egal, Denn, Ort gebunden. Heimat ist das Judentum.“ In Deutschland fühlt er geistige am eigenen habe ich hier Antisemitismus „Nie sich wohl: meine In Deutschland habe ich meinen Beruf, Leib erfahren. Als er 1965 nach Deutschland meine Freunde.“ Familie, Ihn zieht es nach zu bleiben. lange plant er nicht, kommt, seine Eltern 1966 einwandern und auch viele wohin Israel, Doch nach den erfolgreichen Abschlüs - leben. Verwandte Wirt und Bauingenieur- im Diplomstudiengänge seiner sen - schaftsingenieurwesen- und der Gründung Fa einer eigenen Töchtern zwei von Vater Deutschlandin milie Majid ist – Enkelkindern – steht drei von und inzwischen Großvater nicht Raum. im mehr Deutschland verlassen, zu Frage, die spielt er kurz- der Scheidung seiner ersten Frau Nach von zeitig Doch erneut nach Israel zu gehen. mit dem Gedanken, und dem Töchtern zu seinen beiden aus Liebe und Fürsorge verwirft er den Gedanken. zu bleiben, Nähe in ihrer Wunsch, Verbundenheit zu Is - Dennoch pflegt er bis heute seine tiefe ein, er wendet „Allerdings“, Jährlich Land. das in er reist rael. Thema, ein Wissen ich mein heutiges „wenn über die Schoah, ichals 1965 hätte, gehabt schon war, Tabu damals nochdas ein ich niemals nach Deutschland wäre gegangen.“ hierher kam, Gemeinsam sind wir stark. Parteien dass die rechten Belastung besorgt ihn besonders, Doch Khoshlessan ist werden. in Deutschland wieder stärker Er Im Gegenteil. der den Kopf in Sand steckt. niemand, und besitzt als erfahre - zu nutzen, gekonnt seine Ämter weiß, starknur gemeinsam man dass Gewissheit, die Netzwerker ner In diesem Zusammenhang nimmt für ihn der Dialog ei - ist. Rechts beim heutigen - „Auch Stellenwertnen sehr hohen ein: ruck in der politischen Landschaft brauchen wir die Hilfe von vorzugehen.“ um dagegen Nichtjuden, Deborah Heidrun Kämper ist Dr. Denn Professorin Strang. - sondern ebenso wie ihr Mann ehrenamt nicht nur Stadträtin, u. lich aktiv, Dia - Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen log und in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammen - Einsatz tragen sie zu einem friedlichen Mit ihrem Mit - arbeit. Gäbe es doch nur mehr Majids und Deborahs einander bei. auf dieser Welt! Nach seinen Diplomabschlüssen an der TU in Karlsruhe (1978) (1978) TU in Karlsruhe an der Diplomabschlüssen Nach seinen Wirtschaftsingenieurwesen und in Bauingenieur- im er war von tätig und Niederlassungsleiter und als Projekt- Bauwesen Geschäftsfüh kaufmännischer und - technischer bis 2010 1993 Staatsangehörigkeit deutsche die nahm Khoshlessan 1985 rer. und ist mit der Enkelkinder drei und Töchter an. Er hat zwei wurde 1947 in Kaschan (Iran) geboren. (Iran) geboren. in Kaschan 1947 wurde K hoshlessan M ajid in Mannheim. 1983 – seit in Deutschland er lebt 1965 Seit verheiratet. Kämper Heidrun Deborah Dr. Professorin ajid K hosh - M ajid (li.) mit lessan Jung Karl Dekan - katho der von Kirche lischen Mannheim. „Vom Tellerwäscher zum ersten Vorsit- zenden der Jüdi- schen Gemeinde“ Aus der Landschaft des interreligiösen Dialogs in Deutschland ist Majid Khoshlessan nicht mehr wegzudenken. Beinahe grenzenlos scheint der Einsatz des gebürtigen Iraners hierfür – und das seit Jahrzehnten.

50 wına | August 2016 [END-] STATION Mannheim Heimat ist für Angesichts der historischenAngesichts ◗ a. im Beirat des muslimischen Kindergartens, im im BeiratKindergartens, des muslimischen a. Khoshlessan kennt sich mit dem Islam gut aus, hat wäh - Khoshlessan kennt sich mit dem Islam gut aus, eineman hierbeiFrau er zieht klar Ganz zweiten seiner mit Juli. Das Gebet war eine Reaktion auf den Terroranschlag in Terroranschlag auf den Das Gebet war eine Reaktion Juli. kurzMannheim Religionen der - Forum das dem zu Istanbul, fristig hatte. eingeladen seiner Schulzeitrend allemdas Leben durch und vor im Iran Auch viel darüber Umwelt erfahren. in einer muslimischen Drei Einladungen privat Dialog. lebt er den interreligiösen dieses Jahr zum allabendlichenerhielten er und seine Frau folgen Vermutlich des Ramadan. während Fastenbrechen - Weih zum ebenso viele Einladungen am Ende des Jahres christlichernachtsfest von Seite. „In Deutschland geht es mir gut.“ Khoshlessan ein abstrakter Begriffrealen und an keinen meine bin, Welt ich auf der wo „egal, Denn, Ort gebunden. Heimat ist das Judentum.“ In Deutschland fühlt er geistige am eigenen habe ich hier Antisemitismus „Nie sich wohl: meine In Deutschland habe ich meinen Beruf, Leib erfahren. Als er 1965 nach Deutschland meine Freunde.“ Familie, Ihn zieht es nach zu bleiben. lange plant er nicht, kommt, seine Eltern 1966 einwandern und auch viele wohin Israel, Doch nach den erfolgreichen Abschlüs - leben. Verwandte Wirt und Bauingenieur- im Diplomstudiengänge seiner sen - schaftsingenieurwesen- und der Gründung Fa einer eigenen Töchtern zwei von Vater Deutschlandin milie Majid ist – Enkelkindern – steht drei von und inzwischen Großvater nicht Raum. im mehr Deutschland verlassen, zu Frage, die spielt er kurz - der Scheidung seiner ersten Frau Nach von zeitig Doch erneut nach Israel zu gehen. mit dem Gedanken, und dem Töchtern zu seinen beiden aus Liebe und Fürsorge verwirft er den Gedanken. zu bleiben, Nähe in ihrer Wunsch, Verbundenheit zu Is - Dennoch pflegt er bis heute seine tiefe ein, er wendet „Allerdings“, Jährlich Land. das in er reist rael. Thema, ein Wissen ich mein heutiges „wenn über die Schoah, ichals 1965 hätte, gehabt schon war, Tabu damals nochdas ein ich niemals nach Deutschland wäre gegangen.“ hierher kam, Gemeinsam sind wir stark. Parteien dass die rechten Belastung besorgt ihn besonders, Doch Khoshlessan ist werden. in Deutschland wieder stärker Er Im Gegenteil. der den Kopf in Sand steckt. niemand, und besitzt als erfahre - zu nutzen, gekonnt seine Ämter weiß, starknur gemeinsam man dass Gewissheit, die Netzwerker ner In diesem Zusammenhang nimmt für ihn der Dialog ei - ist. Rechts beim heutigen - „Auch Stellenwertnen sehr hohen ein: ruck in der politischen Landschaft brauchen wir die Hilfe von vorzugehen.“ um dagegen Nichtjuden, Deborah Heidrun Kämper ist Dr. Denn Professorin Strang. - sondern ebenso wie ihr Mann ehrenamt nicht nur Stadträtin, u. lich aktiv, Dia - Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen log und in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammen - Einsatz tragen sie zu einem friedlichen Mit ihrem Mit - arbeit. Gäbe es doch nur mehr Majids und Deborahs einander bei. auf dieser Welt! reundschaft reundschaft Für den diplo - Für F eg der W Für Khoshlessan ist es Programm, Für es Programm, Khoshlessan ist a. Mitglied im Bündnis für Menschlich - a.

W ir müssen den wächst Khoshlessan im iranischen Kaschan auf. Sein wächst Khoshlessan im iranischen Kaschan auf. - sondern auch ehrenamt war nicht nur Arzt, Vater Lehrer lich der jüdischen Ehrenpräsident Schule, liberalerund Rabbinerjüdischender inGemeinde Khoshlessans gesellschaftli Angesichts - Kaschan. behaupten, chen kann man durchaus Engagements Stamm vom dass der Apfel nicht fällt. weit „ weitergehen.“ - Nicht stehen. Dialog im Nichtjuden und Juden dass - Vor um Judentum erfahren, juden sollen mehr vom für ein frei Weg So der wird urteile abzubauen. Diesem Motto hat er sich friedliches Miteinander. auchGemeinde für seine Amtszeit in der Jüdischen keit und Zivilcourage und Schöffe beim Jugendschöffenge - richt in Mannheim. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wirtschaftsingenieurmierten Bau- und spielt das Judentum Majid Khoshlessan ist fest verankert in der eine zentrale Rolle. damit, findet er wichtig, zu pflegen, Diese Tradition. jüdischen Er „das Judentum noch Jahrhunderte überdauert“. erklärt er, der auch in seinem El - folgt dem traditionell-liberalen Ritus, Als dritter fünf Kindern Sohn von ternhaus praktiziert wurde. verschrieben. Besonders in Anbetracht der aktuel - Besonders Mannheim verschrieben. des Dialogs als einen len politischenWeg Lage schätzt er den „Wir dürfen nicht sehr hoch ein. möglichen Friedensbringer und des Di - Verständigung Arbeit nachlassen in unserer der weitergehen“, der Freundschaft WirWeg den müssen alogs. - lautete Khoshlessans Botschaft Friedens beim interreligiösen Nebenher ist er u. Nebenher am 1. Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in der Mannheimer gebet

V., V.,

Majid Majid Khoshlessan auf der Welt auf der Welt bin, meine Heimat geistige ist das Juden - tum.“ gal, wo ich ich gal, wo „ E ei mir heißt es nicht vom „Tellerwäscher zum Milli- „Tellerwäscher ei mir heißt es nicht vom - Vor zum ersten Tellerwäscher „vom sondern onär“, sitzenden Gemeinde Mannheim ( der Jüdischen JGM) Delegierterund deren im Oberrat der Israeliten Ba - dens“, kommentiert der jüngst in den Vorstand gewählte Ma - Vorstand kommentiert der jüngst in den dens“, Von Manja Altenburg Von B wuschMann er als junger Tatsächlich jid Khoshlessan lachend. um sich sein Studium in Deutsch- Teller, Abend für um in der richtigen Reihenfolge Doch, land zu finanzieren. - Tellerwä „Vom der Satz müsste eigentlich lauten: zu bleiben, scher zum Gründungsmitglied des Lan - desverbandes der jüdischen Studenten zum Delegiertenimder JGM in Baden, Oberrat und zum der Israeliten in Baden Delegierten in der Ratsversammlung der jüdischen Gemeinden in Deutschland, zum Mitglied im Direktorium des Zen - zum tralratsin Deutschland, der Juden Delegierten des Oberrates der Israeliten im Rund - Württemberg und in Baden - Vorstandsmit zum funkrat des SWR, Vorstandsvorsitzenden glied und zum der Hochschule für des Freundeskreises zum jü - jüdische Studien in Heidelberg, der Gesellschaft Vorsitzenden dischen christlich-jüdischefür ZusammenarbeitRhein-Neckar e. des deutschen Koordinierungsrates der Gesell - Vorstand zum schaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutsch- Gründerzum Beiratim Mitglied und Fördervereins des land, StädtepartnerschaftenVorsitzenden Mannheim und zu dessen zum Mitglied im wissenschaftlichensowie Beirat des Mann - Dialog. heimer Instituts für Integration und interreligiösen

wına-magazin.at 51 lebens art

Auf einer Wellenlänge Die Wogen sind geglättet: Hier kommen vier Tipps für den letzten Rest Sommer 2016.

So nett mit Brett Wassermusik Bloß kein Es ist nicht ganz ein eigener Meerzu- Er ist Iosif Ivanovicis be- Sandkuchen gang, aber immerhin eine eigene Welle: Es ist das Beste, was aus Kirschen, Die l(i)ebenswerteste Stadt der Welt kanntestes Stück. Doch der Creme und Schokolade jemals hat nun auch einen Surf-Spot. Bis Ende Konzertwalzer „Donauwel- kreiert wurde. Und wo sich der September können Laien und Profis len“ von 1880 wurde erst butterfeindliche Sommer nun langsam bei der 3CityWave direkt vor dem Hoch- über sechzig Jahre später verabschiedet, dürfen wir auch strahlbrunnen am Schwarzenbergplatz weltberühmt, nachdem der wieder Werbung für den einzigen auf einer künstlichen Welle reiten. Bei Tortenklassiker, der auf dem Blech Bedarf geben routinierte Surfcoaches amerikanische Entertainer gebacken wird, Werbung machen, Tipps. Gesurft wird bei jedem Wetter, Al Jolson (Bild) der schwer- für die Donauwellen nämlich. täglich von 10 bis 22 Uhr, eine 50-mi- mütigen Melodie des Kleiner Tipp: In der Dr.-Oetker- nütige Session kostet 39 Euro und rumänischen Komponisten Backmischung-Version müssen kann online auf 3citywave.at einen nicht minder emotio- nur mehr wenige Ingredienzen gebucht werden – Leih-Boards hinzugegeben werden. und -Helme sind im Preis inkludiert, nalen Text verpasste. Stars Spart Zeit, Nerven und schmeckt ein Neoprenanzug kann vor Ort wie Tom Jones oder Connie trotzdem gut. geliehen werden. Francis interpretierten The oetker.de Hang loose! Anniversary Song so gefühl- voll, dass er noch heute

Volle Kraft voraus Seichte Wellen schlagen ist nicht das Ding von Ramzailech. Der Mix aus jiddi- schen Lyrics, Klarinette und Punk-Rock- Gitarrenriffs fällt wohl eher unter die Rubrik „musikalischer Tsunami“. Oder wie es die Band aus Tel Aviv selbst nennt: Hardcore Klezmer. Sagen wir es die Top-Ten der „Jewish so: Es wird laut und schwitzig, wenn die Sentimental All-Time-Favori- Meer-Wert fünf Jungs im Rahmen des Waves- tes“ anführt. Und jetzt alle: Trotz hohem Wellengang (fast) Vienna-Festivals aufspielen. unzerstörbar sind die spülmaschinen- Do., 29.9., 23.15 Uhr, WUK-Foyer „Oh, how we danced on festen Melaminteller mit wavescentraleurope.com the night we were wed, we verschiedenen Feuchtgebieten vowed our true love, though als Motiv. a word wasn’t said ...“ Um 28 Euro, über zazzle.at

© 3City Wave_kreitner & partner; Dr. Oetker; ramzailech.com

52 wına | August 2016 kultur

Libeskind für Nussbaum. Das 1998 eröffnete Museum für den 1944 Ermordeten. In Memoriam Angelika Schrobs- Weltflucht dorff Wenn ich dich Das Stück der Israelin Savyon je vergesse, oh Jerusalem ... Liebrecht über die Dichterin dtv, € 9,90 Else Lasker-Schüler, im vorigen Sommer in Bad Aus- see uraufgeführt, kommt ab September nach Wien. musik-TIPPS as Stück Weltflucht erzählt von Kam Dder Flucht der großen Dichterin Es macht einfach riesiges Vergnü- vor dem Terror der Nazis durch die gen. Auch wenn es eine Kompilation halbe Welt bis Jerusalem und gleich- ist. Aber Sharon Kam: Portrait (Ber- Felix Nussbaum zeitig von Kraft und Ohnmacht der lin Classics) ist eine besondere Zu- sammenstellung. Es sind die Lieb- visited lingsstücke der Klarinettistin, selbst „Wenn ich untergehe – lasst ausgewählt aus ihren Alben der ver- meine Bilder nicht sterben.“ gangenen Jahre. Und so finden sich hier übersprudelnde Opernbearbei- tungen (Rossini, Wolf-Ferrari) ebenso s gibt unwidersprochen nur ei- wie Piecen von Reger und Brahms, Enen Grund, nach Osnabrück in von Mozart und Kreisler. Nordwestdeutschland zu fahren – das Felix-Nussbaum-Haus, 1998 Moscheles von Daniel Libeskind entworfen, Ignaz Moscheles (1794– das Museum mit dem größten Be- 1870) erlebte Haydn noch. stand an Bildern des Und überlebte seinen Freund 1944 ermordeten Der selbst Mendelssohn. Zwischen ernannte Prinz Poesie in einer von deutsch-jüdischen Terror erschütterten Klassik und Romantik chan- Künstlers. Der Men- von Theben, giert spannend auch seine Grande Welt. Damit enthält schen malte. Und Else Lasker- Sonate Concertante op. 34. Marco Schüler, 1912. es eine große Por- Testori (Cello), lange Mitglied von Il Masken liebte. 20 tion traurige Aktua- Giardino Armonico, und Costantino Autoren des deut- lität. Mastroprimiano (Klavier) koppeln sie schen PEN, von Josef Liebrechts Drama setzt sich mit dem auf Cello Sonatas (Brilliant Classics) Haslinger über Georg Kontrast zwischen der großen Dich- klug mit Konzerten von Ferdinand Ries Klein, Burkhard Spin- terin und der Frau auseinander, die (1784–1838) und J. N. Hummel nen und Judith Kuck- mit ihren neuen Lebensumständen (1778–1837). art bis zu Tanja Kin- fertigwerden muss: ein Leben zwi- kel, Artur Becker und Felix Nussbaum: schen Glanz und neuer Bescheiden- Meyerbeer Terézia Mora, haben Selbstbildnis mit heit, zwischen Vergangenheit und Seit mehr als zwei Jahren Essays, Betrachtun- Judenpass, um 1943. Gegenwart. Die weibliche Haupt- häufen sich Giacomo-Mey- gen, Gedanken zu rolle verkörpert Dagmar Schwarz, erbeer-Einspielungen. Der seinen Gemälden zu Grund: 2014 150. Todes- für die Savyon Liebrecht das Stück Papier gebracht. Ein anregendes, tag, heuer 225. Geburtstag. ursprünglich geschrieben hat, Regie Als schöner Einstieg bietet sich nun wenn auch hie und da qualitativ führt Jürgen Kaizik.  A.P. der Querschnitt Meyerbeer in France wie intellektuell sanft schwanken- (Brilliant Classics) an: Arien aus Ro- des Lesebuch.  A.K. bert le Diable, Le Prophète, Dinorah Weltfluchti und L’Africaine für Sopran und Bari- Premierei ton (gut aufgelegt: Hjördis Thébault am 6. Septemberi und Pierre-Yves Pruvot). Didier Tal- brick-5.ati pain leitet das Sofia Philharmonic Or- © Felix-Nussbaum-Haus, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung chestra einfühlsam an.  a.k. wına-magazin.at 53 Ein junger Wilder wird älter, aber nicht milder. Am 20. August feiert Henryk M. Broder seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass erscheint eine Autobiografie in Bildern. Mit dem Publizisten, Rechthaber „Immer eine und Seismografen sprach Anita Pollak. Nasenlänge voraus“

WINA: Wie sehen Sie Ihrem Geburtstag entgegen? Ihre Eltern waren Überlebende des Holocaust, Ihre Kinder- Henryk M. Broder: Deprimiert. Ich werde immer älter und jahre haben Sie in Polen verbracht. Sind Sie sehr jüdisch die Mädchen immer jünger. Das ist wohl das Schicksal, ich aufgewachsen? ❙ hadere damit seit meiner Geburt. Nein, meine Eltern waren Drei-Tage-Juden, Jom Kippur und Neujahr sind sie in die Synagoge gegangen. Bei uns gab Sie waren einmal ein junger Wilder und sind wild und angrif- es immer Schinken im Eisschrank, er musste nur mager sein. fig geblieben. Man beschreibt Sie oft als Polemiker und Pro- Nachdem Gott meine Eltern allein gelassen hatte, haben sie vokateur, wie sehen Sie sich selbst? ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihm gehabt. Sie waren Kul- ❙ Ich habe den Übergang vom jungen Wilden zum alten Wil- turjuden, Traditionsjuden, aber keine gläubigen Juden. den bruchlos geschafft. Ich habe mir aber noch nie darüber Gedanken gemacht, was oder wer ich bin. Wenn ich in den Ihre Mutter hat Auschwitz überlebt, und dennoch haben Sie Spiegel schaue, guckt mich ein alter Mann an. Und ich finde einmal mit dem Buchtitel „Vergesst Auschwitz“ provoziert. nicht, dass ich ein Provokateur bin oder gar ein Polemiker. Ich Haben Sie nicht Angst, mit dieser Aufforderung den Applaus bin ein extrem sachlicher Chronist. von der falschen Seite zu bekommen? ❙ Es geht nicht darum, Auschwitz zu vergessen, sondern da- Ihre Lebensthemen sind ziemlich jüdisch. Israel, die Deut- rum, mit Auschwitz keinen Schabernack zu treiben; inso- schen und die Juden, Antisemitismus und Antizionismus, fern muss man Auschwitz tatsächlich gelegentlich „verges- was für Sie das Gleiche ist. Wenn Sie zurückblicken, was hat sen“. Wenn Leute, die Tränen wegen Auschwitz vergießen, sich für Sie verändert? zugleich die besten Beziehungen zum iranischen Regime un- ❙ Nur ein relativ kleiner Teil meiner Geschichten ist „jüdisch“, terhalten, das den letzten Holocaust leugnet und den nächs- komischerweise fällt dieser Teil aber am meisten auf. Ich habe ten Holocaust vorbereitet, dann sollen sie sich das Gedenken in den letzten Jahren mehr über Island und Amerika geschrie- an Auschwitz schenken. ben als über Israel, die Juden und die Deutschen. Und geän- Im Übrigen kann sich keiner sein Publikum oder seinen Ap- dert hat sich gar nichts. Es ist immer noch derselbe Kampf plaus aussuchen; bis jetzt habe ich keinen Beifall von der fal- gegen Windmühlen. Ich habe 1986 ein Buch mit dem Ti- schen Seite bekommen. Wer mir applaudiert, ist automatisch tel Der ewige Antisemit veröffentlicht und staune selber, dass auf der richtigen Seite. sich seitdem nichts verändert hat – außer zum Schlimmeren. In der Außenwahrnehmung sind Sie im Gegensatz zum ewi- Sie haben schon relativ früh vor Toleranz gegenüber dem gen Antisemiten der ewige Jude. Stört es Sie, wenn man Islam gewarnt und sind als islamophob bezeichnet worden. Ihre Meinungen damit relativiert bzw. Ihnen Objektivität ab- Wie fühlt man sich dabei, in gewissen Dingen Recht behal- spricht? ❙ ten zu haben? Sind Sie ein Pessimist? Ich sehe da keine Relativierung. Ich kann keine katholi- ❙ Nein, nicht früh, erst 2006, da war das meiste sche Meinung vertreten, das macht schon der Papst. schon passiert. Ich habe in vielen Dingen Recht Henryk M. Broder: behalten und fühle mich sehr gut dabei. Vor drei Schwein gehabt. Ihr Lebenswerk ist bereits bis jetzt beachtlich. Weil Eine Autobiografie in Sie sich ja laufend publizistisch zu Wort melden Jahren ist mein Europa-Buch erschienen, und, Bildern, hg. v. Tim Ma- xeiner. Knaus Verlag, und jede Menge Kontroversen pflegen. Schon Ihr wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf, 256 S., € 25,70 das war geradezu prophetisch. Wir erleben genau Wikipedia-Eintrag ist fast ein biografischer Essay. den Zerfall, den ich vor drei Jahren vorhergese- Außerdem sind Sie ein fanatischer Blogger. Lei- hen habe. Ich bin gern ein Rechthaber. Ein Pes- den Sie an einer Art von Schreibzwang? ❙ simist bin ich nicht, denn ich finde, das Leben ist Ja, absolut. Bei Wikipedia stimmt vieles nicht, ich ein wunderbares Abenteuer, ich glaube allerdings, habe es aber aufgegeben, das zu korrigieren. Es ist dass alles, was schiefgehen kann, irgendwann ein- mir wurscht, was Leute über mich schreiben. Mich

mal schiefgeht. interessiert immer nur das nächste Buch, das ich © Frank May/picturedesk.com

54 wına | August 2016 interview mit Henryk M. Broder

Henryk Marcin Broder, der seine Mittelinitiale in „Modest“ umbenannt hat, wurde 1946 im polnischen Katowice geboren. Die Familie kam 1957 über Wien nach Köln, wo er Abitur machte und sehr bald in verschiedensten Medien pu- blizistisch tätig wurde. Von 1981 an lebte er zehn Jahre in Israel. Broder war 15 Jahre als Autor für den Spie- gel unterwegs, seit 2011 schreibt er für die Welt-Gruppe. Broder ist Mitherausgeber des Blogs Die Ach- se des Guten.

noch nicht geschrieben habe. Ich bin kein fa- „Geändert hat Als Grabinschrift wünschen Sie sich natischer Blogger, weil ich nichts Fanatisches angeblich: „Er hat nicht gelangweilt.“ blogge. Ich bin ein Zwangscharakter. So wie sich gar nichts. Langeweile wird man Ihnen doch kaum andere Leute immer was essen müssen, ist es nachsagen können. ❙ bei mir eben das Schreiben. Ich leide nicht an Es ist immer Inzwischen möchte ich eine andere einem Mangel an Anlässen. Grabinschrift haben und zwar: „Immer noch derselbe eine Nasenlänge voraus.“ Ich bin verlacht Wie Ihr Fotoband zeigt, sind Sie auch ein lei- Kampf gegen worden, als ich Der ewige Antisemit ge- denschaftlicher Fotograf, die Kamera ist für schrieben habe, aber offenbar ist der An- Sie offenbar eine Art Notiz- oder Skizzen- die Wind- tisemitismus eine anthropologische Kon- buch. Welchen Anspruch haben Sie an Ihre stante, die können Sie durch Aufklärung Bilder? mühlen.“ nicht aus der Welt schaffen. Und ich habe ❙ Die Kamera ist einfach mein drittes Auge. mit meinen Büchern in entscheidenden Ich habe mich nie als Fotograf empfunden. Fragen Recht behalten. Das sind einfach meine visuellen Notizen, ich mache das seit 40, 50 Jahren. Der Sohn eines Haben Sie denn so etwas wie ein seis- Freundes, ein richtiger Fotograf, fand, dass man daraus ein mografisches Gefühl für katastrophale Zeitströmungen und Buch machen sollte, ich selbst bin gar nicht auf diese Idee Entwicklungen? ❙ gekommen. Es zeigt Stationen meines Lebens. Ich bin ein Seismograf. Aber auch ein Seismograf kann sich mal irren, und auch ein Wünschelrutengänger findet mal Ist nach dieser Autobiografie in Bildern noch eine Autobio- keine Wasserader. grafie in Texten zu erwarten? ❙ Nein, das werde ich nie machen. Ich finde Autobiografien Was wünschen Sie sich persönlich für Ihre nächsten 50 nur peinlich, es sei denn, man ist Albert Schweitzer oder Jean Jahre bis 120? ❙ Paul Sartre. Die Autobiografien meiner Kollegen sind einfach Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Hoffentlich kei- nur albern, Selbstdarsteller und Schönredner in eigener Sache, nen Umgang mit Ärzten und Rechtsanwälten. Das wäre schon © Frank May/picturedesk.com man ist doch nicht Herr seiner Erinnerungen. eine gute Voraussetzung für ein glückliches Alter.

wına-magazin.at 55 Thema Kurztitel Chronik der Gefühle Stefan Slupetzky widmet sich als Wanderer zwischen den Welten in seinem neuen Buch der Aufzeichnung von Existenziellem.

entgegenhalten. Und genau das versucht Von Paul Divjak der Protagonist. uf eine literarische Erzählzeit von zwei Tagen verdichtet Ste- Fakt oder Fiktion? Die an den Autor fan Slupetzky in seinem neuen immer wieder herangetragene Frage nach Stefan Slupetzky: Der letzte große Trost. Buch Der letzte große Trost eine der Authentizität der Story, dem Grenz- Rowohlt 2016 Familiengeschichte, in die sich die Zeit- verlauf von Fakt und Fiktion, scheint bis- 256 S., € 20,60 Ageschichte eingeschrieben hat, als gälte es, weilen vom Eigentlichen abzulenken. Der gen Familiensitzes gleichsam symbolisch den NS-Wahnsinn pars pro toto in der Roman setzt sich vor der Hintergrund- in die Tiefen des Unterbewussten ein- „Keimzelle des Staates“ auf den Punkt schablone der Familienhistorie mit den tauchen und nach der Vergangenheit for- zu bringen: Galt doch die Liebe der jüdi- verschiedenen Rollen des Protagonisten schen zu lassen. schen Großmutter einst ausgerechnet dem als Enkel, Sohn, Bruder, Ehemann – und Spross aus dem Linzer Clan, der Zyklon B Vater auseinander. Resonanzräume für Kindheits- hergestellt hat. Und das Enkelkind erzählt Slupetzky nimmt uns mit in eine Zeit, wahrnehmungen. Slupetzkys berüh- die Geschichte. da der Tod für das Kind noch nicht exis- rendsten Passagen sind wohl jene, in denen Vor dem Hintergrund von Ermordung, tierte, obwohl er doch in der Familie allge- es ihm gelingt, atmosphärische Resonanz- Exodus und einem Landhaus in Kloster- genwärtig war, den Protagonisten unaus- räume für Kindheitswahrnehmungen zu neuburg entfaltet sich die Narration als gesprochen umgab. gestalten, sinnliche Erfahrungen wieder- Entwicklungsroman im besten Sinne – al- Es geht um den Umgang mit der Zeit, aufleben zu lassen. Die Beschreibungen les da: die (symbolische) Reise des Prota- der Leere und der Angst, um Sinnfragen der Begegnungen mit alltäglichen Din- gonisten, die Suche nach der Wahrheit und und um das Abschiednehmen: von den El- gen und der Präsenz des behutsam-för- die Läuterung. (Maßgeblich ermöglicht tern und von sich selbst als Kind und Ju- dernden Vaters gehören sicherlich zu den durch die liebende Frau, die dem roman- gendlicher, von Ideen und Vorstellungen, hell leuchtenden Momenten des Romans. tischen Helden auf seinem physischen und Weltbildern, einstigen Träumen und Per- Manche dieser Passagen lassen an Kaf- psychischen (Irr-)Weg zur Seite steht.) spektiven. Was sich einschreibt, sind das kas Brief an den Vater (die Auseinanderset- Gerne folgt man als Leser den Ausfüh- Leben, die Liebe und das Spannungsfeld zung mit dem Judentum), andere an die rungen des Autors, begleitet die Reflektio- von Geborgenheit, Sicherheit und Zu- Roths denken: an Joseph Roth (Zipper und nen des Protagonisten, nimmt an der Le- hause auf der einen Seite, und Freiheit, sein Vater, 1928) einerseits und Philip Roth bensgeschichte Anteil und taucht ein in Unsicherheit, emotionalem Chaos auf (Mein Leben als Sohn, 1992) andererseits. einen Text, der Erinnerung auslotet und der anderen. Setzt sich Letzterer mit der Krankheit des von (inhaltlichen, formalen und stilisti- Gleichsam wie in Camus Der erste Vaters und dem eigenen Älterwerden aus- schen) Brüchen durch- Mensch, in dem der Sohn einander, so lässt Ersterer seinen vaterlosen setzt ist. Aber so funk- vor dem Grab des Va- Ich-Erzähler angesichts des Todes seines tioniert Erinnern nun ters realisiert, dass er be- Ersatzvaters sagen: „Wir vergeben nicht, mal. Die Sterne, die „Wenn Erwach- reits älter ist, als es der wir vergessen. Oder besser: Wir vergessen Gedanken: Chaos. sene weinen, Vater je wurde, birgt der nicht, wir sehen gar nicht. Wir geben nicht Es geht um soge- Plot für Daniel, den Ti- acht. Es ist uns gleichgültig.“ nannte „Lebensent- kehren sie unwei- telhelden, Einsichten in Stefan Slupetzkys Protagonist aber will würfe“ und um das, Sachen Liebe und End- nicht vergessen, er möchte hinschauen. Er was das Leben tat- gerlich zurück in lichkeit. Und es ist wohl gibt acht. Es ist ihm nicht gleichgültig: Der sächlich für einen be- ihre frühe Kind- kein Zufall, dass der Au- letzte große Trost ist vom Erinnern geprägt, reithält. – Man kann tor seine Figur in einer vom Versuch, sich der (eigenen) Vergan- sich mit den Gegeben- heit.“ Schlüsselszene in den genheit zu vergewissern, sich selbst einzu- heiten und Umständen (aus Der letzte Keller schickt, um ihn im betten in ein größeres Ganzes. Davon, die arrangieren, man kann Kokon des dunklen Un- Erinnerung an geliebte Menschen wach- ihnen aber auch etwas große Trost) tergeschosses des einsti- zuhalten. Und loszulassen.  © Kurt Pinter

56 wına | August 2016 literatur-tipps erinnerungen ESsays zeitzeugenbericht Ich war glücklich Anatomie des Majdanek

in wahres Sommerbuch ist dies. Holocaust m Sommer 1943 kam EUnd eine Lesefreude. Zugleich ein Ider jiddische Poet Eintauchen in eine ganz andere Zeit: er 1. April brachte Raul Hilberg Mordechai Strigler aus die des deutschen Kaiserreichs nach DGlück. Denn am 1. April 1939 konnte Zamość in Polen, 25 1871. Und ein Fund. Denn der Münch- der noch nicht ganz Dreizehnjährige mit Jahre jung, ins KZ Majda- ner Romancier Hans Pleschinski fand seinen Eltern Wien verlassen und via nek. Er hatte schon meh- bei Recherchen in Familienbesitz das Kuba in die USA emigrieren. Wo Raul Hil- rere Lager hinter sich. Tagebuch der deutsch-jüdischen Groß- berg später Geschichte studierte. Und Und noch mehr als fünf bürgerin Else Sohn- verwundert wie verbit- Jahrzehnte vor sich – Rethel (1853–1933). tert feststellen musste: denn er überlebte. 1947 Sie war Malertochter Die Schoah ist überhaupt schrieb er Maydanek auf und -enkelin sowie Ur- kein Thema. Ab 1956 Pro- Jiddisch, es sollte Band enkelin des Bankiers fessor an der University of 1 der Reihe oysgebrente Oppenheim und führte Vermont, begann er, der likht, Verloschene Lich- sehr lebendig ein noch 2007 starb, durch sein ter, werden. Er schrieb heute frisches Tage- monumentales Standard- es in Paris, 1952 emig- buch. Sie wuchs in ei- werk Die Vernichtung der rierte er nach New York, nem großbürgerlichen europäischen Juden die schrieb bis zu seinem Hans Raul Hilberg: Pleschinski (Hg.): Haushalt in Dresden Anatomie des Forschung für Holocaust- Tod 1998 dort für jid- Ich war glücklich, auf – und war emanzi- Holocaust. Studien (ein Wort, das er dische Zeitungen. Sein ob es regnete piert, bevor es das Wort Essays und eigentlich nicht mochte). Report, sein Kaddisch, oder nicht. Erinnerungen. Lebenserinne- überhaupt gab. Die Auf- S. Fischer Verlag, Dieser Band enthält wich- nun erstmals in deut- rungen von Else zeichnungen, ein Zeit- 336 S., € 25,70 tige, auch persönliche Auf- scher Sprache, ist herz- Sohn-Rethel. (A)/24,99 (D) C. H. Beck sittenbild, enden 1891 sätze und Essays, Gedan- abschnürend, atemneh- Verlag, 256 S., mit einem „letzten See- ken des Historikers oder mend, erschütternd. € 23,60 (A)/ 22,95 (D) stück“ aus dem Som- die Schilderung seiner Reise nach Ausch- „Soll also dieses Buch merurlaub an der witz 1979 erstmals auf Deutsch. Gleich alles über sie erzählen, holländischen Küste. Nicht nur eine Lek- neben seiner klugen Autobiografie Uner- jede Regung verzeich- türe für die See. Auch für die Berge. Erst betene Erinnerung einzuordnen.  A.K. nen, jedes Auf und Ab in recht für Regentage.  A.K. den letzten Minuten, soll es der wahre Grabstein auf ihren verlorenen biografie Knochen sein.“  A.K. Mein geheimes Tagebuch Mordechai m 22. März 1943 wurde die gebucheintrag datiert vom 4. Juli Strigler: 1911 geborene Näherin Klaar- 1943, fast wurde da ihr geheimes Majdanek. Ein A früher Zeitzeu- tje de Zwarte-Walvisch in Amster- Tagebuch gefunden. Sie schöpfte genbericht vom dam verhaftet. Kam ins Lager Her- Hoffnung – und war zwölf Tage spä- Todeslager. Zu Klampen Ver- zogenbusch. Und wurde deportiert. ter tot. Anne Franks Tagebuch hat lag 2016, 228 S., Und am 16. Juli jenes Jahres in So- nun mit Klaartjes Aufzeichnungen € 24,70 (A)/ bibór ermordet. 2008 erst wurde der ein starkes Pendant.  A.K. 24,00 (D) Text entdeckt, die Tochter von Salo- mon de Zwarte, Klaartjes Schwager, der die Schoah überlebt hatte und Klaartje de Zwarte-Walvisch: Mein geheimes Tagebuch. nach Kanada emigriert war, hatte März–Juli 1943. ihn nach Amsterdam ans Joodse Mit einem Nachwort von Leon Museum geschickt. Der letzte Ta- de Winter. C. H. Beck Verlag 2016, 202 S., € 18,50 (A)/17,95 (D)

wına-magazin.at 57 Zerstörte Synagogen

Der Wiener Architekt Herbert Peter erklärt, wie die virtuelle Rekonst- ruktion der einstigen Wiener Synagogen Zerstörtes technisch funktioniert. neu erinnert

Elemente wie Decken, Wände, Türen oder Fenster ein.“ Das helfe gerade bei der Re- konstruktion von Gebäuden, zu denen die Datenlage oft mangelhaft ist. Die beste Grundlage für eine virtuelle Wiederbelebung wären Pläne. Denn diese kann man einscannen und dann relativ leicht das Gebäude im Computer nach- bauen. Doch nicht alles, was auf Plänen tikel aus dem Jahr 1925 über die Reno- Von Reinhard Engel eingezeichnet ist, wurde auch verwirklicht. vierung der Schiffschul aus der Jüdischen Daher suchen die beiden Architekten his- Presse. Da findet sich eine gute Beschrei- ir arbeiten mit einem Stan- torische Fotos, Zeichnungen oder Aqua- bung, was sie alles gemacht haben. Fotos dard-CAD-Programm für relle, die den Bestand vor der Vernichtung dazu haben wir später bekommen, sogar Architekten. Das nutzen wir dokumentieren. „Was uns fast überhaupt aus Yad Vashem. Mit der Elemente-Me- Webenso für aktuelle Bauprojekte in Öster- nichts gebracht hat, war die Befragung thode kann man dann nachträglich immer reich und international.“ Herbert Peter und von Zeitzeugen“, so Peter. „Sie erinnern wieder Verbesserungen vornehmen, etwa Bob Martens zeigen in einer aktuellen Aus- sich zwar, welchen Tempel sie besucht ha- beim Dekor der Wände oder bei genaue- stellung im Wiener Jüdischen Museum die ben, wo sie regelmäßig gesungen und ge- ren Türen, Fenstern oder Deckenelemen- virtuelle Rekonstruktion zahlreicher beim betet haben. Aber wenn man sie fragt, ob ten , die man vorher nur als Standards der Novemberpogrom 1938 zerstörter Syna- es darin hell oder dunkel war, ob es einen Bauzeit eingesetzt hatte.“ Bei der Schiff- gogen. Martens ist Professor für Architek- Holz- oder Steinboden gegeben hat, wis- schul hatten die Architekten ursprünglich tur an der Technischen Universität Wien, sen sie es nicht.“ aus der Zeit nach der Renovierung nur ein Peter betreibt als selbstständiger Architekt Peter erklärt die Rechercheprobleme einziges Foto gehabt. das Büro Artuum Architecture und unter- an zwei Beispielen, an jenem des Schiff- Dabei lag Martens und Peter sogar richtet als Senior Scientist an der Akade- schul-Tempels aus der großen Schiffgasse ein konkreter Einreichplan aus dem Jahr mie für bildende Künste „kontextuelles Ge- und an der Polnischen Schul in der Leo- 1923 vor, auf dem die beabsichtigte Reno- stalten“, d. h. er bildet dort künftige Lehrer poldsgasse. „Wir haben einen großen Ar- vierung gut zu sehen war. Nur: Er wurde für Werkerziehung aus. nicht umgesetzt. Die vorgesehene Vergrö- Das Konstruktionsprogramm heißt Ar- ßerung, eine Verlängerung des Tempel- chiCAD und ist ein international erfolgrei- schiffs, konnte sich die Gemeinde nicht ches ungarisches Produkt, hervorgegan- Vor 1938 gab es in leisten, daher wurden nur unbedingt not- gen aus einem Budapester Start-up der Wien fast 100 Synago- wendige Verbesserungen durchgeführt, letzten Phase des Kommunismus. Peter etwa neue Stiegenhäuser für die Frauen- war elf Jahre lang Product Manager im gen und Bethäuser. Etage. „Es hat sich über Jahre hingezo- Österreich-Vertrieb der Software, hatte Sie alle wurden – gen, alles war genehmigt, aber das Geld noch als Student auch an der Entwicklung hat gefehlt.“ mitgearbeitet. „ArchiCAD bringt auch für mit Ausnahme des Doch wenn schon die Erweiterung der unsere Synagogen-Projekte entscheidende Synagoge nicht möglich war, wollte man Vorteile: Es ist elementeorientiert.“ Was Stadttempels – im zumindest das Innere verschönern und meint er damit? „Es handelt sich dabei Zuge des November­ dekorierte mit aufwendiger Schablonen- nicht bloß um eine digitale Zeichensoft- Malerei Wände und Decken. „Man hat ware, sondern man setzt dreidimensional pogroms zerstört. aus der Not eine Tugend gemacht“, er- © Reinhard Engel; Martens/Peter

58 wına | August 2016 neue Technologien Geschichte

Rekonstruktion der Innenansicht des Schmalz- hoftempels, erbaut von Max Fleischer, 1883/84. Herbert Peter. Was auch geholfen hat, ist, dass einige Synagogen die Pogromnacht über- lebt haben, etwa in Böhmen.

Decken- und Wandver- zierungen wurden, soweit es möglich war, bis ins Detail rekonstruiert.

Gefragt, woher die Wiener Synago- zählt Peter. Diese Veränderung war aus genbauer ihre Ideen hatten, verweist Peter dem Foto des Jahres 1925 zu ersehen, eine auf mehrere internationale Einflüsse in- Rekonstruktion auf Basis der Pläne von nerhalb des Historismus. Vorbildhaft war 1923 wäre ein Fehler gewesen. Jetzt sieht Vom Uniprojekt zur etwa der Bau der Synagoge von Kassel im man in der Ausstellung, was man bauen Ausstellung Jahr 1840, die sich bewusst auf den Sa- wollte und was wirklich realisiert wurde, Die virtuelle Rekonstruktion von Syna- lomonischen Tempel bezog, beziehungs- in unterschiedlichen Farben dargestellt. gogen reicht als Projekt in das Jahr weise was man davon zu wissen glaubte. 1998 zurück. Begonnen hatte es mit Daraus wurde die dreischiffige Bauweise. Polnische Schul. Ein anderes Beispiel dem Verein Herklotzgasse 21 und ei- Für die Innenausstattung musste man sich dieser Detektivarbeit bietet die Polnische ner Projektion der Fassade einer zer- besondere Gedanken machen. Bildliche Schul. „Hier hatten wir sehr gutes Ma- störten Synagoge auf das heute auf Darstellungen wie in christlichen Kir- terial des Architekten Wilhelm Stiassny. dem Grundstück stehende Gebäude. chen sind nicht erlaubt, also wich man Er hat viel publiziert, und seine Präsenta- Bob Martens, ein Niederländer, der an ins Ornamentale aus. Viele Architek- der TU Wien Architektur lehrt, machte tionspläne in der Bauzeitung des Jahres ten nutzten dafür ein Standardwerk des daraus ein wissenschaftliches Projekt. 1894 abgedruckt.“ Doch auch hier ent- 19. Jahrhunderts, das englische Buch The Er beauftragte Studenten mit der Re- sprach die Realität nicht der ursprüngli- konstruktion niedergebrannter Tem- Grammar of Ornament. Darin wurden sys- chen Planung. Man baute um zwei Me- pel. Auch Herbert Peter verfasste eine tematisch Ornamente unterschiedlicher ter niedriger als vorgesehen, vermutlich Arbeit zu dem Thema, allerdings nicht Kulturen dokumentiert: ob aus Ägypten wegen der benachbarten Gebäude. Und zu einem einzelnen Haus, sondern zu oder Persien, aus Byzanz, Pompeji, Rom auch die Oberlichten, die auf dem engen technischen Fragen der Datenstruktu- oder Athen. Dieses Musterbuch nutzten Grundstück Helligkeit in den Raum brin- rierung. 2009 erschien dann das Buch auch die Architekten der Donaumonar- gen sollten, wurden offensichtlich nicht Die zerstörten Synagogen Wiens. Vir- chie für ihre Synagogenbauten. Man fin- verwirklicht. Dazu tauchten später Bil- tuelle Stadtspaziergänge im Mandel- det manche Ornamente eins zu eins aus der auf, die das belegen. „Wir renovieren baum Verlag, das 21 große Bethäuser der „Grammatik“ wieder. unsere Modelle, indem wir sie laufend beschreibt. Mittlerweile ist die Liste auf „Was uns auch geholfen hat, ist, dass weiterentwickeln“, erläutert Peter. 40 Tempel angewachsen. Als Nächstes doch einige Synagogen die Pogromnacht Das geschah etwa auch bei der Außen- wollen sich Martens und Peter unter überlebt haben, etwa in Böhmen“, erzählt ansicht der Polnischen Schul. Ursprüng- anderem das vornehmen. Peter. Wenn dort derselbe Architekt tätig lich hatte man eine rot-weiß-rote Fassade Die Ausstellung „Wiener Synagogen. war wie in Wien, sei es äußerst wahrschein- in kräftigen Farben vermutet. Dann revi- Ein Memory“ im Jüdischen Museum lich, dass er ähnliche Pläne, Elemente oder dierte man diese in Richtung gedeckter Wien am Standort Judenplatz ist Dekors hier wie da verwendete. Auch das Anstriche, auch das scharfe Weiß wurde noch bis 17. November geöffnet. dient Martens und Peter dazu, ihre Rekon- © Reinhard Engel; Martens/Peter etwas dumpfer, beinahe Ocker. struktionen weiter zu verfeinern.

wına-magazin.at 59 interview mit Andreas Fingernagel Einzigartige „Judenbücher“ aus Österreich nun weltweit einsehbar Rund 240 wertvolle hebräische Hand- schriften der Österreichischen National- bibliothek (ÖNB) wurden von der Israelischen Nationalbibliothek digitali- WINA: Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen Wien und Jerusalem, und wie hat sie funktioniert? Sind die Hand- siert und online verfügbar gemacht. schriften gereist? Über das Projekt und die Sammlung Andreas Fingernagel: Unsere Sammlung hebräischer Hand- sprach Dr. Andreas Fingernagel, schriften geht auf das Mittelalter zurück, sie stammt vor allem Leiter der Handschriftenabteilung der aus dem aschkenasischen Bereich und ist für Israel sehr interes- sant. Weil dort eine große Datenbank aufgebaut wird, die mög- ÖNB, mit Anita Pollak. lichst alle hebräischen Handschriften digital erfassen soll, er- gab sich eine Kooperation mit uns. Ein Spezialist aus Israel hat dann die Handschriften bei uns fotografiert, denn ein Transport wäre schon wegen der hohen Versicherungssummen unmöglich. weiterverwendet. Das ist aber nicht religionsspezifisch zu sehen, Auch unser Institut für Restaurierung war eingebunden. Wich- das gab es verbreitet. tig war bei dem Projekt, dass die Bilder nicht kommerziell ver- wertet und nur der Forschung zur Verfügung gestellt werden. Ein Teil der Sammlung geht auf Schenkungen zurück. Weiß Unsere Daten sind momentan nur lokal gespeichert und führen man, wer die Schenker waren? ❙ mit einem direkten Link zur Nationalbibliothek in Israel, weil Es waren vielfach Schenkungen von Juden als Huldigungen an von dort aus der Zugriff praktischer ist. das Kaiserhaus, z. B. wertvolle Esther-Rollen, auch interessen- geleitete Schenkungen, etwa um die eigene Stellung zu stärken. Wer hat wann und warum gerade hebräische Handschriften in Österreich gesammelt? Gerade in diesem Bereich ist die Provenienz ein heikles ❙ Die Nationalbibliothek geht im historischen Kernbestand auf Thema, ist diese bei allen Objekten zur Gänze geklärt? ❙ die Hofbibliothek zurück und damit bis in das 14. Jahrhundert. Ja, weil sie sehr weit zurückliegen. Unsere Sammlung war ja Schon aus dieser Zeit haben wir Informationen, dass hebräische im Großen und Ganzen zum Ende des 19. Jahrhunderts ab- Handschriften, in einer Quelle „Judenbücher“ genannt, gesam- geschlossen. Bis dahin hat die Hofbibliothek von Buchhänd- melt wurden. Wichtig war aber dann die Universität Wien, wo lern weiter angekauft und gesammelt. Theologen sicher hebräische Handschriften und Bücher für ihre Bibelausgaben herangezogen haben. Ich schätze, dass etwa ein Wie unterscheiden sich abgesehen von der Schrift hebräi- Drittel unserer heutigen Sammlung aus der alten Universitäts- sche Handschriften von zeitgenössischen? Gibt es da Ge- bibliothek, die Mitte des 18. Jahrhunderts aufgelassen wurde, meinsamkeiten, was Stilrichtungen oder Motive betrifft, kann stammt. man einen Zeitgeschmack feststellen? ❙ Absolut. Wir haben gemeinsam mit Kollegen aus Israel Besteht die Sammlung mehrheitlich aus profanen oder religi- Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts untersucht und ösen Schriften? festgestellt, dass die Ausstattungen von Buchmalern gemacht ❙ Das ist gemischt. Bibelhandschriften und Bibelkommentare wurden, die sowohl für hebräische als auch für lateinische sind ein großer Teil, dann auch Gebetbücher, aber auch profane Handschriften gearbeitet haben. In der Dekoration gibt es Schriften aus den Gebieten der Astronomie, Medizin, Mathe- viele Überschneidungen, da gab es sicher auch einen Aus- matik und Naturwissenschaften. tausch mit christlichen Büchern.

Manche Handschriften wurden als In der jüdischen Religion untersagt das Bilderver- Buchbindematerial etwa im 15. und bot figurative Menschendarstellungen. Wie hat 16. Jahrhundert genutzt, waren also „Es waren vielfach sich das ausgewirkt? ❙ quasi Makulatur. In welchem Erhal- Schenkungen Da gibt es z. B. den berühmten „Vogelkopf- tungszustand waren sie? Machsor“, bei dem das menschliche Gesicht durch ❙ Unterschiedlich. Bei den Judenpog- von Juden als einen Tierkopf ersetzt wurde, oder Illustrationen, romen sind viele Handschriften zer- Huldigungen an auf denen das Gesicht abgewandt ist und man nur stört worden, man hat sie zerschnitten die Hinterköpfe sieht, also Möglichkeiten, trotz und später die wertvollen Pergamente das Kaiserhaus.“ Verbots figürliche Darstellungen zu machen. Eine © Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung

60 wına | August 2016 Bibel aus dem Jahr 1298/1299 mit figürlichem Kommentar. Weitere Infos unter: onb.ac.at

Wäre der heutige Marktwert einer solchen Sammlung überhaupt schätzbar, und kön- nen Sie weiter ankaufen? ❙ Man könnte es nur punktuell beziffern, wenn ähnliche Objekte in Auktionen kommen. Wir haben zwar theoretisch Ankaufsmöglichkei- ten, öffentliche Bibliotheken können aber bei zwei bis drei Millionen für Handschriften nicht mehr mitbieten.

Kann man noch auf weitere Entdeckungen in Ihrem Bereich hoffen? ❙ Sicherlich. Wir haben in den letzten drei Jah- ren zehn Fragmente neu entdeckt. Das sind natürlich nur Zufallsfunde, denn wir müssten Besonderheit ist die Mikrographie als Illustrationsmöglichkeit. ja alle Handschriften und alte Bücher durchschauen, ob he- Es ist etwas ganz spezifisch Kunstvolles in mittelalterlichen bräische Fragmente darin sind. Diese Entdeckungen werden hebräischen Handschriften, dass man aus winziger Schrift, die wir jetzt den Kollegen in Israel zur Bestimmung weitergeben. oft nur als Linie wahrgenommen wird, Figuren formt. Sind die Originale nach der Digitalisierung noch einsehbar Wer kann denn das heute hier vor Ort überhaupt lesen? oder für immer weggesperrt? ❙ ❙ Wir haben hier leider niemanden. Deshalb suchen wir bei Wir wollen das Original nicht grundsätzlich wegsperren, müs- diesen Themen Zusammenarbeiten, auch international. Wir sen es aber schonen und können es nur bei berechtigten An- holen uns eben die Expertisen punktuell für verschiedene Pro- liegen ansehen lassen. jekte, weil wir selbst keine Experten haben. Ist die österreichische Sammlung im internationalen Vergleich Was sind die Highlights der Sammlung? eine bedeutende? ❙ ❙ Ein Highlight ist sicher die Kremser Ketuba, die erste illu- Ja, besonders wegen ihres Alters, aber auch wegen der großen minierte Hochzeitsurkunde im deutschsprachigen Raum, aus Streuung durch den Raum der Monarchie. dem 14. Jahrhundert, die auch Opfer einer Zerstörung war. Sie wurde in vier Teile zerschnitten, ist zum Glück aber fast voll- Die ÖNB bietet die Möglichkeit der „Buchpatenschaft“ ab ei- ständig erhalten, auch der Ortsname Krems ist noch lesbar, ner Summe von 500 Euro an. Wie hat man sich das vorzu- dargestellt ist eine Ringübergabe. Weiters noch einige Hand- stellen? ❙ schriften aus dem 15. Jahrhundert, hauptsächlich Bibeln. Ein Man kann sich eine Handschrift in der Datenbank zur Re- wichtiger Aspekt sind auch die besonderen Einbände von he- staurierung aussuchen oder wir machen Vorschläge für ge- bräischen Handschriften, sogenannte Lederschnitt-Einbände. eignete Objekte. Auch an bereits restaurierten Handschriften Mit einem heißen Eisen wurden die Muster dauerhaft in das oder Büchern kann man sich nachträglich beteiligen. Buchpa- Leder eingeritzt, das ist eine Kunst, die auffällig oft bei heb- ten erhalten ein Exlibris in ihr Objekt und bleiben damit mit

© Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung räischen Handschriften vorkommt. ihm symbolisch verbunden.

wına-magazin.at 61 ReiseDialog

Über eine Reise Ein Rabbi und ein Imam begeben sich auf eine gemeinsame Reise. Was daraus entsteht, ist ein inspirierender Dialog über Religionen und Kulturen, das Eigene und die Toleranz.

Ramazan Demir & Schlomo Hofmeister: Reise nach Jerusalem. derungen beider Religionsgemeinschaften Ein Imam und ein in einer Gesellschaft, die einerseits christ- Rabbiner unterwegs. lich, andererseits inzwischen stark säku- Mit Fotos von Florian Rainer. Amalthea Verlag, lar geprägt ist. Und über den Versuch, das 208 S., € 22 „christlich-jüdische Abendland“ wiederum als Front gegen den Islam zu inszenieren. tert der Rabbiner. Das Paradies? Irgend- Beide kommen zum Schluss: Religion welche Assoziationen? „Ich finde, man an sich wird nicht zum Problem. Seit jeher muss gar nicht rund 1.000 Jahre bis zu haben Menschen unterschiedlichen Glau- den Kreuzzügen zurückgehen“, erwidert bens ohne gegenseitige Ressentiments denn auch der Imam. „In der heutigen Zeit Seite an Seite gelebt – auch das Judentum gibt es leider auch viele religiös-extremis- und der Islam. Heikel wird es, wenn Reli- tische Gruppierungen, die durchaus welt- gion missbraucht wird – etwa für politische liche Ziele verfolgen.“ Zwecke. Rabbiner Hofmeister illustriert Hofmeister und Demir reichen ein- das mit einem historischen Beispiel: Die ander die Hand und verurteilen unisono Päpste, die einst zu den Kreuzzügen auf- Extremismus. Sie verschweigen aber auch gerufen haben, hätten dies auch aus eige- nicht, dass es auf dieser Reise durchaus nen weltlichen Inte- auch heikle Momente gab: ressen heraus getan. Die Passkontrolle am Flug- Von Alexia Weiss „Möglicherweise „Es ist unsere hafen von Tel Aviv war ein in Rabbiner und ein Imam hat es den einen solcher für den Imam. Und freunden sich an und machen oder anderen gläu- gemeinsame Aufga- in Istanbul gab es Probleme, gemeinsam eine Reise nach bigen Christen ge- be, Vorurteile gegen- koscheres Essen für den Rab- Istanbul und Jerusalem: Die geben, der das nicht biner zu organisieren. Trotz Dialog-Initiative von Rabbiner Schlomo durchschaut und ge- über dem Judentum mancher Widrigkeiten bleibt EHofmeister und Imam Ramazan Demir dacht hat, dass ihm und dem Islam am Ende der Eindruck, dass hat inzwischen medial die Runde gemacht. die Teilnahme an die beiden die Reise und Nun haben die beiden ihre Reise auch in einem Kreuzzug, zu aufzubrechen und den Austausch genossen ha- Buchform gegossen: Gemeinsam sehen dem immerhin der ben. Reise nach Jerusalem ist sie sich in Reise nach Jerusalem die Fotos Papst persönlich dadurch hoffentlich ein Plädoyer für Dialog und von Florian Rainer an und lassen dabei aufgerufen hatte, ei- einen kleinen Bei- gegenseitigen Respekt, aber ihre Erlebnisse in der Türkei und Israel nen Platz im Para- auch das Bewahren des je- Revue passieren und kommentieren sie. So dies sichert. Auf die trag zu leisten ...“ weils Eigenen. Integration, erfährt der Leser viel über den Islam und Organisatoren trifft Rabbiner Schlomo nicht Assimilation: Dafür das Judentum, die Gemeinsamkeiten, das das aber mit Sicher- treten sowohl der Rabbiner Trennende. Aber auch über die Herausfor- heit nicht zu“, erläu- Hofmeister als auch der Imam ein.  © Florian Rainer

62 wına | August 2016 urban legend Rote Karte Ein Plädoyer für eine Abrüstung der Worte in der Fanszene der heimischen gehöre zum Stadienzirkus einfach dazu. Es reiche nicht Fußballclubs. Denn genau dort aus, die eigene Mannschaft anzufeuern – das Erlebnis fängt die Gewalt an. beim Spiel speise sich nicht zuletzt auch aus einem Hassmoment gegenüber der gegnerischen Mannschaft, gegenüber den gegnerischen Fans. Das wird natürlich auch nicht von allen männlichen Stadionbesuchern so gesehen. Auch hier gibt es einige, die meinen, Chants wie Tod und Hass dem FAK müssten nun doch nicht uerst war da ein Hakenkreuz, sein. auf ein Klettergerät gesprayt, Ja, das mag von vielen Fußballbegeisterten nun als auf dem nahe gelegenen Spiel- naiv, spaßverderbend und zutiefst weiblich angese- platz. Etwas später ein Juden- hen werden. Aber ich denke: Nein, es ist nicht nötig, stern und der Slogan „Hasen jagen“ im den anderen derart niederzumachen. Auch nicht ver- ZKontext eines offensichtlich fußballbe- bal. Wenn man anderen, die man gar nicht persönlich Von alexia weiss zogenen Graffitos an einer Häuserwand. kennt, den Tod wünscht, nur weil sie Anhänger eines Und plötzlich fielen auch all die anderen gegnerischen Vereins sind, dann stimmt für mich et- was nicht. Ja, das ist ein ritualisierter Spruch. Aber ge- rade oft Gehörtes, oft Gesagtes, Ritualisiertes setzt sich Eine Abrüstung der Worte im Stadion in den Köpfen fest. könnte à la longue auch zu einer Abrüs- Eine Abrüstung der Worte im Stadion könnte à la longue auch zu einer Abrüstung der Gewalt rund um tung der Gewalt rund um das Stadion das Stadion vor und nach den Derbys führen. Viel- vor und nach den Derbys führen. leicht ist das ein frommer Wunsch – aber einen Ver- such wäre es doch wert. Der Erlebnischarakter eines Spiels könnte doch auch einfach darin liegen, sich mit kleinen Schmierereien im Grätzel auf: die ACAB- dem Verein zu freuen, wenn er gewinnt, und zuver- Schriftzüge („All Cops Are Bastards“), das durchge- sichtlich zu sein, dass es beim nächsten Mal besser ge- strichene FAK auf Mistkübeln, das stolze „Gioventù“ lingt, wenn er verliert. (eine Gruppierung von Rapid-Fans) in Grün auf ei- Weder bei Tennisturnieren noch bei Schirennen nem Haus, das kurz vor dem Abriss steht. wünschen die Fans den Gegnern ihrer Idole den Tod oder betonen lautstark, wie sehr sie sie hassen. Anti- Nein, ich weiß nicht, ob hinter diesen Botschaften semitische Gesänge sind in den Stadien inzwischen im öffentlichen Raum dieselben Gruppen stehen. Aber tabu (auch wenn der Antisemitismus mitnichten aus irgendwie fügt sich eines ins andere – ja, selbst das Ha- der Szene verschwunden ist.) Warum kann hier ins- kenkreuz hat seinen Platz: Als mich meine Recherche gesamt nicht noch mehr auf eine friedvolle Sprache (siehe auch S. 10) in den vergangenen Wochen immer Wert gelegt werden? tiefer in die Welt der Hardcore-Fankultur führte, fan- den auch da die verschiedenen Elemente zusammen. Chants könnten einfach die eigene Mannschaft an- Da gibt es Ultra-Fans und Hooligans, wovon der eine feuern, ohne den Gegner dabei herabzusetzen. Ich oder andere eine Vorliebe für Rechtsextremes hat, wo- wüsste nicht, inwiefern das den Genuss des Spieles von der eine oder andere nicht nur im Stadion zu se- herabsetzen würde. Ja, vielleicht ist dann der eine oder hen ist, sondern auch bei Identitären-Demos und bei andere gewaltbereite Fan nicht so rasch in der Stim- Pegida. mung, sich nach Spielende mit Ultra-Fans der gegne- Worauf ich bei dieser Recherche ebenfalls gestoßen rischen Mannschaft zu prügeln. Aber genau das wäre bin: die (durchwegs männliche) Ansicht, Fanrivalität ja das Ziel. 

Zeichnung: Karin Fasching

wına-magazin.at 63 Das letzte Mal

Das letzte Mal Das letzte Mal, dass ich ein Stück Musik verschenkt habe, war … ... an einen meiner besten Freunde zum Ge- Problemlösung burtstag. Eine Erstpressung des Miami-Vice- Themas auf 7“. Die Freude war ziemlich groß, auf Musiker-Art und die Platte hat jetzt einen Ehrenplatz in sei- Fur alles gibt es ein erstes Mal – aber auch ein ner Sammlung. Ich hoffe, dass ich sie auch letztes. In diesem Monat berichtet Waves-Vienna- bald mal bei einem seiner DJ-Sets hören werde. Festivaldirektor Thomas Heher über Kasachen, die Das letzte Mal, dass ich jemandem im sich von Wiener Grant begeistern lassen, den Ausland eine (schöne?) Besonderheit Wiens Misserfolg beim Siphon-Anschluss und liebestolle erklärt habe, war … Katzen im leisen Cilento. ... bei einem Festival in Almaty (Kasachstan), zu dem ich eingeladen war. Ich kam spätabends nach einem Konzert an der Bar mit zwei loka- len Musikern ins Gespräch. Nachdem ich über die Bauwerke, die berühmten KünstlerInnen, die in Wien gelebt hatten, die tolle Lebens- qualität, den Wein und die Heurigen erzählte, waren beide relativ unbeeindruckt. Erst als ich den typischen Wiener Charme, der sich in der Grantigkeit der Kaffeehaus-Kellner oft am besten wiederfindet, die Wiener Schwer- mut und den Zentralfriedhof erwähnte, waren sie ganz begeistert und wollen nun unbedingt zum Waves-Festival kommen. Ich habe die Band dann auch gleich eingeladen. Molto Loud spielen am 1. Oktober. Das letzte Mal, dass ich einen Tag ohne Musik verbracht habe, war … ... in meinem letzten Urlaub im Juni mit mei- ner Freundin im italienischen Cilento. Wir ha- ben auf einem Bauernhof gewohnt, und die Stille dort zwischen den Weinbergen wurde nur frühmorgens von einem Kuckuck unter- brochen. Ok, da gab’s auch noch eine rollige Katze, die in der Einsamkeit der Berge leider keinen Kater gefunden hat ... Das letzte Mal, dass ich mich handwerklich voll überschätzt habe, war … ... beim Anschließen des Siphons an die neue Spüle in der Küche. Ich bin plötzlich draufge- kommen, dass ich einen Siphon für eine Dop- pelspüle gekauft hatte. Gelöst hab’ ich das Problem auf Musiker-Art: mit Gaffer-Tape. Das war vor einem halben Jahr, und es hält noch

immer dicht – den Geschirrspüler in meiner Vienna © Waves Abwesenheit laufen zu lassen, traue ich mich trotzdem nicht. Thomas Heher, 41, ist Mitbegründer des Popkulturmagazins The Gap, der Literaturzeitung Volltext und des Musikmagazins Das letzte Mal, dass ich die Welt hätte TBA. Seit 2011 leitet er das Musik-Festival Waves umarmen können, war, … Vienna, auf dem heuer über 100 internationale Acts aus ... als unsere Crowdfunding-Kampagne erfolg- den Bereichen Alternative, Singer-Songwriter, aber auch reich zu Ende ging. Jetzt grüble ich schon, Elektronik und Club-Musik zu Gast sein werden. Israel ge- was ich den netten Menschen, die ein Essen hört mit Deutschland zu den diesjährigen Schwerpunkt- mit, von und bei mir gekauft haben, wohl ländern, die beim Festival mit Live-Konzerten und bei der kochen werde. Die Wein-Begleitung hingegen Waves Vienna Conference im Mittelpunkt stehen. 29.9.– ist schon fix und fertig durchgeplant. 1.10.2016; diverse Locations. wavescentraleurope.com

64 wına | August 2016 Wir verdrehen gerne Ihren Kopf

inserat

www.wina-magazin.at www.wina-magazin.at

Defiant Requiem: Verdi in Terezín Österreichpremiere im Wiener Konzerthaus, 20. September 2016, 19:30 Uhr

Defiant Requiem: Verdi in Terezín ist keine gewöhnliche Auf- führung des bekannten Requiems, sondern ein von Maestro Murry Sidlin inszeniertes Konzert-Drama, das die bemerkens- werte Geschichte eines charismatischen jüdischen Dirigen- ten Rafael Schächter und seiner Mithäftlinge erzählt. Es kombi- niert die ergreifende Musik Verdis mit Zeitzeugenberichten von überlebenden Chormitgliedern und Ausschnitten aus einem in Theresienstadt gedrehten NS-Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Zwischen den Musikpassagen rezitieren Schauspieler Worte von Rafael Schächter und anderen Beteiligten, so entsteht ein Zusammenwirken aus Klang, Bild und Text.

Mitwirkende: Dirigent: Murry Sidlin, Orchester Wiener Akademie, Tschechischer Philharmonischer Chor Brno, Aga Mikolaj, Janina Baechle, Bruce Sledge, Jongmin Park, Katharina Stemberger, Erwin Steinhauer. [email protected], T. 01.242.002, oeticket.com Die Defiant Requiem Foundation, ist eine von Murry Sidlin gegründete Non-Profit-Organisation mit Sitz in Washington D.C. Der zentrale Punkt ihrer Arbeit ist die Erinnerung an Rafael Schächter und an die Gefangenen von Theresienstadt wachzuhalten. ISRAELITISCHE KULTUSGEMEINDE WIEN Jüdisches wien erLeben in der israelitischen Kultusgemeinde sonntag, 18. september 2016, 11.00 bis 17.00 uhr einlass bis 16 uhr iKg, seitenstettengasse 4, 1010 wien AussteLLung - Jüdische Flüchtlinge aus Österreich im ProgrAmm stAdttemPeL 12.30 Uhr Konzert mit Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg, Oberkantor Schmuel Barzilai und dem Wiener Jüdischen Chor. Im Anschluss laufend Führungen und interaktive Fragerunde mit Oberrabbiner Arie Folger und Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister gemeindezentrum 15.00 Uhr Konzert Sandra Kreisler singt Georg Kreisler Jüdischer FriedhoF währing Führungen mit Historikerin Mag.a Tina Walzer Shuttle Service vom Schwedenplatz - Willkommen! Treffpunkt 11:15 & 14 Uhr am Rabensteig weitere ProgrAmmPunKte: Jüdische Religion & Feiertage Koscher Wein Verkostung Kaffeehaus & koschere Schmankerl Diverse Infostände und vieles mehr ...

weitere informationen unter: www.ikg-wien.at

Aus sicherheitsgründen bitte einen LichtbiLdAusweis mitbringen!